LOANGO-EXPEDITION AUSGESANDT VON DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT ZUR ERFORSCHUNG ÄQUATORIAL-AFRIKAS 1873—1876 EIN REISEWERK IN DREI ABTEILUNGEN VON PAUL GÜSSFELDT, JULIUS FALKENSTEIN, EDUARD PECHUEL-LOESCHE MIT ILLUSTRATIONEN GEZEICHNET VON A. GÖRING, M. LAEMMEL, G. MÜTZEL, 0. HERRFURTH STUTTGART VERLAG VON STRECKER & SCHRÖDER 1907 EEE RER ”. Z Lith. Anst.v. H. Arnold, Leipzig Die deutsche Station Tschintschotscho. VAR...» 1877 Er DIE LOANGO-EXPEDITION AUSGESANDT VON DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT ZUR ERFORSCHUNG AEQUATORIAL-AFRICAS 1873—1876. EIN REISEWERK IN DREI ABTHEILUNGEN VON PAUL GÜSSFELDT, JULIUS FALKENSTEIN, EDUARD PECHUEL-LOESCHE. MIT ILLUSTRATIONEN GEZEICHNET VON A.GÖRING, M. LAEMMEL, G. MÜTZEL. LEIPZIG. VERLAG VON PAUL FROHBERG. 1879. VORREDE Das vorliegende Reisewerk bespricht die Verhältnisse der Loangoküste. Die Verfasser gehörten, der eine als Führer, die beiden anderen als Mitglieder, der ersten Expedition an, welche die „Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Africas‘“ im Jahre 1873 aussandte und 1876 zurückberief. In den Kreisen, welche unsere Bestrebungen verfolgt haben, gilt es für ausgemacht, dass über unserer Expedition ein be- sonderer Unstern gewaltet hat; die Meinungen gehen nur in sofern auseinander, als die Einen in den Personen die Gründe finden zu müssen glauben, welche die Anderen in den Ver- hältnissen selbst erblicken. Daher hat sich dieses Buch die Aufgabe gestellt, den Gang der Dinge mit Wahrhaftigkeit dar- zustellen und die erhaltenen wissenschaftlichen Resultate zu- sammenzufassen. Nicht um den Versuch einer Rechtfertigung handelt es sich, sondern um die Erfüllung einer Pflicht, sowol der Wissenschaft gegenüber, der wir die Mittheilung unserer erworbenen Kenntnisse schuldig sind, wie dem Kaiser, den Fürsten und der Nation gegenüber, die uns huldvoll und gross- müthig die Mittel gewährten und unsern Dank in Form der vI Vorrede. Arbeit beanspruchen dürfen. In diesem Sinne haben sich der Führer und die ihm nächst stehenden Mitglieder der Expedition in der Heimat nochmals zu gemeinschaftlichem Wirken vereinigt, und Jeder von ihnen hat, zum Theil mit Benutzung des Materials seiner Gefährten, einen Abschnitt des Werkes selbständig bearbeitet. Es kamen mehrere Umstände zusammen, dass wir erst jetzt, zwei und ein halbes Jahr nach dem Ablauf unserer Mission, mit einer Veröffentlichung hervortreten. Nach der Rückkehr aus Westafrica begab sich Dr. Güssfeldt noch einmal ausser Landes, um in dem belebenden Klima der Arabischen Wüste seine Gesundheit wieder herzustellen und die lähmenden Einflüsse mannigfacher Enttäuschungen zu überwinden. Erst nachdem die Resultate dieser neuen Reise ausgearbeitet waren, wurde von ıhm, von Dr. Falkenstein, und Dr. Pechuäl-Loesche der Plan für das vorliegende Werk der Loango-Expedition festgesetzt. Die Manuscripte waren ın der vereinbarten Zeit vollendet, aber die Herstellung der Illustrationen verzögerte das Erscheinen un- serer Arbeit um ein Bedeutendes. Wir bedauern den Aufschub nicht, denn das Schicksal unserer Expedition ıst so geartet, dass eine von den Betheiligten unternommene Schilderung nur ge- winnen kann, wenn die Zeit besänftigend entfernte, was die Rücksichtslosigkeit des Unmuths nicht verschweigen mochte. Das vorliegende ın sich abgeschlossene und für einen grös- seren Leserkreis bestimmte Werk der Expedition über Loango zerfällt in drei Abtheilungen, deren erste von Dr. Güss- feldt, deren zweite von Dr. Falkenstein, deren dritte von Dr. Pechuäl-Loesche verfasst worden ist. Der Gesammt- inhalt begreift die Geschichte der Loango-Expedition, die mit der Erforschung des unbekannten Landes verknüpften persön- lichen Eriebnisse der Betheiligten und die Resultate auf physika- Vorrede. vu lischem, naturhistorischem, medicinischem, geographischem und ethnologischem Gebiete. In welcher Weise die Trennung dieser Materien stattgefunden hat, erhellt aus dem jeder Abtheilung vorangesetzten Vorwort. Damit den drei Verfassern so viel Freiheit in der Be- handlung ihres Stoffes verbliebe, wie nur irgend mit dem ein- heitlichen Charakter des Buches vereinbar war, erschien es’ wünschenswerth, dass einem Jeden die Verantwortlichkeit für den Inhalt des von ihm verfassten Theiles allein zufiele. Die Illustrationen sollen die Anschauung des Lesers unter- stützen, nichts weiter. Deshalb ist lediglich auf Treue und ge- wissenhafte Ausführung Rücksicht genommen, und sind die dem angestrebten Zweck gefährlichsten Klippen, die sensationelle Uebertreibung und die künstlerische Idealisirung, mit Bedacht vermieden worden. Es wird überdies dem Werke ein be- sonderes Verzeichniss der Abbildungen nebst solchen kritischen Erläuterungen beigegeben, wie sie für das volle Verständniss der dargestellten fremdartigen Formen wünschenswerth sind. Die Originale, welche den reproducirenden Künstlern vorlagen, sind sämmtlich an Ort und Stelle entstanden; den einen Theil derselben lieferte Dr. Falkenstein, mit den von ıhm auf- genommenen Photographieen, den anderen Dr. Pechu£äl-Loesche mit seinen in Westafrica entworfenen und ausgeführten Aqua- rellen. Die Grösse der Herstellungskosten legte uns leider eine Beschränkung in der Zahl der Illustrationen auf, so dass nur ein sehr geringer Theil des vorhandenen Materials zur Ver- wendung kommen konnte. Die Karte ist von einem bewährten Kartographen Deutsch- lands, Herrn Dr. Henry Lange, auf Grund der von Dr. Güss- feldt vorgenommenen astronomischen Ortsbestimmungen und VIII Vorrede, Vermessungen gezeichnet worden. Bei der Schreibweise der afrıcanıschen Namen haben wir uns der Gesetze für die Aus- sprache des Deutschen bedient. Der geschäftlichen Mühewaltung sowol wie der Redaction des Werkes und der Sorge um die Herstellung der Illustrationen hat sich Dr. Pechu£äl-Loesche allein unterzogen und dadurch seinen Gefährten ein Opfer an Zeit und Arbeit gebracht, das diese nicht stillschweigend hinnehmen dürfen. Dem Herrn Verleger sind die drei Verfasser zu aufrich- tigem Danke verpflichtet. Er vereinte seine Bemühungen mit den ihrigen und denen der Künstler, um auch durch äussere Ausstattung das Werk des Leserkreises würdig zu machen, für welcnen dasselbe bestimmt ist. nm N, N | BZ cE Meln Fächerpalme (Hyphaene guincensis). DIE LOANGO-EXPEDITION. ERSTE ABTHEILUNG D= PAUL GUSSFELDT. LETBZIG. VERLAG VON PAUL FROHBERG. 1879. VORREDE ZUR ERSTEN ABTHEILUNG. Die Aufgabe, welche dem ersten Theil dieses Werkes zugefallen ist, beschränkt sich auf einen geschichtlichen Abriss der mir an- vertrauten Expedition, auf die Erzählung meiner Reisen und auf die Mittheilung der an dieselben geknüpften Beobachtungen. In der Er- kenntniss, dass ein Reisender nicht alle Disciplinen berücksichtigen kann, und dass dasHauptverlangen bei einem Betreten unbekannter Gegenden auf topographisches Material gerichtet ist, hatte ich mich mit Vorliebe nach dieser Richtung hin beschäftigt. Wie weit ich anderen Be- obachtungen auf meinen Reisen habe gerecht werden können, muss aus der Schilderung der letzteren hervorgehen. Dass ich vielfach die Form der tagebuchartigen Erzählung gewählt, dass ich den höheren Standpunct, bei welchem die Person des Beobachters und seine Er- lebnisse ganz vor der sachlichen Darlegung der Verhältnisse ver- schwinden, in dem Buche nicht eingenommen habe, drängt mich zu einem Wort der Entschuldigung. Einer der drei Gründe, die sich an- führen lassen, liegt in der Art der Vertheilung des Stoffes unter die drei Herausgeber: bei dieser sind mir gerade die einer allgemeineren Be- handlung fähigen Capitel über Ethnologie und physikalische Geographie Loangos nicht zugefallen. Der zweite Grund ist der, dass ohne die Schilderung der persönlichen Erlebnisse ein Verständniss der eigen- thümlichen bisher unbesiegten Schwierigkeiten vom Leser nicht er- wartet werden kann; denn das Wesen derselben lässt sich weniger durch allgemeine Worte als durch Vorgänge erläutern; es muss je- doch erläutert werden sowol um zukünftiger Unternehmungen willen, als wegen der scharfen Beleuchtung, in die es die Sitten und An- schauungen der Eingeborenen stellt. Wenn dadurch freilich die eigene Person zeitweilig ungebührlich in den Vordergrund gedrängt wird, so ist sie für das Verständniss des Lesers doch nichts Anderes als Vorrede zur ersten Abtheilung. das Gerüst, welches man abträgt, sobald das Haus fertig ist. Der dritte Grund liegt in der Unvollständigkeit unserer bei dem blossen Durchzug durch ein Gebiet zu erwerbenden Kenntnisse. Für ein Land, das zum ersten Mal von einem Europäer betreten wird, in welchem ausserdem dem Reisenden nur eine äusserst beschränkte Freiheit der Bewegung gestattet ist, wo die beste Kraft durch das Wegräumen äusserer Schwierigkeiten, zum Theil auch durch körper- liches Leiden verbraucht wird, lässt sich von einer einzigen Reise nichts Vollendetes erwarten. Die Kenntniss, noch zu schwach, um auf eigenen Füssen stehen zu können, bedarf der Anlehnung an die Mittel, durch welche sie erlangt wurde, und indem sie sich in das bescheidene Gewand der erzählenden Reisebeschreibung hüllt, sündigt sie wenigstens nicht durch Behauptungen, deren allgemeine Gültigkeit noch zu erweisen ist. Diese Erwägungen waren massgebend für die Form, welche die Arbeit im Folgenden erhalten hat. INHALT DER ERSTEN ABTHEILUNG. DATE ee en oe ee nee Or ne ENT SEELE Sr Ve EC RE en De Pe Seefahrt an Bord der „Nigretia“. — Madeira und Tenerifle. — Freetown. — Culturzustände in Sierra Leone. — Kruneger als Matrosen. — Schiffbruch der „Nigretia“. — Rettung der Passagiere. — Verlust der Ausrüstung. — Weiter- reise auf dem „Benin“. — Monrovia. — Cap Palmas. — Die gestrandete „Yoruba“, — Kampfscene von Krunegern. — Cape Coast. — Accra. — Yella Coffee. — Lagos. — Nigermündungen. — Einfahrt in den Bonnyfluss. — Handels- und Wohnstätten der Europäer in Bonny. — Negerstadt und Missionsstation, — Der Old Calabarflass und Duketown, — Schönheit der Insel Fernando Po. — Die Bubis. — Ein Neger-Albino. — Gabun. — Passiren der Linie. — Matro- senfest. — Kühleres Wetter. — Längs der Loangoküste, — Congomündung, — Banana, das Endziel der Seereise. SALE IE a ee ET Le Hr EEE ER: - “are Te Erste Eindrücke an der Loangoküste. — Banana. — Die „Afrikaansche Handels- Vereeniging“. — Wohnstätten der Weissen und der Schwarzen. — Crumanos und freie Arbeiter. — Der Markt. — Gefangene. — Handelsproducte. — Tausch- artikel. — Congomündung. — Strand, — Versammlungshalle. — Die Loango- küste als Terra incognita. — Die Portugiesen der Küste. — Das Reisen in der Hängematte. — Von Banana nach Vista. — Das erste Negerdorf. — Eine Han- delsfactorei. — Der Lingster. — Wasserpassagen. — Kabinda. Frühere und jetzige Zustände. — Die Bai von Kabinda. — Fischerei. — Die Savane zwischen Futila und Tschimfime. — Eine Fetischeeremonie. — Africanische Flusslandschaft. — Canoefahrt, — Tschiloango. — Landana. — Zusammentreffen mit Dr. Bastian. BEE TEe LT N en ER RER TR Wahl der Station Tschintschotscho. — Unterhandlung mit den Häuptlingen, — Errichtung der Station. — Astronomische Beobachtungen. — Bedenken der Eingeborenen. — Reise nach Tschissambo. — Savanen und Thalwälder, — Nsiamputu. — Besuch der Dörfer. — Kriegsfetische. — Lembefetisch. — Prinz Amaniama in Nkondo. — Ein uralter Negerfürst. — Nächtliche Tänze. — Der Häuptling von Nkondo Ndindschi. — Der Tschiloangofluss. — Reise in der Regenzeit. — Tropische Regen. — Uferlandschaft, — Palaver in Mankatta Osobo. — Der Lu&ämmefluss. — Der Lagunenfluss von Massabe. Ba EIERN REEL N RR EEE ES HER I EU, Festsetzung der Reise nach dem Kuilu. — Abschied von Dr. Bastian. — Pon- tanegra. — Gastmal eines Negers. — Factoreien von Loango. — Eine Stein- mauer. — Veränderte Jahreszeit. — Am Kuilu. — Shr. Reis. — Stromfahrt. — Das Waldland Yombe oder Mayombe. — Der Kuilu als Bergstrom. — Die Katarakten von Bumina. — Kakamueka. -— Leben unter Negern. — Der Hoch- wald von Mayombe. — DieBayombe. — Besuch beim Häuptling Nganga Mvumbi. — Lanäreise in’s Innere, — Negerfabeln, — Störung durch Fieber. — Grosses Palaver. — Die ‚Pforte‘ von Yangela. — Das Waldgebirge. — Ein heim- tückischer Bayombe. — Eintritt in Yangela. — Aufhören des Waldes. — Die Bakunya. — Thierschädelfetische. — Gorillas. — Der Kuilu ändert den Namen. — Rückweg auf dem rechten Ufer, — Astronomische Bestimmungen. — Nach Tschintschotscho, 57 89 Inhalt zur ersten Abtheilung. Seite GRApItelEVEr er: . - NE RTGE Bene des Rene in Westafrica, — Di REhIen von een —_ Lastthiere und Träger, Vorzüge und Nachtheile. — Untauglichkeit der Loango- neger für Reisezwecke. — Sclaven. — Versuche mit fremden Negern. — Das Eintreffen der Expeditionsmitglieder Falkenstein, Lindner, Soyaux. — Meteoro- logische Station. — Reise nach Angola und Benguella. GapitelSV I. Russ ee 3 5 147 Vorbereitung zu einer neuen Reise, — er, mein Gefährte, — Atcanikche Plagen. — Einschleppung der Sandflöhe. — Reise von Tschintschotscho nach Loango. — Havarie und Diebstahl. — Engagement von Bavili-Trägern. — Tauschartikel und Trägerlasten. — Bayombe-Träger. — Aufbruch der Expedition. — Im Dorfe des Nganga Mvumbi. — Neue Verzögerungen. — Noth und Elend in Mayombe. — Durch den Urwald. — Palaver mit Eingeborenen und Trägern. — Das Uebersetzen der Expedition über den Kuilu. — An der Grenze von Yangela. — Der Mambuku von Tschitabe. — Ein Gorillajäger. — Resultatloses Gottesgericht. — Eine Räuber-Gesandtschaft. — Flucht der Bayombe-Träger. — Verhalten der Bavili-Träger. — Rückzug. — Wiedersehen mit dem Mani Mbandschi. — Der letzte Marschtag. — Ein Dorf in Trümmern. — Zur Kuilu- mündung. GapiteleV Ile B : Sn ee N AT 5 179 Aufenthalt an der Kulamindung — Deenbaiiainien, —_ Abreise Dee Yumba. — An Bord der „Enriquetta“. — In der Calema. — Landung in Yumba. — Die Banyalagune. — Mischbevölkerung von Yumba. — Austern- bänke. — Salzhäuser. — Kautschukhandel. — Der Spanier Vincente Barcelo. — Nachrichten über den Nyangafluss. — Ein Marsch am Strande. — An der Nyangamündung. — Canoefahrt auf dem Nyanga. — Die Katarakten. — Elek- trische Fische. — Dörfer der Balumbu. — Der Urwald um Mongo Nyanga. — Landreise mit drei Trägern. — Baumfarne. — Giftschlangen. — Empfang im Dorfe Punga. — Balumbu- und Bayakaneger. — Hungersnoth und Sandflöhe im Lande. — Gefährliches Tabakrauchen. — Bayakafrauen. — Der Fetisch Muiri. — Die Randkette Sahi. — Regengrenze. — Savanenregion und ferne Gebirge. — Feindselige Bayaka. — Eine erzwungene Flusspassage. — Wan- derung im Bayakalande. — Palaver wegen eines Führers. — Nachtmärsche, — Rückkehr zur Nyangamündung. — Durch die Brandung. — Lagunen- und Land- reise von Yumba zur Kuilumündung. — Von Pontanegra über Tschikambo nach Tschintschotscho. CapitelSVIII ze er © 5 B ß IR Zustände der Station echintschofeche, —_ Dr. ae reist en Bene — Dr. Pechuel-Loesche. — Wissenschaftliche Arbeiten. — Tod des Dolmetschers Mani Mampaku. — Schlechte Nachrichten aus Mayombe. — Gefährliche Krank- heiten in der Zeit der grossen Regen. — Eintreffen der Benguellaträger. — Ihr körperlicher und geistiger Zustand. — Beeinflussung durch die Bafiote. — Häufige Fluchtversuche. — Entscheidende Flucht der besten Leute. — Meine Rückkehr nach Europa. — Ansichten über Unternehmungen von der Loango- küste aus. — Unsere allgemeinen Aufgaben in Africa. — Ein letztes Wort über die Loango-Expedition. Anhang rer SAME . Be . ü S x 225 Astronomische On — Mal lessche Beobachtungen anf der Sta- tion Tschintschotscho. EINLEITUNG. Der Plan des Unternehmens, welches mich im Frühjahr 1873 nach Westafrica führte, wurde bereits im Jahre 1872.gefasst. Dr. Schwein- furth war von seiner Reise zu den Niam Niam und Monbuttu zurück- gekehrt; er hatte die erste sichere Kunde von Ländern gebracht, die von Osten her erreicht, im äquatorialen Gürtel gelegen, durch ihr geographisches Gepräge auf den Eintritt in die grosse unbekannte westafricanische Provinz deuteten. Ein von dem Reisenden entdeck- ter Strom, der Uelle, wälzte seine Fluten nach Westen, aber Nie- mand vermochte anzugeben, unter welchem bekannten Namen er nach seinem langen, unbekannten Laufe wieder auftauchte. Fast gleichzeitig langten auch Nachrichten des Jahre lang verscholleneı Dr. Livingstone an, der von der südlichen äquatorialen Zone eine analoge Entdeckung meldete wie Dr. Schweinfurth von der _nörd- lichen. Der greise Held hatte den Lualaba entdeckt, einen Fluss, dem die Geographie ebenso rathlos gegenüber stand, wie dem Uälle. Diese neue Bereicherung unserer Kenntniss durch die beiden eminen- ten Reisenden, an sich selbst schon äusserst werthvoll, erhielt ihre höhere Bedeutung durch den gewaltigen Impuls, den sie der africa- nischen Forschung ertheilte. Das Licht der jüngsten Entdeckungen hatte angefangen eine bis dahin absolute Finsterniss zu verdrängen, aber gerade dieser Umstand grenzte mit doppelter Schärfe die weiten Räume ab, über denen noch tiefes Dunkellag. Denn von den oberen Stromläufen des Uälle und des Lualaba zog sich westlich bis an das atlantische Meer hin ein zu beiden Seiten des Aequators ausge- breiteter Gürtel völlig unbekannten Landes, ein Gebiet, mit dessen Erforschung das Räthsel der Stromläufe und des orographischen Baues Africas stand oder fiel. Der Moment schien gekommen, diese grosse Aufgabe in Angriff zu nehmen und zwar von da aus, wo das unbekannte Land noch un- mittelbar vom Meere bespült wurde, d.h. von der äquatorialen West- Loango. 1. $ 197 Einleitung. küste aus. Man durfte nicht erwarten, dass ein einziger Mann oder eine einzige Expedition das Problem zum Abschluss bringen würde, und deshalb erschien es nothwendig dafür Sorge zu tragen, dass einer auf lange Jahre berechneten, systematischen Forschung auch die Mittel zur Verfügung ständen. Es war Dr. Bastian, damals Vorsitzender der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, welcher diese Idee zuerst aussprach und sofort Schritte zu ihrer Verwirklichung that. Seinem genialen Blick, der erkannt hatte, wo die brennende Frage der Geographie lag, gesellte sich der moralische Muth bei, der dazu gehört, mit einem kühnen, sogenannter praktischer Ziele völlig baren Plane vor die Oeffentlich- keit zu treten und ihre Unterstützung zu fordern. Aber er hatte seine Zeit gut gewählt, wenn er das Project zu einem nationalen stempelte und darauf hinwies, dass ein grosses Land auch grosse Pflichten habe und sich seiner culturhistorischen Aufgabe bewusst bleiben müsse. Denn das Deutsche Reich war so eben neu begründet, alle seine Angehörigen standen unter dem Zauber der aus siegreichen Schlachten hervorgegangenen Herrlichkeit; Handel und Wandel schie- nen mächtig aufzublühen, der Strom des Reichthums, der sich über das Land ergoss, nimmer versiechen zu wollen. Als daher Bastian im Jahre ı872 zum ersten Male seinen Heroldruf in der Novembersitzung der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin ertönen liess, fand er um so willigeres Gehör, als er sogleich mit einem ganz bestimmten Pro- gramm hervortrat. Die Bewegung verbreitete sich rasch nach aussen hin und wurde überall sympathisch, stellenweis sogar enthusiastisch aufgenommen. In erster Linie wandte S. M. der Kaiser und König dem Unter- nehmen Seine Gnade zu, die dasselbe nie verliess und sich immer von Neuem durch Gewährung der namhaftesten Summen kund gab. Die Prinzen des Hohenzollernschen Hauses folgten dem Beispiele des Königs, viele Deutsche Fürsten dem Beispiele des Kaisers; sämmtliche geogra- phische Vereine Deutschlands erklärten sich für die Sache, eine wahr- haft imponirende Anzahl Privater aus der (Grelehrten-, der militäri- schen, der Beamten- und kaufmännischen Welt that dasselbe, und in kürzester Frist war so viel Geld beisammen, dass eine erste Expe- dition völlig gesichert schien. Gerade zu dieser Zeit war ich in Berlin damit beschäftigt, die durch die Kriegszeit unterbrochenen Vorbereitungen für eine grös- sere Reise zu vollenden. Dr. Bastian, der meine Explorations- ideen kannte und mit Wärme unterstützte, hatte jederzeit auf West- africa als den fruchtbarsten Boden für geographische Thätigkeit Einleitung. 3 hingewiesen, und ich war entschlossen, eine Reise dorthin zu unter- nehmen, das Gebiet zwischen dem Aequator und der Congo-Mündung — speciell die Loangoküste — zu exploriren und die Möglichkeit eines weiteren Vordringens zu prüfen, eventuell zu benutzen. Da trat Bastian mit seinem grossen Plan der systematischen Erforschung Aequatorial-Africas hervor, und seine zündende Beredtsamkeit wusste es mir als das höhere Ziel hinzustellen, eine unbeachtete, aber unab- hängige Stellung aufzugeben und in den Dienst der grösseren, von Kaiser und Reich gestützten Sache zu treten. So übernahm ich die Führung der ersten auszusendenden Expe- dition. Als meine Auftraggeber hatte ich die „Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Africas“ anzusehen. Diese Gesellschaft wurde durch Bastian unter Mitwirkung der sämmtlichen geographischen Vereine Deutschlands im April 1873 in’s Leben gerufen und war fortan das berufene Organ für die deutschen Forschungsbestrebungen auf africanischem Boden. Ihrer Verwaitung wurden alle gezeichne- ten Summen übergeben, von ihrem Ermessen hieng die Auswahl der Reisenden in Europa, die Bestimmung der für dieselben gültigen Di- rectiven in Africa ab. Ihre Macht war ein zweischneidiges Schwert: auf der einen Seite die bedeutenden Geldmittel, durch die sie ihren Sendlingen ein thatkräftiges Handeln ermöglichte, auf der an- deren die discretionäre Gewalt diesen gegenüber. Die Reisenden — in dem Bewusstsein, dass das Band, an dem sie flatterten, zwar lang sei, aber jederzeit straff angezogen werden könne — mussten nothwendiger Weise jene Unbefangenheit einbüssen, deren man be- darf, um jeden sich darbietenden Vortheil frisch wahrzunehmen; denn der schlimmste Feind aller Unternehmungslust ist das Gefühl der Verantwortlichkeit. Dasselbe wirkt doppelt bedrückend, wenn man bedenkt, dass eine Verständigung mit der fern vom Forschungs- gebiet existirenden Oberleitung den Zeitaufwand vieler Monate erfor- dert, dass in diesem langen Intervall die Thatsachen, die der Ver- ständigung zu Grunde lagen, längst hinfällig geworden, dass die aus der Heimat eintreffenden Instructionen durch die rollende Zeit längst überholt sind, und dass dem Reisenden nur die Wahl bleibt, ob er von seiner Sachkenntniss oder von seinem Pflichtgefühl die bessere Ueberzeugung opfern will. An diesem Uebel kranken alle aus öffentlichen Mitteln zusammen- gebrachten Expeditionen in ferne Länder; es ist in der Natur der Sache begründet und darf daher constatirt werden, ohne dass damit der geringste Tadel ausgesprochen wird. Im Gegentheil ist es durch das ver- ı* 4 Einleitung. trauensvolle Entgegenkommen der Mitglieder des Executiv-Comites in einer Weise abgeschwächt worden, die mir die Uebernahme meiner Verpflichtungen ausserordentlich erleichterte und ehrenvoll machte. Die schriftlich für mich ausgefertigten Instructionen liessen sich im Wesentlichen in folgende drei Puncte zusammenfassen: Erstens: An der Loangoküste eine Station zu errichten, die sowol zur Aufnahme von Gelehrten und Sammlern, wie zum Depöt für die Expedition dienen sollte. Zweitens: Eine Expedition zu organisiren, sie von der Loangoküste aus in das Innere des africanischen Continents zu führen und hauptsächlich die geographisch-topographische Bestimmung der erreichten Puncte im Auge zu behalten. Drittens: Allen Anweisungen des Vorstandes der „Deutschen Gesell- schaft zur Erforschung Aequatorial-Africas“, soweit dies die Um- stände ausführbar erscheinen liessen, unbedingt Folge zu leisten. Sobald es bekannt wurde, dass Deutschland eine grosse For- schungs-Expedition nach Africa auszusenden im Begriffe stehe, liefen die Meldungen zur Betheiligung in grosser Anzahl ein. Es ist ver- lockend für Leute, die in Europa wenig mehr zu verlieren haben, sich für prädestinirte Africa-Reisende zu halten; sie sind um so weniger sparsam mit ihren Betheuerungen des Muthes, der Stand- haftigkeit, der Treue, des Ertragens aller Strapazen, als die Unkennt- niss der Wirklichkeit ihnen das Reiseleben von Romantik umwoben vorzaubert. Sie vergessen, dass das Erhebende in der Sache weit mehr die zu Grunde liegende Idee ist, als die Ausführung selbst, die sich oft eben so prosaisch und aufreibend gestaltet wie der Krieg: nicht der kämpfende Soldat, sondern der heimkehrende Sieger erfreut sich der gewonnenen Schlachten, und in demselben Verhältniss steht der Forschungsreisende zu seinen geographischen Entdeckungen. Er darf gar keinen Anspruch darauf erheben, dass sein Entzücken, seine Bewunderung durch die von aussen kommenden Eindrücke erregt werden, oder dass besonders geartete Begebenheiten sein Reiseleben vor Monotonie schützen; er muss es als ein Geschenk, das zu ent- behren ist, ansehen, wenn eine wechselnde Fülle erhabener Natur- bilder, wenn das Bekanntwerden mit friedfertigen, in glückseliger (Gremeinschaft zusammenlebenden Völkern, wenn das freundliche Ent- gegenkommen der Eingeborenen seiner Unternehmung den Stempel des Grossartigen, des Schönen oder Anmuthigen geben. Den Zweck seiner Reise aber darf der Forscher in diesen Dingen nicht sehen; seine Aufgabe ist es allein, das Unbekannte bekannt zu machen, gleichviel unter welcher Form es ihm entgegentritt. Einleitung. 5 Was nun Diejenigen betrifft, die sich in so grosser Zahl zur Theilnahme an der Expedition meldeten, so hatte, mit verschwin- denden Ausnahmen, Keiner von ihnen eine wolbegründete Stellung aufzugeben, eine Zukunft zu verlieren, von einer Vergangenheit schmerzlichen Abschied zu nehmen, und, was das Schlimmste war, Keiner von ihnen hatte etwas Gründliches gelernt. Da es mir zunächst darauf ankam, zwei brauchbare Gefährten für den Marsch in’s Innere zu engagiren, von denen der eine der Er- satzmann des andern werden könnte, so fiel die Wahl auf zwei Leute, die durch ihre Vergangenheit einige Garantie von Zuverlässigkeit, Entschlossenheit und Ausdauer zu bieten schienen, auf die Herren v. Görschen und v. Hattorf. Beide verblieben indess kürzere Zeit bei mir als zu hoffen stand. Die Nachsendung anderer Mitglieder mit wissenschaftlicher Bildung und einschlägigen Kenntnissen wurde vor- behalten; und es sei bereits an dieser Stelle bemerkt, dass Dr. Falken- stein noch in demselben, Dr. Pechu@l-Loesche in dem darauf folgen- den Jahre meine Gefährten in Africa wurden. Im Ganzen haben der Loango-Expedition acht Personen angehört, die hier nach der Reihenfolge ihres Eintreffens genannt werden mögen: Dr. Güssfeldt, v. Görschen, v. Hattorf, Dr. Falkenstein, OÖ. Lindner, H. Soyaux, Dr. Pechu£&l-Loesche, v. Mechow. Bei den Unterschieden, welche zwischen diesen Herren bezüglich des Alters, des Bildungsgrades, der Kenntnisse und des Charakters existirten, musste der Antheil derselben an dem gemeinsamen Werk auch verschieden ausfallen. Indessen ist es nicht Aufgabe dieses Buches denselben abzuwägen, auch da nicht, wo Dankbarkeit es mir persönlich so wünschenswerth erscheinen liesse. — Vor der Abreise musste an Alles gedacht werden, was ein jahre- langer, von europäischen Hülfsquellen nahezu abgeschnittener Auf- enthalt in Africa zu fordern schien; und die Ueberlegung, dass Ueberflüssiges wol zurückgelassen werden konnte, Fehlendes aber sehr schwer und namentlich nur mit grossem Zeitverlust zu ersetzen war, machte den Umfang des Gepäckes beträchtlich. Mit Recht wurde in erster Linie darauf gesehen, dass alle Instrumente für exacte Mes- sungen vorhanden waren. Professor Neumayer, durch alle Phasen der Entwickelung hindurch in unerschütterlicher Freundschaft mir zur Seite stehend, war durch seine langjährigen Reisen und Beobach- tungen in Australien der berufenste Rathgeber in dieser Beziehung. Wir beschafften für astronomische Ortsbestimmungen: ein transpor- tables Universal-Instrument, ein Teleskop, einen Sextanten, einen Prismenkreis und vorzügliche Taschenuhren; für meteorologische Be- 6 Einleitung. obachtungen und Höhenmessungen mehrere Quecksilber -Barometer, Aneroide und Thermometer; für die Bestimmungen der erdmagneti- schen Elemente ein nach Neumayers Angaben construirtes, eigens für Reisezwecke eingerichtetes Magnetometer. Eine Aufzählung der anderen Gegenstände, wie Grewehre, Munition, Medicamente und aller auf die praktischen Bedürfnisse der Expedition gerichteten Anschaf- fungen darf füglich hier unterbleiben. Das Königlich Preussische Kriegsministerium unterstützte uns mit grösster Liberalität durch Bewilligung von Minie-Gewehren, Schanzzeug, Seitengewehren und Munition. Während nun das Beschaffen der Ausrüstung und die letzten anderweitigen Vorbereitungen zur Abreise meine Zeit ganz ausfüllten, entwickelte Dr. Bastian eine durch kein Hinderniss aufzuhaltende Thätigkeit, um die begonnene Bewegung im Fluss zu erhalten. Ueberall, wo Aussicht auf Unterstützung sich bot, setzte er seinen Hebel an, gegen alle Zurückweisungen durch die Ueberzeugung der guten Sache gepanzert. Aber die Wichtigkeit des Unternehmens, der Eifer für die heilige Sache des unergründeten Problems trieben ihn noch weiter. Er wollte selbst reisen, um an Ört und Stelle zu sehen, wie unsere Chancen sich stellen würden; und so ward denn unsere gleichzeitige Abreise, aber von verschiedenen Puncten aus, und ein Zusammentreffen an der Loangoküste vereinbart. Vor unserem Fortgange hatte Seine Majestät der Kaiser und König die Gnade, uns in Audienz zu empfangen. Der über Alles geliebte Monarch gab dem Allerhöchsten Interesse in Worten Aus- druck, die sich uns tief in die Seele prägten. Ein Greis, umflossen von der Glorie der Majestät und seiner Heldenthaten, sprach zu uns mit so liebevoller Theilnahme, so erhabenem Ernste, so königlichem Zutrauen in die Reinheit unserer Entschlüsse, dass diese weihevolle Stunde eine für alle Zeiten geheiligte bleiben wird. Dr. Bastian schiffte sich am fünften Juni 1873 mit v. Görschen in Lissabon auf dem „Bengo“ nach Westafrica ein. Ich gieng über Rotterdam nach Liverpool und segeelte am dreissigsten Mai mit der „Ni- gretia“, hoffend, dass das Schiff mich, meinen Gefährten v. Hattorf und die Ausrüstung der Expedition wolbehalten an die Mündung des Congo bringen würde. Diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. ENBTLDEL. 1 Seefahrt an Bord der „Nigretia“. — Madeira und Teneriffe. — Freetown. — Culturzustände in Sierra Leone, — Kruneger als Matrosen. — Schiffbruch der „Nigretia“, — Rettung der Passagiere. — Verlust der Ausrüstung. — Weiterreise auf dem „Benin“. — Monrovia, — Cap Palmas. — Die gestrandete „Yorvba“, — RKampfscene von Krunegern. — Cape Coast. — Accra. — Yella Coffee. — Lagos. — Ni- germünrdungen. — Einfahrt in den Bonny- fluss. — Handels- und Wohnstätten der Eu- ropäer in Bonny. — Negerstadt und Missions- station, — Der Old Calabarfluss und Duke- town. — Schönheit der Insel Fernando Po. — Die Bubis. — Ein Neger-Albino. — Ga- bun. — Passiren der Linie. — Matrosenfest, — Kühleres Wetter. — Längs der Loango- küste, — Congomündung. — Banana, das Endziel der Seereise, Wir nahmen Abschied von un- seren Freunden in Liverpool und fuhren mit sinkender Nacht den breiten Mersey- Strom hinunter, kaum bemerkt unter der gewaltigen Zahl der dort ankernden Schiffe. In den deutlich erkennbaren Bergen und Thälern von Wales grüssten wir Europa zum letzten Male, und mit der schwindenden Küste wandten sich Gedanken und Hoffnungen den neuen, noch fernen Ge- staden zu. Wedel der Oel-, Kokos- und wilden Dattelpalme. 8 Madejra und Teneriffe. Nach sechstägiger Fahrt wurde Madeira erreicht, wo man uns eben die Zeit liess, an Land zu gehen, und wo wir sahen, was alle Reisenden sehen, die zum ersten Male Madeira betreten: ein grünes, aus dem Meere hoch aufsteigendes Eiland mit blumenerfüllten Gärten und weissen Landhäusern, die sich um Funchal gruppiren wie aus- geschwärmte Bienen um ihren Korb. In den steilen Strassen der Stadt begegneten uns die über Kieselpflaster hingleitenden Ochsen- schlitten, der gerade Gegensatz zu unseren eleganten Equipagen und doch demselben Zwecke dienend. Wir sahen Männer mit kleinen, oben gestielten Mützen (einem Eichelnäpfchen vergleichbar), Frauen mit buntgestreiften Röcken und Jacken, ohne Unterschied des Alters gleich hässlich, zerlumpte braune Knaben, die mit alten Weibern um die Wette bettelten, die gelangweilten Gesichter der Bevölkerung, die resignirten Mienen der von fern her gekommenen Leidenden — Alles unter der Einwirkung eines viel gepriesenen, durch seine gleich- förmige Temperatur in Lethargie versenkenden Klimas. Wie anders wirkte da Teneriffe, das wir dreissig Stunden später anliefen, mit seinem classischen Pic, den zackigen, schroff zum Meere abstürzenden Felsenbildungen, nur hier und da Spuren von Vegeta- tion zeigend, bis endlich in einer fruchtbaren Mulde der Hafen von Santa Cruz erschien. Man kann sagen, dass die beiden Inseln kaum minder schroffe Gegensätze zum Ausdruck bringen als die Nationen, denen sie gehören: ein portugiesisches Madeira, aber ein spanisches Teneriffe — den sanft gearteten Portugiesen die freundliche, grünende Insel, den stolzen Spaniern das schroffe, von fruchtbaren Adern durchzogene Felseneiland. Am neunten Tage der Fahrt passirten wir den Wendekreis des Krebses, und da es Juni war und die Sonne das Maximum der nörd- lichen Declination fast erreicht hatte, so sahen wir sie auch sogleich im Zenith und Tags darauf bereits am nördlichen Himmel culminiren. Auf der Höhe des Cabo Branco kamen wir der africanischen Küste auf sechszehn Seemeilen nahe, und zahlreiche Sturmvögel, die uns folgten, verriethen deutlich die Nähe von Land. Hier wurde auch der erste Wal beobachtet, unverkennbar an dem aufgeworfenen Doppelstrahl, der wie eine niedrige Fontaine im Winde zerstob. Später, namentlich in der Nähe des Aequators und südlich davon, sahen wir diese Thiere häufig. Sie treten zu gewissen Zeiten so zahlreich auf, dass sie die Schiffe der Walfänger in diese (rewässer locken. Bis zum siebzehnten Breitegrad dampften wir unter der Mit- wirkung eines lebhaften Passats, so dass die „Nigretia“ zehn bis elf Knoten machte. Der nachlassende Wind deutete auf das tiefere Ein- Gestirne. Unglücksnachricht auf hoher See. 9 dringen in das Gebiet der Tropen, das sich ausserdem noch durch die erhöhte Temperatur anzeigte. Bald traten wir in die Zone der tropischen Regen ein, und verliessen dieselbe, der Jahreszeit ent- sprechend, wiederum etwas nördlich vom Aequator. Heftige Gewitter- regen stürzten auf uns herab, die nicht selten zu förmlichen Tornados ausarteten. Plötzliches Entstehen, gewaltiger Verlauf, schnelles Ver- gehen sind diesen durch Sturm, Donner, Blitz und Regen gekenn- zeichneten Erscheinungen eigenthümlich. Der tiefer und tiefer sinkende Polarstern deutete an, dass Europa ferner und ferner rückte, aber glas Fremdartige einer neuen Welt trat uns zunächst nur in der veränderten Ansicht des gestirnten Himmels entgegen. Nun konnte man mit hereinbrechender Nacht das gewaltige Sternbild des Skorpion bewundern, das sich über einen ganzen Himmelsquadranten hinwegzog, ferner die glänzenden Cen- taurensterne und daneben, durch diese etwas verdunkelt, das südliche Kreuz, das bei der Culmination dem grossen Bären gerade gegen- über steht. Sterne, die früher hoch standen, hielten sich nur noch in der Nähe des Horizontes und andere, die in der Heimat weit vom Zenith vorübergehen, strahlten jetzt von demselben herab. — Es war mein häufiges Vergnügen, diese Veränderungen zu verfolgen, ganz abgesehen von der praktischen Bedeutung, die eine sichere Or’en- tirung am Himmelsgewölbe für die astronomischen Ortsbestimmun- gen hatte. In einer dieser Nächte kam ein Dampfer in Sicht, näherte sich uns, rief uns an, und sandte ein Boot herüber. Es war die „Africa“, derselben Compagnie gehörig wie die „Nigretia“ und die „Yoruba“. Der Bootsmann meldete, dass die „Yoruba“ am Cap Palmas gestran- det sei, und kehrte ungesäumt zur „Africa“ zurück, die auf der Fleim- reise begriffen war. Diese Unglücksnachricht, so unerwarrtet auf weitem Ocean, in stiller Nacht überliefert, machte mir einen um so tieferen Eindruck, als die „Yoruba“ das Schiff war, mit dem ich ur- sprünglich reisen sollte; nur die Unmöglichkeit, alle Vorbereitungen zu beenden, hatte den Termin der Abreise um vierzehn Tage ver- zögert, und nicht wissend, welch rauhes Geschick meiner selbst in wenigen Tagen harrte, pries ich die Fügung, die mich an Bord der „Nigretia“ geführt hatte. Am Nachmittag des dreizehnten Juni tauchte die bergige Küste von Sierra Leone vor uns auf. Bald wälzte der Fluss seine schmutzig gelben Fluten gegen uns; ein schwarzer Lootse kam an Bord, ein unübertroffener Vertreter jener Classe von „perfect (negroe-) gentle- men“, die Sierra Leone eigenthümlich sind und die ein widerwärtiges 10 Sierra Leone und seine Zustände. Gemisch von Hypokrisie, Arroganz und Caricatur europäischen Wesens zur Schau tragen. Noch vor Sonnenuntergang warf die „Ni- gretia“ ihre Anker auf der schönen und sicheren Rhede von Free- town, das sich lieblich am Fusse grüner, sehr pittoresker Hügel ausbreitet. Ein so schönes landschaftliches Bild wie hier bietet die west- africanische Küste kaum an einem zweiten Puncte, und selbst der aus Europa kommende Reisende, der noch nicht gelernt hat, in seinen Ansprüchen an tropische Landschaft Mass zu halten, wird durch den Anblick Freetowns auf das Angenehmste berührt. Es blieb uns am folgenden Tage hinreichend Zeit, an Land zu gehen. So Vieles, was ich sah, erblickte ich zum ersten Male, und die fremdartigen Eindrücke der Bevölkerung und der Vegetation stürmten in so wech- selreicher Folge auf den Fremdling ein, dass die Erinnerung Mühe hatte, sie alle festzuhalten. Doch fehlte es, namentlich in der Stadt selbst, nicht an europäischen Anklängen. Sierra Leone ist eben eine geordnete, englische Colonie, mit einem General-Gouverneur, einem Bischof, mit Truppen und uniformirten schwarzen Policemen. Die Hauptstadt Freetown hat gerade, mit Namen versehene Strassen, Kirchen, Gouvernementsgebäude, eine Kaserne und eine Anzahl Läden, wie sie sich in allen aussereuropäischen Hafenplätzen wieder- holen. Von europäischen Nationalitäten ist die englische selbstver- ständlich am zahlreichsten vertreten; aber es scheint, dass die Fran- zosen einen beträchtlichen Theil des Handels in der Hand haben. Deutsche findet man meist nur in untergeordneten Stellungen. Der Stolz Sierra Leones sind seine Missionare, deren es schwarze und weisse und von beiderlei Geschlecht giebt. Ihnen ist wol haupt- sächlich der von der schwarzen Bevölkerung erreichte Grad der Ci- vilisation und allgemeinen Menschenliebe zuzuschreiben. Sierra Leone ist ein warnendes Beispiel dafür, zu welchem Zerrbild Naturzustände sich verziehen können, wenn die missverstandene Anwendung schöner und menschenbeglückender Principien sich ihrer bemächtigt. Wer wäre nicht bestrebt, die edle Denkungsweise zu würdigen, welche den aufrichtigen, von Heuchelei unbefleckten Negrophilen in die Schranken für die farbige Menschheit treten lässt? Aber soll die Gre- fahr, falsch gedeutet zu werden, uns abhalten, das auszusprechen, was wir im Gegensatz zu der herrschenden Meinung so lebhaft em- pfunden haben und noch heute empfinden? Gar Mancher, der in Europa begeistert ausruft, dass alle Menschen Brüder sind, würde doch stutzen, wenn er den Bruderkuss wirklich ertheilen sollte. Er sollte auch stutzen, ehe er einen Stein auf den Reisenden wirft, dessen Crooboys an Bord. II Ansichten auf Beobachtung und Erfahrung beruhen. Man vergleiche sie mit einander, die Neger, die unter dem Einflusse ihrer eigenen patriarchalischen Verhältnisse geblieben sind, mit jener Classe von Schwarzen, die in der Treibhaus- Atmosphäre einer unverstandenen, erhabenen Religion, in den masslos angewandten Principien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erzogen worden sind; und man wird sich sagen müssen, dass unsere humanitären Bestrebungen auf falschen Bahnen wandeln. „Jedem das Seine“ ist ein alter, be- währter Spruch, der auch in diesem Falle seine Gültigkeit nicht verliert. Sobald die europäischen Schiffe Sierra Leone erreicht haben, ändert sich die Physiognomie des Lebens an Bord. Die Equipage wird durch eine grosse Zahl von Kru-Negern (Crooboys) verstärkt und die weissen Matrosen erhalten dadurch die von dem Klima geforderte Erleichterung. Denn. das Anlegen an einer so grossen Zahl von Plätzen, wie es nun bevorsteht, bedingt täglich oder jeden zweiten Tag die harte Arbeit des Löschens und Ladens, und den stunden- langen Aufenthalt in dem heissen, übelriechenden Schiffsraum. Die Crooboys sind für den Dienst zur See ganz vortrefflich ver- werthbar, äusserst willig zur Arbeit und wol disciplinirt. Für jeden andern Dienst, der nicht in Zusammenhang mit dem Wasser steht, eignen sie sich viel weniger, für Landreisen sind sie kaum brauchbar. Nur das Stehlen betreiben sie gleich gut zu Wasser und zu Lande, und es cursiren die wunderbarsten Geschichten über die dabei ange- wandte Erfindungsgabe und Geschicklichkeit. Sie verstehen fast sämmtlich einige Worte Englisch, namentlich die auf den Schiffs- dienst bezüglichen Kunstausdrücke. Ihre eigene Sprache gilt für nahezu unerlernbar; nach der Schwierigkeit, die man hat, nur äusser- lich die Laute eines Satzes mit dem Ohr aufzufassen, möchte ich es selbst glauben. Ausser diesen Crooboys erhielten wir eine ganze Zahl schwarzer Passagiere an Bord; Männer, Weiber, Kinder. Am Abend des vier- zehnten Juni, gegen sieben Uhr, lichtete die „Nigretia“ von Neuem ihre Anker, — sie sollte es zum letzten Male thun. Die Nacht war dunkel, die Luft schwül. Einer unerklärlichen Mattigkeit nachgebend legte ich mich nieder, aber eine gleich uner- klärliche Unruhe trieb mich wieder vom Lager fort. Auf dem Deck- haus des Schiffes fand ich noch einen Theil der europäischen Passa- giere, die sich dorthin vor den schwarzen Ladies und Gentlemen zurückgezogen hatten. Eine kurze Unterbrechung der Fahrt deutete an, dass der Lootse uns verliess; wir dampften wieder mit voller 12 Schiffbruch der ‚„Nigretia.“ Kraft und sahen Nichts als den weissen Schaum des Wassers und das rothe Licht des Leuchtfeuers an der nahe gelegenen Küste. Dieses Leuchtfeuer ist eines Felsenriffes wegen eingerichtet, welches „Carpenter’s rock“ heisst, und das wir glücklich umschifft zu haben wähnten. Plötzlich hörten wir ein mehrmals wiederholtes, schrilles Pfeifen, hastige Commandorufe, die Schraube schien heftiger zu ar- beiten, das Schiff stärker erschüttert zu werden. Wenige Secunden später erfolgte ein Stoss, gleich darauf ein zweiter, und dann hörte jede Vorwärtsbewegung auf. Statt dessen wurde die „Nigretia“ mit lautem Krachen hin und her geworfen, machte Schwankungen, die mit einem Schlage aufhörten, so fremdartige, beängstigende Bewe- gungen, dass der erste erlittene Stoss im Vergleich damit sanft er- schien. Wie ein Ungeheuer, das von einer gigantischen Lanze durchbohrt, auf dem Erdboden festgenagelt, vergeblich zu entrinnen sucht und sich in krampfhaften Zuckungen erschöpft, so blieb auch unser armes Schiff an derselben Stelle, und alle Anstrengungen der Schraube, es wieder flott zu machen, zeigten nur unsere völlige Ohn- macht in dieser furchtbaren Katastrophe. Das Wasser drang mit Macht in den Maschinenraum, und allein der Umsicht des schottischen Öberingenieurs war es zu danken, dass der Kessel nicht explodirte. Der Schiffbruch war vollendet. Ein furchtbares Durcheinander begann. Die Scharen von Negern, die wir an Bord hatten, fingen laut an zu schreien, zu weinen, zwecklos hin und her zu laufen. Die Dunkelheit der Nacht erschwerte die Aufrechterhaltung der Disciplin unter den Matrosen, die in erster Linie um ihre eignen Habseligkeiten und den kleinen Waarenvorrath besorgt waren, mit dem sie alle längs der Küste Handel trieben. Nur die acht Liverpool-Passagiere bewahrten eine würdige Haltung. Ein Jeder hatte die ganze Grösse des Unglücks erkannt, aber zu stolz, um zu klagen, sahen Alle schweigend dem Ausgange entgegen. Wir waren in völliger Ungewissheit über das, was uns nun be- vorstand. Niemand konnte sogleich beurtheilen, ob das Schiff, das gerade in der Mitte des Kiels getroffen war, noch in derselben Nacht oder erst nach Monaten auseinanderbrechen würde; und Aller Blicke lenkten sich mit der ganzen Sehnsucht des Selbsterhaltungstriebes auf die Boote. Wie gewöhnlich aber dauerte es lange, bis diese klar gemacht waren. In der allgemeinen Aufregung, die dem ersten Stosse folgte, hatte ich mich in meine auf Deck gelegene Cabine begeben, die lose umherliegenden Gegenstände in Koffer verschlossen und ein Wenig Gold zu mir gesteckt; — so viel, dass ich im Fall des Schwimmens Rettung aus dem Schiffbruch. 13 nicht genirt, aber im,Fall der Rettung gegen die erste Noth gedeckt war. Dann trat ich wieder in’s Freie und starrte auf das angst- erfüllte, zwecklose Hin- und Herwogen der todeserschrockenen Men- schen. Einen Augenblick sprach ich auch den Capitain. Wir waren in den vierzehn Tagen der gemeinsamen Seefahrt gute Freunde ge- worden; nun wollte er mir, wie um sich zu rechtfertigen, den ganzen Hergang erzählen, aber die Worte zerstoben vor dem Angstgeschrei der Menschen, dem Branden der See, dem Zischen der aufsteigen- den Raketen und dem Donner der Nothschüsse, welche vergeblich um Hülfe flehten. Kein Zeichen kam, dass von Freetown her Rettung nahe, das Schiff sank tiefer und tiefer, wie das Wasser im Raume stieg; und wenn, die See anfing höher zu gehen, so konnte ein einziger Wogenschwall das Wrack mitten auseinander brechen und uns mit einem Schlage den Untergang bereiten. Die farbigen Weiber und Kinder an Bord wurden in das erste Ret- tungsboot hinabgelassen, in ein zweites wurden die Postsendungen geworfen und in ein drittes Fahrzeug versuchten wir europäischen Passagiere zu gelangen. Die Schiffstreppe war so voll von Menschen, dass ich fürchtete, sie würde brechen. Ich liess mich direct in’s Boot hinunter. Als es voll war, stiess man es mit jener Grausamkeit gegen die Zurückbleibenden ab, die in extremen Lagen die Unbeugsamkeit eines Naturgesetzes annimmt. Das Boot hielt sich anfänglich in der Nähe des schiffbrüchigen Dampfers, weil Niemand recht anzugeben wusste, welchen Curs es nehmen sollte. Denn unsere ganze seekundige Bemannung waren einige Kruneger, denen drei Ruder zu (rebote standen; im Uebrigen war das Boot mit Passagieren überfüllt. Das Natürlichste hätte ge- schienen, direct auf den Leuchtthurm loszusteuern; allein nach dieser Richtung lagen noch Felsrifte, und bei der herrschenden Dunkelheit drohte die Gefahr, dass unser Fahrzeug an diesen zerschelle. Zum Glück war das Meer nicht besonders unruhig. Nach langem Hin- und Herschaukeln steuerten wir denn zur Küste hin und erreichten dieselbe in einem weiten Bogen nach anderthalbstündiger Fahrt in der Nähe des Leuchtthurmes. So war das nackte Leben freilich ge- rettet, und wir hatten allen Grund uns der glücklichen Umstände zu freuen, die unser Unglück begleiteten. Denn wir waren nahe der Küste gestrandet, kein Tornado hatte uns weiter in die See hinaus- getrieben, keine Klippe unser Boot zertrümmert, und die Gefahr, den Haifischen zum Opfer zu fallen, war nicht einmal an uns heran- getreten. Am Strande empfingen uns Neger in hellen Haufen. Zu unserer Ueberraschung fanden wir ausser dem Leuchtthurm noch ein 14 Sabbath-Heiligung eines Schwarzen. geräumiges Haus, ein von der englischen Regierung angelegtes Hospital, mit einigen Betten, und ohne Kranke. Hier verbrachten wir die Nacht, und ich schrieb sogleich die Einzelheiten der Kata- strophe nieder. Mittlerweile waren die Nothschüsse der „Nigretia“ verstummt, und man sah die „Biafra“, einen anderen Liverpool-Dampfer, sich vorsichtig von Freetown aus nähern. Sie ankerte ganz in der Nähe des gestrandeten Schiffes, aber die Dunkelheit der Nacht verhinderte jede andere Recognoscirung. Wir fühlten uns alle begreiflicherweise sehr erschöpft, und da wir hörten, dass sich in der Nähe des Leuchthauses ein kleines Negerdorf mit einem Spirituosenladen befände, schickten wir dorthin um eine Flasche Branntwein. Aber man gab sie uns nicht; der Neger, der die Schänke hielt, liess uns mit frommem Stolze zurück- melden, dass der „Sabbath“ bereits begonnen habe (der fünfzehnte Juni war ein Sonntag) und nicht durch Schnapsverkauf entweiht werden dürfe. Gegen Morgen kamen die Boote der „Nigretia“; sie brachten theil- weise das in den Cabinen und in dem Salon aufgespeicherte Gepäck der Passagiere. Mit dem letzten Boote kam auch ein Theil meiner Sachen, ja sogar die beiden Quecksilber-Barometer tauchten als aller- letzte Stücke aus dem Grunde des Bootes auf und liessen beim Oeff- nen der Futterale einen Regen von Glassplittern und Quecksilber- tropfen herniederfallen. Der Tag, welcher der verhängnissvollen Schiffbruchsnacht folgte, war natürlich ein Tag der Trauer und des tiefsten Kummers. Die erste unwillkürliche Freude über das gerettete Leben war vorüber, und das Bewusstsein des Elends packte uns nun mit schonungsloser Gewalt. Nach den Nachrichten, die über den Zustand der „Nigretia“ gebracht wurden, war nur geringe Hoffnung vorhanden, dass der Expedition die kostbare Ausrüstung erhalten bliebe; denn das Wasser war mit grosser Schnelligkeit in alle Schiffsräume gedrungen, und nur der Fels, auf dem das Wrack festsass, verhinderte dessen völliges Sinken. Es blieb mir eine dreifache Wahl: ich konnte nach Europa zurück- kehren, den erlittenen Verlust zu ersetzen, oder aber in Freetown verbleiben und Instructionen von Berlin erwarten, oder endlich mit der nächsten sich bietenden Schiffsgelegenheit nach Süden weiter reisen. Ich entschied mich für die letzte Massnahme. Zwar hätte meine Rückkehr nach Europa den so jählings vom Unglück geschürz- ten Knoten am raschesten gelöst; aber bei einem von so viel Begei- sterung getragenen Unternehmen musste vor Allem darauf gesehen Weiterreise auf dem „Benin“. 15 werden, dass die begonnene Bewegung weder still stand noch rück- läufig wurd. Die „Nigretia“ wurde als Wrack erklärt und mir verblieb nur das in der Cabine zurückgelassene Passagier-(repäck. In diesem befan- den sich zum Glück die nothwendigsten Instrumente und Bücher für astronomische Ortsbestimmungen. Nach vierzehntägigem Aufenthalt schiftte ich mich am achtundzwanzigsten Juni auf dem Dampfer „Benin“ ein, auf welchem späterhin auch alle meine wissenschaftlich gebildeten Gefährten nach Loango reisten. Rest der „Nigretia“ ein Jahr nach dem Schiffbruch. Die Seereise wird nun zu einer Küstenfahrt, und bis zur Insel Fer- nando Po behält das sichtbare Land immer denselben monotonen Cha- rakter bei: flach hingezogen, hier und da eine Erhebung mit einigen Palmen, ab und zu das weissgetünchte Dach einer Factorei, nur wenige Puncte, welche eine schnelle und sichere Orientirung gestatten wie Cape Coast und Accra. Es erfordert einen wol mit diesen Ge- wässern vertrauten Capitain, damit nicht ungebührlich viel Zeit mit Sondiren und dem Aufsuchen der Anlegeplätze verloren gehe. Eines solchen Glückes durften wir uns nicht rühmen. Der Capitain des „Benin“, welcher nach seinem eigenen Geständniss fünfundzwanzig Jahre erster Officier geblieben war, führte auf dieser Fahrt zum ersten Male selbständig ein Schiff. Da wir in das Gebiet der stärk- sten Regen eingetreten waren, und der Himmel oft mehrere Tage 16 Monrovia. Cap Palmas. ganz bedeckt blieb, so wussten wir in vielen Fällen nicht, wo wir uns befanden, was der Capitain eines Morgens zu mir mit den Worten ausdrückte: „I don’t know where we are, no-more than you“. Tröst- lich ist dies gerade nicht zu hören, wenn man soeben erst einen Schiftbruch hinter sich hat und Nichts sehnlicher wünscht, als den Endpunct der Reise möglichst schnell zu erreichen. Man würde für die langsame Fahrt nur entschädigt werden, wenn sich häufig Gelegenheit böte, an Land zu gehen. Leider ist das Schiff meist gezwungen, weit vom Lande zu ankern; und die langen, paral- lelen Wellenzüge, die sich unausgesetzt gegen das flache Vorland des Continents heranwälzen, machen das Landen in den kleinen Booten oft sehr misslich; aber selbst wenn sich dieses hat glücklich bewerkstelligen lassen, bleibt die Gefahr, dass die Rückkehr unmög- lich wird. Am Abend des achtundzwanzigsten Juni hatten wir Freetown verlassen und ankerten am Vormittag des dreissigsten vor Monrovia, der Hauptstadt Liberias. Ein Leuchtthurm auf einem in’s Meer vor- springenden, bewaideten Hügel, hoch aufspritzende Brandung, hinter dem Hügel das Dorf, einige Ziegeldächer, flaches Land, auf welches schwarze Regenwolken tief herabhiengen, war Alles, was sich erkennen liess. Nach kurzem Aufenthalte giengen wir weiter, befanden uns am zweiten Juli auf der Suche nach Cap Palmas, waren indessen am Abend ebenso klug, wie am Morgen, und erst in der Frühe des dritten wurde constatirt, dass wir nur neun bis zehn Seemeilen von dem Ziel unserer Wünsche entfernt sein könnten. Wegen des strömenden Regens und der hohen See mussten nicht nur die Cabinen-Luken, sondern auch die Fenster über dem grossen Salon geschlossen bleiben, und weil von letzterem aus eine häufig offen stehende Fallthür in den unteren Schiffsraum führte, so entwickelten sich wahrhaft mephi- tische Dünste, die in der feuchtwarmen Atmosphäre doppelt widerlich zur Geltung kamen. Der Nebel gestattete wenig zu sehen, als wir uns dem Cap Palmas näherten. Zur Rechten hat man den Leucht- thurm, dann ein schmales Felsenriff; halb auf den Strand aufgelaufen sahen wir die „Yoruba“, einen Dampfer wie die „Nigretia“, vor uns liegen; sie war, nachdem sie durch Aufschlagen auf den Fels ein Leck erhalten, mit vollem Dampf auf das flache, sandige Ufer ge- setzt und dadurch vor dem Sinken bewahrt worden. Da lag sie nun, und neben ihr war aus Segeln ein Zeltlager improvisirt, wo man einstweilen die Ladung des Schiffes barg. Um unser Schiff herum wurde es besonders lebhaft. Wie der Bewohner der Steppe mit seinem Pferde verwachsen scheint, so Eine Seeschlacht in Canoes. 17 4 scheinen die Kruneger vom Cap Palmas mit ihren Canoes verwach- sen. Die Fahrzeuge sind sehr schmal und zierlich, und Können nur wenige Menschen aufnehmen. Ein Europäer würde sich in einem solchen Canoe vermuthlich nur sehr kurze Zeit halten können und dann umschlagen; die Kruneger aber handhaben in knieender Stel- lung ihre leichten Ruder mit staunenswerther Geschicklichkeit, und trotz der heftigen Bewegungen jedes Einzelnen bleibt das Gleich- gewicht der Gesammtheit bestehen. Sie können jede beliebige Wen- dung ausführen, ihren Canoes jede beliebige Geschwindigkeit ertheilen und gleichen, indem sie ihr Spiel mit der tobenden See treiben, eher Amphibien in Menschengestalt als wirklichen Menschen. Eine Scene der eigenthümlichsten Art entwickelte sich vor unseren Augen. Einer der lebend an Bord mitgeführten Ochsen war in der Nacht gefallen und wurde, nachdem man ihn abgehäutet, in ganzer Figur über Bord geworfen. Sofort stürzten sämmtliche Canoes in wilder Hast und unter lautem Geschrei ihrer Insassen auf den schwimmenden Leichnam des Rindes los, und von allen Seiten sah man geschwungene Messer, die in dem Fleische herumwühl- ten, während ekler Geruch den sich öffnenden Eingeweiden entquoll. Jedes Canoe wurde der Feind des andern, und um so heftiger entbrannte der Kampf, um so lauter wurde das Gebrüll, je glück- licher einige der wilden Streiter waren, und je schneller sich diese mit guter Beute zurückzogen. Schliesslich sprang ein Mann, mit einer Hand den noch umstrittenen Rest des Ochsen fassend, in’s Wasser, in der Hoffnung, die Gegner zum Loslassen zu bewegen; aber letztere machten es nun eben so, und jetzt sah man diese Wilden schwimmend den Kampf fortsetzen, unausgesetzt die Messer schwin- send, als ob sie sich mitten in dem aufgeregten Elemente ermorden wollten. Erst als das letzte Stück des viel umworbenen Leichnams einen Herrn gefunden, war die Schlacht zu Ende, die Harmonie schien wieder hergestellt, und friedlich kehrten die Canoes zum Strande zurück. Das wilde Schauspiel hatte etwas ungemein Packendes; was widerlich daran war, wurde durch die entwickelte Bravour und Geschicklichkeit reichlich aufgewogen. Diese herkulisch gebauten Naturmenschen, deren Blösse ein leichter Lendenschurz kaum bedeckte, mussten im Vergleich zu der pseudocivilisirten Sierra Leone-Gesellschaft fast sympathisch erscheinen. “ Noch am dritten Juli setzten wir die Reise nach Cape Coast fort. Am fünften Juli sahen wir trotz Wolken und Regen ein Stück der Küste. Diesem Umstande dankte der Capitain die Bemerkung, dass wir uns bereits dreissig Seemeilen jenseits des Ortes befanden. Wir Loango. 1. 2 18 Cape Coast. Art des Ruderns. Haifische. kehrten also um und hatten das Glück, noch an demselben Tage vor Cape Coast zu ankern. Hier herrschte ungewohntes Leben. Der Krieg der Engländer mit den Aschanti war eben ausgebrochen; auf der Rhede lagen mehrere englische Kriegsschiffe, die ihre Boote sandten, um die Post zu holen. Die Küste erscheint hügelig; das Castell dicht am Wasser giebt ihr einen malerischen Anblick, einige Forts krönen die Höhen; man sieht Savanen mit einigen Busch- wäldern, welche die Phantasie sich damals gern mit’ Tausenden von Aschanti besetzt dachte. Die Eingeborenen — Fanti — die mit ihren Canoes herankamen, beobachten eine eigenthümliche Sitte beim Ru- dern: während sonst Neger im Allgemeinen ihre Arbeit durch rhythmischen Gesang zu begleiten pflegen, stiessen diese Fanti mit jedem Ruderschlage einen zischenden Laut aus, ähnlich dem zischen- den Stöhnen einer in Gang gesetzten Locomotive. Dieselbe Sitte habe ich nur noch in dem nahen Accra beobachtet, lasse aber dahingestellt sein, ob sie sich auch anderwärts findet. Unsere Art des Ruderns, mit eingesetzten Riemen, ist eine den barfüssigen Eingeborenen durch- aus unbequeme Manipulation und hat deshalb nur ausnahmsweise, in Ansiedlungen von Europäern, Eingang gefunden. Dagegen führen die westafricanischen Schwarzen ihre eigenen Ruder freihändig mit grosser Geschicklichkeit; in kleinen schmalen Canoes nehmen sie ihren Platz in der Mitte des Fahrzeugs, knieend, sitzend oder stehend; bei grossen Canoes und bei Booten setzen sie sich auf den Rand der Fahr- zeuge. Die etwa mannshohen Ruder bestehen aus einem Stiel und einem daran befestigten, kleinen Ruderblatt. Mit den verschiedenen Küstenpuncten wechselt die Form der Ruderblätter, die kreisrund, elliptisch, dreizackähnlich, myrtenblatt- oder lanzettförmig sind. Auch die Canoes ändern von zierlichen zu plumpen Fahrzeugen, — je nach der Eigenart der Neger, dem zu Grebote stehenden Baumaterial und dem verschiedenen Zwecke der raschen Fortbewegung oder des Löschens und Ladens. Furcht vor Haifischen scheinen die Küsten- bewohner nicht zu kennen; dennoch treten diese gefrässigen Thiere, welche trotz aller übertriebenen Geschichten noch immer furchtbar genug bleiben, in hinreichender Anzahl in den westafricanischen Ge- wässern auf, und nicht selten sieht man vom ankernden Schiffe aus ihre Rückenflossen unheimlich und unbeweglich über dem Wasser- spiegel aufragen. Bei Cap Palmas sowol wie vor Accra springen die Neger geringfügiger Dinge wegen onne Zaudern aus ihren Canoes. Von diesen Handelsplätzen pflegen schwarze Juweliere an Bord zu kommen, um die recht hübschen Erzeugnisse aus dem Goldstaub ihrer Küste zum Verkauf anzubieten. Die Accraleute sind auch im Eine weisse Frau. Das Seufzermeer. 19 Uebrigen ihrer Geschicklichkeit wegen geschätzt, und man trifft sie als Küfer und Zimmerleute an weit entfernten Küstenpuncten. In Accra kam ein würtembergischer Missionar mit seiner ganz jungen Frau — einer Deutschen — und ihrem Säugling an Bord, um uns am folgenden Tage in Yella Coffee wieder zu verlassen. Der Anblick der blassen, leidenden Frau flösste mir ein lebhaftes Mitleid ein. Diese armen, jungen Mädchen, die sich freiwillig von Europa hinübersenden lassen, die Gattin eines Missionars zu werden, sind um so mehr zu beklagen, als sie nicht wissen, welches Schicksal ihrer harrt. Mögen auch einige von ihnen den verderblichen Wirkungen des Klimas nicht unterliegen, ein sieches Leben führen sie dennoch, und ihre Mutterfreuden wandelt der Todesengel bald in wehmüthigen Schmerz. Das Geschrei von Hühnern, Enten und Puten brachte mich bald auf fröhlichere Gedanken. Der Landstrich um Yella Coffee herum ist berühmt durch seine Productivität, und die Dampfer pflegen hier ihre Vorräthe an Geflügel, an Hammeln, an Früchten und frischen Gemüsen zu erneuern. Kaum sind die Anker geworfen, so entwickelt sich ein lebhafter Markt auf Deck. Auf der einen Seite der Chief- steward (der Schaffner der Tischmesse) mit dem Zahlmeister, auf der andern ein dicht gedrängter Kreis schwarzer Verkäufer, mit vorg=- streckten Armen die an den Ständern zusammengebundenen Hühner mit lebhafter Gesticulation hin und her schwingend; ein Schreien und Anpreisen der Waare und schliessliche Bezahlung in Silber. Die Fahrt, die vom Cap Palmas an eine vorwiegend östliche ist und sich in der Nähe des fünften Grades N. Br. hält, geht nun längs der Sclavenküste hin auf den blühenden Handelsplatz Lagos zu. Diese Gewässer wurden einst von zahlreichen Sclavenschiffen durchfurcht, denen die Länder von Dahome, Yoruba und Benin eine nie versie- chende Fracht lieferten. Das Meer hier und der ganze Busen von Gui- nea müsste das Seufzermeer heissen: was mögen die Unglücklichen daselbst gelitten haben, die den Schmerz der Trennung von der Hei- mat noch empfindend, hülflos in einer grausamen Gegenwart da- standen, und für welche die Zukunft alle Schrecken der Ungewissheit barg. Lagos liegt auf einer Insel, durch welche das Aestuar des Lagos- Husses zu einer Lagune umgestaltet wird. Die Barre ist mit Recht verrufen. Aus weiter Ferne schon erkennt man sie an dem hoch aufspritzenden Gischt des brandenden Wogenschwalls, der alle ankern- den Schiffe in gleichmässigem Rollen erhält. Der Verkehr zwischen der Stadt und dem offenen Meere bleibt dadurch häufig unterbrochen; am Tage unserer Ankunft (achter Juli) konnte nur der kleine Post- * 2 20 Lagos. Die Nigermündungen. dampfer der englischen Regierung zu uns gelangen, obwol kein anderer Ort der Küste so gute Brandungsboote und so geübte Be- mannung besitzt wie gerade Lagos. Diese Ansiedlung ist unter eng- lischer Verwaltung mächtig aufgeblüht, trotzdem auch hier die Han- delszufuhr durch das Verhalten der Eingeborenen zuweilen Störungen erleidet. Auf der Rhede sieht man stets eine Zahl grösserer Kauf- fahrteischiffe, von denen auffallend viele die deutsche Flagge führen. Am zweiten Tage kamen die Boote und am Abend des neunten Juli lichtete der „Benin“ von Neuem seine Anker. Wiederum waren wir um eine Unglückspost reicher; denn in Lagos wurde uns das Gerücht bestätigt, dass die „Monrovia“, eben- falls ein der „African Steam Ship Company“ gehöriges Fahrzeug, beim Brassflusse Schiffbruch erlitten habe. Nun waren die drei Dampfer, welche im Monat Mai Liverpool verlassen hatten, zu Grunde gegan- gen, und nicht ohne gerechte Sorge durfte ich mich fragen, ob unser Capitain diese traurige Zahl um eine zu vermehren bestimmt sei. Die Temperatur blieb während der ganzen Zeit durchaus er- träglich, aber die Regen setzten mit erneuter Heftigkeit ein. Die See war so bewegt, dass, als wir nach nächtlicher Fahrt vor Benin anlegten, keiner der auf Fracht und Nachrichten aus Europa begierigen Händler Boote herauszuschicken wagte. Wir umsegelten nun die in den Guineabusen vorspringende Ecke des Nigerdeltas, und zuweilen gelang es, eine der vielen Mündungen des kolossalen Flusses zu unterscheiden. Der Anblick des flachen Schwemmlandes hat etwas ungemein Trostloses, zumal wenn die Wolken recht tief hängen und es in der Frühe um acht Uhr noch so dunkel ist wie bei uns an einem trüben Novembermorgen. Am Nachmittag des elften Juli, also nach zweitägiger Fahrt von Lagos, fuhren wir in das Aestuar des Bonny ein und kamen beim Dunkelwerden glücklich über die Barre. Der Fluss erscheint hier noch meilenweit von schmutziger Farbe, die Ufer sind kenntlich an ihren Mangrove-Wäldern; das breite Aestuar ist so reich an Bänken und Untiefen, dass der Schiffahrt nur zwei Canäle für die freie Bewegung bleiben. Das Ganze bietet ein echtes Bild westafricanischer Flussmündung mit allen charakteristischen Zügen eines von Schwemmland begrenzten Stromes, der den Wir- kungen von Ebbe und Flut stark ausgesetzt ist. Land und Wasser haben sich hier gegenseitig bedingt. Das sanfte Ansteigen des Con- tinents veranlasste die Flüsse zur Bildung flach ausgebreiteter Ab- lagerungen, und waren diese einmal vorhanden, so mussten Lagunen und Altwasser, Aestuare und Untiefen entstehen, während der un- abänderliche Wechsel von Ebbe und Flut die schlammigen Bänke Bonnyriver. Schwimmende Factoreien. 1 mit Mangroven bedeckte und die gefährliche Barre durch den Fluss zog. Bald nach dem Passiren der Mündung fuhren wir zum ersten Male auf, so sanft freilich, dass nur die Wenigsten es merkten; auch wurden wir sogleich wieder flott. Nun aber begann ein ängstliches Sondiren. Offenbar hatten wir den richtigen Canal verloren; es war. jedoch zu spät, ihn wieder zu suchen, denn die Nacht brach herein, und wir mussten Anker werfen. Die zum Hochwasser aufgestaute Flut fing an, sich zu verlaufen; in demselben Masse vergrösserte sich auch die Gefahr, die Brandung kam näher und näher, und alle Chancen waren da, dass das Schiff bei Niedrigwasser auf dem Sande sitzen würde. Deshalb nannten wir unsern Abendthee mit stets be- reitem Galgenhumor „our last tea“. Er.war es indessen nicht; Mitter- nacht, wo unser Loos sich entschied, gieng glücklich vorüber, und am folgenden Morgen um sechs Uhr befreite sich der Dampfer aus seiner fatalen Lage; um acht Uhr lag er wolbehalten in Bonny, langseits des mächtigen Schiffsrumpfes des „Adriatic“. Eine grosse Zahl ähnlicher Schiffsrumpfe, englisch „Hulk“, die in mässiger Entfernung von einander verankert sind, belebt das Bild und giebt der Flusslandschaft bei Bonnytown einen höchst eigen- thümlichen und befremdenden Anstrich. Wäre der Strom nicht durch die Canoes der Eingeborenen und die mit Schwarzen bemannten Boote der Europäer belebt, so könnte man glauben, eine Flotille von Todtenschiffen vor sich zu sehen. Die Takelage ist verschwunden, die Maste sind in ein Drittel ihrer Höhe gekappt, und über dem Deck erhebt sich ein Dach von Holz oder Zink. Die Arche Noah unserer Kinderspielzeuge scheint nach solch einem Modell construirt zu sein. Anfänglich machen diese Hulks sowol einen plumpen wie unheim- lichen Eindruck, doch erfüllen sie eine friedliche und wolthätige Be- stimmung. Jedes derselben stellt ein Haus vor in doppeltem Sinne: ein Handlungshaus und ein Wohnhaus der angestellten Beamten. — Kein Weisser lebt am Lande, noch werden daselbst Waaren aufbe- wahrt; der Aufenthalt an den sumpfigen Flussufern gilt mit Recht für äusserst ungesund, und Waaren sind viel sicherer an Bord der abgetakelten Fahrzeuge aufgehoben, als auf dem festen Lande. Die Uebersicht über das ganze Etablissement ist leichter, die Disciplin unter den in Dienst befindlichen Schwarzen lässt sich straffer hand- “haben, das Löschen und Laden geht schneller und sicherer von Statten. Der Alles beherrschende Handelsartikel in Bonny sowol wie auf den übrigen Mündungsarmen des Niger ist das Palmöl, das die 22 An Bord eines Hulk. fleischigen Früchte der Oelpalme in unermesslicher Fülle liefern. Die Europäer kaufen das Oel meist aus zweiter Hand, und da es immer in sehr unreinem Zustande gebracht wird (oft absichtlich verfälscht), so findet sich auf jedem Hulk ein grosser Raum, in welchem das als feste Masse angelangte Oel in eisernen Kesseln über Feuer zer- lassen und dann geprüft wird. Ein anderer, viel kleinerer Raum ist der „Shop“, ein Mittelding zwischen einem Kramladen und einer Jahr- marktsbude, wo all die vielen Herrlichkeiten des Tauschhandels auf- gestellt sind, und wohin der eingeborene Kaufmann behufs Ab- schlusses eines Handels geführt wird, Da die Mode in Africa eine nicht minder grosse Rolle spielt als in Europa, so hängt sehr viel davon ab, namentlich dass in den Mustern und Farben der Zeuge der Geschmack des Negers richtig getroffen werde. In einem solchen Kramlager sind die mannigfachsten Dinge ausgestellt: Zeuge, Rum, Gewehre und Pulver, Messer und irdenes Geschirr spielen die Haupt- rolle. Die Wohnungen für die weissen Händler sind auf Deck aus Bretterverschlägen errichtet. Es ist luftig und kühl daselbst, und wenn der Europäer den Sinn für Ordnung und Schicklichkeit nicht verloren hat, so sind diese Aufenthaltsorte durchaus nicht ohne Com- fort. Ich konnte mir einen Einblick der angenehmsten Art nach dieser Richtung verschaffen, indem ich einer Einladung des Consul Hop- kins folgte, des Südafrica-Reisenden, den das Geschick eine Zeit lang in die Aequatorial-Gegenden verschlagen hatte. Doch sind derartige Beispiele ungeschwächter Energie, wissenschaftlicher Beschäftigung und heiterer Lebensanschauung selten, und im Allgemeinen führen die Weissen ein beklagenswerthes Leben. Ausserhalb der. Tages- stunden, wo der Handel sie in Anspruch nimmt, bleiben sie meist unthätig; sie erschlaffen allmählich, werden melancholisch und nicht wenige suchen dann in starken Getränken einen vergiftenden Trost. Es ist die Schattenseite der Hulks, dass die räumliche Beschrän- kung den Insassen zum halben Gefangenen macht; — gewiss sind die so Beengten mehr zu beklagen, als zu verurtheilen. In Bonny war uns endlich Gelegenheit gegeben, an Land zu gehen. Ich besuchte das als Bonnytown bekannte Negerdorf, wo mich Alles in ursprünglicher Naturwüchsigkeit anlächelte, wo dem Blicke fremdartig war, was ihm begegnete. Es wird den meisten Reisenden ähnlich ergehen, wenn sich mit einem Schlage eine neue Welt vor ihnen aufthut; sie werden anfänglich schlecht, aber ° mit um so innigerer Theilnahme beobachten, weil nicht allein ihr Auge und ihr Verstand thätig sind, sondern auch ihre Seele mit- empfindet. Die Strassen von DBonnytown sind gewunden und Unter Bonny-Negern. 23 ausserordentlich schmal, so dass kaum für zwei Menschen Platz bleibt. Die Häuser sind aus Lehm aufgeführt, der durch senkrecht aufgestellte Doppelgitter von Palmenrippen die nöthige Festigkeit erhält. Auf unentwirrbaren Pfaden gelangt man endlich zum Schädel- hause, in welchem sich Hunderte von Schädeln aufgehäuft finden. Im südäquatorialen Africa giebt es derartige Ansammlungen von Menschenschädeln nicht, wol aber, wie wir später noch sehen werden, solche von Thierschädeln. Den Europäer, der die Alpen kennt und die dortigen Schädelhäuser gesehen hat, wird der Anblick in Bonnytown weniger erschrecken als der Gedanke des barbarischen Ursprungs. Man sagt, der Einfluss der Missionare in Bonny habe der weiteren Uebung der wilden Sitte Einhalt gethan, aber vielleicht wird sie nur an anderer Stelle fortgesetzt. Eine Missionsstation existirt in einiger Entfernung von dem Orte; sie wird von eingeborenen Missionaren verwaltet; man findet eine Kirche, eine Schule und ein Wohnhaus. Meine Wissbegierde trieb mich dahin und wurde entsprechend belohnt. Der Missionar und seine Gattin, obwol beide schwarz, empfingen mich nach allen Re- geln der Kunst in ihrem Besuchszimmer, und die Sache wickelte sich so steif ab, wie bei uns eine Visite auf dem Theater. Es herrschte überall die grösste Sauberkeit, und der Aufenthalt im Hause war um so angenehmer, als draussen die stechende Mittagssonne über den sumpfigen Bänken und Pfützen des Ufers stand und eine fieber- brütende Treibhaus- Atmosphäre erzeugte. In der Nähe der Ortschaft fehlte es nicht an den bekannten Culturen von Yams, Maniok und Bananen. Ein Uferwald, nur durch einen schmalen Strich freien Terrains vom Flusse getrennt, machte mir einen überwältigenden Eindruck. Denn hier wurde ich zum ersten Male in jene ungeahnte Fülle und Mannigfaltigkeit tropischer Vege- tation eingeführt, die ihren Ursprung vornehmlich den gewaltig wu- chernden Schlinggewächsen verdankt. Auf den Schultern eines Negers passirte ich die Wasserlachen des schmalen, schlüpfrigen Pfades und gelangte von Neuem nach Bonnytown. Ich schlenderte noch lange in den gewundenen Strassen und auf dem grossen Vorplatze der Ort- schaft umher, ohne irgendwie belästigt zu werden. Die Eingebore- nen (Männer wie Frauen sind nur mit einem Schurz bekleidet) näher- ten sich zuweilen zutraulich, indem sie die Hand reichten und beim Zurückziehen mit dem Finger schnalzten. Das häufige Auftreten der hellen, röthlich gelben Hautfarbe, namentlich vieler Weiber, fiel mir auf; auch habe ich später nie wieder @inen so weiten Spielraum in der Nüance eines und desselben Stammes beobachtet. 24 Auf dem Old Calabar-Fluss. Wir verliessen Bonny am fünfzehnten Juli und fuhren am fol- genden Tage in den Old Calabar ein. Diese Flussfahrt ist viel wechselvoller als die auf dem Bonnyriver. Schon in der Man- grove-Region treten die Ufer nahe genug an einander, dass sich auf beiden Seiten das Gewirr der über dem Wasser hervortretenden Wurzeln und die von den Aesten der Kronen herniederhängenden Luftwurzeln erkennen lassen; dann treten Palmen und dikotyledone Bäume auf; Farne und Lianen lassen die dicht an’s Ufer tretenden Wälder ganz undurchdringlich erscheinen. Man begegnet einigen Canoes, die ein dreieckiges, aus Bananenblättern hergestelltes Segel führen; das linke Ufer steigt ein wenig an, und bald erhebt sich auf sanfter Anhöhe die aus dem Urwalde hervorragende Negerstadt Duketown. Zu Füssen derselben, in der Mitte des Flusses, liegt lang- hingezogen die Ansiedlung der Weissen, gerade so wie in Bonny aus einer Zahl verankerter Hulks bestehend. Alle senden ihre hübschen Boote; die rudernden Schwarzen haben den Paradeschurz nebst zu- gehöriger Jacke und Mütze angelegt, eine Art Uniform, die für die verschiedenen Häuser eine verschiedene ist. Die Boote folgen dem nur noch langsam fortgleitenden Dampfer und legen sich langseits, so- bald derselbe Anker geworfen hat; die europäischen Agenten eilen auf Deck, und um den geöffneten Postsack entsteht ein ameisen- artiges Gewimmel. Duketown ist der Sitz des Calabar-Häuptlings, von dem es heisst, dass er über dreimalhunderttausend Menschen gebiete. Der Besuch des Landes ist hier weit verlockender als in Bonny. Das hügelige Terrain, der mehr eingeengte Fluss, der mit Lianen durchwachsene Hochwald geben ein wechselvolles Bild. Die Old Calabar Eingebo- renen gelten für höflich, sanft und für sehr geschickt im Handel. Letztere Eigenschaft freilich würde sie kaum vor Hunderten anderer Stämme auszeichnen. Sie sollen schon seit langen Jahren auf’s Strengste das Gesetz beobachten, dass keinem Weissen ein Haar ge- krümmt werde, noch den in seinem Dienste befindlichen Schwarzen. Den Herrscher suchte ich in Duketown in seinem Palaste auf, wie man euphemistisch den Complex von Häusern, Hütten und Höfen nennen kann, in welchem der Gebieter, seine Frauen, Kinder und Sclaven untergebracht sind. Der „King“, wie er von den Weissen genannt wird, ist blind. Er lag in einem mächtigen, aus England stammenden Bette und machte, wie viele Neger bei der ersten Begrüssung, einen gutmüthigen Eindruck. Als „Queen“ zeigte man mir eine völlig be- kleidete dicke Dame, die"in irgend einem Winkel stand und an einer holzigen Wurzel kaute. Sie unterschied sich nur durch Umhüllung Ein Königs-Palast. Consul Livingstone. 25 des Oberkörpers von den übrigen Frauen und Mädchen, unter denen einige sehr wol geformt waren. Das Innere des königlichen Wohn- hauses, dessen Besichtigung mir gestattet wurde, erweckte mehr Er- innerungen an ein Leihhaus, als an Staatsgemächer. Alles mögliche Gerümpel war darin aufgespeichert: europäische Bettstellen, Spiegel mit verblichenen Rahmen und fleckiger Belegung, kümmerliche Litho- graphieen, vor Allem aber Stand- und Schiffsuhren, von denen selbst- verständlich keine mehr gieng und ein Theil nur aus dem Gehäuse bestand. Die sorgfältig gehüteten Kostbarkeiten und (Geräth- schaften dienten also nur zur Befriedigung eines auf Nachäffung europäischer Art gerichteten Triebes und wirkten dadurch lächerlich. Diesen Eindruck werden die Neger stets bei uns hervorrufen müssen, wenn sie sich in ihren Einrichtungen und Gewohnheiten der sinnlosen Nachahmung und Verquickung mit europäischen Zuthaten schuldig machen, während in ihrer durch Jahrtausende bewahrten Ursprüng- lichkeit und der von unserer Beeinflussung unberührt gebliebenen Eigenart Würde und Haltung liegen kann. Das Dorf des „Königs“ zeichnete sich im Uebrigen nicht durch Reinlichkeit aus und musste auf schlüpfrigen, schmutzigen Pfaden passirt werden. Der Wunsch, den Consul Livingstone kennen zu lernen, der bald darnach auf der Rückreise nach Europa starb, führte mich in das auf einem Hügel gelegene Haus des allgemein verehrten, sehr würdigen Missionars Herrn Anderson. Consul Livingstone hatte seinen Bruder David bekanntlich auf dessen grosser Reise zum oberen Zambezi begleitet und wusste eben so wenig wie wir, dass der Leichnam des nun in Westminster Abtei ruhenden Märtyrers gerade jetzt von treuen Dienern zur ostafricanischen Küste überge- führt wurde; ja er glaubte fest daran, dass sein verschollener Bruder noch am Leben sei. Bei unserer Unterredung wollte Consul Living- stone die Verwendbarkeit des Chinin als Prophylakticum gegen Fieber nicht zugeben; er bestätigte, dass Kruneger für den Dienst auf Landreisen nicht brauchbar seien, und sprach die feste Ueber- zeugung aus, dass die Eingeborenen in allen vom Sclavenhandel ver- schont gebliebenen Gegenden sich freundlich gegen die Europäer be- nehmen würden. Auf dem Rückwege durch den Wald, der die Abhänge des linken Stromufers bedeckt, sah ich mehrfach kleine Anhäufungen aus zerbrochenen Krügen, zerrissenen Kissen, zerfetzten Kleidern u. s. w. Sie verdanken folgender Sitte ihre Entstehung: beim Eintritt eines Todesfalls verfertigen die trauernden Weiber eine An- zahl schöner Kleider und anderer Gegenstände, die zugleich mit 26 Fernando Po und die Bubis, irdenem Geschirr und sonstigem Geräthe im Hause des Verstorbenen ausgestellt werden; ist die vorgeschriebene Zeit der Trauer abge- laufen, so gehen alle diese Schätze dadurch in den Besitz des Todten über, dass man sie zerschlägt oder zerreisst und auf einen Haufen wirft. Bei Sonnenschein und theilweise bedecktem Himmel setzte der „Benin“ am Vormittag des achtzehnten Juli die Reise nach Fernando Po fort. Um zwei Uhr schlugen wir bei ziemlich bewegter See zwei- mal auf felsigen Boden auf und befanden uns in äusserst misslicher Lage. Das Schiff konnte jeden Augenblick ein Leck erhalten, wenn der Wogenschwall heftiger wurde; dagegen nützte dann all das Son- diren nicht mehr, das nun plötzlich mit Hast und Aengstlichkeit be- trieben wurde. Erst um drei Uhr hatten wir tieferes Wasser. Im Osten erschien die Spitze des massigen hohen Camerun-Vulcanes und am Abend ankerten wir in dem stillen, von Felswänden umschlossenen Hafen von Fernando Po. Von der Schönheit dieser Insel lässt sich kaum eine übertriebene Schilderung machen, so sehr sind alle Reize der Tropen über sie ausgegossen; der über dreitausend Meter hohe Clarence Pic, die an ihm aufsteigenden Urwälder, die blaue See, lachende Gärten, ein murmelnder Bach, graciöse Palmen, bunt ge- fiederte Vögel — Nichts fehlt. Eine Corvette mit spanischer Flagge und ein Stationsschiff deuten an, dass die Insel spanisch ist; sonst würde man es kaum merken. Denn Weisse wie Schwarze sprechen weit häufiger englisch als spanisch. Der geringe Handel, der über- haupt vorhanden ist, befindet sich ganz in englischen Händen. Welche Reichthümer könnten von hier ausgeführt werden, wenn es Arbeits- kräfte gäbe, sie zu heben! So.aber liegen Kaffee- und Cacao-Plan- tagen halb verfallen oder unvollendet da. Das wenige Palmöl, das die Eingeborenen, die Bubis, gewinnen, ist kaum der Rede werth. Ihr Handel ist eben so unbedeutend wie ihr Ackerbau. Sie leben als wahre Wilde im Innern der Insel; denn die in S. Isabella woh- nenden Schwarzen sind sämmtlich von der gegenüberliegenden afri- canischen Küste oder von Sierra Leone eingewandert. Man nennt die letzteren, zum Unterschied von den Bubis, Fernandianos. Es ist nicht schwer, Bubis zu Gesicht zu bekommen, da der Einkauf namentlich von Pulver und Salz sie zuweilen in die Hafenstadt treibt. Sie sind der wahre Typus des in den Wäldern verwahrlosten Buschmenschen. Ein winziger Schurz verhüllt die Blössen nur auf das Allernothdürf- tigste. Sie tragen ein am linken Oberarm befestigtes Messer; die- jenigen, welche ich sah, waren ausserdem noch mit einem Basthute geschmückt und zeigten im Gesicht die eingeschnittenen Streifen der Ein Albino. Gabun. Das Fest der Linie. 27 „Scratched-faces.“ Den Werthbetrag für das zur Stadt gebrachte Palmöl lassen sich die Bubis zum Theil in Tabak, Rum und Zeug, zum andern Theil in barem Gelde zahlen und kaufen damit selbst ein. Sie sollen weder Ziegen noch Schafe haben und enorme Preise dafür bezahlen, weil sie sich der Felle dieser Thiere bei gewissen Festen als Schmuck bedienen. - Auf einem Spaziergange sah ich einen Albinoknaben, der dop- pelt abstossend erschien, weil er völlig unbekleidet war und unter ganz hübschen schwarzen Wäscherinnen, die anmuthig am Bache be- schäftigt waren, umherspielte. Der gelblich-weisse schmutzige Teint, das fast ebenso erscheinende Wollhaar, die gekniffenen, krankhaften Augen liessen dieses von schwarzen Eltern abstammende Wesen wie einen Aussätzigen erscheinen. Den Clarence Pic sieht man selten unverschleiert, doch gelang es mir von der See aus, die Pyramide der Spitze zu erkennen. Mit dem Verlassen Fernando Pos traten wir, obwol der Aequator noch nicht überschritten war, in ein anderes Wetterregime ein; die Luft wurde kühler und frischer, und man athmete wieder frei. Die französische Colonie Gabun wurde am zwanzigsten Juli erreicht, und wir genossen daselbst die Gastfreundschaft des deutschen Hauses Wörmann. Nachts zeigte das Meer nicht selten starke Phos- phorescenz; doch habe ich diese Erscheinung in den dortigen Gewässern nie so glänzend wahrgenommen wie im Mittelmeer. Nach gutem, alten Brauch feierte man an Bord das Passiren der Linie, wenige Stunden nachdem der „Benin“ Gabun verlassen hatte. Die groteske Komik, die dabei zum Vorschein kam, hatte nichts Ge- schmackloses, sondern etwas sehr Amüsantes. Uns wurde nach Be- endigung des Umzugs, den die vermummten Deckofficiere und weissen Matrosen anstellten, das „Secret of the Line,“ — Geheimniss der Linie — gegen einige Flaschen Whiskey (Branntwein) erlassen, aber die armen Crooboys lernten dieses Geheimniss in ganz anderer Form kennen. Sie wurden vor den auf seinem Rollwagen thronenden Neptun geführt, mussten irgend ein Gemisch von Rum und See- wasser trinken und dann zum „Barber“, dem Barbier des Neptun, hin- aufsteigen, der sie mit einer schwarzeh Schmiere einrieb, mit einem Monstre-Rasirmesser bearbeitete und dann rücklings von der höch- sten Treppenstufe in ein mit Wasser gefülltes, zur Badewanne um- gestaltetes Segel warf. Mit jeder folgenden Execution schien der Jubel zu wachsen und war am lebhaftesten bei den Crooboys selbst, die das „Secret of the Line“ bereits auf früheren Fahrten kennen ge- lernt hatten. 28 Ende der Seereise. Die Nächte wurden immer kühler. Der Morgen des zweiund- zwanzigsten Juli glich einem frischen, klaren Septembermorgen. Die gewaltigen Feuer, die man des Nachts von der Küste her leuchten sah, deuteten gleichfalls an, dass wir in die trockne Jahreszeit des süd- africanischen Winters eingetreten waren, wo die Gräser der ausge- dehnten Savanen absterben und durch absichtlich angelegtes Feuer zerstört werden. Der nächste Platz, vor dem wir ankerten — Ponta- negra (Black Point) — gehörte bereits der Loangoküste an; ich war also dem Gebiete nahe gebracht, welches die Basis meiner Explorationen bilden sollte. Am fünfundzwanzigsten Juli lief der „Benin“ in den Congo ein, dessen Fluten mit grosser Heftigkeit ausströmten, und noch am Vormittag desselben Tages ankerten wir vor Banana. Damit war die Seereise beendet; sie hatte einschliesslich des un- freiwilligen Aufenthaltes in Sierra Leone sechsundfünfzig Tage von Li- verpool aus erfordert, und mit dem Gefühl des aus langer Gefangen- schaft Befreiten setzte ich meinen Fuss auf den fremden Boden. Canoes der Loangoküste, Lingster „Ngo“, SAIAANDMEIIE Erste Eindrücke an der Loangoküste. — Banana. — Die „Afrikaansche Handels- Vereeniging“. — Wohnstätten der Weissen und der Schwarzen. — Crumanos und freie Arbeiter. — Der Markt. — Gefangene. — Handelsproducte. — Tauschartikel. — Congomündung. — Strand. — Versammlungs- halle. — Die Loangoküste als Terra incognita. — Die Portugiesen der Küste. — Das Reisen in der \ Hängematte. — Von Banana nach Vista. — Das erste Negerdorf. — Eine Handelsfactorei. — Der Lingster. — Wasserpassagen. — Kabinda. Frühere und jetzige politische Zustände. — Die Bai von Ka- binda. — Fischerei. — Die Savane zwischen Futila und Tschimfime. — Eine Fetischceremonie. — Africanische Flusslandschaft. — Canoefahrt. — Tschiloango. — Landana. — Zusammentreffen mit Dr. Bastian. Die ersten Eindrücke, die man in Banana erhält, sind die einer unerwar- teten Grossartigkeit; man verdankt die- selben nicht der Natur, die hier dürf- tiger sich zeigt als an irgend einem an- dern Puncte der Loangoküste, sondern den Schöpfungen eines aus kleinen An- fängen hervorgegangenen Rotterdamer Hauses, der „Afrikaanschen Handels- Vereeniging“. Dieses Haus besitzt an der Küste, welche unseren Operationen als Basis gegeben war, und südlich davon, eine grosse Anzahl von Factoreien, in denen direct von der eingeborenen Bevölkerung ein- gekauft wird. Banana ist für alle die Centralstelle: von hier giebt der Hauptagent seine Weisungen, von hier aus werden die euro- päischen Tauschwaaren, die conservirten Lebensmittel und was sonst 30 Die „Afrikaansche Handels-Vereeniging. aus der Heimat kommt, versandt; hierher strömt Alles zusammen, was der Handel in den weit verstreuten Factoreien aufgespeichert hat, hier löschen die ankommenden Schiffe ihre Ladung, hier werden sie mit den Schätzen Africas befrachtet. Auf einer sandigen, sterilen Landzunge, deren eine Seite in be- denklicher Weise von den atlantischen Fluten bespült wird, deren andere gegen einen ruhigen und tiefen Altwasserarm (englisch „Creek‘‘) des Congo abfällt, erheben sich die weit ausgedehnten Wohnhäuser und Magazine des holländischen Handels-Emporiums. Sie sind aus Holz gebaut, einstöckig, mit sichtbarem Dachstuhl und Fenster- öffnungen, die durch Holzladen verschlossen werden können; Dach und Wände sind aussen weiss getüncht und blenden das Auge in der strahlenden Sonne, aber im Innern ist es luftig und kühl. Ganz anders erscheinen die Wohnstätten jener Hunderte von Schwarzen, die im Dienste des holländischen Hauses stehen und die sämmtlich innerhalb des Etablissements untergebracht sind. Die Hütten erheben sich in mehreren von einander getrennten Gruppen, durch diese Trennung schon äusserlich die verschiedene Herkunft der Insassen andeutend; man könnte sie mit vergrösserten Kartenhäusern vergleichen. Aus den langen Schaften des Papyrus zusammengefügt, erheben sich die Wände etwa zu Mannshöhe; ein Dach aus Palmfiedern bedeckt sie; das einst saftige Grün des verwendeten Baumaterials ist längst in ein düsteres Braun übergegangen, und da die Hütten, ent- gegen dem Brauche in den Dörfern, dicht neben einander stehen und weder Strauch noch Baum ihre nächste Umgebung ziert, so ist der Anblick wenig erheiternd. Eine aufmerksame Betrachtung der verschiedenen Schwarzen lehrt bald, dass die Arbeiter-Bevölkerung Bananas aus allen Theilen Africas bunt zusammengewürfelt ist. In schneidenden Gegensatz zu allen übrigen stellen sich die Kruneger; ihr herkulischer Körperbau, ihr Gesichtsausdruck, ihre Sprache, ihre Sitten und insbesondere ihr nationales Selbstbewusstsein zeichnet sie vor Allem vor jener Classe von Negern aus, die man Crumanos nennt. Während die Kruneger sich meist nur auf anderthalb Jahre engagiren lassen und dafür bestimmte Bezahlung erhalten, sind die Crumanos lebenslänglich gebunden, werden gekleidet und genährt, haben aber andern Lohn nicht zu erwarten; sie stammen meist aus Gegenden, die südlich des Congo liegen, verrichten die niedrigsten Dienste, und auf ihren Gesichtern drückt sich häufig der Stumpfsinn der unterdrückten Kaste aus. Neben diesen giebt es noch freie Ar- beiter, häufig sehr intelligente Leute, die das Handwerk von Tisch- lern und Schiffszimmerern betreiben. Zu diesen liefert das nordwest- Das Leben in Banana. al lich von Banana gelegene Kabinda das stärkste Contingent. Ein kleines Völkchen für sich bilden die sogenannten Muleks. Das Wort ist der Sprache der Eingeborenen entnommen. Es werden darunter die schwarzen Jungen verstanden, von denen jeder Weisse sich einen zur persönlichen Bedienung hält. Sie sind häufig von vornehmer Familie, warten bei Tisch mit grosser Geschicklichkeit auf und können, wenn sie gut gezogen sind, von grossem Nutzen sein. Aber oft macht man mit den besten die traurigsten Erfahrungen; in dem Augenblicke, wo sie am lautesten auf ihre Treue und Anhänglichkeit schwören, bestehlen sie den Herrn oder laufen davon. Wir hatten bereits in Europa Beziehungen mit den Chefs der „Afrikaanschen Handels-Vereeniging“, den Herren Kerdyk und Pincoffs in Rotterdam, angeknüpft, waren mit warmen Empfehlungen an den Hauptagenten in Banana versehen worden und verdankten diesem Umstande eine zuvorkommende Aufnahme. Man vertauscht wol zu allen Zeiten gern die enge Cabine auf schwankendem Schiffe mit einem geräumigen Zimmer auf festenı Lande. Nach der Einförmigkeit der langen Seefahrt bemächtigt sich des Reisenden eine Art von Be- obachtungshunger, den ich für meinen Theil zunächst an dem bunten Bilde des Lebens in Banana zu befriedigen suchte. Noch hält die Nacht die Bewegung zurück. Es ist kühl, denn wir sind im Winter der Südhemisphäre. Zerrissene Wolken ziehen unter funkelnden Sternen her, und die mit Feuchtigkeit übersättigte Atmosphäre bedeckt die schlummernde Erde mit Thau. Die Feuer der mit der Wache betrauten Kruneger verlöschen, die frierenden Männer kehren zu ihren Hütten zurück, es wird Tag und noch ehe der erste Sonnenstrahl uns erreicht, beginnt das Leben. Aus der vereinzelt inmitten des Haupthofes sich erhebenden Küche steigt der Rauch auf, auf der Schiffswerft, die längs des Creek sich hinzieht, sieht man europäische Schiffszimmerer im Verein mit schwarzen (ze- hülfen an die Arbeit gehn, aus der Böttcherei, wo die Fässer für das Palmöl zusammengeschlagen werden, tönt einförmiges Klopfen zu uns herüber, aber ein weit intensiverer Lärm deutet uns an, dass an irgend einer Stelle das weibliche Geschlecht gehört zu werden wünscht. Wir wenden uns dorthin und sehen auf der Veranda, die eines der Magazine umgiebt, einen weissen Mann stehen, der mit grösster Ruhe auf die’ Menge zu seinen Füssen hinabsieht; ein sauber gekleideter Schwarzer, mit faltigem Lendenschurz, einer enganschliessenden Jacke aus Tricot und einer kleinen Mütze steht hinter ihm in dem eben ge- öffneten Vorrathsraum, um die Waaren hinauszureichen, und ein leb- hafter Tauschhandel beginnt. Der Markt ist eröffnet, d. h. der Markt 32 Der Markt in Banana. für Lebensmittel, denn Handelsproducte werden überhaupt nicht in Banana eingekauft. Dass es sich nur um Lebensmittel handelt, be- weist schon das Uebergewicht der Frauen über die Männer. Die Bodenerzeugnisse, die zum Verkauf angeboten werden, sind Maniok- knollen und deren Zubereitungen, Bananen, Erdnüsse, süsse Bataten, Pfefferschötchen (Capsicum), Tomaten; ferner werden eine Anzahl ma- gerer Hühner, ein entsprechendes Quantum von Eiern, Hammel mit glattem Haar und frisch gefangene Fische gebracht. Die Preise stehen im Grossen und Ganzen fest, und das Geschäft würde glatter gehn, wenn nicht die Zahlung zu Recriminationen Anlass gäbe; denn das gemünzte Geld ist unbekannt, und jeder Betrag wird in Tausch- artikeln entrichtet. Diese werden natürlich häufig bemäkelt, aber meist ohne Erfolg. Die Weiber kauern in ein dünnes baumwollenes Tuch gehüllt auf der Erde, unter sich eifern sie in der Sprache der Eingeborenen, ihren Klagen gegen die Weissen machen sie in Neger- portugiesisch Luft. Neben ihnen liegt der lange, aus Palmenzweigen zusammengeflochtene Tragkorb, den sie auf dem Kopf herbeigeschleppt haben; darin befinden sich die Provisionen, aber auch stets leere Flaschen, die zur Aufnahme von Branntwein dienen. Alle kleinen Be- träge werden in Rum ausgezahlt. Allmählich verläuft sich die Schar, und die aufgekauften Vorräthe wandern zum Theil in die grosse Küche, theils werden sie vertheilt, wenn die Schwarzen ihre Rationen erhalten. Aber das, was hier eingekauft ist, reicht bei weitem nicht aus, um die vielen Münder (unter ihnen fehlt es auch nicht an „bouches in- utiles“) zu befriedigen, welche in Banana um Brod schreien. Für die Schwarzen lässt man aus Süden her, aus Angola, Benguella und Mossa- medes getrocknete Fische und das Mehl der Maniokwurzeln kommen, für die Weissen müssen die Schiffe grosse Vorräthe an Conserven aus Europa bringen. Noch während ich meine Beobachtungen auf dem Markt mache, die Bewegungen und den Gesichtsausdruck der Eingeborenen studire, mich bemühe, die Laute ihrer Sprache aufzufassen, und feststelle, dass diese Schwarzen eigentlich nur bronzefarbig sind, werde ich durch einen Anblick abgezogen, der mich mit Mitleid erfüllt: eine Reihe von acht oder zehn Schwarzen geht langsam über den Hof; ein eiserner Ring ist Jedem um den Hals gelegt, eine schwere eiserne Kette verbindet sie miteinander. Ein Jeder dieser Unglücklichen trägt einen Besen in der Hand; sie halten an und beginnen den Hof zu reinigen und zwar mit einer Langsamkeit und Würde, die nicht ganz zu dem niedrigen Amt passt. Das fette und behagliche Aussehen der Kettenträger contrastirt ein wenig mit meinem Mitleid, und die eingezogenen Erkundigungen Kettengefangene. Reges Leben am Ouai. 33 belehren mich, dass letzteres auch ganz und gar nicht am Platze ist. Die schwarzen Sünder in der Kette büssen irgend ein Vergehen ab, das man selbst bei uns mit Gefängniss bestrafen würde: Diebstahl, Auflehnung gegen die Obrigkeit oder Desertion. Hier tragen sie ihr Gefängniss in Form von Ring und Kette mit sich herum und da sie vermöge dieser Aneinanderreihung nur zu wenigen Diensten verwandt werden können, führen sie ein weniger angestrengtes Leben als sonst und leiden auch nicht unter der dumpfen Luft eines Gefängnisses. Die europäischen Beamten des Hauses haben in der Frühe um sieben Uhr sich bei der Arbeit versammelt; die Ordnung in die- sem grossen Organismus wird streng gehandhabt, und die, welche müssig umhersitzen, sind nur als Gäste anwesend. Indessen weiss ich nicht viel mit letzteren anzufangen, weil sie zufällig sämmtlich Por- tugiesen sind, und ich dieser Sprache noch nicht mächtig bin. Mit Mühe und Noth bin ich im Stande, dem mir zuertheilten Mulek einige wenige Befehle zu geben, verstehe aber nie, was er mir sagt, und setze meinen Rundgang allein fort. Das regste Leben entwickelt sich am Ufer des Creek, welches einem Hafenquai gleicht. Der Ankerplatz übertrifft durch seine geschützte Lage die meisten Rhe- den der westafricanischen Küste und steht mit den besten (Free- town, Gabun, St. Paul de Loanda) in gleichem Range. Das Fahr- wasser ist so tief, dass selbst Schiffe grossen Tonnengehalts direct vom Lande aus, ohne Vermittlung von Booten, befrachtet werden können. Hier sieht man Fahrzeuge der verschiedensten Art, Bark- schiffe und Briggs für grosse Fahrt und eine Anzahl von Schoonern, Kuttern und Launches, die zwischen Banana und den africanischen Factoreien hin und her gehen. Die „Normandy“, ein Dampfer, welcher viermal im Jahre die Reise von Rotterdam nach Banana macht, wird erwartet, aber ein kleinerer Dampfer, der „Noordcaper“ ist gerade von seiner Küstenreise zurückgekehrt und bringt, was einige der Haupt- factoreien in jüngster Zeit an Producten eingehandelt haben. Nicht ohne Eifer, aber auch nicht ohne Lärmen, Schreien und Singen sind die Schwarzen beim Löschen und Laden thätig; Mann hinter Mann kommen oder gehen sie mit schwerer Last auf Rücken und Kopf, häufig sich gegenseitig anfeuernd. Sie sind nur mit einem einfachen Lendentuch aus leichtem Baumwollenzeug bekleidet, ohne deshalb nackt zu erscheinen. Ein Farbiger hat eben vor dem Weissen den Vorzug, dass er auch mit Wenigem noch immer leidlich angezogen aussieht. Ein Gang durch die Magazine verschaffte mir den besten Ueber- blick über die Producte, welche auf dem Küstenstrich zwischen dem Loango. 1. 3 34 Landesproducte und Tauschartikel. dritten und achten Grad südlicher Breite von den Eingeborenen zum Verkauf gebracht werden. Die Hauptrolle, wenigstens räumlich, spielt dabei das Palmöl, das bereits gereinigt in grossen Fässern aufge- speichert daliegt; dann kommen die Kerne der Oelpalmenfrucht, von den Engländern Palmkernels, von den Portugiesen sonderbarerweise Coconotte genannt; sie liefern ein feines, geschätztes Oel, ebenso wie die gleichfalls in grossen Mengen vorhandenen Erdnüsse. Weiterhin sieht man den übelriechenden, zu faustgrossen Bällen geformten Kaut- schuk, der hauptsächlich aus den nördlichen Districten kommt, während die gewaltigen Stosszähne der Elephanten meist südlich vom Congo die Küste erreichen. Gegen die aufgeführten Producte treten andre wie die Orseilleflechte, der Sesam und der bernsteinartige Copal an Umfang und Bedeutung sehr zurück. Der letztgenannte Artikel könnte wahrscheinlich von Wichtigkeit werden, weil grosse Mengen davon in der Nähe der Küste vorkommen, indessen setzt sich der Aber- glaube der Eingeborenen der Exploitirung des geschätzten Erdharzes entgegen. Wofür werden alle diese Dinge erworben, da gemünztes Geld unbekannt ist? Die Antwort ergab sich von selbst bei der Fortsetzung meiner Wanderung. Zunächst trat ich in immense Räume ein, in denen sich Fass an Fass reiht und Fass auf Fass thürmt. Ein jedes ist gefüllt mit jener giftigen Flüssigkeit, die unter dem Namen Neger- rum bekannt ist, und ihren Weg bis in die entferntesten Dörfer, bis jenseits des grossen Urwaldes findet. Ein andrer Raum beherbergt würfelförmige, grün angestrichene Kistchen, deren Inhalt in je zwölf Flaschen Genevre (Gin) besteht. Dieses Liquidum, ein Schnaps der niedrigsten Sorte, gilt für etwas weit Feineres als der Rum und bildet ein Lieblingsgetränk vornehmer Neger sowol wie nicht weni- ger Weisser. Neben Spirituosen bleiben Zeuge das Hauptzahlungs- mittel, leichte Manchester-Waare, die in immer neuen Mustern von Europa hinübergeschickt wird. In grossen Kisten — man benutzt sie in Todesfällen als Särge — liegen Feuersteingewehre, die von Eingeborenen um so dringender begehrt werden, als vollkommenere Schusswaffen überhaupt nicht in den Handel kommen. In anderen Kisten finden sich faschinenartige Messer, die in Europa nach afri- canischen Modellen gearbeitet sind. Messingringe für Arm und Fuss, Stäbe aus demselben Metall oder aus Kupfer, eiserne Tonnenreifen, Vorhängeschlösser, Steingutkrüge, Waschbecken, Glaswaaren, Spiegel, Rasirmesser, Tisch- und Matrosenmesser sind in reichem Masse vor- handen. Neben den leichten Baumwollenstoffen hat man auch etwas schwerere Zeuge eingeführt, ferner gestrickte Jacken, Uniform- und Die Mündung des Congo. 5 35 Livreeröcke und endlich Kopfbedeckungen aller Art (aber keine Cy- linderhüte), In beschränkteren Quantitäten finden sich diejenigen Dinge, nach welchen man den Neger am lüsternsten glaubt: Glas- perlen und falscher Schmuck; nur echte röhrenförmige, rothe Korallen erfreuen sich grosser Schätzung. Ich konnte binnen kurzer Zeit selbst die Beobachtung machen, dass die Eingeborenen recht wol wissen, was für ihr Leben einen reellen Werth hat, was nicht; und dass sie scheinbar unpraktische Einkäufe mit dem realen Hintergedanken vor- nehmen, sich die Gunst der Frauen zu erwerben. Dagegen lässt ihre Neigung zum Schnaps sie vergessen, dass gerade dieser Artikel in ihren Händen das vergänglichste aller Dinge ist; und dennoch würde es unmöglich sein, ohne Rum oder Gin irgend ein Handelsgeschäft abzuschliessen. Die äusserste Spitze der sandigen Landzunge Bananas liegt unbe- nutzt da; nur das Pulverhaus ist daselbst errichtet. Durch tiefen Sand wanderte ich dorthin und verschaffte mir einen freien Ausblick. Der Congo beherrscht Alles; seine Ufer sind meilenweit von einander entfernt, eingebettet zwischen ihnen wälzt sich die gewaltige Wasser- masse mit Wogenschlag und heftiger Strömung zum Meere, in diesem noch weithin erkennbar an den braunen Fluten, — nun ein Fluss ohne Ufer. Die nächste Umgebung Bananas dagegen erscheint wenig be- merkenswerth. Noch fehlen der Landschaft die grossartigen Wald- bestände, welche für gewisse Theile Westafricas charakteristisch sind; und wo man Wald sieht, ist es einförmiges Mangrovegebüsch. Am Strande finden sich einige kriechende Gewächse, Strandbohnen und Convolvulusarten, und auf einem der sandigen Höfe des holländischen Etablissements erhebt sich ein kleiner Hain hübsch belaubter Bäume, die aus America eingeführt sind. (Spondias lutea nach Dr. Pechue£l- Loesche). Mein Rundgang hatte sein Ende erreicht, als die Mittagsglocke ertönte, welche die gesammte Arbeit auf einige Stunden unterbricht. In einer grossen bedachten und gedielten Halle versammeln sich nach und nach die europäischen Beamten, während die Speisen auf zwei gedeckten Tischen aufgetragen werden. An dem einen Tisch nehmen die Kaufleute, an dem andern die Handwerker Platz. Der Hauptagent präsidirt; an ihn schliessen sich die übrigen Personen nach der Würde ihrer Stellung, respective die Gäste an, und es würde nicht unbemerkt bleiben, wenn Jemand, der Anspruch auf den Platz zur Rechten des Hauptagenten hat, sich mit dem zur Linken begnügen müsste. Am oberen Ende des Haupttisches herrscht die holländische Sprache vor, oder es wird deutsch, englisch, französisch gesprochen, z. 36 Gemeinsame Malzeit. Die Muleks. vom untern Ende her lassen sich portugiesische Laute vernehmen. Den Muleks muss man auf portugiesisch sagen, von welcher Schüssel man zu nehmen wünscht. Da alle Speisen gleichzeitig auf- getragen werden, so stellt man sich die Malzeit nach eigener Aus- wahl mit Hülfe des Muleks zusammen. Anfänglich vermisste ich die bei uns übliche Höflichkeit, sich gegenseitig bei Tisch behülflich zu sein; ich sah schon bei der ersten Malzeit in Banana, dass man sich selbst der geringsten Kleinigkeit wegen nie an seinen Nachbar, sondern stets an seinen Mulek wendet. Dieser Art von Bequemlich- keit, durch den schwarzen Diener verrichten zu lassen, was man ohne Mühe selbst thun könnte, geben sich die Weissen nicht blos bei Tisch, sondern auch in ihrem sonstigen Leben hin und unterstützen dadurch zu ihrem eignen Schaden jenen Hang zur Trägheit, welcher vielleicht der schlimmste Feind des Lebens in heissen Klimaten ist. Die Sonne steht noch hoch am Himmel, wenn die Glocke den Schwarzen das Zeichen zur Wiederaufnahme der Arbeit giebt. Den Weissen ist eine Siesta gegönnt, aber wol dem, der es über sich gewinnt, nicht zu schlummern; sein Kopf bleibt freier für den Rest des Tages, und die Nachtruhe ist ihm sicher. Die Nachmittagsarbeit währt einige Stunden, und mit dem sinkenden Tagesgestirn kommt der grosse Organismus von Neuem zum Stillstand, Schwarze und Weisse begeben sich zur Malzeit und plaudern nach derselben in ihrer Weise. In diesen Abendstunden fällt auch manches Wort über die Heimat. Ein Jeder denkt an sie, mit dem stillen Wunsche dorthin zurückzukehren, aber Viele wissen nicht, dass sie bereits nicht mehr im Stande sind, den Kampf um’s Dasein daselbst wieder aufzunehmen. Eine klare Nacht gestattet mir, sogleich meine astronomischen Beobachtungen zu beginnen; trotz aller unverhofften Widerwärtig- keiten und Störungen führe ich sie glücklich zu Ende und begebe mich dann auf mein Lager. Eine Art rings umschlossenen Baldachins, die sogenannte Mosquitära, schützt mich vor Mosquitos, und unter ihrem Summen und dem Poltern, Pfeifen und Quieken der Ratten umfängt mich der Schlaf. Ausser der holländischen Niederlassung giebt es in Banana noch einige andere Häuser, ein englisches, ein französisches und zwei por- tugiesische; sie sind durch die günstige Lage Bananas als Stapelplatz für die am Congo gelegenen Handelsplätze Porto da Lenha und Boma entstanden, haben aber schon mehrfach die Firmen gewechselt, so dass es nicht der Mühe lohnt, sie besonders zu besprechen. Nach der gegebenen Schilderung Bananas mit seinen grossarti- Stand unserer Kenntniss von Loango. 37 gen Handelsverhältnissen muss die Bemerkung geradezu frappiren, dass das Land, welches diesen Handel liefert, bis zum ‚Jahre 1373 wissenschaftlich eine Terra incognita war. Dennoch lässt sich diese befremdende Wahrheit aus der natürlichen Entwickelung der Dinge heraus erklären. In weiteren Kreisen war über das Land, welches sich vom dritten Grade südlicher Breite bis zu dem rechten Ufer des Congo, d. h. bis zum sechsten Grade erstreckt, Nichts be- kannt, als was französische Missionare darüber veröffentlicht hatten. Diese muthigen und glaubensstarken Männer hatten die Loango- küste im vorigen Jahrhundert bereist und ein Bild der damaligen politischen Zustände entworfen. Seitdem blieb Alles stumm, trotz eines sehr schwunghaft betriebenen Handels. Die Kaufleute, so lange sie Sclavenhändler waren, hatten ein natürliches Interesse daran, einen Schleier über den Schauplatz ihrer Missethat zu decken; aber auch der legitime Handel mit Producten, der aus den Trümmern des Sclavenhandels erblühte, und dem die Verhältnisse der Küste ihr jetziges verändertes Aussehen verdanken, wünschte Nichts lebhafter, als sich das Monopol zu erhalten. Einer europäischen Macht war es nicht gelungen, sich an irgend einem Puncte des Loangolitorals festzusetzen; und wenn auch unsere Karten die heutigen portugiesischen Besitzungen in Westafrica durch einen einfachen Farbestrich bis über Kabinda ausdehnen, so ändert dies Nichts an der Unabhängigkeit des Negerlandes. Bis zum Ein- treffen Dr. Bastians und der deutschen Loango-Expedition war das Land nicht von wissenschaftlichen Reisenden betreten worden, die Kaufleute verschwiegen, was ihre einseitigen Interessen sie gelehrt hatten; kein Wunder also, dass die Loangoküste eine Terra inco- gnita in der vollen Bedeutung des Wortes war. Trotz der Dankbarkeit, welche die empfangene Gastfreundschaft mir auferlegt, glaube ich es doch aussprechen zu dürfen, dass das Erscheinen unserer Expedition nicht mit der Unbefangenheit betrachtet wurde, welche ihrem wissenschaftlichen Charakter gebührte; denn während die Einen in uns die Träger verkappter Handelsinteressen witterten, glaubten die Anderen, dass wir berufen seien, das Terrain für eine deutsche Colonie vorzubereiten. So abgeschmackt uns diese Auffassung erschien, so konnte sie die Expedition doch bedeu- tend schädigen, weil auch die Eingeborenen, von denen ein Verständ- niss für unsere friedfertigen Absichten selbstverständlich nicht er- wartet werden durfte, uns mit ängstlichem Misstrauen betrachteten und jeder Einflüsterung intriguirender Weisser williges Gehör liehen. Der Aufenthalt in Banana lehrte mich zwar vieles Neue kennen, 38 Das portugiesische Element. aber ein treues Bild des Verkehrs an der Loangoküste erhielt ich nicht; denn die Weissen sind in zu starkem Uebergewicht, die Schwarzen in zu directer Abhängigkeit von ihnen, der europäische Einfluss zu überwiegend, mit einem Worte der nivellirende Einfluss, durch welchen alle Seeplätze der Welt eine gewisse Aehnlichkeit mit einander erhalten, hat sich auch hier bis zur Verwischung der wahren Verhältnisse geltend gemacht. Die Portugiesen, welche das eigentliche Element des Handels bilden, deren Sprache die herr- schende ist, deren Zahl die der gesammten übrigen Europäer viel- leicht um das Sechsfache übertrifft, treten in Banana ganz zurück; gerade sie hatten aber für mich besonderes Interesse. Zur Zeit des Sclaven- und in den Anfängen des legitimen Han- dels waren die Portugiesen die herrschende Nationalität an der Küste; sie sind es nicht mehr. Ein gegen ihre mercantile Unabhängigkeit gerichteter Process ist mit Erfolg gegen sie eingeleitet worden, wenn auch der neue Zustand von fraglicher Dauer ist. Die kleinen portu- giesischen Händler, die früher selbständig an allen Puncten der Küste Handel trieben, wurden das Opfer ungünstiger Conjuncturen. Ein grosser Theil von ihnen war verschuldet, sie sahen sich zum Verkauf ihres Besitzthums an grössere Häuser, namentlich an die „Afrikaansche Handels-Vereeniging‘“ genöthigt und traten nun als Agenten in die Dienste des neuen Gläubigers. Sie tragen ihr jetziges Loos nur mit scheinbarer Gleichgültigkeit; sie wissen, dass sie von den Holländern für falsch und unzuverlässig, für eine Art niederer Kaste gehalten werden und geben diesen alle erlittene Zurücksetzung und Verachtung mit lebhaft empfundenem Hass zurück. Es steht ausser Frage, dass sich die Portugiesen ihrer ganzen Anlage nach den Verhältnissen des äquatorialen Westafrica am natürlichsten an- zupassen verstehen. Ihrem südeuropäischen Ursprunge verdanken sie in erster Linie die grössere Acclimatisationsfähigkeit; auch sie sind begreiflicherweise von Fiebern und anderen Krankheiten heimgesucht, aber die Erfahrung beweist, dass sie zehn und zwanzig Jahre an der Küste leben können, ohne ihre Arbeitsfähigkeit und Lebenslust einzu- büssen. Angeborene Mässigkeit und eine zweckmässige, nach heimat- lichen Traditionen geführte Küche unterstützen sie dabei. Einen nicht minder schätzenswerthen Vortheil besitzen die Portugiesen in der Leichtigkeit des Verkehrs mit den Eingeborenen. Selber sehr auf- gelegt zum Schwatzen, ermüdet ihre Geduld nicht so leicht bei den oft stundenlangen Conversationen und Unterhandlungen, ohne welche die Neger kein Geschäft abschliessen. Der ganzen Denkweise der Eingeborenen stehen sie durchaus nicht so fremd gegenüber, wie der Die Grenzen der Loangoküste. 39 ® Nordeuropäer und sie treffen dadurch bei vorkommenden Compli- cationen häufig das Richtige, ohne viel zu überlegen. Der. Gedanken- austausch zwischen den Loangonegern und den Portugiesen wird durch sprachliche Missverständnisse kaum je getrübt; denn beide sprechen das Negerportugiesisch und tragen die Schuld an der Ver- stümmelung der gepriesenen „Lingua portuguez“ zu gleichen Theilen. Zu all diesen natürlichen Dispositionen gesellt sich nun der langjäh- rige Aufenthalt, durch welchen nicht allein das Verständniss für die Natur des Negers im Allgemeinen geschärft, sondern auch eine in- time Kenntniss der Gesetze und Sitten der fremden Bevölkerung erlangt wird. Man begreift, dass solche Leute in einem Lande, über welches eine Litteratur nicht existirt, für den Reisenden von grosser Bedeutung werden können, zumal wenn letzterer die erhaltenen An- gaben mit der nöthigen Kritik benutzt und den nicht ausbleibenden Widersprüchen auf den Grund geht. Von Mitgliedern anderer Na- tionalitäten hat der Forscher nur ausnahmsweise andere Belehrung zu erwarten als solche, die er sich in kurzer Zeit durch eigne Er- fahrung verschaffen kann. Land und Leute sind ihnen gleichgültig; sie wollen Geld verdienen, um später in der Heimat leben zu können, ein Zweck, der, nebenbei gesagt, unerwartet selten erreicht wird. Es musste mir also vor Allem darauf ankommen, Banana zu ver- lassen und an passenderer Stelle einen Hebel für meine Arbeit anzu- setzen. In Banana befand ich mich am südlichen Endpuncte der uns gegebenen Operationsbasis. In dem dehnbaren Begriff der Loango- küste war nur das Eine fest, dass sie bis an das rechte Congoufer reichte, über ihre nördliche Grenze aber herrschte Unklarheit. Denn im Norden, d. h. in dem Gebiet des dritten Grades südlicher Breite gab es keinen Fluss, der in so eminentem Sinne eine geographische Grenze herstellte wie der Unterlauf des Congo. Hier ist also eine gewisse Willkür freigegeben, und es lassen sich eben sowol Gründe dafür beibringen, dass die Loangoküste mit dem vierten, als dafür, dass sie erst mit dem dritten Grade südlicher Breite abschneidet. Bis zur letztern Grenze habe ich meine Reisen ausgedehnt, bis dahin rechne ich auch die Loangoküste, weil es mir nicht angebracht er- scheint, den geographischen Begriff eines wenig bekannten Landes durch zu subtile Unterscheidungen mehr einzuschränken als irgend nöthig: ist. Am dreissigsten Juli brach ich von Banana auf, in der Absicht das Küstenland kennen zu lernen. Mein nächstes Ziel war Kabinda. Noch vor meiner Abreise erhielt ich directe Nachrichten von Dr. Bastian, der eine glückliche Fahrt gehabt und die Küste bereits vor 40 : Das Reisen in der Hängematte. . drei Wochen in Kabinda betreten hatte. Er befand sich nun in der vollen Thätigkeit des vielgewandten, energischen Reisenden, durch- streifte das Land in den verschiedensten Richtungen und schlug mir ein möglichst baldiges Zusammentreffen vor. Ich hatte mir ohne Schwierigkeiten zwölf Neger verschafft, von denen die eine Hälfte das in kleine Lasten geordnete Gepäck trug, die andre den Dienst für die Hängematte zu versehen hatte. Last- und Reitthiere sind nämlich ganz unbekannt, selbstverständlich auch Karren und Wagen, und das ausschliessliche Mittel der Fortbewegung für den Weissen ist die Hängematte (portugiesisch „Tipoja“). Sie besteht aus einem läng- lich viereckigem Stück starker Leinewand, das mit dünnen Seilen an den beiden Enden einer armstarken Rippe der Weinpalme befestigt ist; je zwei Neger fassen die leichte, federnde Stange an ihren Enden, nehmen sie auf die Schulter, der Weisse legt sich durch eine geschickte Bewegung hinein, streckt sich lang aus, und fort geht es unter dem lauten Geschrei der Tipojaträger, der Ablösungsmannschaften und der Gepäckträger. Im kurzen Trabe fühlt man sich schnell über den festen Ebbestrand fortgetragen, hart am Saum der ersterbenden Brandung hin, die den Fuss der dahin eilenden Neger bespült. Zum ersten Male sah ich mich allein unter Eingebornen, deren Sitten mir fremdartig waren, in einem Lande, von dem ich Nichts wusste als einige Ortsnamen, ohne irgend eine Vorstellung damit verbinden zu können. Während der Boden unter mir meinen Blicken entzogen blieb, schweifte das Auge auf der einen Seite über die weite, von keinem Segel belebte See; hart zu meiner Rechten aber erhoben sich roth und gelb gefärbte, kahle Steilufer, und Nichts liess ahnen, wie das dahinter gelegene Land beschaffen sein mochte. Es war ein Bild grossartiger Einförmigkeit, das sich auf dieser schmalen, von der Natur vorgezeichneten Strasse entwickelte. Die kümmerlichen Ge- wächse, die kriechend auf dem Strande vegetirten, erhöhten nur den Eindruck der grossen Sterilität; das Meer brandete in gleichförmigem Tacte über dem flach untertauchenden Lande; Nichts deutete auf die Nähe von Menschen. Ausgeworfene Schiffstrümmer meldeten von geschehenem Unglück, über das nun die brennende Sonne und die wasserlose Küste zu spotten schienen. Meine Phantasie war um so lebhafter angeregt, je hülfloser ich in der Hängematte dalag, je weniger ich im Stande war, selbständig eine Bewegung auszuführen. Mit dem Rauschen des Meeres vermischte sich nicht selten der Gesang meiner Neger, nicht melodiöser Gesang in unserm Sinne, sondern eine Art mehr geschrieenen, als gesungenen Recitatives. Die Träger feuern sich dadurch gegenseitig an, was unter Umständen "pusussed 0109987 oula ‘opuenyg we Inzelodıy, Beschaffenheit des Strandes. 41 auch sehr nöthig ist. Denn das Tipojatragen ist eine grosse Kunst, die dem geübten Schwächeren den Vortheil über den ungeübten Stärkeren giebt. Die Schnelligkeit des Fortkommens hängt daher sehr von der Güte der Träger ab und in zweiter Linie von der Be- schaffenheit des Strandes. Bei Ebbestand ist dieselbe am günstigsten, weil der breite Saum durchtränkten Sandes eine glatte, feste Ebene bietet; um die Zeit der Flut aber wird diese von Neuem unter Wasser gesetzt, und es bleibt nur der lockere Sand frei, in dem die Träger kaum von der Stelle kommen und sich schweissgebadet vor- wärts schleppen. Die Tipojastange wird abwechselnd auf die eine oder andere Schulter und auf den Kopf gelegt; durch kurzen Zuruf avertirt der stärkere Hintermann den schwächeren Vorderträger zum Wechseln. Mit sechs Leuten kann man nicht wol mehr als sechs Wegestunden machen; will man schnell vorwärts kommen, so muss man durch vorausgesandte Boten in den Factoreien Relais bestellen. Immerhin darf man per Stunde auf nicht mehr als drei bis vier See- meilen rechnen, bei kurzen Reisen aber kann man deren fünf bis sechs machen. Ich hatte vortreffliche Leute, so dass die Reise schnell von Stätten gieng. Aber ich musste mir doch schon nach kurzer Zeit sagen, dass es für den Reisenden, der beobachten will, kein ungünstigeres B=- förderungsmittel giebt als die Tipoja. Man liegt darin wie in einem offenen Sarge, ist weder im Stande zu schreiben, noch die Compass- nadel abzulesen, weil die stossende Bewegung den Körper unausgesetzt auf und nieder schüttelt; man kann nicht rückwärtsblicken, die zu- nächstliegenden Dinge bleiben verdeckt, das Sammeln naturhistorischer Gegenstände ist eben so unmöglich wie das Entwerfen eines Itine- rars. Ich verliess daher bei dieser ersten Reise sowie bei allen fol- genden, bei denen ich mich einer Tipoja bedienen musste, dieselbe sehr bald und legte den grösseren Theil des Weges zu Fuss zurück. Ein Thaleinschnitt, der sich gegen das Meer öffnet, änderte nach wenigen Stunden die monotone Scenerie. Die kahlen, von hef- tigen Regen ausgewaschenen, vielfach zerklüfteten Steilabfälle hörten auf, und mit dem Verlassen des Strandes betraten wir eine park- artige Landschaft. Von einer erdrückenden Fülle tropischer Vege- tation liess sich zunächst auch hier Nichts wahrnehmen. Aus dunkel- grünem Gebüsch sah ich das gebleichte Geäst der blätterlosen Adansonia digitata (Affenbrodbaum, Baobab) hervorragen; zwischen den Waldinseln des welligen Terrains dehnten sich Flächen aus, die mit den geknickten Halmen vertrockneten Grases bestanden waren, und deren braungraue Töne das ernste Bild der Landschaft nicht heiterer 42 Passiren eines Dorfes. machten. Wieder andere Flächen sahen schwärzlich aus und zeigten die Wirkungen einer Feuersbrunst. Wer hätte bei diesem Anblick ahnen können, dass in wenigen Monaten Fülle und Leben herrschen würde, wo jetzt der winterliche Tod die Kräfte der Vegetation ge- bannt hielt; dass helles Grün den Baobab schmücken, seine grossen herabhängenden, weissen Blüthen sich graciös im Winde wiegen, dass die saftigen Gräser üppig aufschiessen, bunte Blumen im Halbdunkel des Buschwaldes erglänzen würden? Vorläufig standen wir noch in- mitten des südafricanischen Winters, der sich durch Regenlosigkeit, grosse Feuchtigkeit der Luft, Nebel und kalte Nächte auszeichnet, und was ich zunächst sah, war schwer mit den aus der Heimat herüberge- nommenen Vorstellungen von tropischer Landschaft zu versöhnen. Noch während der neue und ungewohnte Anblick mich beschäf- tigte, gaben meine Leute mir durch Zeichen und Worte von Neger- portugiesisch zu verstehen, dass ich die Hängematte wieder besteigen möchte. Ich that wie mir geheissen, begierig zu erfahren, was die Schwarzen veranlassen konnte, sich freiwillig der schweren Arbeit des Tipojatragens zu unterziehn. Sie brachten zunächst sämmtlich ihren Lendenschurz in Ordnung, indem sie die zum Gürtel aufgenom- menen Enden desselben wieder fallen liessen, und dann giengen sie unter lautem Rufen von „to to to to sselle!“ in geschlossener Colonne voran, als ob es sich um eine Attake handelte. Es handelte sich indess nur darum, ein Dorf zu passiren, und zwar mit allem Anstand, den die Landessitte vorschreibt. Dazu gehört für die Schwarzen der wol ajustirte Lendenschurz, der lang genug hernieder- fallen muss, damit den Frauen kein Anstoss gegeben werde. Die Würde des Weissen aber verlangt, dass derselbe nicht zu Fuss, son- dern in der Hängematte ausgestreckt das Dorf betrete. Einige Ma- niokculturen, in denen Negerfrauen gerade mit dem Ausgraben der nahrhaften Knollen beschäftigt waren, zeigten die Nähe menschlicher Wohnstätten an, bald auch erschienen zwischen Palmbäumen und Gesträuch versteckt die ersten Hütten des grossen Dorfes Muanda. Die lebhaften Rufe meiner Leute, die nun den Bewohnern ihre Kraft und Geschicklichkeit zu zeigen wünschten, sorgten dafür, dass Jeder- mann im Dorfe den Durchzug eines weissen Mannes erfuhr. Hübsche Negerkinder, die auf der Strasse spielten, kamen ohne Furcht herbei- gelaufen und begleiteten die Tipoja streckenweise mit übermüthigem Geschrei; hier und da grüsste mich ein Eingeborener, der offenbar zu der vornehmen Classe gehörte, mit Ehrerbietung, indem er ein Knie beugte und den Oberkörper nach vorn neigte; andere, die vor der Hütte sassen, sahen mir ruhig nach, Frauen mit dem Säugling Hütten in Muanda. 43 an der Brust oder denselben rittlings auf der Hüfte haltend, lugten aus etwas gedeckteren Stellungen hervor, aber Niemand belästigte mich oder suchte meine Reise aufzuhalten. Man merkte wol, dass der weisse Mann hier keine ungewohnte Erscheinung war und dass der ziemlich lebhafte Verkehr der Europäer die Strasse längs des Küstensaumes offen erhielt. > Das Dorf machte einen behaglichen und anmuthenden Eindruck. Es gehört, wie der weitere Verlauf der Reise mich lehrte, zu den stattlichsten desLitorals. Die Hütten stehen in mässigen Entfernungen von einander, oft zwischen Grün gebettet, und sind nach einem für die ganze Küste geltenden Modell gebaut. Das Charakteristische daran ist der rechtwinklige Grundriss und das Firstdach, das durch die Neigung seiner Flächen ziemlich stark an die Bedachung der „Schweizerhäuser“ erinnert. Das verwandte Baumaterial ist dasselbe, welches ich bereits in Banana gesehen hatte, aber die Sorgfalt, mit der die Wohnstätten hier daraus erbaut sind, giebt denselben ein ‚unerwartet freundliches Ansehn. Eine europäische Beeinflussung. ist dabei in keiner Weise vorhanden, und deshalb legte mir der Besuch dieses ersten Loangodorfes die Vermuthung nahe, dass die Loango- neger von der niedrigsten Stufe der Cultur bereits weit entfernt sind. Da ich keinen Dolmetscher besass, und mir selbst die Mittel der Verständigung mit den Eingeborenen noch nicht zu Gebote standen, so überliess ich mich den Trägern stillschweigend. Zu meiner Verwunderung machten sie trotz des mehrstündigen Marsches keinen Halt, sondern trugen mich in munterem Schritte durch das weithin gestreckte Dorf, hinaus über die Savane und dann von Neuem dem Strande zu. Hier war das Fortkommen bereits nicht mehr so leicht, wie am frühen Morgen; denn die Flut war stark gestiegen und be- leckte den letzten schmalen Streifen, der noch vom festeren Sand- boden übrig gelassen war. Je nach der Laune der Brandung über- flutete die Welle häufig auch diesen Pfad, schlug über den Knöcheln der Träger zusammen, und zwang dieselben still zu stehen, bis das mit weissem Schaum bedeckte Wasser sich verlaufen hatte. Der steile Küstenabfall, an dessen Fuss der Weg nach Muanda entlang führte, wich nun einer sanfteren Böschung, die sich abwechselnd mit dürren Gräsern oder Strauchwerk bedeckt zeigte. ‘Wir verliessen nach fast sechsstündigem Marsch den Strand zum zweiten Male und steuerten der dem holländischen Hause gehörigen Factorei Vista zu. Bald erreichten wir das weisse, hinter Orange- bäumen versteckte Haus. Die Träger hatten das Nahen der Hänge- matte bereits mit den hergebrachten Rufen und Wechselgesängen 44 Vista, Einrichtung der Factoreien. angekündigt, und noch ehe ich die Tipoja verlassen konnte, trat mir der Agent, ein Portugiese entgegen, und hiess den unbekannten Gast freundlich willkommen. Die Gastfreundschaft wird an der ganzen Küste unbefangen ausgeübt und angenommen und sie ist der wol- thuendste Zug in den gegenseitigen Beziehungen der dort angesessenen Weissen; aber die Art, wie die Portugiesen ihre Gäste aufnehmen, hat durch die natürliche Zuvorkommenheit, die den Südromanen eigen ist, etwas besonders Angenehmes. Meine Leute wurden hier sämmtlich entlassen; denn es ist im Allgemeinen nicht Sitte und jederzeit schwer zu erreichen, dass man Hängemattenträger für mehr als eine Tagestour miethet. Der Ein- geborene, der zwölf Stunden von seiner Heimat entfernt ist, fühlt sich daselbst schon fast wie in einem fremden Land. Bei der Aus- zahlung konnte ich zuerst die Wahrnehmung machen, wie theuer diese Art des Reisens ist. Ein jeder der sechs Tipojaträger erhielt zwölf englische Yards Zeug (fast zwölf Meter) im Werthe von sechs Mark; die Gepäckträger erhielten etwas weniger, so dass der Gesammt- betrag für den sechsstündigen Marsch etwa sechzig Mark erreichte, wozu dann noch mehrere Flaschen Rum und Lebensmittel kamen. Vista war die erste Handelsfactorei, die ich sah, denn in Banana wird nicht eingekauft. Diese Handelsplätze sind alle in ähnlicher Weise eingerichtet, nur mehr oder minder comfortabel. Ursprünglich waren die Wohnstätten sämmtlich nach Art der Negerhütten, jedoch in grösseren Verhältnissen aufgeführt: Dach aus Palmenfiedern, Wände aus den Schaften des Papyrus, Holzthüren und ebenso construirte Fensteröffnungen. Der Boden war ungedielt und bestand aus fest- geschlagenem, lehmigen Thon. Der Papyrus wurde dann durch Bretter verdrängt, die zum Theil in Africa selbst, hauptsächlich in Kabinda hergestellt werden konnten, zum Theil aus Europa kamen. Später ersetzte man auch das Dach durch Bretter, die mit Filz bedeckt wur- den. Das waren grosse Verbesserungen, weil ‚die neuen Constructionen sich viel wirksamer gegen das Ungeziefer der Spinnen, Wespen, Mosquitos und Schwaben schützen liessen als die alten. Der wich- tigste Schritt aber war, dass man die Häuser auf Pfeiler stellte und dadurch trockne und gesundere Räume erhielt; man konnte nun auch den Ratten beikommen, gegen die man bis dahin völlig wehrlos war, denn das naheliegende Mittel, die gefrässigen und widerwärtigen Thiere durch Gift zu tödten, verbot sich von selbst, weil die Ratten alsdann in den unter dem Hause gegrabenen Schlupfwinkeln ver- westen, dasselbe verpesteten und mit verderblichen Miasmen erfüllten. Getrennt vom Wohnhaus befinden sich sowol die Küche wie die Der „Fetisch“. Der „Lingster‘“. 45 Magazine für die eingehandelten Producte und für die europäischen Tauschartikel. Der für letztere bestimmte Raum wird allgemein der „Fetisch“ genannt. Um die naive Komik dieses Namens zu begreifen, muss man längere Zeit unter den Loangonegern gelebt haben. Der- selbe ist offenbar in der lobenswerthen Absicht erfunden worden, etwaige Diebesgelüste, die den Eingeborenen zum Einbruch in den Waarenraum treiben könnten, in religiösen Schauder zu verwandeln. Nun unterliegt es keinem Zweifel, dass die Bewohner der Loango- küste dem Fetischglauben in der crassesten Weise ergeben sind, und in knechtischer Furcht vor der Macht der Fetische des eignen Landes leben; sie werden aber einem Weissen nie und nimmer glauben, dass die Ansammlung so wünschenswerther Dinge, wie europäische Tausch- artikel es für sie sind, jemals einen mit feindseligen Kräften ausge- statteten Fetisch constituiren könnten. Es war mir nicht möglich, bereits in Vista alle die mannigfachen Functionen kennen zu lernen, die dem Lingster obliegen. Bei Ankunft einer Karawane mit Handelsproducten tritt er als Dolmetscher und Vermittler auf; ebenso bei allen Verhandlungen streitiger Natur, die zwischen dem Agenten der Factorei und der umwohnenden schwarzen Bevölkerung nöthig werden; er hat Zutritt zu dem „Fetisch“ und ist bei den Auszahlungen der Tauschartikel zugegen; er beschafft Leute, wenn solche für den Dienst der Factorei gebraucht werden. Auf diesen Mann kommt viel an, und es ist im Hinblick auf die systematisch betriebenen Belästigungen der Eingeborenen von grossem Werthe, wenn derselbe in der Landschaft eine besonders angesehene Stellung einnimmt. Eine längere Beobachtung lehrt nämlich, dass, wenn auch der Neger dem weissen Mann lieber gehorcht als dem Stammes- genossen, sein Wille, seine Furcht und Hoffnung nur von dem letzteren beeinflusst wird, dass der Neger nur durch den Neger über- zeugt oder umgestimmt werden kann. Mein Gastfreund in Vista sorgte in bester Weise für mich und gab, was Küche und Vorräthe liefern konnten. Da die Schwarzen meist geborene Köche sind, so ist man, falls keine Hungersnoth herrscht, in der Regel nicht übel verpflegt. Auch ist man häufig in der Lage das Mal durch ein Glas rothen, portugiesischen Landwein (der in grossen Quantitäten der Küste zugeführt wird) zu würzen. Als Lager erhielt ich, wie auch später in den meisten der kleineren Factoreien, eine Bettstelle mit einer Matratze von Maisstroh; Kopfkissen und Decken führt man schon der Hängematte wegen mit sich. Wir giengen durch alle Räume, und der portugiesische Agent, dessen Ein- samkeit sonst nur von einem weissen Gehülfen getheilt wird, Kargte 46 Der Gemüsegarten. Yaba. Nächtliche Reise. nicht mit seinen Erklärungen. Seine Worte waren mir meist unver- ständlich, aber wir halfen beide durch Zeichen nach. Zuletzt gelangten wir in den Garten. Hier sah ich ein buntes Gemisch von europäischer, africanischer und americanischer Gemüse- und ÖObstflora. Zwischen Erdnüssen, süssen Bataten und Sträuchern von Capsicum - Pfeffer fanden sich Salat, Kohl, Radieschen, Rüben. Hie und da wuchs ein Kaffeestrauch, und neben Cajü- (Anacardium occidentale), dichtbe- laubten Mango- und milchsaftführenden Melonenbäumen (Carica pa- paya) erhoben sich mit Früchten beladene Orangenbäume, eine Spe- cialität für Vista und Kabinda. Die Fortsetzung der Reise führte mich am folgenden Tage in zwei Stunden am Strande hin nach Yaba, einer in der Nähe des Meeres gelegenen Factorei. Auf dem Wege beobachtete ich zum ersten Mal das Auftreten der für die Loangoküste charakteristischen Hyphaene guineensis; diese graciöse Fächerpalme tritt entweder ver- einzelt auf, oder noch häufiger bildet sie lichte Haine, die sich in ge- ringer Breite parallel dem Strande hinziehn. Von hier aus gieng ich, die Küste verlassend, landeinwärts durch Savanen, mit ihren wech- selnden Beständen von Oelpalmen, Adansonien, verfilzten Gebüschen und Grasdickungen nach Kabinda, das an der schönen Bucht gleichen Namens liegt. Da die sechsstündige Reise erst um zehn Uhr Nachts ihr Ende erreichte, so musste ein grosser Theil derselben in der Dunkelheit ausgeführt werden, und die ersten kleinen Reisebe- schwerden, freilich der unschuldigsten Art, stellten sich ein. Wo der schmale Pfad dichtes Buschwerk oder saftiges, hohes Schilfgras durch- schnitt, legte die Tipoja die grünen Wogen auseinander wie ein Schiff, welches die See theilt, während die mit dem durchdringenden Schweisse der angestrengten Träger sich benetzenden Zweige auf meinem Ge- sichte zusammenschlugen. Mehrfach mussten Bäche und stehende Ge- wässer passirt werden, eine umständliche und dem Neuling gefährlich erscheinende Operation. Einer der Leute geht voran und sucht die Furt, dann folgt die Hängematte unter ängstlichem Hin- und Her- reden ihrer beiden Träger. Fällt das Ufer, wie dies häufig geschieht, einige Fuss steil ab, so ist der erste Schritt, den der Vorderträger thut, um das Wasser zu erreichen, ein kleines Ereigniss.. Nun liegt die Tipoja stark geneigt, und der Reisende, dessen Füsse sich über dem Wasser befinden, dessen Kopf noch über dem Steilufer schwebt, hat Mühe sich zu halten; erst wenn der hintere Träger denselben gefähr- lichen Schritt in’s Wasser gethan hat, wird die horizontale Lage wieder erreicht. Der Wasserspiegel streift fast die Hängematte; die beiden Träger tasten vorsichtig auf dem schlüpfrigen oder schlammigen Grund Sümpfe und Bäche. Die alten Königreiche. 47 weiter, bis das gegenüberliegende Steilufer erreicht ist. Der vordere Mann erklimmt dasselbe mühsam, der hintere steht noch im Sumpf, meine Füsse schweben hoch oben in der Luft, der Kopf berührt fast das Wasser, und mit Fassung sehe ich noch im letzten Moment einem unfreiwilligen Bade entgegen. Besonders hülflos erschien ich mir da, wo das Wasser den Trägern bis an die Brust reichte. Sie legten alsdann die Tipojastange auf den Kopf während ich mich mit Beinen und Armen daran festklammerte, und gleichzeitig‘ von einem der Re- serveleute im Rücken unterstützt wurde. Eine unvorsichtige Bewegung meinerseits konnte die Träger zu Fall bringen, die kaum von der Stelle kamen und in der dunklen Nacht Nichts sehen konnten. Mos- quitos kamen in hellsummenden Scharen herbei und benutzten meine Wehrlosigkeit, mich ungestört und ungestraft zu zerstechen. Die sumpfigen Wasser hauchten ihre gefährlichen Miasmen aus, die feuchte Atmosphäre durchtränkte die Kleider mit Thau, und alle Bedingungen für ein Fieber schienen erfüllt. Doch blieb ich vorläufig noch ver- schont davon, erreichte heiteren Sinnes die Bai von Kabinda und schlug mein Quartier bei einem jovialen, alten Sclavenhändler auf, der Alles that, was er mir an den Augen absehen konnte. Von dieser berüchtigten Classe von Leuten ist nur noch eine kleine Zahl an der Küste vorhanden; sie treiben jetzt ausschliesslich legitimen Handel und erscheinen häufig so gutmüthig und wolwollend, dass man Mühe hat, sie mit ihrer Vergangenheit in Einklang zu bringen. Von allen Orts- oder Landschaftsnamen war der Name Kabinda in Europa wol der bekannteste. Portugal hatte gehofft, die Loango- küste mit in den Bereich seiner westafricanischen Coionien ziehen zu können; es glaubte den ersten Schritt hierzu gethan zu haben, in- dem es sich die beiden Herrscher, welche das Gebiet von Kabinda theilen, durch Beweise von Gunst verpflichtete. Diese Politik wäre gewiss durchaus weise gewesen, wenn die Machtverhältnisse jener beiden Herrscher, wie sie der portugiesischen Regierung in offenbar übertriebenen Berichten dargestellt waren, der Wirklichkeit entsprochen hätten. Aber die alten Zeiten waren längst vorbei, wo die Loango- küste mächtige Negerkönigreiche umsäumte, nördlich vom Flusse Tschiloango (5° ı2 s. Br.) das Königreich Loango, südlich davon das Königreich Kakongo mit dem Vorland von Ngoyo oder Kabinda. Die Tradition hat das Andenken an die Zeit der Könige freilich be- wahrt, ihr geheiligtes Blut wird noch heute in den streng geschiedenen, mit Vorrechten überschütteten Nachkommen verehrt, und eine .Anzahl starr festgehaltener, vererbbarer Würdentitel giebt Zeugniss von der einstigen Organisation der nun in Trümmer gefallenen Reiche. Trotz 48 Zwei Kabinda-Häuptlinge. der politischen Anarchie, trotz der auf kleine Dorfterritorien be- schränkten Macht der feudalen Herrscher hat sich das Land seine völlige Unabhängigkeit von Europa erhalten und erscheint nach aussen hin insofern als ein geschlossenes Ganze, als eine grosse Anzahl durch Ueberlieferung geweihter Gesetze und ein gemeinsamer Glaube für alle Bewohner gilt und ihre winzigen Gebiete miteinander verkittet. Relativ durfte die Macht der beiden Herrscher von Kabinda gross genannt werden sowol die des liberalen und wolwollenden Emanuel Puna wie die des durch Uebermuth und Bösartigkeit verrufenen Chiko Franque (+ 1875), aber der Besitz ihrer Territorien hätte der Colonial- gewalt Portugals wenig genutzt. Die Kabindabevölkerung hat durch ihre Wanderlust auch viel dazu beigetragen, dass die politische Be- deutung des Landes überschätzt wurde. Kabindas, wie sie südlich des Congo kurzweg genannt werden, sind längs der ganzen Küste bis nach Benguella und Mossamedes zu finden und vermiethen sich als Matrosen, Schiffer, Zimmerleute, Köche und Schneider. Ohne Frage sind sie intelligent, auch fleissig, wenn es nicht an der nöthigen Aufsicht mangelt; von ihrer Geschicklichkeit erhielt ich sogleich dadurch einen Beweis, dass mir einer der Eingeborenen in wenigen Tagen einen kleinen Reisetisch zurechtzimmerte, und ein anderer ein Beinkleid nach gegebenem Modell zuschnitt und nähte. Von Kabinda habe ich leider nur allgemeine Eindrücke mit fort- nehmen können. Die Folgen eines ärgerlichen Zufalls hinderten mich am Gehen, und als ich hergestellt war, langte ein Brief Dr. Bastians aus dem nördlich gelegenen Landana an und legte mir ein möglichst baldiges Zusammentreffen nahe. Immerhin darf ich sagen, dass kein anderer Theil der Loangoküste so lieblich und pittoresk ist wie gerade die Bai von Kabinda. Die Küste baut sich, das Meer halbkreisförmig umgebend, amphitheatralisch zu grün bewachsenen Hängen auf. Der Pflanzenwuchs ist hier reicher und erscheint trotz der kalten Jahres- zeit üppig. Zahlreiche Culturer und Ansiedlungen der Eingeborenen, mehrere helleuchtende Factoreien sind eingestreut, in Hunderten von prachtvollen Exemplaren ragen die blätterlosen, riesigen Adansonien auf und geben mehr als irgend ein anderes Moment der Landschaft den Stempel des Fremdartigen. Nur wenn die Sonne unverhüllt scheint, der Himmel blau, die See ruhig ist, und das Auge mit einem Blick das weite Meer und die bergige Küste umfasst, können sich Vergleiche mit Küstenbildern des Mittelmeeres aufdrängen. Der Wege von Kabinda nach Futila, den ich nun einschlug, um- kreist die ganze Bucht, die bei guter See stets sehr belebt erscheint. Der Strand ist breit, so fest und eben, dass er zu Wettfahrten be- Die Bai von Kabinda. 49 nutzt werden könnte; an ihn legen sich wie ein Kranz die reichmo- dellirten Steilabfälle der Hügel und Plateaus. Auf diesem flachen Vorland zwischen Berg und Meer herrscht reger Verkehr und thä- tiges Leben; einmal dient der Strand an sich als allgemeine Heer- strasse, und man begegnet hier häufiger als irgendwo anders im Lande kleinen Karawanen von Eingeborenen,. die meist in munterem Schritt ihrem Bestimmungsort zusteuern; dann aber treibt auch der Fischfang die Bevölkerung ganzer Dörfer an das Meer. Man sieht sie schon aus der Ferne in dichten Knäueln wie Ameisen hin und her eilen und kann in der Nähe den Eifer beobachten, mit welchem Jung Fischfang mit primitivem Blätternetz am Flussufer. und Alt an der Arbeit Theil nimmt: hier werden die auf dem Sande liegenden Canoes in die Brandung geschoben, ohne Rücksicht auf die über den Köpfen zusammenschlagenden Wogen; dort sind andre Ca- noes mit reichem Fang von ihrer Fahrt zurückgekehrt, und während die rudernden Männer noch den günstigsten Moment für die Landung er- spähen, stürzt sich ihnen die jubelnde, schreiende Menge von der andern Seite entgegen, um das enorme, aus Pflanzenbast gearbeitete Netz aus dem Meere auf’s Trockene zu ziehn. Nicht nur die Knaben, sondern auch die Männer sind oft völlig nackt, was in jedem andern Falle als die gröbste Indecenz betrachtet werden würde und nur den Fischern bei der Ausübung ihres Berufs gestattet ist. Die Gelegenheit, so viele Menschen der verschiedensten Altersstufen unverhüllt beisammen zu sehn, bot das beste Mittel, etwaige Vorurtheile über den affenartigen Loango. I, 4 50 Futila. Die Savane im Winter. Bau der Loangoneger umzustossen und mir den Eindruck zu hinter- lassen, dass ich es mit einer wolgeformten Race zu thun hatte. Bei Futila verliess ich das Meer und stieg zu dem Plateau auf, welches sich zwischen die Küste und den Unterlauf des Tschiloango- flusses schiebt. Nach Ueberwindung des steilen Abfails, von dessen Rand ein letzter Ueberblick über die Kabindabai gestattet war, be- traten wir die ausgedehnte, mit geknickten Gräsern bestandene Hoch- fläche; freudlos und schwermüthig, mit einem Anflug nordischer Melan- cholie breitete sie sich vor mir aus. Ein Witterungsumschlag hatte die ungewöhnlich lange Reihe heiterer Tage unterbrochen, und nun lagerte ein bleierner, niedriger Himmel über der abgestorbenen Savane. Diese Erscheinung ist während der Monate Juni, Juli und August nur leider zu häufig, und mit Recht nennt man den bezeichneten Jahres- abschnitt die Nebel- oder kalte Zeit. Während derselben regnet es nie, und alle Feuchtigkeit ballt sich zu Nebeln zusammen, die die Sonne oft Tage lang verdecken und dem dürstenden Boden Nichts gönnen als den in kalter Nacht fallenden Thau. Die Savane, über die mein Weg führte, trug alle Zeichen der mehrmonatlichen Trockenheit: Die Gräser standen zum Theil noch mit geknickten Halmen da, zum grösseren Theil waren sie von den Eingeborenen niedergebrannt, nur hier und da ragten noch einzelne verkohlte Büschel aus dem mit Asche bedeck- ten Boden auf; auch die vereinzelt auftretenden Anonaceensträucher waren von der Flamme der grossartigen Feuersbrunst beleckt worden und sahen mit ihren angesengten Zweigen und geschwärzten Blättern traurig genug aus. Allerorten erheben sich aus dem lehmigen Boden die pilzförmigen Termitenbauten; zu hunderttausenden sind sie vor- handen, und wenn man denkt, welche Arbeit durch sie repräsen- tirt wird, so kann man sich eine Vorstellung von der Energie ihrer fleissigen und gefrässigen Erbauer machen. Grau in Grau, wie das Landschaftsbild sich hier mit seinem Himmel, seinem Boden und seiner Vegetation darstellte, machten mir die roth und violett schillern- den, auffallend grossen Heuschrecken besondern Eindruck: sie flatterten in grosser Anzahl umher, und anfänglich hielt ich sie für kleine kolibriartige Vögel. Im Uebrigen liess sich nichts Lebendiges er- schauen, nicht einmal Menschen, obgleich das ganze Plateau von schmalen, tennenhart getretenen Pfaden durchzogen wird. Der Charakter des Landes änderte sich mit einem Schlage, so- bald wir den Rand der zum Tschiloangoflusse abfallenden, falten- reichen Thalwand erreicht hatten. Von einem Standpuncte aus, der etwa einhundert und zwanzig Meter über dem Spiegel des Flusses lag, übersah ich ein bergiges Terrain, das sich vielfach von scharf Schluchten- und Galleriewälder. Tschimfime. 51 eingeschnittenen Schluchten durchsetzt zeigte, während das eigent- liche Tschiloangothal als breite, in nordöstlicher Richtung sich ver- lierende Mulde erschien. Die dunkelgrünen Massen, welche den an einzelnen Stellen sichtbaren Wasserlauf einfassten, deuteten an, dass sich längs seiner Ufer üppige Galleriewaldungen hinzogen, eine Ver- muthung, die sich später in reichstem Masse ‚bestätigte. In nächster Nähe überblickte ich zum ersten Male einen grösseren zusammen- hängenden Wald, einen Urwald im vollen Sinne des Wortes, wie er den feuchten Thalschluchten des Küstengebietes eigenthümlich ist, und wie das Land vor mir ihn in hundertfacher Wiederholung zeigte. Durch einen dieser Wälder führte der Abstieg von dem kahlen Plateau in das reichgesegnete Tschiloangothal. Eine künstliche Ro- dung unterbrach. das Dickicht da, wo sich die Schlucht gegen die Thalsohle öffnete; ein kleines Negerdorf war hier erbaut, und wenige hundert Schritte weiter, zwischen Dorf und Uferrand sah ich das Wohnhaus der zum Besitz des holländischen Hauses gehörigen Han- delsfaetorei Tschimfime. Ringsherum ist der Boden gesäubert, so dass eine ungehinderte Verbindung mit dem Flusse stattfindet; auf dem gegenüberliegenden rechten Ufer tritt der ursprüngliche Wald bis hart an das Wasser, das ich zu meinem Erstaunen nur vierzig Schritt breit fand. Die Windungen des Thals gestatteten weder stromauf noch stromab einen weiten Ausblick, und diese Abgeschlossenheit legte sich wie ein Rahmen um das bewunderte Bild der africanischen Flusslandschaft. \ Mein Gastfreund war Portugiese, durch mehr denn dreiundzwan- zigjährigen Aufenthalt mit der Küste verwachsen, der, wenn er seine Memoiren schriebe, ganz andre Dinge enthüllen könnte, als die Sen- sationsromane vor Ausbruch des Secessionskrieges schilderten. Man sah es an der Zucht, die unter seinen Leuten herrschte, und an der Schnelligkeit, mit der er Befehle und Antworten ertheilte, dass er, um mit Lessing zu reden, den „Rummel“ kannte. Während des Abends, den ich mit ihm verbrachte, kamen wir in das lebhafteste Gespräch; denn zum ersten Mal versuchte ich eine portugiesische Unterhaltung zu führen, und wenn dies auch nur unter Heranziehung meiner gesammten italienischen Sprachkenntniss geschehen konnte, so hatte ich doch zuweilen die Freude, verstanden zu werden und zu verstehn. Es fielen also die ersten Fesseln der Unselbständigkeit, indem ich nunmehr ohne Zwischenpersonen mit Portugiesen wie mit portugiesisch redenden Eingeborenen zu verkehren im Stande war. Der folgende Morgen brachte ein eigenartiges Schauspiel. Aus dem Dickicht ertönte das Gemurmel von Menschen, unterbrochen * 4 52 Eine seltsame Procession. durch rhythmisch geschwungene Holzklappern und angeschlagene Metallglocken, und bald sah ich einen grossen Trupp Eingeborener aus dem Walde auf das freie Terrain der Factorei defiliren. Sie schienen sich um einen Gegenstand zu gruppiren, der von einigen ihrer Leute fortgetragen wurde. Ein Theil der Neger war phantastisch mit Federn geschmückt, ihr Körper mit weissen Streifen bemalt, über der linken Schulter hiengen mit Lappen verzierte kleine Gegenstände herunter. Andere schwangen Feuersteingewehre oder grosse Messer, noch andre hatten leere Glasflaschen in der Hand, alle aber trugen zu dem dumpfen Lärm bei, mit dem der Zug sich der Factorei näherte. Noch ehe die sonderbare Procession zum Stillstand gekommen war, liess sich bemerken, dass eine Hängematte den eigentlichen Mittelpunct derselben bildete. Ein regungslos ausgestreckter, mensch- licher Körper schien darin zu liegen, und mein erster Gedanke war, dass es sich um eine Leichenfeier oder um einen Racheact für den Tod eines Erschlagenen handele. Mein Erstaunen war gross, als der Zug vor dem Hause anhielt, die Menge sich theilte, zwei grosse Fetisch-Holzpuppen aus der Tipoja gehoben und mit andächtiger Sorgfalt auf die Erde gesetzt wurden. Sie waren ungleich hoch, beide etwa wie missgestaltete Zwerge anzusehen, roth und schwarz bemalt, mit mandelförmigen Augen, kurzen Beinen. Sie sahen ganz abscheulich aus, und hätten in einer nach ästhetischen Rücksichten hergestellten Anordnung noch hinter dem Nussknacker unserer Weih- nachtsmärkte rangirt. Brust und Leib zeigten sich mit eisernen Nägeln völlig gespickt, das Haupt umwogte eine Federkrone. An dem kleineren Fetisch war vorn ein Spiegel befestigt, darunter hieng eine Art schottischer Tasche, dem Fellschurz der nationalen Tracht Vornehmer entsprechend; die Hand des erhobenen rechten Arms hielt ein Messer. Glimmende Holzscheite wurden herbeigebracht und zu Füssen des grösseren Fetisches niedergelegt, während der Lärm nach- liess und eine verhältnissmässige Stille eintrat. Mittlerweile hatten sich die zahlreichen Crumanos und der Ling- ster der Factorei um meinen Gastfreund geschart, der der Sache mit der Miene eines gelangweilten Theaterbesuchers zuschaute. Er überreichte dem Lingster vor versammeltem Volk vier eiserne Nägel, mit denen dieser vor das Feuer trat und eine Rede in der Sprache der Bafiote — so nennen sich die Bewohner der Loangoküste — halb zu den Fetischen, halb zu den gegenüberstehenden Schwarzen hielt. Letztere hörten mit ungetheilter Aufmerksamkeit zu und unterbrachen zuweilen den Lingster, indem sie in seine Rede einfielen; zu wieder- holten Malen wurden den Fetischen die vier Nägel vor die mandel- Eine Fetisch-Ceremonie. 53 förmigen Spiegelaugen gehalten, und ihnen dann besonders eindring- lich zu Herzen geredet. Ich konnte nicht umhin, bei dem Sprechen sowol die Volubilität der Zunge wie den Fluss der Rede zu bewun- dern, mit dem Inhalt musste sich meine Phantasie abzufinden ver- suchen, so gut es gehen wollte. Immerhin war klar, dass es sich um eine Mittheilung an die Fetische handelte, -damit sie wüssten, was nun mit ihnen vorgenommen werden solle Der Lingster nämlich legte die Nägel auf das Feuer, hielt zwei davon für seinen Herren zurück und schlug von den beiden andern je einen in jeden der Fetische. Dieser Moment gab das Zeichen für den Ausbruch eines wilden Tumultes. Alles wandte sich gegen die Fetische, sprach und schrie auf sie los, drohte mit wüthenden Gesticulationen, und ich glaubte, ihre letzte Stunde sei gekommen. Doch nein! Sorgfältig wurden sie wieder eingepackt, sobald der Sturm sich gelegt hatte; die leeren Flaschen, die sich in den Händen der Ankommenden befanden, wurden mit Rum gefüllt, eine reichliche Spende von Zeug hinzuge- fügt, und sammt Fetischen und Hängematte verschwand der sonder- bare Zug unter dem Klappern seiner Tschingongo im Walde. Was konnte der Sinn dieser Scene sein, in welcher sich offenbar eine religiöse Ceremonie in theils grotesker, theils leidenschaftlicher Form abspielte? Meine portugiesische Sprachkenntniss reichte für das Verständniss der von meinem Gastfreund gegebenen Erklärung nicht völlig aus. Was ich vorläufig fassen konnte, war, dass Eingeborene des Flussgebiets sich ein Vergehn gegen den Agenten von Tschim- fime hatten zu Schulden kommen lassen (sie hatten ein ihm gehöriges, mit Producten beladenes Canoe weggefangen), und dass nun die herbeigerufenen Fetische durch das Einschlagen der Nägel die Ver- pflichtung zum Auffinden der Uebelthäter übernehmen sollten. Die Leute, welche die Fetische gebracht hatten, waren Bewohner des Dorfes, in dem dieselben bewahrt wurden; sie erschienen unter Führung der Fetischdoctoren, und diese nahmen die Zahlung für die niemals umsonst geleisteten Dienste in Empfang. Das laute Einsprechen auf die Fetische geschah zu dem Zweck, diesen ihre Pflicht klar zu machen, und das Zurückbehalten der beiden Nägel sollte bekunden, dass dem Weissen ein bindendes Pfand verbliebe. Diese Erklärung trifft den Sinn der Sache jedenfalls, aber ich behaupte nicht, dass sie absolut richtig sei. Man sieht, je länger man im Lande verweilt, ein, wie schwer es ist, die wahre Meinung der Fetisch-Ceremonien zu ergründen. Der Detailforschung, aus der sich das allgemeine Princip allein sicher abstrahiren lässt, setzen sich dadurch Schwierigkeiten entgegen, dass die Eingeborenen der In- 54 Der Grundgedanke des Fetischismus. formation sehr abgeneigt sind und entweder Schweigen beobachten oder absichtlich falsche Angaben machen. Die Ansicht, welche ich mir während meines Verweilens in Westafrica über die religiösen Empfindungen und Bedürfnisse der dortigen Neger gebildet habe, lässt sich kurz so aussprechen: Man glaubt an ein höchstes Wesen, Nsambi genannt, aber eben weil es ein höchstes Wesen ist, bedarf der Mensch einer Vermittelung, und gerade diese macht den Kern des Fetischglaubens aus. Man legte gewissen Dingen, materiellen Gebilden natürlichen oder künstlichen Ursprungs, Kräfte bei, die den Menschen gegen die Anfeindungen seiner Mitmenschen wie der Natur schützen sollten, und nannte sie Fetische (simkissi). „Des kranken Weltplans schlau erdachte Retter“! darf man sie mit dem Wort des _ Dichters bezeichnen, denn das Bewusstsein der eignen Ohnmacht und deren Ausbeutung durch betrogene Betrüger hat sie erzeugt. Es ist keine heitere, von Poesie umwobene Religion, mit der wir es hier zu thun haben; im Gegentheil sie ist düster und abstossend, weil sie nur dazu dient, das Böse abzuhalten, nicht aber lehrt, Gutes zu thun. Tschimfime liegt etwa drei Stunden oberhalb der Mündung des Tschiloango. Ebbe und Flut machen sich daselbst so stark geltend, dass der lebhafte Canoeverkehr sich ganz darnach richtet. Auch ich setzte meine Reise zu Canoe fort, indem ich flussabwärts fuhr und vorläufig den Reizen der schönen Landschaft Lebewol sagte. Denn das Zusammentreffen mit dem in Landana meiner harrenden Dr. Bastian war für den Augenblick wichtiger als alles Andere. Mein Gastfreund stellte mir nicht nur sein bestes Canoe und zwölf ausge- suchte Leute zur Verfügung, sondern begleitete mich selbst. In unaufhörlichen Krümmungen windet sich der bräunliche, schmale Wasserstreifen des Tschiloango durch die mit Schlingpflanzen ver- wobene Galleriewaldung. In rascher Fahrt theilt unser Fahrzeug die Woge und trägt den Wechselgesang der Ruderer durch die stille Flur. Zwei Steuerleute sitzen neben einander auf dem Hintertheil des zwanzig Fuss langen Canoes und unterstützen sich gegenseitig, wo eine scharfe Curve oder die Ungunst des Fahrwassers eine schnelle Richtungsänderung verlangt. Die zehn Ruderer haben paarweise auf fünf Bänken Platz genommen und, erzogen in der Furcht des Herrn, verrichten sie in gleichförmigem Tact ihre Arbeit, ohne nach- zulassen. Zuweilen werden sie durch Worte angefeuert, die sich hier nicht wol wiedergeben lassen, den Verhältnissen indessen angepasst sind; auch wird die Nilpferdpeitsche erhoben, zum Zeichen, dass sie existirt und als Damoklesschwert über dem Lässigen schwebt. Die Bewegung des Canoes ist ruckförmig und ohne seitliche Schwankungen, Canoefahrt. Mündung des Tschiloango. 55 durchaus vergleichbar der Bewegung des Kamels. Hier wie dort bedarf es einer kleinen Uebung zur Erlernung deutlichen Schreibens und sicherer Compassablesung während der Fahrt. Wir passiren die am linken Ufer gelegene Factorei Insono, deren später noch Er- wähnung geschehen wird, und allmählich ändert sich das Aussehn der Ufer. Das heitere Grün des üppig wuchernden Waldes verschwindet, die Oelpalmen, die Bombaxbäume, die Phönixpalmen treten zurück, die blühenden Sträucher hören auf, die Lianen finden keine Stütze mehr, und die ernste Region der Mangroven, das Zeichen der Meeresnähe beginnt; ernst ist sie durch ihre Einförmigkeit und durch die vernichtende Herrschaft, welche sie jeder andern Vegetation gegenüber ausübt. Das dunkle Laubdach der Mangroven beschattet ganze Länderstriche, wo es nur immer dem Meerwasser gestattet ist, sich mit dem süssen Wasser der Flüsse zu mischen. Kein andres Beispiel so ausgedehnten Baumschlags bieten die Tropen, denn alle übrigen Wälder sind durch gemischte Bestände charakterisirt. Das Rauschen des Meeres kündet das baldige Ende unserer Fahrt an. Die flachen Ufer werden lichter, denn die Continuität der Rhizo- phoren erleidet durch Palmengebüsche und sumpfige Grasflächen Un- terbrechungen. Das Wasser des Flusses ergiesst sich mit der Ge- schwindigkeit eines Bergstromes in das Meer, nicht weil sein Bett stark fällt, sondern weil die Ebbe gerade heftig ausläuft. Der Tag neigt sich, und bei der letzten Windung sieht man den röthlichen Sonnenball hinter der weissschäumenden Barre verschwinden, einen ‚Augenblick getragen von dem verschmelzenden Laubdach der beiden Uferwälder. Wir legen an, wo der Meeresstrand vom Tschiloango durchbrochen wird. Hier erhebt sich rechts die stattliche Factorei des sehr geach- teten Liverpool-Hauses Hatton & Cookson; links aber ragt einsam ein vereinzeltes, prachtvolles Exemplar der Mangrove aus dem Sande auf. Dieses auffallende Auftreten deutet darauf hin, dass die Strand- verhältnisse Aenderungen erlitten haben, und dass Stellen, die jetzt trocken sind, einst der Feuchtigkeit zugänglich waren; eine Annahme, welche volle Berechtigung hat und sich aus gewissen, heftigen Dü- nungserscheinungen des Meeres erklären lässt. Nördlich und südlich von der Tschiloango-Mündung fällt der Blick auf Hügelbildungen, mit denen die breite Thalmulde des Flusses ab- schliesst. Die im Süden gelegenen haben die Form eines felsigen Vorgebirges, das in steilem Absturz in’s Meer fällt. Nur zur Zeit des Niedrigwassers werden die Trümmerblöcke am Fuss freigelegt, und alsdann ist es möglich, über sie hinwegzuklettern und den ebenen 56 Zusammentreffen mit Dr. Bastian. Weg in der Richtung auf Futila wieder zu gewinnen. Am nördlichen Abhang dieses Vorgebirges liegt Landana, wo Dr. Bastian mich er- wartete. Der Weg dorthin, nur zwanzig Minuten erfordernd, führt über einen schönen Strand, der dem von Kabinda an Breite und Festigkeit wenig nachgiebt. Hinter seinem flachen Dünenwall dehnen sich weite Lagunen aus, die durch Canäle mit dem Tschiloango in Verbindung stehn, und nur Mangrovevegetation aufweisen. Wo aber die eigentliche Thalwand sich erhebt, beginnt sogleich die Mannig- faltigkeit der Savanen, Buschwälder und Adansonien. Das Bewusstsein, nunmehr Dr. Bastian wiederzusehn, belebt von Neuem die schmerzliche Erinnerung an die Katastrophe der „Nigretia“, und bewegten Herzens begrüsse ich den Mann, der mehr als jeder andere bereit war, das Unglück mit mir zu theilen und es zu dem seinigen zu machen. ° Krone der Oelpalme mit Frucht- und Blüthenständen, Wahl der Station Tschintschotscho. — Unter- handlung mit den Häuptlingen. — Errichtung der Station. — Astronomische Beobachtungen. — Bedenken der Eingeborenen. — Reise nach Tschissambo. — Savanen und Thalwälder. — Nsiamputu. — Besuch der Dörfer. — Kriegs- fetische. — Lembefetisch. — Prinz Amaniama in Nkondo. — Ein uralter Negerfürst. — Nächt- liche Tänze. — Der Häuptling von Nkondo- Ndindschi. — Der Tschiloangofluss. — Reise in der Regenzeit. — Tropische Regen. — Uferland- schaft. — Palaver in Mankatta Osobo. — Der Luömmefluss, — Der Lagunenfluss von Massabe, Das Gebiet um Landana wird von den benachbarten Eingeborenen als eine Art Freistätte für die Weissen angesehen. Es liegen daselbst mehrere bedeutende Factoreien, eine hollän- dische, eine französische und eine por- tugiesische. Sehr bald nach meiner - Papyrus-Staude, ie Ankunft siedelten sich auf demselben Territorium auch französische Missio- nare an, erfahrene und gewandte Männer, welche die katholische Station am Gabun ausgesandt hatte. Wir nahmen die Gastfreundschaft des holländischen Hauses in Anspruch. Der Agent, Herr Viervant, that Alles für uns, was er konnte; er wurde der wärmste und aufrichtigste Freund der Expe- 58 Ankauf von Grund und Boden. dition. Der Tod ereilte den trefflichen Mann nach Jahresfrist, als er, vom Klima entkräftet, der Heimat zustrebte: daher ziemt es unserer Dankbarkeit, seinen Namen in Ehren hier zu nennen. Dr. Bastian und ich beriethen unverzüglich, wie die erlittenen Verluste am schnellsten auszugleichen seien. Vor Allem kam es darauf an, die Zwischenzeit auszunutzen und einen geeigneten Punct für die Anlage der beabsichtigten Station zu finden. Diese hatte nach den in Berlin festgesetzten Instructionen einen doppelten Zweck zu erfüllen. Sie sollte in erster Linie ein Stütz- punct für alle von der Loangoküste aus unternommenen Reisen in’s Innere sein; ein Depöt sowol wie eine Vermittlungsstelle für die Be- ziehungen zwischen Europa und der im Innern befindlichen Expedi- tion. In zweiter Linie hatte sie den Zweck, einer systematischen Er- forschung des Küstengebietes in naturhistorischer Beziehaing zu. dienen. Es sollten Sammlungen daselbst angelegt und den heimat- lichen Museen zugesandt werden. Dies erschien um so dankbarer, als das Land in jeder Beziehung unerforscht war. Bei der Aus- wahl des Ortes waren hygienische Rücksichten mit bestimmend. Wir entschieden uns, nach Abwägung der Vortheile, welche die in Aussicht genommenen Localitäten boten, für den Ankauf einer aufgegebenen, beinahe verfallenen Factorei zu Tschintschotscho. Die einzige noch in Betrieb befindliche Factorei weit und breit lag nur wenige hundert Schritt von dem Orte unserer Wahl entfernt, gehörte dem holländischen Hause und wurde von Shr, Moreira, einem Portu- giesen verwaltet; zwischen diesem Manne und der Expedition ent- wickelten sich nach und nach Beziehungen der loyalsten Art, bis auch ihn das Klima dahinraffte. Tschintschotscho gehört zur Landschaft Tschiloango, wie das von den Flüssen Lu&mme im Norden, Tschiloango im Süden einge- fasste Küstengebiet genannt wird. Von der Mündung des letztge- nannten Flusses nur drei Seemeilen entfernt, erhebt sich die Station in 5° 9‘ ı4“ südlicher Breite und 12° 3‘ 45“ östlicher Länge von Greenwich auf einem sandigen Plateau, das fast senkrecht zehn Meter tief gegen den hundert Schritt breiten sandigen Strand abstürzt. Man hat von dieser Höhe aus einen freien, ungehemmten Blick über das Meer, während sich auf der Landseite sanfte Hügel erheben, die letzten Ausläufer des welligen Terrains, das bis zur ersten grossen Wald- barriere reicht. Eine Lagune füllt die nächst gelegene, südöstliche Thalsenkung aus und dehnt sich mit theilweise dichten Mangrove- beständen bis zum Tschiloango; die schädlichen Wirkungen der Aus- dünstungen sind wenig zu fürchten, weil den Tag über, von zehn Uhr Die Häuptlinge um Tschintschotscho. 59 Morgens an, eine frische, oft unerwünscht heftige Seebrise weht und weil der nächtliche Landwind selten aus der Richtung der Lagune kommt. Gutes Trinkwasser quillt, zwanzig Minuten entfernt, aus dem Grunde eines Thälchens hervor, das hinter der nächsten Hügelreihe eingesenkt ist. Die Grasbestände bedecken die Gegend weithin, sind ‚aber vielfach durch kleine Gruppen von Gebüsch und Bäumen wie durch einige grössere Buschwälder unterbrochen. Zahlreiche Culturen, namentlich von Maniok, deuten auf viele Dörfer, die alle unter einan- der durch ein Netz schmaler Pfade verbunden sind. Politisch hängt die Landschaft wen etwa fünf Häuptlingen ab, die unter sich in einer nach Rangstufen gegliederten Gemeinschaft stehen; sie fehlen nie, wenn es gilt von den Fremden ihre Abgaben zu erheben, und mit ihnen hatte ich mich nun in erster Linie zu verständigen. Dr. Bastian war gezwungen, sogleich nach der Auswahl des Platzes für die Station weiter zu reisen, da seine Rückkehr nach Europa nahe bevorstand. Die Abmachungen mit den eingeborenen Machthabern liefen wie immer auf eine Zahlung von Zeug und Rum hinaus. Die Unterhand- lung, das sogenannte „Palaver“, bot keine besonderen Schwierigkeiten, und liess nicht ahnen, zu einer wie zeitraubenden Gedulds- und Ver- standesprobe ähnliche Zusammenkünfte sich gestalten können. Palaver (Fiote: mkanu, Portugiesisch: fundamento) finden nicht nur zwischen Eingeborenen und Weissen, sondern auch zwischen Eingeborenen allein statt und sind der hervorragendste Zug ihres öffentlichen Lebens. Die Bafiote, d. h. die Bewohner der Loangoküste, ersetzen durch das Wort, was bei wilderen Stämmen das Schwert entscheidet, und suchen sich ein bestrittenes Recht vor den versammelten Grossen der Landschaft in tagelangen Redeschlachten zu erkämpfen. Die Häuptlinge um Tschintschotscho führen zum Theil sehr vor- nehme Titel, wie Samano, Mambuku, Muboma, die sie hoch in der socialen Rangordnung der Bafiote stellen. Ausser ihnen giebt es noch eine Anzahl kleinerer Herren, die sich am liebsten als feudale Grafen und Marquis betrachtet sehen würden. Alle sind einig in dem Streben, dem Weissen auf gütliche Weise oder durch Quälerei und Unver- schämtheit das erreichbar grösste Quantum an Zeug und Rum zu entlocken. Man darf sie darum nicht schelten, denn sie handeln im guten Glauben, und vor solchem war ja selbst das Ketzerverbrennen gerechtfertigt. Die Thätigkeit, die mir zunächst bevorstand, war keine benei- ‚denswerthe: ich hatte aus der elenden Hütte von Papyrusschäften, die sich auf dem schlecht eingezäunten Hofe erhob, eine bewohnbare Stätte nicht nur für mich, sondern für alle noch zu erwartenden Ge- 60 Einrichtung der Station. fährten herzustellen. Ausschliesslich auf schwarze Handwerker an- gewiesen, mit denen ich mich nur auf das Nothdürftigste verständi- gen konnte, und die sich zu doppelter Faulheit berechtigt fühlten, weil sie es mit einem Neuling zu thun hatten, sah ich mich gezwun- gen, selbst den Bauaufseher zu spielen und wochenlang, Tag für Tag, die Machtlosigkeit des Europäers gegen den passiven Widerstand des Africaners zu fühlen. Von dem alten Hause blieb kaum mehr stehen als die Pfosten und die Unterlage des Daches. Ich liess aus Kabinda Bretter kommen, um den Boden zu dielen; die Eingeborenen der Nachbarschaft fertigten neue Papyruswände und ein neues Dach an, es wurden Thüren und Fenster gezimmert, die nothwendigsten Tische verfertigt und Küchen- und sonstige Hausgeräthschaften aus Banana und Landana bezogen. Nach zweimonatlicher Arbeit war Alles we- nigstens nothdürftig fertig, die Station konnte functioniren und bot Platz für fünf Europäer, die sich dann freilich sagen mussten, unter allen Weissen der Küste am bescheidensten untergebracht zu sein. Nach Ankunft des Dr. Falkenstein (November 1873) gieng die Sorge der Instandhaltung und Erweiterung der so geschaffenen Heimat auf diesen über, da meine Aufgaben mich von Tschintschotscho fern hielten, und ich daselbst nur noch im Interesse auszuführender Reisen zu verweilen hatte. So wenig nun diese erste, dem Bau der Station gewidmete Zeit die Wünsche nach Explorirung fremder Gegenden erfüllte, so war sie mittelbar doch von grossem Werth; denn sie stellte mich mehr und mehr auf eigne Füsse und lehrte, wie auch ohne Unterstützung eines bereits erfahrenen Weissen mit den Eingeborenen zu verkehren sei. Im Allgemeinen sind die neu ankommenden Europäer geneigt, die Neger mit einer gewissen Bonhommie zu behandeln, weil sie deren gefährliche Eigenschaften unterschätzen und gegen die schäd- lichen Folgen eines falschen Auftretens durch die respectirte Autori- tät ihres Gastfreundes oder durch ihre eigne untergeordnete und deshalb nicht verantwortliche Stellung geschützt sind. Denn die Ein- geborenen wissen sehr wol, dass es in jeder Factorei immer nur Einen giebt, der Befehle ertheilt und die Verantwortlichkeit hat; an diesen halten sie sich und suchen sich seines kleinen Fingers zu bemäch- tigen, um dann die ganze Hand zu bekommen. Ein gleichmässig ruhiger Ernst, Gerechtigkeit, Strenge und vornehme Freigebigkeit, nicht aber Verschwendung, tragen am meisten dazu bei, dem Weissen Ansehen bei der schwarzen Bevölkerung zu geben. Aber es ist. ausserordentlich schwer, stets auf der schmalen Bahn des Gleichmuths zu wandeln, sich niemals zum Zorn oder zu rücksichtsloser Bestrafung: Astronomische Beobachtungen. 61 hinreissen zu lassen; es kommen Stunden der Verzweiflung, der Krankheit, des Verraths, wo man ein Gott sein müsste, um ruhig zu bleiben. Alle Zeit, welche ich nicht mit meinen schwarzen Bauleuten und mit Beschaffung des Baumaterials oder des stets zerbrechenden Hand- ‚werkszeuges verbrachte, wurde zu Ausflügen in die nächsten Um- gebungen sowie zur Anknüpfung neuer, stets instructiver Beziehun- gen mit alten Küsten-Portugiesen verwendet. Die kalte Nebelzeit war noch nicht zu Ende, die Gräser sahen noch grau, die mächtigen Adansonien unbelaubt aus; die Nächte waren so kalt, dass ich auf meiner Maisstrohmatratze unter zwei wollenen Decken schlief und selbst bei Tage wärmer gekleidet gieng, als wir es bei uns im Hoch- sommer zu thun.pflegen. Meine astronomischen Beobachtungen, die sowol zur genauen Bestimmung der Lage der Station wie auch, um die Taschenuhren stets in Controle zu halten, an allen klaren Abenden durchgeführt wurden, beschäftigten mich häufig in der ersten Hälfte der Nacht und ihre Berechnung am folgenden Tage. Gerettet aus dem Schiffbruch waren drei Taschenuhren, ein Prismenkreis, der Quecksilberhorizont und die Jahrbücher; ferner zwei Aneroidbarometer, ja sogar ein Thermometer, das unversehrt an dem zerbrochenen, von Prof. Neumayer in Australien gebrauchten, der Expedition geschenk- ten Quecksilberbarometer erhalten war. Es fehlte mir also Nichts für die nächtliche Arbeit. Nur that ich vielleicht des Guten zu viel, wenn ich die Beobachtungen länger ausdehnte, als absolut erforder- lich war. Es schien mir aber nöthig, für die wichtige Aufgabe der geographischen Ortsbestimmung diejenige Uebung zu erlangen, die sich nur auf africanischem Boden selbst erwerben lässt. Denn man kann in der anmuthenden Ruhe einer europäischen Sternwarte ein sehr guter Beobachter sein und wird dennoch in Africa, nament- lich bei Sextanten-Beobachtungen, anfänglich mittelmässige Resultate erhalten. Dem häufig ermüdeten, durch Krankheit geschwächten oder durch heranziehendes Fieber erregten Körper fehlt oft die stetige, sichere Hand, nur zitternd vermag man das Instrument zu halten; dem auf dem Boden aufgestellten Quecksilber-Horizont droht von Seiten umherlaufender Hunde, Schweine oder Ziegen die Gefahr der Ver- schüttung; neugierige Neger — sie brauchen gar nicht feindlich gesinnt zu sein — führen ein lautes, auf die Manipulation des Weissen bezüg- liches Gespräch oder tanzen singend bei lautem Trommelschlag; Mos- quitos kommen in immer erneuten Scharen, setzen sich auf Stirn, Nase und Hand des Beobachters und folgen ihm, wenn er sich vor der Laterne zusammenkauert, um Uhr und Instrument abzulesen 62 Klimatische Einflüsse. Zahlmittel. und die Ablesungen anzuschreiben. Diese an sich kleinen Leiden sind für eine Beschäftigung, deren ganzes Wesen auf Präcision beruht, von einschneidender Wirkung; sie gestalten sich zu Fehlerquellen, die das Resultat empfindlich schädigen könnten, wenn sie nicht durch Ge- wöhnung und Abhärtung eliminirt würden. So kommt es, dass die schliehten Zahlenangaben der geographischen Länge und Breite, durch die wir einen Ort auf der Karte Africas fixiren, meist die Frucht mühseliger Arbeit sind. In den ersten sechs Wochen meines africanischen Aufenthaltes fühlte ich mich körperlich wol. Nach der langen Seereise konnte die wiedererlangte Freiheit der Bewegung und der Action nur wol- thuend wirken; die Hitze hatte nichts Bedrückendes, und ein stets reger, zuweilen an Heisshunger streifender Appetit stellte sich ein. Nur der Moment des Erwachens war stets unbehaglich und zeigte, dass der Körper in’ fremdartige Lebensbedingungen gestellt war. Ich fühlte alsdann ein ungewohntes Ziehen in den Gliedern, ein über- mässiges Verlangen, mich zu recken, hatte einen benommenen Kopf und konnte mich einer sorgenvollen Stimmung nicht erwehren. Erst nachdem ich mir äusserlich und innerlich einen gehörigen Stoss ver- setzt, gehörte ich ganz dem neuen Tage an und freute mich der neuen Existenz. N Diese erste Zeit des Wolbefindens täuscht gar leicht über die Zukunft und befestigt die bei vielen Neulingen anzutreffende Mei- nung, dass wol alle übrigen Menschen dem zerstörenden Einfluss des Klimas, besonders dem Fieber unterworfen sein mögen, dass sie selbst aber sicher davon verschont bleiben würden. Ein gesunder Pessimismus liess mich in dem Eintreten des Fiebers nur eine Frage der Zeit sehn, die sich denn auch nach sechs bis acht Wochen des Auf- enthaltes in Loango erfüllte. Zu den Künsten, die der Anfänger möglichst bald zu lernen hat, gehört die des Bezahlens. GemünztesGeld kenntman, wie schon erwähnt, nicht. Im Verkehr der Weissen unter einander werden zwar alle Berechnungen nach portugiesischen Reis fracos aufgestellt, den Ein- geborenen gegenüber aber wird nach Zeugeinheiten gerechnet, nach dem sogenannten Cortado (auch Peca genannt) und nach dem Panno. Es ist ein Cortado — vier Pannos = sechs englischen Yards. Als Wertheinheit gilt ein Stück Baumwollenzeug mittlerer Güte von der Länge eines Cortado. Die Stoffe werden schon in Europa so gelegt, dass man kein Mass nöthig hat und nur die Lagen eines Stückes ab- zuzählen braucht, um zu wissen, wie lang es ist. Die Neger, die an der Grenze des Litorals und des Buschlandes wohnen, behaupten frei- Misstrauen der Eingeborenen. 63 lich, zwei Pannos seien so viel Zeug, als sie mit ausgestreckten Armen spannen könnten. Die Factoreien pflegen für den Cortado ein Milreisfracos, etwa drei Reichsmark, und darüber zu berechnen. Der Werth aller übrigen Tausch- artikel wird nun dem entsprechend ausgedrückt. Es gelten z. B. ein grosses Faschinenmesser zwei Pannos, eine kleine gewebte Mütze einen Panno, ein Tischmesser einen Panno, zwei kleine Spiegel einen Panno, ein Hemd sechs Pannos, ein baumwollener Schirm vier Pannos, eine Gallone Branntwein vier Pannos. Von den beiden, ursprünglich mir zuertheilten Mitgliedern der Expedition musste von Görschen bald nach seiner Ankunft in Africa zurückkehren, von Hattorf aber befand sich noch in Banana. Die ganze misstrauische Neugier der Eingeborenen concentrirte sich also auf mich. Ein Weisser, der ein Haus gekauft hatte und keinen Handel darin trieb, der ganz gegen alles Herkommen zu Fuss und ohne Hängematte die Gegend durchstrich, sich in den Dörfern um- schaute, die gewöhnlichsten Geräthschaften betrachtete und fortwäh- rend in einem Buche schrieb, der endlich bei Tage die Sonne und Nachts bei Laternenschein die Sterne beobachtete und auch dabei noch schrieb — was konnte der wollen? Die Fama, nirgendswo so geschäftig wie in Africa, trug die Kunde von mir schnell weithin. Einige vornehme Eingeborene wandten sich heimlich an lang ange- sessene Weisse, um zu erfahren, in welcher Absicht ich gekommen sei? Unter Anderem wurde ihnen geantwortet, in „Mputu,“ das heisst in Europa, sei ein Stern verloren gegangen, und ich sei ausgeschickt worden, ihn im Lande der Schwarzen wiederzufinden. Aber das be- ruhigte nur Wenige. Ein grosses Misstrauen blieb zurück, und ich musste Alles von der Zeit und einem gerechten, aber furchtlosen Auftreten erwarten. Da die für den dauernden Aufenthalt in der Station bestimm- ten Gefährten erst im November erwartet wurden, die verlorne Aus- rüstung der Expedition in Europa neu beschafft werden musste, die Regenzeit nicht mehr fern war, so durfte ich an Unternehmungen grösseren Umfanges vorläufig nicht denken. Wol aber schien es angezeigt, das Terrain darauf hin zu recognosciren, wo dem Vor- dringen in’s Innere der geringste Widerstand entgegengesetzt werden würde; und um keine Zeit zu verlieren, unternahm ich die erste dieser Reisen bereits im September 1873. 64 Ein Marsch durch’s Land. Der europäische Handel hat von dem schmalen Küstenstrich aus seine Fühlhörner, namentlich längs der Flussläufe, schüchtern aus- gestreckt, jeden Augenblick gewärtig, sie wieder einziehn zu müssen. Zur Zeit meiner Ankunft gab es mehrere von Weissen oder Mulatten besetzte, vorgeschobene Posten, über die hinaus man noch ohne grosse Mühe bis zu den Wohnsitzen derjenigen schwarzen Händler vordringen konnte, die mit jenen Europäern in directer Handelsverbindung stehn. Ich brach in der Frühe des achtundzwanzigsten September mit meinen Leuten auf und durchschritt das Hügelland zwischen der Küste und der einige Stunden nördlich davon gelegenen Lagune von Tschissambo. Der Weg führt durch Savanen, hebt und senkt sich innerhalb einer Höhendifferenz von siebzig Metern in ununterbrochenem Wechsel, so dass ebene Strecken kaum vorkommen. Eigentliche Wälder werden nicht passirt, wol aber sieht man von den Rücken der Hügelzüge zuweilen auf die Laubdächer der Thalwälder hinab, die für diese Gegend so charakteristisch sind. Ein Busch, den man durchschreiten muss, zeigt mehr strauchartigen Habitus, weil hoch- stämmige Bäume selten sind. Der Boden ist trocken und das blau- grüne Laub contrastirt mit den lichteren Färbungen der Schlingge- wächse. Von einer kleinen Anhöhe aus sieht man auf eine zum Meer sich öffnende Thalsenkung, die mit kleinen Gruppen von Fächerpalmen bestanden ist. Rechts und links vom Wege liegen einige elende Dörfer, und man durchschneidet ein Dorf des Mambuku von Nsonyo, des zweithöchsten im Range unter den steuererhebenden Grossen von Tschintschotscho. Nach zweistündigem Marsch steigt man über ein grünes Vorland zur Lagune hinab, deren breiter Wasser- spiegel von unten entgegenschimmert. Es herrscht feierliche Stille ringsum; ein Volk Reiher ist das einzige, was diese unterbricht. Am Ufer der Lagune aber wird es wieder lebendig. Der Agent der Factorei von Tschissambo hat seine Neger mit dem Canoe über die Lagune geschickt, um mich an der verabredeten Stelle abzuholen. Sie langen nach mir an und wollen nicht aus dem Canoe in’s seichte Wasser steigen, um es näher dem Ufer zu bringen. Unter lautem Schreien sucht ein Jeder die sämmtlichen übrigen Gefährten zu diesem Opfer zu überreden, bis endlich Alle aussteigen und das Fahrzeug bis auf zwanzig Schritt gegen das Land schieben. Sorg- fältig werde ich von zweien meiner Leute durch den morastigen Boden getragen und nehme im Canoe Platz, das auf beiden Seiten von den im Wasser stehenden Schwarzen umgeben ist. Einer sucht den Andern von vorzeitigem Einsteigen abzuhalten, und lebhaft dis- putirend steuern sie mit dem Fahrzeug dem tieferen Wasser zu; au! Il) Partie der Lagune unweit Tschintschotscho. [ Die Lagune von Tschissambo. 65 schon nach wenigen Schritten steigt einer der Neger ein; dagegen protestiren die andern, indem sie selbst einsteigen. Dadurch aber wird das Canoe wiederum so belastet, dass es in dem noch immer seichten Wasser festsitzt, und neuer Streit darüber beginnt, wer und wie- viele nun aussteigen sollen. Neues Aussteigen, neues Schieben, neues Einsteigen, neues Festsitzen; so geht unglaublich viel Zeit verloren, bis man endlich mit allen seinen Negern wirklich schwimmt und in nordnordöstlicher Richtung der Mitte der Lagune zusteuert. Gleich zur Linken befindet sich der Abfluss, der sich dicht bei Massabe mit dem Lu&mmefluss vereinigt und der selbst wieder aus einer Reihe von Lagunen besteht. Die Lagune von Tschissambo gleicht einem norddeutschen Waldsee; das Wasser sieht schwarz aus wie das der Spree; es ist brakig, aber die Neger trinken es. Die Ufer steigen sanft an, einzelne höhere Hügel, die wenige hundert Fuss nie über- schreiten, wechseln mit Savanen und waldigen Böschungen. Das Wasserbecken ist elliptisch, die grösste Breite misst zwei und eine halbe Seemeile, die grösste Länge drei Seemeilen. Die zurückzu- legende Strecke war also nicht gross, obgleich wir die Lagune in ihrer ganzen Länge zu durchschneiden hatten. Trotz der nur andert- halbstündigen Fahrt zeigten sich die Leute, welche im Stande sind sechs Stunden hinter einander zu rudern, viel lässiger als auf der Tschiloangofahrt. Das kam hauptsächlich daher, dass jetzt der Herr fehlte, und dass die Neger ähnlich von mir dachten wie Soldaten von dem General einer fremdländischen Armee, nämlich, dass er ihnen eigentlich gar Nichts zu befehlen habe. Dies hielt mich indessen nicht ab, sie anzutreiben. Das Wort „kuila“, d. h. rudern, hatte ich bereits aus der Fiotesprache aufgeschnappt, ebenso einige der beliebtesten por- tugiesischen Scheltwörter; in wechselnder Folge, mit dem nöthigen Muth ausgesprochen, verfehlten sie ihre Wirkung nicht, die noch durch Anschlagen der Hand an die Wandung des Canoes erhöht wurde. Die Art und Weise des Ruderns fand ich analog der bereits beobachteten: die Neger sassen auf den Rändern des Canoes etwa fünf auf jeder Seite und setzten ihre kurzen Handruder im Tacte ein; hinten befanden sich die beiden Steuermänner auf gemein- samer Bank. Da die Leute sich freier fühlten, so entwickelte sich auch ihr Gesang freier; sein rhythmisches Einerlei erhielt durch den improvisirten Text stets neues Leben. Das Ganze stellte sich als eine Art von Recitativ dar. Einer der Leute begann im singenden Ton eine Geschichte zu erzählen, die an bestimmten Absätzen von dem Chor in conventioneller Weise aufgenommen wurde. Zuweilen liess sich nur ein murmelndes Piano vernehmen, zu andern Zeiten aber, Loango. I. 5 66 „Matabischu.“ Factorei Tschissambo. , namentlich wenn die Improvisation zur Begeisterung und zum Applaus hinriss, entstand frenetisches Gebrüll. Dazwischen wurden auch por- tugiesische Strophen eingeschaltet, die ad usum Delfini d. h. für den Weissen bestimmt waren, und in denen die beiden Worte „branco matabischu“ die Hauptrolle spielten. Branco heisst Weisser, matabischu aber ist eine Verstümmlung von „matar o bicho“, wörtlich den Wurm tödten, bildlich Schnaps trinken, und zum Hauptwort gemacht, ein Glas Schnaps. Kein Wort wird an der Loangoküste so häufig ge- hört wie das Wort Matabischu, es entspricht in dieser Beziehung dem Bakschisch Aegyptens. In Tschissambo empfing mich mein Gastfreund Miguel Reale, ein Spanier, jedenfalls einer der erfahrensten Männer an der Küste. Die wenigen Spanier, die seit der Einführung des legitimen Handels im Loangolitoral zurückgeblieben sind, werden dort zu den Portugiesen gerechnet, haben auch deren Sprache und Sitte völlig angenommen, so dass die nationalen Gegensätze nur zum Ausdruck kommen, wenn der Wein oder das Spiel die Gemüther erhitzt hat. Tschissambo liegt unter 5° 0,'o südlicher Breite und 12° 6,'2 öst- licher Länge von Greenwich. Es ist eine sehr einsame Factorei, die von Don Miguel ausserordentlich praktisch hergerichtetist. Das Haus ruht auf Pfeilern und ist aus den armdicken Blattrippen der Bambuspalme erbaut. Von der Veranda übersieht man den See, während sich auf der andern Seite eine grosse, von Wald umschlossene Grasfläche hinzieht. Jede Factorei trägt mehr oder weniger den Stempel ihres Besitzers; wer mit den westafricanischen Verhältnissen vertraut ist, sieht sogleich, ob ein erfahrener Mann darin wohnt oder nicht; im ersteren Fall ist ein Garten vorhanden, der die Küche mit Salat und Gemüse versorgt, es fehlt nicht an Hühnern, Enten und Ziegen, noch einigen Hammeln, weil stets der rechte Moment wahrgenommen wird, wo diese von den Eingeborenen gezogenen Hausthiere zum Verkauf angeboten werden oder weil die Eingeborenen dem einem Händler zuführen, was sie dem andern verweigern. Die Küche ist im Stande und besitzt einen Backofen für die Brotbereitung. Die Crumanos sind in strenger Zucht und sorgen dafür, dass die Factorei, der Hof, die eigenen Hütten ein reinliches Aussehn haben; es giebt einen Wäscher, einen Schneider und einen Tischler. Vor Allem ist für einen guten Koch gesorgt, der seine Kunst nach portugiesischen Traditionen aus- übt, dabei aber gewisse Reminiscenzen der einheimischen Küche bei- behält. Es herrscht das Streben, die europäischen Conservenbüchsen .nur im Nothfall zu öffnen und die Malzeit aus dem herzustellen, was das Land selbst liefert. Ein Elfenbeinschnitzer. Nkondoreise. 67 In diesem Sinne hatte Miguel sein Hauswesen eingerichtet. Ich sah hier zum ersten Mal Feigenbäume cultivirt und fand die Früchte durchaus wolschmeckend. Auch bot sich mir die Gelegenheit, einen Elfenbeinschnitzer zu beobachten, den mein Gastfreund hatte kommen lassen. Ich traf den schwarzen Künstler in einer Ecke der Veranda, auf einer Matte sitzend, in seine Arbeit versenkt, einen grossen Stosszahn haltend. Die Art und Weise, wie er zu Werke gieng, er- schien mir wegen der Einfachheit der angewandten Mittel besonders bemerkenswerth. Auf einer den ganzen Zahn umwindenden Spirale ist, an die Anordnung der Trajans-Säulen erinnernd, eine Anzahl (vierzig bis hundert) Figuren aufgezeichnet, die zunächst mit einem spitzen Stück Metall eingeritzt werden; daraus wird mittelst zweier kleiner Meissel, zuweilen auch mit Nägeln, und einem Holzklöppel ein Basrelief herausgearbeitet, und das Ganze alsdann mit einem kleinen Messer geglättet. Mehrere Zähne dieser Art sind in den Berliner und Leipziger Museen aufgestellt. Don Miguel hatte versprochen, mich nach Nkondo zu begleiten, wo der Prinz Amaniama, ein sehr einflussreicher Neger und grosser Händler, wohnte. Dadurch wurden mir alle Lasten, die auf spätern Reisen den besten Theil meiner Zeit und Arbeitskraft beanspruchten, abgenommen, und ich konnte, unbekümmert um widerspänstige Trä- ger und intriguirende Negerfürsten ganz meiner Beschäftigung leben und wenigstens für kurze Zeit das Ideal einer Forschungsreise ver- wirklicht sehen, das die folgenden Jahre in Trümmer zerschlugen. Nkondo lässt sich in zwei Tagereisen erreichen. Unser nächster Zielpunct war die weit und breit isolirte Factorei Nsiamputu. Auf dem Wege dorthin schien es besonders anziehend, den allmählich sich ändernden Charakter der Landschaft aufzufassen. Das Terrain bleibt zwar hügelig und coupirt, aber die Gliederungsmomente nehmen grossartigere Dimensionen an, die Rücken werden breiter, dieSchluchten- wälder ausgedehnter. In grösserer Zahl als bisher, in einzelnen Exemplaren über die Savane ausgestreut, tritt ein verholzter Strauch auf, die Anona senegalensis, wegen ihrer orangegelben Früchte von den Negern „Mblolo m ntandu“, d. h. Melonenbaum der Savane ge- nannt. Mit diesem Strauch wechselt beim weiteren Vordringen eine Hymenocardia ab, ein graciöser Baum halb Oliven-, halb Myrten- form, die „Pallabanda“ der Eingeborenen. Er charakterisirt die Savane auf weite Strecken und giebt ihr ein bis dahin unbekanntes Ansehn. Seiner Rinde werden ähnlich giftige Eigenschaften zugeschrieben wie der des Nkassabaumes, als deren Surrogat sie bei Gottesgerichten, verwandt und dem der Zauberei Angeklagten eingegeben werden sr 68 Charakter des Landes. soll. Aber auch die Wälder erscheinen nun mannigfaltiger und gross- artiger: die hochstämmigen Bäume mehren sich, die verholzten Lianen haben trotz ihrer phantastischen Verschlingungen oft fussdicke gewundene Stämme. Bei den häufig nothwendigen Passagen durch die Sümpfe der Thalsohlen entfaltet der Urwald seine ganze Pracht, die in der Vereinigung der verschiedensten Pflanzentypen besteht: Hochwald, niedersinkende Lianen und aufschiessende Blattgewächse sind innig mit einander zu unentwirrbarem Pflanzenchaos verbunden. Was solchen Anblick noch eindrucksvoller macht, das sind die schroffen Uebergänge von einer Vegetationsform in die andere — von der Savane zum Walde und wiederum von diesem zur Savane. Der Wald ist eben in erster Linie an Feuchtigkeit gebunden, die ihm hier die Thalfalten allein in genügender Menge bieten; die trockneren Hügelrücken und die plateauähnlichen Flächen giebt er der Savane frei. Der Weg sucht die Höhen so viel wie möglich zu halten und pflegt die Thäler in ihren oberen, nicht bewaldeten Anfängen zu durchschneiden. Oft aber ist dies nicht möglich, und dann senkt er sich steil ab, um nach dem Passiren eines ebenen Sumpfes ebenso schnell wieder bergauf zu führen; und so kommt es, dass man im Laufe einer Viertelstunde den üppigsten Tropenwald und die oft trostlose, dürre oder niedergebrannte Grassteppe sieht. Indessen ist die letztere doch nicht so eintönig, wie man glauben möchte, wenn man sie in der trocknen Jahreszeit kennen gelernt hat. Sobald die ersten Regen der im October beginnenden heissen Zeit die Reize des äquatorialen Frühlings entfesseln, brechen zarte, saftige Gräser aus den verdorrten Flächen der Savane hervor und entwickeln sich je nach ihrer Eigenart zu undurchdringlichen Grasdickungen oder zu dem graciösen Habitus unserer wogenden Kornfelder. Wie sich ein nordeuropäisches Waldgebiet mit Eichen-, Buchen-, Tannen-, Birken- wäldern bestanden zeigt, so gleicht die westafricanische Savane einer Folge von Gramineenwäldern; den vier verschiedenen Arten von Gräsern, die hauptsächlich zu ihrer Bildung beitragen, entspricht ein vierfacher Typus der Savane. So undurchdringlich dieselbe auch erscheinen mag, so lässt sich nach ihrem Niederbrennen im Winter doch leicht erkennen, dass die einzelnen Grasbüschel in ziemlich bedeutender Entfernung aus dem Boden treten und denselben mit einem weitmaschigen Wurzelnetz bedecken. Die verschiedenen Gräser sind von sehr verschiedener Höhe; am mächtigsten entwickelt sich die Art mit dem schilfförmigen Habitus; die damit bestandene Savane ist völlig undurchdringlich, in ihr würde ein Reiter mit Pferd gerade verschwinden, und selbst auf den Vegetation. Nsiamputu. 69 schmalen Pfaden ist nur dann ein mühsames Vordringen möglich, wenn dieselben durch lebhaften Verkehr offen gehalten werden. Andere Grasdickungen lassen sich ohne Weg passiren. Im allgemeinen fürchten sich die Eingeborenen davor, nicht‘ nur weil die Stoppeln umgeknickter Halme sogar ihren verhornten Sohlen wehe thun, son- dern weil sie behaupten, dass die Grannen der Äehren, wie die vielfach empfindlich schneidenden Halmblätter ihnen Hautkrankheiten verur- sachen. Das weglose Umherwandern in der Savane birgt stets noch eine Gefahr, gegen die man übrigens in Africa ganz ausserordentlich gleichgültig wird, die Gefahr der Schlangen. Da man den Boden nicht sehn kann, so wird man auch nicht ein etwa vorhandenes gif- tiges Reptil gewahr, und tritt man auf dasselbe, so wird man gebissen. Oelpalmen (Elaeis guineensis) finden sich in den Wäldern des durchreisten Gebietes nur zerstreut, aber an den Rändern sind sie nicht selten. Ihr geselliges Auftreten gestattet meist, auf die Nähe von Dörfern oder einst bewohnter Stätten zu schliessen. Wo im Dickicht Palmenbestände auftreten, — es ist dies meist nur an sehr feuchten Stellen der Fall — werden sie durch die Weinpalme (Raphia vinifera) gebildet. Fast unbekannt ist die Kokospalme und nur in wenigen Exemplaren an der Küste vorhanden. In Westafrica über- nimmt die Oelpalme die Stelle, die jenem Baum für einen grossen Theil der Erde zugewiesen ist. Wir passirten auf dem Wege von Tschissambo nach Nsiamputu mehrere Dörfer, sämmtlich desselben Charakters. Sie liegen nie inmitten des Waldes, sondern stets auf offener Savane, mit Anlehnung an den Wald. Bananenstauden, die in den nördlicheren Gegenden förmliche Bestände in der Nähe mensch- licher Wohnsitze bilden, werden hier nur vereinzelt angetroffen. Mit der Annäherung an Nsiamputu tritt die Savane mehr gegen den Wald zurück, was auf einen grösseren Faltenreichthum des Terrains schlies- sen lässt. Von der sechzig Meter hoch gelegenen Factorei übersieht man mehrere Gruppen zusammenfliessender Thäler, die alle dicht be- waldet sind, so dass man sich mitten in ein ausgedehntes Waldgebiet versetzt glauben Könnte; und es ist wunderbar, wie sehr man nament- lich des Morgens, wenn die Waldnebel aufsteigen und die Tem- peratur noch niedrig ist, bei solchem Anblick an die deutsche Hei- mat erinnert wird. Die Illusion wird erst zerstört, wenn etwa plötzlich ein Volk grauer Papageien pfeifend zum nächsten Walde fliegt, der Blick auf eine Palme fällt, oder ein Neger die Betrachtung durch irgend ein überflüssiges Anliegen unterbricht. Was über den Weg von Tschissambo nach Nsiamputu gesagt ist, behält für das ganze Terrain zwischen Tschissambo, Nkondo, 70 Verlegung von Dörfern. Benennungen. Osobo und Nsiamputu seine Gültigkeit. Die späteren kleinen Reisen, die ich gelegentlich in diesen Gebieten unternahm, lehrten Neues nicht kennen, bestätigten aber die Richtigkeit der ersten Auffassung. Alle zurückgelegten Wege (Tschissambo — Nsiamputu, Nsiamputu — Nkondo, Nkondo— Tschikambo, Tschikambo— Tschissambo) sind genau von mir mittelst Taschencompass, Uhr und Aneroid aufgenommen und durch astronomische Festlegung der Endpuncte controlirt wor- den. Die Reproduction des Itinerars würde die beste Vorstellung von den unaufhörlichen Schwankungen der Wegrichtung, dem unun- terbrochenen Wechsel zwischen Berg und Thal, Wald und Savane geben, würde aber aus eben diesem Grunde ganze Seiten füllen. Die Arbeit, ein Itinerar herzustellen, ist häufig eine äusserst undank- bare, muss aber gemacht werden, auch wenn sie durch die Beschaf- fenheit des Terrains so detaillirt wird, dass die Geographie kein In- teresse mehr daran nimmt; denn die Vorstellungen des Reisenden bauen sich aus dem Detail auf, und je mehr er davon besitzt, desto zutreffender wird seine allgemeine Schilderung sein. In der Nähe von Nsiamputu liegen mehrere Dörfer, die ich be- suchte; zunächst das Dorf, von dem die Factorei ihren Namen hat. Dasselbe ist jüngeren Ursprungs, wie denn das Entstehen neuer Dörfer überhaupt nichts Ungewöhnliches ist. Der Anlass dazu wird entweder dadurch gegeben, dass eine Familie mit ihren Sclaven sich von der bisherigen Gemeinschaft loslöst, um als ein selbständiges Ganzes auf- zutreten, oder dadurch, dass ein bereits bestehendes Dorf aus irgend einer abergläubischen Befürchtung an eine andre Stelle verlegt wird. Die Bauart der Hütten gestattet es, eine solche Dislocirung innerhalb . weniger, selbst eines einzigen Tages auszuführen. Das Dach wird abgenommen, die Papyruswände von den in der Erde befestigten Pfosten losgebunden, letztere herausgezogen, die zahlreiche Familie bemächtigt sich der Theilstücke, fort geht’s zur neuen Stätte, und rasch ist das alte Heim wieder aufgeschlagen. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Negerhütte ein Mittelding ist zwischen dem be- weglichen Zelt und dem unverrückbaren Steinhause. Nsiamputu heisst eigentlich „Nsi a Mputu“, d. h. Land Europa, ein Phantasiename, den der Begründer des Dorfes sich ausdachte, um sich ein Relief zu geben. Wol allen Namen der Negerdörfer liegt eine Bedeutung zu Grunde, wenn sie auch nicht immer direct zu ermitteln ist, weil der Name an irgend ein Ereigniss anknüpft. Beispielsweise das früher erwähnte Dorf Nsonyo in der Nähe von Tschintschotscho. „Nsonyo“ heisst in der Fiotesprache Schande: das Dorf wurde von einer aus Kakongo vertriebenen Familie er- . Fetische. Lembehütte. Ndodschi. 71 baut, und zur ewigen Schande des Usurpators nannten die Flüchtlinge die neue Heimat „Nsonyo nandi“ d. h. Schande ihm. Pontanegra (Black Point) an der Küste heisst bei den Eingeborenen „Tschikungula“, weil daselbst der Strand gut zum Baden ist, und „kukungula“ baden heisst. So liesse sich eine ganze Reihe von Namen herzählen. In den besuchten Dörfern fehlte es vor Allem nicht an Feti- schen, die auf offner Strasse ausgestellt waren. Sie wurden mir als Kriegsfetische (bumba) bezeichnet. Hier war es eine hölzerne Figur zwischen zwei eingepflanzten Bäumchen, mit einem leeren Wasser- gefäss zur Seite, das in Kriegszeiten gefüllt wird, dort eine andre Holzpuppe zwischen zwei eingegrabenen Feuersteingewehren, oder zwischen zwei in den Boden gesenkten Lanzenspitzen. Dann wurde mir ein eingezäunter Strauch gezeigt, der auch Fetisch war, und von dem es hiess, dass, wenn man ein Blatt davon esse, man selbst kugelfest werde und seinen Gegner erschiesse. Eine etwas abseits gelegene Hütte fiel dadurch auf, dass sie von einem hohen Zaun aus Papyrusschaften umgeben war, hinter dem sich ein Baum als Wahr- zeichen erhob. Sie ist unter dem Namen Lembehaus bekannt und darf nur von dem Ehepaar betreten werden, das durch den Lembe- fetisch vereinigt ist; alle andern Neger betrachten es als unverletzlich. Daher wird eine so geweihte Hütte gern zur Aufbewahrung der kostbaren beweglichen Habe benutzt, gerade so wie das Parthenon dem atheniensischen Staatsschatz als Schatzkammer diente. Der Lembefetisch ist eine Art Orden, in den nur vornehme Neger ein- treten können. Die Ritter dieses Ordens tragen einen kupfernen, eiselirten Ring am rechten Handgelenk und geben einer ihrer Frauen einen glatten, in gleicher Weise zu tragenden Ring, durch welchen diese vor den übrigen Frauen dauernd ausgezeichnet bleibt. Den Zugang zu jedem der Dörfer fand ich durch irgend ein auf den Weg gelegtes und daselbst befestigtes Stück Holz, oder durch eine horizontal ausgespannte Schnur symbolisch versperrt; auch diese Dinge gelten als Fetisch und haben den Zweck, alle mit bösen Ab- sichten in das Dorf Eintretenden unschädlich zu machen. Denn die Neger stehen unter der unbestimmten Furcht, dass ein Ndodschi d. h. ein Zauberer ihnen begegnen könne. Einem solchen wird die Macht zugeschrieben, Böses zu thun, Krankheit, Tod und Hungersnoth zu veranlassen, und nur mit dem Beistand eines noch mächtigeren Fetisches lässt sich sein Zauber bannen. Daher die grosse Bestürzung, wenn ein Unfall sich zugetragen hat; denn dann muss ein Ndodschi vorhanden sein; es wird gemuthmasst, verdächtigt, angeklagt, das Gottesgericht muss entscheiden, und erbarmungslos wird der schuldig 72 Einrichtung in Hütten. Frauenpflichten. Befundene von der empörten Menge niedergeschlagen, seine Gebeine werden verbrannt, die Asche in alle Winde verstreut. Die Bewohner zeigten sich freundlich und gestatteten gern, dass wir in ihre Hütten eintraten, wo dann wieder neue Fetische zu er- blicken waren. Man erfreut sich aber wenig an dem Anblick der widerwärtigen, roth und weiss bemalten Holzpuppen, oder an den Anhäufungen schmutziger Lappen, kleiner Antilopenhörner, mit Harz und Erde verschmierter Schneckengehäuse, die einen Fetisch darstellen und den glücklichen Besitzer auf seinen Spaziergängen begleiten. Das Innere der Hütten sah im Uebrigen ziemlich kahl und unbehag- lich aus. Auf dem tennenharten Lehmboden brannte meist ein Feuer, davor lag eine Matte, auch wol ein hölzernes Stuhlkopfkissen, selten einmal ein erhöhtes Lager. Viel angenehmer war es, die sau- ‘ bere Art zu betrachten, mit der ein junges Negerweib den Maniok für ihren Gebieter zubereitete. Denn das Kochen ist eine der drei Hauptpflichten, welche die verheiratete Frau zu erfüllen hat; die andre ist, das Feld zu bestellen, die dritte, dem Manne Kinder zu schenken. Ich sah nun, wie die durch mehrtägiges Liegen im Wasser wolgebleichten Wurzelknollen in frische Bananenblätter gewickelt und so über dem Rande eines mit Wasser gefüllten Kochtopfs auf- gepackt wurden, dass das Ganze wie ein grosser Kohlkopf aussah. Also nur die Dämpfe des kochenden Wassers dienten zur Garberei- tung. Den Feuerherd bildeten drei Thonklumpen, welche die schon erwähnten Termitenbauten der Savane liefern; sie sind so hart, dass die Neger auch ihre Messer daran schleifen. Wir hatten unsere Ankunft in Nkondo vorher melden lassen und wurden, obwol seither niemals Weisse bis dorthin gekommen waren, mit grösster Bereitwilligkeit aufgenommen. Es war ganz natürlich, dass ich aus solchem spielenden Vordringen günstige Schlüsse auf die Zukunft machte. Nkondo ist das grösste aller Dörfer, das ich je in Westafrica gesehn; es zählt dreihundertfünfzig bis vier- hundert Hütten, von denen viele ein stattliches oder doch wenigstens sauberes Ansehn haben. Höchst überraschend aber war es mir, plötzlich vor einem aus Brettern gezimmerten, auf Holzpfählen ruhenden Hause zu stehn, das ganz nach dem Muster der eleganteren euro- päischen Factoreien, nur in kleineren Dimensionen, ausgeführt war. Die Prachtliebe des Prinzen Amaniama hatte diesen Bau durch einen schwarzen Zimmermann aus Kabinda aufführen lassen. Der Luxus er- schien um so grösser, als das Haus von dem Eigenthümer nie bewohnt wurde, der sich in seiner nach Landessitte erbauten Hütte viel woler fühlte; aber auch in Africa ist Grössenwahn nichts Unbekanntes Kochkunst. Fürst Amaniama. 73 und hat in einigen, besonders vom Glück begünstigten Prinzen das Streben erzeugt, es den Weissen nachzuthun. Wir hatten jedenfalls den Vortheil von der Sache, da man uns in dem Hause einquartierte, wo es weder an Bettgestellen noch an Tischen und Bänken fehlte. Auch wurden wir bald nach der Ankunft mit einem Frühstück rega- lirt, das Zeugniss von dem angeborenen Talent der Eingeborenen zum Kochen gab und die Art und Weise der einheimischen Speisezube- reitung kennen lehrte. Natürlich spielte dabei das aus frisch zer- stampften Früchten bereitete Palmöl.und der Negerpfeffer (Capsicum) die Hauptrolle. Mit diesen Zuthaten wurden sowol geräucherte Fische wie ein zerschnittenes Huhn wie auch die über einer Raspel zerkleinerten, jungen Maniokblätter gewürzt, während gedämpfter Maniok die Stelle des Brotes und der Kartoffeln vertrat. Dazu wurde uns Palmwein in reichlicher Menge vorgesetzt, ein Getränk, das frisch vom Baum kommend, süss und angenehm schmeckt, nach wenigen Stunden aber anfängt sauer und berauschend zu werden. Unsere Ankunft hatte selbstverständlich das ganze Dorf in Auf- regung versetzt. In gewaltiger Escorte wurden wir durch dasselbe hin- durchgeführt, und Prinz Amaniama gieng in seinem braunen Bedienten- rock mit gelben Knöpfen stolz an unserer Seite und gab auf alle meine Fragen den ausgiebigsten Bescheid. Nkondo ist ein so grosses Do’f, dass es mehrere Prinzen und viele vornehme Neger unter seinen Be- wohnern zählt. Der eigentliche Herrscher dieses Orts sowol wie der Umgebungen ist der alte Fürst Kokodo, Amaniamas Vater, der mit seinem jüngeren, einige Stunden entfernt wohnenden Bruder, dem Fürsten Ndindschi, sich in den Besitz der Landschaft Ndindschi theilt. Dieses Ndindschi (wonach Nkondo zur Unterscheidung von andern Nkondos den Namen Nkondo Ndindschi erhalten hat) bildet eine Uebergangsprovinz vom eigentlichen Litoral zu dem ausgedehnten Waldgebirge Yombe oder Mayombe, von dem noch die Rede sein wird. Dorthin unternimmt Prinz Amaniama Handelszüge, die er um so leichter bewerkstelligen kann,.als es ihm nicht an Leuten fehlt. Die Eingeborenen des Litorals dünken sich bereits mehr als die von Nkondo und nennen sie Bayombe oder Buschleute, was diese indess als eine grosse Beleidigung betrachten. Im Allgemeinen herrscht ja bei den Bewohnern der Landstriche, die sich mehr und mehr vom Meere entfernen, das Streben, auf jeden hinter ihnen, d. h. nach innen zu liegenden Stamm herabzublicken und dagegen zu protestiren, wenn man sie zu diesem zählt. Ein Bavili (Küstenneger) will kein Bayombe, ein Bayombe kein Bakunya, ein Bakunya kein Bayaka sein u. s. w. Man würde indess zu sehr falschen Vorstellungen gelangen, 74 Ein uralter Loango-Fürst. wenn man derartige Anschauungen der Eingeborenen auf weite Ge- biete hin für berechtigt ansähe. Denn von zwei äquatorialen Reichen des Continents, dem des Königs Munsa und dem des Muata Yanvo wissen wir bereits, dass sie eine höhere Culturstufe einnehmen als die der Küste näher gelegenen. Es galt nun vor Allem, dem alten Kokodo, dem Beherrscher von Nkondo, unsere Aufwartung zu machen. Man hatte mir ausser- ordentlich hohe Angaben über sein Alter gemacht, und ich war begreiflicher Weise sehr gespannt. Man erzählte, er könne gar nicht mehr essen und lebe schon seit Jahren ausschliesslich von Rum und Palmwein. Wir traten durch den hohen Papyruszaun, der die Wohnsitze der Vornehmen gegen die Aussenwelt absperrt, und fanden den alten Herrn auf einer Matte in einer Hütte sitzend, deren Giebelwand man herausgenommen hatte Wir nahmen auf einer schmalen Bank ihm gegenüber im Freien Platz; und während die zum Hause Amaniamas gehörigen Leute hinter uns als Gefolge stan- den, war Kokodo von seinem zahlreichen Hofstaat und der noch zahlreicheren Familie umgeben. Amaniama vermittelte die dürftige Unterhaltung zwischen uns und seinem Vater. Der Anblick schien die Angaben über Kokodos hohes Alter zu rechtfertigen; er war fast zur Mumie zusammengeschrumpft, erschien ganz stumpf, und der rothe Uniformrock mit dem goldgestickten Kragen und den silber- gestickten Aermelaufschlägen, den man ihm umgehängt hatte, erhöhte noch die schaudervolle Aehnlichkeit mit einem anthropoiden Affen. Ausser einem Geschenk übergaben wir, wie üblich, eine Flasche Rum, die während der Audienz in formaler Weise geleert wurde. Der Hofmarschall Kokodos credenzte seinem Fürsten das Glas, das dieser in mehreren Absätzen mit einer Langsamkeit zu Munde führte, wie man sie sonst nur bei halbgesättigten Chimpansen wahrnimmt; darnach gieng die Flasche um, und Alle tranken secundum ordinem. Die Reihe der Söhne Kokodos, die ich mir gegenüber sah, begann bei einigen grauhaarigen und endete mit einem etwa dreizehnjährigen Knaben. Da ich wusste, dass die Neger nicht nur ihre leiblichen Söhne, sondern auch ihre Sclaven mit „Muana“, d. h. Kind bezeichnen, so fragte ich ausdrücklich nach dem wahren Verhältnis. Amaniama antwortete mir in gebrochenem Portugiesisch, der Betreffende sei ein „Sohn des Weibes“, kein „Sohn des Zeuges“ d. h. kein mit Zeug bezahltes Kind, kein Sclave, sondern ein leibhaftiger, vom eigenen Weibe geborener Sohn. Im Grossen und Ganzen herrschte nicht gerade sehr viel Feier-. lichkeit und Ehrerbietung gegen den uralten Greis vor, und seine Die Hütte einer Jungfrau. 75 Umgebung schien mit ihm zu scherzen. Wir verabschiedeten uns nach zehn Minuten durch Handschütteln und setzten den Weg durch das Dorf fort. Eine kleine, zierliche Hütte, nach einer Seite hin halb offen, innen ganz mit Matten ausgeschlagen, fesselte meine Aufmerksam- keit. Ein junges Mädchen, eben zur Jungfrau erwachsen, sass darin, nur dürftig mit einem Lendenschurz bekleidet, aber über und über mit dem rothen Pulver des Tukula-Farbholzes eingerieben; dies konnte der Tadellosigkeit der Formen indessen Nichts nehmen, deren Ebenmass und zarte Fülle mit dem kindlichen Gesichtsausdruck des Mädchens contrastirte. Daneben sass ein altes Negerweib, welchem die Rolle der Wärterin oder Beratherin zuertheilt schien. Derartige öffentliche Ausstellungen, gegen welche unsere Sitten sich empören würden, sind in jenen Gegenden durchaus nichts Ungewöhnliches und erscheinen den Eingeborenen um so natürlicher, als es sich in der That dabei um sehr natürliche Dinge handelt. Das Haus, in dem das junge Mädchen wohnt, heisst das „Haus der Jungfrau“, die nun mannbar ist, und wer Gefallen an ihr findet, darf sie zur Ehefrau begehren, oder in das losere Verhältniss des legitimen Concubinats zu ihr treten. Als die Nachmittagssonne sich neigte, hatte ich natürlich den Wunsch, einige Höhen mit dem Reflexions-Instrument zu nehmen, um eine Zeitbestimmung zu erhalten und dadurch eines der Daten für die spätere Berechnung der Positionen von Nkondo. Dies war nun freilich ein heikles Ding, und man konnte nicht wissen, wie die Neger die zauberische Procedur aufnehmen würden. Indess wurde Amaniama durch meinen Gefährten Miguel vorbereitet, und unter der Autorität des Prinzen gelang es wirklich, die Beobachtungen vor- zunehmen, während mich die Bürger von Nkondo in mässiger Ent- ‘ fernung flüsternd umstanden. Mittlerweile hatte Miguel die ganze Flut der Fragen auszuhalten, die an ihn gerichtet wurden, aber er wusste sich aus der Affaire zu ziehen und sagte: Ihr wisst doch, dass die Sonne im Meere untergeht? Der Weisse will nun wissen, ob sie auch im Meere aufgeht. Deshalb ist er von der Küste zu Euch gekommen und von Euch will er weiter ziehen, immer tiefer in’s Land hinein, bis er die Sonne aus dem Meere aufsteigen sieht. Leider aber hatten die Manipulationen, welche gewisse Fetischdoctoren bei Beschwörungen anwenden, eine solche Aehnlichkeit mit den bei mei- nen Beobachtungen nothwendigen, dass der Glaube blieb, ich sei ein europäischer Nganga, d.h. ein Doctor. Für das Beobachten mit Re- flexions-Instrumenten ist es bekanntlich erforderlich, dass man Queck- 78 Verdacht der Zauberei. Ein Tanzfest. = silber in eine flache, auf den Erdboden gestellte Schale giesst, um dadurch einen ebenen Spiegel herzustellen. In diesem betrachtet man nun das zu beobachtende Gestirn. Weil das Auge aber hierfür in einer bestimmten Entfernung und Richtung vom Quecksilberspiegel sein muss, so pflegt ein Hin- und Herneigen des Kopfes und auch des Körpers erforderlich zu sein, damit die richtige Stellung gefunden werde. Genau dasselbe aber thut der Fetischdoctor, der bei Mond- schein seine Künste treibt. Er legt nämlich einen kleinen Spiegel auf die Erde und betrachtet darin den Mond, indem er Haupt und Körper geheimnissvoll bewegt und hin und her dreht. In einem neben dem Spiegel aufgestellten Gefäss finden sich flüssige Zauber- mittel, die der Nganga in eine andere Schüssel mittelst einer aus einem Blatte geformten Düte umgiesst. Der Schüssel entsprach nun vollständig die Flasche, aus welcher das Quecksilber in die Schale gegossen und in welche es vermittelst einer Papierdüte zurückgefülit wird. Das Quecksilber selbst war das eigentliche Zaubermittel. Es konnte also den Negern kaum ein Vorwurf gemacht werden, wenn sie mich mit scheuem Bangen operiren sahen und sich selbst unbe- wusst zu meinen Zaubereien in Beziehung gesetzt glaubten. Der wichtige Tag, an welchem sich zuerst Weisse gezeigt hatten, war für Nkondo ein Feiertag, dem nächtlicher Tanz nicht fehlen durfte. So wurde denn eine grosse Festlichkeit arrangirt, welche die ganze Nacht bis zur aufgehenden Sonne währte und eine Quelle nie versiechender Lust für alle Betheiligten zu sein schien. Diese Neger- tänze sind stets Quadrillen, da man Rundtänze gar nicht kennt. Sie unterscheiden sich vor Allem von den bei Europäern üblichen Ver- gnügungen dieser Art dadurch, dass die Anwesenheit des weiblichen Geschlechtes durchaus nicht erforderlich scheint, und dass jeder Tan- zende seinen Beitrag zur Musik der Trommeln durch lautes, rhyth- misches Singen liefert. Auch hierbei ist die bei den Canoefahrten erwähnte Improvisation des Einzelnen, dem der Chor antwortet, be- liebt. Die innige Versenkung des Tänzers in seine Beschäftigung ist sehr charakteristisch: er betreibt sie wie der Gelehrte seine Wis- senschaft — um ihrer selbst willen — und nimmt nur so viel Rück- sicht auf die nächststehenden Mittänzer als nöthig ist, damit seine eigne Bewegung nicht gestört wird. Der Platz, dessen er bedarf, ist äusserst gering; sein Tanz besteht mehr in einem Treten auf der Stelle und intensiven Körperbewegungen, namentlich Drehungen der Hüfte, als in einem raschen Dahinfliegen über den Boden. Die Musik liefern Trommeln von jener Art, welche die Bafiote „Ndungu“ nennen. Die Ndungu ist eine Langtrommel und besteht aus einem zwei bis fünf Ein mürrischer Fürst. Rückreise, 77 Meter langen, konisch verjüngten Hohlcylinder von etwa fünfund- zwanzig Centimetern Durchmesser an dem breiteren, mit Fell über- spannten Ende. Diese Trommel wird geschlagen, indem der Spielende sie wie ein Steckenpferd zwischen den Beinen festklemmt und mit beiden Händen, zuweilen mittelst eines Trommelstockes, auf dem Fell herumarbeitet. Tänzer und Spieler lösten sich unter einander ab; je länger der Tanz dauerte, desto lauter wurde die Freude; die drehenden Bewegungen, das Singen, Improvisiren, Schnapstrinken regten die Phantasie der Betheiligten mehr und mehr auf; auch ältere Neger, vornehme Leute liessen sich fortreissen, nachdem sie eine Zeit ruhig zugesehen hatten, tanzten inmitten der Uebrigen und wurden zu neuen Improvisationen begeistert; ein Glück für Alle war es, dass der neue Tag der Lust ein Ziel setzte. Wir nahmen am folgenden Tage den Rückweg über das Dorf des Häuptlings von Ndindschi, der für mächtiger gilt als Kokodo, hatten uns vorher anmelden lassen, wurden aber vor dem Dorfe, wie mir schien, in misstrauischer Weise empfangen; ich sah, dass die Freude Amaniamas, uns in Nkondo zu sehen, doch etwas sehr Indivi- duelles war. Der Prinz erschien als ein äusserst stattlicher Mann, der trotz seines uns zu Ehren angelegten grünen Bedientenrockes mit schwarzen Achselschnüren durchaus nichts Lächerliches hatte. Seine ernste, düstere Miene gab ihm etwas Vornehmes, und niemals wieder sah ich den Typus des Grand Seigneur bei Africanern so zur Erschei- nung gebracht wie hier. Ueber die Mitte der Stirn lief ein rother Strich, zwei orangegelbe Puncte waren den Schläfen und zwei weisse Puncte den Ohrläppchen aufgemalt. Eine jener feinen Mützen aus Pflanzenfasern, mit erhabenen Mustern gewebt, in ihrer Form an neapolitanische Fischermützen erinnernd, bedeckte sein Haupt; im Uebrigen trug er das geschmackvoll geschürzte Lendentuch der Ba- fiote; die Fussgelenke zierten silberne Beinringe; eine gewirkte Jacke bekleidete den Oberkörper, darüber war der grüne Rock gezogen. In seiner Begleitung befanden sich zwei Neger, auf deren Brust und Armen weisse Striche gezogen waren, eine Malerei, deren sich Fe- tischdoctoren mit Vorliebe bedienen. Wir schieden nach kurzer Unterhaltung und traten die Rückreise über Winga und Bussinde nach Nsiamputu an. Von dort kehrte ich auf dem alten Wege nach Tschintschotscho zurück. — Ich unterbreche hier die chronologische Darstellung meiner Er- lebnisse, um dieselbe erst im nächsten Capitel wieder aufzunehmen, und gebe die Beschreibung der beiden Reisen, die zur Aufnahme der Flussläufe des Tschiloango und des Luämme dienten. Diese Flüsse 78 Unrichtige Flussnamen. begrenzen, wie schon erwähnt, das eben beschriebene Gebiet, und die Station Tschintschotscho liegt auf dem ihre Mündungen verbin- denden Küstenstrich. Selbstverständlich lagen frühere Vermessungen nicht vor, und es handelte sich hier, wie bei allen übrigen Reisen, um wissenschaftliche Pionierarbeit. Sogar in den Namen widersprechen sich die Karten. Der ursprüngliche und richtige Name des Flusses, der unter 5°12‘,o südlicher Breite, ı2° 5,6 östlicher Länge von Green- wich in das atlantische Meer mündet, ist Loango Luse, so nennen ihn die Eingeborenen von Kakongo noch heute, während unter den mei- sten Händlern und den Loangoleuten der Name Tschiloango allein gebräuchlich ist, und die, Wenigsten von ihnen wissen, was Loango Luse bedeutet. Der Name Kakongo aber, den einige Karten auf- führen, ist weder Schwarzen noch Weissen bekannt und sollte von nun an verschwinden. Es giebt überhaupt keinen in’s Meer münden- den Fluss dieses Namens; der einzige, der darauf Anspruch machen könnte, weil er aus den Lagunen von Kakongo kommt, ist der bei Futila mündende Mbele. Fälschlicher Weise ist auch der bei Massabe mündende Lu&ämmefluss als Loango Luse bezeichnet worden, wodurch die Verwirrung nur noch grösser wurde. Es lässt sich nicht verkennen, dass der Tschiloango (ebenso wie der Lu&mme) für die allgemeine geographische Betrachtung des un- geheuren Continents nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Aber für den Handel an der Loangoküste und für die landschaftliche Physiognomie des Landes ist er bestimmend. Trotz der selten ganz ruhenden Differenzen zwischen den Weissen und den Bewohnern der Uferlandschaft, trotz des übermüthigen Auftretens der vielen, gerade dort in grosser Zahl vorhandenen privilegirten Prinzen, des Absper- rens der Schiffahrt, des Wegstehlens beladener Canoes, des meuch- lerischen Schiessens aus dem Dickicht hat sich schon vor Jahren eine grössere Zahl europäischer Factoreien einige Stunden oberhalb der Mündung angesiedelt und erhalten. Die natürlichen Verhältnisse waren eben zu günstige, als dass sie nicht doch ihr Recht behaup- . teten. Denn sowol die Producte des Inneren, für welche Nkondo der Stapelplatz ist wie auch die aus der Landschaft Sunda kommen- den (durch welche der Weg nach Boma am Congo führt) fanden in dem schiffbaren Flusse die am leichtesten passirbare Strasse zur Küste. Indessen blieb der Weg von den Factoreien flussaufwärts den Weis- sen versperrt, und ganz ausnahmsweise war es einigen wenigen por- tugiesischen Händlern gelungen, die Barriere zu durchbrechen. Im März 1874 aber lagen die Verhältnisse so günstig, dass ich davon Nutzen zu ziehen beschloss. Einer meiner portugiesischen Tschiloangofahrt. 79 Freunde, Shr. Saraiva, der in Insono am Flusse Tschiloango für das holländische Haus Handel treibt, war von den Bewohnern von Osobo aufgefordert worden, sich zur Schlichtung einer alten Streitigkeit dahin zu begeben, und wir hatten verabredet, die Flussfahrt gemein- sam zu unternehmen. Die Jahreszeit war nicht eben günstig, denn die Zeit der „grossen Regen“ war da und machte gerade während der Reise ihr Recht geltend. Bis zum Monat März 1874 hatten wir freilich mit den abnormsten Witterungsverhältnissen zu thun und litten unter einer Dürre, die in ihrer Weise höchst verderblich für meine späteren Unternehmungen wurde. Im Allgemeinen ist ja gerade die Regelmässigkeit in dem Ablauf der meteorologischen Er- scheinungen für die Tropen charakteristisch; sie lässt sich leicht nach den Meridianständen skizziren, welche die Sonne zu verschiedenen Zeiten des Jahres einnimmt, und ich halte es für das allgemeine Verständniss geboten, hier eine solche Skizze für Loango einzu- schieben. Alle Gebiete der Tropen haben das mit einander gemein, dass die Sonne zweimal im Jahre scheitelrecht steht. Die Zeiten aber, zu denen dies eintritt, ändern sich mit der geographischen Breite. Der Fall, der uns hier interessirt, ist der des fünften Grades südlicher Breite. Für diesen lässt sich die folgende Tabelle aufstellen, welche in abgerundeten Zahlen angiebt, wie hoch die Mittagssonne zu ge- wissen Zeiten des Jahres über dem Horizont steht: Höhe der Sonne Datum. zur Mittagszeit. Aenderung der Sonnenhöhe. April 26 7265 { 3 in 610,5) In 56 Tagen stetige Abnahme um 10°; August 16 en) “ 5% = a /unahmes D October 5 90201 » 492» „ Zumeline 1855 Deere 75} ST. » „» Abnahme $, 185; März 8 eo 77 a EItmahmere: 1855 De er. > „ Abnahme „ 18,5. Aus der Tabelle geht hervor, dass die Sonne zweimal scheitelrecht steht, am fünften October und am achten März, dass sie dreimal im Jahre die Höhe von 71°,; erreicht, am sechsundzwanzigsten April, sechszehnten August und einundzwanzigsten December, und einmal den tiefsten Stand von 61°,5 am einundzwanzigsten Juni. Die kleinsten und grössten Werthe der Lufttemperatur fallen der Zeit nach nicht mit dem niedrigsten und höchsten Sonnenstande zu- sammen, sondern später als dieser; um wie viel, das hängt von der So Jahreszeiten. Die Calema. Beschaffenheit der Erdoberfläche ab, denn gerade der Gang ihrer Erwärmung ist es, der die Verspätung bedingt. Für die Loango- küste verschiebt sich die kälteste Zeit gegen den niedrigsten Sonnen- stand um etwa einen Monat; daher lehrt ein Blick auf die Tabelle, dass die Monate Juni, Juli und August die kältesten sind. Ferner wird aus der Tabelle ersichtlich, dass es zwei heisse, aber in ihrem Wesen verschiedene Zeiten geben muss, die des Octoberzenith und die des Märzzenith. Der ersteren ist die kalte Zeit vorangegangen, die Zeit des Sonnenstandes von 61°5; der zweiten aber ist bereits eine heisse Zeit vorangegangen, in welcher der tiefste Stand der Sonne noch immer so hoch war wie der höchste der: kalten Zeit. Das Märzzenith findet also einen stärker erwärmten Boden vor als das Octoberzenith. Diese Unterschiede drücken sich nicht allein in den Temperaturen des November und des März aus, die jede für sich ein Maximum darstellen, sondern auch in den meteorologischen Nieder- schlägen. Mit Recht unterscheidet der Sprachgebrauch die „kleinen Regen“’nach dem Octoberzenith und die „grossen Regen“ nach dem Märzzenith. Sie sind von einander getrennt durch die Zeit, welche auf das Sonnenstands-Minimum von 71°5 folgt, d. h. durch den regen- armen Januar. Es war also eine Abnormität, dass bis zum Monat März, wäh- rend der ganzen heissen Zeit, so gut wie gar kein Regen fiel. Nun aber setzte er ein und überschüttete uns während der Canoefahrt. Die heutige Mündung des Tschiloango verdankt ihren Ursprung einer tobenden See, einer sogenannten Calema. Die Calema ist eine der africanischen Küste eigenthümliche Dünungserscheinung, bedingt durch das sehr allmähliche Untertauchen des festen Landes unter das Meer. Die Wellenzüge, welche von der offenen See her gegen die Küste anlaufen, werden noch weit vom Strande gebrochen und um- säumen ihn mit den parallelen Linien ihrer weissen Schaumkämme. Wenn die Calema heftig wüthet, ist der Anblick wild und gross- artig, aber Landen wie Ausfahren wird alsdann gleich unmöglich. Die Erscheinung tritt mit wechselnder Intensität auf und ruht zu Zeiten ganz. Die eingehendsten Beobachtungen über dieselbe sind von Dr. Pechu£@l-Loesche angestellt; man findet das Nähere im dritten Theile dieses Werkes. Eine solche Calema wüthete nun mit beson- derer Heftigkeit im Jahre ı865 an unserer Küste; die Form der letz- teren wurde in der Nähe des Tschiloango so verändert, dass die alte, etwa eine Seemeile nördlicher gelegene Mündung sich verstopfte und die jetzige neue entstand. Fine Lagune bezeichnet noch die Stelle des verlassenen Bettes, Sie steht durch einen parallel mit der Küste “oSuronyasg we (esourds xıusoyg) uowedjoggeeT uspjım uoA addnın OIRNITTANI aan f N yl| | I Ü N) Im M Mo; Mi N Am, AU, au jth- I 1! I I DRUIHTTRUUINNNN AIjIRS UEAR 2 Der Tschiloango. Vegetationscharakter. Sı laufenden Wasserarm mit der bei Tschintschotscho gelegenenLagune in Verbindung. Die Breite des Flusses erhält sich auf durchschnittlich vierzig Schritt. Dreissig Seemeilen von der Küste findet der Zusammenfluss des Loango und des Lukulu statt, die durch ihre Vereinigung den Tschiloango erzeugen. Sie sind Grenzflüsse, denn der Loango schei- det die Landschaft Tschiloango von der Landschaft Osobo, und letz- tere wird durch den Lukulu von dem Reiche Kakongo geschieden. Unterhalb des Zusammenflusses heisst das rechte Ufer die Seite von Tschiloango, das linke die von Kakongo. Ueber den oberen Ver- lauf der Quellflüsse liessen sich von den Eingeborenen keine befrie- digenden Angaben erhalten. Es giebt keinen für Informationen so ungeeigneten Boden wie diesen Theil von Africa; die Eingeborenen von Osobo geben an, dass, wenn man den Loango aufwärts verfolge, man in den Nyali käme; mit Nyali und Nyadi wird aber der mittlere Lauf des Kuiluflusses bezeichnet. Dieser mündet nördlich vom Luemme. Demgemäss müsste, wenn der Loango wirklich ein Mün- dungsarm des Kuilu wäre, der Lu&mme es entweder auch sein oder innerhalb des Delta Kuilu-Loango entspringen. Ich halte die letztere Möglichkeit nicht für wahrscheinlich. Wiederum andere Neger wollten wissen, der fragliche Fluss stände mit dem Congo in Ver- bindung. In jenen Gegenden kann eben die Wahrheit nur durch den Reisenden selbst ermittelt werden. ö Die Ufer des Tschiloango sind flache und niedrige Lehmbänke, die dem Wasser eine schmutzig bräunliche Färbung ertheilen. Reich mit Vegetation bedeckt, vielfach mit Galleriewäldern bestanden, ge- statten sie es nicht, vom Flusse aus zu bemerken, dass derselbe ein breites, von Hügelrücken eingefasstes Thal durchfliesst. Der Vege- tationscharakter ist weniger durch eigentlichen Hochwald gegeben, wie wir ihn später noch kennen lernen werden, als durch die üppige Fülle der Schlinggewächse, die sich der Bäume als Stützen ihrer Pracht bedienen. Der ungebändigten Kraft africanischer Vegetation scheinen hier die Fesseln der Grazie angelegt zu sein, und je mehr man stromaufwärts vordringt, desto anziehender gestaltet sich das Bild. Anfänglich freilich sieht man Nichts als Mangrovewälder, die den Fluss so weit einfassen, als die Meeresflut das Salzwasser mit dem süssen mischt, dann aber treten neben dikotyledonen Laubhölzern Palmen auf. Es ist namentlich eine Palmenart (Phoenix spinosa), von den Negern Livuvu, von den Portugiesen Palmeira brava ge- nannt, die sich von der oberen Grenze der Mangrove an bis weit aufwärts in grösseren und kleineren Gruppen so zahlreich findet, dass Loango. 1. 6 82 Die wilde Dattelpalme. Lianen. sie für die Vegetation der Ufer ein Charakterbaum wird. Die rothen Fruchttrauben erinnern an die Fruchtstände der Dattelpalme und bilden bei der Häufigkeit ihres Auftretens einen lebhaften Contrast gegen das helle Grün der Krone; der schlanke, geschwungene Stamm, der häufig schräg aufsteigt und sich zum Wasser überneigt, die fein gefiederten, graciösen Wedel entsprechen ganz den Vorstellungen der Heimat von diesem, den Tropen so häufig beneideten Baum. Daneben erhebt sich dann häufig die viel stattlicher und ernster aus- sehende Oelpalme auf geradem, starkem Stamme mit kräftig dunkel- grüner Krone. Vereinzelt zwischen Palmen und dichtem Gesträuch tritt ein Bombax (Silk-cotton tree, Wollbaum) heraus, aber der eigentliche Wald wird von Bäumen gebildet, die weniger durch Höhe als durch den Umfang ihrer Krone ausgezeichnet sind. An viele von ihnen tritt der Kampf um’s Dasein heran, den die zahllos wuchernden Lianen lautlos und unerbittlich führen; je nach der Stütze, welche diese lebensbegierigen Schlinggewächse an den Bäumen finden, bilden sie üppige Polster, zarte Schleier oder mächtige Säulen. Wilder Wein und Farne erinnern an die Heimat, und das dichte, zum Wasser niederreichende Strauchwerk, das sich in allen Flüssen dieser Gegend wiederholt, würde man für ein Lindengebüsch halten, wenn nicht seine grosse, gelbe Baumwollenblüte diese Täuschung verhinderte; die Botaniker haben ihm den bezeichnenden Namen Hibiscus tiliaceus gegeben. Die herrschende Wasserpflanze ist der Papyrus, ‚von den Negern Libubu genannt; seine dreikantigen Schafte erreichen bis vierfache Mannshöhe und sind an ihrer Spitze von dem graciösen Köpfchen der Blütendolde gekrönt. Ausserdem sah ich Exemplare der Pistia in grosser Zahl auf dem Flusse treiben, einer schwimmenden Pflanze, die ganz das Aussehen kleiner Salatköpfe zeigt, aber starre, parallel geriefte Blätter hat; sie kamen sämmtlich aus dem Nfubu, dem einzigen, der Erwähnung: werthen Nebenflusse des Tschiloango. Die Aufnahme des Flusses von dem schwanken, tactmässig be- wegten Canoe aus nahm alle meine Zeit in Anspruch; denn jede der rasch auf einander folgenden Krümmungen verlangte eine Ablesung des Compasses und der Uhr, sowie das Niederschreiben der Zahlen. Deshalb war Jagd eine verbotene Frucht, so verlockend der grosse Reichthum, wenigstens an Vögeln, sie auch erscheinen liess. Fluss- pferde sieht man nicht, nicht einmal ihre Spuren am lehmigen Ufer, Krokodile sind selten, und nur einmal trabte ein kleines Exemplar davon längs dem Ufer hin. Die Dörfer bleiben hinter dem Uferwald versteckt oder liegen noch weiter zurück; aber vereinzelt stehende Ein Handels-Canoe. Loango und Lukulu. 83 Hütten erblickt man häufig hart am Wasser. In ihnen wird Palmöl bereitet, verpackt und in die thalwärts fahrenden Canoes verladen; denn Palmöl und Palmnusskerne sind hier die ausschliesslichen Handelsproducte. Wir begegneten mehrfach den beladenen Canoes, die flussabwärts zur Factorei des Weissen zogen, der Eigenthümer hinten am Steuer und seine Sclaven mit dem Rudern beschäftigt; ein Holzklotz glimmt in einer mit Erde gefüllten Schale im Grunde des Fahrzeugs und dient zum gelegentlichen Rösten einer Banane, eines Stückchen Maniok oder zum Anzünden der Pfeife; denn die Ba- fiote, auch die Frauen, lieben das Tabakrauchen und cultiviren die Tabakpflanze in ihren Dörfern. Die stearinartige Masse des Palmöls wird in Blätter eingewickelt und in sogenannten Muteten wol ver- packt und verschnürt. Die Muteten sind lange Tragkörbe, hergestellt durch das Zusammenflechten zweier parallel gelegter Palmwedel; die beiden Rippen mit den einander zugewandten Fiedern bilden den Boden und die äusseren Fiedern die Seitenwände. All und jede Last, zu Wasser und zu Lande, wird auf diese Weise von den Ein- geborenen weggeschafft. “Die Verpackung ist den Verhältnissen durchaus angemessen, denn mit der langen, wenig Raum in Anspruch nehmenden Muteta schlüpft der Träger leicht durch das Dickicht, und bei der grossen Kunst, mit welcher die Neger Blätter zum Um- wickeln und Pflanzenbast oder Ranken zum Zusammenbinden verwen- den, bleibt die Waare gegen Regen und gegen Zerbrechen ge- schützt. ; Unsre Fahrt gieng glücklich von Statten, nur hatten wir mehr- mals strömenden Regen auszuhalten, der immer als Fieberbringer zu fürchten ist, wenn es an Gelegenheit fehlt, die Kleider bald zu wechseln. Wir hatten Insono, das bereits oberhalb der Mangrove-Zone liegt, noch vor dem grauenden Morgen verlassen und befanden uns gegen drei Uhr Nachmittags an der charakteristischen Stelle des Zusammen- flusses von Loango und Lukulu. Die Wasserfläche bildet hier ein "T, indem die genannten beiden Flüsse fast in derselben geraden Linie auf einander zuströmen, sich zu einem kleinen See stauen und dann rechtwinklig als Tschiloango abfliessen. Wir schwenkten rechts in den Lukulu ein und betraten um vier Uhr das rechte Ufer an einer gelichteten Stelle. Der Himmel hieng voller Wolken, durch welche die Sonne mit besonderer Glut auf unsere feuchten Kleider brannte. Vor uns lag ein flaches, trostloses, sumpfiges Land, welches die letzten Regen in einer grossen Zahl von Wasserlachen verrieth; da- hinter stieg die Hügelwand an, über die der Weg zum Plateau und (9% 84 Palaver. Redekunst. Kriegstanz. zum Dorfe Mankatta Osobo führte. Hier wurden wir in der üblichen Weise empfangen; man stellte uns eine Hütte zur Disposition und wir richteten uns für mehrere Tage daselbst ein. Am folgenden Tage begann das Palaver, zu welchem sich die Prinzen von Osobo zusammengefunden hatten. Da ich das Glück hatte, in diesem Falle als unbetheiligter Zuschauer anwesend zu sein, so blieb mir der Aerger erspart, der sonst immer mit dieser Art von Verhandlungen verknüpft ist, und ich konnte meine Beobach- tungen völlig ungestört machen. Es ist bereits oben erwähnt, welchen Hang die Eingeborenen zu parlamentarischen Verhandlungen haben, und in der That ist die Ge- schicklichkeit, welche sie dabei entwickeln, bemerkenswerth und über- raschend. Die Fragen werden meist mit grosser Schlauheit und in der Absicht, die Gegenpartei zu verwickeln, gestellt, so dass die tra- ditionelle Vorstellung von der Beschränktheit und geistigen Verkom- menheit der Neger hierbei vollständig zu Schanden wird. Der ent- wickelte Redefluss ist zuweilen staunenswerth; derselbe Mann kann stundenlang, mit lauter Stimme und heftiger Gesticulation ununter- brochen sprechen, ohne ein Zeichen der Ermüdung zu verrathen. Der Gesichtsausdruck, so häufig ein Räthsel für den Europäer, verräth wenig, wasin dem Redner vorgeht, und manche vornehmeren Neger sprechen mit Würde, ja mit Anmuth. Beim Beginn der Rede und auch im Verlauf derselben klatscht der Sprecher in die Hände und ruft „gang, gang, gang“, d.h. hört, hört, hört; bei gewissen Schluss- sätzen fällt die Zuhörerschaft, zum Zeichen ihrer Aufmerksamkeit und ihres Beifalls, in choro ein und klatscht dann in die Hände. Zu- weilen geht die Rede in eine Art singenden Recitativs über, in welchem sich Anklänge an eine klagende Melodie zeigen, und worin alle Umsitzenden andächtig einstimmen. Aber auch wilde Scenen können sich ereignen, wenigstens erscheinen sie so, wenn man sie zum ersten Male sieht. Dies geschieht, wenn ein Redner sich zu einem Kriegstanze hinreissen lässt, wobei er in wilden Sprüngen und Drohungen, mit Gesichtsverziehungen und Geschrei, meist in sehr geschickter Weise vor dem staunenden Auditorium hin und her tanzt, plötzlich stehen bleibt, ein anderes schreckliches Gesicht zieht, um gleich darauf den Tanz von Neuem aufzunehmen. Zuweilen erreicht der Paroxismus des Muth und Wuth schnaubenden Kriegers eine solche Hohe, dass, wenn er nun wieder den fanatischen Tanz durch plötzliches Stehenbleiben unterbricht, er den Zuschauern den Rücken zudreht, sich beugt und dabei seinen Schurz verächtlich aufhebt. Im Allgemeinen herrschte grosse Ruhe und Aufmerksamkeit bei Rauchen und Schnupfen. Krüppel. 85 vu der Zuhörerschaft. Während des Palavers, das einen halben Tag dauerte (damit aber noch nicht beendet war), enthielten sich die Be- theiligten des Rauchens wie des Branntweins, wol aber kauten Einige Stücke der bittern Colanuss, während Andere Tabak schnupften. Der Colanussbaum findet sich in einigen Gegenden, namentlich im eigent- lichen Waldlande des tropischen Westafrica in reichlicher Menge, und "es ist leicht, sich ganz frische Nüsse zu verschaffen, die ein rosig angehauchtes, weisses Fleisch von der Consistenz unserer Maronen haben. Der Geschmack ist ausserordentlich bitter aber nur anfänglich unangenehm, die Wirkung eine wolthätig anregende. Ich habe mich zuweilen ganze Tage bei sehr grossen Anstrengungen und erschöpftem Körper ausschliesslich durch den Genuss dieser Frucht aufrecht er- Frucht des Colabaumes (Sterculia acuminata). 14—!], n. Gr. halten. Sehr angenehm ist es, mit der Colanuss gleichzeitig ein Stück roher Ingwerwurzel, die auch in den Wäldern vorkommt, zu geniessen. Was das Schnupfen betrifft, so ist diese Sitte zwar lange nicht so verbreitet wie die des Rauchens, aber aus der allgemeinen Bettelei, die sich um eine Schnupftabaksdose (meist eine kleine Ca- lebasse) zu entwickeln pflegt, muss man schliessen, dass das Schnupfen sehr beliebt ist. Die Bewohner von Osobo waren fast: ausnahmlos in europäische Baumwollenstoffe gekleidet, wie es bei dem starken Handel, den sie treiben, auch nicht Wunder nehmen kann. Ihr Auftreten war mehr selbstbewusst als freundlich, und bei einem Gespräch, in welchem wir sie fragten, was sie machen würden, wenn die Weissen ganz weggiengen, und weder Rum noch Zeug noch Pulver in’s Land käme, antworteten sie sehr richtig, dass ihre Vorfahren alle diese Dinge nicht gekannt und doch glücklich gelebt hätten. Bei einer Umschau im Dorfe hatte ich mehrfach einen widerwärtigen Anblick; verkrüp- pelte, selbst mit Elephantiasis behaftete Geschöpfe liessen sich sehn, aber besonders abstossend erschien mir ein Weib, das nach der dort herrschenden Sitte höchster Trauer sich niemals waschen durfte, und deren Gesicht mit dicken Krusten von Schmutz belegt war. Hier wie überall fand ich das Auftreten der Weiber decent und 86 Prinzessinnen. Fundo. zurückhaltend, das der Prinzessinnen ausgenommen: diese haben viel- fach, wenn sie über die beste Jugend hinaus sind, etwas coquetten- haft Freches und Eigenwilliges, — die natürliche Folge ihrer gün- stigen socialen Stellung und ihres Vorrechts, ihre Männer beliebig oft wechseln zu dürfen. Ich verbrachte den Rest des Tages mit kleinen Spaziergängen und fand den Charakter der Gegend dem von Nkondo-Ndindschi auf- fallend ähnlich, Wiederum dieselben Savanen mit eingestreuten Anonaceen-Sträuchern, kleine Waldbestände auf Höhen und Hängen und undurchdringliches Dickicht in den Schluchten. Aus der Be- rechnung der astronomischen Beobachtungen gieng auch hervor, dass Nkondo nur eine Tagereise von Mankatta Osobo entfernt liegt. Dies bestätigten die für so geringe Entfernung noch brauchbaren Angaben der Eingeborenen, die weiterhin aussagten, dass der bei Nkondo fliessende Bach in einen Nebenfluss des Loango sich ergiesse. Bei Fortsetzung des Palavers am folgenden Tage wurde die Ent- scheidung zu Gunsten meines Gefährten gefällt, und wir wurden von dem Verurtheilten, der eine hohe Strafe zu zahlen hatte, zum Zeichen aufrichtiger Versöhnung, zum Besuch seines Dorfes Fundo eingeladen. Wir erreichten dasselbe, indem wir uns zum Lukulu zurückbegaben und zwei Stunden flussaufwärts fuhren. Die Strömung in dem auf fünfundzwanzig Schritt verengten, vielgewundenen Flusse war bedeutend, die Vegetation noch üppiger als weiter unterhalb, und oft nahmen die breiten Kronen der Uferbäume das Fahrzeug in ihre Schatten auf, welche der Mittagsstand der Sonne senk- recht auf das Wasser projicirte.e Fundo dehnt sich am rechten Ufer aus und ist eines der lieblichst gelegenen Dörfer, das meine africanischen Reisen mich kennen lehrten. Wahrhaft im Grünen ge- bettet, erweckt es durch die eingehegten Gärten, von denen viele Hütten umgeben sind, idyllische Reminiscenzen. Da die meisten Bewohner zum ersten Mal einen Weissen sahen, so war die Neugier verzeihlich, mit der meine mysteriöse Erscheinung betrachtet wurde. Wir kehrten nach eintägigem Aufenthalt zu Land nach Mankatta Osobo zurück, wobei einer der einheimischen Prinzen mir wie ein Polizeisergeant auf den Fersen blieb und mit misstrauischem Auge zusah, wenn ich Notizbuch, Compass und Uhr gebrauchte. Die Fluss- niederung zeigte schöne Bestände von Bananen und Oelpalmen, auch Dickichte der in voller Blüte stehenden, bei uns so vielfach einge- führten Canna indica, die mit andern hohen Blattgewächsen abwech- selten. Die reiche Mannigfaltigkeit hörte auf, sobald das Plateau, in welches der Lukulu eingesenkt ist, erreicht war, und die Savanen- Der Lu&mmefluss., 87 region von Neuem begann. Aus dieser will ich nur einer Pflanze erwähnen, welche Fudugoso (Cassia occidentalis; Senna) genannt wird, und deren Fruchtschoten als Surrogat für Kaffee verwandt werden. Die ganze Landschaft Osobo s€heint reich bevölkert zu sein. Dicht bei Mankatta Osobo liegen die beiden ebenso grossen Dörfer Mbuku Osobo und Mutu Yako, und auf dem Rückwege von Fundo passirten wir Mukunda und Sekossi. Wie die Verhältnisse gerade lagen, hätte ich ohne zu grosse Schwierigkeiten von hier über Land nach Nkondo und Tschissambo gehen können, um von dort aus den Lu&mme hinabzufahren und aufzunehmen. Aber die für mich viel brennendere Frage, Träger für die geplante grosse Expedition zu beschaffen, rief mich nach Angola, und erst im Juni 1875 konnte ich die ge- wünschte Reise ausführen. Hierüber mögen einige wenige Bemer- kungen genügen. Von Tschissambo aus, das sich über dem linken Lu&mmeufer erhebt, erblickt man in Nordosten mehrere hinter einander aufsteigende, dicht bewaldete Gebirgsketten; bei trüber Beleuchtung, wenn die ein- zelnen Bergzüge sich nicht mehr deutlich gegen einander abheben, bringen sie in ihrer Gesammtheit den Eindruck einer. ansteigenden Ebene hervor. Wie der Tschiloango so ist auch der Lu&mme in die Sohle eines breiten Thales eingesenkt, dessen Hügelrücken allmählich niedriger werden und im Mittellauf fünfundsiebzig Meter ansteigen. Der Fluss ist selten breiter als dreissig Schritt und bietet eine schnelle Aufein- anderfolge von Krümmungen. Die flache, sumpfige Thalsohle ist weit- hin mit Papyrus bestanden, das ich in solchen Massen nirgendswo in Africa angetroffen habe. Es tritt bis hart an die Flussufer, häufig ist es durch Uferwald zurückgedrängt, zuweilen auch mit Unterholz durchsetzt, vornehmlich mit dem schon erwähnten Hibiscus tiliaceus. Der Wald zeigt nicht die graciöse Ueppigkeit, welche für den Tschi- loango charakteristisch ist, namentlich treten die rothtraubigen Phönix- palmen sehr zurück. Aeusserst scharf markirt ist die Grenze der Mangrove, die auffallend weit unten beginnt, weil die einströmende Meeresflut durch die Lagunenwasser von Massabe und Tschissambo abgelenkt wird. Landschaftlich pittoresk ist der Einblick in die zwi- schen bewaldeten Hügeln eingebettete Lagune von Kayo, in die man durch einen achtzig Schritt breiten Canal vom linken Ufer eintritt. Für den Jäger bietet der Fluss reiche Beute, namentlich an Umbervögeln und Reihern. Flusspferde verrathen sich durch die schmalen Pfade, die sie im Uferwalde niederbrechen. In wahrhaft erschrecklicher Menge treten Krokodile auf. Ich sah sie mehrfach 88 Kırokodile. im Wasser und auf sandigen Uferplätzen. Einem dieser Thiere, das todt am rechten Ufer lag, waren die Beine und der Schwanz von seinen überlebenden Brüdern abgefressen worden. Unterhalb der Lagune von Kayo nimmt. die Breite des Flusses ällmählich zu und steigert sich auf sechzig Schritt. Die Gestalt der Mündung wechselt und kann durch eine einzige Calema bis zur Unkenntlichkeit verändert werden. Den Lauf des Massabeflusses nahm ich auf einem besonderen Aus- flug auf. Es ist dabei Nichts bemerkenswerth als die breiten Wasser- flächen, welche das Fahrzeug länger als zwei Stunden durchschneidet, ehe es in die Lagune von Tschissambo tritt; denn die Ufer sind flach, und nach dem Aufhören der Mangrove sieht man meist nur sum- pfige Wiesen mit wenigen Bäumen oder etwas Gebüsch. Anona senegalensis. Pandanus, GIIEERETSSRV: Festsetzung der Reise nach dem Kuilu. — Abschied von Dr. Bastian. — Pontanegra. — Gastmal eines Negers. — Factoreien von Loango. — Eine Stein- mauer. — Veränderte Jahreszeit. — Am Kuilu. — Shr. Reis. — Stromfahrt. — Das Waldland Yorbe oder Mayombe. — Der Kuilu als Bergstrom. — Die Katarakten von Bumina. — Kakamucka. -— Leben unter Negern. — Der Hochwald von Yombe. — Die Bayombe. — Besuch beim Häuptling Nganga Mvumbi. — Lanäreise in’s Innere, — Negerfabeln. — Stö- rung durch Fieber. — Grosses Palaver. — Die „Pforte“ von Yangela. — Das Waldgebirge. — Ein heimtückischer Bayombe. — Eintritt in Yangela. — Aufhören des Waldes. — Die Bakunya. — Thier- schädelfetische. — Gorillas.. — Der Kuilu ändert den Namen. — Rückweg auf dem rechten Ufer, — Astronomische Bestimmungen. — Nach Tschintschotscho, Bei der Rückkehr von der ersten, nach Nkondo unternommenen Reise er- reichte mich die Nachricht, dass Dr. Ba- stian von Neuem in Landana eingetroffen sei. Ich eilte dorthin, um die letzten Tage vor seiner Abreise nach Europa mit ihm zu verbringen. Dr. Bastian hatte in den wenigen Monaten seines Auf- enthalts den ganzen Küstenstrich bereist, hatte aller Orten Erkun- digungen eingezogen, linguistische Studien gemacht, ethnologische Sammlungen angelegt und übersah run mit dem Blicke des Mannes, 90 Dr. Bastians Abreise. Ein Negerfrühstück, dessen forschendes Auge auf allen Welttheilen geruht hatte, diese neuen Verhältnisse. Gestützt auf die Resultate seines rastlosen Mühens und mit Hinzuziehung der von mir selbst gesammelten Informationen be- riethen wir, was zunächst für die geographische Exploration zu thun sei, und kamen überein, dass der Kuilufluss die erste Operationslinie werden sollte. Dem Kuilu wurde der Vorzug gegeben vor Tschikambo, das Dr. Bastian aus eigner Anschauung kannte, und vor Nkondo, von wo ich soeben zurückgekehrt war. In unseren Ueberlegungen spielten Muthmassungen und Voraussetzungen natürlich eine grosse Rolle, wir standen eben vor einem unerforschten Lande und konnten nicht wissen, mit welchen Mitteln, wenn überhaupt, das Ziel zu er- reichen sei. So trennten wir uns denn am elften October 1873, Dr. Bastian, um in der Heimat unsere Sache weiter zu führen, und ich, um dem unbekannten Laufe des Kuilu zu folgen und einen Weg in’s Innere ausfindig zu machen. Bei dem Wenigen, das ich aus dem Schiffbruche der „Nigretia“ gerettet hatte, nahmen die Reisezurüstungen nicht lange Zeit in Anspruch, und am sechzehnten October 1873 verliess ich die Station Tschintschotscho, die nunmehr für den Empfang der erwarteten Ex- peditionsmitglieder bereit war. Mein Weg führte mich nordwestlich, zunächst längs des traurigen verlassenen Strandes, wo man Nichts als Fächerpalmen sieht, nach Massabe-Tschibona. Der Lu&ömmefluss wurde im Canoe passirt, und dann die Reise in derselben Einförmigkeit zwischen der wogenden Brandung und den Hyphaene-Beständen fortgesetzt. Erst bei Winga, jetzt berüchtigt durch die Ermordung des weissen Agenten und das Niederbrennen seiner Factorei am siebenundzwanzigsten November 1874, entfernt sich der Weg vom Meere, das man bei Pontanegra von Neuem erreicht. Hier findet sich eine grosse Arzahl von Factoreien, die im Jahre 1873 alle in Betrieb waren; nicht weniger als sechs Nationali- täten sind daselbst vertreten, nämlich Portugiesen, Spanier, Holländer, Deutsche, Franzosen und Engländer. Eine eigenthümliche Veran- lassung, die Gastfreundschaft eines Eingeborenen, hatte sie während meines Aufenthaltes sämmtlich an einem Tische versammelt. Der an- gesehene Neger Mufuka Thomas nämlich, der von den Weissen ver- tragsmässig regulirte Steuern erhebt, wünschte eine Erhöhung seiner Einnahmen zu bewirken und arrangirte zu diesem Zwecke ein Früh- stück im Freien, im Schatten von Palmen und Cajubäumen, wozu alle Factoreibesitzer geladen wurden. Nach reichlicher Bewirthung der Gäste (die Küche war halb einheimisch, halb portugiesisch), hielt der Mufuka eine magnifique Rede, worin er in wahrhaft rührender Von Pontanegra nach Loangobai. g1 Weise das Unrecht auseinandersetzte, das ihm im Vergleich zu an- deren besser dotirten Häuptlingen an anderen Puncten der Küste widerführe. Leider konnte ich dem Verlaufe der Unterhandlung nicht beiwohnen, weil Fieber mich unter Dach und Fach trieb. Dadurch wurde ein zweitägiger Zeitverlust verursacht. Im weiteren Verfolg des Weges hatten wir den für Loango bedeutsamen Songolo zu durchwaten, der in wechselnder Folge ein reissendes Wasser oder ein lagunenähnlicher Fluss ist, verliessen dann den Strand und bogen rechts in das Land ein. Weite Steppe, dürrer Boden, vereinzelt auf- ragende Hügel, zerstreute Baumgruppen, zuweilen Maniokfelder, ab und an in der Entfernung ein Dorf, blauer Himmel mit Haufen- wolken, heisse, trockene Luft, grosse Stille — das war das Gepräge des stundenlang durchreisten Landes. Der Weg zog sich wieder zum Meere und führte zu einem Factoreiencomplex, der von den Weissen schlechtweg Loango genannt wird. Eine weite Bucht mit ruhigem Wasser gewährt hier den ankernden Schiffen mehr Sicherheit, als dieselben an den meisten Puncten der hafenlosen Küste finden, und Laden und Löschen ist mit geringen Verlusten verknüpft. Man hätte also erwarten dürfen, hier einen Centralpunct des Handels zu finden. Statt dessen sieht man eine Ansiedelung, welche alle Spuren des Rückgangs trägt und einen Beleg dafür liefert, dass die Launen, die vorgefassten Meinungen der Neger über die Gunst natürlicher Be- dingungen triumphiren. Die Eingeborenen, welche Handelsbeziehun- gen mit Europäern unterhalten, fassen wechselnd für diesen oder jenen Ort der Küste Vorliebe und lenken den Absatz ihrer Producte dorthin. Ihre Handelsstrassen gleichen dadurch Flüssen mit wech- selnden Mündungsarmen. Beim Verlassen Loangos wurde meine Aufmerksamkeit auf eine hohe, verfallene Steinmauer gelenkt, an deren Fusse der Weg entlang gieng. Denn Steinbauten sind bei den Eingeborenen zum Mindesten etwas ebenso Fremdartiges wie Schuh und Stiefel. Ich erfuhr dann auf meine Erkundigung, dass das alte Gemäuer zur Umfassung eines Hofes, während der Zeit der sogenannten „Emigration“, gehört habe. Die Abschaffung der Sclaverei gab nämlich zu einem System Anlass, welches, ohne die proclamirten humanitären Grundsätze formell zu verletzen, die Vortheile der früheren Zeit zu erhalten suchte Demgemäss wurden die Neger nun nicht mehr als Sclaven gewaltsam fortgeschleppt, sondern „emigrirten freiwillig“ in gewisse Colonieen. Wo die Factoreien von Loango aufhören, sieht man einige 92 Die Zeit der kleinen Regen. Gräber von Weissen, durch ihre Verwahrlosung einen traurigen Eindruck hervorbringend. Dann tritt eine plötzliche Veränderung der Landschaft ein. Die Küste fällt in einiger Entfernung vom Strande steil, zuweilen senkrecht ab und zeichnet sich durch rothe und gelbe, sehr lebhafte Färbungen aus sowie durch die pittoresken Formen, die in Folge der Auswaschungen entstanden sind. Die Entwickelung ist hier grossartiger, als bei den Steilabfällen zwischen Banana und Muanda; indes kommt ihr nur ein episodenartiger Charakter zu, denn bald wird die Küste wieder flach und behält diese Gestalt bis zum Kuilu bei. Es bot sich Nichts, was das Auge hätte fesseln können, und da der Strand schlecht war, so bestieg ich die Hängematte und ver- gnügte mich damit, den Himmel zu betrachten. Wie anders erschien er jetzt als sieben Wochen zuvor auf der Reise nach Landana. Damals standen wir noch in der kalten Nebelzeit, jetzt aber waren wir in die heisse Zeit, in die Zeit der „kleinen Regen“ eingetreten. Freilich hatte die Dürftigkeit der ersten Niederschläge es verhindert, dass die Vegetation sich in ihrer ganzen Herrlichkeit entfalten konnte, aber heiterer war die Jahreszeit doch trotz Hitze und zu befürchtender Regen. Das Meer erschien ruhiger, seine Färbung minder melancholisch, und der im tieferen Blau erstrahlende Himmel zeigte nun jene prachtvoll zusammengeballten Haufenwolken, die durch alle Nüancirungen von Grau und Weiss so graciös und duftig in sich gegliedert erscheinen. Allmählich ertheilt ihnen das sinkende Tagesgestirn, das uns zur Mittagsstunde scheitelrecht zu Häupten gestanden hatte, andere und gesättigtere Farben; und geraume Zeit, nachdem die Sonne bereits in’s Meer getaucht ist, bewundern wir noch die Lichteffecte, die sie an ihnen hervorbringt. Unter solchen Eindrücken erreichte ich den Kuilu. Die Däm- merung hatte schon eingesetzt, als ich den stattlichen Fluss zum ersten Male erblickte. Eine elende Factorei erhob sich am linken Ufer, etwa eine Viertelstunde von der Mündung entfernt. Ihr gegen- über, in der Nähe des rechten Ufers, auf einer langgestreckten Insel, lag ein weit stattlicheres Gehöft, die Factorei des Shr. Reis, Agenten des holländischen Hauses. Dorthin liess ich mich noch an demselben Abend übersetzen und bat um Gastfreundschaft. Sie wurde mir nicht nur bei diesem ersten Besuche, sondern später zu wiederholten Malen im weitesten Sinne des Wortes gewährt. Auch meinen Gefährten wurde auf ihren Reisen Aehnliches daselbst zu Theil, und wir erinnern uns alle mit derselben Dankbarkeit, wie sehr wir Herrn Reis verpflichtet sind. An der Mündung des Kuilu. 93 Ohne die Hülfe meines Gastfreundes hätte ich nicht vermocht, schon nach wenigen Tagen die geplante Reise flussaufwärts anzu- treten. Den kurzen Aufenthalt auf der Insel benutzte ich zu kleinen Flussexcursionen, zur Ausmessung der Breite des Stromes, zur astro- nomischen Bestimmung der Position der Factorei sowie zur Re- gistrirung der widersprechenden Angaben‘ gewisser Eingeborenen über die menschenfressenden Völker jenseits des Waldes. Ich wusste schon von Dr. Bastian, dass sich eine „Mayombe‘“ genannte Factorei flussaufwärts befände; nun hörte ich hier die erfreuliche Nachricht, dass Shr. Reis in allerjüngster Zeit noch oberhalb dieses Platzes einen anderen Handelsposten am Kuilu eingerichtet und unter die Reis’ Insel und Factorei. Leitung des schwarzen Lingster Makossu gestellt habe. Demgemäss nahm ich mir vor, bis zu diesem vorzugehen, daselbst mich festzu- setzen, das Land, wenn es möglich wäre, nach allen Richtungen zu durchstreifen, weitere Erkundigungen einzuziehen und, wenn sich Leute zur Begleitung finden liessen, einen Vorstoss tiefer in’s Innere hinein, in nordöstlicher Richtung zu versuchen. Von der Factorei-Insel aus erscheint der Kuilu als stattlicher Strom von etwa dreihundertfünfundsiebzig Meter Breite. Beide Ufer sind dicht mit Mangrovegebüsch bestanden, das besonders kräftig entwickelt ist und mit seinem Laubdach die vielen durch das Dickicht führen- den Canäle hoch überwölbt. Hier halten sich Chimpansen auf und 94 Die Insel des Shr. Reis. machen sich, namentlich des Nachts, durch ihr Geschrei weithin be- merkbar. Eine grosse Barre ist der Mündung vorgelagert und bietet der Flussschiffahrt ein bis jetzt nicht überwundenes Hinderniss. Von dem rechten Ufer in der Nähe der Mündung hat der Strom seit dem Jahre 1868 so viel weggespült, dass ein Theil des Landes, auf dem einst Factoreien standen, sich jetzt unter Wasser befindet. Die vielen kleinen Inseln des unteren Laufes sind unbewohnt, mit Man- grove bewachsen und der Ueberschwemmung des Hochwassers aus- gesetzt. Auch der grossen Factorei-Insel droht diese Gefahr zuweilen. Hier ist die Mangrove aber stark gelichtet; Culturanpflanzungen sind an ihre Stelle getreten, namentlich Mango- und Limonenbäume. Die letzteren habe ich häufig auch fern von der Küste angetroffen, meist in vereinzelten Exemplaren; die Früchte liefern nicht allein eine äusserst schätzbare Zuthat zu Speisen, sondern auch ein vortreff- liches Mittel zur raschen Herstellung einer wirksamen Chininlösung. Bananen vegetiren nur kümmerlich auf dem sandigen Boden der Insel, besser gedeihen die Oelpalmen und der Garten bringt vortreff- lichen Kohl, aussergewöhnlich grosse Radieschen und schmack- haften Salat hervor. Die Insel könnte als kleines Paradies gelten, wenn ihre Lage eine gesündere wäre. Es ist mir trotz reichlicher Nahrung niemals gelungen, mich daselbst zu erholen, wenn ich von grossen Anstrengungen erschöpft dorthin zurückkehrte. Zu den Zeiten der Könige erstreckte sich das Loangoreich nörd- lich über den Kuilu, bis zum Numbifluss (4° südlicher Breite); der Grenzdistrict hiess Tschilunga. Der jetzt herrschende Sprachgebrauch bedient sich der Namen Loango und Tschilunga, um das linke Ufer des Kuilu von dem rechten zu unterscheiden. Am Kuilu übt Fürst Mpambo die Oberhoheit aus, ein echter Loangoprinz, denn er wäre seiner Herkunft nach berechtigt, den Königsthron des alten Loango- reiches einzunehmen. Am sechsundzwanzigsten October trat ich die Fahrt stromauf- wärts an. Da auffallend wenig Regen gefallen war, so war die Strö- mung nicht heftig, und konnte die Strecke bis zur Factorei Mayombe mit zwölf Rudern in fünfzehn Stunden zurückgelegt werden. Es war noch Nacht, als wir abstiessen und die breite Wasserfläche durch- schnitten; Mangrovebestände erhoben sich zu beiden Seiten als dichte, dunkle Massen, einige wenige Sterne leuchteten von dem wolkenzerrissenen Himmel herab, schwer fiel die Feuchtigkeit her- nieder, unthätig und erwartungsvoll schaute ich hinaus in die Finster- niss. Gegen fünf Uhr liess sich das erste Tagesgrauen wahrnehmen, die Ruderer nahmen ihren Gesang wieder auf, ein Volk grauer Pa- Der untere Kuilulauf. 95 pageien flog mit lautem Geschrei quer über den Fluss, die Nacht wich dem Tage, und alle düsteren Träumereien verschwanden vor der neu beginnenden Thätigkeit. Die kleinen Mangroveinseln lagen bereits hinter uns, aber die Ufer waren noch weiter auseinander ge- treten; die breite Fläche des Stromes erschien wie mit Oel über- gossen, kein Windhauch kräuselte ihren glatten Spiegel. Als die Grenze der Mangrove überschritten war, nahm die Landschaft all- mählich den Charakter an, den sie für die nächsten zehn Stunden bei- behielt: die Ufer sind niedrig, bleiben aber durch das dichte Ge- sträuch des Hibiscus tiliaceus oder stark duftenden Jasmins und dazwischen geschlungener Ipomoea-Winden unzugänglich, nur hier und da wird dieses grüne Polster von den braunen Pfaden unter- brochen, die an den Fluss führen. Unmittelbar hinter der Ufer- böschung erhebt sich der Hochwald, ernst und majestätisch und um so eindrucksvoller, je weiter das Fahrzeug vordringt. Das Wasser fliesst ruhig und fast träge dahin, und nur in den Canälen zwischen den Inseln und dem Ufer sieht man es lebhafter strömen. Grosse Bäume, die das Alter knickte oder das unterwaschene Ufer nicht mehr zu halten vermochte, sind von oben heruntergetrieben und haben sich in der Mitte des Flusses auf irgend einer Untiefe ver- ankert, mit ihrem Geäst über die Oberfläche hervorsehend; and.re liegen, fast wie sie gefallen sind, und reichen vom Ufer aus unter das Wasser hin. Sie sind der Fahrt nicht hinderlich; Gefahr aber droht von eben überfluteten Sandbänken oder von Stämmen, die das trübe, bräunliche Wasser dem Auge des Steuermanns verbirgt. Dieser pflegt meist sein Fahrwasser zu kennen; bald hält das Canoe die rechte, bald die linke Seite des Stromes, selten die Mitte, weil man noch immer die Hippopotamen fürchtet. Wasserpflanzen oder Rohr- dickichte treten gar nicht auf, nur einmal bemerkte ich Papyrus, häufig dagegen den prächtigen Pandanus mit der Schilfrosetten- krone und dem, in stützende Wurzeln noch über dem Wasser sich zertheilenden Stamme. Die Palmeninsel Tschintombi bezeichnet. den Beginn des Hochwaldes, dann folgen die Inseln Tschisulu, Tschin- gombe und Tschibebe; sie ragen alle wenig aus dem Wasser her- vor und sind reich an Oel- und Weinpalmen. Eingeborene schlagen daselbst zeitweilig ihr Quartier auf, hauptsächlich um Oel zu ge- winnen und um der Fischerei obzuliegen. Letztere wird erfolgreich dadurch betrieben, dass man mit dünnen Stäben Räume absteckt, welche den Fischen nur während der Flussstauung eine ungehinderte Communication mit dem übrigen Wasser gestatten. Oberhalb der Tschibebe-Insel hat der Fluss seine grösste Breite, sechs- bis sieben- 96 Eintritt in die Waldlandschaft. hundert Schritt, dann verengt er sich allmählich und an der Mün- dung des Nanga, eines rechten Zuflusses des Kuilu, misst er nur vier- hundertundfünfzig Schritt. Der Nanga ist bekannt wegen seines Reichthums an Wild, namentlich an Flusspferden; er wurde aus diesem Grunde im Jahre 1875 von den Herren Falkenstein und Pechuel- Loesche befahren und explorirt. Ich selbst verweilte nur an der Mündung, wo der Fluss etwa die Bedeutung des Lu&mme hat. Auf der vom Kuilu und Nanga umspülten Landzunge befindet sich hart am Wasser ein Lagerplatz, „Pelle ma Nanga“ genannt, der jeden Europäer anmuthen würde, so herrlich erscheint hier der Wald in seiner ruhigen Pracht. Bei den Eingeborenen ist diese Stelle einiger Capsicum-Sträucher wegen besonders beliebt. Wol selten ist eine Frucht an ihnen zur Reife gediehen, aber die grünen Pfefferschötchen genügen, die Canoes anzulocken und würzen den Insassen das Mal. Niemand würde wagen, die Pflanze muthwillig zu zerstören, denn mit Recht gilt sie für eine grosse Wolthat. Auch der Europäer lernt sie als solche betrachten, wenn erst der längere Aufenthalt in West- africa die Magenthätigkeit erschlafft hat und alle Speisen so insipide werden, dass der Widerwille gegen das Essen nur mit Hülfe des wärmenden und anregenden Negerpfeffers überwunden wird. Unsere Fahrt wurde erst in Mindo, wo das Waldland Yombe — gewöhnlich Mayombe genannt — beginnt, unterbrochen. Hier musste den Negern, die ununterbrochen sechs Stunden gerudert hatten, einige Ruhe gegönnt werden, und wir improvisirten ein kleines Lager am linken Ufer. Ich trat in den Wald ein, fand den Boden ganz frei von Unterholz und mit trocknem Laube bedeckt; ein schmaler Pfad, der bis zur Küste führt, zog sich in einiger Entfernung vom Ufer hin. Ein Bayombe, mit einem Lendenschurz umgürtet und einer Lanze be- waffnet, erschien aus irgend einem Versteck des W.aldes, die Mal- zeit der Canoeleute zu theilen. Es ist ein den Verkehr der Neger fast ausnahmslos kennzeichnender Zug, dass sie mittheilend gegen Die- jenigen sind, welche selbst Nichts zu essen haben. Auch unter ein- ander, wo sie von einem gemeinschaftlichen Vorrath zehren, sind sie nicht bedacht, sich durch übermässige Gier und unvernünftiges Schlingen den Löwenantheil zu sichern. Da das Ziel noch weit war, so durfte unsere Ruhe nicht zu lange währen, und nach einstündiger Rast wurde die Fahrt fortgesetzt. Die Sonne war ganz aus den Wolken getreten; wir befanden uns im Monat des höchsten Sonnenstandes, es war Mittag, kein Lüftchen regte sich, und sengende Strahlen fielen auf den im Canoe zusammengekauerten Reisenden. Die Landschaft blieb unverändert. Eine allgemeine Le- Flusspferde. Kama Tschitumbu. 97 thargie schien alles Lebende ergriffen zu haben; der Gesang der Neger verstummte, und der glänzende Tag forderte nun, was der verkürzten ‘Nacht vorenthalten blieb; mit bleiernen Augenlidern starrte ich auf Compass, Uhr und Notizbuch und trug zwischen Schlaf und Wachen meine Wahrnehmungen ein. Endlich brachte eine Flusskrümmung die ersehnte Brise, die Sonne trat wiederum hinter Wolken, und ein neuer Anblick fesselte die Aufmerksamkeit. Wir waren in denjenigen Theil des Flusses eingetreten, in dem sich Flusspferde mit Vorliebe tummeln, und nun sah ich in der That mehrere dieser kolossalen Thiere im Wasser umherschwimmen; sie zeigten, wie gewöhnlich, Nichts als den oberen Theil des horizontal ausgestreckten Kopfes, und auch dieser verschwand mit dem Knall der gegen sie abgefeuerten Büchse. Im tiefen Wasser fürchtet man diese Ungethüme nicht, wol Hippopotamen im Wasser. aber im seichten, wo sie die Canoes von unten her mit dem Rücken umwerfen, wie die Neger und die Europäer der Küste behaupten. In der Fiotesprache haben sie den Namen „Mvubu“ wegen des pustenden Geräusches, das sie im Wasser häufig vernehmen lassen. Eine flache Insel, die zur Zeit des niedrigen Wasserstandes mit dem rechten Kuiluufer zusammenhängt, ist nach ihnen „Tschitumbu Mvubu“ d.h. Flusspferdinsel getauft. Dort werden die mächtigen Thiere wol zu- weilen von den Eingeborenen (die im Allgemeinen nicht passionirte Jäger sind) in Fallgruben gefangen und mit Feuersteingewehren er- legt. Aus der Mitte des Stromes traten einige flache, grün schim- mernde Bänke hervor, auf denen Enten sassen. Im Uebrigen war für Jager wenig Beute zu erhoffen; weder Pelicane noch Reiher liessen sich blicken, die fröhlichen Papageien, seitdem sie ihren Morgenflug beendet, blieben im Waldesdickicht verborgen, und nur einige Adler rührten noch ihre gewaltigen Schwingen. Die Flussufer, bis dahin gleichmässig flach hinlaufend, zeigten nun ein allmähliches, stetiges Ansteigen. Da wo die langgestreckte Hundertinsel (Kama Tschitumbu) sich am rechten Ufer dehnt, und das Fahrzeug nur mit emsigerem Rudern in dem heftigeren Strom Loango. 1. 7 98 Landschaft im Waldgebirge. seine Geschwindigkeit beibehalten kann, erreicht man die wichtige Grenze zwischen der flachen Ebene und den letzten Ausläufern des Küstengebirges; in vielgegliederter Gestalt umsäumt es das Plateau Innerafricas. Die Breite des Flusses ist auf zweihundertundfünfzig Schritt verengt; es treten die ersten Steine auf, und das Ufer erhebt sich fünfzehn Meter über das Wasser. Hier liegt das Dorf Mamanya ma tali (Eisensteine). Wir legen an, und ich betrete zum ersten Mal ein Bayombedorf. Der Dorfherr, der für einen grossen Fetischmeister gilt, versteht ebenso wenig das Portugiesische wie die übrigen Be- wohner, aber er zeigt sich freundlich und bringt im Moment der Ab- fahrt Hühner und Bananen. Von einem Glase Gin, das ihm ausser einem Geschenk an Zeug gereicht wird, trinkt er zwei Dritttheile, giesst den Rest auf einen Teller und lässt ihn bei seinen Begleitern eirculiren, die daraus wie aus einem Troge trinken. Mit dem sinkenden Tage wird die Fahrt fortgesetzt, die Sichel des zunenmenden Mondes steht noch hoch am Himmel, aber auf- ziehende Wolken verdecken ihn bald. An den scheinbar immer näher zusammentretenden Ufern sieht man die irrenden Lichter planetarisch glänzender Leuchtkäfer aufblinken, aber sonst lässt sich Nichts er- kennen als einige sandige Stellen, die sporadisch an beiden Seiten des Stromes auftreten; und bei schwachem Laternenschein muss die letzte Strecke der fünfzehnstündigen Fahrt aufgenommen werden. Nur die Hoffnung auf baldige Ankunft lässt die ermatteten Ruderer bei der harten Arbeit ausharren, und gegen acht Uhr Abends ist die Factorei Mayombe erreicht. Der laute Gesang der Canoeleute hat unsere An- kunft schon von Weitem angekündigt, und der Vorsteher der Factorei, ein Mulatte, begrüsst uns, noch ehe wir den Fuss auf festen Boden gesetzt haben. Der folgende Morgen erschloss mir mit einem Schlage die ganze Pracht einer Flusslandschaft des westafricanischen Waldgebirges. Woher kam es, dass gerade dieser Anblick mich heimatlich an- muthete, dass meine Einbildungskraft die geliebten Wälder und trau- lichen Thäler Deutschlands sah, dass die Eindrücke der Gegenwart die der Vergangenheit zurückzauberten? Doch gewiss, weil wirklich eine Aehnlichkeit zwischen ihnen bestand! Zwar nicht im Einzelnen, aber in den grossen Zügen: zwei Mosaikbilder, aus verschiedenem Material gefertigt, dasselbe darstellend. Ein leichter Fieberanfall be- lehrte mich, dass ich auf africanischem Boden stand, wo man sich die Sonne nicht ungestraft auf’s Haupt scheinen lässt. Doch konnte ich die anziehende, nun immer wechselvoller werdende Flussfahrt am folgenden Tage fortsetzen. Felsdurchbruch bei Ngotu. 99 Der Kuila nimmt nun mehr und mehr den Charakter eines Berg- stromes an, kleine Felswände durchbrechen die erdigen Uferböschungen, vor denen nicht selten Steine aus dem Wasser aufragen, und nach kaum fünfviertelstündiger Fahrt erheben sich zu beiden Seiten des auf dreissig Meter verengten Stromes die senkrechten Felsen der Pforte Ngotu, so genannt nach dem Fetisch, der es in seiner Macht hat, die Felsen wie zwei Kinnladen gegen einander zu schlagen. Oberhalb dieses Durchbruchs erweitert sich das Flussbett wieder, aber die Strömung“ erhält sich heftig. Die Eingeborenen sprachen Die Stromschnellen von Bumina. von Katarakten, fügten indess hinzu, dass es unmöglich sei, bis zu denselben vorzudringen. Ich schlug ein Lager am linken Kuiluufer auf. Nach mehrtägigen Verhandlungen liessen sich einige Neger bereit finden, mich auf der Expedition zu den Stromschnellen zu begleiten. Mit einem kleinen Canoe und vier Ruderern, von denen keiner Portugiesisch verstand, machte ich mich am Morgen des dreissigsten October auf den Weg. Die Fahrt nahm bald einen aufregenden Charakter an. Aus dem Grunde des Bettes traten mehrfach Felsen hervor, während mächtige Steinbänke sich vom linken Ufer aus gegen die Mitte des Flusses * 7 100 In den Stromschnellen von Bumina. vorschoben und Strudel und Gegenströmung erzeugten. Es kostete grosse Mühe und Aufmerksamkeit, das gebrechliche Fahrzeug durch die Stromschnellen hindurchzuarbeiten und vor Auf- und Umschlagen zu schützen. Oft mussten meine Leute auf die Steine springen, weil das Canoe in den aufgeregten, schaumtreibenden Wassern nicht anders vorwärts zu bringen war, und nach harter, dreistündiger Arbeit er- reichten wir eine seeartige Erweiterung des Strombettes, in welche sich der Kuilu rauschend von oben her aus engem Felsencanal er- giesst. Es gelang mir, die Felsen des linken Ufers zu erreichen, und nun liess sich die wahre Beschaffenheit des Flusses mit Ruhe prüfen. Ein sehr pittoreskes Bild entfaltete sich: Stromaufwärts sah man in nordnordöstlicher Richtung ein schmales Felsenthal, dessen steinige Sohle etwa einhundertfünfzig Schritt breit ist; in munterem Gefälle kommt die reiche Wassermasse herab und wird auf eine Länge von hundert Schritten in den sechszig Schritt breiten Canal gedrängt, der die Buminakatarakten bildet. Die aus dem Wasser aufsteigenden Felsen erheben sich etwa sechs Meter und werden in der grossen Regenzeit überschwemmt. Von hier an treten die Ufer plötzlich aus- einander und gestatten es dem durch Stromschnellen aufgewirbelten Wasser, sich zu einem ruhigen, kleinen See auszubreiten, der ringsum von bewaldeten Höhen eingefasst ist. Nur meinem Standpunct gegen- über, da wo das Thal sich von Neuem verengt, wird das Waldesgrün von einer sechszig Meter hohen Felswand unterbrochen, die senkrecht in’s Wasser stürzt. Von da fliesst der Strom, durch neue Hemmanisse aufgeregt, nordwestlich, dann nordnordwestlich ab. Es konnte mir erst später klar werden, dass es sich hier um den Durchbruch einer jener vielen von Südost nach Nordwest laufenden Parallelketten han- delt, die ich im weiteren Verlauf meiner Reise erkannte, von denen ich mehrere selbst überschritt, und durch welche der Kuilu sich den Weg zum Meere bahnen muss. Genau in derselben Richtung, wie bei den Buminakatarakten geht der Kuilu durch die bereits erwähnte Felspforte Ngotu, so dass diese der erste und Bumina der zweite be- deutende Durchbruch des Flusses, von unten her gerechnet, ist. Der Buminadurchbruch findet vierzig Seemeilen oberhalb der Mündung statt, aber trotz dieser geringen Entfernung ist die Gegend so ver- schieden von der Küstenlandschaft, dass Nichts mehr an diese erinnert. Ich setzte nun mit meinen, aus Furcht widerspänstigen Leuten vom linken Ufer auf das rechte über, den Fluss an der Stelle durchschneidend, wo er pfeilgeschwind aus dem engen Canal hervorströmt. Diese Fahrt brachte mir die Ueberzeugung bei, dass die Katarakten sich mit ge- schickten Fährleuten überwinden, und der Fluss sich im Canoe weiter Mein Quartier zu Kakamucka. 101 aufwärts verfolgen lasse. Die Herren Falkenstein und Pechu£el-Loesche haben dies später in der That ausgeführt. Ich kehrte nun in mein schon vorher erwähntes Standquartier zurück. Am linken Ufer, nach dem Wasser zu, öffnete sich ein aus- gerodeter Waldplatz, noch alle Spuren der frischen Verwüstung an sich tragend, und hier erheben sich die Hütten der kleinen, vom Lingster Makossu geschaffenen Handelscolonie Kakamuecka. Von hier aus unternahm ich tageweite Reisen durch den Urwald zu den verschiedenen Bayombe-Häuptlingen und lebte unter den Negern selbst Die Felswand gegenüber den Buminaschnellen. wie ein Neger. Die Eingeborenen brachten mir Hühner, Maniok und Bananen, zuweilen auch einen kleinen Ziegenbock zum Kauf. Einer der vielen, aus dem Boden aufragenden Baumstumpfe diente der Frau des Makossu, die mein Essen bereitete, als Mörser zum Zerstampfen der Palmnüsse, deren frisches, mit Capsicum-Pfeffer versetztes Oel das Huhn und den Ziegenbock unterschiedslos würzte. Die Frucht der Oelpalme gleicht einer mittelgrossen Pflaume und hat wie diese, Schale, Fleisch und Kern. Das Oel wird erhalten, indem man die Früchte zerquetscht und die breiige Masse durchseiht, damit Faser und Kerne zurückbleiben. Frisches Palmöl hat durchaus keinen 102 Leben in der Wildniss. unangenehmen Geschmack und muss als eine ebenso liebliche wie . nützliche Zuthat der Speisen angesehen werden. Ich nahm mein Quartier unter einem freistehenden Schutzdach an der Uferböschung. Eine Matte aus den Schaften des Papyrus war mein Lager und konnte mich nur nothdürftig gegen die Feuch- tigkeit des Bodens schützen. Ich schlief in meinen Kleidern, mit ver- hülltem Haupte, umschwebt von fein summenden Mosquitos, so dass ich mich stets vom Schlafe unerquickt und mit steifen Gliedern erhob. An Ruhetagen schrieb ich an derselben Stelle, entwarf die Skizze des aufgenommenen Flusslaufes und berechnete die angestellten astrono- mischen Beobachtungen. Diese Thätigkeit war mit so vielen Körper- LE. Einzelfrucht der Oelpalme. verrenkungen verknüpft, dass ich den angestrengtesten Marsch vor- zog. Für die mühselige und wilde Lebensweise fand ich mich vollauf entschädigt durch das Bewusstsein, auf einem, unserer geographischen Kenntniss noch unerschlossenen Boden zu stehen und bald die erste Kunde davon der Heimat zusenden zu dürfen. Die Landschaft Mayombe ist so wenig eine politische Ein- heit wie die Loangoküste. Auch hier giebt es keinen Herrscher, der das ganze Land regiert, und fast jedes Dorf hat seinen eigenen selbst- ständigen Herrn. Das Land dehnt sich auf beiden Ufern des Kuilu aus und ist durch den Wald charakterisirt, der die ganze Oberfläche in ununterbrochener Continuität bedeckt. Dieser Wald, von dem ich viele Quadratmeilen durchschritten habe, entspricht nicht unsern Vor- stellungen von einem tropischen Urwald und würde einen südameri- canischen Reisenden vielleicht enttäuschen; denn sein Habitus ist mehr unsern Hochwäldern angepasst. Die Alles überwuchernden Schlinggewächse tropischer Urwälder, die in die grünen Massen der Charakter des Hochwaldes. 103 aneinanderstossenden Baumkronen ein zweites Laubdach einweben und dem Wanderer nur ein Vordringen mit der Axt gestatten, treten hier überraschend zurück; sie fehlen allerdings nicht ganz, wie dies vor Allem die einst so stark vertretene, jetzt fast vernichtete Kautschuk- ranke (Landolphia florida) zeigt; aber sie treten immerhin zurück und lassen den schlanken Wuchs der hohen, buchenartigen Stämme unge- mindert in die Erscheinung treten. Das Unterholz unserer Hochwälder ist hier zum grössten Theil durch die grossen, paralleladrigen Blatt- gewächse der Scitamineen-Formen ersetzt, deren Hauptvertreter von den Eingeborenen „Masombe“ genannt wird; auch Farnkräuter fehlen nicht, aber die Entdeckung von Baumfarnen sollte erst einer meiner späteren Reisen vorbehalten bleiben. Vielfach wandelt der Fuss über trocknes Laub. Nie wird eine Axt an die Stämme dieses Waldes gelegt, ausgenommen an den Stellen, wo Platz für ein neues Dorf geschaffen werden soll. Ein Stamm fällt und bleibt, wie er gefallen ist, mag der schmale Pfad, der sich durch das Dickicht hinzieht, auch Jahre lang dadurch ver- sperrt werden. Ein ewiges Halbdunkel herrscht hier, und recht trübe Tage konnten glauben machen, dass eine Sonnenfinsterniss stattfände. Eine feuchte, treibhausartige Luft erfüllt die Atmosphäre und lastet wie ein ungewohnter Druck auf Geist und Körper. Die grosse Stille wird höchst selten durch das klagende Geschrei eines Vogels unterbrochen; Wild sieht man nicht. Wenn man stundenlang durch diese Wälder hingewandert ist, stets bergauf oder bergab, niemals eben, aufWegen, die für einen Weissen zu schmal erscheinen, über und über bedeckt sind mit glatten, schlüpfrigen Wurzeln, wenn man sich immer von Neuem mit dem Fusse in Zweige und Schlingpflanzen verwickelt hat, von andern Zweigen an den Kleidern festgehalten, von wieder andern in’s Gesicht geschlagen worden ist, so sehnt man sich nach freier un- gehinderter Bewegung, nach Luft und Licht und begrüsst mit Freude den ausgerodeten Waldplatz, auf dem das von Bananen und Palmen eingefasste Bayombe-Dorf sich erhebt. So coupirt nun das Terrain ist, über welches dieser Hunderte von Quadratmeilen in ununterbrochener Folge bedeckende Wald sich aus- dehnt, und zu wie ansehnlichen Höhen man sich erheben mag, so ge- hört es doch zu den seltensten Ausnahmen, wenn der Blick einmal nach der einen oder andern Richtung ungehindert in die Ferne schweifen kann. Selbst dann bleibt die Orientirung so einseitig, dass kein Bild von der Configuration des Bodens, im Besonderen nicht von bestimmten, vorherrschenden Richtungen der Bergzüge entworfen werden kann. Die Schwierigkeiten, welche der topographischen Thä- 104 Die Dörfer der Bayombe. tigkeit entgegenstehen, sind daher theilweise unüberwindlich. Alles, was der Reisende thun kann, ist, die Uhr, den Compass und das Aneroid möglichst oft abzulesen, um wenigstens den Zug des Weges und seine Niveauveränderungen zu erhalten. Dieses an sich rohe Ver- fahren wird durch die von Zeit zu Zeit eingeschalteten astronomischen Beobachtungen sehr brauchbar, und man empfindet es doppelt schwer, dass der trübe Himmel, der über den feuchten Wäldern Mayombes lagert, die Anwendung des letztgenannten Hülfsmittels nur ausnahms- weise zulässt. Die Dörfer der Bayombe unterscheiden sich in ihrer Bauart zwar nicht wesentlich von denen der Bavili (Küstenbewohner), dennoch machen sie einen andern Eindruck; ich glaube, dass die eigenthüm- liche Lage inmitten des Waldes das wesentlich Bedingende für sie ist. Die Hütten (Tschimbeks) sind auch hier von rechteckigem Grundriss, und Rundbauten kommen niemals vor. Der durch Verlängerung des Daches entstehende Vorplatz fehlt fast nie einem Tschimbek, und da- durch wird der Eindruck einer gewissen Behaglichkeit hervorgebracht. Andrerseits aber geht den Wohnstätten das saubere Ansehen ab, das in den wolgehaltenen Dörfern der Küstenbewohner so oft erfreut. Nicht immer werden Papyrusschafte für die Wände, noch auch Schindeln aus Palmfiedern für die Dächer benutzt; man greift auch zu dem leichter zu beschaffenden Material der grossblättrigen Schatten- gsewächse des heimatlichen Waldes. Das bereits erwähnte, von niedrigen Pfählen getragene Dach, die Sombra der Portugiesen, gewissermassen eine Hütte ohne Wände, spielt hier eine grosse Rolle, und wo ich die Gastfreundschaft eines Dorfherrn in Anspruch nehmen musste, wurde mir eine Sombra ein- geräumt. Die Wohnstätten stehen immer auf künstlich erhöhtem Boden, so dass man, auch bei dem stärksten Regen, vor unliebsamer Ueberschwemmung geschützt bleibt. Selten hat ein Dorf mehr als zwanzig. bis dreissig Hütten, die ohne bestimmte Anordnung, oft in weiten Zwischenräumen stehen, aber meist in der Mitte einen grös- seren Raum frei lassen. Die Anlage eines neuen Dorfes ist mit grossen Schwierigkeiten und dem Aufwand vieler Arbeit verknüpft. Das Umhauen der Bäume geschieht mit einfachen Faschinenmessern und beansprucht deshalb sehr lange Zeit. Ein so zugerichteter Platz ist fast undurchdringlich, er bildet ein wüstes Durcheinander von Stämmen,. vertrocknenden Baumkronen und stehengebliebenem Ge- büsch, das schliesslich der Gewalt des Feuers weicht. Ich hatte einmal den prächtigen Anblick einer solchen Feuers- brunst, die in der Nähe eines abzubrechenden Dorfes wüthete. Die Rodungen. Ackerbau. Hausthiere. 105 Gefahr des Waldbrandes ist dabei ganz ausgeschlossen, denn der Wald schützt sich selbst durch seine Feuchtigkeit. Abergläubische Furcht vor unbekannten Uebeln, die das längere Verweilen in dem alten Wohnsitze ihnen bereiten würde, können allein die Eingeborenen zu der kolossalen Arbeit des Ausrodens bewegen. In derselben Weise wie für die Dörfer, muss auch für die Maniok-Culturen der Platz ge- schaffen werden. Man kann daraus abnehmen, dass der Ackerbau sich auf Hervorbringung der allernothwendigsten Vorräthe beschränkt, und welche Zustände der Noth eintreten müssen, wenn mangelnde Regen — im Gebirge freilich eine Seltenheit — eine Missernte zur Folge haben. Daher spielt denn die Banane hier eine viel grössere Rolle als im Küstengebiet, und fast jedes Dorf verräth sich, noch ehe es sichtbar wird, durch kleine Bestände dieser unschätzbaren Baum- stauden. Nur selten kann man sich Yams oder süsse Bataten, häu- figer Erdnüsse verschaffen. Die Hausthiere sind dieselben wie an der Küste: Hühner und Ziegen, während stattliche Enten und glatthaarige Schafe zum Leidwesen des Reisenden kaum gesehen werden. Schweine sind nur in einzelnen Dörfern, dann freilich meist in grösserer Zahl anzutreffen. Sie versehen in noch höherem Masse als die Hunde in den Städten des Orients das Amt der öffentlichen Strassenreinigung und fressen mit Begierde den widerlichsten Unrath.. Man sagt, dass wo Schweine sind, sich keine Schlangen aufhalten; mit welchem Recht, lasse ich dahingestellt. Ein Bild des Elends und der Beharrlichkeit bieten die kleinen gelben Hunde, die in allen Bayombe-Dörfern um- herlaufen. Meist sieht man sie mit der Nase über dem Boden hin- schnüffelnd die kärgliche Nahrung suchen; sie müssen überaus zäher Natur sein, dass sie nicht nur ihr Dasein auf der Grenze des Ver- hungerns so lange fristen, sondern auch für eine reichliche Nachkom- menschaft sorgen können, der dasselbe Schicksal bevorsteht. Nur die zur Jagd gebrauchten Hunde sind in besserer Verfassung und scheinen sich einiger Sorgfalt von Seiten ihrer Herren zu erfreuen. Der Eindruck, den die äussere Erscheinung der Bayombe-Neger macht, ist wenig vertrauenerweckend, ja geradezu abstossend. Ich spreche nicht von dem ersten Eindruck, der bei keinem direct aus der Heimat kommenden Europäer für die Beurtheilung der Schwarzen massgebend ist, sondern von dem Bilde, das sich mir nach langem und wiederholtem Aufenthalt im Lande eingeprägt hat. Anfänglich wird kaum ein Europäer an dem Anblick eines Negers Gefallen haben und findet sie wol alle gleich hässlich; nach einiger Zeit lässt er Unterschiede gelten und sagt sich in der einen oder andern Form, dass der Mann für einen Neger so übel nicht ist. Aber erst, wenn 106 Aeussere Erscheinung der Bayombe. ihm die eigne weisse Haut unnatürlich erscheint und er anfängt, sich zu wundern, dass nicht alle Menschenkinder der Wolthat einer sam- metweichen, kühlen, dunklen Haut theilhaftig geworden sind, wird jeder Farbige für ihn ein vom andern unterschiedenes Individuum. Dann erst ist der richtige Massstab für die Beurtheilung gefunden, und die Möglichkeit gegeben, in den Physiognomieen zu lesen, gut- artige von malitiösen, schöne von hässlichen zu unterscheiden. Aus den Gesichtszügen der Bayombe kann der Reisende wenig Verheissendes für sich herauslesen. Es spricht aus ihnen lauernde Hinterlist, Habgier und Frechheit; und der Verlauf meiner eignen Reisen ist der beste Beweis dafür, dass sie diese Eigenschaften auch wirklich besitzen. Indessen wäre es ein Irrthum, zu glauben, dass ihnen die hässlichen Merkmale des sogenannten Negertypus: breit- gedrückte Nase, aufgeworfene Lippen, vorstehender Unterkiefer, über- mässig lange Arme, wadenlose Unterschenkel, platte Fusssohlen in hervorragendem Masse zu eigen seien. Individuen, die alles dies ver- einigen, gehören zu den seltensten Ausnahmen; ‘nur die eingedrückte, breitflügelige Nase ist fast allen gemein; und abstossend erscheinen die Gesichter hauptsächlich dann, wenn von der Mitte dieser Nase breite Falten zu beiden Seiten des Gesichtes hinablaufen. Es lassen sich fein geschnittene Gesichter, mit schmalen Lippen und ohne irgend welchen Prognathismus beobachten. Die Figur ist meist schlank und von Mittelgrössegdie Farbe ist dunkelbronzen. Ein Bayombe von Eben- holzschwärze würde, und dies gilt für alle benachbarten Stämme, eine auffallendere Seltenheit sein als ein Albino. Männer wie Weiber sind stets mit dem Lendenschurz bekleidet, der hier noch vorzugsweise aus einheimisch gewebten Pflanzenzeugen hergestellt wird und nur bei den Vornehmeren durch Baumwollen- stoffe verdrängt ist. Das Pflanzenzeug ist je nach dem Bast, der meist von der Raphia gewonnen wird, von verschiedener Feinheit. Das Zeug hat etwa die Farbe der rohen Seide, und der daraus gefertigte Schurz ist ausserordentlich kleidsam ; häufig werden die Gewebe schwarz gefärbt. Die Stücke, wie sie aus dem Handwebstuhle hervorgehn, werden mit einer pfriemförmigen „Bansa“ (Spaltstück der harten Palm- rippen-Schale) und Pflanzenschnur zusammengenäht. Das Bekleiden des Öberkörpers ist selbst bei Frauen eine Ausnahme, welche sich nur Fürsten, vornehme Häuptlinge und Händler gestatten. Von den Männern werden vielfach eiserne Armringe in verschiedener An- zahl getragen und zwar meist am linken Arm, während der kupferne Ring des auch hier existirenden Lembefetisches das rechte Handgelenk ziert. Frauen lieben dagegen mehr Ringe aus Messing, deren ich Tätowirung der Frauen. Kinder. 107 einmal bis dreiundzwanzig an einem Arme zählte Auch die Fuss- gelenke umschliessen sie gern mit Beinringen, sogenannten „Milunga“; letztere sind häufig so dick, dass sie das Gehen erschweren. Weit beliebter und verbreiteter als an der Küste ist hier die Sitte des Täto- wirens beim weiblichen Geschlecht; meist werden schöne, geometrische Figuren eingeschnitten, die symmetrisch auf beiden Seiten des Nabels angebracht sind und sich oft bis zu den Brüsten aufziehn. Die Männer sind frei von dieser mit vielen Schmerzen erkauften Eitelkeit; zwar ist auch ihre Haut vielfach mit Narben bedeckt, diese rühren aber von häufig vorgenommenen Schröpfungen her. Völlig nackt laufen die Kinder umher, nur sind sie mit Fetischen an Hals und Hüften überladen. Denn der Fetischismus tritt in Mayombe in crasserer, auch dem Auge sichtbarerer Form auf als an der Küste. Die Mütter tragen ihre Säuglinge meist rittlings auf einer Hüfte, viel seltener auf dem Rücken. Die Kleinen laufen, auch wenn sie schon gehen können, in ihren Spielen mit Vorliebe auf allen Vieren und nehmen durch das häufige Umherwälzen auf der Erde eine aschgraue Hautfärbung an, die jeder anthropologischen Farbenscala spottet. Der vornehmste Neger Mayombes ist der Nganga Mvumbi in Tschilima; er wohnt auf der rechten Kuiluseite, einige Stunden von der Niederlassung des Makossu entfernt, und ich schickte mich an, ihn zu besuchen. Die Beschreibung dieses Ausflugs wird es mir er- sparen, die übrigen, nach andern Richtungen gemachten zu schildern. Ich verliess meinen Lagerplatz am Tage, welcher dem Besuche der Buminakatarakten folgte, des Morgens um acht Uhr, setzte über den Fluss und gelangte in nordnordwestlicher Richtung nach zwei und einer halben Stunde durch dichten, grossartigen Wald zu dem Dorfe des Nganga Mvumbi. Nur wenige Neger bildeten meine Begleitung. Derjenige unter ihnen, welcher als Koch diente, verstand zur Noth so viel Portugiesisch, um auch den Dolmetscher spielen zu können. Als ich gegen elf Uhr das Dorf betrat, in dem sich bis dahin noch nie ein weisses Gesicht gezeigt hatte, entstand grosse Aufregung, die sich bei den Kindern als Furcht, bei den Weibern als scheue Neu- gier und bei den Männern als mehr oder minder verwundertes An- staunen meiner Person äusserte. Ich liess mich sogleich nach der Wohnstätte des Prinzen führen, wo denn auch ohne Weiteres ein feierlicher Empfang improvisirt wurde. Man setzte in die Sombra, wo die Feierlichkeit stattfand, eine leere Ginkiste und bedeckte sie mit einem rosageblümten Stück Zeug. Diesen für mich bestimmten Ehrensitz nahm ich alsdann ein und befand mich dem Nganga Mvumbi gegenüber, der von seinen Verwandten und den Ersten des Dorfes 108 Besuch des Prinzen Nganga Mvumbi. umgeben, auf einer Matte niederhockte; hinter ihm wartete ein mit Fliegenwedel bewaffneter Neger seines Dienstes, draussen standen in dichter Zahl die übrigen Bewohner, Frauen und Kinder in besonderer Gruppe. Alles verschlang mich mit den Augen und wollte in mög- lichst kurzer Zeit so viel wie nur irgend möglich aus mir heraussehn. Aber ich gab es ihnen reichlich zurück. Dem Prinzen liess ich nun zum ersten Mal die Rede halten, die in der Folge bei allen Be- grüssungs-Palavern in allen möglichen Variationen und Ausführungen wiederholt wurde: Ich sei zu ihm gekommen, nicht um Handel zu treiben, sondern um das Land zu sehn; ich hätte gehört, dass er ein grosser Prinz sei, und mich deshalb aufgemacht, ihn mit meinen eignen Augen zu sehn; ich sei ein grosser Freund der Neger und hätte noch nie Einem von ihnen etwas Böses gethan; namentlich aber sei ich sein Freund und zum Beweise dafür hätte ich ihm ein Ge- schenk mitgebracht, er möge nun auch mein Freund sein, damit ich Alles sehen könne, Alles, Alles, Alles! Dann überreichte ich ihm Zeug und eine Flasche Rum, die mit einem gewissen Ceremoniel wäh- rend der Sitzung genossen wurde. Am Ende der Rede klatschten alle Anwesenden in die Hände, zum Zeichen dass sie verstanden hätten, was ich wollte. Der Prinz verschwand darauf und kam mit dem fürst- lichen Gegengeschenk einer Ziege und eines Bananenfruchtzweiges zurück. Ausserdem liess er ein Huhn für mich schlachten und dem Koch einhändigen. Der alte Nganga Mvumbi zeigte in seinem Be- nehmen eine gewisse Gutmüthigkeit und war doch derselbe Mann, der mich ein Jahr später mit seinem planmässig betriebenen, passiven Widerstand zur Verzweiflung brachte. Ich sass ihm nun längere Zeit gegenüber, damit er und seine Unterthanen sich hinreichend satt an der neuen Erscheinung sehen könnten; dann zog ich mich nach der mit Matten ausgelegten Sombra zurück, die der Prinz mir überwiesen hatte, und wohin man die grüne Ginkiste mit dem rosageblümten Tuch gleichfalls brachte. Nun folgten alle Neger dorthin, auch der Nganga Mvumbi, der fortfuhr mich zu betrachten. Der staunenden und gaffenden Menge, die mich umstand, entfuhren neue Ausrufe der Verwunderung, als ich Buch und Bleistift vornahm und meine Notizen machte. Es war mir selbst überraschend, dass das Schreiben eine so grosse Sensation hervorbrachte; aber auch an allen Orten, die ich später besuchte, war die Wirkung dieselbe. Als das Huhn bereitet war, hatten sämmtliche Neger die nicht genug zu schätzende Rücksicht, sich zu entfernen und mich allein in - der Gesellschaft meines Ziegenbocks zu lassen. Es ist eine allgemein gültige Wahrnehmung, dass die Eingeborenen den Weissen niemals Einförmigkeit des grossen Waldes. 109 beim Essen belästigen; sie haben unsere schöne Regel, dass man Thiere nicht beim Fressen stören soll, auf Menschen übertragen, und so konnte ich mir stets, selbst an den aufregendsten Palavertagen, mit der Malzeit eine halbe Stunde Ruhe erkaufen. Bei der Wanderung durch’s Dorf, das etwa sechszig Hütten zählt, für die dortigen Verhältnisse also ungewöhnlich gross ist, erschien sogleich wieder eine Escorte, jedoch ohne den Nganga Mvumbi; dieser benutzte seine Zeit besser, indem er das beim Empfange getragene Kleid wechselte, um sich in einem neuen Festgewand, einem blauen Kutschermantel mit rothem Kragen, von mir verabschieden zu können. Wir verliessen uns als grosse Freunde, und ich wanderte zu meinem Lager zurück. Ein anderer, mehrtägiger Ausflug vom Tschimbek des Makossu führte mich an die nördliche Grenze des Gebietes der Bayombe zu den Balumbu-Negern; wieder andere wurden auf der linken Kuilu- seite ausgeführt. Immer aber sah ich dasselbe, was ich bereits Tags zuvor gesehn hatte: einen überali gleichgearteten Hochwald auf einem, von vielen kleinen Zuflüssen des Kuilu coupirten, scharf ein- geschnittenen Terrain. Daher schienen mir weitere, noch dazu so an- strengende Märsche von keinem Nutzen zu sein. Wo die Natur die erhabene Einförmigkeit immensen Waldgebietes über eine Gegend ausgebreitet hat, lässt sich geographisch nicht viel erreichen. Auch im Uebrigen wird keine Mannigfaltigkeit erwartet werden dürfen. Die wenigen Dörfer, die sich auf den künstlich ausgehauenen Lichtungen erheben, gleichen einander und sind nur durch den Grad der Säube- rung des Bodens und durch die Zahl der Palmen und Bananen, die den Platz umgeben, unterschieden. Selbst den Bewohnern, ihrer Sitte und Lebensweise hat sich der düstere Charakter ihrer Umgebung aufgeprägt. Daher empfand ich doppeltes Verlangen, die Reise nach Yangela auszuführen, um dieser landschaftlichen Gefangenschaft zu entkommen und die Exploration weiter auszudehnen. Zunächst freilich, als ich nach der Ankunft beim Makossu die Absicht, nach Yangela vorzudringen aussprach, wurde mir mit fast verächtlichem Lächeln und dem wiederholten portugiesischen Ausruf: „Branco näo pode“ (das kann ein Weisser nicht) geantwortet. Das war ganz natürlich. Diejenigen Neger, die überhaupt Weisse gesehen hatten, wussten, dass diese nur in einer Hängematte reisten, unter Dach und Fach schliefen und selbst die kleinsten Entfernungen nicht zu Fuss zurücklegten. Nun kam frisch von Europa her ein Mann, der von all diesen Dingen Nichts wissen wollte, der behauptete, er werde nach Negerart eine Reise in’s Innere machen: eben so gut IIO Vorbereitungen zur Weiterreise. hätte er behaupten können, er werde sich aus einem weissen Mann in einen schwarzen verwandeln. Die Eingeborenen hielten mein Vor- haben kaum für ernsthaft. Sie giengen zu allererst darauf ein, wie man auf einen Scherz eingeht, und als die Ueberzeugung in ihnen auf- dämmerte, dass von einem Scherz doch wol nicht die Rede sei, wollten sie überhaupt Nichts mehr von der Sache wissen. Aber meine Lebensweise, das theilweise Annehmen der Sitten der Neger, das viele Ausfragen am nächtlichen Feuer und vor Allem das Mirakel, dass ich wie ein Bayombe tagelang durch den Wald wandern konnte, bewirkten allmählich eine Sinnesänderung. Die Neger sahen, dass es nur an ihnen, nicht aber an dem Weissen liegen würde, wenn die Reise nach Yangela nicht zu Stande käme. Es gelang mir daher wirklich unter dem Beistande Makossus allmählich zwölf Neger, sechs Bavili und sechs Bayombe, zu engagiren. Darunter befand sich der eigne Bruder jenes Händlers. Er behauptete das Land zu kennen, sprach portugiesisch und sollte als Führer und Dolmetscher dienen; der Mann war also ein grosser Schatz für mich; leider wurde er krank, noch vor dem Aufbruch, und die Noth war gross, einen Ersatz zu finden. Es fand sich denn auch keiner, und der nur sehr dürftig portugiesisch redende Koch Nduli musste den Ausfall ersetzen, so gut es angieng. Ich theilte das Gepäck in zehn leichte Lasten für die Leute. Die meisten Sachen waren in Muteten (lange, einheimische Tragkörbe) verpackt, nur die nothwendigen Bü- cher und das Wenige, was ich an Kleidern und Wäsche besass, be- fand sich in zwei Koffern. Den Prismenkreis und den künstlichen Horizont liess ich, nur in wasserdichtes Zeug verpackt, durch einen besonders geschickten Neger tragen, der stets bei mir bleiben musste. Ein grosser, korbumflochtener Glasballon, ein sogenannter Garafäo der Portugiesen, bis oben hin mit Rum gefüllt, war eine Last für sich; sein Inhalt sollte mir den Weg bahnen helfen. Im Uebrigen bildeten Zeug, Perlen, Messingringe, Spiegel und Messer meine Tauschartikel. An Provisionen besass ich nur einen Sack mit Reis, Thee und etwas Cognac; den Rest des Benöthigten hoffte ich von den Eingeborenen einhandeln zu können. Man kauft Nahrungsmittel meist von den Weibern ein, nament- lich den Maniok, und darnach musste die Auswahl der Zahlungsmittel getroffen werden. Verhältnissmässig war ich nur auf geringe Schwie- rigkeiten beim Engagiren der Träger gestossen; denn was sind acht Tage des Wartens und der Hin- und Herrede in Africa? Der Grund war der, dass es sich nicht um ein unbestimmtes Ziel handelte, sondern um einen, im Vertrag ausdrücklich bezeichneten Ort, den der Fieber zur unrechten Zeit. Fabeleien. III Eine oder Andre schon besucht hatte. An eine lange Abwesenheit konnte ich vorläufig nicht denken; denn ich war in meinen Mitteln ganz reducirt und musste ferner den Ersatz der untergegangenen Ausrüstung erwarten. Ich hatte bereits auf meinen Streifzügen Kosten gelernt, was es heisst, mit durchnässten Kleidern zu exploriren, und musste dafür zahlen, als ich eben hoffte, die ersehnte Reise anzutreten. Mitten im Packen ergriff mich das Fieber mit solcher Gewalt, dass ich mich auf das Lager warf und den halben Tag und die ganze folgende Nacht unbeweglich liegen blieb. Zu den grässlichen Fieberträumen gesellte sich das Gespenst der unmöglich gewordenen Reise, und das Brüllen und Tanzen meiner nun vollzählig versammelten Träger stei- gerte nur die unbeschreiblichen Qualen. Als ich mich am folgenden Morgen erhob, konnte ich nur taumelnd vorwärts gehn, während alle Glieder schmerzten; aber der Gedanke, selbst Anlass zu sein, dass die Abreise nicht zur festgesetzten Zeit erfolgte, quälte mich so, dass ich, noch halb im Fieberwahn, den Befehl zum Abmarsch gab. Könnten doch Diejenigen, denen die Erforschung Africas nicht schnell genug voranschreitet, die in der beschaulichen Ruhe eines gesicherten Heims wähnen, dass sie Alles weit besser gemacht haben würden, einmal selbst erproben, was der Reisende in der Erfüllung seiner Pflicht zuweilen zu ertragen hat und nur durch eigne Kraft über- winden kann; sie würden sicherlich gerechter urtheilen lernen, selbst erschrocken sein vor ihrer selbstgefälligen Grausamkeit und heraus- fordernden Ungerechtigkeit. Der Zielpunct meiner Reise war das Land Yangela, das von den Bakunya bewohnt wird; dies schienen die einzigen Namen zu sein, mit denen die wenigen zur Information geneigten Neger noch einen bestimmten Begriff verbanden. Alles Andre kam wüst durcheinander und endete in einer Zahl von Märchen, die von den wilden Völker- schaften erzählt wurden. Da waren auf der linken Seite des Kuilu: Bakunya, Bayaka, Basundi, Bakamba und Badonde; auf der rechten: Bayaka, Bantetsche, Bakuta, Bavumba, Basinika, Balali; und da- zwischen gesät Babongo. Von diesen Völkerschaften trugen die einen Nasenringe, die andern waren ganz klein, hatten aber sehr grosse Köpfe und schliefen in Kürbisschalen, wieder andere hatten einen Schwanz und mussten sich ein Loch in die Erde bohren, ehe sie sich niedersetzten, die Schlimmsten endlich hatten nur einen Arm und ein Bein und konnten nicht wieder allein aufstehn; alle aber waren sie Menschenfresser. Von den Bantetsche wurde erzählt, sie glaubten, dass alle Menschen, die von der Küste kämen, salzhaltig seien, daher 112 Marsch durch den Wald. schlichen sie sich an diese im Schlaf heran und legten ihnen Bananen auf die Haut, um die Früchte zu salzen. Der König von Tschintetsche erhöbe sich nur mittelst zweier Lanzen, die auf die Brust zweier dem Tode geweihten Unglücklichen gesetzt seien. An alle diese Geschichten wurde fest geglaubt wie an die Macht der Fetische. Man darf sich also nicht wundern, wenn alle Ueberredungskünste zur Gewinnung von Begleitmannschaften auf eine Reise in’s Unbestimmte scheiterten. Der Weg nach Yangela, den ich zu gehen vorhatte, durchschneidet das auf der linken Seite des Kuilu gelegene Land. Er verlässt, vom Tschimbek des Makossu ausgehend, sogleich den Fluss und zieht sich in einem weiten Bogen wieder oberhalb an denselben heran. Bedenkt man, dass der Kuilu auf der ganzen Strecke bereits ein Gebirgsfluss ist, und dass zahlreiche, wenn auch meist unbedeutende Wasserläufe ihm daselbst zufliessen, so ergiebt sich der Charakter des Weges fast von selbst als eine stete Folge zu durchschneidender Thäler und zu übersteigender Bergrücken. Wir hatten während der ersten Stunden fünfmal Bäche zu passiren, um über die Dörfer Kakamueka und Ma- tonde zum Dorfe des Muboma Nganda zu gelangen. Der Wald blieb stets von derselben Beschaffenheit, grossartig und monoton, aber die lehmigen, steilen Pfade ‚waren in Folge der letzten regnerischen Nacht so schlüpfrig, dass ich bei meiner Fieberschwäche fast das Doppelte der gewöhnlichen Zeit gebrauchte und dennoch mehrmals zusammen- zubrechen fürchtete. Das Dorf des Muboma gehört zu den grösseren des Landes, und bei den hier existirenden Machtverhältnissen gilt dieser Neger bereits für einen respectablen Herrscher. Ich hatte mir bereits Tags zuvor durch ein Geschenk von drei Stücken Zeug und einer Mütze den freien Durchzug von ihm erkauft und war so glücklich, ihn nicht in seinem Dorfe anzutreffen und ungestört der Ruhe pflegen zu können, deren ich so sehr bedurfte. Doch trieb ich meine stets zum Bleiben geneigten Neger noch am Nachmittag zum Weitermarsch und langte mit einbrechender Dunkelheit zu dem der Prinzessin Makoboala gehörigen Dorfe Konde. Hier hatte ich zum ersten Mal seit langer Zeit eine freie Aus- schau, und es machte mir eine ganz besondere Freude, in Ostnordost einen in der Nähe des Kammes unbewaldeten Bergrücken zu er- blicken. Ein Palaver von kurzer Dauer gestattete mir sehr bald, mich mit meinen eignen Angelegenheiten zu beschäftigen. Fast bedauerte ich, dass die Sterne klar am Himmel standen, denn nun musste ich, trotz aller Abspannung Alles auspacken, was für die astronomischen Beobachtungen nöthig war, die Laterne in Stand setzen, einen Platz aussuchen und den Horizont aufstellen. Als Alles beendet war, die In freieres Terrain. 113 Beobachtung mit dem Sextanten eben beginnen sollte, war der ganze Himmel dick bezogen und blieb so. Ich hatte nur noch einzupacken, ‚mit ebenso zerschlagenen Gliedern, wie ich ausgepackt hatte, um dann endlich den todtmüden Körper auf der Loangomatte auszustrecken und vom Schlaf neue Stärkung zu erhoffen. Am folgenden Morgen (am achten November) erhob ich mich vor Sonnenaufgang und hiess die Träger sich zurecht machen; das Zu- sammenpacken und Festschnüren der Lasten erfordert meist eine Stunde. In der Zwischenzeit muss Nduli, der Dolmetscher, den Thee in der besten aller Reise-Kochmaschinen, in einem mir verbliebenen preussischen Militärkochgeschirr bereiten und einige Bananen rösten. Dies bildet den Morgenimbiss, ohne den es sehr thöricht wäre, sich den Anstrengungen des Tages zu unterziehn. Um sieben Uhr setzte sich unsre kleine Karawane von Neuem in Bewegung, durchschritt sogleich den Tifundobach, und dann den Mansi, ein stattliches Flüsschen, mit klarem rauschendem Wasser, das den Kuilu oberhalb der Bumina-Katarakten erreicht. Das Terrain blieb in der ersten Stunde etwas freier und zeigte sich mit einigen Palmen, Blattgewächsen und Malvengesträuch bestanden, und dann erst be- gann wieder der eigentliche Wald. In diesem stiessen wir auf das klare Wasser des Mbi und marschirten eine halbe Stunde lang in seinem Bett, da es zu keiner Seite einen Weg gab. Ich musste bar- füssig auf den kleinen runden Kieseln gehn, eine Strafe, die der- jenigen der Bastonade völlig gleichkommt; selbst die Neger mit ihrer elastisch-hornigen Fusssohle fangen an, auf solchem Boden vorsichtig zu treten, für mich waren mit dieser Art des Marschirens natürlich grosse Schmerzen verbunden. Nur kurze Zeit lang gab es wieder trocknen Pfad, dann gelangten wir an ein System sumpfiger Zuflüsse, durch deren Morast wir uns hindurcharbeiteten. Hier herrschte eine ungesunde feuchtwarme Fieberluft, die ich bei dem schnellen Marsch- tempo in vollen Zügen einathmen musste, und die für meinen recon- valescenten Zustand etwas sehr Bedrückendes hatte. Wir waren zwei und eine halbe Stunde von Konde aus marschirt, als wir uns plötzlich am Rande des Waldes fanden und nun eine Zeit lang an dessen Saum hingiengen. Seit meinem Eintritt in’s Gebirge hatte ich kein freies, unbewaldetes Terrain betreten und erfreute mich mehr, als man sich vorstellen kann, der Wolthat einer reineren Luft, eines trocknen reinlichen Pfades, ohne Wurzeln, ohne Fussschlingen, ohne Baumstämme über die hinweg geklettert werden musste, ohne Zweige die in’s Gesicht schlugen oder die Hände zerkratzten. Der Wald blieb zur Linken, während zur Rechten ein grüner Abhang an- Loango. I, 8 114 Qualvolle Stunden. stieg und sich zur Spitze eines mit Quarzblöcken bedeckten Berges hinaufzog. Als das Terrain noch freier wurde, betraten wir ausge- dehnte Grasfluren, und auf diesen wuchsen dieselben Sträucher (Ano- naceen), die ich zwischen Nsiamputu und Nkondo Ndindschi so vielfach beobachtet hatte. Beim weiteren Fortgehn eröffnete sich eine gross- artige Berglandschaft. Wir befanden uns in der Nähe des Uebergangs einer der von Südost nach Nordwest streichenden Ketten und über- schritten um zehn Uhr eine unbewaldete Passhöhe. Ein hoher Berg, mir als „Nsumi‘ bezeichnet, erhob sich sehr schroff zweihundertvierzig bis dreihundert Meter über unserm Standpunct, der etwa einhundert- zwanzig Meter hoch war. Auf diesen Berg gieng der Weg los und zog sich dann um ihn herum, theils durch Wald führend, theils über freie Hänge fort. Wir waren ohne Pause vier Stunden lang sehr schnell marschirt. Denn die Neger, wiewol in vielen Verrichtungen träge, zeigen sich, so lange sie im Marschiren begriffen sind und keine zu schwere Last zu tragen haben, äusserst agil und gehen im Tempo der gehetzten Bewohner unserer grossen Städte. Meine kaum wiederkehrenden Kräfte waren daher schnell aufgebraucht, zumal da es gerade an diesem Tage aussergewöhnlich heiss war. In Angstschweiss gebadet, von Durst gepeinigt, von innerem Feuer verzehrt, mit glühendem Kopf und dem quälenden Schmerz der hereinbrechenden Ohnmacht, schleppte ich mich bis zur nächsten Wasserpfütze und suchte mir mit nassen Tüchern Kühlung zu schaffen. Dann raffte ich mich auf, folgte den Trägern, ganz mechanisch Compass und Uhr ablesend und aufschreibend, und erreichte Mittags um zwölf Uhr das grosse Dorf des Mani Mbandschi. Bald lag ich in einem halbsomnambülen Zu- stande unter der schützenden Sombra, die der Prinz mir hatte an- weisen lassen. Ich kam mir vor, als ob ich dicht neben mir noch einmal als ein zweiter Mensch existirte, und dann wieder, als ob mein Kopf nirgendswo begrenzt sei und in’s Unendliche fortgienge. Eine dichte Menge stand vor der Sombra und starrte in dieselbe hinein, aber trotzdem herrschte minutenlanges tiefstes Schweigen. Nur mit Mühe konnte ich mich aus- und umkleiden. Damit die Decenz dabei gewahrt blieb, mussten zwei meiner Leute die Reisedecke wie einen Vorhang halten, und nachdem die Toilette beendet war, legte ich mich von Neuem nieder, verschluckte eine grosse Dosis Chinin und suchte meine Kräfte durch heissen Thee zu beleben. Das Erscheinen des Mani Mbandschi scheuchte mich wieder auf. Von diesem Neger war mir viel erzählt worden; er galt für sehr mäch- tig, aber auch für einen Trunkenbold und heimtückischen Schurken. Ein Bayombe-Weber. 115 Man sagte, er habe den Schlüssel für den Weg nach Yangela in der Hand, und Nduli sprach von einer mysteriösen Pforte, die ohne Er- laubniss nicht passirt werden könne. Ich war daher wenig angenehm berührt, als ich den Mani Mbandschi vor mir sah und auf seinem Ge- sicht alle die widerwärtigen Eigenschaften des Bayombe- Charakters las. Ein deformirter schmutziger Hut aus weichem Filz machte eine wahre Banditen-Erscheinung aus diesem Prinzen, der zur Begrüssung noch einen rothen englischen Waffenrock mit grünen Aufschlägen und einer ıı in den Achselklappen angelegt hatte. Es war mir be- kannt, dass er mit der Küste Zwischenhandel trieb; es lag in seinem Interesse, jeden Versuch zurückzuweisen, den weisse Händler zum Vor- schieben ihrer directen Beziehungen machten. Ich liess ihm daher mit besonderer Umständlichkeit auseinandersetzen, dass ich selbst nicht des Handels wegen gekommen sei, dass alle Neger in Loango und Kabinda dies auch lange wüssten, dass die Bayombe aber eben so viel werth seien wie die Bavili der Küste, und gleichfalls vom Weissen selbst erfahren sollten, dass er noch nie ein einziges Stück Gummi noch eine Muteta Palmöl gekauft habe. Diese Auseinander- setzung, mit allen Zuthaten der Beschreibung ausgeschmückt, nahm zum Mindesten eine halbe Stunde in Anspruch, aber auf den unbeweg- lichen Zügen Mani Mbandschis war eine Wirkung nicht zu lesen. In- dessen verliess er mich, noch ohne ein Geschenk empfangen zu haben, und brachte bald die übliche Ziege mit Bananen. Darnach riskirte ich es, auf dem freien Platze vor der Sombra eine Zeitbestimmung mit der Nachmittagssonne vorzunehmen, und sah mich dann in dem Dorf um. Ich fand es sehr gross und zählte über hundert Hütten, die durch viele eingestreute Palmen und Bananen in mehrere freund- liche Gruppen getheilt sind. Die Leute wurden nach und nach zu- traulicher, während anfänglich eine plötzliche Drehung des Kopfes einen Theil der Neugierigen scheu zurückweichen liess. Lange sah ich einem Weber zu, der mit seinem Handwebestuhl ein hübsches Zeug herstellte, neben ihm spaltete ein Gehülfe den Palmenbast mit dem Nagel zu feinen Fäden. Verhängnissvollerweise hatte ich im Eifer des genauen Zuschauens den portativen Fetisch meines fleissigen Webers berührt, der Unglückliche glaubte, ich wollte ihm seinen Talisman nehmen, stiess den durchdringenden Schrei eines in höchster Noth befindlichen Menschen aus, und lief, an allen Gliedern zitternd, hinaus auf die Strasse. Schon befürchtete ich einen Aufstand, doch zum Glück waren einige meiner Träger hinter mir, die sich in dieser Eigenschaft als „esprits forts“ fühlten und anfingen zu lachen. Damit gieng die Sache in’s Scherzhafte über, der Flüchtling kehrte zurück, 8* 116 Nächtliches Palaver um das „Thor“ von Yangela. und wurde durch ein kleines Geschenk völlig besänftigt. Später ge- lang es mir, ungesehn aus dem Dorf zu schleichen, und gegen Sonnen- untergang eine halbe Stunde ruhiger Sammlung inmitten einer gross- artigen Gebirgsumgebung zu verbringen. Das Schwerste stand mir noch bevor, das grosse Palaver, von dem der weitere Verlauf meiner Reise abhieng. Der Prinz erschien mit grossem Gefolge vor meiner Sombra, als die Nacht völlig eingebrochen war; und liess sich an der Schwelle nieder, während ich selbst auf der Matte liegend, von meinen Leuten umstanden, mit dem Dolmetscher zur Seite, der Dinge harrte, die da kommen sollten. Die Scene war mit Fackellicht beleuchtet, und Mani Mbandschi sah geradezu diabolisch aus. Das Palaver begann mit der Rede, die mein Lingster halten musste. Darin wurde Alles noch ein- mal wiederholt, was bereits am Mittag gesagt war, und dann kam die Ankündigung meines Geschenkes. Ich bot zunächst drei Stück (achtzehn Yards) Zeug, eine rothe gestrickte Mütze und zwei Flaschen Rum, und kämpfte aus Leibeskräften für die Annahme, denn der Mani Mbandschi wollte nichts davon wissen. Die Zähigkeit gegen weitere Bewilligungen war aber nothwendig, weil die Höhe des ge- machten Geschenkes nie ein Geheimniss bleibt, und von dem Häupt- ling, dem man den nächsten Zoll zu entrichten hat, als Minimalfor- derung festgehalten wird. Nach resultatlosem Hin- und Herplänkeln hub der Prinz in langer Rede an auseinanderzusetzen, wer er eigent- lich sei. Er habe das Thor nach Yangela in seinen Händen, ohne seinen Willen könne es Niemand passiren; er sei ein schwarzer Prinz, was eben so viel sei wie ein Weisser; er verlange von mir zehn Stück Zeug, ein Gewehr, ein Fass Pulver, fünfundzwanzig Flaschen Rum. Dem Werthe nach repräsentirte dies etwa den fünften Theil meiner ganzen Habe; in Wirklichkeit besass ich einige der verlangten Artikel gar nicht. Hier versteckte sich hinter der Habsucht noch die schlim- mere Absicht, mein Vordringen zum Scheitern zu bringen. Bei der leichten Erregbarkeit, der ich in Folge des Fiebers und der ausge- standenen Anstrengungen unterworfen war, packte mich der Zorn und inspirirte mich zu einer eben so langen Rede, wie Mani Mbandschi sie eben gehalten hatte. Ich stellte ihm seine Ungerechtigkeit vor; er wisse recht gut, dass ich keinen Handel treibe; ich habe immer nur zu geben und gewänne niemals etwas; Mani Mbandschi sei ein schlechter Prinz, er verstehe gar Nichts davon, wie man einen Weissen zu behandeln habe; er wolle ihm Alles wegnehmen, damit der Weisse verhungere; er sage, er sei ein mächtiger Prinz; er wisse gar nicht, was ein mächtiger Prinz sei; der Weisse habe einen König, der sei Meine Rede vom guten und schlechten Prinzen. 117 mächtig, der habe ein Land, das von hier bis an’s Meer gehe, und von hier bis nach Yangela und noch viel weiter, und dann noch zehn- mal so lang wie breit sei; der habe ihn geschickt, um zu wissen, ob die Schwarzen auch gute Menschen seien, und wie ihr Land und ihre Häuser und die Bäume 'aussähen; an den werde der Weisse jetzt gleich schreiben, dass der Mani Mbandschi ein schlechter Prinz sei und nicht verdiene, dass man ihn besuche. Wenn aber Mani Mbandschi von seiner Forderung abstehe, den Fremden ungehindert weiter reisen lasse, so solle er zur Belohnung fünf Stücke Zeug erhalten, anstatt dreier und vier Flaschen Rum, anstatt zweier; und der grosse König des Weissen solle erfahren, dass Mani Mbandschi ein guter Prinz sei, der einen Weissen gut zu behandeln verstehe. — So floss das Neger- portugiesisch von meinen Lippen, durch vielfache Wiederholung zu einer Rede von parlamentarischer Länge sich gestaltend, und durch Verdolmetschung zum doppelten Umfang anschwellend. Das Wich- tigste war, dass ich nicht in den Wind gesprochen, sondern einen grossartigen Eindruck hervorgebracht hatte. Mani Mbandschi wurde fast kleinlaut, nahm das gebotene Geschenk ohne weitere Widerrede an, und verpflichtete sich, mir am folgenden Tage das „Thor“ öffnen zu lassen. Nachdem das Palaver zu gegenseitiger Befriedigung beendet war, zog sich Alles zurück, und ich blieb allein in der Dunkelheit. Denn meine Leute vereinigten sich nunmehr mit den Dorfbewohnern zu ge- meinsamem Tanz, der unter dem üblichen Trommelschlag und Gesang vor sich gieng. Der dumpfe Lärm wurde bald durch das laute Zanken Mani Mbandschis unterbrochen; von dem erhaltenen Rum vollständig betrunken, tobte er unter der Menge einher, überall Streit beginnend. Ich konnte meines Erfolges nicht sogleich froh werden. Ganz abge- sehen davon, dass der Eindruck der mehrstündigen Verhandlung doch ein sehr widerwärtiger war, durfte ich mir nicht verhehlen, an wie schwachen Fäden der glückliche Fortgang der Reise hieng, und dass die Laune eines einzigen Negers genügte, dieselben zu zerreissen. Der Tanzplatz, wohin Jung und Alt geströmt war, lag ziemlich weit von meiner Sombra entfernt; ich war also ganz mir selbst überlassen und recapitulirte die Ereignisse des bewegten Tages in meinem Journal. Die geistige und körperliche Ermattung machte mich träumerisch. Hier ein weisser Mann, beim schwachen Schein der Kerze schreibend, ein einsamer Fremdling, der nicht einmal ahnen konnte, was der nächste Tag ihm bringen würde, dort die fröhliche Menge der Neger, auf ihrem eignen Grund und Boden bei Fackelschein tanzend, ganz dem Augenblicke hingegeben. 118 Der Palissadenzaun. Das Waldgebirge. Am folgenden Morgen war es kein kleines Geschäft, die müde getanzten Träger zu wecken, was bereits um halb fünf geschah. Die Besorgniss, Mani Mbandschi könnte bei längerer Ueberlegung andern Sinnes werden, machte die höchste Eile zur Pflicht, und ich verab- schiedete mich von dem „guten Prinzen“ gegen sechs Uhr. Er trug einen noch abscheulicheren Filzhut, als am Tage zuvor, und sah aus, wie das böse Princip. Es war einer der herrlichen Morgen, die auch wir an unsern heissen klaren Hochsommertagen kennen lernen. Die Landschaft zeigte die ganze Pracht eines Waldgebirges von der Gross- artigkeit, wie Deutschland sie in dem Schwarzwald entwickelt hat; tief eingeschnittene, weit erstreckte Thäler, von der Sohle bis zu den Kämmen mit Hochwald bestanden, beherrscht von dem schroffen fel- sigen Nsumiberg und mehreren andern, das dunkle Grün durchbrechen- den Kuppen und Spitzen gaben ihr das Gepräge. Ein halbstündiger Marsch bergab brachte uns an die im Grunde des Thals gelegene „Pforte“. Dieses berüchtigte Thor führt durch einen, das Thal ver- sperrenden Palissadenzaun, und wurde von dem verschmitzten Mani Mbandschi zur Erpressung eines Zolles von den aus Yangela kommen- den Kautschuk-Karawanen errichtet. Ein Bevollmächtigter öffnete das Thor, und wir überschritten den klaren, felsgebetteten Lukumba, einen Nebenfluss des Kuilu. Zur Linken lag das kleine Dorf Mbuku, einer ältlichen Prinzessin gehörig, der selbst die kunstvolle Tätowi- rung keine Reize mehr verleihen konnte. Das freie, nur mit Kräu- tern, Gestrüpp und Ananashecken bestandene Terrain wich sehr bald wieder dem Walde, dessen Halbdunkel uns nun von Neuem aufnahm. Wir hatten ausser dem Lukumba noch den Tschisafo zu kreuzen. Beider Thäler sind tief und steil eingeschnitten und, haben felsige Seitenschluchten, in denen Talkschiefer zu Tage steht. Farne und Moos bekleiden die Wände und erhöhen das Romantische der Um- gebung. Der Weg ist steinig und wurzelreich, dabei so steil, dass wir einmal in dreizehn Minuten mehr als neunzig Meter stiegen. Wie gut also, dass meine Kräfte mit der letzten Nachtruhe zurückgekehrt waren. Und nun stand eine herrliche landschaftliche Ueberraschung bevor. Wir erreichten nach dreistündigem Marsch eine Waldwiese, die zu den oberen Hängen der linken Uferberge des Kuilu gehört, und sahen aus einhundertfünfzig Meter Höhe in das romantische Thal hinab; tief unten wälzte der Fluss seine Wasser in vielfachen Win- dungen zwischen den dicht bewaldeten Bergen hin. Wer je vom Katzenbuckel in’s Neckarthal hinab gestiegen ist, dem mussten hier Reminiscenzen wach werden. Nur sind die Berge des Kuilu höher, und die ganze Landschaft hat einen wilderen, unzugänglicheren Cha- Ein Lagerplatz. Sturm und Regen. 119 rakter. Man erspäht keinen Pfad am Ufer, kein Dorf, das die grosse Einsamkeit unterbricht, kein Canoe, das die schimmernde Fläche be- lebt; unentweiht fliesst der Fluss zwischen unentweihten Ufern. Der Weg verliess bald die eben erreichten Kuilu-Höhen und zog sich wieder landeinwärts. An der Grenze der Landschaft Nkongo, dem Uebergangsgebiet von Mayombe nach Yangela, wurde gerastet und zwar an einem Platze, den die Karawanen des vorhandenen Wassers und der Lichtung wegen gern benutzen; in einige Bäume waren zwar keine Namen oder Initialen, wol aber verschiedene menschliche Ge- sichter eingeschnitzt. Der Platz erschien ausserordentlich behaglich, und ich hätte am liebsten den Rest des Tages daselbst zugebracht, um in voller Ungestörtheit mein Tagebuch zu schreiben und die No- tizen zu ordnen, aber der jähe Wechsel des Wetters trieb zu eiligem Aufbruch. Unter heftig stürmendem Winde, der die Zweige von den Aesten brach, die Bananen knickte, begann der Regen, und die schmalen, furchenartigen Negerpfade wurden zu eben so vielen Rinn- salen. Trotzdem war es ein Genuss, in der rasch abgekühlten Luft munter vorwärts zu gehen, und so erreichte ich im Laufe des Nach- mittags, völlig durchnässt, aber vergnügten Sinnes das Dorf des Tschi- kossu, während für meine Träger das Vergnügen erst anfing, als sie am hellen Feuer sassen. Denn die Neger sind fast ausnahmslos sehr empfindlich gegen Regen und vermeiden ihn, wo sie können. Das Dorf lag im Walde, es war noch im Bau begriffen und machte einen sehr unbehaglichen Eindruck, weil die gefällten Stämme mit Aesten und Zweigen kleine Verhaue zwischen den Hütten bildeten. Die Wände sah ich zum ersten Mal aus Baumrinde hergestellt, innen mit Blättern ausgefüttert. Der Regen fiel ununterbrochen, aber die Begierde den weissen Mann zu sehen, hatte trotzdem Scharen von Männern und Frauen aus der Umgegend in’s Dorf geführt, und ich wurde, als ich dann der Ruhe pflegen wollte, von. meinem Factotum Nduli mit den Worten geweckt: die Weiber seien da, den Weissen zu betrachten, ich möchte aufstehen und mich zeigen. Das Abend-Palaver mit dem Häuptling Tschikossu stand dem der verflossenen Nacht an Unannehmlichkeit nicht nach. Der Dorfherr war natürlich nicht zufrieden mit dem, was ich ihm anbot, und er drohte mir, mit Gewalt zu nehmen, was ich nicht gutwillig geben wollte. Ich besass nur eine einzige Büchse, einen Snyder-rifle, den Herr Reis mir geliehen hatte; um so stärker wappnete ich mich mit meinem Zorn und rief dem feindseligen Schwarzen zu: er könne thun, was er wolle; ein Weisser habe keine Furcht, er möchte nur kommen. Tschikossu zog murrend mit dem Geschenk ab, das ich für ihn be- 120 Schnöde Entweihung. Wald und Grasfluren. stimmt hatte. An sich war ich ja in seiner Gewalt, und so aufrichtig meine Rede auch gemeint war, so war sie doch kaum mehr als eine Bravade. Die Situation war kritisch, weil die Nacht mich zwang, bis zum nächsten Morgen auszuharren, und dem Tschikossu Zeit genug blieb, neue Listen gegen mich zu ersinnen. In der That bereitete er mir noch eine Scene, die zu charakteristisch ist, um nicht erzählt zu werden, und die mit dem Hinweis auf das „naturalia non sunt turpia“ auch wol erzählt werden darf. Als ich mich nämlich in tiefster Nacht, und vollkommen überzeugt von der Wahrheit des angeführten lateinischen Spruches, so weit von allen menschlichen Wohnungen entfernt hatte, als die oben erwähnten Verhaue es nur irgend gestat- teten, wurde mir bei der Rückkehr zu meinem Lager von dem Ränke schmiedenden Dorfherrn ein Palaver gemacht des Inhalts, dass ich ein dem Fetisch XYZ gehöriges Gebiet schnöde entweiht hätte, dass ich gehalten sei, das corpus delicti durch meine Leute an eine weniger heilige Stelle überführen zu lassen, und dass der Fetisch eine Sühne an Zeug und Rum verlange. So spasshaft mir die Sache jetzt auch in der Erinnerung erscheint, so sehr degoutirte sie mich damals. Ich war nun einmal in der Höhle des Löwen und verbrachte die Nacht halb zwischen Schlafen und Wachen. Diesmal sogar von dem guten Willen meiner Leute unterstützt, brach ich am folgenden Morgen so früh wie möglich auf, ohne den miserabeln Tschikossu noch eines Blickes zu würdigen. Der anhal- tende Regen hatte die Temperatur auf 20° C. abgekühlt, so dass mich fröstelte. Aber der neue Tag erschien hell und klar über den dahin- ziehenden Waldnebeln. Der bisherige Verlauf der Reise hatte uns in ununterbrochenem Wechsel bergauf bergab geführt, meist in Höhen zwischen neunzig und einhundertachtzig Metern. Das Dorf des Tschi- kossu lag nur einhundertundfünf Meter höher als die Ansiedelung des Makossu am Kuilu, und wir stiegen von hier aus noch einmal sechszig Meter abwärts, wo der kleine Fluss Ngoma rasch über Steinen hin- fliesst. Aber nun galt es, eine der hohen Ketten, die uns schon gestern regenverschleiert sichtbar geworden waren, zu überschreiten, und der lohnendste Marschtag begann. Denn es sollte mir endlich möglich werden, einen befriedigenden Ueberblick über das Land zu erhalten. Wo der Weg nicht durch Wald oder Blattgestrüpp gieng, führte er über Grasfluren; die Abhänge waren dann bedeckt mit un- längst aufgeschossenen niedrigen Grasbüscheln, und erschienen wie Alpenmatten. Es wehte eine herrliche reine Luft, und trotz des klaren wolkenlosen Tages stieg das Thermometer nicht über 25° C. Wir lagerten nach vierstündigem Marsch an einem schönen lichten Ab- Verlauf der Gebirgsketten. Empfindlicher Verlust. 121 hang im Walde, der blaue Himmel schimmerte durch die Baumkronen, und die Sonne zeichnete ihre Kreise auf den laubbedeckten Boden; man konnte sich gar nichts Anmuthigeres denken! | Kurz vor dem Eintritt in den Wald passirten wir einen Begräb- nissplatz. Früher hatte hier ein Dorf gestanden, und davon gab ein drei und einen halben Meter hoher, zu monströsen Figuren ausge- schnitzter Pfahl Kunde, wie ich ihn ähnlich als Mittelpfosten in der Empfangshütte des Nganga Mvumbi angetroffen hatte. Aus welchem Grunde dieses, in den Augen der Eingeborenen gewiss sehr kostbare Kunstwerk stehen geblieben war, ob es nun als Grabmonument diente, wer konnte es sagen? Die übrigen Gräber waren durch Anhäufungen ganzer oder zerbrochener irdener Krüge und Schüsseln gekennzeich- net, nicht aber durch Grabhügel, wie man sie an der Küste sieht. Unser Rastplatz lag bereits dreihundert Meter hoch, aber wir hatten noch weitere dreihundertsechszig zu steigen, um den Kamm des Gebirges zu erreichen. Der Anstieg erfolgte in Ostnordost und war meist sehr steil. In der Höhe von vierhundertfünfzig Metern war ein freier Rück- und Umblick möglich, ein grosses Stück der durch- wanderten Gegend liess sich überschauen, und nun erkannte ich zum ersten Mal das wichtige System der von Südost nach Nordwest strei- chenden Parallelketten, die der Kuilu durchbricht. Ich selbst stand am Südwest-Abhange der höchsten dieser Ketten, zwischen ihr und der nächsten in Südwest gelegenen Kette war eine dicht bewaldete stundenbreite Thalmulde, aus deren weitem Grunde sich wieder ähn- liche, aber viel niedrigere Bergzüge erhoben. Bergig erschien das Land nach allen Richtungen hin (der Blick nach Nordost war natür- lich verdeckt), und bewaldet zum grössten Theil. Nach Westen hatte ich eine weite Fernsicht; Nichts als waldige Rücken, deren letzter sich ganz schwach gegen den Horizont absetzte. Ein viel höherer Berg- zug begrenzte in der Entfernung von zwanzig Stunden die Aussicht in Nordnordwest. Der Kuilu blieb in seinen Bergen versteckt, ihre oberen, meist nicht bewaldeten Hänge schimmerten wie Felder und Wiesen. Die Unterbrechung mehrerer Ketten durch das Flussthal war deutlich erkennbar; am höchsten erschienen die Bergketten im Süden. Der Weg setzte sich auf einer Rippe des Berges fort, so dass wir auf einem schmalen Kamm hinwanderten. Hier wurde mir ein empfindlicher Verlust zu Theil. Mitten im Walde, an einer Stelle des Weges, die besser war als irgend eine zuvor, strauchelte der Träger des grossen Rum-Ballons, und bald bedeckte das duftende Nass den Boden des Berges. Ein unersetzlicher Theil meiner Habe war dahin, 122 Auf der Höhe des Mongo Nunsi. Ein neues Land. nur vier Flaschen konnten gerettet werden. Ein gleich aufrichtiger Schmerz ergriff mich und meine Träger, und wir umstanden den zer- brochenen Garafao wie einen theuren Dahingegangenen. Gegen halb drei Uhr wurde die Höhe des Mongo Nunsi erreicht, ohne dass der Wald eine Unterbrechung erlitten hätte. Die Ueber- gangsstelle lag sechshundertfünfundsiebzig Meter über dem Meeres- spiegel. Ein überraschender Durchblick durch die Bäume belehrte mich, dass ich in ein neues Land hinabzusteigen im Begriff war. Zu meinen Füssen breitete sich Yangela aus, das in grosser Entfernung mit einer langen Bergkette abschloss. Man übersah einen weiten, durch die Ostnordost-Richtung getheilten Halbkreis. Die Landschaft, obwol bergig, erschien freier und offener, die nächstgelegenen Er- hebungen zeigten zwar auch noch einen gewissen Parallelismus, aber doch baute sich das innerafricanische Plateau nicht in so typischer, stufenweis zu verfolgender Terrassenform auf, wie wir es uns wol gern vorstellen. Die einzelnen Züge erschienen viel kuppiger, dabei niedriger, als die in entgegengesetzter Richtung liegenden. Vor Allem aber bedingte das Zurücktreten des Waldes, das Auftreten weiter, grüner Savanen oder brauner, unbestandener Berghänge den Cha- rakter der neuen Landschaft, der um so lebhafter ansprach, je länger der Reisende in dem grossen Walde gefangen gehalten ward. Ich übersah auf fünfzig Seemeilen das Land, nach der Richtung, die gerade in den Mittelpunct des „weissen Fleckens“ hineinführt. Das Schwerste war überstanden, Mayombe mit seiner heimtückischen hab- gierigen Bevölkerung, mit der erdrückenden Luft seiner feuchten Wälder lag hinter mir; ein Land, das nicht einmal Terrainschwierig- keiten bot, vor mir. Es fehlte mir nichts, als bereitwillige Träger, um die Frucht zu pflücken, die vor der zugreifenden Hand immer wieder zurückwich. Nun folgte ein Abstieg über harten abschüssigen Lehmboden, in der Richtung des steilsten Falles. Unten sah man, im Grunde eines von kahlen Bergen eingefassten Bergkessels das Dorf Tschikenyesse liegen. Wir erreichten es gegen fünf Uhr Abends, nach Ueberschreiten eines kleinen Flüsschens mit klarem, trinkbarem Wasser. Im Dorfe herrschte Todtenstille, es schien ausgestorben. Mein unerwartetes Erscheinen, dem die geschäftige Fama diesmal nicht vorangegangen war, hatte die Bewohner in ihre Hütten getrieben, und sie kamen erst allmählich zum Vorschein. Aber sie blieben doch so ängstlich, dass sich kaum ein Neugieriger vor meine Sombra wagte. Nur die beiden Vorsteher des aus fünfundzwanzig Hütten bestehenden Dorfes erschienen, um ein Geschenk an Hühnern zu bringen. Nun ES Abend im Gebirge. Thierschädelfetische. 123 befand ich mich unter Bakunya, und fühlte mich woler unter diesem Stamm, als bei den Bayombe. Ich kam ohne langes Palaver davon, und konnte den schönen Abend, der dem schönen Tage treu geblieben war, völlig geniessen und ausnutzen. Die Sonne verschwand hinter den kahlen duftigen Höhen, die aus Gneiss, Talkschiefer und an- stehenden Massen von reinem Quarz gebildet waren, die Luft war durch- sichtig und frisch, Nichts erinnerte mehr an Africa und die Tropen. Die Sterne erglänzten an einem wolkenlosen Himmel, wie ich ihn seit Wochen nicht mehr gesehen, und ich verbrachte die halbe Nacht im Freien ausserhalb des Dorfes, wohin ich mich heimlich mit meinem Sextanten und dem übrigen Zubehör geschlichen hatte. Denn diese seltene Gelegenheit, einen recht zuverlässig bestimmten Punct der Reiseroute zu erhalten, durfte nicht unbenutzt bleiben. Aber die Procedur war äusserst anstrengend, weil die Laterne nur auf der Erde Platz finden konnte, und ich mir nach jeder einzelnen Beobach- tung die Glieder verrenken musste, um die Ablesung an Uhr und Instrument und die Anschreibung: zu machen. Nach kurzer Nachtruhe wurde Tschikenyesse wieder verlassen, und wir hatten eine andere hohe Bergkette, den Mongo Fiabe, zu überschreiten, zu dessen Kamm uns eine zweistündige Wanderung führte. Der Himmel war bewölkt, an den Bergen hiengen die Nebel, und die Luft, obwohl nur 22° C., war schwül. Ein feiner Regen, bei hellem Sonnenschein, gieng bald vorüber, und wir stiegen mit wach- sender Hitze in das von Süden nach Norden streichende, wiederum dicht bewaldete Thal des Luboma. Es scheint, als ob mehrere Höhen- züge gegen das obere Lubomathal convergiren. In dem kleinen Dorfe Ntondo (vierzehn Hütten), in der Nähe des Fluss-Ufers gelegen, sah ich zum ersten Mal einen jener für das Bakunya-Land besonders cha- rakteristischen Thierschädelfetische, Bunsi genannt. Sie sind auch an der Küste bekannt, z.B. bei Massabe-Tschibona findet sich ein solcher, aber doch weit seltener als im Bakunya-Lande. Sie bestehen aus An- häufungen der Schädel solcher Thiere, die auf der Jagd erlegt worden sind und von dem Jäger, zur Erhaltung seines Jagdglücks, dem Fetisch gewissermassen als Opfer dargebracht werden. Man findet daselbst meist die Schädel von Antilopen, von Büffeln und Pinselohr- schweinen, aber sehr häufig auch Gorjlla(Mpungu)-Schädel, und gleich hier konnte ich zwei schöne Exemplare mit hochausgewachsener Crista sehen. Auf meine Frage, wo die Gorillas anzutreffen und wo sie ge- schossen seien, zeigten die Bewohner Ntondos auf einen nahe ge- legenen Wald. Zu dem Kreise der Neugierigen, die mich umstanden, gehörte ein 124 Heisser Tag, Gewitter- und Regenreiche Nacht. Neger, dem beide Füsse zwischen den grossen und den nächstgelegenen Zehen weithin aufgespalten waren. Als ich fragte, woher dies käme, wurde mir halb Fiote, halb Portugiesisch geantwortet: Nsambi mandou, Nsambi (Gott) hat’s geschickt! Der Luboma musste nun durchwatet werden; er ist ein stattliches Flüsschen von vierzig Schritt Breite. Nach dem erneuten Anstieg hatten wir einen schönen Rückblick auf das Thal und die Gegend, die durch prächtige Wolkenschatten in Relief gesetzt war. Bald aber hörte der Wald auf, und eine senkrechte Sonne durchglühte die gelbe Erde und das rothschiefrige Gestein, über das der Weg fortführte. Daneben zeigte sich auch geschwärztes Sandstein-Conglomerat. Ein grünes baumloses Thal breitete sich zu unsern Füssen aus, einige wenige Palmen erhoben sich in weiter Ferne, und nirgendswo war Schatten zu erhoffen. Die Sonne brannte gewaltig, und die Hitze wurde um so drückender, je tiefer wir hinab stiegen, je mehr die Thalwände jedem Luftzug wehrten. Ich besass einen Schirm, wie die Neger ihn aus Eitelkeit in den Factoreien kaufen, von so dünnem Zeuge, dass der Schatten nur grau erschien und dass der schwarze Schatten meines Hutes sich scharf darin abzeichnete. Ich konnte den weisen Rath, die Sonne zu vermeiden, beim besten Willen nicht be- folgen, und wanderte fürbass, von Bildern heimatlichen Comforts ge- neckt. Endlich gestatteten die elenden Hütten des kleinen Dorfes Sukumiako eine Unterbrechung des mühseligen Marsches. Der alte Dorfherr geberdete sich sehr spasshaft; er hatte noch nie einen Weissen gesehen, und wenn ich ihm auch nicht gerade Furcht einflösste, so stellte er sich doch ähnlich an wie Kinder, die sich vor einem Fremden schämen oder geniren, wenn sie ihm die Hand geben sollen. Der Zu- spruch meiner Leute vermochte ihn dennoch zu guterletzt, meine Hand zu nehmen, und das Gelingen dieses Wagnisses freute ihn so, dass er niederkniete und in die Hände klatschte. Nach kurzer Rast wurde die Reise fortgesetzt. Wir verliessen das Thal von Sukumiako und überschritten mehrere ganz unbedeutende Wasserscheiden, kleine Thalfalten mit schmutzigen Bächen in lehmigen Betten. Um vier Uhr kamen wir an den dreihundert Meter hoch gelegenen Ursprung eines schönen Wiesenthals, dessen Sohle mit Wald bestanden war. Hier spendete die Bergwand selbst den längst ersehnten Schatten. Es folgte ein steiler Abstieg durch ausgerodetes Gehölz, und wir er- reichten das am Mabansi-Bach gelegene Dorf Lubinda. Dem heissen Tage folgte eine gewitter- und regenreiche Nacht. Im Ganzen war ich bezüglich des Wetters sehr vom Glück be- günstigt gewesen. Wenn mir auch bekannt war, dass die Jahres- Fluch der Palaver. Charakter der Bakunya. 125 zeit der „kleinen“ Regen nicht in einem ununterbrochenen Regenfall besteht, sondern in einer Reihe, vom heitersten Wetter unterbrochener Schauer, so durfte ich mich doch freuen, so selten vom Unwetter über- fallen worden zu sein. Denn an die Kehrseite der Medaille, den schlechten Ausfall der Ernte, dachte ich zunächst nicht. Meine beiden Palaver, das der Begrüssung bei der Ankunft und das der Bezahlung nach der Malzeit, liefen gut ab. Immer aber schwebt das Damoklesschwert der Beraubung (wozu auch die Be- raubung an Zeit gehört) über mir. Niemals bin ich sicher, ob, auch wenn der Himmel klar ist, Zeit zur astronomischen Beobachtung ge- lassen wird. Oft verstreicht die Stunde, wo dies mit günstigem Er- folg geschehen könnte, später ist der Himmel vielleicht bewölkt, oder wenn nicht, muss das Versäumte eben so sehr auf Kosten des Schlafes, wie der Gesundheit nachgeholt werden. Selbst für die wichtigste Be- schäftigung des Reisenden, die im Laufe des Tages oft nur in Schlag- wörtern notirten Wahrnehmungen durchzulesen und nun in der noch frischen Erinnerung eine zusammenhängende Darstellung des Erlebten und. Gesehenen niederzuschreiben, fehlt es an Zeit und innerer Samm- lung. Daher denn diese Palaver ein Fluch für den Forscher sind, und ohne ihre wiederholte Erwähnung eine wahrheitsgetreue Schil- derung nicht möglich ist. Lubinda erwies sich als der echte Typus eines Bakunya-Dorfes. Die Hütten sind alle zu einer gradlinigen Strasse angeordnet. In der Mitte der Dorfstrasse findet sich ein Thierschädelfetisch, auch wol eine grössere Sombra. Den quadratischen oder rechteckigen Grund- riss haben die Hütten mit denen der Bayombe wie der Bavili gemein. Die Hütten selbst sind häufig mit mehr Sorgfalt hergestellt, als in Mayombe; namentlich sind die kleinen Eingangsthüren oft hübsch geschnitzt und roth und weiss bemalt. Da Yangela kein Waldland in dem Sinne ist wie Mayombe, so liegen die Dörfer der Bakunya freier, vielfach auf unbewaldeten, schattenlosen Hängen. Aus der Vergleichung der Vocabularien, die ich an der Küste und nun in Mayombe und Yangela zusammengestellt hatte, überzeugte ich mich, dass die in den letzten beiden Ländern gesprochenen Idiome nur dialektische Verschiedenheiten der im Loango-Litoral herrschen- den Sprache sind. Ueberhaupt bestehen viele Aehnlichkeiten zwischen den Bayombe und den Bakunya, aber letztere erschienen mir sanfter geartet und von weniger verschmitztem, habgierigem Charakter. Auch die Bakunya sind nicht schwarz, sondern dunkelbronzen, die Männer tragen den Schurz und lieben es, sich mit eisernen Arm- und Bein- ringen zu schmücken. Die Behandlung ihrer Frisur ist keinen festen 126 Haarfrisuren. Industriezweige. Ein Act der Sühne. Regeln unterworfen, aber ziemlich beliebt ist es, den Hinterkopf ganz frei zu rasiren. Eine andere, nicht minder beliebte Haartracht theilt das Wollhaar in eine Reihe parallel über den Kopf gehender ge- “| flochtener Streifen, deren Enden zu kleinen aufrechtstehenden Spitzen “ aufgedreht sind; sie verleiht dem Individuum ein diabolisches Ansehen. Die Frauen sind in derselben und eben so allgemein üblichen Weise tätowirt, wie die Bayombeweiber. Sie tragen vielfach Ohrringe, was die Männer gleichfalls thun. Yangela ist bei den Nachbar-Stämmen seiner Thonwaaren wegen berühmt, für die sich gutes Material findet; Kochtöpfe, Wasserkrüge und Pfeifenköpfe sind die hauptsächlichsten daraus gefertigten Producte. Ein anderes hübsches Erzeugniss der Industrie sind Matten mit einer grossen Mannigfaltigkeit von Mustern. Geflochtene Matten spielen natürlich eine Haupt-Rolle bei den Negern, weil sie zu den beiden nothwendigsten und beliebtesten Beschäfti- gungen dienen, zum Schlafen und zum Essen. Mein Aufbruch von Lubinda konnte am folgenden Tage nicht zu so früher Stunde wie sonst geschehen, da der Regen noch bis gegen zehn Uhr fiel. Die kleine aufgezwungene Rast war mir sehr wol- thuend, blieb aber durchaus nicht frei von neuen unerwarteten Stö- rungen. Denn nun hatte nicht ich, sondern einer meiner Bayombe- träger ein grosses Palaver mit den Bakunya zu bestehen. Es han- delte sich um einen Act der Wiedervergeltung für ein Unrecht, welches einem Bakunya in dem Dorfe des Bayombeträgers zugefügt war, und letzterer wurde zu einer hohen Busse verurtheilt. Natürlich musste ich befürchten, dass man mich für die vergangenen Sünden der Lands- leute eines meiner Träger haftbar mache; indessen geschah das nicht und beweist, welcher Achtung sich das ungeschriebene Gesetz erfreut. Niemand zweifelt daran, dass sich der Verurtheilte einem im Einklang mit den herrschenden Sitten ausgesprochenen Verdict fügt und die ihm auferlegten Bedingungen, ohne äusseren Zwang, erfüllt. Es ist dies ein Moment, welches uns allein schon verbietet, die westafrica- nischen Eingeborenen auf eine niedrige Stufe der Gesittung zu stellen. Der Weitermarsch erfolgte gegen elf Uhr. Unser Weg, an- genehmer als an irgend einem andern Tage, führte aus dem Mabansi- Thal in das Thal des Misselle. Die Gegend hatte den sanften lieb- lichen Charakter, den grün bewachsene Hügel verleihen, und das zank- artige Gespräch der aus Neugier mitlaufenden Bakunya, die von meinen Trägern Branntwein (der gar nicht mehr vorhanden war) er- bettelten, stand dazu recht im Widerspruch. Auf den grünen Thal- wänden lagen viele Trümmer von Quarzblöcken, und das Erdreich war zuweilen von einem grünlich-grauen Schieferthon durchbrochen, Die durchwanderte Landschaft. Staunen über den weissen Mann, 127 der senkftecht aufgerichtet erschien. Ein kleiner Nebenbach, der Mu- kunya, mündete in felsigen Terrassen desselben Gesteins und bildete mehrere natürliche Badewannen, die von meinen Begleitern sofort in Gebrauch genommen wurden. Aehnliche Felsschluchten traten noch häufiger in das Thal aus. In der Thalsohle standen viele einzelne Bäume, ebenso fand sich die oft erwähnte Anonacee und ein bis dahin noch nicht beobachteter, Bifillu genannter Strauch mit eichelartigen Früchten. Das Gras war kurz und von lebhafter Farbe, so dass man glauben konnte, über Wiesen zu gehen; einige Monate später aber musste es Mannshöhe erreicht haben; denn bis zu dieser Höhe waren die starren trockenen Halme entwickelt, die sich zwischen den jungen grünen Gräsern erhoben und mit ihnen einen gemeinsamen Wurzel- stock zu haben schienen. Der Uebergang zum Missellethal bot keine Schwierigkeit. Als hier die freiwillige Escorte der Lubinda-Leute einige Bakunya in weiter Ferne oben auf dem Berge erblickte, wurde diesen so laut wie möglich zugerufen „Mundelle, Mundelle“, und auch „Kibamba, Kibamba“ (was Beides „Weisser Mann‘ bedeutet), so dass ich mir vorkam, wie ein im Triumphzug aufzuführender Barbar. Ich habe zu wiederholten Malen die Leichtigkeit bewundert, mit der sich die Neger auf grosse Ent- fernungen unterhalten. Dass ihre Lungen vorzüglich und grösserer Leistungen fähig sind, als die unsern, steht für mich ausser Frage. Es genügt, zu beobachten, wie schwer beladene Männer die steilsten Abhänge in ununterbrochen lebhaftem Gespräch ersteigen. Trotzdem bleibt es wunderbar, dass auch die feineren Laut-Nüancirungen des gesprochenen Wortes auf so enorme Distancen noch von dem Ohre des Angerufenen aufgefasst werden. Das neu betretene Thal ist dem Kuilu tributär; wir verfolgten es indess nicht lange, und erstiegen die rechte Thalwand, die nach der andern Seite gegen jenen Strom abfällt. Auf der Höhe des so gebildeten Rückens liegt das grosse, aus fünfundvierzig Hütten be- stehende Dorf Nguela. So viel Interesse wie hier hatte ich wol noch in keinem andern Dorfe erregt. In meiner Hütte, aus der die Giebel- wand herausgenommen war, wurde es dunkel von der an der Schwelle sich drängenden Menge, und in immer erneuter Folge lösten die Gruppen einander ab. Mit der wachsenden Entfernung von der Küste schien auch das Staunen über das wirkliche Vorhandensein eines weissen Menschen zu wachsen. Ich war gewiss der Letzte, der sich darüber wunderte. Ausschliesslich unter Negern lebend, fing ich bei- nahe selbst darüber an zu staunen, dass es noch Wesen gäbe mit heller Hautfarbe, schlichtem Haar, einem vollen Bart, mit lederumklei- 128 Das Dorf Nguela. deten Füssen, mit Händen, die mittelst eines Stiftes sichtbare Zeichen auf weissen Blättern machten — und dass ich gar selbst dieses Wesen war, schien mir das Allerwunderbarste. Deshalb trug ich auch stets Bedacht, die Leute zutraulich zu machen, damit ihr Befremden nicht in Misstrauen, ihre Furcht nicht in Nachstellung umschlug. Gewöhn- lich sass ich längere Zeit still, beobachtete die nächste Umgebung in nicht auffälliger Weise und schrieb kurze Notizen. Dann erhob ich mich langsam, machte einen ersten Umgang im Dorf und pflegte bei dem zweiten schon von einigen zutraulicher gewordenen Eingeborenen begleitet zu sein. Merkwürdiger Weise wurde ich, so harte Kämpfe die Habgier der Häuptlinge auch oft nöthig machte, von dem eigent- lichen Volk niemals angebettelt, und die einzigen Zahlungen, die ich machte, waren für den Ankauf von Nahrungsmitteln und ethnologi- schen Gegenständen. Das Dorf Nguela unterschied sich in seinem äusseren Habitus von den übrigen Bakunyadörfern. Die Hütten standen dichter an einander gedrängt und bildeten eine sehr breite Dorfstrasse, die in der Mitte mit grossen Bäumen bepflanzt war. Als Baumaterial fand ich vielfach pfahlartige Planken verwandt, was ich bis dahin nirgends- wo gesehen hatte. Hinter den Häusern wuchs ziemlich viel Tabak, und am Rande des Dorfes befand sich ein kleiner Garten reich tragender Citronenbäume. Auf der Strasse tummelten sich viele Schweine. Mehrere Neger fand ich mit nützlichen Dingen beschäf- tigt. Ein Schmied arbeitete unter dem Dache seiner Sombra, wäh- rend sein Gehülfe das kleine Kohlenfeuer mit dem bekannten africa- nischen Blasebalg im Gange erhielt; die Holzkohlen werden eigens zu diesem Zwek bereitet. Ein kleiner eiserner Amboss lag auf der Erde und ein noch kleinerer eiserner Klöppel versah die Rolle des Hammers. Als Bezugsquelle für das Eisen nannte man das Land Tschintetsche. Die Kunst des Schmiedes beschränkt sich auf Her- stellung von eisernen Ringen, Messern und Kugeln für die auch hier noch bekannten Feuersteingewehre. Ein alter Mann strickte wäh- rend eines ganzen Nachmittags mit grossem Fleisse an einem maschi- gen, baumwollenen Gewebe. Die Fertigkeit des Strickens ist weit verbreitet, die dafür verwandte Baumwolle findet sich aller Orten, aber immer nur in einzelnen Sträuchern, niemals in Plantagen; der Faden wird mit einer Handspindel gedreht. Der Zufall führte mich auch zu einem Holzschnitzer, der eben eine kunstvoll geschnitzte Trommel vollendet hatte, Diese Trommel . bestand aus einem hohlen, einen Meter langen Holzceylinder und war mit dem einen Ende auf den Boden gestellt, auf dem andern mit > Ze Negerdorf, Nkonkotrommel. Landschaft am oberen Kuilu. 129 einem Ziegenfell überspannt. Weit gebräuchlicher für Tanzvergnü- gungen sind die viermal so langen Ndungutrommeln. Es giebt noch eine dritte Art von Trommeln, Nkonko genannt, die auch an der Küste bekannt sind, die man ihrer Form wegen als Canoe- trommeln bezeichnen kann; sie gleichen nämlich einem kleinen Canoe, das aber auch oben geschlossen ist und daselbst einen langen Schlitz, der Längsaxe parallel, besitzt. Das Innere ist hohl, und zwar ist die Aushöhlung so vorgenommen, dass man zwei verschiedene Töne erhält, je nachdem man die Trommel auf der einen oder der andern Seite des Schlitzes mit einem starken Holzklöppel anschlägt. Die Töne werden meilenweit gehört; daher dient die Nkonkotrommel zum Abgeben von Signalen, deren man eine ganze Anzahl verabredet hat; sie ruft zum Tanz, zum Palaver, zum Kriege. Das Königliche Museum zu Berlin besitzt ein Exemplar. In der Nähe von Nguela sah ich eine besonders kunstvolle Nkonko; die Wände waren mit rothen und weissen Streifen bemalt, die Enden mit holzgeschnitzten Figuren geschmückt, ähnlich wie ,sie am Bug unserer Seeschiffe ange- bracht werden; ein Mann mit einer Flinte fand sich an dem einen, ein Ehepaar (jederzeit eine sehr beliebte Darstellung) an dem andern Ende. Zur Beobachtung der Frauen und Kinder bot sich hier beson lers gute Gelegenheit, denn sie wurden im Verlaufe des Tages zu dem Tschimbek geführt, in welchem ich schrieb, und das sie nun mit ähn- lichen Augen betrachteten wie unsere Kinder den Löwenkäfig in der Menagerie. Sie trugen vielerlei Glasperlen um den Hals, ein Schmuck, der in der Küstengegend in gar keinem Ansehen mehr steht; auch sehr grosse Ohrringe, welche bis dahin noch nicht von mir beobachtet waren. Von passenden Puncten in der Nähe des einhundertfünfund- dreissig Meter über dem Kuilu liegenden Dorfes liessen sich gute Einblicke in das Land gewinnen. In östlicher Richtung war das land- schaftliche Bild ein freundliches, aber kein üppiges; sanfte Bergrücken mit vielen kuppenartigen Erhebungen, grün oder braun schimmernd, zuweilen den nackten Fels zeigend. Viel malerischer ist die Aus- sicht nach Westen; hier stehen die Berge des rechten Kuilu-Ufers gerade gegenüber und zeigen sich zu einem Dritttheil mit Wald, zu zwei Dritttheilen mit Gräsern bestanden. Der Fluss macht, deutlich erkennbar, thalaufwärts eine starke Krümmung nach Ostnordost und dann nach Nordost. Ueber den oberen Lauf wussten die Leute Nichts anzugeben, wenigstens widersprachen die Angaben einander. Den freiesten Blick hat man nach Nord und Nordnordwest, wo der Loango. 1. 9 “We 130 Palaver beim Uebersetzen über den Kuilu. Horizont erst in sehr bedeutender Entfernung durch Bergketten ab- geschnitten ist. Bei dem ersten der beiden üblichen Palaver wurde ich belehrt, dass auch Nguela zu den Orten gehört, die von zwei Herren regiert werden, und dass ich darnach meine Geschenke für die abendliche Sitzung einrichten möchte. In letzterer wurde gleichzeitig der Zoll für das Passiren des Kuilu vereinbart, denn der zweite Theil meiner Reise sollte der rechts von diesem Strome gelegenen Landschaft gelten. Es wurde mir Nachts gestattet, am äussersten Ende des Dorfes astronomisch zu beobachten, und in der That konnte ich auch ganz ungestört arbeiten. Schliesslich aber wurde mir gesagt, ich möchte aufhören, weil in dem nächsten Tschimbek ein Todter läge. Diesem Todten verdankte ich jedenfalls die Abwesenheit aller Neu- gierigen; denn die Gespensterfurcht nach Todesfällen ist gross. Am folgenden Morgen stieg ich zum Fluss hinab, wiederum ge- folgt von einer grossen Schar lästiger Begleiter, und stand bereits nach fünfundzwanzig Minuten am linken Ufer des Kuilu. Es über- raschte mich, den Strom hier breiter zu finden, als unterhalb Kaka- müeka. Obwol eine exacte Messung nicht möglich war, liess sich die Breite doch mit ziemlicher Sicherheit auf dreihundertfünfzig bis vierhundert Schritt angeben. Das Hochwasser begann eben den Fluss zu schwellen. Seine braunerdige Farbe deutete es genugsam an, dass die Regen im Innern begonnen hatten; das Rauschen des Stromes liess sich mit dem eigenthümlichen Geräusch einer zur Ab- fahrt bereiten Locomotive vergleichen. Beide Ufer sind felsig; auch in der Mitte des Stromes ragte eine Felseninsel auf, die aber zur Zeit des vollen Hochwassers überflutet wird; denn nach den An- gaben der Eingeborenen steigt das Wasser im März und April vier Meter. Das linke Ufer bestand aus aufgerichteten, schwarzen Schiefern, die Insel und das rechte Ufer aus einem verwitterten Gestein mit vielfachen Einschlüssen von Quarzbrocken. Zwei sehr lange, aber sehr schmale Canoes lagen scheinbar zur Ueberfahrt bereit; doch wurde ich bei dem Versuche, dieselbe nun- mehr zu bewerkstelligen, eines Andern belehrt. Obwol Alles bezahlt war, weigerte sich der Fährmann, dem Vertrage nachzukommen; wiederum grosses Palaver, neue Aufregung, Entrüstung, Aerger mit dem Endresultat, dass meine eigenen Leute hinüberruderten. Wir kamen glücklich durch Strömung und Strudel. Wie imposant der Eindruck des gewaltig strömenden und rauschenden Flusses auch war, als ich ihn in der Mitte von dem schaukelnden Fahrzeug aus betrachtete, ich freute mich doch, als wir das andere Ufer glück- Weg nach Timaluis. Fieber, 131 lich erreicht hatten. Der Kuilu ist den Bakunya nicht mehr unter diesem Namen bekannt; sie nennen ihn Nyadi und auch Nyali. Ein schöner Uferwald zog sich am Wasser hin, dem wir bis an die Stelle folgten, wo der Timaluis einmündet. Dann stiegen wir das Seiten- thal hinauf, verliessen es alsbald wieder, um es am Abend von Neuem zu erreichen. Noch lange hörte man das Rauschen des Kuilu. Von der Höhe war ein schöner Rückblick auf Nguela gestattet, das wie die Städte in den Landschaften altitalienischer Heiligenbilder auf einen steilen Kegel aufgesetzt erschien. Man sah, wie die eigent- lichen Uferberge etwa sechszig Meter ansteigen, und erst dahinter in einem Absatz die nächsten Rücken sich zu der relativen Höhe von einhundertfünfzig bis einhundertachtzig Meter erheben. Auch auf dem weiteren Marsche durch die meist waldfreie Landschaft fehlte es nicht an Umblicken, aber wir giengen so viel in die Kreuz und Quere, dass die topographische Einsicht sich verwirrte. Unterwegs begeg- nete uns in sehr willkommener Weise ein Neger, dessen frisch vom Baum gezapfter Palmwein meinen brennenden Durst stillte, den sichern Vorboten eines nahenden Fiebers. Bei der Annäherung an das Dorf Dirmasi fiel mir weisslich graues, anstehendes Gestein auf, das sich mit dem Messer ritzen liess, und das ich für Kalk hielt. Die Rast im Dorfe benutzte ich zum Einkauf von Lebensmitteln und setzte dann noch den Marsch bis nach dem Dorfe Timaluis fort, das an dem oben erwähnten Flusse gleichen Namens liegt. Das hierbei durchschnittene Terrain und die ganze umliegende Landschaft war fast kahl zu nennen. Die Rinnen der Thalsohlen zeigten viel- fach den blossgelegten Fels, während die Abhänge mit dürftigen Gräsern bedeckt waren. Erst an den Ufern des Timaluis traten wieder schmale Waldstreifen auf. Es blieb mir nach der Ankunft im Dorfe nur noch so viel Zeit, um den Herrn desselben zu be- grüssen und eine Dosis Chinin zu nehmen; dann musste ich mich niederlegen, um das zum Ausbruch kommende Fieber austoben zu lassen. Ich richtete mich so gut wie möglich auf meiner Papyrus- matte zwischen den beiden wollenen Decken ein und liess das Un- vermeidliche über mich ergehen. Das Dorf aber feierte meine An- kunft durch Tanz und Trommelschlag, so dass ich eine recht elende, schlaflose Nacht verbrachte. Fast den ganzen folgenden Tag war ich an’s Lager gebannt, konnte mich also den wiederum in grosser Zahl aus dem Lande zusammengeströmten Negern nur wenig zeigen. Da die einbrechende Nacht sternenklar war, so ermannte ich mich am Abend, um die Position von Timaluis astronomisch zu bestim- men; aber das Instrument zitterte anfänglich so stark in der Hand, 9* i 132 Beschwerden des Rückmarsches. dass ich die Zahl der Beobachtungen verdoppeln musste, um brauch- bare Resultate zu erhalten. Timaluis war der nördlichste auf der Reise erreichte Punct; er liegt unter 3° 5ı‘ s. Br. Von hier aus verweigerten die Träger den weiteren Vormarsch in das Innere, indem sie darauf hinwiesen, dass sie dem abgeschlossenen Vertrage gemäss zur Rückkehr berechtigt seien. Der bis dahin zurückgelegte Weg stellte sich, von secundä- ren Windungen abgesehen, als eine scharf gebrochene Linie dar, die von Kakamueka in nordöstlicher Richtung lief und bei dem Dorfe Ntondo (auf dem Wege von Tschikenyesse nach Lubinda) in die westnordwestliche Richtung umsetzte; bei Timaluis trat eine neue Richtungsänderung nach Südsüdwest ein, so dass der Gesammtweg die Form eines Dreiecks und zwar eines gleichschenkligen Dreiecks annimmt, dessen Basis durch den Kuilu bei Nguela halbirt wird, und dessen Spitze Kakamueka bildet. Der Rückmarsch wiederholte alle Beschwerden des Hinmarsches, vergrösserte sie noch durch häufiger fallende Regen und die da- durch bedingte Schlüpfrigkeit der Pfade. Eine Beschreibung: scheint mir überflüssig. Die täglichen Märsche waren sehr gross, und ich wäre der Anstrengung nicht gewachsen gewesen, hätte nicht die von Jugend auf gepflegte Uebung des Bergsteigens mir zu Gebote ge- standen. Selbstverständlich mussten eben dieselben vom Kuilu durch- brochenen Bergketten überschritten werden, über die der Hinweg ge- führt hatte. Schon nach dem ersten Marschtage nahm uns der Wald wieder auf; er flösste mir trotz seiner grossartigen Schönheit eine Art Widerwillen ein, und ich betrat ihn wie der Gefangene, der aus dem Freien wieder in sein Gefängniss zurückgeführt wird. Die wenigen, elenden Negerdörfer auf diesem Gebiete waren von Balumbu, einem den Bayombe nahe verwandten Stamme, bewohnt. Ich sah nur wenige Eingeborene und hatte nicht mehr nöthig, mich in lange Palaver ein- zulassen. Denn es ist ein grosser Unterschied, ob man zur Küste hingeht oder von der Küste kommt; und wenn hier ein Vergleich passt, so ist es der mit der Aehre, über welche die Hand in der einen Richtung sanft, in der andern aber höchst unsanft hinstreift. Kain- dschimbe (195 Meter), Kalabubote (300 Meter), Dirmamba (150 Meter) sind die Namen der drei Dörfer, in denen ich das Lager aufschlug. In dem letztgenannten Orte hatte ich schon einmal campirt und wurde von dem bereits zutraulich gewordenen Balumbu-Häuptling als alter Bekannter aufgenommen. Am neunzehnten November erreichte ich den Kuilu von Neuem und setzte zum Tschimbek des Makossu über, angestaunt von allen Bewohnern der kleinen Niederlassung. Beobachtungen in Kakamueka. 133 Das wichtigste Geschäft für mich war hier, die Aneroide auf ihre etwaigen Sprünge während der Reise zu prüfen, und ich constatirte . mit grosser Befriedigung, dass sie sich gut gehalten hatten, dass also eine Berechnung der Höhen auf Grund der gemachten Ablesungen zuverlässige Resultate ergeben würde. Von nicht minderer Bedeu- tung war es, eine gute Zeitbestimmung zu erhalten, damit aus dieser und aus der, vor der Reise am gleichen Orte gemachten, der soge- nannte tägliche Gang der Uhr abgeleitet werden konnte. Ohne die Kenntniss dieses Ganges wären alle auf der Reise vorgenommenen Längenbestimmungen, die lediglich auf Zeitübertragungen beruhten, hinfällig geworden. Ich betrachtete also den bewölkten Himmel mit unablässiger Aufmerksamkeit und war endlich so glücklich, eine günstige Viertelstunde zu erhaschen, in der sich die Sonnenscheibe hinter Wolken zeigte, so dass die Beobachtung ohne Blendgläser an- gestellt werden musste. Das Resultat war überraschend gut: es ergab sich, dass der Gang der zeitübertragenden Uhr während der Reise denselben Werth beibehalten hatte wie vor derselben, und da auch die übrigen Beobachtungen eine sehr schöne Uebereinstimmung zeigten, so stand die Brauchbarkeit der Ortsbestimmungen ausser Frage. Die hierauf bezüglichen Arbeiten nahm ich in der Factorei Mayombe vor, wohin ich mich im Canoe begab. Hier fand ich einen Tisch und diesem dankte ich es vor Allem, dass die Berechnung der astronomischen Beobachtungen schnell von Statten gieng-; denn es ist doppelt zeitraubend und anstrengend, fehlerlos zu rechnen und die Logarithmentafeln und das nautische Jahrbuch zu gebrauchen, wenn man keine andere Unterlage als ein kleines Brett auf den Knieen hat. Dem Shr. Reis meldete ich sogleich meine glückliche Rückkehr. Er kam nach einigen Tagen selbst, mich abzuholen, und wir fuhren gemeinsam den Fluss hinab, von dem ich jetzt eine neue Aufnahme machte. Denn im Allgemeinen werden Flusscroquis, die bei einer Thalfahrt aufgenommen sind, zuverlässiger sein, als die von einer Bergfahrt herrührenden, weil die Unterschiede, denen die Geschwin- digkeit des Fahrzeugs in Folge der Strömung unterworfen ist, durch die Ruderer besser ausgeglichen und von dem Reisenden besser ab- geschätzt werden können. Am Abend des dreiundzwanzigsten November landeten wir an der Insel des Shr. Reis. Für meine damalige Gewöhnung, wo ich nie aus den Kleidern herausgekommen, eine Papyrusmatte mein Bett, ein Koffer mein Esstisch gewesen war, hätte mir die Factorei des Gastfreundes wie ein Palast, wie die letzte Stufe irdischer Glückselig- keit erscheinen müssen. Doch war die Wirkung eine ganz andere, 134 An der Küste. Die Reise hatte mich stark mitgenommen, mein äusseres Ansehen sehr verändert. Die Ruhe, die ich mir nun gönnen durfte, zeitigte nur einen neuen Krankheitsausbruch, und ich wurde in der be- drückenden Küstenluft leidender als zuvor. Weit davon entfernt, irgend welche Freude über den gebotenen Comfort und den günstigen Anfang meiner Explorationsthätigkeit zu empfinden, fiel ich den psychischen Wirkungen des Fiebers anheim und musste mich durch einen Zustand geistiger Deprimirtheit hindurchkämpfen, der zu dem activen Vorgehen während der Reise im grellsten Widerspruch stand. Sobald mein Befinden es gestattete, reiste ich — nunmehr in der Hängematte — nach der Station Tschintschotscho zurück, um auf Grund der gemachten Erfahrungen alles Nöthige für die weiteren Massnahmen vorzubereiten. Bedingungen des Reisens in Westafrica. — Das Fehlen von Handelsstrassen. — Lastthiere und Träger, Vorzüge und Nachtheile. — Un- tauglichkeit der Loangoneger für Reisezwecke. — Sclaven. — Versuche mit fremden Negern. — Das Eintreffen der Expeditionsmitglieder Falkenstein, Lindner, Soyaux. — Meteorolo- gische Station. — Reise nach Angola und Benguella. Der glücklich ausgeführte Vor- stoss nach Mayombe und Yangela belebte unsere Aussichten auf grös- sere Erfolge in erfreulichster Weise. Eine Bresche in den bisher undurch- brochenen Gürtel war offen gelegt; es handelte sich nun darum, sie aus- zunutzen, ehe sie sich wieder schloss. Neues, bis dahin gänzlich unbekann- tes Terrain war betreten und mit dem Sextanten in der Hand durchwandert worden; das allgemeine Bild des Landes konnte entworfen und durch eine Reihe astronomisch bestimmter Puncte fixirt werden. Es lag aber auch, und dies war Oelpalme mit hochsteigendem Neger, 136 Explorationsreisen und Handelsstrassen. eben so wichtig, das Material vor zur Feststellung der allgemeinen Bedingungen des Reisens in dem neuen Lande. Hatte jene Erwei- terung unserer Kenntniss etwas Erfreuendes, so war diese mehr dazu angethan, Befürchtungen einzuflössen. Jedem Entdeckungsreisenden, in welchem Theile der Erde er sich auch befinden mag, drängen sich bei der Abwägung der Chancen seines Unternehmens eine Anzahl Fragen auf, von deren Beantwor- tung der Ausgang wesentlich abhängt: Giebt es Handelsstrassen? Wie ist das Terrain beschaffen? Welche Transportmittel stehen zur Verfügung und welche sind überhaupt anwendbar? Wird das Ver- halten der Eingeborenen freundlich, feindlich, gleichgültig sein? Wie sind die politischen Verhältnisse gestaltet? Welcher Art sind die Zahlungsmittel, die Ernährungs-, die Wasser-, die klimatischen Ver- hältnisse? In dieser Aufzählung ist die wichtigste Frage an die Spitze gesetzt: Giebt es Handelsstrassen? Wo solche vorhanden sind, be- antwortet sich der Rest auf dem Wege der Information; alsdann auch ist dem Reisenden die fast sichere Aussicht auf Erfolg eröffnet, d.h. das Zaubermittel in die Hand gelegt, welches ihn über Ungemach, über Krankheit, Hunger, Durst und Abgeschiedensein von Freunden und den geistigen Bewegungen des Culturlebens hinwegsetzt. Wie steht nun der Reisende da, den seine Mission an die Loango- küste geführt hat, und der von hier aus in das Innere vordringen will? Warum hat er, wie die spätere Entwickelung zeigen wird, nicht vermocht, was anderen Reisenden in anderen Theilen Africas so glänzend gelungen ist? Muss er jetzt schuldbewusst zurückblicken oder kann er beweisen, dass die Ursachen, die ihn zu Fall brachten, mit seiner Person Nichts zu thun haben? In gewissen Handelscomptoiren des Küstengebietes von Loango sieht man nicht selten Karawanen von Negern anlangen, welche Gummi und andere Landesproducte bringen. Die Leute haben so sehr den Buschneger-Typus, erscheinen im Vergleich zu den Loan- gesen (Bafiote) so wild, dass man glauben sollte, sie seien durch monatweite Entfernungen von den Bewohnern der Küste getrennt. Fragt man indess nach ihrer Herkunft, so ziehen sich die Entfernun- gen um so mehr zusammen, je eingehender die Erkundigungen werden, und schliesslich bleibt Nichts übrig als eine acht- bis zehn- tägige Reise. Nun erweitert der Zwischenhandel dieses schmale Ge- biet der Handelsbewegung allerdings hier und da um eine Staffel, aber alsdann ist auch die Grenze erreicht, welche Furcht und Aber- glaube gegen das Innere des Continents gezogen haben. Es fehlt zwar nicht an einigen Schwarzen, sogenannten Handelslingstern, Transportmittel der Loango-Küste. 137 die mit dem ihrer Race eigenen Hang zum Renommiren von grossen, im Innern des Landes ausgeführten Reisen sprechen; diese Reisen bleiben indessen auf den seltenen Besuch einiger jenseit des Gebirges liegenden Ortschaften beschränkt, wo während eines Aufenthaltes von oft vielen Monaten so viel Handelsproducte eingetauscht werder, wie eine kleine Karawane fortschleppen kann. Das, was fehlt, ist ein grosser, allgemein bekannter und anerkannter Markt landeinwärts, ein Handels-Emporium, in’dem sich die Wege von den Küstenländern aus strahlenförmig vereinigen, um von dort aus wiederum divergirend in das Innere sich zu verbreiten. Die politische Anarchie erklärt diese Thatsache, so befremdend sie an und für sich ist; befremdend deshalb, weil das Land Ueber- fluss besitzt an natürlichen Hülfsquellen, und weil der europäische Handel nur zu bereit wäre, einen lebhaften Verkehr zwischen der Küste und dem Binnenlande herzustellen. Die Eifersüchteleien eines kleinlichen Zwischenhandels haben überall hemmende Barrieren auf- gerichtet, wodurch ein Hin- und Herfluten des Verkehrs, ein wol- thätiger Contact der verschiedenen Völkerstämme zur Unmöglichkeit geworden ist. Der Ruf von einem grossen Reich, von einem mäch- tigen Herrscher hat nirgendswo die Loangoküste erreicht; und der Reisende ist nicht im Stande, den Eingeborenen sein Ziel fassbar hin- zustellen. Das Unternehmen erscheint diesen daher unheimlich; weil aber andererseits die Natur der Transportmittel ausschliesslich auf ihre Hülfe anweist, so entsteht ein neues Dilemma. Es zeigt sich nämlich, dass der Mensch, der Neger das einzige zur Verfügung stehende Transportmittel ist; auf seinem Kopfe und seinen Schultern muss der Reisende alle Gegenstände fortschleppen lassen, die ihm mitzunehmen nöthig sind. Das Land selbst bringt keine Lastthiere hervor; es giebt weder Kamel noch Rind, weder Esel noch Pferd. Ihrer Einführung. von ausserhalb widersetzen sich sowol klimatische Verhältnisse wie die Beschaffenheit des Terrains. Was den ersteren Punct betrifft, so sei nur erwähnt, dass der auf der Station Tschintschotscho gemachte Versuch, eine kleine Herde Rindvieh aus einem nur vier Breitengrade südlicher gelegenen Küsten- theile zu acclimatisiren, kläglich gescheitert ist; ähnliche Erfah- rungen sind an anderen Puncten der Küste gemacht worden. Da- gegen könnte das Factum angeführt werden, dass die „Afrikaansche Handels-Vereeniging“ eine Herde Rindvieh in der Nähe von Muanda unterhält. Hier also finden die Thiere das Futter, bei dem sie auf freier Weide existiren können. Aber diese Bedingungen hören auf, wo es sich um eine Reise handelt, und die Thiere einerseits stark an- 138 Träger und Lastthiere, gestrengt werden, andrerseits bei dem Wechsel von Ort zu Ort nicht mehr das Futter finden, welches ihnen zusagt. Der Vollständigkeit wegen muss mitgetheilt werden, dass in der Factorei Vista sechs im- portirte Esel ihr Dasein fristen; man lässt sie unbehelligt umher- laufen, weil sie sich als Lastthiere untauglich oder doch unzureichend erwiesen haben. Bezüglich des zweiten Punctes, des Terrains, ist zu bemerken, dass es beim Vordringen von der Loangoküste aus freilich ebenso wenig an Wegen mangelt wie in anderen Theilen Africas; aber die Pfade, die von unserm Gebiet aus in das Innere führen, gleichen mehr Linien als Bändern; sie sind so schmal, dass man nicht begreift, wie häufige Benutzung sie nicht verbreiterte. Im offenen Savanenlande würde dies verhältnissmässig wenig ausmachen, aber in dichten Wäldern, wo Bäume und Strauchwerk durch den Weg kaum eine Unterbrechung erleiden, würde das beladene Thier nicht hindurchkommen. Die Benutzung der Flussläufe würde in unserm Falle nur von ge- ringem Nutzen sein. Ganz abgesehen davon, dass man stromaufwärts fahren müsste, und dass ein völlig unbekanntes Land nicht genügend durch Flussfahrten explorirt wird, setzen die Ströme, um die es sich hier handelt, dem weiteren Vordringen sehr bald Hindernisse durch Katarakten und Stromschnellen entgegen. Man würde der sicheren Gefahr entgegengehen, plötzlich der bis dahin verwendbaren Trans- portmittel beraubt zu werden, an einer Stelle, wo jede Möglichkeit, andere Hülfe zu beschaffen, ausgeschlossen ist. Es bleibt nur der Mensch und zwar der farbige, denn der weisse würde in kürzester Frist unterliegen. Diese Beschränkung schliesst grosse Vortheile und grosse Nachtheile in sich; von der Beschaffen- heit der Leute hängt es ab, welche überwiegen. Dieselben Neger, die dem Forscher den Weg frei machen durch feindliche Stämme, können gegen ihn meutern, ihn schnöde verlassen. Das Lastthier muss täglich mit Aufwand von Zeit und Geschicklichkeit beladen werden; der Neger ordnet und lädt seine Last selbst auf. Er kann sich ihrer aber auch eben so schnell entledigen, sie liegen lassen und sich selbst aus dem Staube machen. Während das Thier von der Furcht des Unbekannten frei bleibt und nur vor einer unmittelbar drohenden Gefahr widerspänstig wird, genügt für den Neger das Bewusstsein, dass er dem Unbekannten entgegenzieht, um ihn feige, fahnenflüchtig, zur Meuterei geneigt zu machen. Dafür kann man wiederum mit Trägerkarawanen Terrainschwierigkeiten überwinden, an denen man mit Lastthieren scheitern müsste. Ein beladener Neger nimmt in der Breite ausserordentlich wenig Raum ein; denn man Vorzüge des Reisens zu Fuss. 139 giebt den Lasten die Form langgestreckter Packete, und wo er ohne Last hindurchschlüpfen kann, kommt er auch mit derselben vor- wärts. Ein Lastthier aber wird auf beiden Seiten beladen; das Thier, stets nur auf die eigene Breite Rücksicht nehmend, stösst bei engen Passagen an und streift die Ladung entweder ab oder bringt die Packung so in Unordnung, dass grosse und häufig wiederholte Aufenthalte entstehen. Ferner sind Thiere von der Nahrung weit abhängiger als der Mensch, gefährlichen Insectenstichen mehr aus- gesetzt, veränderten Lebensbedingungen gegenüber weniger schmieg- sam; sie verlangen Treiber, die mit ihnen umzugehen verstehen und die sich in der Regel so schwer ersetzen lassen, dass man mit dem Treiber auch die Thiere einbüsst. Die ganze Betrachtung führt zu dem Endresultat, dass Träger nicht nur die den Verhältnissen des Landes am besten angepassten, sondern auch die einzig möglichen Transportmittel sind. Wo gute Träger vorhanden sind, darf das Fehlen von Lastthieren, Steppe und Wüste immer ausgenommen, nie bedauert werden. Für den Reisen- den selbst, sobald seine Gesundheit nicht in ihren Grundfesten er schüttert ist, muss es geradezu als ein Vortheil gelten, wenn er ge- zwungen ist, zu Fuss zu gehn; denn es unterliegt keinem Zweifel, dass der marschirende Reisende ein besserer Beobachter ist als «er reitende, fahrende oder in einer Hängematte fortgetragene. Seine Itinerare, mit Uhr und Compass entworfen, werden zuverlässiger sein; denn er ist nicht nur im Stande, genau zu visiren und die Com- pass-Nadel vor importunen Erschütterungen zu wahren, er kann auch, was sehr wichtig, zu jeder Zeit mühelos das Auge wenden, wohin “er will, Rückwärtsvisirungen vornehmen und genauer auf das achten, was die nächste Umgebung ihm bietet. Es muss als das Ideal einer Forschungsreise hingestellt werden, wenn man sie zu Fuss und mit zuverlässigen Trägern ausführen kann. Die Beschaffung geeigneter Mannschaften war daher die Lebens- bedingung der Expedition. Vor dieser Frage erschienen die andern, auf Klima und Ernährung gerichteten, klein. Selbst der Gedanke, wie die Eingeborenen des Innern sich verhalten würden, machte mir wenig Sorge, wenn ich nur sichere Leute hatte. Hierin lag das ganze Problem. Es zu lösen, habe ich mich bis zur Grenze meines Könnens bemüht. Da die Erfahrungen eines Vorgängers nicht vorlagen, niemals ein Versuch gemacht war, mit Trägern in’s Innere vorzugehn, so musste ich allein ausprobiren, welcher Weg zum Ziele führen könne. Ich sah mich natürlich zuerst unter den Loango-Negern um. Diese 140 Furcht der Neger vor Reisen in’s Unbekannte. Bevölkerung wäre ihrer körperlichen Beanlagung und geistigen Be- fähigung nach im hohen Grade geeignet gewesen, dem Europäer vor- treffliche Begleiter zu liefern; dennoch musste ich aus folgenden Grün- den auf sie verzichten: Der Mangel an Handelsstrassen hat zunächst zur Folge, dass eine eigene Trägerkaste in Loango nicht existirt. Das Tragen von Lasten bei rasch auf einander folgenden Märschen ist eine Kunst, die auch der Starke nur durch Uebung erlangen kann; indessen lässt sie sich er- lernen und zwar um so eher, je mehr die Form der wegzuschaffenden Lasten der herrschenden Gewohnheit angepasst wird. Schlimmer ist der bereits erwähnte Umstand, dass man den zu miethenden Negern kein bestimmtes Reiseziel anzugeben im Stande ist. Ein bestimmtes, d. h. ein bekanntes Reiseziel wirkt wie ein anziehender Magnet; je näher man kommt, desto grösser wird die Anziehungskraft; das un- bekannte Reiseziel gleicht dem abstossenden Pol, jeder weitere ihm zugerichtete Schritt macht den Neger widerspänstiger; denn seine Phantasie identificirt das Unbekannte mit Tod und Vernichtung. Nun liesse sich muthmassen, dass Aussicht auf hohen Gewinn die Furcht zu Boden schlagen könnte, doch bald erfährt der Reisende, in wie bedingter Weise dies der Fall ist. Gewiss hat sich die Begierde nach Erwerb und Besitz bei dem Loango-Neger sehr stark entwickelt, wird aber nur dann befriedigt, wenn dies ohne aussergewöhnliche persön- liche Anstrengung geschehen kann, nämlich durch Handel und durch Dienstleistung in europäischen Factoreien. Wo etwas Aussergewöhn- liches verlangt wird, hat man mit Indolenz und passivem Widerstand zu kämpfen, die beide dadurch genährt werden, dass die leicht er- füllbaren Bedingungen des Lebensunterhaltes aus der Arbeit eine Ausnahme, aus dem Nichtsthun die Regel zu machen erlauben. Eine Arbeit, bei der das Leben, selbst nur die Behaglichkeit des Lebens eingesetzt wird, ist um keinen Preis feil. Nun verknüpft sich aber für den Eingeborenen Loangos mit der Idee der Entfernung von der Küste die Vorstellung nicht nur der Lebensgefahr, sondern des sicheren Todes; für ihn ist es selbstverständlich, dass alle unbekannten Stämme Menschenfresser sind, missgestaltete Ungeheuer, deren blosser An- blick auch dem Beherztesten Furcht einjagt. Ferner kommt hinzu, dass die Küstenneger unter dem nie nachlassenden Druck ihres Fe- tischglaubens jede unbegreifliche Handlung auf übernatürliche feind- selige Ursachen zurückführen. Was aber kann dem Menschen, der wäh- rend seines ganzen Lebens nur auf die Befriedigung seiner materiellen und sinnlichen Bedürfnisse bedacht war, unerklärlicher und deshalb beängstigender sein als ein Weisser, der für Nichts und wieder Nichts Misstrauen gegen Reisende. Sclaverei in Loango. 141 sich allen Fährlichkeiten einer Reise in’s Unbekannte aussetzt? Was will der fremde Mann? Will er geheime Zaubermittel in’s Land tragen, die Fetische gegen das Volk erzürnen? Will er ihm Blat- tern, Regenlosigkeit oder Ueberschwemmung bringen? Will er nachdringenden Europäern den Weg der Eroberung zeigen oder will er sich zu den fernen Menschenfressern begeben, um mit ihnen zurückzukehren, das Küstenland im Rücken zu überfallen und heim- zusuchen? Das einzige Motiv für das Erscheinen des Weissen, das dem Neger fassbar bleibt, ist Gewinnsucht, d. h. Handel; und den- noch würde man in der Annahme irren, dass dem weissen Händler das Eindringen leichter sei als dem wissenschaftlichen Reisenden. Es tritt nur an die Stelle des einen Hindernisses ein anderes. Das Unerklärliche der Handlung verschwindet freilich, aber nicht das Un- erwünschte, die einheimischen Interessen Schädigende. Den Handel ausserhalb der Küstenzone in dem zunächst daran anstossenden Ge- biet betrachten die Loango-Neger als ihr Monopol; sie wollen, dass derselbe staffelweise der Küste zugeführt und durch ihre Hand dem weissen Händler übermittelt werde. Nach diesen Auseinandersetzungen darf es nicht mehr Wunder nehmen, dass die Loangoküste dem Reisenden keine Träger liefert. Trotzdem machte ich den Versuch, weil die Noth mich zwang, und das folgende Capitel wird zeigen, wie derselbe ausfiel. Es erscheint nun sehr verlockend, ein Auskunftsmittel zu wählen, das, indem es dem Reisenden Erfolg verspricht, gleichzeitig den For- derungen edler Menschlichkeit gerecht wird; ich meine, Sclaven durch Ankauf frei zu machen, und aus ihnen die Trägercolonne herzustellen. Die Sclaverei tritt in Loango in sehr milder Form auf. Von den Schrecken, die unser Humanitätsgefühl empören, wie Nachtigal sie auf seinem Bagirmizuge beobachtet und geschildert hat, findet sich keine Spur. Sowol die Eingeborenen- wie die europäischen Händler besitzen Sclaven, die zum Theil einheimisch und durch Schulden in Sclaverei gerathen, zum Theil importirt, sämmtlich mit den Sitten und Gewohnheiten der Loangesen vertraut und verwachsen sind. Durch diesen vorhandenen Stamm werden neu hinzukommende Sclaven in die ihnen fremdartigen Verhältnisse leicht eingeführt. Es würde also Nichts einfacher erscheinen, als gute Sclaven an Ort und Stelle zu kaufen und ungesäumt mit ihnen aufzubrechen. Dem steht aber entgegen, dass die Brauchbarkeit der Sclaven kein absoluter, sondern ein relativer Begriff ist. Derselbe Sclave, der sich tadellos bei seinem Herrn benommen hat, kann, wenn er in andre Hände übergeht, ein Ausbund von Nichtsnutzigkeit und Schlechtigkeit werden; er ist nur 142 Reise nach Angola und Benguella, gut und zuverlässig in Bezug auf den Herrn, dem er seit Jahren dient, den er kennt, der ihm Respect einflösst. Aber selbst diesem gegen- über ist er nur so lange willig, als die zugemuthete Arbeit mit seinen hergebrachten Anschauungen nicht im Widerspruch steht. Die Sclaven, die aus dem Innern kommen, pflegen immer im jugendlichen Alter ge- bracht zu werden, oft sind sie gar an der Küste selbst geboren, je- denfalls theilen sie ganz die Vorstellungen der Küste bezüglich des Schicksals, das den Eindringling im Innern erwartet; da sie ausser- dem mit den localen Verhältnissen vertraut sind, so würden sie be- reits am ersten Marschtage entfliehen und sich mit Freuden freiwillig in die Sclaverei irgend eines angesehenen Schwarzen des Litorals be- geben. Also auch auf dieses Auskunftsmittel muss man verzichten. Lieferte nun die Loangoküste keine Träger, und konnte man ohne solche Nichts machen, so musste man sie natürlich anderswoher nehmen. Damit war eine neue Reihe von Versuchen eingeleitet; aber keiner trug die Garantieen des Erfolges in sich, ein jeder belastete meine Verantwortlichkeit. Die Heimat war fern, der Verkehr mit ihr durch wiederholte Schiffsunfälle unterbrochen; Verhaltungs- massregeln abzuwarten, hätte einen Zeitaufschub zur Folge gehabt, der einem verlorenen Jahre gleichkam. Was hätten in diesem Falle, wo ich selbst mit mir über den besten Entschluss kämpfte, auch In- structionen Anderer mehr nützen können, als die Schuld eines Misslingens von mir auf fremde Schultern abzuwälzen? Ich that also, was mir das Beste schien, und reiste zu Schiff nach Angola und Benguella, um mir daselbst zu verschaffen, was die Loangoküste so hartnäckig ver- weigerte. Für die Wahl gerade dieser Länder sprach ihre nicht zu weite Entfernung und die übereinstimmenden Aussagen zweier Portu- giesen, die beide seit zwanzig Jahren in Africa lebten und einen grossen Theil ihrer Zeit in jenen Gegenden zugebracht hatten. Ich bezweifle auch heut noch nicht die Aufrichtigkeit ihrer Aussagen, obwol der Versuch den Erwartungen nicht entsprach. Ich erfuhr von ihnen, dass die Möglichkeit, durch Vermittlung von Plantagen- besitzern starke und an Strapazen gewöhnte Leute zu erhalten, vor- handen sei. Mehr durfte ich überhaupt nicht verlangen; es über- traf sogar meine Erwartungen, und im März 1874 reiste ich hoffnungs- voll ab, um sie zu verwirklichen. Die Zwischenzeit zwischen der Kuilu-Reise und der nun bevor- vorstehenden in die portugiesischen Colonieen, hatte ich zum grössten Theile auf der Station Tschintschotscho zugebracht. Hier war mittler- weile ein reges Leben erwacht, das im erfreulichsten Gegensatze zu den tristen, einsam verlebten Wochen des Aufbaus der Station stand, Neue Mitglieder. Die meteorologische Station. 143 Bei meiner Abreise zum Kuilu hatte ich Herrn v. Hattorf daselbst zu- rückgelassen, der bestimmt war, mich auf die grosse Expedition zu begleiten; bereits im November 1873 war Dr. Falkenstein mit dem Büchsenmacher Lindner aus Europa eingetroffen, und im Januar 1874 langte der junge Botaniker Herr Soyaux an. Da einige der genannten Expeditionsmitglieder die Aufgabe übernommen hatten, das Loango- Litoral naturhistorisch zu erforschen, so entwickelte sich bald eine reiche Sammelthätigkeit auf zoologischem, anthropologischem und bo- tanischem Gebiet. Auch ich selbst konnte auf breiterer Grundlage arbeiten. Ein Theil der mit der „Nigretia“ zu Grunde gegangenen Instrumente war durch die eifrige Fürsorge des Vorstandes der auf- traggebenden Gesellschaft, namentlich durch die Thätigkeit des Pro- fessor Neumayer so schnell ersetzt worden, dass Dr. Falkenstein dieselben bereits persönlich nach Africa mitnehmen konnte; dazu ge- hörten ein Universal-Instrument, mehrere Quecksilber-Barometer und eine vollständige Thermometer- Ausrüstung. Ich sah mich dadurch in den Stand gesetzt, eine meteorologische Beobachtungsstation in Tschintschotscho einzurichten. Dieselbe hat in ununterbrochener Folge zwei und ein halbes Jahr lang in der Weise fungirt, dass täglich drei- mal zu bestimmten Stunden (1874 um 6t, 2", ıo", die folgenden Jahre um 7t, 2b, 9b) Barometer und Thermometer abgelesen, und Windrichtung und Bewölkung beobachtet wurden. Ein aufgestellter Regenmesser, von Lindner construirt, diente zur Bestimmung der gefallenen Wasser- menge. Es konnte nun zum ersten Male ein Bild der meteorologischen Vorgänge in diesem Theile der Welt entworfen werden. Mit der Be- schaffung des übrigen Theiles der Ausrüstung, deren wir für die spä- tere Reise in’s Innere bedurften, war.man mittlerweile in Berlin be- schäftigt. Der Hauptmühewaltung unterzog sich Sanitätsrath Dr. Max Böhr mit einer seltenen Zähigkeit, Hingebung und Thatkraft. Seinen selbstlosen und ohne Rücksicht auf.fremde Gunst verfolgten Be- strebungen schuldet die Expedition uneingeschränkte Anerkennung, seinem Namen eine bleibende dankbare Erinnerung. Von dieser zweiten Ausrüstung gieng wiederum ein Theil auf der „Liberia“ zu Grunde, einem englischen Dampfer, der im Frühjahr 1874 mit Mann und Maus auf der Fahrt nach Africa versank. Alles Uebrige gelangte Ausgangs der Regenzeit 1873/74 in unsere Hände. Die häuslichen und innern Sorgen um das Leben auf der Station fielen Herrn Dr. Falkenstein zu, der gleich von Anfang an mit vieler Umsicht zu Werke gieng, und der sich um das Wolergehen sämmt- licher Mitglieder der Expedition sehr verdient gemacht hat. Die Oberleitung des Ganzen musste natürlich in meinen Händen 141 Einvernehmen in der Expedition. Contre-Admiral d’Andrade. verbleiben. Die Erkenntniss der tüchtigen Mitglieder der Expedition, dass ein erspriessliches Zusammenwirken nur möglich sei, wenn die Au- torität des Führers nie in Zweifel oder in Discussion gezogen werde, hat mir meine Aufgabe bis zum letzten Augenblick leicht gemacht; ohne diese freiwillig gewährte, auf Selbstverläugnung gegründete Unterstützung hätte ich sie nicht durchführen können. Ich benutzte den dreimonatlichen Aufenthalt, um unsere Beziehungen zu den Eingebo- renen wie zu den angesessenen Händlern zu regeln. Ersteren wehrte ich alle Versuche eines unberechtigten Eingreifens in unsere Existenz, beobachtete aber um so gewissenhafter alle Gesetze, die der Verkehr zwischen den Eingeborenen und Weissen ausgebildet hat; mit letzteren suchte ich freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen, namentlich da, wo sich Belehrung erwarten liess. — Wegen des Aufenthaltes, den die unregelmässige Schiffsverbin- dung in Banana wie in Sao Paul de Loanda verursachte, nahm die Reise nach Benguella mehrere Monate in Anspruch. Zwar wurde ich während derselben mehrere Mal durch biliöse Fieber auf’s Kranken- lager geworfen, erholte mich indessen immer wieder und erreichte, we- nigstens im Princip, den beabsichtigten Zweck. Der damalige General- Gouverneur der westafricanischen Colonien Portugals, der Contre- Admiral d’Andrade, nahm mich mit grosser Auszeichnung auf, ja, ich darf wol sagen, kam mir mit der Herzlichkeit eines älteren Freundes entgegen. Ich durfte von seiner Seite auf die wärmste Unterstützung meiner Pläne rechnen, was der Erfolg auch gezeigt hat. Wochenlang erwartete ich vergeblich ein Schiff, das mich nach Novo Redondo (zwischen Alt- und Neu-Benguella, unter dem elften Grad südlicher Breite gelegen) bringen konnte und benutzte diese Zwischenzeit, um den Kuansafluss bis Ndondo zu befahren und von dort aus die pracht- vollen Katarakten dieses Stromes zu besuchen. Niemals trat die Ver- führung, das mir gestellte Programm mit einem günstigeren zu ver- tauschen, so lebhaft an mich heran wie hier. In Ndondo sah ich Scharen von Trägern, die aus dem Innern kamen; die grosse Handels- ‚strasse nach Malandschi und Cassandschi lag offen vor mir; es hätte geringer Mühe bedurft, die nöthigen Träger zu engagiren und auf diesem Wege in’s Innere zu dem Reiche des Muata Yanvo vorzu- dringen. Die Erinnerung an Loango und die Schwierigkeiten, die sich dort dem Reisenden entgegenstellen, traten mir wieder lebhaft vor die Seele, und nur das Bewusstsein, dass ich nicht unabhängig, son- dern im Auftrage reiste, konnte mich bestimmen, dem verheissungs- vollen Ausgangspunct den Rücken zu wenden. In Novo Redondo und dem wenige Stunden davon entfernten Die portugiesische Regierung und das Auswärtige Amt. 145 Quicombo befanden sich die Plantagen des Shr. Prazeres, des Mannes, der nach Allem, was ich in Erfahrung gebracht hatte, meine Pläne bezüglich der Träger am besten verwirklichen konnte. Ich begab mich dorthin und traf die nöthigen Abmachungen. Es wurde aber sofort klar, dass mindestens sechs Monate vergehen würden, d. h. die ganze nächste Reiseperiode der trocknen Jahreszeit, ehe ich wirklich in Besitz der Leute gelangen konnte. Shr. Prazeres erklärte nämlich, dass ohne Erlaubniss des General-Gouverneurs eine Einschiffung von Eingeborenen der portugiesischen Colonien nicht statt haben dürfe, und der General-Gouverneur setzte mich in Kenntniss, dass er meine Wünsche bei seiner Regierung in Lissabon zwar auf's wärmste befür- worten würde, dass er aber ohne Autorisation von dort die Erlaubniss nicht ertheilen könne. Ich gab also formelle Erklärungen ab, dass alle Neger, die in meinem Auftrag durch Shr. Prazeres in Quicombo für die deutsche Expedition engagirt werden würden, freie Neger seien, welche sich lediglich zu dem Zwecke nach Tschintschotscho einschifften, um der Expedition als Träger zu dienen, und welche nach Erfüllung ihrer freiwillig übernommenen Pflichten in die alte Heimat auf meine Kosten zurückgeführt werden sollten. Während der General-Gouverneur in diesem Sinne nach Lissabon berichtete, erstattete ich meinerseits dem Vorstand der Africanischen Gesellschaft Bericht über die von mir ge- machten Schritte und bat, dass die Vermittelung des Auswärtigen Amtes nachgesucht werde, damit die portugiesische Regierung ihre Einwilligung ohne Zeitverlust ertheile. Die ausserordentlich lebhafte Unterstützung, welche unserer Expedition in allen ihren Phasen von Seiten des Auswärtigen Amtes zu Theil geworden ist, documentirte sich auch in diesem Falle in förderndster Weise und legt es mir be- sonders nahe, dem lebhaft dafür empfundenen Dank Ausdruck zu geben. Ich schied vom Shr. Prazeres mit der Punctation, dass er mit dem Engagement der Leute beginnen solle, sobald die Erlaubniss der portu- giesischen Regierung eingetroffen sei. Wenn keine unberechenbaren Hindernisse eintraten, so konnte dieselbe im September oder im Oc- tober 1874 in den Händen des General-Gouverneurs sein. Erst Ende Mai hatte ich erreicht, was vorläufig zu erreichen war. Dann aber eilte ich, auf meinen Posten nach Tschintschotscho zurückzukehren. Eine Schilderung des Landes, das ich eben kennen gelernt, und das so fremdartig nach dem langen Aufenthalt in dem nördlich vom Congo gelegenen Gebiet erscheigt, darf ich hier nicht geben, da dieselbe aus dem Rahmen dieses Buches heraustreten würde. Es genügt mir, auf den Unterschied hinzuweisen, der beide Gebiete einander gegrenüber- Loango. 1. Io 146 Nördlich und südlich vom Congo, stellt und der seinen lebhaftesten Ausdruck in der Physiognomie der Vegetation findet. Die grossen Euphorbienbäume, die candelaber- förmig blühenden Aloen, die über weite Strecken ausgebreiteten Sträucher mit der dornenbildenden Tendenz ihrer Blattorgane über- raschen den von Loango kommenden Reisenden, und erregen in ihm die Illusion, als sei er dem Cap näher, denn dem Aequator; nur die prachtvollen Adansonien heimeln ihn noch an. Die Eingeborenen haben einen andern Typus, sprechen eine andere Sprache, und er- mangeln des Selbstbewusstseins der Bafiote, da sie nicht, wie diese, freie Männer eines freien Landes sind, sondern die farbige Kaste in einer von Europäern beherrschten Colonie. Auch die Letzteren sind weniger frei als die Weissen nördlich vom Congo, denn sie haben sich, trotz aller möglichen Licenzen, theilweise jenen Druck geschaffen, demin der Furcht vor der öffentlichen Meinung wurzelt. Diese Halb- heit der socialen Zustände hat nichts Sympathisches, und ich fühlte mich woler, als ich Ende Mai den Congo wieder überschritt, und in urwüchsigere Verhältnisse zurückkehrte. Karawane unter breitästigem Ficus, Briefbote mit „‚Mukanda“, CAPITEL VI. Vorbereitung zu einer neuen Reise. — Lindner, mein Gefährte. — Africanische Plagen. — Einschleppung der Sandflöhe. — Reise von Tschintschotscho nach Loango. — Havarie und Diebstahl. — Engagement von Bavili-Trägern. — Tauschartikel und Trägerlasten. — Bayombe-Träger. — Aufbruch der Expedition. — Im Dorfe des Nganga Mvumbi.— Neue Verzögerungen. — Noth und Elend in Mayombe. — Durch den Urwald. — Palaver mit Eingeborenen und Trägern. — Das Uebersetzen der Expedition über den Kuilu. — An der Grenze, von Yangela. — Der Mambuku von Tschitabe. — Ein Gorillajäger. — Resultatloses ottes- gericht. — Eine Räuber-Gesandtschaft. — Flucht der Bayombe- Träger. — Verhalten der Bavili-Träger. — Rückzug. — Wiedersehen mit dem Mani Mbandschi. — Der letzte Marschtag. — Ein Dorf in Trümmern. — Zur Kuilumündung. Die Reise nach Angola und Benguella fand ihren Abschluss durch meine Rück- kehr nach der Station Tschintschotscho in den ersten Tagen des Juni 1874. Es waren nun gerade zehn Monate verflossen, seit- dem ich die Loangoküste zum ersten Mal betreten hatte, und wiederum sechs Mo- nate mussten im günstigsten Falle ver- gehen, bevor ich auch nur das Mittel in der Hand hielt, um eine Expedition in das Innere des äquatorialen Africa zu führen. Durch zehnmonatliche Arbeit in die Verhältnisse eingeweiht, sah ich den Stand der Dinge noch für hoffnungsvoll an und war berechtigt, mich der erlangten Resultate zu freuen. Anders lag die Sache in der Heimat, wo der ungestüme Wunsch nach glänzenden Entdeckungen vergessen liess, dass es eben die Loangoküste war, von der aus man die Erforschung Africas ver- 10* 148 Neue Reisezurüstungen in Tschintschotscho. langte. Für den Reisenden war es nicht eben erfreulich, dass gerade Diejenigen, deren eigene Lebensbehaglichkeit niemals unterbrochen worden war, sich am ungeduldigsten zeigten und nicht begreifen konnten, weshalb der keimende Samen nicht schon Früchte trug. Es ist im vorigen Capitel auseinandergesetzt worden, dass die Eingeborenen der Loangoküste ungeeignet zum Trägerdienst sind. Indessen hatte ich zur Zeit noch nicht alle Erfahrungen gemacht, auf welche die ausgesprochenen Ansichten sich gründen; vielmehr sollten die nun kommenden Monate dazu dienen. Die kühlere Jahreszeit, die wegen ihrer Regenlosigkeit besonders zum Reisen geeignet ist, hatte eben begonnen und durfte nicht unbenutzt verstreichen. Ich wusste, dass die Chancen des Misserfolges grösser waren als die des Gelingens, aber kein Misserfolg konnte so schädliche Wirkungen hinterlassen wie ein völliges Stilliegen. Also entschied ich mich für eine neue Reise und traf die Vor- bereitungen dazu sofort nach der Ankunft in Tschintschotscho. Im Anschluss an den Vorstoss des Jahres 1873 beabsichtigte ich, den Kuilufluss von Neuem zum Ausgangspunct meiner Forschung zu machen, so viel Träger, wie sich bereit finden liessen, bis Yangela zu engagiren und möglichst viele Tauschartikel mitzunehmen. Viel er- reichen liess sich nur, wenn man auch viel riskirte, und mein Risico bestand darin, dass ich nicht wissen konnte, was an der Grenze des den Trägern unbekannten Gebietes aus diesen werden würde. Der zuverlässigste Neger, der mir wenigstens einige Anhaltspuncte geben konnte, der vornehme Mani Mampaku, versicherte, dass vierzehn bis zwanzig Tagereisen entfernt, in nordöstlicher oder ostnordöstlicher Richtung eine Landschaft Yelika angetroffen würde, deren Herrscher »:Makaya Tschongo in früheren Jahren directe Handelsverbindungen mit der Küste unterhalten habe, und dass sein Name noch jetzt den Bavili der Küste bekannt sei. Deshalb hoffte ich, die Träger bis nach Yelika hin miethen zu können. Einmal dort, beabsichtigte ich, eine Art Standquartier zu errichten, den mitzunehmenden weissen Be- gleiter zurückzulassen und mit Leuten des Makaya Tschongo weiter vorzugehen. Meine Abwesenheit war auf vier bis fünf Monate be- rechnet, die Ausrüstung aber sollte wo möglich (das hieng von der Anzahl der zu erhaltenden Träger ab) einer noch längeren Zeitdauer genügen; denn ich war im Stillen entschlossen, falls die Verhältnisse sich unverhofft günstig gestalten sollten, nicht mehr an die Küste zurückzukehren und eines der zurückgelassenen Mitglieder der Ex- pedition mit der Zuführung von Waaren und der bis dahin eingetrof- fenen Benguellaleute zu beauftragen. Unterstützung durch Lindner und Soyaux. 149 Dieser Plan war gut, und hätte die Ausführung es im gleichen Masse sein können, so würde ich mit geringerer Befangenheit an die Schilderung derselben herantreten. Eine über fünf Monate ausge- dehnte Leidensgeschichte ist ebenso wenig angenehm zu lesen wie zu schreiben. Wenn ich mich theilweise dazu verstehe, so geschieht es in dem Wunsche, falsche Ansichten zu berichtigen und leichtfertige Urtheile hinfällig zu machen. Ein gut gewähltes Beispiel erhellt das Wesen einer Sache zuweilen mit einem Schlage. Dieses Capitel ist Nichts als ein Beispiel, weil es den Schwerpunct der Darstellung in das Detail legt und es dem Leser überlässt, sich hieraus ein richtiges Bild von der Natur der vorhandenen Hindernisse zu entwerfen. Während meiner mehrmonatlichen Abwesenheit von Tschi- ntschotscho war Dr. Falkenstein in seinen zoologischen Sammlungen und photographischen Aufnahmen mit unbestrittenem Erfolge thätig gewesen, die Station hatte unter ihm wesentliche und nothwendige Erweiterungen erfahren, und er schickte sich nun an, eine Reise nach Boma am Congo anzutreten. Auch der Botaniker Soyaux und der Büchsenmacher Lindner zeigten sich ganz in die neuen Verhältnisse eingelebt, aber leider hatte sich gerade dasjenige Mitglied der Expe- dition, dessen ich jetzt am meisten bedurfte, durch sein Verhalten un- möglich gemacht. Die Mittheilungen, die mir als dem Führer der Expedition officiell von den übrigen Mitgliedern zugiengen, zwangen mich zur Untersuchung, die Untersuchung zur Entlassung v. Hattorfs. So wurde ich, zu meiner grossen Enttäuschung, im Moment des Aufbruchs eines bis dahin für absolut zuverlässig gehaltenen Ge- fährten beraubt und musste auf Ersatz denken. Der junge Lindner sollte nun mein Begleiter werden. Ihn verwandte ich daher in erster Linie bei der Auswahl und Sichtung der in der Station aufgestapelten Vorräthe, aber auch der Botaniker Soyaux leistete mir hierbei und namentlich beim Einpacken und bei der Aufstellung der Verzeichnisse, sehr dankenswerthe Dienste. Mein eigener Zustand erschwerte mir die umfangreiche Arbeit des Zusammenstellens der Ausrüstung in sehr hinderlicher Weise. Ich hatte nicht ungestraft zehn Monate lang ein Leben der Anstrengung und inneren Aufregung in Africa geführt; die häufig wiederholten Fieberanfälle waren nicht spurlos an mir vor- übergegangen, und jeder folgende entzog der bis dahin unerschütter- ten Constitution einen Theil ihrer früheren Spannkraft. Was sonst mit geringer Mühe geleistet werden konnte, erforderte nun einen Auf- wand von Energie, zu dem die geleistete Arbeit oft in gar keinem Verhältniss stand. Dazu kam gerade jetzt, wo ich alle Hände voll zu thun hatte, eine neue Reihe von Fiebern und verlangsamte die Vor- 150 Drei africanische Plagen. bereitungen; denn so bereitwillig meine Gefährten mich unterstützten, so konnten sie mir doch nicht Alles abnehmen. Auch andere schäd- liche Einflüsse des Klimas machten sich mehr und mehr geltend, hauptsächlich hervorgerufen durch die excessive Thätigkeit der Haut. Sie äusserten sich in Entzündungen und Abscessen, die, schmerzhaft an sich, in solcher Zahl auftraten, dass ich mich beschränke, das Leiden nur anzudeuten. Das Unglück wollte, dass zu diesen einheimischen Piagen noch eine bis dahin in Africa unbekannte trat, nämlich die der Sandflöhe. Ein aus Brasilien angelangtes Schiff hatte sie nicht lange vor meiner Ankunft von den americanischen zu den africani- schen Gestaden hinübergetragen. In Ambriz oder in der Nähe dieses Stapelplatzes war das erste Auftreten der Thiere bemerkt, aber an- fänglich wenig beachtet worden. Sie verbreiteten sich schnell nord- wärts, traten sehr bösartig in Banana auf, gelangten nach Tschi- ntschotscho, zum Kuilu, bis zum Gabun und wurden von der Küste aus in's Innere verschleppt. Die Sandflöhe (Pulex penetrans) sind kaum sichtbare Thiere, die sich in das Fleisch des Menschen, namentlich unter die Nägel der Zehen einbohren, dort ihre Eier legen und dann eine schmerzhafte Entzündung hervorrufen. Die Entzündung pflegt sich durch ein Jucken anzukündigen, das man anfänglich, d. h. vor einer genügenden Be- kanntschaft mit dem gefährlichen Insect, gar nicht zu erklären weiss. Gelingt es, das Thier mit dem unverletzten Eiersack aus dem Fusse herauszuziehen, so erscheint es als kleiner dunkler Punct in einer weisslichen Perle, und die eigentliche Gefahr ist alsdann beseitigt. Oft wird aber die zarte Membran des Eiersacks durchstossen, und die Wunde bildet eine Brutstätte für neue Individuen. Es treten Eite- rungen und grosse Schmerzen ein, und häufig wird es unmöglich, Schuhzeug anzuziehen. Radicale Mittel dagegen standen mir nicht zu Gebote. So lange es zu beschaffen war, tränkte ich die Schuh mit Petroleum, oder betupfte die kranken Stellen mit Peruvianischem Balsam; unsere zahlreichen Neger aber in der Station wurden an- gehalten, die Füsse in heissem Wasser, worin Asche aufgelöst war, regelmässig zu baden. Von den angeführten drei Leiden war das der Abscesse das wider- wärtigste, das der Fieber das geistig deprimirendste, das der Sand- tlöhe das gefährlichste. An Sandflöhen litt ich meist, an Fieber häufig, an Abscessen immer. Zu dieser dreifachen Heimsuchung gesellte sich im Verlauf der Reise der Uebermuth und schliessliche Verrath der Träger, die Habgier und der passive Widerstand der Häuptlinge, und in demselben Masse wie das Zusammenwirken so vieler Factoren Abreise bei Nacht. 151 meine Erfolge lähmte, richtete sich das Bild der in ihren Erwartungen gsetäuschten Heimat drohend vor mir auf. Während auf der Station Tschintschotscho das Gepäck der Ex- pedition hergerichtet wurde, sollte diese selbst erst auf der drei Tage- reisen davon entfernten Factorei des Herrn Reis am Kuilu organisirt werden. Um grosse Kosten und noch grössere Zeitverluste zu er- sparen, richtete ich es so ein, dass Lindner alle Sachen auf einem see- tüchtigen kleinen Fahrzeug nach der Bai von Loango überführte; ich selbst wollte gleichzeitig mit den Instrumenten und andern unersetz- lichen Gegenständen zu Lande eben dorthin gehen. Ich hatte den zwanzigsten Juni für meine Abreise bestimmt, da aber einige durch- reisende Händler alle guten Tipoja-Träger in Anspruch genommen hatten, und ich mit einer Art abergläubischen Eigensinns an meinem Termin festhielt, so war die nothwendige Zahl der Träger erst Abends um zehn Uhr zur Stelle. Kurz vorher musste ich noch die Entdeckung machen, dass von den wenigen Negern, die ich bereits in Tschintschotscho für die Reise in’s Innere engagirt hatte, der beste, eben neu eingeklei- dete, bereits entflohen war. So zog ich denn zu später Stunde aus. Der Strand war schlecht, die Nacht wolkenlos und kalt, die Atmosphäre mit den Dünsten der Nebelzeit gesättigt. Fröstelnd von Kälte und Fieber, das Barometer im Arme, lag ich in der Hängematte, es den Trägern überlassend, ob sie mich langsam oder schnell dem nächsten Ziele zuführen wollten. Sie wählten das erstere, und wir langten gegen ein Uhr Nachts in der Factorei Massabe an. Hier war Alles im tief- sten Schlaf, und ich verbrachte den Rest der Nacht unter Anfällen von Schüttelfrost vor der Thür des Hauses. Am folgenden Morgen setzte ich über den Lu&mmeflluss, obwol mein Zustand sich verschlim- mert hatte; alle Anzeichen eines biliösen Fiebers waren vorhanden. Auf dem schattenlosen Wege längs des Meeres kam es wirklich zum Ausbruch. Angesichts der Factorei Winga waren die Kräfte zu Ende, ich warf mich mitten auf dem Strande in der Sonne nieder, verhüllte den Kopf und blieb liegen. Später schleppte ich mich hinauf zur Factorei, die ich im halb bewusstlosen Zustand erreichte. Erst am folgenden Tage konnte die Reise fortgesetzt werden. Immerhin war der Schwächezustand noch so gross, dass selbst das Rauschen des Meeres unerträglich schien, und ich mich freute, als wir durch das Land hindurchschnitten, wo kein Laut die Stille unterbrach. Nach kurzem Aufenthalt in Pontanegra liess ich mich nach Loango tragen, das ich Abends um sechs Uhr erreichte. Lindner, obwol er Tschintschotscho später als ich verlassen hatte, war bereits vier Stunden vorher mit dem Boote eingetroffen und kam mir mit betrübter Miene o 152 Havarie und Diebstahl. entgegen. Er meldete, dass beim Einladen des Gepäcks in Folge der schweren See (Calema) der grösste Theil unserer Sachen durchnässt worden, dass beim Umschlagen eines Canoes mehrere Koffer in der Brandung versunken seien. Da die Nacht im Anzuge war, so konnte von einer sofortigen Untersuchung nicht die Rede sein. Die Unge- wissheit über den Umfang des Verlustes verdoppelte die Sorge. Ein heftigerer Fieberanfall, als ich ihn bisher erlebt, zwang mich sehr bald, das Lager aufzusuchen; — zum ersten Mal empfand ich eine Trübung meiner Denkfähigkeit und ergieng mich mit offenen Augen in phan- tastischen Träumereien. Ich lag in dem abgelegenen Verschlage einer portugiesischen Factorei und sah, ohne mir Rechenschaft geben zu können, einen Schwarzen — ich musste ihn wol für meinen Diener halten — an das Bett kommen und wieder verschwinden.: Als das Be- wusstsein zurückkehrte, bemerkte ich, was geschehen war. Mein Bein- kleid, das wegen der darin befindlichen Werthsachen am Kopfende des Bettes hieng, war gestohlen worden; mit demselben alles Gold, das ich bei mir führte, und, was für den Augenblick viel schwerer wog, sämmtliche Uhrschlüssel. Wochenlang hatte ich in Tschintschotscho das Chronometer durch astronomische Beobachtungen geprüft, um es während der Reise zu Längenbestimmungen verwenden zu können. Wenn es ein einziges Mal stillstand, ja selbst wenn es nicht zur regel- mässigen Stunde aufgezogen wurde, so war alle diese Mühe verloren. Neben weniger unentbehrlichen Dingen wurden dann noch die Schlüssel zu sämmtlichen Instrumentenkasten vermisst. Ein unbeschreibliches Gefühl ohnmächtiger Wuth war die erste Wirkung dieser Entdeckung. Das Unglück wollte, dass sich unter den verloren gegangenen Koffern gerade der befand, in dem die Reserve-Uhrschlüssel untergebracht waren, und ich musste das Chronometer ablaufen sehen, mit derselben verzweifelten Empfindung, wie man wol einen Menschen vor seinen Augen ertrinken sieht, ohne ihm Hülfe bringen zu können. Der ganze Tag gieng hin mit der Untersuchung des Gepäcks und dem Versuch Abhülfe zu schaffen. Es ergab sich, dass der durch das Seewasser verursachte Schaden zum grösseren Theil reparirt werden konnte. Wäsche, Kleider und alle Gegenstände, welche Feuchtigkeit vertrugen, mussten in Süsswasser gelegt und dann getrocknet, ein Theil des Tabaks und Thees aber weggeworfen werden; ganz verloren waren ein Blechkoffer und eine Kiste mit Patronen. Die mitgekom- menen Patronen waren zum Theil durchrässt und wurden in die Sonne gelegt. Desgleichen waren Bücher, Schreibmappe und Papier nur noch zum Theil brauchbar. Nach erfolgter Constatirung des Verlustes wurde sogleich eine Ersatzliste aufgesetzt, die mit einem Expressen nach o Erstes Engagement von Trägern. 153 Tschintschotscho gieng. Herr Soyaux unterzog sich der Ausführung mit grosser Treue und grossem Geschick. Nun erst konnte die viel wichtigere Angelegenheit, Träger zu engagiren, in Angriff genommen werden. Loango war hierfür an sich der relativ geeignetste Platz, weil es namentlich Loangoleute sind, welche Handelsreisen in’s Innere unternehmen. Ausserdem fand sich derselbe Makossu, der mir bereits am Kuilu Träger besorgt hatte, zur Stelle, und von seiner Vermittelung durfte ich mir Erfolg ver- sprechen. Es wurde ein Anfang mit dem Engagement von zwölf Trägern gemacht, die sofort eine sogenannte Mukanda auf monatlich vier Stücke Zeug erhielten. Mit Mukanda bezeichnen die Bafiote alles Geschriebene und Gedruckte, in Sonderheit Briefe und jene Zettel, die man ihnen bei Miethsverträgen, unter Angabe der vereinbarten Zah- lung, übergiebt. Eine Mukanda der letzteren Art wird stets honorirt, weshalb die Eingeborenen, wenn sie Grund haben, ihren Besitz zu verbergen, häufig einen solchen Schein der augenblicklichen Auszah- lung vorziehen. Makossu erhielt den Auftrag, so viele brauchbare Leute, wie sich finden liessen, mit dem unter Lindners Obhut zurück- gelassenen Gepäck nach der Factorei am Kuilu nachzusenden. Bereits am vierundzwanzigsten Juni eilte ich dorthin voraus, so- wol um die an beiden Ufern des Kuilu wohnenden Prinzen zur Stel- lung: von Leuten zu bewegen, als auch vor Allem, um einen Dolmetscher zu engagiren. Auf diesen Mann kam begreiflicher Weise- viel an. Von seiner Aufrichtigkeit, mir zu dienen, von seiner Geschicklichkeit, die Palaver mit den kleinen Territorialherren zu führen, von seiner Autorität bei den mich begleitenden Negern hieng das Gelingen des Unternehmens ganz wesentlich ab. Bei nicht wenigen Reisenden, die glücklich in Africa waren, lässt sich als wesentliches Moment des Er- folges die Mitwirkung einer zweiten Persönlichkeit nachweisen, die in africanischen Verhältnissen gross .geworden, dem Reisenden seine Thätigkeit ermöglichte. Eines der glänzendsten Beispiele dieser Art hat Dr. Schweinfurth mit seinem Mohammed Abd-es-Ssammat ge- liefert, und es ist gewiss noch in Aller Erinnerung, mit wie dankbarer Wärme der berühmte Reisende den Antheil des nubischen Händlers an seinen glänzenden Erfolgen hervorgehoben hat. Aber die Abd-es- Ssammat sind selten und am allerwenigsten werden sie an der Loango- küste gefunden. Hier, wo der Unternehmungsgeist fehlt, wo das be- hagliche Leben an der Küste noch grössere Reize bietet als die Aus- sicht auf reichen, aber mit Gefahren erkämpften Lohn, muss man zu- frieden sein, wenn sich überhaupt ein angesehener Neger herbeilässt, die Rolle des Dolmetschers zu übernehmen; von einer Auswahl aber 154 Dreissig Träger und dreiundfünfzig Lasten. ist nicht die Rede. Der bereits erwähnte Mani Mampaku wäre der geeignetste Mann gewesen; er machte einen energischen Eindruck, war sehr verständig, lüstern nach Gewinn, und erfreute sich eines „grossen Ansehens. Aber er befand sich in einer ausgezeichneten Stellung und verwaltete im Dienste des Shr. Reis das Handels- Tschimbek von Kakamueka am Kuilu, dem früher Makossu vorge- standen hatte. Er empfahl mir seinen Bruder Buatu als einzigen Mann, der das Innere kenne, und Herr Reis, der mit allen angesehenen Negern des unteren Kuilu Beziehungen unterhielt, bestätigte mir seine Aussage. Ich hatte also zunächst nichts Eiligeres zu thun, als den em- pfohlenen Mann kommen zu lassen, wurde aber neun Tage bis zu seinem Erscheinen hingehalten. In der Zwischenzeit kam Lindner an, und nun wurde definitiv fest- gesetzt, was von dem Gepäck mitgenommen werden konnte, was zu- rückgelassen werden musste. Es hatten sich dreissig Träger gefunden, ausserdem standen mir noch sechs Leute zu Gebote, von denen zwei als Diener, die andern vier als Instrumenten- und Waffenträger ver- wandt wurden. Da aber dreiundfünfzig Lasten wegzuschaffen waren, und auf weiteren Zuwachs von Bavili nicht zu rechnen war, so be- schloss ich, den noch fehlenden Rest von Leuten in der Factorei Mayombe durch Vermittelung des früher erwähnten Nganga Mvumbi aufzutreiben. Mittlerweile machten sich die neu engagirten Loango- Träger ein wahres Fest aus ihrer neuen Stellung. Keinem von ihnen war es ein Geheimniss, dass ich ganz von ihnen abhieng; sie wussten zwar nicht, weshalb ich die Reise in’s Innere machen wollte, aber Alle wussten, dass ich sie machen wollte und dass ich sie ohne ihre Mitwirkung nicht machen konnte. Sie fühlten sich also gleich vom ersten Tage an als Herren der Situation und suchten mir durch ihre ununterbrochenen Anliegen um Speise, Trank und Kleidung auch klar zu machen, wie sehr sie von diesem Gefühl durchdrungen waren. Die gezwungene Musse, zu der das von Tag zu Tag hinausgeschobene Ein- treffen des Dolmetschers und Führers mich verurtheilte, gefiel ihnen ausnehmend; denn sie hatten nun nichts Anderes zu thun, als sich auf meine Kosten unterhalten zu lassen, auf der Insel herumzufaullenzen und sich tausend Dinge auszudenken, womit sie mich quälen konnten. Um sie für den Moment des Aufbruchs alle bei der Hand zu haben, musste ich darauf halten, dass keiner die Insel in der Zwischenzeit ver- liess. Ich stellte sie unter Aufsicht eines der Ihrigen, in dessen Beisein ich täglich zwei Mal Appell mit Namensaufruf abhielt. Die angegebene Zahl von dreissig Trägern war die Präsenzstärke des Tages der Ab- reise, da mehrere der bereits engagirten Träger, die den Sport nicht Der Dolmetscher Mani Buatu. f 155 zu weit treiben wollten, sich vor dem definitiven Aufbruch aus-dem Staube gemacht hatten. Meine Machtlosigkeit hatte hauptsächlich darin ihren Grund, dass die Leute nicht von einem, mir gegenüber ver- antwortlichen Häuptling gestellt waren, und dass der mit jedem Ein- zelnen abgeschlossene Vertrag ein einseitiger war, der von der Seite der Schwarzen ungestraft gebrochen werden konnte. Am zweiten Juli endlich erschien Mani Buatu, nachdem ich wieder- holt Boten, ihn zu holen, ausgesandt hatte. Eine Verletzung am Bein hatte ihn abgehalten, früher zu kommen, und da der Augenschein seine Behauptung bestätigte, so liess ich gern jedes bereits aufdäm- mernde Misstrauen gegen seine Zuverlässigkeit schwinden. Er war ein stattlich aussehender Neger zwischen vierzig und fünfzig Jahren, dessen äussere Erscheinung: Vertrauen einflösste. Ich setzte ihm in Gegenwart von Shr. Reis und des Mani Mampaku ausführlich aus- einander, welche Dienste er mir zu leisten habe. Als Zahlung wurden monatlich zwölf Stücke Zeug und ein entsprechendes Quantum Rum vereinbart. Es wird sich im Verlaufe zeigen, welcher Art die Dienste waren, die er dafür leistete. Als Mani Buatu eintraf, war das Gepäck bereits völlig geordnet, jede Last abgewogen, bezeichnet und mit detaillirter Inhaltsangabe versehen. Im Durchschnitt wogen die Lasten fünfzig bis sechszig Pfund. Dies ist das Gewicht, das die Neger sich bei ihren kleinen Handels-Karawanen aufladen. Ich konnte es um so eher für meine Expedition annehmen, als die Lasten im Verlauf der Reise naturgemäss leichter wurden, und mit Sicherheit zu erwarten stand, dass das Marsch- tempo ein langsames werden würde. Von den fünfzig eigentlichen Lasten wurden dreissig durch die Tauschartikel beansprucht. Diese repräsentirten also die zum Ankauf von Lebensmitteln, zur Zahlung von Durchgangszöllen und zur Ge- währung von Geschenken verfügbaren Mittel der Expedition. Die zwanzig andern Lasten enthielten dasjenige, was für die Bedürfnisse der Expedition im Uebrigen nöthig war: vier Lasten Munition, zwei Lasten Betten, fünf Lasten für Kleider, Wäsche und Schuhzeug, fünf Lasten Provisionen, ein Wasserfass mit Vorhängeschloss, Kochgeräth- schaften, Handwerkszeug und Kautschukdecken. Von der Mitnahme eines Zeltes aber musste abgesehen werden, weil der Mangel an Trä- gern unserm Comfort die äusserste Beschränkung auferlegte. Die Pro- visionen waren, Thee ausgenommen, auf den Fall der Noth berechnet. Für Medicin war etwas zu umfangreich gesorgt, wie dies leicht geschieht, wenn die liebevolle Sorgfalt in der Heimat bemüht ist, dem Reisenden so viel Ungemach wie möglich zu ersparen. Man wird 156 Reiseapotheke. Werth einer Last. aber auf dem Felde der Action in dem Verhältniss genügsamer, als man von Krankheit belästigt wird, und beschränkt sich auf wenige Hauptmittel: Chinin, Alo&-Pillen, Opium, ein Lancet-Messer, Charpie, Heftpflaster und Leinwand bildeten schliesslich meine Apotheke. Viel wichtiger als alle Medicin, ist meiner Meinung nach ein Lager, das etwas über dem Erdboden steht, und auf dem der Reisende neue Kräfte schöpfen kann. In dieser Beziehung ist es besser, zu viel als zu wenig zu thun. Namentlich empfiehlt es sich, für ein gutes Mosquitonetz zu sorgen, zu welchem das den Negern verkaufte Baumwollenzeug das beste Material liefert. Ich hatte zwei für die Reise geeignete Netze ver- fertigen lassen, eine Art Baldachin, dessen obere vier Ecken an einen Baum, oder wo dieser fehlt, an Stangen befestigt werden. Eine solche Mosquitaire gewährt auch im Lager die Möglichkeit, dass man sich bei Tage den neugierigen Blicken der Neger zeitweise entziehen kann, während man selbst noch sieht, was draussen vorgeht. Für die Auswahl der Tausch-Artikel mussten die Bedürfnisse der Neger massgebend sein, so weit man überhaupt davon wusste. Es wurde principiell kein Rum mitgenommen, weil sonst die Bettelei nach diesem begehrten Getränk kein Ende erreicht haben würde. Statt dessen Salz, das namentlich beim weiteren Vordringen gute Dienste versprach und in den Gegenden, wo es fehlte, den mit Gold beladenen Esel ersetzen konnte. Scheinbar am rationellsten wäre es gewesen, nur solche Dinge mitzunehmen, die bei kleinstem Gewicht den grössten Werth repräsentiren; das hätte aber schon deshalb in’s Absurde geführt, weil es dann völlig an Aequivalenten für kleine Einkäufe gefehlt hätte. Es mussten also auch Waaren vorhanden sein, die kleine Werthe repräsentirten, und dahin gehörten Tisch- messer, Glas- und Porzellanperlen, papierbeklebte Spiegel, Kupfer- stangen. Am werthvollsten in der Gewichtseinheit sind die Baum- wollenzeuge, wenn auch kein anderer Artikel in seinen verschiedenen Qualitäten so grosse (rewichtsunterschiede zeigt. Zum Theil mag dies von der Verschiedenheit der hygroskopischen Capacität, zum Theil von der Appretur abhängen. Das „Stück Zeug“, den sogenann- ten Cortado, den wir mit drei bis vier Mark bezahlten, als Werth- Einheit angenommen, drücken sich die Werthverhältnisse der ein- zelnen Lasten etwa so aus: Ialragerlast Zeus 2 Le ee 2 280/@ortadosa\Nzercns ı Trägerlast Perlen IE — 50 & 55 ı Trägerlast Kupfer- resp. Messingstangen — 40 s 5; ı Trägerlast Faschinenmesser nach ein- heimischema Modelleaeere een 25 5; 2 Verpackung. Flussfahrt zur Factoreı Mayombe. 157 Die Verpackung geschah auf verschiedene Weise. Als allgemeine Regel muss festgehalten werden, dass man bei Annahme der einhei- mischen Art der Verpackung grössere Lasten fortschaffen kann, als wenn man europäische Koffer anwendet. Indessen kann man des grösseren Schutzes wegen, den letztere gewähren, nicht ganz davon absehen. Ich hatte aus Europa eine Anzahl Blechkoffer (53 cm lang, 35,5 cm breit, 33 cm hoch) nachkommen lassen, welche mit Vorhänge- schlössern zu verschliessen waren und die Waaren gegen Feuchtig- keit schützten. Die Praxis ergab, dass sie zu kurz und zu hoch waren, und dass die eisernen Charniere rosteten und zuweilen ab- brachen, also durch Messing-Charniere hätten ersetzt werden müssen. Man sollte bei Ausrüstungen für Reisen in feuchte und heisse Länder überhaupt Alles, was nicht durchaus von Eisen sein muss, aus Mes- sing anfertigen lassen. Ich benutzte dreiundzwanzig Blechkoffer und einige flache Kisten aus Holz. Einen grossen Theil des Zeuges liess ich in Säcke einnähen, ebenso das Salz, was erlaubt war, weil Regen vorläufig nicht zu erwarten stand. Alles Uebrige (wie auch die Säcke) wurde in den schon erwähnten langen Tragkörben (Muteta) verpackt, welche meine Leute in wenigen Stunden aus grünen Wedeln der Oelpalme zusammenflochten. Noch an demselben Tage, wo der Dolmetscher angelangt war (zweiter Juli), schickte ich d.esen mit allen Leuten und dem Gepäck Kuilu aufwärts zur Factorei Ma- yombe, wohin ich gleichzeitig den Nganga Mvumbi von Tschilima entbieten liess. Ich selbst folgte am andern Tage mit Lindner nach. Die lange Flussfahrt war eine grosse Erholung nach all den erlebten Wirren. Der Anblick der waldreichen Flusslandschaft bei der Factorei Mayombe entzückte mich von Neuem, aber der frühe Morgen des vierten Juli war kaum vorüber, so begannen auch die lang hingezogenen Unterhandlungen mit dem Nganga Mvumbi wegen Stellung der noch fehlenden dreiundzwanzig Träger. Die Haupt- schwierigkeit bestand darin, dass die Bayombe fünf Stück Zeug mo- natlichen Lohns verlangten, was schon deshalb nicht gewährt werden konnte, weil die Bavili deren nur vier erhielten. Aber sie steiften sich mit grosser Hartnäckigkeit auf das Argument, dass ich auf der Yangela-Reise des verflossenen Jahres fünf Stücke Zeug gezahlt hätte und nun doch nicht weniger geben könnte. Endlich einigten wir uns auf den von mir gebotenen Preis. Die Bayombe kehrten noch einmal in ihre Dörfer zurück und versprachen in der Frühe des sechs- ten Juli zu erscheinen, wo dann der Aufbruch der Expedition er- folgen sollte. Am Abend des fünften Juli war ich endlich so weit, dass ich die 158 Erpressung. Formation der Colonne., Vorbereitungen für abgeschlossen betrachten konnte, und benutzte eben die Zeit, um mit der sich neigenden Sonne magnetische Declina- tionsbestimmungen an einem Prismen-Compass vorzunehmen, als neue Störungen eintraten. Die Loango-Träger näherten sich in corpore und erklärten, dass wenn ich nicht einem Jeden von ihnen noch heute ein Stück Zeug zum Kleide schenkte, sie morgen nicht aufbrechen würden. Als ich diesen Erpressungsversuch, der sich seiner völligen Unmbotivirtheit wegen ja täglich wiederholen konnte, durch eine ge- harnischte Rede ohne Weiteres zurückwies, setzte sich die ganze Ge- sellschaft murrend in meiner Nähe nieder, während ich selbst mit erheuchelter Ruhe zu beobachten fortfuhr. Darnach verschwand etwa die Hälfte und begab sich in die benachbarte Hütte des oft er- wähnten Lingster Makossu, der seit einiger Zeit hier für einen anderen Weissen Handelsgeschäfte trieb. Möglicher Weise war der ganze Streich von diesem verschlagenen Neger ausgegangen und weiter Nichts als ein Racheact an meinem Geastfreunde, seinem früheren Brodherrn dem Shr. Reis. Die Flüchtlinge hatten nicht das Geringste bei ihrer Flucht zu riskiren; sie machten immer noch ein gutes Geschäft damit, dass sie über eine Woche täglich ein Pfund getrocknete Fische, fünfviertel Pfund Maniokmehl und ein Glas Rum erhalten hatten. Aber wie stand die Sache für mich, der ich wochenlang mich abgemüht hatte und nun endlich hoffte, einige Früchte zu ernten? Ich war, wie so oft, zwischen zwei Uebel gestellt: die Expedition fallen zu lassen oder nachzugeben. Natürlich wählte ich das kleinere Uebel und setzte mich der Erniedrigung äus, nach- zugeben. Denn wie hätten sich die wortbrüchigen Träger durch andere ersetzen lassen? und wenn wirklich, wer bürgte dafür, dass diese mir nicht denselben Streich spielten? Dazu drängte die Zeit; von der trockenen Jahreszeit blieben nur noch wenige Monate, und jeder Tag war kostbar. Ich liess also die Leute zurückrufen und richtete, um wenigstens die äussere Würde zu bewahren, eine neue Ansprache an sie, worin ich meine Herzensgüte und mein Wolwollen für die Neger pries. Darnach erhielt jeder Mann das geforderte Kleid, und nun versprachen Alle, sie würden am folgenden Tage aufbrechen und nie mehr etwas fordern. Vorläufig also war der Waffenstillstand wieder erkauft. So wurde der sechste Juli wirklich der Tag des Aufbruchs. Die Bayombe-Träger waren vollzählig erschienen. Ich hiess alle Lasten in einer Linie neben einander setzen, überliess es zuerst den Leuten, sich beliebig davorzustellen und bestimmte dann die Stärksten für die schwersten, von Allen gemiedenen Collis. Dann wurde Last und Abmarsch. Unterbrechung durch Dörfer. 159 Träger paarweise notirt, alle Reclamationen principiell überhört, Lindner mit einem schwarzen Aufseher nahm die Spitze, und in langer Reihe defilirte der sechszig Mann starke Zug vor mir vorbei in den . Wald hinein. Ich bildete mit einigen Auserwählten den Nachtrab; in meiner unmittelbaren Nähe marschirten der Dolmetscher Mani Buatu, der Barometerträger Gulimbuite (er hatte mich schon auf der ersten Reise begleitet), der Sextantenträger Tschikaya und der Träger des Instrumentenkoffers Kastanu. Dieser Instrumentenkoffer war mein besonderer Stolz. Ich hatte ihn in Liverpool aus dem besten Material anfertigen lassen und er enthielt auf kleinem Raum Alles, was für Präcisions-Beobachtungen nöthig ist; auf der einen Seite einen fünf- zölligen Prismenkreis, einen Kasten mit künstlichem Horizont und Dach, eine Beobachtungslaterne mit verschraubbarer Oellampe, zwei Fläschchen Oel in Blechkasten; auf der andern Seite ein Aneroid mit Psychrometer, eine lederne Rundbüchse mit einem Casellaschen Kochpunct- Thermometer, einem Quellen- und mehreren Schwing- thermometern; eine wolgeschlossene Kapsel mit Quecksilber-Holz- büchse, einen Prismen-Compass, eine Camera lucida, zwei Sternkarten, Bremikers nautisches Jahrbuch, fünfstellige Logarithmen, Peters’ und Jelineks Tafeln, das Anschreibebuch für die Beobachtungen, ein Rechenheft, Tinte und Federn. Die Gegend, durch die sich der Zug hinbewegte, ist früher satt- sam geschildert, und was ich von Neuem darüber in meinem Notiz- buche niederschrieb, stimmte fast wörtlich mit den vor Monaten ge- machten Bemerkungen und bestätigte deren Richtigkeit. Alle Wege in Mayombe gleichen sich: Wald, endloser Wald, bedrückende Luft über dem Boden, trockenes Laub auf dem Boden, wenig Unterholz, grossblätterige Schattengewächse, tennenharte Lehmpfade von Wur- zeln durchsetzt, von Stämmen überlagert, auf und ab und quer und krumm, — so war es von jeher und so wird es bleiben. Abweichend von der Praxis der ersten Reise, hielten wir zunächst die rechte Kuiluseitee Mir standen Mani Mbandschi und Tschikossu auf der andern Seite noch in zu lebhafter Erinnerung, als dass die Erneue- rung ihrer Bekanntschaft mich gereizt hätte. Es war besser durch den Theil Mayombes zu ziehen, wo der scheinbar gutmüthige Nganga Mvumbi von Einfluss war. Wir marschirten sehr langsam, und da wir zwei Dörfer passirten, so gab es zweifachen Aufenthalt. Denn wie der durstige Student der guten alten Zeit an keinem Wirths- hausschild glaubte vorübergehen zu dürfen, so auch die Schwarzen bei keinem Dorfe, und mein steter Verdruss bestand im Auftreiben der vorzeitig rastenden Gesellschaft. Ich musste den sonst so tüch- 160 Beim Nganga Mvumbi. Neue Erpressung. tigen Lindner immer von Neuem schelten, dass er im Feuereifer, ohne sich nach dem Rest umzusehen, mit dem Aufseher und einigen leicht bepackten und jagdlustigen Negern stundenweit vorauseilte, statt am Eingange eines Dorfes, oder wo sonst die Verlockungen . alter Lagerplätze winkten, zu warten und die Menge hindurchzu- treiben. Im Uebrigen aber hatte das langsame Marschiren grosse Vortheile, gegenüber dem hastigen Vorwärtsstürmen auf der ersten Reise. Der Marsch im stillen Walde, wo nur wenige zum persön- lichen Dienst verwandte Neger um mich waren, und wo ich unbe- lästigt blieb, gab die beste Gelegenheit zum Ausfragen wie zur ruhigen Ueberlegung und Beobachtung. | Der Nganga Mvumbi wusste, dass die Karawane des Weissen durch sein Dorf kommen würde und hatte alle Vorbereitungen zum Empfang getroffen. Als ich in das Dorf eintrat, war das ganze Ge- päck der Expedition bereits auf dem Platze vor der Hauptsombra aufgestellt und in dieser selbst zwei Sessel und ein Tisch (ein Möbel, das die Neger für sich nie gebrauchen), mit einem darüber gebreite- ten Stück Zeug. Eine Wasserflasche und Gläser standen darauf. Der Boden war sauber gekehrt, man konnte gar nicht sorgsamer empfan- gen werden. Ich gedachte nur kurze Zeit zu rasten, denn die zurück- gelegte Strecke bildete noch keinen Tagemarsch. Ausserdem war das Dorf die Heimat des grösseren Theils der Bayombe-Träger, und ein unnützes Verweilen konnte vom Uebel werden. Aber die Dinge entwickelten sich ganz anders. Die Bayombe nämlich schickten sich nun an, mir genau denselben Streich zu spielen, wie es die Loango- träger Tags zuvor gethan hatten, und verlangten gleichfalls Mann für Mann ein Stück Zeug als Bedingung des Weitermarsches. Beim Aufbruch von der Factorei hatte keiner ein Wort gesagt; sie wollten mich erst in der Falle haben, um mich bequemer rupfen zu können. Nun war ich freilich bereits so weit, die Forderung als ein unvermeid- liches Uebel über mich ergehen zu lassen, aber die Sache lag doch in sofern ernster, als die Zahlung die mitgenommenen Vorräthe un- verhofft um hundertvierzig Ellen Zeug verminderte, weil sie nicht mehr durch die Factorei Mayombe geleistet werden konnte. Ausser- dem wurde die Forderung in so frecher Weise vorgebracht und spiegelte sich auf den habgierigen Gesichtern ein solches Sieges- bewusstsein, dass ich zunächst einen abschlägigen Bescheid gab. Darüber kam der Abend heran; er vergieng ohne Resultat, obwol ich angeboten hatte, jedem Träger eine Mukanda auszustellen, die in der Factorei Mayombe eingelöst werden sollte. Von Neuem war Alles in Frage gestellt. Ich war im Grunde Trübe Aussichten. Fetischbeschwörung. 161 nichts Anderes als ein wehrloser, gefesselter Mann. Androhung von Gewalt hätte zunächst die Folge gehabt, dass man mich allein im Dorfe und im Walde gelassen hätte, und die letzte Aussicht auf ein Weiterkommen verschwunden wäre. Ich wurde recht traurig, als ich an die Zukunft dachte, und resignirt schrieb ich in mein Tage- buch: „Dass man bei all der Niederträchtigkeit und dem nagenden Aerger nicht stückweise auseinanderfällt! Das Eindringen in diesen Theil von Africa ist wie das Erklettern einer steilen Wand von morschem Gestein, wo man bei jedem Schritt gewärtig sein muss, ohne eigne Schuld hinabzustürzen. Bei den stets drohenden Nach- forderungen (die doch gewiss nicht die letzten sind) komme ich mir vor wie ein Spieler, der jedem verlorenen Einsatz einen neuen hinzu- fügen muss, in ‘der Hoffnung, schliesslich doch noch zu gewinnen.“ Während dessen führten meine Träger draussen ihre ausgelassenen Tänze auf, und ich war froh, nicht zu verstehen, was sie dazu sangen; denn dass ihr Triumphgesang mir galt, ist sicher. Am folgenden Tage entschloss ich mich zum Zahlen und wehrte mich nur noch zum Schein. Mein Unwille war absichtlich übertrieben; denn ein zu rasches Nachgeben wäre einer Ermuthigung zur möglichst baldigen Wiederholung ähnlicher Scenen gleichgekommen. Den Nganga Mvumbi suchte ich vergeblich von der Schuld zu überzeugen, die das schlechte Betragen seiner eigenen Leute auf ihn lud. Den gröss- ten Unmuth aber empfand ich gegen meinen Dolmetscher Buatu; er wusste sich gar nicht zu helfen und schickte in der Angst zu seinem Bruder Mani Mampaku, der eine halbe Tagereise entfernt wohnte, um die Leute in Ordnung zu bringen. Der Theil des Tages, der der schliesslichen Auszahlung vorauf- gieng, wurde, soweit die Unterhandlungen es gestatteten, durch Fetisch-Ceremonieen ausgefüllt. Der Fetisch Manana, eine bemalte Holzpuppe, mit Nägeln und Eisenstückchen übersäet, wurde herbei- gebracht und unter viel Lärmen und Geschrei mit einem weiteren Nagel versehen. Der Nganga Mvumbi stand dabei auf dem Stumpf einer Oelpalme, dem Fetisch gegenüber, in der Hand seine Metall- klapper, die Tschingongo, haltend; ein anderer Schwarzer neben ihm schwang eine grössere Holzklapper, ein dritter entlockte dem viel üblichen, kleinen, federgeschmückten Horn, das auf der Seite ange- blasen wird, dumpfe Töne. Alle diese Instrumente wurden in Thä- tigkeit gesetzt, wenn in der langen Rede des Nganga Mvumbi eine Pause eintrat. Dieser fuhr dann fort, dem Fetisch Manana einzu- schärfen, wie er sich dem neuen Nagel gegenüber zu verhalten habe: Bei diesem Nagel sei er verpflichtet, die den Weissen begleitenden Loango. ]. II 162 Hungersnoth und Blattern. Träger zu schützen und Jeden, der einem von ihnen Krankheit brächte, zu tödten. Der Vorgang erregte viel Befriedigung, und es schienen nun die letzten Hindernisse hinweggeräumt, die unserer endlichen Abreise noch im Wege gestanden hatten. Da ein jeder Träger seine Last bereits kannte (die Zahlen auf den Blechkoffern merkten sie sich ohne Schwierigkeit), so gieng der Ab- marsch in guter Ordnung von Statten, und während der Zeit, die bis zur Erreichung des Dorfes Sekossi verstrich, hatte ich wieder Ruhe. Hier gab es aber neuen Aufenthalt wegen der Beschaffung von Nahrungsmitteln. Die Abgeschlossenheit, in der sich Mayombe dem Litoral gegenüber hält, erklärt es, dass selbst an der Kuilumündung keine Nachrichten über die augenblicklich daselbst herrschende Noth zu mir gedrungen waren. Ich musste dieselbe erst durch eigne Erfahrung an Ort und Stelle kennen lernen und mich nach und nach von der Existenz eines Feindes überzeugen, den weder ich noch irgend ein Anderer zu bekämpfen im Stande war: Eine Hungersnoth herrschte in Mayombe; sie war, wie gewöhnlich, mit ungeheurer Schnelligkeit in das Land eingebrochen; denn acht Monate zuvor, als ich zum ersten Male hier durchzog, war noch Nichts davon zu bemerken. Die Erklärung des traurigen Ereignisses war einfach genug: In einem der früheren Capitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Ackerbau in Mayombe überhaupt sehr beschränkt ist, weil jeder Zoll culturfähigen Bodens dem Walde mit Feuer und Schwert abgerungen werden muss. Die Bewohner begnügen sich mit einem Ertrage, der gerade bis zur nächsten Ernte ausreicht, und da die hierfür erforderlichen Regen zur gewohnten Zeit einsetzen, so werden die Bayombe in ihrer Sorg- losigkeit durch den regelmässigen Ablauf der natürlichen Processe unterstützt. Um so härter trifft sie der Schlag, wenn die Regen doch einmal ausbleiben, und Misswachs die Folge ist. Dann hält die Hungersnoth unerbittlich ihren Einzug und setzt sich aller Orten fest. Dieser Fall lag im Jahre 1874 vor, und zur Vergrösserung des Elends (wie allgemein geglaubt wurde, in Folge des Regenmangels) grassirten die Blattern mit schonungsloser Wuth, entvölkerten ganze Dörfer, decimirten die Arbeitskräfte und erfüllten die Bewohner des unglück- lichen Landes mit Furcht und Schrecken vor einander. Das unselige Zusammentreffen eines solchen ungeahnten Zustandes der Dinge mit meiner Reise wirkte mehr noch als der passive Widerstand der Ein- geborenen und die Böswilligkeit der Träger lähmend auf den Fort- gang der Unternehmung. An Menschen kann man wenigstens die Künste der Ueberredung, der diplomatischen Unterhandlung, des Fouragirexpeditionen und Marschverzögerungen. 163 freimüthigen und gerechten Auftretens versuchen, an dem Rigorismus der Natur aber werden dieselben zu Schanden. Das Erscheinen meiner Karawane, deren Stärke die Einwohner- zahl manches Dorfes übertraf, konnte also, selbst bei Abwesenheit jeder Furcht und jedes Misstrauens, niemals freudig begrüsst werden. Die mit dem Ackerbau betrauten Frauen hielten mit ihren Vorräthen zurück, und da meine Leute doch leben mussten, so sah ich mich gezwungen, einige derselben, noch dazu die landeskundigen Bayombe auszuschicken, um in den spärlich zerstreuten, oft meilenweit ent- fernten Dörfern Provisionen einkaufen zu lassen. Die Bayombe und die sie begleitenden Loangoleute hatten gar kein Interesse, von diesen Fouragir-Expeditionen rasch zurückzukehren; je später sie kamen, desto länger erschien der im Auftrage des Weissen unternommene Marsch, desto länger war die den Zurückbleibenden gegönnte Musse. Diese Erfahrung musste ich gleich am zweiten Marschtage machen und mit einem vielstündigen Aufenthalt in Sekossi bezahlen. Dadurch wurde nicht nur die beste Zeit des Tages verloren, sondern den Trägern auch eine falsche Vorstellung von dem beigebracht, was sie zu leisten hatten, nämlich einen Tag lang ohne übermässig grosse Pause zu marschiren. Als die ausgesandten Leute endlich mit eini- gen Körben Maniok anlangten, bewirkte die zwischen Bayombe und Bavili bestehende Eifersucht neue lästige Verzögerungen bei der Vertheilung. Nachdem dieselbe bereits einmal durch den Aufseher unter stürmischen Scenen vorgenommen war, erhob sich ein solcher Aufruhr zwischen beiden Parteien, dass alle Stücke von Neuem ein- gesammelt, und die Vertheilung zum zweiten Male, nunmehr unter meinen Augen, vorgenommen werden musste. Mit dem Dorfherrn Mani Lu&mba tauschte ich die üblichen Ge- : schenke aus, erhielt aber meinerseits einen so widerspänstigen Ziegen- bock, dass keiner der schwer beladenen Träger ihn hinter sich her- schleppen wollte, und ich noch einen besonderen Mann bezahlen musste, um dieses Danaergeschenk bis zum nächsten, nächtlichen Lagerplatz hinzuzerren. Die Fortsetzung des Marsches fiel in die späten Nachmittagsstunden und führte durch das kleine Dorf Ma- lemba, wo sich meinem Auge ein melancholisch ergreifendes Bild darbot. Malemba war eine der von den Blattern heimgesuchten Ort- schaften und zeigte die directen wie indirecten Wirkungen der ver- heerenden Krankheit; denn nicht nur der Tod, den sie oft in weni- gen Tagen herbeiführt, entvölkert die Dörfer, sondern auch die Todesfurcht, die sich der Neger bemächtigt. Sie setzen alle ihre Fe- tische gegen die von Zeit zu Zeit wiederkehrende Geissel in Bewe- 1% 164 Suspendirte Leiche. Bivouak im Urwald. gung, um Zauber und Zauberer "zu bannen, die ihnen das Verderben bringen. Hilft das nicht, setzt sich die Krankheit fest, so flieht, was fliehen kann, und die Geretteten erbauen das Dorf an einer andern Stelle. So war denn auch Malemba fast ausgestorben; nur vor einer Hütte sass ein uralter Neger mit weissem Bart, umgeben von wenigen seiner Getreuen, Alle stumm vor sich hinstarrend wie die trauernden Juden an den Wassern Babylons. Eine Leiche war dicht neben der Gruppe dieser Unglücklichen aufgehängt, nach landesüblicher Sitte in eine Matte von Papyrusgras eingewickelt und einige Fuss über der Erde mit beiden Enden an einer horizontalen Stange befestigt. Keiner meiner Leute redete den Greis an, ihr Gespräch verstummte, und alle eilten, dem unheimlichen Orte so schneli wie möglich zu entfliehen. Fort gieng es in alter Weise, bergauf, bergab, in stets wechselnden Windungen. Es war fast ganz dunkel, als wir ein Bivouak im dichtesten, aber auch schönsten Walde an einem Bache mit klarem Wasser auf- schlugen. Mein Augenmerk war stets darauf gerichtet, .nicht in einem Dorfe zu lagern; denn dadurch ersparte ich mir Palaver und Verdruss, und selbst die Träger erschienen mir unter solchen Ver- hältnissen folgsamer und weniger zum Aufruhr geneigt. Bald brann- ten aller Orten die grossen Feuer, denn an trockenem Holze fehlt es begreiflicher Weise nicht. Die Neger sitzen in kleinen Gruppen darum, ihren Maniok röstend, oder was sie sonst etwa noch heimlich sich zu verschaffen gewusst haben. Bavili und Bayombe lagern ge- trennt, in der Mitte ist das Gepäck aufgestellt, gleichzeitig eine Wagenburg für mein eignes Lager bildend. Dieses ist in einer der natürlichen Abtheilungen aufgeschlagen, welche die dreieckigen, Strebepfeilern vergleichbaren, tafelförmigen Erweiterungen eines Ur- waldriesen um den Stamm herum bilden. Wir haben Raum genug, um die beiden Feldbetten darin aufzustellen, und in einer andern Ab- theilung desselben Baumes ist die Küche improvisirt. Bei dem flackernden Feuer singen die Leute ihre Lieder, und der Wald er- scheint bei dieser Beleuchtung noch einmal so geheimnissvoll und majestätisch. Es liegt nun wirklich etwas von jenem romantischen Zauber in der Situation, der den heimatlichen Schwärmer mit Sehn- sucht nach fremden Ländern erfüllt, und gern vergisst man darüber die Mühen des Tages. Allmählich verstummen die Gesänge, die Feuer werden nur noch nothdürftig unterhalten, und unter dem Summen der Insecten senkt sich der Schlaf auf Schwarze und Weisse, Allen ohne Unterschied seinen Segen spendend. Wir überschritten am folgenden Tage dieselbe hohe Kette, über Undisciplinirtheit der Träger. Feuererzeugung. 165 welche der Rückmarsch bei Gelegenheit der ersten Reise geführt hatte. Neben dem Beckschen Aneroid, dessen ich mich bereits damals bedient hatte, stand mir jetzt ein Quecksilber-Barometer zur Verfügung, und die häufig (auch während des Marsches) angestellte Vergleichung beider Instrumente zeigte, dass der Indexfehler des Aneroids nahezu constant blieb, und dass dasselbe einen aussergewöhnlichen Grad von Zuverlässigkeit beanspruchen durfte. Eine andere Controle seiner Zu- verlässigkeit wurde dadurch gegeben, dass ich mehrere PuncteMayombes zwei Mal zu verschiedenen Zeiten besuchte, und dass die Angaben des Aneroids um wenig mehr schwankten, als es die mit den Jahreszeiten wechselnde Höhe-des Luftdrucks verlangte. Von sechszig Trägern werden immer einige nicht ganz leistungs- fähig sein, und eine Karawane dieser Grösse ist gezwungen, eine kleine Reservemannschaft zu haben. Dadurch werden dann freilich viele Träger veranlasst, Schwäche zu erheucheln, während die Reserve- mannschaft zu unnützen Streichen aufgelegt ist und den Neid ihrer bepackten Collegen erregt. Wo immer eine Lagerstelle war, d. h. ein kleines von Bäumen und Blattpflanzen gesäubertes Plätzchen im Walde, namentlich da, wo noch ein altes Kohlenfeuer unter der Asche fort- glimmte, konnte ich sicher sein, einen Theil meiner Leute rauchend und Maniok röstend anzutreffen. Ich musste mich zu Jedem einzeln wenden, um ihn zum Weitergehen zu bewegen. Sie rufen sich dann gegenseitig vergeblich an, um einander die Last auf die Schulter zu heben, was Allen gleich schwer zu sein scheint; und um rasch von der Stelle zu kommen, hebe ich ihnen selbst die Last auf. Es wirkt immer gut, wenn die Leute sehen, dass auch der Weisse sich nicht scheut, zuzugreifen. Sie nehmen dann wo möglich einen glimmenden Holzklotz mit, um sich an einer andern Stelle, wo sie wieder zu lagern hoffen, das Feueranmachen zu ersparen, tragen aber auch für die Bewahrung des zurückgelassenen Feuers Sorge, damit später Vorüberziehende sich daran erfreuen können. Die Neger verstehen es ganz meisterlich, ein Feuer zu unterhalten. Wo sie es selbst an- zünden müssen, geschieht es mit Stahl, Feuerstein und Zunder, den sie aus dem Mark der Palmen herstellen und mit vieler Vorsicht in einem Büchschen trocken erhalten. Wer sich die Sache erleichtern will und die Mittel dazu hat, legt den Zunder und Pulver auf die Pfanne des Feuersteingewehrs und lässt den Hahn zuschlagen. Vorher sind bereits trockenes Laub, Gräser und dünne Zweige ange- sammelt, die durch kunstgerechtes Anblasen des hineingelegten glim- menden Zunders zur Flamme angefacht werden. Dies ist die einzige, mir bekannt gewordene, Art der Feuererzeugung, und ich habe weder 166 Das Räubernest Wambano. Neue Ouälereien der Träger. durch Erkundigungen noch durch Augenschein die Gewissheit er- langen können, dass die Eingeborenen durch das Reiben von Hölzern denselben Zweck erreichen. Als die Karawane sechs Stunden in der bekannten Weise mar- schirt war, erreichte sie das grösste Räubernest Mayombes, das dem Mankaka Windo gehörige Dorf Wambano. Es liegt ziemlich hoch, an der rechten Thalwand eines der vielen Seitenthäler, die von den Absenkern der Hauptketten (SO—NW) gebildet werden; wir waren hier etwa zweihundertundzehn Meter über dem Kuilu, und die gerade sichtbaren Rücken des Hauptsystems überragten uns noch um hundert Meter. In den Thalsohlen wurde meist klares Wasser ange- troffen; die Bäche fliessen meist über Kiesel, und grössere Steine ragen aus den Betten auf, während die Ränder häufig von Fels- platten eingefasst sind. Auch der harte Lehm der festgetretenen Pfade ist hier und da durchbrochen, theils von Glimmerschiefer, theils von reinem Quarz. Wambano zeigte sich eben so reich an Fetischen wie alle übrigen Dörfer in Mayombe; auch die schüchternen Anfänge eines Thierschädel-Fetischs, vorläufig nur aus einem einzigen Schädel und der obligaten eingehegten Maniokstaude bestehend, liessen sich constatiren. Zwischen den zweiundzwanzig wenig sauberen Hütten wuchsen die üblichen Tabakpflanzen, aber auch, und dies war für Mayombe neu, einiges Zuckerrohr. Ich war eben im Begriff, meine Instrumente abzulesen und das Tagebuch zu schreiben, als die Reihe der Quälereien begann, die jedes Arbeiten illusorisch machten. Die Träger eröffneten den Reigen; ohne sich weiter um den Dol- metscher zu kümmern, wandten sie sich direct an mich und verlang- ten Zeug für den Einkauf ihrer Ration. Ich hatte bereits einmal im Dorte des Nganga Mvumbi, wo die Lebensmittel besonders knapp waren, den Trägern Zeug ausgezahlt, in der gewiss richtigen Vor- aussetzung, dass sie sich selbst damit weit leichter von den Einge- borenen ihre Lebensmittel würden verschaffen können als ich. Sie forderten für je zwei Mann anderthalb Yard Zeug, einen sogenann- ten Panno, was einer Ausgabe von fünfundzwanzig Mark gleich kam. Nun waren aber, sogleich nach unserer Ankunft, einige Leute ausgeschickt worden, um in der Umgegend gegen Bezahlung zu re- quiriren. Ich schlug also mit Hinweis darauf und auf den Ziegen- bock, den ich vor dem Ausrücken aus dem Lager in der Frühe hatte vertheilen lassen, die Forderung ab und nahm die unterbrochene Arbeit wieder auf. Nach einiger Zeit versammelte sich die ganze Gesellschaft zum zweiten Male vor meiner Sombra, um mir mitzu- theilen, was ich nur zu gut wusste, dass die nach Maniok ausge- Der Mankaka Windo und seine Spiessgesellen. 167 sandten Bayombe noch immer nicht zurückgekehrt seien. Ich sagte ihnen daher, dass je drei Mann einen portugiesischen Panno Zeug zur Ration bekommen sollten; darüber neues Palaver und längeres Hin- und Herreden mit der Androhung meinerseits, dass, wenn sie nicht zufrieden wären, nie wieder Ziege noch Ziegenbock für sie geschlach- tet werden würde. Mein Galgenhumor war bereits so entwickelt, dass ich verschiedentlich witzig wurde und die Leute zum Lachen brachte, die beste Weise, um von ihnen Etwas zu erlangen. Sie zogen sich scheinbar befriedigt zurück, und ich wollte eben durch Lindner die Auszahlung bewerkstelligen lassen, als der Dolmetscher Buatu meldete, dass die Bavili allerdings einverstanden seien, dass aber die Bayombe erklärten, jeder von ihnen müsse einen Panno Zeug (also das Dreifache) erhalten; wo nicht, so würden sie insge- sammt morgen nach Hause zurückkehren. Ehe sich nun diese neue Schwierigkeit ebnen liess, erschienen der Mankaka Windo, der Herr des jämmerlichen Dorfes, mit einem andern angeblichen Herrscher desselben und einem dritten Kumpan. Es wäre schwer zu sagen, wer von den Dreien den Typus eines schwarzen Galgengesichts am besten verwirklichte, aber Mani Mbandschi, den sein Aeusseres auch nicht empfahl, wäre neben ihnen wie der anbetende König aus dem Mohrenland erschienen. Man schenkte mir eine Ziege und ein Huhn, und ich bot als Gegengeschenk zwei Stück Zeug und zwei rothe, gestrickte Mützen. Der Mankaka war damit nicht zufrieden und forderte drei Stück Zeug und zwei Mützen. Als ich dies nicht gewähren wollte, verlangte er vier Stück Zeug und drei Mützen, und als ich endlich sagte, er habe mir ja nur eine Ziege und ein Huhn geschenkt, versprach er zwei Hühner mehr zu bringen und forderte fünf Stück Zeug und drei Mützen. Ich theile hier nur die Resultate der verschiedenen Phasen des Palavers mit und unterdrücke die De- tails; die Verhandlung währte aber ‘bereits eine Stunde, und da ich nicht wissen konnte, bis zu welchem Betrag von Zeug wir gelangen würden, wenn ich mich länger weigerte, auch wol ahnte, dass hier ein mit den Bayombeträgern abgekartetes Spiel zu Grunde lag, so bewilligte ich rundweg die letzte Forderung. Zu meiner Ueber- raschung erhielt ich die beiden versprochenen Hühner und liess sie sogleich schlachten. Nunmehr konnte ich mich wieder mit den dreiundzwanzig Ba- yombeträgern beschäftigen und liess den Hauptschreier kommen. Es gelang mir, ihn und seine Landsleute zur Annahme derselben Bedingungen zu bewegen, welche die Bavili hatten gelten lassen. Die Auszahlung geschah bei Fackelschein, war aber eine schwierige, 168 ‘ Palaver über Palaver. mehrfache Wiederholungen erfordernde Operation, da vor je drei Leute ein Panno gehalten und dann abgeschnitten werden mu ehe die Richtigkeit der Zahlung anerkannt wurde. Bei dieser Art von Zeitverwendung blieb mir Nichts als die späten Abendstunden für die Beschäftigung mit den Dingen, derent- wegen ich überhaupt hinausgesandt war, und dann erschien mir der Besitz eines Tisches, eines Feldstuhls und einer Laterne mit Stearin- kerze als höchster Comfort für Leib und Seele Der WVormit- tag des folgenden Tages vergieng mit neuem Warten auf die sechs noch immer nicht mit dem Maniok zurückgekehrten Bayombe. Ich liess die letzte der geschenkten Ziegen unter die Leute vertheilen, aber unglaublich! auch diese Handlung trug mir ein Palaver ein. Denn nun kam ein Theil meiner Träger, um mir mitzutheilen, dass ihr Fetisch ihnen den Genuss von Ziegenfleisch untersage, und dass sie sich in Folge dessen drei Hühner ausbäten. Der Fall von Speise-, insbesondere Fleischverboten, ist nichts Seltenes bei den Bafiote; es liegt denselben ein bestimmtes Gelübde zu Grunde, das streng inne- gehalten wird. Ich war indessen nicht in der Lage, Hühner herzu- geben, und musste froh sein, dass Lindner bald darauf einen Affen mittlerer Grösse erlegte, dessen Fleisch den Abgewiesenen zugetheilt wurde. Ein Affe gilt für einen. grossen Leckerbissen bei den Einge- borenen. Wir liessen die Leber für uns zubereiten, ich konnte aber den Widerwillen gegen die delicate Speise nur mittelst einer starken Dosis von Capsicumpfeffer überwinden. Von Stunde zu Stunde wurden die fehlenden Leute erwartet, Mittag war längst vorüber, und sie kamen noch immer nicht. Während dessen lungerten der Man- kaka mit seinen Spiessgesellen vor der Sombra, mich durch ihre Neugier, ihr Geschwätz, am meisten aber durch ihr impertinentes Aussehen belästigend. Als der Betrag des gestern stipulirten Ge- schenks ausgezahlt wurde, erhoben sie neue Forderungen nach Branntwein und allen möglichen anderen Dingen. Aber das Mass meiner Geduld war erschöpft; ich schlug Alles rundweg ab und war auch zu der unklugen Handlung bereit, die Waffe zu gebrauchen. Da kamen endlich die ersehnten Maniokleute. Ohne ihre Entschul- digungen erst lange anzuhören, liess ich ohne Verzug aufpacken, nur um aus der Räuberhöhle fortzukommen. Zum Hohn bot mir der Mankaka beim Abschied noch eine Ziege für den sechsfachen Preis ihres Werthes zum Kauf an. Es war uns wenigstens noch die letzte Tagesstunde für den Marsch gelassen. Ich lebte wieder auf und freute mich auf das Bivouak im Walde, wo ich wenigstens allein mit meinen Leuten Grenze von Mayombe und Yangela, 169 sein würde. Das Lager war in einer halben Stunde aufgeschlagen. So viel Zeit erforderte das ordnungsmässige Zusammenstellen des Gepäcks und das Ausspannen der Lederdecken, die als Schutzdach das Zelt vertraten. Ein ununterbrochenes' Zanken der Bayombe- Träger, die sich in ihrer Frechheit wenig um das im Negerportugie- sisch übermittelte „Silentium“ kümmerten, raubte meinem braven Ge- fährten wie mir den Schlaf. Am frühen Morgen (11. Juli) zogen wir weiter. Nachdem der Weg einige Stunden in der bekannten Weise bergauf, bergab durch Wald geführt hatte, kamen wir in freies Terrain, und der Blick war nicht länger durch die scheinbar unendliche Ausdehnung des "Waldes gebannt. Während die Karawane lagerte und Lindner seinem Jagdeifer nachgieng, erstieg ich den nächsten kahlen Berg. Die Aussicht, wenn auch nicht sehr umfassend, war doch von grosser Schönheit. Wir hatten uns dem Kuilufluss bereits wieder so weit genähert, dass das Thal ein gutes Stück Wegs mit dem Auge ver- folgt werden konnte. Auf der andern Seite lag das Dorf Tschitabe, der Zielpunct unserer heutigen Wanderung. Fast auf allen Seiten umgab uns Waldgebirge, die Hauptzüge von Südost nach Nordwest streichend; nur nach der Richtung zum Kuilu waren die Hänge mit Gräsern und strauchartigen Bäumen bestanden. Die ganze Land- schaft hatte, wie überhaupt die Grenze zwischen Mayombe und Yangela, etwas sehr Anmuthendes. Ein Abstieg, der bald so steil wurde, dass die Koffer auf den Köpfen der Schwarzen in ernstliche Gefahr ge- riethen, führte über grobkiesiges Geröll zum Flusse hinab und von Neuem lagerte die Karawane an den Felsen des Ufers. Der Wasser- stand war ausserordentlich niedrig, ich schätzte die Breite auf wenig mehr als achtzig Schritt; die steil, zuweilen senkrecht aufgerichteten, schwarzen Schieferplatten ragten hoch über dem Wasserspiegel auf, und ohne die rauschende Strömung hätte der Fluss nichts Imponi- rendes gehabt. Der Contrast zu dem Anblick, den der Kuilu acht Monate früher an der weiter aufwärts gelegenen Uebergangsstelle von Ngudla geboten hatte, war überraschend: Die Marke des Hoch- wassers liess sich deutlich an den Felsen erkennen und lag sechs Meter über dem jetzigen Niveau. Eine Viertelstunde oberhalb war eine grosse Felseninsel mitten im Strome freigelegt. Die Eingebo- renen gaben, wie gewöhnlich, an, dass dieselbe der Sitz eines Fetischs — des Fulle babongo — sei, und dass Canoes dort nicht passiren könnten. Oberhalb dieser Fullebabongo-Klippen liegen muthmass- lich noch andere, welche der Durchbruch der hohen Nunsikette be- dingt hat; unterhalb wurden mir die Stromschnellen von Mussunda 170 Die Karawane setzt über den Kuilu. genannt. Alle diese Katarakten, beziehungsweise Flussengen oder Felsenthore hat die überhitzte Phantasie der Neger mit Fetischen be- völkert und dadurch furchtbar gemacht; vor der kühleren Betrach- tung büssen sie indessen viel von ihrer Gefährlichkeit für die Schiffahrt ein. Die tiefst gelegenen sind die Katarakten von Bu- mina und die Engen der Felsenpforte Ngotu. | An der erreichten Stelle beabsichtigte ich über den Strom zu setzen, um’ dann durch Ueberschreitung der Nunsikette die Expedition nach Yangela hinabzuführen. Ein einziges Canoe lag an der gegen- überliegenden Seite, der dazu gehörige Fährmann aber erwartete uns bereits diesseits, denn die-grosse Karawane des Weissen war längst bemerkt worden. Die Unterhandlungen konnten also unver- weilt beginnen. Ich machte sie kurz, indem ich die geforderten acht Stücke Zeug ohne vieles Sträuben bezahlte. Denn was nützte es, von den Forderungen mit vielem Zeitaufwand Etwas herunterzuhan- deln, wenn die Ersparniss geringer war, als was der Unterhalt der eigenen Leute in der Zwischenzeit erforderte? Mein Sträuben gegen die Höhe zu leistender Zahlungen wurde ja lediglich durch die Er- wägung bedingt, dass die Expedition von dem Capital der mitge- nommenen Vorräthe zehrte, und dass die Ausdehnung der Reise in erster Linie von weisem Haushalten abhängig blieb. Das Ueber- setzen gieng gegen alles Erwarten gut von Statten. Das Canoe wurde auf den Ruf des Fährmanns herbeigebracht, Lindner fuhr zuerst hinüber, um das sorgsame Ausladen des Gepäcks auf der andern Seite zu überwachen, während ich das Einladen diesseits leitete. Zehnmal legte das Fahrzeug seinen Weg ohne Unfall zurück, und nach zwei und einer Viertelstunde befanden sich sämmtliche Leute und Lasten am linken Ufer; wir waren damit aus dem Gebiet der Bayombe in das äusserste Grenzgebiet der Bakunya übergetreten. Ein hundertundzwanzig Meter hoher Anstieg führte nach Tschi- tabe, dem Sitz des Mambuku Nduku. Das Dorf schien völlig aus- gestorben, und die Annahme gerechtfertigt, dass auch hier die Blattern grassirt hätten; die Bewohner hielten sich indessen nur versteckt. Das plötzliche Erscheinen des in einen französischen Mili- tärmantel gehüllten Mambuku brach den Zauber, und binnen Kurzem erschien der Platz so bevölkert und belebt wie nur irgend ein fröh- liches Negerdorf. Trüber als an diesem Tage hatte sich mir der africanische Himmel noch nie gezeigt. Wir standen allerdings in der Höhe der Nebelzeit; Nachts fiel das Thermometer bis auf 16° C.,,— eine Temperatur, die der an das Tropenklima gewöhnte Europäer bereits als Kälte empfindet — und bei Tage hiengen Wolken und Nebelschleier Der Harem-des Mambuku Nduku. Gorillas. 171 in diesem feuchten Waldgebirge so tief vom Himmel herab, dass sie theilweise auf den Bergen lagerten; Sonnenblicke waren eine grosse Seltenheit geworden, und heute fiel gar ein feiner Staubregen auf uns hernieder. Das Dorf und seine Bewohner machten keinen übeln Eindruck; die Physiognomie der Leute, namentlich des Mam- buku, schien um Vieles besser geartet als bei den Galgengesichtern von Yombe. Der alte Mambuku wurde sogar zutraulich und ent- gegenkommend und führte mich selbst in die Umzäunung, welche den Complex seiner Hütten den Blicken der Aussenwelt entzog. Hier liess er die Hälfte seiner Frauen in Reih und Glied antreten und zeigte sie mir mit dem ganzen Stolze des Besitzers; die anderen fünf wurden nicht sichtbar. Zehn Frauen als Eigenthum eines einzigen Negers ist eine grosse Seltenheit, so erstrebt und erlaubt Polygamie auch im Uebrigen sein mag. Bei dieser Gelegenheit liess sich die im Litoral im Abnehmen begriffene, bei den Bayombe und Bakunya aber noch sehr verbreitete Sitte des Tätowirens auf’s Neue consta- tiren; während ich bisher aber nur eingeschnittene Figuren auf Bauch und Brust beobachtet hatte, sah ich hier Erweiterungen bis zu den Schultern und Oberarmen. Ueber das allgemeine Aussehen der Bakunya-Bevölkerung ist oben bereits berichtet worden; neu war mir nur, viele Männer ziemlich gut gearbeitete, eiserne Halsketten tragen zu sehen, die angeblich in Tschintetsche gefertigt werden. Ein Bakunya gab sich einen sehr wilden Anstrich dadurch, dass er 'eine rothe Schwanzfeder des grauen Papageien durch den Nasensteg gezogen und das Wollhaar zu kleinen Spitzen aufgedreht hatte, die wie Teufelszöpfchen aussahen. In nächster Nähe befand sich viel Baumwolle, auch hinreichend Pfeffer, im Dorfe selbst ein grosser Thierschädelfetisch, durch die Jagdbeute eines einzigen Negers zusammengebracht. Neben vielen Büffel- und Antilopenschädeln lagen daselbst nicht weniger als zwei männliche und drei weibliche Gorillaschädel; es gelang uns, die beiden männlichen, offenbar sehr alten Thieren angehörigen, zu er- werben. Damit war wenigstens ein handgreiflicher Beweis für das Vorkommen dieser Thiere in der von mir.bereisten Gegend gegeben. Zur weiteren Bekräftigung mag angeführt werden, dass der eben er- wähnte Jäger während des Aufenthaltes in Tschitabe mir Kopf und linke Hinterhand eines Gorillaweibchens brachte, das von ihm in der vorangegangenen Nacht geschossen war. Ich hatte sogleich nach meiner Ankunft (am elften Juli) sämmt- lichen Trägern die doppelte Ration in Zeug auszahlen lassen mit der Weisung, dass sie ihre Einkäufe für heute und morgen machen 172 Wachsende Unverschämtheit der Bayombe. sollten. Damit hatten sie sich auch im Laufe des Tages hinreichend Nahrungsmittel gekauft, behaupteten aber trotzdem in der Frühe des folgenden Morgens, sie hätten Nichts zu essen, und drohten mit der Rückkehr. Man sieht, es war immer dieselbe Geschichte, aber eben weil sie es war, schwanden mit jeder neuen Wiederholung die Aus- sichten auf Besserung. Meine Machtlosigkeit wurde mir von den frech gegen mich eindringenden Trägern in allen erdenklichen For- men vorgehalten, und der Entschluss, mich zu verlassen, wurde ihnen täglich vertrauter; nur ein kleiner Anstoss noch, und er kam zur Reife. Am zügellosesten in ihrer Unverschämtheit waren die Ba- yombe. Die Bavili, in ihrer Gesinnung um Nichts zuverlässiger, be- nahmen sich nur ein Wenig geschliffener. Erstere erschienen, geführt von ihrem Rädelsführer, dem mit Fetischen überladenen Mampaku, und brachten die üblichen und unbegründeten Klagen und Drohun- gen vor. Statt also, wie sicher erhofft, aufbrechen zu können, musste ich mich über eine Stunde mit den dreiundzwanzig Bayombe herum- schlagen, den Mampaku beim Kragen nehmen, aus meiner Sombra werfen und die Verhandlung mit dem Rest fortführen. Endlich liessen sich siebzehn begütigen und sechs wollten gehen; dann wieder erklärten sie, sich sämmtlich durch ein Geschenk von drei Kupfer- stangen aussöhnen zu lassen; endlich Versöhnung und Auszahlung dreier Kupferstangen; — so weit bis acht Uhr. Es mussten nun wiederum sowol von den Bayombe, wie von den Bavili Leute aus- gesandt werden, um in der Umgegend Maniok zu requiriren. Immer wieder zeigte sich die Noth an Lebensmitteln als der wunde Punct, als der eigentliche Hemmschuh für den Fortgang der Expedition. Alle Marschverzögerungen, alle Palaver mit den Trägern wären fort- gefallen, wenn die Bewohner, statt mit ihren Nahrungsmitteln zurück- zuhalten, in jedem Lager oder Dorf einen kleinen Markt eröffnet hätten. Aber das thaten sie nicht und konnten es auch nicht thun. Die ausgesandten Bavili kehrten nach einigen Stunden zurück, wäh- rend die Bayombe-Träger den ganzen Tag über ausblieben und die Zeit benutzten, um mit dem mächtigsten Prinzen der Gegend, dem Beherrscher der absichtlich von mir umgangenen Landschaft Nkongo, gegen mich zu conspiriren. Kaum hatte ich eine nothwendige Zeitbestimmung ausgeführt, als neuer Lärm losbrach. Zwischen meinen Loangoleuten und sämmt- lichen Bewohnern Tschitabes war eine offene Palaverschlacht ent- brannt, und bei geringerer Vertrautheit mit den Verhältnissen hätte man jeden Augenblick ein Blutvergiessen erwarten müssen. Was war der Anlass der wüsten Scene? Aus dem Tschimbek, in dessen Diebstahl und resultatloses Gottesgericht. 173 bedachter Vorhalle wir unser Standquartier aufgeschlagen hatten, waren in vergangener Nacht drei Manickknollen, nicht mehr und nicht weniger, gestohlen worden, und der Diebstahl wurde nun den stammesverschiedenen Bavili zur Last gelegt. Diese natürlich, in ihrer Eigenschaft als Ehrenmänner äusserst empört, schnaubten Wuth und brachten als überzeugendes Argument ihrer Unschuld vor, dass, wenn sie sich mit dem Stehlen des fraglichen Manioks befasst hätten, sie nicht drei Knollen, sondern den gesammten Vorrath ge- stohlen haben würden, und waren ihrer Sache so sicher, dass sie ein Gottesgericht verlangten, das in der That bald darauf mittelst einer Fetischceremonie in Scene gesetzt wurde: Von den lärmenden Parteien im Kreise umstanden, liess sich einer der einheimischen Nganga (Fetischdoctoren) vor einem Kohlenfeuer nieder, auf das er ein grosses Messer legte. Neben ihm befand sich eine Schale mit be- feuchteten Kräutern, die er in der linken Hand zusammendrückte, um dann mit dem heiss gemachten Messer darüber hinzufahren. Da- bei schnitt er tüchtige Fratzen, murmelte einige Worte, wiederholte dieselbe Operation viele Male und entdeckte — Nichts. Offenbar war Nichts zu entdecken, und die Ceremonie musste im Sande verlaufen, was dem Bakunyadoctor bei dem erzürnten Auftreten der Küsten- leute gewiss auch das Angenehmste war. Der Humbug bei diesem wie bei allen ähnlichen Processen besteht darin, dass der Seher schon im Voraus gut informirt ist und die Entscheidung des Fetischs darnach einrichtet. Bei der Ceremonie des heissen Messers bleibt es ganz seiner Willkür überlassen, einen verschiedenen Grad der Er- hitzung eintreten zu lassen, die Abkühlung durch Verlängerung der Zaubersprüche zu vermehren, den Druck des Messers gegen die Hand stärker oder schwächer zu machen und demgemäss ein Versengen der Haut zu bewirken oder zu vermeiden. Die Künste des Ganga sind eben Taschenspielerkünste und haben den Zweck, die wahre Be- deutung der Handlung zu verbergen. Als der Abend kam, erschien statt der Bayombe-Träger, die zum Requiriren ausgeschickt waren, eine Gesandtschaft des Mani Lu&mba von Kui, des Häuptlings der Landschaft Nkongo. Schon ihr krie- gerischer Aufputz belehrte über die Feindseligkeit ihrer Absichten. Der Sprecher war der eigne Mankaka des Prinzen, d.h. der höchste Würdenträger in Kriegsangelegenheiten. Um sich ein möglichst wildes Ansehen zu geben, hatten sie sich roth und merkwürdiger Weise auch schwarz angemalt und die Häupter mit Mützen aus Büffelfellen bedeckt; sie trugen — etwas sehr Ungewöhnliches — lange Schwerter, dazu Feuersteingewehre und schienen sich für un- 174 Kriegerische Gesandte. Flucht der halben Mannschaft. widerstehlich zu halten. Ich liess die Deputation an meine Sombra kommen, um ihre Botschaft anzuhören: sie begannen sogleich mit Drohungen und Forderungen, Drohungen, dass mir der Weg mit (Gewalt versperrt werden würde, Forderungen so phantastischer Art, dass ich ihnen laut in’s Gesicht lachte. Entschlossen, die Zähne zu zeigen, wenn die Abgesandten wirklich auf ihren Forderungen be- stehen sollten, aber bereit, den landesüblichen Durchgangszoll für das Passiren von Nkongo zu zahlen, hatte ich keinen Zweifel über meine Verhaltungslinie; und statt ängstliche Unsicherheit zu zeigen, übernahm ich die Rolle des Beleidigten, überhäufte die Gesandtschaft und ihren Herrn mit Vorwürfen, dass sie mich berauben wollten, bot ihnen ein Geschenk und hiess sie gehen, als der Koch das Essen brachte. Sie sassen neben einander auf dem Boden mir gegenüber und erhoben sich nicht, wie die Pflicht es ihnen vorschrieb, sondern wünschten das Palaver fortzusetzen. Die Loangoträger schauten dem Auftritt aus der Ferne zu. „Seht Euch die Leute an“, rief ich ihnen zu, „die da behaupten, sie seien die Abgesandten eines Prinzen; nicht Abgesandte sind sie, sondern elende Buschneger, die Nichts von Euren guten Sitten verstehen und einen weissen Mann sogar am Essen verhindern wollen“. Dieser gegen die Eitelkeit geführte Schlag hatte, wie so häufig, eine gute Wirkung: die kriegerischen Boten des Mani Lu&mba wurden zahm und zogen sich zurück. Als ich am folgenden Morgen den Mankaka kommen liess, nahm er willig die sechs Stück Zeug an, die ich an Stelle mehrerer Hundert geforder- ter geboten hatte. Durch Annahme des Geschenks und Klatschen der Hände wurde das Ende des Palavers angezeigt. Die lästige Ge- sellschaft verliess ungesäumt das Dorf des Mambuku, während die sechs seit vierundzwanzig Stunden abwesenden Bayombe-Träger ohne Provisionen dorthin zurückgekehrt waren. Eine neue Drehung an dem Kaleidoskop der Quälereien führte mir nun sogleich ein neues Bild vor Augen; im Grunde aber wieder- holte sich nur das alte Spiel. Wiederum erschienen die Bayombe, wiederum behaupteten sie, Nichts zu essen zu haben, wiederum for- derten sie eine Ration. Ich war offenbar verrathen. Als ich den Befehl gab, dass aufgebrochen werden sollte, sagten sie kein Wort mehr, und während ich meine Instrumente einpackte, liefen sie zum Flusse, setzten über und verschwanden in dem Walde der gegenüber- liegenden Uferwand. Der Dolmetscher, der um die Sache wusste, hatte nicht das Geringste gethan, sie zurückzuhalten; es war ein nie- derträchtig abgekartetes Spiel Aller gegen Einen. Diese verrätherische Handiung besiegelte das Schicksal der Ex- Verrath von allen Seiten. 175 pedition. Von zweiundfünfzig Leuten blieben mir die neunundzwanzig Bavili; ihr Benehmen bis zu diesem Augenblicke hatte bereits kein Vertrauen verdient, obwol weder Hunger noch übergrosse An- strengung noch Lebensgefahr an sie herangetreten war. Jetzt aber, wo sie sämmtliche Bayombe hatten fliehen sehen, hielten sie es für ihr gutes Recht, selbst nach Hause zurückzukehren. Der ein- zige Mann, in dessen Macht es gelegen hätte, sie umzustimmen, war der Lingster Mani Buatu; dieser aber hatte sich als mein grösster Feind bewiesen, und mir während der ganzen Reise nur die schlech- testen Dienste geleistet. Seine Kenntniss selbst Mayombes erwies sich als sehr gering, und alle zuverlässigen Informationen kamen von meinem Barometerträger Gulimbuite. Im Hinblick auf die Fortsetzung der Reise war ich also nicht nur von den bereits ent- flohenen Trägern verlassen, sondern auch von den noch verbliebenen. Ich liess den Mambuku kommen, bat ihn, mir Bakunyaleute zu stellen, unterstützte meine Bitte durch Geschenke, — doch vergeblich! Ich hatte die Wahl, umzukehren oder den Rest meiner Tage in Tschi- tabe zu verbringen. Auch bei geringerer Verantwortlichkeit hätte ich mich für das erstere entschieden; ich that es um so eher, als Aussicht vorhanden war, den Rest der trockenen Jahreszeit ander- weitig für das um einen Breitengrad nördlicher gelegene Terrain aus- zunutzen. Zunächst freilich sass ich noch in Tschitabe fest, und es musste der Versuch gemacht werden, wenigstens für den Rückweg dreiund- zwanzig Bakunya zu erhalten. Im andern Fall wäre sehr viel Zeit verloren gegangen; die Expedition hätte getheilt und der Ueberschuss der Lasten über die disponiblen Träger von den leer zurückgeschick- ten Leuten staffelweise der Küste zugeführt werden müssen. Das Resultat langer Verhandlungen mit dem Mambuku Nduku war, dass er seine Leute zusammentrommeln liess, und ein Vertrag zu Stande kam. Machtlos wie ich war, musste ich geben, was ver- langt wurde, drückte die Forderung indess durch die Drohung herun- ter, dass, wenn keine Träger zu einem gerechten Preise erhalten werden könnten, das nicht mitzunehmende Gepäck von mir selbst in den Kuilu geworfen oder auf offenem Markte verbrannt werden würde. Da die neuen Bakunya-Träger eine ähnliche Fetischceremo- nie vornahmen, wie ich sie in dem Dorfe des Nganga Mvumbi an- sehen musste, und meinen Dolmetscher bei dem herbeigebrachten Fetisch versprechen liessen, dass der Weisse seinem Worte gemäss zahlen werde, benutzte ich die Gelegenheit, um selbst vor den Fetisch hinzutreten und ihm durch den Lingster einschärfen zu lassen, dass 176 Rückzug. Mein alter Freund Mani Mbandschi. er verpflichtet sei, jeden Träger zu bestrafen, der nicht seine Last trüge, wie der Weisse es verlange. Der Rückzug begann am vierzehnten Juli auf der linken Seite des Flusses. Der Weg führt lange auf der Höhe parallel dem Kuilu, bis er sich nach etwa anderthalb Stunden mit demjenigen vereinigt, den ich auf meiner ersten Reise eingeschlagen hatte. Der Ausblick auf die Landschaft und ihre kuppigen Höhen ist herrlich. Den Fluss sieht man mehrere hundert Fuss tiefer, eingefasst von dem schwarzen, schieferigen Gestein, das der niedrige Wasserstand freigelegt hat. Der Weg wurde bald sehr schlecht, denn wir kamen von Neuem in das Terrain, welches durch tief eingeschnittene Schluchten ausge- zeichnet ist. Bei einem Rastplatze im Walde wollten die Tschitabe- Träger bereits nicht mehr weiter gehen und drohten mit Umkehr. Ich konnte nicht bleiben, weil Lindner in unverbesserlicher Gewohn- eit mit einem Theil der Leute vorausgeeilt war, und drang energisch auf Weitermarsch. Gegen Abend erreichte ich, diesmal freilich von der entgegengesetzten Seite aus, den altbekannten Zollzaun des Mani Mbandschi. Lindner, der lange vor mir angelangt war, erzählte mir, dass ihm anfänglich Schwierigkeiten bereitet worden seien, als Mani Mbandschi aber gehört habe, dass die Expedition des ihm be- kannten Weissen komme, gab er sogleich Befehl, das Thor frei zu machen, und bald darauf sah ich mich in dem grossen Dorfe Mbuku Sunge wie einen erwarteten Gast empfangen. Dem Mani Mbandschi liess ich bei der Begrüssung sagen, dass ich ihn zum zweiten Male besuchte, weil er sich das erste Mal gut betragen hätte. Darauf er- widerte er, zwei grössere Freunde als uns Beide gäbe es nicht, und forderte auf Grund dieser Freundschaft statt der gebotenen fünf Stück Zeug deren sechs und ausserdem noch ein Camisol und eine Mütze. Im Uebrigen aber zeigte er sich väterlich sorgsam und haf- tete freiwillig dafür, dass Nichts von meinen Sachen gestohlen würde; auch brachte er Ziegen, Hühner, Maniok und zerriebene Erd- nuss, und bat, dass wir doch den ganzen folgenden Tag bei ihm bleiben möchten. Der fünfzehnte Juli war der letzte eigentliche Marschtag; er ge- staltete sich zu dem anstrengendsten von allen und war jedenfalls zu lang im Hinblick auf die Lasten. Nur die Aussicht auf den Rum im Handels-Tschimbek von Kakamueka trieb die Leute vorwärts. Ich blieb elf Stunden auf den Beinen, ohne etwas Anderes zu geniessen, als zwei Colanüsse und einen Becher Palmwein. Da wo meine Neger ruhten, fiel mir die Arbeit zu, sie weiter zu treiben. Die ersten Aufenthalte machten "sie, um Maniok in der Nähe passirter Dörfer Ein Dorf in Ruinen. Koakamueka. 177 zu kaufen, später in der Absicht, an dem betreffenden Orte die Nacht zuzubringen. In dem letzten Dorfe (es war vier Uhr geworden) musste ich drei Viertelstunden bleiben, weil ein Theil der Bavili und sämmtliche Bakunya das Weitergehen hartnäckig verweigerten; da aber ein anderer Theil mit Lindner, den Betten und dem Kochgeschirr weit vorausgeeilt war, so musste der Vortrab nothwendiger Weise eingeholt werden. Bei der allgemeinen Erschöpfung der Mann- schaften (ein Theil blieb schliesslich doch noch liegen) näherten wir uns nur langsam dem Ziele, denn die letzte Strecke verlangte sogar noch das Uebersteigen eines zweihundert Meter hohen Berges. Die Dämmerung brach schon herein, als eine Lichtung im Walde sich aufthat, und wir ein grosses Dorf erblickten; aber kein Feuer leuch- tete uns entgegen, kein fröhliches Lärmen erreichte unser Ohr; je näher wir kamen, desto unheimlicher wurde Allen zu Muth. Das einst blühende Dorf lag verlassen da, dem Untergange geweiht; noch standen die Hütten, etwa fünfzig an der Zahl, aber dem Einsturz bereits nahe; hier und da neigte sich eine Wand zur Erde, dort lag eine am Boden, die Feuerbrände mit den verkohlten Stämmen waren längst erloschen, die Scherben zerbrochener Kochtöpfe umhergestreut. Welch traurige Stätte, und wie sehr erinnerte sie an das, was die deutschen Avantgarden im September ı870 im Umkreise von Paris sahen: dort die Geissel des Krieges, hier die Geissel der Blattern, in beiden Fällen jähe Flucht vor hereinbrechendem Unglück. Hat das Glück denn nirgends eine Stätte in dieser weiten Welt? Die Nacht kam, den Wald erfüllte dichte Finsterniss, die Füsse, von Sandflöhen stark zerfressen, hatten doppelt zu leiden, weil sie überall anstiessen. Bei dem Schein von Fackeln wurde die letzte Wegstrecke zurück- gelegt, und zu später Stunde betrat ich das altbekannte Standquartier am Kuilu wieder, unmuthig und enttäuscht. Ich musste einen Tag in Kakamueka bleiben, um Canoes zu erhalten. Es ist unglaublich zu sagen, dass sechs der entlaufenen Bayombeträger unter dem Schutze ihres Dorfherrn, des Mani Lu&emba von Sekossi erschienen, um sich ihren Trägerlohn auszahlen zu lassen. Sie wurden gebührend abgewiesen. Mit Mani Mampaku, dem unternehmenden Handelslingster von Kakamueka, traf ich ernstliche Abrede, um ihn in meine Dienste zu nehmen; er blieb nunmehr meine einzige Hoffnung für irgend neue Operationen von Mayombe aus und versprach mein Dolmetscher zu werden, sobald eine Expedition mit den Benguellaträgern möglich wäre. Die Flussfahrt thalwärts erforderte vierzehn Stunden, denn unser Canoe war so beladen, dass vorn nur vier, hinten zwei Ruderer Platz Loango. I. 12 “ 178 Flussfahrt in der Dunkelheit. hatten. Wir selbst sassen auf den Kisten. Unterwegs zeigten sich wiederum viele Flusspferde und ein Krokodil, das mit einer von Lindner applicirten Kugel sich langsam in’s Wasser zurückbegab. Die Sonne brannte während des Tages, und die Nacht erschien bitter kalt. Da die Abfahrt erst im Laufe des Vormittags geschehen konnte, so überfiel uns die Dunkelheit noch fünf Stunden bevor wir das Ziel erreicht hatten; aufziehendes Gewölk beraubte uns selbst der Wol- that des schwachen Sternenlichtes, und dem Zufall allein musste der glückliche Ausgang der Canoereise anheimgegeben werden. Gegen Mitternacht tauchte die Insel des Shr. Reis auf, als der heftig aus- gehende Ebbestrom uns gegen das Mangrovegebüsch warf, und wir mit Mühe und Noth dem Umschlagen entgiengen. Dadurch hatte der Steuermann das richtige Fahrwasser verloren, und wir trieben auf eine Sandbank, die sich parallel mit der Insel hinzieht. Es musste ein neuer Canal gesucht werden, indem alle Leute ausstiegen; selbst Lindner liess sich nicht abhalten, ein Gleiches zu thun. So wurden wir wieder frei, betraten die Insel des Shr. Reis gegen ein Uhr Nachts und erwarteten den Morgen in einem Schuppen am Lan- dungsplatze. Aufbewahrte Leiche, OXPEDEBEVIT Aufenthalt an der Kuilumündung. — Län- genbestimmungen.— Abreise nach Yumba. — An Bord der „Enriquetta“. — In der Calema. — Landung in Yumba. — Die Banyalagune. — Mischbevölkerung von Yumba. — Austernbänke. — Salzhäuser. — Kautschukhandel. — Der Spanier Vin- cente Barcelo. — Nachrichten über den Nyangafluss. — Ein Marsch am Strande. — An der Nyangamündung. — Canoefahrt auf dem Nyanga. — Die Katarakten. — Elektrische Fische. — Dörfer der Balumbu. — Der Urwald um Mongo Nyanga. — Landreise mit drei Trägern. — Baumfarne, — Giftschlangen. — Empfang im Dorfe Punga. — Balumbu- und Bayakaneger. — Hungersnoth und Sandflöhe im Lande. — Gefährliches Tabakrauchen. — Bayaka- frauen. — Der Fetisch Muiri. — Die.Rand- kette Sahi. — Regengrenze. — Savanen- region und ferne Gebirge, — Feindselige Bayaka. — Eine erzwungene Flusspassage- — Wanderung im Bayakalande. — Palaver . Pine: wegen eines Führers. — Nachtmärsche, — Rückkehr zur Nyangamündung. — Durch die Brandung. — Lagunen- und Landreise von Yumba zur Kuilumündung. — Von Pontanegra über Tschikambo nach Tschintschotscho. Durch die Rückkehr zur Insel des Shr. Reis erhielt die Expedi- tion den formellen Abschluss. Ihr Verlauf war von Anfang bis zu Ende durch Missgeschick gekennzeichnet. Aber noch blieb die zweite Hälfte der trockenen Jahreszeit, und dem Wunsche, sie im 12% 180 Neue Pläne. Arbeit und Krankheit. besten Sinne auszunutzen, musste die Ausführung so schnell wie möglich folgen. Trotz aller schlimmen Erfahrungen erschien mir das Stilliegen noch immer als das grösste Uebel, und wenn die schwie- rigen Verhältnisse auch nicht Vieles erreichen liessen, so stellte die jungfräuliche Beschaffenheit des Bodens doch immerhin einige Re- sultate in Aussicht. Das südlich vom Kuilu gelegene Gebiet musste vorläufig ausser Frage bleiben; ich beschloss also, mich nördlich zu wenden. Zwar fehlten die Anhaltspuncte einer zuverlässigen Information, aber um so nöthiger erschien alsdann die Explorirung. Der Küstenstrich von Yumba, etwa um einen Breitengrad nördlicher gelegen als die Kuilu- mündung, war als erstes Ziel von mir in’s Auge gefasst, das Weitere musste sich an Ort und Stelle regeln, und mit Verlangen sah ich der Ankunft des Schooners entgegen, auf dem ich die Seefahrt dorthin machen sollte. ; Zwischen der wiederholten Rückkehr zur Kuilumündung und dem Erreichen Yumbas lag indessen eine Reihe unerfreulicher Tage; sie verfiossen unter Krankheit und häuslicher Arbeit; denn meine Wanderungen giengen nur noch vom Schreibtisch zum Bett und um- gekehrt. Schuhzeug zu tragen war mir vierzehn Tage lang unmög- lich, weil die Märsche im Gebirge die im vorigen Capitel angedeu- teten Leiden noch verschlimmert hatien. An das Haus gebannt, suchte ich das Beste aus meiner Lage zu machen; nach Beendigung des für die Heimat bestimmten, ausführlichen Berichtes über den Ver- lauf der letzten Unternehmung begann ich eine Reihe von Mond- beobachtungen zur Bestimmung der geographischen Länge der Insel des Shr. Reis. War die Lage dieses Meridians bekannt, so konnten aus ihm die geographischen Längen anderer Puncte durch einfache Zeitübertragung abgeleitet werden. Die Arbeit hatte daher eine fun- damentale Bedeutung; sie zog sich freilich durch die ungünstige Himmelsbeschaffenheit etwas lang hin, erhielt aber durch die Berech- nung der Beobachtungen noch an Ort und Stelle ihren Abschluss. Als Lichtstrahl fielen in diese Zeit die Nachrichten aus der Heimat, die mich zu der vorgeschlagenen Beschaffung von hundert Benguellaleuten ermächtigten. Naturgemäss erblickte ich hierin das Aufdämmern einer besseren Zeit, und suchte ihren Eintritt möglichst zu beschleunigen, indem ich sogleich dem portugiesischen General- gouverneur von Angola schrieb und meinem Agenten die nöthigen Instructionen gab. Freilich mussten vier bis fünf Monate vergehen, bevor die neuen Mannschaften in der Station Tschintschotscho ein- treffen konnten, aber was sind Monate des Wartens in Africa, wenn Lindner nach Tschintschotscho. Küstenfahrt nordwärts. 1Sı sie den Hartgeprüften zu glücklicheren Tagen hinüberzuführen ver- heissen? Am achten August kam endlich die Nachricht, dass der Schooner „Enriquetta“, Capitän Anrath, am folgenden Tage in Loango ein- treffen würde; ich reiste daher noch in derselben Nacht dorthin ab. Mein Gefährte Lindner hatte die gastliche Insel des Shr. Reis bereits acht Tage früher verlassen, um nach Tschintschotscho zurückzu- kehren. Denn so werth die von ihm geleisteten Dienste auch waren, und so unverdrossen er alles Ungemach mit mir theilte, so gestattete doch die augenblickliche Lage der Dinge nicht, dass er mich auf der neuen Reise begleitete. Den Eclaireurdienst konnte ein Mann besser versehen als zwei; die Hauptsache blieb, die Beweglichkeit zu erhal- ten und die Ausrüstung möglichst bescheiden zu machen; dadurch wurde die nun doch einmal nicht abzuleugnende Schwierigkeit, Träger zu erhalten, auf das geringste Mass reducirt. In dieser Zeit tobte die Calema mit einer Heftigkeit, wie sie meist nur in der Nebelzeit be- obachtet wird. Der mit Recht verrufene Strand an der Kuilumün- dung machte ein Einschiffen daselbst zwar nicht zu einer absoluten Unmöglichkeit, aber doch zu einem Vabanque-Spiel. Hierin lag der Grund, dass ich mich bis zu den Factoreien von Loango zurückbegab, um unter dem Schutze der sicheren Bai das auf hoher See ankernde Schiff zu erreichen. Ein leichtes Canoe brachte mich glücklich an Bord, und ‚gleich darauf lichteten wir die Anker. - Nordwärts gerichtete Fahrten pflegen an dieser Küste einen schnellen Verlauf zu nehmen; Wind und Strömung vereinigen sich zu Gunsten des Seemanns, und wir durften darauf rechnen, bereits am folgenden Tage Yumbabai zu erreichen. Zudem war die „Enri- quetta“ ein vorzüglicher Segler; sie hatte einst bessere Tage gesehen und konnte sich einer vornehmen Vergangenheit rühmen; denn ehe sie zum Küstenfahrer in Nieder-Guinea degradirt wurde, war sie die Yacht eines reichen Engländers gewesen. Wir durchschnitten die Fluten mit günstigem Winde, entfernten uns jedoch während der Nacht zu unserm grossen Schaden so weit von der Küste, dass am folgenden Morgen kein Land mehr zu sehen war. Anfänglich er- scheint die Küste ganz flach, den Absturz an der Loangobai aus- genommen; nördlich vom Kuilu tritt das Randgebirge näher heran, und es entwickeln sich hinter einander gelagerte niedere Bergzüge und einzelne Kuppen. Wald scheint das Ganze zu bedecken, was durch die spätere Landreise in der That bestätigt wurde. Dass der Anblick ein so wenig erfreulicher war, musste lediglich dem Wetter zur Last gelegt werden. Die Feuchtigkeit fiel so dicht aus der At- 182 An Bord der ‚„Enriquetta.“ Calema. mosphäre, dass man glauben musste, die Zeit der kleinen Regen sei anticipirt worden, damit Ersatz für die vorjährige, regenlose Zeit ge- schafft werde; aber in der heissen Regenperiode zeigt der Himmel häufig das Blau seiner hochgespannten Wölbung, während wir jetzt Nichts über uns sahen als eine dicke, niedrig hängende, horizontale Nebelschicht; nur zuweilen drang die Sonne durch dieses feuchte Grau, selbst eben so melancholisch entstellt, wie alles Uebrige, das sich nach ihrem Lichte sehnte. Die wogende See liess unser schlankes Fahrzeug alle ihre Bewegungen mitmachen; und da die Seekrankheit ihre Herrschaft im umgekehrten Verhältniss zum Tonnengehalt der Schiffe auszuüben scheint, so stellte sie sich nur zu bald ein, und ich bewunderte den Mann, für den dieser Schooner einst eine „Pleasure- yacht“ hatte sein können. Wegen der zu starken Abschwenkung vom Lande zum hohen Meere mussten wir am Abend des zehnten Anker werfen und langten am Vormittag des elften vor Yumba an, gerade einige Stunden zu spät. Eine neue Calema hatte eingesetzt, die Wogen rollten mit Macht gegen das Ufer an und brachen da- selbst mit hochaufspritzendem Gischt donnernd zusammen. Vom Strande aus wurde ein Zeichen gegeben, dass das Landen unmöglich sei. Die Factoreien lagen auf Büchsenschussweite vor uns, dahinter in Dampf und Nebel gehüllt die Küste; auf und ab, hin und her schwankte das Schiff, aber kein Nachen kam, uns zu befreien. Die Sonne sank, einer dunkeln Nacht folgte ein trüber Tag; er endete wie sein Vorgänger — hoffnungslos. So verrann die Zeit, während uns die Elemente gefangen festhielten. Achtundvierzig Stunden waren ver- flossen, als endlich ein mit Schwarzen bemanntes Canoe vom Strande abstiess, glücklich die brechenden Wogen überwand und sich lang- seit des Schooners legte. Wir berathschlagten, ob eine Landung ver- sucht werden sollte. Die Möglichkeit, dass das Canoe dabei um- schlagen würde, war wol zu erwägen; die damit verknüpfte Gefahr liegt weniger im Ertrinken, vor dem man sich selbst durch Schwim- men oder durch die bereite Hülfe der Eingeborenen retten kann, als in dem Zerschmettertwerden durch das von der Welle senkrecht auf- gerichtete und dann zurückstürzende Fahrzeug; auf letztere Weise fordert die Calema ihre meisten Opfer. Der Capitän, ein ebenso braver wie wolwollender Mann, sagte, dass er zwar die Entscheidung der Frage in meine Hand geben wolle, dass aber, wenn ich die Lan- dung versuchte, er mich begleiten würde Gern nahm ich das hoch- herzige Anerbieten an, nicht aus übermässiger Lust an einem wag- halsigen Unternehmen, sondern weil die Existenz der letzten Monate mich stumpf gemacht hatte. Nur für meine Instrumente und Tage- Durch die Brandung in Yumbabai. 183 bücher fürchtete ich noch, und diese wurden zurückgelassen. Capitän Anrath übernahm das Commando des Canoes, und mit den rollenden Wogen näherten wir uns dem Strande. Schwarze und Weisse standen daselbst in Scharen aufgepflanzt und winkten zur Umkehr, noch ehe wir in die eigentliche Brandungszone eingetreten waren. Denn von ihrem Standpuncte aus liess sich die Gefahr allein richtig bemessen. Wir, die wir seewärts des tobenden, unheimlichen Wassergürtels schaukelten, sahen nur die sanft ansteigende Seite der Wellenberge und hatten keine sichere Schätzung für ihre Höhe; Jenen aber ist die schäumende Steilseite zugekehrt, die, hohler und hohler werdend, den Massstab des drohenden Unheils liefert; sie können daher dem Canoe ein Zeichen geben, ob der rechte Moment gekommen ist oder nicht. Die Calema hat nämlich die Eigenthümlichkeit periodischer Schwan- kungen, ihr brausendes Wüthen zeigt Intermittenzen, indem einer An- zahl sehr hoher Wellen eine andere minder hoher zu folgen pflegt. Ist man glücklich genug, das Zeitintervall dieser letzteren richtig zu treffen und den Strand zu erreichen, ehe die heftigere Periode ein- setzt, so hat man gewonnenes Spiel. Dazu gehört vor Allem, dass man die Neger gut in der Hand behält, damit diese nicht in dem Moment, wo der grösste Kraftaufwand verlangt wird, die Ruder fallen lassen und das Canoe dem Verderben preisgeben. Nun kam ein zweites Zeichen vom Lande, und wir versuchten zum zweiten Male. Mit drohendem Zuruf feuerte Capitän Anrath die Ruderer während der entscheidenden Secunden an: Das Fahrzeug flog über die Schaumkämme hin, und die letzte Woge schleuderte es unversehrt auf den Sand; Schwarze stürzten uns entgegen, hoben uns aus dem Canoe und setzten uns nieder, wo keine Welle den festen Boden mehr bespülte. Der unter dem Namen Yumba begriffene Küstenstrich muss als eine Grenzprovinz betrachtet werden, in welcher sich die Einflüsse der Loangoküste mit denen des Gabun vermischen. Die vorhandenen Handelsfactoreien verdanken ihren Ursprung der Kautschukproduc- tion des Hinterlandes. Das immer noch stark vorwiegende, portugie- sische Element wird bereits mit dem. englisch-schottischen untersetzt. Die Vermittelung des Handels mit den Eingeborenen ist vornehmlich in den Händen unternehmender Loango-Lingsters, im Vergleich zu welchen die Gabunleute zurücktreten. Bei der ersten Betrachtung wollte mir das Yumba der Weissen, d. h. der Factoreiencomplex als das Stiefkind Loangos erscheinen; die äussere Erscheinung der dort wohnenden Europäer, ihr Auftreten unter einander, der Ausschluss von Sorgfalt in ihrer Lebensweise, das vernachlässigte Aussehen 184 Die Banyalagune. Mischbevölkerung. ihrer Wohnstätten, Eindrücke von Rohheit oder Verkommenheit las- sen den Vergleich mit den südlicher gelegenen Plätzen der Küste sehr zu Ungunsten dieses Ortes ausfallen. Man wohnt in Yumba wie in den ersten Zeiten des africanischen Handels. Als Baumaterial dienen die Rippen der Weinpalme. Häuser aus Brettern sind hier noch ganz unbekannt, der Fussboden ist aus Lehm und Austerschalen zusammengeschlagen; ein einziges Haus macht eine Ausnahme davon. Was andere Factoreien an Tischen, Stühlen und Schemeln nicht mehr gebrauchen konnten, findet sich hier wieder zusammen, und wie manche gewissenlose Exporteure in Europa zweifelhafte Waare in der Meinung aussenden, sie sei für Africa gut genug, so gilt auch für Manches, was von den südlichen Factoreien ausgeht, der Satz, es sei für Yumba gut genug. Ein mächtiger Lagunenfluss, der Banya, theilt die Niederlassung in zwei Hälften, Kuango und Yumba genannt im engeren Sinne (Mayumba ist eine unrichtige, nur von Weissen gebrauchte Bezeichnung); sie liegen mehr als drei Seemeilen in nordwestlicher Richtung von einander ent- fernt, und jeder derselben stellt einen Factoreiencomplex vor. Es finden sich zwei portugiesische, ein spanisches, ein holländisches, zwei eng- lische Häuser. Das südliche Kuango liegt auf der schmalen Düne, welche die in ihrem Unterlaufe parallel mit der Küste fliessende Banya- lagune vom Meere scheidet. Der Damm ist etwa zweihundertundfünfzig Schritt breit und so flach gewölbt, dass einige Häuser bei starker Calema unter Wasser gesetzt werden. Die Düne zeigt zwischen Kuango und der Mündung eine nur kümmerliche Strandvegetation, südlich aber, wo die Lagune ein wenig mehr landeinwärts zieht, und der Damm breiter wird, findet sich zusammenhängender, meist mit Strauchwerk gesäum- ter Wald. In der Nähe ihrer Mündung ist die Lagune zweihundert- vierzig bis dreihundert Meter breit, weiter oberhalb treten ihre Ufer um die doppelte und dreifache Entfernung auseinander. Der Blick über die weite, ruhige, nur durch einige kleine Mangroveinseln unterbrochene Fläche und auf die dahinter ansteigenden bewaldeten Hügel ist durchaus nicht ohne jeden Reiz; Einfachheit und grosse Verhältnisse kommen in dem Bilde zu schöner Geltung. Die Elemente, aus welchen sich die Bevölkerung des Yumba- gebietes zusammensetzt, sind nicht leicht zu erkennen. Es hat hier eine Durchdringung mindestens zweier verschiedener Stämme stattge- funden, der Balumbu und der Bafiote. Die Küstenbevölkerung giebt sich noch den Namen Bavili, gerade so wie weiter südlich, aber es wäre falsch, daraus auf Stammes-Homogenität schliessen zu wollen. Der Handel und die grössere Geschicklichkeit für denselben hat KA STH Tegeimeyar. Papaya). ıca Melonenbaum (Car Einwanderung aus Loango. Das Yumba-Litoral. 185 unternehmende Neger aus dem Loangogebiet nach Yumba geführt, hier haben sie sich theilweise festgesetzt, haben mit ihren Familien und Sclaven Dörfer gegründet und gewissermassen einen Staat im Staate errichtet, dessen Grenzen nur durch Vermischung mit der ein- geborenen Bevölkerung etwas verwischt erscheinen. Auf sie ist daher der Name Bavili zurückzuführen. Hinter dem schmalen Küstensaum dieser Mischbevölkerung dehnt sich das Gebiet der Balumbu aus, dessen südliche Grenze ich auf früheren Reisen vom Kuilu her über- schritten hatte; von ihr zieht sich das Balumbu-Territorium in mässi- ger Entfernung von der Küste, und parallel damit, nach Nordwest etwa bis zum Nyangafluss, von dem noch die Rede sein wird. Auf die Balumbu folgen landeinwärts die Bayaka, ein offenbar über weite Länderstrecken ausgedehnter und in sich wiederum mehrfach nüan- cirter Volksstamm, den ich im Verlauf der Reise besuchte. Die politischen Verhältnisse im Gebiete von Yumba sind noch zerfahrener als die der Loangoküste. Die spärlich zerstreuten Dörfer haben ein elendes Aussehen; die Hütten sind zwar noch in dersel- ben Weise angeordnet, wie bei den südlichen Bavili, d.h. mit freigelasse- nen Zwischenräumen und ohne ein bestimmtes Gesetz, zum Bau selbst aber wird nicht mehr ausschliesslich Papyrus verwendet, sondern häufig auch Palmzweige, die mit den Spaltstücken aus der harten Schale der Weinpalme befestigt sind. Der Herstellung fehlt jede Sorgfalt; selten erblickt man Zeichen eines Wolstandes. "Wenige Hühner repräsentiren die Gesammtheit der vorhandenen Hausthiere. Maniokculturen sind spärlich vorhanden, doch Zuckerrohr, im Süden eine Ausnahme, kommt in grösseren Mengen vor. Die zahlreichen Oelpalmen stehen unbenutzt da, dienen höchstens dem häuslichen Be- darfe. Es scheint, dass, so lange noch eine Kautschukranke existirt, die leichtere und lucrativere Gewinnung des Kautschuk den Oelhandel nicht aufkommen lassen wird. In der Umgebung der Dörfer trifft man auf den bekannten Melonenbaum (Carica papaya) mit den grossen, gelben, essbaren Früchten und auf Baumwollensträucher, die hier wie anderwärts das Material für kleine, gestrickte Schultersäcke ab- geben; doch soll die Baumwolle auch als Docht bei primitiven Palmöl- lämpchen verwendet werden. Die Bewohner erscheinen mürrisch und misstrauisch, was nament- lich hervortritt, wenn man versucht, direct von ihnen Etwas über die Bedeutung ihrer Fetische zu erfahren. Sie halten sich im Grossen und Ganzen vom Europäer fern, der seinen Bedarf an Arbeitskräften aus den südlicheren Gegenden decken muss. Der Hauptgrund für dieses, von den bisher beschriebenen Küstenstämmen abweichende 186 Austernbänke. Salzbereitung. Kautschukhandel. o Verhalten, ist darin zu suchen, dass die Natur den Eingeborenen eine Nahrungsquelle bescheert hat, zu deren Unterhaltung sie Nichts bei- zutragen brauchen: In der Banyalagune finden sich nämlich grosse Austernbänke, und weit und breit bilden Austern das Hauptnahrungs- mittel der Bevölkerung; aller Orten beweisen es die angetroffenen Schalenanhäufungen. Die Furcht vor dem Verhungern ist in diesen Gegenden also minder drohend, jeder Antrieb zur Arbeitsamkeit ent- sprechend gelähmt; es darf daher nicht Wunder nehmen, dass der Ackerbau vernachlässigt ist, und den Europäern die Arbeitskräfte der einheimischen Bevölkerung entzogen bleiben. Indessen giebt es doch einen weit verbreiteten Industriezweig, der längs des ganzen Küstensaumes vom Kuilu an bis über den dritten Grad südlicher Breite hinaus eifrig cultivirt wird: die Salzbereitung aus Meerwasser. Diese wird hart am Strande unter Schutzdächern, in meist wandlosen Hütten betrieben, in denen besonders eingerichtete Oefen aufgestellt sind. Ein solcher Ofen besteht aus Thon und erhebt sich in Form einer zwei Fuss hohen kugeligen Wölbung über einer kleinen Ver- tiefung im Erdboden; der kreisrunde Grundriss hat etwa drei Schritt im Durchmesser; unten sind zwei diametral gegenüberstehende Oeft- nungen angebracht, durch die das Brennmaterial in die Vertiefung eingeführt wird, und die gleichzeitig den gehörigen Zutritt der Luft ermöglichen. Oben ist die ÖOfenwölbung gleichfalls durchbrochen, und hier wird die zum Einkochen des Seewassers dienende, flache Messingpfanne (ein europäischer Handelsartikel) aufgesetzt. Solcher Feuerplätze giebt es mehrere in jedem Schuppen. Meist ist die ge- sammte Familie des Besitzers bei der Salzbereitung beschäftigt; die Kleinen holen das Seewasser herbei, die Grossen schleppen Holz und unterhalten das Feuer. Zuweilen wird die Nacht hindurch gearbeitet, und dann können diese primitiven Salinen dem nächtlich am ein- samen Strande hinziehenden Reisenden wie Oasen erscheinen. Ist Salz in genügender Menge gewonnen, so wird dasselbe sehr sauber in eylindrische Körbe verpackt und dann den Bayaka verhandelt, die eigens zu dem Zweck an die Küste kommen und dieses Salz jedem von Europa importirten vorziehen. Da die Gummiranke im Lande der Bayaka reichlich auftritt, so sollte man annehmen, dass von dort her Bayaka-Karawanen zu den europäischen Factoreien gelangen; das ist aber nur selten der Fall, weil, wie bemerkt, Loangohändler die Vermittelung übernehmen und die Producte mit ihren eigenen Sclaven an die Küste schaffen. Die Concurrenz hat hier noch das früher allgemein übliche, im Loango- gebiet" aber aufgegebene, sogenannte „Fiado“- öder „Trust“-System Betrügerische Zwischenhändler. Der Spanier Vincente, 187 aufrecht erhalten; es besteht darin, dass man einem Schwarzen, einem Handelslingster, Zeuge und sonstige Tauschartikel anvertraut, mit denen er sich in Begleitung seiner Leute in das Innere begiebt, um die Producte der Eingeborenen zu erwerben. Hierbei passiren zu- weilen die unglaublichsten Betrügereien. Beispielsweise kommt es vor, dass ein solcher Lingster einen schnellen Handel im Innern ab- schliesst, dann aber nicht etwa zu seinem Auftraggeber zurückkehrt, sondern die Producte bei einer andern Factorei für seine Rechnung absetzt und mit den neu erhaltenen Tauschartikeln zum zweiten Male in’s Innere zieht; diese Procedur wiederholt er, wenn die Situation ihm günstig ist, mehrere Male und kehrt, nachdem er entsprechend oft den Verdienst in seine Tasche gesteckt, nach Monaten in das Haus zurück, welches ihm die ersten Weaaren lieferte. : An der Küste von Yumba bildet der elastische Gummi den aus- schliesslichen Handelsartikel. Das sinnlose Zerstören der Kautschuk- ranke hat aber die Zufuhr in den letzten Jahren merkbar vermindert, und dies veranlasste einen unternehmenden Weissen, den Spanier Vincente Barcelo, weiter im Norden ein Vorschieben seiner Handels- stationen gegen das Innere zu versuchen. Da ich auf die Küsten- bevölkerung für meine Zwecke in keiner Weise rechnen durfte, so war an ein weiteres Fortkommen für mich nur zu denken, wenn Don Vincente mich unterstützte. Er war der originellste Mann der ganzen Küste zwischen Gabun und Loanda. Vom Schiffsjungen hatte er sich zum einflussreichen Händler heraufgearbeitet; er konnte weder lesen noch schreiben, hatte alle Zahlen seiner Geschäfte im Kopfe und hielt die nicht unbedeutende Menge seiner Beamten in strenger Zucht. Während ihm verbürgte Züge unerhörter Grausamkeit nacherzählt wurden, half er, von natürlicher Herzensgüte getrieben, Jedermann, der seiner Hülfe bedurfte. Ich suchte ihn auf, und obgleich ihm jedes tiefere Verständniss für meine Pläne abgieng, ergriff er die Ge- legenheit, sie zu unterstützen, mit grosser Lebhaftigkeit und versprach freilich etwas mehr, als er halten konnte, hielt aber doch sein Wort weit besser, als es sonst in Africa gehalten wird. Er theilte mir zum ersten Male Genaueres über den Nyanga mit, der ein grosser Fluss sein sollte, auf den Karten aber nicht zu finden war. In Yumba hörte ich nun, dass dieser Strom etwa zehn Stunden nördlich davon in’s Meer münde, dass Vincente daselbst seine Haupt- factorei besitze, dass der Fluss anderthalb Tagereisen weit befahren werden könne, die Schiffahrt alsdann durch Katarakten unterbrochen werde, oberhalb derselben aber von Neuem den Canoes offen stehe. Am Fusse der Katarakten hatte Don Vincente die Handelsstelle 188 Verfrühte Regen. Strandreise zu Fuss. Mongo Nyanga errichtet, jenseits derselben eine zweite, Namens Kas- sotsche. Der letztgenannte Ort sollte bereits auf der andern Seite des grossen Waldes liegen, im Lande der Bayaka. Man sieht, es wiederholten sich hier die allgemeinen topographischen Züge des Kuilugebietes. Ich wünschte mich so bald wie möglich auf den Weg zu machen, da mein Befinden so viel zu wünschen übrig liess, dass es sich auf der Reise nur bessern konnte. Don Vincente hatte versprochen, mir sechs Leute für die Reise zu stellen; er hatte selbst Lust, mich zu begleiten, war aber genöthigt, nach der Insel Fernando Po zu fahren. So weit schien Alles ganz glatt zu gehen; man erwartete nur noch das Eintreffen eines kleinen Küstendampfers, der expedirt werden musste, ehe die sechs Crumanos Vincentes zu meiner Ver- fügung standen; aber es vergiengen auf diese Weise achtzehn Tage, ehe ich Yumba verlassen konnte. Obgleich wir noch im Monat August standen, fielen fast täglich feine, zuweilen auch starke Regen; die Regenzeit war also aussergewöhnlich früh eingetreten. Bei Tage und bei Nacht blieb der Himmel bewölkt, so dass ich positiv nicht im Stande war, eine astronomische Ortsbestimmung zu erhalten. Der fast dreiwöchentliche Aufenthalt gehört mit Recht zu meinen trübsten Erinnerungen; denn die Mittel, durch Bewegung und Thä- tigkeit dem Zustande der Lethargie zu entrinnen, in den ich geworfen war, blieben mir versagt. Schon die Nachricht, dass Vincentes Leute für mich eingetroffen seien, die Zuversicht, dass eine Aenderung eintreten werde, elektrisirten mich und gaben mir neue Kraft. Am einunddreissigsten August brach ich mit sechs Leuten auf, um zunächst die Nyangamündung zu erreichen. Zum ersten Male seit vier Wochen strahlte die Sonne wieder von einem wolkenlosen Himmel. Da die ganze Reise längs des Strandes hin gieng, so musste ich mich nach den Stunden des Niedrigwassers richten, wo das Zurückgehen der Flut einen Streifen festeren Bodens in dem lockeren Sande zurücklässt. Ich konnte den Marsch daher erst um zehn Uhr Vormittags antreten und musste mich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gegen die schädlichen Einflüsse der Sonne schützen. Weil in dieser Beziehung die Ansichten der Reisenden stark aus- einander gehen, so bemerke ich, dass nach den an meiner eigenen Person gemachten Erfahrungen eine mehrfache Bedeckung des Hauptes einen guten Schutz gegen die Bestrahlung gewährt; ich pflegte in den Mittagsstunden ein weisses, leinenes, über den Nacken fallendes Tuch auf den Kopf zu legen, dasselbe durch eine rothe, tür- Die Bai von Yumba. Ponta de Norte. 189 kische Mütze zu befestigen und dann erst den weichen Filzhut, der mir diente, darüber zu setzen. Dieses Verfahren empfiehlt sich be- sonders in solchen Fällen, wo ein brauchbarer, d.h. ein stark gefüt- terter Sonnen(Regen)schirm nicht zu Gebote steht. Bei einer Strand- wanderung bleibt dann freilich noch immer die auf die Dauer höchst empfindliche, selbst schmerzhafte Reflexionswirkung des Sandes und des weissen Gischtes der Brandung. Wir wanderten die Bai von Yumba entlang, die mit dem Ponta de Norte vor unseren Augen abschloss. Schon nach der ersten Marschstunde ist jeder Reiz der Neuheit verschwunden. Der Strand bleibt nahezu von derselben Breite und ist auf der einen Seite ununterbrochen von Wald eingefasst. Dieser zeigt im. Vergleiche zur Vegetation des Loangolitorals einen ganz abweichenden Habitus; er wird charak- terisirt durch einen meist strauchartig, zuweilen auch hochstämmig entwickelten Baum, dessen kahle Zweige nur an den Spitzen ihre lederartigen Blätter tragen; die Zweige stehen so'dicht, dass die Blätter ein continuirlich ausgebreitetes Laubdach bilden. Von Zeit zu Zeit passirt man eine Saline, wie ich sie oben beschrieben habe, im Uebrigen belebt weder Mensch noch Thier die Einsamkeit. Nach dreistündigem .Marschiren musste ich einem Schwächeanfall nach- geben, der erklärlichen Folge der Anstrengung und meiner nzu- reichenden Kräfte; darnach gieng es wieder ganz gut und wäre ohne die unvermeidlichen Sandflöhe noch besser gegangen. Bei Ponta de Norte wird die Küste felsig, der Sand hört ganz auf, und man geht zwischen den zusammengewürfelten Blöcken zweier verschiedener Ge- steinsarten am Fusse des mit Bäumen gekrönten Vorlandes hin. Der unter dem Wasser anstehende Fels ist ein blasiges Conglomerat von fast schwarzer Farbe, sehr ähnlich den Quarz-Eisenstein-Conglomera- ten, die ich im Lande der Bayaka antraf. In der Nähe des Vorlandes findet sich die isolirt stehende Hütte eines in diese wüste Gegend verschlagenen Portugiesen. Ich rastete hier, und da das Wetter klar zu bleiben versprach, so wartete ich den Eintritt der Nacht ab, um endlich einmal eine vollständige astrono- mische Ortsbestimmung zu erhalten. Das gelang auch wirklich und lieferte die Mittel, die Lage von Kuango und Yumba abzuleiten. Noch in derselben Nacht gegen ein Uhr wurde die Reise fortgesetzt. Der Himmel bewölkte sich von Neuem, es fiel sogar Regen, und ich brachte die Morgenstunden von drei bis sechs Uhr am Feuer eines Salzschuppens zu. Der neue Tag zeigte eine wenig veränderte Land- schaft; der Weg führte über einen gleich schattenlosen Strand wie Tags zuvor; erst im Laufe des Nachmittags hatte ich die Mündung 190 Dysenterie. Die Nyangamündung. Flussfahrt. des Nyanga erreicht. Das Haus Vincentes nahm mich freundlich auf, ich durfte hoffen, dass nun der Exploration des Flusses Nichts mehr im Wege stehen würde. Statt dessen stellten sich schon am Tage nach der Ankunft die ersten Zeichen einer Dysenterie ein, und in wenigen Tagen war ich einem Zustande völliger Erschöpfung zuge- führt. Zur Charakteristik sei hier bemerkt, dass es mir an Mitteln zur Heilung gebrach, dass ich in einem Verschlage campirte, durch den ein scharfer Südwind hinzog, dass Scharen kleiner schwarzer Ameisen mein Lager überfielen, dass Nachts die Ratten in hellen Haufen ihre widerlichen Zusammenkünfte um mich her hielten und das Reisegepäck anfrassen. So giengen wiederum zwei Wochen verloren. Das Haus Vincentes liegt etwa eine Stunde von der Mündung des Nyanga entfernt. Da der Fluss unter einem sehr spitzen Winkel das Meer erreicht und auf der Strecke mehrerer Seemeilen der Küste in nordwestlicher Richtung parallel läuft, so dehnt sich die Factorei auf einer langgestreckten Landzunge aus. Ich machte mehrmals ver- geblich den Versuch, ihre Spitze zu erreichen, um eine zuverlässige Schätzung für die Lage der Mündung zu erhalten, aber jedesmal musste ich auf dem Wege umkehren, weil die Kräfte nicht aus- reichten. Indessen darf ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit be- haupten, dass der Nyanga unter 2° 57' in das atlantische Meer mündet. Die Factorei des Spaniers liegt unter 2° 59‘ südlicher Breite. Am vier- zehnten September bestieg ich das Canoe, um die Fahrt Nyanga auf- wärts anzutreten. Während derselben beschäftigte mich die Auf- nahme des Stromes in erster Linie. Es war besondere Aufmerksam- keit nöthig, weil ich nicht darauf rechnen durfte, eine Controle durch astronomische Bestimmungen zu erhalten; es genügte nicht, Uhr und Compass allein abzulesen, auch die Aenderungen in der Geschwindig- keit des Fahrzeuges mussten sorgfältig notirt werden. Der Fluss weist so viele Krümmungen auf, dass sein Unterlauf, von den Kata- rakten an gerechnet, die doppelte Länge des geradlinigen Abstandes von der Mündung hat. Die Breite ist sehr wechselnd; bei dem Handels- Tschimbek Don Vincentes beträgt sie etwa zweihundertfünfzig, weiter oberhalb drei- und vierhundert Schritt, während an anderen Stellen Einschnürungen von sechszig bis siebzig Schritt Breite vorkommen. Das Mittel muss auf hundertfünfzig bis zweihundert Schritt angegeben werden. Das Wasser zeigte eine lauchgrüne Farbe, ich fand sie schöner als die der übrigen westafricanischen Flüsse; in landschaftlicher Be- ziehung steht der Nyanga aber weit hinter dem Kuilu zurück: Längs der flachen Ufer herrscht der Savanencharakter vor, auch fehlt es Allgemeiner Vegetationscharakter. Handelsplatz im Urwald. 1gL nicht an wüsten, sandigen Stellen. In der Region des untersten Fluss- laufes treten neben der Mangrove Weinpalmen auf; an einer Stelle sah ich beide Ufer damit eingefasst, und erst hinter diesen breitete sich der Rhizophorenwald aus. Papyrus und Pandanus sind häufig, ebenso der bei allen früher beschriebenen Flussläufen erwähnte Hibis- cus tiliaceus. An den sandigen Stellen bei Goa bemerkte ich Ricinus, wie überall in Westafrica prachtvoll entwickelt. Oberhalb Goa wird die Landschaft ansprechender, auf parkartige Uferansichten folgt zusammenhängender Hochwald; hier fehlt es denn auch nicht an Schlinggewächsen, die dem Bilde Anmuth und Fülle geben. Eine einzige langgestreckte Insel theilt das Wasser des Stromes in zwei Canäle. Die Canoe-Schiffahrt findet nirgends ernstliche Schwierig- keit, aber tiefer gehende Fahrzeuge würden schwerlich bis zu den Katarakten vordringen können; denn ich bin überzeugt, dass der Fluss an gewissen Stellen durchwatet werden kann. Der Zielpunct der Fahrt war Mongo Nyanga; so heisst der Ort in der Nähe der Katarakten, wo das Handels-Tschimbek Don Vin- centes errichtet ist. Die Lage ist schön; ein mächtiger Hochwald dehnt sich auf beiden Seiten des Stromes aus bis hart an die Uferböschung, die sechs bis zehn Meter hoch über die Wasserfläche heraustritt. Um das Handels-Tschimbek herum ist der Wald aus- gerodet, so dass Gelegenheit geboten wurde, eine Basis abzuschreiten, und die sehr beträchtliche Verbreiterung des Stromes mit dem Sex- tanten zu messen; sie ergab sich als Mittel mehrerer von einander unabhängiger Messungen zu vierhundertsechszig Schritt. Dem ent- sprechend ist der Fluss hier seicht; Ebbe und Flut machen sich noch sehr stark bemerkbar. | Mein Wunsch war, auf dem Landwege Kassotsche und den ober- halb der Katarakten gelegenen Theil des Nyanga zu erreichen. Ich rechnete zuversichtlich auf eine günstige Einwirkung der veränderten Verhältnisse und auf die für das Tropenklima so charakteristische schnelle Reconvalescenz. Was in Europa unmöglich gewesen wäre, war möglich in Africa, und nach fünftägigem Verweilen in Mongo Nyanga durfte ich es wagen, eine neue Reise durch den Urwald anzutreten. Die schnelle Wiedererlangung der Marschfähigkeit ver- dankte ich hauptsächlich dem Umstande, dass es in Mongo Nyanga keine Sandflöhe gab. Zwar hatte sich diese Plage auch hierhin verbreitet und das Territorium der Bayaka längst erreicht; es zeigte sich aber, dass die Heimsuchung durch die gefährlichen Insecten eine sehr verschiedenartige war, und während in einigen Dörfern die Hälfte der Bewohner lahmte, es in anderen kaum Sandflöhe gab. 192 Die Katarakten von Mongo Nyanga. Elektrische Fische. Der Grund mag in der Verschiedenheit des Bodens liegen. Mongo Nyanga nun war einer der gesegneten Orte, wo der Pulex penetrans nicht die Bedingungen für sein Fortkommen fand, und deshalb konnte ich auch von hier aus sehr bald kleinere Ausflüge unter- nehmen. Der erste Besuch galt den Katarakten, die sich mit dem Canoe in zwanzig Minuten erreichen liessen. Eine mächtige Felsbank durch- setzt wie ein Wehr das Flussbett in der ganzen Breite; der Fluss hat daseibst einen Canal gegraben, von dem er während der trocke- nen Zeit völlig aufgenommen wird; das Hochwasser aber bedeckt die ganze Bank, wie sich aus den vielfachen Auswaschungen ab- nehmen lässt. Die Felsen sind schieferiges, gegen die Strömung aufgerichtetes Gestein; hier und da wachsen auf ihm Grasbüschel von lebhaft grüner Farbe und kleinere Blattgewächse. Die Bank misst in der Richtung des Stromes hundertfünfzig Schritt; ober- halb derselben, und von ihr nur durch einen schmalen Streifen un- bewegten Wassers getrennt, tritt eine zweite Felsbank* auf, deren Erstreckung sich von meinem niedrigen Standpuncte aus nicht ab- sehen liess. Durch diese und die weiter oben gelegenen Katarakten wird die Schiffbarkeit auf anderthalb Tagereisen unterbrochen, eine schwere Beeinträchtigung des Handels von Kassotsche; denn Gummi wie Tauschwaaren müssen auf denselben beschwerlichen Pfaden, die ich kennen zu lernen Gelegenheit hatte, durch Träger fortgeschleppt werden, und dies wird doppelt in einer Zeit empfunden, wo Hungers- noth und Sandflöhe die disponiblen Kräfte gelichtet haben. Daher darf es nicht Wunder nehmen, dass in Mongo Nyanga statt der ur- sprünglichen sechs Leute nur drei zu meiner Verfügung standen. Vor dem Aufbruch war es mir noch gestattet, eine zoologisch inter- essante Wahrnehmung zu machen: Bei einer der Unterredungen, die ich zu meiner Information mit den Eingeborenen führte, wurden mir Fische beschrieben, die unverkennbar elektrische Eigenschaften haben mussten. Indem ich einen Preis für den Fang aussetzte, er- hielt ich das Gewünschte. Man brachte mir drei lebende, unver- letzte Exemplare; sie wurden in ein grosses Becken gesetzt und er- theilten einen empfindlichen Schlag, sobald man sie in der Nähe des Schwanzansatzes berührte. Die Intensität des Schlages war bei den kleinsten Individuen wenig geringer als bei dem grössten; die Länge des letzteren betrug zwanzig Centimeter. Die Fische haben eine braune, schwammige, schuppenlose Haut, einen kreisrunden Quer- schnitt, am Maule vier Fäden, der Schwanz ist roth-weiss-braun gestreift. Ihr einheimischer Name ist Ndeke; sie werden namentlich Balumbudörfer. Erhöhtes Lager. Insectenplage. 103 in der Regenzeit häufig gefangen; nach den gemachten Angaben erreichen einige die Länge von fünfunddreissig Centimetern. Vor Antritt meiner Wanderung nach Kassotsche unternahm ich einen grösseren Recognoscirungs- und Probemarsch. Das ganze Gebiet um Mongo Nyanga herum ist von den Balumbu bewohnt, sowol auf dem linken, wie auf dem gegenüberliegenden rechten Ufer; sie scheinen in ihrem ganzen Wesen, ihren Sitten und ihrer Sprache von den Bayaka beeinflusst zu sein, wie es die Balumbu des Südens von den Bayombe sind. Balumbu- wie Bayakadörfer bestehen ausnahmslos aus einer einzigen geradlinigen Strasse, was einen eigenthümlichen und wegen der zum Ausdruck gebrachten Gesetzmässigkeit angenehmen Ein- druck macht. In grösseren Dörfern pflegt die Strasse an jedem Ende durch eine Sombra abgeschlossen zu sein, von denen die eine für all- gemeine Zusammenkünfte (Palaver), die andere für die Aufnahme fremder Neger bestimmt ist. Ein in allen Hütten anzutreffendes Möbel ist das erhöhte, bettartige Lager, welches im Loangolitoral nur in seltenen Fällen, bei Vornehmen, gefunden wird. Es besteht aus einer leiterförmigen Unterlage, über welche ein nach Art unserer Jalousien gefertigtes Rouleau von Spaltstücken der Weinpalme gelegt ist. Zu meinem nicht geringen Staunen fand ich in einem der von mir besuchten Dörfer über den meisten Lagern Mosquitonetze aus einheimischem Bastzeug, gerade so hergerichtet und aufgehängt wie meine Reise-Mosquitära.. Dieser Luxus überrascht im Hinblick darauf, dass die Balumbu eine niedrigere Culturstufe einnehmen als die Bafiote, und bei letzteren, die weit bedürfnissvoller sind, der Ge- brauch von Mosquitonetzen nicht allgemein üblich ist. Freilich muss berücksichtigt werden, dass in den Balumbu-Gegenden neben den gewöhnlichen Mosquitos eine zweite, ganz kleine Art auftritt, die den Reisenden anfänglich zur Verzweiflung treibt, und von denen ich im Süden selten gelitten habe. Wir würden sie Gnitzen nennen, die Portugiesen nennen sie Maruim, die Eingeborenen Bimfutu; die Thiere sind von der Grösse eines Stecknadelknopfes, ihre Stiche aber schwellen um das Sechsfache an; im Augenblick sind Hand oder Gesicht ganz damit bedeckt, die alsdann auf rothem Grunde eine end- lose Zahl weisser Erhebungen darbieten. So lange man sich gegen diese neue Plage noch nicht abgestumpft hat, (was bis zu einem ge- wissen Grade denkbar ist), kann man nicht anders schreiben oder rechnen als in der Nähe eines stark rauchenden Feuers. Der Wald, in den die um Mongo Nyanga gelegenen Dörfer ein- gebettet sind, ist grossartig und üppig; nicht so majestätisch wie der Loango. I, 13 194 Ausmarsch von Mongo Nyanga. Nur drei Träger. Wald am Kuilu, auch nicht so durchsichtig, im Allgemeinen sogar undurchdringlich, und nur in einzelnen Theilen mit lichtem Unter- holz bestanden. Die Wege sind wurzelreich und bei Regen sehr schlüpfrig, in dieser "Beziehung findet also kein Unterschied gegen die Kuilugegenden statt. Die Nähe eines jeden Dorfes wird durch ausgedehnte Bananenbestände angezeigt, während man Maniok- culturen oft in meilenweitem Umkreise vergeblich sucht. Die Ein- geborenen haben eine grosse Furcht vor den Gorillas; sie meiden ängstlich einen Berg, den Mongo Tschikossu in der Nähe der Nyanga- Katarakten, der wegen des angeblich zahlreichen Auftretens dieser Thiere verrufen ist. Während meines Aufenthaltes in Mongo Nyanga hatten wir fast täglich heftigen Regen auszuhalten, ohne dass der Himmel sich in den Zwischenzeiten aufgeklärt hätte, und das war für den Marsch, den ich am zweiundzwanzigsten September antrat, ein böses Omen. Meine Begleitung bestand aus vier Schwarzen, den drei Crumanos Vincentes und meinem jungen, ebenso intelligenten wie durchtriebe- nen Diener Congo aus dem Dorfe der sogenannten schwarzen Juden (Bavumbu) bei Tschintschotscho. Der Bursche konnte Alles: er war Koch, Wäscher, Dolmetscher und Kammerdiener zugleich, ein sehr brauchbares Factotum! Aus den mitgenommenen Sachen wurden drei Lasten in der Weise formirt, dass das Bett die eine, ein Blech- kasten mit Wäsche, Kleidungsstücken, dem Sextanten etc. die andere und eine Muteta mit Provisionen und Kochgeräthschaften die dritte ausmachte. Als einzige Waffe diente eine Büchsflinte. Ziel der Reise war das eigentliche Bayakaland, und um dorthin zu gelangen, hatte ich den Nyangafluss zu verlassen und ihn später nach Ueberschrei- tung zweier hoher Berge wieder zu erreichen. Die Karte giebt Auskunft über die eingeschlagene Richtung und deutet die Natur des Terrains an. Ich bemerke ausdrücklich, dass ihr keine astronomischen ÖOrtsbestimmungen zu Grunde liegen, dass sie aber trotzdem auf ihre Zuverlässigkeit geprüft ist. Die Route machte nämlich eine Schleife, und ausserdem wurde der erste Theil in beiden Richtungen zurückgelegt, aufgenommen, construirt und beide Zeichnungen nahezu übereinstimmend gefunden. Dem Mass- stab sind erfahrungsmässig erhaltene Zahlen zu Grunde gelegt; im Durchschnitt kommen bei mir hundert Schritt auf die Minute, der Werth eines Schrittes ist 0,73m bis 0,55m. Von den Crumanos kann- ten zwei den Weg nach Kassotsche, aber für die Entfernung liess sich vorher kein Anhalt gewinnen. Mitten im Walde, wie sich herausstellte zehn Wegstunden entfernt, wohnte ein Halbmulatte Vegetation der Waldrodungen. Baumfarne. 195 (Vater Mulatte, Mutter Schwarze), der für Vincente Handel trieb. Die Stelle heisst Likungu, und diese suchte ich am ersten Marschtage zu erreichen. Die Träger machten mir diesmal keine Noth. Drei Leute kann man schon vorwärts bringen, zumal wenn sie so in der Furcht des Herrn aufgewachsen sind wie Crumanos von Don Vincente. Das Terrain zeigte sich, wie zu erwarten war, coupirt, da linke Neben- thäler des Nyanga durchschnitten werden mussten. Der höchste Rücken, von dem aus man zum Likungubach hinuntersteigt, erhob sich zweihundertsechszig Meter. Noch auf der ersten Hälfte des Weges passirt man die drei kleinen Balumbudörfer Mukungu, Mu- lando, Muyabi, dann trifft man keine Wohnstätte mehr, bis dicht vor dem Handels-Tschimbek Likungu, wo die Dörfer Impile und Punga sich durch eine Lichtung verrathen. Weit und breit ist das Gebiet waldig, der Wald aber nicht immer von derselben Beschaffenheit; wenn auch grösstentheils der Hochwald mit mehr oder weniger dichtem Unterholz und grossblätterigen Schattengewächsen die Herr- ‘schaft behauptet, so giebt es doch Stellen, namentlich in den feuchten Thalsohlen, oder künstlich geschaffene, längst wieder sich selbst überlassene Rodungen, wo eine üppige, phantastische Vegetation die Scenerie vollständig verändert: Dort sieht man in wildem Durchein- ander Palmen, Bananen, Schlinggewächse, blütenübergossene Kräu- ter, Canna indica und eine zu baumartiger Höhe entwickelte, gesellig auftretende Scitaminee. Wenn der ernste, schöne Hochwald uns durch seine Ruhe imposant entgegentritt, so äussert sich in diesen eingesprengten Inseln einer anders gestalteten Vegetation die unge- bändigte Fülle tropischer Lebenskraft, eine solche Begierde zur Existenz, dass der Faden der Gesetzmässigkeit zerreisst, und die Sinne sich verwirren. Die grösste Ueberraschung wurde mir zu Theil, als ich von der Höhe hinunter steigend, die wassererfüllte, morastige Thalsohle des enggeschnittenen Likungubaches betrat und eine lang hingezogene Gruppe von Baumfarnen erblickte. Die Höhe der Stämme wechselte von drei bis zu fünf Meter. Nur an dieser einen, etwa siebzig Meter über dem Meere gelegenen Stelle des Thales be- obachtete ich Baumfarne und weder vorher noch nachher habe ich jemals ihr Auftreten constatiren können, während Farnkräuter allge- mein verbreitet sind. Obwol wir den ganzen Tag über schnell marschirt waren, er- reichten wir unser Ziel nicht rechtzeitig und wurden von der Nacht überfallen. Eine der so häufigen, ausserordentlich giftigen Schlangen (Vipera rhinoceros) kroch in der Dämmerung gerade über den Weg und verursachte bei meinen Leuten einen lauten Aufschrei des 13% 196 Grenzgebiet der Balumbu und Bayaka, Schreckens; er war mehr der Ueberraschung als der Furcht zuzu- schreiben, denn im Allgemeinen hat die Seltenheit der Schlangenbisse eine grosse Sorglosigkeit nach dieser Richtung erzeugt. Sonst störte kein Zwischenfall unser Fortkommen. Das letzte Stück in der Dun- kelheit mit dem Schuhzeug, das sich beim Waten im Moraste des Likungubaches mit Wasser vollgesogen hatte, wurde mir freilich schwer. Aber plötzlich sah ich Fackeln auf uns loskommen und hörte mich wiederholt mit „Excellenza“ angeredet. Weder mein Costüm, noch mein Aussehen, noch die Aermlichkeit meines Auftretens recht- fertigten diese hochachtungsvollen Laute, die von dem Mulatten Feio und seinem Bruder Francisco herrührten; sie hatten gehört, dass ich kommen würde, und den Bewohnern des benachbarten Dorfes Punga verkündet, dass sie den Besuch eines grossen Häuptlings aus dem Mputu (Europa) erwarteten. In der That wurde ich als solcher behan- delt, sowol von meinen farbigen Gastfreunden wie von den schwar- zen Eingeborenen. Die Bewegungen eines Souverains, der die Pro- vinzen seines Reiches besucht, konnte nicht mit ängstlicherer Span- nung verfolgt werden. Ich zeigte mich so huldvoll, wie es nur immer der Mangel an Uebung gestattete, und gab, trotzdem unser Marsch elf Stunden gewährt hatte, den Bitten der Mulatten nach und liess mich von ihnen und einem gezähmten Affen in das Dorf Punga be- gleiten. Hier wurde ich bei Fackelschein gezeigt und angestaunt. Punga ist das grösste und stattlichste Dorf, das ich auf dieser Reise sah. Seine fünfzig Hütten bilden zwei gleichlaufende Fluchten, und es machte mir viel Freude, auf der breiten, tennenartig ausgeschlage- nen, sauber gefegten Dorfstrasse hinzugehen und die am Feuer vor ihren Hütten sitzenden Negergruppen zu beobachten. Was ich im weiteren Verlauf der Reise über die Bayaka beobach- tete, fand ich auch bei den Bewohnern Pungas, die zwar noch mit Balumbuelementen untermischt sind, aber überwiegend Bayaka- merkmale in Sitten und Lebensweise tragen. Es mögen deshalb die folgenden allgemeinen Bemerkungen schon hier ihre Stelle finden. Der charakteristischen Bauart der Dörfer ist bereits Erwähnung geschehen; sie bestehen alle aus einer einzigen geraden Strasse, in der Mitte pflegen zwei Plätze für bestimmte Fetische reservirt zu sein, an den Enden erheben sich grosse auf Pfählen ruhende Schatten- dächer für öffentliche Zwecke. Im Durchschnitt besteht ein Dorf aus nicht mehr als fünfzehn bis sechszehn Hütten, die in ähnlicher Weise, aber aus anderem Material wie die Tschimbeks der Bafiote gebaut sind. Das Wesentliche bleibt der rechteckige Grundriss der Hütte und der bedachte Vorplatz; — die Feuerklappe im Dache, im Loango- Geräthe. Waffen. Nahrungsmittel. 197 litoral ganz allgemein, habe ich vergeblich gesucht, wol aber fand sich sehr allgemein das erhöhte Lager, worin jederzeit ein nicht ge- ringer Schritt zur Civilisation erblickt werden darf. Das bekannte Stuhlkopfkissen aus drei Aesten fehlt auch hier nicht, daneben aber sind noch andere Unterlagen zum Sitzen beziehungsweise zum Auf- legen des Kopfes anzutreffen: eine Art Sattel aus Holz und eine auf vier Klötze gesetzte Scheibe. Feuerwaffen sind zu den Bayaka durch den Handel gedrungen, sie bedienen sich ihrer aber wenig, dagegen trägt jeder Bayaka ein grosses Messer, das eben sowol zur Verthei- digung wie zur Arbeit im Feld’ und Wald dient. Auch sind winzig kleine Bogen im Gebrauch, mit denen man entsprechend kleine, ver- giftete Pfeile schiesst. Das Exemplar, welches ich nach Europa sandte (Ethn. Abth..des Berliner Museums) sieht genau so aus wie das von Dr. Lenz, dem Gabun-Reisenden, herrührende; selbst der aus Bananenrohr hergestellte Köcher ist derselbe. Einige Eingeborene sind geschickt in der Handhabung dieses Bogens, sie treffen einen dünnen Baumstamm auf zwanzig bis dreissig Schritt Entfernung mit Sicherheit. Lanzen kann man in verschiedenen Formen beobachten; es giebt deren mit breitem Blatt ohne Widerhaken; andere zierlichere mit Widerhaken und endlich Holzschafte, denen eine Spitze aus Eisen- blech umgelegt ist. Eingeborene Schmiede bearbeiten das Eiser in ähnlicher Weise wie bei den Bayombe und Bakunya; derselbe Blase- balg, ein gleichgeformter Amboss und Schlägel, dasselbe Feuerungs- material (selbstgefertigte Holzkohle) kommen hier wie dort zur Ver- wendung. Musikalische Instrumente konnte ich trotz des Suchens darnach nur in geringer Zahl entdecken und ich muss annehmen, dass deren wirklich nur wenige vorhanden sind; aber es kehren die- selben Formen wieder, welche das Litoral aufweist. Die Banane spielt in der Ernährung der Bayaka dieselbe Rolle, welche dem Maniok bei den Bafiote, den Bayombe, den Bakunya zu- kommt. Klimatische Verschiedenheiten können nicht wol als Ur- sache gelten, dass das untergeordnete Nahrungsmittel des einen Ge- bietes das hauptsächliche des andern wird; entweder ist der Boden nördlich von 3° 30‘ südlicher Breite der Cultur des Manioks ungünstig, oder die Bayaka verstehen dieselbe nicht. Thatsache bleibt, dass der Maniok daselbst unansehnlich ist und ungenügend zubereitet wird. Ich konnte mir das herrliche Nahrungsmittel nur selten verschaffen und musste meist mit grünen Bananen vorlieb nehmen, die bei weitem nicht den Werth des Manioks haben. Trotz der grossen Bestände an Bananen waren auch diese schwer zu erhalten, denn meine Reise fiel in ein Hungerjahr, von dessen Folgen ich bereits in Mayombe so 198 Art des Rauchens. Hauteinreibungen. verhängnissvoll zu leiden hatte. Die Neger mussten zu Surrogaten greifen: sie verzehrten den inneren Kern der Oelpalmennuss und gruben das Mark, nicht etwa nur den „Kohl“ aus gefällten Palm- stämmen. Die weiter in’s Innere gelegenen Bayaka-Territorien pro- duciren viel Erdnüsse; im Uebrigen sieht man wie im Süden Mais, Zuckerrohr, Baumwolle, Colanuss und Tabak. Man bereitet Palm- wein und liebt den Branntwein des Handels. Die kosmopolitischen Hausthiere, Hühner und Ziegen, fehlen auch den Bayaka nicht, da- gegen vermisst der Reisende die prächtigen glatthaarigen Schafe Loangos; Schweine habe ich nicht gesehen; doch wurden mir Orte genannt, in denen sie gehalten werden. Eine eigne Bewandtniss hat es mit dem Rauchen: der Tabak wird nicht aus den sonst üblichen kurzen Pfeifen geraucht, sondern wie auch vielfach im. Innern Loangos aus einer Art primitiven Tschibuks; einem auffallend kleinen Kopf aus gebranntem Thon ist die hohle Rippe eines Ba- nanenblattes als Rohr angesetzt, und so die Pfeife hergestellt. Man sieht einen Neger fast nie allein behaglich vor sich hinrauchen, son- dern in der Regel kreist dieselbe Pfeife bei drei bis fünf zusammen- hockenden Schwarzen einmal herum, und dann hat das Vergnügen ein Ende. Der Raucher pflegt zuerst durch das Rohr zu blasen, . saugt alsdann so viel Rauch ein, als sein Athmungsvermögen ge- stattet, stösst den aufgespeicherten Rauch mit Macht aus und über- giebt die Pfeife seinem Nebenmann. Dem Bayaka-Tabak werden stark betäubende Wirkungen zugeschrieben; es ist mir mehrfach erzählt worden, dass allein am Feuer sitzende Raucher in der Narkose nach vorn übergefallen seien, ohne sich je wieder zu erheben. Die Kleidung der Bayaka ist der Schurz, meist einfach herunter- fallend ohne den hübsch aufgenommenen Knoten und den maleri- schen Faltenwurf, durch den die Loangoleute ihr Gewand so ge- schmackvoll zu drapiren verstehen. So weit der Handel nicht Baum- wollenzeuge liefert, sind die Gewebe aus Pflanzenbast hergestellt. Bezüglich der Anordnung und Zustutzung des Wollhaares begegnet man bei den Bayaka demselben phantastischen Zuge, der so viele andere Negerstämme kennzeichnet. Am häufigsten jedoch wird das Haar am Hinterhaupte zu zwei Zöpfen zusammengeflochten, die nach hinten und unten abstehen. Die allgemeine Sitte verlangt, dass die oberen Vorderzähne zugespitzt werden; da diese Operation aber nicht selten misslingt, so erscheinen die Zähne entsprechend häufig ganz ausgebrochen. Bei den Bayaka reiben sich sogar die Männer, selbst ganz alte, mit dem rothen Pulver des Tukula-Farbholzes ein, wodurch der Haut eine rothbraune, seltener eine krapprothe Farbe Bayakafrauen. Töpferei. Tragkörbe. 199 ertheilt wird; in Loango wird diese Sitte vorwiegend nur von Frauen geübt. Es lässt sich kaum denken, dass Eitelkeit die Ursache der Hauteinreibungen ist, es ist wahrscheinlicher, dass irgend ein medi- einischer Aberglaube zu Grunde liegt. Auch Tätowirungen kommen bei den Männern vor, wobei das Hautrelief der in die Haut einge- schnittenen Figuren auffällt. Was sonst an äusserem Schmuck ver- wendet wird, beschränkt sich auf eiserne Arm- und Beinringe. Für die Frauen, die sich gleichfalls mit einem Lendenschurz be- kleiden, ist das Kopftuch aus Pflanzenzeug sehr charakteristisch: es wird ähnlich wie bei unseren Bauerfrauen hinten durch einen ein- fachen Knoten zusammengehalten, während es der Anordnung des Wollhaares gemäss vorn einen Wulst bildet, der den Vorderkopf überragt. Hinter diesem Wulst liegt der Riemen des Tragkorbes auf, in welchem die Weiber, und nur diese, Feldfrüchte und beliebige andere Gegenstände fortschaffen.. Wo das Kopftuch fehlt, pflegen platte anliegende Zöpfe getragen zu werden, die sich parallel über den Kopf hinziehen. Sehr häufig sah ich bei den Bayakafrauen eine eigenthümliche Tätowirung auf Stirn und Schläfen, neun, beziehungs- weise sechszehn grosse, beträchtlich hervortretende Puncte in der Anordnung eines auf die Spitze gestellten Quadrates.. Die Kinder werden, was ich auch bereits bei den Bakunya gesehen, von den Müttern vielfach mittelst eines bandelierartigen Riemens getragen, der von der einen Schulter zur andern Hüfte geht. Das Kind sitzt auf dem breiten Riemen und umklammert die Hüfte der Mutter mit den Beinchen. Glasperlen sind im Bayakalande ein gesuchterer Frauen- schmuck als im Loango-Litoral; aber gebogene Messingspangen für den Hals, Messing- und Kupferringe für Unterarme und Unter- schenkel erhalten den Vorzug. Neben dem Ackerbau betreiben die Bayaka auch das Töpferhandwerk. Die Töpferscheibe ist unbekannt, aber die aus Thon bereitete Masse wird sehr geschickt mit einer freien Hand und einer mit einem Stäbchen versehenen in die ge- wünschte Form gebracht. Der Topf bleibt längere Zeit der Sonne und der freien Luft ausgesetzt, um dann später im Feuer gebrannt zu werden. Von sonstigen africanischen Gewohnheiten durchaus abweichend ist die Art, wie die Bayaka (die Männer) ihre Lasten fortschaffen. Die Tragkörbe sind von derselben Form und Grösse, wie die früher beschriebenen Muteten, sie werden aber hier niemals auf dem Kopfe oder der Schulter getragen, sondern stets auf dem Rücken. Zu diesem Zweck ist jede Bayaka-Muteta mit drei breiten, aus Bast ge- fertigten Tragriemen versehen, von denen zwei für die Schultern, 200 Fetische für Frauen. Todtenbestattung. der dritte für den Kopf bestimmt sind. Die Muteta überragt den Träger etwa um Kopfeslänge. Der Kopf- oder Stirnriemen dient hauptsächlich dazu, die Last zu halten, wenn die Schultern ermü- det sind. Dem Fetischeultus sind begreiflicher Weise auch die Bayaka ergeben. Die Thierschädel-Fetische theilen sie mit den Bayombe und Bakunya, und hier wie dort trifft man selten eine Schädelanhäufung ohne Gorillaschädel.e Da die genannten Fetische der localen Jagd- beute ihre Entstehung verdanken, so geben sie eine nicht zu unter- schätzende Andeutung über den Verbreitungsbezirk dieses so ge- “ schätzten anthropomorphen Affen. Als neu können die Bayaka den Fetisch Muiri für sich beanspruchen, der bei ihnen in einem leicht er- klärlichen Ansehen steht. Er sichert nämlich den Männern eine ebenso vollständige wie bequeme Herrschaft über das weibliche Ge- schlecht. Die Frauen oder Mädchen dürfen diesen Fetisch nie er- blicken und fliehen furchterfüllt, sobald er vorübergetragen wird. Dem Muiri haben es die Bayaka-Weiber zu danken, dass sie weder Hühner noch Ziegen essen dürfen; er ist es, durch dessen Mund die Männer ihren Frauen Forderungen bezüglich der Bestellung der Felder, der Beschaffung oder des Verkaufes von Lebensmitteln ver- künden lassen. Auch viele der anderen Fetische z. B. Buanda, Man- yeko, Bangoyo sollen mehr oder minder den Zweck erfüllen, den Weibern Furcht einzuflössen und sie zu willenlosen Werkzeugen der Männer zu machen, Höchst befremdend erscheint in dem von mir besuchten Theile des Bayakalandes die Sitte des Begrabens. Die Leichen der Armen nämlich werden eingewickelt, in den Wald getragen und daselbst am Ast irgend eines Baumes festgebunden; die Leichen der Vornehmen dagegen werden, nachdem ihnen die Kniee an die Brust gedrückt sind, ebenfalls in den Wald gebracht und in eine flache Vertiefung des Bodens gesetzt, während der darüber hervorragende Theil mit trockenem Holze bedeckt wird. Jede Leiche wird vor dem Einwickeln secirt, damit der Nganga aus den Eingeweiden ersehen kann, ob der Tod auf natürliche Weise oder durch einen Zauberer erfolgt ist. Nichts fällt dem Reisenden, dessen Ohr bereits an die Sprache der Bafiote und Bayombe gewöhnt ist, so sehr bei der ersten Begeg- nung ‚mit Bayaka auf als das Singende und Einschmeichelnde ihrer Sprache. Man wird angenehm davon berührt, weil man glaubt, dass zu diesen sanften Zungen auch sanfte Menschen gehören müssen. Die Sprache selbst ist eng verwandt mit dem Fiote, wahrscheinlich nur ein stark veränderter Dialekt. Manche scheinbar ganz verschie- Dialekteigenthümlichkeit. Weg nach Kassotsche. 201 dene Worte sind in Wirklichkeit dieselben, nur hat eine gesetzmäs- sige Aenderung von t in r, von d in | stattgefunden, und sind ver- schiedene Vorsetzvocale angewendet. Beispielsweise bedeutet im Fiote Bayaka Deutsch tata rara Vater mti muri - Stock, Baum msitu muschiru Wald lutu duro Löffel tanu irano fünf tatu yeriero drei mbota buerrere Stern Weitere Mittheilungen aus den Sprachaufzeichnungen müssen einer besonderen linguistischen Studie vorbehalten bleiben. Die Bayaka sind wie die verwandten Nachbärstämme von nicht sehr dunkler Hautfärbung. Ebenholzschwärze würde man ebenso wie in Loango ganz vergeblich suchen; die Abweichungen von der dunkeln Bronze bestehen immer in lichteren Nüancen. Die Durch- schnittsgrösse der Bevölkerung ist dieselbe wie die der Loangoneger, über welche die genauen Messungen Dr. Falkensteins vorliegen. Die Physiognomie enthält aber etwas Abweichendes, was, wie mir scheint, auf ein stärkeres Hervorstehen der Backenknochen zuiück- zuführen ist. In Likungu belästigten die bei Tag und Nacht stechenden Bim- futu noch mehr als in Mongo Nyanga. Heftiger Regen hielt mich auf, machte aber kleinere Abstecher nicht unmöglich. Der Nyanga ist von hier in fünf Stunden zu erreichen; man nennt diese in nord- westlicher Richtung gelegene Stelle schlechtweg „die Steine“. Der Mulatte Francisco, der sie aus eigner Anschauung kannte, erzählte mir, dass der Fluss daselbst zwischen grossen Felsblöcken hinfliesse, und dass sein Bett stundenweit so eingeengt sei, dass die Eingebo- renen ihn auf übergelegten Baumstämmen passirten. Kassotsche ist von Likungu durch einen hohen Bergzug getrennt, der einen sehr steilen Anstieg (zweihundertfünfundsiebzig Meter in drei Viertelstunden) nöthig macht. Der Weg, anfänglich durch die Blattpflanzenvegetation der Lichtungen führend, tritt an dem Fusse des Berges wieder in den ununterbrochenen Hochwald ein. Der erste Rücken, den ich erreichte, heisst Divumba, und von ihm gelangt man . durch eine Senkung zu dem noch höheren, dem Mongo Sahi, dessen Uebergangsstelle vierhundert Meter hoch liegt. Während der Wald auf der Likunguseite des Gebirges feucht war und von Regen triefte, fand ich ihn bald nach Beginn des Abstiegs ganz trocken. Die 202 Regengrenze, Veränderte Landschaft. Regengrenze war haarscharf, so dass sich der Uebergang deutlich markirte. Es bestätigte sich, dass während die Gegend von Mongo Nyanga schon wochenlang mit Niederschlägen bedacht war, die Plateaustufe von Kassotsche noch unter der Herrschaft einer abso- luten Dürre stand. Die Erklärung liegt nahe, weil die waldbewach- senen Hänge die von der Küste kommenden, aufsteigenden feuchten Winde so weit abkühlen, dass Regen die Folge ist, und die eines Theiles ihrer Feuchtigkeit beraubte Luft jenseits des Waldgebirges keine Niederschläge mehr veranlasst. Ist man vier Stunden im eigent- lichen Hochwalde gewandert, so werden Palmen häufiger und häu- figer. Plötzlich tritt man in die offene, hügelige Landschaft ein, in die eigentliche Savanenregion. Auf dem anderthalbstündigen Wege, der uns noch von Kassotsche trennte, entwickelten sich nach und nach blau schimmernde Bergketten, mit denen das tiefer im Innern gele- gene Land einen freundlichen Gruss herübersandte. Hier leuchtete auch wieder die Sonne, die ich jenseits der Küstenberge zu schauen fast verlernt hatte. Kassotsche ist Nichts als ein vorgeschobener Handelsposten Don Vincentes, wie es deren bei den Grenzbayaka noch drei andere giebt: Rande, Lubanya und Intinde. Die Händler pflegen Mulatten zu sein, doch waren jetzt zwei Weisse anwesend, die mit dem Europäer freilich kaum mehr als die Hautfarbe gemein hatten; Leute, die sich so weit vorwagen, weil sie Nichts zu verlieren haben und die ein halb wildes, halb kindisches Leben führen. Seit anderthalb Jahren hatte es in diesen Gegenden so gut wie gar nicht geregnet; erst jetzt, während meiner Reise fielen die ersten Schauer. Die Bevölkerung war ausgehungert und litt stark unter den von der Küste einge- schleppten Sandflöhen. Nahrungsmittel (Bananen und Hühner) befan- den sich nur noch im Besitz Weniger und konnten nur mit Schwie- rigkeit erlangt werden. Oft sah ich mich in der bittersten Verlegen- heit, auch nur für meine vier Leute das Nothdürftigste zu beschaffen, und litt selbst nicht minder vom Hunger. Die kürzeste Entfernung des Nyanga von Kassotsche beträgt nur eine halbe Stunde. Ich blieb zunächst auf der linken Flussseite und steuerte auf einen weithin sichtbaren Berg los, der sich in einer Tagereise erreichen liess; er heisst Mongo Sanga, an seinem Fusse liegt Rande. Dort wohnte der Mulatte Mauricio unter Negern und mit Negern. Der Weg führte ausschliesslich durch Campinen (Grasfluren), in welche knorrige Sträucher, theilweise auch Bäume eingestreut sind; nur längs der Wasserläufe findet sich Wald. Bei der Annäherung an das Dorf steigt man in das Thal des Nusekossi hinab, eines linken Nebenflusses Ein verrätherischer Mulatte. Am Nyanga. 205 des Nyanga. Man wird hier durch den Anblick coulissenartig aufge- richteter Kalksteinplatten überrascht, welche den Flusslauf anzeigen. Die kolossalste dieser Erhebungen gleicht frappant einer zerstörten Ritterburg, eine andere Stelle einem Friedhof, so sehr ähneln da- selbst die Kalkplatten aufgesetzten Leichensteinen. Der hohe Sanga- berg scheint auch aus Versteinerungen führendem Kalkstein zu be- stehen; man meldete mir als ein besonderes Wunder, dass sich auf der Spitze Muscheln befänden; das genügte, den Sitz eines Fetischs dorthin zu verlegen und mich auf dem Wege dahin durch ein Pa- laver aufzuhalten. In dem Dorfe des Bayakahäuptlings, der sich die Herrschaft über den Berg anmasste, wurde mir die Passage verlegt, damit diesem trefflichen Manne und dem ihm ebenbürtigen Mulatten Mauricio Zeit bliebe, mir das Wenige abzunehmen, was ich besass. Ich hatte die Besteigung lediglich der Aussicht und ÖOrientirung wegen unternehmen wollen, weil Mauricio mir gesagt hatte, dass die Spitze unbewaldet sei, fand den Berg aber über und über bewaldet und kehrte ohne Reue um. Noch am Nachmittag des sechsundzwanzigsten September zog ich weiter und hoffte das andere Flussufer und die Handelsstation Lubanya erreichen zu können. Nach dreiviertelstündiger Thalwande- rung durch die interessanten Kalksteingebilde am Nusekossi kamen wir nach Mamanya de Boma am linken Nyangaufer, fanden aber kein Canoe zum Uebersetzen vor, obgleich Mauricio fest das Gegen- theil versichert hatte. Nach stundenlanger Abwesenheit kehrte der ausgesandte Bote mit der Meldung zurück, dass am nächsten Morgen ein Canoe erscheinen werde. Da wir gar Nichts mehr zu essen hatten, schickte ich nach Rande zu dem Mulatten, um mir einige Ba- nanen auszubitten. Der Bote kam überhaupt nicht mehr zurück; die Leute im Dorfe wollten uns Nichts verkaufen, also hungerten wir und tranken Thee. Am andern Morgen erschien in der That ein Canoe, und ohne viel Redens mussten die drei Crumanos mit den Lasten über- setzen; als ich nach der Rückkehr des Fahrzeuges mit meinem Diener einsteigen wollte, erhob der Fährmann grossen Streit wegen der Bezah- lung, die ich erst in Lubanya leisten konnte. Dies bewirkte eine Zusam- menrottung herbeigeeilter Bayaka. Um die Sache kurz abzuschneiden, hatte ich meinen Diener Congo in’s Canoe steigen lassen und war eben im Begriff, das Fahrzeug selbst flott zu machen, als der Bayakahäupt- ling mit einem Zettel von seinem Freunde Mauricio erschien, worin ich gebeten wurde, umzukehren, da der Besteigung des Mongo Sanga nun Nichts mehr im Wege stünde; aber nicht eine Banane schickte mir der verrätherische Gastfreund. Ich wies den Vorschlag ab, schickte 204 Von Bayaka bedrängt. Ueber den Fluss. mich zum Uebersetzen an, aber der Häuptling, unterstützt von der übrigen Rotte, liess es nicht zu und wollte Gewalt brauchen. Der aufgeregten, brüllenden Schar gegenüber war ich allein auf mich an- gewiesen. Ich zeigte ihnen die grossen Patronen meiner Büchsflinte und machte durch eine unverkennbare Bewegung klar, was ihre nächste Bestimmung sei; dann schlug ich dem Bayaka, der das Seil des Canoes festhielt, mit der ganzen Kraft der Wuth über die Hand, sprang in das Canoe, in dem mein Diener bereits mit dem Ruder bereit stand, kniete in dem schwanken, schmalen Fahrzeug nieder, richtete die Büchse auf die tobende Menge, liess abstossen und ent- kam glücklich auf das andere Ufer. - Der Nyanga ist hier hundertfünfzig Schritt breit, auf beiden Seiten zieht sich ein schmaler Streifen Waldes, in dessen Laubdach muntere Affen umhersprangen. Die Uferwände bestehen aus un- krystallinischem Kalk, in einiger Entfernung davon erhebt sich das- selbe Gestein in steilen Felsen zu dreissig bis vierzig Meter Höhe. Der nun zurückzulegende Weg entfernte sich von Neuem vom Flusse und verlief fast ausschliesslich in niedergebrannten Campinen, auf denen sich grosse und kleinere Blöcke eines bräunlichschwarzen Conglomerats ausgestreut finden. In einem eisenschüssigen Cement sieht man Quarzkrystalle eingebacken und kleine, schalig angeordnete Kugeln eines Eisengesteins. Das Terrain ist überall wellig. Alles ist ausgetrocknet und dürr; die noch nicht zusammengeknickten oder niedergebrannten Gräser waren gelb wie unsere zum Schnitt reifen Aehren. Ein saftiges Grün erfreute das Auge nirgends, und wo sich auf Kuppen oder in Terraineinschnitten Wealdbestände zeigten, kamen blaugrüne Töne in die Landschaft. Ein Gebirgskranz vom Durchmesser mehrerer Tagereisen umgab mich, und ich versuchte vergeblich, bestimmte Höhenzugsrichtungen zu erkennen. Wir passir- ten mehrere Hüttengruppen zu fünf und sechs Tschimbeks, deren Complex Tschilala genannt wird. Die Bewohner liessen mich unbe- lästigt hindurchziehen. Endlich wurde das Dorf Lubanya erreicht. Meinen Leuten, die vierundzwanzig Stunden lang Nichts gegessen, sich aber wacker gehalten hatten, wurde eine verdiente Rast gewährt. Durch Vermittelung des unglücklichen Portugiesen, der hier seine Tage fristete, konnte ich mir die nothdürftigsten Lebensmittel ver- schaffen und setzte dann am folgenden Tage meine Wanderung durch die schattenlosen Savanen des unbekannten Landes fort. Ein Schwächezustand, der mich auf dem Wege überfiel und dem Zusam- menwirken der brennenden Sonne und der mangelnden Ernährung zuzuschreiben war, wurde zwar glücklich überwunden, liess aber zer- Die Savane. Häuptling Mambungo. 205 schlagene Glieder zurück und erschwerte das Gehen. Seit dem Ueber- schreiten des Nyanga bei Mamanya de Boma war die Marschrich- tung eine nordöstliche, wir bewegten uns auf dem Terrain zwischen 3° und 2° 30‘ südlicher Breite und waren um mehr als einen Längen- grad östlich von der Nyangamündung entfernt. Die Eindrücke glichen ganz denen der vorangegangenen Tage. Die Savane hat etwas grossartig Monotones. Der Landschafts- charakter zeigt Aehnlichkeiten mit den von Dr. Schweinfurth auf der andern Seite des Aequators besuchten Gegenden. Der äusserste Punct, den ich auf meiner Reise erreichte, heisst Intinde, wo das vorgeschobenste Handels-Tschimbek Vincentes steht. Der die Gegend beherrschende Häuptling Mambungo wohnt in dem benachbarten Dorfe Lukandu. .Er wollte nicht, dass ich den Weg fortsetzte, um Mongo Nyanga von der rechten Seite des Flusses aus wieder zu er- reichen. Ich habe bereits genug von Palavern und unnützem Hin- und Herreden berichtet; hier lag ein neuer Fall vor, bedingt durch die alten Motive der Furcht und des Misstrauens: Meine Leute waren fremd in der Gegend; ohne einen wegkundigen Führer liess sich Nichts machen, und gerade dieser wurde mir verweigert. Ich musste mich mit einigen dürftigen Informationen begnügen, aus denen her- vorgieng, dass der in’s Innere führende Weg noch einmal Wald- gebiet durchschneidet, ehe die neue Savanenregion erreicht wird. In zwei Tagereisen gelangt man nach Npuku, wo ein Sclaven- und Kautschukmarkt stattfindet; das dahinter gelegene Land heisst Tschi- yaka, wird also im engeren Sinne als der Wohnsitz der Bayaka be- trachtet. Es folgen die Bansabi, dann die Bassango, endlich die Bavumbu, denen Feuerwaffen gar nicht mehr bekannt sind. Von den Bantetsche wusste man Nichts. Von den Babongo wurde mir Aehn- liches berichtet, wie ich schon in Mayombe gehört hatte, dass dieselben eine in Wäldern nomadisirende Völkerschaft sind, nur Lanzen führen, einen ganz kleinen Schurz um die Lenden tragen, eine gelbliche Haut- farbe besitzen und nicht kleiner, noch grösser sind als andere Neger. Ich kehrte am dreissigsten September wieder nach Lubanya zurück. So anstrengend das Marschiren auf den schattenlosen Flächen sein mochte, so trieb die Knappheit der Nahrungsmittel doch zur Eile. Es war mir gelungen, in Intinde einige Fruchtstände Bananen und einen Ziegenbock einzuhandeln, mit denen wir möglicher Weise bis Mongo Nyanga reichen mussten. Ich liess deshalb nur die heisse- sten Stunden des Tages in Lubanya vorübergehen und setzte den Marsch in der Richtung auf Kassotsche fort, in der Hoffnung, diesen Ort mit Einbruch der Nacht zu erreichen. Die sinkende Sonne und 206 Bivouac im Walde. Nächtliches Wandern. eine frische Brise machten nun den Weg angenehm, ja die Aussicht gestaltete sich entzückend schön, als ich am Rande des steil zum Nyangathal abfallenden Hanges hinschritt; der Blick schweifte über herrliche, blaue Gebirge, und zu meinen Füssen lag die breite Sohle des Nyangathales mit einigen -in Bananengebüsch eingebetteten Dör- fern und dem aus unbekannter Ferne herkommenden Strom. Ich stieg in’s Thal hinunter, passirte das grosse Dorf Fuerra und stand nach einer halben Stunde am rechten Nyangaufer, dessen Nähe durch aufgerichtete Kalksteinfelsen angezeigt war. Zwei schmale Bänder üppiger Uferwaldung laufen längs des Wassers hin, während der Rest des Bodens mit Gräsern bestanden ist. Vergeblich ertönten unsere Rufe, um einen Fährmann für das auf der andern Seite lie- gende Canoe herbeizulocken, und wir schlugen deshalb ein Bivouac am Ufer auf. Am folgenden Morgen konnte der Uebergang bewerk- stelligt werden; der Fluss zeigte starke Strömung, Felsen fanden sich nicht; der Grund ist schlammig, das Wasser selbst aber sehr klar. Nach einer Stunde war Kassotsche erreicht, und ich beschloss trotz sehr empfindlicher Mattigkeit den Weg nach Likungu fortzu- setzen. Von Neuem traten wir in den grossen Wald ein, erstiegen den Mongo Sahi und erreichten so wiederum das Regengebiet. Der Weg wurde schlüpfrig, von den Bäumen tropfte das Wasser, ein durchsichtiger Nebel erfüllte den Wald: das Ganze war unendlich melancholisch und ernst. Die zweite Höhe, der bereits genannte Mongo Divumba, wurde gegen Abend erreicht, und run begann der ungewöhnlich steile Abstieg auf dem glatten, mit Wurzeln und feuch- ten Blättern übersäten Lehmboden. Meine Crumanos keuchten unter ihrer Last; langsam kam die Nacht herbei, wir passirten mit dem verschwindenden Tageslicht zwei Bäche, dann wurde es so dunkel, dass man den Weg nicht mehr sehen, nur noch fühlen konnte. Hell strahlende Leuchtkäfer flogen hin und her durch den Wald, oder leuchteten am Grunde des Bodens, aber den Pfad konnten sie doch nicht erhellen, und so liess die Dunkelheit den Weg unendlich lang erscheinen. Noch mussten mehrere in den Boden tief einge- schnittene Bäche passirt werden. Das Herabkriechen auf dem fast senkrecht abfallenden Lehm, das Durchwaten des über dem Schuh- zeug zusammenschlagenden Wassers, das mühsame Hinaufklettern auf der andern Seite bei stockdunkler Nacht, einem knurrenden Magen und erschöpften Körper war eine böse Arbeit. Aber wir erreichten dennoch Likungu, wo ich die belebende Wolthat eines flackernden Feuers lebhafter empfand als je zuvor. Bald brach der Regen los und währte den ganzen Tag und die ganze Nacht. Erschwerung der Reise durch Regen. 207 Am Morgen des dritten October trat eine Pause ein und ich setzte mich nach Mongo Nyanga in Marsch; unterwegs betrachtete ich die Baumfarne noch einmal genau. Nach einer Rast im Dorfe Muyabi hatte neuer Regen eingesetzt; die Wege waren nun so schlüpf- rig geworden, dass steile Anstiege nur durch Hinaufziehen an den Baumstämmen mit den Händen bewerkstellist werden konnten. Dadurch gieng viel Zeit verloren, und wir waren noch mehrere Stun- den von Mongo Nyanga entfernt, als die schwarze Nacht uns um- hüllte. Ich zog es vor, tastend voranzuschleichen als mit den nassen Kleidern auf nassem Boden die Nacht zu verbringen. Der Crumano, dem ich eine Fackel übergeben hatte, war in irgend einem geschütz- ten Winkel des Waldes zurückgeblieben; schliesslich befreiten uns einige Stückchen Kerze, die ich bei mir trug, aus der Noth, und um neun Uhr Abends erreichten wir das Handels-Tschimbek Mongo Nyanga. Vier Tage lang sah ich dem dicht herniederfallenden Regen zu, der die Wasser des Nyanga bereits sichtbar zu schwellen begann. Ebenso lange schwankte ich über den weiteren Verlauf der Reise. Mit Dankbarkeit durfte ich freilich darauf zurückblicken, dass meine Kräfte sich den Anforderungen der eben vollendeten Wanderung: ge- wachsen gezeigt hatten, aber dennoch schien jetzt eine Unterbrechung aus drei Gründen geboten: den einen lieferte die Natur selbst durch die ungewöhnliche Heftigkeit, mit der die Regenperiode sich erklärt hatte; das Reisen erhielt dadurch neue Schwierigkeiten in sofern, als viele Bäche unpassirbar wurden, desgleichen auch viele Wege, die nun durch Moräste führten, und unter der mit erneuter Kraft aufschiessenden Vegetation verschwanden. Einen zweiten Grund musste ich in mir selbst suchen. Mein Zustand verlangte Ruhe; die allgemeine Erschöpfung war zu gross, und sollte das Leben der letz- ten Monate dennoch fortgesetzt werden, so musste es bald jenen Ab- schluss finden, an den sich überhaupt Nichts mehr anknüpfen lässt. Dies erschien zu früh für die Ueberlegung, dass die weitergehenden Pläne der Expedition ja erst jetzt in ein aussichtsreicheres Stadium treten sollten; denn die letzten principiellen Hindernisse für die Be- schaffung von hundert Trägern aus dem fernen Benguella schienen nun beseitigt; gerade in Mongo Nyanga fand ich nachgesandte Briefe vor, aus denen hervorgieng, dass die portugiesische Regierung ihre Einwilligung zur Uebersiedelung von hundert ihren Colonieen ange- hörigen Negern ertheilt und die nöthigen Instructionen an den General- gouverneur in Sao Paulo de Loanda ausgefertigt habe. Die Rück- sicht auf diese frohe Botschaft lieferte den dritten Grund für das Aufgeben der Reise zum Sette Kamasflusse. Derselbe konnte in 208 Zur Nyangamündung. In der Brandung. wenigen Tagereisen erreicht werden: ich hatte ihn als eine dritte mögliche Strasse in’s Innere in das Auge gefasst, weil an seinem Unter- laufe Factoreien liegen, auf die eine Expedition sich stützen konnte, und weil der Angabe nach die Flussschiffahrt auf weite Strecken hin frei war. Statt dessen begab ich mich zur Nyangamündung, wo ich am zehnten October eintraf. Ein kleiner Schooner lag vor Anker, um nach Landana (bei Tschintschotscho) zu segeln. Da ich aber den Küstenstrich zwischen Yumba und Kuilu noch nicht kannte, so hielt ich die Landreise für geboten, so sehr auch Ruhe mir er- wünscht schien; bat jedoch den Capitain, mich nach Yumba mitzu- nehmen. Die Brandung an der Nyangamündung gilt für die schlimmste an allen Küstenplätzen; ich wagte es daher nicht, mein Gepäck, das den Sextanten enthielt, dem feindseligen Elemente anzuvertrauen, und schickte es zu Lande voraus. Als ich mich mit dem Capitain und einem aus Portugal nach den westafricanischen Colonieen de- portirten und entflohenen Mörder einschiffte, wurde das Canoe noch innerhalb der Brandungsregion von der ersten der grossen Wellen erreicht, die einer Anzahl kleinerer Wellen folgte; sie wälzte sich heran, höhlte sich mehr und mehr vor unseren Augen und stand als senkrechte Wassermauer vor uns, als der erste Schaum ihren First krönte; das Canoe bäumte auf wie ein geängstigtes Ross, ein Rauschen und ein Wogenschwall folgte, die Flut überschüttete uns, dann fiel das Fahrzeug schwer hinunter; ein Wunder hatte es vor dem Umschlagen bewahrt, aber mit Wasser gefüllt, war es dem Sinken nahe. Den Ruderern wurde keine Zeit zum Besinnen ge- lassen; heftig angetrieben arbeiteten sie sich durch das wilde Element, und wir schwebten über die nächste ungebrochene Welle hin; dann gieng es an’s Ausschöpfen, und wir erreichten den Schooner ohne zu sinken. Das Wasser war mir bis auf die Haut gedrungen, hatte die Kleidertaschen erfüllt und mein kostbares Chronometer ruinirt. Nach einundvierzigstündiger Fahrt ankerten wir vor Kuango, wo ich ohne Unfall das Land betrat, um die Reise wieder für mich allein fort- zusetzen. Ich folgte zunächst der Banyalagune; sie zieht sich, ein mäch- tiger Strom ohne Strömung, in südöstlicher Richtung aufwärts und bleibt auf eine Strecke von vierzig Seemeilen in ihrem Verlauf der Küste parallel. Die Breite des Dammes, welcher daselbst zwischen Meer und Lagune eingeschoben ist, übersteigt nirgends einige See- meilen. Die dem Auge dargebotene Wasserfläche ist wahrhaft im- posant; die Breite des Lagunenstromes sinkt nie unter fünfhundert Mn, N > Oelpalme (Elaeis guineensis), Die Banyalagune. Mambi. Strandreise. 209 Schritt, übersteigt aber mehrfach dreitausend. Die Farbe des Was- sers ist dunkelbraun; zahlreiche kleine Inseln treten im Unterlaufe auf, dessen Reichthum an Austern bereits früher erwähnt ist. Flaches Land und niedrige Hügel bilden die Ufer, die auf beiden Seiten mit Wald bestanden sind. Sechs Stunden von der Mündung entfernt am rechten Ufer, liegt Mambi, eine kleine Handelsfactorei. Die Lehm- bänke bilden hier einen achtzehn Meter hohen Steilabfall. Wäh- rend meines ganzen Aufenthaltes in Westafrica habe ich nie einen so traulichen Fleck Erde gesehen wie die Landschaft hinter Mambi. Die grünen Savanen des hügeligen Terrains brachten hier mehr als anderwärts den Eindruck unserer Wiesen hervor, der durch einge- streute kleine Waldbestände und die kahlen Kuppen noch erhöht wurde; dahinter sah man die blauen Züge der fernen Gebirge. Eine trübselige Nachtfahrt brachte mich nach Buassa, während der Regen in Strömen floss, und ich werde den melancholischen Eindruck nie vergessen, den die Lagune mit ihren umnebelten, grauen Ufern bei heraufdämmerndem Morgen hinterliess. Buassa ist eine lichte Stelle am linken Ufer der Banyalagune, fünfzehn Canoestunden oberhalb der Mündung. Ein Pfad führt von hier zum Meere, und diesen schlug ich nun ein, weil die Lagune nicht länger der Küste parallel bleibt, sondern sich gegen das Innere des Landes hinaufzieht. in nur dreistündiger Weg trennt Buassa von Pontabanda oder, wie die Eingeborenen es nennen, Longo. Die Landschaft zeigte einen verän- derten Typus, denn weit 'gestreckte, breite Wiesen unterbrachen den Wald. Da der Boden an diesen Stellen meist sandig und wasserarm ist, so bleibt das Gras dürftig und seine Farbe stumpf; dagegen ist der Wald schön und anmuthig. Bäume, wie die Pracht der Kuilu- und Nyangawälder sie hervorbringt, kommen freilich nicht vor, die Blattgewächse fehlen, und ein nicht zu dichtes Unterholz erlaubt dem Blicke wenigstens einigen Spielraum. Bei der Annäherung an das Meer tritt eine Aenderung ein; die Farbe der Blätter wird graugrün, die Bäume kümmerlicher, und wo die trostlose Wanderung längs des Strandes beginnt, führt der Weg durch einen Wald abgestorbener, theilweise zusammengebrochener Stämme hin. Von Pontabanda bis Tschilunga, der alten, nördlichen Grenze des Königreichs Loango, ist eine unerquickliche Reise. Es war mir gelungen, Hängemattenträger zu engagiren, aber was mir dadurch an körperlicher Anstrengung erspart blieb, musste ich mit dem Ver- druss bezahlen, den die widerspänstigen Neger mir bereiteten. Vier- undzwanzig Stunden nahm dieser Weg in Anspruch. Das Passiren der Lagune von Kunkuati und des Flusses Numbi waren der Anlass Loango. I. 14 210 Nach Tschintschotscho zurück. neuer Belästigungen von Seiten der Eingeborenen. Erschöpft langte ich am einundzwanzigsten October in Longobondo an, das fünfzehn Seemeilen nördlich vom Kuilu liegt. In den zwölf Tagen, welche die Reise von Mongo Nyanga bis hierher erfordert hatte, war ich kaum aus meinen Kleidern herausgekommen und hatte nur zweimal die Wolthat eines stärkenden Schlafes genossen. Das nächtliche Reisen auf Flüssen und Lagunen, die vielen Regenschauer, ein neuer An- fall biliösen Erbrechens, der Wechsel von feuchter Nebelluft und stechender Sonne, der üble Wille der Canoe- und Tipojaleute sind nicht dazu angethan, einen Leidenden herzustellen. Nunmehr war ich in das eigentliche Gebiet der Loangoküste ein- getreten, die mir wie ein civilisirtes Land erschien. Ich reiste über Kuilu und Loango nach Pontanegra, verliess hier die Küste von Neuem, wandte mich nach Tschikambo und traf, den Weg über Tschissambo nehmend, am neunundzwanzigsten October in der Station Tschintschotscho ein. Wurzelstreben eines Urwaldriesen, Maniok. Zustände der Station ‘Tschintschotscho. — Dr. Fal- kenstein reist nach Benguella. — Dr. Pechu£l-Loesche, — Wissenschaftliche Arbeiten. — Tod des Do.- metschers Mani Mampaku. — Schlechte Nachrichten aus Mayombe. — Gefährliche Krankheiten in der Zeit der grossen Regen. — Eintreffen der Benguella- träger. — Ihr körperlicher und geistiger Zustand. — Beeinflussung durch die. Bafıote.e — Häufige Fluchtversuche. — Entscheidende Flucht der besten Leute. — Meine Rückkehr nach Europa. — An- sichten über Unternehmungen von der Loangoküste aus. — Unsere allgemeinen Aufgaben in Africa. — Ein letztes Wort über die Loango-Expedition. In der Station Tschintschotscho war Alles dazu angethan, um die Folgen des ruhelosen Reiselebens der letzten sieben Monate bei mir auszugleichen. Dr. Falkenstein hatte unsere Ansiedlung mit grossem Geschick so wohnlich her- gestellt, wie die primitiven Verhältnisse es gestafteten; unter den Mitgliedern der Expedition herrschte das beste Einver- nehmen und ein reger arbeitsamer Geist; die Eingeborenen der Landschaft belästigten uns nicht. Der trübe Himmel der Nebel- zeit war verschwunden, der hereingebrochene Frühling hatte die * 14 212 Dr. Falkenstein nach Benguella. Dr. Pechuel-Loesche. ganze Natur verklärt. Meine Gesundheit flösste dem Arzt ernst- hafte Besorgnisse ein, und er rieth mir vor Allem Ruhe und Schonung; ich gab daher den Plan auf, selbst nach Benguella zu gehen, um die für die Expedition engagirten Träger zu mustern und nach Tschintschotscho überzuführen, und bat Dr. Falken- stein, diese Mission zu übernehmen, zu der ihn sein ärztlicher Beruf besonders geeignet machte. Andererseits traf ich Abrede mit Shr. Reis am Kuilu, um mir den für meine Zwecke einzig brauchbaren Lingster Mani Mampaku für die Expedition des nächsten Jahres zu sichern; denn ich hielt trotz aller üblen Erfahrungen an dem Kuilu- wege fest, weil die erhaltenen Nackenschläge einerseits dem allge- meinen Nothstande Mayombes, andererseits der Unzuverlässigkeit der Träger zugeschrieben werden mussten, und ich also hoffen durfte, dass das bessere Verhalten der neuen Träger und das Aufhören der Hungersnoth eine Wiederholung der Unfälle ersparen würde. Das Eintreffen von Dr. Pechuel-Loesche während meiner Ab- wesenheit, im August 1874, hatte der Expedition einen durch jahre- langes Reisen in America, der Südsee und den Polarregionen er- probten Mann zugeführt; er war mit der Bestimmung ausgesandt worden, mein Begleiter im nächsten Jahre zu werden, doch gewährte er, abgesehen von seinen selbständigen Arbeiten, schon jetzt meiner Thätigkeit mannigfache Erleichterung. Er hatte namentlich die seit dem ersten Januar 1874 bis April 1876 ununterbrochen fungirende meteorologische Station übernommen, so dass mir die Ablesungen nur ausnahmsweise zufielen, und ich mich auf deren Reduction und die Berechnung der Pentaden und Monatsmittel beschränkte. Wir führten aus Anlass der Triangulation von Tschintschotscho gemein- sam einige Versuche aus, die später von grossem Nutzen werden konnten, nämlich die Ausmessung einer Basislinie durch den Schall. Dieses Verfahren verlangt der ihm innewohnenden Ungenauigkeit wegen grosse Uebung, wenn einigermassen brauchbare Resultate erzielt werden sollen. Der grosse Werth desselben für den Reisen- den besteht darin, dass es unabhängig von der Beschaffenheit des Terrains ist und nur erfordert, dass die an den Endpuncten der Basis befindlichen Beobachter sich sehen können: A schiesst ein Gewehr los, B erblickt die weisse Rauchwolke und zählt nach den Schlägen seiner Uhr die Secunden, die verfliessen, bis der Schall sein Ohr trifft; dann vertauschen A und B ihre Rollen, und durch häufige Wiederholung des Verfahrens, bei steter Berücksichtigung der Tem- peratur und des Luftdruckes, wird die Distanz zwischen beiden Be- obachtern aus der Zeit und der Schallgeschwindigkeit ermittelt. Astronomische und magnetische Beobachtungen. 213 Die Periode der äusseren Ruhe benutzte ich zunächst zur Ausarbei- tung des Reiseberichts, dann aber auch zu ausgedehnten Beobach- tungen mit den zur Hand befindlichen Präcisionsinstrumenten. Mein Hauptaugenmerk war dabei auf die directe Bestimmung der Länge von Tschintschotscho gerichtet, die in Verbindung mit der auf gleiche Weise ermittelten Länge der Kuilumündung der Karte das Funda- ment gab. Eine Karte der Loangoküste existirte nicht, und wenn das zu schaffende Gerippe derselben wirklich fundamentale Bedeutung: haben sollte, so mussten die zu Grunde liegenden astronomischen Be- obachtungen ihre Zuverlässigkeit beweisen können. In diesem Sinne habe ich sie stets angestellt, und verweise den in die Methoden Ein- geweihten auf die Mittheilungen des Anhangs. Hier sei nur bemerkt, dass alle Breitenbestimmungen aus Circummeridianhöhen, alle Zeit- bestimmungen aus Höhen östlicher und westlicher Gestirne erhalten, dass von jedem einzelnen Gestirn eine Reihe von Höhen genommen, und die Beobachtungen so schnell es angieng berechnet wurden. Es kann kaum nachdrücklich genug betont werden, dass das eigentliche Ortsbestimmungsinstrument des Pionierreisenden der Sextant, respe- ctive Prismenkreis, nicht aber das Universalinstrument oder der Theodolith ist. In der Hand des geübten Beobachters ergiebt sich mit einem sechszölligen Sextanten aus einer vollständigen Beobacl - tungsreihe die Breite auf zehn Bogensecunden, die Zeit (wenn die Uhr exacte Ablesungen gestattet) auf eine halbe Zeitsecunde genau. Nur die auf Monddistanzen gegründeten Längenbestimmungen können empfindliche Abweichungen von der Wahrheit ergeben, und hier ist, für die Tropen wenigstens, die mit dem Universalinstrument vorge- nemmene Bestimmung der Länge aus Mondhöhen vorzuziehen. Jedoch werden auch die Monddistanzen mit dem Sextanten gute Resultate geben, wenn man die Arbeit richtig vertheilt, d. h, wenn man sich auf wenige Fundamentalpuncte beschränkt, diese aber durch sehr vollständige und lange Reihen östlicher und westlicher Distanzen fest- legt und die dazwischen liegenden Orte entweder durch Zeitüber- tragung oder aus der fliegenden Compassaufnahme bezüglich ihrer Länge bestimmt. Das Universalinstrument gestattet an sich bekannt- lich eine genauere Ablesung als Reflexionsinstrumente desselben Durchmessers; es ist dagegen schwieriger zu transportiren, erfordert ein besonders mitzunehmendes Stativ und bedarf einer festen, oft zeitraubenden, von gebrechlichen Niveaus abhängigen Aufstellung; die genaue Einstellung und Ablesung der Mikroskope und die Sicht- barmachung der Fadenkreuze verlangen eine gute, nicht immer zu beschaffende Beleuchtung. Die Reflexionsinstrumente dagegen sind 214 Linguistische” Studien. leicht transportirbar, schnell ausgepackt, der Quecksilberhorizont in kürzester Frist aufgestellt. Vermöge der Leichtigkeit ihrer Hand- habung gestatten sie die Einzelbeobachtungen in schnell aufeinander- folgenden Intervallen vorzunehmen und ersetzen durch grössere Zahl die geringere Genauigkeit. Besonderes Interesse wurde auch den magnetischen Beobachtun- gen zugewandt, für die sich durch einen von Dr. Pechuel-Loesche überbrachten Apparat die trefflichste Gelegenheit bot. Herr Dr. C. Börgen hat sich der Mühe unterzogen, die eingesandten Beobachtun- gen für die Mitte des Jahres 1874 zu reduciren. Das Resultat ist folgendes: Tschintschotscho Länge ı2° 3' 45" Ost von Greenwich, Breite 5° g‘ 14“ S. Magnetische Declination 17° 46' 6 W. Inclination 26° 50' 4 S. Horizontal-Intensität 3.0148. Herr Börgen schreibt darüber: ».... Es wäre noch übrig, dieses Resultat mit den Angaben der magnetischen Karten für 1874 zu vergleichen. Diese ergeben: Declination ı9°o' West, Inclination 20° o' Süd, Hor.-Intensität 2.9480. Es stellen sich also, besonders in der Inclination, bedeutende Unter- schiede heraus, welche mit Bestimmtheit darauf schliessen lassen, dass der Verlauf der magnetischen Curven in dieser Gegend ein anderer ist, als auf unseren Karten angenommen wird, dass namentlich der Durchschnittspunct des magnetischen und geographischen Aequators beträchtlich weiter nach Westen verschoben wird. Dies wird voll- ständig bestätigt durch zahlreiche Beobachtungen, welche an Bord S. M. S. „Gazelle“ in dieser Gegend angestellt sind, und welche durch die Güssfeldt’schen Beobachtungen, ebenso wie diese durch jene eine erhöhte Wichtigkeit erhalten.“ Ein weiteres Eingehen auf diese Be- obachtungen muss hier unterbleiben; die darauf bezüglichen Zahlen sollen im Anhang gegeben werden. Eine der anziehendsten Beschäftigungen des Reisenden bieibt die mit der Sprache des Volkes, unter dem er lebt. Ganz abgesehen von den praktischen Vortheilen, die sich daraus ziehen lassen, gilt es für ausgemacht, dass erst die Kenntniss der Sprache einen tiefern Ein- blick in das Wesen eines Volkes eröffnet. Wo keine Vorarbeiten existiren, sind die Schwierigkeiten freilich so bedeutend, dass nur mit grossem Zeitaufwand etwas Erspriessliches geleistet werden kann. Zunächst muss das Ohr sich gewöhnen, die fremdartigen Klänge über- haupt nur aufzufassen; denn wie weit man anfänglich davon entfernt Neues Elend und neue Enttäuschung. 215 ist, beweisen die ersten vergeblichen Versuche, das Gehörte schrift- lich zu fixiren. Allmählich schärft sich das Ohr, und dann erst kann die eigentliche Arbeit beginnen. Ein Vocabular concreter Begriffe ist bald entworfen; die grössere Schwierigkeit entsteht erst, wenn man von diesem festen Terrain aus weiter vordringen will. Alsdann han- delt es sich um die Kunst der richtigen Fragestellung, die dem Ein- geborenen stets nur eine einzige Antwort ermöglicht und das lingui- stische Rohmaterial in Form kleiner, sich gegenseitig controlirender Sätze liefert. Für das Studium des Fiote erschien mir die Kenntniss des Negerportugiesisch von grosser Wichtigkeit, weil nämlich letzte- res durch seine eigenthümlichen Redewendungen Winke über die Art und Weise enthält, wie die Neger in ihrer eigenen Sprache denken. Hat man das Glück, einem intelligenten Eingeborenen zu be- gegnen, der durch häufigen Verkehr mit Weissen sich einer gewissen Vertrautheit mit unseren Eigenthümlichkeiten rühmt, so darf man eine besondere Förderung der linguistischen Bestrebungen erwarten. Dr. Bastian fand einen solchen Mann in Kabinda, ichin Massabe. Unsere Aufzeichnungen sind ganz von einander unabhängig und liefern einen ersten Einblick in die Fiotesprache. Weitaus das grösste Material aber hat Dr. Pechuel-Loesche gesammelt, der, im engsten Zusammen- hange mit seinen ethnologischen Untersuchungen, nach meinem ıner- wartet schnellen Fortgange von Tschintschotscho die im besten Fluss befindlichen Sprachstudien fortführte und der wiederum von mir ganz unbeeinflusst gearbeitet hat. Durch diese dreifachen Bemühungen ist die Grundlage zur Erkenntniss einer bis dahin völlig unbekannten Sprache gelegt und den Linguisten Gelegenheit gegeben, deren Stellung zu den bereits bekannten africanischen Sprachen zu bestimmen. Das Jahr 1874 erreichte sein Ende; nicht so die Enttäuschungen, an denen es überreich war. Während Dr. Falkenstein in Benguella weilte, um die Träger zu holen, erhielt ich aus dem Norden, d.h. vom Kuilu, so schlimme Nachrichten, dass die bereits gefassten Pläne wieder über den Haufen geworfen werden mussten. Es wurde mir zunächst der Tod Mani Mampakus gemeldet, des Mannes, der nach langer Mühe unter Tausenden als der einzig brauchbare Führer und Dolmetscher herausgefunden war; die Pocken hatten ihn in wenigen Tagen weggerafft. Denn diese Geissel, die schon während meiner letzten Reise das Bayombeland verheert hatte, wüthete noch immer, entvölkerte Länderstriche, liess die Culturen unbebaut, machte die Hungersnoth allgemein und jedes Reisen unmöglich. Von Neuem stand ich rathlos da, suchte aber natürlich neue Verbindungen anzuknüpfen und fand schliesslich einen Handelslingster Namens Ngutu, der mich ” 216 Ergreifende Todesscene. Unheimliche Zustände. von Tschintschotscho aus direct östlich nach Ikamba führen wollte. Auch unser eigner Küstenstrich hatte viel unter Krankheiten zu leiden, namentlich in der Zeit der grossen Regen, im Februar, März und April. Der Tod des Lingsters der Station, des angesehenen Mu- boma von Yenga war ein sehr harter Schlag für uns; ein würdi- gerer, ehrenwertherer Neger hatte nie in unserm Dienste gestanden, und seinem ruhigen Auftreten und grossen Ansehen war es zu danken, dass verschiedene Verwickelungen mit den Eingeborenen ohne Blut- vergiessen beigelegt wurden. Ich werde die Scene nie vergessen, die sich in Yenga vor der Hütte und am Sterbelager des seiner Krankheit erlegenen Muboma abspielte. Yenga liegt nur eine gute Viertelstunde von der Station, und wir eilten auf die Nachricht des eingetretenen Todes dorthin. Das ganze Dorf war in Aufruhr; der Todte lag aus- gestreckt auf einem erhöhten Lager, sein Haupt wurde gerade von zwei Frauen rasirt, eine dritte, auf deren Zügen, man darf wol sagen, ein würdiger Schmerz lag, hielt den Leichnam in ihrem Schooss; die Luft ertönte von den Klagelauten der Weiber und der Männer, die sich theils um das Lager drängten, theils um die Hütte herumtanz- ten. Bei Allen war der ÖOberleib entblösst, Einige krochen auf allen Vieren im Staube umher oder wälzten sich auf der Erde; auch der alte Mambuku von Nsonyo, der höchste Würdenträger der Gegend, war zugegen und tanzte in langsamer Bewegung, mit bebender Stimme Gesänge recitirend. Trotz alles Schreiens und Heulens, trotz der grotesken Bilder im Einzelnen, hatte das Ganze den Stempel einer tiefen und ernsten Trauer: Freilich musste ein Jeder der An- klage auf Zauberei und Verschulden des Todesfalles gewärtig sein, und die Furcht davor zitterte unheimlich durch die Klagegesänge hindurch. Als ich am folgenden Tage den Blick von der Station aus zum Strande von Yenga lenkte, verloschen gerade die Flammen des Scheiterhaufens, auf dem die Reste des ersten von der Volks- wuth gerichteten Opfers verkohlten. | Die schädlichen Einflüsse des Klimas auf die Gesundheit mach- ten sich während der Monate Februar, März, April bei Schwarzen wie bei Weissen geltend; von letzteren wurden mehrere hingerafft, die bereits acht Jahre und länger an der Küste heimisch waren. Auch die Mitglieder der Expedition litten. Es gab Perioden, die etwas Unheimliches hatten, wo des Tages eine schwüle Hitze bei Landwind und regnerischem Himmel herrschte, des Nachts Gewitter entfesselt wurden, die alle Bande der Natur zu sprengen drohten, wo der Tod unhörbar seine Schwingen entfaltete, wo Niemand wissen konnte, wann sich die Hand des unsichtbar dahinziehenden Würg- Die Benguellaträger. Folgen der Ueberführung. 217 engels auf ihn legen würde. Wenn das, was ich bis dahin in Africa hatte erleben müssen, mit psychologischer Nothwendigkeit zu pessi- mistischen Anschauungen trieb, so war die Gegenwart ganz dazu an- gethan, dieselben zu rechtfertigen. Die folgende Auseinandersetzung wird es beweisen. Wie die Dinge lagen, hatte sich Alles auf die Trägerfrage zu- gespitzt. Die Frage war nicht mehr nach der Tüchtigkeit und Aus- dauer des Reisenden, sondern nach der Tüchtigkeit und Ausdauer der Träger; wenn letztere tapfer, treu und stark waren, so konnte auch der mittelmässige Reisende mehr erreichen als der erfahrenste Forscher. Ich sah mich einer Sache gegenüber verantwortlich, deren Fäden nicht in meiner Hand zusammenliefen; zu ändern war daran Nichts mehr, es war eben ein Geschick wie andere Geschicke, die unser Leben beherrschen. Im Januar 1875 traf die erste, im Februar die zweite Hälfte der Benguellaträger ein, achtzig Männer und zwanzig Weiber. Das Ma- terial war kein schlechtes; die Leute sahen zwar zum grösseren Theile elend aus, es schien dies aber nur Folge knapper Nahrung und der Unbilden der Seereise zu sein, und es liess sich erwarten, dass aufmerksame Pflege diese Schäden bald heilen würde. Frei- lich konnte man nicht wissen, wie viel Zeit dafür erforderlich war, denn nicht nur der körperliche, sondern auch der geistige Zustand der Leute bedurfte der Pflege. Der grösste Theil der: Träger kam direct aus den heimatlichen Dörfern und hatte kaum je einen Weissen erblickt; das dumpfe Staunen, mit dem sie das unverständ- liche Treiben ihrer neuen Herren betrachteten, konnte sich nicht mit einem Schlage in Zutrauen verwandeln, und dadurch wurde ein Auf- schub verlangt, der nach anderer Richtung hin äusserst schädlich wirkte. Die plötzliche Verpflanzung aus der Heimat auf fremden Boden raffte zunächst diejenigen fort, deren physische Widerstandskraft der klimatischen Aenderung nicht gewachsen war, oder die nicht genug Elasticität besassen, um sich der veränderten Lebensart anzupassen. Es scheint, als ob viele Neger ein sehr geringes klimatisches Accom- modationsvermögen besitzen und einen, selbst auf die Tropen ihres Continents beschränkten Ortswechsel schwerer empfinden als der Europäer. Sie sterben entweder nach kurzer Krankheit oder siechen langsam hin. In dem gegebenen Falle liessen sich diese Einflüsse durch sorgfältige Behandlung abschwächen, und reichliche Kost, mässige Arbeit und Ueberwachung durch den Arzt richteten viel aus. Schwie- riger aber war.es, die neuen Ankömmlinge von der Berührung mit 218 Verderbliche Beeinflussung. Fiuchtversuche. den Loangonegern und ihren grauenerregenden Finflüsterungen fern zu halten. Die Bafiote hatten alles Interesse daran, dass eine Expedition in das Innere nicht zu Stande kam; sie liessen es sich daher angelegen sein, unter den Benguellaleuten abschreckende Schauergeschichten über unsere Reiseziele und die Völkerstämme, denen wir sie zuführen wollten, zu verbreiten. An Mitteln zur Verständigung fehlte es nicht, weil einige der neuen Träger das Fiote verstanden, an Gelegenheit ebenso wenig, weil der Dienst des Wasser- und Holzholens die Leute täglich in das Freie führte. Unter solchen Verhältnissen fanden die Bafiote mit ihren Vorspiegelungen von Flucht und goldener Freiheit bald williges Gehör, und nach kurzer Zeit schon kam ein erster Fluchtversuch zu Stande, dem bald andere folgten. Die Eingeborenen gewannen stets dabei: entweder der Flüchtling kam nicht zurück, so waren wir um einen Mann ärmer, oder er wurde uns zurückgebracht, so gewannen sie die conventionell hierfür festgesetzte Belohnung. Oft wurde auch ein abgekartetes Spiel getrieben, indem sich mehrere Bafiote in der Weise zusammenthaten, dass die Einen zur Flucht überredeten, die Anderen die Flüchtlinge auffingen und einbrachten. Es war nicht daran zu denken, diesem Unwesen direct zu steuern. Die richtigste Verhaltungsmassregel dagegen schien mir zu sein, den intelligenteren unter den Trägern Zutrauen einzuflössen, und dieses dann durch ihre Vermittelung auf die grosse Masse zu übertragen. Unter den Benguellaleuten befanden sich zwei, die in jeder Beziehung bemerkenswerth waren: höchst intelligent, körperlich prachtvoll ent- wickelt, an den Umgang mit Weissen gewöhnt, des Portugiesischen wie des Fiote mächtig; beide nannten sich Janeiro; sie hatten Ein- fluss auf ihre Stammesgenossen, und so lange ich auf sie zählen konnte, durfte ich sicher sein, nicht verrathen zu werden. Ich behan- delte sie dem entsprechend, setzte ihnen auseinander, dass wir zusam- men in den Busch gehen würden, dass ich selbst schon dagewesen sei, und dass alle Erzählungen der Bafiote Lügen wären. Ich stellte ihnen grosse Belohnungen in Aussicht, wenn sie treu bei mir aushalten würden und darüber wachten, dass die ihnen unterstellten Träger ein Gleiches thäten. Sie schienen die Situation auch vollständig er- fasst zu haben und erwiesen sich als äusserst zuverlässig bei den vielen Verwickelungen, zu denen die häufigen Fluchtversuche Veran- lassung gaben. Die ganze Masse der Träger war in Sectionen ge- theilt, deren jede aus ihrer Mitte einen Unterführer hatte; die Unter- führer im Verein mit den beiden Janeiro bildeten die Elite meiner Mannschaft. Indessen zeigte es sich bald, dass alle Leute unter einer nicht zu Die Krisis. Zusammenbrechen aller Hoffnung. 219 unterdrückenden Furcht vor der ungewissen Zukunft standen; gerade die gute Behandlung konnte eben so sehr dazu dienen, diese Furcht lebendig zu erhalten wie zu zerstören. Ihrer alten Heimat entrückt, die ihnen endlos fern schien, umdüstert von den grauenvollen Tradi- tionen aus der alten Zeit der Sclaverei, gestalteten sie sich das Ge- rücht einer Reise in das Innere dahin um, dass sie selber der Scla- verei übergeben, vielleicht gar den menschenfressenden Stämmen im Innern verkauft werden sollten, und dass die augenblickliche Zeit der Ruhe, der guten Behandlung und reichlichen Nahrung nur dazu diente, sie fett, rund und kräftig zu machen. Von den Bafiote in diesem traurigen Wahn bestärkt, unfähig zu begreifen, dass die neue Lebenslage die erste Stufe zu ihrem Glücke sein werde, aufge- schreckt von den qualvollen Bildern ihrer erhitzten Phantasie, liessen sie sich, wenn die Nacht alle Gespenster entfesselt hatte, verführen, an dem verrätherischen Herd der Bafiote eine Freistätte zu suchen. Selbst die intelligenten Janeiros standen, wie sich schliesslich zeigte, unter diesem verhängnissvollen Irrthum, und daher war es kein Wunder,- wenn ihre tiefer umnachteten Brüder demselben zum Opfer fielen; jeder Anlass, der darauf deuten konnte, dass ein baldiger Aufbruch erfolgen würde, hatte die Flucht einer Gruppe von Trä- gern zur Folge. Wie konnte unter solchen Verhältnissen ein rechtes Gedeihen stattfinden? Bei einer Ausmusterung, die ich am achtzehn- ten April 1875 vornahm, fanden sich nur zwanzig vollkommen reise- tüchtige Träger, von denen in der folgenden Nacht vier nebst drei weiteren halb brauchbaren entflohen. Aber noch immer hielt ich die Hoffnung aufrecht, weil die Janeiros und die Unterführer mir treu verblieben waren. Da brach in der Nacht vom dreissigsten zum ein- unddreissigsten Mai die Krisis herein, etwa vierzehn Tage ehe ich mit Ngutu nach Ikamba abzugehen beabsichtigte; sie war durch ein zufälliges Ereigniss beschleunigt worden. Es waren nämlich am späten Abend des dreissigsten Mai fünfundzwanzig durchwandernde Kruneger ausgehungert vor der Station angekommen und baten um Feuer und Nahrung für die Nacht. Ich gewährte beides aus allge- mein menschlichen Rücksichten. Am andern Morgen fand sich, dass beide Janeiros, die Unterführer und vier der Frauen verschwunden waren. Sie hatten geglaubt, die Kruneger seien von uns engagirt worden, um sie mit Gewalt in das Innere zu schleppen, und dass der Aufbruch am folgenden Morgen stattfinden sollte: So waren die Leute beschaffen, mit denen ich gehofft hatte, mir einen Weg durch die feindseligen Stämme des Innern zu bahnen. Jetzt blieb mir zur Verständigung mit dem Rest der Benguellaträger nur ein 220 Rückkehr nach Europa. Aufgeben der Loango-Basis. einziger junger Neger, der Portugiesisch sprach, aber keine Autorität besass. Diese Flucht schlug den Schlussstein aus dem bereits stark mit- genommenen (Grewölbe, und es brach zusammen, alle Hoffnungen unter seinen Trümmern begrabend. Was nützte es mir, dass nach kurzer Zeit die Flüchtlinge gefesselt von ihren Gastfreunden wieder einge- bracht wurden, dass sie nur verrathene Verräther waren, dass sie in tiefster Reue vor mir standen? Für ihre Bestimmung waren sie ver- loren; mein Spiel war verspielt, mein Witz erschöpft. Es war die Frucht mehrjähriger Arbeit, bewiesen zu haben, dass wir Nichts ver- möchten; das einzige Tröstliche in dieser traurigen Wahrheit lag darin, dass sie um ein Geringeres nicht zu erlangen war; aber die Lage der Expedition war von diesem Augenblicke an eine unmög- liche, ihren Auftraggebern gegenüber unhaltbare, und dies fühlten meine sämmtlichen Gefährten mit mir. In einer Berathung wurde beschlossen, dass ich mich persönlich nach Europa begeben sollte, um die Entwickelung der Dinge zu schil- dern, die gänzliche Hoffnungslosigkeit desUnternehmens darzulegen und über seine veränderte Fortführung zu berathen. Am siebenten Juli 1875 schiffte ich mich auf der „Ethiopia“ ein und am zweiten Oc- tober erstattete ich der in Berlin zusammengetretenen Delegirten- versammlung einen officiellen Bericht. Man beschloss die Aufhebung der Station Tschintschotscho und die Beschränkung der centralafri- canischen Unternehmungen auf die Basis des Ogowe im Norden und der Cassandschistrasse im Süden von Loango. In dem Vortrage, den ich am neunten October desselben Jahres in der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin hielt, fasste ich am Schlusse meine Ansichten so zusammen: „Wir dürfen uns nicht verhehlen, dass wir mit unseren Aussich- ten, von der Loangoküste aus in das Innere vorzudringen, noch vor demselben Räthsel stehen wie vor drei Jahren — nur ärmer an Hoff- nungen. Die Trägerfrage ist ungelöst und die Haltung der Einge- borenen hat bewiesen, dass erst, wenn diese Frage ganz in’s Reine gebracht ist, neue Hoffnung für eine Expedition geschöpft werden kann. Der Complex ganz kleiner, von einander unabhängiger Terri- torien, aus denen das äquatoriale Westafrica besteht, bedingt es, dass der Reisende täglich eine neue Grenze zu überschreiten hat, dass er täglich seine Expedition compromittirt sehen kann, wenn er seiner Leute nicht sicher ist, um, wenn es sein muss, sich mit Gewalt Bahn zu brechen. Das Misstrauen der Eingeborenen zu überwinden, ist unmöglich; da sie die eigentlichen Zwecke des Reisenden nicht zu Stanley als Richter. Vorschläge für die Zukunft. 221 fassen vermögen, so legen sie ihm Eroberungsgelüste bei und mit fanatischer Treue dem Fetischdienst ergeben, erblicken sie in dem nahenden Weissen den Träger unheilbringender Gewalten. Je grösser die Machtentfaltung ist, desto grösser sind auch das Misstrauen und die heimlich in den Weg gelegten, dem directen Angriff sich ent- ziehenden Hindernisse. So lange der Handel nicht die Wege gebahnt hat, ist viel mehr Aussicht vorhanden, dass das westliche Aequato- rialafrica vom Osten her erforscht wird als von der atlantischen Küste aus; einen nach der Küste ziehenden Reisenden würden dieselben Neger durchlassen, die dem von Westen kommenden Eindringlinge den Weg verlegen.“ Die jüngste Geschichte der africanischen Entdeckungen hat diese Behauptungen zum Theil bestätigt und keiner derselben widerspro- chen. Stanley hat von Osten her die äquatoriale Zone durchmessen und hat, wenn auch unter blutigen Kämpfen, die Loangoküste an ihrer südlichen Grenze erreicht. Seinem Heroismus stellt sich der Erfolg ebenbürtig an die Seite; denn man darf fragen: Wer hat eine grössere That auf africanischem Boden gethan? Man darf aber auch fragen, ob selbst der Heroismus eines Stanley genügt hätte, dieselbe Reise in der entgegengesetzten Richtung auszuführen; ob nicht die- selbe Macht, die seine Träger an ihn fesselte, sie ihm abspäns.ig ge- macht hätte auf dem Wege von West nach Ost? Wir müssen den Ausspruch Stanleys erwarten, um die Antwort aus dem Munde dieses einzig competenten Richters zu vernehmen. Die menschliche Natur sträubt sich dagegen, Pläne, auf die Mühe und Arbeit verwendet worden sind, mit Einem Schlage auf- zugeben. Wir haben alle Etwas von der Motte, die das brennende Licht umkreist; oder sind die folgenden Ideen etwas Anderes als ein Mottenflug? Ich glaube noch heute daran, dass das Kuiluthal ein. Thor zum Herzen Africas vom äquatoriälen Westen her ist. Vielleicht würde ein Reisender, der sich entschlösse, ganz allein, ohne Träger, ohne ‘Diener, ohne Waffen, ohne Tauschartikel vorzugehen, erreichen, was bisher allen sorgsamen Ausrüstungen und officiellen Berathungen zum Trotz nicht hat erreicht werden können. Es ist bei der Natur der Neger nicht undenkbar, dass sie dem harmlosen Weissen, der weder ihre Furcht noch ihre Habgier erweckt, gastfreundlich begegnen. Ob die Wissenschaft bei solchem Vorgehen viel gewinnen würde, ist eine andere Frage, und eben deshalb drängt sich die Nothwendigkeit auf, nach neuen Combinationen zur Beschaffung von Transportmitteln zu suchen. Von Dr. A. Petermann ist im Jahre 1874 der Vorschlag gemacht 222 Unsere dreifache Aufgabe in Africa. worden, abgerichtete Elephanten aus Indien als Lastthiere nach West- africa einzuführen. Dieser Vorschlag, gegen dessen Anwendung sich höchstens der Einwand erheben liesse, dass die darin angezogenen Erfahrungen der englischen Expedition nach Abessinien 1867/68 zu günstig interpretirt wurden, verdient die ernstlichste Erwägung. Eine Discussion an dieser Stelle unterbleibt nur deshalb, weil gerade jetzt Gordon Pascha Versuche mit Elephanten im Sudan und dem District der grossen Seen anstellt, und die dort zu machenden Erfahrungen von viel einschneidenderer Bedeutung für Westafrica sind, als die Abessinischen. Ein günstiges Resultat ist äusserst wahrscheinlich. So lange die Brauchbarkeit der Elephanten nicht erwiesen ist, und diese bewunderungswürdigen Thiere nicht zur Stelle sind, bleiben wir auf menschliche Hülfe angewiesen. Dass die an der Loangoküste an- getroffenen Stämme vorläufig untauglich zum Trägerdienst sind, wurde bewiesen. Das Gleiche gilt fast mit Sicherheit für die ganze west- africanische Küste, insofern, als die Träger, welche dieselbe liefern könnte, durch Verpflanzung unbrauchbar werden. Man muss also weiter ausgreifende Importversuche machen, um zum Ziele zu gelan- gen, und in das Land der schwarzen Helden Stanleys gehn, an die Ostküste Africas, wo die grossartigen Verkehrsverhältnisse die in einzelnen Individuen schlummernden Keime zu gigantischer Leistungs- fähigkeit und beispiellosem Muth entwickelt haben. Gelingt es aber nicht, routinirte ostafricanische Träger nach Westafrica überzuführen, so kann man andere Importversuche machen, zunächst mit Chinesen, die bisher wunderbarer Weise nicht als africanisches Culturelement in Betracht gezogen worden sind; man könnte ferner, wenn diese Versuche missglücken sollten, eine etwas von der Küste entfernt ge- legene Station einrichten und sie zu einer Pflanzschule für Träger machen, indem man Hunderte von Negerknaben darin mit Rücksicht auf ihren späteren Zweck abhärtet, einübt und grosszieht. Wem diese Vorschläge phantastisch erscheinen, der darf nicht vergessen, dass sie Kinder der Noth sind, und dass Noth erfinderisch macht; auch dass die Zeit, die ihre Ausführung erheischt, kurz ist im Vergleich zu der jahrelangen Arbeit, die Africa noch von uns fordert. Die Beschränkung, die meiner selbständigen Forschung auferlegt wurde, hat mich nicht blind gemacht gegen die allgemeinen Auf- gaben, die in Africa noch zu lösen sind. Sie treten in einer drei- fachen Form an uns heran: civilisatorisch, commerciell, rein wissen- schaftlich. Unsere Erziehung und die erworbenen Kenntnisse ent- scheiden im Verein mit unseren persönlichen Neigungen darüber, in Ein letztes Wort. 223 welche dieser Aufgaben der Schwerpunct unserer Bemühungen zu verlegen sei. Völlig von einander getrennt lassen sie sich kaum durchführen, aber die eine wird ihre Ziele früher erreichen als die andere. Es will mir scheinen, als ob unsere civilisatorische Mission in Africa die geringsten Aussichten habe, ja ich zweifle an ihrer Berechtigung. Es ist Sache des Glaubens, nicht des Wissens, ob das Glück der Welt in der gleichmässigen Ausbreitung unserer Cultur zu suchen sei, ob es in der Bestimmung der Völker liege, trotz ihrer verschiedenen Beanlagung und ihrer Ungleichwerthigkeit dasselbe Ziel zu erreichen. Was wird es nützen, wenn wir unsere errungenen Wahrheiten, unsere grösseren Bedürfnisse, unsere verfeinerten Lebens- genüsse mit dem schwarzen Continent theilen? Sie werden nicht wirken wie der befruchtende Regen, sondern zu Wildbächen an- schwellen und statt des Segens Zerstörung verbreiten. Wie viel erfreulicher und greifbarer tritt uns die commercielle und wissenschaftliche Aufgabe entgegen! Hier ist die Berechtigung keinem Zweifel unterworfen. Dem Handel fällt es zu, die Schätze Africas zu heben; seinen bahnbrechenden Spuren folgt die Wissen- schaft, und so allein ist sie im Stande, ihren Endzielen zuzustreben. Die wissenschaftliche Forschung in Africa sollte stets die dankbare Schuldnerin des Handels sein dürfen; auch ist sie es oft gewesen. Doch darf um dieser grossen Hülfe wegen nicht vergessen werden, was wir der Thätigkeit edler und aufopfernder Missionare verdanken. Wo aber weder das Eine noch das Andere Statt hat, wo der wissenschaftliche Reisende gezwungen ist, Pionierreisender zu werden, geht seine beste Kraft in dem Kampfe um die Erhaltung verloren. So liegt der Fall leider in dem äquatorialen Gürtel Westafricas, der noch der Nubier und Araber harrt, um es dem Osten gleich zu thun. Daher werden wir uns noch lange Zeit gedulden müssen, bis der Bau unserer geographischen Erkenntniss Africas vollendet ist. Stanleys Zug, welcher seinem Vollbringer die Unsterblichkeit sichert, der Geographie die unschätzbarsten Resultate geliefert hat, der mit- lebenden Menschheit das erhebende Beispiel antiker Grösse giebt, weiht eine neue Epoche in der Entdeckungsgeschichte Africas ein. Für alle Bestrebungen der nächsten Zeit werden Stanleys Spuren den anziehenden, richtungsbestimmenden Magneten bilden müssen, und freudig begrüssen wir die Initiative, die ein hochsinniger, weitblicken- der Fürst, der König der Belgier vor Kurzem genommen hat, um die Völker abendländischer Cultur zum thätigen Antheil an diesem Werke miteinander zu verbinden. Die Gründung der „Africanischen 224 ' Ein letztes Wort. Gesellschaft in Deutschland“ legt Zeugniss dafür ab, dass unser Vater- land bereit ist, diesem Rufe Folge zu leisten. So wird die rollende Zeit und unsere Beharrlichkeit trotz alles Missgeschickes auch in Africa an die Stelle der Unwissenheit und der Vermuthung die Wahrheit setzen. Und das ist unser Endzweck. Seit Jahrtausenden wird uns die Wahrheit als die schönste Frucht unserer Lebensmühe gepriesen. Wen diese Weltanschauung erfüllt, dem adelt das Ziel auch den Weg, der darf auch auf den blossen Versuch, die Wahrheit zu erreichen, reuelos und ungekränkt zurück- blicken. Die Loango-Expedition war ein solcher Versuch, und in diesem Lichte betrachtet, erscheint dieselbe würdig der Nation, die sie aussandte. EI ve SH, Fruchtstand der Oelpalme, !/; n, Gr. ANHANG. A. Astronomische Ortsbestimmungen. Die nachstehend mitgetheilten astronomischen Ortsbestimmungen in West- africa können durch Arbeiten anderer Reisender nicht controlirt werden. Es kam also darauf an, eine Anordnung zu finden, welche bei knapp zugemessenem Raum noch einen Einblick in die Zuverlässigkeit der Beobachtungen gestattet. Aus diesem Grunde sind nur die directen Längenbestimmungen in den Original- ablesungen, dagegen die auf Zeitübertragung und Breitenbestimmungen bezüg- lichen Messungen in bereits reducirter Form mitgetheilt. Die Reduction beein- flusst das selbständige Urtheil des Lesers in keiner Weise, weil sich dieselbe nur auf das Zusammenfassen zusammengehöriger Einzelbeobachtungen (durch Bildung des arithmetischen Mittels) beschränkt, und die letzteren durch Angabe des Gestirns, seiner Lage, der Zahl der Messungen und ihres mittleren Fehlers charakterisirt. Die Tabellen II und III geben also im Grunde Nichts als das Rohmaterial, aus welchem, in Verbindung mit Tabelle I, die Resultate von jedem Kundigen abgeleitet werden können, wie ich sie selbst abgeleitet und am Schluss mitgetheilt habe. Als Messinstrumente dienten ein fünfzölliger Prismenkreis (directe Ab- lesung 20“) von Pistor & Martins, ein sechszölliger Sextant (directe Ablesung 10") von Imme, und ein fünfzölliges Universal-Instrument von Hildebrandt; als Uhren: ein Genfer Taschen-Chronometer (Chr.), eine Ankeruhr von Weill & Harburg, London (E), eine Ankeruhr von Tiede, Berlin (T). Bei der Beurtheilung der Beobachtungen muss festgehalten werden, dass dieselben in Africa angestellt sind, wo die Anordnung der Beobachtungen zu vollständigen Reihen meist durch die Ungunst der Witterung gestört wird, und wo die Genauigkeit der Einzelbeobachtungen unter den Einflüssen leidet, denen der Reisende durch körperliches Leiden, unmittelbar vorangegangene Aufregung, durch unberufene Zuschauer, Insecten u. s. w. ausgesetzt ist. Für die Längenbeobachtungen wird ausserdem noch besonders betont, dass nur Taschenuhren zur Verfügung standen, die einmal von dem Klima litten und ausserdem schon durch die Excentricität des Secundenzeigers Ablesungs- Loangeo. TI. 15 226 Anhang. fehler möglich machen, die bei der Berechnung der Länge aus Mondhöhen sehr merkbar werden. Die Längenbestimmungen aus Monddistanzen sind nicht mitgetheilt, weil dies nicht absolut nöthig schien. Alle Beobachtungen sind von mir selbst berechnet. I. Directe Längenbestimmung mit dem 5‘ Universal-Instrument. Station Tschintschötscho. Jahr Monat [Tag Uhrzeit Zenithdistanz Mondrand Uhr-Correction. 1873| December| 27 | 3b 28m 11,4°|57° 14° 22,0’ KR| Oberer |A Chr — 26m 18,7° 3 34 14 55 50 49,8 KL „ 3 40 29,4 154 ı8 104 KL > 3ag 554059 © .,12O KR 55 T=26,0°C; B=759mm 27 ıı 15 41,6 |5s9 32 20,9 KR| Unterer |A Chr — 26% 13,55 Il 23 37,6 |6ı 25 44,9 KL %„ ıL 30 44,8 |63 7 48,8 KL M ı1 38 57,4 1656 5 34,2 KR T=22,6°C; B=761mm 1874| Januar ı|8 24 42,2 157 2 25,4 KR| Oberer |A Chr — 25” 34,6% um 8b ıqm 8 2 5,4 155 38 8,5 KL ” —o5 33,6 9 54 8 39 510|54 10 51,3 KL ,„ 8 47 25,4 |52 46 281 KR 53 T=22,7°C; B=759mm 6|ır 15 348 |7L 50 15,1 KR; Unterer | A Chr — 24" 34,5% um II® ıgm 2 13,8 | 70 3 41,0 KL 99 — 24 33,5 IL 51I II 47 520|64 21 47,0 KR “ IT 54 42,8 62 46 40,0 KL ” T=23,2°C; B=7583mm December| 26 |10 39 46,6 |72 26 28,2 KL| Unterer |A U--12" 28, 2° um 1ok 5om 10 46 24,6 70 56 123,1 KR „ 12 30,85 II 25 112.95 5756210537. 28 KR 5, ıl 14 6,664 41 33,8 KL 5 T=24,0°C; B=758,7mm 1875| Februar |24 |Iıı 22 21,7 159 3 5,0 KR| Unterer |AU-- 10m 40,95% um ıı" gm T30 5522 To SH ASErRSe 9 10 38,50 IL 40 ITS 1010,35 Dh 228 2Xo RER =. TON3SH 7 12 18 ı1 56 470|50 49 2,9 KL » T=26,4°; B=758,0omm Kuilu (Factorei Reis). Jahr Monat Tag Uhrzeit Zenithdistanz |Mondrand Uhr-Correction. ——— — — Tal —— == _— = == Z— _ 1 = = = 1874, Juli |26,6 9 19,2 ‚64 33 30,3 KL| Oberer |AChr — 28 46,9° um 5b 3gm 6.2.15. 14,2163,.18, 38,2 ER! » 28 51,9 8 25 | |'6 19 39,8 |62 22 52,9 KR| “ | | 622 17,8 On zone, T=20,6°C; B=762,0omm October |23| 5 36 46,4 72 54 35,9 KR Oberer AChr— zm 8,25 um gi 26m |5 42 29,2 71 32 20,3 KL %„ — 3 13,4 12 | | 15.49 430169 48 09 KL ,„ | | h 5 54 21,4 68 41 14,5 KR = T= 26,4°C; B=758,3 mm I Anhang. I. Längenbestimmung durch Zeitübertragung. 5 5 un | 3 | Beobach- | Ost | Ermittelte 2 ® 28 Ort Jahr| Monat ® E tetes oder Uhr- 3 |33 | | (72) Gestirn |West| Correction =8 Sr | So Tschintschotscho |1873|September| 24| 3 Sonne | W |+ 1m46,45| 4 | NkondoWNdinschi | „ | October | ı| 3 5; » 13 399 | 4 £ Nsiamputu > » 2| 4 » me en ‚Ö Tschissambo 5 5 38 » ».172 595 | 4 = u Tschintschotscho 5 ” 73 Er slars a A 58 br} ” ” 15 3 „ &R) Ar 12,9 4 & 5 Pontanegra 5 5 18| 3 ” » |r2 2308| 4 25 „ „ %) 20| 3 „ „ Sie 3 593 ar | 2 Re ö Kuilu-Factorei ”s > 22| 4 » 123, 3795 04 29 2) ” „ „ 24| 4 ” ” 2188) 49,4 4 a 2 = „ cr} bE) b) 25 4 ” bb} +3 59,5 4 & "ED 4 Kakamueka » » 23 | 20 „ OO 75 5234| 2 Kat „ „» » 30 | 20 „» Oo rg 2 R = $ 30| 9|@Aquiläl W +6 39| 3 Bas 3 „ |November, I|20| Sonne | O |+6 26,2, 4 E 2 ° „ ” » 4| 4 ” W +6 48,5 3 5 Bee 22 ” ” 5 4 „ Ww +6 579 2 E & 5 Mani Mbandschi n; 5 SZ 2" Ww|4+8 08| 2 ss Tschikenyesse s; nn 10 9| Rigel © +8 44,7 | 3 5 3 Nguela “= = 12| 9| @« Aquiläl W 18 2 == en „5 5 12) 9| Rigel (0) 45,5 3 8 Timaluis » ” 14| 9 > oO 48 418 | 3 2 Kaindschimbe „ e ı5| 9 5 © |ı+8 395 | 3 | A Kakamuecka „ e 18\)20, Sonne OO +8 47,8| 3 Kuilu-Factorei = 5 23 | 20 5 OR 1.282 17: Tschintschotscho |1874| Februar |28| 5| Sonne |W |—1 349| 3 NSEES A 5 März ı| 4 = » |—1 249| 2 | BoBg Osobo ss A 52% a » ro 4238| 3 ee » „ „ 814 » » t0565| 2 \ ER Insono 7 r 914 5 „to 66| 2 (& RE-I®) ». > en I1| 3 ip » 0265| 5 INES. Tschintschotscho = re 12 4 e I nero 2 | 2822: „ ” „ 13 4 ” | »* H70 22,9 2 Baron Tschintschotscho 1875| Juni |ı5| 3] Sonne |W 46 2861| 4 | | Massabe = \ 15/21 5 oO 6234| 5 | Tschissambo e) en 16 4 bp WORLO Baplı 5 ü B s; 5 16/ 9). Mass |O 46 500 3 | & „ » 5 17| 4| Sonne |W +-7 39|5 < „ » | „ 18 3 „ W 47 15,6 4 > Nkondo Ndindschi | „ı , 20| 4 E WwW +8 3941| 5 ea E23] er] ” | ”„ 20 9 Mars [6) + 8 355 5 EI ® Tschikambo > ; 21| 5| Sonne W 4-7 47,1| 3 vn 5 ;, 55 21 | 20 " Or Sl 3 a8 2) „ „ 22 3 „ Ww +8 0,1 5 o 3 L Pr „ „ 22 9 Mars (0) + 8 5,5 3 ER aH e , a 22|21| Sonne O +8 144 | 4 EA.5 es 2 23 16| Mass |W 48 184 | 4 Eu 8 Massabe ” ” 24 |17 | eo Aquilä W + SS 5 5 = = ” * M 24|20| Sonne |O |4+8 14,3 | 6 E38 ” „ ” 2520 on © |+8 262| 5 SE 2) ”„ „ 26 4| EZ) W 4-8 288| 5 Sa „ 9 „ 28| 4| > W 4-8 56,5 | 6 “2 » en > 1283| 8, Mars OE oo = & Tschintschotscho = en 11291 123 | Sonne |W +9 27,0 4 = » a 12918, Mars 0, 193 A 3 ” » ” 1301 9,@Aquilä| OÖ +9 4306, 4 Anhang. 228 III. Breitenbestimmung aus Circummeridianhöhen. oo. 2 Beobach- Nord| Ermittelte A a = 5 Ort Jahr Monat & tetes \ oder Meridian- SE E65 ü Gestirn Süd höhe = SH No | | | Banana 1873 Juli 28| A Scorpii SE 09H oo! „ » » 28 Vega NE as a oa | Kabinda „» | August I 5 N /45 46 34 | 4 4 Landana “| » ol Soma » » 6 19 «& Pavonis S38806012 5 N > 5 24 Vega N 46 636| 4 5 ” N " 24 a Pavonis S |38 436|5 5 | „ » „ 29 & Cygni N |39 5742| 4 8 2 n 5 5 29| « Pavonis Ss ae Tschissambo »» |September| 21| «& Gruis S 472540|2|o | B » n ” 28) «& Pavonis Ss a7 5232| 3 ja | Nsiamputu October n2) B Sıa7 3a ae \& on 90 ” 2 & Cygni N Kao 19 22 | a 12 S Pontanegra „ ” 18 «Gmis Sy mao|l 3 | 8 [ 7 a Ka 9 ı8| Fomalhaut | S |64 29 23 | 3 2 = Kuilu-Factorei en D9 25 5 S (oa 10 32. 3 16 E „ „ » » 25 |& Andromedä N 57 812 | 3 9 3 Kakamueka 9 09 30| Fomalhaut | S |63 5sı 24 | 4 5 “= nn on > 30/& Andromedä N |57 27 20 | 2 2 z Tschikenyesse „ |November| 10 | «& Eridani So 7023| 23 |1© = "> ” IOo| «& Arietis NE 630, 80190 E35 78 Neguela » » 12|@ Andromedä N |57 43 26 | 2 2 „ » » 12| «& Eridani Ss 236 02) 23| 7 Timaluis 5 a 5 SS | Kaindschimbe „ 5 I5 99 91362 2 2 aa Insono 1874| Februar |zı Gaston DENE 52235 None io Osobo NR März) 75) 2, If | 52 ar 2a | An A Tschiloango IARR a Ir) 2 EN |523848| 2 \1r 728 Tschintschotscho | , > 12| n N |52 42 34 | 2 |ıo See „ |» 6) 5 N. [524237 | 2 | o 3802 Kuilu-Factorei > Jule Gemma | N 5824 6| 3 I ass Mayombe-Factorei 5; en | 3 &@Centauri | S |3353 2| 3 9 Selen " » » ”» | 3) Gemma | N |58 3946| 3 |20 || 5%.» Tschitabe en ” 12) < | N 585051 | 4 6 | um Ponta de Norte » \.Auusüst, ig weöPavenis | 571 130, N0232) 235 171 S5 S „ „ » Sr olCyenin EN AISOyT ZELL |: = Tschilunga „ | October | 19) Fomalhaut | S./09 9127 | 9 6 | Tschintschotscho |1875 Mai 6| y Urs. maj. | N |30 27 14 | 3 4 „ E) ” 6 «& Crucis S |32 44 36 4 3 ” „ » 8| n Urs. maj. | N |34 54 36 | 4 6 » ” n 8| aCentaur | S 3450 16 | 7 Insono 5 = 16 PB Cent. DE 135630217106 20, Tschintschotscho 5: 3 20) « Crucis Sm B2E17 7308 200 02 r „ „ „ 20 | n Urs. maj. | N |34 54 I5 | 6 8 ” „ „ 26 „ N 34 54 39 6 | 4 „ ”„ „ 26 ß Cent, S 35 22 50 ab Massabe 5 35 22| Arctur Ne les Rena | 3 9 ” ) 24 | « Crucis Se lS2r 37 Ss Tschintschotscho B: Juni 3) «Cent. S |34 50 5|5 3 Tschiloango-Fact. 5 » 4| ER S |34 5244 7 5 „ „ PR ”„ 4| ßB Cent. Ss 135 25 45 3 7} „ „ ” „ 4 | n Urs. maj, N |34 52 2 5 4 Tschissambo = he 16) Cent. Su ssıTssspae ” „ » 16 Arctur N |65 1046 | 3 |ıo „ „ n 16| «Cent. SESH ICHton nor | 7 Anhang. 229 | | Ic | | | & & je \ so ı Beobach- |Nord| Ermittelte KR = 5 5 Ort Jahr| Monat | ® | tetes ‚oder | Meridian- 32 |3# ; Gestirn | Süd | höhe =: |S# | | ade) | | No Nkondo Ndindschi 1875| Juni |20, n Urs. maj. | N |35° 8 Sa 522% ” „ „ ” 20 B Cent. S 5 E58 2 35 e . 2 » 20 Arctur N (055 2a, en er > „ op 20 2 Con, | S Sa 80.40 | 7 Tschikambo % ” 21| Arctur | N 65 255915 08 35 en > an a Cemn. | 8 | 28 26 || ar 1 ” I 5 22| Arctur | N |65 26 18 | 6 \ı1o | „ say „ 22| @ Cent. | S [34 25 55 4 | 3 | t { | [ Aus den angeführten Beobachtungen hat sich nun ergeben: re Oestliche ı en | Oestliche Ort SudEehe Länge von Ort Suduche ‚Länge von | Breite 5 Breite | E | Greenwich | Greenwich Banana 62017025 ‚| Insono 5° 16,8) 12° 9,0‘ Kabinda 5 33 4 | Osobo 56731 1.1282718 Landana ISIS 6, 2'| Nkondo Ndindschi 4 55,5 | 12 20,2 Tschiloango-Mündung 5 12, 0|ı2 5, 6 | Nsiamputu 4 57,9 | 12 12,0 Tschiloango-Factorei 5 in, © | Tschikambo MA TO 57, Tschintschotscho lie % Tschissambo 5 00/12 6,2 (Deutsche Station) fi? 9,24 |12 3,75 || Factorei Mayombe 4 12,0 : Lu&ämme-Mündung 5 2, 6|ıı 59, © | Kakamucka 4 9,0| 12 0,6 Factorei Massabe 5 2, I Iı 59, 1 || Mani Mbandschi A 1 oe] Pontanegra (holl. Fact.) 4 47, O|Iı 48, 9 |, Tschitabe 4 09 Kuilu (Reis Fact.) 4 27, 7|11 40, 7 | Tchikenyesse 3 59,9 | 12 16,6 Longobondo 14 16, oO ıı Nguela 353,0 | 12 12,7 Tschilunga 4 87 || Timaluis 3 513 12. 78 Kuango l3 A, || Kaindschimbe 13.847 112° Sp Yumba 13 25, I | | Ponta de Norte (Fact.) SETS | Nyanga-Factorei [2 59, I | | | Nyanga-Mündung 1256, 5 230 Anhang. B. Magnetische Beobachtungen auf der Station Tschintschotscho. 5° 9‘ 14° südl, Breite; 12° 3° a5‘ östl. Länge Greenwich; 12 Meter über dem Meere, November 1874 bis März 1875. Der zur Verfügung stehende Apparat, von Dr. Neumayer angegeben, von C. Bamberg in Berlin construirt, gestattete, je nach der Art wie seine Theile zusammengesetzt wurden, die Bestimmung der magnetischen Horizontal-Inten- sität, der Declination und der Inclination. In der ersten Zusammensetzung stellt derselbe eine Bussole vor, in welcher die horizontal schwingende Magnetnadel genau zum Einspielen mit einer Spitze gebracht werden kann; der Kreis ist in ganze Grade getheilt, aber mittelst zweier diametral angebrachter Nonien werden noch 5 Bogenminuten direct abgelesen. Nach der Ablesung wird ein terre- strisches Object von bekanntem Azimuth eingestellt, und daraus die dem astro- nomischen Meridian zukommende Ablesung auf dem Instrument bestimmt. Als Object diente die Mitte des weissen Dachfirstes des Hauses Castro & Leitao in Landana, etwa 4 englische Meilen entfernt. Das Azimuth desselben wurde mittelst des Universal-Instruments zu S 32° 37' 48" O genau bestimmt. Der Apparat ist mit zwei Declinations-Nadeln versehen, welche in der Regel beide gebraucht worden sind. Zur Bestimmung der Horizontal-Intensität wurden die Nadeln durch zwei für Temperatur compensirte und an einer Holzschiene befestigte Systeme von Magneten abgelenkt, derart, dass die Ablenkungsmagnete senkrecht auf der abgelenkten und neu eingestellten Nadel stehn. Aus den so beobachteten Ab- lenkungswinkeln wird unter der Voraussetzung, dass das magnetische Moment der beiden Systeme ungeändert bleibt, der Werth der Horizontal-Intensität im Verhältniss zu der an einer Basis-Station beobachteten berechnet. Bedeutet X die gesuchte Horizontal-Intensität, op den beobachteten Ab- lenkungswinkel, A eine auf der Basis-Station ermittelte Constante, so wird X aus der Formel: X=A cosec. p gefunden. Für unsere Beobachtungen war Berlin die Basis-Station. Es ergaben sich bier für die 4 möglichen Combinationen (2 Nadeln und 2 Ablenkungs-Schienen) am 8. Juli 1874 folgende 4 Werthe für die Logarithmen der Constanten A: Nadel I Ablenkungs-Schiene I log. A = 0,002105 DT ne 11 0,009028 pl ” I 0,003076 „ U » 11 0,007312 & Anhang. 231 In seiner zweiten Zusammensetzung stellt unser Apparat ein Inclinatorium vor. Der verticale Kreis ist in ganze Grade getheilt, und müssen die Bruch- theile der Grade durch Schätzung ermittelt werden. Es sind zwei Nadeln ge- braucht worden; da aber die Axe der Nadel 2 nicht besonders centrirt war, so ist das Hauptgewicht auf die mit Nadel ı erlangten Resultate zu legen. Jede Einzelbestimmung der Inclination ist aus 8 Ablesungen erhalten, entsprechend der auf doppelte Weise möglichen Einstellung des Inclinationskreises in den magnetischen Meridian, dem Umlegen der Nadel-Axe und dem Ummagnetisiren. Es folgen nun die Bestimmungen selbst; I. Horizontal-Intensität. Ablenkungswinkel. Nadel I. Nadel I. Nadel II. Nadel II. Schiene I. Schiene II. Schiene I. | Schiene II. 1874 November 3419,50 18° 24,93’ Ar 18° 20,93' 152723:05U > 3 1 I 1 So 18 5,58 1 Sal 1 2 Deccembeis 2272 10,05 17251715 17 55,55 17 51,85 17 51,85 » 22 19,5 17 48,30 17 50,80 17 46,83 17 47,30 1875 Januar 2002257, 17 30,63 17 31,63 17 30,28 17 30,63 Februar 20.2255 17 8,45 I7 10,53 17 10,70 IE R8E70, » 2 208 17 12,65 157 . 31837400) 17 13,90 172.18,78 3 22 Ni 17}, MS 17 8}715 IT 22) 170229,78 März 202297, 17 0,80 16 55,37 16 55,93 16 54,80 „ 24 22, 16 54,13 16 53,47 16 56,41 16 53,55 Hieraus hat Herr Dr. C. Börgen die Abhängigkeit der Ablenkungswinkel von der Zeit hergeleitet, die Beobachtungen auf den Tag der Basisbeobachtung, Berlin 1874 Juli 8, reducirt und die Horizontal-Intensität mittelst der Con- stanten A berechnet wie folgt: Werthe der Horizontal-Intensität, reducirt auf 1874 Juli 8. ; Nadel I. Nadel 1. Nadel II. | Nadel II. Mittel Schiene I. | Schiene II. | Schiene I. | Schiene II. 1874 November 34 19,5h | 2,9874 3,0166 3,0069 3,0267 | 3,0092 De 2910,08 18 2599731 3,0306 3,0045 3,0351 3,0161 December 2I 19,0 | 2,9951 3,0I0I 3,0045 3,0290 3,0097 = 22.19.50 0.350021 3,0271 3,0153 3,0386 3,0208 1875 Januar 2092207 3,0007 3,0264 3,0116 3,0344 3,0183 Februar 0, 0 | 2, 3,0291 3,0142 3,0419 3,0236 " 21 2,8 | 2,9984 3,0217 3,0060 3,0290 | 3,0138 » 2250.21.22072,0954 3,0286 3,0083 3,0345 3,0167 März 20 22,70 102:9835 3,0I9L 3,0063 3,0309 3,0100 ” 24 22,3 | 2,9934 3,0371 2,9990 3,0277 | 3,0093 1875 Januar AS 12,0 Mittel: 3,01475 = 232 Anhang. ll. Declination. | | | | .| Mgn. Mer. | Astr. Mer. Decl. |Mgn.Mer. Astr. Mer. | Decl. Mittel 1874 Nov. 3419,51 296028,82 |314° 17,13'117°48,31'1296°23,88'|314° 16,63'\17°52,75'|17°50,53’ » 29 19,0 |282 40,50 |300 29,00 |17 48,50 |282 35,03 |300 29,65 |17 54,62 |17 51,56 Dec. 21 19,0 291 28,59 309 18,28 |17 49,69 |29I 30,56 309 19,40 |17 48,84 17 49,26 » 22 19,5 80 5,98| 97 55,83 |17 49,85) 80 4,32 | 97 56,08 117 51,76 |17 50,80 1875 Jan. 20 20,7 |171 4,23 |188 49,58 17 45,35 |171 7,64 1188 51,70 |17 44,06 17 44,70 Feb. 20. 22,5 |200 40,07 |218 25,63 |17 45,56 200 41,56 |218 25,90 17 44,34 |17 44,95 » 21 2,8 296 47,50 314 33,80 |17 46,30 296 49,26 314 33,68 |17 44,42 |17 45,36 » 22 21,2 | 99 32,73 |117 17,94 17 45,21 99 33,82 |117 17,94 |17 44,12 17 44,66 März 20 22,7 266 13,09 283 50,35 |17 37,26 266 10,64 1283 50,20 |17 39,56 |17 38,41 » 24 22,3 |350 30,33 1368 17,29 |17 46,96 ‚350 33,01 |368 18,02 |17 45,01 |17 45,98 1875 Jan. 23d412,0h Mittel: 17°46,62° III. Inclination. Nadel I. '| Nadel II. 1874 December ass 26,62° 25,77° Mn) 96555 26,89 25,30 (äquidistante Azimuthe). » 23 45 | 26,72 25,20 1875 Januar AU AR 27,14 27,40 Februar 2B1 520 0726,78 2,2005 „ 29.225, 278 A März 21 DS 20 5220.00 Mittel 26,84° Gesammtresultat gültig für Tschintschotscho, Horizontal-Intensität 3,0148 für 1874 Juli. Declination 17° 46,6‘ West, für 1875 Januar. Inclination 26° 50,4‘ Süd, für 1875 Januar. & Wendekreis d. Krebses . von Berlin über Liverpool nach der Loangoküste. a) IA 9 = russ Nur Geograph.Anstalt Wagner &Debes, Leipzig. Ientalında Buassay NZ al ERumkuati | | AO A er —— Reiseroute von Berlin @ber Liverpool nark der Loangoküste A a Ense tiiten Notiz: 8. Rurtorvien, o Dörfer, « Ortslagen 5 « Arunemische Bunte bestimune durch DIR. Güzrfeldt, Magnetische Bestimmung vedhurt. auf den. 23.Janı. 1875 (Declination. 17° 46.6 Wert Tachiutschatscho | Inclinatier. 261504 Sind, Horizontal-Intensizäp 20146. IS, 09 Bnuokmusser 4 Bereich der Mangroren. Tachilungu ng SER B ETschihung Ddiar.Foin Pontancgra- Ntungiandete Beonbole B. NT S BladTvint (ArRR, . Kabinda-Bai DAS FORSCHUNGSGEBIET GÜSSFELDTSchenLOANGO-EXPEDITION gezeichnet von D"H.LANGE. Maßstab |: 1.188.000 = = z Fautlsche Meilen — ee Östliche Länge v. Greemrich DIE ZWEITE ABTEETIEUNG VON D= J. FALKENSTEIN, STABSARZT AM MEDICINISCH-CHIRURGISCHEN FRIEDRICH-WILHELMS-INSTITUT. zz LEIPZIG. VERLAG VON PAUL FROHBERCG. 1879. 2 “ u EG # Ne, Sr Ve Y FL VORREDE ZUR ZWEITEN ABTHEILUNG. Nom Vorstande der „Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial- Africas“ mit der Leitung der zu Tschintschotscho gegründeten Station betraut, war es meine Aufgabe, dieselbe möglichst leistungstähig zu gestalten, damit sie sowol den in’s Innere vordringenden Reisenden jederzeit zur Zufucht dienen könne und im besten Falle mit ihnen in steter Verbindung bliebe, als auch den zurückbleibenden wie an- deren neu eintreffenden Gelehrten Raum und Mittel zur Ausführung ihrer Arbeiten gewähre. Es hatte natürlich geschienen, dass ich als ärztlieher Berather der Europäer und der im Dienste befindlichen Eingeborenen zugleich auch das Gebiet der Anthropologie und der Naturwissenschaften durch Messungen und zoologische Sammlungen verträte, und endlich sollte ich auf photographischem Wege das Charakteristische von Land und Leuten für die Anschauung weiter Kreise fixiren. Zur Erfüllung dieser heterogenen Aufgaben wurde mir der Mechaniker Lindner zur Unterstützung beigegeben, und da seine Befähigung und Tüchtigkeit sich von dem Moment unserer Abreise bis zur gemeinsamen Heim- kehr trotz seiner Jugend stets gleichmässig bewährte, so erkenne ich mit freudigem Dank gern an, dass ich seiner wirksamen Hülfe wie auch der meiner wissenschaftlich gebildeten Gefährten einen grossen Theil des zusammengebrachten Materials verdanke. In Folgendem ist nun der Versuch gemacht, die verschieden- artigen Gebiete dieser Thätigkeit in möglichst einheitlicher Form zu schildern und mit dem Entwicklungsgange der Station von ihrem un- scheinbaren Anfange bis zu dem Macht und Vertrauen im Lande be- sitzenden Werke zugleich die anthropologischen Verhältnisse der Neger, die Wirkungen des Klimas und das Charakteristische der Vorrede zur zweiten Abtheilung. westafricanischen Fauna zu verflechten. In einem Anhange ist ein übersichtliches Bild der in jenen Gegenden herrschenden Krankheiten gegeben, das ebenso wahr als einfach, wol geeignet ist, die über- triebenen Vorstellungen klimatischer Gefahren auf das richtige Mass zu beschränken. Indem ich diese gedrängte Darlegung meiner Thätigkeit an der africanischen Westküste abfasste, erfüllte ich zwar nur eine natür- liche Pflicht gegen die Behörde, welche mir in liberalster Weise die Möglichkeit verschaffte, an der Expedition Theil zu nehmen; doch ist es zugleich mein innigster Wunsch, dass sie daraus einen Theil meines wärmsten Dankes für das mir erwiesene Wolwollen ersehen möge. Möchte es Allen, die für eine grosse Idee mitzuwirken versuchen, in gleicher Weise wie mir gelingen, an massgebender Stelle ein so warmes Verständniss für ihre Pläne zu finden, dann wird auch Der schliesslich nicht fehlen, der durch glückliche Durchführung derselben zugleich den vollen Dank für alle Uebrigen mit abzutragen bestimmt ist. et -4 INHALT DER ZWEITEN ABTHEILUNG. Gapiit ee Te Ne ne A N Ankunft in Landana und erste Thätigkeit auf der Station Tschintschotscho. — Arbeit des Negers und Arbeit des Weissen. — Illusionen bezüglich der Samm- lungen und Enttäuschungen. — Störungen durch Besuche schwarzer Häuptlinge und Consultationen kranker Weisser. — Unlust und Unbrauchbarkeit der Ein- geborenen für die Arbeiten der Station. — Verkehrsweise. — Mukanden. — Gehälter der angestellten Neger, — Preise von Nahrungsmitteln. Sapite DEI ee re ae ee ee dr Anthropologische Betrachtung des Negers. — Hauptschädel- und Gesichtsmasse. — Prognathie. — Körperverhältnisse. — Schwierigkeiten beim Schätzen des Alters überhaupt, der Reife insbesondere. — Ansicht über die sogenannte Zwergrace der Babonge. — Verhalten der Haut bezüglich der Farbe, der Se- erete etc. — Mangel missgebildeter Körper. — Urtheile anderer Reisenden. Ep ite DIT Te ee a ee Nam ae Stationslage im Jahre 1874. — Ankunft des Botanikers Herrn Soyaux. — Be- schäftigung. — Anlage insectologischer Entwickelungstafeln und Apparate. — Bau eines Vogel- und Affenhauses behufs der Beobachtung lebender Thiere. — Erkenntniss ihres geringen Nutzens. — Taubenjagd. — Reise nach dem Congo zum Zweck photographischer Aufnahmen. — Praktische Winke in dieser Richtung. CapitelalV er See Be ne a N Lindners Rückkehr. — Feuersgefahr. — Campinenbrände. — Dr. Pechuel- Loesches Ankunft. — Dr. Güssfeldts Rückkehr. — Ankunft der ersten Cru- manos von der holländischen Factorei zu Banana. — Meine Reise nach Loanda und Novo Redondo, um Träger zu engagiren. — Ankauf der Lastochsen. — Rückkehr nach Tschintschotscho, Capitel Ve Re Ener Erweiterung der Station. — Fünf Monate der Trübsal. — Sterben der ein- geführten Ochsen. — Benehmen der Träger. — Ausbrechen der Pocken. — Lindner meuchlerisch angeschossen. — Krankheiten. — Tod von einflussreichen Personen und Freunden der Station. — Erkrankung der Ziegen. — Weitere Malariafälle. — Umbau der Hütten und Ställe. — Lichtblicke durch natur- wissenschaftliche Erfolge. Seite 21 43 81 Inhalt zur zweiten Abtheilung. "Seite Gapitel! VI... Goe u e elren 2: ea. a 390 Wichtigkeit einer geordneten Gesundheitspflege für Reisende. — Einwirkung der erhöhten Temperatur. — Kleidung. — Hautpflege. — Wirkung der ver- änderten Nahrung. Früchte. Wasser, Reizmittel. Gewaltsame Accommodations- versuche. Regulirung der Verdauung. — Veränderung in den Organen. — Nutzen der geregelten körperlichen und geistigen Thätigkeit. — Gefahren durch Musse. — Nothwendige Ruhe. — Schlaf. — Lager. — Entbehrlichkeit der Hunde als Wächter. — Wirkung der Miasmen. — Küstenglaube. — Pro- phylaxe durch Wahl der Wohnung und Gegend. — Chiningebrauch. Capitely VL... 2 oe en Er Am Kuilu. — Erinnerungen an die letzten Ereignisse: Flucht der besten Trä- ger. Dr. Güssfeldts Abreise nach Europa. Beschluss einer kleinen Expedition zu Sammelzwecken. — Reiseleben. — Ornithologisches. — Wandlung der Leute, — Bericht an die Gesellschaft. — Wiedereintreffen an der Kuilumün- dung. — Nachricht von der Auflösung der Station. — Rückkehr dorthin. Capitel VIII. . ae ar AT 0 wo 20 8, NO) Gorilla. — Zustand der Station bei der Rückkehr. — Auflösungsordre. — Protest. — Vorschlag, ein Vorstandsmitglied herauszusenden, das sich mit eigenen Augen von der günstigen Sachlage überzeugen könne. — Kriegerische Verwickelungen. — Krieg. — Ehrender Besuch eines englischen Kriegsschiffes und Consuls. — Dank des französischen Admirals. — Vollendung der Station. — Definitive Auflösungsordre. — Aufgabe der Station. — Heimreise. Anhang Ti Se Krankheitscharakter der Loangoküste. } . . 117 169 — —_ 9 Antilopen am Buschwald, EIBITETZT. Ankunft in Landana und erste Thätig- keit auf der Station Tschintschotscho. — Arbeit des Negers und Arbeit des Weissen,. — Illusionen bezüglich der Sammlungen und Enttäuschungen. — Störungen durch Besuche schwarzer Häuptlinge und Consultationen kranker Weisser, — Unlust und Unbrauchbar- keit der Eingeborenen für die Arbeiten der Station. — Verkehrsweise. — Mu- kanden. — Gehälter der angestellten Neger. — Preise von Nahrungsmitteln. Die Seereise war vorüber. Zum letzten Male hörten wir den Signalschuss der alten Schiffs- kanone vom Lande widerhallen, zum letzten Male die verrosteten Eisenketten dem hinabstürzen- den Anker Faden um Faden in die Tiefe nachrollen. Das nächste Ziel unserer Reise, Landana, lag freundlich einladend vor uns,und schon arbeiteten sich schwere Boote durch die hochgehende Brandung, um meinen Reisegefährten, Herrn Lindner, und mich, die beiden glücklich übergeführten, schwarz- struppigen Schäferhunde, sowie vierzehn wolverpackte und verlöthete Kisten mit Ausrüstungsgegenständen an’s Land zu setzen. Es war der fünfte November 1873, und sechsunddreissig Tage waren seit unserer Abfahrt von Liverpool vergangen. Loango. I, D Erster Eindruck bei der Landung. Wie oft hatte die vielgeschäftige Phantasie sich die in der Er- “ wartung langsam verrinnenden Stunden dieser Zeit damit zu kürzen gesucht, den Moment der endlichen Ankunft auszumalen, die Scenerie des Landungsplatzes in stets wechselnden, eigenartigen Bildern dem träumerisch suchenden Auge vorzuführen, und nun war doch Alles so ganz anders: da war keine Wildniss, kaum etwas Fremdartiges. Freundliche, aus Holz aufgeführte Landhäuschen blickten uns weiss- getüncht entgegen, liebenswürdige Europäer drückten uns warm und freundschaftlich die Rechte, während Palmen und Neger bei der Küstenfahrt allmählich dem Auge so vertraut geworden waren, dass man sie bereits als alte Bekannte begrüsste. Es war Alles so natürlich, so gar nicht wunderbar, dass uns ein Gefühl des Bedauerns, fast der Beschämung ergriff, da sich die Vor- stellungen aus der Heimat nun als so ganz irrig herausstellten. Als wir uns aber über die vorgeschrittene Civilisation, über die anmu- thende Behaglichkeit während des schnell bereiteten Males ausspra- chen, reichte man uns ein Fernrohr, wies lachend nach Norden und liess uns das am Horizont sichtbare fahle Palmdach unserer neuen Heimat mustern; da würden wir schon finden, rief man, was wir in Landana vermissten. Und wir fanden es; später aber fanden wir noch weit mehr und erkannten, dass heimisches Wesen und heimisches Leben nur als ganz dünner Firniss über dem fremden lag und 'schad- haft genug überall losblätterte, wo man ihn zu prüfen versuchte, so dass Wildniss und Uncultur auch hier noch mehr als nöthig zu Tage traten. Nachdem wir uns hinreichend gestärkt, und es bereits dunkelte, legten wir uns unbeholfen in die hergerichteten Hängematten, miss- trauisch auf die elastische Blattrippe der Weinpalme blickend, an welcher eine jede hieng, und bedauernd auf die Träger, welche uns fortführen sollten. Aber jene hielt aus, und diese liefen in kurzem Trabe nicht nur wolgemuth, sondern selbst stolz auf ihre Last und Körperkraft am Strande entlang, gewiss ohne Ahnung, dass wir währenddem über Menschenloos und Menschenwürde philosophirten, Dabei leuchtete der Boden unter ihren Tritten von unzähligen kleinen Leuchtthierchen, und das ganze, sich überstürzende, brausende Wasser der Brandung leuchtete auch; gespenstisch huschten grosse herzförmige Krabben (Cardisoma armatum), die Augen an den Stielen emporhaltend, seitwärts in die Löcher, und der Mond ergoss sein ruhiges, klares Licht über die Landschaft; es war eine wunderbare, berauschende Nacht, deren Eindrücke für das Leben haften und in der Erinnerung einen unerschöpflichen Quell des Genusses bergen. Träumereien in der Tipoja. 3 Die ganze Umgebung und die eigenthümliche ruhende Lage in der schaukelnden Tipoja, wobei das Auge den sternbesäten südlichen Himmel musterte, war dazu angethan zu träumen, und die Phantasie weit weit zurück dahin schweifen zu lassen, wo sich vielleicht augen- blicklich gleichgestimmte Seelen mit uns beschäftigten, ohne dass es ihnen möglich war, sich von der Scenerie eine Vorstellung zu machen. Bilder auf Bilder zogen dann, bei der ungestörten Einkehr, die wir in uns halten durften, vorüber. Da kam uns wieder der unbewusste Drang des Knaben zum Bewusstsein, den es schon früh über die engen Grenzen der Spielplätze und der Vaterstadt hinauszog; die un- ruhige Sehnsucht späterer Jahre nach fernen Völkern und Ländern, um beizutragen zur Kenntniss und Erforschung weiter, reicher, ge- heimnissvoll sich verschliessender Gebiete. War der unbesiegbar scheinende Trieb, der sich schliesslich Bahn brechen durfte, auch wirklich das, wofür er gelten wollte und nicht etwa ein durch reichliche Lectüre erfindungsvoller Reisewerke künst- lich gezogener Hang zum Abenteuerlichen? War der Forschungs- drang nicht wie bei vielen Andern herausgewachsen aus der Unlust zur regelrechten Arbeit und angestrengten Berufsthätigkeit? War der Begriff des Grossartigen und Erhabenen, das uns in andere Bahnen, als der natürliche Bildungsgang vorschrieb, hineingedrängt hatte, nicht in einem Wahne der Selbsttäuschung entstanden? Darüber müssen endgültig Andere richten, natürlich aber war es, dass man am Orte der Thätigkeit angelangt fragend den Blick in die Zukunft richtete und aus den schnell verrinnenden Secunden der neugestaltigen Gegen- wart einen Anhalt darüber zu gewinnen suchte, ob dem guten Willen auch eben solche Erfolge entsprechen würden. Wol dem, welchem in solchen Fällen ungeschwächte Körperkraft und frisches in den Adern kreisendes Blut, ein unerschütterliches Vertrauen auf sich selbst erlauben, dem auf jede keimende Muthlosigkeit eine innere Stimme den sicheren endlichen Sieg verheisst! Macht doch diese Ueberzeu- gung fast allein den glücklichen Reisenden und bedingte in alter uud neuester Zeit die grossartigen Resultate, die wir staunend verzeichnen. Also muss es gelingen! ruft man sich zu; aber, antwortet es wie- der, ist es denn überhaupt auch möglich? Harren nicht auf allen Zweigen der Kunst und Wissenschaft vergebens wichtige Fragen der Lösung und werden nicht gewisse Hindernisse so lange die Welt steht, der Kraft, dem Genie und Verstande unüberwindlich bleiben? Könnte nicht auch in diesem Falle ein unlösbares Räthsel aufgegeben worden sein ? ‘So waren ungefähr die Gedanken und Träume als ihnen plötzlich durch einen Ruck der haltenden Tipoja ein Ziel gesetzt wurde. 1* 4 Pläne zur Erweiterung der Station, Zum ersten Male fuhren wir dann in einem der aus riesigen Affenbrotbäumen oder öfter noch aus Stämmen des seltsam gestalte- ten Bombax gehauenen Canoes über den Fluss Tschiloango und hielten nach ı'/),stündigem Marsche vor der Station Tschintschotscho, deren Leitung zu übernehmen ich herausgesandt worden war. Da der Führer der Expedition sich auf einer Recognoscirungs- reise befand und, wie mir ein zurückgelassener Brief meldete, so bald nicht erwartet werden konnte, suchte ich mich zunächst mit allem Vorhandenen vertraut zu machen und das Begonnene nach bestem Ermessen fortzuführen. Das bereits fertige, aus Papyrusschäften gebaute, niedrige Wohn- haus, die enge Küche, aus welcher der Rauch sich durch die Fieder- blätter des Palmdaches einen Ausweg suchte, boten zwar Raum und einen gewissen Comfort, viel mehr als ich vermuthet hatte, aber die mitgebrachte Ausrüstung war beträchtlich, und es zeigte sich bald, dass zu einer zweckmässigen Unterbringung mehr Platz erforderlich sei; ausserdem war darauf Bedacht zu nehmen, dass noch weitere Reisende herausgesandt werden würden, und dass die Pulvervorräthe in einem kleinen, festen Schuppen abseits von den übrigen Räumen aufbewahrt werden müssten: so traf es sich glücklich, dass bereits schwarze Zimmerleute, wie sie an der Küste, wenn auch in geringer Zahl und gegen hohen Lohn, von Kabinda her verschrieben werden können, beschäftigt waren, für den Wäscher eine verschliessbare, gegen Diebstahl sichere Hütte aufzustellen; so konnten sie gleich für die weiteren Bauten benutzt werden. Selbstverständlich schien es dabei, dass zur Ausführung aller Pläne nur wenige Wochen erfor- derlich sein würden, es waren ja nur einige passende Stämme aus dem Walde zu holen, nothdürftig zu behauen, einzugraben und durch Querbalken zu verbinden; Dach und Wände konnten in der Zwischen- zeit durch andere Neger hergerichtet werden. — Wenn mir damals Jemand gesagt hätte, dass beinahe ein Jahr vergehen würde, ehe wir die Räume beziehen könnten, so würde ich ihm ungläubig lachend den Rücken gewendet haben. Damals giengen wir noch in froher Hoffnung frisch an die Arbeit, aber Monate lang blieben die Plätze bestimmt und vermessen, und immer noch warteten wir vergebens auf die Fertigstellung des Wasch- raumes. Was half alles Schelten und Zureden, was alle Aufsicht und Ueberwachung? Die Hölzer waren eisenhart und spröde, die Instrumente unge- eignet und in ungeübter Hand, viele Stunden des Tages machte strö- mender Regen unbenutzbar, und immer hatte der Neger unendlich Erfahrungen bezüglich der Arbeit. 5 viel Zeit. Er arbeitete mit unsagbarer Langsamkeit und unbeschreib- licher Schlaffheit. Hatte man beim Messen, Hobeln, Glätten ein Weilchen zugesehen, so musste man sich abwenden, wenn man die Geduld nicht gänzlich verlieren wollte. Einer machte es wie der Andere; Jeder schwatzte, rauchte, lachte so behaglich, als ob gar keine Arbeit in der Welt wäre, und weder zu Mittag noch Abends war ein nennenswerther Fortschritt zu bemerken. Ebenso schlenderten die Leute beim Wasserholen von der ent- fernten Quelle, beim Brennholzsuchen "im Walde; Alles wurde mit einer gleichmässig verzweifelten Langsamkeit ausgeführt, wobei das Allerschlimmste war, dass Jeder das Seinige in ausgiebigster Weise auszuführen überzeugt schien. Es war unter solchen Umständen mehr als natürlich, dass wir, an anderes Arbeiten gewöhnt, und das grosse zu erreichende Ziel vor Augen, unablässig drängten und antrieben, unaufhörlich beaufsich- tigten und vielfach schalten, aber der Erfolg war nicht der erwünschte; die Leute änderten in ihrer Art nicht nur Nichts, sondern fanden die deutsche Arbeitslust bald unbequem, liessen diese mitsammt dem rückständigen Lohn im Stich und amüsirten sich nach ihrer Weise ruhig im Dorfe. Andere kamen und giengen oder wurden fortgejagt, aber vorwärts kamen wir nicht. ‚Schliesslich griffen wir denn, um ein Beispiel zu geben, selbst zu und versäumten keine Gelegenheit zu zeigen, was wir unter Thätigkeit verständen; aber nicht lange: bald ergriff uns das Fieber, das von unendlichem Wehegefühl und Unbehagen begleitet, von grosser Hinfälligkeit und Schwäche gefolgt war. Und so blieb es. Jede Anstrengung hatte unausbleiblich Frost- schauer, Hitze und Kopfschmerz im Gefolge, so dass eine aschgraue Farbe und tiefliegende Augen uns bald warnend zu der Ueberlegung führten, ob die vielgeschmähte Langsamkeit des Negers nicht be- rechtigt, ob Arbeit in gemässigter Zone und Arbeit in den Tropen nicht etwas Grundverschiedenes sei, ob nicht bei stetigem, ruhigem Schaffen mehr als bei kurzem, plötzlichem Ueberstürzen gewonnen werde, das doch immer ein längeres Brachliegen bedingte? So machten wir es denn bald den Negern nach und gesundeten; diese aber kamen zurück und arbeiteten wie früher, und Alle giengen wir zufrieden und stetig vorwärts. Hatten sie vielleicht vorher gewusst, dass ihre Sonne stärker sei als der eisernste Wille des Weissen, dass sie entweder triumphiren oder sein Grab graben würden? Da wir somit wol oder übel dem Neger seine Art zu belassen uns gezwungen sahen, erschien eine weitere dauernde Aufsicht über- flüssig, und wir wendeten uns nunmehr in froher Erwartung und 6 Terrainschwierigkeiten. Hoftnung der Ausführung der uns gestellten Aufgaben zu. In erster Linie richteten wir unser Augenmerk auf die Sammlungen, deren baldige Reichhaltigkeit die in Deutschland hoch gespannten Erwar- tungen, wie wir hofften, nach jeder Richtung hin befriedigen sollte. Was bildet sich der begeisterte Sammler in der Heimat nicht ein Alles zu finden, wenn er mit Fangapparaten wol versehen, die sichere Büchse auf dem Rücken, im Geiste durch jungfräuliches Terrain, durch wildreiche Gegenden wandert? Tage giengen uns aber und Wochen dahin, wo “wir mit froher, niemals sinkender Hoff- nung auszogen und mit leeren Händen, müde und angegriffen zurück- kehrten. | Während der Ueberfahrt waren wir in Fernando Po, am Gabun und Old Calabarfluss immer bei nur kurzem Verweilen auf eine so reiche Flora und Fauna gestossen, dass wir natürlich in Tschi- ntschotscho ein Gleiches zu finden erwarteten und die Misserfolge unserm Mangel an Erfahrung, nicht aber dem Orte zur Last legten; schliesslich aber mussten wir uns, wenn auch widerwillig, überzeugen, dass die Station für Sammlungen so ungünstig als nur möglich lag, dass solche an Flussläufen mit ihren prächtigen Galleriewäldern eben so leicht, schnell und massenweise als hier mühsam und in wenigen Exemplaren nur langsam hergestellt werden konnten; denn auch das wirklich Vorhandene war in den dichten Campinen (Grasfluren), dem undurchdringlichen Buschwalde schwer zu erlangen. Von den zu überwindenden Schwierigkeiten, der Unzulänglichkeit aller sonst bewährten Fangmethoden vermag man sich kaum eine richtige Vorstellung zu machen; hat man sich zum Beispiel auf solchem Ausfluge von dem schmalen, in steten Windungen verlaufenden Pfade abbiegend, durch ein Stück mannshoher, schilfartiger Gräser hindurchgearbeitet und bleibt schliesslich am. Waldrande angelangt verschnaufend stehen, so ist von dem beim Durchbrechen verur- sachten Lärm gewiss weithin jedes lebende ‘Wesen verscheucht worden, und bahnt man sich mit dem Hirschfänger einen Weg in das Dickicht, so erzielt man dasselbe Resultat. Bleibt man anderer- seits, durch solche Vorkommnisse gewitzigt, am Rande verborgen stehen, so sucht man oft vergebens nach dem in der Fülle des Laubes hoch oben versteckten Sänger, und fällt er doch schliess- lich getroffen herab, so gelingt es stundenlangem Suchen häufig nicht, ihn aufzufinden, denn jede Spur zurückgebliebenen Lebens gestattet ihm, in nicht zu entdeckende Verstecke zu entschlüpfen. Dann sieht man vielleicht ein kunstvoll gewebtes Nest und freut sich der Entschädigung, bis man ärgerlich erkennt, dass es unerreich- Resultate beim Sammeln, 7 bar ist; oder man findet ein unvollständiges Gelege von Eiern darin und nimmt sich vor, wiederzukommen, um es dann leer anzutreffen, wenn nicht gar ein paar Waldmäuse dem zufühlenden Finger entgegen- springen. Mit den Insecten geht es womöglich noch schlimmer, und wer auch mit wolgeschulten Augen kein Neuling im Sammeln ge- nannt werden kann, vermag doch nichts Erhebliches an einem Orte zusammenzubringen, wo selbst die bequeme Methode ohne jeden Er- folg bleibt, sie durch Apfeläther zum Forscher kommen zu lassen. Umsonst kiopften wir die Büsche, umsonst verhängten wir das Licht am Abend, umsonst durchstöberten wir Laub und Bäume, wendeten Steine und Erde, pflügten Luft und Gräser mit Netzen: Ameisen und Termiten in unglaublicher Menge schienen immer und immer wieder die einzigen lebenden Wesen weit und breit zu sein. Der geringe Erfolg war niederdrückend. Hatte ich aber wirklich einmal Glück gehabt und wollte dann am Abend schnell die Jagd- beute präpariren, so erschwerten unzählige Stechmücken die Arbeit; und legte ich mich endlich zerstochen und ermattet zur Ruhe, so hatten am andern Morgen entweder Ratten ein schlecht bewahrtes Stück geholt oder Tausende von kleinen, braunen Ameisen dasselbe zum Theil bewunderungswürdig skeletirt. Fielen doch schliesslich selbst ganze Sammlungen diesem Feinde zum Opfer, der mit der Hitze und Feuchtigkeit als treuen Alliirten arbeitete. So schwanden die Illusionen schnell, und nach monatelanger Mühe sah man betrübt die kargen Errungenschaften an. Selbst das Meer und der Strand, ein so reiches Feld für die Forschung an anderen Stellen, war hier unbenutzbar; die hohe, gefährliche Brandung er- laubte den Eingeborenen nur zeitweise den Fischfang, der auch dann noch so sparsam ausfiel, dass der eigene Hunger die Leute Nichts davon abgeben liess. Der sandige Strand aber blieb frei von nie- deren Thieren, denn der Meerboden bestand weithin aus Sand und Schlamm, der, vom Tschiloango oder selbst vom Congo abgesetzt, alles Leben ertödtete, so dass auch das Schleppnetz ohne Erfolg an- gewendet wurde. Dennoch würde es unzweifelhaft gelungen sein, früher über alle sich entgegenthürmenden Schwierigkeiten Herr zu werden, wenn die mit einer Station nothwendig verknüpften Störungen nicht einen grossen Theil des Tages absorbirt hätten. Ich sehe ganz ab von den oft erheblichen Schwierigkeiten, Lebensmittel für einen grossen Haus- halt in Gegenden zu beschaffen, in denen der Segen des Dampfes noch keinen Ausgleich zwischen verschieden fruchtbaren Districten herzustellen vermochte, sondern wo man entweder im Ueberfluss 8 Zeitraubende Besuche. schwelgte oder empfindlichen Mangel litt, je nachdem die Natur den Tisch deckte; darüber wundert sich Niemand, denn jeder Vernünf- tige gewöhnt sich wol schon in der Heimat an den Gedanken, drüben mit Wenigem zufrieden sein zu müssen. Ich sehe ferner ab von den mit Tauschhandel nothwendig verknüpften langwierigen Verhandlungen, weil man sie als zum täglichen Brote gehörig gedul- dig ertragen lernt; geradezu unerträglich aber sind die häufigen Be- suche kleiner Machthaber des Landes, weil sie ebenso zeitraubend als unerquicklich und überflüssig sind. Der vornehme Neger aber hält an ihnen wie an einem verbrief- ten Rechte mit einer Zähigkeit fest, die nur dem mit seiner Hab- sucht Vertrauten verständlich ist; denn die Besuche bilden eine Er- werbsquelle, die, richtig ausgenutzt, einen beträchtlichen Ertrag liefert. Meist macht die Concurrenz der verschiedenen Nationen an- gehörigen Europäer, die stets neidisch und missgünstig gegen einan- der agitiren, sowie die angeborene Schlauheit der Neger, welche immer richtig die Umstände zu ihrem Vortheil combiniren, diese Quelle zu einer stetig und reichlich fliessenden, und während so die Einen ihr Ansehen und ihre Macht untergraben, nehmen Zudringlich- keit und Unverschämtheit der Anderen mehr und mehr zu. Derartige Besuche künden sich schon von Weitem durch die einförmigen Töne einer Blechklapper an, ganz wie bei uns ein heimkehrendes Stück Hausvieh, und man ist dann nachsehend schon zufrieden, wenn das nie fehlende Gefolge eine gewisse Zahl nicht überschreitet, kann es aber wol selten unterlassen, eine leise Verwünschung darüber auszu- stossen, dass wieder mindestens eine halbe Stunde nutzlos geopfert werden muss. Der Betreffende stellt sich nun, wenn er nicht verwöhnt ist, zu- nächst an der Thür des Wohnhauses auf, giebt dem Besitzer oder Aeltesten die Hand und wartet, bis der Dolmetscher gerufen ist, um ihm einen mit Stoff belegten Schemel herauszustellen; in anderen Fällen aber geht er direct in das Zimmer und lässt sich am Tische nieder, so dass man im Zweifel sein kann, wer der Bittende, wer der Be- fehlende ist. Nachdem sich Alles gruppirt hat, wird ein kleines Glas Gin, das nach dem Brauche auf eine Untertasse zu stellen ist, von dem Dolmetscher unter leichter Kniebeugung überreicht, angenommen und zu drei Vierteln geleert, während der Rest in die Tasse gegossen, im Gefolge die Runde macht, bis auch durch den feinsten Geruch kein Atom davon mehr würde erkannt werden können. Bei einiger Freigebigkeit des Hausherrn folgt dem ersten Gläschen wol ein zweites, und dem Gefolge wird vielleicht etwas gewöhnlicher Rum verab- Kunstgriffe der Neger. 3 9 reicht, worauf sich Alles in Ruhe und Ordnung wieder empfiehlt. Wehe aber, wenn ein Gutherziger oder Schwacher sich verleiten lässt, dem weiteren Drängen nachzugeben; je mehr er spendet, um so mehr steigern sich die Forderungen; dann bleibt es nicht beim Glase, dann werden Flaschen voll Rum auf den Weg und Geschenke an Zeug als Erinnerung „um die gute Freundschaft zu erhalten“ kaum noch erbeten, sondern gefordert; und ist ein Mangel an Wider- standskraft erst bekannt geworden, dann löst nicht nur bald ein Mächtiger, an denen bei der allgemeinen Anarchie Ueberfluss ist, den andern ab, sondern sie erscheinen gleich zu Mehreren auf ein- mal, um noch mehr Druck auszuüben. Bewundernswerth ist es oft, welche Mittel dem Neuling gegen- über angewandt werden, um zum Ziele zu gelangen. Durch Er- fahrung belehrt, dass Eitelkeit bei der weissen Race noch mehr aus- gebildet ist als bei der eigenen, beginnt der Neger damit, seinem Opfer zu schmeicheln. Er geräth in Erstaunen und Bewunderung über Alles, was er sieht, und während er jedes Stück einzeln betastet, lässt er es an Lobeserhebungen nicht fehlen. Dabei trägt er eine solche Hochachtung vor dem weissen Manne zur Schau und benimmt sich so kriechend und demüthig, dass wol Mancher der aus der Heimat Uebergesiedelten das Bewusstsein seiner Erhabenheit plötz- lich in’s Unendliche wachsen fühlt und herablassend in die Falle geht, welche der schlaue Eingeborene ihm gestellt hat. Ist der Händler aber bereits durch Erfahrung gewitzigt, hat er begriffen, dass der Neger den Weissen seit Jahrhunderten nur aus seinen Lastern kennt, und dass daher im besten Falle nur von Furcht vor der Macht desselben, nie aber von Hochschätzung der Person die Rede sein kann, und lässt ihn deshalb die Schmeichelkunst des vornehmen Bettlers unberührt, so versucht dieser, namentlich auf vorgeschobenen Posten, nunmehr durch Einschüchterung seinen Zweck zu erreichen: von dem Ton getäuschter Erwartung geht er zur Empfindlichkeit, zum Aerger und zum höchsten Zorn mit solcher Natürlichkeit über, gesticulirt mit so lebendiger Wildheit, dass der Uneingeweihte gewiss nicht auf den Gedanken kommt, dass er einen vollendeten Schau- spieler vor sich hat, der sich durch gleichmüthige Ruhe oder ein leichtes Lächeln des Gegners erkannt sehend, sofort zu den früheren demüthigen Bitten zurückkehren würde. Meist ändert er nun seinen Angriffsplan und versucht durch stundenlanges Warten die Geduld des energisch Widerstrebenden zu ermüden, eine Methode, die nicht selten doch gelingt, da ein geringer Preis für die Wolthat, endlich die lästige Gesellschaft los zu werden, gern gezahlt wird. 10 Consultationen. Hilft dem Betreffenden aber Alles Nichts und sieht er schliesslich die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen ein, so zieht er drohend und laut scheltend von dannen, kommt jedoch schon am nächsten Tage mit einem Geschenk für den Hausherrn zurück, für das er seibstver- ständlich ein Gegengeschenk von mindestens doppeltem Werthe er- wartet; denn für Geschenke in unserm Sinne hat ein Neger kein Verständniss. Erst wenn er auch damit abgewiesen wird, nimmt er es beruhigt wieder mit und weiss nun, wie er sich diesem Weissen gegenüber zu verhalten hat; dann erst wird er umgänglich, nutzbar und bescheiden. So vermochten auch wir uns mit der Zeit Ruhe zu schaffen und die Besuchsunsitte zu beschränken; ganz aufheben aber konnten wir sie schon deshalb nicht, weil ein gewisser Verkehr zur Kenntniss des Landes und der Bewohner unumgänglich nöthig ist, und weil wir selbst auf Excursionen in die Dörfer leicht in die Lage kamen, die Gastfreundschaft der Inhaber in Anspruch zu nehmen. Wenn so einer- seits durch die Bewirthung der Negerhäuptlinge immer noch viel Zeit verloren gieng, so geschah dies in anderer Weise nicht minder durch die Besuche der Weissen, d. h. nicht der Gesunden, die uns persönlich sehr angenehm waren und dies an der Art des Empfanges wol merken mussten, sondern der vielen kranken, welche mich zu con- sultiren kamen. Es ist nicht ganz leicht, in Anbetracht der Wahr- scheinlichkeit, dass diese Stelle auch an der Küste, wo wir thätig gewesen sind, gelesen und kritisirt werden wird, diesen Punct zu be- rühren; ich hoffe aber, dass meine ärztliche Thätigkeit dort bei Allen die Ueberzeugung zurückgelassen hat, dass es nur geschieht und nothwendig geschehen muss, um die Stationsthätigkeit in ihrem ganzen Umfange objectiv darzustellen und zu zeigen, wie nicht jede Stunde des Tages allein für Expeditionszwecke ausgenutzt werden konnte. Bis zu unserer Ankunft war an der ganzen Strecke vom Banya bis zum Congo Jeder sein eigner Arzt gewesen und hatte sich nach überlieferter Schablone durch Brech- und Abführmittel, Chinin, Opium und Hiöllenstein behandelt. In dem Bewusstsein, dass keine andere Hülfe existire, war man in ruhiger Ergebung auf dem Krankenlager geblieben und hatte sich weder gewundert, wenn es besser, noch wenn es bergab gieng; das war nun bei dem Erscheinen eines deutschen Arztes an der Küste mit einem Schlage anders. Jeder fühlte plötzlich die hülflose Lage, in der er sich befand, und da man in der Einsamkeit doppelt um sein Leben besorgt ist, suchte man nun auch bei kleinen Uebeln mündlich und schriftlich von Errichtung eines Lazareths. Ir weit und breit Rath. Auch alte, fast vergessene Leiden fingen wieder an, unbequem zu werden, man musste doch wenigstens den Versuch machen, zu gesunden, um so mehr als die Consultation, wie bekannt, kein Geldopfer erheischte, also nur eine als angenehme Abwechselung erscheinende Reise zu unternehmen war. Wenn man bedenkt, dass es einen ganz Gesunden an der Küste kaum giebt, so kann man die Zahl der von Nord und Süd sowie von den in das Innere vorgeschobenen Stationen in Tschintschotscho eintreffenden in Folge des Klimas oder ihrer Lebensweise acut und chronisch Erkrankten ermessen. Jeder wollte untersucht und berathen sein, war entweder mit einmal verabreichter Medicin, die natürlich erst zu bereiten war, zufrieden’ oder schrieb noch wochenlang nachher um Erneuerung, gieng entweder nach mehrstündiger Rast wieder heim- wärts oder hatte, wie das umfangreiche Gepäck bekundete, die feste Absicht, die Heilung an Ort und Stelle abzuwarten. Da war es denn nicht hoch genug anzuschlagen, dass wir in unserem einzigen Nachbar einen liebenswürdigen, aufopfernden Freund und Berather hatten, welcher bei derartigen verschleppten, oft recht schweren Fällen, wo wir selbst die Kranken nicht aufnehmen konnten und doch nicht so grausam sein durften, sie abzuweisen, ein gastliches Unterkommen in seinem Hause gewährte; er richtete einen geräumigen Schuppen mit acht Betten zum Lazareth her, das fast ein Jahr lang bestand und sich erst bei meiner durch län- gere Reise nach Loanda bedingten Abwesenheit von selbst auf- löste. Es war zumeist der nie ermüdenden Sorgfalt des Shr. Moreira zu danken, dass wir in der ganzen Zeit keinen Todesfall zu beklagen hatten, und wir freuten uns oft im traulichen Gespräche der glück- lichen Erfolge. Um so tiefer bedauerte ich es, ihn selbst, als er später vom perniciösen Fieber ergriffen wurde, nicht retten zu können. Wol selten ist Jemand unter so ernster Trauer zu Grabe ge- leitet worden als Jener von sämmtlichen Mitgliedern der Expedition; aber nicht die Flagge allein, die an dem Tage halbmast unsern Ver- lust der Umgegend meldete, nicht der ihm von uns errichtete Grab- stein, der dort noch späteren Generationen von ihm erzählen wird, auch diese Worte hier mögen es Allen verkünden, dass wir sein Andenken als das eines edeln Menschen, eines treuen Freundes und Förderers der Expedition so ehren, dass, wo immer von dieser ge- sprochen werden mag, wir auch seinen Namen nicht vergessen. Damals dachten wir weder an diesen noch an andere Verluste und erfüllten getreulich die Pflichten, welche das neue Lazareth uns auferlegte; allerdings waren diese namentlich für mich drückend; da 12 Verwundung eines Negers. waren Morgen- und Abendvisiten zu machen, oft konnte sogar in der stärksten Mittagshitze ein Gang nicht verschoben werden. Ich mag nicht verhehlen, dass ich es oft innerlich verwünschte, dass mein Beruf der Küste kein Geheimniss hatte bleiben können, und dass nicht nur Humanitätsrücksichten, sondern auch das Interesse der Expedition uns zu stets gleicher Zuvorkommenheit allen Fremden gegenüber zwangen; denn wer konnte wissen, wie weit Jeder der Patienten später in die Lage kam, uns die wesentlichsten Dienste zu leisten? Es ist dieser Fall auch eingetreten, und mit Freuden dürfen wir anerkennen, dass die geleisteten Dienste von Vielen hundertfach vergolten worden sind. Um die Mühen und Unzuträglichkeiten, welche mit dem Kranken- dienst verknüpft waren, besser zu verstehen, bleibt noch übrig mit eini- gen Worten auf diesen einzugehen. Wer einem eingerichteten, mit Wär- tern wolversehenen Lazarethe in civilisirten Landen vorsteht, begreift kaum, was es heisst, alle Handreichungen selbst zu leisten, Apotheker, Arzt und Gehülfe in einer Person zu sein; wer nur mit gesitteten Patienten umgeht und jeden, der ihm nicht behagt, abweisen darf, denkt sich kaum in die Lagen hinein, in die man verwilderten Euro- päern oder Negern gegenüber kommen kann. Wir werden nimmer das wüste Getöse vergessen, das eines Tages, als wir bei Tisch sassen, vom Nachbarhause heranwogte und näher und näher kommend immer mehr anschwoll, bis man endlich einen von mehreren Anderen geführten, blutenden Neger unterscheiden konnte, der von einer in entfesseltster Wildheit schreienden, springenden, gesticulirenden Masse zu uns geleitet wurde. Es war ein im La- zareth beschäftigter Diener, dem ein kranker Holländer ein Tisch- messer in den Leib gestossen hatte, weil er einen Befehl nicht schnell genug ausführte. Glücklicherweise verlief die Wunde zwischen den Muskeln abwärts, so dass keine inneren Organe verletzt waren, und verheilte schnell. Trotzdem aber vergieng eine geraume Zeit, ehe die ungeheure Erregung beschwichtigt, ehe das Ereigniss vergessen, ehe der Groll gegen die weisse Race verschwunden war, von der sich ein Individuum vergangen hatte, und manche unangenehme Scene musste durchlebt werden, ehe das Lazareth von den rohen Gesellen, die ohne mein Wissen schon lange ihren Befehlen mit von den Betten aus geworfenen Gläsern, Messern und Gabeln Nachdruck verliehen hatten, gereinigt war. Am deprimirendsten wirkte zu Zeiten der Mangel nicht nur einer geeigneten Krankenkost, sondern jeglicher Nahrung überhaupt, so dass oft mehreren Negern Flinten gegeben werden mussten, um im Hülferufe Schwerkranker. 13 Walde Glanzstaare zu schiessen, die gerade massenweise auftraten; denn waren sie auch nicht wolschmeckend, so gaben sie doch mit Palmöl, Reis oder Bohnen zubereitet, ein nahrhaftes Gericht. Am fühlbarsten war zweifellos der Mangel grünen Gemüses; zwar hatten wir Samen aller Art mitgebracht, die uns zu Statten kommen sollten und später auch von grossem Nutzen waren: aber erstens wachsen und gedeihen sie nur in der Periode, welche überhaupt schon Ueber- fluss bietet, der Regenzeit, und dann kann man ein recht guter Astronom, Geologe, Arzt oder Techniker sein, ohne etwas im Garten- bau zu leisten, ja man kann sogar ein recht guter Botaniker sein und doch lange Erfahrungen sammeln müssen, ehe man in einem fremden Klima weiss, wann, wie und was man zu säen hat. Damals wenigstens, wo wir des Wechsels der Nahrung am meisten bedurften, hatten wir absolut keine Aussicht, Etwas zu ernten. So wurde das Lazareth für die Station ein schweres Kreuz, an dem sämmtliche Mitglieder zu tragen hatten, und doch waren hier immer nur die relativ leichter Erkrankten untergebracht und der Zeit- verlust bei ihrer Behandlung gering den anderen Fällen gegenüber, in denen die Leidenden nicht mehr transportirt werden konnten und mit einem beschwörenden Briefe zugleich die Hängematte oder das Canoe sandten, um mich zu dem stundenweit entfernten Orte abzuholen. Es wäre unmenschlich, bei solcher Gelegenheit einem Verzweifelnden mitten in der Wildniss Hülfe zu verweigern, wenn man die einzige Person ist, die sie zu gewähren vermag, und zugleich unklug, da man die Vorwürfe der ganzen Küste mit allen Folgen für die Expedition auf sich laden würde, wenn der Kranke elend, ohne die erbetene Hülfe erhalten zu haben, vielleicht "umkäme: es ist aber auch eine grosse Zumuthung, solchen dringenden Bitten immer nachzukommen, wenn auf der anderen Seite die Pflichten für das grosse Unternehmen gel- tend gemacht werden, und man sich gestehen muss, dass zur Erreichung der in der Heimat mit Recht erwarteten Resultate die Ausnutzung der vollen Zeit des ganzen Tages erforderlich sei. Indessen so schwer es auch oft war, eine angefangene Arbeit zu unterbrechen, liessen wir doch nach reiflicher Ueberlegung die Menschlichkeitsrücksichten stets obsiegen, und nie gieng eine Hängematte von Landana oder Massabe, nie ein Canoe von den am Tschiloangoflusse gelegenen Orten Insono oder Tschimfimo leer zurück. Wir hofften, dass, wenn ge- wissermassen sämmtliche Europäer der Umgegend unsern ärztlichen Rath gebraucht und eingesehen hätten, dass auf der einen Seite Un- mögliches auch vom Arzte nicht verlangt werden könne und auf der anderen gegen die klimatischen Fieber das altbewährte Mittel Chinin 14 Eigenthümliche Honorare für ärztliche Hülfe, ebenfalls Anwendung fände, der allgemeine Andrang von selbst einer ruhigeren Strömung Platz machen würde, dass ferner, wenn die Mehr- zahl der Ansiedler sich uns verpflichtet fühlte, die Unterstützung un- serer eigenen Interessen durch dieselben unmöglich ausbleiben könnte. Der ausgestreute Same wuchs denn auch auf dankbarem Boden und reifte zu hundertfältiger Frucht. Wenn ich heute nach fast zwei Jah- ren zurückblicke, so kann ich die für Andere aufgewendete Mühe und Zeit nicht verloren nennen, denn unseren Kräften allein wäre es nie möglich gewesen, neben allen übrigen Arbeiten so bedeutende na- turwissenschaftliche und ethnologische Sammlungen zusammenzubrin- gen, der Gorilla wäre vielleicht nie auch nur käuflich für mich ge- wesen, während man ıhn mir unter den erwähnten Umständen als Anerkennung für die stete Hülfsbereitschaft nach echt portugiesischer Weise gern zum Geschenk machte. Da anderes Honorar nicht an- genommen wurde, und Jeder sich doch erkenntlich zeigen wollte, so trafen von nah und fern einzelne seltene Insecten oder ganze Samm- lungen in Kästen und Flaschen mit Spiritus, Reptilien aller Art, Felle, Skelete, ja selbst lebende Affen, namentlich Chimpansen, oder Waffen, Geräthe und Gewebe ein, oder es ergiengen Einladungen, Menschen, Pflanzen, Landschaften und Anderes, was besonders cha- rakteristisch war, an Ort und Stelle zu photographiren. Vielen mag vielleicht der Gedanke kommen, dass eigentlich zum Zusammenhäufen eines bedeutenden Materials Nichts natürlicher und einfacher gewesen wäre, als die Eingeborenen für diesen Zweck her- anzuziehen, dass, wie mir auch von der Heimat damals geschrieben wurde, jeder Negerbube für die Sammlungen zu benutzen sein müsse. Jetzt würde dies vielleicht auch der Falf sein, jeder Nachfolger würde auf dem nun vorbereiteten Terrain ungleich leichter zu arbeiten ver- mögen; anders aber war es bei unserer Ankunft, wo die Leute ein Verständniss nur für weisse Händler hatten, welche in ihrem Hause auf Gummi, Oel und Elfenbein warteten und die üblichen Tauschartikel dafür zahlten, Naturforschern mit ihren wunderbaren Passionen aber ebenso fremd als misstrauisch entgegentraten. Auch von uns wurde von Anfang an versucht, die Eingeborenen zum Sammeln zu benutzen, doch führten unsere Bemühungen mit ihnen erst im zweiten und dritten Jahr wirklich zum Ziele. Die Zeit, in welcher sie uns Thiere in ihren einzelnen Bestandtheilen stückweise brachten, dauerte zwar nicht lange, aber als man es nun zu verstehen meinte und ganze Tage aufgewendet hatte, um gewöhnliche Arten zu Hunderten und Tausenden in einem Gefässe heranzuschleppen, war man überrascht, dafür nur relativ geringen Lohn zu erzielen, und gab diese Art des Thermometrische und Anthropologische Messungen. 15 Erwerbes bald wieder auf. Mancher lernte schliesslich wol, auf alle Ideen einzugehen, und war nach jeder Seite hin brauchbar, dann dauerte es aber nicht lange, bis er sich für unentbehrlich hielt und nicht zu befriedigende Ansprüche für seine Dienste stellen zu können meinte; dennoch wurde unermüdlich von Neuem gelehrt und unter- wiesen, bis eine Concurrenz allmählich heranwuchs, welche die Preise in vernünftige Bahnen zu lenken erlaubte. So unterschätzt man in der Heimat leicht die Schwierigkeiten, auf welche wissenschaftliche Vornahmen in Gegenden stossen, die mit denselben nicht vertraut sind, weil man sie bei sich tagtäglich übt, ohne Widerstreben zu be- gegnen. Ich wurde z. B.von competenter Seite, welche bei Krankheiten die thermometrischen Messungen in den die Temperatur allerdings ganz correct wiedergebenden, in das Innere des Körpers führenden Wegen vorzunehmen pflegte, darauf hingewiesen, dass meine durch Wärme- messungen in der Achselhöhle gefundenen Werthe angegriffen werden könnten, und es demnach bei der Wichtigkeit des Gegenstandes vor- zuziehen sei, die andere Methode zu wählen; wenn der Herr College aber gewusst hätte, welche Mühe der so unschuldige Weg schon verursacht hatte, und wie man bei der anderen Procedur zweifellos schreiend da- vongelaufen wäre und die seltsamsten Gerüchte über die deutschen Doctoren im Lande verbreitet hätte, so würde er sich gewiss gleich mir mit dem Erreichbaren begnügt haben. ; Aehnlich ergieng es bei anthropologischen Messungen: Wenn der Stangencirkel, das Bandmass und andere Instrumente benutzt werden sollten, so war nur das im Dienste des Hauses befindliche Personal nach langem Zureden zum Stillhalten zu bewegen, während Fremde auch durch eine grössere Quantität Rum nicht veranlasst werden konn- ten, sich mit den kalten, scharfen Cirkelspitzen oder dem stählernen, mit wunderbaren Zeichen versehenen Masse an allen möglichen Kör- pertheilen berühren zu lassen. Die Antipathie dagegen war so un- verkennbar, dass ihr Rechnung getragen werden musste; wir konnten dies auch um so leichter thun, als die dabei in den Beobachtungs- reihen entstehende Lücke durch die später zahlreich mit dem Meter- stab zur Seite photographisch aufgenommenen Menschentypen aus- gefüllt wurde. Die Photographie, welche die Körperformen auch für Andere messbar am allergenausten zur Anschauung 'bringt, leistet der An- thropologie die wesentlichsten Dienste und sollte ‘gewiss noch häufiger, als es bereits geschehen ist, auf Reisen in Anwendung ge- bracht werden; sie bietet neben anderen Vorzügen auch den der Schnel- 16 Erwerb menschlicher Gebeine. ligkeit; denn da mehrere, gewöhnlich drei Individuen auf einmal auf- genommen werden können, so braucht man selbst bei den für die Vorder-, Seiten- und Hinteransicht nöthigen drei Platten weniger Zeit als bei den umfangreichen Messungen, von denen eine jede ohne As- sistenz vorgenommen mindestens eine halbe Stunde beansprucht. Wenn man nebenher zur Controle noch die Körperhöhe, die Hauptkopfmasse und das Verhältniss der Glieder zum Rumpfe notirt, so wird man allen Anforderungen genügen, da nicht zu vergessen ist, dass die Hauptstudien am Skelet selbst zu machen’ bleiben, und dass daher ein Skelet oder auch nur ein Schädel mehr Nutzen bringt, als eine grosse Zahl von häufig noch ungenauen Messungen. Man hüte sich indess vor dem Irrthume, als wären im Lande der Wilden überall menschliche Gebeine so leicht zu beschaffen, wie es an einigen Orten einzelnen Reisenden möglich gewesen ist. Wenn es sich nicht um einen alten Kampfplatz handelt, von dem man das umherliegende Material nur aufzulesen braucht, — wozu sich in Loango nirgendswo Gelegenheit bietet — wenn man nur auf die Todten des eigenen Stammes rechnen kann, so hat man sehr bedeutende Schwie- rigkeiten zu überwinden, ehe derartige bis dahin ungewöhnliche Ver- kaufsobjecte angeboten werden; so war es uns anfänglich selbst gegen hohen Lohn unmöglich, unsere Wünsche zu befriedigen, und auch später konnte ein solches Geschäft immer nur mit grosser Heim- lichkeit abgeschlossen werden, da den Verkäufern augenscheinlich viel daran lag, Nichts darüber ruchbar werden zu lassen. Das Aus- graben eines Skeletes, das von einem Sclaven eines zwei Stunden entfernten Hauses stammte, gehört noch jetzt zu meinen peinlichsten Erinnerungen, und ich hätte es später nie versuchen mögen, unsere eigenen Todten zum Besten der Wissenschaft zu exhumiren; denn es wäre uns dann nie möglich gewesen, jene Zusammengehörigkeit zu erzielen, welche uns doch schliesslich nach vieler Mühe mit un- sern Leuten verknüpfte. Doch habe ich die Erfahrung gemacht, dass man als Neuling häufig da, wo man tiefwurzelnde Anschauungen der Eingeborenen zu verletzen fürchtet, im Grunde genommen nur das eigene Gefühl zurückzudrängen, den eigenen angeborenen oder aner- zogenen Ideenkreis zu überschreiten hat. Wenn das aber unbedingt feststeht, so ist es nichtsdestoweniger natürlich, dass die von der Cul- tur noch wenig berührten Volksstämme sich gleichfalls an die ihnen unbekannten Erscheinungen erst gewöhnen müssen, und ihnen nur ganz allmählich vertrauensvoil näher treten. Den besten Beweis hierfür bot uns das Photographiren, wofür bei unserer Ankunft kaum Objecte aufzutreiben waren, während in N s 6) I Sue, d s 9 PA Stellung der Neger zur Photographie. 17 letzter Zeit nicht allen Anerbietungen genügt werden konnte; recht ungünstig traf es sich dabei noch, dass bei der im Jahre 1873 stark an der Küste wütnenden Pockenepidemie drei Personen bald nach ihrer Aufnahme der Krankheit zum Opfer fielen. Wurde auch der Apparat nicht Öffentlich und direct mit ihrem Tode in Verbindung gebracht, so war doch an der Scheu, mit der ihm Jedermann aus- wich, zu ersehen, dass eine solche nicht ganz ausgeschlossen war. Man nahm vieileicht an, dass durch das Erscheinen des Bildes auf der Platte, das mit stummem Staunen betrachtet wurde, ein Theil der lebendigen Kraft des Individuums auf jene übergegangen, also für dieses verloren sei. Als ich mich einst nach dem nicht weit von der Station gelegenen Dorfe Makaya mit dem Apparate begeben hatte, um einige der herr- lich an einem wahren Walde von Bananen gelegenen Hütten aufzu- nehmen, rotteten sich während der Arbeit die Dorfbewohner zusam- men, gaben ihre Missbilligung erst einzeln, dann zusammen immer lauter zu erkennen, bis sie in ihrer Erregung näher und näher her- andrängend sogar Hand an das Dunkelzelt zu legen versuchten, so dass ich aufzubrechen und fast unverrichteter Sache heimzukehren ge- zwungen war. Noch grösser war der Aufruhrin Tschibona, einem etwa zwei und eine halbe Stunde nördlich gelegenen Dorfe, wo ich den berühmten Schädelfetisch, eine Zusammenhäufung von Schädeln ge- tödteter Thiere aller Art an der Stelle im Walde, wo der Erdgeist zu Unterredungen mit dem Priester an die Oberfläche zu kommen pflegt, aufzunehmen gedachte. Mein Vorhaben war bekannt geworden, und auf dem Wege begegnete mir eine ganze Procession mit den ‚Würdenträgern und dem Priester der Gegend an der Spitze, welche schreiend und in höchster Exaltation herumspringend nach dem Han- delshause zog, von wo mir bald ein Bote mit der Bitte nachgesandt wurde, mein Unternehmen zur Vermeidung von Misshelligkeiten und Störungen der Handelsbeziehungen lieber aufzugeben. Später, als die Unschädlichkeit des Apparates bekannt geworden war, hatte ich dergleichen nicht mehr zu befürchten; im Gegentheil war die Freude über jedes gelungene Portrait, namentlich wenn es durch günstiges Licht und viele Reflexe recht hell ausgefallen war, sehr gross, und man zeigte die im kleinen Goldrahmen befindliche Copie mit befriedigtem Stolze, um ihr dann einen Ehrenplatz in der Hütte anzuweisen oder in der Kiste, welche alle Schätze barg. War aber die Copie durch zu kurze Exposition undeutlich und dunkel, so wurde sehr scharf darüber kritisirt, und der Betreffende zog enttäuscht mit einer durchaus keine Anerkennung verrathenden Miene von dannen. Loango. I. 2 18 Mukanden. Lohnverhältnisse. Ich durfte mich später in den Dörfern frei und unbehelligt bewegen, indem ich höchstens die Bereitwilligkeit ihrer kleinen Beherrscher mit mässigen Quantitäten Rum lohnte. Damit braucht man sich in- dessen bei derartigen und zu anderen Zwecken veranstalteten Aus- flügen nicht selbst zu belasten, sondern hat nur einen Bleistift und Zettel bei sich zu führen, auf welche man die als Geschenke oder zum Ankauf von Nahrungsmitteln festgesetzten Mengen von Rum oder Tauschartikeln überhaupt notirt, und dann den mit Datum und Na- mensunterschrift versehenen Zettel dem Betreffenden einzuhändigen; diese Anweisungen sind die schon in Abtheilung I erwähnten Mukan- den (Wechsel), welche je nach Belieben und Bedürfniss im Hause des Weissen präsentirt und eingelöst werden, welche gestatten, tage-, ja wochenlang ohne grösseres Gepäck in der Umgegend herum zu reisen und alles zum Lebensunterhalt Nöthige auf Credit zu erhalten. Selbst- verständlich vermag keiner der Empfänger die Schrift auf dem Papiere zu entziffern; doch haben sie in diesem Puncte ein unbedingtes Ver- trauen zum Weissen, obgleich er sonst beim Handel, wie sie wissen, in der Wahrung seines Vortheils nicht gerade engherzig ist. Eine Mukanda wird für alles Denkbare ausgestellt: sei es, dass man einen Neger auf längere Zeit in Dienst nimmt oder einen Boten nach einer fernliegenden Factorei braucht; sei es, dass man eine Frau zur Besorgung der Hausgeschäfte, einen Wäscher oder Koch engagirt oder dass man einem Mächtigen einen monatlichen Tribut bewilligt oder Landesproducte und Curiositäten erwirbt, überall wer- den Mukanden verlangt. Das Anrecht auf den notirten Werth er- lischt nie, wird aber meist monatlich geltend gemacht, wobei sich der Erheber in der Regel um keinen Tag verrechnet, sondern nach seinem Kerbholze genau zum abgelaufenen Termine einstellt; dabei sind die Mukanden gewöhnlich nicht in den Händen derer, auf deren Namen sie lauten, sondern werden von den nach ihren Gesetzen dazu Berech- tigten, dem Vater, Onkel oder Dorfherrscher, aufbewahrt. Nicht ganz leicht ist es, sich mit den jedesmal zu notirenden Preisen, welche durch langjährigen Usus geregelt und zum Theil für unsere Begriffe hoch, zum Theil ungemein niedrig sind, bekannt zu machen: So bezieht ein zum persönlichen Dienst angenommener Ne- gerknabe, der Mulek, je nach seinem Alter, nach Brauchbarkeit und Dienstzeit einen monatlichen Lohn von ein bis zwei Stücken Zeug zu je sechs Yards Länge und einer halben bis ganzen Flasche Rum zu dreiviertel Liter Inhalt; daneben wöchentlich als Kostgeld, obgleich er sich an den bei Tisch für ihn abfallenden Resten meist genügen lässt, ein bis zwei Tücher von je ein viertel Stück Länge und ein Preise für Nahrungsmittel und Sammelobjecte. 19 Glas oder eine halbe Flasche Rum. Ein Wasserholer erhält monat- lich zwei Stücken Zeug und eine Flasche und ausserdem wöchentlich noch zwei Tücher und eine Flasche; ein Wäscher monatlich vier bis sechs, selbst acht Stücke und zwei Flaschen und wöchentlich noch ein Stück und eine Flasche. Ein Dolmetscher, der die Unterhand- lungen vermittelt und auch dann, wenn man selbst der Umgangs- sprache, des Portugiesischen, ganz mächtig ist, von grosser Wichtigkeit bleibt und nie fehlen darf, weil er zugleich auch das Hauswesen beauf- sichtigt, empfängt monatlich sechs bis zwölf Stücke und fünf Flaschen und ausserdem wöchentlich ein Stück und ein bis zwei Flaschen Rum. Es kostet ein Ei in der trockenen Zeit ein ganzes, in der Regenzeit jedoch nur ein halbes Glas Rum; ein Huhn eine halbe bis eine ganze Flasche oder entsprechend viel Zeug; eine Ziege vier bis sechs Stücke Zeug und zwei bis drei Flaschen; ein Hammel sechs bis zwölf Stücke und fünf Flaschen; eine Traube Bananen mit 5o—ı100 Früchten eine halbe bis ein und eine halbe Flasche Rum. Der Preis für Sammel- objecte musste erst bestimmt werden; es wurde bezahlt: für einen Schädel ohne Unterkiefer zwei, mit letzterem drei Flaschen; für eine Flasche mit Insecten eine halbe bis eine Flasche; für eine kleine Schlange eine halbe bis eine ganze, für grössere jedoch zwei bis drei Flaschen; für eine Eidechse, Ratte oder Maus je nur ein Glas; für eine Meerkatze ein bis zwei Stücke Zeug und ein bis zwei Flaschen; für einen kleinen Chimpansen vier bis sechs Stücke Zeug und fünf Flaschen, für grössere sechs bis zwölf Stücke und zehn bis funfzehn Flaschen Rum. Beim Handel gelten bestimmte Mittelsätze, welche durch den in Europa für die Producte gezahlten Marktpreis wesentlich beeinflusst werden, so dass dabei in Hinsicht auf die grosse Concurrenz ein stets ausgedehntes Feilschen die Regel ist. Der Händler ist daran ge- wöhnt und hat meist ebensowenig- zu versäumen als der Neger, er kennt die Sitten des Landes genau und hat sich ihnen angepasst, er wartet es ruhig bis zum anderen, ja dritten Tage ab, um günstige Geschäfte abzuschliessen. Seine Haupttugend ist nach vieljährigem Aufenthalte die Geduld geworden, sie hilft ihm überall vorwärts und durch alle schwierigen Lagen hindurch, sie ist das Ziel, was zu er- reichen Jeder, der in Africa leben will, gleichfalls ringen muss. Für den Reisenden ist diese Geduld allerdings noch schwerer zu erwer- ben als für jeden Anderen, denn sie kostet Zeit, und die hat er ge- rade am allerwenigsten. Der Tag ist,nicht lang, um sechs Uhr geht die Sonne auf, um sechs Uhr geht sie unter; und wenn man sich die mannigfache Art der Beschäftigung mit all den damit verbundenen 2* 20 Tageseintheilung. Störungen vergegenwärtigt, so begreift man, dass viele Wochen und Monate vergehen müssen, ehe im Einzelnen bedeutende Resultate zu erzielen sind; dennoch wird der Forscher mit Geduld immer und überall am Weitesten kommen und, indem er sich nie überanstrengt, das Meiste erreichen. Die Arbeiten nach Sonnenuntergang fortzu- setzen, ist aus hygieinischen Gründen durchaus zu widerrathen; wenn sie nicht absolut dringend sind, ist es bei Weitem vorzuziehen, dann nur noch die Vorbereitungen für den nächsten Tag, die oft recht um- fangreich sind, zu treffen und sich die Nachtruhe nicht unnöthig zu verkürzen. In gleicher Weise ist es durchaus nöthig, die drei Mal- zeiten, d. h. um sechs Uhr früh den Kaffee, um elf Uhr das Früh- stück und um sieben Uhr Abends.das Mittags- oder besser Haupt- essen regelmässig inne zu halten und so gut es irgend angeht herzu- richten, was, so lange der Aufenthalt in einer Station dauert, immer möglich sein wird. Dann macht man die Erfahrung, dass es sich in Africa bei relativ guter Gesundheit recht angenehm lebt, bedeutend besser, als sich in der Heimat vermuthen liess. Ueberall und immer . wieder zeigt es sich eben, dass die Ansichten über alle Dinge, nament- lich auch über die Eingeborenen selbst, denen man in Europa huldigte, irrige waren. „Mbulu‘“, unser zahmer Schakal, SAD Anthropologische Betrachtung des Negers. — Hauptschädel- und Gesichtsmasse. — Prognathie. — Körperverhältnisse.. — Schwierigkeiten beim Schätzen des Alters überhaupt, der Reife insbesondere. — An- sicht über die sogenannte Zwergrace der Babonge. — Verhalten der Haut bezüglich der Farbe, der Secrete etc. — Mangel miss- gebildeter Körper. — Urtheile anderer Reisenden. Wenn wir den Neger der Loangoküste nunmehr einer ge- naueren Betrachtung unterziehen, so gilt diese nur seiner physischen Me ——— m ae B F RIIT —M pumayef Erscheinung, da Alles, was sich Weib mit „Muteta“. auf die Entwicklung und Aeusse- rung seiner geistigen Eigenschaf- ten bezieht, an anderer Stelle abgehandelt werden wird. Wir haben es hier zunächst mit den Verhältnissen des Schädels und weiterhin mit denen des Körpers zu thun, welche wir zum besseren Verständniss mit denen des Europäers vergleichen wollen. Der Schädel ist stark dolichocephal, also lang von vorn nach hin- ten und schmal. Die grösste Länge, von der Mitte des Nasenwulstes der Stirn bis zum hervorragendsten Puncte der Hinterhauptsschuppe 22 Stirn. Backenknochen. Augen. gemessen, beträgt im Mittel 17,74 Cm.*), die grösste Breite 12,8 Cm., Breite X 100 der Längenbreitenindex | ze demnach 72,15, während er bei uns zwischen 78 und 79 liegt. In Folge der grossen Schmalheit ist aber die Höhe des Schädels beträchtlich gesteigert, da diese, wie die Erfahrung gelehrt hat, durch- schnittlich im umgekehrten Verhältniss zur Breite wächst, und schmale Schädel im Allgemeinen hoch, breite aber flach sind. Die Stirn spitzt sich nach vorn zu, indem gewissermassen beide Stirnhöcker sich zu einem zu verschmelzen suchen und nach der Mitte hin zusammen- rücken. So ist es natürlich, dass wir von einer breiten, schönen Stirn- fläche, wie sie ausgezeichnete Denker ziert, Nichts finden, was noch mehr dadurch auffällt, dass ihre Ebene nicht in der Verlängerung des Gesichts gerade aufsteigt, sondern sich, wenn auch nicht bedeutend, doch mehr als bei uns nach hinten neigt. Die Länge des letzteren von der Nasenwurzel zum Kinn beträgt ı1,18 Cm., die Breite an der grössten Wölbung der Jochbrücke 12,6 Cm. im Mittel. An ihm fallen uns zu- nächst die Jochbeine auf, deren äussere Fläche nicht die europäische Schönheit bedingende, leicht convexe Wölbung zeigt, sondern schräg von innen, vorn und oben nach aussen, hinten und unten geht, auch, statt am unteren Rande nach innen umzubiegen, diesen scharf nach aussen heraustreten lässt und dadurch das so bedeutungsvolle Racen- kennzeichen der hervorstehenden Backenknochen in erster Linie bilden hilft. Die Jochbrücke weist an und für sich keinen kühneren Bogen als am Europäerschädel auf, überbrückt jedoch wegen des geringeren Abstandes der Schläfenflächen von einander (10,49 Cm.) eine beträcht- lichere Tiefe, welche den sehr kräftig entwickelten Kaumuskeln den erwünschten Raum zur nöthigen Ausbreitung bietet. Bei der Augenhöhle finden wir eine im Verhältniss zur Breite geringe Höhe, so dass sie nicht vorwiegend rundlich, sondern mehr länglich vierseitig erscheint; dabei geht der obere Rand meist gerade nach aussen, während er sich bei uns in einem nach abwärts sehen- den Bogen senkt. Die Augenbrauen und Stirnwulste zeigen sich sel- tener stark entwickelt, in der Regel sind sie mässig oder gar nicht ausgebildet. Eigenthümlich berührte es mich, an der Nase, die uns an Ort und Stelle kaum noch wegen ihrer Breite und noch weniger wegen ihres Eingesunkenseins auffiel, beim Vergleich durch exacte Messung beide Eigenschaften in ausgeprägtem Masse zu finden. Man *) S. Zeitschrift für Ethnologie, neunter Jahrgang 1877, Heft IV, Verhandlungen p. 163 ff. ? Nase, Gesichtswinkel. 23 sieht dann, dass in den wenigsten Fällen die vereinigten Nasenbeine die Form eines Sattels bieten, der dann flach ist und eine seichte Vertiefung in der Mitte nachweisen lässt, sondern dass sie meist platt zusammen- gefügt und beträchtlich eingedrückt sind. Die Nasenöffnung verliert sowol durch die fiache Rundung des freien Randes der Nasenbeine als durch ihre geringe Höhe bei gleicher oder ausgedehnterer Breite ganz ihre schön birnförmige Gestalt, während zugleich der vordere Nasenstachel immer wenig ausgebildet ist, und die Vorderfläche des Zahnfortsatzes nicht durch einen scharfen Rand vom Boden der Nasen- höhle getrennt ist, sondern unmittelbar in diese übergeht. Dieser Zahnfortsatz ist es nun aber vor Allem, welcher durch das Vorspringen seines unteren Randes dem Negergesicht das eigen- artige Gepräge giebt, wenn auch in Wirklichkeit der ganze Ober- kiefer sowol bezüglich des Körpers als seiner übrigen Fortsätze an der andersartigen Bildung gleichmässig theilnimmt. Er zeigt in seinem unteren Theile einen schmaleren und zugleich längeren Bogen als der unsere, wodurch seine Vorderfläche mehr nach hinten flieht und nicht die wolthuende Breite des Gesichts zu Stande kommen lässt, welche den Europäer so vortheilhaft auszeichnet. Nebenher ist die Grube über dem Eckzahn häufig stark vertieft und die senkrechte Höhe zwischen dem unteren Augenrande und dem des Jochfortsatzes geringer als bei uns. Man hat sich nun, so lange als man eben jenes Vorspringen des Zahnrandes und die ganze Formation des Öberkiefers, unter dem Namen Prognathie zusammengefasst, als ein besonderes Racenmerk- mal hinstellte, damit beschäftigt, den Grad der Ausbildung dessel- ben durch bestimmte Winkel zu veranschaulichen. Die Menge der verschiedenen Constructionen beweist zur Genüge, wie schwierig und undankbar diese Aufgabe ist. Nach Vergleich aller hier einschlägigen Methoden fand ich, dass der Winkel, dessen Scheitel in der Mitte der Verbindungslinie der Zahnfortsätze liegt und seinen einen Schenkel zur Mitte der Ohröffnung, den anderen zur Nasenwurzel sendet, die allergleichmässigsten Werthe ergiebt. Er betrug im Mittel 67,4°, wäh- rend beim Europäer die gleiche Methode 90° ergeben würde. Die Capacität des Schädels wurde zu 1275 Cub.-Cm. berechnet, während die unsrige zwischen 1450 und 1500 Cub.-Cm. liegt. Ich habe nicht untersucht, ob die Dickendurchmesser der Kopfknochen, namentlich der platten, die der unsrigen übertreffen, doch scheint es fast so, wenigstens legen die Händler sie als feststehendes Factum ihren hier- her applieirten Züchtigungen zu Grunde; und schon in früheren Zeiten müssen die spanischen Hauptleute daran geglaubt haben, wenn es 24 Gesichtspuncte für Vergleiche von Körperverhältnissen, wahr ist, dass sie ihren Soldaten einschärften, nicht nach dem Kopfe zu hauen, weil sonst die Säbel zersprängen. Wenn wir nunmehr zu der vergleichenden Betrachtung der üb- rigen Körperverhältnisse übergehen, so wenden wir uns vom Skelet zum lebender Menschen und haben zunächst unser Augenmerk dar- auf zu richten, in allen Fällen möglichst gleichartiges Material ein- ander gegenüber zu stellen, da wir nur so auf Resultate hoffen können, nicht aber, wenn wir ein normal und schön giebautes Individuum aut der einen Seite und ein missgeebildetes, verkümmertes auf der anderen zu Vergleichsobjecten wählen. Vielleicht erscheint es Vielen überflüssig, dass darauf noch erst hingewiesen wird, denn dass dieser Grundsatz leitend sei, versteht sich fast von selbst; er muss aber doch nicht bei Allen, welche ihr Urtheil über die Neger abzugeben sich seit Jahrhunderten berufen fühlten, leitend gewesen sein, da sonst unmöglich die oft wunder- baren Vorstellungen und unglaublichen Vorurtheile in dieser Hinsicht sich hätten einwurzeln können. Es ist gewiss nicht tief genug zu beklagen, dass viele Unberufene nach kurzem Aufenthalt in irgend einer unbekannten Gegend so schnell mit ihren Urtheilen fertig sind und sie stets mit um so grösserer Sicherheit veröffentlichen, je we- niger sie eigentlich von der Sache verstehen; die Anschauung allein, die subjectiven Eindrücke reichen nicht einmal beim Fachmanne aus, sie ändern sich, je nachdem die Erinnerung an europäische Form noch frisch oder mehr in den Hintergrund getreten ist, sind aber ganz unberechenbar, wenn Reisende ohne anatomische Grundlage, vielleicht ohne Kenntniss heimischen Wuchses überhaupt, ausgenommen etwa des eigenen, sich weitläufig über typische Verschiedenheiten aus- lassen. Man sollte nie vergessen, dass in solchen Puncten nur die exacte Messung zu Resultaten führen kann, die selbst dann noch mit der nöthigen Reserve gegeben und angefasst werden müssen. leder Rei- sende sollte stets eingedenk sein, wie sehr von seiner Willkür, seinem Tact und Vermögen zum Theil die Vorstellungen der Heimat beein- flusst werden können, und sollte das in ihn gesetzte Vertrauen durch möglichste Objectivität und Vorsicht zu rechtfertigen suchen. Handelt es sich um die Photographie, so lügt diese allerdings an und für sich nicht, sie giebt genau und schonungslos wieder, was sie sieht, obgleich ihr Sehen immerhin ein einseitiges und auf einen Punet concentrirtes ist. Aber gerade deshalb ist es eine nicht ganz leichte Aufgabe, das zu fixirende Material zweckentsprechend zu sich- ten und neben den alten, verkommenen Individuen, die sich immer mühelos auftreiben lassen, der Heimat auch die elastische, frische Jugend Schwierigkeit bei Schätzung des Lebensalters. 25 vorzuführen, die mit einer allen Völkern bekannten Scheu ihre an- muthigen Formen zu verbergen sucht. Will man dann später ver- gleichen, so hat man vor allen Dingen möglichst genau die verschie- denen Altersstufen gleichmässig einander gegenüber zu stellen. Dabei stösst man auf grosse Schwierigkeiten; denn oft und so auch damals in Loango kann man vom Individuum selbst über sein Alter keinen Aufschluss erhalten und wird gezwungen, sich mit einer Schätzung desselben zu begnügen, wobei recht erhebliche Irrthümer unterlaufen können und, wie mich meine Beobachtungen gelehrt haben, bereits untergelaufen sind. So hören und lesen wir z. B. von Jugend auf, dass die bei Mädchen in heissen Gegenden eintretende frühe Reife sie schon mit ı2 Jahren heiratsfähig mache, und dass auch Knaben dort viel eher mannbar würden als im Norden. In dieser Auffassung aufgewachsen, gewöhnen wir uns daran, reifende Jung- frauen und entwickelte Jünglinge für überhaupt nicht älter zu halten, auch wenn die ganzen Proportionen der Körper auf vorgerücktere Jahre hinweisen; wir sagen uns dann zu unserer Beruhigung, ohne an dem alten Glaubenssatze zu rütteln, wir sind eben in den Tropen! Beweist denn aber die in jenen Gegenden herrschende Sitte, die geheimnissvolle Wandlung des Mädchens zur Jungfrau durch öf- fentliche Feierlichkeiten zur allgemeinen Kenntniss zu bringen, dass sie überhaupt früher statt hat, als bei uns, nur weil sie hier ein wol- bewahrtes Geheimniss bleibt? Ist es ferner gerechtfertigt, anzunehmen, dass sie, wenn sie bei einigen Individuen in erwiesen jungen Jahren erfolgt, bei allen Uebrigen zu derselben Zeit erfolgen müsse? Ich fürchte, dass unsere vorgefasste Meinung uns da häufig einen argen Streich spielt, und meine, dass wir die Entwicklungsvorgänge in den verschiedenen Zonen nicht bis zur Unwahrscheinlichkeit, ja selbst bis zum Widernatürlichen willkürlich verschieben dürfen. Wir finden eben überall Schwankungen, überall aber werden wir ein Mittel constatiren können, das nahezu bei allen Völkern gleich ist. Diese Annahme beweisen uns einerseits verschiedene dem Herge- brachten widersprechende Beobachtungen, für die man, weil sie zum alten Glaubensartikel nicht passten, zu den wunderbarsten Erklärungen griff, andererseits neuere Resultate der mit so ausdauernder Energie arbeitenden Statistik. So erzählt uns Peschel in seiner Völkerkunde, dass, wie es namentlich bei den Eskimos beobachtet sei, auch Polar- völker frühzeitig das Vermögen der Geschlechtserneuerung erwerben, und Erman, dass auf der al&utischen Insel Atcha der Knabe, sobald er die Baidare lenken, das Mädchen, sobald es fertig nähen kann, beide gewöhnlich mit dem 10. Lebensjahre zur Ehe schreiten. Während >6 Die Babongo keine Zwerge. ferner bei anderen nordamericanischen Stämmen die Mädchen vom ı2. bis ı4. Jahre heiraten, halten es im Süden die Patagonier anders und warten bis zum ı6. Jahre. Louis Mayer und Krieger belehren uns dann, dass bei uns nach einem enormen beweiskräftigen Material der Eintritt der Reife ebenso häufig im ı4. als im ı5. Jahre und halb so häufig im ı3. stattfindet, während die Fälle von da an abwärts und vom ı5. aufwärts seltener sind. Bei der Schätzung des Alters muss demnach unter Berück- sichtigung aller bei der Entwicklung in Betracht kommenden Organe ungemein vorsichtig zu Werke gegangen werden, namentlich wenn man, was auch vorkommen kann, der Möglichkeit einer absichtlichen Täuschung ausgesetzt ist. In dieser Lage aber waren wir damals, als das Gerücht von einer im Innern Africas lebenden Zwergrace, der Babongo, von welcher einzelne Individuen als Sclaven auch an die Westküste kämen, von Europa zu uns herüber hallte und an Ort und Stelle natürlich ein noch grösseres Interesse als jenseit des Oceans weckte, wenn das überhaupt möglich war. Es dauerte denn auch nicht lange, so wurden mir Individuen als zu jenem seltsamen Stamme gehörig vorgeführt, die sich bereits ı5 bis 20 Jahre im Dienste der betreffenden Häuser befinden sollten, ohne je an Körperhöhe oder Umfang zugenommen zu haben. Betrachtete man sie aber genauer, so bewies Alles an ihnen den kind- lichen Habitus, und zwar in solchem Grade, dass man die Mühe der Zahnuntersuchung ersparen konnte. Dergleichen Scherze lernt man erst nach längerem Aufenthalte an der Küste verstehen und würdigen; sie entspringen der unendlichen Langeweile, mit welcher die Händler im Allgemeinen geplagt sind, und einem eigenen Vergnügen der- selben, den Scharfsinn der sogenannten Gelehrten zu prüfen. Die versuchte Mystification wird beim Missglücken ebenso harmlos ein- gestanden, als man sich im Falle des Gelingens mit Gesinnungsge- nossen darüber amüsiren würde. Es ist nach solchen und ähnlichen Erfahrungen, wie alle Reisenden sie machen, und dem fast kindlichen Muthwillen der Eingeborenen gegenüber, dem neugierigen weissen Frager die unglaublichsten Dinge für Wahrheit zu geben, höchst nothwendig, alle, selbst die scheinbar einfachsten Angaben mit Zwei- feln aufzunehmen und erst nach mehrfachem Forschen an verschie- denen Quellen als richtig zu notiren. Was die Babongo endlich betrifft, so bin ich nach Prüfung aller späteren Angaben und aller mir nach und nach vorgestellten, dem Stamme wirklich angehörigen, theils verkümmerten, theils durchaus muskulösen Neger zu der Ueberzeugung gekommen, dass es sich in Grösse der Loangoneger. 2 keiner Weise um eine zwergartige Race handelt, sondern um ein no- madisirendes Jägervolk von etwas dürftigerem Körperbau als ihn die Küste aufweist, den sogenannte Buschneger aber ebenfalls zeigen. Der Bewohner des meerangrenzenden Gebiets ist vielleicht wegen der günstigeren Nahrungsbedingungen übermittelgross (165—170 Cm.), da die Durchschnittshöhe bei Männern zwischen 165 und 168 Cm., bei Weibern zwischen 150 und 160 Cm. liegt. Topinard (Revue d’anthro- Batschi, ca. 14 Jahre alt. Knabe aus dem Volke. pologie 1872) zählt die Guineaneger mit 172 Cm. sogar zu den grossen Figuren (170 Cm. und darüber); doch glaube ich nicht, dass spätere Revisionen meine Durchschnittsmasse ändern werden, wenn ich auch zugebe, vereinzelt ebenfalls Gestalten von 174 und 176 Cm. gemessen zu haben, die dann meist den edlen Geschlechtern angehörten. Es kommt eben darauf an, ein möglichst mannigfaltiges Material ge- messen und mit den alltäglichen Erscheinungen verglichen zu haben, 28 Form der Schulter und der Brust. um ein richtiges Resultat zu erzielen. Auf diese Weise berichtigte Fritsch die früheren Angaben Barrows über die Buschmänner Süd- africas, welche nach diesem mit 130 Cm. für die kleinsten Menschen der Erde gehalten wurden, während jener sie auf 144 Cm. hob. So erreichten bei besserer Kenntniss auch die Eskimos bereits Mittel- grösse, während sie früher unter die kleinen Figuren (160 Cm. und darunter) zählten. Wenn bei Beurtheilung der Körperhöhe sehr häufig die des Kopfes Verwendung findet, weil sie beim normal gebauten Individuum etwa 7], Mal in jener enthalten ist, so muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Kopfhöhe vom Scheitel bis zum Kinn, wie wir früher gesehen haben, wegen des nach dem Sagittaldurchmesser sich zuspitzenden Schädeldaches beim Neger gesteigert ist, während die Gesichtshöhe bis zur Augenlinie sich mit der unsrigen annähernd gleich verhalten wird. Der Hals, welcher beim wolgewachsenen Manne denselben Enfacedurchmesser geben soll wie die Wade, übertrifft diese beim Neger oft, namentlich im kindlichen Alter, vielleicht wegen der frühzeitigen starken Ausbildung der Nackenmuskulatur, die durch das gewohnheitsmässige Tragen aller Lasten auf dem Kopfe bewirkt wird. Das Verhältniss der Schulterbreite zur Entfernung der Brust- warzen ist nicht wie 2:ı, sondern ist geringer. Die Schlüsselbeine prominiren zuweilen so stark, dass die ober- und unterhalb derselben sonst verstreichenden Flächen zu Gruben einsinken, und im Uebrigen fällt die Schulter nicht in gefälliger Neigung ab, sondern setzt sich fast winklig an den Hals an, wodurch eine mehr eckige Form zur Erscheinung kommt. Die Breite des Brustkorbes ist im jugendlichen Alter eine sehr günstige, nimmt jedoch beim späteren Wachsthum nicht im gleichen Verhältniss zur Höhe zu; da der quere Beckendurchmesser gleichfalls gering ist, so kommt eben jene Schmalheit und Schlankheit des Ne- gerkörpers zu Stande, die allgemein als Regel angenommen ist. Es scheint, als wenn in dieser Hinsicht die gleichen Bedingungen bei Mensch und Thier die gleichen Wirkungen ausübten; denn auch das Thier der Wildniss wird gegenüber dem gezähmten oder Hausthiere knappere Formen, sogar grössere Magerkeit zeigen, die Civilisation erst füllt die Gruben bis zur Erscheinung schöner Wellenlinien aus. Der Kampf um die Existenz hört auf, und mit der grösseren Sicher- heit dürfen neben Sehnen und Muskeln auch Fettzellen in gefälliger Masse sich geltend machen. Die geringe Breite der mittleren Körperpartie ist namentlich auffällig beim Weibe, so dass beide Geschlechter, wenn man etwa Taille. Leib. Krümmung der Wirbelsäule. 29 hinter einem Trupp Neger hergeht, sich schwer von einander unter- scheiden lassen. Dazu ist die Taille natürlich weniger ausgeprägt als bei uns, wo die Verjüngung des Körpers unterhalb des Brustkorbes oft durch wenig kleidsame Tracht bis zum Unschönen vergrössert wird. Dennoch giebt es auch unter den Negern, namentlich in den wolgepflegten, edlen Familien nicht selten Körper, die Alles, was wir im weitgehendsten Sinne unter „Figur“ verstehen, gleichfalls re- präsentiren. Oft, namentlich bei Kindern, dominirt das Gebiet, welches die Verdauungsorgane beherbergt, in ähnlicher Weise, wie dies bei anthro- pomorphen Affen beobachtet wird; die Erklärung dafür lässt sich viel- leicht in der Menge und Art der einzuführenden Nahrungsmittel finden, da, wenn die bezüglichen Organe aus einer reicheren Hülle unverdau- licher Substanzen die zum Bestehen nöthige Menge wirklicher Nährstoffe herauszuarbeiten gezwungen sind, sie sich ihren vermehrten Functio- nen entsprechend vergrössern werden. Ihr Volumen muss sich dem eingeführten Quantum ebenso adaptiren, wie es dies bei civilisirten Nationen thut, bei denen schon durch die Art der Zubereitung ein Theil der eigenen Arbeit derselben ersetzt wird. Eine ähnliche am Brustbein beginnende und bis zum Rumpfende sich erstreckende hoch- gradige Convexität finden wir übrigens auch nicht selten bei Kindern der weissen Race, die frühzeitig stärkemehlhaltige Nahrung in Mengen aufnehmen mussten; und ich hebe hervor, dass sie bei den Negern durchaus nicht etwa zur Regel gehört, und dass ich das Vorkommen nur anführe, um rein objectiv alle Mängel beleuchtet zu haben. Aus gleichem Grunde muss noch angeführt werden, dass Brüche am Nabel, durch welche dieser in der Grösse einer Wallnuss bis zu der eines Hühnereies hervorgetrieben wird, recht häufig zur Erschei- nung kommen. Wer indessen in Europa Gelegenheit gehabt hat, lange in Kinderspitälern zu arbeiten, der weiss, dass das Uebel auch bei uns in frühen Jahren oft genug vorkommt und nur durch eine zweckmässige Behandlung wieder schwindet. Auch dort würde es ebenso schnell unter gleichen Bedingungen zur Heilung kommen, so dass man gewiss nicht daran denken darf, es der Race als ein ihr eigenthümliches Gebrechen zuzuschreiben. Das Heraustreten des Lei- bes kann übrigens auch noch durch die gewöhnlich recht ausgiebige Krümmung der Wirbelsäule erklärt werden. Auch bei uns ist, wie bekannt, eine leichte Krümmung normal, sie muss im obern Theile eine nach hinten, im unteren eine nach vorn gehende Covexität zeigen, und unser Schönheitssinn sagt uns sehr bald, ob der anmuthige Aus- gleich in dem einen oder anderen Falle überschritten wird. Dies 30 Fruchtbarkeit. Busen. ist beim Neger unzweifelhaft der Fall, wie wir uns bei den im Profil aufgenommenen Typen überzeugen konnten, und zwar namentlich wiederum beim Weibe; auch dies lässt sich leicht durch die Sitte erklären, alle Lasten auf dem Kopfe zu tragen, da die frühe Bela- stung der elastischen Wirbelsäule, noch bevor eine hinreichende Widerstandsfähigkeit des verbindenden Bandapparates erreicht ist, die normalen Biegungen zu stärkeren Krümmungen veranlassen muss, und zwar bei dem an und für sich zarter gebauten Weibe, das dazu auch noch frühzeitiger Arbeit leistet, mehr als beim Manne. Bei der Ansicht der Profiltypen fällt weiterhin noch die wenig clas- sische Rundung des Theiles auf, den wir an der Aphrodite Kalli- pygos bewundern; das Eckige und eigenthümlich Prominirende, das Fehlen gefälliger Uebergänge beim ausgebildeten Negerkörper über- haupt ist auch hier häufig sichtbar, indem jener sich gegen die Ober- extremität in einem fast ausgeprägten Winkel ansetzt. Doch ist auch hier zu betonen, dass namentlich vom weiblichen Geschlechte nur Sclavinnen, also die am wenigsten günstig entwickelten Individuen, zum Vergleiche herangezogen werden können, nicht aber freie oder gar vornehme Negerinnen. Im Ganzen entspricht die Fruchtbarkeit nicht der Ausbildung der Regenerationsorgane, die ich als Raceneigenthümlichkeit hin- stellen möchte. Der mosaische Ritus wird, indem er sich wol aus den gleichen Zweckmässigkeitsgründen entwickelte, auch dort, aber zu einer andern Zeit geübt. Die Ceremonie führt die Betreffenden, meist wie bei uns die Einsegnung‘, in die Gesellschaft der Erwach- senen ein. Beim weiblichen Geschlechte existiren ähnliche Ceremo- nieen nicht. Der Busen des Weibes, wegen dessen Form, wo auch immer von Negern gesprochen werden mag‘, stets gestritten wird, kann in nicht seltenen Fällen wirklich schön genannt werden, ohne dass er dann immer zugleich auch edel in unserm Sinne wäre; meist verräth die Brust schon bei der eben erwachsenen Jungfrau die Neigung zum Sinken, und bei der älteren Frau würde auch der wärmste Vertheidiger der Race nur selten etwas zu loben finden und würde zugeben müssen, dass bei den Negerinnen alle Reize überraschend schnell schwinden. Der Grund des baldigen Sinkens liegt wol haupt- sächlich in der wenig breiten Basis, mit welcher die Drüse aufsitzt; da sie, was ihr an Fläche fehlt, durch Höhe auszugleichen sucht, so ist es natürlich, dass sie in der Lactationsperiode leicht dem Gesetz der Schwere folgt. Ob die feste Schnur, welche oft unter der Achsel- höhle um den Brustkorb getragen wird, hierbei mit in Betracht Umschnürung einzelner Glieder. a7 kommt, weil ein Theil der zuführenden Gefässe abgeschnitten und so die Ernährung beeinträchtigt wird, will ich nicht unbedingt be- streiten, halte es aber nicht für wahrscheinlich, da die Hauptarterien den anatomischen Verhältnissen entsprechend dadurch gar nicht be- rührt werden. Den Grund für das Umlegen jener Schnur zu finden, ist schwer, und eben deshalb herrschen darüber die allerverschieden- sten Meinungen: Während die Einen meinen, dass dadurch die Brüste absichtlich heruntergebunden werden sollen, weil die hängende Form als ein Ehrenzeichen der Gattin und Mutter gelte, behaupten Andere und zwar, wie ich glaube, ebenso geistreich als durch Wahrscheinlich- keitsgründe überredend, dass man gerade umgekehrt durch dieselbe die nachgebende elastische Faser halten, dass man nicht herunterbin- den, sondern hochziehen wolle und so gewissermassen die primitivste Form des Corsets anwende*). Gegen erstere Ansicht spricht, dass die Neger die Schönheit einer jugendlichen Büste wol zu würdigen ver- stehen und bei ihren allerdings wenig vollendeten Kunstgebilden stets nur solche zur Darstellung wählen; gegen die andere aber ihr natürlicher Verstand, den wir so oft anzuerkennen Gelegenheit hatten. Dieser würde eitele Frauen doch bald erkennen lassen, dass sie ihren Zweck ungleich leichter und sicherer erreichen, wenn sie ein Band unter den Brüsten als Stütze herumführten, so dass sie auf iam ruhen, und es dann am Nacken zusammenknüpften; diese Idee wäre einfacher und viel natürlicher. Wenn daher die Anlegung der Schnur nicht blos aus der Gewohnheit, das Gewand über dem Busen durch Einschnüren und Unterstecken zu befestigen, hergeleitet werden kann, so wäre noch denkbar, dass sie geheimnissvolleren, in das Gebiet des Fetischismus gehörigen Zwecken ihren Ursprung ver- dankt. Die eingeborenen Aerzte pflegen bei den verschiedenartigsten Krankheiten einzelne Glieder wie Zehen, Oberarm, Wade, fest zu umschnüren. Ich bin mehrfach in -die Lage gekommen, derartige Fesseln bei unseren Leuten lösen zu müssen, weil die darunter liegen- den Theile durch Stauung des Blutes so angeschwollen waren, dass die heftigsten Schmerzen entstanden; deshalb wäre es bei der allgemein verbreiteten Unsitte und dem Glauben an ihren .Heilwerth wol mög- lich, dass bei den nur Frauen eigenen Leiden die Umschnürung des Brustkorbes Platz gegriffen und Anklang gefunden hätte, bis sie fast , zu einer Mode wurde wie bei uns die Zahnhalsbänder oder rothen Schnürchen bei Kindern. Aus welchem Grunde nun aber auch immer die Brust zum Sinken *) Pechuäl-Loesche, Indisceretes aus Loango. Zeitschrift für Ethnologie, I. 1878. 32 Länge der Gliedmassen. gebracht werden mag, so geschieht dies doch in Loango nie in so ausgedehntem Masse, dass sie dem auf dem Rücken befindlichen Säugling über die Schulter hinweg gereicht werden könnte; im äus- sersten Falle vermöchte derselbe unter dem Arme sich hervorbiegend dazu zu gelangen, was jedoch auch nicht Sitte ist. Eine sehr wichtige Frage bildet das Verhältniss der Extre- mitäten sowol zu einander als zum Rumpfe. Die darüber herr- schenden Ansichten sind noch sehr verschieden und zum Theil einan- der geradezu widersprechend. Im Allgemeinen hat man sich dahin CHE TE Ndembo, ca. ı4 Jahre alt. Knabe aus vornehmer Familie. geeinigt, dass der Oberarm und Oberschenkel beim Neger kürzer als beim Europäer ist,. Unterarm und Unterschenkel dagegen länger; ob aber dadurch das Verhältniss der ganzen Länge der Extremitäten zum Rumpf geändert wird, ist‘ ungewiss. Der Abstand des Mittel- fingers von der Kniescheibe bei soldatisch straffer Haltung ist eben- falls häufig als ein wichtiges Unterscheidungsmoment von Racen be- tont worden; er sollte bei den Negern besonders gering sein, und Gould hatte bei seinen in grossartigstem Masstabe veranstalteten Mes- sungen sogar mehrfach Individuen gefunden, bei denen die Finger- Ausbildung der Muskeln. 33 spitzen den Rand der Kniescheibe überragten. Wir haben solche Fälle nie gesehen, und der sowol an Personen selbst als an photo- graphischen Typen gefundene Abstand war immer recht ansehnlich, indem er zwischen ın und ı6 Cm. schwankte; um hier zu einem festen Resultate zu gelangen, werden wir weitere Beobachtungen sammeln müssen. Leichter ist es, über die Form im Ganzen sich zu äussern. Die Muskulatur ist oft, namentlich bei Fischern durch die Uebung beim Rudern, ganz ausserordentlich entwickelt, so dass sich Ursprung und Ansatz, so wie die Art der Wirkung einzelner Motoren Tschimambu, ca. 20 Jahre alt. Frau aus vornehmer Familie. und ganzer Gruppen deutlich verfolgen lassen. Sie sind also zweifel- los wolgeformt, doch da die Fettpolster nirgends stark ausgebildet sind, natürlich schlank. Die Entwickelung der Wade ist nie so dürf- tig, als der überlieferte Negertypus vermuthen lässt. Der Unter- schenkel fällt durchaus nicht unangenehm durch besondere Magerkeit auf, kann sogar beträchtliche Durchmesser aufweisen, mag aber im Grossen und Ganzen hinter dem europäischen zurückbleiben. Hände und Füsse sind klein und zierlich, so dass bei Durchsicht der Typen ihre Form bedeutenden Künstlern stets sofort auffiel; Loango. II. 3 34 Hautfarbe der Erwachsenen. der als zum Negerbegriff gehörig angenommene Plattfuss wurde nicht oder doch nur in geringem Grade angetroffen, und man kann, wenn man bei Aushebungen in der Lage gewesen ist, Vergleiche an- zustellen, ohne Uebertreibung behaupten, dass er bei uns unverhält- nissmässig öfter vorkommt, und dass unsere Durchschnittsform weniger schön ist. Dies Resultat erklärt sich in sofern natürlich, als die Bänder, welche die Mittelfussknochen zusammenhalten, bei wilden Völkern ihre Elasticität und. Straffheit vollkommen bewahren, wäh- rend sie bei civilisirten sowol durch Mangel an Uebung als durch fehlerhafte Fussbekleidung geschädigt und erschlafft werden. Die allgemeine Bedeckung des Körpers, die Haut, zeigt als Fär- bung niemals ein volles Schwarz, sondern wechselt in verschiedenen Schattirungen des Braun und hält sich am liebsten in dem warmen, dunkeln Tone von No. ı und 2 unserer Farbentafel; No. 3 derselben ist ziemlich, No. 4 äusserst selten. No. ı, 2 und 3 entspricht genau den unter No. 3, 7 und 2 in dem Werke von Fritsch: „Die Einge- borenen Südafricas“ gegebenen Varietäten der Hautfarbe. Ob die Neger das lichtere Braun höher schätzen oder nicht, ob sie es im ersteren Falle thun, weil es ihnen schmeichelhaft ist, dem weissen Manne, dessen psychische Ueberlegenheit sie wenigstens sicher anerkennen, ähnlicher zu sein, darüber haben wir nicht zu einem einheitlichen Urtheil gelangen können; ich selbst glaube es deshalb, weil mir häufig bei der Ueberlieferung von sehr hellen Copien photo- graphischer Aufnahmen an die Interessenten die innerliche Freude darüber zu Gesicht und der anerkennende Verwunderungsruf der Um- stehenden „er sieht aus wie ein Weisser“ zu Ohren gekommen ist. Die Schattirung vermag übrigens innerhalb gewisser Grenzen zu wechseln: so ist sie nach dem Essen, bei grösserer Hitze, in der Bewegung und bei psychischen Affecten, also bei Verlegenheit oder Scham, d. h. überall da, wo das Blut in das oberflächliche Capillar- grefässnetz dringt, dunkler, im entgegengesetzten Falle heller. Ebenso wird sie in Krankheiten, wenn die Haut ihre glatte, glänzende Be- schaffenheit verliert und welk zusammensinkt, schmutzig dunkler, weil das Pigment dann auf eine kleine Fläche zusammengedrängt erscheint. Die Schleimhäute haben, so weit sie dem Lichte ausge- setzt sind, nicht eine schön rosa, sondern durch geringe Pigment- einlagerung mehr schmutzig graurothe Färbung, die sich auch an den Nägeln wegen des Durchschimmerns des Nagelbettes bemerk- lich macht. Ganz besonders interessant ist die Hautfarbe beim Neuge- borenen und ihr Nachdunkeln in den ersten Wochen der Existenz. Es ist ja ziemlich bekannt, dass das Negerkind nicht in der Farbe Farbe der Neugeborenen, 35 seiner Eltern zur Welt kommt und anfänglich leicht für einen Spross der weissen Race würde gehalten werden können; doch sind die An- gaben über die Schattirung derselben durchaus nicht übereinstim- mend: Pruner Bey beschreibt sie als röthlich, gemengt mit Nuss- braun und fügt hinzu, dass sich die volle Färbung im Sudan schon mit dem ersten, in Unterägypten mit dem dritten Jahre einstelle; Camper nennt sie nur röthlich und lässt sich den Körper bereits bis zum sechsten Tage grösstentheils, allmählich aber völlig färben. Begreiflicherweise war es mir von hohem Interesse, einen solchen Beweis für die Einwirkung des Sonnenlichts auf die Pigmentablage- rung zu erhalten; doch dauerte es geraume Zeit, ehe ich mich von diesen Vorgängen überzeugen konnte, da die Sitte, Männern zu dem geheimnissvollen Schauplatze des Werdens den Zutritt zu wehren, auch den Weissen gegenüber streng aufrecht gehalten wird. Wenn man weiss, dass in schwereren Fällen selbst die der betreffenden an- grenzenden Hütten geräumt, und die Kinder aus dem Dorfe fortge- schickt, dass die Männer und sogar der Vater des Kindes nicht vor Ablauf der ersten vierundzwanzig Stunden vorgelassen werden, so ist es begreiflich, dass ich überhaupt nur zwei Mal und dann nur bei Sclavinnen und in meiner Eigenschaft als Arzt Zutritt finden konnte. In diesen Fällen beobachtete ich dann am ganzen Körper ein in’s Bräunliche spielendes, dunkles Roth, welches der Farbe unserer Neu- geborenen täuschend ähnlich sah, doch war der Rücken um einen Schein dunkler und die prominirenden Theilchen, wie Ohrmuscheln, Brustwarzen, Nabel etc. zeigten vollständig dunkles Pigment; da- gegen waren die Füsse, namentlich die Sohlen, welche auch beim Erwachsenen den unsrigen ähnlich sind, auffallend hell. Das Unge- wohnte und wahrhaft Ueberraschende der Färbung eines solchen jungen Weltbürgers wird es entschuldigen, dass ich im ersten Falle die Mutter wirklich in Verdacht hatte, einem Mulatten das Leben gegeben zu haben, und mich nur allmählich mit zunehmender Dun- kelung der Haut von der Grundlosigkeit meines Argwohnes über- zeugte; denn nach sechs Wochen war der Säugling schon ein vollen- deter Neger. Erwähnenswerth scheint, dass ich die Augen unmittel- bar nach der Geburt nicht blau, wie sonst angegeben wird, sondern gleich von der später allgemeinen braunen Farbe gefunden habe. Wenn wir nun zu den Eigenschaften der Haut beim Erwachse- nen zurückgehen, so erscheint sie wegen der bedeutenden Dicke der Cutis dem zufühlenden Finger derb und sammetartig elastisch, zu- gleich aber im Freien auch kühl, da bei der steten Transpiration dauernd Verdunstungskälte erzeugt wird. Jene ist in der heissen * 3 36 Hautsecrete. Geruch des Negers. Zone noch bedeutsamer für die Gesundheit als bei uns, und ist so auffällig, dass ihr auch der Nichtarzt bald seine Aufmerksamkeit zu- wendet: Ihm perlen dort dauernd minimale Schweisströpfchen auf der Hautoberfläche, und in dem Bewusstsein des allgemeinen Behagens, wenn sie vorhanden, und der beginnenden Krankheit, des Fiebers, wenn sie ausbleiben, freut er sich, den Handrücken gegen die.Sonnen- scheibe hebend oft daran, sie in ihrem Scheine glitzern zu lassen. Beim Neger müssen die Drüschen bereits für den richtigen Ver- brauch eingerichtet sein, da man bei ihm in freier Luft und während der Ruhe eigentliche Schweissperlen nie bemerkt, anders natürlich bei der Arbeit oder im Schlaf unter Umhüllung, wenn der Luftströ- mung der ungehinderte Zutritt gesperrt ist. Das Secret selbst ist meines Erachtens nach öliger als bei uns, was wol von der stärkeren Betheiligung der Talgdrüsen herkommt, die zur Erhaltung der Geschmeidigkeit und zum Ertragen aller schäd- lichen Einflüsse, namentlich auch der Sonnenstrahlen eine beträcht- liche Arbeit zu leisten haben. Diesem hohen Procentsatz an Fetten schreibe ich die oft in der photographischen Aufnahme-recht stören- den Lichtreflexe zu, welche namentlich die Nase en face ganz anders als en profil erscheinen lassen. Ebenso fällt ihm das schlechte Re- nomme, in welchem der Negergeruch allgemein steht, allein zur Last. Natürlich ist es ja, dass die Fette sich bei längerem Verweilen auf der Haut leicht und wegen der hohen Temperatur schnell in ranzige Säuren umsetzen, die zweifellos glücklicherweise dem Neger ureigen- thümlich sind und mit anderen nicht verwechselt werden können. So lässt es sich erklären, wenn Peschel von den widerlichen, stark am- moniakalischen, ranzigen, bockähnlichen Ausdünstungen spricht, die von den Luftströmungen über den Ocean getragen, in früheren Zeiten schon von Weitem die Annäherung eines Sclavenschiffes verkündig- ten. Unbedingt muss auch zugegeben werden, dass der Geruch des Negers ein so specifischer ist, dass er, wenn greifbar oder definirbar, mit grösserem Recht als Racen-Unterscheidungsmerkmal aufgefasst werden könnte, denn irgend ein anderes. Der Neger riecht, um nicht einen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen, wenn er sich ver- nachlässigt oder krank ist, sehr unangenehm und die länger von ihm gebrauchten Kleidungsstücke nicht minder; aber man darf ja nicht in den Irrthum verfallen, zu glauben, dass er es unter allen Verhält- nissen thue: der gesunde Neger, der immer ausserordentlich reinlich ist und den segensreichen Einfluss des Wassers sich im Allgemeinen besser zu Nutzen macht als der Europäer, riecht eben durchaus nicht, oder wenn es der Fall ist, so wird er, wie ähnliche Individuen bei Reinlichkeit. Hautnarben. an uns, für eine unleidliche Ausnahme gehalten, dessen Nähe auch seine Genossen thunlichst meiden. Ich kann nicht genug davor warnen, das Vorurtheil über den Negergeruch, das eben aus jenen Transporten zusammengepferchter Massen oder aus dem Verkehr mit Sclaven, die für ihre Körper- pflege zufällig wenig Sinn gehabt haben mögen, entstanden ist, auf den freien Eingeborenen überall hin übertragen zu wollen, und weise noch darauf hin, dass auch dem Europäer sein specifischer und wie man sich in Lazarethen, Casernen, Gefängnissen, aber auch schon bei einer schlecht situirten stark gesegneten Familie überzeugen kann, häufig recht unangenehmer Geruch nicht abgeht. Der Loango- neger lässt es zu einer Zersetzung der Hautsecrete nicht kommen und tummelt sich im See- oder Flusswasser, so oft er Gelegenheit dazu findet. Seine Reinlichkeit ist unter den Weissen der Küste all- gemein anerkannt, sie geht so weit, dass er nach jeder Malzeit den Mund mit Wasser spült und die prächtigen Zahnreihen mit dem Zeigefinger von etwa anhaftenden Resten befreit, in einzelnen Fällen sogar ausgefaserte Hölzchen als Bürsten zu demselben Zwecke be- nutzt. In Gegenden, wo das Einsalben der Haut mit Palmöl und anderen Fetten mehr Sitte ist, oder ein ausgiebiger Gebrauch von färbenden Substanzen gemacht wird, mögen im Uebrigen bezüg- lich des Geruches andere Erfahrungen gesammelt werden, und ich kann deshalb nicht entfernt daran denken, die bestimmten Angaben einzelner anerkannter und mit Recht wegen ihrer Wahrheitsliebe hochgeschätzter Reisender in Zweifel ziehen zu wollen; aber ich halte mich für verpflichtet, ganz besonders hervorzuheben, was die sämmt- lichen Mitglieder der Expedition einstimmig zugeben, dass der gesunde und freie Eingeborene der Loangoküste nicht widerlich riecht. Man hat vielfach Gelegenheit, Narben in Menge zu beobachten, und darf sie nicht als Form einer Tätowirung ansehen; sie sind viel- mehr die Folge der allgemein herrschenden Unsitte des Schröpfens, welches stets erhabene Narben zurücklässt. Das mag daher kommen, dass die starke, dicke Cutis vermöge ihrer reichlich eingestreuten, elastischen Fasern bei Einschnitten weit klafft und es leichter findet, die entstandenen Lücken durch neugebildetes Gewebe auszufüllen, als sich wieder linear zu vereinigen. Das Schröpfen wird in der Regel von den eingeborenen Aerzten vorgenommen, welche Ziegen-, Anti- lopen- oder auch kleine Büffelhörner, die vor dem Gebrauch in warmes Wasser gelegt werden, dazu benutzen. Beim Aufsetzen saugen sie am abgestutzten, oberen Ende die Luft aus und beissen dann mit den Zähnen ein ebenda angesetztes Stückchen Wachs zu- 38 Geschwülste., sammen. Wenn die betreffende Hautstelle sich gehoben hat, werden mit irgend einem Messer beliebig viele Einschnitte darin gemacht und die Hörner wieder aufgesetzt. Die ganze Procedur ist eben so einfach als wirksam. Eine andere Sitte, die gleichfalls zu Verunstaltungen der Haut führt, ist. das Ohrlochstechen, das bei beiden Geschlechtern geübt wird, um kleine Zierraten mannigfaltiger Art anzubringen. Man benutzt dazu Stacheln von Palmblättern oder getrocknete zugespitzte Längs- Kastanu, ca. 25 Jahre alt. Mann aus dem Volke. streifen ihrer Rippen, die dann wol, um das Zusammenheilen zu ver- hindern, längere Zeit stecken bleiben und dabei einen solchen Reiz verursachen, dass leichte Entzündungen entstehen und zu Neubildun- gen führen können, die von Wallnuss- bis zu Kindskopfgrösse von den Ohrläppchen herabhängen; sie sind gutartig und haben sich nach vorgenommenen Öperationen als Fettgeschwülste (Lipome) er- wiesen. Unbekannt ist dagegen das Durchbohren der Nasenscheide- wand, das von unseren eigenen, aus dem Süden nach Tschintscho- tscho übergeführten Leuten vielfach geübt wurde. Dem Loangoneger Ohr. Auge. 39 erschien die Sitte, ein dort angebrachtes Stück Messingdraht sich arabeskenartig gebogen von dem dunkeln Hintergrunde der Ober- lippe abheben zu lassen, ebenso eigenthümlich wie uns, und kein Einziger versuchte jemals sie nachzuahmen; in der That wird auch die Nase dadurch in keiner Weise verschönert. Uebrigens ist das Ohr klein und von zierlicher Muschelform, nie abstehend, und bildet so eine wolthuende Raceneigenthümlichkeit, gerade wie auch das Auge sowol durch seine warme, braune Farbe, _—— Muinda, ca, 17 Jahre alt. Frau aus dem Volke. als durch seine offene, grosse Rundung und den nicht selten mandel- förmigen Schnitt angenehm berührt. Die Augenbrauen sind dicht und werden von kurzen, glatten, seltener gekräuselten Haaren gebil- det, die Wimpern sind lang und voll, auch wie bei Europäern nach auf- und abwärts gebogen. Anderwärts, also vor Allem auf dem Kopfe, zeigt der Loango- neger das bekannte schwarze, krause Wollhaar, das in vielen Fällen büschel- oder inselartig in einzelnen Gruppen geordnet wächst. Es wird kurz getragen und aus leicht verständlichen Gründen der Rein- 40 Kopfhaar. Mangel von Missbildungen. lichkeit innerhalb verschieden langer Zeiträume glatt abrasirt. Andern- falls würde es wahrscheinlich zu einer beträchtlichen Länge, gerade wie bei anderen Stämmen, die sich einer weniger sensiblen Kopfhaut rühmen können und es in viele Flechten künstlich zusammenlegen, heranwachsen und dann auch die fahle, braune Farbe zeigen, welche dort aus dem Mangel an Pflege entsteht. Die Kürze des Haares ist also gewiss nur künstlich und keine ihm angeborene Eigenthümlich- keit. Wenigstens zeigt der Bartwuchs, der nicht selten ist und bei etwa 33°/. der männlichen Bevölkerung gefunden wurde, die ziemlich beträchtliche Länge von sechs und mehr Centimeter sowol beim Schnurrbart als beim Kinn- oder Backenbart, von denen letzterer am wenigsten häufig vorkommt. Beneidenswerth ist die Gleichmässigkeit und Ueppigkeit ihres Kopfhaares, das ihnen weder angestrengtes Denken, noch Pomaden, noch Krankheiten bisher lichten konnten. Gerade wenn man aus Europa kommt, fälit der absolute Mangel an „freien Stirnen“, wie wir uns euphemistisch ausdrücken wollen, besonders auf; ich habe wenigstens überhaupt nur zweimal verhältnissmässig dünnes Haar bemerkt und einen völlig kahlen Scheitel niemals. Ebenso ist weisses Haar selten und graues stellt sich bedeutend später als in civilisirten Gegenden ein. Eine Behaarung der Brust wird nicht häufig gefun- den, an abnormen Stellen, also etwa der Kreuzbeingegend, habe ich sie nie gesehen. Aus Allem erhellt, dass es ein Irrthum sein würde, anzunehmen, die Bafiote gehörten zu den Völkern mit glatter Haut. Bemerkenswerth ist noch, dass man missgebildete Figuren so gut wie gar nicht antrifft; dies kommt einmal daher, dass Neugeborene mit auffälligen Verbildungen nicht aufgezogen werden, im Uebri- gen hauptsächlich aber daher, dass die Kinderkrankheiten, welche bei uns vor Allem Verkrümmungen der Wirbelsäule und der Extre- mitäten oder Knochenaffectionen überhaupt bedingen, dort gänzlich unbekannt sind. Die Rhachitis oder englische Krankheit existirt ebenso wenig als der unter dem Begriff Scrophulose genugsam bekannte Habitus. So kommt es, dass bei der beneidenswerthen (resundheit des Säuglings- und Kindesalters die Procentzahl der Sterblichkeit, die gerade in diesen Jahren bei uns, vor Allem in grossen Städten, eine so erschreckend hohe ist, die relativ niedrigste aller Lebensalter genannt werden kann, und deshalb die geringe Fruchtbarkeit der Negerinnen, die durchschnittlich nur zwei bis drei Kindern das Leben schenken, als eine segensreiche Selbsthülfe der Natur, um der Uebervölkerung des Landes vorzubeugen, betrachtet zu werden verdient. Denn man darf nicht etwa annehmen, dass von Vorurtheile und gerechte Kritik. 41 den Eingeborenen dies Factum künstlich mit nach unseren Begriffen verbrecherischen Mitteln erzielt werde, da mit der Zahl der Kinder die Arbeitskraft und somit der Reichthum der Familie erhöht wird, Kindersegen also die höchste Freude gewährt und als ein anzustre- bendes Glück geschätzt wird. s Fassen wir zum Schluss, nachdem wir den Körper des Loango- negers in seinen einzelnen Theilen zu schildern versuchten, noch ein- mal seine ganze Erscheinung in’s Auge, so ist das Urtheil, dass es sich bei ihm um einen als Neger schönen, kräftigen, wolgebauten Stamm handelt, gewiss gerechtfertigt. Der Europäer wird in seiner Heimat ihm niemals die eingesunkene Nase, die vorstehenden Backen- knochen, die vollen, aufgeworfenen, doch selten wulstigen Lippen verzeihen und den Neger nie als Neger, sondern immer nur im Ver- gleich zu seiner Person und den ihm geläufigen, classischen Schön- heitsidealen beurtheilen; befindet er sich aber längere Zeit mitten unter ihnen, so bewirkt die für die Umgebung vortheilhafte dunkle Schattirung der Haut und die anmuthende Leichtigkeit der durch kein Uebermass der Kleidung beengten Bewegung, die elastische Frische der Jugend, die natürliche Naivität des reiferen Alters, dass er der Race als solcher Gerechtigkeit widerfahren lässt und sie n’cht mehr nur von Reflexlichtern seiner eigenen, so edel gedachten Form beleuchtet sieht, wie dies hier, um sie einem grösseren Kreise vor- zuführen, nöthig war. Es liegt in ihrem Wesen, ihrem Charakter, ihrer Verkehrs- und Ausdrucksweise etwas Urwüchsiges, Natürliches, das uns nothwendig mit ihnen befreundet. Ihnen gram sein oder sie gar hassen können wir nur dann, wenn wir aufhören eine ruhige Objectivität zu bewahren und sie für alles das verantwortlich machen wollen, was uns in ihrem Lande nicht so glückte als wir gehofft hatten. — Wie die Gefahren, mit denen die Phantasie der Zurückbleibenden den Reisenden auf all seinen Wegen umgiebt, schwinden, je näher er ihnen tritt, so schwinden auch mehr und mehr seine Vorurtheile, um einer objectiven Kritik Platz zu machen, und es ist ebenso natür- lich als erfreulich, dass gerade die gewichtigsten Stimmen, welche durch eigene Anschauung zur Beurtheilung des Negers berufen sind, sich für denselben erheben. So sagt Bastian in seinem Werke „Die Deutsche Expedition an der Loangoküste“: Ueberhaupt wird mir gewiss jeder praktische Kenner Africas beistimmen, dass man den eigentlichen Negertypus, wie er in den ethnologischen Werken als charakteristisch beschrieben wird, äusserst selten antrifft. Robert Hartmann aber tritt in seiner drastischen, kräftigen Ausdrucksweise 42 R. Hartmanns Urtheil. noch lebendiger für seine und unsere Ueberzeugung ein, indem er (Nigritier, p. 484) schreibt: Jedenfalls findet man bei den Nigritiern von Niederguinea nicht jene in den Büchern der Stubenethnologen untergeordneter Gattung figurirenden scheusslichen Stereotypfiguren der „echten Congoneger“. Wenn nun einige gereiste und berühmte Ethnologen, wie Nott und Gliddon, Hamilton Smith, R. Burton und Wood uns ganz unmögliche Negerfratzen vorführen, so kann man derartige leichtsinnige Uebertreibungen, derartige frivole Specula- tionen auf die Unwissenheit und Urtheilslosigkeit des Publicums nur bitter tadeln. Noch schärfer zu tadeln ist es freilich, wenn Gelehrte derartige Fratzen mit Selbstgefälligkeit für ihre Exercitien in an- thropomorphistischer -Geheimwissenschaft auszubeuten suchen. Sclavin mit Kind, Stationslage im Jahre 1874. — Ankunft des Bota- nikers Herrn Soyaux. — Beschäftigung. — An- lage insectologischer Entwickelungstafeln und Apparate. — Bau eines Vogel- und Affenhauses behufs der Beobachtung lebender Thiere. — Er- kenntniss ihres geringen Nutzens. — Taubenjagd. — Reise nach dem Congo zum Zweck photogra- phischer Aufnahmen. — Praktische Winke in dieser Richtung. Das Jahr 1874 war angebrochen und hatte uns am 24. Januar ein neues Ex- peditionsmitglied, den Botaniker Herrn Soyaux, und im März endlich auch die neue Ausrüstung mit dem holländi- schen Dampfer „Normandy“ gebracht; beide wurden mit gleich grosser Freude begrüsst. Ersterer nicht nur, weil die Vermehrung unseres geselligen Kreises und der Anregung nach einem bisher nicht vertretenen Gebiete uns angenehm berühren musste, sondern auch weil wir in ihm eine in jeder Weise tüchtig veranlagte Kraft erkann- ten, die der Expedition zum Vortheil und zur Ehre gereichen konnte; letztere, weil mit ihr, nachäiem zwei Ausrüstungen kurz nach einander in der „Nigretia“ und „Liberia“ ein Raub der Wellen geworden waren, Lianenstudie, 44 Entwickelung der Stationsarbeiten. i der Unstern, welcher bisher über dem Unternehmen geschienen hatte, unterzugehen und ein hoffnungsreicher Morgen aufzudämmern schien. Beiden war es nicht vergönnt, den Erwartungen in dem gehegten Masse zu entsprechen, zu deren Erfüllung sie so geeignet schienen; denn Herr Soyaux wurde uns nach Jahresfrist, am ı4. Januar- 1875, bereits wieder genommen, um zur Südexpedition zu stossen, traf aber, nachdem er erkrankt hatte zurückbleiben müssen, am 3. October in fast hoffnungslosem Zustande wieder bei uns ein. Weshalb die neue Ausrüstung unsere Hoffnungen nicht erfüllte, wird in dem weiteren Verlaufe der Darstellung klar gelegt werden. Unterdessen entwickelte sich die Thätigkeit auf der Station in erfreulicher Weise nach zwei Richtungen, indem einmal alle Vorbe- reitungen für die unmittelbar nach der Regenzeit anberaumte Abreise Dr. Güssfeldts und Lindners getroffen wurden, und zweitens, indem wir uns bemühten, die naturwissenschaftlichen Zwecke der Station so viel wie möglich zu erreichen. Das Entsenden bestimmter Vertreter für die einzelnen Fächer, die Nachricht, dass wir noch Mehrere erwarten sollten, die sich even- tuell nur ein oder zwei Jahre zu wissenschaftlicher Forschung auf der Station aufhalten würden, um dann von Anderen abgelöst zu werden, bewies zur Evidenz die Absicht der Africanischen Gesellschaft, die Station für einen langen Zeitraum von Jahren bestehen zu lassen und von ihren Sendboten nicht blos oberflächliches Zusammenraffen von Material, sondern ein eingehendes Studium in den bezüglichen Zwei- gen zu verlangen. Dieser Auffassung entsprechend wurde die Thä- tigkeit in eine Bahn gelenkt, die nicht auf augenblickliche, durch Menge blendende Resultate, sondern auf Lösung wissenschaftlicher Aufgaben zielte, die nur auf einer Station, nicht aber dem immer nur weiter eilenden Wanderer möglich wird. So entstanden die jahrelang fortgesetzten meteorologischen Be- obachtungen, so wurde der linguistische Schatz gesammelt; in diesem Sinne suchte Herr Soyaux die Bildungsgesetze und Lebenserschei- nungen, sowie die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Pfanzenformen kennen zu lernen und durch Zeichnungen klar zu machen; in diesem Sinne richtete ich mein Hauptaugenmerk auf die Entwickelung der Insecten und legte Tafeln an, welche die aufeinander folgenden Stufen der Verwandlung mit Angabe über Zeit und Ort des Vorkommens enthielten. Niemand wird bestreiten können, dass der eingeschlagene Weg der richtige war, und doch ist es verständlich, dass er bei den Schwierigkeiten, die sich der geographischen Forschung entgegen- Anforderungen der Heimat. 45 thürmten, in der Heimat der Lage der Verhältnisse nicht entsprechend gefunden wurde: Dort brauchte man eben gerade Massensendungen, um in den Augen des Publicums durch umfangreiche Erfolge auf allen anderen Gebieten aufwiegen zu können, was dem örtlichen Vordringen an glücklichen Resultaten mangelte. Dort musste man die öffentliche Meinung beruhigen, bis durch eine ansehnliche Zahl zurückgelegter Meilen den herrschenden Vorurtheilen über Expedi- tionszwecke Genüge geschehen konnte; bei der langen Zeit, welche brieflicher Verkehr von der Küste mit Europa erfordert, war es mir jedoch erst nach Monaten möglich, die Sachlage zu erkennen, beson- ders da mir auf die eingeschickten Tafeln und die Anfrage, ob in dieser Weise fortgefahren werden solle, kein Bescheid wurde. Weil ich seit meiner Rückkehr vielfach von Mitgliedern der Universität erfahren habe, einen wie hohen Werth man dort auf die Fortführung jener Tafeln gelegt haben würde, so will ich für spätere Reisende das von mir eingeschlagene Verfahren anführen. Die Raupen und Puppen werden in Wasserfarben unter Bei- fügung des Datums, Ortes des Vorkommens, der Verwandlung und wenn möglich der Nährpflanzen dargestellt, was auch dem sonst Un- geübten nicht schwer fällt. Ist der Schmetterling ausgekommen und flugreif, d. h. haben seine Flügel die gehörige Glätte und Festigkeit, so werden dieselben nach Tödtung des Thieres mittelst einer in Cyan- kalilösung getauchten Nadel an einer Seite vom Körper lösgetrennt; nun wird ein dünnes, glattes Papier mit weissem, festem Wachs so lange gerieben, bis sich eine gleichmässig vertheilte Schicht darauf erkennen lässt; dann werden nach Faltung des Papiers die Flügel so zwischen die wachsenen Flächen gebracht, dass die Wurzel an der Falte und der Unter- zum Öberflügel wie zum Fluge ausgebreitet liegt. Nach behutsamem Andrücken wird das gefaltete Papier zwischen zwei Cartonblätter geschoben und zuerst auf der Ober-, dann auf der Unterseite mit einem glatten Gegenstande so lange gerieben, bis sämmtliche Schuppen der Flügel auf dem Wachs haften, und jene glashell herausgenommen werden können. Wenn nun in der Mitte des Abdrucks der Kopf mit den Fühlern, Brust und Bauch farbig eingezeichnet werden, so hat man ein täuschendes Bild des lebenden Schmetterlings vor sich, mit dem Vortheil für das Studium, dass sich gleich auf der einen Seite die Ober- auf der andern die Unter- ansicht bietet. Da sich die Schuppen leicht verwischen, überzog ich die fertigen Exemplare mit Collodium und klebte sie dann ausge- schnitten dem Raum und der Zusammengehörigkeit mit den früheren Stufen entsprechend auf Cartonpapier; dadurch entstehen Tafeln, die 46 Abbildungen von Insecten. an Sauberkeit und Anschaulichkeit Nichts zu wünschen übrig lassen, wenn ich auch zugebe, dass ein weniger angreifendes Deckmittel als das Collodium vorzuziehen sein würde. Ein besonderer Vortheil des in dieser Weise zusammengetragenen Materials ist noch, dass es durch keine der sonst so verderblichen Feinde zerstört wird, weder durch Insecten, noch Hitze, noch Schimmel. Um Exemplare sowol in den verschiedenen Entwickelungsstufen als völlig unbeschädigt zu erhalten, war es nothwendig, die Zucht derselben einzuleiten und möglichst viele zweckmässig eingerichtete Apparate aufzustellen. Der Zweck wurde in sehr erfreulicher Weise erreicht; denn es wurden dem Museum umfangreiche Sammlungen in tadellosem Zustande ein- verleibt, in denen sich etwa vierzig neue Arten befanden. Es wurden auch Versuche gemacht, Zeichnungen von Vertretern anderer Ordnungen der Insecten zu geben, namentlich von den inter- essanten Raubwespen, die ihre feinen, thonartigen Bauten mit reihen- weise aneinander liegenden schneckenförmig gedrehten Zellen überall hin an Zimmerdecken und Wänden befestigen und in jene zur Füt- terung ihrer Larven ganze Sammlungen von Raupen oder Spinnen lebendig, aber vielleicht durch Gift vorher betäubt, einmauern. Da aber hier wie auch bei den Bienen, die kleiner wie die unsrigen einen rothbraunen, dünnflüssigen, zwar nicht sehr wolschmeckenden aber durchaus nicht schädlichen Honig bereiten, und bei allen mit durchsichtigen Flügeln versehenen Insecten überhaupt auf die genaue Wiedergabe der Zellenanordnung besonders zu achten ist, so erfor- dert diese Arbeit viel Zeit und Uebung, so dass später nur die merk- würdig gearteten und besonders auffälligen Formen beachtet werden konnten. Wenn eine nach solchen Gesichtspuncten geleitete Thätigkeit auf Stationen mindestens als wünschenswerth hingestellt zu werden ver- dient, so gelangte ich in einer andern Richtung, nämlich in der Be- obachtung lebender Thiere nicht zu der gleichen Ueberzeugung. Da solche Erfahrungen immer erst einmal gemacht sein wollen und mir dergleichen nicht vorlagen, so war es natürlich, dass ich die An- lagen dazu traf, um über die Lebensweise der Vögel, Affen und aller lebendig zu erhaltenden Thiere überhaupt Beobachtungen machen zu können, mit der ferner liegenden Idee, bei Gelegenheit in ausge- wählten Sendungen Exemplare nach der Heimat gelangen zu lassen. Die Erfolge entsprachen jedoch den Erwartungen, dem Zeit- und Kostenaufwande so wenig, dass ich dringend vor ähnlichen Versuchen warnen muss. Einmal fehlt es fast immer an Futter; denn Früchte giebt es nur zeitweise, Körner gar nicht, und von den Termiten- Beobachtung lebender Thiere. 47 bauten, deren Inhalt an Larven den Insectenfressern eine willkom- mene Nahrung wäre, ist die Umgegend bald gesäubert. Dann fehlt es aber bei den mannigfachen Beschäftigungen an Zeit zum Beob- achten, und das so gesammelte geringe Material ist vielleicht inter- essant für den Reisenden, ohne dabei zugleich neu zu sein. Zum nutzbringenden, erfolgreichen Beobachten der Thierwelt gehört un- bedingt ein eingehendes Verständniss ihres Lebens; es wäre also zwar ein Brehm nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, in dieser Richtung Schätze zu häufen; Andere aber, denen ähnliche Anlagen fehlen und noch vielfache andere Arbeiten obliegen, dürften damit nichts Nennenswerthes leisten. Es war ohne Zweifel interessant zu sehen, wie ein Nashornvogel mit seinem unförmlichen Schnabel einen prächtigen, arglos neben ihm pickenden Blutfinken packte und verzehrte, wie sich dagegen die angolensischen Adler vorwiegend von Oelnüssen nährten, es war interessant, wenn die fruchtfressenden Coliiden mit dem rattenähn- lichen Felle, den langen Schwanzfedern und den corallenrothen Füssen sich wie Fledermäuse an die Käfigwände klammerten, so dicht an- einander geschart, dass auch die Todten gehalten wurden und nicht herabfallen konnten: aber wurde damit Neues gegeben, wurde dadvrch die aufgewendete Mühe im Entferntesten gedeckt? Schliesslich können durch das Halten lebender Thiere, nament- lich der Reptilien, recht unangenehme Situationen entstehen, wie wir sie gleichfalls erlebten: Wir bewahrten in einer mit Latten scheinbar sicher verschlossenen Kiste zwei Riesenschlangen (Python Sebae) und eine Rhinocerosschlange (Vipera rhinoceros), die giftigste Art der Gegend, als eines Abends der Dolmetscher mit ängstlichen Mienen zu uns hereintrat und meldete, dass eine grosse Schlange sich, wäh- rend er mit der Familie plaudernd in der Hütte am Feuer gesessen, langsam an ihm vorübergewunden habe und unter seinem Lager ver- schwunden sei. Wirklich war es eine der Pythonen, welche ihren Leib durch die Latten ihres Behälters zu zwängen vermocht hatte und nun zur Beruhigung der aufgeregten Gemüther nebst den beiden anderen geopfert werden musste. Ein anderes Mal hatte sich eine sieben Fuss lange Warneidechse (Monitor saurus) aus ihrem Behälter frei gemacht und schlug mit dem seitlich platt gedrückten Schwanze im Sammelhause Gläser und Bleche mit ihrem Inhalt, Skelete, Thierbehälter und Häute von ihren Stand- und Aufhängeorten herunter, so dass sie eine grenzenlose Verwirrung anrichtete, bis es schliesslich gelang, sie durch eine um den Hals geworfene Schlinge fest und unschädlich zu machen. 48 Zahme Thiere. Taubenjagd. Man wird also gut thun, die Idee, Thiere zum Zweck wissen- schaftlicher Beobachtung zu halten, von vorn herein aufzugeben; etwas ganz Anderes ist es jedoch, wenn man Affen oder Papageien zum Vergnügen, zur Zerstreuung anschafft: denn Alles, was zur Er- frischung und Erheiterung des Geistes in den Tropen beiträgt, ver- dient als nicht zu unterschätzendes Moment zur Erhaltung der Ge- sundheit und zum rüstigen Gedeihen der Arbeit betrachtet zu werden. Wir alle werden den Chimpansen, die öfter als Honorar für glücklich verlaufene Curen geliefert wurden, trotz ihrer Faulheit und Unliebens- würdigkeit, noch mehr aber den neckischen, intelligenten Meerkatzen, den drolligen, einschmeichelnden Pavianen, dem zum Hausthier ge- wordenen Schakal (Canis adustus) und den polyglotten Graupapageien stets dankbar für die heiteren Scenen bleiben, durch welche sie so oft den Druck von schweren, trüben Stunden nahmen. Aus gleichem Grunde wurde auch die kleine Jagd nicht ausschliesslich für Sammel- zwecke geübt, sondern auch zum Vergnügen und um Fleisch für den Tisch zu schaffen; der ebenso lohnende wie angenehme Anstand auf die Scharen von Papageitauben (Treron calva) gehört gewiss zu unseren liebsten Erinnerungen aus Africa. In der Regenzeit zogen nämlich allmorgendlich zwischen sieben und neun Uhr hinter der Station Flüge von circa dreissig bis zu mehreren Hunderten dieser prächtig hellgrünen Faube, die durch eine dunkelrothe Nasenhaut, vergissmeinnichtblaue Augen und hellgelbe Füsse noch besonders ausgezeichnet ist, in Zwischenräumen von fünf Minuten bis zu einer Viertelstunde von Norden nach Süden vorüber, ohne dass es jemals gelang, zu erfahren ob sie Abends wieder zurückkehrten; indessen musste dies doch wol, auf einem andern Wege, geschehen, denn die Flüge schwärmten bald regelmässig in der Nähe unseres Standortes auseinander, offenbar weil ihnen die Schüsse in Erinnerung geblieben waren. Uebrigens muss man bei dem schnellen Fluge dieser. Vögel ein sicheres Auge und eine schnelle Hand haben, um bei bewachse- nem Terrain den Moment nicht zu versäumen, in dem sie pfeilge- schwind über den Jäger wegschwirren. Die Zeit des Wartens wurde hier nimmer lang, da die Umgebung reichlichen Stoff zur Unterhal- tung bot: Bald zogen in sicherer Entfernung grosse, weisse Reiher zum Sumpfe, bald Graupapageien, paarweise pfeifend und plaudernd in die Ferne; auch kleine Sperlingspapageien (Agapornis pullaria) liessen sich ein paar Mal in unserer für sie verderblichen Nähe nieder, oder schwarzweisse Adler (Gypohierax angolensis) hielten auf hohen, abgestorbenen Stämmen Wacht, ob ihnen nicht angeschossene Exem- plare mühelos zum Opfer fallen könnten; dabei arbeiteten die zahl- Aufbruch nach dem Congo. 49 reichen Webervögel an ihrem künstlichen Nestbau, ohne sich durch die abgegebenen Schüsse besonders stören zu lassen. Während so Alles im Hause einen erfreulichen Fortgang nahm, und sich die Verwaltung in geordneter Weise und mehr von selbst abwickelte, rückte der Zeitpunct näher heran, an dem ich, mit den Küstenverhältnissen ziemlich vertraut, meinen ersten Ausflug zu photographischen Aufnahmen und Sammelzwecken unternehmen sollte; denn meine Designirung zum Stationsvorsteher schloss von vorn herein Forschungsreisen im eigentlichen Sinne aus, weil mit Recht angenommen war, dass das auf breiter Basis angelegte Unternehmen vorläufig auch in relativ engen Grenzen reichlich Stoff zur Arbeit in den von mir vertretenen Zweigen geben würde. Mein Reiseziel war diesmal der Congo, die Dauer meiner Abwesenheit auf etwa sechs Wochen veranschlagt, da ich später wieder auf der Station nöthig sein mochte, um im günstigen Falle der nach dem Norden aufgebroche- nen Expedition Nachsendungen zuführen lassen zu können. Nachdem alle Vorbereitungen mit grösster Sorgfalt getroffen waren, sagte ich den Gefährten voll Hoffnung und Erwartung am 17. Juni Lebewol und entschwand, von den Negern im Laufschritt zum Strande hinabgetragen, bald ihren Augen. Da man nur zur Zeit der Ebbe reisen kann, wenn der freigelegte, feuchte, ebene Sandboden ein schnelles Fortkommen gestattet, war es bereits Mittag geworden, ehe ich aufbrechen konnte, und die Sonne brannte empfindlich auf die vom salzigen Nass der zerstäubenden Brandung befeuchtete Haut. Die kühlende Seebrise liess mich indessen mit Behagen auf den in runden Ballen über den weissen Sand getriebenen Schaum, auf die von den überstürzenden Wogen immer wieder zurückgeworfenen Canoes der sich vergeblich abmühenden Fischer und auf die neben mir herlaufenden Leute blicken, welche in ausgelassener Fröhlichkeit bald singend, bald jauchzend den Weg zurücklegten. Am Tschiloango- flusse verliess ich den Strand und bestieg das Canoe, das mich nach der einige Stunden stromaufwärts gelegenen Factorei Insono führen sollte. Geräuschlos und gleichmässig tauchten die von kräftigen Armen geführten zwölf Ruder in’s Wasser und brachten mich bei der durch die einsetzende Flut verursachten Rückstauung des Flusses schnell vorwärts. Mein altes Glück schien sich mir als treuer Begleiter für die Reise gesellen zu wollen; traf doch die erste Kugel ein junges 1,57 M. langes Krokodil (Crocodilus vulgaris), das sich am Ufer sonnte, während im weiteren Verlaufe der Fahrt eine ungewöhnlich grosse Meerkatze (Cercopithecus cephus), von den Portugiesen gemein- Loango. II, 4 50 Jagdbeute. Gastfreundschaft. hin „Macaco“ genannt, vier Adler und ein Wasserhuhn (Porphyrio Alleni) zur unbeschreiblichen Freude der Neger erbeutet wurden. Am nächsten Tage setzte ich die Reise durch hohe, schilfartige Cam- pinengräser, in denen Träger und Lasten unsichtbar wurden, durch niedrig bewachsene Flächen oder dichten Urwald bis Futila fort, während mich weiterhin der Weg bald am Strande entlang, bald durch mehr landeinwärts liegende Dörfer über Kabinda, Vista, Muanda führte und mich nach den durch die photographischen Aufnahmen bedingten Aufenthalten an diesen Orten endlich den Haupthandels- platz Banana an der Congomündung erreichen liess. Dieses Reisen an der Küste hat etwas eigenthümlich Romanti- sches; wo auch immer das Haus eines Europäers steht, weiss man sich eingeladen. Der durch die palmengedeckten Dächer luftiger Küchen dringende Rauch ladet jeden Vorüberziehenden gastlich zur Einkehr; kaum fragt der Wirth nach Namen und Herkunft, sich ganz dem Vergnügen hingebend, das die unverhoffte Unterhaltung ihm bietet. Allerdings ist jetzt die Gastfreundschaft schon etwas misstrauischer als zur Zeit des Sclavenhandels, wo sie wegen der mühelos erworbenen Reichthümer in solcher Weise ausgedehnt war, dass kaum Jemand Gefallen an einem selbst kostbaren Gegenstande äussern durfte, ohne sich sofort in Besitz desselben gesetzt zu sehen. Bei dem wenig lucrativen Handel mit Landesproducten hat die Freude am Schenken freilich bedeutend nachgelassen, und wegen einzelner herumvagabundirender, gänzlich verarmter Händler haben sich andere vor Brandschatzungen durch weithin sichtbare Tafeln mit der In- schrift „Taugenichtse werden nicht aufgenommen“ zu schützen ge- sucht; aber die Liebenswürdigkeit, mit der namentlich Portugiesen fremde Gäste zu bewirthen verstehen, ist noch immer unvergleichlich. Mit welchen Gefühlen musterte ich nun von der schmalen Land- zunge, auf welcher die holländische, englische und französische Fac- torei Bananas liegt, das ungeheure Mündungsgebiet des Congo, dessen anderes bei Shark Point vorspringendes Ufer ich kaum mit den Augen zu erreichen vermochte! Auf der einen Seite der Ocean, seine Wogen in weithin sichtbaren, langen, parallelen Streifen heranrollend, auf der anderen der ruhige Hafen des Flusses, der in ewigem Kampfe mit der widerstrebenden Salzflut sich vor mir den Eintritt in diese erzwang. Da der Wunsch, den ferneren Flusslauf kennen zu lernen, erst in mehreren Tagen erfüllt werden konnte, musste ich mich vor- läufig damit begnügen, den Banana Creek bis nach Tschimposa zu befahren und später dem „Könige‘“ Antonio auf dem Südufer meine Aufwartung zu machen. Als ich mich zu ersterem Zwecke auf einen Fahrt nach Tschimposa. ST kleinen holländischen Flussdampfer begab, befand sich der Capitain in nicht geringer Aufregung, da ihm über den seit zwei Jahren nicht befahrenen Creek jede Notiz bezüglich des Fahrwassers fehlte. Unsere Richtung war zuerst Nordost, dann mit geringen Schwan- kungen Ost. Am linken Ufer begleitete uns bis zum Ziel Mangrove- gebüsch, durch dessen Wurzelflechtwerk weithin das während der Flutstauung übergetretene Wasser blinkte; am rechten war festerer Grund, und von Zeit zu Zeit fielen die Ausläufer der Hügelketten steilab zum Wasser, während in den zwischenliegenden Thälern zahlreiche Dörfer erschienen, die auf dichte Bevölkerung schliessen liessen. Nach einer halbstündigen Fahrt theilte sich der Creek durch eine grosse Insel in zwei Arme, von denen jeder etwa die Hälfte der bisherigen Wasserbreite hatte. Aufmerksam, aber vergebens musterte ich das Gebüsch nach Vertretern der erwarteten reichen Thierwelt; das ungewöhnliche Stampfen der Maschine musste alles Lebende ver- scheucht haben. In der weiteren Fahrt machte der Wasserlauf eine so plötzliche nördliche Wendung, dass wir Gefahr liefen, auf den Sand zu rennen, jedoch nur die Flaggenstange durch die das Ver- deck fegenden starken Zweige einbüssten und glücklich die Fluss- mitte wieder erreichten. Langsamer vorgehend, passirten wir eine neue Biegung besser und kamen, nunmehr dauernd nordöstliche Richtung haltend, nach im Ganzen zweistündiger Fahrt wolbehalten in Tschimposa an. Hier lebte seit Jahren ein Weisser als Vertreter des holländischen Hauses; beneidenswerth konnte sein Loos wahrlich auf diesem vorgeschobenen Posten nicht genannt werden. An allen solchen Orten füllt der Eintausch von Landesproducten für euro- päische Waaren nur einen geringen Theil des Tages aus, während die übrige Zeit in Unterhaltung mit dem Negerpersonal und mit Nichts- thun verbracht wird: So verlernt der Händler dort mehr oder weniger schnell, Vergnügen an der Arbeit zu finden, und sucht den Beweis zu führen, mit wie wenig körperlicher und geistiger Anstrengung der Mensch auskommen kann. Der Besuch von Europäern weckt wol vorübergehend den schlummernden Funken und macht Wünsche nach menschenwürdigerer Existenz rege, bald aber machen die erschlaffen- den Eigenschaften des Landes ihren Einfluss geltend, namentlich wenn, wie so häufig, noch quälende Hautkrankheiten, die Energie herabsetzen. ! Die Ansiedlung lag auf einer Anhöhe, von der man rings die echt africanische Landschaft überblicken konnte. Jenseits des Creeks erstreckte sich, so weit das Auge blickte, eine mit Mangrove und Papyrus bedeckte Sumpfniederung, in welcher hier und da laufende 4” Bo Rauchen von Hanfblättern. Wasseradern ein Gefässnetz bildeten; diesseits hatte unten das bei der Ebbe zurückgetretene Wasser ein weites, schwarzes Schlammfeld aufgedeckt, aus dem modernde Baumstumpfe hervorragten und ver- derbliche Dünste in die Höhe stiegen. Im Uebrigen zeigten sich allent- halben der Affenbrotbaum (Adansonia digitata) und der Wollbaum (Eriodendron anfractuosum), welche, verbunden mit den in Gruppen stehenden Oelpalmen, der Gegend den typischen Charakter aufdrück- ten. — Zahlreich fanden sich bald die Bewohner der nahe liegenden Dörfer ein und hatten sich wol zur Feier des Tages mehr, als ich es in Tschintschotscho zu sehen gewohnt war, mit dem berühmten Cos- meticum Tukula theils das ganze Gesicht roth bemalt, theils auf Stirn und Wangen einzelne runde Fleckchen angebracht. Ein niedliches, fast europäischen Ausdruck zeigendes Mädchen mit fein geschnitte- nem Munde war sich scheinbar ihrer dadurch noch mehr gehobenen Vorzüge wol bewusst und rauchte aus einer gehöhlten fusslangen Frucht des Affenbrotbaumes das beliebte Liamba oder Hanfblätter, nach jedem Zuge des narkotisch reizenden Dampfes kurz und stoss- weise hustend. Dass der Hanf ein sehr geschätztes Genussmittel ist, sieht man an den mit grosser Sorgfalt neben den Hütten gezogenen und durch Gitterwerk geschützten Pflanzen; doch scheinen sie schlecht fortzukommen, so dass die Unsitte keine grossen Dimensionen anneh- men konnte. Von Europäern wurde mir berichtet, dass Neger, die sich dem Narcoticum ergeben, anfangs oft wie von Furien getrieben im Walde umherlaufen, bei übermässigem Gebrauche aber später regelmässig dem Stumpfsinne verfallen. Ehe wir am nächsten Morgen zurückkehrten, hatten wir noch das Vergnügen, sich die Mächtigen der Gegend, also die kleinen Dorfherrscher, zu einem Palaver versammeln zu sehen, durch welches sie einen Streit mit den Weissen beilegen wollten. Wie alle derarti- gen Komödien endigte auch diese damit, dass der Händler, um seine Gäste los zu werden, eine gewisse Quantität an Zeugen und Rum bezahlte. Dann bestiegen wir den Dampfer, um bald darauf in Ba- nana liebenswürdig wie immer empfangen zu werden. Die Fahrt nach St. Antonio am Raphael Creek, der mir damals von den Negern als Fluss Makonde angegeben wurde, unternahm der Hauptagent des holländischen Hauses namentlich, um den dortigen „König“ Antonio zur Verantwortung zu ziehen wegen eines in der Diegosbai unternommenen Angriffs auf eine ihm gehörige Barke, deren Besatzung nach Verwundung mehrerer ihrer Leute sich unter Zurücklassung des Ankers nur mit Mühe hatte retten können; für mich handelte es sich hauptsächlich darum, eine Kirchenruine aus „König‘‘ Antonio. 3 53 dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts photographisch aufzunehmen, von der viel gesprochen wurde, und die sich auf dem Gebiet des genannten Häuptlings befinden sollte. Nachdem der Dampfer uns über den Congo gesetzt, mussten wir in einem recht schmalen, unbequemen, wenig wasserdichten Canoe den Makonde noch etwa eine Stunde weit in südlicher Richtung be- fahren, bis wir die Residenz Kischischi erreichten, und noch eine “halbe Stunde warten, ehe der unvorbereitete Herrscher sich seiner Würde entsprechend zum Empfange gerüstet hatte; wir fanden ihn dann auf einer Anhöhe vor seiner Hütte auf einem geschweiften Holz- sessel sitzend. Die aus Papyrusschäften bestehende Wand der Um- friedigung hinter ihm war mit bunten, dünnen Stoffen behängt, ein an ihr befestigter fleckiger, schadhafter Schirm stellte den Baldachin vor; in der Hand hielt er als Scepter ein schwarzes, hölzernes Cruci- fix mit Messingverzierungen; den Körper schmückte ein von der Brust bis zu den Knöcheln reichendes Tuch, den Kopf eine rothe Mütze, über welcher ein Strohhut getragen wurde; zu seiner Rechten knie- ten oder hockten die Männer des Dorfes, links, mehr abseits, eine Anzahl Weiber; vor ihm stand eine mit weissem Zeuge überdeckte Kiste, die uns zum Niedersitzen dienen sollte. Als Einleitung zu den Unterhandlungen wurde ihm ein etwa 6M. langes Stück Zeug und eine Flasche Genevre überreicht, worauf er mit wichtiger Miene ein mehrfach eingewickeltes Papier 'hervorzog, das sich als Friedenstractat zwischen der Königin von England und dem „Könige“ Antonio aus dem Jahre 1865 erwies; der Commandant des seit vielen Jahren an der Westküste bekannten englischen Kriegs- schiffes „Rattle Snake“ hatte ihn abgeschlossen und darin das Auf- hören des Sclavenhandels dem Antonio zur Hauptbedingung gemacht, wogegen ihm der Besitz seines Landes gewährleistet wurde. Die eigentlichen Verhandlungen wegen der Barke wickelten sich schnell ab, da Antonio sich unwissend stellte und Untersuchung ver- sprach, so dass wir mit den bereitwillig gestellten Trägern für die Härgematten und den Apparat ohne weiteres Zögern nach Santa Cruz aufbrechen konnten, wo sich die Ruinen befinden sollten, Trotz der Versicherung, dass sie ganz in der Nähe wären, und die Leute sich im schnellsten Tempo vielfach abwechselten, erreichten wir den Ort erst nach fünf Viertelstunden, als die Sonne schon bedenklich tief für erfolgreiche Aufnahmen stand. Die Ruinen der ehemaligen kleinen Capelle bestanden aus weni- gen Lehmwänden und Pfeilern; daneben hieng an einem Galgen die kleine Glocke, welche die Jahreszahl 1700 trug. Doch hatte man für 54 Kirchenruine von Santa Cruz. die noch vorhandenen Reliquien eine neue Hütte eingerichtet, die nur unter bestimmten, an den alten Ritus erinnernden Ceremonien betre- ten werden durfte. Jeder Ankömmling kniete nieder und verblieb lautlos, seine Stimme zum Flüstern dämpfend, in dieser Stellung. Trat aber ein halbwüchsiger Bursche herein, der im Staunen über die selten gezeigten Heiligthümer das Knieen vergass, so wurde ihm die Sitte nachdrücklich mit stets unmittelbarem Erfolge klar gemacht. Auf einer altarähnlichen Erhöhung stand ein Crucifix mit dem Er- löser, zu beiden Seiten die lebensgrosse Figur der Jungfrau und des heiligen Antonio; davor fanden sich verschiedene Leuchter, ein Weihrauchkessel und eine kleine Jungfrau mit dem Kinde; darüber hieng ein den Himmel darstellendes blaues Tuch. Auch Bücher wurden gebracht und vor dem Altar ausgebreitet, zeigten sich aber von Würmern und der Zeit so angegriffen, dass sie nicht mehr ge- öffnet werden konnten. Vom Christenthume selbst blieben nur diese dunklen, äusserlichen Erinnerungen, doch haben die in Landana sta- tionirten französischen Missionare die Absicht, die erlöschende Flamme zu schüren und eine Filiale in Santa Cruz zu errichten. Die Erlaubniss zur Aufnahme der Kirche wurde erst dann bereit- willig ertheilt, als ein Holländer einigen Leuten greheimnissvoll ver- kündet hatte, dass ich mit meinem Apparate Regen machen könne; und als nach wenigen Tagen am 9. Juli za ungewöhnlicher Zeit wirk- lich ein feiner Regen fiel, mag wol der Glaube an diese Wirkung meiner Arbeit unerschütterlich fest gestanden haben. Glücklich be- endete ich sie wenigstens vor Sonnenuntergang; doch war der Rück- weg in der Dunkelheit ziemlich beschwerlich, und als später der Mond aufgieng, sah er uns lange bei seinem trügerischen Lichte im Mangrovelabyrinth mit dem Canoe umherirren, bis wir endlich den richtigen Weg und die an der Makondemündung gelegene Factorei erreichten. Nicht wenig hatten wir uns unterdessen auf das leckere Mal, das unserer hier warten sollte, gefreut, fanden uns aber bitter ge- täuscht, denn der mitgebrachte gute portugiesische Landwein war von einem übereifrigen Neger in eine ehemalige Petroleumflasche ge- füllt worden, der Thee hatte den unverkennbarsten Heugeruch, und die Ziegenkeule war verdorrt und verbrannt. Mit nicht eben über- fülltem Magen schliefen wir in unseren auf je zwei Stützen ruhenden Hängematten um so besser und erhoben uns am andern Morgen ge- stärkt und guten Muthes bis auf den Agenten, der ein saures Ge- sicht zu der Entdeckung machte, dass Ratten seine letzten brauch- baren Stiefel rücksichtslos in Sandalen verwandelt hatten. Fahrt nach Porto da Lenha und Boma. 55 Die auf unsere Heimkehr nach Banana folgenden Tage waren trübe und nebelig; Nichts erinnerte an die mit so heissen, glühenden Farben geschilderten ‘Tropen, das gepriesene Land der Palmen, als ich mich zur Fahrt nach Porto da Lenha und Boma Congo aufwärts einschiffte.e Langsam nur überwand der kleine Dampfer den starken Strom, der um so bedeutender war, je mehr der Capitain aus Besorg- niss, auf eine der vielen veränderlichen Bänke zu laufen, vom Ufer abhielt. Während der fünfstündigen Fahrt hatten wir Musse, die wenig einladenden, mit Mangroven und weiterhin mit anderen Wäldern bestandenen Ufer zu mustern, die im Allgemeinen kahl, sich durch schwankende, hohe Papyrushalme stellenweise sumpfig zeigten. Selten nur gab ein weisser oder purpurner Reiher eine die Dede belebende Staffage. Von den verheissenen Flusspferden und Krokodilen liess sich trotz eifrigen Suchens keines erblicken, der Lärm der Maschine vertrieb sie, lange bevor das Fernglas sie erreichen konnte, und un- benutzt lehnte die Büchse im Arm. So war es Allen angenehm, als wir vor Porto da Lenha Anker warfen, obgleich dieses durchaus nicht zu den verlockenden Aufenthaltsorten gerechnet werden darf; wenn irgendwo, so kann man hier die Wirkungen der Fiebermiasmen auf die Europäer studiren! Gelb, mager, hohläugig, noch vom Froste geschüttelt, traten mir schlotternde Gestalten entgegen, wälrend ich den Gastfreund am ganzen Körper wund, in leichten Stoff einge- hüllt, auf zwei Stühlen hockend fand. Vorsichtig wollte ich die vielen in den Dielen vorhandenen Löcher vermeidend herangehen, um ihn zu begrüssen, doch gelang es nicht, ohne wenigstens einmal durch das morsche Holz durchzutreten. In der Regenzeit war näm- lich gewöhnlich die ganze Ansiedlung unter Wasser, das dann fuss- hoch in den Zimmern stand und durch Modergeruch noch jetzt seine schädlichen Besuche verrieth. Trotz der anerkannt ungesunden Lage haben sich Holländer, Portugiesen und Engländer hier niedergelassen, da beim Handel in Africa Aussicht auf Gelderwerb alle gesundheit- lichen Rücksichten zurückdrängt. Die einzelnen Factoreien sind durch Wasserläufe von einander geschieden, so dass die Verbindung durch Canoes hergestellt wird. Nach einem Besuch auf den gegenüberliegenden schilfbewachse- nen Drapers-Inseln, wo ich zum ersten Male die Spur des plumpen Flusspferdes fand und leicht ein hochaltriges Krokodil hätte schiessen können, wenn ich es nicht bis zum Moment des Untertauchens für einen Baumstamm gehalten hätte, war ich froh, als wir dies mias- menreiche Stück Erde verliessen und mit einer Galiote im Schlepptau langsam flussaufwärts weiterdampften. Nach mehrstündiger Fahrt 6) Vereitelter Krokodilfang. u näherten wir uns der Bergregion, deren Anfang auf dem Südufer durch den charakteristischen Fetischfelsen, auf dem Nordufer durch den Blitzfelsen markirt wird. Auf jenen verlegt die von der wilden Scenerie des durch die Granitmassen brechenden Stromes geweckte Phantasie des Negers den Wohnsitz eines mächtigen Zauberers, der die Schiffer durch einen dem Felsen nahen Strudel in’s Verderben zieht und die Trümmer der zerschellten Canoes hohnlachend dem Meere zutreibt. Vor Boma, das seinen Namen von der dort häufigen Riesen- schlange führt, beginnen die Berge nun massiger aufzutreten, bis schliesslich der Platz von terrassenförmig ansteigenden Partieen um- geben erscheint, die im Ganzen kahl, mit kurzem, braun gebranntem Grase bedeckt sind und nur selten auf der Höhe einige Palmgruppen oder weitkronige Laubbäume zeigen. Auch an diesem Orte machen sich die verschiedenen Nationen in dem fast nur aus Oel bestehenden Handel Concurrenz; glücklicherweise ist er bedeutend genug, um Vielen die Möglichkeit der Existenz zu bieten; denn eigentlich sah ich in Africa wirklich regen, lebendigen Verkehr nur hier, während in Folge der ausgebliebenen Regen das Geschäft sonst allenthalben .stockte. Hier kamen beladene Canoes in Menge den Fluss herunter und kehrten mit den eingetauschten europäischen Stoffen, mit Pulver und Steinschlossgewehren, Geschirr, Salz und Schmuckgegenständen beladen wieder heim. Während meines Aufenthaltes hierselbst ereignete sich ein eigen- thümlicher Vorfall, welcher das Leben und Treiben in jenen Gegen- den prächtig kennzeichnet und deshalb erwähnt zu werden verdient. Einer der Händler, der eine sehr bewegte Vergangenheit hatte und von der Fama als früherer Kunstreiter bezeichnet wurde, erfreute sich des seltenen Besitzes eines kleinen Ponys und eines schönen Newfoundländers, an welchem er mit ganzer Seele hieng. Als eines Abends der Letztere zum Fiusse herunter gieng, schnappte ihn ein mächtiges Krokodil fort, und sein Herr, durch einen einzigen Klagelaut aufmerksam gemacht, sah nur eben noch beide in den Fluten ver- schwinden. Sein Entschluss, sich an dem Räuber zu rächen, war so- fort gefasst, doch würde die Ausführung des Planes länger haben auf sich warten lassen, wenn nicht am folgenden Abend den Hund des Galiotencapitains ein gleiches Geschick ereilt hätte. Als ich am nächsten Morgen durch lautes Hämmern und Geschwätz arbeitender Neger aufmerksam gemacht den Kopf zur Thür des Gastfreundes hinaussteckte, sah ich am Ufer sämmtliche Weisse des Platzes ver- eint, um ein unter den Händen der Schwarzen entstehendes Bauwerk iM N {in | | N? lm ( Affenbrotbaum oder Baobab (Adansonia digitata). Begegnung mit Grandy. 57 zu mustern. Auch ich schlenderte hinab und sah nun durch Pfähle von halber Mannshöhe einen Platz von ca. 3 M. Länge und ı M. Breite eingezäunt. Die Seitenwände und das nach dem Lande liegende hin- tere Ende wurden mit in Zwischenräumen übereinanderliegenden Brettern vernagelt, während der Zugang vom Fluss aus offen blieb, aber mit einer Fallthür versehen wurde. Als es dunkelte befestigte man am hinteren Ende eine Ziege so, dass sie mit einem nach der Fallthür führenden Strick verbunden war, damit wenn das durch das klägliche Meckern herbeigelockte Krokodil sich heraus wagen und an jener zerren sollte, es unfehlbar lebend gefangen werde. Der ganze kleine Handelsfleck war in Aufregung und sah die Europäer spät am Abend noch vereinigt, um über den möglichen Erfolg zu discutiren, bis schliesslich allmähliche Ruhe eintrat, und nur die klagenden Laute der Ziege durch die Stille der Nacht über den Fluss hinschallten. Nach Mitternacht verstummten sie plötzlich, aber wer beschreibt das allseitige Erstaunen und die verblüfften Gesichter der neugierig sich am Morgen Versammelnden, als man deutlich die Krallen des Krokodils im Boden eingedrückt und eine grosse Blut- lache, in der Falle aber weder die Ziege noch den Räuber vorfand. Als ich nach einiger Zeit mit der Galiote flussabwärts gieng, löste sich das Räthsel in der komischsten Weise: Der Capitain durch die Ziege am Schlafen gehindert, hatte gegen Mitternacht seinen Schwar- zen zugerufen: „Jungens, ich glaube, es ist besser, Ihr holt Euch den Braten, damit wir Ruhe haben. Ihr werdet schon wissen, wie Ihr es anstellt, damit morgen kein Lärm entsteht.“ Wirklich hatten sie ihre Sache nicht schlecht gemacht und später wurde noch oft herzhaft über den prächtigen Scherz gelacht. In Boma traf ich auch den englischen Reisenden Grandy, den eins der Handelsboote aus Noki zurückbrachte und der sich auf einer schnell arrangirten Jagdpartie als tüchtiger Schütze erwies. Unüberwindliche Schwierigkeiten hatten ihm das Eindringen in das Innere stromaufwärts auf dem Wege unmöglich gemacht, der drei Jahre später Stanley, welcher dem Wasserlauf abwärts folgte, auf den Gipfel des wolverdienten Ruhmes führte, und so schickte er sich zur Heimreise an. — Noch überlegte ich, durch Grandys Schilderungen der flussaufwärts gelegenen Orte Binda, Mosuko, Noki etc. und das An- erbieten eines erfahrenen Franzosen, mich weit über diese und die Yellalafälle hinausführen zu wollen, angeregt, ob ich die meiner Reise ursprünglich gesetzte Grenze überschreiten sollte, als Briefe aus Europa mir die Ankunft von Expeditionsmaterial, namentlich von Waffen in Tschintschotscho meldeten undmir aufgaben, Dr. Güssfeldt sofort einen 58 Photographie. Dunkelzelt, Transport nachzuführen. So packte ich denn die Ergebnisse meiner Reise, mit denen ich mich wol zufrieden erklären konnte, zusammen und traf am 23. Juli wolbehalten wieder in der Station ein. Da ich einen grossen Theil meiner photographischen Erfahrungen gerade auf diesem Ausfluge zu sammeln Gelegenheit hatte, will ich sie kurz zusammen- gefasst hier anschliessen, indem ich mich selbstverständlich nur auf praktische Winke beschränke, die nicht in jedem Handbuche zu finden sind. Zuvor komme ich aber einer angenehmen Pflicht nach, indem ich Herrn Professor Dr. G. Fritsch meinen wärmsten Dank ausspreche, dass er es übernahm, mich nach dieser Richtung hin für die Expedition vorzubereiten und mir so zu den uns allen lieb gewordenen Erinnerungen und Schätzen verhalf, welche ich inner- halb eines dreijährigen Zeitraumes anhäufen konnte. Einen ähnlichen praktischen Cursus halte ich für Jeden, der photographisch auf Reisen arbeiten will, für unerlässlich; denn wenn auch die Kenntniss dieser Fertigkeit sich gewiss immer unschwer erwerben lässt, so sind doch so vielerlei Manipulationen dabei zu beachten, so manche scheinbar unwichtige Regeln mit grösster Genauigkeit und Sauberkeit zu be- folgen, dass man sich wol nur durch Anschauung Klarheit und Aus- sicht auf Erfolge verschaffen kann. Eine in jeder Weise vorzügliche Reisecamera zu erhalten, wird kaum Schwierigkeiten machen, grosse dagegen, ein praktisches Dunkel- zelt zu finden. Meist sind sie viel zu complicirt, um auf Reisen lange brauchbar zu bleiben, und für heisse Gegenden viel zu klein, um es Jemand in dem abgeschlossenen Luftquantum, das noch dazu mit den Dünsten der nothwendigen Chemikalien geschwängert ist, lange aus- halten zu lassen. Eine gute Constitution und eine geschickte Hand mag sich schliesslich mit jedem der englischen oder deutschen Mo- delle befreunden, so dass minimale Aenderungen nach der einen oder andern Seite überflüssig scheinen; doch möchte ich für die von mir gefundenen Verhältnisse dieselben ganz verwerfen und in folgender Weise zu verfahren vorschlagen: Man nehme vier circa 1,80 M. hohe Holzleisten, welche oben und unten durch Stricke so mit einander verbunden sind, dass beim Auf- stellen ein 0,80 M. breiter und ı M. langer Raum begrenzt wird. Ueber dies Gestell wird der genau passende, schwarze Ueberzug ge- worfen, und dann werden die durch die Lederecken desselben ragen- den, kleinen Metallbolzen der Leisten oben und unten nach den ent- gegengesetzten vier Richtungen durch Stricke angezogen, um durch in die Erde geschlagene Pflöcke, durch aufgelegte Steine oder an Bäumen befestigt zu werden. Als Tisch dient der die Camera und Fenster. Visirscheiben., 59 Chemikalien bergende Reisekasten, so dass dann Raum zur Bewegung und Luft zur Athmung in genügender Menge geboten ist, während die Aufstellung weniger Zeitaufwand beansprucht und mehr Sicher- heit gewährt, als die der mir bekannten anderen Zelte. Die Vorrich- tungen zum Aufsetzen des Wasserkastens und Anbringen des Spritz- apparates sind ganz überflüssig, da jeder beliebige Krug, jede kleine Kanne dieselben Dienste leistet; ich habe mich jener wenigstens nur in erster Zeit bedient, habe sie aber bald als raumnehmende, unpraktische Künsteleien bei Seite gelegt. Als Fenstermaterial wird gewöhnlicher gelber Wachstaffet gewählt und in den Ueberzug einge- näht; da er jedoch sehr schnell brüchig und durch den Einfluss der salzhaltigen Luft und der hohen Temperatur unbrauchbar wird, so tritt häufig die Nothwendigkeit des Ersatzes ein. So war, als ich mich eines Tages zu einem grösseren Ausfluge vorbereiten wollte, dieser Stoff in kleine Theile zerfallen, ich fand aber nach längerem Suchen ein prächtiges Surrogat in der feinen kartographischen Lein- wand, die sich in unseren zu geographischen Zwecken bestimmten Vor- räthen befand. Zufällig waren in einem kleinen Kästchen auch einige Oelfarben vorhanden, von denen ich die rothen und gelben als Deck- mittel versuchte und schliesslich mit Cadmiumgelb meinen Zweck völlig: erreichte: Das in dieser Weise erfundene Fenster brauchte bis zur Abreise nicht erneuert zu werden, so dass es sich empfehlen dürfte beide Stoffe für Reisezwecke dem Weachstaffet vorzuziehen. Wenn gerade in der Leichtigkeit, sich bei entstehenden Verlegen- heiten selbst zu helfen, grösstentheils die Kunst des Reisens besteht, so kann der Zweck eines praktischen Reisewerkes neben anderen auch der sein, die Zahl der Selbsthülfe erheischenden Fälle zu verringern, indem es die gemachten Erfahrungen registrirt. So hatte ich leider versäumt, mir für die zur Camera gehörigen matten Glastafeln Re- serveexemplare mitzunehmen und musste mir, als gerade diese un- entbehrlichen Stücke durch ein Unglück zerbrochen waren, eine Zeit lang durch Oelpapier Ersatz schaffen; da jedoch eine genaue Visirung der Gegenstände damit kaum ermöglicht werden konnte, so wurde schliesslich etwas Schmirgel von dem zum Gewehrputzen bestimmten Papier abgeschabt, zwischen zwei unbrauchbare Glasplatten gebracht und diese mehrere Stunden lang gerieben, bis die so präparirten Visirscheiben an Brauchbarkeit den aus Europa mitgebrachten völlig gleichkamen. Sehr grosse Unbequemlichkeiten sind mit dem Ge- brauche des schwarzen Decktuches verbunden, unter welchem man die Einstellung des Bildes vorzunehmen genöthigt ist. Bald ist die darunter herrschende Hitze unerträglich, bald fliegt es bei win- 60 Destillirapparat. Verpacken der Platten, digem Wetter von der einen oder der andern Seite ab, bald reizt es durch Verwirren der Haare die meist schon empfindliche Kopf- haut; so habe ich manche misslungene Platte auf Rechnung des durch jenes Tuch verursachten Aergers zu setzen und glaube, dass die erwähnten Unzuträglichkeiten leicht vermieden werden, wenn man durch eine auf die Visirscheibe gesetzte, abgestumpfte, innen ge- schwärzte, vorn und hinten offene Papp-Pyramide das zur deutlichen Erscheinung des Bildes auf jener nöthige Dunkel erzeugt. Beim Sil- bern ist eine Tauchcuvette in jeder Beziehung besser als eine Schale, da so die einfallenden Unreinigkeiten, die stärkere Verdunstung, her- vorgerufen durch die auf eine grosse Fläche wirkende Hitze, und schliesslich die mit dem steten Umfüllen verknüpfte Arbeit vermie- den wird. Ob der Taucher von Glas oder Guttapercha genommen wird, ist gleichgültig; ich gebe ersterem wegen der grösseren Rein- lichkeit den Vorzug und glaube, dass, wenn man die Vorsicht an- wendet, ein hölzernes Etui für ihn anfertigen zu lassen, seine grosse Zerbrechlichkeit nicht besonders gefürchtet zu werden braucht. Für die verschiedenen Bäder beim Copirprocess braucht man eine gewisse Anzahl Schalen, von denen die mit einem Wachsüberzuge versehenen schwarzen Holzschalen wegen ihrer Leichtigkeit und Dauerhaftigkeit sehr viele Vorzüge vor den gläsernen haben; nur muss man sich hüten, sie in der Sonne stehen zu lassen. Von sehr hoch zu veranschlagendem Werthe ist ein kleiner, kupferner Destillirapparat, mit dem man sich so oft als nöthig destil- lirtes Wasser für die Silberlösungen oder Goldbäder zu bereiten ver- mag; wenn auch für die meisten Reagentien gewöhnliches Quell- oder Flusswasser, durch vorheriges Filtriren durch ein dichtes Ge- webe von gröberen Verunreinigungen befreit, vollkommen ausreichend ist, so hat man doch hie und da destillirtes Wasser sehr nöthig; auch leistet dieser Apparat für naturwissenschaftliche Zwecke durch Ueberdestilliren des mehrfach gebrauchten Spiritus die allerwesent- lichsten Dienste. Von Wichtigkeit für anthropologische Aufnahmen ist ein mit deutlicher, leuchtender Theilung versehener aufstellbarer Meterstab, der am besten auf drei Füssen ruht und zugleich ein Loth für die schnelle Geradrichtung und Einstellung des Apparates trägt. Alle Band- und Aufhängemasse führen namentlich wegen des ewigen Schwankens auch bei nur leisem Winde grosse Unzuträglichkeiten mit sich. Die allergrösste Sorgfalt muss sowol auf das Verpacken als auf das Aufbewahren der Platten an der Küste gelegt werden, da sie sich nicht nur leicht mit einem wahrscheinlich aus dünnen Salz- Schutz der Objective. 61 krystallen bestehenden Ueberzuge bedecken, sondern so vollständig mit diesen imprägniren, dass längstens nach einem halben Jahre der ganze Vorrath unbrauchbar geworden, weder durch eine der bekann- ten Reinigungsmethoden, noch durch einen Ueberzug von Albumin oder Rohcollodium wieder nutzbar gemacht werden kann. Fast alle erhaltenen Fehler können auf diese Quelle zurückgeführt werden; daher empfiehlt es sich sehr, die Platten vor dem Versenden in der Heimat mit einem jener beiden Stoffe zu überziehen, durch welche sie vor der angreifenden Atmosphäre bei Weitem besser als selbst durch Verlöthen geschützt werden; auch ist es gut, sich nicht auf einmal mit zu grossen Quantitäten zu versehen, sondern lieber in be- stimmten Zwischenräumen neue Sendungen nachkommen und diese aus mehreren kleinen Packeten von je zwölf Platten bestehen zu lassen, die an zwei Seiten in die Furchen von starkem, fächerartig ge- faltetem Packpapier eingreifen, damit sie sich nicht mit ihren Flächen berühren. : Sind sie später mit Aufnahmen versehen, so wird auf die Bild- seite ein glattes Papier gelegt und dann jede einzeln in Stanniol ge- schlagen, wonach man sie packetweise jahrelang liegen lassen kann, während sie ohne solche Vorsichtsmassregeln dem zerstörenden Ein- flusse des Klimas schnell zum Opfer fallen. Ein Diamant zum Zer- schneiden der Platten ist deshalb nothwendig, weil spätere Sendungen leicht nicht genau in die Cassetten und Copirrahmen passen, oder weil beim Ausgehen einer Plattengrösse diese aus der höheren Num- mer herausgeschnitten werden muss. Hatte man schon bei den Platten mit äusserster Penibilität für Schutz zu sorgen, so gilt diese Forderung in gleicher Weise für die Linsen der Objective. Man kann sich auf jeder Seefahrt, wenn man alte Doppelperspective oder Fernrohre in die Hand nimmt, von der schädlichen Wirkung der Seeluft leicht überzeugen; man sieht durch dieselben entweder überhaupt Nichts oder Alles wie in einen Schleier gehüllt. Gleichwol ist Nichts einfacher, als sie in gutem Zustande zu erhalten, da sie nur öfter mit einem weichen Tuche abgewischt zu werden brauchen, um die kleinen Krystalle nicht anschiessen und ein- dringen zu lassen. Diese wirken auf die polirten Glasflächen in ganz ähnlicher Weise, wie- der Rost auf das Eisen und müssen daher ebenso wie dieser sich festzusetzen verhindert werden. Was die Production von Bildern selbst betrifft, so findet man darüber Angaben in jedem Lehrbuche, und es kann ohne Uebertrei- bung behauptet werden, dass alle dort angegebenen Methoden zum Ziele führen, sobald man gute Chemikalien besitzt und sich der pein- 62 Chemikalien. Exponiren. Copiren. lichsten Sauberkeit bei allen Processen gleichmässig befleissigt. Ich selbst habe einen Unterschied zwischen dem Arbeiten hier und in den ‘Tropen nicht gefunden und bin überzeugt, dass ein guter Photo- graph dort auf gar keine Schwierigkeiten stossen wird. Die Chemi- kalien conserviren sich ausgezeichnet, sobald sie in Flaschen mit ein- geriebenem Glaspfropfen und obenein durch Cementkitt vor Lufteintritt geschützt versandt werden; ich habe die letzte Flasche Collodium von meinem Vorrathe nach drei Jahren ebenso brauchbar gefunden wie die erste; für die Zusammensetzung der Reagentien habe ich absolut dieselben Recepte wie die in Europa angewendeten wirksam gefun- den. Anfangs habe ich zwar mehrfach Veränderungen, namentlich in Bezug auf den häufig angerathenen stärkeren Säuregehalt des Silberbades und Hervorrufers vorgenommen, bin aber später wieder ganz davon abgegangen. Die Expositionszeit ist wegen der auch bei bedecktem Himmel intensiven Lichtwirkung eine stets kurze, doch lassen sich darüber natürlich keine Vorschriften geben, da sie ja gleichzeitig von der Sensibilität des benutzten Collodiums abhängig ist; auffällig war mir, dass, obgleich die Sonne um sechs Uhr auf- gieng, doch vor sieben Uhr auf kein recht wirksames Licht gerechnet werden konnte, ja dass man, um tadellose Bilder zu erhalten, lieber noch eine Stunde länger warten musste, und dass umgekehrt grelles Sonnenlicht für Landschaftsaufnahmen durchaus nicht in der Weise schadet, wie man vielfach annimmt. Ein Theil meiner besten Bilder ist in voller Mittagsbeleuchtung aufgenommen, zeigt aber gleichwol die gefürchteten schneeartigen Beläge nicht. Bezüglich des Copirens könnte man die Frage aufwerfen, ob man diesen Process auf Reisen überhaupt üben oder ihn der Heimat über- lassen soll. Allein bei allen Unternehmungen, die einen zeitweisen längeren Aufenthalt voraussetzen, sprechen mehrfache Gründe unbe- dingt dafür, an Ort und Stelle zu copiren, da die geringe Arbeit dem grossen Vortheil gegenüber, sich das Material auf jeden Fall hin ge- sichert zu haben, gar nicht in Betracht kommen kann. Wie leicht können Sendungen verloren gehen oder beschädigt werden; wie oft aber ergiebt auch erst die Copie die Mängel der Platte! Schliesslich wird man sich durch das Versprechen, dass die Sitzenden selbst ihr Bild erhalten sollen, die Neger zur Aufnahme geneigter machen und so eine grössere Auswahl des Materials haben, was anthropologisch verwerthbar ist. Zwar hatte ich mich zu diesem Zwecke anfänglich auf Positive eingerichtet, habe aber das Verfahren, das doch immer eine besondere Aufnahme bedingt, bald ganz aufgegeben, da die Neger den Vorzug eines guten Negativs sehr schnell erkannten und Albuminpapier. Trockenprocess. 63 von den anderen Nichts wissen wollten. Die einzige schwer zu über- windende Schwierigkeit beim Copiren bietet die Conservirung des Albuminpapiers, das auch bei steter Sorgfalt in Folge des Feuchtig- keitsgehaltes der Luft ungemein leicht Stockflecke bekommt; doch habe ich auch dies Uebel ziemlich vermieden durch Verpacken in Stanniol und öfteres Herausstellen des die Rollen bergenden Kastens in die Sonne; auch hier ist es rathsam, sich in gewissen Intervallen kleinere Sendungen nachkommen zu lassen. Dieselben Gründe, welche mich das sofortige Copiren befürworten liessen, bestimmen mich, unter gleichen Verhältnissen gegen das Trockenverfahren zu sprechen; nicht als ob ich dasselbe unter allen Bedingungen verwürfe, aber es dürfte doch nur in den Fällen, wo man den umfangreicheren anderen Apparat wegen des Terrains oder des Verhaltens der Eingeborenen nicht transportiren kann, also als Nothbehelf, gebraucht werden; von anderen Uebeln abgesehen, weiss man bei dem. Trockenverfahren nie, wie der Erfolg sein wird; auch reichen die Bilder bezüglich ihrer Güte bei Weitem nicht an die heran, welche sich bei einiger Uebung immer durch das nasse Ver- fahren erhalten lassen. Mag das Photographiren in dieser Weise, namentlich wenn man einen der neuen portativen, französischen Taschen- apparate besitzt, auch unendlich einfach sein, ich ziehe doch die Sicher- heit des Erfolges der Bequemlichkeit der Methode vor. Leider habe ich nie Stereoskopen verfertigt, weil die Vorrichtungen dazu in meiner Ausrüstung fehlten, und ich auf diese Lücke später nicht aufmerk- sam gemacht wurde; jetzt bedaure ich es sehr. Mag man Stereosko- pen immerhin von mancher Seite für wissenschaftlich entbehrlich, ja für eine ergötzliche Spielerei halten, so ist es doch unzweifelhaft, dass das grosse Publicum sie anderen Bildern sehr vorzieht; und da man eben nicht für einen kleinen Bruchtheil, sondern für Alle zu arbeiten wünscht, und da auch die Anschaulichkeit beim körperlichen Sehen wnbestreitbar gewinnt, so würde ich Jedem rathen, sich auch in dieser Richtung zu versuchen. Zum Schluss kann ich die Anwendung der Photographie auf Reisen nicht warm genug empfehlen, besonders da das Erlernen ihrer Technik so ausserordentlich einfach ist. Die sichtbaren Resultate der Arbeit geben nicht nur eine herzliche Freudigkeit und Befriedi- gung während des Schaffens, sie erfreuen auch für das ganze spätere Leben und bieten das werthvollste Material für eigene und fremde Bearbeitung. Die Zeichnung vermag sich selten vom Idealisiren ganz frei zu halten, und wenn sie es wirklich thut, so kann sich doch der Beschauer nicht ganz der Zweifel erwehren, ob wol die Natur treu 64 Photographiren von Thieren. nachgebildet sei; er wird sich bei Allem, was ihm auf einem Bilde fremdartig erscheint, doch nur schwer überzeugen lassen, dass dies getreu der Natur abgelauscht sei. Anders bei der Photographie, die unbeirrt von den Regeln der Schönheit und Aesthetik Vorzüge und Fehler objectiv reproducirt und deshalb am geeignetsten erscheint, klare Anschauungen über fremde Gegenden zu erwecken. Dass auch diesen Leistungen Grenzen gesteckt sind, habe ich kaum nöthig, zu erwähnen; so glückte mir es kaum nach mehreren vergeblichen Ver- suchen und unter grosser Mühe, unsere Hausthiere aufzunehmen, zu denen ich im weiteren Sinne auch die gezähmten Affen und andere Mitbewohner der Station rechne. Wenn man aber sogar die For- derung aufgestellt hat, der Photograph solle mit seinem Apparate wilden Thieren nachschleichen und sie zu fixiren suchen, so halte ich das für eine Zumuthung, an deren Verwirklichung ich zu zweifeln berechtigten Grund habe. nun) NULL In D “ Yu /y N MyıyM\ Tragelaphus euryceros und 'L, scriptus. CHBIEFERIN Lindners Rückkehr. — Feuersgefahr. — Campinenbrände. — Dr. Pechuel-Loesches Ankunft. — Dr. Güssfeldts Rückkehr. — Ankunft der ersten Crumanos ven der holländischen Factorei zu Banana. — Meine Reise nach Loanda und Novo Redondo, um Träger zu engagiren. — Ankauf der Last- ochsen. — Rückkehr nach Tschintschotscho. Meine beschleunigte Rück- kehr aus Boma erwies sich in so- fern zwecklos, als der unter Lei- tung des Herrn Soyaux der Ex- pedition nachgesandte Transport .in der Mitte des Weges einen Bo- ten Dr. Güssfeldts traf, welcher das Scheitern des Vorstosses und die nunmehrige Absicht desselben, allein eine Explorationstour nach dem Norden vorzunehmen, mel- dete. So war der Transport vor- läufig überflüssig. Nach wenigen Tagen traf auch Herr Lindner, durch die Strapazen ungemein ge- schwächt, auf der Station wieder ein. Sein Aussehen war ge- radezu erschreckend. Nicht nur, dass die ihn schon lange Zeit heimsuchenden heftigen Intermittens-Anfälle seiner Haut eine eigen- Loango. II. ; 6) Schilfgras der Savane., 66 Lindners Erkrankung. Feuersgefahr. thümlich grauweisse Farbe gegeben hatten, auch sein Gesicht war gedunsen, die Augenlider bis zur Unfähigkeit, sie zu öffnen, ge- schwollen und das Zahnfleisch scorbutisch afficirt. Auf seine Mitwir- kung bei der Arbeit konnte also vorerst in keiner Weise gerechnet werden, vielmehr musste seine Pflege unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, wenn die kräftigenden und anregenden Mittel verbunden mit absoluter Ruhe von. Erfolg gekrönt sein sollten. Gewiss war es nicht zu verwundern, wenn unter dem Eindrucke dieses Missgeschicks eine schwüle Stimmung in der Station immer mehr um sich griff, und die Ahnung kommender Trübsal die Gemüther bedrückte. Fast wäre schon jetzt ein Unglück über uns gekommen, das uns wie einst Schweinfurth aller Habe, aller Sammlungen und aller Mittel zur Fortführung des Unternehmens beraubt hätte: Da die Station auf einem ziemlich steil abfallenden niedrigen Plateau gelegen _ war, so hatte es von Beginn ab natürlich und bequem geschienen, alle Abfälle sowol von den zahlreichen Bauten, aus der Küche und den Ställen, als auch trockenes Gras und Gezweig dort abzulagern. Nach und nach hatte sich zu beiden Seiten des Abstiegs eine der- artige Masse gährender und verwesender Stoffe, deren Producte mit dem Winde gerade über die Wohnungen hin fortgeführt wurden, an- gesammelt, dass es aus hygieinischen Gründen angezeigt schien, die- selben zu entfernen; ich hatte schon mehrfach mit dem Dolmetscher über den Gegenstand verhandelt und war zu dem Entschlusse ge- kommen, die verderblichen Stoffe einmal früh, wenn der Landwind noch wehte, und so die Flammen von der Station abgelenkt würden, durch Feuer zu vernichten, zögerte aber noch immer wegen der un- mittelbaren Nähe der trockenen Hütten mit der Ausführung, als plötzlich am 8. August gegen ıı Uhr, wo der Seewind schon einge- setzt hatte, eine dicke Rauchsäule diesen zundergleichen Brennstoffen entstieg. Ob ein Unberufener mit halbem Ohr die Unterredungen angehört und sich durch Ausführung der Idee Lob zu verdienen ge- hofft hatte, oder ob, was später noch mehrfach bestraft werden musste, glühende Asche aus der Küche unbedacht hinabgeschüttet worden war, blieb der drohenden Gefahr gegenüber, die schnelle Hülfe verlangte, vorläufig unerörtert. Kaum war der Rauch bemerkt, so schlugen schon helle Flammen auf und liefen mit Blitzesschnelle, vom Winde gejagt die Klippe entlang, um ein prachtvolles, aber ängstlich bedrückendes Schauspiel einzuleiten. Aus dem Feuermeer, das sich entwickelte, stiegen ungemessene Rauchwolken auf, unverbrannte Reste in die Höhe wirbelnd, und wälzten sich über das Magazin, die Küche und das neuerbaute Wohn- Savanenbrände. 67 haus hin; bald war ein Stehen am Klippenrande, den ich, um das Feuer durch Erde zu ersticken, abstechen liess, nur minutenlang möglich; die auf den Blattschindeldächern mit Wasser aufgestellten Wachen vermochten es nicht mehr auszuhalten: es waren aufregende, sorgenschwere Augenblicke. Zufällig war der Muboma von dem un- weit gelegenen Dorfe Yenga, unser späterer Dolmetscher, mit einem ansehnlichen Gefolge zum Besuche anwesend und liess seine Leute kräftig beim Herbeiholen von Seewasser und Zuschütten des Haupt- feuerherdes Hand anlegen, bis es allmählich gelang, Herr über das entfesselte Element zu werden. Um ı Uhr durften wir die Gefahr als beseitigt ansehen, wenn es auch noch tagelang nachher in der Tiefe glühte und Nachts Wachen ausgestellt werden mussten, um von jeder etwaigen, allerdings unwahrscheinlichen Gefahr sofort Mel- dung zu machen. Niemals habe ich froher und leichteren Herzens die Schlüssel zum Rumfass herausgegeben, niemals den Negern bes- seren Appetit zu dem gereichten Erholungstranke gewünscht, als da ich die Augen über die glücklich erhaltenen Baulichkeiten schwei- fen liess. Uebrigens ist Feuersgefahr trotz der aus trockenen Grasschäften und Baumstämmen gebauten, mit Palmfiedern gedeckten Hütten im Allgemeinen nicht in der Weise gefürchtet, als man glauben sollte; Fälle, in denen Factoreien niederbrannten, sind im Ganzen nur selten vorgekommen. Wenn, wie dies gegen Ende jeder trockenen Jahres- zeit geschieht, die verdorrten hohen Campinengräser von den Negern niedergebrannt werden, theils um sich Raum zur ungehinderten Be- wegung zu schaffen, theils um sich von den hier hausenden gefahr- drohenden Reptilien zu befreien, so wundert man sich anfangs, wie sorglos die Dorfbewohner derartige Brände ihren Wohnsitzen nahen lassen; fangen die Flammen knatternd und prasselnd an, ihnen unbe- quem zu werden, so schlagen sie dieselben an den nöthigen Stellen mit grünen Zweigen und Blättern nieder, während sie an anderen dem Verlöschen durch Anfachen neuer Herde vorbeugen. Wenn man die Prairiebrände Americas aus den Jugendschriften in lebendi- ger Erinnerung hat und fast naturgemäss die Vorstellung unzählbarer, in rasender Eile fliehender Thiere mit ihnen verbindet, so erstaunt man, mit welcher Musse sich hier ein solches Schauspiel betrachten lässt, mit welcher Leichtigkeit man neben dem weiterfressenden Ele- mente hin und her oder ihm aus dem Wege geht, wie vor ihm kaum eine schnellfüssige Antilope enteilt und sich mit wenigen Sätzen in sicheres Terrain rettet, kaum eine plattköpfige Giftschlange sich der überhand nehmenden Wärme entwindet, im Uebrigen nur Schwalben, 5* 68 Ankunft Dr. Pechuel-Loesches. Trägerfrase, Segler und farbenprangende Bienenfresser von allen Seiten herbei- eilen, um sich in die Menge der aufgescheuchten halbversengten In- secten zu theilen. Das Feuer ist dem Neger ein mächtiger Bundes- genosse, um der wuchernden Natur erfolgreich entgegenzutreten, dessen Hülfe er oft benutzt, wie man an den zu Zeiten allenthalben aufleuchtenden Bränden wahrnehmen kann. Wenige Tage nachdem die Station so glücklich dem Verderben entronnen war, am 19. August, traf ein neues Mitglied der Expedition, Dr. Pechuel-Loesche, bei uns ein und wirkte durch seine Frische und durch die Fülle seiner auf langjährigen Reisen gesammelten Erfah- rungen derartig belebend auf unsere durch die letzten Misserfolge in einen Zustand der Erschlaffung versetzten Gemüther, dass wir uns von einem ängstlichen Traume erwacht wähnten und energischer denn je an die Ueberwindung der zahlreichen Widerwärtigkeiten giengen. Am 24. October kehrte auch Dr. Güssfeldt nach mehrmonatlicher Ab- wesenheit zurück, von den erlittenen Entbehrungen zwar beträchtlich geschwächt, aber in keiner Weise durch den unglücklichen Ausgang seines Vorstossversuches oder durch die mannigfachen Erkrankungen entmuthigt. Er sagte sich ganz richtig, dass der Versuch, ob die Eingeborenen der Loangoküste sich für die Expedition brauchbar erweisen würden, unbedingt hatte gemacht werden müssen, und dass die Beschaffung einer Trägercolonne aus anderer Gegend erst ge- rechtfertigt erscheinen könnte, nachdem die Erfahrung gelehrt habe, dass auf erstere selbst bei einem Vordringen bis zu einem der Küste noch relativ nahen Puncte, auf dem die Regenzeit abgewartet und nach dem weiteres Material zu fernerem Vordringen nachgeschoben werden könnte, nicht zu rechnen sei. Es trat nun die Nothwendigkeit ein, die im Süden an der Angolaküste bereits nach dieser Richtung hin eingeleiteten Unter- handlungen zum Abschluss zu bringen, um womöglich schon nach beendeter Regenzeit mit den neuen Trägern aufbrechen zu können; deshalb wurde mir der Auftrag, ungesäumt nach Loanda zu gehen, das Nöthige zu veranlassen und eventuell die Ueberführung der en- gagirten Leute in die Hand zu nehmen; doch verzögerte sich die Ab- reise noch um einige Tage, da am ı3. November die 25 Neger ein- trafen, welche ich mir von dem holländischen Hause zu Banana hatte für die Station besorgen lassen, um von den Eingeborenen und ihren Häuptlingen unabhängig zu werden, und in schnell herzurichtenden Hütten untergebracht werden mussten. Ich hatte auch dann noch, als ich nach Landana abgegangen war, um den nach Süden vorüber- fahrenden Postdampfer zu benutzen, Tag für Tag vergebens auf Eigenthümliche Canoes. St. Paulo de Loanda. 69 dessen Ankunft zu warten, bis mir endlich am 24. November früh bei noch völliger Dunkelheit ein Signalschuss meldete, dass der fast ver- loren Geglaubte angekommen, und es Zeit sei, mich durch die Bran- dung an Bord schaffen zu lassen. Man kann eben in Africa keine Bestimmungen treffen wie in Europa, wo Alles seinen geregelten Gang geht; denn die geringsten Zwischenfälle werfen alle wolgeplanten Berechnungen um: so ge- wöhnt man sich in Africa nach und nach überhaupt ab, Voraus- bestimmungen zu treffen. Da wir einmal drei Monate vergebens auf das Erscheinen eines Dampfers an der Küste gewartet hatten, also die Gefahr, dass er auch diesmal ganz ausbleiben werde, nicht allzu fern lag, so war ich natürlich herzlich froh, als ich mich endlich an Deck befand, so sehr auch der Himmel von meinem Vorhaben abzu- rathen schien und zwei Tage hinter einander in fürchterlichem Un- wetter grollte. Von der Reise ist wenig mehr zu erzählen, äls dass sie fünf Tage dauerte. In Kinsembo, nördlich von Ambriz, fiel mir eine eigenthümliche Art Canoes auf, von denen jedes eigentlich aus zwei ganz gleich gearbeiteten mit einem Rande an einander befestigten Fahrzeugen bestand. Der Querdurchschnitt glich in dieser Weise dem kleinen griechischen Omega, auf dessen mittlerer Erhöhung der Fischer sitzend gedacht werden muss. Da das Ganze bis auf einen breiten Längsspalt in der Mitte völlig geschlossen ist, so fliesst das wenige Wasser, was eindringt, beim Auf- und Niederschaukeln vorn und hinten von selbst wieder ab; im Nothfall kann auch die Verbin- dung gelöst werden, so dass jedes Canoe für sich die Küste zu er- reichen im Stand ist. In Ambriz sah ich zum ersten Male die wun- derliche Form der baumartigen Euphorbien, während Steinhäuser, Zollhaus und Soldaten darauf hinwiesen, dass wir der Hauptstadt der Provinz Angola nicht mehr fern sein konnten; wir erreichten sie am 27. November Nachmittags. St. Paulo de Loanda ist der Hauptplatz der ganzen Westküste mit etwa 2500 Weissen und 12,000 Negern; die Stadt liegt in einem Halbkreise um den Hafen und wird im Nord- westen vom Fort Miguel, im Nordosten vom Fort Penedo begrenzt. Sie zerfällt in die obere und untere Stadt und gewährt dem Ankom- menden mit ihren weissgetünchten Steinhäusern, ihren Ziegeldächern, Kirchthürmen und Forts einen ziemlich grossartigen Anblick. Auf der Höhe liegen fast nur Regierungsgebäude, unter welchen die Pa- läste des Gouverneurs und des Bischofs, ein altes, eingestürztes Je- suitenkloster, mehrere wolerhaltene Kirchen und das Hospital beson- ders hervorragen; unmittelbar am Hafen hat sich die kaufmännische 70 Mangel an Sauberkeit. Mulatten. Bevölkerung angesiedelt, und am Östende breiten sich die Neger mit ihren viereckigen grasgedeckten Lehmhütten aus. Der erste günstige Eindruck, den Loanda auf einen längere Zeit der Civilisation entwöhnten Europäer macht, wird indessen schon nach wenigen Gängen durch die Stadt, namentlich zur Zeit der Ebbe, bedeutend abgeschwächt. Die an den Strand geschafften Abfälle der Haushaltungen erfüllen namentlich in dem sich nach dem Fort Penedo erstreckenden Theile, von dem zurückgezogenen Wasser blossgelegt, die Atmosphäre mit fürchterlichen Dünsten; dazu kommt die drückende Hitze in den Strassen, in deren glühendem Sande der Fuss bei jedem Schritte fast bis an die Knöchel einsinkt. Die Haupt- strassen sind jedoch gepflastert, und wenn man ihre Breite, ihre Be- pflanzung beiderseits mit prächtig roth blühenden Akazien, indischem Pfeffer, Tamarinden und Kokospalmen, die Anlage von freien Plätzen, den begonnenen Bau eines Quais in Betracht zieht, so muss man zu- geben, dass die Stadt in ferner Zukunft späteren Generationen ein angenehmer Aufenthaltsort werden kann. Viele Häuser bestehen nur aus dem Erdgeschoss, andere und nicht wenige haben ein erstes Stockwerk. Dank den Deportirten, welche noch immer allmonatlich auf Regierungsschiffen anlangen und das Land überschwemmen, sind die Häuser gut gebaut und die Zim- mer häufig mit künstlerisch ausgeführten Malereien geschmückt, da unter der Masse nutzlosen Gesindels sich immer einige tüchtige Hände und Köpfe befinden,. auf deren freiwillige Uebersiedelung nach dem fernen Lande man vergebens gewartet haben würde. Die Fenster sind grossentheils mit Scheiben versehen gewesen, zahlreiche Lücken suchen indessen den Beweis zu liefern, wie wenig nothwendig sie für das Klima sind. Ebenso wenig wie man die zerbrochenen durch neue zu ersetzen sich beeilt, denkt man daran, sie überhaupt zu rei- nigen; denn Sauberkeit vermisst man gleich sehr in den Häusern wie in den Strassen, zweifellos deshalb, weil die weisse Frau noch in so geringer Zahl vertreten ist. In höchst unangenehmer Weise machen sich die Mulatten und Neger durch ihre äussere Erscheinung und ihr Wesen bemerkbar, indem die Reicheren durch eine lächerlich ausgesuchte Eleganz der Kleidung und arrogantes Auftreten den Unterschied der Farbe aus- zugleichen suchen; der gewöhnliche Neger trägt auch hier noch nur das Tuch um die Hüfte und ausserdem eine Jacke und eine Mütze oder Strohhut. Bei den Frauen sind lange, bis auf die Füsse herabgehende, über der Brust verschlungene, farbige Untergewänder und darüber grosse Trachten. Beschäftigung. Zölle. 71 schwarze Tücher Sitte, die den Kopf kapuzenartig bedecken, wäh- rend ein Zipfel malerisch über die entgegengesetzte Schulter geschla- gen wird. Beiden Geschlechtern scheint Beschäftigung ein gleich wenig gefühltes Bedürfniss zu sein: die Männer sieht man entweder auf den Plätzen in der Sonne liegen und. in ihrer Lieblingsstellung dem Himmel den Rücken kehren, oder die „Machila“ tragen, gewis- sermassen eine Kutsche en miniature, die, anstatt auf Rädern zu gehen, oben an einer Stange befestigt ist und selbst bei kleinen Be- sorgungen dem fast nie gehenden Weissen als Transportmittel dient. Die Weiber sitzen entweder an den Strassen vor irgendwelchen Handelsartikeln und warten auf Käufer oder verdienen sich die ge- ringe Münze für ihre Bedürfnisse durch Besorgen von Wäsche. Männer und Weiber aber vollführen stets, sie mögen beschäftigt sein oder nicht, einen so entsetzlichen Lärm durch ihre lauttönenden, nimmer ruhenden Stimmen, dass selbst das Ohr eines Grossstädters sich nicht daran gewöhnt und die neunte Stunde herbeisehnt, wo sich ausser den bei Europäern engagirten Leuten kein Schwarzer mehr auf der Strasse sehen lassen darf. Die Wachsamkeit der Posten geht so weit, dass auch jeder Weisse nach dieser Zeit angerufen wird und nur nach der Antwort „gut Freund“ passiren darf. Loanda ist der Hauptstapelplatz für den Handel, der auch hier ein Tauschhandel ist und, seitdem eine regelmässige Dampfschiff- verbindung hergestellt ist, die Hauptposten von Caffee, Gummi, Wachs, Oel und Elfenbein vom Kuansa bezieht, Hier beschränkt sich der Verkehr jedoch meist auf das die Ansiedelungen tragende nördliche Ufer, während das südliche wegen des feindlichen Beneh- mens der Eingeborenen gemieden wird. Ein regelrechter Anbau von Kaffee und Zucker hat erst seit etwa zwölf Jahren begonnen, ver- spricht jedoch bei der zunehmenden Ausdehnung und dem wachsen- den Verständniss der Bewohner für die Vortheile der systematisch betriebenen Cultur von weitgehendstem Einfluss auf die Verhältnisse der Gegend zu werden. Das Leben ist ausserordentlich kostspielig, namentlich wird europäische Waare mit enorm hohen Preisen bezahlt, was der nach Aussage der Kaufleute über 30°, des oft willkürlich abgeschätzten Werthes betragende Zoll für alle Artikel genügend er- klärt. Das Steueramt ist in Folge dessen in einer kaum glaublichen Weise verhasst, und wenn ich auch geneigt bin, die Behauptung, dass aus den geöffneten Kisten mit heimatlichen Genussmitteln stets ein Theil in die Haushaltungen der Officianten verschwinde, für Uebertreibung zu halten, so lässt sich doch nicht leugnen, dass der schleppende, den Handel und Privatverkehr gleich störende Geschäfts- 72 Gesundheitszustand. Trinkwasser, Bodenbeschaffenheit. betrieb in keiner Weise dazu angethan ist, das Ansehen des Amtes zu heben. Als wir z. B. an einem Sonnabend Nachmittag vier Uhr im Hafen ankamen, fiel es Niemand ein, das Gepäck der Passagiere noch an diesem Tage zu untersuchen. Ich musste froh sein, von dem schwarzen Zollaufseher die Erlaubniss zu erhalten, die nothwendigsten Toilettengegenstände ays dem Koffer mit an Land nehmen zu dürfen; da der folgende Tag ein Sonntag war, und kein Mensch in Loanda an Sonn- und Festtagen an Arbeit denkt, so kam ich selbstverständlich erst am Montag Vormittag in Besitz meines Gepäcks! Der Gesundheitszustand der Bevölkerung ist nach Aussage der Aerzte nicht schlecht, da die perniciösen Fieber in den letzten Jahren sehr nachgelassen haben; die Lage des Platzes würde an sich auch sehr günstig genannt werden können, wenn die oben erwähnte Un- reinlichkeit auf den Strassen und am Strande nicht zu der Befürch- tung Veranlassung gäbe, dass die von Zeit zu Zeit auftretenden Epi- demieen immer von Neuem wieder ausbrechen; dazu kommt, dass das Trinkwasser, das in den Tropen wegen des grossen Bedarfs eine noch grössere Bedeutung für die Gesundheit besitzt als in anderen Zonen, schwer zu beschaffen ist. Es muss in grossen Fässern theils vom Bengofluss, theils vom Kuansa geholt werden, da die wenigen tiefen Brunnen der Stadt mit Ausnahme eines einzigen ganz schlechtes Wasser geben. Dieser ist natürlich dauernd besetzt und bietet durch die Menge der ab- und zugehenden, in Gruppen gelagerten, schwatzen- den oder schöpfenden Neger beiderlei Geschlechts einen höchst male- rischen Anblick. Bei 19‘); Meter Umfang hat er eine Tiefe von ı8"/, Metern, und dennoch bedeckt das Wasser nur den mittleren Theil des Grundes. Um Wasser zu schöpfen, wirft man mit grossem Ge- schick Holzgefässe hinein, die an aus Gras geflochtenen Stricken be- festigt sind; wer fehlt, muss lange Zeit warten, ehe die Reihe wieder an ihn kommt. Der Boden bei Loanda ist ein eisenschüssiger grober Sand von rothbrauner Farbe, unter dem sich ein leicht zerreibbarer weisser Sandstein befindet, welcher durch Regengüsse an einzelnen Stellen so zerrissen und zerklüftet ist, dass die Gegend ein unbeschreiblich wildes Aussehen erhält. Ueberhaupt hat sie einen durchaus anderen Charakter, als ihn die Umgebung von Tschintschotscho bietet. Von den dort Alles bedeckenden zehn, zwölf oder mehr Fuss hohen schilf- artigen Gräsern war hier keine Spur, ebensowenig hemmte Busch- wald in irgend einer Weise die Aussicht. Das ganze Terrain war mit spärlichem niedrigen Grase bewachsen und mit einzelnen cactus- ähnlichen Euphorbienbäumen bestanden. Hier und da fand sich dor- Begräbniss. Beschwerliche Fahrt. Novo Redondo. 73 niges oder aus fleischigen, Milchsaft führenden Stengeln bestehendes Gestrüpp oder Aloen, die blüthenlos mit vertrockneten Blättern sich präsentirten und in ihrem traurigen Aufzuge durchaus nicht ver- muthen liessen, dass man sie in der Blüthenfülle mit prächtigen Can- delabern vergleichen konnte. i Kurz bevor ich Loanda verliess, war es mir interessant, einer Be- gräbnissfeierlichkeit beizuwohnen. Der hierbei von den Angehörigen zur Todtenmesse nach der Kirche getragene Sarg glich einem läng- lichen Koffer, gerade gross genug, die Todte, eine Mulattin, auf- zunehmen und war reich mit Borden von Goldpapier verziert. Man stellte ihn geöffnet auf ein schwarz ausgeschlagenes, mit weissen Todtenköpfen bemaltes Gerüst und begann einen Gesang, der in seinen langgedehnten, schnarrenden, gequetschten Tönen kaum aus menschlichen Kehlen zu kommen schien. Glücklicherweise währte er nicht lange, dann wurde der Marsch nach dem Kirchhofe an- getreten, doch blieben die Weiber nach und nach wehklagend und laut weinend zurück indem sie unter den Bäumen des Weges nieder- hockten. — Doch sind nicht alle Leichenbegängnisse so pomphaft. Später sah ich mehrfach Särge von wenigen Angehörigen ihrer Be- stimmung im schnellsten Tempo zugeführt werden. Nachdem meine Geschäfte abgewickelt, die nöthigen Schritte beim portugiesischen Gouverneur gethan und Rücksprache mit dem englischen Consul genommen war, gieng ich am ı3. December an Bord des portugiesischen Dampfers „Donna Antonia“, um meinen eigentlichen Bestimmungsort Novo Redondo zu erreichen. Er kam schon am andern Tage in Sicht, und ich wurde nebst fünf Negern um ıo Uhr in ein kleines schwerfälliges Boot gesetzt, während der Dam- pfer nach Süden weiter gieng. Diese Methode der Passagierbeförde- rung mag durch die Verhältnisse geboten und für diese sehr bequem sein, für den Passagier ist sie aber nichts weniger als angenehm. Da man uns bei dem herrschenden Nebel zu weit nördlich abgesetzt hatte, und die Meeresströmung ausserdem nach Norden führte, brauchten wir, um sie bei völliger Windstille durch Rudern zu überwinden, ohne Speise und Trank, durch die glühend niederscheinende Sonne ge- schwächt, acht Stunden, ehe wir den Strand betreten konnten. Das Haus, das mich gastfreundlich aufnahm, war hinsichtlich der Reinlich- keit durchaus nicht einladend, namentlich hatte das Wasser, nach dem ich mich seit Mittag gesehnt, einen fauligen Geschmack und liess in jedem Glase eine Unzahl kleiner lustig darin herumtanzender Thier- chen erkennen. Novo Redondo an dem aus dem Cuvo kommenden Gunsa oder 74 Bauart des Hütten. Eingeborene. Gambongo, wie dieNeger ihn nennen, gelegen, ist von etwa 100 Euro- päern bewohnt und steht unter einem portugiesischen Chef. Das Ter- rain ist durchaus bergig‘, die Dörfer sind gewöhnlich auf den Spitzen der Höhen angelegt und liessen den Beschauer, der die reinlichen Papyrushütten Loangos kannte, kein günstiges Urtheil für ihre Be- wohner fassen. Die viereckigen Hütten sind aus den Blättern der Oelpalme, mehr noch der Kokospalme derartig gebaut, dass die Rip- pen mit den Stammenden in der Erde stecken, während die Fieder- blätter unter einander verflochten werden; über Mannshöhe sind sie eingeknickt und in der Mitte des umfriedigten Raumes an einer etwa zwei und einen halben Meter hohen Stange befestigt, so dass sie zugleich Wände und Dach bilden. Letzteres ist gewöhnlich noch mit binsenartigen Gräsern unordentlich bedeckt, und das durch eine dop- pelte Blattreihe gebildete Fachwerk der Seiten mit Lehm ausgefüllt. Einen freundlicheren Anblick als solche Hüttencomplexe bilden die sorgsamer aus Felsstücken viereckig aufgethürmten Steinhügel der Begräbnissstätten, die so zahlreich sind, dass fast jede grössere Sippe einen eigenen Platz zu benutzen scheint, während der Dorfherrscher mitten im Dorfe Ruhe findet. Die Eingeborenen machen einen ver- kümmerten Eindruck; kleiner als die Loangoneger, zeigen sie nicht die Muskelbildung und elegante Form jener; und die Unsicherheit der Existenz hat den gänzlichen Mangel selbstbewusster Haltung zur Folge gehabt; gegenseitige Fehden und gegenseitiger Verkauf sind hier an der Tagesordnung. Der Boden, der, wie der Mangel jeglichen Baumwuchses zeigt, wenig ertragsfähig ist, wird kaum bestellt, und Mangel und Elend schaut aus jeder Hütte, aus jeder Erscheinung. Die Frauen namentlich sind äusserst gracil gebaut und tragen durch die Sitte, ein Stück Messingdraht durch die Nasenscheidewand zu ziehen, dessen Enden mannigfach gewunden auf die Oberlippe herab- hängen, in keiner Weise zur Hebung ihrer Schönheit bei. Der Ge- sichtsausdruck ist meist intelligent und hat etwas Wildes, das Haar wird lang und je nach dem Geschmacke der Einzelnen in der wunder- lichsten Art in unendlich viele Zöpfe geflochten und arrangirt getragen, zeigt auch keine schwarze, sondern eine mehr fahle, bräunliche Farbe. So macht Alles an ihnen den Eindruck der Vernachlässigung und der Verkommenheit. Sie leben wie andere Küstenvölker grossentheils vom Fischfange, weniger von der Jagd, bei der sie sich neben dem Steinschlossge- wehre auch des Bogens, der Pfeile und einer kleinen Keule bedienen. Ihre Fahrzeuge beim Fischfang sind aus Ambatschholz (Herminiera elaphroxylon), das an den Flussläufen wächst und ein so geringes Ambatschtlösse. Taktik bei Sterbefällen. 75 specifisches Gewicht hat, dass es sich korkähnlich auf dem Wasser hält; sie haben die Form von etwas breiten, in der Mitte quer durch- sägten Booten, da armstarke Aeste an einander gelegt und nach vorn gebogen zusammengebunden werden, während die hintere Seite ganz offen bleibt. Das Wasser hat also von überall her Zutritt. Der Boden wird von einer doppelten Lage gebildet und ist noch mit einem aus Palmrippen hergestellten Geflechte bedeckt; das Ganze ist leicht transportirbar und wird nicht nur auf Flüssen, sondern, so wunderbar es auch scheint, weit in’s Meer hinein benutzt. Ohne auf die Sitten und Gebräuche der Bewohner näher ein- zugehen, was dem eigentlichen Zweck des Werkes, der Beschreibung des Loango-Landes, fern liegt, glaube ich doch das anführen zu müssen, was zur Charakterisirung der Elemente gehört, aus denen wir unser Trägermaterial zu formiren gezwungen waren. Nur dann wird die Zeitdauer, welche zur Heranbildung einer brauchbaren Co- lonne erforderlich war, und die dabei aufgewendete Mühe verständlich werden. Die Bewohner der Bezirke von Arimba, Thunda, Sellez und Assango, aus denen die bezüglichen Leute gezogen wurden, gelten allgemein für Cannibalen und suchen sich die nöthigen Opfer theils durch Kriege, die stets Mann gegen Mann geführt werden, theils durch Beschuldigung von Zauberkünsten zu verschaffen; durch jene Kampfessitte, welche allein zu Gefangenen verhelfen kann, wird eine bei Negern ganz ungewöhnliche Tapferkeit und Furchtlosigkeit her- ausgebildet, die wir später mehrfach zu erproben Gelegenheit hatten, während bei dem natürlichen Drange der Selbsterhaltung die oft systematisch betriebenen Anklagen wegen Zauberei eine grosse Zahl der niedrigsten Charaktereigenschaften erweckt und genährt haben. Auch sie sehen unerwartete Begebenheiten, Unglücksfälle, Krank- heiten oder Tod nicht als Folgen erklärlicher Ursachen, sondern als Wirkungen von Zauberkräften an, deren Urheber sie natürlich un- ‘schädlich machen müssen; die Auffindung der Schuldigen ist die Pflicht der dort Kimbanda genannten Leute. Die Taktik, welche sie dabei verfolgen, ist eine sehr verschiedene: In einzelnen Fällen wird dem eben Verstorbenen eine Perlenschnur um die Stirn gebunden und ihm dann unter lautloser Stille der zur Feierlichkeit Herbeige- eilten die Frage vorgelegt, ob er selbst ausgehen wolle, den Schuldigen zu fangen; der Kimbanda fingirt, gespannt auf die Antwort zu lau- schen, und erklärt dann den Willen des Tödten. Lautet der Aus- spruch bejahend, so tragen Verwandte die Leiche im Dorfe und in den umliegenden Ortschaften kreuz und quer umher, bis sie vor einer 76 Giftprobe. Hütte stehen bleiben und vorgeben, der Todte halte sie fest und lasse sie nicht weiter, da er hier den Gesuchten gefunden habe. Dann dringen sie ein, rauben Alles, was sie finden, verbrennen die Hütte und überliefern den Besitzer gebunden dem Soba, dem Dorfherrscher; das übrige lebende und todte Inventar wird ihr Eigenthum. — In anderen Fällen begeben sich die Verwandten oder sonst interessirte Personen zu einem entfernt wohnenden Kimbanda, tragen den Fall vor und lassen sich von ihm Irgendeinen als der Urheberschaft des Unglücks verdächtig bezeichnen; von hier gehen sie zu einem zweiten und von diesem zu einem dritten mit demselben Anliegen, für dessen Gewährung sie nicht unerhebliche Beträge entrichten. Nennen alle drei denselben Schuldigen, so wird er als der Zauberei dringend ver- dächtig in Ketten gelegt, während andernfalls die Procedur bis zu einem erwünschten Resultate fortgesetzt wird. Ein Gottesgericht hat nun die Schuld oder Unschuld zu erweisen: Die Partei des Klägers sowol wie die des Verklagten bittet einen oder auch mehrere Kim- banda, zu einem bestimmten Tage, an welchem das Urtheil stattfinden soll, zu erscheinen. Das hierzu gebräuchliche Gift ist nicht wie in Loango die gepulverte Rinde eines Baumes (Erythrophloeum gui- neense), sondern ein schweres, vielleicht mineralisches Pulver, das im Wasser untersinken soll, dessen Natur festzustellen aber nicht gelang. Meist wird es in einer längsdurchschnittenen Banane gereicht, von der beide Theile je eine Hälfte zu verzehren haben, wobei der Kim- banda das solange unter dem Fingernagel verborgene Gift der einen oder anderen mittheilt und sich dann schleunigst entfernt; dem Unglücklichen schwillt in kurzer Zeit die Zunge an, die Augen quellen hervor, das Gesicht turgescirt, während der Andere zum Zeichen, dass er völlig wol ist, ausspuckt und sich mit seinem Anhange des Ueberführten, seiner Sclaven und Güter bemächtigt; nach mannig- facher Peinigung wird dieser gewöhnlich dem Soba eines entfernten Dorfes verkauft, um dort getödtet und verzehrt zu werden. Solcher Art war die Bevölkerung, aus deren Mitte unsere Träger genommen werden mussten und zum Theil genommen waren. Am 22. December Abends machte ich mich mit Herrn Prazeres, welcher von Herrn Dr. Güssfeldt den Auftrag angenommen hatte, ihm hundert Leute zu stellen, auf den Weg nach Kikombo, um die erste Hälfte derselben zu mustern. Es war eine herrliche Mondscheinnacht, und der Weg bergauf, bergab, zu beiden Seiten mannshohe Aloen, die in dem trügerischen Lichte wie verhängte Statuen aussahen, dann die prachtvolle Fahrt auf dem hie und da sehr seichten Kikombofluss, Alles dies haftet fest in meiner Erinnerung. Sichtung der Träger. 77 Senhor Prazeres benutzte die Zeit bis zum anderen Morgen sehr wol, um mir die Leute in möglichst vortheilhaftem Lichte zu zeigen; sie hatten nicht nur baden, sondern auch die Haut mit Oel abreiben müssen, und Jedem schmückte ein wenn auch nicht dauerhaftes, so doch neues Tuch die Hüften. Er hätte sich die Mühe, mich durch kaufmännisch erlaubte Mittel blenden zu wollen, sparen können, da ich mit medieinisch geschultem Auge dennoch die Mängel und Ge- brechen sah, wenn ich sie auch nicht alle rügte, weil ich seit meiner Ankunft eingesehen hatte, dass eine fertige Trägercolonne, die man nur überzuführen brauchte, um dann mit ihr sofort in das Innere auf- zubrechen, ein Phantasiegebilde sei, und dass wir im besten Falle nur ein bildungsfähiges Material zu erwerben hoffen dürften. So er- kannte ich denn auch die Schwachen und Elenden als brauchbar an, wenn nur ihr Bau den Anforderungen entsprach, da Ruhe und Pflege in Tschintschotscho ihnen die fehlende Rundung mit der Zeit geben mussten, und schied nur die mit organischen Fehlern oder anstecken- den Krankheiten, namentlich der Augen, Behafteten aus; leider war die ganze Musterung, wie sich später herausstellte, überhaupt be- deutungslos, da ich nach meiner Rückkehr auf der Station manche abgewiesenen Leute dennoch vorfand, während ich gerade einige ver- geblich suchte, die am besten entwickelt gewesen waren. Dagegen konnte Nichts geschehen; man war im Grossen und Ganzen auf den guten Willen und die Ehrlichkeit des Contrahenten angewiesen, Eigen- schaften, auf die besonders in Africa schlecht zu rechnen ist, wo Gelderwerb als alleiniges Ziel und jede schmälernde Gewissenhaftig- keit für Thorheit gilt. Man wusste, dass wir die Leute brauchten, und schickte sie richtig in der ausbedungenen Zahl; der Begriff der Qualität war sehr dehnbar; man wusste, dass an ein Zurückschicken bei der Entfernung und unter den obwaltenden Verhältnissen gar nicht gedacht werden konnte. Im Uebrigen ergaben die späteren Er- fahrungen, dass das engagirte Personal durchaus nicht so schlecht war, als es anfangs schien, und es muss zugegeben werden, dass wahrscheinlich Niemand die sehr schwierige Angelegenheit hätte besser abwickeln können als Herr Prazeres. Wir rechneten natürlich auf einen ziemlich hohen Procentsatz von ausfallenden Kräften und brachten ihn von vorn herein in Abzug. Nachdem ich noch über die Lieferung von 30 Ziegen, die bei dem Vormarsch in’s Innere als Proviant mitgenommen werden sollten, ver- handelt hatte, trat ich am 24. December Mittags die Rückreise in einem kleinen Lastboote an, dessen Bord wegen der aus Ziegelsteinen bestehenden Ladung nur 24 Ctm. über dem Wasserspiegel hervor- 78 Seefahrt am heiligen Abend. ragte. Eine leidliche Brise brachte uns so schnell vorwärts, dass ein Fangen von Seethieren unmöglich war, und manche in das Boot spritzende Welle die ruhenden Neger aus ihren Träumereien weckte und zum Ausschöpfen des Wassers veranlasste. Damals notirte ich in mein Tagebuch: „Die Sonne brennt heiss hernieder und strahlt heiss vom Wasserspiegel wieder; es ist halb 2 Uhr und noch lange hin bis zum Abend, den heiligen Abend.“ — Glücklicherweise beschattete das Segel meinen Oberkörper, während die Füsse ohne Gnade sich preisgeben mussten. Solche Reisen auf kleinen Fahrzeugen, in denen man sich kaum bewegen kann, der Küste entlang, doch weit genug von ihr entfernt, um sie bei etwaigen Unglücksfällen nimmer zu erreichen, gehören, selbst wenn der Magen auf die hochgradig schaukelnden Bewegungen nicht anders als mit verstärktem Appetite reagirt, zu den wenig erwünschten Vorkomm- nissen. Ich erinnere mich, dass mir und den Schwarzen bei einer anderen Fahrt um die sogenannte Teufelsspitze nördlich von Banana, die schon vielen kleinen Seglern gefährlich geworden ist, durchaus nicht wol zu Muthe war, als bei ziemlich hochgehender See uns Welle auf Welle von der Breitseite fasste, und plötzlich mit einem hörbaren, peinlich berührenden Laut das Steuer in der Mitte barst. Indessen gewöhnt man sich auch an solche Situationen und macht es sich, obgleich an eine Cajüte nicht gedacht werden kann, sondern nur gerade Raum zum Sitzen oder ausgestreckten Liegen vorhanden ist, so behaglich, als es die Umstände irgend gestatten; ja es gelingt so- gar auch hier, die Toilette, die dem ähnliche Lagen Ungewohnten recht unbequem und beschwerlich scheint, mit der gleichen Sorgfalt und besonders auf Reisen nothwendigen Penibilität zu vollenden, als befände man sich daheim in seinen mit allem Comfort ausgestatteten Räumen. Nachdem ich so drei Tage und zwei Nächte unter freiem Himmel verbracht hatte und leidlich verbrannt war, langten wir in Loanda an, wo mir noch die eine Hauptaufgabe zu lösen blieb, Lastthiere für das bessere Fortbringen des Gepäckes der Expedition beim Marsche zu beschaffen. Wir hatten bereits in Tschintschotscho die Frage ven- tilirt, ob Ochsen oder Eseln der Vorzug gegeben werden solle, und hatten uns namentlich deshalb für erstere entschieden, weil eine seit Jahren in Landana prosperirende Herde von sechs Stück den Beweis zu liefern schien, dass sich keine klimatischen Hindernisse der Ein- führung entgegensetzen würden. Ueberdies stellte sich heraus, dass sich zum Ankauf von Eseln weder in Loanda noch Ambriz Gelegen- heit fand, während Ochsen an beiden Orten als Zugthiere vielfach Ankauf von Ochsen. Unwetter. 79 Verwendung fanden und so für den späteren Zweck wenigstens einigermassen geeignet zu sein schienen. Da der Preis ein recht bedeutender war und sich inclusive des Transportes auf 300 Mark pro Stück stellte, auch überhaupt erst der Versuch der Brauchbarkeit in unserer Gegend gemacht werden musste, so beschränkte ich mich auf zwölf Stück, lauter Prachtexemplare, die ich aus einer grossen Herde unter Beihülfe von Sachverständigen aussuchte und zur Vermeidung von Verwechselungen sofort durch ein eingebranntes Zeichen markiren liess. Ich wünschte mir zu dem abgeschlossenen Handel innerlich von ganzem Herzen Glück; denn ich konnte natürlich nicht ahnen, welchem Schicksal die Thiere ent- gegen giengen und welche vergebliche, endlose Mühe sie uns verur- sachen sollten. Damals aber liessen mich die Schilderungen des eng- lischen Consuls von Fernando Po, Mr. Hardley, welcher zehn Jahre lang im Damara-Lande die Elephantenjagd betrieben hatte und der mir seine Erfahrungen mit dankenswerther Bereitwilligkeit mittheilte, das Beste von unserem Unternehmen hoffen; jetzt weiss ich nur zu gut, dass jeder Platz Africas seine eigenen Erfahrungen beansprucht, und dass, wer an einer Stelle reiste, dadurch keine Berechtigung er- hält, über die Art des Reisens in anderen Gegenden zu urtheilen. Bei unseren Erörterungen gaben mir die vielfach betonten Vor- züge einer aus beiden Geschlechtern gemischten Trägercolonne des- halb besonders zu denken, weil auch Senhor Prazeres darauf hinge- deutet hatte, dass es bei einiger Vertrautheit mit dem Negerleben fast nothwendig erscheine, den Trägern die Mitnahme ihrer Frauen zu ge- statten, von denen jede ohne Zweifel dasselbe leiste wie ein Mann. Mr. Hardley schilderte mir die Dienste, welche die Weiber im Lager durch Heranschleppen von Bau- und Heizmaterial, durch Be- sorgen des Essens und der Wäsche leisteten, die Freudigkeit der Männer, wenn sie nach längeren Ausflügen die Aussicht hätten, sich im Lager bei ihren Frauen von den Strapazen zu erholen, das Ver- meiden von Reibereien in den zu passirenden Dörfern so überzeugend, dass ich nachträglich an Herrn Prazeres die Weisung sandte, er solle unserer bereits gepflogenen Rücksprache eingedenk bei dem zweiten Transporte statt der funfzig Neger nur dreissig und dafür zwanzig Frauen mitschicken: eine Massnahme, die von Herrn Dr. Güss- feldt gut geheissen, sich in jeder Weise bewährte. Nachdem so alle Geschäfte nach bestem Ermessen glücklich ab- gewickelt waren, gieng ich am 7. Januar ı875 an Bord des kleinen holländischen Flussdampfers „Zaire“, da ein fürchterlicher Regen und Sturm das am Tage vorher beabsichtigte Auslaufen unmöglich ge- 8o Rückkehr nach Tschintschotscho, macht hatte. In Banana musste man uns indessen währenddem auf dem Meere vermuthen, und so war es kein Wunder, dass wir nahe unserem Ziele auf einen grösseren Dampfer stiessen, der unsere Trümmer zu suchen oder uns Hülfe zu bringen, von dort ausgesandt. war. Wären wir nicht durch andere Zufälligkeiten aufgehalten bis zu jenem Tage im Hafen geborgen geblieben, so wären die Befürch- tungen zweifellos zur Wahrheit geworden. Das Gerücht unseres Unterganges hatte sich schon weit nach Norden verbreitet, so dass ich in Tschintschotscho als ein von den Todten Erstandener freudig und herzlich begrüsst wurde. Auch Herrn v. Mechow, den ich in Banana eingetroffen fand und seinem Bestimmungsort zuführen konnte, wurde ein warmer Empfang zu Theil. Schien es doch, als wenn nun alle Vorbedingungen günstig erfüllt, alle Vorbereitungen zu einem erfolgreichen Unternehmen getroffen wären, als ob nur das Comman- dowort des Führers, auf den wir vertrauensvoll blickten, fehlte, um uns vorwärts zu führen. Baue von Waldameisen. CAPEDEIESNVE Erweiterung der Station. — Fünf Monate der Trübsal. — Sterben der eingeführten Ochsen. — Benehmen der Träger. — Aus- brechen der Pocken. — Lindner meuch- lerisch angeschgssen. — Krankheiten, — Tod von einflussreichen Personen und Freunden der Station. — Erkrankung der Ziegen. — Weitere Malariafälle. — Um- bau der Hütten und Ställe. — Lichtblicke durch naturwissenschaftliche Erfolge. Wer uns zu Anfang des Jahres 1875 hätte beobachten können, wenn wir nach Sonnen- untergang auf die Barriere am Klippenabhange gelehnt, trübe und nachdenklich auf das Meer hinaussahen oder vor der Um- zäunung unseres Gehöftes in ern- ster Unterhaltung auf- und nie- derschritten, der hätte, auch ohne nachzuforschen, die Ueberzeugung gewonnen, dass schwere Sorgen unsere Gemüther bedrückten. Die Träger waren eingetroffen, ebenso die Ochsen; in der Heimat erwartete man zweifelsohne den Aufbruch der Expedition; und um Loango. II. 6 Warneidechse (Monitor saurus). 82 : Abrichtung der Öchsen. den dort getroffenen Dispositionen gerecht zu werden, und weil wir selbst noch hofften, dass Menschen und Thiere sich bis zu dem auf Anfang Juni festgesetzten Termin hinreichend erholt und eingelebt haben würden, trafen wir alle Vorbereitungen zum Marsche, obwol wir uns innerlich gestehen mussten, dass wir weiter vom Ziele entfernt seien denn je Um die Muthlosigkeit nicht aufkommen zu lassen, wurde auf allen Seiten der Eifer verdoppelt: es sollte, es musste gehen! Jeder versuchte die Hoffnungen des Andern zu wecken und liess sich gegen seine Ueberzeugung von der Möglichkeit des Gelin- gens überreden; aber dennoch halfen alle Anstrengungen Nichts, war alles Gegenstämmen vergeblich: unaufhaltsam trieben uns die Freig- nisse von einer Enttäuschung zur andern. Von den Ochsen war einer auf der Ueberfahrt zu Grunde gegan- gen, ohne dass die Todesursache festgestellt werden konnte Man brachte das wolweislich abgezogene Fell zum Beweise, dass er wirk- lich vorhanden gewesen sei, und überliess es uns in völligem Gleich- muth, mit der unabänderlichen Thatsache fertig zu werden. Ob wir nun glaubten, dass das Fell schon in Loanda statt des Ochsen an Bord gekommen oder dass unterwegs der Appetit der Neger auf frisches Fleisch erwacht sei und das Opfer gefordert habe, oder dass wirklich Krankheit die Ursache des Todes gewesen sei, was gieng das die Ueberbringer an? Wir mussten froh sein, elf stattliche Thiere den Strand gewinnen zu sehen. Bei ruhiger Ueberlegung war der Verlust auch zu verschmerzen, da b@&i gelungenem Versuch später doch mehrfach weitere Transporte der Expedition Ersatz zuführen mussten. Vorläufig freuten wir uns, wie das frisch vom Quellenthale geholte Futter den Ankömmlingen behagte, und wie wolig sie in dem neu erbauten Stalle nach der langen, angreifenden Fahrt die Glieder streckten. Zwei Tage lang durften sie ruhen, dann wurde zur Abrichtung geschritten, die für Lehrer und Schüler gleich viel Schwierigkeiten bot. Zuerst wurden die Hornspitzen abgesägt, um die Gefahr für die Bepackungsmannschaft bei der sich herausstellenden grossen Wildheit der Thiere zu mindern; dann wurden die Nasensepta durchbohrt, um eiserne Ringe, die unter grossen Schwierigkeiten erst geschmiedet werden mussten, anbringen zu können, an denen sie später mit Stricken geführt werden sollten. Sättel der einfachsten, praktischsten Form wurden erdacht, construirt, verworfen, endlich geprobt und auf- geschnallt, Lasten improvisirt und aufgeladen. Weit entfernt, Miss- erfolge zu beklagen, sahen wir diese als selbstverständlich an und be- nutzten sie zu neuen verbesserten Versuchen; wogen ja doch die Vor- Krankheitssymptome. 83 theile, welche der Expedition aus dem Gelingen des Experimentes er- wuchsen, die aufgewendete Mühe und Zeit hundertfach auf. Endlich zog das erste Thier mit seiner Bepackung in vollster Ruhe aus. und brachte sie Abends ohne jede Verschiebung wieder heim, stolz .als hätte es Theil an dem Triumphe, den Ausdauer und Beharrlichkeit feierte; Aller Augen auf dem Gehöfte waren ihm ge- spannt bei seinem Auszuge gefolgt, alle Herzen schlugen freudig und hoffnungsvoll bei seinem Einzuge; es war, als hätte ein bedeutendes Ereigniss stattgefunden. Bei Tisch beherrschte das Thema über die glücklich überwundenen Schwierigkeiten die Unterhaltung, und in immer kühneren Bildern malte sich die geschäftige Phantasie bald den Abmarsch mit den Trägern an der Spitze und den hinterher ge- führten reich beladenen Ochsen in allen Einzelnheiten aus. Dem ersten folgte der zweite, dem zweiten der dritte und so fort. Wenn durch Herrn Lindners Bemühung und erfinderischen Geist wieder ein Sattel und Packgeräth fertig gemacht worden war, so wurde ein neues Thier in Dienst gestellt, bis endlich zum allgemeinen Jubel die ganze Herde für zweckentsprechend durchgebildet gelten konnte. Da- bei lief natürlich nicht jede Probe günstig wie die erste ab, oft genug musste das Packzeug einzeln auf der Weide in fürchterlichem Zustande aufgelesen werden, oft genug sass es bei der Heinikehr statt auf dem Rücken unter dem Bauche des Thieres, oft genug war alle Mühe, dasselbe von Neuem aufzusatteln, vergeblich, da es sich legte und durch kein Zureden oder Schlagen sich bewegen liess, wieder aufzustehen. Hierdurch und durch eine gewisse Abmagerung und zunehmende Mattigkeit der Thiere wurde die Freude allmählich gedämpft, und es begann die Ahnung in uns aufzudämmern, dass sie bald ganz auf- hören würde: Die dysenterischen Erscheinungen, die nun hervor- traten, wurden zweifellos durch das Futter hervorgerufen, da die schilfartigen Gräser zu wenig Nährkraft besassen und den Verdauungs- canal reizten; doch war es fraglich, ob eine durchgreifende Aenderung der Kost würde durchgeführt werden können und ob sie noch Hülfe brächte. Die Thiere hatten selbst darauf hingewiesen, was ihnen fehlte, indem sie vom Weidewege ausbrachen und in den Maniok- oder Maisplantagen der Eingeborenen nach kräftigem Futter suchten; und wenn diese Art der Selbsthülfe wegen der dadurch hervorgeru- fenen Misshelligkeiten und Aergernisse auch auf das Energischste gehindert werden musste, so wurde doch täglich eine zwar wegen des auch in den Dörfern herrschenden Mangels nicht reichliche, aber ge- nügend erscheinende Extrafütterung eingeleitet, und ausserdem durch = 84 Fallen der Thiere, Ursachen, saftiges, aus dem Quellenthal beschafftes Gras und Ruhe für die Hebung der Kräfte zu sorgen gesucht. Die neue Methode schien anzuschlagen, und schon hofften wir das Beste, als mich am 24. Februar Morgens die niederschlagende Kunde weckte, dass ein Ochse gefallen sei; indessen erhärtete die Untersuchung die Aussage eines Negers, dass ihn eine Schlange ge- bissen habe, da sich am rechten Hinterbein eine stark mit Blut unter- laufene Stelle unter dem Felle vorfand; so blieb noch immer Hoffnung, die Uebrigen zu erhalten, da nicht Krankheit, sondern ein unglück- licher Zufall uns den Verlust gebracht hatte. Bald aber fingen bei Einzelnen die dysenterischen Erscheinungen an überhand zu nehmen, und bald blieb die halbe Herde krank im Stalle.e Für Wasser, Futter und Streu wurde in ausgiebigster Weise gesorgt, doch konnten wir nur kurze Zeit noch zwischen Furcht und Hoffnung schwanken, dann war es entschieden: Einen nach dem anderen sahen wir magerer, schwächer, hinfälliger werden, bis sie entweder im Stalle oder auf dem Felde vor Mattigkeit umsanken, um nicht wieder aufzustehen. Just Woche auf Woche war ein neuer Verlust zu verzeichnen, und was noch lebte, gieng dem sichern Grabe entgegen, in das zugleich endlose Mühe und eine vernichtete Hoffnung mit gebettet wurde. Woran lag es nun, dass in Landana, kaum zwei Stunden von uns entfernt, eine kleine Herde, um die sich Niemand kümmerte, die Morgens herausgelassen wurde und Abends von selbst wieder heim- kehrte, in bestem Stande war und seit Jahren kräftig gedieh, wäh- rend wir trotz aller Sorgfalt die unsere nicht zu erhalten vermochten? War das vorauszusehen gewesen oder sprach der Misserfolg nicht jeder Wahrscheinlichkeitsberechnung Hohn? Hätten andere Kräfte vielleicht bessere Resultate erzielt? Herr Professor Hartmann hat gefunden, dass wir aus Tschi- ntschotscho mehrere Exemplare der echten Tsetsefliege (Glossina mor- sitans) oder doch eine ihr täuschend ähnliche eingesandt haben; das Vorhandensein derselben trug jedoch schwerlich Schuld an dem Hin- sterben unserer Thiere, denn die Erscheinungen der Krankheit wurden von Anfang bis zu dem traurigen Abschluss zu genau beobachtet: Es waren die Folgen des veränderten Klimas, der veränderten Kost, die sich nach Ueberführung der Thiere allmählich in so verderblicher Weise geltend machten, und die kein Mensch hätte vorhersehen können. Wir waren wieder um eine Erfahrung reicher, eine Erfah- rung, wegen deren gewiss kein Billigdenkender dem Leiter der Expe- dition einen Vorwurf machen wird! Oder hätte er etwa bei der Schwierigkeit, Träger zu beschaffen, diesen Versuch mit den Last- Siechthum der Träger. Sandflöhe, 85 ochsen, die unserer Expedition so viel hätten nützen können, nicht machen sollen? Wir wussten jetzt, dass wir auch auf dieses Trans- portmittel nicht rechnen konnten. Aber nicht blos die Thiere litten unter den veränderten Lebens- bedingungen, auch die Leute siechten auf dem fremden Boden und vermochten sich nicht zu erholen; einige davon waren schon auf der Ueberfahrt gestorben, andere trugen den unverkennbaren Keim des Todes in sich, Alle waren elend, matt und abgemagert und blieben es trotz der reichlichen Kost, die vertheilt, trotz der Ruhe, die ihnen vergönnt wurde. Ausserdem traten auch bei ihnen dysenterische Er- scheinungen auf, deren Ursprung zum Theil ebenfalls in der verän- derten Ernährung gesucht werden musste. In Novo Redondo näm- lich besteht die Hauptkost aller Neger aus feinem Maismehl, das durch Zerstampfen der Körner mittelst dicker Stangen in grossen Holzmörsern gewonnen wird, in Loango aus Maniok, dessen Knollen man entweder roh oder in mannigfacher Weise zubereitet geniesst, und der den Magen in ungleich höherem Masse belastet, also bei geschwächten Individuen fast nothwendig zu Indispositionen führen muss. Daneben verursachten die Sandflöhe (Pulex penetrans), welche in wenigen Jahren zur Landplage geworden waren, ausnahmslo., bei Allen Fussleiden, die bei Einigen geringfügig blieben, bei Anderen sich hochgradig entwickelten. Die gefährlichen Insecten vermehrten sich noch dadurch, dass die Neger sie nach dem Herausnehmen aus den Füssen nicht sammt den Eiersäcken vernichteten, sondern achtlos in den Sand warfen und so einer enormen Menge neuer Brut das Leben liessen; das Uebel hatte um so schlimmere Folgen, je rath- loser man ihm anfänglich gegenüberstand. Auf der Station musste die Mannschaft nunmehr Morgens und Abends Fussbäder von Holz- asche nehmen, die in grossen Kesseln bereitet und so heiss als mög- lich angewendet wurden, während die heftiger Erkrankten verbunden wurden, was täglich mehrere Stunden in Anspruch nahm. Später wurden Einreibungen mit Palmöl erfolgreich gebraucht, auch hielten die Leute von Zeit zu Zeit die Füsse über die Feuer, so dass die noch äusserlich haftenden Insecten abfielen. Aber es dauerte lange, ehe das Uebel durch eigene Sorgfalt jedes Einzelnen gemindert wurde. Man hat behauptet, dass nach erfolgter Einbohrung des In- sectes unter die Haut keinerlei abnorme Empfindung an Ort und Stelle vorhanden sei, und dass das Thier sich später leichter heraus- holen lasse als im Beginne, weil es sich während dieses Versuches tiefer einbohre und dabei die eingegrabenen Mandibeln leicht ab- rissen und durch Zurückbleiben zu Entzündung und Verschwärung S6 Ausbruch der Pocken. Impfung. führten (Hebra und Kaposi); dem entgegen habe ich die Erfahrung gemacht, dass wenigstens ein Europäerfuss das Vorhandensein durch ein unerträgliches Jucken unmittelbar merkt, und dass dem sofortigen Herausheben sich weder Schwierigkeiten entgegenstellen, noch unan- genehme Zustände folgen, namentlich dann nicht, wenn man die Stelle nach der kleinen Operation mit Höllenstein oder Perubalsam behandelt oder mit rothem Präcipitatpulver bestreut, dem 25 Theile Mehl beigesetzt sind; ich bin deshalb, nach allen Erfahrungen, die nicht nur am Menschen, sondern auch in grosser Zahl bei den Affen, vorzüglich den anthropomorphen, gemacht wurden, der Ueberzeugung, dass die Entfernung der eingebohrten Thierchen mittelst Nadel oder Messer, sobald ihre Anwesenheit erkannt ist, eingeleitet werden muss, und kann zum Trost aller derer, welche ähnlich inficirte Gegenden bereisen wollen, anführen, dass man sich bei einiger Aufmerksamkeit und Vorsicht ziemlich frei von dieser Plage halten kann, und dass die kleine zur Eliminirung nöthige Operation nicht nur keinen Schmerz, sondern wegen der Verminderung des Juckens eher ein wolthuendes Gefühl verursacht. Noch war dieses Uebel im Bestehen, als zum Uebermass auch die Pocken unter den Trägern ausbrachen. Die Krankheit hatte in den Jahren 1873 und 1874 die ganze Küste vom 4°—-6° S. B. verheert und sich weit in’s Innere hinein fortgesetzt, schien aber völlig erlo- schen, da schon lange kein Fall mehr vorgekommen war, als vierzehn Tage nach Ankunft der Träger erst zwei und bald sechs an Pocken erkrankten und zwei davon starben. Glücklicherweise hatte ich bei Beschaffung meiner Ausrüstung an die Möglichkeit eines solchen Falles gedacht und Lymphe mitgenommen. Die sofort bei der ganzen Mannschaft und den Bediensteten des Hauses durchgehends erfolgreich angestellte Impfung ergab das brillante Resultat, dass von Stunde an kein weiterer Erkrankungsfall vorkam. Nachdem diese Calamität überwunden war, machte sich endlich bei den Trägern unter steter Pflege nach und nach eine Zunahme der Kräfte bemerklich; aber leider durften wir darüber nicht trium- phiren, da sie die wieder gewonnene Beweglichkeit und Elasticität nur dazu benutzten, sich unserer Aufsicht zu entziehen; fast wöchent- lich hatten wir Verluste durch Fluchtversuche zu verzeichnen. Oft ' missglückten sie zwar, weil die Bewohner der Umgegend gegen einen für solche Fälle bereits feststehenden Lohn die Flüchtlinge zu- rückbrachten; mehrfach aber gelang es einigen, zu entkommen, und die nicht zu verkennende Absicht, sich trotz aller Pflege und Sorg- falt aus dem Bereiche unserer Macht zu bringen, musste uns gewiss Stellung der Loango-Neger zu den Trägern. 87 auf’s Aeusserste reizen und niederdrücken. Wohin sollte das schliess- lich führen? Wenn ich jetzt vorurtheilsfrei und objectiv auf jene Periode zu- rücksehe, so erscheint die ganze Entwickelung in anderem Lichte und durchaus natürlich; die Sache konnte gar nicht anders verlaufen, als es geschah. Oder war es etwa nicht verständlich, dass Leute, die nicht aus freiem Willen, sondern durch ihre Angehörigen gezwungen ihrer Heimat entrückt waren und von dem ungewohnten Klima, den andersartigen Verhältnissen überhaupt zu leiden hatten, von vorn herein keine Zuneigung: zu uns hatten? dass sie aus Furcht vor dem Unbekannten, dem durch die Sage mit Schrecknissen fürchterlicher Art angefüllten Innern, lieber den relativ günstigeren Verhältnissen, in denen sie lebten, entsagten, zumal es nicht an Verlockungen fehlte, sich eine behagliche Existenz in den umliegenden Dörfern zu grün- den? Den Eingeborenen Loangos, die unsere Zwecke nicht verstehen konnten, sondern in der Mehrzahl niemals aufhörten, uns als ein ihre Freiheit und Unabhängigkeit bedrohendes Element anzusehen, musste die Zusammenziehung einer so formidablen Macht, wie wir sie der Zahl nach vorstellten, durchaus bedenklich erscheinen. Wer stand ihnen denn dafür, dass wir ihr Land damit verlassen und sie nicht zu ihrem Schaden gebrauchen würden? Es war also gewissermassen die Pflicht der Selbsterhaltung, die sie trieb, unsere Ideen und Pläne nach Möglichkeit zu kreuzen und die Leute uns durch falsche Vor- spiegelungen abspänstig zu machen. Wenn sie dann auch einen Theil der Flüchtlinge, um den Schein der Schuld von sich abzuwäl- zen und nebenher dabei zu verdienen, wieder zurückbrachten, so waren sie doch sicher, dass die Zersetzung immer mehr um sich griff, und dass uns die Hände gebunden wurden. Sie ahnten es ebenso wenig wie wir, dass die Zeit den Verführten dennoch die Augen öffnen, dass gemeinsam bestandene Gefahren das Band der Zusam- mengehörigkeit zwischen ihnen und uns knüpfen würden. Damals konnte aber davon die Rede nicht sein; die aus den verschiedensten Gegenden gesammelten, einander und uns fremden Leute konnten unmöglich sich gleich zu einem festen Gefüge verbinden. Wenn wir nach Jahren, wo wir ruhig vom Schreibtisch her das Granze überblicken und Anfang und Ende vor uns haben, mit Leich- tigkeit den Gang der Entwickelung verstehen, so betrachten wir die Sache anders wie damals, als wir unter der Wucht widriger Verhält- nisse litten: Wir sahen mit erschreckender Deutlichkeit, dass wir vom Ziele abtrieben, anstatt ihm näher zu kommen, und glaubten die eigenen Kräfte immer mehr anspannen zu müssen, um uns dennoch 88 Vorbereitungen zum Abmarsch. gegen den Strom zu halten. Wie oft priesen wir damals das Geschick der vom Östen auf alten, wolbekannten Handelsstrassen dem Innern zustrebenden Reisenden, denen eine Zunft geübter Träger sich zu beliebiger Wahl bietet, die, sofern ihnen genügend Mittel zur Hand sind, eine nach Hunderten zählende Colonne unter erprobten Haupt- leuten sammeln und damit unmittelbar ihrem Ziele zusteuern können! Wir mussten uns erst Träger und mit diesen dann Wege schaffen. Die von allen Seiten her sich geltend machenden Schwierigkeiten spornten die Thatkraft eines Jeden in erhöhtem Masse an, so dass eine fast fieberhafte Thätigkeit im äusseren und inneren Leben der Station sich bemerkbar machte. Die Ausbildung der Leute wurde fortgesetzt, nur dass die bisher geübte Milde einer unerbittlichen Strenge Platz machte; es war ja möglich, dass, wie Portugiesen und Holländer uns immer zuraunten, Neger Güte am allerwenigsten ver- standen, und dass wir durch Aendern des Regimes die Leute von weiteren Fluchtversuchen abhielten. Der Juni wurde als Termin für den Abmarsch noch immer fest- gehalten und Alles vorbereitet, um dann fertig gerüstet dazustehen. Es wurde in jeder Beziehung Form, Menge und Art der Verpackung überlegt, bestimmt, abgewogen. Munition, Medicin, Instrumente, Proviant, persönliche Bedürfnisse wurden gleichmässig in verschie- dene Koffer verpackt und Inhaltsverzeichnisse sowol in die Deckel geklebt, als auch besonders zurückbehalten. Es wurde Rücksicht darauf genommen, dass die einzelne Last ein Gewicht von fünfund- zwanzig Kilogramm nicht überschritt, und dass von den für den Marsch wichtigsten und unentbehrlichsten Gegenständen sich für den Fall des Verlustes einzelner Koffer in mehreren zugleich Reserve- exemplare befänden, ohne dass wir uns dabei doch mit überflüssigen Stücken belasteten. Während wir diese Vorbereitungen eifrig betrieben und Kasten auf Kasten fertig gepackt an einander reihten, trafen uns verschiedene unerwartete Schläge, die auf unsere Thätigkeit noth- wendig lähmend einwirken mussten. Am 7. Februar war Dr. Pechuel-Loesche mit Lindner, unserm Dolmetscher und verschiedenen Leuten nach einem etwa drei Stunden entfernten Terrain zu einer Büffeljagd aufgebrochen, als gegen Mit- tag schweisstriefend ein Bote in höchster Erregung keuchend die Nachricht brachte, dass Lindner in den Grasdickungen der Savanen meuchlerisch angeschossen worden sei, ohne dass es gelungen wäre, des Thäters habhaft zu werden, und dass man den Verwundeten in einer Hängematte langsam nach der Station schaffe. Die Unter- suchung ergab einen Fleischschuss in den rechten Oberarm. Die Ein- Schmelzen und Klären des Palmöles. y | 1 AU At) A EN Ri dr Lindner meuchlerisch angeschossen. 89 gangsöffnung befand sich an der Aussenfläche in der Höhe des Ge- lenkes, von wo sich der Schusscanal in der Länge von ı2 cm. bis zum hintern Schulterblattrande erstreckte und das Geschoss dort fest- sitzend erkennen liess, so dass es durch einen 2'/, cm. langen Längs- schnitt leicht entfernt werden konnte. Ein anderes Geschoss war an der Vorderseite durch das Hemd gegangen, in dem sich zwei Löcher befanden. Lindner hatte, als er eben im Begriff war, nach einem Vogel in einem Baumwipfel zu schiessen, das grinsende Gesicht eines ihm unbekannten Negers in einiger Entfernung auftauchen sehen, es aber natürlich nicht weiter beachtet, bis ihn der Schuss zu spät über die Absicht desselben belehrte und er, weil die Büchse dem getroffe- nen Arme entfiel, sein eigener Rächer nicht mehr sein konnte. Wer der Thäter war, und welche Motive seiner Handlung zu Grunde lagen, ob es ein persönlicher Racheact oder der Ausdruck eines gegen unsere Pläne gerichteten Complotes war, ist unerklärt geblieben. Damals mussten wir nach Aeusserungen und Warnungen einiger ver- trauter Neger letzteres annehmen und in um so grössere Spannung versetzt werden, als wir nicht ahnen konnten, welche weiteren Schritte diesem ersten folgen würden. Es ist ein eigenthümliches Ge- fühl, hinterlistiger Gewalt wehrlos gegenüberzustehen; die Wahrschein- lichkeit einer Gefahr auf allen Wegen und Ausflügen mit sich herum- tragen zu müssen, ohne ihr entgegentreten zu können, wenn man nicht weiss, von wo und durch wen sie uns droht; so war es natür- lich, dass die Stimmung auf der Station lange Zeit eine gedrückte blieb. Ausserdem war die Regenzeit ungewöhnlich früh hereingebrochen und dauerte mit bisher nicht gekannter Heftigkeit an; heftige Regen- güsse strömten am Tage, noch mehr aber bei Nacht nieder und durchfeuchteten bis zu grosser Tiefe das Erdreich; sie waren dann stets von grandiosen elektrischen Entladungen begleitet, welche ka- tegorisch jeder Ruhe ein Ende machten, auch wenn die aller- bestimmteste Absicht, sich nicht stören zu lassen, vorhanden war. Die dauernd vom Boden aufsteigenden Dünste, verbunden mit der von oben wirkenden Hitze, verfehlten nicht, den Gesundheitszustand in hohem Masse zu alteriren. Auch wenn sich keine bestimmte Krank- heit mit ausgesprochenen Symptomen herausbildete, war eine ner- vöse Gereiztheit, die häufig als Zahn- oder Kopfschmerz bestimmte Form annahm, eine durch Schlaf- und Appetitlosigkeit bedingte Ab- spannung bei fast Allen vorhanden; bei längerer Dauer der atmo- sphärischen Niederschläge liessen aber auch wirkliche, schwere Krank- heiten nicht auf sich warten. Drei Hauptbedienstete des Hauses, der 90 Krankheit und Tod. Dolmetscher, der Wäscher und der älteste Tischmulek, legten sich gleichzeitig unter typhösen Erscheinungen zu Bett; vom Nachbar- hause wurde mir ein Neger gebracht, der sich in der Fieberhitze mit solcher Gewalt den Hals durchschnitten hatte, dass nicht nur die Luftröhre, sondern auch die Speiseröhre weit von einander klaffte. Von den Trägern starben zwei, nachdem andere an Lungen- und Bauchfellentzündung, an Phthisis, Ruhr und anderen Leiden voraus- gegangen waren, kurz nach einander am perniciösen Fieber, während ein dritter, obgleich die epileptiformen Anfälle mit fürchterlicher Gewalt aufgetreten waren, schliesslich doch noch genas. Unser Nach- bar, ein Mann, der uns anderthalb Jahre in aufopfernder Freund- schaft zur Seite gestanden und dessen Güte unvergesslich unserem Gredächtnisse eingeprägt bleiben wird, der Portugiese Moreira, legte sich unter perniciösen Fiebererscheinungen und hatte trotz der hin- gebendsten Pflege in wenigen Tagen ausgelitten. Kaum hatten wir ihn am 5. April zu Grabe geleitet, in tiefer Bekümmerniss auch darüber, dass wir in dieser schweren Zeit seinen Rath und seine Hülfe nunmehr entbehren mussten, als wir am 28. einen durch die Verhältnisse gleich schweren Verlust zu beklagen hatten, indem unser Dolmetscher, ein bedeutender, in hohem Ansehen stehender Würden- träger, der Muboma von Yenga, seinen Leiden erlag und durch seinen Tod den ganzen Umkreis in masslose Verwirrung und durch die vom Aberglauben geforderten Nachforschungen nach den Ur- hebern seines Todes in eine ängstliche Spannung versetzte. Schon am Abend des folgenden Tages hatte der Fanatismus seine Wuth an einem Opfer gekühlt; wir beobachteten von dem Klippenabhange aus den Feuerschein des Scheiterhaufens, wo die Gebeine eines durch Nkassa für schuldig erfundenen Negers, unseres ehemaligen K.ooches, verkohlten. Andere Verurtheilungen folgten, Palaver auf Palaver wurden gehalten, von nah und fern eilten die einflussreichen, sonst nie an der Küste gesehenen Häuptlinge herbei und 'verfehlten leider nie, uns bei ihrem Kommen und Gehen gleichfalls einen Besuch zu machen. Lange, sehr lange dauerte es, ehe sich die hin- und her- wogende Aufregung der Bevölkerung einigermassen zu beruhigen an- fing. In Landana verkündete die halbmast gezogene Flagge, dass das Klima wiederum einen Weissen zum Opfer gefordert hatte. Aber das Mass der Widerwärtigkeiten war noch nicht voll; ein tückisches Geschick schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, unsere Ge- duld auf das Aeusserste zu prüfen. Die Ziegen, welche als Proviant bei dem beabsichtigten Vor- marsch in’s Innere dienen sollten, erkrankten eine nach der anderen Verlust der Ziegen. Umbau. gL an einer bösartigen ansteckenden Hautkrankheit, welche sie zum Skelet abmagern liess. So mussten sie denn, um nicht ganz verloren zu gehen, Stück für Stück geschlachtet und unter die Leute vertheilt werden, bis von der ganzen dreissig Stück zählenden Herde keins übrig: blieb. Daneben denke man sich eine Zeit der Noth, des allge- meinen Mangels; eine sich recht bemerkbar machende Gährung unter den Eingeborenen, und man wird zugeben, dass wir uns in einer drückenden, unheilschwangern Lage befanden, dass eine dumpfe Be- ängstigung unsere Gemüther beherrschen musste, da Keiner wusste, ob er den andern Tag erleben würde. So stand es in der ersten Hälfte des Jahres 1875. Mensch und Vieh litt an Krankheit oder starb, Alles arbeitete fast systematisch an der Aufgabe, die geplan- ten Unternehmungen unausführbar zu machen. Wer in der Heimat hatte von Alledem eine richtige Vorstellung? Wer rechnete dort mit den Verhältnissen? Hatte man ein Verständniss für die Arbeit, welche allein der Umbau der inficirten Ställe, die aus hygieinischen Gründen gebotene Erweiterung der Station, die Verlegung sämmtlicher Hütten, mit dem Zwecke durch breite, freie Gänge der Ansammlung von Miasmen vorzubeugen und dem Seewinde Zugang zu schaffen, verur- sachte? Allerdings wurde dadurch etwas Greifbares, den europäischen Erwartungen Entsprechendes nicht gewonnen, aber es handelte sich darum, festen Fuss auf unendlich schwierigem Boden zu fassen und für ein grossartiges Unternehmen die Wege zu ebnen; vor Allem musste die Station fest und unangreifbar stehen, wenn wir selbst Vertrauen zu uns und auf unser Werk haben, den Leuten solches einflössen und Respect im Lande gewinnen wollten. Bei der zweifel- haften Haltung der Eingeborenen war es auch geboten, die weitläu- fige Besitzung durch einen festen Zaun zu umfriedigen und die Ma- gazine durch feste Wände vor bereits mehrfach versuchtem Einbruch zu sichern. Hunderte von Baumstämmen eines eisenharten Holzes mussten hierzu mit ungenügenden Werkzeugen geschlagen und heran- geschleppt werden; es ist damals mühevoll gearbeitet und tüchtig geschafft worden, und doch gieng es den africanischen Verhältnissen angemessen nur langsam vorwärts. In der langen Reihe trüber Erfahrungen und trauriger Ereignisse gewährten die Fortschritte, welche auf naturwissenschaftlichem Ge- biete gemacht wurden, häufig einen erquickenden Trost und erhell- ten mit freundlichem Lichte die Schatten, welche die Gemüther zu verdunkeln drohten. Leider fehlte uns nun, wo nach dem gross- artigen Regen Alles in unendlicher Fülle sprosste, wo es überall wucherte, blühte, duftete, unser Botaniker. In dem vergangenen, 92 Vermehrung der Sammlungen. fast regenlosen Jahre hatte die anhaltende Dürre seine Thätigkeit beeinträchtigt; nun, wo er mit den Verhältnissen vertraut geworden, aus dem vollen Schoose der Natur hätte schöpfen können, war er fern in wiederum ungünstiger Lage bei der Angola-Expedition, wo er sich gewiss ohne Utensilien, ohne Raum und krank nach den früheren günstigen Verhältnissen bei uns zurücksehnte. Auf zoologischem Gebiete aber wurden die stetigen Bemühungen von bestem Erfolge gekrönt; die ohne Ermüdung immer von Neuem unter den Eingeborenen ausgestreuten Samen liessen allmählich be- friedigende Früchte reifen. Was wurde nicht Alles gebracht und ge- sammelt, wie manche eigenthümliche Scene dabei erlebt! Deutlich erinnere ich mich noch, wie uns manchmal Abends ein aus der Ferne kommendes Getöse aufhorchen liess, wie es näher rückend, die Bran- dung übertönend mehr und mehr anschwoll, bis sich schliesslich eine schreiende, johlende Menge von Negern in unser Gehöft wälzte, die in ihrer Mitte eine beim Eierlegen am Strande überraschte un- geheure Seeschildkröte (Chelonia mydas) an einer Stange trugen und sie vor der Thür des Hauses niederlegten. Trotz des ungewissen Lichtes einer Laterne liessen sich die vor Freude über den bevor- stehenden Genuss von Rum leuchtenden Augen wol erkennen, und während des eigenthümlichen Handels spielte sich eine so ergötzliche Scene ab, wie nur africanisches Leben sie zu bieten vermag. Neben jener riesigen Bewohnerin der Meere wurden oft die prächtig ge- zeichneten und an Schild und Rand wie durch Künstlerhand reich und meisterhaft verzierten gelben Landschildkröten (Cynixis erosa) und die einfach schwarzen Sumpfbewohner (Sternotherus derbianus) zum Kauf angeboten, während farbenwechselnde Chamaeleons, insec- tenvertilgende Echsen, von den kleinsten bis zu dem sieben Fuss langen Monitor saurus, und mannigfaltige Batrachier in Menge er- schienen und die von allen Factoreien beigesteuerten Glasflaschen so schnell füllten, dass kaum Spiritus genug zur Conservirung vorhanden war und der gebrauchte durch Destillation immer schnell für den sich mehrenden Reichthum wieder nutzbar gemacht werden musste. Von Schlangen wurden namentlich giftige in überraschend grosser Anzahl gebracht, vor Allem die berüchtigte Vipera rhinoceros, so dass es Wunder nehmen musste, dass so wenig oder gar keine Todes- fälle durch Schlangenbiss zu verzeichnen waren. In der ganzen Zeit unseres Aufenthaltes hörten wir nur einmal von einem solchen und hatten den Verlust zweier Thiere aus gleicher Ursache zu beklagen. Ausserdem wurde mir noch ein eben gebissener Neger zugeführt, an Schlangen. Kletterfische. 93 dessen einem Fussrücken ich zwei ı'/, cm. von einander abstehende, von kleinen spitzen Zähnchen herrührende Wunden fand, doch war es nicht möglich aufzuklären, ob diese von einer wirklich giftigen Schlange herrührten, und ob der als Gegengift bis zur Berauschung gereichte Alkohol seine als specifisch gerühmte Wirkung wirklich bewährte. Neben einer hellbraunen Art mit dunkelbrauner rhombi- scher Zeichnung (Causus rhombeatus) wurde häufig eine ganz schwarze (Atractaspis irregularis) gefunden. Als ganz besonders giftig und ge- fährlich wurde uns die vor noch nicht langer Zeit entdeckte Baum- schlange (Dendraspis Jamesonii) und die wegen ihres Speiens berüch- tigte Brillenschlange (Naja haje) gebracht, auch gleich bei letzterer erklärt, dass das einzige gegen ihr Gift bewährte Mittel Frauenmilch sei, die man auf die getroffenen Stellen streichen müsse. Von ungif- tigen Exemplaren interessirte besonders eine Art wegen ihrer im Schlunde sitzenden Zähne und wegen ihrer uns sehr beeinträchtigen- den Nahrung, die ihr bei den Holländern den Namen „Eierfreter“ (Dasypeltis palmarum und fasciolata) eingetragen hat. Man hält es, wenn man diese relativ kleinen Schlangen sieht, kaum für möglich, dass sie ganze Hühnereier zu verschlingen im Stande sind, die dann unmittelbar hinter dem Kopfe eine grosse Geschwulst bilden und wahrscheinlich von den Schlundzähnen dort angebohrt werden. Na- türlich hüteten wir uns wol, das stets vergebliche Forschen nach Eiern unsererseits ihr allein zur Last zu legen, sondern wussten, dass den- selben nebenher noch Ratten, unsere zahmen Affen und Papageien sowie Neger mit gleichem Eifer und gleichem Geschick nachstellten. Einst gab auch die Behauptung der Eingeborenen, der alle Europäer beipflichteten, dass eine Schlange mit zwei Köpfen existire, die unter der Erde lebe und schwer zu erlangen sei, lange Zeit zu rathen; jede Andeutung, dass ein solches Thier undenkbar wäre, wurde auf das Heftigste bekämpft und immer nur wiederholt, dass ich mich schon noch von der Wahrheit überzeugen würde, wenn ich erst einmal die Kinsengalele in Händen hätte. Wie gross war also die Spannung, als endlich ein Neger mit ihr erschien, und wie gross die Enttäuschung, als sich statt des Wunderthieres eine einfache Blindschleiche (Feylinia Curvori) entpuppte. Auch von Fischen gieng manches interessante Exemplar ein. Geradezu drollig war die Beobachtung des Kletterfisches (Periophthal- mus Koehlreuteri), welcher die wunderbare Eigenschaft hat, mittelst seiner Brustflossen an den Wurzeln und Zweigen des Mangrove- gebüsches emporzuklettern, sich auch auf der Erde leicht fortzubewe- gen, ja sogar froschartige Sprünge zu machen. Die Negerkinder 94 Schlammfische. Heringe. pfiegen sie mittelst kleiner Bogen und Pfeile zu schiessen und haben darin eine solche Geschicklichkeit, dass sie jedem Wunsche nach Mehr- bedarf nachkommen. Hat man eine grössere Zahl dieser etwa ı2 bis ı4 cm. langen T'hierchen mit grossen, seitwärts aus dem Kopfe her- vorragenden Augen vor sich, so kann kaum etwas Eigenthümlicheres gedacht werden, als sie mit hastender Eile die Flucht ergreifen zu sehen, da das seltsame Schauspiel dem Begriff, den wir mit einem Fische zu verbinden gewöhnt sind, so absolut widerspricht. Andere begehrenswerthe und gern genommene Arten waren der Schlamm- oder Lungenfisch (Protopterus spec?) und der vierzahnige Hautfisch (Tetrodon guttifer). Ersterer lebt in Teichen und ist von aalartiger Gestalt, indem er statt der Brust- und Bauchflossen lange faden- förmige fleischige Anhänge zeigt; trocknet das Wasser ein, so bleibt er in dem sich fest um ihn herum legenden Schlamme stecken und versinkt in Lethargie, bis neue Regen ihn in neu entstehenden Teichen zu neuem Leben wecken. Der letztere, ein Meerfisch, hat keine Schuppen, sondern eine chagrinartige mit weissen Tüpfeln be- deckte Haut, die er am Bauche kugelig aufzublasen vermag. Hier- durch und fast noch mehr durch die verwachsenen mit Schmelz über- zogenen Ober- und Zwischenkiefer, die sowol oben wie unten in der Mitte durch eine Furche getrennt sind, so dass sie vier grossen Zäh- nen gleichen, bieten diese Thiere einen höchst wunderbaren Anblick. Von den Negern wurden sie auch bei sonst totalem Misserfolge des Fischzuges gern abgegeben, da ihr Fleisch intensiv giftig ist und nicht genossen werden kann. Diese Eigenschaft wohnt übrigens nicht diesem allein, sondern der ganzen Familie der Gymnodonten inne; es sei noch erwähnt, dass sich nach etwaigem Genusse solchen Fleisches concentrirter Essig in grosser Menge als Gegenmittel be- währt hat. Allgemeine Aufregung erregte öfter ein zu den Heringen gehö- riger Fisch (Pellona africana), der sich hin und wieder in grossen Schulen an der Küste zeigte; doch gelang es nur einmal, grosse Mengen dieser Thiere zu fangen und ganze Haufen davon am Strande aufzuschichten. Da der Appetit nach stark gewürzten und gesalzenen Speisen in den Tropen stets sehr rege ist, so wurde zu verschiedenen Malen die Zubereitung derselben mit Salz oder Salzlösung versucht, ohne dass es gelungen wäre, einen Hering nach europäischem Be- griffe zu erhalten. Der Genuss blieb ein zweifelhafter, da sich ge- wöhnlich in der Nähe der Gräte ein verfänglicher Fäulnissgeruch be- merklich machte. Ich bin daher überzeugt, dass das Einpökeln in heissen Gegenden ohne Zusatz von Salpeter nicht gelingen kann, und Missglückte Jagd auf Delphine. 08 dass man nicht versäumen sollte, sich Quantitäten davon zu solchen Zwecken mitzunehmen. In ähnlicher Weise gerügt zur Conservirung von Thierhäuten auch die concentrirteste Salzlösung nicht, sondern es muss nebenher Alaun mitbenutzt und daher zu jeder grösseren Tour mitgenommen werden. Die Fische alle anzugeben, welche durch ihre Form auffielen, würde zu weit führen, doch können wir mit ihnen nicht auch zugleich das Meer verlassen, ohne des häufigen Vor- kommens eines Seesäugethieres, des Delphins, zu gedenken, der ge- wöhnlich in grösserer Zahl, reihenweise hinter einander, nicht allzu weit von der Küste vorüberzieht und durch Auf- und Niedertauchen ein eigenthümliches Spiel treibt, wobei der Körper ein schnell kom- mendes und schwindendes Kreissegment über dem Wasser bildet. Leider scheiterten alle Anstrengungen, eins oder einige dieser Thiere zu erlangen, deren Fleisch überdies für die Ernährung unserer Leute sehr willkommen gewesen wäre; wenn auch manche Kugel ihr Ziel erreichte, so entkam die erhoffte Beute doch stets, weil die Verwun- dung nicht eine sofort tödtende war. Schliesslich versuchte Dr. Pechuel- Loesche, ob sich durch directe Jagd mit der Harpune kein besserer Erfolg erzielen liesse, machte aber nur die Erfahrung, dass solche Unternehmungen im schwanken Canoe und nahe der Brandung schwieriger als im sichern Boote auf offenem Meere auszuführen seıen. Als nämlich die begleitenden Neger sich neugierig alle nach derselben Seite wandten, schlug das Fahrzeug um, und wir hätten leicht in Trauer versetzt werden können, wenn unser Gefährte nicht Geistes- gegenwart und Meisterschaft im Schwimmen genug besessen hätte, nicht nur sich selbst zu retten, sondern sogar Harpune und Büchse in den Händen zu behalten, bis das Canoe wieder umgedreht und vom Wasser entleert war. Die Jagd wirkt in solchen Fällen so elektri- sirend auf den Neger, dass er seine gewöhnliche Vorsicht und auch Rücksicht auf den Weissen vergisst; daher ergieng es mir selbst auf einem Flusse ganz ähnlich. Auch hier wollten sie sich im augen- blicklichen Eifer versichern, ob das getroffene Thier gefallen sei, wobei natürlich das schwanke Fahrzeug das Gleichgewicht verlor und wir alle kopfüber in’s Wasser stürzten. Das nasse Bad machte Jenen wenig Kummer, sondern war ihnen als plötzliche Erfrischung eher angenehm; doch werde ich nie die verdutzten, höchste Bestürzung ausdrückenden Mienen vergessen, die meine unfreiwillige Theilnahme ihren Gesichtern aufprägte. Da ich jedoch gute Miene zum bösen Spiel machte, gewann das Vergnügen über das ihrer Meinung nach herrliche Abenteuer schnell die Oberhand, so dass sie in befriedigter Schalk- haftigkeit die Ufer von ausgelassenem Gelächter wiedertönen liessen. 96 Austern. Kalkbereitung. Weniger wegen der Sammlungen denn als Leckerbissen wurden Garneelen (Peneus monodon) Langusten (Palinurus argus) und Austern (Östrea parasitica) willkommen geheissen. Die Portugiesen schätzen daneben noch die grosse Strandkrabbe, (Cardisoma armatum), welche sie in eigenen Ställen oder Tonnen zum Bedarf für ihren Tisch mästen und mannigfach zubereiten, doch konnten wir einen gewissen Widerwillen gegen diese Crustaceen nicht überwinden. Die Austern kamen nicht aus dem Meere, sondern aus den Lagunen und hatten demgemäss stets einen geringen Beigeschmack nach Schlamm, bildeten aber doch, eine kurze Zeit in Seewasser gewässert, mit Limonensaft, Essig oder gar Zwiebeln ein ebenso köstliches als nahrhaftes und gesundes Gericht; sie wurden vom Juli zum September oft in solchen Mengen für geringe Quantitäten Rum gebracht, dass sie sämmtlichen Leuten als Extraration gereicht werden konnten. Diese so wie alle Neger öffneten sie in der sehr einfachen Weise, dass sie dieselben an’s Feuer legten, wodurch das Thier natürlich abstirbt und durch die Erlahmung der Schliessmuskeln die Schalen auseinander weichen. In der Nähe austernreicher Lagunen findet man ganze Muschelberge, welche ein beredtes Zeugniss dafür geben, dass wir nicht allein den Werth dieser Weichthiere zu schätzen verstanden; aus den Schalen bereiten einzelne Factoreibesitzer einen an der ganzen Küste sehr gesuchten Kalk. Neben den übrigen Sammlungen mehrten sich vor Allem die der Insecten, und das aus einem sehr natürlichen Grunde: So lange der zwischen unserer Niederlassung und Yenga theils im Thale, theils die Berglehne hinauf sich erstreckende Buschwald als undurchdringliches Dickicht betrachtet werden musste, waren uns seine Schätze ver- borgen geblieben. Wol hatten wir uns bald hier bald da mit Messer und Beil einen schmalen Weg geschlagen, aber der Erfolg hatte nie der Mühe recht entsprochen, schnell waren Ranken und Zweige von beiden Seiten wieder einander entgegengekommen und so innig ver- wachsen, dass der von manchem Schweisstropfen benetzte Pfad nur noch an dem frischeren Grün erkannt werden konnte. Das war nach Ankunft der Träger anders geworden, da wir einen Theil ihrer Ar- beit darin hatten bestehen lassen, den Wald passirbar zu machen; nun liefen breite Wege nach allen Richtungen und kreuzten sich mit schmaleren Jagdpfaden oder endeten in freien Plätzen unter ehr- würdigen Baumriesen, um von hier freiere Rundschau zu gestatten. Bequem wandelte man nun, die Flinte im Arm, das Sammelzeug zur Hand, auch bei glühender Mittagshitze wol geschützt an all den Stellen, die früher unser Auge nur sehnsüchtig von ferne gesucht Vogelspinnen. Processionsraupen. 97 hatte. Wie reich wurde nun die Jagdbeute an Vögeln, wie lohnend der Fang der Insecten, im Vergleich mit dem unfruchtbaren Mühen vorher! Jetzt erst wurden zu unserer Ueberraschung grosse Vogel- spinnen (Mygaliden) gebracht, die von den Negern vorher kaum ge- kannt, jetzt in Aussicht auf gute Belohnung eifrig gesucht und mehr- fach in Erdlöchern und Bäumen gefunden wurden. Immer aber blieben sie ein seltenes, begehrtes Sammelstück, das nur in längeren Inter- vallen erschien. Eine 2ı cm. lange Stabschrecke wurde als etwas nie Gesehenes von Schwarzen und Weissen gleichmässig angestaunt, blieb auch nicht nur bis zur Heimfahrt einziges Exemplar, sondern gieng unter den Sendungen schliesslich verloren, da sie nicht ange- kommen ist, oder, wie so manches Andere, unter den in Berlin auf- gehäuften Sammlungen der Expedition nicht wiedergefunden werden konnte. Auch Goliathiden wurden in kolossaler Grösse den Käfer- sammlungen an die Spitze gestellt. Höchst interessant war uns der nicht endende Zug eines Pro- cessionsspinners, zu dem wir an einem Januar-Morgen gerufen wurden. Da kamen Hunderte und aber Hunderte von drei Centimeter langen grüngrauen Raupen mit schwarzen Puncten und weissen Haaren eine hinter der andern die beiden hinter der Station befindlichen Affen- brotbäume herabgekrochen, um passende Stellen zu Gesellschaftsge- spinnsten zu suchen, in denen sich viele zusammen, doch jede in eigener Zelle verpuppen: nahm man mehrere Glieder aus der Reihe fort, so beschleunigten die folgenden ihren Marsch und schlossen sich an; wurde aber der Führer entfernt, so gerieth die ganze Colonne in’s Stocken, da die nächste lange Zeit nach rechts und links herumsuchte, ehe sie die Führerschaft übernahm. Tödtete man ein Thier der Reihe und liess die Reste an Ort und Stelle, so beschrieb das da- hinter befindliche einen weiten Bogen darum, oder machte kehrt und setzte von den Uebrigen gefolgt selbständig den Weg fort. Eine seltsame Erscheinung war der sogenannte fliegende Skorpion, ein Insect mit beim Fluge lang herabhängendem Leibe von etwa 3 cm. Länge, das wegen seines angeblich giftigen Stiches allgemein gefürchtet wurde und durch sein Erscheinen Abends bei Licht grosses Entsetzen unter der Negerjugend hervorrief. Es waren aber eigentlich zwei ganz verschiedene Thiere, die wegen ihrer äusseren Aehnlich- keit verwechselt ungerechtfertigten Schrecken verbreiteten. Davon war das eine eine männliche zur Familie der Dorylus (Dorylus nigricans) gehörige Ameise, die zwar mit äusserst kräftigen Mandibeln recht schmerzhaft kneifen, aber nicht stechen kann, das andere ein Käfer (Atractocerus brevicornis), der absolut ungefährlich ist. Ver- Loango, Il. 7 98 Giftiges Gewürm. denken konnte man allerdings den Negerkindern eine gewisse Scheu vor unbekannten Insecten nicht, da ihre Heimat eine beträchtliche Zahl gefährlicher Arten beherbergt, und eins oder das andere im- mer einmal die Bekanntschaft mit dem Stachel der Skorpione, den Mandibeln der Tausendfüssler machte. Gefährlich habe ich jedoch solche Verletzungen nicht werden sehen; bei den wenigen beobach- teten Fällen genügte stets das Betupfen mit Salmiak und ruhige Lage mit kühlen Umschlägen, um die Symptome von Schmerz und Schwel- lung bis zum nächsten Tage völlig verschwinden zu lassen. Auch diese Erfahrung war werthvoll; denn wenn ich auch gegen- theilige, in anderen Ländern, an anderen Küsten gemachte Beobach- tungen nicht anzweifeln kann, welche schwere Folgen, ja sogar Todesfälle nach solchen Verletzungen constatiren, so erhellt doch aus Allem, dass dies kaum in Rechnung zu ziehende Seltenheiten sind. Vor Allem aber waren uns diese und ähnliche Erfahrungen, von denen hier nur eine geringe Zahl aufgeführt werden konnte, des- halb von Bedeutung, weil sie uns sowol durch die ihnen innewohnende Anregung als auch durch die natürliche Befriedigung des Schaffens über die unendlichen Widerwärtigkeiten forthalfen und die Hoffnung nährten, dass die auf allen anderen Gebieten erzielten Resultate schliesslich auch auf dem geographischen nicht ausbleiben würden. Stabschrecke und Blattheuschrecke. Kautschukranke (Landolphia florida). SA STTEIL AR Wichtigkeit einer geordneten Gesundheitspflege für Reisende. — Einwirkung der erhöhten Temperatur. — Kleidung. — Hautpflege. — Wirkung der v.r- änderten Nahrung. Früchte. Wasser. Reizmittel. Gewaltsame Accommodationsversuche. Regulirung der Verdauung. — Veränderung in den Organen. — Nutzen der geregelten körperlichen und geistigen Thätigkeit. — Gefahren durch Musse,. — Noth- wendige Ruhe. — Schlaf. — Lager. — Entbehrlich- keit der Hunde als Wächter. — Wirkung der Mias- men. — Küstenglaube. — Prophylaxe durch Wahl der Wohnung und Gegend. — Chiningebrauch. Wenn wir auf die im vorigen Ca- pitel erwähnten, namentlich durch kli- matische Verhältnisse bedingten Ereig- nisse zurückblicken und wenn wir im Allgemeinen die Nekrologe in den geo- graphischen Berichten durchmustern, muss sich unwillkürlich der Wunsch in uns regen, jenes unheimliche, geheimnissvolle Wirken der Tropenluft auf den Körper kennen zu lernen und Mittel ausfindig zu machen, die diesem verderblichen Einflusse begegnen. Es ist ungemein betrübend, zu sehen, dass immer wieder durch den Tod einzelner Forscher in einem verhältnissmässig jungen Alter in die Wissenschaft tiefe, schwer auszufüllende Lücken gerissen werden, dass grosse Unter- * 7 100 Wirkung der Wärme auf den Körper. nehmungen ganzer Nationen durch das unvorbereitete Ableben ihrer Sendboten schon im Keime ersticken. Es drängt sich uns unwill- kürlich die Frage auf, ob dagegen nicht angekämpft werden kann, da wir doch sehen, welche Fortschritte in den letzten Decennien eine planmässig durchgeführte Gesundheitspflege gemacht hat, da wir doch wissen, dass bei uns durch Erkennen und Forträumen schäd- licher Momente ganze Gegenden ihren verderblichen Charakter ver- lieren, übel berüchtigte Städte die hohe Procentzahl der Sterblichkeit mindern, und nach neuen Regeln erbaute Häuser ihren Insassen an- erkannte Garantieen für eine dauerhafte Gesundheit bieten. Sollten denn die Erfahrungen und Lehren, die in der Heimat gewonnen wurden, nicht auch für die verwerthet werden können, welche sie auf Jahre verlassen, um in der Ferne die unsicheren Pfade des For- schers zu wandeln? Es ist dies ohne Zweifel möglich und erfordert Nichts, als dass die schnell emporblühende Wissenschaft nach dieser Seite hin aus- gebaut werde, und da ich es für die Pflicht jedes Einzelnen halte, zu diesem Werke nach Kräften beizutragen, so sollen hier die von uns gemachten Erfahrungen zusammengestellt werden. Wenn wir die Verhältnisse in’s Auge fassen, unter welchen die in heisse Gegenden versetzten Europäer leiden, so werden wir natur- gemäss zunächst die erhöhte Temperatur zu berücksichtigen haben und untersuchen müssen, wie sie auf den Körper wirkt, und wie dieser dagegen reagirt; welche Mittel er anwendet, um sich ihr zu accommodiren, und auf welche Weise wir sein Bestreben unterstützen müssen, um ihm die Erreichung seines Zweckes zu erleichtern. In- dem die Strahlen der Sonne den Körper direct treffen, haben sie ein- mal die mechanische Wirkung der Verbrennung, dann aber führen sie dem Körper, der an sich schon Wärme erzeugt, immer neue Wärmemengen zu, so dass er der ungehinderten Anhäufung bald würde erliegen müssen; er schützt sich daher gegen jene durch Be- deckung,; gegen diese durch Verdunstung, die er ununterbrochen bei Tag und Nacht durch die kleinen Organe der Haut, die Schweiss- drüschen, einleitet und fortführt. Dies ist die wichtigste Arbeit, die der Körper während seines ganzen Aufenthaltes in den Tropen zu leisten hat, und die bisher bei Weitem nicht richtig erkannt und ge- würdigt worden ist. Wir finden es natürlich, dass ein Mensch im hohen Norden, da er durch Strahlung und Leitung an die eisige Aussentemperatur viel Wärme abgiebt, sich durch geeignete Kleidung vor dem Verlust schützt und sich durch dieselbe dicht am Körper eine Luftschicht schafft, die ihn gewissermassen in die Heimatstem- Verdunstung als Existenzbedingung. IOI peratur zurückversetzt und nicht wechselt, dass er, um den immerhin grossen Wärmeausfall zu ersetzen, von innen durch reichliche Nah- rung stets neue Wärme erzeugt. Dagegen scheint es unseren all- täglichen Erfahrungen bei warmen Tagen in der Heimat zu wider- sprechen, dass er unter dem Aequator gerade ebenso viel Wärme durch Verdunstung abgiebt und sie durch ebenso viel Einnahmen wieder ersetzen muss. Und doch ist dies ebenso natürlich. Wenn wir bei uns gelegentlich eine hohe Temperatur drückend empfinden und uns leidend, angegriffen fühlen, so erklärt das sich leicht: Unsere Kleidung ist für solche Fälle durchaus unzweck- mässig, viel zu dicht und undurchlässig, während zugleich in geschlos- senen Räumen oder in den Strassen die Luft stagnirt. und nicht in immer neuem Wechsel vorübergeführt wird. So staut der Körper allmählich Wärme in sich an und vermag, selbst angenommen, dass die Haut der nöthigen Mehrleistung entsprechen Könnte, trotz aller Anstrengung den Ausgleich mit der Aussentemperatur nicht herbei- zuführen, weil die transpirirte Menge Flüssigkeit sich nicht in gas- förmigen Zustand verwandelt, sondern am Körper haftet oder die Bedeckungen imbibirt; wir empfinden dann die Hitze in uns bald als etwas Unerträgliches, und da wir sie nach aussen nicht abgeben können, versuchen wir, sie durch möglichst viel niedrig temperirte Flüssigkeit von innen her zu mindern. Hierdurch erreichen wir ge- wöhnlich nur, dass der Magen jegliche Arbeit, die er sonst etwa noch zu leisten im Stande gewesen wäre, versagt und sich gegen jegliche weitere Aufnahme von Nahrung unlustig zeigt. Jedermann muss aber zugeben, dass ein solches Verhalten des Körpers etwas Krankhaftes an sich trägt, dass er sich bei solchen Gelegenheiten in einem Aus- nahmezustande befindet, der unmöglich andauern kann; denn wie lange sollte er bei fast absoluter Appetitlosigkeit und mangelndem Ersatz der ausgegebenen Kräfte bestehen können? Ein gleiches Ver- halten in den Tropen bei dauernd hoher Temperatur wäre ein Un- ding; wir reagiren auch in Wirklichkeit dort anders auf die Hitze als hier, so lange nämlich die Verdunstung ungehindert von Statten geht, und der Körper gesund bleibt. Wenn wir uns dabei die That- sache in das Gedächtniss zurückrufen, dass jeder Gramm Wasser 600 Wärmeeinheiten gebraucht, um in gasförmigen Zustand überzu- gehen, begreifen wir, wie viel Wärme dem Körper entzogen wird, um die bei Tag und bei Nacht ausgeschiedene enorme Wassermenge verdunsten zu lassen. Um dies zu erreichen, um gewissermassen eine kühlere Luftschicht dicht um uns zu erzeugen, welche die Haut trotz der heissen, glühenden Aussentemperatur der zufühlenden Hand kühl 102 Reger Appetit in den Tropen. zeigt, genügt nicht der in der Heimat übliche Umsatz eines kleine- ren Procentsatzes von Nahrung in Wärme, sondern wir müssen viel neue Wärmeerzeuger zuführen, um den Ansprüchen der Ausgabe zu genügen. So kommt es denn, dass wir in äquatorialen Gegenden unsern Appetit stets in hohem Grade rege finden und ebenso die Ein- geborenen eine sehr lebendige Verdauung bethätigen seken. Dies ist eine unumstössliche Thatsache, mag man auch bezüglich der Erklärung anderer Meinung sein; nur muss man sich hüten, das Verhalten der Individuen in subtropischen Gegenden mit dem in der Aequatorialzone zu verwechseln. Es ist bekannt, dass in jenen Ländern im Allgemeinen eine grosse Mässigkeit und geringes Be- dürfniss zur Nahrungsaufnahme herrscht. Dort wird aber auch weder durch Strahlung, noch Leitung, noch Verdunstung Wärme abge- geben, es besteht ein harmonisches Gleichgewicht zwischen der Aussen- und Innentemperatur, und wo keine Ausgaben sind, werden natürlich auch keine Einnahmen nöthig; bei gewöhnlich geringer Muskelarbeit bleiben nur die durch den Selbstverbrauch im Körper zerfallenen Zellen zu ersetzen, wozu geringe Quantitäten von Grewebs- bildnern gehören. Je mehr wir uns aber von diesen Gegenden entfer- nen, je grösser die Differenz der Eigenwärme und der Temperatur des umgebenden Mediums ist, um so mehr muss der Körper käm- pfen, um sich in ihm zu erhalten und die einmal durch Strahlung und Leitung, das andere Mal durch Verdunstung bedingten Aus- gaben zu ersetzen, bis am Pol und am Aequator gleichmässig der Höhepunct erreicht wird. Für die Arbeit nun, welche der Haut un- bestreitbar in den Tropen zufällt, ist eine Veränderung ihrer Textur unerlässlich. Mit der Hypersecretion muss eine Hypertrophie der Organe Hand in Hand gehen, indem sowol die Schweiss- als die Talgdrüsen eine Vergrösserung verlangen und bei dem steten Drängen des Blutes nach aussen sich die Capillaren ebenfalls erweitern; der Stoffwechsel überhaupt wird ein lebendigerer, so dass die Epidermis- schuppen schneller abgestossen und schneller ersetzt werden müssen. Diese Veränderung der Haut ist eines der Hauptmomente, die wir unter dem Begriffe Acclimatisation zusammenfassen; und da jene eben nur allmählich eintreten kann, so lernen wir schon daraus, dass auch zur Acclimatisation vor Allem Zeit gehört, und dass sie ebensowenig übereilt als plötzlich erwartet werden darf. Wenn wir nun eine ungehinderte Verdunstung von der Körper- oberfläche für eine Hauptbedingung zur Existenz im heissen Klima ansehen und doch zu gleicher Zeit dem Luftstrom nicht in derselben Weise freien Zutritt zu ihr gestatten können wie der Neger, weil Baumwolle als Bedeckung. 103 unsere zartere, nervenreichere Haut Schutz gegen die directen Sonnenstrahlen und die schädlichen Wirkungen eines raschen Wech- sels der Temperatur verlangt, so müssen wir wenigstens dafür sorgen, dass die nöthigen Bedeckungen zugleich zweckentsprechend sind und so wenig als möglich belästigen; die erste und hauptsächlichste Be- dingung ist daher die Porosität und Durchlässigkeit ihres Gewebes. Nach den von uns gemachten Erfahrungen, die ich später von allen competenten Stimmen, d. h. von Aerzten, die jahrelang in tropischen Gegenden gearbeitet hatten, bestätigt gefunden habe, giebt es nur einen passenden Stoff, der direct auf der Haut getragen werden sollte, die weisse Baumwolle, nicht aber Wolle, wie vielfach noch angenom- men wird: Die Baumwolle in Form loser, maschiger Unterjacken giebt auch durchnässt noch für durchtretende Luft Raum und ver- liert die aufgenommene Flüssigkeit langsam und gleichmässig; sie ist leicht, reizt die Haut nicht und lässt sich mühelos von den Theilen, mit denen sie sich imprägnirt hat, reinigen, ohne die Form und das Gefüge zu ändern. Wolle dagegen, namentlich als Flanell, verstopft allmählich, wenn sie sich vollgesogen hat, ihre Poren so vollständig, dass die Luft fast hermetisch abgeschlossen wird; in Folge dessen hindert sie den Wärmeabfluss und hitzt unerträglich; durch die grosse Menge des aufgenommenen Secrets wird sie schwer und reizt durch ihre Textur die Haut, wenn sie zusammengeschrumpft und durch Aufnahme von Salzen aus dem Körper und in der Nähe der Küste auch aus der Luft ein brettartiges, hartes Gefüge angenommen hat. Wer längere Zeit Wolle direct auf dem Körper getragen hat, ohne dass er in ihr zu einem Gefühl des Behagens hat kommen können, ist wie neu geboren, wenn er sie schliesslich mit der Baumwolle ver- tauscht; er begreift nicht, wie die Vorurtheile einzelner Reisenden sich immer noch erhalten können, wie die neu Hinausziehenden sich immer wieder in der für die Verhältnisse unpassendsten Weise aus- rüsten, trotzdem an Ort und Stelle die Zuträglichkeit dieses Materials lange erkannt ist, und es keinem Menschen einfällt, einen andern Stoff zu tragen. Man mag über diesen Punct schliesslich denken, wie man will, dass die Wolle sehr reizt wird Niemand bestreiten können; ich habe beträchtliche Hautkrankheiten durch sie entstehen und nur nach ihrer Entfernung schwinden sehen, und die Beobachtungen anderer Aerzte an anderen Orten stimmen mit den meinigen überein. In Ge- genden, die durch dahinter gelagerte Gebirge, durch kalte Luftströme, die von schneebedeckten Gipfeln herabkommen, an bedeutenden Temperaturschwankungen leiden, mögen über die Baumwolle getra- gene wollene Stoffe schützen; es ist jedoch, nochmals gesagt, meine 104 Kopt- und Fussbekleidung. feste Ueberzeugung, dass direct auf der Haut nur Baumwolle getra- gen werden darf. Das Princip der möglichsten Porosität der Kleidung, das für den Rumpf gilt, findet natürlich auch auf Kopf und Glieder Anwendung; einen Fez und darüber einen breitkrempigen Filzhut zu tragen, den man beim Ruhen an schattigen Plätzen abnimmt, während man den Fez zur Vermeidung einer Erkältung aufbehält, das ist ein Rath, der in heissen Gegenden kaum zu befolgen sein dürfte; denn auch der Laie sieht ein, dass dadurch Congestionen nach dem Kopfe entstehen müssen, die sehr bedenkliche Folgen haben können. Die natürlichste und einfachste Bedeckung bleibt stets der Strohhut, der im Nothfall, wie dies auf unserer Station mit vorzüglichem Erfolge unter Herrn Lindners Leitung von den Negern ausgeführt wurde, aus feinen ge- bleichten Blattstreifen der Fächerpalme an Ort und Stelle hergestellt werden kann. Sollte in besonderen Fällen auf langen Märschen oder bei nöthigen Arbeiten in der Sonne das leichte Geflecht nicht genü- genden Schutz gegen die directe Wirkung der Strahlen gewähren, so lässt sich dem leicht durch ein unter den Deckel gelegtes frisches Blatt der Banane oder eines andern Baumes abhelfen, das zugleich deckt und kühlt. Bei der Fussbekleidung kann man leider in erster Linie nicht auf die möglichst grosse Leichtigkeit des Luftzutritts sehen, sondern muss vor Allem dafür sorgen, dass ein Schutz gegen eindringenden Staub und Insecten sowie gegen die scharfen, verletzenden Gräser und dorniges Gestrüpp geschaffen wird; deshalb sind alle Arten so- genannter Hausschuhe, namentlich die aus Zeug: hergestellten, zu widerrathen. Am besten sind Halbstiefel von Naturleder, die unter der Bedingung, dass die beliebten Haken dabei nicht verwendet werden, auch zum Schnüren eingerichtet werden können. Wenn der Reisende auf ungebahnten Wegen zu gehen hat, so kann etwas Un- praktischeres als jene Haken gar nicht erdacht werden, da man in den verfilzten Gräsern und Schlingpflanzen jeden Augenblick mit ihnen hängen bleibt und oft nur mit Mühe sich frei machen kann, so dass vorzüglich bei der Jagd bisweilen die Geduld auf die äusserste Probe gestellt wird. Leider herrscht bei der Auswahl der Ausrüstung meist eine unbestimmte Vorliebe für das Wunderliche und Sonder- bare vor, und in dem guten Willen, etwas recht Praktisches auszu-: tüfteln, schiesst man gewöhnlich weit über das Ziel hinaus, weil man sich nicht auf das Einfachste beschränkt. Für Haken lässt sich auch nicht ein vernünftiger Grund anführen; denn wenn man ihnen nach- rühmt, dass die Leichtigkeit, mit welcher eine Lederschnur sich in Bedenken gegen Seebäder. 105 Achtertouren um sie schlingen lässt, ein schnelleres Vollenden des Anzuges gestatte, so ist dies insofern kein Vortheil, als überhaupt jede bei der Toilette gesparte Minute sich bitter straft. Direct auf den Füssen ist ebenfalls Baumwolle zu tragen. Gerade an ihnen und den Unterschenkeln habe ich Leiden in enormer Aus- dehnung zu behandeln gehabt, die nur durch den Reiz der Wolle hervorgerufen und genährt waren. Es ist dies kaum anders möglich; denn durch das unausbleiblich erfolgende Kratzen entstehen Hautab- schilferungen, in welche der wieder neuen Reiz verursachende Staub sich setzt, bis ausgedehnte Wundflächen vorhanden sind, die ohne Entfernung der eigentlichen Ursache nimmer heilen. — Eine beson- ders wichtige Frage ist die der Hautpflege an sich durch Waschungen und Bäder. Da bei der ununterbrochenen Thätigkeit der kleinen Drüschen Secrete in grosser Menge geliefert werden und sich ebenso die Epidermisschuppen reichlich abstossen, so würde die Haut sich bald mit einem Ueberzuge bedecken, der, wenn für ihre Entfernung nicht genügend gesorgt würde, auch ohne eingetretene Zersetzung schädlich wirken müsste. Deshalb sind also oft wiederholte Waschun- gen und Bäder nicht nur wolthuend und erspriesslich, sondern für die Erhaltung der Gesundheit geradezu nothwendig. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass sie stets unter einer die directen Sonnen- strahlen abhaltenden Bedachung vorgenommen und, um die Haut- energie-anzuregen, kühl angewendet werden. Fast selbstverständlich erscheint es auch, dass bei der von vorn herein leichten Reizbarkeit der Haut alle scharfen Zusätze zum Wasser vermieden werden müssen, und dass daher Seebäder nicht günstig wirken können. Europäer wenden sie daher auch instinctiv fast an der ganzen Küste nicht an, ohne sich über den eigentlichen Grund klar zu sein; und wenn dennoch einzelne Individuen sich dem Genusse derselben ungestraft hingegeben zu haben glauben, so ziehen sie ihre von mir selbst an ihnen beobach- teten quälenden Hautaffectionen nicht in Rechnung oder beweisen im besten Falle damit nur, dass gerade ihre gute Constitution schäd- liche Einflüsse noch zu überwinden vermochte, auf die weniger kräf- tige durch Erkrankungen geantwortet haben würden. Zum allgemeinen Wolbefinden des Körpers gehört ferner ein ge- wisses Mass von Sorgfalt in der äussern Erscheinung: Es herrscht zwar vielfach die Ansicht, dass man in ungewöhnlichen Verhältnissen, also auf Reisen oder im Kriege, das Recht, wenn nicht gar die Pflicht habe, die durch das gesellschaftliche Leben sonst gebotenen Rücksichten auf einander fallen zu lassen und sich selbst nach Mög- lichkeit zu vernachlässigen; Viele fürchten dann wol durch ein 106 Körperpflege. Rother Hund. glattes Gesicht, durch gepflegtes Haar und Kleidung den Schein der Weichlichkeit auf sich zu laden; durch langen struppigen Bart, durch verwildertes, martialisches Aussehen versuchen sie schon auf weite Entfernung als Helden zu imponiren, und doch ist Nichts verkehrter als dies; es vermag sie Nichts schneller zu einer kläglichen Er- scheinung durch selbstverschuldete Krankheiten umzuwandeln. Jeder, der seinem behaglichen Heim zeitweise entrissen war, muss zu- geben, dass man sich nie lange in der Unmöglichkeit, die nothwen- digen Rücksichten auf sich selbst zu nehmen, befinden wird, und dass meistentheils nur die Bequemlichkeit die Vernachlässigung bedingt. Es ist allerdings nicht immer leicht, die Folgen angestrengter Märsche erst noch zu tilgen, wenn Müdigkeit uns übermannen will, und oft gehört ein fester Wille dazu, noch Toilette zur Malzeit zu machen, wenn der Magen stürmisch nach Nahrung verlangt; aber wo wäre eine strenge Pflichterfüllung nicht schwerer als ein haltloses selbst- gefälliges Hinleben? Und die Erhaltung der Gesundheit ist vor Allem die Pflicht des Reisenden, da er nur mit ihr seinen Zielen näher rücken kann; nirgends wird die Beachtung derselben schöner belohnt werden als hier, wenn der Körper sich für die immer neuen Anstrengungen kräftigt und sich auf die immer neuen, wechselvollen Ereignisse des kommenden Tages freut. So kann ich also nicht dringend genug rathen, sich durch keine Rücksichten bestimmen zu lassen, die Zeit für die Körperpflege zu kürzen. Es giebt nur einen Fall, in welchem eine gut gemeinte An- wendung von vielem Wasser mehr schaden als nützen kann, nämlich wenn man vom sogenannten „rothen Hunde“ der „prickly heat“ der Engländer, einer entzündlichen Schwellung der Schweissdrüschen, heimgesucht wird. Dann ist, wenn man nicht monatelang an diesem recht peinigenden Leiden laboriren will, die Haut möglichst trocken zu halten und durch Einpudern mit Mehl oder Mehl mit Zinkblumen vor weiterer Entzündung zu schützen, während Waschungen dieselbe in jeder Weise vermehren würden. Die zweite Hauptveränderung, welcher sich der Körper nächst der erhöhten Temperatur zu accommodiren hat, betrifft die Ernährung; und wenn vorhin die Haut als das Organ betrachtet wurde, welches im neuen Medium die Existenzbedingungen schafft, so werden wir jetzt, abgesehen von dem ganzen Verdauungstractus, namentlich die Leber als das den nothwendigen Ausgleich herstellende Centrum in’s Auge zu fassen haben. Wenn wir auch die Structurveränderungen . nicht zu erkennen vermögen, welche sie einleitet, um den an sie ge- stellten Anforderungen zu genügen, so sehen wir dennoch ein, dass Reichliche Ernährung. x 107 die Absonderungen den in anderer Menge und anderer Form als früher eingeführten Nahrungsmitteln entsprechen müssen. Jedenfalls befindet sie sich, um der Mehrleistung zu genügen, in einem Stadium der Blutüberfüllung, welche sie entzündlichen Affectionen leichter zu- gänglich macht, wie sie denn auch anerkanntermassen das Organ ist, dass bei den fieberhaften Erkrankungen der Tropen am ehesten in Mitleidenschaft versetzt wird. Was nun die Diät an sich betrifft, so muss sie in jeder Beziehung reichlich und so viel als möglich luxuriös sein; je besser man isst und verdaut, um so länger hat man Aussicht, das Klima zu ertragen. Auch in dieser Beziehung begegnet man entgegengesetzten Ansichten: Man hat nicht nur eine reizlose, leichte Kost vorgeschlagen, sondern ist sogar soweit gegangen, für vollblütige, sehr kräftige Menschen in den letzten Monaten vor der Reise eine Entziehungscur und neben- her Blutentziehungen und Abführmittel anzurathen, weil erfahrungs- gemäss schwächliche Constitutionen dem Klima besser widerständen als robuste. Dies ist ein ebenso allgemein verbreiteter Glaube wie der andere, dass man um so eher Aussicht habe, nur leicht von den Sumpffiebern heimgesucht zu werden, je schneller man nach der An- kunft von ihnen befallen werde, um so schwerere und gefährlichere Anfälle aber überwinden müsse, je länger man davon verschont bleibe; beide Sätze mögen auf einige ganz richtige Beobachtungen zurück- gehen; nur gab man sich nicht die Mühe, dem ursächlichen Zusammen- hange auf die Spur zu kommen. Wenn ein schwächlicher Europäer die Küste erreicht, so werden geringe Uebel genügen, ihn krank und bettlägerig zu machen, aber die geringe Dosis wird auch naturgemäss nur leichte Symptome entwickeln. Es ist ferner leicht verständlich, dass er, wenn seine Constitution auch von vornherein schon jede stärkere Anstrengung ausschloss, sich nun, durch die schnelle Er- krankung gewitzigt, in der Folge noch mehr vor schädlichen Ein- flüssen in Acht nimmt und so bei zweckmässigem Leben sich dauernd relativer Gesundheit erfreut. Anders die kräftige Constitution: Durch eine grössere Energie der Functionen sämmtlicher Organe vermag sie anfänglich nicht nur kleinere Uebel gänzlich zu überwinden, son- dern auch Anstrengungen bis zu einem gewissen Grade zu ertragen; sie pocht immer mehr auf ihre Widerstandskraft und traut sich, gut gemeinten Rath verspottend, immer mehr zu, bis endlich das Mass voll und ein hochgradiger Anfall die Folge ist. Aber gerade darin liegt die Gefahr der Kraft, dass sie sich nie eingestehen will, schwach gewesen und unterlegen zu sein, sondern immer neue Ver- suche macht, die Oberhand zu gewinnen, bis sie schliesslich zu spät 108 Vorsicht bei Wahl der Nahrung. wenn sie sich selbst das Grab bereitet hat, einsieht, dass gegen Natur- kräfte nicht anzukämpfen ist. Aber aus solchen einzelnen Fällen der Thorheit und Unvernunft darf man nicht den allgemeinen Satz ab- leiten wollen, dass kräftige Constitutionen überhaupt für Kklimatische Veränderungen weniger tauglich seien als schwächliche, und deshalb die eine in die andere umzuwandeln versuchen! Mir wenigstens bleibt es unverständlich, wie man glauben kann, den Körper durch systematische Schwächung, durch Verminderung seines kostbarsten Stoffes, des Blutes, widerstandsfähiger zu machen. Bezüglich der tropischen Erzeugnisse begegnet man vielfach dem Vorurtheile, dass man sich der mannigfachen köstlichen Früchte zu enthalten habe. Der Eine hält Orangen, der Andere Bananen, der Dritte Guaven oder Mangopflaumen für schädlich, und Jeder hat Bei- spiele bei der Hand, in welchen diese oder jene schlimme Folge nach ihrem Genusse aufgetreten sei. Diese Behauptungen beruhen meist auf Einbildungen unklarer Köpfe, denen die Einsicht in den Zusam- menhang von Ursache und Wirkung fehlt. Dass manche Leute nach Obstgenuss erkranken, ist nichts Ungewöhnliches, daran wird die Unmässigkeit Schuld sein; oder es lässt sich überhaupt der Beweis nicht führen, dass sie in Folge davon erkrankten, und beide Ereig- nisse reihten sich rein zufällig an einander. Ich bin demnach der Ueberzeugung, dass alle Früchte wegen ihrer erfrischenden Säuren sowol als wegen des reichen Wassergehaltes einen für die Tropen nothwendigen Theil der Ernährung bilden, und dass man sie nicht nur geniessen darf, sondern sich ihren Genuss so oft als möglich ver- schaffen soll. Gerade umgekehrt ist es mit manchen anderen schwer verdau- lichen oder stark reizenden Nahrungsmitteln. Ich habe Reisende kennen gelernt, die sich mit wahrer Leidenschaft auf Maniok, Palmöl und einheimischen Pfeffer stürzten, nicht etwa, weil ihnen die Gerichte in der verschiedensten Variation bezüglich dieser drei Ingredienzien besonders zusagten, sondern um sich rühmen zu können, wie schnell sie sich in die veränderte Lebensweise zu finden und zu acclimatisiren vermöchten. Wie würden wir wol eine Mutter nennen, die ihr sechs- monatliches Kind mit Fleisch und Gemüse füttert und sich dann wundert, wenn Verdauungsstörungen es an den Rand des Grabes bringen? Ebenso thöricht ist es zweifellos, wenn wir uns selbst mit ungewohnten Ingestis anfüllen, zu deren Verdauung eine allmähliche Gewöhnung unbedingt nothwendig ist. Der Magen lässt sich eben- sowenig zwingen wie irgend ein anderes Organ, und vollbringt seine Arbeit am besten, wenn wir ihm mit unseren Verbesserungsmass- Wasser. Alkohol. Pfeffer. 109 regeln fern bleiben. Deshalb muss man jede gewaltsame und plötz- liche Accommodirung an die Negernahrung, so lange es möglich ist, entschieden widerrathen. Von Getränken ist das Wasser jedem anderen vorzuziehen, wobei man Quell- oder Flusswasser ohne jedes Bedenken sofort geniessen kann; um es wenigstens von den groben Unreinlichkeiten zu befreien, thut man gut, es vorher durch ein Tuch oder einen Filter irgend wel- cher Art laufen zu lassen. Die Gefahren, welche in einer grossen Stadt durch Aufnahme schädlicher Stoffe in das Grundwasser drohen, rechtfertigen zwar die Aufmerksamkeit, die wir in der Heimat überall dem Trinkwasser zollen, aber nebenher haben sie bei Vielen ein Misstrauen gegen jedes Wasser überhaupt erregt. Ueberall sehen wir Mikrococcen und Bacterien, überall wittern wir unsichtbare Krank- heitsträger, die uns jeden Tropfen vergällen; die Gefahren, welche uns durch Wassergenuss auf Reisen bedrohen, sind, selbst wenn wir es aus stagnirenden Tümpeln im Walde schöpfen, bei Weitem nicht so gross, als wir uns zu fürchten gewöhnt haben und geringer als die welche aus der Aufnahme ungenügender Quantitäten, oder ihnen als Antidota zu reichlich zugesetzter alkoholischer Substanzen entstehen. Weit davon entfernt, gegen den Genuss von Alkohol über- haupt zu sprechen, halte ich im Gegentheil denselben bei der dauern- den Thätigkeit sämmtlicher Organe als ein in Form von Cognac, Genevre oder Wein gereichtes Excitans für durchaus nethwendig; nur muss man sich vor Uebermass hüten. Leider ist aber dies in den meisten heissen Gegenden so wenig der Fall, dass ein grosser Pro- centsatz der Todesfälle unbedingt als Folge der Trunksucht ange- sehen werden muss. Indessen dagegen anzukämpfen, ist sehr schwer; wir werden es auch ferner ruhig mit ansehen müssen, dass Leute als Märtyrer gefeiert werden, die nur an ihren ungezügelten Leiden- schaften zu Grunde giengen. Ebenso wie der Magen den Alkohol als Anregung in kleinen Dosen gut verträgt, verlangt er auch nach dem einheimischen scharfen Gewürz, dem Pfeffer; aber auch hier ist vor Missbrauch zu warnen, damit mit der Zeit nicht statt des gewünschten leichten Reizes eine Erschlaffung der Magenwandungen eintritt, welche die Verdauungs- thätigkeit beeinträchtigt. Diesen Zustand fand ich bei vielen der mehrere Jahre an der Küste sesshaften Europäer, die dann durch oft und reichlich genommene Emetica oder noch gewöhnlicher Purgantia auf einem oder dem anderen Wege sich Erleichterung zu schaffen suchen, aber dadurch natürlich die betreffenden Organe in einen äusserst beklagenswerthen Zustand versetzen. Es kann daher nicht 110 Athmung. Nervosität. genug vor der Nachahmung dieser Unsitte gewarnt werden; man muss der Natur gegenüber stets, auch wo sie zu zögern scheint, eine abwartende Stellung einnehmen. Neben den beiden wichtigsten auch dem Laien sich offenba- renden Reactionen der Haut und der Leber auf die Einflüsse des tropischen Klimas, gehen andere einher, die unmerklicher verlaufen: so wird sich zweifellos das Blut bei dem gesteigerten Stoffwechsel in seiner Zusammensetzung ändern, und die blutbereitenden Organe, namentlich die Milz, müssen ihre Thätigkeit den neuen Ansprüchen anpassen. Dass aber das Blut dort nicht genügend decarbonisirt werde und sich durch verminderte Sauerstoffaufnahme verschlechtere, ist eine durch Nichts gerechtfertigte Annahme. Selbst wenn ein gleiches Quantum der durch hohe Temperatur ausgedehnten Atmosphäre weni- ger Sauerstoff enthält als bei niedrigeren Wärmegraden, wird in der Aufnahme an sich Nichts geändert, sondern der Ausgleich durch die Lunge selbst vermittelst tieferer oder schnellerer Inspirationen mit Leichtigkeit bewerkstelligt. Der Beweis dafür liegt einfach darin, dass wir niemals den sonst unbedingt hervortretenden Sauerstoff- hunger bemerkten, sondern uns bei den stets ausgiebigen, kräftigen Athemzügen ausserordentlich wol befanden. Auch das Nervensystem wird afficirt, ohne dass wir den wirk- samen Factor mit Bestimmtheit anzugeben wüssten: aber gewiss be- dingt nicht die Hitze allein die grössere Nervosität. Es ist dies ein dunkles Gebiet, über welches von uns Erklärung nicht erwartet wer- den kann; vielleicht sind indessen die von den unsrigen verschiedenen elektrischen Verhältnisse der Atmosphäre dabei mit in Betracht zu ziehen. Wir können, gewiss ohne zu irren, annehmen, dass kein Or- gan von den veränderten Lebensbedingungen unbetroffen bleibt, dass alle ihre Leistungen ändern müssen und mehr oder weniger Zeit zu der dabei nöthigen Umwandlung ihrer Formelemente beanspruchen. Erst wenn sie ihre Einnahmen und Ausgaben den Anforderungen entsprechend geregelt haben, so dass ihre Thätigkeit ohne Störung von Statten geht, kann man einen Körper acclimatisirt nennen. Wenn vorher die Pflege des Körpers als erstes Erforderniss für seine Erhaltung hingestellt wurde, so darf diese nicht etwa bis zur Vermeidung jedweder Thätigkeit überhaupt gehen; im Gegentheil ist eine geregelte körperliche und geistige Arbeit, sofern sie sich nicht bis zum Uebermass steigert, eine Hauptbedingung für ein unge- störtes Gedeihen. Die Mitglieder der Expedition haben zu einer Zeit, in welcher Neger und Europäer in gleich hohem Grade rund um sie her an Krankheiten litten, den Segen empfunden, den eine gleich- Schlaf. Lagerstätte. II mässige Thätigkeit spendet. Sie wurden durch viele Beispiele be- lehrt, dass Musse und Faulheit wie überall so namentlich in den Tropen dem Körper unbedingt schädlich sind, besonders wenn man als Ersatz auch noch schwächenden Zeitvertreib sucht und findet. Ebenso wichtig wie die geregelte körperliche und geistige Arbeit ist auch die Befriedigung des durch sie hervorgerufenen Bedürfnisses “ nach Erholung, der Schlaf; doch muss er wirklich Bedürfniss sein und darf nur des Nachts gesucht werden. Wenn man sich durch eine gewisse Abspannung verleiten lässt, sich nach Mittag niederzu- legen, so wird man nie gestärkt, sondern immer missmuthig wie aus einer künstlich hervorgerufenen Narkose erwachen. Der Kopf ist dann wie von einem Schleier umhüllt, die Glieder sind schwer wie von Blei. Je länger man liegt, um so unangenehmer wird der Zu- stand, und um so grösserer Anstrengung bedarf es, sich zu erheben, indem eine gewisse Blutüberfüllung des Gehirns eine wahre Schlaf- sucht einleitet, wie die gerötheten, gedunsenen Gesichter zu erkennen geben. Da der Nachmittagsschlaf immer nur als Angewohnheit be- trachtet werden kann, und wirkliches Bedürfniss dafür selten vorliegt, so wird man gut thun, gegen jede zu dieser Zeit sich einstellende Mattigkeit anzukämpfen; man wird diese Enthaltsamkeit gewiss nicht zu bereuen haben, sondern durch eine wolthuende Frische und Elasti- cität des Organismus dafür entschädigt werden. Was das Lager selbst betrifft, so wird es natürlich bei längerem Aufenthalte an demselben Orte so herzurichten sein, dass die Luft darunter hin streichen kann. Man wird sich also, wo es irgend geht, einer Bettstelle bedienen und dafür sorgen, dass Unterlagen und Decken aus möglichst wenig hitzenden und durchlässigen Stoffen be- stehen. Am besten spannt man Gurte in den Rahmen des Bettes und bedeckt sie mit einer dünnen Rosshaarmatratze, während man leichte Decken zum Umhüllen benutzt. - Die Lagerstätten auf Stationen können und müssen also so comfortabel als möglich bereitet und vor Allem mit einem gut schliessenden Mosquitonetze umgeben werden. Auf Reisen aber liegt die Sache anders; wie viel kann man da ohne Schaden von dem Comfort entbehren? Es herrscht im Allgemeinen die Ansicht, dass man sich möglichst erhöht vom Boden lagern solle, weil man auf diese Weise weniger Gefahr laufe, schädliche Miasmen einzuathmen; es ist mir unverständlich, wie Miasmen, wo sie einmal da sind, einen oder anderthalb Fuss über dem Boden weniger dicht und schädlich sein sollen als direct auf demselben; die wirkliche Gefahr liegt natürlich in der Berührung mit dem kalten, feuchten Erdreich. In der richtigen Würdigung dieser Frage, und weil es bei einer be- 112 Laubschüttung. Hunde als Wächter. schränkten Anzahl von Trägern kaum angeht, mehrere derselben zum Tragen von eisernen Bettstellen nebst Zubehör zu verwenden, haben wir uns unser Lager im Walde wochenlang aus frischem Laube auf- schütten lassen und darauf nur eine einfache geflochtene Matte gelegt. Wenn wir dann dafür sorgten, dass das Mosquitonetz dicht schloss und gut befestigt war, so erhoben wir uns regelmässig erquickt und gestärkt vom Lager. Nach meiner Ueberzeugung ist es unendlich viel wichtiger, auf die Auswahl eines angemessenen Lagerplatzes überhaupt als darauf zu sehen, wie hoch man sich über dem Boden desselben bettet. Ebenso erscheint es mir unbedingt nöthig, nur zu- verlässigen Leuten die Bereitung der Laubschüttung anzuvertrauen oder selbst mit Hand anzulegen, weil natürlich sehr viel darauf an- kommt, dass auf die Terrainverhältnisse in ihren Unregelmässigkeiten bei der Lagerung des Kopfendes Rücksicht genommen werde. Schlangen oder Insecten sind gewiss nicht zu fürchten, wenigstens würde es uns in unserer Gegend nie eingefallen sein, an eine von ihnen drohende Gefahr zu denken; sahen wir doch täglich den Neger sich in gleicher Weise betten, ohne dass wir jemals von Unglücksfällen hörten. So kamen wir nach Allem, was wir an uns selbst erlebten und beobach- ten konnten, zu dem Schlusse, dass in ähnlichen Gegenden wie der unsrigen von der künstlichen Construction oder dem Mitnehmen von Bettstellen überhaupt Leben und Gesundheit der Reisenden nicht in der Weise abhängt, als man sich anzunehmen gewöhnt hat, und dass auch hier die einfachsten Vorrichtungen zugleich die praktischsten bleiben werden. Ich möchte die Aufmerksamkeit dabei noch auf einen Umstand lenken, den besonders Neulinge für eine sorglose, ungestörte Nacht- ruhe wichtig erachten, ich meine die Anwesenheit von Hunden: Es scheint so natürlich, dass man sich bei den vorausgesetzten Gefahren im fernen Lande mit einem treuen Wächter zu versehen wünscht, dass selten ein Reisender Europa verlässt, ohne von einem oder mehreren Hunden begleitet zu sein. Der Nutzen derselben ist aber völlig illu- sorisch, selbst wenn die Thiere, was mindestens in einem Drittel der Fälle nicht geschieht, die Ueberfahrt glücklich bestehen und in dem heissen Klima gedeihen. Einmal macht man dann in der neuen Heimat sehr schnell die Erfahrung, dass jeder Hund in kurzer Frist mit dem Neger fraternisirt, weil dieser viel mehr Zeit findet, sich mit ihm ab- zugeben, als sein Herr, der Besseres zu thun hat. Man würde also in Folge davon sich auf ihre Hülfe wenig verlassen können. Zweitens aber ist es eine immer wieder von Neuem, wenn auch nicht durch unsere eigene Erfahrung bestätigte Thatsache, dass die Hunde in Wohnungen. Rattenplage, 113 heissen Gegenden schnell ihren Geruchsinn einbüssen, oder, wie man zu sagen pflegt, ihre Nase verlieren. ÖOhnehin ist die Jagd dort eine andere als hier zu Lande, so dass man sich zu diesem Zwecke der eingeborenen Hunde in Begleitung ihrer Herren mit mehr Aussicht auf Erfolg bedient als der europäischen. Ausserdem vertragen die meisten der überführten Thiere die Hitze ungemein schlecht und siechen vielfach hin oder werden reizbar und bissig, so dass leicht Misshelligkeiten mit den Eingeborenen dadurch entstehen, wenn auch vielleicht nur unbedeutende Verletzungen gelegentlich hervorgerufen werden. Dann fehlt es gewöhnlich an Futter, denn Fleisch ist rar, und was vom Tische etwa noch abfällt, wird von den Negern bis auf die kleinsten Atome vertilgt. Schliesslich ist die Menge des Un- geziefers, von dem sie zu leiden haben, eine erstaunliche. Wir hatten selbst zwei Schäferhunde, die ich wegen ihrer An- spruchslosigkeit und Zähigkeit für die zu Transporten geeignetste Race halte, glücklich übergeführt und drei Jahre lang am Leben er- halten, so dass sie sich sogar vermehrten; ich könnte ganze Bogen voll über die Unbequemlichkeiten und Sorgen schreiben, die sie uns verursachten, ohne auch nur einen Nutzen dagegen in die Wagschale werfen zu können; deshalb ist nach meiner Ueberzeugung kein Hund die ziemlich bedeutenden Transportkosten werth, die er verursacht. Am allerwenigsten sorgten die unseren für ungestörten Schlaf, son- dern sie veranlassten uns im Gegentheil durch grundloses Bellen viel- fach zum Aufstehen und steigerten die vom Fieber bedingte Schlaf- losigkeit zu verzweifelter Höhe. Was die Wohnungen betrifft so werden diese so anzulegen sein, dass sie nicht nur an trockenen Stellen, sondern auch vor schädlichen, von Sümpfen kommenden Winden möglichst geschützt liegen. Dabei hängt es natürlich ganz von den Umständen ab, ob einer Anhöhe oder einer Senkung der Vorzug zu’geben sei; in einem Falle kann eıne Hütte durch einen dahinter liegenden Berg vor den Dünsten jenseitiger Gewässer geschützt werden und deshalb besser am Fusse stehen, während sie in anderen zweifellos auf den Rücken desselben gebaut werden muss. Immer wird man gut thun, dieselbe nicht direct auf der Erde, sondern wie unsere Baraken auf mehr oder weniger hohen Pfeilern anzulegen, damit der Wind darunter hinstrei- chen kann, und die in der Regenzeit fast unvermeidliche Durchfeuch- tung des Bodens dadurch vermieden wird; so wehrt man auch den Ratten, sich einzunisten, die, abgesehen von ihren sehr störenden Familienzwisten und Orgien, die Luft in entsetzlicher Weise durch ihre Excremente verpesten. Loango. II. 8 114 Nachtheile der Holzhäuser. Auch beim Hüttenbau gilt wie überall als Hauptprincip, der bewegten Luft ungehinderten Zutritt zu schaffen, und deshalb ist auch das dem Lande eigenthümliche Baumaterial der Palmblattrippen oder Papyrusschafte der undurchlässigen Wandfügung mit Brettern bei Weitem vorzuziehen. Es überzeugten uns hiervon Ereignisse besonders trauriger Art: Die einzige in unserer Nähe befindliche europäische Ansiedlung lag kaum 200 Schritt von uns entfernt und um so viel näher an einer sumpfigen Lagune. So lange die Hütte aus Papyrusschaften bestanden hatte, so dass der am Tage herr- schende Seewind ungehindert hindurchziehen konnte, waren die Be- wohner nicht mehr als Andere von Fiebern heimgesucht worden und hatten sich relativ wol befunden; kaum aber war ein stolzes ein- stöckiges Holzhaus an die Stelle der früheren bescheidenen Wohnung getreten und liess die mit dem Nachtwinde gebrachten Miasmen all- mählich in sich ansammeln, so erkrankte der Erbauer am perniciösen Fieber und war nach 36 Stunden todt; ihm folgte in der nächsten Regenzeit ungeachtet aller zu seiner Rettung gemachten Anstren- gungen der zweite Besitzer unter ganz gleichen Erscheinungen, und auch der dritte wurde nicht lange nachher krank wie seine Vor- gänger, jedoch rettete ihn eine kräftige Constitution vor dem Tode, dem er fast schon anheimgefallen war. Ob in diesen Fällen die Höhe des Hauses mit in Betracht kam, indem die Dünste früher über die niedrige, gewissermassen im todten Winkel liegende Hütte fortge- zogen waren, jetzt aber vom Luftstrom voll auf die Schlafzimmer geführt wurden, muss ich dahingestellt sein lassen, halte es jedoch für sehr wol möglich. Die nächste Umgebung der Gehöfte muss ebenso wie diese selbst sauber und rein gehalten werden; vorzüglich kleinere stagnirende Wasserlöcher sind wegen der in ihnen lebenden Mosquitolarven von Zeit zu Zeit auszuschöpfen oder gänzlich zu verschütten, und die Ab- fallstoffe mit Sorgfalt durch Feuer zu vernichten, von dem man über- haupt einen ausgedehnten Gebrauch machen muss. Verfährt man in der angegebenen Weise, indem man die nöthi- gen Vorsichtsmassregeln nie aus den Augen lässt, so wird man sich wenig über die Unbilden des Klimas zu beklagen haben, wenn man die Fieber auch nicht ganz vermeiden wird; denn dafür giebt es keine Acclimatisation. Athmet man die Miasmen ein, so werden sich auch die Folgen bemerkbar machen, ganz gleich ob es sich um einen Schwarzen oder einen Weissen, einen frischen Ankömmling oder einen ansässigen Europäer handelt. Die Folgen werden aber leichte oder schwere sein, je nachdem die uns noch unbekannten Agentien Das africanische Fieber. 115 auf empfänglichen Boden fallen oder nicht, und während sie sich im gestählten, vorbereiteten Körper nur als leichte Anfälle documentiren, richten sie den geschwächten, widerstandslosen zu Grunde. Im Allgemeinen kann man sagen, dass das africanische Fieber, das mit unserm Intermittens- oder Wechselfieber gleichbedeutend ist, und über das im Anhange ausführlicher gesprochen werden soll, nicht in der Weise gefürchtet zu werden braucht, als es vielfach geschieht; einmal deshalb nicht, weil es selten hochgradig und in gefährlichen Formen auftritt, sondern nur gewissermassen die Stelle unserer Er- kältungsfieber einnimmt, und dann, weil wir in dem Chinin ein so wirksames Mittel dagegen besitzen, wie wir es kaum noch gegen eine andere Krankheit kennen. Doch gerade weil es so wirksam ist, for- dert seine Anwendung ganz besondere Ueberlegung; einer der bedeu- tendsten Reisenden hat einen continuirlich fortgesetzten Gebrauch desselben angerathen; es fragt sich, ob dieser im Stande wäre, uns vor Fieber zu schützen. Ich halte dies für unwahrscheinlich; jeden- falls dürfte der relativ geringe Nutzen den Gefahren gegenüber, welchen der Körper durch jahrelangen Chiningenuss ausgesetzt wird, kaum in Betracht kommen. Wie sich gerade aus der schnellen und sicheren Wirkung des Chinin ergiebt, ist es keines- wegs ein indifferentes Mittel; nach etwas grösseren Dosen treten Verdauungsbeschwerden und Muskelzittern, später, wenn mit dem Gebrauche fortgefahren wird, Vergiftungssymptome auf, die sich in den wichtigsten Organen, Herz, Gehirn und Rückenmark zeigen. Es erhellt daraus, dass wir in der Anwendung vorsichtig sein müssen, wenn wir später dem Vorwurf entgehen wollen, selbst beträchtlich zur Zerrüttung unseres Körpers beigetragen zu haben. So kann ich mich nach meinen Erfahrungen nur absolut gegen den fortwährenden, ohne Rücksicht auf Umstände und Wol- befinden fortgesetzten Chiningebrauch aussprechen. Tritt leichtes Un- wolsein auf, das entweder der Vorbote eines Fiebers ist oder doch die Disposition zur Erlangung eines solchen schaffen kann, so ist Chinin sofort, ohne abzuwarten, bis die Symptome den ausgesproche- nen Intermittenscharakter annehmen, vorsorglich in kleinen Dosen anzuwenden: ebenso wenn man durch ein notorisch ungesundes Gebiet kommt und sich seinen Einflüssen oder ungewöhnlichen Anstrengun- gen durch Märsche in der Sonnenglut ausgesetzt hat; nie aber bei völligem Wolbefinden oder unter gewöhnlichen Verhältnissen. Tritt ausgesprochenes Fieber ein, So sind grosse Dosen angezeigt, die dann stets in kurzer Frist das schädliche Agens tilgen und dem Körper die frühere Gesundheit zurückgeben. Dabei wird man so viel als 8” 116 Anwendung des Chinin. möglich vermeiden, das Mittel in Lösung oder einer sonst den Ge- schmack nicht verdeckenden Form zu reichen, sondern Pillen, Gallert- kapseln oder Oblaten zur Umhüllung verwenden. Die Küstenbewoh- ner haben besondere Vorliebe für eine sehr praktische Manier: sie wickeln das Pulver in kleine Stückchen Cigarettenpapier, die sie zu kleinen Kugeln drehen und mit Wasser verschlucken, ein Verfahren, das ebenso einfach als reinlich und wirksam ist. Sind wir also mit Chinin wol versehen, gebieten wir über eine mittelgute Constitution und befolgen die Regeln, welche die Verän- derung des Klimas verlangt, so werden wir uns ohne Furcht in die zum Theil mit Unrecht berüchtigten Gegenden Aequatorial-Africas begeben können und hoffen dürfen, die Resultate unserer Bemühun- gen nach der Rückkehr in die Heimat mit ungeschwächter Kraft zu verarbeiten. L,, 2 j 2 Mm DIY SU iS Cephalolophus sylvicultrix und C, Maxwelli. ERLETN GEEE NEE TERIER mm. ET RS Oelpalme mit Nestern der Webervögel. SANT SIE. NIE Am Kuilu. — Erinnerungen an die letzten Er- eignisse: Flucht der besten Träger, Dr. Güssfeldts Reise nach Europa, Beschluss einer kleinen Ex- pedition zu Sammelzwecken. — Reiseleben. — Or- nithologisches. — Wandlung der Leute. — Be- richt an die Gesellschaft. — Wiederemtreffen an der Kuilumündung. — Nachricht von der Auf- lösung der Station. — Rückkehr dorthin. Wir befanden uns gegen Ende Juli 1875 auf der Reis-Insel an der Mündung des Kuilu. Dort sass ich am Morgen des 23. auf der Veranda des aus Blatt- rippen der Weinpalme erbauten Wohn- hauses und schaute nachdenklich den in gleichmässigen Zwischenräumen her- ankommenden kleinen Wellenkämmen zu. Dieses gleichsam tastende Hervor- wagen über die letztgewonnene Grenze hinaus und das stete Zurückweichen, wobei doch ganzlangsam und allmählich Terrain gewonnen wurde, drängte mir unwillkürlich einen Vergleich mit unseren immer neuen Anstrengungen auf, die bei sich stets wiederholen- den Enttäuschungen uns auch nur in Intervallen aber doch sicher vor- wärts brachten. Die jüngst verflossene Zeit war verhängnissvoll gewesen 118 Kritische Ereignisse. und hatte uns schwere Prüfungen gebracht; in der Nacht vom 30. zum 31. Mai waren die besten Träger, auf die allein noch gerechnet werden konnte, sämmtlich entflohen, und wenn sie auch nach weni- gen Tagen wieder eingebracht wurden, so waren doch alle Hoffnun- gen, den Vormarsch im Juni antreten zu können, vernichtet. Wer hätte es gewagt, sich so unzuverlässigen Leuten auch nur auf wenige Meilen anzuvertrauen? Wer konnte zweifeln, dass sie bei der ersten Gelegenheit den Reisenden und das Gepäck mitten in der Wildniss verlassen und das Weite suchen würden? Unter den obwaltenden Umständen mit ihnen aufzubrechen, wäre ein unverantwortlicher Leichtsinn gewesen, der das Material der Expedition dem fast siche- ren Verderben aussetzte, ohne auch nur die geringste Aussicht auf Resultate zu bieten. Wir hatten unseren Führer vor allen Dingen zu überreden ge- sucht, persönlich nach Europa zu gehen und dort den Sachverhalt darzulegen; denn von einer Correspondenz, die mit der Antwort circa vier Monate beanspruchte, konnte kein Heil erwartet werden, da in dieser Zeit die Lage der Dinge sich bereits so geändert haben konnte, dass die eingeholten Instructionen in keiner Weise mehr passten; hier war nur durch persönliche Auseinandersetzung Verständniss zu schaffen; nur so durften wir hoffen, eine neue Basis zur Weiterfüh- rung des Unternehmens vereinbaren zu können. Nur wenn beide Theile, die Heimat und wir, in gleicher Weise die Schwierigkeiten kannten und sich mit der zur Erreichung von Erfolgen nöthigen Ge- duld wappneten, nur wenn beide Theile volles Vertrauen in den gegenseitigen guten Willen und die zur Durchführung des Werkes erforderliche Ausdauer, Energie und Befähigung setzten, war an ein allmähliches Reifen der ausgestreuten Saat zu denken, und dies Ziel war ohne eine Conferenz beider Theile nicht zu erreichen. Für eine solche hatten sich denn auch einstimmig die Mitglieder der Expedi- tion entschieden, und Dr. Güssfeldt als unser Führer hatte schweren Herzens die Mission übernommen, sich persönlich mit der Heimat über die Art der Fortsetzung unseres Werkes zu verständigen und war zu diesem Zwecke am 7. Juli zu Schiff gegangen. Unter dem Drucke der Ereignisse waren wir alle zu der Ueber- zeugung gelangt, dass die engagirten Träger niemals ihrem Zwecke würden entsprechen können, und dass auf sie in keiner Weise zu rechnen sei; wir hatten diese unsere Ansicht schriftlich aufgesetzt und unserem Führer mitgegeben, der sich in der langen Zeit vergeb- licher Bemühungen dasselbe Urtheil gebildet hatte; er konnte in der That ebenso wenig wie wir ahnen, dass wir bereits den Höhepunct Abmarsch und Flussfahrt. 119 der zu überwindenden Schwierigkeiten erreicht hatten, und dass schon relativ geebnetes Terrain vor uns lag. Bis zu seinem Wiedereintreffen an der Küste, an dem natürlich Niemand zweifelte, mussten mindestens vier Monate vergehen, und wir waren daher übereingekommen, die Zwischenzeit in der Weise auszunutzen, dass Dr. Pechuel-Loesche und ich eine längere Reise an den Kuilu zu naturwissenschaftlichen Zwecken unternähmen, wäh- rend auf der Station ausgedehnte Pflanzungen von Mais und Maniok angelegt würden, sowol um die zurückbleibenden Träger zu beschäf- tigen, als um die Unterhaltungskosten derselben zu verringern. So waren wir denn mit siebzehn unserer Leute, denselben, deren Flucht vor Kurzem missglückt war, Mitte Juli von der Station ab- gegangen und hatten in bester Ordnung den Ausgangspunct unserer Operationen, den Kuilu, erreicht. Jene Leute hatten wir nicht etwa aus erwachtem Vertrauen zu unseren Begleitern erwählt, oder um eine Probe, die überflüssig erschien, anzustellen, sondern weil uns andere nicht zu Gebote standen. Sie waren willig gefolgt, hatten Tag für Tag ihre Lasten tadellos getragen und Nachts treulich be- hütet. Keine Unordnung, kein Lärm, keine Widersetzlichkeit oder murrende Unzufriedenheit hatte den Zug der kleinen Karawane ge- stört. Erstaunend erkannten wir unsere Leute kaum wieder und waren um so begieriger zu erfahren, wie sie sich auf der weiteren Reise, die nun zu Wasser fortgesetzt werden sollte, benehmen würden. In dieser Lage waren wir an jenem Morgen, an dem mir der oben erwähnte Vergleich in den Sinn kam. Sobald der von der Ebbe freigelegte Schlamm wieder von Wasser bedeckt war. und wir mit der steigenden Flut leichter strromaufwärts zu kommen hoffen durften, sollte die Abfahrt beginnen. Als die Uhr auf acht zeigte, und die beiden flott gewordenen Canoes an ihren Stricken hin und her schau- kelten, wurde das Signal zum Einsteigen gegeben. Wenige Worte genügten, die noch Säumigen anzutreiben. Der Eine schnürte eilig sein Bündel, der Andere rettete schnell noch Frühstücksreste, um die Pausen der voraussichtlich langen Fahrt ausfüllen zu können, ein Dritter brachte das glimmende Holz, das, um die Pfeifen in Brand zu halten, auf Reisen niemals fehlen durfte. Bald sass Jeder an seinem Platze auf dem Rande des Canoes, und zehn Ruder entführten uns langsam der gastlichen Insel, von der gutmüthige Spottrufe noch lange das augenscheinliche Ungeschick unserer Leute geisselten, und viele Augen mitleidig die unstäten Bewegungen der Fahrzeuge ver- folgten. & D R 120 Wechselnde Scenerie der Ufer. Allerdings war diese erste Ruderübung für alle Betheiligten und namentlich für uns eine Qual, die sich vergrösserte, je höher die Sonne stieg, ohne dass wir dem Ziele erheblich näher rückten; aber schon nach wenigen Tagen gieng es besser, und nach einigen Wochen übertrafen unsere fern vom Wasser aufgewachsenen Neger durch ihre Anstelligkeit und Geschicklichkeit die besten eingeborenen Ruderer. Sorgfältig vermieden wir die Mitte des Stromes und zogen ge- räuschlos, um das etwa vorhandene Wild nicht zu verscheuchen, am Ufer entlang; doch durchspähten wir umsonst das Dickicht der Man- grove: Papageitauben, wenige Schnepfen, Regenpfeifer und Fluss- schwalben bildeten die einzige Staffage der Landschaft. Nach und nach wurde die Mangrove lichter, hochstämmiger und zeigte sich untermischt mit den stachlichen Schwertblättern von Pandanus und den gelbrothen Fruchttrauben wilder Dattelpalmen, die dann immer häufiger wurden, um ihrerseits wieder dichten Beständen der Wein- palme mit ihren grandiosen, vielverwertheten Blattwedeln Platz zu machen. Auch diese Region liessen wir allmählich hinter uns und drangen nun in das eigentliche Gebiet des Hochwaldes vor. Je weiter wir kamen, um so reizender und wechselvoller wurde die Scenerie: Hier hatte ein Flusspferd die scheinbar undurchdringliche Mauer des Unterholzes tunnelartig durchbrochen, und noch rannen sparsame, in der Sonne glitzernde Tropfen die Spur herab, auf der das plumpe, un- förmliche Thier sich mühsam zu dem festeren Erdreich hinaufgear- beitet hatte; dort zeigte ein schwerer Fall und zusammenschlagendes getrübtes Wasser die Stelle, an der ein gepanzerter Saurier durch den leisen Ruderschlag aus behaglicher Ruhe geschreckt, sein Heil in schleuniger Flucht gesucht hatte. Mit lautem Rufe flogen hellblaue fruchtfressende Helmvögel (Turacus giganteus) davon, um auf den langen Aesten entfernt stehender Bäume ihre geschickten Balancir- übungen fortzusetzen, während blau- oder weissnasige Meerkatzen (Cercopithecus cephus und C. nictitans) unter ängstlich warnendem Geschrei das Weite suchten und durch das Geräusch der unter ihren Sprüngen rauschenden oder brechenden Zweige weithin den genom- menen Weg erkennen liessen. Wir hatten, als uns die Mittagsonne heiss auf die Köpfe brannte, nicht Uebel Lust gehabt, bereits auf der Palmeninsel Tschintombi, welche vor der Mündung des Flüsschens Ntombi liegt, Halt zu machen, hatten indess der Versuchung widerstanden und uns bis zur Ein- mündung des Mpile hinaufgearbeitet, wo uns dann die drohende Dunkelheit zwang, auf einem Rastplatz von Fischern am linken Ufer Salzmangel. Gestörte Nachtruhe. 121 der Insel Tschingombe im Angesichte von Tschissulu das Lager auf- zuschlagen. Es war gewiss Niemand unter uns, der nicht herzlich froh gewesen wäre, als er wieder festen Boden unter den Füssen hatte und sich frei bewegen durfte. Nun wurden die Canoes halb auf das Land gezogen, da in der Nacht vorüberziehende Neger die Lust hätte anwandeln können, sie mitgehen zu heissen, wenn sie nur mit Stricken festgekoppelt auf dem Wasser geschaukelt hätten, und dann wurden die Blechkisten mit Utensilien und Vorräthen nebst dem Reisezelte heraufgebracht. Wir glaubten dasselbe diesmal entbehren und den Leuten die nöthige Ruhe gönnen zu sollen und liessen es demnach nicht aufschlagen, waren auch zu bequem die Mosquitonetze hervorzuholen, indem wir hofften, dass der dichte Rauch der Feuer die lästigen In- secten sicher abhalten würde, und suchten vor Allem das Nöthige zu einem tüchtigen Male für alle Theile zusammen. Da machten wir die traurige Entdeckung, dass der Sack mit Salz, den ich noch vor der Abreise hatte füllen lassen, in der Factorei zurückgeblieben war. Dadurch blieb nicht nur das Abendessen, das für uns Weisse zwei bei der Landung vom Baum geholte Tauben bildeten, sehr wenig schmackhaft, sondern es entstand auch die Nothwendigkeit, am andern Morgen sechs Leute zurückzusenden, um das kostbare Material zu holen. Solche Erfahrungen werden anfänglich, ehe das Wandern eine liebe Gewohnheit geworden, nie ausbleiben; da aber Zeit keine Rolle spielt, so konnten wir den diesmal damit verbundenen Aufenthalt um so eher verschmerzen, als die stark erwachte Jagdlust uns drängte, das neue Gebiet kennen zu lernen. Freilich erhoben wir uns am andern Morgen wenig gestärkt; denn die Mosquitos hatten uns arg zugesetzt, obgleich es an Rauch nicht fehlte, da wir halb träumend, halb wachend, dauernd am Feuer mit langem Stabe schürten und dem Verlöschen durch frische Holzmassen wehrten. Aber nicht nur müde, durchwacht und zerstochen erhoben wir uns: durch ein wolbekanntes peinigendes Jucken an den Füssen wurden wir auch noch belehrt, dass sich Sandflöhe in ziemlich grosser Zahl eingebohrt haben mussten und die von allen Seiten laut werden- den Klagen der Neger bewiesen, dass wir einer verhängnissvollen Einladung nachgekommen waren, als wir uns von der alten Feuer- stelle verlocken liessen zu landen. In Zukunft versäumten wir es nie wieder, die grösste Sorgfalt auf die genaueste Herrichtung des Nacht- lagers zu wenden, und liessen uns ebenso nicht die Mühe verdriessen, selbst einen unberührten günstig gelegenen Platz vom Unterholze zu reinigen, bevor wir uns häuslich einrichteten. Allerdings hauchen 122 Fahrt auf dem Mpile, solche von Laub und Holz befreite Stellen meist einen sonderbar widerlichen Dunst aus, an den man sich schwer gewöhnt, auch sind die in ihrer Ruhe gestörten Insecten, die überall sichtbar werden, namentlich Ameisen und Termiten, durch Abmähen des kurzen Grases zu vertreiben, doch ist dies Alles eher zu ertragen als jene Plage, durch welche die minder achtsamen Neger leicht leistungs- und marsch- unfähig werden. Wir durchstreiften nun während des Vormittags die Insel nach allen Richtungen, fanden aber, da wir grosses und seltenes Wild suchten und über kleinere mögliche Bereicherungen der Samm- lungen fortsahen, absolut Nichts. Nur der Graupapagei sass allent- halben im Gezweig und plapperte und pfiff, indem er sich über das rege Treiben auf der sonst einsamen Insel wunderte Die wilden Exemplare erreichen übrigens stets eine beträchtlichere Grösse als die zahmen, die meist jung aus den ‚Nestern genommen und aufgezogen werden, wodurch die Entwickelung wol beeinträchtigt wird. Es sind stolze, prächtige Vögel, da auch ihr Gefieder natürlich einen schöneren Glanz und grössere Fülle als in der Gefangenschaft zeigt. Am Nachmittage befuhren wir den Mpile, dessen viel gewundener Lauf durch Uferleisten markirt wird, welche sich in grösserer oder geringerer Entfernung im Moraste verlieren. Die Richtung, die wir im Verfolge nehmen mussten, liess vermuthen, dass die Sumpfstrecken mit den Seitengewässern des bei Massabe mündenden Lu&mme commu- nieiren könnten. In diesen Niederungen lebten nach den Berichten der Neger noch etliche Elephanten, die uns indess ihre Anwesenheit durch Nichts vermuthen liessen, wie uns denn überhaupt die ganze Fahrt den Eindruck gab, dass wir hier eine traurig öde Sumpflandschaft kennen lernten. Als wir wenige Monate später hörten, dass die Holländer an jenem Gewässer eine Factorei angelegt hätten, beneideten wir den zur Führung derselben verurtheilten Weissen gewiss nicht. Die durch Nichts unterbrochene Einförmigkeit unserer Bewegung veranlasste den Jäger Mavungo, sich an einer Stelle bei der Rückfahrt aussetzen zu lassen, um durch das Wurzelgewirr dem Lockrufe einer Waldtaube zu folgen. Mavungo war eine seltene Negererscheinung; er fiel uns auf der Durchreise in Loango bei nächtlicher Pürschjagd auf und wurde uns von seinem Herrn auf ein paar Monate abge- treten. Er war durch und durch ein Jäger, den man nie ohne sein Steinschlossgewehr sah, das er wie sein Leben hütete und durchaus nicht gegen eines unserer besseren Hinterlader vertauschen wollte. Früher war er ein freier Mann gewesen, aber seine leidenschaftliche Jagdlust hatte ihn in’s Verderben geführt. Eines Tages war er in der Dämmerung am Waldrande entlang Der Jäger Mavungo. 123 gegangen, um einer Büffelspur zu folgen; da sah er plötzlich vor sich im Busch sich Etwas bewegen, liess sich durch seinen Eifer fortreissen, feuerte und merkte zu spät an dem Jammergeschrei eines getroffenen Negers seinen unseligen Irrthum. Seiner selbst nicht mächtig hatte er, in der Angst verrathen und seiner Freiheit beraubt zu werden, das arme Opfer dann vollends für immer stumm gemacht, doch wurde die That ruchbar und er blieb Sclave der Familie, der er den männ- lichen Spross entrissen hatte, um ihr Ersatz für die verlorene Arbeits- kraft desselben zu leisten. Ich sehe ihn noch, wie er in der Nacht, in welcher wir seine Be- kanntschaft machten, bald lautlos durch die dürren Halme schlich, bald ein Bein in der Luft, regungslos nach einer Richtung lauschte und, wie aus Erz gegossen, secundenlang stehen blieb, bald endlich durch leises Klopfen an ein Beutelchen mit Asche die Windrichtung zu erkennen suchte, um uns dem Wilde, dessen Standort er kannte, nahe zu bringen. So wie damals eine prächtige von uns erlegte An- tilope seine Mühen lohnte, so lieferte sein unermüdlicher Eifer während der ganzen Reise dauernd Stoff zur Anerkennung, und auch diesmal kehrte er triumphirend, nachdem sein Schuss uns lange erwartungs- voll in das Dickicht hatte spähen lassen, zwar nicht mit der gesuchten Taube aber mit einer feisten weissnasigen Meerkatze, die wir bis da- hin noch nicht gesehen hatten, zurück. Dadurch wurde das Ende der Fahrt heiter verkürzt, denn Mavungo sah sich in rhythmischem Gesange gefeiert, der die Ruderer kräftiger in's Wasser zu greifen anspornte und uns bald fröhlich am Lager eintreffen liess. Diese Nacht vergieng in ungestörter Ruhe besser als die verflossene und als am andern Morgen zeitig die Boten mit dem Salz zurückkehrten, setzten wir unsere Fahrt bis zur Insel Tschibebe fort. Die Strecke war nur klein, doch mussten die Kräfte der eben erst Angekommenen geschont werden. Ueberhaupt hielt ich es für besser, die Leute nicht zu übermüden, sondern erst allmählich einzuüben und namentlich bei guter Stunde ein neues Lager zu beziehen, bis Jeder die ihm zu- fallenden Obliegenheiten genug kannte, um ihnen auch bei einbrechender Dunkelheit gerecht werden zu können. So erreichten wir erst am vierten Tage den Nanga, einen rechten Arm des Kuilu, der einen’ beträchtlichen See mit diesem verbindet und, noch unter dem Einfluss der Flutstauung stehend, während sechs Stunden seinen Lauf zu demselben, in den nächsten sechs aber von demselben weg nimmt. Dieses Wasser war uns wegen seines grossen Reichthums an Flusspferden gerühmt worden, und wir hatten beschlos- 124 Mangel an Nahrung. sen, einige Wochen in der Gegend zu verweilen, um unsere Samm- lungen durch Skelete dieser Kolosse zu bereichern. Wir schlugen unser Lager am linken Ufer einige Stunden aufwärts von der Mün- dung auf, doch schien es nicht, als ob das Gerücht sich bewahr- heiten sollte und statt des verheissenen Ueberflusses begann sich Mangel fühlbar zu machen. Die geringen Vorräthe an Reis und getrockneten Fisch, mit welchen wir uns versehen hatten, waren bald verzehrt, und wenn auch unser Jäger Mavungo selten chne zwei bis drei Affen, dem grössten Leckerbissen der Neger, von seinen Aus- flügen zurückkehrte, wenn auch nebenher immer auf die Erbeutung mehrerer grossen Nashorn- und Schlangenhalsvögel gerechnet werden konnte, was war das für so viele hungrige Magen! Wir selbst hatten noch dazu einer Affenleber, die unser Koch mit Palmöl und Pfeffer nach seiner Meinung prächtig herrichtete, wenig Geschmack abge- wonnen, fanden auch die von Graupapageien bereitete Bouillon ebenso fade als das Fleisch zähe und sehnten uns herzlich nach zuträglicher Speise. Der am jenseitigen Ufer in Mbuku hausende einsame Portu- giese hatte das Wenige, das er selbst besass, mit uns getheilt und einige Maniokwurzeln nebst einem Huhn, das, noch bevor es in den Topf wanderte, ein Ei legte, gesandt, doch war uns damit, so sehr wir den guten Willen anerkannten, wenig geholfen. Er hatte das Wenige nur abgeben können, weil er uns als Frlöser aus sehr kri- tischer Lage begrüsste, denn er fürchtete seit Wochen böse Anschläge der Neger auf sein Hab und Gut, vielleicht auch sein Leben und hatte in den letzten Nächten vor unserer Ankunft mit der Flinte im Arm kaum zu schlafen gewagt. Seinen Plan, bei dunkler Nacht sich dem Canoe anzuvertrauen und mit einigen getreuen Sclaven die Kuilumündung zu erreichen, hatte er bisher nicht auszuführen ver- mocht und war durch unsere unvermuthete Ankunft nunmehr in die Lage versetzt, seine Flucht gehörig vorbereiten und nach einiger Zeit glücklich ausführen zu können, Sein Ansehen war allerdings ein höchst geringes gewesen, und wir glaubten gern seinen Erzählungen über versuchte und gelungene Erpressungen von Seiten der Prinzessin Nkambisi. Waren wir doch Augenzeuge gewesen, wie sie in halb trunkenem Zustande im Bewusst- sein ihrer Macht mit der Faust auf den Tisch schlagend mehr Rum gefordert hatte. Auch uns hatte sie in gleicher Weise anfangs mit- zuspielen versucht, und es wäre mir vielleicht kaum gelungen, sie in ihre Schranken zurückzuweisen, da der aus dem Lande stammende und in anerzogener Furcht vor den Mächtigen zagende Dolmetscher meine eindringlichen Vorstellungen absichtlich falsch übersetzte, wenn Prinzessin Nkambisi. 125 nicht der oberste unserer Träger schliesslich zornig herangekommen und mich über die Doppelzüngigkeit aufgeklärt hätte. Da setzte ich ihr denn mit besserem Erfolge durch diesen aus- einander, wie wenig fürstlich ihr Benehmen mir erscheinen müsse, indem sie jedem Brauch entgegen ohne Geschenke bei uns erschienen sei, und wie sie sich in hohem Grade beeilen müsse, die fast verlorene Gunst des Weissen wieder zu erlangen. Um ihr indess zu zeigen, dass es ihr Schaden nicht sein würde, wenn sie sich bemühte, unsere Grossmuth zu wecken, schenkte ich ihr im Voraus ein Armband und ein Paar Ohrringe, hängte ihrem jüngsten Kinde ein Glaskreuz an rothem Sammetbande um, einem grösseren Knaben eine Messingkette und über- gab dem ältesten, einem prächtigen Burschen von ca. 20 Jahren mit gewinnendem Gesichtsausdruck, ein Küchenmesser. Ausser diesen besass die Prinzessin Nkambisi noch eine ganze Reihe von Kindern, von denen die bereits erwachsenen Töchter eines grossen Rufes wegen ihrer Schönheit und ihres tadellosen Wuchses genossen. Allen diesen und ihr selbst versprachen wir grössere Geschenke, wenn fort- an durch die Bewohner von Mbuku in auskömmlicher Weise für unseren Unterhalt würde gesorgt werden. Man sagte Alles zu und schien in hohem Grade befriedigt das Lager zu verlassen, doch warteten wir vergebens darauf, ein Canoe mit Nahrungsmitteln von drüben ab- stossen zu sehen. Es blieb eben Alles beim Alten, und unser Magen mahnte uns gewaltig, für die Befriedigung seiner Wünsche Zu sorgen. Mit nicht geringer Freude vernahmen wir daher eines Morgens die Nachricht aus dem Munde eines Fischers, dass sich unweit unseres Lagers oberhalb im Flusse ein Mvubu, d. h. Hippopotamus, befände und dass er uns den Weg dorthin für entsprechende Belohnung wol zeigen würde. Natürlich wurde das Canoe sofort klar gemacht, ein Steuermann, sechs Ruderer nebst dem Führer hineingesetzt und in erwartungsvoller Spannung die Fahrt angetreten. Leider hatten wir in jüngster Zeit das Vertrauen nicht auf die Schusssicherheit unserer Büchsen, wol aber auf die Durchschlagskraft ihrer Kugeln etwas eingebüsst. Auf der Flussfahrthatten wir mannigfach nach den neugierigen Nachzüglern von fliehenden Affenherden in den Baumwipfeln, nach Helm- und Umbervögeln geschossen, ohne die er- hoffte Beute zu gewinnen. Wir hatten sogar einen angolensischen Adler herabstürzen sehen, und als wir landeten, um ihn aus dem Blattgewirr in Manneshöhe, wo er hängen geblieben war, zu holen, hatte er sich nach einigem Schütteln im Gezweige allmählich aufge- richtet und war dann, sich unerwartet hebend, mit ruhigem Flügel- schlage zum jenseitigen Ufer enteilt. All dies war sehr ärgerlich 126 Gestürzter Baumriese. gewesen, weil es namentlich dem Weissen daran gelegen sein muss, in den Augen seiner Leute für einen tüchtigen Schützen zu gelten, und weil wir vorläufig nicht ausfinden konnten, worauf die Misserfolge zurückzuführen seien. Als wir später einen Baumriesen massen, der bei seinem Sturze den ganzen Wald unter sich niedergeschmettert hatte, so dass er in seiner ganzen Grösse inmitten der entstandenen Lichtung ruhte, war das Räthsel allerdings gelöst. Die Höhe des noch stehenden Stumpfes betrug 6 m., die Stammlänge bis zu den ersten Aesten 42 m., die Höhe des Wipfels, soweit sie noch sicher messbar war, 20 m. Der Umfang des Stumpfes mit den von ihm aus- gehenden Flügeln oder Wurzelwänden 2 m. über der Erde betrug ı8 m., und ıo m. über der Erde 5,30 m. Die äussersten Blätter des Baumes entfalteten sich also in einer Höhe von 68 m., die für Schrotschüsse natürlich unerreichbar bleiben musste. Es war nunmehr klar, dass wir, dauernd in dem Gebiete eines so üppigen grossartigen Wuchses uns bewegend, allmählich den Massstab für die Entfernungen über- haupt verloren hatten und unsere Ansprüche an das Erreichbare mindern, daneben aber die jedesmalige Ladung verstärken mussten. An jenem Morgen war uns diese Einsicht zwar noch nicht in ganzem Umfange gekommen, doch hatten wir trotzdem verabredet, dem Thiere so nahe kommen zu wollen, als es nur gieng. Die Spannung nahm ab, als wir nach fast halbstündigem Rudern noch keine Spur von dem verheissenen Wilde sahen. Wir glaubten schon, der Fischer habe sich in sträflichem Uebermuthe an uns vergangen, und sahen unwillig das Canoe träge vorwärts leitend zu ihm hinüber; doch er feuerte unablässig an und versicherte bei jeder die Aussicht verdeckenden Insel, dahinter müsse es sich unzweifelhaft befinden. Endlich sahen wir alle auf einmal in der Ferne einen grauröthlich schimmernden, etwas über der Wasserfläche erhabenen, sich be- wegenden Körper; ein Ruck, ein gedämpfter Ausruf der Befriedigung, wie nur Wilde ihn ausstossen können, dann allseitiges Verständigen mit glänzenden sprechenden Augen, und fort gieng es mit erneuten Anstrengungen dem Ziele zu. Schnell kamen wie näher und erstaunten nicht wenig, bald einen zweiten und dritten Kopf neben dem ersten und dann noch mehrere auftauchen zu sehen, bis wir uns schliesslich einer Familie von neun Stück gegenüber befanden, die sich erwartungs- voll in gerader Linie aneinander reihten und mit fragenden ver- wunderten Augen der ungekannten Gefahr entgegensahen. Der Anblick war auch für uns ein ebenso unerwarteter als unerwünschter. In dem Augenblick waren uns alle von Negern und Weissen colpor- tirten Unglücksfälle, in denen Canoes von Flusspferden angegriffen Erste Flusspferdjagd. 127 und umgeworfen sein sollten, gegenwärtig. Ein solches Schicksal mag in tieferem Flussbette zu ertragen sein, wenn sich das wüthende Thier sonst eben nicht weiter um die Schwimmer bekümmert; in unserem schlammigen sumpfigen Bassin wäre es mehr als bedenklich gewesen, da man nicht hoffen konnte, festen Boden zu erreichen. Es waren uns die Fälle, in denen wir die Neger hatten herausspringen lassen, um auf scheinbar gutem Grunde die erlegten Wasservögel aufzu- sammeln, noch frisch im Gedächtniss: Bis fast an die Hüften waren sie im Schlamme versunken, und mit Mühe nur war es gelungen, sie wieder durch Ruder und Stricke herauszuholen. Es war also nur natürlich, dass wir uns einen Moment fragend ansahen, ungewiss ob wir die Jagd wagen sollten, aber auch nur einen Moment, dann ruderten wir auf ca. 20 Schritt heran, und ich gab auf das stärkste Stück der Herde Feuer. Gleichzeitig mit dem Knall hörte man das Einschlagen der Kugel und das laute Freudengeschrei der Neger, dann folgte bei dem plötzlichen Untertauchen der er- schreckten Thiere lautlose Stille. Wenige Ruderschläge führten uns an die Stelle vor uns, und mit gespannter Erwartung durchspähten wir die Wasserfläche. Nicht lange dauerte es, so tauchte bald hier bald dort schnaubend einKopf auf, um sofort bei unserem Anblick zu verschwinden. Wir kamen noch dreimal zum Schuss. Das eine verwundete Thier raste im wahren Sinne des Wortes im Wasser umher, indem es in grossen Bogen fast mit dem ganzen unförmlichen Leibe über der Oberfläche erschien und wieder niedertauchte. Ein anderes suchte unter dem Wasser sein Heil in der Flucht, versah aber die Richtung und steuerte, wie wir an den aufsteigenden Blasen und der Trübung erkennen konnten, gerade auf uns zu. Einen Augenblick noch kam uns der Gedanke, dass doch vielleicht ein Angriff geplant sei, und als die Blasen unter und jenseits des Canoes sich zeigten, suchten wir, den Finger am gespannten Hahn, mit den Augen das Wasser zu durch- dringen, um vielleicht der drohenden Gefahr noch zu begegnen. Aber weiter und weiter verfolgten wirdieSpur desschlammaufwühlenden Flüchtlings und sahen erst in weiter Ferne den Kopf zum Vorschein kommen. Von Gefahr war keine Rede mehr, panischer Schrecken hatte die Kolosse ergriffen, die planlos hier und dorthin zu entrinnen suchten. Ein Weilchen folgten wir noch, dann aber wurden die auf- tauchenden Köpfe seltener, bis endlich weit und breit ausser uns nichts Lebendiges sich zeigte. Die Jagdlust war abgekühlt. Ungeheure Fleischmassen waren vor uns gewesen und kein Atom davon war uns, wie es schien, zugefallen. Natürlich war die Verstimmung eine ernste, denn die vergebliche Arbeit hatte uns und die Leute hungrig 128 Einbringen der Beute. gemacht, ohne Aussicht im Lager Nahrung zu finden. Langsam nur zogen wir heimwärts, immer noch hoffend, dass uns das Jagdglück günstig sein würde, aber vergebens. Dieser Abend sah uns verdriesslich am Lagerfeuer gegenüber sitzen und nachdenklich in die zusammen- geschobenen Gluten starren. Je weniger wir sprachen, um so emsiger tauschten die Gruppen an den anderen Feuern ihre Erfahrungen aus. Die mitgewesenen Ruderer wurden nicht müde, den Zurückgebliebenen alle Details des Jagdausfluges zu schildern. Bald grunzten sie oder schnaubten, bald sprangen sie gesticulirend herum, um die Bewegungen der Verwundeten wiederzugeben. Freilich sie hatten die Sorgen nicht, die uns drückten, und bauten zuversichtlich darauf, dass wir Rath schaffen würden. Wirklich hätten wir nicht nöthig gehabt, uns mit trüben Zukunfts- ideen schliesslich hinter die Mosquitonetze zurück zu ziehen. Die Jagd war besser ausgefallen, als wir dachten, denn am andern Morgen brachte uns derselbe Fischer die Nachricht, dass ein todtes Mvubu auf dem Wasser treibe, dass aber auch viele Neger bereits beschäftigt wären, eszu zerstückeln. Wie diese Nachricht uns elektrisirte, brauche ich nicht zu beschreiben; wol nie wieder haben wir in gleicher Schnelligkeit eine solche Strecke zurückgelegt, wie die, welche uns vom Schauplatz der Jagd trennte. Da sahen wir denn allerdings von Weitem nichts Erfreuliches: Das Wasser war buchstäblich von kleinen und grossen Canoes besät und um den todten Körper wimmelte es, wie wenn Fische sich um einen Köder drängen. Je näher wir kamen um so stiller wurde das vorher ohrbetäubende Geschrei der Marodeure und ein Canoe, das eine Hinterextremität glücklich ausgeschält hatte, suchte das Weite zu gewinnen, wurde aber eingeholt und zurückgebracht. Viel hatte man dem Koloss nicht anhaben können, die Messer waren durch die enorme Haut nicht durchgedrungen, und man sah nur an den zurückgebliebenen Spuren, wie viel ohnmächtige Versuche unter- nommen worden waren. Nun ordnete sich ein wahrer Triumphzug, indem kein Canoe zurückbleiben wollte, sondern jedes ein Stück Fleisch zu gewinnen hoffte. Ja kurz vor dem Lager kam auch der Portugiese von allen Sclaven im grössten Canoe gerudert uns ent- gegen und feuerte am vorderen Ende stehend Freudenschüsse gen Himmel ab. Bald fanden sich auch die Häuptlinge der umliegenden Dörfer, von deren Existenz wir bisher keine Ahnung: gehabt hatten, ein und beanspruchten der Eine den Kopf für den Erdgeist der Ge- gend, der Andere einen Schenkel, der Dritte einen weiteren Theil als Brauch des Landes. Es wurde indess Allen die Antwort, dass die Fetische nur Ansprüche auf von Negern erlegte Beute, nicht aber an Jagderfahrungen. 129 den weissen Mann hätten. Wenn jene hungrig wären, möchten sie selber hingehen und ihnen was schiessen, von uns hätten sie Nichts zu verlangen. Höchstens wollten wir aus Gutmüthigkeit freiwillig von dem Fleische unter sie vertheilen, auch den Häuptlingen ein Geschenk an Stoffen machen, damit sie uns stets rechtzeitig Nachricht zu- kommen liessen, wenn sich wiederum Flusspferde zeigten. So ge- schah es denn auch, und zufrieden zogen Alle von dannen, uns in freu- digster Stimmung bei dem. nunmehrigen Ueberflusse zurücklassend. Nicht lange dauerte es, so konnten wir auch ein zweites vollstän- diges Skelet von einem alten Thiere auf schnell hergerichteten Rosten unter Beihülfe des Feuers trocknen. Daneben hatten wir noch ein ausgetragenes Junges präparirt und einen wenige Wochen alten Foetus in Spiritus conservirt, die nun auf Versendung in das Berliner Museum warteten. Bei der sich vermehrenden Gelegenheit, dieser Jagd obzuliegen, machten wir mancherlei Erfahrungen, die uns später sehr zu Statten kamen: Einmal erkannten wir als die gün- stigste Methode, die Flusspferde im Wasser selbst aufzusuchen; denn die vielfach cursirenden Erzählungen, dass dieselben Canoes angegriffen und umgestürzt haben sollten, erwiesen sich als Fabeln. Es kann wol vorkommen, dass ein verwundetes Thier, durch den Schmerz angestachelt, sich selbst in unheilvolle Nähe des Schü:zen wagt, wenn es im Wasser umherrast, oder dass es, dem nachsetzen- den Verfolger entfliehend, zufällig gerade unter dem Fahrzeuge auf- taucht; absichtlich aber nähert es sich gewiss niemals, wie die Schnelligkeit bewies, mit der es stets zu entkommen sich bemühte. Im Allgemeinen ist nur zu bedauern, dass diese Ungethüme sich so wenig ihrer Kraft bewusst sind und scheu und furchtsam entfliehen, wenn sie die ihnen drohende Gefahr zu begreifen angefangen haben. Der Anstand Abends auf dem Lande an den sehr kenntlichen Aus- trittsstellen ist ganz unsicher, da die Thiere einen eigentlichen regel- mässigen Wechsel nicht benutzen, sondern an beliebigen, gerade bequem erscheinenden Stellen an’s Ufer steigen; dafür sprechen die zahlreichen, allenthalben sichtbaren Spuren; denn wenn die Thiere auch in ziemlichen Mengen vorkommen, so würden sie, da sie in Fa- milien zu sieben bis neun Stück beisammen leben, bei regelmässigem Wechsel doch nur wenige Ausstiege nöthig haben. Machte es schon die enorme Futtermasse, die zu ihrer Erhaltung nothwendig ist, von vorn herein wahrscheinlich, dass sie den Weidegrund vielfach wechseln, so zeigten uns einige vergebliche Nachtwachen noch deutlicher, dass in keiner Weise sicher auf ihr Erscheinen zu rechnen sei. Die Neger, welche es überhaupt nicht für rathsam erachten, sich auf einen Kampf Loango. II, 9 130 Fallgruben. Zerlegen der Beute. mit diesen Thieren einzulassen, da sie erfahren haben mögen, dass ihre Feuersteingewehre in solchen Fällen unzureichend sind, wissen dadurch in den Besitz des ausserordentlich geschätzten Fleisches zu gelangen, dass sie auf mehreren der von den Ausstiegen zur Weide führenden Pfade grosse bedeckte Fallgruben herrichten; doch müssen sie meist sehr lange warten, ehe ihnen der Zufall eine Beute zuführt. Bei der Jagd im Wasser bietet das Thier nur einen kleinen Theil des Kopfes von der Nasenspitze oberhalb bis zum Ohr als Ziel für die Büchse, doch reicht dies völlig hin, da jede unter dem Auge ein- schlagende Kugel wegen der geringen Stärke der dortigen Knochen direct in das Gehirn dringt und stets sofort den Tod herbeiführt. Man muss deshalb warten, bis man die Frontansicht hat, da die Kugel bei einem Schuss von der Seite her meist ohne unmittelbaren Schaden in der reichlichen Kau- oder Nackenmuskellage sitzen bleibt. Traf sie aber glücklich, so überschlug sich das Thier ein paar Male rück- lings und verschwand in den Fluten, um etwa nach einer Stunde, durch die im Körper sich entwickelnden Gase gehoben, wieder an der Oberfläche zu erscheinen. Solche Jagden sind ausserordentlich reiz- voll und verwischen sich niemals aus dem Gedächtnisse; namentlich aber spottet das Bild jeder Beschreibung, das sich entwickelt, wenn man die Beute am Canoe hinten befestigt langsam zum Lagerplatz transportirt hat: Während die Einen die 3—4 cm. starke Haut lösen, trennen Andere die Extremitäten in der Tiefe aus den Gelenken; es bilden sich dann einzelne Gruppen, die das Fleisch in lange Streifen schneiden und auf schnell hergerichtete Roste schaffen, unter denen bald lustige Feuer flackern; denn es muss halb gedörrt und halb ge- räuchert werden, um als hochgeschätzte Delicatesse aufbewahrt werden zu können. Dazu müssen die Feuer Tag und Nacht unter- halten werden; überall im Walde hört man Zweige knacken und brechen, von allen Seiten schleppen Neger tüchtige Lasten herzu. Jeder arbeitet gern, Niemand denkt an Schlaf; denn neben dem offi- ciellen Vorrath für Alle haben sie noch einen besonderen für sich bei Seite geschafft, der auf eigenem Roste dörrt und mehr als jener be- wacht wird; durch ihn will sich Jeder Messingringe und Zeuge aus der Umgegend erhandeln, oder die Gunst schöner Dörflerinnen er- werben. Unglücklicherweise setzte die Regenzeit in diesem Jahre in jener (Gegend schon im August ein, so dass trotz der energischsten Anstren- gungen die Häute verdarben und die Vogelbälge nur mit grosser Mühe, wenn auch in unansehnlicher Form, durch künstliches Trock- nen über Feuer erhalten werden konnten. Unter solchen Umständen, Unzeitige Regen. Vogelwelt. 131 wenn bei immer neuen Regenschauern die Sammlungen drei und vier Mal ausgepackt und von Neuem geborgen werden müssen, und es bei gutem Wetter kaum gelingt, einige durch das dichte Laubwerk drin- gende Sonnenstrahlen für sich zu verwerthen, ist es auch dem tech- nisch geübtesten Sammler kaum möglich, gleichmässig gute Stücke zusammenzubringen; seine Geduld und Ausdauer hat manche harte Probe zu bestehen, bis er endlich in stiller Resignation über sich er- gehen lässt, was er nicht ändern kann, und sich begnügt, zu retten, was möglich ist. Nach einem längeren Aufenthalte in diesen Hochwaldungen war es von besonderem Interesse, die bisher besuchten verschiedenen Ge- biete bezüglich ihrer Vogelwelt untereinander zu vergleichen: Es konnten dabei drei Zonen mit völlig charakteristischen Arten abge- grenzt werden. Auf der Reise nach Loanda war mir hinter Ambri- Turacus giganteus, zette eine eigenartige Vogelwelt aufgefallen, die sich von der bei Tschintschotscho ebenso unterschied wie die Flora mit den Candelaber- Euphorbien und der Aloe, die weiten Ebenen mit ihrem Wildreichthum, den zahlreichen Rudeln verschiedenartiger Antilopen von den dorti- gen Verhältnissen abwichen. Bei Loanda sah ich Pelikane von der grauen, nicht röthlich schimmernden Art, Scharben und Flamingos, in langen Reihen hintereinander marschirend im 'Brakwasser fischen. Man merkte, dass die Vögel dort zu Hause waren, denn die in gerader Linie neben einander fliegenden Pelikane kannten die Sand- bänke, denen sie zusteuerten, genau, und ebenso waren die Möven, welche in unzählbaren Schwärmen theils ruhten, theils über dem Wasser nach Beute spähend flatterten und auf- und niederstiessen, sicherlich am Orte selbst geboren. Auch der grosse Tölpel (Sula ca- pensis) schien dort zu nisten und nur bei Eintritt der trockenen Jahres- zeit dem Regen nachzuziehen. -Steinschmätzer und Bachstelzen waren der Gegend gleichfalls eigenthümlich. Ein absolut anderes Bild bot die Küste nördlich von Ambrizette bis zum Kuilu. Tschintschotscho * 9 132 Webervögel. hatte die geringste Artenzahl aufzuweisen, während sich die in der Nähe der Flussmündungen liegenden Strecken reichhaltiger zeigten. Das ist auch natürlich, da nicht nur Vertreter aus dem Hochwald- gebiet dem Flusslaufe folgen und sich bis zur Mündung verfliegen, sondern bei diesen Riesenströmen sogar Gäste von der andern Küste mitgebracht werden. In dieser Zone fällt namentlich das Heer der Finken und Webervögel auf, von denen letztere in Scharen auf Oel- palmen oder anderen günstig gelegenen Bäumen ihre künstlichen Nester anbauen, die dann wie unendlich viele grosse Früchte vom Winde geschaukelt herabhängen. Das Material dazu gewinnen sie aus den Fiederblättern der immensen Blattwedel, die sie immerfort flatternd mit den Schnäbeln einfeilen, dann das untere Stück fassen, in schmalem Streifen lostrennen und damit eilig davonfliegen. Es ist kaum glaublich, in wie kurzer Zeit ganze Palmen völlig geplündert Gypohierax angolensis. werden, so dass sie ein unschönes, besenartiges Ansehen erhalten. Von Finken fällt vor Allen der Hausspatz (Passer Swainsoni) auf, dem der ewige Sommer mit einem helleren, eleganteren Kleide zugleich eine melodischere Stimme verlieh, als wir sie bei seinem nordischen Verwandten vernehmen. Neben ihm sind die Feuerfinken im präch- tigsten Roth, die Schmetterlingsfinken im reinsten Himmelblau und die langschwänzigen Wittwen im schwarzweissen oder schwefelgelben Hochzeitskleide ein wunderschöner Schmuck der Landschaft. Ferner ist hier die Familie der Würger mit ihren kräftigen, volltönenden Stimmen zahlreich, ebenso die metallisch schimmernden kleinen Honig- sauger, die Bartvögel, Fliegenschnäpper und schwalbengleichen Bienen- fresser und die Eisvögel vom riesengrossen Ceryle Sharpii bis zum zwerghaften Alcedo cristata. Die Leichtschnäbler oder Nashornvögel sind noch selten; es kommen nur zwei Arten (Buceros melanoleucus und fistulator) vor, während der angolensische Adler in beliebig vielen Exemplaren zu erlangen ist. Vogelwelt am Kuilu. 133 Das dritte Gebiet und zugleich das reichste ist der Hochwald- gürtel, in dem wir uns augenblicklich befanden: Während hier am frühen Morgen Flüge auf Flüge von schwatzenden Graupapageien vorüberziehen, dann glockenartige Töne oder signalartiges Pfeifen fast melancholisch von beiden Ufern ineinander klingen und nach und nach verhallen, erwacht allmählich die ganze Vogelwelt und singt jubelnd dem neuen Tage entgegen. Später laufen die verschiedenen Schnepfen und Wasserläufer, eifrig mit den langen Schnäbeln nach Würmern suchend, an den schlammigen Ufern hin und ber. Edelreiher, die ge- wöhnlichen Arten überragend, wechseln mit dem wollhalsigen Storch (Ciconia episcopus) ab, der den Hütten bauenden Umbervogel (Scopus umbretta) friedlich neben sich duldet. Das Nest des letzteren stellt nämlich einen runden, kugelartigen Bau vor, der ı'), Meter in der Länge, ı Meter in der Breite und ebenso viel in der Höhe misst; es Buceros atratus. liegt meist auf Baumstumpfen oder Gabelzweigen in geringer Entfer- nung über dem Wasser, besteht aus dürren Zweigen, trockenen Grä- sern und Laub und besitzt im unteren Drittel eine etwa handgrosse runde Eingangsöffnung. Steht die Sonne hoch am Himmel, so sieht man fast nur noch Flussschwalben dem Fange nachgehen oder Trauerfliegenfänger (Musci- capa lugens) aus überhängendem Gebüsch blitzartig vorkommen und wieder verschwinden. Gegen vier Uhr beginnt neues Leben: Wieder beginnt der laute Ruf der blauen, schön behaubten, grösseren Frucht- fresser und der gurrende der kleineren Helmkukuke (Corythaix persa), die dann in stolzer Haltung vertrauensvoll der Antwort lauschen. Der Schreiadler (Halia&tos vocifer) sucht einzeln auf hoher Warte weithin ragender Aeste schon vor 6 Uhr seinen Schlafplatz auf, und der Schlangenhalsvogel (Plotus Levaillanti) besetzt in Masse abgestorbene besonders günstig liegende Bäume. Dann zieht der Riesennashorn- vogel (Buceros atratus) mit rauschendem Flügelschlage paarweise 134 Ein Pürschgang. vorüber und der Graupapagei wie am Morgen in volkreichen Flügen bei nimmer stockender Unterhaltung heimwärts. Bricht das Dunkel herein, so lässt ein widerliches Geschrei noch verspätete Ibis (I. caffrensis) erkennen, und die tiefen Gutturaltöne des Sporenkukuks (Centropus Anselli) hallen schaurig durch die Dämmerung, bis schliess- lich Alles verstummt, und nur die Cicade den lichtscheuen, leicht be- schwingten Jägern der Nacht, den schwer erreichbaren Eulen, das Signal giebt, dass ihr Reich begonnen hat. So bietet der Hochwaldgürtel einen unbeschreiblichen Reiz, einen mächtigen Zauber; aber wehe dem, der sich unachtsam in ihm ver- liert! Dann wird ihm zur Qual, was erst so hoch entzückte, und er ent- behrte gern alle Reize für wenige Tropfen Wasser, den lechzenden Gaumen zu netzen. Das lernte ich kennen, als ich bei einem Aus- fluge am frühen Morgen den Compass einzustecken vergass. Die Leute hatten nämlich eines Abends Schweine gespürt und durch diese Nach- richt das ganze Lager in angenehme Aufregung versetzt. Jeder nahm sich vor, am Morgen sein Heil in der Auffindung derselben zu ver- suchen und putzte sein Grewehr noch einmal so emsig als sonst, suchte die verstecktesten Rostflecke auf und legte das Zeug in Ordnung neben sich hin. Wie aber so oft einer grösseren Erregung eine um so beträchtlichere Abkühlung folgt, so war es auch hier. Beim Er- wachen sah ich sämmtliche Schwarze im tiefsten ruhigsten Schlafe herumliegen und erhob mich halb ärgerlich, halb erfreut, weil ich hoffte, vielleicht mit Beute triumphirend heimkehren zu können, nahm die Büchse zur Hand und schlug mich, die von den Jägern angedeu- tete Richtung im Auge behaltend, in das Dickicht. Je nach der Zugänglichkeit benutzte ich die freieren Stellen zum Vorwärtskommen oder arbeitete mich mühsam durch, wenn nach dem durch die Bäume schimmernden Licht günstiges Terrain vorzuliegen schien. Ich mochte etwa anderthalb Stunden gegangen sein, als ich zufällig den Schlüssel zum Vorrathskasten in der Tasche fühlte und mir sagen musste, dass in Folge dessen weder der Gefährte zu einem Imbiss kommen, noch die Leute ihre spärliche Ration erhalten konnten. Ich lenkte meine Schritte sogleich heimwärts und war bereits eine geraume Zeit gewandert, als ich mir nicht verhehlen konnte, dass ich auf falschem Wege sei. In meiner Unruhe am Morgen, und da ich überhaupt nicht beabsichtigte, lange auszubleiben, hatte ich den Com- pass beizustecken vergessen, und so war denn, da noch dazu Wolken die Sonne hinter einem gleichmässig grauen Schleier verbargen, an ein ÖOrientiren nicht zu denken. Ich konnte mich nur meinem Instinct überlassen, der nach dieser Im Urwalde verirrt, 135 Seite hin gerade sehr mangelhaft ausgebildet ist und mich, wie ich kaum anders erwartete, die richtige Route verfehlen liess. Ich mar- schirte, so weit das Gestrüpp dies zuliess, rüstig fort, überkletterte geefallene Baumriesen, durchschnitt im Wege hängende Lianen und bahnte mir, mit der Büchse das Gewirr niederdrückend, einen Weg durch die starren Ranken der „Mansombe“. Diese entsetzliche Plage des Jägers wuchert wie zu seinem Hohne überall in üppigster Fülle. Nicht nur, dass sie durch geräuschvolles Zusammenschlagen der harten Blätter beim Durchwinden jedes lebende Wesen weithin verscheucht, sie hindert auch derartig jede freie Bewegung, dass man in ihr das Grauen des Schwimmers empfindet, der sich plötzlich Schlingpflanzen um seine elastischen Glieder legen fühlt. Es überkam mich daher fast eine Regung der Dankbarkeit gegen den dickhäutigen Beherr- scher der Flüsse und Sümpfe, als ich mich in seine labyrinthischen Wechsel retten konnte, die mich nach einer Seite sicher zum Wasser führen mussten. Diese Gänge konnte ich vielfach nur passiren, indem ich auf allen Vieren kroch und die Büchse vor mir herschob. Wenn mir in solch einem Augenblick einer jener Kolosse auf einem gemüthlichen Spaziergange zur Weide begegnet wäre oder gar eine Familie! Wie würden sie erstaunt inne gehalten haben und ich auch, denn in dieser Situation wäre mir ein so unvermuthetes Jagdglück durchaus nicht erwünscht gewesen! : Wirklich gelangte ich nach einiger Zeit an den Fluss. Zur Reehten sah ich in der Ferne eine Insel liegen, die mir bekannt vorkam; dort musste das Lager sein. Am Wasser entlang zu gehen war leider ganz unmöglich, ich konnte mich nur zurück in die eben verlassenen Thierpfade begeben, sonst war Alles undurchdringlich. Sobald es gieng, musste ich versuchen, in der bezüglichen Richtung durchzubrechen. Endlich, gelang es. Eine Stunde mochte verflossen sein, als ich mich wieder vor ähnlichen Pfaden befand, welche mich nach einiger Zeit in meine eigene Spur zurück und schliesslich wieder an den Fluss brachten. Es war Mittag. Ich trank in langen Zügen, denn die Hitze des Fiebers hatte sich zu der des Tages gesellt, und wenn ich mich auch im Ganzen kräftig fühlte, so hatte mich doch schon geraume Zeit heftiger Durst gequält. Wenn ich nur die einzuschlagende Richtung aus der Strömung hätte erkennen können! Aber machte denn eben jetzt Ebbe oder Flut ihren verspäteten Einfluss geltend, floss das Wasser dem See zu oder zum Kuilu ab? Ich beschloss von neuem der Insel zuzumarschiren und noch besser darauf zu achten, dass ich 136 ; Orientirungsversuche. die Richtung nicht verlor. Eine gewisse Scheu hielt mich ab, schon jetzt Signalschüsse zu geben, die gewiss von jenem Punct aus gehört worden wären. Ich hoffte noch immer selbständig das Lager zu er- reichen. Hätte ich damals schon gewusst, dass es eine Woche später einem unserer besten Jäger, Kunga, ergehen würde wie mir, und dass er trotz seiner und unserer fortgesetzten Bemühungen sich erst nach zwei Tagen wieder zum Lager finden würde, so hätte ich diese Scheu wahrscheinlich überwunden. So kehrte ich denn von Neuem in mein Labyrinth zurück. Indem ich nun diese gewissermassen geebneten Pfade verliess, begann ich nach einiger Zeit Zeichen in die Bäume zu schneiden, um für den Fall, dass es mir nicht gelang zurückzukehren, den Suchenden Finger- zeige zu geben. In gewissen Intervallen notirte ich die Zeit an den von der Rinde entblössten Stellen durch Einkratzen und gab Doppel- schüsse ab, die aber unerwidert verhallten. Die Uhr zeigte auf drei, als ich wieder einen Baum traf, auf welchem ich vor zwei Stunden die Zeit vermerkt hatte. Ich hielt es nunmehr für dasGerathenste, meine offenbar vergeblichen Bemühungen aufzugeben und mich darauf vorzubereiten, die Nacht an einem günstigen Platze zuzubringen. Feuerzeug hatte ich glücklicher- weise bei mir, eben so einige Patronen. Ich spürte zwar augenblicklich keinen Hunger, obgleich ich am Morgen Nichts genossen und auch an dem vorhergehenden Tage wegen des Fiebers fast ganz gefastet hatte; dafür quälte mich aber ein fürchterlicher Durst. Ich versuchte zum Fluss zurückzukehren, aber ich kam nur immer tiefer in’s Dickicht. In äusserster Ermattung legte ich mich mehrfach nieder, immer aber trieb der Durst mich wieder auf und liess mich nach der Lichtung spähen, die der Wasser- lauf durch Unterbrechen des Baumwuchses verursachen musste. Da ich in der durch die bedeutende Hitze vermehrten Aufregung bald hier bald dort durchzukommen suchte, aber mich immer mehr in die ineinander gewirrten Ranken und das dichte Unterholz verwickelte, kam ich mir vor wie ein im Spinngewebe gefangenes Insect, das, je mehr es frei zu kommen sich abmüht, um so sicherer sich jede Mög- lichkeit dazu benimmt. Die Situation war kritisch genug, denn nur wer den Durst kennt, weiss, dass die scheinbar übertriebensten Schilderungen oft noch hinter der Wirklichkeit zurückbleiben. Vor längerer Zeit schon hatte ich versucht, aus dem Schlamm einer tief eingedrückten Flusspferdspur wenigstens einige Tropfen auszupressen, um die Lippen anfeuchten zu können; jetzt versuchte ich, Durst. Auffindung. 137 mit dem Messer ein Loch in den feuchten Boden zu graben, in das aus den Seitenwänden vielleicht etwas Flüssigkeit sickern würde; er war aber so von kleinsten Wurzeln durchsetzt, dass das Messer nicht durchdringen konnte. Es lag etwas Ueberwältigendes in dieser Verlassenheit mitten in der grossartigsten Natur. Dazu war der Wald stumm und liess nicht einmal die feinen Stimmen seiner Sänger hören, denen ich so oft mit Vergnügen gelauscht hatte. Es war nicht zu erwarten, dass ich, wenn etwa ein stärkerer Fieberanfall Bewusstlosigkeit verursachen sollte, in diesem Pflanzenchaos gefunden werden würde; es kam daher Alles darauf an, mir die Kräfte und die Energie zu erhalten. Wasser musste ich haben, deshalb erhob ich mich von Neuem und setzte alle Kräfte daran, es zu finden. Wer könnte die unaus- sprechliche Freude schildern, als ich nach einer halben Stunde wirklich an eine kleine, mit grüner Pflanzendecke gänzlich überzogene Lache trat, wer das Behagen, mit dem ich die köstliche Flüssigkeit, nach- dem der erste Durst gestillt war, schlürfte? Hier beschloss ich, zu bleiben, da ich es hier zur Noth ein paar Tage aushalten konnte. Es war nach vier Uhr, als ich in der Ferne einen Schuss hörte, dem gleich darauf drei weitere folgten. Wunderbarerweise schier der erste aus entgegengesetzter Richtung als die andern zu kommen. Ich folgte natürlich dieser, da mich der dreimal wiederholte Schall nicht täuschen konnte, arbeitete mich ein Stück mit Anstrengung durch und kam dann auf gangbares Terrain. Die Sonne brach auch noch durch das Gewölk, so dass ich, meinen Schatten zur Linken be- haltend, in gleicher Richtung fort gehen konnte, ohne fürchten zu müssen, sie wieder zu verlieren. In bestimmten Intervallen tönten die Schüsse, auf die ich eben so antwortete, bis ich, als ich eben die Büchse zum Feuern erhob, die grinsenden Gesichter und leuchtenden Augen einiger vorausgeeilter Leute durch das Gebüsch blitzen sah. Sie waren dem Schall immer lautlos entgegengelaufen und hatten durch Nichts ihre Nähe verrathen, bis sie plötzlich vor mir standen und mir in wahrhaft kindlicher Freude ihre Hände entgegenstreckten. Nun hatte die Waldruhe ihr Ende erreicht, durchdringende Jubelrufe verkündeten den weiter Entfernten, dass die Aufgabe gelöst sei. Nach zweistündiger Wanderung, wobei wir den letzten Theil des "Weges schon im Dunkeln zurücklegten, traf ich um halb sieben Uhr im Lager ein, wo der herzliche Empfang sich in umfassendster Weise wiederholte. Wahrlich, des Tages Beschwerden lohnten sich reichlich, erkannte ich doch in dieser ungeschminkten urwüchsigen Freude, wie gut wir uns alle in einander gefunden hatten. 138 Die Ziege Nkambisi. Als ich gegen Mittag noch nicht zurückkehrte, war man im Lager unruhig geworden. Mein Gefährte hatte in verschiedenen Richtungen suchen lassen, während er selbst im Canoe die Ufer musterte. Er hatte meine Spur da gefunden, wo ich zweimal an den Fluss heran- getreten war, ohne sie indessen auf dem harten Boden weit verfolgen zu können. Es ergab sich nun, dass ich mich ganz richtig orientirt und nur durch die Unmöglichkeit, dem Flusslauf zu folgen, wieder verirrt hatte. Alsauch alle Uebrigen unverrichteter Sache heimkehrten, wurde Pechudl ernstlich besorgt, schickte Patrouillen aus, die während des Vorgehens Signalschüsse abgeben mussten, und fuhr selbst nach Mbuku, um das Dorf aufzubieten. Glücklicherweise machte mein Er- scheinen die etwas säumigen Helfer von drüben überflüssig. Kurz nachdem meine Ankunft bekannt geworden war, meldete sich Prinzessin Nkambisi mit ihrem Geschenk, einer schwarzweissen Miniaturziege von denkbar kleinster und komischster Gestalt, von der sie ganz ernsthaft behauptete, dass sie tragend sei. Da wir am an- deren Tage durch die Jagd begünstigt wurden, konnten wir sie zum Andenken an dies Ereigniss und an die Freigebigkeit der fürstlichen Geberin am Leben erhalten. Nach Tschintschotscho mit übergesiedelt, erfreute uns Nkambisi, so wurde die Ziege benannt, bis zu unserer Abreise durch ihre Munterkeit und die Hartnäckigkeit, mit der sie an den Gewohnheiten des Lagerlebens festhielt. Sie konnte die Nacht nie mit Ihresgleichen im Stall zubringen, sondern legte sich zu den Negern an’s Feuer, wo sie wiederkäuend von der vergangenen Herr- lichkeit träumte. Die Leute schliefen in der auf jenen Tag folgen- den Nacht nicht, sondern sangen, jubelten und tanzten, bis der Mor- gen dämmerte. Ich aber überdachte auf meinem Lager noch einmal die verflossenen Stunden und wiederholte mir schon halb träumend den festen Entschluss, mich nimmer in Zukunft ohne Compass in den Urwald zu wagen. — Mittlerweile wurde unsere Situation im Walde recht unbehaglich. Fast täglich überraschten uns Regen, und oft auch verursachten Nachts die gleichmässig auf das Zelt prasselnden Ströme dadurch unangenehme Unterbrechungen der Ruhe, dass die Nässe von unten und oben auf uns eindrang und uns die noch übrige Zeit bis zum Morgen in Regenmäntel gehülit hockend zuzubringen nöthigte. Das ewige Bleigrau des Himmels beeinflusste die Stim- mung, die schwere feuchte Luft, die Dünste und vermehrten Moder- gerüche, welche dem sumpfigen Waldboden entstiegen, zeitigten Fieber, die namentlich mich in mancherlei Anfällen heimsuchten, so dass wir der Frage näher traten, in das von unserem Portugiesen verlassene Haus auf der anderen Seite überzusiedeln. Die früheren Bedenken, Regen. Umzug. Ueberfluss. 139 dass Misshelligkeiten zwischen unseren Leuten und den Bewohnern Mbukus entstehen, dass wir den Erpressungsversuchen Nkambisis ausgesetzt sein möchten, waren durch die bisher hervorgetretene Zucht und Folgsamkeit auf der einen Seite und die bescheidene Zurückhal- tung auf der anderen zusammengefallen und deshalb reifte ein neuer Guss und ein Blick auf die verderbenden Sammlungen den Entschluss, so dass wir uns nach anderthalbstündiger Arbeit im neuen Heim so wohnlich als möglich eingerichtet wiederfanden. Wir hatten den Wechsel nicht zu bereuen, denn die grössere Hammel Mfuka und Ziege Nkambisi. Leichtigkeit des Verkehrs bewog die Dörfler zahlreich heranzukommen, um Maniok, Oelnüsse, Pfeffer, Früchte, Eier und Fische in Menge gegen unsere gedörrten Fleischvorräthe auszutauschen. Wir konnten das vorhandene Magazin zu einer Speisekammer einrichten, wie wir sie besser assortirt und gefülit in Tschintschotscho nicht aufweisen konnten. Auch Sammelobjecte kamen in Menge, sodass wir in jeder Weise im Ueberfluss schwelgten und den Contrast gegen die ersten Tage des Mangels auf der anderen Seite höchst angenehm empfanden. Die Regen störten uns nun wenig, da wir die Zeit zu unseren Excur- sionen nach Belieben auswählen konnten und durch undurchlässige grosse aufgerichtete Schutzdächer für die Conservirung der Skelete, 140 Grosses Wasserbecken. Seekuh. Häute und Bälge gesorgt hatten. Wir befanden uns in unserem „Hötel zum nassen Hippopotamus“, wie wir die Hütte scherzweise getauft hatten, so wol, dass wir ungern an das Ende unseres Auf- enthalts dachten. Namentlich hatten wir uns körperlich recht ge- kräftigt, denn wir schliefen im Kreise unserer Getreuen so sicher und ruhig wie in Europa und sahen uns höchstens durch unsere Zie- gen gestört, welche, Nkambisi voran, im Dunkel der Nacht herein- drangen, um sich einige Maniokwurzeln zuzueignen, und sich dabei in die Mosquito-Netze verwickelten. Eine Aufgabe blieb uns noch zu lösen übrig, nämlich zu er- forschen, wohin dieser Nanga genannte Wasserlauf führte, wie das Terrain oberhalb unseres Jagdgebietes beschaffen sei; zu diesem Zweck beluden wir am ı5. August beide Canoes mit Lebensmitteln auf drei Tage, liessen einige Leute zur Bewachung der Hütte zu- rück, indem wir ihnen einschärften, namentlich Nachts abwechselnd munter zu bleiben, sowie die Feuer unter den Trockenrosten zu unter- halten, und schifften uns dann mit der übrigen Mannschaft ein. Es war zwölf Uhr geworden, ehe Alles geordnet war, doch litten wir nicht von der Hitze, da sich der nunmehr gewöhnlich graue Himmel über uns wölbte. Die Uferlandschaft blieb sich auf beiden Seiten gleich und zeigte durch Massen von Papyrus seinen sumpfigen Charakter. Nur an wenigen Stellen war in einiger Entfernung vom Ufer Hochwald zu sehen, während niedere Hügel von höchstens 100 Fuss Höhe, die gleichfalls bewaldet waren, an anderen auftauchten. Die Breite des Flusses wechselte vielfach je nach der Zahl und Grösse der in sein Bett gelagerten Inseln. Nach zweistündiger Fahrt kamen wir an ein weites Wasserbecken, das ca. vier nautische Meilen lang und zwei solche breit war. Wir kamen überein, diesen prächtig anzuschauen- den See zu Ehren unseres Führers „Güssfeldt-See“ zu taufen, und be- gannen die von einem lebhaften Winde bewegte Fläche mit kräftigen Ruderschlägen zu durchfurchen. Nach anderthalb Stunden erreichten wir das Ende, das sich zwar überall gleichmässig von Sumpfgräsern, in die wir nicht einzudringen vermochten, geschlossen zeigte, aber doch der Vermuthung Raum liess, dass die Mündungen kleiner Wasser- läufe dadurch nur verdeckt blieben. Fast hätte uns ein unangenehmes Geschick noch kurz vor dem Ziele unser Fahrt ereilt, denn ein, nach dem Rauschen und der Bewegung des Wassers zu urtheilen, mäch- tiger Bewohner des Beckens, den wir Beide gleichzeitig für eine der nicht selten vorkommenden Seekühe (Manatus), von den Portugiesen Flussschweine genannt, hielten, schoss aufgeschreckt mit halbem Leibe Beschwerliche Rückfahrt. 141 über dem Wasser dicht vor der Canoespitze vorüber. Erstaunt und fast ängstlich sahen die Leute einander an, um munter und den Zwischenfall nach ihrer Art laut und geschwätzig interpretirend gleich darauf weiter zu rudern. Da sich nirgends die Möglichkeit bot, festes Land zu erreichen, beschlossen wir, wenn auch die Dunkelheit uns dabei überraschen musste, die Rückfahrt sofort anzutreten. Der Ge- danke, die Nacht über im Canoe zubringen zu sollen, hatte für Nie- mand etwas Verlockendes, und so brauchten wir die Ruderer, welche vielleicht nebenher auch noch die Flusspferde fürchteten, in keiner Weise zu neuen Anstrengungen anzuspornen. Im Gegentheil trieben sie sich gegenseitig an, indem sie sich im Gesange ein hellbrennendes Feuer, grosse vertheilte Extrarationen und einen Schluck Rum, den der weisse Mann ihnen sicher nicht vorenthalten würde, ausmalten. Ganz angenehm war die Fahrt durch die seichten Gewässer bei trügerischem Mondlichte und den gleich grossen Schleiern die Aus- sicht deckenden Nebelschwaden nicht. Unser Canoe gelangte zwar vorwärts und kam, wenn es auch manchmal festfuhr, stets nach we- nigen Anstrengungen wieder los, das andere jedoch war bei stär- kerem Tiefgange schlechter daran und kam uns einige Zeit ganz aus dem Gesicht. Da hörten wir plötzlich, als der Gesang einen Augen- blick verstummte, aus der Ferne ängstliches Wimmern und Jammern herüberschallen, und schickten uns, da auf lautes Rufen keine Ant- wort ertönte, an, das unserer Meinung nach verunglückte- Fahrzeug aufzusuchen. Es war indessen nichts Besonderes passirt, sie hatten nur von einer Schlammbank nicht herunterkommen können, und da hatte abergläubische Furcht einen der mitgenommenen Negerjungen über- mannt. Weiterhin dicht aneinanderhaltend erreichten wir spät Abends glücklich das Lager, wo wir Alles in schönster Ordnung und die Wache über unsere unerwartete. Ankunft höchlichst erfreut vor- fanden. — Endlich war der Zeitpunct gekommen, wo wir an den zweiten Theil unserer Reise denken mussten, die uns nunmehr den Kuilu auf- wärts in’s Innere, in die romantischen Bergregionen, die eigentliche Heimat des Gorilla bringen sollte. Allerdings hatten wir zuvor die aufgehäuften Schätze der Sammlungen nach der Factorei an der Mün- dung zurückzuführen, von der wir aufgebrochen waren; doch bedurf- ten wir dazu wenig Zeit, denn der Erfolg, mit dem wir bisher gear- beitet hatten, war ein gewaltiger Hebel, und dieLeute waren nunmehr in jeglicher Handreichung und Arbeit geübt und tüchtig. Es hatte sich in der Zwischenzeit immer überzeugender ergeben, dass sie 142 Plan der Stationsverlegung. wirklich die Eingeborenen der Gegend an Ruhe, Ausdauer und Furchtlosigkeit bei Weitem übertrafen; sie wussten sich überall zu helfen und waren bei ihrer Genügsamkeit, die nichts Essbares ver- schmähte, relativ leicht zu erhalten. Die bisherige Reise hatte sie zur Einsicht ihrer früheren Thorheit gebracht; der Zweck, dem sie dienen sollten, war ihnen klar geworden und zugleich mit der Erkennt- niss waren ihre guten Eigenschaften zu Tage getreten, welche bis dahin auch nicht hatten geahnt werden können. Da ausserdem Ge- rüchte von den erfolgreichen Jagden und dem freudenreichen Wald- leben bis nach Tschintschotscho gedrungen waren, so hatte sich auch in der Stimmung der dort Zurückgebliebenen ein völliger Umschwung geltend gemacht, so dass die Meldungen ihre Thätigkeit, Lust zur Arbeit und Anstelligkeit nicht genug zu rühmen wussten. Mit grosser Genugthuung berichteten wir eingehend in diesem Sinne nach Berlin und, da der Kuilu als eigentliche Operationsbasis für die Zukunft betrachtet werden musste, schlugen wir vor, die bis- herige Station, welche den Zweck der Vorbereitung für die Action nunmehr erfüllt hätte, aufzugeben und sie nach Banga auf dem rech- ten Ufer des Kuilu anderthalb Stunden von seiner Mündung zu ver- legen. Dass man eine Station überhaupt schon entbehren könnte, daran war natürlich noch nicht zu denken; denn einmal war die An- lage des ganzen Unternehmens derartig, dass immer auf einen Stütz- puncet im Rücken, der zugleich Arbeitscentrum war, bedeutender Werth gelegt werden musste, und dann waren die Leute, wenn nun- mehr auch zuverlässiger, doch noch lange nicht durchgehends so weit gefördert, dass man die Brücken hinter sich hätte abbrechen und mit Allen zusammen vorwärts marschiren können. Das Ziel, was vor uns lag, war zuvörderst ein gründliches Durchforschen des Kuilugebietes in die Breite; dazu musste aber die Station nach dem Orte der Wirk- samkeit verlegt werden. Alles Uebrige mussten wir der naturgemäs- sen Weiterentwickelung überlassen. War unser Führer aus Europa zurückgekehrt, und die Vermehrung der Transportmittel dort in Er- wägung gezogen worden, so trat dann erst der etappenartige Vor- marsch in Frage, auf den seit Beginn der Reise stets ein besonderes Gewicht gelegt worden war. Dem Bericht fügten wir einen Grund- riss des anzulegenden Hauses, sowie einen specificirten Kostenanschlag bei und zweifelten keinen Augenblick, dass man an massgebender Stelle daheim in gleicher Weise wie wir über den so unerwartet ein- getretenen Umschwung der Verhältnisse erfreut die vorgelegten Pläne ohne Bedenken billigen würde. Erst nun, nachdem so gewissermassen die Zukunft bestellt war, Kämpfende Hippopotamen, 143 giengen wir frohen Herzens und hoffnungsvoll an den zweiten Theil unserer Reise, der uns in das Stromschnellengebiet des Kuilu führte. Rascher als das erste Mal kamen wir unter kräftigen, gleichmässigen Ruderschlägen und zeitweiser Benutzung eines improvisirten Segels vorwärts. An der Einmündungsstelle des Nanga schlugen wir das erste Lager auf und rasteten am zweiten Tage auf einer Insel, die, nach den. unzähligen Spuren von Flusspferden zu schliessen, ein Lieb- lingstummelplatz dieser Thiere war und auch von den Eingeborenen nach ihnen genannt wurde. Weiterhin kamen wir nach Mayombe, passirten den schmalen Felsendurchbruch bei Ngotu und lagerten am fünften Tage in Kakamueka, dem am weitesten vorgeschobenen hol- ' ländischen Handelsposten, an dem aber kein Weisser lebt, sondern ein Neger als Vertrauensmann in dürftiger Hütte neben dem kleinen Magazine haust. Wie anders war diese Fahrt im Vergleich zu dem vor wenig Wochen gemachten ersten Versuch! Die Strecke, welche wir damals in drei Absätzen zurücklegten, hatten wir diesmal in einem Tage überwunden und doch noch Zeit gehabt, die vorspringende Spitze an der rechten Seite der Nangamündung für unsere Zwecke in fast idealer Weise herzurichten. Leider war dabei der einzige Pfeffer- strauch der Gegend unter dem Messer eines übereifrigen Negers zu Grunde gegangen, ein Verlust, den nach uns viele Rast Suchende bedauern mussten; doch war die Aussicht nach jeder Richtung nun- mehr eine ungehemmte. Kurz vor einbrechender Dunkelheit genossen wir noch ein herrliches Schauspiel, indem nahe am jenseitigen Ufer im Wasser zwei Flusspferdbullen um die Gunst der Weibchen mit- einander kämpften. Das Gegeneinanderstürmen der Riesenleiber, das Auf- und Zuklappen der fürchterlichen Mäuler, wobei die grossen Reisszähne in ihrer ganzen Länge sichtbar wurden, in Verbindung mit dem zornigen Grunzen gewährte einen grossartigen Anblick, dem auch die Neger sich sprachlos mit offenem Munde hingaben. Wir versuchten zwar die Jagd, doch vereitelte leider die untergehende Sonne den Erfolg. Die schönen Flussfahrten während der Weiter- *reise setzten der College Pechu&l und ich nach vorheriger Ueberein- kunft gesondert fort, da unsere auf verschiedenen Gebieten sich be- wegenden Beobachtungen zu häufig mit einander collidirten. Musste er wegen der Flussaufnahme und einer Compassablesung langsamer vorwärts gehen oder gar halten, so drängte es mich wegen einer auf- fallenden Erscheinung aus der Thierwelt vorwärts; fesselte ihn eine Uferformation auf der rechten Seite, so zog mich eine Pflanzengruppe vielleicht auf der linken an; musste ich eilen, um die Vorbereitungen 144 Neue Vogelarten. Chimpansen. für die Nacht zu treffen, so wünschte er die Scenerie einer anziehen- den Gegend schnell noch mit Stift und Farbe zu skizziren. Das ver- mieden wir Alles durch diese zeitweilige Trennung und behielten durch die völlige Einigkeit, welche daraus entsprang, nicht nur unsere gute Laune, sondern gewannen für die Abende interessanten Stoff zum Austausch. Namentlich aber wurden die Neger nicht in der Disciplin irre: diese verlangen nämlich absolut bestimmte Befehle von einem Einzigen und würden bei Meinungsverschiedenheiten, deren Ursache sie nicht verstehen können, und bei einem ihrer Ansicht nach planlosen Herumirren auf dem Flusse bald die nothwendige Spannkraft und den freiwilligen Gehorsam verloren haben. Bei unserer neuen Methode gegenseitiger Unabhängigkeit beob- achteten wir zu gleicher Zeit freier und besser, und wenn ein Vogel schussgerecht kam, so fiel er auch, weil nicht Höflichkeit, die dem Andern auch sein Theil gönnte, den günstigsten Moment verstreichen liess. Ich erinnere hier mich eines selten glücklichen Schusses, in- dem ich auf einen Entenschwarm, der für Schrot viel zu weit war, mit der Büchse schoss und dabei wirklich ein Exemplar mitten durch den Hals traf. Von anderen Vögeln sahen wir bei Tschitumbu Mvubu Scheerenschnäbel(Rhynchops Havirostris), welche mit ihren rothen schar- fen Lamellen, von denen die untere länger als die obere ist, in ganzen Flügen die kräuselnden Wellen dicht darüber fliegend durchschnitten. Auch der Sporen- oder Lappenkiebitz (Hoplopterus albiceps), welchem neben dem Schnabel beiderseits ein ca. 3 cm. langer fleischiger Fort- satz herabhängt, während der Flügel mit scharfem Dorn bewehrt ist, war hier häufig, und ihretwegen rasteten wir hauptsächlich auf der sandigen öden Insel, die uns sonst nur wegen der trostlosen auf ihr verbrachten Regennacht im Gedächtniss geblieben ist. Von allen Orten, an denen wir uns längere Zeit aufhielten, bot Kakamueka die grösste Abwechselung, wenn auch nicht immer eine angenehme; denn das Geschrei der Chimpansen, das Abends und Morgens von beiden Flussufern wiederhallte, war oft ohrenzerreissend. Es mussten entweder böse Familienscenen sein, die sich dort ab- spielten, oder die unbeholfenen Anthropomorphen wurden, wie es auch auf der Station geschah, von den behenden kleinen Meerkatzen so lange geneckt, bis sie in ohnmächtigem Aerger laut zu schreien an- fingen. Die Jagd missglückte bei dem feinen Gehör, dessen sich diese Thiere erfreuen, leider regelmässig, da wir mit unserem Schuh- werk uns nicht lautlos bewegen können. Auch ein immenses Kro- kodil, das sich regelmässig Vormittags auf einer uns gegenüberliegen- den Sandbank sonnte, entkam, weil ich die Entfernung zu hoch taxirt AL 1% A| RIO: RN RE Die Heimat des Gorilla, Krokodile. Stromschnellen. 145 hatte und es überschoss, zu unserem grossen Leidwesen, da es sich später höchstens auf Momente mit der Nasenspitze über dem Wasser zeigte. Es verdient übrigens hervorgehoben zu werden, dass sich kein Mensch vor diesen Thieren fürchtet. Die Neger springen ohne Bedenken in Flüsse, welche voll von ihnen sind, und halten sich längere Zeit darin auf, und wenn wir selbst bei unserer Morgentoilette auch lieber hervorragende Steine zum Standorte wählten und fleissig Umschau hielten, so wurden wir dazu mehr durch traditionelle als durch nothwendige Vorsicht veranlasst. Hier blieben wir mehrere Tage; dann aber drangen wir weiter vor, um neben dem Hauptzweck unserer Reise, den über jede Ver- muthung hinaus glückliche Sammlungen reichlich erfüllt hatten, zu- gleich den Strom so weit als nur irgend möglich kennen zu lernen, zumal da die Schilderungen der Neger von den Schrecknissen der vor uns liegenden Gegend unsere Neugier in besonders hohem Grade erregt hatten. Wir wurden in unseren Erwartungen nicht getäuscht, als wir unser Fahrzeug mit Aufbietung aller Kräfte über die von Dr. Güss- feldt erreichten Stromschnellen von Bumina flussaufwärts schafften und in die von chaotischen Felsmassen umlagerten gefährlichen Engen des Kuilu vordrangen. Das Erwachen am Morgen des dritten Tages im Lager, das wir in der Dunkelheit des vorhergehenden Abends mühsam erreicht hatten, zeigte uns eine grossartige Scenerie: Welches Bild der Zerstörung trat aus den mehr und mehr zurückweichenden Schatten der Nacht hervor, welches Zeugniss für die unendliche Ge- walt eines seit ungezählten Jahren alle Schranken siegreich durch- brechenden, wilden Elements! Kein Negerfuss hatte je diese Stätte betreten, kein Auge bisher sie geschaut. Nie hatten Canoes diese Strecken befahren oder Karawanen die Gegend durchzogen. Wild, unberührt und grossartig lag die Natur hier seit undenkbarer Zeit, da die Phantasie des Negers sie mit bösen Geistern bevölkerte, die jeden Eindringling die Kühnheit mit seinem Leben büssen liessen. Jetzt erfuhren wir, woher der dichte in langen Streifen dem Wasser beigemischte Schaum kam, der weiter abwärts an unseren Lagerstellen vorübergetrieben war. Zwei Tage lang hatten wir uns mühsam durch die Stromschnellen und engen Felsenthore hindurch- gearbeitet, mitaller Kraftanstrengung rudernd und von drei Schwarzen mittelst eines Taues durch die wallenden, sprudelnden, uns entgegen- schiessenden Fluten gezogen, während wir vorn mit starken Stangen von den das Canoe seitwärts bedrohenden Felswänden und den aus dem Wasser unten herausragenden scharfen Spitzen abstiessen. Na- Loango. I. 10 146 Palissaden des Kuilu. mentlich die ziehenden Neger hatten enorme Anstrengungen zu über- winden gehabt, indem sie von Block zu Block einzeln vorspringen oder um eine in das Ufer einschneidende weite Bucht herum eilen mussten, schnell, damit ihnen, drüben angelangt, das Tauende zuge- worfen werden konnte, ehe den Zurückbleibenden die Kräfte er- lahmten. Trotz aller Vorsicht, trotz alles guten Willens hatten sie es doch einmal fahren lassen müssen, und pfeilschnell waren wir vom Strom zurückgerissen worden, jeden Augenblick in Gefahr, an einem der Felstrümmer zu zerschellen. Wir trieben aber in eine ruhige ausgespülte Bucht am rechten Ufer ein und drangen wieder vor, bis uns die bedeutendste, von uns Reis Rapid genannte Stromschnelle ein unweigerliches Halt gebot. Dort entzündeten wir unter einer tief unterwaschenen Felswand unser Lagerfeuer. Nun sahen wir hinab auf das tosende Element, aus dem grosse Felspyramiden wie Eis- brecher hervorragten, und eine davon auf abgestumpfter Spitze noch immer einen riesigen Stamm im Gleichgewichte schwebend’ erhielt, nachdem die Hochflut der verflossenen Regenzeit ihn hinaufgetragen hatte. Zu beiden Seiten des Flussbettes stiegen mit dichtem Wald bestandene oder auch jäh abfallende kahle Feiswände auf. Als wir später aufbrachen, um zu Fuss weiter vorzugehen, klet- terten wir lange über kleines Geröll und grosse Felsstücke weg, ohne dass die Scenerie sich wesentlich änderte, bis wir an ein weites Becken gelangten, in welches das Wasser durch einen Canal einströmte, der auffallend enge, schnurgerade und tief wie von Menschenhand ge- sprengt aussah und zwischen glockenförmigen Quarzitbergen in un- bekannte Fernen führte. Die Sockel der das Thal abschliessenden Berge waren so glatt und regelmässig nach dem Wasser zu abge- schrägt, dass wir dieses Naturwunder die Palissaden des Kuilu nannten. Jetzt zog der Fluss zwar nur durch die Mitte des weiten Kessels da- hin, während mit Ausnahme einiger Lachen das übrige Terrain trocken war; aber das wüste, chaotische Trümmerfeld, die halb oder ganz entwurzelten Bäume zeigten, dass zur Regenzeit hier anderes Leben herrschte. In fast andächtiger Betrachtung des Thales, über dessen einschliessende Bergketten hinauszudringen sich als kaum möglich er- wies, betraten wir eine grössere in das Flussbett vorspringende Sand- bank, deren Material durch einen jetzt fast versiechenden, nur noch in sparsamen Adern fliessenden Waldbach aus den Höhen herabge- schwemmt worden war, und fanden sie voll von mannigfachen, sich kreuzenden, theils verwehten, theils frischen Thierspuren. Wo waren alle die Wasservögel, deren Wat- oder Schwimmfüsse sich hier ab- gedrückt fanden, wo die Schildkröte, die dort mühsam sich über Thalfahrt. Sammlungen. 147 Land geschleppt und ihre Eier im Sande verscharrt hatte, die das listige Ichneumon dann, wie die Schalen zeigten, dennoch fand und vertilgte? Dort hatten sich Krokodile gesonnt; die eingedrückten Krallen, die flache Rinne, welche der schuppige Leib zurückgelassen, verriethen es deutlich; und hier hatte, nach‘ der Losung: zu urtheilen, ein Elephant den schweren Körper hin und herwiegend mit dem Rüssel den Boden gefegt. Mit Mühe nur trennten wir uns schliess- lich von der Gegend, welche für alle Zeiten den grossartigsten aller Eindrücke in uns zurückliess, die wir während unsres Aufenthaltes in Africa erhalten haben. Die Thalfahrt über die strudelnden, schäu- menden Gewässer der Stromschnellen und durch die vielgewundenen Engen, wo unser Canoe beim geringsten Fehler des Steuernden rettungslos zerschellen konnte, erschien so gewagt, dass die Leute grosse Furcht zeigten, sich dem Canoe anzuvertrauen. Doch über- nahmen wir selbst die Lenkung des Fahrzeuges, stiessen ab und wurden mit solcher Schnelligkeit von dem dahinschiessenden Wasser bergab geführt, dass wir die lange, so mühsam stromaufwärts ge- wonnene Strecke nun in der kurzen Zeit von etwas mehr als einer halben Stunde zurücklegten und wolbehalten in das ruhige Becken von Bumina einliefen. Von dort gelangten wir in gemächlicherer Fahrt nach Kakamueka und dann weiter nach der Kuilumündung, mit Sammelschätzen reich beladen. Dort angekommen, war es wirk- lich eine Freude, bei der nothwendig werdenden Verpackung das zu- sammengebrachte Material bei einander zu übersehen. Wir zählten nicht weniger als achthundertvierundvierzig Insecten, neunundachtzig Crustaceen, achtundfunfzig Fische, zwölf Schlangen, drei Eidechsen, drei Frösche, drei kleine Krokodile, einhundertfünfundsechzig Vogel- bäalge und fünfzehn Vögel in Spiritus. Dann präsentirten sich elf ganze Skelete, nämlich zwei von ausgewachsenen Flusspferden und eins von einem ausgetragenen Jungen, eins von einem 146 cm. hohen Gorilla, zwei von ca. 140 cm. grossen Chimpansen, eins von einer Meerkatze, zwei von Antilopen, eins von einem Stachelschwein und eins von einer Riesenschlange. Neben zwanzig Negerschädeln lagen die der Flusspferde, Gorillas, Chimpansen, von Meerkatzen, Schweinen, Antilopen, Ziegen, Eichhörnchen und Flederhunden, im Ganzen sieben- undneunzig Stück. Ebenso waren von allen geschossenen Thieren die - Felle präparirt, und ausserdem hatte Dr. Pechu&l-Loesche eine geolo- gische Sammlung, eine andere von Flechten und Moosen sowie eine grosse Reihe prächtig gelungener Aquarellen zusammengebracht, Resultate, die uns mit Stolz und Genugthuung erfüllt haben würden, wenn nicht mitten in der Freude die erste Notiz von der in's Auge ıo* 148 Betrübende Nachrichten. gefassten Auflösung der Station und dem Aufgeben der Expedition an uns gelangt wäre. Indessen sagten wir uns bald, dass zur Zeit, wo dieses verhängnissvolle Schreiben abgefasst war, unser Führer noch nicht habe in Europa angelangt und noch viel weniger unser Bericht über die völlig veränderte Sachlage eingetroffen sein können; so gaben wir, wenn auch etwas deprimirt davon, dass die Idee eines Aufgebens des Unternehmens überhaupt habe Platz greifen können, doch bald der Hoffnung Raum, dass man sobald jene Nachrichten ein- gelaufen wären, nicht mehr an die Auflösung denken würde, Vor Allem handelte es sich darum, so schnell wie möglich nach der Station zu kommen, damit nicht etwa dort Gerüchte von diesen Nachrichten ausgestreut würden. Ich reiste demnach, Dr. Pechuel- Loesche die letzte Sorge für unser Material überlassend, sofort mit einer kleinen Zahl von Trägern in Eilmärschen heimwärts. Die Palissaden im Kuiluthal. Thierleben auf der Station. Gorilla. — Zustand der Station bei der Rückkehr. — Auflösungsordre. — Protest. — Vorschlag, ein Vorstandsmitglied her- auszusenden, das sich mit eigenen Augen von der günstigen Sachlage überzeugen könne. — Kriegerische Verwickelungen. — Krieg, — Ehrender Besuch eines englischen Kriegsschiffes und Consuls. — Dank des französischen Admirals. — Vollendung der Station. — Definitive Auflösungsordre. — Aufgabe der Station. Heimreise. Wie so oft glückliche Er- eignisse von kleinen Zufällig- keiten abhängen, so sollte auch uns durch die beschleunigte Reise noch am Schlusse ein Resultat zu Theil werden, das mehr als alle glücklich über- wundenen Schwierigkeiten,mehr als alle wissenschaftlichen For- schungen zusammengenommen die Expedition in weiteren Kreisen bekannt gemacht hat. Als ich am zweiten October Pontanegra erreichte und in das Magazin des Portugiesen Laurentino Antonio dos Santos trat, um einige Zeuge und Rum zu entnehmen, fand ich einen jungen Gorilla, den wir 150 Mpungu. Gute Aussichten. leider vorher vergeblich im Walde zu erhalten gesucht hatten, an die Brückenwage gefesselt vor. Vor wenig Tagen hatte ihn ein Neger, der die Mutter geschossen hatte, aus dem Innern gebracht, und man suchte ihn nun, so gut es gieng, so lange zu ernähren, bis der nächste vorbei passirende Dampfer ihn für einen möglichst hohen Preis mit nach Europa nehmen konnte. Es war ein junges Männchen, das elend genug aussah, weil es bisher von den vorgesetz- ten Waldfrüchten wenig genossen hatte, und es wäre zweifellos zu Grunde gegangen wie seine Vorgänger bei ähnlichen früheren Ver- suchen, wenn man es in diesem Zustande an Bord eines Schiffes ge- bracht hätte. Schon jetzt glaubte ich nicht, dass es möglich sein würde, das Thier am Leben zu erhalten, hoffte jedoch, es bis Tschi- ntschotscho zu bringen, um wenigstens die erste Photographie eines lebenden Gorilla aufnehmen zu können, und bot daher jeden er- schwingbaren Preis, wenn er mir überlassen würde. Herr Laurentino lehnte dies jedoch ab mit dem Bemerken, dass er sich freue, mir im Namen aller seiner Landsleute, die ich stets so uneigennützig behan- delt und gepflegt hätte, eine Anerkennung zu Theil werden zu lassen; er bäte mich herzlich, den Affen als Geschenk von ihm anzunehmen. Da ich den Werth desselben kannte, im Fall es gelingen sollte, ihn lebend nach Europa zu führen, sträubte ich mich anfänglich, von der Liebenswürdigkeit Gebrauch zu machen, liess jedoch bald dem wahr- haft herzlichen Anerbieten gegenüber und in der Erwägung, dass in anderen Händen der Werth doch ein sehr fraglicher war, jedes Be- denken schwinden und verabschiedete mich mit ihm unter lebhaftem Danke, den ich hier, nachdem die damals bewiesene Uneigennützig- keit so herrliche Früchte für die Wissenschaft und die africanische Gesellschaft getragen hat, noch einmal in wärmster Weise wiederhole. Auf der Station angekommen, war es meine erste Sorge, alle er- reichbaren Waldfrüchte holen zu lassen und eine Mutterziege zu er- werben, um die ziemlich gesunkenen Kräfte des jungen Anthropo- morphen zu heben; selbstverständlich verfolgten wir seine Fressver- suche mit grossem Interesse und fühlten uns in hohem Grade erleich- tert, als er nicht nur die Milch mit Behagen trank, sondern auch ver- schiedene Früchte, namentlich aber die wallnussgrossen der knorrigen in den Savanen wachsenden Anona senegalensis mit sichtlich erwach- tem Appetite auswählte. Trotzdem blieb er noch längere Zeit so matt, dass er während des Fressens einschlief und den grössten Theil des Tages in einer Ecke zusammengekauert schlafend verbrachte. Nach und nach gewöhnte er sich an die Culturfrüchte wie Bananen, Guaven, Orangen, Mango und begann, je kräftiger er wurde und je Nahrung. Zähmbarkeit des Gorilla, 151 öfter er bei unseren Malzeiten zugegen war, Alles, was er geniessen sah, selbst gleichfalls zu versuchen. Indem er so allmählich dahin ge- bracht wurde, jegliche Nahrung anzunehmen und zu vertragen, wuchs die Aussicht, ihn glücklich nach Europa zu transportiren, mehr und mehr. Dies ist gewiss der einzige Weg, später andere und vielleicht ältere Exemplare für die Ueberfahrt fähig zu machen; jeder Versuch, sie unmittelbar nach der Erlangung, ohne vorherige Entwöhnung von der alten Lebensweise, ohne sie den veränderten Verhältnissen ganz langsam und planmässig anzupassen, an Bord zu bringen, wird immer wieder von Neuem ein mehr oder weniger schnelles Hinsiechen und den Tod zur Folge haben. Man darf, in einem sehr verbreiteten Vorurtheil befangen, durch- aus nicht ängstlich sein, jeder Art von Affen Fleischnahrung in irgend einer Form zu verabreichen: das lehren sie uns selbst, wenn wir sie im Freien zu beobachten Gelegenheit haben, indem sie mit wahrer Leidenschaft den Insecten, namentlich Spinnen und Heuschrecken nachstellen, aber auch Vögel und Eier eifrig zu erlangen streben. Für Chimpansen sind Ratten Leckerbissen, die sie gegen alle Gelüste der Genossen energisch vertheidigen, und ebenso verlangt der Gorilla nach Fleisch, das er zum guten Gedeihen nothwendig braucht. Im Walde wird er sich, wenn die Jagd ungünstig ist, vielleicht oft mit Früchten begnügen müssen, wenigstens fand ich bei zwei grossen erlegten Chimpansen nur vegetabilische Reste im Magen, doch bin ich überzeugt, dass der Befund ein zufälliger war, und dass man bei anderen Gelegenheiten den Nachweis der animalischen Kost leicht wird führen können. Wenn in anderen Berichten die Wildheit auch junger Gorillas besonders betont und das Unwahrscheinliche ihrer Zähmbarkeit aus- gesprochen worden ist, so waren wir bei dem Unsrigen in der Lage, gerade entgegengesetzte Erfahrungen zu machen: Er gewöhnte sich in wenigen Wochen so sehr an seine Umgebung und die ihm bekannt gewordenen Personen, dass er frei herumlaufen durfte, ohne dass man Fluchtversuche hätte zu befürchten brauchen. Niemals ist er ange- legt oder eingesperrt worden, und er bedurfte keiner anderen Ueber- wachung als einer ähnlichen, wie man kleinen umherspielenden Kindern angedeihen lässt. Er fühlte sich so hülflos, dass er ohne den Menschen nicht fertig werden konnte und in dieser Einsicht eine wunderbare Anhänglichkeit und Zutraulichkeit entwickelte. Von heim- tückischen, bösen, wilden Eigenschaften war keine Spur vorhanden, zuweilen aber zeigte er sich recht eigensinnig. Er hatte verschiedene Töne, um den in ihm sich entwickelnden Ideen Ausdruck zu geben; 152 Trommeln. Uebermutl. Manierlichkeit. davon waren die einen eigenthümliche Laute des eindringlichsten Bittens, die anderen solche der Furcht und des Enisetzens. In sel- teneren Fällen wurde noch ein widerwilliges, abwehrendes Knurren vernommen. Was Du Chaillu über das eigenthümliche Trommeln der Gorillas berichtet und was Herr Hugo von Koppenfels (wol der einzige weisse Mann, der bisher nachweislich Gorillas eigenhändig erlegt hat) auf seinen Jagden beobachtete, fanden wir völlig bewahrheitet, da unser „Mpungu“ zu verschiedenen Malen, augenscheinlich im Uebermass des Wolbefindens und aus reiner Lust, die Brust mit beiden Fäusten be- arbeitete, indem er sich dabei auf die Hinterbeine erhob; dies ist übrigens, so viel ich weiss, während seines Aufenthaltes in Europa nicht mehr beobachtet worden, vielleicht gerade weil er den Grad der Gesundheit hier nicht bewahren konnte, den er zu jener Zeit in seiner Heimat wiedererlangt hatte. Ausserdem gab er seiner Stim- mung häufig in rein menschlicher Weise durch Zusammenschlagen der Hände, das ihm nicht gelehrt worden war, Ausdruck und voll- führte zu Zeiten sich überstürzend, hin und hertaumelnd, sich um sich selbst drehend so ausgelassene Tänze, dass wir manchmal be- stimmt glaubten, er müsse sich auf irgend eine Weise berauscht haben. Doch war er nur aus Vergnügen trunken; nur dies liess ihn das Mass seiner Kräfte in den übermüthigsten Sprüngen erproben. Besonders auffällig war die Geschicklichkeit und Behutsamkeit, die er beim Fressen an den Tag legte: kam zufällig einer der übri- gen Affen in’s Zimmer, so war Nichts vor ihnen sicher, Alles fassten sie neugierig an, um es dann mit einer gewissen Absichtlichkeit von sich zu werfen oder achtlos fallen zu lassen. Ganz anders der Gorilla: er nahm jede Tasse, jedes Glas mit einer natürlichen Sorgfalt auf, umklammerte das Gefäss mit beiden Händen, während er es zum Munde führte, und setzte es dann leise und vorsichtig wieder nieder, so dass ich mich nicht erinnere, ein Stück unserer Wirthschaft durch ihn verloren zu haben. Und doch haben wir dem Thiere niemals den Gebrauch der Geräthe noch andere Kunststücke gelehrt, damit wir es möglichst naturwüchsig nach Europa brächten. Ebenso waren seine Bewegungen während des Fressens ruhig und manierlich; er nahm von Allem nur so viel, als er zwischen dem Daumen, dem dritten und Zeigefinger fassen konnte und schaute gleichgültig zu, wenn von den vor ihm aufgehäuften Futtermengen Etwas weggenommen wurde. Hatte er aber noch Nichts erhalten, so knurrte er ungeduldig, beob- achtete von seinem Platze bei Tische aus sämmtliche Schüsseln genau und begleitete jeden von den Negerjungen abgetragenen Teller mit . Nestbau zum Nachtlager. Schlauheit. 153 ärgerlichem Brummen oder einem kurz hervorgestossenen grollenden Husten, suchte auch wol den Arm der Vorbeikommenden zu er- wischen, um durch Beissen oder täppisches Schlagen sein Missfallen noch nachdrücklicher kund zu thun. In der nächsten Minute spielte er wieder mit ihnen wie mit Seinesgleichen und unterschied sich da- durch gänzlich von allen übrigen Affen, namentlich den Pavianen, welche einen instinctiven Hass gegen viele Individuen der schwarzen Race zu haben scheinen und ihre Bosheit mit ganz besonderer Vor- liebe an ihnen auslassen. Er trank saugend, indem er sich zu dem Gefäss niederbückte, ohne je mit den Händen hineinzugreifen, oder es umzustossen, setzte kleinere jedoch auch an den Mund. Im Klettern war er ziemlich ge- schickt, doch liess sein Uebermuth ihn hin und wieder die gebotene Vorsicht vergessen, so dass er einmal aus den Zweigen eines glück- licherweise nicht hohen Baumes auf die Erde herabfiel. Es scheint aber, als würden die Bäume nur von ihnen erstiegen, um Nahrung zu suchen, während der gewöhnliche Aufenthaltsort der Waldboden ist. Ebenso bleiben sie gewiss Nachts auf der Erde und raffen sich von allen Seiten Blätter und Reisig zum Lager zusammen, wie wir es den unsrigen oft mit einer Alles um sich her vergessenden Emsig- keit thun sahen. Herr von Koppenfels hat dies auch namentlich be- züuglich alter männlicher Gorillas bestätigt. Bemerkenswerth war dabei seine Reinlichkeit; denn wenn er zu- fällig in Spinngewebe oder Abfallstoffe gegriffen hatte, so suchte er sich mit einem komischen Abscheu davon zu befreien oder hielt beide Hände hin, um sich helfen zu lassen. Ebenso zeichnete er sich selbst durch völlige Geruchlosigkeit aus und liebte über Alles, im Wasser zu spielen und herumzupatschen, ohne dass ihn übrigens ein eben ge- nommenes Bad gehindert hätte, sich gleich darauf im Sande mit anderen Affen zu amüsiren und herumzukollern. Von allen den seine Individualität scharf ausprägenden Eigenschaften verdient seine Gut- müthigkeit und Schlauheit oder eigentlich Schalkhaftigkeit hervorge- hoben zu werden: War er, wie dies wol anfänglich geschah, gezüch- tigt worden, so trug er die Strafe niemals nach, sondern kam bittend heran, umklammerte die Füsse und sah mit so eigenthümlichem Aus- druck empor, dass er jeden Groll entwaffnete; woilte er überhaupt Etwas erreichen, so konnte kein Kind eindringlicher und einschmei- chelnder seine Wünsche zu erkennen geben als er. Wurde ihm trotz- dem nicht gewillfahrtet, so nahm er seine Zuflucht zur List und spähte eifrig, ob er beobachtet würde. Gerade in solchen Fällen, in denen er mit Beharrlichkeit eine gefasste Idee verfolgte, war ein vorgefass- 154 Vergnügen. Furcht. ter Plan und richtige Ueberlegung bei der Ausführung unverkennbar. Sollte er z. B. nicht aus dem Zimmer heraus oder umgekehrt nicht in dasselbe hinein und waren mehrere Versuche seinerseits, seinen Willen durchzusetzen, abgewiesen worden, so schien er sich in sein Schicksal zu fügen und legte sich unweit der betreffenden Thür mit erheuchelter Gleichgültigkeit nieder, bald aber richtete er den Kopf auf, um sich zu vergewissern, ob die Gelegenheit günstig sei, schob sich allmählich näher und näher, indem er, sorgfältig Umschau hal- tend, sich um sich selbst drehte, richtete sich an der Schwelle ange- kommen behutsam und nach oben schielend auf und galoppirte dann, mit einem Sprunge darüber setzend, so eilfertig davon, dass man Mühe hatte, ihm zu folgen. Mit ähnlicher Beharrlichkeit verfolgte er sein Ziel, wenn er Ap- petit nach Zucker oder Früchten, die in einem Schranke des Essraumes aufbewahrt wurden, erwachen fühlte; dann verliess er plötzlich sein Spiel, schlug eine seiner Absicht entgegengesetzte Richtung ein, die er erst änderte, wenn er ausser Sehweite gekommen zu sein glaubte. Dann aber eilte er direct in das Zimmer und zu dem Schranke, öffnete ihn und that einen behenden, sicheren Griff in die Zuckerbüchse oder die Fruchtschüssel (zuweilen zog er sogar die Schrankthüre wieder hinter sich zu), um dann behaglich das Erbeutete zu verzehren oder schleunig damit zu entfliehen, wenn er entdeckt war; in seinem ganzen Wesen aber verrieth er dabei deutlich das Bewusstsein, auf unerlaub- ten Pfaden zu wandeln. Ein eigenthümliches, fast kindisch zu nennendes Vergnügen ge- währte es ihm, durch Klopfen an hohle Gegenstände Töne hervor- zurufen, und selten liess er eine Gelegenheit vorübergehen, ohne beim Passiren von Tonnen, Schüsseln oder Blechen dagegen zu trommeln; auch trieb er dieses übermüthige Spiel sehr häufig während unserer Heimreise auf dem Dampfer, wo er sich ebenfalls frei bewegen durfte. Unbekannte Geräusche waren ihm aber in hohem Grade zu- wider. So änstigte ihn der Donner oder auf das Blätterdach pras- selnder Regen, mehr aber noch der langgezogene Ton einer Trom- pete oder Pfeife so sehr, dass stets sympathisch eine beschleunigte Verdauung angeregt wurde, die es gerathen erscheinen liess, ihn in möglichster Entfernung von sich zu halten. Bei ihn befallenden leichten Indispositionen wendeten wir eine derartige Musik mit einem Erfolge an, wie er in anderen Fällen durch Purgirmittel nicht besser erzielt wird. Unter fortgesetzter Pflege gedieh unser Schützling zusehends bis zu Anfang Februar 1876; zu dieser Zeit aber befiel ihn eine schwere Pseudogorilla. Körpermasse. 155 mit Convulsionen verbundene Krankheit, die nur als eine eigenthüm- liche heftige Malariainfection gedeutet werden konnte. Vier Wochen lang fürchteten wir täglich, ihn zu verlieren, bis seine ausserordent- lich kräftige Constitution und vielleicht der consequente Gebrauch von Chinin und Calomel endlich den Sieg davontrug und ihn allmäh- lich der Genesung entgegenführte. Die Freude darüber war eine all- seitige und konnte selbst nicht getrübt werden, als ein Gerücht von dem Dresdener Pseudogorilla bis an unsere Küste hinüber hallte, der uns um die Genugthuung, das erste lebenskräftige Individuum nach Europa geführt zu haben, zu bringen drohte. Glücklicherweise wurde aus dem Streite der Gelehrten und einer einlaufenden Abbil- dung sehr bald klar, dass man sich in Europa theilweise in einem gewaltigen Irrthume befand, der eben nur durch unser glücklich er- haltenes Exemplar aufgeklärt werden konnte und auch wirklich auf- geklärt worden ist, eine Mühe, der sich R. Hartmann, einer der besten bekannten Anatomen, mit grosser Hingebung unterzogen hat, so dass wir seiner gediegenen Arbeit mit Spannung entgegen sehen. Die unendliche Mühe, die Mpungu allen Expeditionsmitgliedern gemacht hatte, wurde reichlich durch die Aufmerksamkeit, die ihm während seines ziemlich anderthalbjährigen Aufenthaltes in Berlin von allen Seiten gezollt wurde, aufgewogen; und wenn ihn auch schliesslich die allen anthropoiden Affen Verderben drohende Lungen- phthise gleichfalls hinwegraffte, so war dann ein Verlust- für die Wissenschaft wenigstens nicht mehr zu beklagen. Was an ihm zu beobachten war, hatte reichlich beobachtet werden können, und sein Körper gab ausserdem noch Gelegenheit, alle Organe bis in die fein- sten Details zu studiren. Interessant ist esnoch das Wachsthum Mpungus von dem Moment seines Erwerbes, den 2. October 1875, bis zu seinem Tode am 13. Nov. 1877 zu verfolgen. Die erste Messung ergab: Ganze Länge von der Fusssohle bis zum Scheitel in gestreckter Lage 73 cm., Rumpflänge allein 46 cm.; aufrechte Höhe beim natürlichen Stehen 65 cm., Schulterbreite 25 cm. Das Gewicht betrug ı4 Kilogramm. Bei der letzten Messung war die ganze Länge 86,5 cm., Rumpflänge 56°, cm.; aufrechte Höhe 76 cm., Schulterbreite 29 cm. Das Gewicht betrug 2ı Kilo- gramm. Er hat also in dem Zeitraum von zwei Jahren um '/; seiner Höhe und die Hälfte seines ursprünglichen Gewichtes zugenommen. In der Zeit seiner kräftigsten Gesundheit wurde die Zahl seiner Athem- züge im Mittel auf 24 in der Minute, die der Pulse auf 88 und die Temperatur an dem unfehlbarsten Orte auf 37,7° C. festgestellt. 156 Obductionsresultate. Der Tod erfolgte unter den Erscheinungen der galoppirenden Schwindsucht, zu welcher sich in den letzten Tagen ein heftiger Magen- darmkatarrh gesellt hatte. Die übrigens in Gegenwart der ersten pathologisch-anatomischen Autorität vorgenommene Obduction ergab noch das überraschende Resultat, dass Mpungu mehrere sehr schwere Krankheiten in der kurzen Zeit seines Lebens und zwar wahrscheinlich der letzten Periode durch seine ausserordentlich kräftige Constitution überwunden hatte. Es zeigten sich nichtnur die Reste einer früheren Herz- beutel- und Brustfellentzündung, sondern auch einer sehr ausgedehnten Darmerkrankung. Diese alle hatte er glücklich durchgemacht, und wäre es nicht gerade dieses unheilbare Uebel gewesen, dem er erlag, so wäre es der wahrhaft aufopfernden Pflege seines Besitzers und Wärters wol gelungen, ihn noch Jahre lang der Wissenschaft zu erhalten. Anderen wird es vorbehalten sein, durch neue grössere Exem- plare das bisher gewonnene Material zu vermehren, und wir haben wenigstens durch Verbreitung des grossen Werthes, den man diesen Anthropoiden beilegt, an der Küste das Streben nach ihrer Erwer- bung so anzuregen versucht, dass die alle Gelehrte und Laien gleich- mässig: interessirende Frage hoffentlich bald wieder ihrer Lösung um einen Schritt näher geführt wird. — Als ich vom Kuilu kommend das Gebiet der Station betrat, bot sich meinen Blicken ein recht erfreuliches Bild dar: Der früher mit undurchdringlichen weit über mannshohen Gräsern bestandene Grund nördlich von unseren Hütten war urbar gemacht, und die durch- schneidenden Wege waren mit Bananen besetzt worden. Allent- halben zeigten sich die Leute mit der Bereitung und Bepflanzung des Bodens beschäftigt, sangen und scherzten, kurz waren munter bei der Arbeit. Hier und da sprosste schon Mais oder Maniok her- vor und wurde aus einer neu angelegten tiefen Cisterne begossen, da die Regen hier an der Küste noch ebenso vergeblich erwartet wurden, als sie uns in dem Gebirge schon seit einem Monat mit ihrem Ueberflusse bedacht hatten. Wohin man das Auge gleiten liess, sah man Zufriedenheit und Gedeihen. Da war kein Misstrauen, keine Unsicherheit, kein unheimliches Schweigen mehr, Alles athmete Frische und Munterkeit. In dem ruhigen Schritt, dem offenen Blick, dem bescheidenen und doch selbstbewussten Benehmen jedes Einzelnen trat es zu Tage, dass die Grundmauern des unter so vielen Schwierig- keiten unternommenen Baues nicht mehr wankten, dass sich im Gegentheil Alles zu einem festen Ganzen gefügt hatte. Aus dieser freudigen Zuversicht und Hoffnung für die Zukunft wurden wir unsanft herausgerissen, als am 31. October 1875 die Auf- Auflösungsordre. Protest. Plantagen. 157 lösungsordre aus der Heimat eintraf. Reifliche Ueberlegung hatte dort allseitig die Meinung vorwalten lassen, dass die mit so vielen Kosten und Missgeschick unternommene Expedition an diesem Puncte aufgegeben werden müsse, um die noch vorhandenen Geldsummen und Kräfte nicht zu zersplittern, welche später in anderen Gegenden vielleicht nutzbar gemacht werden Könnten. Trotzdem war es die einstimmige Ansicht aller noch an der Küste befindlichen Mitglieder, dass bei der augenblicklichen Sachlage die Station unter keiner Bedingung aufgelöst werden dürfe, und dass wir den Status quo aufrecht zu erhalten hätten, bis man in Europa die Verhältnisse mit denselben Augen wie wir würde betrachten können. Wir setzten deshalb eine Collectiveingabe auf, in welcher wir noch einmal das umgewandelte Benehmen der Leute auseinandersetzten und den Plan, eine neue Station in Banga zu errichten und zur Basis weiterer Operationen zu machen, zur Annahme empfahlen, wobei wir uns verpflichteten, noch Jahre lang im Interesse der Sache fortzu- arbeiten. Da die Furcht, wir möchten nicht eindringlich genug ge- schrieben, nicht lebendig genug geschildert haben, uns nach Absen- dung dieses Schreibens beunruhigte, so machte ich am ı. Decernber nachträglich noch den Vorschlag, dass ein Mitglied vom Vorstande selbst zu uns kommen möchte, um sich mit eigenen Augen von der so günstig veränderten Sachlage zu überzeugen. Das Hauptaugen- merk während der viermonatlichen Zeit des Wartens bis zu dem dann eintreffenden endgültigen Bescheide war nunmehr darauf gerichtet, durch Anlage grossartiger Plantagen die Unterhaltungskosten auf das geringste Mass zu reduciren; grosse Strecken wurden urbar ge- _ macht, und durch ein fruchtbares Jahr begünstigt, iohnten so rasche und reiche Ernten unsere Mühen, dass wir einen Hausstand, in dem täglich allein über 700 Maiskolben ausgegeben werden mussten, ohne bedeutende Ausgaben zu unterhalten vermochten. Ausserdem waren in weitem Umkreise zahlreiche Felder mit Maniok bepflanzt worden, die im nächsten Jahre reichen Ertrag versprachen. Die unangenehme Zeit des Wartens wurde durch verdoppelte Thätigkeit verkürzt, und da sich jeder Schlag mit der Hacke vielfältig lohnte, brauchte nir- gends angetrieben zu werden; die Freudigkeit des Schaffens bemäch- tigte sich auch unserer Leute. Inzwischen zogen sich im Nachbarlande, zu Landana schwere Wolken zusammen, die auch mit über uns sich entladen sollten; aber dieses Gewitter übte gleich den wirklichen einen heilsamen Einfluss aus, indem es das zwischen uns und unseren Leuten geknüpfte Band durch die gemeinsam bestandenen Gefahren nochmals enger befestigte. 158 Landana in Noth. Schon seit langer Zeit hatte zwischen der Negerbevölkerung und den Weissen Landanas eine Spannung bestanden, die ihren natür- lichen Grund wol in dem fast gänzlichen Brachliegen des Handels fand; die Einen mussten ihre Schiffe leer oder doch kaum halb be- laden nach Europa schicken und waren gezwungen, sparsamer und eingeschränkter zu leben als im vergangenen Jahre; die Anderen sahen die Rationen an Rum und Stoffen immer schmäler und kleiner werden, während die früher reichlich gespendeten Geschenke ganz aufhörten. So leitete sich eine Verstimmung ein, die bei den mehr und mehr überhand nehmenden Erpressungsversuchen der Schwarzen und der in Folge davon vergrösserten Reserve der Weissen sich immer mehr steigerte und bei den geschickten Operationen Jener und der auf kaufmännische Interessen begründeten Zerfahrenheit Dieser sich zu einem Ereigniss zuspitzte, das dem unhaltbaren Zu- stande gewaltsam ein Ende machte. Wir waren von der gefahr- drohenden Gährung wol unterrichtet worden und hatten schon zu Anfang December 1875 den vereinigten Bitten der drei Handelshäuser gegenüber unsere Hülfe im Falle eines Angriffs auf Landana zuge- sagt. Schon damals war als Nothsignal am Tage eine lange weisse Flagge und Nachts eine aufsteigende Rakete verabredet worden. Jedermann hatte seitdem in der schwülen Erwartung nicht zu vermei- dender Widerwärtigkeiten gelebt, und allnächtlich hatte eine Wache auf unserem Klippenabhange fleissig Auslug gehalten, ob das Feuer- signal etwa gegeben würde. Aus Furcht, den Interessen ihrer Häuser zu schaden, zögerten die Weissen entschlossen gemeinsam vorzugehen und der Gefahr die Stirn zu bieten, ja hielten sich auch dann noch ruhig, als einer aus ihrer Mitte von erregten Negern thätlich insultirt wurde und beinahe als Geisel in ihr Dorf geschleppt worden wäre, indem sie die Ange- legenheit als eine rein persönliche des Betreffenden, welche sie in keiner Weise berührte, ansehen zu müssen vorgaben. Später hatte man wol versucht, Unterhandlungen einzuleiten und Alles in’s Gleiche zu bringen, doch fühlten die Neger zu sehr ihr Uebergewicht und stell- ten so unmässige Forderungen, dass man zu keinem Resultat gekom- men war. Gegen Anfang Januar nun erhielt ich von dem Händler, welcher sich jene Insulte hatte gefallen lassen müssen, die Aufforde- rung, mit circa zwanzig Mann zu ihm zu stossen, da er mit einem kleinen Dampfer den Tschiloango flussaufwärts gehen wolle, um ein ihm gehöriges Handelshaus daselbst zu schliessen und die Waaren zurückzuziehen, wobei er auf Schwierigkeiten zu stossen fürchtete. Ich schlug ihm die Bitte natürlich mit dem Bemerken ab, dass wir, Bitte um Beistand. 159 zu wissenschaftlichen Zwecken ausgeschickt, für alle unternommenen Schritte verantwortlich wären, dass wir unmöglich in private Unter- nehmungen eingreifen könnten und nur bei einer Landana drohenden Gefahr, bei einem Angriffe, zum Schutze der Europäer herbeieilen würden. Da das Verhalten der Expedition, als die kriegerischen Ver- wickelungen in der Heimat bekannt wurden, sich nicht in allen Kreisen einer wolwollenden Beurtheilung zu erfreuen hatte, so er- scheint es mir zur Klarlegung der Verhältnisse angezeigt, die dies- bezüglichen Schriftstücke in der Uebersetzung wortgetreu wiederzu- geben. Der Brief des französischen Hauses lautete: Landana, den 5. Jan. 1876. Geehrter Herr, Würden Sie wol die Güte haben, uns Morgen mit 20 Mann zu Hülfe zu kommen, wenn die Barre passirbar ist und dem Dampfer flussaufwärts zu gehen gestattet? Denn ich glaube nach einem Briefe, den ich soeben von dort erhalten, annehmen zu müssen, dass sich an der Flusssperre eine grosse Macht angesammelt hat und ebenso in Tschiuma, das man anzugreifen beabsichtigt. Ein soeben an- gekommener Bote meldet, dass sich Bewaffnete schon in der Factorei zu Tschimfimo gezeigt haben. Wir denken gegen ıo Uhr von Tschi- loango aufzubrechen, und wenn Sie die Güte haben wollen, zu er- scheinen, so lassen Sie es mich wissen. Es würde unnöthig sein, nach Landana zu kommen, da wir Sie in Tschiloango an Bord nehmen können. Indem ich Ihnen im Voraus danke, bin ich etc. Diesem Schreiben lagen noch vom holländischen Hause folgende Worte bei: Sehr geehrter Herr, Ich habe noch keine sicheren Nachrichten, doch höre ich von Insono, dass eine furchtbare Erregung unter den Negern herrscht und dass dort schon welche gewesen sind. Ich habe unserem Hause befohlen, neutral zu bleiben. Auch in Tschimfimo haben sich be- waffnete Leute gezeigt. Wenn Alles dies wahr ist, füge ich im Namen unseres Hauptagenten in Banana meine freundliche Bitte zu der des französischen Hauses. — Darauf antwortete ich folgendes: Tschintschotscho, den 5. Jan. 1876. Geehrter Herr, Nachdem ich soeben Ihren Brief erhalten habe, bedaure ich sehr, Ihre Bitte nicht erfüllen zu können. 160 Ausbruch der Feindseligkeiten. Wie wir bereits vor kurzem in Landana versichert haben, werden wir in dem Augenblick, wo wir Flintenschüsse hören, oder man uns schriftlich mittheilt, dass gegen die Neger marschirt werden muss, zur Hülfe bereit sein. In letzterem Falle würde ich aber durch die Unterschrift sämmtlicher Häuser Landanas versichert sein müssen, .dass unsere Hülfe nothwendig sei. Denn wir sind der africanischen Gesellschaft in Berlin für unsere Schritte verantwortlich und kennen nur die Pflicht, den Weissen Landanas bei einer ihnen gemeinsam drohenden Gefahr zu Hülfe zu eilen, sind aber nicht in der Lage, die Handelsinteressen eines einzelnen Hauses zu unter- stützen. Ganz ergebenst etc. Der Dampfer wurde, wie vorauszusehen gewesen war, von den erbitterten Negern angegriffen und von beiden Flussufern mit Geschossen überschüttet, so dass er nur mit Mühe zu entrinnen und die Mündung wieder zu erreichen vermochte, von wo aus mir dann die Verwundeten zugeschickt wurden. Es war an demselben Nachmittage des 7. Januar, während ich noch mitten im Verbinden und Öperiren war, als in Landana die Nothflagge aufgezogen und ausserdem noch Kanonenschläge nach dem Meere zu als ein Zeichen dringender Gefahr gelöst wurden. Gleich- zeitig fast erschienen schweisstriefende Boten von Tschiloango mit der Nachricht, dass Landana von einer zahllosen Menge bewaffneter Neger angegriffen und Eile nöthig. sei. Jeder folgende Bote ver- grösserte die Gefahr, in der die Europäer schwebten; der letzte mel- dete, dass das Haus der Mission bereits genommen sei, was sich zu bestätigen schien, als wir Mitte Weges auf den Oberen derselben stiessen, der sich persönlich aufgemacht hatte, uns zu eiliger Hülfe anzuspornen. In solcher Situation war selbstverständlich weder ein Ueberlegen am Platze, noch ein Weigern möglich; jetzt hiess es handeln! Im Eilschritte marschirten wir, Dr. Pechue&l-Loesche, Lindner und ich mit 43 Mann vorwärts, während der Botaniker Soyaux mit dem Reste unserer Leute auf alle Fälle zur Deckung der Station zurückblieb. In der Dunkelheit kamen wir an und fanden die Ver- hältnisse günstiger, als wir erwartet hatten. Die Mission war nicht genommen, sondern hatte sich tapfer ver- theidigt, bis ein tüchtiger, echt tropischer Regenguss, der auch uns unterwegs durchnässt hatte, die Steinschlossgewehre der Neger un- brauchbar gemacht und sie zurückzugehen gezwungen hatte, nicht ohne dass sie dabei drohend ihre Wiederkehr für den nächsten Morgen ankündigten. Ein in der Nacht abgehaltener Kriegsrath Kriegsrath. Angriff. 161 sammtlicher Europäer beschloss jedoch nach vielfachen Erwägun- gen einstimmig, dass man den Angriff nicht abwarten, sondern in der Frühe des kommenden Tages die Initiative ergreifen und mit der ganzen vereinigten Macht von circa hundert Schwarzen und sechs Weissen gegen die Dörfer marschiren wolle; man verhehlte sich nicht, dass die mit dem Vorgehen verbundenen Gefahren bedeutend seien, da aus den zu passirenden hohen und dichten Gräsern so- wie von den Waldrändern her verborgene Neger leicht aus dem Hinterhalt schiessen konnten, ohne Furcht, selbst erreicht zu werden. Doch stand zu hoffen, dass man bei schnellem Handeln die Gegner _ überraschen würde, ehe sich die Führer über die Art des Wider- standes geeinigt hatten. Aber selbst wenn Gefahr drohte, glaubte man allseitig, derselben trotzen zu müssen, um durch offene Einigkeit und Energie die Bevölkerung zu der Ueberzeugung zu bringen, dass sie nicht im Stande sei, der Gesammtmacht gegenüber irgendwelche Vortheile zu erringen, und so endlich die Gährung zu unterdrücken und Frieden zu schaffen. Die Annahme, die Neger unvorbereitet zu überraschen, erwies sich als richtig; denn auf dem Marsche wurden wir gar nicht behel- ligt und verloren beim Angriff auf das Dorf Luvula nur einen Moenn, während auf der anderen Seite drei Todte gezählt wurden. Da wir ausserdem noch drei Gefangene machten, die als Geiseln bei den Unterhandlungen dienen konnten, so glaubte man von einem weiteren Vorgehen gegen die übrigen Dörfer absehen zu können. ‚Es war wiederum die einstimmige Ansicht Aller, dass von jedem weiteren Blutvergiessen Abstand zu nehmen sei, da die bisherige Demonstra- tion jedenfalls die beabsichtigte Wirkung erzielen müsse. — Nun aber fühlte man, in welcher kritischen Lage man sich befand. Niemand wusste, was die Neger unternehmen würden; doch waren alle Be- theiligten der Ansicht, dass man neuen Angriffen mit verstärkten Kräften entgegenzusehen habe. In einer ausserordentlich erregten Berathung einigte man sich dahin, dass der drohenden Gefahr gegen- über ein englisches Kriegsschiff aufgesucht werden müsse, dessen Commandant durch ein die Situation schilderndes von sämmtlichen Weissen zu unterzeichnendes Schreiben zu schleuniger Hülfe veranlasst werden solle. Zu diesem Zwecke stand uns nur der kleine Fluss- dampfer „Fanny“, der die Eindrücke seiner denkwürdigen Fahrt noch an sich trug und daher sehr geeignet schien, dadurch der vorzutra- genden Bitte noch mehr Nachdruck zu verleihen, zu Gebote. Er wurde auch bereitwillig zur Verfügung gestellt, doch war leider der einzige Maschinist in Folge der letzterlittenen Aufregungen so schwer Loango. II, 11 162 Hülfegesuch. Waffenstillstand. an einem perniciösen Fieber erkrankt, dass auf seine Hülfe vorerst nicht gerechnet werden konnte. Da erbot sich denn Herr Lindner, die Verantwortung zu übernehmen und in die Stelle des Patienten einzutreten, worauf am folgenden Tage das Schiff glücklich die Barre passirte und mit unseren Segens- wünschen an Landana vorbei nach Süden dampfte. Der Erfolg entsprach unseren Erwartungen wenig. Die „Fanny“ war zwar nach langer Fahrt am ı4. Januar glücklich in Banana an- gekommen, hatte aber weder unterwegs noch dort ein Kriegsschiff getroffen. Ebensowenig wusste man, ob sich weiter südlich ein solches befände. Da Banana jedoch Hülfe zu senden versprach, und man die Vermuthung hegte, dass in sehr kurzer Zeit eine französische Fregatte ankommen würde, so war vorläufig Nichts weiter zu thun, und wir mussten uns darein ergeben, in der katholischen Mission zum allge- meinen Schutz unter Waffen liegen zu bleiben. Die Hülfe kam indessen nicht, und von Seiten der Neger geschah auch Nichts. Diese hatten wol erfahren, dass man Verstärkung erwarte, und verhielten sich in der Furcht, dass die Angelegenheit schon schlecht genug für sie endigen möchte, ruhig. Friede wurde indessen nicht geschlossen, doch kam, nachdem wir vierzehn Tage lang am Platze verblieben waren, nothdürftig ein Pro- visorium, gewissermassen ein Waffenstillstand, zu Stande, der keine Partei recht befriedigte, aber uns wenigstens gestattete, beruhigt ab- zuziehen. Erst viel später, nachdem wir uns schon in Europa befanden, wurde die Angelegenheit durch französische Kriegsschiffe, die am Tschiloango ihre volle Macht entfalteten, endgültig erledigt. Nach- dem man sich den Neffen des einflussreichsten Häuptlings hatte aus- liefern lassen, wurde der wirkliche Friede geschlossen. Dennoch hatte unsere wirksame Hülfe zur rechten Zeit Landana vor einem bösen Schicksal bewahren helfen, und wenn wir noch irgend einen Zweifel darüber gehabt hätten, ob wir als wissenschaft- liche Expedition Recht gethan, mit den Waffen gegen die Bevölke- rung der zu erforschenden Gegend oder doch eines angrenzenden Gebietes vorzugehen, da wir in Tschintschotscho nicht selbst ange- griffen wurden, so hätte der in Folge des Ereignisses uns zu Theil gewordene ehrende Besuch eines englischen Kriegsdampfers, der an Landana vorüberfuhr und direct vor unserer Station ankerte, um uns den englischen Consul von St. Paulo de Loanda sowie die Officiere zuzuführen, und ferner der Dank des französischen Admirals vom Gabun-Geschwader uns überzeugen müssen, dass wir unter den ge- bietenden Verhältnissen unsere Pflicht gethan und nicht anders hatten Französische Fregatte.e Anerkennung. 163 handeln können. — Letzterer entsendete, als er von der Angelegen- heit Kenntniss erhalten hatte, zum Schutze seiner Landsleute die Fre- gatte „Loiret“, welche am ı8. Februar vor Landana Anker warf und mir von ihrem Capitain, Chef d’Etat Major, folgendes Schreiben zugehen liess: Landana den 18. Februar 1876. Mein Herr, Von dem Admiral und Führer des südatlantischen Geschwaders gesandt, um über die Ereignisse des Januars bezüglich der auf den französischen Dampfer „Fanny“ sowol als gegen die in Landana befindliche Französische Mission gerichteten Angriffe eine Unter- suchung anzustellen, habe ich vor Allem die Pflicht, Ihnen im Namen des Admirals für die edelmüthige, selbstlose Hülfe, die Sie bei dieser Gelegenheit den verehrungswürdigen Vätern der Mission haben angedeihen lassen, zu danken. — Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir an Ihr Gerechtig- keitsgefühl zu appelliren gestatteten, indem ich Sie bitte mir die Wahrheit bezüglich eben jener Ereignisse entdecken zu helfen und mir hierzu Ihre Ansicht über die stattgehabten. Thatsachen sowol als über die Ursachen, welche dazu geführt haben, darzulegen. Mein einziger Wunsch bei meiner Ankunft in Landana ist der, eine möglichst strenge Untersuchung einzuleiten, um den Herrn Admiral nicht nur den Theil der Verantwortlichkeit, welcher die Ausführer jener Attentate, sondern auch den, welcher die eventuellen Anstifter trifft, erkennen zu lassen. Mit vorzüglicher Hochachtung. ..... Nachdem hierauf die Untersuchung in eingehendster Weise ge- führt und beendet war, erhielten wir vor der Abfahrt des Kriegs- schiffes ein zweites Schreiben in welchem wir noch einmal des Dankes des Capitains und des Admirals in den schmeichelhaftesten Ausdrücken versichert wurden. — Was hätte man nach dem Falle Landanas und der Ermordung der dortigen Weissen — denn wir wären sicherlich auch dann noch in Tschintschotscho unbehelligt geblieben — wol in Deutschland ge- urtheilt, wenn wir Alles hätten ruhig geschehen lassen, ohne hel- fend einzugreifen, indem wir uns hinter unseren wissenschaftlichen Zielen verschanzten und versteckten? Der Anerkennung zweier frem- der Nationen hätte sich dieses Handeln wenigstens nicht zu erfreuen gehabt! So wenig angenehm uns übrigens selbst der ganze Zwischenfall war, so hatte er doch auch die gute Seite, dass er uns von Neuem ı1* 164 Tschintschotscho. Auflösung der Expedition. die Tüchtigkeit unserer Leute zeigte und sie enger mit uns verband, während unser Ansehen durch die entfaltete Macht so befestigt wurde, dass wir uns nun auf alle Zeiten vor Erpressungsversuchen oder irgendwelchen Rechtsverhandlungen sicher fühlen durften. Es gewährte eine eigene Genugthuung, wenn man in diesem Ge- fühl der Erstarkung nach aussen einen Blick auf die nunmehr voll- endete Station warf und sich die Zeit der Gründung derselben in das Gredächtniss zurückrief: damals hatte ein ziemlich schadhaftes Wohn- haus und eine eben solche Küche bestanden; beide waren den Ver- hältnissen entsprechend umgewandelt und nahmen sich nun stattlich aus. Daneben war ein zweites Wohnhaus mit festen Magazinen, ein Waschhaus, Skeletir- und Trockenhaus für Sammlungen nebst Pul- vermagazin erbaut worden. Südlich dehnte sich ein gepflegter Garten für den täglichen Bedarf, nördlich reihten sich fünfundvierzig Hütten in geraden Linien mit breiten, dazwischen liegenden Strassen anein- ander, während abseits ein grosser überdachter Raum theils als ge- meinschaftliche Küche und Arbeitsplatz bei Regen, theils als Laza- reth diente. Rund herum, jenseits der festen Umzäunung, dehnten sich, fast so weit das Auge reichte, die mit Mais, Maniok und Erd- nüssen bepflanzten Felder aus, reiche Ernte versprechend. In den Ställen befanden sich Ziegen, Hühner und Enten in gutem Zustande; am Strande lag ein neues grosses Canoe, mit dem, sobald ein Fisch- netz fertig gestellt war, Versuche gemacht werden sollten, den täg- lichen Fleischbedarf zu beschaffen. Alle diese weitsehenden Vorbereitungen waren in der Absicht getroffen worden, dass im Falle einer ungünstigen Antwort aus Europa der Platz mit dem gesammten Material von Gegenständen und Leuten später unter anderer Hand noch gedeihliche Frucht tragen möchte. Die Antwort auf unsere Eingabe traf am 26. Februar ein und lautete dahin, dass die Station aufzulösen sei. Unser Plan, von Neuem in Banga am unteren Kuilu, also nicht weit von der Küste, jedoch in günstigerer Lage als bisher eine Station anzulegen, um von dort aus erst schrittweise vorzugehen, hatte unter den augenblicklichen Verhältnissen nicht gebilligt werden können. Das Missgeschick, welches die Expedition andauernd begleitete, hatte das Vertrauen auf ausgiebige Erfolge in weiten Kreisen erschüttert. Den grossartigen Leistungen anderer Nationen gegenüber, die gerade in diese Zeit fielen, brauchte man auffälligere Resultate, um das Inter- esse wach zu erhalten und die nöthigen Summen zur Bestreitung der bedeutenden Kosten zusammenzubringen. Eine in der Nähe der Küste angelegte neue Station könnte demnach, meinte man, den In- Berathung, Entschluss unserer Leute. 165 tentionen der Gesellschaft nicht entsprechen; da sich jedoch das Ma- terial der Träger so ausgezeichnet bewährt habe, so gestatte man, dass ein Mitglied der Expedition, Dr. Pechuel-Loesche, mit circa 30 Leuten einen Vorstoss in das Innere versuche. Dies wurde nach reiflicher Erwägung aller Verhältnisse abgelehnt, da unter den auf- erlegten Bedingungen nach unserer Ueberzeugung grosse räumliche Erfolge, wie man sie in der Heimat verlangte, nicht zu erzielen waren: wir haben oben schon auseinandergesetzt, dass wir nur das etappenweise Vordringen für vortheilhaft halten; und somit wurde denn zur Auflösung der Station geschritten. Als den Leuten die Alternative gestellt wurde, entweder auf unserem Grund und Boden im Besitze sämmtlicher Plantagen und Baulichkeiten zu bleiben, oder Jeder mit einem gewissen Quantum an Zeug und anderem nöthigen Besitz versehen nach ihrer ursprünglichen Heimat zurücktransportirt zu werden, entschieden sie sich einstimmig dahin, zu bleiben, und arbeiteten unverdrossen auf ihrem baldigen Eigenthum fort. In kurzer Zeit jedoch machte sich eine andere Stim- mung geltend. Einmal konnten sich die beiden bisherigen Aufseher über das Recht des Aeltesten in dem nun zu begründenden Dorfe nicht einigen, bildeten jeder eine Partei und haderten unter einander. Dann aber scheuten sich die Eingeborenen der Umgegend und viel- leicht auch die Weissen, ein so anerkannt kriegerisches und durchge- bildetes fremdes Element mitten unter sich Wurzel fassen zu lassen, und arbeiteten in ihrer Weise sehr wirksam daran, dieses zu hintertreiben. Nach einiger Zeit kam der erste Anführer kleinlaut zu mir und setzte auseinander, dass er nach unserem Fortgange in kürzester Frist von den anderen Negern würde getödtet werden, nicht offen durch Waffen, sondern indem er der Hexerei oder irgend eines Vergehens würde angeklagt und verurtheilt werden. Die Neger der Umgegend seien sehr schlechte Menschen; das hätten sie wieder bewiesen, indem sie schon jetzt zweien von mir entlassenen Leuten die geschenkten Flinten abgenommen hätten. Ebenso würde es ihnen Allen gehen, man würde sie unter falschen Vorspiegelungen einzeln in die verschie- denen Dörfer locken und, wenn sie genügend zersplittert wären, zu Sclaven machen, die reiche Besitzung aber an sich reissen. — Der andere Führer sprach sich in ähnlicher Weise aus und versicherte, sie würden alle gern bleiben, sähen aber nicht ab, wie sie bestehen sollten; und ebenso erklärte die darauf zusammengerufene Mannschaft, unter den obwaltenden Umständen lieber in die Heimat zurückkehren zu wollen. Als ihr Entschluss sich nach einer kurzen Bedenkzeit, die ich 166 Rücktransport der Leute. ihnen gewährte, nicht änderte, musste ich mit schwerem Herzen an den Verkauf der Station und den Transport der Leute denken, Beides war so einfach nicht. Die erste und wichtigste Frage war die, woher das Schiff zu beschaffen sei, das den Rücktransport übernehmen könne. An den englischen Postdampfer war nicht zu denken, da er nur bis St. Paulo de Loanda gieng, der dortigen Regierung aber die Last der Weiterbeförderung nicht aufgebürdet werden durfte. Wo- hin ich auch Boten an der Küste entlang bis nach Pontanegra sen- dete, nirgends erhielt ich günstige Antwort. Der Kutter des Einen war zu klein, so viele Personen aufzunehmen, der des Anderen über- haupt nicht im Stande, eine so weite Reise zu wagen, und ein dritter schon seit längerer Zeit verloren gegangen. Da war denn die Ant- wort des holländischen Hauses, an das ich mich gleichfalls gewandt hatte, eine um so angenehmere Nachricht, als der Hauptagent in Banana sich nicht nur erbot, den Dampfer sofort in See gehen zu lassen, sondern den Preis für die Ueberfahrt nur auf 5o £. normirte, d. h. gerade soviel, als ihm Unkosten für verbrauchte Kohlen dabei entstanden. Nachdem diese Sorge beseitigt war, handelte es sich darum, alles überflüssige Material der Expedition, das ohne besonderen Werth für Europa, grosse Frachtkosten bei der Mitnahme verursachen musste, möglichst hoch an Ort und Stelle zu verwerthen, das gute dagegen auszusondern und wasserdicht zu verpacken. Dann musste ferner ein gewisses Quantum an Stoffen und Rum als Abschiedsgabe für die verschiedenen Häuptlinge der Gegend angesammelt und nach ge- höriger Abwägung der Würdigkeit vertheilt werden, während eine bei Weitem grössere Menge als Ausstattung für die Heimkehrenden bereit zu halten blieb. Besser und leichter, als wir Alle geglaubt hatten, liessen sich die Geschäfte allmählich abwickeln, und diese Leichtigkeit gerade zeigte von Neuem, in welcher Weise wir an Ort und Stelle festen Fuss ge- fasst hatten; denn Geschäftsauflösungen werden im Allgemeinen an der Küste sehr gefürchtet, weil sie fast regelmässig zu Conflicten mit der Bevölkerung führen. Unsere Palaver aber, die wir selbst einberiefen, liefen in jeder Weise glatt ab. Immer blieben wir Herren der Situation, gaben, was wir nach langer Gewohnheit für Recht erkannt hatten, und schickten die Betreffenden heim, wenn wir die Zeit dazu gekommen glaubten. So geschah es, dass die ganze Auflösung, für welche man in der Heimat eine bedeutende Summe zu bewilligen sich veranlasst ge- sehen hatte, fast gänzlich ohne Kosten bewerkstelligt werden konnte, Verkauf der Station. 167 da dieselben aus dem Erlös des Vorhandenen gedeckt wurden. Es war sogar noch ausserdem möglich, den Europäern, welchen die Ex- pedition sich besonders verpflichtet glaubte, werthvolle Erinnerungen mit der Bitte zuzusenden, etwa späteren Sendboten deutscher Nation eine gleich liebenswürdige Unterstützung -wie uns angedeihen zu lassen. Dann erst kam als Letztes und Schwerstes die Abgabe der Station an die Reihe. Da Niemand bei dem stockenden Handel die Absicht hegen konnte, neue Factoreien zu gründen, sondern im Gegentheil bald hier bald da bereits bestehende geschlossen wurden, so waren natürlich Reflectanten für unsere Besitzung nicht vorhanden, und ich war froh, als mir von dem früher in Tschintschotscho ansässig gewesenen Händler derselbe Preis von ;50o £., den wir vor drei Jahren ge- zahlt hatten, für die so ungemein erweiterten Baulichkeiten geboten wurde. Jedoch musste ich seine Gründe für die niedrig bemessene Summe anerkennen; denn die Plantagen nützten ihm wirklich Nichts, da er nicht Leute genug hatte, sie zu behüten und bearbeiten zu lassen, und ebenso waren die weitläufigen Bauten für ihn zwecklos, da er nur ein Wohnhaus, das zugleich das Waarenmagazin barg, nöthig hatte. Er beabsichtigte, zu günstigerer Zeit dem anderen noch vorhandenen Händler Concurrenz zu machen, und dazu genügte ihm ein kleines Besitzthum, das er sogar unschwer von den Negern direct erwerben konnte. h So schloss ich denn den Handel ab; reichte doch das Geld gerade hin, um die Leute mit einem holländischen Dampfer nach Novo Re- dondo zurückzuführen. Am ı. Mai erschien das dazu bestimmte Schiff „Banana“ in Landana, und die Einschiffung erfolgte glücklich trotz der sehr schweren Calema, trotzdem ein Boot umschlug, und alle Habseligkeiten der Insassen durchnässt wieder aus dem Meere gefischt werden mussten. Nachdem der Capitain noch das Ueberwei- sungsschreiben an die portugiesische Regierung an sich genommen, führte er die Leute frei, voll Hoffnung und Freude ihrer alten Heimat wieder zu. Auch wir waren am Endpuncte unserer Thätigkeit angelangt, und als alle Kisten mit den Sammlungen und werthvollen Utensilien wolverpackt und nach Landana vorausgeschafft waren, verliessen wir unser Gehöft, die gewesene deutsche Station. Ohne irgendwelche Störung von Seiten der Eingeborenen, welche wol weil ihnen eine grosse Einnahmequelle verloren gieng, im Gegentheil traurig umher- standen und uns vielfach Abschied nehmend noch eine Strecke weit begleiteten, begaben wir uns nach Landana, um uns anderen 168 Heimfahrt. Tages, den 5. Mai 1876, auf dem englischen Postdampfer „Loanda“ einzuschiffen. Als dieser an unserer ehemaligen Besitzung vorüberfuhr, war am Strande die ganze Bevölkerung Abschied winkend versammelt; im Dorfe Lusala aber wehte von einer hohen Stange unsere Flagge, die wir dem Häuptlinge desselben übergeben hatten, damit das Ge- dächtniss an die deutsche Expedition, welche an jener Stelle gewirkt hatte, nicht ersterben möchte. Dort wird die deutsche Flagge Jahr aus Jahr ein wehen und harren, dass sie von berufener Hand vielleicht wieder aufgenommen und ruhmreich weit in das Innere hinein getragen werde. Mpungu frisch aus dem Urwalde, ANHANG. Krankheitscharakter der Loangoküste. Von allen Gegenden, die in Bezug auf ihre Bewohnbarkeit in schlechtem Rufe stehen, ist vielleicht die africanische Westküste eine der gefürchtetsten, und diese Ursache mag nicht wenig dafür in’s Gewicht fallen, dass sich der ganze grosse Küstenstrich der Aequatorialzone noch immer in unbeschränktem Besitz seiner ursprünglichen Bewohner befindet; weder Privatleute noch Re- gierungen wagen es, auf einem scheinbar so unsicheren Boden festen Fus; zu fassen, und lassen ihn fort und fort als ein Noli me tangere gelten. Da aber gerade dort sich für Unternehmungen der Zukunft ein grossartiges Terrain zur Entfaltung einer segensreichen praktischen Thätigkeit bietet, erscheint es fast als Pflicht, die Verhältnisse der Gegend in gerechter Weise zu prüfen und ein wahres ungeschminktes Bild ihres Krankheitscharakters zu entwerfen. — Daran, dass alljährlich eine grosse Procentzahl von den übersiedelnden oder an- sässigen Europäern zu Grunde geht, lässt sich nicht zweifeln, doch scheint diese Thatsache noch nicht die Behauptung zu rechtfertigen, dass alle diese Leute als wirkliche Opfer des Klimas beklagt werden müssen. Sehen wir doch erst einmal zu, aus welchem Material sich die Europäer an der Küste recru- tiren, was für Stammannschaften sie aufweist? Einen Theil der Europamüden bilden solche, welche die Bedingungen zur Existenz in der Heimat nicht erfüllen und körperlich und geistig zu schwach sind, um den Kampf mit den vielen tüchtigeren Concurrenten zu bestehen. Ich habe Schwächlinge dieser Art mehrfach ankommen und schnell zu Grunde gehen sehen, habe mich aber höchstens darüber gewundert, dass sie die Küste überhaupt erreichten. Sie waren Todescandidaten bereits vor ihrer An- kunft in Africa. Einen anderen Theil der Ankömmlinge bilden Abenteurer, die es in der Heimat zu Nichts brachten, weil Thorheit und Unbesonnenheit sie zu keiner ruhigen gleichmässigen Thätigkeit kommen liessen. Sie sind wie die groben ausspringenden Fäden in einem schönen gleichmässigen Gewebe, die sich nicht 170 Anhang. in dasselbe einfügen und unterbringen lassen. Sie werden aber auch wie diese in keinen Stoff passen, man mag es versuchen, wie man will. Ihre Unvernunft wird sich vor Allem darin kund geben, dass sie dem Klima zu trotzen ver- suchen; sie treiben diese Thorheit so lange bis auch sie ein selbstverschuldeter Tod erreicht. Drittens haben wir es mit Ansiedlern zu thun, welche zwar vermöge ihrer Constitution die Verpflanzung in den fremden Boden gut vertragen, aber ihren Leidenschaften ungezügelten Lauf lassen und sich systematisch zu Grunde richten. Ihre Charakter- und Energielosigkeit lässt sie sich willenlos den er- schlaffenden Einflüssen des Klimas hingeben, bis sie als verkümmernde Wüst- linge ihr Ende finden. Endlich erst sind die aufzuführen, welche trotz einer tüchtigen Constitution, trotz eines vernünftigen angemessenen Lebens allein dem Krankheitscharakter des Landes zum Opfer fallen, gerade so wie wir auch in unseren Städten täg- lich blühende Menschen, die alle Ansprüche auf ein hohes Alter zu machen berechtigt wären, verderblichen Epidemien erliegen sehen. h Die Zahl dieser Leute ist es allein, welche bei der Betrachtung der Sterb- lichkeitstabellen Berücksichtigung verdient, und wenn wir die ersten drei Kate- gorien von der ganzen Summe abziehen, wird sie niedrig genug ausfallen. Sie würde sich aber noch mehr vermindern lassen, wenn erst der civilisatorische Einfluss sich in jenen Gegenden durch Einengen der Flüsse, Anlegen von Strassen und Nutzbarmachung des Bodens wie in Culturländern geltend machte; oder aber auch, da dies erst in sehr ferner Zukunft geschehen kann, wenn die früher auseinander gesetzten Principien einer gesundheitsgemässen Lebensweise in den Tropen allgemeiner bekannt und angenommen würden. Wenn wir die in der westlichen Aequatorialzone vorkommenden Krank- heiten näher in’s Auge fassen, so sehen wir zuvörderst, dass eine ganze Reihe von Erscheinungen fehlt, die wir fast voraussetzen zu müssen glauben. Zuerst erscheint es fast als ein Widerspruch der alltäglichen Erfahrung, dass der sogenannte Sonnenstich oder Hitzschlag überhaupt nicht vorkommt. Es ist natürlich hierbei nöthig, sich über den Begriff, welchen wir mit diesem Namen verbinden zu einigen; ich meine nicht, dass durch die directe Einwirkung der heissen Sonnenstrahlen auf den, namentlich unbedeckten, Kopf nicht mehr oder weniger starke Gehirncongestionen veranlasst werden könnten, welche bei wenig intensiver oder wenig anhaltender Einwirkung des schädlichen Momentes eine Reihe leichter schnell vorübergehender Erscheinungen zur Folge haben, bei intensiverer Einwirkung aber heftige Hirnreizung, Gehirnentzündung oder augen- blicklichen Tod in Folge von Blutüberfüllung oder Blutaustritt herbeiführen. Diese Zustände werden in ähnlicher Weise wie directe Verbrennungen auf mechanischem Wege vorkommen und ebenso als zu vermeidende Unglücksfälle betrachtet werden müssen. Uebrigens sind auch sie höchst selten und wurden bei den Mitgliedern der Expedition höchstens nach anstrengenden Märschen oder Jagdpartien in Form leichter Congestionen, die nach Ruhe oder etwaigen kalten Uebergiessungen des Hinterkopfs schnell schwanden, beobachtet. Hier Anhang. 171 handelt es sich um den Symptomencomplex, den wir bei uns vorzüglich beim Soldatenstande beobachten, und der eine gewisse Aehnlichkeit mit der Minen- krankheit hat. Bei Regimentern die in grosser Hitze marschiren, sieht man, namentlich wenn wie dies in den von mir beobachteten Fällen geschah, die Colonnen dicht gedrängt über Ackerfelder hinwegmüssen, so dass sie in dem athemberaubenden Staube kaum sichtbar sind, wol Einen oder den Anderen plötzlich umfallen, die Besinnung verlieren und hin und wieder auch von Krämpfen befallen werden. Es ist eine durch traurige Erfahrungen früherer Zeit bestätigte Thatsache, dass Blutentziehungen in solchen Fällen den Tod nur beschleunigen, dass dagegen dem Körper sofort einverleibte Wassermengen verbunden mit Oeffnen der beengenden Kleidung oft die drohenden Erscheinungen überraschend schnell mindern. Man ist mit der Erklärung des Zustandes noch immer nicht zu einem bestimmten Abschluss gelangt, aber gerade die Aehnlichkeit desselben mit den Minenerkrankungen, welche beim Minenkriege nach längerer oder kürzerer Arbeit in dem mit Pulvergasen geschwängerten Erdreich entstehen und auf eine Alteration der Blutmischung und durch sie herbeigeführte Innervationsstörung zurückzuleiten sind, lässt mit grosser Wahrscheinlichkeit der Vermuthung Raum, dass es sich hier um gleiche Erscheinungen handelt. Durch die beengende, undurchlässige Kleidung und die gedrängte Colonne wird die Zuführung eines Luftstroms zum Körper fast absolut unmöglich; die Verdunstung hört auf, und im Körper staut sich die Wärme bis zu einem solchen Grade an, dass die Blutmischung nothwendig dadurch verändert wird; hat man doch nach dem Tode noch mehrfach eine Temperatur von 42 und 43° C. gemessen. Wenn aber allein die Cumulirung der Wärme durch gehinderte Abgabe wegen mangelnder Verdunstung die Ursache dieser Erscheinungen ist, so ist die nothwendige Folge, dass da, wo durch leichte Kleidung und reichlich dem Körper vorübergeführte Luftströme die Beeinträchtigung nicht stattfindet, auch die Krankheit unbekannt sein muss. Dies wenigstens scheint mir die naturge- mässeste Erklärung dafür, dass weder wir noch Andere den Hitzschlag jemals an der Küste beobachtet haben. Auch von dem Verdachte einer Krankheit dem Aussatze oder der Lepra Arabum ähnlich, welche bisher in jenen Küstenstriche als herrschend ange- nommen wurde, (De Melaatscheid. Dr. H. J. Vinkhuijzen. Sgravenhage 1868.) muss derselbe freigesprochen werden. Dieselbe ist dort völlig unbekannt, weder Weisse noch Schwarze haben je daran gelitten, noch davon gehört. Ebenso ist das gelbe Fieber daselbst: nicht heimisch, ja es ist bis jetzt meines Wissens überhaupt noch kein Fall davon sicher constatirt. Ich selbst berichtete zu Anfang meiner Thätigkeit, dass ich einen Patienten dadurch ver- loren hätte, habe jedoch später diese Ansicht berichtigt: Blutungen auf den verschiedenen Wegen und Gelbfärbung der Haut hatten mich irre geführt, während ich nach späteren anderen Fällen erkannte, dass es sich dabei um eine besondere Art perniciöser Malariaerkrankung handelte. Auch die typhoiden Erkrankungen sind ungemein selten, und von der ganzen Reihe der anderen durch Contagien bedingten bei uns epidemisch 172 Anhang. herrschenden Infectionskrankheiten als Masern, Scharlach, Diphtheritis, Pocken wurden nur die letzteren unter der Negerbevölkerung gefunden. Ebenso sind Entzündungen der Brustorgane in verschwindend kleiner Zahl zu constatiren und heilen bei vollkräftigen jungen Individuen leicht, während sie bei heruntergekommenen alten Küstenleuten auch in anfänglich leichten Fällen wegen des oft plötzlich eintretenden Kräfteverfalls sehr gefährlich werden können. Wir sehen also, dass wir bezüglich einer ganzen Reihe von Krank- heiten, die uns in der Heimat bedrohen, ohne dass wir uns der vorhandenen Gefahr bewusst werden, in jenen Gegenden besser bestellt sind, und kommen nun zu denen, die wir als ihnen eigenthümliche dort wiederum mehr zu fürchten haben. Sie zerfallen in drei grosse Gruppen: erstens die sogenannten africanischen Fieber, zweitens Hautkrankheiten, drittens Affectionen der Unterleibsorgane. Was die ersteren betrifft, so sind sie mit unseren Wechsel- oder kalten Fiebern identisch und entspringen aus denselben Ursachen, deren Entstehung wir mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vermuthen, deren Natur wir aber trotz aller Bemühungen leider noch nicht kennen. Sumpfige Gegenden sind die Geburtsorte des specifischen Giftes, das wahrscheinlich je nach der Menge der Aufnahme in den Körper verschiedene Reactionen desselben bedingt, vielleicht aber auch in mehrfacher Form sich erzeugt und dadurch die besonderen Krankheitsformen hervorruft. Die meisten Stimmen haben sich von jeher für die Annahme eines organischen vegetabilischen Miasmas ausgesprochen, wenn es auch bisher nicht gelungen ist, dasselbe mikroskopisch aufzufinden. Da die Fieber verschiedener Gegenden und selbst die Fieber derselben Gegend zu verschiedenen Zeiten oft sehr bedeutende Abweichungen im Gesammtcharakter der Erkrankung und in den einzelnen Symptomen zeigen, so könnte dies für die Annahme einer mehrfachen Form dieser kleinsten vegetabilischen Wesen sprechen. Die Häufigkeit des Vorkommens der Fieber variirt einmal nach der Jahres- zeit und dann natürlich nach der Gegend. Während die Erkrankungen in der trockenen Zeit seltener und gutartig auftreten, werden sie in der Regenzeit häufiger und nehmen in besonders nassen Jahren einen um so bösartigeren Charakter an, je mehr die Durchfeuchtung des Bodens zunimmt. Entfernter von Flussmündungen oder brakigen Lagunen (der Aufenthalt an letzteren muss stets als der gefährlichere gelten) nimmt auch die Fiebergefahr ab, um im Gebirge und dem Hochplateau des Inneren wahrscheinlich ganz aufzuhören. Da nun das Gebirge an der Loango-Küste sehr nah an das Meer heranreicht und zwar um so mehr, je weiter man sich der Nordgrenze nähert, so würde man nur einen schmalen Strich zu überwinden haben, um auf recht gesundes Terrain zu gelangen. Die Auswahl des Platzes, den man sich zum Standquartier wählt, ist natürlich von grösster Wichtigkeit, da sich einmal durch die von Malariaherden kommenden Winde die Fieberursachen weit über den ursprüng- lichen Ort ihrer Entstehung verbreiten und die Winde wieder namentlich von der See her zum Zweck der Desinficirung möglichst freien Zutritt zu den Anhang. 173 Wohnräumen haben müssen. Je geschützter ein Haus an einem windstillen, zugleich sumpfigen Orte gelegen ist, um so mehr werden seine Insassen von Fiebern heimgesucht werden. Was die individuellen Bedingungen betrifft, welche die Entstehung der An- fälle begünstigen, so lässt sich darüber etwa Folgendes mit ziemlicher Sicher- heit angeben. Absolut frei davon bleibt Niemand. Wir sehen Neger sogut wie alte Ansiedler und frische Ankömmlinge von der Krankheit befallen werden, und wenn irgend etwas so spricht dies für die vegetabilische Form des Giftes. An gasige oder anorganische Schädlichkeiten vermag sich der Körper, wenn ihm dieselben in minimalen Dosen dauernd zugeführt werden, zu gewöhnen, an jene jedoch nicht, und um so weniger, wenn sie sich in ihm neu erzeugen und vermehren. Hieraus erhellt, dass auch das Kindesalter nicht von den Anfällen verschont werden kann, und dass, wenn die kräftigeren Jahre des Mannes und Jünglings scheinbar mehr zu leiden haben als vorgerückteres Lebensalter, dies nur dadurch zu erklären ist, dass jene sich den Schädlichkeiten eben öfter und reichlicher aussetzen. Abgesehen davon ist unzweifelhaft das kräftige Alter und die kräf- tige Constitution vor der gegentheiligen in Bezug auf die Ueberwindung der eingeführten Schädlichkeit im Vortheil, ja wir können sagen, dass eine schwäch- liche Constitution überhaupt zur leichteren Erkrankung disponirt ist. Diese Disposition wird natürlich durch jede bleibende oder vorübergehende Herab- setzung der Körperkraft vermehrt. Hunger und Durst, Schlaflosigkeit, Strapazen, namentlich Ermattung durch profuse Schweisse sind ebensosehr als Geleger- heitsursachen der Fieber aufzufassen, als alle Störungen der Hautsecretion und Verdauung, also Verkühlungen, Indigestionen, und zwar um so mehr, je öfteren Anfällen der Betreffende bereits ausgesetzt gewesen ist. Es ist eine bekannte Thatsache, dass gerade die Malariakrankheit eine constitutionelle Störung hinter- lässt, welche durch den geringsten Anstoss zu Rückfällen gesteigert wird. Die Dauer von der Einwirkung der Ursache bis zum ersten fühlbaren Erkranken wird verschieden angegeben und soll bei- einigen controlirten Beispielen zwischen 6 und 13 Tagen geschwankt haben. Das mag für das erstmalige Auftreten nach der Landung, wenn der Stoff allmählich in geringer Dosis auf- genommen wird, zutreffen; Herr Lindner erkrankte z. B. am 9., ich selbst am 17. Tage nach unserer Ankunft. Doch ist hierbei gewiss nicht auszuschliessen, dass wir uns beide unmittelbar vor dem Anfalle einer concentrirten Schädlichkeit ausgesetzt hatten, und in späterer Zeit konnten wir oft genug beobachten, wie Ermattung, Schwindel, Kopfschmerz, Uebelkeit, Schauder oder ein ausgebildeter Anfall wenige Stunden nach einer ermüdenden Jagd oder einer Conoefahrt auf der Lagune oder einem anstrengenden Marsche folgten. Die Fieber selbst nun bieten ein ganz ausserordentlich wechselndes Bild. Sie haben entweder einen ausgesprochenen Typus, indem regelmässige fieber- freie Intervallen auf die Anfälle folgen; oder sie verstecken sich hinter irgend einem anderen in regelmässigen Zwischenräumen wiederkehrenden Leiden und verrathen sich manchmal überhaupt nur durch ein unbestimmtes Krankheitsge- 174 Anhang. fühl; oder endlich sie treten unter der Form der mit Recht so gefürchteten perniciösen Fieber auf, bei denen sich ein sonst unscheinbares Symptom. zu einer das Leben bedrohenden Höhe steigert. Handelt es sich um eine gewöhnliche Erkrankung mit den drei ausge- sprochenen Stadien: Frost, Hitze und Schweiss, die in verschiedener Länge und Intensität auf einander folgen, so ist der Typus, bei welchem täglich und zwar gewöhnlich Morgens oder weniger häufig am Nachmittage ein Anfall auftritt, am meisten vertreten. Selten wurden die am dritten oder vierten Tage wieder- kehrenden Fieber beobachtet. Der Kranke klagt gewöhnlich Anfangs über Schwindel, wird müde und streckt sich, hat das Gefühl einer eigenartigen Trockenheit und eines unbestimmten Ziehens in den Fingerspitzen, die zugleich kalt zu werden beginnen, während in anderen Fällen die Kälte von den Füssen ausgeht oder vom Rücken herab den Körper durchrieselt. Das Kältegefühl nimmt zu, der Kranke zittert vor Frost und kann sogar convulsivisch durch denselben geschüttelt werden, während die Athmung beschleunigt und kurz, mit einer gewissen Beklemmung der Brust verbunden auftritt, und Uebelkeit mit Erbrechen nebst hochgradigem Mattigkeitsgefühl dazukommt. Nachdem der Frost eine Viertelstunde oder auch mehrere Stunden gedauert hat, nimmt nach kurzem Wechsel von Schauder und Wärmeempfindung das Hitzestadium über- hand. Die Haut röthet sich und turgescirt, doch nimmt die Unruhe und Auf- regung sowie namentlich der Kopfschmerz zu. Das Hitzegefühl ist stark ausge- sprochen, der Durst heftig. Die Unterrippen- und Nierengegend ist schmerzhaft, gegen Druck empfindlich. Auch dieses Stadium kann in heftigeren Fällen mehrere Stunden dauern, meist wird aber die Haut sehr bald feucht und leitet somit das dritte oder Schweissstadium ein, in welchem das Gefühl der Erhitzung abnimmt, die Haut blasser, die Mundschleimhaut feucht, die Athmung frei und ruhig wird, bis allmählich ein reichlicher Schweiss über den ganzen Körper ausbricht und bei schwindendem Kopfschmerz ein erquickender Schlaf den An- fall beendet. Während der Appetit in dieser ganzen Zeit völlig geschwunden war, dauert es nunmehr gewöhnlich nicht lange, bis er sich geltend macht, und natürlich, wenn auch mit Massen, befriedigt werden muss. In den Anfällen kommen die mannigfachsten Abweichungen, Veränderungen und Uebergänge vor, auch treten sie nicht immer regelmässig zur selben Zeit ein, sondern einmal früher einmal später, meist aber früher, was mit Bezug auf das Chininnehmen zu wissen nöthig ist. In der Beschreibung und in der Entfernung gelesen mag Manchem das entworfene Bild schrecklich genug vorkommen, in Wirklichkeit sind die Er- krankungen kaum anders als unsere Schnupfenfieber aufzufassen. Dies erhellt schon daraus, dass es Viele während eines solchen Anfalls nicht der Mühe für werth halten sich niederzulegen, sondern dabei ihren allerdings nicht angreifenden Geschäften nachgehen, sich beim Frost in die Sonne setzen und nachher schat- tige Plätze aufsuchen. Kein Mensch kümmert sich in solchen Fällen um den anderen. Der Betreffende hat eben das Fieber, es wird vorübergehen, er wird Chinin nehmen, und damit ist die Sache abgethan. Möglich ist ein derartiges Anhang, 175 Ignoriren der Krankheit, namentlich wenn die Erscheinungen vom Magen aus gering sind, anzurathen ist es aber nicht; das Natürlichste und Vernünf- tigste bleibt überall, sich den klimatischen Verhältnissen unterzuordnen. Je besser man sich hält und pflegt, um so seltener wird man von Neuem er- griffen werden und kann es für diesen Preis ruhig über sich ergehen lassen, von einigen sogenannten erfahrenen Küstenleuten für weichlich gehalten zu werden. Häufiger noch als diese in die bekannten drei Stadien 'geschiedenen leicht erkennbaren Anfälle sind die verkappten oder larvirten Fieber, welche sich ent- weder noch durch die Regelmässigkeit der Wiederkehr irgend eines Symptoms als miasmatische Erkrankungen kund thun, oder in der ganz unkenntlichen Form allgemeinen Krankheitsgefühls einherschleichen. Oft besteht nur ein gewisses Unbehagen bei trockener Haut und Kopf- oder Zahnschmerz. Letzerer nament- lich tritt ungemein häufig auf und bildet eine sehr gewöhnliche Klage aller Europäer, die in der Heimat das Uebel vielleicht gar nicht kannten. Manch- mal tritt überhaupt nur eine erhöhte Nervosität, eine leichte Reizbarkeit ein, welche noch eher von der Umgebung als von den Patienten selbst gemerkt wird. In all solchen Fällen zeigt die nie ausbleibende Wirkung des Chinins den Ursprung des körperlichen Unwolseins an und ebendeshalb thut man gut, bei jedem Missbehagen, ohne erst die Ausbildung wirklicher Anfälle abzuwarten, zum Chinin zu greifen. In gewissen Zeiten nehmen die Fieber nun durch besondere Intensität einzelner Symptome einen schweren lebensgefährlichen Charakter an; dies sind die sogenannten biliösen Fieber, bei denen die vom Magen ausgehenden Beschwer- den übermässig werden, und ein fast unstillbares Erbrechen folgt; dabei ist nicht zu übersehen, dass gerade diese Form oft einer unbeschreiblichen Selbstvernachlässigung und dem an der ganzen Küste geübten Missbrauch von Vomitivmitteln ihren Ursprung verdankt. In anderen Fällen werden die vom Gehirn ausgehenden Symptome bedrohlich: Ich habe Neger wie von plötzlichem Wahnsinn befallen umherrasen und dann unter allgemeinen Convulsionen nieder- stürzen sehen; einer durchschnitt sich im Delirium die ganze Luftröhre und die vordere Wand der Speiseröhre, worauf er noch Kraft genug hatte, bis zum nahen Walde zu laufen, wo man ihn der Blutspur nachgehend unter einem Baum zusammengebrochen, aber noch lebend fand. In einem anderen Falle entwickelte sich bei einem Weissen nach sehr heftigem Schüttelfrost ein tiefer Schlaf, der immer bleierner wurde und nicht wieder zum Erwachen führte. Ich fand ihn bereits in bewusstlosem Zustande mit rothem Gesicht, langsamem, schnarchendem Athem und völliger Unempfindlichkeit der Haut. Bevor ich noch dazu kommen konnte, irgend Etwas gegen den Zustand zu thun, hatte er bereits zu leben aufgehört. Wieder in einem anderen Falle entwickelte sich bei einem Engländer, der sich schon längere Zeit wegen Fieber in meiner Be- handlung befand und trotz meines strengen Verbots während der fieberfreien Zeit in die hinter der Factorei liegenden Sümpfe auf die Jagd nach Wasser- vögeln gegangen war, ein vollkommen choleriformer Zustand; von allen Symp- 176 Anhang. tomen der ausgesprochensten Cholera im letzten Stadium, wie ich sie oft während des österreichischen Krieges in den Lazarethen zu Brünn zu beobachten Gelegen- heit hatte, fehlte kein einziges. Uebrigens kam dieser Patient gegen jede Er- wartung mit dem Leben davon und genas danach von seinen Fieberanfällen über- haupt überraschend schnell, gleich als ob dabei der Körper sich von all dem lange beherbergten Gifte befreit hätte. Die häufigsten schweren Fälle bilden aber solche, welche mit copiösen Entleerungen von Blutfarbstoff im Harne ähnlich wie beim gelben Fieber einhergehen. (S. Deutsche militair-ärztliche Zeitschrift 1877 p- 487. Febris remittens haemorrhagica.) — Wenn damit im Grossen und Ganzen ein Bild des Auftretens africanischer Fieber gegeben ist, so bleibt noch der Zustand zu erwähnen, der sich bei allen viel an Fieber Leidenden allmählich herausbildet, und den wir unter dem Namen „Kachexie‘“ zusammenfassen. Sie thut sich durch erdfahle, graugrünliche Haut- farbe, blasse Lippen und Schleimhäute, Abmagerung, Gemüthsverstimmung, An- schwellungen der Füsse, erschwerte Verdauung und andere unverkennbare Symptome tiefster Ernährungsstörung kund, welche, wenn nicht bald und gründ- lich eingegriffen wird, den Betroffenen unvermeidlich dem Grabe zuführen. — Die Hautkrankheiten, welche nach Zahl und Häufigkeit ihres Auftretens die zweite Rolle einnehmen, sind zwar unangenehmer als an sich gefährlich, können aber durch ihre auf die Dauer peinigenden Reize die Disposition zu schweren Allgemeinerkrankungen schaffen. Als einfachste Erscheinung ist die durch directe Einwirkung der Sonnen- strahlen bedingte Hautröthung zu erwähnen, welche zwar leicht durch genügend schützende Bedeckungen und Vorsicht vermieden werden kann, aber namentlich von Neuankömmlingen nicht vermieden wird. Schon auf dem Schiffe, auf welchem, sobald die heisse Zone erreicht wird, ein über das Hinterdeck zeltartig gespanntes Segel die Passagiere zu schützen bestimmt ist, macht man unan- genehme Erfahrungen, wenn man über Bord gelehnt dem Wogenspiel zuschaut, oder die das Schiff zeitweise begleitenden Delphine und Seevögel beobachtet. Wer sicn daran nicht genügen lässt und, wie ich zu sehen Gelegenheit hatte, auf Jagdtouren in der Mittagshitze Brust und Arme frei lässt, um der kühlen- den Luft besseren Zutritt zu gewähren — nur Einer von uns vermochte dies leider ungestraft zu thuen — darf sich freilich nicht wundern, wenn die Verbrennung intensiver wird, Blasen entstehen und die ganze Oberhaut der betroffenen Stellen sich ablöst. In wie wunderbar hohem Grade aber dennoch die Natur sich in einzelnen Ausnahmefällen zu accommodiren vermag, hatte ich in Kikombo einmal zu sehen Gelegenheit. Dort kam ein Europäer in einem kleinen Fahr- zeuge ohne jede Kopfbedeckung und ohne Schuhwerk, überhaupt nur auf das Nothdürftigste bekleidet, das Meer an der Küste entlang gefahren und hatte sich so stundenlang der Sonne ohne Folgen ausgesetzt. Er habe überhaupt keinen Hut, hiess es, und lebe wie ein Neger. Seine Haut war allerdings mächtig gebräunt und seine Erscheinung derartig, dass jeder Neger vor ihm den Vorzug verdiente. Auch in Cabo Lombo sah ich ein Individuum, das, heruntergekommen wie jener, seiner Constitution unendlich viel bieten durfte. Anhang. = 177 Wie lange Beide es noch getrieben haben, ist mir unbekannt geblieben, doch hatten sie schon eine Reihe von Jahren in solcher Weise ohne Schaden gelebt, als ich sie sah. Ein anderes, von Allen, die heisse Gegenden bereist haben, wolgekanntes Leiden ist der „rothe Hund“, prickly heat, Hitzpickeln, das namentlich zur Regenzeit auftritt, wenn wegen des grösseren Wassergehaltes der Atmosphäre die Verdunstung weniger schnell vor sich geht, und die Haut sehr durch das auf ihr haftende salzige Secret vorzüglich an den mit Kleidern bedeckten Stellen gereizt wird. Es erscheinen dann zahlreiche stecknadelkopfgrosse Knötchen auf rothem Grunde, die ein peinigendes Juckgefühl bedingen, durch dessen Be- friedigung der entzündliche Zustand natürlich vermehrt wird. Bei allen Gelegen- heiten, welche das Blut in höherem Grade den Capillaren zuführen, als beim Niesen, Erschrecken, Bewegen, Essen, Trinken und dergleichen empfindet man dann ein schmerzhaftes Stechen, wie von unendlich vielen Nadelspitzen, und so kann das Uebel durch das damit verbundene Unbehagen und die daraus entspringende Schlaflosigkeit den Körper in hohem Grade herunterbringen. Diese Entzündung der Schweissfollikel hat den Meisten von uns sehr zu schaffen gemacht, da in den Regenzeiten fast Niemand ganz verschont blieb, wenn auch der Eine mehr, der Andere weniger zu leiden hatte, je nach der Cur, welche er sich verordnete. Wer in Seebädern Heil suchte, hatte — den einen unverwüstlichen Gefährten aus- genommen — bald keine freie Stelle am ganzen Körper; wer Waschungen recht oft und reichlich zur Kühlung anwenden zu müssen meinte, sah das Leiden gleichfalls eher zu- als abnehmen. Aehnlich ergieng es auch mit Perubalsam, und nur wer ein trockenes reizloses Verhalten mit Bepudern der_ergriffenen Stellen beobachtete, sah nach und nach das Uebel schwinden. Es giebt nämlich ohne Frage keine eigensinnigeren und schwerer zu be- handelnden Patienten als Reisende. Das beste ist immer, sie, wo es irgend geht, in ihrem Ideengange zu belassen, denn wenn solche harte Köpfe sich einmal etwas zurecht gelegt haben, so bringen die Vernunftgründe der ganzen Welt sie zu keiner entgegengesetzten Ueberzeugung. Als Beleg hierfür kann ich folgende curiose Geschichte anführen. Ich wurde zu einem älteren Herren an der Küste gerufen, der im Fieber lag und mir nun haarklein auseinander- zusetzen versuchte, dass er einen Kloss im Magen habe, von dem die eine Hälfte schon in das Blut übergegangen sei und die andere nun schnell entfernt werden müsse, zu welchem Zwecke ich ihm Baldriantropfen geben möchte. Solche Dinge sind nicht wunderbar in Gegenden, wo Jeder sein eigener Arzt ist und sich nicht nur selbst, sondern auch andere, namentlich seine Leute, nach alten Ueberlieferungen behandelt. Hat er Jahre hindurch mit einer gewissen Zahl von Mitteln gewirthschaftet, ohne gerade direct geschadet zu haben, so kommt er naturgemäss zu der Ansicht, ein ganz vortrefflicher Heilkünstler zu sein. Bemerkenswerth ist ferner, dass durch Mosquitostiche leicht Anlass zu aus- gedehnten Hautleiden gegeben werden kann, namentlich wenn nach unmässigem Kratzen Staub und andere Unreinlichkeiten sich in die von der Oberhaut ent- Loango. II. 12 178 - Anhang. blössten Stellen setzen. Uebrigens haben wir diese Plage bei Weitem nicht so gross gefunden, als wir sie nach Berichten anderer Reisenden aus anderen Gegenden erwarteten. Der einzige Fall, in dem sie wirklich unangenehm werden, ist der, wenn man sich Nachts auf den Anstand begiebt, von dem man gewiss stets in einem wenig beneidenswerthen Zustande zurückkommt. Deshalb kann man auf diese Art der Jagd von vorn herein verzichten, da die Unruhe, in welche das Insectenheer den Harrenden versetzt, indem er bald hier bald da sich der Blutsauger zu erwehren sucht, doch schon von Weitem das Wild auf- merksam werden und nicht herankommen lässt. Ich erinnere mich nicht, dass je Einer von uns, so oft es auch in der ersten Zeit versucht wurde, ein Stück Wild nach einer so traurig verlebten Nacht heim gebracht hätte, während hin- gegen manches Unwolsein in der Folge eintrat. Im Uebrigen kann man sich diese Plage vollkommen abhalten, indem man das Mark der Affenbrotbaumfrüchte in irgend einem Gefäss langsam im Zimmer verschwelen lässt; der hierbei entstehende Rauch vertreibt sie vollständig und stört die Athmung, wofern seine Entwickelung nicht übertrieben wird, nicht nur nicht, sondern ist durch einen gewissen Wolgeruch angenehm. Wir selbst fühlten uns, nachdem das Räuchersystem eingeführt war, recht wol dabei und fanden in den übrigen Europäern, welche bis dahin mit gewohnter Indolenz Alles hatten über sich ergehen lassen, so viel Nachahmer, dass bald nicht mehr Früchte genug aufgetrieben werden konnten, und der Preis von einem Glas Rum für die Mandel auf eine halbe Flasche stieg. Alle anderen Mittel erweisen sich völlig wirkungslos. Vergebens hatten wir vorher versucht, unseren Zweck, wie in der Heimat, durch Tabacksrauch zu erreichen, oder durch verbrannten Schwamm und Abbrennen kleiner Quanti- täten Pulver die Störenfriede zu verscheuchen. Ebenso vergebens hatten wir Hände und Gesicht mit verdünnter Carbollösung gewaschen, oder andere stark riechende Substanzen in unsere Nähe gestellt. Meist waren wir gezwungen worden, frühzeitig unsere Unterhaltungen Abends zu beenden und uns hinter die Mosquitonetze zurückzuziehen. Hierunter darf man sich übrigens, durch das Wort irre geleitet, durchaus nicht ein feinmaschiges Gewebe vorstellen, denn auch die allerfeinsten Maschen würden den unseren Mücken und Gnitzen gleichenden und diese dort vertretenden Insecten den Durchgang gestatten, sondern der dazu ver- wendete Stoff besteht einfach aus Mull oder irgend einem losen dünnen baum- wollenen Zeuge, das nach Art unserer Himmelbetten oder über einem viereckigen Gestell das Lager dicht umschliesst und bis auf den Boden herabreicht. Ist dasselbe gut zusammengenäht und ohne Löcher, so verbringt man die Nacht völlig unge- stört. Auf Touren an der Küste, welche uns die Gastfreundschaft anderer Häuser anzunehmen Gelegenheit gab, war es stets unsere erste Sorge, das angewiesene Lager genau zu prüfen und dem begleitenden Negerjungen die Ausbesserung aller schadhaften Stellen, deren sich immer einige vorfanden, zur strengsten Pflicht zu machen. Wir können daher nach unseren Erfahrungen mit voller Ueberzeugung behaupten, dass die Mosquitos in unserer Gegend uns wenig be- lästigt haben, und dass von einer wirklichen Plage gar nicht die Rede war, so- Anhang, 179 bald wir die gebotene und stets ausführbare Vorsicht nicht ausser Acht liessen. Einzelne Orte fanden sich sogar völlig frei davon, denn in St. Paulo de Loanda konnte ich ohne Mosquitonetz schlafen, war sogar dazu gezwungen, da die Vor- richtungen dafür dort gar nicht vorhanden waren. Ebenso fand Dr. Pechuel- Loesche die Factorei zu Longobondo gänzlich frei von diesen Insecten und die Schlafstätten ohne Netzhüllen. Ausser den bisher genannten kommen dann noch eine ganze Reihe schwerer Hautleiden vor, welche sich meist stufenweise aus den leichteren entwickeln, und man darf wol sagen, immer nur durch Selbstvernachlässigung und mangel- hafte Körperpflege entstehen. Die dritte und letzte Gruppe der in den Tropen vorherrschenden Krank- heiten bilden die Affectionen der Unterleibsorgane. Die Häufigkeit derselben erscheint naturgemäss, wenn wir daran denken, dass der Verdauungscanal qualitativ und quantitativ andere Nährstoffe zu verarbeiten gezwungen wird, als er vorher: gewohnt war, und dass häufig durch unmässigen Alkoholgenuss oder scharfe Gewürze und medicamenteuse Stoffe die nothwendige Thätigkeit in un- zweckmässigster Weise beeinträchtigt wird. Abgesehen von Indigestionen und Obstipationen, welche die gewöhnlichen Klagen bilden, ist es vor Allem die Ruhr (Dysenterie), welche als unzertrennlich vom heissen Klima gedacht wird und in allen Lehrbüchern, welche über Tropen- krankheiten handeln, eine Hauptrolle spielt. Nach meinen Erfahrungen erscheint es mir aber sehr fraglich, ob nicht eine grosse Zahl der in diese Rubrik ge- reihten Fälle als chronische verschleppte Katarrhe hätten aufgefasst werden müssen. An der Küste wenigstens spricht man bei jeder heftigen Erscheinung dieser Art sofort von Dysenterie, während mir in den ganzen drei ‘Jahren eine wirklich als solche imponirende Erkrankung überhaupt nicht vorgekommen ist. Bezüglich der Ursachen dieses immer schweren Leidens befinden wir uns in einer ähnlichen Lage, wie bei den Malariafiebern, d. h. wir wissen wol, dass seine Entstehung an einen bestimmten Stoff gebunden ist, haben uns aber bis- her vergebens bemüht, seine Natur zu ergründen. Mit ziemlicher Sicherheit sind wir indessen so weit gekommen, anzunehmen, dass Sumpfmiasmen für seine Entstehung nicht angeschuldigt werden können, denn wenn es auch Gegenden giebt, in denen gleichzeitig oder abwechselnd Sumpffieber und Ruhr endemisch herrschen, so giebt es doch andere, in welchen letztere allein dauernd vorkommt und wiederum andere, wo sie fast unbekannt ist. Man hat die mannigfachsten Ursachen als ihr Entstehen begünstigend auf- geführt, und gewiss muss eine schlechte Beschaffenheit der Nahrungsmittel, namentlich verdorbenes Fleisch oder mit fauligen Stoffen imprägnirtes Wasser mit Recht gefürchtet werden, dagegen sind Früchte und selbst Excesse im Alkoholgenuss hierbei gewiss auszuschliessen. Jedenfalls ist zur Entstehung und Verbreitung der Ruhr ein ihr eigenthümlicher allein zukommender Stoff erforder- lich. Ist er vorhanden, so wirkt er überall auch in Europa, namentlich im Gefolge der Armeen verderblich; dass er in den Tropen dann seine verheerenden Eigenschaften in höherem Masse entwickelt, scheint eine durch viele Erfahrungen To 180 Anhang. constatirte Thatsache, an der Loangoküste aber hat er jedenfalls bis jetzt noch keinen Boden gefunden. Dagegen sind heftige Katarrhe der zweiten Wege ziemlich häufig und dürfen niemals leicht aufgefasst werden, da sie chronisch geworden schwer zu beseitigen sind und ebenfalls das Leben zu vernichten vermögen. Die Organe, die neben dem Verdauungstractus vielfach erkranken, sind die Leber und Milz. Letztere namentlich erreicht in Folge häufiger Fieber- anfälle, während welcher sie regelmässig beträchtlich anschwillt, eine ganz enorme Grösse. Ich habe sie in einzelnen Fällen bei alten Ansiedlern, die sich seit 25 und 30 Jahren in Flussniederungen aufhielten, um das vier- und fünf- fache ihres natürlichen Volumens vergrössert gefunden, ohne dass die Betreffen- den über besonders auffällige Symptome zu klagen gehabt hätten. Die Leber ist wol in Folge der Arbeitsmehrleistung häufigeren Blutüberfüllungen aus- gesetzt, die dann leicht zu wirklichen Entzündungen führen können. Wir sehen, das Krankheitsbild für die Aequatorialzone lässt sich in wenigen und einfachen Zügen zeichnen. Auf der einen Seite fehlen ihr viele Krank- heiten oder treten ungefährlich auf, welche in unsern Breiten eine grosse Zahl von Opfern alljährlich fordern, so namentlich die Lungenaffectionen. Tuberculose ist so gut wie unbekannt, Husten überhaupt ein kaum gehörtes Symptom. Da- gegen sind Unterleibsleiden wieder häufiger und hartnäckiger, Die bei uns in jüngeren Jahren gefürchteten epidemischen Kinderkrankheiten, später die typhösen Formen werden dort ersetzt durch die Sumpffieber, und die bei uns meist gering- fügigen Hautaffectionen treten dort bei Weitem in den Vordergrund. Wägen wir alle Verhältnisse mit einander ab, so werden sich beide Theile ziemlich das Gleichgewicht halten, wenigstens wird sicher die Lebensgefahr in den Tropen für kräftige Menschen nicht in der Weise zunehmen, als bisher gewöhnlich ge- fürchtet wird. Natürlich aber kann hierbei nur von gesunden und kräftigen Constitutionen die Rede sein. Bereits kranke und überhaupt schwächliche Men- schen können den Anforderungen, welche die Acclimatisationsvorgänge dem Körper stellen, nicht mehr entsprechen. Ebensowenig kann das zartere Alter vor der eintretenden Reife, bevor die bei jeder Entwickelung stattfindenden Re- volutionen überstanden sind und noch weniger das vorgerückte Alter mit seinen fertigen nicht mehr umwandlungsfähigen Organen für die Uebersiedlung in ein neues Medium passend erachtet werden. Die natürlichen und günstigsten Grenzen für den unschädlichen Tausch der Lebensverhältnisse liegen wol zwischen dem zwanzigsten und vierzigsten Jahre; je weiter in der Reihe auf und abwärts, um so mehr nehmen die damit verbundenen Gefahren ziemlich gleichmässig zu. Eine 'sehr wichtige und oft gestellte Frage ist die, ob es nach mehrjährigem Aufenthalte im heissen Klima gerathen sei, sich auf einige Zeit in gemässigtere Breiten zurückzubegeben, um neue Kräfte zu sammeln, und wann sich bei ein- getretener Krankheit die Nothwendigkeit herausstelle, für immer in die Heimat zurückzukehren. _ Die Frage ist schwer zu beantworten. An der Küste selbst ist der Glaube verbreitet, dass die zeitweilige Rückkehr gefährlich sei, man meint die Erfah- Anhang. 181 rung gemacht zu haben, dass alle die, welche nach einer zweimaligen Heim- reise die Küste von Neuem betreten, gewöhnlich schnell zu Grunde gehen. Diese auf einer leicht aufzustellenden Statistik basirende Beobachtung ist zweifel- los richtig, würde jedoch kaum ein richtiges Urtheil für die Beantwortung der Frage finden lassen. 12 Das heisse Klima verbunden mit der durch dasselbe bis zu einem gewissen Grade gebotenen körperlichen und geistigen Arbeitslosigkeit und seinen Ge- nüssen wirkt unbedingt erschlaffend auf den Organismus, sodass ein Wieder- erwecken seiner Energie durch eine in gewissen Pausen erfolgende Rückkehr. in kältere Gegenden theoretisch nur heilsam genannt werden könnte, gerade so wie wir von dem angreifenden Leben in den Städten in die erfrischende Luft der Wälder eilend sehr bald einen wolthätigen Einfluss davon erkennen. Leider wird aber in beiden Fällen der Erfolg oft durch die mit der beabsichtigten Cur verbundene Lebensweise vollständig aufgehoben. Der Europäer, welcher sich während seines Aufenthaltes im fernen Lande meist mühelos eine vorher nicht gekannte Geldsumme erworben hat, will nun in der Heimat als gemachter Mann auftreten und sein Leben geniessen. Anstatt zu arbeiten und Kräfte zu sammeln, vergeudet er sie, indem er von Zerstreuung zu Zerstreuung eilt und seine Tage in Nichtsthun hinbringt, bis das Geld verthan ist und Langeweile ihn ebensosehr wie Mangel treibt, den für ihn goldenen Boden von Neuem aufzusuchen. Hat er dann zweimal denselben Cyklus durchlaufen und in zwei Erdtheilen unter verschiedener Sonne seine Constitution untergraben, so ist es allerdings nicht wunderbar, wenn der Organismus schliesslich den Dienst versagt. Würde aber statt dessen die Heimat für mindestens ein halbes Jahr, denn von geringerer Zeit kann kein Einfluss erwartet werden, wirklich zur Erholung und Kräftigung aufgesucht, so kann dies gewiss nicht nachtheilig, sondern nur vortheilhaft wirken. Auch bei Krankheiten, namentlich bei häufigen Fieber- anfällen würde ein klimatischer Wechsel gerathen sein. Hier genügt es häufig, von einem ankommenden Dampfer sich mit nach dem Süden nehmen zu lassen, um in Mossamedes, dem Eldorado Africas, das für ausserordentlich gesund gilt, die nächste Post abzuwarten, oder aber mit derselben schon wieder zurück- zukommen. Dabei vergehen immer mindestens vierzehn Tage und eine zwei- wöchentliche Seereise bewirkt in solchen Fällen Wunder. Ist aber einmal der Zustand allgemeiner tiefgreifender Ernährungsstörung eingetreten, den wir mit dem Namen Kachexie bezeichnet haben, so ist die Rückkehr nach Europa, so schnell es durchzuführen ist, anzutreten und jeder Gedanke daran, die Küste wieder aufzusuchen, von der Hand zu weisen. Ist in diesen Fällen Eile geboten und für die zukünftige Gesundheit erspriesslich, so ist dagegen, wenn der Organismus durch dysenterische Erscheinungen ge- schwächt ist, Eile gefährlich. Ich habe zwei Patienten, welche durch chronische Katarrhe der zweiten Wege sehr heruntergekommen waren und inständig baten, die Rückreise antreten zu dürfen, in Hinsicht auf das plötzlich ungemein heftig auftretende Heimweh an Bord zu gehen gestattet. Beide haben Europa nicht erreicht, ebensowenig ein dritter von der Goldküste bei unserer Rückkehr an 182 Anhang. Bord kommender Engländer. Alle drei wurden den Fluten des Meeres über- geben, während ich andere, durch die ersten Erfahrungen gewitzigt, bis zu einer relativen Wiederherstellung an der Küste zurückhielt und dann ohne Bedenken ziehen lassen konnte. Ich bin also der Ueberzeugung, dass dysenterisch Kranke erst längere Zeit nach überstandenem Leiden Africa verlassen dürfen, einmal ihrer selbst wegen und dann auch aus Rücksicht auf die Bemannung des Schiffes, der sie durch Einschleppung eines Infectionsstoffes leicht gefährlich werden können. — Fassen wir nun kurz noch einmal die hier und im Capitel VI. erläuterten Puncte zusammen, so lassen sich für eine Uebersiedelung in heisse Gegenden etwa folgende Regeln aufstellen; ı. Das beste Alter für klimatische Wechsel liegt zwischen 20 und 40 Jahren. 2. Die Constitution des Uebersiedelnden muss kräftig und völlig gesund sein. 3. Der unmittelbar auf der Haut zu tragende Kleiderstoff ist weisse Baum- wolle; für jede Kleidung überhaupt ist Porosität des Stoffes erste Bedingung. 4. Die Verdunstung von der Hautoberfläche ist in jeder Weise zu unterstützen. 5. Waschungen, kühle Bäder und Körperpflege sind in hohem Grade nütz- lich, Seebäder als reizend zu verwerfen. 6. Directe Einwirkung der Sonne auf die Haut ist thunlichst zu vermeiden und deshalb gute Kopfbedeckung und Schirm nicht zu unterschätzen. 7. Die Ernährung muss reichlich und möglichst luxuriös sein. Früchte sind wolgeeignete Nährstoffe. 8. Jede übereilte forcirte Accommodation an die Negernahrung ist schädlich, ebenso jeder Excess beim Essen überhaupt. 9. Die Malzeiten werden am Besten regelmässig genommen und zwar wenn möglich: 6 Uhr Kaffee mit Fleisch, Eiern und Brod, gegen ıı Uhr Früh- stück warm mit Bouillon, Gemüse, Fleisch und Wein, gegen 7 Uhr Abends die Hauptmalzeit in ähnlicher Form. 10. Die Verdauung ist sich selbst zu überlassen und nicht durch Emetica oder Drastica zu regeln. ı1. Wasser als Getränk ist ohne Bedenken zu geniessen, Alkohol in mässiger Quantität heilsam, ebenso guter Wein, ja dieser ist nothwendig. 12. Geistige und körperliche Arbeit ist regelmässig inne zu halten, Ueber- anstrengung zu vermeiden. 13. Erholung durch Schlaf ist nur Nachts zu suchen, Koch Mittag ist die Ruhe verderblich. 14. Für ungestörte Nachtruhe ist nach Kräften zu sorgen. 15. Auf das Herrichten des Lagers namentlich den Verschluss der Mosquito- netze ist besonders zu achten. ı6. Die Wohnräume sind auf Pfeilern und von durchlässigem Material zu erbauen. 17. Bei Anlage derselben ist auf die von Sümpfen kommenden Winde und auf die Seewinde zu achten. Die einen sind abzuhalten, während für den Zutritt der anderen gesorgt werden muss, 18. Anhang. 183 Reinhaltung des Hofes und Verbrennen der Abfallstoffe ist nicht zu ver- säumen. . Chinin ist nicht täglich als Prophylacticum, sondern nur mit Rücksicht auf den Zweck zu gebrauchen. . Zeitweilige Rückkehr in die Heimat ist nicht schädlich. . Bei tiefgreifender Ernährungsstörung nach Fiebern ist dauernde, sofort anzutretende Heimkehr angezeigt. . Bei dysenterischen Erkrankungen ist vor der Abreise eine relative Wieder- herstellung der Kräfte abzuwarten. ‘OFUEO] UoA UaUaJogagul] Jap uaquejyney Arzdtar "pjowuy A Isuy Yan] -buzdiort brsayoaj jneg a bopisn ar 2 m J [G Dar, Frege "waos3y91t]pIoN UL OpjIqoSusyjo M Jrur IMmapy uoA ouraes IN | | UHLNNUN! ll) DIE U EO- EXTERN. DRITTE ABTHEILUNG ERSTE HÄLFTE DIR PReEHÜFL TOESEHE! ILIEIND/ZUGH, VERLAG VON PAUL FROHBERG. 1882. Waı ein jeder Forscher empfindet beim Bearbeiten seiner heim- gebrachten Beobachtungen auf das Lebhafteste den Wunsch, dieselbe Reise nochmals unternehmen zu können. Mir wird dieser Wunsch erfüllt: ich werde die Loangoküste zum zweiten Male besuchen. Ist meine Zeit auch kurz bemessen, so darf ich doch hoffen, die Forschungen unserer Expedition zu vervollständigen. Daher über- gebe ich unseren Lesern gegenwärtig nur die erste Hälfte der von mir verfassten dritten Abtheilung des Werkes über Loango, die Naturgeschichte des Landes in vier Capiteln enthaltend, sowie die Karte vom Kuilugebiete; die folgenden sechs, ausschliesslich dem Menschen gewidmeten Capitel lasse ich bis zu meiner Rückkehr liegen, um sie dann erst wesentlich bereichert zu veröffentl.chen. Die Trennung konnte anstandslos geschehen, da jedes Capitel in sich abgeschlossen ist, ein bestimmtes Gebiet behandelt. Vorrede und vollständiges Inhaltsverzeichniss zur dritten Abthei- lung, das Inhaltsverzeichniss und Register zu allen drei Abtheilungen und ein mit Erläuterungen versehenes Verzeichniss sämmtlicher Ab- bildungen wird mit den Schlusscapiteln geliefert werden. Leipzig, im November 1881. Pechuäl-Loesche. INHALT. Seite Capitel I Land und Wasser. R 1 Umfang und Lage des Landes. — Bon una ee — Srorland und Gebirge. — Ein Lateritgebiet. — Ausdehnung und Entstehung desselben. — Aufsteigen oder Sinken des Landes. — Gestade und Strand. — Meeresströ- mungen. — Die Calema eine besondere Form der Brandung. — Erscheinung, Wesen, Herkunft derselben. — Gefährlichkeit der Brecher. — Einwirkung der Calema auf das Gestade. — Umformung des Strandwalles, — Deltabildungen. — Verlegungen der Flussmündungen. — Aufbau der Nehrungen. — Altwasser und Lagunen. — Periodische Mündungen. — Erosion im Lateritgebiete. — Erosion im Gebirge; das Kuiluthal. — Dunkel gefärbte Felsen. — Die Kuilu- niederung. — Die übrigen Wasserläufe des Landes. — Der Unterlauf des Congo. — Schwimmende Inseln. — Hochwasser der Flüsse. — Häfen und Anker- plätze. — Schiffbarkeit der Wasserläufe. Capitel I. Klima und Himmelserscheinungen . . ... on. AG) Lage der Station. — Umfang und Art der Beobachtungen. — Tees een — Luftdruck. — Ursachen der Schwankungen des Barometers; begleitende Er- scheinungen. — Lufttemperatur. — Insolation. — Temperatur des Bodens, der Gewässer. — Dunstdruck und relative Feuchtigkeit. — Winde. — Wolkenzug und Bewölkung. — Wolkenformen und Jahreszeiten. — Höhenrauch. — Thau und Nebel. — Niederschläge; zwiefache Herkunft derselben. Zunahme von Süden nach Norden. — Regenmenge; bedeutende jährliche Schwankungen. — Regenzeit und Gewitter; Auftreten derselben. — Regenböen in der Trockenzeit. — Regenfälle; Gerüche. — Anzahl der Blitze; Unschädlichkeit derselben. — Entstehungsherd der Gewitter; Verlauf einzelner. — Formen der elektrischen Entladungen: Büschelentladungen, Flächenblitze, Kettenblitze, leuchtende Wol- ken, Erdlicht. — Wolkenbildung und Polarlichter. — Dämmerung. Dämmerungs- strahlen. — Durchsichtigkeit der Atmosphäre. — Höfe und Ringe um Sonne und Mond. — Meerleuchten. — Zodiakallicht. — Meteore. — Scintilliren der Gestirne. — Südliches Kreuz. Eapitel IN. Vegetation Eee Er : a0 116) Scenerie westafricanischer eeteneiche, — End der een — Die Savane: das Mittelglied zwischen Wald und Steppe. — Vertheilung von Gräsern und Holzgewächsen. — Veränderungen durch die Thätigkeit des Men- schen. — Die Loangoküste ist von Natur ein Waldland. — Vegetationsforma- tionen. — Die Campinen: Grasbestände; Blumen; Wachsthum der Gräser. — Grasbrände — Charakterstrauch der Campinen. — Busch; Buschwald; Hoch- wald. — Riesenbäume. Wurzelpfeiler. — Lianen. — Beleuchtung im Urwalde. — DBrackwasservegetation: die Manglare. Fortpflanzung und Wachsthum der Mangroven. Avicennien. — Süsswasservegetation: Raphiabestände; Papyrus- horste, — Die Palmen der Loangoküste: Eladis, Cocos, Raphia, Phönix, Hyphaene. — Ficusarten. — Adansonia: Varietäten. — Die Adansonia als ein Charakter- baum der offenen Landschaft. — Der Wollbaum. — Pandanus; Cola; Sydero- xylon; — Landolphia und andere Pflanzen. — Culturgewächse. — Maniok. — Musaceen. — Jahreszeiten und Pflanzenleben. Capitel IV. Thierwelt .. . ee. 0.5 u.,106) Thierleben und Gefahren der Wildniss, —_ IR essende und Siftige Te Deankası — Unglücksfälle. — Säugethiere: Elephanten; Hippopotamen; Manaten; Büffel; Antilopen; Schweine; Schakale; Raubkatzen; Affen etc. — Vögel: Adler: Musophagen; Nashornvögel; Papageien; Sumpf- und Wassergeflügel; Hühner- vögel; Kukuke; Würger; Bienenfresser; Finken- und Webervögel etc. — Stimmen, Gesang der Vögel. — Amphibien: Krokodile; Varane; Agamen; Gecko; Schild- kröten; Frösche. — Seesäugethiere: Wale. — Fische: Doraden; Boniten; Haie; elektrische Fische; Heringe; Trommelfische; Protopterus; Periophthalmus etc. Wirbellose Seethiere: Krabben; Quallen; Schnecken; Muscheln. — Insecten: Käfer; Schmetterlinge; Spinnen; Grab- und Maurerwespen; Ameisen; Termiten; Mosquitos; Sandflöhe — Hausthiere. — Stimmung der Landschaft. SS SS NS CAPITEL 1. Umfang und Lage des Landes. — Boden- form und Beschaffenheit. — Vorland und Gebirge. — Ein Lateritgebiet. — Ausdeh- nung und Entstehung desselben. — Auf- steigen oder Sinken des Landes. — Gestade und Strand. — Meeresströmungen. — Die Calema eine besondere Form der Brandung. — Erscheinung, Wesen, Herkunft der- selben. — Gefährlichkeit der Brecher. — Einwirkung der Calema auf das Gestade. — Umformung des Strandwalles. — Deltabil- dungen. — Verlegungen der Flussmün- dungen. — Aufbau der Nehrungen. — Alt- _ r wasser und Lagunen. — .Periodische Mün- = \ = - dungen. — Erosion im Lateritgebiete, — = = Erosion im Gebirge; das Kuiluthal. — Dunkel gefärbte Felsen. — Die Kuilunie- = derung. — Die übrigen Wasserläufe des A Landes. — Der Unterlauf des Congo, — = Schwimmende Inseln. — Hochwasser der = Flüsse. — Häfen und Ankerplätze,. — Schiff- ee barkeit der Wasserläufe. ——_ : : = mh Loängoküste wird von den Mangrovenstudie. europäischen Händlern vorzugs- weise der Landstrich genannt, wel- cher vom Mündungsgebiet des Congo sich nordwärts bis zur Bai von Yumba und zum Bänyafluss erstreckt. Mit einiger Willkür könnte die Bezeichnung auch noch für die Gebiete bis zum Nyangafluss, Loango, III, I 2 Ausdehnung der Loangoküste, oder sogar bis zu den Ogöweländern angewendet werden; die Kauf- leute halten jedoch an der engeren Grenze fest, weil sich an der Bai von Yumba und in der gleichnamigen Landschaft die Handelsbezie- hungen von Norden und Süden her berühren und gegenseitig ab- schliessen. Noch andere und gewichtigere Gründe unterstützen diese Beschränkung. Die Eingeborenen, Bafiöte, verstehen zwar nicht den Namen Loangoküste, betrachten aber das oben umschriebene Gebiet als ihre angestammte Heimat, und werden hierzu durch politische wie ethno- logische Verhältnisse berechtigt. Das alte Königreich Loängo umfasste den mittleren Theil des Landes, lag recht eigentlich im Herzen desselben, im Süden vom Tschiloangofluss, im Norden vom Nümbiflüsschen begrenzt. Das jen- seits desselben bis zur Yumbabai streichende schmale Gebiet stand früher ebenfalls unter der Botmässigkeit von Loango, wenn auch für kürzere Zeit als die südlich zwischen dem Tschiloango und Congo liegenden Staaten Kakuängo und Ngöyo. Noch gegenwärtig wird der ganze Küstenstrich von Ngoöyo bis Yumba Tschivili genannt, und zwar. im Gegensatz zu dem nächstliegenden, besonders die Westhänge des Gebirges begreifenden Inneren: Yömbe, Tschiyömbe oder Ma- yömbe. Beide Landstriche vereint entsprechen dem kaufmännischen Begriff Loangoküste. Die Bevölkerung im Norden des Landes ist nicht durchaus gleich- artig: Bafiöte sind vor etwa einem Jahrhundert in Folge kriegerischer Verwickelungen nach Yumba vertrieben worden und haben sich am Bänya von Tschissanga bis Mambi angesiedelt; dort beginnt die Vermischung der Völkerschaften, welche ihren höchsten Grad am Gabün und Ogöwe erreicht, wo die aus dem Inneren zur Küste drän- genden Stämme die früheren Bewohner theils vor sich her und über das Meer getrieben, theils seitwärts geschoben haben. Die schon erwähnten Bafiöte behaupteten sich in dem bevorzugten Yumba, während einzelne Familien und ganze Dorfschaften der im Hinter- lande heimischen und vielfach mit Fremdlingen vermischten Balumbu in Tschiyömbe bis zum Kuilu, in Tschivili bis etwa zum Numbi herabwanderten. Diese Eindringlinge, sowie die Bavumbu, die so- genannten „schwarzen Juden“, welche bis nach Ngoyo hinab in allenthalben verstreuten Dörfern beisammen leben, lassen sich vor- läufig kaum anders als historisch von den Bafiöte trennen. Die Her- kunft und Eigenart dieser Fremden wird in einem späteren Capitel ausführlicher betrachtet werden; hier genüge es festzustellen, dass man, ohne den Verhältnissen Zwang anzuthun, die unter allen Um- Flächeninhalt. Bevölkerung. 3 ständen schwankend bleibende ethnologische Grenze ebenfalls mit der von Yumba zusammenlegen darf. Schliesslich ist neben den angeführten Gründen für die Be- stimmung der Grösse des Gebietes als der wichtigste die natürliche Umgrenzung desselben zu betonen. In dem Folgenden wird darum mit dem Namen Loangoküste derjenige Landstrich bezeichnet, wel- cher, im Westen vom atlantischen Ocean bespült, im Osten durch das westafricanische Schiefergebirge vom Inneren geschieden, sich vom Congo nordwärts bis zur Bai von Yumba erstreckt. Da das ge- nannte Gebirge im Süden etwa fünfzig nautische Meilen von der Küste entfernt liegt, in nordwestlicher Richtung hingegen derselben näher zieht und an der Bai von Yumba durch vorgelagerte Granit- hügel bis an das Meer fortgesetzt wird, hat das in dieser Weise um- schlossene Land die Gestalt eines Dreiecks, dessen Spitze Cap Matüti, dessen Basis der Congo bildet. Die Küstenlinie dehnt sich somit von 3° 28' bis zu 6° südlicher Breite. Der Flächeninhalt des Gebietes be- trägt ungefähr 272 deutsche Quadratmeilen, gleicht also dem des Königreiches Sachsen; die Zahl seiner Bewohner kann auf 300 000 geschätzt werden. Ueber das Innere wissen die Bafiöte nur sehr ungenügende Aus- kunft zu geben. Das nicht hohe, aber unwegsame Gebirge, dessen durch schluchtenähnliche Thäler tosende Wasserläufe nicht schiffbar sind, hat sich als eine Völkerscheide bewährt, welche die Bildung und ein langes Bestehen von Küstenstaaten begünstigte, zugleich aber deren Ausbreitung nach Osten verhinderte Schon die entfernteren Striche des allerdings nicht scharf begrenzten Tschiyömbe sind nur wenigen Bewohnern Tchivilis bekannt, die nächstfolgenden, allgemein unter Yäangela zusammengefassten Landschaften werden sehr selten noch von einigen besonders unternehmenden eingeborenen Händlern besucht, die entweder für eigene Rechnung, oder als Bevollmächtigte von Factoristen durch das Vorlegen verlockender Tauschwaaren die genügsamen und unproductiven Gebirgsbewohner zu einiger Thätig- keit anregen wollen. Von anderen, in grösserer Ferne liegenden Gebieten berichtet nur noch die Ueberlieferung aus der Zeit des weitgreifenden Sclaven- handels. Jenseits des gebirgigen Yängela folgt die äusserste Grenze des Bekannten: Tschiböngo, ein theils hügeliges, theils ebenes Savanenland, und dann das sagenhafte Tschintetsche. Von grossen Gewässern, Seen oder Strömen hat Niemand Kunde gebracht. Der Umfang des geographischen Wissens der Bafiöte lässt sich in folgender übersichtlichen Anordnung geben, wenn man die nörd- ı* 4 Umliegende Gebiete, lichen und südlichen Landschaften von Yangela etwa durch den Kuilu- fluss geschieden denkt: Tschivili Tschiyömbe Nördlich: Südlich: Tschiyaka Tschisunda Tschikunya Yangela ? Tschikamba Tschipemba Tschidöndo Tschiböngo Tschintetsche. Durch Umänderung des Präfixes Tschi in Ba erhält man die Namen der Bewohner dieser Landschaften; die der mittleren Gruppe nennt man gewöhnlich Banyäangela. Diese Bezeichnungen sind in- dessen rein volksthümliche, und mit Ausnahme der beiden letzten, die trotzdem sehr unsicher sind, begreift man darunter weder politische Einheiten, noch gleichwerthige, streng umgrenzte Gebiete, noch be- sondere Volksstämme. Die der Küste ferner wohnenden Eingebo- renen sind für die selbstbewussten Bavili „bäntu ba nsitu“, eine Be- zeichnung, die sich vollständig mit unserm Worte „Buschneger“ deckt. Wie im Osten der Loangoküste, so finden sich auch im Norden derselben nirgends Spuren ehemaliger grösserer Reiche; durch den Titel „König“ darf man sich nicht täuschen lassen: Nach dem Vor- gange der Engländer haben sich die Europäer daran gewöhnt, diesen grossklingenden Titel Leuten von sehr untergeordneter Bedeutung beizulegen, welche in Wirklichkeit Nichts sind als Emporkömm- linge, oder durch Reichthum und Familienbande mächtige Häuptlinge und Dorfherren, wie sie auch an der Loangoküste noch zu Dutzenden sitzen. Bis über die Ogöweländer hinaus deutet Nichts auf den ehe- maligen Bestand wolorganisirter Staaten, wie es die Loangoreiche waren, deren einstige Herrscher den Namen König verdienten, und deren Nachkommen beiderlei Geschlechts noch gegenwärtig als Für- sten einen in jeder Beziehung ausgezeichneten Rang einnehmen, wie ihn wol die südlich im alten Congoreiche, nicht aber die östlich und nördlich wohnenden Stämme kennen. Auch das nächstliegende Yumba hat keine besondere politische Bedeutung, keinen über Häuptlinge gebietenden Oberherren gehabt. Der Name wird an Ort und Stelle nur für die Bai und eine anliegende Dorfschaft gebraucht; in Loango hingegen, überhaupt in grösserer Ferne, versteht man darunter ganz allgemein die jenseits des Banya liegende Landschaft von unbekannter Ausdehnung. Das geographisch und politisch umschriebene Gebiet verdient Bodenform. Gewässer. = eine besondere Beachtung aus geologischen Gründen. Das dem Ge- birge vorliegende Land darf als eine ausgezeichnete Lateritablagerung angesehen werden — die allerdings nicht blos auf die angenommenen Grenzen beschränkt ist — und zeigt die einförmige Oberflächengestalt, welche ein so nachgiebiges Gestein unter der Einwirkung von flies- sendem Wasser, Regen und Wind annimmt: Es ist ein Hügelland, dessen regellos angeordnete, oft an Dünenformen erinnernde Er- hebungen nur selten eine Höhe von hundert Metern überschreiten. Verschiedene tief liegende, blos auf kurze Strecken gänzlich flach verlaufende Ebenen von mässiger Ausdehnung steigen entweder in sanfter Bewegung bis zu funfzig und achtzig Meter Höhe an, oder werden von Erhebungen begrenzt, die namentlich an der Küste in auffallend steilen Abstürzen enden. Vom Meere gesehen erscheint darum das Land jäh abgebrochen und von dem gleichmässig die Küste säumenden niedrigen Strande wie von einem Sockel aufragend. Das hohe Land wird von den Thälern der aus dem Gebirge kommenden Flüsse durchschnitten und- in scharf getrennte Theile geschieden. Diese Thäler, vielfach von bedeutender Breite, gleichen Niederungen mit weiten auenartigen Geländen, denen sich die schon erwähnten, weniger fruchtbaren Tiefebenen anschliessen; in ihnen ruhen Sümpfe und Moräste, Seebecken, Lachen und Tümpel, welche in der Nähe des Meeres gewöhnlich als Lagunen auftreten. Denn die Wasserläufe haben ihre Betten so tief ausgefurcht, dass die Ein- wirkung von Ebbe und Flut — deren Unterschied, nach den inner- halb der Flussmündungen vorgenommenen Messungen, an der ein- förmigen Küste nicht mehr als einen Meter beträgt — in denselben und in den mit ihnen verbundenen Seitengewässern weithin binnen- wärts, während der Trockenzeit sogar bis in das Gebirge fühl- bar wird. 7 Mit einziger Ausnahme des gewaltig: strömenden Congo, den die Flut wol aufstauen, nicht aber rückwärts zwingen kann, zeigen daher in der Nähe der Küste alle Flüsse und die ihnen eingeordneten Ge- wässer ein mit den Gezeiten wechselndes Ab- und Einfliessen und ein entsprechendes Steigen und Sinken des Niveaus. Wenn dieses Verhältniss auch während ergiebiger Regenzeiten einige Aenderung erleidet, behalten dennoch alle Wasserläufe die Neigung zu stagniren; Niederungen und Thäler versumpfen, und ein murmelnder Quell, ein hurtiger Bach gehören in dem Lateritgebiete zu den Seltenheiten. Anders ist es im Berglande. Die Parallelketten des westafricanischen Schiefergebirges, deren höchste Gipfel vom Meere aus nur zwischen dem Kuilu und Banya 6 Westafricanisches Schiefergebirge. sichtbar werden, wachsen nicht unmittelbar aus dem vorlagernden Hügellande empor, sondern sind ebenfalls durch eine wasserreiche Niederung von dessen in gleicher Weise unter sich getrennten Theilen geschieden. Diese sich eng anschmiegende Zone tiefliegenden Lan- des, welche ich leider nur in zwei Gegenden untersuchen konnte, soll sich nach übereinstimmenden Angaben der Eingeborenen un- unterbrochen vom Congo bis zum Banya erstrecken. Das Gebirge ist somit scharf abgegrenzt, steigt aber trotzdem nicht unvermittelt zu beträchtlichen Erhebungen an. Der grossartige Urwald, der die westlichen Theile des Gebirges bekleidet, erschwert in hohem Masse den Einblick in dessen Aufbau. Im Allgemeinen ziehen die staffelförmig hinter einander aufragenden, oft eng gedrängten steilen Parallelketten von Südosten nach Nord- westen und erreichen allmählich eine Höhe von vierhundert bis siebenhundert, mit keinem der Gipfel wol eine solche von über tau- send Metern. Die frühere Annahme, dass eine Anzahl Terrassen zu einem grossen Plateau des Inneren überleite, findet keine Bestätigung, obwol die Bergzüge Yangelas von denen Tschiyombes vielfach durch ungewöhnlich ausgedehnte Hochthäler geschieden sein mögen. Die im engeren Sinne der Loangoküste angehörenden Flüsse haben ihren Ursprung in den westlichen Theilen des Gebirges, mit Ausnahme des grössten, des Kuilu, welcher aus den fernsten Bergen Yangelas und zwar weit von Süden herkommen soll. Zieht man die Eigenart desselben in Betracht, so lässt sich an dieser Angabe kaum zweifeln, um so weniger, als die Ueberlieferung einmüthig berichtet, dass Tschibongo schon jenseits der Berge liege, genau dem Küsten- gebiet Loangos gleiche, und dass dort die Wasserläufe der auf- gehenden Sonne zugerichtet seien, also dem Congobecken angehören — eine Thatsache, die weiter im Norden durch Brazzas erfolgreiche Reise über das Stromgebiet des Ogowe hinaus bestätigt wurde.’ Das westafricanische Schiefergebirge ist also ein Randgebirge, welches das weite Innere des aequatorialen Africas vollkommen gegen die Küste abschliesst. In seiner ganzen Breite wird es nur von dem Hauptstrome des Gebietes, dem Congo, durchbrochen, aber in einem so kataraktenreichen Laufe, dass der Schiffahrt unüber- windliche Hindernisse entgegenstehen. Die natürliche Unzugänglich- keit des Continentes, die ihm die ungünstigste Stellung unter allen anweist, dürfte so nahe am Meere und schärfer wol an keiner anderen Küstenstrecke ausgeprägt sein. Das Gebirge ist von mir am Congo, bei Böma, nur flüchtig und auf eine kurze Strecke, im Kuiluthale aber eingehend bis zu den Geologische Beschaffenheit. 7 Palissaden untersucht worden. Es wird gebildet von einer aus- gezeichnet entwickelten Reihe krystallinischer Schiefer: Glimmer- schiefer und Quarzit, welche von Westen nach Osten auf einander folgen und denen Quarzsandstein vorangeht, theils aber auch zwischengelagert ist. Von Mamänya ma tali, wo der Kuilu das Ge- birge verlässt, bis oberhalb des Durchbruches von Ngötu steht gelb- licher und röthlicher quarzitischer Sandstein an, welcher mehr oder weniger feinkörnig und theilweise glimmerhaltig ist. An beiden Orten wurden zwischenlagernde Phyllitschichten von geringer Mäch- tigkeit beobachtet. Von Ngötu bis zu den Palissaden, wo ein sehr harter hellgrauer Quarzit auftritt, folgen Glimmerschiefer, welche in ihrer Zusammensetzung und Structur mannigfach wechseln und bei Ndündu nsänga zahlreiche bis erbsengrosse sapphirblaue Quarzkörner enthalten. Diese in einer Mächtigkeit von etwa funfzehntausend Meter anstehenden Glimmerschiefer — sofern nicht eine Menge schrä- ger Falten eine Täuschung bedingen — werden bei Kakamüeka durch eine mehrere hundert Meter messende Zwischenlagerung eines fein- körnigen, sehr harten und rein weissen Sandsteins unterbrochen. Zur besseren Orientirung diene die am Schlusse dieser Abtheilung ge- gebene Specialkarte des Kuilugebietes. Uebereinstimmend mit der Richtung der Bergketten streichen die Schichten der Gesteine von Südosten nach Nordwesten und fallen unter Winkeln von vorwiegend dreissig bis fünfundvierzig Grad nach Südwesten ein. Die Glimmerschiefer zeigen stellenweise ziemlich jäh wechselnde Einfallswinkel, sowie gelinde Stauchungen; die Schichten des quarzitischen Sandsteines bei Kakamüeka stehen nahezu auf dem Kopfe. Bis zu dem fernsten von mir erreichten Puncte, den Palis- saden, ist demnach das Gebirge ein durchaus einseitiges, mag aber weiter im Inneren, in Yangela, vielleicht einen entgegengesetzten Schichtenbau besitzen. Diese Vermuthung gewinnt an Wahrscheinlich- keit, wenn man bedenkt, dass Dr. Lenz im Ogowegebiet die bequeme Wasserstrasse, die uns schon nahe der Küste verschlossen war, auf grosse Entfernungen benutzen konnte, die Bergketten also erst sehr weit vom Meere antraf, dass er dagegen bei ähnlicher Beschaffen- heit der Schichten steile Einfallswinkel nach Osten beobachtete, also vielleicht nur die in nördlicher Richtung sich fortsetzenden Höhen- züge von Yangela erforschte, die uns unbekannt blieben. Dann hätte man es mit einer gewaltigen, aus mehreren Gruppen von Ketten zu- sammengesetzten Gebirgswelle zu thun, welche in ihren westlichen Theilen westwärts, in ihren östlichen ostwärts fällt, deren westlicher an der Loangoküste untersuchter Theil jedoch nach Norden hin nicht 8 Ein Lateritgebiet; Varietäten des Gesteins. überall mehr oberflächlich ansteht und im Ogowegebiet von Dr. Lenz ahnungslos überschritten wurde. Ueber die Fortsetzung des Gebirges im Süden des Congostromes, über Verlauf und Beschaffenheit desselben ist nur wenig bekannt. Jedenfalls scheinen die im Norden scharf ausgeprägten, steilen Parallel- ketten im Süden nur noch als plateauähnliche Erhebungen aufzu- treten, welche das Hinterland nicht abschliessen. Denn seit alter Zeit giebt es dort eine Reihe von Karawanenstrassen, auf welchen sich der Verkehr zwischen der Küste und dem fernen Inneren regel- mässig und mit Leichtigkeit bewegt. Granitvorkommnisse fand ich an der Bai von Yumba, wo die niederen Felshügel der gleichnamigen Landschaft mit dem Cap Matüti enden und sich als wild umbrandete Klippen bis in das Meer fort- setzen, sowie am Congo unterhalb Böma, wo der mächtige Strom zwischen dem Blitzfelsen und dem Fetischfelsen hervor wie durch ein granitenes Thor in seine Niederung eintritt. Die Nähe dieser bedeutenden Eruptivmassen erklärt auch zur Genüge die bei Boma vorkommenden Unregelmässigkeiten in der Lagerung der Gesteine. Die Schichten des Glimmerschiefers zeigen dort starke Stauchungen und streichen, nahezu auf dem Kopfe stehend, sehr abweichend von der normalen Richtung. Aehnliches gilt auch für den unmittelbar oberhalb Boma am Congo in geringer Ausdehnung anstehenden Sandstein. Ferner sind in einem kleinen Seitenthale am Nordufer des Stromes Reste eines grobkörnigen und mürben, horizontal 1a- gernden, gelbgrauen Sandsteines erhalten, welche gleich riesigen Con- solen den Steilwänden anhaften; die offenbar einst das ganze Tha ausfüllende Hauptmasse ist von den Giessbächen der Regenzeit zernagt und dem Congo zugeführt worden. Das dem Gebirge vorliegende Hügelland, welches durch seine Beschaffenheit ausserordentlich an einige Küstenstriche Brasiliens erinnert, habe ich bereits als ein Lateritgebiet bezeichnet. Es ist aus einem mehr oder weniger thonigen sowie sandigen Gesteine auf- gebaut, welches in Säuren nicht aufbraust und keine Schichtung, kein charakteristisches Gefüge erkennen lässt. Nach deutlichen Merkmalen sind eine rothe und gelbe Varietät zu unterscheiden. Die Färbung der letzteren liegt innerhalb eines hellen Gelbbraun und eines lebhaften Ockergelb; die der ersteren schwankt, je nachdem das Gestein feucht oder trocken und frisch angebrochen ist, zwischen einem warmen Rothbraun und scharfen Ziegelroth, wirkt aber im Allgemeinen im Rahmen der Landschaft wie ein etwas unreines Kar- min, namentlich wo sich ausgedehnte Steilwände und Erosionsgebilde Lagerungsverhältnisse. Verwitternder Glimmerschiefer. 9 finden, die dann an vielen Stellen noch einen Anflug von mattem Weiss bis zum leuchtenden Chromgelb haben. Der rothe Laterit ist besser gebunden als der gelbe, gleicht einem feinsandigen milden Thon, ohne jedoch plastisch zu sein, und besitzt in trockenem Zu- stande die Festigkeit einer weichen Kreide. Der gelbe, für Wasser so durchlässige Laterit, dass nach einem heftigen Platzregen die ent- standenen Pfützen binnen kürzester Zeit spurlos verschwinden, ist sandreicher, von lockerem, lössartigem Gefüge und zerbröckelt leicht unter dem Druck der Finger. In nassem Zustande wird er vielfach zur Herstellung eines Tennenbodens verwendet, der zwar unter den Tritten der barfuss gehenden Eingeborenen sich bewährt, dem Schuh- werk der Europäer jedoch nicht gut zu widerstehen vermag. Beide Arten des Laterites wurden nirgends wechsellagernd ge- funden, sondern der gelbe ruhte überall auf dem rothen in einer mehrere Meter mächtigen Decke. Er scheint besonders in hügeligen Gegenden das ausschliesslich herrschende Gestein zu sein, während der rothe nur an steil abstürzenden Plateaus zu Tage tritt, wahr- scheinlich aber auch den Kern der Hügel bildet. Wo durch Erosion gute Aufschlüsse geschaffen sind, lässt sich die Grenze beider Arten deutlich verfolgen, in einer Linie, welche im Allgemeinen den äusseren Bodenformen parallel läuft, jedoch auch manche Ausstülpungen nach unten zeigt. In Folge dieser Lagerungsverhältnisse liegt die Ver- muthung nahe, dass der gelbe Laterit aus dem rothen durch Ein- wirkung der Atmosphärilien entstanden sei. Beide Gesteinsarten enthalten hier und dort kleinere Stücke und centnerschwere, scharfkantige Blöcke eines von Hohlräumen blasig erfüllten Brauneisensteines, dessen Vorkommen zu ihren charakteristi- schen Eigenschaften zählen darf. In einem ausgezeichneten Ero- sionsgebiet an der Bai von Loango waren in ihnen bis faustgrosse Gerölle von Quarz und quarzitischem Sandstein spärlich eingestreut, welcher letztere durch seine Beschaffenheit sehr an den im Kuilu- thale anstehenden erinnerte. Im Uebrigen aber fand ich im Laterit- gebiete ausser einzelnen Brauneisensteinblöcken nirgends etwa in der Masse steckende Quarzgänge oder umherliegende Steine, und gerade deren Mangel war auffallend. Anders gestaltet sich das Verhältniss auf den ersten Erhe- bungen des Gebirges bei Boma am Congo. Der Granaten führende Glimmerschiefer hat dort einen Zustand besonders vorgeschrittener Zersetzung erreicht; er ist theils gänzlich zerfallen, theils so mürbe, dass er mit der Hand zerbröckelt werden kann, und zeigt auf dem Bruche hochrothe und warmbraune bis gelbe Farben, deren ver- Io Gerölle, Copal, Malachit im Laterit. führerischer Reiz durch einen gewissen glitzernden und goldigen Schimmer erhöht wird. Dort haben, in der vergeblichen Hoffnung, Schätze zu gewinnen, portugiesische Händler einige Tagebaue in das Gestein eingetrieben und dadurch einen Aufschluss desselben geschaffen, welcher auf das Beste veranschaulicht, wie sich der Glimmerschiefer durch Verwitterung allmählich in echten Laterit verwandelt. Vom anstehenden gesunden Felsen bis zum vollkommenen und hier auch das charakteristische zellige Gefüge zeigenden Laterit folgten ein- ander auf einem verhältnissmässig kleinen Raum alle Stadien der Zersetzung. Neben diesem Gestein und theilweise auf ihm ruhend, ohne durch eine erkennbare Stufe von ihm geschieden zu sein, fand sich aber auch eine Höhen und Thäler überziehende Lateritschicht, deren Beschaffenheit an die gelbe Varietät des Vorlandes erinnerte. Auf ihr lagen jedoch in auffallender Menge kleine Quarzgerölle und scharfkantige Quarzbrocken umher, die aus ersteren wahrscheinlich unter dem Einflusse der sehr hohen Insolation und raschen Temperatur- wechsel entstanden sind. Petrefacten entdeckte ich im Laterit nirgends; nur Copalharz findet sich in manchen Gegenden häufig und in der Regel nester- weise in der gelben Varietät; in dieser sollen, einer Zone am Fusse des Gebirges folgend, nach Angabe der Eingeborenen auch mächtige Blöcke von Malachit eingebettet ruhen, von denen das früher in Menge zum Meere geschaffte Kupfererz stammte. ]J. J. Monteiro bestätigt in seinem reichhaltigen Werke „Angola and the River Congo“ I, ı9ı das gleiche Vorkommen von Malachitblöcken für Bembe, im Süden des Congo, etwa hundert Meilen landein von Ambrisette, und andere Orte, wo er im Auftrage einer englichen Gesellschaft die Gewinnung des Kupfererzes überwachte. Er bemerkt ausdrücklich, dass er dasselbe, ausser bei Mossamedes, nirgends in situ gefunden habe, und dass es nur durch die Kraft des Wassers an die gegen- wärtigen Lagerorte gelangt sein könne. Aus seiner Beschreibung ist zu entnehmen, dass die Malachitblöcke ebenfalls in den die Thäler er- füllenden Lateritmassen eingebettet ruhen. Das Liegende des Laterites der Loangoküste, an einigen Stellen des Strandes, namentlich an den Südmarken der Baien durch die Brandung blossgelegt, aber nur selten über das Niveau des Meeres ragend und darum schwer zugänglich, wird gebildet durch horizon- tale Schichten von Brauneisenstein, röthlichem Sandstein und unreinen plastischen oder steinartigen Thonen. Nach den einzig am Vorlande von Landäna gefundenen Petrefacten gehören diese wahrscheinlich dem Tertiär und der Kreide an. Erdpech, Petrefacten südlich vom Congo. 11 Während einer Dampferfahrt war es mir möglich, im Süden des Congo bis nach Kinsembo einige Küstenpuncte flüchtig zu besuchen, andere Strecken aus ziemlicher Nähe durch das Fernrohr zu be- trachten und Gesehenes durch Erkundigungen zu den folgenden An- gaben zu vervollständigen: Bis etwa fünfundzwanzig Seemeilen süd- wärts vom Congo ziehen sich ununterbrochen die unverkennbaren Steilwände des Lateritgebietes entlang; bei Cabeca da Cobra treten für eine kurze Strecke an dessen Stelle schroffe Küstenklippen, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus horizontal lagerndem Kalkstein be- stehen; zwischen den Schichten soll Erdpech hervorquellen. Einige Meilen landein von Kinsao — unter nahezu 7° s. Br. — soll sogar ein ausgedehnter See voller Erdpech liegen, in welchen man Antilopen und anderes Wildpret jage, um die stecken bleibenden Thiere bequem erbeuten zu können. Die in Folge von Annexionsversuchen der Portugiesen misstrauisch gewordenen Eingeborenen gestatten indessen keinem schaulustigen Europäer eine Untersuchung der Gegend, oder führen ihn absichtlich irre. Südlich von der felsigen Küstenpartie wurde wieder Laterit be- obachtet und zu Kaköngo, etwa fünfzehn Meilen im Süden von Cabeca da Cobra, flüchtig untersucht. Seine Beschaffenheit ist eine etwas andere als an der Loangoküste, am meisten ähnelt er der dor- tigen gelben Varietät; er ist von lockerem Gefüge, sehr thonig, warm sepiabraun bis rostroth und sogar violett gefärbt, und enthält zahlreiche, sehr kleine, auffallend gerundete Quarzgerölle sowie scharf- kantige Stücke von Brauneisenstein. Zum ersten Male fanden sich daselbst im Laterit Petrefacten, zarte wolerhaltene Schalen kleiner Bivalven — nach der Bestimmung von Dr. Lenz Leda, Mactra, Tellina, Cardium — und zwar an einigen Stellen in grosser Menge. Eine am Steilabsturz des Plateaus nach dem Strande sich gegen zehn Meter über dem Meere horizontal hinziehende, etwa einen halben Meter mächtige Schicht eines rostfarbenen, schon stark verwitterten steinartigen Thones konnte ich blos an einer Stelle erreichen, erbeutete aber ‚daselbst ihr aufsitzende Korallenstöcke. Dieser Punct der Steil- . wand war nur dadurch zugänglich, dass sich bis zur halben Höhe derselben ein Kegel von ausgezeichnet weissem, plastischem Thon anlehnte, der im Uebrigen frei vor dem Lateritabsturz und fast gleich hoch mit ihm auf dem breiten Strandwall thronte, — offenbar, weil seine zähe Masse dem Regen und gelegentlichen Uebergriffen der Brandung besser widerstanden hatte, als der sie einst umschliessende Laterit. Da der Dampfer abrief, vermochte ich dieses merkwürdige und einzige Vorkommniss leider nicht eingehender zu untersuchen. 12 Laterit: ein Zersetzungsproduct des Gebirges. Bei Kaköngo wirft die Brandung häufig auch flache Stücke von Fasergyps an den Strand. Bei Ambrisette fand sich hart am Meere anstehend ein gelb- grauer, muschelreicher Kalkstein. Dann schien abermals strecken- weis Laterit aufzutreten, und an dem erreichten südlichsten Punct, bei Kinsembo, unfern des mächtigen, mit losen Blöcken chaotisch übersäeten Granitstockes von Muserra trotzte eine etwa zehn Meter hoch aufragende Klippe von sehr bituminösem Kalkstein der Bran- dung. In der Nähe war eine Ablagerung vorzüglichen Kaolins, im Uebrigen nur Sand, wie er auch am Strande vorkommt. Nach ein- gezogenen Erkundigungen ist kaum zu bezweifeln, dass der Laterit nach Süden eine über die portugiesischen Besitzungen hinausgehende Verbreitung hat. Dies ist Alles, was etwa zur Kennzeichnung des Lateritgebietes der Loangoküste angeführt werden könnte; die mitgebrachte Samm- lung von Handstücken harrt noch der Untersuchung. Da bisher selbst Geologen von Fach nach speciellen Forschungen in anderen Welttheilen nichts Entscheidendes über die Bildung des Laterites zu begründen vermochten, scheint es fast verwegen, über dessen Ent- stehung und Verbreitung in Unterguinea eine Meinung abzugeben. Doch mag eine solche insofern einigen Werth besitzen, als sie sich auf eine Vielheit von kaum zu schildernden und dennoch bestimmend einwirkenden allgemeinen Eindrücken stüzt. Aus dem Vorkommen ungestörter tertiärer Schichten unter ihm darf wol geschlossen werden, dass der Laterit der Loangoküste von verhältnissmässig jungem, vielleicht diluvialem Alter ist. Dass er sich unter dem Einfluss der Atmosphärilien durch Verwitterung krystallinischer Schiefer bilden kann und noch bildet, ist durch den Befund bei Boma erwiesen. Auf Grund der Lagerungsverhältnisse ist es indessen durchaus unwahrscheinlich, dass die an hundert Meter mächtigen Lateritmassen, aus welchen das Vorland aufgebaut ist, ein Verwitterungsproduct in situ seien. Zwar ist an den er- schlossenen Stellen nirgends eine Schichtung derselben beobachtet worden, auch fehlten ihnen die Fossilien, doch enthalten sie an der Bai von Loango Gerölle und in vielen Gegenden Copalharz. Ausser- dem zeigt das Gestein nicht das zellige Gefüge des bei Boma noch an seinem Entstehungsorte liegenden, sondern erscheint dichter und gleichartiger. \ Auf Grund des Angeführten darf man wol annehmen, dass das Lateritgebiet der Loangoküste aus einer Ablagerung der Zersetzungs- producte des Gebirges hervorgegangen und also im vollsten Sinne Entstehung des Vorlandes. Deltabildung. 13 des Wortes ein Vorland ist; Regengüsse, Bäche und Flüsse haben das Gestein herabgeschwemmt und weithin seewärts ausgebreitet. Ob dies geschah, während das Land höher als gegenwärtig über dem Meeresspiegel aufragte, oder ob es geschah, während es tiefer in den Ocean eingetaucht war — das jetzige Lateritgebiet mithin als ein Delta vorzugsweise des gewaltigen Congo entstand —, ist vorläufig nicht zu entscheiden. Dass jedoch die Ablagerung auch unterseeisch erfolgt sein kann, darf durch die im Süden bei Kakongo gefundenen Petrefacten als erwiesen gelten. Räthselhaft bleibt es jedoch, warum gegenwärtig, während die krystallinischen Schiefer nach wie vor verwittern und sich in Laterit umwandeln, die Wasserläufe nicht mehr diesen, sondern nur noch reinen Sand und Lehm herbeiführen und absetzen. Betrachtet man. die grossen Züge der Bodengestalt des Laterit- geebietes, so muss man ihm, je nachdem man dasselbe als ein Subaeril- gebilde oder als eine Deltabildung auffasst, innerhalb gleich grosser Zeiträume entweder eine früheste Erhebung, eine folgende Senkung und ein abermaliges Aufsteigen, oder nur eine ehemalige unterseeische Lage und ein späteres Emporschweben zugestehen. Alle erhabenen Bodenformen des Vorlandes bestehen aus Laterit, der in seiner gelben Varietät sowol die Granitkuppen Yumbas vom Cap Matuti an, wie die Bergketten des westafricanischen Schiefer- gebirges bedeckt und dessen Thäler erfüllt. Tiefliegende Gelände dagegen, die Flussniederungen und ihnen zugehörige Ebenen sind aus Alluvionen von reinem Sande und Lehm gebildet. Eine Senkung des Gebietes um wenige Meter würde diese Niederungen unter Wasser setzen, in verschieden tief einspringende Meeresbuchten ver- wandeln, welche von Laterithöhen umrahmt wären. Ja, wenn die Angaben der Eingeborenen, dass am Fusse des Gebirges vom Congo bis nach Yumba eine Zone niederen Landes mit Sümpfen und Seen sich entlang ziehe, zuverlässig sind — eine Angabe, welche sich am Kuilu und Banya und auch am Congo, soweit vom Mast des Dampfers aus ein Ueberblick gewonnen werden konnte, als durchaus richtig erwies —, dann würden bei genügender Senkung die hohen Landestheile als eben so viele Inseln in dem bis zum Gebirge aus- gedehnten Meere erscheinen. Betrachtet man jene Zone niederen Landes als wirklich vor- handen, zieht mar in Rechnung, dass der Fetischfelsen am linken Congoufer einst wahrscheinlich viel weiter nach Norden vorsprang — wie die noch gegenwärtig im Strombett gefürchtete Strudel erzeu- genden Klippenreste vermuthen lassen —, so hat die Annahme nichts 14 Aufsteigen oder Sinken des Gebietes, Gezwungenes, dass der Congo vor dem letzten Aufsteigen des Landes dem atlantischen Ocean in mindestens zwei Armen zuströmte. Der eine erfüllte in westlicher Richtung das die jetzige Niederung bildende Bett, der andere floss um den Blitzfelsen nach Nordwesten am Ge- birge entlang, nahm die jetzigen Wasserläufe der Loangoküste auf und erreichte etwa am Cap Matuti das Meer. Der räthselhafte Banya wäre dann ein Rest des alten Congobettes, und der niedere flache . Landstrich, der ihn weithin vom Meere scheidet, würde die ehemalige Barre desselben vorstellen. In wenigen Zügen liesse sich demnach die Entstehungsgeschichte der Loangoküste folgendermassen zusammenfassen: Das heutige La- teritgebiet — dessen ursprüngliche Bildung als unbekannt gilt — beginnt allmählich aus dem Meere emporzusteigen, tritt als Plateau zu Tage und wird in verschiedenen Richtungen durch fliessende Ge- wässer gleichmässig ausgeschnitten. Der Congo überwältigt den weit vorspringenden Wall des Fetischfelsens, sendet seine ganzen Wassermassen in directer Richtung zum Meere und zieht sich aus seinem nordwestlichen Arme zurück. Die ihm bis dahin tributären Flüsse werden selbständig, und im Laufe der Zeit bildet sich bei fortschreitender Hebung und Erosion wie Abspülung der Küsten durch die Brandung die gegenwärtige Gestalt des Landes heraus. Die umfangreichen Reste des Lateritplateaus liegen hoch und trocken; die ehemaligen weiten Betten der Stromarme sind durch Anschwem- mungen in niedere Ebenen und auenartige Gelände verwandelt, in welchen die jetzigen Wasserläufe und die mit ihnen verbundenen oder selbständigen Lagunen, Sümpfe und Seen .die tiefsten Stellen erfüllen. Ob die Veränderungen noch in der Gegenwart sich in demselben Sinne vollziehen, ist insofern schwierig zu entscheiden, als die das Urtheil leitenden, von vielen Nebenumständen abhängigen Merkmale durch ihre bald allgemeine, bald örtlich beschränkte Beweiskraft leicht verwirren können. Beim ersten Anblick der Küste möchte man ein Senkungsgebiet vermuthen: denn offenbar wird das Land vom Meere verzehrt. Eingehendere Beobachtung lehrt jedoch, dass dies schon geschehen kann lediglich in Folge der Einwirkung der Brandung auf das mürbe Gestein. Die tiefliegenden Betten der bis in das Ge- birge unter dem Einfluss des Meeres stehenden Wasserläufe, die ver- sumpften Niederungen, welche ebenfalls auf eine, sich noch vollzie- hende Senkung — oder auf eine solche, die in der jüngsten geologischen Vergangenheit stattgefunden hat — schliessen lassen, mögen auch entstanden sein durch die bedeutenden Hochwasser der Regenzeit, die Einwirkung des Meeres auf die Küste. 15 namentlich die Thäler des Gebirges mit ungeheurer Gewalt entlang tosen, tonnenschwere Felsmassen mit sich reissen und hinderndes Gestein schnell zermalmen. Die Eigenart der Lagunen, die Anord- nung der für Aufklärung geologischer Probleme nicht unwichtigen Brackwasserflora, sowie der Bestand der an entlegenen, der Herrschaft der Gezeiten unterworfenen Wasserbecken wie auf den Uferleisten der Flüsse in grossartiger Entwickelung gedeihenden Galleriewälder, ferner die Lage der zum Theil sehr alte Bäume tragenden Strand- wälle an der Mündung des Kuilu, welche ehemalige Nehrungen des- selben sind, deuten auf ein langes Beharren der Küste in der gleichen Meereshöhe. Ein anderes wichtiges Zeugniss dafür, dass seit vier Jahrhunderten wesentliche Veränderungen in derselben nicht ein- getreten sind, geben die noch vorhandenen Trümmer des am Point Padräo, dem Endpuncte der niederen Alluvialebene an der Südseite der Congomündung, vom Entdecker Diogo Cäo wahrscheinlich noch am Schlusse des Jahres 1484 errichteten, 1645 aber von den Holländern umgestürzten Steinpfeilers. Die Loangoküste kann demnach weder zu den sinkenden noch zu den aufsteigenden Gebieten gezählt werden. — Die Umgestaltung, welche das Litoral erleidet, erfolgt haupt- sächlich durch die anstürmende Brandung und die in den Mündungs- gebieten der Flüsse gegen sie ankämpfenden ausgehenden Gewässer, in weit geringerem Grade durch Meeresströmungen. Der Einfluss der letzteren auf die Formenwandlung der Flachküsten wird gemein- hin zu sehr überschätzt, während die bedeutsame Thätigkeit der eigenartigen Brandung kaum Beachtung findet: Meeresströmungen vermögen wol Tiefen aufzufüllen, Bänke abzulagern, den Aufschüt- tungen der Flüsse eine bestimmte Richtung anzuweisen, aber sie sind nicht im Stande, Land unmittelbar aufzubauen wie die Brandung, die selbst an sinkenden Küsten noch Uferlinien aufwirft, während die Spuren der doch nur unterseeischen Thätigkeit jener erst bei einer allgemeinen Hebung des Gebietes zu Tage treten können. Eine beharrliche Abbiegung der Mündungsstrecken von Flüssen und vorspringender Küstentheile lässt wol den Einfluss einer Meeres- strömung vermuthen, beweist aber nicht die alleinige Wirksamkeit derselben; jene Bauwerke können entstehen und weiterwachsen selbst bei entgegengesetzter Stromrichtung. Wie manches Landgebilde würde sich überdies beim Zurückweichen des Oceans nicht als ein gewordenes, sondern als ein gegebenes enthüllen. Die Loangoküste wird mit wenigen und räumlich sehr be- schränkten Ausnahmen von einem niederen sandigen Strande um- 16 Gestade,. Südatlantische Strömung. säumt, welcher den besten Verkehrsweg des Landes bildet. In sanfter Böschung zu einem etwa drei bis fünf Meter hohen Wall ansteigend, senkt er sich wiederum in verschiedener, im Allgemeinen wol hundert Schritt betragender Breite sehr allmählich binnenwärts, bis unver- mittelt und sehr steil das ältere Land von ihm aufragt. Die Stellen, an welchen Flussmündungen den Strand unterbrechen, sind vom Meere aus selbst in ziemlicher Nähe ohne Beachtung von Landmarken kaum zu erkennen, weil ein Kranz schäumender Brecher die Land- linie wie die Barren der Flüsse markirt. Entsprechend der einförmigen Strandbildung senkt sich der Meeresboden so unmerklich, dass eine Tiefe von fünf Faden erst in einer Entfernung von zwei bis drei Seemeilen erreicht wird, und dass man auf jede weitere Meile Abstand etwa einen und einen halben Faden mehr rechnen darf; Walfänger ankern daher ausser Sicht des Landes, gleichsam im offenen Meere. Doch finden sich auch schon nahe der Küste auffällige und verhältnissmässig bedeutende Tiefen, wie an der Congomündung, in verschiedenen Baien und südlich vom Cap Matuti, und wiederum bedenkliche Untiefen wie vor der Bai von Kabinda, zwischen Tschintschötscho und Massäbe, nördlich von der Tschilungabai und seewärts von Löngo (Pontabända). Diese werden vermuthlich durch Riffe von Brauneisenstein verursacht. Die kühle südatlantische Strömung wälzt sich keineswegs zu allen Zeiten an der ganzen Loangoküste und in unmittelbarer Berührung mit dieser entlang, sondern nimmt, wahrscheinlich schon durch die Fluten des reissenden Congo wesentlich abgedrängt, ihren wechseln- den Verlauf allmählich weiter seewärts. Ihre Landnähe kann man im Allgemeinen nur bis jenseits des Kuilu zweifellos nachweisen, und zwar nicht durch die Spuren ihrer Einwirkung auf das Gestade, son- dern durch die mit ihr treibenden Gegenstände, durch die später an- zuführende Verbreitung einer Fächerpalmenart und durch die Tem- peratur des Seewassers. Letztere schwankte nach zwei im März und April 1876 während einer Küstenfahrt gewonnenen Beobachtungs- reihen von Landäna bis zur Tschilüngabai, zwei bis fünf Meilen vom Lande, zwischen ı9.,° und 22..°, stieg dann aber rasch auf 25.,° und 26.,° bis zur Bai von Yumba, während gleichzeitig andere wichtige Veränderungen eintraten. Am meisten fiel mir die an den Golfstrom erinnernde tiefblaue Farbe und ungewöhnliche Klarheit des Wassers auf. Die letztere war so bedeutend, dass ein mittelst der Lothleine versenkter blanker Blechtopf mit einem Bogen weissen Papieres, beim zweiten Ver- suche ein Teller von fünfundzwanzig Centimeter Durchmesser, an Eindringen der Guineaströmung. 17 einem stillen sonnigen Morgen bis zu siebenundzwafizig und neun- undzwanzig Meter Tiefe erkennbar blieb, während der nämliche pri- mitive Messapparat, unter gleichen Umständen, in der graugrünen südatlantischen Strömung den Blicken schon bei kaum zehn Meter Tiefe entschwand. Ferner tauchten Meeresbewohner auf, die im gewöhnlichen Bereiche der letzteren nicht vorkommen, wie Haie und die gierigen Makrelenarten: Doraden und Boniten (Coryphaena und Pelamys), welche mit äusserst zahlreichen und lärmenden Seevögeln unter den Fischschwärmen auf Beute fahndeten; auch fliegende Fische, die w£iter südlich sehr selten sind, gab es in Menge. Eine teller- grosse Qualle, die namentlich in der Bai von Yumba vielfach am Strande lag und welche zwischen Gabun und den Guineainseln sehr gemein ist, trieb ebenfalls in grosser Anzahl im Wasser. Diese und andere charakteristische Kennzeichen, welche dem Beobachter sofort auffallen müssen, beweisen zur Genüge, dass zur Zeit meiner Reise eine von Norden kommende warme Strömung nahe bis zur Bai von Tschilunga herabgedrungen war. Diese soll sich nach übereinstimmenden Angaben der das fragliche Gebiet durch- kreuzenden weissen wie schwarzen Küstenfahrer, in der Regel bis südlich vom Cap Matuti, öfters bis zum Kuilu erstrecken; nach un- seren Erfahrungen dringt sie in sehr seltenen Fällen sogar bis zur Bai von Kabinda vor. Im Juli und September des Jahres 1875 sah ich, trotz der scharfen Seebrise aus Südwesten, das ausgehende miss- farbige Kuiluwasser nach Süden sich ausbreiten und fand es im October sogar bis zur Bai von Loango hinab treibend. Tuckey da- gegen giebt an, dass im Mai 1816 ausserhalb der Bai von Yumba die Strömung eine Meile in der Stunde nach Norden setzte, zur Zeit des Vollmondes indessen schwächer wurde. Diese Beobachtungen berechtigen zu dem Schlusse, dass in dem fraglichen Gebiete mindestens sehr wechselnde Strömungen herrschen und dass die von Süden kommende häufig durch einen von Norden kommenden Strom wärmeren Wassers von der Küste abgedrängt wird. Letzterer ist zweifellos eine Fortsetzung des Guineastromes und mag sich in der Regel bis in die Gegend von Cap Matuti, zuweilen noch weiter südwärts ausdehnen. Die durchschnittliche Geschwindig- keit beider Strömungen beträgt nach rohen Messungen etwa eine, höchstens aber zwei Seemeilen in der Stunde, während der Syzygien soll jedoch die von Norden kommende ausserhalb der Bai von Yumba über drei Meilen in derselben Zeit zurücklegen. Eine vorwiegend so geringe Vorwärtsbewegung der Gewässer schliesst ohne weiteres die Annahme aus, dass die derben Sande, aus Loango, III, 2 18 Die Calema; ihr Vorkommen. denen die jungen Bauwerke des Meeres bestehen, etwa auf weite Strecken schwebend fortgeführt würden. Da dieselbe überdies nicht einmal dauernd in derselben Richtung stattfindet, wäre es wol doppelt gewagt, wenn man gewisse Gliederungsformen des Gestades bis zum Gabun hin auf die Wirksamkeit der südatlantischen Strömung zurück- führen wollte. Diese Gebilde sind ausschliesslich entstanden — und würden entstehen trotz jeder beliebigen Strömung, so lange dieselbe nicht ein Uebermass von Kraft erreicht — unter der mächtigen Ein- wirkung einer Brandung, welche fast ununterbrochen die Küste schlägt und dem Handel, dem Verkehre zwischen Meer und® Land ausserordentliche Schwierigkeiten bereitet. Diese Brandung, in Unterguinea allgemein Calema genannt, zeigt eine ausgeprägte Eigenart, welche sich an allen Flachküsten mehr oder weniger typisch wiederholt, aber in Westafrica wol ihre, wenn nicht grossartigste, so doch vollendetste Ausbildung erlangt. Wäre das Land reich an guten Häfen und Strassen, so würde die so ge- fürchtete Calema höchstens noch von den eingeborenen Fischern be- achtet werden; wäre es von Steilküsten umgeben, so würde sie als die bekanntere Form der Brandung nichts Aussergewöhnliches mehr haben. Da sie aber unter den obwaltenden Umständen das Gestade wie ein abschreckender Gürtel umgiebt und es oft gänzlich unnahbar macht, da ferner über ihr Wesen wol nirgends bisher methodische Beobachtungen angestellt wurden, vermuthete man in ihr etwas Ge- heimnissvolles und beim Suchen nach einer Erklärung bevorzugte man daher das am fernsten Liegende und übersah das Nahe, das Natürliche. Vornehmlich sollte sie auf irgend eine Weise durch die Ein- wirkung des Mondes entstehen, nach einer kühnen Theorie sogar eine Folge der Wellenberge sein, welche das jähe Ablösen ungeheurer Eismassen am Südpol erzeuge. Man beachtete nicht die Thatsache, dass sie — als Surf der englischen Seeleute — an allen Flachküsten auftritt: an den Landes in der Bai von Biscaya, wie im Busen von Bengalen, an der Ostküste Nordamericas wie an der Küste von Venezuela, Brasilien, Chile und Untercalifornien, an den Gestaden: der Nord- und Ostsee wie an denen des Mittelmeeres — wenn auch ver- schieden an Regelmässigkeit der Gestalt und an Macht und Grösse, je nach Bodenform und Ausdehnung der ihrer Entwickelung dienenden Wasserbecken. | Eine schwere Cal&ema ist eine grossartige Naturerscheinung, na- mentlich bei vollkommener Windstille, wenn weder kleinere kreuzende Wellen die andringenden Wogen brechen und beunruhigen, noch das Erscheinung der Calema. 19 Spiegeln der Wasserfläche aufheben. Von einem etwas erhöhten Standpunct aus erscheint dem Beobachter das glänzende Meer von breitgeschwungenen regelmässigen Furchungen durchzogen, welche, durch Licht und Schatten markirt und unabsehbar sich dehnend, an- nähernd parallel mit der mittleren Strandlinie angeordnet sind. Von den aus der Ferne nachdrängenden ununterbrochen gefolgt, eilen die Undulationen in mächtiger aber ruhiger Bewegung heran, und heben sich höher und höher in dem allmählich flacher werdenden Wasser, während gleichzeitig die bis dahin rein schwingende Bewegung der Wassertheilchen mehr und mehr in eine fortschreitende übergeht. Eine Zone von entsprechender Tiefe durchlaufend, verwandelt sich jeder einkommende langgestreckte Wellenzug in einen vollstän- digen Roller, welcher sich im Heranstürmen immer steiler aufrichtet und, durch Reibung am Boden gehemmt, mit seinem vorauseilenden Schema der Calema-Bewegung. oberen Theile nach vorn wölbt, um endlich nahe ‘am Strande in schönem Bogen überzufallen. Während eines Augenblicks gleicht die Masse einem flüssigen durchscheinenden Tunnel, im nächsten bricht sie in gewaltigem Sturze donnernd und prasselnd zusammen. Dabei werden, wie bei Explosionen, durch die im Inneren eingepresste Luft Springstrahlen und blendende Wassergarben emporgetrieben; dann wälzt sich die schäumende wirbelnde Flut am glatten Strande hinauf, um alsbald wieder wuchtig zurückzurauschen, dem nächsten Roller entgegen. Die Illustrationen Abtheilung I 4o und II ı6 veranschau- lichen den Anblick einer schwachen Calema vom Strande aus. Einen besonderen Reiz gewinnt das Schauspiel, wenn heftige Windstösse, etwa bei einem losbrechenden Gewitter, den Rollern vom Lande entgegenwehen, ihre vordere ansteigende Hälfte treffend, sie zu höherem Aufbäumen zwingen und ihre zerfetzten Kämme hinweg- führen; jeder heranstürmende Wasserwall ist dann mit einer sprü- henden, flatternden Mähne geschmückt. Von unvergleichlicher, ge- heimnissvoller Schönheit ist der Anblick der Calema des Nachts, wenn das Wasser phosphorescirt, von blitzähnlichem Leuchten durch- zuckt wird, oder wenn das Licht des Vollmondes eine zauberische, in höheren Breiten unbekannte Helligkeit über dieselbe ergiesst, und nicht minder des Abends, wenn die Farbenglut eines prächtigen 2* 20 Grösse der Roller, Störungen. Sonnenunterganges im wechselnden Spiel von dem bewegten Elemente wiederglänzt. Das Getöse, welches diese Art der Brandung hervorbringt, er- innert in einiger Entfernung sowol an das Rollen des Donners wie an das Dröhnen und Prasseln eines vorüberrasenden Schnellzuges, durch seine Gemessenheit aber auch an das ferne Salvenfeuer schwerer Geschütze; dazwischen wird bald ein dumpfes Brausen, bald ein helles Zischen und Schmettern hörbar. Zuweilen endet das Toben plötzlich mit einem einzigen übermächtigen Schlage, und es folgt eine secunden- lange, fast erschreckende Stille: So ist es namentlich des Nachts von hohem Reize, der mannigfach wechselnden Stimme, dem grossartigen Rhythmus der Calema zu lauschen. Entsprechend der Grösse und den Abständen der zum Strande drängenden Wogen wiederholt sich das Ueberstürzen derselben in Pausen von durchschnittlich zwölf bis funfzehn Secunden, dennoch aber mit solcher Regellosigkeit, dass in ganz zufälliger Reihenfolge und Anzahl auch Intervalle vorkommen, welche als seltene Extreme bis zu vier Secunden verkürzt und bis zu fünfundzwanzig verlängert sind. Während einer sehr schweren Calema erlangen die Roller an der Loangoküste im Momente des Ueberfallens eine Höhe von drei und vier Metern; bei einer aussergewöhnlich grossartigen soll deren Höhe noch um mindestens die Hälfte bedeutender sein. Die Mit- glieder der Expedition haben einen solchen äusserst seltenen Fall innerhalb fast dreier Jahre nicht beobachten können. Die des Tages wehende Seebrise stört durch die erzeugten Windwellen die volle Entwickelung der Wogenzüge; anhaltende Platzregen wirken eben- falls niederdrückend auf dieselben. Nach dem Zusammenstürzen eines jeden Rollers wird ein warmer Lufthauch fühlbar, dessen erhöhte Temperatur wol nicht allein durch den grösseren Feuchtigkeitsgehalt, sondern auch durch die in Wärme umgesetzte Arbeit der mächtigen Wasserbewegung erklärt wird. Wie jede andere Brandung ist auch die Calema vielfachen Wand- lungen unterworfen und tost nicht immer mit gleicher Gewalt um die Küsten. Es treten Zeiten ungewöhnlicher Ruhe ein, bis sie plötzlich wieder schon binnen wenigen Stunden einen hohen Grad von Stärke erreicht, diesen vielleicht für mehrere Tage bewahrt, und ebenso schnell wieder verliert. In der Regel aber entwickeln sich bedeutende Veränderungen erst im Verlaufe eines Tages. Je nach der Stärke der gerade herrschenden Calema und je nach dem Neigungswinkel des Grundes brechen die Roller in verschieden grosser Entfernung vom Strande. An einigen Stellen fallen sie erst Regellosigkeit der Brecher. >21 unmittelbar vor diesem über, an anderen schon erheblich weiter see- wärts; an ersteren wird die Brandungszone von nur je einem Roller, an letzteren von mehreren derselben in Abstufungen gebildet. In diesem Falle ist die Calema dem Verkehr von Booten und Canoes am hinderlichsten, in geringerem Grade jedoch während der Flut als während der Ebbe, da bei hohem Wasserstand die Roller näher zum Strande gelangen, ehe sie brechen. Die Entfernung des Brandungs- gürtels vom Strande mag je nach den verschiedenen Strecken zwischen zehn und hundert Schritt schwanken. Einzelne besonders schwere Roller erhöhen ebenfalls durch ihre Wassermassen das Niveau des Meeres für eine kurze Zeit an räum- lich beschränkten Orten, während umgekehrt wieder eine entspre- chende Erniedrigung des Wasserstandes eintritt, so dass unmittelbar folgende Roller entweder mit grösserer Leichtigkeit sich fortbewegend, zeitweilig näher zum Strande gelangen können, oder früher als sonst gehemmt, sich ferner von diesem überwälzen müssen. Da nun über- dies die Wogenzüge sehr verschieden nach Grösse und Abständen einander jagen, so findet innerhalb gewisser Grenzen ein steter Wechsel in der Lage der Brecherzone statt, welcher Veranlassung zu verschiedenen, an der Küste traditionell gewordenen Irrthünern gegeben hat. Die während eines Zeitraumes von achtzehn Monaten durchge- führten methodischen Beobachtungen der Calema bestätigten nur, was ich auf Grund von früher an anderen Küsten empfangenen Ein- drücken voraussetzte: dass die Erscheinung in jeder Hinsicht eine regellose sei. Schwere Roller und kurze Zeitintervalle, kleine Roller und lange Zwischenpausen sowie alle innerhalb dieser Extreme lie- genden Combinationen folgten in keinem Fall in bestimmter Ordnung aufeinander. Aus den nachstehenden Tabellen ist dies deutlich zu erkennen. Dieselben sind den umfangreichen Beobachtungen entnommen, die ich in der Weise gewann, dass ich die von dem Brechen des einen Rollers bis zu dem des nächsten vergehenden Secunden zählte und neben diese Zahlen die relative Grösse des überfallenden Rollers in absteigenden Graden mit a, b, c bezeichnet, schrieb. Anfänglich dehnte ich die Beobachtungen auf Reihen von mehreren hundert Rollern aus, begnügte mich aber dann mit Gruppen von je sechzzig, weil durch diese Beschränkung das Resultat nicht wesentlich beein- flusst wurde. Die Stärke der gerade herrschenden Calema ist regel- mässig mindestens drei Mal des Tages geschätzt worden. Hier sind die verschiedenen Grade der Heftigkeit durch die Zahlen ı bis 7 be- 22 Seegang und Calema. zeichnet, und zwar bedeutet ı eine schwache Calema, deren Roller im Augenblicke des Ueberfallens eine durchschnittliche Höhe von einem Meter erreichten, 3 eine mittlere mit zwei Meter hohen, 5 eine starke mit drei Meter und 7 die stärkste beobachtete mit vier Meter hohen Rollern. Tschintschotscho, ı8. September 1874, Mittags ıı Uhr. Stärke der Calema: 3. 135 ı10 126 wa 11a 110100, 120 wc 18602100. 190), 110 100R10B IOC 14c 110. 160. 190, 170, 11008.00, 2008 Danone 8b 17c ı8C Sa aısa 120 130 1006 1060 120 002 170 1,00 000126 162 146 150. 110 140 110, 110 090 106, 170 11:0, 786002. 06,:0) 0 Mittel der Zeitintervalle: ı2'67, Extreme: 8 und ı7 Secunden. 21. September 1874, Morgens 8 Uhr. Stärke der Calema: 5. 1556 160 1208 120, 17a 17c. 80 110 100190, 1101500 3 ı76 166 146 116 146 166 ı96 196 136 206 1865 1285 186 16c ud 130 100: 195 106 1806 17€ 90 1304200. 180) 180. 1208, Harn 1az 12@ 180200 1561180. 18@ 14@. 210 126. 1006, 1300 1301, 2a Dez Mittel der Zeitintervalle: 15'113, Extreme: 6 und 24 Secunden. Diese unverkennbare Regellosigkeit entspricht der des Seeganges überhaupt, ist, wie sich bald zeigen wird, eben der unmittelbare Aus- druck desselben. Ebensowenig ist es mir während langer Seereisen und unter sehr günstigen Verhältnissen auf hohem Meere oder an Küsten jemals gelungen, einen Rhythmus der Windwellen oder der Dünung aufzufinden, weder in der Zone der Passate, noch während lang- dauernder Stürme schwerster Art am Cap Horn und in anderen Erd- gegenden. Das Verhältniss der Wellengrössen, der Abstände von einander und der Zeitintervalle des Vorübereilens blieb unter allen Umständen ein durchaus beziehungsloses und zufälliges, wie bei den Brechern der Calema — doch soll ein gegenseitiges Anähnelungs- vermögen der Wogen während eines lang blasenden Sturmes und in einem ausgedehnten Gebiete keineswegs bestritten werden. Die in Westafrica von Eingeborenen und Europäern verfochtene Behauptung, dass die Calema an einzelnen Strecken sehr schwer herrschen könne, während sie zur nämlichen Zeit an zwischenliegenden oder nahe angrenzenden kaum wahrzunehmen sei, lässt sich in ihrer Tragweite beschränken durch schon angeführte Beobachtungen, nach welchen sowol allgemeine von Ebbe und Flut bewirkte als auch räumlich beschränkte Wasserverschiebungen das Wesen der Brecher: Mond und Calema. 23 für entsprechende Zeiten und Oertlichkeiten verändern können; an- dere Verhältnisse, wie gelegentliches Umspringen oder Auffrischen des Windes, Platzregen, aufliegende Schichten von Flusswasser und locale Strömungen, sowie schwimmende Inseln bedingen ebenfalls mannigfache Abweichungen. Eine vielfach verbreitete Ansicht, dass auch der Sonnenschein die Calema beruhige, bedarf kaum der Ver- neinung: Die am Tage wehende Seebrise, nicht der Sonnenschein verhindert die volle Entwickelung der Roller; des Nachts hingegen erregt das von der ruhigen thaufeuchten Luft übermittelte Tosen derselben eine übertriebene Vorstellung von ihrer Heftigkeit und Grösse. Am hartnäckigsten wird die schon erwähnte Ansicht vertheidigt, dass der Mond zu dem Einsetzen der Calema in engister Beziehung stehe. Innerhalb dreier Tage vor wie nach Voll- und Neumond soll dieselbe stets eine besondere Stärke erreichen. Während so aus- gedehnter Perioden, die ja nahezu die Hälfte des synodischen Monats umfassen, wird nun allerdings häufig genug die Brandung zu beson- derer Stärke anschwellen und eine Bestätigung der Theorie geben; jedoch ist dies ebenso häufig auch nicht der Fall. Ist die Einwirkung des Mondes bedingend für das Auftreten der Calema, so muss sich dieselbe mit überzeugender Gesetzmässigkeit während der Syzygien und Quadraturen verstärken und abschwächen; ist dies nicht so, tritt während dieser Perioden ein Anwachsen und Niedergehen der Brandung beliebig ein, so kann der Mond mit ihrer Entstehung Nichts zu schaffen haben. Letztere Voraussetzung wurde in der That durch die Beobachtungen vollständig bestätigt: die Calema ist auch in dieser Beziehung eine durchaus regellose Erscheinung. Dies ergiebt sich aus der umstehenden Tabelle, in welcher die mittleren Tagesstärken der Brandung für das Jahr 1875 zusammen- gestellt und zugleich die Hauptphasen des Mondes markirt sind. Richtiger hat man in Unterguinea die bedeutsame Thatsache erkannt, dass die Brandung während der regenlosen Jahreszeit, also während des Winters der südlichen Hemisphäre am stärksten . auf- tritt. Diese Thatsache wird entscheidend für die Frage nach der Herkunft der Calema. In jeder der beiden Hälften des atlantischen Oceans wüthen die gewöhnlichen Stürme am häufigsten und heftigsten während der Winterzeit; auf der südlichen Hemisphäre nehmen sie mit höheren Breiten sehr rasch an Heftigkeit zu und toben jenseits des funfzigsten Breitengrades etwa zehnmal so häufig als zwischen dem Aequator und dem Wendekreis des Steinbockes. In Folge dessen kommt in 24 Stürme und Calema. dem ruhigeren, tropischen Theile des Oceans, in welchem trotzdem immerhin einzelne Stürme unmittelbar Wogen erzeugen werden, der Seegang während des nördlichen Winters vorwiegend von Norden und Nordwesten, während des südlichen aber von Süden und Süd- westen. Die Calema am Strande von Tschintschotscho im Jahre 1875. Datum| Januar | Febr. | März | April | Mai Juni Juli | August | Septbr.| Octbr. | Novbr. | Decbr. | ® A [o) [o)) I DrerHeHkHH HH non | OO oı Sn RW H OO OS On pw N HH | 2 I 4 3 2 4 5 I I 2 I 3 4 2 3 7 6 4 5) I I 2 I 3 2 2 5 6 6 5 4 o 2 2 I 3 2 3 6) B) B) 5) 4 I 2 2 I 4 3 4 I 2 3 4 4 3 3 2 I 4 3 $) 4 I 4 5) 5) 3 3 3 I b) 3 3 3 I 2 6) 4 2 3 3 I 3 3 2 2 2 4 B) ö 5) I 2 I 2 2 2 2 2 3 3 4 4 I 2 2 2 2 I 3 2 7 3 I 3 I 3 2 4 3 2 2 I 6 5 2 4 I 3 2 3 3 2 3 I 4 5 2 Ro 4 I 3 A 2 Al a 4 5 2 BORT I 4 I 3 3 I A ker 3 6| 02 2 I 3 I 3 Sl 1 SEE 3205 2 8 2 3 I 3 3 2 Silbr 4 3 2 3 3 3 I 3 4 2 2 2 | 04 3 4 5) 3 4 2 3 4 1102|04 3 3 4 4 3 9 2 3 4 I 4 d 4 4 2 4 3 2# Toy 311 NO3 N OLL 5 4 5 2 2 2 4 ax | ©2 "| ©A 4 3 3 5 6 3 3 3 2 22 3 I I 3 4 3 R) 9 3 2 3 b) 23 2 I 4 3 3 4 I I 2 2 4 3 24 2 2 3 3 2 REIS) 7 6 Be) 2 25 3 2 4 3 3 3 I 5) J 3 4 I 200 3 az os 10 We ar I a A Re a a N 1 28 3 4 A 3 I al: 2 5 4 I I I 29 3 5 3 2 2 3 5I®4 6ı L 2 30 3 3 2 3 2 3|®5 4 I I 2 31 I 2 4 3 6 I I ® Neumond. © Vollmond. Ein Blick auf die Karte lehrt nun, dass die Küste von Unter- guinea durch ihre Nähe, die von Oberguinea aber durch ihren Verlauf am günstigsten liegt für den wuchtigen Anprall der von Süden und Südwesten anrollenden Dünung. Und wirklich herrscht an beiden Küsten trotz entgegengesetzter Jahreszeiten in denselben Monaten eine übereinstimmend heftige Wasserbewegung, die gleichzeitig ist mit den schwersten und häufigsten Stürmen der südlichen Hemisphäre, Wesen der Calema. 25 „ und deren Richtung ihr fernes Entstehungsgebiet deutlich genug verräth. Einzelne Abweichungen von der Regel werden bedingt durch Sturmwirkungen in den mittleren und nördlichen Theilen des atlantischen Oceans. | Die Calema unterscheidet sich also von der gewöhnlichen Bran- dung nur durch die eigenartige Form, welche sie an Flachküsten annimmt. In ihrer Ausbildung unterliegt sie dem Einfluss der wech- selnden Bodengestalt und der Niveauveränderungen, welche durch die Gezeiten oder zufällige, schnell vorübergehende Wasserverschie- bungen bedingt werden, steht aber bezüglich ihres Ursprunges nicht in ursächlichem Zusammenhange mit den Bewegungen des Mondes. Im Golfe von Guinea ist sie eine Fernwirkung atlantischer und antarktischer Stürme. Wären die wegen ihrer Roller berüchtigten Inseln Fernando Noronha, Ascension, St. Helena, Tristan da Cunha telegraphisch mit der Guineaküste verbunden, dann würde es möglich sein, ähnlich wie bei Sturmwarnungen, aber mit grösserer Sicherheit, das Erscheinen der Calema vorauszuverkünden; denn jene Roller sind Nichts als eine unfertige Calema. Es wäre dies von hohem Werthe für den Handels- verkehr an der hafenarmen Küste, da derselbe so abhängig vom Stande der Brandung ist, dass Postdampfer zu tagelangem und doch oft vergeblichem Warten sich bequemen müssen, und Handelsfahr- zeuge zuweilen wochenlang vor Anker liegen, in Sicht ihrer auf- gestapelten Ladung, die sie überhaupt nur in kleinen Partieen mittelst Booten und Canoes an Bord erhalten. Während einer heftigen Calema kann eine Verbindung zwischen Land und Meer nur sehr mühsam, bei besonders schwerer überhaupt nicht unterhalten werden. Dennoch gewagte tollkühne Versuche enden trotz der bewundernswerthen Geschicklichkeit der eingeborenen Bootsleute nur zu oft unglücklich; ‘gar mancher Europäer wie Afri- caner hat in der Brecherzone seinen Tod gefunden oder schwere Verletzungen davongetragen, während die Güter meist verloren gehen. Eine Episode aus dem letzten Zulukriege hat auch weitere Kreise belehrt, dass die Calema selbst der besten Hülfsmittel zu spotten und wichtige Pläne zu durchkreuzen vermag, die ohne Rücksichtnahme auf sie entworfen waren. Als General Wolseley sich auf kürzestem Wege nach dem Kriegsschauplatze begeben wollte und mit dem Kriegsdampfer „Shah“ am zweiten Juli 1879 vor Port Durnford an- langte, erwies es sich unmöglich, durch die Brandung an Land zu kommen. Nachdem auch am folgenden Tage jeder Versuch gescheitert war, und keine Anzeichen einer Besserung eintraten, musste man, um 26 Gefahren der Brandung. nicht noch mehr Zeit zu verlieren, nach Durban zurückdampfen, um von dort aus auf Umwegen über Land das Ziel zu erreichen. Selbst Seevögel, besonders der häufige grosse Tölpel (Sula ca- pensis), ein ausgezeichneter Segler, lassen sich zuweilen in irrthüm- liche Sicherheit wiegen und fallen den überstürzenden Rollern zum Opfer. Sie werden schwimmend oder fliegend erfasst und betäubt an den Strand geworfen. Die an der Küste in Schulen vorkommenden kleinen Walarten, Delphine, halten sich mit kluger Vorsicht stets in angemessener Entfernung jenseits des Brandungsgürtels. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, dass die Calema von Jedermann, und zwar von den Erfahrensten am meisten gefürchtet wird, und dass ihr Verlauf stets das Interesse Aller be- ansprucht. Wer jemals eine „gelinde Taufe“ empfing oder gar aus dem überstürzten Fahrzeuge hinausgeschleudert auf Tod und Leben mit dem tosenden Wasserschwall gerungen hat, der wird bei stärkerer Calema nie ohne Beklemmung die Zone der Brecher passiren, deren Tücken der besten Beobachtung, der vollendetsten Ruderkunst spotten. Ueber die Beruhigung der Brandung durch Oel konnten an der Loangoküste leider keine Versuche angestellt werden, da ein geeig- netes dünnflüssiges Fett nicht in genügender Menge vorhanden war. Nach in kleinerem Umfange vorgenommenen Untersuchungen. und nach allerdings in grossem Massstabe, jedoch unter anderen Umständen auf offenem Meere von mir gewonnenen Erfahrungen lässt sich aber fast mit Gewissheit voraussagen, dass man überraschend günstige Resultate mit Oel erzielen wird, wenn man dasselbe nur in hinrei- chender Menge und in angemessener Entfernung vom Strande auf das Meer giesst. — In der Regel läuft die Calema aus Südwesten gegen die Küste und dann beginnt das Ueberwälzen der Roller am Strande vorzugs- weise am rechten Flügel derselben. Die Dünung ist jedoch, während sie den weiten Weg zurücklegt, ehe sie also als Calema auftritt, mancherlei Störungen ausgesetzt, welche der Beobachter bald ent- räthseln lernt. Eine charakteristische Unruhe der Wellenzüge lässt auf eine auf offenem Meere herrschende Kreuzsee schliessen, auf ein Begegnen nordwestlicher und südwestlicher Dünung; eine kurze, springende Calema verräth ein naheliegendes Entstehungsgebiet der- selben. Wenn die Gegend, aus welcher die Wellenbewegung stammt, ausnahmsweise westlich oder nordwestlich liegt, dann kommen die Wellenzüge auch aus diesen genäherten Richtungen heran, und das Brechen der Roller beginnt am linken Flügel. Diese Abweichung ist jedoch nicht von langer Dauer. Einschwingen der Roller. am Bedeutende Wogen haben zunächst nie ein engbegrenztes Ent- stehungsgebiet und verbreiten sich als Dünung mit grosser Schnelle über dasselbe hinaus; ferner, und dies ist der wesentlichste Grund, erleidet aber auch der Seegang, welcher im offenen Meere von ge- nügender Tiefe durch keine Rückwirkung des Bodens in seinem Laufe verändert wird, sobald er in flacheres Wasser sich fortsetzt, eine Hemmung, die ihn zwingt, nach und nach in der Richtung des wirksam werdenden Widerstandes einzuschwingen. Dies wird um so vollkommener geschehen, je allmählicher und gleichmässiger sich die hindernden Untiefen erheben. Daher mögen die Roller wol einige Stunden, sogar einen Tag lang aus regelwidriger Gegend einsetzen, namentlich wenn das Sturmgebiet verhältnissmässig nahe liegt; doch unterliegen sie bald derartig der Einwirkung der Bodenverhältnisse, dass sie mehr und mehr nach der normalen Richtung hin einbiegen. Wer bei schwerem Seegang das Land vom offenen Meere ansegelt und so allmählich aus tiefem in seichtes Wasser gelangt, kann diesen Vorgang sehr gut beobachten. In geringerem Umfange wiederholt sich diese Erscheinung an nahe der Küste liegenden Untiefen. Die regelrecht anrückenden Roller treffen daselbst auf einen Widerstand, welcher ein Verlang- samen des einen Theiles, ein Voreilen der freien Flügel bedingt, die dann auf beiden Seiten unter verschieden grossen, aber entgegen- gesetzten Winkeln wider den Strand laufen. Diese räumlich be- schränktere Beeinflussung der Roller giebt die Erklärung für manche von der allgemeinen Regel abweichende Umformung des Gestades. Während einer heftigen Calema werden alle dem Lande vorliegenden Untiefen ausnahmslos durch schäumende Brecher markirt. Ein ähn- liches Einschwingen der Roller findet auch vor den Flussmün- dungen statt, wenn deren ausgehendes Wasser gegen sie strömt, oder als eine trübe Decke sich weithin: über das Meer ausgebreitet hat. In beiden Fällen ist eine wesentliche Beeinflussung der Undulationen zu beobachten, welche überdies noch durch eine lebhafte Kabbelung zum Ausdruck kommt. Zu diesen mannigfaltigen Einflüssen, welchen die calemaerzeu- genden Wogen im Gebiete des Gestades unterliegen, gesellen sich für die eigentlichen Brecher noch die, welche der Verlauf der Strandlinie bedingt. Wo der Meeresboden in weiter Ausdehnung ebenmässig ansteigt, da verläuft auch der entsprechend geformte Strand in gerader oder kaum merkbar gewundener Linie weithin senkrecht zur normalen Richtung der Roller, wie bei Tschin- tschotscho, am Kuilu. Dort mag man demzufolge unter sonst gün- 28 Roller und Gestade. Sandverschleppung. stigen Umständen einen Wasserwall bis zu der Länge von mehreren hundert Schritten sich mit imposanter Regelmässigkeit und in der gleichen Zeit überwälzen sehen. Wo aber Unebenheiten des Grundes die nahenden Wellenzüge beunruhigen, wo die Strandlinie in abwei- chender Richtung oder mehrfach gebogen verläuft — meistens nur eine Folge der schon seewärts auftretenden Störungen —, da be- ginnt auch von einem der Flügel das Nacheinander im Ueberwälzen der Roller. . Am deutlichsten wird dieser Vorgang dort, wo Baien sich öffnen, dieLandlinien jäh einbiegen. Daselbst vermögendie andringenden Roller, welche noch überdies durch die stets vom felsigen Südpunct aus- gehende Barre — die unterseeische Fortsetzung des Strandes — auf- gehalten werden, sich denselben nicht schnell genug anzupassen und sie nehmen, weil in der Mitte am wenigsten gehemmt, eine mehr oder weniger der halbkreisförmigen sich nähernde Gestalt an, wie durch einen Steinwurf erzeugte Wellenringe. Der rechte Flügel läuft unter einem nur allmählich abnehmenden Winkel, im raschen tosenden Lauf fast bohrend auf diese wirkend, an der südlichen Strandlinie entlang. Hierdurch werden bedeutende Verschleppungen von Sand- massen verursacht, die zum Ausfüllen der innersten Winkel, zum Abdämmen von Lagunen dienen, stets aber ein Spiel des Wassers bleiben und immer neue Formen erhalten. Darum springen die süd- lichen Uferlinien aller Baien schärfer landein, während die nördlichen sich unmerklich der normalen Strandrichtung anfügen. Die Baien von Pontanegra, Tschilunga und Yumba bieten gute Beispiele dieses Vorganges. In den Baien von Kabinda und Loango wirken jedoch alle hinderlichen Umstände so glücklich zusammen, dass diese in ihren inneren südlichen Theilen selbst bei einer sehr starken Calema nicht übermässig beunruhigt werden. Dort finden sich die einzigen Strandstrecken an der Loangoküste, welche jederzeit für Boote zugänglich bleiben. In der Zone der Brecher ist der Seeboden sehr uneben, von fusstiefen Furchen und entsprechend hohen Rücken durchzogen, welche beim Ueberfallen jedes Brechers Veränderungen erleiden. Der Gedanke, hierin die Ursache der Linsenbildung und Trift- structur vieler Sandsteine und Sande zu erblicken, liegt nahe. Auch die Böschung des Strandes wird von den sie überspülenden Fluten durch ein Verschwemmen des Sandes beständig umgeformt. Je nach der Stärke der Calema bilden sich auf ihr sehr sanft verlaufende Senkungen und Schwellungen von dreissig bis hundert Schritt Breite, deren Achsen in der Bewegungsrichtung der Roller liegen; je nach- Aufbau, Umformung des Strandwalles. 29 dem letztere mit dem rechten oder linken Flügel zuerst brechen, wan- dern diese Unebenheiten langsam nach Norden oder Süden. Sie be- gegnen sich dort, wo die voreilenden Theile der durch Untiefen gehemmten Roller den Strand unter entgegengesetzten Winkeln treffen, und bewirken Anhäufungen von Sand, ein mehr oder weniger ausgeprägtes Vortreten der Strandlinie. Unter allen Umständen behält die Calema die Neigung, alle Un- ebenheiten in ihrem Bereiche auszugleichen. In welchem Grade sie diese Eigenschaft geltend macht, hängt von ihrer Stärke ab. Sobald die Wogen sich in Roller verwandeln, also Grund fassen, schieben sie auch Bestandtheile desselben vorwärts, und zwar mit immer stei- sender Kraft je mehr das Wasser sich verflacht. So wird der Meeresboden geebnet wie der Strand, und wo der erstere sich nicht willig fügt, da zeigt auch der letztere entsprechende Unregelmässig- keiten in seiner Begrenzungslinie. Durchschnitt des Strandwalles vor einem Lateritplateau. Die Thätigkeit der gewöhnlichen Calema äussert sich daher als eine vornehmlich erhaltende und aufbauende. Die von den Flüssen in das Meer geführten Sinkstoffe werden ausgebreitet und an den Strand gedrängt, auf dessen der normalen Brandung entsprechenden glatten Böschung bei lange anhaltender, besonders schwacher Calema wiederum ein kleinerer Strandwall sich ausbildet. Was aber eine schwache Calema geschaffen hat, mag eine stärkere niederreissen oder wesentlich verändern. Eine Calema von ungewöhnlicher Grösse und Macht wird selbst in dem langbewährten Strandwall keine natür- liche Schranke mehr finden, sondern über denselben hinwegtosen, ihn vernichten und nun durch den unmittelbaren Anprall an die Steil- hänge des Festlandes das Unterwaschen und Nachstürzen der Laterit- massen bewirken. Das dem Spiel der Wogen verfallene neue Material iMmterliegt einem Aufbereitungsprocess, in dessen Verlaufe die feinen thonigen Bestandtheile hinweggeführt werden, die derben sandigen aber zurück- bleiben. Diese werden sehr bald wieder eingeebnet, und so entsteht nach Rückkehr des normalen Zustandes ein neuer, diesem entspre- 30 Beraubung des Landes, chender Strandwall. Das Land taucht also nicht, wie bei einem Sinken des Gebietes stetig und allmählich in das Meer ein, sondern wird von diesem gewissermassen in schnell vorübergehenden Anfällen von Zerstörungswuth einer Strecke beraubt. Eine Calema, welche mit so ausserordentlicher Heftigkeit auftritt, mag wol zuweilen auch durch Erdbebenwellen erzeugt werden. Wir haben nur hin “und wieder bei sehr stark bewegter See die Kämme vereinzelter Brecher die Krone des Strandwalles überfliessen, einmal auch fast einen Durchbruch desselben nach einer Lagune entstehen sehen, im Uebrigen jedoch keine zerstörende Einwirkung der Calema bemerkt. Ich habe im Gegentheil während meiner zwanzigmonatlichen Thätigkeit an ausgedehnten nach ihrem Verlauf genau bestimmten Küstenstrecken mehrfach eine ziemlich bedeutende Verbreiterung des Strandes durch neue Ablagerungen von Sand beobachtet. Bejahrte Eingeborene indessen wissen noch von Zeiten zu er- zählen, in welchen an Stellen, die gegenwärtig den Küstenfahrern als Ankerplätze dienen, das Land sich dehnte, Savanen und Wälder grünten. Seit Langem an der Küste lebende Europäer erinnern sich ebenfalls bedeutender Verwüstungen, welche die in ungeahnter Gross- artigkeit anstürmende Brandung in den Jahren 1863, 1865 und noch 1872 an einzelnen Orten anrichtete. Bei Landana soll 1865 nicht nur ein Theil des dortigen hohen und festen Vorlandes, sondern auch bis halbwegs nach Tschintschotscho ein ausgedehntes Stück Flachland mit Savanen und Buschwald, sowie ein Theil des bei Winga isolirt liegenden mit Affenbrotbäumen bestandenen Laterithügels binnen weniger Tage der empörten See zum Opfer gefallen sein. Gleich- zeitig wurde die Tschiloangoniederung wie bei einer Sturmflut weit- hin unter Wasser gesetzt und die Mündung des Flusses verlegt. Um dieselbe Zeit, wenn nicht schon im Jahre 1854 oder 1855, wird auch geschehen sein, was Eingeborene an anderen Orten berichten: dass ein Fischerdorf auf Indian Point vom Meere verschlungen wurde, und dass in Yumba sich die Wogen in wilder Wuth über den tren- nenden niederen Landstrich bis in den Banya gewälzt hätten, und zwar gegenüber dem Dorfe Tschissänga. In besonderem Grade lassen die Mündungen der Flüsse die Ein- wirkung der Brandung erkennen. Alle besitzen Deltas im Sinne Dr. G. R. Credners; doch schafft zum Aufbau derselben nicht nur der Fluss, sondern in bedeutendem Masse auch die Calema das Ma- terial herbei. Sie alle haben ferner einfache Mündungen, denn eine Mehrheit derselben, die sich etwa beim Durchbrechen des Strand- walles bilden könnte, duldet die Calema nicht, sondern verschliesst Mündungsgebiete der Flüsse. zı sie sofort wieder bis auf eine, die wichtigste — die überdies, wie sich später ergeben wird, selbst nicht immer gegen eine vorübergehende Abdämmung gesichert ist. Mögen die Flussbetten bis in die Nähe des Meeres auch noch so sehr erweitert sein und Aestuarien gleichen, an ihrer Mündung sind sie trotzdem alle verengert. Ein der Bore, der Pororoca ähnliches Aufwärtsrollen der ohnedies ja unerheblichen Flutwelle kann darum nicht stattfinden, wol aber werden, wie schon früher angeführt, die Gewässer in den sehr niedrig: liegenden Betten aufgestaut und, mit Ausnahme der des Congo, zum Rückfliessen gezwungen. Durch die im Wechsel der Gezeiten in Folge der Einschnürung: ziemlich reissend aus- und einströmenden Fluten ist das betreffende Stück der Rinne tief ausgeschliffen. Dennoch ist jede Mündung durch eine Barre verschlossen, welche, genau wie vor den zuflusslosen Baien, ge- wissermassen den Strand unter Wasser fortsetzt und als das eigenste Bauwerk der Calema in Form einer Nehrung zu Tage tritt. Von dem einen Ufer ausgehend, vielleicht mehrmals jäh zerstört und wie- derhergestellt, drängt sie beharrlich die Mündung nach einer be- stimmten Richtung ab und zwingt den Fluss zu einem stetig wach- senden Umwege parallel mit der Strandlinie, bis sie, gelegentlich einmal an ihrem Ausgangspuncte mit voller Kraft durchbrochen, so- gleich als ein neuer Strandwall an das gegenüberliegende Ufer an- geeheftet wird. | Dieser Kampf zwischen Fluss und Calema, welcher sich periodisch, namentlich wenn die letztere eine übermächtige Entwickelung erlangt und zugleich die Hochwasser der Regenzeit unaufhaltsam seewärts strömen, auf das heftigste steigern kann, vermag binnen kurzer Frist so bedeutende Veränderungen hervorzubringen, dass Mündungsgebiete kaum wieder zu erkennen sind. Als im Jahre 1851 ein Portugiese die erste Factorei am Ufer des Tschiloango erbaute, wählte er dazu den Ort, auf welchem gegen- wärtig die Ansiedlung Landana liegt; wo damals der Fluss entlang strömte, breitet sich jetzt eine Lagune aus, die durch einen niedrigen Strandwall vom Meere geschieden ist. Denn im Jahre 1854 oder 1855 wurde während einer Calema die Mündung plötzlich abgedämmt. Die Gewässer wandten sich in der lagunenreichen Niederung nach Norden und erzwangen mittelst eines Durchbruches des Strandwalles einen neuen Ausgang in das Meer, etwa drei Seemeilen von dem früheren entfernt und nicht weit von Tschintschotscho. Im Jahre 1865 wurde ein grosses Stück der Küste vom Meere verschlungen, zugleich wiederum die Tschiloangomündung abgedämmt und an die Stelle 32 Tschiloango und Congo. verlegt, wo sie sich auf unserer Karte befindet. Der Fluss begann sofort nach Norden abzuweichen, während vom Südufer eine Nehrung sich vorstreckte, aber bald durchbrochen wurde. Als später beim Er- richten einer Factorei unfern der Mündung auf dem Nordufer dasselbe durch ein Pfahlwerk gegen weitere Erosion geschützt wurde, musste der Fluss seinen geraden Lauf zu dem Meere beibehalten. Aber schon Ende 1875 zeigte er eine ausgesprochene Neigung, seine Mün- dung nach südwärts zu verschieben. So kannten wir ihn noch bei unserer Abreise. Seitdem ist abermals eine wesentliche Umgestaltung eingetreten: zu Ende des Jahres 1878 verschloss eine schwere Calema auch diese Mündung. Die aufgestauten Gewässer des Flusses ergossen sich nordwärts in die Lagunen und erzwangen sich schliesslich bei Winga einen neuen Ausgang in das Meer. Die Ausdehnung und der Verlauf der Lagunen in der Niederung, sowie die an verschiedenen Stellen zwischen Tschintschotscho und Landana im Sande des Strandwalles wolerhaltenen Reste des charak- teristischen Wurzelgewirres der Mangroven lassen erkennen, dass der Unterlauf des Tschiloango überhaupt schon öfters verlegt wor- den ist. Wir konnten mit Bestimmtheit vier verschiedene Mündungs- orte desselben nachweisen. Den Congo habe ich leider nur sehr oberflächlich bis Boma untersuchen, sein Mündungsgebiet sogar nur vom Deck des Dampfers aus überblicken können. Dass dieser Riesenstrom der Einwirkung der Calema mehr als gewachsen ist, darf wol als sicher angenommen werden; überdies wird ihm, wenigstens von der nördlichen Seite, durch die bei Point Bulambemba liegenden unteren Enden des Insel- gewirres seine Richtung beharrlich vorgezeichnet. Denn jene er- höhten Theile bestehen offenbar nicht aus Schwemmland, sondern aus festem Gestein, vielleicht Brauneisenstein, welches den Fluten zu trotzen vermag. An der Mündung findet sich in besonders charak- teristischer Weise die früher erwähnte, hier aber von zwei Nehrungen verursachte Einschnürung ausgeprägt. Es unterliegt wol keinem Zweifel, dass sich zu beiden Seiten der mit vier bis sechs Seemeilen Geschwindigkeit inmitten der weit geöffneten Mündungsbucht fliessen- den Gewässer rückkehrende Strömungen bilden, gewissermassen lang- same grössere Wirbel, welche neben der tiefen Stromrinne Sinkstoffe absetzen, Bänke anhäufen. Aber der Aufbau der beiden rechtwinklig zum Flusslauf vorspringenden Sandzungen, die mit French Point und Shark Point enden, ist sicher nicht deren unmittelbares Werk, son- dern vielmehr das der Calema, welche an beiden Ufern des trichter- förmigen Ausschnittes entlang laufend, das bewegliche Material ge- Nehrung des Banya. 33 rade an jenen Stellen aufwirft. Uebrigens sollen Nebenarme des Congo die nördliche Nehrung mit Durchbrechung bedrohen. Wo die Calema an weithin ebenmässig gestreckten Küstenlinien mit ungebrochener Kraft einseitig zu wirken, oder Baumaterial in Menge herbeizuschaffen vermag; wo ferner ein Fluss im mürben Boden fortarbeiten, mithin dem Drucke nachgeben kann, da entstehen auch die bestausgebildeten Nehrungen: namentlich also am Lu&emme, Kuilu und Banya. Die des letztgenannten ist die bedeutendste und zugleich das ausgezeichnetste Beispiel der Leistungsfähigkeit der Calema. Der Banya, welcher vielleicht der Rest eines früheren Mündungsarmes des Congo ist, bildet, so weit er uns bekannt, eine an vierzig Meilen lange, sehr breite und tiefe Flusslagune, in welcher selbst während der Regenzeit kaum eine merkbare Strömung herrscht. Er vermag also sicherlich nicht die derben Sande, aus welcher die Nehrung auf- gebaut ist und noch fortwährend aufgebaut wird, nach seiner Mün- dung zu schaffen; diese Arbeit übernimmt vielmehr die Calema, welche Durchschnitt einer Nehrung, eines Lagunendammes, ununterbrochen den Sand von weither am Strande entlang und um die Spitze am Cap Matuti nach dem Inneren der Bai von Yumba transportirt. Im April 1876 war die Nehrung etwa drei Meilen lang, bei einer Breite von dreihundert bis einhundert Schritt und einer Höhe von durchschnittlich drei Meter; sie schmiegte sich auf’s Innigste der Uferlinie der Bai an, nur die etwa gleich breite Mün- dungsstrecke der Lagune zwischen sich und jener lassend, und war noch so jung, hatte sich so rasch gebildet, oder wurde noch so viel- fach umgeändert, dass zwei Drittel ihrer Länge noch keine Spur von Vegetation zeigten. Ein im September 1875 auf den Strand gesetztes grosses Seeschiff war schon grösstentheils mit Sand umschüttet und gab Anlass zur Bildung eines neuen, leewärts schnell wachsenden Uferwalles. Die Mündung des Banya wird auch öfters von der Calema gänz- lich zugedämmt; vor einer Reihe von Jahrzehnten hat sie sich ein- mal sogar im Süden vom Cap Matuti, etwa gegenüber dem Dorfe Fi- lokümbi befunden. Während Banya und Kuilu durch ihre Nehrungen nordwärts abgedrängt werden, geschieht dies beim Lu&mme in entgegengesetzter Loango, III, 3 n Luemme und Kuilu, 34 Richtung. Diese Thatsache fällt um so mehr in’s Gewicht, als dieser Fluss gerade noch am meisten im Bereiche der südatlantischen Strö- mung liegt; sie findet jedoch ihre einfache Erklärung darin, dass im Mündungsgebiet des Luemme die Calema nicht, wie gewöhnlich an anderen Strecken, von Süden nach Norden, sondern in der entgegen- gesetzten Richtung am Strande bricht, den Sand also auch der letz- teren entsprechend verschleppt. Südwärts erstrecken sich nämlich auf ziemliche Entfernung hin mässige Untiefen, wahrscheinlich von Brauneisenstein gebildet, welche genügen, um ein schon früher er- klärtes Einschwingen der Roller zu bewirken. Deutliche Spuren lassen erkennen, dass dies nicht die erste Nehrung ist, welche den Fluss nach Süden abzuweichen zwingt, sondern dass der Vorgang sich mindestens schon einmal in grösserem Massstabe vollzogen und vielleicht erst vor einem Jahrzehnt seinen Abschluss gefunden hat. Nach einer freundlichen Mittheilung von Herrn Franz Hertwig aus Gera — welcher nach der Heimkehr unserer Expedition während einer dreijährigen kaufmännischen Thätigkeit an der Loangoküste werthvolle Beobachtungen sammelte — hat der Luemme gegen Ende des Jahres 1878 binnen kurzer Zeit sein früheres Altwasser, das parallel mit dem Strande verlief, und 1876 schon grossentheils trocken lag, wieder vollständig etwa eintausend Schritt weit in Besitz ge- nommen, damals jedoch seinen alten Ausfluss noch beibehalten und nur langsam nach Süden verlegt. Sein neugeschaffenes Mündungs- gebiet würde also ungefähr dem des Kunkuäti gleichen, welches die Karte gut veranschaulicht. Vielleicht ist dasselbe gegenwärtig schon so weit verändert, dass er seine Gewässer nur an der äussersten Südspitze in das Meer ergiesst. Die Mitwirkung der Calema bei der Gestaltung des Mündungs- gebietes eines Flusses lässt sich vortrefflich an dem mir am besten bekannt gewordenen Kuilu nachweisen. Etwa tausend Schritt vom Meere entfernt, erweitert sich das Flussbett in bedeutendem Masse schlauchförmig und enthält verschiedene fliegende Bänke von Sand und Schlamm, sowie einige Inseln, während die Ufer sumpfig und unbestimmt werden. Die untere kurze Strecke des Gebietes ist da- gegen ausserordentlich tief und bedeutend verengt; reissend strömen die Gewässer im Wechsel der Gezeiten aus und ein, zwischen tHach geböschten sandigen Ufern entlang und durch eine Nehrung in schariem Bogen nach Norden abgelenkt. Auch dieser Sandbau ist noch ziemlich jung, trägt nur an seiner südlichen Ausgangsstelle eine spärliche Vegetation und soll erst Ende der sechziger Jahre sein oft unterbrochenes Wachsthum begonnen haben. Damals strömte der Altwasser und Laguner. 4 35 Fluss noch rechtwinklig zur Strandlinie in das Meer, an einer Stelle, wo jetzt die Verladungsschuppen einer Factorei errichtet sind. Die junge Nehrung des Kuilu war im September 1875 an zwei- tausend Schritt lang, bei einer schwankenden Breite von dreihundert bis zweihundert Schritt. An ihrer Basis war sie gleich hoch mit dem Strandwall, verlief aber nach Norden zu niedriger und tauchte end- lich sehr allmählich als Barre unter das Wasser. Die grössten Tiefen fanden sich an der Nordseite der Mündung, wo ja der Fluss durch Unterwühlen des Strandes sich Raum schaffen musste. Um die er- wähnte Zeit wurde die öde flache Sandzunge während einer schweren Calema etwa in der Mitte überwaschen, durchbrochen und binnen weniger Stunden um die Hälfte verkürzt. Schon am nächsten Tage jedoch begann der Aufbau derselben von Neuem. Als ich sie im April 1876 zum letzten Male und nur sehr flüchtig besichtigte, war sie bedeutend gewachsen, namentlich an der Spitze ganz ausserordent- lich verbreitert und seewärts vorgeschoben und trug daselbst zwei neue auffallend hohe Strandwälle. Herr F. Hertwig untersuchte die Nehrung zwei Jahre nach meiner Vermessung und fand sie über dreitausend Schritt lang, also binnen so kurzer Zeit um mehr als die Hälfte verlängert. So mag dieselbe, wenn nicht zufällige Störungen eintreten, fortwachsen, bis endiich ‘ der gezwungene Umweg dem Flusse zu gross wird, bis er die Fessel, welche die Calema ihm angelegt hat, während eines Hochwassers auf dem kürzesten Wege zum Meere durchbricht. Nahe ihrer Ur- sprungsstelle vom südlichen Strandwalle abgelöst, wird sie sich dann umgehend an den nördlichen anschliessen, da die alte Mündung sofort der Zuschüttung durch die Brandung unterliegt. Hierdurch wird das untere Stück des bisherigen Flussbettes in ein stilles Altwasser verwandelt, in eine Lagune, welche durch die ehemalige Nehrung vom Meere geschieden, mit dem Flusse noch längere Zeit in Verbindung bleibt. Bei Hochwasser hineingetriebene Sinkstoffe, sowie Reste verrottender Pflanzen, von der Seebrise land- ein geblasener und als ein feiner Regen niederfallender Sand ver- flachen das Wasser ununterbrochen. Die Brackwasservegetation nimmt schnell Besitz von dem Becken und leistet durch ihr beispiel- loses Wurzelgewirr die Dienste eines ausgezeichneten natürlichen Siebes. Bei fortschreitender Ausfüllung wird sie jedoch in ihrer Entwickelung gehindert und erliegt allmählich den veränderten Ver- hältnissen; ihr folgt langsam eine anders geartete, und dieser schliess- lich die Flora des festen Landes. Sollte jedoch das neu entstandene Altwasser bald auch von dem * 3 36 Ehemalige Nehrungen des Kuilu, Flusse her abgedämmt werden, dann verwandelt sich sein Inhalt durch Verdunstung allmählich in eine Mutterlauge, in deren Bereich Gewächse nicht mehr gedeihen können. Selbst die Mangroven und Avicennien, die sich vielleicht anfangs ansiedeln, gehen zu Grunde. Durch den breiten Strandwall sickert vom Meere beständig Salzwasser herein und bereichert den Gehalt der Lagune, deren dunkle Schlammränder sich mit einer weissschimmernden Salzkruste bedecken. Während der Regenzeit hebt sich der Wasserspiegel etwas, während der Trockenzeit sinkt er wieder; das ist die einzige Veränderung, welche jahraus jahrein an dem verödeten Orte wahr- zunehmen ist. Denn selbst eine langsame Ausfüllung durch Sand und Staub wird möglichst verhindert durch eine ringsum bis an das Becken üppig wuchernde Vegetation. In ziemlicher Nähe von der Station Tschintschotscho befinden sich zwei solcher todter Lagunen, vön denen die bei Makäya gele- gene, den eingeborenen Salzsiedern während der Trockenzeit eine hochgradige Soole liefert. Am Kuilu werden jedoch die Altwasser in der zuerst geschil- derten Weise umgestaltet. Die Spuren des jüngsten derartigen Vor- ganges lassen sich auf der Nordseite, unfern vom Strande und pa- rallel mit ihm, durch wirren Buschwald und Grasbestände in Form einer langgestreckten, hier und dort noch Lachen und Morast ber- gende Mulde über zwei Seemeilen weit verfolgen. Mindestens auf diese Entfernung, wahrscheinlich aber noch weiter, erstreckte sich also die zuletzt durchbrochene Nehrung. In gerader Linie mit diesen ziehen sich auch im Süden des Flusses noch ähnliche Spuren ent- lang, welche vermuthen lassen, dass sie derselben Zeit angehören, dass also der Kuilu in früherer Zeit seinen Lauf weiter im Süden vom jetzigen Bette nahm. Einige hundert Schritt binnenwärts, weithin parallel laufend mit den eben beschriebenen Resten, findet sich eine zweite Reihe von sehr ähnlichen, die als Mangroven- sumpf und Canoebahnen nach Süden und Norden verfolgbar sind. Es lässt sich daher mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass der Kuilu, bevor ihm in grösserer Ferne vom Meere sein jetziges Bett endgültig angewiesen worden war, bevor er vielleicht sich feste Ufer- leisten durch Sümpfe und eine ausgedehnte Mündungslagune gebaut hatte, seinen Ausfluss weiter im Süden besass und, der Calema wei- chend, mit dieser vereint um Vieles bedeutendere Nehrungen auf- baute, von denen zwei bestehen blieben und später etwa in der Mitte ihrer Länge von dem jetzigen Flussbett durchschnitten wurden. Fluss und Brandung lassen gewiss nicht immer das eben Ge- Periodische Mündungen. Der Songolo. 37 schaffene als einen dauernden Gewinn dem Lande verbleiben, sondern sie mögen es, theilweise oder gänzlich, oft wieder langsam vernichten und das Material sofort zu einem neuen Bauwerke verwerthen. Die letzte grosse Nehrung des Kuilu ist, nach der sie schmückenden Vegetation zu urtheilen, schon sehr alt; die gegenwärtige scheint in ihrer Entwickelung häufig gestört worden zu sein. Die später zu erörternde Verbreitung einer Fächerpalme von Süden nach Norden steht in der innigsten Beziehung zu der Ausdehnung der alten Kuilu- nehrungen, geht über diese nicht wesentlich hinaus. Kleinere Bäche und Flüsse, welche nicht vom Gebirge entspringen, also nicht dauernd mit genügenden Wassermengen gespeist werden, haben gewöhnlich nur periodisch offene Mündungen in den von der Calema umtosten Strandlinien. Das Wasser sammelt sich in der Senkung hinter dem Walle oder auch in lagunenähnlichen Becken des Tieflandes und bricht sich von Zeit zu Zeit bei Ebbe bald hier bald dort Abflussrinnen durch den Sand, welche ein Uneingeweihter von beständigen Flussmündungen kaum unterscheiden könnte. Der Brandung genügen jedoch oft wenige Stunden, um jede Spur der- selben wieder zu verwischen. Nördlich vom Nigerdelta, im Busen von Benin, vollzieht sich dieser Vorgang an einer über zweihundert Meilen langen Strandlinie in so bedeutendem Masse wie vielleicht nirgends wieder auf der Erde. Aus überfüllten und umfangreichen Sammelbecken brechen die Wassermassen zuweilen mit verderblicher Schnelligkeit und in be- deutender Ausdehnung durch den Strandwall. Uebel berufen ist um dieser Eigenschaft willen der nach der Pontanegrabai sich entleerende Songölo, dessen Name schon — eine Contraction von nsübu ngölo oder in bestem Fiöte: lisübu li ngölo, Mündung der Gewalt — be- zeichnend für seine Gefährlichkeit und Heimtücke ist. In trügerischer Ruhe füllen seine dunkeln Fluten das weithin landein ziehende lagunenähnliche und stellenweis sehr breite Becken, von dessen Vorhandensein der arglos am Strande entlang Wandernde keine Ahnung hat. Denn der Sandwall entzieht ihm den Einblick auf das jenseitige Tiefland, und wenn er einen solchen gewönne, würde er vielleicht nicht einmal die nahe Gefahr erkennen. Die Eingeborenen hingegen, in deren Traditionen der Songölo eine grosse Rolle spielt, hüten sich, bei Ebbe auf dem bequemeren festen Wege dicht an der Brandung zu gehen, und waten selbst mit schweren Lasten lieber ein paar hundert Schritt weit durch den nachgiebigen Sand auf dem Kamme entlang, nur um das tückische Gewässer im Auge zu behalten. Denn so plötzlich soll der breit hingelagerte, 38 Strandwall, Wind und Vegetation. scheinbar so feste Strandwall nachgeben und mit den reissenden Fluten in der See verschwinden, dass mitten auf ihm befindliche Menschen sich durch schnellste Flucht nicht mehr in Sicherheit bringen Können. Die gewöhnliche Weite des Durchbruches scheint über hundert Schritt zu betragen, und die Entleerung der aufgesammelten Wasser erfolgt fast stets binnen weniger Stunden. Bei einkommender Flut und nicht zu schwacher Calema sind eben so schnell wieder alle Spuren des Geschehenen verwischt, und nur der Mangel jeglicher Vegetation auf der Höhe kennzeichnet dem Kundigen die gefährliche Strecke. Während ergiebiger Regenzeiten mögen sich die Durch- brüche bei jeder Ebbe wiederholen, während der Trockenzeit dagegen erst wieder nach wochenlangen Pausen eintreten. Die „Eingeborenen trauen dem Songolo niemals, sondern passiren hastig und gegen alle Gewohnheit still die ihn und das Meer trennende Strecke. Kurz vor der Abdämmung eines geschehenen Durchbruches, wenn der Aus- gleich des Niveaus vollendet ist, mag man das ruhig gewordene Wasser ohne Furcht durchschwimmen. Die unterseeische Fortsetzung des Strandes, die Barre, ist vor zuflusslosen Baien ausschliesslich, an Flussmündungen vorwiegend eine Schöpfung der Calema; die Nehrung und der Strandwall be- dürfen jedoch zu ihrem vollkommenen Aufbau auch der Hülfe des Windes und der Vegetation. Die Böschung, auf welcher die Wasser- massen der zusammengestürzten Roller beständig vor- und zurück- rauschen, steigt unter einem Winkel von zehn bis zwanzig Grad zur Krone des Walles an; über diese wird der angeschwemmte und trocken gewordene Sand von der Seebrise hinweggeblasen, fällt jen- seits derselben als ein feiner Regen nieder und wird zwischen dem weitmaschigen Gewebe der kriechenden Strandvegetation abgelagert. So entsteht die sanfte glacisähnliche Abdachung des Strandwalles nach innen, so würden Dünen entstehen, wenn die Beschaffenheit des Gebietes deren Bildung zuliesse. Wo flaches Hinterland oder anlie- gende Wasserbecken dem Winde die volle Kraftentfaltung gestatten, da ist der Strandwall höher und breiter aufgebaut als an Küsten- strecken mit hochragenden Steilhängen, weil an diesen, wie Unter- suchungen erwiesen, der Staub zum Theil bis auf die Höhe mitgeführt wird. Aus diesem Grunde gedeiht auch die eigenartige Strandvege- tation an letzteren Stellen besser als an ersteren, an denen sie unter dem Uebermass von Flugsand vielfach erstickt. Wie schon erwähnt, erleidet der Strandwall von Zeit zu Zeit eine gründliche Umformung durch eine besonders stark auftretende Erosion im Lateritgebiete. 39 Calema und ist darum allerorten eine verhältnissmässig junge Bildung, was vornehmlich daran zu erkennen ist, dass sich auf ihm hier und dort wol ein Strauch, einiges Buschwerk angesiedelt, sich aber nir- gends bis zur Baumform entwickelt hat. — Die Lateritmassen erfahren ausser den oftmals bedeutenden Verlusten durch die nach Zerstörung des Strandwalles wild anstür- menden Roller auch durch Einwirkung anderer Kräfte geringe Ein- busse und Veränderung ihrer Gestalt. Savanenbrände, welche sich bis an die Abstürze der Höhen ausdehnen und selbst am Fusse der- selben aufgeschossene Hochgräser noch ergreifen, lösen durch ihre Glut mächtige Stücke von jenen ab, die niedergleitend zerfallen. Auch die Strahlen der Sonne können in dieser Weise einwirken. Die neuen Bruchflächen werden von der sausend an den Steilwänden aufsteigenden und Flugsand führenden Seebrise langsam geglättet und ausgeschliffen, noch nachhaltiger aber umgeformt durch anschla- genden Regen und ablaufende Gewässer. Nicht nur an der Küste, sondern auch allenthalben im Binnen- lande, namentlich nach wasserreichen Thälern hin, hat die Einwirkung der Atmosphärilien manchen der Höhenzüge auffallende Gestalten gegeben und einzelne Hügelrücken in sehr regelmässige, dachähnlich verlaufende Grate verwandelt. Wo sie nicht durch ein dichtes Pflanzenkleid gegen weitere Abspülung des Erdreiches geschützt werden, sind die Steilabstürze von mächtigen Bänken des rothen Laterites in oft wunderbaren Formen modellirt, die, zauberhaft noch durch besondere Färbung wirkend, vorzüglich an den Baien von Kabinda und Loango, weithin seewärts schimmern. Am auffallendsten erscheinen die Erosionsgebilde im Plateau von Buäla. In diesem ist ein wahres Labyrinth entstanden von bis fünfzig Meter tief eingeschnittenen engen Schluchten und geräumigeren Thälern, welche in verwirrendem Wechsel weit hineinführen in die bedeutende Ablagerung von rothem Laterit. Tropische Regengüsse und fliessende Wasser, welche Bäche und Rinnsale füllen, deren Ein- wirkung je nach der verschiedenartigen Beschaffenheit und Structur des Gesteines und durch deckende Gerölle in vielfacher Weise ver- ändert wird, haben daselbst eine Wunderwelt von unvergleichlichem Reize und fremdartiger Schönheit geschaffen. Die sonderbarsten Formen überraschen den Besucher. Hoch- ragende, mit weiten Ausladungen versehene zinnengekrönte Thürme; schlank aufstrebende Obelisken; zackige, wie drohende Reste von Burgen dastehende Mauern und zahlreiche winzige bis sehr grosse, Erdpyramiden von einfacherer Gestalt finden sich bald allenthalben 40 Plateau von Buala. verstreut, bald eng gedrängt nebeneinander, oder steigen hoch und einsam aus üppigem Gebüsch empor. Sie schmücken die Abstürze dämmeriger Schluchten, die Ränder und Boden jäh sich öffnender Circusthäler, in welchen wie in Amphitheatern die Steilwände ringsum in schmalen Terrassen sich aufbauen, von denen wieder fast radiär an- geordnete Bastionen und Querwände weit hervortreten, oft so dünn und hoch, dass man jeden Augenblick den Einsturz erwartet. In Wahrheit ist es gefährlich, beim Umherklettern sein Körpergewicht dem nachgiebigen Materiale allzu sorglos anzuvertrauen, denn schon blose Lufterschütterungen durch einen Schuss, der — wie auch Sprechen, Lachen, Husten — an gewissen Puncten ein ganz unglaub- liches, verwirrendes Echo wachruft, genügen, um den Zusammenbruch mancher Reste zu veranlassen. Alle diese bizarren Gebilde erlangen jedoch ihren höchsten Reiz erst durch ihre Färbung. Der vorherrschende Grundton derselben ist ein warmes Roth, wird jedoch hier und dort bis zu einem hellen Braun gemildert, während einzelne Theile wieder mit blendendem Weiss oder selbst grellem Chromgelb geschmückt sind. Diese leuch- tende und ganz ungewöhnliche Farbenstimmung wird durch das glänzende Grün eines stolzen Pandanus und vielfach üppig wuchern- den Buschwerkes trefflich gehoben und erscheint besonders wirkungs- voll, wenn eine unverhüllt strahlende Tropensonne durch den Wechsel von greller Beleuchtung und scharfen Schlagschatten den vereinten Effect von Form und Farbe auf’s Aeusserste steigert und oben ein klarer blauer Himmel das Ganze unvermittelt abschliesst. Alle Ge- bilde sind jedoch einem raschen Wechsel unterworfen: denn nicht nur Regengüsse und fiessende Wasser wirken umgestaltend auf dieselben ein, sondern in geringerem Grade auch die Sonnenstrahlen, indem in Folge ungleicher Erhitzung und Austrocknung allenthalben einzelne Theile sich ablösen und zerfallend in die Tiefe stürzen. Nach heftigen Regen ergiesst der Bach Lubuäla, in welchem alle Rinnsale der Schluchten sich vereinigen, sein seltsames bolus- rothes Wasser in die Bai von Loango und giebt dieser weithin die gleiche Farbe. Noch ausserhalb der Barre kann diese deutlich ge- sehen werden, hat sich dann aber auf eine mehr oder weniger tief liegende Schicht beschränkt, so dass man aus einem scheinbar voll- ständig rothgefärbten Meere dennoch krystallklares Wasser zu schöpfen vermag. Schon Tuckey erwähnt dieses Umstandes, ohne ihn jedoch richtig zu erklären. . Aehnliche rothe Steilhänge, aber nicht so eigenartig modellirt wie die von Buäla, umrahmen etwa hundert Meter hoch die schöne Erosion im Gebirge. 4I Bai von Kabinda, und treten niedriger an der Bai von Tschilünga bis nach Kunkuäti hin und an anderen Puncten auf. Nach Angaben der Eingeborenen sollen auch südöstlich von Buäla, nach Luändschili und Ntängumböte hin ähnliche Erosionsschluchten und namentlich tief in die hochliegende Savanenebene eingesenkte Circusthäler vor- kommen, deren manche mit Wasser erfüllt sind. Dieselben fallen so jäh ab, dass ihr Vorhandensein erst dem hart an den Rand Heran- tretenden kund wird, und mancher sorglose Wanderer soll in ihnen nächtlicher Weile sein Grab gefunden haben. Die Möglichkeit solcher Unglücksfälle wird Niemand bezweifeln, der auf dem Plateau von Buala umhergestreift ist und sich dem be- schriebenen Gebiete näherte, um von oben einen lohnenden Ueber- blick zu gewinnen. Die von Gras und Gebüsch vielfach verhüllten Ränder der Thäler fallen oft senkrecht und haustief ab, die Schluchten und Regenrisse klaffen weithin wie Spalten im ebenen Boden, so dass man zuweilen einen grossen Umweg nehmen muss, um gefahrlos einen anderen naheliegenden Aussichtspunct zu erreichen. Nicht minder eigenartig und reizvoll durch auffallende Formen sind einzelne Partieen des Gebirges, die Zeugniss ablegen für die Kraft, mit welcher der Kuilu sich einen Weg durch dasselbe gebahnt hat. Nur auf ganz kurze Strecken günstig verlaufenden Längsthälern folgend, die wol vorwiegend als ursprüngliche Terrainfalten zu be- trachten sind, hat er die Hauptzüge unter rechten Winkeln durch- brochen und ein so enges und tief eingeschnittenes Thal geschaffen, dass das Flussbett selbst die Sohle desselben bildet und die Flut des Meeres während der Trockenzeit bis oberhalb Mayombe eine merk- liche Stauung und Verlangsamung des Stromes und sogar noch bei Kakamueka ein Heben des Wasserspiegels bis zu acht Centimeter bewirkt. In früheren Zeiten tosten Wasserfälle an den Stellen der gegen- wärtig noch am meisten charakteristischen Durchbrüche: Mamänya ma tali, Mayömbe, Ngötu, oberhalb Nsao mbi, Ndündu nsänga, Bümina, zwischen den Schnellen No. 3 und 4, Reis Rapid (No. 6) und den Palissaden. Mit dem Bezwingen der Felsriegel durch die über sie stürzenden Gewässer hat sich fortschreitend auch die Sohle des ganzen Bettes vertieft und gegenwärtig braust selbst die Hochflut der Regenzeit bis an vierzig Meter tiefer unter den terrassengleichen Felsenabsätzen hin, welche, durch dichte Vegetation verborgen, an steilen Berghängen noch theilweise den ehemaligen Verlauf der Thal- sohle markiren. Während das hundert bis zweihundert Schritt breite Flussbett 42 Gebirgslauf des Kuilu. Dwurchbrüche. von Mamanya ma talı bis Ndundu nsanga nur an einzelnen Stellen durch Bänke von Geröllen und Geschieben eingeengt ist, treten ober- ‚ halb des letztgenannten Punctes die ersten Klippen auf, welche buhnengleich meistens vom linken Ufer ausgehend, den Lauf des Wassers hemmen und beunruhigen. Von Bumina aufwärts trägt es abermals einen anderen Charakter: Ein scharf ausgeprägtes felsiges Inundationsbett hat sich gebildet; wild und wüst starren verwitterte und zerklüftete Schichtenköpfe drei bis fünf Meter hoch empor, die eng gedrängt und wie eine sehr unebene Riesentreppe gelagert gegen den Stromlauf aufragen. An verschiedenen Puncten sind zahlreiche Riesentöpfe in sie eingebohrt, auf deren Boden noch die vom stru- delnden Wasser in Bewegung gesetzten Gerölle oder einzelne grosse Steinkugeln liegen; sie sind theilweise so geräumig, dass sich ein Mann in ihnen bequem verbergen‘ kann. Zwischen die Schichten- köpfe eingekeilt, über sie hin verstreut finden sich tonnenschwere Steinblöcke und ungeheure Schollen als stumme Zeugen der unwider- stehlichen Kraft des Wassers; auch Stämme von Waldriesen, welche der zurückweichende Strom hier und dort in den merkwürdigsten und scheinbar unmöglichen Stellungen liegen liess, harren des weiteren Transportes durch das Hochwasser der nächsten Regenzeit. Unter den verschiedenen schon genannten Durchbrüchen ist der von Ngötu (Abbildung I 134) der bekannteste und eigenartigste des Gebietes; er ist weniger durch imponirende als durch ausserordent- lich regelmässige Formen ausgezeichnet. Die beiden genau senk- rechten mauergleichen Wände desselben verlaufen in einem Abstand von dreissig Metern parallel zu einander und senken sich, der Schich- tung des quarzitischen Sandsteines entsprechend, stromab keilförmig unter den Wasserspiegel. Das Thor könnte künstlich nicht zweck- voller und schöner hergestellt werden. Ungleich grossartiger, wenn auch weniger regelmässig ist der zwischen Bumina und Reis Rapid, genauer zwischen den Schnellen No. 3 und 4 liegende Durchbruch. An zwei steilen, über zweihundert Meter hohen, das Flussbett auf hundert Schritt einengenden Bergen lassen die auf sechzig Meter fast senkrechten und nackten Felswände erkennen, welche Arbeit daselbst das Wasser verrichtet hat. Der bedeutendste Durchbruch des Kuilu ist der des Quarzit- massivs an den Palissaden (Abbildung II 148). Zwischen vielleicht vierhundert Meter hohen glockenförmigen Bergen hat der Fluss in das ausserordentlich harte Gestein einen auffallend engen und sehr langen schnurgeraden Canal eingeschnitten. Eigenthümlich wie dieser Canal ist auch die Front, welche die Quarzitschichten westwärts nach Stromschnellen. Dunkel gefärbte Felsen. 43 dem weiten Becken unterhalb desselben darbieten. Zu beiden Seiten der vom Flusse aus kaum erkennbaren Mündung, geradlinig be- grenzt in einer Ausdehnung von zusammen wol fünfhundert Schritt, starren zehn Meter hohe und unter einem Winkel von 45° nach West einfallende Ouarzitplatten empor, welche glatt und lückenlos wie bei einem sorgsam aufgeführten Hafendamm aneinander gefügt liegen und über welchen, wie von einem Sockel, die steilen, nur von Gestrüpp und Gras bekleideten Berge sich erheben. Das Gestein sieht so gesund und neu aus, die Formen sind so zweckentsprechend und so erstaunlich regelmässig, dass man nicht ein Stück Natur, son- dern ein mit allen Hülfsmitteln der modernen Ingenieurkunst vollendetes Menschenwerk vor sich zu haben glaubt. Während der Trockenzeit fliesst der Kuilu auffallend ruhig in seinem Bette, selbst in den Durchbrüchen; nur oberhalb Bumina, wo er sich in dem Inundationsbett mit einer stellenweis bis auf sechs Meter verengten, vielfach gewundenen tiefen Rinne begnügt, findet sich eine Reihe von sieben theilweise sehr starken Stromschnellen, deren vorletzte für Fahrzeuge unpassirbar ist. Während der Regen- zeit dagegen, wenn der Fluss um fünf bis sechs Meter anschwillt, wird das ganze Thal mit tosenden Wassermassen erfüllt, welche von den Palissaden bis fast nach Kakamueka eine einzige ungeheure Stromschnelle bilden. Die Eingeborenen erzählen, dass man das Toben der Gewässer bei Bumina des Nachts in stundenweit abgele- genen Dörfern vernehmen könne. Weiter abwärts an dem Durch- bruche von Ngotu und Mayombe werden die Fluten bis neun Meter hoch aufgestaut und ergiessen sich endlich durch das letzte Thor, Mamanya ma tali, in die Niederung, wo sie sich ausbreiten und be- ruhigen. Unterhalb der Stromschnellen wie der bedeutendsten Durch- 'brüche haben sich grosse Bänke von Geröllen und Geschieben ab- gelagert, welche, wie die in seitlich vom Stromlauf liegenden stillen Winkeln angetriebenen Sande während des Niederwassers der Trocken- zeit theilweise zum Vorschein kommen. Auffallend ist die bis zur Hochwassermarke hinaufreichende blau- schwarze und dunkelbraune Färbung namentlich des hellen Gesteins, welche bereits in vielen, vorzugsweise aber tropischen Erdgegenden die Aufmerksamkeit der Forscher erregt hat. Dr. Lenz beobachtete dieselbe ebenfalls im Ogowegebiet. An den Felsen des Kuiluthales haftet sie wie ein untrennbarer Firniss, wie eine sehr dünne Rinde, erinnert aber nicht an eine etwa durch Reibung erzeugte Politur; sie findet sich überdies gleich fest und dunkel auch an den Stellen, welche 44 Umgestaltung der Flussbetten in der Niederung. gegen die Strömung vollständig geschützt sind. Vielleicht wird dieser Ueberzug, wie der an den Felsen des Orinoco, an den Steinen der Mohavewüste, aus Mangan- und Eisenoxyd bestehen. Die mitge- brachten Handstücke sind noch nicht untersucht. In der Niederung, die ehemals in viel bedeutenderer Ausdehnung von Morast und Seen erfüllt war, hat sich der Kuilu langgestreckte Uferleisten erbaut und durch diese die weiten Sumpfstrecken von einander geschieden, die gegenwärtig nur noch durch ihre vielgewun- denen Canäle, Nänga und Mpile, mit ihm in Verbindung stehen. Die Einwirkung der Gezeiten, die an der Nangamündung einen Unterschied von sieben, am Nangasee einen solchen von noch einem Decimeter im Wasserstande bedingt, und die viel wichtigere der Hochwasser der Regenzeiten begünstigten die Entstehung dieser breiten Uferleisten und das Anwachsen weiter Strecken Flachlandes, die gegenwärtig nur stellenweis und selten noch von den um einen bis zwei Meter steigenden Fluten überschwemmt werden. Das Zusammenwirken dieser Kräfte veranlasst aber auch weitere dauernd sich vollziehende Veränderungen. Es giebt dem Flussbett, dessen Breite zwischen dreihundert und achthundert Schritt schwankt, eine sehr wechselnde Tiefe, bedingt die Entstehung neuer, das Ver- schwinden alter Inseln. Kama Tschitümbu, die „Hundert Insel“, be- stand einst aus zahlreichen kleinen Eilanden, die durch Bewaldung auf einer sehr ausgedehnten Bank groben Gerölles sich bildeten, aber zu einer einzigen Insel verwuchsen, als der Durchbruch von Mamanya ma tali am linken Ufer nachstürzte und die Hauptströmung sich dort- hin wandte. Der sie vom Nordufer noch trennende Arm wird bald gänzlich verstopft und von der Vegetation in Besitz genommen sein und nur noch für längere Zeit durch Lachen und Tümpel bezeichnet werden, während die Insel sich in eine Uferlandschaft umwandelt, wie dies bereits mit dem weiter unterhalb gelegenen Mindo ge-' schehen. In Folge des gleichen Vorganges wird auch die zwischen beiden liegende Insel Tschitumbu Mvüubu mit dem Nordufer über kurz oder lang gänzlich verbunden sein. Neben Käma Tschitümbu, in der Nähe des linken Ufers, welches stetig unterwühlt und fort- geführt wird, ist jetzt schon eine neue grosse Bank von Geröllen ab- gelagert worden, welche in der Trockenzeit theilweise zu Tage tritt und mit spärlichem Graswuchs bedeckt ist. Weiter stromab, vor dem oberen Ende der Insel Tschibebe, sowie in der Mitte des Bettes gegenüber der Nangamündung bilden sich gegenwärtig neue Sandbänke, welche beliebte Tummelplätze der Hippopotamen sind; beide können vielleicht schon in Folge eines ein- Thätigkeit des Congo, Schwimmende Inseln, 45 zigen Hochwassers als trockenes Land auftauchen und durch Vege- tation rasch gefestigt werden, wie die seewärts liegenden verhältniss- mässig jungen Anschwemmungsgebilde Tschitumbu Ntombi und Pandanuseilande. Die der Mündung am nächsten befindlichen Reis- inseln entstanden beim Durchbruch der schon früher erwähnten nachweisbar ältesten Nehrung des Kuilu; die noch nicht genannten Inseln Tschissülu, Tschingömbe, Tschibebe hingegen sind abgetrennte Theile des linken Ufers, mit prachtvollem Hochwald bestanden und von Affen bewohnt, die, falls sie nicht die krokodilreichen Arme des Stromes durchschwimmen, seit Langem schon ein abgesondertes Leben führen müssen. Die übrigen Flüsse des Landes lernte ich leider nur zum Theil und nur in ihren Mündungsgebieten kennen; sie sollen ähnlich wie der stattlichere Kuilu im Wechsel der Jahreszeiten ihren Lauf um- gestalten. Einige verlieren sich nach dem Verlassen des Gebirges so ‚vollständig in Sümpfen, dass ihr Bett erst weiter seewärts wieder erkennbar wird, und sind stellenweis derartig von Wasserpflanzen, namentlich Papyrus, in Besitz genommen, dass Canoebahnen nur durch mühsames Ausschneiden der Vegetation geschaffen werden können. Mehrere oberhalb der Lagune von Tschissambo wohnende Häuptl'nge bezogen früher einen Jahresgehalt für die Offenhaltung des Wasser- weges durch die Papyrusbestände des Lubinda bis nach Nsiampütu, und die Zuflüsse des Nangasees werden ebenfalls nur durch das Ein- greifen dort hausender Fischer sichtbar, Der gewaltige Congo, dessen zum Ocean drängende Wasser- massen in der inselreichen Niederung noch vier bis sechs Meilen in der Stunde entlang strömen, entwickelt eine so ausserordentlich um- gestaltende Thätigkeit, dass kartographische Darstellungen seines Unterlaufes binnen kurzer Zeit mehr oder weniger veralten. Bänke von Kies und Sand entstehen sehr rasch an Stellen, die vielleicht lange Zeit ein genügendes Fahrwasser boten, während an anderen wieder das Bett vertieft wird. Wolbekannte Inseln verschwinden und neue tauchen auf; selbst gutgeschützte Gebäude von Factoreien, wie zu Porto da Lenha, fallen den die scheinbar festen Uferstrecken unterwühlenden Fluten unversehens zum Opfer. Ein sehr auffallendes Zeugniss von der Thätigkeit des Congo geben die vielgenannten „schwimmenden Inseln“, welche, namentlich während der Regenzeit in oft erstaunlicher Anzahl von der Mündung ausgespieen, ihre merkwürdige Seereise beginnen, die sich bis zu den Guineainseln ausdehnt. An der Loangoküste stranden sie, von der Seebrise. und Strömung herangetrieben, bis nach Pontanegra. Sie 46 Hochwasser der Flüsse, bestehen aus innig verwachsenen Schilfen, Gräsern und rankenden Gewächsen, deren dichte Masse wie fester Boden Buschwerk und Bäume zu tragen vermag. Ausnahmslos entstammen sie den Hauptarmen wie den labyrinthischen Seitengewässern der weiten Niederung des Riesenstromes. Das Pflanzengewirr einsinkender Uferstrecken, die auf neugebildeten Bänken üppig emporgeschossene Vegetation wird namentlich zur Zeit des Hochwassers abgehoben und hinweggeführt. Mit der mächtigen Strömung treibend, können diese schwimmenden Inseln, die öfters über hundert Schritt Länge und Breite haben, vor Anker liegenden Fahrzeugen gefährlich werden, indem sie dieselben umschliessen, von ihren Befestigungen reissen und hülflos mit sich hinwegführen. Dem Verlaufe der Regenzeiten entsprechend, beginnen die Flüsse der Loangoküste Ende September langsam, einige Wochen später rasch anzuschwellen, gehen von Mitte December bis Ende Januar _ gewöhnlich etwas zurück und erreichen ihre höchsten Wasserstände vom Februar bis Ende Mai. Der Congo indessen, welcher, nur in geringem Grade beeinflusst durch meteorologische Vorgänge in Westafrica, ein ungeheures Gebiet im Inneren durch -grosse Zuflüsse von Norden und Süden entwässert, steigt Anfang September bis zum Januar, wenn die Gegenden südlich vom Aequator ihre Regenzeit haben, fällt im Februar bis März binnen kurzer Zeit oft ziemlich bedeutend und hat ein zweites, aber geringeres Hochwasser vom März bis Juni, wenn die Regen mit der Sonne nach der nördlichen Hemisphäre übergetreten sind. Als Grenzfluss der Loangoküste ist er zugleich der einzige des Gebietes, welcher Seeschiffen zugänglich ist; selbst den grössten bietet er genügendes Fahrwasser bis Porto da Lenha, solchen, die nicht mehr als sieben bis zehn Fuss Tiefgang haben, bis oberhalb Boma. Im Schutze der Nehrungen zu beiden Seiten seiner Mündung liegen gute Ankerplätze; am rechten Ufer, zu Banana, dem Haupt- sitze der bedeutenden holländischen Gesellschaft ‚Afrikaansche Handelsvereeniging“ befindet sich auch der einzige diesen Namen verdienende Hafen der Loangoküste, wo Segler und Dampfer ihre Ladung bequem löschen oder einnehmen können. Zur Örientirung für die Seefahrer hat die genannte Gesellschaft die Congomündung mit Tonnen und Baken versehen und dadurch das schwierige Einsegeln in das weite Aestuarium bedeutend erleichtert. Am Südufer, in der Nähe von Shark Point, liegt gewöhnlich ein oder das andere Fahr- zeug des in den westafricanischen Gewässern stationirten englischen Kriegsgeschwaders vor Anker. Häfen und Ankerplätze, 47 Ausserdem bieten nur zwei der vorhandenen und an der flachen Küste nirgends tief in dasLand einschneidenden Baien, die von Yumba und Pontanegra, grossen Schiffen genügende Wassertiefe; innerhalb der schon erwähnten charakteristischen Barre der Pontanegrabai können dieselben in zehn und acht Faden Wasser ankern, in der günstiger geformten und geräumigeren Yumbabai in zehn bis sechs Faden, je nachdem sie in der Oeffnung liegen bleiben oder die Tiefe der Bai im Südosten aufsuchen. Dort werden sie etwas gegen die Roller geschützt durch eine Reihe von Granitklippen, welche als na- -türliche Wellenbrecher wirken und vom Südpunct der Bai, Cap Ma- tuti, etwa zweidrittel Meile weit vorspringen; die äusserste derselben ragt sehr steil vom Grunde auf und ist deutlich über Wasser sichtbar. Beide Baien gewähren indessen keinen hinreichenden Schutz gegen den Seegang. Die von Kabinda und Malemba bieten unfern ihrer ausspringenden Südmarken Küstenfahrern einen ruhigen Ankerplatz und vor Allem — wie auch die Loangobai — eine selbst bei der schwersten Calema nicht gefährlich umtoste Strandstrecke. Die Bai von Tschi- lunga ist bei unruhiger See kein brauchbarer Zufluchtsort; die von Loango vermag hingegen ebenfalls nicht zu grosse Schiffe aufzunehmen, obgleich dem Einsegeln mancherlei Schwierigkeiten entgegenstehen: denn die Lage wie die Wassertiefe der das Innere schützenden Barre, über welcher besonders schwere Roller stellenweis zu brechen pflegen, ist ziemlich veränderlich. i Vorsichtige Capitäne von Segelschiffen und von Dampfern, welche die Feuer niedergehen lassen, liegen daher gern möglichst weit vom Lande, weil die des Tages aus Südwesten wehende Seebrise einem durch das Einsetzen schwerer Roller — die mit der Annähe- rung an das Land eine so wachsende Treibkraft entwickeln können, dass man dem Ankerzeug nicht mehr vertrauen darf — gebotenen schnellen Entfernen von der Küste’ nicht günstig ist. Im Uebrigen jedoch haben Fahrzeuge Nichts zu fürchten. Bedenkliche Untiefen liegen alle innerhalb drei bis vier Meilen von der Küste; das Gebiet ist nach allen Erkundigungen durchaus sturmfrei, und die kurzen nicht besonders heftigen Gewitterböen blasen nur seewärts. Die Mündungen der eigentlichen Flüsse der Loangoküste sind durch ihre Barren, die eine wechselnde Lage und Tiefe haben, grossen Schiffen verschlossen. Kleinere Dampfer mit fünf Fuss Tiefgang mögen den Tschiloango bis oberhalb Tschiume hinaufgehen, ein Küstendampfer, der zehn Fuss Wasser braucht, ist schon einmal über die Barre des Kuilu, aber nur bis unterhalb der Reisinseln gelangt, grosse Dampfbarkassen vermöchten indessen die Seitengewässer des 48 Schiffbarkeit der Flüsse. Kuilu, Nanga und Mpile, den ersteren bis zum gleichnamigen See, den Hauptstrom sogar bis nach Kakamueka im Gebirge, den Banya bis Buässa, den Tschiloango und Lu&mme wol sicher bis zur halben Entfernung von den ersten Bergketten zu befahren und, bei guter Führung, so lange nicht eine ausserordentlich schwere Calema herrscht, ungefährdet die Barre zu passiren. Bis zur Gegenwart werden jedoch diese für den Binnenverkehr der Loangoküste sehr wichtigen Wasserwege nur von Canoes und einigen Booten befahren. Soweit man sich dieser bedienen kann, geht die Reise bequem und rasch von statten; die grossen Schwierig- keiten beginnen erst beim Landmarsch im Gebirge. Läge dieses weiter entfernt vom Meere, glichen die Flüsse so weit landein füh- renden Wasserstrassen wie dem Ogöwe und Kuänsa, so würde man auch von der Loangoküste aus mit derselben Leichtigkeit wie in den Gebieten der genannten Ströme weite Strecken nach dem Inneren vordringen können, Erosionsthal im Plateau von Buala. Savanenbrand, EXBEFEFZIT Lage der Station. — Umfang und Art der Be- obachtungen. — Jahreszeiten. — Luftdruck. — Ursachen der Schwankungen des Barometers; begleitende Erscheinungen. — Lufttemperatur. — Insolation. — Temperatur des Bodens, der Gewässer. — Dunstdruck und relative Feuchtig- keit. — Winde. — Wolkenzug und Bewöl- kung. — Wolkenformen und Jahreszeiten. — Höhenrauch, — Thau und Nebel. — Nieder- schläge; zwiefache Herkunft derselben. Zu- nahme von Süden nach Norden. — Regen- menge; bedeutende jährliche Schwankungen. — Regenzeit und Gewitter; Auftreten derselben. — Regenböen in der Trockenzeit. — Regenfälle; Gerüche. — Anzahl der Blitze; Unschädlich- keit derselben. — Entstehungsherd der Ge- witter; Verlauf einzelner. — Formen der elek- trischen Entladungen: Büschelentladungen, Flächenblitze, Kettenblitze, leuchtende Wolken, Erdlicht. — Wolkenbildung und Polarlichter. — Dämmerung. Dämmerungsstrahlen. — Durch- sichtigkeit der Atmosphäre. — Höfe und Ringe um Sonne und Mond. — Meerleuchten. — Zodiakallicht. — Meteore. — Scintilliren der Gestirne. Südliches Kreuz, Die meteorologischen Beobachtungen der Expedition, von Frei- herrn Alexander von Danckelman ausführlich bearbeitet und in einem besonderen Bande veröffentlicht, sind bereits in den Händen der Loango. III, 4 50 Lage der Station. Umgebung. Fachleute; es wird darum hinreichen, wenn im Folgenden die Dar- stellung der klimatischen Verhältnisse der Loangoküste und nebenher- gehender Erscheinungen vorzugsweise in Form von Schilderungen gegeben wird, welche naturgemäss dem Augenzeugen besser gelingen mögen als dem Nichtbetheiligten. Die während der zweiten Hälfte ihres Bestehens, entsprechend der Zahl ihrer über hundert Köpfe angewachsenen Bewohner, zu einem sehr umfangreichen Gehöft erweiterte Station Tschintschotscho war unter 5° 9‘ s. Br. am Rande eines kleinen Lateritplateaus errichtet, das zehn bis zwölf Meter über dem mittleren Niveau des Meeres liegt und an dem etwa hundert Schritt breiten Strandwall in schroffem Absturz endet. Die ebene Hochfläche, etwa dreihundert Meter lang und breit, wird im Osten von sanft bis zu achtzig Meter Höhe an- steigende Hügelhängen, im Norden und Süden von mässigen, see- wärts auslaufenden Einsenkungen begrenzt. Von Mangroven in Besitz genommene Lagunen und grasige, von Hibiscus und Avicennien um- kränzte Sümpfe, welche landein in bewaldete und theilweise morastige Thalgründe überleiten, beginnen, etwa vierhundert Meter entfernt, in südöstlicher Richtung und erstrecken sich, an verschiedenen Stellen nur durch den niederen Strandwall vom Meere getrennt, bis zum Tschiloango. Jenseits dieser Niederung, den Ausblick nach Osten und Nordosten beengend, reihen sich Hügel an Hügel, deren keiner hundert Meter Höhe überragt; im Norden dagegen, eine gute halbe Wegstunde von der Station entfernt, dehnt sich am Meere und land- ein die Ebene von Mvüli mit der grossen Lagune von Tschissambo und dem Lu&mme. Die Umgebung des Gehöftes wie überhaupt weithin das ganze Land, mit Ausnahme der bewaldeten Flussufer und feuchten Thäler, trug die Vegetation der Savane: bald hohe und dichte, bald niedere und lockere Grasbestände, aus welchen vielerlei Gebüsch, einzelne Adan- sonien, Wollbäume, Ficus und Gruppen von Oelpalmen aufragten. Nur in nordöstlicher Richtung, in der Terrainfalte den Gebäuden auf etwa zweihundert Schritt genähert, zog sich ein von verstreuten Hoch- stämmen überschatteter wirrer Buschwald an der Hügellehne aufwärts. Später wurde das als Eigenthum der Expedition anerkannte Land bis auf die nützlichen oder schmückenden Bäume ringsum gesäubert, ur- bar gemacht und mit Nährgewächsen bepflanzt; selbst ein naheliegen- der Theil des Buschwaldes verfiel der Axt und dem Feuer, um Raum zu geben den üppig gedeihenden Plantagen. Unter diesen äusseren Verhältnissen wurden die Beobachtungen am 22. December 1873 begonnen und am ı5. April 1876 geschlossen. Instrumente. Beobachtungszeiten, 51 Das vielfache Missgeschick, welches die Expedition verfolgte, hatte bereits beim Aussetzen derselben durch den Schiffbruch der „Nigretia“ den Verlust fast aller Instrumente herbeigeführt; eine spätere Sen- dung gieng mit dem spurlos verschwundenen Dampfer „Liberia“ zu Grunde. Dann war ein theilweiser Ersatz von Dr. Falkenstein und Lindner glücklich an den Ort seiner Bestimmung gebracht worden; aber die Thätigkeit sämmtlicher Herren blieb immer noch zu sehr durch Aufbau und Einrichtung der Station, durch unvorhergesehene Zwischenfälle und widrige Ereignisse mancherlei Art in Anspruch ge- nommen. , Erst nachdem eine genügende Ordnung und Sicherheit ge- schaffen und mit meiner Ankunft die Reihe der Instrumente nahezu vollständig ergänzt worden war, konnten alle meteorologischen Ele- mente und viele nebenhergehende Erscheinungen vom ı. September 1874 an in den Kreis geregelter Beobachtungen gezogen w@rden. Die wesentlichsten, den Kern der Untersuchungen bildenden, wurden bis Ende des Jahres 1874 um sechs Uhr Morgens, zwei Uhr Mittags und zehn Uhr Abends vorgenommen, von da an aber auf die sich günstiger erweisenden Stunden sieben, zwei und neun verlegt. Ueber Aufstellung und Vertheilung der Instrumente hat bereits die Arbeit des Herrn von Danckelman einen Ueberblick gegeben; wir glauben dabei mit gewissenhafter Sorgfalt alle Vorsichtsmassregeln beobachtet zu haben, welche den gewonnenen Resultaten eine mög- lichst grosse Zuverlässigkeit verbürgen mussten. Der Ausrüstung nicht beigegebene Geräthe, wie das Auffange- gefäss des Regenmessers, die sich vorzüglich bewährende Windfahne — ein vierzig Centimeter langes, spitz zulaufendes Säckchen von sehr leichtem Stoff, vorn durch einen funfzehn Centimeter weiten feinen Holzreifen offen gehalten und mittelst einer an letzterem befestigten Drahtschlinge um einen eisernen Ladestock spielend -— wurden von Herrn Lindner, dessen Geschicklichkeit sich auch schwierigeren Auf- gaben gewachsen zeigte, auf das Trefflichste am Orte gefertigt. Da ferner die Scala der selbstregistrirenden, durch Glaskugel mit Vacuum geschützten Insolationsthermometer für die auf der Erdoberfläche vor- kommenden Wärmegrade bei weitem nicht ausreichte, construirte ich ein anderes mittelst eines der gewöhnlichen Thermometer und eines weiten, blasenfreien Reagenzglases. Nicht nur die im steten Gebrauch befindlichen und als massgebend betrachteten, sondern auch die Reserveinstrumente wurden wiederholt genau verglichen und die Angaben der letzteren mehrfach auf längere Zeit neben denen der ersteren verzeichnet, damit wir bei einem nöthig werdenden Austausche oder etwa» eintretenden Veränderungen eine R 52 Gang der Beobachtungen. Unterbrechungen, werthvolle Controle besässen und die durch Verschiedenheit der ört- lichen Aufstellung bedingten, oftmals sehr lehrreichen Abweichungen bemessen könnten. Da die wichtigen Instrumente unversehrt wieder nach Europa zurückgebracht wurden, konnten die Tabellen mit den nöthigen scharfen Correctionen versehen werden; es stellte sich über- dies heraus, dass jene während der langen Zeit des Gebrauches in den Tropen keinerlei Veränderungen von irgend welcher Bedeutung er- litten hatten. Da mich der Verlauf des Unternehmens während der längsten Zeit meines Aufenthaltes in Africa an Tschintschotscho fesselte, haben die meteorologischen Untersuchungen für gewöhnlich mir obgelegen. Es eigneten sich jedoch auch diejenigen Gefährten, welche mit der Be- handlung und dem Gebrauche der Instrumente nicht hinreichend ver- traut, in @er Auffassung und Schätzung allgemeiner Vorgänge nicht sicher genug waren, darin die erforderliche Uebung an, so dass sie mich ohne Nachtheil für die Resultate vertreten konnten, wenn mich andere Aufgaben von der Station entfernt hielten. So ist es dem ge- fälligen Eifer aller Mitglieder der Expedition zu danken, dass die me- teorologischen Journale eine solche Fülle von Beobachtungen enthalten — ihre Summe beträgt an vierzigtausend — dass dieselben möglichst wenige Lücken aufweisen. Nur zwei Mal waren nahezu vollständige Unterbrechungen nicht zu vermeiden: vom 18. bis 20. December 1875 und vom 7. bis 23. Januar ı876, als wir von den im Süden des Tschi- loango durch die Eingeborenen hart bedrängten Europäern um Hülfe angerufen (II. 159) zum Schutze derselben mit unseren Leuten nach dem Nachbarlande gezogen waren. Vorfälle minder ernster und öfters sogar recht drolliger Art, bei welchen gewöhnlich Vertreter der Thier- welt, namentlich die zahmen Affen eine Rolle spielten, brachten es ausserdem mit sich, dass einzelne Instrumente zu den bestimmten Stun- den entweder gar nicht abgelesen werden konnten, oder dass ihre An- gaben als unrichtig verworfen werden mussten. Die Temperatur ist stets nach dem hunderttheiligen Thermometer bestimmt, die Stärke des Windes, der Grad der Bewölkung und die Schnelligkeit der Wolkenbewegung sind nach der zehntheiligen Scala geschätzt worden; für die Bezeichnung der Richtung des Windes war das Woher, für die des Zuges der Wolken das Wohin mass- gebend. — Im Gebiete der Loangoküste vollziehen sich die Vorgänge in der Atmosphäre keineswegs mit solcher Gleichförmigkeit und innerhalb so enger Grenzen, wie man bisher, irregeleitet durch die geringe Spiel- weite der Barometerstände, als für Tropenländer überhaupt charakte- Jahreszeiten. Unregelmässiger Verlauf derselben. rn 2 I ristisch angenommen hat. Die während der immerhin nur kurzen Beobachtungszeit gewonnenen positiven Resultate, mehrfach ergänzt durch Erkundigungen über Ereignisse in früheren und in späteren Jahren bis zur Gegenwart, lassen erkennen, dass mit Ausnahme des Luftdruckes alle übrigen in das Bereich der Meteorologie gehörenden Erscheinungen das Gepräge einer theilweise überraschend grossen Un- regelmässigkeit tragen. | Zweimal im Jahre sendet die Sonne um Mittag ihre Strahlen schei- telrecht auf das Land herab: sie passirt das Zenith der Station Tschin- tschotscho am sechsten October, wenn die Erde ihr die südliche Hälfte, am siebenten März, wenn diese ihr die nördliche Hälfte zuzuwenden beginnt. Wie in allen Breiten werden durch ihren Gang, durch die wärmende Kraft ihrer Strahlen die sogenannten Witterungserschei- nungen, jene Veränderungen in der Beschaffenheit der Atmosphäre bedingt, welche den Wechsel und Verlauf der Jahreszeiten kennzeich- nen; wie überall sind diese jedoch nach ihrer Eigenart nicht so scharf unterschieden, dass deren Anfang und Ende anders als mit einiger Willkür bestimmt werden könnte. Nach den wesentlichen Merkmalen der Erscheinungen theilen die Eingeborenen das Jahr in zwei Jahreszeiten: in die heisse oder Regen- zeit — mvü mvüla oder tschimvüla — welche sich von Mitte October bis Mitte Mai erstreckt und in die kühle oder Trockenzeit — mvu m sifu oder tschisifu — welche die übrigen Monate umfasst. Die letztere nennen sie zuweilen, die an der Küste lebenden Europäer thuen dies stets, auch die Nebelzeit — mvü tschitimba — ohne jedoch damit einen besonders glücklichen Ausdruck für ihre Eigenart gewählt zu haben. Um Vieles schärfer würden sich die beiden Jahreshälften nach ihrer am meisten auffallenden Verschiedenheit als die gewitterreiche und als die gewitterfreie bezeichnen lassen. Die kühle Trockenzeit oder die gewitterfreie nimmt einen ziemlich gleichmässigen Verlauf, dagegen zerfällt die heisse Regenzeit oder die gewitterreiche in drei sich mehr oder weniger von einander unterschei- dende Abschnitte: in die Periode der kleinen Regen — minöka oder mvüla tschintschö — von Mitte October bis Mitte December; in die der schwachen oder ausbleibenden Niederschläge — ngönda tschisifu — von Mitte December bis Ende Januar; und in die Periode der grossen Regen — mvula kurzweg oder mvüla tschinene — welche von Anfang Februar bis Mitte Mai fallen. Wie sich im Folgenden herausstellen wird, lassen sich indessen diese landesüblichen Unter- abtheilungen noch weniger scharf als die beiden Hauptjahreszeiten nach ihren Eigenthümlichkeiten trennen, und die Bezeichnungen sind hier 54 Luftdruck. Schwankungen. nur angeführt worden, damit zunächst ein einleitender Ueberblick vorausgesandt werden könne. Wollte man, um die Jahreszeiten an der Loangoküste nach ihrer allgemeinen Stimmung zu charakterisiren, heimatliche Anschauungen zu Hülfe nehmen, so wäre die kühle Trockenzeit mit unserem Herbste, die Zeit der kleinen Regen mit dem Frühling, der Rest des Jahres mit dem Hochsommer zu vergleichen. Es wurde schon angedeutet, dass das Verhalten des Luftdruckes unter allen atmosphärischen Erscheinungen die grösste Regelmässig- keit zeigte. Der mittlere Barometerstand zu Tschintschotscho, in zwölf Meter absoluter Höhe, ist zu 759.76 mm, das Jahresmittel für 1874 zu 759.84 mm, das für 1875 zu 759.68 mm bestimmt worden. Die verschie- den grosse Auflockerung der Atmosphäre durch die Temperatur und begleitende Vorgänge bedingenSchwankungen imLuftdruck umgrössere jährliche und geringere monatliche wie tägliche Werthe. Die abwei- chendsten Stände der Quecksilbersäule waren, nach den Ablesungen zu den üblichen Stunden, im Jahre: 1874 1875 22. Februar Mittags: 753.6 21. März Mittags: 754.6 6. August Abends: 764.7 30. Juni Morgens: 764.0 Differenz: ı1.ı mm Differenz: 9.4 mm. Die äussersten Unterschiede innerhalb eines Monates ergaben sich im Jahre 1874 im Februar zu 8.8 mm und ı875 im März zu 7.2 mm, die geringsten aber 1874 im Januar zu 3.8 mm und 1875 im August zu 2.7 mm. Die Werthe des Luftdruckes in monatlichen Mitteln sind in der nebenstehenden Tabelle zusammengestellt. Die durch höchste Barometerstände ausgezeichneten Monate waren sonach im Jahre 1874 wie 1875: Juli und August; die durch niedrigste bemerkenswerthen im Jahre 1874: Januar und Februar, 1875 aber: Fe- bruar und März. Die Veränderungen im Luftdruck innerhalb eines Tages lassen mit befriedigender Schärfe zwei Maxima und zwei Minima, also eine doppelte Flut und Ebbe der Atmosphäre erkennen. Unähnlich jedoch den hauptsächlich von der Bewegung des Mondes abhängigen Gezeiten der Gewässer erleiden die der Luft keine stetig fortschreitende zeit- liche Verrückung, sondern kehren immer zu den nämlichen Stunden wieder, mit der Regelmässigkeit, wie die Sonne ihren scheinbaren Lauf um die Erde vollendet. In Folge der wichtigen, jedoch nur während der halben Zeit stattfindenden unmittelbaren Einwirkung derselben, bleiben sie indessen innerhalb der vierundzwanzigstündigen Perioden, nach Tag und Nacht geschieden, beständig von ungleichem Werthe. Maxima und Minima. [S18 Das erste und stärkere Maximum wird beobachtet um die neunte Stunde des Morgens, das zweite um die zehnte des Abends, das erste schwache Minimum um die dritte Stunde des Morgens, das zweite aus- geprägtere um die nämliche des Nachmittags. Monatsmittel des Luftdruckes zu Tschintschotscho in Millimetern. (12 Meter über dem mittleren Niveau des Meeres.) 1874 1875 Monat 6h ah oh Mittel ZE 2ıh gh Mittel Januar... . 758,80| 757,78 | 758,75 758,44 | 759,31 | 757,93 | 758,74 | 758,66 Februar . . 758,76 |757,74 758,93 | 758,48 | 758,25 | 757,00 757,10 757,65 März . 1758,92 | 757,67 758,93 | 758,51 | 758,16 | 756,87 |757,92 757,05 April 759,63 | 758,08 | 759,58 759,10 | 758,46 | 757,14 | 758,39 | 758,00 Mai..... 760,59 759,08 760,47 | 700,05 | 758,96 757,62 758,73 | 758,44 Juni 761,86 760,77 | 761,77 | 761,47 | 761,84 | 760,47 | 761,28 761,20 ul u.a... 762,50 | 761,50 | 762,40 762,13 | 762,54 | 761,34 | 762,12 | 762,00 August . [762,49 | 761,32 | 762,34 762,05 | 762,46 | 762,06 | 762,31 | 762,28 September . | 761,71 | 760,11 | 761,16 | 760,99 | 761,77 | 761,32 | 761,51 | 761,53 October 760,44 758,58 759,94 | 159,65 | 761,12 | 759,65 | 700,60 | 760,46 November . 759,05 757,82 | 759,00 758,62 | 760,04 | 758,05 | 759,29 759,13 December . | 759,02 | 757.73 | 758,86 | 758,54 | 760,02 | 758,00 | 759,51 | 759,18 Jahr ....... 760,31 | 739,02 | 760,18| 759,84 | 760,24 | 758,95 | 759,84 | 759,68 | 1876 Monat - | Zu 2h | gh | Mittel T | Tz Februar . . | 760,40 | 758,24 | 759,74 | 759,46 März .... 659,52 757,53 | 758,30 | 758,45 Die diese Schwankungen theils mit bedingenden, theils nur be- gleitenden Vorgänge werden den einigermassen geübten Sinnen schon durch Veränderungen im allgemeinen Aussehen der Atmosphäre wahr- nehmbar. Nach Aufgang der Sonne erfolgt eine schnellere Erwär- mung der unteren Luftschichten, indess die oberen noch in ihrem wäh- rend der Nacht erlangten Zustande der Abkühlung verharren und, jene an entsprechender Auflockerung hindernd, eine Spannung erzeugen, die einen wachsenden Druck auf die Quecksilbersäule ausübt. In Folge der Rückstrahlung wird jedoch die Luft über dem.Lande rascher er- wärmt als über dem Wasser; die über ersterem ruhenden Schichten beginnen nach oben zu drängen, abzufliessen und eine doppelte aus- gleichende Bewegung einzuleiten, deren unterer .Verlauf sich als See- wind geltend macht, deren oberer nur selten, besonders aber dann be- obachtet werden kann, wenn die Entwickelung innerhalb enger Grenzen namentlich in geringer Höhenausdehnung beginnt. 56 Spannung der Atmosphäre. Ausgleich. Mit dem Steigen der Sonne verbreitet sich die Erwärmung auch in höheren Regionen der Atmosphäre und begünstigt ein kräftigeres Aufstreben der überwiegend erhitzten Luftschichten. Hierdurch wird die Bildung von Haufenwolken bewirkt, welche sich namentlich über den Westhängen des Gebirges oft in grossartigen Formen empor- thürmen während die Seebrise mit zunehmender Kraft über das Ge- biet hinstreicht und die abziehenden Luftmengen ersetzt. Am Nach- mittage erreicht dieser Hergang den äussersten Grad seiner Ausbil- dung, besitzt die Atmosphäre ihre geringste Spannung, die durch den niedrigsten Barometerstand angezeigt wird, trotzdem ihr Gehalt an Wasserdampf etwa um diese Zeit am grössten sein wird. Bei der allgemeiner gewordenen Erwärmung des Luftkreises haben sich die imposanten Wolkengebilde des Vormittags bald wieder ver- flüchtigt, von Westen her dagegen, über dem Meere in der mit Wasser- dampf gesättigteren Luft entstehend, segeln verstreute, mehr flockig zerzauste als geballte Cumuli über das Land hin. Gegen Abend wer- den sie in der Regel seltener und verschwinden endlich, auch wenn die Seebrise noch anhalten sollte. Mit dem Sinken der Sonne verlieren die höheren Regionen der Atmosphäre ihre Wärme schneller als die unteren, sie verdichten sich und umschliessen wiederum fester die letzteren, das abermalige Ent- stehen einer Spannung bewirkend. Nach Sonnenuntergang, während die Bewegung der Luft sich beruhigt, erreicht dieselbe ihren höchsten Grad und findet ihren Ausdruck im zweiten Maximum des Barometer- standes. Dieses ist jedoch weniger ausgeprägt als am Morgen, weil die zunehmende Abkühlung auch der unteren Schichten, nebst der sie vielfach begleitenden Ausscheidung von Wasserdampf, die Spannung nicht im selben Grade anwachsen lässt. Unterdessen beginnen die Vorgänge sich in entgegengesetzter Weise zu wiederholen, aber minder kräftig und deutlich als am Tage, da die unmittelbare Einwirkung der Sonne mangelt. Williger als das Meer verliert das Land seine Wärme durch Ausstrahlung; demgemäss sinkt über letzterem die sich abkühlende Luft nieder, während die über dem Meere ruhende wärmere, ihr ausweichend, sich emporhebt. Damit ist wiederum eine doppelte ausgleichende Luftbewegung einge- leitet, deren unterer Verlauf als Landwind fühlbar wird. Wie des Vormittags im Osten gross geformte, so entstehen nun im Westen zierlich geballte Haufenwolken, welche in langer Reihe namentlich über den unfernen warmen Gewässern des Congo zu schwe- ben scheinen, die auch im Ocean sich noch auf weite Strecken gleich einem uferlosen Strome hinwälzen. Wie jene imposanten Cumuli über Barometerstand über Land und Meer. 57 dem Gebirge in der Regel noch am Vormittag, so verschwinden diese kleineren um Mitternacht, während der Landwind stärker und weiter seewärts hinausweht und die Luftschichten überall eine mehr gleich- mässige und niedrigere Temperatur erlangen, welche, vereint mit der zunehmenden Wasserdampfausscheidung, die Spannung wesentlich ver- ringert. Weniger ausgeprägt als am Nachmittage, jedoch um die nämliche Stunde, zeigt nun das Barometer ein zweites Minimum des Luftdruckes an. Späterhin, in der Regel beim Aufgang der Sonne wie am Abend beim Untergang derselben, tritt die kurze trennende Windstille ein, mit welcher die Reihenfolge der Erscheinungen sich von neuem zu wiederholen beginnt. Aus der Entwickelung der begleitenden Vorgänge scheint mir mit Sicherheit hervorzugehen, dass die letzte Ursache der Barometerschwan- kungen, die wärmende Kraft der Sonnenstrahlen, nicht blos durch Auflockerung und ihr folgende Bewegung sowie durch den wechseln- den Wasserdampfgehalt der Luft auf die Quecksilbersäule wirkt, son- dern auch durch die veränderliche Spannung verschieden warmer über einander liegender Luftschichten. Dass die letzteren für einige Zeit in diesem Zustande unvermischt verharren können, wird das Folgende ergeben; auch beweisen ja gewisse Arten von Luftspiegelungen, dass unter Umständen beträchtlich wärmere Luftschichten nicht nur horizontal, sondern auch vertical scharf begrenzt unter oder neben kühleren sich ohne sofortigen Ausgleich erhalten können. Die oben erwähnte Spannung dürfte in einem solchen Grade einwirken, dass die täglichen Curven des Luftdruckes in Loango keine sehr grossen Veränderungen ihrer Form erleiden würden, selbst wenn die Atmo- sphäre jeglichen Gehaltes an Wasserdampf entbehrte Das abwei- chende Verhalten des Barometers auf hohen Bergen ist vielleicht mit dieser Spannung enger verknüpft, als mit den übrigen in Rechnung gezogenen Factoren; doch ist das Ineinandergreifen aller dieser ein so complicirtes, dass die umfassendere Erörterung als zu weitführend, hier ausgeschieden worden ist und einem gesonderten Aufsatz vorbehalten bleiben muss. Sind die Erscheinungen ihrem Wesen nach richtig aufgefasst, so müssen — und zwar um so besser, als die regelmässigen täglichen und grösseren Schwankungen der Quecksilbersäule in niederen Breiten, viel seltener als die geringeren in höheren, durch unperiodische Störungen verdeckt werden — die Barometerstände über dem Festen und Flüssigen zu gewissen Tageszeiten geringe aber beständig wiederkehrende Unter- schiede erkennen lassen. Denn das entgegengesetzte Verhalten von 58 Unregelmässigkeiten des Ausgleiches, Land und Wasser unter Besonnung sowie bei Ausstrahlung, wird in einem bestimmten Gebiete über beiden einen Unterschied des Luft- druckes bedingen, und zwar derartig, dass wegen der ungleichen Er- wärmung und der entsprechenden Spannung der Atmosphäre des Morgens ein höherer Druck über dem Lande, des Abends jedoch über dem Meere herrscht. Diese Ungleichheit der Spannung mag allerdings im Entstehen schon wieder schwinden, indem die nach Ausdehnung strebenden Schichten diese unten nach seitwärts, in höherem Grade wol nach oben erzwingen; sie wird trotzdem nachweisbar sein vor- nehmlich während der Tagesstunden, während welcher, zufolge der unmittelbaren Wirksamkeit der Sonne, die Vorgänge sich kraftvoller abspielen, Maximum und Minimum schärfer ausgeprägt sind, die Be- wegungen der Atmosphäre an Stärke und räumlicher Ausdehnung mächtiger, die begleitenden Wolkenbildungen bedeutender auftreten als während der Nachtstunden. Dies ist der Verlauf der Erscheinungen an Tagen, die nach unseren Begriffen musterhaft schön sind. Diese sind aber wie überall nicht häufig. Es mögen daher die ohne Instrumente wahrnehmbaren Vor- gänge Wandlungen mannigfacher Art bis zur gänzlichen Umkehrung erfahren. Nahe oder ferne, sichtbare oder unsichtbare Gewitter wirken störend ein; die regelmässigen Luftströmungen setzen aus, und in den äussersten Fällen weht die Seebrise des Nachts, der Landwind dagegen am Tage. Die charakteristischen Haufenwolken bilden sich nicht oder verschwinden in einer allgemeinen Bedeckung des Himmels. Wenn des Vormittags die zunehmende Spannung der zwischen Gebirge und Ocean ruhenden Luft die Ausgleichsbewegung veranlasst, mag man die der anfänglich in nicht grosser Höhe weichenden Schichten deutlich an dem westwärts gerichteten Zug gehobener Nebel, in selte- neren Fällen auch an dem der schönen Cumuli verfolgen. Ist die Span- nung eine ungewöhnliche, sind andere Umstände günstig, dann ereignet es sich auch, dass die ausgleichende Bewegung in den unteren Schichten Platz greift, dass die an der Erdoberfläche eingetretene Ruhe durch einen regelwidrigen Landwind von geringfügiger Ausdehnung und nur kurzer Dauer unterbrochen wird, der sogar die bereits einsetzende See- brise zu überwältigen vermag. Der Kampf der beiden Winde wird auf dem noch spiegelnden Meere durch die schattengleich nebeneinan- der entlang huschenden Kräuselungen sichtbar, auch begleiten ihn in rascher Folge zwar nicht besonders grosse, aber dem Gefühl doch auf- fallende Wechsel in der Temperatur. Trotz dieser ziemlich plötzlich auftretenden Ausgleiche zeigten sich niemals bemerkenswerthe Schwankungen der Quecksilbersäule, Aufsteigender Luftstrom. Wolkenbildung. 59 eben so wenig aber auch beim Heraufziehen oder Entladen selbst der schwersten Gewitter mit Sturmwinden, die allerdings sehr selten und stossweise, bis zur Stärke 6, und nur ein Mal bis zu dem Grade 7 der zehntheiligen Scala anschwollen. Die Entwickelung der mehrfach erwähnten Cumuli, ein durch seine Schönheit doppelt reizvolles Phänomen, verfolgte ich mit besonderer Aufmerksamkeit und gewann die Ueberzeugung, dass die sicherlich nirgends durchaus gleichmässig aufsteigenden Luftmengen zunächst nicht über eine bestimmte Höhenschicht hinausgelangten, vielmehr unter dieser sich seitwärts fortbewegten, wie etwa nach gestörtem Gleichgewicht ein farbiger, vom Grunde eines Gefässes ausgehender Strom an der Grenze zweier unvermischter Flüssigkeiten entlang zieht. Durch ein ausgezeichnetes Doppelglas von Merz war an der Bildung der imposanten Cumuli, die mächtig geballt langsam emporwuchsen, deutlich zu erkennen, wie nur einzelne Lufthauche in jene obere, noch kühle und ruhig verharrende Schicht eindrangen. Nur sehr allmählich seine Formen ändernd, schwebte das Gewölk in der es unten horizontal abgrenzenden Luftschicht, während die Streifungen seiner verwasche- nen Basis durch ihre Richtung andeuteten, wohin die nicht eindringen- den Luftmengen abstrichen. Diese sich meist in unvergleichlicher Schönheit entwickeluden Haufenwolken ruhten zwar, schon wegen ihrer wechselnden Grösse, nicht in solcher Regelmässigkeit wie die Abendwölkchen nebeneinan- der, verschmolzen indessen nur selten zu einer formlosen Masse und erinnerten darum häufig an den erhabenen Anblick, den die Andes vom Meere aus darbieten, wenn in der wunderbar klaren Atmosphäre deren höchste Gipfel über dem Horizonte oder über der niederen, das Vorland verhüllenden Dunstschicht aufragen. Jedenfalls liegt, sofern man nach äusseren Anzeichen urtheilen darf, kein Grund vor, dem aufsteigenden Luftstrom schon im Beginne eine bedeutende allgemeine Ausdehnung und Stärke zuzugestehen, sonst müsste ja ein dichtes Ge- wölk sogleich den ganzen Himmel verhüllen. Indessen findet, wenn auch selten, eine Annäherung hieran statt. An einigen Vormittagen bildeten sich Cumuli schnell in grösserer Menge und verschwanden nicht, wie in der Regel, allmählich am Orte ihrer Entstehung, sondern trieben, trotz der Seebrise, nach Westen. In ausgezeichneter Weise entwickelte sich dieses Schauspiel am Vor- mittag des 26. Januar 1876. Mächtige Haufenwolken thürmten sich ununterbrochen im Osten auf, segelten über den verstreuten, mit der Seebrise landein ziehenden kleineren Cumuli nach Westen und zer- 60 Temperatur. flossen erst in weiter Ferne über dem Meere. Die Menge der Einzel- wolken bedeckte mehr als die Hälfte des Himmels. Eine in engeren Verhältnissen, aber in grösserer Nähe sich voll- ziehende Bildung von Cumuli ist auch über landumschlossenen grösseren Wasserflächen zu beobachten. Aehnlich wie die schon beschriebenen über dem Meere, entstehen an besonders schönen Abenden gleich Perlenschnuren gereihte Wölkchen über der Niederung des Congo, über dem Banya und Nangasee. Noch deutlicher ist deren Auftreten bei Savanenbränden zu verfolgen. Die dunkeln Rauchmassen wirbeln, von der herrschenden Luftströmmung beeinflusst, in schräger Richtung empor und breiten sich in einer verhältnissmässig dünnen horizontalen Lage aus. Ueber dieser und von ihr scharf begrenzt, wird der em- porgerissene Wasserdampf sichtbar, schweben oft thurmförmig auf- schiessende im Forttreiben indess flachkuppiger werdende und allmählich verschwindende Cumuli, die blendend weiss von der dunkeln Schicht weit hinziehenden Rauches sich abheben. In seltenen Fällen erfolgen auch einzelne elektrische Entladungen, wie es Eingangs dieses Capitels bildlich dargestellt ist. — Die Temperatur der Luft des Gebietes ist eine recht mässige und entspricht nicht den allgemeinen Vorstellungen von der über- grossen Hitze der Tropenländer. Die absolut höchsten und niedrigsten Stände der Thermometer waren im Jahre: 1874 1875 am 30. Juni: 15.0° am 30. Juni: 14.06° am 17. November: 34.4° am 27. Februar: 35.9° Differenz: 19.4° Differenz: 21,3° Die mittlere Temperatur des Jahres 1874 wurde zu 23.74°, die des Jahres 1875 zu 25.06° gefunden. Beide Werthe ergeben einen Unter- schied von ı1.32°, welcher für ein Tropenland und namentlich für einen unmittelbar am Meere liegenden Ort überraschend gross ist. Derselbe fällt den gegen die nämlichen des Vorjahres wesentlich wärmeren Monaten April bis September zur Last, die, mit Ausnahme des August, umgekehrt wieder mehr oder weniger niedrige Barometer- stände aufweisen. Dieser Ueberschuss an Wärme wurde hervorge- rufen durch die stärkere Besonnung, welche das Land im Jahre 1875 bei dem weniger bedeckten Himmel empfing, in geringerem Grade vielleicht auch durch das Vorherrschen von warmen Strömungen an der Küste. Aus der nebenstehenden Zusammenstellung der mittleren monat- lichen Temperaturen sind die verschiedenen Abweichungen ersichtlich. Es waren demnach die wärmsten Monate im Jahre 1874: Februar Differenzen. 61 und März, ı875: März und April; die kältesten im Jahre 1874: Juli und August, 1875: Juni und Juli. Der Unterschied der abweichendsten Monatsmittel beträgt im Jahre 1874: 5.67° und 1875: 4.04° Monatsmittel der Lufttemperatur zu Tschintschotscho. 1874 1875 Monat == 6 ah 10 | Mittel Zu | oh 9% | Mittel eater so 0% \ 2270) | 27,04 | 23,04) 2240.| 23072 | 2822| 25,080 | 25,82 kebruaue ns 520172 028,452 .25,072.20,202|23,668 729,21. 26,00, 720410 anze e oa 2l8, ARE 720,207 1,20,174.21,24,22%1.20,,74..1520,53, 120,78 NDEeEPE 522,922 120,270 2241501 24,100 22.2112 129,330 2.0,5,71020,07; ae 021505 024570, 21,922 022,720 |°20,000 ,28,3771,25,022 725,95 ums 20,505 23,998,217,,77111225092 17 21,17211025,535 722,23, 122,78 al. u: 9. 19,06, | 22,84 | 20,38 | 20,76. | 20,84 | 25,190 | 22,47. | 22,74 Nu SUISteR. 10,372 22,07.11020,207 720,53 1722,06, 7227.72 122,880 W23,75 September . | 21,79 | 23,91 | 22,10 | 22,60 | 22,69 | 25,57 | 23,50 |. 23,82 October”. . |"23,26 | 25,94 | 24,10 | 24,43 | 23,87 26,88 | 24,501 24,94 November . | 23,88 | 27,69 | 24,89 | 25,49 | 25,19 | 27,97 | 25,36 | 25,97 December . | 23,49 | 27:75 | 24,90 | 25,38 | 24,94 | 28,55 | 25,15 | 25,95 Mittele .201022,27 | 25,75 | 2 | 23,74 | 23,39 | 27,44 24,70 | 25,06 Monat | Die t WE | ah | 9% | Mittel Februar 24,66 | 29,36 | 25,90 | 26,48 Marz 25,02 | 28,54 | 25,44 | 26,11 Die Temperaturschwankungen innerhalb eines Monates betrugen selten mehr als 10°. Letztere zeigten im Jahre 1874: Januar, Mai, August und October mit einer grössten Differenz von 12.6° im Mai; im Jahre 1875: April, Mai, Juni, Juli, September, November December, mit einer grössten Differenz von 13.9° im Juni. Die täglichen Schwan- kungen betragen in der Regel fünf bis acht Grad, sind aber zuweilen noch geringer und nur selten beträchtlicher. Unterschiede von zehn Grad und mehr ergaben sich für die folgenden Tage: 1874 am ı1. Mai, 30. Juni, 6. und 25. Juli, ı. September, 3. und ı0. November, mit dem äussersten: 1ı1.8° am ı. September; 1875 aber nur ein einziger von 10.3° am 30. Juni. In dem überhaupt kühleren der beiden Jahre waren mithin die grössten Schwankungen in den Tagestemperaturen am häufigsten. Indessen werden auch die geringeren derselben dem Gefühle so empfindlich, dass der im Freien oder in der landesüblichen luftigen Schilfhütte Schlafende um die Mitte der Nacht gern eine wärmere 62 Jähe Temperaturschwankungen. Decke über sich breitet. Umgekehrt wird er in solideren, namentlich steinernen Gebäuden anderer Tropenländer um dieselbe Zeit gewöhn- lich von übermässiger Wärme belästigt, weil die des Tages von der Sonne bewirkte Erhitzung der Mauern dann erst bis nach der Innen- seite vorgedrungen ist, und durch die zugleich aus dem Grestein ver- dampfte Feuchtigkeit die Wärme doppelt drückend macht. Im täglichen Verlaufe tritt die niedrigste Temperatur kurz vor Sonnenaufgang, etwa um die fünfte Stunde, die höchste aber noch vor der Mittagszeit ein, etwa um die elfte Stunde, da die anwachsende Seebrise ein weiteres Zunehmen derselben verhindert. Ein plötzliches regelwidriges Sinken der Temperatur wurde an mehreren Tagen beobachtet. Dasselbe war meistens von zu kurzer Dauer, um einen Einfluss auf die Instrumente auszuüben, verursachte aber bei Menschen und Thieren ein Frösteln, welches namentlich bei den zahmen Affen sich in einer Art drolliger Verwunderung ausdrückte. Diese überraschende Abnahme der Wärme kam und gieng stets mit einzelnen schnell vorüberstreichenden Lufthauchen von Nordosten, na- mentlich wenn in dieser Richtung Gewitter hiengen. Nur einmal sank das empfindlichste Thermometer binnen weniger Minuten um 4.6°, begann aber sofort wieder zu steigen, offenbar ohne den der niedrigsten Temperatur entsprechenden Stand erreicht zu haben. Dies geschah am 3. November 1875, als ringsum Gewitter drohten und im raschen Wechsel kalte wie warme Böen von allen Seiten sich jagten.. Um vier Uhr Nachmittags traf plötzlich eine eisigkalte Windsbraut anscheinend von oben herab die Station, blies einen Zaun nieder, klappte die Blätterschindeln der Dächer auf und verschwand. Eine Wirbelbewegung wurde nicht wahrgenommen. Am vierten December 1875 ereignete sich ein ähnlicher Fall, jedoch von längerer Dauer. Am Morgen hatte der Vorläufer der Seebrise ein leichter Südwind eingesetzt; das Thermometer zeigte 25.2°, der Him- mel war vollständig mit Cumulo-stratus bedeckt, welche ziemlich schnell (Stärke 3) nach Süden zogen. Um neun Uhr setzte plötzlich ein kalter Wind mit der Stärke 4 aus Norden ein. Das Thermometer sank sofort auf 22° und behielt diesen Stand mit geringen Schwankungen bis ein Uhr, zu welcher Zeit es rasch auf 27.3° stieg, während der Wind nach Westnordwest umsprang und zu einer aus regelwidriger Richtung wehenden Seebrise wurde, die am Abend wieder über Norden zurück und in den Landwind übergieng. Es erwiesen sich überhaupt alle aus Nord bis Ost kommenden Winde als die kälteren, die aus Süd bis West kommenden als die wärmeren, und zwar nicht etwa blos während der Tageszeit. Insolation; Unregelmässigkeit derselben. 63 Fern vom Meere, sowol in hoch bestandenen Savanen wie Sümpfen, über welchen die Sonne mit all ihrer Kraft brütete, herrschte oft eine überaus drückende und unerträgliche Hitze, die weit über das Ge- wöhnte hinauszugehen schien; wie sehr aber das Gefühl durch die Insolation und den Feuchtigkeitsgehalt der Luft beirrt wurde, bewies das Schwingthermometer, welches niemals höhere als die schon be- kannten Werthe anzeigte. Die Lufttemperatur des Gebietes ist demnach als eine mässige zu betrachten. Ganz ausserordentlich hohe Hitzegrade wurden hingegen an den der unmittelbaren Besonnung ausgesetzten Instrumenten be- obachtet. Die Ablesungen derselben mussten lückenhaft bleiben, da ja die Insolationsthermometer als die am meisten exponirten auch den häufigsten Störungen verfielen, da ferner das für Messung der Erd- insolation bestimmte, weil mit unzureichender Scala versehen, durch ein selbstgefertigtes, leider nicht registrirendes ersetzt worden war, welches eben darum eine so zeitraubende Ueberwachuug erforderte, dass dieselbe nur an wichtig scheinenden Tagen während der kritischen Stunden ermöglicht werden konnte. Die höchste Insolation in freier Luft betrug 59.7° am 6. Januar 1876, die auf dem Erdboden 84.6° am 2ı. Februar des gleichen Jahres. In die folgende Tabelle sind nur die Ablesungen aufgenommen, welche für die vom September 1874 an gemessene Erdinsolation höhere Werthe als 75° ergaben; die an den nämlichen Tagen für die Insolation in freier Luft registirten absoluten Maxima sind zur Vergleichung bei- gefügt. Aus der Zusammenstellung lässt sich ohne weiteres eine eben- falls bedeutsame Unregelmässigkeit der Besonnung erkennen; in über- wiegendem Masse traf dieselbe das Land in den ersten Monaten des Jahres 1876. Diese Thatsache würde noch schärfer 'hervortreten, wenn nicht Kriegswirren vom 7. bis 23. Januar die Ablesungen ver- hindert hätten; sie würde auch keine besondere Aenderung erleiden, wenn man die Tabelle durch Aufnahme niedrigerer Werthe erweitern wollte. In den hervorgehobenen Monaten waren aber auch die wolken- losen Tage mit überraschend durchsichtiger Luft so häufig wie zu keiner Zeit vorher; dies lehrt ein Blick auf das Seite 69 folgende Verzeichniss. Zuweilen wirkten die Sonnenstrahlen bereits sehr früh am Tage auffallend erhitzend. Am ı. Februar 1876 betrug schon um neun Uhr die Insolation in der Luft 50.3°, auf der Erde 70.5°. Die höchste Wirkung trat jedoch unter normalen Verhältnissen stets erst ein, nach- dem die Sonne bereits die Mittagshöhe überschritten hatte, zu Zeiten 64 Erhitzung des Bodens. Coaguliren der Eier. Sonnenstich. sogar bis zwei Stunden später; am grössten wurde sie besonders an Tagen, welche auf Nächte ohne Regen und mit geringem Thaufall folgten. Es ergab sich ferner, wie aus der Tabelle zu erkennen, dass die täglichen äussersten Angaben der beiden Instrumente durchaus nicht gleichbleibende Differenzen aufwiesen. Höchste über 75° auf der Erde betragende Insolation. Jahr Tag Stunde | Lust | Erde Jahr | Nase Stunde Luft | Erde 1874| 2. December | 12" 27” |51,8175,7 | 1876 ı4. Februar | Mittags |54,5|83,0 ZA Panz 78,9 BARS, I 51,2 81,5 1875| 21. n 12 35, 152,8 TER, Mittags |51,8 76,0 Eon on ee 1Ose= | Mittags |55,5/82,5 1876 2. Januar ah 54,0[77,5 NG Mittags [55,0 80,6 Ass u 12" 30” 155,0[79,0 Bam Mittags |53,0182,4 Be 2 52,2|80,7 Da Mittags |56,0183,06 6. 12" 30" |59,7,83,6 20. 5» 2" 7755 6 55 a 57,2.80,2 Alla Mittags |56,5/84,6 DEE 7223025217105 DT kalt zu 80,9 ERS Mittags |53,5 80,2 Dane; 2u 52,5|80,6 © Bebruamın 2. 54,5 81,2 Da EN Mittags 51,0[81,7 ZU 12" 30” 52,7|78,7 2A 1" 20” [51,5/80,0 as on 50,2 179,8 De a 51,5,76,5 an 5, Mittags 154,5 80,3 20: 1? 20” |52,5|79,8 6.» 2% 53,775,8 28. „ 1" 409 |53,5178,8 Sa, Mittags 154,5 81,7 29. 1? 30” 154517738 Sala, 2 53,8 76,5 1. März Mittags 154,3 82,5 TO: ,, Mittags |53,2)80,5 IR, 12" so” |56,5/82,3 IBISTSR Mittags 155,4 83,0 AN 720 402153,518250 Bei der übermässigen Erhitzung des Erdbodens kann es kaum Verwunderung erregen, wenn auf diesem in die Sonne gelegte Eier binnen kurzer Zeit coaguliren, und dass die stets barfuss gehenden Eingebornen sich scheuen, auf besonnten, nackten Stellen des Bodens stehen zu bleiben. Können sie dies nicht vermeiden, so pflegen sie bald das eine, bald das andere Bein an sich zu ziehen, um den Füssen Kühlung zu geben. Um so auffälliger ist es, dass der sogenannte Sonnenstich im Lande nicht bekannt ist, obgleich die Bafiote in der Regel mit unbeschütztem, junge Leute sogar oft mit vollständig ra- sirtem Kopfe sich unbekümmert der Sonne aussetzen. Auch Europäer habe ich ohne Nachtheil barhäuptig durch die Höfe ihrer Factoreien gehen sehen. Die für das Pflanzenleben so wichtige Temperatur des Bodens wurde öfters wenigstens in der Weise gemessen, dass zur Zeit der höchsten Besonnung und noch einige Stunden später ein Thermometer möglichst nahe an den Wurzeln einer freistehenden, grünenden und Tiefenwirkung der Insolation. Quellentemperatur. 65 blühenden Pflanze fünf Centimeter tief eingeschoben wurde. Die höchsten gefundenen Wärmegrade waren 65° und 69°, und zwar im lockerem Sande des Strandwalles neben einer windenartig sich aus- breitenden blütenreichen Ipomoea. Da uns Maximumthermometer nicht zur Verfügung standen, konnten diese so zeitraubenden Be- obachtungen nicht in grösserem Umfange systematisch durchgeführt werden. Dass die mächtige Insolation auch in tief verborgene Schichten der Erde hinabdringt und eine selbst während der kühlen Trockenzeit anhaltende Steigerung ihrer Temperatur bedingt, wird bewiesen durch die Wärme verschiedener Quellen, welche zu allen Zeiten höher ist als die mittlere des Jahres. Wenigstens erscheint mir dies die beste Erklärung für die auffallende Thatsache, um so mehr, als örtliche Ver- schiedenheiten, wie Neigung des Bodens und seine Beschattung durch Vegetation, die davon abhängige Tiefenwirkung der Sonnenstrahlen an den hervortretenden Wassern unmittelbar erkennen lassen. Im Osten der Station, etwa zwanzig Minuten entfernt, entspringen in einem waldigen Thalgrunde am jenseitigen Fusse der aus gelbem Laterit bestehenden Hügel vier Quellen, von denen zwei zu allen Zeiten ziemlich ergiebig rinnen. Ihres trefflichen Wassers wegen werden sie in der Umgegend sehr hoch und für so wichtig gehalten, dass während kriegerischer Zerwürfnisse die eine Partei sie gern be- setzt, um, ger anderen das Labsal zu entziehen. Als Quelle I und II wurden sie in den verschiedenen Jahreszeiten auf ihre Temperatur geprüft. Nach den kältesten Monaten zeigte I nicht unter 28.0°, II nicht unter 27.1°, nach den heissesten aber nicht über 28.2° und 27.3°. Beide liegen etwa vierhundert Schritt von einander entfernt in gleicher Höhe am Fusse des nämlichen um funfzig bis siebzig Meter ansteigenden Hügelkammes, dessen Abdachungen, Verlaufund Pflanzen- kleid jedoch eine bedeutendere Insolation des von der nördlichen und wärmeren Quelle entwässerten Erdreiches gestatten. Eine bei Longoböndo, unmittelbar über dem Strandwall am Fusse etwa aus sechzig Meter Höhe nach Westen abfallender grasiger Hügel- hänge hervorsprudelndes und von einem Galleriegebüsch beschattetes Bächlein zeigte im April 1876 eine Temperatur von 27.8°; ein unter ähnlichen Verhältnissen an der Loangobai entspringendes 27.4°, die am Kuilu bei Bänga, unfern der Mündung, an einer Bodenschwellung zu Tage tretende Quelle hatte hingegen eine Wärme von nur 26.9°; das Land war in der Nähe des Flusses mit dichtem Hochwald be- standen, trug aber jenseits des letzteren die Vegetation der Savane. Die Temperatur der Flüsse wurde in den kältesten Monaten nicht unter 24.0° gefunden; die des Tschiloango war im October 1875: 25.1° Loango, III. 6) 66 Temperatur des Flusswassers. Dunstdruck. und im Februar 1876: 25.6°; die des Kuilu vom Meere bis in das Ge- birge im September 1875: 25.3° bis 25.6°. Um so auffälliger erschien es, dass die Fluten des hoch angeschwollenen Congo bis oberhalb Boma im November 1875: 27.6° und 28.0° Wärme besassen. Sie mögen dieselbe zum grössten Theil aus den Gebieten Centralafricas mitge- bracht haben, zumal die bedeutende Trübung der Gewässer einer be- sonders starken Einwirkung der Sonnenstrahlen günstig war; zu einem gewissen Theile mag aber die höhere Wärme von der ausserordent- lich heftigen Bewegung des Wassers in dem langen Engpasss durch das Gebirge erzeugt worden sein. Eine der gleichen Ursache zuzu- schreibende Verschiedenheit der Wassertemperatur oberhalb und unterhalb des Niagarafalles und seiner Schnellen, sowie der Brandungs- zone an Korallenriffen und Küsten glaube ich nachgewiesen zu haben. Ungleich höhere Temperaturen als die obigen, und zwar bis zu 35.0°, findet man in flachen Seen und Lagunen. Die des Meeres konnte der Calema wegen an der Küste nur selten ermittelt werden: ausser- halb der Brandungszone betrug dieselbe nie unter ı9.5°, in der Regel aber 21.0° und 22.0°, stieg jedoch nach Norden hin, jenseits der Bai von Tschilunga, rasch bis zu 26.3°. — Die Monatsmittel des Dunstdruckes und der relativen Feuchtigkeit sind in die auf Seite 87 folgende Zusammenstellung aller das Klima von Tschintschotscho charakterisirenden Werthe aufgenomgen. Auch darin zeigen die beiden Jahre nicht geringe Abweichungen, die sich sowol durch die Verschiedenheiten der Temperatur wie die sehr bedeutenden der Regenmengen erklären. Dr. von Danckelman berechnete den mittleren Dunstdruck des Jahres für 1874 zu 18.6 mm, für 1875 zu 20.0 mm, die mittlere relative Feuchtigkeit für 1874 zu 85.0 Procent, für 1875 zu 84.3 Procent. Die letztere ist in den Morgen- stunden am grössten, sinkt mit der steigenden Wärme und beginnt inden Nachmittagsstunden wieder zuzunehmen. Die täglichen Schwan- kungen sind bei der unmittelbaren Nähe des Meeres nicht bedeutend. Der höchste und niedrigste Dunstdruck war im Jahre 1874: am 20. März 2 Uhr Nachm.: 25.7 mm; am 2ı. Juli 6 Uhr Morgens: 12.4 mm; Differenz: 13.3 mm; 1875: am 2ı. März 2 Uhr Nachm.: 24.9 mm; am 28. Juni 2 Uhr Nachm.: 13.9 mm; Differenz: ı1.o mm, Relative Feuchtigkeit, Seebrise und Landwind. 67 Die geringste relative Feuchtigkeit ergab sich im Jahre 1874 am 3. Juli um zwei Uhr Nachmittags zu 54 Procent, und 1875 am ı3. März um zwei Uhr Nachmittags zu 62 Procent. — Die Bewegungen der Luft sind ebenfalls nicht durch eine beson- dere Gleichförmigkeit ausgezeichnet. Im Allgemeinen herrschen am Vormittag bis zum späten Abend westliche, während der übrigen Stun- den östliche Winde vor. Der Wechsel zwischen beiden vollzieht sich am regelmässigsten in der kühlen Trockenzeit, weil während dieser die Gewittererscheinungen nicht störend einwirken; zugleich treten, wie zu erwarten, in dieser Jahreshälfte die Luftströmungen minder kräftig auf als während der heissen und sonnigeren Regenzeit, welche höhere Unterschiede der Temperatur zwischen Land und Meer im Gefolge hat. Die Seebrise beginnt an normalen Tagen des Vormittags nach neun Uhr, selten später als zehn Uhr schwach aus Südsüdwesten ein- zusetzen, nimmt, während sie um mehrere Striche westlicher wird, allmählich an Stärke zu, und zwar nur ausnahmsweise bis zur Stärke 5, erreicht zwischen zwei und vier Uhr ihre grösste Kraft und zugleich ihre westlichste Richtung und wird dann wieder schwächer, indem sie nach Süden zurückwendet. Aehnlich wie sie am Vormittag sich entwickelte, erstirbt sie nun um Sonnenuntergang. Die eingetretene Ruhe wird einige Stunden später durch einen leisen Luftzug von Osten unterbrochen, der erst gegen Mitternacht sich zu einem eigent- lichen Landwind gestaltet, ohne die Stärke der Seebrise zu erreichen. In den Morgenstunden, in der Regel um Sonnenaufgang, geht er nieder, oder verwandelt sich, allmählich über Süden vierend, in die Seebrise, oder diese bildet sich erst aus nach einer Zeit unbestimmter und schwacher Lufthauche, die aus Strichen von Osten über Süden bis Westen kommen. Selten nur erreicht die Seebrise am Nachmittage eine rein west- liche Richtung, noch seltener überschreitet sie dieselbe; geschieht dies, dann wendet sie in der Regel nicht nach Süden zurück, sondern wird allmählich nördlicher bis sie mit dem Sinken der Sonne erstirbt, oder schnell in einen leichten, nördlichen Landwind übergeht. In der Regen- zeit bleibt die Seebrise, nach einer kurzen Pause oder Abschwächung um Sonnenuntergang, an manchen Tagen bestehen und bläst mit unverminderter Kraft bis um Mitternacht, sogar bis zum Morgen; oder sie setzt ungewöhnlich früh und fast plötzlich mit voller Stärke aus Südwesten ein. Bisweilen erstirbt sie mit auffallender Raschheit zu irgend einer Tageszeit, oder wird sehr unruhig und kämpft mit Winden, die, nie von langer Dauer, von allen Seiten herandrängen. Diese Störungen lassen sich fast stets auf drohende Gewitter zurück- I 68 Mangel an Stürmen. Wolkenzug, führen, die im Norden, Osten und Süden stehen; des sie begleitenden Wechsels der Temperatur wurde schon auf Seite 62 gedacht. Wirkliche Stürme, sowol geradeaus blasende wie wirbelnde, die Schaden stiften könnten, kommen nicht vor; nach allen Erkun- digungen ist das Gebiet als ein vollständig sturmfreies zu betrachten. Mit Gewittern auftretende Böen sind im Allgemeinen nicht besonders heftig; äusserst selten erreichen sie die Stärke 6; die Stärke 7 wurde nur einmal beobachtet. Immerhin sind Stürme von dieser Kraft nur von kurzer Dauer und darum richtiger Windstösse zu nennen, die wol die Vegetation und ungenügend verwahrte Blätterdächer etwas zu zerzausen, nicht aber Verwüstungen anzurichten vermögen. Ich habe schon früher erwähnt, dass sie auf den Stand des Barometers keinen auffälligen Einfluss ausüben. Im Norden hingegen, jenseits des im Volksmunde als Wetterscheide geltenden Cap Matutian der Yumba- bai, sollen die stets von Osten kommenden Gewitterstürme zuweilen ungleich heftiger und anhaltender tosen, im Süden des Congo aber ebenfalls nur mässig auftreten. Aus dem Zuge der Wolken ist zu entnehmen, dass in den höheren Regionen überwiegend nach Osten gerichtete Luftströmungen vor- herrschen. Im Allgemeinen zogen 78 Procent der Wolken landein- wärts und nur 22 Procent seewärts. Zu den letzteren gehören die gehobenen Morgennebel, die von dem Landwind verweht wurden, und die hoch schwebenden Cirro-cumuli, die zu allen Jahreszeiten mit äusserst seltenen Ausnahmen sehr langsam in westlicher Richtung trieben. Es gab auch Tage, an welchen zwei und drei übereinander- liegende Wolkenschichten einem verschiedenen, selbst gerade entgegen- gesetztem Zuge folgten. Selbstverständlich sind hierbei die Gewitter mit ihrem eigenthümlich bewegten Gewölk, über welches weiter unten berichtet wird, nicht mit eingerechnet. Die grösste Bewölkung zeigten August, September, October, November; eine mässigere März, April die geringste Juni und Juli sowie December, Januar und Februar. Eine tägliche Periode der Bewölkung ist nicht mit Zuverlässigkeit anzugeben; sieht man ab von den Abendgewittern der Regenzeit, so kann man nach den werthvollen allgemeinen Eindrücken anführen, dass die Bewölkung in der Regel am Vormittag ihr Maximum, um Mitternacht ihr Mininum erreicht. Werden nur die an den drei Beobachtungsterminen für die Be- deckung notirten Werthe in Betracht gezogen, so ergiebt sich nach Dr. von Danckelman folgende Tabelle der heiteren und trüben Tage, wenn man zu ersteren alle mit einer Bedeckung von zwei und weni- ger, zu letzteren alle mit einer von acht und mehr rechnet; Bedeckung des Himmels. 69 Heitere und trübe Tage. Heitere Tage; Bewölkung — 2 und weniger. Jahr | Jan. | Febr. | März | April | Mai | Juni | Juli | Aus | Sept. | Oct. Nov. | Dec. | Jahr 1874| ? |? I Te Ti > 30) | o wo | 8 1875,|.x0 |. 0 1 OR ar, Er | 5 TO RAT | ou or 8m E28 2870| ? | 12 er Se er rer l e e s | I Trübe Tage; Bewölkung —= 8 und mehr. 1874| ? 1 8 eo a or a a 6 194 1875 06 5, © Hs a 22 2 wer use ers Sn mEgn E38 1876| ? TE OR Een het a et ee ee Anders gestaltet sich das Verhältniss, wenn man nicht die Mittel aus drei Beobachtungen zur Charakterisirung von je 24 Stunden ver- wendet, sondern allein den Theil dieser Zeit in Betracht zieht, während dessen die Sonne eine unmittelbare Wirkung ausübt, also etwa die Zeit von acht Uhr Morgens — wegen Zertheilung etwaiger Frühnebel — bis sechs Uhr Abends. Diese ist ja nicht nur von wesentlichem Ein- fluss auf die Temperatur, sondern auch von hoher Wichtigkeit für die Entwickelung der Vegetation. Die nachstehende Tabelle enthält die Anzahl der Tage, an welchen innerhalb der bemessenen Stunden ein vollkommen wolkenfreies, rein blaues Firmament die Landschaft überspannte. Die Zahlen würden bedeutend und ungefähr im gleichen Verhältniss wachsen, wenn man auch jene Tage mit einrechnen wollte, an welchen Morgennebel etwas später als gewöhnlich sich auflösten, oder diejenigen, an welchen nur zeitweilig einiges Gewölk im Östen oder Westen entstand oder so verstreut vorüberzog, dass die verur- sachte Beschattung des Gebietes kaum Beachtung verdiente. Tage mit wolkenlosem blauem Himmel von 8 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends. Jabr | Jan. Febr. | März | April Mai | Juni | Juli | Aug. | Sept. | Oct. | Nov. | Dec Jahr ae | ee Ro zn es mo kord 1875| © GE 2.08 8507 1030. or u a Ol 1876011 2 oo -— | -|-|- |- | -|-|- |), —- Die grösste Zahl absolut heiterer Sonnentage zeigten hiernach in beiden Beobachtungsjahren gerade die Monate in der Mitte der soge- nannten Nebelzeit. Der Schluss des Jahres 1875 und der Anfang des fol- genden brachte indessen eine auffällige Abweichung zu Gunsten der Re- genzeit, durch welche vor Allem die gefundenen hohen Insolations- werthe erklärlich werden. Es war dies überhaupt eine Periode ganz 70 Jahreszeiten und Wolkenformen. ungewöhnlicher Zustände der Atmosphäre, die sich, nach dem fast voll- ständigen Ausbleiben der Calema zu urtheilen, welche ja als eine Fernwirkung von Stürmen anzusehen ist, wahrscheinlich auf sehr weite Gebiete erstreckten. Auf Grund der Tabelle wird jedoch die allgemeine Anschauung keineswegs hinfällig, dass während der Trockenzeit der Himmel mehr verschleiert, die Atmosphäre undurchsichtiger sein als während der Regenzeit. Die vorherrschende Form des Gewölkes ist eben für die beiden Jahresabschnitte verschieden. Während der gewitterreichen Monate überwiegen die Haufenwolken, welche den Sonnenschein sehr selten gänzlich ausschliessen, während der übrigen hingegen die Schicht- wolken, welche die Sonne oft tagelang verhüllen, so dass ihr Stand nur an einem helleren Orte im Gewölk erkennbar ist. Aehnliches findet in geringerem Grade zuweilen im December und Januar statt, während der Pause zwischen den kleinen und grossen Regen. Auffallende, von den bei uns bekannten abweichende Formen des Gewölkes, welche man hin und wieder inanderen Tropengegenden bemerkt, — namentlich also dünn und hoch gleich Obelisken oder Orgelpfeifen aufragende Cumuli — habe ich weder in Loango noch überhaupt in Westafrica beobachtet. ! Obgleich also vom Morgen bis zum Abend gänzlich wolkenfreie Tage nach unseren Erfahrungen in der Nebelzeit wider Erwarten häufig sind, empfängt trotzdem das Gebiet weniger Besonnung — vor Allem eine weniger intensive wegen der schräger einfallenden Strahlen — ist die Stimmung der Landschaft nicht so heiter, als in der eigentlichen Regenzeit. Denn während der letzteren — mit theilweiser Ausnahme der Perioden schwacher oder ausbleibender Niederschläge — vergeht kaum ein Tag, an welchem nicht die Sonne mit vollster Kraft wenig- stens zeitweilig das Gewölk durchbräche. Die trübe und matte Stimmung der Trockenzeit wird aber noch ganz besonders erhöht durch das häufige Auftreten eines eigenartigen Dunstes, welcher streng von dem Gewölk zu scheiden ist und in der Atmosphäre, entweder allenthalben gleichmässig vertheilt oder baldin höheren bald in tieferen Regionen derselben und zuweilen an einzel- nen Stellen schwadenähnlich verdichtet, schwebt. Er erscheint als trockener, nicht aus Wasserbläschen bestehender Nebel von leicht bräunlicher oder silberweisser, zart blaugrauer oder selbst duftig violetter Farbe. Durch ihn mag das Blau des wolkenlosen Himmels verdeckt werden, und die Sonne mit mattem Lichte wie bei einer Verfinsterung strahlen oder als eine glanzlose Scheibe erscheinen. In wechselnder Dichtigkeit bleibt dieser Dunst Tage und selbst Savanenbrände und Höhenrauch. 71 Wochen lang bestehen, vornehmlich am Schluss und Anfang der Regenzeit. Er ist nicht nur für die Loangoküste charakteristisch, sondern wan- dert mit den Regen, ihnen vorausgehend und folgend, in Westafrica bald nach Norden bald nach Süden. Den Seeleuten namentlich ist er wol bekannt und verhasst, da er leicht mancherlei Täuschungen bezüglich der Landmarken veranlasst. Wer die weite Fahrt an der Küste ent- lang zurücklegt, wird, wo immer er den regnerischen Gürtel passiren mag, sowol diesseits wie jenseits desselben vorzugsweise diesen eigen- thümlichen Nebel bemerken, zugleich aber eine zweite Erscheinung, welche schon den frühesten Besucher Westafricas, den Karthager Hanno, erschreckte: des Nachts leuchten weithin am Lande Flammen auf und noch am fernsten Horizonte röthet der Wiederschein ‘derselben den Himmel. Es sind Savanenbrände, welche naturgemäss in der Dunkelheit am besten sichtbar werden, und welche die Eingeborenen mit ganz besonderem Eifer am Schlusse und Beginn der Regenzeit veranstalten, zunächst, um sich der unliebsamen ausgedehnten Gras- dickungen überhaupt zu entledigen, später, um Raum für die Anle- gung ihrer Felder auf immer neuen Bodenstrecken zu gewinnen. Beide Erscheinungen dürften in gleich enger Beziehung zu einander stehen, wie der Höhenrauch Mitteleuropas zu den Moorbränden der norddeutschen Tiefebene. Die letzteren, im Frühling stattfindenden, haben durch ihren Rauch die Atmosphäre von der Nordsee bis nach Wien und Krakau zu trüben vermocht und sind doch sehr gering- fügig im Vergleiche mit den africanischen Savanenbränden, welche ungeheure Mengen von Gewächsen verzehren und entsprechend be- deutende Rauchmassen in die Atmosphäre entsenden. Ausserdem bringt es der Wechsel der Jahreszeiten mit sich, dass im äquatorialen Africa ununterbrochen in einem veränderlichen, aber sehr ausgedehnten Breitengürtel Savanenbrände regelrecht veranstaltet werden, deren Verbrennungsproducte doch wol mit den Passatwinden vorherrschend westwärts über den Continent ziehen. Hierdurch wird die Thatsache erklärlich, dass der africanische Höhenrauch zeitweilig auch während der Regenzeit auftritt. Doch braucht man darum sein Entstehungs- gebiet nicht stets in der Ferne zu suchen: denn auch die neu aufge- schossenen Grasbestände enthalten noch so viele abgestorbene Reste aus der früheren Wachsthumsperiode, dass sie nach einigen heitern Tagen dem Feuer nicht zu widerstehen vermögen. An der Loango- küste werden selbst in der Regenzeit die frisch grünenden Dickungen angezündet, und die Theile, welche nicht willig brennen, wenigstens versengt und getödtet. 72 Dunst. Thau. Nebel. In hervorragendem Masse geschah dies im December 1875; um dieselbe Zeit trat aber auch der Höhenrauch in einer Stärke auf, wie kaum je zuvor. Schon am Geruche deutlich erkennbar schwebte er namentlich vom 17. bis 28. December als ein leicht bräunlicher, am Abend violett abgetönter Dunst in den unteren Luftschichten, sodass während dieser Zeit die Sonne nur ein eigenthümlich gedämpftes Licht _ ausstrahlte und beim Untergange, von zehn bis funfzehn Grad Höhe an, als eine vollständig glanzlose kupferrothe Scheibe erschien, — ein Anblick, wie er mir nur noch von den Polarregionen her erinnerlich ist. Aehnliches war schon mehrmals, besonders an einigen Tagen im ‘ Juni, zur Zeit sehr vieler Grasfeuer beobachtet worden. Die unter sonst günstigen Umständen dennoch mangelhaft vor sich gehende Bildung von Thau und Nebel glaubte ich in vielen Fällen auf die Anwesenheit von Höhenrauch zurückführen zu dürfen, welche eine grössere nächtliche Ausstrahlung und entsprechende Abkühlung der unteren Luftschichten verhinderte. Während der schon angeführten Periode im December war dieses Zusammentreffen beider Erschei- nungen besonders auffällig und wiederholte sich auch mehrmals im Verlaufe der Trockenzeiten. Die vielverbreitete Lehre, dass der Höhenrauch die Atmosphäre überhaupt austrockene, habe ich indessen nicht bestätigt gefunden; es lässt sich auch nicht absehen, warum dies so sein solle. In der Regel verschwindet er spurlos bei eintretenden Regenfällen. Die Thaubildung ist vielfach eine aussergewöhnlich starke, auch lagern häufig sehr schwere Morgennebel über den Niederun- gen und geben bisweilen der ganzen Landschaft, Hügeln und Thälern, eine heimatlich anmuthende Herbststimmung. Während der Trocken- zeit werden dieselben am auffälligsten, jedoch wol nur deswegen, weil Regerfälle sie dann nicht verdecken oder stören. Die Thaubildung begann sehr häufig im Juni, Juli und August, mehrfach aber auch im November, December, Februar, April und Mai schon unmittelbar nach Untergang der Sonne und steigerte sich bisweilen in solchem Grade, dass auf dem am Absturz des Plateaus errichteten, mit grüner Oel- farbe angestrichenen Beobachtungstische bereits um Mitternacht grosse Pfützen entstanden waren. Die Bedeutung eines einzelnen derartigen ' Thaufalles wird man keineswegs überschätzen, wenn man denselben einer Regenhöhe von drei Millimeter gleichstellt; eine genauere Bestimmung desselben nach Mass oder Gewicht wurde zwar mehrmals versucht, konnte aber nicht mit befriedigender Sicherheit ausgeführt werden. Anfangs schien es unglaublich, dass die vorgefundenen Wasser- ei Herkunft der Niederschläge, 73 mengen nur vom Thau hervorgerufen sein sollten. Ich schloss auf unbe- merkt vorübergegangene leichte Regenfälle und hegte sogar Verdacht gegen die in unseren Diensten stehenden eingeborenen Knaben, die, wie die Jugend allerorten, lustigen Streichen keineswegs abgeneigt waren. Ein sorgsames Ueberwachen des Tisches und das Glattfegen des reinen ' Sandes rings um denselben überzeugte mich jedoch, dass hier aus- schliesslich eine sehr starke Bethauung vorliege. Ein vollständiger Ausfall derselben wurde selbst bei sehr dunstiger Atmosphäre oder vollkommen bewölktem Himmel niemals beobachtet, und wenn auch der Tisch trocken erschien, so genügte doch schon eine oberflächliche Untersuchung der Vegetation, um das Vorhandensein reichlicher Nässe nachzuweisen, die jedenfalls von hoher Wichtigkeit im Haus- halte der Natur ist. — Die bereits wiederholt betonte Unregelmässigkeit der meteoro- logischen Vorgänge findet ihren schärfsten Ausdruck in den ausser- ordentlich schwankenden Beträgen der jährlichen Regenmengen und deren Vertheilung auf die einzelnen Monate. Die Herkunft und Entstehungsweise der Niederschläge ist, was ich besonders hervorheben möchte, eine zwiefache, scharf geschiedene. Der bei Weitem grösste Theil derselben wird in der eigentlichen Regenzeit durch grossartige Gewitter gebracht, welche vom Inneren her, also von Osten kommen und ziemlich gleichmässig das ganze Land begiessen; ein geringerer Theil entstammt den nicht gewitter- artigen Schauern und Staubregen, welche, obwol in wechselnder Stärke, das ganze Jahr hindurch mit dem Seewinde von Westen heranziehen und namentlich während der Trockenzeit sehr bedeutsam für die Vegetation sind. Die Niederschläge der letzteren Art müssen, je nach der verti- calen Gliederung des Landes, in verschiedenen Gegenden sehr ver- schieden ausfallen. Ihre Häufigkeit und Ergiebigkeit nimmt im All- gemeinen zu mit der Annährung an das Gebirge; an diesem selbst findet sich eine Zone des Regens zu allen Jahreszeiten. In letzterer ist die Mitte der Trockenzeit an einer Abschwächung der von Westen kommenden Regen, in den Küstenstrichen dagegen an einem fast gänzlichen Ausbleiben desselben erkennbar, während sie in beiden Ge- bieten gleich scharf charakterisirt wird durch den vollständigen Mangel an Gewittern. Die Einwirkung der Bergketten auf die mit Feuchtig- keit beladenen Westwinde kommt aber auch naheliegenden Strichen des Vorlandes zu Gute. Da nun das Gebirge im Norden der Küste näher zieht, dort auch das Vorwalten der warmen Meeresströmung nicht ohne einigen Einfluss bleiben kann, so erstrecken sich die zu- 74 Westwinde als Regenbringer. nehmenden Regenfälle mehr und mehr über die volle Breite des schmaler zulaufenden Vorlandes, und in der Landschaft Yumba — an dem Möngo Matuüti: dem „Hügel der Wolken“ der Bafiote — streift die Zone mit Regen zu allen Jahreszeiten nahezu die Küste. Vermöge seiner Bodengestalt ist also der Osten und Norden des Landes besser als der minder begünstigte Südwesten geeignet, den Seewinden ihre Feuchtigkeit zu entziehen. Diese Verhältnisse spiegeln sich unmittelbar wieder in der Anordnung der Vegetation, aus welcher schon der Einfluss geringerer Erhebungen ersichtlich wird. Bereits an der Küste tragen die niedrigen Hügel und Höhenzüge des savanen- reichen Lateritgebietes an ihren westlichen Abdachungen, welche die Seewinde zu einem nur mässigen Aufsteigen zwingen, einen üppigeren Pflanzenwuchs als an den übrigen Seiten, und die westlichen Theile des Gebirges sind mit einem grossartigen Urwalde bekleidet. In der Nähe der Bergzüge, also im Bereiche der günstigeren Regenzone, sowol nach Osten wie nach Norden hin, wird die Vege- tation des Vorlandes unabhängiger von der Bodengestalt, und jen- seits des Kuilu bis nach Yumba finden sich allenthalben umfangreiche und stattliche Waldbestände auf solchen Strecken, welche, bei gleicher Geartung, im Südwesten doch nur Savanen tragen. Selbstverständlich sind dabei die Gehölze der feuchten Thäler und die Galleriewälder der Wasserläufe, als durch andere Verhältnisse bedingt, nicht mit in Betracht gezogen. Dazu kommt jedoch als weiteres Moment, dass, wie im folgenden Capitel ausführlich erörtert werden soll, die nörd- lichen Gebiete von ihren Bewohnern nicht in gleichem Masse abge- wirthschaftet sind, wie die südlichen. Denn in jenen lebt eine dünner gesäete, geringfügigen Ackerbau treibende Bevölkerung, in diesen aber eine viel zahlreichere, welche zu Handelszwecken oft überraschend grosse Strecken urbar macht und, bei dem ausschliesslich gehuldigten Raubbau, mit Eisen und Feuer einen fortwährenden Vernichtungs- krieg gegen die den reichsten Boden deckenden Wälder führt. Diesem müssen die letzteren um so mehr unterliegen, als die leidigen Savanen- brände der natürlichen Neubewaldung verlassener Culturstrecken ent- gegenwirken. Um jeder irrthümlicher Auffassung vorzubeugen, sei hier sogleich noch hervorgehoben, dass diese ungleichmässige Vertheilung der von Westen kommenden Regen nicht auf andere, als nur örtliche Einflüsse zurückgeführt werden kann. Ein grosser Theil der Loangoküste, und zwar der günstiger bewässerte, liegt allerdings innerhalb des bis fünf Grad Nord und Süd vom Aequator ausgedehnt gedachten Cal- mengürtels, welcher, bei einem Maximum im März und September, das Calmengürtel. Regengrenze. 75 ganze Jahr hindurch mit Regen und Gewittern beglückt sein soll: aber gerade diese wichtige Eigenschaft besitzt der Calmengürtel in West- africa nicht, und Boussingaults schöner Ausspruch, nach welchem ein mit feinen Sinnen begabter Beobachter das ununterbrochene Rollen des Donners während des ganzen Jahres auch dort vernehmen müsste, wird für dieses Gebiet durchaus hinfällig. Die Angaben aller befragten Europäer, welche seit Jahren daselbst gelebt haben, lauten einstimmig dahin, dass — noch abgesehen von sehr dürftig ausfallenden Regen- zeiten — in den betreffenden Gebieten, bis weit landein, gleich regel- mässige und ausgeprägte Trockenzeiten wie in benachbarten aufträten. Die von unserem ehemaligen Gefährten, dem Botaniker Herrn H. Soyaux, — welchem der Verein für Erdkunde und die Karl Ritter- Stiftung zu Leipzig eine treffliche, von Dr. von Danckelman aus- gewählte Sammlung. aller nothwendigen Instrumente zur Verfügung gestellt hat — am Gabun aufgenommenen Untersuchungen, werden sich von hohem Werthe für die Klarlegung dieser Verhältnisse er- weisen. Die Annahme, dass der Norden Loangos nur in Folge localer Einflüsse, vornehmlich in Folge der Meeresnähe des Gebirges, grössere Regenmengen empfange, wird besonders gestützt durch die Thatsache, dass jenseits der Landschaft Yumba, wo das Gebirge schnell landein- wärts zurückweicht, das Küstengebiet sofort wieder eine bedeutendere Trockenheit aufweist, obgleich es günstiger in dem Calmengürtel und zu der warmen Meeresströmung liegt. Während seiner Nyangareise fand Dr. Güssfeldt, Ende September 1875, erst das höher ansteigende Land von Möngo Nyanga an ostwärts bis zum Möngo Sähi durch reichlichen Regen erfrischt, (I 194, 201); aber an dieser vierhundert Meter hohen Bergkette war auch die Regengrenze scharf ausgeprägt: die Westhänge trieften von Feuchtigkeit, während das jenseitige Ge- biet, das Plateau von Kassötsche, noch unter der Herrschaft einer absoluten Dürre stand. In den südlichen Theilen Loangos, wo der Küstenstrich des breiter werdenden Vorlandes sich immer weiter vom Gebirge entfernt, lässt schon das Auftreten des Affenbrotbaumes, des Charakterbaumes der Savane und Steppe, eine Verwandtschaft mit den jenseits des Congo beginnenden öden Litoralgebieten erkennen, die allmählich einen fast wüstenartigen Habitus annehmen. Bezüglich dieser Gebiete lassen sich jedoch einige Bedenken nicht unterdrücken. Ihre zu den Westwinden in Beziehung stehenden Regen- verhältnisse sind vielleicht doch noch von anderen als örtlich be- schränkten Einflüssen — Lage des Gebirges, Meeresströmungen — 76 Vegetation des Küstenstriches von Unterguinea, abhängig. Ich habe die Küste vom Congo bis nach Kinsembo nur flüchtig während einer Dampferfahrt überblicken können, aber nirgends, wie es an der Loangoküste sofort auffällt, an den Westhängen der Erhebungen, nicht einmal an dem imposanten Granitstock von Muserra, einen verhältnissmässig üppigeren Pflanzenwuchs bemerkt. Nur die bekannten Hochgräser erhalten sich noch und die waldscheue Fächer- palme (Hyphaene guineensis), welche aber etwa unter dem siebenten Grad ihre südliche Verbreitungsgrenze findet. Der Affenbrotbaum dagegen tritt nun in förmlichen lichten Beständen auf, während das verkümmernde Gras, das allmähliche Erscheinen von baumartigen Euphorbien und von Aloearten eine nach Süden hin zunehmende Trockenheit verkünden. Wo aber der Affenbrotbaum, das Riesen- gewächs der offenen Landschaft, zu so prachtvoller Entwickelung gelangt ist, da kann auch seit langer Zeit kein Wald gestanden haben, um so weniger, als der junge Wald sich gern im Schatten der Adan- sonia entwickelt und beim späteren Erstarken, im Schlusse seiner Hochstämme, die ehemalige Schützerin erstickt. Auch das zurückliegende Gebirge, das sich freilich nicht mehr in solchen enggedrängten Ketten wie an der Loangoküste zu erheben scheint, wird als sehr waldarm geschildert. Von der Richtigkeit dieser Angaben konnte ich mich wenigstens am Congo bei Boma überzeugen. Die ersten Bergzüge tragen daselbst kaum einigen Baumwuchs und vorzugsweise lockere Grasbestände, die der Gegend, wie dem Litoral- gebiete, ein sehr ödes Aussehen verleihen. Aus alle diesem darf man wol schliessen, dass in den südlichen Theilen Unterguineas die Nieder- schläge geringer ausfallen als in den nördlichen, und dass der Wald vorzugsweise darum fehlt, weil die Westwinde weniger mit Feuchtig- keit beladen sind und in der Trockenzeit höchst seltene oder gar keine Regen bringen. Unterstützt wird diese Annahme durch die wolbe- kannte Eigenthümlichkeit der kleineren seewärts gerichteten Flüsse des Südens, — aber auch noch so beträchtlicher, wie des an der Mündung fast eine halbe Meile breiten Luache in Benguela — wäh- rend der Trockenzeit zu versiechen; sie wird schliesslich bestätigt durch die Berichte der an jener Küstenstrecke lebenden Europäer. Keinesfalls ist anzunehmen, dass die Küstenregion von Unter- guinea, analog der Westküste von America im Regenschatten des Ge- birges liege, durch das letztere gegen den Einfluss des Passatwindes geschützt werde. Wie weit sich dieser über den Continent erstrecke, ist noch unbekannt. Jedenfalls vermag er nicht an den Östhängen des Randgebirges eine Bewaldung hervorzubringen; denn nicht an diesen, sondern an den Westhängen desselben findet sich im Gebiete Zunahme der Niederschläge von Süden nach Norden, 77 der Loangoküste der grossartige Urwald, und in den portugiesischen Colonieen sind ebenfalls die westlichen Theile des Gebirges, das wahr- scheinlich wieder schroffer als unmittelbar südlich vom Congo aufragt, vorzugsweise mit Wald bedeckt. In den verschiedenen Jahreszeiten sah ich ferner am Congo, Kuilu und in Yumba die mit dem West- wind heransegelnden Cumuli unbeirrt und gleichmässig über das Ge- birge nach dem Inneren ziehen. Von letzterem kommen allerdings die Gewitter her, welche unbedingt die bedeutendsten Regenfälle bringen; sie sind jedoch streng nur auf einen bestimmten Jahresabschnitt ver- theilt und genügen nicht, um eine Bewaldung trockengrundiger Boden- strecken zu erzeugen. Diese kann erst dort entstehen, wo die all- täglich wehenden Seewinde auch während der gewitterfreien Monate noch das Land mit Niederschlägen erfrischen. . Im Allgemeinen ist daraus zu schliessen, dass in Unterguinea die von dem Westwind gebrachten Regenmengen von Süden nach Norden zunehmen; ungefähr der Congo scheidet die dürftig bewässerten Li- toralgebiete von den begünstigteren. Im Besonderen haben die letz- teren, in Folge localer Einflüsse, ein Maximum der Regen — und nach deren Vertheilung ein Minimum der absoluten Trockenzeit -- in der Landschaft Yumba. Die theilweis gute Bewaldung nördlicher liegender Küstenstriche, der Ogoweniederung, und anderer, kann dagegen nicht als ein Erzeugniss reichlicher, in allen Monaten fallender Regen an- gesehen werden, da sie sich auf wasserdurchtränkten Bodenstrecken findet und Galleriewäldern gleichzuachten ist. Diese Behauptung gründe ich auf die mündlichen, sehr genauen Angaben eines scharfen Beobachters, unseres wolbekannten africaniıschen Waidmannes und erfolgreichen Gorillajägers, Herrn H. von Koppenfels, welcher diese Gebiete auf seinen Jagdzügen jahrelang durchkreuzt hat und sich gegenwärtig zum zweiten Male daselbst aufhält. Die Bafiote wissen sehr wol, dass die westlichen Seiten der Er- hebungen feuchter sind als die übrigen, denn an jenen legen sie mit Vorliebe ihre Pflanzungen an; es ist ihnen ferner nicht unbekannt, dass der Osten und Norden ihrer Heimat mehr durch Regen be- günstigt wird, als der Südwesten: nach ihrer eigenen Aussage nehmen in der Regel von diesem Hungersnoth und Seuchen ihren Ausgang und verbreiten sich erst bei länger anhaltendem Regenmangel nach den übrigen Gegenden. Die gleichzeitige Verschiedenheit der vom Westwinde gebrachten Niederschläge konnten wir bei unserer Reise in der Kuiluniederung im Jahre 1875 vortrefflich beobachten. Während im Südwesten Land- regen äusserst selten und in der Trockenzeit gar nicht vorkommen, 78 Landregen und Staubregen. a hatten wir bereits in der zweiten Hälfte des Juli und im August an der Mündung des Kuilu und am Nanga häufige und kräftige mit der Seebrise kommende Schauer an einem vollen Viertel der Tage und darunter sogar anhaltende Landregen zu verzeichnen. Im Monat September mehrten sich die Niederschläge im Gebirge und Flachland derartig, dass wir nur selten durch einen vollständig trockenen Tag erfreut wurden, und in Folge dessen einen grossen Theil unserer Sammlungen durch Fäulniss verloren. Auf der Station Tschinschotscho wurden um dieselbe Zeit nur sehr gerinfügige Niederschläge gemessen. Ein ähnliches Missverhältniss stellte sich heraus in der ersten Hälfte des April 1876. Während meiner Küstenreise von Yumba nach Süden fielen bis in die Gegend der Loangobai fast alltäglich mit dem Westwind herankommende Schauer; in unserem District wurde im ganzen Monat überhaupt nur ein ein einziger Regenfall beobachtet, am ı7. April. Derartige Unterschiede in der örtlichen Vertheilung der Regen müssen in Rechnung gezogen werden, wenn man die auf der sehr ungünstig gelegenen Station gewonnenen Resultate der Beurtheilung der Regenverhältnisse des ganzen Landes zu Grunde legen will. Die Angaben der folgenden Tabelle sind daher gewissermassen nur als Minimalwerthe aufzufassen. In Wirklichkeit stellen sich dieselben auch für Tschintschotscho etwas höher. Denn die nicht messbaren, als Staubregen ausschliesslich von Westen kommenden Niederschläge, welche zuweilen den ganzen Tag über anhielten, zu denen sich noch die Sprühregen gesellten, welche in Gestalt vereinzelter Tropfen, oft mehrmals innerhalb vierundzwanzig Stunden, vorüberziehenden Wolken entfielen, verdunsteten entweder sofort wieder vom Auffangegefäss des Regenmessers oder gelangten nur zum kleinsten Theil in den Sammelbehälter. Für die Vegetation sind sie namentlich in der Trocken- zeit äusserst wichtig; ein nach seiner Ergiebigkeit mit unseren Mitteln unmessbarer Staubregen vermag Wälder und Savanen im Laufe des Tages vollständig mit Nässe zu durchtränken. Um des besseren Vergleiches wegen den Gesammtertrag jeder abgeschlossenen Regenperiode für sich zu gewinnen, ist die Tabelle nach Regenjahren geordnet, welche von der Mitte der regenärmsten Monate, also mit dem ersten Juli beginnen. Aus dieser Zusammenstellung wird ersichtlich, dass mit der Ab- nahme der messbaren Niederschläge in der eigentlichen Regenzeit, welche vorwiegend von Gewittern geliefert werden, also von Osten stammen, sich die Tage der von Westen kommenden nicht messbaren Niederschlägen auffällig vermehren. Ferner ist scharf ausgeprägt die Schwankungen der Regenfälle. 79 sehr bedeutende Abnahme der Regenmenge in den Monaten Juni bis September, welche die eigentliche Trockenzeit umfassen, eine Ab- nahme, die nach früher Angeführtem selbstverständlich in ostwärts wie nordwärts gelegenen Gebieten immer mehr schwinden, trotz- dem aber selbst am Gebirge noch deutlich .erkennbar bleiben wird. Ausser dieser Schwankung, die sich regelmässig in jedem Jahre wieder- holt, tritt aber noch eine überraschende Verschiedenheit im Total- ergebniss jedes Regenjahres hervor. Anzahl der Regentage zu Tschintschotscho; Regenhöhe in Millimetern. 1873/74 1874/75 1875/76 Monmakt Niederschlag Niederschlag Niederschlag messbar | messbar| höhe | messbar | meschar| höhe | messbar | Neschar| "höhe alla oe ea — —_ o 5 ? [6 3 ? August... — — — 2 7 2,8 4 3 8,5 September. — — ll — 5 4 4,5 4 8 IL, October .. | — = — I (6) 36,9 7 4 9,5 November. — —_ — © | 265,8 9 De RL RO December. — —_ — 8 [6) 79,6 2, 2 249 January za — — 2 © || Se) 2 2 66,7 Februar . . 15 (6) 55,2 14 oO | 301,3 2 4 45 März... o 5554 16 I 266,7 Se 12 April. 3. 2 (6) 152 17 © 7 202,2 u A To 5,8 Mail... .. o [6) Oo 8 o | 107,1| — — — uni. . (6) I ? o 2 ? 3 He ar Jahraee.sr., 028 || 18200) 19 11577,9| 41 32 |541,8 Anmerkung. Vom 7.—23. Januar 1876, während der bereits erwähnten Unter- brechung der Beobachtungen, entlud sich ein schweres Gewitter über der Station, dessen Regenmenge zu 30mm Höhe geschätzt und in die Tabelle aufgenommen worden ist. Anmerkung. Allen Anzeichen nach war die Regenzeit 1875/1876 Mitte April beendet. Der letzte Donner wurde auf der Station am 26. März gehört, die letzten fernen Blitze am 15. April gesehen. Bis zum 5. Mai war kein weiterer Regenfall zu verzeichnen, Indessen erscheint diese immerhin noch geringfügig. Denn wäh- rend der für die Küste höchst traurigen Zeit 1873/74 fiel so ausser- ordentlich wenig Regen, dass man dessen nur vom Februar an ge- messenen Ertrag: ı11.8 mm kaum verdoppeln darf, um den Geammt- fall zu bezeichnen. Dieses berüchtigte Jahr, in welchem die entsetz- liche Hungersnoth und die sie begleitenden Seuchen die Bafiote deci- mirten und zur Verzweiflung brachten, hatte im Jahre 1872/73 ein gleichwerthiges Vorspiel. Von der schlimmen Nachwirkung beider begann sich das Land erst im Jahre 1876 zu erholen, — denn in der 80 Ungleichheit der Regenjahre, Zeit der Noth war das Samenkorn aufgezehrt worden — litt aber stark an neuem Regenmangel 1876/77, der im Südwesten abermals einen Nothstand erzeugte. Die Periode 1877/73 brachte nur mässige Niederschläge, die Jahre 1878/79 und 1879/80 dagegen — meine Nach- richten gehen bis Anfang Mai — waren ausgezeichnet durch er- giebige Regenfälle, so dass Feldwirthschaft und Handel rasch wieder aufgeblüht sind, wie einst in den gesegneten Jahren 1866 bis 1870. Die Regenzeit 1874/75 war die beste, deren sich die ältesten Ein- geborenen und Europäer entsinnen konnten; die von 1875/76 galt als eine genügende. Wagen wir den Versuch, durch Verwerthen unserer Beobachtungen und Erkundigungen, das ausserordentliche Schwanken der Regenfälle im letzten Jahrzehnt mittelst einer Reihe grössten- theils allerdings nicht wissenschaftlich exact gewonnener Zahlen- grössen nachdrücklicher hervorzuheben, so lässt sich etwa folgende Uebersicht aufstellen: Regenhöhe in Millimetern. 1870/71 geschätzt auf 500 1875/76 gemessen zu 541.8 1871/72 geschätzt auf 700 1876|77 geschätzt auf 300 1872/73 geschätzt auf 200 1877]78 geschätzt auf 500 1873/74 geschätzt auf 200 1878/79 geschätzt auf 1300 1874/75 gemessen zu 1577.9 1879/80 geschätzt auf 1100. Derartig wechselvolle Ereignisse beschränken sich nun keineswegs allein auf die Loangoküste. Nach allen mündlichen Angaben und mir zugegangenen Berichten werden dieselben vielmehr in einer den all- gemeinen Regenverhältnissen entsprechenden Weise in ganz Unter- guinea fühlbar. So herrschte in den fernsten Theilen der südlich vom Congo beginnenden, wie wir wissen, überhaupt schon ungünstiger be- wässerten Litoralgebieten in den schlimmen Jahren 1872/73 und 1873/74 eine absolute Trockenheit; 1876/77 blieben die Regen abermals aus, und 1877/78 waren sie äusserst knapp. Aehnliche, aber in milderer Form auftretende Verhältnisse herrschten in den nördlich von Yumba liegenden Gebieten. Ein periodisches Schwanken der Regenfälle innerhalb grösserer Zeiträume lässt sich indessen nicht nachweisen; die gesammelten Nachrichten beschränken sich hierzu noch auf eine zu kurze Reihe von Jahren. Die ausserodentliche Verschiedenheit der monatlichen wie jähr- lichen Regenfälle ist vor allem zurückzuführen auf die Anzahl der über das Land gezogenen Gewitter, die bisher noch nicht die ihnen gebührende Berücksichtigung gefunden haben. Nach ihrer Herkunft habe ich die Niederschläge in zwei Gruppen gesondert: in solche, welche das ganze Jahr hindurch in wechselnder Abgrenzung der Regenzeiten. Sı Stärke von den Westwinden gebracht werden und in ihrer Vertheilung vorzugsweise von der Bodengestalt abhängig sind; und in solche, welche von dieser unabhängig aber an eine bestimmte Jahreszeit ge- bunden, von Osten kommen; letztere sind die bei Weitem bedeutendsten und treten nur gewitterartig auf, charakterisiren zugleich die eigent- liche Regenzeit. Bereits in der Einleitung habe ich betont, dass die Bezeichnung „Nebelzeit“ für die regenlosen oder regenarmen Monate keine be- sonders glückliche se. Am schärfsten liesse sich nach den wesent- lichen Merkmalen die kühle Trockenzeit der heissen Regenzeit als die gewitterfreie der gewitterreichen gegenüberstellen. Denn die altbewährte Erfahrung, dass die tropischen Regen mit der Sonne wandern, verliert auch in Unterguinea Nichts von ihrer Gültigkeit; und Anfang wie Ende der Regenzeit werden eben bestimmt nach dem Eintreten und Aufhören jener erstaunlichen Wolkenergüsse, die unter grossartigen Gewittererscheinungen auf das Land niedergehen. Die Dauer der Regenzeit ist mithin abhängig vom Umlauf der Erde um die Sonne, vom Stande der letzteren zur Loangoküste, dessen Veränderungen bereits von Dr. Güssfeldt (I. 79) auf das Uebersicht- lichste dargestellt worden sind. Theoretisch müsste sie in jedem Jahre gleich sein, in Wirklichkeit erleidet sie mannigfache Wandlungen nicht nur in den verschiedenen Jahren, sondern auch je nach der Lage der Beobachtungsorte in dem nordsüdlich langgestreckten Lande: denn unter sonst gleichbleibenden Verhältnissen werden über dem Norden desselben die Gewitter etwas früher im Jahre beginnen und später aufhören als im Süden, und somit eine längere Regenzeit be- dingen. Für die mittlere Begrenzung der letzteren können demnach die in den Rayon der Station Tschintschotscho eintretenden Gewitter — in ganz Westafrica Tornados genannt — nicht allein massgebend sein, sondern nur die, welche sich über der Loangoküste überhaupt entladen. In diesem Sinne hat langjährige Erfahrung mit richtiger Würdigung der Verhältnisse die Dauer der normal entwickelten Regenzeit von Mitte October bis Mitte Mai festgesetzt. n Wie ungleich sich dieselbe in verschiedenen Jahren für den näm- lichen Ort gestaltet, ist aus den im Folgenden zusammengestellten Beobachtungen auf unserer Station zu ersehen: 1874/75 Regenjahr. 1875/76. Erste Blitze: am 8. October im SO; am ı4. October im SO; erster Donner: am 2. November; am 19. October; letzter Donner: am 22. Mai; am 26. März; letzte Blitze: am 31. Mai im N; am ı5. Ap.im SO u.N. Loango. III, (2) 82 Anzahl der Gewittertage in Loango. An der Kuilumündung beobachtete ich einen Blitz und Donner- schlag bereits am 26. September 1875. Selbstverständlich ist hier mit Blitz ein wirklicher Blitzstrahl und nicht etwa das Wetterleuchten gemeint; denn nach diesem würde sich kaum ein bestimmter Jahres- abschnitt abgrenzen lassen, da wir von dem Hügel hinter der Station zwar nicht allnächtlich, aber während der ganzen Trockenheit unter sonst günstigen Umständen ein mehr oder weniger aufflammendes Leuchten, mindestens aber einen leise aufzuckenden fernen Wetter- schein im Nordosten wahrnehmen konnten. Derartige Erscheinungen sind ausgeschlossen worden beim Ent- werfen der nachstehenden Tabelle, es sind vielmehr für diese nur diejenigen Tage als massgebend erachtet worden, an.welchen wir von der Station und ihrer Umgebung aus oder an anderen Orten im Lande das Vorhandensein von Gewittern über demselben mit Sicher- heit constatiren konnten. In Folge der räumlich beschränkten Be- obachtungen werden indessen die Zahlen etwas zu gering ausgefallen sein. Gewittertage im Gebiete der Loangoküste. Regenjahr | Juli | Aug. 1874/75 | 0 187576 | 0 Sept. | Oct. | Nov. | Dec. | Jan. | Febr. | März | April | Mai | Juni | Jahr Fr | 20 | Il 21 | 107, A 5 73 | 9 7 | 16 I [0] [0] [0] I 22 100) 20 (0) .24 6 140 67 Ganz entsprechend der auf Seite 79 gegebenen Tabelle der Regen- fälle zeigt die vorliegende bedeutende Abweichungen in der Zahl der Gewitter. Den 140 Gewittertagen des ersten Regenjahres stehen nur 67 des zweiten gegenüber; über dem Gebiete der Station entluden sich in dem einen an 73, in dem anderen nur an 22 Tagen Gewitter. Die dürftigere Regenzeit ist aber nicht nur ärmer an Wettern, sondern auch von kürzerer Dauer. Ausserdem wird ersichtlich — und tritt in der auf Seite 86 folgenden Tabelle, die naturgemäss exactere Werthe enthält, noch überzeugender hervor, — dass die sogenannte kurze Trockenzeit zwischen den kleinen und den grossen Regen, welche von Mitte December bis Ende Januar währen soll, in den beiden, so sehr abweichenden Regenjahren, dennoch keineswegs frei von Ge- wittern und, nach Seite 79, keineswegs frei von Regen war. In beiden Perioden wurde nur eine theilweise Abschwächung beobachtet, die sich aber bei Weitem nicht so auffällig kund gab, als die im ersten Haupt- monat der grossen Regen, im Februar 1876. Auch war die zeitliche Vertheilung der Niederschläge in derselben eine ziemlich gleichmässige. Unseren Beobachtungen zufolge kann mithin eine an der Küste als Regel geltende vollständige Ruhepause zwischen den kleinen und Herkunft und Verlauf der Wetter. 83 grossen Regen nicht anerkannt und darf jedenfalls nicht als eine kleine Trockenzeit aufgefasst werden. Herkunft und Verlauf der Gewitter erregen durch ihre eigen- thümliche Gesetzmässigkeit ein besonderes Interesse. Sehr wenige derselben entstehen im Westen über dem Meere; namentlich zu An- fang und Ende der Regenzeit, wol auch dann und wann während der mittleren Abschwächung, und gewöhnlich unter begleitenden Um- ständen, die äusserlich an charakteristische Erscheinungen der Trocken- zeit erinneren. Eigentlich sind es blos gewitterartige Huschen, Gruppen locker verbundener und zerzauster Cumuli der schon beschriebenen Art, welche mit der Seebrise über das Land ziehen und nur strich- weise mit einer geringen Anzahl von Blitzen und Donnerschlägen schwache Regengüsse entsenden. Alle die vollständig entwickelten und gewöhnlich sehr schweren Wetter sind Geschenke des Innern für das Küstenland. In der grossen Mehrzahl ziehen sie von Südosten heran und scheinen dem Canon des Congo und der umliegenden plateauähnlichen Ausbreitung des Gebirges — die muthmasslich eine Art Einsattelung bildet — wie einem Passe nach Westen zu folgen, behalten aber über der Niede- rung diesen Zug in der Regel nicht bei. Seltener übersteigen Wetter die schrofferen Bergketten nördlich vom Congo und entstehen Jann vielleicht zum Theil über diesen selbst, des Vormittags, zur Zeit der gewöhnlich eintretenden Cumulibildung. Nach allen Berichten bewegen sich diejenigen, welche südlich vom Congo und nördlich vom Banya erscheinen, nicht über das Gebiet der Loangoküste; die einen, welche nirgends heftig und strichweise sehr selten auftreten sollen, ziehen vom Gebirge quer über das Litoralge- biet direct nach Westen, die anderen, welche vielfach sehr schwer sein sollen, nehmen den gleichen Verlauf über der Landschaft Yumba und den nördlicheren Gegenden. Anders verhält es sich an der Loangoküste. Nur in vereinzelten Fällen bewegen sich daselbst die Wetter ohne Verzug nach Westen, sondern wählen das Vorland recht eigentlich zu ihrem Tummelplatz, dessen Grenzen im Süden und Norden der Congo und der Banya mit Cap Matuti — welche im Lande als Wetterscheiden gelten — nach Osten und Westen das Gebirge und etwa die im Ocean nach Nord- westen sich wälzenden Fluten des Congo vorstellen. Die Bedeutung dieser Grenzlinien tritt überzeugend hervor im Verlaufe der Gewitter, der sich in folgender Weise entwickelt. Die vorherrschend in den Nachmittagsstunden von Südosten übergetretenen Wetter ziehen entweder hart am Gebirge entlang, 6* 84 Regenböen der Trockenzeit. oder zwischen diesem und der Küste nach Nordwesten. An der Lo- angobai, oder am Kuilu, oder erst am Banya — Yumba und Cap Ma- tuti streifend — verlieren sie sich dann entweder seewärts, oder sie stauen sich über diesen Gegenden, wenden, und kehren zurück, indem sie vorherrschend der Küstenlinie folgen, zuweilen auch einige Meilen weiter seewärts entlang, niemals aber landeinwärts ziehen. Es scheint fast, als ob sie zu gewissen Zeiten in der Mehrzahl rückläufig würden. Zweifellos sind sie unter diesen Umständen die furchtbarsten von allen; sie treffen über Tschintschotscho gewöhnlich nach Mitternacht ein, während sie am Nachmittag und in den Abendstunden nordwärts gezogen waren. Niemals jedoch überschritten die rückkehrenden Unwetter den Congo, wenigstens nicht innerhalb unseres Gesichtskreises, also weder in der unteren Hälfte seiner Niederung, noch in seiner nordwestlichen oceanischen Fortsetzung. Daselbst angelangt kommen sie vielmehr wiederum zum Stillstand, wenden, und ziehen nochmals in nördlicher Richtung davon, — zuweilen erst einen Umweg den Congo aufwärts bis etwas oberhalb Porto da Lenha nehmend — oder bleiben in Süd- westen, in dem schon beschriebenen Grenzdreieck, hängen. Dort regnen sie sich ab, werden von der erwachenden Seebrise aufgelöst und landein verweht, oder zertheilen sich in eine Anzahl Wolken- gruppen, die wie verloren, und als wären sie an diese Stelle gebannt, manchmal den ganzen Tag hindurch zwischen dem Küstenstrich und den Congofluten blitzend und donnernd umhertreiben. Besondere Beachtung verdienen die schweren Regenwetter, welche während der Trockenzeit, also in den Monaten Juni bis September vorkommen, sich aber durch den Mangel von Blitz und Donner von den Gewittern unterscheiden. Es zieht vom Gebirge plötzlich ein dunkles Gewölk über das Land und bringt unter stürmischen Winden einen heftigen Platzregen. Wir erblickten am ı9. Juni 1875 gegen Abend im fernen Südosten sich aufthürmende Gewitterwolken, welche über die Kabindabai nach Westen abzogen; die von ihnen nieder- hängenden Regenstreifen waren deutlich zu erkennen. Am ıı. Juli wiederholte sich dieser Vorgang um die Mittagszeit und wurde späterhin noch mehrmals in verschiedenen Richtungen wahrgenom- men. Im November von mir persönlich in Kabinda, Porto da Lenha und Boma eingezogene Erkundigungen stellten fest, dass an meh- reren Tagen der vergangenen Trockenzeit — der ıı. Juli konnte be- stimmt nachgewiesen werden — an den genannten Orten schwere Platzregen wie bei einem Gewitter, aber ohne Blitz und Donner, stattgefunden hatten. Es ergab sich ferner, dass diese Erscheinung Eintheilung der Gewitter, 85 zwar ungewöhnlich, aber sowol am Congo wie in nördlichen Landes- theilen, Europäern und Eingebornen bekannt sei. Die genaueste Nach- richt verdanke ich wiederum Herrn Franz Hertwig, dessen Beobach- tungen ich bereits im ersten Capitel verwerthet habe. Am ı3. Juli 1878 zog Vormittags elf Uhr ein dunkles gewitterartiges Gewölk voın Ge- birge heran und ergoss über Tschissambo, unter sehr heftigen, die Dächer beschädigenden Winden, einen äusserst starken einstündigen Regen. Das Unwetter tobte in ähnlicher Weise über Massabe und verschwand seewärts; auch bei ihm wurden Blitz und Donner nicht wahrgenommen. Das Auftreten derartiger Regenböen steht vielleicht in Beziehung zu den schon beschriebenen grossartigen Cumuli, die sich am Vor- mittage über dem Gebirge zu entwickeln pflegen. — In der folgenden Tabelle habe ich alle die Gewitter, welche über das Gebiet von Tschintschotscho hinwegzogen, nach ihrer Herkunft und der Zeit ihres Auftretens charakterisirt, so gut dies angieng. Bei der Mamnigfaltigkeit der Erscheinungen war im Dunkel der Nacht und im verwirrenden Aufruhr der Elemente ein genaues Verfolgen der Einzelheiten schwierig, weil öfters mehrere Gewitter gleichzeitig erschienen, sich gegenseitig beeinflussten oder gar über einander schoben und schliesslich, in Trümmer gegangen, noch tagelang ringsum hiengen. Jedes derselben wurde als eine Einheit aufgefasst, so lange es in Sicht blieb, mochte es nun mehrmals über uns hinwegziehen, oder, in Wolkengruppen aufgelöst, längere Zeit ringsum wettern; wäre in dieser Beziehung nicht unterschieden worden, so würde zu manchen Zeiten des Zählens kein Ende gewesen, und die Menge der Gewitter eben so erstaunlich gross wie falsch angegeben worden sein. Da einige Willkür in keinem Fall zu vermeiden war, erschien mir diese Lösung der Aufgabe als die beste; da ich überdies wäh- rend kritischer Perioden persönlich beobachtete, so blieb die Auffas- sung der Vorgänge wenigstens eine einheitliche. Eine hinreichende Ergänzung findet überdies die Tabelle durch die voranstehende der Gewittertage überhaupt. Aus dieser Uebersicht ist die Beziehung zwischen der Zahl der Gewitter und der gefallenen Regenmenge deutlich zu erkennen und wird noch deutlicher, wenn man die aus der Anordnung ersicht- lichen Besonderheiten genauer beachtet. Wie schon früher angeführt, - kam in beiden Perioden die Mehrzahl der Wetter aus Südosten, und man darf, ohne zu irren, die aus dem nordöstlichen und nordwestlichen Quadranten gekommenen mit wenigen Ausnahmen als rückläufige ansehen. Die Zahl der letzteren betrug in der ersten Regenzeit 86 Abweichungen zweier Regenzeiten, etwa vier Fünftel, in der zweiten knapp ein Drittel der ersteren, und dieses Verhältniss prägt sich wiederum aus, namentlich bei der ersten Abtheilung, in der Menge der nach Mitternacht erschienenen Gewitter; denn dies ist, wie wir bereits wissen, die Zeit der rück- kehrenden. Der Mangel an letzteren während der zweiten Regenzeit, die Neigung der Wetter, in dieser sogleich nach Nordwesten seewärts abzuziehen, ohne zwei Mal das Land zu begiessen, und das häufigere Auftreten derselben in Form von lockeren Donnerhuschen, waren offenbar die Ursache, dass in einer :ohnehin dürftigen Periode die Gewittertage; Anzahl, Herkunft, Tageszeit der Gewitter zu Tschin- tschotscho. Regenzeit 1874/75. Monat | Tage |Gewitter|| S.-O. | O.-N. | N.-W. | W.-S. | en er October . (6) [6) IR o [6) [6) oE lo oo November . 9 2. © 3 © 3 o 7 5 December . 4 7 4 I [6) 2 2 2 B januan... 9 9 || 2 (6) 7 (6) 7 I I Nebruan 3 E21 To 025 I 13 [6) 9 3 7 März 14 18 077 [6) I o 6 al 8 April 15 19 Io 2 6 I 12 3 4 Mae =. (6) 12 4 2 2 4 4 5 3 73 96 || 48 9 | 29 | Io || 40 25 31 Regenzeit 1875/76. October I I ©. © (6) in wo I o November . 6 7 5 I o I I 3 December . 2 3 2 I [6) (6) [6) [6) 3 Januar . 5 6 2 I o 3 o 4 2 Februar I I I [6) [6) [6) (6) (6) I März 7 9 6 I I I 5 3 I April o (6) [6) [6) [6) o [6) (6) (6) Maier. 22 27 | 16 4 | I © | & 9 Io Niederschläge noch geringer ausfielen, als sie bei normaler Ausbildung und bei anderem Verlaufe der Gewitter hätten werden können. Viel- leicht bedingt nicht blos die Seltenheit derselben, sondern auch deren vorherrschende Zugrichtung einen auf weitgreifende atmosphärische Vorgänge zurückzuführenden, fundamentalen Unterschied der so wech- selvollen Regenzeiten. — Ehe ich zur Schilderung von Einzelheiten übergehe, gebe ich in der folgenden Tabelle eine gedrängte Uebersicht aller bisher behan- delten, das Klima von Tschintschotscho charakterisirenden Werthe Klimatische Generaltabelle. 87 Klima von T'schintschotscho. 5° 9,24° südl. Breite; 12° 3,75‘ östl. Länge. ı2 Meter über mittlerem Niveau des Meeres, Jabres- Jahr | Jan. | Febr. Mittel März | April | Mai | | Juni | Juli | Aus. | Sept. | Oct. | Nov. | Dec. Monatsmittel des Luftdruckes in Millimetern. 1874 758,4 | 758,5 758,5 | 7591| 760,0 761,0| 759,6| 7586| 758,5| 759,84 1875 |758,7| 757,6 | 757,6 7580| 758,4 | 761,2 1 761,5| 760,5 | 759,1 | 759,2| 759,68 BEE 759151775810 - |- | = |<) >= 762,1 | 762,0 762,0, 762,3 len 1874 764,7 am 6. zer Abends. 1875 764,0 am 30. Juni Morgens. 1874 753,6 am 22. Februar Mittags. 1875 754,6 am 21. März Mittags. Monatsmittel der Lufttemperatur. Absolutes Minimum | 1874 | 24,5 | 26,2 26,1 1241 | 22,7 | 22,1 | 20,8 | 20,5 | 22,6 | 24,4 | 25,5 | 25,4 | 23,74 1875 | 25,8 | 26,2 | 26,8 | 26,7 | 259 22,8 | 22,7 | 23,1 | 23,8 | 24,9 1200 | 25,9 | 25,06 al 22 1874 34,4 am 17. November. 1875 35,9 am 27. Februar. Absolutes Minimum or ERS Jan 1875 14,6 am 30. Juni. Absolutes Maximum Monatsmittel des Dunstdruckes in Millimetern. 1874 | 79,85 1021,25 720,5 | 19,5 | 17,6 | 17,0 | 15,2 | 15,7 | 16,9 | 19,1 | 20,6 | 20,4 | 18,6 1875 | 21 11 27,3) | 21,6 | 267 | 21,4 | 17,8 | 17,4 | 18,1 | 18,2 | 19,5 | 21,0 | 20,7 | 20,0 1874 25,7 am 20. März 2h Mittags. 1875 24,9 am 2I. März 2b Mittags. 1874 12,4 am 21. Juli 6% Morgens. 1875 13,9 am 28, Juni 2h Mittags. Absolutes Maximum | Absolutes Minimum | Monatsmittel der relativen Feuchtigkeit in Procenten. 1874 | 87 | 84 | 82 | 88 | 86 86 | 84 | 88 | 83 8 850 285° | 85,3 1875 | 86 | 85 | 83 | 84 | 86 | 86 | 85 | 86 | 83 | 83 | 83 | 83 | 85,3 1874 59 am 3. Juli 25 Mittags. 1875 62 am 13. März 2b Mittags. Absolutes Minimum | Regenhöhe in Millimetern. | — | Be we | a ers Zleae 265,8| 79,6| 501,4 1875 | 311,0| 301,3) 266,7 | 202,2! 107,1 | x | ? | ss] 1,1 9,5| 177,0| 24,9| 1419,3 1876 | 66,7| 4,5] 233,8] 5,8) u | — | - | -|-|- | - Anzahl der Regentage mit messbarem Niederschlag; die mit nicht messbarem in () daneben. 1874| ? |15@lıı@)| 2(l o@)| oq)| o6)! 27)| 5@)!21(@)| 1ı5@)| 8)! 79 (@) 1875 113(0)| 14 (0)| 16(1)| 17(0)| 80) 0) 0) 43) A18)ı 7] 9)| 3@)| 9529) 7a AD LO ee ee Anzahl der Gewittertage; die der Gewitter in () daneben. 1874 | ? a Dee Bl oe ol) 1875 | 9(9) 13(19) 14118) 25(19), 0 (12) ©. | @ 0) © 1. DW) 28) SS) 1876 | 5(9| ı (m | 700), © ee = | 88 Dauer der Gewitter. Regenfälle. Die durchschnittliche Dauer der Gewitter schwankte zwischen ein bis zwei Stunden; die Extreme betrugen eine halbe Stunde und fünf Stunden. Die von einzelnen derselben niedergehenden Regen- güsse erschienen bisweilen erstaunlich gross; trotzdem sind diese nicht für tropische Gebiete allein charakteristisch, da ähnliche und noch bedeutendere auch in Europa gemessen wurden. Von diesen führt Herr von Danckelman einige an aus einer Arbeit van Bebbers „Die allgemeinen Niederschlagsverhältnisse mit besonderer Berück- sichtigung Deutschlands“, die ich zum Vergleiche hier beifüge Zu Verviers fielen am 26. September ı801 in achtzehn Stunden 357 mm, zu Genf am 20. Mai 1827 in drei Stunden ı62 mm, zu Breslau am 6. August in zwei Stunden 95 mm, und zu Dresden am 9. Juni 1862 in zwanzig Minuten 22 mm Regen. Neuerdings, am 7. Mai ı880, fielen nach der oesterreichischen Zeitschrift für Meteorologie (Seite 288) un- weit Pressburg in einer halben Stunde sogar So mm Regen. Die im Folgenden zusammengestellten Ergebnisse bieten daher nichts Ausser- ordentliches, wenn nicht durch die Thatsache, dass sie sich nebst an- deren, die nicht so scharf nach der Zeit bemessen wurden, häufiger wiederholten. Regenmenge einzelner Gewitter; deren Herkunft und Dauer. (Morgens = 12—8h, Tags — 8—4h, Abends = 4—ı2h.) Regenzeit 1874/75. 4. November, von SO., Tags, in 1,0" = 51,8""; davon die ersten 15,8mm in ıı Minuten, ı1. November, von SO., Abends, in 1,5" — 43,8”"”; davon die ersten 15,8mm in 6 Minuten. 15. Januar, von NW., Morgens, in 1,0% — 80,2”; ihm folgt anhaltender Land- regen bis Mittag. 25. Januar, von NW., Morgens, in 1,5" — 89,8”. g. Februar, von NW., Abends, in ?" ı0o. Februar, von NW., Morgens, in ?* 10. Februar, von NW., Morgens, in ?* 22. Februar, von SO., Morgens, in 1,0% = 5ı,3"n, ı5. März, von SO., Abends, in 0,8% — 44,9””; davon die ersten 15,8mm in knapp 5 Minuten. 6. März, von SO., Abends, in ?% 7. März, von NW., Morgens, in ?" 2. April, von NW., Morgens, in 2,5% — 34,7". in zusammen 4,5h von \ mm 136,5 drei Wettern. —: 02, 5. Mai, von SO., Tags | | dasselbe Wetter passirt drei Mal die 5. Mai, von NW., Tags — 44,2”®; 2 Station, von 1,5% bis 5b Nachmittags, 5. Mai, von SO., Tags | der Regen fällt in Pausen, Wirkungen des Regens. Temperatur. 89 Regenzeit 1875/76. 3. November, von ?, verschiedene Donnerhuschen über Nacht = 49,1"”. 22. November, von SO., Tags, in ?* — 34,0”, 24. Januar, von ?, verschiedene Donnerhuschen über Nacht = 36,0””, 5. März, von NO. und NW., verschiedene Donnerhuschen am Vor- mittag — 24,0", ; 8. März, von SO., Morgens, in 5,0°, verschiedene Donnerhuschen == 100,7 . BANN ATZEYoNE SO Raesı 119,02 — 28,7 mu) 26. März, von SO., Morgens, in ?E — 40,9==, Die fast in Strahlen oder sehr grossen Tropfen niedergehenden Güsse treffen die entblössten Hautstellen sehr empfindlich — sie werden darum von den Eingebornen wie bei uns etwa Schlossen gefürchtet — und erklären die Entstehung der seltsamen, auf Seite 39 beschriebenen Erosionsgebilde im Plateau von Buala. An den Steilwänden eines so vortrefflich geeigneten Gesteines, wie der rothe Laterit es ist, muss das ablaufende Regenwasser — es ist sehr wesentlich, dass das Plateau weithin eben abgedacht ist — tiefe Risse ausfurchen, Bastionen und Pfeiler herausarbeiten, welche dann durch die direct aufschlagenden Tropfen ihre weitere Umformung erhalten. Wäre der die Oberfläche des Landes bildende gelbe Laterit nicht in so hohem Grade durch- lässig, so müsste das ganze Hügelland durch die herabstürzenden Wassermassen längst in ähnlicher Weise umgestaltet worden sein. Die Temperatur des Regens erwies sich unter allen Umständen niedriger als die der Luft, gewöhnlich um ein bis zwei, sehr selten um vier bis sechs Grad; sie betrug durchschnittlich 22.0° bis 23.5°%, und schwankte überhaupt zwischen 21.6° und 25.1°. Fälle von Hagel oder Graupeln wurden niemals beobachtet; nach allen Erkundigungen sind sie im Lande gänzlich unbekannt. Das eigenthümliche Geräusch, welches Schlossen hervorbringen, ist dagegen auch bei starkem Platz- regen zu vernehmen, und wenn dieser über einem Walde heran oder vorbei zieht, so kann man das Brausen und Rasseln der auf das viel- fach derbe und harte Blattwerk schlagenden Tropfen deutlich an tausend Schritt weit hören. In der Regel setzen die Gewitterregen mit vollster Kraft ein und werden allmählich schwächer; unter günstigen Umständen ist zu be- merken, dass besonders schweren Donnerschlägen ein stärkeres Herab- strömen folgt. Mit den Güssen treten gewöhnlich sehr unangenehme, mehr oder weniger belästigende Gerüche auf, die sich mit dem Regen- dampf, mit dem Dunst und der beängstigenden Schwüle bis zum Un- erträglichen steigern können. Die namentlich gegen üble Naturge- 90 Von der Erde aufsteigende Gerüche, rüche keineswegs unempfindlichen Bafiote nennen jene: tschinünku tschi ntändu, Gestank der Savane, und treffen damit so ziemlich das Rich- tige; denn am schlirnmsten macht sich die mit Fäulnissproducten ge- schwängerte Luft geltend, welche durch das schnell einsickernde Regen- wasser aus der Erde verdrängt wird, und die, welche den in Gras- und Waldbeständen modernden Stoffen entstammt. Zu diesen gesellen sich noch die Miasmen, welche den vom Regen aufgerührten Lagunen, den grasigen Sümpfen und den Schlammbetten der Rhizophorendickungen entsteigen. Gerade von ihnen hatten wir in Folge der Lage Tschintschotschos bei Südostwettern viel zu leiden; die Krankenliste war in dieser Beziehung sehr lehrreich. Besonders im März und April 1875, in den Monaten mit so ungewöhnlich zahl- reich auftretenden Südostgewittern (Seite 86), nahmen die Zustände geradezu etwas Unheimliches an. Im April namentlich, als auch noch die heilsame Seebrise vielfach ausblieb oder sehr unregelmässig und schwach einsetzte, kam es wie das Verderben über die Station und die Umgegend, und Erkrankungen wie Todesfälle mehrten sich erschreckend. Der gelbe, die Oberfläche des Landes bildende und ausserordent- lich poröse Laterit vermag an unbegangenen Stellen einen ziemlich kräftigen Platzregen sofort spurlos zu verschlucken. Selbst die bei den heftigsten Güssen hier und da entstehenden Pfützen und Tümpel versinken vor den Augen des Beschauers so rasch, dass eine kurze Zeit nach dem Schwächerwerden des Regens von ihnen Nichts mehr zu erblicken ist. Danun eine Wasserschicht von einem Millimeter Höhe gleich ist einem Liter Wasser auf den Quadratmeter, so kann man sich vorstellen, welche grosse Menge mit Fäulnissproducten geschwängerter Luft in kürzester Zeit von der einsinkenden Flüssigkeit aus der Erde verdrängt wird, bei Gewittern, welche so enorme Regenmengen herabsenden. Der kräftige Geruch frisch gebrochener Ackerkrume, der würzige Duft, welchen die vom Regen erfrischten Fluren und Forsten in ge- mässigten Breiten aushauchen — man möchte ihn recht eigentlich Culturgeruch nennen — hat mich noch in keinen Tropengebiete, über- haupt noch in keiner Wildniss wieder angemuthet. Wo immer man diese betritt, da herrscht — mit Ausnahme der sehr trockenen Districte einiger Erdtheile — ein mehr oder weniger hervortretender Hauch der Verwesung, der die schnelle Vergänglichkeit der Ueberfülle an Lebensformen verkündet; und selbst die betäubenden Wolgerüche blütenreicher Gewächse, welche die Luft erfüllen, können ihn nicht verdecken. Die Schilderungen von dem köstlichen Landgeruche, Von der Elektricität erzeugte Gerüche. gt welchen der Wind den Seefahrern von glücklichen Inseln entgegentrug, hatten frühzeitig meine Phantasie erregt; aber nachdem ich denselben nun oft genug selbst wahrgenommen habe, ist es mir doch sehr zweifelhaft geworden, ob man ihn unter anderen Umständen — nicht im Gegensatz zu dem abwechselungslosen Geruch der Meeres- luft, und ohne ihn durch den Vorgeschmack ersehnter Landfreuden zu verschönern — noch ebenso köstlich finden würde. An der Loango- küste wird dieser Moderduft am wenigsten bemerklich in der wolge- lüfteten, sonnigen Savane mit ihren wogenden Grasbeständen, am meisten dagegen im feuchten Dunst grossartiger Galleriewälder, in den Papyrussümpfen und in den Rhizophorendickichten der Lagunen. Zuweilen habe ich vermeint, einen mit den ersten Windstössen den Gewittern vorangehenden Geruch nach Ozon und schwefliger oder salpeteriger Säure deutlich wahrzunehmen; da er aber immer schon mehr oder weniger mit dem Tschinünku tschi ntändu vermischt war, wurde er nicht von allen Gefährten entsprechend gleich em- pfunden, und ich darf somit die Möglichkeit einer Täuschung nicht ausser Acht lassen: denn für das Erkennen ist die Stimmung des Be- obachters von Wichtigkeit, welche durch die elektrische Spannung, durch die überwältigende Grossartigkeit der Erscheinungen nicht un- beeinflusst bleiben kann. Mir ist indessen dieser Geruch vielfach als so durchdringend und unverkennbar aufgefallen — bei starkem Nebel habe ich ihn eben- falls wahrgenommen — dass ich an seinem Vorkommen nicht zweifele. In unseren Laboratorien wird man hinlänglich mit ihm vertraut, und durch Liebigs Untersuchungen ist ja auch erwiesen, dass elektrische Entladungen chemische Veränderungen in der Atmosphäre erzeugen; wo aber Blitzstrahlen häufig in unzählbarer Menge die Luft durch- zucken, muss dies in besonders hohem Grade stattfinden. Die Prüfung der Luft auf ihren Ozongehalt, nach Schönbeins Methode, ist lange Zeit regelmässig durchgeführt worden, bis das Papier aufgebraucht war. Die Methode ist jedoch zu unvollkommen, als dass sie ver- wendbare Resultate ergeben könnte: denn eine sehr schwach mit Ozon geschwängerte Luft wird, wenn sie nur dauernd bewegt bleibt, kräftigere Färbungen der empfindlichen Papierstreifen erzeugen, als eine sehr ozonreiche bei vollständiger Windstille. — Den Stärkegrad der Gewitter bemassen wir nach ihrer charakte- ristischen Eigenschaft, nach der Zahl der Blitze. Die verschiedenen Formen derselben sollen weiter unten beschrieben werden; hier spreche ich nur von Blitzstrahlen überhaupt, also nicht vom Wetter- leuchten, nicht vom Aufflammen des Gewölkes, sondern von wirklichen 92 Anzahl der elektrischen Entladungen. Funken, die je einzeln oder zu mehreren eine Entladung bildeten und im letzteren Falle stets einfach gerechnet wurden, wenn sie gleich- zeitig von einem und demselben Puncte hervorbrachen. Die Zählung wurde dadurch erleichtert, das bei vielen Wettern auffälliger Weise die Blitze vorwiegend von einer bestimmten Stelle im Gewölk ausgiengen, von Wolkenpartieen, welche trotzdem nicht immer als die am Wei- testen nach seitwärts oder nach unten vorgeschobenen betrachtet werden konnten. Gewitter, bei welchen im Heranziehen, also während der günstigsten Beobachtungszeit, hundert bis hundertundfünfzig Entladungen binnen fünf Minuten erfolgten, nannten wir schwer; solche, welche bis zu zwei- hundertundfunfzig entsandten, sehr schwer. Zählungen, welche ich des Vergleiches wegen im Flachlande Deutschlands ausführte, haben mich belehrt, dass schon die innerhalb fünf Minuten sich ergebende Leistung eines grossen Loangogewitters vollständig hinreichen würde, um in.unserer Heimat ein ganzes Unwetter von vielleicht unerhörter Stärke herzustellen. Aber selbst diese unbeschreiblich grossartigen Gewitter wurden noch übertroffen. Jene schweren, mit zwanzig bis dreissig Blitzen in der Minute, waren während der ersten sehr er- giebigen Regenzeit 1874/75 eigentlich die normalen, während der zweiten und schwächeren waren indessen schwerere schon selten. Nicht aber in der ersten; auch in dieser Beziehung ist die Verschiedenheit der beiden Regenzeiten bemerkenswerth. Die höchste Anzahl von Entladungen, die wir mit befriedigender Genauigkeit bestimmen konnten, betrüg am 14. März 1875, Abends sechs Uhr, Gewitter von Südosten: 258 Blitze in fünf Minuten, und am 5. Mai desselben Jahres, Nachmittags drei Uhr, rückkehrendes Wetter von Nordwesten: 297 Blitze in dem gleichen Zeitraum. Bis dahin ver- mochten wir die Menge der Entladungen zu bestimmen; es kamen noch stärkere Gewitter vor, aber bei ihnen war eine Zählung so voll- ständig unmöglich, dass man sich kaum eine Schätzung erlauben darf und in Verlegenheit ist, durch irgend einen Vergleich eine Vorstellung von ihrer Menge zu schaffen. Der bekannte Sternschnuppenfall der Leoniden, im November ı868, den ich in den Einöden Nordamericas beobachtete, reicht, so prächtig er auch war, dazu doch nicht aus. Bei dem furchtbaren später genauer zu schildernden Unwetter, welches am Abend des 16. Februar 1875, von Nordwesten zurückkehrend, see- wärts von der Station vorüberzog, und uns ein grandioses Schauspiel vorführte, welches wir in voller Musse bewundern konnten, schmetter- ten von einer etwas niederhängenden Wolke Blitzstrahlen in solcher Menge in das Meer hinab, dass man die Erscheinung nicht anders als Donner. Unschädlichkeit der Blitze. 93 einen vollständigen Blitzregen nennen konnte. Ihre Zahl zu fassen, hätte nur der vermocht, der etwa die einem FHochofen entsprühenden Funken zählen könnte. Es ist selbstverständlich dann auch nicht mehr möglich, noch die einzelnen Donnerschläge zu unterscheiden. Diese kommen aus der Ferne wie ein ununterbrochenes dumpfes Murren und Grollen und vermischen sich in der Nähe mit dem hellen Schmettern und Knattern nahe vorüberzuckender Funken, mit dem Zischen und Brausen des herabstürzenden Regens und sonstigen, gar nicht zu classificirenden Naturlauten zu einem einzigen ungeheuren Getöse. Als besonders auffällig muss die Thatsache hervorgehoben werden, dass die Blitze so äusserst selten Schaden anrichten. Wir hörten nur von einem einzigen Fall während unseres Aufenthaltes auf der Station: einige Eingeborene sollten jenseits des Tschiloango in einer Hütte getödtet worden sein; das Gerücht fand indessen keine sichere Be- stätigung. Ausserdem theilten mir Europäer mit, dass der Blitz früher einmal in die Fahnenstange einer Factorei zu Pontanegra und in den Mast eines, in der gleichnamigen Bai ankernden Kutters einge- schlagen und das Holzwerk etwas gesplittert habe, ohne weitere Zer- störung anzurichten. Der auf der Station, dicht am Absturz des Pla- teaus frei stehende etwa vierzehn Meter hohe Flaggenmast und die daneben befindliche sechs Meter hohe, auf ihrer Spitze einen eisernen Ladestock tragende Stange für die Windfahne liessen nicht die ge- ringsten Spuren einer Blitzwirkung erkennen, und doch schien es mir mehrmals unmöglich, dass sie nicht getroffen sein sollten. Verletzungen an Bäumen habe ich, trotz eifrigen Umherspähens, ebenfalls nicht entdecken können, obgleich ich zu verschiedenen Malen den Blitz auf freistehende Riesenstämme in so unmittelbarer Nähe niederfallen sah, dass ich nur einen scharfen Knall, ein kurzes Schmettern hörte und einen deutlichen Luftdruck zu spüren meinte. Unser Ge- fährte, Herr O. Lindner aus Berlin, welcher nach der Heimkehr der Expedition sich sehr bald wieder nach der Loangoküste begab und abermals über drei Jahre daselbst am Congo lebte, theilte mir als ein- zigen Fall mit, dass im April 1878 der Blitz einen nahe bei der Fac- torei Porto da Lenha stehenden Baum getroffen und vollständig ge- spalten habe. Die Eingebornen verrathen keine Furcht vor dem Blitze und legen sich bei den schwersten Wettern in beneidenswerther Ruhe zum Schlafen nieder; nur dann und wann entlockt ihnen ein besonders schmetternder Donnerschlag Ausrufe des Schreckens — aber auch Thiere werden unter diesen Umständen laut, namentlich die Affen 94 Furchtlosigkeit der Eingeborenen vor Blitzschlägen, zetern und kreischen. Der Gedanke, erschlagen werden zu können, liegt den Leuten nicht nahe, obgleich sie sich allerdings hier und dort eines Falles entsinnen, dass Jemand vor Zeiten einmal sein Ende auf diese Weise gefunden habe: natürlich war das aber ein schlechter Mensch. Bestimmte Angaben waren indessen nicht zu erlangen. Bur- ton (Two Trips to Gorillaland II 243) führt im Gegentheil an, dass auf den Höhen südlich am Congo, auf dem Plateau vom Noöki, der Blitz sehr gefürchtet werde. In der nächsten Umgegend von Boma ist dies nicht der Fall, auch habe ich daselbst auf freiliegenden Stein- kuppen nirgendswo Spuren der bekannten, von Blitzschlägen hervor- gebrachten Verglasungen entdecken können; es war mir indessen nicht möglich, die letzten Granithügel flussabwärts, weder den durch einen besonders hochragenden Steinpfeiler ausgezeichneten Blitzfelsen, noch sein Gegenüber, den Fetischfelsen zu untersuchen. Die Gleichgültigkeit gegen die elektrischen Entladungen über dem Vorlande gewinnt um so mehr an Bedeutung, als viele der Eingebornen, bei ihrer Scheu vor dem niederprasselnden Regen, unbedenklich unter Bäumen Schutz suchen, wenn sie von Gewittern im Freien überrascht werden. Es könnte daher die Annahme gerechtfertigt scheinen, dass sehr wenige der Blitze, zumal die Gewitter in der Regel hoch ziehen, wirklich zur Erde niedergehen, und dass wir uns täuschten, wenn wir dessen ganz sicher zu sein glaubten. Das kann ich jedoch in vielen Fällen nicht zugeben: denn eben weil man sich der Mög- lichkeit einer Täuschung bewusst ist, beobachtet man um so gewissen- hafter; und so wage ich die Erklärung, dass die vom Regen gelieferten Wassermassen, welche das poröse Erdreich erfüllen, oder im Ablaufen wie ein Mantel über den dicken Blätterdächern der Hütten liegen, wenigstens diesen als gute Leiter vielleicht Schutz gewähren. Selbst- verständlich ist es unter diesen Umständen auch ein nutzloses Be- ginnen nach Blitzröhren auszuschauen. — Ueber den Entstehungsherd der Gewitter, die so bedeutsame Eigenthümlichkeiten gemein haben, lässt sich, bei der mangelnden Kenntniss von dem Innern, nur eine Vermuthung äussern. Vielleicht darf er dort gesucht werden, wo der von Westen kommende Seewind mit dem Passate zusammentrifft; nach Camerons Beobachtungen lag diese Grenze aufseiner Reiseroute im Gebiete des Kuango, etwa 18° ö.L. v. Gr. Manche der Gewitter mögen in der schon früher geschilderten Cumulibildung über dem Gebirge ihren Ursprung finden. Für das Auftreten, für die bemerkenswerthe Herkunft der ersteren wird es vielleicht nicht bedeutungslos sein, dass der Seewind beim Ueber- steigen des Gebirges im Süden des Congo anscheinend nicht so viel Gewitter in Westafrica ziehen vom Land zum Meer. 95 von seiner Feuchtigkeit verliert, als an der Loangoküste, und diese zur Bildung der Gewitter abgeben kann, die ja vorwiegend von Süd- osten heranziehen, indem sie möglicherweise erst dem Laufe des Kuängo und dann dem des Congo folgen. Dem scheint indessen entgegenzustehen, was schon Seite 78 bei Betrachtung der Regentabelle hervorgehoben wurde, dass gerade in der Regenzeit, welche die wenigsten Gewitter aufwies, die Tage mit nicht messbaren Niederschlägen häufiger waren. Aus der Art derselben darf man aber wol mit einigem Rechte auf einen beson- ders hohen Reichthum an Feuchtigkeit des Westwindes schliessen, auch ist ja, wie aus der Tabelle auf Seite 86 zu ersehen, während einer solchen Regenzeit die Zahl der von Südwesten kommenden, unter Gewittererscheinungen fallenden Regen ebenfalls verhältnissmässig grösser. Nicht nur an der Loangoküste, sondern, wie ich erkundet habe, von Biäfra bis hinab nach Kins&embo und weiter, auf einer Strecke von rund siebenhundert Meilen, nach vereinzelten Angaben wahrscheinlich in ganz Unterguinea, ist es ein überraschender, allen voll entwickelten Gewittern gemeinsamer Zug, von Osten nach Westen, aus dem Innern über den Gebirgswall nach dem Ocean, also gegen die herrschende Luftstömung vorzurücken. Nach den sehr spärlichen gedruckten Quellen und nach mündlich an verschiedenen Orten Oberguineas ein- gezogenen Nachrichten gehen auch dort die Wetter (Tornados) vom Lande seewärts, sind aber an Regen und elektrischen Entladungen bedeutend schwächer, an Wind dagegen um Vieles stärker als die von Loango. Drei Gewitter, die ich während der Küstenreise in Oberguinea erlebte, bestätigten dies vollauf. Ein über so ausgedehntem Gebiete sich gleichförmig vollziehender Vorgang berechtigt uns, auch eine weithin gleichmässig wirkende Ur- sache anzunehmen. In wiefern der Passatwind als solche angesehen werden kann, entzieht sich der Beurtheilung. Nach dem auf Seite 76 Angeführten wäre es immerhin bedenklich, ihn ohne weiteres als die treibende Kraft zu betrachten. Unsere Beobachtungen haben uns überzeugt, dass Gewitter viel- fach unabhängig von der gerade herrschenden Luftströmung ihres Weges ziehen, dass sie, wie man zu sagen pflegt, ihren eigenen Wind mit sich bringen. Zu anderen Zeiten aber wurde es augenscheinlich, dass ihnen von dem Westwinde am Gebirge Halt geboten wurde, bis dieser gegen Abend wie gewöhnlich südwärts vierte, einschlief und ihnen mithin Freiheit gewährte, sich über dem Vorlande auszu- toben, wenn sie sich bis dahin nicht aufgelöst, oder zwischen den Berg- 96 Gewitter und herrschende Winde, ketten nordwestwärts geschlichen hatten. Derartig gefesselte Ge- witter schienen während ihrer Gefangenschaft ihre Kräfte ausser- ordentlich vermehrt zu haben, denn wenn sie endlich in den Nacht- stunden heranzogen, tobten sie mit unglaublicher Wuth über die Küste hin. . Die Wechselbeziehungen zwischen dem Gange der Gewitter und dem herrschenden Winde sind so mannigfaltige, dass sie fast in jedem Falle gesondert betrachtet werden müssten. Ein Schwanken oder gänzliches Aussetzen der von Westen kommenden Luftströmung ist beim Heraufziehen eines Wetters allerdings die Regel, aber der Aus- nahmen sind viele. Bisweilen gieng die Seebrise erst nieder, wenn dasselbe fast das Zenith erreicht hatte, und dann nur für so kurze Zeit und innerhalb so enger Grenzen, dass sie, sobald jenes passirt war, sofort wieder einsetzte und die ihr eigenthümlichen Cumuli nach wie vor landein über das Gebirge trieb; in seltenen Fällen änderte sie aber unter gleichen Umständen weder Richtung noch Stärke, auch nicht, wenn Gewitter stundenlang ringsum oder seewärts hiengen. Sie hatte dann offenbar nur eine geringere Höhenerstreckung. Zu anderen Zeiten erstarb sie plötzlich ohne jeden sichtbaren Grund und erwachte wiederum am späten Abend nach mehrstündiger Pause beim Vorüberziehen eines schweren Wetters und blies dann stark die ganze Nacht hindurch. Eins der schwersten Gewitter, das wir erlebt, zog am Spätabend des ı6. Februar ı875 parallel mit der Küste von Norden nach Süden, aber so weit seewärts, dass es das Gebiet der Station nicht berührte und um so besser beobachtet werden konnte. Schon seit Mittag standen Wetter in ziemlicher Nähe sowol südlich wie östlich von uns, noch vor Sonnenuntergang hatten sich andere in jeder Himmelsrich- tung gebildet. Trotzdem blies die Seebrise mit ungeschwächter Kraft aus Südwesten, gieng gegen Abend nicht nieder, sondern vierte nach Westen und ermässigte sich etwas bis zur Stärke 3; die ihr eigenen Cumuli zogen unbeirrt einher und hoben sich, als die scheidende Sonne ihre letzten Strahlen über das Meer sandte, besonders hell von den höher schwebenden tief indigofarbenen Wettern ab. Diese schienen sich gegenseitig in Schach zu halten; alle blitzten und donnerten stundenlang, ohne ihre Stellung wesentlich zu verändern. Allmählich verschwanden die einzeln segelnden Cumuli, und Schicht- wolken breiteten sich zwischen den verschiedenen Gewittern aus, sodass um neun Uhr das ganze Himmelsgewölbe bezogen war. Das Gewölk wogte hin und her, ohne eine bestimmte Zugrichtung erkennen zu lassen; die Seebrise blieb bestehen. Schilderung einzelner Wetter. 97 Bald darauf kam Bewegung in die Massen. Von Nordwesten wälzte es sich schwarz heran, der Wind sprang nach dieser Richtung um und blies in sturmähnlichen Stössen zuweilen mit der Stärke 6 und 7, packte das übrige Gewölk, zertheilte und verwehte es; gegen zehn Uhr jagten nur noch zerrissene Cumuli landein, und zwischen ihnen blinkten die Sterne hervor. Als aber das Unwetter von Nordwesten näher kam, vollzog sich in den oberen Regionen eine abermalige plötzliche Veränderung; während die Luftströmung an der Erdober- fläche ihre Richtung und Stärke bewahrte, eilten die in der Höhe bisher landein getriebenen Cumuli nun ebenso schnell inentgegengesetzter Richtung zu dem Gewitter hin. Das heftig bewegte Gewölk desselben schien nahezu das Meer zu berühren, und fast ausschliesslich von einer Stelle schmetterten elek- trische Entladungen in solcher Zahl in jenes senkrecht herab, dass ich diese Erscheinung, wie schon früher erwähnt, nur mit einem Blitzregen vergleichen kann. Es war nicht möglich, festzustellen, ob sich an jener Stelle vielleicht eine Wasserhose gebildet hätte. Die tiefschwarze Wolkenbank zog bis zur Höhe der Congomün- dung und kam eine Zeit lang zum Stillstand; sie lag dann ungefähr parallel mit der Küstenlinie fünf bis sechs Meilen entfernt, ununter- brochen blitzend und donnernd, während der Wind wie bisher in Stössen von ihr landwärts blies, und der Himmel sich sonst überall aufgeklärt hatte. Bald aber wich das Wetter zurück und folgte scheinbar den Fluten des Congo; um Mitternacht tobte es schon fern im Nordwesten und verschwand am Horizonte. Unterdessen war eine kurze Stille eingetreten, dann erhob sich ein kräftiger Landwind aus Nordosten (Stärke 3) bis zum Morgen. Während des ganzen Tages hiengen mehr oder weniger bedeutende Wetter in verschiedenen Richtungen; die Seebrise blieb aus, der Wind gieng nur von Osten bis Süden und am Abend wieder zurück. Das während des Tornados in kurzen Pausen beobachtete Barometer zeigte keine bemerkens- werthen Schwankungen. Der 5. Mai 1875 brachte uns ein anderes sehr schweres Unwetter, weiches dreimal binnen weniger Stunden das Zenith der Station passirte. Tags zuvor herrschte die gewöhnliche Seebrise bis spät Abends, am folgenden Morgen wehte ein sehr schwacher Landwind von Nordosten. Zwei Gewitter waren über Nacht von Nordwesten seewärts vorbeigezogen und blieben dort, in einzelne Wolkengruppen aufgelöst, hängen. Die Seebrise entwickelte sich nicht. Nach ein Uhr thürmte sich im Südosten Gewölk auf und zog ausserordentlich schnell, unter starkem Blitzen und Donnern mit Windstössen bis Loango. III, 7 98 Ein Gewitter zieht drei Mal über Tschintschotscho. zur Stärke 6, über uns hinweg an der Küste entlang. Eine Stunde später stand das Gewitter im Norden, etwa am Kuilu, fest; dicker Dunst und Schichtwolken erfüllten die ganze Atmosphäre, und es herrschte eine bange Schwüle. Diese blieb an der Erdoberfläche bei vollkommener Windstille bestehen, während sich in der Höhe offen- bar fast ein Sturm aus Südwesten entwickelte, welcher zunächst helle Wolkenfetzen unter dem bis dahin ziellos wogenden Stratusgewölk entlang trieb, dann dieses selbst aufrollte und, in mächtige Cumuli- massen geballt, heftig nach Nordosten jagte. Zugleich, etwa um drei Uhr, tobte das im Norden stehende Gewitter von neuem unter heftigen Böen heran, abermals der Küste und jetzt nach Süden folgend; von einer scheinbar etwas tiefer hängenden Wolkenpartie zuckten ununter- brochen Blitzstrahlen hervor und vielfach senkrecht zur Erde nieder; wir konnten binnen fünf Minuten bis zu 297 zählen. Dann kam es über uns. Dicker Dunst und Dampf wälzte sich über die Landschaft, der Regen prasselte nieder; Blitze sprühten in allen Richtungen, bald nur einen schwachen Knall, bald ein länger anhaltendes helles Schmettern hervorbringend, wie wenn Jemand mit einem Stocke an einem Lattenzaun entlang streift; gewaltige Donner- schläge machten die Gebäude und selbst den Boden erzittern. Um vier Uhr war der Regen zu Ende; über uns gährte zerrissenes Gewölk, im Norden lachte der blaue Himmel, im Süden tobte das Unwetter über Kabinda; das nähere Vorland von Landana war noch durch Dampf und Schlagregen verhüllt. Und nun zog das Gewitter zum dritten Male heran. Es hatte sich am Congo gestaut, ausgebreitet, stürmte bis fünf Uhr zum grössten Theil seewärts vorüber und ver- schwand in nordwestlicher Richtung. Bei Sonnenuntergang spannte sich ein klarer Himmel über uns aus, späterhin bildeten sich ruhig schwebende Haufen- und Schichtwolken, während ein leichter Nord- ostwind einsetzte. Am eigenthümlichsten ist wol das Schauspiel, wenn, wie schon früher angedeutet, zurückgekehrte Gewitter am Morgen in der süd- westlichen Ecke des Wettergebietes hängen bleiben und sich zer- theilen. In den meisten Fällen werden ihre Trümmer allerdings am Vormittag von der Seebrise überwältigt und landein verweht; bis- weilen behaupten sie sich aber trotz derselben und treiben in Gestalt von mehr oder weniger grossen, dunkeln Wolkengruppen, welche viel- fach in leichteren Schichtwolken und Dunst schweben, regellos hin und wieder. Von der aufgehenden Sonne beleuchtet, gewähren sie einen überaus malerischen Anblick. Unvergleichlich grossartig war das Auftreten dieser zertheilten Sechszehn Tage lang wetternde Wolkengruppen. 99 Gewitter im Januar 1875. Vom ı2. des Monats an, nach einem sehr schweren rückkehrenden Gewitter, bis zum 29., mit Ausnahme des 26,., hiengen sechszehn Tage lang wetternde Wolkengruppen theils nur seewärts, theils auch rings umher, bald näher, bald ferner. Alltäglich setzte die Seebrise regelmässig in wechselnder Stärke ein und zog, offenbar nur in geringer Höhenausdehnung, unter ihnen hin, nur dann und wann auf einige Stunden unruhig werdend oder niedergehend. Die einzelnen oder mehrfach zusammengeballten Cumuli erschienen in dem leichten Dunst und dünnen Stratusgewölk wie Inseln, die sich träge in verschiedenen Richtungen bewegten, die bald küstenwärts und dann nach Norden und wieder seewärts nach Süden zogen, oder nach Nordwesten hin aus dem Gesichtskreis verschwanden. Manche zerflossen, und andere bildeten sich von neuem, wuchsen oder ver- kleinerten sich, oder lösten sich wieder in Einzelwolken auf. Man konnte den Vorgang ebensowol einen langsamen Wolkenreigen wie eine Wolkenschlacht nennen. Denn gleich mächtigen Kriegsschiffen, die beim laufenden Gefecht ihre Riesengeschütze gegen einander ab- feuern, schienen diese mit Elektricität geladenen Wolkengruppen einander zu beschiessen, sich Blitze zuzuschleudern, und majestätisch rollten gewaltige Donnerschläge über Land und Meer. An diesen sechszehn Tagen vergiengen kaum ein paar Stunden hintereinander ohne Blitz und Schlag, während in derselben Zeit doch nur vier ausgebildete, aber allerdings sehr schwere Gewitter über die Station hinwegzogen, die, sich zertheilend, jene eigenartigen Wetter- gruppen ergänzten. Erst am Abend des 28. Januar verwandelten sich diese allmählich in formlosen Dunst und Schichtwolken und wurden am Morgen durch die Seebrise verweht. Von derartigen Erscheinungen, die sich ja in den wesentlichen Einzelheiten von allgemein bekannten nicht unterscheiden, weichen andere mehr oder minder ab, selbst bis zu einem solchen Grade, dass man sie nicht mehr zu den gewitterartigen rechnen kann. Es kommen ° elektrische Entladungen vor, die aller kennzeichnenden begleitenden Vorgänge ermangeln und höchst seltsame Formen annehmen. Alle aber haben das gemein, dass sie nicht während der Trockenzeit wahr- genommen werden. Gleich den aus Südwesten stammenden, leichten Donnerhuschen traten sie in der schwächeren Regenzeit 1875/76 häu- figer auf als in der stärkeren 1874/75. Die elektrische Spannung gleicht sich in anderer Weise aus, sobald dies nicht in der gewöhnlichen Form durch Gewitter ermöglicht wird; daher zeigen sich die Erschei- nungen namentlich zu Anfang und Ende sowie in der mittleren Ab- schwächung der Regenzeit, oder während langer abnormer Ruhe- Ta ’ 100 Zartes Wolkengewebe. Büschelentladungen. Erdlicht. pausen. Dennoch sind sie in ihrer eigenartigsten Entwickelung ebenso selten wie bemerkenswerth. Einem Gewitter am ähnlichsten ist der folgende Vorgang. Ge- wöhnlich nach Sonnenuntergang und sehr rasch, oft binnen weniger Minuten, bildet sich ein hochschwebendes Gewölk, welches dünn und locker den ganzen Himmel bedeckt. In der Regel zieht es nicht nach einer bestimmten Richtung sondern wallt und webt leise durcheinander, in stetem Wechsel der Formen bald einen schleierartigen Dunst, bald schwadenähnliche Streifen, bald kleine, flockige Cumuli darstellend. Es ist ein zartes Wolkennetz, durch welches grössere Sterne herab- schimmern, in dem allenthalben Lücken entstehen, durch welche der dunkle Nachthimmel und etwa vorhandene Cirri sichtbar werden. Die. Stimmung ist dabei nicht schwül und drückend, sondern eher heiter zu nennen. Plötzlich huscht es gleich einem sehr langsamen Wetterleuchten in dem Gewölk entlang, nicht etwa als Wiederschein ferner Blitze alle hervortretenden Partieen auf einmal zum Aufflammen bringend, sondern sie nacheinander in rascher Folge auf kurze oder grössere Entfernungen mit Licht vollständig durchdringend, so dass auch nicht eine Stelle auf dem Wege dunkel bleibt. Es ist kein Zucken, kein Ueberspringen von Funken zu beobachen, sondern nur ein rasches gleichmässiges Hinströmen von Elektricität, welches mehrere Secunden lang anhält und, rasch den Ort wechselnd, über grössere Flächen verläuft. Es verschwindet vielleicht einen Moment und setzt sich im nächsten durch andere Wolkenpartieen fort, huscht bald in der Nähe bald in der Ferne entlang, als wenn der an einer Stelle stattgefundene Ausgleich sofort auch andere zu dem nämlichen anregte. Die Leucht- kraft ist in der Regel nicht so stark, dass sie bei ruhigem Verlaufe die Augen blendete, ist öfters sogar recht schwach, so dass Gegen- stände keinen erkennbaren Schatten werfen. Die Farbe des Lichtes ist veränderlich vom grünlichen oder bläulichen Weiss bis zum Roth eines fernen Feuerscheines. Zuweilen bildet sich dieses charakteristische Gewölk, ohne dass Büschelentladungen stattfinden, und giebt dauernd, das heisst stunden- lang, einen schwachen Schimmer von sich: anders wenigstens vermag ich eine geheimnissvolle Helligkeit der Landschaft und des Himmels, die abweichend ist von der, welche das Sternenlicht erzeugt nicht zu erklären. Ausserdem verbreitet sich dieselbe auch bei dicht bezogenem Himmel einseitig an der Erdoberfläche und entstammt dann vielleicht dem räthselhaften Erdlicht, das besonders die oberen Theile der Ge- wächse in auffallender Deutlichkeit hervortreten lässt, und namentlich Wolkenlicht. Flächenblitze ohne Gewölk? Geräusche. IOoI hellfarbige Blüten bisweilen mit einem zarten Glorienschein umwebt. In einer Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten wird er am besten wahrnehmbar und schwindet bei voller Annährung; wie ein geister- hafter Schimmer umhüllt er gern die duftenden Blumenranken des männlichen Carica Papaya, die Blütentrauben herrlicher Erdorchi- deen, vorzugsweise aber die Spatha eines durch sehr hohe Eigenwärme ausgezeichneten riesigen Amorphophallus. Aehnliches habe ich in anderen Gegenden oft genug beobachtet. In den tropischen Gebieten des atlantischen und stillen Oceans strahlen ebenfalls lockere Wolkenschleier und besonders Cirri ein ruhiges diffuses Licht aus, welches namentlich auf offenem Meere den Tropennächten einen wunderbaren Reiz verleiht. Jene eigenthümlichen Büschelent- ladungen des Gewölkes sind mir indessen noch nirgends aufgefallen. Dr. C. Sachs beschreibt in seinem anmuthenden Reisewerke: „Aus den Llanos“ Seite 205, Flächenblitze, welche denen Loangos gleichen, aber bei klarem sternenhellem Himmel aufflammten. Wir haben dieselben unter solchen Bedingungen zwar ebenfalls einige Male wahrgenommen, doch trage ich Bedenken, klar und sternenhell für gleichbedeutend mit absolut wolkenfrei zu halten; wenn auch eine feine Trübung im Zenith unsichtbar blieb, so: verrieth doch der Verlauf der Büschelentladungen, dass in höheren Regionen Stoffe von verschieden grosser Leitungsfähigkeit schwebten. Dr. Sachs bemerkt ausdrück- lich, dass die von ihm beobachteten Flächenblitze sich im tiefsten Schweigen vollzogen; dies war auch in Loango der Fall, bei denen, welche am scheinbar wolkenfreien Firmament und wol in bedeutender Höhe stattfanden, nicht aber bei denen, welche in dem sichtbaren, niedriger schwebenden Wolkengewebe aufflammten. Einem besonders heftigen Erglühen der Wolken im Zenith folgte häufig ein langge- zogenes Murren und Grollen, ohne hervortretende stärkere Detona- tionen, welches bisweilen an das Gurgeln und Rauschen eines fernen Wassersturzes erinnerte, immer jedoch einen eigenthümlichen, hohlen, hallenden Ton bewahrte und imGewölk hinrollte, gleich einem schwachen unterirdischen Brüllen in Erdbebengegenden. Ich würde es in der That manchmal als Letzteres aufgefasst haben, wenn mich meine Augen nicht eines Besseren belehrt hätten. Leichtere oder fernere Entladungen verursachten auch ein leiseres Geräusch oder wurden gar nicht hörbar. An manchen Tagen verdichten sich einzelne Stellen in dem zarten Wolkengewebe zu dunkleren Cumuligruppen, welche Blitz und Donner der gewöhnlichen Art, zuweilen auch einen Regenschauer entsenden, während hier und dort noch Büschelentladungen stattfinden; zuweilen 102 Donner ohne Blitze; Blitze ohne Donner. entstehen in dieser Weise auch ganz normale Gewitter. Während des Uebergangsstadiums lässt sich der wesentliche Unterschied zwischen Blitzstrahlen, Wetterleuchten und Büschelentladungen auf das Schärfste beobachten, und ich betone hier nochmals, dass die letzteren unter keinen Umständen mit jenen zu verwechseln sind; weiter unten werde ich noch abweichendere Entladungsformen zu beschreiben haben. Während der Tageszeit vermag man die Flächenblitze sowie bis- weilen auch das besonders duftig auftretende Wolkengewebe nicht zu sehen; dies erklärt es, wie wir öfters — im Januar 1876 sogar drei Tage lang, bis sich endlich normale Gewitter ausbildeten — ein von oben kommendes Getöse bei scheinbar heiterem Himmel vernehmen konnten. Es überraschte mich daher auch nicht, als sich, während der von mir an der Loangobai beobachteten Sonnenfinsterniss vom 29. September 1875, die Atmosphäre binnen weniger Minuten mit zarten Schichtwolken erfüllte. Auf Seite 60 habe ich schon erwähnt, dass auch aus den niedrig schwebenden Rauchmassen starker Savanen- brände zuweilen Blitzstrahlen hervorbrechen; in Folge dieser mögen ebenfalls Donnerschläge geschehen, ohne dass ein Gewölk in Sicht ist. Ich darf hier sogleich die entgegengesetzte Thatsache anführen, dass wir einige Male Blitze in verhältnissmässiger Nähe beobachteten, ohne den Donner vernehmen zu können, welcher doch auf eine Ent- fernung von etwa sechszehn bis zwanzig Seemeilen hörbar sein soll. Zwei Fälle sind deswegen besonders bemerkenswerth. Am ı. December 1875 zogen gegen Abend zwei schwere Gewitter von Norden und Nord- osten in verschiedener Höhe unter heftigem Blitzen und Donnern über Tschintschotscho, standen später am Congo und über Kabinda fest und schienen nochmals herankommen zu wollen. Der Regen war um zehn Uhr zu Ende, der Donner verstummt, der Himmel hatte sich im Uebrigen aufgeklärt, und nur einige Cirro-cumuli schwebten im Zenith. Die im Süden vereinten Wetter waren um zehn Uhr wieder bis zum Vorland von Landana, vier Meilen von uns entfernt, vorgerückt, und verhüllten dieses durch ihren Schlagregen, zogen aber bald in weitem Bogen nordwestwärts ab. Trotzdem wir nun Blitze in grosser Anzahl beobachteten, und verschiedene Strahlen deutlich auf das hohe Vor- land niedergehen sahen, herrschte doch das tiefste Schweigen. Wir hatten vollständige Windstille und die Calema war so schwach, dass ihr Tosen uns nicht täuschen konnte. Die Thatsache ist mir um so räthselhafter geblieben, als zu anderen Zeiten selbst von Wetter- huschen, deren Regensäulen noch südlich von der vierundzwanzig Mei- len entfernten Kabindaspitze standen, auch bei ziemlich wolkenlosem Himmel, ganz deutlich die mächtigen Donnerschläge herüberhallten. 2 Von Aureolen umgebenes Gewölk. 103 Noch merkwürdiger erscheint der Fall vom ı5. Februar 1875. Am Abend stand ein Wetter tief im Südosten; ein dichtes Stratusgewölk bedeckte den ganzen Himmel. Die Seebrise wehte noch, die Bran- dung war gering; sonst blieb Alles still. Wir standen vor der Thür und beobachteten das ferne Leuchten des Gewitters. Da schlug plötz- lich von dessen Rand am Horizont ein ungeheurer dreigespaltener Blitzstrahl herauf, über uns hinweg und bis weit hinein in den Nord- westquadranten. Trotzdem konnten wir nicht den leisesten Donner vernehmen. — Die eigenartige langsame Büschelentladung zeigte sich, wenn auch selten, sogar im Gewölk vollkommen ausgebildeter Gewitter; häufiger bemerkt man dagegen eine andere Erscheinung, welche wol nur als eine andere Form jener aufzufassen ist. Die ersten Cumuli- massen eines sich nähernden Wetters sind manchmal mit einer dicht über den oberen Rändern schwebenden Aureole verziert, welche durch ein bis drei concentrisch angeordnete und mit feiner radiärer Strei- fung gezeichnete Bögen gebildet wird, die im Kleinen manchem Polarlichte ähneln. Sie bleiben ununterbrochen scharf sichtbar, oder wechseln an Deutlichkeit, oder entstehen und verschwinden, wobei sie in langsamer Folge von innen nach aussen vorrücken; auch ändern sie ihre Lage und Form entsprechend den gröberen Umgestaltungen der Wolken, verhalten sich aber stets concentrisch. Diese Aureolen heben sich hell absowol vom blauen Himmel wie von höher schwebenden Wolkenschichten, scheinen aber stets nur die höchsten Partieen des Gewölkes zu umgeben; sie treten ferner öfters auf an den grossartigen Cumuli, welche sich am Vormittage bilden, und sind gänzlich un- abhängig vom Stande der Sonne. Besonders schön entwickelten sie sich am ı7. November 1874 bei Sonnenuntergang an einem im Süd- osten aufsteigenden Gewitter; die Abbildung am Schlusse dieses Ca- pitels veranschaulicht diese Erscheinung. Blos ein Zufall ist es, dass ich gerade diese Form der Büschef entladung in Loango nur während der Tageszeit bemerkt und darum eigene Lichtwirkung derselben nicht wahrgenommen habe; in der Südsee konnte ich eines Nachts an den Wetterwolken, welche die grossartigen Vulkane Hawaiis umlagerten, das schwache Selbstleuchten — wie St. Elmsfeuer — dieser Aureolen unzweifelhaft nachweisen. Die auffälligsten Lichterscheinungen zeigten die bereits auf Seite 56 geschilderten zierlichen Wolkenballen, welche an besonders schönen und stillen Abenden, in einer Reihe angeordnet, fünf bis dreissig Grad hoch über dem Meere schwebten. Jeder derselben war vom benach- barten durch einen grösseren Zwischenraum getrennt, alle aber schienen 104 Entladungen isolirter Abendwölkchen. sich in der gleichen Luftschicht zu befinden. Bei sonst vollständig wolkenfreiem Himmel und klarer Atmosphäre ereignete sich nun, dass plötzlich ein beliebiges Wölkchen von der Reihe gleichmässig aufzu- glühen begann, drei, vier und fünf Secunden lang in weissem oder röth- lichem Lichte schimmerte und wieder erlosch. Die Erscheinung wieder- holte sich nur in längern Pausen bald an dem nämlichen, bald an irgend einem anderen Cumulus, ohne die übrigen zu beeinflussen; jedes Wölkchen beleuchtete gewissermassen nur sich selbst. Gewiss hat man es auch hier mit einer Büschelentladung zu thun. Am Abend des 2ı. Mai 18735, bei ziemlich bewölktem Himmel und Wetterleuchten im Norden und Osten, erglühte sogar ein genau westlich fünf Grad über dem Horizont hängender Cumulus zwei Mal etwa eine halbe Minute lang: in röth- lichem Lichte, welches in seiner Stetigkeit wesentlich verschieden war von dem zuckenden Wetterschein. Zuweilen gestaltete sich das Aufglühen etwas anders. Gegen Mitternacht des 24. Februar ı875 bei sonst vollkommen heiterem Himmel, als die Cumuli in ungewöhnlicher Zahl über dem Meere schwebten, entwickelte es sich besonders lebhaft, doch war dabei meistens ein sehr heller Kern, gleichsam ein grosser Funke zu erkennen, der scheinbar an derselben Stelle erglomm, secundenlang leuchtete und erlosch; bisweilen auch nur blitzähnlich aufllammte, aber an den be- nachbarten Wölkchen einen deutlichen Wiederschein erzeugte. Wer mit tempirtem Zünder versehene Hoblgeschosse in der Luft hat cre- piren sehen, kann sich eine gute Vorstellung von der kürzesten Art des Vorgangs machen. Das höchste und bekanntere Stadium seiner Entwickelung erreichte dieser wieder zu anderen Zeiten. Es fuhren dann einzelne schwache Blitze aus den Wölkchen und verschwanden gewöhnlich im scheinbar Leeren; bisweilen sprühten auch .derartig verästelte Funken hervor, dass ich sie am ehesten Blitzbündel nen- nen möchte. Vielleicht ist es nicht bedeutungslos für diese Phänomene, sowie für den eigenthümlichen Verlauf der Gewitter, dass sich die Süsswasserfluten des Congo noch unvermischt mit dem Salzwasser auf weite Strecken im Ocean hinwälzen. Sehr fraglich scheint indessen, ob dieselben durch Erregung von Elektriecität, die doch nur äusserst schwach ausfallen könnte, einigen Einfluss gewinnen sollten; wichtiger dürfte die Verschiedenheit der Temperatur sein. Unter den von Gewittern ausgehenden Blitzstrahlen nahmen wir dann und wann doppelt, selbst dreifach gespaltene wahr; vornehm- lich fand diese immerhin sehr seltene Theilung bei denjenigen statt, welche ungeheure Weiten durchmassen. Beistehend habe ich alle von uns beobachteten Formen von Blitzstrahlen abgebildet; die Figur zur Bahnen elektrischer Funken. 105 Rechten stellt jedoch, im beabsichtigten Gegensatz, das Ideal eines Zickzackblitzes dar, wie es von Künstlern verwandt wird, in der Natur indessen schwerlich vorkommt, obgleich Mancher, der beiläufig hinschaute, es gesehen zu haben vermeint. Nach meiner Erfahrung weicht der elektrische Funke nie in spitzen Winkeln ab, sondern durchschlägt die Luft ausschliesslich in mehr oder weniger gestreckten, in sich wieder vielfach gekrümmten Linien. Einer der Blitzstrahlen beschrieb scheinbar eine vollständige Schleife, welche jedoch wol nur das verkürzte Bild eines spiralig im Raume verlaufenden Weges war. Blitzstrablen. Die senkrechten, zur Erde niedergehenden Entladungen folgten ge- wöhnlich geraderen Linien als die am Gewölk hinzuckenden und schienen überdies vielfach zusammengesetzt aus mehreren, im schnell- sten Nacheinander die nämliche Bahn benutzenden Funken. . Sie blieben darum entschieden länger sichtbar als andere und hiengen gewissermassen gleich feurigen Tauen vom Himmel nieder. Neu war mir eine Form des Blitzes, die sich von der gewöhn- lichen in zwiefacher Weise unterscheidet. Ich bezeichne ihn als Kettenblitz, da er nicht einen continuirlichen Strahl bildet, sondern jählings in unzähligen Funken aufflammt, als wenn nur die alter- nirenden Glieder einer Kette gleichzeitig leuchtend würden. Bis zu 106 Wolkenbildung und Polarlichter, einem gewissen Grade erinnert er an den Anblick Geisslerscher Blitz- röhren. Da diese und die andere Form in beliebiger Folge gesehen wurden, so ist eine optische Täuschung nicht anzunehmen. Während ein aufmerksamer Beobachter das Woher und Wohin, die Bewegungs- richtung eines anderen Blitzstrahles, so schnell er auch ist, doch noch auffassen kann, ist dies beim Kettenblitz in keinem Falle möglich. Er steht plötzlich da, ein mehrmaliges Zucken durchrüttelt ihn, und er ist verschwunden. Schlägt er von oben nach unten, oder umge- kehrt, oder gleichzeitig in beiden Richtungen? Seine Gestalt ist fast geradlinig, jedenfalls um Vieles gestreckter als die der übrigen; er erscheint nie am Gewölk allein, sondern stets zwischen diesem und der Erde nahezu senkrecht verlaufend. Da ich ihn ausschliesslich in grosser Nähe sah, mag dies die Ursache sein, dass die ihm folgende Detonation nicht dem gewohnten Donner glich, sondern aus einem kurzen Schmettern und Knattern zusammengesetzt war; denn ich habe dieses, gleichfalls ohne die gewaltigen Explosionen und das lang anhaltende Rollen, auch nach nahen Blitzen der bekannteren Gestalt vernommen. Die räthselhaften Kugelblitze haben wir nicht beobachtet. Der hohe Feuchtigkeitsgehalt der Luft erklärt es wol, dass wir, trotz ausserordentlich starker elektrischer Erregung der Atmosphäre, die für das Gefühl zuweilen unerträglich wurde, niemals St. Elmsfeuer entdecken konnten; erzeugte doch selbst das Reiben von Zucker, das Streicheln von Affen- und Hundefellen oder des sauberen, wolge- pflegten Haupthaares von Eingeborenen nicht die Spur einer Licht- entwickelung! — Da ich in früheren Jahren mehrfach Gelegenheit hatte, mich von dem oft behaupteten Zusammenhang eigenthümlicher Wolkenbildungen und gewisser Formen des Polarlichtes zu überzeugen, verfolgte ich ähnliche Erscheinungen mit Aufmerksamkeit. Ein interessanter Vor- gang ereignete sich am 25. Juni 1875, den ich, so gut es angieng, auf dem zu Anfang dieser dritten Abtheilung befindlichen Bilde: die Sa- vane von Mvüli, darstellen lies. Kurz nach Sonnenuntergang trat bei heiterem wolkenfreiem Himmel über dem nördlichen Horizont ein unregelmässiges dunkles Wolkensegment hervor, an welches sich östlich und westlich einige leichtere Trübungen der Atmosphäre an- schlossen. Ueber diesem Segment bildete sich sehr schnell ein scharf begrenzter Bogen von radiär angeordneten Cirri, über diesem ein zweiter concentrisch vorlaufender, und noch ein weniger deutlicher dritter. Die schön strahlenförmigen Wolkenstreifen hoben sich dunkel von dem noch die Dämmerungsfarben zeigenden Himmel ab. Lichtstreifen oder Wolkenbüschel? 107 Vielleicht wurde nur aus diesem Grunde eine Lichterscheinung nicht wahrgenommen. Das Phänomen erhielt sich etwa fünf Minuten lang und erreichte eine Höhe von sechszig Grad; dann verwandelten sich die Streifen schnell in Cirro-cumuli, zerflossen, und nach abermals fünf Minuten war keine Spur einer Trübung der Luft mehr vorhanden. Der Radiationspunct der Wolkenbüschel lag im Horizont und genau im magnetischen Meridian. Eine nicht minder bemerkenswerthe Erscheinung vollzog sich in etwas anderer Weise am Abend des ı8. Mai ı875;. Um neun Uhr be- deckte ein feiner Schleier von Cirro-stratus den Himmel, gegen zehn Uhr war er fast verschwunden. Da entstanden wieder gerade in dem vollkommen aufgehellten Zenith mit auffallender Schnelligkeit die schon öfters gesehenen merkwürdigen Wolkenbüschel oder lichten Streifen, die sich, genau parallel mit dem magnetischen Meridian, rasch immer länger und zum Theil über zwei Drittel des Firmaments hinstreckten. Ihre Enden näherten sich — wol nur in Folge der perspectivischen Verkürzung — einander derartig, dass die Conver- genzorte im Nord- und Südpunct des Horizontes lagen. Sie nahmen an Dichtigkeit zu und bereits nach zehn Minuten zerfielen auch sie in die wunderbar regelmässigen Cirro-cumuli, die sich wiederum bald ordnungslos verschoben, rasch vermehrten und nach einer Viertel- stunde den grössten Theil des Himmels bedeckten. Bevor die Er- scheinung sich umbildete, verharrte sie genau an derselben Stelle; die entstandenen Schäfchen hingegen segelten stetig nach Nordosten — in einer, wie wir schon wissen, für sie ungewöhnlichen Richtung. Das helle Licht des nahezu vollen Mondes verhinderte, zu erkennen, ob die langgestreckten Büschel selbstleuchtend waren. Eine eigenartige Lichterscheinung in Verbindung mit Polarbanden beobachtete ich am Abend des 29. Februar ı876. Nach acht Uhr stiegen bei klarem Himmel vom magnetischen Norden wieder die ra- diär verlaufenden Wolkenstreifen auf, und zugleich entstand daselbst ein heller Schimmer, wie ihn die Milchstrasse zeigt. Doch übertraf ein innerer, bis zu etwa acht Grad über den Horizont geschobener Lichtbogen diese bedeutend an Glanz; von seiner ziemlich scharf ge- zogenen Grenze verlief derselbe nach aussen so allmählich, dass seine fernste Erstreckung über funfzehn Grad Höhe nicht festzustellen war. Am Horizont erschienen die Wolkenstreifen etwas dunkler als der Lichtbogen, befanden sich vor diesem, in ihrer Verlängerung wurden sie aber heller als der Hintergrund. Nach einer halben Stunde dehnten sich die mittleren derselben bis fast zum Zenith herauf, und die ganze, sehr regelmässige Gruppirung glich einem ungeheuren 108 . Nordlichtstrahlen. Fächer. Zugleich begannen sich aber die bis dahin nahezu continuir- lichen, schmalen Streifen schnell wieder in Cirro-cumuli umzubilden, die sich beliebig verschoben und — ebenfalls als seltene Ausnahme — nach Nordosten trieben, während die Erscheinung bis dahin fest gestanden hatte. Bereits um neun Uhr war der Himmel bis zur Stärke 7 mit Schäfchen bedeckt; der Schein im Norden wurde milder, blieb aber bis gegen zehn Uhr sichtbar. Merkwürdiger Weise haben wir — abweichend von meinen frühe- ren Erfahrungen — an der Loangoküste ähnliche Phänomene nie- mals am magnetischen Südpuncte entstehen sehen; erst während unserer Heimreise am Mittag des 9. Juni 1876 — unter 20° ı8' n. Br. und ı8° 7’ w. L. in der Nähe des Cap Branco — entwickelten sich bei klarem Himmel die Wolkenbüschel einmal im Süden in ausge- zeichneter Weise. Sie erlitten die gewöhnliche Umwandlung in Cirro-cumuli, die sich sehr bald auflösten. Da ich das Glück gehabt habe, diese und ähnliche Erscheinungen in den verschiedensten Erdgegenden zu beobachten, bisher jedoch eine ihrer wahrscheinlichen Bedeutung entsprechende Würdigung noch nirgends geiunden habe, möchte ich die Aufmerksamkeit besonders auf dieselben hinlenken, zumal sie in der Regel anfänglich nicht in das Auge springen. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass die magnetischen Ungewitter, deren glänzende Lichtentfaltung gewöhnlich in hohen, äusserst selten in sehr niedfigen Breiten unsere Bewunderung erregt, sich von Pol zu Pol erstrecken und in einzel- nen Strahlen von geringer Intensität selbst im Zenith der Aequatorial- region, bisweilen vielleicht nur dort und nicht in den sonst begün- stigten Gegenden wahrgenommen werden. Ein grossartiges Nord- licht, das ich im Beringmeer — 54° n. Br. — erlebte, warf seine Strah- len, einzelne Lichtbalken, über uns hinweg in so ungeheure Ferne, dass ihr perspectivischer Convergenzort, die Krone, nicht wie ge- wöhnlich etwas jenseits vom Scheitelpunct, sondern im Süden am Horizonte lag; das Phänomen hatte eine Gestalt, wie etwa die duf- tigen, rosa und blau angehauchten Dämmerungsstrahlen, welche von Westen nach Osten zuweilen das Firmament überspannen. Ich em- pfing den Eindruck, dass diese Lichtsäulen nicht unter steilem Winkel aufwärts, sondern gekrümmt, vielleicht parallel mit der Erdoberfläche verliefen. Hätten dieselben einem unter dem Aequator befind- lichen Beobachter nicht einen ähnlichen Anblick bieten können, wie die vorgehend beschriebenen Erscheinungen? Ich hebe hervor, dass jene Streifen, welche ich als Wolkenbüschel bezeichnet habe, weil sie bald nach ihrem Auftreten als solche deut- Polarbanden. 109 lich erkannt werden — von den hohen Norden besuchenden See- leuten habe ich sie, wie die Wimpel der Schiffe und die Lichtsäulen, die „merry-dancers“ der Aurora borealis, sehr treffend „streamers“ nennen hören — sich im Entstehen, bei einer für die Beobachtung günstigen Lage im Zenith, streng von den gewöhnlichen Cirri unter- scheiden. Sie erscheinen dann so zart und vielfach seitlich so be- stimmt begrenzt, wie etwa in einen dämmerigen, mit Staub oder Rauch erfüllten Raum fallende Sonnenstrahlen; sie verdecken selbst nicht Sterne geringer Grösse. Ihr Licht übertrifft im besten Falle nicht das der glänzendsten Partieen der Milchstrasse und macht den Eindruck, als käme es aus ungeheurer Entfernung. Ziemlich schnell indessen gewinnen sie ein wolkenhaftes Aussehen, gewissermassen Körperlichkeit und lassen bisweilen eine vielgegliederte feine Längs- streifung erkennen. Auch aufschiessende wirkliche Nordlichtstrahlen habe ich in hohen Breiten in ähnlicher Weise körperlich werden sehen. Dieselben hinter- liessen gewissermassen ihre Gestalt repräsentirende Dunststreifen, so dass durch die Menge dieser die Atmosphäre allmählich unrein, und, wie mir dünkte, oft erst in Folge dessen die Erscheinung recht far- benglänzend wurde. Ich würde zu weit schweifen, wenn ich näher auf Beobachtungen eingienge, die an anderem Orte und in späterer Zeit eine umfassendere Behandlung finden sollen. Charakteristisch für die hier geschilderten Phänomene ist es, dass ich sie allerorten niemals in beliebiger Richtung, sondern entweder im Zenith parallel mit‘dem magnetischen Meridian angeordnet, oder fächerförmig über einem Halbkreis um den Nord- oder Südpunct gruppirt erblickte; dass sie sich ferner binnen weniger Augenblicke bilden, langsam erstarken, zuweilen an Ausdehnung wachsen und nach verschieden langer Zeit eines ruhigen Verharrens sich überraschend schnell in Cirro-cumuli umwandeln, die dann zerfliessen oder ein Spiel der Lüfte werden. — Die Erscheinungen, welche den Untergang des Tagesgestirnes begleiten, verliefen in so mannigfaltiger und unbestimmter Weise, dass ein genaues Bemessen der Dauer der astronomischen Dämmerung nicht gelang. Ungeachtet der sehr günstigen Lage der Station, von der wir westwärts das weite Meer mit seinem scharf abgeschnittenen Horizont überblickten, konnte selbst an den seltenen Tagen mit so durchsichtiger Atmosphäre, dass Sterne bis zum Hinabtauchen deut- lich erkennbar blieben, das massgebende Verschwinden des leuchten- den Segmentes nicht mit Genauigkeit beobachtet werden. Entgegenge- setzt der Annahme stellt sich mindestens in vielen Tropengebieten 110 Dämmerungsdauer. der Dämmerungsbogen gewöhnlich als ein gleich verschwommener Schein dar wie in unseren Breiten; in Loango vermischte er sich entweder mit dem hervortretenden Zodiakallicht, oder verblich all- mählich, ohne sich stetig unter den Horizont zurückzuziehen. Am Abend des ıg. October 1875 erschien indessen das vielgenannte leuch- tende Segment einmal in genügender Schärfe; sein Verschwinden er- folgte einundsiebzig Minuten nach Untergang der Sonne, nachdem diese also achtzehn Grad unter den Horizont gesunken war. Versuche, brauchbare Zeitbestimmungen nach dem ersten Sicht- barwerden von Sternen zu gewinnen, erwiesen sich noch erfolgloser; wir fanden Differenzen, welche den Resultaten jeglichen Werth nahmen. Besser gelang es, die Dauer der bürgerlichen Dämmerung zu be- stimmen. Weil es eine sehr unsichere Methode ist, das Ende derselben auf den Zeitpunct zu verlegen, da man wegen Lichtmangels die Arbeit in Freien einstellen muss, bediente ich mich, wie schon früher, zu dem Zwecke der Messung des allenthalben verbreiteten und deswegen zu allgemeinen Vergleichungen am besten geeigneten Blattes: der Garten- laube. Bei wolkenlosem Himmel war der Druck derselben während der Periode der theoretisch kürzesten Dämmerung für normale Augen mindestens fünfundzwanzig, längstens bis achtundzwanzig Minuten nach Untergang der Sonne im Freien bequem lesbar, und zwar mit Vermeidung aller günstigen Reflexlichter, im Schutze einer den leuch- tenden Westhimmel verdeckenden Hütte oder eines Waldes. In an- deren Tropengegenden, welche durch besondere Reinheit ihrer At- mosphäre Westafrica überlegen sind: im Gebiete der westindischen Inseln, an der Westküste Südamericas und inmitten des stillen Oceans, ergaben die unter Anwendung gleicher Vorsichtsmassregeln in der günstigsten Periode angestellten Versuche eine Dauer der bürgerlichen Dämmerung von nie unter zwanzig Minuten. Die vielgebrauchte Phrase von dem plötzlichen Hereinbrechen der Tropennacht, die gar manche wunderliche Vorstellungen erzeugt hat, ist demnach nichts weniger als wörtlich-zu nehmen. Die Sonnenuntergänge vollzogen sich manchmal unter Entwickelung einer unvergleichlichen, in höheren Breiten unbekannten Farbenpracht. Je nachdem die Luft mit Wasserdampf mehr oder weniger gesättigt, durch Gewitter gereinigt, oder mit Dunst, mit Höhenrauch erfüllt war, zeigten dieselben eine wechselnde Grundstimmung des Colorits, welche berechtigt, von gelben, rothen und violetten Sonnenuntergängen zu sprechen. Der erstere und lichtvollste von allen zeigte Töne vom feurigsten Orange bis zum blendendsten Gelb und feinem Apfelgrün, der andere alle Abstufungen von Purpur- und Zinnoberroth mit warmen Dämmerungsstrahlen. I1l Sepiatönen, der letztere ein düster prächtiges Violett mit duftigem Perlgrau; bei vollkommener Ausbildung war dieser in malerischem Sinne unbedingt der grossartigste und stimmungsvollste von allen. In den meisten Fällen umgab ein zartes Rosa den aufsteigenden Erd- schatten, der bald schmutzig grau, bald indigofarbig, bald grünlich an- gehaucht erschien, aber seinen scharfen Umriss kaum bis zu sieben Grad Höhe bewährte. Ein nach dem Sichtbarwerden der Sterne eintretendes nochmaliges Aufleuchten des Dämmerungsbogens, wie es Herr Burkhart-Jezler in Brasilien wahrgenommen und als Abendlicht — Arrebol — in Poggen- dorffs Annalen, Band ı45 beschrieben hat, ist niemals wahrgenommen worden; die Dämmerung verblich ausnahmslos stetig und allmählich. Dies war das einzig Regelmässige an dem sonst so regellosen Ver- laufe der Erscheinung, der eben darum nicht allgemein gültig darge- stellt werden kann, weil dies für jeden Fall besonders geschehen müsste, ohne doch entsprechenden Nutzen zu bringen. Im folgenden Capitel, bei dem Versuche, Stimmungsbilder von der Landschaft in den verschiedenen Jahreszeiten zu entwerfen, soll der eine und andere Sonnenuntergang eingehender, wenigstens nach seiner Farbenwirkung, geschildert werden. Dämmerungsstrahlen — ich weiss keinen besseren Namen für dieses zuweilen prachtvolle, von Reisenden merkwürdigerweise bisher kaum beachtete Phänomen — traten mehrfach auf, wenn auch nicht in solcher Häufigkeit und Schönheit, wie ich sie in anderen Tropen- gegenden, namentlich in stillen Ocean gesehen habe. In ihrer voll- kommensten Gestalt zeigt sich diese Erscheinung an klaren, wolken- freien Abenden folgendermassen: bei Sonnenuntergang entstehen in der von farbenreichem Licht durchfluteten Atmosphäre von Westen nach Östen sich leicht violett, oder rein hellblau, oder duftig perlgrau vom leuchtenden Hintergrunde abhebende Streifen, welche gleich scharf begrenzt sind, wie die Licht- und Schattenstrahlen, die wir bei uns sehen, wenn die hinter lockerem Gewölk verborgene Sonne, nach dem Ausdruck der Landleute, Wasser zieht. Etwa zehn Minuten nach dem Verschwinden der Sonne überspannen sie das ganze Fir- mament, westwärts nach einem unter dem Horizont liegenden Puncte — der Sonne — ostwärts nach einen über diesem befindlichen con- vergirend und sich im aufsteigenden Erdschatten verlierend. Im Zenith besitzen die Strahlen ihre grösste Breite, während einer kurzen Zeit auch das schönste Colorit; zuweilen sind sie so regelmässig an- geordnet, dass sie nach beiden Richtungen eine vollkommen fächer- förmige Gruppirung von wunderbarer Zartheit und unvergleichlicher 112 Lichtsäulen neben dem Zodiakallicht. Farbenstimmung bilden. Selbst die dunkeln Streifen, welche mit den glanzvolleren und wärmer gefärbten abwechseln, erscheinen keines- wegs stumpf und trübe, sondern, trotz ihrer kälteren Farbe in den meisten Fällen dennoch in geradezu unbeschreiblicher Weise leuchtend. Das Blau derselben gewinnt bisweilen eine solche Intensität, vertieft sich zu einer so prächtigen Schattirung, dass es in wundervoller Rein- heit von dem matteren Blau des Abendhimmels absticht, und den Eindruck hervorbringt, als habe man es nicht mit wirklich dunkleren Schattenstreifen, sondern mit herrlich blauen Lichtbändern zu thun. Ich habe bis zu neunzehn dieser Dämmerungsstrahlen auf hellem Hinter- grunde gezählt. Allmählich werden sie undeutlicher, in demselben Masse wie die Atmosphäre lichtärmer wird, bleiben indessen im Durch- schnitt bis dreissig, am Westhimmel zuweilen auch bis vierzig und fünfzig Minuten nach Untergang der Sonne sichtbar. Mehrere Male, jedoch stets nur in der Nähe des Aequators, habe ich sogar noch nach Eintritt voller Dunkelheit einzelne sehr licht- schwache, milchweisse Strahlen auftauchen sehen, die radiär von dem Sonnenorte heraufdrangen und etwa eine halbe Stunde lang er- kennbar blieben. War zugleich das Zodiakallicht vorhanden, so er- blickte ich sie nur südlich von demselben und stets bleicher, gewisser- massen in grösserer Ferne als dieses, dennoch aber deutlicher begrenzt und bisweilen höher aufragend. Ich möchte indessen diese wahrge- nommenen Lichtsäulen so ohne weiteres weder mit dem Zodiakal- licht, noch mit den Dämmerungsstrahlen in Beziehung bringen; viel- leicht sind sie von beiden unabhängig und speciell der Sonne eigen- thümlich. Am Abend des 20. Februar 1375 war trotz des Vollmond- scheines das Zodiakallicht deutlich sichtbar, und südlich davon, im unmittelbaren Anschluss an dasselbe radiär vom Sonnenorte ausgehend, ragten bis zu fünfundvierzig Grad Höhe drei breite, bleiche Strahlen der schon beschriebenen Art empor. Ich entdeckte sie erst um neun Uhr — nirgendswo habe ich sie vordem zu so später Stunde erblickt — beim Rundgang nach den meteorologischen Instrumenten, weiss also nicht, wie lange sie schon bestanden; die langsam verbleichenden vermochte man noch zehn Minuten hindurch zu erkennen. Am Zodiakal- licht wurde eine gleichzeitige Abnahme der Lichtstärke nicht bemerkt. Dämmerungsstrahlen waren am selben Abend nicht aufgetreten, und mit Recht darf man auch Bedenken tragen, bei einem Tiefenstand der Sonne von einigen vierzig Grad, noch eine derartige von ihr stammende directe Lichtwirkung in der Atmosphäre anzunehmen. Irgend welche Bewegung, besonders ein langsames seitliches Verschieben der Dämmerungsstrahlen habe ich noch.:niemals beob- Ursache der Dämmerungsstrahlen. 113 achtet, halte es aber trotzdem und trotz der manchmal überraschenden Regelmässigkeit ihrer Anordnung für sehr wahrscheinlich, dass die dunkeln derselben nur Schattenstreifen sind, welche unter dem Hori- zont schwebende Wölkchen oder Dunstschwaden heraufwerfen. Be- finden sich diese nebst der Sonne noch über dem Horizont, so ent- stehen ähnliche, doch kürzere und weniger deutliche Strahlen, weil die Atmosphäre noch viel zu lichtvoll ist; unter diesen Umständen gleicht die Erscheinung dem schon erwähnten Wasserziehen der Sonne. Erst wenn letztere zu Rüste gegangen ist, wenn sich die wärmeren Farben verbreiten, können die Contraste zur vollen Geltung kommen. Die Bezeichnung der Engländer: pink rays ist darum auch nicht eine be- sonders glückliche; denn die lebhaft gefärbten goldigrothen Bänder repräsentiren das allgemeine Colorit des Abendhimmels, welches um so prächtiger hervorgehoben wird durch die dunkleren Schatten- strahlen, die zufällig auftreten und eben das Wesentliche der Er- scheinung bilden; denn ohne sie würden wir die einfache Abendröthe erblicken. Ferner zeigen die letzteren, nicht aber die ersteren jene feine Längsstrichelung, welche sie gerade als Strahlen charakterisirt. Im atlantischen sowie im stillen Ocean habe ich mehrmals von isolirten hochragenden Bergen, namentlich von den noch unter dem Horizonte liegenden riesigen Vulcanen Hawaiis, ähnliche Schatten- strahlen ausgehen sehen, welche sich einmal sogar noch deutlich auf dem oberen Theile desim Osten hochrückenden Erdschattens proji- ceirten. Befinden sich dagegen die Berge selbst in Sicht, so können sie aus dem gleichen Grunde, wie die oben erwähnten Wölkchen, eine gleich intensive Wirkung nicht hervorbringen. Bisher habe ich diese Dämmerungsstrahlen noch niemals des Morgens, auch nicht in höheren Breiten als bis dreissig oder fünfund- dreissig Grad Nord und Süd in einigermassen befriedigender Schön- heit erblickt. Bereits in diesem Abstand vom Aequator werden sie nur noch selten beobachtet, weil sie in viel geringerer Intensität auf- treten, sodass die Farbenglut durch ihren Gegensatz nicht erhöht wird. Diese Eigenthümlichkeit bleibt insofern bemerkenswerth, da man doch auch ausserhalb des Tropengürtels bisweilen Sonnenunter- gänge bewundern kann, die den prächtigsten jener begünstigten Zone an Lichtstärke und Wärme des Colorits nicht allzusehr nachstehen. Dann und wann bilden sich die Schattenstreifen sogar in unseren Breiten, indessen selbst auf blendendem Hintergrunde in-so wenig auffälliger Weise, dass Andere, deren Aufmerksamkeit ich darauf hinlenkte, dieselben kaum zu erkennen vermochten. Am glanzvollsten entwickelt sich das Phänomen jedenfalls innerhalb der Wendekreise. Loango. III. 8 IIA "Durchsichtigkeit der Luft. In der unreinen Atmosphäre der Loangoküste erlangte es in keinem Falle seine vollständige räumliche Ausbildung, zeigte sich indessen an der Westhälfte des Himmels in der Regenzeit 1875/76 öfters in unvergleichlicher Farbenpracht, die selbstverständlich abgestuft war, je nach der Intensität der Abendröthe. — Die Durchsichtigkeit der Luft schwankte beträchtlich je nach den verschiedenen Jahreszeiten, war jedoch nur äusserst selten und dann eigentlich nur für wenige Stunden eine besonders auffällige. Im Allgemeinen ist sie während der Trockenzeit wesentlich geringer als während der Regenzeit. In der ersteren ruht vorherrschend ein bläulicher bis violetter Duft über der Landschaft, der die Lufttöne sehr malerisch abstimmt, aber die Ferne verhüllt, so dass beispielweise das vierundzwanzig Meilen abliegende Vorland von Kabinda nur selten einmal von Tschintschotscho aus wahrgenommen wurde; während der letzteren ist jedoch jener Küstenpunct fast alltäglich in Sicht und zeigt namentlich nach anhaltenden Gewitterregen ziemlich scharfe Con- touren. Wie schon erwähnt, blieben an einigen Tagen grössere Sterne bis zum Meeresspiegel herab deutlich verfolgbar, doch verloren sie dabei ihren Glanz und nahmen eine röthliche Farbe an, so dass sie anfänglich mehrmals für Signallichter von nahenden Schiffen gehalten wurden. Ä - Die gesättigte tiefblaue Tagesfarbe des Himmels haben wir nie- mals in so vollkommener Weise beobachtet wie sie über manchen anderen tropischen und subtropischen Gebieten auftritt; selbst an den klarsten Tagen war sie noch etwas unrein, mit Weiss gemischt. Und nur dreimal, im Februar und November 1875, sowie im März 1876 habe ich jene eigenartige tiefe Färbung des Nachthimmels bemerkt, welche ihn wie ein Metallgewölbe und fast schwarz erscheinen lässt. Unge- achtet der geringen Durchsichtigkeit der Luft warfen von der Venus beleuchtete Gegenstände oftmals einen sehr deutlichen Schatten, und die Stärke des Mondlichtes gestattete bequemes Lesen und Schreiben im Freien, durchschnittlich zwei und drei Tage vor und nach dem Vollmond, in einigen Fällen sogar schon fünf Tage vor demselben. Ich habe häufig allein bei dem hellen schönen Lichte des Mondes mit Bleistift die Notizen in das meteorologische Beobachtungsjournal ein- getragen und Gedrucktes längere Zeit gelesen, ohne Ermüdung der Augen zu verspüren. Höfe und Ringe um Mond und Sonne bildeten sich verhältniss- mässig selten, um den ersteren indessen noch häufiger als um die letztere. Sie boten nichts Bemerkenswerthes. Die Höfe waren weder glanzvoll noch genügend bestimmt und im besten Falle nur schwach mit Meerleuchten. Zodiakallicht. 115: den bekannten Farben geschmückt; die Ringe, welche einige Male dop- pelt auftraten und die gewöhnlichen Halbmesser von etwa zweiund- zwanzig und fünfundvierzig Grad besassen, waren matt und zeigten ebenfalls kaum eine Andeutung von Farbe. Nebensonnen, den Licht- ring kreuzende Streifen oder tangirende Bogen kamen nicht zur Geltung, ebensowenig Verzerrungen der Sonnen- oder Mondscheibe in der Nähe des Horizontes. Beobachtungen über das Leuchten des Meeres wurden — wie über die Erscheinungen im Leben der Pflanzen und Thiere überhaupt — regelmässig in das meteorologische Journal eingetragen, damit wir durch die unmittelbare Nebeneinanderstellung Anhaltspuncte für die Beurtheilung gewönnen, bis zu welchem Grade gewisse Vorgänge etwa mit den meteorologischen Verhältnissen in Beziehung stünden. Betreffs des Meerleuchtens liess sich ein solcher Zusammenhang nicht erkennen; dasselbe war überdies niemals von einer auffälligen Stärke und beschränkte sich auf den Brandungsgürtel. Die Kämme der sich aufrichtenden Roller oder die schäumenden Brecher phos- phorescirten entweder schwach und gleichmässig oder wurden hier und dort von einem blitzähnlichen Aufflammen durchleuchtet. Das Zodiakallicht zeichnete sich besonders aus durch Verschwom- menheit seiner Gestalt, durch Unregelmässigkeit seines Auftretens und schliesslich dadurch, dass es unter allen Umständen den Eindruck hervorrief, als befände es sich in grosser Nähe. Obgleich es’mehrfach eine bedeutendere Lichtstärke entwickelte als die glänzendsten Partieen der Milchstrasse und nicht selten sogar bei dem, wie wir wissen, ausser- ordentlich heilen Lichte des Vollmondes noch deutlich wahrgenommen wurde, liess sich dennoch eine einigermassen abgegrenzte Gestalt des- selben in keinem Falle erkennen. Immer blieb es ein unbestimmter Schein, der sich nach oben und seitwärts sehr allmählich abschwächte, dessen Ausdehnung daher nur schwierig und nicht mit genügender Schärfe festzustellen war. Zuweilen erschien es so breit hingelagert, dass seine Basis funfzig und sechszig Grad einnahm, so dass es bei vier- zig und funfzig Grad Höhe eher dem Dämmerungsbogen glich; in der That liess sich manchmal, wie schon früher angeführt, das Verschwin- den dieses und das Hervortreten jenes nicht trennen. In der Regel hatte jedoch seine Basis nur etwas mehr als die Hälfte der angegebenen Breite, und dann erstreckte sich der Schimmer um die nämliche Stunde noch sechszig und siebzig Grad aufwärts, mehrfach sogar bis zum Zenith. So erschien es sowol des Abends im Westen wie des Morgens im Osten bis fünf Stunden nach Untergang oder vor Aufgang der Sonne; unter günstigen Umständen war eine leichte Neigung desselben 8* 116 Sternschnuppen. Gestirne. im ersteren Falle nach Norden im letzteren nach Süden zu erkennen. Der Gegenschein und die Lichtbrücke, sowie schnelle Veränderungen der Stärke des Lichtes oder eine besondere Färbung desselben oder der sogenannte Mantel und Kern kamen nicht zur Beobachtung. Räthselhaft blieb die ausserordentliche Unregelmässigkeit im Auftreten des Zodiakallichtes. Zu irgend einer Zeit während des Jahres war es an heiteren Abenden bald sehr deutlich zu sehen, bald war nicht die geringste Spur von ihm zu entdecken, obwol der Zu- stand der Atmosphäre nicht verändert erschien. Sogar an den Abenden, an welchen Gestirne bis zum Horizont sichtbar blieben, zeigte es sich als ein sehr unbeständiger Schmuck des Himmels; dies fiel besonders auf in den Monaten Januar und Februar 1876, weiche ausgezeichnet waren durch ungewöhnlich heiteres Wetter und gleich- mässige Klarheit der Atmosphäre. Sternschnuppen haben wir selten und nur ganz vereinzelt gesehen; selbst an den Tagen, an welchen sie in grösserer Zahl erscheinen sollten, blieben sie aus. Die Schwärme der Leoniden und Perseiden entzogen sich der Beobachtung, da wir während der kritischen Nächte mehr oder weniger bedeckten Himmel hatten. Am 22. April 1875 Abends 8" 25” sahen einige Gefährten eine Feuerkugel am Südhimmel in etwa fünf Grad Höhe und parallel mit dem Horizont ziemlich langsam von Osten nach Westen ziehen und ohne Explosion ver- schwinden. Ihre Grösse wurde der des Mondes gleich geachtet; sie war schweiflos, aber allseitig strahlend erschienen. Der geschilderte Zustand der Atmosphäre lässt erwarten, dass der Anblick des gestirnten Himmels nicht von jener Schönheit war, wie er in Südamerica und im stillen Ocean sich darbietet, und wie man überhaupt von Tropengegenden vorauszusetzen gewöhnt ist. Der Glanz der Sterne war niemals ein vollkommen ruhiger, es zeigte sich aber auch nicht ein besonders auffälliges Funkeln oder das seltsame Schwanken derselben; im Allgemeinen erschienen sie in ähnlicher Weise wie in unseren Breiten. Eingedenk vieler an mich gerichteten Fragen, will ich dieses Capitei nicht schliessen, ohne noch einiges über südliche Sternbilder, namentlich über das einst hochgefeierte südliche Kreuz zu bemerken. Ich habe dasselbe in verschiedenen Gebieten der Erde und sogar jenseits von 60° s. Br. betrachten können, dennoch ist es mir niemals als eine hervorragende Constellation erschienen und hat mir beim erstmaligen Erblicken eine recht grosse Enttäuschung verursacht. Aehnlich aber ergeht es einem Jeden, und die Stimmen mehren sich, welche über die gänzlich unbegründete Verherrlichung dieses Stern- Das südliche Kreuz. 117 bildes klagen. Der Reisende, welcher mit hohen Erwartungen nach Süden blickt und kein Himmelskundiger ist, wird ungläubig und ver- legen um sich schauen, wenn man ihm versichert, dass das berühmte Zeichen vollkommen deutlich zu sehen sei. Lässt man ihm Freiheit, es selbständig aufzusuchen, so wird er dasselbe in der Regel falsch construiren, namentlich mittelst der Sterne des südlichen Dreiecks und des Sternes « im Centauren, welcher alle in der Nähe befind- lichen überstrahlt. Das so gewählte Kreuz ist grösser als das wirk- liche, aber ihm weit überlegen durch mathematische Regelmässig- keit seiner Gestalt und durch symmetrische Vertheilung der Sterne nach ihrer Lichtstärke, von denen nur einer von etwas geringerem, ein anderer dagegen von bedeutenderem Glanze als die entspre- chenden des wahren Sternbildes sind. Letzteres ist freilich wie- der dadurch ausgezeichnet, dass es, da die beiden Sterne seiner Längs- achse fast genau gleiche Rectascension besitzen, beim Durchgang durch den Meridian senkrecht steht. Die Bafiote, welche mehrere Sternbilder unterscheiden, haben für das wahre Kreuz keinen Namen, wol aber für jenes’ regelmässiger geformte und durch seine Sym- metrie ihnen auffälligere; sie nennen dasselbe nküfu: Schildkröte. j Bereits der erste Forscher im Zeitalter der Entdeckungen, der es uns beschrieben und aufgezeichnet hat, — Amerigo Vespucei im Jahre ı5or — der sich überdies rühmt, die in Dantes Purgatorio ver- herrlichten vier Sterne am Südpol erblickt zu haben, sah diese keines- wegs durch das Kreuz repräsentirt. Letzteres nannte er vielmehr eine Mandorla und begnügte sich bei Construction der Gruppe nicht mit vier Sternen, sondern benutzte sechs dazu, indem er die beiden prächtigen Centaurensterne hinzunahm. Es bedurfte der begeisterten Schilderungen andächtiger christlicher Entdecker, der idealisirenden Neigungen späterer Forscher sowie vielfacher gelehrter Untersuchun- gen über die Bedeutung der berühmten Worte des grossen Dichters — welcher übrigens ebenfalls nicht an ein Kreuz gedacht hat, wenig- stens von einem solchen nicht spricht — um dieses Sternbild als ein her- vorragendes erscheinen zu lassen. Da das südliche Kreuz und der nördliche grosse Bär etwa die- selben Polabstände besitzen und gleichzeitig culminiren, vermag man beide Constellationen in niedrigen Breiten direct mit einander zu ver- gleichen. Das Kreuz ist etwa um die Hälfte kleiner, aber in seiner unregelmässigen Gestalt nicht unähnlich dem Rumpfe des grossen Bären und nur einer seiner vier Sterne («) erscheint wesentlich grösser als der entsprechende von jenem. Glücklicher noch lässt sich der Vergleich durchführen mit den vier Sternen « (Regulus), y, d, 9, im 118 Kreuz, Löwe, Skorpion, Orion. Rumpfe des Löwen, welche ebenfalls zur nämlichen Zeit sichtbar sind, aber in grösserer Nähe des Himmelsaequators strahlen. Denkt man sich dieselben näher aneinander gerückt, so bilden sie eine Gruppe, die wiederum in ihrer Form von der des Kreuzes nicht allzusehr ab- weicht, deren besonderer Werth indessen darin beruht, dass die vier Sterne denen des gerühmten Zeichens an Lichtstärke vollständig ebenbürtig sind. Wer nur mit dem Anblick des gestirnten nördlichen Himmels vertraut ist, kann sich auf Grund dieser Vergleiche eine Vorstellung machen von der Bedeutung, von der Wirkung des Kreuzes am südlichen Himmel, die allerdings durch die verhältnissmässige Ar- muth des letzteren an Sternen begünstigt wird. Jedenfalls ist das südliche Kreuz keine Constellation ersten Ranges; es ist dem südlichen Dreieck mit dem Centaurenstern an Schönheit nicht überlegen, wird aber weit übertroffen durch die zu beiden Seiten von ihm strahlenden gewaltigen Sternbilder des Skorpion und des Schiffes Argo, durch die in unserer Heimat zur Winterszeit sichtbare prächtige Gruppe des Orion. Gewitterwolken mit Aureolen, ni se Hyphaene und junge Ficus. CAPITEE>SMI. Scenerie westafricanischer Küstenstriche. — Pflanzenkleid der Loangoküste. — Die Sa- vane: das Mittelglied zwischen Wald und Steppe. — Vertheilung von Gräsern und Holz- gewächsen. — Veränderungen durch die Thä- tigkeit des Menschen. — Die Loangoküste ist von Natur ein Waldland. — Vegetationsfor- mationen. — Die Campinen: Grasbestände; Blumen; Wachsthum der Gräser, — Gras- brände. — Charakterstrauch der Campinen. — Busch; Buschwald; Hochwald. — Riesen- bäume. Wurzelpfeiler. — Lianen. — Beleuch- tung im Urwalde. — Brackwasservegetation: die Manglare, Fortpflanzung und Wachsthum der Mangroven. Avicennien, -— Süsswasser- vegetation: Raphiabestände ; Papyrushorste. — Die Palmen der Loangoküste: Elaeis, Cocos, Raphia, Phönix, Hyphaene. — Ficusarten. — -Adansonia: Varietäten. — Die Adansonia als ein Charakterbaum der offenen Landschaft. — Der Wollbaum. — Pandanus; Cola; Sydero- xylon; Landolphia und andere Pflanzen. — Culturgewächse. — Maniok. — Musaceen, — Jahreszeiten und Pflanzenleben. Wer an der Westküste von Africa entlang die weite Reise nach Süden mit der Hoffnung antritt, vom Meere aus seine Blicke über ununterbrochen mit der Fülle tropischer Vegetation bedeckte Gelände schweifen zu lassen, der wird grossen Enttäuschungen entgegengehen. Der Ausdruck von Kraftlosigkeit und Verödung, welcher so vielen Litoraigebieten der in warmen Zonen gelegenen Länder eigenthümlich 120 Inselvegetation. Cap Verde. Sierra Leone. ist,, tritt auch in Westafrica hervor. Bereits das vielgepriesene Madeira mit seinen Nachbarinseln, sowie die Gruppe der Canarien und Cap- verden bieten einen solchen Anblick. Nackt und kahl steigen sie aus dem Meere empor: schroffe, dunkle Felsenmassen, von Regenrissen gefurchte, graue, leicht sepiabraune oder ocherfarbene Berghalden und Hügelhänge, deren warmes Colorit durch bläuliche und violette Schattentöne gehoben, durch den zarten sie umwebenden Dunstschleier fein abgestimmt wird. Freundliches Grün kommt in dem Landschafts- bilde fast ausschliesslich an den Stellen zur Geltung, an denen die fleissigen Bewohner der Insel die Natur unterstützen, Bäume und Buschwerk um ihre Wohnstätten pflegen und ihrer Pflanzungen warten. Wo immer im Osten der Continent in Sicht tritt, zeigt sich am Horizonte Nichts als ein fahlgelber, von gleichfarbigen Dünen oder gebleichten Felsen überhöhter Strandsaum, vor welchem langgestreckte, blendend weisse Streifen aufleuchten: dort rollt die ruhelose Brandung, die Calema, gegen das Ufer der Sahara. Bald flacher verlaufend, bald zu mässigen Erhebungen ansteigend, bewahrt die Küste auf Hunderte von Meilen den nämlichen Charakter. Am Senegal, dem ersten grossen Fluss, welcher westwärts das Meer erreicht, wird hier und dort die Farbe des todten Sandes und Gesteines durch das matte Grün einer kümmerlichen Vegetation gemildert, Baumwuchs erscheint, und die Stadt Saint-Louis besitzt sogar eine mit Kokos- palmen bepflanzte Promenade. Die im Süden auftauchenden, von leichtem Dunst verhüllten bräunlichen Hügel und die umliegenden Gelände können lediglich im Gegensatz zu den nördlichen, gänzlich verödeten Strecken mit dem Namen „grünes Vorgebirge‘“ belegt worden sein; denn die hohen Steppengräser, welche sie überkleiden, die einzelne Stellen der Hänge schmückenden und locker verstreuten zum Theil riesenhaften Bäume — Adansonien? — genügen nicht, ihnen auch nur annähernd die frische Färbung unserer Wiesen und Wälder zu verleihen. Die folgenden, reicher gegliederten und günstiger bewässerten Küstenstriche bieten allmählich einen freundlicheren Anblick dar; zwar herrschen räumlich noch die Gräser vor, indessen wird doch der Baumwuchs häufiger. Fernerhin bleiben die Waldbestände nicht mehr allein auf die feuchten Niederungen beschränkt und ziehen sich in der Umgebung vom Cap Sierra Leone, der nördlichen Landmarke von Öberguinea, bis zu den Gipfeln der Berge empor. Bereits südlich vom Cap Verde erscheint die anmuthige Oelpalme (Ela&is guineensis Jacg.) an der Küste, eines der schönsten Charakter- Palmen. Zahn- und Goldküste. Busen von Benin. 121 gewächse des westlichen Centralafrica. In traulichen Gruppen die Wohnsitze der Menschen umgebend, in der Savane zerstreut, selbst im Walde noch lebenskräftig sich entwickelnd, entfaltet sie ihren weit ausladenden, leicht im Winde schwankenden Wedelstrauss neben der unbeweglicheren Krone ihrer noch seltenen Schwester, der Kokos- palme. Bevor Cap Palmas erreicht ist, wo die Küstenlinie nach Osten umbiegt, gesellt sich zu ihr ein anderer charakteristischer Pflanzen- typus: die meerliebende steife Fächerpalme (Hyphaene guineensis Thonn.) Vereinzelt, in lockeren Reihen oder langgestreckten Hainen krönt sie den sonst öden Strandwall. An der Zahnküste und Goldküste, welche weniger günstig als die vorhergehenden Gebiete zur Richtung der feuchten Seewinde liegen, deren Vegetation daher wieder ärmlicher wird, findet sie sich in verschwindender Anzahl auch auf einigen naheliegenden Höhen; doch ist sie dorthin offenbar absichtlich oder zufällig verschleppt worden. Denn ihr Hauptstandort ist der Strand des Meeres und an diesem gedeihen neben ihr die salzhungrigen, vom Menschen gehegten Kokospalmen, die, in Gruppen vereint, auf dem Strandwall gelegene Dörfer der Eingeborenen beschirmen. Oestlich von Accra und dem Meridian von Greenwich nimmt die Küste einen anderen Charakter an: die Hügel weichen zurück, das hinter dem Strandwall sich dehnende Land sinkt gänzlich aus dem Gesichtskreis. Um einen Einblick zu gewinnen, ist man genöthigt, die Masten des Schiffes zu erklimmen. Es wird so flach, dass bis südlich vom Nigerdelta, auf einer Strecke von, fünfhundert Meilen Länge, nicht eine Bodenanschwellung von der Höhe eines mässigen Hauses zu entdecken ist. Hier, im Busen von Benin, ist das Reich der Calema, hier hat sie ihre umfangreichsten Bauwerke aufgeführt, die bei ihrem nie ruhenden Kampfe mit den aufgestauten Fluten weiter Haffe und Lagunen sowie des wirren Netzes stagnirender Wasserläufe eine stete Umbildung erleiden. Der letzte geschlossene Wald schmückt die Ufer des Voltaflusses, wo auch Avicennien ganz ungewöhnliche Grössen- verhältnisse erreichen und ihr Astgerüst über zwanzig Meter hoch emporstrecken. Von diesem Flussgebiete an dehnt sich Meile um Meile die Küste in ermüdender Einförmigkeit: über einem weiss schimmern- den Schaumgürtel zieht sich der ocherfarbene Streifen des niederen Strandes hin, auf diesem reihen sich aneinander, wie Pappeln an einer Heerstrasse, die steif aufgerichteten Fächerpalmen und in zunehmender Menge die mannigfach gebogenen Stämme der Kokospalmen. Die eigenartige Scenerie lässt vergessen, dass dies die Küstenlinie eines grossen Continentes ist; man vermeint viel eher an einer der Atoll- 122 Nigermündungen. Camerun und Clarence Pic. inseln des stillen Oceans hinzusegeln. Keine anderen Landmarken leiten den Seefahrer, als hier und dort auf dem Strandwall liegende Factoreigebäude und Dorfschaften, oder jenseits desselben in der Ferne vereinzelt aufragende Wipfel besonders hoher Bäume. Bei der Annäherung an das ungeheure Delta des Niger tritt fast plötzlich ein anderer nicht minder einförmiger Pflanzenwuchs auf: die locker vertheilten Palmen verschwinden — am Cap Formosa erscheint die Hyphaene zum letzten Male in einigen Exemplaren — und der Horizont wird eingeengt durch einen endlos sich hinziehenden Urwald, der, von Rhizophoren eingefasst, auf dem fruchtbaren, vom Wasser durchtränkten Schwemmlande emporgewuchert ist. Wie eine zweite Küstenlinie umsäumen seine dichten Massen das Meer und zeigen nur an den Stellen tiefe Einschnitte, an welchen die zahlreichen Arme des grossen Stromes sich in das Meer ergiessen. Und nun endlich, an der Grenze von Ober- und Unterguinea, bietet sich ein Landschaftsbild, welches die Monotonie in überraschen- der Weise unterbricht, welches das Grossartige mit dem Lieblichen vereint. Auf verhältnissmässig kleinem Gebiete findet sich eine Vege- tation zusammengedrängt, deren riesenhafte Entwickelung und Mannig- faltigkeit Erstaunen erregt. Die dunkle Mauer der Nigerwälder ver- sinkt am Horizont, und fern im Östen, bei klarer Atmosphäre wol an hundert Meilen weit sichtbar, treten die scharf umrissenen, duftig grauen Gipfel des Clarence Pic und des Camerun in den Gesichtskreis, der beiden höchsten jener isolirten Vulcane, welche, in langer Reihe von Nordosten nach Südwesten auf einander folgend, von dem Inneren des Festlandes bis weit in den Ocean sich fortsetzen und die Guinea- inseln bilden. Aufgerichtet zu beiden Seiten der nur zwanzig Meilen breiten Strasse, durch welche die Schiffe ihren Weg nehmen, und fast unmittelbar vom Meere ansteigend, recken die kolossalen Berg- pyramiden ihre Häupter hoch über die ihre Seiten umschwebenden Wolken. So gewähren sie einen Anblick, welcher einzig ist auf der Erde, dessen imposanter Schönheit Nichts an die Seite zu stellen ist, es sei denn die Durchfahrt zwischen Hawaii und Maui der Sandwich- inseln. : Der über viertausend Meter aufragende Camerun trägt bis zu zwei Drittel seiner Höhe stattliche Hochwälder, über welchen Gebüsch- gruppen und Grasbestände mit nackten Felsenpartieen, noch unver- witterten Lavabetten abwechseln; selten nur deckt eine schnell ab- schmelzende Schneelage seinen höchsten kahlen Gipfel, den Möngo ma Löba. Die Gehänge des ihm gegenüberliegenden, um neunhundert Meter niedrigeren Clarence Pic der Insel Fernando Po umhüllt wie Bewaldung von Fernando Po. Oelpalmen. 123 ein weicher Mantel ein herrlicher Wald bis an die äusserste grasige Spitze, und die senkrechten Felswände an seiner Basis, gegen welche die Brandung donnert, sowie die im Halbkreis den Hafen Isabel Bay, einen ehemaligen Krater, umschliessenden Wälle sind überhangen von dem anmuthig im Winde schaukelnden Netzwerk rankender Gewächse. Allenthalben in dem mannigfaltigen Grün des über einander geschich- teten formenreichen Laubwerkes erscheinen eingestreut, wie breite Muster, die leuchtenderen Farben in vollem Blütenschmuck prangen- der Baumarten und Lianen. Hier und dort entfalten sich über dem geschlossenen Walde die breitästigen Wipfel zu übermässiger Höhe entwickelter Riesenstämme, unter welchen die mächtige Gestalt des Wollbaumes (Eriodendron anfractuosum D. C.) besonders auffällt, und überall in den unteren Regionen lugen aus den Lücken im Laubdach die beweglichen Wedelkronen der Oelpalmen hervor. An der Westseite der Insel, wo die an den sanfteren Gehängen aufsteigenden Luftströmungen das ganze Jahr hindurch Niederschläge bringen, ist die Vegetation gedrängter und ungleich kraftvoller ent- wickelt, als an der schroffer abfallenden Ostseite, die im Regenschatten liegt, und überdies während dreier Monate, vom December bis Februar, vielfach von dem trockenen Nordestwinde, dem Harmattan, bestrichen wird. Der Wald erscheint lockerer, Lichtungen und sogar grössere Savanen mischen sich ein. In den unteren Regionen hat dieselben die Oelpalme in Besitz genommen; dennoch bildet sie auch auf ihnen keine wirklichen Bestände und wird nicht ausschliesslich herrschend. Etwa bis zu einem Drittel seiner Höhe schmückt sie die Seiten des Pic; ihre obere Verbreitungsgrenze ist auffallend scharf gezogen und lässt sich fast durch eine gerade Linie andeuten, die nach Baikie neun- hundert Meter über dem Meere liegt.*) Jenseits der grossartigen Umgebung dieser von Ober- nach Unter- guinea führenden Durchfahrt gewinnen die Küstengebiete wieder ein den nördlichen Strichen ähnliches Aussehen. Der einförmige Strand- wall umgürtet das Land. Die wasserreichen Niederungen beherbergen ausgedehnte Waldungen, welche im Bereiche des Brackwassers vor- nehmlich aus Rhizophoren bestehen; höhere Gelände tragen Savanen, in welchen neben dem allenthalben eingestreuten höheren Pflanzenwuchs auch Gruppen von Oelpalmen auftauchen. Manche der hügeligen oder plateauähnlich aufragenden Gebiete scheinen ebenfalls mit ununter- brochenen Wäldern bestanden zu sein; bei näherem Finblick lösen sich diese jedoch in Gehölze und Waldstreifen auf, welche durch Grasfluren *) P. Ascherson: Die Oelpalme. Globus, Band XXXV, Seite 209, 124 “ Die Küste bis zum Congo, von einander geschieden sind. Südlich vom Ogöwegebiet nehmen die letzteren an Ausdehnung zu, während der Baumwuchs des ebeneren Landes sich vorzugsweise um Wasserläufe und Lagunen drängt. Erst die Landschaft Yumba prangt wieder im vollen Schmuck der Wälder, die landeinwärts zu dem Waldlande Tschiyömbe überleiten, dessen blaue Bergzüge aus der Ferne herübergrüssen. Vor ihnen ziehen sich die in reicher Abwechselung mit Grasfluren und Gehölzen beklei- deten Hügel und Plateaus der Loangoküste entlang, zwischen welchen die waldgefüllten Niederungen des Kunkuäti und Kuilu eingesenkt sind. Unmittelbar nördlich von der Mündung des letzteren Flusses erscheinen zum ersten Male wieder die Fächerpalmen am Strande und säumen in steigender Anzahl die flachen Strecken der Küste bis zum Congo. Eine zweite Charakterpflanze, die in Senegambien häufig, in grösserer Nähe zum Aequator aber nirgends zu erblicken war, tritt auffällig hervor: der Affenbrotbaum (Adansonia digitata L.). Jenseits der Bai von Loango, über den in warmem Roth herüberschimmernden Abstürzen des Plateaus von Buäla zeigen sich zuerst wieder seine kolos- salischen Formen auf dem Hügel von Lubü, die Gräber der fürstlichen Familien von Loango schirmend. Nach Süden hin wird die Adansonia allmählich häufiger; bald einzeln, bald in lockeren Gruppen, auf Hügeln wie im Flachlande, vielfach mit Oelpalmen gesellig vereint, bildet sie ein bedeutsames Wahrzeichen der Landschaft, welche mit Ausnahme der wälderreichen Niederungen, einen anmuthigen Wechsel von Busch- werk, Gehölzen und Grasfluren darbietet. Ein anderes wunderbares Pflanzengebilde, welches bereits in Oberguinea, im Verbreitungsbezirk der Fächerpalme vorkommt, aber nicht zu auffälliger Geltung gelangt, erregt an der Loangoküste die Aufmerksamkeit in besonderem Grade: es ist eine seltene banyanenähnliche Ficus, deren ungeheurer, schön gerundeter Blätterdom bis zur Erde niederreicht und das Stammgerüst verhüllt. Eigentlich nur ein Strauch, ist sie dennoch zu so riesenhafter Grösse entwickelt, dass sie einer stattlichen Gruppe von sehr eng an- einander gedrängten Bäumen gleicht. Die letzten grossen Wälder gedeihen in dem breiten Mündungs- gebiete des Congostromes. Unmittelbar südlich von diesem wird der Anblick der Küste plötzlich ein anderer, beginnt eine überraschende Verkümmerung der Vegetation, die hinfort stetig zunimmt. Wo immer an einzelnen tiefliegenden Strecken dunkles Laubwerk sich zeigt, da haben sich lediglich Rhizophoren um Lagunen und Fluss- mündungen angesiedelt. Das höhere Land ist weithin mit Steppen- gräsern bedeckt, deren Monotonie nur hin und wieder durch ärmliches Buschwerk kaum etwas unterbrochen wird; dagegen gelangt die Adan- Die Küste bis zum Kunene. 125 sonia, welche hier die ihrem Wachsthum günstigsten Bedingungen findet, zur unbestrittenen Herrschaft und wird auf manchen Strecken so zahlreich, dass sie gewissermassen raume Bestände bildet, wie die riesigen Eichen auf unseren Hutungen. Gehölze anderer Baumarten kommen nicht mehr vor, selbst nicht mehr auf Erhebungen, die nörd- lich vom Congo wenigstens an ihren Westhängen vollständig bewaldet sein würden. Die Oelpalme fehlt fast gänzlich; die Kokospalme aber ist überhaupt in Unterguinea ausserordentlich selten und findet sich in nennenswerther Anzahl nur in einigen Gegenden der portugiesischen Colonieen. Auch die bekannte Fächerpalme, welche nun den Strand verlassen und sich auf der Grasflur verstreut hat, verliert sich zwi- schen Maküla und Ambrisette; in Angola wird sie durch eine ihrer Schwestern mit wiederholt getheiltem Stamm (Hyphaene coriacea Gaertn.) und weiterhin durch eine dritte Art, (H. benguellensis Welw.) ersetzt. Ungefähr die gleiche Verbreitungsgrenze mit jener hat auch der Cajubaum (Anacardium occidentale L.), welcher, durch Sclaven- händler aus America eingeführt, bereits an der Loangobai in der Um- gebung der ehemaligen Gehöfte jener ziemlich häufig vorkommt, jedoch erst südlich vom Congo einige Geltung in der holzarm gewordenen Landschaft erlangt. . Neue Charakterpflanzen erscheinen in dem immer mehr verödenden Küstenstrichen: bei Kinsembo eine stattliche Euphorbia von Cande- laberform, weiterhin Aloearten. Nördlich von Mossaämedes, am Flusse San Nicolau beginnt das Reich der seltsamsten aller Coniferen, der Welwitschia mirabilis Hook., während landeinwärts in den portugie- sischen Colonieen als nicht minder bemerkenswerth die einzige ausser- halb Americas einheimische cactusartige Pflanze, Rhipsalis cassyta Gaertn., sich findet. Der Graswuchs ist längst schon ein sehr spär- licher geworden und jenseits des Kunene, des Grenzflusses von Unter- guinea ernährt das ausgedörrte steinige und sandige Land nur noch verstreute Grasbüschel und genügsame Dorngewächse. Wie in den Wendekreisgebieten des Nordens die Sahara sich mit dem Meere berührt, so treten auch in den entsprechenden des Südens wüstenartige Strecken, die Fortsetzung der Kalahari, an dieses heran. So ist das tropische Westafrica jederseits von Einöden begrenzt. Ausser- halb derselben finden sich zwei gesonderte Florengebiete: das des Mittelmeeres und das vom Cap der guten Hoffnung, während innerhalb derselben die von wasserdurchtränkten Bodenstrecken unabhängige Vegetation an Mannigfaltigkeit und Fülle zunimmt und in der Nähe des Aequators ihre höchste Entwickelung erreicht. — 126 Loangoküste. Niederschläge und Vegetation. Die Loangoküste erstreckt sich in ihrer vollen Länge noch inner- halb des begünstigten Gürtels. Am Congo grenzt sie indessen so hart an die durch ihren mangelhaften Pflanzenwuchs zu den südlichen Ein- öden überleitenden Litoralgebiete, dass sie daselbst, trotz des tren- nenden Riesenstromes, einige Verwandtschaft mit ihnen verräth. Die wesentlichen Züge derselben sind: die Zusammensetzung der eigen- artigen Strandflora, das bedeutsame Auftreten des Affenbrotbaumes und das Vorkommen vieler im centralen Africa allgemein verbreiteter echter Steppenpflanzen. Die nicht an die Wasserläufe gebundene Vegetation charakterisirt die meteorologischen Verhältnisse eines Landes. Da eine strenge Schei- dung des Jahres in eine regenreiche und eine regenlose Hälfte nicht statt- findet, und selbst die am wenigsten begünstigten Striche, noch ab- gesehen von den allezeit reichlichen Thaufällen, durch eine absolute Trockenheit von mehr als vierwöchentlicher Dauer selten geschädigt werden, so kommen weder nackte pflanzenlose Bodenstrecken, noch eigentliche Steppen vor. Da jedoch die von den Westwinden ge- brachten Niederschläge, welche hinsichtlich ihrer Vertheilung und Stärke der Rückwirkung der Bodengestalt unterliegen, sowol nach Osten wie nach Norden -hin an Ergiebigkeit zunehmen, steigert sich auch nach beiden Richtungen die Kraft und Fülle der Vegetation. Savanen und Wälder bedecken das Land in einer derartigen Anord- nung, dass im Süden und an der Küste die ersteren, im Norden und Inneren die letzteren vorherrschen. Diese vereinigen sich an den Hängen des Gebirges und in seinen westlichen Thälern zu einem grossartigen Hochwalde, welcher, vielfach noch über das Vorland sich ausbreitend, und in Gallerien die Ränder der Sümpfe und Seebecken wie die Wasser- läufe umsäumend, in deren Niederungen sich bis zu den Rhizophoren- beständen in der Nähe des Meeres entlang zieht. Ausgedehnte Steppen finden sich, nach den Ueberlieferungen aus der Zeit des blühenden Sclavenhandels, jenseits des Gebirges im Lande Tschiböngo; daselbst soll der Baumwuchs auf die Ufer der Gewässer beschränkt sein. Jenes Gebiet hat demnach eine vollständig ausge- bildete Trockenzeit, liegt im Regenschatten des Gebirges, welches den Westwinden ihre Feuchtigkeit entzieht. Bereits die inneren Bergketten tragen nicht mehr die kraftstrotzenden Wälder der westlichen Erhe- bungen. Dr. Güssfeldt schildert (I ı22) Yängela als ein savanenreiches Land, welches sich einladend vor dem aus den feuchten Waldungen Tschiyömbes auftauchenden Reisenden öffnet; Dr. Falkenstein und ich fanden schon auf den hohen Quarzitkuppen über den Palissaden des Kuiluthales (Abbildung II 148) blos noch Gestrüpp und Gras. Die Savane eine Uebergangsform des Pflanzenkleides. 127 An der Loangoküste herrscht räumlich die Savane vor, das Mittel- glied zwischen Wald und Steppe. Dem ersteren ist sie durch Bei- mischung reiner Grasbestände untergeordnet, der letzteren durch Zulassung des Baumwuchses auf trockengrundigen Bodenstrecken überlegen. A Wo aber dieser, der auf trockenem Lande in strenger Abhängig- keit von der Menge und der zeitlichen Vertheilung der Niederschläge steht, sich allerorten in beliebiger Entwickelung und Ausdehnung findet, da müssen andere als meteorologische Verhältnisse beschränkend auf seine Verbreitung einwirken. Die echte Savane erweist sich daher als eine Uebergangsform des Pflanzenkleides, welche einer beständigen Veränderung unterworfen ist, deren Fortschreiten zu mächtigster Ent- faltung indessen durch die Gesammtnatur des Landes keine Grenzen gezogen sind. In der That ist das Ueberhandnehmen der Sträucher und Bäume an Stelle der Gräser selbst in den regenärmsten Strichen eine keineswegs seltene Erscheinung. Wie in anderen Erdtheilen die Savanen ihren Charakter verändern je nach der Vermehrung oder Verminderung der Herden weidender Thiere, je nach der Zahl und Ausdehnung regelmässig veranstalteter Grasbrände, so entspricht in den meisten Gebieten der Loangoküste die Anordnung der Vegetation ebenfalls nicht mehr den gegebenen natürlichen Bedingungen, weil sie umgewandelt worden ist durch dauernde Eingriffe der Bevölkerung. Diese wüthet mit Feuer und Eisen, theils, um sich Raum zu freierer Bewegung zu schaffen, theils um immer neue Bodenstrecken zum Feldbau vorzubereiten. Nicht blos das westliche Gebirge, sondern auch das Vorland ist von Natur ein Waldland; es hat diesen Charakter verloren, weil der Mensch in ihm heimisch geworden ist, es würde ihn wieder annehmen, wenn derselbe daraus entfernt werden könnte. Seine Thätigkeit ist in jeder Hinsicht so weittragend und unverkennbar, dass keine Nöthigung vorliegt, zur Erklärung der gegenwärtigen Verbreitung der Holzgewächse im Ge- biete noch anderen Ursachen nachzuspüren. Die Beschaffenheit des Bodens ist eine durchaus gleichartige, wird also die Folgen des Regen- mangels weder an der einen Stelle mildern noch an der anderen ver- schärfen. Der Verbrauch wichtiger mineralischer Bestandtheile des Erdreiches kann ebenfalls nicht einen etwa in langen Zeiträumen sich vollziehenden natürlichen Wechsel der Pflanzenformationen hervor- rufen, da dieser beliebig innerhalb enger Grenzen und oft mit über- raschender Schnelligkeit vor sich geht, sodass ein die Wandlung be- günstigender Ersatz der dem Erdreich entzogenen Stoffe nicht voraus- gesetzt werden darf. Eine langsame Verschlechterung des Klimas ist 128 "Contraste. Die offene Landschaft. aus keinerlei Merkmalen zu erkennen und hat jedenfalls nicht den Grad erreicht, um von Einfluss auf den Baumwuchs zu sein. So bleibt als die umgestaltend einwirkende Kraft allein der Mensch übrig, und der Kampf zwischen diesem und der Vegetation beansprucht immer wieder die eingehendste Beachtung. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass die ausserordentliche Durch- lässigkeit des Bodens einer Wiederbewaldung mancher Strecken nicht günstig ist, namentlich wenn die Oberfläche in den regenärmeren Ge- genden erst einmal gründlich der beschattenden Vegetation beraubt ist. In diesen, besonders im Südwesten des Landes zu suchenden Strichen, sind auch die echten, dem ganzen tropischen Africa eigen- thümlichen Steppengewächse vorzugsweise heimisch. Da sie wegen ihres Standortes am bequemsten zu sammeln sind und daher in einem Herbarium durch ihre Anzahl auffallen können, ist auf die oben be- rührte T'hatsache besonders hinzuweisen, damit der in der Heimat classificirende Botaniker nicht irregeleitet werde. Der poröse Boden, die austrocknenden Winde und der Sonnenbrand bedingen überra- schend schroffe Verschiedenheiten im Charakter der Flora, die, wenn sie erst einmal vollständig ausgebildet sind, einer Veränderung nicht zu unterschätzende Schwierigkeiten entgegenstellen. — Die offene Landschaft zeigt nirgends die trostlose Einförmigkeit der Steppe. Aus ihren wogenden Grasbeständen — die an der Küste, nach dem Vorgange der Portugiesen Campinen genannt werden — ragen allenthalben wie Inseln vereinzelte Sträucher und ausgedehntere Gebüsche auf sowie freistehende Bäume, Gruppen derselben und grössere Gehölze. In jeder Richtung wird der Horizont eingeengt durch Wald- streifen, welche, mehr oder weniger mit einander verbunden, sich bald in feuchten Bodensenkungen, bald an trockenen Hügelhängen und über Höhen, bald auf wasserlosen Ebenen entlang ziehen. Die zu Anfang dieser dritten Abtheilung gegebene Abbildung veranschaulicht eine derartige Charakterlandschaft. So gewährt die Savane mit ihrem mannigfaltigen Wechsel zwischen Gräsern und Holzgewächsen einen Anblick, der oft von überraschender Schönheit ist und anmuthend wie der eines Parkes. Es giebt keine Campine im Lande, die ununterbrochen den Raum einer kleinen Geviertstunde einnähme und in beliebig gelegenen Strichen sind die Grasbestände derartig eingeschränkt, da$ sie gleich Wald- wiesen erscheinen, und man zweifelhaft wird, welcher Name der Land- schaft gebühre. Obgleich die üppigere Vegetation vorzugsweise in den regenreicheren Districten auftritt, ist sie doch den Küstenstrichen nicht versagt; in jenen wird es ihr blos leichter, sich gegen den ver- Wälder. Vegetationsformationen. 129 wüstenden Menschen zu behaupten und wieder zu erneuern. Schliesst man die ungeheuren Waldungen des Gebirges aus und beschränkt den Vergleich lediglich auf das Vorland, also auf das eigentliche Laterit- gebiet, so mag, Alles in Allem gerechnet, der Baumwuchs gegen- wärtig noch etwa den sechsten Theil desselben beschatten. Im bemerkenswerthen Gegensatze zu anderen grossen Gebieten des centralen Africas bestehen die Wälder, gleichgültig welcher Art und welches Standortes, in ihrer Hauptmasse aus immergrünen Ge- wächsen. Allerdings finden sich zwischen diesen Bäume mit periodi- schem Laubwurf, jedoch in untergeordneter Anzahl und nirgends in grösserer Menge beisammen. Auch sind sie nur durch wenige Arten vertreten, die entweder ausschliesslich auf trockengrundigen oder auf wasserdurchtränkten Bodenstrecken die Bedingungen ihres Gedeihens finden oder an beiden Standorten gleich heimisch sind und in diesem Falle öfters recht merkwürdige Abweichungen in ihrem Verhalten zur Schau tragen. Trotzdem gerade alle diese Baumformen zu den Riesen des Pflanzenreiches gehören, und die im Walde vorkommen- den ihr periodisch des Blätterschmuckes entkleidetes Astwerk in der Regel hoch über die benachbarten Wipfel emporrecken, vermögen sie ihm doch nicht das Gepräge zeitweiliger Lebensruhe, des Schlafes zu verleihen. Durchaus fremd ist den Waldungen und Gehölzen sowol die warme herbstliche Färbung des Laubes wie die winterliche Kahl- heit und Verödung, und keine Jahreszeit bringt die Entwickelung von Blättern und Blüten, das Reifen der Früchte zum allgemeinen Stillstand. Die Bafiöte unterscheiden zwei Formationen des Pflanzenkleides ihrer Heimat: ntändu pl. sintändu, die Grasflur oder Campine, und nsitu pl. misitu, den Wald, dessen Ideal für sie die Wälder von Tschi- yömbe: misitu mi Yömbe sind. Diese Eintheilung genügt indessen nicht, wenn es sich darum handelt, in grossen Zügen die Eigenart, den Wechsel, die mannigfaltigen Beziehungen der Vegetation darzu- zustellen; zu diesem Zwecke erscheint es geboten, feinere Unterschiede zu beachten. Daher ordne ich sie in eine grössere Reihe von Forma- tionen, die in bedeutsamer Weise zur landschaftlichen Geltung ge- langen und den Gegenden ein charakteristisches Gepräge geben. Da- nach sind zu unterscheiden: Grasflur oder Campine, Busch, Busch- wald, Hochwald; ausserdem die besondere Vegetation der Sümpfe und Moräste mit Süsswasser, der mit Brackwasser, und schliesslich die des Strandes. Gewisse Strauch- und Baumarten, welche durch ihre Entwickelung ein besonderes Interesse erregen, namentlich als leitende Typen bestimmter Formationen von Werth sind, erfordern eine getrennte eingehendere Schilderung. Loango. Ill. 9 130 Campinen. Die Campine ist nicht geschmückt mit dem teppichgleich ver- strickten, weichen und niederen Rasen unserer nordischen Wiesen, sondern bringt ausschliesslich harte und steife’Halmgräser hervor, welche garbenähnlich aus scharf gesonderten etwas erhabenen Wurzel- stöcken aufspriessen. Zwischen ihnen bleibt ein Viertel bis zur Hälfte des Bodens vollständig nackt, wird jedoch bei der Fernsicht verdeckt. Diese Eigenthümlichkeit bewahren auch die dichtesten und höchsten Grasbestände: oben scheinbar lückenlos und enger als das üppigste Weizenfeld aneinander geschlossen, strahlen sie am Grunde dennoch büschelförmig aus und lassen ein Netzwerk spannenbreiter glatter Pfade offen. Auf diesen schlüpfen kleinere Thiere und sogar Anti- lopen mittlerer Grösse behende entlang; auch Kinder mögen noch den Lücken folgen und ohne grosse Anstrengung in dem Gräsermeere umherkriechen, während der erwachsene Mensch in den hohen Be- ständen sich oft derartig in seiner Bewegung gehemmt sieht, dass seine Kräfte schnell erlahmen. Selbst bei Benutzung vielbegangener Fusssteige ist er vielfach genöthigt, die rauschenden, mit ihren scharfen Schilfblättern schmerzhafte Schnittwunden verursachenden Halme mit den Armen vor sich zu theilen. Da die Grasarten in der Mehrzahl gesellig vereint grössere Strecken in Besitz nehmen und diesen ein eigenthümliches Gepräge geben, welches allerdings weniger landschaftlich von Bedeutung als für den Botaniker von Wichtigkeit ist, kann man zwei untergeordnete Formationen der Campine unterscheiden: die offene und die geschlossene. Jene be- zeichnen die Eingeborenen stets mit dem Collectivnamen ntändu, diese nennen sie öfters auch ntiti pl. mititi, namentlich, wenn ihnen beige- mischtes Gestrüpp und Buschwerk den Charakter des niederen Dschungel verleihen. Die ersteren bestehen aus minder voll bestockten und locker vertheilten schmiegsamen Gräsern unter Mannshöhe, welche das Durch- streifen und eine genügende Umschau gestatten; die letzteren aus eng- gedrängten, steifen und kräftiger aufschiessenden, welche den Einge- drungenen fest umschliessen und ein Abweichen vom gebahnten Pfade theils sehr erschweren, theils gänzlich verhindern. Räumlich waltet die offene Grasflur vor. Die Hauptmasse der- selben liefern durchschnittlich einen Meter hohe Gramineen. In vielen Gegenden finden sich allenthalben zwischen diesen verstreut graciös im Winde schwankende, sehr lockere Garben eines schönen drei Meter Höhe erreichenden Andropogon und Cymbopogon — welche die Ein- geborenen nach ihren die Haut irritirenden Grannen lissösso pl. mas- sösso nennen — und ein niedriges Ctenium — lisünsa pl. masunsa — mit zur Zeit der Reife leicht spiralig gedrehten Fruchtrispen, dessen Grasarten. 131 Wurzeln einen köstlichen aromatischen Duft aushauchen und stär- kenden Bädern beigegeben werden. Die geschlossene Grasflur, auch wo sie zum niederen Dschungel umgewandelt ist, wird fast ausschliess- lich durch Paniceen — lilündu pl. malündu — gebildet, deren starre Halme vier und fünf Meter hoch aufschiessen (Abbildung II 65). Letztere Grösse ist indessen schon eine verhältnissmässig bedeutende und ungewöhnliche; nach zahlreichen Messungen ist eine Länge von fünf und einem halben Meter als die äusserste Grenze des Wachs- thums zu betrachten. Beide Arten der Grasflur sind nicht abhängig von Bodenbe- schaffenheit und Regenvertheilung und finden sich beliebig neben- einander, vielfach auch gemischt. Namentlich die kraftvollen Paniceen entwickeln sich, bald in vereinzelten sehr stattlichen Garben, bald in dichten, mehr oder weniger umfangreichen Massen, überraschend schnell auf Stellen der offenen Campine, wo sie zuvor nicht bemerkt wurden. Die emsige Thätigkeit der die Samen sammelnden und ver- schleppenden Ameisen spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Die näm- lichen Paniceen umgeben auch wie ein Kranz die Waldränder, siedeln sich gern in entholzten feuchten Terrainsenkungen an, wo sie den Raum mit straffen Riedgräsern theilen, und erscheinen stets zuerst wieder auf verlassenen Culturflecken, neben einem niedrigeren Cyperus und schönblühenden Gymnothrix, einigen am Boden liegenden locker verzweigten (Eragrostis) und selbst rankenden Geschwistern sowie einer Reihe charakteristischer Sträucher und Unkräuter. Die Vegetationsperiode aller Campinengräser fällt in die gewitter- reiche Zeit; bevor diese zu Ende gegangen, haben sie ihre Samen ge- reift und beginnen abzusterben wie das Getreide unserer Felder. Selbst während ihrer kräftigsten Entwickelung zeigen sie nicht das saftige, erfrischende Colorit unserer Wiesen, weil die aufschiessenden Halme stets mit vertrockneten niedergebrochenen oder ruthengleich empor- starrenden untermischt sind, welche dem ohnehin matten Grün einen fahlen gelblichen oder bräunlichen Farbenton verleihen. Diese ver- dorrten Reste liefern auch mitten in der Regenzeit dem Feuer hin- reichende Nahrung und ermöglichen ein theilweises Niederbrennen oder doch Absengen der Bestände. Bis auf den Grund von den Flammen gereinigte Strecken erinnern, von fern betrachtet, in den ersten Tagen des Wachsthums, wenn die unzähligen jungen Schösslinge und Blatt- spitzen hervorkommen, zuweilen lebhaft an die auf unseren Feldern spriessenden Saaten. Der reicheBlütenschmuck mannigfaltiger Staudengewächse, welcher die Weideländer anderer Erdtheile ziert, die vergängliche Pracht der 9* 132 Blumen der Campinen. Zwiebelgewächse vieler Steppengebiete ist den Campinen fremd. Nur in den offenen finden sich verstreut einige Kinder Floras: matt roth oder gelb blühende Indigostauden, eine niedliche Striga lutea Lour. mit brennend rothen, die zierliche Cassia mimosoides L. mit goldgelben, stellenweis auch ein Clerodendron mit lebhaft scharlachfarbenen Blüten: Seltener gedeihen zwischen den Gräsern Vernonien, die violette V. ci- nerea Less. und die weiss oder leicht rosa blühende V. senegalensis Desf.; die letztere — ndülinduli: sehr bitter — ist eine der verbrei- tetsten, und wird von den Eingeborenen ausgiebig zu medicinischen Zwecken verwendet. Die Vernonien besiedeln zuerst wieder neben den schon genannten Gräsern sowie einigen schön blühenden Malvenarten und der sehr häu- figen Cassia occidentalis Hort. — mfudugöso, deren Samen uns viel- fach zu einem vortrefflichen Ersatz des Kaffees dienten — wüst liegende Culturstellen sowie die Umgebung der Factoreien und Dörfer; zu ihnen gesellt sich der zu stattlicher Höhe aufstrebende Ricinus communis, der gemeine Fuchsschwanz (Amarantus sp.) und namentlich auf ehe- maligem Waldboden, ein riesiger Amorphophallus, dessen vor den mächtigen Blättern auf hohem Schafte entwickelte Blüte durch eine ausserordentlich hohe Eigenwärme, eine. fast erschreckende Fieber- hitze ausgezeichnet ist. Die nämlichen Standorte, besonders in der Nähe des Meeres, lieben ferner die Tomate (Lycopersicum esculentum Mill.), der mit grossen gelben Blumen geschmückte Baumwollenstrauch, unser bekanntes am norddeutschen Meeresstrande heimisches Suppen- kraut Portulaca oleracea L., die zu Verzierungen bei Muschelarbeiten verwendete Rotherbse (Abrus precatorius L.), das bekannte aus America stammende Chenopodium ambrosioides L., die weit verbreitete Stu- denten- oder Todtenblume (Tagetes patulus) und die ebenfalls als Schmuckpflanze gezogene ostindische rothe Immortelle (Gomphrena globosa L.) sowie das Wandelröschen (Lantana Camara L.) und der durch noch bedeutendere Farbenveränderungen seiner Blüten auf- fallende Wunderstrauch (Quisqualis indica L... Die empfindliche Sinn- pflanze (Mimosa pudica L.), welche ich am nicht fernen Gabun zur Seite mancher Wege in Menge antraf, fehlt der Loangoküste. So findet man in den Tropen manche gepflegte Lieblinge der lleimat fast als Unkräuter wieder und sieht sie bescheiden blühen neben stolzeren einheimischen Pflanzen. Ueberraschend contrastiren mit ihnen namentlich an feuchten Orten der Campinen um Ponta- negra, wo auch die bekannte Meerzwiebel (Scilla maritima L.) auftritt, hochwüchsige Erdorchideen, von denen zwei nahe verwandte Arten zu den Königinnen unter den Blumen gehören: sie treiben ihre selt- Wachsthum der Gräser. 133 sam geformte und grosse purpurrothe oder gelbliche, violett gefieckte Blüten tragende Schäfte bis zur Mannshöhe empor und überragen die umstehenden Gräser. Eine dritte sehr stattliche Erdorchidee, Lisso- chilus giganteus Hook., welche nach Kew Gardens gesandt und da- selbst mit Glück cultivirt worden ist, hat einen zweiten Standort am sumpfigen Ufer des Congo,. unmittelbar oberhalb der englischen Fac- torei zu Porto da Lenha, wo ich sie im November in voller Blüte antraf. Diese stolzen, in echt tropischer Pracht strahlenden Blumen sind indessen zu selten, die übrigen sind zu bescheiden, als dass sie in den Grasbeständen bemerkbar würden. Einen lieblichen Wiesenstrauss wie in der Heimat vermag man nirgendswo zu pflücken. Um so mehr gewinnt der parkartige, in seiner Verschiedenheit der Formen so an- muthende Charakter der Savanen durch die feine Farbenschönheit der Gräser, die in ihren besonderen Arten mehr oder weniger grosse Strecken beherrschen und im Wechsel der Jahreszeiten die Stimmung der Landschaft bedingen. Wie hingehaucht ruht während der Blüte- periode ein wunderbar duftiges Colorit über den wogenden Flächen, die während des Absterbens, gleich unsern Wäldern, sich wiederum mit allen Farbenreizen des Herbstes schmücken: ein beständiger Wechsel von bläulich grünen, zart rothen und goldigen, sowie warm braunen und fahlgelben Tönen, welche im violetten Duft der Ferne zusammenfliessen und tief dunkle Stellen beigemischt erhalten, wo die verheerenden Flammen ihren Weg genommen haben. Selbst während der Höhe der trockneren Jahreshälfte liegen die Campinen blos scheinbar gänzlich verödet und todt, denn überall zwischen den abgestorbenen oder theilweise verbrannt aufragenden Halmen wie zwischen dem Gewirr niedergebrochener Pflanzentheile entwickeln sich spärliche junge Triebe. Sogar auf der offenen Flur, wo der Sonnenbrand mit vollster Kraft einwirkt, wo das Feuer viel- leicht alles Brennbare bis auf die Wurzelstöcke verzehrt hat, kommt das Wachsthum nicht völlig zum Stillstand. Entweder enthält, allent- halben erreichbar für die unterirdischen Organe, der poröse Boden noch Feuchtigkeit genug, um ihnen die Ernährung junger Blättchen und Sprossen zu ermöglichen, oder der allnächtlich fallende Thau bringt diesen hinreichende Erfrischung. So harren die Gräser, wie im Halbschlummer sich leise vorbereitend, ihrer wiederkehrenden Vegetationsperiode, um dann in kürzester Zeit zur vollen Höhe empor- zuwuchern. Man gewinnt jedoch den Eindruck, dass sie von dem Auftreten der Gewitter, also von dem Verlaufe der eigentlichen Regenzeit über- 134 Brände der Grasfluren. raschend unabhängig sind. Denn sie vollenden ihre Entwickelung im Allgemeinen regelmässig vom October bis Ende März und verlängern nur theilweise ihr Wachsthum bis zum Mai; in der Zwischenzeit ruhen sie sowol auf trockenen wie wasserdurchtränkten Bodenstrecken und zwar in den regenreichsten wie regenärmsten Gebieten und Jahren. Die Verspätung der starken Regen verzögert nicht, das zeitigere Ein- setzen derselben beschleunigt nicht ihre Entwickelung. Der Versuch, sie auf einem kleinen Raum durch reichliches Begiessen zu unzeitigem frischem Leben anzuregen, sie in beständigem Wachsthum zu erhalten, erwies sich in der Hauptsache als ein vergebliches Bemühen. Demnach scheint das Absterben der Campinengräser, ihr vier Monate währender Schlaf weniger eine Trockenstarre, eine unmittelbare Folge des Ver- schmachtens zu sein — denn Regen und Thau sowie die im Erdreich vorhandene Feuchtigkeit würden genügen, sie lebensfähig und grün zu erhalten — als vielmehr eine durch ihre Eigenart bedingte Pause der Erholung, während welcher die unterirdischen Organe für die künftige ausserordentliche Leistung neue Kräfte sammeln. Indessen wird wol in den verschiedenen Jahren die Höhe und Dichtigkeit der Gräser je nach Gunst oder Ungunst der allgemeinen Witterungsver- hältnisse verschieden sein. Welche überraschend grosse Menge an Feuchtigkeit auch in den ausgereiften und scheinbar vollkommen trockenen Gräsern noch trotz Einwirkung von Wind und Sonne vorhanden ist, tritt in überzeugender Weise bei den Bränden hervor, wenn das verflüchtigte Wasser in Form eines blendend weissen Gewölkes über den breit hingelagerten dunkeln Rauchmassen sichtbar wird. Die Widerwilligkeit, mit welcher überhaupt die Grasbestände dem Feuer zum Opfer fallen, verdient besondere Erwähnung. Die Einge- borenen, welche sie gewohnheitsmässig und vielfach unnützer Weise mit einer kindischen Lust am Vernichten, am Toben des Elementes in Brand setzen, können sich keineswegs unthätig ihres Werkes freuen, sondern müssen die Flammen bald hier bald dort von neuem anfachen, weil dieselben sonst allenthalben verlöschen und grosse wie kleine Strecken verschonen würden. Wer da erwartet von einem angezündeten Grasbüschel die zün- gelnde Lohe mit rasender Eile weithin sich ausbreiten und die Vege- tation bis auf den Grund vertilgen zu sehen, wird arg enttäuscht werden. Geschlossene Campinen brennen besonders unwillig und lang- sam, namentlich wenn ihnen Gestrüpp und Buschwerk beigemischt ist, entwickeln dann aber allerdings eine bedeutende Hitze; das Ge- töse, welches die brechenden und berstenden Stengel verursachen, Gefahren der Grasfeuer. 135 erinnert lebhaft an ein fernes heftiges Gewehrfeuer. Bei starkem Winde werden die Flammen zwar schneller entlang getrieben, ver- löschen aber um so leichter und bilden ein Flugfeuer, das die schwä- cheren Pflanzentheile verzehrt, die übrigen blos ansengt und verkohlt. Die offenen Campinen mit ihren feineren Gräsern brennen zwar williger, erzeugen indessen eine viel geringere Hitze, und die Flammen rücken in einem schmalen lückenhaften Saum vor, den man allenthalben durch- schreiten, nöthigensfalls mit ein paar Sprüngen passiren mag. Der Mensch kann unter allen Umständen unbesorgt vor dem Feuer einhergehen und ihm seitwärts ausweichen. Daher beeilen sich auch schnellfüssige Thiere nicht in ihrer Flucht; sie ziehen rechtzeitig, keineswegs blinden Schrecken verrathend, sondern in gewohnter Weise sichernd, nach dem nächsten grösseren Gehölz. Insecten schwirren erst auf, wenn es ihnen zu warm wird, und fallen dann vielfach den lauernden, in Menge herbeikommenden gefiederten Räubern der Luft zur Beute. So finden höchstens Schnecken und Schildkröten sowie träge Schlangen ihren Tod in den Flammen. Die letzteren sieht man ohne Bedauern umkommen; indessen vermögen auch sie sich zu retten, wenn sie nicht vollständig umringt und abgeschnitten werden. Wir haben sogar die sehr langsame, durch Schönheit der Färbung wie durch schnelle Wirkung ihres Giftes gleich ausgezeichnete Vipera rhinoceros’ selbst an windigen Tagen dem Feuer geschickt entrinnen sehen. ; In geschlossene Gruppen von Holzgewächsen dringen die Flammen niemals ein und versengen höchstens die Ränder. Die Eingeborenen, deren Dörfer in der Regel von einem Kranze lockeren Buschwerkes umgeben sind, zeigen daher bei ihrer Annäherung eine Unbekümmert- heit, die den Unerfahrenen in Erstaunen setzt. Im Nothfalle genügen einige Schläge mit grünen Zweigen, um dem weiteren Vordringen des gierigen Elementes zu wehren. In Wirklichkeit bedrohen also die Savanenbrände weder Menschen noch Thiere mit ungewöhnlichen Ge- fahren; sie bieten zuweilen ein wahrhaft grossartiges Schauspiel, das man aber doch immer ohne Angst und Grausen betrachten kann. Dies gilt für alle Länder. Denn jene lebhaften Schilderungen vom Wüthen der Flammen, vom Entsetzen der Thiere, die, aller Feind- schaft vergessend, im wilden Durcheinander vor denselben einher- stürmen, von dem panischen Schrecken, der alles Lebende erfasst, sind eitel Phantasiegemälde und beruhen auf massloser Uebertreibung. Es müssen schon sehr unvorsichtige Menschen und Vierfüssler sein, die sich von Grasfeuern überraschen und einschliessen lassen; sei es in den Campinen Africas, sei es in den Prairieen, Llanos und Pampas 136 Charakterstrauch der Campinen. Americas. In wirkliche Lebensgefahr gerathen sie selten einmal im indischen Dschungel oder ähnlichen Dickungen, wo sie in unklug gewählten Verstecken vom Rauche erstickt werden. Im Dschungel ist eben der Umblick und die freie Bewegung durch die gemischte und verfilzte höhere Vegetation ausserordentlich behindert, und eine Umzingelung durch die von verschiedenen Puncten ausgehenden, ob- wol langsam fortschreitenden Flammen ist nicht immer zu vermeiden. Auch die Brände in den nordamericanischen Coniferenwäldern oder in unseren durch die Sonnenhitze ausgetrockneten Kiefernschonungen sind ungleich ernstere Ereignisse. . Niedergebrannt gestatten die Campinen zwar eine freiere Umschau, sind aber darum nicht immer zugänglicher geworden. Die 'feineren Gräser werden allerdings in der Regel bis auf die Wurzelstöcke ver- tilgt, aber die kräftigeren Halme sind zum grössten Theil nur ver- sengt, gebogen, geknickt worden und bilden nun mit den Stoppeln und Stümpfen der übrigen bis zur halben Manneshöhe ein locker ge- kreuztes, der Bewegung sehr hinderliches Gewirr von knackenden, klirrenden Stengeln. Von ihnen wie von dem Boden wirbelt ein fein vertheilter, die Athmungsorgane sehr belästigender Staub von Kohle und Asche auf. Derartige Flächen mit ihrem eintönigen schwarzen und graubraunen Colorit. machen einen überaus traurigen Eindruck wüster Verödung; selbst das Insectenleben hat sich aus ihnen zurück- gezogen bis auf die Ameisen und Termiten, welche in ihren unter- irdischen Wohnungen wie in ihren feuerbeständigen pilzförmigen Bauten der verwüsteten Heimstätte treu geblieben sind. Der Charakterstrauch der Campinen ist die Anona senegalensis Juss. (Abbildung I 88), welche nur in sehr seltenen Fällen sich zu einem an drei Meter hohen Zwergbaum mit armstarkem Stamme ent- wickelt. In Folge der überstandenen Brände ist das Gerüst seltsam knorrig und krüppelhaft, die Rinde vielfach geborsten, verkohlt und abgefallen, und Theile des dünneren Gezweiges sind stets dürr und abgestorben. Unermüdlich ersetzt indessen der äusserst zählebige Strauch, was das Feuer ihm geraubt, ununterbrochen spriessen seine grossen und steifen, blaugrün und an der Unterseite heller gefärbten Blätter hervor, welche namentlich zerdrückt einen kräftigen, sehr wür- zigen Duft aushauchen. Das ganze Jahr hindurch, obwol reichlicher in der Regenzeit, entwickelt er seine fleischigen, gelben Blüten und reift seine orangefarbenen eiergrossen Früchte, deren Aroma und Wolgeschmack ein wenig an die seiner mit Recht gerühmten Ver- wandten (Anona cherimolia, muricata, squamosa) erinnern, welche zu den köstlichsten Früchten der Tropen zu zählen sind. Der Strauch Beschaffenheit des Busches. 137 wird von den Eingeborenen mblölo ntändu oder tschilölo tschi ntan- du pl. bilolo bi ntandu, nach den Früchten auch malolo mo ntandu genannt. Seiner Kleinheit wegen gelangt er, trotzdem er in manchen Ge- genden sehr zahlreich ist, im Landschaftsbilde wenig zur Geltung. Er scheut die feuchten Terrainsenkungen sowie die unmittelbare Nähe des Meeres und sucht mit Vorliebe die trockenen Bodenerhebungen auf. Luft und Licht scheint er vor allem zu bedürfen. Man findet ihn wenigstens niemals zu Gruppen vereint, und an den günstigsten Orten etwa in Abständen von zehn Schritt und mehr auf weiten Strecken vertheilt, lediglich in der offenen Campine, niemals aber im Walde oder anderem Buschwerk beigemischt und ebensowenig zwischen dichten Hochgräsern. Der sonst so zähe, selbst wiederholten Angriffen des Feuers nicht unterliegende Strauch erstickt rettungslos im Schlusse ihn überragender Gewächse. Etwa zwei Stunden binnenwärts von Tschintschötscho, von Dr. Güssfeldt auch in der Umgegend von Nsiampütu und Nköndo Ndin- dschi beobachtet (I 67) tritt ein zweites Charaktergewächs der Campine auf, ein Hymenocardium — mpäla-banda — mit sehr hartem, feinem Holze. Die Rinde desselben soll giftig wirken, wie die des Nkässa- baumes (Erythrophleum guineense Don). — Als die nächst höhere Pflanzenformation der Savane, als Mittel- glied zwischen Buschwald und Grasflur stehend, ist der Busch zu be- trachten. Beim ersten Blick unterscheidet ihn von jenem der Mangel an Bäumen, von dieser das Fehlen der Gräser. Die Hauptmasse des Busches bilden von Grund aus verzweigte immergrüne und dornenlose Holzgewächse, die durchschnittlich drei, seltener bis fünf und mehr Meter Höhe erreichen. Sie lassen sich in der Mehrzahl der Oleander- und Proteaceenform, zum geringen Theil der Lorbeer- und Olivenform einreihen. Ihre Blätter sind starr, glanz- los blaugrün oder silberfarben wie dunkelgrün und glänzend und schmiegen sich vielfach steif aufgerichtet innig an das Gezweig. Diese Beschaffenheit der Vegetationsorgane macht sie möglichst un- abhängig von meteorologischen Störungen und gestattet ihnen die Besiedelung der ärmsten Bodenstrecken, auf denen selbst die Gräser kümmern. Wie zu erwarten, kommt daher diese Pflanzenformation hauptsächlich in dem trockneren Südwesten des Gebietes vor. Ge- wöhnlich tritt dieses Buschwerk gesellig auf, dicht gedrängt zu mehr oder minder grossen, dennoch aber der Luft freien Durchzug ge- stattenden Beständen vereinigt: hier auf dem Gipfel eines Hügels, dort am Hange eines anderen und wiederum auf ebenen Strecken 138 Am Saume des Buschwaldes. rings von Gräsern umschlossen. Auf den ausgedörrten Strecken wüsten Sandes zwischen der Bai von Pontanegra und Loango, am Indian Point, bilden dagegen seine lockerer verstreuten und nicht einmal Mannes- höhe erreichenden Bestandtheile manchmal den einzigen kärglichen Schmuck des Bodens. Dieser echte Busch ist immerhin selten, denn nur an wenigen Stellen kann er sich dauernd erhalten. Sehr bald gesellt sich üppigerer Pflanzenwuchs zu ihm, welcher ihn überwältigt und seines Charakters beraubt. Unmerklich verwandelt sich der Busch in den Buschwald, obgleich er keineswegs dessen regelmässiger Vorläufer ist. Die Mimosen- und Eschenform erscheint an den Rändern der Be- stände; dornige Akazien — die nie einen schirmartigen Wuchs be- sitzen — gedeihen daselbst Seite an Seite mit dem Steppenbewohner Hibiscus verrucosus Guill. Perr., neben blütenbedeckten Myrten- (Eu- genia) und Jasminarten und Dracaenen. Cucurbitaceen überspinnen in grosser Mannigfaltigkeit mit ihren Ranken den Boden oder die hochstrebenden Gewächse. Unter ihnen erregt die Aufmerksamkeit eine libümbulu pl. mabümbulu genannte, durch ihre sehr zierlich ge- formten Blätter und ihre länglichen, mit fleischigen Stacheln besetzten hochrothen Früchte, die im grünen Zustande gegessen werden, doch immerhin recht fade schmecken, und eine andere (Bryonia?) sehr schnell wachsende, welche kleine Beerenfrüchte trägt und einen hässlichen Geruch wie von altem Koth verbreitet. Die reichblühende und einen betäubenden Duft aushauchende, kautschukliefernde Landolphia florida Beauv. — lilömbo pl. malöombo — mischt überall das glänzende Gelb- grün ihrer Blätter mit dem mannigfach schattirten Laubwerk. An einigen Stellen droht auch die berüchtigte Dolichos (Mucuna) pruriens L., für deren Einbürgerung gewiss kein Bewohner Loangos dankbar sein wird. Asclepiadeen, Aristolochien, Dioscoreen, blumenreiche Passi- floren sowie dornbewehrte Capparideen — besonders die kletterlustige C. spinosa L. — und andere schlingende Gewächse verflechten das Pflanzengedränge zu undurchdringlich erscheinenden Vegetations- klumpen, oft zu wirklich unnahbaren Dornburgen. Eng an diese geschmiegt oder in der Nachbarschaft ausgebreitet mit den streckenweis üppig aufschiessenden aber locker vertheilten Hochgräsern wie ein Kranz sie umsäumend, entfaltet sich ein anderes reiches Pflanzenleben, in welchem sich die Flora der Campine mit der des Waldes begegnet. Da finden sich zum grossen Theil wieder die schon genannten Blumen der Grasflur und verlassener Culturflecke. Neben ihnen leuchtet das warme Roth der Mussaenda erythrophylla Schum. und die prächtige Clappertonia ficifolia D. C.; die grossen Im Innern des Buschwaldes. 139 gelben oder rothen Sterne der rankenden Prachtlilie (Methonica gran- diflora Schum.) entfalten sich neben den farbenreichen Blüten der den Gehölzrand überspinnenden Waldreben. Die feinlaubige, intensivrothe Früchte tragende Cnestis ferruginea D. C. wächst Seite an Seite mit Pfeffersträuchern (Capsicum conicum Meyer und C. baccatum L. und mannigfaltigen Staudengewächsen: Gesnerien, steifblätterigen San- sevieraarten und zuweilen verwilderten Ananas. Auch der aus deut- schen Wäldern wolbekannte Adlerfarn (Pteris aquilina L.) ist gemein. In feuchten Gründen steigert sich die Zahl der begleitenden Ge- wächse bedeutend, obgleich manche der angeführten dem trockneren Boden getreu bleiben. Schon der eigenthümliche aromatische Duft, der dort den Besucher empfängt, verräth ihm neuartige Pflanzenver- einigungen. Namentlich die Scitamineen treten in grosser Menge auf, bisweilen umfangreiche Staudendickichte bildend: Maranten, Ingwer- pflanzen und besonders häufig das stattliche Amomum granum para- disi L. — nsissa pl. sinsissa — dessen weisse oder warm rosa bis leicht violett gefärbte Blüten dicht über dem Boden stehen, dessen feuer- rothe Früchte die Guinea - oder Paradieskörner — Malaguettapfeffer — in einem säuerlichsüssen Fleisch eingebettet enthalten, welches be- sonders für Chimpansen ein Leckerbissen ist. Auch Canna indica L. mischt sich an manchen Orten in Menge ein. Vereinzelt, aber um so auffälliger, ragt aus dem Gebüsch eine pomphafte Pflanze auf (eine Theophrasta?), welche auf unverzweigtem, dünnem Stamme £ine statt- liche Rosette horizontal abstehender, breiter fusslanger Blätter trägt. Auf trockengrundigen Bodenstrecken breitet sich, nachdrängend im Gürtel der ihn locker umgebenden Gewächse, der junge Busch- wald gleich einem dornbewehrten Pflanzenwall aus. Wo nicht von Menschen oder Thieren durch denselben gebrochene Pfade sich wie Tunnel öffnen, ist das Eindringen kaum anders als unter fleissiger Anwendung des Messers zu bewerkstelligen. Das Innere entspricht indessen nicht der Aussenseite. Der Boden ist nahezu nackt — an manchen Stellen wächst die lebhaft gefärbte parasitische Thonningia sanguinea Vahl. in überraschender Menge — und die freie Bewegung wird blos noch durch mannigfaltig verschlungene Lianen und das viel- fach gekreuzte Astgerüst gehemmt. Die Blätter sind aufwärts an die Zweigenden gerückt und bilden mit denen der zum Lichte strebenden Schlinggewächse oftmals ein lückenloses Laubdach, welches sich an den Rändern bis zum Boden niederzieht, sodass im jungen Buschwald eine auffallendere Dunkelheit herrscht als im üppigsten Hochwalde. Bei bedecktem Himmel ist in diesen allseitig geschlossenen natürlichen Lauben an vielen Stellen nicht genügende Helligkeit zum Lesen. 140 Entwickelung des Hochwaldes. Feuchter Dunst und Moderduft erfüllt sie, da die Luft nur spärlich erneuert wird; das Blattwerk trieft vom Thau — den man selbst zu Zeiten grösster Trockenheit noch um Mittag in schweren Tropfen herabschütteln kann — und der humusreich gewordene Laterit ist sowol an der Oberfläche wie in der Tiefe mit Nässe durchtränkt. So finden denn auch zu mächtigeren Formen sich entfaltende und theilweise das Laub regelmässig abwerfende Gewächse die Bedingun- gen ihres Gedeihens. Bald durchbrechen kräftig aufstrebende Bäume das niedere Laubdach und lassen Licht und Luft eindringen; andere folgen nach. Allenthalben entstehen Lücken, in welchen nun auch die bisher an den Rändern verstreuten Pflanzen auftauchen. Die an- fänglich geschlossene wirre Dickung löst sich in einzelne Gebüsch- gruppen auf und der echte Buschwald, der verbreitetste und charakte- ristische Wald der Savane, in welchem Holzgewächse mit grossem oder gefiedertem weichem Laube überwiegen, hat von dem Gelände Besitz genommen. Bleibt er in seiner Entwickelung ungestört, so wachsen überall zwischen den Hochstämmen junge Bäume nach. Die wirren Dickungen lichten sich immer mehr, und so wird endlich der Buschwald zum Hochwalde, in welchem das Unterholz nur noch eine ähnliche Bei- mischung bildet wie etwa in den deutschen Auenwäldern, aber mit dem Erstarken des Baumwuchses noch mehr zurücktritt und theil- weise, wie in unseren Buchenbeständen, auch gänzlich verschwindet. Zu solcher Ausbildung gelangt er in grösserem Umfange jedoch nur in spärlich bevölkerten Gebieten oder in feuchten Bodensenkungen. Denn mit grosser Vorliebe legt der Mensch seine Pflanzungen auf dem fruchtbaren Waldboden an: das Gebüsch und Stangenholz, die schwächeren Bäume werden niedergeschlagen und, nachdem sie aus- getrocknet sind, durch Feuer vertilgt. Das urbar gemachte Land benutzt man höchstens für einige Jahre, dann lässt man es liegen und vernichtet neue Waldstrecken. Auf den verödeten Feldern be- ginnt nun wieder die Vegetation sich in der beschriebenen Weise auszubreiten. An den ungünstigsten Stellen tritt der echte Busch auf — ähnlich wie verlassene Pflanzungen in dem Urwalde Brasiliens von der Capoeira in Besitz genommen werden — an anderen, nament- lich an denen, welche Waldungen benachbart sind, rückt auch sofort wieder von deren Rändern die üppigere Vegetation vor. Nur der Zähigkeit des Pflanzenwuchses und den förderlichen klima- tischen Verhältnissen wie der Ertragsfähigkeit des Bodens ist es zu danken, dass bei einer so schonungslos betriebenen Raubwirthschaft selbst in dichtbevölkerten Gegenden an der Küste noch Wälder und e Die Eingriffe des Menschen. 141 Gehölze sich finden. Der Saum fast aller verräth durch die geraden Begrenzungslinien ihrer willkürlich aus- und einspringenden Winkel die eingreifende Thätigkeit des Menschen, und die allenthalben in ihrer Nähe bemerkbaren, sich lange Jahre erhaltenden charakteristi- schen Unebenheiten der Maniokfelder liefern weitere nicht misszu- deutende Beweise. Nur die volle Würdigung dieser Thatsache kann zur Erklärung der sonst räthselhaft bleibenden Erscheinung dienen, dass in einer scheinbaren Wildniss auf engem Raume und durchaus gleichartigem Boden reine Campine, echter Busch und kräftiger Wald unvermittelt neben einander vorkommen, dass im ganzen Lateritgebiete prächtige Waldungen sich in geschlossenen Massen über Landstrecken ausbreiten, die von gleicher Bodenbeschaffenheit und Gestaltung sind wie andere, in welchen die Campinen vorherrschen. Da in nördlichen Gebieten, jenseits des Kuilu, die Bevölkerungsdichtigkeit eine geringere, die Regenmenge aber eine grössere und über alle Monate günstiger vertheilte ist, so werden dort die Wälder in geringerem Grade an- gegriffen und können sich auch leichter erneuern als in südlichen Gebieten. In den letzteren, die ohnehin hart an der Grenze günstiger Regenvertheilung liegen, werden die zahlreicheren Bewohner, die gegenwärtig zu Handelszwecken schon überraschend grosse Strecken bebauen, die Waldungen immer mehr vertilgen und ibre Heimat allmählich in ein holzarmes Steppenland verwandeln, das sich dann durch Nichts mehr von den traurigen Gegenden im Süden des Congo auszeichnen dürfte. Der reine Busch unterscheidet sich selbst von dem jungen, ihn an Höhenentwickelung kaum übertreffenden Buschwald doch sofort durch die bedeutsame Eigenart der ihn zusammensetzenden Gewächse. Buschwald und Hochwald haben dagegen viele Pflanzentypen gemein- sam, die in beiden zu gleicher Stattlichkeit aufwachsen. Für ihre Unterscheidung ist daher blos die Mischung der verschieden hohen Bestände als massgebend zu betrachten: ob die Bäume, ob die von Grund aus verzweigten Holzgewächse vorherrschen. Die letzteren bilden im Buschwald einen wesentlichen Bestandtheil und verhindern sowol die freie Umschau wie die freie Bewegung; sie haben dagegen im Hochwald keine Bedeutung mehr, weil in diesem der gleichmässig und übermächtig entwickelte Baumwuchs das Unterholz erstickt hat. Mit letzterem sind auch die zahllosen niederen Ziersträucher und Stauden wie die Schlinggewächse mit nicht verholzendem Stamm verschwunden, während die Lianen sich nun erst recht heimisch fühlen, und in ihrer vollen bizarren Schönheit auftreten. Beide Waldforma- tionen zeigen indess an ihren Rändern eine bedeutsame Ueberein- 142 Der vollwüchsige Urwald. stimmung: beide sind von dem bunten Gürtel des schon beschriebenen Pflanzengewirres umgeben, das fröhlich in ihrem Schutze gedeiht zugleich aber auch ihrer räumlichen Ausbreitung sehr förderlich ist. Gegenwärtig ist der Buschwald der wesentliche Bestandtheil der Savane. Die krüppelhaft gebliebenen Bäume und die von niederem Wuchse sind wie das verschieden hohe Buschwerk vielfach bis zum äussersten Gezweig von Schlinggewächsen überwuchert, während die zu imposanter Grösse entwickelten dieses anmuthigen aber verderb- lichen Schmuckes entbehren. Frei und hoch über der geschlossenen niederen Vegetation entfalten sie ihre breit ausgelegten Wipfel, wo sie in überwiegender Menge vorkommen, in Wahrheit einen Wald über dem Walde bildend. Wenn viele derselben in der Trockenzeit das Laub abgeworfen haben, dann ragen sie mit ihrem hellrindigen gewaltigen Astgerüst aus den dichten immergrünen Massen wie ge- bleichte Riesenskelete in die Lüfte. So bietet der durch den Reichthum seiner Formen wie seiner Gliederung ausgezeichnete vollwüchsige Buschwald im Wechsel der Jahreszeiten dem Beschauer immer neue Reize dar, welche in Folge seiner landschaftlichen Vertheilung trefflich zur Geltung kommen. Nicht so der Hochwald. Sein Charakter ist ernst, einfach und gross- artig; die feineren Schönheiten sind der Betrachtung entrückt, gehen verloren im Massigen und Riesenhaften der Pflanzengestalten. Der Hochwald findet sich bald in geringem Umfange, bald in ausgedehnten Massen statt des Buschwaldes auf beliebig gelegenen Strecken des Savanenlandes und ist dann entweder ein Rest aus früherer oder eine Neubildung aus späterer Zeit. In seiner mäch- tigsten Entfaltung beherrscht er jedoch die westlichen Hänge und Thäler des Gebirges sowie die Niederungen vieler Wasserläufe; be- sonders die aus sehr fruchtbarem Schwemmlande aufgebauten Ufer- leisten des Kuilu schmückt er in unvergleichlicher Schönheit. Er ist ebenbürtig den grossartigsten Waldungen, die ich in anderen Tropen- ländern bewundert habe. Doch sind in ihm nicht, wie zum Beispiel in den Wäldern Brasiliens, Guyanas, Westindiens, grosse und kleine Pflanzengestalten in reicher Abwechselung und Fülle mit der denkbar äussersten Benutzung des Raumes zusammengedrängt; in ihm wieder- holen sich vielmehr gewisse, zu riesigen Formen entwickelte Typen in Menge und verleihen ihm eine imponirende Gleichförmigkeit. Wie eine weite, grün überwölbte Halle umfängt er den Eintre- tenden. Das Laubdach ist durch unzählige, oft wunderlich geformte Säulen an zwanzig Meter über den Boden emporgelüftet. Ungeheure Stämme, astlos, schnurgerade und walzenrund, dazwischen schwächere, Im Inneren der Urwälder. 143 knorrig, verbogen, vielgetheilt verlieren sich nach oben in den lockeren ° Blättermassen, welche an vielen Stellen von üppig belaubten Lianen durchzogen sind. Eine gedämpfte geheimnissvolle Beleuchtung um- webt die hellrindigen silbergrauen oder bräunlichen Schäfte, während vereinzelte wie in eine Kirche einfallende Sonnenstrahlen in zitternden goldigen Lichtern spielen. Feuchter Dunst und Modergeruch, oft vermischt mit dem betäubenden Dufte unsichtbarer Blüten, erzeugen - eine für den Menschen beängstigende Schwüle, die fast niemals durch einen erfrischenden Lufthauch gemildert wird. Selten, ausser in den Morgen- und Abendstunden, unterbrechen Laute von Thieren die Stille, die Thätigkeit der Insectenwelt verräth das nur dem Aufmerksamen Urwaldriesen in Manneshöhe über dem Boden durchschnitten gedacht. vernehmbare Knistern. Leise dringt von oben das Rauschen der im Winde bebenden Blätter herab, bald nah bald fern anschwellend und ersterbend; sonst herrscht eine grosse, drückende Ruhe und steigert den Eindruck des Erhabenen und Feierlichen. Immergrüne Bäume, an Höhe denen unserer schönsten deutschen Forsten gleichend, bilden die Hauptmasse des Waldes und drängen ihre Wipfel eng in einander. Ueber dieses dichte, von Schlingge- wächsen übersponnene Laubdach ragen gewaltige, unseren Buchen gleichende Bäume mit periodischem Laubwurfe hinaus und entfalten erst in dreissig und funfzig Meter Höhe ihre feinverzweigten Kronen. Die meisten Stämme, auch die in den Savanengehölzen verstreuten, zeigen an ihrem Wurzelende in auffallender Weise die Neigung zur Pfeilerbildung, weiche der stachelrindige Wollbaum (Eriodendron an- 144 Stammformen und Wurzelpfeiler. Lianen. fractuosum D. C.), namentlich an Flussufern durch wahrhaft gigan- tischen Wuchs hervorragend, am kräftigsten und urwüchsig grotesk zum Ausdruck bringt. Drei bis sechs Meter vom Boden treten an den grössereren Bäumen allmählich tafelähnliche Strebepfeiler wie Wände hervor, nach unten weiter und weiter, bis zu drei und vier Meter Entfernung ausstrahlend. Bald radiär verlaufend, bald wunder- lich gewulstet und gebogen, bilden sie um den Stamm (Abbildung: auch I 2ı0) Nischen und Kammern, in welchen eine mässig grosse Karawane genügenden Raum zum Lagern findet. Diese fest in der Erde wurzelnden Flügel geben den hochaufstrebenden Schäften erst den genügenden Halt am Boden, doch überraschen sie auch an Baum- arten, die zu geringerer Grösse aufwachsen und solcher Stützen nicht bedürfen. Seltsamer noch als in diesen Stammformen äussert sich die schöpfe- rische Kraft der Tropennatur in den Gebilden der Lianen. (Abbil- dungen II 43, 144). Die oft zu erstaunlicher Länge entwickelten und, soweit sie sichtbar sind, in der Regel blattlosen Achsen derselben sind glatt und rund, gewulstet und geknotet, bandartig breitgedrückt, tief gerieft und öfters mit scharfen Dornen bewehrt. Von der Stärke des Bindfadens bis zu der eines Mannes sind sie frei ausgespannt — die jüngeren bisweilen so straff, dass sie gleich Saiten tönen und summen, wenn man gegen sie schlägt — oder verknotet, vieltheilig zu mächtigen Kabeln zusammengedreht, gleich Korkziehern gewunden und sogar wie Wachsstöcke aufgewickelt. Sie kriechen in wunder- lichen Krümmungen auf dem Boden entlang und liegen wie nieder- geglittenes Tauwerk um die Stammenden mancher Bäume aufgehäuft; sie umklammern in mannigfaltiger Verschlingung Stämme und Geäst, schwingen sich in luftiger Höhe von Wipfel zu Wipfel oder hängen in wüstem Gewirre herab, wo sie mit dem tragenden Gezweig nieder- gebrochen sind. Im Inneren des Waldes ist die Vielartigkeit ihres Laubwerkes, der Reichthum ihrer Blüten selten zu erkennen, denn diese Einzelheiten verbergen sich den spähenden Blicken hoch oben im lichtbestrahlten und unerreichbaren Blätterdache. An den nackten Reben einer Aristolochia brechen indessen die zart röthlich und grau- braun gefärbten übelriechenden Blüten manchmal auch dicht über dem Boden hervor. Sie sind zuweilen von bedeutender Grösse, obwol sie sich nicht messen können mit denen der A. grandiflora am Magda- lenenstrome, welche sich die Kinder im Spiele über den Kopf stülpen, und noch weniger mit denen der A. Goldieana Hook. der Nigerwal- dungen, welche nächst der Rafflesia Sumatras und Javas als die grössten bekannten Blüten der Erde gelten. Pflanzenarmuth und Beleuchtung im Hochwalde. 145 So zeigt der vollwüchsige Hochwald in seinem Innern eine über- raschende Armuth an dem mannigfaltigen Schmuck, den die Farben und Formen der Vegetationsorgane dem Buschwald verleihen. Nur Pilze ersetzen bisweilen durch ihre lebhaften Färbungen einigermassen die mangelnde Blütenpracht. Freundliches Grün erquickt selten das Auge. Epiphyten haften nirgends an den hellen glatten Stämmen, selbst Moose sind verhältnissmässig nicht häufig. Das Unterholz ist spärlich vertheilt, und nur dichte Bestände einer Blattpflanze mit geraden, weithin rankenden Stengeln beleben einzelne Strecken. Eine Schicht trocknen Laubes lagert auf dem Boden; eingebettet in sie modern die niedergebrochenen Hölzer, welche dort zu wüstem Hauf- werk vereint liegen, wo einer der hochragenden Riesenstämme in gewaltigem Sturze den ganzen Wald unter sich niedergeschmettert hat.*) Da strömt durch die weite Lücke im Laubdache das Tages- licht herein, niedere Pflanzenformen haben sich angesiedelt, während junge Bäume im Wettwuchse nach oben streben. Die Pflanzenarmuth im Inneren dieser Waldungen kann nicht durch den Mangel an Wasser oder an Beleuchtung bedingt werden. Denn das fruchtbare Erdreich ist mit Feuchtigkeit gesättigt, und die Dunkelheit ist selbst an trüben Tagen nur an wenigen Stellen so be- deutend, dass man nicht mehr zu lesen vermag. Wenn auch die Menge des hoch übereinander geschichteten Laubwerkes dem Untenstehenden vielfach eine vollständig geschlossene Wölbung zu bilden scheint, so ist es in Wirklichkeit doch locker angeordnet; die Blätter sind vorwiegend büschelförmig an die Spitzen der Zweige gerückt, und letztere sind nicht so vielfach getheilt wie an deutschen Waldbäumen. Daher können allenthalben Lichtstrahlen durch das Laubdach dringen und, wenn auch mannigfach gebrochen, den Boden erreichen. Auf diese Weise entsteht das eigenthümliche ungewisse Helldunkel, welches den weiten Hallen einen besonderen Reiz verleiht. Dies ist vornehmlich der Charakter des Galleriewaldes am Kuilu und der grossen Bestände auf dem Lateritplateau im Norden desselben. Die Waldungen des Gebirges besitzen nicht eine so überraschende Gleichförmigkeit der Pflanzengestalten, sondern erinnern wieder viel- fach an die. älteren Buschwälder der Savane: Bäume von gedrunge- *) Von einem hingestreckten Waldriesen wurden folgende Masse genommen: Höhe des noch stehenden Stumpfes: 6 m, Länge des liegenden Stammes bis zu den ersten Aesten: 42 m, einstige Höhe der Krone soweit sie noch messbar war: 20 m; Umfang des Stumpfes mit den Wurzelstützen 2 m über der Erde: I8 m, Umfang des walzen- runden Stammes am unteren Ende: 5.30 m, dicht unterhalb der ersten Aeste: 4m. Die äussersten Zweige dieses Baumes ragten also mindestens achtundsechszig Meter hoch in die Luft. Loango, III, 160) 146 Sumpfvegetation. Rhizophoren. nerem Wuchse werden zahlreicher, die Riesenstämme stehen verein- zelter, krönen jedoch in imposanten Gruppen selbst die höchsten Gipfel der westlichen Ketten. Kräftig entwickeltes Unterholz hat grosse Strecken in Besitz genommen, die rankenden Blattpflanzen — lin- sombe pl. mansömbe — viele Farne, doch niemals baumartige — Dr. Güssfeldt entdeckte eine einzige Gruppe derselben (1 ı95) weiter im Norden, am Nyäanga — gedeihen üppiger und wehren mit jenen den Durchgang. Duftende Staudendickichte von Scitamineen mischen sich ein, in welchen das Amomum granum paradisi — nsissa, lisissa pl. masissa — mit ausschliesslich rothen Blüten an fünf Meter und ein anderes — ligüngu pl. magüngu — mit ungeheuren vielfach wie Packpapier und auch zum Hüttenbau verwendeten Blättern — manga — und sehr zähen Stengeln über drei Meter hoch aufschiesst. Die Lianen treten häufiger auf als in der Niederung; besonders die kaut- schukliefernde Landolphia erreicht ihre beste Entwickelung, wird bis schenkelstark und bildet an manchen Orten ein undurchdringliches Gewirr von wild verschlungenen Pflanzentauen. Auch die rankenden Gewächse mit nicht verholzendem Stamme fühlen sich in den Gebirgs- wäldern wieder heimisch und schmücken mit luftigen Guirlanden Busch- werk, Stämme und Geäst. Das ist die Heimat (Abbildung II 144) des seltenen Gorilla. — Anders geartet ist die Vegetation der Sümpfe. Wo salziges Wasser den Boden durchtränkt, da ist das Reich der Mangroven — muema pl. miema. In ausgedehnten, bald jungen und niedrigen, bald alten und zu voller Höhe entwickelten Beständen, deren Dichtig- keit von keinem anderen Holzgewächse auch nur annähernd erreicht wird, beherrschen sie das versumpfte Gelände der Lagunen und Fluss- mündungen; an dem von heftiger Brandung überwaschenen Strande können sie dagegen nicht gedeihen. Die durch stachelspitzige Blätter ausgezeichnete Rhizophora mucronata Lam. Östafricas kommt nicht vor, wol aber die Rh. Mangle L., die wahrscheinlich identisch ist mit der von den Ostküsten Americas, indessen in einer armblütigen und reichblütigen Varietät auftritt, sowie noch eine andere Art mit mehr zugespitzten Blättern und kurzen Blütenstielen, die vielleicht mit der asiatischen Rh. conjugata L. übereinstimmt. Es ist kaum möglich durch Vergleichung mit bekannteren Pflanzen- gestalten eine Vorstellung vom Typus der Mangroven zu geben. Ihre glatte Rinde ist hellgrau, zuweilen fast weiss oder warm gelblich bis röthlichbraun angehaucht, je nach der Species, und enthält wie die Früchte sehr viel Gerbstoff; das hellfarbige ausserordentlich schwere. und harte Holz erweist sich als ein im Wasser wie an der Luft gleich lu) N ln Junge Mangrove (Rhizophora Mangle). Typus der Mangroven. Manglare. 147 ' dauerhaftes Baumaterial. Sehr alte Bäume — namentlich freistehende, die freilich in Folge ihrer Vereinzelung rasch zu verfallen scheinen — zeigen gewöhnlich je einen eigenartigen Habitus, wie die beiden auf der Abbildung Seite 64 Abtheilung I angebrachten. Die rechts auf der Bildfläche dargestellte Mangrove, deren schon mehrfach ver- stümmelte breit ausgelegte Krone noch sechsunddreissig Meter hoch emporragt, steht frei am linken Ufer des Bänya unmittelbar hinter der englischen Factorei zu Kuängo, wo eine Lichtung ausgeholzt worden ist; die links abgebildete, ein mächtiger wipfelloser Stamm, einundzwanzig Meter messend, bildete ein bekanntes Wahrzeichen des Landungsplatzes der Canoes am linken Ufer des Tschiloango, etwa zweihundert Schritt oberhalb der Mündung. Zu Ende des Jahres 1874 trug sie nur noch an wenigen Zweigen Belaubung, sechs Monate später war sie vollständig abgestorben und stürzte im April 1876 zu Boden. Die durchschnittliche Höhe der ältesten Wälder beträgt zwanzig bis fünfundzwanzig Meter, doch sind auch noch stattlichere Bäume von dreissig Meter Höhe nicht selten; die Stämme indessen besitzen nicht eine entsprechende Dicke, sondern erscheinen unge- wöhnlich schlank und gerade aufgeschossen. In den geschlossenen älteren Beständen wird man durch die An- ordnung des Astwerkes, des dunkelglänzenden, lederartigen und locker vertheilten Laubes von fern häufig an unsere Schwarzpappeln erinnert. Jede Aehnlichkeit verschwindet jedoch in den unteren Partieen. Kein einziges Individuum wächst in der Weise anderer Bäume massig aus ‘dem Boden heraus, sondern ruht auf einem vieltheiligen Wurzelgerüst, so dass der eigentliche Stamm oft erst in einer Höhe von drei und mehr Meter über dem Boden erkennbar wird. Bei manchen Individuen hat sich zunächst ein horizontal liegendes und seltsam gekrümmtes dickes Stammstück ausgebildet, welches bockähnlich auf weit aus- strahlenden mächtigen Wurzelbündeln ruht und einer ganzen Gruppe stattlicher Bäume zur Stütze dient; bei anderen wieder vereinigen sich die Wurzeln erst zu einem riesigen vielfach gewulsteten Kloben, oder gehen sogleich in die Spindel über, die dann wie auf Stelzen sich wiegend leicht und schlank emporstrebt. Je älter und dichter die Bestände sind, in um so groteskeren Ge- stalten sind gerade diese unteren Theile entwickelt. Die enggedrängten undüberaus zahlreichen, bald knorrigen und gewundenen, bald gerade ausstrahlenden oder schön gebogenen und weit gespannten Haltwurzeln, die in der Regel wieder mehrmals getheilt sind, kreuzen sich nach jeder Richtung mit denen benachbarter Individuen und bilden ein in seinen Besonderheiten kaum unterscheidbares Gewirr. Dieses ist in 10* 148 Luftwurzeln der Mangroven. geschlossenen Manglaren dem Menschen so gut wie unzugänglich. Einzelne natürliche Lücken in dem Pflanzenlabyrinthe, gewundene, tunnelgleiche und düstere Canäle können durch häufig passirende Canoes und durch die fleissige Anwendung der Buschmesser zwar nothdürftig offen gehalten werden, aber eine Wanderung aut und zwischen dem Wurzelwerk vermögen doch nur Affen auszuführen. Sogar der im Klettern geübte barfüssige Wilde kann nur mit einem ausserordentlichen Aufwande an Zeit und Mühe ein halbes hundert Schritt weit eindringen; daher giebt man selbst ein erlegtes seltenes Thier, das zwischen dicht stehende Rhizophoren gefallen ist, lieber sogleich verloren. Wo aber die Mangroven lockerer vertheilt sind, da wird das Umherwaten auf dem dauernd oder im Wechsel der Gezeiten periodisch mit Wasser bedeckten schlammigen Boden wieder vielfach erschwert durch kurze aufrecht gestellte Holzzapfen, welche wie die Zähne einer Egge hervorragen. Es sind nicht etwa Schöss- linge, die zu neuen Bäumen werden, sondern zwecklos erscheinende und ihre Gestalt nicht weiter verändernde Wurzeltriebe. Sehr viele, wenn nicht die meisten Individuen unter den Man- groven sind mit geraden, langgestreckten Luftwurzeln ausgestattet, die an den einzelnen Bäumen nach Zahl und Anordnung sehr ver- schiedenartig entwickelt sind. Sie entspringen in beliebiger Ent- fernung vom Boden sowol dem Hauptstamme wie den starken Aesten, hängen aber zuweilen in erstaunlichen Mengen (Abbildung III 198) sogar von einzelnen Partieen des äussersten dünnen Gezweiges nieder. Die durchschnittliche Dicke der Luftwurzeln beträgt zwei bis drei Centi- - meter; ich habe sie bis zu siebzehn Meter Länge mit den vergleichs- weise winzigen Zweigen, aus denen sie in voller Stärke hervorge- sprosst waren, von entsprechender Höhe herabgerissen. Sie sind weich und markreich, sodass ein Messer sie gut durchschneidet und sogar ein recht kräftiger Druck der Finger genügt, um sie zu be- beschädigen; beim Aufrollen in zu engen Windungen knicken sie leicht ein; ausgetrocknet haben sie ein überraschend geringes Gewicht. Obwol sie äusserlich Tauwerk ähneln, besitzen sie doch bei weitem nicht die Zähigkeit von Lianen und erreichen auch selten den Boden, in dem sie überdies niemals besonders fest wurzelnd gefunden wurden. Daher können sie nicht den Zweck haben, den Bäumen einen sicheren Halt zu geben. Will man ihnen nicht einigen Werth als Flüssigkeit aufsaugende Theile zugestehen — die wenigsten derselben tauchen jedoch in das Wasser ein — so erscheinen sie als gänzlich überflüssige im Winde schaukelnde Anhängsel. Vielleicht darf man sie als ver- spätete Auswüchse, als verfehlte Leistungen eines Triebes betrachten, Fortpflanzung durch Keimlinge. 149 der für die jüngeren Mangroven seine volle Berechtigung hat und sogar eine Lebensfrage ist. Die jungen Pflanzen senden nämlich von ihren Haupttheilen ebenfalls Luftwurzeln aus: doch diese erreichen sehr bald den nahen Boden, wachsen darin fest, verholzen und er- starken allmählich und dienen den künftigen Stämmen als zuverlässige Stützen. Weder die festen harten Haltwurzeln, noch die schwanken Luftwurzeln entwickeln belaubte Zweige, auch verwachsen sie an Kreuzungsstellen nicht miteinander. Trotz des Angeführten ist nochmals besonders zu betonen, dass die Luftwurzeln der Mangroven ausschliesslich aus Stamm und Geäst, nicht aber aus den Früchten hervorwachsen. Denn es ist sehr be- merkenswerth, dass die gegentheilige Auffassung bei berühmten Forschern und sogar bei Botanikern von Fach, die jahrelang in den Tropen lebten, immer noch weiter besteht und natürlich in anerkannt vorzügliche Werke aufgenommen wurde, deren Verfasser sich auf die Angaben von Reisenden stützen mussten. Den im Wesentlichen doch Frucht der Mangrove, so leicht zu enträthselnden Vorgang bei der Vermehrung der Man- groven hat Dr. OÖ. Kuntze in seiner reichhaltigen Arbeit über die Schutzmittel der Pflanzen nach eigener Anschauung und der dänische Botaniker Warming aufGrund der Beobachtungen desBaron von Eggers auf St. Croix im Botanizka Notiser (1877 No. ı) richtig dargestellt. So lange die Früchte der Mangroven mit dem Mutterstamme in Verbindung bleiben, senden sie weder Zweige noch Wurzeln aus, können sich demnach nicht schon vor der Trennung zu sicher im Boden verankerten Individuen entwickeln. Aus der feigenförmigen selten bis zur Grösse eines kleinen Hühnereies anschwellenden Frucht wächst ein runder zugespitzter Keimling hervor (siehe auch Abbil- dung III 1), welcher selten die Dicke eines schwachen Fingers erreicht. Er ist schön hellgrün gefärbt und namentlich in seinem unteren Drittel mit kleinen röthlichbraunen Unebenheiten, mit zierlichen Warzen be- setzt, welche die Köpfe der ersten später hervorwachsenden Wurzeln zu sein scheinen. Seine durchschnittliche Länge beträgt zwanzig bis dreissig Centimeter einmal wurde die übermässige Länge von sieben- 150 Entwickelung der Mangrovenkeimlinge. undvierzig Centimeter gemessen. In seltenen Fällen sprosst aus der nämlichen Frucht noch ein zweiter kleinerer Keimling. Das obere leicht gebogene Ende steckt mit einer scharf abgesetzten, zart rothen, vom künftigen Triebe gebildeten Spitze, der Plumula, in einer kurzen Scheide, den Dikotyledonen, die das Verbindungsglied zwischen Frucht und Keimling bildet. Sobald letzterer reif geworden ist, löst sich die Spitze leicht aus der Scheide, und er fällt bei geringer Erschütterung des Gezweiges gleich einem Bolzen mit dem unteren Ende voran zu Boden. Ist der Fall glücklich, das Wasser nicht zu tief, so schiesst er durch dieses Mangrovenkeimlinge. in das schlammige Erdreich, bleibt darin haften und entwickelt sich zur jungen Pflanze. Ist er indessen nicht günstig gefallen, so ver- kümmert er entweder an trockenen Stellen oder wegen Mangel an Raum oder er bleibt, mit dem dickeren Ende etwas gesenkt schwimmend ein Spiel der Gewässer, bis er verrottet, wenn er nicht rechtzeitig noch an einer zur Ansiedelung geeigneten Stelle angespült wird. Der bis dahin weiche Keimling beginnt dann rasch zu verholzen und sendet nach allen Seiten Wurzeln aus, mittelst welcher er sich allmählich aufrichtet, während an der Spitze die Biätter hervorsprossen. Von den ausserordentlich zahlreichen Früchten der Mangroven, welche oft einen gefälligen Schmuck namentlich der reichblütigen Arten bilden, entwickeln sich verhältnissmässig doch nur sehr wenige. Viele verkommen in der angedeuteten Weise, aber die meisten fallen schon vor vollständiger Reife und zwar im ungetheilten Zustande ab. Sie gelangen dann überhaupt nicht zur Entwickelung. Letztere tritt über- Abhängigkeit vom Salzgehalt des Wassers. 151 dies nur dort ein, wo die Spitzen der Stecklinge nicht untergetaucht sind und das Wasser einen bestimmten geringen Salzgehalt aufweist. Die zum Zwecke genauer Beobachtung des Wachsthumes an mehreren Stellen unter verschiedenen Bedingungen vorgenommene Anpflanzung gleich lebenskräftiger Keimlinge ergab recht lehrreiche Resultate: diejenigen, welche im Brackwasser standen, gediehen grösstentheils, aber diejenigen, welche von unvermischtem Seewasser umspült wurden, andere, die in kleinen Lagunenbecken auf das durch Verdunstung äusserst salzhaltig gewordene Wasser angewiesen waren, giengen aus- nahmslos zu Grunde. Selbst alte vollwüchsige Mangroven sind sehr empfindlich für eine Veränderung im Salzgehalte des Wassers. Im südlichen Theile der Loangobai, wo im innersten Winkel hinter schützenden Bänken eine räumlich beschränkte jedoch imposante Gruppe derselben ihren Standort scheinbar in reinem Seewasser hat, wurde schliesslich die versteckte Mündung eines kleinen Baches aufgefunden. Wie noth- wendig dessen Wasser zu ihrem Gedeihen war, liess sich erkennen an einigen anderen benachbarten Gruppen von Mangroven. Diese waren vollständig abgestorben und theilweise schon niedergebrochen, weil sie nach Verschiebung der fliegenden Bänke durch eine schmale, mehrere hundert Schritt lange Sandzunge von dem Süsswasser des Baches abgeschnitten wurden. Zahllose Keimlinge, welche zwischen den Sandbänken angeschwemmt lagen, hatten sich nur in’ der Nähe jenes Baches, wo Brackwasser vorkam, zu jungen Pflanzen entwickelt. Auch in todten Lagunen, das heisst in solchen, welche keinerlei Ver- bindung mehr mit anderen Gewässern haben, deren Inhalt daher durch Verdunstung gewissermassen zu einer Mutterlauge geworden ist, wird die Mangrove nicht mehr gefunden, während zweifellose Ueberreste ihre frühere Anwesenheit beweisen. Jeder Versuch, sie daselbst künst- lich von neuem anzusiedeln, missglückte: das Wasser war ihr zu salzig geworden. Es scheint daher, dass wenigstens gewissen Arten von Rhizo- phoren bereits das Wasser des Meeres von normalem, noch mehr das der Lagunen von grösserem Salzgehalte schädlich ist, und dass sie nur dort gedeihen, wo Flusswasser sich mit demselben dauernd ver- mischt oder doch irn Wechsel der Gezeiten die Wurzeln für einige Stunden umspült. An der westafricanischen Küste wird ihr Wachsthum hart am und im Meere durch die nimmer ruhende Brandung vereitelt, welche, wie überall, die Keimlinge entweder sogleich am Festwurzeln hindert, oder die an einer geschützten Stelle aufgewachsenen Pflanzen doch früher 152 Emporlüften der Mangroven durch die Wurzelgerüste. oder später einmal mit Sand umschüttet und erstickt. Mir sind an der langen Küstenlinie nur zwei Puncte bekannt, an welchen die Mangrove unmittelbar in das Meer hinauswächst: im Inneren der Loangobai und der Cap Lopezbai; beide Orte werden von der Calema nicht getroffen, aber an beiden findet sich auch Brackwasser. Wo ich sie in anderen Erdtheilen im Meere gedeihend fand — diese Stand- orte sind naturgemäss selten, weil nur wenige Küstenstrecken mit weichem Boden gegen den Wellenschlag geschützt sind — da ent- deckte ich auch fast in allen Fällen dort einfliessendes Süsswasser, und wo dies nicht nachzuweisen war, da durfte vermuthet werden, dass die Gewässer entfernter Flüsse durch vorherrschende Meeres- strömungen herangeführt würden. Auch unterseeische Quellen, wie in den gerühmten Gärten der Königin an der Südseite von Cuba, mögen von Einfluss sein. An einigen Stellen der Ufer des Tschiloango und Kuilu erheben sich über mächtigen grotesk geformten Wurzelstützen wahrhaft riesige Individuen auf einem Boden, der dauernd zwei und drei Meter hoch mit Wasser bedeckt ist. Man sieht sich gezwungen anzunehmen, dass die Fluten an diesen Stellen gewühlt haben, dass die Tiefen erst entstanden sind, nachdem die Bäume schon eine beträchtliche Grösse erreicht hatten. Ein umgesunkener Stamm (Abbildung Seite 198), der offenbar erst nach seinem Sturze eine Anzahl neuer Haltwurzeln aus- sandte, scheint diese Annahme zu bestätigen; — sonst wäre man auch in Verlegenheit, sich vorzustellen, wie denn diese Bäume ursprünglich aufgewachsen seien. Die Stecklinge können ja nur im flachen Wasser, das sie nicht vollständig bedeckt, gedeihen. Immerhin bleibt bei der Entwickelung der Mangroven noch ein Vorgang genau zu erforschen: wie geschieht es, da doch alle Keim- . linge zunächst im Boden wurzeln, dass kräftige Pflanzen nach mehreren Jahren mit ihren Haupttheilen, den Vereinigungsstellen der Wurzel- bündel, einen Meter und höher über demselben schweben? Die Ueber- wachung verschiedener junger Individuen brachte keinen Aufschluss über diese interessante Frage, denn sie wuchsen verhältnissmässig: langsam, und die Beobachtungszeit war zu kurz. Ein junger Kauf- mann, welcher die Anpflanzung und alle Umstände genau kannte, übernahm zwar bei meiner Abreise die Fortführung der Unter- suchungen, verweilte jedoch nicht mehr lange in seiner Factorei. So vermag ich leider sichere Auskunft nicht zu geben. Doch sprechen immerhin gute Gründe für die Anschauung, dass das Auf- rücken der Rhizophoren — welches eine zweifellose Thatsache ist — sich in doppelter Weise vollziehe: einmal atrophiren bis zu einem Rizophorenbestände und geologische Probleme. 153 gewissen Grade die untersten Theile, während die darüber befind- lichen sich zu den geschilderten bizarren Formen ausrecken; zum anderen besitzen die Wurzelbündel und Stützen die Fähigkeit, sich in der Richtung ihrer Längsachse zu strecken und somit die auf ihnen ruhende Last emporzulüften. Es soll nicht behauptet werden, dass ein bedeutendes inneres Wachsthum in die Länge stattfände, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass die ursprünglich weit gespannten und gebogenen Stützen, während sie wachsen und sich verdicken, sich zugleich auch mehr und mehr gerade strecken und auf diese Weise die langsame Hebung der auf ihnen ruhenden Last bewirken. Eine Bestätigung dieser Annahme bietet die Thatsache, dass die ältesten und stärksten Wurzeln von den Individuen vorzugsweise in geraden Linien ausstrahlen, gleich Strebepfeilern angeordnet sind, während rings um dieses Hauptgerüst die jüngeren und schwächeren Wurzeln noch im schönen Bogen sich spannen. Bei den in der Ent- wickelung begriffenen Keimlingen gewahrt man selten gerade nach unten verlaufende Haltwurzeln; die Mehrzahl der letzteren wächst — wie bei den ältesten Bäumen — in horizontaler Richtung oder sogar schräg aufwärts aus der Spindel hervor und senkt sich dann erst der eigenen Schwere folgend, allmählich zur Erde. Aber schon bei Pflanzen, die einige Jahre alt sein mögen, findet man die inneren Wurzeln steifer angestrafft, und, was von der Spindel noch erkenn- bar ist, in entsprechende Höhe über den Boden gelüftet. Rhizophorenbestände bewähren sich als vorzügliche Landbildner: grossen Sieben gleich halten sie das vom Wasser mitgeführte Material zurück, bis der Boden um so viel erhöht ist, dass die Flut den Land- strich nicht mehr überschwemmen kann. In Folge dessen verkümmern sie, gehen zuGrunde und geben anderen charakteristischen sie gewöhn- lich umsäumenden Gewächsen Raum. Dies geschieht jedoch blos, wenn die betreffende Küste ihr Niveau nicht verändert oder aufsteigt; ist sie im Sinken begriffen, so nimmt der Vorgang den entgegengesetzten "Verlauf: die Flut des Meeres dringt allmählich weiter landein und ermöglicht das Wachsthum der Mangroven auf Strecken, welche bis dahin andere Pflanzenformen trugen; daher bei gebührender Beach- tung der Thätigkeit der Brandung wie der Flüsse die Anordnung der Manglare, je nachdem alte oder junge Bestände dem Meere am nächsten oder fernsten liegen, mit anderen Merkmalen zur Aufklärung geologischer Probleme benutzt werden kann. An der Loangoküste finden sich die Rhizophoren im Bereiche des Brackwassers auf dem versumpften Gelände innerhalb aller Fluss- mündungen und der mit diesen wenigstens noch zeitweilig in Ver- 154 Dactylopetalum. Laguncularia. Avicennia. bindung stehenden Lagunen. Ihre Verbreitung ist auf unseren Karten angegeben. Doch ist hier noch zu bemerken, dass mitten im Congo auf den Monkeyinseln am Mambälacanal, eine grosse Strecke aufwärts von Porto da Lenha, ältere und allerdings vielfach kränkelnde Rhizo- phoren untermischt mit anderen Bäumen noch in ziemlicher Anzahl wachsen. Ihr Standort liegt weit oberhalb der nachweisbaren Brack- wasserzone, woraus zu schliessen ist, dass das Seewasser in dem sehr tiefen Strombette entweder dauernd am Grunde einfliesst oder doch während der Flut bis zu dieser Stelle vordringt. Mehrere Versuche bestätigten diese Voraussetzung: Mittelst einer Flasche, welche mit eindrückbarem Korke versehen war, holte ich aus sechszehn Meter Tiefe Salzwasser herauf; weiter flussaufwärts dagegen, in der Nähe des Fetischfelsens, erwies sich in vierzehn und zwanzig Meter Tiefe das Wasser als ganz süss. Im Allgemeinen sind die Bestände verschiedenen Alters nicht in einer gleichmässigen Weise angeordnet, da das Gebiet weder steigt noch sinkt, und die Einwirkung der Calema wie der Hochwasser in der Regenzeit nicht selten bedeutende Veränderungen der Flussläufe und die Bildung neuer Lagunen sowol wie die Abdämmung alter ver- ursacht. In mannigfaltiger Abwechselung folgen einander Strecken, welche von gebüschähnlichen oder halbwüchsigen oder zu voller Grösse entwickelten Mangroven besetzt sind. Ausser den schon beschriebenen in der Landschaft allein zur Geltung kommenden Rhizophoren findet sich an der Lagune von Makäya bei Tschintschötscho sowie am Kuilu eine andere interessante Species von der Ostküste Americas (Dactylopetalum sp.?) Am Bänya wuchs auf einigen der Lagune benachbarten Strecken nassen Sandes auch eine aus Westindien wie Guyana bekannte Combretacea: Lagun- cularia racemosa Gaertn. mit niedriger dichter Verzweigung, welche am Boden ausgebreitet, ein fast undurchdringliches Gewirr bildet. Am Gabun habe ich sie ebenfalls gefunden; nach brieflichen Mit- theilungen des Herrn von Koppenfels, welcher mir zugleich in Spiritus conservirte Theile derselben übersandte, ist sie auch im Ogöwegebiete heimisch. A vicennien sind nirgends zahlreich vertreten und erreichen bei weitem nicht die Grösse der im Mündungsgebiete des Voltaflusses in Öberguinea bemerkten. Am linken Ufer des Kuilu, wo oberhalb der Nehrung die Mangroven beginnen, steht eine Gruppe, deren Höhe zwölf Meter schwerlich überschreitet; am Tschiloango und Luemme wurden nur vereinzelte und kleinere Exemplare gefunden, am Bänya fehlten sie gänzlich. Eine Eigenthümlichkeit der Avicennien, welche ich in Salzausscheidung der Avicennienblätter. Raphiahorste. 155 verschiedenen Tropenländern beobachtete, sei hier erwähnt, da sie selbst namhaften Botanikern noch unbekannt war. Sie haben die Fähigkeit aus ihren Blättern Salz abzuscheiden, das sich auf deren Oberfläche in Krystallen vertheilt findet; nach schweren Regenfällen erneuern sich diese binnen weniger Tage und bei manchen Bäumen in überraschender Menge. Der Standort scheint nicht von Einfluss zu sein. Es kann bei der Gleichartigkeit der Erscheinung in der That nur eine Ausscheidung, nicht ein zufälliges äusseres Bepudern des Laubes — etwa durch vom Seewind landein geführtes Spritzwasser — angenommen werden, zumal dem Blattwerk unmittelbar daneben stehender Gewächse anderer Art Salzkrystalle nicht anhaften. Auf festerem Boden, den die Flutnicht mehr überspült, finden sich namentlich seewärts von den Mangroven Hecastaphyllum Brownii Kunth,, eine seltsame von OÖstamerica bekannte Leguminose, Desmodium- büsche mitihren beweglichen Blättern, Sparmannia, Ipomoeen, die, wie es scheint, in allen Tropengebieten einheimische Euphorbia trinervia Boiss. und auch der an freien Uferstellen aller Wasserläufe und Sümpfe häufige Hibiscus tiliaceus L.: ein schöner Zierstrauch, an dessen gross- laubigem Gezweig sich ansehnliche leuchtend gelbe Blüten in Menge entfalten. Vielfach ist in seiner Nähe der Boden von einer kriechenden, zierlich blau blühenden Commelina wie mit einem frischgrünen Teppich überwoben. Ungleich charakteristischere Pflanzengestalten haben sich’hart am Saume der Manglare und in den Lücken zwischen ihnen angesiedelt. Auf Bodenstrecken, welche entweder noch dauernd von brackischem Wasser bedeckt oder während der Flut überschwemmt werden, er- heben sich bald vereinzelt, bald in dichten Massen wie auf Stelzen ruhend die gedrungenen mehrarmigen Stämme von Pandaneen mit ihren stolzen Endbüscheln von schwertähnlichen Blättern. An trock- neren Stellen, namentlich auf niedrigen Uferleisten, unterbrechen an- muthige Gruppen wilder Dattelpalmen (Phönix spinosa Thonn.) die ermüdende Gleichförmigkeit der Mangrovenwälder. Wo die salzige Flut des Meeres sich nicht mehr willig mit den Gewässern der Flüsse mischt, und die Rhizophoren verkümmern, da beginnt die stammlose, waldliebende Raphia ihre stolze Garbe von riesigen Wedeln empor- zutreiben. Sie besiedelt sowol in den Niederungen der Wasserläufe wie in den Thälern des Gebirges morastige Strecken, die, wo die Hochwasser übertreten, in Folge ihrer Anwesenheit durch Schlamm und Sand allmählich ausgefüllt werden. Die Raphiahorste darf man daher auch als Bodenbereiter, als Vorläufer des Galleriewaldes be- trachten. In beschatteten Mulden, welche sich während einiger Mo- 156 Papyrushorste. nate der Regenzeit in Lachen und Tümpel verwandeln, bilden Farne und die im Wald vorkommenden Scitamineen häufig hohe und un- durchdringliche Staudendickichte. Die freilie&enden Sümpfe der Niederungen sind die Heimat des sogenannten Loangograses — libubu pl. mabübu — des bekannten Papyrus antiquorum L. (Abbildung I 57), welcher im Verein mit der Raphia den Bewohnern des Lateritgebietes ein vorzügliches und überall zu beschaffendes Baumaterial liefert. Wo immer ruhiges Wasser auf offenen luftigen Strecken nicht über einen Meter tief steht, da wächst von dem schlammigen Grunde die anmuthige Pa- pyrusstaude auf. Die schlanken durchschnittlich drei und vier Meter zuweilen aber auch sieben Meter Höhe erreichenden geschmeidig im Winde nickenden Halme sind so eng an einander gedrängt und schiessen so schnell empor, dass Canoebahnen nur durch fleissige An- wendung der Buschmesser offen gehalten werden können. Im Ge- biete des Lu&mme und Kuilu, besonders am Nängasee, dehnen sich die Papyrushorste stundenweit aus. Nur auf einzelnen aus dem Morast hervorragenden Erdknollen und kleinen Strecken Schwemmlandes treten Sträucher auf, unter diesen wieder der anziehende Hibiscus tiliaceus. Eine auffällige Er- scheinung in den sonst so gleichförmigen Beständen am Nängasee bilden die allenthalben vereinzelt aufwachsenden jungen Wollbäume (Eriodendron anfractuosum D. C.) mit der ihrer Jugendform eigenen Regelmässigkeit der Astbildung. Sie scheinen sich in diesen Sümpfen nur bis zu einer gewissen Grösse entwickeln zu können, denn ein älterer Baum mit einigermassen kräftigem Stamm und Wipfel ist selten zu entdecken. Vermuthlich gewährt der bis zu ‘grosser Tiefe ausserordentlich morastige Boden grösseren Individuen keinen ge- nügenden Halt für die Wurzeln, und sie fallen den über die weiten Flächen hinbrausenden Gewitterstürmen der Regenzeit zum Opfer. Zwischen den Papyrushalmen bedeckt sehr häufig die zierliche Azolla pinnata R.Br. das Wasser. Allenthalben treibend, aber nirgends häufig wurde auf dem Tschiloängo und Kuilu eine Pistia, wahr- scheinlich die vom Nil bekannte P. stratiotes L. bemerkt, und die schöne Nymphaea stellata Willd. wuchs auf flacheren Stellen; im Brackwasser des Bänya bildete eine etwa mannshoch werdende Jun- cacee grosse einförmige Bestände. Hart am Wasser an beiden Ufern des Kuilu oberhalb Kakamuüeka blüht ein prachtvolles weisses Crinum; es wurde nur an diesem Orte beobachtet, der von den Eingeborenen Ndündu nsänga: seltene Blume genannt wird. An der nämlichen Stelle und flussaufwärts bis zu den Pälissaden gedeiht auf den Klippen Strandflora. 157 des Inundationsbettes die niedliche Oxalis (Biophytum) sensitiva L., welche ihre Wurzeln in die Ritzen der Felsen einzwängt. Sie bleibt lebenskräftig, ob während der Trockenzeit die Sonnenstrahlen das nackte Gestein ausserordentlich erhitzen, ob die Hochflufen der Regen- zeit Monate hindurch über sie hintosen. Am nämlichen Standorte be- hauptet sich neben ihr unter gleichen Umständen oberhalb Bümina ein merkwürdiger Strauch, der von lockeren Weidenbüschen kaum zu unterscheiden ist, aber vereinzelt dunkelrothe Früchte trägt, die edlen Sauerkirschen zum Verwechseln ähneln. Die Flora am Meeresstrande ist eine durchaus eigenartige. Aufdem Strandwall wachsen zwar hier und da auch Cassia occidentalis, Ver- nonia senegalensis, Ricinus communis und einzelne Büschel des die ge- schlossenen Campinen bildenden Panicum, dagegen sind ausschliesslich auf ihm vorkommende charakteristische Gewächse: die rasenbildende Teleianthera maritima Mog. Tand., das mit röthlichen Blumensternen ge- schmückte Sesuvium congense Welw. und vereinzelt Scaevola senega- lensis Pressel, welche niedrige eigenthümlich gerundete Buschgruppen bildet. Dienämliche Pflanze bemerkte ich auf den Keys des öden, in der Caicos-Passage der Bahamainseln nördlich von Inagua liegenden Hog- styreefs, wo sie zwischen kümmerlicher kriechender Vegetation allein die “ höhere Form vertritt. Auffallender und an Menge überwiegend sina die blütenreichen weithin rankenden Canavalia obtusifolia D. C. und Ipo- moea pes caprae L. Nach Norden hin werden diese Strandpfianzen spärlicher; die meisten haben ihre Verbreitungsgrenze am Kuilu, den, wie sich bald ergeben wird, auch hervorragendere Pflanzenformen nordwärts nicht wesentlich überschreiten. Bei Longoboöndo breitete auf dem öden, von den Sonnenstrahlen bis zu neunundsechszig Grad erhitzten Sande des Strandwalles eine wunderschöne Ipomoea ihre mit überaus zahlreichen rosafarbenen Blüten geschmückten Ranken aus. Vom Congo bis zur Bai von Loängo wurden ausser unzähligen anderen nach Berlin eingesandten Früchten auch die grossen Samen- kerne der im Lande selbst nicht vorkommenden Entada (scandens) Pursaetha D. C. vom Meere angespült; wahrscheinlich ist sie nebst den übrigen ein von dem Riesenstrome überbrachter Gruss aus Inner- africa; denn Schweinfurth beobachtete das schwache Schlinggewächs, welches die ungeheuren Schoten trägt, am Strauchwerk der Bäche im Lande der Monbuttu. — Eine Anzahl hervorragender und charakteristischer Pflanzenge- stalten verdienen eine eingehendere Schilderung, da sie theils durch ihre Verbreitung die Aufmerksamkeit erregen oder der Landschaft 158 Typus der Oelpalme. ein bestimmtes Gepräge geben, theils sich in eigenthümlicher Weise entwickeln oder für den Menschen einen besonderen Werth besitzen. Neben dem Affenbrotbaum und einigen Ficusarten sind vor allem die Palmen zu nehnen. Von letzteren sind uns fünf Species bekannt ge- worden: die Oelpalme, Fächerpalme, Weinpalme, wilde Dattelpalme und Kokospalme. Die wichtigste und verbreitetste, die mit Recht als ein Wahr- zeichen des Landes gelten Könnte, ist die Oelpalme (Elaeis guineensis Jacq.) — bä, liba pl. mabä. Im ästhetischen Sinne darf man ihr neben der stammlosen Raphia unter den Fiederpalmen aller Erdtheile einen sehr hohen Rang anweisen, tadellos entwickelten Individuen sogar den ersten Preis der Schönheit zugestehen. Sie besitzt nicht wie Dattel- und Kokospalmen einen dünnen aus steifen und häufig auch struppigen Wedeln (Abbildung I 7) gebildeten Wipfel, sie trägt auch nicht wie so viele der gerühmten americanischen Arten — selbst die ihr so ähnliche stolze Palma real (Oreodoxa regia) entfaltet den weit ausladenden Wipfel in zu grosser Höhe — einen zu kleinen oft winzig erscheinenden Blätterschopf auf mastenhoher Spindel. Ihr kräftiger gerader Schaft, die breit ausgelegte sehr volle Krone von leicht ge- bogenen mit beweglichen Fiedern besetzten Wedeln stehen vielmehr im glücklichsten Ebenmass zu einander. So ist sie eine ausgeglichene Pflanzengestalt, ein Typus kraftvoller Anmuth und — was von den wenigsten Palmen gesagt werden kann — auch eine Schattenspenderin. Die Abbildung (I 208) zeigt die Ela&is bei weitem nicht in ihrer ganzen Schönheit. Da die Bildnisse von den durch vollendetere Formen ’aus- ‚gezeichneten verloren gegangen sind, die gewissenhafte Treue in der Wiedergabe jedoch unter allen Umständen gewahrt werden sollte, mussten wir uns bescheiden, noch vorhandene Skizzen von mangelhaft entwickelten Exemplaren als Vorlagen zu verwerthen. Die senkrecht aufsteigenden säulenähnlichen und mannsstarken Schäfte der Oelpalme, welche vielfach über dem Boden zwiebelartig etwas anschwellen, werden im Mittel zehn bis fünfzehn Meter hoch; volle zwanzig Meter messen wenige und bis zu dreissig Meter wachsen nur vereinzelte Individuen im Schlusse des Waldes auf. Gesunde Pflanzen tragen durchschnittlich zwanzig bis fünfundzwanzig lebens- kräftige Wedel; als höchste Anzahl wurden neununddreissig gefunden. Die grösste Länge derselben betrug sechs bis sieben Meter, die der Fiederblätter bis einen Meter. Unter natürlichen Bedingungen bleiben die vertrockneten Stielreste fest am Stamme haften und Wedel wie Fruchtstände sind gewöhnlich kümmerlicher entwickelt als an den von Menschenhand gereinigten Palmen. Aut das Entfernen dieser Blüten- und Fruchtstände. : 159 die Besteigung mittelst der Kletterschlinge verhindernden Reste be- schränkt sich die ganze Pflege, die man ihnen angedeihen lässt. In den Blattachseln des Wipfels (Abbildung I 56) brechen die mit ‚kätzchenartig angeordneten Blüten reichlich besetzte! Blütenstände — liteke li ba pl. mateke ma ba — hervor, die wie bei den meisten Palmen getrennten Geschlechtes sind, jedoch in der nämlichen Krone, nicht auf verschiedenen Individuen sich entwickeln. Ueber den kürzer gestielten und gedrungeneren weiblichen stehen besenförmig auf- gerichtet die längeren männlichen Blütenstände Eine Palme reift während des Jahres durchschnittlich drei bis vier, seltener fünf und mehr der massigen Fruchtstände, — tschiässi tschi ngäsi pl. biässi bi ngäsi — welche niemals abwärts hängen. Sie werden aus zahl- reichen Einzelfrüchten — ngäsi pl. singäsi — gebildet, zwischen denen kurze Stacheln — nsende pl. sinsende — die Ueberreste der Ver- zweigungen des Blütenstandes hervorstarren. Die sehr fest sitzenden gedrängt wachsenden und in Folge davon unregelmässig abgeplatteten ‘und leicht kantigen Früchte (Abbildung I 102) erreichen die Grösse guter Pflaumen; sie sind fettglänzend, von hochgelber bis zinnober- rother Farbe und am Obertheil braunschwarz angelaufen. Ihr eigen- thümlicher feiner und erfrischender Geruch, der dem Veilchendufte ähnelt, charakterisirt auch das neu gewonnene Oel und ist sogar am ranzig gewordenen noch wahrnehmbar. Das sehr fetthaltige und faser- reiche Fruchtfleich umgiebt in verhältnissmässig dünner Lage die dick- schalige steinharte Nuss, in welcher ein hornartig fester, bläulichweisser Kern eng eingebettet liegt. Die Fruchtstände werden durchschnittlich zwanzig bis dreissig, unter besonders günstigen Umständen vierzig bis funfzig Kilogramm schwer; die abgelösten Früchte haben etwa den dritten Theil des Gewichtes vom frisch abgeschnittenen Fruchtstande.*) Die Oelpalme ist den Menschen in umfassender Weise nutzbar. Sie liefert das Oel — mblembo, mlembu, mänsi ma ngäsi — für den Handel, das fette entfaserte Fruchtfleisch — muämba — zur Speise; in Zeiten der Noth bilden auch die den häufig weggeworfenen, dann aber wieder aufgesuchten und zerschlagenen Nüssen — liküundi li ba *) Nach dem am besten gelungenen und somit zuverlässigsten der von mir in grösse- rem Massstabe angestellten Versuche, bei der primitiven landesüblichen Weise der Oelgewinnung den jährlichen Ertrag einer Palme kennen zu lernen, ergab sich folgendes; eine Palme bringt jährlich drei bis vier Fruchtstände zur Reife, welche durchschnittlich 30 kg Früchte liefern; von diesen gewinnt man gegenwärtig 2.94 kg Oel und 3.84 kg Kerne. Die Fruchtfleischrückstände zeigen jedoch noch einen sehr hohen Fettgehalt. Nach einer von Professor Paul Ascherson mitgetheilten chemischen Analyse enthält das Fruchtfleisch 71.6°/o, die Kernmasse 47.7 °/o Oel. 160 Nutzbarkeit der Oelpalme. pl. makündi ma ba — entnommenen Kerne — likändi li ba pl. ma- kandi ma ba — ein nicht zu unterschätzendes Nahrungsmittel. Ferner liefert sie willig, und ohne Schaden zu leiden, grössere Mengen ihres erfrischenden Saftes*) — nyemvo oder auch mimbo — zum Bereiten des Palmweines — maläfa ma samba. Die stattlichen Wedel — tschy- ele pl. bity@le — lassen sich trefflich zu Umzäunungen für Gehöfte und grosser Fischereianlagen in Flüssen sowie paarweise auch zur schnellen Herstellung leichter und zäher Tragkörbe — muteta pl. miteta — zum Transport von Waaren (Abbildung II 2ı) verwenden; die Rippen und Streifen der Fiederblätter — nkunsa pl. sinkunsa — bilden ein ausgezeichnetes und sehr dauerhaftes Flechtmateriai zum Ueberziehen geschlossener Körbe — ngöngo, ligöngo pl. magöngo — und vieler Geräthe, denen man einen eben so gefälligen wie beliebten buntfarbigen Schmuck geben will. Die Rippen allein werden zu zier- lichen Besen — msesse pl. misesse — zum Abkehren der Hütten- wände, des Hausrathes verarbeitet; die ausserordentlich festen Gefäss- bündel der Wedelstiele vertreten die Stelle der Darmsaiten bei den Musikinstrumenten. Das angenehm bitterlich schmeckende Fruchtfleisch scheint allen Thieren eine beliebte Nahrung oder doch Nebenkost zu sein. Es wird seines hohen Fettgehaltes wegen begierig nicht blos von Affen und Papageien, sondern auch Rhinocerosvögeln, Adlern (Gypohierax an- golensis), Ziegen, Schafen, Antilopen, Büffeln, Schweinen, Hunden, Schakalen und sogar von Leoparden gefressen. Die unter diesen Ver- hältnissen allenthalben verschleppten Nüsse keimen willig auf trockenem und leichtem wie auf feuchtem und schwerem Boden; auf letzterem, namentlich im lockeren Buschwalde reift die Palme jedoch die grössten Fruchtstände. Es scheint indessen, dass die Schösslinge in Dickungen von Busch und Gras wie in geschlossenen Wäldern in ihrem Wachs- thum nicht nur beeinträchtigt, sondern sogar erstickt werden, dass sie nur dort lebenskräftig bleiben, wo sie Raum und Luft haben oder sich mindestens zugleich mit anderen Holzgewächsen entwickeln; sonst müsste die Oelpalme auch in weit bedeutenderer Menge vorkommen. Sie findet sich zwar nicht auf dem eigentlichen so vielen Ver- änderungen unterworfenen und darum jeder älteren Vegetation baren *) Aus den abgeschnittenen männlichen Blütenständen — die Wedelstiele werden in der Regel nicht dazu benutzt — quillt mehrere Tage hindurch — die Dauer schwankt je nach Standort und Jahreszeit — täglich 1.5 bis 0.5 Liter Palmmost. Dieser geht schon binnen weniger Stunden in Gährung über, bekommt einen scharfen Geschmack und wirkt berauschend. Er ist vorzüglich geeignet zur Auflockerung des Teiges von Gebäcken, Standort. Verbreitung. 161 Strandwall, wol aber unmittelbar hinter ihm auf den vom Salzwasser durchtränkten Ufern der Flüsse wie der Lagunen; im Gebirgswalde grüsst vereinzelt auch von den höchsten Gipfeln der westlichen Ketten noch ihr anmuthiger Wedelstrauss herab. Dennoch ist sie vorzugs- weise ein Baum der offenen Landschaft. Hat sie erst eine gewisse Grösse erreicht, dann erträgt sie ohne Schaden zu leiden sowol die Umschliessung von anderen, sie überragenden Gewächsen wie monate- lange Ueberschwemmungen ihres Standortes und die auflodernden Flammen der um sie wüthenden Grasbrände Die jungen Pflanzen werden dagegen vom Feuer sehr häufig getödtet und entwickeln sich darum vorzugsweise in der Umgebung von Dörfern, wo der Mersch, der die Brände von seinen Hütten fernhält, sie indirect beschützt — sie aber nicht etwa absichtlich anpflanzt. Der Mangel an jungen und halb- wüchsigen Individuen ist überhaupt auffallend. Geschlossene reine Bestände von Elaeis, in welchen auch nur hundert Bäume beisammen stünden, giebt es nicht. In Folge der Eingriffe der Thierwelt wachsen sie allenthalben verstreut; da sie jedoch vorwiegend durch den Menschen verbreitet werden, finden sie sich hauptsächlich in Gruppen und lichten Hainen an Lagerplätzen, in der Umgebung älterer Dörfer wie auch an einsamen Orten, sei es mitten im Walde, sei es auf der Savane, wo vielleicht vor Generationen eine Ansiedelung gegründet war. Darum ist die Oelpalme vornehmlich als ein Symbol menschlicher Wohnsitze zu betrachten; wie die Ruinen in Culturländern kennzeichnet sie noch verlassene Stätten, an welchen einst das rasch wechselnde Geschlecht gehaust hat. Sie ist das wichtigste Handelsgewächs Centralafricas, wenn nicht überhaupt des ganzen Erdtheiles für die Zukunft. Obgleich verhält- nissmässig nur erst enge Gebiete dem Handel erschlossen sind, lässt sich gegenwärtig der Werth ihrer alljährlich nach Europa einge- führten Erträgnisse, Oel und Kerne, auf fünfzig bis sechszig Millionen Mark veranschlagen. Sie ist und wird angepflanzt in Westindien, Südamerica, auf Ceylon und den ostindischen Inseln.. In ihrer natür- lichen geographischen Verbreitung ist sie auf die westliche Hälfte des tropischen Africa beschränkt: sie ist heimisch in den Gebieten des unteren Niger, Binue und des Congo; den indischen Ocean er- reicht sie nicht. Ihre östlichsten Standorte sind das Westufer des Nyassa, das Ostufer des Tanganikasees und das Land der Monbuttu, wo sie Schweinfurth entdeckte. Ihre nördlichen und südlichen Ver- breitungsgrenzen im Inneren des Continentes sind noch nicht zu be- stimmen, an der Küste fallen dieselben etwa mit den Gebieten des Gambia und Kunene zusammen. Sie scheint jedoch auf die verschiedenen Loango. III, IL 162 Kokospalme. Gigantische Raphia. Gegenden in sehr ungleicher Anzahl vertheilt zu sein. Auf den Guinea- inseln kommt sie ebenfalls vor, in ungewöhnlicher Menge namentlich auf der Ostseite von Fernando Po, wo sie nach Baikie noch neun- hundert Meter über dem Meere gedeiht. Im Inneren Angoölas wächst sie gleichfalls noch in bedeutender Höhe, nach Soyaux aber nicht mehr in voller Kraft und Schönheit. — Die nützliche, namentlich die Küstenstriche tropischer Länder schmückende Kokospalme (Cocos nucifera L.) ist wol in Oberguinea in Menge verbreitet, an der Loangoküste dagegen, wie überhaupt in ganz Unterguinea — mit Ausnahme einiger Orte in den portu- giesischen Provinzen — ungemein selten. Ich möchte behaupten, dass in Loango nicht dreissig Bäume aufzufinden sind: acht sind zu Ma- lemba, vier andere im Jahre ı866 neben einer Factorei unfern der Tschiloangomündung angepflanzt worden, und etwa ein Dutzend wächst verstreut in der Umgegend Tschintschötschos. Die Eingeborenen schenken der Kokospalme keine Beachtung, holen kaum die reifen Früchte herab und nennen sie ba ya mpütu oder libäa li mpütu pl. mabä ma mpütu die Oelpalme vom Meere oder vom Weissmänner- land; sie ist aber von Europäern eingeführt und wird jedenfalls nicht am Strande angespült. Die imposanteste Form unter den Fiederpalmen vertritt unstreitig die stammlose, in Westafrica gemeinhin auch Bambuspalme genannte Weinpalme (Raphia) — ntombi pl. matömbi. Sie tritt bestandbildend auf und liebt den Wald sowie versumpfte oder doch feuchte Boden- strecken. Ihre ungeheuren, reich belaubten und zu mächtigen, weit ausladenden Garben (Abbildung II Titelblatt) vereinigten Wedel er- reichen, je nach Art und Standort, durchschnittlich acht bis zehn oder zwölf bis funfzehn oder achtzehn Meter Länge und in der vollen Rundung ihrer Schäfte an der stärksten Stelle zwanzig bis zweiund- dreissig Centimeter Umfang. In Yumba traf ich in Morästen mitten im Walde eine neue Species, die an riesiger Entwickelung alles über- bot, was mir je vor Augen gekommen; ihr würde mit Recht der Name Raphia maxima gebühren. Der mannshohe, nahezu fünf Meter im Umfange messende Stamm — wenn man den Theil, der von aussen betrachtet, den Stamm vertritt, so nennen darf — eines der kraft- vollsten Individuen trug vierundvierzig grünende Wedel, von welchen der scheinbar grösste eine Länge von zweiundzwanzig und einen halben Meter und an der Schaftrundung einundvierzig Centimeter Umfang aufwies. Diese gigantischen Gewächse finden sich in verschiedenen Gruppen am rechten Ufer des Bänya, unfern der Mündung in der Umgebung einer verrufenen, den Eingeborenen wolbekannten Lichtung’ Strunk. Blüten- und Fruchtstände. 1 2163 die Tschimpünyi, etwa „Mordfleck“ heisst. Dort stand einst ein Dorf, “und vor Zeiten soll dort ein Mädchen in einem Anfall von Eifersucht einen weissen Mann erstochen haben. Unter besonderen Umständen: wenn sie dauernd von den Menschen ihrer älteren Wedel beraubt oder von Hippopotamen befressen wird oder vereinzelt im Schlusse des Hochwaldes aufwächst, zeigt die Ra- phia einige Neigung zur Stammbildung, wenigstens wird ihrem Strunke dieses Aussehen aufgezwungen. Doch kann Stammbildung immerhin nur als seltenes Vorkommniss gelten. Sie wurde blos in einer Gegend beobachtet und zwar auf der mittleren Inselgruppe — Tschisülu, Tschingömbe, Tschibebe — des unteren Kuilu und in deren Um- gebung. Auf dem nicht versumpften Boden im Hochwalde wachsende Exemplare besassen Stämme von sechs bis acht Meter Höhe, welche in Folge der anhaftenden Reste von Blattstielen denen der ungerei- nigten Oelpalme ähnelten. Die Grösse und Form der sie schmückenden Wedelkronen wie die niederhängenden Blüten- und Fruchtstände machten jedoch einen Irrthum unmöglich. Die sich bis zu zwei Meter Länge entwickelnden Blütenstände entspringen aus den Achseln der jüngeren Wedel — mehrmals habe ich auch beobachtet, dass sie Wedelschäfte kurz über deren Haft- stelle durchbohrt hatten — und gleichen riesigen starren Aehren. Sie sind mit einem wunderbar zarten Duft geschmückt, der in goldigen, röthlichen und blauen Farben wie angehaucht auf ihnen liegt und leicht verwischt werden kann. Die: einen grossen harten Kern in sich schliessenden und je nach der Art verschieden gestalteten Früchte erreichen die Grösse eines Gänseeies und sind ähnlich wie die Ananas schuppenartig gegliedert, jedoch hart und fest geschlossen. Wie polirt schimmern sie in hochrothen und goldbraunen Farben, die dunkler abgetönt sind. An manchen Aehren sitzen sie zu Hunderten, und ein grosser, frisch abgelöster Fruchtstand bildet daher eine tüchtige Last für einen Mann. Obwol das Mark des sogenannten Stammes ein sagoähnliches Nahrungsmittel liefern würde, beachten dennoch die Eingeborenen die Raphia nicht als Nährpflanze und mögen nicht einmal Palmmost von ihr gewinnen, da er an Wolgeschmack dem der übrigen Arten. “ weit nachsteht. Um so mannigfaltiger verwerthen sie die Schäfte — liküulukülu pl. makülukülu — die davon abgeschälten langen Splinte — mbansa, libansa pl. mabansa — und Fiederblätter — nkünsa . pl. sinkunsa — der Wedel — tschyele pl. bity&le — zu Bauzwecken, zur Anfertigung von Geräthen und schönen Gewändern. Das faser- reiche geschmeidige Mark liefert gute Flaschenstöpsel. Eingehenderes 11* 164 - Raphiaspecies. Festigkeit der Wedelschäfte. . ‘ darüber enthält das sechste Capitel. Aus der sehr haltbaren Oberhaut der Blätter — mpüsu pl. simpusu — werden die quadratischen, nur selten noch als „Strohgeld“ in Tauschhandel verwendeten Zeugstücke — luböngo pl. simböngo und mfula pl. simfüla — gewoben und zu Gewandungen — ngombo pl. singombo — verarbeitet. Das feinste dieser Gewebe, ein geschmeidiger, seidenglänzender und goldig schim- mernder Stoff, darf nur von Fürstinnen getragen werden und ist gegen- wärtig eben so selten wie kostbar, da die Herstellung der reich be- fransten Gewandtücher — ngömbo nimba — wegen der schwierigen Beschaffung des Materiales mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Ich habe nur eines dieser Prunkkleider gesehen und schliesslich auch zu eigen erhalten. Die Eingeborenen unterscheiden drei Arten der Raphia, die zwar noch der wissenschaftlichen Bestimmung harren, aber gewiss auch von Botanikern anerkannt werden dürften. Die Ntombi li köngo, die verbreitetste Art, besitzt gelbroth gefärbte elastische und feste Wedelschäfte, längliche kleine Früchte und liefert eine geringe, leicht brüchig werdende Faser; vermuthlich ist es R. vinifera. Die Ntombi li voä treibt die riesigsten Wedel — es ist die in Yumba heimische Art, die ich Raphia maxima nennen möchte — doch splittern die gelben oder gelblichgrünen Schäfte sehr leicht und er- tragen nur geringe Belastung; die Fasern sind dagegen gut, die läng- lichen Früchte gross. Pinselähnlich aufgespaltene trockene Schaft- stücken bilden ausgezeichnete Fackeln. Die Ntömbi li nimba, wahr- scheinlich R. textilis, ist in jeder Hinsicht die vorzüglichste: ihre schlanken dunkelgrünen, oft violett angehauchten Schäfte, die manch- mal bis zur halben Länge walzenrund und blattlos sind, besitzen eine ausgezeichnete Festigkeit, die grossen Früchte sind fast kugelförmig, und die Fiedern liefern die besten Fasern zu Geweben. Ein mir als Tragstange für die Hängematte geschenktes, vier- hundertundneunzig Centimeter in der Länge, achtzehn und zwanzig Centimeter im Umfange messendes Schaftstück von der letztgenannten Art war von erlesener Schönheit: schnurgerade, vollkommen rund und federleicht. Seine Elasticität und Haltbarkeit erwies sich als so bedeutend, dass es, an beiden Enden unterstützt, in seiner Mitte nicht nur mein Körpergewicht — damals an achtzig Kilogramm — willig trug, sondern auch einige Turnübungen aushielt, ohne Schaden zu leiden. Es war mir zu werth, als dass ich es hätte bis zum Brechen belasten mögen. Die Schäfte der erstgenannten, ungemein häufigen Art sind zwar nicht von so ausgezeichneter Güte, besitzen jedoch ebenfalls eine erstaunliche Festigkeit. Standorte der Raphia. Phoenix spinosa. 165 Die Ntombi li nimba scheint verhältnissmässig selten zu sein und soll in grösseren Gruppen nur am Songölo bei Luändschili und am oberen Luemme vorkommen. DBestandbildend tritt dagegen die Ntombi li köngo in allen Flussniederungen und morastigen Boden- senkungen sowol im Vorlande wie im Gebirge auf und zwar vom Congo bis nördlich vom Kuilu, wo sie seltener wird. Sicher ist, dass beide Arten am Bänya nicht mehr zu finden sind. In Yümba ist nur die Ntombi li voä heimisch, deren ungeheure Wedelschäfte eine auffallend geringe Widerstandsfähigkeit besitzen. Ich bin nicht sicher, ob sie südwärts bis zum Gebiete des Kuilu verbreitet ist; nordwärts soll sie ausschliesslich am Nyänga und noch am Sette vorkommen. Im Gabun fand ich eine Raphia, die ich für identisch halte mit der in Loango massenhaft auftretenden Ntömbi li köngo. — Die zierlichste und anmuthigste der vorkommenden Fiederpalmen ist die wilde Dattelpalme (Phoenix spinosa Thonn.) — livuvu pl. ma- vuvu. In ihrer Jugendform erscheint sie als ein krauses stacheliges Gebüsch, das die besiedelten Strecken ungangbar macht; aus diesem wachsen bis zu zehn Meter Höhe die schlanken und wenig genarbten mannigfach gebogenen Schäfte empor, welche luftige Kronen leicht gekrümmter starrer Wedel und langgestielte, orangenfarben schim- mernde Fruchttrauben tragen (Abbildung I 8ı und III zu Anfang von Capitel IX); die mit äusserst zarten, gelblichweiss gefärbten Blumen dicht besetzten Blütenstände bilden einen ungemein lieblichen, eigen- thümlich duftenden Strauss, der in nordischen Ländern gewiss als eine köstliche Gabe der Natur bewundert werden würde. Wo sie locker vertheilt wächst, da ist die Phoenix der vollkommene Typus graciöser Leichtigkeit, und namentlich an Flussufern, zwischen düstern Mangroven eingestreut, tritt sie in überraschend schönen Gruppen hervor. Wo sie jedoch zu Klumpen vereint im engen Schlusse auf- gewachsen ist, da verliert sie all ihre Anmuth und steht starr und steif wie in Reih und Glied. Von ihr wird, leider nur in geringen Mengen, ein würziger Palm- most gewonnen, welcher an erfrischendem Wolgeschmack den aller übrigen Arten weit übertrifft. Die geraden, sehr dauerhaften Stämme werden im Naturzustande vielfach zur Herstellung von Pfahlwänden an Gebäuden benutzt, in denen man begehrte Güter unterbringen will. Eine anderweitige Verwerthung der wilden Dattelpalme ist mir nicht bekannt. Sie liebt die von salzigem Wasser durchtränkten Ufer- leisten der Flüsse und die Ränder der Lagunen, gedeiht aber auch auf trockneren Bodenstrecken, sofern diese nicht allzuweit von Ge- wässern abliegen. Ihre Heimat ist die Küstengegend, und über die 166 Typus der Fächerpalme. Zone des Brackwassers hinaus hat sie keine nennenswerthe Ver- breitung. In Gesellschaft von Oelpalmen kommt sie blos zufällig einmal vor. — Noch strenger scheint an das Meer gebunden die einzige im Ge- biete vorkommende Fächerpalme — nt£fa, litefa pl. matefa, am Congo auch nteva und nte@ba. Sehr wahrscheinlich, wenn sie nicht eine neue Species vertritt, ist sie identisch mit der an der Küste von Ober- guinea heimischen Hyphaene guineensis Thonn.*) und stimmt jeden- falls weder mit der africanischen Deleb (Borassus Aethiopum Mart.), noch mit der indischen Palmyrapalme (B. flabelliformis L) — wenn dies wirklich verschiedene Species sind — überein. Wie die Oelpalme entwickelt sie sich zu einer ausgeglichenen kraftvollen Pflanzengestalt (Abbildung I Titelblatt), die allerdings weniger den Typus des An- muthigen als den der markigen Starrheit vertritt. Ihr säulenartiger Stamm erreicht durchschnittlich zehn bis zwölf, in seltenen Fällen bis zwanzig Meter Höhe. Eine halbe Stunde nördlich von Tschintschötscho findet sich indessen am Strande eine weithin sichtbare Gruppe fünf äusserst schlanker Bäume, von welchen zwei etwa fünfunddreissig Meter hoch aufragen. In Oberguinea bemerkte ich öfters ein gleich übermässiges Wachsthum der Hyphaene. Der Stamm zeigt weder eine Anschwellung in der Mitte wie die Deleb- palme oder die H. ventricosa Kirk vom Zambesi, noch ist er verästelt wie bei der nordafricanischen Dompalme oder wiederholt gegabelt wie bei den anderen in Südwestafrica heimischen verwandten Arten (H. coriacea Gaertn. und H- benguellensis Welw.); er ist vielmehr walzen- rund, schnurgerade und immer — trotz vorherrschender starker See- winde — wie bei der Oelpalme senkrecht aufgerichtet. Unter vielen tausenden habe ich nur drei einfach getheilte Ntefapalmen gefunden, deren eine auf der Abbildung mit dargestellt ist. Die mattgrünen, langgestielten und stark gekrümmten fächer- förmigen Blätter sind tief gespalten, aber ziemlich steif und unbe- weglich. Zwölf bis zwanzig bilden im Durchschnitt die Krone des Baumes; über einunddreissig wurden nicht gezählt. So lange sie lebenskräftig sind, stehen die Hälften der Blätter gegen einander auf- *) In den Berichten der Expedition wurde die Ntefa als Borassus aufgeführt. Da ich aber die in Oberguinea gesehene Hyphaene mit der Fächerpalme der Loangoküste äusserlich übereinstimmend fand, und mitgenommene Früchte denen der letzteren genau glichen, theilte ich Herrn Professor Paul Ascherson nach unserer Rückkehr das Nähere über die Abkunft des nach Berlin eingesandten Fruchtstandes mit. Den Bemühungen des liebenswürdigen Gelehrten gelang es, im Locale der Africanischen Gesellschaft noch einen Rest desselben aufzufinden und meine Vermuthung zu bestätigen, Wachsthum. Fruchtstand, 167 gerichtet, und zwar um so steiler, je jünger sie sind; die absterbenden älteren Fächer breiten sich dagegen flach aus und sinken allmählich abwärts. Da sie äusserst zähe sind und schwierig verwittern, da ferner der Baum die Stiele nicht abstösst, so bilden die vertrockneten und niedergesunkenen Blätter vieler Jahrgänge um den oberen Theil des Stammes eine eigenartige glockenförmige Umhüllung, eine grosse dichte Krause, welche der Palme ein sehr auffallendes Aussehen ver- leiht. Alte kraftvolle und frei stehende Bäume tragen diesen sonder- baren Umhang: in vollkommenster Weise, doch wird er an vielen durch die auflodernden Flammen der Campinenbrände beschädigt oder gänzlich vernichtet. Die halbverkohlten Stielreste bleiben trotz- dem oftmals an den Stämmen sitzen und gewähren dann den Anblick eines sie fest umschliessenden regelmässigen Flechtwerkes. Die Feuerbeständigkeit, die Zählebigkeit der Ntefa ist überhaupt bemerkenswerth: Ende September des Jahres 1875 wüthete eines Nachts das Feuer in einem lang ausgedehnten lichten Bestande an der Süd- seite der Kuilumündung; die stattlichen Bäume flammten nach einander wie Riesenfackeln auf und boten einen prächtigen Anblick. Nächsten Tages ragte die Mehrzahl kahl und schwarz und ohne Kronen gleich Telegraphenpfählen empor. Im April des nächsten Jahres grünte es wieder fröhlich auf allen Stämmen, viele trugen schon wieder gleich volle Wipfel wie vordem, nicht einer war zu Grunde gegangen. Das Wachsthum ist überhaupt zu manchen Zeiten überraschend gross. Die auf unserer Abbildung dargestellte typisch vollkommene Ntefa stand unfern unseres Gehöftes und wurde sorgsam vor jeder Beschädigung behütet. Zu Anfang des Jahres 1875 entwickelte sie innerhalb sieben- unddreissig Tagen drei ihrer grossen Fächerblätter. Die fast kugelrunden, im Zustand eben vollendeter Reife orange- farbenen, überreif indessen goldigbraunen Früchte erreichen die Grösse einer mässigen Faust. Die langgestreckten Fruchtstände entspringen aus den Blattachseln und stehen steif seitwärts, werden indessen bald durch das Gewicht der massenhaft entwickelten, locker vertheilten Früchte niedergezogen, so dass sie gleich riesigen Trauben über die Blätterkrause herabhängen. Ausgereifte Früchte sitzen so lose an den Stielen, dass ein glücklicher Wurf mit einem Knüttel oder eine in anderer Weise bewirkte Erschütterung sie in Menge zur Erde bringt. Ihr trockenes, widerlich süss wie Pfefferkuchen und Süss- holz schmeckendes Fleisch, das zwischen zahllosen starren, bürsten- ähnlich aufrecht stehenden Fasern sitzt, umgiebt in dünner Lage eine dickschalige, ausserordentlich harte Nuss, welche einen fetthaltigen bläulichweissen Kern einschliesst. 168 Nutzbarkeit der Hyphaene. Von letzteren könnte das Oel ausgepresst, der Rückstand als Viehfutter verwendet werden; die Schale würde sich vortrefflich zur Anfertigung von Knöpfen und anderen Kleinigkeiten eignen. Einen hohen Werth haben die grossen Fächerblätter. Sie lassen sich leicht in Streifen spalten, die ein äusserst zähes und geschmeidiges Material zu feinem und grobem Flechtwerk bieten. Werden sie wie die der mittelamericanischen Pandanee Nacuma (Carludovica palmata Ruiz. et. Pavon.) behandelt, so stehen sie ihnen in keiner Hinsicht nach, und bei der grossen Geschicklichkeit und Neigung der Bafiöte für kunstvolle Knoten- und Flechtarbeiten könnten Guineahüte leicht die theuren Panamahüte ersetzen. Ausser den vom Stengel einer am Kuilu wachsenden Scitaminee — tschindübi pl. bindubi — geschälten Bast- bändern ist mir keine Pflanzenfaser bekannt, die bei entsprechender Form eine grössere Unverwüstlichkeit besässe. Gegenwärtig ist die Ausnutzung der Palme eine geringfügige. Most wird von ihr selten abgezapft, da er anderem an Güte nachsteht. Hauptsächlich flechten die Leute aus fingerbreiten Blattstreifen sehr dauerhafte Mattensäcke — die später in Europa nach Papierfabriken wandern — zum Fort- schaffen der Erdnüsse (Arachis hypogaea) und Oelpalmenkerne, aus schmaleren allerlei hübsche Korbwaaren, deren beste sie gern wiederum mit dem zierlichen, buntgemusterten Geflechte überziehen, welches sie aus den Fiedern der Ela&is herstellen. Aus ähnlichen Streifen verfertigen sie ausgezeichnete bürstenähnlich steife Besen — nkömbosi pl. sinkömbosi — zum Fegen der Plätze und Gassen in Dörfern. Die Ntefa erlangt durch ihre geographische Verbreitung eine be- sondere Wichtigkeit. Sie scheint streng an das Meer gebunden, aber, wie sich bald ergeben wird, nicht darum, weil sie es liebt, nur in dessen Nähe gedeihen kann, sondern weil die Strömungen zu ihrem Auftreten und Verschwinden in engster Beziehung stehen. Sie ver- mag also wichtige Aufschlüsse zu geben, und im ersten Capitel (Seite 16), wo es sich darum handelte, die Nordgrenze der südatlantischen Strömung in unmittelbarer Nähe der Küste festzustellen, führte ich sie bereits als eines der charakteristischen Merkmale an. Mit welchem Rechte, wird sich aus dem Folgenden ergeben. Die Ntefa ist ein Kind der offenen Landschaft. Sie gedeiht nur in der Campine oder in Gesellschaft von ihresgleichen; wo immer der Buschwald um sie heranwächst, da geht sie zu Grunde. Selbst jüngere, eng gedrängte Bestände verwandeln sich mit zunehmendem Alter in lichte Haine, weil die kräftigeren Individuen die schwächeren ihrer Grenossen erdrücken. Die Ntefa braucht Luft und Licht. Die Standorte, Verbreitung. 169 in der Savane verstreuten, mögen sie auf Kuppen und Hängen der Hügel oder im Flachlande stehen, also auf trockenem oder auf wasser- reichem Boden wie am Congo, sind daher, wenn sie nicht wiederholt vom Feuer geschädigt wurden, durchschnittlich am kraftvollsten ent- wickelt. Trotzdem sind sie im Binnenlande auffallend selten, und nirgends — mit Ausnahme der Congoniederung — fand ich sie weiter als zwei bis drei Meilen vom Meere entfernt. Sie verdanken ihr Dasein nur zufällig landeinwärts verschleppten Früchten und haben sich darum nicht zahlreicher verbreitet, weil diese weder von Menschen noch Thieren beachtet werden. Ihren eigensten Standort haben sie un- mittelbar über dem Strande auf einem etwa hundert Schritt breiten Strich des Lateritgeländes und zwar so hart an dessen Steilabfall, dass sie mit dem von der Calema unterwaschenen Gestein vielfach auf den Strandwall niederstürzen. Die senkrechte Erhebung des Küsten- striches ist aber für ihr Auftreten keineswegs gleichgültig. Auf allen hochgelegenen Strecken zwischen Congo und Tschiloango, ferner auf dem Plateau von Pontanegra und Buäla sind sie spärlich vertheilt wie in der Savane oder fehlen gänzlich. Wo immer dagegen das Land sich zum Strande niedersenkt, nur um ein Geringes über ihn erhöht ist, namentlich also von Tschintschötscho nordwärts bis über Winga hinaus, da umsäumen sie abwechselnd in gedrängten Beständen, lichten Hainen und lockeren Reihen die Küstenlinie. In ähnlicher Vertheilung erscheinen sie zum letzten Male jenseits der Bai von Loango in der Niederung des Kuilu und zwar auf den alten Nehrungen des Stromes — der ja sein Mündungsgebiet mehr- fach in bedeutsamer Weise verändert hat und es noch immer im un- unterbrochenen Kampfe mit der Calema umgestaltet. Bis zu seiner auf der Karte angegebenen Mündung ist die Ntefa gleich häufig; jenseits derselben, so weit die ältesten Nehrungen noch deutlich zu verfolgen sind, tritt sie in geringerer Anzahl auf. Dann aber, über- raschend plötzlich wird sie seltener, ohne indessen an Stattlichkeit einzubüssen; hier und dort taucht sie wol nochmals am Strande auf, aber lange bevor man die Bai von Tschilünga erreicht, sind ihre vertrauten starren Gestalten unmerklich aus dem Landschaftsbilde verschwunden. Und nirgends wieder in nördlichen Gebieten Unter- guineas ist sie heimisch — denn die am Cap Matüti, der Grenzmarke der Loangoküste, wachsenden drei Palmen sind offenbar von Menschen dahin gebracht worden. Nach brieflicher Mittheilung von Dr. Lenz und mündlicher Angabe vom Herrn von Koppenfels kommt sie im Ogöwegebiet nicht vor; ich habe sie ferner bei allerdings nur flüch- tigen Besuchen weder am Gabun noch Camerun noch auf Fernando Po 170 ” Herkunft der Hyphaene. bemerkt. Erst an den Nigermündungen, Cap Formosa, erscheint sie wieder — wenn sie nämlich, wie vorläufig anzunehmen, identisch ist mit H. guineensis Thonn. — und bildet in der bekannten Anordnung einen sehr charakteristischen Schmuck der Küste bis jenseits von Cap Palmas. Südlich vom Congo, wo das Land plateauähnlich aufragt, findet sich die Ntefa, wie auf entsprechenden Strecken der Loangoküste, in der Campine verstreut. Nach Aussage dort lebender Händler kommt sie in ziemlicher Menge vor und nirgends weit vom Meere. Vom Dampfer aus sowie an einigen berührten Puncten konnte ich sie nicht in grösserer Anzahl erblicken. Südlich vom Flusse Lelündo wird sie selten und verschwindet, noch ehe Ambrisette erreicht ist. In den portugiesischen Provinzen treten an ihre Stelle die schon früher angeführten und keineswegs blos in der Meeresnähe vorkommenden verwandten Arten, die schon nach dem allgemeinen Habitus leicht von ihr zu unterscheiden sind. Demnach ist die merkwürdige Palme in Unterguinea auf einen sehr schmalen Küstenstrich von mässiger Ausdehnung — kaum drei Breitengrade — beschränkt. Nordwärts liegt ihre Verbreitungsgrenze in der Gegend, in welcher die südatlantische Strömung durch den Guineastrom von der Küste abgedrängt wird; sie fehlt an allen Strecken, an welchen der letztere herrscht: in der Bai von Biäfra, wo er das Gestade berührt und soweit er, nach Süden umbiegend, sich an diesem entlang wälzt. Jenseits des Congo findet sie sich in dem Küstenge- biete, welches wenigstens zu gewissen Zeiten — wie die auch dort strandenden schwimmenden Inseln (Seite 45) beweisen — von einem über Westen nach Süden und Osten sich wendenden kleinen Theil oder Nebenarm der im Meere sich ausbreitenden und in der Haupt- masse nach Nordwesten strömenden Congofluten getroffen wird. Sie kann nicht von der südatlantischen Strömung aus der Ferne herbeigeführt worden sein, denn gerade an den von dieser haupt- sächlich bespülten Strecken wachsen andere Hyphaenenarten. Sie kann aber auch nicht im Lande heimisch gewesen, etwa über Land, über das abschliessende bewaldete Gebirge gekommen sein, denn ihr Standort ist der Küstensaum des niederen Landes, und von diesem aus hat sie sich erst auf die Erhebungen sowie binnenwärts ver- breitet. Schliesslich kann sie auch nicht die Bedingungen ihres Ge- deihens lediglich hart am Meere finden: denn gleich kräftig wächst sie in einiger Entfernung von ihm noch hinter schützenden Wäldern der Savane auf Hügeln wie im Flachlande — und in der Congo- niederung hat sie sich sogar auf den Inseln wie Ufern des Stromes Hyphaene und Ficus. 171 an allen waldlosen, theilweise sogar von den Hochwassern über- schwemmten Strecken bis zum Gebirge in grosser Menge angesiedelt. Oberflächenströmungen des Meeres dringen aber in dieses Flussgebiet nicht ein. Die Ntefa lässt sich überdies an dem Riesenstrom noch weiter aufwärts verfolgen. Denn als ein Beweis ihres Vorkommens in ost- wärts gelegenen Gebieten ist die Thatsache anzuführen, dass die aus dem Hinterlande nach Böma geschafften Erdnüsse ausnahmslos in die bekannten, aus ihren Fächerblättern hergestellten Mattensäcke ver- packt sind. Die Congomündung liegt ungefähr in der Mitte ihres Verbreitungsgebietes an der Küste, und die mit den ausfliessenden Gewässern treibenden Gegenstände gelangen unmittelbar oder mit Hülfe der Meeresströmungen und Winde an die betreffenden Strand- strecken. Somit scheint die Frage nach der Herkunft der Hyphaene beantwortet: sie ist ein vom Congo aus dem Inneren der Küste über- brachtes Geschenk. In Oberguinea könnte ihre Verbreitung, in der nämlichen Weise stattgefunden haben: die Gewässer des Niger führten die Früchte zum Meere, und Küstenströmungen beförderten sie in nördlicher Richtung. Andere als diese beschriebenen fünf Palmen sind uns in Loango nicht bekannt geworden; überhaupt ist mir während der langen Hin- und Rückreise keine andere Art aufgefallen, namentlich Borassus habe ich an keinem berührten Landungspuncte gefunden. — In merkwürdiger Abhängigkeit von der Verbreitung der Ntefa scheint das Auftreten einer banyanenähnlichen Ficusart zu stehen, die als unechter Schmarotzer auf ihr keimt und sich später selbst- ständig zu einer gewaltigen und charakteristischen Pflanzenform, zu einem dicht belaubten gigantischen Strauch entwickelt. Diese Ficus wird gleich der Hyphaene im Gebiete des Ogöwe, Gabun, Camerun und auf Fernando Po nicht gefunden — sofern eigene flüchtige Anschauungen und vielfache Erkundigungen mass- gebend sein können; in Oberguinea sah ich sie dagegen mehrfach und immer nur auf Strecken, welche auch die Hyphaene inne hatte. Dort wird sie von den Engländern mit dem Namen Umbrella-tree bezeichnet, welcher vielleicht um ihres Wuchses willen gewählt wurde, wahrscheinlicher aber entstanden ist aus dem botanischen Namen Ficus umbellata Vahl. Ob nun aber der letztere Name sich gerade auf die fragliche Art bezieht und nicht auf eine andere mit voll aus- gebildetem Stamm und schirmförmig ausgebreiteten Aesten — die ebenfalls eine Vertreterin in Loango hat —, lasse ich dahingestellt. Auch muss vorläufig unentschieden bleiben, ob die banyanenähnliche 172 Typus der Ficus „Lutatu“. im Gebiete der Hyphaene nördlich vom Aequator vorkommende Art ein und dieselbe ist mit der unter gleichen Bedingungen südlich vom Aequator gedeihenden. Jedenfalls konnte ich andere äusserliche Ver- schiedenheiten nicht bemerken, als dass die in Oberguinea gesehenen weniger riesenhaft entwickelt waren. Blätter und Früchte stimmten überein: erstere sind von der Grösse der der Camellien, gleich dick und glänzend, aber etwas mehr zugespitzt — jedoch nicht so sehr wie bei Ficus religiosa L. — und kurzgestielt; letztere, die ich nur im unreifen Zustande vergleichen konnte, hatten die Grösse von Zucker- erbsen. An der Loangoküste beobachtete ich diese Ficusart — lutätu pl. matätu — ausschliesslich auf den Strecken, welche die Ntefa besiedelt hat, also nur in der offenen Landschaft eines schmalen Küstenstriches; am Congo sah ich sie nicht und nie im Walde. In der Regel findet sie sich in oder nahe bei Dörfern oder auf alten Dorfstätten, so dass sie gleich der Oelpalme als ein Wahrzeichen menschlicher Wohnsitze be- trachtet werden kann. Doch ist sie überall sehr selten. Auf einer Strecke, wo sie verhältnissmässig häufig ist, vier Meilen nordwärts wie südwärts von Tchinstchötscho, habe ich blos neun Individuen ent- decken können. Von diesen waren drei noch sehr jung und klammerten sich an eben so viele Fächerpalmen in den Nachbardörfern Tumbu und Yenga; die übrigen hatten sich bereits zu selbständigen Pflanzen entwickelt. Die auf der Abbildung dargestellte steht an der nördlichen La- gune — gegenwärtig ist sie zum Flussbett geworden (Seite 32) — des Tschiloango, unfern vom Strandwall. Sie breitet sich schnell aus, indem ihre Seitentriebe benachbarte Oelpalmen umschlingen und abwürgen. Die nächstgrösste steht bei dem Dorfe Yenga, aber die riesigste von allen erhebt sich frei und weithin sichtbar auf dem Plateau von Pon- tanegra. Schön gerundet wie eine mächtige Kuppel steigt sie aus dem niederen Grasbestande empor; ihre bis zur Erde niederreichende Belaubung beschattet einen Raum von siebzig Schritt Durchmesser. Im Inneren dieses Pflanzenwunders bewegt man sich auf einem aller Vegetation baren Boden zwischen dem seltsam gekreuzten und ver- schlungenen Gerüst von Aesten und Wurzeln, wie in einer weiten von Dämmerlicht erfüllten Festlaube, welche in ihrem Aufbau eben so grotesk wie grandios erscheint. Dieser Aufbau vollzieht sich in eigenthümlicher Weise. Niemals sah ich die junge Ficus gleich anderem Strauchwerk unmittelbar aus dem Boden, noch an einem anderen Stamme als dem der Ntefa wachsen, wo ihr allerdings die anhaftenden Blattstiele die besten Ansiedelungs- “(nyexn snorg) “unequosıog JoyaıjuyrusurkAuegg Wurzelgerüst und Gezweig. 173 puncte bieten. Von den Achseln derselben beginnt sie ihre Ent- wickelung, indem sie schüchtern einige kleine Zweige treibt und ab- wärts eine Anzahl dünner in Faserbündel ausstrahlender Wurzeln zur Erde sendet. Letztere, vom Winde hin und her geschaukelt, an tiefer sitzenden Stielresten seitlich abbiegend, verschlingen sich mit einander und legen sich zugleich um den tragenden Stamm. So umgeben sie ihn zunächst mit einem unscheinbaren, lockeren Geflecht. Bald aber erstarkt dieses und umschnürt kräftiger den Träger, während es zu- gleich an allen Kreuzungsstellen anastomosirt. Von den schwanken und häufig niederhängenden Zweigen, welche sich oben entwickeln und im Verlaufe der Zeit die Krone der Ntefa überragen (Abbildung III 119), gehen nun ebenfalls Luftwurzeln aus, welche mit der Um- schnürung verwachsen oder frei zur Erde gelangen und in diese ein- dringen. Nicht lange mehr, und die befallene Palme wird erdrückt, stirbt ab und fängt an zu verrotten. Aber ihr Würger lebt fort, er ist nun selbständig geworden. Von überall, nur nicht aus der Erde, wachsen andere belaubte Zweige aufwärts wie seitwärts, breiten sich aus und stützen sich auf neue Luftwurzeln, die pfeilergleich erstarken. Bald ist nicht mehr mit Sicherheit zu erkennen, was als Wurzel-, was als Astbildung aufge- fasst werden darf, denn eine wie die andere mag hier belaubte Zweige treiben, dort umschlingend und würgend auftreten. Ein wirklicher Hauptstamm ist nicht vorhanden, sondern blos ein vielgestaltiges mitt- leres Wurzelgerüst, das bei den verschiedenen Individuen sich sehr abweichend aufbaut, dessen mannigfach gewundene, vieltheilige, oft weit über mannesdicke Streben bis zu bedeutender Höhe bald frei, bald in einander geschlungen und fest verwachsen emporragen. Neben diesem ältesten Hauptwurzelgerüst entwickeln sich aber oftmals in verschiedener Entfernung andere, die ihm an Massigkeit nur wenig nachstehen. Dazwischen hängen junge, verschieden starke Pflanzen- taue nieder, die Pfeiler und Stützen umschlingen oder senkrecht in die Erde gewachsen sind oder am frei schwingenden Ende ein schön korallenrothes Faserbündel ausstrahlen. Dieses eigenartige, nach allen Richtungen mehr oder minder fest verschlungene und verbundene Gerüstwerk trägt in Menge die nach aussen zum Licht strebenden schön belaubten Zweige, so dass gewissermassen das Ganze wie ein Strauch von riesenhafter Grösse erscheint, dessen hochragender Blätter- dom sich bis zur Erde niederwölbt. Ein stetig fortwachsendes Individuum müsste schliesslich einen ganzen Wald bilden und viel grösser sein als irgend eines der ge- sehenen, von denen allerdings keines uralt erschien. Trotz aller Bei- 174 Fortpflanzung. hülfe weiterer ausgesendeter Wurzeln scheint jedoch die Entwickelung noch vorwiegend von dem mittleren Wurzelgerüst abhängig zu bleiben und mit der Vergrösserung an der Peripherie langsamer zu werden. Erreichen jedoch — wie es bei dem abgebildeten Individuum der Fall ist — die Seitentriebe benachbarte Bäume, die sie umschlingen können und im Laufe der Zeit ebenfalls abwürgen, dann entstehen dort neue Hauptwurzelgerüste. Diese bilden abermals Mittelpuncte, von welchen Wurzelgerüst der Ficus ‚Lutatu‘. . aus das seitliche Wachsthum um so lebhafter fortschreiten kann. — Die in Dörfern stehenden Ficus werden offenbar durch das Treiben der Menschen, denen sie bei Versammlungen als Schattenspender dienen, und der Hausthiere in ihrer vollen Entfaltung gehindert. Sie sehen weit kümmerlicher aus als diejenigen, welche an einsamen Orten aufwachsen. Die Seltenheit der Lutätu lässt sich durch mancherlei Um- stände erklären. Ihre Früchte fallen in grosser Menge schon vor der Reife ab und scheinen von Thieren nicht beachtet zu werden, ausser von der grünen Papageitaube (Treron calva). Diese zieht zwar regelmässig in Schwärmen an der Küste entlang, rastet indessen selten im Wipfel Ficus „Nsanda“, 175 der Ntefa, welche doch wiederum der einzige häufige Baum ist, dessen Stamm dem keimfähigen Samen Ansiedelungspuncte darbietet. Da aber die von der Krone niederhängende Blätterkrause wie ein Schirm ausgebreitet ist, kann der Same nicht leicht in die Blattachseln fallen. Ist dies trotzdem in einzelnen Fällen geschehen, so mögen immerhin die zarten Pflanzen noch. von mancherlei Unfällen betroffen werden und absterben, bevor sie erstarken und im Boden wurzeln können. Wurzelgerüste der Ficus ‚„Nsanda“. Eine zweite Ficusart — nsända pl. sinsäanda — mit handgrossem, weichem Laube und Früchten von der Grösse eines Hühnereies be- ginnt gleich der Lutätu ihr Dasein epiphytisch als Würger, entwickelt sich indessen nicht zur Strauchform, sondern wächst zu einem statt- lichen Waldbaume auf. Sie ist ebenfalls selten. Ich habe sie nur in wenigen und älteren Exemplaren im Galleriewalde des Kuilu, in der Niederung wie im Gebirge, und auf dem Hügellande der Bai von Yumba gefunden. Der deutlich erkennbare Ausgangspunct aller be- fand sich nirgends höher als etwa zehn Meter über dem Boden. Auf einem Vorsprung oder Astknoten eines Stammes hat sich der Same 176 Ficus „Nsanda.“ angesiedelt. Wieder wird zunächst der befallene Baum mit einem Wurzelgeflecht umschnürt, welches an den Kreuzungsstellen fest mit einander verschmilzt; gleichzeitig sendet aber der Würger an der Seite, wo er dem Träger aufsitzt, verschiedene Wurzeln aus, welche frei gestreckt in die Erde eindringen oder unter günstigen Umständen sogar einen anderen nahen Baum umklammern. Dieses eigenthümliche Verhalten wurde an allen Individuen beobachtet. Wenn nun später der Träger getödtet ist und verrottet, somit der neben ihm aufragende Feigenbaum seinen wichtigen Halt verliert, leisten diesem jene zur rechten Zeit seitlich entsendeten und mittlerweile erstarkten Wurzeln treffliche Dienste als Stützen und Halttaue, die ihn vor dem Um- sinken bewahren. Trotzdem mag mancher während dieser Zeit sein Gleichgewicht verlieren und sammt seinem ungenügenden Wurzel- gerüst niederbrechen. Ich fand wenigstens ein Exemplar, welches nur dadurch vom gänzlichen Sturze bewahrt worden war, dass sein Wipfel sich in den eines benachbarten Baumes lehnte. Sein über Mannes- stärke besitzender langer Stamm lag sehr schräg, und man konnte an dem noch aufgerichteten Gerüst emporsteigend, dann reitend ohne besondere Anstrengung zur grünenden Krone gelangen. So stellte sich heraus, dass vom Gezweig — obwol der Baum sicherlich schon viele Jahre in dieser Stellung verharrte -- keine Luftwurzeln ausge- bildet waren, um neuen Halt zu gewinnen und schliesslich den Nachbar zu verderben, wie es bei der Lutätu doch gewiss geschehen wäre. Der selbständig gewordene, auf*hinreichenden Stützen ruhende Würger kann sich dagegen in voller Sicherheit weiter entwickeln und zwischen den übrigen Waldbäumen mit seinem von sparrigem breit ausgelegtem Astwerk gebildeten Wipfel dem Lichte zustreben. Das wunderliche, während eines längeren Zeitraumes skeletähnliche Wurzelgerüst verwächst allmählich zu einem seltsam geformten klo- bigen und gewulsteten Stammstück, welches im Inneren hohl bleibt, und an manchen Stellen noch einen Einblick wie Durchblick gestattet. Es ist zu vermuthen, dass diese Ficusart identisch ist mit einer anderen, ebenfalls Nsända genannten, welche in der offenen Land- schaft namentlich in Dörfern und auf alten Ansiedelungspuncten des Küstenstriches bemerkt wurde. Blätter und Früchte halte ich für übereinstimmend. Letztere Bäume entwickeln sich aber nicht als un- echte Schmarotzer, sondern wachsen frei aus dem Boden heraus und zeigen einen zwiefachen Habitus: Entweder ragen sie als stattliche Bäume mit locker verästeltem Wipfel empor, oder sie breiten über sehr kurzem Stamme ihr knorriges Gezweig schirmartig horizontal aus. Ein unfern der Tschiloangomündung stehendes Individuum von dieser Affenbrotbaum. ° i 177 Gestalt (Abbildung I 146) beschattet mit seiner dichten Belaubung einen Raum von dreissig Schritt Durchmesser, welcher ein beliebter Sammelplatz für Müssiggänger ist, aber auch vielfach gewählt wird, um Streitigkeiten gerichtlich zu entscheiden. Immerhin hat man Be- rechtigung zu der Annahme, dass die Nsända sich sowol epiphytisch als Würger wie als selbständiger Baum entwickeln kann. — Zwei ansehnliche Epiphyten, eine gelb und eine roth blühende -Loranthusart, schmarotzen vielfach auf der Nsända und Lutätu sowie auf Wollbäumen, schmücken jedoch besonders häufig das Gezweig der Mangroven. Ein hervorragender laubwerfender Charakterbaum der offenen Landschaft ist der Affenbrotbaum oder Baobab (Adansonia digitata L.) — mkondo pl. miköndo. Er entwickelt sich zu kolossaler Grösse, zeigt jedoch an der Loangoküste nicht die grotesken und bizarren Formen, welche ihm nach Abbildungen und Beschreibungen von Reisenden in anderen Theilen Africas eigenthümlich sind. Die auf dem der ersten Abtheilung beigegebenen Farbendruckbilde dicht neben dem Gehöfte stehenden beiden Riesenbäume sind normal gewachsene Adansonien. Hin und wieder fallen wol einmal an einem Individuum wunderliche Bildungen und abnorme Verhältnisse auf, doch lassen sich diese auf zufällige Beschädigungen zurückführen; der beliebte Vergleich mit einer schattenlosen Ruine würde nur auf einen mir bekannten Baobab anwendbar sein, und diesen hat der Sturm, vielleicht auch Blitzschlag des Wipfels beraubt. Im Allgemeinen ähnelt die Gestalt des Affenbrotbaumes der unserer riesigen, auf Hutungen wachsenden Eichen. Wie diese besitzt er mannig- faltige individuelle Verschiedenheiten, zeigt jedoch in der Regel ein weniger knorriges und nicht in so scharfen Biegungen verlaufendes Astgerüst. Man könnte behufs schärferer Eintheilung einen dreifachen Habitus der Adansonia aufstellen. Ihr massiger astloser Stamm ist entweder walzenrund, fast gleichmässig dick und trägt säulenähnlich in grosser Höhe den Wipfel; oder er ist kurz, auffallend gedrungen und gewulstet und zertheilt sich unfern vom Boden in eine Anzahl gleichwerthiger Aeste; oder er sendet schon von geringer Höhe an riesiges Astwerk aus, bleibt aber bis mindestens zu zwei Drittel Ent- fernung vom Boden als Haupttheil des Baumes deutlich erkennbar. Die höchste Adansonia von der ersten Form steht zu Landäna; ihr gewaltiger gerade aufsteigender Stamm misst bis zu den ersten Aesten an siebzehn Meter bei einem Umfange von acht Meter; zwei andere unfern von Tschintschötscho haben elf und dreizehn Meter. Höhe und fast sechs Meter Umfang. Ein Riese von der zweiten Form Loango. III. 12 178 Stamm und Geäst. (Abbildung II 56) steht zu Böma am Congoufer; der Umfang seines kurzen gewulsteten Stammes schwankt zwischen zwölf und vierzehn Meter — je nachdem man die Messschnur umlegt — der schöne Wipfel ragt über zwanzig Meter hoch auf und beschattet einen Raum von siebzig Schritt Durchmesser. In die Rinde seiner unteren Aeste sind viele Namen von Besuchern eingeschnitten, darunter auch der des Mannes, welcher wol mehr Gebiete Africas aus eigener Anschauung kennt als irgend ein anderer: Richard Burton 1863. Einzelne der schlangengleich am Erdboden hinlaufenden und vielfach entblössten Seitenwurzeln lassen sich dreissig und vierzig Schritt weit verfolgen. Ein ähnliches Exemplar, welches fern im Süden, eine halbe Stunde landein von Ambrisette wächst, ist ungleich grösser: der Umfang seines Stammes beträgt siebenundzwanzig Meter, doch ist der Wipfel weniger gleichmässig entwickelt. Die dritte und gemeinste Form habe ich, wol nur zufällig, nie von ähnlicher imposanter Grösse gesehen. Bei ihr bemerkt man hier und da auch einmal auffallend absonder- liche Auswüchse am Stamme: wandförmig heraustretende Pfeiler sowie mächtige Kloben und Wulstungen, welche manchmal dicht mit abgerundeten, traubenförmig aneinander gedrängten Warzen besetzt sind. Doch finden sich derartige überflüssige Bildungen immerhin selten. So ist denn die Adansonia der Loangoküste ein verschiedenartig entwickelter, in der Regel aber wolgewachsener Baum von gigan- tischer Gestalt, dessen Stamm und Geäst von übermässiger, man könnte sagen, ungeschlachter Dicke erscheinen. Sie gleicht einem Ueberreste aus grauer Vorzeit und nimmt im Pflanzenreiche mit dem Drachenbaume (Dracaena draco L.) etwa eine ähnliche Stellung ein wie Elephant, Hippopotamus und Wal im Thierreiche.e Von Mitte Juni bis Ende September steht sie laublos wie ein Riesengerippe da und kommt, da sie eine glatte und hellgraue Rinde besitzt und frei steht, im Landschaftsbilde zu besonderer Geltung. Während der übrigen Monate trägt sie eine dichte Belaubung. Die Blätter sind fünf- oder siebenfach gefingert. Blüten und Früchte hängen, gleichsam wie an dünnen Stricken, an fünfzig bis siebzig Centimeter langen Stielen vom Gezweig herab (Abbildung III zu Anfang von Capitel VIII). Die sehr ansehnliche und gewichtige, mit einem grossen Büschel langer Staub- fäden quastenähnlich verzierte Blüte erreicht einen Durchmesser von zwölf bis fünfzehn Centimeter und erscheint anfänglich von rein weisser Farbe, später mit gelbbraunen Tüpfeln gesprenkelt. Sie verbreitet einen schwachen, des Abends stärker werdenden unangenehmen Geruch, der, wie bei manchen Pilzen, an verwesendes Fleisch erinnert. Die Früchte sind sehr abweichend gestaltet: bald melonenähnlich, Nutzbarkeit der Adansonia. 179 bald langgestreckt wie Gurken, bald lang und dick zugleich. Die von uns mitgebrachten von nur mittlerer Grösse erregten dennoch ob dieser das Staunen von Forschern, die nur den Baobab der öst- lichen Gebiete Africas kennen. Ihre dünne holzige Schale, welche mit einem fest anhaftenden, im frischen Zustande goldiggrünen Sam- metüberzug sehr hübsch bekleidet ist — an alten Früchten ver- bleichen die freundlichen Farben desselben — umschliesst fest ein feines, durch Faserbündel der Länge nach leicht in Abschnitte ge- theiltes Mark, in welchem die schwarzen bis haselnussgrossen Samen fest eingebettet ruhen. Die reife ausgetrocknete Frucht ist über- raschend leicht. Mark und Samen werden weder von Menschen noch von Thieren genossen; erstere greifen selbst bei Hungersnoth nicht zu diesem Nahrungsmittel, das sie überhaupt als solches gar nicht kennen — nur Liebhaber sollen aus jungen Blättern ein Gemüse be- reiten — und letztere finden allenthalben besser mundende Erzeug- nisse des Pflanzenreiches. Niemals fand ich im Freien Früchte, welche etwa von Thieren beschädigt gewesen wären, und unsere zahmen Affen der verschiedensten Arten kosteten höchstens einmal von dem ihnen gereichten Marke, das im frischen Zustande nicht unangenehm säuerlich schmeckt, und warfen es dann beiseite. Die Adansonia wird nur in geringfügiger Weise benutzt. Das weisse, sehr mürbe Holz ist nicht einmal zum Brennen tauglich, das willig fortglimmende trockene Mark der Früchte — msünga pl. mi- sunga — wird dagegen als Zunder und, in grösserer Menge, zur Er- zeugung von Rauch verwerthet, mit welchem man die Mosquitos vertreibt oder doch zu verscheuchen sucht. Aus dem sehr festen, unter der dicken Rinde sitzenden, netzähnlich verbundenen Faserge- webe — miele miköndo —, welches aus südlich vom Congo gelegenen Gebieten, nachdem ]J. J. Monteiro 1865 seinen Werth erkannt hatte, nach europäischen Papierfabriken ausgeführt wird, wissen die Leute durch Knoten und Flechten sehr dauerhafte Beutel und Säcke her- zustellen. Die harten Fruchtschalen benutzen sie als Schöpfgefässe in ihren Canoes, oder gestalten sie zu primitiven Musikinstrumenten. Eine anderweite Verwendung irgend welcher Theile habe ich nicht bemerkt. Will Jemand einen Baobab besteigen, vielleicht um die an ihm wachsende besonders geschätzte Orseille, Färberflechte, Orchilla weed (Roccella tinctoria und R. fuciformis D. C.) zu sammeln, so nimmt er einfach eine entsprechende Anzahl zugespitzter Holzpflöcke und treibt diese in den Stamm ein, indem er zugleich von einem zum anderen aufwärts steigt. Gewöhnlich bewegt er sich dabei in einer steilen Spirale um den Baum herum. 122 180 Varietäten der Adansonia. Früchte. Nicht nach dem schon beschriebenen äusseren Habitus der Bäume, wol aber nach der Form der Früchte lassen sich drei Varietäten von der Adansonia unterscheiden. Die verbreitetste derselben, wahrscheinlich A. digitata L., bringt längliche Früchte hervor, die im Durchschnitt an dreissig Centimeter Länge und fünfundvierzig Centimeter Umfang besitzen. Doch haben wir darunter auch erstaunlich grosse, wahre Riesen, gefunden, deren Masse bis achtundfünfzig Centimeter in der Länge und einundsiebzig Centimeter im Umfange stiegen. Ein durch die Längsachse geführter Schnitt stellt ein zugespitztes Oval dar. Die Früchte der beiden übrigen Varietäten entsprechen den Extremen dieser Mittelform. Die der einen sind durchschnittlich kleiner und abgerundeter; ihr Umfang entspricht dem zuerst angegebenen mitt- leren, aber ihre Länge ist auf zwanzig und funfzehn Centimeter ver- kürzt. Der Längsschnitt gleicht dem einer Melone; man könnte diese Art A. subglobosa nennen. Die der anderen sind bei höchstens an- näherndem Umfang wieder übermässig gestreckt wie Gurken, auch bisweilen gleich diesen leicht gekrümmt und messen fünfundvierzig bis fünfundfunfzig Centimeter in der Länge. Die grösste, ein Pracht- exemplar, mass sechsundsiebzig Centimeter bei siebenundvierzig Centi- meter Umfang. Die Mehrzahl der letzteren Art zeigt überdies mehr oder minder deutlich ausgebildete Längsrippen und nahe am Stiele eine leichte halsförmige Verengerung wie eine Flasche; daher sei diese Art als A. lageniformis unterschieden. Immer bringt der näm- liche Baum Früchte von der nämlichen Grundform, obwol von ver- schiedener Grösse hervor; doch scheint es, dass manche Bäume über- haupt grössere, andere kleinere entwickeln, bald in bedeutenderer, bald in geringerer Menge. Alle drei Varietäten der Adansonia lassen weitere unterscheidende Merkmale nicht erkennen und sind nicht an bestimmte Standorte ge- bunden; die A. subglobosa habe ich indessen öfter als die anderen am Wasser, auf feuchtem Boden gefunden. Sie alle stehen in voller Belaubung und Blüte Ende November, werfen ihre Blätter Anfang Juni ab und lassen dann auch wie noch später Früchte zur Erde fallen. Stiele der letzteren bilden indessen bis zur neuen Vegetations- periode einen im Winde sckaukelnden eigenthümlichen Schmuck des sonst kahlen Gezweiges. Hin und wieder ereignet es sich auch einmal, dass ein laubloser Baum oder blos der eine oder andere Zweig des- selben mitten in der Trockenzeit, im Juli oder August wol, bereits eine Anzahl Blüten treibt. Sie scheinen indessen abzufallen, ohne Früchte hervorzubringen. Die Beschaffenheit des Standortes hat auf diese unzeitige Entwickelung keinen Einfluss. Standort. Mangel an jungen Bäumen. 181 Eine besondere Wichtigkeit gewinnt die Adansonia, da sie ein Wahrzeichen der offenen Landschaft ist. Sie braucht Raum, Luft und Licht; werden ihr diese Bedingungen des Gedeihens beschränkt, so verkümmert sie und geht zu Grunde. Die freie Grasflur ist ihre Heimat; im Hochwald habe ich sie niemals gefunden. Im Uebrigen ist es ihr aber gleichgültig, ob sie hart am Wasser oder auf trockenen Hügelkuppen wächst; einige habe ich sogar auf vollständig ver- sumpften Stellen gefunden. Sobald sich jedoch Buschwald um sie ansiedelt und Bäume sie einzuschliessen beginnen, zeigt sie bedenk- liche Spuren des Verfalles: sie wird erdrückt, verliert ihr Geäst und bricht endlich ganz und gar zusammen. Da sie ohnedies an der Loangoküste nicht häufig ist, würde sie allmählig seltener werden und schliesslich aus dem Gebiete verschwinden, wenn der Mensch fernerhin die Savanengehölze nicht mehr verwüsten wollte. Sie scheint überhaupt in Unterguinea, obwol sie im Süden vom Congo noch in ungeheurer Anzahl vorkommt, ihrem Aussterben entgegen zu gehen. Denn es ist eine bedeutsame Thatsache, dass es an jungem Nach- wuchs fehlt. Alle befragten Europäer und Eingeborenen bestätigten übereinstimmend den auffallenden Mangel an jüngeren Bäumen und Schösslingen, selbst in jenen Gebieten, in welchen die Adansonia in Menge auftritt. Es giebt nur alte und riesige Bäume, die Zwischen- formen fehlen gänzlich. Ich habe blos drei junge Individuen auf- finden können; eines derselben, an der Bai von Yumba wachsend, hatte sich aus einem im Jahre 1867 gelegten Samen entwickelt. Wodurch eigentlich der Mangel an Jugendformen bedingt wird, ist mir räthselhaft geblieben; Grasbrände und Waldentstehung ge- nügen keineswegs zur Erklärung. Vielleicht fehlen in den betreffenden Gebieten gegenwärtig diejenigen Thiere — Elephanten, Affenarten —, welche früher die Früchte zerbrachen und verschleppten; denn die starken holzigen Schalen halten die Kerne sehr fest gefangen und können nur durch äussere Eingriffe zertrümmert werden. Jeden- falls bleibt die Thatsache beachtenswerth, dass für die absterbenden Giganten ein nur annähernd entsprechender Ersatz nicht vor- handen ist. Die Anwesenheit der Adansonia giebt, bei deren ausgeprägter Eigenart Aufschluss über die Vegetationsverhältnisse ihrer Heimat in längst vergangenen Zeiten. Wie das Leitfossil dem Geologen eine Formation charakterisirt, so ist sie dem Botaniker und Pflanzengeo- graphen ein kennzeichnendes Merkmal waldloser Gebiete. Da sie sehr langsam zu wachsen scheint, darf man die Riesenbäume für uralt halten. Wo sie Gegenden beherrscht, dient sie sonach als Beweis, 182 Verbreitung der Adansonia. Wollbaum. dass diese mindestens seit Jahrhunderten waldlos gewesen sind — also ein dem entsprechendes Klima besassen (Seite 75). Nach Monteiro (Angola and the River Congo I ı03) findet sie sich in den Küsten- strichen südwärts von Ambrisette in ungeheurer Menge und bildet eigentlich einen einzigen lichten Bestand, während sie nordwärts bis zum Congo schon weniger häufig auftritt. Dort aber ist ihr Reich zu Ende An der Loangoküste findet. sie sich nur noch vereinzelt oder in kleinen Gruppen; bis Tschintschötscho wird man nicht viele Hundert Bäume zählen können. Dann wird sie ungleich seltener und erscheint zum letzten Male in stattlichen Exemplaren auf dem Plateau von Buäla. Dies ist ihre Nordgrenze, wenigstens habe ich sie ferner- hin nicht mehr entdecken können, auch von ihrem Vorkommen keine Nachricht erhalten. An der Bai von Yumba wächst der schon ge- nannte Schössling, weiter nördlich an der Küste sollen noch einige Pfleglinge gedeihen, damit aber ist ihre Spur verloren. Nach Dr. Lenz und Herrn von Koppenfels ist sie im Ogöwegebiet durchaus unbe- kannt, am Gabun jedoch in einem Missionsgarten angepflanzt. Am Camerun, auf Fernando Po, am Altcalabar und den Nigermündungen fehlt sie; erst in Oberguinea erscheint sie wieder und ist bis nach Senegambien verbreitet. Im aequatorialen Gebiete fallen demnach ihre Verbreitungsgrenzen ungefähr mit denen der Hyphaene guineensis zu- sammen, obwol man das Auftreten und Verschwinden beider auf ver- schiedene Ursachen zurückführen muss. Nach Angaben der zu Kakamücka am Kuilu und Mambi am Bänya gesprochenen Leute, welche Kautschuk nach den vorgeschobenen Handelsposten brachten, soll die Adansonia jenseits des Gebirges in der Steppe wieder in Menge vorkommen. Sie führten auch vielerlei Beutel und Säcke bei sich, welche aus der Faser verfertigt und von östlich wohnenden Stämmen eingetauscht waren. — Nächststehend der Adansonia an riesenhafter Entwickelung ist der Bombax, Wollbaum, Silk-cotton-tree (Eriodendron anfractuosum D. C. Bombax L.) — mfüma pl. mifüma. Er ist insofern höchst merk- würdig, als das Astgerüst der jungen und das der alten Bäume so bedeutende Abweichungen zeigt, dass in der Regel gar keine Aehn- lichkeit mehr aufzufinden ist. Auf Grund dieser höchst auffälligen und ausnahmslosen Verschiedenheit könnte man versucht sein, min- destens zwei Arten anzunehmen: eine stets zwerghaft bleibende und eine zu imposanter Grösse aufwachsende. Dennoch bestätigen die Aussagen der Eingeborenen wie der Jahrzehnte lang an der Küste an- sässigen Europäer übereinstimmend die wunderbare Wandlung im Aufbau des Bombax. Typus des Wollbaumes. Dornenbildung. 183 In seiner Jugendform steht er steif hochaufgeschossen, und seine quirlständigen, horizontal ausgelegten Aeste sind überraschend regel- mässig in Stockwerken angeordnet wie bei Araucarien. Diese Gestalt behält er aber höchstens bei, bis sein Stamm mannesstark geworden ist, dann schwindet erstaunlich schnell jede Gleichmässigkeit in seinem Aufbau, und er wird bald unseren Weissbuchen, bald unseren Eichen ähnlich. In grandioser Urwüchsigkeit ragt er empor, ein herrlicher Baum, an dessen Fusse gewaltige, grotesk geformte Flügelwände und Wurzelstützen ausstrahlen(Abbildung 1210, III, 143 rechts), dessen mächtig entwickelter Wipfel eine überaus volle weiche Belaubung trägt. Von Zeit zu Zeit, aber nicht immer während der gewitterlosen Monate wirft er diese ab und steht dann hellrindig gleich der Adansonia wie ein gigantisches Skelet zwischen immergrünen Hochgewächsen. In Wal- dungen aufgewachsene Individuen erreichen oftmals mehr als funfzig Meter Höhe, und ihre kolossalen Stämme steigen mit nur schwacher Verjüngung thurmartig aus den Pfeilern aufwärts; wo sie sich voll- ständig runden, mag ihr Umfang bis acht Meter betragen. So wett- eifern sie an Grösse mit jenen Riesenbäumen von der Buchenform im Galleriewalde des Kuilu und ragen gleich ihnen über das Laub- dach der gewöhnlichen Waldbäume hinaus. Eine besondere Eigenthümlichkeit des Bombax bilden die stumpfen Dornen oder Stacheln — nsende mfüma pl. sinsende si mfüma — welche so wenig fest auf seiner Rinde sitzen, dass man sie durch einen leichten Schlag abtrennen kann. Es entsteht dadurch keine Wunde, dagegen zeigt die entblösste Stelle ein wundervolles leuchtendes Grün. Dieselbe köstliche Farbe erscheint bisweilen auch an vereinzelten unverletzten Stellen der wandartigen Wurzelstützen. An jungen Stämmen finden sich die immer unregelmässig vertheilten kegelförmigen Dornen bis zu grosser Höhe und schmücken selbst noch die inneren Partieen des quirlständigen Geästes; an alten Bäumen rücken sie abwärts, und bei den grössten habe ich sie gewöhnlich nur noch an den Flügeln bemerkt. Sie erreichen dann bis sechs Centimeter Länge und an der Basis die Dicke eines Fingers. Bisweilen sind sie auf einer Stellezu Dutzenden eng aneinander gedrängt, während sie auf einer benachbarten nur ver- einzelt vorkommen oder gänzlich fehlen. Ihr Querschnitt ist an manchen Bäumen mehr dem Viereck, an anderen der Kreisform oder dem Oval genähert, obwol ihre Träger sonst keine Verschiedenheit erkennen lassen. Sie finden sich so regelmässig in grösserer oder geringerer Anzahl an jedem Wollbaum, aber an keiner anderen Baumart, dass man diesen daran im Walde erkennen kann, wenn wie so oft der Blick nach oben keine Aufklärung giebt. 184 Abweichende Vegetationsperioden der Wollbäume. Einen hübschen Anblick gewährt der Bombax, wenn seine zahl- losen Früchte, an zwölf bis siebzehn Centimeter lange, fünfstrahlig gewachsene Kapseln, springen und nun die fahl weissgelbe seiden- glänzende Samenwolle, welche kleine dunkelfarbige Körner umhüllt, in Bauschen und Ballen herausquillt. Manche besonders reichfrüchtige Bäume sehen dann aus wie mit Schnee behangen, oder als trügen sie eine bepuderte Perrücke. Im Januar und Februar springen die Fruchtkapseln, Ende October beginnt sich der Baum zu belauben und im Mai und Juni wirft er die Blätter wieder ab. Doch sind dies nur | allgemeine Angaben; denn der Bombax zeigt unter allen Bäumen die auffallendste Unregelmässigkeit, um nicht zu sagen, Willkür, in seiner Vegetationsperiode. Manche sieht man niemals ohne Belaubung, und wären nicht die Dornen, die Samenkapseln und die eigenartig geformten Blätter, so würde man sie für irgend eine Art immergrüne Bäume halten. Manche werfen ihr Laub plötzlich mitten in der Regenzeit beim Springen der Samenkapseln ab, entwickeln es in den nächsten Monaten von neuem und stehen lustig grünend während des grössten Theiles der Trocken- zeit. Noch andere mannigfaltige Abweichungen bewirken, dass man zu irgend einer Jahreszeit allenthalben sowol belaubte wie laublose Wollbäume gleichzeitig sehen kann und zwar nicht nur in grösserer Entfernung von einander, sondern auch in derselben eng gedrängten Gruppe oder im nämlichen Walde. Der Standort scheint nicht von bestimmendem Einfluss zu sein, obwol die in Busch und Grasflur vorkommenden ihre Entwickelung regelmässiger in die Regenzeit verlegen. Zwei Wollbäume, von denen der eine, ein sehr grosses, ausser- ordentlich schön gewachsenes Exemplar auf sehr feuchtem Boden im Thale der benachbarten Ouelle, der andere dagegen, ein verkümmertes Individuum, nahe bei unserem Gehöfte auf trockenem Campinenboden stand, habe ich in zwanzig Monaten nie laublos gesehen. In dem Galleriewalde des Kuilu fand ich vom Ende Juli bis Ende September bei dem sehr zahlreichen Wollbaume alle möglichen Unregelmässig- keiten. Eine Gruppe derselben am linken Ufer des Nanga — ihr Standort ist auf der Specialkarte vom Kuilu bezeichnet — aus neun der kolossalsten Bäume bestehend, die ich je bewundert, zeigte im August folgende Abweichungen: mehrere waren vollständig kahl, bei einem sprossten aber junge Blätter hervor, und vier trugen ihre volle Belaubung. Der Wollbaum ist gleich heimisch in der Savane wie im Hoch- wald, seine beste Entwickelung erreicht er indessen im letzteren, vor- Nutzbarkeit der Wollbäume. Pandaneen. 185 nehmlich auf den Uferleisten der Flüsse. Sein sehr leichtes, weiches und zugleich geschmeidiges Holz wählen die Eingeborenen gern zur Herstellung von Bildwerken sowie von Geräthen, namentlich Sesseln und Bänkchen — mbäta pl. simbäta — und hauen mit Vorliebe ihre Canoes — buätu bu mfüma pl. miätu mi mfüma — aus grossen Blöcken desselben. Zu diesem Zwecke fällen sie Bäume von entsprechender Stärke, indem sie, zwei bis fünf Meter über dem Boden in Schlingen sitzend, mit ihren säbelähnlichen Buschmessern Span um Span von dem Stamme oberhalb der Wurzelstützen hauen, bis dieser seinen Halt verliert; so bringen sie auch Waldriesen ersten Ranges, obwol erst nach wochenlanger geduldiger Arbeit, zum Stürzen. Mit der Samen- wolle — mköko li mfüma — stopfen sie auch manchmal Kissen — mpeto pl. simpeto — aus, um ihren Kopf weicher als gewöhnlich zu betten. — Andere Gewächse seien flüchtig erwähnt. Pandaneen — lifübu pl. mafübu — finden sich vorzugsweise in der Brackwasserzone, also an der Küste. Am Congo konnte ich in den dichten, am Saume der Mangrovenwaldungen auftretenden Beständen im Vorüberfahren nach breiten und schmalen Blättern zwei Arten unterscheiden. Am Kuilu fand ich auf ähnlichen Standorten zwei äusserlich sich durchaus gleichende breitblätterige Species, die etwa bis sechs Meter noch wuchsen. Die eine (Abbildung I 89) trug im August an dreissig bis funfzig Centimeter langen Stielen eine grosse dreissig bis vierzig Centimeter lange, bis vierzig Centimeter im Umfange messende Frucht, die im reifen Zustande schön goldgelb gefärbt war und einen starken köstlichen Duft aushauchte. Sie erwies sich als ungeniessbar. Die- selbe Art fand ich auch am Bänya und ein einziges stattliches Exem- plar auch im Gebirge unterhalb der Reis-Schnelle des Kuilu. Die andere seltenere Art trug an kürzerem Stiele etwa faustgrosse runde Früchte, die noch nicht gereift waren. Eine unvergleichlich schöne, wie von einem kunstsinnigen Gärtner geordnete Gruppe dieser Pan- daneen steht unfern vom Meere am linken Ufer des Kuilu, wo das Flüsschen Ntombi einmündet. Am Tschiloango und Lu&mme sind sie auffallend selten oder fehlen gänzlich, dagegen umsäumen sie in dichten Gallerien einen kleinen bei Longbondo parallel mit dem Strandwall fliessenden Bach. Einen Riesenpandanus (Abbildung II 112), der auf einer sechs und acht Meter hohen stets geraden Spindel einen mäch- tigen Schopf bis vier Meter langer Schwertblätter trägt, fand ich allenthalben verstreut in den wunderbaren Erosionsschluchten des Plateaus von Buäla. Pandaneen von solchem Wuchse und solcher Schönheit habe ich überhaupt noch nirgends gesehen. Diese Art tritt 186 Cola. Spathodea. Nkassabaum. nicht bestandbildend .auf und wird von den Umwohnern stark in Anspruch genommen, da sie aus den künstlich gefärbten Blattstreifen äusserst haltbare und sehr reichgemusterte feine wie grobe Matten — tschitefa tschi fübu pl. bitefa bi fübu — verfertigen. Der stattliche, schön belaubte Colabaum (Sterculia acuminata Beauv.) — likäsu pl. makäsu — ist im Vorlande, namentlich an der Küste selten, soll aber nach dem Gebirge hin häufiger und in den Wäldern Tschiyömbes in Menge vorkommen. Etliche angepflanzte stehen in der Umgebung Tschintschötschos, ein anderer wächst im Galleriewalde am linken Ufer des Kuilu unterhalb der obersten Insel Käma Tschitumbu auf einem bekannten nach ihm benannten Lager- platze. Die Kautschuk vom Gebirge zur Küste bringenden Kara- wanen führen oftmals viele Säcke voll der als Genuss- und Anregungs- mittel eifrig begehrten Nüsse — likandi li käsu pl. makändi ma kasu — oder besser Bohnen mit sich (Abbildung und Beschreibung I 85). Den Männern gelten sie als Aphrodisiaka, den Weibern als Beförderer der Conception. Die gerösteten Bohnen geben einen wolschmeckenden Kaffee. Nach Aussagen der Gebirgsbewohner könnten sie in Masse zur Küste gebracht werden, wenn die Factoreien sie aufkaufen wollten. Ein an Stattlichkeit mit der Cola wetteifernder Baum, der viel- fach schon durch den überraschend regelmässigen Aufbau des Ast- werkes auffällt, ist die Spathodea campanulata Beauv. Vornehmlich im Juli und August entfaltet sie die volle Pracht ihrer rothen Tulpen- blüten und bildet dann einen herrlichen Schmuck der Savanengehölze oder Campinen. An der Küste ist sie nirgends häufig, am Nänga dagegen habe ich sie in ziemlicher Menge bemerkt. Nach der Färbung der Blüten: leuchtend hellroth, ähnlich wie die bekannte Kaiserkrone (Fritillaria), oder dunkel karminroth, kann man zwei Varietäten unter- scheiden. Die erstere fand ich auch am Gabun, unfern der Haupt- factorei der Firma C. Woermann. Der interessante Giftbaum (Erythrophleum guineense Don) — nkässa pl. sinkässa —, eine im Hochwalde heimische Mimosee, deren pulve- risirte Rinde bei Gottesurtheilen verwendet wird, scheint im Vorlande selten zu sein. Uns sind nur drei Exemplare bekannt geworden: das eine steht in der Nähe von Tschintschötscho, das andere am Tschi- loango — bei beiden fanden sich Theile der Rinde abgelöst — das dritte entdeckte ich zufällig im Galleriewalde des Nänga: es war das grösste von allen, ein sehr hoher Baum von nahezu drei Meter Um- fang, der von Lianen fast erdrückt wurde. Blüte und Frucht war zu keiner Zeit zu beobachten; die Eingeborenen behaupten, er bringe diese niemals hervor und theilten mir ferner mit, dass er in den Gift der Nkassarinde. Versuche. 187 Wäldern des Gebirges sehr häufig sei. Ich habe ihn jedoch weder dort noch im Hügellande von Yümba bemerkt. In letzterem Gebiete benutzt man bei Gottesurtheilen die von der Pfahlwurzel eines im Buschwalde wachsenden, gemeinhin nur eine wenig verästelte Ruthe treibenden Strauches — mbündu pl. simbundu —, einer Strychnosart, geschabte rothe Rinde. Wir haben von beiden Pflanzen wie von anderen pharmakologisch wichtig erscheinenden die interessanten Theile gesammelt. Es ist bisher nur die Giftrinde des Nkässabaumes von Herrn Professor Liebreich im pharmakologischen Institut der Universität Berlin untersucht worden. Herr Dr. Max Boehr in Berlin berichtet ausführlich darüber im Correspondenzblatt der Africanischen Gesell- schaft (Band I Seite 322). Ich entlehne seinen Mittheilungen das Fol- gende: „Aus der übersendeten Quantität betrug die Summe des wässe- rigen Extractes zwanzig Procent, des alkoholischen Extractes acht- undzwanzig Procent. Es konnte aus dem wässerigen Extracte eine Substanz in krystallinischem Zustande erhalten werden, welche, wie spätere genauere Untersuchungen zeigen werden, das Alkaloid der Rinde repräsentirt. Diese Substanz sieht weisslich aus, ist mit schwach gelblicher Farbe sehr leicht in Wasser löslich und verhält sich schon in sehr kleinen Dosen als intensives Gift. „Wiederholte toxikologische Experimente an Hunden haben ge- zeigt, dass schon eine Dosis von funfzehn Milligramm, in einem Gramm Wasser gelöst und subcutan injieirt, ausreicht, den Hund unfehlbar zu tödten. Das Thier macht gleich nach der Injection einige Leck- bewegungen, geht unruhig umher, legt sich nieder, zeigt Beschleu- nigung der Athemfrequenz. Nach fünf bis zehn Minuten stellen sich Würge- und Brechbewegungen ein, die in Absätzen den Magen- inhalt vollständig entleeren; ziemlich gleichzeitig lässt der Hund ein starkes Geheul erschallen. Dann fällt das Thier, nachdem es viel- leicht noch kurz vorher einige unruhige Schritte zum Entlaufen ge- macht, um und ist todt. Krampf oder-Lähmungserscheinungen der willkürlichen Muskeln wurden während der ganzen Dauer der Ver- suche niemals beobachtet. Es schien, dass die Thiere auch bis zu ihrem Lebensende vollkommen das Bewusstsein behielten, da sie auf Anrufen Bewegungen machten. Dem Tode gieng stets eine kurze Dyspno& voraus. Die Section bot in allen Fällen dasselbe Bild: das Herz war gelähmt, beide Ventrikel und beide Vorhöfe strotzend mit Blut überfüllt, — das Herz also in allen seinen vier Höhlen im Zustande der vollständigsten Ausdehnung und Erschlaffung ver- harrend. 188 Mbundu. Liboka. „Es scheint also, dass der Tod in allen Fällen ausschliesslich auf die absolute Lähmung des Herzens zu beziehen ist. „Die Dauer des tödtlichen Versuches übertraf in drei von Pro- fessor Liebreich angestellten Experimenten bei kleinen Hunden nicht den Zeitraum einer Viertelstunde, also der Effect der subcutan in- jicirten Dosis ist ein ebenso rascher wie schrecklicher und constanter. „Auf Pflanzenfresser scheint das Gift einen nicht so energischen Einfluss auszuüben. Bei Kaltblütern (Fröschen) verläuft die Vergif- tung entschieden langsamer, die Art der physiologischen Wirkung ist aber immer dieselbe, niemals treten Lähmungen der willkürlichen Muskeln oder convulsivische Zuckungen ein; dagegen wird das Herz immer in allen seinen Höhlen im Zustande der vollständigen Diastole, also der Lähmung der gesammten Herzmusculatur angetroffen. „Aus den beschriebenen physiologischen Experimenten erklärt es sich vollkommen, wie beim Menschen äurch die Aufnahme des Giftes vom Magen her noch Rettung eintreten kann, wenn das Erbrechen so schnell erfolgt, dass die Hauptmasse des eingeführten Giftes mit entleert wird. Bei subcutaner Anwendung ist natürlich eine solche Rettung ausgeschlossen; da aber die Würge- und Brechbewegungen in den Complex der toxikologischen Erscheinungen gehören, so bietet das Auswerfen der meist gepulvert in den Magen eingeführten Rinde bei den Gottesurtheilen das Correctiv zur möglichen Rettung des Or- ganismus in manchen Fällen, ehe die Wirkung sich bis zur tödt- lichen Herzlähmung cumulirt.“ — Im sechsten Capitel werde ich den Verlauf eines unter Anwendung von Nkässarinde veranstalteten Gottesgerichtes eingehend schildern. Ueber die Wirkung der Mbünduwurzel konnte ich keine Beobach- tungen anstellen, doch wurde mir in Yümba erklärt, dass sehr bald nach dem Einnehmen des mit der geschabten Rinde vermischten und dadurch roth gefärbten Trankes der Schuldige zunächst die Herr- schaft über den Sphincter urethrae gänzlich verliere. Der Unschul- dige dagegen vermöge die entscheidende Probe zu bestehen: nämlich nur einige Tropfen Urin auf ein Bananenblatt fallen zu lassen. Der Schuldige aber sinke kurze Zeit nach dem nicht zu unterdrückenden massenhaften Abgange von rothem Urin zur Erde, strecke sich und sterbe. Eine andere zu harmloserem Zwecke verwendete Wurzel — liböka pl. maböka — ist die eines noch nicht bestimmten Strauches, der unserem gemeinen Hornstrauch oder Hartriegel (Cornus) ähnelt. Sie wird gekaut und soll sehr anheiternd wirken sowie bei grossen körper- lichen Anstrengungen, Lasttragen, Rudern, Märschen vor jeglicher Ermüdung schützen und den Hunger niederhalten, ohne irgend welche Monodora. Sideroxylon. 189 Nachtheile zu bringen. Auch Redner geniessen sie bei Volksver- sammlungen, weil sie die Athmung befördere, die Klangfarbe der Stimme rein erhalte und Gedächtniss wie Gedankengang anrege, sodass man stundenlang wirksam sprechen könne. Ich habe bei einer Probe, nach dem während des Nachmittags vorgenommenen Kauen von Wurzelstücken keine andere Wirkung verspürt, als dass ich in der folgenden Nacht nicht einzuschlafen vermochte, ungewöhnlich stark perspirirte und erst gegen Morgen in einen kurzen, durch aller- dings angenehme Träume gestörten Halbschlummer verfiel. Meine Esslust war nicht verringert. Die Liböka wächst nur in einzelnen Buschwäldern, namentlich im Norden der Loangoküste. *) Einen Schmuck der Savanengehölze bilden Anonaceen (Monodora), deren wunderlich gestaltete, in der Regel gelbliche Blüten weithin einen betäubenden Geruch verbreiten; sie fallen in solcher Menge ab, dass sie gleich einem Teppich den Boden bedecken, wodurch der Standort der nicht grossen Bäume unter Umständen schon von weitem erkennbar wird. In den nämlichen Wäldern findet sich auch hier und dort die interessante Sapotacee Sideroxylon dulcificum Alph. D.C. — lisaka pl. masaka — ein Strauch, dessen Steinfrüchte ziemlich fade schmecken, etwa wie recht wässerige Kirschen. Sie beeinflussen jedoch die Geschmacksnerven derartig, dass alle scharfen und saueren Ge- tränke, Speisen und Früchte sofort einen durchaus angenehmen Reiz auf der Zunge hervorbringen, wenn man einige Masäka gegessen hat. Der kratzigste Wein schmeckt danach wie erlesener Madeira. Der Genuss einiger Dutzend der merkwürdigen Früchte, die sonst keinerlei Störungen in den körperlichen Functionen hervorbringen, genügt, um den Irrthum der Geschmacksnerven für acht bis zehn Stunden auf- recht zu erhalten. Die Geruchsnerven werden jedoch nicht getäuscht; man riecht zum Beispiel den Essig, aber man schmeckt ihn nicht. Diesem Umstande ist es wol zuzuschreiben, dass unsere zahmen Affen — die ohnedies in Folge von mancherlei Experimenten absonderliches Futter mit Misstrauen betrachteten — obwol sie die Früchte gern verspeisten, sich dennoch in keinem Falle betrügen liessen. Ein durch die Anordnung und prächtige Färbung seiner Blüten und Früchte sehr auffallender Baum — lisönde pl. masönde — wahr- scheinlich eine Anacardiacee, der leider noch nicht bestimmt ist, findet *) Denjenigen Fachmännern, welche Untersuchungen der genannten interessanten Pflanzentheile anstellen wollen, kann ich sofort kleine, allerdings schon mehrere Jahre alte Proben zur Verfügung stellen. Doch ermöglichen mir auch mit der Küste aufrecht erhaltene Verbindungen grössere frisch gesammelte Mengen in vier bis sechs Monaten zu beschaffen. 190 Lisonde. Rothholzbaum. Spondias. sich ebenfalls in den Savanengehölzen, besonders in der Umgegend von Massälee, vereinzelt auch auf den Uferleisten des Nanga. Er ist in seinem Habitus dem asiatischen, in unseren Gärten und Promenaden- anlagen heimisch gewordenen Götterbaum (Ailanthus) überraschend ähnlich. Seine Blüten gleichen denen des Weinstockes, sind jedoch - leuchtend gelb und roth gefärbt und zu Trauben vereinigt, die über spannenlang werden. An ihre Stelle treten später zahlreiche kirschen- grosse, aber zugespitzte Beeren von prächtig purpurrother Farbe, deren weiche sammetartige Haut im Lichte mit einem eigenthümlichen Gold- glanze spielt. Sie sind weich und geben jedem Drucke nach, ohne ihre frühere Gestalt wieder anzunehmen. Das dunkelrothe, angenehm säuerlichsüss schmeckende Fruchtfleisch umschliesst einen dem der Olive ähnlichen Kern. Unser junger Gorilla wollte anfänglich keine andere Nahrung als diese zu sich nehmen. Auffallend aber wird der Baum besonders dadurch, dass seine Blüten und Früchte ihn nicht in der gewöhnlichen Weise zieren, sondern wie bei einigen bereits bekannten Bäumen aus dem alten Holze, unmittelbar aus dem untersten Geäst und namentlich aus dem Stamme bis zum Erdboden herab hervorbrechen. Da sie überdies an manchen Individuen in erstaun- licher Menge entwickelt sind, bilden sie einen ebenso eigenthümlichen wie schönen Schmuck derselben. Der bekannte Rothholzbaum, Camwood (Baphia nitida Afzel.) — lissesse pl. massesse — wächst sehr zahlreich im Gebirge, doch werden die ehemals in den Factoreien aufgekauften Blöcke — luküunga pl. sinküunga — gegenwärtig nicht mehr angeboten, da andere Pro- ducte im Handel weit besser lohnen. Die Eingeborenen dagegen ver- brauchen die aus dem zerriebenen grobfaserigen und brüchigen Holze hergestellte Farbe — tükula — in der mannigfaltigsten Weise sowol zum Färben wie als Reinigungs- Heil- und Verschönerungsmittel. Tukula spielt in ihrem Leben eine sehr wichtige Rolle. An der Küste, namentlich vom Congo bis Massäbe findet sich in und bei Factoreien wie auf alten Siedelplätzen der von Brasilien eingeführte Spondias lutea L. — ligenga pl. magenga oder migenga — eine Anacardiacee, deren Lebensfähigkeit überraschend gross ist. Jedes in die Erde geschobene Bruchstück eines Zweiges beginnt binnen wenigen Wochen lustig zu grünen, auch behauene, zu Zäunen ver- wendete Pfähle schlagen wieder aus, wenn ihnen nur noch einige Rinde geblieben ist; sogar ein seit zwei Jahren in unserer grössten Baracke als Dachsparren dienender Spondiasstamm begann eines Tages kräftige Zweige durch das dicke Palmblätterdach zu treiben. Ein Irrthum ist nicht anzunehmen, da ich selbst hinaufstieg, um die jungen Kafteee Milchsaftreicher Baum. 191 Schösslinge, welche unsere Bedachung durchlöcherten, aus dem Holze zu schneiden. Die gelben pflaumenähnlichen Früchte des Baumes haben nicht unangenehmen säuerlichen Geschmack und geben eine treffliche Limonade, machen aber die Zähne stumpf; sie werden nament- lich von Schweinen begierig gefressen. Die Blätter dienen zu Heil- zwecken, besonders mit denen des Chenopodium ambrostoides L. bei Bereitung von Dampfbädern zur Stärkung nach Fieberanfällen und zum Auflegen auf Geschwüre. Hausthiere, vornehmlich Ziegen, fressen sie begierig und klettern selbst an Zäunen empor, um sie zu erlangen; wären die leckeren Ziegen nicht, so würde der Spondias viel häu- figer sein. Vom Congo bis nach Tschintschötscho wächst vereinzelt auch eine strauchähnliche, sehr fein verzweigte aber durchaus blattlose Euphorbia — ndifa pl. sindifa — an Dörfern oder verlassenen Wohn- sitzen. Sie ist reich an Milchsaft, den die Eingeborenen als sehr giftig bezeichnen und bei Syphilis äusserlich als Einreibung verwenden. Für gleich giftig, und wol nicht mit Unrecht, halten sie die kleinen gelben Früchte eines echten, wahrscheinlich verwilderten krüppel- haften Pflaumenbaumes, den ich nur in der Umgebung von ehemaligen Wohnsitzen der alten Sclavenhändler gefunden habe. Die Pflaumen riechen und schmecken übermässig stark nach Blausäure. Kaffee kommt verstreut im Walde des Kuilugebietes vor, be- sonders zwischen Nanga und Gebirge; es sollen Bäume von °mehr als Schenkelstärke vorkommen. Die frischen Beeren und Bohnen, die mir leider erst kurz vor der Abreise gebracht wurden, sodass ich die Pflanzen nicht mehr selbst aufsuchen konnte, glichen denen des libe- rischen Kaffees. Noch ist eines anderen im Walde des Kuilugebietes heimischen Baumes zu gedenken, dessen prächtige Belaubung an die des Artocarpus integrifolia L. erinnert, dessen kugelrunde glatte und harte Früchte noch im unreifen Zustande — im August — bereits die Grösse eines Kindskopfes besassen. Sie gleichen im Inneren denen der Landolphia, hängen gewöhnlich paarweise an den Enden der Zweige und ziehen sie durch ihr Gewicht nieder. Alle Theile des Baumes strotzen von dickem Milchsafte, der aus jedem Einschnitte in beispielloser Menge hervorquillt und nach einem in das Geäst abgefeuerten Schrot- schusse wie ein starker Regen niedertropft. Er erhärtet an der Luft schnell zu einem langsam nachdunkelnden vorzüglichen Kautschuk. Wunderbarerweise scheinen die Eingeborenen den Baum gar nicht zu beachten, denn nirgends fand ich Wunden an Stämmen wie an denen anderer Art, die doch viel geringere Saftmengen liefern. Sie mussten 192 Kautschukliane. ihn auch nicht einmal mit Sicherheit zu benennen, denn die erhaltenen Namen — libülu, lunsumba, makundi — sind verdächtig. Die hauptsächlich das Kautschuk liefernde Pflanze — mehrere Euphorbiaceen spielen nur eine untergeordnete Rolle — ist die immer- grüne Liane (Abbildung II 99) Landolphia florida Beauv. — lilombo pl. malombo, eine Apocynacee, neben der Oelpalme das wichtigste wilde Gewächs des Gebietes. Ihre doldenähnlich beisammen stehenden orangenähnlich riechenden weissen Blüten verbreiten einen betäubenden Duft; ihre Früchte gleichen Orangen, enthalten aber sehr grosse, mit scharf säuerlich schmeckendem Fruchtfleisch umgebene Kerne. Nach- dem im Jahre 1867 der erste Kautschuk versuchsweise von Eingeborenen in Pontanegra angeboten und in Europa für gut befunden worden war, steigerte sich die Nachfrage in solchem Grade, dass die Be- völkerung von einem wirklichen Fabricationsfieber befallen wurde und in rücksichtslosester Weise verfuhr. So wurde die überall häu- fige Liane im Vorlande nahezu ausgerottet und findet sich dort meistens nur noch in schwachen Exemplaren, während sie im Gebirge und in einigen Hochwäldern noch in ihrer vollen Schönheit und Grösse — bis schenkelstark — vorkommt und jetzt auch durch die klüger ge- wordenen Leute in einer schonenden Weise ausgenutzt wird. Nach eigenen Versuchen rinnt die rosigweisse Milch aus einer Wunde | mehrere Stunden lang und reichlicher in der Regen- als in der Trocken- zeit. Da aber während der letzteren die Milch dicker, also kautschuk- reicher ist, werden die Erträge wol zu allen Jahreszeiten ziemlich die- selben sein.*) Das Kautschuk ist anfänglich schneeweiss und nimmt erst allmählich eine dunkele Farbe an. Sehr dichte und reine Stücke von Faustgrösse zeigen jetzt, fünf Jahre nach ihrer Gewinnung, noch ein vollständig weisses Innere von einer kaum einen Centimeter dicken dunkeln Schicht umgeben. — Eine eingehendere systematische, namentlich für Botaniker werth- volle Uebersicht der Vegetation des Gebietes wird an anderen Orten gegeben werden, wenn erst einmal die Sammlungen der Expedition bearbeitet worden sind. Einige Moose, welche einer grösseren, beson- ders im Gebiete des Kuilu angelegten Sammlung entstammen und von Herrn Dr. Karl Müller in Halle freundlich zur Bestimmung über- nommen wurden, bieten bereits mancherlei Neues. und Interessantes. Als besonders merkwürdig will ich hier nur des Octoblepharum albi- dum Hedw. gedenken — welches Herr Dr. K. Müller vor kurzem I *) Rohe Versuche ergaben, dass aus der Milch etwa 20°/o, höchstens aber 30°%o gutes Kautschuk gewonnen wird. Culturgewächse. 193 auch aus Lagos erhalten hat — eines Mooses, das in America heimisch ist, an der Westküste Africas bis zum Cap der guten Hoffnung vor- kommt, sonst aber nur noch von den Comoren und Mascarenen be- kannt ist. In Loango findet es sich an der Ntefa, in den Achseln der W edelstielreste. Es ist besonders darum hier zu nennen, weil es der Anzahl früher schon erwähnter interessanter Pflanzen zuzurechnen ist, die mindestens den Küsten Americas und Westafricas gemeinsam sind. — Die wichtigsten Culturgewächse des Gebietes sind: Maniok, Erd- nüsse (Arachis), Pisang; zweiten Ranges sind: Mais, Bohnen, Bataten; nur gelegentlich angepflanzt wurden: Angola oder Erderbsen (Voand- zeia), Yams (Dioscoroea), Erbsenbäume (Cajanus indicus). Ais Handels- gewächse haben Bedeutung erlangt: Erdnüsse, Sesam, Bohnen. In den Küchengärten der Factoreien gedeihen ausserdem, oder wurden in den Plantagen der französischen Mission zu Landäna sowie in den unseren um Tschintschötscho mit Glück cultivirt: Negerhirse, Hibiscus esculentus, Arrowroot (Maranta arundinacea), Taro (Colocasia, Arum esculentum), Salat, Rothkohl, Wirsing, Grünkohl, Carotten, Mangold- wurzel, Gurken, Melonen, Eierpflanzen (Solanum), Radieschen, Rettige, Zwiebeln, Knoblauch, Petersilie. Kohlrabi, Blumenkohl, Sellerie, Kar- toffeln geben unbefriedigende Erträge; Erbsen pflegen die Blüten abzustossen, bevor sie Frucht ansetzen. Ueberhaupt arten die gemässigteren Klimaten entstammenden Gewächse leicht aus, und es empfiehlt sich daher, von Zeit zu Zeit neuen Samen aus der Heimat zu beziehen. Die gewöhnlichen Kohl- arten erreichen eine erstaunliche Grösse, ebenso Rettige; Radieschen verlieren leicht ihre runde Form und werden rübenähnlich. Portulac, Tomaten (Lycopersicum) und- Wassermelonen (Citrullus) finden sich verwildert in der Nähe der Factoreien und alten Siedelplätze an der Küste; namentlich die letzteren, deren Kerne man achtlos in der offenen Campine oder auf dem Strandwalle verstreut hat, wachsen ausserordentlich üppig. Verwilderte Ananas sind in manchen Busch- wäldern häufig und danken Umpflanzung und Pflege durch sehr grosse und zarte Früchte. Ausserdem ziehen die Eingeborenen Flaschen- kürbisse (Lagenaria), die ihnen als Gefässe gute Dienste leisten, sowie Taback, einige Hanfstauden und hier und dort etwas Zuckerrohr. Der als Gewürz im Lande sehr beliebte spanische Pfeffer, gleich angenehm in Schärfe und Aroma, mit sehr kleinen runden oder konischen Früch- ten, wird allenthalben an Wohnsitzen oder vielbenutzten Lagerstätten verstreut gefunden. Man bewahrt ihn, sowie auch die Hanfstauden sorgsam vor Vernichtung und umzäunt sie gern in der Nähe der Loango. III, 15 194 Fruchtbäume, Maniok. Dörfer, da die Blätter namentlich von den Ziegen begierig gefressen werden. Die alten Sclavenhändler haben vor Zeiten eine Menge ihnen lieb gewordener Fruchtbäume eingeführt. Viele derselben haben ihre Pflanzer überdauert und schmücken einzeln oder in Gruppen noch deren ursprüngliche Wohnsitze, haben jedoch keine nennenswerthe Verbreitung über den nächsten Umkreis hinaus gefunden. Nur der Melonenbaum (Carica Papaya) — mblölo pl. milölo —, der in Loango stets getrennten Geschlechtes auftritt (Abbildung I 184), ist auf den begangensten Pfaden landeinwärts verschleppt worden, da er fast wie Unkraut aufschiesst, wo immer seine Samen um Wohnstätten ausge- streut werden. Der stattliche Mangobaum (Mangifera indica) kommt nur vereinzelt im Binnenlande vor, während der Cajubaum (Anacar- dium occidentale) sich in den Savanen rings um die Baien von Loango und Pontanegra, noch häufiger aber in den Küstenstrichen südlich vom Congo ohne absichtliche Mitwirkung des Menschen verbreitet hat. Die Schönheit und Grösse einzelner Individuen setzt in Erstaunen, da man sich gewöhnt hat, den Caju fast als Zwergbaum zu betrachten. Orangen, Limonen, Guajaven (Psidium), Persea gratissima und die köstlichen Anonaceen: A. muricata und A. squamosa blieben bisher auf die Factoreien und die Wohnsitze weniger Häuptlinge beschränkt. Auch dort sind sie neben der Feige und Maracuja, einer Passiflora mit fast melonengrossen Früchten — deren innerstes, die Kerne um- hüllendes saftreiches Gewebe sehr wolschmeckend ist — noch recht selten. Am Congo sollen in einem Garten vor einigen Jahrzehnten noch Aepfel und Birnen gereift sein; gegenwärtig findet sich daselbst nur noch üppig wuchernder verwilderter Wein, während der in einigen portugiesischen Factoreien an Spalieren gezogene schöne Trauben hervorbringt. In den mit ausgezeichneter Sachkenntniss verwalteten Plantagen der französischen Mission zu Landana gedeiht neben den schon genannten Gewächsen und vielen Blumen sowie Ziersträuchern auch der bekannte Brotfruchtbaum (Artocarpus incisa L.), der nütz- liche Eucalyptus globulus und Kaffee. Maniok (Jatropha Manihot L., Manihot utilissima Pohl.) — mpänso pl. simpänso — kommt in zahlreichen Varietäten vor, von denen nur einige für giftig gelten. Die Wurzeln und Blätter der letzteren ent- wickeln übrigens frisch zerdrückt, oder nachdem man sie einige Stun- den in diesem Zustande aufbewahrt hat, einen unverkennbaren Blau- säuregeruch. Maniok (Abbildung I 2ır) ist eines der dankbarsten Nährgewächse der Tropen. Zwei Spannen lange Stücke der spröden Stangen, paarweise in leicht aufgehäufte Erde geschoben, beginnen Pisang und Banane, 195 sehr bald einen freundlich grünen, locker belaubten Busch zu treiben, dessen georginenähnliche Wurzelknollen schon im fünften Monat —, die abgebildete Maniokpflanze aus unserer eigenen Plantage ist drei und einen halben Monat alt. — brauchbar sind und etwa im acht- zehnten Monat ihre beste Entwickelung erreichen. Sie dauern aber noch mehrere Jahre länger aus — nach Einigen sechs volle Jahre —, ehe sie verholzen und ungeniessbar werden. Dies ist ein ausser- ordentlicher Vortheil, da man nicht gezwungen ist, den Maniok zu bestimmten Zeiten abzuernten. Einige Varietäten treiben sehr zarte und süss schmeckende Wurzelknollen, die manchmal die Grösse eines Armes und darüber erlangen. Auf Waldboden und im blos gelich- teten Walde wächst er am besten, giebt aber bei einigem Regen befriedigende Erträge selbst auf dem scheinbar schlechtesten Savanen- boden. Die beiden Hauptformen der Musaceen: Pisang oder Plantain (Musa sapientum) und Banane (Musa paradisiaca) sind in vielen Varie- täten verbreitet. Die vorstehenden Bezeichnungen sind nach Hookers Vorschlag gewählt; denn noch immer werden sie willkürlich ange- wendet, wie esja auch noch streitig ist, ob die beiden Formen wirk- lich specifisch zu trennen sind. Durchgreifende, auf alle Theile sich erstreckende Unterschiede zwischen Pisang und Banane sind Aicht nachzuweisen (Abbildung I 179, II 160. Weder die Färbung des Schaftes, noch die unten am Stiel breit bleibenden und herzförmig ab- gesetzten Blätter sind specifische Kennzeichen des Pisang. Auch kann nicht als ein Merkmal angeführt werden, dass die Früchte des letzteren in rohem Zustande ungeniessbar wären — denn die gereiften schmecken genau wie Bananen und lassen sich noch sehr gut essen, obwol sie in der Regel trockener, mehliger und auch etwas herber sind, je nach der Varietät. Der Irrthum ist dadurch entstanden, dass sie gewöhnlich vor völliger Reife abgenommen und mit Hülfe des Feuers zubereitet werden. Trotz dieser ungenügenden Trennungs- merkmale habe ich bei allen Tropenvölkern, mit denen ich verkehrte, gleichmässig eine scharfe Unterscheidung beider Formen gefunden. Viele Varietäten kann man im Lande, wo sie verbreitet sind, auf den ersten Blick trennen, nach der allgemeinen Gestalt der Pflanze: Die Banane ist in der Regel edler gewachsen und blätterreicher als der Pisang. Für untrüglich halte ich dagegen die Gestalt und Grup- pirung der Früchte, wenigstens ist mir noch in keinem Erdtheile eine Ausnahme aufgefallen. Die des Pisang sind länger und dünner — einige Varietäten tragen dreissig und sogar einige vierzig Centimeter lange Früchte — und verjüngen sich stark an beiden Enden, die der 13* 196 Anpflanzung der Musaceen, Banane sind kürzer und dicker mit stumpfen Enden. Die des ersteren sitzen locker in Gruppen vertheilt, die der letzteren enggedrängt an der Spindel des Fruchtstandes. Wesentlicher noch ist die Form ihres Querschnittes; diese gleicht einem Fünfeck, ist aber bei dem Pisang weit schärfer ausgeprägt als bei der Banane. Pisang — tschitebe pl. bitebe — wie Banane — ntöto pl. sintöto — sind Culturgewächse an der Loangoküste und finden sich unge- pflanzt blos als Reste auf verlassenen Wohnplätzen oder Plantagen an und in Wäldern und daher vielfach auch mit Oelpalmen sowie Melonenbäumen vereint; sie gehen aber nebst den Melonenbäumen im aufschiessenden Buschwalde bald zu Grunde. Ihre Vermehrung geschieht durch Schösslinge, die ihren Fruchtstand nach acht bis zehn Monaten reifen. Sobald dieser abgenommen ist, wird der Schaft dicht über der Erde abgeschnitten. Vom Wurzelstock sprossen drei bis acht neue Schösslinge hervor, die bisweilen schon im dritten und vier- ten Monat Früchte bringen, obwol nicht in gleicher Fülle wie die Mutterpflanze. Nach dieser zweiten Ernte trennt man die abermals hervorkommenden Schösslinge von dem ausgehobenen Mutterstock und pflanzt sie wiederum gesondert an; würde dies unterlassen, so wäre fernerhin auf einigermassen befriedigende Erträge nicht zu zäh- len. Die Pflanzen der dritten Generation wachsen bereits zu Schwäch- lingen auf, wenn sie nicht versetzt werden. Die Berechnungen, welche über die Ertragsfähigkeit dieser schö- nen und dankbaren Tropengewächse angestellt worden sind, scheinen auf Beobachtung vereinzelter ausserordentlicher Leistungen zu beruhen, und die allein massgebenden mittleren Werthe vernachlässigt zu haben. Mir sind nirgendswo Bananengärten gezeigt worden, welche auch nur fünf oder sechs Jahre, viel weniger ein Jahrzehnt, ohne Neubepflanzung: ertragsfähig geblieben wären, und selbst in den am besten bewirth- schafteten bleibt stets eine Anzahl Individuen entweder innerhalb des ersten Jahres oder überhaupt fruchtlos. Im Garten zu Tschintschö- tscho wurde mit anderen ein Pisang gepflegt, den ich bereits bei meiner Ankunft vollkommen entwickelt fand; zwanzig Monate später zeigte er immer noch nicht die geringste Neigung, sich dankbar zu erweisen. Das Gewicht eines Fruchtstandes darf man auf zwanzig bis fünfundzwanzig Kilogramm veranschlagen; allerdings kommen auch schwerere, manchmal sogar doppelt so schwere vor, doch haben auch viele wiederum ein geringeres Gewicht. Die Abweichungen sind sehr bedeutend, je nach Varietät, Standort und Pflege. Das Wachs- thum vollzieht sich bisweilen überraschend schnell. So entwickelte im September eine stattliche Banane — vom Sichtbarwerden der Jahreszeiten und Pflanzenleben. 197 riesigen Blütenknospe an gerechnet — binnen sechszehn Tagen ihren ganzen Fruchtstand mit hundertundzwanzig Früchten; das Reifen derselben konnte ich leider nicht weiter verfolgen. Es ist erzählt worden, dass bei so ausserordentlichem Wachsthume die Bewegung der Säfte im Gewebe deutlich zu hören sei, wenn man das Ohr an den Schaft lege. Doch beruht diese Annahme wol auf Täuschung, denn die breit ausgelegten sehr grossen Blätter über- mitteln sowol das Vorüberstreichen schwacher Lufthauche wie auch andere Geräusche getreulich dem am Stamme Lauschenden. An geschützten Standorten bewahren die schönen Blätter ihre ursprüng- liche Gestalt; wo sie aber stark vom Winde bewegt werden, da er- leiden sie zahlreiche bis zur Rippe gehende Einrisse, so dass alte Blätter manchmal einem Fransenwerke gleichen. — Die Entwickelung aller Gewächse ist naturgemäss während der Regenzeit, welche erhöhte Feuchtigkeit und Wärme zugleich bringt, am kräftigsten. Nach den hauptsächlichsten Zügen lässt sich das Pflanzenleben in folgender Uebersicht zusammenfassen: Die Gräser der Campine beginnen Mitte October zu grünen, stehen im Januar und Februar in :vollster Blüte und sind im Mai abgestorben, fahl gelb und braun gefärbt. Den Papyrus fand ich im August in Blüte. Die Mehrzahl der im Savanenwalde vorkommenden Bäume mit Laubxzurf schlägt bereits Ende September aus; Wollbaum — Unregelmässig- keiten abgerechnet — und Adansonia dagegen erst vierzehn Tage später, die Riesenbäume des Galleriewaldes am Kuilu bereits Ende Juli. Wollbaum und Adansonia stehen Ende Juni, die übrigen Ende Mai blattlos. In den November und December fällt die Blüte der Adansonia, im Januar springen die Samenkapseln des Wollbaumes. Die wildwachsenden immergrünen Fruchtpflanzen haben vorzugs- weise reife Früchte vom Ende November bis Juni und blühen bis in den Mai. Mangos beginnen im Juli und August zu blühen und liefern reiche Früchte — in Gabun erhielt ich diese schon im August — von October bis Anfang Februar. Pisangs, Bananen, Melonenbäume, Pal- men reifen das ganze Jahr hindurch ihre Früchte, in besonderer Menge jedoch im December und Januar sowie Mai und Juni. Während der genannten Monate giebt es vornehmlich auch Ananas, Limonen, Oran- gen und Maracuja, dagegen Anona muricata und A. squamosa vom October bis Februar. Ihre wildwachsende Verwandte (A. senegalen- sis), den Charakterstrauch der Campinen, habe ich zu allen Zeiten mit Blüten und Früchten gefunden, doch sind beide weit häufiger sowol zu Anfang wie zu Ende der Regenzeit. Die Saatfrüchte: Arachis, Voandzeia, reifen während der Regenzeit; Mais giebt zwei, unter - 198 Ungewöhnlicher Laubwurf. recht günstigen Umständen auch drei Ernten auf dem nämlichen Felde; er blüht und steht in Aehren regelmässig dreissig bis mu Tage nach der Aussaat. Einmal nur habe ich beobachtet, dass auch ein immergrüner Baum seine sämmtlichen Blätter abwarf und zwar erst, nachdem sie gelb ge- worden waren, — ein Vorgang, den man selbst bei laubwerfenden Bäumen nicht beobachtet, da die Blätter aller ihre grüne Farbe be- wahren, höchstens ein wenig verbleichen, bis sie am Boden liegen. Die Belaubung einer sehr stattlichen, nahe unserem Gehöfte stehen- den Ficus „Nsända“ begann sich Ende December überraschend schnell mit herbstlichen Farben zu schmücken und vom Gezweig zu lösen. Am neunten Januar stand der Baum vollständig entblättert, scheinbar abgestorben, entwickelte aber sehr bald neue Blattknospen, davon die ersten schon elf Tage später sprangen; noch vor Mitte Februar trug er bereits wieder seine volle schöne Belaubung. Umgesunkene Mangrove. Aftenbande am Flusse, Nicht jede Wildniss ist belebt. Thierleben und Gefahren der Wild- niss. — Reissende und giftige Thiere Loangos. — Unglücksfälle. — Säuge- thiere: Elephanten; Hippopotamen; Manaten; Büffel; Antilopen; Schweine; Schakale; Raubkatzen; Affen etc. — Vögel: Adler; Musophagen; Nashorn- vögel; Papageien; Sumpf- und Wasser- geflügel; Hühnervögel; Kukuke; Wür- ger; Bienenfresser; Finken- und We- bervögel etc. — Stimmen, Gesang der Vögel. — Amphibien: Krokodile; Va- rane; Agamen; Gecko; Schildkröten ; Frösche. — Seesäugethiere: Wale. — Fische: Doraden; Boniten; Haie; elek- trische Fische; Heringe; Trommel- fische; Protopterus; Periophthalmus etc. — Wirbellose Seethiere: Krabben; Quallen; Schnecken; Muscheln. — In- secten: Käfer; Schmetterlinge; Spinnen; Grab-und Maurerwespen ; Ameisen; Ter- miten; Mosquitos; Sandflöhe. — Haus- thiere. — Stimmung der Landschaft. Einen Reichthum an grösseren Thieren, wie ihn gewisse Gebiete von America und Africa besassen und noch besitzen, wird man, einige verhältnissmässig sehr kleine Erd- 200 Thierleben der Wildniss, räume ausgenommen, nirgends wieder antreffen —, und auch dort drängen sich die Thiere in bevorzugten Gegenden zusammen oder erscheinen in Scharen erst bei ihren Wanderungen. Wer allenthalben ähnliche Verhältnisse zu finden erwartet, ist einer grossen Enttäusehung sicher,, und wer vermeint, namentlich in Tropenländern das Waidwerk als ein Vergnügen betreiben, sich und die Seinen durch den Frtrag der Jagd ernähren zu können, wird, "selbst wenn er Fleisch in jeder Gestalt willkommen heissen sollte, oft genug durch bitteren Mangel eines Besseren belehrt werden. Gar viele der in fernen Gebieten lebenden Europäer haben noch niemals jene eigenartigen oder berüchtigten Bestien in Freiheit erblickt, die nach den herrschenden Vorstellungen in Menge vorhanden sind. Auch der eingewöhnte und geübte Jäger kann doch nur verhältniss- mässig wenig Wild erlangen, denn er hat mit zu grossen Hindernissen zu kämpfen. Immer wird er mehr Thiere spüren und hören, als sehen. Sie fliehen vor ihm — die gefährlichsten nicht ausgenommen — und aerbergen sich; sie bleiben ihm unerreichbar in den Dickungen, in den Wipfeln der gewaltigen Bäume und verschwinden selbst zu Tode getroffen nur zu häufig spurlos in dem Pflanzengewirre. Die Gefahren der Wildniss werden auf Grund einzelner Schilde- rungen weit überschätzt. Der alte Hang des Menschen zum Wunder- baren, die mit Zähigkeit festgehaltene Voraussetzung, dass in der Ferne alle Schrecken des Unbekannten den kühnen Eindringling er- warten, hat in hohem Masse dazu beigetragen, wie über vieles Andere, so auch über die Thierwelt von der Wirklichkeit abweichende Vor- stellungen zu erzeugen. In einer ungewohnten Umgebung, wo die Phantasie durch die Fülle und das Fremdartige der Formen in steter Erregung erhalten wird , wo die nur oberflächliche Kenntniss des Allgemeinen, der Mangel an Zeit, die überreiche Zahl von Eindrücken eine unbefangene Unter- suchung des Thatsächlichen ausserordentlich erschweren —, da wird der Neuling nur zu leicht verführt, irgend welche Vorgänge, die unter bekannten Verhältnissen ganz richtig gewürdigt werden würden, nach vorgefassten Meinungen zu deuten und als abenteuerliche Ereignisse zu betrachten. Er_wird dazu um so mehr hinneigen, je weniger er überhaupt mit scharfen Sinnen begabt und in der freien Natur auf- gewachsen ist: denn wer nicht von Jugend auf vertraut war mit dem Leben in Wald und Flur der Heimat, wird nie vertraut mit der Wild- niss. Die Kunst umfassender Beobachtung will sorgfältig geübt sein und kann nicht in dumpfer Stubenluft erlernt werden; auch das grösste Wissen vermag sie nicht zu ersetzen. Ueberschätzung der Gefahr. ö 201 Es liegt in der Natur des Menschen, das Absonderliche und Ueberraschende, das Seltene und Schreckliche so aufzufassen und dar- zustellen, dass dabei das allgemein Gültige und darum gerade Wich- tigste in den Hintergrund tritt. So wird das Beschränkende über- sehen, Ausnahme und Regel nicht abgewogen und der selten säumigen Generalisation vollste Freiheit gewährt. Da überdies der Einzelne doch recht wenig erlebt, nimmt er in seine Erinnerungen gern die in allen Ländern umlaufenden Erzählungen und Gerüchte auf, die dem Fremdling mit dem bekannten Behagen am Ungewöhnlichen und Schauerlichen berichtet werden — und zwar vornehmlich in solcher Weise, als ob von Alters her überlieferte Vorgänge sich alle rasch nach einander in der jüngsten Vergangenheit ereignet hätten. Er muss schon über bedeutende Erfahrungen verfügen, wenn er davon unbe- einflusst bleiben soll. Ueberdies wäre es ebenso fehlerhaft, dergleichen einfach als Unwahrheiten von der Hand zu weisen, wie treuherzig in vollem Umfange zu glauben: denn Thiere der nämlichen Art handeln je nach Umständen sehr verschieden. Wer jedoch bestrebt ist, zu verbürgen und nicht blos zu berichten, der wird sich schliesslich, bei dem höchst auffälligen Mangel an Augenzeugen und zuverlässigen Gewährsmännern, grosser Bedenken nicht erwehren können. Es ist sehr bedeutsam, dass gerade die Männer, welche als Forscher oder Jäger Jahre und Jahrzehnte lang die Wildniss durchstreift, den ver- rufensten Thieren Auge in Auge gegenüber gestanden, gewissermassen mitten unter ihnen gelebt haben, so äusserst selten Begebenheiten mittheilen, welche jene schlimmen Voraussetzungen bestätigen. Ins- gemein haben sie nur von Gefahren zu berichten, die sie selbst herauf- beschworen, indem sie vertheidigungsfähige Thiere verwundeten oder in die Enge trieben. Niemand, der Giftschlangen, Krokodile, Haie und reissende Thiere aus eigener Anschauung kennt, wird bestreiten, dass sie auch Menschen gefährden, aber er wird entschieden bestreiten, dass es anders als in seltenen Ausnahmefällen, anders als unter besonderen sehr zu berück- sichtigenden Umständen geschehe. Das Verhalten aller Eingeborenen, die sich am meisten bedroht fühlen müssten, bestätigt diese Behaup- tung durchaus. Trotzdem sich Gelegenheit in Menge bietet, ist dennoch die Zahl der nachweisbaren Unglücksfälle verschwindend klein. *) Man wird sogleich an Indien denken, wo alljährlich den wilden *) Es sei darauf hingewiesen, dass auch unter uns eine nicht geringe Anzahl Men- schen alljährlich namentlich durch Hunde (Tollwuth), Rinder, Pferde um’s Leben kommt. 202 Menschenverluste in Indien. Thieren an zwanzigtausend Menschen zum Opfer fallen sollen. Drei Viertheile dieser Verluste werden gegenwärtig Giftschlangen zur Last gelegt, denn die Schreckensthaten der Tiger, mit denen man ehedem Grausen erregte, sind durch das einmüthige Zeugniss zahlreicher Sports- men, deren mancher Hunderte erlegt hat, auf ein bescheidenes Mass herabgesetzt worden.*) Die angeführte Zahl erscheint allerdings furcht- bar hoch, gewinnt jedoch eine andere Bedeutung, wenn sie, im rechten Sinne verwendet, der Gesammtzahl der Bevölkerung gegenüber ge- stellt wird. Mindestens hundert Millionen Menschen bewohnen die Gebiete, deren Verluste einbegriffen sind; alljährlich finden demnach von einer Million Menschen höchstens zweihundert ihren Tod durch wilde Thiere. Dieser als der äusserste aller Länder berufene Tribut, welchen das Thierleben der Wildniss an Menschen einfordert, vermag unsere Phantasie noch weniger aufzuregen, wenn verglichen mit den traurigen Ergebnissen, welche der Entwickelungsgang der Cultur unter uns zeitigt: Im Königreiche Sachsen enden während desselben Zeitraumes und von der nämlichen Anzahl doppelt so viele Personen allein durch Selbstmord. Und wie viele fallen in Culturländern den Betriebsmitteln der Industrie direct und indirect zum Opfer? Könnte der Indier, wenn er ungenau unterrichtet würde, seine Wildnisse und Bestien nicht für ungefährlicher halten als unsere Cultur? Man ist überdies berechtigt, die Richtigkeit jener Angaben zu bezweifeln. Denn wissenschaftliche Untersuchungen über Schlangen und die Wirkungen ihres Giftes geben blos Aufschluss über den Schaden, den sie verursachen können. Die Belege über die that- sächliche Grösse desselben sind auf anderem Wege zu beschaffen. Sicher aber ist Statistik in Indien nicht Statistik in unserem Sinne; wäre sie es, so hätte sie zunächst die wichtigere Aufgabe zu lösen, nämlich die Anzahl der Personen festzustellen, welche elend Hungers sterben, aus Mangel an genügender Nahrung zu Grunde gehen. Deren Uns beunruhigen diese Unglücksfälle nicht, weil wir mit den Verhältnissen vertraut sind; wenn aber Jemand, der diese Einsicht nicht besässe, lediglich jene Berichte kennen lernte, würde er nicht unsere treuen Hausthiere für recht: gefährliche Geschöpfe halten müssen ? *) Aus der erstaunlichen Menge von Tigern wird immer nur der eine und andere zum Menschenfresser — man-eater — und verbreitet Entsetzen in je einem bestimmten Districte; da er bald genau bekannt und ausgekundschaftet wird, findet er in der Regel bald seinen Meister. Die übrigen nähren sich von den vielfach altersschwachen und über- zähligen Rindern sowie kleineren Hausthieren der Indier — cattle-lifter — oder von Wild — game-killer. Die letzteren sind nützlich und verdienen eine verständige Scho- nung — die Eingeborenen sind keineswegs erfreut über das Niederschiessen aller Tiger —, da ihre Lebensweise wesentlich dazu beiträgt, die Ernten zu sichern, die Felder vor Verwüstung durch die unzähligen Hirsche und Schweine zu bewahren, Unglücksfälle in Loango. 203 sind aber viel mehr als die, welche durch die oben genannten Thiere umkommen. Die Ermittelungen werden vorzugsweise von nie- deren Regierungsbeamten, von eingeborenen Dorfvorstehern einge- zogen und zwar in Gebieten, die grösstentheils als Wildnisse zu be- trachten sind. Eine genaue Ueberwachung des Treibens der Bewohner, eine Feststellung der Anzahl und namentlich der Ursachen vorkom- mender Todesfälle ist vorläufig nicht durchzuführen. Wo es geschehen kann: bei den allenthalben verstreuten Truppen, auf den zahlreichen Pflanzungen wie bei allen Märschen und Jagdzügen, da entsprechen die Erfahrungen nicht der allgemeinen Annahme. — Die einzige grosse und dauernde Sorge des Reisenden in der Wildniss ist die um Beschaffung der Nahrungsmittel; die schlimmste Plage, die schier unerträglich werden kann, ist die der winzigen Thiere, der Insecten; die einzige allgegenwärtige Gefahr in Tropenländern ist, die des Klimas. Die Furcht vor Schlangen, Skorpionen und anderem giftigem Ge- würm verliert selbst der Aengstlichste überraschend schnell; die blut- gierigen grösseren Raubthiere wird er in den meisten Fällen gar nicht zu Gesicht bekommen. Huldigt er aber dem Waidwerk, so gewinnt er in Folge seiner Bemühungen sehr bald die Ueberzeugung, dass sie ihm äusserst schlau und vorsichtig aus dem Wege gehen, dass Hel- denthaten kaum zu verrichten sind. Wenn nicht der Zufall ihn un- gewöhnlich begünstigt, vermag er sie nur mit Hülfe einer kleinen Armee von Treibern, oder auf klug vorbereitetem nächtlichem An- stande zu erlegen. Die Mitglieder der Loangoexpedition sind während dreier Jahre niemals Augenzeugen eines durch Thiere verschuldeten Unglücksfalles gewesen*., An Gelegenheit dazu hat es nicht gefehlt, denn Gift- schlangen sowie Krokodile sind in Menge, Leoparden wenigstens noch in ziemlicher Anzahl vorhanden. Dagegen haben wir mehrere glaub- würdige Berichte erhalten, welche hier zusammengestellt werden sollen, weil sie besser als allgemeine Behauptungen geeignet sind, das Ge- baren der schädlichen Thiere zu charakterisiren und die Seltenheit schlimmer Ereignisse zu bestätigen. — Die Leoparden sind schlaue Räuber, die, wo sie sich einmal ein- genistet haben, mit grosser Frechheit Schafe, Ziegen, Hunde und Federvieh stehlen. Die Eingeborenen fürchten sie nicht weiter und *) Ich habe bisher überhaupt blos drei Menschen durch wilde Thiere, und zwar nur durch gereizte umkommen sehen. Zwei wurden durch Schwanzschläge harpunirter Wale zu Tode getroffen, einer wurde von einem verwundeten Eisbären getödtet. 204 Leoparden. gehen unbekümmert in die Wälder, wo Leoparden — ngö pl. singö; tschikümbo pl. bikümbo — hausen. Zweimal haben sich jedoch diese Raubthiere ungereizt an Menschen vergriffen und dabei eine unglaub- liche Dreistigkeit bewiesen. Um die Mitte des Jahres 1875 durchbrach in einem kleinen Fischerdorfe an der Loangobai ein Leopard des Nachts die allerdings sehr mangelhaft aus Papyrusschäften herge- stellte Wand einer Hütte und überfiel ein dort schlafendes er- wachsenes Mädchen. Dieses war kräftig genug, sich des Räubers zu erwehren, der durch den im Dorfe entstehenden Aufruhr ver- scheucht wurde. In den letzten Monaten des Jahres ı875 tauchte in Yumba ein riesengrosser Leopard auf, welcher durch seine an Hausthieren be- gangenen dreisten Räubereien die Küstengegend in Aufregung erhielt. Mitte Februar des folgenden Jahres, gegen Abend, kam er in den Hofraum einer an der Bänyamündung gelegenen Factorei, sprang auf einen an der Veranda des Wohnhauses mit Messerputzen beschäf- tigten Knaben und schleppte ihn davon. Ein Hund fiel die Bestie muthig an, die dann allerdings den Menschen freigab, dafür aber den braven Beschützer niederschlug und mit ihm im Walde verschwand. Der Knabe erlag am nächsten Tage seinen Verletzungen. Seit Men- schengedenken waren dies die einzigen Fälle an der Küste, dass Leo- parden sich ungereizt an Menschen vergriffen hatten; darum waren die Eingeborenen fest überzeugt, dass sie es mit Werwölfen zu thun hätten. Der Leopard von Yümba machte nach wie vor die Gegend un- sicher. Ende März, wenige Tage vor meiner Ankunft, stand um die Mittagszeit ein sehr entschlossener und jagdkundiger Engländer mit vielen Eingeborenen laut verhandelnd vor seinem auf der Bänyaneh- rung gelegenen Gehöfte, als der gefleckte Räuber aus einem nicht fünfzig Schritt entfernten Gebüsch trat, mit prüfendem Ernste auf die starr stehende Gruppe blickte und dann, unbekümmert um die laut schreiend auseinanderstiebenden Männer, gemächlich quer über den freien Platz nach der gegenüberliegenden Dickung schritt. Ich habe in den nächsten Wochen die Fährten des starken Thieres mehrmals aufgefunden — eines Nachts hatte es das entlegene Gebäude um- schlichen, in welchem ich schlief —, doch verliefen Anstand wie alle sofort angestellten Treibjagden erfolglos; einmal durchschwamm es den breiten Banya und entkam, war aber schon in der zweiten Nacht zurückgekehrt. Die Furcht der Bewohner des Küstenstriches war derart gestiegen, dass sich nach Sonnenuntergang Niemand mehr allein und ohne Fackeln vor die Thüre wagte. Krokodile. 205 Einen andern frechen Einbruch verübte ein Leopard in einer eng- lischen Factorei an der Mündung des Kuilu in der Nacht zum 2ı. Sep- tember ı875. wenige Tage vor unserer Rückkehr aus dem Gebirge. Er durchbrach die Schilfwand des dicht neben dem Wohngebäude liegenden Stalles und verwundete die letzte Ziege des Factoristen zu Tode. Ein in Folge des Lärmes hinzueilender Knabe vertrieb den feigen Räuber durch sein lautes Geschrei. Kurze Zeit vorher hatte dieser am nämlichen Orte eine Antilope am hellen Tage bis an den Fluss gejagt, war jedoch der davonschwimmenden nicht gefolgt. Der Factorist hatte ihn nicht einen Flintenschuss weit von seinem Hause am Ufer stehen sehen, fürchtete sich jedoch, die schöne Gelegenheit zu benutzen. — Namentlich im Kuilu und seinen Seitengewässern, aber auch im Banya, Luemme und Tschiloango giebt es mehrere Arten von Kroko- dilen; doch haben wir dort Nichts von Unglücksfällen vernommen und die Umwohner zeigten sich durchaus sorglos.. Vom Congo da- gegen lauten die Berichte anders. Ein besonderes Gewicht haben die von Herrn Otto Lindner, unserem schon mehrfach genannten ehe- maligen Gefährten, der jetzt zum dritten Male am Congo weilt und zwar im Auftrage der africanischen Gesellschaft zu Brüssel als Ge- fährte Stanleys. Er nimmt an, dass während dreier Jahre zwölf Menschen den Krokodilen zum Opfer fielen; sechs Unglücksfälle kann er theils als Augenzeuge, theils auf Grund zuverlässiger Angaben verbürgen. An seiner FactoreiÄ, einem besonders günstigen Orte, wurden — aber nur in den Morgen- und Abendstunden — binnen dreier Jahre drei Eingeborene während des Wasserholens oder Badens von den Ungeheuern geraubt. Eines Nachts war sogar eines der- selben dreissig Schritt weit in das Gehöft eingedrungen und hatte dort ein fettes Schwein gepackt — gewiss ein äusserst seltenes Vor- kommniss; denn die grossen Echsen sind auf dem Lande erbärm- lich feige. Herr Lindner pflegte am Abend ein Schaf in der Nähe des Wassers anzupfählen und die lüstern herbeischwimmenden Kroko- dile zu schiessen; so gelang es ihm, manche zu tödten, andere zu ver- treiben. Er glaubt ferner die Mittheilung nicht bezweifeln zu dürfen, dass Menschen bisweilen aus Canoes entführt, und zwar, wenn sie im Vorder- oder Hintertheil zu weit auf dem Rande sitzen, durch einen Schlag mit der Schnauze hinausgeschleudert werden. Immerhin scheint der Verlust von zwölf Menschen in drei Jahren sehr gering- fügig, wenn man bedenkt, wie gross er sein könnte, da der viel- theilige Strom in seiner ganzen Niederung von Krokodilen wimmelt und von den sorglosen sehr zahlreichen Anwohnern fortwährend be- 206 Rhinocerosschlange. fahren wird. Es scheint, dass Krokodile wie andere Raubthiere vor- nehmlich an bestimmten Oertlichkeiten dem Menschen gefährlich werden, wo sie sich an seine Erscheinung, an sein Treiben gewöhnt haben. — Ueber Todesfälle, welche Giftschlangen — tschimpänta pl. bim- pänta — verursachen, konnte Herr Lindner so wenig etwas berichten, wie wir selbst dergleichen erlebten. Dr. Falkenstein (II 92) ist einmal ein Eingeborener zugeführt worden, der zwei winzige vermuthlich durch Schlangenbiss erzeugte Wunden am Fusse aufwies. Streng verbürgt von Augenzeugen und am Orte des Geschehens ist mir da- gegen folgendes durchaus vereinzelt stehendes Ereigniss: Ende Januar ı876 wanderten des Abends drei Mädchen an der Loangobai nach dem Dorfe Lubuü. Sie giengen, begleitet von Fackelträgern, raschen Schrittes und lustig plaudernd hintereinander auf dem schmalen, zwischen spär- lichem Grase entlang führenden Pfade. Unfern einer Factorei schrieen sie plötzlich auf; das zuerst gehende jüngste Mädchen war von einer Schlange in den Fuss geschlagen worden. Es ist danach einige Schritte vorwärts getaumelt, dann bewusstlos zu Boden gefallen und nach wenigen Minuten eine Leiche gewesen — oder hat sich doch nach rasch vorübergehenden Krämpfen plötzlich starr ausgestreckt und kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Die Schlange hatte einer der Fackelträger sogleich entdeckt und getödtet.- Es war die Rhinocerosschlange (Vipera rhinoceros) — mpile pl. simpile —, die nächste Verwandte der bekannteren Puffotter. Dieser ähnelt sie in der Gestalt, besitzt auch die nämliche hart- schuppige Haut, ist jedoch bei weitem charakteristischer gezeichnet und gehört unbedingt zu den wenigen Schlangen, deren vornehme gedämpfte Farben — Blau, Violett, Rosa, verschiedene Schattirungen von Braun und Fahlgelb — einen wirklich schönen Anblick bieten. Ihre Zeichnung würde ein feiner Vorwurf für einen Teppich sein und ist in der That in manchen Mustern der trefflichen im Lande gefer- tigten Geflechte wieder zu erkennen. Glücklicherweise ist die furcht- bare Schönheit ausserordentlich träge. Sie verändert im Zorne kaum ihre Stellung, sondern bläst sich blos zu noch grösserer Dicke auf und zischt mit weit geöffnetem Rachen, in welchem die langen dünnen Giftzähne deutlich hervortreten. Die Mpile findet sich in den Savanen Loangos, wo die nacktbeini- gen Eingeborenen allenthalben umherstreifen, ungemein häufig. Man sieht sie zwar selten, braucht aber nur zum Fange anzuregen, um binnen kurzer Zeit eine überraschend grosse Anzahl zu erhalten. Die Leute greifen sie manchmal mit der blossen Hand, indem sie den Brillenschlange. 207 dünneren Hals packen und den Daumen auf den Kopf drücken; so tragen sie das lebende, den Rachen aufsperrende Thier, dessen Körper schwerfällig herabhängt, fort. Sie versichern, dass die Mpile vor- nehmlich auf Ratten und Mäuse Jagd mache und vor deren Löchern geduldig auf Beute lauere; sie bestätigen aber auch übereinstimmend, dass sie vielfach im Wasser der Flüsse lebe Wir haben jedoch dieses Verhalten nie beobachtet. An verschiedenen Puncten der West- küste Africas ist mir indessen von vertrauenswürdigen Europäern die nämliche Angabe gemacht worden bezüglich des sogenannten River- jack*), einer Schlange, die der Beschreibung nach mit der Vipera rhinoceros identisch ist. Um vieles beweglicher ist die africanische Brillenschlange oder Speischlange, Uraeusschlange, Aspis, Schlange der Kleopatra (Naja haje), eben um ihres Speiens willen im Lande mamäta genannt. Sie soll nicht nur den Angreifer anspringen, sondern ihn auch auf drei bis vier Schritte Entfernung mit einigen Tropfen Flüssigkeit bespeien, die namentlich an empfindlicheren Körperstellen, an Schleimhäuten, bösartige Entzündungen und grosse Schmerzen verursache. Sofort auf die getroffenen Theile gestrichene Frauenmilch gilt als ein unfehl- bares Gegenmittel. Ich nahm mehrmals die Gelegenheit wahr, an freien Stellen — sie leben ebenfalls in der Savane — entdeckte Brillen- 'schlangen absichtlich zu reizen, sah aber nicht eine derselben Flüssig- keit ausstossen oder wirklich angreifend vorgehen. Hart’ bedrängte ringelten sich allerdings zusammen und nahmen die von der indischen Art bekannte drohende Stellung an, wandten sich aber gleich darauf wieder zur Flucht. Ich will darum weder das Speien noch das Springen bestreiten; ersteres ist wenigstens zu gut verbürgt. Die Angriffsstellung, die allerdings vorzugsweise wol die der Abwehr ist, mag indessen mannig- fache Täuschungen bedingen; es sieht wirklich aus, als ob das Thier sich zum Sprunge rüste: der Vorderleib wird senkrecht aufgerichtet, der Hals aufgebläht und seitlich ausgebreitet, der feine Kopf zischend nach vorn geneigt. In dieser auffälligen Haltung besitzt die Schlange mit ihren eigenthümlich geschmeidigen Bewegungen etwas ungemein Graziöses; man begreift sofort, warum sie im Alterthum so berühmt *) Monteiro (Angola and the River Congo II 301), welcher ebenfalls keine Schauer- geschichten von Schlangen zu erzählen weiss, berichtet, dass die nämliche Schlange, die er überdies als Clotho nasicornis bezeichnet, im Luqueiafluss sich einmal in einer Fisch- reuse gefangen habe und von ihm nachmals mehrere Monate hindurch in einer Kiste bebendig gehalten worden sei, 208 Die Riesenschlange. war, warum Moses und Aaron sie dem Pharao vorführten und noch gegenwärtig indische Schlangenbändiger sich vornehmlich ihrer asia- tischen Schwester bei Kunststücken bedienen. Wäre sie nicht so ent- setzlich giftig, so könnte man in Versuchung kommen, sie als Pfleg- ling zu halten, um sich an ihrem Gebaren zu erfreuen. Ich glaube übrigens nicht, dass auch die grösste derselben — die noch nicht zwei Meter mass — sich über einen halben Meter hoch aufzurichten ver- mochte. Alle gesehenen waren von dunkler Farbe und an der Kehle wie am Bauche mit mattgelben Flecken geziert. Die eine flüchtete in das Wasser, schwamm sehr geschickt, tauchte nach einem Fehl- schuss unter und blieb spurlos verschwunden. Es wird auch erzählt, dass die Speischlange sich im Gezweig von Buschwerk und niederen Bäumen aufhalte und dann öfters — wie bei uns Eulen und Bussarde — von lärmenden Vögeln umschwärmt werde. Ausser den genannten sind uns noch fünf Arten von Giftschlangen bekannt geworden, die mehr oder minder häufig vorkommen. Ver- schiedene derselben wurden nicht selten in unserem Gehöfte, nament- lich unter aufgeschichteten Hölzern entdeckt und einfach mit Stock- streichen getödtet; eine wurde von den Dachsparren eines Zimmers herabgeschossen. In unserer von Menschen sehr belebten Station ist Niemand durch sie in wirkliche Gefahr gekommen, doch haben wir Grund anzunehmen, dass einige Hausthiere in Folge von empfangeneh Bisswunden starben. Nichtgiftige Schlangen — nyöka pl. sinyoka — sind in noch grösserer Menge vorhanden*). Ueber deren Treiben in unserem Ge- höfte hat bereits Dr. Falkenstein (II 93) mancherlei berichtet, hier sei daher blos über das Leben der africanischen Riesenschlange (Python Sebae — mböma pl. simböoma — einiges mitgetheilt. Sie ist weit häufiger als man denkt, denn man sieht sie nicht oft, da sie nur des Nachts aus den Dickungen und Savanengehölzen in die Campinen kriecht. Nach glaubhaften Angaben der Eingeborenen hängt sie sich gern in das Gezweig von Bäumen, die am Buschwald- rand stehen, und lauert dort auf Beute. Bei der Mission zu Landana hatte ein auf diese Weise jagender Python am Vormittage einen Schakal ergriffen. Auf dessen klägliches Geschrei eilten wir zur Stelle, konnten aber der hinderlichen Vegetation wegen nur undeut- lich wahrnehmen, dass die gestörte Schlange ihr Opfer freigab, ehe wir einen Schuss anzubringen vermochten, ihren Schwanz von den *) Ein übersichtliches Verzeichniss der von uns gesammelten Thierarten ist im An- hange abgedruckt. . Grösse. Lebensweise, 209 etwa in Manneshöhe befindlichen Aesten eines Baumes löste, dabei hörbar zu Boden plumpte und in der Dickung verschwand. Auch der errettete Schakal trollte sich, indem er noch mehrmals leise Klagetöne ausstiess. Auf dem Kampfplatze hatte er einige Flocken seines Pelzes, jedoch kein Blut zurückgelassen; ob der Räuber sein Opfer umschlungen hielt oder sich blos in dasselbe verbissen hatte, konnten wir nicht entscheiden. Die durchschnittliche Länge dieser africanischen Riesenschlange beträgt vier und fünf Meter, doch scheint sie ausnahmsweise eine viel bedeutendere Grösse zu erreichen. Herr F. Hertwig hat bei Tschis- sambo ein wahres Ungeheuer erlegt, welches siebenundzwanzig Fuss englisch mass. Wir sahen nie eine über sechs Meter lange. Am Kuilu fanden wir einen Python in einem Farndickicht unbeweglich liegen, welcher bösartig fauchte und, als wir ihn reizten, den Kopf mit weit geöffnetem Rachen mehrmals über einen Meter weit gegen uns vorschnellte. Dr. Falkenstein tödtete ihn durch einen Schrot- schuss. Aus dem unförmlich aufgetriebenen Leibe schnitten wir eine wolerhaltene ausgewachsene Schirrantilope (Tragelaphus scriptus), welcher, entgegen der vielverbreiteten Anschauung, nicht ein Knochen gebrochen war. Unsere in ihrer Nahrung durchaus nicht wählerischen Südleute verspeisten beide Thiere. Auf der Station hielten wir mehrere Rhinocerosschlangen und Pythonen in einem hölzernen Käfig; der grösste von den letzteren hatte eines Abends eine Latte losgezwängt und war aus dem Behälter entschlüpft. Er kroch, wahrscheinlich nach Ratten lüstern, in die Hütte unseres Dolmetschers und zwar dicht zwischen dem dort brennenden hellen Feuer und den darum sitzenden plaudernden Leuten hindurch. Aschgrau vor Schrecken meldete der Mann den Vorfall. Ich lief mit dem Gewehre in die Hütte, mein Mulek leuchtete mit einem Feuerbrande und lüftete die von der erhöhten Bettstelle herab- hängenden Matten empor. Da lag der unwillkommene, ob des Lärmes sehr erschrockene Besucher zusammengeringelt in der Ecke und glotzte uns ruhig an; ich zerschoss ihm Kopf und Hals. Der übermüthige Junge packte darauf das sich windende Thier am Schwanze und schleu- derte es unter die draussen versammelten Neugierigen, welche natür- lich schreiend auseinander stoben. Die munter gewordenen zahmen Affen geriethen beim Anblick der Schlange ebenfalls in die grösste Aufregung und stimmten ihr charakteristisches Gezeter an. In der benachbarten Factorei war eines Nachts ein Python in den Schafstall gedrungen und wurde — in Folge des von den Ziegen ver- ursachten Lärmes — gerade entdeckt, als er bereits den stärksten Loango. III, 14 210 Skolopendren. Skorpione. Hammel umschlungen hielt. Zwei andere fingen sich in den Facto- reien Massäbe und Vista am hellen Tage mitten im Gehöft je ein Huhn. Der auf der Reisinsel an der Kuilumündung lebende Factorist hatte sich eine Gänsezucht angelegt, verlor aber alle seine schnattern- den Schützlinge durch Pythonen bis auf einen alten weissen Gänserich, der den Nachstellungen zu entgehen wusste. Die Schlangen schwam- men vom Festlande nach der Insel. Während unserer Anwesenheit landete abermals eine, gerade um die Mittagszeit, wurde aber mit Geschrei begrüsst, gieng sogleich wieder in das Wasser zurück und tauchte so geschickt, dass wir keinen Schuss abgeben konnten. Der Schaden, welchen die Pythonen in Loango stiften, beschränkt sich auf den Raub von Hausthieren. Angegriffen setzen sie sich zur - Wehre, zischen und beissen wüthend nach dem Menschen, fallen ihn aber ungereizt nicht an, so wenig wie grössere als die schon genann- ten Thiere. Die umlaufenden Erzählungen, dass der Mböma selbst Büffel und Leoparden besiege, werden von den verständigeren jagd- kundigen Eingeborenen verneint. Sie behaupten, er verzehre beson- ders gern Eier, nähre sich aber vorzugsweise von Ratten, anderen kleinen Vierfüsslern und Hühnervögeln; seine Beute packe er mit dem Rachen, schüttele kleine zappelnde Thiere bis sie todt seien, und erwürge grössere durch Umschlingung. Sie erzählen ferner, dass ein am Tage in der Campine erschreckter oder verfolgter Python sich öfters hoch aufrichte, um über die Vegetation hinweg einen Ueberblick zu gewinnen; immer fliehe er aber den Menschen, so lange er es vermöge, oder halte sich ganz still, bis dieser vorüberge- gangen. — N Die übelberüchtigten Skolopendren — ngöngolo pl. singöngolo — und Skorpione — tschiliöongo pl. biliöongo — besonders die letz- teren, kommen in Menge vor: sowol im vertrockneten Laube, am dürren Holze im Walde, wie in Gebäuden, Schränken und Truhen. Daher werden verhältnissmässig häufig Menschen gebissen und ge- stochen, und Jedermann fürchtet die hässlichen Thiere, um der Schmer- zen willen, die ihr Gift bereitet. Es gefährdet indessen weder das Leben, noch bringt es langwierige Leiden; auch scheint seine Wir- kung je nach der Persönlichkeit wie nach der Eigenart des Thieres sehr verschieden zu sein. Die meisten Verwundungen treffen Hände und Füsse. Manche Leute empfinden danach sofort fünf bis zehn Minuten lang äusserst heftige Schmerzen, sodass sie in laute Jammer- rufe ausbrechen; bei anderen tritt diese oder eine ähnliche Wirkung erst nach Stunden oder gar Tagen ein, während das verletzte Glied sich entzündet und anschwillt; noch andere fühlen nur momentan den Einheimische Säugethiere. 2IL Stich und sind dann schmerzfrei, können aber das rasch anschwellende Glied mehrere Tage hindurch gar nicht gebrauchen. — Das Gebiet ist arm an grösserem Wilde; verschiedene Arten, die dem grössten Theile Africas eigenthümlich sind, fehlen gänzlich. Eine pfadlose Wildniss, die sie zu ihrer Existenz bedürfen, würden sie nur noch auf verhältnissmässig kleinem Raume zu beiden Seiten des Kuilu nach dem Gebirge hin finden. Das Land ist zu bevölkert. Obwol die allenthalben vorkommenden Dickungen ihnen noch viele Verstecke bieten, schmelzen doch die vorhandenen Thierarten in Folge der zunehmenden Einführung von Feuerwaffen rasch zusammen. Be- sitzen auch die Bafiöte in der Mehrzahl zu viel Lässigkeit, um tüch- tige Jäger zu sein — es giebt dennoch manchen passionirten und ausgezeichneten Waidmann unter ihnen — so lassen sie doch selten die Gelegenheit vorübergehen, einen Schuss anzubringen und sich Fleisch zu verschaffen. Da sie nun stets Zeit haben, gewohnheits- mässig beim Umherstreifen ihre Schiessgewehre bei sich führen und im geduldigen Warten wie Beschleichen eine beneidenswerthe Aus- dauer und Geschicklichkeit entwickeln, unter Umständen auch Treib- jagden mit Menschen und guten Meuten veranstalten, fällt ihnen manche Beute zu. Ein Ersatz der erlegten Thiere durch Zuzug aus dem inne- ren des Continentes findet nicht statt; auch in dieser Hinsicht bewährt sich das Gebirge als eine bedeutsame Schranke. Löwen, Hyänen, Giraffen, Nashörner, Zebras und viele anderwärts gemeine Antilopenarten kommen nicht vor. Sie waren entweder nie heimisch in dem ehemaligen Waldlande oder sind schon vor langer Zeit ausgerottet. Die Leute wissen sie nicht mehr zu benennen und erkennen sie auch nicht einmal im Bilde — obwol ihnen dies bei be- kannten Thieren gar nicht schwer fällt, und ihnen selbst Fehler der Zeichnung nicht entgehen. Aus Berichten der allerdings im Lande nie heimisch gewordenen Missionare ist zu entnehmen, dass es vor etwa einem Jahrhundert noch Löwen gab, die aber weniger als die Leoparden gefürchtet wurden. Von den gegenwärtig vorhandenen Säugethieren haben wir an- zuführen: Elephanten, Hippopotamen, Manaten, Büffel, sieben Arten von Antilopen, Schweine, Stachelschweine, Schuppenthiere, neun Arten Affen, einen Halbaffen, Leoparden und mehrere andere Raubkatzen — von denen einein der Campine lebende fast die Stärke jenes erreicht — Genett- und Zibethkatzen, Ottern, Palmenmarder (Cynogale), Schakale, Mangusten oder Ichneumone, verschiedene Arten von Hörnchen, Ratten und Mäusen wie von theilweise recht grossen Fledermäusen. 14* 212 Elephanten. Elephanten — nsau oder nsao pl. sinsau — halten sich nur noch in den sumpfigen Einöden der Kuiluniederung auf. Es soll eine ein- zige kleine Herde sein, die bisweilen von dort am Gebirge entlang südwärts bis zu den Sümpfen des Lu&emme und selbst bis zum Tschi- loango schweift. Im Jahre 1872 hatten neun derselben bei Nköndo Ndindschi die Maisfelder arg verwüstet, sich aber den Verfolgern ent- zogen. Im August ı875 wurden zwei Elephanten am oberen Mpile getödtet; der mir zu Gesicht gekommene ausserordentlich stark ge- krümmte, frisch ausgelöste Stosszahn des einen wog achtunddreissig Kilogramm. In der Regel lassen die Bafiöte die Dickhäuter in Ruhe, weil deren Schlupfwinkel unzugänglich sind. Ein einsamer Elephant, ein unwirscher Sonderling, hat seinen Standort im Gebirge, ungefähr an den Palissaden des Kuilu; es ist ein wolbekanntes altes Männchen mit nur noch einem Stosszahn und gilt bei den Eingeborenen für un- verwundbar, das heisst für verzaubert. In die Landschaft Yumba scheinen die Thiere manchmal vom Ogöwegebiet her einzuziehen und selbst südwärts den Bänya zu übersetzen. Sie werden dort häufiger gesehen und gejagt; die letzten, von denen ich hörte, vier Elephanten mit zehn bis zwanzig Kilogramm wiegenden stark gebogenen Zähnen, wurden am 20. December 1875 eine Stunde landeinwärts von der Bai eingekreist und erlegt. Die Eingeborenen unterscheiden zwei Arten von Elephanten, die sich nie unter einander mischen sollen: die gegenwärtig noch in Loango heimische grosse Varietät mit sehr gebogenen, aber nicht über mittelgrossen Stosszähnen, und die viel kleinere bereits ausge- rottete Varietät mit gerade gestreckten und sehr gewichtigen Stoss- zähnen. Die erlesenen Stücke von diesen fanden als höchste Wür- denzeichen ihren Platz auf den Gräbern der Könige Loangos. Wie sich in späteren Capiteln ergeben wird, ist überhaupt die Verwendung des Elfenbeines als Körperschmuck ein Vorrecht der Fürstenge- schlechter oder der von diesen unter besonderen Umständen ausge- zeichneten Personen. Die Stosszähne — lieno li nsäu pl. m’eno ma nsau — werden häufig mit interessanten Schnitzereien in Relief ver- ziert und zu Musikinstrumenten, kostbaren Elfenbeinhörnern umge- wandelt und heissen dann mpündschi pl. simpundschi. Die Fürstin Mpüna besitzt die beiden grössten, die ich je gesehen. Sie sind uralt, von edelbrauner Farbe und mit Hunderten von Figuren bedeckt; der längste, dessen Basis überdies abgestutzt ist, misst zweihundertdreissig Centimeter in gerader Linie. — Hippopotamen — mvübu pl. simvubu, am Congo auch ngüvu pl. singüvu — kommen noch in erstaunlicher Anzahl vor, besonders im Hippopotamen. 213 Gebiete des Congo, Kuilu und Bänya; im Lu&mme halten sich eben- falls noch einige Familien auf, während sie die übrigen kleinen Flüsse und stehenden Gewässer nur gelegentlich besuchen. Am Congo gehen sie bisweilen sogar über die Nehrungen und tummeln sich einmal im Meere; am Ogöwe scheinen sie dies noch öfter zu thun, denn Herr von Koppenfels bemerkte sie dort mehrmals im Salzwasser. Im Januar 1878 wurde ein halbwüchsiges Flusspferd in der Brandung bei Longo- bondo entdeckt. Es hatte sich verirrt und von Norden her, durch die Eingeborenen vielfach beschossen und beunruhigt, im Meere schwimmend bereits eine bedeutende Strecke zurückgelegt; über Land wagte es nicht zurückzugehen, und die Calema hatte ihm übel mitge- spielt. Das arme Thier war verdutzt und ermattet und liess die Menschen ganz nahe herankommen; leider bemächtigte sich der Fac- torist nicht des lebend so werthvollen Dickhäuters, sondern schoss ihn todt. Die gewaltigen Thiere mögen durchschnittlich ein Gewicht von zweitausend Kilogramm erreichen; alte Bullen, die sich namentlich durch einen viel grösseren Kopf auszeichnen*), mögen noch um die Hälfte schwerer werden. Das abgeschnittene und auf die Erde ge- stellte Haupt eines Hippopotamus habe ich immer mit einer Anwan- delung von Ehrfurcht betrachtet; seine massiven und so chari.kte- ristischen Formen zeigen in der Ruhe des Todes einen ganz eigen- thümlichen ehrwürdigen Ausdruck. Es liegt etwas Monumentales darin. Man erkennt auch bald, dass sie ein individuelles Gepräge tragen. Lebt man längere Zeit an und auf Gewässern, die von Hippo- potamen bevölkert sind, so lernt man nicht nur die getrennten Familien, sondern auch einzelne Thiere unterscheiden — genau wie bei den Walen. Die Farbe der Haut schwankt zwischen zart rosa, schmutzig roth, oder gelblich, bräunlich und selbst graublau oder dunkel schiefergrau. Die Bauchseite ist stets heller gefärbt, bei etlichen auch weiss; Flecken oder sonstige bunte Zeichnungen haben wir nicht gefunden. Junge sahen wir wol neben den Müttern schwimmen und tauchen, nie aber auf deren Nacken reiten. Eine bestimmte Brunstzeit haben sie nicht, denn wir beobachteten im August brünstige Bullen, welche um die Gunst der zuschauenden Kühe kämpften, und fanden im selben Monat in einem Thiere ein ausgetragenes Junges, in einem andern einen nur einige Wochen alten Fötus. *) Dieser wiegt allein bis 200 Kg.; der grösste in meinem Besitz befindliche halb- kreisförmige Eckzahn oder Hauer eines mächtigen Bullen wiegt vollkommen ausgetrocknet noch 4 Kg. und besitzt, in der äusseren Rundung gemessen, eine Länge von 69 cm, 214 Gewohnheiten der Hippopotamen. Während des Tages gehen sie nur an solchen Orten an das Land, wo sie ganz sicher vor Störungen sind. Sie sonnen sich und schlafen gern auf abgelegenen Sandbänken, indem sie mit flach gelegtem Kopf auf allen Vieren oder auf der Seite liegen, manchmal auch wie Hunde sitzen, flüchten aber bei Anzeichen von Gefahr eiligst in das Wasser. Dieses ist ihre eigentliche Heimat. Nur des Nachts ziehen sie zur Weide. Weiche und saftige Pflanzen, Gräser, Kräuter und Palmen- schösslinge der Niederungen, wie das Laub von Buschwerk, zäh- stengelige und selbst helzige Gewächse des Gebirges scheinen ihnen gleich gut zu munden; da sie bedeutende Futtermengen verbrauchen und vielleicht noch mehr niedertreten, richten sie sehr bemerkbare Ver- wüstungen an. Das Brechen, Reissen und Raufen der ungeschlachten Gesellen in Wald und Campine, das Schmatzen der kauenden Mäuler ist auf ziemliche Entfernung zu vernehmen. In den Dickungen folgen sie gern den schon durchgebrochenen Pfaden, halten jedoch beim Verlassen des Wassers vorhandene Wech- sel nicht beharrlich ein. Man gewahrt allenthalben an den Ufern ihre Spuren. Auch steigen sie nicht regelmässig hinter einander, sondern vielfach neben einander aufs Trockene. Wo weicher oder schlammiger Boden sich findet, da haben die niedrig gestellten Riesen- leiber tiefe glatte Furchen eingedrückt, als wären Baumstämme hinauf- geschleift, neben welchen grosse von den Beinen eingestampfte Löcher gähnen. Die unförmlichen Thiere besitzen eine wunderbare Geschick- lichkeit, an ganz steilen Uferböschungen und selbst an Bergwänden emporzuklimmen; ich bin im Gebirge an hart vom Wasser aufsteigen- den mehrere hundert Fuss hohen Hängen Flusspferdwechseln gefolgt, die so steil aufwärts führten, dass ich theilweise durch Halten an Busch und Baum mich vor dem Zurückgleiten schützen musste. Eine besondere Eigenthümlichkeit der Thiere ist es, sobald sie auf das Trockene gegangen sind, sich zu lösen und dabei durch hef- tige Drehung des kurzen, ruderähnlich flach gedrückten Schwanzes den Koth umherzuschleudern. Allenthalben an solchen Stellen findet man das Buschwerk besudelt. Die Eingeborenen erzählen, der Ele- phant leide es nicht, dass das Mvübu gleich ihm den Koth auf einen Haufen setze; ihm allein stünde dieses Recht zu, die übrigen Thiere müssten ihren Unrath verstreuen. Auch der Büffel gehorche diesem Zwange, und selbst die Dorfhunde wechselten ja bei der natürlichen Verrichtung den Ort und sähen sich ängstlich um, ob nicht doch viel- leicht ein zorniger Elephant daherkäme. Die Hippopotamen leben in Familien beisammen, welche gewisse Standorte im Flusse oder in den Abzugsrinnen der Sümpfe innehalten, Tauchvermögen. Kraft der Stimme. 215 aber bald verlassen, wenn sie ernstlich beunruhigt werden. Mehr als neun haben wir nie beisammen gesehen; alte Bullen trennen sich viel- fach ab und leben allein. Im Kuilugebiet sind sie gleich heimisch in den ruhigen Gewässern der Niederung und zwischen den Klippen der Stromschnellen, wo sie sich oft enge Löcher und Buchten mit ruhigem Wasser zum Aufenthalte wählen. Dort kann man sie am besten be- obachten. Ungestört pflegen sie durchschnittlich zwei bis drei Minuten unter Wasser zu verweilen, dann ganz leise, ich möchte sagen behutsam, aufzusteigen und das Obertheil des unförmlichen Kopfes ein wenig hervorzustecken. Sie blasen ziemlich hörbar wie die Wale den Athem aus, wobei auch wie bei diesen in die Nasenlöcher eingedrungenes Wasser hervorsprudelt oder als ein feiner Dunst etwa einen halben Meter hoch sichtbar wird. Dies geschieht aber nur beim ersten Male; bleiben sie längere Zeit an der Oberfläche, so ist der Athemstrahl nur selten noch zu erkennen. Gehen sie ruhig wieder in die Tiefe, so sinken sie rückwärts hinab und richten den bis dahin horizontal liegenden Kopf auf, sodass wie beim unbelästigt tauchenden Seehunde die Nase zuletzt verschwindet. Beunruhigte Thiere fahren dagegen schnell zur Oberfläche, stossen den Athem mit einem grunzenden Ge- räusch aus, nehmen mit lautem Schnarchen neue Luft ein und ver- schwinden. Dies vollzieht sich so schnell, dass man, bei Unkenntniss des Ortes, wo sie erscheinen werden, nicht Zeit hat, einen Schuss an- zubringen. Anfänglich glaubten wir, dass Verfolgte eine Viertel- stunde und länger tauchen könnten. Da wir jedoch bald entdeckten, dass sie sehr schlau gerade nur die Nasenlöcher über das Wasser emporschoben und die Luft unhörbar wechselten, sich also vielfach der Wahrnehmung entzogen, können wir nur als wahrscheinlich an- geben, dass sie höchstens sieben bis acht Minuten unter Wasser aus- halten. Die Stimme der Hippopotamen übertrifft an gewaltiger Kraft ge- wiss die aller übrigen Thiere; sie ist jedoch ziemlich mannigfaltig im Ausdruck und wird in ihrer vollen Wucht verhältnissmässig sehr selten gehört. Wir hatten wenigstens während unserer Kuilufahrt bereits einige Wochen gewissermassen unter den Thieren gelebt, ehe wir des Basses Grundgewalt der alten Bullen kennen lernten. In zufriedener Stimmung hört man sie im Wasser schnaufen, prusten und gurgeln, zuweilen auch behaglich grunzen oder brummen. In der Erregung, namentlich wenn Bullen mit einander kämpfen oder hart verfolgte in unbändiger Wuth umhertoben, steigert sich die Kraft dieser Laute, und es mischt sich noch ein eigenthümliches Kreischen bei. Ein wirk- 216 Rufe der Hippopotamen. liches rollendes Gebrüll haben wir indessen niemals gehört; immer klingt der wüste Lärm, als würde er etwa von ungeheuren Schweimen hervorgebracht. Der Lockruf der Mütter für ihre Jungen besteht in einem hellen kurzen Ton. Alle diese Leistungen, so würdig sie auch schon der Kolosse sind, stehen aber weit zurück vor dem besonderen Rufe der alten Bullen. Diese geben dann nur ein und denselben, wie ich glaube, durch die Nase erzeugten Ton von sich, der sich auf einer tiefsten Bassnote hält und durchaus nicht des Wolklanges entbehrt. Man könnte ihn sowol mit einem Grunzen wie mit einem ungeheuren Posaunenstosse vergleichen; es klingt, als würde er durch ein grosses Sprachrohr verstärkt, oder als käme er aus einer riesigen Tonne, aus einem Dampfkessel. Er wird entweder in grösseren Pausen nur je einmal hervorge- stossen und anschwellend bis etwa fünf Secunden lang ausgehalten, wenn die Bullen sich gegenseitig zurufen; oder vielleicht sechs und zehn Mal rasch hintereinander und kurz abgesetzt wiederholt, wenn die vermuthlich zerstreuten Thiere zum Weidegange aufgefordert werden; oder nur ein bis dreimal ausgestossen, wenn einer der Kolosse über irgend etwas seine höchste Verwunderung zu erkennen giebt. Daher hört man “Aeusserungen der letzten Art bisweilen auch am Tage und von Kühen, die übrigen nur des Nachts, namentlich in den ersten Abendstunden. Der kurz abgesetzte und oft wiederholte Ruf hat einige Aehn- lichkeit mit dem Bellen der Walrossbullen, wenn sie mit ihren Herden auf den Eisfeldern lagern, wirkt aber natürlich viel gewaltiger. Un- vergleichlich ist der erstbeschriebene länger ausgehaltene und manch- mal vibrirende Ruf. Staunend horcht man auf, wenn durch die Stille der Nacht dieser tiefe Basston in grandioser Fülle über das Wasser hindröhnt, das Echo im Urwalde weckt und von Hügeln und Bergen wiederhailt. Eine kurze Pause und von weither, manchmal von meh- reren Stellen zugleich, kommt wie Orgelton der antwortende Ruf an- derer zurück und wird von neuem herausgefordert. Warum die Kolosse jene mächtigen Töne so selten von sich geben, vermag ich nicht zu erklären; immer geschah es in stillen klaren Nächten, bei Sternenhelle oder Mondschein. Von Mitte Juli bis Ende September 1875 vernahmen wir sie im Kuilugebiet blos in zwei Nächten; vom achtzehnten März bis zum fünften April hörte ich sie am Bänya wäh- rend dreier auf einander folgenden Nächte. Die Eingeborenen mach- ten sich aufmerksam: kua! mvübu kutüba mvüla! horch! Mvübu ver- kündet Regen! Davon hatten wir aber vorher wie nachher übergenug. Im Wasser sieht man von den riesigen Geschöpfen selten mehr Gebaren im Wasser. 217 als das Obertheil der ungeschlachten Köpfe: emportauchend, ver- schwindend, wieder erscheinend, immer kluge Umschau haltend, schnaufend und grunzend die kleinen Ohren schüttelnd, bieten sie einen ganz wunderbaren Anblick (Abbildung I 97). Der Neuling wird ebenso wie bei Krokodilen die seltsamen über die Oberfläche des Wassers aufragenden Unebenheiten von ferne viel eher für Steine oder Enden von Baumklötzen halten, namentlich wenn einige der Ungeheuer -— wie ich es genau beobachtet habe — schlafend im Wasser treiben. So erinnern sie im Grossen sehr an americanische Öchsenfrösche, wenn diese behaglich schwimmend oder eine Beute — vielleicht junge Enten — beschleichend an der Oberfläche hinziehen. Zuweilen strecken sie aber die gewaltigen Häupter auch vollständig heraus, sei es, dass sie mit Verwunderung und Neugier ein ungewöhnliches Ding anglotzen, sei es, dass sie gähnend den übermässig grossen Rachen aufsperren oder laut schallend das furchtbare Gebiss mehrmals aufeinander schlagen. Bei plötzlicher Erregung, im Schrecke, zu Tode getroffen, oder während ihrer übermüthigen Spiele und grimmigen Kämpfe fahren sie auch mit halbem Leibe über die Oberfläche empor; hart verfolgt oder verwundet toben sie manchmal in unbändiger Wuth auf einem engen Raume umher, zeigen sich in voller Länge und schlagen sogar mit den Hinterfüssen schnell und gewaltig aus nicht zu t’efem Wasser in die Luft. Ein ausserordentlich starker und sehr ‚schlauer alter Bulle im Bäanya, ein Isegrimm, der sich seit vielen Jahren schon abgesondert hält und allgemein gefürchtet wird, den ich an dreien Tagen jagte, ohne einen Schuss anbringen zu können, äusserte seinen gigantischen Unmuth über diese hartnäckige Verfolgung unter anderem mehrmals auch dadurch, dass er in dem aufgewühlten Wasser vollständige Purzelbäume schlug, die allerdings komisch genug aussahen. Die Hippopotamen sind natürlich auch ausgezeichnete Schwimmer, die ungestört so gleichmässig schnell unter der Oberfläche hinziehen, dass diese kaum einige Bewegung zeigt. Nur an Stellen mit schlam- migem Grunde kann man aus den dem aufgewühlten Boden ent- steigenden Luftblasen erkennen, wohin ein verfolgtes Thier sich wen- det; ohne dieses Merkmal muss man auf gut Glück ihm nachfahren und findet sich meistens getäuscht, denn sie wenden geschickt und wissen vortrefflich Haken zu schlagen. In sehr flachem Wasser, welches gar nicht hinreicht, sie zu bedecken, glaubt man nur anfäng- lich ihrer sicher zu sein; man wird sehr bald belehrt, dass sie auch dort im Verborgenen sich davonschleichen. Es scheint kaum möglich, dass die ungeheuren Leiber sich derartig niederdrücken können; bei 218 Hippopotamen begleiten Fahrzeuge. näherer Untersuchung ergiebt sich denn auch, dass sie an flachen Stellen ihres Standortes tiefe Furchen wie Gräben am Grunde her- gestellt haben, sichere Wechsel, in denen sie unbeachtet ihres Weges ziehen. Bei beharrlicher Verfolgung drücken sie sich auch still an das Ufer unter überhängendes Buschwerk und lassen den Jäger in einer Entfernung von wenigen Schritten ganz ruhig vorüberfahren. Gleich den Walen begleiten sie gern Fahrzeuge auf weite Strecken, namentlich des Nachts, indem sie prustend und grunzend bald vorn und hinten, bald zur Seite des Canoes auftauchen. Bei einer Nacht- fahrt auf dem breiten Bänya schwamm der schon erwähnte alte Bulle fast drei Stunden lang nebenher, und ein anderer erwies mir unter gleichen Umständen dieselbe Aufmerksamkeit im Kuilu von Mindo stromabwärts bis unterhalb der Mpilemündung. Vornehmlich alte abgesondert lebende Bullen folgen diesem Zuge und sind natür- lich höchst unerwünschte und beunruhigende Gefährten, da sie zweifel- los ein Boot oder Canoe nicht nur umstürzen, sondern durch Schläge, Stösse und Bisse auch übel zurichten können. Die Eingeborenen, welche eine uns freilich übertrieben scheinende Furcht an den Tag legen, bitten dann inständig, in der Dunkelheit ja nicht zu schiessen, vor allem aber kein Feuer, kein Licht zu entzünden, weil dieses das Ungethüm zum sofortigen Angriff reize. Sie erzählen, dass es auch am Ufer seines Standquartieres kein Feuer dulde, sein Maul voll Wasser nehme, an Land steige und die Flammen verlösche, wobei dann die lagernden Leute zertrampelt und niedergerannt würden. Uns haben sie indessen keine Besuche abgestattet, obwol wir recht oft an geeigneten Orten übernachteten. Wahrscheinlich ist der selt- same Glaube dadurch entstanden, dass in der Dunkelheit zur Weide ans Land gehende Simvübu zufällig an Stellen dem Wasser entstiegen, wo auf der Reise befindliche oder Oel bereitende Eingeborene sich zur Ruhe begeben hatten. Sobald wir erkannt hatten, dass die Hippopotamen beim Weide- gange bestimmte Wechsel nicht innehalten, griffen wir sie ohne Um- stände zu Wasser an. Diese Art der Jagd führt bei einiger Ent- schlossenheit sicher zum Ziele und ist nächst dem Walfang überhaupt die grossartigste Jagd, die man unternehmen kann. Freilich, als wir das erste Mal uns in kleinen Canoes an die Un- gethüme wagten, fühlten wir einige Beklommenheit: denn die vielen Erzählungen über die Gefährlichkeit der Thiere hatten ihre Wirkung auch auf uns nicht verfehlt; unser Muth wurde auch dadurch keines- wegs erhöht, dass plötzlich neun riesige Köpfe vor uns Front machten, als wollten sie den Weg verlegen, und uns ruhig herankommen liessen. Jagd. Kämpfende Bullen. 219 Wir bedurften jedoch der Skelete und Häute für unsere Sammlungen und mussten Fleisch schaffen; denn wir und unsere Leute waren hungrig; so fuhren wir denn tollkühn bis auf zwanzigSchritt hinan und gaben Feuer. Von diesem Augenblicke an verliess uns alle Furcht und gieng auf die Flusspferde über; letztere lernten zum ersten Male einen Feind kennen und trugen fortan leider nur zu. grosse Sorge, sich vor ihm in Sicherheit zu bringen. So haben wir zwei volle Monate lang im Kuilugebiete, späterhin acht Tage hindurch auf dem Bänya Hippopotamen stets zu Wasser in kleinen Canoes verfolgt und manche herrliche Jagd gemacht. Dabei stellte sich heraus, dass sie keineswegs dumme, sondern dem einmal erkannten Feind gegenüber sehr wachsame und vorsichtige, aber keine bösartigen Thiere sind — selbst nicht unter bedenklichen Um- ständen. An der Mündung des Nänga sahen wir zwei alte Bullen um die Gunst von fünf zuschauenden Kühen kämpfen. Wir landeten, kochten unser Mal und verzehrten es, während wir die vorsündflutliche Liebes- werbung beobachteten, die nicht zweihundert Schritt von uns ihren ungestörten Fortgang nahm. Auf einer Untiefe mitten im Flusse tummelten sich die beiden gewaltigen Recken, ein rosafarbener und ein schiefergrauer mit nur einem Ohre, der uns vom oberen Nänga her schon wolbekannt war. Das Wasser gieng ihnen bis an die Schulter. Mit weit aufgesperrtem Rachen fuhren sie wie zwei Loco- motiven gegen einander, bissen und stiessen sich, schlugen sich mit den Hinterbeinen und vollführten einen entsprechenden Lärm. Dann ruhten sie aus, giengen, sich stets im Auge behaltend, langsam rück- wärts und nahmen wuthschnaubend einen neuen Anlauf. So folgte Gang auf Gang; keiner der Kämpfer wollte vom Platze weichen. Hin und wieder machte auch eine Kuh in übermässiger Freude mit krummem Rücken einen wunderlichen Satz, richtete sich kerzengerade in die Höhe oder schnellte die Hinterbeine in die Luft, ganz in der drolligen Weise wie unsere Rinder auf dem Anger ihre Frühlings- lust zu erkennen geben; dann fuhr wol auch einmal die ganze Ge- sellschaft in ungeschlachtem Spiele durcheinander. Nachdem wir uns gesättigt hatten und wol an zwei Stunden bewundernde Zuschauer gewesen waren, sprangen wir in die Canoes, um uns an dem Kampfe zu betheiligen — denn dieses Mal erwarteten wir sicher, von den wild erregten Thieren angegriffen zu werden, und hatten uns durch Ab- legen alles Ueberflüssigen angemessen darauf vorbereitet. Sobald diese uns aber herankommen sahen, zogen sie sich zurück; wir konnten nur einmal feuern und verloren die erhoffte Beute sehr bald aus den Augen. 220 Angriff zu Wasser, Aehnlich ergieng es uns bei allen Jagden, sobald wir es nicht mit Familien zu thun hatten, denen wir noch fremd waren. Aber auch diese zeigten sich bald ausserordentlich wachsam und scheu, und es liess sich fast annehmen, dass sie von den schon beschossenen über die plötzlich aufgetauchte Gefahr unterrichtet worden waren. Die Mehrzahl der Hippopotamen, die, weil wir allenthalben immer zu Wasser in der Niederung umherschweiften, sich nicht mehr recht sicher fühlen mochte, wanderte aus und zog in entlegene Tümpel oder in das Gebirge. Dort fanden wir sie später mit anderen und vertrieben sie wieder nach ihren alten Standorten. Die Eingeborenen erzählten uns, dass sie höchst erstaunt gewesen seien, als auf einmal so ungewöhnlich viele Simvubu oben in dem engen Flussthale er- schienen seien; es habe eine förmliche Einwanderung dahin statt- gefunden. Für uns war die grösste Sorge nicht, uns vor den verrufenen Thieren zu schützen, sondern ihnen so nahe zu kommen, dass wir eine wirksame Kugel abfeuern konnten. Unsere Südleute hatten längst alle Furcht verloren, und es gewährte ihnen die höchste Lust, den Ungethümen zu Leibe zu gehen; sie wurden ob dieser Unerschrocken- heit von den Bafiöte auch höchlich bewundert und tauschten sich von ihnen gegen die manchmal in Ueberfluss vorhandenen Fleisch- massen viele begehrte Dinge ein. So sind wir denn berechtigt, auf Grund unserer nicht geringen Erfahrungen auf das Bestimmteste zu versichern, dass die Hippopo- tamen des Kuilu und Banya dem kühn zu Wasser gegen sie vor- gehenden Jäger nicht gefährlich werden, wenigstens nicht absichtlich. Ein blind und toll in unbändiger Wuth umhertobendes mag aller- dings auf Untiefen ein Canoe oder kleineres Boot umstürzen — und dann vielleicht auch an ihm wie den Insassen seinen Zorn kühlen — doch ist dieses zufällige Zusammentreffen bei umsichtiger Führung und einigem Scharfblick mit guten Ruderern unschwer zu vermeiden. Ich berichte hier nur einfach, was wir erlebten und beobachteten, und denke nicht daran, die von anderen Reisenden an anderen Orten gemachten Erfahrungen in Zweifel zu ziehen. Ich will vielmehr aber- mals hervorheben, dass Thiere der nämlichen Art sich je nach Um- ständen sehr abweichend geberden, und dass die unbeschränkte Ver- allgemeinerung einzelner abenteuerlicher Vorgänge und Erlebnisse unrichtige Anschauungen verbreitet. Auch will ich Niemand, der nicht ein entschlossener, geübter Waidmann ist und nicht über tüch- tige Leute gebietet, verleiten, sich muthwillig in Gefahr zu begeben; es könnte ihm doch einmal übel ergehen. Wo Flusspferde sich an Jagderfahrungen. 221 den Verkehr der Menschen gewöhnt haben, durch deren feiges Be- nehmen dreist geworden sind, da mögen sie sich auch mit einem ge- wissen Uebermuthe die Herrschaft in ihren Bereiche anmassen. Diejenigen Europäer, welche niemals Hippopotamen jagten, theilten mit den Eingeborenen die öfters komisch berührende Furcht vor ihnen; sie fürchteten das Riesige und Unbekannte, ohne es zu prüfen. Die wenigen aber, welche sie gleich uns angegriffen haben, bestätigten unser Urtheil. Der leider verstorbene Consul D. Hopkins, ein in West- africa wolbewanderter Jäger, den ich ausdrücklich darum befragte, hat auf dem Niger, Camerun, Ogowe, Congo und Kuänsa ebenfalls keine Gefahren mit ihnen bestanden. Einmal nahm ihn jedoch zu Lande, auf einer flachen Congoinsel ohne jede Veranlassung des Nachts eine Kuh an, die — und dies ist besonders bemerkenswerth — beim Verlassen des Wassers ihr Kalb reitend auf dem Nacken trug. Etwas anders lauten die mir von Herrn Lindner ebenfalls münd- lich gemachten Angaben. Er hat während dreier Jahre in der Congo- niederung zu Wasser neunundvierzig Hippopotamen erlegt und zur Ernährung seiner auf der Factorei beschäftigten Leute benutzt. Dabei ist es ihm drei oder vier Mal geschehen, dass wüthend gewordene Thiere aus grösseren Herden gegen sein geräumiges Boot anstürmten, es durch Stösse weidlich erschütterten und einmal sogar durch Bisse am Hinterende beschädigten. Da aber Herr Lindner ausserordentlich viele Jagden unternehmen musste um so viel Beute zu gewinnen, sind derartige Angriffe von doch erst gereizten Thieren immerhin als verhältnissmässig sehr seltene Vorkommnisse zu betrachten. Durchaus unwürdig eines Waidmannes und blosse Thierquälerei ist es, von sicherem Standorte aus weithin nach den auf- und ab- tauchenden Köpfen zu schiessen. Die unter spitzen Winkeln ein- schlagenden Kugeln bereiten den armen Thieren blos Schmerzen, ohne sie zu tödten. Wer die riesige Beute wirklich erlegen will, der fahre auf dreissig Schritt und näher hinan, um seines Schusses sicher zu sein, und sende die Kugel dem ihn anglotzenden Ungethüm in den Augenwinkel. Dort wirkt schon das Geschoss aus einer gewöhnlichen deutschen Jagdwaffe unbedingt tödtlich; um aber in jeder Richtung das Gehirn zu erreichen, dazu bedarf man mindestens des englischen Militärgewehres (Henry-Martini) oder der Jagdcaliber sechszehn und zwölf mit gehärteten Kugeln und sieben bis neun Gramm Pulver- ladung. Immer ist es jedoch nothwendig nahe hinanzugehen, damit das Blei unter möglichst steilem Winkel auftreffe und vom Schädel- knochen nicht abgleite. In der Regel ist jedes Flusspferd, das nicht unter Feuer getödtet, 222 ; Manaten. dessen Gehirn also nicht von dem Geschoss zerrissen wird, dem Jäger verloren. Schüttelt es mit dem Kopfe, grunzt oder schnaubt es und taucht es schnell unter, so hat die Kugel ihren Zweck verfehlt; fährt es aber hoch aus dem Wasser empor, manchmal nach hinten über- fallend, und sinkt es darauf langsam und bewegungslos unter, so ist es sicher getödtet. Ein weiteres untrügliches Zeichen ist das Auf- steigen grosser Luftblasen an der kritischen Stelle. Mit einer Stange kann man das auf dem Grunde liegende Thier fühlen; ein .geübter Schwimmer mag auch hinabtauchen, um sich mit Augen und Händen von dessen Vorhandensein zu überzeugen und, wenn die Nacht herein- brechen sollte, einen Strick an ihm zu befestigen, mittelst dessen es emporzuziehen ist — sonst könnte der Leichnam in der Dunkelheit verloren gehen, namentlich wenn eine scharfe Strömung ihn auf dem Grunde fortrollt. Jedes im Wasser getödtete Hippopotamus versinkt zunächst, steigt aber gewöhnlich nach einer halben Stunde, spätestens innerhalb we- niger Stunden zur Oberfläche empor. Die Zeit schwankt, je nachdem das eingenommene Futter mehr oder minder verdaut ist, und die sich entwickelnden Gase den Leib auftreiben. Die Eingeborenen fangen hin und wieder eines der Thiere in Fallgruben, die sie auf den begangensten Wechseln anlegen, schleichen sich aber auch des Nachts an weidende, des Tags an die im Wasser in der Nähe des Ufers sich tummelnden hinan und feuern die erstaun- lichen Ladungen ihrer Steinschlossflinten in die Riesenleiber. Ob sie auch auf diese Weise nennenswerthe Beute machen, ist sehr fraglich; denn die Geschosse bleiben gewöhnlich schon unter der dicken elasti- schen Haut stecken; aus erlegten Hippopotamen haben wir Dutzende der eisernen, im Lande üblichen Geschosse geschnitten. — Wo sich in den Gewässern der Niederungen Hippopotamen finden, namentlich an ruhigen, flachen Stellen, die reich an Gras und Wasser- pflanzen sind, da kommen auch die plumpen Manaten vor (M. sene- galensis Desm. ?) — ngülu-mäsi pl. singülu-mäsi: Schwein des Wassers. Sie gehen nie aufs Land, wol aber in sehr flaches Wasser, um ent- weder zu weiden oder zu schlafen. Ihre Anwesenheit erkennt man an dem umherschwimmenden Mist wie an der befressenen Vegetation der Uferränder. Sie kommen häufig zur Oberfläche, um zu athmen, sind aber sehr scheu und zeigen nur die Spitze der Nase, so dass man sie vom Canoe aus nicht schiessen kann. Die Harpune würde sich besser verwenden lassen, wenn man mit dem Fahrzeuge auf gut Glück umhertriebe und jegliches Geräusch vermiede Die Thiere scheinen eine ziemliche Grösse zu erreichen, vielleicht an vier Meter Büffel. 223 lang zu werden; denn ein im Nängasee quer vor unserem Canoe ent- lang flüchtendes brachte das flache Wasser in solche Bewegung, dass wir den Eindruck empfingen, es hätte bei unmittelbarer Berührung unser Fahrzeug umwerfen können. Die Angaben von Fischern, die an verschiedenen Flüssen lebten, bestätigten unser Urtheil hinsicht- lich der Grösse des Thieres. Wir haben kein Manatus erlegen und nicht einmal eines deutlich sehen können. Die Eingeborenen fangen sie besonders während der Regenzeit, indem sie kleinere Arme der Gewässer mit einer Verpfäh- lung versehen, deren Lücken sie zusetzen, wenn Manaten bei Ueber- schwemmungen hineingedrungen sind. Das Fleisch wird sehr ge- schätzt. Bestimmte Körpertheile von erlegten müssen an die Fürsten- geschlechter abgeliefert werden; daher kann man von den Einge- borenen weder ganze Thiere noch Skelete erlangen. — Das grösste Landsäugethier nächst dem Elephanten ist der Büffel. Ob der bekannte und gewaltige Bubalus (Bos) caffer noch vorkommt, liess sich nicht mit Bestimmtheit feststellen; doch ist es kaum anzu- nehmen; der schwächere Bos brachyceros ist dagegen noch vorhanden, wenn auch nicht mehr in grosser Anzahl. Eine kleine Herde schweift noch in der Savane von Mvüli zwischen Tschintschötscho und Massäbe umher, eine andere auf der Landspitze zwischen der Bai von Ponta- negra und Loango. Im Kuilugebiete finden sie sich vom Meere bis ans Gebirge; am häufigsten sind sie im Norden auf der dem Bänya vorliegenden niederen Landstrecke. Die Eingeborenen behaupten, dass der Büffel — mpäkase pl. simpäkase — im Gebirge gänzlich fehle und im Vorlande sich namentlich im Küstenstriche aufhalte, weil er das Salzwasser zu lecken liebe; sie bestreiten aber, dass er — obwol es doch eine charakteristische Neigung aller übrigen ist — sich suhle. Der Körper soll stets frei von Schlamm und sogar recht glatt und sauber gehalten sein. ; Nicht unter Feuer getödtete sollen den Schützen sofort annehmen oder in Dickungen treten und von dort den Verfolger überfallen. Herr von Koppenfels konnte mir dies aus eigener Erfahrung bestä- tigen, da er auf Cap Lopez Insel von einem angeschossenen Bos brachy- ceros sehr übel zugerichtet worden ist und nur in Folge seiner körper- lichen Tüchtigkeit und der Pflege durch Eingeborene mit dem Leben davonkam. Herr Lindner, der mehrere in der südlichen Congo- niederung erlegte, wurde von einer schlecht getroffenen Kuh sofort nach dem Schusse angenommen, liess sie aber dicht heran und streckte sie mit der zweiten Kugel nieder. Die Verhältnisse des Landes, die Art und Anordnung der Vegetation bringen es mit sich, dass man 224 Antilopen. sie wie anderes Wild vorwiegend bei zufälliger Begegnung erlegt. Sie halten keine bestimnten Wechsel ein, wissen sich ausgezeichnet selbst zwischen ganz unbedeutenden Pflanzengruppen zu verbergen und lassen mit kluger Berechnung sowol spürende Menschen wie Hunde dicht an sich vorüber, ohne flüchtig zu werden. Die wenigen Büffel, welche ich überhaupt und dann stets in. voller Flucht nur auf Augenblicke zu Gesicht bekommen habe, be- sassen ein glänzendes fahlbraunes Fell und trugen den in einer Haar- quaste endenden Schwanz horizontal. Sie hatten etwa die Grösse unserer Rinder, waren aber feiner gebaut und zeigten sich im Sprung gewandt wie Hirsche, obwol sie sich immerhin wie schwere, wuchtige Thiere bewegten. Sie tragen ein verhältnissmässig kleines breitge- drücktes, an der Wurzel schwach und unregelmässig gewulstetes Gehörn, das nicht wie bei B. caffer geformt ist, sondern sich sogleich in derselben Ebene nach aufwärts krümmt. — Von Antilopen haben wir fünf Arten gesammelt, von zwei wei- teren besitze ich nur die Gehörne. Die häufigste ist die bekannte anmuthige Schirrantilope, harnessed deer der Engländer (Tragelaphus scriptus) — ngülungu pl. singülungu —, welche die Grösse eines sehr starken Rehbockes erreicht (Abbildung II 64 und II ı). Mitte Juli beobachtete ich an der Loangobai ein brünstiges Pärchen, dessen Treiben an unsere Rehe erinnerte; der Brunstruf des Bockes glich genau dem unserer Damhirsche. Eine, nach der Beschreibung der Eingeborenen der Schirrantilope sehr ähnliche Art — nkäbi pl. sin- kabi — ist grösser als jene und weit seltener. Das mir gebrachte Gehörn ist enger gestellt, schlanker und doppelt so hoch als das des stärksten Bockes von der ersten Art. Noch grösser ist eine dritte Tragelaphusspecies (T. euryceros) — mvüli pl. simvuli —, welche die Stärke unseres Rothwildes er- reicht und diesem in ihrer Gestalt und ihren Bewegungen ungemein ähnelt (Abbildung II 64). Sie ist überhaupt die stolzeste Antilope, die ich kenne, ausserordentlich flüchtig, prachtvoll im Sprunge und verdient ihren Namen mit Recht. Das kräftige glatte Gehörn ist lyraförmig geschwungen. Eines der stärksten misst zweiundsechszig Centimeter in der Höhe bei achtundzwanzig Centimeter Spitzenab- stand; doch sah ich ein einzelnes Horn, welches neunundsiebzig Centi- meter Länge hatte. Bei allen drei Arten — es wird nicht überflüssig sein, dies zu bemerken — tragen nur die Böcke Gehörne. Sie be- wohnen die Savanen. Die letztgenannte soll sich aber mit Vorliebe in sumpfigen Gegenden aufhalten; ich habe sie jedoch öfters auch am Tage auf trockenen Bodenstrecken beobachtet. Antilopen. 225 Eine vierte Antilopenart — nsüngu pl. sinsüngu — kann ich nur nach einigen gesehenen Gehörnen anführen. Diese sind so kräftig, wie bei T. euryceros und auch ähnlich geformt, besitzen aber bis zu Dreiviertel ihrer Höhe namentlich nach vorn stark hervortretende, schräg gestellte Ringe. Die seltenen, ziemlich langhaarigen Thiere sollen vorzugsweise in Sumpf und Wasser sich aufhalten und häufig nur einen Theil des Kopfes über diesem zeigen, manchmal auch blos das Gehörn hervorstrecken. Vielleicht ist es ein Kobus. Von Cephalolophus haben wir drei Species gesammelt. Sie sind vorzugsweise Waldbewohner, und beide Geschlechter tragen unver- hältnissmässig schwache, steife Gehörne. Eine noch nicht bestimmte, einförmig fahlbraune Art mit hellerer Unterseite — mfanu pl. simfünu — erreicht die Grösse des Rehes. Stattlicher ist die glänzend schwarze, in höchst auffälliger Weise mit einem ochergelben dreieckigen Sattel geschmückte C. sylvicultrix — mbimbi pl. simbimbi, im Norden auch ngüla pl. singula. Es ist ein wolbeleibtes eigenartiges Thier (Abbil- dung II 116), das in seinen Bewegungen, namentlich da man es selten vollständig und längere Zeit zu sehen bekommt, lebhaft sowol an ein Schaf. wie an ein hochbeiniges Schwein erinnert. Geht es flüchtig über eine Blösse, so setzt es sich in einen unbeholfenen schwankenden Galopp, pflegt den niedrig gehaltenen Kopf oftmals von Seite zu Seite zu werfen und umläuft oder durchbricht kleine Hindernisse, welche die oben genannten Tragelaphusarten mit anmuthigem Sprunge über- fliegen würden. Es verlässt jedoch höchst ungern das deckende Busch- werk. Aufgescheucht thut es im Zickzack ein paar Fluchten und ist plötzlich wie verschwunden; ganz still und geduckt, dabei in kurzen Zwischenräumen haltend und sichernd, kriecht es so schlau und ge- schickt durch die dichteste Vegetation, dass man es kaum wieder zu Gesicht bekommt. Selbst in einem kleinen Gebüsch vermag es dem Verfolger durch sein eigenthümliches Gebaren immer wieder zu ent- gehen und ihn schliesslich vollständig zu ermüden. Ganz ähnlich benimmt sich die Zwergantilope (C. Maxwelli) — nsessa pl. sinsessa —, eine ungemein zierliche und anmuthige Wald- bewohnerin (Abbildung II 116, 149). Das niedliche graue Thierchen, dessen Körper nicht grösser ist als der eines starken Hasen und auf entsprechend feinen Läufen ruht, kriecht mit einer Geschicklichkeit um den Jäger herum, die ihn zur Verzweiflung bringt. Dennoch ist sie die einzige Antilope, auf die sich eine regelrechte Jagd anstellen lässt; ihre treue Gattenliebe wird ihr zum Verderben. Man kann ihr Klagen täuschend nachahmen, indem man Zeige- und Mittelfinger in die Nasenlöcher drückt, die hohle Hand dicht vor den Mund bringt und -» Loango. III, 15 226 Jagd. Werth des Wildprets. nun mit dem Gaumen ein lautes langgezogenes „miak mimiäk, miak mimiak“ hervorbringt. Zu irgend einer Tageszeit geht man in den Wald, sucht gute Deckung an einer lichten Stelle und lässt nun in Pausen den Ruf möglichst kläglich erschallen. Ist ein oder das andere Thier von einem zufällig getrennten Pärchen in der Nähe, so glaubt es das andere in Noth, eilt spornstreichs herbei und kann erlegt werden. Zuweilen kommt es vor, dass wie bei unserem Rehblatten ein Fuchs oder Hund, so in Loango der Schakal (Canis adustus) — mbülu pl. simbülu — den Jäger anläuft, weil er wie unsere Räuber ein gutes Mal wittert. Alle Antilopenarten finden sich in den von ihnen bevorzugten Gegenden allenthalben verstreut, aber nirgends häufig und niemals in Rudeln. Mehr als zwei sieht man nicht beisammen. Von etwa neun Uhr Morgens bis vier Uhr Nachmittags stecken sie in Dickungen, Tragelaphus scriptus manchmal blos in einem einzelnen Busch oder zwischen einigen hohen Grasbüscheln; während der übrigen Zeit wan- dern sie beliebig umher, halten aber weder einen Wechsel, noch einen Standort. Man kann ihr Umherziehen recht eigentlich ein Bummeln nennen. Daher ist die Jagd selten lohnend, aber immer mühsam. Den Anstand, der überdies durch die Angriffe der Insecten gewöhn- lich unerträgliche Qualen mit sich bringt, giebt man bald auf. Ein allerdings sehr reizvoller Pürschgang bei hellem Mondenscheine oder am Morgen und Abend verheisst nur auf genau bekannten und be- sonders günstigem Terrain einigen Erfolg; die meisten Antilopen er- legt man bei zufälliger Begegnung. Die Eingeborenen behaupten allgemein, dass alle Antilopen und Büffel sowie auch die Hausthiere: Schafe und Ziegen, sehr gern Ratten, Mäuse und kleine Vögel fangen und auffressen. Das Fleisch der Zwergantilope ist schmackhaft, das der übrigen, wenn es nicht junge Thiere sind, zähe und trocken. Von keiner kann man rühmen, dass sie einen wirklich feinen Braten liefere. Die Mbimbi — wörtlich: sehr schlecht — trägt ihren Namen nicht unverdient; ein sehr übler moschusartiger Geruch und Geschmack macht ihr Fleisch ungeniessbar. Ueberhaupt liefert, mit Ausnahme der Wild- schweine und einiger Vogelarten — Trappen, Hühner, Tauben, Enten, Schnepfen — kein Wildpret in Loango, Hippopotamen, Büffel, Affen eingerechnet, ein Mal, dessen man nicht gern entbehrte. Unter den Hausthieren ist ausser der Ente ebenfalls nur das Schwein gut zu essen. Das Fleisch der grossen Mehrzahl ist fade und trocken. Es liegt nicht an der Zubereitung, denn auch die Eingeborenen sind treff- liche Köche, sondern an Mangel guten Futters. Feist findet man nur bei Schweinen, Flusspferden und Affen, Pinselohrschwein. Schakal. 22 Ein ausgezeichneter Waldbewohner ist das Pinselohrschwein (Po- tamochoerus penicillatus) — ngülu bu nsitu, ngülu-nsitu pl. singülu- nsitu —. Es erreicht nicht die Stärke unseres Wildschweines und scheint auch nicht so grimmig zu sein. Das warm rostbraune Fell ist schwarz, weissgelb und ocherfarben gezeichnet, in einer gefälligen Farbenvertheilung, die namentlich dem klugen Kopf ein hübsches Aussehen verleiht. Es sind lebhafte und sehr flüchtige Thiere, ver- hältnissmässig hochbeinig gestellt und entschieden elegant geformt. Ein junges Pinselohrschwein, welches wir längere Zeit in unserem Affenhause untergebracht hatten, vertrug sich mit dessen Insassen recht gut und erfreute uns oft durch seine possirliche Munterkeit Sein gestreiftes Fell glich dem der Frischlinge unseres Schwarzwildes. In der Freiheit habe ich leider die Thiere nicht eingehend be- obachten können; ich sah sie nur auf Augenblicke zwischen Busch- werk. Nach den Fährten zu urtheilen, ziehen sie stets in grossen Rudeln namentlich in den feuchten Galleriewäldern der Flüsse umher, doch sind sie auch im Gebirge nicht selten. Sie scheinen sehr eifrig im Boden zu wühlen und geschickt zu brechen; Suhlen habe ich jedoch nirgendswo gefunden. Man hört sie manchmal dicht neben sich in Gestrüpp und Dickungen grunzen, noch häufiger aber in ganz eigenthümlicher behaglicher Weise brummen. Aufgescheucht werden sie selten laut, sondern ziehen sich, auf die Deckung vertrauend, ge- räuschlos zurück. i Weit besser lässt sich der Schakal oder Streifenwolf (Canis adustus) — mbulu pl. simbulu — beobachten. Er ist unserem Fuchse ähnlich, doch stattlicher und namentlich hochbeiniger, hat denselben pfiffigen Gesichtsausdruck wie dieser, aber zugleich einen entschieden gut- müthigen Zug. Sein in der Schattirung vielfach wechselndes Fell ist fahler gefärbt und bräunlich oder gelblich grau, manchmal auch vor- herrschend schön rostgelb; ein längs den Seiten verlaufender heller Streifen ist schwarz gesäumt, aber an den Grenzen ziemlich verwaschen und unterliegt ebenfalls mannigfachen Abweichungen. Man findet wol kaum zwei Schakale, deren Farbe und Zeichnung ganz überein- stimmend wäre; das Jugendkleid ähnelt dem unserer Füchse. Es sind ausserordentlich elegante geschmeidige Thiere, deren Treiben man immer mit Wolgefallen betrachtet. Halbwüchsige Schakale hielten wir öfter im Gehöft; einer davon gedieh zu einem sehr stattlichen Thiere (Abbildung II 20, 149) und wurde so zahm und artig, dass ihm bald unbeschränkte Freiheit gegeben werden konnte. Er lief nicht nur im Gehöft umher und besuchte die Zimmer, sondern durchstreifte stundenlang unsere Pflanzungen 15* 228° Unser gezähmter Schakal. wie die Campinen und Buschwälder der Umgegend. Dort suchte er Käfer, fing sich Heuschrecken, wobei er den aufschwirrenden im übermüthigen Spiele nachsprang, und erbeutete sicher auch manches kleine Säugethier und manchen unvorsichtigen Vogel — unser zahmes Federvieh liess er jedoch in Ruhe, nachdem ihm für das Fangen eines Huhnes auf frischer That eine gelinde Strafe getroffen hatte. Machte er fernerhin einmal lüsterne Augen nach einem verführerischen Bissen, so genügte ein leises Zischen, ein verweisendes Wort, um ihn auf dem Pfade des Guten zu erhalten. Zuweilen blieb er den ganzen Tag über aus, erschien jedoch des Abends im Esszimmer, um einige gute Bissen zu erlangen. Vergass man längere Zeit, als er für passend hielt, ihm etwas zu verabreichen, so stiess er mit der Nase an das Bein und legte schliesslich wie ein Hund den Kopf auf das Knie Er nahm alles an: Brot, Bohnen, Reis, Fisch, Fleisch, selbst rohe Bananen und Oelnüsse, zermalmte aber nur sehr feine Knochen. Gegen einige Persönlichkeiten zeigte er eine entschiedene Ab- neigung, sperrte, wenn sie sich ihm näherten, seinen Rachen auf und wies unter eigenthümlichem Winseln sein Gebiss; dabei verrieth er aber keine Furcht, behauptete ruhig seinen Platz und versuchte auch nicht zu beissen. Andere waren ihm vollkommen gleichgültig, nur Wenige mochte er wirklich leiden: diesen eilte er in eigenartigen graziösen Sprüngen, geduckt und schlangenähnlich sich windend, die immer gestreckte Ruthe dabei seitlich schleudernd entgegen, rollte sich ihnen freudewinselnd vor die Füsse, lief ihnen nach, liess sich _ streicheln, emporheben, mit Vorliebe Kopf und Kehle krauen — leckte jedoch nie die liebkosende Hand — und im Scherze auch ziemlich derb hin und her ziehen und sein weiches Fell zausen. Nur seinen schönen buschigen Schweif liess er nicht gern fest angreifen. Gab man sich mit ihm ab, sprach man ihm zu, so schaute er Einen freu- dig und treuherzig wie ein Hund an, wedelte indessen selten mit dem Schweife. Die Stimme des Menschen machte unter solchen Umständen auf ihn einen Eindruck, wie ich es nur noch beim Gorilla beobachtet habe; er erschien davon förmlich bezaubert. Seinen Namen „Mbulu“ kannte er genau, folgte jedoch nicht immer dem Rufe und bewies überhaupt eine grosse Selbständigkeit. Wollten ihn unsere Muleks aus einem Zimmer entfernen, so nahmen sie ihn um die Mitte des Leibes unter den Arm — wobei er biegsam wie eine Katze und schlaff sich hängen liess — und setzten ihn vor die Thür; anders brachten sie ihn nicht hinaus. Er hielt sich ausser- ordentlich reinlich und verbreitete, da er reichlich gekochtes Futter erhielt, sehr bald nicht mehr den scharfen übeln Geruch, den er an- Verhalten in der Wildniss. 229 fänglich hatte. Er dünstete indessen wie unsere langhaarigen Hunde stärker aus, wenn Regenwetter im Anzug war. Die fallenden Tropfen scheute er, trat nie auf schmutzige Stellen und schüttelte die Nässe, den Thau wie die Katzen von den Pfoten. Mitder bunt zusammengewürfelten Gesellschaft unserer Hausthiere und Lieblinge: mit Affen, Hunden, Ziegen, Schafen, Schweinen, Pa- pageien lebte er in Frieden, hielt sich aber immer vornehm abge- sondert von ihnen und gieng auf keing ihrer oftmals tollen Spiele und Neckereien ein. In der Regel sass er nicht wie ein Hund, sondern liess sich im Schatten auf einem sorgfältig gewählten saubern Orte gestreckt nieder, ohne vorher die bei den Hunden gewöhnlichen Dreh- bewegungen durchzumachen, legte den Kopf auf die Vorderläufe und gab sich blinzelnden Auges träumerischer Ruhe hin; doch zeigte er sich auch am Tage geistig sehr rege und nahm lebhaften Antheil an allem, was um ihn vorgieng. Er ahmte indessen das Bellen unserer Hunde niemals nach, pflegte aber von seinem Futter, nachdem er sich gesättigt hatte, grössere Bissen zu verscharren. Fest schlafend lag er gewöhnlich zusammengerollt, manchmal aber auch auf der Seite, Läufe und Hals und Ruthe von sich gestreckt, als wäre er todt. So schlief er auf dem Sande an einem Gebäude oder im Garten in der Campine. Später fand er ein beliebiges Stück Zeug in meinem Zimmer oder auch die Wolldecken meines Lagers sehr bequem zum Ruhen; auf dem Schiffe, wo er während der langen Heimreise frei umherlief, erkor er sich das weiche Sopha in der auf Deck befind- lichen Capitänskajüte zur Schlafstelle. Er fand nachmals eine Heimat im zoologischen Garten zu Berlin, erlag aber leider bald dem Klima. Ich vermuthe jedoch, dass er auch den Verlust seiner Freiheit nicht verschmerzen konnte, denn als ich seinen Käfig besuchte, zeigte er sich stumpf und niedergeschlagen und glich in seinem Aeusseren gar nicht mehr unserem schönen Mbülu, den wir so lieb gewonnen hatten. In der Wildniss ist das Verhalten der Streifenwölfe nicht ab- weichend. Von neun bis vier Uhr des Tages sieht man sie höchst selten, zu jeder andern Zeit aber allenthalben, obwol nirgends häufig in der Savane, einzeln oder zu zweien, jedoch nie in Rudeln. Hetz- jagden auf grösseres Wild betreiben sie nicht, sondern belauern und bespringen allerhand kleines Gethier, sind aber gewiss nicht abgeneigt, auch stärkeres krankes Wild niederzureissen. Ihr Gebiss und ihre Gewandtheit befähigt sie dazu. Nahrungssorgen können sie nicht wol haben, da sie nichts Lebendiges zu verschmähen scheinen, vermuth- 230 Kläffen des Schakals. lich auch Aas annehmen und mit Behagen sogar die fetten Früchte der Oelpalme zerkauen; des Abends oder Morgens sieht man sie in ihrer charakteristischen, vornehm nachlässigen Weise in den lichten Gras beständen umherspüren oder kluge Umschau halten und namentlich das Treiben der Menschen neugierig beobachten. Sie kommen ganz dicht an die Wohnstätten; denn die Dorfhunde denken nicht daran, mit ihnen anzubinden, und die Eingeborenen thun ihnen auch Nicht zu Leide. Scheucht man einen Schakal auf, so wird er regelmässig, nach dem er eine kurze Strecke gelaufen ist, anhalten, den Störer betrachten und ruhig abwarten, was weiter geschieht. Es ist nicht schwierig, ihn dann mit einem Schrotschuss niederzustrecken, wenn man es über sich gewinnen kann, das elegante und ahnungslose Thier unnützer Weise zu tödten. Sein langgezogenes helles Kläffen lässt der Mbülu des Nachts und Morgens häufig genug zu allen Jahreszeiten hören; es ist so laut und gellend, dass der Neuling erschrocken auffahren mag, wenn es in unmittelbarer Nähe des Dorfes oder Lagers erschallt Manchmal erinnert es lebhaft an das Geheul der Prairiewölfe (Canis latrans Sm.) in den nordamericanischen Wildnissen. — Vom Leoparden kann ich Nichts weiter mittheilen, als was ich bereits auf Seite 204 angeführt habe. Die Eingeborenen behaupten, dass er genau die Orte kenne und winselnd umschliche, wo sich Hoch- schwangere oder Wöchnerinnen befinden. Das Nämliche wird wol in allen Erdgegenden erzählt, wo grosse Raubkatzen vorkommen. Ein ihm an Grösse ziemlich nahe kommendes Raubthier — nsüusu-mbuä pl. sinsüsu-mbua, wörtlich: Huhnhund — hat einen runderen Kopf, einen Stummelschwanz und ein weniger schönes, mit kleineren Flecken übersätes Fell. Ich sah nur einmal ein gänzlich zerschossenes Exem- plar und möchte es für einen sehr starken Luchs halten. Es soll in Buschwald und Campine leben, aber auch Bäume geschickt besteigen und gilt als ein frecher Räuber, der selbst Ziegen und Schafe aus den Dörfern wegschleppt; dem Menschen ist es nicht gefährlich. Unsere zahmen Affen bekundeten eine grosse Furcht vor dem todten Thiere. Ueber das Freileben der Zibethkatze (Viverra Poortmanni) — ngölobo pl. singölobo — und der Genettkatze (Viverra genetta) — mboyo pl. simböyo —, des Palmenmarders (Cynogale velox) — mbala pl. sim- bala — und des Ichneumon oder der Manguste (Herpestes paludinosus — nsülu pl. sinsülu — habe ich leider keine oder nur sehr geringe Beobachtungen anstellen, auch von den FEingeborenen nur wenig erfahren können. Es sind Nachtthiere, die in Erdlöchern hausen, manchmal auch am Morgen oder Abend umherstreifen, werden aber Palmenmarder. Zahme Genettkatze. 231 wegen der deckenden Vegetation nur selten erblickt. Ich habe nur einmal ein Ichneumon flüchtig gesehen. Als ich unfern unseres Ge- höftes am Buschwaldrand entlang gieng, stöberte unser Schäferhund Tyras, der sich zu mir gesellt hatte, in der Dickung umher. Plötzlich schlug er an; ich hörte, wie er sich mit einem Thiere umherjagte, welches sich zeitweilig zu stellen und gegen ihn zu springen schien. Sein Gebell wurde mit einem scharfen hellen Schmatzen, Grollen und Keckern beantwortet. Nach einigen Minuten kam die Jagd näher, und ein dunkles Thier fuhr aus dem Buschwerk in die Campine. Ein Fang- schuss mit Hühnerschrot tödtete es auf etwa vierzig Schritt unter Feuer. Es war ein wolbeleibtes Ichneumon der genannten Art, welches von Flöhen geradezu wimmelte. Der Palmenmarder scheint die Savanen nicht zu lieben, sondern sich vorzugsweise in den Galleriewäldern der Flüsse aufzuhalten. In stillen Nächten hört man dort regelmässig seinen einförmigen stets mehrfach wiederholten klagenden Ruf, der melancholisch aus der Ferne kommt und sowol an das Miauen einer Katze wie an einen langgezogenen hellen Unkenruf erinnert. Das Thier soll ausgezeichnet schwimmen. Zibethkatzen und Genetten hielten wir mehrfach lebendig auf der Station. Erstere sind recht unliebenswürdige Thiere, denen nie recht zu trauen ist und deren Geruch überdies höchst unleidlich wird ; letztere aber werden ausserordentlich zahm, hören auf ihren Namen, laufen ihrem Pfleger wie Hunde selbst am hellen Tage nach und gewähren durch ihr ganzes Wesen ungemein viel Vergnügen. Die Bewegungen des unverhältnissmässig langgestreckten und langschwänzigen, aber sehr kurzbeinigen Thieres mit dem feinen klugen Kopf, dem glatten graugelben, durch mattschwarze Flecke verzierten Pelz sind so zierlich und gewandt, so bestimmt und kraftvoll und zugleich so geschmeidig, dass man nie müde wird, ihm zuzuschauen — mag es nun in wellen- förmiger Bewegung entlang hüpfen, oder zu unglaublicher Länge gestreckt gleich einer Schlange oder Eidechse auf irgend etwas zu- schleichen. In unserer Hauptbarake hatte sich ein halbwüchsiges häuslich eingerichtet und schien an den leider in Unzahl vorhandenen Ratten reichliche Nahrung zu finden. Wenn wir des Abends im Ver- sammlungszimmer plaudernd bei einander sassen, kam es häufig auf dem unteren Dachbalken gelaufen, lugte neugierig herab und schnellte sich dann mit einem graziösen Sprung auf den Tisch. Dort glitt es, leise helle Töne von sich gebend, in seiner behenden Weise vom Einen zum Andern, liess sich kurze Zeit streicheln und necken und verschwand bald ebenso, wie es gekommen war. 232 Ratten. Eichhörnchen. Stachelschweine (Atherura africana) und Schuppenthiere (Manis macrura, M. longicaudata) sind uns nur einige Male lebend gebracht worden, fielen aber sogleich den Ratten zum Opfer. Diese schlimmen Gäste hatten sich in bedrohlicher Menge bei uns eingenistet und fügten trotz aller angewendeten Vorsichtsmassregeln unserer Habe und unseren Sammlungen immer wieder Schaden zu. Wir konnten uns ihrer nicht erwehren, weil wir gleich den Eingeborenen zu ebener Erde in Schilf- baraken wohnten, und uns die Verhältnisse nicht gestatteten, auf Pfeilern ruhende Holzhäuser zu errichten, wie es in den Factoreien üblich ist. Die Frechheit der Ratten, der Lärm, den sie allnächtlich unter der Erde, in den Zimmern und auf den Palmblattdächern voll- führten, war eine beständige Quelle der Sorge und Störung. Es liesse sich ein ganzes Capitel schreiben über das Treiben der klugen und findigen Thiere, die für uns eine wirklich recht grosse Plage waren. Der dalernde Krieg, der auch von unseren nach dem geschätzten Braten lüsternen Südleuten mit allen Mitteln geführt wurde, ver- mochte ihre Reihen nicht, zu lichten. Wir hatten es mit der auf Schiffen gekommenen Wanderratte (Mus decumanus) zu thun, die ja, nachdem sie in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts nach Europa einzuwandern und die wahrscheinlich um die Zeit der Völkerwanderung desselben Weges sgekommene Hausratte (Mus rattus) zu verdrängen begann, gegenwärtig bereits kosmopolitisch geworden ist. Die Eingeborenen nennen sie wie die im Freien leben- den Ratten: mpüku pl. simpuku, und alle Mäuse: nkuete pl. sinkuete. Von den gesammelten Hörnchen sind vier Arten bestimmt: Sciu- rus pyrrhopus, Sc. punctatus, Sc. rufobrachiatus, Sc. congicus. Sie sind namentlich in den Galleriewäldern der Flüsse und im Gebirge ungemein häufig und beleben sie durch ihr munteres Treiben. Ein allerliebstes Hörnchen — mkäka pl. simkäka — mit tostgelbem Fell und zwei doppelten schwarzweissen Seitenstreifen geziert, wurde mir einst lebend als Geschenk gebracht. Es schien vollständig erwachsen und hatte doch nur die Grösse einer starken Maus, so dass man es in der hohlen Hand bergen konnte. Binnen weniger Tage wurde es so zahm, dass es sich fortan frei im Zimmer umhertummeln durfte. Mit fröhlichem, leisem „tak tak“, das jedesmal von einem Wippen des breiten buschigen Schweifes begleitet wurde, trieb es zu allen Stunden sein neckisches Spiel, war aber des Nachts weit reger als des Tages. Seine Liebhabereien wechselten ausserordentlich rasch. Eine Zeit lang hockte es dann und wann, alle meine Bewegungen mit klugen Augen verfolgend, sich putzend und kämmend, besonders gern auf dem Tinten- fass; wenn“ch die Feder eintauchte, sprang es dann regelmässig auf Zahmes Hörnchen. 233 meine Hand und beim Zurückziehen wieder auf den alten Platz; dann fand es meinen Kopf zum Sitz geeignet, später wieder einmal die Schulter, kroch dann auch ins offene Hemd, in beliebige Taschen, so dass ich mich beim Aufstehen erst immer überzeygen musste, ob ich das winzige und manchmal eingeschlafene Thierchen nicht irgendwo bei mir habe. Zur Schlafstelle hatte ich ihm eine in sicherer Höhe angebrachte ausgehöhlte Adansoniafrucht angewiesen. Diese füllte es nun eifrig mit weichen Läppchen, Wattenflocken und grossen Wergbündeln, die es aus dem Zimmer meines Nachbars entführte und an einem als, Leiter dienenden Stabe oder an der Schilfwand kletternd hinauf schleppte. Das Einbringen der oft kaum zu bewältigenden Massen durch das enge Loch in der Fruchtschale machte ihm unendliche Mühe, aber von aussen schiebend, von innen ziehend, liess es nicht eher nach mit dem Ausfüttern des warmen Nestes, bis aBsolut Nichts mehr in den Hohlraum hineinzustopfen war. Bei aller emsigen Arbeit gab das niedliche und ungemein reinliche Thierchen zeitweilig sein frohes „tak tak“ von sich, oder hüpfte auf einen Ruheplatz und strich und kämmte hurtig das in Unordnung gerathene Kleid, namentlich die langen Haare des Schwanzes, und putzte das kluge Köpfchen mit den grossen dunkeln Augen. Sein Thätigkeitstrieb und seine Lust an Veränderungen liessen es jedoch nimmer ruhen und nie lange etwas Geschaffenes mit Be- hagen geniessen. Kaum war das weiche Nest eine Woche benutzt, so begann es auch schon wieder die mühsam hergestellte Polsterung auszuräumen und nach einem verlockenderen Winkel am Bücherbret zu schaffen; nachdem dieser einige Zeit als Schlafplatz gedient hatte, wurde ein drittes Nest in der Tasche eines an der Wand zur Seite meines Arbeitsstuhles hängenden Rockes angelegt. Dort fühlte es sich längere Zeit wolgeborgen, und ich glaubte es endlich zur Ruhe ge- kommen. Als ich aber eines Tages meine, der Ratten wegen mittelst einer am Dachbalken befestigten Schnur frei schwebenden Koniestiefeln anziehen wollte, fand ich einen derselben zu einer neuen Wohnung eingerichtet und bis obenan mit Werg, Watte und Federn angefüllt. Da entdeckte ich auch, dass der rastlose Liebling allerlei glänzende und glatte Gegenstände zusammentrug: Zündhütchen, Patronenkapseln, hellgefärbte Scherben und andere Dinge, darunter auch mein seit längerer Zeit vermisster Fingerhut kamen zum Vorschein. Im Uebri- gen stiftete es nicht viel Schaden. Es benagte versuchsweise einige Rücken in Leinwand gebundener Bücher, probirte auch seine Zähne an zierlich hochgehaltenen und eifrig gedrehten Bleistiften und berei- 234 Affen. Vorkommen. tete uns nur einmal Aerger, indem es Dr. Falkenstein eine Anzahl Probeabzüge von photographischen Platten zerbiss. Jegliches Futter: Früchte, Brot, Fleisch, Ei war Mkäka recht, wurde artig aus der Hand genommen und wie von unseren Eich- hörnchen verzehrt. Eine Zeit lang fasste das Thierchen eine wunder- liche Zuneigung zu meinem ebenfalls frei lebenden Graupapagei, suchte in dessen Nähe zu verweilen und vernachlässigte mich bald gänzlich. Es neckte sich nicht mehr mit mir, liess sich nicht mehr greifen und hätscheln und wurde immer wilder, ohne indessen bissig zu sein. Eines Tages war es verschwunden. Vermuthlich ist es trotz seiner Gewandtheit eine Beute der Ratten geworden. Allemeine Bemühungen, ein zweites zu erlangen, blieben erfolglos; die Eingeborenen behaup- teten, Mkäka sei ausserordentlich selten. In den Felsspalten von Ngötu am Kuilu soll ein mit braunem, weichem Fell bekleidetes Thier hausen, das wir freilich nicht gesehen haben, aber den Angaben zufolge für einen Klippschliefer (Hyrax) halten dürfen. Auf der zwischen Bänya und dem Meere liegenden flachen Landstrecke fand ich mehrfach Fährten, die denen unserer wilden Kaninchen genau glichen. Ein junger Jäger theilte mir mit, es gäbe daselbst viele dieser Thiere — mbisi pl. simbisi —; nach seiner Beschreibung konnten es in der That Kaninchen mit fahlem Felle sein. In Loango hörte ich nicht von ihnen. — Affen — ntschima pl. sintschima — besonders Meerkatzen, giebt es in grosser Menge, doch nicht allerorten; in verschiedenen Gegenden könnte man Jahre lang leben, ohne auch nur einen derselben zu Ge- sicht zu bekommen. Sie lieben nicht die Savanen mit ihren Busch- wäldern und Gehölzen, sondern halten sich vorzugsweise in den aus- gedehnten Waldungen der Flussniederungen und des Gebirges auf. Die Nähe des Wassers ist ihnen Bedürfniss; selbst in bedeutenden Hochwäldern, die auf trockenem Hügellande wachsen, habe ich sie nicht bemerkt. Ueberhaupt hört man sie weit öfter, als man sie erblickt. Es ver- langt einige Uebung, bis das Auge geschickt wird, die beweglichen und gewandten Turner zwischen den Laubmassen zu erkennen; und nur zu oft verkünden ängstliche und zornige Warnungsrufe, dass sie ihren Feind früher entdeckt haben und sich mit hurtigen Sprüngen aus dem Bereiche der Feuerwaffe bringen oder zwischen schützenden Blättern ganz still verbergen und davonschleichen. Obwol sie viel Leichtsinn besitzen und manchmal den Menschen mit erstaunlicher Unbefangenheit betrachten, sind sie doch in der Regel sehr scheu und beim Schmausen wie bei den tollsten Spielen sehr achtsam auf Scheuheit. Zählebigkeit. 235 alles, was um sie vorgeht, auch dann, wenn sie sich im Waldesdunkel ganz sicher wähnen. Denn die Eingeborenen stellen ihnen nach, weil sie einen Braten liefern, der den Leuten eben so mundet wie uns etwa ein Hase. Da sie im Walde Ueberfluss an Nahrung haben, fügen sie den Pflanzungen, die überdies gewöhnlich weit abseits in der Sa- vane oder im Gebirge hart an den Dörfern liegen, keinen Schaden zu; man hört wenigstens darüber keine Klagen. Nur Chimpansen und Gorillas sollen manchmal Maniok ausgraben und die Früchte der Mu- saceen stehlen. Wer Affen beschleichen will, muss sehr vorsichtig zu Werke gehen. Am besten sind sie in den Morgen- und Abendstunden zu erlegen, wenn man im Canoe nahe am Ufer ruhig mit dem Strome treibt; auch ist es lohnend, sich an einem günstigen Orte im Walde anzustellen, wo Bäume mit leckeren Früchten wachsen, oder sich an- zupürschen, wenn der charakteristische Lärm von ferne eine wandernde Schar verkündet. Unter solchen Umständen mag der Jäger beim hastigen Anlaufen sogar Geräusch im Buschwerk verursachen, ohne fürchten zu müssen, dass er sich verrathe; sobald er aber in Bewe- gung gesehen wird, ist es mit der Jagd vorbei. Die scheuen Thiere enteilen in der Höhe viel schneller, als er ihnen auf der Erde zu folgen vermag. Schon ein rasches Wenden des Auges, das Begegnen des Blickes genügt, sie zu vertreiben. Verhält man sich jedoch voll- kommen still, ist man im Buschwerk wol verborgen, so kann man die Gesellschaft in unmittelbarer Nähe schmausen sehen, während Kerne, Schalen und angebissene Früchte herabregnen. Gute Beobach- tungen kann man auch mittelst eines Feldstechers von dem die Mitte eines Flusses haltenden Fahrzeuge aus anstellen. Um die heisse Mittagszeit pflegen die Affen der Ruhe im Waldes- dunkel; bis neun Uhr Morgens und nach vier Uhr Nachmittags sind sie am regsten und kommen dann besonders gern an die Ufer der Gewässer. Alle mir bekannten Affenarten sind ausserordentlich zählebig und bedürfen einer sehr gut sitzenden Kugel oder eines starken Schrot- schusses — letzterer, Hasenschrot, ist stets vorzuziehen —, um unter Feuer zu verenden. Hat man sie daher nicht nahe und ganz sicher, so schiesst man besser gar nicht, weil die blos verwundeten Thiere doch nicht zu erlangen sind. Bei strenger Beachtung dieser alten Jagdregel wird man nie in die traurige. Lage kommen, einem sich in Todesqualen windenden Affen den Gnadenschuss geben zu müssen. Dass dieser Anblick die Gefühle des Jägers verletzen mag, lässt sich wol begreifen. Wir können glücklicherweise nicht aus eigener Er- 236 Kinderähnlichkeit gebratener Affen. fahrung darüber berichten, obgleich wir während der Reisen im Ge- biete des Kuilu und Bänya eine weit grössere Anzahl von Affen als von andern Thierarten geschossen haben, da sie uns ein sehr wich- tiges, von den Leuten sogar jederzeit bevorzugtes Nahrungsmittel waren. Von einigen funfzig Affen habe ich nicht einen anders als vollkommen todt zur Erde fallen sehen; selbst die wenigen, die nicht unter Feuer verendeten, blieben still so lange im Gezweig sitzen, bis sie leblos niederplumpten. Das Fleisch der Jungen und die Leber aller Altersclassen ist recht zart und auch wolschmeckend, doch hindern die begleitenden Ge- danken den Europäer, sich mit der Speise auszusöhnen. Es soll übrigens keineswegs auf die mehrfach hervorgehobene Aehnlichkeit eines gebratenen Affen mit einem Kinde angespielt werden; der ver- brauchte und gänzlich unpassende Vergleich sollte endlich aus Reise- beschreibungen verschwinden, denn ungefähr mit dem nämlichen Rechte könnte auch ein gebratener Hase oder Hund kinderähnlich genannt werden. Die Menschenähnlichkeit des Affen liegt in seinen Bewegungen, nicht in seiner Körperform. Eine Ausnahme bilden allein die seltenen antnropomorphen Affen. Vielleicht könnte man sie, wenn sie am Spiesse stecken, mit einiger Phantasie bei flüchtigem Hinblick für Menschen halten; aber schwerlich haben die Autoren, welche jenen beunruhigenden Vergleich aufstellen, jemals einen Chim- pansen, viel weniger einen Gorilla braten sehen. Im Wesentlichen ähnelt das individuelle Gebaren der Affen in der Wildniss so sehr demjenigen, welches uns in zoologischen Gär- ten ergötzt, dass es hier keiner ausführlichen Schilderung bedarf; da- gegen wird manche Einzelheit, mancher lediglich in ihrem Freileben zur Geltung kommende Zug der Mittheilung werth sein. Am häufigsten und eingehendsten kann man gewisse Arten von Meerkatzen beobachten, die sich ganz übereinstimmend benehmen und namentlich am Kuilu und Bänya bis in das Gebirge ungemein zahl- reich vertreten sind. Voran steht die allbekannte und beliebte Cerco- pithecus cephus — muido pl. m’ido — nächst ihr die von den Einge- borenen mit dem gleichen Namen bezeichnete dunkler gefärbte C. Erxlebeni und C. nictitans; zuletzt folgt die hellgraue C. pygerythrus — mönde pl. simönde —, welche sich nach unseren Erfahrungen durch Nervosität und hochgradige Reizbarkeit auszeichnet. Am Bänya findet sich überdies die sehr schmucke C. aethiops — mpemba pl. simpemba. Ihr viel feineres seidenweiches Fell ist auf dem Rücken dunstgrau, an der Unterseite fast weiss; den Hals ziert eine breite weisse Binde und den Oberkopf ein grosser purpurbrauner Fleck. Den südlicheren Meerkatzen. Treiben im Walde. 237 Strichen scheint sie gänzlich zu fehlen. In den kleineren Flussge- bieten: am Tschiloango, Luemme und Nümbi sind die erstgenannten wenigstens im Küstenstriche recht selten. In wirklichen Banden von zehn bis zwanzig, vielleicht auch einmal dreissig, leben sie nur im Gebiete der beiden grossen Gewässer und im Gebirge beisammen, und zwar je ferner vom Meere, um so häufiger. Das Rauschen der Zweige und Brechen dürrer Aeste, auch Töne des Wolbehagens oft unterbrochen vom Gezänk, verrathen dem Ein- geweihten die Annäherung einer Affenschar und die Richtung, in welcher sie zieht. Ist sie auf der Wanderschaft begriffen, strebt sie bestimmten Zielen zu, so ordnet sie sich in langer Reihe; jedes fol- gende Thier nimmt den Weg des vorangehenden, schwingt sich mittelst der nämlichen Zweige von Baum zu Baum. Da sie nun das schwanke Geäst nicht eher belaufen, als bis es nach dem Sprunge des Vor- gängers zu Ruhe gekommen ist, entstehen in dem Zuge nicht uner- hebliche Lücken. Hierdurch wird dem Beobachter das Anschleichen wesentlich erleichtert. Jede Bande, die doch wol nur aus einer weitverzweigten Familie besteht, hält sich, mit Ausnahme seltener Fälle, gesondert und steht unter der Führung eines alten erfahrenen Männchens — wenigstens habe ich nie ein Weibchen an der Spitze gesehen. Der Leitaffe ist sehr besorgt um das Wol der Seinen: er zieht voran, nimmt beim Ruhen in der Regel den höchsten Sitz auf dem Baume ein und hält Umschau, steigt zuerst zum Wasser hinab und ruft, warnt und lockt die übrigen durch verschiedene Töne, die man bald genau unterscheiden “lernt, aber kaum beschreiben kann. Am auffälligsten ist ein, wie es scheint, nur von ihm hervorgebrachter weitschallender Laut — den “ ich nie von gefangenen Affen hörte —, der die Mitte hält zwischen einem Schmatzen und einem Bellen, manchmal auch an das Springen eines Champagnerpfropfens erinnert. Dieser Laut ist wol ein Aus- druck der vollkommenen Zufriedenheit, denn er wird fast ausschliess- lich gegen Abend, bisweilen auch noch in der Dunkelheit vernommen, nachdem die gesättigte und ermüdete Gesellschaft einen Rastbaum für die Nacht erwählt hat. Dann sieht man öfters die lustigen Springer, ehe sie zum Schlafen zusammenrücken, auf den äussersten, womög- lich dürren Zweigen eines Waldriesen von den Strahlen der unter- gehenden Sonne beleuchtet, sich mit einer auf Gegenseitigkeit be- ruhenden Reinigung des Felles beschäftigen, oder von ihrem erhabenen Sitze mit beneidenswerther Beschaulichkeit auf die schöne Welt unter sich hinabblicken. Schiesst man von einer Bande das Leitthier hinweg, so bemäch- 238 Affenversammlungen. tigt sich vollkommene Rathlosigkeit der übrigen, und sie zerstreuen sich kopflos flüchtend zunächst nach allen Seiten. Nie sind sie aber so bestürzt, dass sie weitere Schüsse abwarten, ehe sie sich in Sicher- heit bringen. Im besten Falle kann man eine Doublette machen, aber auch dazu gehört schon ein rascher Schütze. Doch kommt es vor, dass von den Fliehenden ein unerfahrener trotz alles Schreckens von Ranken und Gezweig noch einmal possirlich zurückschaut und ein Opfer seiner Neugier wird. Unbeschreiblich drollig berührt eine solche Flucht unter erschwerenden Umständen: Wenn etwa ein grosser 'Affenschwarm, welcher sich zu irgend einem dem Menschen unver- ständlichen Zwecke auf einem hohen, in der Regel frei aus dem Unter- holz aufragenden und blätterlosen Baume versammelt hat, plötzlich einen Hauptkrakehler aus seiner Mitte durch eine Kugel für immer zur Ruhe gebracht sieht. Für einen Moment ist die ganze Versamm- lung starr vor Schrecken, dann bricht ein unglaubliches Getümmel los. Pfeifend und zeternd springen die entsetzten Kletterer durcheinander, rennen auf den Aesten zum Stamm oder nach aussen; finden sie nicht genug rettende Zweige, von denen sie mit einem verzweifelten Sprung zu benachbarten Bäumen gelangen, auch keine Liane, an welcher sie in langer Reihe — immer mit dem Schwanz voran — niedergleiten können, so werfen sie sich in äusserster Noth, platt ausgestreckt, auf gut Glück aus grösster Höhe hinab in das Buschwerk. Ein Plumpen, Prasseln und Rauschen — und fort, im Nu zerstoben ist die ganze Gesellschaft. Allerdings habe ich den hier beschriebenen Vorgang nur einmal beobachten können und zwar eines Spätnachmittags im August am Kuilu, an der Einmündung des Mpile. Mit dem Canoe hinter einer dicht bewachsenen Landspitze hervorgleitend, sah ich auf einem ziem- lich frei unfern des Ufers stehenden stattlichen Wollbaum, der sein Laub geworfen hatte, gewiss über hundert Meerkatzen — so weit ein Erkennen möglich, von derselben Art — bei einander. Leider konnte ich das Fahrzeug nicht mehr anhalten lassen, um ihr Treiben zu be- lauschen und hatte nur noch Zeit, für meine hungrigen Leute eine, C. cephus, zu erlegen. Aehnliche auffallend zahlreiche Versammlungen habe ich indessen mehrmals aus der Ferne wahrgenommen, und den Eingeborenen ist die Thatsache wolbekannt. Sie erzählen, die Affen hielten Palaver ab, Berathungen über irgend welche Ange- legenheiten, und die einzelnen Banden fänden sich dazu von weither ein; es gienge auch dabei ganz ordentlich zu wie bei den Menschen. Manchmal sollen ihrer so viele zusammenkommen, dass ein stattlicher Baum sie nicht alle beherbergen kann, und noch benachbarte Wald- riesen besetzt sind. Vergeudung von Früchten. 239 Bei ihrem gewöhnlichen Treiben im Walde bleiben die Banden gesondert und kümmern sich bei Begegnungen wenig um einander; treffen sie jedoch auf einem beliebten Fruchtbaume zusammen, dann giebt es Misshelligkeiten und von zornigem Keifen und Gezwitscher begleitete Balgereien. Währenddem versäumen sie indessen nicht, kletternd und springend, zuweilen in den gewagtesten Stellungen an dünnen Zweigen hängend, die begehrten Früchte zu pflücken. Gleich den Graupapageien — mit denen sie ja in der Hauptsache einerlei Nahrung nachgehen und daher immer dort am häufigsten sind, wo auch jene sich in Menge finden — verwüsten die Affen, wenn sie aus dem Vollen wirthschaften können, sehr viel mehr, als sie ver- zehren. Unter einer Oelpalme mit reifen Fruchtständen, die sie eben verlassen haben, liegen unversehrte und angebissene Früchte wie ge- säet umher. Es muss ihnen ziemliche Schwierigkeiten bereiten, in den festgeschlossenen stacheligen Fruchtstand die erste Lücke zu brechen; man sieht es deutlich, wie sie von allen Seiten probiren, die Stacheln wegbeissen und mit den Fingern bohren. Die Papageien sind ver- möge ihres kräftigen Schnabels weit geschickter für diese Arbeit, die dann von den Affen weitergeführt wird. Unter einer stattlichen Ana- cardiacee mit kirschengrossen in Trauben hängenden Früchten liegen in der Reifezeit, wenn die schmausende Sippschaft einen Besuch ab- gestattet hat, die pflaumenähnlichen Beeren so dicht umhergestreut, dass man manchmal nicht gehen kann, ohne bei jedem Schritte etliche zu zertreten. Aehnlich ist es bei anderen guten Fruchtbäumen. Die scheinbare Verschwendung hat aber ihren Nutzen: des Nachts halten _ allerlei nicht kletternde Thiere, namentlich Wildschweine eine dank- bare Nachlese. Vor dem Wasser fürchten sich die Meerkatzen nicht. Denn die- jenigen, welche bei Ebbe in den Mangrovenbeständen Krabben fangen und Muscheln suchen, habe ich dreist in das Wasser hineingreifen, auch mehrmals gänzlich durchnässte, so dass sie die Tropfen ab- schütteln mussten, an den Wurzelgerüsten emporsteigen sehen. Die Anwohner des Kuilu und Bänya theilten mir übereinstimmend mit, dass die Meerkatzen treffliche Schwimmer seien, und bisweilen ganze Banden freiwillig von einem Ufer der breiten Gewässer zum anderen übersetzten. Das erklärt mir auch, warum wir auf einer kleinen, sehr affenreichen Insel des Kuilu, wo wir einige Wochen vorher gute Jagd gemacht hatten, späterhin nicht eines der Thiere mehr antrafen. Ihrem Wesen getreu scheinen sie auch im Walde allerlei Kurz- weil zu treiben. Eben dort, wo eine Bande entlang zieht, hört man auffällig oft das Knacken dürrer Aeste und das wuchtige Nieder- 240 Feinde der Affen. krachen morscher Zacken. Wer die Affen kennt, kann nicht glauben, dass sie unklug genug wären, auf trügerischen Brücken zu wandeln; es ist vielmehr anzunehmen, dass sie die Hölzer aus reinem Muthwillen in der Höhe abbrechen. Ferner schaukeln sie sich gern an den wie glatte Taue niederhängenden Luftwurzeln der Mangrove. Auch habe ich gerade die Meerkatzen im Verdacht, dass sie es sind, welche die unbehülflichen Chimpansen in handgreiflicher Weise so lange necken und peinigen, bis der Urwald von dem widerwärtigen Geschrei der hässlichen Gesellen wiederhallt. Wer einen Begriff bekommen will, was Chimpansenfamilien in musikalischer Beziehung zu leisten ver- mögen, der fahre ein paar Tage auf dem Kuilu ins Gebirge und gebe Acht, in welcher Richtung eine Schar Meerkatzen gezogen ist. Ausser dem Menschen scheinen sie nur Leoparden und Krokodile als schlimme Feinde anzuerkennen. Ganz frei sitzende einzelne Affen sah ich zum Beispiel vor dicht vorüberstreichenden grossen Adlern nicht die geringste Furcht bekunden. Unsere sämmtlichen zahmen Affen, mit Ausnahme des Gorillas — der vielleicht zu jung und uner- fahren aus der Wildniss zu uns gekommen war — geriethen dagegen in höchste Angst, wenn wir einen alten, schlecht mit Gras und Laub gefüllten Leopardenbalg zum Vorschein brachten. Schlangen gegen- über zeigten sie sich zwar misstrauisch, aber nicht entsetzt, und vor Hunden hatten sie gar keinen Respect. Der Fall lag sogar umge- kehrt: wenn unsere sonst doch recht schneidigen Schäferhunde ihr Futter bekamen, und die Affen rückten an, um den Inhalt der Näpfe zu prüfen, dann zogen sie sich, durch Erfahrung gewitzigt, bei Zeiten zurück und schauten wehmüthig aus der Ferne zu, wie das spitz- bübische Gesindel die besten Bissen vorwegnahm. Am Flusse habe ich dagegen folgendes beobachtet: hängt eine Meerkatze am Ende eines niedrigen, weit vom Ufer ausladenden schwanken Zweiges, und laufen andere hinzu, ihn dabei durch ihr Gewicht bis nahe über den Wasserspiegel niederbiegend, so sucht sie schleunigst aufwärts zu gelangen. An höheren Zweigen lässt sie sich indessen nicht stören und vor dem Wasser allein trägt sie schwerlich so auffallende Scheu. Es ist vielmehr anzunehmen, dass sie die Kro- kodile fürchten, die gewiss nicht abgeneigt sind, einen feisten Affen zu erschnappen. Eine die genannten Meerkatzen an Grösse weit überragende Art ist Cercocebus albigena — mbukubüku pl. simbüukubüku. Das gleich- mässig: kohlschwarze Fell derselben ist ziemlich rauh und langhaariger als das der übrigen; das Gesicht gewinnt durch den im Zorn aufge- richteten Schopf und das starke Gebiss einen zur Vorsicht mahnenden Unser Affe Mohr. 241 Ausdruck. Der kräftigste unserer pommerschen Schäferhunde wurde von einem solchen Affen einmal recht übel zugerichtet und gieng späterhin einem auf dem Gehöfte zahm lebenden von derselben Species sorgfältig aus dem Wege. Der Mbükubüku findet sich über- all im Gebiete des Kuilu und Bänya, jedoch nirgends häufig und nur einzeln oder in Pärchen. Den Namen haben ihm die Eingeborenen nach seinem Rufe ge- geben, den aber wol nur das Männchen hören lässt. Der Ruf ist ein doppelter: entweder ein schnell und beliebig oft nach einander hervor- gestossenes volltönendes Grunzen wie „hu-u hu-u hu-u“ oder ein in Pausen bedächtig wiederholtes „huch“ oder „huf“. Bei dem bald kurz bald lang betonten „hu-u“ wird die erste Silbe durch Ausstossen, die zweite durch Einziehen der Luft erzeugt; es klingt polternd und grollend und wird unter Grimassen, Aufrichten des Schopfes, Krüm- men des Rückens und oft senkrechter Stellung des langen Schwanzes vorgetragen. Da der stattliche schwarze Bursche es liebt, sich manch- mal minutenlang in dieser Weise in wechselndem Tempo zu äussern, gewinnt man genau den Eindruck, als hielte er eine zornige Rede. Bei freudiger Erregung wandelt sich das „hu-u“ in ein oft wieder- holtes „ho“. Die Stimme ist ausserordentlich laut und weitschallend. Daher belegen die Eingeborenen auch diejenigen ihrer Mitmenschen, welche in der Unterhaltung oder als Redner bei Volksversammlungen ihre Sprechwerkzeuge allzu rücksichtslos gebrauchen, neben anderen auch mit dem Spottnamen Mbükubuüku. Dieser Affe gebietet überhaupt über die ausgiebigsten Stimm- mittel, die ich von irgend einer Art kenne. Ein zahm in unserem Ge- höfte lebender und „Mohr“ genannter — ein starkes Männchen — verfügte noch über vier weitere Lautgruppen, um seinen Wünschen Ausdruck zu geben. Zwei derselben liess er so regelmässig und zweck- voll hören, dass man mit Bestimmtheit sagen konnte, was Mohr wolle: ob Essen und Trinken, ob Beseitigung irgend welches Ungemaches oder Missgeschickes, wie es in einem Affenleben wol vorkommen mag. Drang der vom Wind gepeitschte Regen in seine auf einer Stange thronende Schlaftonne und verlangte er die seitliche Drehung der Oeffnung, so rief er selbst des Nachts nach mir; ebenso, wenn seine Leine sich festgeklemmt hatte und seine Kräfte zur Ablösung nicht hinreichten Seine Ausdrucksweise näher zu beschreiben, will mir allerdings nicht gelingen; genug, man verstand sie. Alle übrigen unserer Affen, mit Ausnahme des Gorilla, dachten nie daran, durch Ausstossen bestimmter Töne Menschen, die sie nicht sahen, zu ihrer Hülfe herbeizurufen: denn Laute der Freude, des Schreckens, des Loango. III. 16 242 Mohrs Charakter und Intelligenz, Aergers und Unbehagens überhaupt, welche sie von sich geben, er- strebten nicht diesen einen bestimmten Zweck. Mohr besass jedenfalls eine hohe natürliche Begabung, und seine Intelligenz entwickelte sich unter unserer Obhut bedeutend. Seine Thaten, seine Eigenheiten in ihrer mannigfaltigen Beziehung und Fein- heit zu schildern, würde hier zu viel des Raumes beanspruchen. Er war anhänglich und dankbar, liebenswürdig mit denen, die ihm Gutes erwiesen, hasste aber unwandelbar von ganzem Herzen die, welche ihn absichtlich gekränkt hatten. Unbändig und übermüthig, ebenso lebhaft wie kraftvoll und gewandt, war er ein guter Freund und ein schlimmer Feind, den man gleich einem Hunde auf unliebsame Per- sonen hetzen konnte. Löste er sich einmal unerwartet von seiner Leine, so floh die Mehrzahl der Bediensteten in unserem Gehöft mit grösster Eile; denn denen, mit welchen er eine alte Rechnung auszugleichen hatte, die er unter vielen genau kannte, wusste er immer durch schnelle Angriffe beizukommen, riss ihnen die Kleider vom Leibe, zauste ihnen das Haar, kratzte sie und biss manchmal in bedenklicher Weise. Den Frauen und Mädchen, die des Morgens ihre Waare zu Markte brachten, that er jedoch Nichts, untersuchte aber, dabei sehr oft vom Gorilla unterstützt, ihre Körbe und nahm, was ihm gutdünkte. Ab und zu fing er sich auch ein Huhn oder eine Taube, die wir ihm aber in der Regel schleunigst wieder abnahmen und selbst verzehrten, da wir selten genug für uns hinreichende Fleischnahrung besassen; einmal entrann er mit solcher Beute auch in den nahen Wald, kehrte aber am nächsten Tage ganz unbefangen zurück. Er war der beste Spiel- gefährte unseres Gorillas und hielt ausserdem treue Freundschaft mit dem gestrengen Regenten des Hofes: mit dem starken Hammel Mfuka, der über Mensch und Thier sich das Recht des Ordnungsstifters an- masste. Diesem, der ihn oft besuchte, sass er bisweilen lange Zeit auf Hals und Kopf und trieb mit ihm allerlei nicht immer sanfte Kurzweil. Mohr verstand auch den kunstvollsten Knoten seines Strickes zu lösen, wenn dieser nicht noch besonders durch Kupferdraht gesichert war, knüpfte aber niemals den entfernten am Stangenringe, sondern den am Leibesgürtel auf, damit der Strick nicht nachschleppe. Hatte sich seine Leine um Baumäste oder andere Gegenstände geschlungen, so untersuchte er bedächtig ihren Verlauf, folgte diesem rückwärts und entwirrte sie. Drei recht kluge Paviane vermochten ihm diese und ähnliche Kunststücke nicht nachzuthun; sie blieben stets auf die Hülfe des Menschen angewiesen, die sie geduldig erwarteten, nicht Paviane. Vorkommen. Art. 243 aber anriefen. Er besass auch eine bei keinem Affen in so auffälliger Weise bemerkte Vorliebe für das Schaukeln, die er in kluger Weise zu befriedigen wusste. An einem ihm erreichbaren Baume, an einem Hüttendache und an seiner Schlaftonne hatte er eine Anzahl Hervor- ragungen oder Einkerbungen ausgefunden, die er zweckvoll benutzte, um seine sehr lange Leine durch Einklemmen oder Umwickeln zu befestigen und sich am freien Ende nach Herzenslust hin und her zu schwingen. Dabei gieng er mit bewundernswerther Ueberlegung zu Werke und bemass zum Beispiel die Länge seines Strickes genau nach den Anforderungen; ein einmal erprobtes Befestigungssystem desselben wandte er sofort wieder an, auch wenn ihm erst nach Monaten dazu abermals Gelegenheit geboten wurde. Am drolligsten aber nahm er sich aus, wenn irgend ein neues Problem sein erfinderisches Affengehirn beschäftigte, wenn wir zum Beispiel in Sicht von ihm mit astronomischen Instrumenten arbeiteten oder sonst welche ihm ungewohnte Verrichtungen vornahmen. Dann sass er auf der Erde, auf einem Kasten, einer Tonne (Abbildung II 149) in der nachdenklichen Stellung eines Menschen, die rechte oder linke Hand bedächtig an das Kinn gelegt oder den Zeigefinger an die Lippen gedrückt, dabei leise grunzend oder brummend unser Thun verfolgend, bisweilen auch in seine schon beschriebene Philippika ver- fallend. Er war in dieser Stellung so einzig und originell, dass ihn Dr. Falkenstein photographirte. 5 Einige andere Affen derselben Art, die in Factoreien zahm ge- halten wurden, bewiesen ähnliche hohe Begabung, daher man anneh- men darf, dass sie ihren Verwandten auch in der Wildniss voran- stehen. Sie dort zu beobachten, bot sich nur sehr unzulängliche Ge- legenheit, und wir haben auch nur wenige für die Sammlung schiessen und präpariren können. Paviane halten sich nicht im Vorlande, sondern nach Angabe der Eingeborenen nur in den östlicheren, wenig bewaldeten Ketten des Gebirges auf. Wir haben nie einen in der Wildniss beobachtet. Es giebt nur eine Art: den bekannten Mandrill (Cynocephalus Maimon) — tschinyümbula pl. binyümbula. Wir hielten drei derselben in un- serem Gehöfte, gleich Mohr mittelst Leinen an Stangen befestigt, die ihre Behausung trugen; auch sie entflohen nicht, wenn sie sich ein- mal in voller Freiheit austummeln durften. Es waren echte Paviane: voller List und Schlauheit, ungezogen, ausgelassen, immer auf Unfug sinnend und sich wol bewusst, dass sie uns durch ihr Treiben er- götzten, aber dennoch geistig beschränkter als Mohr, obwol weit höher stehend als die gewöhnlichen Meerkatzen. 2 16* 244 Gezähmte Paviane. Charakterverschiedenheiten. Die Charaktere der drei waren bei alledem durchaus verschieden: Pavy, ein Männchen von Mittelgrösse, war sehr liebenswürdig, ein- schmeichelnd und ausserordentlich anhänglich; Jack, ein schwaches Weibchen, war ein vollendeter Humorist, amüsirte sich mit allen Menschen — ausser mit dem weiblichen Geschlechte, das er durchaus nicht leiden konnte —, war aber Niemandem besonders zugethan; Isabella, ein sehr starkes Weibchen, das wir bereits vollständig er- wachsen geschenkt erhielten, weil es um seiner Bösartigkeit willen in einer Factorei nicht mehr geduldet werden durfte, fiel wüthend die Menschen jedes Geschlechtes und jeder Farbe an, die sich ihm näherten. Es dauerte lange, bis sie durch zweckmässige gute Behandlung be- ruhigt, wenigstens in uns Europäern keine Feinde mehr erblickte. Ihr Charakter war verdorben. Sie liess sich alles Gute gefallen, war aber nicht dankbar dafür, wie Jack und Pavy. Die beiden letzteren waren fast wie die Hunde wachsam. Auf ihren hohen Behausungen sitzend, hielten sie aufmerksame Umschau - und kündeten stets ungewöhnliche Vorgänge in der Nachbarschaft ‚sowie das Nahen von Besuch an. Da wir ihnen wie den anderen Thieren von Ausflügen gern einige besonders geschätzte Näschereien: leckere Früchte, süsse Grasstengel, Blätter, Käfer, Heuschrecken mit- brachten, hatten sie sich gewöhnt, unsere Rückkehr mit Spannung zu erwarten, und uns schon auf einige hundert Schritt Entfernung mit frohem Kekern und Krähen zu begrüssen, wobei sie den Kopf drollig nach oben reckten oder die gewagtesten Kunstsprünge ausführten. Dies steigerte sich bedeutend, wenn wir sie anriefen, und da Mohr zugleich seine Predigt begann, und auch die übrigen Thiere, die ohren- beleidigenden Chimpansen eingeschlossen, laut wurden, sobald sie un- sere Stimmen vernahmen, erhob sich manchmal ein wahrer Aufruhr im Gehöft. Interessant war mir, dass die gefurchten Wangen aller an der Küste in Gefangenschaft beobachteten Paviane — unter diesen befand sich allerdings kein ausgewachsenes Männchen — nicht blau, sondern einfach schwarz gefärbt waren. Die wir nach der Heimat brachten, erlangten die bekannte blaue Farbe der Backen ganz allmählich erst während der Heimreise. Ein starker Mandrill, den wir auf einem kleinen Küstenfahrer von Longoböndo mit uns nach Landäna beförderten, erwies sich als ein vortrefflicher Schwimmer. Er war ein Ausbund von Tollheit und Unart und hatte sein besonderes Vergnügen daran, aus dem in einem mit Sand gefüllten Kübel offen brennenden Feuer Brände zu reissen und umherzuschleudern; dies that er nicht nur in unbewachten Augen- Mandrill als Schwimmer. Thierfreundschaften. 245 blicken, sondern auch in der Gegenwart des um das Schicksal seiner Töpfe in steter Angst schwebenden Koches. Da er die gefährliche Unart nicht liess — wir hatten viel Pulver an Bord —, wurde der Pavian auf ein an langer Leine nachgeschlepptes Canoe verbannt und mit einer Kiste als Wohnung versehen. Dort behagte es ihm aber gar nicht, und er hockte, sehnsüchtig zum Schiff blickend, auf dem Buge des kleinen Fahrzeuges. Sein Sinn stand nach Befreiung. Kaum war die Dunkelheit angebrochen und der Koch bereitete den Abendthee, so fiel der Kochtopf mit dem Wasser um, und die Feuerbrände flogen sprühend umher. Der Pavian, über und über nass, war an Bord und konnte in der Nacht nicht wieder entfernt werden. Am nächsten Morgen wurde er gefangen und abermals in die Verbannung gebracht. Er aber — das Schiff hatte nur geringe Fahrt — lief sogleich an dem zum Tauen benutzten Strick auf uns zu, drückte ihn natürlich durch sein Gewicht ins Wasser und schwamm nun genau wie ein Hund und ziemlich scharf ziehend bis zu dem über den Stern aufwärts führenden anderen Ende. Ein zweites Mal sprang er sofort in das Meer und musste über zehn Minuten hinter uns her schwimmen, da mein ergrimmter Gastfreund sich erst durch instän- dige Bitten bewegen liess, das arme Thier vor dem Ertrinken zu er- retten. Der Affe war schon recht ermattet, als wir ihn erreichten, denn die Wellen giengen hoch und kurz; aber die Lehre hatte ge- wirkt: fortan ertrug er seine Verbannung mit geziemender Würde. — Ein sehr interessanter Charakterzug unserer zahmen Affen war es, irgend ein Geschöpf oder Ding zum Gegenstande ihrer Neigung und Liebe oder doch Sorgfalt zu erwählen. Daraus erwuchsen die sonderbarsten Thierfreundschaften. Es ist ja wol allgemein bekannt, dass Affen die Kinder selbst irgend welcher anderen Art ohne wei- teres adoptiren, auf das zärtlichste beschützen und sich selbst von den todten nicht trennen wollen. Wenn unser Schäferhund Trine uns wieder mit Jungen beschenkt hatte, und diese von Flöhen wimmelten, so setzten wir sie zu den Meerkatzen in das Affenhaus; dort wurden sie mit Freuden aufgenommen, gleich emsig wie zart gesäubert und gehätschelt, während der alte Hund von. aussen ganz vergnügt zusah. Ein grosses Gezeter gab es aber, wenn wir die Pfleglinge wieder ab- holten; man hatte dieselben unter sich vertheilt und gedachte offen- bar, sie dauernd zu behalten. : Der übermüthige Mohr hielt treu zusammen mit dem Gorilla und dem Hammel Mfüka. Der Pavian Jack hatte Freundschaft mit einem straffen Ferkel geschlossen und versuchte auf dessen Rücken öfters die seltsamsten Reiterkünste; später trat an Stelle des munteren 246 Paviane bewahren Spielzeug. Schweinchens ein herangewachsener Hund, mit dem er in drolligster Weise spielte (Abbildung II 149. Die unwirsche Isabella hatte sich einen Graupapagei erwählt; als sie ihm aber eines Tages die schönen rothen Schwanzfedern einzeln auszurupfen begann, löste sich der merk- würdige Freundschaftsbund. Ganz neu war mir, dass die Paviane sich irgend welche leblose Gegenstände zum Spielzeug erkoren und sie, wie Kinder ihre Puppen, des Abends vorsorglich mit in ihre Schlafkästen nahmen und dort auch am Tage verwahrten. So hielt Isabella längere Zeit eine kleine blanke Blechbüchse sehr werth, Pavy ein krummes Holzstückchen, das er unter den lustigsten Capriolen durch Aufschlagen mit der Hand von der Erde in die Luft wirbeln machte. Einst flog es zu weit, so dass Jack sich seiner bemächtigte. Darob entstand grimmige Feind- schaft; da aber die langen Leinen beider so bemessen waren, dass sie nicht an einander kommen konnten, blieb ihnen Nichts übrig, als sich in nächster Nähe die wüthendsten Grimassen zu schneiden und auszukeifen. Die jäh aufgesprungene Feindschaft zwischen den beiden bestand fortan ungemindert, obwol ich Pavy sein Hölzchen zurückgab. Späterhin vergnügte sich derselbe auch sehr hübsch mit einer Flinten- kugel. Jack dagegen hatte eine Leidenschaft für ein Insolationsther- mometer gefasst; kam er frei und wusste sich unbeobachtet, so sprang er danach und entführte es. Er freute sich offenbar am Glitzern des Glases, behandelte es aber stets so sorglich, dass das Instrument, selbst wenn es mit auf Bäume oder Dächer genommen wurde und ihm abgeschmeichelt werden musste, doch nie zu Schaden kam. Man sagt den Affen nach, dass sie sehr lüstern nach geistigen Getränken seien; die unseren waren es nicht, bewiesen sogar einen grossen Abscheu dagegen. Nachdem wir sie eines Tages mit voll Rum gesogenen Orangen bewirthet hatten, wovon mehrere einen Rausch bekamen, nahmen sie Früchte längere Zeit nur noch mit grossem Misstrauen an und liessen sich in keinem Falle wieder täuschen. — Chimpansen kommen vornehmlich im und am Gebirge vor, im Gebiete des Lu&mme jedoch bis zur Lagune von Tschissambo, 'n dem des Kuilu und Bänya bis zur Küste. Ihre allgemeine Verbreitungs- grenze scheint wie die der Graupapageien ungefähr mit der der Oel- palme zusammenzufallen. In manchen Gegenden, namentlich am Kuilu von Mamänya ma täli aufwärts bis Bümina und an der Bänyamün- dung müssen sie, nach dem allenthalben vernehmbaren Geschrei zu urtheilen, ausserordentlich häufig sein. Sie leben in Familien und Banden zusammen. Chimpansen, Häufigkeit. Charakter, 247 So oft ich auch die Jagd versuchte, habe ich doch nie einen Chimpansen in der Wildniss zu Gesicht bekommen, obwol sie öfters dicht neben mir durch die Dickung brachen, und Dr. Falkenstein hat nur einmal einen jungen vor sich vorüberhuschen sehen. Ueber ihr Freileben vermag ich daher gar Nichts zu berichten, als dass ihr entsetzliches Jammern, ihr wüthendes Kreischen und Heulen, welches des Morgens und Abends, manchmal auch des Nachts losbricht, Einem die Thiere recht verhasst macht. Da sie wahre Virtuosen sind im Hervorbringen weithin vernehmbarer nichtswürdiger Laute, und auch das Echo diese mannigfach zurückgiebt, kann man nicht abschätzen, wie viele sich an dem wüsten Lärme betheiligen; manchmal aber vermeint man ihrer mehr denn hundert zu hören. In der Regel scheinen sie sich blos auf der Erde in dichtem Gebüsch und Scita- mineendickungen aufzuhalten und Bäume nur behufs der Erlangung von Früchten zu besteigen. Auf weichem Grunde drücken sich ihre Fährten sehr deutlich ab; wo das Amomum wächst, halten sie sich besonders gern auf, und dort findet man auch die hochrothen Frucht- schalen weithin verstreut. Ich habe schon Seite 240 angedeutet, dass sich Meerkatzen wahrscheinlich das Vergnügen bereiten, die unbe- hülflichen Anthropomorphen durch Neckereien ausser sich zu bringen. In unserem (Grehöfte hat es nie an Chimpansen gemangelt, da sie theils als Gaben der Dankbarkeit für glückliche Curen an Dr. Falken- stein übersandt, theils um Waaren im Werthe von drei bis zehn Mark angeboten wurden. Eine besondere Individualität, Energie, Leb- haftigkeit, natürliche hoch entwickelte Intelligenz war bei keinem zu bemerken. Wurden sie erschreckt oder geärgert, so erhoben sie alle unter albernen unbehülflichen Geberden ihr Geschrei, während die grösseren zugleich auch mit ihren Fäusten wie rasend auf die Erde trommelten. Obwol in ihrem Charakter einige Verschiedenheit nicht zu verkennen war, erwiesen sie sich doch in ihrem Wesen ausnahms- los als recht ordinäre Thiere, denen man wenig Sympathie entgegen- bringen, die man im Allgemeinen weder bösartig noch gutmüthig und in keinem Falle liebenswürdig oder dankbar nennen konnte. Dass sie durch den Menschen erzogen werden können und in Europa recht gebildet leben, ist bekannt. Je nachdem man äusseren Merkmalen grössere oder geringere Tragweite zugesteht, lassen sich beliebig viele Varietäten, wenn man will, auch Arten von Chimpansen unterscheiden. Es waren kaum zwei der unseren einander gleich. Darauf näher einzugehen, ist hier weder der Ort, noch kann es von Nutzen sein, solange man in Europa nur vereinzelte, durchaus nicht mehr naturwüchsige Schau-und Wunder- 248 Chimpansenvarietäten. Gorillas., thiere kennt, und das Freileben der Sippe nicht genau beobachtet worden ist. Wir dürfen hoffen, dass Herr von Koppenfels, der bereits wieder seit einigen Jahren sein altes Jägerleben im Ogöwegebiet führt, weitere wichtige Aufschlüsse über das Treiben der anthropo- morphen Affen geben wird. Die Eingeborenen der Loangoküste und Yümbas unterscheiden zwei Varietäten oder Arten von Chimpansen, die sich niemals zu einander gesellen sollen: eine grössere und seltene nur im Gebirge heimische — tschimpenso pl. bimpenso —, die allgemein üblich ge- wordene Benennung des Thieres entstammt demnach der Fiötesprache, und die gewöhnliche — nsiku pl. sinsiku —, die wir allein kennen gelernt und todt wie lebendig mit nach Europa gebracht haben. An entlegenen Orten erhielt ich von jagdkundigen Leuten in der Hauptsache ganz übereinstimmende Angaben über den Tschimpenso; er sei schlauer, weit grösser und stärker, sowie bösartiger als der Nsiku, habe ein glatteres, mehr graues, manchmal auch braunes Fell und immer ein schwarzes Gesicht wie der Gorilla. Er wird auch gleich diesem gefürchtet. Ein Nest baue er nicht, sondern raffe Laub und Gezweig zu einem Lager auf der Erde zusammen. Gleich dem Gorilla raube er junge Weiber und behalte sie im Walde bei sich. Die bösen Thiere lebter. nur in kleinen Familien und nicht in Banden beisammen wie die Sinsiku. — Gorillas sind sehr selten und hausen in den Wäldern des Ge- birges oder unmittelbar angrenzender Striche des Vorlandes. Vor einem Menschenalter sollen sie vereinzelt am Lu&mme und Kuilu noch bis zur Mündung und auch in den Schluchten des Plateaus von Buäla angetroffen worden sein; gegenwärtig kommen sie blos am Bänya bis zur Küste vor, und dort glaube auch ich einmal Gorillas gehört zu haben. Uns ist jedoch nie ein Gorilla im Walde zu Gesicht gekommen, und wir kennen daher nur unseren klugen und liebens- würdigen Pflegling (Abbildung II 168), den Dr. Falkenstein während der Rückkehr vom Kuilu zum Geschenk erhielt, und dessen Wesen er eingehend (II 149) geschildert hat. Mancher Leser wird sich des prächtigen Burschen und seines Gebarens im Aquarium zu Berlin erinnern. Unter den Eingeborenen giebt es nur wenige, die Gorillas — mpüngu pl. simpüngu — überhaupt erblickt, und nur Vereinzelte, die sie geschossen haben. Und wie man in Berlin nach dem Aquarium gieng, um das Wunderthier zu betrachten, so besuchten die Bewohner der Umgegend unser Gehöft, um einen Mpüngu anzustaunen; und von fernher, selbst aus dem Gebirge kommende Karawanenleute, Einheimisches über Gorillas. 249 scheuten den Umweg nicht, um sich von der Wahrheit der weithin verbreiteten Mär zu überzeugen, dass wirklich der gefürchtete Herr des Waldes frei und fröhlich in einer Behausung der Weissen sich tummele. Es gewährte ein eigenes Interesse, die verblüfften Gesichter, die Verwunderung, die Freude der Leute zu beobachten, wenn das neckische, zutrauliche Thier sich mit ihnen abgab. Mit dem des Morgens seine Waaren zu Markte bringenden weiblichen Geschlechte stand er auf allerbestem Fusse und bewies grosse Zuneigung zu einem liebens- würdigen Mädchen, das ihn gelegentlich hätschelte. Je weniger die Eingeborenen vom Gorilla wissen, um so mehr haben sie von ihm zu erzählen. Die Sachverständigen berichten, dass er sich gern an den Kohlen wärme, welche abziehende Karawanen auf Lagerplätzen im Walde glühend zurückliessen. Andere behaupten dagegen, dass er selbst Feuer anzumachen verstünde und regelrecht koche; die Töpfe dazu nehme er den wasserholenden Frauen an den Quellen ab und zwinge ‚ auch diese selbst, wenn sie ihm gefielen, mitzugehen, behandele sie aber gut und liesse sie später wieder heimkehren. Die Männer da- gegen tödte er, wo er sie finde, indem er ihnen mit einem Knüttel oder der Faust den Schädel einschlüge. Er esse jedoch nicht von ihrem Fleische. Er habe nur eine Frau und wenige Kinder; sie alle blieben aber stets bei einander. Frau Mpüngu trage ihren Säugling im Arme auf der Hüfte reitend und pflege ihn wie eine menschliche Mutter. Die ganze Familie richte sich ein weiches Lager auf der Erde am Fusse eines grossen Baumes ein und lebe vorwiegend am Boden. Der Vater vertheidige die Seinen, stosse tiefe Kehltöne aus, bearbeite die Brust mit den riesigen Fäusten und fürchte weder Mensch noch Thier. Er sei ein böser Geselle; selbst der Leopard fliehe vor ihm, und wenn er Elephanten begegne, mache er sich öfters den Spass, den grössten am Rüssel zu packen, um einen Baum zu ziehen und ihn dann so wuchtig an den Leib zu schlagen, dass der Gezüchtigte vor Schmerzen den Rücken krümmend und jämmerlich schreiend davonlaufe. Ich habe nur zwei eingeborene Jäger gesprochen, die Gorillas erlegt hatten. Sie berichteten mir, dass sie die gefürchteten Thiere nicht aufsuchten, sondern ihnen zufällig im Walde begegneten. Nur wenn sie ein einzelnes anträfen, schlichen sie sich dicht hinan und schössen es todt; dann aber liefen sie schleunigst davon, um sich vor der Rache etwa in der Nähe weilender in Sicherheit zu bringen. Nach einigen Stunden kehrten sie mit Beistand zurück und schafften die Beute fort. Das Fleisch der anthropomorphen Affen wird nicht 250 Lemur. Fledermäuse Vogelwelt. gegessen, und die Eingeborenen haben daher keinen triftigen Grund, Gorillas zu verfolgen; Jagdeifer und Eitelkeit drängt sie dazu, manch- mal auch Gewinnlust: sie fangen das junge Thier, welches stets bei der getödteten Mutter bleibt, und bringen es zur Küste. Derartige Glücksfälle ereignen sich indessen äusserst selten. — Von Lemuren lernten wir nur eine Art kennen, und zwar erhielten wir lebend einen sehr niedlichen jungen Pterodicticus Potto. Den Tag verbrachte er meistens schlafend, suchte aber dennoch bisweilen, wenn wir ihn weckten, Insecten zu erhaschen. Dabei vollführte das noch junge Thierchen Sprünge, die lebhaft an die eines grossen Frosches erinnerten. Unter den Flatterthieren fallen Epomophorus macrocephalus — nöpo-küsu pl. sinöpo-küsu — mit einer Flügelweite von mehr als einem halben Meter und Pterocyon stramineus auf; sie zogen des Abends häufig über das breite Wasser an der Mündung des Kuilu. Dort haben wir sie geschossen und gesammelt. Binnenwärts und bei Tschintschötscho, sowie in südlicheren Strichen wurden sie nie . bemerkt; auch am Bänya sah ich sie nicht. Mitte Juli trieb sich ein gewiss nach Tausenden zählender Schwarm der ersten Art zwischen Massäbe und Winga am hellen Tage zwischen den Fächerpalmen- beständen hart am Strande scheinbar zwecklos umher; denn alle Thiere flogen auf einer Strecke von etwa einer Meile Länge beliebig hin und wieder. Unter dem niederhängenden verdorrten Blättermantel der Hyphaene finden sie trefflich geeignete Schlafstellen. — Ueber die gefiederten Bewohner des Gebietes vermag man bessere Kenntniss zu erlangen, als über die zwischen der Vegetation verbor- genen anderen Thiere, da man sie bei ihren Bewegungen in der Luft eher zu Gesicht bekommt. Von ihnen haben wir daher auch eine weit grössere Anzahl gesammelt. *) Im Allgemeinen vermeiden sie das Innere grosser Waldungen und verhalten sich gleich den Vierfüsslern um die Mittagszeit ruhig. Die kleineren Arten beleben allenthalben Busch und Gehölze der Sa- vanen, oft in Flügen umherziehend, in Schwärmen bei einander nistend; die grösseren Arten, die charakteristischen Tropenvögel, deren An- blick man wol am meisten ersehnt, beschränken sich jedoch mit we- nigen Ausnahmen auf bestimmte Gegenden. Dort muss man sie auf- suchen, etwa wie bei uns Birk- und Auerwild, sonst kann man sich jahrelang in einzelnen Landestheilen aufhalten, ohne von ihrem Vor- *) Ich verweise hier nochmals auf das im Anhange abgedruckte Verzeichniss vor- kommender Thiere, Flamingos. Pelikane. Fregattvogel. 251 handensein eine Ahnung zu haben. Sie hausen vorwiegend in den Waldungen des Gebirges sowie der angrenzenden Striche des Vor- landes und verbreiten sich blos in den Niederungen der Flüsse bis in die Nähe des Meeres. Die Mangrovenbestände lieben sie jedoch nicht und treten in der Regel erst jenseits von deren oberen Grenzen auf. Vielleicht finden sie sich nirgends so häufig und bereits in ge- ringerer Entfernung vom Meere wie im Gebiete des Kuilu. Dieses ist für den Naturforscher das Paradies Loangos, während die Gegend von Tschintschötscho und benachbarte Strecken sich durch beispiel- lose Oede auszeichnen. Gewisse Arten grosser Vögel sind im Lande überhaupt nicht heimisch. Der Strauss, welcher nach Degrandpr& noch vor einem Jahr- hundert entlegene Striche bewohnt haben soll, ist den Eingeborenen nicht einmal im Bilde bekannt und findet sich auch nicht in den ihm gewiss weit besser zusagenden Litoralgebieten südlich vom Congo. Flamingos sind Fremdlinge, die blos im Vorüberziehen — wie auch die Pelikane — dann und wann auf der Nehrung des Bänya und den Bänken der Loangobai rasten, gewöhnlich aber sogleich südwärts bis nach Kinsembo eilen, wo sie in ausgedehnten Sümpfen ihrer Nahrung nachgehen. Woher sie eigentlich von Norden kommen, war nicht in Erfahrung zu bringen. In den Morgenstunden ziehen die statt.ichen Vögel in nach Hunderten zählenden langgestreckten Flügen vereint unfern des Strandes über dem Meere entlang. „Flocks of flamingoes going to the South denote the approach of the rains“ sind die letzten Worte in Tuckeys Tagebuch —, ihr Zug wird jedoch nicht vom u Wechsel def’ Jahreszeiten beeinflusst.*) Der Anblick ist immerhin ein seltener, und die Kinder der Küstenbewohner freuen sich desselben und begrüssen die Flamingos — nkümbi pl. sinkumbi: Jungfrau — wie unsere Kinder die Störche, ohne jedoch in ihnen die Bringer von Schwestern und Brüdern zu erkennen. Von Pelikanen haben wir nur ein Pärchen mit röthlichem Ge- fieder am Nängasee beobachtet. Einmal, Anfang August 1875, ge- wahrten wir auch auf den äussersten dürren Aesten eines Baumes im Galleriewalde fünf grosse Vögel sitzen, dann aufsteigen und kreisen, die wir nur für unsere wolbekannten Störche halten konnten. Den adlergleichen Fregattvogel (Tachypetes aquila), den ich sonst nirgends in der Nähe Westafricas bemerkt habe, sah ich zu meinem *) Züge nach Süden wurden beobachtet: 1874 am 3. und I. November, 2. und 28. December; 1875 am 6. und 8. Juni, 6. und 8. Juli, 14. September und 26. December; 1876 am 12. März; Züge nach Norden nur 1876 am 26. Januar und 6. März, und zwar stets in den Morgenstunden, 252 Geieradler. Erstaunen Ende März 1876 über dem breiten Gewässer der Bänya- lagune schweben. Die Eingeborenen erstaunten nicht minder als ich über den ihnen unbekannten Segler der Lüfte. Ich habe die Flug- künste des in Gestalt wie Benehmen gleich charakteristischen Vogels zu oft in anderen Erdgegenden über dem weiten Meere bewundert, als dass ich eine Täuschung annehmen könnte. Grosse Flüge sehr stattlicher Vögel, die in ihrem Aeusseren und Gebaren Kranichen glichen, bemerkte ich drei Mal zu ganz verschie- denen Jahreszeiten auf Sandbänken des Kuilu und Congo stolzirend. Die vornehmen, grösstentheils volle buschige Schwanzfedern wie Strausse tragenden Thiere waren auf Rücken, Hals und Flügeln zart perlgrau, an der Unterseite hell gelblichroth gefärbt. Ihre Wach- samkeit vereitelte jeden Versuch der Annäherung auf Büchsenschuss- weite. Beim Aufsteigen geberdeten sie sich genau wie Kraniche, ordneten sich gleich diesen zum Zuge und gaben heisere Trompeten- töne von sich. — Wer die Küste des tropischen Westafrica betritt, dem muss zu- erst der häufige Geieradler (Gypohierax angolensis) — mbemba pl. simbemba — auffallen. Immer hält er sich in der Nähe des Wassers, vorzugsweise am Meere und in den Mündungsgebieten der Flüsse und folgt nur grösseren Gewässern etwa zehn bis fünfzehn Meilen land- einwärts. Der junge Vogel ist einfach schmutzig dunkelbraun gefärbt; allmählich mischen sich seinem Kleide mehr weisse Federn bei, und wahrscheinlich nimmt es mehrere Jahre in Anspruch, bis er voll- ständig ausgefärbt hat. Dann ist sein Gefieder rein weiss, mit Aus- nahme der schwarzen, doch ebenfalls noch mit einer weissen Binde geschmückten Schwingen (Abbildung II ı32. Daher erblickt man allezeit Geieradler in verschiedener Tracht. Unter alten Vögeln habe ich dann und wann ein Exemplar getroffen, dessen Unterseite und Schultern mehr oder weniger röthlich angehaucht waren. In träger Ruhe hockt der gedrungene, mehr als Geier denn als Adler erscheinende Vogel auf dem Astwerk der am Ufer stehenden Bäume, oder zieht in der Luft, obwol selten und nicht in bedeutender Höhe, seine Kreise und streicht dann wieder langsamen Fluges über den Wasserspiegel hin. Krabben, Muscheln, mit der Flut treibende Fische und sonstige leicht zu erlangende Fleischnahrung nimmt er im Verüberziehen auf. Niemals sahen wir ihn jäh auf eine Beute herabstossen, noch ein Thier verfolgen. Auch habe ich nicht be- öbachtet, dass irgend ein Vogel oder Vierfüssler vor ihm Furcht ge- zeigt hätte. Er eignet sich an, was bequem zu erlangen ist, und nährt sich mit Vorliebe auch von den Früchten der Oelpalme — Schreiadler. 253 deren Fett ja überhaupt ausserordentlich vielen und verschiedenen Thieren ein Bedürfniss ist. Er ist durchaus nicht scheu und verlässt selten seinen Platz, wenn man mit dem Canoe in der Nähe vorüber- gleitet. Es ist uns sogar mehrmals auf der Jagd geschehen, dass nach dem Schusse ein nahebei sitzender Geieradler ganz unbefangen heranflog und den getroffenen in das Wasser gefallenen Vogel vor unseren Augen trotz allen Schreiens und drohender Geberden ent- führte. Ein alter Vogel erschien wochenlang pünktlich jeden Morgen unfern unseres Gehöftes, wenn wir die regelmässig vorüberziehenden grünen Tauben (Treron calva) für unser Mittagsessen schossen (II 48), bäumte auf einer Adansonia auf und wartete geduldig, bis wir heim- gegangen waren, um dann Nachlese zu halten. Wir können die Geieradler nur harmlos und nützlich nennen; die Eingeborenen wissen ebenfalls Nichts zu ihrem Nachtheile zu sagen. Daher lässt sie Jedermann gewähren. Jung eingefangen werden sie ausserordentlich zahm, lassen sich geduldig streicheln, kennen ihren Pfleger und begrüssen ihn durch Heben der Flügel; immer aber bleiben sie stumpf und träge und besitzen weder im Freileben noch in der Gefangenschaft etwas sonderlich Anziehendes Dazu kommt, dass sie in der Regel nicht sauber und schmuck aussehen, obwol sie auf das Putzen und Ordnen ihres Gefieders ziemlich viel Zeit ver- wenden. Einen Laut vernimmt man sehr selten von ihnen und nur von alten Vögeln; wenn man sie dabei nicht beobachtete, würde man gar nicht für möglich halten, dass das seltsame Geräusch wirklich von ihnen herrühre. Es gleicht einem dumpfen, aus tiefster Brust kommenden Rülpsen, dem ein langgezogenes Quarren folgt, ungefähr so, als wolle sich Jemand übergeben und seufze über den miss- lungenen Versuch. Mehrere sehr grosse, wahrscheinlich jedoch jahrelang benutzte Horste waren in unerreichbarer Höhe auf Gabelzweigen von Man- groven angelegt. Eine Anzahl eben flügge gewordener Jungen, die dem Menschen gegenüber gar keine Scheu verriethen und leicht hätten gegriffen werden können, trieben sich Ende März am Bänya und im Mai am Tschiloango umher. Weit vornehmer als dieser Seeadler ist der Schreiadler (Halia&tos vocifer) — tschiyöoko pl. biyoko: der Lärmmacher. Er ist etwa von derselben Grösse, doch schlanker gebaut und hält sich auch stolzer und schmucker. In der Färbung der Rückenseite gleicht er jenem manchmal ausserordentlich und kann, ruhig auf einem Aste sitzend, leicht mit ihm verwechselt werden; die Vorderseite ist indessen weit reicher gezeichnet: Kopf und Hals bleiben rein weiss, aber Schultern 254 Stimme des Schreiadlers. und Brust tragen ein helles schimmerndes Rostroth. Diese Farben- zusammenstellung ist so prächtig und gewählt, dass man ihn den schönsten Raubvögeln beizählen muss. Weniger häufig als der vorgehende, scheint er landeinwärts überall aufzutreten, wo dieser nicht mehr vorkommt; nur am Bänya streift er bis zur Küste Wir fanden ihn zuerst im Kuilugebiet und zwar vom Nänga aufwärts, aber nicht mehr im Gebirge. Viel ener- gischer und gewandter als der Gypohierax schiesst er jäh nieder und stösst wie unser Pandion halia&tos Cuv. oder wie der Osprey (Halia&- tos leucocephalus Cuv.), dem er noch mehr” in seinem Gebaren ähnelt, tief in das Wasser nach erspähten Fischen; andere Thiere sahen wir ihn nie verfolgen, und in der That zeigten diese auch keine Furcht vor ihm. Seinen Standort hält er genau ein und benutzt fast regel- mässig zu bestimmten Stunden gewisse Lieblingsäste. Da die stolzen Vögel von den Eingeborenen nicht belästigt werden, haben sie keine Scheu vor Menschen; sie liessen uns im Canoe jederzeit ruhig hinan- oder vorüberfahren. Eigenartig im höchsten Grade ist ihr Geschrei, ausserordentlich laut, gellend und lang anhaltend, aber so wechselnd im Tonfall und Rhythmus, dass es kaum zu beschreiben ist. Bald klingt es wie ein höllisches Gelächter, bald wie ein entsetzliches Wehegeschrei, bald wie helles Gejauchze von übermüthigen Kindern. Es muss den Thieren grosse Anstrengung kosten, diesen gespenstisch wilden Lärm hervor- zubringen. Wenn sie bei Sonnenuntergang in hoher Luft über eine weite Wasserfläche ziehen, sieht man sie bisweilen ganz plötzlich wunderbare Flugkünste beginnen, wie in ausgelassene@Lust umher- taumeln und scharf zuckende und schüttelnde Bewegungen vollführen, als wären sie von Krämpfen befallen —, nach Verlauf einer ent- sprechenden Zeit hallt dann ihr Geschrei herüber, das sie in so eigen- thümlicher Weise begleiten. Am häufigsten hört man sie jedoch in früher Morgenstunde, wenn Nebelschwaden den Urwald umweben, und man mag wol erschrocken vom Lager auffahren, falls der Vogel einen nahestehenden Baum zum Sitze erwählte, um den jungen Tag mit seiner gellenden Stimme zu begrüssen. Ueber unser Gehöft flog öfters ein Pärchen irgendwo binnen- wärts nistender ausserordentlich grosser Seeadler und fischte weit draussen im Meere. Sie glichen unserem Halia&tos albicilla Briss., erschienen mir aber noch stärker und trugen Fische von bedeutender Grösse zum Horste. Die gewaltigen Vögel hielten sich leider immer in unerreichbarer Höhe, und als ich doch einmal den einen mit einer glücklichen Kugel herabbrachte, fiel er in den Buschwald und konnte Musophagen, Riesenhelmvogel. 255 nicht gefunden werden. Sicher war es nicht der seltene und stolze Spiza&tos coronatus, den wir ebenfalls gesammelt haben. — Durch seinen weitschallenden, aber anheimelnden Ruf und nicht minder durch sein Treiben wie die Schönheit seines Gefieders fällt ein häufiger Bewohner der Galleriewaldungen auf: der Riesenhelm- vogel oder Turako (Corythaeola cristata; Turacus giganteus) — mbülu- köko pl. simbülu-köko. Er erreicht die Grösse eines starken Haus- huhnes, doch ist seine Gestalt schlanker, sein flach ausgebreiteter Schwanz weit länger, und den klugen Kopf schmückt eine Feder- krone (Abbildung II 131). Das schillernde Gefieder ist auf der Rücken- seite und am Halse vorherrschend dunkel stahlblau und leuchtend lasurblau, an Brust und Leib rostroth und matt grüngelb gefärbt und zeigt bei verschiedener Beleuchtung überraschend schöne Farben- wirkungen — wie das aller übrigen Musophagen —, die jedoch nach dem Tode bedeutend schwächer werden. Nach seinem überaus lauten Rufe nennen ihn die Eingeborenen wörtlich: das Thier Koko. Und mit vollem Rechte, Vielleicht kann dieser Name allgemein beibehalten werden, um ihn von seinen kleineren Verwandten in einfachster Weise zu unterscheiden. Denn wie diese wenig bekannt sind und in der Classification eine unsichere Stellung einnehmen, so ist man bei ihm erst recht zweifelhaft, wo man ihn unterbringen soll. Der Ruf besteht aus zwei Theilen, die im Sitzen stets nach einander vorgetragen werden, während im Fliegen nur der letzte wiederholt wird. Der erste Theil ähnelt dem Schrei unserer Pfauen, ist aber viel harmonischer und gewissermassen nach abwärts harpeg- girend; man könnte ihn etwa durch „kuriü“ wiedergeben. Der zweite Theil lautet genau wie „kok kok kok“ und wird getrennt, aber schnell hintereinander acht bis zehn Mal oder noch öfter hervorgestossen. Diese Töne sind auf überraschend weite Entfernungen zu vernehmen. Lange bevor ich den Vogel kannte, hörte ich an stillen Abenden auf den Hügeln hinter unserem Gehöfte seinen Ruf vom jenseitigen Ufer der Lagune von Tschissambo herüberhallen. In grösserer Nähe von Tschintschotscho kommt er nicht vor. Heimisch ist er unseres Wissens nur im Gebiete des Lu&mme und Kuilu und aller nördlich gelegenen Flüsse; am Bänya habe ich ihn noch in Menge gefunden, am Congo dagegen nicht gehört. Nirgends ist er bis zur Küste verbreitet, sondern geht fussabwärts höchstens bis in die Nähe der Mangrovenbestände; im Gebirge ist er seltener. Wir haben ihn ausschliesslich in der Nähe des Wassers bemerkt. Das Treiben der sehr zahlreichen und anmuthigen Geschöpfe ge- 256 Gebaren der Kokos. _ währt viel Vergnügen. Mit rauschenden Flügelschlägen steuern sie in gerader Linie von einem Ufer zum anderen, oder laufen ungemein hurtig und coquet tänzelnd auf dem Astwerk der Bäume entlang, hüpfen hinüber und herüber und sind immer in Bewegung. Am Tage sieht man sie gewöhnlich allein oder zu zweien ihrer Nahrung nach- gehen, die nur aus Blattknospen und Beeren zu bestehen scheint, und vernimmt allenthalben ihren Ruf. Wenn die Sonne sinkt, ge- sellen sie sich gern zu einander. Zunächst hebt ein einzelner im Wipfel eines hohen Baumes am Wasser oder an einer Waldwiese an und lässt sein „kuriü kuriü! kok kok kok!“ erschallen; andere antworten; er fliegt zu ihnen, oder sie kommen herbei. So fällt ein zweiter und dritter ein, während das Rufen und Locken andauert; ein vierter folgt, wol auch ein Pärchen, bis manchmal an zehn bis funfzehn im obersten Geäste verstreut beisammen sind. Sie sitzen still oder laufen hin und wieder, jagen einander bis zur äussersten Spitze oder hocken sich traulich Seite an Seite. Bisweilen erhebt sich die ganze Gesellschaft plötzlich mit lautem „kok kok“ und fliegt einem anderen Baume zu und streicht vielleicht auch von dort noch- mals ab. So bleiben sie bis zur vollen Dunkelheit in Bewegung, wenn längst die übrigen Vögel ruhen, und manchmal klingt noch eine Stunde später vom schliesslich gewählten Schlafbaum traulich ein vereinzeltes leises „kuriü“ herab. Des Morgens sind sie zeitig munter, trennen sich und ziehen wieder im Walde umher. Gewöhnlich halten sie sich in den Baum- wipfeln auf; im Unterholz sah ich sie selten, auf der Erde niemals. Ihre Stimme vernimmt man zu jeder Tageszeit, am häufigsten aber des Abends. Die Kokos sind nicht nur lebhafte und elegante, sondern auch vorsichtige und wachsame Thiere. Daher ist es schwierig, ausser des Morgens, wenn sie sich hungrig im Walde umhertummeln, sie zu be- schleichen, und die meisten erlegt man während der Flussfahrt, wenn sie zufällig vorüberstreichen; dies fällt um so leichter, da sie im Fluge nicht rasch wenden, selbst der erkannten Gefahr nicht geschickt aus- weichen können. Gut ist es, sie sehr nahe kommen zu lassen, da sie einen starken Schuss vertragen. Auf den Schlafbäumen sitzen sie in der Regel zu hoch, als dass das Schrot sie wirksam erreichen könnte. Ihr Fleisch ist trocken und zähe, giebt aber eine gute Suppe. Nach übereinstimmenden Angaben der Eingeborenen nisten sie in Baumhöhlen. Die farbenreichen munteren Vögel würden eine Zierde unserer zoologischen Gärten sein. Die kleineren nicht minder prächtig gefärbten Verwandten, na- Rhinocerosvogel. 257 mentlich Corythaix persa und C. Meriani — mtyetye pl. simtyetye — haben ungefähr den nämlichen Verbreitungsbezirk, kommen jedoch auch in Savanengehölzen und hart an der Küste vor. Sie sind min- der lebhaft als der Koko, lassen aber ihren traulichen kurrenden Ruf ebenfalls sehr häufig hören. Ihr Flug gleicht mehr dem unserer Wiedehopfe oder Grünspechte. Die hochrothe Farbe der Flügeldeck- federn wird vom Regen ausgewaschen; es sind in ihr durch chemische Untersuchungen Spuren von Kupfer nachgewiesen. Die gleiche Verbreitung wie der Koko haben die zwar weniger anmuthenden, aber nicht minder auffallenden Na shornvögel, von denen nur einzelne sich dann und wann in Savanengehölze verfliegen. Die meisten Arten sind im Gebiete des Kuilu und Bänya heimisch. Dennoch sieht man sie auch dort nur einzeln oder zu zweien allent- halben verstreut — oder hört sie wenigstens. Mit Ausnahme der Mittagsstunden ziehen sie rauschenden Fluges von Baum zu Baum, wo sie, durch das Blattwerk verdeckt, Beeren pflücken; des Abends sitzen sie häufig unerreichbar für den Schrotschuss auf den äussersten Zweigen der Waldriesen. Das Rauschen der Schwingen ist so ausser- ordentlich stark, dass es, lange bevor man die Vögel erblickt, ihr Nahen verkündet. Namentlich der Riese unter den vorkommenden Arten: Buceros atratus (Abbildung II. 133) — mföndo pl. simfonc.o — ist fliegend sicherlich an tausend Schritt weit zu hören. Das Geschrei der Rhinocerosvögel verständlich zu beschreiben, wäre ein fruchtloses Bemühen. Selbst die von der nämlichen Art geben es in mannigfaltigem Wechsel von sich, und verschiedene habe ich in.Verdacht, dass sie die Laute anderer Vögel nachzuahmen versuchen. Die Stimme ist stets hellklingend und misstönend, aber nicht weithal- lend und steht in ihrer Fülle in gar keinem Verhältniss zur Grösse der Thiere. Das Geschrei der stärkeren Arten erinnert häufig an das Quieken, Kreischen und Schleifen ungeschmierter Wagenräder, hat aber einen ganz eigenartigen nasalen Klang, welcher wol vor- zugsweise durch den unförmlichen Schnabel bedingt wird; manchmal wird es wie ein unschöner Gesang vorgetragen. Der seltene Buceros atratus scheint seine Jammerlaute mit Vorliebe hören zu lassen; wenn er nicht gerade fliegt, schweigt er kaum fünf Minuten lang, selbst nicht, während er sich an Beeren gütlich thut. Er ist der geräusch- vollste von allen. - Nach ihrem Aeusseren und Gebaren könnte man die Thiere für albern und täppisch halten. Man gewinnt aber bald die Ueberzeugung, dass sie, wenn auch nicht hochbegabte, so doch kluge und scheue Vögel sind, die aufmerksam beobachten. Viele von ihnen verkünden irgend Loango, III. 17 258 Graupapageien. etwas Ungewöhnliches, das sie erspähen, wie unser Heher durch warnendes Kreischen und beunruhigen zum Aerger des schleichen- den Jägers nur zu oft die übrigen Thiere. Diejenigen, welche wir dann und wann in unserem Vogelhause hielten, verzehrten ganz un- befangen die mit ihnen zusammenlebenden kleineren Vögel, ohne uns für den angerichteten Schaden irgend welche Freude zu bereiten. Auch ein junger Mföndo, der frei auf unserem Gehöfte umherspazierte, wusste durch Nichts für sich einzunehmen; wenn er hungrig war, was ihm sehr oft wiederfuhr, kam er herbei, selbst in das Zimmer, und bearbeitete mit dem Schnabel Beinkleider und Stiefeln, bis man ihn mit einer Handvoll Oelpalmenfrüchte abfand. Diese fing er, wie sie ihm zugeworfen wurden, sehr geschickt mit dem ungeheuren Schnabel auf und verschluckte sie. Im Uebrigen war er ein langweiliger Gesell, der sich mit Niemand befreundete. Einen merkwürdigen Nashornvogel beobachtete ich nur einmal im Gebirge und schoss ihn auch herab. Ich sah ihn noch dicht über dem Boden an einer Liane hängen; er entschlüpfte aber unter der zugreifenden Hand, huschte in die Dickung und gieng verloren. Er war von mittlerer Grösse, graubraun und weiss gezeichnet, trug aber im Schwanz einige weiche, dunkle Federn, die mindestens die doppelte Länge desselben besassen. An Zahl allen übrigen Bewohnern der Galleriewälder voran stehen die Graupapageien (Psittacus erythacus) — nküsu pl. sinküsu —, welche sich namentlich in der Kuiluniederung in erstaunlicher Menge finden. Des Abends ziehen sie, bald allenthalben verstreut, bald in locker fliegenden Scharen vereint, dem Stromlauf folgend unter betäubendem Lärm landein nach ihren Schlafplätzen. Sie sind gute Wetterpro- pheten: schwillt der Lärm zu schier unerträglicher Stärke, so darf man mit Sicherheit baldigen Regen erwarten. Auch die zahm in unserem Gehöfte lebenden verkündeten in dieser Weise den nahen Witterungswechsel; einer derselben, der mit mir nach der Heimat übergesiedelt ist und volle Freiheit geniesst, zeigt auch hier noch ganz zuverlässig den kommenden Regen an. Im Gebirge leben die klugen Vögel weniger häufig, und in die Savanengehölze verfliegen sie sich nur vereinzelt. An der Küste ausser an der Mündung des Bänya, Kuilu und Congo sind sie sogar sehr selten, weiter südlich, wo ja die Wälder mangeln, sollen sie gar nicht vorkommen und erst weit im Inneren wieder auftreten. Ihr Flug ist ziemlich schnell, aber ungeschickt und niemals schwebend; mit ängstlichen hastigen Flügelschlägen streben sie geradeaus, wobei sie fast unaufhörlich kreischen, plappern und pfeifen. Sie geben . Werth. Fang, 259 wunderbare Töne von sich, ahmen namentlich das Pfeifen anderer Vögel, vorzugsweise das der Würger nach, und erfreuen, so. lange sie vereinzelt durch die Luft eilen, oft durch ihre wirklich melodischen Laute; gesellen sich aber viele zu einander, dann wird ihr Lärm unan- genehm. Sie sind ausserordentlich schreckhaft und geradezu nervös zu nennen. Ihr Fleisch ist zähe und höchstens zu Suppen zu verwenden. Die von der Loangoküste stammenden werden auf dem euro- päischen Markte als „Congovögel“ am höchsten geschätzt und von den Händlern in England unter Hunderten von ankommenden sogleich mit Sicherheit erkannt. Auch an anderen westafricanischen Küsten- strecken, wo Graupapageien heimisch sind, werden dennoch die von Loango begehrt. Je nach ihrer Schönheit haben sie bereits im Lande einen Werth bis zu zehn und funfzehn Mark. Besonders hohe Preise erzielen die sogenannten Königspapageien, welche ausser dem rothen Schwanze noch auf Flügeln, Brust und Rücken ähnlich gefärbte Federn tragen; bisweilen sind ihnen diese auch allenthalben und in solcher Menge gewachsen, dass das schöne Grau des Kleides zurück- tritt. Diese theilweise prächtige Färbung bildet sich bei dem einen oder anderen zufällig aus. Es sind seltene Vögel, die noch seltener nach Europa gelangen. Die Eingeborenen könnten mit Graupapageien gute Geschäfte machen, wenn ihr Fang nicht so schwierig und theilweise auch ge- fährlich wäre. Sie nisten in Baumlöchern, aber nur je ein Pärchen auf einem Urwaldriesen. Sind die Jungen függe, und haben sie sich bereits umherkletternd vor dem Neste gezeigt, so besteigt man nach eingebrochener Dunkelheit den erkundeten Baum, hält einen Sack oder ein Netz vor die Oeffnung der Bruthöhle und klopft mit einem Knüttel an den Stamm. Sofort fährt die ganze erschrockene Familie heraus und in den Sack. Am nächsten Morgen wird dieser geöffnet; die Alten lässt man davonfliegen, da sie leider niemals zahm werden, die Jungen, drei bis fünf, zieht man auf. Ausser dem Graupapagei finden sich nur noch der sehr seltene Pionias robustus und der niedliche Zwergpapagei (Agapornis pullaria) im Gebiete. Der Schlangenhalsvogel (Plotus Levaillanti) — muäba pl. miaba — ist an den Lagunen ungemein häufig, geht aber auch an ruhigen Seitengewässern der Flüsse bis nahe an das Gebirge. Seine eigent- liche Heimat hat er aber in den Manglaren; man sieht ihn gewöhn- lich auf dünnen Zweigen der Rhizophoren in der Stellung eines Wappenadlers mit halb gehobenen Flügeln sitzen. Er ist scheu und klug. Glaubt man im Hinanfahren seiner ganz sicher zu sein, so er3 7 260 h Schlangenhalsvogel. Reiher, gleitet er plötzlich, statt aufzufliegen, pfeilschnell hinab in das Wasser. Selten wird er nochmals erblickt, da er meisterhaft taucht und zwischen dem Wurzelgewirr nur dann und wann Kopf und Hals hervorstreckt, bis die Gefahr vorüber ist. Sie wählen bestimmte, meist abgestorbene Bäume zu ihren Schlafplätzen; dort versammeln sie sich gegen Sonnen- untergang und können von einem nahen Hinterhalte aus am besten erlegt werden. Starke Ladungen sind aber sehr zu rathen, denn keines Vogels Gefieder besitzt eine so erstaunliche Widerstandsfähig- keit gegen Schrote. Abgebalgt ist er ganz gut zu essen. Wo der Schlangenhalsvogel sich aufhält, da sind auch die Reiher heimisch, namentlich der stattliche Ardea purpurea — nküka pl. sin- kuka — und der riesige wie seltene Ardea nobilis, die immer scheu und schwierig zu beschleichen sind. Häufiger finden sich die leichter zu schiessenden Ardea garzetta und A. alba, die den in flachen La- gunen und Tümpeln fischend umherwatenden Frauen und Mädchen verhasste Mitbewerber sind. Wo Gebüsch und Gras bis in das Wasser hinein wachsen, da hausen versteckt: Porphyrio Alleni, Podica sene- galensis, Ortygometra nigra und die in allen Tropengebieten der alten Welt verbreitete Prachtralle (Rhynchaea capensis), während die zier- lich auf der schwimmenden Vegetation entlang laufende Parra afri- cana erst in einiger Entfernung von der Küste vorkommt. Das Heer der Strandläufer und Schnepfen tummelt sich dagegen mit Vorliebe an stillen salzigen Weihern und Pfützen und streicht theilweise unter gellendem Pfeifen von Ort zu Ort. Seitener erscheint zwischen ihnen in kleinen Flügen der schmucke, mit unverhältniss- mässig langen Stelzen ausgestattete Strandreiter (Himantopus autum- nalis) und ein alter Bekannter: der grosse Brachvogel, Keilhaken (Numenius arquatus), der sich am Meeresstrande geschickt die auf dem Sande laufenden Krabben fängt. An den Rändern der düsteren Manglare und an lichten Stellen derselben erfreut das muntere Treiben der geringe Scheu vor den Menschen bekundenden Eisvögel, unter welchen an Zahl der schwarz und weiss gescheckte Ceryle rudis bedeutend voransteht. Gewöhnlich von einem bestimmten Ast aus, zu dem sie immer wieder zurück- kehren, oder wie Falken rüttelnd über dem Wasser schwebend, fahnden sie auf unvorsichtige Fische. Man kann sie in nächster Nähe beobachten und findet sie oft nach Wochen noch auf dem nämlichen Platze. Der grosse, vornehm gezeichnete Ceryle Sharpii — das Männchen ist an der Unterseite schön rostroth, das Weibchen einfach schwarz und weiss gefleckt — ist nirgends häufig und scheint in sei- nem Jagdbezirk andere der nämlichen Art nicht zu dulden. Eisvögel. Hammerkopf. 261 Ein Pärchen hatte sich sein Brutloch zweihundert Schritt nördlich von unserem Gehöfte im Steilabsturze eines Lateritplateaus am Strande angelegt. Des Morgens flogen sie über uns hinweg nach den Lagunen des Tschiloango und kehrten des Abends zurück; manchmal machten sie den Weg auch öfter am selben Tage. Schon von weitem kün- digten sie sich an durch ihr gellendes, kurz abgesetztes Geschrei. Am 15. Juni 1875 gruben wir das Nest aus und schossen zugleich die her- beieilenden Vögel. Die Oeffnung befand sich in der senkrecht ab- fallenden Wand zehn Meter über dem Strande und zwei Meter unterhalb des oberen Randes. Wir hatten von oben abzugraben und dann dem Gange drei Meter tief in den festen Laterit zu folgen, ehe wir zu vier rundlichen weissen Eiern gelangten, die in einer flachen, schüsselähnlichen Erweiterung auf dem blossen, mit Fisch- schuppen und Gräten untermischten Sande lagen. Sie hatten etwa die Grösse unserer Rebhühnereier. Nach der Mühe zu urtheilen, die uns das Ausgraben verursachte, müssen die Vögel schwer und lange gearbeitet haben, um einen so tiefen und weiten Gang auszu- höhlen. Der Hammerkopf oder Schattenvogel (Scopus umbretta) — ntula pl. sintüla — scheint weder an Lagunen, noch an kleinen Gewässern zu leben. Wir bemerkten ihn lediglich in der Niederung des Eaänya Kuilu und Congo. Der nirgends häufige graubraune Vogel besitzt in seinem Gebaren nichts besonders Anziehendes und lässt nur selten seinen Ruf, ein heiseres Quarren, vernehmen, baut aber ein im Ver- hältniss zu seiner Grösse wahrhaft ungeheures backofenförmiges Nest. Dieses, aus fingerdickem Reisig und dazwischen gestopften Gras- halmen bestehend, erreicht an zwei Meter Durchmesser und über einen Meter Höhe, ist allseitig geschlossen und hat an der Seite eine kleine Oeffnung; wie der langbeinige Vogel in seine Wohnung schlüpft, habe ich leider nie beobachten können. Das Nest ist gewöhnlich auf hori- zontal ausladenden Zweigen in geringer Höhe über der Hochwasser- marke angelegt. Die Eingeborenen behaupten, er errichte es nicht selbst, sondern lasse andere Vögel für sich arbeiten. In einem fanden wir Ende Juli zwei nahezu flügge Junge. Fährt man den Kuilu aufwärts, so zeigen sich neben den still- sitzenden oder zierlich schreitenden Schattenvögeln hier und dort auch scheue weisshalsige Störche (Ciconia episcopus) und Ibis caffrensis mit ihrem dunkeln, metallisch schimmernden Gefieder; von den Kies- bänken bei Tschitümbu Mvüubu an erscheint der elegant fliegende Scheerenschnabel (Rhynchops flavirostris) und ein ängstlich lärmender weisser Kiebitz (Hoplopterus albiceps). Auch eine niedliche Bach- 262 Seevögel. Zwergtrappe. stelze (Motacilla vidua) tritt zum ersten Male auf, und um die von Kakamuüeka an im Flussbett aufragenden Klippen tummelt sich ele- ganten Fluges eine zutrauliche Wadeschwalbe (Glareola nuchalis). Bei Mayömbe und Ngötu trieb auch Hirundo nigrita ihr Spiel über dem Flusse. Ein schmucker Fliegenschnäpper (Muscicapa lugens) erfreut überall in der Niederung durch sein munteres Treiben; hurtigen Fluges schiesst er aus überhängendem Ufergebüsch hervor und zurück, die über dem Wasser tanzenden Insecten fangend. | Im Allgemeinen muss sowol an der Küste wie in den Niederun- gen die Seltenheit der jagdbaren Wasser- und Sumpfvögel auffallen. Wir lernten nur zwei Entenarten kennen: Dendrocygna viduata und Thalassiornis leuconota, und auch die doch sonst an günstigen Orten so häufigen Strandläufer und Schnepfen sind nirgends in befriedigender Menge zu finden. So ist auch für die Wasserjagd Loango keine empfehlenswerthe Gegend, und wo die Affen und Hippopotamen fehlen, würde es gar nicht möglich sein, sich und seine Leute durch die Jagd vor dem Verhungern zu schützen. Seevögel und zwar Sterna maxima, St. balaenarum, St. macrop- tera und St. cantiaca finden sich nur von der Kuilumündung an nord- wärts in nennenswerther Zahl, also an jenen Küstenstrecken, welche noch von dem Guineastrome bespült werden. Weiter südlich, wo die kalte südatlantische Strömung herrscht, kommt fast nur der grosse Tölpel vor (Sula capensis) und zwar ausschliesslich von Anfang Mai bis Mitte October*); dann wandert er südwärts. Er wird manchmal von der Calema erfasst und an den Strand geworfen, wo er betäubt und unbeholfen längere Zeit sitzen bleibt. Als Gefangener ist er zwar ein gutmüthiges, aber uninteressantes Geschöpf, so dass man ihm bald wieder seine Freiheit giebt, zumal für den Nimmersatt nicht Futter genug zu beschaffen ist. Einen wirklich fesselnden Anblick bietet dagegen der mächtige Vogel, wenn er in der Hohlung der aufbäu- menden und vorwärts stürmenden Roller im gefährlichen Spiele schwebenden Fluges entlang zieht und rechtzeitig mit ruhiger Be- wegung den zusammenbrechenden Wassermassen ausweicht. Oft durchschiesst er dabei sausend weite Strecken, während er fast senk- recht um seine Längsachse gewendet, die eine Schwinge nach oben, ‚die andere nach unten gerichtet hält. — Der grösste Vogel der Savanen ist eine Zwergtrappe (Otis mela- nogaster) — ndabu pl. sindabu —, die nirgends häufig, aber allent- *) Die letzten Tölpel wurden bei Tschintschotscho sowol im Jahre 1874 wie 1875 am 15. October gesehen; die ersten im Jahre 1875 am ıı. Mai, 1876 am 3. Mai. Hühner, Tauben.® Kukuke. 263 halben, namentlich in Campinen mit lockeren niedrigen Gräsern vor- kommt. Wir sahen nie mehr als zwei bei einander. Perlhühner — mfünsi pl. simfünsi — finden sich bei Pontanegra und Longoböndo; das schöne schwarze Huhn: Phasidus niger — nkänga pl. sinkänga — wurde einmal im Hochwalde bei Mbüku erlegt. Ein Frankolinhuhn (Francolinus ashantensis) — ntschyölolo pl. sintschyölolo — ist allent- halben gemein, steckt aber während des Tages in Busch und Ge- hölzen und lässt des Morgens und Abends häufig seinen volltönenden ausserordentlich lärmenden Ruf hören. Den schöner gezeichneten zierlichen Francolinus Lathami — nkuäli pl. sinkuäli — fanden wir blos im Galleriewalde des Kuilu. Verschiedene Taubenarten — nsuesse pl. sinsu&sse —, darunter sehr winzige, beleben ebenfalls die Savane, und selbst um die Mit- tagszeit, wenn alle Thiere schweigen und ruhen, lassen sie von Baum und Busch’ ihren traulichen rucksenden oder auch fast flötenden Ruf erschallen. Besonders häufig sind Turtur semitorquatus, T. albiventer, Peristera tympanistria; in Schwärmen zieht blos die buntfarbige, grüne Papageitaube (Treron calva) umher. Das ungemein niedliche Zwerg- täubchen (Peristera afra) mit metallisch glänzendem, vorherrschend dunkelbraunem und zimmetfarbenem Gefieder haust paarweise oft in BEN. EIN I NN ER FER — 447% “sy ganz kleinen Gebüschgruppen und wird selten ausserhalb derselben erblickt. Sein leises „kü ku ku“ klingt ausserordentlich einschmeichelnd. Kukuke — mfüngu pl. simfüngu und nküku pl. sinküku — be- sonders die rothbraunen Arten: Centropus senegalensis und C. super- ciliosus, verhältnissmässig ungeschickte Flieger, aber flinke Läufer, Kriecher und Kletterer, sieht man gelegentlich in der Savane aus den Dickungen auftauchen, von einem Zweige Umschau halten und wieder verschwinden. Noch häufiger hört man ihren merkwürdigen gar nicht zu verkennenden Ruf, der bei dem grossen Centropus An- selli fast in ein Heulen ausartet und manchmal nach eingebrochener Dunkelheit noch zu vernehmen ist. Er besteht aus einem sehr oft und rasch hintereinander wiederholten dumpfen „küuküküuku“, dessen Tonhöhe sich in charakteristischer Weise ändert; gegen das Ende hin verlieren die Töne an Kraft. Der volle Ruf wird durch die oben gegeben Noten veranschaulicht. Durch eleganten gewandten Flug erinnern an unsere Kukuke die seltener vorkommenden Coccystes jacobina und C. glandarius, die wie Falken zwischen den Baumwipfeln hinziehen. Ihre Stimme habe ich 264 Krähen. Glanzstaare. nie feststellen können. In weit geringerer Zahl finden sich die durch Pracht ihres Gefieders ausgezeichnete Chrysococcyx cupreus und Ch. resplendens. Wie die erstgenannten Kukuke lebt in den Dickungen die ein- zige im Grebiete gesammelte Nachtschwalbe: Caprimulgus Fossii. Wäh- rend der Tageszeit ist sie regelmässig wie unser C. europäus auf ganz bestimmten Plätzen, auf Erdrücken, Termitenbauten oder nie- deren Aesten sitzend zu finden; wochenlang kann man den nämlichen Vogel am nämlichen Orte aufscheuchen. Die im grössten Theile Africas gemeine Krähe (Corvus scapula- tus) — nkonköngo pl. sinkonköngo, auch kabaka — mit dem schim- mernden schwarzen, an Hals und Brust blendend weissen Gefieder tritt in Loango 'nur vereinzelt auf. Sie fliegt weit schöner als die unseren und zieht in der Regel am Strande hin und wieder. Gleich spärlich vertheilt erscheint der Roller (Eurystomus afer), dessen bunte Farben, dessen Gebaren ihn den Papageien ähnlich machen. Er vollführt in der Luft wunderbare Gaukelkünste, wobei er fast unaufhörlich schnattert, knurrende und andere unbeschreibliche Töne von sich giebt. Nirgends häufig, aber bisweilen in kleinen Flügen auf bestimmten beerentragenden Bäumen einfallend, finden sich die Glanzstaare. Bei Nahrungsmangel — die nothwendige Fleischkost namentlich fehlte uns nur zu oft — giengen wir nach einem. Baume in unserem jenseits der nächsten Hügel liegenden Quellenthale und hatten manchmal das Glück, dort auf dem Ansitz ein freilich nicht rühmenswerthes Gericht von Lamprocolius splendidus zu erbeuten. Es sind scheue, kluge und rastlose Vögel, die fast ununterbrochen ihr misstöniges Geschrei hören lassen. Der Metallglanz ihres dunkeln Gefieders ist unvergleichlich; vielleicht giebt es kein zweites, welches das Licht in so starker Weise bricht und zurückwirft. Leider vergeht die Pracht zum grössten Theile mit dem Tode des Thieres. Lamprocolius phoenicopterus ist noch seltener als der erstgenannte. Charakteristisch besonders für die Gebüschklumpen und Busch- wälder der Savanen sind die Würger, Bienenfresser und Eisvögel. Unter den Würgern zeichnen sich mehrere durch schön gefärbtes Gefieder aus, alle aber besitzen volltönende wollautende Stimmen und lassen sie gern hören. Je ein Pärchen scheint stets einen kleinen ab- gegrenzten Bezirk als sein eigen zu betrachten; da es aber ungemein viele giebt, erschallt aus allen Büschen ringsum ihr lautes, in der Regel aber flötenähnlich weiches Pfeifen. Am meisten fällt das von Laniarius major auf, welches sehr volltönend und weithin zu verneh- men ist. Es besteht vorwiegend aus zwei, um eine Octave auseinander Würger. Bienenfresser. 265 liegenden eng verbundenen Tönen, von denen der erste nur kurz an- gegeben, der zweite länger und mächtiger ausgehalten wird. Bis- weilen beträgt das Intervall auch blos eine Quinte, und zwar scheinen ganz bestimmte Individuen sich stets dieser zu bedienen. Die beiden Töne folgen in der Regel abwärts, manchmal aber auch umgekehrt auf einander. Besonders merkwürdig ist es, dass jederzeit das Weib- chen beim zweiten Ton mit einem schnarrenden Krächzen einfällt, und zwar so genau tactmässig, dass man anfänglich vermeint, der männliche Vogel gebe zugleich beide Laute von sich. Da die Würger aber nicht scheu sind und sich auch durch die Nähe des Menschen im Musieiren nicht stören lassen, kann man leicht zwischen die oft getrennt sitzenden Ehegatten gelangen und sich von der Thatsache überzeugen. Wir haben vierzehn Arten von Würgern gesammelt, darunter drei neue, von denen die eine seltene (Nicator vireo), die nur in den rothen Schluchten von Buäla und im Gebirgswald bei Kakamücka beobachtet wurde, eine ganz eigenartige, frisch und fröhlich und rhyth- misch wie ein Signal erschallende Strophe pfeift. Ich werde diese mit anderen weiter unten in Noten wiedergeben. Während die Würger sich gedeckt im Gebüsche aufhalten und nur gelegentlich einmal auf hervorragenden Zweigen sitzen, umsciıwär- men die meist prächtig gefärbten Bienenfresser und Eisvögel dasselbe von allen Seiten, obwol in sehr verschiedener Weise. Ceryle rudis und C. Sharpii fischen am Wasser, die übrigen Eisvögel: Alcedo picta und A. cristata, Halcyon senegalensis, H. orientalis, H. pygmaea und eine neue Art: H. cyanescens beleben in der Regel oder ausschliess- lich die Savane. Gleich jenen halten sie sich gern an einem bestimmten Standort und fahnden, hurtig hervor- und zurückfliegend, sehr selten rüttelnd über den Grasbeständen schwebend, auf Kerbthiere. Ihr Flug geht vorwiegend in gerader Richtung, elegante Schwenkungen vermögen sie nicht zu vollführen. Im Nu schiesst der muntere farbenstrahlende Jäger, der vom schattigen Sitz mit wachsamem Auge sein kleines Revier in der Campine überschaut, heraus in den Sonnenglanz, ergreift seine Beute und kehrt vergnügt auf seinen Ast zurück. Eben erst aufgebäumt, erspäht er aber sogleich ein neues Opfer und huscht wieder ins Freie. So geht die Jagd rastlos hin und wieder und wird kaum zur Mittagszeit unterbrochen. Anders betreiben die Bienenfresser den Fang, da sie weit ge- schicktere und anmuthigere Flieger als die Eisvögel sind; ihnen zuzu- schauen, wird man nie müde. Bald streichen sie in Kreislinien um 266 Flugkünstler. Colius. die Gebüsche und über das Grasmeer hin, bald heben sie sich flatternd wie eine Lerche aufwärts, einer schwirrenden Beute nach, und sinken in schöner Bogenlinie wieder herab; dann gleiten sie mit halb einge- zogenen oder ausgebreiteten Schwingen unter reizvollen Wendungen in die Weite und kehren in gleicher Weise zurück. Das geschieht immer so leicht, so schwebend, als koste es ihnen nicht die geringste Anstrengung, als besässen sie überhaupt kein Gewicht. Oft sieht man aus lockeren Schwärmen, welche in mässiger Höhe entlang ziehen, den einen und anderen pfeilgeschwind bis dicht über den Erdboden niederfallen, in sicherem Schwunge ein entdecktes Insect fassen und sogleich wieder zu den übrigen emporsteigen. Namentlich Merops cyanostictus und M. superciliosus erfreuen durch ihr Treiben in der Savane; der edelgraue, rothbrüstige M. bicolor wurde nur von Mai bis Juli im Vorüberziehen nach Süden bemerkt. Er lässt öfter und lauter als die übrigen seinen ziemlich gellenden Ruf etwa wie „tschüe tschüe“ hören. Ein sehr wunderlicher kleiner Vogel ist der langschwänzige Colius nigricollis. Sein mausgraues Gefieder besteht, flüchtig betrachtet, eigentlich nur an Flügeln und Schwanz aus wirklichen Federn und gleicht im übrigen mehr dem weichen Felle eines Säugethieres. Die munteren Thiere ziehen in kleinen Gesellschaften umher, unter nicht lautem, aber schrillem Gezwitscher und in gerader Linie von einer Dickung zur anderen eilend. Ihr Flug ist so pfeilgeschwind, dass man oft die nahe vorübersausenden Vögel gar nicht erkennt und er- staunt um sich blickt, woher denn das seltsame Geräusch kommt. Sie sind in den undurchdringlichen dornigen Hagen der Savane heimisch; anfliegend verschwinden sie im Augenblick in dem scheinbar dicht geschlossenen Pflanzenwall und fahren ebenso unerwartet wieder heraus, um ohne Rast weiterzuschwirren. In einem einigermassen grösseren Gebüsch bekommt man sie überhaupt nicht wieder zu Ge- sicht, und während man erwartungsvoll lauscht, sind sie längst an der anderen Seite auf und davon. An lockeren Stellen sieht man sie zwar hin und wieder eigenartig behende vorüberhuschen, aber so schnell, dass man in Zweifel bleibt, ob es ein Vogel, ein anderes Thier oder ein Schatten war. Daher sind sie im Freien kaum näher zu beobachten. Wir hielten sie vielfach in unserem Vogelhause. Dort kletterten sie wie Meisen am Geäst der aufgestellten Büsche umher und hiengen sich zum Schlafen eng zusammengedrängt an die Wandgitter; sie bil- deten dabei so dichte Klumpen, dass selbst die Todten am Platze ge- halten wurden, bis die Lebenden sich wieder trennten. Nestbau der Webervögel. 267 Die Fringilliden und Ploceiden bevölkern die Savane am meisten; von beiden sind uns je funfzehn Arten, darunter zwei neue Weber- vögel, bekannt geworden. Viele von ihnen halten sich gern — nach der Brutzeit gewöhnlich in Schwärmen zu einander gesellt — in der Nähe der menschlichen Wohnsitze und hüpfen wie manche unserer heimischen Vögel zutraulich in den Dorfgassen und Gehöften umher. Der africanische Sperling (Passer Swainsoni) beträgt sich ganz wie der unsere, ist aber zierlicher und eleganter. Von den Webervögeln nisten namentlich Hyphantornis nigerrimus und H. cinctus in oder an Dörfern und Factoreien auf Oelpalmen, noch lieber auf freistehenden Wollbäumen. Im dichten Laube der letzteren bleiben die nicht nur nach Hunderten, sondern nach Tausenden zählenden ebenso fest wie kunstvoll geflochtenen Nestbeutel — worunter freilich auch viele alte und verlassene sind — zum Theil verborgen; auf ersteren, die von den geschickten Baumeistern gewöhnlich vollständig ihrer Fieder ent- kleidet werden (Abbildung II ı17), fallen sie um so mehr auf. Ihr Treiben um einen besiedelten Baum erinnert an das um einen Bienenstock. Da die Eingeborenen nicht daran denken, die unruhigen Scharen zu belästigen, kümmern sich diese gar nicht um das Thun der Menschen. Sie sind ebenso arglos wie regsam und fleissig und vollführen im Streite um die besten Plätze, beim Brüten und Atzen wie bei ihren Versuchen, sich als Sänger hören zu lassen, einen zwar grossen, aber anheimelnden Lärm. 3 Zum Weben holen sie sich das geschmeidige und zähe Material am liebsten von nahestehenden Oelpalmen, wählen aber in der Regel zunächst eine bestimmte aus, der es dann freilich übel ergeht. Sie verfahren ganz ordnungsmässig. Flatternd fassen sie mit dem Schna- bel den Rand eines Fiederblättchens, wo es am Wedelschaft ansitzt, und trennen, sich fallen lassend, ein schmales Band der ganzen Länge nach ab; in gleicher Weise gewinnen sie ein zweites und drittes, bis von dem Fiederblatte nur noch die dünne Mittelrippe übrig geblieben. Dann streifen sie das nächste, die folgenden ab, und endlich, wenn an dem einen Wedel nicht eine Spur von Grün mehr vorhanden, erlesen sie den benachbarten. Sind sehr viele Vögel an der Arbeit, so be- ginnen sie auch an mehreren zugleich. Mit rastloser Emsigkeit schwirren die kleinen Baukünstler um den Wipfel: zahllos kommen sie und zahllos fliegen sie ab, langflatternde Bändchen mit sich tragend. Nur kurze Zeit, und die volle Krone der stolzen Palme ist verschwun- den; was davon übrig ist, ‚gleicht dem Besenreis. Eine zweite und dritte wird in Angriff genommen, manchmal ein Dutzend geplündert (Abbildung II 88), ehe die Nesterstadt vollendet ist. [ 268 Vogelstimmen. Meistersänger. Der wundervolle Feuerweber (Pyromelana flammiceps) vermeidet in seinem sammetschwarzen und scharlachrothen Hochzeitskleide die Wohnsitze des Menschen, gerade als wüsste er, dass seine Farben- schönheit ihn zu einem auffallenden und verlockenden Geschöpfe macht. Die Paradieswitwen, besonders Vidua macroura besuchen dagegen häufig in Pärchen Dörfer und Gehöfte. Auf freien Plätzen pickt das unscheinbare Weibchen an der Erde, während das mit den weichen langen Schwanzfedern geschmückte Männchen es dann und wann mit Flugbewegungen umgaukelt, deren Zierlichkeit und Anmuth zur Be- wunderung hinreissen. So bevölkern namentlich die kleinen, grösstentheils in Europa hin- reichend bekannten und vielfach lebend gehaltenen Vögel die Sava- nen und Pflanzungen und verkehren zutraulich an den von Menschen besiedelten Orten. Man begrüsst sie als liebe Gäste und erfreut sich immer wieder an ihrer Farbenpracht und ihrem Gebaren. Will man ihnen ein grosses Fest bereiten, so lässt man einige aus der Campine geholte pilzförmige Termitenbauten zerschlagen. Dann eilen sie von allen Seiten herbei und halten ein köstliches Mal, wobei es unver- gleichlich munter und lustig hergeht, und im bunten Gewimmel manch- mal auch seltene Besucher erscheinen. Wo das Auge sich erfreut, geht auch das Ohr nicht leer aus. Unschöne dumpfe, gellende, kreischende Laute vernimmt man freilich oft genug, wenn man nur in die Weite horcht, doch fallen diese in der Savane bei weitem weniger auf als das volltönende Flöten, das anheimelnde Girren und Rucksen der allgegenwärtigen Würger und Tauben. Wendet man aber seine Aufmerksamkeit auch den aus der Nähe kommenden Stimmen zu, so erklingt zwischen dem Schirpen und Zwitschern der gefiederten Kleinen manch hübsche anmuthige Strophe — nicht geringer an Werth als die Mehrzahl der Leistungen unserer heimischen Sänger. Auch binden jene sich an keine Jahres- zeit, sondern singen ihre leisen einfachen Weisen immerfort und wer- den blos im August und September, vor Beginn der Regenzeit, wenn sie mausern, etwas schweigsamer. Meistersänger sind aber neben einigen Verwandten namentlich Criniger simplex und C. notatus, die jedoch, ganz wie die unseren, nicht überall sich hören lassen und lauschige lockere Buschwälder bevorzugen. An Frische, Wolklang und Mannigfaltigkeit vereint ihr Gesang die Schönheiten der Mönchs- grasmücke und Singdrossel, er würde sogar am besten dem der Nach- tigall zu vergleichen sein, wenn ihm nicht das Schluchzen und Klagen, überhaupt das Melancholische gänzlich mangelte. Es wäre ein vergeblicher Versuch, ihre Lieder in Noten wieder- Charakteristische Strophen. 269 geben zu wollen; besser gelingt es mit den bestimmten, klar geglie- derten Strophen mancher anderer Waldbewohner. So hört man in der Niederung des Kuilu einen uns unbekannt gebliebenen Vogel rein und zart acht bis elf Töne der chromatischen Scala abwärts flöten (Beispiel I), die letzten länger und leiser wie nachsinnend je einmal wiederholen und dann verstummen, als hätte er den Rest vergessen. Ein anderer an Flussmündungen nicht seltener giebt rasch hinterein- Beispiel I. Ei Er > n C ee Hr he Ze ge F Deere je eye) yes ee mn ee ernennen) ander und wol eine Minute lang ein und denselben Ton von sich, genau als wenn Jemand in der Ferne mit einem kleinen Hammer auf einen hellklingenden Ambos schlüge. Unvergleichlich an Fülle und Wolklang ist der Morgengruss des Nüni mkissi, des verzauberten Vogels, welcher ebenfalls am Kuilu etwa von der Nängamündung an bis zum Bogen von Mindo vor- kommt, aber nach dem Glauben der Eingeborenen weder getödtet, Beispiel II, noch erblickt werden kann. Er lässt in abgemessenen Pausen je zwei langgehaltene Töne erklingen, die anschwellend und ersterbend im Intervall einer Quart abwärts auf einander folgen (Beispiel II), so machtvoll und glockenrein, dass man andächtig lauscht. Der Genuss ist selten, da der nicht häufige Vogel nur für kurze Zeit um Sonnen- aufgang seine köstliche Stimme erhebt. Wir vermochten weder diesen, noch den anderen Nüuni mkissi zu Beispiele III. BTITIITIIIITTT EITZTIITTTIFTTIITTT ERTTFTTTITIITITITIIIIZIIITE ee ee zer Ser Se bestimmen, welcher in den Mangrovenbeständen des Tschiloango lebt und der Sage nach eine verzauberte Prinzessin ist, daher ebenfalls weder getödtet, noch erblickt werden kann. Sein eigenartiges, von manchen variürtes Thema ist oben in Noten wiedergegeben (Beispiel III). Die ungemein lieblichen zarten Töne werden im leichten Staccato vor- getragen, schwingen aber nach und besitzen eine entschieden metallische Klangfärbung. Es haftet ihnen etwas ganz Unbeschreibliches an, als 270 Amphibien. kämen sie von Glöckchen, als würden lose befestigte Stahlplatten mit weichem Klöppel berührt. Kurz vor unserer Heimkehr vernahm ich die nämlichen Töne auch einige Male am Bänya. Die Strophe eines seltenen, nur am frühen Morgen in den Dorn- burgen der Savanen um Tschintschötscho musicirenden Vögelchens — das mir leider ebenfalls nicht näher bekännt wurde — klingt genau wie legato gespielte Flötensolfeggien (Beispiel IV) und besitzt unge- Beispiel IV. 8 EI ISET III III TGDIOD TOD TOD I DD DD LIST ID TODE T DOLLS DD TOD I GI TOD L DD DOLLS DD TB LTTDR —kmrı EEE a nn mn u men mein viel Anmuthendes. Zum Schluss führe ich noch das Signal an, welches die Seite 265 erwähnte neue Würgerart (Nicator vireo) pfeift, und zwar wie ich es im Gebirge bei Kakamüeka (Beispiel V) und Beispiel V. ARD BEER EEE Tr en a, Esser essen es eye Ve Ye Yale nee ges Beispiel VI. E—————— De a ee Ze ee Se a ee ee ee ee ee re F zu wer = = Sm — See ern später in den Schluchten von Buäla (Beispiel VI) von den beschliche- nen Vögeln vernahm. Es wird fröhlich schmetternd wie Finkenschlag, aber in volleren und kräftigeren Tönen vorgetragen. — Ueber Amphibien und Fische lassen sich naturgemäss weit we- niger Erfahrungen sammeln, als man wünscht. Sie entziehen sich durch ihre Lebensweise der Beobachtung, und vielfach muss man schon zufrieden sein, wenn man sie überhaupt erlangen und somit in der Liste als vorkommend anführen kann. Auffallende Bewohner der fliessenden oder mit ihnen in Verbin- dung stehenden Gewässer des Landes sind die Krokodile. Sie finden sich öfters sogar in verhältnissmässig winzigen Wasserläufen, doch sahen wir sie niemals in abgelegenen Tümpeln oder todten Lagunen, mochten diese auch noch so fischreich sein. In manchen Gegenden, namentlich in ruhig fliessenden, wenig besuchten Gewässern des Congo und Kuilu findet man sie in wahrhaft erstaunlicher Menge — denn sie lieben die Einsamkeit. Wo ein reger Verkehr herrscht oder sich entwickelt, da wandern sie allmählich aus, wenn nicht Breite Krokodile. 271 und Tiefe des Flusses, öde Schlamm- oder Sandbänke, versteckte Uferstrecken ihrem Treiben, ihren Gewohnheiten ganz besonders günstig sind. An vielen Orten, wo sie ehedem in grosser Zahl hausten, sind sie gegenwärtig vollständig verschwunden. Auch sie muss man in ihren Schlupfwinkeln aufsuchen, wenn man sie über- haupt zu Gesicht bekommen will. ET Uns sind drei Arten bekannt geworden. Die grösste und am schönsten geformte gavialähnliche Art mit verlängerter Schnauze (C. cataphractus) — ngändu pl. singandu — beobachteten wir aus- schliesslich in den Niederungen, an nicht starkströmenden Stellen und selten im brackischen Wasser. Die kleinere stutzschnauzige Art (C. frontatus) — mbambi pl. simbambi — hat ungefähr die nämliche Verbreitung, geht aber häufiger bis an die Flussmündungen. Die dritte Species, das gemeine stumpfschnauzige Nilkrokodil (C. vulgaris) — tschimbölo pl. bimbölo — ist überall heimisch sowol auf Schlamm- bänken im Bereiche der Mangroven wie auf den Klippen der Strom- schnellen im Gebirge. Die auf dem Lande so unbehülflich aussehenden Thiere vermögen dennoch mit gänzlich freigetragenem Leibe, und ohne den Schwanz zu schleppen, so hurtig zu traben, dass man nicht im Stande ist, sie einzuholen. Plötzlich überrascht und vom Wasser abgeschnitten, flüchten sie eiligst und geschmeidig durch die dichteste Vegetation und verbergen sich darin so gut, dass man sie selten auffinden wird. Sie können ferner beim Laufen recht kurz wenden und verstehen sehr geschickt Haken zu schlagen. Es ist daher ein ziemlich nutz- loses Beginnen, sie auf einem nicht frei zu überblickenden Terrain zu verfolgen: athemlos, zerstossen und zerkratzt hält man über kurz oder lang an und fragt sich verwundert, wo denn das grosse Thier geblieben sein könne — das wahrscheinlich bereits wieder sein hei- misches Element erreicht hat, oder ganz still gedrückt in einer Dickung liegt. Sie vermögen überdies wie die Hippopotamen sehr steile Uferböschungen und Felsenpartieen zu erklimmen und kriechen gern auf umgestürzte oder wagerecht gewachsene Bäume. Vom Wasser entfernen sie sich auf grössere Strecken — etwa fünfzig bis hundert Schritt — nur an Stellen, welche Menschen nicht besuchen, oder auf Sandbänken, die eine weite Umschau gestatten. Im Uebrigen ruhen sie schlafend und sich sonnend immer so hart am Ufer, dass sie mit einem Sprunge in die Tiefe gleiten können. Der Kopf ist stets dem Wasser zugekehrt, der Körper aber liegt, nament- lich bei den erwachsenen, in den seltensten Fällen gerade gestreckt, sondern mehr oder minder gebogen, sodass einzelne Stellungen durch- 272 i Gebaren der Krokodile. aus unnatürlich berühren. Mancher ehrwürdige Saurier, der, etwas auf die Seite gewälzt, alle Viere behaglich von sich gestreckt oder untergeschlagen, seinen Schwanz schleifenförmig nach dem Leibe vor- gebogen und derartig gewissermassen zusammengerollt sich wolig von der Sonne bescheinen lässt, entspricht gar nicht mehr den land- läufigen Vorstellungen vom Aussehen eines Krokodiles — um so we- niger, als er in der Regel einen Leibesumfang besitzt, von welchem bei den mageren Exemplaren in unseren zoologischen Gärten kaum eine Andeutung vorhanden ist. Alle Krokodile sind so ausserordentlich scheu und wachsam, dass Beobachtungen über ihr Gebaren am Lande sich fast nur mittelst des Fernrohres anstellen lassen; doch werden diese wieder dadurch er- leichtert, dass sie sehr genau ihre Standorte innehalten. Sie hören sehr fein und sehen sehr scharf, dagegen scheint ihr Geruchsinn stumpf zu sein; denn auch diejenigen, welchen der Luftzug unsere Witterung schon längst zugetragen haben musste, brachten sich, selbst in grosser Nähe, erst dann in Sicherheit, wenn sie uns vernahmen oder erblickten. ° Mit grosser Vorsicht verfahren sie, wenn sie ihren Ruheplatz auf- suchen, steigen bedächtig aus dem Wasser, sichern dabei öfters an- haltend und stutzend nach allen Seiten und thun sich erst dann mit einem Ruck nieder, wenn sie die Umgebung genügend durchmustert haben. Selbst die schlafenden werden schon durch ein leises Geräusch geweckt und flüchten eiligst in das Wasser, ohne sich erst mit Schauen und Prüfen aufzuhalten. Vögel irgend welcher Art sahen wir niemals in ihrer Nähe, noch weniger sich mit ihnen beschäftigen — freilich kommt der bekannte Krokodilwächter vom Nil (Hyas aegyptius Vieill.) in Loango nicht vor. Es ist unter allen Umständen ein grosses Kunststück, Krokodile zu beschleichen; der Zufall spielt eine weit dankbarere Rolle als alle Bemühungen. Auf Sandbänken ist gar nicht anzukommen, und auf höheren bewachsenen Uferstrecken sieht man sie vom Canoe aus nicht eher, als bis sie in das Wasser schiessen. Manchmal, wenn man ruhig mit dem Strome dicht am Ufer entlang treibt, springt ein überraschtes so nahe am Fahrzeuge in die Tiefe, dass ein Unerfahrener glauben könnte, es habe angreifen wollen. Ich halte es nicht für unmöglich, dass dabei ein Canoe zufällig getroffen und umgestürzt oder zer- trümmert werden kann; aber an einen Angriff denkt das selber aufs Höchste erschrockene Thier nicht im Geringsten. Andere überraschte wagen den Sprung nicht, sondern drücken sich und lassen die Gefahr vorüber, ehe siein das Wasser gehen, oder fliehen auch hastig landein. Festigkeit des Panzers. 273 Die Behauptung, dass eine Kugel den Panzer nicht durchbohre, ist eine Fabel; denn schon grobes Schrot durchschlägt ihn auf dreissig und vierzig Schritt Entfernung ohne weiteres. Das unter sehr spitzem Winkel auftreffende Langgeschoss wird allerdings vielfach abgleiten und jedenfalls nicht tödtlich wirken. Eine starke, Blatt oder Hals fassende Schrotladung ist überhaupt der Kugel vorzuziehen, wenn man ein Krokodil wirklich erbeuten will: trifft man damit gut, so bleibt es unter Feuer, während selbst ein paar wolgezielte Kugeln — wenn Gehirn oder Halswirbel unverletzt bleiben — es nicht so lähmen, dass es nicht mit einer letzten krampfhaften Bewegung in das Wasser rollte.e Dort aber versinkt es spurlos und hebt sich erst wieder nach eingetretener Verwesung — wenn es nicht unterdessen seine Gefährten aufgefressen haben. Ueber die Gefährlichkeit der Krokodile habe ich schon Seite 205 nähere Angaben gemacht. Jedenfalls ist es gut, überall an Gewässern, in denen sie leben, auf der Hut zu sein, wenn sie.auch nicht jenen Menschen rauben, der in ihr Bereich kommt. Vielleicht bilden sich wie bei den Tigern nur einzelne Individuen zu Menschenräuber aus; denn es ist eine Thatsache, dass nicht an allen Flüssen und nicht an jedem beliebigen Orte Angriffe stattfinden. Uferränder mit unmittel- bar angrenzendem tiefen Wasser scheinen am unsichersten zu sein‘ Das stutzschnauzige Krokodil (C. frontatus) halten die Einge- borenen überhaupt für durchaus ungefährlich und nennen es auch einfach Eidechse — mbambi. Es ist dreister als die anderen und zieht vor den Augen des Jägers geschossene Vögel behutsam unter Wasser — obwol ich nicht ausschliessen will, dass jene ebenso verfahren. Auch ist es zutraulicher oder vielmehr neugieriger als die anderen. Mehrfach habe ich beobachtet, dass an Stellen, wo sie häufig sind, ihre Köpfe bald auftauchen, wenn am Ufer oder auf Sandbänken etwas Ungewöhnliches vorgeht. Allenthalben im Bänya und im Kuilu von Pelle ma Nänga bis nach Mamänya ma tali ist es ungemein häufig; ob es im Congo vorkommt, kann ich nicht entscheiden. Jedenfalls wussten die Eingeborenen mir dort nur die beiden anderen Arten zu benennen, und am Tschiloango machte ich dieselbe Erfahrung. Es kann gar nicht verwechselt werden, da sein kurzer Kopf an den eines recht grossen Frosches erinnert, überdies auch einen charakte- ristischen Nasenhöcker besitzt, und da die Farbe des Thieres ein schmutziges Braun ist. Seine äusserste Länge wird kaum vier Meter betragen. Das spitzschnauzige Ngändu (C. cataphractus) gilt für das gefähr- lichste und soll am Congo Menschen aus Canoes rauben. Wahr- Loango. II. 18 274 Grösse der Krokodile. scheinlich ist es auch das grösste von allen. Ein im Kuilu unmittel- bar unterhalb der Mpilemündung hausendes Ungeheuer, welches seit langer Zeit schon den Flussfahrern bekannt ist und für verzaubert gehalten wird, mag wol an sieben Meter messen. Ich habe das in keiner Weise zu überlistende Thier verschiedene Male gesehen. Das Ngändu ist mit dem Tschimbölo (C. vulgaris) ausserordentlich häufig, namentlich in den stillen Seitengewässern des Kuilu. Wenn man an einem stillen sonnigen Mittage recht leise auf dem schmalen vielge- wundenen Nänga entlang fährt, kann man in ein paar Stunden allein schon mehrere Dutzend grosser Krokodile — die kleineren zählt man gar nicht mehr — von den hohen Uferleisten in die Tiefe schiessen sehen. Nirgendswo sollen sie aber in solcher Menge vorkommen, wie in einem stagnirenden einsamen Wasserlaufe einige Tausend Schritt unterhalb Böma am Congo. Exemplare von fünf bis sechs Meter Länge darf man getrost zu den allergrössten rechnen; das äusserste Wachsthum konnten wir nicht genau bestimmen, da wir verschiedene angeschossene Riesen- thiere nicht in unsere Gewalt bekamen. Ausser einem lauten, dem unserer Gänse ähnelnden Zischen klei- nerer Krokodile, haben wir nie einen Ton vernommen, den wir ihnen mit Sicherheit hätten zuschreiben können. Von den Eingeborenen liess sich nichts Zuverlässiges darüber erfahren; denn die Meinungen waren sehr getheilt. Die Leute kümmern sich überhaupt auffallend, wenig um die verrufenen Panzerechsen; nur die Fischer hassen sie, weil sie als sehr geschickte Räuber ihnen die Fische vertreiben und die Fanggeräthe in Unordnung bringen. Den Krokodilen am nächsten an Grösse stehen die Varane oder Warneidechsen — mbambi pl. simbambi, durch den Zusatz tschi mti als Baumkletterer bezeichnet. Wir haben nur eine Art kennen ge- lernt: Monitor saurus (Abbildung II 81), die eine Länge von mehr als zwei Meter erreicht. Es sind behende und kluge Thiere, die allent- halben, aber nirgends häufig in der Savane leben. Als gute Läufer und geschickte Kletterer wissen sie sich zwischen Gras und Busch den Nachstellungen hurtig zu entziehen; kaum wird man sie gewahr, so sind sie auch schon verschwunden. Auf lockerem Boden ist ihre Fährte leicht zu verfolgen, da ihre Krallenfüsse wie der in Schlangen- windungen nachschleppende Schwanz charakteristische Spuren zurück- lassen. Es ist immerhin wichtig, dies zu beachten, weil Mancher sonst, durch die Grösse des flüchtig erblickten Thieres getäuscht, in den Glauben verfallen könnte, fern vom Wasser ein über Land wandern- des Krokodil erblickt zu haben. Varane. Agamen. 275 Der Monitor zeigt unter Umständen anerkennenswerthen Muth. Auf einer in ziemlicher Ausdehnung vegetationslosen Strecke der Bänyanehrung trafen wir, vom Strande aufsteigend, zufällig mit einem zusammen und konnten den eilig entfliehenden einholen. Sobald er uns. nahe wusste, stellte er sich und machte Front. Er war ent- schlossen, sich zu wehren. Giengen wir unter drohenden Geberden auf ihn los, so that er einen ungestümen Sprung gegen uns und suchte, unter lautem Fauchen und Zischen, durch heftiges Auf- und Niederwerfen des Vordertheiles abzuschrecken. In solcher Weise führte er gewissermassen grimmige Tänze auf, während der lange geschmeidige Schwanz den Sand schlug. Sein Gebaren erinnerte an das unseres in die Enge getriebenen Hamsters. Schritten wir rück- wärts, so behielt er uns im Auge, wendete dann und flüchtete; sobald wir ihm nachsetzten, stellte er sich abermals. Solche Tapferkeit bei einer Eidechse war mir neu, und ich konnte es nicht über mich ge- winnen, den unerschrockenen Burschen todtzuschiessen. Obwol der Vorgang sich in unmittelbarer Nähe des Wassers ab- spielte, zeigte der Monitor gar keine Neigung, sich in dasselbe zu stürzen. Die Eingeborenen behaupteten auch, nicht diese Art, son- dern eine zweite mit rothen Tüpfeln an Kehle und Bauch lebe in den Flüssen; beschuldigten diese aber und gewiss nicht mit Unrecht, dass sie ihnen sowol die Eier wie die jungen Hühner stehle Auch die Eier der Krokodile wie Seeschildkröten sollen sie ausgraben und ver- zehren. Dass die Varane grosse Räuber sind und nichts Lebendes verschmähen, was sie bezwingen können, ist gewiss. Eine ungemein anziehende kleinere Eidechse, die etwa dreissig, höchstens an vierzig Centimeter Länge erreicht, ist die Agama colo- norum var. nov. congica. Ihre Farbenpracht, ein meist unregelmässig vertheiltes Feuerroth, dunkel Stahlblau, Hochgelb und Fahlbraun, verbleicht bedeutend nach dem Tode und findet sich an den in Spi- ritus conservirten Exemplaren nur noch in schwachem Abglanz. Höchst anmuthig ist das Treiben der je nach Alter und Geschlecht sehr ab- weichend gezeichneten flinken und zierlichen Thiere, die immer an den Wohnstätten der Menschen sich aufhalten. Man sieht sie stets in Menge bei einander, im Sonnenschein ruhend, hin und wieder huschend, sich jagend; schnell verschwinden sie und tauchen ebenso unerwartet wieder auf. Sie sind nicht gerade scheu, aber doch viel zu unruhig, als dass sie zutraulich genannt werden könnten. Ihre hübscheste Bewegung besteht in einem eigenartigen Grusse mit dem klugen Köpfchen und dem Vorderleibe. Nähert man sich ruhig, so macht die spielende Gesellschaft sogleich Halt und wendet gr 276 Treiben der Agamen. ihre Aufmerksamkeit dem Störer zu. Die Vorderbeine werden breit “ gestellt, die Köpfe gehoben, und die beweglichen Schwänze fegen noch etliche Male unruhig hin und her. Und nun beginnt nach neugierigem Anschauen ein eifriges Nicken, ein muthwilliges, schnip- pisches Ducken und Aufrichten, dessen Heftigkeit sich steigert, je näher man kommt — bis plötzlich die vorderste Reissaus nimmt. Im Nu ist die so zierlich nickende und grüssende bunte Gruppe auf- gelöst, sind die Thierchen in Löcher und Ritzen geschlüpft. Aber nicht lange. Hier und dort schimmert schon wieder das Feuerroth einer Kehle, ein feines Köpfchen lugt hervor, und bald beginnt das reizende Spiel von neuem. Verhält man sich dann durchaus bewe- gungslos, so kommen die arglosen Geschöpfe Einem bis vor die Füsse; dann hört man sie auch bei ihren hurtigen Bewegungen ein kaum vernehmbares „pk pk“ ausstossen. f Wir fanden diese Agama ausschliesslich zu Landäna, namentlich am Mauerwerk einiger Häuser der französischen Missionen. Später beobachtete ich eine zweite Varietät, die statt des Feuerrothes ein mattes Weiss im Kleide hat, zu Kuängo am Bänya. Die erstere kommt auch am Gabun vor und ist besonders an den Küstenplätzen von Oberguinea sehr häufig. Nicht gerade schöne, aber doch recht interessante und sehr nütz- liche Thiere sind die Geckos (Hemidaktylus mabouia), welche in un- seren Baraken ihr Wesen trieben. Die kleinen fahlbraunen und schwarz getüpfelten, etwa funfzehn Centimeter messenden Eidechsen mit den grossen, hellen Augen laufen an senkrechten Wandflächen wie an der Unterseite von Balken und Brettern mit einer Sicherheit entlang, als wäre ihre Schwerkraft gänzlich aufgehoben. Nur an Glasscheiben haften sie nicht ganz so fest und fallen häufig ab; doch versehen sie es dann und wann auch einmal an rauheren Flächen, wenn sie gar zu gierig einem Insecte nachjagen. Sie halten ihre Standorte, bergen sich in bestimmten Schlupf- winkeln und kommen in der Regel erst bei einbrechender Dunkelheit hervor. Manchmal hört man dann ihr leises, kaum zu umschreibendes „tk tk“, während sie, freilich weniger anmuthig als die Agamen, da- bei mit dem Kopfe nicken, oder mit dem ganzen Körper hin und her rucken. Sie sind vollendete Jäger, gleich geübt im Beschleichen wie Bespringen einer Beute. Sobald eine Mücke, vielleicht an der Wand sitzend, erspäht ist, behält der Nimmersatt sie scharf im Auge. Be- hutsam die weitgespreizten Beine ablösend, vorschiebend und wieder anheftend rückt er Schritt vor Schritt näher; noch wenige Centi- meter ist er entfernt, da schiesst er mit unglaublicher Geschwindig- Zutraulicher Gecko. 277 keit vorwärts und erschnappt mit unfehlbarer Sicherheit den Blut- sauger. Es gewährt viel Vergnügen bei Lampenlicht dem Jagen der wunderlichen Geschöpfe zuzuschauen; bei einiger Vorsicht kann man dicht an sie herantreten und sie sogar bis zu einem gewissen Grade zähmen. Ein Gecko mit Stummelschwanz, der am Fensterloch vor meinem Arbeitstische hauste, nahm schliesslich ohne weiteres Insecten, die ich ihm an der Stahlfederspitze oder einem Grashalm darreichte. Er be- obachtete mich sogar späterhin und wusste genau, wenn ich ihm wieder einen Leckerbissen zurecht machte, auch gewöhnte er sich rasch an gekochtes Fleisch. Immer aber musste ich es ihm in der beschriebenen Weise bieten; legte ich es einfach auf die Verkleidung des Fensterstockes, so verschmähte er es. Andere seiner Art ver- mochte ich nicht derartig zu kirren. Der arme schwanzlose Gesell konnte den Fang wahrscheinlich nicht so erfolgreich wie jene betreiben; er duldete sie auch nicht auf seinem Reviere, sondern fiel Freibeuter wüthend an. Gegen eine stattliche grüne Mantis, deren Zähmung ich mir ebenfalls angelegen sein liess, empfand er lebhaften Hass und Neid, wagte sich aber natürlich nicht an das wehrhafte, ihm an Länge ebenbürtige Insect. Mit gierigem Auge folgte er jedem Bissen, den ich statt an ihn an jene gelangen liess und gab seinen Aerger c.urch ein lauteres „tk tk“ zu erkennen. Ich habe ihn später verloren; er kam bisweilen auch. am Tage aus seinem Verstecke, war dann aber sehr unbeholfen. Da wird ihn denn wol eine mein Zimmer öfters revidirende Meerkatze gefangen haben. Die Mantis griff und verzehrte sie jedenfalls, ehe ich dazwischen springen konnte und nahm auch noch eine riesige Spinne dazu. mit der ich bereits recht gute Freundschaft geschlossen hatte. Ausser den genannten und zwei Arten Chamaeleons kommen noch eine Reihe anderer Eidechsen vor, die mit allen übrigen Thieren im Anhange verzeichnet stehen. Von den Schildkröten — nküfu pl. sinküfu — und ihrem Treiben ist wenig zu sagen. Die wolschmeckende grosse Seeschildkröte (Che- lonia mydas), deren oder deren nächsten Verwandten schöne Schwimm- bewegungen man in allen wärmeren Meeren bewundern kann, besucht den Strand der Loangoküste zu Anfang der Regenzeit — October und November —, um ihre Eier abzulegen. Sie ist weit seltener an den südlichen Strecken, wo die südatlantische Strömung herrscht, als an den nördlichen, welche die Fortsetzung des Guineastromes bespült. Zwei Arten grosser Lederschildkröten (Trionyx triunguis und T. nilo- tica) leben in Flüssen und Seen; eine andere Art mit vollkommen 278 Schildkröten. Frösche. verknöcherten Schildern beobachteten wir mehrfach auf den Klippen im Gebirgsbett des Kuilu besonders unterhalb Buümina. Die riesigen Thiere waren zu scheu, als dass wir uns hätten ihrer bemächtigen können. Eine schwarze Sumpfschildkröte (Sternothoerus derbianus) und eine andere kleine, sehr hübsch gezeichnete mit beweglichen Klappen am Hinterende des Rückenschildes (Cinixys erosa) — mbü- lu-töbe pl. simbülu-töbe — wurden uns nicht häufig gebracht. Die letztere gleicht einer Landschildkröte, lebt aber nach Aussage der Eingeborenen auch in Flüssen und Lachen, aber nie im Brackwasser; sie soll sich beim Austrocknen der Tümpel sogar in den Schlamm vergraben. Diejenigen, welche wir auf der Station hielten, bewegten sich im Wasser geschickt, obwol sie Beine haben, die nur für eine Lebensweise auf dem Lande geeignet erscheinen. Ihr Fleisch wird von den Leuten sehr gerne gegessen. Das farbenschöne feste Schild- gehäuse würde sich trefflich zu Schmuckkästchen eignen. Das lärmende „koax koax murkekekek“ und das schwermüthige „U-unk“ unserer Frösche und Unken vernimmt man in Loango nicht, so wenig wie in anderen Tropengegenden. Die dort heimischen Ver- treter der in gemässigten Klimaten so fleissigen Teichmusikanten be- theiligen sich überhaupt nicht am Naturconcerte, oder spielen doch dabei gar keine wesentliche Rolle. Ihr gelegentiiches Stöhnen, Aechzen und Grunzen kommt kaum zu Gehör. Nur einen Laubfrosch (Hylam- bates Aubryi) habe ich im Verdacht, dass er ein ungemein lautes Plärren hervorbringt; er übt aber seine Kunst stets vereinzelt aus. Bisher sind von unseren gesammelten Batrachiern dreizehn, darunter zwei neue Arten, bestimmt. Der grösste Frosch ist Rana occipitalis (hydraletis); gemein ist auch der Sporenfrosch (Xenopus calcaratus) und eine Kröte (Bufo guineensis). Ehe ich zu den Fischen übergehe, will ich hier einige Mitthei- lungen über Seesäugethiere, Walarten einschalten, die zeitweilig an der Loangoküste gesehen werden. Einige Hundert Meilen westlich von der Mündung des Congo beginnt ein den Walfängern wolbe- kannter Fischgrund, wo noch vor einigen Jahrzehnten der Potwal (Physeter macrocephalus) mit Erfolg gejagt wurde. Von dort mögen sich dann und wann sowol Sonderlinge wie kleine Schulen junger, wahrscheinlich weiblicher Thiere bis in die Nähe der Küste verirren. Die genauen Beschreibungen der Eingeborenen lassen keine andere Deutung zu; überdies wiesen verschiedene erfahrene Männer unter einigen ihnen vorgelegten flüchtig entworfenen Umrisszeichnungen ohne Besinnen auf die richtige hin. Auch sind eine Reihe von Ge- schichten im Umlauf, nach welchen eben diese Wale weit draussen im Potwale. Delphine. 279 Meere fischende Canoes umgeworfen und zerbissen haben sollen. Schon Proyart gedenkt dieser in den Berichten der Missionen vor einem Jahrhundert angeführten Unfälle. Das gelegentliche Vorkommen dieser Walart in der Nähe der Küste und in verhältnissmässig sehr flachem Wasser ist insofern in- teressant, als sie gewöhnlich nur die allertiefsten Meerestheile aufsucht. Es giebt jedoch Ausnahmen. Im Juli ı868 trieb sich mehrere Tage lang ein starker Potwal im Long Island Sound bei New York umher und verübte mancherlei Unfug an Segelbooten. Wichtiger ist, dass ich im August ı874 in der schmalen Strasse zwischen Fernando Po und dem Festlande, nicht drei Meilen vom Hafen entfernt, zwei mittelgrosse Potwale und etwa acht Tage später einen gewaltigen alten Burschen gerade unter dem Aequator, westlich von der Insel St. Thom& beobachtete. Der Capitän des Dampfers versicherte mir, dass er bei seinen Fahrten, die ja vorzugsweise in der Nähe der Küsten entlang führen, Wale gar nicht so selten auf der Strecke von den Niger- mündungen bis zum Congo erblicke; freilich konnte er die Arten nicht unterscheiden. Ein anderer auf der Höhe der Loangoküste vorkommender Wal ist der Buckelwal, wahrscheinlich Balaenoptera longimana. Er wird auch in jenem Gebiete von Walfängern aufgesucht. Ich habe selbst zweimal von unserem Gehöfte aus die in ihrer Gestalt wie in ihrem Treiben durchaus charakteristischen Thiere etwa sechs bis acht Meilen entfernt spielen und „weisses Wasser“ werfen sehen. Am häufigsten besucht die Küste ein etwa drei Meter Länge er- reichender Delphin. Sicherlich ist es nicht Delphinus delphis, sondern eine stumpfschnauzige Art — obwol auch keine Phocaena — und wahrscheinlich der mir durch sein ähnliches Betragen von america- nischen und anderen Küsten wolbekannte Cowfish der Walfänger: Tursiops Gillii Dall. oder eine nahestehende Species. Wie diese, „run- den“ sie ruhig beim Auf- und Niedertauchen und vollführen gar keine lustigen Sprünge wie die bekannten lebhafteren Delphinarten*). Sie ziehen in kleinen Schulen, vielleicht acht und zehn bis zu zwanzig mit einander und locker verstreut so dicht am Strande entlang nach Süden oder Norden, dass sie bisweilen hart an die Brandung gerathen. *) Delphinus delphis und andere spitzschnauzige Verwandte beobachtete ich dagegen während der Fahrt nach Loango südlich vom Cap Verde auf den Great Jeba Flats vor der Mündung des Cacheo, und südlich vom Cap Leone auf den berüchtigten Shoals von St. Ann und zwar in so erstaunlich grossen, nach Tausenden zählenden Schulen, wie ich sie nur noch bei ihren Wanderzügen um Cap Horn bemerkt habe. (Näheres in: Wale und Walfang; „Das Ausland“ Jahrgang 1871/72). 280 Verbreitung charakteristischer Seefische. Im September 1875 sah ich sie mit einkommender Flut sogar über die unruhige Barre und etwa tausend Schritt weit den Kuilu stromauf gehen. Sie zeigten sich zu allen Jahreszeiten, manchmal mehrere Tage hintereinander, manchmal wochenlang auch gar nicht; während der Trockenzeit erblickten wir sie etwas seltener, aber wol nur deswegen, weil während dieser das Meer gewöhnlich heftiger bewegt ist und somit die Beobachtung erschwert wird. Es gelang uns nicht, eins der Thiere zu erbeuten (II 95). Von den Eingeborenen ist auch keines zu erhalten, da diese den Delphi- nen — ngülu-mpütu pl. singülu-mpütu: Schwein des Meeres — durch- aus kein Leid zugefügt wissen wollen; denn sie rühmen von ihnen, dass sie die Fische herantreiben und in die Netze jagen, und behaupten, sie kämen sicherlich lange Zeit nicht wieder, und es würde kein guter Fang mehr gemacht, falls man einen verwunde oder tödte. Die Fische — mfü pl. simfü — lassen sich natürlich nur aus- nahmsweise eingehender beobachten, und man kann in der Regel blos ihr Vorkommen nachweisen. Das Erblicken und Erlangen derjenigen, welche im Meere leben und zu gewissen Zeiten in Schwärmen die Küste besuchen, wird durch die nimmer ruhende Brandung, die Caiema, in hohem Grade beeinträchtigt. Nur an wenigen günstigen Tagen kann man überhaupt mit dem Canoe ohne Gefahr die schäumenden Brecher überwinden. Ein geübter Schwimmer und Taucher vermag dies eher zu vollbringen, ist aber nicht im Stande, auch zugleich Untersuchungen anzustellen. Immerhin ist mit Sicherheit festzustellen, dass gewisse auffallende, für die Temperatur empfindliche — oder doch von dieser abhängiger Nahrung nachgehende — Fischarten südliche oder nördliche Strecken - der Küste bevorzugen. Die schwankende Grenze ihrer Verbreitung liegt durchschnittlich zwischen Longoböndo und Tschilünga, verschiebt sich aber zuweilen nördlich bis zum Cap Matüti, südlich bis zum Kuilu oder bis zur Bai von Loango, in sehr seltenen Fällen sogar bis zur Bai von Cabinda (Seite 16). In der kühlen südatlantischen Strömung zeigt sich dann und wann blos ein vereinzelter fliegender Fisch (Exo- coetus acutus), ein Verirrter, während nördlich von der Tschilüngabai, im März und April 1876, in dem bis dahin vorgedrungenen Guinea- strom ganze Schwärme derselben aufschwirrten. Dort jagten auf sie die im Süden nie gesehenen gefrässigen Makrelenarten: die über- meterlangen durch die Pracht wie die Wandlungen ihrer Farben aus- gezeichneten Doraden (Coryphaena hippurus) und die kleineren in satterem Farbenschmucke prangenden Boniten (Scomber pelamys), während im Bereiche der südatlantischen Strömung blos schmucklose Doraden. Lootsenfische. Hundshaie. 281 Verwandte: Caranx amblyrhynchus, Lichia amia, Micropterix chry- surus verweilen. Wie in anderen Meeresgebieten musste ich auch bei Yumba die wahrhaft ungeheuren Sprünge der ebenso behenden wie kraftvollen Doraden bewundern, welche bei der Verfolgung der geängstigten Flieger aus spiegelglattem Meere sich im hohen Bogen gewiss funf- zehn und vielleicht zwanzig Meter weit durch die Luft schnellen. Der herrlich schimmernde Fisch leuchtet dabei im Sonnenglanze wie ein polirtes Metallstück; Sprünge von solcher Gewalt und Schnelligkeit und in so unmittelbarer Folge vermag ihm kein anderer auch nur annähernd nachzuthun. In demselben Gebiete sah ich auch zum ersten Male wieder die zu der nämlichen Familie gehörigen Lootsenfische (Naucrates ductor), die merkwürdigen Begleiter der Haie, deren einer sich denn auch sofort zu uns gesellte und dicht vor dem Buge unseres kleinen Küsten- fahrers von Kunkuäti bis in die Yumbabai mitschwamm. Aus dem Wasser aufragende charakteristische Rückenflossen verriethen die grossen Haie, die um uns ihre Kreise zogen, und kleinere Hundshaie (Seyllium) kamen frech bis an die Schiffsseite. Einem derselben, der sich eines Morgens zu hoch wagte, zerschmetterte ich mit einem Schrotschusse den Kopf. Ehe noch das sich überwälzende Thi:r in die Tiefe versinken konnte, erfassten wir es mit dem Bootshaken, griffen und hoben es an Deck. Der schlimme Räuber wurde mit kundiger Hand geöffnet; sein Frühstück: sieben unverletzte, eben erst gefangene heringsähnliche Fische (Alausa spec.?), liessen wir uns nun als Morgenimbiss trefflich schmecken. Mehrmals zeigte sich auch ein über zwei Meter langer Pfeilhecht in unserer Nähe, welcher der mir von Westindien her wolbekannten, wegen ihrer Raubgier und ihres zeitweilig giftigen Fleisches berüchtigten Barracuda auffallend ähnelte; Sphyraena afra, die bei Tschintschötscho, Landäna und Cabinda ge- fangen wird, war es nicht. An der nämlichen Küstenstrecke, besonders aber in der Yümbabai und in den unteren Theilen der Bänyalagune kommt ferner ein See- ungeheuer vor, welches den Fischern grosse Furcht einflösst. Es tödtet und betäubt Menschen, ohne sie zu beissen oder zu schlagen, und selbst ein auf dem Strande liegendes, fast verendetes, vermag den stärksten Mann im Nu ohne äussere Gewalt zu Boden zu werfen. Von den zahlreichen Eingeborenen, welche im Bänya während der Trockenzeit nach Austern tauchen, fällt dann und wann einer dem Thiere zum Opfer. Man erzählt, dass dieses sich am Grunde auf den Leichnam lege und ihn erst nach einigen Tagen wieder freigebe; es 282 Elektrische Fische. Hairochen, erreiche eine solche Grösse, dass bisweilen vier Männer nicht im Stande seien, es fortzutragen. Die Leute essen das Fleisch nicht, aber die weniger wählerischen Kruneger der englischen Factoreien zu Kuängo rühmten es mir sehr. Erkundigungen und entworfene Zeichnungen stellten es ausser Zweifel, dass das Ungeheuer ein Zitter- rochen sei. Mässigere von Fischen ausgehende elektrische Entladungen kennen überdies die Bewohner der Loangoküste recht gut: ein elektrischer, etwa spannenlang werdender Fisch — ndeke pl. sindeke — findet sich in allen Gewässern des Landes ziemlich häufig. Ausserdem lebt ein grosser Zitterwels — nsömbo pl. sinsombo — im Congo und Kuilu, der gierig an die Angel geht, aber um der von ihm ausgetheilten Schläge willen natürlich einen sehr unwillkommenen Fang bildet, ob- wol sein Fleisch geschätzt wird. Den Fischer bringt er in grosse Ver- legenheit, da dieser ohne Ruthe angelt und die Schnur nicht losgeben will, weil damit zugleich der werthvolle Haken verloren wäre. Herr Lindner machte in seiner Factorei zu Porto da Lenha die unliebsame Erfahrung, dass sogar ein scheinbar todter Nsombo noch einen Un- vorsichtigen durch die Stärke seiner elektrischen Entladung zu Boden werfen kann, und hatte wenigstens die Genugthuung, zu beobachten, wie einem anderen ahnungslosen Europäer .von demselben Fische nach etwa zehn Minuten in der nämlichen Weise mitgespielt wurde. Von allen elektrischen Fischen vermochten wir nur den Ndeke zu erhalten, welchen Dr. Güssfeldt sammelte. Als den grössten allenthalben an der Küste vorkommenden Fisch darf man den Sägefisch oder Hairochen (Pristis antiquorum) — mbafu pl. simbafu — anführen, welcher ziemlich häufig zu sein scheint, in die Mündungen der grösseren Flüsse eindringt und im Bereiche des Brackwassers sich tummelt. Obwol er die Länge von drei Männern erreichen soll, fürchtet ihn doch Niemand. Ich sah in Yüumba eine sorgfältig aufbewahrte Säge von einem Riesenthiere, ein Cabinetstück, welches einhundertunddreiundneunzig Centimeter mass. Der glück- liche Besitzer, ein Ngänga, wollte sich um keinen Preis von ihr trennen, weil er sonst bei den Weibern in Ungnade gefallen wäre, da der Trophäe eine für Frauenangelegenheiten bedeutsame Kraft zuge- schrieben wird. Die Säge nennen die Leute analog den Palmwedeln sehr hübsch. litschyele li mbafu. Ein anderer riesiger sehr seltener Fisch, des Gleichen ich noch nie gesehen, wurde während unseres Aufenthaltes am Kuilu innerhalb der Mündung gefangen. Er mochte gut funfzig Kilogramm wiegen und war kurz, sehr hoch und fast viereckig geformt; bis zu einem gewissen Grade ähnelte er dem be- Schmackhafte Fische. Heringe, 283 kannten Mondfisch (Orthagoriscus), den ich ebenfalls am Kuilu und am Cap Matuüti beobachtete. Jenen merkwürdigen Meeresbewohner — nssöto pl. sinssöto — konnte ich leider nicht messen, noch malen, da er sogleich zerlegt wurde. Ein dritter sehr grosser und äusserst seltener Fisch — münd- schye pl. simündschye — wurde Anfang Mai 1875 am Strande bei Tschintschötscho gefangen, glich genau einem ungeheuren Spiegel- karpfen und bildete für die zwei Männer, welche ihn in einer Hänge- matte an unserem Gehöfte vorübertrugen, eine fast übermässige Last. Die goldbraun glänzenden Schuppen der Mittelreihe waren so gross wie Handteller. Die Träger wollten nicht anhalten, noch Rede stehen; denn die kostbare Beute muss sogleich, und zwar lebend — man hatte darum in das Maul einen nassen Grasbüschel gesteckt, und Knaben liefen nebenher, welche Salzwasser über das trocknende Thier gossen — an die Fürsten des Landes abgeliefert werden. Weder das Volk, noch Europäer dürfen davon essen. Zu spät erfuhr ich, dass es durch einflussreiche Vermittelung mir möglich gewesen wäre, in einem nicht zu entfernten Dorfe sowol den kostbaren Fisch zu untersuchen und zu malen, wie beim Verspeisen theilzunehmen. So erhielt ich nachträglich nur eine Anzahl der prächtigen Schuppen. Ein anderer gewichtiger, wegen seines vorzüglichen Woülge- schmackes von Farbigen und Weissen hochgeschätzter Fisch — mblöndo pl. simblöndo —, der einem Lachse täuschend ähnlich ist, wird während der Regenzeit dann und wann bei Landana und Ca- binda gefangen. Wir schätzten einen kleinen Fisch am höchsten, dessen Fleisch an Zartheit und Würze unvergleichlich genannt werden kann. Er wurde zu allen Jahreszeiten, aber zu unserem Leidwesen niemals häufig gefangen; auch er ist erlesene Speise der Grossen des Reiches, das Volk darf ihn nicht essen; und wir erhielten ihn nur durch günstige Schickungen. Es ist der zur Familie der Umberfische (Sciaenidae) gehörende Pentanemus quinquarius — nlombo pl. sin- dömbo. Der gemeinste Fisch im Bereiche der südatlantischen Strömung, der während der Regenzeit, besonders von November bis Februar in grossen Schwärmen erscheint, ist der westafricanische Hering (Pellona africana) — tschibele pl. bibelee Auch er ist gut zu essen, und wie bei uns entsteht in den Küstendörfern ein wahrer Aufruhr, am Meere ein reges Leben, wenn bei schwacher Calema die entlang ziehenden Schwärme entdeckt werden. Bei glatter See ist das „Blinken“ der Nahenden schon in weiter Ferne wahrzunehmen. Mit den grossen schweren Schleppnetzen, deren Auslegen und Einbringen 284 Seltsame Fische. Trommler. stundenlange schwere Arbeit erfordert, werden freilich selten genug ganze Scharen umgarnt, die dann in Haufen am Strande aufge- schichtet liegen und grösstentheils in die Räucherhütten wandern. Auch andere Fische fördern die Netze zugleich aufs Trockene: den wunderlich gestalteten Argyreiosus setipinnis; einen hässlichen Angler oder Froschfisch (Batrachus congicus), eine neue Species; wol- schmeckende Seezungen (Citharichthys spilopterus) — lukämi pl. sinkämi; Seeaale — tschiküssi pl. biküssi — und zwar Muraena melanotis wie den braunen, mit schwarzen Querbändern gezeichneten Ophichthys semicinctus; verschiedene Rochenarten, besonders: Rhinobatus Halavi, Narcine brasiliensis, Pteroplatea hirundo, Trygon margarita und junge Haie, namentlich Acanthias vulgaris sowie den Hammerhai (Sphyrna zygaena). Uebrigens hegt auch an der Loangoküste kein Mensch irgend welche Furcht vor den berüchtigten Haien. Seltener werden gefangen der schönfarbige Hornfisch (Balistes maculatus) und die originellen Gymnodonten: Tetrodon guttifer und T. laevigatus, welche durch Einschlucken von Luft ihren Leib zu ungeahnter Grösse auf- blähen können. Man hütet sich vor dem Genuss dieser drei Fisch- arten, da ihr Fleisch unter Umständen ausserordentlich giftig wirkt. Ohne die Aufzählung hier noch weiter auszudehnen, will ich nur noch eine Art erwähnen, welche die Redensart „stumm wie ein Fisch“ zu Schanden macht. Während dreier stiller Nächte hörte ich (März und April) im Bereiche des Guineastromes, weit ab vom Strande und dem Tosen der Calema, die sogenannten Trommelfische. Das eigen- artige Geräusch, welches sie hervorbrachten, war verschieden von dem des grossen americanischen Trommelfisches (Pogonias chromis), aber nicht minder laut. Freilich habe ich dieses niemals als eine musikalische Leistung empfunden, auch nicht jenes ungleich tönendere des noch unbekannten Trommlers der Südsee. Es besteht keine Spur von Aehnlichkeit mit Orgel- oder Glocken- oder Harfenklängen; dennoch sind die Laute wunderbar genug. Will man sie recht scharf unterscheiden, so muss man das Ohr fest an den Schiffsbord drücken. Besser ist es, ein Boot, ein breites Ruder in das Wasser zu senken und das freie Ende mit den Zähnen zu beissen, am besten vom Boote aus gleich den Kopf bis über die Ohren in das Meer zu tauchen — rückwärts natürlich, um athmen zu können. Da vernimmt man denn in der dunkeln Flut ein aliseitiges wirr durcheinander gehendes Knurren und „Murksen“ mit einem leichten Knirschen und Karren versetzt, etwa wie es die Langusten hören lassen. Die Eigenart des Lärmes ist nicht zu be- schreiben und kaum zu vergleichen; am meisten ähnelt er noch dem Labyrinthfische. Grundeln. 285 Schroten der Pferde vor gefüllter Krippe. Die einzelnen Laute würde man wol überhören, die unendlich vielen werden sehr deutlich. Un- unterbrochen, dumpf, fast unheimlich kommen sie ringsum aus der Tiefe, Stunden lang, die ganze Nacht. Dies ist der besondere Lärm, den der Trommelfisch an der Loangoküste erzeugt. Der des Pogonias, ‘namentlich in der Nähe der Antillen, Floridas und im Caraibischen Meer klingt heller und erinnert an Gurgeln und Glucksen; der des Südseetrommlers ent- spricht noch am nächsten einem Klange und mischt sich von nah und fern zu einem bald anschwellenden bald wieder leiser werdenden, nicht ganz unmelodischen Summen. Ueber die, ausser den schon angeführten elektrischen, -in den Flüssen und Seen lebenden Fische ist nur noch wenig hinzuzufügen. Ein Labyrinthfisch und naher Verwandter des indischen baumklet- ternden Anabas ist Ophiocephalus obscurus; er geht im Nothfalle über Land und wird von den Eingeborenen manchmal auf dem Trockenen gefunden. Ganz regelmässig marschirt dagegen durch Gestrüpp und Gras der bekannte merkwürdige Lungenfisch (Lepido- siren), Protopterus annectens, — nsele pl. sinsele. Von Ende December bis Mitte Februar — also in der Zeit der schwächeren Niederschläge zwischen den kleinen und grossen Regen — wurden uns die grossen Thiere in Menge gebracht: einem jeden war durch einen Schlag mit dem Buschmesser der Schädel gespalten. Die Eingeborenen be- haupten übereinstimmend, der Protopterus wandere blos des Nachts, wenn es geregnet habe oder regne, gehe aber selbst über Hügel und bewege sich genau im Gänsemarsch: mueka mueka, einer hinter dem anderen. Sie glauben übrigens nicht, wie andere Bewohner Africas von dem nach Livingstone in ähnlicher Weise ziehenden Clarias ca- pensis, dass die Fische vom Himmel gefallen seien, sondern sind sehr wol darüber unterrichtet, dass sie aus dem einen Gewässer kommen und sich stracks nach dem nächsten begeben. Auch wissen sie, dass die Sinsele sich in den Schlamm einwühlen und, wie sie sagen, im Trockenen schlafen. Bemerkenswerth ist, dass gerade während der Wanderzeit die Tümpel keineswegs austrocknen, sondern sich erst recht zu füllen beginnen. Alle vorgenannten Fische übertrifft durch ihre Vorliebe für das Land, frische Luft und Baumklettern und durch die Gewandtheit ihrer Bewegungen eine kleine, an fünfzehn Centimeter lang werdende Grundel (Periophthalmus papilio — nködschi pl. sinködschi. Das drollige Thier bemerkte ich zuerst an den Nigermündungen, fand es aber später an der Loangoküste innerhalb aller Flüsse und deren 286 Gebaren der Grundeln. Seitenarmen, aber nur im Brackwasser, jedoch nicht in abgelegenen oder übermässig salzigen Lagunen. Mit besonderer Vorliebe hält sich der seltsame Fisch in den Mangrovenbeständen auf. Namentlich bei Ebbe und stillem Wetter erscheint er dort zu Dutzenden auf den frei gewordenen flachen, nassen Uferstrecken, ge- wöhrlich am Rande und im Schatten der Rhizophorendickungen, innerhalb deren er wol jederzeit sein Spiel treibt. Er vermeidet aber trockenen sowie mit Gras und Kraut bewachsenen Boden. Gewöhn- lich halten sich die Fische gleicher Grösse in gesonderten, mehr oder weniger zahlreichen Abtheilungen bei einander. Fühlen sie sich sicher, so hüpfen sie unter geringem Krümmen und Strecken des Körpers, indem sie sich auf Schwanz und Flossen stützen, in ganz kurzen Sätzen vorwärts und hinterlassen dabei im weichen Schlamme eine charakteristische Fährte; oder sie liegen behaglich und beliebig ver- streut umher. Dann thut der eine oder andere wie aus Uebermuth einen Sprung, und zuweilen hüpfen viele wie spielend und sich jagend durcheinander. Dabei geschieht es, dass der eine oder andere Fisch vom Boden an eine Magrovenwurzel springt und sich dort, etwa um die eigene Körperlänge über der Erde hängend, mit seinen Flossen festklammert. Wie die Thiere höher steigen, habe ich nie beobachten können, vermuthe aber, da sie nur an schwachen Wurzeln sitzen, dass sie durch Umfassen mit den Flossen und Schieben mit dem Schwanze sich hocharbeiten. Jedenfalls habe ich gesehen, dass erschreckte Fische meterhoch herabfielen. Ich zweifle auch nicht an ihrer Fähig- keit, stundenlang ausserhalb des Wassers zubringen zu können; denn vom Tschiloango gebrachte hüpften noch in Tschintschötscho munter auf dem Tische umher. Sie sind übrigens recht scheu und sichern bei Annäherung von verdächtigen Wesen in drolliger Weise, indem sie sich mittelst der Flossen aufrichten. Steht man still und erschreckt sie durch Husten, Pfeifen oder Klopfen, so ducken sie sich wol auch schnell wieder nieder, verharren so oder entfliehen mit sehr hurtigen Sprüngen ins tiefe Wasser, wo sie im Nu verschwinden. Die Weite der sehr schnell auf einander folgenden Sprünge mag das Doppelte und Dreifache der Körperlänge, vielleicht noch mehr betragen. Bei eiliger Flucht durchmessen sie flaches Wasser, in welchem sie recht gut schwimmen könnten, dennoch ebenfalls hüpfend und erzeugen dadurch, nament- lich wenn man ihrer viele vor sich hertreibt, ein ganz lustiges Ge- plätscher. Sie sind zu wachsam und zu flink, als dass man sie ohne umständliche Vorbereitungen unversehrt lebend fangen könnte. Die Nadelfisch., Seekrabben. 287 langen Flossen, der erhobene, mit enggestellten und vortretenden Augen versehene Kopf verleihen den sonst unscheinbaren Fischen etwas ganz Absonderliches. In den Felsritzen des Durchbruches von Ngötu entdeckte ich einen seltsamen Nadelfisch, der bei einer Länge von zehn und funf- zehn Centimeter doch nur einen grössten Durchmesser von drei bis vier Millimeter besitzt. Die durchaus nicht behenden und wenig _ biegsamen Geschöpfe liessen sich mit der Hand greifen. In manchen unter Wasser führenden Spalten und Klüften des Gesteines hielten sie sich in grosser Menge auf. Sie sind als eine neue Species be- stimmt worden: Doryichthys Falkensteini. Die wirbellosen Thiere des Gebietes kann ich vorwiegend nur in allgemeinen Zügen und nur einige Gattungen und Arten ein- gehender erwähnen. Die specielleren Beobachtungen, insonderheit die über die Einrichtung der Bauten und des Gesellschaftslebens der Ameisen und Termiten, finden besser in Fachzeitschriften ihre Ver- öffentlichung — sonst würde dieses Capitel zum Umfange eines ganzen Buches anschwellen. Auffällig durch ihr Treiben am Strande und in den Manglaren: werden zunächst die Krabben — nkäla pl. sinkäla. In bedeutender Menge findet sich eine Sandkrabbe (Ocypode rhomba), die allent- halben auf dem Strandwall, aber an manchen Stellen gewissermassen in Colonieen vereinigt lebt. Sie wohnt in Löchern, die freilich von dem darüber hinwaschenden Sturzwasser der |Wellen während der Flut oder bei schwerer Calema gänzlich eingeebnet werden. Verfolgt man die hurtigen, gelblichrothen Läufer, so flüchten sie auf kurze Zeit ins Meer oder graben sich eiligst in den Sand ein. Mehrere Arten Seekrabben, namentlich Neptunus diacanthus und N. validus, sowie Sesarma africana kommen besonders des Nachts, manchmal aber auch an trüben Tagen in grosser Zahl auf den Strandwall. Eine grosse fahlgefärbte Sesarma huscht gespenstisch über den Sand hin und macht muthig Front auch gegen den grössten An- greifer, wenn sie in die Enge getrieben wird. Unsere pommerschen 'Schäferhunde wurden nicht müde, die äusserst schnellen Thiere zu jagen und todtzubeissen; in hellen Mondscheinnächten erscholl durch das Tosen der Calema ihr Gebell oft stundenlang vom Strande herauf. Nördlich vom Kuilu habe ich auch Kinder des Nachts Krabben unter lautem Jubel mit brennenden Graswischen verfolgen sehen, in dem vergeblichen Bemühen, die flüchtenden zu versengen. Innerhalb der Flussmündungen findet sich im Bereiche des Brack- 288 Landkrabben. wassers, namentlich in den ihm am besten zusagenden Manglaren Gelasimus perlatus, der auch an den Wurzelgerüsten emporklettert und, wenn ich nicht sehr irre, Blätter und dünne Zweige der Man- groven benagt. Das Männchen, dessen eine Scheere zu übermässiger Grösse entwickelt ist, winkt mit dieser beim Laufen in höchst drol- liger Weise. Um vieles komischer nimmt sich aber eine andere Krabbenart (Dromia?) aus, die ich am Bänya beobachtete; beim Spazierengehen pflegt sie mittelst der hinteren, am Rücken ent- springenden Beinpaare einen Sonnenschirm über sich zu halten, welcher gewöhnlich aus einem halben Mangrovenblatte besteht. Flüchtet sie eilig, oder geht sie ins Wasser, so lässt sie das wunderliche Schutz- dach fallen. An denselben Orten lebt auch in Menge eine Art der bekannten Einsiedlerkrebse (Pagurus clibanarius), welche zur Sicherung ihres ungepanzerten Hinterleibes in irgendwo aufgelesenen Schneckenhäusern wohnen, mit denen sie unbehülflich umherziehen. Ein Riese des Krabbengeschlechtes ist die auf dem Lande hau- sende dunkelfarbige Cardiosoma armatum. Einmal im Jahre wandert sie zum Meere, um ihre Eier abweichen zu lassen. Während vieler Nächte des December und Januar tummelt sie sich allenthalben ver- streut zu Hunderten und Tausenden am Strande. In geschlossenen Heeren, wie es die in Westindien sehr gemeine Gecarcinus ruricola und die von Östindien bekannte, von uns aber auch am Kuilu ge- sammelte Cardiosoma carnifex thun soll, marschirt sie jedoch nicht. Sie wird als eine leckere Speise sehr geschätzt und von manchen Europäern an der Küste eigens für die Tafel gemästet. Die an- kommenden Krabben sind fett ”und wolschmeckend, die heimwärts ziehenden dagegen sehr abgemagert. Bemerkenswerth ist, dass Car- diosoma, weil ihr an der Loangoküste keine Wahl bleibt, ohne Zögern durch die stärkste Calema in das Meer steigt, während Gecarcinus Westindiens bei ihren in den Februar und März fallenden Wander- zügen möglichst brandungsfreie Strecken aufsucht. Ich habe sie übrigens auf Cuba und Guadeloupe — in wahrhaft erstaunlicher Menge bewohnte sie im Jahre 1867 auch die winzigen öden Keys des gefährlichen Hogstyreefs in der Caicos-Passage — in derselben Weise wie unsere Cardiosoma und nicht, wie vielfach berichtet wird, in ge- drängten, vor keinem Hindernisse zurückschreckenden Armeen an der Küste erscheinen sehen. Mit den mächtigen Fischnetzen der Eingeborenen werden manchmal zu riesiger Grösse*) entwickelte und das bekannte Knarren erstaun- *) Die grösste, die ich gemessen, hatte mit den Fühlern 1,38 m Länge; die Fühler hätten recht gut als Reitpeitschen dienen können, Quallen. Muscheln. 289 lich laut hervorbringende Langusten (Palinurus argus) — nköse mänya pl. sinkose si maänya — sowie oft in bedeutender Menge wolschmeckende Geisselgarneelen (Peneus monodon) — nköse pl. sinköse — auf den Strand gezogen. Im Brackwasser der Flussmündungen wie einiger in jüngster Zeit entstandener Lagunen sind Cirripedien (Lepas und Balanus) nicht selten und zwar ausschliesslich an Mangrovenwurzeln angeheftet. Am Vorlande von Landäna zwischen den von der Brandung um- tosten niedergebrochenen Gesteinsmassen finden sich vereinzelte Gor- gonien, Spongien, ein mässig grosser, mit kleinen Stacheln besetzter Seeigel und zahlreiche Turbellarien. Im Gebiete des Guineastromes nördlich von Tschilüngabai beobachtete ich eine bis Fernando Po allenthalben gemeine tellergrosse Scheibenqualle, einige Male auch die farbenschöne Physalia caravella und vielfach eine sehr hübsche matt- bläuliche Cydippe mit hell sepiabraunen Flossenkämmen und einseitig befransten Senkfäden, welche wie bei Eschscholtzia cordata roth punctirt waren. An einem stillen Apriltage schwärmten auf der Höhe von Cap Matüti auch Noctilucen (N. miliaris?) in ungeheurer Anzahl an der Oberfläche des Meeres, und Abends gab es ein herrliches Leuchten, weit stärker, als wir es jemals im Bereiche der südatlan- tischen Strömung bewundern konnten. Die mächtigen Roller der Calema wälzten sich wie feurige Wälle gegen den Strand und sprühten beim Zusammenbrechen wie geschmolzenes Metall. Die nimmer rastende Brandung scheint die Ansiedelung von Schnecken — liyele pl. mayele — und Muscheln = myili pl. miyili — am Küstensaume gänzlich zu vereiteln; denn man findet selten genug an den Strand geworfene Gehäuse. In den geschützten Win- keln der Baien von Cabinda, Pontanegra und Loango kommen sie dagegen vor und werden von umherwatenden Frauen und Mädchen eifrig gesucht. Dort sammelte ich mit deren Hülfe mehrere Arten Conus — ntöbe pl. sintöbe — Oliva — munänsa pl. minansa — Cy- praea — nköla pl. sinköla — und eine zart purpurfarbig angehauchte, mit gedrungenen Dornen bewehrte Murex — tschingolofo; ferner auch zwei Arten Miesmuscheln (Mytilus) — tschinka pl. binka und tschisöle pl. bisöle — eine Cardiumart — ngolobo pl. singölobo — und eine prächtig orangefarben abgetönte, mit feinen Stacheln be- setzte Spondylusart — tschingängala pl. bingängala. Sie alle werden gegessen; eine häufige Tonnenschnecke (Dolium) — likukula pl. ma- kukula — benutzt man jedoch nicht. Keine der angeführten, ausser Murex und Spondylus, zeichnet sich durch Farbenschönheit aus, und letztere sind wiederum sehr seltene Stücke. Loango. „III, 19 290 Käfer. Schmetterlinge. Spinnen, Grosse, und wenn sie einige Zeit im Seewasser gelegen haben, sehr wolschmeckende Austern myili pl. miyili — fischt man besonders in der Lagune von Tschissambo und im Bänya in bedeutender Menge. Während der Monate Juli, August, September werden sie korbweise zu Markte gebracht und um einen Spottpreis angeboten, obwol Jeder- mann sie begehrt. Einige Meilen aufwärts von der Mündung des Bänya namentlich entwickelt sich um diese Zeit ein reiches Leben; die Bevölkerung der Umgegend zieht an die Ufer, taucht nach Austern und räuchert die in erstaunlicher Fülle gewonnenen Thiere. Dort sind auch die Schalen in mächtigen Haufen aufgeschüttet, die oft buhnengleich vom Ufer ausspringen. Man wird durch sie lebhaft an die südamericanischen Sambaquis und die bekannteren nordischen Kjökkenmöddings erinnert. — Ueber die vorkommenden Insecten hat bereits Dr. Falkenstein einige Mittheilungen gegeben (II 96). Der grösste gesammelte Käfer (Goliathus giganteus), ein Riesenthier, ist sehr selten; häufiger be- obachtet man einen stattlichen, metallisch schimmernden Pillendreher (Ateuchus) auf den Campinenpfaden, wo er sich paarweise bemüht, seine bis sechs Centimenter Durchmesser haltenden Mistkugeln nach dem zur Versenkung erwählten Orte zu rollen. Hervorragend durch Grösse oder Farbenschönheit sind ferner viele Elateriden, Buprestiden und Lamellicornien, unter denen besonders einige elegante Oryctes- und Cetoniaarten auffallen. All ihre Pracht steht jedoch zurück gegen die der zahlreichen Baumwanzen, welche, neben einander gereiht, wie kunstvoll verziertes Geschmeide strahlen; leider verbleicht die Herr- lichkeit, sobald die Thiere getödtet werden. Unter den sonst so bunten Schmetterlingen herrschen dagegen fahle und gedämpfte Farben vor, mattes Gelb, Grau, Roth und Braun; reines leuchtendes Blau tritt selten auf. Sehr seltsamen Gestalten begegnet man unter den ohnehin wun- derlich geformten Fang- und Gespenstschrecken, von denen eine riesige Stabschrecke (Palophus Centaurus) und einige Blattschrecken (Phyllocrania) besonders zu nennen sind (Abbildung II 98). Sie wählen gern eine ihrer Form und der Farbe ihres grünen, fahlbraunen, grauen oder röthlichen Kleides entsprechende Umgebung: die Wurzelstöcke der Campinengräser, das todte Laub und Reisig des Waldes oder grünende und blühende Sträucher. Auch unter den Spinnen — nsi pl. sinsi — giebt es wunderlich gestaltete oder seltsamen Lebensweisen huldigende Geschöpfe. Meh- rere Arten sind mit halbmondförmigen hornartigen Auswüchsen versehen; hurtige Springspinnen geben sich nicht die Mühe, ein Netz Bienen. Grab- und Maurerwespen. 291 anzulegen, sondern erjagen ihre Beute namentlich an Hauswänden; eine andere bewegt sich auf lockerem Boden und vergräbt sich wie der in Menge vorkommende Ameisenlöwe — mfünu-masänga pl. simfünu-masänga — im Sande, um erspähte Kerbthiere zu belauern. Riesige schöngefärbte Kreuzspinnen spannen ihr ausserordentlich festes Gewebe, dessen glänzende Fäden man wie Seide aufwickeln kann, gern unter Dachvorsprüngen wie in den Ecken der Innen- räume auf, und ein wahres Ungeheuer, eine Mygale — nsi-ba pl. sinsi-ba — hält sich in den Kronen der Oelpalmen auf, wo sie mit Vorliebe den ausfliessenden süssen Saft saugen soll. Sie wird um ihres schmerzenden Bisses willen von den Palmenmost gewinnenden Leuten gefürchtet. Unter dem Heer der Fliegen, Bienen und Wespen — nsinsi pl. sinsinsi — werden manche durch ihr Treiben anziehend, viele aber auch unangenehm. Eine hummelähnliche graugelbe Holzbiene (Xilo- copa) höhlt mit unermüdlichem Eifer lange Gänge in Pfählen und anderem trockenen Holzwerk aus, um in sorgfältig abgetheilte, durch Querwände geschiedene Räume ihre Eier abzulegen. Eine mit langen zangenähnlich vorstehenden Hörnern bewaffnete Wespe (Synagris cornuta) ist, obwol stets einzeln fliegend, sehr verrufen, weil sie den auf Campinenpfaden Wandernden bösartig und heimtückisch an- greift. Honigbienen sind, wenigstens im Küstenstrich, verhältniss- mässig selten, und ihre süssen Schätze — nyösse — werden nicht häufig gehoben. Ein besonderes Interesse erwecken die Grab- nnd Maurerwespen (Pompilus, Sphex, Pelopoeus), welche in Löchern und Ritzen der Wände nisten oder Gänge in die Erde graben oder aus feuchtem Erdreich dickwandige Zellen aufmauern, in weiche sie durch Stiche betäubte Insecten zur Nahrung für ihre Brut einschliessen. Es ist bewundernswerth, mit welchem Fleisse, mit welcher Mühe die goldig, stahlblau oder auch grün schimmernden Räuber Thiere zu ihren Nestern schleppen, die weit grösser und schwerer als sie selbst sind. Die einen schaffen ausschliesslich bestimmte Arten von Käfern her- bei, die anderen nur Raupen, noch andere nur Spinnen. Namentlich Pelopoeusspecies kommen zutraulich in alle Zimmer, durchziehen diese schwebenden Fluges oder laufen mit schwirrenden Flügeln zierlich an den Wänden entlang und ebenso über Spinnengewebe; sie be- stehen mit den eiligst hervorstürzenden Verfertigern der letzteren grimmige Kämpfe, überwältigen sie jedoch schliesslich, betäuben sie durch Stiche und tragen sie davon. Leider befestigen sie ihre massigen Schlammzellen mit Vorliebe auch in Zimmern und selbst 19* 292 Grabwespen. Ameisen. an Büchern und Kleidungsstücken; ich habe dieselbe öfters aus Taschen und Aermeln der Röcke entfernen müssen. Manchmal er- wählten sie sich auch die meteorologischen Instrumente zur Anhefte- stelle für ihre Bauten und verfuhren dabei so eigensinnig, dass sie ihr Werk immer wieder von neuem begannen, so oft man es auch zerstörte. | Die Grabwespen, von welchen ich nur bestimmte glatthäutige Raupen einbringen sah, pflegen ihr Opfer zunächst vor dem Eingang des kleinen zum unterirdischen Bau führenden Erdloches niederzu- legen und vorerst allein in dieses zu kriechen. “ Nimmt man ihnen währenddem die Beute weg, so suchen sie einen Augenblick nach der verschwundenen, fliegen dann aber eiligst auf neuen Raub aus. Diesen Versuch kann man beliebig oft wiederholen, die emsigen Ar- beiter werden dadurch nicht verscheucht oder unlustig. Auch lassen sie sich nicht täuschen. Legt man ihnen statt der entfernten eine andere, aber getödtete Raupe der gleichen Art auf den näm- lichen Platz, so untersuchen sie dieselbe zwar nach ihrer Wieder- kehr aus dem Bau, nehmen sie aber nicht, sondern fliegen davon. Dasselbe geschieht, wenn man das einer anderen Grabwespe ent- führte Opfer hinlegt. Bringt man aber unversehrte Raupen in die Nähe auf die Erde, so bemächtigen sie sich dieser ohne Umstände nach einer flüchtigen Untersuchung. Selbstverständlich habe ich bei derartigen Experimenten die betreffenden Thiere nicht mit den Fingern, sondern mit ein paar Hölzchen angefasst, um den fein- sinnigen Räubern meine Einmischung nicht in zu grober Weise zu verrathen. — : Ameisen — nöna pl. sinöona — und Termiten — nküku pl. sin- kuku — darf man allgegenwärtig nennen. Nirgends ist man vor ihnen sicher, und sie zerstören trotz aller Vorsichtsmassregeln oft binnen weniger Stunden Sammlungen, die man .durch monatelange Bemühungen gewonnen hat. Sie erscheinen plötzlich an Orten, wo man sie nie erwartete, und bahnen sich heimlich Wege zu den best- verwahrten Schätzen; so nützlich sie auch im Haushalte der Natur sein mögen, dem Menschen bereiten sie nur endlose unangenehme Ueberraschungen und stiften in Handelshäusern oft bedeutenden Schaden. Grosse wehrhafte Ameisen überfallen in Scharen unachtsame Personen in Campine, Busch- und Hochwald: Von der Erde an ihnen hinauflaufend, von unvorsichtig berührtem Gezweig herabfallend, pei- nigen sie durch schmerzhafte Bisse, die unter Umständen zu rasenden Sprüngen und Bewegungen reizen. Die umherschweifenden und darum Treiben der Ameisen. 293 in ganz Westafrica berüchtigten Treiberameisen — tschisondo pl. bi- sondo — sind die schlimmsten von allen und zwingen sogar den Menschen, zeitweilig seine Wohnstätten zu räumen und seine Haus- thiere in Sicherheit zu bringen, wenn sie ihren Einzug halten. Die von Raub und Plünderung lebenden Vagabonden marschiren bis- weilen in wahrhaft ungeheuren Massen und vorwiegend in ein bis zwei Finger breiten, aber sehr lang gestreckten Colonnen. Auf den Hügeln im Rücken unserer Station beobachtete ich einmal Treiber, welche in dieser Weise zwei und einen halben Tag hindurch ununter- brochen von einem dornigen Hag nach dem Buschwalde in unserem Quellenthale zogen. Die dunkle Schlangenlinie der dicht an einander gedrängt vorwärts eilenden Thiere war über siebenhundert Schritt weit durch die Campine zu verfolgen. Lücken zeigten sich erst am dritten Tage in der Colonne, als zahllose Nachzügler die geschlossene Hauptmacht einzuholen strebten. Es wird erzählt, dass die Bisondo selbst grosse eingepferchte oder ruhende wilde Thiere, namentlich vollgefressene Schlangen überfallen, schliesslich tödten und in kürzester Zeit bis auf die Kno- chen verzehren. Ich habe indessen für derartige Erzählungen keine Bürgschaft erlangen können, vielmehr den Eindruck empfangen, als ob sie auf Irrthum oder Uebertreibung beruhten. Beim Fortschaffen von Zucker, Früchten und sonstigen in Gebäuden und Schränken verwahrten Nahrungsmitteln dürfte dagegen die Leistungsfähigkeit der aufs Beste organisirten Treiber von anderen Arten kaum erreicht werden; sie vermögen den Vorräthen einen ganz anderen Abbruch zu thun als die vielgescholtenen Bienen in unseren Zuckerfabriken. Eine kleinere fast schwarze Ameise errichtet ihre Baue unter- irdisch in der Campine, hält aber rings um den Eingang in ver- schieden grossem Umkreis — vielleicht bis funfzig Centimeter weit — den Boden rein und glatt. Die in ungeheurer Menge beisammen le- benden Thiere treiben zwar nicht eigentlich Ackerbau, sammeln jedoch Grassamen, wozu sie oft weite Wanderzüge unternehmen, und schaffen an schönen Tagen den Inhalt ihrer Kornkammern zum Trocknen auf den sonnigen Vorplatz ihrer Wohnung. Sie sind untrügliche Wetter- propheten: sieht man sie am Vormittag ihre Vorräthe herausbringen und lüften, so kann man sicher sein, dass vor Abend kein Regen fallen wird. Blattschneidende Ameisen habe ich nur drei Mal be- obachtet; merkwürdigerweise hatten die grossen dunkelbraunen Ar- beiter in allen drei Fällen die Blätter von Carica Papaya in Angriff genommen. Diese zerschnitten sie in etwa einen Quadratcentimeter grosse Stücke, die sie senkrecht zwischen den Mandibeln hochhaltend 294 Baue der Ameisen und Termiten. nach den ebenfalls unterirdischen Wohnungen trugen. Die weiteste Strecke, welche dabei die ununterbrochen auf einer etwa handbreiten Strasse marschirenden Colonnen zurücklegten, mass mit den Krüm- mungen einhundertundsiebenzig Schritt Länge. Lockere Haufen, wie unsere Ameisen sie zusammentragen, be- merkt man nicht; die bei weitem grösste Zahl der Colonieen sind in der Erde verborgen. Nur eine Art construirt sehr hübsche feste Erd- bauten, die schirmförmig und am Rande ausgezackt sind, und heftet sie in Stockwerken übereinander an das untere Ende dünner gesunder Bäume, oder errichtet sie auch freistehend auf alten Stubben (Abbil- dung II 80), selten aber auf ebenem Waldboden. Eine zweite Art, die in krankenden Bäumen haust, hängt in deren Astwerk grosse korb- oder tonnenähnliche Wohnungen. Termitenbauten erblickt man viel häufiger, nicht nur an Bäumen, sondern vornehmlich in der Grasflur. Es fehlen jedoch die auffallenden kegelförmigen Hochbauten der Termes bellicosus und verwandter Arten, die wahrscheinlich im Gebiete gar nicht heimisch sind; ich habe nur zwei alte gerundete Klumpen gefunden, die ihnen zugeschrieben werden könnten, doch besassen diese nicht einen vollen Meter Höhe. Einfach pilzförmige Termitenbaue — tschiküku pl. bikuku — sind dagegen auf manchen Strecken offener Campinen zu Hunderten ver- streut und widerstehen in Folge ihrer Gestalt und bedeutenden Festig- keit sowol den Grasfeuern wie den heftigsten Regengüssen. Nur wenige besitzen zwei Stockwerke. Sie sind verhältnissmässig zierlich (Abbildung I 88) und ragen durchschnittlich dreissig bis vierzig Cen- timeter auf; einen halben Meter misst wol kein einziger. Da das Vorland steinarm ist, benutzen sie die Eingeborenen als Unterlagen und Stützen für Kochgeschirr, bauen auch kleine Feuerstätten davon auf; grosser Hitze ausgesetzt, nehmen sie die rothe Farbe und Härte unserer Ziegel an. ; Entgegen den Ameisen vergreifen sich die Termiten nicht an der Person des Menschen; aber diejenigen, welche in die Gebäude eindringen — nselengo pl. sinselengo —, sind seinen Habseligkeiten weit gefährlicher als jene. Sie zerstören alles, was sie mit ihren Fresswerkzeugen zerkleinern können: Kleider, Stoffe, Lederzeug, Bücher und Holzwerk, sowol Hausgeräth wie Gebälk. Dabei gehen sie indessen so vorsichtig zu Werke, dass man ihr verderbliches . Treiben ohne regelmässig wiederholte eingehende Untersuchung aller Theile nicht gewahr wird, weil sie sich durch Wände oder Fussböden arbeiten und die Aussenseite der befallenen Gegenstände unversehrt lassen. Die frische Luft scheuen sie ausserordentlich, und überall, Schwärmen. Mücken und Schnaken. 295 wo sie dieser ausgesetzt sein würden, mauern sie sofort — wie es auch manche Ameisenarten thun — enge und ziemlich feste Röhren- gänge von der Erde auf, in welchen sie sich auch gegen etwaige Feinde gedeckt bewegen können. Beschädigungen derselben bessern sie jederzeit hastig aus, und wenn man das Ohr in die Nähe bringt, kann man ihr eifriges Arbeiten deutlich hören. Das beste Schutzmittel gegen Termiten und Ameisen sowie auch gegen die Schaben (Blatta orientalis) und anderes Ungeziefer ist nach unseren Erfahrungen Petroleum. So lange damit bestrichene Gegen- stände den scharfen Geruch bewahrten, flohen sie deren Nähe und mieden überhaupt tagelang frisch mit Petroleum ausgesprengte Zimmer. Die Schwärmzeit der Ameisen und Termiten fällt in die regen- reichen Monate, und dann giebt es namentlich für die kleineren Vögel reichliche Malzeiten, zu welchen sie von allen Seiten herbeifliegen. Es ist wol nur ein Zufall, dass wir niemals die geflügelten Hochzeiter in Myriaden ihren Bauen entsteigen und wolkengleich über dem Boden schweben sahen, wie es in anderen Gegenden beobachtet worden ist. Wo wir das Schauspiel zu Gesicht bekamen, bot es nichts Auffallendes. Das Schwärmen fand stets nur aus vereinzelten Bauen und an feuchten stillen Abenden statt; dann drangen die vom Lichte angelockten Kerfe manchmal zu Hunderten in die Zimmer, fielen dort nieder und verfolgten einander in hastigem Laufe, nachdem sie sich unter Drehen und Wenden ihrer zarten Flügel entledigt hatten. Derartige gar nicht abzuwehrende Besuche waren besonders ärgerlich, wenn man bei der Abendmalzeit sass, und die Thiere ohne Wahl auf Tisch- platte, Schüsseln und Teller, in Speisen und Getränke niederfielen. Noch mehr als Ameisen und Termiten lernt man die ebenfalls fast allgegenwärtig zu nennenden Mücken und Schnaken fürchten, die insgesammt unter dem Namen Mosquitos verrufen sind. Da man hinsichtlich ihrer Grösse den wunderlichsten Anschauungen begegnet, sei hier eingeschaltet, dass sie durchaus nicht grösser als die bei uns bekannten Arten und wahrscheinlich vielfach identisch mit ihnen sind; auf die Inseln der Südsee gelangten sie mit Schiffen erst vor funfzig und sechszig: Jahren. Blutsaugend und stechend treten nur die Weib- chen, nicht aber die Männchen auf. Sie sind auch keineswegs blos ein Fluch tropischer Länder: ich habe sie dort nirgends zahlreicher und bösartiger gefunden, als während des Sommers in nordamerica- nischen Gebieten sowie am Cap Horn, der Magalha6sstrasse, auf den Al&uten und den eisigen Gefilden um die Beringstrasse. Viel- leicht sind sogar die flachen wüsten Gelände der Polarregionen, die Tundren, als ihre schlimmsten Brutstätten zu betrachten, weil dort 296 Auftreten der Mosquitos. die Schwalben mangeln. Es kommt mir vor, als ob die in der Wild- niss vorkommenden überhaupt empfindlicher stächen, als die in Cultur- gebieten heimischen; denn die Annahme, dass in den Tropen die Haut viel reizbarer sei, fällt hinweg, da man in der Nachbarschaft des ewigen Eises nicht minder leidet. Wir haben in Tschintschötscho die Plage durch Abräumen der wilden Vegetation in der nächsten Umgebung wesentlich verringert und beobachtet, dass die Anlegung gepflegter Pflanzungen sie nicht zurückbrachte. Obwol die Mosquitos — lubu pl. simbü — in allen Monaten den Menschen peinigen, sind sie doch während der Regenzeit am uner- träglichsten. Tabacksrauch schafft kaum einige Abhülfe; besser wirkt schon ein das Zimmer vollständig füllender, freilich auch dem Be- wohner sehr lästiger Rauch, den das willig glimmende Mark der Adansenienfrüchte entwickelt. Volle Sicherheit gegen sie gewährt nur ein sorgsam geschlossenes Mosquitonetz von leichtem, aber dicht gewobenem Baumwollenstoff; denn Gaze hält die bisweilen in Unzahl erscheinenden Gnitzen nicht ab, die, trotz ihrer Winzigkeit, dem Menschen womöglich noch übler mitspielen — eine in Ungarn auf- tretende (Simulia colambacschensis Fabr.) hat durch ihre Angriffe auf Viehherden sogar grosse Verluste herbeigeführt, und gegen andere suchen nordamericanische Farmer in den New- Yersey Flats ihre Haus- thiere des Nachts durch Anzünden grosser Feuer zu schützen, in deren Rauch sich die Rinder drängen. Hochwald wie Buschwald und Campine, versumpfte wie trockene Bodenstrecken scheinen den Mosquitos gleich willkommen als Auf- enthaltsorte zu sein. Im wasserreichen dicht bewachsenen Gebirge kommen sie jedoch spärlicher vor; zu Kakamueka wie an stromauf liegenden Stellen des Kuiluthales wurden wir im September von ihnen nicht gequält. Es ist mir räthselhaft geblieben, warum sie etliche eng umgrenzte Oertlichkeiten, die in jeder Hinsicht für sie ein Paradies hätten sein müssen, zu allen Jahreszeiten streng ver- mieden. Einer derartigen‘ beneidenswerthen Freiheit erfreut sich bis- weilen auch ein bestimmtes, sonst durch Nichts vor anderen ausge- zeichnetes Gehöft, wie zum Beispiel eine Factorei zu Longoböndo, in welcher die Schlafstätten nicht einmal von Schutznetzen umgeben sind, deren Verwalter mir auf das Bestimmteste versicherte, dass niemals Mosquitos in das Gebäude eindrängen — und doch fanden sie sich kaum einige Hundert Schritt entfernt in Menge und so bös- artig wie gewöhnlich. Ebenso merkwürdig und unerklärlich war es auch, dass sie unser Einschleppung der Sandflöhe. 297 Gehöft bald in Massen heimsuchten, bald gänzlich verliessen oder uns nicht bemerkbar wurden. Der Wechsel vom Guten zum Bösen und umgekehrt vollzog sich bisweilen sehr rasch, binnen weniger Stunden, und zwar zu allen Jahreszeiten. Während besonders qualvoller Wochen gab es vereinzelte Tage oder Perioden von mehreren, an welchen Mosquiten gar nicht oder nur in geringem Grade zu spüren waren. Ihr Blutdurst äusserte sich jedoch gänzlich unabhängig vom Zustande der Atmosphäre; Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Bewölkung, Wind hatten mit ihm Nichts zu schaffen — obwol eine starke, am Abend nicht niedergehende Seebrise vermuthlich wenigstens den Zuzug fremder hungriger Besucher vereitelte. — Weit bedenklicher als die Angriffe der Mosquitos um ihrer oft gefährlichen, in den beiden vorangehenden Abtheilungen bereits mehr- fach erwähnten Folgen willen, sind die des Sandflohes (Sarcopsylla [Pulex] penetrans) — mfingo pl. simfingo. Das weibliche Thier bohrt sich in die Haut von Thieren und Menschen ein und reift dort seine Eier, wobei es bis zur Grösse eines Pfefferkornes anschwillt. Natur- gemäss wählt das an der Erde lebende Thier, welches etwa halb so gross als das Weibchen unseres gewöhnlichen Flohes ist und ent- sprechend kleinere Sprünge vollführt, vorzugsweise die Füsse zur Brutstätte und an diesen wieder die verborgenen mit weicher Haut bekleideten Stellen unter den Zehennägeln. Bei Unachtsamkeit treten bösartige Entzündungen sehr häufig ein, bei fernerer \ernachläs- sigung oder falscher Behandlung können diese Verstümmelung und selbst Verlust des Gliedes, unter Umständen schliesslich den Tod des Leidenden herbeiführen. Bevor die Leute mit der Gefahr und ihrer Abwendung (II 85) vertraut waren, verbreitete die neue Landplage unter ihnen gerechtfertigten Schrecken und schädigte den Handels- gang nicht unerheblich. Bemerkenswerth ist, dass das feiner organi- sirte weibliche Geschlecht in weit geringerem Grade unter den An- griffen des Thieres litt, nicht weil es denselben weniger ausgesetzt war, sondern weil es viel sorgsamer den übelen Folgen vorbeugte. Besonders interessant wird der im tropischen America heimische Sandfloh — dort als Chigoe, Chigre, Nigua, Piques berüchtigt — da- durch, dass sein Auftreten in Africa der jüngsten Zeit angehört, und dass seine Verbreitung vom Landungspuncte aus sich noch mit Ge- nauigkeit feststellen liess. Im September 1872 lief das englische Schiff „Lhomas Mitchell“, in Ballast von Rio de Janeiro kommend, wohin es Kohlen von England gebracht hatte, Ambriz an. Die Mannschaft wurde von Sandflöhen geplagt, welche auch an Besuchern des Schiffes sich festsetzten, und sowol mit diesen wie mit alten Kaffeesäcken an 298 Verbreitung der Sandflöhe. das Land gelangten. Binnen kurzer Zeit litten die Küstenbewohner bereits in entsetzlicher Weise, da sie ja zunächst die Ursache der Leiden noch nicht erkannten. Ei Noch vor Ende des Jahres waren die Sandflöhe südwärts bis S. Paulo de Loända, nordwärts bis zum Congo verschleppt; Mitte December traten sie bereits jenseits desselben zu Banäna auf. Ihre erste rasche und sprungweise Verbreitung fanden sie vorzugsweise durch Küstenfahrer, deren Bemannung mit ihnen behaftet war. Im Januar 1873 wurden sie an der Cabindabai bemerkt, von dort Anfang Februar mit einer Bootsladung Güter zu Pontanegra und am neunten desselben Monates an der Loangobai gelandet. Vier Wochen später hatte die neue Plage den Kuilu überschritten und sich auf der Re&is- insel wie zu Longoböndo eingenistet. An zwischenliegenden Orten erschien das Ungeziefer etwas später: Anfang April mit einem Boote zu Massäbe, erst Mitte Mai über Land zu Landäna. Von hier aus wurde es in weiten Sprüngen nach Norden verbreitet: Mitte Juni durch einen Küstenfahrer nach Yumbabai und von dort aus sogleich durch einen anderen nach dem Gabun, wo es im Juli auftrat. Im August des folgenden Jahres (1874), auf meiner Reise nach Loango, fand ich dort -mit dem mich vom Camerun aus begleitenden Professor Buchholz die ersten Sandflöhe. Ob sie sich unterdessen vom Aequator bis zum Camerun, wo sie um diese Zeit noch unbekannt waren, und weiter verbreitet haben, konnte ich nicht in Erfahrungen bringen, doch hatten sie sich im Mai des Jahres 1876, als wir auf der Heimreise begriffen waren, weder auf Fernando Po, noch am Flusse Old-Calabar, an den Nigermündungen und überhaupt noch nicht in Oberguinea gezeigt. Landeinwärts waren sie am schnellsten in jenen Gebieten ver- schleppt worden, in welchen die alten vielbegangenen Karawanen- strassen nach dem Inneren führen, vornehmlich also im Süden vom Congo. Im Jahre 1873 gelangten sie den Kuänsa aufwärts und hatten Ende 1875 fast Kassändschi erreicht. Am dritten October bemerkte , sie Herr Lieutenant Lux*) auf dem Rückmarsche zuerst wieder zwei Tagereisen westlich von diesem Orte am linken Ufer des Luhy, 17° 50' östlicher Länge von Greenwich. Stanley lernte sie am Inkissifall des Congo kennen, 16° östlicher Länge, und erwähnt sie dann öfter bei seinem Herabdringen im Canon des Stromes als Dschigga. Dr. Güss- feldt (I 202) fand sie am Nyänga noch in der Gegend um Kassötsche. Von der Loangoküste hatten sie im September 1875 das allen Verkehr *) Von Loanda nach Kimbundu. Seite 149, Hausthiere. Tsetsefliege. 299 hemmende Gebirge noch nicht überschritten; Leute von ternen Orten Yängelas, welche Kautschuk nach Kakamüeka brachten, hatten von ihnen blos gehört. Die an der Küste gang und gäbe gewordene Ansicht, dass sie nur eine vorübergehende Heimsuchung bilden, wird durch die beobach- teten Thatsachen nicht unterstützt. Die schlimmsten Merkmale ihrer Anwesenheit dürften sich allerdings immer mehr verringern, je ver- trauter die Eingeborenen mit dem Wesen und der Behandlung des Insectes werden; auch sind die Sandflöhe periodisch an verschiedenen Orten mehr oder minder stark zu spüren; darum ist aber das Land keineswegs von ihnen befreit. Die ebenfalls viel vertretene Behaup- tung, dass der Regen sie tödte, war durch Beobachtungen leicht zu widerlegen; Trockenheit und Wärme mögen ihnen indessen wie in America besser zusagen. Sie gedeihen besonders auf nacktem Boden, überall, wohin der Verkehr sie befördert, und sind keineswegs an die Gegenwart des Menschen gebunden. In verfallenen Dörfern Yümbas, welche vor Jahr und Tag in Folge der Pocken ausgestorben waren und von den Leuten ängstlich gemieden wurden, wie auf längst ver- lassenen Lagerplätzen im Hochwalde des Kuilugebietes überraschten sie uns oftmals in so erschreckender Menge, dass wir fortan streng darauf hielten, für unsere zeitweilige Niederlassung bis dahin unbe- tretene Oertlichkeiten von Vegetation zu säubern. Die Hausthiere des Gebietes sind: Hühner, Enten, Ziegen, Schafe, Schweine, Hunde; Katzen, und zwar recht verkommene europäischer Abstammung, darf man als Seltenheiten betrachten. Rinder — ngömbi pl. singoömbi; tschingöbo pl. bingobo — werden nur an zwei Stellen des Landes von Europäern gehalten: eine kleine Herde bei Landäna und eine grössere bei Böoma, wo sie frei umher- schweifen und erträglich gedeihen. In den betreffenden Districten kann demnach die Tsetsefliege (Glossina morsitans) nicht vorkommen, die wir bei Tschintschötscho gesammelt haben. Das Misslingen unseres Versuches, die im Süden so erfolgreich als Lastthiere ver- wendeten Ochsen einzubürgern, hat Dr. Falkenstein (Il 83) geschildert. Rinder sind überhaupt in dem bei weitem grössten Theile von Unter- guinea nicht heimisch; erst südlich vom Kuänsafluss werden sie zu Hausthieren der Eingeborenen. In den letzten Jahren ist der Versuch gemacht worden, Esel und Maulthiere in Loango einzuführen; mit welchem Erfolge, ist vorläufig noch nicht abzusehen. Im vorigen Jahrhundert soll nach Angabe der Missionare (Proyart) der König von Loango sogar zwei Pferde besessen 300 Hühner. Enten. Ziegen. Schafe, haben, die ihm der König von England übersendete; eines davon sahen sie noch in der Nähe der Residenz auf dem Plateau von Buäla umherschweifen. Es ist aber nachmals wie das erste eine Beute der Leoparden geworden. Die Hühner — nsüsu pl. sinsüsu — sind mager und geschmack- los, verkümmert wie bei allen Naturvölkern; ihr Gefieder zeigt die bekannten mannigfaltigen Schattirungen. Sie legen recht fleissig Eier, vorzugsweise während der ersten Hälfte der gewitterreichen Zeit, die trotz der Kleinheit der Hennen fast die gewöhnliche Grösse besitzen. Einige intelligente Aristokraten sind bestrebt, von Factoristen gute, namentlich asiatische Racehühner einzutauschen, und in manchen Dörfern ist der Einfluss dieser Kreuzung unverkennbar. In dem un- fern des Congo gelegenen Küstendorfe Muända soll man sogar Trut- hühner mit Erfolg züchten. Stattliche Enten — tschiwadangu pl. biwadangu — von der schmucken türkischen Art mit blendend weissem oder buntem, vornehmlich aber dunkelem metallisch schimmernden Gefieder liefern ein weit schmackhafteres Gericht als die Hühner, sind aber leider nicht häufig zu erwerben. Ziegen — nkömbo pl. sinkömbo — und Schafe — limeme pl. mameme — bilden die .geschätztesten Hausthiere. Die ersteren sind von mittlerer Gestalt und tragen gedrungene Gehörne, die letzteren sind sehr gross und kräftig, besitzen aber statt der Gehörne nur kleine, höckerähnliche Stummel. Beide Thierarten (Abbildung II 139) sind kurz und glatt behaart — alten Hammeln schmückt jedoch Hals und Brust eine stattliche Mähne — und in der Regel schwarz und weiss gefleckt, sodass bald die eine, bald die andere Farbe überwiegt. Dunkelbraun gescheckte Schafe finden sich in manchen Gegenden, rehfarbene und graue Ziegen dagegen allenthalben. Will man einen Besuch recht hoch bewirthen, so schlachtet man ihm zu Ehren einen Hammel; da Schafe aber seltener sind, als wünschenswerth ist, so muss man sich meistens begnügen, der Gastfreundschaft eine Ziege zu opfern. Weil man es nicht oft erhält, verzehrt man das Fleisch beider in festlicher Stimmung, gewissermassen mit Andacht und Ge- nuss; dennoch ist es trotz der mannigfaltigen und ausgezeichneten landesüblichen Bereitungsarten nicht rühmenswerth, sondern in der Regel fettarm, zähe und geschmacklos. Der Grundzug ihres Charakters ist Gutmüthigkeit und — was man bei Ihresgleichen sonst am wenigsten findet — anerkennens- werther Muth; die sprüchwörtliche Dummheit der Schafe ist denen Loangos nicht eigen. Da sie von Seiten der Eingeborenen gut be- handelt werden, beweisen sie Anhänglichkeit und Vertrauen zum Charakter der Hausthiere. Originale. 301 Menschen. Man kann sich den Thieren nähern, sie streicheln, ohne dass sie Unruhe kundgeben; auf Reisen drängen sie sich des Abends an die Lagerfeuer und nehmen als ganz selbstverständlich ihre Plätze zum Ruhen zwischen den Leuten ein. In den Dörfern werden sie jedoch des Nachts in Pferchen oder Ställen untergebracht. Der Muth der Thiere ist für unsere Begriffe ganz ungewöhnlich und erstaun- lich; die stärkeren einer Herde treten für die schwächeren ein, und europäische Hirtenhunde werden mit ihnen nicht fertig. Unser schnei- digster Schäferhund von bester pommerscher Race verweigerte, ihnen gegenüber seines Amtes zu walten; selbst harmlose Ziegenmütter setzten ihm, wenn er sich nur in der Nähe ihrer Zicklein blicken liess, so arg zu, rannten ihn nieder und schlugen ihn mit den Vorderläufen, dass er in schmählicher Flucht das Feld räumte. Einem bösartigen echten Bullenbeisser, welcher in der Factorei eines Portugiesen zum Vergnügen auf etliche Ziegen gehetzt wurde, ergieng es noch übler. Er kannte bereits seine Gegner und wagte sich gar nicht hinan, son- dern umsprang sie blos mit lautem Gebell; der Leitbock wurde des endlich überdrüssig, sprang jäh auf den starken Hund, stiess ihn nieder, nahm ihn auf die Hörner und schleuderte ihn gewiss sechs Schritt weit fort. Ehe der Geworfene sich aufraffen konnte, war der Sieger schon wieder über ihm, und es bedurfte der Einmischung des Besitzers, um ihn vor ernstlichem Schaden zu wahren. Dass bei solchen Anlagen und Verhältnissen unter Schafen wie Ziegen sich Originale ausbilden, kann nicht Wunder nehmen. So führte der würdige Hammel Mfüka, der Freund des Affen Mohr, ein strenges Regiment auf unserem Gehöft. Er duldete nicht Streit, noch Lärm unter Menschen und Thieren. Kämpften liebeglühende Ziegen- böcke mit einander, so schaute er kurze Zeit prüfend zu und rannte sie dann einfach nieder; zankten sich einmal etliche unserer Leute, so trat er in gleich wirkungsvoller Weise als Friedensstifter auf, natür- lich zum Jubel der Umstehenden. Als einst der Sprecher eines inland wohnenden Häuptlings vor unserer Thür eine gewaltige Rede hielt, kam Mfüka ruhig herbei, mass seine Entfernung ab und traf in wuch- tigem Anprall den Ahnungslosen so heftig wider den solidesten Kör- pertheil, dass er flach auf den Sand flog. Das endete die Rede; es war ein köstliches Bild, wie der verdutzt auf der Erde sitzende Ge- sandte den ernsthaft vor ihm stehenden Hammel anstarrte. Unsere niedliche Ziege Nkämbisi, von der sehr viel zu erzählen wäre, die als ein Gastgeschenk der Fürstin gleichen Namens uns während der Reise im Kuilugebiete begleitete, zog auch munter mit nach der Station und führte daselbst eigensinnig die einmal liebge- 302 Schweine. Hunde, wonnene Lebensweise fort. In einen Stall war sie nicht mehr zu bringen, aber des Nachts stets an irgend einem Feuerplatz zu finden. Später setzte sie drei Junge. Vor unserer Heimreise sandten wir sie sammt diesen an einen thierfreundlichen Factoristen, hatten aber grosse Noth, die Nkambisi überhaupt fortzuschaffen; nächsten Tages wurde uns die Ueberraschung, sie mit ihren Zicklein freudemeckernd wieder eiligen Laufes bei uns einrücken zu sehen. Sie war dem neuen Herrn ohne Besinnen durchgegangen und hatte wolgemuth den weiten Weg zurückgelegt; da sie es noch ein zweites Mal that, be- hielten wir das treue Thier bis zum letzten Tage bei uns. Das später zu erörternde Tschina verbietet vielen Eingeborenen den Genuss von Schweinefleisch; daher werden die Borstenthiere nicht in allen Dörfern gehalten. In manchen’ Gegenden giebt es indessen ziemlich viele Schweine — ngülu pl. singulu —, von denen man zwei Varietäten unterscheiden kann: eine stämmige kurzbeinige Art mit geradem Rücken, entschieden die bessere Race, und eine schmale, hochbeinige mit gekrümmtem Rücken, die sich in Nichts von ‚unseren gewöhnlichen Landschweinen unterscheidet. Jedenfalls stammen sie von eingeführten ab, verrathen wenigstens keine Verwandtschaft mit dem einheimischen Pinselohrschweine. Sie sind gut zu essen, inson- derheit als Spanferkel. Die meisten Europäer scheuen jedoch den Genuss des Fleisches, weil sie meinen, es erzeuge Hautkrankheiten; wir haben uns durch dieses Vorurtheil nicht abschrecken lassen und in keiner Weise dafür gebüsst. Die Hunde — mbuä pl. simbua — der Eingeborenen sind im strengen Sinne grösstentheils herrenlos und gehören blos zu den Dorfschaften — daher werden nur sehr wenige mit Namen gerufen. Es sind echte Pariahunde, verkümmert und mager, auf Selbsterhaltung angewiesen, feig, diebisch, misstrauisch und schnappisch; Hündinnen sind liebenswürdiger. Niemand thut ihnen zwar etwas zu Leide, aber Niemand nimmt Antheil an ihrem Ergehen; man verspeist sie auch nicht. Sie nähren sich von Abfällen, fressen wie alle Hunde den Koth der Menschen, fangen sich wol auch kleinere Thiere, jagen aber nicht vereint auf grössere. Sie bellen nicht, lernen es aber nicht selten im Umgange mit Culturhunden. Man findet sie bei weitem nicht in allen Dörfern, in einigen aber in ziemlicher Anzahl. Sie leiden nicht an Tollwuth. Eine bestimmte Race lässt sich nicht aufstellen, denn sie variiren je nach der Gegend; am besten lassen sie sich mit der englischen Brake vergleichen. Dem Schakal sind sie nicht im Geringsten ähnlich und dürfen wol als ein Product vielfacher zufälliger Kreuzung einge- Jagdmeuten, 303 führter Hunde und örtlich beschränkter Inzucht angesehen werden; denn schon vor Jahrhunderten kauften die Bafiöte von den Sclaven- händlern um sehr hohen Preis Hunde, die zu bellen verstanden. Ge- genwärtig ist diese Liebhaberei abgekommen. h Die Köter sind von mittlerer Grösse, fein und schlank gebaut, tragen die lange leicht gekrümmte Ruthe gewöhnlich hängend, die grossen zugespitzten Ohren aufrecht, besitzen einen keineswegs ab- stossenden Gesichtsausdruck und halten sich sehr sauber. Bei einiger Pflege und reichlicher Nahrung entwickelten sich mehrere binnen weniger Wochen zu recht hübschen eigenartigen Thieren, deren Cha- rakter sich ebenfalls zum Guten veränderte; sie fanden Aufnahme im zoologischen Garten zu Berlin. Das Fell ist kurzhaarig und glatt, _ vorherrschend gelbbraun und mattweiss gefleckt, seltener gleichmässig braun, auch isabellfarbig, dann aber meist ohne Abzeichen. In einigen Dörfern von Grosswürdenträgern finden sich auch silbergraue mit schwarzen Streifen getigerte, entschieden edlere Hunde mit klugen aus- drucksvolleren Köpfen, die in Jagdmeuten vereinigt und so hoch ge- schätzt werden, dass wir keinen davon ankaufen konnten. Man lässt ihnen zwar keine Dressur, wol aber einige Pflege angedeihen; dafür zeigen sie Anhänglichkeit an den sie führenden Jäger und folgen seinem Rufe. Eine vierzehn Köpfe starke Meute besass unser Freund und Nachbar, der Muböma von Yenga, und diese habe ich auch-im Felde beobachtet. Die Mehrzahl der Thiere trug um den Hals die eigen- artigen aus Holz geschnitzten Klappern oder Glocken — ndibu pl. sindibu —, welche bestimmt sind, durch ihren allerdings nicht grossen Lärm das Wild aufzuscheuchen und zugleich in den undurchdring- lichen Dickungen die Bewegungen der still spürenden und umher- kriechenden Hunde anzuzeigen. Letztere geben ein kurz absetzendes Winseln von sich, wenn sie auf eine warme Fährte kommen und stimmen ein jauchzendes Geläute an, so lange sie das Wild erblicken; sie „reden“, wie die einheimischen Jäger sagen. Beim Ansuchen fährt die Meute unruhig durcheinander, windet sowol hoch wie tief und nimmt stets die Hinfährte; ich sah die Hündinnen führen. So ziehen sie geschlossen wie eine englische Fuchsmeute erstaunlich schnell durch offene Campinen und brechen in die Dickungen; das Wasser nehmen sie ungern. Die bunte Schar der übrigen Köter läuft aufs Geradewol mit, obwol sich auch unter diesen sehr brauchbare finden. Es ist ihre Gewohnheit, nach jedem Triebe sich abseits von den Jägern zusammenzurotten, niederzusitzen und mit hochgereckten Köpfen mehrere Minuten ein tiefes klagendes Geheul anzustimmen, 304 Unbrauchbarkeit europäischer Hunde. das ausserordentlich lange gleichmässig ausgehalten wird. Den noch in den Dickungen steckenden Schützen und Hunden ist es ein gutes Mittel zur Orientirung. In der Nähe ist es fast unerträglich, von ferne wirkt es dagegen in der Wildniss ungemein stimmungsvoll, wild und wehmüthig zugleich und durch die Mischung von Höhe und Tiefe weit gesangreicher als das der Wölfe. Als Herr Lindner auf einer Büffeljagd meuchlerisch angeschossen worden war, setzten sich, während ich ihn untersuchte und verband, einige dreissig Hunde um uns in das Buschwerk und erhoben ein unter diesen Umständen wahrhaft grausig berührendes Geheul; sie waren auch in keiner Weise zu beschwichtigen, bis wir nach etwa einer Stunde den Verwundeten fortschaffen konnten. In den Dörfern hört man sie dagegen nicht; doch geschah es mehrmals, dass drei und vier Köter, die im Gehöft umherschnüffelten und vertrieben wurden, sich vor der Umzäunung niederliessen und uns anheulten. Vereinzelte bleiben stets stumm. Das von Wald und Hügel widerhallende helle Jauchzen eines zahl- reichen Packes vor gestelltem Wilde klingt für den Jäger um so herzerfreuender; solche unbeschreibliche und aufregende Laute habe ich noch von keiner anderen Jagdmeute vernommen. Ueber die Nutzlosigkeit und sogar Schädlichkeit der von Europa mitgebrachten Hunde für den Forschungsreisenden hat sich bereits Dr. Falkenstein (II ı12) ausgesprochen. Ich unterschreibe sein Urtheil in jeder Hinsicht und widerrathe auch dem Waidmann, Jagdhunde mit sich zu führen; wo Wild mit Hülfe von Hunden zu erlegen ist, werden ihm die einheimischen weit bessere Dienste leisten. Für die oft behauptete Thatsache, dass eingeführte Hunde in den Tropen ihren Geruchsinn einbüssten, habe ich keine Belege gefunden; unsere drei Jahre an der Küste weilenden Schäferhunde bewiesen sogar das Gegentheil, und die Jungen von ihnen besassen ebenfalls feine Nasen. Ich meine, jene Ansicht sei aus ungenauer Beobachtung hervorge- gegangen: der Europäer widmet seinen Hundenin den Tropen weniger Sorgfalt, er kann sie nicht waidgerecht führen; sie verlottern in Folge dessen unglaublich, verändern ihren Charakter unter dem Einflusse des Klimas und ungenügender Nahrung, werden faul und gleich- gültig oder mürrisch und reizbar, schliessen sich innig den Eingebo- renen an oder stellen sich sehr feindlich zu ihnen. Weit schwerer als dem Jäger fällt es ihnen, sich den veränderten Bedingungen an- zupassen, in ganz ungewohnter Umgebung und neuartigem Wilde gegenüber sich entsprechend zu bewähren. Es ist demnach wol ihre allgemeine Unbrauchbarkeit zu beklagen, aber nicht das Schwinden des Geruchsinnes. — 1950 DER KUILU nach den Messungen und Aufnahmen D? PECHUEL-LOESCHE’S vom Jahre 1875. Gezeichnet von E.Debes. 200.000. Maßstab 1 = Kilometer 2 3 EN 5 6 7 8 g mp m © es 2 9 —— —# Seemeilen © AlteDorfplätze == Klippen SER? Während des Hochwassers überschwemmte Inseln und Felsbänke = Untiefen von. weniger als I" Tiefe während. des niedrigsten Wasserstandes . Höhen - w. Tiefenangaben in Metern. So | 1dı 50) Meter ü.d. Kuilu | 14° REN PR "309 UILU 4507 Glimmerschiefer 7 Quarzsandstein Quarzit 7 umina 1290’ Aa: D# P.GÜSSFELDT'S ASTRONOMISCHE ORTSBESTIMMUNGEN: m — ‚Reis sInsel _ #a7’S.Bı. Mayombe Au Kakamueka #0 . 11940 Ö.1,v. Greenwich. ME - | DECLINATION 17°40% W. (1.2.1875). gav annen und Wald Ani ggehnten Wasserlachen in de ir, uffel (Bos brachycerus YAnı J.eurycenos, Cephatoto Mus ek: open Fly ten AL ausg‘ 3 Die unter dem Profil. stehenden Zahlen beziehen sich auf“ den Binfalswinkel. ipbw® DIR US dust E33 i I RT mtr & $ Er es prachyoeros N Antilopen (Tragelaphus seriptws x üffel GephalolopWas sylrioultnie & Maxwelli) et EROSIONS-PROFIL DES RECHTEN KUILU-UFERS N von Mamanya ma tali bis zu den Palisaden. (Von Ndundu Nsanga an aufwärts ist vorwiegend das Profil des Inundationsbettes gegeben DER KUILU nach den DE Gezeichnet von E.Debes. on Messungen und Aufnahmen PECHUEL-LOESCHE'S vom Jalıre 1875. — Maßstab 1: 200.000, Höhen - u. Tiefenangaben in Metern. Ouarssandstein BEI Glinmerschieter EB Yuarzit Kilometer Soemeilon © 1a Dorfplätze WREKTippen TER Während des Iochwassen übersolwemmte Inseln und Pelsbänke WRER Untiefen von wenigen als I" Tiefe während des niedrigsten Wassenstaniles. Mayombe Ndundu Nsanga z Kakamucka GB GG Ku „2 307 — — = = _— = —— 7 —— —— — 11950: Östl. Länge von Greenwich 3 1 f Geograph. Anstalt v Wagner &Debes in Leipzig. Al | Ein Häuptlingspalaver. VOLKSKUNDE von LOANGO VON EROLESSOR-DE E. PECHUEL EOESCHE MIT ILLUSTRATIONEN, GEZEICHNET VON A. GÖRING, M. LAEMMEL, G. MÜTZEL, 0. HERRFURTH STUTEGARE VERLAG VON STRECKER & SCHRÖDER 1907 Das Recht der Übersetzung vorbehalten. Druck von Strecker & Schröder in Stuttgart, VORREDE. D2 Afrikanische Gesellschaft hat bei ihrer Auflösung mir vier- tausend Mark für den Abschluss des Loangowerkes zugeteilt. Diese viertausend Mark habe ich damals unverkürzt dem Verleger überwiesen. Die verzögerte Ausgabe des Bandes ist dem Inhalte nicht schädlich gewesen. Die volkskundlichen Ergebnisse der Expedition, wie alle übrigen am Orte vielfach besprochen und wiederholt nachgeprüft, sind ergänzt worden bei einer zweiten Reise sowie durch Aufschlüsse, die mir nament- lich die Herren ©. Niemann 7, R. ©. Phillips, L. Ponstijn 7 im Laufe der Jahre verschafften. Alles drucken zu lassen, hätte den Umfang des Buches verdoppelt. Ich war gebunden, den Einspruch zu beachten, dass solch ein- dicker Band völlig aus dem ursprünglich festgelegten Rahmen des Werkes herausfallen würde. So veröftentliche ich, was mir am geeignetsten er- scheint, ein Stück Menschenleben zu kennzeichnen. — tn sm nn Verzeichnis der Tafeln und Abbildungen. 1. Tafeln. Ein Häuptlingspalaver. Nach Photographien und Zeichnungen. Zum Titelblatt. Gruppen von einem geschnitzten Elefantenzahn. (Zwei Tafeln). Nach Vorlage . 76, 77 Festliche Vorführung einer heiratsfähig gewordenen Jungfrau. Nach Photographien undwZeichnun ser ee 112 Auszaubern eines Diebes. Nach Photographien und Zeichnung... .. 2... 438 Seite Wasserträgerin. Nach Aquarell rn sn N 1 Alte Fürstentracht. Nach Zeichnung und Vorlage . . . . 2.2.2. 22a 72 Backfisch mit Maiskörbehen. Nach Photographie und Aquarell... 2.2... 73 Elfenbeintigurenns NachWV[orlagen@e sr 79 Schnitzereihauf, Backenzahn. Nach@Viorlages ar 2 75 GeschnitzteraHlusspferdzahn.SE Nach Viorlagee2 ar Pe ee 76 Tschingongo.s NachwViorlager . aa. Le 120 Nssambi@undSNssanssaseNach@Vorlaseen 121 Kugelflöte.. Nach: Vorlager.. um. van ee ee 122 Einen Mittagsruhes ss Nach Zeichnung gr Er 140 Grossmann in Gala. Nach Photographie und Vorlage. .. 2.2. 2 22... 141 T'schimpapas Nach, Vorlawee var ee ER 177 Beförderung einer Fürstenleiche. Nach Zeichnung . . .» » 2. 2.2... 2000. 189 Bfadsperreww Nachs Zeichnung er 224 Mangavi, ein Dorfhäuptling. Nach Photographie...» . 2.2.2 2 2m nn .. 257 Häuptline'spchott se Nachw7eichnun os rer re rue 264 Adansonienzweig.3 Nach@ Aquarelle en 265 NdungurimHederkleide.. NachwZeichnungs rs 2 343 Häuptlineserapgs NachwAquarxelle 2 Pr ee Eee 346 Ngänga mit Fetisch. Leider ist hier eine Verwechslung geschehen: der Nganga pflegt nicht auf einem Antilopenhorn zu tuten, sondern auf einer kleinen Pfeife zu blasen. Nach Photographie und Aquarell... x 2222... 347 Schnitzwerk ohne und mit ngilingili. Nach Vorlage .... . 2... 2.2... 363 Gerichts-, Frauen- und Männerfetisch. Nach Vorlage . » . . 22220000. 364 Mehrfacher und einfacher Fetisch. Nach Vorlage. ». 2... 2.2... 200. 365 Bingu. Das Zaubergestell soll den Zugang zu einem Häuptlingsgehöft schützen . 472 INSENBT Seite Kapitelol-aWzeistenudkermlhtejuitien rer ER 1 Stämme: Art, Namen, Vermischung. — Korperhildure” — race — Reife. — hen. — Sinnesschärfe. — Körperkräfte. — Ausdruck der Gemütsbewegungen. — Zur Beurteilung von Menschen. — Geistiges Wesen. — Undankbarkeit. Eitelkeit. Unwahrhaftigkeit. Eigensinnigkeit. — Moden. Schönheitssinn. — Kunstfertigkeit. — Bilderverständnis. — Fehlende Liebe zur Natur, zu Tieren. — Mitgefühl. — Mangel an Willenskraft, an Beständig- keit. — Gedankensprünge. — Kleben an Einzelheiten. — Geistiger Besitz. — Beschäftigungsdrang und Schlendrian. — Scheu vor anhaltender schwerer Arbeit. — Redegabe. Redeweise. Sprachgefühl. — Mundarten. — Reichtum der Sprache. — Kollektiva und Abstrakta. — Geheimsprache — Weistümer und Sprichwörter. Rätsel. — Barden und Bänkelsänger. — Erzählungen. Vor- tragsweise. — Musik. — Singweise. Stimmen. — Musikgeräte. — Rigentums- marken. — Geographische Auskünfte. — Himmel. Welt. Erde. — Mond und Sonne. — Zeitrechnung. Kapitel II. Soziale und politische Verhältnisse... .. . 141 Ältere Nachrichten. — Der letzte Herrscher. — Reichsverweser. — "Schreckens. zeit. — Königswahl. — Zug zum Herrschersitz. — Die Makunda. — Gottes- wege. — Staatsfeuer. — Fergen. — Sagen. — Erneuerung des Feuers. — Fürstenkaste. — Vorrechte und Beschränkungen. — Gräberfelder. — Beerdi- gungsschwierigkeiten. — Erde und Erdrecht. — Erdschaften. — Batua. — Blutrache. — Erdherr. — Wirtschaftsgebiet. — Jagdrecht. — Leichenrecht. — Siedelrecht. — Die Frau nicht Lasttier des Mannes. — Stellung des Erd- herrn. — Erdfrevel. — Sperrung: der Erde. — Sühnehandlung. — Erdgericht. — Strafen. — Asylrecht. — Hörige ‘und Hörigkeit. — Leibeigenschaft. — Rechte und Vergünstigungen von Unfreien. — Geheimbünde. — Politische Verhältnisse. — Förmlichkeiten. — Palaver. 2 Kapitel II. Nsambi. Seele Hexenwesen. . .... 2... 265 Nsambi. — Schöpfungssage. — Die Himmlischen. — Erdkraft, — Geweihte Stätten. — Verfall. — Bittgänge. — Büsser. — Opfer. — Tierschädelfetische. — Unsterblichkeit. — Potenz. — Seele. — Abfindung — Scheinbegräbnis. — Fremde Seelen. — Seelenfang. — Wiedergeburt. — Keine Elementargeister. — Seelenordnung. — Gespenster. — Platzgeister. — Blutsauger. — Fabelwesen. — Allerlei Glaube. — Tod natürlich. — Verdacht auf Hexerei. — Hexenwesen. — Ndodschi. — Hexenkünste. — Unglückskinder. — Werwölfe. — Kein Oberer der Schwarzkünstler. — Zweifler. — Vergleichende Hinweise. Kapitel IV. Fetischismus. Tsehina. Totemismus.... . 8347 Hauptsitz des Fetischismus. — Eigenart, Entlehnungen. — Heitender al. — Zwei Stufen. — Fetisch und Götze. — Vorbestimmung. — Kräfte, nicht Geister. — Gestaltung. — Behandlung. — Persönliche Fetische. — Gemeinde- fetische. — Erwerbsfetische. — Schicksale. — Benagelung. — Ahnendienst. — Zauberkünste. — Zweifler. — Hexengerichte selten. — Gifte. — Was ist Krankheit? — Spezialisten. — Zöglinge. — Wolkenschieber. — Propheten. — Erweckungen. — Bilderstürme. — Notstände und Spukgeschichten. — Wunder- glaube. — Tschina. Mannigfaltigkeit. — Totemismus. — Väterliche und mütter- liche Verwandtschaft. — Erklärungen. — Zaubermeister. KAPITEL 1. Stämme: Art, Namen, Vermischung. — Körperbil- dung. — Ausdünstung. — Reife. — Krankheiten. — Sinnesschärfe. — Körperkräfte. — Ausdruck der Gemütsbewegungen. — Zur Beurteilung von Men- schen. — Geistiges Wesen. — Undankbarkeit. Eitel- keit. Unwahrhaftigkeit. Eigensinnigkeit. — Moden. — Schönheitssinn. — Kunstfertigkeit. — Bilder- verständnis. — Fehlende Liebe zur Natur, zu Tieren. — Mitgefühl. — Mangel an Willenskraft, aı. Be- ständigkeit. — Gedankensprünge. — Kleben an Einzelheiten. — Geistiger Besitz. — Beschäftigungs- drang und Schlendrian. — Scheu vor anhaltender schwerer Arbeit. — Redegiabe. Redeweise. Sprach- gefühl. — Mundarten. — Reichtum der Sprache. — Kollektiva und Abstrakta. — Geheimsprache. — Weistüner und Sprichwörter. Rätsel. — Barden und Bänkelsänger. — Erzählungen. Vortragsweise. — Musik. — Singweise. Stimmen. — Musikgeräte. — Eigsentumsmarken. — Geographische Auskünfte. — Himmel. Welt. Erde. — Mond und Sonne. — ; Zeitrechnung. Nach Schätzung bewohnen dreihundert- tausend Menschen das fünfzehntausend Wasserträgerin. Quadratkilometer grosse Gebiet der Loängo- küste. Sie gehören zu den Bäntuvölkern, die das mittlere Afrika von Ozean zu Ozean erfüllen. Seit dem Verfalle der drei alten Staatswesen Loängo, Kaköngo und Ngoyo leben die Eingeborenen, gleich ihren Nachbarn, in zahlreichen und veränderlichen Gemeinschaften, die zwar Überlieferungen, aber kaum noch einen Oberherrn anerkennen. Wenn sie die engere politische oder land- Schaftliche Zusammengehörigkeit betonen wollen, nennen sie sich nach Loango. 1 2 Stämme: Art, Namen und Vermischung. Ländern, Gauen oder Ortschaften, doch sind nur die alten Land- und Gaunamen dem Wechsel nicht unterworfen. Allgemein, und besonders im Gegensatz zu anderen Stämmen, bezeichnen sie sich als Bafiöti, sing. Mfiöti, selten Mufiöti, welcher Name indessen kaum als der eines ge- schlossenen alten Stammes zu nehmen ist. Er bedeutet dunkle, nämlich dunkelhäutige Menschen — bäntu ba fiöte — im Gegensatze zu hell- häutigen Menschen, Bandündu — bäntu ba ndündu —, die in ihren Überlieferungen eine Rolle spielen. Ebensowenig wie die Bezeichnungen Baloängo, Bangöyo, Baköngo, die keiner Erklärung bedürfen, sind andere, wie Bawili, Bayombi als solche von Stämmen zu betrachten. Bawili heissen die Bafiöti des Küstenstriches, Bayömbi die des gebirgigen Hinterlandes, die am Fusse und an den Westhängen des Yömbischen Waldes — missitu mi Yombe — hausen. Die Küstenleute, die seit Jahrhunderten mit den Europäern unmittelbar verkehren und den Zwischenhandel besorgen, dünken sich höher als die Bayoömbi und sprechen von ihnen nebst Hintersassen gern als von Wald- leuten, Buschnegern: Banssitu oder bäntu ba nssitu. Diese haben das heimgegeben, indem sie die geriebenen Küstenleute Bawili, nämlich Gauner, Bauernfänger nannten. Denn sie sind von ihnen nicht bloss im Handel geschröpft worden, und werden es noch heute, sondern sie haben vormals oft genug Angehörige am Meere verloren, die mit List oder Gewalt den darauf eingerichteten europäischen Sklavenhändlern überliefert wurden.) Die Bafiöti sind weder unvermischt noch, seit dem Verfalle ıhrer Staatswesen, überall in ihrer Heimat die Herren geblieben. Aus dem Hinterlande zum Meere, nach den verlockenden Schätzen der Europäer drängende Stämme haben zwar das der Loängoküste gleich- sam als Bollwerk dienende unwegsame westafrikanische Schiefergebirge nicht in geschlossener Masse überschritten, doch sind Gruppen von Ban- yangela und Bayäka, sogar von Bakünya allenthalben über die westlichen Ketten in das hügelige Vorland herabgestiegen. Von Norden her, aus dem Hinterlande der Bai von Yümba (Mayümba), sind Balümbu längs der Küste bis zum Nümbifluss, weiter binnenwärts bis an die Nängasümpfe und bis zum Kuilufluss gewandert (Karte im ersten Bande). Von Süden her haben Missolöngo (Mussoröngo), als arge Flusspiraten verrufen und einst sogar im Kongo ankernden oder festgelaufenen Schiffen gefährlich, den grossen Strom gekreuzt und sich auf seinen Inseln sowie in Waldwinkeln am Nordufer eingenistet. Ein nach Tausenden zählender *) Der Name Bawıli könnte freilich auch herkommen von kuwila, verbunden, fest vereinigt, umschlossen sein, sowie von mwila, luwilu, worunter das Bindende einer Ge- meinschaft im Sinne des Totemismus zu verstehen ist. Doch die alle Bewohner des Küstenstriches, auch noch südlich vom Kongo, treffende Bezeichnung wird besser erklärt, wie es oben geschehen ist. Einwanderer und Auswanderer. 3 Zug von Missolöngo, sogenannten Christen, ist gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts in Kaköngo bis zum Südufer des Tschiloängoflusses einge- wandert, wo die Nachkommen sich recht nichtsnutzig betragen. Umgekehrt haben wieder Bafiöti freiwillig oder gezwungen ihre Heimat verlassen. Durch Überlieferungen bestätigt wird dies für diejenigen, welche in ziemlicher Anzahl jenseits des Bänya in Yümba unter den Balümbu und, in Abteilungen, noch weiter nordwärts bis in das Ogöwe- gebiet hin hausen. Die Fernsten sind vielleicht durch küstenwärts drängende Inlandstämme abgeschnitten worden; die Nächsten sind mutmasslich im achtzehnten Jahrhundert, wegen Unbotmässigkeit gegen einen der letzten Oberherrn von Loängo bekriegt und aus den nördlichen Gebieten des Reiches vertrieben worden. Nicht anders wird es den Bafiöti ergangen sein, die verhältnismässig sehr weit landeinwärts gezogen sind. Fern im Gebirge, im Gebiete des Luöschi, eines rechtsseitigen Zutlusses des Kongo, stiessen wir auf eine Anzahl behaglicher Dörfer, deren saubere und gastfreundliche Insassen sich auffällig von den sie umgebenden Stämmen unterschieden. Wir be- fanden uns unter Bayombi. Die Leute, von denen noch mehr zu be- richten sein wird, wussten, dass ihre Altvorderen von Westen her gekommen waren. Bei ihnen hatten sich kennzeichnende Sitten und Gebräuche erhalten, die im Vorlande kaum noch im Schwange sind. Andere Bafıöti des Küstenlandes sind weit südwärts nach den por- tugiesischen Besitzungen gewandert, wo sie als Handwerker, namentlich als Schmiede — mfüsi, plur. bafüsi — sich festgesetzt und eigene Dörfer, sogar förmliche Kolonien gegründet haben. Einige dieser Siedlungen sind im Verlaufe von Menschenaltern zu derartiger Bedeutung gelangt, dass die politischen Machthaber sie berücksichtigen müssen. Die Nach- kommen solcher ausgewanderter Bafiöti, die noch in lockerer Verbindung mit der Heimat stehen und von dorther gelegentlich Zuzug erhalten, finden sich in geschlossenen Gemeinschaften als Bawili, Bawidi, Bafüsi oder als Bätua, Fremdlinge, im Hinterlande des von Mussera bis St. Paul de Loanda reichenden Küstenstriches. Zu vielen Tausenden vereint und reich an Rindern sollen sie im Ndembolande, im Gebiete des oberen Dändeflusses ein kräftiges Staatswesen gegründet haben. Eine abgezweigte (emeinde soll noch weiter südwärts, ın der Nachbarschaft von Mossä- medes hausen. Die allenthalben in die Randgebiete der Loängoküste eingerückten Nachbarn, also die Balümbu, Bayäka, Banyängela, Missolongo und wie sie sonst noch heissen mögen, leben einzeln, in Familien und Gemeinden mit und zwischen den Bafiöti, die selbst wieder in ähnlicher Weise über ihr engeres Vaterland hinausgreifen. Alle reden die nämliche, mundart- lich allerdings bemerkenswert abweichende Sprache. Bei allen lassen 1* A Verschleppung von Menschen. sich Eigentümlichkeiten der Lebensführung nachweisen. Da indessen Ein- heimische und Zugewanderte sich anstandslos vermenst und gekreuzt, auch ihre Besonderheiten abgeschliffen und ausgetauscht haben, da über- dies ein Beharrungszustand nirgends eingetreten ist, können Grenzlinien nicht gezogen werden. Erst jenseits und diesseits der Vermischungszone tritt die Eigenart der Stämme deutlicher hervor, trotzdem auch sie aus anderen Gründen nicht unbeeinflusst geblieben ist. Zur Zeit des bis ins Herz von Afrika wirkenden Sklavenhandels vollzog sich eine nachhaltige Verschiebung und Verschleppung von Stämmen oder mindestens von zahllosen Menschen. Denn die europäischen Schiffer erhielten ihre Ladungen weniger aus den Küstengebieten, die sonst rasch entvölkert worden wären, deren Bewohner sie überdies bei ihrem Ge- schäftsbetriebe nicht entbehren konnten, als durch Zwischenhandel aus dem Inneren. Dort gingen die Gefangenen von Hand zu Hand, zu Wasser und zu Lande westwärts, hauptsächlich den Kongo hinab bis zum Stanleypool, wurden daselbst aufgesammelt, abgenommen und gang- weise über das Gebirge zur Loängoküste oder zur Kongoküste getrieben. So kamen Banyängela, Baböngo, Bantötsche (Bateke), Bayänsi und An- gehörige noch entfernter wohnender, vergessener und vielleicht schon verschollener Stämme alljährlich zu vielen Tausenden in die Küstenstriche. Später gelangten in viel geringerer Zahl Leute aus südlichen Ländern, aus Angöla und Benguella (sprich Bengela) auf dem Seewege in das Land. Nicht immer konnten die Sklaven gleich weiter verkauft und ver- schifft werden. Hierüber wussten uns alte Sklavenhändler noch vielerlei zu erzählen. Da Angehörige gewisser Stämme, weil sie stark, lenksam, treuherzig waren, am höchsten bezahlt wurden, fälschte man die kenn- zeichnenden Stammesmarken, deren Verheilung alsdann abgewartet werden musste. Haar, Haut, Zähne wurden kosmetisch behandelt, um Jugend vorzutäuschen, welche Kniffe übrigens die eingeborenen Lieferanten ihren Lehrmeistern rasch ablernten. Bald war nun eine Ladung vorzugsweise begehrter Arbeiter noch nicht vollzählig, bald liefen die Frachtschiffe nicht rechtzeitig ein, bald haderten und kämpften miteinander die im Inneren des Landes an der Zuführung beteiligten Häuptlinge und sperrten die Wege. Weitere Stockungen traten ein, als englische Kreuzer die Ausfuhrplätze schärfer überwachten. Die letzten mit Menschen beladenen Schiffe, ems mit fünfhundert Sklaven an Bord, wurden an der Loängo- küste in den Jahren 1863 und 1868 aufgebracht. So konnte es geschehen, dass Sklavengänge nicht bloss unterwegs, sondern auch in Sicht des Meeres liegen blieben, wo sie in Dörfern oder in festen Gehöften verwahrt wurden. Mancher Gefangene entwischte. Andere entliefen ihren schwarzen oder weissen Herren in Masse, befreiten Sklavengänge. Ansiedlungen. 5 sich sogar gewaltsam und plünderten die Zwinger. Andere, die schon auf dem Meere schwammen, wurden von ihren Befreiern zu Hunderten ein- fach ans Land gesetzt. Die letzten Sklavengänge konnten überhaupt nicht mehr verschifft werden. Die irgendwie frei gewordenen Sklaven wanderten fort, oder verloren sich unter den Bafiöti, oder taten sich zusammen und gründeten an gün- stigen Stellen eigene Dörfer. Solche Ansiedler verlockten und raubten sogar Weiber, kämpften erfolgreich gegen ihre Bedränger und gewannen durch Zulauf an Bedeutung. Ein letzter bemerkenswerter Fall dieser Art ereignete sich Ende der fünfziger Jahre. Mehrere hundert Sklaven brachen unfern von T'schintschötscho aus, erschlugen ihre weissen Herren, brandschatzten das Gehöft, wobei sie viele Waffen, auch eine Kanone mit Munition erbeuteten, und setzten sich an der Lagune von Tschis- sämbo fest. Von Europäern und Eingeborenen gemeinsam unternommene Angriffe wiesen sie blutig ab. Mit Fremdlingen, die nicht zu zwingen waren, musste man verhandeln. Wenn die Leute nicht, laut Vereinbarung, in geschlossener Masse irgend- wohin abzogen, ordneten sie sich im Laufe der Zeit, so gut es gehen wollte, dem Gemeinwesen ein. Das gelang ihnen am leichtesten, wenn Weiber und Häuptlinge sich ihrer annahmen. Im beständigen Verkehr mit den Einheimischen schwanden allmählich die Besonderheiten der Stamm- oder Landfremden — bätua, sing. mütua. Sie gingen schliesslich im Volkstum auf. 3 Doch gibt es noch Ausnahmen, Übergangszustände, ähnlich denen, die in den Randgebieten hervortreten. Es finden sich vormals eingeführte Fremdlinge, die, in grösserer Anzahl miteinander lebend, ihre Eigenart besser bewahrt haben. Ebenso finden sich verstreut lebende Fremdlinge, die überhaupt erst in jüngster Zeit in das Gebiet verschlagen worden sind. Gewiss ist dies bei Personen, überwiegend Unfreien, die durch ihre Tätowierung, derbe Hautschnitte, auffallen. Wir haben es mit Bantetsche und Angehörigen anderer Völkerschaften des Inneren zu tun, die ihre kenn- zeichnenden Marken nicht erst an der Loängoküste empfingen. Manche sind noch recht jung. Einen Knaben, an seinen kräftigen Wangen- schnitten als Muntötsche kenntlich, erhielt ich an der Küste geschenkt. Schwieriger ist die Stammesart von Leuten zu bestimmen, die bereits länger im Lande leben, sich zwar äusserlich den Bafiöti angepasst haben, aber noch immer ziemlich abgeschlossen in eigenen Dörfern hausen. Politisch gelten sie nicht für voll. Da manche ihrer Dorfschaften eine nicht zu unterschätzende Macht bilden, bewilligt man ihnen zwar ge- legentlich Sitz und Stimme bei Verhandlungen über öffentliche Ange- legenheiten, erkennt aber ihren Vertretern nicht die Rechte von Grund- herren zu, weswegen sie gewisse Stätten der Verehrung nicht anlegen 6 Bawumbu. Herkunft. und ein gewisses Schaugepränge bei Begräbnissen von Häuptlingen nicht veranstalten sollen. Immerhin schliessen sie Ehen mit den Bafıöti und sind sogar mit Fürstengeschlechtern verschwägert. Demnach werden sie, wie die Europäer, von Rechts wegen als bätua, als Fremdlinge, aber nicht als Unfreie oder Ausgestossene betrachtet. Es handelt sich um die vielgenannten schwarzen Juden der weissen Kaufleute, um die Bawümbu, wie sie selbst sich nennen und nennen lassen, was übrigens weder ein Ehren- noch ein Schimpfname ist. Im all- gemeinen rechnen sie sich zu den Bafıöti und streben beständig nach einem Ausgleich ihrer politischen Stellung. Körperlich sind sie von den übrigen Eingeborenen kaum zu trennen, es wäre denn, dass bei ihnen häufiger als bei jenen, aber bei beiden fast nur unter Männern, semitische Gesichtszüge oder vielmehr Gesichter mit semitischem Ausdruck, denn sie sind typische Bäntu, auffielen.“) In ihren Sitten und Gebräuchen sowie in ihren religiösen Anschauungen ist, etwa ausser der Tatsache, dass sie besonders gern mit Hühnern zaubern, nichts Abweichendes festzustellen. Eher in ihrem Wesen. Sie sind un- gewöhnlich rührig, fleissige Salzsieder und Töpfer, durchtriebene Handels- leute, die allen möglichen Geschäften nachgehen. Da sie erfolgreich sind, erregen sie Neid und Eifersucht und ziehen sich vielerlei Rechtshändel zu. Unter den weissen Kaufleuten gelten sie für brauchbar, zugleich aber für abgefeimter und unzuverlässiger als die echten Bafiöti, was wir be- stätigen können, da wir öfters Bawümbu aus dem unserer Station benach- barten Dorfe Makäya beschäftigten. Die Dörfer der Bawumbu, es gibt ihrer nicht viele und nur etliche grosse, liegen verstreut namentlich im Küstenstrich von der Loängobai bis zum Kongo, aber auch noch jenseits dieses Stromes. Ihre Stammesart wissen die Bawümbu nicht mehr anzugeben, oder sie wollen nicht, um für Bafiöti zu gelten. Bedeutsam ist, dass sie mitunter von Baköko, Flussleuten, reden. Widerspruchsvoll behaupten sie, von Süden, von Norden, vom Gebirge gekommen zu sein, und mögen auch recht haben, insofern derlei Angaben auf ihre letzten Umzüge im Lande selbst hin- weisen, wo sie, im Einverständnis mit Grundherren, ihre Siedlungen mehr- fach verlegt haben und noch verlegen. Darüber im zweiten Kapitel. Die Herkunft dieser Leute wird einem erst klar, wenn man jenseits des Gebirges einen Einblick in die Verhältnisse im Kongobecken gewinnt. Der Stanleypool, oder vielmehr seine Umgebung, besonders die Gegend am Südufer, wird Mpümbu genannt. Die Bewohner, von alters her die Vermittler des Handels zwischen der Endstrecke der inneren schiffbaren *) Fast ebenso häufig wie unter Afrikanern sind mir jüdische Gesichter unter Indianern und Polynesiern, am seltensten unter Tschuktschen und Eskimos aufgefallen. Afrikanische Sachsengänger. 7 Gewässer und der Küste, heissen bäntu ba Mpümbu, woraus Bawümbu entstanden ist. Während des Sklavenhandels lieferten die Leute von Mpüumbu hauptsächlich Menschen, die am Meere einfach nach ihren Lie- feranten bezeichnet wurden. So hiessen nachher auch die Träger, die, bevor der Handel binnenwärts abgefangen wurde, das Elfenbein in grossen Zügen zur Küste schafften. Auch der Name der alten, weit reisenden Handelsvermittler, der Pombeiros der Portugiesen, stammt daher. Der gelegentlich zu hörende Name Baköko — bäntu ba köko, köko der Fluss — bekräftigt diese Erklärung, da er im Inneren, wo sogar Maköko, Fluss- herren, Stromhäuptlinge sitzen und Handelszölle erheben, gäng und gäbe ist oder war. Von Mpümbu stammt also der Name dieser Fremdlinge. Wenn wir nun ihr Wesen, ihre Rührigkeit im Handel sowie ihre Neigung für Hühnerzauber beachten, lässt sich annehmen, dass die Vorfahren der Bawümbu teilweise zu den Bayänsi, jedenfalls aber zu den Flussvölkern des Inneren gehört haben. Da bei den Bafiöti die Kinder der Mutter folgen, da ferner das mannbar erklärte Mädchen, wenn sonst der Familienstolz es gestattet, seine Gunst verschenken kann, so ist von jeher die Verschmelzung fremder Art mit dem Volkstum nicht sonderlich beschränkt gewesen. Diese Ver- hältnisse kommen auch Fremdlingen zugute, die nur vorübergehend im Lande weilen. Seit dem Verfalle des Menschenhandels und der Sklaverei in den Handelsbetrieben verkehren an der Küste in stetig zunehmender Zahl Kru-Neger (Crooboys), die, in Oberguinea daheim, sich gangweise in Faktoreien für Jahr und Tag oder auf Dampfern für die Reisedauer verheuern. Diese afrikanischen Sachsengänger, die gelernt haben, flott und schwer zu arbeiten, die vorsichtig behandelt und gut verpflegt sein wollen, stehen in körperlicher Entwicklung unter den Afrikanern mit obenan. Natürlich sind sie den Töchtern des Landes und diese ilınen nicht abgeneigt. Etliche haben sich an der Loängoküste dermassen fesseln lassen, dass sie in Familien eintraten, oder dass sie als Land- streicher mit ihren Liebsten den Küstenbummel pflegen, bald arbeiten, bald die selbstverständliche Gastfreundschaft der Eingeborenen ausnützen. Wie die Krus und andere Geheuerte in das Land kommen, so ziehen Einheimische hinaus, um anderswo ihr Glück zu versuchen. Namentlich Kabinda- und Loängoleute, von denen einige mit ihren Herren oder als Tischjungen auf Dampfern bis nach England gereist sind, ziehen als Arbeiter oder Handwerker südwärts bis nach Mossämedes, vereinzelt, als Wäscher und Hofmeister in die Ogöweländer, wie sie auch seit der Erschliessung des Inneren den Europäern dorthin folgen. Mancher von ihnen bleibt jahrelang fort und bringt schliesslich aus der Ferne, neben 8 Kreuzung. Mannigfaltigkeit der Typen. anderen Schätzen, eine Frau, etliche Kinder, auch Unfreie mit heim. Durch diese zweifache Sachsengängerei wird den Bafıöti ebenfalls allerlei fremdes Blut zugeführt. Von einer Beimischung europäischen Blutes sind nicht einmal Spuren zu erkennen. Zu unserer Zeit sassen über sechzig Weisse ım Lande. Trotzdem kannten wir bloss fünf Mulatten als zweifellose Sprösslinge eingeborener Mütter. Sie lebten mit diesen oder ohne sie in den Be- hausungen und unter der Obhut ihrer Väter. Es gab freilich noch mehr Mulatten, aber deren Mütter entstammten dem portugiesischen Süden, wohin sie zurückzukehren pflegen. Die erwähnten fünf Blendlinge standen sämtlich noch im Kindesalter und hatten, bis auf einen, das Geschlecht der Mütter, die viel jünger als die Väter waren. Das mochte Zufall sein, doch ist die Tatsache immerhin bemerkenswert, weil nach den übrigen Befunden im Lande bei gleichartiger Vermischung die Erstgeborenen vor- wiegend männlichen Geschlechtes sind. Der auffällige Mangel an Mulatten, der im Süden, in den alten por- tugiesischen Kolonien nicht bemerkbar ist, kann verschieden erklärt werden. Zunächst ist, soweit Beobachtungen reichen, die ungleichartige Vermischung überhaupt nicht sonderlich und im ersten Jahre selten fruchtbar, während innigere Beziehungen zu Töchtern des Landes ge- wöhnlich nicht für so lange Zeit unterhalten werden. Zum andern sind die Nachkommen schwächlicher Natur und sterben häufig im ersten Lebens- jahre. Schliesslich ist zu vermuten, dass etwa in den Dörfern zur Welt kommende Mulatten von der Familie scheel angesehen und beseitigt werden, denn Neugeborene kommen erst in die Öffentlichkeit, nachdem sie ausgefärbt haben. Klarheit war in dieser heikeln Angelegenheit nicht zu erlangen. Jedenfalls sieht man in den Ortschaften weder Mulatten noch Personen, die einen verdünnteren Zusatz europäischen Blutes ver- rieten. Da die Bafıöti sich reichlich mit Angehörigen oft weit entfernt sitzender Stämme vermischt haben, wodurch sie sich übrigens von anderen Afrikanern nicht unterscheiden dürften, kann die Mannigfaltigkeit der Typen nicht überraschen. Diese Mannigfaltigkeit wird wesentlich ver- schärft durch den Einfluss der gesellschaftlichen Stellung. Die Leute halten bemerkenswert viel auf Familie. Gleichheit gibt es bei ihnen ebensowenig wie bei uns. Aber die Eigenart, die Her- kunft und Stand verleihen, prägt sich unmittelbarer aus an unverhüllt einhergehenden Personen der Wildvölker als an Zivilisierten, bei denen Nachgeahmtes und Käufliches oft blendet. Es gibt in Loängo, wie aller- wärts, schöne und hässliche, stattliche und kümmerliche Typen von recht abweichender Kopf- und Gesichtsbildung: unter vorherrschenden Lang- köpfen auch Mittel- und fast Kurzköpfe, neben feinen schmalen auch Zweierlei Schläge. Unmessbares. [) grobe breite Gesichter. Der Anthropologe käme in Verlegenheit. Wer einzuteilen liebt, könnte im Volke ganz gut zweierlei Schläge unter- scheiden, indem er mit den angeführten noch andere Merkmale verwertete: schlanke oder untersetzte Gestalt, zarte helle oder derbe dunkle Haut, zierliche oder plumpere Hände und Füsse, locker gestrecktes weiches oder enger gerolltes hartes Haar. Ein treues Bild von der Gesamtheit wäre ebenso schwierig zu ent- werfen wie von einem zivilisierten Volke mit seinen Abstufungen von den überlieferungslosen, in Unterordnung und Abhängigkeit dahinlebenden Schichten, bis zu den in gepflegtem Standesbewusstsein und in vornehmer Sicherheit der Existenz aufgewachsenen Schichten, die doch alle Volk sind. Auch Loängo hat Familien, denen Rasse im engeren Sinne eigen ist, deren Angehörige nicht allein das besitzen, was wir Feinheit und Vornehmheit nennen, sondern überhaupt edler als die Masse gestaltet sind. Wer unbefangen sieht, findet bald, dass es unter beiden Geschlech- tern genug hübsche, sogar manche bildhübsche Personen gibt, wofür übrigens die Leute selbst ein feines Gefühl haben. Auch wird er immer wieder durch erstaunliche Ähnlichkeiten an europäische Bekannte erinnert, ohne doch Zug um Zug nachweisen zu können (Abbildungen II 27, 32, 38). Neben der nüchternen Messung, die notgedrungen auf eine ver- schwindend kleine und nicht die beste Auswahl beschränkt bleibt, hat die künstlerische Betrachtung ihren Wert. Viel mehr als das Messbare fesselt am Menschen das Unmessbare: die Linie, die Reize der Bewegung und des Ausdruckes. Sie erst machen die Persönlichkeit. Aber dunkelhäutige Menschen bestechen, weil sie feiner zur Um- gebung stimmen als hellhäutige. _Neben ihnen sieht der Weisse krankhaft, fast hässlich aus. Ferner sind sie ohne hinderliche Kleidung aufgewachsen. Ihre Haltung, sowie das freie Spiel der Körperteile hat weder unter be- engender Lebensweise noch unter einseitiger Beschäftigung gelitten. Nichts an ihnen ist schwerfällig, tölpisch, ungeschlacht. Alle Glieder sind bei- sammen. Ihre Stellungen und Bewegungen zeigen die volle Geschmeidig- keit, die unbefangene Sicherheit und Anmut der gewohnten Nacktheit, nicht die Härten eines bloss entkleideten Körpers. Das prägt sich zu- mal in ihrem Gange aus. Dazu das feine Knochengerüst, die knapp modellierten Fleischteile, die geringe Verschiedenheit der Geschlechter. Sie verhalten sich zu uns wie Wildtiere zu Haustieren. Das Gefällige, die gute Haltung schwindet, sobald sie unsere Klei- dung anlegen oder sonstwie durch ungewohnte Verhältnisse beirrt werden, vor dem Europäer ihr seelisches Gleichgewicht verlieren. Ebenso ändert sich ihre Erscheinung, ihr Wesen, je nach dem Zustande, in dem sie sich gerade befinden: ob sie gesund und sorgenlos aus dem Vollen leben, ob sie unter Bedrückung, unter Hungersnot und Seuchen leiden. Es ist 10 Erscheinung. Nacktheit. Missverhältnisse. erstaunlich, wie schnell sie körperlich wie geistig ganz und gar verelenden, wie schnell sie sich wieder erholen können. Wer sie in dem einen Zu- stande gesehen hat, erkennt sie im anderen kaum wieder. Gleichfalls bemerkenswert ist, wie vortrefflich sich junge Leute bei geregelter guter Ernährung und Pflege entwickeln. Was könnte aus Nach- kommen werden, die Generationen hindurch in günstiger Lebensführung gehalten und, das Wichtigste, nicht als untergeordnete Geschöpfe be- handelt würden. Denn das drückt nieder, beeinflusst Erscheinung, Wesen mindestens ebenso stark wie die unsichere und fast durchweg unzu- reichende Ernährung, worunter sie allgemein leiden. Dass dem so ist, bezeugen eben mancherlei Ausnahmen, nicht nur Personen und Familien, sondern Stämme, ganze Wildvölker, die unter dauernd günstigen Um- ständen sich vortrefflich entwickelt haben. Auch die Afrikaner in der Neuen Welt wären zu erwähnen. Die ungünstigen Verhältnisse halten ja die Masse unten, aber nicht wenige Familien haben sich in aller Stille emporgearbeitet. Ihre Angehörigen unterscheiden sich nur noch durch die Hautfarbe von gebildeten Europäern. Das wird freilich nicht gern bemerkt. Die hergebrachte Auffassung ist noch zu mächtig. Wir sind nicht frei von parteiischer Selbstbespiegelung. Halb ent- hüllte Reize unter Zivilisierten wirken ganz anders als völlige Nacktheit unter Primitiven. Wir neigen dazu, bekleidete Menschen uns schöner vorzustellen, als sie wirklich sind. Unwillkürlich ergänzen wir nach Idealen. Die Kleidung verbirgt, die Nacktheit offenbart Unvollkommen- heiten. Das schlägt zum Nachteil der Naturkinder und sollte nicht übersehen werden. Man beachte unter Zivilisierten, was nicht einmal die Kunst des Schneiders verdecken kann: das Missverhältnis von Körper- teilen, die unschönen Glieder, die ausgemergelten, die gemästeten Ge- stalten, die ungefälligen Bewegungen. Wer fleissig unsere öffentlichen Badeanstalten besucht und andere Gelegenheiten benutzt, das Auge zu schulen, der lernt die Klagen unserer Künstler würdigen und begreift, dass es Zivilisierte in Menge gibt, die den Schönheitssinn ebensowenig befriedigen wie beliebig viele Wilde. In allen Ständen und auf allen Entwicklungsstufen erfreuen uns von der Natur besonders glücklich Ausgestattete. Nur sind solche Vorzüge nicht Gemeingut ganzer Völker oder, wenn man will, Merkmale von Rassen, sondern von Familien. Sie liegen im Blute, im Schlage, und sie verbinden, was ursprünglich getrennt erscheinen will. Denn der Abstand zwischen Besten und Geringsten eines zivilisierten Volkes erscheint nicht kleiner als der zwischen Durchschnittstypen aller Menschengruppen. Nichtsdestoweniger beruht es auf Täuschung, in Wilden immer wieder Ebenbilder von Meisterwerken der Kunst zu erblicken. Vieles ist ja recht schön, aber es ist nicht stets zugleich edel; die Verhältnisse lassen Schönheit. Vergleiche. Bronzestatuen. Jul zu wünschen übrig. Die Formen sind vielfach künstlerisch streng, doch oft zu hart, zu archaistisch, die Gelenke zu deutlich, die Gliedmassen zu drehrund, ohne den ungleichen Schwung der Umrisse, Köpfe und Ge- sichter meistens zu gross, die Leiber zu voll. Der Körperbau und der Ausdruck der Formen, der unseren Idealen am nächsten kommt, findet sich bei Menschen in ausgeglichener Lebenslage. Stellen wir Masse gegen Masse oder Erlesene gegen Er- lesene, so wird die Entscheidung zugunsten der Zivilisierten fallen. Nicht dass diese ursprünglich vollendeter erschaffen, zu Höherem be- stimmt gewesen wären. Sicherlich haben die Vorfahren der Europäer ebensowenig wie die Wilden der Gegenwart den edlen, grosszügigen Gestalten geglichen, die uns in Abbildungen nach klassischen Mustern vorgelegt werden. Die Bafiöti haben ihre beste wirtschaftliche, europäischen Mustern folgende Entwicklung in der Umgebung der Kabindabai erlangt; ihre Eigenart haben sie am reinsten im Herzen von Loängo bewahrt. In solchen Teilen des Gebietes gewinnt man andere Anschauungen vom Volke als in Faktoreien, wo einem zusammengewürfeltes, in strenger Zucht ge- haltenes Gesinde, Herumlungerer, Karawanen von abstrapazierten Busch- leuten und Unfreien vorwiegend vor Augen kommen. Wer hier empfangene flüchtige Eindrücke mit ins Innere nimmt, den mögen dort auftretende Eingeborene durch Haltung und Gebaren des noch urwüchsigen Wilden bestechen. Einen edleren Typus vertreten sie deswegen nicht, was schon die sich mehrenden Photographien hinlänglich dartun. Gesindel der Küste und Bronzestatuen des Inneren — man könnte diese Bezeichnungen un- bedeuklich vertauschen — stehen ebensoweit diesseits und jenseits des Durchschnittes wie daheim etwa verelendete Weber in Gebirgswinkeln und Gardesoldaten in Hauptstädten. In Gesichtszügen wie Gliederbau erinnern unter den Bafiöti nur wenige an den überlieferten Negertypus, der ja überhaupt mehr Karikatur als Konterfei ist. Sie sind feinknochig, mehr schmächtig als stämmig, haben breite Schultern, schmale Hüften, schlanke Arme und Beine, eher kleine als grosse Hände, Füsse, Ohren. Ein Unterschied der Geschlechter fällt kaum auf, zumal die Frauen meistens langbeinig wie die Männer, die Körperformen aller weich und gerundet, die Bewegungen recht gleich- artig sind. Dadurch ist keineswegs ausgeschlossen, dass viele Männer namentlich an Beinen, Schultern, Brust und Rücken eine trefflich aus- gebildete Muskulatur besitzen. Auffällig ist, dass die Schlüsselbeine bei beiden Geschlechtern stark hervortreten und die Gruben (Salzfässer) sogar bei der drallen weiblichen Jugend selten gut ausgefüllt sind. Abstossende Fettbildung, übermässige Entwicklung einzelner Körperteile, insbesondere Steatopygie sind nicht kennzeichnende Merkmale. Dagegen gehören 12 Grübehen. Schultern. Arme. Nase. Grübchen — lividu, plur. mavidu — in Wangen, Kinn und Händen, an den Schulterblättern, im Kreuz, wobei dann gewöhnlich auch die Kreuzraute schön ausgebildet ist, durchaus nicht zu den Seltenheiten. Sie werden gebührend geschätzt und eigens benannt. Von Kopf bis Fuss völlig tadellose, ebenmässig schön gebaute Menschen haben wir unter den Bafıöti ebensowenig wie unter Zivilisierten gefun- den, aber wir haben doch viele recht gute Gestalten gesehen, in der Regel freilich solche, die das Auge weder beleidigten noch befriedigten. Jugend reizt, Alter nicht. Hübsch sind junge Personen mit ihrer Lust und Frische, mit der schwellenden Fülle ihrer Glieder, mit der naiven Anmut ihrer Gebärden, ansehnlich die in der Vollkraft des Lebens stehenden Leute mit ihren robusteren Formen; das verschrumpfte Alter ist meistens hässlich. Am schönsten sind Schultern, Hals, Rücken und Arme gebildet. Oft genug sind uns Mädchen und junge Frauen begegnet mit Nackenlinien, die jeden Vergleich aushielten. Der Rumpf erscheint in der Rücken- ansicht besser geformt, weil der Leib, durch Pflanzenkost aufgetrieben und jeder Stütze entbehrend, sich gewöhnlich in zu roher Fülle von der 'Leistengegend abhebt. Trotz Schmächtigkeit der Unterschenkel ist ein völliger Mangel an Waden — tschiwümu tschi külu, Bauch des Beines — selten, und wird von den Leuten selbst als unschön empfunden, denn sie spotten über mälu ma binga, über magere, dünne Beine. Bei beiden (seschlechtern finden sich in guten Zeiten sogar recht stattliche Waden. Die Finger nicht abgearbeiteter Hände sind oft hübsch verjüngt, die Nägel schmal und querüber gut gekrümmt. Häufig fehlt die Lunula, nur nicht am Daumennagel. Die Furchen des Handtellers und die Tast- rosetten zeigen keine bemerkenswerten Unterschiede, doch verläuft manch- mal die den Fingerwurzeln nächste Hautfalte, statt nach der Spalte zwischen Zeige- und Mittelfinger, parallel mit der Mittelfalte. Der Ring- finger ist gewöhnlich länger als der Zeigefinger, die grosse Zehe nicht stets am längsten. Plattfüsse und hässliche Ballenbildung sind selten. Da die Leute durchweg barfuss gehen, auch durch Sandflöhe sehr ge- litten haben, sind die Zehen oft verstossen und verschwollen, ist das Sohlenpolster verdickt; der Fuss erscheint gröber, weniger hohl, als er bei dem sonst gut gewölbten Spanne sein müsste. Begünstigte haben feine, schlanke Hände und Füsse. Am Kopfe missfällt am meisten die Nase. Sie mag an sich ganz fein sein, stört aber im hübschesten Gesicht und ist eigentlich das einzige typisch Unschöne. Immerhin gibt es Ausnahmen: gut angesetzte und geradrückige, höchstens in den Nüstern zu breite Nasen, meistens als Familienerbteil. Ein junger Mann erfreute sich sogar einer Adlernase. Die Stirnen sind gar nicht übel geformt und werden durch Ausrasieren Wangen. Mund. Zähne. Augen. Blick. 13 erhöht, weil das gefällt. Bemerkenswert fein gebildet erschien mir, namentlich bei jüngeren Weibern von guter Herkunft, die Wangenfläche des Gesichtes mit der Kieferlinie bis zum Kinn. Der Mund ist lange nicht so unschön wie die Nase. Die Lippen der Kinder sind sogar auffällig hübsch gestaltet, die der Erwachsenen zwar voll, oft wulstig, doch selten formlos. Besonders die Oberlippe, obgleich eher lang als kurz, ist gewöhnlich gut gesäumt und bogenförmig geschnitten. Ebenso ist die Lippenfurche — tschinsila tschi ilu, Weg zur Nase — gut ausgebildet. Schön rot sind die Lippen niemals und heben sich durch ihre Farbe wenig vom Gesicht ab; wo Rot durch- schimmert, tritt es meistens in der Oberlippe am deutlichsten auf. Es gibt viele Münder, die bei aller Fülle recht ausdrucksvoll sind, es kommen sogar welche vor, die klein und so fein geschnitten sind, dass sie die Gesichter von Europäern nicht verunzieren würden. Sie haben eben die kindlichen Formen bewahrt. Die rein weissen, nicht durchweg regelmässig stehenden Zähne be- sitzen gewöhnlich nicht den perligen Schimmer des durchscheinenden Schmelzes. Obgleich sie nach jeder Mahlzeit sorgfältig geputzt werden und mit wirklich heisser Nahrung kaum in Berührung kommen, sind namentlich die hinteren keineswegs so gesund, wie man anzunehmen pflegt. Tadellose Gebisse sind vielleicht so selten wie bei uns. Zwischen den mittleren oberen Schneidezähnen zeigt sich öfters eine natürliche Lü:ke, die bis zu einem Drittel der Zahnbreite betragen kann. Bei manchen Personen, nicht bloss bei Frauen, waren die Schneidezähne auffällig gross und verlängert, was vielleicht noch häufiger zu beobachten wäre. wenn nicht viele in landesüblicher Weise gestutzt würden. _ Die breit, selten schief eingesetzten nussbraunen Augen sind mehr mandelförmig als rund geschnitten. In der Jugend offen und ruhig blickend, durch volle und lange, sowohl straffe als auch leicht gekräuselte Wimpern gehoben, erscheinen sie im Alter meist gekniffen, wodurch die Gesichter leicht den Ausdruck des Lauernden, der humorvollen oder frechen Verschmitztheit erhalten. Da einem diese Unschönheit bei Waldbewohnern kaum, bei den in Steppen und Wüsten hausenden Völ- kern und namentlich bei den Bewohnern arktischer Gebiete fast stets auffällt, darf sie als eine Folge starker Lichtwirkung betrachtet werden, denn Europäer, die länger in solcher Umgebung gelebt haben, sind nicht frei davon. Kinder haben besonders schöne und grosse, aber oft selt- sam anmutende traurige Augen mit haftendem weltfremdem Blicke, wobei man an die Sixtinische Madonna denkt. Die in der Jugend weisse oder bläuliche Bindehaut nimmt mit dem Alter eine unrein gelbbräunliche Färbung an. Ein Mann hatte mattblaue, sonst ganz gesunde Augen, die im dunkeln Gesicht nicht gut aussahen; 14 Haar. Bart. Brustformen. etliche Kinder hatten grünliche Augen, ein junges Mädchen zeichnete sich durch wunderschöne goldbraune, durch sonnige Augen aus. Ver- schieden gefärbte Augenpaare sind uns nicht aufgefallen. Das kurz gehaltene, mehr braun- als blauschwarze und nicht glän- zende Haar ist gewöhnlich recht derb, so wie eine Polsterstopfung anzu- fühlen, manchmal aber fein und weich, seidig wie bei Neugeborenen. Das scheint Familieneigentümlichkeit zu sein, wie auch die andere, dass es sich nicht eng kräuselt und flockt, sondern, nur gewellt, ziemlich gestreckt liegt, was durch eifriges Kämmen befördert wird. Diese Abweichung pflegt man nicht sogleich zu bemerken, vielmehr hat man zunächst bloss das Gefühl, dass an einer Person irgend etwas nicht in Ordnung sei. Wird der kraushaarige Kopf, wie es der Sauberkeit wegen öfters geschieht, glatt rasiert, so verleihen ihm die wieder sprossenden Härchen häufig ein gekörntes Aussehen. Das Vergrösserungsglas belehrt, dass die Haare sowohl bei verschiedenen Personen als auf dem nämlichen Kopfe hier gleichmässig verteilt, dort fleck- oder büschelweise hervorwachsen. Solche Büschel finden sich dann am deutlichsten an den Rändern des Skalpes, auf Stirn, Schläfen, hinter den Ohren, im Nacken. Diese Ver- schiedenheit des Haarwuchses überrascht selbst bei leiblichen Geschwistern. Längere Zeit nicht geschorenes Haar nimmt an den Spitzen einen fuch- sigen Schein an. Helles, tornisterblond zu nennendes Haar kommt selten vor, häufiger bemerkt man einzelne fuchsige oder hellgraue Büschel. Im Alter wird die Kopfbedeckung eisengrau und schliesslich weiss, ohne sonderlich an Dichtigkeit einzubüssen. Bartwuchs haben zwar nicht alle, aber doch recht viele Männer, nur findet sich Backenbart weit seltener als Schnauz- und Kinnbart. Ein Häuptling war sehr stolz auf seinen üppig entwickelten Vollbart. Wie alle Afrikaner geben sie viel auf diesen Schmuck des Mannes. Ein wallender Bart flösst ihnen Ehrfurcht ein und reizt die Frauen- zimmer. Die Brüste des Weibes neigen nicht zur Üppiekeit und sind in der Regel hoch und seitwärts angesetzt. Bei erhobenen Armen überschnitten die von Mädchen manchmal die Seitenlinien des Rumpfes. Unschön sind oft die kuppigen, zu vollen, nebst dem Hofe verschwollen aussehenden Brustwarzen, an deren Basis gelegentlich einzelne derbe Haare sprossen. Ungleich grosse Brüste kommen vor. Normal entwickelte sind bei der straffen Jugend weniger halbkugelig als kegelförmig, und zwar flach oder stark ausladend. Nicht selten erscheinen sie streng geformt, wie in Metall getrieben. Die kürzeren Kegel mit breiter Basis sind dauerhafter als die andern, die, da sie keinerlei Stütze haben, namentlich bei Säu- genden bald zum Zerrbilde werden, was übrigens nicht bloss bei Afri- kanerinnen vorkommt. Beutel von solcher Verlängerung, dass sie dem Hautfarbe. Geburtsflecke. 15 auf dem Rücken getragenen Kinde erreichbar gewesen wären, haben wir niemals beobachtet. Die Farbe der weichen, keineswegs haarlosen Haut stimmt nicht am ganzen Körper überein. ‚Jedenfalls sind die der Sonne am meisten aus- gesetzten Teile nicht durchweg am dunkelsten gefärbt, obschon nicht zu leugnen ist, dass die Haut in der Sonne wirklich verbrennt. Umschnü- rungen bewirken eine Aufhellung der Farbe, die von der Umgebung etwa derartig absticht, wie sich umwickelt gewesene Stellen an Räucherwaren markieren. Fusssohlen und Handflächen sind hell, licht möhrenfarbig oder fast so „weiss“ wie beim Europäer, äusserst selten dunkel gefärbt. Auf den hellen Schleimhäuten der Mundhöhle finden sich manchmal fast indigofarbig erscheinende Flecke; ein paar erbsengrosse entdeckte ich auf der Zunge eines Knaben. Eine allgemeine Veränderung der Hautfarbe vollzieht sich langsam vom ‚Jugend- bis zum Greisenalter, und schneller unter wechselnden Einflüssen. Kinder kommen hell zur Welt und werden von besseren Familien in dämmeriger Hütte verwahrt, bis sich die genügende Färbung ausgebildet hat. Das kann Tage, Wochen, Monate dauern. Freie oder vom Europäer unabhängige Leute gestatten nicht die Besichtigung der Neugeborenen. Diese sollen niemals dunkelhäutig, doch häufig mit dunkleren Stellen an den Geschlechtsteilen, sowie ausnahmslos am Kreuz und Hinteren geboren werden, von wo auch, nebst den Stellen hinter den Ohren, die Pigmentierung sich ausbreitet. Wo ich sie sah, schimmerte sie matt indigoblau durch die Haut. Dem Glauben nach sind Kinder mit recht deutlichen Geburtsflecken am Hinteren besonders glücklich, gewissermassen edel geboren, was an unseren derben Volks- witz erinnert. Junge Leute mit ihrer prallen Haut erscheinen durchweg lichter und reiner gefärbt als alte mit ihrer welken Haut, ebenso die Weiber allge- mein ein wenig heller als die Männer. Dass Angehörige vornehmer Familien in der nämlichen oder entgegengesetzten Weise ausgezeichnet wären, oder es für eine Ehre hielten, lässt sich nicht behaupten. Übrigens halten alle Eingeborenen ihre Hautfarbe für schöner als die der Weissen, obgleich viele die Gesichtszüge hübscher und feiner finden, namentlich wenn sie einen fröhlichen und liebenswürdigen Ausdruck haben. Nach unserer Station übergesiedelte Knaben wurden infolge der besseren und regelmässigeren Ernährung allmählich eine Schattierung heller. Dunk- ler wird die Haut bei Kranken und Menstruierenden, unklar missfarbig bei Blutarmen, auffallend heller wurde die einer jungen Frau während der ersten Schwangerschaft. Unser Erröten erscheint mehr als ein Er- dunkeln, das sich bei der weiblichen Jugend über Hals bis zu Schulter und Brust fortpflanzen kann. Dabei gewinnt die Haut an Glanz und 16 Haut. Ausdünstung: Gemeinschaftsgeruch, Personengeruch. Tiefe. Unter der Einwirkung von Kälte und Furcht nimmt sie einen stumpf grauen Ton an. Häufig treten örtliche Veränderungen der Hautfarbe ein. Bei manchen Mädchen entstehen während der Entwicklungsjahre namentlich auf Gesicht und Brust unregelmässige, an Pantherzeichnung erinnernde lichtere Flecke. Sie vergehen wieder, was indessen Jahr und Tag dauern kann. Scheckige Männer: sind mir etliche Male aufgefallen. Einer war am Oberkörper wie ein Fliegenschimmel getüpfelt, ein anderer mit grösseren Flecken gezeichnet, die von ferne weiss schimmerten, näher betrachtet aber ein sehr lichtes Gelbbraun erkennen liessen, das an den Rändern ‚in die normale Hautfarbe überging. Ein Knabe hatte am Oberkörper fünf taler- bis handtellergrosse tot weisse Flecke, deren Ränder ausge- zackt und verwaschen erschienen. Die Haut war gleichmässig glatt und weich, Druck schmerzte nicht und brachte keine Farbenveränderung hervor. Die Flecke sollten sich vor etlichen Jahren ohne äussere Veranlassung gebildet und seitdem schon bedeutend an Grösse verloren haben. Einen Albino, ein badendes Mädchen, hellfarbig wie eine Europäerin, habe ich nur einmal von ferne gesehen. Jedenfalls schwankt die Farbe der Haut unter gesunden Eingeborenen, selbst unter Geschwistern, recht auffällig. Wirklich schwarz ist sie nie- mals, sondern durchschnittlich warm dunkelbraun mit einem Stich ins Rötliche (Farbentafel am Schluss der zweiten Abteilung), spielt aber ganz ausserordentlich je nach der Beleuchtung. Dicke oder dünne, grobe oder zarte Haut — beim Betasten ergeben sich beträchtliche Unterschiede —, scheint ebenfalls Familieneigentümlichkeit zu sein. Auf feine, klar ge- färbte Haut gibt man viel, und man pflegt sie. — Die Ausdünstung der Bafiöti haben wir nicht als unerträglich, hin- gegen als spezifisch empfunden, so wie sie die unsere. Indessen: was besagt hier spezifisch, und wie weit dürfen wir unseren Riechwerkzeugen trauen? Wir können sie nicht durch zuverlässige Instrumente ersetzen. Wir müssen uns behelfen, als wollten wir Temperaturen ohne Thermometer nach dem Gefühl bestimmen. Alle Menschen sondern riechende Stoffe ab. Die einzelnen zweifellos ihnen persönlich anhaftende, wonach vertraute Haustiere sich richten, und gewisse Gruppen ausserdem ihnen vielleicht insgesamt eigentümliche, die dann den sogenannten Rassengerüchen entsprächen. Nach dem un- gleichen Verhalten der Hunde könnte gefolgert werden, dass bei Primi- tiven der (Gremeinschaftsgeruch, bei Zivilisierten der Personengeruch vor- walte. Wenn nur die Behandlung der Hunde nicht so verschieden wäre: dort allgemeine Unbekümmertheit, hier freundliche Fürsorge. Auch Gegenden, Städten, Häusern, Wohnungen darf man oft einen eigentümlichen Geruch zuerkennen, denn Gerüche erwecken in uns Er- Ausdünstung: Einfluss der Ernährung, der Lebensweise. 117 innerungen wie Klänge. Sie scheinen sogar fester im Gedächtnis zu haften als andere Eindrücke. Landschaftsgeruch ist beim Naturgenuss recht wesentlich. Wie verschieden riecht die Kulturlandschaft und die Wildnis: Strand, Sumpf, Steppe, Wald. So gut wie geruchlos ist einzig und allein die Wüste, wodurch gerade das - Eindrucksvolle gesteigert werden mag. Bei Menschen fällt die Ausdünstung anderer mehr auf als die eigene; sie wird nach Veranlagung und überlieferter Meinung aufgefasst. Ins- besondere die der Afrikaner. Berichte über vollgepfropfte Sklavenschiffe spuken nach. Wenn nun Europäer in der nämlichen Weise verfrachtet würden? Schon die nach längerer Fahrt einlaufenden Auswandererschiffe und Truppentransportschiffe machen stutzig, obgleich da ganz anders für Reinigung gesorgt wird. Die Ausdünstung, die versammelte Europäer umschweben kann, mag nicht weniger widerwärtig empfunden werden als die, die andere Menschen verbreiten. Bei Indianern, Tschuktschen und Eskimos habe ich viel Schlimmeres gerochen als bei Negern. Ernährung und Lebensweise sowie das Befinden der Personen, ob sie gesund oder leidend, ruhig oder erregt, jung oder alt sind, ob sie sich vernachlässigt haben, beeinflussen zweifellos die Ausdünstungen, die wahrscheinlich auch mit der Geschlechtskraft sich verändern. Dazu kommt bei allen um offene Feuerstätten hausenden Menschen ein unverkennbarer Geruch nach Holzbrand, nach Räucherwaren, schmauchig, harzig, säuer- lich, der an unsere Koniferengegenden, an unsere alten Spinnstuben mit Kienspanbeleuchtung erinnert. Mich will bedünken, der Neger in Amerika dünste anders aus als der in Afrika. Die hauptsächlich Reis essenden Krus riechen anders als die Maniok essenden Bafıöti, wiederum anders die Balambu und Bayaka, die vorzugsweise von Pisang, die Ovahererö, die von Sauermilch leben, ebenso mindestens zeitweilig die Stämme am Gebirgslauf des Kongo, je nachdem sie sich mit den reifenden Erbsen des Cajanus indicus sättigen, oder Ananas in Menge verzehren, oder in den Früchten ihres geliebten Nsävubaumes (Canarium Saphu Engl.) schwelgen. Bei Fischessern tritt der Einfluss der Nahrung noch viel schärfer hervor. Auch beim Europäer bleibt die Ernährungsweise nicht ohne Ein- fluss: Gewisse heimische Speisen wirken offenkundig, nicht weniger allerlei (sewürze, ferner Mangos und andere nach Terpentin schmeckende Tropen- früchte, sowie Brotfrucht, Taro, Kawa der Ozeanier. Eine anhaltende Verpflegung mit Maniok bewirkt bei ihm eine Ausdünstung, die an Katzenurin erinnert. Gewiss liessen sich, wenn nur darauf geachtet würde, noch manche andere Ernährungsgerüche nachweisen, die sich freilich mit denen des Bodens, der Wohnstätten, der Feuerstellen vermischen. Denn der Mensch riecht nicht bloss aus sich heraus, sondern auch nach dem, Loango. 2 18 Ausdünstung: Stärke, Wechsel. Beurteilung. was ihn umgibt, berührt, und in seinen Haaren und Hüllen, an seiner Haut haftet. Ist es die Nahrung, die die Ausdünstung erzeugt oder wesentlich beeinflusst, so wäre das schon erwähnte Vorwalten des Gemeinschafts- geruches aus der Gleichartigkeit, das Vorwalten des Personengeruches aus der Mannigfaltigkeit der Verpflegung zu erklären. Dann aber han- delte es sich um Lebensführung und Gesittungsstufe. um Stammes- und Volksgeruch, nicht um Rassengeruch. Vor allem wäre zu beachten, ob Menschen naturrein sind oder nicht, ob die Körper regelmässig gebadet, mit seifenähnlich wirkenden Säften oder Holzpulver gereinigt, ob sie statt dessen mit fettigen, sich leicht zersetzenden Stoffen eimgerieben oder gar mit beständig getragenen Hüllen behängt werden. Längs des Kongo, von der Küste bis ins ferne Innere, bieten sich in rascher Folge alle Grade solcher Hautpflege dar, bis zur öltriefenden Gestalt mit russiger Beerenfrisur. Da riecht weniger der Mensch als die Salbe, wie unter uns oft mehr das Parfüm als die Person. Wie soll unter solchen Umständen ein Rassengeruch festgestellt werden? Nach dem jetzigen Stande unseres Wissens bliebe nichts übrig, als Menschen aller Art miteinander längere Zeit gleichmässig zu ernähren, zu pflegen und sie alsdann von besonders Begabten — ich erinnere an die Teeriecher — mit verbundenen Augen gewissenhaft beriechen zu lassen. Ob diese anthropologischen Berufsschnüftler Schwarze, Gelbe, Weisse zu sondern vermöchten? Ob sie bestätigen könnten, was manche mit emp- findlichen Nasen Ausgerüstete versichern: dass unter Europäern sowohl Männer und Weiber als auch Brünette, Blonde, besonders Rote, endlich auch Geschlechtsstarke und Geschlechtsschwache an der Ausdünstung zu unterscheiden wären ? Wie die Dinge wirklich liegen, handelt es sich zunächst um sehr unsichere Richter, das sind unsere Nasen und unsere Vorurteile, sodann um sehr mannisfaltige, der Natur, der Kunst und wechselnden Zuständen entstammende (Gerüche. Volle Unbefangenheit vorausgesetzt kann dem einen in hohem Grade missfallen, was den anderen kaum belästigt oder sogar angenehm berührt. Mich hat die Ausdünstung der wasserfrohen Bafıöti und ein paar anderer sauberer afrikanischer Stämme sowie der halb amphibischen Polynesier weniger berührt als die vieler Europäer. Bei schwitzenden Arbeitern, im Gedränge einer sich vergnügenden Volks- menge verhält es sich in Loängo wie bei uns. Man denke an unseren Kolonnenduft, an unsere Jahrmärkte, Volksdinge, Theater, Tanzböden und Ballsäle. Die Bafiöti sind ebenfalls empfindlich für die Ausdünstung der Euro- päer, die ihnen durchaus missfällt, sowie für die starke von Personen ihrer Art. Man ist mit schlechtem Geruch, rufen sie, und blasen Luft Volksvermehrung. Geschlechtsreife. Sinnlichkeit. 19 durch die Nase. Übermütige Ruderer sangen uns einst unter anderen Sätzen den folgenden: mkäsi mundele m’nünku kakele, der besagt, dass die Frau des Weissen sehr übel rieche. Als ich ihnen als Text vor- schlug: mkäsi mfiöte mfimbu bene mböte, die schwarze Frau ist äusserst wohlriechend, schauten sie erst verdutzt, jubelten dann los und sangen unverdrossen den neuen Reim. — Die Geschlechter mögen an Kopfzahl gleich sein. Die Volksver- mehrung ist nicht stark, am grössten aber durchschnittlich in den besser gestellten Familien, wo auch Vielweiberei am meisten im Schwange ist. Frauen haben in der Regel zwei bis drei Kinder, doch hatte eine drei- zehn, eine andere siebzehn geboren, und sie waren stolz darauf, denn Kinderreichtum ist ein Glück. Ein Geburtenüberschuss stört sonach nicht das gesellschaftliche Gleichgewicht. Unfruchtbarkeit mag auch zu Lasten des Ehemannes fallen. Gibt es doch Fetische für Männer, die ebenso wirken sollen wie die in unseren Zeitungen angepriesenen (re- heimmittel. Immerhin sind, nach Heilversuchen zu schliessen, Störungen im Gre- schlechtsleben des Weibes nicht selten; auch die Geburten verlaufen durchaus nicht immer musterhaft. Erstgeborene scheinen überwiegend männlichen Geschlechtes zu sein. Zwillinge und Drillinge kommen vor. Die Kindersterblichkeit darf als mässig bezeichnet werden. Obgleich arge Missgeburten vielfach für verdächtig und unglückbringend gelten und wohl beseitigt werden — wie Zwillinge zweierlei Geschlechtes, deren enges Beisammensein als unsittlich und verderblich aufgefasst wird —, sieht man dennoch hin und wieder Kinder mit verkrüppelten Gliedmassen sowie Leute mit sechs Fingern und Zehen. Wir besassen übrigens auch einen derartig ausgestatteten Schimpansen. Mädchen heiraten oft in recht jugendlichem Alter, aber nie bevor sie geschlechtsreif sind. Viele sind trotzdem so wenig entwickelt, dass sie besser noch ledig blieben, wofür von verständigen Müttern auch ge- sorgt wird. Die Menstruation tritt im Durchschnitt schwerlich früher ein als in gemässigten Klimaten, dagegen schemen die klimakterischen ‚Jahre sich zeitiger zu melden, überhaupt die Menschen schneller ver- braucht zu werden. FEbensowenig wie die Annahme stichhaltig ist, dass unter heisserer Sonne die Geschlechtsreife durchweg früher einträte, ist es die andere Annahme, dass die Sinnlichkeit, die Lüsternheit, insbesondere die der Afrikaner, des weiblichen Geschlechtes, übermässig entwickelt wäre. Menschen sind freilich verschieden, aber doch nicht in allem und jedem nach geographischer Breite und Hautfarbe geartet. Vielmehr scheint das Wohlleben, die Zivilisation mit ihren künstlichen Anreizen zu steigern, was unter einfachen Verhältnissen zu den natürlichen Verrichtungen ge- hört, wie Essen, Trinken, Schlafen. 9% a Einheimische Krankheiten. Malaria. Von Krankheiten kennen die Bafiöti manche uns verderbliche, dar- unter mutmasslich auch das Kindbettfieber, nicht, werden aber dafür von anderen desto schlimmer heimgesucht. Seuchen, namentlich Pocken, hausen fürchterlich unter ihnen, zumal sie gewöhnlich nach Jahren der Dürre mit darauf folgender Hungersnot kommen, wo die Widerstandskraft geschwächt ist. Für einen Orts- und Klimawechsel erweisen sich Ein- geborene viel empfindlicher als Europäer, wie denn überhaupt Primitive nicht so widerstandsfähig wie Zivilisierte sind. Regen scheuen sie, be- sonders grosse Tropfen, die schmerzend auf ihre Haut klatschen. An- haltend kühle oder kalte Niederschläge werden ihnen sogar gefährlich: sie erstarren im Freien, besonders in nassen Hüllen, und können zugrunde gehen. Sehr empfehlenswert für den Reisenden ist es, mit seinen Leuten alte Lagerplätze zu vermeiden. ö Von Malaria bleiben sie ebensowenig wie Fremdlinge verschont, doch leiden Kinder öfter und andauernder als Erwachsene, oder sie machen mehr Aufhebens davon. Übrigens gibt es etliche malariafreie (egenden im Lande, wo nicht einmal Kinder erkranken, was den Ein- heimischen als sicherstes Merkmal gilt. Am meisten werden sie zur Sestellzeit von Malaria geplagt, wo sie das trockene Erdreich behacken und wo nach ihrer Meinung die schweifenden Seelen am ärgsten hausen. Aber gerade um diese Zeit gibt es die wenigsten oder gar keine Mücken. Auch leiden vorzugsweise Hörige und Frauen mit ihren Kindern, die das Feld bearbeiten, nicht freie Männer und gut ge- stellte Frauen, die sich fern halten. Dem beim Aufbrechen stäuben- den Boden geben sie die meiste Schuld, und ihre Erfahrung, die nicht allein steht, ist nicht leichthin zu verwerfen. In Hongkong und Mau- ritins wütete die Malaria förmlich beim ersten Umstürzen des Erd- reiches. Mücken übertragen, aber erzeugen nicht Malariakeime. Viel- leicht sind diese auch verschiedener Art. Häufig klagen unsere Leute über Zahn-, Kopf- und Gliederschmerzen, die verlarvte Malaria be- gleiten oder von Erkältungen herrühren, wozu Lagerleben, Schlafen auf der Erde, Baden in erhitztem Zustande hinreichend Gelegenheit bieten. Ebenso klagen sie oft über Krankheiten der Verdauungs- organe. Für besonders ansteckend gilt eine von Würmern (Anchylo- stomum?) verursachte Darm- und Aftererkrankune — maküla —, die namentlich zur Zeit des Menschenhandels und bis zu dessen Unter- drückung, unter eingepferchten Sklavengängen verheerend gewirkt hat. Samuel Brun, ein Wundarzt aus Basel, der zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts auf emem holländischen Schiffe Niederguinea besuchte, scheimt in seinem Berichte vom Kongo diese Krankheit mit zu meinen. Ist dem so, dann fasst er noch ein zweites Leiden mit dem ersten zu- sammen, denn er meldet zugleich, dass die Würmer auch unter den Allerlei Leiden. Körperwärme. Irrsinnige. 21 Nägeln der Hände und Füsse vorkämen.”) Noch mehr gefürchtet wird als ansteckend die wie die Wassersucht vereinzelt auftretende rätselhafte Schlafkrankheit, die langsam, aber stets tödlich verläuft. Die Einge- borenen berichten, dass sie zeitweilig verheerend wie eine Seuche durch das Land ziehe. Ferner klagen die Leute über Blasenleiden, Herzkrankheiten, Krämpfe und, laut Beschreibung, auch über Hämorrhoiden. Augenkrankheiten haben wir selten, Aussatz, Guineawurm und Kropfbildung überhaupt nicht beobachtet. Elefantiasis soll vorkommen. Schnupfen ist manch- mal recht verbreitet, Husten, Lungenentzündung selten; Schwindsucht scheint zu fehlen. Bei weitem nicht so häufig, wie man denken sollte, werden die Leute von Hautkrankheiten geplagt, von Flechten und Ge- schwüren, die bisweilen recht bösartige Formen annehmen. Besonders war dies der Fall nach Einschleppung der Sandflöhe (III 297), gegen welche Heimsuchung die Eingeborenen sich anfangs gar nicht zu helfen wussten (II 85). Gewöhnliche, selbst schwere Verwundungen heilen er- staunlich gut und schnell. Die unter der Zunge gemessene Temperatur gesunder Personen beiderlei Geschlechtes, — es waren aber nicht viele, die sich dazu hergaben —, wich nicht ab von der normalen. Trottel, Fallsüchtige, Taubstumme, Blinde kommen vor, obschon recht selten, dorfweise auch Stotterer, die durch Vorbilder beeinflusst erscheinen. Paralyse ist uns nicht vorgekommen. Geistesstörungen sollen bei Erwachsenen bisweilen «plötzlich eintreten und sich wieder verlieren oder manchmal dauernd erhalten. Als Ursachen werden Besessenheit, Wutanfälle, schwere Schicksalsschläge, wie der Verlust eines geliebten Angehörigen oder Freundes, angegeben. Die Betroffenen reden und tun allerhand unsinniges Zeug, oder sie verfallen in Schwermut und Stumpf- sinnigkeit. Wir haben nur einen Irrsinnigen gekannt, und zwar eine Frau, die nach dem Tode ihres Kindes geisteskrank geworden war. In- folge einer Unglücksbotschaft oder infolge von Arger, Schreck, vermeint- lich erlittenem Unrecht werden jüngere Leute manchmal von einer Art Starrheit ergriffen. Sie werden mit dem Widrigen nicht fertig Stunde um Stunde können sie alsdann, stehend oder sitzend, unbeweglich ver- harren, bis Verwandte oder Freunde, denen es zu lange dauert, sie *) In seiner Abhandlung: Samuel Braun, der erste deutsche wissenschaftliche Afrika- reisende, Basel 1900, Seite 129, begründet Dr. G. Henning seine Ansicht, dass es sich damals schon um eine Sandflohplage gehandelt habe. Das leuchtet ein. Doch wäre die maktla benannte Wurmkrankheit, die auch ohne Sandflöhe vorkam, auszusondern. Die Sand- tlöhe könnten, nach Henning, damals wieder ausgerottet worden sein, wären dann zu unserer Zeit zum zweiten Male eingeschleppt und nun erst durch den gesteigerten Verkehr so rasch und weit durch das tropische Afrika verbreitet worden, wie P. Hesse im 5. Jahrgange der Geographischen Zeitschrift Seite 522 ausgeführt hat. DD) Wirkung von Ärger, Schrecken. ermuntern und fortführen. Ab und zu kann man nicht umhin, zu glauben, dass Schauspielerei dabei sei, ein passives Aufbegehren, weil eine Stel- lung angenommen und für das Gesehenwerden gesorgt wird. Die Ge- fährten lassen eine sich derartig gebärdende Person gewähren; jeden- falls erregt ein solcher Zustand keinerlei Besorgnis. Sie sagen, die Person sei lau läu, sehr närrisch, oder auch ssüssuka, verblüfft, betäubt, verwirrt. Einer unserer Jungen, der einmal seinen Lohn in Stoffen von nicht gewünschtem Muster erhalten hatte, ging auf die andere Seite des Hofes und warf die Rolle zur Erde. Einen Fuss vorgesetzt, die steifen Arme mit gespreizten Fingern leicht nach vorn gestreckt, den Oberkörper zurückgebeugt, die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel zurückgezogen, stierte er sein Zeug an, als sei es etwas Entsetzliches. So verharrte er bewegungslos über eine Stunde. Nachher rüttelten ihn die anderen Jungen auf, und er tat mit ihnen seine Dienste, als wäre nichts geschehen. Als eines Tages ein Läufer in unser Gehöft stürmte und den Tod eines hoch angesehenen Häuptlings verkündete, warf der nämliche Junge die Arme hoch, brach wie vom Blitz getroffen zusammen und lag längere Zeit be- wusstlos. Der Verstorbene stand ihm allerdings nahe. Einst ging ich gleich nach meiner Ankunft in einem abgelegenen Dorfe aus, um einen günstigen Platz zum Malen zu suchen. Als ich eben eine kleine Rodung betrat, kam von jenseits aus dem Dickicht ein Trupp lustig schwatzender Weiber. Mich erblicken, entsetzt aufkreischen, umkehren und in Deckung fahren, oder umfallen, schreiend strampeln und sich umherwälzen, war eins. Nur ein halbwüchsiges Mädchen mit dem Wasserkruge auf dem Kopfe blieb stehen, folgte mir, als ich, um den unliebsamen Vorgang aufzuklären, nach der nahen Ortschaft ging, und knickte dort erst zusammen, wobei der Wasserkrug zerbrach. Die Dörfler lachten und meinten, ich hätte die Weiber gar zu sehr erschreckt, denn sie hätten bisher weder einen Weissen gesehen, noch von meiner Ankunft gehört. Der Schade wurde wett gemacht, und wir schieden in gutem Einvernehmen. Bei einer nächtlichen Volksbelustigung kam es zu Streit und Tätlich- keiten. Seitdem fehlte eine Frau, was grosse Erbitterung verursachte. Nach neun Tagen stiessen unsere Leute beim Holzlesen auf die Vermisste. Die Arme war gänzlich verwirrt und sehr erschöpft, erholte sich jedoch rasch und befand sich nach einer Woche wieder wohlauf. Kopflos vor Schrecken war sie in ein Gehölz gekrochen und hatte daselbst die ganze Zeit hungernd und durstend zugebracht. Das war um so unbegreiflicher, als nahe bei dem verfilzten aber nicht grossen Buschwalde unser Gehöft sowie ein kleines Dorf lag, von woher Stimmen und Geräusche zu ihr dringen mussten. Neigung zum Übertreiben. 93 Eine andere Geistesstörung führt dazu, dass Personen nach volks- tümlicher Ausdrucksweise das Laufen kriegen. Sie wandern und wandern ziel- und zwecklos durch diek und dünn, wie ihre Beine sie tragen. Sie nächtigen und nähren sich, so gut es gehen mag, verwildern völlig, ver- elenden und gehen schliesslich zugrunde, wenn sie nicht aufgegriffen und ihren Angehörigen überliefert werden. Der krankhafte Zustand soll sich nach einiger Zeit wieder geben. Plötzliche Anfälle von Raserei kommen ebenfalls vor, nur dürften sie nicht immer ganz echt sein. Es ist da recht schwierig, die Grenze zu bestimmen. Die Leute stellen sich an, sie haben sich, wie man beı uns zu sagen pflegt. Es ist ihnen Bedürfnis und Gewohnheit, sich in allen Dingen bemerkbar zu machen. Sie fühlen sich dann so wichtig. Schon wenn sie ein Stück ungewöhnlicher Arbeit leisten sollen, wobei einfaches Zugreifen genügte, hantieren sie mit grossen Gebärden wie Titanen. Sie erinnern an unsere Jungen daheim, die bei Verrichtungen auffallen wollen. Auch bei ihnen der Schein ausserordentlichen Kraft- aufwandes, wo anderes zweckmässiger und bequemer wäre. So verhält es sich mit den Gemütsbewegungen, die die Leute sehr übertrieben ausdrücken, weil sie nicht anders können und weil es sich so schickt. Mit ihren Berichten ist es dasselbe. Von jemand, der einen Schmiss abkriegte, vielleicht blutrünstig getroffen wurde, erzählen sie, er sei getötet worden, und nach einem Hiebe, er sei zuschanden gescalagen worden. Wenn irgendeine Nachricht, ein Geschehnis sie überrascht, gibt es scheinbar kein Halten mehr. Sie gleichen einem aufgestörten Ameisen- haufen. Die Männer rennen durcheinander, werfen die Glieder, greifen zu den Waffen, erhitzen sich an abgerissenen Reden. Die Weiber und Kinder zetern und keifen. Trupps Bewafineter laufen umher, drohen, tanzen, brüllen, Blutvergiessen scheint unvermeidlich. Die Leute denken aber gar nicht daran. Nichts würde sie mehr überraschen, als wenn man ihr Treiben ernsthaft nähme. Infolge einer Meinungsverschiedenheit, eines Zwistes, eines hef- tigen Wortes, namentlich wenn die Mutter beschimpft wird, kann einer im Nu ausser sich geraten. Er tobt umher, droht höchst dramatisch und greift zur Waffe. Da springen andere hinzu, umfassen seine Beine, seinen Leib, seine Arme und halten ihn m so ausdrucksvoller Grup- pierung, als gölte es, eine Welt zu stützen. Er steht da, mit grossartiger Gebärde andeutend, dass er wer weiss was Fürchterliches anrichten würde, wenn man ıhn liesse. Dazu Geschrei, Stöhnen, selbst Tränen. Der Gegner drückt sich, und nach einem Weilchen ist alles wieder gut. So hat man den Anblick eines wirkungsvollen lebenden Bildes, ebenso wenn erreste Männer fast feierlich klagen, schmähen, weinen. Bei 24 Selbstmord. Nerven. Gelüste. aller Komik steckt doch vieles darin, das homerisch anmutet, sowie an die pathetischen Gemälde Davids erinnert. Einem Mädchen wurde vor unserem Gehöft von Leidtragenden nach altem Recht, trotz Gegenwehr, die Hälfte des eben für Feldfrüchte ein- getauschten Rumes weggetrunken. Darüber geriet die Beraubte, die uns schon lange gelassen und freundlich versorgte, dermassen ausser sich, dass sie, bar aller Scham, einen jammervollen Anblick bot. Klagend und kreischend verkrampfte sie die Hände, schlug um sich, raufte ihr Haar, hämmerte die Brust, riss das Gewand von den Hüften und wälzte sich schäumenden Mundes auf dem Boden. Plötzlich raffte sie sich auf, sprang den Abhang hinab zum Meere und wäre sicherlich ins Wasser gelaufen, wenn nicht einer der nacheilenden Männer sie noch glücklich erfasst hätte. In hochgradiger Erregung wurde die Widerstrebende von (Gefährtinnen heimgeführt. Nächsten Tages war sie artig wie immer. Immerhin sind derartige ernsthafte Vorfälle recht selten, und ich wüsste in der Tat kaum noch welche von ähnlicher Bedeutung anzu- führen. Aber die Leute, die solchergestalt die Herrschaft über sich selbst verlieren, können manchmal Unheil anrichten oder, wie es auch. in der Fieberhitze geschieht, Selbstmord begehen. Von solchen Gescheh- nissen sind uns folgende bekannt geworden: Ein Häuptling tötete auf der Stelle einen Zaubermeister, der ihn überraschend der Hexerei be- schuldigte; ein Faktoreisklave schnitt sich die Kehle durch; eine junge Frau erschoss sich aus Eifersucht; ein Mädchen ging aus unglücklicher Liebe ins Wasser. Was man so .Nerven zu nennen pflegt, gibt es kaum unter beiden (seschlechtern. Ihr Nervensystem arbeitet träge und bedarf starker Reize. Sie zucken nicht zusammen bei einem ungewöhnlichen Schalle; höchstens stossen sie einen Ausruf der Verwunderung aus und fahren mit der Hand mundwärts. Junge Weiber halten sich manchmal ängstlich die Ohren zu, wenn in ihrer Nähe heftig geschossen wird oder wenn sie das Abfeuern eines Gewehres erwarten, doch machen sie sich dabei verdäch- tig, ein bisschen zu kokettieren. Manche wurden allerdings durch die Töne einer messingenen Signaltrompete so unliebsam berührt wie etwa unsere Hunde; sie verstopften die Ohren und rissen aus. Begelrechte Öhnmachten infolge seelischer Erregungen sind nicht unbekannt. Im übrigen können junge und alte Leute beiderlei Geschlechtes nach volks- tümlicher Ausdrucksweise einen tüchtigen Puff vertragen, falls nicht Gespensterfurcht sie in der Dunkelheit packt. Sogenannte Gelüste kommen vor, und zwar nicht bloss bei Frauen in gesegneten Umständen. Es gibt Kinder, — und es soll auch Erwachsene geben — die zeitweilig Erde essen, nicht etwa mageren Laterit, sondern Lehm und Ton, der mühsam für Töpferarbeiten beschafft wird. Ein - Fleischhunger. Schärfe der Sinne. 95 etwa sechsjähriger Junge verzehrte die fette Erde brockenweise in der Art, wie unsere Kinder Schokolade lutschen, und gab sein Wohlgefallen durch tüchtiges Schmatzen kund. Man liess ihn ruhig gewähren; er befand sich offenbar in recht gutem Zustande. Andere knabbern gewisse Arten von Baumborke, Blattwerk und Fruchtkernen. Manche wälzen auch einen Kiesel im Munde herum oder saugen an einem Halmstück. Doch hängt solches Tun öfters mit dem Fetischismus zusammen. Wichtiger erscheint der Fleischhunger, der gelegentlich nicht nur einzelne Personen, sondern die Bewohner ganzer Ortschaften befällt. Dieses Gelüst nach frischem Fleische kann das ganze Sinnen und Trachten der Leute beherrschen und sie in eine gelinde Raserei versetzen. Wo Anlagen dazu vorhanden sind, vermöchte solch ein krankhafter Zustand ganz gut zur Menschenfresserei zu verleiten. Übrigens kommen Gelüste anderer Art auch unter Europäern vor, die lange Zeit in der Wildnis leben. Sie können sich derartig steigern, dass die Betroffenen wirklich daran kranken und wochenlang kaum noch an anderes denken. Solche Gelüste sind komisch und ernsthaft zugleich. Die mir bekannt gewor- denen richteten sich auf Kartoffelsalat, auf Sauerkraut, auf frische Leber- wurst. — Die Schärfe der Sinne, namentlich die Sehkraft der in Wildnissen lebenden Menschen wird gewöhnlich weit überschätzt, weil man aus der Geschicklichkeit des Gebrauches schlechthin auf die Vorzüglichkeit der Werkzeuge schliesst. Vielerlei unbedachte Schilderungen haben es zu- wege gebracht, Erstaunliches vom Wilden zu erwarten und auch erfüllt zu sehen, ohne die Tatsachen weiter zu prüfen. Hier rede ich nicht von den Bafiöti allein, sondern auch von anderen Afrikanern sowie von Indianern, Polynesiern und Bewohnern der Polar- regionen, also von Ackerbauern, Fischern und Jägern, die mir ihr Können gezeigt haben. Gewiss leisten viele von ihnen Ausgezeichnetes, aber wirklich doch nicht mehr als Zivilisierte, deren Beruf oder Liebhaberei dazu angetan ist, sie im zweckvollen Gebrauche ihrer Sinneswerkzeuge zu schulen. An ein beschränktes Gesichtsfeld und Naharbeit gewöhnte Leute mögen staunen ob der den Raum beherrschenden Sehkraft der Bewohner offener Landschaften, und müssten doch, wenn sie nur darauf achten wollten, ebensogut staunen über die unserer Flachland- und Ge- birgsbewohner, über die unserer Seeleute und Inselbewohner. Freilich gibt es unter uns mehr verdorbene Augen als unter den Leuten der Wildnis, obschon ich bei diesen genug Personen gefunden habe, denen eine Brille gut getan hätte. Aber ungeübte oder blöde Augen sind doch nicht als Richtmass zu betrachten. Was bei den Zivi- lisierten nur wenige können, können bei den Primitiven viele. Das ist der ganze Unterschied. Zur Bestimmung von bekannten Personen haben 96 Sehen und wahrnehmen. zudem die Barfüssigen einige Merkmale mehr: nicht bloss Kopf, Gestalt, Haltung, Bewegung, sondern in weichem Boden auch Fussabdruck und Schreitweise, also die Spur oder Fährte, die übrigens unter uns in poli- zeilichen Angelegenheiten ebenfalls recht beachtet wird. Prüft man in einfacher praktischer Weise das Sehvermögen gesunder Augen, so ergibt sich selbst für die keine Überlegenheit, deren Leistungen in der Wildnis vorzüglich sind.) Die Sehwerkzeuge sind an sich nicht besser, sie werden nur geschickter gebraucht. Denn der Mensch, dessen Leben sich im Freien abspielt, ist ununterbrochen aufmerksam. Ihm Wichtiges erfasst er sogleich. Das zeigt sich schlagend, wenn man beide (seschlechter desselben Stammes zugleich prüft. Die Augen der Weiber sind von Natur gewiss ebensogut wie die der Männer, aber im Freien sind sie nicht brauchbarer als die eines beliebigen Neulings, weil sie nicht geschult worden sind. Es ist zwischen sehen und wahrnehmen zu unterscheiden, gewisser- massen zwischen physiologischem und psychologischem Sehen. Die Aussen- welt spiegelt sich in gleichwertigen Augen gleich gut ab, aber die Auf- fassung ihres Inhaltes kann, je nach Übung, recht verschieden sein. Ganz wie bei Werken der Kunst: wie viele, die sie beschauen, empfinden völlig, was darin liest? Hier mangelt Kunstsinn, Schönheitsgefühl, draussen mangelt es an Natursinn, an Gegenstandsgefühl. Wer nicht von Jugend auf vertraut ist mit dem Leben in Flur und Wald der Hei- mat, wird schwerlich vertraut werden mit dem in der Wildnis. Er mag genau so gute Augen wie der Eingeborene haben, nimmt aber trotzdem die Gegenstände nicht wahr, die diesem ganz deutlich sind. Affen, Büffel, Elefanten erkennt er ebensowenig wie daheim Hirsche, Schweine, Gem- sen, obschon des Fernsehens und des Blickzieles Kundige das unbegreif- lich finden. Er hat alles im Auge, er sieht wohl, aber er sondert nicht. Erst wenn die Tiere sich bewegen, fallen sie ihm auf. Ihm ergeht es wie unserem viel verfolgten Wilde, selbst dem scharf- sinnigen Hochwilde, das mit dem Winde ganz vertraut auf einen nicht zu auffällig gekleideten bewegungslosen Menschen zuzieht, oder wie dem Jagdhunde, der von ferne im offenen Felde seinen ruhig stehenden Herrn nicht von anderen Jägern zu unterscheiden vermag, gelegentlich auch auf einen runden Stein, einen Holzblock angriffsweise losfährt. Freilich sind die Augen dieser Säugetiere nicht von bemerkenswerter Schärfe. Bloss unsere Rabenvögel, auch Rebhühner, Trappen, Enten, Gänse, und in der Wildnis Affen sowie Tagräuber machen im Erkennen des rubig verhar- renden Menschen vielfach eine Ausnahme. In der Nähe scheut jedes Wild, sobald sich die Augen bewegen, die Blicke kreuzen. *) Inzwischen hat Dr. Karl E. Ranke als erster durch fachmännische Untersuchung der Sehschärfe südamerikanischer Indianer diese Befunde bestätigt. Übung. Meister und Stümper. 27 In ungewohnter Umgebung empfängt der Mensch eine Fülle neuer Eindrücke, die sich nicht rasch und gleichmässig in die Vorstellungen einordnen lassen und deswegen verwirren, ablenken, ermüden. Er sieht und fasst doch nicht auf, findet sich nicht zurecht. Das gilt für einen jeden, selbst für den anderswo trefflich Eingeübten. Augen und Gehirn müssen vertraut sein mit dem, was in Sicht kommen kann. Der Wald- mensch ist unsicher in der offenen Landschaft, der Flachländer im Hoch- gebirge, der Seemann auf dem Festlande. Ebenso umgekehrt. Der jagd- kundigste Indianer oder Buschmann der blachen Steppe müsste erst lernen, im Meere den Wal, in unseren Alpen die Gemsen wahrzunehmen; dort wäre ihm der Fangschiffer, hier der Hirtenbube, selbst die Sennerin über. So muss sich der scharfäugige Vielgereiste erst in jeder Art von Wild- nis einleben. Das kann verschieden lange dauern, je nach seiner Ver- anlagung, aber nachher tut er es den Eingeborenen gleich. Er kann ihnen alsdann vermöge seiner ausgebildeten Geisteskräfte in der Ver- wertung der Eindrücke sogar überlegen sein. Das Vollendetste in der Kunst des Wahrnehmens leistet der Mensch, der mit den Augen gleichsam fühlen, in die Ferne tasten kann. Er merkt es, ob sein Blick über ein gleichfarbiges Stückchen Borke, Fels oder Fell streift, ob ein Blatt, Halm, Steinchen, Erdklümpchen ver- schoben ist. Wo gröbere Merkmale fehlen, da können ihn noch Reihen winziger, durch Streiflichter markierter Einzelheiten leiten. Er schaut auch nicht beständig gerade darauf, sondern abwechselnd ein wenig da- neben, seitwärts schweifend, um Eindrücke mit noch nicht ermüdeten Stellen der Augen zu erhaschen. Wer diese Begabung besitzt, die von ‚Jugend auf durch mannigfaltige Übung, auch durch Zeichnen und Malen nach der Natur, wesentlich entwickelt werden kann, ist der geborene Beobachter. Ihm entgeht so leicht nichts, auch wenn er sich nicht anstrengt oder wenn er sich anderweitig beschäftigt. Alle seine Sinne sind wach und gewohnheitsmässig auf den Zweck gerichtet. Dazu kommen Geistestätigkeit und Erfahrung, ohne welche Sinneseindrücke ungenützt bleiben. Menschen, die nichts zu tun haben, als sich gegen Feinde aller Art zu schützen und der Wildnis ihren Unterhalt abzugewinnen, müssten eigentlich durchweg vorzügliche Beobachter werden. Zu verwundern ist nur, dass es trotzdem so viele Stümper unter ihnen gibt. Es sollten eben nicht bloss Erfolge, sondern auch Misserfolge getreulich berichtet, es sollten die Leistungen zergliedert werden, verglichen und auf ihr richtiges Mass gesetzt werden. Unsere noch nicht ganz ausgestorbenen Weidmänner leisten daheim nicht weniger als die guten Spürer in der Wildnis. Es sei nur an die zweiundsiebzig Zeichen des hirschgerechten ‚Jägers erinnert. 28 Spürkunst. Ortssinn. Wo flüchtiges Wild, wie der Vogel in der Luft, überhaupt keine Veränderungen am Boden oder in der Vegetation hinterliess, weder Blatt, Halm noch Steinchen ‚verrückte, noch Drucker, Schramme, Glättung hinterliess, da ist auch der Meister mit seinem Witz zu Ende, sei er, wer er sei. Aber der Wilde hat Zeit. Er ermüdet nicht so leicht und will essen. So schliesst er, die Gewohnheiten der Tiere kennend, wo etwa auf günstigerem Boden die Fährte wieder gefunden werden könnte. Er beginnt zu kreisen, läuft stundenlang hin und wieder, Hat er auch damit kein Glück, regnet oder schneit es gar, so gibt er schliesslich die Nachsuche auf. Handelt es sich um ein Stück Wild, das man um jeden Preis haben möchte, so bleibt nur übrig, geduldig zu warten, bis am Tage die weit- sichtigen Aasvögel oder in der Nacht die lärmenden Raubtiere verraten, wo es steckt. Daheim und in Indien dient in verzweifelten Fällen als letztes Hilfsmittel eine Dorfherde, die langsam durchs Dickicht getrieben wird und durch ihr Gebaren den Fund anzeigt. Übrigens werden viele Fehlsuchen gerade durch die Eingeborenen selbst verschuldet. Falls es sich nicht um wehrhafte Tiere handelt, wobei sie dem Europäer gern den Vortritt lassen, warten sie nämlich nicht, bis angeschossenes Wild sich niedergetan hat und todkrank ge- worden ist. Fleisch ist ihnen zu verlockend. Hat man seine Leute nicht fest in der Hand, so gehen sie nach dem Anschusse los wie schlecht abgeführte Hunde, folgen der warmen Rotfährte und machen das Wild wiederholt hoch. Nachher geht bekanntermassen die Hatz ins Unend- liche und oft über die Kräfte. Unter den Bafiöti haben wir nur etliche tüchtige Jäger gefunden, aber auch diese huldigten der Unsitte, angeschossenem Wilde sofort nach- zusetzen. Dann galt es mitzulaufen, denn sonst feuerten sie, auch um ihr Jagdrecht zu wahren, sicherlich noch ihre überladenen Gewehre aus nächster Nähe selbst in ein schon verendetes Tier ab, und verdarben Fell wie Braten. Ähnlich wie mit der Scharfsichtigkeit der Wilden verhält es sich mit ihrem Ortssinn. Was wir so nennen, ist Ortsgedächtnis, ist eine er- worbene Fähigkeit, die auf einem lebhaften gegenständlichen Erinnerungs- vermögen beruht, auf einem Wiedererkennen unzähliger Einzelheiten, wodurch das Zurechtfinden im Raume ermöglicht wird. Es handelt sich demnach vorzugsweise um richtiges Sehen und Auffassen, manchmal auch zugleich um Riechen und Hören, um Anspannung aller Sinne. Dazu kommt noch das gewohnheitsmässige Einprägen und Abschätzen der Richtungen, die abwechselnd verfolgt worden sind, unter Beachtung. des Windes und Wolkenzuges, der Gestirne, des Laufes fliessender Gewässer. Im Freien, bei weitem Blickfelde kommt man natürlich besser zurecht Merkmale. Richtsinn. 29 als im Walde und Dickicht, wo die Aussicht beschränkt ist und beim Hin und Zurück zwei Seiten der Gegenstände vor Augen treten. Da helfen vielfach an Standorte gebundene Leitpflanzen oder künstliche Marken, geknickte Zweige und von Stämmen geschälte Rindenstücke. Wie der Grossstädter in den Strassen, der Förster im Walde, findet sich der Eingeborene in seiner Wildnis zurecht. Gelangt er darüber hinaus ins Unbekannte, dann verfolgt er nötigenfalls seine Spuren rück- wärts. Vermag er dies nicht, ist er in gänzlich fremde Gebiete geraten, fehlen ihm alle fernen Landmarken, so kann er sich gründlich verirren. In der Regel verliert er in solcher Lage den Kopf vollständig und wird gänzlich unbrauchbar. Ich habe Eingeborene im Gefühle des Verloren- seins wie wahnwitzig gegen Busch und Gras anspringen sehen, als wollten sie sich gewaltsam aus der Irre befreien. Dann ist es Zeit für den Reisenden, der sich überhaupt niemals Führern sorglos überlassen sollte, selbst sein Glück zu versuchen. Höher als der beschriebene Ortssinn steht das Richtungsgefühl, der sogenannte Richtsinn, worunter indessen kein sechster Sinn oder, wie manche es wollen, die von Kompassmenschen reden, eine geheimnisvolle, von der Erfahrung unabhängige Kraft, sondern nur der vollendet aus- gebildete Ortssinn zu verstehen ist. Wer es so weit gebracht hat, ver- irrt sich nicht mehr. Er wird zwar nicht mit unfehlbarer Sicherh sit zu einer gewissen Stelle gelangen, aber doch stets die Richtung einschlagen, die ungefähr zu dem erstrebten Ziele führt. Am Tage, bei verlässlichem Winde und Wolkenzug, oder wenn Gestirne ihm leuchten, will das wenig besagen, desto mehr beı stillem Wetter, bei bedecktem Himmel, im Nebel, wenn es regnet oder schneit, in stockdunkler Nacht. Sich unter solchen Verhältnissen in Wüste oder Wald, in Blachfeld oder Gefelse zurechtzufinden, ist eine Meisterleistung. Im Gedächtnis derartig Be- gabter haften eben gegenständliche Eindrücke und räumliche Beziehungen dermassen fest und folgerichtig, dass sie ihrem Ziele zustreben können, ohne sich wesentlich zu irren. Eine Kunst ist es, kein angeborener sechster Sinn. Immerhin versagt nach meiner Erfahrung diese Kunst vollständig bei schwerem Sturme, natürlich erst recht bei Staub, Schnee oder Regen. Und zwar nicht bloss beim Ankämpfen gegen den Wind, was die Körperkräfte rasch verbraucht, sondern auch beim Bewegen mit dem Winde oder wenn man irgendwie untergekrochen ist. Der Aufruhr und das Getöse, der schütternde Boden lähmen und verwirren die geistigen Fähigkeiten. Mit gutem Ortssinn begabte Menschen scheinen weder schwindelig noch seekrank zu werden. Das allgemein Gesagte gilt uneingeschränkt auch für die Bafıöti. Gesunde Augen sind unter ihnen nicht scharfsichtiger als unter uns. Kurzsichtige, Weitsichtige, Schwachsichtige kommen vor. Verirrte haben 30 Farben und Farbensinn. wir mühsam aufsuchen lassen müssen. Schliesslich kann ich noch von den gerühmten Buschmännern in Südafrika melden, dass sich welche bei unsichtiger Luft in der offenen Landschaft völlig verloren. Das wird öfter geschehen. Verirren sich doch wilde Tiere. Der zahme wohl- versorgte Buschmann verlernt übrigens seine Kunst bald genug, und auch der wilde Buschmann zeigt erst dann sein ganzes Können, wenn er recht hungrig oder durstig ist. Der satte ist lässig und stumpfsinnig. Der Farbensinn der Bafiöti ist ungefähr so ausgebildet wie der unserer Landleute, den ich, des Vergleiches wegen, nachträglich in der nämlichen Weise prüfte. Farbenblindheit konnte nicht festgestellt werden. Untersuchungen, nach Professor Magnus’ Ratschlägen mit Holmgrens Wollproben angestellt, ergaben, dass in der Nähe die Empfindung für Rot und Gelb nicht schärfer war als für Grün, Blau und Violett, dass diese Farben dagegen mit zunehmender Entfernung nicht mehr so gut unter- schieden wurden wie Rot. Um recht sicher zu gehen, nahm ich unseren alten Fragebogen zu Hilfe, brachte auch Farben aus dem Malkasten zu Papier und liess nun die entsprechenden Abstufungen zusammen- legen. Ausgesprochenes Grün und Blau, ob hell oder dunkel, wurde von Männern wie Weibern ohne Zaudern erkannt und Gleiches oder, wo vollständige Übereinstimmung mangelte, wenigstens Ähnliches an- einander gepasst. (seteilter Meinung waren sie nur, was auch unter uns zu beobachten, bei unbestimmten Farben wie bei Blaugrün, Rot- und Blauviolett, Rot- und Gelbbraun, Rot- und Gelborange. Zweifellos unterscheiden die Leute alle Farben so gut wie Ungeübte unter uns, das soll heissen, sie sehen mit ihren Augen alle Farben, sie haben nur zu lernen, die Farben auch zu bewerten, zu benennen, Vor- läufig haben sie nur für die Bezeichnungen, die ihnen wichtig sind, mit denen sie hantieren. Man könnte vergleichsweise auf unsere Künstler hinweisen, die neuerdings gelernt haben in der Landschaft Färbungen wahrzunehmen, die schon immer dagewesen sind, die sie und ihre Vor- läufer auch schon immer gesehen, aber nicht bewertet haben, weil ihre Aufmerksamkeit nicht dahin gerichtet war. Im ganzen lieben die Bafiöti von den Farben“) die lichtstarken nicht mehr als die lichtschwachen. An ihrer Person gefällt ihnen Rot, Gelb, Blau, Weiss in hübscher Musterung; Grün, das sie schlecht kleidet, lieben sie gar nicht, verwenden überhaupt Farben recht geschmackvoll. =, Ndima und ndimba, plur. sindima und sindimba, seltener litona, plur. matona. Manche nennen aus Lässigkeit und Gewohnheit Farben einfach tukula oder mpilu, was beides Rot, ihre wichtigste Farbe, bedeutet. Tukula ist der Farbstoff des einheimischen Rotholzbaumes, mpilu ist die Bezeichnung: für das Menstruieren (kubela ku mpilu etwa: kranken mit Purpur) und für den Farbstoff des aus Amerika eingeführten Urukustrauches (Bixa orellana), der jedoch in Loängo nicht häufig: vorkommt. Schmecken. Hören. Riechen. al Gäng und gäbe sind feste Bezeichnungen für Schwarz, Weiss, Rot, Orange, Braun, Gelb, Grün. Viele wissen auch Blau, manche sogar Violett und Tiefbraun zu benennen. Die meisten verwenden freilich für Indigoblau, Violett, düster Rot und Braun den Ausdruck für dunkel, obgleich sie über die Verschiedenheit dieser Farben durchaus nicht im Zweifel sind. Nicht selten werden sogar Schattierungen einer Farbe, nämlich Purpur-, Kupfer- und Scharlachrot, Licht- und Hochgelb, Indigo- und Kobaltblau sowie bemerkenswerterweise auch Saft- und Spangrün, besonders benannt. Die Namen der Farben sind mit Ausnahme weniger, deren Herkunft nicht festzustellen war, von Naturgegenständen entnommen. Schwarz, Grau, Weiss, Violett, Braun, Hochgelb, Orange werden nach Färber- schlamm, Asche und Erden, Grün nach Blattfärbungen, Lichtgelb, Rot nach Pflanzenfarbstoffen, ein Rot auch nach der Brustfarbe des edelgrauen Bienenfressers (Merops bicolor) benannt. Auch an lustigen Bezeichnungen fehlt es nicht: ein recht leuchtendes Blau, so ein richtiges Knallblau heisst nküssi ngülubu, Wind des Schweines. Das leuchtende Rot des zerriebenen Rotholzes ist ihre Farbe der Freude, der Festlichkeit; Indigoblau die Farbe der Trauer. Um so mehr staunte ich, dass ein uns lieber Häuptling grossartig ganz in Rot begraben wurde. Es geschah notgedrungen, wie sich nachher eıgab, weil man gute dunkelfarbige Stoffe nicht hatte in genügender Menge eintauschen können. R Wie mit dem Gesichtssinn so verhält es sich mit den übrigen Sinnen. Es ergeben sich alle individuellen Verschiedenheiten wie unter uns. Sehr verdünnte süsse, saure, salzige, bittere Lösungen schmecken sie wie wir, haben dafür auch bestimmte Bezeichnungen. Über das Gehör ist gleiches zu sagen wie über das Gesicht. Es fällt zunächst auf, bis zu welchen Entfernungen sich die Eingeborenen im Freien zu verständigen pflegen, ohne ihre Stimmen sonderlich zu erheben. Aber das ist Sache ihrer tönenden Sprache und der Übung, ebenso das Erfassen der Natur- laute. Denen stehen wir anfangs gleich hilflos gegenüber, wie die Leute den Tönen und Geräuschen in unseren Städten gegenüber verwirrt sein würden. Man kann sagen, sie hören etwa so fein wie unsere Kinder, deren Hör- werkzeuge noch nicht durch den vielfältigen Lärm der Zivilisation ab- gestumpft worden sind. Gute und schlechte Gerüche benennen sie nach Vergleichen. Wie uns sind ihnen gewisse Gerüche widerlich und veranlassen sie, sich die Nase zuzuhalten oder Luft hindurchzustossen. Vor scharf riechenden Stoffen prallen sie wie von einem Stosse zurück, sind auch dermassen empfindlich, Männer vielleicht mehr als Frauen, dass ihnen von wider- wärtigen Gegenständen und Gerüchen übel wird bis zum Erbrechen. 39 Natürliche Verrichtungen. Speisen. Genussmittel. Hält man ihnen vor, dass sie trotzdem angegangenes Fleisch nicht ver- abscheuen, dann verweisen die Kundigen auf unseren alten Käse. Aus Blumenduft machen sie sich nichts, lieben jedoch vielfach Parfüms in Flaschen und zur Säuberung des Körpers wohlriechende und recht schäumende Seifen. Sie meinen auch, europäische Parfüms reizten zur Liebe und lockten die Weiber an. — Alle natürlichen Verrichtungen werden im Verborgenen abgemacht, wo- möglich auch Essen und Trinken, mit dem man freilich in Faktoreien, auf Laagerplätzen nicht mehr so heikel ist. Wer trinkt, wendet sich gern ab; bei Grossleuten sieht das Gefolge weg oder, wo noch alte höfische Sitte herrscht, neigt den Kopf und sinkt zur Erde, was auch noch hier und da geschehen mag, wenn ein Weisser im Dorfe einen Ehrentrunk tut. (srossleute heben beim Trinken auch das Gewand vors Gesicht oder lassen ein Tuch vorhalten. Ein umdrängter und angestaunter Weisser wird allein gelassen. sobald er sich zum Essen anschickt. Den König von Loängo durfte niemand Nahrung aufnehmen sehen. Darüber wird noch Ausführliches zu melden sein. Im Essen sind die Leute wählerisch: Gemüse, Sämereien, Früchte, Fische, Muscheln, Wild, Haustiere werden ebenso sorgfältig wie sauber zubereitet und gewürzt. Bevor die Frau kocht, wäscht sie die Hände, greift auch alles mit frisch gepflückten Blättern an. Wer anders ver- fährt, wirtschaftet schlecht. Männer, die auf Reisen in der Asche oder an der Flamme rösten, sind weniger heikel als die Frauen, die das Kochen in Töpfen für die höhere Kunst halten. Man kann sich un- bedenklich bei ordentlichen Eingeborenen zu Gaste laden; uns widerliche Dinge werden nicht vorgesetzt. Raubvögel, tranige Vögel, Fledermäuse, Ratten, Schlangen, Eidechsen, Gewirm und anderes ekelhaftes Zeug essen, ausser zugewanderten Urooboys und Südleuten, höchstens Not- leidende, und lassen es nicht merken. Ein Hochgenuss ist ihnen Tabak; so ziemlich alle rauchen Pfeife, die manche selbst im letzten Stündleim nicht missen wollen. Männer schnupfen auch, und zwar gewöhnlich vom Handrücken; manche frönen dem Hanfrauchen, obgleich das ihrem Ansehen Abbruch tut. Zur An- regung und Kräftigung kauen sie allerlei aromatische oder süsse Stengel und Wurzeln, darunter Liböoka (III 185) und verspeisen die hochge- schätzten Kolanüsse. Siüssigkeiten, namentlich Zucker, Kuchen, lieben sie sehr, im Innern, wo es mangelt, auch Salz. Dort kann man Kinder recht beglücken, indem man ihnen ein wenig von der begehrten Würze auf die Hand schüttet; sie nehmen alsdann Korn um Korn vorsichtig mit der Zunge auf, um den Genuss zu verlängern. In meerfernen Ge- bieten ist ihnen Salz lieber als Zucker. Saures und Herbes behagt ihnen nicht, noch weniger Bitteres, desto mehr ihr zwar sehr scharfer Alkohol. Trinken. Ärgernis. Essweise. Gastlichkeit. 33 aber zugleich würziger spanischer Pfeffer mit sehr kleinen Schoten, die grün verwendet werden. Alkoholische Getränke geringster Güte, die ihnen der Handel liefert und die, in der Hauptsache wiederholt verwässert, durch viele Hände sehen, lieben sie zwar, geniessen sie indessen nicht unmässig. Sie sind keine trinkbaren Leute, können herzlich wenig vertragen und teilen die köstlichen Tropfen ein. Schnaps ist bares Geld. Sicherlich trinken sie weniger als viele Zivilisierte, möglicherweise aber nur deswegen, weil sie nicht mehr haben. Betrunkene sieht man selten, und dann sind es meistens Dorflumpen, Unfreie, Faktoreibummler, die einmal auf Kosten anderer über den Strang geschlagen haben. Ordentliche Leute, besonders solche von guter Familie, halten auf ihre Reputation. Schwächlinge werden von ihren Angehörigen überwacht. Angetrunkene Weiber gibt es wohl überhaupt nicht. Wir haben ein einziges Mal eine aufgeregte Fürstin, eine Mutter vieler auffällig schöner Kinder gesehen, und die war mehr verärgert als bezecht. Säufer mögen wie anderswo vorkommen, aber die verbergen sich in ihren Hütten oder werden verborgen gehalten, um Ärgernis zu vermeiden, das die Familie mit trifft. So verursachte der Rum gewiss nicht mehr Elend als bei uns, wenn nur die Sorte harmloser wäre. Gar kein Schnaps wäre natürlich besser. Alle, auch gewöhnliche Leute, essen und trinken manierlich. Da sie hauptsächlich mit den Fingern zulangen, mit denen der rechten Hand, pflegen sie die Hände vor und nach der Mahlzeit zu waschen, nachher auch die Zähne zu putzen und den Mund zu spülen. Während des Essens trinken sie nicht. Mögen noch so viele und noch so Hungrige um ein Gericht versammelt sein, so wird doch keiner durch allzu gieriges Zu- langen oder durch Auswählen der leckersten Bissen die anderen ver- kürzen. Sie verhalten sich ungefähr wie das Gesinde auf unseren Bauern- höfen, das sich aus einer Schüssel sättigt. Gemeinsamen Schnaps sowie Palmmost (Palmwein), der mehr als Nahrungsmittel gilt, Tabak teilen sie ebenfalls redlich. Männer, die in der Wildnis ein Tier gebraten haben, zerlegen es öfters nach der Kopfzahl in Stücke und losen die aus, nach unserer Weise mit der Hand darauf deutend und einen, der sich umgedreht hat, fragend: wem soll das, und so fort. Ein Fremder, der des Weges kommt und im Dorfe oder Lager mitessen möchte, wird niemals zurückgewiesen, selbst wo es knapp hergeht. Das will sehr viel heissen bei Menschen, denen Essen zu den wichtigsten Verrichtungen gehört, was sich auch sprachlich kundgibt: sie erheben nicht, sondern essen Abgaben, sie bekriegen nicht einen Ort oder Gau, sondern essen ihn auf. Auch der Tod isst den Menschen. In Faktoreien wird als bezeichnend gern folgendes Zwiegespräch erzählt: Bist du hungrig? Nein! Willst du essen? Ja! Wie unsere Loango. 3 34 Sättigung. Ertragen von Schmerzen. Kinder und viele Erwachsene essen eben alle gern auf Vorrat, wenn sie es haben können, weil es Leib und Seele zusammenhält; in schlechten Jahren müssen sie genug darben. Trotzdem lässt sich nicht behaupten, dass sie ihrer alltäglichen Nahrung unmässig zusprächen. Wildbret können sie freilich in erstaunlicher Menge vertilgen. Wer aber solch seltenes Gericht voll ausgeniessen will, muss es überreichlich haben oder muss es heimlich tun, sonst stellen sich Gäste ein. Die Fleischmassen eines Stückes Grosswild wandern binnen überraschend kurzer Zeit in die Magen des Reisegefolges und seiner Zuläufer. Nach Schätzung kann ein Mann in vierundzwanzig Stunden an sechs bis neun Kilogramm Fleisch be- wältigen.”) Beim Trinken bedienen sie sich womöglich der Gefässe, im Notfalle eines gefalteten Blattes oder der hohlen Hand, beugen sich auch zum Wasser nieder und saugen wie wir. An einer gefassten Quelle tun sie das stets unterhalb der Schöpfstelle.e. Im Kahne, beim eiligen Rudern, werfen sie hastig etliche Handvoll Wasser in den Mund, aber auch viel da- neben. — Ihre Empfindlichkeit für Schmerzen scheint stumpfer zu sein als bei zivilisierten Menschen. Doch kommt es sehr darauf an, welche Persönlichkeiten man zum Vergleichen wählt. Es wird richtig sein, an- zunehmen, dass sie sich ungefähr wie unsere Kleinleute und Landbewohner verhalten. Sie verzagen leicht. Schmerzen, die ihnen von aussen zu- gefügt werden, deren Ursache sie kennen, ertragen sie meistens gut, setzen auch vielfach eine Ehre darein, sich nicht anzustellen. Dagegen klagen sie gern über anhaltende Schmerzen, die mit Krankheiten ver- knüpft sind. Kreissende Frauen geben unter schwierigen Umständen ihrer Not lauten Ausdruck, obgleich sie es für geziemend halten, vom Natürlichen kein Aufhebens zu machen. An Körperkräften stehen die Leute schwerlich hinter Europäern zu- rück; es gibt unter ihnen Personen genug, die sich zu Athleten ausbilden könnten. Aber sie lieben es gar nicht, sich anzustrengen. Wenn sie . Kraftstücke nachmachen sollen, stellen sie sich recht ungeschickt an, etwa wie unsere Rekruten bei Turnübungen. Im Heben von Lasten nehmen sie es mit uns auf, aber ein Gewicht mit steifem Arm zu halten, Zieh- klimmen auszuführen, einen mächtigen Schlag zu tun, das vermögen sie nicht. Sie sind nicht geübt. Dagegen sind sie uns weit überlegen an Ausdauer in stetiger Bewegung. *) Der alte Mahärero in Südwestafrika konnte, nach mündlicher Versicherung‘, in einer Nacht den besten Teil eines starken Hammels verzehren, und trat dabei vier- bis fünfmal aus. Doch können auch Europäer Erkleckliches leisten. Ich entsinne mich, dass unser Schäfer von Klössen grössten Kalibers, wovon das übrige Gesinde drei bis fünf ass, bis vierzehn Stück zu verstauen pflegte. Körperkräfte und Kraftleistungen. 35 Entfernungen spielen, wie die Zeit, in ihrem Leben überhaupt keine Rolle. Ein Eilbote läuft in kurzem Trabe mit etwa hundertundfünfzig Schritt in der Minute mehrere Stunden lang ununterbrochen, ohne ausser Atem zu kommen. Träger mit unhandlichen Lasten von fünfundzwanzig und dreissig Kilogramm, die sie hauptsächlich auf dem Kopfe, abwechselnd auf den Schultern, nie auf dem Rücken tragen, gehen in aufrechter Hal- tung und federnden Schrittes einen halben Tag und noch länger rüstig vorwärts. Dabei schwatzen, scherzen und lachen sie sogar auf unweg- samen Pfaden in bergigem Gelände, als ob ihre Lungen die Anstrengung gar nicht spürten. Allerdings überkommt einmal den einen oder anderen ein plötzliches Verzagen: er fällt vollständig ab und meint, nun sei es aus mit ihm. Zureden der Gefährten, eine kurze Rast bringen ihn wieder auf die Beine, und bald ist er frisch wie zuvor. Sonst verschlägt es ihnen nichts, nach einem tüchtigen Marsch sich noch bei einem Tanze im Dorfe die halbe Nacht oder noch länger zu vergnügen und morgens munter weiter zu ziehen. Freilich hängt viel davon ab, ob sie eigene Angelegenheiten oder die des weissen Mannes besorgen, wie sie behandelt, ob sie mangelhaft oder reichlich ernährt werden. Noch grösser sind die Leistungen der Tipojaträger. Einen schweren Mann in der schaukelnden Hängematte, die Tragstange auf Kopf oder Schulter stützend, eilt ein Trägerpaar mit federnden Kniekehlen in kurzem Trott hundertundfünfzig bis hundertundachtzig Schritt in der Minute da- hin, neben ihnen die Ablösung. Zeitweilig feuert einer durch Rufe an, der Chor antwortet, so geht es mehrmals im Wechsel fort. Für kurze Strecken genügen zwei oder vier Leute, die bis zu neun Kilometer, für ‘grössere Entfernungen sechs Träger, die dann durchschnittlich sechs bis sieben Kilometer in der Stunde laufen. Nach vier Stunden beginnt sich die Gangart zu verlangsamen, und die Trägerpaare lösen einander rascher ab. Immerhin kann man auf guter Bahn mit erlesenen Leuten in einem Tage fünfzig Kilometer zurücklegen. Ehrensache selbst für die ermü- detsten Tipojaträger ist es, wenn sie Wohnstätten passieren, noch einmal alle ihre Kräfte anzuspannen und sich jubelnd im vollen Glanze zu zeigen (Abbildung I 40). Wie sie hierbei sich zu einer raschen aussergewöhn- lichen Leistung aufraffen, so tun sie es beim Rudern, wenn es gilt, Stromschnellen oder die schweren Roller am Strande zu überwinden. Dabei geht es oft auf Tod und Leben, und das Schicksal des mit der Brandung kämpfenden Fahrzeuges hängt an Sekunden. Auch sonst ver- mögen sich die lässigen Leute entschlossen und nachdrücklich anzu- strengen, nur müssen es gewohnte Verrichtungen sein und in ihrer Weise geschehen. Ihre Kraftleistungen beim Tanzen, wozu auch Singen und Hände- klappen gehören, dürfen ebenfalls nicht gering eingeschätzt werden. Man 3* 36 Haltung. Bewegung. Sitzen. Schlafen. sieht junge Weiber und Männer, die mehrere Nächte hintereinander glatt durchtanzen, auch am Tage sich fröhlich herumtreiben und beschäftigen, so dass man sich wundert, wann sie eigentlich ausruhen und wie sie solche Anstrengungen ertragen. — Haltung und Bewegungen sind leicht und gefällig, doch mehr lässig als straff, ausser in der Erregung. Sie sind keine strammen, handfesten Leute. Von Jugend auf gewöhnt, nichts in den Armen, sondern fast alles auf dem Scheitel zu tragen, halten sie sich frei aufrecht in den Hüften, Kopf hoch, Schultern zurückgenommen, Rücken gut durchgebogen. Nament- lich bei Angehörigen des weiblichen Geschlechtes, die von klein auf Wasserkrüge, sowie Körbe mit Feldfrüchten schleppen, hat der Rücken nicht selten einen, bei besser gestellten nicht zu bemerkenden zu scharfen Knick im Kreuze. Die Arme lassen sie mit gut angelegten Ellbogen frei hängen. Die Beine halten sie gestreckt, aber im Stehen, nicht im Gehen, manchmal zu weit gespreizt. Die Füsse stellen sie leicht auswärts. Lehnen sie sich stehend mit einer Schulter an, so bringen sie als weitere Stütze die Hand gern in Kopfhöhe, lehnen sie sich mit dem Rücken an, so legen sie wie wir oft die Hände hinten übereinander. Männer, nicht Frauen, kreuzen dann auch die Beine, stemmen aber äusserst selten einen Fuss hinten an, oder gegen das Knie des anderen Beines. In der Regel jedoch stehen die Leute frei und suchen nicht nach einem Halt. Altere Männer, namentlich Würdenträger, niemals Frauen, es wären denn gebrechliche, pflegen sich auf einen Stab zu stützen. Männer hocken manchmal, sitzen aber lieber mit langgestreckten oder hochgezogenen oder gekreuzten Beinen auf der Erde. Mit hoch- gezogenen Beinen ausruhend, legen sie manchmal einen Arm oder beide Arme gerade nach vorn lässig über die Knie. Frauen knieen oft und lassen den Körper auf den Fersen ruhen; falls sie eine Rücken- lehne haben, strecken sie auch die Beine geschlossen von sich. Beim Aus- ruhen, liegen sie gewöhnlich auf dem Rücken, manchmal auf dem Bauche (wippen aber nicht mit den Unterschenkeln), selten auf der Seite mit dem Kopfe auf dem Oberarm oder, bei gestütztem Ellbogen, auf der Handfläche. Sie schlafen vorwiegend auf dem Rücken oder auf dem Bauche, selbst wenn sie ein weiches Lager haben. Sie schnarchen selten, schlafen aber merkwürdig unruhig und laut, wohl geplagt von Träumen, weil ihre starke Einbildungskraft tätig bleibt. Wenn sie frieren, legen sie sich nicht, sondern krümmen sich sitzend oder hockend ganz zusammen, ziehen den Kopf ein, schlagen die Arme um die Beine oder kreuzen sie über der Brust und schützen die Schultern mit den Händen. Gehen. Kriechen. Tragen. Schwimmen. 37 Ihr Gang ist rasch und leicht, mit federndem Spann und wenig schlenkernden Armen. Man möchte behaupten, das Gehen wäre die ein- zige Tätigkeit, die den Eindruck macht, als hätten sie es eilig. Nur die an Sandflöhen leiden, stapfen bei erhobenen Zehen mit den Hacken. Passgänger, die also die Gliedmassen der nämlichen Seite gleichsinnig bewegen, wurden sehr selten beobachtet, und-zwar nur Männer. Da die Leute auf schmalen, hauptsächlich von hochwüchsigen und scharfblätte- rigen Gräsern eingeengten Pfaden hintereinander schreiten müssen, pflegen sie den Gänsemarsch beizubehalten, pflegen Mütter ihre Kinder sehr selten an der Hand zu führen, auch wenn sich ihnen, wie am Strande des Meeres, freier Raum bietet. Daher kommt ferner ihre Gewohnheit, im Gehen eine lebhafte Unterhaltung zu führen, ohne Gesten und ohne sich dabei anzusehen, als hielten sie laute Selbstgespräche. Europäer heben gern als Mangel hervor, dass Afrikaner nicht geradeaus zu gehen vermöchten, dass ihre Pfade sich gar zu arg schlängelten. Wäre das daheim anders? Wie schweifen Städter rechts und links trotz der Richt- linien schnurgerader Strassen und Bürgersteige, wie unsicher stapfen Landleute einher! Wie nutzlos gewunden verlaufen Pfade über Wiesen und Heiden, selbst Fahrwege über Ödländereien! Junge Leute, die un- belastet vor sich hingehen, summen gelegentlich ein Liedchen, und fingern achtlos an einem Zaune entlang oder über die Vegetation am Wege hin. Bisweilen streifen sie ein Blatt, einen Halm ab, lassen das abgezupfte Stück achtlos fallen, oder nehmen es einige Zeit zwischen die Lippen. Kinder kriechen sehr selten auf Händen und Knieen. Sie rutschen entweder mit aufrechtem Oberkörper und wagerecht gehaltenen Unter- armen auf dem Hinteren, indem sie sich mit Hacken und Unterschenkeln _ vorwärts ziehen und wippen. Oder sie nehmen ein Knie hoch, stemmen sich mit dem aufgesetzten Fusse sowie mit dem anderen untergeschlagenen Schenkel und helfen mit einer Hand oder beiden Händen nach. Gewöhnt, allerlei Gegenstände auf dem Kopfe zu tragen, balancieren unsere Leute sehr geschickt. Manche bringen das Kunststück mit einer Weinflasche fertig. Ein Mädchen führte mit einer Flasche auf dem Kopfe recht hübsch einen Tanz aus. Schwere oder umfangreiche Stücke stützen sie bei scharfem Winde zeitweilig mit der Hand oder mit beiden Händen, was bei jüngeren Weibern, die reihenweise mit ihren wohlgeformten _ Wasserkrügen einherschreiten, oft, und nicht immer unbeabsichtigt, recht hübsch aussieht. So sicher sie sind, so suchen sie doch das Über- schwappen des Wassers aus weithalsigen Gefässen, wie unsere Brunnen- gängerinnen, mittelst eingelegter Blätterkränze oder Holzkreuze zu ver- hindern. Schwimmen können nicht einmal alle Männer, geschweige denn die Weiber, so gern sich beide Geschlechter baden. Auch kennen sie nicht 38 Baumklettern. Rudern. Tanzen. kunstgerechte ruhige Schwimmbewegungen. Mit den Beinen wird mehr gestrampelt als gestossen. Die Arme greifen zugleich vorwärts und werden gekrümmt, nach unten drückend, hastig angezogen, oder sie arbeiten abwechselnd rasch vorwärts und seitwärts nach hinten. Gepudelt, wie es unsere Bauernjungen tun, wird nicht. Erklettern von Bäumen ist nicht Sache der Weiber — für die wäre es höchst unpassend —, sondern der Männer. Diese haspeln nicht wie die Affen oder wie unsere Knaben und Turner an Kletterstangen aufwärts, sondern bedienen sich bei glattschäftigen Stämmen des Steigreifens. Dazu wählen sie eine zähe Rute oder Liane, deren Enden sie durch einen Schlingenknoten ineinanderfügen. Der Reifen wird um den Stamm und um die Mitte des zurückgelehnten Körpers gelegt. Ihn aufwärts wippend, mit den Füssen nachtretend, steigt ein Mann ruckweise und schnell am glattesten Stamm empor (Abbildung I 135). Es sieht halsbrecherisch aus, ist aber sicher, eine lobenswerte Erfindung, die freilich nicht bloss in Afrika gemacht worden ist. Zu dicke, unebene, weitästige und weich- holzige Bäume ersteigen sie, indem sie in steiler Schraubenlinie Pflöcke hineintreiben und als Sprossen benutzen. Zum blossen Vergnügen klettert aber niemand auf Bäume, auch der Knabe nicht. Gerudert (Abbildung I 28) wird von Männern am liebsten stehend, mit ziemlich langen und dünnen Naturstöcken, die unten gespalten und ausgespart sind, so dass kleine Holzblätter eingebunden werden können. Mit diesen recht unzulänglich aussehenden Rudern führen sie ihre Ein- bäume selbst durch eine bedrohliche Brandung. Beim Segeln, das fast nur in der Kabindabai üblich ist, und bei längeren Fahrten bedienen sie sich sitzend kurzer Handruder, die von Frauen und Kindern über- haupt bevorzugt werden, obschon diese sehr selten allein in Kähnen, und dann nur auf ruhigen Flüssen fahren. Gewöhnlich lassen sie sich von Männern befördern. Auf flachen Gewässern, so auf dem stillen Bänya, treten an Stelle der Ruder vielfach Schiebestangen. Auffällig ist, dass die sonst so kunstsinnigen Bafıöti nicht danach streben, ihre Einbäume und Ruder hübsch zu gestalten und zu verzieren. Sie sind eben Acker- bauer, nur stellenweise und nebenbei Fischer und Wasserfahrer. In schönen Mondscheinnächten tanzt halb Afrika, urwüchsig, aus Naturdrang wie schwärmende Tiere. Nichts wird sozusagen gewissen- hafter und hingebender betrieben als das Tanzen. Es ist eine wichtige Aufgabe, worüber beinahe das Vergnügen vergessen wird. Dabei ver- harren gewöhnlich die Teilnehmer auf ihren Plätzen, scharren mit einem Spielbein leicht den Boden und führen Beckenbewegungen aus, an deren ursprüngliche Bedeutung die Tänzer kaum noch denken. Drehen um sich selbst, vorwärts und rückwärts Hüpfen, Schwenken der Arme, Lösen und Werfen der langen Zeughülle als Schleppe, findet nur ausnahmsweise Linkshändige. Anstelligkeit. 39 statt. Dieses eigentliche Tanzvergnügen entspricht dem auf unseren T’anz- böden. Anders freilich verlaufen die Schautänze und Kriegstänze, die mehr eingeübt sind, und unter Umständen sehr ausdrucksvoll vorgeführt werden. Wer Glück hat, kann Mädchen bei einem Tanzspiel belauschen, wobei sie unter beständigem Platzwechsel die Arme und Beine frei be- wegen, die Körper wiegen, auch Gewänder oder Zweige schwingen. Linkshändige, also Leute, die, wie es in Loängo heisst, die andere Hand oder die Weibhand haben, finden sich etwa im gleichen Verhältnis wie unter uns. Alle pflegen bei ihren Verrichtungen zwar geschickt, aber nicht fest zuzugreifen, als ob ihre Hände zu schlaft wären. Sie schonen. Die Klagen, dass sie nichts ordentlich anzufassen, festzuhalten, aufzu- stellen verstünden, sind nicht mehr berechtigt als daheim die über unsere Dienstboten. Die müssen auch erst mühsam erzogen werden, das ihnen fremde Vielerlei in einem umfänglichen Haushalt zu begreifen und richtig zu behandeln. Wer sich um die Verdriesslichkeiten unserer Hausfrauen nicht kümmert, der wird leicht falsch urteilen, wenn er in Afrika selbst wirtschaften muss. Ich halte die Bafiöti im allgemeinen eher für an- stelliger als unsere ungeschulten Dienstboten, weil sie behender, beweg- licher sind. Sie zerbrechen recht wenig. Die Frauen hantieren durchschnittlich flinker und kräftiger als die Männer, die mehr scharwerken, herumbasteln und sich in Kunstfertig- keiten versuchen. Es muss recht notwendig sein, wenn die tüchtig zu- packen sollen. Freilich macht es einen grossen Unterschied, ob sie für sich oder um Lohn für den Europäer arbeiten, ob es sich um gewohnte Tätigkeiten handelt, oder um aussergewöhnliche, die sie nicht begreifen, - wobei sie sich langweilen. Da haben wir mehr geistiges Unvermögen oder Unlust als Faulheit. Vieles verrichten sie ganz gut, wenn man ihnen ihre Weise lässt. Einmischung und Verbesserungsdrang wirken wie bei uns auch. Ihre einheimischen Erzeugnisse beweisen, dass sie nicht unbeholfen sind und sich zu helfen wissen, zeitweilig auch recht anstrengende Arbeiten ausführen. So fällen sie mit Buschmessern sowie mit ihren leichten Beilen und Hauen dicke Bäume, zerlegen sie in mühl- steinähnliche Räder für die Leichenwagen der Grossen, höhlen geräumige Kähne aus, spalten Stammstücke mit Keilen, arbeiten mit der Haue Pfosten, Bohlen, Bretter, Latten zurecht, befördern unhandliche Lasten mit Hebeln und Walzen, für welche Geräte sie einheimische Bezeich- nungen haben. Europäisches Handwerkzeug lernen sie zweckmässig verwenden, falls es nicht zu ungewöhnlicher Art ist. So bohren, stemmen, nageln, ver- bolzen, verschrauben sie geschickt, sägen und hobeln aber unsicher und wissen mit langstieligen Äxten ebensowenig wie mit Schüppe und Spaten umzugehen. Mit Schubkarren werden sie gar nicht fertig. Man erzählt, 40 Greiffuss. Notdurft. Auswurf. der eine habe die Handgriffe gehoben, der andere an den Radspeichen gedreht, schliesslich sei der beladene Karren auf den Kopf gehoben worden. Nicht wenige haben sich als Führer von Küstenfahrern, als Heizer oder Maschinisten auf kleinen Dampfern bewährt. Kabindaleute bauen sogar auf eigene Faust gedeckte seetüchtige Fahrzeuge von guter Form, die gar nicht übel segeln. Die Füsse dienen so gut wie gar nicht zum Greifen. Beim Nähen wird der Stoff öfters um die grosse Zehe gelegt und durch Strecken des Beines angespannt, aber die Hände müssen den Fuss unterstützen, damit er den Stoff richtig erfasse. Nur Muschelsucherinnen, die in zu tiefem Wasser den Oberkörper nicht benetzen wollten, habe ich ihre Beute mit einem Fusse der zulangenden Hand entgegenbringen sehen. Doch ge- schah das bloss gelegentlich, und die Versuche misslangen auch. Vom trockenen Boden sah ich nichts mit den Füssen aufnehmen, um etwa das Bücken zu vermeiden, auch spielen die Zehen nicht mit kleinen auf der Erde liegenden Gegenständen. Um ihre Notdurft zu verrichten, suchen beide Geschlechter in ge- ziemender Entfernung von den Wohnstätten beliebige Plätzchen zwischen deckender Vegetation auf; daselbst finden sich, falls kein Wasser in der Nähe ist, kleine Knäuel von Laub oder weichgeriebenem Grase. Die linke Hand dient. Beim Abschlagen des Wassers, das die Männer ge- wöhnlich stehend besorgen, suchen sie sich nicht allzu ängstlich zu ver- bergen, falls nicht Weiber oder Kinder in der Nähe sind, nässen aber womöglich Busch oder Graskaupen, nicht unmittelbar die Erde. Gespuckt wird wenig. Sie schneuzen sich, indem sie abwechselnd ein Nasenloch mit dem Daumen zudrücken und das andere ausblasen. Wenn nötig, und wenn kein Wasser bei der Hand ist, werden die Finger an Blatt- werk gereinigt. Der Auswurf wird auf kahlen Plätzen oder Pfaden sogleich zuge- scharrt, damit er nicht andere beleidige oder beschmutze. Leute von Bedeutung pflegen auch die übrigen Abgänge ihres Körpers zu bedecken oder verscharren zu lassen, und zwar noch aus einem zweiten Grunde, wovon im nächsten Kapitel bei gewissen Rechtsverhältnissen die Rede sein wird. — Die Formen der Begrüssung sind unter Männern mannigfaltiger als unter Weibern oder zwischen beiden Geschlechtern. Oft kommen die Leute gar nicht dazu, Grüsse auszutauschen, weil sie, zu mitteilsam, schon vor dem Zusammentreffen gleich mit einer Neuigkeit, mit einer lustigen Bemerkung losplatzen. Männer, die sich begegnen und nicht miteinander reden, heben einfach Kopf oder Augenbrauen, räuspern sich, grunzen schwach, oder sagen: Gut, gut oder gemach, gemach. Im Finstern melden sie sich schon. Formen der Begrüssung. 41 von weitem durch Husten oder Räuspern, gehen auch selten aneinander vorüber, ohne über woher und wohin zu verhandeln. Nur Läufer, die Botschaft tragen und zum Zeichen dessen Stab oder Zeptermesser eines Häuptlings, Briefe eines Europäers in ein Hölzchen geklemmt vor sich halten (Abbildung I 147), passieren unangefochten. Jemand, der längere Zeit abwesend oder leidend gewesen ist, drückt man seine Freude, sein Bedauern aus. Gute Bekannte klappen die Hände, reichen sie sich und schnippen danach mehrmals seitwärts mit Daumen und Mittelfinger. Eine sehr freudige Begrüssung vollzieht sich umständlicher, wort- reicher und mit ausdrucksvoller Bewegung des ganzen Körpers. Das unerwartete Wiedersehen zweier Freunde mutet geradezu klassisch an. Sie bleiben zehn bis zwanzig Schritt voneinander stehen, posieren, vor- wärts geneigt, mit geöffneten Armen oder den rechten Arm mit gespreizten Fingern nach vorn und oben, den linken nach unten und hinten gestreckt, das linke Bein zurückgesetzt, alle Muskeln gespannt. Schrittweise vor- rückend, schreien sie sich an, mit ä ä beginnend, die Namen und vielerlei Zusätze rufend wie: Da bist du, sehe ich dich, höre ich dich, wen er- blicken meine Augen, Freude ist mit mir, mein Herz regt sich. Unter solchen Ausserungen nähern sie sich einander, schütteln endlich Hände, legen sich auch gegenseitig einen Arm um die Schulter, seltener um die Hüfte, und schauen sich freudig an. Manchmal streichen oder klopfen sie dabei liebkosend mit flacher Hand Nacken oder Rücken. Knaben und Jünglinge sieht man nicht selten derartig umschlungen stehen; ältere Männer verhalten sich gesetzter. Der Europäer wird unterwürfiger begrüsst. Ein artiger a naht sich ihm, setzt das linke Bein zurück, das rechte vor, beugt ein wenig das Knie, neigt den Oberkörper und legt dabei die flache Hand derartig wagerecht über die Augen, dass er darunter vorsehen kann; dann klappt er noch die Hände. Männer von Rang begrüssen den Weissen durch Handschlag, durch Händeklappen oder lassen ihn von einem Be- auftragten bewillkommnen. Der gemeine Mann begrüsst einen 1, linie ebenfalls gebückt, ein Bein zurückgesetzt, legt aber selten die Hand an die Stirn, sondern schlägt die wagerecht gehaltenen hohlen Hände über Kreuz dreimal zu- sammen, und zwar so, dass auf den ersten lauten Klapp jedesmal schnell vier bis sechs leiser werdende folgen. Falls er zugleich ein Anliegen vorbringen will, tippt er hinterher vielleicht mit den Fingerspitzen der rechten Hand auf den Boden und manchmal noch an seine Stirn. Vor einem mächtigen Mitgliede des Fürstenstandes hockt der Bittende auch nieder, neigt den Kopf und klopft mit den drei Mittelfingern jeder Hand mehrmals den Boden. Unfreie schlagen knieend dreimal abwechselnd mit der flachen Hand Erde und Stirn. Alle tragen dabei Sorge, den 42 Begrüssung. Schatten der fürstlichen Person mit ihrem Körper wie mit ihrem Schatten zu vermeiden. Der Hochgestellte nimmt den Gruss an, indem er, die Handfläche nach oben gewendet, ein paar Finger krümmt. Grmnädiger zeigt er sich, wenn er die Finger mehrmals bewegt, am gnädigsten, wenn er die Hände ineinander lest und alle Finger spielen lässt. Schiebt er statt dessen bloss den Fuss vor und krümmt die Zehen, so bedeutet das Ungnade, ruckt er gar mit dem Fusse, als wollte er dem anderen Staub oder Erde zuwerfen, so weist er schroff zurück oder beleidigt. Weiber begrüssen sich untereinander ähnlich wie die Männer mit Worten und Handschlag, doch weniger demonstrativ und nicht mit dem eigenartigen Händeklappen. Ihnen begegnende Männer, die namentlich . bebürdeten Frauen den Pfad frei geben, pflegen sie nicht zuerst zu grüssen. Je nachdem ihnen guter Weg geboten oder allerlei angehängt wird, er- widern sie mit Lächeln, Nicken, Hochziehen der Augenbrauen, mit freund- lichen oder verweisenden Worten. Wie überall wird mit den Jungen lieber angebändelt als mit den Alten. Frauen bewillkommnen Männer, die ihr Anwesen (nicht etwa ihre Hütte) besuchen, vor dem Eingang mit einigen guten Worten, Bekannte und Verwandte auch durch Handschlag und besonders herzlich, indem sie, entgegen gehend, beim Händedrücken die andere Hand auf die Schulter des Besuchers legen. Will eine wohlerzogene junge Frau einen Fremdling recht verbindlich grüssen, so neigt sie sich leicht und schwingt die Hand, Fläche schräg nach innen und oben, fast bis in Gesichtshöhe, als ob sie den Willkomm darböte; falls sie ein Gewand über den Ober- körper geworfen hat, lüpft sie es wie zufällig ein wenig von Schulter und Brust, lässt es aber nie so völlig sinken, dass von einer ehrfurchtsvollen Entblössung gesprochen werden könnte. Eine solche findet statt, wenn ein Weib, um zu reden, in die Mitte feierlich beratender Männer tritt. Den Europäer grüssen begegnende Frauen nicht so unterwürfig wie Männer; halb schüchtern, halb selbstbewusst lassen sie es mehr darauf ankommen. Wer andere in ihrem Heim aufsucht, hält etliche Schritte vor der Tür an, stampft auf den Boden und räuspert sich. Aus dem Inneren schallt es: wer? wer ist da? worauf sich das Weitere ergibt. Im Not- falle wird mit der flachen rechten Hand gegen einen Tragpfosten des Vordaches geschlagen oder an die Hüttenwand selbst geklopft, aber nicht mit Finger oder Faust, sondern rückwärts mit dem Hacken des Fusses. Der Hütte einer Ehefrau nähert sich kein fremder Mann in solcher Weise; er meldet, was zu bestellen ist, ohne die Bewohnerin zu sehen, oder lässt sie durch eine Nachbarin herausrufen. Solange man mit dem Treiben der Leute nicht vertraut ist, gewinnt man den Eindruck, als ob sie mit Gruss zusammenkämen, aber ohne Verabschiedung. 43 Abschied auseinandergingen. Dem ist jedoch nicht so. Das Treffen wird bloss stärker markiert als das Trennen. Sie haben Ausdrücke genug für Lebewohlsagen. Oft ergibt sich schon aus dem Schluss der Gespräche, aus Blick und unauffälligen Gebärden die Wendung des Abschiednehmens. Ausserdem wird besonders gesagt: Wir gehen, auf morgen, auf später, gehe gut, Friede sei vor dir, Gutes sei mit dir. Auch wird bisweilen nach der Trennung, erhobenen Armes mit den Fingern spielend, ein Gruss durch die Luft geworfen. Eltern und Kinder sowie Eheleute verhalten sich beim Scheiden oder Wiedersehen wärmer, herzlicher, auch feierlich. Zwar wird es nicht für geziemend erachtet, sich vor den Augen anderer zu liebkosen, doch fügt es der Zufall, dass man im Laufe der Zeit manchen Ausbruch der Zuneigung und Liebe beobachtet. Es gibt vielerlei sprachliche Wen- dungen für segnen und verfluchen, für Herzenswünsche innigster Art. Eltern geben scheidenden Kindern ihren Segen mit auf den Weg, legen die Hände auf sie und sagen: Friede sei vor dir. Gutes begegne dir. Dein Weg sei eben. Licht sei vor dir, hinter dir Finsternis. Trage mich im Herzen. Gutes komme mit dir. Freude sei deiner Mutter. Im Berglande hatte sich ein junger Mann entschlossen, uns zu einem Ge- biete zu führen, wo es für ıhn nicht recht geheuer sein mochte, wahr- scheinlich, weil seine Sippe dort etwas auf dem Kerbholz hatte. Vor dem Abmarsch lief er nochmals zu seiner Mutter, die aus der Fenstertür ihrer Hütte schaute, beugte sich nieder, legte seine rechte und linke Wange an ihre Wangen, drückte seine Stirn auf ihre Stirn, presste ihre Hände an seine Brust und zog dann wohlgemut vor uns her, während die Alte, vor sich hinmurmelnd, ihm nachblickte, solange er zu sehen war. Ein Mann verabschiedete sich vor der Hütte nochmals von seiner jungen Frau, indem er ihren Kopf zwischen die Hände nahm, seine Stirn auf ihre Stirn drückte, aber nicht etwa die Nasen rieb, ihr in die Augen sah und dabei leise, eindringliche Worte mit ihr wechselte. Ihre Hände ruhten dabei auf seinen Oberarmen. Ferner habe ich gesehen, dass eine junge Frau ihrem scheidenden Manne zuletzt die Arme auf die Schultern legte, dass eine andere die Hände ihres Mannes dreimal auf ihre und seine Brust drückte, dass eine dritte ihrem Geliebten nachlief und, ihm regelrecht um den Hals fallend, sich an ihn schmiegte. Bei einem recht grossen Abschiede, wenn Leute eine lange Reise antreten, namentlich über See fortwandern, werden neue Tücher geschwenkt, in die Luft ge- worfen und den Winden zum Spiel überlassen. Gleich ehrenvoll wie vertraulich ist noch folgende Begrüssung: zwei Personen von Stande verhaken rasch nacheinander die rechten und die linken Arme. Bisweilen leeren sie dann ein Gläschen starken Getränkes, 44 Hinweis. Stumme Verständigung. Bejahen. wobei sie nochmals die rechten Arme verschränken, so wie wir Brüder- schaft zu trinken pflegen. Während feierlicher Beratungen werden der- artige Huldigungen Leuten von Rang sogar von untergeordneten Männern und Frauen erwiesen, doch wird dazu nicht getrunken. Um auf etwas hinzuweisen, bedienen sie sich nicht des Zeigefingers, sondern der ganzen Hand mit gestreckten Fingern. Nur wenn ihnen daran liegt, einen winzigen Gegenstand zwischen anderen zu bezeichnen, tippen sie mit der Spitze des kleinen oder mittleren Fingers mehrmals darauf. Auf eine Person (auch auf den Regenbogen) soll man nicht mit der Hand hinweisen. Im Gespräche deuten sie auf einen Anwesenden, den sie nicht nennen wollen, mit den Augen und leicht rüsselförmig vor- gestreckten Lippen hin, indem sie dazu oft den Kopf heben, das Kinu vorschieben, die Augenbrauen hochziehen. Solche und andere Gebärden geschehen so unmerklich, dass man sie leicht übersieht. Einen in der Nähe Befindlichen winken sie heran, indem sie seinen Blick fangen und die Lider senken; sie weisen ihn fort, indem sie die Augen starr halten und erweitern, was ja unter uns ebenfalls geübt wird. Um die nämlichen Wirkungen auf grössere Entfernung zu erzielen, heben sie die Hand, krümmen die Finger nach unten oder schnellen sie vor- wärts. Personen von Rang, namentlich Fürstinnen, verwenden dazu bloss Zeige- und Mittelfinger. (Englische und amerikanische Omnibusschaffner verfahren in ähnlicher Weise: um Fussgänger zum Einsteigen zu ermutigen, heben sie die Hand, fangen den Blick und winken mit zwei Fingern.) Sehr fernen Personen winkt man mit dem ganzen Arme, abwärts an, aufwärts ab, wie bei uns Jäger auf der Feldsuche gut eingearbeitete Hunde führen. Hoch halten des Armes heisst still stehen, auf und ab zucken sich beeilen, wie bei unserer gedeckt vorgehenden Kavallerie und Artillerie. Bei allen diesen Zeichen wird die Handfläche stets nach unten oder nach vorn gewendet, wie auch beim Herzählen an den Fingern, wo- bei mit dem linken kleinen Finger begonnen wird, die Daumen sich berühren. Bejahung: leichtes Heben der Augenbrauen, stärker durch gleich- zeitiges Vorschieben des Kinnes und leises Brummen, bestimmter durch ää, artiger durch ngöte, in der Regel mit Hinzufügen des Namens oder Titels, beteuernd durch nsämbi und kalünga. Oft werden dabei die hohlen Hände geklappt, oder es wird zustimmend die flache Hand leicht abwärts und rückwärts bewegt, als wären damit alle möglichen Hinder- nisse im voraus weggeschoben. Bei Beteuerung streicht auch die rechte Hand mehrmals leicht über den linken Arm. Wenn sie freudig über- rascht bejahen, winken sie mit den Augenbrauen, ziehen Luft ein und schnalzen mit der Zunge. Die Jugend ruft in Glückseligkeit tschinyensu oder tschiensu. Grösste Freude, Entzücken drücken Mädchen und junge Verneinen. Abmelden von ferne. Staunen. 45 Frauen bisweilen durch eine eigenartig anmutende Gebärde aus: Ellbogen des rechten Armes ein wenig nach vorn, Unterarm. scharf aufwärts, Hand leicht geöffnet in Schulterhöhe, halb abwehrend, halb empfangend, Kopf zurückgelehnt, Augen halb geschlossen, Mund leicht geöffnet, Mundwinkel niedergezogen, Luft hörbar einsaugend — eine Studie für feinsinnige Künstler. Verneinung: Kopf leicht seitwärts geworfen, stärker, durch heftigeren Ruck und mv£, unwirsch, durch Heben der Nase und Oberlippe, wobei Luft scharf ausgestossen wird, was wie uph klingt. Bei den verneinenden Ausdrücken bäkana k6, ngöngo ämi, böbo oder tschiböbo: gibt’s nicht, Rücken mein, nichts, wird gewöhnlich eine Hand abweisend bewegt, schroffer oder trotziger auch mit dem Fusse gestampft oder mit der Hand auf den Schenkel geklatscht. Mädchen und junge Frauen verneinen im heiteren Gespräch auch, indem sie den Kopf seitwärts setzen und eine Hand, Innenfläche nach vorn, mit spielenden Fingern in Gesichtshöhe mehrmals hin und her schwenken, wobei sie schelmisch durch die Finger- lücken gucken. Wollen sie einen völligen Mangel an irgendeiner gefragten Sache andeuten, so knipsen sie öfters mit den Daumennägeln und bewegen die Hände mit steifen Daumen seitwärts, wobei sie die Handflächen nach oben drehen, oder sie knipsen manchmal mit emem Daumennagel an den Oberzähnen und schlenkern die Hand nach vorn. Um Harrenden von ferne zu melden, dass etwas misslungen, dass, etwa bei einer Verhand- lung, nichts erreicht worden sei, schlägt der Beauftragte die senkrecht “gehaltenen Handflächen in Stirnhöhe und Blickrichtung mehrmals hart aneinander vorüber. Seltener hebt er die Schultern und lässt die Finger der vorgestreckten, nach unten geöffneten Hände spielen, zum Zeichen, dass sie leer sind. Unser Achselzucken haben uns manche abgelauscht. Ursprünglich führen sie jedoch diese Gebärde anders aus. Sie ziehen zwar die Schultern hoch, heben aber die gekrümmten Arme mit schräg einwärts gestellten Händen und oft spielenden Fingern vom Körper ab, als wollten sie auffliegen oder etwas fallen lassen. Einer, der in Sicht von seinesgleichen abgekanzelt worden ist, be- stätigt es verständnisinnig, indem er sich duckt, mit den Augen zwinkert, den Atem einzieht, dabei die Hand an den Mund drückt oder den kleinen Finger beisst und die Hand schlenkert. Überrascht, erstaunt, heben sie die Augenbrauen, öffnen die Augen weit, den Mund halb. Ist es arg, so rufen sie ää oder mäma, Mutter, wobei sie wie erstarrt stehen oder etliche Schritte zurücktreten. Manche werfen auch die Hand in Mundhöhe oder führen diese Bewegung teil- weise aus. Andere verbergen ihr Erstaunen unter einem unsicheren Ge- lächter. Eine schreckliche Begebenheit wird mitgeteilt und angehört, 46 Unschlüssige. Nachdenken. Unterhalten. Redegesang. indem sie hastig Luft einziehen, die Augenbrauen heben, mit der Zunge schnalzen, sowie mit Daumen und Mittelfinger schnippen. Ganz Entsetz- liches verursacht ihnen Schauder, kurzen Schüttelfrost mit huwuwuwu. Mäma rufen sie auch beim Erschrecken, ebenso bei einem plötzlichen Schmerz. Mäma ist überhaupt der Urschrei bei allen Bäntuvölkern, die die Mutter so hoch halten. Bei geringerer Erschütterung ziehen sie bloss den Kopf ein und zucken mit der Hand nach dem Munde. Unschlüssige, besonders junge Leute, denen dringend zugeredet wird, lassen die Augen umherirren, verhaken die Finger, reissen sie wieder auseinander, neigen den Kopf und klopfen oder scharren mit einem Fusse den Boden. Sie bitten in zutraulicher Weise, indem sie die Ansprache durch Händeklappen unterstützen, den Kopf mit flehendem Ausdruck schief setzen und dann die vorgestreckten Hände geöffnet nebeneinander halten, als wollten sie die Gewährung entgegennehmen. Um recht unwider- stehlich zu sein, beugen sie in kindlich graziöser Weise ein Knie. Ab- lehnend beschieden, schmollen sie wohl ein wenig mit vorgeschobenen Lippen, sind aber nicht zornig oder tückisch. Bei günstigerer Gelegen- heit kommen sie wieder. Wer lustig spottend eine Zumutung abweisen und ausdrücken will, dass man ihn nicht für dumm halten dürfe, der tippt, schlau seitwärts schielend, mit dem Mittelfinger an die Stirn, oder zieht mit ihm das untere Augenlid herab und bietet es zur Besichtigung dar. Ernstlich nachdenkend neigen sie den Kopf, runzeln die Stirn, schieben die Runzeln mit den Fingern zusammen oder reiben langsam darüber hin. Gewöhnlich strecken sie zugleich die Lippen ein wenig vor und grunzen leise, wie wir hm hm machen. Beim Verrichten feiner, knifflicher Arbeiten, wenn sie nähen, recht zierliche Muster knoten, weben oder flechten, stecken sie häufig die Zunge etwas heraus oder in eine Backe oder spitzen den Mund oder machen ein Schüppchen. Einem frischen Mädchengesicht steht die hübsch rote Zungenspitze ganz niedlich. Den Mund spitzen oder die Lippen schieben sie auch beim aufmerk- samen Betrachten eines sie fesselnden Gegenstandes. Bei eifriger Unterhaltung gebrauchen sie die Hände wie wir auch. Namentlich strecken sie eine Hand oder beide Hände vor, um das Ge- sagte dem Zuhörer gleichsam darzureichen. Wollen sie einzelne Rede- teile nachdrücklich hervorheben, so klopfen sie mit den Fingern der einen auf den Teller der anderen Hand oder tappen auf Gegenstände Um recht eindringlich zu sein, verfallen sie in Singsang, in Redegesang. Angaben, die auf Zweifel stossen, bekräftigen sie auch, indem sie die Hand aufs Herz legen oder an die Stirn drücken und vorwärts werfen, oder mit ihr über den anderen Arm abwärts streichen. Ihre höchste Beteuerung, die sie indessen nicht für Kleinigkeiten anwenden, ist, dass r Erröten vor Freude. Zanken. Raufen. Verhöhnen. Schimpfen. 47 sie mit einer Hand die Erde berühren oder gar Erde auf die Zunge legen. Können sie nicht überzeugen, so fahren sie sich wie verzweifelt in die Haare oder trommeln mit den Fäusten auf den Scheitel. Mädchen und Frauen verschränken auch die Finger im Nacken und werfen trotzig den Kopf zurück. Dann ist es Zeit, einzulenken, sonst gehen sie un- willig davon. Zutraulich gewordene Kinder, namentlich Mädchen, die in Verlegen- heit gerieten, drehten den Kopf seitwärts, schielten schämig von unten herauf, fingerten im Gewande, legten auch die Finger an die Lippen und tändelten gern mit einer Fussspitze auf dem Boden. Kleine Mäd- chen, die wir mit Geschenken beglückten, duckten sich leicht, schlossen die Augen, erschauerten manchmal förmlich und erröteten, richtiger, er- dunkelten vor Freude. Knaben, die sich zanken und heraustordern, es geschieht selten genug, atmen heftig und sehen sich mit zurückgeworfenen Köpfen von der Seite an, wobei sie den Mundwinkel und Nasenflügel hochziehen, aber nicht die Zähne oder Zungen blecken. Wenn sie sehr bös werden, scharren sie ruckweise mit dem Fusse Staub gegeneinander, greifen auch drohend einen Stock auf, gebrauchen ihn jedoch nicht, wie sie auch nicht Wurfgeschosse verwenden, nicht mit Steinen oder Erdklumpen schmeissen. Es kommt kaum zu einer Prügelei. In Jahren habe ich nur einmal zwei Jungen raufen sehen. Sie umklammerten sich und wälzten sich auf der Erde ganz wie bei uns, doch rangen sie stumm und knufften nicht mit den Fäusten. Ob des unerhörten Vorganges geriet das ganze Dorf in Aufregung, selbst die Ziegen stapften herbei, und die Mütter waren ausser sich. Niemand versuchte, die Kämpfer zu trennen. Prügeleien unter Erwachsenen kommen ebenfalls nicht häufig vor, und meistens bei Volksbelustigungen, wenn Burschen feindlich gesinnter Dörfer um Mädchen aneinander geraten. Da spielen denn, wie bei unseren Kirmesraufereien, Stöcke, Knüppel und Messer eine Rolle. Um zu verhöhnen oder grösste Verachtung auszudrücken, aber ebenso auch, um ihren grossen Mut, ihre Entschlossenheit zu bekunden, weisen kriegsbereite Männer die Kehrseite und klatschen auf die Hinterbacken. Wenn ein Mann inmitten seiner ihn anfeuernden Genossen einen wilden Kriegstanz aufführt, so zeigt er vielfach am Schlusse das nackte Gesäss, indem er sich bückt und das Hüftentuch emporwirft. Dies geschieht sogar vor zuschauenden Weibern und Kindern, was bemerkenswert ist, weil ausnahmsweise einmal der Anstand verletzt wird. Geschimpft wird weniger auf den Gegner selbst, als auf seine Fa- milie und seine Vorfahren, als ob sie die Schuldigen wären. So ver- wünscht man auch nicht den Widersacher, sondern seine Ahnen und seine oder seines Anhanges Nachkommenschaft. Dergleichen wird aber ernst 48 Lust und Leid. Zur Beurteilung von Menschen. genommen, auch von Unbeteiligten, denn daraufhin kann, falls nachmals etwas Übles sich ereignet, eine Anklage auf böswillige Hexerei erhoben werden: Schimpferei gilt für unanständig. Manche Gebärden mögen verschiedene Bedeutung haben. Der Aus- druck der Gemütsbewegungen im Antlitz ist bei allen Menschen gleich. Die reizvolle Mienensprache ist eine uralte Weltsprache, die einzige, die alle Menschen verstehen und die häufig offenbart, was Worte verbergen sollen. Freilich kommt bei den Bafıöti vieles auffälliger heraus als bei uns. Es ist viel Bühnenmässiges in ihrem @ebaren. Auch klagen, schreien, weinen, lachen sie mehr in homerischer Weise, weil sich das so gehört. Das Alter ist verhaltener als die Jugend, die sich mehr gehen lässt und ganz gern einmal übertreibt. Über recht Lustiges können die Leute Tränen lachen, immer wieder losplatzen, wobei sie sich gegenseitig zu überbieten suchen und sich den Leib halten. Wer tiefes Leid trägt, herzliche Trauer empfindet, hält sich einsam und weint sich aus. Man sieht hinter den vor das Gesicht geschlagenen Händen die Tränen rinnen. Bei öffentlichen Totenklagen werden freilich Tränen vergossen, weil der Brauch es so will. Meistens sind die Männer demonstra- tivrer als die Weiber, vielleicht erscheinen sie auch nur so, weil sie die Beobachtung weniger scheuen und im öffentlichen Leben mehr her- vortreten. Vor nicht langer Zeit erklärte ein Fachmann in seinem Lehrbuche wörtlich, dass die Neger eine viel geringere geistige Begabung als die übrige Menschheit besässen, dass sie sich zwar abrichten, aber nur selten wirklich erziehen liessen. Wie unheilvoll wirken solche Behauptungen. Man meint Verbündete der alten Sklavenhalter und andere Leute zu hören, die allerlei zu be- mänteln haben. Pflegen doch Menschen sich zu rechtfertigen, indem sie denen, die sie vergewaltigen, Schlimmes nachsagen. Die Geistesbeschaffenheit, die Veranlagung von Primitiven ist doch viel zu wenig untersucht worden, als dass darüber abschliessend geurteilt, dass von höheren und niederen Rassen, von kennzeichnendem Zusammen- hange körperlicher und geistiger Merkmale oder gar von einer Prädestina- tion gehandelt werden könnte. Auch im Zivilisierten steckt noch sehr viel vom Wilden. Beide trennt nur eine Spanne Zeit. Unsere Altvorderen haben ebenfalls Missionare umgebracht. Und vormals, als andere Völker schon geleistet hatten, was die Grundlage unserer Ausbildung geworden “ist, was heute noch emsig durchforscht und bewundert wird, sind sie schwerlich eine bessere Art von Wildvolk gewesen, als gegenwärtig auf Erden lebt. Was ihre Nachkommen begangen haben, trotz Christentum und gerühmter Kultur, das lehrt die Geschichte. Zur Beurteilung von Menschen. Befangenheit. 49 Ebensowenig wie sich Jahrhunderte und Jahrtausende in Jahrzehnte verdichten lassen, ebensowenig werden sich Afrikaner schneller als die Vorfahren ihrer Beurteiler zu anderer Weltanschauung und Lebensführung bekehren lassen, selbst wenn man sich einsichtsvoll darum bemühte. Aus Nächstenliebe geht zu ihnen doch nur der Missionar. Welche Aufgabe ist es, unsere eigenen Kinder zu schulen, unsere Rekruten auszubilden. Wie schwierig ist es überhaupt, uns Persönlich- keiten zu erziehen, obschon sie unter uns geboren sind und inmitten unserer Einrichtungen aufwachsen. Wie soll da der einfältige Mensch den vielfältigen, der Primitive den Zivilisierten begreifen, wie soll er -Ansprüchen genügen, die zunächst unvereinbar sind mit seinem Dasein und mit seinem Vorstellungsvermögen? Da sind Misserfolge nur natür- lich, beweisen aber durchaus nicht die Unfähigkeit. Sie liegen mehr im Ungeschick des Vorgehens und in den Verhältnissen als in der Begabung der Menschen. Was einem gut dünkt, dient anderen darum nicht zum besten, nicht einmal innerhalb, viel weniger ausserhalb der eigenen Ge- meinschaft, und was draussen anders erscheint, ist deswegen noch nicht verwerflich. Daheim, wo es doch viel schwerer wiegt, liegt noch genug im argen, ist noch so sehr viel zu bessern. Wenn wir aufzurechnen vermöchten, wieviel unter Zivilisierten all- stündlich gegen Recht, Menschlichkeit, Ordnung und Sittlichkeit gesündigt wird! Und abgesehen von allem Schlimmeren, das doch grossenteils ver- borgen bleibt: Wie wird unter uns im täglichen Verkehre geklagt über Faulheit und Dummheit, über Roheit und Hinterlist, über Unzuver- lässigkeit, Unredlichkeit und schlechte Gesinnung. Wie wird über das Gesinde geseufzt, das, obgleich unter Schulzwang und erzieherisch wir- kenden Verhältnissen aufgewachsen, so wenig geneigt und fähig ist, sich dem Willen der Herrschaft anzubequemen und zu tun, was geheissen worden ist, was der einfache Menschenverstand verlangt. Die Lamentationen draussen und daheim verärgerter Leute gleichen sich überraschend. Das sollte man Afrikanern zugute halten. Um wie- viel schwieriger und verwickelter müssen sich die Angelegenheiten ge- stalten, wo der Widerstreit der Interessen verschärft wird durch ver- schiedenartige Vorstellungskreise und durch mangelhafte Verständigung. Wie leicht geht das Urteil fehl, wo der Abstand zwischen Erhofitem und Erreichtem oft entmutigend gross ist, wo Entbehrungen und klima- tische Einflüsse die Reizbarkeit steigern, Verdrossenheit und Verbitterung, sogar Widerwillen und Hass erzeugen. Es kann gar nicht anders sein, als dass Afrikaner, überhaupt die Primitiven lernen, den Zivilisierten zu misstrauen, dass sie sich dem Willen beliebiger Fremdlinge, selbst wenn sie ihn begriffen, nicht fügen. Wer ihre Kreise stört, muss Widerstand gewärtigen, zumal wo es um Loango. 4 Fa 50 Zur Beurteilung von Menschen. Heimat und Besitz, um gewohnte Rechte geht. Darüber zu klagen, heisst mehr beschönigen und anschuldigen als urteilen. Unbeschadet der guten Absicht muss man doch auch verstehen, mit Menschen umzugehen, sich Verhältnissen anzupassen sowie von überlieferten Ansichten, von europäischer Herrlichkeit und Selbstbespiegelung zu befreien und unbe- fangen zu vergleichen. Es ist ja viel Schönes um wohlformulierte Sitt- lichkeitsbegriffe. Leider dienen sie weniger der Selbstzucht, als dass sie verleiten, die eigene Vortreftlichkeit nach Reden, die Mangelhaftigkeit anderer nach Handlungen einzuschätzen. Menschliche Zustände sind überaus verwickelt und parteiischer Deutung offen. Je nach Stimmung. Es fällt nicht schwer, das nämliche Volk als gut oder als schlecht zu beschreiben. Was werfen entzweite Zivili- sierte einander vor, lassen kein gutes Haar aneinander, und wie loben sie sich wieder, wenn alles nach Wunsch geht, wenn sie sich brauchen. So die Leute, so die Völker. Nur die Primitiren kommen nicht zu Worte. An ihnen bleibt alles hängen. Sie sind wehrlos gegen üble Nachrede wie gegen verbesserte Tötungsmaschinen. Deswegen handelt es sich nicht bloss um die, über die berichtet wird, sondern auch um den, der berichtet. Wobei sich herausstellt, dass in der Regel der am mildesten über Eingeborene denkt, der am längsten mit ihnen lebte. Denn solange Primitiven nicht Unrecht angetan wurde, ist man ganz gut mit ihnen ausgekommen, und Entdeckern sind alle freundlich gewesen. Erst spätere Besucher haben die Sünden von Vorläufern zu büssen. Wer es eilig hat, flüchtig obenhin geht, wer Zwang ausübt, muss andere und einseitigere Eindrücke empfangen als einer, der jahrelang und harmlos mit Eingeborenen haust. Ihr geistiges Vermögen zu ergründen, ist um so schwieriger, je einfacher die Zustände erscheinen, weil eben darum der Beobachter die Leute leicht unterschätzt. Er kennt weder ihre Sprache noch ihre Denkweise noch ihre Einrichtungen, und trägt hergebrachte Gedanken hinein. Er verfolgt ihr Treiben, aber versteht nicht ihre Beweggründe. Sie begreifen ihn nicht, können ihn nicht auf- klären. Und wo sie es könnten, da mögen sie nicht. Weshalb sollten sie gegen den Fremdling offenherzig sein? Widersinnig, höchst verdächtig erscheint ihnen sein Umherspüren und Aushorchen. Es ist ihnen min- destens unbequem, stört und reizt sie, vergrössert ihr Misstrauen. Halb muckisch, halb ratlos stechen sie Fragen durch Gegenfragen. Ganz wie daheim. Da ungewohnte geistige Anstrengung sie rasch ermüdet, ihnen, wie sie stets klagen, Kopfschmerzen verursacht, wird es selbst den Willigsten und Begabtesten bald wüst zumute. Danach sind ihre Aus- künfte beschaffen. Welche Irrtümer und ganze Reihen falscher Schlussfolgerungen aus Angaben erschöpfter, verdrossener, mutwilliger oder den Sinn der Fragen Zur Beurteilung von Menschen. 51 nicht einmal ahnender Leute entspringen, wird der gar nicht gewahr, der vorzeitig mit seinen vermeintlichen Schätzen heimkehrt. Natürlich denken die Leute für sich, nicht für den Fremdling. Seinetwegen hält ihre Aufmerksamkeit nicht lange vor. Das ist nicht böser Wille. Sie können schlechthin nicht anders. Sie benennen nicht einen Gegenstand, eine Handlung, sondern begutachten vielleicht Form, Tauglichkeit, oder sagen, was ihnen sonst dabei ein- oder auffällt, und wäre es die Nase des Fragestellers. Noch ärger in abstrakten, in religiösen Dingen, wo Verständigung von vornherein für Jahr und Tag ausgeschlossen ist. Denn über die Hauptsache vermögen die Leute Rechenschaft nicht ab- zulegen. Infolge verfehlter Fragstellung, die der Dolmetscher steigert, verirren sie sich in den wunderlichsten Gedankengängen, erzählen kraus durcheinander, wie ihre lebhafte Einbildungskraft waltet. Nichts wird klipp und klar erledigt. Das ist der natürliche Gang und bei unserem Landvolk, obschon schwerfälliger, kaum anders. So ist ihre Weise. Mag sie ärgern oder belustigen, man hat geduldig aufzumerken und nichts vorschnell zu ver- werfen. Zunächst nicht, weil all der Wust doch ihren Köpfen entstammt und ihr geistiges Vermögen kennzeichnet, sodann nicht, weil des Brauch- baren genug darin steckt, obschon es nicht dem Zwecke dienen mag, um den es sich gerade handelt. Die Kunst ist, es herauszufinden und es schicklich zu verwenden. Der Forscher wird nur zum kleinsten Teil erleben, was zur Sache gehört. Gefahren und Abenteuer, so wirksam bei Hörern und Lesern, kommen nicht in Betracht. Das Beste wird erlauscht, den Hauptgewinn liefert sprungweise der Zufall. ‚Je mehr er nun vertraut wird mit Sprache und Lebensführung seiner Menschen, und je mehr sie ihm trauen, je mehr er prüft, vergleicht, an Einsicht gewinnt, desto mehr Ungenügendes oder Falsches muss er ergänzen oder verwerfen. Endlich kommt der Tag, wo er sich aufraffen muss, rüstig wieder von vorne, nämlich mit der Berichtigung des Verarbeiteten anzufangen. Zu vieles ist anders, als er nach Lehre und Regel erwarten konnte. Hat er sich derartig manches Jahr bemüht, so leuchtet ihm erst recht ein, wie beunruhigend lückenhaft die Ergebnisse sind. Es steckt so viel mehr in den Leuten, als der Forscher, und wäre er der klügste, in reichlich bemessener Zeit zu ergründen vermag. Immerhin hat sich so viel ergeben, dass vielerlei vom Erkundeten und nachher Abzuhandelnden nicht mit verbreiteten Auffassungen über- einstimmen wird. Solches Abweichen pflegt zu missfallen, wo Theorien zu verteidigen sind. Die zusammengefassten Ergebnisse unmittelbarer praktischer Untersuchungen werden leicht geringer eingeschätzt als die Ergebnisse eifriger Denktätigkeit, die sich mit Schaustücken und 52 Schaustücke. Wissenswertes. Lesefrüchten behilft. Leicht fügen sich eigene Gedanken, schwierig sind die der anderen zu fassen. Nicht was der Beobachter denkt, sondern wie die Beobachteten denken, bedarf der Klärung. Auch kennzeichnen Schnitzwerk, Schurz, Kahn, Flöte das Seelische der Primitiven nicht mehr als Marmorbild, Frack, Panzerschiff, Orgel das der Zivilisierten. Und verstreute Angaben in Reisewerken, die wohl die Phantasie be- fruchten, aber häufig sich selbst widersprechen und Bedenken erwecken, ob ihre Urheber die Zeit, die Fähigkeit oder überhaupt die Absicht hatten, der Sache ernsthaft gerecht zu werden, solche wendbare An- gaben können das Wichtigste nicht ersetzen, wozu es beinahe schon zu spät ist: dass endlich auch der primitive Mensch methodisch erforscht werde wie alles andere in der Natur. Unbegreiflich, dass man ein Wildvolk genügend zu kennen meint, wenn man Schädel und Geräte von ihm im Schranke, Bräuche und Sitten im Buche hat. Erstaunlich, dass man draussen in der Wildnis dem Wesen der Pflanzen und Tiere mehr wissenschaftliche Tätigkeit widmet als dem Wesen der Menschen und damit zugleich den grossen Fragen der Menschheit. Eine letzte Schwierigkeit stellt sich heraus bei dem Bestreben, nicht bloss recht zu berichten, sondern die empfangenen Eindrücke auf andere entsprechend zu übertragen. Nämlich die Stimmung zu treffen und schon durch die Art der Darstellung das Wesen der Leute zu ver- anschaulichen, den Leser mitten in die Zustände zu versetzen. Wer so mit Worten zu schildern vermöchte wie der Impressionist mit Farben, könnte das Richtige treffen. Aber die Ausdrucksmittel versagen. In- dem der Berichtende Genauigkeit erstrebt und erstreben muss in einer Sprache, die, anderen Verhältnissen dienend, andere und fest umrissene Vorstellungen erweckt, verfällt er auch dem Zwange dieser Sprache, worunter die Treue der Schilderung leidet. Wie dem nun sei, er hat vielerlei zu beschreiben, was er erfahren hat im Zusammenleben mit seinen Eingeborenen, mit Männern, Weibern, Kindern, die ihm schon als Gegenstände langer Beobachtung nicht gleich- gültig bleiben konnten. Ihr Dasein mit seinen Einrichtungen, ihr Sinnen und Trachten, ihre Lust und ihr Leid haben ihn berührt. Er hat mit ihnen gelacht und getrauert, er hat sich über sie geärgert und gefreut. Im Grunde genommen ging alles so zu wie bei anderen Menschen auch: Gutes und Böses nach Personen und Verhältnissen. Alles in allem ist das Wesen der Bafıöti kurz folgendermassen zu kennzeichnen: Phantastisch, unentschlossen, fahrlässig, dauernder An- strengung abhold, doch sehr redegewandt, mit guter Fassungskraft und trefflichem Gedächtnis begabt. Heiter, empfänglich für Komisches, ge- Eigenart der Bafiöti. 53 sellig, gutmütig, zügellos in der Erregung. In verblüffendem Gemisch zartsinnig und roh, gefühllos und mitleidig, feig und verwegen, habgierig und verschwenderisch. Weder absichtlich grausam noch blutdürstig, kaum nachtragend oder rachsüchtig. Eitel, sauber, manierlich, auf Anstand haltend. Sie ehren das Alter, loben die Gerechtigkeit, tadeln Lüge, Geiz, Gemeinheit, fürchten die Schande und halten die Freundschaft hoch. Gross ist ihr Familiendünkel, gross die Liebe zu ihren Kindern, grösser, an Verehrung grenzend, die Liebe der Kinder zur Mutter. Ein Volk besteht aus einem Gemisch von Persönlichkeiten. Wenige führen, die übrigen folgen. Wie anderswo gibt es in Loängo Gemeine und Vornehme, Kluge und Dumme, Gute und Schlechte. Wie anderswo wird getäuscht, verraten, gestohlen, verführt, vergewaltigt, falsch ge- schworen, totgeschlagen; es werden Roheiten und Nichtswürdigkeiten verübt. Aber Übeltaten sind nicht mehr als bei uns allgültig zu nehmen. Das Wichtige für die Beurteilung eines Volkes ist nicht, was bei ihm geschieht — wo bliebe sonst unsere gepriesene Kultur —, sondern wie das Geschehene von der Gesamtheit aufgefasst wird. Danach ist den Bafıöti kein schlechtes Zeugnis auszustellen. Wobei nicht zu vergessen ist, welchen verderblichen Einflüssen sie ausgesetzt gewesen sind, wie schändlich und grausam von europäischen Sklavenhändlern und Sklaven- haltern unter ihnen gehaust worden ist. Sie haben ihre Tugenden, die sie freilich als solche nicht zu rühmen pflegen, vielmehr ausüben, weil es sich so gehört. Wenn sie ihre Ideale zu nennen wüssten, wären es die folgenden: satt sein, recht viel gelten, ehrsam beerdigt und lange betrauert werden. Die Selbstsucht, die aber weniger der Person als dem Verwandten- kreis gilt, beherrscht ihr Sein. Haben wollen sie, immer haben. Alles dreht sich ums Haben mit dem unverblümten zähen Begehren unserer Kleinleute und Bauern. Doch wissen sie weder, dass sie selbstsüchtig sind, noch trachten sie, es zu verbergen. Sie denken gar nicht daran, uneigennützig zu erscheinen. Der Starke nimmt, der Schwache gibt. Der Grosse ist der Esser, der Kleine wird aufgegessen. Diese uralte, alles beherrschende Lebensordnung ist auch ihre Ordnung, offen, un- geschminkt. Woraus folgt, dass sie eigentlich bloss verteidigungsfähigen Besitz anerkennen, was sich übrigens gerade so gut von Zivilisierten be- haupten lässt. Denn wie anders lägen alle Verhältnisse, wenn jeglicher Besitz unantastbar wäre. Es gäbe ja keine Weltgeschichte mehr. Die Leute erstreben Macht, die Familienbande und genossenschaftliche Bünde verleihen. Die Schwachen hängen sich an die Starken. Die Gemein- schaften halten fest zusammen. Der Mächtigste ist wieder abhängig von seinen Leuten. Das erstaunlich ausgeprägte Rechtsgefühl des Volkes dämpft die Willkür. Gewalttaten erregen unliebsames Aufsehen und 54 Rechtsgerühl. Habgier. Abscheu gegen Geiz. könnten vergolten werden. Und so geht es auch bei ihnen nicht drunter und drüber, so regeln sich die Beziehungen in ganz erträglicher Weise. Immerhin vermeidet jedermann, die Begehrlichkeit anderer zu reizen. Er sucht, wie anderswo der Steuerzahler, Erworbenes zu verheimlichen, damit er nicht abzugeben brauche. Was er vom Europäer erhält, pflegt er rasch zu verbergen oder zu günstiger Zeit in aller Stille abzuholen. Das ist Lebensklugheit, denn die Gütergemeinschaft geht weit. Vordem, als alle gleichmässiger bedacht waren, hatte das nicht viel auf sich, da suchte man höchstens ungewöhnlich grosse Ernten zu verheimlichen. Seitdem aber der Europäer seine Schätze einführt, muss man sich anders vorsehen. Reichtum bringt Gefahren mit sich. Daher schafft der Fleissige, der für sich Palmöl, Kopal oder Kautschuk gesammelt hat, und der Händler, der Güter aus dem Inneren anbietet, so viel wie möglich un- bemerkt nach der Faktorei. Der reisende Händler will ferner seinen Geschäftsbetrieb, seinen Erfolg verheimlichen. Auch ist es Furcht vor dem Kinde des Neides, vor dem bösen Blick, der schaden möchte, wie man von sich selber weiss. Daher kommt es, dass einem wohl Macht- protzen, aber nicht Geldprotzen begegnen. Wie allen Primitiven mangelt es ihnen hauptsächlich an straffer, dauerhafter Organisation. Das beschränkt ihre Leistungsfähigkeit und unterscheidet sie am ausgeprägtesten von den Zivilisierten. So unverhüllt sie ihrer Habgier frönen, so ängstlich hüten sie sich, für schofel, für geizig verschrieen zu werden. Man kann getrost be- haupten, dass sie den Geiz geradezu verabscheuen. Um den Verdacht fern zu halten, knickerig zu sein, sind sie fähig, mit vollen Händen aus- zustreuen, den vielleicht in mehreren Monaten erübrigten Verdienst in wenigen Tagen zu vergeuden. So sind sie unter sich. Anders stellen sie sich zum Europäer, überhaupt zu jedem, der nicht zu ihnen gehört. Sie huldigen dem ur- alten, freilich von sehr Zivilisierten noch befolgten Grundsatze: wir sind gut, andere sind schlecht, woraus sich die ebenfalls uralte Gepflogenheit der zweierlei Moral ergibt, obschon sie auch in deren Anwendung nicht schlechthin brutaler Nichtswürdigkeit geziehen werden können. Die zuerst landenden Weissen erschienen ihnen nach alter Über- lieferung wie Geschöpfe vom Jenseits, deren technische Überlegenheit sie zu fühlen bekamen, deren Misshandlungen sie hinnahmen wie eine Heim- suchung. Allmählich verlor sich der Glaube, dass die hellhäutigen Fremd- linge höhere Wesen wären. Es kamen ihrer zu viele an die Küste, auch schlechte und rohe Leute, ebenso nach ihrer Meinung arme Schlucker, die sich bei ihnen satt essen wollten, vielleicht an Menschen- fleisch, und schliesslich untergeordnete Europäer, die in grossen Gehöften Handarbeit leisteten. Daraus folgerte der schlaue Eingeborene, dass die Verhalten zum Europäer. Gastlichkeit. 55 Hautfarbe nicht den Herren mache, dass es bei Weissen nicht anders als bei Farbigen sei. Aus der Zeit des Sklavenhandels haftet ihnen noch viel Demütiges an, das freilich manchmal nur schlau vorgetäuscht wird, denn sie sind Menschenkenner. Fast durchweg geringschätzig behandelt, scheuen sie zwar den Europäer, achten ihn jedoch nur ausnahmsweise und begegnen ihm, je nach Stellung und Umständen, artig, unterwürfig, aufdringlich, feig, frech, obschon stets gastfreundlich. Meistens sind sie ihm gegenüber ihrer . selbst nicht sicher, befinden sich nicht im Gleichgewicht. Im allgemeinen sind die Weiber, deren Feinfühligkeit besonders zu loben ist, an- sprechendere Persönlichkeiten als die Männer, denen am meisten die Mannhaftigkeit fehlt. Manchmal gleichen sie Hanswürsten, und sind doch nicht jeder Würde bar. Auch Ehrgefühl darf man ihnen nicht schlechthin absprechen. Ihre Eitelkeit ist sehr gross. Nach Rang und Stellung, nach Aufbringen äussern sich freilich die Eigenschaften sehr verschieden. Scharfe Beobachter, gute Gedankenleser, unbekümmert um den Wert der Zeit, sind sie geriebene, jede Schwäche des Europäers wahr- nehmende Händler. Er ist ihnen der erwerbsgierige rücksichtslose Fremdling, dessen Art ihre Vorfahren niedergemetzelt oder verhandelt, überall schlimm gehaust, niemals Gutes erwiesen hat. Er ist der Gegner, der ihre Angehörigen mit und ohne Hexenkünste wahrscheinlich wie . ehedem übers Meer verschleppt, ersäuft, im Arbeiten schindet oder sich gar von ihnen nährt. Denn was steckt in den Konservenbüchsen? So laufen ihre Gedanken, so müssen sie laufen, selbst dort, wo es friedlich zugeht. Die Überlieferung hält sie wach. Der weisse Fremdling be- _ handelt sie als untergeordnete Geschöpfe, beutet sie in handgreiflicher Weise aus, täuscht sie, kürzt ihnen Mass und Gewicht, liefert ihnen immer schlechtere Ware, darunter Schnaps, der ihnen den Magen beizt, und Stoffe, die sich teilweise in Kleister auflösen. Sie betrügen ihn und halten sich schadlos. Auch prüfen sie seine Geduld durch Un- zuverlässigkeit, durch unverzagte Bettelei, die sie, nicht ohne sein Ver- schulden, wie ein wohlerworbenes Recht ausüben. Trotz alledem pflegen sie mit Europäern abgeschlossene Verträge zu halten und sogar dem Schwachen, der Übeltäter vor Gericht zieht, sein Recht zuzuerkennen. Und allezeit ist gerühmt worden, dass die wenigen, oft gänzlich vereinsamt und schutzlos im Lande sitzenden Kauf- leute ungefährdet unter ihnen wohnen konnten, solange sie Recht und Sitte achteten. Niemals haben sie das Gastrecht verletzt, niemals haben sie Schiffbrüchige bedroht oder schlecht behandelt, sie vielmehr gut auf- genommen und versorgt, ohne auf Belohnung rechnen zu können. Einen mittellosen Europäer, der ihre Heimat durchwanderte, hiessen sie gewiss 56 Verhalten zum Europäer. nicht willkommen, aber — gleich den ÖOzeaniern der alten Zeit, denen noch nicht Männer für Arbeit und Mädchen für Lusthäuser geraubt worden waren — sie würden ihn weder umbringen noch hungern oder im Busch verenden lassen. Wir haben uns immer gewundert, wie wenig in unserem weitläufigen Gehöfte gestohlen wurde. Wenn wir so viele ver- lockende Dinge hätten in Europa ebensowenig unter Verschluss halten können wie in Loängo, ob wir nicht Schlimmeres zu berichten hätten? Wie die Leute sich zum Europäer stellen, hängt von seinem Wesen ab. Es ist die alte Kunst, mit Menschen umzugehen, sich in die Lage anderer zu versetzen und nicht bloss zu fordern, wie sich das die leicht angewöhnen, denen daheim die straffe Ordnung half. Das blosse Herr- sein-wollen und gesträubte Würde werden schnell durchschaut. Wer auf dem Lande gross geworden ist und von klein auf gewöhnt ist, bei Hof- gesinde und Dorfleuten zu gelten und seine Wünsche durchzusetzen, dürfte am besten daran sein. Stattliche Gestalt, gutes Aussehen, gefällige Manieren, frische Leistungsfähigkeit, Geduld und Selbstbeherrschung helfen ihm wesentlich. Rüde Heftigkeit schadet am meisten. Wer ausserdem noch heiteren Sinnes, warmherzig, mit gutem Humor begabt ist, Wesen und Lebensformen der Eingeborenen kennt und leutselig achtet, wer sie ab und zu zum Lachen bringt, der gewinnt sie sicher und kann viel erreichen. Sie sind entschieden anhänglich veranlagt, mag die Anhänglichkeit zunächst auch mehr der des Hundes ähneln, der geschickt behandelt wird, mögen sie Trieben folgen, die unter uns das Strebertum erzeugen. Wanderungen, Jagdzüge, grössere Reisen mit allerlei Erlebnissen und vielleicht gemeinsam bestandenen Gefahren binden sie fester an den weissen Mann, der allerwege für sie eingetreten ist. Nachher prahlen sie, mit ihm gewesen zu sein, und wissen stolz zu er- zählen. Im allgemeinen zu unselbständig, vertrauen sie dem Tüchtigen und ordnen sich ihm gern unter, denn sie bedürfen eines Herrn, der sie leitet, bewacht, für sie sorgt. Da fühlen sie sich geborgen. Vielleicht stellten sich die Bafiöti jetzt auch anders zum Forscher. Denn die Zivilisation ist über sie gekommen, wirft sie aus dem Geleise und zerstört wie überall das urwüchsige Volkstum, das mit seinen guten und schlimmen Zügen doch immer einheitlich und verlässlich war. Die Vertreter der Väterzeit sterben aus, gehen zur Erde, wie sie es aus- zudrücken lieben. Das Alte verliert seinen Wert, das Neue hat keinen Inhalt. Unser früherer Gefährte O. Lindner, der nach drei Jahrzehnten zum vierten Male in Loängo verweilte, hat die Zustände recht ungünstig verändert gefunden. Zu den ständigen Bezichtigungen, die — wie die Phrasen vom plötzlichen Hereinbrechen der Tropennacht, von der Frau als Lasttier des Mannes, vom Fetischanbeter — ungeprüft wiederholt zu werden Von der Undankbarkeit. 57 pflegen, gehören die Klagen über die Undankbarkeit der Leute. Als ob man über Zivilisierte nicht klagte! Nun sind aber Menschen gar nicht so undankbar, wie es Wohltätern vorkommt, die zuviel verlangen. Man versetze sich in die Lage unserer Eingeborenen. Wofür sollen sie Europäern dankbar sein? Was haben die Klagenden für sie getan? Der Weisse kommt, kauft, feilscht, verlangt stets Gegenleistungen, statt seine Waren, die ihm nach ihrer Ansicht so aus dem Blauen zu- fallen, freigebig zu spenden. Mancher ist freilich wohl ein armer Kerl, der daheim nichts zu beissen hat oder für seinen Herrn fronen muss. Aus bitterer Erfahrung trauen sie dem Fremdling nichts zu, was Dank verdiente. Erweist er ihnen einmal Freundliches, so muss er wohl, da er erfahrungsmässig aus reinem Herzen für sie gewiss nichts tut, irgend- welche Vorteile davon haben. Beschenkt er sie, so fassen sie das als Geschäftskniff auf, weil Händler gegeneinander stänkern. Sie danken vielleicht aus Höflichkeit mit Worten und Gebärden, aber verpflichtet fühlen sie sich nicht. Der Geber wird sich schon schadlos halten. Deswegen wissen sie Beweise von Wohlwollen zunächst gar nicht zu würdigen. Sie vermuten Hintergedanken. Zwar lassen sie sich Guttaten gern gefallen, fordern sie aber bald als ein Recht und fühlen sich durch Verweigerung gekränkt — ganz wie bei uns. Es bedarf grosser Vorsicht und eines langen, klug geregelten Verkehres, bevor es in ihnen dämneert, dass der Fremdling weder ein Schlaukopf noch ein Schwächling ist, sondern es einfach gut mit ihnen meint. Das spricht sich rasch herum. Er wird bei ihnen beliebt und mag es, namentlich wenn er die Frauen für sich hat, zu hohem Ansehen im Lande bringen. Alsdann schenken sie ihm sogar in eigenen Angelegenheiten Vertrauen, und das ist unge- fähr das Höchste, was er von ihnen erwarten kann. Nachher zeigt sich auch, dass sie in ihrer Art Dankbarkeit empfinden und beweisen. Haben sie doch das Sprichwort: Undank frisst Freundschaft. Dankbar sein bedeutet bei ihnen, wie bei unseren Bauern und Kleinleuten, wett machen. Wer aber Tat mit Tat vergilt, sich für gebunden erachtet, es bei Gelegen- heit zu tun, dem fällt es nicht bei, sich umständlich zu bedanken und allerlei zu versprechen. Die Leute helfen, schenken, bewirten in der Voraussetzung, dass ihnen selbst wieder so geschehe. Auf Worte, die unter uns Dankbarkeit bedeuten sollen, geben sie nichts. Dem vollen Ausgleich mit dem Europäer steht freilich der Rangunterschied entgegen ; sie erwarten oftmals von ihm mehr. Wer in diesem Sinne mit ihnen verkehrt, wird nicht leicht in den gerügten Tadel einstimmen. Undank- barer als unser Gesinde sind sie nicht. Nicht anders verhält es sich mit der viel berufenen Verlogenheit, die vielfach als eine ausgemachte Schlechtigkeit hingestellt wird, als ob man mit geborenen Lügnern zu tun hätte. Da müssten zunächst die von 58 Von der Verlogenheit. solchen verlogenen Leuten stammenden Auskünfte der Völkerkunde vor- enthalten werden. Hier wäre vor allen Dingen Vorsicht geboten. Gewiss ist über Lügenhaftigkeit nicht einseitig nach Temperament, sondern nach sachlichen Prüfungen und Vergleichen zu entscheiden, und das fällt recht schwer. Anderswo wird ebenfalls gelogen, ja das öffent- liche Leben Zivilisierter ist doch eigentlich auf Abwehr von Unredlich- keit eingerichtet. Gibt es trotzdem redliche Zivilisierte, warum soll es keine rechtschaffenen Primitiven geben? Der Europäer ist Richter und Partei zugleich. Von jeher hat ihm wenig daran gelegen, die Afrikaner Treu und Glauben zu lehren. Er könnte überhaupt von missachteten Leuten, die ihn kaum begreifen, geschweige denn von solchen, die ihn nur als Zwingherren kennen, nicht ehrenwerte Gesinnung verlangen. Der Afrikaner lügt, wie andere Leute lügen, aus Furcht, Misstrauen, Verwirrtheit, mit böser Absicht, um des Vorteils willen. Zumeist aber faselt er, weil er sorglos ist, weil er bei Gleichgültigem nicht achtsam bleiben kann, weil er sich eines beliebigen Weissen wegen nicht sonder- lich anstrengen mag, noch mehr aus reiner Lust am Fabulieren. Die Phantasie geht ihm durch; er glaubt selber sein Jägerlatein. Auch reizt es ihn, seine naive Verschlagenheit und phantastische Findigkeit, seinen Witz und Mutwillen am Fremden, der ihn doch auch gehörig anlügt, zu erproben und ihn zu narren. Ferner erscheint oft Lüge, was lediglich Missverständnis ist, weil nichts anderes vorausgesetzt wird. Zweierlei Weltanschauungen vertragen sich schlecht. Endlich hängt viel ab von der gesellschaftlichen Stellung der Personen, vom Vertrauen, das sich der Europäer erworben hat. Es wird nicht allezeit und von jedermann absichtlich die Unwahrheit gesagt. Wir haben nicht wenige glaubwürdige und redliche Eingeborene gekannt. Das gleiche bezeugen alte Bericht- erstatter, unter ihnen Sklavenhändler, für unsere Leute. Endlich halten diese selbst unter sich das Lügen jedenfalls für dumm und verwerflich. In einer Hinsicht traut der Mfiöti den Europäern unbedingt, näm- lich wenn er Geschriebenes erhält. Zwar kann er es äusserst selten selbst entziffern, merkt sich aber genau, was auf dem Vorgelesenen steht, und lässt sich gelegentlich darüber nochmals von anderen Weissen - belehren. Ein Blatt Papier — mukända, plur. mikända: Rinde, Haut, Hülle, und mit tieferem, später zu erklärenden Sinn — worauf durch Kritzeleien Worte und Gedanken genau übermittelt wurden, war ein Wunder. Nicht anders zu fassen, als dass ein Teil vom Schreiber, von seiner Seele, das Sprechende mit hinüber wanderte zum Empfänger. Natürlich musste auch grosser Zauber dabei sein. Daher die Ehrfurcht, die geblieben ist, während das Staunen ob des Wunders schwächer geworden ist, weil etliche selbst die Kunst des Lesens und Schreibens erlernt haben. Kennzeichnende Vorfälle. 59 Ein Bote, der seine mukända frei in ein Stäbchen eingeklemmt trägt, läuft unangefochten durchs ganze Land. Alle Europäer halten gewissen- haft darauf, dass mikända, meist Bestätigungen von Guthaben, eingelöst werden. Sonst würden Handel und Wandel leiden. Papier und Blei- stift schätzt der in Misshelligkeiten geratene Kaufmann als seine besten Waffen; fällt er in die Hände seiner Gegner, so löst er sich durch eine mukända. Und der Eingeborene, der daheim nicht Schätze aufstapeln mag, lässt sich vom Händler lieber einen Gutschein als Rum und Stoffe aushändigen. Drollig berührt es, wenn er die mit Bleistift geschriebenen Zeichen ganz ernsthaft mit Staub oder Sand bestreut, was nicht ledig- lich eine lächerliche Nachahmung ist, sondern tieferen Sinn hat: Erde bekräftigt, heiligt. So gibt es wohlhabende, ja reiche Leute im Lande, deren Besitz vorwiegend in Papieren besteht, die sie verstecken, bei sich tragen, unter Umständen sogar dem weissen Manne anvertrauen. So ist es wenigstens uns geschehen. Das Wesen unserer Leute, ihre Auffassung vom Rechten, hauptsäch- lich ihr Verhalten gegenüber dem Europäer, mögen Schilderungen einiger Begebenheiten weiter kennzeichnen. $ In entlegener Gegend, an einem fahrbaren Wasserlaufe, versuchte ein kleiner Händler sein Heil. Das Geschäft begann sich zu beleben. Während er einmal abwesend war, und zwei Mietlinge die flüchtig errichtete Niederlage bewachten, wurde er in der Nacht um Rum und einige Ballen Zeug bestohlen. Nach seiner Rückkehr klagte er bei den Häuptlingen und brachte es als erfahrener Mann zu einem Palaver. Die ermittelten Diebe wurden verurteilt, an ihn als Ersatz und Busse den mehrfachen Wert des Gestohlenen in Landeserzeugnissen zu entrichten. Obgleich der Händler vollständig machtlos war, erfüllten sie binnen einem halben Jahre ihre Verpflichtung. — Was in einem Palaver zu Recht erkannt worden ist, pflegt unver- brüchlich eingehalten zu werden. Schwierig ist nur, einen Richterspruch zu erlangen, weil die, die ihn zu fürchten haben, tausenderlei Ausflüchte ersinnen, um die Angelegenheit zu verschleppen. Deswegen ist es recht förderlich, einen beliebigen Mann der Gegenpartei als Geisel aufzugreifen. Das taten wir, um in einer kleinen Sache mit einer ziemlich entfernt sitzenden Gemeinde uns rasch zu einigen. Die Angehörigen kamen schnell genug zum Palaver und erkannten unser Recht an. Da sie, was nicht allerwärts gebräuchlich ist, auch Schweine züchteten, und uns nach einem Braten gelüstete, forderten wir als Busse ein Schwein. Das wurde zuge- standen, worauf wir, wie üblich, den Gefangenen lösten. Leider hatten wir vergessen, Grösse und Wohlbeleibtheit des Borstentieres zu verein- baren. Richtig brachten die Schelme zwar ein Schwein, aber gewiss das kleinste und magerste Ferkel, das sie hatten auftreiben können, und sie 60 Kennzeichnende Vorfälle. brachten es feierlich in einem recht grossen, von zwei Männern getragenen Korbe. Wir hatten den Schaden und den Spott dazu. Wenn ich nach- her in Dörfern herumspürte, kam es vor, dass ein verständnisinniges - Gequieke die Ferkelgeschichte auffrischte. Da galt es, mit dem mut- willigen Völkchen zu lachen. — Übler verlief ein Vorfall an einem etliche Stunden nordwärts am Strande gelegenen Handelsplatze. Der Kaufmann glaubte sich über- vorteilt, war in Streit geraten und hatte sich einer Geisel bemächtigt, leider auf einem sein Anwesen streifenden Pfade, der, wie später zu schildern, jeder Person vollständig freies Geleit gewährleistet. Die Angehörigen des lebendigen Faustpfandes wollten ihren Mann wieder haben. Da der Händler ihn verweigerte, stellten sie sich bewaffnet ein, und es kam zum Kampfe. Der Faktorist wurde erschossen, sein Gehilfe verwundet, das Gehöft ausgeplündert und verbrannt. — Am Tschiloängo gab es schon seit Menschengedenken viel Streit. In einigen Dörfern am linken Ufer des Flusses hauste eine nichtsnutzige Bande, die unter einem verrufenen Häuptling stand. Die Vorfahren, Misso- löngo, waren, wie Seite 3 angegeben, vor langer Zeit vom Südufer des Kongo eingewandert. Diese Leute massten sich an, Flusszölle zu erheben und kaperten mit Vorliebe beladene Kähne. Palaver und neue Erpres- sungen nahmen kein Ende, zumal die Zustände, wie so oft, durch die Uneinigkeit der weissen Händler begünstigt wurden. Am Tschiloango war immer etwas los. Es glückte zwar einem Faktoristen, den bösen Häuptling zu fangen und ihn zu Schiff ausser Landes zu bringen, rich- tiger, ihn mit einem zersprungenen eisernen Ölkessel beschwert, über Bord fallen zu lassen. Aber an die Stelle des im Meere versenkten trat ein neuer Rädelsführer. Als man auch diesen, leider unter Verletzung des Gastrechtes, ergriffen hatte, war man um nichts gebessert. Es fand sich ein dritter. Schliesslich nahmen durch das, gelinde gesagt, fortdauernd unziemliche Benehmen eines weissen Händlers die Streitigkeiten eine so bedrohliche Wendung, dass wir, wie an anderer Stelle (II 158) erzählt worden ist, ganz Unschuldigen zu Hilfe eilen mussten. Unter solchen Verhältnissen erlebte ein Portugiese auf dem Tschi- loängo folgendes. Ein Teil der erwähnten Bande hatte beschlossen, ihn zu fangen. Da die Burschen nicht wagten, die Faktorei anzugreifen, weil sonst besser gesinnte Häuptlinge aufsässig geworden wären, beabsichtigten sie, ihr Opfer bei einer Flussfahrt zu überfallen. Um ihres Erfolges sicher zu sein, hatten sie sich eigens einen neuen Fetisch anfertigen lassen. Als eines Tages der ahnungslose Händler sich den schmalen Fluss hinab zur Küste rudern liess, erhoben sich plötzlich die Auflauerer mit dem üblichen Kriegsgeschrei am Ufer. Der Anführer, der den neuen starken Fetisch trug, gebot Halt und begann eine Rede. Der Weisse Kennzeichnende Vorfälle. 61 jedoch, ein entschlossener Mann, feuerte sofort auf ihn. Ein glücklicher Zufall fügte es, dass die Kugel das Hauptstück bei der Handlung, den Fetisch traf und zerschmetterte. Darüber erschraken die Wegelagerer dermassen, dass sie davonliefen. Der Vorfall hatte noch ein sehr bemer- kenswertes Nachspiel. Nach einiger Zeit kamen die nämlichen Leute zu dem Händler in die Faktorei und wollten ihm ein Palaver aufhängen. Sie verlangten, dass er sie für den zerschossenen Fetisch entschädige. — Zwei Stunden binnenwärts von Tschintschötscho lebten zwei Häupt- linge, die unzertrennlich schienen. Der jüngere war ein riesiger Mann und ein kleiner Bösewicht; er führte den Namen Matötila, etwa Gross- herr, König der Könige. Der ältere, eigentlich der Häuptling, ein von der Fürstin Samäno adoptierter Unfreier, war ein kleiner gutmütiger Mensch. Er hiess Samäno und stand gänzlich unter dem Einfluss Ma- totilas. Wir nannten das Paar Saul und David. Der tatkräftige Matotila, ein tüchtiger Geschäftsmann, trachtete unab- lässig danach, seinen Machtbereich zu erweitern. Namentlich versäumte er es nie, sich in Angelegenheiten des Küstenstriches einzumischen. Gewöhn- lich besetzte er mit seinen Kriegern die hinter den Küstenhügeln liegen- den Quellen, die weit und breit das vorzüglichste Wasser lieferten. Durch Verweigern des unentbehrlichen Getränkes suchte er seine Widersacher gefügig zu machen. Gelegentlich erschienen dann seine Krieger auf dem Hügel hinter unserem Gehöft und fühlten sich als Herren der Lage. Sie blieben indessen harmlos genug. Ein paar Kugeln von uns hätten sie sofort vertrieben, aber auch die Aussichten der Expedition wer weiss wie sehr geschädigt. So liessen wir sie gewähren. Immerhin war Matötila so eine Art Hannibal für den Küstenstrich. Die Nachricht, Matötila steht an den Quellen, verbreitete zwar nicht Entsetzen, beunruhigte aber doch die Gemüter. Wer konnte wissen, was sich begeben würde. Der Mann war eine Plage für Weisse und Schwarze und verursachte auch uns manchen Verdruss. Nur einmal machte Matötila Ernst. Er hatte Verbündete geworben und wagte eine Kraftprobe zwischen Binnenleuten und Küstenleuten. Das ging so zu. Die einzige auf etliche hundert Schritt unserem Gehöft benachbarte Faktorei entrichtete den üblichen Boden- und Handelszins an die führenden Häuptlinge des Küstenstriches. Matötila, der mit der Faktorei Handel trieb, verlangte nun ebenfalls Abgaben, obgleich er dazu nicht berechtigt war. Er vertraute auf seine Macht und die Quellen. Eines Tages hiess es, er habe der Faktorei das Wasser abgeschnitten; etliche Tage später kamen auch unsere Leute mit leeren Getässen zurück, und oben auf dem Hügel tummelten sich zahlreiche Krieger. Unser Nachbar wurde von seinem Haupthause unterstützt, das ihm Wasser anderthalb Stunden weit über See zuschickte. Uns halfen ungerufen 62 Kennzeichnende Vorfälle. unsere Hökerinnen, Frauen und Mädchen der umliegenden Dörfer. In grosser Anzahl erschienen sie mit Wasserkrügen, stiegen in langer Reihe den Hügel hinan, stritten oben heftig mit den Bewaffneten, entschwanden aber zuletzt unseren Blicken. Nach einiger Zeit begann oben der Krakeel von neuem. Die Wasserträgerinnen kamen zurück und erzwangen sich durch das Gedränge, manchen stolzen Krieger mit Worten und Wasser überschüttend, den Rückweg. Es war ein lustiges Schauspiel, das sich mehrere Tage lang jeden Morgen und Abend wiederholte. Wir wurden durch die resoluten Weiber reichlich versorgt. Die Aufregung stieg allmählich. Die Nachbarfaktorei erhielt bewaft- nete Mannschaften zugeschickt, die Küstenleute trommelten, schleppten ihre Steinschlossflinten umher und meldeten uns schliesslich, dass Matö- tila bewaffnet zu einem Palaver kommen werde. So geschah es. Am nächsten Vormittag stieg er mit seinen Kriegern den Hügel herab und begab sich in die Faktorei. Das war ein Bruch des Landfriedens. Sofort bewehrten wir unsere Leute, verteilten sie mit den uns zulaufenden Krie- gern der Küstendörfer im Gehöft und begaben uns mit einigen Aus- erlesenen in die bedrohte Faktorei. Die Weiber flüchteten jammernd zum Strande. Im Hofe der Faktorei fanden wir Matötila, angetan mit einem faden- scheinigen gelben brokatenen Theatermantel, nebst dem in blauer Husaren- jacke steckenden Samäno mit Grossleuten und kleiner Leibgarde unter einem Schauer sitzend. Sein Heer lag ausserhalb der Umzäunung im (Gras und Busch. Es stand schlecht um seine Sache. Von dem Umgange am ersten Stock des hölzernen Wohnhauses konnten wir den ganzen Hof und einen Teil der Umgebung unter Feuer nehmen. Obgleich Matotila dies genau wusste, stellte er doch die unverschämtesten Forderungen. Sein stattlicher Sprecher, ein gewandter Unterhändler, ging hin und her und versuchte, den Faktoristen zu überzeugen, dass sein Herr im Rechte wäre. Der Faktorist, unsere offenbare Überlegenheit benutzend, wies endlich rundweg jedes weitere Ansinnen zurück. Die Entscheidung, ob Kampf, ob schmählicher Rückzug, war da. Plötzlich knallten draussen im Grase ein paar Schüsse. Sofort erhob sich ein echt afrikanischer Lärm. Die Mannschaften der Faktorei brüllten los und tobten im Hofe. Von draussen erscholl das Kriegsgeschrei der versteckten Feinde. Aus unserem Gehöft brachen unter betäubendem (Grellen die dort versammelten Küstenleute und liefen in wilden Sätzen heran über den vom hohen Grase gesäuberten Plan. Für sie war die Stunde der grossen Abrechnung gekommen, wozu sie hauptsächlich auf uns hofften. Wer die wilden Krieger nicht besser kannte, hätte nun einen blutigen Kampf für unvermeidlich halten müssen. Ein Zufall hätte es auch dahin bringen können. Da wir aber nicht schossen, auch in unserem Kennzeichnende Vorfälle. 63 Gehöft, wo ein Gefährte unsere eigenen Leute fest in der Hand behielt, alles ruhig blieb, kam die Bewegung zum Stehen. Der Lärm hörte auf. Wir hatten derweil mit schussfertigen Gewehren die Vorgänge be- obachtet. Die feindlichen Grossleute mit den Kriegern schlichen sich aus dem Gehöft, Samäno deckte sich hinter Matötila, aber dieser blieb ruhig sitzen. Er wusste genau, dass er ein toter Mann war, wenn der Kampf begann. Dennoch thronte er in seinem komischen Aufputz kalt und trotzig auf seinem Stuhle. Er war ein mutiger Mann und geborener Anführer. Es wäre schade um ihn gewesen. Nach diesem aufregenden Zwischenfall nahm er die Verhandlungen wieder auf und führte sie mit grosser Zähigkeit fort. Sein Sprecher bot alle Redekünste auf, feilschte und war bereit, mit der Hälfte, mit dem Viertel der ursprünglichen Forderungen vorlieb zu nehmen. Aber er erzielte nichts. Handelte es sich doch darum, die widerrechtliche An- massung grundsätzlich. zurückzuweisen. Nicht einmal der übliche Ab- schiedstrunk wurde bewilligt. Als nun noch Dr. Güssfeldt dem Sprecher einschärfte, dass künftighin weder die Quellen besetzt werden, noch be- waffnete Krieger auf dem Hügel erscheinen oder gar herabkommen dürften, gab Matötila die Sache verloren. Er erhob sich und zog mit seinen Kriegern ab, verfolgt, so lange er am Abhange in Sicht blieb, von dem Gehöhne der Weiber, die sich nun wieder obenauf fühlten.‘ So war eine wichtige Entscheidung herbeigeführt worden, die weıthin - und auf lange Zeit Gutes bewirkte. Matötila tat, als sei nichts vor- gefallen, besuchte uns, ward aber abgewiesen, trieb auch wieder Handel mit unserem Nachbar, wagte es jedoch nicht mehr, den Küstenstrich zu beunruhigen. Seinem Schicksal konnte er indessen nicht entgehen. Nach Jahr und Tag, als ein angesehener Küstenhäuptling gestorben war und wir das Land verlassen hatten, verfiel er wieder in seine alten Ränke. In derselben Faktorei, wo sich die geschilderten Vorgänge abgespielt hatten, versuchte er eines Tages seine Forderungen mit Gewalt durchzusetzen. Da er die Türe zur Warenniederlage erbrechen wollte und auf den Zuruf des Faktoristen nicht abliess, schoss dieser und verwundete ihn auf den Tod. Als es zum Sterben kam, sandte Matötila durch seine Leute an alle Händler, die ihm Waren gestundet hatten, deren Betrag in Landes- erzeugnissen,. Sogar in der Faktorei, wo er angeschossen worden war, liess er seine Schuld berichtigen. — Etwa dreihundert Schritt nördlich von unserem Gehöft lag am Wald- rande ein wüster Platz, wo vor Jahren eine kleine Faktorei gestanden hatte, damals die einzige in der Gegend. Dort hatte sich, nach Verein- barung mit dem Grundherrn, einem sehr gut gesinnten Häuptling, ein selbständiger Händler angesiedelt. Das Geschäft liess sich versprechend 64 Kennzeichnende Vorfälle. an. Aber der Kaufmann wusste sich mit den Eingeborenen nicht zu stellen und brachte sie gegen sich auf. Einmal schoss er einen ihrer Hunde tot. Das will nun freilich nicht viel besagen, denn so ein Köter gilt recht wenig. Aber der Weisse hatte den Hund aus Übermut um- gebracht und verspottete noch dazu die Dörfler, die ihm deswegen ein Palaver ansagten. Dadurch verletzte er sie an ihrer empfindlichsten Stelle Als ihr Bemühen sich fruchtlos erwies, verurteilten sie ihn, ihr (rebiet zu räumen. Er lachte. Darauf boykottierten sie ihn regelrecht, sperrten ihm den Handel, die Nahrungsmittel, die Wege.: Bald lachte er nicht mehr und wollte nun gern den Streit durch ein Palaver schlichten; aber die Leute weigerten sich. Ein Weilchen half er sich noch durch, dann, nachdem er die letzte Konservenbüchse geleert hatte, verliess er die Gegend. Sein Haus verfiel und verrottete. — Zu Ehren eines jüngst beerdigten, sehr angesehenen Häuptlings wurde an dessen Grabe ein feierliches Tanzfest abgehalten. Dabei ge- schah es, dass die Burschen einiger Dörfer, die sich nicht gut standen, aneinander gerieten. Es kam zu einer allgemeinen Rauferei, die damit endete, dass eine Partei, die zu einem von Matötilas Dörfern gehörte, in die finstere Savanne gejagt und versprengt wurde. Das geschah in unserer Nachbarschaft, in der Nacht zum neunzehnten Oktober. Bald darauf entstand in der Gegend grosse Unruhe. Der ver- triebenen Partei war eine Frau abhanden gekommen. Das Gebiet wurde vergeblich durchsucht. Häuptlingsboten liefen. Beratungen wurden ab- gehalten. Die Aufregung wuchs. Man beschuldigte sich gegenseitig. Die Trommeln dröhnten, Trupps Bewaffneter tauchten allenthalben auf, Handel wie Verkehr mit dem Inneren waren gänzlich gesperrt. Die Nach- frage nach Pulver stieg. Schliesslich, um das Unbegreifliche zu erklären, verfiel man auf den Verdacht, dass Hexerei im Spiele wäre. Dem allem konnten wir gleichmütig zuschauen. Auf einmal entstand das Gerücht, dass unsere Südleute, die als Kannibalen verrufen waren, die verschwundene Frau aufgefressen hätten. Das leuchtete den Em- geborenen als eine glückliche Lösung des Rätsels ein, so musste es sein; bald standen sie ziemlich einmütig gegen uns. Gute Freunde kamen aus den Dörfern und warnten, die Umgegend wie sonst zu durchstreifen. ‚Jetzt mussten wir die Angelegenheit ernsthaft nehmen. Störungen unserer guten Beziehungen zu den Eingesessenen, langwierige Palaver standen in Aussicht, Schererei, Verdruss und nicht geringe Kosten. Bevor es aber dazu kam, entwirrte sich die verwickelte Geschichte zu allgemeiner Zu- friedenheit. Unsere Holzsucher entdeckten die abhanden gekommene Frau nach neun Tagen im Walde und lieferten sie ein, wie ich Seite 22 er- zählt habe. Wir waren glänzend gerechtfertigt und hatten für künftige Palaver einen wertvollen Präzedenzfall gewonnen. — Kennzeichnende Vorfälle. 65 Ein verkommener Europäer vergriff sich in seiner Faktorei an einem unreifen Mädchen. Die Kleine riss sich los und rannte schreiend in das Dorf. Solch ein im Lande sehr schweres Vergehen musste höchste Entrüstung erregen. Die Männer schickten sich an, Vorbereitungen zu einem grossen Palaver zu treffen. Den Weibern war das viel zu um- ständlich. Die gekränkte Mutter voran zogen sie zur Faktorei, holten den Sünder heraus und schleppten ihn unter Misshandlungen nach dem Dorfe. Sie trieben es so arg mit ihm, dass sie ihn unterwegs vielleicht umgebracht hätten, wenn nicht die Männer noch rechtzeitig dazwischen gefahren wären. Der Frevler, für den sich mehrere einflussreiche Euro- päer ins Mittel legten, wurde nicht nach Landesrecht bestraft, musste aber eine sehr grosse Busse zahlen und das Gebiet verlassen. — Um einen recht missliebig gewordenen Händler aufzuheben, tat sich eine böse Rotte zusammen. Die Weiber bekamen Wind davon und ver- bündeten sich im stillen gegen ihre männlichen Angehörigen und die zugelaufenen Buschklepper. Als diese eines Morgens das Anwesen be- schlichen, erschreckte sie ein ungeheurer Lärm. Die Frauen umsprangen die Faktorei, tobten, schrieen und retteten sie wie die Gänse das Kapitol. Der böse Anschlag löste sich in eitel Wohlgefallen auf. Ein Palaver wurde vereinbart. Es gab einen reichlich bemessenen Versöhnungstrunk, worauf die Gesellschaft einträchtig heimwärts zog. — Der Besitzer mehrerer Faktoreien hatte an einem Orte, der etliche Tagereisen weit von seinem Haupthause entfernt lag, einen neuen Fakto- risten angestellt. Dieser, obschon ein tüchtiger Händler, lernte nicht, mit Eingeborenen umzugehen, und erbitterte sie namentlich durch Ver- letzung der Landesgebräuche. Schliesslich hoben die Umwohner den Faktoristen auf. Der Pöbel machte sich daran, die Niederlage zu plün- dern. Das hörte die in der Nähe weilende Fürstin Nsoami, damals noch ein junges Mädchen. Sie kam noch rechtzeitig zur Stelle, brachte durch ihr entschlossenes Auftreten die erregte Menge zur Vernunft und liess bereits geraubte Güter wieder herbeibringen. Dann sandte sie Bot- schaft an den Händler und hütete in eigener Person sein Besitztum, bis er eintraf und die Angelegenheit in einem Palaver ordnete. — Ein anderer Anschlag wurde durch ein Mädchen aus dem Volke ver- eitelt. Sie war dem Faktoristen zugetan und warnte ihn. So konnte er noch rechtzeitig durch Anrufen unbeteiligter Häuptlinge und durch einen Schiedsspruch den: Verlust seiner Habe und vielleicht seines Lebens vorbeugen. Das nämliche geschah in einer grösseren Handelsnieder- lassung, wo die hart behandelten Sklaven zu einer weitverzweigten Ver- schwörung gegen die Weissen angestiftet worden waren. — Bevor wir über eigene Leute verfügten und unsere Nachbarn besser kannten, lag uns daran, durch den die Station einengenden, über Loango. 5 66 Kennzeichnende Vorfälle. mannshohen Grasbestand einen breiten Weg zu legen. Die Bahn war ab- gesteckt, arbeitswillige Burschen hatten sich nach langem Feilschen ge- funden. Aber sie kamen so langsam vorwärts, bastelten so gewissenhaft an jedem Grashalm herum, dass zu befürchten stand, die Schneise würde hinten wieder zuwachsen, bevor sie vorne fertig wäre. Antreiben nützte nichts. Bald geboten wir Schicht. Ehe wir nun die Sache aufgaben, riefen wir die Weiber des nächsten Dorfes. Wir verhiessen ihnen den Taglohn der Männer und forderten sie auf, den Faulenzern einmal zu zeigen, wie es gemacht werden müsse. Das gab einen Jubel. War es doch etwas Neues. Alte und Junge betrieben die Arbeit als Sport. Es war eine Lust, zu sehen, wie sie unter Schwatzen und Lachen loswirtschafteten und gleich an verschiedenen Stellen über das Dickicht herfielen. Die Garben des rohrartigen Grases sanken um, die gelockerten und herausgerissenen Kaupen flogen zur Seite, der Staub wirbelte auf. Bald kamen die Männer, machten sich unnütz und versuchten, die Arbeit zu hindern. Wir wollten uns einmischen, hatten es aber nicht nötig. Es gab einen Zungenkampf, wobei die Männer unterlagen. Auch die Zudringlichsten mussten den umher- fliegenden Halmbündeln und Wurzelballen weichen, verfolgt von dem mutwilligen Gelächter der Siegerinnen. Binnen wenigen Tagen war die Bahn abgeräumt. Der Hauptspass kam erst, als es ans Äblohnen ging. Zunächst stellte sich das Mannsvolk ein, um den Verdienst arglistig einzuheimsen. Wir verweigerten jedoch rundweg die Bezahlung und schickten Botschaft "an die Frauen. Darob lange Gesichter und stiller Rückzug vieler Männer. Die dem Ansturm standzuhalten wagten, wurden von den ein- treffenden Weibern einfach beiseite geschoben und niedergeschrieen. Solch ein Schauspiel, solcher Lärm war uns doch neu. Niemand kam zu Worte. Es war unmöglich, Ruhe zu stiften, bis die entlarvten Gebieter draussen vor dem Zaune maulten. Dann erhielten die Fleissigen in Stoffen zugemessen, was ihnen gebührte, und zogen ab. Noch von weit her scholl ihr Keifen und Lachen. — Wie überall bieten die Kinder den besten Weg zum Herzen der Mütter, und wer die Frauen für sich hat, ist im Loängo gut aufgehoben. Nur eine Schwierigkeit hat man zu überwinden: die Scheuheit der Kleinen, die den weissen Mann so fürchten, wie die unseren den schwarzen. Wer Kinder leiden mag, wird Freude an ihnen haben. Sie sind bereits kleine Persönlichkeiten, schmuck, frühreif, geschickt, redegewandt. Freilich stockt bald ihre geistige Entwicklung, etwa zur Zeit der Pubertät, wo sie das land- läufige Mittel oder die obere Grenze erreicht haben. Darüber hinaus gibt es nichts, was Befähigtere leiten und anspornen könnte, denn der geistige Besitz, der sich nur sehr langsam vermehrt, ist für alle ziemlich gleich. Bildsamkeit der Knaben. 67 Besseres bietet sich den Knaben, die zu den Europäern gehen als Leibdiener — muleka, plur. mileka. Leider führt da die Entwicklung häufig zum Gegenteil vom Guten. Doch hängt viel vom Herrn und von Um- ständen ab. So ein Junge ist bildsam. Wird er als ein untergeordnetes (reschöpf verächtlich, unwürdig behandelt, in seinen besten Gefühlen be- ständig verletzt oder, noch schlimmer, albern verhätschelt und im Zorne abgestraft, so wird er verderbt werden. Versteht es hingegen der Herr, des Knaben Wesen zu fassen, ihn verständig anzuleiten, so kann er vie Freude und Nutzen davon haben. Er vermag ihn an sich zu fesseln, ihn durch gesteigertes Vertrauen mit dem Gefühl der Pflicht und der Verantwortlichkeit zu erfüllen, die sein Selbstbewusstsein hebt, seinen Ehrgeiz anregt und ihn stolz macht auf seine Stellung und seinen Herrn. Der Diener wird bald für ihn einstehen, seine Habseligkeiten in Ordnung halten und bewachen, ihm berichten oder andeuten, was im Volke vor- geht. Und das kann sehr wichtig sein. Namentlich für den Forscher ist ein guter Mulek unersetzlich. Die Jungen erlernen, indem sie den Gesprächen ihrer Herren lauschen, das Portugiesische, die eigentliche Lingua franca der Küste, und das Englische überraschend schnell, was doch ebenfalls für gute Anlagen spricht. Geistig besonders rege und gut behandelte Diener befragen sich auch beim Herrn über vielerlei, wodurch ihr Verständnis gefördert wird. Sie werden eitel auf ihre Gebildetheit und belehren sich untereinander. Unsere Jungen hielten oft genug förmliche Übungsstunden ab. Die wohl- lautende und sie mehr anmutende portugiesische Sprache erfassen die Eingeborenen besser als die englische. Dazu trägt wesentlich bei, dass der Portugiese im Verkehre mit ihnen sich bestrebt, richtig und an- schaulich zu sprechen, während der Engländer, wie allenthalben unter ähnlichen Verhältnissen, seine ausdrucksvolle Sprache recht arg verhunzt. So reden denn Eingeborene ein ganz erträgliches Portugiesisch, aber, ebenso wie die Kruleute und andere Bewohner Oberguineas, ein groteskes Englisch, zwar anders als das asiatische Pidginenglisch, aber doch in gleicher Weise entstanden. Dieses rasche Erfassen des Sprachlichen ist namentlich bei den Portugiesen ein Gegenstand häufiger Klagen. Man kann nicht vertraulich plaudern, man weiss nie, wieviel die allgegenwärtigen Muleks aufschnappen und dem an der Küste übermässig gedeihenden Klatsch zutragen. Wir Deutschen wurden deswegen beneidet, weil unsere Sprache unerlernbar erschien. Aber bald genug kriegten es unsere länger dienenden Jungen weg, uns halb zu verstehen, halb zu erraten und selbst ein wenig zu radebrechen. Kein schlechtes Zeichen ist es, dass die Muleks nicht petzen, lieber allesamt eine Strafe auf sich nehmen, als den Anstifter eines Unfugs 5 68 Jungenstreiche. verraten. Streiche verübten unsere genug. Sie müssten ja keine Jungen sein, wenn sie, besonders wo es ihnen wohl ergeht, dazu nicht aufgelegt wären. Unsere Bengel richteten für ihr Leben gern einen Schabernack an, um einen unserer Gefährten in Harnisch zu bringen. Dieser Gefährte war empfindlich gegen Lärm und wurde in seinen Arbeiten namentlich durch das Blöken der Schafe und das Meckern der Ziegen gestört. Sein Wohnraum bildete eine Ecke mit dem Küchengarten, dessen leckeres Grün unsere Haustiere anlockte. Dort versammelten sie sich, schauten durch den Zaun auf die Herrlichkeiten und erhoben sehnsüchtig ihre Stimmen. Zeitweilig machte der geplagte Anwohner einen Ausfall und versuchte, mit dem langen Wanderstabe, den wir die Hammellanze be- nannten, seinen Quälgeistern ihr Paradies zu verleiden. Das war nun freilich lustig anzusehen: der jähe Angriff, das Auseinanderstieben der Überfallenen, die wilde Verfolgung. Dass trotz dieser handgreiflichen Belehrung die Tiere nicht weg- blieben, dass das beschriebene Schaupiel sich sogar häufiger wiederholte, war auffällig. Da stellte sich denn heraus, dass unsere losen Jungen es sich angelegen sein liessen, die nicht freiwillig zur Ecke ziehenden Tiere aus dem ganzen Gehöfte dahin zu manövrieren. Dann standen sie allenthalben mit unschuldigen Gesichtern umher, bis der Ausbruch er- folgte. Und doch hatten sie gerade vor diesem Gefährten einen heillosen Respekt. — Unser Wäscher war ein ungewöhnlich beleibter Bursche und liebte es über die Massen, der Ruhe zu pflegen. Den Jungen war er gerade recht. Fanden sie ihn schlafend, so bewarfen sie ihn mit Erdklümpchen, kitzelten ihn behaglich mit Grashalmen oder weckten ihn mit irgend- einem unsinnigen, schleunigst auszuführenden Befehl. So kam er einmal, um meine Krempelstiefel zum Waschen abzuholen. Dann wieder erhob sich hinten im Greehöft ein Mordspektakel. Der Wäscher kämpfte, sehr zu seinem Nachteil, mit dem Beherrscher des Platzes, mit unserem starken Hammel Mfüka (III 301; Abbildung II 139), den er laut überbrachtem Befehl abseifen wollte. Ein andermal erscholl aus der Waschhütte ein seltsames Rollen und Rumoren. Der Wäscher stand an seinem schäumenden Troge und wusch etliche Dutzend Rundkugeln zum Elefanten- gewehre gewissenhaft der Reihe nach ab. Ihn anleitend, mit den Beinen baumelnd und seine Grübchen zeigend, sass auf dem Tische mein gewehrkundiger Mulck Ndembo, neben ihm, ernsthaft dem grossen Werke zuschauend, einige Kameraden. Ein heller Kopf war unser Wäscher nicht, aber ein guter Kerl. Nur einmal tobte er, nämlich als sich ein über seiner Hüttentür angebrachtes Wassergefäss beim Heraus- schlüpfen auf ihn entleerte. Mädchenweise. 69 Andere liessen die Jungen ebenfalls nicht ungeschoren. Unten am Meeresstrande Badenden stibitzten sie die Gewänder, so dass die Be- raubten um eine Hülle rufen oder splitternackt dem Abhang herauf- steigen mussten. Den Südleuten, die eifrig den Rattenfang betrieben, hingen sie verdächtiges Zeug in die Fallen. Im Gesindehofe hatte sich der Obmann an seiner Hütte eine hübsche Ruhebank hergerichtet, wo er abends mit seiner Frau behaglich sein Pfeifechen schmauchte. Diese Neuheit reizte die Rangen, die Stützen des Gerüstes anzusägen. Bei der nächsten Benutzung krachte die Herrlichkeit zusammen. Natürlich gab solcher Schabernack vielfach Anlass zu Klagen, Reibereien und Vergeltungen. Es bestand eine Spannung, eine Art Kriegsbereitschaft zwischen den gewöhnlichen Dienstleuten und den Muleks. Aber diese pochten auf ihre bevorzugte Stellung und erfreuten sich im Herrenhofe voller Sicherheit. Hatten sie etwas auf dem Kerb- holze und war ein Befehl nach dem Gesindehofe zu überbringen, so wussten sie schon eine Mittelsperson mit der Ausführung zu beauftragen. Eines Tages duftete die ganze Bande wie die parfümierte Schicht der zivilisierten Gesellschaft. Es ergab sich, dass sie zusammengeschossen und auf Umwegen eine Flasche sogenannten Kölnischen Wassers an- geschafft hatten. Körper und Gewänder nach Herzenslust eingesalbt, freuten sie sich königlich ihres Wohlgeruches. Eine alte Weste, die einer geschenkt erhalten hatte, trugen sie lange Zeit Reihe um je einen Tag. So benutzten sie auch bei Platzregen einen alten Schirm. Wie die Jungen so sind die Mädchen. Es gibt in Loängo ebenso übermütige Backfische wie anderwärts, und vielleicht nicht seltener als bei uns begegnet man anmutigen Geschöpfen, denen Holdseligkeit und Liebreiz nicht abzusprechen ist. Wenn Mädchen erst die Scheu vor dem Neuen abgelegt und Vertrauen gewonnen haben, treten sie, wie die Frauen, dem Weissen sicherer entgegen als Knaben und Männer. Sie haben ein starkes Gefühl ihrer Unverletzlichkeit. An geistiger Reife, an Fassungsvermögen sind sie den-Knaben womöglich noch überlegen, und sie beweisen ein feineres Verständnis für den Wissenseifer des weissen Mannes, obgleich er sie gemeiniglich als närrisch belustigt. Man wird von jüngeren Weibern — ältere geben sich weniger Mühe und sind misstrauisch — vielfach weit besser unterrichtet als von Männern. Nur muss man sich hüten, sie zu lange anzuspannen oder ihr Schamgefühl und Selbstbewusstsein zu kränken. Da kommt mit artigem Gruss so ein junges schmuckes Ding heran. Einem often ins Auge schauend, beginnt die Kleine eine gut betonte, von anmutigen Gesten begleitete Rede. Sie spricht fliessend, manchmal halb singend, drei, fünf Minuten und länger. Ob der weisse Mann sie ver- steht, danach fragt sie nicht. Höflich und weise zugleich ist es, ruhig 70 Fernrohr verbeten. Spitznamen. zu lauschen, denn sobald man den Vortrag unterbricht, beginnt er sicher- lich wieder ganz von vorne. Es ist ein Mädchen aus dem Volke, das in eigener oder mütterlicher Angelegenheit kommt, oder es ist eine Häuptlingstochter, die eine Einladung ausrichtet. Unser Gorilla hatte ein liebenswürdiges, unvergleichlich anmutiges Mädchen in sein Herz geschlossen. Sie hiess Nkämbisi, und besass in hohem Grade, was wir sonnige Heiterkeit und vornehme Gelassenheit nennen. Der Gorilla war, wie bei Tieren manchmal zu beobachten, von ihren Bewegungen und namentlich von ihrer Stimme förmlich bezaubert. Und in der Tat hatte Nkämbisi auch ein Organ von seltenem Wohl- laute, dabei so biegsam und ausdrucksfähig, dass sich ihr Sprechen wie Musik anhörte. Als der Gorilla schwer erkrankt war, besuchte sie ihn und gab sich viel mit ihm ab wie mit einem leidenden Kinde, pflegte ihn und hielt ihm lange, drollige Reden, dass er nicht mehr im Hofe herumspiele, nicht mehr die Marktkörbe der Hökerinnen untersuche und seinen Vätern, damit meinte sie uns, so viel Sorge bereite. Wenn während der Trockenzeit der Wasserspiegel der unfern von unserem Gehöft sich dehnenden Lagune sank, stellten sich dort die Schlammjungfern ein, nämlich die weibliche Jugend der Umgegend, die in dem flachen, schlammigen Gewässer mit Stülpkörben ohne Boden nach Fischen jagte. Um dieselbe Zeit bot sich auch uns die günstigste Gelegenheit, an der Lagune allerlei Wassergeflügel zu schiessen. Wir gingen längs des Randes, die Schlammjungfern zogen sich derweile nach der Mitte des Jagdgebietes zurück, denn sie trugen, um ihre Hüften- tücher zu schonen, nur ein Deckelchen von Rinde oder eine Muschel- schale. So oft wir einen auffliegenden Vogel erlegten, schrie und jauchzte die ganze (sesellschaft los, machte ihre Witze und hing uns unter viel- stimmigem Gelächter allerlei an. Wir vertrugen uns indessen ganz gut. war es doch ein Gewinn für die Fischerinnen, dass wir unter ihren ge- flügelten Wettbewerbern aufräumten. Die Eintracht wurde gestört durch unsere Jungen, die den Schlamm- jungfern die Wirkung der Feldstecher verdeutlicht hatten. Nun empfingen sie uns mit unwilligen Rufen, hockten im schlammigen Wasser nieder und schrieen uns zu, wir sollten fortbleiben. Da wir uns daran nicht kehrten, schickten sie uns eines Tages eine Abordnung, die das Ansinnen stellte, die doppelten Augen nicht mehr zu verwenden. Das wurde zu- gesagt und gehalten. — Der Ruf eines Europäers von besonderer Art dringt bis in die fernsten Gegenden, was, wenn er sich beliebt zu machen weiss, ihm recht fördersam sein kann. Zunächst wird er mit einem Wesen, Gestalt, Gang, Gebaren, Tracht abgelauschten Spitznamen bedacht, der keines- wegs immer schön oder schmeichelhaft ist. Gewöhnlich besorgen das Geschmack. Flitter. Modelust. zalı die Weiber, die, noch feinere Physiognomiker als die Männer, am schnellsten irgendwelche charakteristische Züge entdecken und passende Ausdrücke prägen. Häufig sprechen sie nicht das Stichwort aus, um eine Persönlichkeit zu bezeichnen, sondern deuten sie einfach mimisch an. Das wirkt belustigend und zugleich so treffend, dass nun erst der Europäer an Gefährten ihm bisher entgangene Eigentümlichkeiten bemerkt. In der Ausschmückung ihrer Person bekunden die Weiber einen geläuterteren Geschmack als die Männer, obgleich sie sich durchschnittlich spärlicher bekleiden und den Kopf gar nicht bedecken. Geschenkt nehmen sie zwar alles, aber sie tragen weder Theaterflitter noch Uniform- stücke oder Bedientenfräcke.. Die Männer dagegen widerstehen der Ver- suchung nicht, solchen europäischen Abraum zu verwenden, auch Säbel, Schwerter und sogar mächtige Flamberge mit sich herumzuschleppen. Hosen und Schuhwerk verschmähen sie. Indessen kaufen sie die über- flüssigen Dinge nicht, sondern nehmen sie als Geschenke oder Zugaben bei Geschäften und erweisen den Kleidungsstücken die Ehre, sie zu lüften, wenn sie mit Europäern zusammentreffen. Was sie sich eigentlich dabei denken, haben wir nicht übereinstimmend ergründen können. Sie alhmen nach und prunken mit den Sachen, wie man Orden und Gala anlegt, wie unsere Bürgerwehren sich ausstaffieren. Der Fremdling soll bemerken, dass sie bereits der Auszeichnung gewürdigt wurden, und dass sie gern noch mehr annähmen. Unter sich im Dorfe tragen sıe das unbequeme Zeug nicht, höchstens bei kühlem Wetter einen warmen Rock, was ganz verständig ist. ; Als ein bedeutsamer Zug fällt auf, namentlich in Königsgau und ım Tschilüngagebiet, dass Mädchen und Frauen von Stande, die, be- suchend oder empfangend, einen Fremdling ehren wollen, mit Vorliebe die alte einheimische Tracht anlegen. Diese besteht aus feinen, manch- mal köstlich feinen und zierlich befransten naturfarbenen Bastgewändern und übertrifft an malerischer Wirkung jede andere. In der nämlichen aber einfacheren Tracht, nicht in .europäischen Stoffen, erscheinen in jenen Gebieten Männer, die zu einem Gericht über Leben und Tod ge- laden worden sind. Da auch bei ihnen die Mode ihre Herrschaft ausübt, können die Bewohner grosser Gebiete sich für eine Neuheit förmlich begeistern. So erzählt Kapitän Adams, ein Sklavenhändler, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Bai von Yümba anlief, dass er höchlich erstaunt gewesen sei über das veränderte Aussehen seiner alten Geschäftsfreunde. Einem Nebenbuhler von ihm, einem lustigen Kauz, war es eingefallen, zur Förderung seines Handels mächtige Perücken aus langen Borsten anfertigen zu lassen. Die Neuheit schlug ein, und so stolzierten denn damals, wenn ein Schiff anlief, die Yumbaleute mit riesigen starrenden 72 Moden. Kopfputzen herum, die alle möglichen Färbungen hatten, aber in Rot oder Weiss am höchsten geschätzt wurden. Zu unserer Zeit war von dieser Mode nichts mehr zu bemerken, bis auf den seltsamen Kopfputz eines. Fetisches weiter im Süden, worin sich vielleicht die letzte Erinnerung an die Perückenzeit verkörperte. Obschon die Bewohner des Hinterlandes und des Nordens, besonders Alte Fürstentracht. während der Regenzeit, vielfach oder sogar vorwiegend gewöhnliche Bast- gewebe tragen, kleiden sich alle gern in europäische Baumwollstoffe und wählen ihren Bedarf. mit voller Würdigung der Güte und Farben. Weil aber die Mode wechselt, wenigstens verschiedene Muster begehrt werden, kann es schwer fallen, die Frauenwelt zu befriedigen. Mit Männern ist besser zu handeln, denn die betrachten Stoffe lediglich als Wertmesser, falls sie nicht Aufträge von Frauen oder Töchtern zu 'er- füllen haben. Moden. ® Einmal hat uns ein Hahnhandel sehr belustigs. Wir nächtigten im Gebirge am Ufer eines Flüsschens. Jenseits lag ein Dorf. Um die Bewohner zum Tauschhandel anzureizen, hingen wir ein halbes Dutzend verschiedenfarbiger Taschentücher aus. Neben anderen erschien drüben ein etwa zwölfjähriges Mädchen und bot einen stattlichen Hahn zum Backfisch mit Maiskörbehen. Kaufe an. Nach langem hin und her waren wir über den Preis einig. Ein Junge watete mit dem Hahne zu uns, wählte, unter umständlicher Anleitung der Kleinen am anderen Ufer, ein Muster und zog damit ab- Drüben langes Betrachten, laute Missbilligung. Der Bote kam zurück, händigte uns das Zeug ein und holte den Hahn für seine Auftraggeberin. Nach geraumer Zeit rief uns diese von neuem an. Wiederum patschte der Junge durchs Wasser, brachte uns den Hahn und wählte andere 74 Eigensinn. Schönheitssinn. Tücher. Sie waren abermals nicht recht, und das wichtige Geschäft wurde rückgängig gemacht. Nach etwa einer halben Stunde neues An- rufen. Zum dritten Male kreuzte der Hahn, der Stoff, der Stoff, der Hahn den Fluss herüber und hinüber. Wer weiss, wie lange der Spass noch so weiter gegangen wäre, wenn nicht die Nacht ihn beendet hätte. Zeitig am nächsten Morgen, als wir eben aufbrachen, erschien die Kleine selber mit ihrem Hahne. Die Stoffe waren bereits verschnürt. Da sie auf ein Geschäft brannte, bot sie uns den Vogel für einen zerknitterten Bogen Packpapier, der ihr in die Augen stach. Möslicherweise hatte es mit dem seltsamen Handel seine besondere Bewandtnis. Vielleicht war jemand von der Familie gestorben, und der Hahn sollte getötet werden, damit er der Seele als Wecker, Wächter und Schützer diene. Der Weisse zahlte wenigstens noch dafür. In unser Gehöft kam ein Mädchen mit zwei Dienerinnen, die Nahrungsmittel trugen. Ihr Sinn stand nach eigenartig gemusterten Tüchern, womit wir nicht aufwarten konnten. Da sie nicht zu überreden war, mit anderen guten Stoffen vorlieb zu nehmen, zerschlug sich das Ge- schäft. Vor unseren Augen liess sie nun den Inhalt der Körbe vom Steilhang zum Strande hinunterschütten und wandelte stolz von dannen. Solch widersinniges Gebaren kommt auch bei Männern vor. Sinn für Schönheit fehlt den Bafıöti keinesfalls, aber er äussert sich einseitig. Ein stattlicher, wohlgewachsener und nett gekleideter Europäer gefällt ihnen, besonders wenn er gute Haltung, sichere Bewegungen, überhaupt gute Manieren hat. Ein Vollbart und eine tönende Stimme erhöhen den Reiz. Auch unter sich schätzen sie wohlgestaltete an- genehme Personen, und hübschen Mädchen fehlt es nicht an Verehrern. Ihre Sprache hat Ausdrücke für schön, nett, fein, anmutig, liebenswürdig, vornehm. Sie unterscheiden zwischen gewinnenden und unleidlichen Personen, und sagen, jemand sei schön von Ansehen oder schön von Herzen. Die eben dem Backfischalter entwachsene Fürstin Tschibila war weithin berufen als das schönste Mädchen im Lande, und mit Recht. Sie schmücken gern ihre Person, verzieren ihre Geräte, ihre Wohnstätten geschmackvoll und halten auf Sauberkeit. Selbst an Stutzern und Dorf- koketten fehlt es nicht, die der Mode übertrieben huldigen oder sie beeinflussen. Allerlei einheimische Zierstücke und europäische Prunkstücke, als da sind Vasen, Teller, Gläser, Buntdrucke in Goldrahmen, stellen sie sich zur Augenweide auf. Sie schätzen ihre Künstler, unter denen es hervorragend geschickte Schnitzer in Holz und Elfenbein sowie Former in Ton und Metall mit guter Auffassung und sicherer Gestaltungskraft gibt, auch solche, welche keineswegs immer das, worauf es ankommt, wie beim Sprechen durch Betonung und Gebärde, so im Bildwerke durch Kunstfreude. Begabung. 75 übertriebene Grösse hervorheben. An Zeichnungen, und zwar oft recht humorvollen, haben sie ebenfalls ihren Spass, und entwerfen welche nicht bloss auf Wunsch des Europäers mit Bleistift auf Papier, sondern zu ihrem Vergnügen mit Stöcken auf geglättetem Boden, mit Kohle auf Flächen. Ihre Darstellungen erinnern an die Weise des kleinen Moritz, wie es überhaupt als bedeutsam zu nehmen ist, dass die Krakeleien der Elfenbeinfiguren, !/» n. Gr. Primitiven und Zivilisierten so ungemein einheitlich sind. Auch ihre Ornamente gefallen nach Linie und Farbe. Um so auffälliger ist, und könnte zu allerlei Schlüssen verleiten, dass ihre Kähne und Ruder gänzlich schmucklos, oft sogar unschön in der Form und die Ruder dazu un- praktisch sind. - Schnitzerei auf Backenzahn, '/» n. Gr. Wie unsere eigenen begabten Kinder, an denen die Zeichenlehrer gewöhnlich keine Freude haben, und wie japanische Künstler, die jüngsten vielleicht ausgenommen, sind sie Gedankenkünstler. Nicht was sie gerade vor sich sehen, bilden sie am besten nach, sondern was sie gesehen haben, was sie wissen, und was sie vermöge ihres ausgezeichneten Ge- dächtnisses sowie ihrer Phantasie, die Gehörtes gestaltet — wie ihre Fabelwesen —, sich vorstellen können. 76 Gedankenkünstler. Bilderverständnis. Sie zeichnen schlecht nach Vorlage, sei es Bild oder Gegenstand, haben darin freilich auch keine Übung. So fassen sie auch nicht die Perspektive auf, und geben kaum, was vor ihnen, sondern was in ihrem Kopfe ist. Immer wieder überwiegt ihr eigener schöpferischer Trieb. Deswegen sind ihre Werke weder langweilig noch schablonenhaft. Körperlich formen sie trefflich nach. Viele schnitzen einen Knopf, eine Frucht, ein Figürchen zum Verwechseln ähnlich, wie auch der Schneider Geschnitzter Flusspferdzahn, "'/, n. Gr. einen Anzug genau nachbildet. Manche haben eine erstaunliche?Fertig- keit, einen handschriftlich auf Papier übergebenen Namen aus freier Hand in Elfenbein auf das Genaueste erhaben herauszuarbeiten. Ge- wöhnlich dient dazu ein elfenbeinerner Serviettenring. Trotzdem leisten die tüchtigsten Künstler auch plastisch das Beste aus der Erinnerung. Wie getreu und realistisch, das mögen die Abbildungen einiger Elfen- beinfigürchen sowie halb erhaben geschnitzter Gruppen von Menschen und Tieren bezeugen. Pflanzen spielen in ihrer Kunst keine Rolle. Bemerkenswert ist, dass unsere Eingeborenen die Bilder, die ihnen Vertrautes darstellten, gleich gut beschauten und verstanden, ob sie Kopf RRTI Gruppen von einem geschnitzten Elefantenzahn. ar Ya I —Y Y Gruppen von einem geschnitzten Elefantenzahn. = e Fur ” Far Gleichgültigkeit für Natur und Tiere. a oben oder Kopf unten lagen. Ebenso lasen die wenigen, die es konnten — zu unserer Zeit kaum ein Dutzend —, Gedrucktes gleich geläufig, mochten sie es richtig oder verkehrt halten. Wiederum eine Warnung, allzu rasch nach dem Anschein zu urteilen. Abbildungen von einzelnen oder deutlich gruppenweise geordneten Menschen, Tieren, Gewächsen fassten sie ohne weiteres richtig auf, erkannten auch Dr. Falkensteins Photographien von ihresgleichen sowie von Europäern. Schwieriger war es für sie, Photographien von Landschaften, namentlich aber Abbildungen in Büchern und Zeitungen, wie etwa fremdartige Landschaften in Schwarz- druck und ohne in die Augen springende Merkmale, richtig zu deuten; sie mussten dazu oft lange miteinander verhandeln und nach Einzelheiten suchen, als ob sie Vexierbilder vor sich hätten — ganz wie bei unseren Kindern und ungeübten Kleinleuten. Man mache die Probe. Meine Aquarelle waren ihnen dagegen sofort verständlich durch den Vorteil der Farbe, auch wenn sie ihnen unbekannte Landschaften darstellten. Dass sie sich mit Abbildungen von Dingen, die ausserhalb ihrer Vorstellungs- welt lagen, nicht abzufinden wussten, versteht sich von selbst. Einer, der eine halb spitz von vorne dargestellte Lokomotive zaghaft für ein Flusspferd ansah, wurde weidlich ausgelacht. So dumm durfte man doch nicht sein. Die Schönheiten der Natur würdigen die Leute nicht mehr als unsere Kinder und als die grosse Menge unseres Landvolkes. Sie achten kaum auf anderes, als ihnen nützt oder schadet. Landschaften, Sonnenunter- gänge, Bäume, Blumen sind ihnen gleichgültig. Sie werden mehr ange- regt durch das Bewegliche und Veränderliche als durch das Beständige, stärker durch Laute als durch Formen in der Natur. Liebe zu Tieren haben sie nicht. Sie pflegen zwar ihre Haustiere, aber nur um des Nutzens willen, und fangen wilde Tiere, falls sie zu ver- werten sind. Sie sich zur Freude zu zähmen, fällt ihnen gar nicht ein. Dass wir so vielerlei Getier auf der Station hielten, belustigte sie höch- stens als eine weitere Schrulle der sonderbaren Männer, die keinen Handel trieben. Wir hatten beständig Not mit unseren Jungen, dass sie unsere Lieblinge ordentlich versorgten. Immerhin lauschen manche gern dem Gesange der Vögel. Auch zerstören sie keine Nester, wie sie denn Tiere überhaupt nicht nutzlos zu töten oder zu schädigen pflegen. Die Tiere, beweglich wie sie selbst, stimmbegabt, Bedürfnisse be- friedigend, den gleichen Geschicken verfallend, stehen ihnen näher als die an den Ort gefesselten Pflanzen. Sie achten, wenn man so will, ein Recht der Tiere, selbst wo ihnen diese unbequem werden, wie die Weber- vögel in Dörfern. So lassen sie Ziegen und Schafe, die sich im Lager zum Schlafen an das Feuer drängen und die besten Plätze wählen, ruhig gewähren. Aber für die Leiden von Tieren sind sie gefühllos; sie 78 Roheit. Gutherzigkeit. Mildtätigkeit. empfinden weder Bedauern noch Freude. Wenn sie welche schlachten oder fortschaffen, tun sie es mit der nämlichen gedankenlosen Roheit, die unsere Tierschutzvereine und Behörden bekämpfen. Wo sie sich berechtigt glauben, werden sie ebenso gefühllos einen Menschen misshandeln und töten, der ihnen nicht blutsverwandt oder befreundet ist. Unbeteiligte werden zuschauen, wie unsere Altvorderen, und Christen obendrein, zuschauten, wenn gerädert, gevierteilt, mit glühen- den Zangen gezwickt, lebendig verbrannt wurde. Auch heute noch liefen Zivilisierte hin, nicht bloss das starke Geschlecht, wenn es dergleichen wieder zu sehen gäbe. Das wäre eine neue Sensation. Da ist denn um so nachdrücklicher der schönen Züge zu gedenken, dass Afrikaner er- krankten oder sonst in Not geratenen Europäern Gutes erwiesen, ihnen beistanden, sie treulich pflegten, ohne von Christenpflicht zu wissen. Die Bafıöti für jeglichen Mitgefühles bar zu halten, weil sie davon nicht reden, wäre durchaus verkehrt. Es kommt auf die Beziehung an, die sich aus ihrer Weltanschauung, aus ihrer Gesellschaftsordnung ergibt. Im allgemeinen gilt ihnen, wie im Grunde genommen auch uns, das Leben eines ihnen nicht nahe stehenden Menschen kaum mehr als das eines Tieres, einer Pflanze. Sie stellen sich keineswegs als Hauptpersonen in die Mitte der Schöpfung. Den Tod betrachten sie etwa wie unsere Kinder; er darf nur nicht weh tun. In ihrer Welt sorgt man, wie überall, zu- nächst für sich und die Seinen, aber nicht bloss für die, die da sind und die kommen werden, sondern auch für die, die gewesen sind. Dieser (semeinschaft gelten alle Herzensregungen. Jeder für sich, Nsambi für alle, lautet eines ihrer Sprichwörter. Anderen hilft man des äusseren Anstandes wegen, weil sich das gegenseitig so gehört, weil Ansässigkeit verpflichtet. Auch wird man sonstwie Gefährdete zu retten suchen. Eine dem Gemeinwohle dienende Mildtätigkeit kann sich überhaupt kaum entwickeln. Der Höchste wie der Geringste lebt unmittelbar von den Gaben der Natur. Notstände entwickeln sich nicht in regelmässiger Folge. Dem Grossmann, selbst wenn er weitschauende wirtschaftliche Vorsorge kennte, würde es nichts nützen, Speicher anzufüllen, weil die Erntefrüchte rasch verderben oder dem Ungeziefer verfallen. Wenn Reiche bei Hungersnöten oder Seuchen ihr Vermögen opfern wollten, könnten sie damit keinen Darbenden sättigen, keinen Kranken heilen, weil es an Vorräten, an Zufuhren, an Wissen gebricht. Alle leiden not oder keiner. Sorgen wie Zivilisierte, um Nahrung, um lohnende Arbeit, hat der ein- zelne nicht. Denn, wie bereits betont, sie weisen niemand ab, der mit ihnen essen will. Bedürftige brauchen nicht zu betteln; sie grüssen, suchen sich einen Platz und langen zu. Erhalten doch sogar Flüchtlinge aus anderen Gemeinschaften von den Frauen Wegzehrung. Nur das Ge- sinde in Faktoreien lernt auf Befehl härter sein, was die Weissen Hilfsbereitschaft. Höflichkeit. Schmeichelkunst. 79 nicht beliebter macht. Nicht wenige Erzählungen der Bafıöti schildern, wie allzu Selbstsüchtige büssen mussten, weil sie Bedürftigen Trank oder Speise verweigerten. Nachrichten über Heimsuchungen anderer Gebiete erwecken ihnen dumpfes Grauen. Wie bald ereilt sie das gleiche Geschick. Einen, der verunglückt oder erkrankt ist, bedauern sie, besuchen ihn, sprechen Trost ein und beschenken ihn mit Kleinigkeiten. Einem Alleinstehenden, einem Trauernden, leisten sie sogar Arbeit in Wohnung und Wirtschaft. Den Gesundeten beglückwünschen sie. Ähnlich verhalten sie sich unter den tausenderlei Vorkommnissen des Lebens. Aber das ist, wie bei uns auch, grossenteils mehr Form als Herzenssache. Liebe deinen Nächsten gilt ihnen eben für die Nächsten. In voller Stärke äussert sich ihr Mitgefühl innerhalb der Familie, der Sippe, der Freundschaft. Namentlich die Frauen sind es, die hier wie allerwärts ihren guten Regungen in geradezu rührender Weise folgen. Doch auch die Männer stehen bei, helfen und trösten. Sie zögern nicht, Verwandte und Freunde mit ihrem Vermögen und in schlimmen Fällen mit Einsetzung der eigenen Person zu unterstützen. Welche Beweggründe immer obwalten mögen, im Stich lassen sie sich so leicht nicht. Sonach, und weil auch ihr Wortschatz dem widerspricht, darf von gemeiner Herzens- härtigkeit der Leute nicht geredet werden. Dieser die Zivilisierten zu zeihen, ständen sie gewiss nicht an, wenn sie erführen, dass bei uns der Tisch nicht für jeden Hungrigen mitgedeckt ist, dass Bettler bestraft werden. Und wie alt ist denn unser jetzt oft gar lautes Mitleid, wie alt ist überhaupt das Wort Mitleid? Auch anerkennenswert höflich sind die Leute, obschon, wie überall, die Höflichkeit des Herzens nur wenigen eigen ist. Hauptsächlich handelt es sich um Äusserlichkeiten, die das Zusammenleben glätten. Die Um- gangsformen sind gefällig. Stets spricht einer allein. Was daheim tag- täglich bei Rauchern als ungebildet auffällt, wird einem in Loängo schwerlich begegnen. Personen, die grüssen oder plaudern, nehmen stets die Pfeife aus dem Munde, junge, die mit alten reden, halten sie gesenkt oder hinter sich. Bejahrten gibt man die schmalen Pfade frei, auch Weibern, selbst wenn sie nicht bebürdet sind. Männer unterstützen sich bei ihren Verrichtungen, springen einander bei, dienen aber allenthalben bereitwillig auch dem schwächeren Geschlecht. Es hat mich oft gefreut, zu sehen, wie ohne Ansehen der Person und unaufgefordert Frauen oder Mädchen geholfen wurde, anstrengende Hantierungen zu vollbringen. Das ist die natürliche Folge der Verehrung für die Mutter, des Vertrauens in die Schwester, Wo Vorteile winken, entartet die Höflichkeit in Schmeichelei. Da- von können Menschen viel vertragen. Das wissen die Eingeborenen recht 80 Geistige Verfassung. gut, und es ist wahrhaft erheiternd, wie sie ihre Künste am Europäer erproben. Daher auch ihre erstaunliche Anpassungsfähigkeit, Fragen so zu beantworten, wie es erwünscht sein könnte. Ihr Ortsgedächtnis ist vorzüglich, ihr Zeitgedächtnis unsicher, aber doch nur, weil Zeit für sie keinen Wert hat. Wo es sie näher angeht, da ist ihnen das Nacheinander in der Zeit ebenso klar wie das Neben- einander im Raum. Einigermassen selbständig denken und überlegen nur wenige. Es mangelt an Anlass und Uebung. Weder Lehre noch Beispiel noch regelmässig wiederkehrende Bedrängnisse erziehen sie zum festen Wollen und stetigen Handeln. Ihr sorgloses Dahinleben entwickelt nicht, ihre ungezügelte Phantasie lähmt die Willenskraft. Schon die Lebensklugheit verbietet, das Durchschnittsmass zu überschreiten. Zwar gilt ihnen die Person alles, und jede Sache hängt nur an der Person, wie sich später ergeben wird. Aber die Gesamtheit wirkt, nicht der Einzelne, der, stehe er noch so hoch und fest, sei er noch so tüchtig, immer wieder unmerk- lich in das Treiben der Masse hinuntergezogen wird. Der Masse, die gefährlich ist, die nicht der Überlegung, sondern der Einbildung und der Stimmung folgt. Das lähmt den Fortschritt. Herkommen, Brauch, Sitte gängeln alle und sind bequem. Aufwallungen, nicht Leidenschaften lenken sie. Sie sind durchaus ungeregelte Naturen. Rasch, ohne merkbaren Grund, wechseln Lust und Unlust. Es ist nichts Seltenes, dass jemand, der wahrhaft traurig ist, herzhaft mitlacht und dann wieder in seine Trübsal versinkt. Jedoch — wie steht es mit leidtragenden Zivilisierten vor einem Begräbnis und beim Leichenschmaus? So urgesund sie empfinden, so beneidenswert kräftig und fröhlich sie darauf los leben, starke Geister sind unsere Leute nicht. Hilflos verfallen sie neuen Eindrücken, sind unbeholfen im Verwerten ungewöhn- licher Wahrnehmungen wie im Verrichten von Handlungen, die einen schnellen Entschluss erfordern. Etwas Überraschendes, plötzliche Gefahr kann sie dermassen überwältigen, ihnen in die Glieder fahren, dass sie förmlich starr sind. Kräftiger Anruf bringt sie wenigstens dahin, mecha- nisch zu tun, was befohlen wird, wenn sie dem Herren zu vertrauen gewöhnt sind. Aber nachher sind sie erschöpft. Man muss ihnen Zeit zum Erholen gönnen. Aus dieser geistigen Verfassung erklärt sich auch der ihnen oft vorgeworfene, indessen im Grunde nur scheinbare Mangel an Neugier und Wissbegier. Die sind nicht stark, denn geistige Anstrengung ist unbe- quem, aber fehlen ihnen durchaus nicht mehr als unserem Landvolke, wenn sie in gewohnter Umgebung und unter sich verkehren, und sie werden ihnen auch anderswo nicht fehlen. Etliche unserer Diener, die wir mit auf ein englisches Kriegsschiff nahmen, besichtigten unermüdlich Geistige Verfassung. 81 die Einrichtungen und wünschten Belehrung über Einzelheiten. Aber der Gedankenkreis der Leute ist eng, in sich geschlossen. Bei völliger Veränderung der Aussenwelt können sie die gehäuften neuen Eindrücke weder erfassen noch ordnen und verarbeiten. Alsdann scheint ihnen nichts Eindruck zu machen, nichts ihre Teilnahme zu erwecken, während sie doch bloss matt gesetzt sind, wie etwa unter gleichen Verhältnissen unsere Kinder. Ein halbwüchsiger Weisser, der in der Wildnis geboren, aufgezogen und gut unterrichtet worden war, landete einst mit mir in London. Im Getriebe und Gelärme der Grossstadt wurde er gänzlich verwirrt, hilflos, rein von Sinnen. Wir werden durch die mit uns sich ausbildenden Zustände geschult, unsere Kräfte zweckmässig einzusetzen, können es wenigstens lernen, und wir haben Eile. Den Primitiven fehlt Antrieb wie Anleitung, und sie haben Zeit. Das ist ihre Stärke uns gegenüber. Die Beschleunigung, die all unser Tun bedrückend durchdringt, sogar unsere Musik überhastet, ist ihnen zuwider wie unseren Bauern, denen trotz aller Zivilisation die bedächtige schwerfällige Weise geblieben ist. Raschheit und Bestimmt- heit sind den Bafiöti sehr unbequem und schwer begreiflich. Sie gehen wider ihre Natur, und werden, wie Ungeduld und namentlich Heftigkeit des Weissen, als sehr ungeziemend empfunden. Deshalb tut man auch gut, keinen ihrer Wünsche schroff abzuweisen, sondern sie immer wieder zu vertrösten. Es muss ja nicht gleich sein. Später, später wird es sich schon finden. Das heimelt sie an, das ist nach ihrer Art und stört nicht gute Beziehungen. Sie sind auf Kompromisse gestimmt. Vieles fangen sie an, weniges führen sie völlig zu Ende. Ein fremdes Wertstück, an dessen Erwerbung sie vielleicht alle Kräfte setzten, lassen sie nachher achtlos verkommen. Nicht so sehr an Einsicht mangelt es ihnen als an Überlegung, an Beständigkeit, an Willenskraft, planvoll und folgerichtig zu handeln. Beliebiges lenkt sie ab. Eine Zusage auf Zeit halten sie selten laut Abrede, man hätte denn nach ihrer Weise nach- drücklich die Stunde bestimmt: morgen, wenn der Hahn ruft, wenn die Sonne blinkt oder zu Häupten steht und so fort. Fehlt solcher Anhalt, dann ist auf sie kaum zu rechnen. Ein Mann verspricht, uns morgen, ganz allgemein gesagt, zu einer Sehenswürdigkeit zu führen. Er lässt sich nicht blicken. Nach Tagen, vielleicht nach einer Woche meldet er sich ganz unbefangen: komm, wir wollen gehen. Warum ihm nun Vor- würfe gemacht werden, begreift er nicht. Er ist doch da und willig. Sein „morgen“ bedeutete „nächstens“ und galt nicht für den folgenden Tag, wie wir fälschlich meinten. Sie haben schon die Absicht, Versprochenes zu halten, aber es kommt ihnen zuviel dazwischen, Infolge der in allen ihren Zuständen begründeten Fahrlässigkeit, des Schlendrians, geht es über ihre Kräfte, falls nicht Loango. 6 82 Geistige Verfassung. scharfe äusserliche Merkmale sie leiten, falls nicht besonders starke Triebe sie anspannen. Wie sie die Aussenwelt nicht als ein Ganzes, sondern nur als eine Vielheit von Gegenständen sehen, so drängen sich in ihrer Innenwelt lauter Einzelheiten in unübersichtlicher Reihe, an der sie sich gleichsam entlang tasten müssen. Über sich unversehens einschiebende Zwischenglieder kommen sie nicht leicht hinweg. Sie werden gehemmt, abgelenkt und wissen schliesslich nicht mehr, was sie eigentlich vorhatten. Wie unsere lebhaften Kinder. Plötzlich, infolge irgendwelcher Gedanken- kreuzung, erinnern sie sich wieder des Vergessenen und gehen daran, es nachzuholen. Doch auch damit sind sie nicht allzu eilig. Zeit hat ja keinen Wert, und morgen ist auch ein Tag. Alles das prägt sich auch in ihren Erzählungen aus, die gegenständ- lich scharf sind, aber bald voller ermüdender Aufzählungen, Abschwei- fungen und Wiederholungen verlaufen, bald sprungweise und scheinbar zusammenhanglos vorrücken, und mit vielerlei Gleichnissen bereichert werden. Ihnen machen sie viel Vergnügen wie unseren Kindern die Folge der Einzelheiten in Fabeln und Märchen. Der Witz dagegen trifit häufig den Nagel auf den Kopf. Auch ihre Weistümer sind gut, oft schlagend. Ebenso fehlt es ihnen nicht an Humor, wie schon ihre Kunst- werke beweisen. Der Europäer, der sie launig zu nehmen weiss, die Lacher auf seine Seite bringt, kann viel durchsetzen. Spass muss sein und findet eine gute Statt, nur darf er nicht die starke Empfindlichkeit, die Eitelkeit verletzen. Freilich ist Vorsicht geboten, damit sie den Weissen nicht falsch einschätzen. Eine Zusage ist unbedingt zu halten. Auch wäre es un- klug, sie mit ausweichenden Redensarten aber mit gegenständlichen Ver- sprechungen abzufertigen. Diese vergessen sie gewiss nicht, deuten sie in ihrer Weise, selbst Kinder wissen ihre Sache geschickt zu führen, und setzen einen vielleicht nach langer Zeit damit in Verlegenheit oder ins Unrecht, wobei sie durch seltsame Gedankenverbindungen verblüffen können. Sie verfahren durchaus nicht unlogisch, fussen aber meistens auf anderen Voraussetzungen als wir, worüber zu streiten fruchtlos ist. Es ist wie bei unseren Kindern: man überzeugt nicht, und man verliert an Ansehen. Wie wenig die Leute ihre Gedanken meistern können, sobald ihre Triebe erregt werden, zeigt sich so recht, wenn man unvorsichtig ihre Habgier weckt. Zum Beispiel bei Übungen im Übersetzen, im Wort- bestimmen. Selbst der Tüchtigste und Willigste dürfte den Zweck der Unterhaltung vergessen, wenn man ihm etwa mit dem Satz käme: Ich gäbe dir gern einen Rock, wenn du ihn tragen wolltest. Darauf schnappt er sicherlich ein. Er denkt nicht mehr ans Übersetzen, sondern nur noch ans Haben, und bittet nun dringend um den Rock, den er gewiss Geistige Verfassung. 83 tragen, sogleich anziehen werde. Erhält er ihn nicht, so klagt er viel- leicht nachher, der Weisse habe sein Anerbieten nicht gehalten oder habe ihn genarrt. Der Gegensatz zwischen Einbildung und Wirklichkeit kommt ihnen schwer zum Bewusstsein. In das Wesen der Dinge dringen sie kaum ein. Vielmehr genügen ihnen Ähnlichkeiten, Schein, ebenso gleichzeitige, ob auch räumlich weit getrennte, und wiederum ungleichzeitige, aber räumlich verbundene Erscheinungen und Ereignisse, um zu schliessen, zu urteilen. Ein Bursche begrüsste mich freudig in entlegener Gegend mit der Versicherung, er kenne meinen Bruder. Meinen Einspruch wies er mit der Begründung ab, sein weisser Mann wäre in eben solchen natur- farbenen Kniestiefeln einhergegangen, die allerdings im Lande nicht üblich sind. Aus ihrer Neigung, allerlei nicht Zusammengehöriges, Gegenstände wie Kräfte, aufeinander zu beziehen, miteinander zu vermengen, und Trugschlüsse abzuleiten, dürfte auch manches zu erklären sein, das uns in religiösen und namentlich in rechtlichen Dingen als seltsam und wider- sinnig berühren wird. Natürlich drängt sie ihre Auffassungsweise und ihr Misstrauen dazu, in allem Fremdartigen zunächst Unheil für sich und ihre Heimat zu wittern. Als katholische Missionare gelandet waren, die Regen ausblieben und die Pflanzungen kümmerten, setzte sich die Bevölkerung in den Kopf, dass daran die geistlichen Herren, namentlich ihre langen Gewänder, die Schuld trügen. Solche Kleidung war noch nicht dagewesen. Anderswo sollte ein ausgeschiffter braver Schimmel den Handel verdorben haben und wurde Gegenstand schwieriger Palaver. Ein Faktorist hatte argen Verdruss, weil er eine krumme Flaggenstange von einheimischem Holze ohne weiteres durch einen eingeführten schlanken Mast ersetzt hatte. Ein blanker Gummimantel, ein absonderlicher Hut, ein Schaukelstuhl, irgendeine Maschinerie mag höchst verdächtig werden. Die ganze Küsten- bevölkerung kann sich über einen Segler mit neuer Takelung, über einen Dampfer mit einem Schornstein mehr als bisher aufregen. Alles das ist bedeutsam. Und wenn irgendwo Schlimmes geschieht, wird es gleich mit dem Auffälligen in Beziehung gebracht. Es rumort in den Köpfen. Einfall verwebt sich mit Einfall. Nichts ist geordnet, nichts steht fest, nichts erscheint unmöglich. Wie die An- regungen kommen, so springen verworrene Vorstellungen auf, schwächen sich gegenseitig oder packen mit unwiderstehlicher Eindringlichkeit die Gemüter. Gleich ist ein Wunder fertig. Das Unsinnigste kann zur Überzeugung werden. Gegengründe sind machtlos. Man glaubt, was man hört, und man zweifelt nicht, denn dazu gehört Über- legung. Wäre das bei uns ganz anders? Bedürfnis nach Aufregung, Rechthaberei, Lust am Übertreiben tun das ihrige. So schaffen die 6* 84 Vorstellungsreihen. Umständlichkeit. urwüchsige Einbildungskraft und die naive Glaubenskraft der Masse die Mythe. Nach ihrer Auffassung besteht irgendwie ein Zusammenhang zwischen Atmen und Denken. Die guten Gedanken mit schönen Erinnerungen wohnen in der Brust, im Herzen, die schlechten Gedanken, listige An- schläge und Grübeleien sitzen im Kopfe. Kubäla, denken, nachdenken, sinnen, merken; kubäla ku ntima, im Herzen bewahren, liebevoll, dank- bar gedenken; tschibäla, plur. bibala, der Gedanke; lubalu, das Denken; mubäli, plur. babäli, der Denker oder, so recht nach Art unserer Bauern: der Sinnierer. Im alltäglichen Verkehre wird man so recht gewahr, wie zähe die Leute an Einzelheiten kleben. Seien diese für uns wesentlich oder neben- sächlich, ihnen prägen sich alle der Reihe nach ungefähr gleichmässig stark ein. Und wie sie aufgenommen wurden, müssen sie auch vorge- tragen werden, sonst reisst die Gedankenreihe rettungslos ab und muss wieder von vorne angefangen werden. Sie fassen nicht zusammen, springen nicht in die Mitte der Sache, melden nicht klipp und klar, was sie wollen. Da kann schon ein Beobachter, der nicht sorgsam vergleicht, in den Irrtum verfallen, die Leute seien anders als wir veranlagt. Aber wie sehr erinnert’ihre Weise an die unserer Kinder, an das noch heut- zutage so schwerfällige Gehaben unserer Landbevölkerung, an die höchst wunderlichen, aus dem Volke stammenden Briefe und Anzeigen, an die Zeugenaussagen vor Gericht, endlich an die langatmigen Erlasse von Behörden und an die weitschweifigen Titel von Büchern aus früherer Zeit. Breit und reichlich, und immer hübsch eins nach dem anderen, das erscheint ihnen folgerichtig. Daher ihre Umständlichkeit, die das Einvernehmen erschwert und unsere Geduld verbraucht. Daher bei jeder Gelegenheit ihr Aufzählen aller Dinge so ziemlich, wie man scherzhaft behauptet, von Uranfang der Welt an. Daher ihr artiges, aufmerksames oder mindestens gelassenes Zuhören. Einer, zu einem Paiaver gerufen, der vielleicht eine mehrtägige Wanderung hinter sich hat, wird, sobald an ihm die Reihe ist, keines- wegs zur Sache sprechen, sondern von sich und aller Welt. Er wird mit Worten und Gebärden getreulich einzeln schildern, wie alles zuge- gangen ist. Wie der Bote kam, wo er ihn traf, was er dachte, sagte, was sie taten, was Frau, Schwester, Bruder, Onkel, Kinder, Nachbarn meinten, und wer weiss, was sonst noch. Endlich wie er sich vorbe- reitete, seine Lenden gürtete, sich verabschiedete, was er anordnete. Dann, wie er gegangen, welche Pfade, wie sie beschaffen waren, das Gras, der Wald, welches Dorf er berührte, wie sein Gastfreund ihn begrüsste, was sich begeben hatte, was die Leute dazu sagten, was er sagte, tat, wie er weiter zog, wo er ruhte, ass, trank, wen er unterwegs traf, was er Unschlüssigkeit. Gedankenlosiskeit. 85 sagte, was der sagte, woher der kam, was dort passiert war, wohin der wollte, wie sie sich trennten, wie er müde wurde, welche Vögel flogen, wie das Waldhuhn rief, welches andere Dorf er berührte, was es dort Neues gab — und so fort Tag für Tag. Alledem hören die Ver- sammelten andächtig zu und merken es sich sogar. Solche Einleitungen verstehen sich von selber. Der nächste Redner macht es kaum kürzer, der dritte und vierte auch nicht. Derweil ist es Abend geworden, und man vertagt sich auf morgen, wo andere die Vorträge weiter spinnen. Ein unmittelbares Eingehen auf die Sache selbst ist so gut wie aus- geschlossen; es wäre unhöflich, würdelos, ganz und gar unpassend. Dagegen wird mehr sachlich verfahren, fällt viel des Überflüssigen weg bei grossen Verhandlungen über Gau- und Staatsangelegenheiten, bei Totenfeiern, weil die von geschulten oder mindestens erfahrenen Sprechern für ihre anwesenden Parteien geführt werden, weil es um höhere als per- sönliche Streitigkeiten geht. Da kommt der gute Takt der Leute zur Geltung. Umgekehrt hat vor Gericht die umständliche Genauigkeit der Aussagen ein besonderes Gewicht: sie pflegt, wie bei uns, überzeugend zu wirken. Diese Umständlichkeit, dieses Kleben an Form und Reihenfolge, dieses Unvermögen, rasch einen Entschluss zu fassen und auszuführen, _ überhaupt der Mangel an Organisation, ist ein Glück für Reisende, die erregte oder aus früherer Erfahrung feindlich gesinnte Stämme zu passieren haben. Wenn sie nur tüchtig darauf los marschieren, entschlüpfen sie nacheinander allen ihren Gegnern, bevor die über ihre Anschläge einig geworden sind. Nur nicht zurück. Wer schnell vorgeht, Wege wechselt, allenthalben überrascht, ist ganz sicher, jedenfalls viel sicherer als einer, der zaudert oder sich mit allerlei Untersuchungen aufhält. Dem gleichen Unvermögen der Leute entstammt ihr bodenloser Leicht- sinn, ihre manchmal verblüffende Verwegenheit, was alles sich mit ihrer Sorge um die eigene Person nicht reimen will Sie lernen zwar auch durch Erfahrungen, nehmen diese wenigstens auf, verwenden sie aber im gegebenen Augenblicke meistens zu langsam. So laufen sie gedanken- los und wie stumpfsinnig ein über das andere Mal in die nämliche Falle, bringen sich immer wieder in die nämliche Gefahr, das heisst, sie befinden sich plötzlich darin, bevor ihre Gedanken auch so weit waren. Recht- zeitig ermahnt, hüten sie sich, unvernünftig zu sein, wenn nicht der Leichtsinn doch siegt. Frauen schöpfen Wasser immer wieder an Ufer- stellen, wo menschenfressende Krokodile lauern. Benachbarte Schöpfen, etliche derbe Schläge mit Stangen ins Wasser, oder wenige Pfähle als Zaunwerk gäben Sicherheit; aber vorgesorgt wird nicht. Rauchende Männer hocken unbekümmert um offene Fässchen und verteilen loses Pulver. Geht es los, so wird eher an Hexerei als an Dummheit gedacht. 86 Unfertig, nieht dumm. Gedächtnishilfen. Nun soll aber keiner meinen, so was käme bloss bei den dämischen Wilden vor. Was lehrt unsere Redensart vom Zudecken des Brunnens? Wie heiss bemüht sich die Polizei, Zivilisierte zu belehren, zu behüten, und vermag doch nur wenig auszurichten. Und wie viele fallen dem Scher- zen mit Gewehren zum Opfer? Wie oft wiederholen sich Verbrennungen, weil immer wieder Spiritus oder Petroleum aus Kannen auf offenes Feuer geschüttet wird? Wo sind die Verfehlungen schärfer anzurechnen ? Mögen nun die Bafiöti noch so umständlich und mag ihre Denkweise uns noch so unfertig erscheinen, für hoffnungslos dumm darf man sie keinesfalls halten. Wo ihr Interesse sie anspornt, da überlegen sie ganz scharfsinnig, da verpassen sie nicht leicht Zweckdienliches. Wie unsere Bauern sind sie geborene Prozesshansl, die sich dickköpfig auf ihr ver- meintliches Recht verbeissen und die Entscheidung bei anderen suchen. Rechtshändel, Palaver und Gerichtstagungen sind ihnen Kurzweil sowie höchste Kunst und Stärke, die Zunge ist ihre liebste Waffe. Dabei überraschen sie durch Einsicht, durch ein in ihrer Weise ganz logisches Verfahren, durch Schlussfolgerungen, am allermeisten durch ein erstaun- liches Gedächtnis. Im Redekampf bringen sie Tierfabeln, Gleichnisse, Sprichwörter, die geeignet sind, den Fall zu beleuchten und die Hörer zu gewinnen. Ferner wiederholen sie gern bedeutsame Abschnitte von Reden, die kürzlich oder vor Jahr und Tag einmal gehalten worden sind. Präzedenzfälle sind überaus wichtig. Ihr Gedächtnis unterstützen sie nötigenfalls durch eine Anzahl Holz- oder Halmstückchen, die ihnen so dienen, wie uns die geschriebene Dis- position. Erzähler und Bänkelsänger, manchmal auch Herolde mit grosser Botschaft verwenden zum selben Zwecke gekerbte Splinte, geritzte Rinde oder Blattstreifen, an Fäden und Netzwerk gereihte kleine Merkzeichen von hunderterlei Art sowie mannigfaltig verknotete Geflechte und Schnüre, die oft peruanischen Quipu gleichen. Das sind ihre, freilich nur dem Besitzer oder Eingeweihten verständlichen Leitfäden, ihre Bilder für Sang und Sage oder für eine längere Meldung. Beim Vortrag tasten sie sich daran entlang, um nichts zu vergessen, um nicht abzuschweifen. Im alltäglichen Leben dienen Kerbhölzer, Knoten im Schurz und Putz, allerlei Anhängsel an Körper, Geräte, Wohnstätten, Umbindungen von Glicdmassen, Fäden, die sie ins Haar ziehen, oder Federn, die sie hinein- stecken. In wichtigen Fällen kommt es ihnen auch auf einen Schnitt oder Stich, auf eine tüchtige Brandblase nicht an. Obschon ungewohnte geistige Anstrengung sie sehr angreift, leisten sie doch recht viel, wenn es sich um Vorteil oder Vergnügen oder um Befriedigung der Eitelkeit handelt. Aber nachher verfallen sie wieder in die alte Lässigkeit, um nicht zu sagen Gedankenduselei, wobei sie ihren Phantasien nachhängen. Sie haben ihre Kräfte verbraucht. Darum Lässigkeit. Kurzweil. Unterhaltungsstoff. 87 erscheint auch der einzelne gewöhnlich nicht heiter, sondern ernst. Er bedarf, um seine andere Natur herauszukehren, der äusseren Anregung, der Geselligkeit, was übrigens, sofern Mitteilsamkeit in Frage kommt, auch für den Europäer gelten dürfte, der viel in der Wildnis gelebt hat. Die Wildnis macht still. Es liesse sich das überhaupt vom Leben in der Natur sagen, man braucht nur unsere Landleute, unsere Schiffer zu beobachten. Der Mfiöti allein- für sich und der nämliche Mfiöti in- mitten seinesgleichen sind zwei verschiedene Persönlichkeiten. Aber stumpfsinnig sind die Leute nicht, kaum geistesträge kann man sie nennen. Sie verlangen nach vergnüglicher Unterhaltung, nach lustiger Beschäftigung, überhaupt nach Kurzweil — nssäkana — und klagen leicht über Langeweile — luenga. Um dieser ledig zu werden, um Veränderung zu haben, verfallen sie sogar beim Europäer aufs Arbeiten, lieber freilich auf dumme Streiche, selbst auf solche von bedenk- licher Art. Die werden dann von denen, die sie zu wenig kennen und unserer Schuljugend nicht gedenken, viel zu hart beurteilt. Nicht rassen- mässige Schlechtigkeit treibt die Leute, nicht so sehr tadelnswerte Neigung, als das Bedürfnis, das Einerlei zu unterbrechen, sich hervorzutun, zu wechseln, zu erleben. Sie halten es nicht aus in erzwungener alltäglicher Gleichmässigkeit. Daher kommt man auf Wanderungen und Reisen stets am besten mit ihnen aus. Da gibt es so viel der Anregung, dass sie der Strapazen kaum achten und bei hinreichender Verpflegung immer guter Dinge und artig sind. So sind sie auch die ausdauerndsten Plauderer und Erzähler, die ich kenne. An Stoff mangelt es ihnen niemals, und sollten sie den neuesten Witz, Dorfgetratsch, eine komische oder schreckliche Begebenheit gleich vielmals vortragen. Sie haben den Klatsch über Geburten, Todesfälle, Verlobungen, Heiraten, Ehebrüche, Scheidungen, Namengebung, neueste Moden, Tanzfeste, Begräbnisse, Familienzwiste, Schulden, Wucherer, Bürgschaft, über Krankheiten, Unglücksfälle, geglückte und missglückte Kuren, über die Künste der Ärzte und Zauberer, über Gott, Fetische, Hexerei, Erscheinungen, Gespenster, Wunder, über feindliche Gemeinden, Palaver, Gerichtsentscheidungen, Pfändung, Kriegsdrohung und Friedens- feste. Sie reden von Gestirnen, Wetter, Jahreszeiten, Saatenstand, Ernte, Wohlleben und Hungersnot, von Haustieren, Fischfang und Jagd, von Handwerkern, Warenerzeugung, Handelsaussichten, Verkehrswegen, von hübschen und hässlichen Mädchen, guten und schlechten Landesherren, von Faktoreien, neuen Stoffen und kratzenden Schnäpsen, von gefälligen und harten Europäern, von Dampfern, Segelschiffen, Booten und Brandung. Gereiste beschreiben ferne Gegenden, Flächen, Gebirge, Täler, Flüsse, deren Natur und Erzeugnisse, Pflanzen, Tiere, Menschen, Scheusale, Fabeltiere, und flechten ihre Erlebnisse ein, wovon schaurige oder komische 88 Kinderart. Scheu vor schwerer Arbeit. am beliebtesten sind. Es wird besprochen, verglichen, gestritten, die Eigenart von Land und Leuten, von Lebensführung, Sitten, Bräuchen, von Tieren und Pflanzen erörtert. Schier unerschöpflich ist der Schatz an Weistümern, Rätseln, Witzen, Anekdoten, Fabeln, Märchen, Sagen, von denen wir noch viele genauer kennen lernen werden. Sonach ist ihr geistiger Besitz durchaus nicht einseitiger und beschränkter Art. Auch die Kinder müssen den Beobachter reizen, selbst wenn er kein Kinderfreund ist. Sie heulen und schreien nicht so viel wie die unseren, sie begehren nicht auf, wenn ihnen etwas versagt wird oder wider den Strich geht, sondern schicken sich darein. Auch will mich bedünken, sie wären nicht so eifrig mit dem Warum und Wie wie unsere Kinder. Doch ist ihrer Scheuheit vor dem Fremdling zu gedenken. Sie sitzen viel umher, träumerisch, versonnen, spielen auch manchmal für sich, mit einer gewissen Emsigkeit irgend etwas herrichtend und wieder acht- los zerstörend. Erst wenn sie sich zusammenfinden, werden sie lebhafter, sei es, dass sie Zwiste erörtern, Palaver nachäffen und sich im Reden üben, was sie sehr lieben, sei es, dass sie ein Bewegungsspiel gemeinsam betreiben. So ganz ausser Rand und Band, so laut wie unsere Kinder werden sie aber auch dabei nicht und streiten oder raufen äusserst selten. Sie haben etwas Verhaltenes, erfreuen mehr durch Anmut als durch Wildheit. Im Ganzen werden wir die Leute gerecht würdigen, wenn wir sie weder einfach dumm noch schlecht nennen. Bösartig sind sie gewiss nicht, können es aber natürlich werden, wenn die Zivilisation mit falscher Behandlung über sie kommt. Es fehlt ihnen hauptsächlich an Organi- sation und damit an Gefühl für Pflicht und Verantwortlichkeit der (sesamtheit gegenüber. Sie sind unfertig. Wer sie aber für Kinder hielte und danach behandelte, könnte unsanft enttäuscht werden. In ihrer Geistesbeschaffenheit erinnern sie wohl an Kinder, aber sie haben die Triebe und die Kräfte Erwachsener. Ein Vergleich mit unserer unverfälschten Landbevölkerung dürfte nicht zu ihren Ungunsten ausfallen. Ihr Gedächtnis ist besser, ihre Intelligenz schwerlich geringer, ibre sinnliche Wahrnehmung lebhafter und vielseitiger, ihre Bewegungen sind leichter, ihre Sauberkeit, Manier- lichkeit, Redefertigkeit grösser. Wie der anhaltenden geistigen sind die Bafiöti der andauernden körperlichen Anstrengung abhold. Das ist ein Erbteil, das auch ander- wärts noch nicht abgetan worden ist. Sicherlich haben die Menschen einst unermessliche Zeiträume hindurch ihr Leben ohne vorbedachte stetige Arbeit gefristet, indem sie verbrauchten, was Waldland, Grasland und Gewässer darboten. Um begünstigte Gebiete, überhaupt um Habens- wertes werden sie gestritten haben, wie sie heute noch darum streiten, Beschäftigungsdrang. Schaffensfreude. 89 die erst recht, die höhere Wirtschaftlichkeit und Vorsorge für die Zu- kunft erlernt haben. Nichtstun müsste unseren Leuten eigentlich ein recht behaglicher natürlicher Zustand sein. Und doch ist er es nicht. Denn sie sind keineswegs hoffnungslos träge, und halten kaum längere Zeit völlig un- beschäftigt aus. Das wäre ihnen zu langweilig. Allerhand Verrichtungen, die ihre Phantasie reizen, die Geschick und Gestaltungsfähigkeit, aber nicht grossen Kraftaufwand erfordern, betreiben sie sogar mit Lust und Liebe. Sie freuen sich des Geschafften und lassen es gern von anderen bewundern. Sonst hätten ihre alten Künste und Gewerbe: Schnitzerei, Töpferei, Schmiederei, Giesserei, Flechterei, Weberei, Rindenfilzerei, Färberei, Salzsiederei und andere mehr seit Landung der Europäer nicht bloss gelitten, sondern wären längst verfallen und vergessen. Für Menschen konnten sie von den Weissen alles haben. Ihrem Triebe, sich angenehm. zu beschäftigen, sich selbst nach ihrer Art zu schmücken, ihre Habe gefällig auszustatten, sowie ihrer Vorliebe für Alteinheimisches ist es zu danken, dass manches in Übung geblieben ist. Jetzt freilich, seit der Besetzung ihres Landes, ändert sich das alles gründlich. Mit der Grundordnung ihrer Lebensführung muss auch alles Eigene verfallen. Regelmässige anstrengende Tätigkeit ist ihnen allerdings zuwider, sie müssten sich denn einmal recht dafür begeistern können. Aber solcher Anreiz hält nicht an. Nachher wird schwere Arbeit rein mecha- nisch und liefe in einem erschlaffenden, ungesunden Klima und bei zweifellos unzureichender Ernährung auf einen erschöpfenden Verbrauch der Kräfte hinaus. Daher wird grobe Arbeit, die nicht zugleich kurz- weilig ist, unlustig und nur sprungweise verrichtet. Vor allem fehlt die Nötigung, der anderwärts Menschen so viel verdanken. Zudem sind ver- einzelte Erfolge gefährlich, erwecken Neid und Teilungslust. Wozu also sich anstrengen, wenn es nicht sein muss? Wie schön lebt es sich auch ohne das in ihrer Welt. Deswegen wäre es unbillig, sie an unserem Masse zu messen, sie gemeiner, wider die Ordnung gehender Faulheit zu bezichtigen. Unseren Arbeitszwang kennen sie nicht, dennoch in ihrer Weise die Arbeitsfreude. Sie sind eben, wie sie sein können. Sie leben in Verhältnissen, mit denen zu rechnen hat, wer bessern will. Zum Leben brauchen sie nicht viel. Eine kleine Pflanzung, ein bisschen Fischen oder gelegentliches Erbeuten von Haar- und Federwild, Sammeln von Wald- und Feldkost genügen für den Unterhalt einer ein- schichtigen Familie. Sie leben aus der Hand in den Mund, nach der Jahreszeit. Was sie vorsorglich darüber täten, käme ihnen kaum zu- gute. Ob sie ein kleines oder grosses Feld bestellen, macht sie nicht glücklicher; wenn die Regen ausbleiben, ernten sie von beiden nichts. 90 Druck der Verhältnisse. Mehr als satt essen können sie sich nicht. Für erzielten Überschuss finden sie, da in guten Jahren alle reichlich haben, keine Abnehmer, und zum Aufspeichern taugen die wichtigsten Feldfrüchte nicht. Ver- kauften sie an Faktoreien, so stünde der Erlös bei Bedarf zur Verfügung ihrer Gemeinschaft, die solidarisch haftbar ist. Schliesslich wagen sie lebenslustige Freunde und Nachbarn nicht abzuweisen, um nicht für knauserig zu gelten. Wäre es anders, so kämen manche oder viele wohl schneller vorwärts. Denn es gibt schon Arbeiter und noch mehr Arbeite- rinnen unter ihnen, die rüstiger wirtschaften würden, wenn das nicht auffiele, wenn sie das Erworbene behalten, es unbehelligt geniessen könnten. Immerhin hat der legitime Handel bereits manches gebessert. Ein- sichtige Häuptlinge lassen gemeinschaftlich sowohl Naturschätze aus- beuten, als auch ansehnliche Strecken mit Handelsgewächsen bestellen. Die Ausfuhr, die dem Lande entstammt, ist nicht unbedeutend. Hierzu wirken Beispiel und Gebot mächtiger Grundherren. Doch auch Klein- leute leisten für sich selbst unter Umständen Erkleckliches. Wunsch und Erfüllung müssen nur nahe beieinander sein. Wenn sie Feste feiern, heiraten, begraben, Kinder benamen wollen, raffen sie sich zu emsiger Tätigkeit auf. Aber Dauer hat der Eifer nicht, er flaut ab mit dem Erreichen des Zweckes. Nachher ergeben sie sich wieder dem ehrwürdigen Schlendrian und triften in gewohnter Weise durchs Leben hin, das mit Handeln, Hökern, Besuchen, Klatschen, Tanzen, Palavern ganz behaglich ausgefüllt wird. Ob sie mit anderen tauschten? Was wären ihnen alle Errungenschaften unserer gerühmten Zivilisation mit dem quälenden Zwange, mit dem Treiben und Hasten, wobei die Menschen fast verlernen, das Dasein zu geniessen und sich von Herzen zu freuen? — Kriegerisch sind die Bafıöti gar nicht veranlagt. Dazu sind sie zu praktisch. Welchen Zweck hätte es, Blut und Leben zu wagen, um Recht zu behalten? Das kann man angenehmer haben. Am liebsten wird mit Worten gekämpft. Rede ist Macht. Gut zu reden ist eine hochgeschätzte Gabe, ja ich meine, dass es in Loängo keinen höheren Ruhm gäbe. Und wenn die Leute Denkmäler zu errichten begönnen, sicherlich gedächten sie zuerst ihrer Wortgewaltigen. Reden ist nicht bloss Hauptsache, es ist Herzenssache. Gerne lauscht man, wie fliessend und klangschön, mit welcher Innigkeit und Eindring- lichkeit, die an die unserer Kinder erinnert, sie zu reden verstehen. Erstaunlich auch, bis zu welchem Grade der Reichtum der Sprache dem ganzen Volke zu eigen ist. Trotz aller Schulung, trotz Zeitungsleserei und Volksversammlungen gebietet die grosse Masse bei uns weder über Worte und Satzbau noch über ein nachhaltiges Gedächtnis wie ein halbes Kind in Loängo. Das gibt wieder zu denken. Hier der Zivili- Redekunst. Sprechgesang. 91 sierte, mit allen Lehrmitteln gefördert, dort der Primitive, alles Unter- richtes bar. Freilich wird er nicht abgestumpft in solcher Mannigfaltig- keit des Lebens, hat sein Gehirn nicht mit solchem Vielerlei zu beladen wie wir, und mag deswegen für sein Wenigerlei desto empfänglicher sein. Aber unsere Volksschulenleute sind geistig doch auch nicht über- bürdet. Die Bafiöti sind geborene Redner. Das zeigt sich am schlagendsten bei ihren grossen, von Hunderten und manchmal Tausenden besuchten, mit barbarischem Pomp veranstalteten Verhandlungen. Man hat wiederum ganz andere Leute als im alltäglichen Verkehre vor sich. Es mangelt weder an Ernst noch Würde. Viele, und nicht bloss Männer, üben, wohl unbewusst, auf erhöhte Wirkung der Rede abzielende Künste: Beschleuni- gung, Absetzen, leises Sprechen, langsames Herausstossen einzelner Worte, flüchtiges Hinwerfen, schwere, nachdrückliche Betonung. Dazu die mei- stens tiefe Stimmlage, der Wohlklang der Sprache, die Gebärden, die schön und ausdrucksvoll sein sollen, weil sie daran ihre Freude haben. Nicht der Mund allein, der ganze Mensch redet. Nur sind die Gebärden dabei niemals ein Ausdrucksmittel für sich, gleich einer Zeichensprache, die für Alltägliches auch im Schwange ist, sondern sie begleiten und er- läutern die Sätze wie bei uns, darreichend, ausmalend, bekräftigend. Eigenartig, oft ergreifend wirkt es, wenn ein Redner, um recht ein- dringlich zu sein, einen bedeutsamen Satz oder dessen Schluss recitando vorträgt, ihn weniger spricht als singt. Die Weise eines solchen Sprech- gesanges, der ganz liturgisch klingt, hält sich anfangs gewöhnlich auf einem Ton oder auf wenigen beieinander liegenden Tönen und bewegt sich zuletzt um sie in einigen kleinen Intervallen oder fällt regellos durch ein Stück der Tonleiter, wie es sich gerade schickt. Ab und zu wieder- holen die Zuhörer einen Satz oder dessen letzten Teil, damit gespannte Aufmerksamkeit und Zustimmung bekundend, oder sie ahnen das Kom- mende und betonen die letzten Worte zugleich mit dem Redner. Dieses Einfallen des Chores, das überaus dramatisch wirkt, geschieht mit einer Sicherheit und Einhelligkeit, als wäre es eingeübt und ist doch nur un- mittelbarer Ausbruch lebhafter Teilnahme. Solchergestalt wird der hin- reissende Redner häufig, der anödende, nicht überzeugende selten oder gar nicht unterstützt. Gelegentlich hört man auch bei einfacher Unterhaltung eine auf Zweifel stossende Angabe halb singend bekräftigen, ebenso im Wort- gefechte, wobei dann besonders die weibliche Jugend ihren Mutwillen auslässt. Das erinnert vielfach an die modulierten Rufe unserer Strassen- verkäufer: Mil—u! Mil Mil—u! Besen, kauft Besen! Stro—oh-, Stroh-, Strohdecken! Heidelbeeren! Heidelbeeren, kauft Heidelbeeren! wobei weniger die Worte als die Melodie das Kaufbare anzeigen. 99 Nachdruck. Tonhöhe. Rhythmus. Das Sprachgefühl der Bafiöti, die naive Freude an Klangschönheit, richtiger vielleicht natürlicher Drang zur Sprechmelodie zu nennen, beein- flusst Betonung und Klang der Worte je nach dem phonetischen Cha- rakter des Satzes, dem sie eingereiht werden. Der Nachdruck fällt auf andere Silben, die Laute klingen anders. Des weiteren werden W ’ortteile weggelassen oder Vokale und Konsonanten dazwischen gestreut, die mit dem Sinne des Gesprochenen nichts zu tun haben. Nebenher verblüffen allerlei Umstellungen und Kürzungen, die einen Gedanken mehr andeuten als ausdrücken. Alles ist im Fluss. Grosse Redner machen Schule. Lebten die Leute, wie es anderswo vorkommt, in streng gesonderten Gruppen, so könnte es geschehen, dass sie, trotz aller Gleichartigkeit, sich schliesslich nicht mehr verstünden, scheinbar verschiedene Sprachen redeten. Bei solcher Wandelbarkeit wäre es gewagt, eine Mundart an der Loängoküste als massgebend zu bezeichnen. Mundarten in weit ge- trennten Gebieten gleichen sich oft mehr als in benachbarten. Im Herzen des alten Loängoreiches, wo höfische Formen sich am lebendigsten er- halten haben, wird meines Erachtens am wohllautendsten, um nicht zu sagen am gewähltesten geredet. Hier vernimmt man noch die meisten der Wendungen und Ausdrücke, deren sich Angehörige der Fürstenkaste, sowie die Leute im Verkehre mit ihnen und beim Reden von ihnen bedienen: Bezeichnungen für Körperteile, Tätigkeiten, Zustände, Emp- findungen, Gefühle, die wieder eine eigene, die höfische Sprache bilden, die mbembo fümu, die Aristokratensprache, neben der mbembo fiöte, der Gemeinsprache. Das Schwierigste bleibt für den fremden Hörer der Tonfall und der Rhythmus des Sprechens. Nämlich die Tonhöhe mancher Laute, die ihre Bedeutung für den Sinn von Worten hat, sodann die Wandelbarkeit der Laute und der Betonung. Die wechselnde Tonhöhe gleicher Laute gibt Worten, die geschrieben ganz gleich aussehen würden, verschiedene Bedeutung. Diese Eigenart der Sprache wird mehr durch ein musikalisch geschultes Ohr empfunden, als linguistisch erkannt. Um sie kenntlich zu machen, sie zu veran- schaulichen, müsste man Worte mit den nämlichen Buchstaben nicht in unserer Weise, sondern auf Notenlinien schreiben, und die entscheidenden Laute nach Bedarf höher und tiefer rücken. Art, Zahl und Folge der Buchstaben blieben gleich, aber das Bild fürs Auge wäre verschieden wie der Klang fürs Ohr. Sodann die Wandelbarkeit der Laute und der Betonung. Assimi- lation und Alliteration herrschen unbeschränkt, aber derartig, dass jeder Redende wieder selbständig über Klang und Wortfügung waltet. Die Konsonanten klingen bald hart, bald weich. Besonders die s-Laute Wortfügung. Verschmelzungen. 93 sind dermassen mannigfaltig und zugleich willkürlich, dass man beim wiederholten langsamen Vorsagen kaum die groben Unterschiede erfasst. Aber die fallen dann bei anderen wieder anders aus und wandeln sich mit den Wortfolgen, mit der phonetischen Eigenart des Satzes. Auch offenes oder geschlossenes e, ferner a und o, gar o und u — man könnte sagen, nicht fünf Vokale, sondern Dutzende gibt es —, dazu Längen, Kürzen, Verschmelzungen und Ausmerzungen liegen im Belieben des Redners. Der wagt es dann zeitweilig, am Ende einer ausgesponnenen Gedankenreihe ganze Sätze bloss durch einzelne Worte, oft Schlagworte aus Gleichnissen und Geschichten, auszudrücken oder sie gleichsam hin- zuwerfen, indem er alles übrige durch Betonung und Gebärden ersetzt. Und so gross ist die Intuition aller, dass der Redner den Hörern voll- kommen verständlich ist, ja gerade hierdurch die grössten Wirkungen erzielt, anregt, fortreisst. Alles das lässt sich bloss unvollkommen beschreiben und — man denke an unsere einheimischen Dialekte — schriftlich überhaupt nicht wiedergeben, auch nicht mit diakritischen Zeichen. Ungefähr ebensogut könnte man Vogelgezwitscher treulich in Noten setzen. Wer die Sprache nicht hört, kann ihre bis zum Gesang anschwel- lende Modulation nicht erfassen, die viel mehr als der eigentliche Wort- sinn auf die Hörer wirkt und das Verständnis fördert. Das Musikalische darin ist aber nicht zu setzen gleich dem Anschlagen der Töne cines Klaviers, die gegeben sind, sondern gleich dem Hervorlocken der Töne eines Streichinstrumentes, die erst gebildet werden. Ein jeder behandelt die Sprache nach seiner Art, richtiger wäre vielleicht zu sagen: aus einem jeden kommt die Sprache nach Umständen und Stimmung. Solche Sprechweise ist — ich weiss keinen besseren als diesen unschönen Ver- gleich — so frei und natürlich wie das Laautwerden von Tieren, das ja auch verstanden wird. In schroffem Gegensatze zu dieser Behandlung der Sprache steht die der Botschafter und Herolde, die eine Ansage oder Verordnung ver- kündigen. Dabei kommt eine überlieferte gebundene Sprechweise zur Geltung, die sich von der persönlichen Redekunst unterscheiden, die sachlich sein, feierlich tönen oder dröhnen soll. Der Herold hebt an mit einem rauhen Räuspern, das etwa eine halbe Oktave aufwärts gleitet, und stösst nun laut alle Silben eines Satzes, wie gehackt, gleich lang in der nämlichen Tonhöhe heraus.”) Mancher Rufer fasst ab und zu den nächst höheren Ton, ruft demnach zweitönig, aber vielleicht nur, weil *) Ähnliches hört man von Ausrufern in unseren Landstädtchen, auch wenn jemand anderen eine längere Mitteilung in die Ferne zuschreit, ebenso wenn Schiffsführer sich bei rauhem Wetter durchs Sprachrohr verständigen. 94 Wandlung der Sprache. ihm die Stimme überschnappt. Diese amtliche Sprechweise klingt mehr wie Signal als Rede und erinnert an die Kameruner Trommelsprache. Mit gleichem Kehllaut beginnt der zweite, genau so vorgetragene Satz, der dritte, und so fort bis zum Ende. Zum Schluss des Ganzen bis- weilen ein rauhes Grunzen im umgekehrten Tonfall. Den Kehllaut, Räuspern wie Grunzen, kann sich am besten vor- stellen, wer das a—o—ung und das u_-0—a des Löwen im Käfig gehört hat. Nur will ich damit keineswegs andeuten, dass die Herolde, einst die Königsboten, etwa den Löwen nachahmen sollten oder wollten. Denn in Loängo, wie überhaupt im mittleren westafrikanischen Savannenlande, gibt und gab es keine Löwen, weil die erst mit den Steppen auftreten. Allerdings könnten die Vorfahren unserer Leute anderswo das Löwen- grollen gelernt haben. Deswegen sei angeführt, dass mir unter Polynesiern und unter nordamerikanischen Indianern die nämliche Vortragsweise der Herolde aufgefallen ist. Die Sprache — mbömbo und mblembu — ist nicht nur wohllautend, sondern erstaunlich reich und durchgebildet, dem schwierigsten Satzbau gewachsen. Sie ist es in solchem Grade, dass die Meinung aufkommen konnte, sie wäre ein Rest entschwundener Grösse. Aber Leute, die eine solche Sprache beherrschen, können weder geistig arm sein noch geistig ärmer geworden sein. Wie alle Menschen werden sie noch viel mehr fühlen und denken, als sie von sich zu geben vermögen. Sprachen haben ihre Jugendreize, die sie bei bewusster methodischer Verwendung einbüssen. Sie werden zwar abgeschliffener, bequemer, gleich vielgebrauchten Geräten, aber sie verlieren an Formenfülle und Genauig- keit. Sie behelfen sich mit Synonymen, obschon es solche, genau ge- nommen, wohl in keiner Sprache gibt. Das Lebendige der Sprachen ist nicht im Geschriebenen, sondern im Gesprochenen, in der Mundart. Als Battell um die Wende des sechzehnten und siebzehnten Jahr- hunderts im Loängoreiche weilte, wurde k vor i als k gesprochen. Das ki erwähnen noch Degrandpre und Proyart gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Jetzt wird in Loängo statt der alten Form, ki, durchweg die entwickeltere, tschi, gebraucht. In Kaköngo und im Yombischen Walde dagegen hört man immer noch ki (ebenso im Süden des Kongo und überall im fernen Inneren), in Ngöyo und in Yümba herrscht es nicht mehr ausschliesslich. Am Südufer des T'sschiloängo hat es sich eingebürgert, statt des Präfix bu das unbeholfenere ub zu gebrauchen. Am Nordufer des Flusses wird es als Absonderlichkeit betrachtet. So wäre noch viel, namentlich über Verbalformen anzuführen, wenn es sich hier nicht mehr um Ethnologisches als um Linguistisches handelte. Regel ist, dass Wörter, Silben mit Konsonanten beginnen und mit Vokalen endigen. Doch erhält ein Wort der Nachdrücklichkeit wegen Reichtum der Sprache. 95 nicht selten einen tönenden Anlaut: Du, ndschöye, ndschyeye: a—ndschyeye! Ihr, beno, benu: ä—mbenu! Der Name Ndembo: a—Ndembo! o—Ndembo! i—Tembo! in die Ferne rufend: Ndembö! Ndembo —&! Aus der Neigung für den Anlaut, vorzugsweise im Persönlichen, ist vielleicht zu erklären, dass die zueignenden Fürwörter meistens Ausnahmen von der Regel bilden und mit Vokalen anfangen. Ein r besitzt die Sprache nicht, doch ist es ab und zu als Entlehnung zu hören. Doppellaute, wie au, ei, eu, gibt es nicht; alle Vokale werden getrennt gesprochen. Alle Laute lassen sich, allerdings mit den bereits angeführten Vorbehalten, durch unsere Buchstaben wiedergeben, so dass man das Fiöte so gut deutsch wie diakritisch schreiben kann. Ein Laut, den ich durch y bezeichne, klingt bald wie i oder wie j, manchmal wie ch in Sichel; @ wird in der Regel wie in Weg, € wie in Bett gesprochen. Das Fiöte gehört zu den Bäntusprachen. Präfixe, und daneben Suffixe, haben eine sinnbegrenzende Bedeutung. Aber nicht sie allein. Die Verba, Transitiva und Intransitiva, reguläre und irreguläre, nebst den Hilfszeitwörtern, bilden Indikativ, Konjunktiv, Aktivum, Passivum wie unsere Verba; für manche Tempora, namentlich für Präsens, Im- . perfektum und Perfektum sind mehrfache Formen vorhanden, die be- ziehungsweise gebraucht werden. Das Zahlensystem, Kardinal- und ÖOrdinalzahlen, baut sich wie unseres aus einfachen Zahlwörtern auf und ermöglicht es, jede Menge bis in die Hunderttausende genau zu bezeichnen. Für hundert und tausend sind eigene Ausdrücke vorhanden. Unbeholfene Leute sagen beim Vorzählen vielfach nicht die reinen Kardinalzahlen auf, sondern bedienen sich als Eselsbrücke der ständig wiederholten Zusätze „Blätter“ oder „Früchte“. Artikel oder was dafür zu halten wäre, vielleicht in Resten oder Anfängen, erscheinen derartig mit Präfixen verquickt oder so häufig als die bereits erwähnten, beliebig eingestreuten Laute, dass man sie als überflüssig oder zweifelhaft betrachten kann. Fürwörter gibt es aller Klassen: persönliche, unbestimmte, hinweisende, zueignende, fragende. Adjektiva bilden mit Hilfswörtern Komparativ und Superlativ. Die Präpositionen drücken alle Mannigfaltigkeit wie unsere aus, ebenso die Adverbialbestimmungen für Ort, Zeit, Grund, Art und Weise. Des- gleichen verhält es sich mit den Konjunktionen und Interjektionen. In der Tat: Welch ein Gebilde ist diese Sprache für eine in ein- fachen Verhältnissen lebende Gemeinschaft. Ein Rätsel mehr in mensch- lichen Dingen. Schliesslich ist noch einer allerdings wenig verbreiteten Sprache oder richtiger Sprechweise zu gedenken. Sie dient als Verständigungsmittel einer Trägergilde oder Handelsgilde, eines Geheimbundes, dessen Mitglieder 96 Geheimsprache. Nkimba, plur. Sinkimba heissen. Dieser Bund kam mutmasslich auf in der Hauptzeit der sogenannten Pombeiros (sprich Pomberos), von denen im zweiten Kapitel nochmals die Rede sein wird. Seine volle Bedeutung erlangte er im Süden des Kongo, mit dem anwachsenden Güterverkehr zwischen der Küste und dem Seite 6 erklärten Mpümbu, ungefähr nach dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts. Allmählich hat er Anhänger in benachbarten Gebieten der Loängoküste geworben und sich auch mancherlei anderen Zielen gewidmet. Das auffälligste Erkennungszeichen der Brüderschaft ist ein in der Wildnis des Nachts recht unheimlich klingender Schrei: ein langgezogenes hohes Schrillen wie rr, irr oder err, das übrigens nicht schwer nach- zuahmen, auch unseren Gassenjungen wohl bekannt ist. Nebenher gibt es Trommel- und Glockensignale sowie allerhand an unsere Gaunerzinken erinnernde Marken an Hütten, Bäumen, auf Pfaden und Plätzen. Ausser- dem können sich die Sinkimba in einer eigens erlernten, zwar unvoll- kommenen, aber nicht Eingeweihten doch unverständlichen Sprache mancherlei Wichtiges mitteilen. Diese Geheimsprache ist künstlich etwa in folgender Weise aus der (remeinsprache zurecht gemacht: Vokale, Konsonanten und Silben land- läufiger Wörter werden vertauscht, verdoppelt, ausgemerzt oder sonstwie nach gewissen Regeln verändert; statt der Hauptwörter dienen Eigen- schafts- oder Zeitwörter oder Umschreibungen; Präfixe und Suffixe werden verkehrt gestellt oder beseitigt. Dazu vielerlei sinnvolle Gebärden bis zu den Anfängen einer Fingersprache. Die Verständigungsmittel reichen aber nicht aus, oder werden von den Brüdern zu ungenügend beherrscht, um damit eine auf alles mögliche sich erstreckende Unter- haltung zu führen, ohne die Gemeinsprache mit zu benutzen. Der Wort- schatz entspricht den Zwecken des Bundes, denen er seine Entstehung verdankt. Er bezieht sich auf Handel und Verkehr, Waren und Preise, geschlossene oder offene Wege und Fährstellen, gute oder böse Häupt- linge, Kriege, Zölle, Erpressungen, Märkte, Nahrungsmittel, Witterung, Hochwasser in Flüssen und was sonst noch Zustände von Menschen und Gebieten betreffen mag. So viel ist zu erlauschen und aus Angaben verständiger Sinkimba, die kein Hehl daraus machen, zu entnehmen. Aber barer Unsinn kommt zutage, wenn es sich darum handelt, Auskunft über ihre Geheim- nisse, über Worte und Sätze der Bundessprache zu erlangen. Die Leute verraten nichts. Einige sagen das offen. Sie würden krank, blind, taub, gelähmt, irrsinnig werden, sterben, Unglück in der Familie oder in ihren Unternehmungen haben. Die meisten der Gildegenossen weichen den Fragen aus. Zu gute Menschenkenner, zu sehr auf ihren Vorteil bedacht, um Auskunft rundweg zu verweigern, helfen sie sich mit Unwahrheiten. Gelheimsprache. 97 Wer die Probe darauf macht, überzeugt sich immer wieder, dass er ge- narrt worden ist. Demnach liegt, soweit meinen Gewährsmännern und der Erfahrung zu trauen ist, die Sache einfach genug. Die Bundessprache entstammt nicht, wie die wollen, die ins Geheime gern noch hineingeheimnissen, einer dunkeln Vorzeit, ist durchaus nicht von Priestern als heilig über- liefert. Sie ist eine Art Rotwelsch, in Erinnerung an die Schulzeit möchte man auch sagen ein Schülerwelsch, wie es in Klassenvereinen (auch Geheimbünde) als Be- oder Ab- oder R-W oder sonstwie be- nannte Sprache mit Vokalverdoppelungen zeitweilig eifriger als Lateinisch oder Griechisch betrieben wird. Insbesondere ist hier auf die sogenannte Trommelsprache der Afrikaner hinzuweisen, die am vollkommensten in Kamerun nicht bloss getrommelt, sondern, wohl zu beachten, auch gesprochen, das heisst mit dem Munde genau nachgeahmt wird. Nicht alle Stammesleute sind völlig vertraut mit dieser Sprache, und nicht viele sind Meister darin. Aber die vermögen dann auch, wie ich schon vor einem Menschenalter mit dem verstorbenen Professor Buchholz eingehend erprobte, auch ganz ungewöhnliche Mitteilungen sicher in die Ferne zu melden. Überdies galten damals bei Palavern und Gerichtssitzungen Trommelsprache und Gemeinsprache für gleichwertig, und getrommelte Beleidigungen waren so schlimm wie gerufene. Auch erkannten die Hörer jeden Trommelnden schon aus grosser Ferne an der Art seines Klöppelschlages und am Ton seiner Trommel, wie wir einen Redenden am Klange seiner Stimme zu erkennen vermögen. i Zweifellos steht dieses Verständigungsmittel in Kamerun, das doch ebenfalls ausgetüftelt worden ist, weit über dem der Sinkimba, die sich nur über gewisse Dinge unterhalten können. Allerdings: die nichts Besseres leisten, mögen schlechte Zöglinge gewesen sein oder unfähige Lehrer gehabt haben. Vielleicht auch, dass sie, verschiedenen Stämmen angehörig, an fern voneinander gelegenen Orten eingeweiht worden sind. Denn da schon die natürlichen Mundarten mannigfaltig abweichen, ist zu vermuten, dass die lediglich aus dem Gedächtnis gelehrte Kunst- sprache noch weniger übereinstimme. Sicherlich dient sie bloss einem beschränkten Gedankenaustauschh Das sagen die Sinkimba selber. — Der letzte und höchste Zweck des Sprachwissens ist, Einsicht zu gewinnen in das geistige Wesen, in die Vorstellungswelt der Menschen und Völker. Wofür sie Wörter haben, davon haben sie Vorstellungen. Auf unsere Leute passt nicht die Lehre, wonach Primitive, etwa wie die Letzten unter Zivilisierten, sich mit einem kümmerlichen Wortschatze behülfen, und wonach sie unter ihren Ausdrücken wenige Kollektiva und Loango,. (% 98 Kollektiva. Abstrakta. gar keine Abstrakta besässen, weil ihnen die Vorstellungen und die Be- griffe dazu fehlten. Es versteht sich von selbst, dass die Bafiöti eine Menge von Vor- stellungen und Begriffen nebst den entsprechenden Bezeichnungen nicht haben können, die mit den Errungenschaften der Zivilisation zusammen- hängen. Dennoch reden sie, im scheinbaren Widerspruch zu ihren äusseren Lebenszuständen, eine erstaunlich wortreiche und sehr biegsame Sprache. Des weiteren können sie unbeschränkt zählen. Endlich die Kollektiva und Abstrakta. Auch mit denen liegt die Sache nicht so einfach. Folgendes diene zur Erklärung. Wenn bei uns viele Leute zwar von Pflanze, Vogel, Wald, Getreide sprechen, aber weder die Blumen am Rain noch die Sänger im Gezweig, im Walde nicht die Bäume, auf der Flur nicht die Gewächse benennen oder überhaupt nicht benennen können, so folgt daraus nicht, dass wir Arten weder unter- schieden noch benennten. Umgekehrt darf man nicht glauben, dass Sammelnamen fehlten, weil man lauter Artnamen zu hören vermeint. Zunächst wäre festzustellen, ob man wirklich nur Artnamen hört: eine für den Fremdling recht langwierige Aufgabe. Sodann ist zu be- achten, dass die Verwendung der Ausdrücke von mancherlei Umständen abhängt, hauptsächlich vom Anteil, den die Leute an den Dingen nehmen. Hier einige Beispiele. Geräusch im Wasser unterbricht die Stille der Nacht. Da heisst es: Krokodil, Flusspferd hat sich gerührt, aber auch: Fisch hat geschnellt, Frucht ist geplumpst, Vogel hat getaucht. Der Jäger, der ein Rudel Antilopen sichtet, wird schwerlich von Huf- oder Horntieren, wahrscheinlich nicht einmal von Antilopen oder Wild- bret reden, sondern einfach die Art nennen. Ist er recht hungrig, so entfährt ihm vielleicht der Ausdruck: Speise, Fleisch. Wenn man vor einem Haufen von allerhand Früchten fragt, wird man — ganz abgesehen von groben Missverständnissen, wobei Ausdrücke für Korb, Haufe, Menge, Last, Schönheit, Herkunft, Güte unterlaufen — schwerlich den Ausdruck für Frucht hören, sondern die Sorten benannt erhalten. Be- zeichnen doch manche, die am liebsten oder ausschliesslich (religiöse Verbote) etwa Bananen oder Ananas essen, auch Früchte im allgemeinen schlechthin als Bananen oder Ananas, wie andere statt Farbe einfach Rot sagen. Das schliesst keineswegs aus, dass sie selbst oder klügere Stammesgenossen Sammelnamen kennen. Ausdrücke für abstrakte Begriffe nachzuweisen, ist natürlich noch viel schwieriger. Gelingt es nicht bald — Jahr und Tag wollen bei solcher Aufgabe nicht viel besagen —, so ist das kein Grund, zu be- haupten, es gäbe keine. Unverzagtheit bringt besseres Wissen. Die Bafıöti haben unter anderen Ausdrücke für Stein, Fels, Berg, Gebirge, Gewässer, Tal, Schlucht, Pflanze, Busch, Baum, Gras, Gestrüpp, Weistümer. Sprichwörter. 99 Hain, Wald, Gegend, Frucht, Farbe, Wurm, Ameise, Käfer, Schmetter- ling, Fisch, Schlange, Eidechse, Vogel, Tier. Sie haben Ausdrücke für Vornehmheit, Gemeinheit, Ehrbarkeit, Nichtswürdiskeit, Herzensgüte, Höflichkeit, Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Treue, Züchtigkeit, Sitten- losigkeit, Ehrfurcht, Glückseligkeit, Gerechtigkeit, Gewissen und für viele andere abstrakte Begriffe. — ; Am anziehendsten prägt sich die Geistesart unserer Leute im Ver- mächtnis gewesener Geschlechter, in ihren Weistümern und Sprichwörtern aus. Sie haben deren die Fülle und verwenden sie mit Vorliebe. Hier eine Auswahl. Der Vogel fliege noch so hoch, er kommt zur Erde. Wasser sei noch so tief, man sieht die Fische. Der Termitenhaufen ist für die Kröte ein Berg. Ohne Vogel keine Federn. In der Schlinge schreit der Vogel anders. Der Affe klettert nicht am eigenen Schwanz. Das Eichhörnchen lehnt sich nicht an seinen Schwanz. Raubzeug vom gleichen Walde kennt sich gut. Schakal frisst nicht Schakal. Der Hund beisst nicht seine Klapper (am Halse hängend). Der Frosch lebt nicht in heissem Wasser. Das Huhn liebt die Ölnuss, aber nicht mit sich im Topfe.. Die Hühner hören am liebsten den Hahn. Die Ratte lacht, die ins Loch fährt. Der grösste Baum wächst klein auf. Die Palme braucht man nicht zu strecken. Frucht kommt nicht von allen Blüten. Die Frucht fällt nicht weit vom Stamme. Der Busch wackelt, der Baum stürzt im Sturme. Wer den Baum sieht, den sieht der Baum. Wer die Ratte will, geht zum Bau. Wer den Vogel nicht hat, kann ihn nicht rupfen. Wer Eier will, schont die Henne. Zähle nicht Hühner im Ei. Wer den Vogel will, raschelt nicht im Laube. Wer den Dorn hat, geht lahm. Wer Bast schälen will, muss Blätter schneiden. Wer im Steigreifen hängt, fuchtelt nicht mit’ dem Messer. Wer Asche wirft, kriegt die Augen voll. Wer in den Wind spuckt, kriegt den Speichel ins Gesicht. Lause den Leoparden und werde weiser. Der Faden folgt der Nadel. Hand zieht Dorn aus Fuss, Fuss nicht aus Hand. Im Kahne kann man auf zwei Seiten rudern. Hochmut purzelt über den Grashalm. Lügen fängt ein Spinnweb. Betrug läuft durch die Dörfer (wird bekannt). Eine ranzige Ölnuss verdirbt die ganze Muämba (beliebtes Gericht). Man kocht nicht, was man nicht essen will. Niemand kauft Maniok (Wurzeln) in der Erde. Jeder Bock rühmt seine Hörner. Wo Hahn- schrei und Rauch, da Menschen Er trägt den Elefanten (Renommist). Er stellt Schlingen und hängt selber. Wer allein wanderte, hat gut erzählen. Grereiste Kinder sind klüger als die Eltern. Junge belehren nicht Alte. Alt werden heisst weise werden. Der Narr schmält, der Kluge schweigt. Der Kluge 7* 100 Sprichwörter. Rätsel. Wortspiele. tut’s im Hause, der Narr auf dem Dorfplatz. Ein Narr gibt und hat selber nichts. Wände haben Ohren. Der Kluge ist nicht arm, der Arme nicht klug. Arme haben keine Freunde. Missgeschick bringt den wahren Freund. Reichen fehlt es nicht an Gästen. Wohin Gutes geht, daher kommt Gutes. Ein Unglückskind wird vom Schafe gebissen. Ein Zänker verdirbt das ganze Dorf. Wer streitet, hascht Regentropfen. Undank frisst Freundschaft. Menschengunst (wie) Wolkenschatten. Was du weisst, ist dein, was du sagst, ist anderen. Sei einmal schmutzig, dein Lebtag giltst du für unsauber. Hast du’s eilig, dreh dich um (oder stoppe am Kreuzweg). Trübe die Quelle nicht, du trinkst auch daraus. Palavere nicht um das Ei, du verlierst das Huhn. Lass dich sehen, sonst vergisst man dich. Spotte nicht über andere, schau dich an. Den Lahmen locke nicht zum Tanze. Dem Blinden rühme nicht das Sehen. Wo ein Leibeigener ist, sprich nicht von Leib- eigenschaft. An Freunden suche nicht Fehler. Kinder kommen, Greise gehen. Blut ist kein Wasser (Verwandtschaftsbande). Willst du ein Mädchen, lass es anderen nicht merken. Wer nichts hat, missfällt den Weibern. Den Zaghaften verlachen die Mädchen. Liebe merkt nicht Fehler. Das schönste Mädchen kann nichts taugen. Schönheit macht nicht satt. Magst du die Tochter, schau die Mutter an. Tüchtige Frau: Wohlsein. Schlampige Frau: Topf ohne Boden. Der Eifersüchtige hascht seinen Schatten. Wer seine Frau schlägt, schlägt alle Frauen. Frauentränen: Tautropfen in Sonne. Wer Kindertränen nicht trocknet, wird selber weinen. Wer in Frieden gelebt, kann gut ruhen. Wer fällt herunter und ist nicht aufgestiegen? Die Frucht. Wer ruft und hat keine Zunge? Die Trommel. Wer spricht ohne Zunge? Das Echo. Wer hat kein Kleid und zieht’s doch aus? Die Schlange. Welches Kind frisst die eigene Mutter? Das Feuer (mittelst Hölzern er- rieben). Was ist bei jedem Palaver? Wahrheit und Falschheit. Was ist immer mit dem Menschen? Der Hunger. Woher die meisten Übel? Die Hände werden bedeutsam auf Mund und Gemächte gelegt. Viele treffende, kernige Redensarten, sowie Wortspiele, wie mit nüni der Vogel und mnüni der Gatte, und Witze, die viel Verwandtes mit denen auf unseren Gassen haben, streifen das Unanständige oder fallen gänzlich hinein. Doch hütet man sich vor Kindern und Weibern, denn ordentliche Mädchen und Frauen lassen sich nichts bieten und be- gehren tüchtig auf, können auch hässliche Sachen ins Palaver bringen. Erzählungen aller Art, vornehmlich Gespenstergeschichten, Märchen, Tiertabeln sowie Überlieferungen, laufen in Menge um. Die bekanntesten kommen vielfach andeutungsweise in der Unterhaltung vor und als Gleich- nisse in Palavern. Sie werden auf dem Dorfplatze erzählt, wo die Hörer Erzählungen. Einschaltungen. 101 zusammenrücken, ab und zu als Chor mitwirken, auch singend, und den Inhalt bereden. Wenn nur die Leute nicht den Fremdling scheuten und vor ihm verstummten. Sie fürchten, verlacht zu werden. Besser sind Männer am Lagerfeuer zu belauschen, wo sie, oft einen grossen Teil der Nacht, eifrig schwatzen und erzählen. Dabei geht es recht kraus zu. Manche Berichte beginnen mit dem bekannten: Es war einmal. Andere setzen gleich mit dem Namen der Hauptperson ein. Nur steht dieser Name nicht fest, sondern wird beliebig gewählt, schlankweg von einem Anwesenden entlehnt, als ob der alles erlebt hätte. Das ist zwar wirk- sam, aber verleitet zu Irrtümern und Einsprüchen. Die Geschichte, die einer anfängt, ergänzt ein zweiter oder nimmt sie ihm ab und bereichert sie durch eine Erinnerung, durch ein Gleichnis, setzt ein dritter oder vierter fort und spinnt hinein, was sich jüngst er- eignete, was vielleicht geträumt oder von Europäern aufgeschnappt wurde. So sind gewöhnlich viele zugleich tätig an der Ausgestaltung einer Ge- schichte, wodurch sich deren vielfältige Fassung erklärt. Oft verliert sich die ursprüngliche Erzählung in anderen, oder nimmt eine Einschaltung auf, die sofort von den Anwesenden beanstandet oder beifällig herausge- hoben und ernsthaft erörtert wird, als ob es sich überhaupt um nichts anderes mehr handelte, wie das auch bei Palavern vorkommt. Auf ein- mal setzt dann die Erzählung, von der man ausging, springend irgendwo wieder ein, als wäre gar nichts dazwischen gewesen. Je nach Ort, Zeit und Anlass wird Altes mit Neuem verwebt. Was uns so wichtig ist: Einheitlichkeit, Abrundung und Vollständigkeit, Knapp- heit, Abwägen des Wesentlichen und Unwesentlichen, darauf kommt es am allerwenigsten an. Wie unsere Kinder findet ein jeder genug, das ihn ergötzt. Uns scheint freilich in den Geschichten vieles zu fehlen, was sie lückenhaft, oft unverständlich macht. Aber den Leuten ist alles recht und gut. Ihr ausgezeichnetes Gedächtnis, ihre Vertrautheit mit dem Geschilderten, ihre Gewohnheit, alles gleich wichtig zu nehmen, ihre Ratekunst verwischen die Mängel, verbinden das Stückwerk, verschönen das ganze. Ja mich will bedünken, das Unfertige und Abirrende erhöhen den Genuss, weil jedes Hörers Einbildungskraft sich schöpferisch be- tätigen kann. Darum glaube ich beinahe, dass eine Mustererzählung nach unserer Art sie langweilen würde. Stellenweise verfallen Erzählende in den Sprechgesang- oder in rich- tigen Gesang. Ein solcher bringt Gefühlsregungen über Geschehnisse, oder schildert die Lage, das Schicksal der betreffenden Tiere oder Men- schen, die Teilnahme der Angehörigen. Der Sang wird häufig von den Zuhörern aufgenommen, mit Genuss wiederholt und ergänzt, manchmal so lange, dass darüber die Geschichte in die Brüche geht. Das erinnert recht an die manchmal hervorbrechende wohlige Rührseligkeit unseres 102 Vortrag. Erzähler. Bänkelsänger. Landvolkes. Oder der Gesang brinst Betrachtungen und Reden der Menschen, Gespenster und Tiere, von denen berichtet wird. Dazu gehört, dass der Vortragende trennt, was sie wirklich aussprechen, was sie bloss denken. Diese gesungenen Einschiebsel sind bald kurz, bald lang, stehen nach Tonfolge kaum, nach Text dagegen ziemlich genau fest. Dieser hat nämlich eine mehr oder minder gebundene Form, die stückweise sich zum Versmass, gelegentlich zu Reimen steigert, statt deren freilich noch öfter ein Endwort oder Endsatz dient. Hier ein Beispiel vom Nüni mkissi — wörtlich: Vogel verzaubert —, dessen lieblicher Gesang in Noten früher (III 269) mit- geteilt worden ist: Verzauberter Vogel ich singe, im Walde, in meinem Heim. Verzauberter Vogel ich fliege, im Walde, in meinem Heim. Höre mich. Ich fliege davon. Suche mich. Ich fliege davon. Fange mich. Ich fliege davon. Binde mich. Ich fliege davon. Rupfe mich. Ich fliege davon. Koche mich. Ich fliege davon. Iss mich. Ich fliese davon. Verzauberter Vogel ich singe, im Walde, in meinem Heim. Verzauberter Vogel ich fliege, in Walde, in meinem Heim. Das Gesungene bildet gleichsam das Gerüst mancher Erzählung, da es am sichersten im Gedächtnis haftet. Der verbindende Text ist wandelbar. Freilich kommen nicht in allen Geschichten Gesänge vor. Wenn Personen den Inhalt der belebtesten Erzählungen rollenmässig sprächen, wäre ein einfaches Schauspiel fertig, ist vielleicht auch anderswo so entstanden. In Loängo, wo die Weiber offenbar mehr dichten oder mehr bewahren als die Männer, hat man es noch nicht so weit gebracht. Anfänge finden sich bei grossen Beschwörungen von Fetischen, bei Ge- sellschaftsspielen, beim festlichen Vorführen eines mannbar gewordenen Mädchens, bei der Bestattung von Grossleuten, beim Umzug des Ndüngu, eines maskierten Geheimbündlers. Gelernte Erzähler, Sänger oder Verkünder, recht eigentlich Barden und sogar Propheten zu nennen — munssäkuli, plur. banssäkuli, auch mussükuli, plur. bassükuli —, sowie andere, geringere Erzähler, die mehr Volksbelustiger, Schnurranten und Bänkelsänger sind — munyoöli, plur. banyöli — sollen mitunter kleine Handlungen mit Wechselreden vorführen. Nach einheimischen Schilderungen scheinen sie als Zunft, wenigstens die Gelernten, zur Königszeit besonders geachtet gewesen zu sein und man- cherlei Vorrechte gehabt zu haben. Das hat sich verloren. Sie sind nicht mehr zahlreich und unternehmen bloss ab und zu noch Kunstreisen durch die Dörfer. Indessen ist, wie im dritten Kapitel zu erzählen, das Barden. Eigenart der Geschichten. 103 Wirken von Propheten in religiösen Dingen manchmal von grosser Be- deutung. Auch wird bisweilen ein recht angesehener Barde berufen, eine grosse Feier zu verherrlichen, namentlich den Scheideruf an die Seele eines Grossen über dessen grabfertig hergerichteten Resten zu verkünden. Wie schon Seite 86 geschildert, tragen- sie nach verknoteten und verstrickten Schnüren und nach kleinen daran befestigten Merkzeichen vor, die teilweise Erbstücke sein mögen. Von einem in Yümba heimischen Erzähler wurde berichtet, dass er einen Faden mit angereihten, Menschen und Tiere darstellenden Puppen aufspanne, und deren Schicksale vor- trage. Mittels solcher Geschnüre bewahren diese Zünftigen mutmasslich genaue Texte und behandeln danach allerlei Überlieferungen in Sang und Rede, die sie ihren Schülern vererben. Aber den weissen Mann er- freuen sie nicht mit ihrer Kunst, die sie wohl zu entweihen fürchten. So erklärt es sich, dass von allem, was im Volksmunde lebt, ganz wie anderswo meistens nur Bruchstücke, und zwar recht abweichend lautende Bruchstücke, erlauscht werden können. Wendet man sich, um abzurunden, um den Wirrwarr aufzulösen, an einen kundigen Gewährs- mann, so hört man meistenteils eine einseitige und wiederum veränderte Fassung: Er hält sich an Nächstliegendes; die Phantasie geht ihm durch; er flicht mehrere Geschichten ineinander; er richtet seine Mitteilungen für den weissen Mann ein; er verschweigt, was etwa bezweifelt oder be- lächelt werden könnte. Denn er weiss aus Erfahrung, dass Einheimisches von Europäern nicht für voll genommen wird. So bleibt nichts übrig, als Bruchstücke gleich einem Mosaik aneinander zu fügen. Geht dabei manches der Form verloren, so wird doch die Hauptsache, der Inhalt, verständlich wiedergegeben. An den Geschichten ist bemerkenswert die Dreizahl wichtiger Vor- kommnisse, ferner die wörtlich genaue Wiederkehr gewisser Sätze, die den Kern der Sache treffen. Menschen, Tiere, Gespenster reden und handeln; aus Felsen, Schluchten, Pflanzen, aus Elefantenzähnen, Körben und anderen Gegenständen ertönen bloss Stimmen. Viele Erzählungen enthalten eine versteckte Lehre, die zwar in ihrer Nutzanwendung nicht weiter hervorgehoben, aber von jedermann verstanden wird. Die Zuhörer erfassen sie naiv und unmittelbar auch ohne eine abschliessende Moral. So sollte es eigentlich überall sein. Denn eine Geschichte, der eine Moral an- gehängt werden muss, taugt nicht viel oder ist schlecht erzählt worden — oder die Hörer sind abgestumpft und nicht bei der Sache. Nachher pflegen die Lauschenden den Ausgang zu besprechen, zumal wenn er durch ein Palaver entschieden worden ist. Es befriedigt, wenn Gutes und Schlechtes nach Verdienst seinen Lohn findet, wenn böse Anschläge vereitelt werden, wenn der Harmlose schliesslich gegen den gleisnerischen Fuchsschwänzer 104 Keine Erotik. Ernst und Scherz. gewinnt, wenn der Kluge die Schwächen des Gegners recht geschickt zu seinem Vorteil wendet. Wo Mädchen und Frauen in Geschichten eine gute Rolle spielen, werden siein der Regel ausdrücklich als schön bezeichnet. Dennoch wird in keiner mir bekannten Dichtung die Liebe eingehend behandelt und ausgemalt, obschon ohne sie vieles Erzählte gar nicht geschehen könnte. Die Leute, die mit wirklicher Teilnahme von allerlei berichteten Geschicken hören, die singen und sagen nichts von Liebe, geben Liebesgefühlen nicht öftent- lichen Ausdruck, woraus aber keineswegs geschlossen werden darf, dass sie die Liebe nicht kennten. Nur der Erotik geben sie in allen ihren Liedern und Geschichten keinen Raum. In manchen Erzählungen rettet die Mutter ihr Kind aus grosser Gefahr, in anderen tritt die tote Mutter auf, die ihre verwaisten Lieb- linge beschützt und leitet, ihren Säugling ungesehen ernährt, in an- deren Geschichten hilft das unmündige Kind, das Bedrohliches offenbart, wovon die Seinigen nichts ahnen. Manchmal wird das Kind bloss erwähnt, als ob ein Liebling. dabei sein müsste, ohne weiter mitzuwirken. Die Schwester hilft dem Bruder, die Frau dem Manne und umgekehrt. Gegen schlechte Menschen wird Vergeltung geübt, andere ereilt das Geschick ohne Zutun der Rächer. Reissende Tiere werden listig umgebracht, blut- dürstige Seelen eingefangen, festgemacht oder totgeschossen, Gespenster mit Salz, Sand oder spanischem Pfeffer geblendet, durch mutiges Drauf- gehen verscheucht, auf Kreuzwegen niedergerungen. Doch dreht sich nicht alles um den Kampf gegen Böses. In Eulen- spiegeleien richtet der Witzbold vielerlei Schabernack an, übertrumpfen sich gegenseitig Männer und Weiber. Auch gibt es gute Wesen, zumeist hübsche Weiber, die junge Männer im Verborgenen so lange mit allem beglücken, was die Herzen begehren, bis ein Verbot übertreten wird. In den Hauptzügen tauchen, wie unten zu ersehen, manche uns wohlbekannte Erzählungen auf. Nichts weniger als unglaubhaft ist den Leuten, dass Tiere in einer gewissen Geordnetheit lebten, dass es bei ihnen ungefähr wie bei Men- schen zuginge. Des weiteren bezweifeln sie nicht, dass Tiere sich in mensch- liche Angelegenheiten einmischen. Am häufigsten sind es wohl Vöglein, die böse Anschläge belauscht oder den Fehltritt eines Mädchens, eine Übeltat, einen Mord beobachtet haben und nachher es aussingen. Nur bleibt da manches insofern unklar, als ja Seelen Verstorbener in Tiere fahren oder Tiergestalt annehmen, ferner lebende Menschen durch Zauber- kraft anderer in Tiere verwandelt werden und endlich Hexen als Wer- wölfe umgehen können. Gleich unseren Kindern fällt es ihnen bei ihrem Wunderhunger und bei ihrer naiven Glaubenskraft nicht schwer, Erzähltes in die Wirklichkeit zu übertragen. Man kann es freilich nicht immer Wunderhunger. Erzählungen. 105 wissen, aber es hat sich doch schon allerlei Merkwürdiges ereignet, und der Augenzeugen gibt es die Menge. So viel Schalkhaftes in den Tier- fabeln spielt, so steckt doch wieder manches darin, das ernsthaft zu nehmen ist. Die Einbildungskraft tut sich eine Güte und die Kurzweil hat man obendrein. In allen den von Mund zu Mund gehenden Weistümern, Berichten, Dichtungen prägen sich unbewusste Herzensregungen und geläuterte Lebensklugheit aus, erschliesst sich, vielleicht in ungeahnter Tiefe, das Seelenleben des Volkes. Sie kennzeichnen sein Gefühl für Recht und Unrecht, für Gutes und Böses, für Schönes und Hässliches, sein Hoffen und Streben. In den Erzeugnissen der Phantasie Äussert sich, losgelöst von allen zufälligen Umständen, das wahre Wesen der Leute. Wie schon einmal bemerkt: Die Tiere, beweglich wie die Menschen, die gleichen Bedürfnisse befriedigend, den nämlichen Geschicken ver- fallend, stehen ihnen nahe. Deswegen berücksichtigt man sie. Wird doch beliebten Haustieren der Tod ihres Besitzers förmlich angezeigt. In solchem Sinne brüllen, heulen, grunzen, quieken, kreischen, schnattern, glucksen, zwitschern Tiere nicht, sondern reden. Ihrer Art gemäss haben sie ein bestimmtes Wesen. Der Leopard ist bösartig und dumm, der Affe pfiffig und leichtsinnig, die Schildkröte verständig, das Krokodil be- griffsstutzig, der Büffel einfältig; Spinne, Frosch und Seekuh sind zauber- kundig, Antilopen gescheit oder beschränkt, je nachdem, Vögel mit wenigen Ausnahmen klug und gut. Auch Hunde, wenigstens solche von der Jagdmeute, dienen treu und verständig ihren bedrängten Herren. Der Elefant ist weise und Herrscher über die Tiere, obgleich die ihm manchmal übel mitspielen. Er steht über dem rohen Herrn des Waldes, dem Gorilla, und über dem launischen Herrn des Wassers, dem Hippopotamus. Er duldet nicht, dass sie und andere Tiere den Kot in einem Haufen absetzen, wie er, sondern zwingt sie, ihre Losung zu verstreuen oder im Laufen fallen zu lassen. Die es doch mit dem Haufen versuchen, schauen ängstlich um sich, ob der Elefant kommt. Sieh nur die Hunde an. — Die Springspinne hat das Netz erfunden, hat es sich aber vom Menschen abschwatzen lassen. Nun muss sie sich ohne Netz behelfen. — Die Bach- stelze erfand die Trommel und trommelte nach Herzenslust. Das hörte ein Mann und wollte die Trommel haben. Er wettete mit der Bachstelze, dass er besser zu trommeln verstünde als sie. Als die Sache zum Aus- trag kam, wurde im Palaver zugunsten des Mannes entschieden, denn der hätte zehn Finger, die Bachstelze nur ihren Schwanz. Der Gewinner nahm die Trommel und ging zu den Menschen. Aber die Bachstelze kann das Trommeln nicht lassen, immer wippt sie mit dem Schwänzchen. — Der,schwarz- und weissgescheckte Eisvogel hat dem Menschen verraten, 106 Erzählungen, wie man Fische fängt. Nun fischen die Menschen überall und die Eis- vögel leiden Not. Wenn sie, nach Beute spähend, über stillen Gewässern rütteln, meinen sie unter sich den Verräter zu sehen und stossen erbost auf ihn hinab. — Ein ganz schlechtes Palaver hat die Eule gemacht. Sie hat falsches Zeugnis abgelegt. Seitdem ist sie im Verruf, ausgestossen von den anderen Vögeln, und verkriecht sich scheu bei Tage. Wo sie sich sehen lässt, wird sie beschimpft und zerzaust. Und Menschen hängen einen Eulenkopf auf als eine Mahnung, in Aussagen wahrhaftig zu sein. — Der Hammerkopf oder Schattenvogel, der in einem ungeheuren backofenförmigen Reisigbau nistet (III 261), ist ein unheimlicher Vogel. Wo er seinen Kot hinfallen lässt, da geschieht ein Unglück. Das be- nutzt er gegen andere Vögel. Mit der Drohung, ihre Brutstätten be- schmutzen zu wollen, zwingt er sie, ihm beim Errichten seines riesigen Nestes zu helfen, das er allein gar nicht fertig brächte. — Die Krabbe ist über die Massen hoffärtig und prahlerisch gewesen, Einst verhöhnte sie die Schildkröte ob ihrer Bedächtigkeit und Langsam- keit. Die schlug einen Wettlauf vor. Sie schickte aber heimlich ihre Frau voraus, sich am Bahnende aufzustellen. Die Krabbe rannte ge- schwind zum Ziele, prallte aber dort so heftig gegen die Schildkrötenfrau, dass sie sich den Kopf eintrieb. Seitdem läuft sie ohne Kopf umher, auch nie mehr geradeaus, sondern ängstlich seitwärts und im Zickzack. — Perlhuhn und Büffel sind nacheinander mit Botschaften betraut worden, die sie verbummelten und vergassen. Wie das zuging, lehrt eine Kindergeschichte. Das Perlhuhn trippelt auf dem Pfade, der Büffel streicht durch Busch und Gras. So treffen sie sich. Es ist Regenzeit. Da sagt das Perlhuhn zum Büffel: Höre, Büffel, lass uns ein Haus bauen; regnet es, können wir im Hause unterkriechen. Dem Büffel leuchtet das ein. Höre, Büffel, sagt das Perlhuhn, der Platz hier ist gut, hier ist es trocken. Komm, voran, spute dich, Regen kommt. Räume das Gras ab. Hier diese Garbe, hier diese Garbe, dort jene (@arbe, und jene, und jene. Der Büffel rodet die Stöcke, wie Perlhuhn es haben will, diesen und diesen, jenen, jenen und jenen. Perlhuhn, sagt der Büffel, das Gras liegt. Büffel, sagt das Perlhuhn, das Gras liegt. Höre, Büffel, nimm das Gras, schaffe es fort. Der Büffel packt die Grasstöcke, diesen, und trägt ihn fort, diesen, und trägt ihn fort, jenen, jenen und jenen. Er schafft sie fort, alle. Perlhuhn, sagt der Büffel, das Gras ist fort. Ein Haufe. Der Platz ist leer. Gut Büffel, sagt das Perlhuhn, der Platz ist leer. Höre, Büffel, bringe Erde. Der Büffel holt Erde, viel Erde. Recht so, sagt Perlhuhn, schütte sie, breite sie. Der Büffel schüttet die Erde, breitet sie, wie Perlhuhn es haben will. Perlhuhn, sagt der Büffel, die Erde liest. Büffel, sagt das Perl- Erzählungen. 107 huhn, die Erde liegt. Höre, Büffel, schlage sie fest. Der Büffel schlägt, schlägt und schlägt die Erde. Perlhuhn, sagt der Büffel, die Erde ist fest. Büffel, sagt das Perlhuhn, gut, die Erde ist fertig. Höre, Büffel, lauf in den Wald, hole Pfähle. Büffel sagt: Höre, Perlhuhn, höre! Was baust du am Hause ? Perlhuhn sagt: Höre, Büffel, höre! Ich bin klein, ich bin schwach. Du bist gross, du bist stark. Was du machst, kann ich nicht machen; Was ich kann, das tue ich. : Der Büffel brummt bu—bu—bu—bu—bu! Er läuft nach dem Walde. Er kommt zum Walde. Er ist im Walde. Er sucht Pfähle. Büffel nimmt diesen Pfahl, nimmt diesen Pfahl, jenen und jenen. Er legt die Pfähle zusammen, er bindet sie, nimmt sie auf und schleppt sie zum Bauplatz. Perlhuhn, sagt der Büffel, die Pfähle, da sind sie. Gut Büffel, sagt das Perlhuhn, da sind die Pfähle. Höre, Büffel, mache Löcher in den Boden, ein Loch hier, eins hier, eins da, eins dort. Der Büffel macht die Löcher in die Erde, ein Loch hier, eins hier, eins da, eins dort. Perlhuhn, sagt der Büffel, die Löcher sind fertig. Gut, Büffel, sagt das Perlhuhn, die Löcher sind fertig. Höre, Büffel, ramme die Pfähle ein; diesen Pfahl in dieses Loch, diesen dahin, jenen dorthin usw. Der Büffel setzt die Pfähle, einen Pfahl in dieses Loch usw., wie das Perlhuhn es haben will. Perlhuhn, sagt der Büffel, die Pfähle stehen. Gut, Büffel, sagt das Perlhuhn, die Pfähle stehen. Höre, Büffel, laufe zur Bambuspalme, hole Schäfte. Büffel sagt: Höre, Perlhuhn, höre! Was baust du am Hause? Perlhuhn sagt: Höre, Büffel, höre! Ich bin klein, ich bin schwach. Du bist gross, du bist stark. Was du machst, kann ich nicht machen; Was ich kann, das tue ich. Der Büffel brummt bu—bu—bu—bu— bu! aber tut, wie ihm ge- heissen, und bringt das Zugerichtete zum Bauplatz. Folgt Meldung und Bestätigung wie zuvor. In der nämlichen Weise geht es nun weiter beim Beschaffen von Papyrushalmen für die Wände, dann von Lianen zum Binden und Schnüren. Zum letzten Male wird der Büffel geschickt, um Palmfiedern für die Bedachung zu besorgen. Auch das tut er, nachdem er wieder aufbegehrt hat und in bewährter Weise beschwichtigt worden ist. Er sammelt Palmfiedern, fügt sie zu Schindeln und deckt das Dach ein. 108 Erzählungen. Jetzt sagt der Büffel zum Perlhuhn: Höre, Perlhuhn, das Haus ist fertig. Die Pfosten stehen, die Wände sind gebunden, das Dach ist oben. Sagt das Perlhuhn: Wahrheit, Büffel, das Haus ist fertig. Der Büffel steht und brummt bu—bu—bu—bu—bu. Er fühlt Hunger, stelzt in die Savanne und weidet. Sonne scheint. Des Büffels Bauch ist voll. Der Büffel ist müde. Er legt sich und schläft. Wolken kommen. Sonne deckt sich zu. Donner donnert mvu—lu—mvu—dü—mu. Büffel schläft. Mvu—lu—mvu—dü—mu! Büffel schläft. Tropfen fallen, es regnet Regen, viel, viel Regen. Büffel wird nass, er erwacht, er merkt den Regen. Er springt auf die Beine. Er läuft zum Hause. Er ist am Hause. Er läuft und läuft um das Haus herum, immer rund um das Haus. Wand, Wand, Wand, lauter Wände. Perlhuhn, schreit der Büffel, Perlhuhn, wo bist du. Büffel, ruft das Perlhuhn, ich bin hier. Es steckt den Kopf durch ein Schlupfloch in der Wand unten am Boden. So lautet die Geschichte: Perlhuhn und Büffel bauten ein Haus in der Regenzeit. Perlhuhn ist drinnen. — Ein Bursche entdeckt einen Leoparden in der Falle. Der Gefangene verspricht, ihn alle Tage mit Fleisch zu versorgen, dass er nie mehr hungere, wenn er ihn aus der Falle lasse. Kaum ist der Leichtgläubige dem Leoparden zu Willen gewesen, so wirft der sich auf ihn, um ihn zu zerfleischen. Der Bursche klagt um seine schöne, kluge Schwester, die nun allein bleibe. Ei, denkt der Leopard, da kannst du zwei fressen, und er geht mit dem Burschen zur schönen, klugen Schwester. Er sieht sie und will sie heiraten. Aber das Mädchen hat Bedenken. Die spitzigen Krallen könnten zu arg kratzen. Der Leopard lässt sie sich beschneiden. Die grossen Zähne könnten zu stark beissen. Er lässt sie stutzen. Der lange Schwanz könnte schlagen. Er lässt ihn sich um den eigenen Hals knoten. Nun führt das kluge Mädchen den Bruder fort. Wehrlos, hilflos, von allen Tieren verspottet, bleibt der Leopard im Walde liegen und verhungert elendiglich. Ein anderer Schluss meldet: die Schwester verstümmelt und bindet nicht den Leoparden, sondern wundert sich so lange darüber, wie er in die Falle geraten sei, bis er sie hinführt und es ihr vormacht. Kaum ist er wieder drinnen, so läuft sie fort und holt den Jäger. Der kommt und schiesst den Leoparden tot. Nach einer dritten Fassung bereiten die Geschwister dem Räuber ein Lager aus grossen, zähen Blättern, die sie tüchtig mit Vogelleim bestrichen haben. Wohlig streckt und wälzt sich der darauf, wird über und über bepflastert, gänzlich hilflos, und wird nun vom Bruder totgeschossen oder auch mit Reisig überdeckt und ver- brannt. Des weiteren läuft die Fabel auch so, dass nur Tiere reden und handeln, dass listige Meerkatzen den Leoparden im Baumwipfel an- Erzählungen. 109 kleben oder in einem gespaltenen Ast festklemmen oder in einen hohlen Stamm locken, worin er stecken bleibt. — Malöndo sieht nach seinen Schlingen. In einer zappelt noch ein Waldhuhn. Das bittet um sein Leben und verheisst ihm dafür, was er sich wünschen mag. Malöndo öffnet die Schlinge. Das Waldhuhn trippelt in den Busch und bringst ihm einen grossen Zauber. Nur soll er niemals mit seinem Reichtum prahlen und niemals sagen, wie er dazu gekommen sei, sonst ist es mit dem Zauber vorbei. Malondo streicht über seinen Körper, da ist er mit schönen Ge- wändern angetan. Er greift einen Stock, und hat ein schönes Gewehr. Er nimmt ein Schilfblatt, und hat ein Messer. Er berührt einen Baum, der wird zum grossen Kahn. Er tippt an die Palme, da fliesst der Saft. Er klopft auf die Erde, da sind seine Leute. So geht es fort; kein Wunsch bleibt unerfüllt. Malöndo gründet ein grosses Dorf, ist Herr über viele Menschen und lebt herrlich und in Freuden lange Zeit. Doch ist es des Guten fast zuviel. Es überkommt ihn, sich einmal den Be- kannten in der Heimat als grossen Herrn zu zeigen. Eingedenk des Verbotes zögert er lange. Endlich geht er doch. Am Waldrande singt ein Vogel. Malöndo hört die Warnung und kehrt um. Lange Zeit ver- fliesst, da zieht er wieder aus zum Besuche. Unterwegs singt wieder ein Vogel. Aber Malondo mag nicht darauf hören. Er geht längs eines tiefen Erdrisses. Da schallt eine Stimme herauf. Er erschrickt, besinnt sich und kehrt abermals um. Wieder verstreicht eine lange Zeit. Da kann er’s nicht mehr aushalten. Eilig wandert er im schönsten Staate hin zum Heimatdorfe.. Er kommt an. Man sieht ihn, man schreit, läuft herbei, grüsst, fragt, lacht. Er nimmt die Flinte von der Schulter, es ist ein alter Stock; er greift nach seinem Schmuck, der Schmuck ist fort; er sieht nach seinem Gewande, es ist sein alter Schurz. Entsetzt läuft er den Weg zurück zu seinen übrigen Reichtümern. Aber wie er auch sucht, es ist nichts zu finden. — Ein junger Mann streift durch den Wald. Da hört er eine Stimme klagen: Ich bin gefangen, wer lässt mich los. Ich bin nackend, wer gibt mir ein Kleid. Der Stimme nachgehend, gewahrt er ein schönes, in Schlingen verstricktes Mädchen. Er löst sie aus der Umstrickung. Sie will seine Frau sein und ihn reich machen. In einem feinen Hause erfüllt sie alle seine Wünsche. Nur eins hat die Frau sich ausbedungen: ihr Mann soll statt ihrer das Wasser für den Haushalt besorgen, und niemals soll er es aus der nahen Quelle schöpfen. Dem Mann wider- steht es, Wasser zu tragen, er muss es auch weit her holen und geht deswegen im Dunkeln. Eines Abends ist das Wetter so schlecht, dass er, um den weiten Weg zu ersparen, an der verbotenen Quelle seinen Krug füllt. Daheim angelangt, stolpert er an der Schwelle und 110 Erzählungen. verschüttet Wasser. Es benetzt die Füsse seines Weibes. Weg ist die Frau, weg ist das Haus, fort all sein Glück. Ein Brünnlein sprudelt aus der Erde. Anders schliesst eine ähnliche Erzählung. Nach einer langen Zeit des Glückes krankt der junge Ehemann vor Sehnsucht nach seiner alten Mutter; nur noch einmal möchte er sie wiedersehen. Endlich erlaubt ihm seine Frau den Besuch, aber er soll seinen alten Schurz umtun, nichts verraten und vor Abend heimkehren. Das geschieht, und alles ist gut. Ebenso ein zweites Mal. Aber ein drittes Mal kleidet er sich fein, oder er hält nicht reinen Mund oder er bleibt die Nacht im Dorfe und ver- scherzt damit Lieb’ und Reichtum. — Eine Geschichte läuft auch so, dass ein Fisch oder ein Wassertier in einer Quelle, im Fluss, See oder Meer gefangen und gegen eine Zauber- gabe freigelassen wird. Das Übertreten eines Verbotes vernichtet den Zauber. Im vierten Kapitel ist nachzulesen, wie diese Geschichte von findigen Köpfen zu einem Wunderschwindel von erstaunlicher Wirksam- keit verwertet wurde. — Ein Wanderer zieht seines Weges, durstig, hungrig, müde. Ihm begegnet eine Frau mit dem gefüllten Wasserkruge auf dem Kopfe. Der Wanderer spricht sie um einen Trunk an. Sie aber gibt vor, kein Wasser zu haben und geht weiter. Nach einer Weile beisst sie das Gewissen. Sie bleibt stehen und blickt zurück. Da erstarrt sie und wird zur Erd- säule (hoher säulenförmiger Termitenbau). Bald darauf trifft der Wan- derer eine andere Frau, die einen Korb mit Maniok trägt. Er bittet sie, seinen Hunger zu stillen. Auch sie findet ihn mit einer Lüge ab, und ihr geschieht wie der ersten. Der Wanderer erreicht das Dorf. Wo immer er anspricht, wird er von Hartherzigen abgewiesen. Erst abseits in einem wackeligen Hüttchen ist er willkommen. Da haust ein armes, altes Paar, das keine Kinder hat. Die Leutchen teilen gern mit ihm ihre kärgliche Nahrung und beherbergen ihn. Als sie am Morgen ins Freie treten, schauen sie verwundert. Das Dorf ist fort, ein grosses Wasser ist da. Der Wanderer gibt seinen Wirten ein Netz und eine Falle, die nie versagen. Fortan leiden die Kinderlosen keine Not mehr. Als Schauplatz dieser Begebenheit wird der See von Kilönga, südlich vom Tschiloängo, genannt, doch gelten anderswo andere Gewässer als die richtigen Orte! In anderer Fassung führt die Erzählung statt des Wanderers eine Mutter mit Kind ein, eine arme Versprengte aus einem von Hungers- not und Seuchen befallenen Gaue. Die verzweifelte Mutter fleht überall vergeblich um Labung für ihr sterbendes Kind. Sie spricht einen grossen Fluch über die Ungastlichen, worauf ein Strafgericht hereinbricht. — Erzählungen. 1991 Ein Mann hat zwei Frauen geheiratet, aber nicht zu seinem Glücke. Die beiden Weiber sind nämlich sehr anspruchsvoll, nie zufrieden mit seinen Geschenken; sie halten fest zusammen, stehen gegen ihn, keifen viel, kochen schlecht, lassen ihn darben und machen ihm das Leben sauer. Er geht zu seiner klugen Schwester und klagt ihr seine Not. Die nimmt eine Lase, malt sie zur Hälfte weiss, zur Hälfte rot an und gibt sie ihm nebst einem Stöckchen, mit dem Bedeuten, früh am Morgen den Krug sorgsam zwischen die beiden Hütten seiner Frauen zu stellen, mit dem Stöckchen tüchtig darin zu klappern und zu quirlen und dann alles mit sich fort zu nehmen. Sobald er seiner Schwester Geheiss ausführt, lugen die beiden Frauen neugierig durch die Türspalten, was ihr Eheherr da Wunder- liches treibe. Die eine sieht die weisse, die andere die rote Seite der Lase. Kaum hat sich der Mann entfernt, so schlüpfen sie aus den Hütten, besprechen das auffällige Gebaren und geraten schliesslich über die Farbe des Gefässes bitterböse aneinander. Sie werden sich spinne- feind.. Nunmehr hat es der Mann gut, denn jede Frau bestrebt sich, ihn zu gewinnen. Das kam vom Rat der klugen Schwester. — So und anders äussert sich Volkstümliches in Loängo; gesammelt und bearbeitet könnte es einen stattlichen Band füllen. Noch mancherlei Erzählungen, namentlich Überlieferungen, werden später in Abschnitten vorkommen, wo sie besser hingehören. — Für Musik sind die Bafiöti recht empfänglich, lauscht doch mancher gern dem Gesange der Vögel. Mehrstimmig gesungene deutsche Volks- lieder hörten sie mit Vergnügen an, wobei sie namentlich die gute Bass- stimme fesselte. Greigenspiel klang ihnen zu dünn, zu schneidend. Ihrer eigenen Musik — nssämbi, Musikant mussiki (mu)nssämbıi, plur. bassiki ba nssämbi, von kussika spielen, Musik machen — fehlt das Strophenlied sowie das Liebeslied, Ausser Rezitationen, die im Chor- gesange stets vorkommen, haben sie kurze Weisen oder Tonfolgen, die im Einzelgesange ziemlich unverändert, im Massengesange dagegen be- liebig umgestaltet, vielmals wiederholt. werden. Die Singweisen bewegen sich vorwiegend in kleinsten Intervallen. Wenige steigen, die meisten fallen. Im ganzen bestätigen die Leistungen nicht den Satz, dass die Grund- lage aller Musik der Rhythmus sei, dass von ihm die Entwicklung zur Melodie und zur Harmonie fortschreite. Das Rhythmische kommt in ihrer Musik meistens so wenig zur Geltung wie etwa in unseren Chorälen; die Töne und Tonfolgen machen die Musik. Ausgeprägter Rhythmus tritt im Gesange eigentlich nur beim Rudern, im übrigen bloss noch beim Trommeln auf. Wo am häufigsten im Chor gesungen wird, beim Tanzen, stimmen Melodie, Händeklatschen, Trommeln, Beinbewegungen rhythmisch nicht überein. Die Tänzer hüpfen auch gar nicht nach Zeitmass, sondern 112 Musik. Text und Melodie. scharren und schuffeln meistens mit einem Spielbeine beliebig auf ihrem Standorte. Es gibt da ein merkwürdiges musikalisches Durcheinander. Wenn noch von Rhythmus oder Takt geredet werden sollte, so liesse sich behaupten, dass die Sänger es fertig bringen, das nämliche Motiv gleich gut, sowohl ohne Zeitmass als wechselweise in allen möglichen Zeitmassen zu verarbeiten, Nämlich eine Tonreihe wird einem Texte angepasst, der, den Ein- fällen rezitierender Vorsänger entspringend, bald kurz, bald lang ist. Die Rezitative geben die Worte für den folgenden Abschnitt des Massen- gesanges an, aber keineswees dessen Melodie. Mithn handelt es sich für die Mitwirkenden um lockere Folgen von Tönen, die allen ungefähr vorschweben, aber nach Bedarf verändert, verkürzt oder ausgesponnen werden, und zwar derartig, dass Töne und Tongruppen schleifend über- sangen oder wechselweise verdoppelt oder vielmals wiederholt werden, bis die Silben des veränderlichen Textes abgehaspelt worden sind. Soll das Melodie sein, so ist es Kautschukmelodie, die sich jeglicher Improvisation anschmiegt und bestenfalls melodischen aber nicht takt- mässigen Akzent erhält. Hierbei stehen die Sänger, gleich den grosse Redner unterstützenden Zuhörern, in dermassen trefflicher Fühlung mit- einander, dass sie, obschon manchmal herzlich Schlechtes leistend, doch nie gänzlich umwerfen, wobei sie freilich durch die dazwischen fallenden Rezitative gestetigt werden. Die Pausen im Chor bringen alles wieder ins Greleise. i Sonach kommen in Tonfolge und Text einigermassen fest geprägte Volksweisen nicht vor. Selbst der lang ausgesponnene Tanzgesang, der die landesüblichen Umzüge eines für mannbar erklärten Mädchens verherrlicht, schwankt ungemein. Den Sängerinnen, denen es nicht an Übung mangelt, mag schon etwas Bestimmtes vorschweben, aber sie bringen es nicht heraus oder lassen sich von Einfällen zu Abweichungen ver- führen. Wenn die nämliche Schar auf Wunsch den Tonsatz sofort noch- mals zum besten gibt, hört man nur Ähnliches. Ausnahmen von solcher Regellosigkeit bilden Rudergesänge, die sich teilweise aufwärts bewegen und in Jauchzen endigen, sowie in geringerem Grade das interessanteste Hauptstück ihrer Musik: eine wiid feierliche Totenklage, die zwar ebenfalls nach Kautschukmelodie geht, indessen nicht völlig ins Ungewisse ausartet, weil sie schwungvoll und in ihren Grundzügen ohrenfällig ist, sodann, weil die textlichen Unterlagen an einen hergebrachten engen Gedankengang gebunden sind. Dass in den Weisen viel Verwandtes widerklingt, versteht sich von selbst. Texte fallen leichter zu als Melodien, und das Gewohnheitsmässige leitet die Masse. Einer singt vor: Rezitativ mit willkürlicher Tonfolge; die übrigen fallen ein: Melodie mit ganz abweichender Tonfolge; dann denen Jungfrau. heiratsfähig gewor g einer Festliche Vorführun Tanz und Tanzweisen. Jauchzen. 113 wieder der erste oder ein zweiter mit neuem Rezitativ, wieder Chor mit seiner, der Silbenzahl sich anschmiegenden, aber dadurch veränderten Melodie. So geht es stundenlang choralmässig weiter, weder zögernd noch beschleunigend, weder verstärkend noch abschwächend. Selbst Tanz- weisen, die doch mindestens packend sein müssten, werden gleichförmig abgeleiert. Allerdings ist das Tanzen auch ‘dem Mfiöti höchste Lust, aber zugleich eine höchst wichtige, hingebend vollführte Handlung. Auch ist der Mann viel mehr bei der Sache als das Weib. Man möchte sagen, er singe nicht bloss, er tanze auch episch. Nichts von dem Ungestüm, von dem wilden Gestampfe der Indianer, nichts vom graziösen Übermut, von der lockenden Sinnlichkeit der Polynesier. In Kamerun habe ich rohes Schütteln der Schultern und allerlei Rüpelhaftes gesehen, bei den Mpöngue in Gabun lustvolles Wiegen. Die Bafiöti tanzen langweilig, gewissenhaft, wie die Jugend auf unseren Tanzböden, bevor Mädchen und Burschen ordentlich warm geworden sind. Als Texte dienen entweder Spottverse, eine Art urwüchsiger Schnada- hüpfel, wovon Seite 19 eins angeführt worden ist, oder allerlei Einfälle, die an Naheliegendes anknüpfen, aber nicht, wie schon gesagt, auf das erotische Gebiet überschweifen. So kann man hören: Lustig, lustig! Der Weisse gibt Schnaps. — Schaut den Weissen an, sein Bauch ist voll. — Einen Grossbauch hat er wie eine Mutter. — Beine hat er wie ein Elefant. — Schwer stapft der Weisse einher, tanzen kann er nicht. — Ein schönes Messer hatte ich in Ntumbu, nachher hatte ich keins mehr. — Wer tanzt und singt, den mögen die Mädchen. — In T'schella springt der Ziegenbock, wir tanzen. — So geht es fort. Seltsam berührt es, dass namentlich beim Tanzen, der lustigste Einfall nach der schleppendsten Kautschukmelodie, die gerade daran ist, durchgesungen wird. Bei anderer gemeinsamer Tätigkeit genügt als Text schon ein Wort, das zwischen allerlei sinnlosen Lauten wiederholt wird. Beim Rollen eines schweren Fasses Rum: Rum Rum da Rum o e o e viel Rum o e 0—0—0o e—e—e Rum da da Rum o e, wobei gejubelt und gejauchzt, das rollende Fass mit den Händen gepatscht wird. Ebenso beim Trans- port einer riesigen Seeschildkröte, eines erlegten Wildes. Die Art des Jauchzens erinnert an das Aussingen unserer Matrosen beim Heissen. Nur wollen diese, obschon nicht mit taktmässigem, sondern höchstens mit melodischem Akzent betonend, damit das gleichzeitige Ein- setzen der Kräfte regeln, unsere Rum- oder Fleischbeförderer dagegen nicht. Sie jubeln durcheinander, angeregt lediglich durch angenehme Vorstellungen über Trinken und Essen. Wenn die nämlichen Leute einen schweren Kahn auf den Strand schieben, singen sie nicht, sondern rufen, reden, spornen sich an und stöhnen oder fauchen nur bei jedem Ruck, indem sie den Atem ausblasen. Dabei fehlen die lustigen Loango. 3 114 Arbeiten und singen. Tiere als Musiker. Gedanken. Ganz so verhalten sie sich beim Tragen der Tipoja, sowie etwa mitgeführter unhandlicher Kofier, in flottester Gangart. Wenn sie jedoch Leute oder Wohnsitze passieren, jubeln und lärmen sie los — aber nicht im Takte des Trittes —, um zu prunken, um zu zeigen, was sie für un- ermüdliche Burschen sind. Ähnlich beim anstrengenden Rudern. Da keucht oder zischt bei jedem Druck der Atem, sonst sind sie still, er- zählen und schwatzen höchstens. Wenn sie aber anderen begegnen, wenn der Herr befiehlt, sonst jemand sie anregt, durch verheissene Belohnung fröhlich stimmt, dann legen sie los. Nun wird der Gesang ausnahms- weise taktmässig, wie es der einheitliche Paddelschlag erheischt. Andere gemeinsame Hantierungen: Bäume fällen, Gras roden oder absäbeln, Kähne oder Bretter behauen, Schleppnetze ziehen, verrichten sie unter Schreien, Schwatzen, Lachen oder schweigend, jedenfalls am. seltensten singend. Dagegen trugen ihrer fünf unter jauchzendem Ge- sange ein Äffchen durchs Lager, weil es ihnen zum Rösten geschenkt worden war. Beim Behacken des Feldes habe ich sie überhaupt niemals singen hören. Gelegentlich mag es eine Schar Arbeiter tun, zur Abwechslung, zur Kurzweil oder auf Gebot des Herrn. Auch Kara- wanenleute singen nicht auf dem Marsche. Hiermit stimmt überein, was ich anderwärts in Afrika, sowie in der Neuen Welt und in Ozea- nien, in den Polarregionen wahrnehmen konnte. Es ist allerwege wie bei uns: am seltensten wird Musik zur Arbeit gemacht, wenigstens nicht zu schwerer Arbeit, allenfalls zu leichter, indem man sich nebenbei ver- gnügen will. Nach alledem will einen bedünken, dass die Leute musizieren, ein- mal, weil es sich so gehört, wie beim Tanzen und bei manchen Ge- bräuchen, sodann hauptsächlich, weil es ihnen so ums Herz ist. Verfällt doch selbst ein warm werdender Redner ab und zu in den Redegesang. Die Förderung anstrengender Arbeitsleistung durch Musikmachen scheint doch eine spätere Zutat zu sein. Tiere musizieren vielfach, indem sie Gegenstände benutzen. Bekannt ist das Rollen, Trommeln oder Schnurren der Spechte mittelst des Schnabels und federnder Aststümpfe, wobei sie nicht selten verschieden tönende Knorren abwechselnd bearbeiten. In Jena kannte ich jahrelang einen Grünspecht, der gern auf einem lockeren Stückchen Blech am Simse einer Villa musizierte. Unser Gorilla taumelte und tanzte in kindlicher Ausgelassenheit, paukte die Brust, klappte die Hände und patschte mit Vorliebe auf tönende Hohlkörper. Eine daheim in Europa mit uns als Haustier lebende Meerkatze vergnügte sich an allem, was klang oder dröhnte; ein blecherner Ofenschirm, ein aufgespannter Regenschirm war Lieblingsinstrument. In der Wildnis habe ich Affen beobachtet, die dünne, straff gespannte Lianen durch Zupfen und Anspringen in Schwingungen Anfänge der Musik. Akkordgefühl. Fehler. 115 versetzten, offenbar, weil ihnen das Summen und Dröhnen, vielleicht auch das Zittern dieser natürlichen Saiten gefiel. Ahnliches wird auch Menschen beigefallen sein. Wahrscheinlich haben die Urmenschen geschrieen und gesungen, lange bevor sie sich mit Arbeiten plagten. Vielleicht haben sie gleich Kindern lustvoll gejubelt und leidvoll gegröhlt, ehe sie sich in Worten verständigten. Zuerst er- hoben sie ihre Stimme, klappten die Hände, trampelten mit den Beinen, dann verfielen sie auf Schlag-, Kratz- und Schüttelinstrumente: Stöcke, Splinte, Steine, Platten, Zacken, hohle Bäume und Früchte, Trommeln, Klappern, Schnarren, Ratschen; dann erfanden sie Schnippinstrumente, deren eingeklemmte Stäbchen oder Zungen surrten, summten, klimperten, hernach Blas-. und vielleicht zuletzt Saiteninstrumente. Die Reihenfolge kann freilich im allgemeinen wie im besonderen sehr verschieden ge- wesen sein, je nach Umständen. Bei unseren Eingeborenen fesselt vornehmlich die Harmonie ihrer Massengesänge. Sie haben schon Akkordgefühl, aber die Harmonie geht . gar oft in die Brüche, fast wie unser modernes Kunstlied oder Orchester- werk an zuviel Musik. Man weiss nicht, was sie wollen, was sie können. Recht bezeichnend ist, dass ein Kautschukmotiv, eine Tanzweise, keines- wegs stets mit einem befriedigenden Akkord schliesst, vielmehr beliebig abbricht, sobald der Text abreisst oder ein neuer Vorsänger auftritt, während ein Rudergesang voll ausklingt. Eine regelrechte Verwebung der Stimmen habe ich bei Afrikanern nie bemerkt, ausser wo sangeskundige Missionare wirkten, denen es wohl nirgends an gelehrigen Schülern fehlen würde. So trugen Hottentotten- kinder in dem Kirchlein an der Waltfischbai sehr schwierige Stücke recht gut vor. Von ferne hört sich ja so ein urwüchsiger und volltöniger, vielleicht von Hunderten ausgeführter gemischter Chor gar nicht übel an und täuscht kunstvolle Tonfügungen vor. Aber genaueres Aufmerken lehrt, dass die Stimmen, in verschiedener Toonhöhe einsetzend, sich durch- schnittlich parallel bewegen, dass leitereigene Akkorde die Hauptrolle spielen. Ausweichungen, Gegenbewegungen entstehen durch Zufall, durch Ungeschick, nicht Absicht. Besonders Veranlagte mögen es bei den be- kanntesten Weisen hin und wieder glücklich trefien. Da den meisten Stücken der straffe Aufbau mangelt, haben die Mitwirkenden sie nicht fest im Gedächtnis. Sie singen daneben, was sie vielleicht merken, aber nicht verbessern können, denn der Sang geht weiter, und oft ahnen sie nur, wie er weiter gehen wird. Überdies sind sie gänzlich ungeschult. Sie setzen falsch ein, tasten nach den Tönen, gleiten hin und her, nehmen tempo rubato, fallen auf Zwischentöne, die wir gar nicht in Noten schreiben können. Sie singen wie unsere Kinder, wie Erwachsene in Dörfern, die keinen ordentlichen Kantor haben. Das 8* 116 Moll und Dur. Urwüchsiges. gibt ein Gemisch von Schwebungen, gefälligen Akkordfolgen, greulichen Missklängen, wie man es daheim in Dorfschenken und Spinnstuben zu hören bekommt. Eben wegen dieser Unsicherheit der Sänger bleibt es meistens zweifelhaft, ob ein Stück in Moll oder in Dur zu nehmen ist. Das Tongeschlecht scheint den Leuten gleichgültig zu sein. Deshalb kann man nicht gut sagen, Moll sei oft nur ein missratenes Dur, und umgekehrt. Der nämliche Satz erklingt stundenlang bald so, bald so, und, wie bereits erwähnt, zugleich auch derartig abweichend in Tonfolge und melodischem Akzent, dass man nicht weiss, was man auf- schreiben soll. Nur der Phonograph vermöchte solche Leistungen genau wiederzu- geben, und sollte auch künftig keinem Forscher fehlen; derlei Unter- suchungen sind nicht minder wichtig als andere. Wer in Noten setzen will, ist von vornherein gebunden und muss sich bescheiden, aus der Mannigfaltigkeit der Melodie und aus dem Gemisch der Töne ein Mitt- leres zu bilden, was beinahe dem Unternehmen gleichkommen kann, die Klänge einer Äolsharfe aufzuzeichnen. Das Wichtigste geht verloren, indem Urwüchsiges und Eigenartiges schablonisiert wird. Aber wie soll man anders verfahren? Mir sind alle Versuche missglückt. Erschwert wurden sie noch durch das Missgeschick, dass der grösste Teil des Ge- sammelten, an Ort und Stelle mehrfach bearbeitet und heimgesandt, nach- her nicht aufzufinden gewesen ist. Hiedurch ging wohl das Beste ver- loren und wurde die Auswahl der Beispiele unliebsam beschränkt. Die Stimmen der Männer, die den gewöhnlichen Umfang haben, klingen gar nicht so übel; es gibt darunter ganz ansprechende Tenore und Baritone. Tiefen Bass habe ich nie gehört. Die Stimmen der Weiber klingen, wegen ihrer Höhe, nicht so gut wie die der Männer, vielmehr schrill, quäkend, kreischend. Altstimmen sind sehr selten. Dass Männer wie Weiber stets unschön durch die Nase sängen, lässt sich nicht behaupten, ebensowenig aber, dass sie edel zu nennende Töne hervor- brächten. Ihre Redekunst steht weit über ihrer Gesangskunst. Von dieser gibt die auf unseren Jahrmärkten betriebene Bänkelsängerei und unsere Kneipensängerei keine üble Vorstellung. Musikgeräte werden vielerlei gebraucht. Folgende zwei sind Weiber- instrumente: die Schnarre oder Ratsche — nkuimbi, plur. sinkuimbi — ist ein anderthalb Spannen langer gekerbter Stock, der endweise gegen den Leib oder zwischen Leib und Pfahl oder Wand gestemmt und mit einem Splint gekratzt wird. Die Schallfrucht — ntübu, plur. sintübu — liefert der Affenbrotbaum oder Flaschenkürbis, an beiden Enden be- schnitten und vom Marke befreit, wird sie abwechselnd unten gegen den Schenkel gestossen, oben mit der flachen Hand geschlagen. Das erzeugt einen dumpfen, matten Schall. Stimmlage. Musikgeräte. 117 Von Trommeln gibt es drei Arten: kurze oder Standtrommeln, kahn- förmige oder Trogtrommeln, die beide etwa unseren Kesselpauken ent- sprechen, und lange oder Rohrtrommeln. Sie sind sämtlich aus dem Vollen, aus einem Holzstück gearbeitet. Nur die Stand- und Rohr- trommeln sind mit Haut bespannt, die von Ziegen, manchmal von Anti- lopen stammt. 5 Die Standtrommeln — ngöma, plur. singöma —, wovon vier bis sieben zu einem Satz gehören und wieder Sondernamen haben, sind bis achtzig Zentimeter hoch, dreissig bis fünfzig Zentimeter weit. Sie werden auf die Erde gestellt und mit zwei leichten Klöppeln oder mit einem Klöppel und den Fingern bearbeitet. Man sieht sie nicht häufig, weil sie gewöhn- lich nur bei grossen Staatshandlungen verwendet, aber auch dann selten wirklich geschlagen werden. Sie sind mehr Prunkstücke, Erinnerungen aus der Königszeit. Die vollständig ausgehöhlten Rohrtrommeln — ndüngu, plur. sindüngu — werden am häufigsten, und hauptsächlich beim Tanzen und Zaubern benutzt. Sie haben die Gestalt von Kanonenrohren älterer Zeit, oft mit geschnitzten Henkelgürteln, Ringen und Mündungswülsten, messen gewöhn- lich zwischen anderthalb und drei, selten vier Meter und darüber, und sind am weiten Ende mit Haut bespannt. Der Trommler klemmt das Gehäuse wie ein Steckenpferd zwischen die Beine und bearbeitet es wie die Standtrommel mit Klöppel und Fingern, manchmal auch bloss mit den Fingern beider Hände. Die sorgfältig hergerichtete pergamentähnliche Haut wird bei beiden Arten der Trommeln nass über die Öffnung gezogen und in der Regel kurz hinter dem Rande mit eingetriebenen Holzpflöckchen, ab und zu auch mit Messingnägeln, befestigt. Des besseren Haltes wegen wird oft ein dünner Holzreifen in den umgeschlagenen Rand des Trommelfelles eingelegt. In der Nähe des Kongo wird die Haut der langen Trommeln vielfach in der jenseits des Stromes vorherrschenden Weise gespannt, nämlich mittelst Schnüren, die bis zum unteren Ende des Rohres ver- laufen. Nördlich vom Kuilu, besonders in Yümba, wird die Schnur- spannung vielfach auch bei Standtrommeln angewendet. Ein derber, etwa um die Mitte des Gehäuses laufender Schnurgürtel dient als Halt. Er stemmt sich gegen eine Verdickung des Holzes oder gegen einen angeschmolzenen Harzring oder wird durch untergekeilte Stockstücke festgehalten, wie ich es in Gabun, an der Koriskobai und in Kamerun gesehen habe. Das einmal angepflöckte Fell wird selten nachgestrafit. Daher haben die Stand- und Rohrtrommeln weder einen lauten noch guten Klang. Anders die kahnförmigen oder Trogtrommeln, die ihres Tones wegen besser Pauken zu nennen wären. Sie ähneln der Sprechtrommel der 118 Musikgeräte. Duäla in Kamerun, nur sind sie schöner geformt, weitbäuchiger, nach den mit Tragzapfen versehenen Enden verjüngt, und oft aufwärts gebogen. In der Regel messen diese Holzpauken — nköko und nkönko, plur. sin- köko und sinkönko — einen bis anderthalb Meter, doch kommen auch zwei Meter lange und entsprechend umfangreiche Riesenstücke vor. Ein solches besass eine uns benachbarte Bawümbu-Gemeinde. Es endete jederseits in einem fast natürliche Grösse habenden Menschenkopfe, dessen übermässig lang herausgestreckte Zunge als Zapfen diente. Inmitten und längs der Oberseite solcher Pauken öffnet sich der Schallschlitz, ein ziemlich enger Spalt, von dem aus der ganze Holzblock ausgehöhlt worden ist, und zwar derartig, dass die Wandungen beider Seiten ungleiche Dicke haben. Infolge dieser Einrichtung besitzen die Pauken, je nachdem die eine oder die andere Seite angeschlagen wird, zwei Grundtöne im Intervall einer Sekunde bis zu einer Quinte. Sie geben aber noch mehr, etwa fünf bis sechs reine Töne, wenn die Seiten nach den Enden hin angeschlagen werden, bis zum klanglosen Klappen. Der gute Ton verbindet die Weichheit des Holzklanges mit dem glocken- artigen und könnte auch in unserem Orchester nicht übel wirken. Machtvoll hallend ist er bei stillem Wetter auf gut sechs Kilometer zu vernehmen. Dieses als Dorfpauke wertgehaltene und nur von freien Männern zu bearbeitende Gerät ist nicht den Bafiöti eigentümlich. Es findet sich nach Norden hin selten, nach Süden hin häufiger, aber erst am Kongo nach dem Inneren zu allgemein verbreitet. Auch dient es nicht beim Tanzen oder Zaubern, sondern wird zur Einleitung grosser Festlichkeiten und um Zeichen zu geben mit zwei ansehnlichen Stöcken geschlagen, die aber nicht mit den Enden auftreffen dürfen. Wirklich gesprochen wird mittelst dieser Pauke nicht. Neben anderen waren in den unserer Station nicht fern gelegenen Bawümbudörfern folgende Signale üblich. Sie werden beliebig oft wiederholt; der Tanzruf ertönt in Pausen manchen Tag vom frühen Morgen bis zum Abend. Das Zeitmass ist ungefähr das eines lebhaften Marsches, wird aber von eifrigen Paukern, die sich auch sonst Variationen leisten, nicht streng eingehalten. Manchmal wird vor der Wiederholung eines Signales ein regelrechter Wirbel ein- geschaltet. Signal I bedeutet Gefahr und ruft alle Angehörigen der Gemeinde zusammen. Signal II verkündet das Abhalten eines Palavers. Signal III meldet, dass sich Fischschwärme am nahen Strande zeigen und dass man schnell zum Fange mit dem grossen Netze ausziehen will, wozu man alle Kräfte braucht. Signal IV gilt allgemein, auch anderen Gemeinden, und ladet zu grossen Tanzfesten ein. Musikgeräte. 11119) Signal I. : Zeuge NoNeN N B > NE INN = Sem en ra) ReeareraviEN IsEX Jen ja Sara pizrie } 8 = er ee Signal III —L 2_® | e—e De ee ers rrsererrn Signal IV. Natürlich kennt man noch andere Signale, die Besuch, die Ankunft einer Handelskarawane, eine Zauberei ankündigen, zur Arbeit wecken und was sonst noch mitteilen. In den Wohnsitzen von Zaubermeistern findet sich gelegentlich ein frei schwingendes Brettstück, wie es in meiner Jugendzeit auch noch in unseren Dörfern und auf Rittergütern gebraucht wurde, das mit einem dickköpfigen Klöppel bearbeitet wird. Sein geheimnisvoller Schall soll Eindruck machen. Demselben Zweck dient ein Fass ohne Boden oder ein grosses ausgehöhltes Stammstück. Eine Öffnung ist mit Fell bespannt, in dessen Mitte nach innen an einem verknoteten Strick ein gerauhtes Stäbchen hängt. Zieht man daran mit benetzter Hand derartig, dass sie entlang rutscht, so erdröhnt ein mächtiger Basston. Dieses Brumm- fass, unserem Kinderspielzeug, dem schnurrenden Waldteufel zu ver- gleichen, entstammt den Gebieten im Süden des Kongo. Ausserdem bringen manche Zauberer mittelst eines riesigen hölzernen Sprachrohres ein erschreckliches Gebrüll hervor. Dessen Wirkung wissen sie zu steigern, indem sie die Mündung des Gerätes erdwärts und himmel- wärts schwingen, gegen eine Hüttenwand richten oder in das Brummfass stecken. Gelegentlich wetzen sie auch auf einem grossen Stück Eisen herum oder klirren mit Ketten und schütteln meist aus Kalabassen ver- fertigte Rasseln. 120 Musikgeräte. Zwei Instrumente werden, so wie bei uns ausgetrommelt oder aus- geklingelt zu werden pflegt, zu Ankündigungen in Gemeinde- und Gau- angelegenheiten benutzt, und zwar gibt man mit ihnen mancherlei allgemein verständliche Zeichen. Sie gehören zu den Würdengeräten von Ober- häuptlingen. Das verbreitetste dieser Instrumente ist eine zweitönige, langen Kuhglocken ähnelnde, aus Eisen geschmiedete Doppelglocke — tschingöngo, plur. bingöngo. Sie wird mit einem Stäbchen geschlagen, dabei geschwungen, sowie ab und zu mit den Öffnungen gegen den Leib gestossen. Sie dient namentlich als Geleitszeichen für durchziehende Karawanen, wird mit einer gewissen Feierlichkeit und nur von erlesenen Freien behandelt. Sehr selten ist ein kleiner, viereckiger Schallkasten aus Holz. An einer Schnur vom Halse baumelnd oder um die Taille gegürtet, ruht das Gerät tief vor dem Leibe. Es mit zwei Stöckchen schnell, aber in wechselndem Takte bearbeitend, bringt man ein hartes, Tschingöngo, "/s n. Gr. ziemlich weit hallendes Klappern hervor. Dieses Gerät wird wohl aus dem Innern eingeführt sein, wo es mir bei den Bewohnern der östlichen Gebirgsteile häufiger auffiel. Für Kultuszwecke verwahrt man hier und da noch eine alte ein- fache Eisenglocke — tschindi, ndindi. Gleich anderem ehrwürdigen Eisengerät wird sie für heilig gehalten und noch stellenweise bei reli- giösen Handlungen alter Art verwendet. Noch zu erwähnen wäre eine kleine aus Holz geschnitzte nahe klöppelige Glocke — ndibu — für Jagdhunde. Ihr leichtes Geklapper soll im Dickicht das Wild aufscheuchen und die Jäger über die Bewe- gungen der Hunde unterrichten. Von Klimper- oder Zungeninstrumenten sind zweierlei anzuführen. Beider Hauptteil ist ein ausgehöhltes Holzstück, ein Resonanzkasten. Dieser hat bei dem kleineren Instrumente — nssänssa — gewöhnlich die Gestalt einer flachen Zigarrenkiste, oft mit gerundeten Kanten. Auf der Oberseite sind acht bis fünfzehn Eisenstäbchen mit ihren dünnen Enden festgeschnürt, während die breit gehämmerten Enden über einen Musikgeräte. 121 darunter geklemmten Steg hinausragen. Das Instrument wird frei gehalten oder mit einer Schmalseite an den Leib gelehnt. Hauptsächlich mit den Daumen gezwickt, geben die Zungen ansprechende, an die einer Spiel- dose erinnernde Töne. Genau abgestimmt sind sie nicht, können aber häufig, um den Klang auszugleichen, hin und her geschoben werden. In der Stille der Nacht, am Lagerfeuer, klingt das Geklimper recht anheimelnd, namentlich wenn die Nssänssa gut und der Spieler geschickt ist. Der grosse Klimperkasten — tschibüla und nyengo, auch yümba nyengo — ist meistens rundbäuchig und hat, statt der Eisenzungen, sechs bis zehn Splinte von Wedelschäften der Weinpalme, die surrende Töne von sich geben. Der Spieler, der die Tschibüla auf dem Schosse hält Nssambi und Nssänssa. oder auf eine beliebige Unterlage setzt, rappelt oft zugleich mit den Finger- knöcheln einer Hand auf der geräumigen Oberseite des Kastens. Ein wie die Tschibüla mit Splinten ausgestattetes Brettstück kann als Spiel- zeug betrachtet werden. Saiteninstrumente, und zwar mehrsaitige Harfen — nssämbi, plur. sinssämbi — gibt es eigentlich nur von einer Art, aber von verschiedener Grösse: von siebzig bis hundertunddreissig Zentimenter Länge. An einem Resonanzkasten, ebenfalls aus einem gehöhlten Holzstück, selten aus einer hartschaligen Frucht bestehend, sind drei bis sieben federnde Stäbe befestigt, die ebenso viele Saiten spannen, und unter sich meistens durch hübsches Flechtwerk versteift sind. Die Saiten, zähe Fasern von Palmwedelschäften, laufen von den freien Enden der Stäbe über einen Steg auf dem Resonanzkasten, und können gewöhnlich noch durch beson- dere verschiebbare Schlingen gespannt werden. Die Saiten sind nicht regelrecht abgestimmt, aber der Klang einer guten Nssämbi ist angenehm 1223 Musikgeräte. und traulich, an den einer matten Gitarre erinnernd. Die einfachste Form der Saiteninstrumente: der Bogen, dessen Sehne mit den Fingern gezupft, mit einem rauh gemachten Stäbchen geschlagen“) oder gestrichen wird — ngüngu —, findet sich noch als Spielzeug. Ausserdem kommt, freilich recht selten, eine Harfe vor mit festem dreieckigem Gestell, dem eine Kalabasse als Resonanzkasten dient. Dieses Instrument ist von den Wanderburschen Westafrikas, von den Krujungen, eingeführt worden, die dafür wiederum die Nssänssa mit nach ihrer Heimat genommen haben. An Blasinstrumenten sind ausser einfachen und doppelten Pfeifen von Rohr, Holz oder Antilopenhörnchen, die namentlich beim Zaubern wie Panpfeifen angewendet werden, zunächst folgende anzuführen: etliche Rohrflöten — mbämbi, plur. simbämbi und litütu, plur. matütu —, die Kugelflöte — ngünda, plur. singünda —, und die Elfenbeinhörner — mpündschi, plur. simpündschi. \ | \ UN IN ST Kugelflöte, Y/s n. Gr. Die Rohrflöten sind in etlichen Gegenden des Landes verbreitet und sollen in den Hinterländern der nördlichsten, wo, wie mein Junge spöttisch sagte, die Mäuler zu dick wären, teilweise als Nasenflöten gespielt werden. Sie klingen lieblich, pastoral, zumal des Abends, wenn ihre Töne aus verschiedenen Walddörfern zugleich erschallen. Die Kugelflöte habe ich im oberen Flussgebiete des Kuilu und in Yümba gefunden. Sie ist ein ganz eigentümliches Instrument, so eine Urform der Okarina, aus T'on gebrannt, oder aus einer runden Frucht verfertigt, von der (srösse eines Billardballes, mit zwei bis sechs Finger- *) Eine Bemerkung von Lopez, der vor drei Jahrhunderten in Niederguinea weilte, kann vielleicht auch für die Vorfahren unserer Eingeborenen gelten. Lopez berichtet, . dass die Leute mittelst einer Laute, deren Saiten sie schlagen, sich über alle Dinge zu verständigen, alle Gedanken wie mit der Zunge mitzuteilen vermöchten. Hierzu erzählte mir ein viel erfahrener Boer, Herr Botha, mit dem wir in Südwestafrika längere Zeit reisten, dass in den Kuneneländern verstreut lebende viehzüchtende Eingeborene sich heute noch allerlei mitzuteilen pflegen, indem sie mit dem Pfeil auf die gespannte Sehne ihres Bogens schlagen, dass sie ferner in der nämlichen Weise ihr Vieh leiten und locken. Mein Gewährsmann hatte das selbst oft genug beobachtet und konnte es mir vormachen. Musikgeräte. 123 löchern vor dem Blasloch. Man entlockt ihr leise und weiche oder ziemlich laute und harte Töne. Auf ihr werden, und das ist eine bemer- kenswerte Ausnahme, auch schnelle, allerdings nicht ganz taktmässige Weisen gespielt, wie die folgenden beiden. Kugelflöte. Schnell. I. Die Elfenbeinhörner sind kostbare, hoch in Ehren gehaltene, meist uralte Instrumente, die sorgsam umwickelt und eingehüllt aufbewahrt werden. Viele sind mit Schnitzereien bedeckt und haben vom Rauche in den Hütten eine edelbraune oder fast schwarze Farbe angenommen, Es gehören ihrer gewöhnlich vier zu einem Spiel, und jedes hat seinen besonderen Namen. Das kleinste ist etwa armlang, das grösste kann drei- und viermal so lang sein, so dass sein Bläser einen Mann zur Unter- stützung haben muss. Das schönste Stück, das mir zu Gesicht kam, besass Fürstin Mpüna in Yümba: obgleich am unteren Ende abgestutzt, mass es in gerader Linie doch noch zweihundertunddreissig Zentimeter. 1234 Musikgeräte. Elefantenzähne sind mühsam bis zum dünnen Ende ausgehöhlt, aber nicht oben, sondern etwas unterhalb der Spitze und an der Innenseite der Krümmung mit dem Mundloch versehen. Dort die Lippen ansetzend erzeugt der Bläser mächtig hallende Töne, die, obschon roher, an Po- saunenstösse erinnern. Die besten Spiele von je vier Hörnern klingen ziemlich gut zusammen, so dass ihre Bläser, wenn gut eingeübt, zwar barbarische, aber immerhin wuchtige, manchmal fast grossartig wirkende Tonstücke hervorbringen können. Diese Posaunen werden gewöhnlich bei den feierlichsten Gelegen- heiten hervorgeholt, namentlich bei grossen Palavern, wo es sich um ernste Dinge handelt, und kommen daher ziemlich selten zum Vorschein. Auf ihnen werden etliche kurze überlieferte Stücke vorgetragen. Da indessen die Bläser nicht oder nicht mehr, wie zur Königszeit, zünftig sind, und sich vorher kaum einüben, bleibt es oft beim guten Willen, und die Musik artet in ein grobes Tongetöse aus. Als Beispiel eines sanz gut gelungenen Stückes, einer Art Häuptlingswillkomm oder Eröff- nungsfanfare, bringe ich hier einen Satz, den ich bei einem grossen Staatspalaver gleich viermal hintereinander hörte und der an die ein- leitenden Takte von Schumanns Symphonie in B gemahnte. Freilich über- mitteln die Noten nur eine ungenügende Vorstellung von dem Gehörten. Aus dem Beispiel ist zu ersehen, dass nur das grosse Haupthorn wacker am Thema festhielt, während die übrigen Hörner gelegentlich absprangen und dazwischen dudelten. Es war darüber nur zu erfahren: so müsse es sein. Die Musikanten waren mit sich sehr zufrieden, obschon sie manchmal tüchtig daneben geblasen hatten. Sie rückten nachher auch noch auf unser Gehöft und brachten uns ein Ehrenständchen, wobei nur der gute Wille anerkennenswert war. Häuptlingsgruss. Langsamer Marschtakt. ee rn: Musikgeräte. rn @ ® - = | a | | a i = Tr -2= 8 -} = = Je 4 a Fr= - a ZZ e 6 908 a DES | nn na e “ | & @ Er si a } =) ® — > Dezzes | - Er = I |; - => iz | 126 Musikgeräte. Pfeifen. Es gibt noch zwei andere Blasinstrumente, die freilich nur selten gehört werden. Das eine ist ein grosses, wie die Eifenbeinhörner getu- tetes Antilopenhorn, dem dann und wann ein Zaubermeister einen lang- gezogenen, an unsere Nachtwächterhörner erinnernden, dumpfen Ton entlockt. Das andere stellt sich gelegentlich ein kunstsinniger Bursche her, indem er einen recht langen hohlen Blattstiel vom Melonenbaume (Carica Papaya) zurecht schneidet. Dieses Stück nicht von der Seite, sondern genau wie eine Trompete blasend, bringt er ein lustiges Ge- schmetter hervor. Zu erwähnen wäre noch, dass Knaben sich etliche Instrumente als Spielerei für den augenblicklichen Gebrauch herstellen. Wie unsere Jungen, wenn die Weiden in Saft schiessen, ein röhrenförmiges Baststück von einer Rute abziehen, an einem Ende dünn schaben und darauf fiepen oder fapern, so wird in Loängo ein Stück von einem zähen Grashalm in der nämlichen Weise benutzt. Ein eben solches Stück, woran aber ein Knoten als unterer Abschluss belassen wird, dient zur Herstellung einer schwachtönigen Pfeife. Es ist nur nötig, oberhalb des Knotens einen feinen Spalt zu schlitzen und ins offene Ende hineinzublasen. Die Spaltränder, von der entweichenden Luft in Schwingungen versetzt, erzeugen einen matten Ton. Mancher Knabe oder Bursche weiss auch auf einem gefalteten Blatte oder Borkenstückchen, das er in den Mund schiebt, zu pfeifen oder zu zwitschern. Gewöhnliches Pfeifen, mit den Lippen, hört man selten; es gilt für unpassend, könnte auch Unholde reizen und allerlei Missgeschick verursachen. An der Küste segelnde Eingeborene pfeifen jedoch in bekannter Weise dem Winde und streichen dabei Mast oder Tauwerk, Das dürften sie von Europäern gelernt haben, ebenso das gellende Pfeifen auf den Fingern, das Tipojaträger gelegentlich anwenden. Die Gesänge begleiten folgende Instrumente: den Chorgesang beim Tanzen die Rohrtrommeln, die Einzelgesänge der Weiber die Schnarren und Schallfrüchte, die Einzelgesänge der Männer die Harfe und manch- mal der Klimperkasten. Harmonische und rhythmische Begleitung wird nicht erstrebt. Da nicht taktmässig gesungen wird, da Töne und Ton- gruppen willkürlich bald lang bald kurz genommen werden, zwänge ich die Beispiele nicht in unsere gewohnte Taktteilung ein. So kommt das Eigenartige besser zur Geltung. Die Einzelgesänge, ansprechender als die Mehrzahl der Chorgesänge, oft mit hübschen Wendungen, bestehen durchweg aus kurzen Sätzen, die Männer oder Weiber mit halber Stimme und dann öfters näselnd vor sich hinsingen, oder die Männer, des Abends am Feuer sitzend, endlos wiederholen. Häufig wird den Tönen gar kein Text untergelegt. Hier sind einige dieser Weisen. ‚Weise des Singens. 197 [& FE II. SF Ser S==S VI EI SD = een Ksszsssrres I VII. VII. BGE Sure Kesterzre Die Eigenart der beim Tanzen im Chor gesungenen Weisen ist bereits ausführlich besprochen worden. Es sind meist schleppend und willkürlich in Tönen vorgetragene Einfälle. Beispiele sind die hier ein- geschalteten drei Tanzgesänge, in Tonfolgen, wie sie am häufigsten heraus- zuhören waren. Das dritte Beispiel soll einen Begriff von der Klang- wirkung geben, soweit das eben möglich ist. Unbekümmert um Richtigkeit in unserem Sinne wechsele man beliebig mit den Intervallen, dehne und 128 Weise des Singens. kürze, verdoppele und überspringe man Tongruppen, dann hat man, was die urwüchsigen Chöre aus solchem Satze machen. Dazu Trommelschläge, die für sich taktmässig geschehen, Händeklappen und Körperbewegungen, die sich an keinerlei Rhythmus binden. Wie schon bemerkt, hört der Sang ' an beliebiger Stelle auf, sobald der Text zu Ende ist; auf einen befrie- digenden Schlussklang kommt es nicht an. Tanzgesang I. Mädchenchor. Tas Tanzgesang II. Gemischter Chor. 9- 59 9-9 —8 = 2-98 2 — ee ee zes: re Fern Tanzgesang III. Gemischter Chor. un e 9 En nr u 9 BEsEgpagegiejs ers ! Se Weise des Singens. 129 Die kleinen Noten in den Beispielen bedeuten ein für alle Chöre charakteristisches Glissando aller Stimmen, wobei besonders gellend heraus- klingen die hohen der Weiber, die sich auf diese Weise nach oben über grössere Intervalle hinweghelfen. Die Stimmen nehmen die Zwischen- töne, oder versuchen sie zu nehmen, um aufwärts zu einem den Sängern wünschenswerten Tone zu gelangen. Manche erreichen diesen nicht, manche eilen darüber hinaus, auch steigen nicht alle gleichzeitig von Stufe zu Stufe. Hierdurch entsteht eine Klangmischung, die eher ein schrillendes Kreischen als noch Gesang zu nennen ist. Totenklage. Rezitativ und gemischter Chor. Fast grausig berührt dieses Glissando, wenn ein starker gemischter Chor die merkwürdige Totenklage anhebt. Es ist Nacht. Schweigend liegt die Savanne. Beim Scheine des Mondes und grosser flackernder Feuer tanzen auf einem gesäuberten Platz neben dem Grabe eines jüngst Loango,. 9 130 Weise des Singens. beerdigten hohen Häuptlings Hunderte von Leuten, alte und junge Männer und Weiber. Viele Trommeln rasseln. Ein Mann oder Weib tritt mit erhobenen Armen aus dem Gewühl und singt irgendein Rezitativ. Der volle Chor nimmt den Text auf, dass die wild feierliche Weise weithin durch die Wildnis schallt und das Schrillen einem durch Mark und Bein dringt. Wieder Rezitativ, wieder Chor, bald kurz, bald lang ausgesponnen, bis Mann oder Weib mit einem neuen Rezitativ auftritt. So geht es fort bis zum Morgengrauen. Nur grosse Häuptlinge werden in solcher Weise geehrt, und zwar nicht bloss von ihren eigenen Leuten, sondern auch von den Bewohnern umliegender, oft stundenweit entfernter Gebiete. Grabtänze sind Volks- feste im vollen Sinne des Wortes. Die Leidtragenden versammeln sich in vereinbarten Nächten an der Grabstätte, tanzen und singen in der nämlichen Weise. So wird es möglich, die Totenklage am gleichen Orte vielmals anzuhören. Sie steht hier, wie sie nahe bei Tschintschötscho gesungen wurde, und zwar in einer Schreibweise, die, so gut es angeht, eine Art ihrer Klangwirkung verdeutlichen soll. Nicht zu vergessen ist, dass Harmonie und oft genug auch Melodie mannigfaltigen Veränderungen unterliegen, wozu auch Entgleisungen gehören. Ausnahmsweise singen auch Männer allein im Chor, ohne stets zu tanzen. Dies geschieht, wenn eine Handelskarawane oder ein Reisegefolge von irgendeinem Ereignisse begeistert worden ist. Die Leute, mögen sie noch so weit marschiert sein, feiern dann ein Nachtfest mit Gesang, im Dorfe mit Tanz, im Lager wenigstens mit Klopfbegleitung, die öfters zum Lagerchor I. Be Lagerchor II. Krrterhr taktmässigen Vortrag führt. Gewöhnlich handelt es sich, wie beim Einzel- gesang, um kurze Sätze, wovon hier drei als Beispiele folgen. Wehe dem Europäer, der bei Lärm nicht schlafen kann. Als unser erstes Flusspferd geborgen war, schwelgten unsere Leute in Fleisch und Musik. Wir lagerten im dichten Uferwalde. Allenthalben dörrten und schmorten auf Hürden über kleinen Feuern die Fleischmassen. Wer nicht gerade schürte oder den Magen nachfüllte, begleitete den Lagerchor III nach Kräften. Der eine bearbeitete mit zwei Klöppeln ein dünn gespaltenes und hohl gelegtes breites Holzstück, der andere Weise des Singens. 131 Lagerchor III. Be em Sn Sr se eh, hielt ein ähnliches an seine Schulter gelehnt und schlug mit einem Stock darauf; andere patschten mit den flachen Händen auf Kisten und Koffer oder trommelten mit Hölzchen und Fingern auf Kessel, Pfannen, leere Konservenbüchsen. So ging das Gejohle und Gelärme ununterbrochen fort. Als wir am Morgen erwachten, waren die Dauermusikanten noch immer an ihrer Melodie tätig, zwar ziemlich heiser, aber keineswegs sangesmüde. Sie hielten noch eine Nacht aus, bevor sie wieder einmal ordentlich durchschliefen. Bis dahin war aber auch das Flusspferd be- sorgt und die Begeisterung dem Magendrücken gewichen. Die Ruderlieder sind genau der Tätigkeit angepasst, straff in Me- lodie und Rhythmus, ganz gleich, welche Worte oder Laute ihnen unter- gelegt werden. Sie klingen, auch wenn falsch intoniert, sehr hübsch, jauchzend, und wecken das Echo der Uferwälder. Man meint ein ganz anderes Volk singen zu hören. In der Regel beginnen die Ruderer langsam, beschleunigen dann die Paddelschläge nebst Gesang allmählich bis zur grössten zulässigen Geschwindigkeit und brechen mit einem jube’nden Schlussakkord ab. Gesang und Ruder ruhen, bis der in vollen Schuss gebrachte Kahn zu laufen aufhört. Dann wiederholt sich das Spiel. Ruderschlag und Anfang des Taktes fallen zusammen. } Ruderlied I. Bänya. Ich teile hier drei dieser Gesänge mit. Der erste wird stets im Chor gesungen und besteht eigentlich aus zwei Sätzen, wovon der zweite auch für sich allein vorgetragen, vielleicht ebenso oft aber dem ersten, vielmals wiederholten, als einfacher Schluss angehängt wird. Die beiden anderen Ruderlieder vom Tschiloängo werden in abweichender Weise 9%* 1323 Singen. Kriegsgeschrei. Keine Schriftzeichen. Id ausgeführt. Nur ein Sänger übernimmt die Melodie, einige Kameraden fallen gelegentlich mit ein, die übrigen begleiten mit Brummstimmen im gebrochenen Dreiklang. Den Schluss bildet ein von allen mehr gebrüllter als gesungener, mit dem bereits geschilderten Glissando verbundener Akkord oder Jauchzer. Ruderlied II. Tschiloängo. er EEE Ruderlied III. Tschiloango. N He ie ee En Ab und zu geht der Jauchzer in das Kriegsgeschrei über, in ein erschütterndes gellendes Wiehern, das eine Reihe Töne, etwa eine halbe Oktave, abwärts durchspringt. Dieses Kriegsgeschrei, oft verschärft durch Anschlagen der Hand vor den Mund, ist ziemlich übereinstimmend allen Wilden, war einst vermutlich der ganzen Menschheit eigen als ein Ur- drohlaut. Wir können es heute noch musterhaft daheim bei Volks- belustigungen und besonders an Aushebungstagen in Garnisonstädten hören“ —- Die Bafiöti haben weder eine Schrift noch irgendwelche Zeichen, die bestimmte Worte oder Sätze oder Zahlenwerte bedeuteten und allen verständlich wären. Was man dafür halten könnte, sind Spielereien, ver- einzelte Ornamente, Zauber- und Schwurzeichen, Eigentumsmarken oder Bundeszeichen. Der eine oder andere verwendet allerdings zur Unter- stützung seines Gedächtnisses etliche selbst erfundene Zeichen statt des Kerbholzes, der Stäbchen, Halmstücke oder Knoten. Eigentumsmarken an allerlei Geräten sind nicht allgemein gebräuch- lich. Manche bestehen aus kurzen geraden Strichen, die parallell, zick- zack, radiär geordnet oder zu Kreuzen, offenen und geschlossenen Dreiecken zusammengefügt sind. Dazu kommen angesetzte Nebenstriche sowie umschriebene oder eingeschriebene Kreise. Häufiger sind Marken, die Gegenstände oder Lebewesen und deren Teile vorstellen: Pulverhorn, Marken. Wegeangaben, Himmelskunde. 133 Messer, Pfeife; Hand, Auge, Gehörne; Eidechsen, Schlangen, Fische, Vögel und Fabelwesen, wie sie auch die Kunsterzeugnisse schmücken. Über den Zusammenhang solcher Zeichen mit dem Totemismus, und warum ich solche und andere Zeichen hier nicht bildlich wiedergeben kann, wird später gehandelt werden. In Auskünften über Entfernungen sowie über geographische Dinge im allgemeinen sind die Bafıöti, trotz ihres ausgezeichneten Ortssinnes, so wenig zuverlässig wie etwa unsere Landleute. Unter sich scheinen sie derlei Angaben nicht weiter zu besprechen. Denn Zeit und Ent- fernungen spielen bei ihnen überhaupt keine Rolle, und wer gereist ist, erzählt wohl. von Erlebnissen, von Menschen, Fabelwesen, von Hunger und Not, aber kaum vom Verlaufe des Weges und der Zahl der Marsch- tage. Das sind Geschäftsgeheimnisse, die man erst recht für sich behält, wenn man sie genauer kennt. So fehlt es an jeglicher Übung, dem fragenden Fremdling gerecht zu werden, Willige Leute geben sich schon Mühe. Da verfallen sie denn von selbst darauf, den Weg strichweise in den Erdboden zu reissen, die Richtung durch die auf- oder untergehende Sonne zu markieren, indem sie kleine Kreise neben die Wegstrecken setzen. Flüsse deuten sie an durch geschlängelte Linien, Stromschnellen und Wasserstürze durch kurze mehrfache Querfurchen, Berge als Landmarken durch Profilbilder, die oft recht kennzeichnend ausfallen. So hat uns ein gereister Mann den die Hauptdurchbruchsstelle und Stromschnelle des Kuilu überhöhenden schartigen Berg so treffend gezeichnet, dass wir ihn schon von weitem festlegen konnten. Alles übrige beschreiben sie mündlich. Auf Zureden geben sie zwar die Schlafplätze am Wege durch Punkte, Kreuzchen oder Kreuzkreise an, sind aber dabei nicht immer sicher. — Zum Schlusse noch die Vorstellungen über Himmelserscheinungen sowie über die Art der Zeitrechnung. Anfänglich will einem bedünken, als ob sich die Leute um meteoro- logische und astronomische Dinge kaum kümmerten. Später ergibt sich, dass man ihnen auch in dieser Hinsicht zuwenig zugetraut hat. Der gestirnte Himmel ist ihnen keineswegs gleichgültig; was sich an ihm voll- zieht, hat mancherlei zu bedeuten. Zudem ist für sie die Witterung so wichtig wie für unsere Landwirte. Ihre Wetterpropheten und Regen- macher verstehen zu beobachten und sammeln Erfahrungen. Sie wissen, dass die Zenitalregen mit der Sonne wandern, dass sie ungefähr ein- setzen und aufhören, wenn der Mensch um die Mittagszeit in seinen eigenen Schatten tritt. Die Himmelsrichtungen bestimmen sie nach dem Gange der Sonne, wo sie aufsteigt, untersinkt, wo sie während der Regenzeit im Süden, während der Trockenzeit im Norden am fernsten steht. 134 Himmelskunde. Sie unterscheiden matüti ma pemba, die weissen Federwölkchen und Schäfchen; matüti ma möngo, die schönen Haufenwolken; matüti ma nümbi, schweres, drohendes Gewölk; matüti ma mvüla, die grauen, Regen bringenden Schichtwolken; butütu und butschitschi, Nebel und Nebel- regen; muissi, Dunst, Rauch; tschimi, Tau. Morgen- und Abendröte: matüti ma tükula, rote, farbige Wolken. Sonnenstrahlen, die gleich Bündeln oder Lichtbalken durch Lücken des Gewölkes dringen — bei uns heisst’s: die Sonne zieht Wasser —, sind mälu ma ntängu, Sonnen- beine Nküngulu ist der teilweis ausgebildete, tschiäma tschi mvüla der volle Regenbogen, dessen Erscheinen sie ganz richtig mit Sonne und fallenden Tropfen verbinden. Doch erzählen sie auch, der farbige Bogen bilde eine Brücke zwischen Himmel und Erde, die einst benutzt worden sei, oder, eine ungeheure Schlange bäume sich auf, sauge hier Wasser, speie es dort aus. Liefe man dahin, wo der Bogen die Erde berührt, so könne man allerlei gefährliche oder gute Sachen auflesen, darunter blanke Messingbecken, auch Massen von Kopalharz. Hungrige Busch- leute hätten einst an solcher Stelle einen Klumpen gefunden, der wie Maniokteig aussah, sie hätten davon gegessen und wären samt und sonders gestorben. Sein Glück mache dagegen, wer ein blankes Messing- becken finde. Es biete ihm jederzeit Speise und Trank nach Wunsch und heile sogar durch Berührung alle Krankheiten und Gebrechen. Blitze — nsässi, plur. sinsässi, das Wort gilt öfters für Blitz und Donner — fallen als Steine oder Eisen, und werden vielfach für fehl- gegangene Jagdgeräte von Himmlischen, in Erzählungen sogar als Jagd- hunde gedeutet. Wetterleuchten — lusiemu, plur. sinsiemu — ist Feuer- schein hinter Wolken, wo Feuer aufgeschürt wird; nach anderen kommt der Schein von den Blitzen. Tschidumu, plur. bidümu, heisst der Donner- schlag, das Schmettern und Krachen, mvülumvu und mvilümu das ferne Donnergrollen, auch einfach bümina, Getöse, Lisülu, selten hielu, ist der Himmel, das Firmament, was zu Häupten ist. Mit liilu — builu die Nacht — wird vorzugsweise der Sternhimmel, mit mbündi, etwa im Blauen, der Taghimmel bezeichnet. Luelu ist die Luft, die man atmet, die Atmosphäre, und mp&mu die in Bewegung ge- ratene Luft, der Wind. Um die Leute recht zu verstehen, ist nicht zu vergessen, dass sie nur eine beschränkte Weltkenntnis haben. Ihr Land, ihre Scholle ist ihnen nicht bloss ihre Heimat, sie ist ihnen überhaupt die Erde. Über ihnen wölbt sich ihr Himmel; ihnen scheinen ihre Sonne, ihr Mond, ihre Sterne. Andere mögen anderes haben. Alles zusammen: Himmel, Ge- stirne, Luft, Erde, Gewässer, Pflanzen, Tiere, Mitmenschen, Vorfahren, bildet ihre Welt, das All: nsä, mit dem obersten Herrn Nsämbi, und ohne das, was zu Häupten ist, ihre ganze Erde: nssi össo; bloss das, was Himmelskunde. 135 lebt und sich bewegt, ist mütu. Ein mächtiger Häuptling, der auf alle die Seinigen und das Seine hinweist, spricht im Hochgefühle des grossen Herrn ebenfalls von nsä. Und wenn irgendwo recht viele Menschen bei- sammen gewesen sind, so sagen die Leute übertreibend: mütu, wie wir: alle Welt war da. Libümba wird der Rundschein, Hof oder Ring um Sonne oder Mond, recht leuchtend auch tschiäma genannt. Strahlt er auffällig glänzend um die Sonne, so spricht man von einem mkänu a ntängu, von einem Sonnenpalaver oder Sonnengericht, und meint, es sei eine Beratung bei Nsämbi, dem Herrn und Schöpfer, ob ein Grosser unter den Menschen abzurufen sei. Vor dem Tode eines Ma Loängo, des Oberkönigs, soll stets ein grossartiges mkänu a ntängu zu sehen gewesen sein. Die Sterne sitzen an etwas Festem, oder sind die Augen Nsämbis, oder sind Löcher, durch die Lichtschein strahlt. Diese Öffnungen hat der Specht gemeisselt. Das begab sich folgendermassen: Die Spinne spann einen langen, langen Faden; den Faden nahm der Wind und trug ihn zum Himmel. Am Faden haspelte der Specht empor und pickte die Löcher in das Gewölbe. Ihm folgte der Mensch und holte das Feuer zur Erde. Nach anderen Angaben fand er das Feuer, wo feurige Tränen vom Himmel gefallen waren. Die Milchstrasse heisst lulombe lu mböta, die Sternenstrasse. Lu- lömbe, plur. sindömbe, ist ein breiter, für grosse Feierlichkeiten durch Gras, Busch und Wald geschnittener Weg, der, nachdem er eingeweiht worden ist oder seinem Zwecke gedient hat, auch nssämbi (Hinweis auf Musik, Spiel, Volksbelustigung) genannt wird. So wie die Menschen an einer solchen Prunkstrasse zusammenlaufen, weil da viel zu sehen ist, so am Himmel die Sterne. Oder: Der lulöombe lu mböta ist der Weg für den Leichenzug eines ungeheuren Sternes, der einst grösser als die Sonne am Himmel leuchtete, womit wohl ein Komet gemeint ist. Auch heisst es noch: Es ist der Weg, auf dem Sonne und Mond einen Wettlauf unter- nahmen. Sternschnuppen sind tschinkenye, plur. binkönye. Sie werden gewöhn- lich für ivrrende Seelen gehalten, teils mutwillig, wobei auf gewisse Vor- gänge im Weibe angespielt wird, für junge Sterne ausgegeben, teils werden sie als von einer gewissen Ndösu kommend betrachtet, aus deren Leibe hervorgegangen sein soll, was den Himmel schmückt. Auch wird erzählt, im Himmel hätte es einst so heftigen Streit gegeben, dass die Sterne nur so herumgeflogen wären, was wohl auf einen lebhaften Stern- schnuppenfall zu beziehen ist. Von Sternbildern werden unterschieden : das falsche südliche Kreuz (III 117) als nküfu, Schildkröte; der glitzernde Skorpion als nyoka, Schlange; die Plejaden als sinöna, Ameisen; der ganze Orion als mfi, 136 Venus. Sonne. Mond. Stammesvater. Fisch, sein Gürtel aber auch als Leine des Jägers, der den Hund führt. Sirius ist der mböta mvüla, der Regenstern, weil, solange er sichtbar ist, die Zeit der Niederschläge währt. Dass etliche auffällige Sterne am Himmel wandern, ist den Leuten ebenfalls bekannt. Den Jupiter nennen sie mböta nene oder grossen Stern. Die Venus halten sie für zwei Ge- stirne. Als Abendstern ist sie die Strahlende, hauptsächlich aber die mkäsı ngönda, die Mondfrau. Als Morgenstern heisst Venus lümbi ngönda, was sich zwiefach verdeutschen lässt, nämlich als Ausluger, Spion des Mondes, oder als falscher Mond, als Täuschungsmond. Da in den Gleichergebieten die Mondsichel wagerecht schwebt, wie ein Kahn, können Venus und Neumond in günstiger Konstellation einen ebenso auffälligen wie schönen Anblick darbieten, der noch erhöht wird, wenn auch der Jupiter günstig steht. Die Sonne heisst ntängu, der Mond ngönda, Sonnenschein münya, münyi und muinyi, Mondschein muöse. In dichterischem Sinne gebraucht ein Redner den Ausdruck münya-muese als Bezeichnung für die von Sonne und Mond beschienene Heimat. Als gute Beobachter wissen auch unsere Eingeborenen, dass das Wachstum der Pflanzen hauptsächlich stattfindet, wenn das Tagesgestirn zu Rüste gegangen ist, dass des Nachts die Gewächse spriessen. So regiert nach ihrer Meinung der Mond nicht bloss das Wetter. Ihn, der die Nächte erhellt, ihn, den kühlen und ver- änderlichen, besonders den zunehmenden Mond, nicht die ewig gleiche und dörrende Sonne, bringen sie in Verbindung mit befruchten, wachsen und gedeihen, mit leben und sterben. Daher ihre Weise der Feld- bestellung, die Freude am Neumond, dessen Anrufen durch junge Frauen — gedacht sei unserer Hochzeitsregeln, sowie der Madonnen mit der Mondsichel —-, die Mondscheintänze. Bei Vollmond tanzt halb Afrika. Musse ist demnach der alles fördernde, der erzeugende Mondschein, Ebenso heisst auch die Rodung, wo der Boden zum Bepflanzen abge- räumt worden ist. Schliesslich ist muösi, bei Anrede und Hinweis auch einfach si, ein Ausdruck für den Familien- und Stammesvater, kurzum für den Erzeuger mit dem mssöte, dem der lümi entquillt, als Sinnbild und Ahnenbild auch in Gestalt eines Stockes, einer Keule. Den Vorfahren ehrt man, seiner grossen Nachkommenschaft wegen, mit dem Beinamen Mpüngu: der Urkräftige, Leistungsfähige, Grosse, Mächtige, Erhabene, fortwirkend in allen Abstammenden. Sogar einen Lebenden ehrt man mit diesem Titel um seiner Verdienste als muösi willen, während man im Gegensatz einem anderen, Kinderlosen, mit grimmem Humor den Spottnamen mupüki anhängt, der etwa Versager bedeutet und abgeleitet ist von kupüka: Abbrennen, nutzloses Verpuffen des Zündkrautes von der Pfanne des (Grewehres. Münya-muese.. Erzählungen. 137 In allem diesem weist manches hin auf das viel berufene ostafrika- nische Mondgebirge, auf das Mondland, erinnert an Unyamwesi, wie wir es englisch schreiben, und an das Herrschergeschlecht Muösi, das vom Monde abstammen soll. Es dürfte für das Ostland das nämliche wie für das Westland sowie für andere Länder gelten, wo Bäntustämme hausen: Münya-muese ist eine poetische Bezeichnung für die von Sonne und Mond beschienene Heimat, und Muesi ist ein Stammvater. Über Himmel und Erde, Sonne und Mond wird vielerlei erzählt, was sich leider nicht gut zusammenreimen lässt. Es ist ja Glückssache, richtige Quellen zu finden und Lücken zu füllen. Hier zunächst Einzel- heiten, mit denen ich wenig anzufangen weiss: Der Mensch und die Menschen, der Schöpfer, ein Weib oder eine Gebärende, der Feuer- bringer, ein hinkender, Metalle formender Fremdling. Schlaf, Hunger, Krankheit, Tod. Nebel oder dunkles Gewölk oder der Himmel, der finster auf der Erde lag, sie drückte, bis jemand oder etwas ihn lüpfte und immer höher schob, wodurch es hell wurde. Eine Zeit, wo die Sonne immerzu leuchtete, bis (wieder?) Schweres und Dunkles sich nieder- senkte und den Tag bedeckte, worauf ein Ausdruck für Nacht oder Finsternis: lufüku — von kufüka bedecken — hinweisen mag. Eine Zeit mit beängstigend kurzen Tagen, weil die Sonne zu schnell lief, bis sie gezwungen wurde, langsamer zu gehen. Eine Zeit, wo der Mond immer im vollen Glanze strahlte und die Menschen den Schlaf, wohl auch Not und Tod nicht kannten, bis dem Monde etwas zustiess und er wurde, wie er jetzt ist, sterbend und wieder auflebend,' von der Sonne weg und wieder zu ihr hin gehend. Bei einer Gelegenheit hat er Asche ins Gesicht gekriegt. Umherschweifende Seelen scheuen die Sonne. Vollständiger sind einige andere Angaben. Sonne und Mond spielen Haschen. Der Mond holt die Sonne ein. Dagegen kann die Sonne, wie sehr sie laufen mag, den Mond nicht einholen. Man sieht den Mond mit der Sonne am Tage, aber man .sieht niemals die Sonne mit dem Monde in der Nacht. Eine andere Fassung meldet: Als die Sonne daran war, den Mond einzuholen, sprang der in eine Vertiefung und deckte sich zu; die Sonne lief über sein Versteck weg, trat ihm aber ins Gesicht, und davon hat er die Flecke. Die Sonne merkte, wie der Mond sie überlistet hatte, und machte es ihm das nächstemal nach. Da wurde es dunkel und der Mond konnte die Sonne nicht finden, oder, er schien nun für sich allein. Des Abends sinkt die Sonne in das Meer, des Morgens steigt sie wieder herauf, vielleicht aus einem Loche in der Erde. Durch das Ein- tauchen in den Ozean schwillt das Wasser an, so entstehen die Gezeiten. Dagegen hat die mächtige Brandung, die oft auch bei Windstille die 138 Zeitrechnung. Küste schlägt, mit dem Tagesgestirn nichts zu tun. Sie kommt vom Winde, der bläst oder anderswo geblasen hat, Während einer partiellen Sonnenfinsternis, die ich an der Loängo- bai beobachtete (III 102), entstand keinerlei Aufregung. Der Vorgang wurde gar nicht bemerkt, bis ich Leute aufmerksam machte. Nun stiessen sie Rufe der Verwunderung aus und staunten die deutlicher werdende Erscheinung an, wussten sie aber nicht zu erklären. Endlich fand sich eine alte Frau, die sich entsann, dass etwas die Sonne aufessen wollte, welcher Gedanke als höchst merkwürdig und lächerlich befunden und mit schlechten Witzen belohnt wurde. Von besonderer Wichtigkeit ist für unsere Eingeborenen der fun- kelnde Sirius, der mböta mvüla oder Regenstern. Er bildet mit dem Orion das glänzende Wahrzeichen der Regenzeit und zugleich den Merk- stern für ihre Zeitrechnung. Da diese synodisch ist, nach Neumonden zählt, müsste sie sich arg verschieben, wenn nicht der Sirius das Mittel böte, sie siderisch zu berichtigen. Wir finden demnach in Loängo Spuren ältester Priesterweisheit des Orients. Nur ist das nicht so zu verstehen, als ob die einheimischen Sterndeuter etwa wissenschaftliche Einsicht besässen. Es geht vielmehr ganz einfach zu. Wie unsere Jäger vom Schnepfenstern reden, aber schwerlich alle wissen, dass es der Sirius ist, noch weniger, was synodische und siderische Zeitrechnung ist, so halten sich die Bafiöti an ihren funkelnden Regenstern, weil er, wie unseren Winter, so ihre Hauptjahreszeit kennzeichnet, wo Niederschläge fallen und Nährgewächse sprossen. Mit dem ersten Neumond, der den im Osten aufsteigenden Sirius anblinkt, beginnt ihr neuer zwölfteiliger Mondzyklus, der, so gut es gehen will, bis zum neuen Jahre laufen muss. Wird dann der Anschluss, Gegen- schein von Sichel und Sirius, nicht erreicht, was ungefähr alle drei Jahre geschieht, so muss ein dreizehnter Monat eingeschoben werden.”) Dann ist sie gekommen, die unheimliche, die böse Zeit — bilümbu (bi) mbi, auch mpängu oder tschimpängu genannt, wegen des dem Volke auferlegten Bannes —, wo die schweifenden Seelen es am allertollsten treiben. Diese Tage, besonders die zweite Hälfte des Monats, während der Mond stirbt, sind, oder waren doch zur Königszeit, durch merkwürdige Fetischgebräuche ausgezeichnet. Dazu liess der König jedesmal als Zeit- marke einen zugerichteten Merkpfosten oder @edenkbalken in die Erde *) Es scheint, dass die Sterngucker des Königs an einem später zu erwähnenden, noch heute bemerkenswerten Wäldchen beobachteten, das binnenwärts von der Loängobai auf einem Hügel liegt. Ferner, dass sie unter Umständen sich auch zu helfen wussten, indem sie den Mond, vielleicht bei bedecktem Himmel, etliche Tage alt werden liessen, wodurch sie ein paar Stunden für das Aufsteigen des Sirius gewannen und den gefürch- teten dreizehnten Monat auf den Ablauf des nächsten Jahres verschieben konnten. Zeitreehnung. 139 setzen, nach anderen auch einen Elefantenzahn aufstellen und schnitzen, der mit anderen späterhin zum Schmucke seines Grabes diente. Die unheilvolle Zeit, der dreizehnte Monat war überstanden, sobald endlich der junge Mond erschien, der nun sicherlich den inzwischen höher gestie- genen Sirius anblinkte, und als Erlösungszeichen jubelnd begrüsst und regelrecht angeschrieen wurde. 3 Dieser Brauch verliert sich ebenfalls; wir haben ihn nicht beobachtet. Überhaupt wird die Sache dem Volke gleichgültiger. Man kümmert sich nicht mehr sonderlich um das Ordnen der Zeitrechnung, da längst kein König mehr regiert, da europäische Einflüsse zunehmen. Vielleicht kann schon nach einem Menschenalter niemand mehr verlässliche Auskunft geben. Die meisten Leute können nicht alle Monatsnamen aufsagen und behelfen sich mit den Monden, die in die Regenzeit fallen. Für weiteres verweisen sie auf ihre klugen Männer, die das und mehr wissen. Die Benennungen der Monate lauten nach Lage der Gebiete und der davon beeinflussten Lebensführung recht verschieden: Monat des Harrens, der kleinen Regen, der Trockenheit, des Bannes, der grossen Regen, des Wassers, der Männer, der Frauen, der Ernte, des schwin- denden Wassers, der Fische, des Reisens, des Handels, des Nebels, des Salzes, des Schlafes, der Hütten, des Brennens (Gras- und Rodungs- brände), Monat der Lustigkeit, der Arbeit, des Aushülsens, Zwischen- monat, kalter Monat, Holzmonat, Knospenmonat, Besen- und Kehricht- monat (grosses Reinmachen) und was der volkstümlichen Bezeichnungen mehr sind. Jede Jahreszeit — mvü, plur. mivü —, nämlich die Regenzeit — mvü mvüla — und die Trockenzeit — mvü nssifu — hat rund sechs Monate. In manchen Gebieten wird noch eine dritte Jahreszeit, die des Reifens geschätzter Früchte und Genussmittel, als tschimüna unter- schieden, und dann heissen Jahreszeiten oft schlechthin bimüna. Gewöhn- lich rechnen Eingeborene nach den beiden Hauptjahreszeiten. Ein Hundertzeitiger oder -jähriger in Loängo ist nach unserer Zählweise fünfzig Jahre alt. Hundert Jahreszeiten — nkäma mvü — bedeuten einen höheren Abschnitt: ein Menschenalter — ntändu. Der Monat — ngönda, plur. singönda — hat sieben Wochen, wenn das auch nicht auf den Tag stimmt. Die Woche — nssöna, plur. sinssöna —- hat vier Tage, die verschieden, aber überwiegend Nssöna, Ndüka, Ntöno, Nsilu heissen, welche Namen vielfach zugleich für die frei liegenden Plätze gelten, wo etwa an den betreffenden Tagen Wochenmärkte stattfinden. Nssöna ent- spricht unserem Sonntag. Der Tag ist tschilümbu, plur. bilumbu, die Nacht builu, seltener lufüku, der Abend mässika, der Morgen mene und meköta, Mitternacht katyänsa 140 Zeitrechnung. ku builu, Mittag ntängu mbäta. Alltäglich, allwöchentlich, allmonatlich, alljährlich wird mit kädi gebildet: kädi lümbu, kädi nssöna und so weiter. Heute: tschilümbu atschi, Tag gegenwärtiger, auch einfach tschiätschi, gestern: yono, morgen: bäsi, morgen am Morgen: bäsi mene und sehr früh: bäsi menemene. Nur Sorglose oder sozusagen Ungebildete wenden den nämlichen Ausdruck, hier yono, in bekannter Weise für gestern und morgen zugleich an. Durch Zusätze zu gestern, heute, morgen kann jeder beliebige Tag rückwärts und vorwärts, auch mit Angabe von Wochen und Monden bestimmt werden. Die Zeit — ntängua, seltener lümbu —, die Stunden des Tages geben die Leute nach dem Gange der Sonne befriedigend genau in zwei- stündigen Abschnitten an, indem sie mit ausgestrecktem Arme den Tag- bogen teilen, oft beide Arme als Zeiger verwendend. Bei einiger Übung kann man sich mit ihnen ziemlich sicher über die Stunden verständigen. Mein Leibdiener war nach kurzer Zeit imstande, diese Bezeichnungsweise auf die Uhr zu übertragen und mich nach Stellung der Zeiger zu ver- einbarter Zeit an irgendeine Verrichtung zu erinnern. Der Beginn des Tages, aber keineswegs der Arbeit, ist für sie die frühe Morgenstunde, die das bedeutsame Krähen des Haushahnes ver- kündet. Freilich hebt das oft bereits um Mitternacht an oder erklingt die ganze Nacht hindurch. Aber sie unterscheiden genau, ob der Hahn bloss spricht, schlaftrunken ruft oder ob er, völlig wach, mit schmettern- der Stimme das Grauen des Morgens begrüsst. Eine Verabredung auf eine frühe Stunde treffen sie, indem sie sagen: beim ersten Hahnschrei. Eine Mittagsruhe. Grossmann in Gala. KAPITEL N. Altere Nachrichten. — Der letzte Herrscher. — Reichsverweser. — Schreckenszeit. — Königswahl. — Zug zum Herrschersitz. — Die Makunda. — Gotteswege. — Staatsfeuer. — Fergen. — Sagen. — Erneuerung des Feuers. — Fürstenkaste. — Vorrechte und Beschränkungen. — Gräberfelder. — Beerdi- gungsschwierigkeiten. — Erde und Erdrecht. — Erdschaften — Batua. — Blutrache, — Erdherr. — Wirtschaftsgebiet. — Jagdrecht. — Leichenrecht. — Siedelrecht. — Die Frau nicht Lasttier des Mannes. — Stellung des Erdherrn. — Erdfrevel. — Sperrung: der Erde. — Sühnehandlung. — Erdgericht. — Strafen. — Asylrecht. — Hörige und Hörigkeit. — Leibeigenschaft. — Rechte und Vergünsti- gungen von Unfreien. — Geheimbünde. — Politische Verhältnisse. — Förmlichkeiten. — Palaver. : Ältere Nachrichten sind in den folgenden Schilderungen behutsam verwendet worden. Nicht etwa weil sie unglaubwürdig wären, denn das sind die alten Gewährsmänner in ihrer unpersönlichen und treuherzigen Art am allerwenigsten, sondern weil sie vielfach auf Hörensagen beruhen, weil sie häufig weder zwischen den drei Reichen der Loängoküste, noch zwischen dieser und grossen angrenzenden Gebieten unterscheiden, Ge- bieten, die sich nordwärts bis zum Gabun, südwärts bis jenseits des Kuänsa erstrecken. Diese Länder werden bald insgesamt als Kongo oder als Angöla betrachtet, bald in Abschnitte geteilt, wovon der süd- liche das Kongoreich, der nördliche das Loängoreich ist, auch Löngo, 142 Lopez. Lovango und Bramerland genannt. Aber die Länderscheide wird nicht stets an den Kongostrom, sondern vielfach weiter nordwärts nach Yümba an den breiten stillen Bänya verlegt, bis wohin dann Angöla reicht. Da sonach die Namen der Länder und der Völkerschaften sowie die Örter von Geschehnissen vielfach durcheinander geschoben und ver- wechselt werden, ist es oft gar nicht leicht, die Angaben herauszuschälen, die sich auf unsere Loängoküste, also auf die Gebiete zwischen dem Bänya und dem Kongostrom beziehen.*) Über das Innere erfahren wir wenig, da die Berichterstatter lediglich im Küstenstrich ihren Geschäften nachgingen. Die frühesten Nachrichten stammen von Odoardo Lopez, einem Portugiesen, der freilich unser engeres Gebiet nicht betreten hat. Er reiste 1578 nach dem Kongoreiche, kehrte 1584 nach Europa und 1589 wieder nach dem Kongo zurück, wo er verscholl. Von ihm erfahren wir, dass, wie man sagte, der König von Loängo vordem ein Vasall des Herrschers vom Kongoreiche gewesen wäre, zu seiner Zeit aber nur noch freundschaftliche Beziehungen mit ihm unterhielte. Die Bafıöti oder be- nachbart wohnende Völkerschaften nennt er Bramas, ein Name, der von anderen für Stämme im Norden Yumbas gebraucht wird, und den ich nicht zu erklären vermag, es wäre denn, dass er Schreier, Brüller be- deutete und von bramar (spanisch) oder bramer (französisch) herkäme. Ferner spricht Lopez ausführlich vom Reiche Anzicana, bewohnt von den Anzichi, woraus andere dann Anzigues und Anziker gemacht haben, das im Inneren, nördlich vom Kongostrome und östlich von Loängo lag. Mit den Anzichi, natürlich schlimmen Menschenfressern, was spätere (ewährsmänner widerlegen, führte der König von Loängo beständig Krieg. Zweifellos handelt es sich um einen der im Hinterlande, im Gebirge oder jenseits hausenden Stämme, die von den Bafiöti geringschätzig Banssitu — bäntu ba nssitu — Busch- oder Waldleute, Hinterwäldler genannt werden. Es ist möglich, falls nicht ein Druckfehler vorliegt, dass Lopez den Ausdruck Banssitu missverstanden hat und als Anzichi wiedergibt. Doch ist ebensogut anzunehmen, dass die nämlichen Leute damals spott- weise Bansiku — bäntu ba nsiku — genannt wurden, weil man sie, ihrer Runzeln ähnelnden Gesichtsnarben wegen, mit Schimpansen oder Pavianen verglich, Art und Stamm der Anzichi, von denen er sicherlich welche gesehen hat, beschreibt Lopez so treffend, dass sie noch gegen- wärtig genau zu erkennen sind, obschon sie gewiss nicht die einzigen von den Bafıöti bekämpften Banssitu waren. Als Stamm der Bansiku, *) Unter dieser Unsicherheit leiden die ausgezeichneten kritisch-historischen Über- sichten, die Sprengel im fünften Bande seiner Bibliothek der Reisen der Übersetzung von Degraudpres Buch voranschickt, Meiners seiner Übersetzung von Proyarts Buch angehängt hat. Battell. Ä 143 der den Europäern hoch geschätzte Sklaven lieferte, standen sie aller- dings gesondert da. Die Beschreibung ihrer Waffen und ihrer Sitte, sich die Wangen durch lange parallele Schnitte zu verunstalten, beweisen, dass Lopez die noch heute in jenen Gebieten hausenden Bantetsche oder Batöke meint. — Ausführlicher berichtet Andrew Battell, ein Engländer, der an acht- zehn Jahre in Niederguinea, und zwar die längste Zeit als Gefangener der Portugiesen, die ihn in Südamerika als Freibeuter aufgegriffen hatten, in den Gebieten südlich vom Kongo lebte. So gut ihm nachzukommen ist, wurde er von 1592 an zwei Jahre lang im Küstenhandel unseres (rebietes beschäftigt, entfloh später und verweilte von 1604 bis 1607 unter dem Schutze des Königs Mp&ömba an der Loängobai. Im folgenden Jahre besuchte er Yümba und den weiter nördlich sitzenden Mani Seat, wahrscheinlich den Häuptling der Landschaft Seöte Käma, sowie im Inneren den Manı Kesock, wohl den Beherrscher des von Dr. Güssfeldt besuchten Gebietes von Kassötsche. Battell, dessen Erzählungen von anderen aufgezeichnet und ver- schiedentlich nicht ohne entschuldbare Verunstaltungen veröffentlicht worden sind, schildert Land und Leute vortrefflich. Die Residenz des Königs, des Ma Loängo, lag drei englische Meilen von der Loängobai entfernt, also schon damals ungefähr an der Stelle im Königsgau, wo unsere Karte Tsschingänga-mvümbi verzeichnet. Engoy (Ngöyo) mit dem Platze Kabinda nennt Battell die erste Provinz des Königreiches Loängo. Des Königs Residenz ist sehr gross, hat lange, breite Strassen, die stets rein gefegt sind, und viele Palmen und Bananen. Die zahlreichen Ein- wohner gehen niemals müssig; selbst auf der Strasse knoten sie aus Bastfäden Mützen von ausgezeichneter Arbeit und Feinheit. Der Ma Loängo besitzt zehn grosse Häuser an der Westseite der Ortschaft, vor denen ein grosser, sauber gehaltener Versammlungsplatz sich dehnt. Unfern, durch eine breite Strasse verbunden, liegt der grosse Marktplatz, wo alltäglich Nahrungsmittel feil gehalten werden. Betrüge- reien kommen in diesem Handel niemals vor. Beamte sorgen für Ruhe und Ordnung. An der Südseite der Königswohnung liegen eingezäunt die Behausungen der hundertundfünfzig und mehr Frauen, wo der Ma Loängo sich gewöhnlich aufhält. Der letzte, verstorbene König Gembe oder Gymbe — ngömba Herzensgüte, Zuvorkommenheit — hatte von seinen Frauen vierhundert Kinder. Kein anderer Mann darf bei Todes- strafe das Frauenviertel betreten oder mit einer der Frauen reden. Niemand darf, bei Todesstrafe, den König essen oder trinken sehen. ,,, Wenn er trinkt, wird eine Glocke angeschlagen, damit alle sich ab oder mit dem Gesichte zur Erde wenden. Um zu essen, geht der Ma Loängo in sein Speisehaus, wo das Mahl bereit gestellt ist. Hinter ihm wird 144 ST Battell. die Tür geschlossen. Hat er sich gesättigt, so klopft er und tritt heraus. Einst kam ein zwölfjähriger Sohn des Königs gerade herbei, als sein Vater trank. Darauf liess der Herrscher ihn mit Speise und Trank er- freuen, schön bekleiden, dann töten und vierteilen und die Stücke in der Residenz herumtragen mit der Ankündigung, dass dieser, sein Sohn, ihn trinken sah. Wenn der König Beratungen abhält oder Recht spricht, begibt er sich auf den mit dicken, weichen Bastteppichen belegten Platz, wo sein einem Throne gleichender Sitz steht. Alle Anwesenden begrüssen ihn mit Händeklappen. Er besitzt acht Pongos (simpündschi, Elfenbeinhörner) und viele Trommeln, so gross, dass sie nicht getragen werden können, die machen zusammen einen höllischen Lärm. Ausserdem hat er um sich vier Ndondos (ndündu, plur. sindündu, Albinos), die, was auch andere Berichte bestätigen, die Stellen der Hofnarren vertraten, unverletzlich und wegen ihrer Anmassungen gefürchtet waren. Der König ist so hoch geehrt, als wäre er ein Gott, und wird Nsambe und Pongo (Nsämbi a mpüngu), das heisst Gott, genannt. Landeinwärts von der Residenz liegt der Ort Longeri (Löndschili, Luändschili), wo alle Könige beerdigt werden. Dort finden sich um die (rrabstätten viele Elefantenzähne wie ein Pfahlwerk aufgestellt. Um den Königsgau liegen vier Provinzen, von vier Fürsten verwaltet, die Söhne der Schwestern des Königs sind. Diese heissen Mani. Sie sind Mani Cabango, Mani Salag, Mani Bock, Mani Cay. Der Fürst von Cay ist der nächste zum König und tritt, wenn dieser stirbt, an seine Stelle (als Reichsverweser). Dann rückt nach Oay der von Bock, dorthin der von Salag, nach Salag der von Cabango, und für diese Stelle wird ein anderer Fürst neu gewählt. Die Mutter dieser vier Gaufürsten, Mani Lombo genannt, ist das erste und höchste Weib im Lande. Sie wählt und entlässt einen Gatten nach Belieben. Ihre Kinder sind über alle Massen geehrt; wer ihnen begegnet, kniet unterwürfig nieder und klappt die Hände. In diesen und auch anderen Angaben sind die Aufzeichner von Battells mündlichen Mitteilungen nicht ganz klar. Einmal sollen die vier Fürsten die Söhne von des Königs Schwestern, dann wieder die der Mani Lombo allein sein. Überdies haben alle Fürstinnen von Loängo die jener ällein zugeschriebenen Rechte freier Gattenwahl. Doch war, wie sich ergeben wird, eine von ihnen wirklich das erste und höchste Weib im Lande, fast mit grösserer Macht ausgestattet als der König. Die Provinzen der von Battell genannten vier Fürsten sind heute noch zu bestimmen: Vom Königsgau aus betrachtet lag Cay (Käya) süd- östlich um den Luemefluss, Salag (Nsaläya oder Tschiläya) östlich und nördlich davon, Cabängo (Kubängo) und Bock (Mbüku) jenseits des Kuilu, Brun. 145 jenes das Küstengebiet etwa bis Longoböndo, dieses ein Binnengebiet um den Nängafluss umfassend. An diese, eng den Königsgau umschliessenden Provinzen grenzten, nach Battell, noch andere an. Im Osten Bongo, im Nordosten, vierzehn Tagereisen entfernt, Cango, beide bergig, voller Wälder, reich an Kupfer und Elefanten. Im Norden Calongo (Kilöngö, das heutige Tschilünga) mit dem Flüsschen Nombo (Nümbi), noch weiter nordwärts Mayombe (Yümba), ein bergiges Waldland mit dem grossen Flusse Banna (Bänya), wo man zwanzig Tage lang im Schatten reisen konnte. Die Provinz Bongo grenzte binnenwärts an Mocoke, wo der grosse Angeca König war. Dieser. Name erinnert wieder an Anzicana, was durch den Aus- druck Mocoke bekräftigt wird, da Maköko, Flussherr, ein bekannter, bereits Seite 7 erklärter Titel ist. Bongo und Cango ergaben zusammen etwa das Waldland Mayombe, richtiger Yombe, den: Yombischen Wald, vielleicht mit Teilen von Yängela und anderen binnenwärts bis zum Kongo reichenden Gebieten. Nur ist nicht anzunehmen, dass das Reich des Ma Loängo, fest gefügt, diesen Umfang besass, sondern dass ge- legentlich bis dahin die Kriegszüge ausgedehnt und dort sitzende Häupt- linge zum Zahlen von Tribut gezwungen wurden oder dass man über- haupt in bekannter Weise die Grösse der Herrschaft übertrieb. — Kurze Zeit nach Battell, im Jahre 1612, besuchte ein Deutscher aus Basel die Loängoküste, der Wundarzt Samuel Brun, auch Bruno und Braun genannt. Er reiste, um Länder und Menschen kennen zu lernen, und fuhr auf einem holländischen Schiffe, das einige Tage in der Bai von Yümba, anscheinend etliche Monate in der Bai von Loängo, die längste Zeit am Südufer des Kongostromes Tauschhandel trieb. Brun berichtet zuerst von Casavywurzeln (Maniok) in Yümba „gross als eines Mannes Bein“, sowie von der gefährlichen Wurmkrankheit, wovon bereits im ersten Kapitel (Seite 20) die Rede gewesen ist. Er glaubt noch, dass die Elefanten ihre Stosszähne wechseln, was Battell schon besser wusste, bestätigt aber das längs der Küste betriebene leb- hafte Geschäft in Schwanzhaaren der Dickhäuter. Nachdem die um- ständlichen und unerwarteten Empfangsgebräuche erledigt waren, entspann sich ein überaus freundlicher Verkehr mit den Bafıöti, die sich derartig betrugen, dass Brun, gleich Battell, über keinerlei Ungehörigkeit zu klagen hat. In Yümba gibt es nach ihm nur Rotholz zu handeln, anderswo Kupfer und Elfenbein gegen Eisen, Tücher, Maultrommeln und gläserne Korallen, der Weiber höchste Zierde. Man bemerkt keine Bettler, keinen Mangel. Die Frauen besorgen die Felder, die Männer, „damit sie nicht müssig gehen“, besteigen die Weinbäume (Palmen), fischen am Meere, jagen im Inneren, machen Geld (Kupferringe) und Kleider; Betagte ziehen Schmieden den Blasebalg. Loango. 10 146 Brun. Des Königs Gehöft liegt zwei Wegstunden ab von der Loängobai, und „rings umher ist das Land wie ein Paradies“. Die Leute, „alles wacker tapfer Volk“ von grosser, kräftiger Gestalt, führen Schilde von Büffelhaut, Speere, Bogen und Pfeile, sodann Wurfmesser, breiten Schuh- machermessern zu vergleichen, womit sie „dem Feinde seinen Kopf mit Werfen voneinander spalten“. Gleich Battell betont Brun den Fleiss der Eingeborenen und rühmt ihre kunstreich geknoteten Mützen, ihre Korb- geflechte als „die schönsten Körblein, dergleichen kaum in der Welt zu finden“, ihre aus Bast gefertigten feinen Kleider und schweren Decken, die „wie köstlich gewirkte oder gestickte Teppiche“ die Wohnungen zieren. Frauen tragen keine Mützen, sondern binden ihr Haar oben zusammen, „dass es sich sehr artlich ausspitzet“ (was im Küstenlande schon längst nicht mehr Mode ist). Zahlreiche Edelleute, „über die Massen hoffärtig und prächtig“, gehen zu Hofe. Mit ihnen je drei bis vier Pagen, Malechy (muleka, plur. mileka), die Fächer und Sitzteppiche tragen, auch Sklaven mit Palmwein. Manch- mal kommen zweihundert oder mehr Adelige zusammen, mit ihrem Ge- folge wohl an dreitausend Köpfe zählend. Besonders feierlich sind diese Tagungen, wenn der König dazu erscheint, was aber im Jahre bloss einige Male geschieht. Auch Brun meldet, dass ein Kind des Königs sterben musste, weil es seinen Vater trinken sah, fügt indessen hinzu, dass mit dem Blute des Opfers ein Arm des Herrschers gesalbt wurde, „womit des Königs Ehre errettet“ war. Daraus ist zu entnehmen, zumal er als Augenzeuge von einem neunjährigen Kinde spricht, während Battell von einem zwölfjährigen Knaben erzählt, dass das nämliche sich zweimal innerhalb weniger Jahre ereignet hat. Der Manna Loängo, Manna (Muene) bedeutet Don oder Herr, be- richtet Brun weiter, ist Oberster von sechs Königen, die seine und seiner Schwestern Kinder sind. Er hat dreihundertundsechzig Frauen, von denen eine die vornehmste ist. Der erste Sohn der Hauptfrau ist der künftige König, die anderen Söhne werden die Könige der beiliegenden Länder; die Söhne der übrigen Weiber werden Würdenträger und gehören dem Adel an. Bleibt die vornehmste Frau kinderlos, so geht die Erb- folge auf einen Schwestersohn über, und fehlt auch ein Neffe, dann er- hebt sich ein Streit um den verwaisten Thron, den schliesslich der Reichste und Mächtigste einnimmt. Hierin decken sich weder Bruns und Battells Angaben, noch treffen sie durchaus das Richtige. Wie gewöhnlich sind die Gewährsmänner zuverlässig in dem, was sie sahen und erlebten, aber es fehlte ihnen an Zeit und Trieb, fremdartige und verwickelte Verhältnisse genau zu er- gründen, weswegen ein jeder in seiner Weise nach Hörensagen berichtet. Ausserdem sind die Erzählungen Battells, der im langen Zusammenleben Dapper. 147 mit den Eingeborenen zweifellos viel mehr erfahren hatte als Brun, erst von anderen für den Druck hergerichtet worden, wobei sich Irrtümer einschlichen. — Eine überaus reichhaltige und erstaunlich zuverlässige Quelle über die früheren Zustände an der Loangoküste ist ein Abschnitt in ©. Dappers Beschreibung von Afrika, 1668 erschienen. Dapper war nicht selbst im Lande, hat aber alle gedruckten und mündlichen Nachrichten, die er erlangen konnte, in sehr verständiger Weise verarbeitet. Er nennt zuerst den Namen Boarie oder Buri für die Residenz des Ma Loängo, die er als sehr reinlich und so gross wie Amsterdam, aber bei weitem nicht so dicht bebaut, schildert. Battells Bericht über die Mani Lombo ergänzt Dapper wie folgt: „Dem Könige wird durch das Oberhaupt der Reichsräte eine Mutter zu geordnet, nähmlich die älteste aus dem Geschlechte; welche sie Makonde nennen, und er mit mehr Gehohrsamkeit erkennen mus, als seine eigene Mutter. Auch ist der König verpflichtet, in allen wüchtigen sachen ihres Rates zu pflegen. Sie hat im Reiche ein solches Ansehen, und eine solche Macht, dass sie den König, imfal er ihr einigermassen zu wider fallet, oder mit ihr nicht friedlich zu leben trachtet, aus dem Mittel zu reumen vermag.“ Nach Dapper hat der Ma Loängo das Gebiet von Yümba erobart, und beherrscht, ausser den von Battell genannten vier Fürstengauen und Tschilünga, noch Piri (Mpile, südlich vom Kuilu, nach dem Gebirge hin), und Lovangomongo (Hochloängo oder bergiges Loängo), also wieder _ Yombe oder den Yoömbischen Wald. Vornehme Fürsten helfen, als Reichsräte, das Königreich beherrschen. Sie sind: Manibomme, so viel wie Seeoberster, Statthalter von Luändschili, Manimambo im Gebiete Lovangomongo, Manibeloor im Gebiete Tschilünga, zugleich Untersucher der Zauberer, Manikinga in Mpile, Manimatta, der über die Waffen ge- setzt ist, Manidonga, der des Königs Gemahlinnen bewahrt. Dann hat der König noch vier Mabunden oder Mavunden, nämlich Mundschenken, zwei für den Tag, zwei für den Abend, und einen Mabonde Lovango, einen Obermundschenk. Der König ist sehr mächtig an Volk; die be- nachbarten Könige von Kaköngo und Goi (Ngöyo) fürchten ihn sehr, doch hält er Freundschaft mit ihnen. — Barbot und Casseneuve, die im Jahre 1700 kurze Zeit im Kongo- strom und vom ersten Oktober bis letzten Dezember vor Kabinda ankerten, berichten wenig über Land und Leute. Sie litten viel durch Krankheit und bemühten sich, Sklaven einzuhandeln, von denen sie in drei Monaten vierhundertundsiebzehn, Männer, Weiber, Knaben, Mädchen kauften. Ihre höchste Verwunderung erregte, dass die Häuptlinge an- standshalber verboten, die Menschenware vor aller Augen zu untersuchen. 10* 148 Barbot und Casseneuve. An den König von Ngöyo und seine Beamten hatten sie für die Handelserlaubnis einhundertneunundzwanzig und ein halbes Stück Zeug oder entsprechende Werte zu bezahlen. Männliche Sklaven kosteten damals acht bis zehn, weibliche sieben bis neun Stück Zeug, jedes sechs Yards, also knapp fünf und einen halben Meter lang. Als aber mehr Schiffe ansegelten, stieg der Preis, weil die Eingeborenen gelernt hatten, die zunehmende Nachfrage auszunutzen. (Siebzig Jahre später galt ein Sklave schon sechsunddreissig Stück Zeug.) Unsere Händler gedachten ihre Meuschenware nach Jamaika zu führen. Aber am Tage der Ab- reise versuchten sich die Gekauften zu befreien, töteten zwei Schiffsleute, warfen drei über Bord und verwundeten viele. Die Europäer schossen in den Haufen und überwältigten schliesslich die Meuterer, von denen auch welche ins Meer sprangen und ertranken. So gingen zum grossen Leidwesen der Händler achtundzwanzig Köpfe ihrer Ladung verloren. Barbot, der sich weniger um das Volksleben als um den Handel kümmert, ergänzt hier und da, was Lopez, Battell, Brun und Dapper darüber berichten. Auch er spricht, sich zweifellos auf seine Vorgänger stützend, vom Reiche Anzico, vom grossen Makoko. Die allgemeine Be- zeichnung der Bewohner dieses Reiches ist Monsoles oder Meticas. Anzico liegt nördlich am Kongo, südlich dagegen das Königreich Fungeno, von dem südwärts die berüchtigten Jagas hausen, über die Battell anders- wo am ausführlichsten berichtet. Den uns schon bekannten Hauptumschlagplatz Mpümbu (Seite 7) nennt Barbot ebenfalls Pombo und lässt ihn seinem Maköko untertan sein. Dorthin ziehen die Leute von Loängo, ebenso die Unterhändler der im Süden des Kongo lebenden portugiesischen Kaufleute. Diese nach Pombo gehenden Beauftragten werden von den Portugiesen Pom- beiros genannt. Sie bleiben ein Jahr, manchmal zwei Jahre weg, denn der Weg ist weit und schwierig, der Handel zeitraubend und gefährlich. Dann kommen sie mit Elfenbein und mit vier- bis sechshundert Sklaven auf einmal wieder zur Küste. Die Pombeiros unterhalten Handels- beziehungen noch viel weiter ostwärts, bis in das Reich Monimugo, Nimeamaye, Nimeamalle oder Mono-emugi, das sich bis nach Mombasa, Quiloa und Sofala, also bis zum Indischen Ozean ausdehnt. Dort gibt es viel Gold, Silber, Kupfer, Elefanten. Die Bewohner sind hellhäutig, grösser als Europäer, leben in Zelten und wandern, wie die Araber, von Platz zu Platz. — Fassen wir das Angeführte zusammen, so ergibt sich folgendes: Das Königreich Fungeno, zwischen den Strömen Kongo und Kuängo ge- legen, ist das Land Tschinu, östlich vom Stanleypool, wo gegenwärtig die Bamfümu sitzen. Anzico, nördlich vom Kongo liegend und südwärts an Fungeno grenzend, ist heute noch das Gebiet der Bantötsche oder Rückblick. Merolla. Proyart. 149 Bateke mit ihrem Makoko. Monsoles, richtiger Mundschölo oder Mand- schölo, ist nur ein anderer, wenig gebräuchlicher Name für die Bantetsche wie der schon erklärte Banssitu oder Bansiku. Die einst viel genannte Stadt Monsul oder Mossul war ein Handels- ort im Lande der Monsoles, wenn nicht die Hauptstadt, die wahrschein- lich am nördlichen Kongoufer lag. Der nicht weniger oft genannte und bis in die neuere Zeit gesuchte See Aquilonda oder Akilünda war im Munde der Pombeiros der wichtige Umschlageplatz, die seeartige Er- weiterung des Kongostromes, das Herz von Mpümbu, der Stanleypool. Der Name, kaum noch zu hören, ist mutmasslich so zu erklären: aki, atschi wird vielfach Benennungen von Personen und Sachen vorgesetzt, die gegenwärtig, die vor Augen sind; kulünda, behüten, verwahren, auf- speichern, weil in Mpümbu Elfenbein und Sklaven für die Verschickung zum Meere angesammelt wurden, wie es mit dem Elfenbein noch in den siebziger und achtziger Jahren geschah, als ich an der Südküste und später im Binnenlande sowie in Mpümbu weilte. Akilünda riefen die Pombeiros, wenn sie, vom Meere über das Bergland gewandert, ihr Ziel sichteten, und von Akilünda oder Mpümbu erzählten sie, wenn sie wieder daheim waren. — Von dem ersten Versuche, das Christentum an der Loängoküste einzuführen, berichtet der Pater Merolla, der um 1687 Kabinda und Kaköngo berührte. Um das Jahr 1663 weilte zu diesem Zwecke der Pater Ungaro beim Könige von Kaköngo (nicht, wie gedruckt steht, von Loängo), taufte ihn mit seinem ganzen Hofe und noch zwölftausend seiner Untertanen innerhalb eines Jahres, starb aber bald. Merolla, der an den König und die Königin von Kaköngo mit Glas aufgeputzte Kronen schickte, berichtet von einem ersten Bruch des wichtigen T'schina, des strengen Verbotes, wonach keiner der Grossen an der Loängoküste aus Europa stammende Gegenstände tragen oder benutzen sollte. Der König setzte nämlich die Krone auf sein Haupt, zum Schrecken seiner Umgebung. — Von anderen nicht glücklich verlaufenen Missionsversuchen erzählt der Abt Proyart, der in einem 1776 erschienenen Buche die Berichte vieler Missionare bearbeitet hat. Er weist ohne nähere Angaben darauf hin, dass bereits um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ein Missionar am Hofe des Königs von Loängo gelehrt habe, und meint gewiss den erwähnten Pater Ungaro, der in Kaköngo wirkte. Die ersten drei der Missionare, von denen er näher berichtet, reisten 1766 von Nantes nach Kaköngo und wurden freundlich empfangen. Einer starb, die beiden anderen erkrankten und kehrten 1768 heim. Um dieselbe Zeit verliessen wieder zwei Missionare Nantes für Kaköngo, hielten jedoch wegen schlechter Gesundheit nur zwei Jahre aus. Endlich folgten 1773 sechs Geistliche 150 Proyart. und sechs Laienbrüder. Diese landeten in Yüumba und wanderten den weiten Weg am Meeresstrande bis zur Residenz des Ma Loängo, die sie Buali nennen. Sie wurden überall gut aufgenommen und gebeten, in Loängo zu bleiben. Da sie aber für Kaköngo bestimmt waren, liessen sie sich nicht halten und legten den Rest des Weges dorthin in einer Schaluppe zurück. In Kilönga, an einem Landsee — wo sich der Seite 110 erzählte, an Philemon und Baucis erinnernde Vorfall zugetragen haben soll — binnenwärts von Malömba und südlich vom Tschiloängo gelegen, erhielten sie einen schönen Platz angewiesen, wo sie ihr Haus bauten. Dort hörten sie, dass ihnen benachbart etwa viertausend Christen wohnten, die aus dem Kongoreiche stammten, den trennenden Strom überschritten und sich daselbst niedergelassen hätten. Das waren die Missolöngi, die Vorfahren der Flusspiraten vom Tschiloängo, von denen im ersten Kapitel Seite 3 berichtet wurde. Kilönga war schön. Die Missionare legten Gärten an und zogen mit Glück allerlei Nährgewächse. Als ihr einziger Feind erwies sich das Klima. Sıe kränkelten fortwährend, und einem „faulen Fieber“ er- lagen sieben von ihnen. Nach dem letzten Berichte, den Proyart noch benutzen konnte, waren von den zwölf nur noch zwei übrig. Einer von den beiden, der Pater Joli, der schon einmal 1768 im Lande geweilt hatte, lebte, laut Angabe des Händlers Degrandpre, anscheinend noch 1786 oder 1787 an der Küste in Malsömba. Der nächste Versuch, das Christentum an der Loängoküste, und zwar wiederum in Kaköngo einzuführen, fällt erst in die Zeit unserer Expedition. Später haben die französischen Missionare ihren Hauptsitz an die Loängobai verlegt. Proyart meldet nach seinen Quellen allerlei über die Zustände im Lande um die Wende der sechziger und siebziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts. Der damals herrschende Ma Loängo war erst nach einem Interregnum von sieben Jahren gewählt worden. Sein Vorgänger war noch nicht begraben, denn, und das ist für uns wichtig, um dessen Leiche stritten sich die Leute von Loängo mit denen von Luändschili. Jene hielten den Toten fest, diese wollten ihn bei sich begraben, wozu sie von alters her berechtigt waren, da bis zu dieser Zeit alle Angehörigen der Fürstenkaste ihre letzte Ruhestätte in Luändschili gefunden hatten. Ferner berichten die Missionare von der „Königskrankheit“, die sie als lähmende Gicht bezeichnen. Die Missionare bestätigen, dass es den Herrschern der Loängo- staaten zu jener Zeit noch verboten war, Europäisches an und um sich zu haben, dass selbst ihre Untertanen, wenn sie zur Audienz kamen, nur in einheimische Bastgewänder gekleidet sein sollten. Niemand durfte Degrandpre, 151 den Ma Loängo essen und trinken sehen. Erkrankte er, so sollte jeder- mann seinen Haushahn töten, worüber aber die Leute schon lachten und das Gebot wahrscheinlich auch nicht überall befolgten. Wenn aber der König starb, durfte Monate lang niemand auf dem Felde arbeiten. In Kaköngo ernannte der König selbst seinen Nachfolger, in Loängo und Ngöyo ward ihm dieses Recht bestritten. In Loängo kürte man einen der Fürsten zum Könige, und bis er den Thron bestieg, verwaltete eine Regentschaft, mit dem Reichsverweser an der Spitze, das Land. Dem Ma Loängo standen folgende Beamte zur Seite: der Ma Bomam, der Herr des Schreckens, der nach des Königs Tode das Interregnum führte; der Mangovo, der das Auswärtige verwaltete; der Makaka oder Kriegsminister; der Mafuka, der Minister des Handels, der Zölle, Abgaben und der Marktpolizei; der Ma Kiında, der über Fischerei und Jägerei gebot; endlich der Mani Banza und der Mani-bele, deren Ge- schäfte unbekannt blieben. Wir können den ersten Hausminister und Oberhofmeister oder einfach Hausmeier, den zweiten Redeminister und Messer- oder Zepterbewahrer nennen. Die Gewährsmänner Proyarts bestätigen ferner die grossen Vor- rechte der Fürsten und Fürstinnen, rühmen die Sauberkeit des Volkes, die Ehrlichkeit auf den Märkten und vieles andere, das schon gesagt ist oder noch gesagt werden wird. Über den Sklavenhandel ertahren wir, dass ihn Franzosen, Engländer und Holländer betrieben, dass, laut Gesetz, nur Fremde oder Verbrecher, aber nicht einheimische- Freie und Unbescholtene verkauft werden durften, dass die meisten Sklaven im Hinterlande erbeutet und viel teurer als vordem bezahlt wurden. — Die Zustände, die mehr als ein Jahrzehnt nach Proyarts Meldungen an der Loängoküste herrschten, sowie die Treibereien der Sklavenhändler, werden sehr gut gekennzeichnet durch die Berichte des Kaufmannes Degrandpre, der sich in den Jahren 1786 und 1787 daselbst aufhielt. Nach Degrandpr& war nur Loängo ein Wahlreich. Die umliegenden Staaten mussten ihm Tribut zahlen. Wenn ein neuer Ma Loängo den Thron bestieg, schickten Ngöyo, das den Vorrang hatte, Kaköngo und Yümba Prinzen, ihm zu huldigen. Er ernannte seine Beamten: den Mafuc für den Handel, den Makimbo für Hafen, Strand, Fischerei, den Monibanza für die Einkünfte des Königshauses, den Monibola als Königs- boten, der als hohes Zeichen seiner Würde ein sechzehn bis achtzehn Zoll langes Messer ohne Schneide — eben das Zepter — führte, das oben abgerundet und durchbrochen war. Früher von Kupfer, war es später durch ein silbernes ersetzt worden, das die Europäer gestiftet hatten. Über allen Beamten stand der Totenkapitän, der Reichsverweser, der sich zwei Beiräte berief. 152 ; Degrandpre. War der Thron verwaist, so führte dieser Totenkapitän nebst den ihm untergeordneten Beamten die Regentschaft mit unbeschränkter Macht. Fürsten, die selbst zum König erwählt werden konnten, durften nicht Reichsverweser sein. Die Regentschaft, der das Regieren gefiel, ver- zögerte die Wahl eines Ma Loängo so lange wie möglich; auch war sie bestechlich, so dass der neue König oft den Thron erkaufte. Hatten sich die kürenden Fürsten geeinigt, so ging eine Gesandt- schaft an den Erwählten und bat ihn, zu kommen, zu herrschen. Dem neuen Ma Loängo zeigten sich die Nebenbuhler oft feindlich, lehnten sich gegen seine Regierung auf, versperrten die Handelswege. Unter solchen Umständen besass der König nur geringe Macht. Er sorgte für die hinterlassenen Weiber und Kinder seines Vorgängers und be- lehnte die zu ihm stehenden Grossen des Reiches mit Gebieten, die sie sich manchmal erst erkämpfen mussten. Ihnen gab er zur Besiedlung freie Untertanen aus seinen eigenen Dörfern, das sind die Kinder der Erde, dazu Leibeigene für den Ackerbau, das sind Montu (müntu, plur. bäntu, Menschen) oder Gefangene. Der König war Oberherr aller Dörfer und Krongüter, mit Aus- nahme der Wohnungen, die, gewöhnlich an der Küste liegend, Maklern und anderen Privatleuten gehörten. Seine Einkünfte, die die Krongüter und die Abgaben vom Negerhandel lieferten, vergrösserte er durch Ver- kauf von Ämtern, durch willkürliche Zölle auf Handel sowie Steuern auf Vermögen und Luxus. So besass ein reich gewordener Eingeborener eine Porte-chaise, die ihm ein Europäer verehrt hatte. Einmal fiel es ihm ein, sich in der Sänfte öffentlich zu zeigen. Die Folge war, dass er mit einer Abgabe belegt wurde, die ihn dem Bettelstabe nahe brachte. Noch durfte der Ma Loängo nichts Europäisches an sich und um sich haben, nur Landeserzeugnisse benutzen und geniessen. Aber De- grandpre zweifelt bereits, ob er sich streng an dieses Verbot hielte. Der Mambuc, der Thronerbe von Kaköngo, wohnte einige Meilen land- einwärts von Malömba in einem nach europäischer Art mit Tapeten, Stühlen, Sofas, Betten, meist von Sammet, eingerichteten Hause. Er liebte den Wein und europäische Küche. Deswegen hatte er einen seiner Leute in Frankreich zum Koch ausbilden lassen. Man speiste bei ihm gut und geschmackvoll. Vom Mafuc, dem Oberherrn des Handels, berichtet unser Gewährs- mann: Er ist kein Prinz von Geblüt, kann jedoch durch eine Prinzessin, die ihn heiratet, Prinzenrang erlangen. Seine Macht ist sehr gross. Er zögert nicht, ihm missliebige Schiffskapitäne vom Handel auszuschliessen, ja sie greifen und einsperren zu lassen. Der Ma Loängo hört alle Klagen der Untertanen gegen ihre Herren und sonstige Grosse des Reiches, Doch wissen sich die Untertanen auch Degrandpre. 153 einfacher zu helfen, indem sie nämlich ihren Herrn verlassen und zu einem anderen gehen. Der neue Herr muss sie schützen und für sie sorgen. Es geht ganz gerecht zu. Er ist verantwortlich für sie, vertritt ihre Sache vor Gericht und hat für ihre Schulden aufzukommen. Sind diese zu hoch, so verkauft er, um sie zu tilgen, den Schuldner. Degrandpr& beschreibt ferner die grossartige Leichenfeier eines Königs von Loängo, mutmasslich des letzten wirklichen Ma Loängo, die im Jahre 1787 stattfand. Er sagt ausdrücklich, dass dieser Fürst die Oberherrschaft über die benachbarten Königreiche besessen habe. Es herrschte bei dem Feste eine ungewöhnliche Pracht. Fürsten und Ge- sandtschaften kamen feierlich von weit her, um dem Toten zu huldigen und Baststoffe zum Einwickeln der Leiche zu überreichen, die der Vor- steher der Regentschaft in Empfang nahm. „Von dem ganzen Schau- spiele war für einen Europäer nichts begreiflich, als die Huldigung der Vasallen.“ Über den Sklavenhandel schreibt der selbe Gewährsmann: Die Loängoküste liefert ungefähr den vierten Teil aller Sklaven, die von Niederguinea ausgeführt werden. Es sind, was bereits Lopez und die Missionare melden, die besten Sklaven, namentlich die Monteken (Bantötsche); die von der Südseite des Kongo dagegen (Missolöngi) sind schlecht und treulos (sind auch seitdem kaum besser geworden). Fürsten haben das Recht, jeden Menschen, der nicht ihresgleichen ist, zu greifen und an die Sklavenhändler zu verkaufen. Die anderen Grossen des Reiches dürfen das nur mit ihren Leuten auf ihrem Gebiete tun. Da aber Menschen ihr Reichtum sind, pflegen sie nur Verbrecher abzugeben. Sobald ein Schiff vor Anker gegangen ist, sorgt der Befehlshaber für eine Wohnung am Lande. Der Mafuc unterstützt ihn gegen Be- zahlung und fordert darauf Zoll und Geschenke: Schnaps und Stoffe. Dann wird in der Umgegend die Eröffnung des Handels verkündet. Die Makler kommen und erhalten Waren, um dafür Sklaven oft aus grosser Entfernung zu beschaffen. Gibt es Streit und Krieg im Hinter- lande, werden die Wege gesperrt, wodurch der Handel stockt, so suchen die Europäer möglichst Frieden zu stiften. Nun bringt man Sklaven- gänge heran, aber zunächst bloss Ausschuss, der mit den schlechtesten Waren bezahlt wird. Der Schiffswundarzt untersucht die Augen, Zähne, Hände, Beine und alles übrige auf das Genaueste, worauf der Preis vereinbart wird. Der Mafuc erhält als Abgabe für jeden Sklaven zwei bis drei Stücke Zeug (wovon jedes sechs Yards englisch messen soll). Ist ein Schiff mit Sklaven gefüllt oder sind nicht mehr zu erlangen, so segelt es ab. Es ist gebräuchlich, die männlichen Sklaven mit Händen und Füssen aneinander zu fesseln, wenigstens fünfzig der stärksten. Viele sind geduldig und sanftmütig, andere widerspenstig. Viele jammern, 154 Degrandpre. Menschenraub. weil sie meinen, dass sie von den Weissen gefressen werden würden. Wenn man sie beruhigen will, bilden sie sich ein, es geschehe nur, damit sie vorher nicht zu sehr abmagerten. Die Portugiesen, die im Kongoreiche hausen, sind an der Loängo- küste verhasst. Als sie sich in Kabinda festgesetzt und ein Fort gebaut hatten, beschwerten sich französische Sklavenhändler, worauf ihre Regierung Kriegsschiffe absandte und das Fort im Jahre 1784 zerstören liess.*) Eifersucht und Neid der meisten Händler sind so gross, dass sie einander stets zu hintergehen suchen und die Eingeborenen gegen Neben- buhler verhetzen. Sie betrügen sich untereinander, wo sie können. Sie betrügen auch die Eingeborenen mit schlechten Waren und zu kurzem Masse, und werden von diesen wieder betrogen, die alte und klapprige Leute mit Farben und anderen Mitteln als rüstige Sklaven aufzuputzen wissen. Den Maklern, die man ausschickt, um Menschen zu besorgen, wird viel mehr Vorschuss angeschrieben, als sie wirklich erhalten haben. Zur Sicherheit lässt man sich von ihnen Geiseln stellen, und wenn es später mit der Abrechnung nicht stimmt, wofür die Europäer schon sorgen, so gehen diese Geiseln einfach mit über das Meer. An der Rückgabe der Waren ist den Kapitänen nichts gelegen, denn sie brauchen Menschen, nur Menschen. Um sich diese zu verschaffen, schrecken sie vor schlimmeren Dingen nicht zurück. Laut Zugeständnis an die früher gelandeten Sklavenhändler, geniessen die Weissen Vorrechte wie Prinzen (wenigstens in manchen Dingen). Das Strandstück, das zwischen ihrem Geschäftshause und dem Meere liegt, wird, solange sie am Lande verweilen, als ihr Grund und Boden betrachtet, wo selbst der Makimbo nichts zu befehlen hat. Wenn auf diesem Streifen Landes oder in seinem Hause der Sklavenhändler einen Eingeborenen zu greifen vermag, so kann er ihn ohne weiteres auf sein Schiff befördern. Dieses Menschenrauben ist leider nur zu allgemein. Viele Neger aus dem Inneren kommen, von Neugierde getrieben, an das Meer. Das benutzen die Makler, um die Arglosen den Weissen in die Hände zu spielen; alsdann berichten sie nach ihrer Heimat, die Ver- schwundenen seien gestorben. Das Traurigste ist, dass die Schiffs- kapitäne allezeit gewillt sind, Beistand zu leisten und Menschen zu fesseln, die eben noch so frei wie sie selbst waren. Sie lassen sogar, versichert Degrandpre, durch Schlepper vertrauensselige Schwarze in ihr Haus locken, um sich ihrer zu bemächtigen. Kapitäne, die es gar zu arg getrieben haben und fürchten, zur Rechenschaft gezogen zu werden, laufen bei der nächsten Reise einen anderen Hafenplatz an. — *) Zur Zeit unserer Expedition waren die Ruinen noch gut erkennbar. Herrscher. Landestrauer. 155 So lauten Abschnitte aus alten Berichten, die nebst anderen, ge- legentlich anzuführenden, in unsere Untersuchungen gehören. Hierzu kommen, ausser Sagen und Geschichten, die an Örtlichkeiten hängen, noch viele Mitteilungen der Bafıöti, die grösstenteils durch noch be- stehende Einrichtungen bekräftigt werden. Die Herrscher der drei Reiche wurden Ma Ngöyo, Ma Kuängo, Ma Loängo genannt. Der Ma Loängo führte den Titel Mtoötila, etwa Grossherr, König der Könige, in der Anrede Mtinu, vielleicht Erhabener, Aufrechter, Steifer, was, wie schon erwähnt, durch Ahnenstab und Keule versinnbildlicht wird. Der letzte wirkliche Mtötila von Loängo hiess Buätu, sein Vorgänger Mkösse, und dessen Vorgänger nach ziemlich übereinstimmenden Aussagen Ntängu. Buätu, allem Anschein nach im Jahre 1787 gestorben, ist noch nicht beerdigt, weil ein Ma Loängo nur von seinem Nachfolger beigesetzt werden kann. Im Volke hat sich der Glaube erhalten, dass die Reste seines letzten Herrschers noch im Königsgau aufbewahrt würden, und zwar an einem Orte, wohin kein Fremder geleitet werden dürfte. Dort, wo einst die Residenz stand, hält auch noch allezeit Hof einer der Fürsten, der, dem alten Brauche getreu, die Regentschaft vorstellt, obgleich deren frühere Macht dahin ist. Dieser Fürst ist der in den alten Berichten genannte Totenkapitän, der Hüter oder Meister dessen, was vom letzten Ma Loängo übrig blieb. Er ist der Ngänga mvümbi, der höchste Mann im Lande, der Reichsverweser, der Vertreter des Herrschers, der noch unbeerdist seines Nachfolgers harrt. Er spricht und entscheidet und entschied noch zu unserer Zeit im Namen des letzten Königs Buätu. Wenn ein Ma Loängo starb, stand die Welt still. Eine grosse Landestrauer, ein strenges Tschina trat in Kraft, das eine Menge Ver- bote und Vorschriften umfasste. Alle Feuer mussten verlöscht, Schmieden und Giessen von Metallen, die Arbeiten in den Pflanzungen eingestellt werden. Verboten war: ‚Jagen, Fischen, Besuch von Märkten, nächtliches Umherstreifen, Austauschen von Neuigkeiten auf Dorfplätzen, Pfaden, an Quellen und wo man sonst sich zu treffen pflegte, ferner jegliche Lust- barkeit, Heiraten, Liebelei, Benamsen von Kindern, Lachen, lautes Reden, Niesen, Husten, Klopfen, Trommeln, überhaupt jeglicher Lärm. Die Untertanen mussten flüstern, sich mit ungekochter Nahrung behelfen, durften nicht die Kleider wechseln, nicht Haare und Nägel kürzen, nicht waschen und baden. Eheleute sollten sich getrennt halten, männliche Haustiere für sich eingesperrt werden. Kein Hahn durfte krähen, kein Widder blöken, kein Ziegenbock meckern, kein Hund heulen, sonst wurde er getötet. Andere Gewährsleute widersprachen dem und behaupteten, dass für das ganze Land bloss die das Feuer, die Lustbarkeiten, Märkte und den 156 Leichendienst. Lärm betreffenden Verbote gegolten hätten, die übrigen strengeren hin- gegen auf den Königsgau oder die Umgebung der Residenz beschränkt gewesen wären, wo nicht gezaubert, gezeugt, geboren, geschlachtet, ge- pflanzt, geredet werden durfte, von wo die Haustiere fortgeschafft werden mussten. Auch Eier durften nicht zerbrochen werden. Der Königsgau war für jeglichen Verkehr gesperrt, und Fremdlinge, die ihn unversehens betraten, wurden gepfändet. Der Körper des verstorbenen Ma Loängo, aller Haare und vor- stehender Nagelteile beraubt, wurde in einem eigens errichteten Leichen- hause mit Pflanzensäften behandelt, geknetet, auf einem Lattenrost über schwachen Feuern geräuchert, gedörrt und schliesslich mit fein geriebenem Brei aus Wurzeln, wahrscheinlich des Maniok, dem weisse Erde bei- gemischt war, weiss gefärbt. Die den Dienst tuenden Männer, die Leiche und Zubehör berührten, durften nicht mit eigenen Händen essen. Sie mussten die ihnen hingesetzte Nahrung mit dem Munde aufnehmen oder sie mussten von anderen gefüttert werden, welcher Brauch sich er- halten hat, sofern es sich um die herzurichtenden Leichen von Fürsten und grossen Häuptlingen handelt. Man gab dem Leichnam des Ma Loängo, was sonst nicht üblich ist, die uterine Haltung, die eines Hockenden. Der gedörrte Körper wurde in einen aus Blattstreifen der Fächerpalme gefügten und sehr fein mit bunt gefärbten Blattrippen der Ölpalme überflochtenen Korb getan, des- gleichen in einen anderen die Haare und Nagelschnitzel. Dieser zweite Korb wurde für das feierliche Leichenbegängnis aufbewahrt, der erste, der den Körper (oder nur die Eingeweide?) enthielt, von Vertrauens- personen heimlich der Erde übergeben. Nach anderen Angaben soll alles zusammen in einem Korbsarg untergebracht und beerdigt worden sein. Wahrscheinlich sind beide Arten der Beisetzung üblich gewesen, da sie noch vorkommen: Das geheime Begraben des Leichnams dann, wenn sein Eintrocknen nicht gelingen will, wenn schlimme Zeichen bemerkt werden, wenn etwa die Augen offen bleiben oder die Lider sich wieder heben, ferner, wenn die öffentliche Feier zu lange verschoben werden muss, weil es mit der Regelung der Hinterlassenschaft hapert.*) Unterdessen schafften die Untertanen aus dem ganzen Reiche ein- heimische Bastzeuge herbei, die aus Stücken zusammengesetzt waren, welche als Wertmesser (Geld) galten und teilweise noch gelten. Mit diesen wurden die Reste umwickelt, bis der Stoffklumpen die Gestalt einer *), Wer begräbt, der erbt. Ohne, laut Palaverbeschluss, vollständig anerkannte Erbteilung, ohne Schuldentilgung kein Grab. Das nicht zu umgehende und zeitraubende Ordnen des Nachlasses, die Erbschaftsregelung, dürfte überhaupt als eine Grundursache zu betrachten sein, warum bei vielen Völkern die Körper von Grossleuten mumifiziert wurden und noch werden. Schreekenszeit. 157 ungeheuren Schmetterlingspuppe hatte, grösser als ein Elefant. Dazu baute man, wie noch gegenwärtig für Grossleute, einen riesigen gegitterten Leichenwagen aus mühsam bearbeiteten Balken, Brettern, Latten und Rundhölzern mit massigen, aus einem dicken Stamm gehauenen mühl- steinähnlichen Rollscheiben als Rädern. Das geschah vielleicht erst nach Jahren, wenn die Stoffe seltener einkamen. Alsdann wurde die verschnürte Puppe in den Wagen gelegt, das Gefährt ringsum mit Bastzeugen überzogen und schön ausgeschmückt. Das Ganze schützte ein grosser, eigens erbauter Schuppen, eine Toten- halle, wo barbarischer Prunk seinen Platz fand. So harrte der tote Ma Loängo seines Nachfolgers, der als sein Erbe ihn zu begraben hatte. Die Zeit, während welcher die Reste des Herrschers für das Leichen- begängnis zugerichtet wurden, war für das ganze Reich, hauptsächlich für den Königsgau eine Zeit des Schreckens, wo sich allenthalben die gesetzliche Ordnung lockerte und oft schrankenloser Willkür freien Lauf liess. Die Untertanen litten nicht bloss unter dem andauernden strengen Tschma. Es wurde ihnen auch gründlich beigebracht, was es heisst, in königloser Zeit zu leben. Die Leute des Toten, sein früheres Gefolge, hatten nämlich das Recht, im Königsgau selbst, und zwar im Freien, sowie in allen Dorfhütten mit offenen Türen, zu tun und zu nehmen, was ihnen gefiel, ferner in den übrigen Gauen, die ihnen auf Pfaden be- gegnenden Menschen um die Hälfte ihrer mitgeführten Habe zu erleichtern. Kopf, Schultern und Brust mit Kohle berusst, hausten sie mit allerlei Zuläufern gleich Räubern. Noch zu unserer Zeit fanden sie zur Plage des Volkes Nachahmer im kleinen. Die Überreste des letzten Ma Loängo nebst allem Zubehör sind ge- wiss längst in Staub und Moder zerfallen. Anders jedoch berichtet die Sage. Danach steht irgendwo im Königsgau, umgeben von undurch- dringlichem Buschwald, die Königshalle. Ein einziger versteckter Pfad führt zu ihr hn. Das Dach wird vor jeder Regenzeit gedichtet, ein freier Platz ringsum sorgfältig sauber gehalten. Nur drei hohe Würden- träger, gekleidet in einheimische Bastzeuge, dürfen den Ort betreten. Sie müssen ausserhalb des geweihten Waldes wohnen und jedesmal beim Eintreten die dem Ma Loängo gebührende Ehrenbezeigung verrichten, indem sie niederknieend abwechselnd dreimal mit der Hand die Erde und die Stirn schlagen. Sie dürfen im Walde nicht sprechen, nicht niesen oder husten, nicht essen oder trinken, überhaupt kein natürliches Bedürfnis verrichten. Sie sollen alle Tiere, selbst die Vögel verscheuchen, damit kein Laut die Ruhe störe. Die Halle ist mit einheimischen Bast- geweben geschmückt, der Boden mit Matten und Decken belegt. An ihren vier Ecken hängen eiserne Doppelglocken, Elefanten- und Büffel- schwänze, alles Abzeichen hoher Würde. Auf einem mit Leopardenfell 158 Herrscherwahl. Binkösse. bedeckten thronähnlichen Korbe, seinem künftigen Sarge, sitzt der tote Muöne Buätu, der letzte Ma Loängo, angetan mit Bastzeugen und den kostbaren Abzeichen seines Ranges, mit der beutelförmigen Mütze und mit dem durchbrochenen Schulterkleide, beide mit erhabenen Mustern auf das Feinste aus Pflanzenfasern geknotet. Um seine Stirn trägt er die königliche Binde von Leopardenfell, um seinen Hals einen Ring von Schwanzhaaren des Elefanten, woran, wie an Mütze und Kragen, Leo- pardenkrallen hängen. Zu seinen Füssen liegen die grossen geschnitzten Elefantenzähne, die einst sein Grab bezeichnen werden. Der Tote sitzt aufrecht, die linke Hand gegen die Seite gestützt, den rechten Arm etwas gekrümmt vorstreckend, die Hand nach oben offen haltend und gleichsam mahnend: Rufet alle Leute im Lande, auch die Weissen, dass sie Zeuge schicken und Rum, damit ein never Ma Loängo gewählt werde und mich endlich zu Grabe geleite. So erzählt sich das Volk, und es glaubt daran, dass einst wieder ein mächtiger König das Reich beherrschen werde. Denn das Volk ist sehr konservativ und kann sich ein geordnetes Leben ohne Oberhaupt nicht vorstellen. Ma Loängo konnte ein jeder Fürst des Landes werden, also jeder Mann, der eine Fürstin zur leiblichen Mutter hatte. Doch musste er von hohem Wuchse, fehlerlos an seinem Leibe, frei von Krankheit und im Besitze vollster Manneskraft sein, auch durfte er niemals das soge- nannte grosse Tschina gebrochen oder eigenhändig Menschenblut ver- gossen haben. Grosse Hausmacht hinderte vielleicht, aber Reichtum förderte die Wählbaren, weil der Nachlass des Toten zu regeln war, und weil die Kürenden, etwa wie bei der alten deutschen Kaiserwahl, sich dem zuneigten, der sich am erkenntlichsten erweisen konnte. Nach entschiedener Wahl sandte der Ngänga mvümbi Botschaft an den Erkorenen, der nun seinen umständlichen Zug zum Herrschersitz, seinen Krönungszug begann. In vollem Staate, mit grossem Gefolge begab er sich nach einer öden Campine nördlich vom Luemefluss. Dort findet sich eine Stelle, die durch vier mit Bildwerk verzierte, zu unserer Zeit schon arg verwitterte und von Grasfeuern angekohlte Holzpfeiler gekennzeichnet ist. Sie wird Binkössekösse bi muäkunu, auch kurzweg Binkösse genannt, der Ort, wo viele Menschen von nah und fern zusammen- und wieder auseinanderlaufen. Diese geschichtlich denkwürdige Stelle liegt an dem nicht minder denkwürdigen, auf unserer Karte eingezeichneten Pfade Luntämbi lu mbönsa, der, nörd- lich vom Lueme am Meeresstrande beginnend, im Bogen um die Baien von Pontanegra und Loängo, über die Ortschaften Luändschili, Lubü und Tschingängamvümbi führt und südlich vom Kuilufluss wieder am Meeresstrande endet. Herrscherzug. Bakümbi. 159 Zu Binkösse sind die Grossen des Reiches, sowie Häuptlinge, Zauber- meister und schaulustiges Volk in Menge versammelt. Ein grosser Platz ist abgezäunt, der Boden gesäubert, der Pfad zu einer Prunkstrasse — lulömbe, plur. sindömbe — verbreitert worden. Rings um den Festplatz, der allerlei Behausungen enthält, haben sich die Neugierigen eingerichtet. Der ankommende Fürst wird feierlich mit ‘betäubendem Lärm be- grüsst. Es nähert sich ein Zug, der ihm zwei Jungfrauen zuführt, welche unter den Geeignetsten eines benachbarten, dieses Vorrecht besitzenden Dorfes erlesen worden sind. Auf einem geschmückten, mit einer Art Bal- dachin versehenen Gerüst von leichten Wedelschäften der Weinpalme, denn sie dürfen die Erde nicht berühren, bringt man ihm die beiden Fest- oder Probejungfern an den mit Matten belegten Eingang zu seiner Wohn- stätte getragen. Die beiden Königsbräute, aller Haare beraubt (rasiert), über und über mit Tükula hochrot gefärbt, aber gänzlich in neue be- franste Bastgewänder gehüllt, sind die Bakümbi oder Sinküumbi, sing. Nkümbi.*) Die Bakümbi knieen auf den Matten vor dem Eingange nieder und überreichen ihrem Gebieter etliche Kolanüsse und Feldfrüchte. Er gibt einer jeden ein frisches Ei, haucht sie an, streut ihnen ein wenig Erde auf den Scheitel und schiebt ihnen je einen um den Knöchel zu tragen- den Elfenbeinring über die rechte Hand. Nun sind sie seine Frauen, erheben sich und verschwinden in den Wohnräumen, wo die Eier unter den Lagerstätten vergraben werden. Die Probenächte beginnen. Wür- denträger und Zaubermeister walten ihres Amtes weiter, nicht bloss als Festordner, sondern auch als Prüfer der Aufführung, der Stärke des künftigen Landesvaters. Des Nachts klopfen sie an die Wand der Hütte, worin gerade der Fürst mit einer der Frauen ruht, und fragen die, ob er seine Pflicht erfüllt habe. Auch fordern sie anfangs dafür sichtbare Beweise, die sie feierlich den Schaulustigen vorzeigen. Das Lagerleben währt an dieser Stelle so lange, bis jede der beiden Festfrauen Mutterfreuden entgegensieht, nach anderen Angaben, bis jede ein Kind geboren hat, ja sogar bis jedes Kind sprechen kann oder Zähn- chen bekommen hat. Wenn alles in Ordnung ist, wird das Lager *) Nkumbi bedeutet einen Eingeweihten, die Jungfer, jedes nach geheimnisvollen Gebräuchen für mannbar erklärte jungfräuliche Mädchen. Vielleicht hängt der Ausdruck in diesem Sinne zusammen mit nkumbu, Mal, und meint hinsichtlich des Zeichens der Reife etwa: die zum ersten Male. Nkumbi heisst auch der Unterhändler, eine Gesandt- schaft, wozu nicht selten Weiber beordert werden, ein feierlicher Aufzug von Menschen, ein Haufe, ein Schwarm. Endlich bezeichnet nkumba den Nabel, ebenso einen Schrei der Überraschung, des Schreckens, und lunkümbu ein Blutzeichen in Beziehung auf die nkumbi, die zum Weibe geworden ist, sowie ein Opfer des Blutes von Beutetieren auf den Gräbern grosser Jäger und an den noch zu schildernden sogenannten Tierschädel- fetischen. 160 Brücke. Gräberfeld. Beisetzung des Vorgängers. abgebrochen, und der Festzug bewegt sich auf dem verbreiterten Luntämbi lu mbönsa nordwörts. Doch nur eine kurze Strecke. Andere Dörfler haben das von ihnen hergerichtete Stück des Königsweges durch einen aufgeputzten leichten Verhau oder Strick gesperrt und heischen nach altem Rechte eine Gabe, bevor sie die Schranken beseitigen. Nicht lange, und der Zug stockt abermals. Ein zweites Dorf übergibt Bakümbi, wozu ein neues Lager bezogen wird. So geht es fort. Dreimal, nach anderen siebenmal müssen Wegsperren durch Geschenke geöffnet werden, müssen Festjungfern den künftigen Landesvater erproben. Hat sich der endlich in solcher umständlichen Weise durch einen Teil des Reiches hindurch geheiratet und eine in einem halben Tage zu begehende Strecke nach Jahren zurückgelegt — während die Regentschaft um so viel länger re- siert — so ist der langwierigste Abschnitt des Krönungszuges erfüllt. Man befindet sich nun am Ufer des Flüsschens Nsongölo, das am Strande, wo es aufgestaut und lagunenartig erweitert, wegen seiner Ge- fährlichkeit sehr gefürchtet wird, weil es manchmal den Strandwall plötz- lich durchbricht (III 37). Dieses Gewässer hat der künftige König ober- halb der Lagune an schmaler Stelle auf einer eigens für ihn aus mehreren Ölpalmen hergestellten Brücke zu überschreiten. Die Stämme dürfen aber nirgendswo sonst als dort die Erde berühren, müssen demnach beim Fällen von vielen Leuten mit den Händen aufgefangen und zum Fluss getragen werden. Berührt ein fallender Stamm, der manchen Mann übel zurichten oder erschlagen mag, den Boden vorher, so lässt man ihn liegen und wählt einen anderen. Ob das Verunglücken durch fallende Stämme als verdienstlich galt, war nicht zu entscheiden. Über den Steg begibt sich der Fürst nach dem nahen Luändschili, nach der Ortschaft, deren Bewohner von alters her mit der Herstellung und Pflege der Königsgräber betraut sind. Hier wartet seiner der riesige Leichenwagen seines Vorgängers. Er ist von unzähligen Menschen auf einem durch Wälder und Savannen gebahnten, der nördlichen Strecke des Luntämbi lu mbönsa folgenden lulombe von der Residenz mühsam heran- gerollt worden. Nach Anordnung des künftigen Königs, der damit die Erb- schaft antritt, werden die Reste des Toten in die weite Grube gesenkt und mit Erde bedeckt. Ringsum werden Stosszähne von Elefanten als Grabzeichen des Herrschers aufgestellt. Die Frage, ob man dem Toten nicht auch Diener mit in das Grab gegeben habe, wurde mit Staunen und Gelächter aufgenommen. Man hielt das offenbar für einen schlechten Witz und meinte, in verständiger Selbsterkenntnis, brauchbare Leibeigene hätte man sicherlich lieber ver- kauft als vergraben. Dapper berichtet dagegen nach seinen Gewährs- männern: „Wenn sie einen König begraben, setzen sie Bildchen von Holz und roter Erde um die Leiche, töten auch Leibeigene, als Diener dem Keine Menschenopfer. Einzug in Buäli. 161 Könige aufzuwarten. Doch ist das Opfern an den Gräbern der Könige nicht mehr so gebräuchlich wie in älterer Zeit.“ Brun meldet, freilich auch nicht als Augenzeuge, dass mit einem Grossen viele Vornehme sterben, ihm im anderen Lande zu dienen, wo sie wieder Herren werden wie zuvor. Bei einem Festmahle der dem Tode Geweihten verabreicht ihnen der Oberpriester einen Trank, Saft von Wurzeln; sie trinken „und sind auf der Stätte tot“. Von einem Eingraben Lebendiger mit der Leiche ist nirgends die Rede. Es wird wohl so sein, wie mir ein verständiger Häuptling erklärte, dass nämlich beim Bestatten eines Herrn der eine oder andere seiner Getreuesten ihm freiwillig nachfolge oder, genauer ausgedrückt, sich ihm weihe. Denn er stürze sich weder ins Grab noch töte er sich. Er werfe nur, wie manches Eheweib, sem Haar zu dem Toten. Dieser hole dann die Lieben, die sich so gebunden hätten, nach, wenn er ihrer bedürfe. Bruns Angabe weist mehr auf die Hexenprobe hin, der sich alle unter- werfen mussten, die verdächtig waren, dem Verstorbenen durch Zauberei das Leben verkürzt zu haben. Uns versicherten allerdings erfahrene Euro- päer an der Küste, dass bei jeder Beisetzung von Grossleuten lebendige Menschen mit eingegraben zu werden pflegten. Aber gesehen hatte es keiner. Es empfiehlt sich, derlei gar zu gern verbreitete Behauptungen vorsichtig zu prüfen, Als unser uns nahestehender Nachbar, der Mab5ma Liümba von Yenga, ein im ganzen Lande hoch angesehener Würden- träger, in grossartiger Weise beerdigt wurde, sind Menschen sicherlich nicht mit ihm verscharrt worden. Aber Hexengerichte gab es. — Nach der ersten Staatshandlung des künftigen Königs, nämlich der Beisetzung der Reste seines Vorgängers, wird ein neuer Korb der schon beschriebenen Art gebracht, der für ihn Thron und später Sarg ist. Der Fürst steigt hinem und zieht nun, getragen von seinen Untertanen, als Lebender in seinem künftigen Sarge auf dem für den Leichenwagen her- gestellten lulombe in die Residenz ein. Daselbst sind für ihn neue Wohngebäude errichtet worden, neben den alten, die leer bleiben und verfallen. Ob der Einzug im Sarge bedeuten soll, dass ein Mtötila über- haupt nicht sterbe oder dass er sogleich wieder geboren werde, in seinen Nachfolger übergehe, darüber wussten meine Gewährsmänner nichts (Genaues. Der Gedanke war ihnen fremd. Erzähler im Königsgau liessen den Fürsten unterwegs nochmals an- halten und einen merkwürdigen Brauch vollziehen. Binnenwärts von der Loängobai liegt auf einer Erhebung ein durch auffällig regelmässige Formen ausgezeichnetes und allerhand Fetische bergendes Gehölz, das den Seeleuten als treffliche Landmarke dient. Es ist die Örtlichkeit, wo mutmasslich die Sterngucker des Königs Sirius und Mondsichel beobachteten (Seite 138). Den in höfischer Sprache Tschili tschi nkükuba, Loango. 11 162 Mtotila und Makünda. was ein Bebürdetsein andeutet, oft auch einfach Tschibila: Grund, Ur- sache, wundersames Geschehnis genannten Hain hatte der Fürst vor ver- sammeltem und lärmendem Volke dreimal auf dem rechten Beine zu um- hopsen oder überhaupt zu umhüpfen, wobei er sich nach anderen An- gaben auf die Schultern zweier Würdenträger stützte. Endlich in der Residenz Buäli angelangt, entsteigt er seinem Sarge, benutzt ihn nun als Thronsessel und wird mit allen Zeichen königlicher Würde geschmückt. Die Grossen des Reiches, die Abgesandten der Nachbarstaaten huldigen dem neuen Ma Loängo und bringen ihm Geschenke dar. Er beginnt die Regierung, indem er durch Aufhebung des Tschma seinem Reiche Friede und Freude, seinen Untertanen das Feuer wieder- gibt und seine Mitregentin begrüsst. Dann ernennt er seine Minister, bildet einen Hofstaat und befriedigt die ihm sich mit Geschenken nahen- den Bewerber um Ämter, Würden und Titel. Von nun an ist er eine behütete und gepflegte Persönlichkeit. Er befiehlt und spricht in höchster Instanz Recht. Er nimmt so viele Frauen wie ihm beliebt und tut, was ihm gut dünkt. Aber er darf niemals die Umgebung seines Wohnplatzes verlassen, niemals das Meer sehen, niemals irgendwelche aus Europa eingeführte Gegenstände berühren oder er- blicken, auch keinen Weissen. Jeder Untertan, der ihm naht, trägt aus- schliesslich einheimische Stoffe. Ruhe soll um ihn herrschen. Niemand darf ihn essen und trinken, gähnen oder sonst ein natürliches Bedürfnis verrichten sehen. Reste seiner Speisen und Getränke, sowie was von seinem Körper kommt, müssen sogleich heimlich beseitigt werden; aus- genommen ist der Speichel — mäta — den ein vertrauter Beamter, der Mamäta, zunächst in einem Basttüchlein auffängt. Mit der Aussenwelt durch die Grossen des Reiches verkehrend, thront der Mtötila in seiner Residenz Buäli. So lauten die Überlieferungen im Königsgau. Das strenge Tschina, das in schärferer Form gegolten haben soll, als die alten Berichterstatter angeben, dürfte, wie später zu erklären, seine Richtigkeit haben. Hier ist zunächst noch anderes einzufügen. Die Mitregentin des Ma Loängo, die bloss Dapper unter dem Namen Makonde erwähnt, Battell aber wahrscheinlich mit der Mani Lombo (Muene Liümba, Fürstentitel und Rufname) meint, war die Makünda. Diese Benennung ist wohl abzuleiten von kukünda, Ehrfurcht erweisen, huldigen, makünda, Huldigung und Belehnung, tschikünda, Erhöhung, Tenne des Hauses, zugleich mit der Bedeutung Heimat. Boten der Ma- künda, des Königs und der Land haltenden Fürsten, der Grundherren, wichtige Personen, hiessen und heissen Bakündı. Die einst sehr mächtige Makünda hat eine Art Heimats-, Landes- oder Erdmutter, auch eine Feuermutter sowie oberste Beraterin in Rechts- Gottespfade. Adoption. 163 und Staatssachen vorgestellt. Zugleich ist sie eine Vertreterin der Mütter gewesen, der Mehrerinnen des Stammes, die alle Last und Plage der Vermehrung trugen und die natürlichen Oberhäupter der Blutsgemein- schaften, der Familien waren. Bei Adoptionen und Belehnungen, sowie bei Sühnung der Verstösse gegen das grosse Tschina in Liebessachen muss die Makünda eine Hauptperson gewesen sein. Schliesslich war es nicht die geringste ihrer Vollmachten, Weiber gegen Männer zu schützen. Hier zunächst, was darüber im Lande erzählt wurde und was noch in einiger Übung geblieben ist. Wer Recht, Gunst oder Hilfe vom Mtötila oder von der Makünda erhoffte, konnte sich auf bestimmten Wegen unbehelligt ihnen nähern. Diese Freibahnen waren: der Meeresstrand in der ganzen Ausdehnung des Reiches, der von ihm abzweigende Luntämbi lu mbensa und ein dritter Pfad, der von der Loängobai über Lubü sowie Luändschili mit den Königsgräbern ostwärts zum Gebirge führte. Die übrigen Verkehrslinien des Landes standen streckenweise in der Gewalt der verschiedenen Dorf- und Gauherren, die genannten aber verbürgten jeg- licher Person Sicherheit der Bewegung. Eingeschlossen war freie Überfahrt gen Loängo über die Flüsse Ludme, Nsongölo und Kuilu, wo an den Kreuzungsstellen, wie an denen der Grenzflüsse Tsschiloängo und Nümbi Königsfergen, nämlich staatlich angestellte und verantwortliche Leute die Fährplätze überwachten. Der gewöhnliche Pfad heisst nsila, plur. sinsila, die noch öfter zu er- wähnende, weil in Gerichtssachen wichtige Stelle, wo er sich gabelt oder mit einem anderen kreuzt mpämbu, plur. simpämbu. Die einst zum Herrscher- hof führenden Freibahnen heissen sinsıla si Nsämbi, wörtlich: Pfade Gottes. Das strenge Tschina, das verbot, auf den Gotteswegen irgend jemand zu belästigen oder zu greifen, hat nach der Königszeit nur ganz allmählich und für den Luntämbi lu mbensa, wo noch andere Überliefe- rungen nachwirken, erst in neuester Zeit an Kraft verloren. Mann, Weib oder Kind, Freier, Höriger, Leibeigener, Unbescholtener oder Verbrecher, Einheimischer oder Fremder, wer immer zum Mtötila oder zur Makünda wollte, suchte den nächsten Gottespfad zu erreichen und pilgerte dann in Ruhe seinem Ziele zu. Der Zuläufer, der von der Makünda adoptiert zu werden wünschte, kniete oder warf sich vor ihr nieder — wobei Männer ihre Geschlechts- teile einzuklemmen hatten —, schlug die Erde, und nahm davon auf die Zunge, wurde von der Herrin unter den Armen sinnbildlich vom Boden abgehoben und küsste wie saugend ihre Brüste. So ward er ihr eigen, stand fortan unter ihrem Schutz und Recht als Kind der Erde — muäna mu nssi, plur. b’ana (baäna) ba nssi. Und diese Kinder der Erde, die die Hausmacht der Regierenden verstärkten, siedelte die Makünda auf ihrem 11* 164 Makunda. Grund und Boden an oder überwies sie zum gleichen Zwecke, wohl in Gemeinschaft mit dem Mtötila, an altbewährte oder neu ernannte Lehns- leute. Solche Kinder der Erde waren gleichsam staatshörig, eigentlich so gut wie freie Leute. Sie standen sich viel besser als gewöhnliche, stets an Personen gebundene Hörige. Die Adoption konnte auch gegen den Willen der Makünda durch flüchtiges Ausführen der Säuglingshandlung erlistet werden, doch dürften alle oder die meisten Flüchtlinge der Fürstin willkommen gewesen sein, da sie ihre Hausmacht vermehrten. Menschen waren und sind Reichtum sowie Macht. Darum haben bis in die neuere Zeit beliebige Fürstinnen auf eigenem Grund und Boden in ähnlicher Weise Adoptionen vollzogen, wovon später zu handeln sein wird. Frauen und Mädchen, die gegen Männer, auch gegen Ehegatten und Verwandte Klage erheben wollten, wanderten ebenfalls zur Makünda, liessen sich aber nicht adoptieren, sondern riefen sie als Richterin an. Darauf wurden die Beklagten vorgefordert und, je nach Ausfall des Pa- lavers, ermahnt, gebüsst, durch Versprechen und sogar Bürgen gebunden, hauptsächlich Ehemänner, die ihre Frauen vernachlässigt oder gar körper- lich gemisshandelt hatten. Diese Einrichtung hätten die Weiber gewiss gern bis zur Gegenwart in vollem Umfange bewahrt, Aber sie ist, wie so manches Alte, in Verfall geraten und wird nur noch im kleinen ge- übt, von Land haltenden Fürstinnen für ihre Untertanen oder so weit ihre Macht überhaupt anerkannt wird. Immerhin haben gekränkte Weiber noch gegenwärtig Mittel, beliebige Männer, selbst Fremdlinge mit ihren Angelegenheiten zu belasten und sie sich zu Anwälten zu gewinnen. Dies geschieht durch Anrufen und Antasten, und sogar Schlagen der Person, durch Kapern eines Besitzstückes oder einstweilen durch Lagern auf der Schwelle der Wohnung. Bei Belehnungen, wenn Grossleute ernannt, über Gaue gesetzt, wenn Gemeinden angesiedelt wurden, war die Makünda allein oder mit dem Mbtötila beteilist. Auch pfleste sie dabei Schwanzhaare vom gewaltigsten Tiere des Landes, vom Elefanten, zu verleihen, der, wie sogleich zu erzählen ist, in der Herrschersage ebenfalls eine Role spielt. Diese Schwanzhaare, die, vielleicht bedeutsam, mkünda, plur. mikünda heissen, waren, nebst dem Elfenbein, ein Regal, und galten, wie bei "ns Orden, als Auszeichnung. Der Handel mit Schwanzquasten von Ele- fanten wurde schon in alter Zeit in Niederguinea eifrig betrieben. Die drahtähnlichen Haare, je länger desto wertvoller, wurden und werden noch heute als hoch geschätzter Schmuck um den Hals getragen. Sie sewinnen an Kostbarkeit, wenn sie mit Leopardenkrallen verziert sind. Noch zu unserer Zeit überreichte eine Fürstin der konservativen Gaue Staatsfeuer. 165 einem Gaste, auch einem Fremdling, den sie recht ehren wollte, ein solches Andenken, was ein Fürst nicht tut. Welche Bedeutung die Makünda sonst noch gehabt haben mag — Weiber in ähnlicher Stellung fanden und finden sich noch gegenwärtig in verschiedenen Staatswesen Afrikas —, sie musste jedenfalls eine Fürstin, durfte aber nicht die leibliche Mutter des Ma Loango sein. Auch konnte sie in keinem ehelichen Verhältnisse zu ihm stehen, da alle fürstlichen Personen Loängos als Geschwister gelten. Vielleicht war sie die älteste oder klügste ihres Geschlechtes, gewiss aber das höchststehende Weib im Lande. Oft mag sie mehr als der König regiert und in wich- tigen Angelegenheiten entschieden haben, denn ihre Freiheit ist in jeg- licher Hinsicht unbeschränkt gewesen. Hatte sie doch, laut Dapper, eine solche Macht, dass sie den ihr widerstrebenden König „aus dem Mittel zu räumen“ vermochte. Sie brauchte nicht in der Residenz zu wohnen, erschien aber, wenn es Not tat, und wurde allezeit um Rat ersucht. Ein Ausdruck für entscheidendes Überlegen in ernsten Dingen, näm- lich: das alte oder kluge Weib fragen, deutet wohl noch auf die hohe Stellung der Makünda als Beraterin und Richterin hin. Ebenso dürfen wir mancherlei, das uns im Frauenleben als befremdlich aufstossen wird, von ihrem Einfluss herleiten. In einem Staatswesen, wo das Mutterrecht die Grundlage der Familie ist, wo Kinderreichtum als hohes Glück ge- priesen wird, wo der künftige Herrscher von Amts wegen durch die Ba- kümbi erprobt wurde, und wo eine ihres Geschlechtes in höchster Macht- vollkommenheit waltete, konnten Frauen keine Nullen sein. — Die wichtigste Handlung des neuen Ma Loängo war, der Plage des Interregnums ein Ende zu machen und dem Volke das Feuer wiederzu- geben. Hierbei handelte es sich weniger um gemeine Haus- und Koch- feuer, als um heilige Feuer, um das Staatsfeuer. Darüber gibt es vielerlei Angaben, deren gesichteter und verein- fachter Inhalt, denn unerschöpflich ist der Eingeborenen Phantasie, ge- eignet erscheint, wichtige Einblicke in frühere Zustände zu eröffnen. Wir stossen da auf weitschichtige Überlieferungen, in die mancherlei aus der frühesten Missionstätigkeit im Reiche südlich vom Kongo eingeflochten sein mag. Auch ist nochmals zu bemerken, dass die Bafiöti behaupten, ihre Vorfahren seien einst von Norden her aus grosser Ferne in ihre gegenwärtige Heimat eingezogen, ihr Herrschergeschlecht sei von Süden her gekommen. In der Sage von der Herkunft und dem Einzuge des ersten Ma Loängo spielt ein oder der Elefant sowie ein oder der Fährmann eine bedeutsame Rolle. Ich sage mit Fleiss ein oder der Elefant und Fähr- mann. Denn es handelt sich hierbei um den Sinn von Worten, dem 166 Nsau. Fährmann. überhaupt nachzuspüren zu den dankbarsten Aufgaben künftiger Forschung gehören dürfte. Nsäu, nsäo heisst allgemein der Elefant, stellenweise aber auch ein Mann, der die Aufsicht über einen Fährplatz am Flusse führt. Solch ein Fährmann ist oder war eine Respektsperson, beansprucht das Vor- recht für das wichtige Geschäft des Übersetzens, und waltet — wovon sich auch im Nibelungenliede Spuren finden — seines Amtes mit einer nicht geringen Machtbefugnis. Diese muss zur Königszeit recht gross gewesen sein, insbesondere am Nsongölo, wo der Luntämbi lu mbensa, an den Mündungen des Lu&me und Kuilu, wo der Gottesweg am Strande kreuzt, sowie an den Grenzflüssen des engeren Reiches, am T'schiloängo im Süden und Nümbi im Norden. Diese Grenzflüsse durften und dürfen von allen fürstlichen Personen Loängos bei Verlust ihres Ranges, ihrer Kaste nicht übersetzt werden. Ein an solch wichtigem Fährplatze an- gestellter Ferge war ein Mfüka mäsi, ein Aufseher, Hüter, Herr des Wassers, ein Charon für die Lebendigen. Einen Fluss kreuzen heisst kusäula und kusäbula, und der Ferge Nsabusi oder Munsäbusi, plur. Sinsäbusi, besser Bansäbusi.*“) Nsäbusi wird aber im Volksmunde verschiedentlich zu Nsäbu und sogar Nsäu, womit zu guter Letzt auch die Anlände, der Liegeplatz des Fährkahnes, manchmal irgend eine bedeutsame Stelle gemeint ist. Daher die Schwierigkeit, immer scharf zu entscheiden, ob und wo sich in den folgenden Über- lieferungen der Ausdruck nsäu auf den Elefanten, auf den Fährmann, auf die Anlände, oder ob er sich gar auf Eigennamen bezieht, die wieder- um in der Schöpfungsgeschichte wie im Familienleben von Bedeutung sind, Zudem handelt es sich sowohl beim Fergen als beim Elefanten hauptsächlich um Wasser, Erde, Feuer. Ein arg verwittertes, fast einen Meter hohes Holzbildwerk, nicht etwa ein Fetisch, einen in grossem Staate auf einem Elefanten reitenden Menschen darstellend, steht im alten Königsgau am Luntämbi lu mbensa, unfern vom Dorfe Lubü. Mein kundiger Führer, der alte Maböma Vinga, der Hüter der Fürstengräber auf dem Hügel von Lubü, ein afrikanischer Biedermann, voller List und unerschöpflich im Erzählen aus Loängos Vorzeit, erklärte, das Bildwerk stellte den Ma Loängo auf dem Elefanten dar. Der nämliche Vorwurf ist vielfach auf uralten geschnitzten Ele- fantenzähnen, sowie auf den schon beschriebenen Festposaunen behandelt, und hat bis zur Gegenwart die Phantasie einheimischer Schnitzkünstler *) Bei diesem Ausdrucke denkt man aus mancherlei, allmählich zu erklärenden Gründen auch an nsä, All, Ganzes, an nsäbu, eine Opferhandlung, endlich an nssi, Gau, Erde, Land, und sogar an mubussi, plur. babüssi, Hebamme. Nsämbu heisst die Abgabe für die Überfahrt, der Fährzoll, nsämbu auch der erste Schrei des neugeborenen Kindes. Holzbild. Nkungu. 167 in mannigfaltiger Weise befruchtet. Nur ist in neuerer Zeit an Stelle des fast ausgerotteten Elefanten vielfach das Schwein getreten. Das war der Überlieferung von der Herkunft und dem Einzuge des ersten Ma Loängo, mit dem das Feuer gekommen sein soll, vorauszu- schicken. Die Sage beginnt mit Nküngu oder Nköngo, dem grossen Vater. Nküngu hatte viele, viele Kinder. Er sandte sie aus über das Land. Ein jedes zog für sich fürbass. Wohin sie kamen, da fielen Regen, da gab es Wild und Früchte, die Menschen litten weder Hunger noch Not. Wo sie rasteten, da brannte Feuer, da sprudelte Wasser, da wurde die Erde gut,. und immerdar grünten Gras, Kräuter, Büsche, Bäume. Einer von Nküngus Söhnen erreichte das Ufer des Tschiloängo, wo der Fluss in das Meer läuft. Es war Nacht. Er rief nach Nsäu, dass der ihn übersetze; er rief wieder und nochmals. Nsäu schlief fest und hörte nicht. Aber seine Frau, Mbüta genannt, vernahm das Rufen. Sie lief zur Hütte ihres Mannes, tappte an die Wand, tappte stärker und immer stärker, bis er erwachte. Nsäu erhob sich und trat hinaus. Er antwortete und fragte, wer da wäre. Es kam zurück: der Sohn von Nküngu, dem grossen Vater. Da ging der Fährmann über den Platz zum Ufer, schob einen Kahn vom Sande und ruderte über den Fluss. Es war finster, aber der, der ihn gerufen hatte, leuchtete hell, und wo er stand, war es licht wie am Tage. Dahin lenkte der Ferge seinen Einbaum. Nküngus Sohn trat heran und stieg ein, wie er aber einstieg, drückte er den Nachen unter Wasser. Nsäu schrie, seine Leute am anderen Ufer schrieen, und viel, viel Volk lief herbei und schrie. Nsau schöpfte das Wasser aus, fuhr zurück und holte einen grösseren Kahn; aber auch dieser vermochte Nküngus Sohn nicht zu tragen. Wieder schöpfte Nsäu das Wasser aus, kreuzte den Fluss und machte mit Hilfe der Leute sein grösstes Fahrzeug flott. Vergebens. Der merkwürdige Vorgang wiederholte sich zum dritten Male. Unfern von der Stelle, wo sich das begab, lag ein winziger Fischer- nachen auf dem Strande am Meere. -Dorthin wandte sich Nküngus Sohn. Der Kahn nahm ihn auf und sank nicht. Nküngus Sohn leuchtete wie eine Fackel, fuhr um die Mündung des Tschiloängo über das Meer und kam zum Strande. Dort wimmelte es von Menschen. Sie boten ihm Obdach, Speise und Trank. Er aber trat in keine Hütte, er nächtigte in keinem Dorfe, er nahm weder Speise noch Trank, sondern zog seines Weges. Mit ihm gingen die Menschen und immer neue Scharen gesellten sich zu ihnen. Denn es war grosse Aufregung im Lande und grosses Geschrei über die merkwürdige Begebenheit. Boten liefen nach allen Richtungen. Wo Nküngus Sohn rastete, da brannte Feuer, da war Wasser, da reiften Früchte, da blieb die Erde grün. Er war der erste Ma Loängo. 168 Nkungu. Elefant. Mbüta. Andere Gewährsleute behaupteten dagegen, dass Nküngus leuch- tender Sohn, nachdem die Fahrzeuge sich dreimal unzulänglich erwiesen hatten, über das Wasser geschritten wäre wie auf festem Boden. Andere meldeten, er wäre über Land gezogen und hätte die Quellen des Flusses umgangen. Noch andere wussten, dass sich diese Begebenheit mit den Kähnen in anderer Weise zugetragen hätte. Nämlich so. Eine Loängo- fürstin hatte einen ihre Heimat besuchenden Standesgenossen aus Ka- köngo in ihr Herz geschlossen. Als dieser heimgekehrt war, versuchte sie, ihm über den T'schiloängo zu folgen. Das ist ihr aber, wie wir schon wissen, verboten. Trotzdem war der Fährmann gewillt, sie über- zusetzen, aber dabei ereignete sich das Versinken der Fahrzeuge. Oder: der getreue Ferge, von der Absicht der Fürstin unterrichtet, hatte sich mit seinen Kähnen an das Südufer des T'schiloängo zurückgezogen, und verweigerte die Fahrt. Da stieg die am Ufer entlang irrende Fürstin in den Fluss, um ihn irgendwie zu kreuzen. Sie verschwand in den Fluten und ward niemals wieder gesehen. Seit jener Zeit singt am Tschiloängo der verzauberte Vogel (Seite 102). Gewährsmänner, die so erzählten, liessen Nküngus Sohn in anderer Weise in sein Land kommen. Danach ist er auf nsäu, dem Elefanten, erschienen, und zwar aus dem grossen Wasser, aus dem Meere, dessen Anblick ja nachmals dem Ma Loängo verboten war, wie ihn auch heute noch viele Fürsten Loängos ängstlich scheuen. Es wird aber auch be- hauptet, dass der Elefant Nküngus Sohn durch den Tschiloängo, ferner, dass er ihn durch den Nsongölo, wo beim Krönungszuge die Brücke ge- baut wurde, getragen habe. Dort sei dem künftigen Herrscher das schöne Mädchen Mbüta aus Luändschili mit dem Wasserkruge auf dem Kopfe, begegnet, und habe ihm im Königsgau den ersten Gruss geboten. Sie habe ihm so gefallen, dass er ihr zum Zeichen seiner Huld den Elfenbeinring übergeben und sie hierdurch an sich gefesselt habe. Da- nach wäre Mbüta des ersten Ma Loängo erste Frau gewesen. Mbüta, die Gebärerin, Ältere — kubüta gebären — ist ein Ehrenname für eine kinderreiche Mutter. Auch wird eine gute Leghenne so genannt. Ausser- dem kommt ein Wortspiel mit Flinte, Ladestock und Losgehen in Be- tracht. Noch anderen Überlieferungen ist zu entnehmen, dass unter dem grossen Wasser nicht das Meer, sondern der Kongo zu verstehen sei. Von dieser Sage finden sich Spuren am Kongo selbst. Oberhalb Böma, wo das Bett des Stromes sich verengt, liegt nahe am Nordufer die Insel Tschissäla, der ein Eiland vorgelagert ist, das Europäer nicht betreten sollen, weil auf ihm sich die Ruhestätten der grossen Häuptlinge befinden. Auch deren Vorfahre soll auf einem Elefanten den Strom gekreuzt und auf dem Eilande gerastet haben. Als daselbst während meines zweiten Nkungu. Gewässernamen. 169 Besuches im Jahre 1882 ein einsamer Elefant den Kongo durchschwamm, erschien das dem Volke als bedeutsames Ereignis.”) Solche und andere Erzählungen weisen nach Süden und auf die Beziehungen hin, die vor Ankunft der Europäer zwischen unserem Ge- biete und dem grösseren, unter dem Ansturm der Portugiesen zerfallenen Kongoreiche, bestanden haben mögen, wie Lopez berichtet. Nur darf die Ähnlichkeit des Namens Nküngu oder Nköngo mit dem von Euro- päern, in neuerer Zeit auch von Eingeborenen für den Hauptstrom und das südliche Reich gebrauchten, keinesfalls dazu verleiten, Nküngu, den grossen Vater, und Kongo””), den grossen Strom oder das grosse Reich zusammen zu koppeln. In der Landessprache heisst der Kongo Nsadi, sein weites Ästuar auch Muänsa und in den Verzweigungen am nördlichen Ufer stellenweise Kuängo, Nyänsa Nsädi und Muänsa Nsädi sind Pleonasmen. Nyänsa, nyänga, nänga, muänsa, nsädi, nyädi, nyäli bedeuten überhaupt grösseres Gewässer, See, Strom, Fluss, die drei letzten Ausdrücke gewöhnlich stark .Hiessende Gewässer, Eine letzte Bezeichnung, nköko, ist landläufig für Priele und irgendwelche grosse oder kleine Wasserläufe auf der Südseite des Kongo und ebenso im Inneren, wo wir gewisse Anwohner bereits als Baköko und ihre Häuptlinge als Makoko kennen gelernt haben. Der Ausdruck nköko, den ich auch im Kamerungebiete gefunden habe, wird an der Loängoküste nicht gebraucht, es wäre denn, wie früher besprochen, bei den Bawümbu-Gemeinden. Nküngu oder nköngo, vereinzelt auch nkünga, bezeichnet 'einen eif- rigen Jäger, einen Nimrod. Das wenig gebrauchte Zeitwort kukünga bedeutet Beeren und Früchte einheimsen, als Flüchtling von Feld- und Waldkost leben, wozu kleines und grosses Getier gehört, demnach er- beuten, jagen, wie es die Lebensweise umherschweifender Leute mit sich bringt. In ähnlicher Bedeutung fand ich das Wort könga auch bei den Ovahörerö, wo unsere deutschen Missionare mich belehrten. In Loängo wird es im angegebenen Sinne auch für das geschilderte Raubrecht ge- braucht, das die Angehörigen verstorbener Grossleute ausüben. Unsere Jungen wandten es scherzhaft an, wenn sie ausgeschickt wurden, Vögel zu schiessen, Insekten zu fangen, Früchte für den Gorilla und anderes mehr zu besorgen. *) Auf der Hauptinsel befinden sich drei vergessene Gräber von Europäern. Dort ruhen seit dem Jahre 1816 drei Offiziere, nämlich Cranch, Galwey, Tudor von der un- glücklichen Expedition des verdienstvollen Tuckey. =) Kongo ist ein Ausdruck für braune Färbung, etwa für kaffeebraun. So ungefähr sieht zur Schwellzeit das Kongowasser an der Mündung neben dem Seewasser aus. Viel- leicht hat einst ein Eingeborener, die hinweisende Gebärde und die Frage eines Europäers nach dem Namen des Flusses missverstehend, die Wasserfarbe bezeichnet. 170 Staatsfeuer. Dies alles erscheint beachtenswert nicht nur für die zunächst fol- senden Erzählungen, sondern auch für spätere, die in das Kapitel der religiösen Vorstellungen gehören. Denn der Kern der Sage von Nküngus Sohn dürfte einer sehr alten Zeit entstammen, während welcher die Vorfahren der Bafiöti vielleicht ein Wanderleben führten und auf den Gräbern grosser Jäger opferten. Solche Einrichtungen weisen aber darauf hin, dass damals die Leute in Steppengebieten hausten. Denn ein Savannengebiet wie das, wo jetzt die Nachkommen sitzen, und das sich durch ganz Mittelafrika bis zu dem Seenhochland hinzieht, ist eben- sowenig für ein Hirtenvolk wie für ein Jägervolk geeignet. Die bereits Seite 159 erwähnte Blutgabe — lunkümbu — darbringen, heisst kusäba, die Handlung nsäbu und lunsäbu, was wieder an die Bezeichnung des Fährmannes erinnert. Hier beschäftigt uns zunächst, dass Nküngus Sohn, der erste Ma Loängo, als Feuerbringer aufgefasst wird, dass er leuchtete, dass, wo er rastete, auch wo der Elefant aus seinem Rüssel blies, Feuer brannte. Unter diesen Feuern ist nicht gemeines Gebrauchsfeuer, sondern sind heilige Feuer, Staatsfeuer zu verstehen, die, während ein König regierte, in den verschiedenen Gauen oder Provinzen brennend erhalten, wenn ein König starb, gelöscht wurden. Die wichtigsten dieser Feuer- stellen sollen wiederum die sein, wo damals der erste Ma Loängo gerastet hat. Und ebenda oder nahebei finden sich die sogenannten Tierschädel- fetische, wo erfolgreiche Jäger zwar kein Blut mehr opfern, wie es süd- lich des Kongo in Steppenstrichen landeinwärts von Maküla und Kin- sembo geschieht, wo sie dagegen die Köpfe von erbeutetem Grosswild abzuliefern haben.”*) In Loängo wurden die Staatsfeuer von Beamten gewartet, die wir aus anderswo zu erörternden Gründen als Priester und Schmiede zugleich, als eine Art Reichsschmiede, als Priesterschmiede ansehen können. Hier- für ist bemerkenswert, dass ihr meines Wissens letzter Vertreter als Kunstschmied, der Maböma Vinga von Lubü, die Düse seines Blase- balges Elefantenrüssel nannte. Wo solche Staatsfeuer brannten, da befanden sich auch gewisse Verehrungsstätten der alten Gaue oder beide gehörten vielmehr zusammen: Verwirrend in den Überlieferungen, die ja bloss stückweise zu erlau- schen sind, ist, dass oft von einem Weibe statt von einem Manne geredet *) Im Hererölande, wo die Rinder die Hauptrolle spielen, wo es heilige Rinder gibt und Rinderschädel nach Totenfesten aufgestapelt und auf Stangen bewahrt werden, brennen ebenfalls heilige Feuer oder Staatsfeuer. Den Dienst haben Feuerjungfern, die, wenn die Weideplätze gewechselt werden, das Feuer mit sich tragen. Und weiter ost- wärts, im alten Reiche Monomotapa, dessen Grossherrn auf Elefanten ritten, brannten nach Dapper ebenfalls Staatsfeuer. Dort finden sich auch noch in der Gegenwart Spuren des Feuerkultus. =] Bu Gebrauchsfeuer. 1 wird, was übrigens mehrfach vorkommt, auch in religiösen Dingen. Dieses Weib hat mit dem Feuer zu tun. Man denkt sogleich an die Mitregentin, an die Makünda als Feuermutter, zumal das Herdfeuer der Hausfrau wie das Feuer in der Hütte einer Wöchnerin noch heute seine besondere Bedeutung hat. Wenn nur anderes damit stimmte. Die Makünda stand sehr hoch, in mancher Hinsicht sogar über dem Könige, trotzdem wird von ihr viel weniger als von ihm berichtet, auch hat sie nicht wie dieser bis zur Gegenwart einen amtlichen Vertreter, so eine Vertreterin gehabt. Denn dass etliche Fürstinnen gelegentlich noch einige ihrer Vorrechte ausüben, ist eine blosse Nachahmung, die Vorteile bringt. Sobald ein Ma Loängo gestorben war, mussten die Staatsfeuer erlöschen. Die Kultusstätten der Gaue wurden geschlossen, wohl in dem Glauben, dass die dort verehrte Macht Land und Volk sich selbst über- lassen habe. Die Welt stand still. Das erdrückende Tschina trat in Kraft. Und dieser feuerlose Zustand dauerte während der königlosen Zeit, so lange ein Ngänga mvümbi als Reichsverweser regierte. So lange währte auch das Rauben der Leichendiener, überhaupt die Schreckenszeit. Nun können wir ganz verstehen, dass die erwähnte erste Herrscher- tat des neuen Ma Loängo, die dem Volke das Feuer wieder gab, nicht bloss symbolisch war. Sie war eine Handlung von grosser politischer, reli- giöser und wirtschaftlicher Bedeutung. Der Herrscher, der die heiligen Staatsfeuer an den Verehrungsstätten entzünden liess, von wo sich die Untertanen vermutlich das Herdfeuer holten, machte damit dem schwer auf dem Lande lastenden Tschina und der Schreckensherrschaft des Interregnums em Ende. Friede und Freude kamen über das Reich, und die Menschen durften wieder das Leben geniessen. Kein Wunder, wenn sie dem neuen Herrscher wie einem Erlöser zujubelten. Jeder neue Mtötila war ihnen ein Messias. Nach allem, was im Königsgau, wo Folklore — tschingäna; m’ämbu (ma) baktlu, Worte, Überlieferungen der Vorfahren — am reichlichsten quillt, zu erlauschen war, muss die ‚Erneuerung des Feuers ein grosses Volksfest und das ersehnte Höhe- sowie Schlussstück der Königsfeier gewesen sein. Das heilige Staatsfeuer wird nicht wie das gemeine Feuer mbäsu, was heiss bedeutet, sondern Ntüfia genannt. Ein Ausdruck, der an ntüfi, Losung, Auswurf, und damit an die Losung des den Ma Loängo tragen- den Elefanten erinnert, — falls man ihn nicht, noch kühner, dahin deuten will, dass einst die Vorfahren in Steppen vielleicht Rindermist oder dergleichen gebrannt haben. Im gemeinen Leben heisst Feuer machen: vänga mbäsu, selten wird für vänga und kuvänga, machen, herrichten, anfertigen, tätika gesetzt. Dabei ist zu bemerken, dass der Eingeborene Feuer nicht neu zu erzeugen 172 Erzeugung: des Feuers. Feuerfest. pflegt, sondern es bloss anfacht, weil er es im glimmenden Feuerbrande, im schwelenden Pflanzenmark oder verrotteten Holze zu Land und zu Wasser mit sich nimmt, falls er nicht hoffen kann, es an einem viel besuchten Lagerplatze zu finden oder aus einem Dorfe zu erhalten. Tuäla mbäsu, Feuer beschaffen. Dr. Güssfeldt sah Feuer schlagen (T 165). Man bläst das Feuer nicht mit dem Munde an, sondern man wedelt, um es zu beleben. Doch ist man nicht mehr so ängstlich mit dem Atem wie früher. Diener von Europäern pusten Petroleumlampen aus, weil sie die Flamme nicht anders löschen können, Lichter dagegen drücken sie meistens mit den Fingern aus. Das sind freilich fremdartige Dinge. Aber man verlernt dadurch allmählich auch, das eigene Gebrauchsfeuer in geziemender Weise zu behandeln. Jemand Feuer zu verweigern wäre eine Ungezogenheit, eine Belei- digung, etwa so, als wenn bei uns auf der Strasse ein Raucher dem anderen die Zigarre verweigern wollte, es wäre ein geradezu feindseliges Verhalten. Wer aber von einem Grossen unter gewissen Förmlichkeiten Feuer erbittet, stellt sich unter seine Oberhoheit. Der Gutgesinnte, der einen Laagerplatz verlässt, deckt sein Feuer sorgsam mit Asche, damit Nachkommende die noch glühenden Kohlen anfachen können, der Übel- gesinnte wirft die Brände auseinander. Das neben kuvänga genannte Wort kutätika bedeutet antippen, kitzeln, kratzen und, wohl erst seit Einführung der Zündhölzer, auch Feuer anstreichen, wenn im Auftrage eines Zündholzbesitzers em Licht, eine Lampe, eine Fackel anzubrennen ist — tätika muinda. Wenn aber ein Ma Loängo das Staatsfeuer erzeugen liess, so hiess das kudyömba. Das Werk mussten ein Jüngling und eine Jungfrau ver- richten, die eigens dazu, erzogen und sorgsam behütet wurden, weil sie nicht wissen durften, was ihnen bevorstand. Kudy&cmba bedeutet Friede oder Freundschaft stiften, sich etwas Liebes antun, sich vereinigen, scherzhaft auch bohren; tschyembu, Koha- bitation. Ausserdem ist, vielleicht nicht bedeutungslos, tschiny&mba ein Ausdruck für Seele. Tschy&mbu ist zugleich ein zwar vertraulicher aber nicht unehrerbietiger Titel, den ein angesehener Mann bei der Anrede einer Fürstin gebrauchen kann, welcher ja Männer nach Belieben zu Willen sein müssen. Kudyemba gilt nun hier doppelsinnig, auch für Feuer erzeugen. Denn das Staatsfeuer wurde mittelst zweier Hölzer errieben oder erbohrt. Daher Mannholz und Weibholz, ferner das Feuer als Kind des unteren Holzes, und das Rätsel vom Kinde, das die eigene Mutter frisst. Das auserwählte Paar, die beiden dazu erzogenen jungen Leute mussten vor dem Könige nebst Hofstaat und versammeltem Volke unter grossem Schaugepränge kudycmba machen, und zwar pönsa, was eben- Kudyemba. Ältere Nachrichten. 173 sogut öftentlich wie ohne alles, nackt bedeuten kann. Ja sie hatten es pensa im zwiefachen Sinne zu verrichten, das Feuerreiben und das andere, das in der königlosen Zeit tschina war, wozu sie ermuntert, gedrängt werden mussten. Denn von der nkümbi heisst es: jammern, sich sträuben, vergehen vor Scham und Schande. Auf einen Wink wurden dann die beiden Ahnungslosen, damit sie es niemals wieder tun könnten, jählings in eine verdeckte Grube gestossen und in rasender Eile mit Erde verschüttet. Daran beteiligten sich unter ungeheurem Gelärme möglichst viele. Es kam darauf an, die Opfer am Schreien zu verhindern, ihre Stimmen zu übertäuben, damit sie nicht auf . das Haupt, auf das Leben des neuen Ma Loängo schwören konnten. Am Königstage wurden ferner alle Personen freigelassen, die um Schulden willen als Geiseln hafteten. Ihre Verpflichtung war aufgehoben. Über anderes bei dem Feuerfeste Gebräuchliches, über einen Trank, den die Opfer schluckten, besonders über das Zertrümmern vieler Töpfe, deren Scherben mit in die Grube geworfen wurden, was von Bedeutung gewesen sein muss, war befriedigende Aufklärung nicht zu erlangen. Wahrscheinlich galt es, ans neue Feuer auch neues Geschirr zu rücken und das alte zu zerstören. Das Zerbrechen von allerlei Gefässen ist noch bei Heiraten sowie bei Begräbnissen im Schwange, auch ist es eines der Mittel, sich in Hörigkeit zu bringen. In Proyarts Buch findet sich eine Stelle, wonach den Missionaren, als sie im Jahre 1773 von Yümba nach Kaköngo zogen, im Königsgau auffiel, dass im Dorfe Lubü ein Jüngling und ein Mädchen unterhalten wurden, die bei Todesstrafe in völliger Keuschheit leben mussten. Viel- leicht waren sie ein für das Feuerfest erzogenes Paar. Däpper berichtet aus einer um mehr als hundert Jahre früheren Zeit folgendes: „Wan es sich begiebet, es begiebt sich aber vielmahls, dass eine Jungfrau, ehe sie ihre Stunden gehabt, beschlafen wird; so müssen sie alle beide, in gegenwart etlicher hundert Menschen, bey dem Könige vor seinem Hofe erscheinen, und weisen, wie sie mit einander das Werck verrichtet: darbey dan wunderliche Possen vorgehen.“ Da Dapper nur nacherzählt, und da die Berichte aus früherer Zeit dem Absonderlichen nicht stets auf den Grund gehen, so wäre immerhin anzunehmen, dass manches, das sich auf die geschilderte Feier, und anderes, das sich auf den Bruch des grossen T'schina bezog, verwechselt und vermengt worden ist. Übeltäter, die sich, wie Dapper schildert und sonstwie in dieser Hinsicht vergangen haben, büssten und büssen ihre Schuld in anderer Weise, Das auserwählte Paar hiess Buäli. Das Wort bedeutet zwei, im weiteren Sinne ein Paar, nämlich zwei treu verbundene Freunde oder Gefährten, auch durch Blutsbrüderschaft verbundene Seelenfreunde. Des 174 Feuerbrand und Fackel. Simbau. Ma Loängo Residenz, wo das Fest der Feuererneuerung gefeiert wurde, trug und trägt noch heute den Namen Buäli, der sich allerdings auch auf die Doppelherrschaft des Mtotila und der Makünda beziehen konnte. Freilich ist Buäli als Ortschaft nicht mehr vorhanden, da ja kein König mehr regiert. Aber der Name ist der Umgebung von Tschingänga-mvumbi, wo der Reichsverweser zu wohnen pflegt, verblieben. In diesem Landstrich finden sich noch vielerlei geweihte, in dicht verwachsenen Buschwäldchen und Dornhagen versteckte Stellen, sowie Fetischbauten, denen kein Unberufener nahen soll. Darunter auch, dem Glauben nach, die Königshalle mit den Resten des letzten Ma Loängo. Das in der beschriebenen Weise erzeugte Staatsfeuer, das nicht hell brannte und flackerte, sondern in geeigneten Stoffen bloss glimmte, trugen des Königs Boten feierlich durch das ganze Reich. Nach anderen geleiteten sie die Träger, als welche die zum Königsort berufenen Hüter der Verehrungsstätten, die Priester oder Reichsschmiede bezeichnet werden. Sie überlieferten das ihnen Anvertraute allen Herren der Gaue, wo sich geweihte Stätten befanden, damit dort wieder das heilige Feuer, das Staatsfeuer brenne. Alle, die es annahmen oder erbaten, erkannten damit des neuen Königs Herrschaft an, die es abwiesen, erklärten sich als Feinde und Empörer. Diesen sandte dann der Grossherr, falls er sie mit Waffengewalt zwingen wollte, die hell brennende, die lodernde Fackel. Noch jetzt gilt der Feuerbrand unter den Fürsten für gleichbedeutend mit Kriegserklärung. Eine brennende Fackel wird bei wichtigen, auf Gewalt- tat hinauslaufenden Palavern zwischen bewaffnet beratende Parteien m die Erde gepflanzt. Der König, der die Fackel sandte und dessen Krieger erfolgreich waren, liess dem Bezwungenen das Feuer löschen, wodurch er ihn sinnbildlich seiner Würde als Gauherr und der damit verbundenen Selbständigkeit beraubte. Nach altem Herkommen liess darauf der Herrscher einen rohen oder geschnitzten Pfosten, einen Holzpfeiler als Gedenkzeichen in die Erde setzen. Dies geschah auch nach einem geglückten Kriege gegen Nachbarn, nach einer grossen Beratung, beim Erlass von wichtigen Ge- setzen, überhaupt bei grossen Staatshandlungen. Herolde verkündeten das Geschehene im Reiche. Dabei spielten auch Bogen und Pfeil eine mir unklar gebliebene Rolle: mpita mbäu der Bogen, nssöto der Pfeil, die, jetzt nur noch als Spielzeug in Kinderhänden, in den Erzählungen genannt werden. Besonders fällt auf das Wort simbäu (Plural von mbäu), weil Simbäu oder Simbäo, auch an das vermutlich entstellte Simbabye sei erinnert, bei Bäntuvölkern als Namen von Herrschersitzen vorkommen. Freilich darf nicht vergessen werden, dass mbäu auch ein Ausdruck für Glanz, Gepränge, Grossartigkeit ist. — Kaste der Fürsten. Mfümu nssi. Mä. 175 Wie wir bereits wissen, sollen die Herrscher von Kaköngo und Ngöyo ihre Nachfolger selbst bestimmt haben. In Loängo dagegen wurde der Oberherr erwählt und zwar aus dem alten, der Sage nach einge- wanderten Königsgeschlecht, aus der Kaste geborener Fürsten, also unter den Personen, die, gleichgültig, wer der Vater war, eine Fürstin zur Mutter hatten. Diese Fürsten sind die Mifümu, sing. Mfümu, in der Anrede Muene, plur. Miene. Oft hört man sie auch Mäni nennen. Vielleicht ist das ein alter, ausser Gebrauch kommender allgemeiner Titel. Vielleicht haben die Europäer aus dem Wort Muene, schnell gesprochen, Mäni gemacht, und ihnen zuliebe sowie der Bequemlichkeit halber ist dieser Ausdruck bei den Eingeborenen gäng und gäbe geworden. Aber in höfischer Sprache und wenn ein Mfümu angeredet oder mit Namen genannt wird, oder wenn der Mfümu von sich und seinesgleichen spricht, heisst es Muene. Dieser Titel wird stets dem Rufnamen vorangesetzt. Fürst Mavüngo: Muöne Mavüngo; Fürstin Nuimi: Muene Nuimi. Ein Fürst oder eine Fürstin, ein Gebiet als Erbe oder Lehen hal- tend, war Gaufürst, Grundherr, recht eigentlich Erdherr: Mfümu nssi, plur. Mifümu (mi) nssi. Nssi: Gau, Land, Erde. Im Range nur dem Könige nachstehend, war er oder sie mit grossen Vorrechten ausgestattet, zugleich aber für das Stück Erde und für die darauf Lebenden und darin Ruhenden in jeglicher Hinsicht, in irdischen wie in himmlischen Dingen dem Ma Loängo verantwortlich, so wie dieser wieder als Mfümu nssi des ganzen Reiches Nsämbi, Gott verantwortlich war. : Grundherren und Grundherrinnen nennen sich noch heute nach ihren Gebieten, deren Namen sie die Silbe mä vorsetzen wie im Titel Ma Loängo, des Mtötila von Loängo. Ma könnte als Pluralis majesta- ticus gelten, wird auch ungefähr so gebraucht, bedeutet indessen wirklich: Vermögen, Können, und die damit verbundene Macht, das, was der Grossmann nsä nennt (Seite 134), sonach Herrschaft nebst Vertretung und Verantwortlichkeit. Häufig hört man den Ausdruck: mä! nimm, halte, fasse! was ja zugleich die Haupttätigkeit, die vorherrschende Willens- richtung des Machthabers kennzeichnet: das Aneignen, das Aufessen. Der Grosse isst den Kleinen, soweit es angeht. Alles Besitzenswerte, selbst jeder Mensch gehört zu irgend jemand, der für ihn einzustehen hat, vom Ma Loängo und Mfümu nssi abwärts bis zum kleinen Häupt- ling und freien Mann. Das richtet sich, wie überall, nach Geburt, Macht und Einfluss, eben nach mä. Dieses mä als Herrentitel ist zu unterscheiden von der gleichlauten- den Vorsilbe bei Beamtentiteln sowie vom mä als Plural des Präfixes li: litüti, plur. matüti, Wolke, limänya, plur. mamänya, Stein, likäya, plur. makäya, Blatt. Diese und andere Ausdrücke finden sich vielfach als Orts- 176 Fürstentitel. Würdenzeichen. oder Personennamen: Matüti, Mamänya, Makäya. Die Rangbezeichnungen ehemaliger Höflinge und Würdenträger, wie Maböma, Mangövo, Mankäka, Mafuka, beziehen sich nicht auf Grundherrschaft, sondern auf das Amt und sollten eigentlich Muböoma, Mungövo und so weiter lauten. Wo ich demnach Ma getrennt vor ein anderes Wort, vor einen Ge- bietsnamen setze, hat es feudale Bedeutung, meint etwa von, auf und zu, und bezeichnet einen Mfümu nssi. Nehmen wir Fürstin Madäya, das ist ihr Rufname, die Herrin vom Gebiete Löngo, so lautet ihr voller Titel: Muene Madäya Ma Löngo. Sie selbst nennt sich bei Botschaften Ma Löngo, und so tun auch andere, die von ihr im politischen Sinne sprechen. Im engeren Kreise sagen sie auch einfach Muene Madäya, wie in der Anrede, die wiederum ganz vertraulich auch nur Madäya lautet. Fürstentitel und Grundherrentitel allein, hier also Muene und Ma Löngo, werden niemals zusammengestellt. Madayas Kinder, die natürlich gleich ihr zu den Mifümu gehören, führen lediglich den Titel Muene mit dem Rufnamen, erst der Lehnsnachfolger, ob Erbe oder Erbin der Fürstin, würde sich als Mfümu nssi wieder Ma Löngo nennen. Da nun das Volk in der Regel auch dann den Grund- herrentitel anwendet, wenn es das Gebiet meint, weil ihm die Person als Vertreter des Gebietes und seiner Bewohner die Hauptsache ist, haben die Europäer von jeher solche Bezeichnungen für Landschaftsnamen genommen, wie Mayümba, statt Yümba, das Gebiet, und Ma Yümba, den Herrn zu trennen. Ein Zeichen des Mfümu nssi war der lange, mit Ringen und Knaufen verzierte, oft kunstvoll mit zähen, schwarz, gelb, rot gebeizten Palm- splinten und Wieden überflochtene Stab, der Botschaftern in wichtigen Angelegenheiten als Beglaubigung mitgegeben wurde. Ein Brauch, der kaum noch im Schwange ist, weil jetzt irgendein Besitzstück genügt. Dieser Stab vertrat die Person des Mfümu nssi, vertrat sie auch nach dem Tode bis zur Beerdigung der Reste durch den Erben und Amts- nachfolger, und wurde in Ehren gehalten wie der Herr selbst. Wer die Botschaft annahm, nahm zugleich den Stab, verwahrte ihn sorgfältig (Gastfreundschaft) und gab ihn erst mit der Antwort an den Boten zurück. Wer mit der Angelegenheit nichts zu tun haben wollte, verweigerte die Annahme des Würdenzeichens. Ob solcher Stab überall noch als Hauptstück und Sinnbild des muesi (Seite 136) des Erzeugers, also als Ahnenstab und zugleich Ahnenbild, als Ahnenvertreter angesehen wird, ist mir zweifelhaft geblieben. Bei den Ovaherer6, Ovämbo, in Kamerun und im Nigerdelta war dieser Zusammenhang eher nachweisbar. Das höchste Würdenzeichen des Mfümu nssi, das Wahrzeichen des Blutbannes, des Rechtes über Leben und Tod, war und ist das Zepter- messer — tschimpäpa. Dieses hat eine stumpfe, bis vierzig Zentimenter Stellung der Fürsten im Staate. Id lange und bis handbreite, oben abgerundete Eisenklinge, die, an einer Seite mannigfaltig ausgezackt und mindestens am oberen Ende, häufig aber längs der Mittellinie bis nahe zum Griff mit Verzierungen in durch- brochener Arbeit versehen ist. Alte Stücke aus einer Zeit, wo die Schmiedekunst noch auf ihrer Höhe stand, haben nicht bloss geflammte, damaszierte Klingen mit besonders kunstvoll ausgearbeiteten Verzierungen der beschriebenen Art, sondern sind auch fein mit Kupfer teils einge- lest, teils völlig durchschmiedet. . Zu unserer Zeit verstand meines Wissens nur noch ein Mann diese Technik, nämlich der bereits erwähnte Maböma Vinga von Lubu, der sie von seinem Onkel erlernt hatte. Zum Hervorbringen der Flammung hielt er Jungfrauenurin, den er auf das glühende Metall sprenkelte, für unbedingt erforderlich. Die Zeptermesser, besonders die alten, aus der Königszeit über- kommenen — denn es gibt auch nachgemachte, darunter etliche silberne, Tschimpäpa. von europäischen Sklavenhändlern geschenkte —, werden hoch in Ehren gehalten und bei grossen Palavern, wichtigen Gerichtssitzungen in be- deutsamer Weise verwendet.*) Der Mfümu nssi erfreute sich vieler Vorrechte, war aber in seinem Tun, wie der Ma Loängo selbst, vielfach gehemmt durch die seiner ganzen Kaste geltende Verbote, durch ein Tschina.. Alle Mifümu Loängos haben sich als Geschwister zu betrachten und dürfen nicht unter sich heiraten, obschon sie sich Gesponse unter den Fürstinnen von Ngöyo und Kaköngo wählen dürfen. Sie sollen, bei Verlust ihrer Kaste, nicht über die Grenzflüsse des engeren Reiches setzen und auch den Luntämbi lu mbensa nicht seewärts überschreiten. Sie sollen das Meer nicht schauen, nicht das Haus eines Europäers betreten, nichts Europäisches benutzen, nicht an einem rings von Wasser umflossenen Platze, sonach *) Einfacher gearbeitete spitzige Zeptermesser mit geschwungenen Schneiden habe ich weiter landeinwärts, auch am Stanleypool, ferner im Nigergebiet gesehen. Auf den bekannten Beninbronzen finden sie sich verschiedentlich als Würdenzeichen von Häupt- lingen dargestellt. Da sie unverhältnismässig gross wirken, sind sie für Schwerter an- gesehen worden. Loango. 12 178 Tschina der Fürsten. Menschenhandel. nicht auf einer Insel, auf einem Schiffe nächtigen, und kein Schweine- fleisch essen. Fürstinnen, die ja ihre Männer nach Belieben wechseln können, sollen keinem Weissen ihre Gunst schenken und nur eingeborene Männer wählen, die, gleichgültig ob frei oder hörig, von stattlicher Ge- stalt, fehlerlos an ihrem Leibe sind und niemals Menschenblut vergossen haben. Nicht alle Verbote werden noch unverbrüchlich eingehalten. Manches in dem der Mfümu-Kaste geltenden Tschina ist wahr- scheinlich erst in der Zeit nach Ankunft der Europäer aufgekommen. Wir haben an die Versuche einer konservativen Partei, der Grossen des Reiches sowie der Priesterschaft oder Zaubermeister zu denken, ihren Einfluss zu wahren, dem einreissenden Unwesen zu steuern und dem Volke das gewohnte Dasein zu gewährleisten. Es galt, die Mächtigen gegen die Lockungen der europäischen Sklavenhändler abzuschliessen. Die Härte der Sklaverei, wie sie christliche Völker, namentlich solche Völker, die sich stolz als Träger der Kultur bezeichnen, ausgebildet haben, war und ist den Afrikanern unbekannt. Ihnen sind Hörige Familien- glieder und durchaus nicht rechtlos. Erst der Weisse lehrte die Farbigen den richtigen Menschenhandel kennen. Das spürten sie bald am eigenen Leibe, als die Gier nach den Schätzen der übers Meer oder, wie auch geglaubt wurde, aus dem Meere gekommenen Fremdlinge ihre Gross- leute zum Missbrauche der Macht verleitete.. Drückender wurden die Zustände durch das von den Fremdlingen erkaufte Recht, auf dem Landstreifen zwischen ihrem binnenwärts errichteten Geschäftshause und dem Strande jeglichen Menschen ohne weiteres für sich einzufangen und an Bord zu schaffen. Damit war die Wohltat des Gotteswegs längs des Meeres wenigstens örtlich und zeitlich aufgehoben und dem nichts- würdigen Treiben der weissen und schwarzen Händler Vorschub geleistet. Die Fangstriche der Weissen und damit ihre Exterritorialität er- streckte sich, namentlich an den Haupthandelsplätzen, an den Baien von Loängo und Pontanegra, vielfach vom Meere bis an den Luntämbi lu mbensa. Den durften die Häscher ebensowenig landwärts wie die Fürsten seewärts überschreiten. Am Grenzwege verhandelten die Kaufleute mit den Mifümu, konnten sie aber nicht zur Musterung ihrer Schätze nach den Faktoreien und Schiffen einladen, wie sie es dort auch heute nicht können, weil kein Mfümu das Verbot zu verletzen wagt. Luntämbi lu mbensa bedeutet: Spuren von wunden Füssen, Beinweh- strasse, Elendsweg. Diesen Namen mag der Pfad als einer der Gottes- wege von den Bedrängten erhalten haben, die Hilfe beim Mtötila oder bei der Makünda suchten. Er mag den Namen von den Sklaven er- halten haben, die, aus dem Inneren herangetrieben, auf ihm müde und elend einem weissen Aufkäufer nach dem anderen vorgeführt wurden. Eine zweite Schreibweise wäre Luntämbi lu mpensa, frei zu übersetzen: Luntämbi lu mbensa. Tschimpungu. 179 öffentlicher Fussstapfen, Heerweg, Aus dem folgenden wird sich er- geben, dass man bei der Deutung des Namens schwanken kann; doch ist nach Aussage der Eingeborenen die hier verwendete Schreibweise vorzuziehen. Längs der südlichen Strecke des Pfades bewegte sich der Festzug des Ma Loängo. Möglich, dass deswegen der Luntämbi lu mbensa schon von alters her als Gottesweg bestand. Möglich auch, dass er dazu erst wurde, seitdem die weissen Sklavenhändler am Strande der wichtigen Baien gegen Entgelt den Menschenfang betreiben konnten. Aber Demarkationslinie für die Mifümu ist der Luntämbi wahrschemlich erst zur Zeit des ärgsten Sklavenhandels und des einreissenden Verfalles alter Einrichtungen geworden. Echt volkstümlich wird mit den Er- zählungen von dieser einschneidenden Veränderung eine wundersame Spukgeschichte verwoben. Es ist nun recht aufrällig, dass in alten Nachrichten von diesem im Volksleben überaus bedeutsamen Pfade und von den Gotteswegen im allgemeinen kein Aufhebens gemacht wird. Dapper erwähnt zwar, wo er einen berühmten Fetisch schildert, einen Heerweg, und Degrandpre eine Grenzmarke, beide gehen aber flüchtig darüber hin. Was die Einheimischen vom Pfade und von dem darüber verhängten Tschina erzählen, ist vom goldenen Nebel der Sage umhüllt. Es findet jedoch mancherlei Bestätigung in örtlichen Verhältnissen, sowie in absonder- lichen Volksfesten, die noch zu unserer Zeit gefeiert wurden. Die Über- lieferungen erklären die räumliche Trennung des Gräberfeldes der Könige und das der Fürsten, sowie die daraus folgende und fortwirkende Neben- buhlerschaft der Dörfer Luändschili und Lubü. Die Hauptrolle spielt Mpüngu, ein Fürst, der als bresthaft, als vergiftet oder bezaubert, als Fetisch gilt, und deswegen auch Mkissi Tschimpüngu genannt wird. Tschimpüngu heisst ferner die Königskrankheit, die, wie schon gemeldet, die Missionare Proyarts als lähmende Gicht bezeichneten. Seit alten Zeiten, so geht die Sage, fanden alle Könige und alle Fürsten von Loängo ihre letzte Ruhestätte, sie gingen zur Erde, in Luändschili. Einst lebte ein Fürst, der war befallen, siech. Da er aber gern Mtötila werden wollte, verheimlichte er seinen Zustand. Trotz- dem kam es auf und er musste von seinem Wunsche abstehen. Diese Enttäuschung und Schande traf den Fürsten ins Herz, dass er starb. Eine zweite Fassung meldet: Man ahnte nichts von seiner Unfähigkeit und wählte ihn zum König. Während des Krönungszuges, als er am Nsongölo den Palmensteg betreten wollte, fiel er um und war tot. Denn er war nicht fehlerlos an seinem Leibe und konnte nicht Ma Loängo sein. Drittens heisst es, er hätte sich mit den Probejungfern nicht ge- nügend bewährt, und die hätten es pflichtschuldig gemeldet. Schliesslich 12* 180 Tschimpungu. Giftjungfer. Spuk. wird auch behauptet, dass eine der Bakümbi eine Giftjungfer, nämlich mit Gift oder Zauber geladen gewesen sei, dass sie die Lebenskraft des Fürsten zerstört oder an sich gezogen habe. Die Leute des Verstorbenen bereiteten in üblicher Weise die feier- liche Bestattung vor und rollten nach Jahr und Tag den riesigen Leichen- wagen gen Luändschili. Daselbst versenkten die Dörfler die Reste nach altem Brauche in die Erde. Tags darauf verbreitete sich ein grosser Schrecken im Lande. Das (Grab war offen, der Leichenwagen samt dem Toten verschwunden. Eilig liefen Männer den Räderspuren nach und stiessen in weiter Ferne auf das Gefährt. Nach mancherlei Verzögerungen schafften sie es wieder mühsam zur Grabstätte zurück und senkten es in die Erde. Am nächsten Morgen war das Grab abermals offen, der Tote mit dem Wagen fort. Wie vorher wurde er gesucht und wieder in seine Grube gebracht. Natür- lich ging darüber jedesmal eine lange Zeit hin. Die Strecken, die der Tschimpüngu in seinem Wagen zurücklegte, von Luändschili erst südwärts, nachher nordwärts, ergeben zusammen den Hauptteil des Luntämbi lu mbönsa. Ruhe fand der Tschimpüngu nicht, trotz aller Künste der Zauber- meister. In der auf die dritte Bestattung folgenden Nacht war er wiederum auf und davon. Dieses Mal wurde er nahe genug gefunden. Aber nicht die Leute von Luändschili entdeckten ihn, und das sollte ihnen viel Ärgernis bereiten. Im Volke herrschte grosse Aufregung und Furcht ob dieser wunder- samen Begebenheiten. Allenthalben hatte man Leichenwagen und Ge- spenster gesehen, Unholde trieben ihr Wesen und die Toten gingen um. Auch in Lubü, das eine Stunde von Luändschili nach der Loängobai zu liegt, spukte es arg. Am sanften Nordhange des waldlosen Hügels, dessen Gipfel das Dorf trägt, hatte man fürchterlichen Lärm vernommen und greuliche Gestalten in der Erde wühlend bemerkt. Zeichen, die seitdem die Bewohner Lubüs genügend kennen gelernt haben, weil sie sich stets wiederholen, wenn es mit einem Mfümu zu Ende geht. Am selben Morgen, als der Tschimpüngu zum dritten Male dem (Grabe entstiegen und davongerollt war, begaben sich Frauen und Mädchen von Lubü mit allerlei Töpfen und anderen Gefässen nach der Loängobai, um, wie sie zu tun pflegen, essbare Muscheln zu sammeln. Da gewahrten sie unfern vom Fusse ihres Hügels über einem Buschwäldchen einen un- gewöhnlich grossen Schwarm Vögel kreisen. Neugierig schlichen sie hinan und gerieten unversehens an den Leichenwagen des ruhelosen Tschim- püngu. Zuerst rissen sie aus, besannen sich aber bald eines Besseren und kehrten entschlossen zum Gefährt zurück. Während sie dastanden und überlegten, was sie damit anfangen sollten, erschienen die den Ge- Tschimpungu. Fund. Rauferei. 181 leisen nachgehenden Leute von Luändschili, um den Wagen zu holen. Aber das Weibervolk hinderte sie daran. Die Männer forderten ihren Toten. Die resoluten Frauen verweigerten den auf ihrer Erde ge- machten Fund. Darob Streit, Lärm, hitziges Gedränge, endlich gar zer- brochene Töpfe. Scherben, noch dazu auf eigenem Grund und Boden, das war zu arg für die Weiber. Es entspann sich eine gehörige Prügelei, die übel ablief für die Männer von Luändschili. Sie mussten vor den handfesten Lubüenserinnen schmählich das Feld räumen. Unterdessen war das Mannsvolk der Siegerinnen herbeigeeilt. Alle beschlossen, den Tschimpüngu als Pfand nach Lubü in Sicherheit zu bringen und zogen und schoben ihn mit vereinten Kräften hügelan. Oben am Abhange verankerten sie den Wagen einstweilen. Die darauf folgen- den Verhandlungen und Palaver befriedigten nicht, weil die Schuldigen die zerbrochenen Töpfe nicht ersetzen wollten. Während dieser Zeit wiederholte sich der beschriebene fürchterliche Spuk alle Nächte und war nicht mehr zu ertragen. Die Hunde flüchteten aus dem Dorfe, die Menschen, Ziegen, Hühner hatten keinen Schlaf. Da setzten es denn die Weiber durch, dass der Tschimpüngu dort, wo er stand, begraben würde. Beschlossen, getan, trotz aller Einsprüche von Luändschili. Das Mittel erwies sich als sehr gut. Endlich lag der Tote am richtigen Orte und verliess sein Grab nicht mehr. Der Spuk hörte auf. So ist es geschehen vor langer Zeit. Seitdem werden alle Mifümu in Lubü beerdigt. Und bei Lebzeiten dürfen sie die Linie, wo die Räder des Leichenwagens Spuren hinterliessen, nicht mehr seewärts überschreiten, sonst sterben sie. Da das Gräberfeld jenseits dieser Linie, eben des Luntämbi lu mbensa liegt, können sie die Ruhestätten ihrer Mütter und Geschwister nur von ferne beschauen und gelangen erst nach dem Tode dahin zu ihren Lieben. Der Sage vom Tschimpüngu dürften einige Geschehnisse zugrunde liegen. Weder Battell noch Dappers Gewährsleute, die doch mehrfach von den mit Elefantenzähnen geschmückten Königsgräbern in Luändschili reden, berichten über die auffälligen Fürstengräber zu Lubü, das der Bai näher liegt. Daraus möchte man schliessen, dass diese Gräber, 1876 waren es siebzehn, damals, also vor drei Jahrhunderten, überhaupt noch nicht vorhanden gewesen wären. Ferner findet sich anderthalb Jahr- hunderte später bei Proyart die vorn, Seite 150, abgedruckte Mitteilung der durch das Königreich reisenden Missionare, wonach die Einwohner von Loängo mit denen von Luändschili um das Recht haderten, die Leiche vom Vorgänger des Königs zu beerdigen. Der Tote konnte nicht Mtötila gewesen sein, sonst hätte ihn nach altem Brauche sein Nachfolger be- graben. Mit Loängo wird die in Sicht der Bai liegende Landschaft Lubü gemeint sein. Auch Dorf Lubü betraten die Missionare, nennen aber 182 Lubu und Luändschili. Fürstin Nsoami. Bänyaleute. neben anderen ebenfalls nicht die Fürstengräber, die sie am wenigsten übersehen konnten. So wären alte Nachrichten zwanglos im nämlichen Sinne zu deuten. War demnach die strittige Leiche eben die des Tschimpungu, so fällt die Begebenheit in die sechziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts. Bis zur Gegenwart besteht zwischen den Bewohnern von Luändschili und Lubü eine eifersüchtige Spannung, die zeitweilig in offene Feindseliekeit ausartet. Die Nachbarn können aber nicht gut tätlich aneinander geraten, weil aufihren Gebieten, wie auf Nsambis Wegen, Gottesfriede ruht. Es darf daselbst kein Krieg ausgefochten werden. Die Gegnerschaft äussert sich in allerlei Schabernack und Hänseleien, wobei gerade die Weiber von Lubü im Vordertreffen stehen und mit altem aufgespartem Topfzeug die Männer von drüben empfindlich verhöhnen. Auch sonst sind die Lubüenserinnen streitbare Damen geblieben, und zwar nicht bloss mit den Zungen. Sie werden in einiger Übung erhalten, weil, so oft ein Mfümu die letzte Ruhe- stätte findet, die Taten ihrer Mütter durch ein urwüchsig derbes Volks- fest mit grosser Prügelei verherrlicht werden. Davon später. Eine andere Erzählung behandelt eine Begebenheit, die sich eben- falls um die bereste Zeit, nur etwas später zugetragen haben kann. Eine Fürstin Nsoämi von Tschilünga bricht das Tschina, überschreitet an der Spitze ihrer Krieger den nördlichen Grenzfluss des Reiches, den Nümbi, und verheert das Land nordwärts bis nach Yümba. Dieses Vorgehen der Fürstin, besonders, dass sie das Tschina brach, musste weithin die (semüter aufregen und dem Volke denkwürdig bleiben. Demzufolge lauten auch die Erzählungen ziemlich übereinstimmend. Nur die Feststellung der Zeit bleibt unsicher. Etwas diesem Kriegszuge Ähnliches kann früher geschehen sein. Nennt doch schon Battell den Bänya und bezeichnet Yümba als eine Provinz von Loängo, und Dapper erwähnt die Erobe- rung des Landes durch den König von Loängo. Nichtsdestoweniger kann der Kriegszug der Fürstin Nsoämi um das Jahr 1784 stattgefunden haben, als die Franzosen das portugiesische Fort zu Kabinda zerstörten. Vielleicht handelte sie im Einverständnis mit den Franzosen oder nahm überhaupt die Gelegenheit wahr, unbequeme portu- giesische Sklavenhändler an der nördlichen Küste, die sie um Sklaven- gänge und Abgaben prellten, sowie übermütig gewordene Häuptlinge zu züchtigen, zu verjagen und die Sklavenzwinger zu zerstören. Bedeutsam ist zudem der Name Bänya, den sowohl das stille breite (sewässer, als am Nordufer Landschaften Yumbas und zugleich deren Be- wohner tragen. Der Ausdruck bezeichnet Elende, Vertriebene, Heimat- lose, Notleidende. Zu meiner Zeit sass unter den Nachkommen der Ver- triebenen als Mfümu nssi die aus Loängo stammende Muäne Mpüna mit ihrer im Backfischalter stehenden Tochter Muene Mpemba. Muene Bandundu und Bafiöti. Helle Hautfarbe der Vorfahren. 183 Mpüna, eine überaus stattliche junge Frau, wurde als Ma Bänya, die zierliche Muäne Mpemba zu meinem Erstaunen als Makünda bezeichnet, das einzige Mal, dass mir dieser geschichtlich bedeutungsvolle Titel an einer lebenden Person aufgestossen ist. Mit dem Erzählten sind noch andere Überlieferungen verwoben, die bis in die Schöpfungsgeschichte zurückreichen. Es heisst da, dass hell- häutige und dunkelhäutige Menschen unter Nsämbis Obhut in dem näm- lichen Lande lebten. Die Hellen werden Bandünau, die Dunkeln Bafıöti genannt. Die Bandündu dünkten sich höher als die Bafiöti, gebärdeten sich schlimm und wollten alles für sich haben. Sie liessen die anderen arbeiten, nahmen ihnen, was sie besassen und dazu die besten Mädchen und Frauen. Das erregte Hass und Feindschaft. Es lebte ein mächtiges Weib vom Stamme der Dunkeln. Die sandte Boten mit ihrem Zeichen durch das ganze Land und liess die Dunkeln rufen. Die kamen und scharten sich zusammen. Sie fielen über die Hellen her, töteten ihrer viele und verjagten die übrigen. Diese fuhren davon über das Meer nach der sinkenden Sonne. Aber sie drohten wieder zu kommen. Das ge- schah vor langer, langer Zeit. Nachher sind sie zurückgekehrt und haben es ärger als zuvor getrieben. Das geht natürlich auf die Europäer. Ein mächtiges Weib leitete demnach die Vertreibung der Bandündu durch die Batiöti. Diese Befreierin lebt bald als Nsoami a mpüngu, bald einfach als Mpüngu, hier in der Bedeutung von hervorragend, mächtig, überwältigend, im Munde der Leute fort. Das erinnert wieder an Muene Nsoämi von Tschilünga und an ihren Kriegszug. Die Sage von der ursprünglich hellen Hautfarbe der Vorfahren ist weithin durch Afrika verbreitet. Daher auch der Glaube, dass die, die aus dem Grabe, aus dem Totenlande zurückkehren, von heller Hautfarbe sind, wenigstens die Häuptlinge, Fürsten oder Stammväter, wie denn auch die Leiche eines Ma Loängo, überhaupt die eines Grossen im Reiche, weiss gefärbt wurde und noch weiss gefärbt wird. So ist es zu begreifen, dass ein Europäer, der in einem entlegenen Gebiete bei einem Bäntu- volke auftaucht, als ein wieder gekommener Stammyvater oder Herrscher gefeiert werden kann. An der Loängoküste dürfte eben dieser Gedanke gewaltet haben, als der erste Europäer landete. Denn noch wird der Weisse vorwiegend Mundele, plur. Mindele, genannt. Anfangs begnügt man sich mit der Erklärung: nlele heisst der Stoff, das Baumwollzeug, das, wie ehedem das Bastgewebe, im Tauschhandel den Wertmesser vorstellt. Danach wäre der Europäer der müntu mu nlele, der Mensch mit dem Zeuge, der Stoffbringer, abgekürzt mundele. Aber schon die Pluralform macht stutzig. Später erfuhr ich den wahren Sachverhalt rein zufällig. Bei einem Ausfluge im Hinterlande von Yümba birschte ich abends längs einer 184 Auferstandener. Zusammenfassung. Waldblösse. Eben trat ich, um auszulugen, auf einen verfallenen Grabhügel, als vom Waldrande ein grässliches Geschrei erscholl, das unter Knacken und Rauschen des Gezweiges sich schnell in der Ferne verlor. Am nächsten Morgen erschien ein Häuptling mit grosser Beschwerde und machte mir ein Palaver. Ich hätte Frauen zu Tode geängstigt. Sie hätten mich aus dem Grabe auftauchen gesehen und für einen ndele ge- halten. So kam ich auf die richtige Deutung des Namens der Europäer. Ndele, mundele ist ein Auferstandener, der als solcher in heller Haut erscheint, wie unsere Gespenster in weissen Laken. Daher also die Be- nennung des Weissen, die ihm geblieben ist, obschon die Eingeborenen längst seine wahre Natur erkannt haben und ihn deswegen auch müntu mu Mpütu, Mensch aus Portugal, aus Weissmännerland nennen. Unter den Bandündu müssen nicht unbedingt in unserem Sinne weisse, sondern können überhaupt hellhäutige Menschen verstanden werden, ob- gleich die Europäer für Vertreter gelten. Küstenleute nennen den Weissen äusserst selten mundündu und dann in der Mehrheit stets mindüundu. Anders ist es in entlegenen Gebieten des Hinterlandes, wo Eingeborene beim überraschenden Erblicken von Europäern das Wort anwenden, viel- leicht aber in einem der nächstliegenden Voraussetzung nicht entsprechen- den Sinne. Denn ndündu, plur. sindündu, heissen auch Albinos. Des- wegen erscheint es von Wichtigkeit, dass bei den schon Seite 3 er- wähnten Bafiöti, die wir fern von Loänge am Kongo auffanden, die frag- liche Bezeichnung noch gäng und gäbe war. Als wir in ihre versteckte Gebirgslandschaft einrückten, hallte der Ruf Bandündu, Bandündu von Dorf zu Dorf. Als Gesamtergebnis aus den Mitteilungen alter Berichterstatter und aus den Überlieferungen der Eingeborenen lässt sich folgendes hinstellen: Ngöyo, Kaköngo und Loängo waren in ältester Zeit vielleicht von Statthaltern verwaltete Provinzen des Kongoreiches. Später gewann Loängo die Vorherrschaft über die Nachbarstaaten und, je nach dem Kriegsglück, über Gebiete im Osten und Norden. Der erste Ma Loängo wird als Feuerbringer aufgefasst, aber viel- leicht nur im politischen Sinne, als Feuergeber, Oberherr. Solange er oder einer seiner Nachfolger herrschte, brannten Staatsfeuer, und erloschen, wenn er starb. Damit trat ein alle Lebensäusserungen des Volkes er- drückendes Tschina in Kraft und Grosse des Reiches begannen eine Schreckensherrschaft auszuüben. Die wichtigste Handlung des neuen Königs war, seinem Volke das Feuer wieder zu geben und es von den Plagen zu erlösen. Der Ma Loängo, der Mtötila, in der Anrede Mtinu, wurde aus der Kaste der Mifumu gewählt, und war, je nach Haltung seiner Vasallen, mächtig oder ohnmächtig im eigenen Reiche, das wir uns als einen Lehn- Tschma als Notbehelf. Letzte Herrscher. 185 staat zu denken haben. Er war Herrscher und oberster Zauberer zu- gleich, Vater seines Landes und Volkes, dessen Vertreter gegenüber den Himmlischen, ein Halbgott, den niemand leibliche Bedürfnisse befriedigen sehen durfte, der überdies seine Untertanen mit Regen zu versorgen hatte. Als mächtige Mitregentin stand ihm die Makünda zur Seite. Das dem Könige und den Fürsten geltende Tschina war zu Battells Zeit, zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, nicht so streng wie später- hin. DBattell verkehrte noch unbehindert mit dem Mtötila. Aber schon um das Jahr 1663 war es, nach Vater Merolla, den Herrschern der Loängoküste verboten, Europäisches an sich und um sich zu dulden. Noch später wurde der Ma Loängo abgeschlossen gegen jeglichen Ver- kehr mit weissen Männern, und die grosse Freiheit der Fürstinnen in der Männerwahl wurde in dem nämlichen Sinne verkürzt. Die Kaste sollte rein bleiben. ‚Je lebhafter sich der Sklavenhandel entwickelte, je gefährlicher der Einfluss der Europäer wurde, desto mehr war eine Partei bemüht, das Tschina zu verschärfen, wozu sie mancherlei Geschehnisse, die sie vielleicht selbst erst anstiftete, klug benutzte. Dass trotzdem die Machthaber der Versuchung nicht widerstanden, einzelne Verbote zu übertreten, deutet Degrandpre an. Der wahrscheinlich letzte Mtötila, Muene Buätu, gelangte spätestens um das Jahr 1773 auf den Thron und starb 1786 oder 1787. Sein Vorgänger, Muene Makösse, war ungefähr 1766 gestorben. In das sieben- jährige Interregnum fällt mutmasslich das Ereignis, das der Sage vom Tschimpüngu zugrunde liegt. Spätestens um diese Zeit wäre dann das Gräberfeld der Fürsten von dem der Könige, wo überhaupt kein Ma Loängoe mehr beerdigt wurde, getrennt und nach Lubü verlegt, der Lun- tämbi lu mbensa als unverletzliche Schranke für die Fürsten wie für die weissen Sklavenhändler eingerichtet worden. Der Kriegszug der Muene Nsoämi von Tschilünga, ihr Aufsehen er- regender Bruch des Tschina kann sich ein Jahrzehnt später ereignet haben. An diese Tat könnte die Geschichte von der Vertreibung der Bandündu anknüpfen, freilich auch einer früheren Zeit entstammen. — Die Macht der letzten Könige von Loängo wird bereits recht gering gewesen sein. Gleich denen von Kaköngo und Ngöyo, die es bis in die neueste Zeit gegeben hat, waren sie zu guter Letzt kaum Besseres als Popanze. Unter den verderblichen Einflüssen der Europäer, des Sklaven- handels, konnten die ohnehin locker gefüsten Reiche nicht dauern. Wie überall und allezeit nahmen die Eingeborenen von den Fremdlingen vor- wiegend Schlechtes an, nicht etwa, weil sie sich dem Schlimmen mehr zuneisten, sondern weil es ihnen am meisten begegnete. Gutes werden sie überhaupt kaum erfahren haben. Wer hätte sich die Mühe geben sollen, es ihnen zu erweisen? War doch das Bestreben aller Ankömmlinge 186 Verfall der Staatswesen. Art und Rechte der Fürsten. bloss darauf gerichtet, Menschen zu erlangen, und zwar um jeden Preis, listig oder gewaltsam. Schliesslich verriet und verkaufte unter den Eingeborenen einer den anderen. Damit vollzog sich unaufhaltsam auch die politische Zersetzung. Das Tschina, sowie ehrwürdige Einrichtungen wurden übertreten, und der Frevel wurde weder durch weltliche noch göttliche Gewalten gerächt. Neuerungen fanden Eingang. In sicherer Ferne sitzende Häuptlinge verweigerten den Gehorsam. Geschickte Zwischenhändler gelangten zu Reichtum, Ansehen und sammelten Menschen um sich. Ehemalige Dienst- leute und Unfreie, die ihre Herren beerdigt und beerbt hatten, im Lande hängen gebliebene Sklavengänge, wie die Bawümbu, fanden Siedelplätze und wählten Häuptlinge. Wer überhaupt ein Dorf oder Dörfer gründen, Leute an sich locken, einen Landstrich besetzen und behaupten konnte, gebärdete sich als Grundherr und Königlein. So schoben und schieben sich noch heute aufstrebende Leute zwischen Fürsten und Volk, die mit dem das Parvenutum kennzeichnenden Drange sich zur Geltung bringen wollen. Ihr Höchstes ist, einen Mfümu nssi vorzustellen. Denn ihre und ihres Anhangs ganze Stärke wurzelt in dem Stückchen Erde, worauf sie sitzen. Jedes dieser Reichlein ist nach dem Muster des einstigen Reiches zugeschnitten. Obgleich sich die Machtstellung von Personen wesentlich verändert hat, sind alte Satzungen erhalten geblieben, die, in der Volksseele wur- zelnd, den politischen Verfall überdauert haben. Der konservative Sinn des Volkes, umnebelt von mystischen Traditionen, erkennt noch immer das Aristokratische an. Allerdings sind einige Fürstenfamilien bedenklich verarmt und üben kaum noch politischen Einfluss. Angehörige werden vielleicht in ent- legenen Gebieten von einem geschwollenen Glückspilz nicht gerade rück- sichtsvoll behandelt, obschon das, des Volkes wegen, manchmal übel ab- laufen könnte. Andere dagegen sind glücklicher daran. Sie sind Herren ererbter Erde und Mfümu nssi im guten alten Sinne geblieben. Jeden- falls beanspruchen Personen fürstlichen Ranges Anerkennung ihrer alten Vorrechte, obgleich ihnen deren Genuss nicht überall gleich gefügig ge- stattet werden mag. Sie sind aber trotz alledem eine überaus begünstigte Kaste und zeichnen sich in der Regel aus durch Vornehmheit des Wesens, durch stattliche Gestalt, durch feinere Gesichtszüge, wozu das Tschina, das die Männerwahl jeder Fürstin regelt, nicht wenig beitragen mag. Die bevorzugte Stellung, die allen fürstlichen Personen gebührt, prägt sich schon in äusserlichen Dingen aus. Sie allein haben das Recht, Elfenbein als Schmuck, sowie die feinste Art der im Lande aus Raphia- bast erzeugten befransten Gewänder, geknoteten Mützen und Schulter- behänge zu tragen. Ähnliche Mützen und Schulterkleider tragen zwar Rechte. Familienstolz. Abstammung. Die Fürstin. 187 auch Häuptlinge, und weniger fein gewobene Tücher gemeine Leute, doch werden diese Stücke aus gröberen Fasern anderer Arten der Weinpalme gearbeitet. Ebenso ist den Fürsten der Genuss eines roten Pfeffers mit kleinen runden Beeren vorbehalten. Sie reisen in Hängematten, was ihnen freilich mancher Emporkömmling nachzutun versucht, aber doch nur dort, wo er es sich getraut. Er setzt sich der Gefahr aus, dass ihn das Volk mit Schreien und Johlen ärgert und hänselt, oder auf fremder Flur ihn auszusteigen nötigt. Beides haben wir erlebt. Die Mifümu stehen über aller Gerichtsbarkeit, brauchen nicht Zeug- nis abzulegen und nichts auf ihren Eid zu nehmen. Der böswilligen Zauberei können sie nur von Standesgenossen angeklagt werden, unter- ziehen sich aber der Giftprobe nicht persönlich, sondern lassen einen (setreuen, der sich dazu erbietet, oder ein Tier, gewöhnlich .ein Huhn, für sich einstehen. Ferner ist es ein Recht der Fürstin, die zugleich Mfümu nssi ist, nach Weise der Makünda durch Adoption Leute anzu- nehmen. Wie nachher zu schildern, kann sie sogar Unfreie, die ihren Herrn beerbt haben, zu Freien machen und auf ihrer Erde ansiedeln. Ein Fürst hat die freie Wahl unter den Töchtern des Landes, aller- dings mit Ausschluss der Fürstinnen Loängos. Der Erwählten über- reicht oder sendet er einen am Arme zu tragenden Eilfenbeinring — luvösse Ju mpündschi — und macht sie damit unberührbar für Jeden anderen Mann und zu einem Fürstengespons: Nkäma Mfümu, gemeinhin Nkäm’fumu gesprochen. Die Familie, der solche Ehre widerfährt, fühlt sich geschmeichelt, und Mädchen in Loängo heiraten Fürsten ebenso gern wie Mädchen anderswo. Ihre Kinder erben zwar weder Rang noch Reichtum vom Vater, der sie bei Lebzeiten nach Belieben versorgen mag, aber sie bilden sich was auf ihre Abkunft ein, und bezeichnen sich stolz als muäna (ya) mönga, plur. b’äna ba mönga, als Kind mit Blut. Wer einen Fürsten zum Vater hat, ist ein Fürstenkind: Muäna Mfümu, was im Munde oft wie Mäni- und Mönifümu klingt, wer einen zum Gross- vater oder überhaupt zum Vorfahren hat, ist ein Fürstenenkel, ein Fürsten- nachkomme: Ntekulu Mfümu. Andere versäumen selten, einen Fremd- ling auf die hohe Abstammung solcher Personen aufmerksam zu machen. Eine Fürstin, durch die allein sich Blut, Rang und Besitz vererben, ist die meistbegünstigte aller Damen. Sobald sie mannbar geworden ist, hat sie Sitz und Stimme bei politischen Verhandlungen und ist ober- ster Richter, hat den Blutbann auf ihrem Grund und Boden. Sie hat das Recht, soweit es nicht durch das bereits geschilderte Tschina beschränkt ist, sich einen Gatten zu ernennen und ihn wieder zu ent- lassen, die Männer beliebig zu wechseln. Will sie dem Erwählten höchste Gunst erweisen, so schmückt sie ihn, wie der Fürst sein Gespons, mit dem Elfenbeinring, erhebt ihn aber dadurch und durch Vollziehung einiger 188 Gräberfeld. Reichsverweser. anderer Gebräuche zum Prinzgemahl, zum Mnünı Mfümu, mit Fürsten- rang. Doch kann sie diese Auszeichnung bloss einmal verleihen und zwar an den Mann, den sie als Jungfrau erwählt hat, wodurch wieder beson- dere Bedeutung erlangt, was Seite 159 über nkümbi, nkümba und lun- kümbu gesagt worden ist. Nach Massgabe ihrer Vorrechte führen manche Fürstinnen ein lockeres Leben, doch begnügen sich andere mit einem Gatten, nament- lich, wenn sie mit Kindern beglückt werden. Ehemals durfte ein Prinz- gemahl, so lange er der Fürstin zu Diensten war, bei Todesstrafe mit keinem anderen Weibe in Berührung kommen. Wenn er sich im Freien bewegte, schritt vor ihm her ein Beamter mit der Doppelglocke — tschin- göngo —, deren Klang alles Weibliche mahnte, aus dem Wege zu gehen, sich in Gras und Busch zu verbergen. Jetzt ist man nicht mehr so heikel. Die Reste aller fürstlichen Personen dürfen nur auf dem Hügel von Lubü, auf dem den Mifümu geweihten Gräberfelde der Erde übergeben werden. Dies geschieht, je nach Vermögen der Familie und Stimmung der Untertanen, mehr oder minder prunkvoll, wie einst mit den Resten des Ma Loängo. Die Fürstenlinie, die einen der Ihrigen zu begraben hat, besetzt die Stelle des Ngänga mvümbi im Königsgau, der als Reichs- verweser den Schein des Königtums wahrt, und im Namen des letzten Mtötila redet und handelt. Jedenfalls hat es bis in die neueste Zeit einen Ngänga mvümbi gegeben. Einer dieser Reichsverweser, Muene Nümbi, starb zu unserer Zeit, 1874. Die Würde ging auf seinen Bruder über, auf Muene Ntätu, der sie noch zwei Jahre später hielt, zur Zeit unserer Heimkehr. Damals gedachte Muene Mpämbu Ma Bänga, der hervorragendste Mfümu nssi Loängos, dessen Mutter gestorben war, ihm die Fackel zu senden und seinen Platz einzunehmen. Er hat es getan. Noch im Jahre 1882 fand ich ihn in dieser Stellung. Bald darauf hat ihn Frankreich gezwungen, die Trikolore zu heissen. Seitdem werden sich die Zustände rascher als vordem geändert haben. War doch schon vorher nicht alles so geblieben, wie es richtig gewesen wäre. Namentlich mit dem Begraben hat es seine Schwierigkeiten. Das Volk ehrt zwar noch seine lebenden Fürsten, liebt es indessen nicht mehr, sich für die toten abzuquälen. Vordem spannten sich Untertanen und Zugelaufene in hellen Haufen vor die gewaltigen Leichenwagen. Das war ein verdienstliches Werk, und es gab stärkenden Trunk, Beköstigung, allerlei Kurzweil. Auf einer erst herzurichtenden Strasse rollten die (etreuen nebst Anhang den Toten gen Lubü, eine nicht geringe Arbeit, die bei grosser Entfernung und schwierigem Gelände, wenn Moräste, Gewässer zu kreuzen waren, Monate, selbst Jahre bean- spruchen konnte. Leichenwagen. Schicksale. 189 Nachdem aber viele Gaue aufgeteilt worden sind, schafft man die unbehülflichen Maschinen nicht selten bloss eine Strecke weit und ruht sich dann aus, oder man belässt sie einfach am Sterbeplatze, mit dem Vorbehalt, nächstens die Pflicht zu erfüllen. Zeitweilig, wenn wunder- same Ereignisse, allerlei Spuk, wenn Not und Elend die Gewissen auf- rütteln, wird der eine oder andere Wagen wieder ein Stückchen weiter bewegt, bis man, namentlich wenn die Zeiten sich bessern, genug getan zu haben glaubt, oder bis man ihn über die Grenzen des eigenen Gebietes hinaus auf das der Nachbarn abgeschoben hat. Das ist ganz bedächtig Beförderung einer Fürstenleiche. gehandelt. Denn jeder Wagen darf nur vorwärts, niemals auch nur eine Handbreit rückwärts rollen, sonst kommt grauenhaftes Unglück über die Beteiligten. Mögen nun die Nachbarn noch so sehr zetern, wenn man ihnen den Toten erst aufgebürdet hat, ist man ihn los; sie mögen sehen, wie sie mit ihm und seiner Seele fertig werden. Wird der aufgedrungene Gast ihnen unheimlich, so können sie ihn ja wiederum in der ange- messenen Richtung den Nachbarn zuschieben oder auf einem Grenzstrich, in einer Einöde, abstellen. Schliesslich bringen vielleicht die Fürsten, die der Tote näher angeht, die Mittel auf, um die Beförderung bis auf das Gebiet von Lubü zu bestreiten. Viel einfacher und billiger gestaltet sich der Leichenzug, wenn Mi- füumu nicht in entlegenen Gebieten, sondern in der Nachbarschaft ihres Gräberfeldes sterben. So wird es verständlich, dass hochbetagte Fürsten, wie es Muene Mpämbus Mutter tat, noch bei Lebzeiten in den 190 Lubu. Würdige Bestattung. Prügelfest. Königsgau übersiedeln, dass erkrankte, sterbende, sich in der Hängematte hintragen lassen, um ihrer würdigen Bestattung neben Standesgenossen sicher zu sein. Während einer solchen Beerdigung erscheinen nach altem Brauche die uns schon bekannten streitbaren Weiber von Lubü auf dem Plane. Es gibt ein Volksfest mit lustiger Hauerei. Und das geht so zu. So- bald der Leichenwagen sich der Gemarkung nähert, wird der Hüter der Fürstengräber beschenkt und in förmlicher Weise über die bevorstehende . Beisetzung unterrichtet. Die Männer des Dorfes werfen die Grube aus, wofür sie zwei Leibeigene oder ihren Wert empfangen. Die Weiber stellen in der Richtung des ankommenden Zuges bis zur Grenze den breiten Weg, den lulömbe her, wofür sie zwölf Stück Zeug zu fordern haben. Bis zum lulömbe von Lubü müssen die Leute der zu begrabenden fürstlichen Person die Strasse für den Wagen zurichten. Sie eben sind es, die, wenn auch nicht aus Luändschili stammend, am Tage der Über- gabe ihrer Leiche die Prügel erhalten, Denn sie haben, um ihr grosses Leid ob des Todes ihres Herrn oder ihrer Herrin zu mildern, während der Vorbereitungen zur Beisetzung nach alter Weise ihr Raubrecht weid- lich ausgeübt. Alle Weiber und Kinder, die solchergestalt selbst, oder deren An- gehörige um eines toten Mfümu willen geschädigt worden sind und nach Vergeltung lechzen, andere, die eine alte Rechnung auszugleichen haben oder aus Neugier und Rauflust mitwirken wollen, versammeln sich an dem Tage, wo der Leichenwagen voraussichtlich auf die Flur von Lubü gelangen wird, an diesem Orte. Es gibt ein echtes Volksfest. Die Weiber und Kinder von Lubü, die Männer dürfen nicht mittun, nebst allen Zugelaufenen lauern, mit Stöcken und Ruten bewaffnet, in Busch und Gras auf die unfern sich abmühenden Fürstenleute. Diese wissen recht gut, was ihrer harrt. Aber sie sind gehalten, ihren Wagen auf den hügelansteigenden lulömbe der Weiber zu schaffen und mittelst Brems- blöcken zu sorgen, dass er ja nicht rückwärts rolle. Im richtigen Augen- blicke fällt die verborgene Knüppelarmee schreiend über sie her und haut nach Herzenslust. Wie einst die Männer von Luändschili, die auf ihren Tschimpüngu fahndeten, suchen die Überfallenen ihr Heil in schleu- niger Flucht. So erkämpfen sich nach alter Weise die Weiber von Lubü die Fürstenleiche, die die Männer nachher feierlich zur letzten Ruhe bringen. — Wie manchen Fürsten, die nicht bis Lubü und somit nicht in die Erde gelangen, geht es hoffärtigen Emporkömmlingen. Diese wollen ebenfalls prunkvoll, beinahe fürstenmässig begraben werden, und sammeln hierfür Reichtümer. Die Angehörigen bauen ihnen grosse Leichenwagen und schmücken sie nach Vermögen aus. Sogar Leopardenfelle hängen Emporkömmlinge. Die Fürsten der Neuzeit. 191 sie daran, stellen obenauf einen ausgestopften Leoparden und aufge- spannte Regenschirme oder ein selbstgefertigtes, baldachinähnliches, hoch- rot überzogenes Schirmgestell, wenigstens dort, wo Fürstenfamilien fehlen oder es dulden. Diese Wagen kommen aber nicht nach Lubü. Sie bleiben im Wohngebiet der Familie und werden nach Beisetzung ihres Inhaltes verkehrt oben auf das Grab gestellt. (Abbildung am Schlusse des dritten Kapitels.) Der Seelenglaube bringt es mit sich, dass die Insassen einer Gemarkung sich stets weigern werden, Tote anderer Ge- biete in ihre Erde zu betten. Auch unterbleibt das Aufdrängen der Wagen. Da es sich nicht um einen Mfümu handelt, liesse man sie nicht herein oder schöbe sie einfach wieder zurück. Die Leichenwagen von Häuptlingen sind demnach nicht weit zu fahren. Dennoch hapert es auch hier mit dem Begraben. Sei es, dass die Hinterbliebenen Rechtshändel fürchten, denn, wer begräbt, der über- nimmt alle Verbindlichkeiten des Toten; sei es, dass die Beerdigung zu kostspielig geplant wurde und die Beisteuer zu fliessen aufhörte; sei es, - dass räumliche Hindernisse die Tatkraft lähmten. Wie die Gefährte mit Fürstenresten erreichen auch diese Fuhrwerke nicht die Grabstätte, werden allenfalls überdacht oder stehen einsam und unbeschützt in der Wildnis. Wohl die meisten zerfallen schliesslich nebst Inhalt in Staub und Moder. Hier und da sind etliche mürbe Langhölzer und BlockrÄäder die letzten Zeugen irdischer Herrlichkeit. Die Mifümu sind freilich selber mit schuld, dass sie nach dem Tode nicht mehr so wie früher geehrt werden. Der Zeiten Wandel ist an ihnen nicht spurlos vorüber gegangen. Sie haben den Verlockungen des Handels nicht widerstanden und mannigfach das ihrer Kaste geltende Tschina übertreten. Sie nehmen gern europäische Gewebe zum Einwickeln ihrer Leichen. Behufs Aufputz der Wagen beziehen sie, wie ihre Nach- ahmer, Teppiche und kostbare Stoffe, nämlich Samt und Seide mit Gold- und Silberfransen, durch die Faktoreien. Nicht alle tun es, aber doch viele. Ferner tragen Mifümu eingeführte Kleider und Schmucksachen. Den Luntämbi lu mbensa haben sie zwar noch nicht zu überschreiten gewagt, aber ausserhalb dieser Schranke scheuen doch nicht alle den Anblick des Meeres, Bei Pontanegra können sie es vom Pfade aus deutlich sehen. Fürstin Samäno, unsere Erdherrin, dann Fürstin Nsässi, eine ehrwürdige Greisin, und Fürst Nsässi, beide aus dem Inneren, haben uns ganz unbefangen in unserer hart über dem Strande gelegenen Station Tschintschötscho besucht. Muene Nsoämi und Muene Tschibila, die Schönheit von Loängo, betraten ohne Zögern den Strand und die Faktorei von Longoböndo, dieselbe, die Nsoämi einst vor Zerstörung bewahrt hatte (Seite 65), Tschibilas Bruder dagegen hielt sich ängstlich jenseits der Hügel ausser Sicht des Meeres. Muene Ntätu, der damals Ngänga mvümbi 192 ‘Wandel der Fürstenart. war, folgte der alten Satzung oder dem alten Gebrauche. Er getraute sich nicht einen Europäer zu empfangen, sondern ordnete dazu einen Höfling ab, der seine Rolle spielte. Auch liess er mich dringend bitten, nicht in der Nähe zu übernachten, nicht in dem die geweihten Stätten überwuchernden Buschwalde herum zu kriechen und namentlich nichts ab- zubilden. Das war überhaupt eine grosse Sorge: nur ja nicht abmalen. Mäni Präta, der Silberprinz, eigentlich Muene Liäta zu nennen, wollte nicht leiden, dass ich das Gräberfeld der Könige zu Luändschili betrat. Der sehr stolze und recht gallige Herr grollte, dass ich andere Grosse vor ihm besucht hatte, und dass seine Nichte Tschibila liebens- würdig gegen mich gewesen war. Er wies den Boten mit meinem Ge- schenke zurück und liess mir sagen, der Weisse wäre im Lande, um Handel zu treiben, nicht, um an den Gräbern der Könige herum zu treten und Bilder zu machen. Als ich, um ihn zu überrumpeln, am Nsongölo erschien, lag der Fährmann nebst Kahn am anderen Ufer und blieb taub für alle Aufforderungen. Manche Fürsten bewirten Europäer und essen mit ihnen in den Fak- toreien, andere vermeiden es. Die früher erwähnte Muene Mpemba in Yümba hat mich überaus gastfreundlich in ihrem wunderschön gelegenen (sehöft untergebracht, auch eigenhändig für mich Speisen gewürzt, weigerte sich jedoch, mit mir zu essen und meine Vorräte zu kosten. Nur Tabak aus meinem Beutel stopfte sie gern in ihre Pfeife, was wiederum an anderem Orte Fürst Mpämbu für Tschina erklärte, obgleich er eine in Europa angefertigte Joppe trug. Muene Ndaläya, die Herrin von Mvümvu, schickte mir gastfreundlich Hühner, Eier und Palmwein mit dem Ersuchen entgegen, im Nachbardorfe einzukehren, weil sie selbst Weisse weder erblicken noch beherbergen dürfte. Manche Mifümu lassen sich beim Trinken noch ein Tuch vorhalten oder heben ihr Gewand vor das Gesicht oder wenden sich wenigstens ab; ihr Gefolge dreht sich um oder blickt zur Erde und klappt die Hände. Ebenso tun andere Anwesende. Als Muene Tschibila einmal nieste, machten ihre und Nsoämis Begleiter eiligst Kehrt, ahmten das Niesen nach, schlugen die Fäuste gegen die Brust und streckten die Arme mehrmals abwehrend von sich. Das war noch alte höfische Sitte und sollte Übles verhüten. Dass der Schirm ein besonderes Würdenzeichen der Grossen gewesen wäre, ist aus alten Berichten nicht zu entnehmen. Dafür gab es von Dienern getragene Fächer oder eingerahmte Standarten, Ehrenschwänze (von Rotbüffeln, III 223) und Quasten. Auch in späterer Zeit ist der Schirm nicht zum auszeichnenden Gerät geworden. Das Regendach des Handels wird beliebig, obschon ziemlich selten, von Hoch und Niedrig verwendet, besonders als Putzstück bei festlichen Aufzügen, wenn ihnen etwas Glückliches widerfahren ist. Manchmal ziert ein aufgespannter Stellung der Europäer. 193 Schirm einen Leichenwagen. Unsere Leibdiener pflegten sich Schirme von uns zu leihen, wenn sie bei peitschendem Regen einen Gang besorgen sollten. Das sah fein aus, und ihre Haut blieb ungeklatscht. Bis zur Gegenwart hat sich die Meinung erhalten, dass der Weisse einem Fürsten gleich geachtet werde. In Wirklichkeit erfreut er sich keiner wesentlichen fürstlichen Vorrechte. Er ist und bleibt ein als Bringer begehrter Waren nützlicher Fremdling. Die unrichtige Ein- schätzung entstand dadurch, dass die pfiffigen Eingeborenen ihren Vor- teil wahrnahmen, indem sie den Europäern schmeichelten. Die alten Sklavenhändler konnten sich auf Widerruf das Recht erkaufen, auf dem ihnen zugewiesenen Landstrich zwischen Meer und Kaufhaus Menschen- raub zu treiben. Seitdem der legitime Handel blüht, lassen sich Kauf- leute am Strande und auf einigen Verkehrswegen, insonderheit auf dem Luntämbi lu mbensa wie Fürsten in Hängematten tragen. Das ist alles. Im Inneren sowie im Königsgau erlauben ihnen verschiedene Ortschaften den Durchzug nicht anders als zu Fuss, wovon übrigens schon alte Be- richterstatter erzählen. Wer sich dem T'schina nicht fügen will, so wie er daheim polizeiliche Vorschriften achtet, vermeidet besser solche Dörfer. Eingeborene Mietlinge müssen ihn im Stich lassen. Ferner haben die Weissen nicht Sitz und Stimme bei den Beratungen über Gau- und Gemeindeangelegenheiten. Sie können nicht Grundherren und nicht Grundbesitzer sein, dürfen überhaupt nur gegen regelmässige Zahlung von Abgaben und auf Widerruf im Lande wohnen und handeln. Deswegen haben sie auch kein Erdrecht, das sogleich erklärt werden soll, können sie keine Hörigen halten. Ihre Sklaven, Leibeigene, finden nirgends einen Schutzherren, sondern werden ihnen nötigenfalls gewalt- sam zurückgebracht, und sie wiederum müssen Flüchtlinge ausliefern. Selbst über freie Leute, die sich gutwillig bei ihnen in Hörigkeit geben, gewinnen sie keine Rechte. Sie sind und bleiben geduldete Fremdlinge — bätua, sing. mütua — und wenn sie sich schlecht betragen, werden sie verwarnt, schliesslich ausgewiesen ‘und gewaltsam vertrieben. Allerdings wird den Fremdlingen, auch wo sie machtlos sind, in einer Hinsicht noch in bezeichnender Weise Achtung erwiesen. Wenn sie mit ihrer Mahlzeit beginnen wollen, ziehen sich die Eingeborenen sogleich zurück. An der Küste erscheint dies mehr als ein Beweis von Schicklichkeitsgefühl, aber im Hinterlande, wohin Europäer nicht vorge- drungen sind, erlangt es andere Bedeutung. Die nämlichen Leute, die mit naiver Neugier gaffen, wenn der Europäer dabei ist, die Wäsche zu wechseln, sich zu waschen, zu baden, die nichts dabei finden, ihn aus dem Schlafe zu wecken, weil Leute, vielleicht Weiber angelangt sind, ihn zu begucken, wie es Dr. Güssfeldt geschah (I 114, 119), die weichen zurück, sobald er speisen will. Loango. 13 194 Alter Brauch. Erde heilig. Erdrecht. Bei den mehrfach erwähnten, im Gebirge unfern vom Kongo hau- senden Bafiöti erlebten wir folgendes: Wir wurden überaus freundlich aufgenommen. Die Begrüssung war vorüber. Hunderte von fröhlichen und staunenden Menschen umdrängten uns. Als wir uns aber anschickten, von dem uns gebrachten Palmwein zu trinken, verstummte sogleich aller Lärm; lautlos sanken alle Leute zur Erde und verharrten hockend oder knieend mit niedergeschlagenen Augen, bis wir unseren Durst gelöscht hatten. Darauf erhoben sie sich wieder ebenso lautlos und klappten die Hände. Dergleichen ist an der Küste schon längst nicht mehr zu beobachten. Auch übte der gewandte Oberhäuptling, der uns am näch- sten Tage mit Alt und Jung persönlich durch sein kleines Reich geleitete, noch einen zweiten selten gewordenen Brauch. Zum Gedenken unseres Aufenthaltes, der ersten Weissen, die seine Dörfer besucht hatten, liess er am Palaverplatz einen stattlichen Merkpfosten in die Erde setzen. Als ihm hernach die Zivilisation über den Hals gekommen ist, wird er das Denkmal wohl manchmal wehmütig angeschaut haben. — Nicht allein die politische Gliederung, sondern auch die gesellschaft- lichen und rechtlichen Verhältnisse hängen aufs innigste mit dem Grund und Boden, mit der Heimat zusammen. Sie wurzeln gleichsam darin. Nsämbi, der Schöpfer der Bafıöti, hat ihr Land, ihre Erde ihnen als ein Wohngebiet anvertraut. Der Ma Loängo war eine Art Statt- halter für Nsämbi und der Mfümu nssi wiederum ein Statthalter des Ma Loängo, Vertreter seines Erdstückes, wo das Staatsfeuer brannte, mit allem, was dazu gehörte. Ihre Erde ist den Bafiöti mehr als ein Schauplatz, worauf ihr Leben sich abspielt. In und aus der Erde wirkt ein Etwas, das alles durch- dringt, Vergangenes und Künftiges vereinigt. In der Erde ruhen ihre Toten, und sie selber werden einst zur Erde gehen. Aus der Erde spriessen die ihr anvertrauten, sich aus sich selbst erneuernden Saaten und Steck- linge, die des Ackerbauers Dasein sichern, wachsen die nährenden Früchte des Waldes und der Kampine, die Gräser und Kräuter, womit die Tiere ihren Hunger stillen. Der Erde entquillt das kühle, labende Wasser, ohne das kein Hausen wäre. Alles Lebende entnimmt dem Boden seine Kraft. Die Auffassung unserer Leute liesse sich dahin wiedergeben, dass sie ihre Erde als ein von Nsämbi stammendes Lehen für heilig halten. Daraus leiten sie Rechte und Pflichten ab, die man in ihrem Sinne als ein Erdrecht — nssiku, lunssiku — zusammenfassen kann. Es sind heilige Satzungen, rechtlich und religiös zugleich. Nssi be- deutet nicht bloss Landstrich, Gebiet, sondern Land und Leute mit- einander, eine gesellschaftlich und räumlich geschlossene, mit Grund und Gemeinsamkeit. Erdherr und Erdschaft. 195 Boden innig verwachsene Gemeinschaft. Nssi ist die Mutter Erde mit allem, was in ihr ruht, aus ihr hervorgeht und ihr wieder zufällt, somit auch das Volk, der Stamm, die Familie, und dazu die Vorfahren, deren Seelen heimatberechtigt bleiben. Im Besonderen meint nssi den Gau, die Flur, die Gemarkung, kurzum das Stückchen Erde, worauf boden- ständig und haftpflichtig verbundene Menschen leben. Das Gelände, der Boden heisst ntöto, und als Feldstück, als Pflanzung bearbeitet, nssöla. Die Geltung der Personen in solchem Verbande und damit ihre Stellung zur Erde ist sehr verschieden. Zu oberst steht der Mfümu nssi, der Herr der Erde, einst stets ein Fürst. Sagen wir: Der Erdherr. Ihm zunächst stehen als Berater und Verwalter die Häuptlinge von verschie- denem Range, die Grossleute — mukulüntu, plur. bakulüntu — der Häuptlingschaften, der Dörfer, Weiler und Familien. Auf diese folgen die Freien, welche Bezeichnung aber relativ zu nehmen ist, weswegen wir im besonderen lieber Erdsassen sagen wollen. Es sind die Herren- kinder, richtiger Herrinnenkinder, die b’äna ba ngäni oder bangäni, sing. muäna (mu) ngäni oder mungäni (ein recht selten werdender Ausdruck), die von freien Müttern stammen, die ya menga, mit Blut, nämlich frei- oder edelbürtig, bütu nssi, zur Erde geboren sind. Bereits im Säuglings- alter als Erdsassen öffentlich anerkannt, sollen sie vor dieser Festlich- keit, die erst stattfindet, nachdem sich in der Geburtshütte ihre dunkle Hautfarbe ausgebildet hat, mit keinem entblössten Teile ihres Körpers die Erde berühren. Auch darf Feuer während der Abschliessung weder hinein- noch herausgetragen werden. Das gilt ebenso für Mädchen, bei denen die Zeichen der Reife eintreten, also für sinkümbi, weswegen sie mit einer Wächterin oder Belehrerin die Jungfernhütte — nsö tschi- kümbi — beziehen. Auch der Schmied — mfüssi, plur. bafüssi — soll beim Arbeiten eine Matte unterlegen, streift sogar Sandalen oder Matten- schuhe an die Füsse, falls er ein grosses Werk vorhat. Alle bangäni, also die Erdsassen .oder Herrenkinder, sind zugleich bässi, sing. müssi, seltener auch baissi, sing. muissi, welche Ausdrücke wohl auf die uns schon von der Makünda her bekannten zurückzuführen sind: b’äna ba nssi, sing. muäna mu nssi, Kinder der Erde. Sie sind die Voll- bürger, die Gau- oder Markgenossenschaft, besser die Erdgemeinschaft, oder kurz und wörtlich: Die Erdschaft. Bässi sind eben Erdstück und Bewohner zusammen, und sie als Freie haben für alles aufzukommen, was beide angeht; mögen sie ein grosses oder kleines Gebiet halten und viele oder wenige, oder gar nur ein einziger, der Erdherr sein. Die Erd- sassen beraten und entscheiden in Angelegenheiten ihrer Erde, in der Regel freilich wie die Weiber und oft, wie die Hörigen es wollen. Sie meinend, von ihnen redend, pflegt man den Namen ihrer Erde hinzu- zufügen, womit das politische Gebilde ebenso sicher bezeichnet ist, als 13* 196 Erdsassen. Hörige. Leibeigene. wenn man, wie früher erklärt, den Herrscher oder den Erdherrn nennt. Yenga, die betreffende Erde; Bässi ba Yenga, abgekürzt Bayenga, die Erdschaft; Ma Yenga, der Erdherr. Im allgemeinen wird bässi auch für die Gesamtbevölkerung des alten Reiches gesagt, woher dann Baloängo. Die alten, aus der Königszeit stammenden und unter Fürsten stehen- den, gleichsam geschichtlichen Erdschaften, waren einst von solcher Be- deutung, dass ihre Namen dauernd an den Gebieten haften geblieben sind. Alle Ortsbezeichnungen wechseln, nur die der Gaue nicht. Das gilt ja auch für die Gaue in zivilisierten Staatswesen, wo trotz aller politischen Veränderungen die Namen der Landstriche im Volksmunde fortleben. Als Anhang oder Zubehör der engeren Erdschaft, der Erdsassen, teilen mit ihr Leid und Freud noch viele andere Menschen, die nicht zur Erde geboren oder nachmals unfrei geworden sind. Zunächst die (Geiseln, Pfänder, Bürgen — tschiwi, plur. biwi, und mungöli, plur. ban- göli —, sodann die Hörigen — mudöngi, plur. badöngi, Hörigkeit: bu- döngu —, endlich die Leibeigenen — muvika, plur. bavika, Leibeigen- schaft: tschivika — oft schlechthin, wie in gewissem Sinne noch unter unseren Verhältnissen, Menschen genannt. Meine Menschen: bäntu b’ämi (ba ämi), sing. müntu (mu) ämi, soviel wie Sklaven nach unserer Auffassung. Für Geiseln, Pfänder, Hörige, ist man ihrer Erdschaft, Familie, überhaupt ihrem Anhange verantwortlich, denn sie haben Erd- recht, für Leibeigene nicht, denn die sind erdlos. Dieser Unterschied ist, wie sich ergeben wird, sehr bedeutsam. Zu den Genannten kommen noch Leute von einstweilen unklarer Stellung, die kaum der einen oder anderen Schicht der nicht Vollberech- tigten einzureihen sind. Als da sind: Versprengte aus Hunger-, Seuchen-, Kriegsgebieten, die aus unverdienter Not um Gotteshilfe baten, Ver- schuldete, Taugenichtse, Stromer, die anderswo entwichen, oder die ab- geschoben, verscheucht worden sind, oder gewohnheitsmässig bummeln und auf Bettel reisen, auch fahrend Volk. Halb und halb sind viele solcher Besucher schon auf fremde Erde, in eine fremde Erdschaft ge- gangen, und das bringt Schande wie Bedauern. Aber sie sind hier noch nicht pflichtig, weil daheim noch nicht abgelöst, wozu mancherlei Förm- lichkeiten erfüllt werden müssen. Demnach werden sie bloss geduldet, ein bisschen mitbeschäftigt und mit bekannter Gutmütigkeit durchgefüttert als Gäste, Erdfreunde, Heimatfreunde: bakängi und bakündi. Ist man arger Schmarotzer überdrüssig, so ersucht man sie einfach, sich weiter zu bemühen und anderswo zu sättigen. Indessen entschliesst man sich dazu nicht leicht, denn es geht mindestens wider äusseren Anstand und Erdpflicht. Die unverschuldet Versprengten, die um Gotteshilfe baten, werden wohl niemals ausgewiesen oder gegen ihren Willen einverleibt. Halblinge. Erdfremde: Bätua. 197 Doch der Vereinsamte, der Herumtreiber kann auf die Dauer als solcher nicht bestehen. Politisch wie gesellschaftlich braucht er Rück- halt und Schutz. Er muss irgendwo hin, irgendwem gehören, in eine Erd- schaft oder einem Herrn. Dem können sich derlei Halblinge kaum be- liebig lange entziehen. Freiwillig oder gezwungen aus ihrem alten Ver- bande gelöst, Zuflucht bei einem anderen suchend, geraten sie in Ab- hängigkeit und Unfreiheit. An Kopfzahl übertreffen alle diese Eingeordneten bei weitem die Erdsassen. Gibt es doch Erdschaften, deren einziger Freier der Erd- herr ist, und jetzt ist es sogar mit dem nicht immer ganz richtig, wenigstens insofern er nicht zur Erde geboren ist. Die durchaus nicht rechtlosen Unfreien sind an die Erdschaft, die für sie einzustehen hat, gebunden, sind jedoch stimmlos in Gemeindesachen und ihrem Herrn oder der Ge- samtheit fronpflichtigs. Immerhin haben alle, die in der Erdschaft, also auf der Erde geboren wurden, eine bevorzugte Stellung, die sogar einen sehr günstigen Wandel ihres Zustandes bewirken kann. Am rechtlosesten, weil gänzlich erdlos, sind die wirklich Leibeigenen, im ersten Gliede stets Verbrecher, die bei uns hingerichtet oder in den Strafanstalten eingesperrt sein würden. Und doch kann, wie noch zu erweisen, das Herrenkind einer Leibeigenen das grösste Glück von allen haben. Im betonten Gegensatz zu den Kindern der Erde, zu den Erdsassen — bässi — werden diese Unfreien (und wohl auch vielfach Halblinge) als Mitwohner, als Dörfler — bässi buäla — angesehen; buäla, plur. m’äla (maäla) Dorf, Weiler. Auch heissen sie noch batüngi, sing. mutüngi, Bauer, Bauberechtigte, von kutünga, zusammenheften, fügen, bauen (Schilf- hütten). Sie haben nämlich, ausser dem Rechte, in der Erde begraben zu werden, Herdfeuer zu unterhalten — was übrigens vormals Leibeigenen im ersten Gliede nicht erlaubt gewesen sein soll — und Pflanzungen an- zulegen, noch das Recht, ihre Behausungen beliebig zu errichten und die Stützpfosten in den Boden zu setzen, was ausserhalb des Verbandes Stehenden, den Erdfremden — bätua, sing. mutua — gar nicht oder nach Ansuchen nur auf Zeit gegen regelmässige Abgaben gestattet wird. Wo es nicht gerade notwendig ist, genau zu unterscheiden, gilt die Bezeich- nung bässi oder bässi buäla für alle miteinander lebende Freie oder Un- freie, besonders für die Dorfschaften innerhalb der Erdschaft, aber auch für Erdschaft und Dorfschaft zusammen, gleicherweise auch batüngi, namentlich im Gegensatz zu bätua. Bätua, Erdfremde, die kein Erdrecht haben, ausserhalb aller poli- tischer und sozialer Gemeinschaft stehen, sind natürlich auch die Euro- päer. Nicht überflüssig erscheint es, darauf hinzuweisen, dass die Be- zeichnung bätua oft als Stammesname für Zwergvölker und andere Ver- sprenste des Inneren, wo Bäntuvölker hausen, missverstanden worden ist. 198 Alte und neue Erdschaften. Wechsel. Clanschaft und Totemismus, wobei Leute von gleichem Tschma am bequemsten zusammen wirtschafteten, und Heiratsverbote sind noch vor- handen, mussten aber in Gemeinwesen, wie es die Erdschaften geworden sind, und mit der Entwicklung des Fetischismus mannigfaltig vermengt und unklar werden. Die Kennzeichen sind verquickt mit anderen Zu- taten, mit dem fast unerschöpflichen T'schina des Fetischismus, worüber im vierten Kapitel abgehandelt werden soll. Das ist oder war im grossen und ganzen, denn noch vieles ist nach- zutragen, das Wesen der Erdschaften. In alten Zeiten gab es nicht an- nähernd so viele, wie gegenwärtig, und eine jede stand unter einem wirk- lichen Mfümu nssi, unter einem geborenen, vom Ma Loängo belehnten Fürsten. Ein Ma Loängo war nicht der Herrscher eines einigen, straif ge- haltenen Volkes, und würde es auch heute nicht sein, sondern war ein oberster Herr von Lehnsleuten, eben der Erdherren, die ihm alle ver- wandt, weil von gleicher Kaste, aber wahrscheinlich so oft aufsässig wie fügsam waren. Die Erdschaften, wenigstens der Form nach das einzig Beständige in der politischen Gliederung, sind nach der Auflösung des Reiches übrig geblieben, obschon wiederholt in kleinere Stücke zerlegt. Sie bestehen fort oder entstehen neu als geschlossene Gemeinwesen, deren freie oder mindestens führende Mitglieder für das Ganze haftbar sind. Ihre politische Bedeutung ist sehr verschieden, je nach dem Geiste, der in ihnen herrscht, je nach Kopfzahl und Vermögen, das heisst, je nach der Menge der wehrhaften Männer, die sie stellen, und je nach den Arbeitskräften, über die sie verfügen. Es gibt solche, die eine Vergangen- heit haben und sie hochhalten, und solche, die keine haben. Das Ideal der Erdschaft wäre eine auf väterliche Abkunft gestützte Sippe, Olanschaft, oder eine durch mütterliche Abkunft blutsverwandte Familie oder ein Verband solcher Familien. Immerhin gibt es oder gab es noch zu unserer Zeit historische Erdschaften. Diese Leute, ein Dorf, mehrere oder viele Dörfer bewohnend, auf einem kleinen oder grossen (sebiete siedelnd, hausen auf der Erde ihrer Vorfahren, wo Geschlecht auf Geschlecht lebte und starb und in eigener Erde ruht. Sie dünken sich viel und halten auf guten Ruf. Wenn sie gar noch einen erbsässigen Fürsten, eine Fürstin als Mfümu nssi und eine geweihte Stätte, wo einst das Staatsfeuer brannte, auf ihrer Erde haben, rechnen sie sich stolz zu den Ersten und Besten. Neben ihnen, Stücke der alten aufgeteilten Gebiete haltend, haben sich andere, neuere Erdschaften aufgetan, die freilich kaum als solche zu betrachten sind. Im schlimmsten Falle bestehen sie aus zusammen- gelaufenem Volke, das, durch keine Überlieferung vereint, so gut oder schlecht sein Dasein fristet, wie es gehen mag. Es ist da schwer aus- Erdherren. Häuptlinge. Raubgesindel. 199 zufinden, wer frei, wer unfrei ist. Die Not, das Bedürfnis der Anleh- nung, hält die Leute zusammen; Uneiniskeit spaltet sie, ein äusserer An- stoss treibt sie auseinander. Manchmal entstehen und zerfallen solche (Genossenschaften unter den Augen des Beobachters. Andere wieder ge- deihen unter tüchtigen Häuptlingen, gelangen zu Macht und Einfluss. Sie werden zwar von Altberechtigten scheel ängesehen, sind aber desto rühriger, sich geltend zu machen. Dazu gehört auch, und das ist be- achtenswert, dass sie in Ermanglung von altehrwürdigen Feuerstätten wenigstens einen sogenannten Tierschädelfetisch anlegen, der ehemals zu jedem solchen geweihten Orte gehörte. Freilich ereifern sich darüber die Nachbarn und wollen es nicht dulden. Ein weltkluger und im Handel erfolgreicher, über viele wehrhafte Männer gebietender Häuptling mag eine Anzahl von fertigen und unfertigen Erdschaften zu einem Bündnis und unter seine Botmässigkeit bringen. Schwindet sein Einfluss, ist sein Nachfolger unfähig, so löst sich der kleine Staatenbund wieder auf, Die Fürsten sind, wie schon erörtert, trotz ihrer Kastenvorrechte nicht mehr durchweg die Mächtigsten im Lande. Nicht viele von ihnen walten noch auf ererbter Erde, und wäre es ein Rest des alten Besitzes, als Mfümu nssi. Neben ihnen spreizen sich Emporkömmlinge, die es ihnen gleich zu tun streben. Im Laufe der Zeit ist die Verwirrung der- massen gewachsen, hat sich die Bedeutung des Mfümu nssi derartig er- weitert und verkleinert, dass sich am liebsten jeder Dorfherr als solcher fühlt und beträgt, falls es ihm seine Nachbarn gestatten. Das ist ledig- lich eine Frage der Macht und Gewandtheit. Wenn es die anderen nicht hören, behauptet kühnlich ein jeder Häuptling, weithin der mächtigste zu sein, und treibt Politik auf eigene Hand. Eines jeden Charakter präst sich seinem Gemeinwesen so gründlich auf, dass man nur nach seinem Leumund zu fragen braucht, um zu wissen, wie man mit seinen Unter- tanen daran sein wird. Ein böser Erdherr, ob echt oder unecht, ist ein richtiger Schnapphahn, ein Raubritter, der von einem Fremdling so viel er kann, erpresst, bevor er ihn zum. Nachbar, zum natürlichen Neben- buhler ziehen lässt. Vielleicht verweigert er ihm den Durchzug und zwingt ihn listig zur Umkehr, oder legt ihm gar, auf seine Krieger ver- trauend, einen Hinterhalt. Ein tüchtiges Oberhaupt dagegen wahrt den guten Ruf seiner Erdschaft und lässt verständig mit sich reden. Ge- währtes Gastrecht und Geleit verletzt keiner, Bei Zerwürfnissen, die sich vielleicht bis zur Entscheidung durch die Waffen steigern, hängen sich die Kleinen an die Grossen. Der Stärkste mag bis zum Austrage der Angelegenheit Führer eines ausgedehnten Land- striches sein. Da bringen sie dann bisweilen ganz grossartige Palaver zusammen. Nachher zerfällt das Ganze wieder in seine Teile und jeder Machthaber spinnt seine Ränke weiter. 200 Krieg. Lärm. Waffenruhe. Die Erbitterung muss sehr gross sein, wenn sie sich nicht mit dem Palaver begnügen. Denn sie haben ja allenthalben Anhang, Verwandte, Verschwägerte, Blutsfreunde. Auch ist Krieg immerhin eine gefährliche Sache; man kann angeschossen, sogar getötet werden. Welchen Zweck hätte das? Das Leben daran zu setzen, um eine Heldentat zu voll- bringen, wäre Narrheit. Ein Vaterland hat man nicht zu verteidigen, denn die Erde nimmt einem keiner, es wären denn Fremdlinge. Muss Krieg geführt werden, so geschieht es meistens strategisch, mit hin und her ziehen, wobei man unblutig, aus dem Hinterhalte, Menschen zu kapern sucht, Faustpfänder, die einem sofort das Übergewicht bringen. Viel mehr kommt gewöhnlich bei einem nach pompöser Ansage mit gross- artigem Getue und Geknalle geöffneten Kriege nicht heraus. Gefechte führt man meistens als Schaustücke sich zur Lust auf, um sich mal aus- zutoben, den Weibern Eindruck zu machen und sich bewundern zu lassen. Nicht todesmutige Kämpfer sind die Leute, sondern mehr Kriegsspieler wie unsere Jungen, beinahe Kriegsprotzen. In den Schlachten geht es sehr laut, aber ganz gemütlich zu. Die (segner schleichen, springen, drohen, halten Reden, werfen sich Schlechtig- keiten vor und brüllen wie die alten Griechen, schiessen auf unschädliche Entfernungen und zwar gewöhnlich, ohne zu zielen, oft mit weggewen- detem Gesicht. Stürmt einmal eine begeisterte Partei vorwärts, so dass die Geschosse beinahe töten könnten, so reisst die andere schleunigst aus, und wird ihr der Atem kurz, macht sie wieder drohend Front, so laufen wieder die Verfolger davon. Oft erquicken die Weiber ihre Helden mit Atzung, eilen hin und her, mischen ihre Stimmen in das Getöse, schmälen, verhöhnen Gegner, und wagen sich trotzdem unter sie, um Feldfrüchte und Wasser zu holen. Wehe dem, der sie und Kinder bei solchen Kämpfen verletzen wollte. Gelegentlich stoppen sie weitere Ver- geudung des teuren Pulvers. Die Weiber von Lubü holten vor meinen Augen unter unglaublichem Lärm ihr darauf los knallendes Mannsvolk vom unblutigen Schlachtfelde heim in ihr Dorf. Wenn einer Partei das Pulver ausgeht, wird auf die Meldung hin der Kampf abgebrochen. Ist aber die Knall- und Kriegslust sehr gross, dann liefert der Gegner wohl selbst gegen Zahlung oder Versprechen weitere Munition. Ferner wird das (feschiesse eingestellt, wenn Markttag ist, wenn Geleitsberechtigte: Handelsgänge, Leichenzüge, Boten, vor Ge- richt Geladene, Hökerinnen den Kriegsschauplatz kreuzen wollen. Das geschieht aus einer gewissen Ritterlichkeit, sowie aus Klugheit: Verletzung eines Unbeteiligten wäre sehr hoch zu bezahlen oder könnte die Gegner bedenklich vermehren. Kriegerische Unternehmungen sind aufregend, selten ernsthaft, es wäre denn bei voll entfachter Wut gegen Fremdlinge. Unter Stammes- Kämpfe. Zwang. Kriegsdienste. 201 genossen und Nachbarn folgen auf Heldentaten so viele Entschädigungs- ansprüche, Rechtshändel und andere Verdriesslichkeiten, dass man gar nicht vorsichtig genug sein kann. Im Grunde genommen erscheint es fast anstandswidrig und unsinnig, Einheimische zu töten oder zu ver- wunden. Blutsachen sind immer böse Geschichten. Mit Gewalt ist keines- falls mehr zu erreichen als durch Palaver, wobei ein jeder, freilich, wie das unter Menschen zu sein pflegt, der Geschickteste und Mächtigste am ehesten sein Recht gewinnt. Kämpfe finden nur am Tage statt. Des Nachts schläft man unbe- sorgt. Dörfer dürfen verbrannt, Vorräte und Vieh geraubt, aber nicht Pflanzungen verwüstet, nicht Fruchtbäume umgehauen werden. Das wäre Sünde gegen die Erde. Solche Taten vergibt man Europäern am wenigsten. Krieg führen ist geradezu unmöglich, falls die Gegner durch neutrale Erdschaften getrennt wohnen. Man müsste denn eine absichtlich mit hereinziehen wollen. Das geschieht in folgender Weise. Erdschaft A möchte Erdschaft B bekämpfen, kann aber nicht an sie, weil Erdschaft © dazwischen sitzt und ihre Ruhe haben will. Helfen alle diplomatischen Künste nicht, dann verübt A an der schuldlosen C irgendeine Gewalttat, fängt ihr einen Mann weg, schiesst ihr einen Leibeigenen an, und zwingt hierdurch Erdschaft C, weil sie um B leiden musste, gegen B mobil zu machen. Den Leuten erscheint das zwar nicht gerade anständig, aber durchaus nicht so widersinnig wie uns, auch im Privatrecht nicht. Einer tut einem schuldlosen anderen etwas an, damit der ihm nun gegen einen dritten helfe. So nahm ein Mann aus entfernterem Dorfe einem unserer Jungen ein uns gehöriges Buschmesser weg, und meinte nun, wir hätten für ihn ein Ziegenpalaver im Nachbardorfe zu schlichten. Unangenehm, aber afrikanisch — und wie unsere Schuljungen: Da hast du eins! ’s ge- schieht dir schon recht, dass der X mich geärgert hat! Gleich widersinnig erscheint, dass Hörige ihren Herren Kriegsdienste gegen die Erdschaft und natürlich auch gegen die Familie leisten, der sie entstammen, zu der sie doch zurückkehren, falls sie ausgelöst werden. Die Folgen haben die Herren zu verantworten. Vielleicht kämpfen nur die Hörigen mit, die sich längst eins fühlen mit der Erdschaft, vielleicht hüten sie sich, wenn es ernst wird, Blutsleute zu treffen. Als wir das Seite 62 geschilderte Kriegspalaver mit Matötila in der Nachbarfaktorei unterstützten, begleitete mich freiwillig mein Junge Ndembo. Er gehörte als Freier einer angesehenen, Matotila eng benachbart sitzenden Familie und Erdschaft an, zählte auch Verwandte unter den Gegnern. Trotzdem hätte der Junge sicherlich geschossen, wenn gekämpft worden wäre. Das verübelte ihm die feindliche Partei durchaus nicht. Denn obgleich er sich allenthalben neben mir mit gespanntem Doppelgewehr gezeigt hatte, 202 Blutrache. vergnügte er sich doch vierzehn Tage später auf einem grossen T’anzfeste in Matötilas Dorf. Dergleichen mutet uns freilich zunächst als recht fremdartig und „wild“ an, ist aber im Grunde genommen nicht viel anders als bei Zivi- lisierten. Lehrt doch die Geschichte, wie kriegsbereite Staaten sich gegen andere hinderliche, die schwächer waren, verhalten haben, sie diplomatisch zu gewinnen versuchten oder einfach vergewaltigten. Ebenso können nahe Verwandte im Kriege gegeneinander kämpfen und in Freundschaft weiter leben, ganz wie in Afrika. Die Blutrache — lukündu, welches Wort an die Heimstätte und an die Makünda erinnert — geht in der Mutterlinie und richtet sich niemals gegen Weiber und Kinder, sondern nur gegen Wehrhafte. Sie entspringt weniger der Rachsucht als dem Glauben, dass die Seele eines verbrecherisch im Leben Verkürzten nicht eher Ruhe finde, als bis dem Täter ein Gleiches geschehen sei. Obwohl so gut wie aufgehoben, weil man lieber verhandelt und Wergeld einzieht, wird die Blutrache noch manchmal von Unversöhnlichen ausgeübt, auch um kleine Dinge. Blut für Blut. Wir erlebten solche Tat: Unser Koch, kein Freier und kein lobenswerter Geselle, war vor Jahren bei einer Tanzrauferei tüchtig in die Backe geschnitten worden. Die Sache wurde damals im Palaver ausgeglichen, war sonach völlig abgetan. Der Messerheld hatte Stellung in einer fernen Faktorei gefunden. Eines Tages besuchte er unser Ge- höft und stellte sich an die Tür zum Warenraum. Unser böser Koch verliess sein Feuer, schlenderte über den Hof und versetzte im Vorbei- gehen dem Burschen den gleichen Schnitt, den er von ihm empfangen hatte. Geschrei, starker Blutverlust, Zulauf von Menschen, grosse Auf- regung. Unser Dolmetscher warf sich in grossen Staat, nahm seinen Stolz, ein reich mit Messing verziertes Buschmesser alter Arbeit zur Hand, bewaffnete zwei seiner Leute und zog mit ihnen, sein Messer präsentierend, in würdevollem Gänsemarsch um den Hof, sodann der Blutspur nach ins Weite. Bald darauf erschien der bepflasterte Verwundete wieder mit etlichen Freunden und schnippelte einen blutigen Span von der Türschwelle. Mit diesem Blutzeugen zog er ab. Später kamen mehrfach Häuptlinge, die den Tatort besichtigten, Verhöre anstellten und Gewicht darauf legten, dass der Koch eigens die Küche verlassen hatte und über den Hof geschritten war, um den Gegner zu verletzen. Das Messer, das uns gehörte, nahmen sie mit. Der Fall war verwickelt, betraf Erdrecht und Privatrecht, Der Ver- letzte war Höriger eines Hörigen des binnenwärts sitzenden Erdherren. Der Täter war Höriger unseres Maböma, und der Maböma lag schwer krank. Wir sassen auf der Erde des mittelbar geschädigten Erdherren, hatten aber als flintenreiche und nicht handeltreibende Fremdlinge eine Würdenträger. 203 gewisse Ausnahmestellung. Die galt freilich nicht, wenn die Herren kamen, um die bedungenen monatlichen Abgaben einzuheimsen, sollte nun aber plötzlich von grosser Tragweite sein. Der uns dienende Koch hatte in unserem Gehöft den Hörigen eines anderen überfallen. Wir hatten die Tat nicht verhindert und sollten deswegen für alles aufkommen, was Rechtens war. So die umwohnenden Grossleute. Wir folgerten anders. Der Übeltäter war Höriger eines anderen, ging uns demnach nichts an. Aber innerhalb unserer Pfähle war die Tat geschehen, das Blut hatte unsere Schwelle besudelt, folglich stand uns Blutgeld zu. Übrigens: wenn wir gleich einer Erdschaft verantwortlich gehalten würden, dann brauchten wir ja auch keine Abgaben mehr zu bezahlen, könnten im Gegenteil aller- hand Rechte beanspruchen und zunächst die Sache selber erledigen, den Koch aufbinden. Das war eine Klemme. Der Fall konnte gut werden: Für die Grossleute Palavern nach Herzenslust mit den unvermeidlichen von uns zu spendenden Stärkungsschnäpschen, für uns viel Belehrung durch einen wahren Rattenkönig von Prozessen. Leider nahm die vielversprechende Angelegenheit ein vorzeitiges Ende. Unser guter Maböma starb. Der Taugenichts von Koch wurde angeklagt, seinen Tod durch Hexerei bewirkt zu haben, unterzog sich, leider ohne unser Wissen, der Giftprobe, erlag ihr und wurde verbrannt. Aus war das Palaver: Wer den Menschen hat, lebendig oder tot, hat in ihm sein und anderer Recht. Aber der Koch war eingeäschert. Hexenvernich- tung löscht gemeine Forderungen. Schluss. Erde drauf. Wenn einmal die Erbschaft des Maböma geregelt wurde, mochten privatrechtliche Ansprüche erhoben werden; aber das stand in weitem Felde. Und dann handelte es sich wieder um wichtigere Dinge, als um Bussgeld für einen blutigen Schnitt. — Die meisten Häuptlinge regieren nur eine Häuptlingschaft, nämlich ein Dorf oder haben wenigstens darin ihren Rückhalt. Aber das genügt ihnen, um sich grossklingende Titel beizulegen oder durch Geschenke vom Erdherrn zu erwerben, der selbst wieder vielleicht zum Reichsver- weser gepilgert ist, um sich feierlich mit Mütze — ngünda —, Schulter- behang — tschinssemba — und hoher Würde — tschiene und ngenda — bekleiden zu lassen. Wie einst der König und die mächtigen Erdherren nach ihren Gebieten, so nennen sich etwa Vorsteher der Dörfer Ntümbu, Mpuela, Nköndo und so fort schlankweg Ma Ntümbu, Ma Mpuedla, Ma Nkondo. Das Land wimmelt von Leuten mit Ma, und wenn sie ihre Sprache schrieben, würden sicherlich noch viele die Pluralform ma (Seite 175) vom Rufnamen abtrennen und feudal verwenden. Sie können sehr viel an Selbsterhöhung leisten und von Schmeichelei verdauen, tragen auch Mützen und Schulterbehang. Auch die alten höfischen Formen äffen sie nach, was wenigstens vorteilhaft für die Forschung ist. Weil es ihrer 904 Titel. Machtprotzen. Gefallene Grössen. Eitelkeit gefällt und nebenbei einträglich ist, umgeben sie sich mit Ge- folge und Beamten, denen sie gegen Geschenke und Dienstleistungen wiederum Titel, auch die längst bedeutungslos gewordenen Titel der Stützen des alten Reiches verleihen oder doch erlauben. Bei jeder pas- senden und unpassenden Gelegenheit erscheinen sie mit diesem Hofstaat, der an grossen Tagen noch allerlei ererbte oder nachgemachte Würden- zeichen mit sich schleppt: Stäbe, Ehrenschwänze, Doppelglocken, Zepter- messer, Elfenbeinhörner. Je älter diese Geräte sind oder erscheinen, desto höher werden sie geschätzt, weil sie beweisen, dass man nicht von gestern ist. Nach Geltung und Titeln streben alle. So stellen sie gewissermassen eine primitive Aristokratie und Bureaukratie vor. Gleich Kleinadel und (reheimräten bedeuten sie mehr als der gemeine Mann. Zahlreich laufen umher die Mafüka, Mankäka, Mangövo und so weiter; gelegentlich hausen mehrere einer Klasse im nämlichen Dorfe. Ob sie hohle Titel führen oder wirklich etwas vorstellen, merkt man erst bei grossen Palavern. Am seltensten sind sie im Herzen des Landes, wo noch verhältnismässig viele Fürsten auf Ordnung halten und wo der Ngänga mvümbi noch einen nahe wohnenden Oberherrn vorstellt. Auch sonst bestreitet man manchem Betitelten das Recht, sich aufzuspielen, obgleich man es ihnen kaum ver- wehren kann oder zu lässig dazu ist. Wenn einmal die Parteien auf- einander platzen, dann duckt sich auch der stolze Herr, der, so lange die Luft rein war, sich als ein gewaltiger Mann gebärdete. Oder er wird geduckt. Ich habe gesehen, dass ein Machtprotze, der sich zu einem grossen Palaver mit schallendem Lärm in das Dorf tragen liess, unter unwilligem Geschrei einfach aus seiner Hängematte geschwenkt wurde, zum grossen Jubel der Weiber und Kinder, und sich nachher ziemlich verdutzt auf seinen Platz setzte. Nicht zu verwundern ist es, dass die im Kampf ums Dasein in be- ständiger Übung erhaltenen Grossleute, seien sie anerkannte Erdherren oder gewöhnliche Häuptlinge, gewiegte Diplomaten und gewandte Redner sind, oder über Leute verfügen, die solche Begabung besitzen. Sogar Frauen verwenden sie oft als Unterhändler, wohl wissend, dass diese für viele Dinge tauglicher sind als Männer. Ebenso sind sie gute Menschenkenner und verstehen mit Leuten umzugehen. Denn Menschen, Unfreie, sind ihr wahrer Reichtum, ihre wirkliche Macht, und um diese sich zu erhalten, müssen Herren aller Art ihren Anhang bei guter Laune erhalten. Sonst haben sie keinen Zulauf, werden sogar von Missvergnügten verlassen, die anderen willkommen sind und nach dem Erdrechte Unterkunft und Schutz finden. Wen aber sein Anhang im Stich lässt, der ist eine gefallene Grösse und muss selbst irgendwo unterkriechen, Erdherren. Persönlichkeit. Menschenhunger. 205 Anders ist es mit den alten Erdschaften. Da trennen sich Leute aus Anhänglichkeit und des Schutzes wegen, den ein anerkannt starkes Gemeinwesen unter gediegenem Obmann bietet, nur schwer von der Erde und von dem Herrn. Erweist sich dieser gar zu unfähig, so stellt man ihm einen Tüchtigeren zur Seite, der die Erdschaft zu vertreten, ihre Beschlüsse auszuführen hat. Daher findet man gelegentlich zwei Häuptlinge, einen erblichen Erdherrn und einen Aushelfer, so eine Art Hausmeier, im selben Gemeinwesen, sogar eine Frau neben einem Manne als Leiterin, die ungefähr so wie die Makünda waltet. Verwaiste Erd- schaften holen sich einen Erdherrn, womöglich Fürst oder Fürstin, gern von auswärts. Auf fehlerlosen Körperbau, auf Stattlichkeit und gute Haltung, auf gute Manieren der Hauptperson wird stets grosser Wert gelest. Das verlangt nicht bloss der Schönheitssinn, das Untertänigkeits- gefühl, der ursprüngliche Heroenkultus. Vorzüge des Körpers und Geistes sind Gaben von Nsämbi. Mit einem kümmerlichen Oberhaupte verfiele man dem Gespötte der Nachbarn. Ein Erdherr ist nie zugleich Kriegs- oberster, Vorkämpfer; er wird keinen Gefahren ausgesetzt. Wie immer die Machtverhältnisse unter Grossleuten sich verschieben mögen, die alten, überlieferungsreichen Erdschaften wird keiner anzutasten oder zu sprengen wagen. Das wäre wider Ordnung und Recht. Dann ginge eben alles aus den Fugen. Man darf wirklich sagen: Heilig ist die Erde und beinahe heilig die Erdschaft. Sie ist sogar ein festerer Verband als die sehr hoch gehaltene Familie. Denn Zweige grosser Familien gehören bisweilen zu verschie- denen Erdschaften, und jeder Zweig hält sich derartig an seine Erde gebunden, dass Blutsverwandte tatsächlich entgegengesetzte politische Interessen vertreten und feindlich zueinander stehen können. Allerdings wirken solche Beziehungen darauf hin, Zerwürfnisse zu verhindern oder gütlich zu ordnen. Eine weitere Lockerung des Gefüges der Erdschaften ist unvermeid- lich, weil immer mehr Machthaber sich selbständig ansetzen, weil Gebiete immer mehr aufgeteilt werden und weil Europäer sich zahlreicher ein- finden. Nicht der Landhunger, denn Land gibt es genug, sondern der Menschenhunger wird den Erdschaften gefährlich. Ihr Wesen ist Macht. Denn anders können sie ihr Recht nicht finden, da es kein Staatsober- haupt mehr gibt. Deswegen suchen sie Menschen jedes Standes an sich zu ziehen und sind nicht mehr so heikel wie vordem. Dadurch wird, obschon alte angesehene Familien sich brüsten, in vielen der einst streng gegliederten Verbänden die Kluft zwischen Freien und Unfreien, zwischen Erdgeborenen und Angegliederten allmählich überbrückt, wozu auch ge- wisse, von alters her den Unfreien günstige Ausnahmen im Erbgange bei- tragen. Die totemistische Olanschaft weicht der sozialpolitischen Erdschaft. 206 Wesen der Erdschaften. Habe. Haftpflicht. Die Hörigen und Halblinge der alten Erdschaften, ferner die der neu gegründeten Gemeinwesen, sowie endlich diese selbst streben nach Einfluss und Anerkennung, wodurch sich allmählich auch das Erdrecht selbst wandeln muss. Aber noch steht es in Kraft und regelt die wirt- schaftlichen Verhältnisse. Freilich weichen, wie überall unter Menschen, Ansichten über das Richtige ab und Satzungen werden verschieden aus- gelegt, auch nicht unverbrüchlich befolgt. Aber sie sind doch vorhanden, sie wirken im Bewusstsein des Volkes und kennzeichnen dessen Art. Ihre bindende Kraft wird allgemein anerkannt, und Zuwiderhandlungen erregen Ärgernis. Das starke Rechtsgefühl der Leute und ihre Schätzung des Überlieferten lässt es nicht zu, dass mit roher Willkür gegen die ehrwürdige Ordnung verstossen werde. So war es wenigstens noch zu unserer Zeit. Alles Gute wird aber rasch vergehen, wenn die Verbrei- tung von Zivilisation die Familienbande lockert, die Haftpflicht und das (semeinschaftsvermögen aufhebt. Dann wird namentlich die Jugend sich ablösen und Erworbenes für sich selbst verwenden. Die anerkannte Erdschaft ist Herrin ihrer Angelegenheiten soweit ihre Erde reicht. Die Wahrung ihrer Rechte nach aussen hängt ab, wie bei jeglichem Gemeinwesen, von der Macht, die sie dafür einsetzen kann. Anderen gegenüber sind ihre Erdsassen, voran der Erdherr und seine Häuptlinge, verantwortlich und haftbar, auch für ihre Hörigen und Leibeigenen. Und was die Person trifft, trifft die Erdschaft, obgleich, wie überall, Unterschiede gemacht werden und die Auffassung schwanken kann. Was dem Grossen hingeht, mag der Kleine büssen. Dennoch steht obenan der Grundsatz: Alle für einen, einer für alle. Das über- tragen sie ebenso auf Europäer, die sie für einheitlich halten. Manchem Weissen ist Übles wie Gutes vergolten worden, das ein ihm vielleicht gänzlich unbekannter Landsmann vor Jahren getan hat. Uns erscheint das ein Unrecht, dem Afrikaner nicht; er weiss es nicht besser und hält laut seinem Recht zunächst jeden Europäer für den anderen verantwort- lich. In der Südsee ist oder war es nicht anders. Also nicht die Familie vertritt den Schuldigen nach aussen, sondern seine Erdschaft; deren Sache ist es, sich am Schuldigen oder seiner Familie nachher schadlos zu halten. Stets wird die Erdschaft verklagt, stets an den Erdherrn oder an dessen Vertreter, den nächsten Häupt- ling, eine Forderung gerichtet. Der hat mit den Seinen eine Busse auf- zubringen. Genügt dazu weder der Besitz des Schuldigen, noch der Familie, noch das Gemeinvermögen, dann wird persönliches totes Eigen- tum, seien es Stoffe, Rum, Feldfrüchte, Handelsgüter nicht geschont; es ist, mit Ausnahme dessen, was die Hand hält und der Körper trägt, der Erdschaft nach Bedürfnis und Beschluss verfügbar. Von denen, die es dazu haben, werden Beiträge, Umlagen zum Wohle der Gesamtheit ein- Boden. Kein Grundeigentum. (Gewässer. 907 gezogen. Ein künftiger Ersatz wird vorausgesetzt, aber nicht gewähr- leistet, und fällt wohl immer mehr den einflussreichen als den unbedeu- tenden Leuten zu. Das ist auch einer der Gründe, weswegen man Besitztümer möglichst verheimlicht, wie anderswo um der Besteuerung willen, und weswegen Kleinleute und Unfreie sich nicht beeifern, welche anzuhäufen. Somit gehören alle Schätze, die im Boden ruhen, unbedingt der ganzen Erdschaft, und bedingt gehört ihr auch alles, was einzelnen aus dem Boden wuchs oder was für Gewachsenes eingetauscht wurde: Feld- und Baumerträge, Handelsgüter. Anders der lebendige Besitz: Menschen, Haustiere, auch Eier. Sie sind unantastbares Vermögen der Person, falls diese eben nicht selbst leibeigen ist, sei sie Mann, Weib, Kind, sei sie frei oder hörig, Über Lebendiges kann die Erdschaft erst nach Abfindung und Zugeständnis des Besitzers verfügen, sonst wäre, wo es um Menschen geht, der Palaver kein Ende. Selbstverständlich gilt dieses Erdrecht nicht innerhalb der Mutterfamilie. Deren Vertreter können beliebig schalten, zumal wo es sich um Unmündige handelt, weil alles Vermögen gemeinsam ist. Man klast nicht gegen eigenes Blut, aber die Ehefrau klagt gegen den Ehemann und umgekehrt. Die Erde selbst gehört niemand zu eigen, weder dem einzelnen noch der Erdschaft. Für aufgeteiltes Grundeigentum fehlt jegliches Verstönd- nis. Es ist so viel überschüssiges Gelände vorhanden, dass es sich nicht lohnt, ein Stück sein eigen zu nennen. Nicht Grundbesitz erstrebt man, sondern Sicherheit bietenden Anschluss an Menschen. Nicht am Stück- chen Boden hängt das Herz, sondern an dessen Bewohnern. Der fern Weilende kann stark an Heimweh leiden, aber er sehnt sich nicht nach Triften und Hügeln, nach Wäldern und Grasfluren, die er ehemals durch- streifte, sondern er sehnt sich nach den Menschen, die dort wohnen, zu denen er gehört. Und so nennt er das Heimweh: tschintüngu. Daher ist Vaterlandsliebe allenfalls als Erdliebe oder Heimatsliebe, eigentlich aber als Gemeinschaftsgefühl, als ausgeprägter Bürgersinn vorhanden. Anschluss und Schutz durch Zusammengehörigkeit ist die Grundlage des Daseins, was nicht ausschliesst, dass, wie allerwärts, ein jeder möglichst für sich selber sorgt. Jede Erde mit ihren Gewässern ist eine politische Einheit, ist ein Wirtschaftsgebiet, dessen Nutzniessung der Erdschaft im ganzen zusteht, wozu auch gehört, dass jedes in Ehren gestorbene Mitglied in ihr zur letzten Ruhe bestattet wird. Keine Erde ist ringsum scharf abgegrenzt, und jede bietet Raum für viel mehr Bewohner. Doch werden Ansprüche an Fährstellen, Fischplätze, Quellen, Nutzwälder, sowie an metall-, ton- oder harzreiche Gründe und sonst wertvolle Ländereien zäh verfochten, obgleich nur um der Nutzniessung willen. Ebenso gehören zur Erde 908 Fischerei. Jagd. Quellen. Grenzen. Strecken des Gestades, sofern das Fischrecht am Strande mit Schlepp- netzen in Frage kommt. Draussen auf dem Meere mag beliebig gefischt werden. Wo ein Fluss Erden scheidet, gehört je eine Uferseite — tschi- lämbu — den Fischern, die Netze, Hürden, Fallen stellen, genauer trennt die Mittellinie — tschingünga — des Gewässers die Gerechtsame. Angeln, Speeren und Schlingen wird nirgends verboten. Dagegen ist die Ausübung der Jagd der Erdschaft vorbehalten, doch nimmt sie es damit nicht gar zu streng. Kleinwild bis zur mittelgrossen Antilope mag ein Fremder wie der Einheimische getrost erlegen und ver- speisen. Aber Grosswild fällt in das Jagdrecht des Erdherrn, der seinen Anteil fordert. Bei Treibjagden entscheidet der Anschuss für den Er- leger. Vor diesem soll keiner das verendete Wild berühren, doch weiss man sich zu helfen, indem man rasch noch eine Ladung himeinfeuert, wodurch man an der Ehre beteiligt wird. Im übrigen ist der Jagdertrag gemeinsam. Nachbarn wird gewöhnlich die Nachsuche gestattet, doch haben sie des Erdherrn Anteil abzugeben. Alle Rechte verlieren sie, wenn das verfolgte Stück in eine Fangvorrichtung der Erdschaft gerät oder einem Schützen in den Weg läuft, der es erlest. Der bei der Nachsuche und etwa bei der Hatz in Pflanzungen angerichtete Schaden ist zu ersetzen. Quellen werden dadurch, dass man sie freilegt und fasst, nicht per- sönliches Eigentum. In Kriegszeiten werden sie zwar manchmal besetzt, aber Wasser wird auch dann kaum den Frauen verweigert. In fried- lichen Zeiten können Erdfremde ihre Krüge an jeder Quelle füllen, ohne zu fragen, aber Verunreinigung der Schöpfstelle, Baden in ihr statt unterhalb, würde geahndet werden. Wohnstätten pflegt man nicht un- mittelbar an Quellen zu errichten, weil diese tief liegen, weil das Wasser- tragen anderer stören würde und weil die Weiber unbehelligt waschen und baden wollen. Deswegen sind Männer gehalten, wenn sie zum Wasser gehen, sich durch Räuspern und Rufen anzumelden; überraschten sie allzu entblösste Weiber, so gäbe es sicher ein unangenehmes Palaver. Wir mussten einst längere Zeit auf einem zur Quelle führenden Pfad warten, weil es übermütigen Mädchen so gefiel, und haben auf unser Drängen manch lustige Antwort bekommen. Die Grenzlinie — mbämbu — findet sich selten und nur dort, wo Pflanzungen oder Bestände nützlicher Bäume aneinander stossen und bestimmte Trennung erheischen. Indessen werden Grenzmarken kaum errichtet, es wären denn Stäbchen mit Schneckenhäusern, Scherbeln oder Grasknoten — oft zu Unrecht für Fetische angesehen —, die der Pflanzer oder Pfleger als Zeuge seines Nutzungsrechtes eigenmächtig steckt. Politische Grenzmarken sind dagegen Zollschranken, nämlich Zäune mit Toren auf gewissen Handelspfaden am Gebirge. Sonst verlaufen Grenzen Strittiges Land. Pfade. Fremde. 209 unbestimmt in ödem Gelände, dessen Wildwuchs beliebig ausgenutzt wird, um dessen Zugehörigkeit sich niemand kümmert, bis etwa Leute sich melden, die darauf pflanzen oder siedeln wollen. Das geht anstandslos, wenn alle Angrenzer einverstanden sind und niemand alte Anrechte zu wahren hat. Sonst wird Strittiges nicht unmittelbar durch Palaver ge- schlicehtet, sondern mittelbar, indem man vorerst einen Fall schafft. Jemand wird in das Gelände geschickt, den Wald zu lichten, Hütten- pfähle zu setzen, einen Kahnbaum anzuhacken. Daran anknüpfend sprechen dann Schiedsrichter das Büssungsrecht und damit auch das Gelände der einen oder anderen Partei zu. Solch zweifelhaftes Land heisst ndämbu, was eigentlich Anteil, Halbpart bedeutet, nach Umständen auch nlöndschi- löndschi oder tschintiti, Gras- oder Gestrüppeinöde. Nicht immer liegt der Landstrich deshalb wüst, weil er scheidet oder herrenlos oder wertlos ist, sondern weil darauf irgendein schweres Verbrechen gegen die. Erde — lundämbu — begangen und noch nicht gesühnt worden ist. Das Gelände bleibt nach altem Brauch gesperrt, geschlossen. Es liegt brach und heisst dann wohl ntiti ya Nsämbi, etwa Gotteswildnis. Als scharfe Grenze wird, wo sie vorkommt, die Umrahmung von Ortschaften aufgefasst, bestehe sie aus wirrem Gebüsch, das gegen Lauf- feuer bei Grasbränden schützt, bestehe sie aus zwischengeschobenem lockerem Staket oder dichten Schilfhürden. Daran darf nicht gerihrt werden. Befestigungen oder Sicherungen irgendwelcher Art gegen feınd- liche Überfälle besitzen Dörfer nicht. Die Hütten werden beliebig auf- gestellt, eng beieinander oder verstreut, manche ein gutes Stück abseits, Die vielfach geschlängelten Verkehrspfade, wo viel Wichtiges ge- schieht und geschehen ist, dürfen nicht angetastet, nicht verbaut oder durch Pflanzungen unterbrochen werden. In dieser Hinsicht sind die Leute ungemein empfindlich und stehen nicht an, eigenmächtiges Vor- gehen tätlich abzuwehren. Mancher Europäer ist in Schwierigkeiten geraten, weil er meinte, das lauflustige Volk könnte ganz gut einen an- deren kleinen Umweg machen. Das würde auch die Leute nicht weiter stören. Aber der Pfad war immer da, die Vorfahren sind ihn gegangen und haben auf ihm alte Bräuche geübt; er hat seine Bedeutung und soll bleiben, weil es einmal so ist. Die Gotteswege sind natürlich erst recht unverletzbar. Von einem ausser Gebrauch gekommenen Pfade pflegt man sinnig zu sagen, er sei gestorben. Fremden gestattet man gegen regelmässige Abgaben Plätze zum Wohnen, Bewirtschaftung des Bodens und Nutzung seiner Bestände für den Hausbedarf, mit Ausnahme wilder oder gepflegter Fruchtbäume, worüber gewöhnlich besonders zu vereinbaren ist, da die Erträge den Kindern der Erde gehören. Doch wird es in anständigen Erdschaften nicht allzu genau genommen. Aber den Boden selbst verpachten oder Loango. 14 210 Erde unveräusserlich. Grabrecht. verkaufen die Leute niemals. Sie begreifen nur die Landleihe, die Nutz- niessung. Es ist ihnen ein unfassbarer Gedanke, dass die Erde, die Nsämbi ihnen gab, worauf ihre Vorfahren lebten und worin sie ruhen, die sie selbst trägt und ernährt, dass diese Erde ihr Eigentum sei, dessen sie sich wie fahrender Habe zu entäussern vermöchten. Dieser Auffassung entspringt teilweise auch die Gutmütigkeit der Leute, ihre rühmenswerte Gastlichkeit, die sie, obschon auf Vergeltung rechnend, zugleich mit dem Schutzrecht unter sich und gegen Fremde üben. Unglück brächte es, lähmte oder vernichtete wohl gar die Leben spendende Kraft der Erde, wenn jemand auf ihr hungerte, solange sie selbst Nahrungsmittel besitzen, wenn er vielleicht gar erkrankte oder stürbe. Schon die Drohung, nicht mehr essen zu wollen, hat etwas Be- unruhigendes für sie, und zähe Gläubiger führen diese Drohung aus, um einen bösen Schuldner in seiner Erdschaft zu zwingen. Davon nachher. Sie vermerken es sehr übel, wenn ein Erdfremder bei ihnen stirbt. Seinen Leichnam lassen sie ebensowenig wie die Gläubiger den eines verschuldet Gestorbenen der Erde übergeben, sondern hängen ihn, in Matten geschnürt, zwischen zwei Pfählen auf, bis die Angehörigen Sühn- geld zahlen und ihn abholen. Um sich die Abfindung zu sichern, dulden sie nicht, dass von dem Toten etwa die Haare und Nägelabschnitte ge- nommen und seinen Angehörigen überbracht werden. Denn die könnten sich dabei beruhigen, nur diese Reste zu beerdigen, den Leichnam aber im Stich zu lassen. Behelfen sie sich doch manchmal überhaupt mit einem Scheinbegräbnis. So kann man allenthalben in Gegenden mit regem Kara- wanenverkehr auf eine baumelnde Leiche stossen (Abbildung I 178). Der Seelenglaube ist dagegen, dem Fremdling ein Grab in der Erde zu gewähren, denn damit nähme man auch seine Seele auf, die wer weiss was anrichten könnte, weil die fernen Angehörigen sich schwerlich um sie kümmern würden. Sodann muss man vorsichtig sein: Wer begräbt oder in seiner Erde begraben lässt, der erbt, und zwar erbt er auch alle Verpflichtungen des Toten, deren Tragweite bei einem Fremdling am allerwenigsten zu bemessen ist. Die Leiche eines mütua aus dem Berg- lande hing mehrere Monate lang unfern unseres Gehöftes auf einem kleinen, mit etlichen Fransenschnüren geschmückten lulömbe, der am Waldrande gesäubert worden war. Eines Nachts war sie fort: die An- gehörigen hatten die Gebühren entrichtet und ihren Toten geholt. Als einer unserer Südleute gestorben und nahe der Station begraben worden war, liessen uns die Häuptlinge der Umgegend sogleich ein Pa- laver ansagen, weil wir den toten mütua in die Erde gebettet hätten: ins Meer gehörte er, denn übers Meer wäre er gekommen! So mögen sie auch Europäer nicht in ihrer Erde. Wo sie die Macht haben, werden sie ihnen das Grab verweigern. Schon Battell. erzählt: „Diese Leute Leichen Weisser ins Meer. Siedelrecht. 11 wollen nicht erlauben, dass ein weisser Mann in ihrem Lande begraben werde. Und wenn irgendein Fremder oder Portugiese des Handels wegen zu ihnen kommt und das Unglück hat, zu sterben, so wird er in einem Boote zwei Meilen weit von der Küste geschafft und dort dem Meere übergeben. Einst kam ein angesehener Portugiese, um mit den Leuten zu handeln; er hatte sein Haus am Strande errichtet. Dieser Herr war gestorben und bereits seit vier Monaten begraben. Nun setzten in diesem Jahre die Regen nicht zur gewöhnlichen Zeit ein, sondern blieben zwei Monate länger aus. Da verkündete den Eingeborenen ihr Fetisch, dass der Christ, der in ihrer Erde begraben lag, herausgenommen und in das Meer versenkt werden müsste. So wurde er denn ausgegraben und dem Meere übergeben. Da es darauf binnen dreien Tagen regnete, wurde ihr grosser Glaube in den Teufel gestärkt.“ Wir haben ja, dank der Wirksamkeit unseres Arztes, keinen Ge- fährten durch den Tod verloren. Doch begruben wir einen uns lieb ge- wordenen, in unserer Nachbarschaft handelnden Portugiesen auf einem schönen Platze zwischen Buschwald und Meeresstrand. Das wurde von den Eingeborenen nicht beanstandet, weil wir Ansehen genossen und weil wir seit dem ersten Todesfall unser Verhältnis zu ihnen auch in dieser Hinsicht geregelt hatten. Dennoch versuchten sie, nachdem wir heim- gekehrt waren, die Ruhe des Toten zu stören und entfernten dabei das ihm gesetzte Denkmal. Da wir das Land verlassen hatten, niemand mehr für den Toten sorgte, war er nach ihrer Auffassung rechtlos geworden. Vielleicht hatte sich auch etwas ereignet, das den Gespensterglauben befruchtete. Der Fremde, der gegen regelmässig zu berichtigende Abgaben sich ansiedeln durfte, kann nicht sein Siedelrecht ohne weiteres auf Nachfolger übertragen. Die Vereinbarung gilt nicht dinglich, sondern persönlich und ist mit seinem Abzuge oder Tode erloschen. Nach dem Rechte der Eingeborenen hat er den Platz weder gepachtet noch gekauft, sondern lediglich sein Lebensrecht in der Erdschaft erworben, das er behält, so- lange man seine Abgaben annimmt. Der Käufer seines Nachlasses, der wohnen bleiben will, muss einen neuen Vertrag schliessen. Nur den Vorstehern grosser Handelshäuser, die Faktoreien allenthalben versuchs- weise anlegen, sie bald schliessen, bald öffnen, gestattet man, ihre An- gestellten beliebig zu verteilen, falls gegen die nichts Persönliches vorliegt. Denn Handel braucht man. Ferner soll der Fremde beim Abzuge Gebäude und Pflanzungen nicht zerstören, sondern unversehrt hinterlassen. Deshalb erheben die Leute meistens Einspruch, wenn Europäer ihre fertig zugeschnitten ein- geführten Behausungen abbrechen und anderswohin bringen wollen. Min- destens die Eckpfeiler oder Stützbalken sollen nicht aus dem Boden 14” 912 Schonung und Entweihung: der Erde. gehoben werden. Danach handeln sie vielfach auch selbst. Wer Hütten versetzt, schafft allenfalls Dach und Wände fort, lässt jedoch die Eck- pfähle stehen, denn die haften im Schosse der Erde. Ein Argloser, der die einsam ragenden Gerüste als willkommenes Feuerholz verwendete, könnte in Ungelegenheiten geraten. So treiben sie auch Waldstücke ab, nicht Bäume und Büsche rodend, sondern sie ziemlich hoch über der Erde abhauend, was freilich zugleich bequemer ist, aber doch mit dem Hinweise begründet wird, dass das Unterende der Erde zugehöre. Das sind vielleicht Erinnerungen an die Gedenkpfosten der Königszeit. Ein Kaufmann, der im Waldlande einen Handelsposten anlegen wollte, erhielt die Erlaubnis dazu unter der Bedingung, beim Auslichten des Waldes die Stümpfe zu schonen. Da das die Errichtung seiner Niederlage sehr behinderte, beklagte er sich bitter über die nach seiner Meinung nichtswürdige Schererei, konnte aber selbst durch angebotene höhere Abfindung keinen Nachlass erwirken. Eine Entweihung wäre es, wenn irgend jemand sowohl in ein be- liebiges Loch, in eine Tierhöhle im Boden, als auf wund gemachter, auf frisch behackter oder bepflanzter Erde seine Notdurft verrichten wollte. Auch sollen über solche Stellen weder Leichen, noch Elfenbein getragen werden, noch Schwangere gehen; eine Entweihung schlimmster Art wäre geschlechtlicher Umgang. Ferner wollen die Erdschaften nicht dulden, dass ihr Boden nach Schätzen, etwa nach Kopalharz oder Erzen durch- wühlt werde; das könnte die Ruhe der Vorfahren stören und Seelen auf- stöbern. Was verborgen im Schosse der Erde ruht, bleibe unberührt, wenn man es haben soll, wird es schon hervorkommen. Bodenschätze gehören zum Erdschaftsvermögen. Viele pflegen beim Abernten der Felder einen kleinen Teil des Ge- wachsenen stehen zu lassen oder das, was beim Einsammeln der Hand entfällt, als der Erde zukommend zu betrachten. Vielleicht noch mehr lassen sie Erntereste für Hungrige draussen, für Menschen und Seelen. Was die Leute von der Ernte für die nächste Aussaat aufheben, ver- wahren sie sorgsam, man möchte sagen ehrfürchtig. Es kommt sie sehr hart an, wenn sie bei Hungersnot ihr Saatkorn anzugreifen haben. Sie klagen lange darüber und nehmen das Unglück als eine Marke in der Zeitrechnung, indem sie sagen: dieses und jenes geschah, als wir unsere Aussaat aufessen mussten. In solchen Nöten ist ihnen von grossen Handelshäusern vielfach ausgeholfen worden. Seitdem das Sammeln von Kautschuk ein wichtiger Erwerbszweig geworden ist, sorgen verständige Erdherren dafür, dass die den Milchsaft liefernden Gewächse nicht mehr abgehauen werden. Sie erlauben nur noch das Schlitzen der Rinde, wobei die Pflanzen jahrelang oder über- haupt lebenskräftig bleiben. Gleich bedächtig wird bei der Gewinnung Grundstücke. Pflanzungen. Feldarbeit. 913 des beliebten Palmweines oder Mostes verfahren. In alter Zeit hat man die Palmen gefällt, um den Saft auslaufen zu lassen, später nur Zapf- löcher, deren Narben zu unserer Zeit noch hier und da zu sehen waren, in den Stamm geschnitten und die Gefässe darunter gehängt. Gegen- wärtig wird lediglich ein männlicher Blütenstand weggeputzt, was der überaus nützlichen Palme nicht schadet. Hader um Grundstücke kommt innerhalb der Erdschaft kaum vor. Der allerkleinste Teil ihres Bodens wird bewirtschaftet, weil etliche be- pflanzte Erdflecke genügen, den Jahresbedarf einer Haushaltung zu decken. Nachher lässt man die alten Feldstücke brach liegen und sucht neue. Bei Auswahl der Kabeln für den eigenen Bedarf folgt der Herr als Familienhaupt, falls er sich überhaupt darum kümmert, den Wünschen der Weiber und Hörigen. Doch ordnen diese das in der Regel anstands- los unter sich. Wo es nötig ist, bespricht man sich mit dem Häuptling oder mit dem Erdherrn, und der entscheidet, wer ein mehreren gefallendes Gelände haben soll. Ein eifriger Erdherr hält darauf, dass kein Boden- stück ohne seine Bewilligung bestellt, namentlich kem Wald, wo die beste Krume liegt, gerodet wird; ein bequemer oder machtloser Gebieter lässt seinen Untertanen freie Hand. Bevorzugt wird unter allen Umständen ein Leidtragender, sei es, dass Krankheit unter den Seinen herrscht, sei es, dass er einen Angehörigen oder Blutsfreund verloren hat. Ihm wird nötigenfalls sogar das Feld besorgt. Das gilt für Mann und Weib, denn es gibt auch selbständig wirtschaftende Weiber. Für den Anbau von Handelsgewächsen wird, wo Erdsassen mitzu- reden haben, eine Breite ausgewählt und gemeinsam bestellt. Die eiserne Doppelglocke oder die Trommel gibt das Zeichen, die Arbeit zu beginnen. Oft leitet der Erdherr das Ganze. Die Unternehmer liefern das Saat- korn und die Arbeitskräfte, das heisst ihre Hörigen, und teilen nach Massgabe ihrer Beihilfe den Erlös aus der an die Faktoreien verkauften Ernte oder belassen ihn dem Erdherrn. Frauen bearbeiten nur ihre eigenen Pflanzungen für den Hausbedarf und für ihre Hökerei. Ein freier Mann wird, wenn er arm, das heisst ohne Hörige ist und keinen Taglöhner mieten kann, allenfalls eigenhändig Bäume und Büsche von einem künftigen Feldstück seiner Frau oder Liebsten beseitigen. Denn das hat er, nebst Kleidung, seiner Frau zu leisten. Aber er hält es unter seiner Würde, die Erde zu behacken oder Wasser zu tragen. Das ist Sache der Frauen und Unfreien. Wäre der Pflug bekannt, so würde er wahrscheinlich eigenhändig ackern wie unser Bauer. Das ziemt dem Herrn. Sieht man irgendwo einen Mann die Hacke schwingen, so ist es ein Höriger oder Leibeigener, in seltenen Fällen vielleicht auch nicht, dafür aber ein sehr Verliebter, der seiner Erwählten als Liebesstrauss wohl auch 214 Arbeitsteilung. Herr und Herrin. Kochen. ein Bündel Brennholz verehrt. Oder es ist ein Pantoffelheld, meistens aber ein guter Sohn oder Bruder, der heimlich seiner Mutter oder Schwester hilft, so wie er ihr bei uns auf dem Lande auf einsamem Wege zwar gern den Tragkorb huckt, aber vor jedem Dorfe ihr wieder aufpackt, weil sich das so schickt. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist befriedigend ge- ordnet. Der freie Mann oder der selbständig schaffende Mann — näm- lich der Hörige, der sich mit seinem Herrn auf Entgelt geeinigt hat — jagt, fischt, treibt Zwischenhandel im Küstenstrich, leitet Handelszüge nach dem Inneren, wirkt als Heilkünstler und Zaubermeister, dient Euro- päern als Leibjunge, Hofmeister, Handwerker, Wäscher, Bootsführer. Das ist würdige Beschäftigung für den Herrn und selbständigen Mann. Mancher töpfert, schmiedet, giesst und treibt Metall, schnitzt, siedet Salz, webt, flechtet, knotet, doch ist das mehr Liebhaberei als geziemende Tätigkeit, da diese den Hörigen zukommt. Nur Schnitzerei und Metall- formerei stehen in Ehren, sofern sie als Kunst betrieben werden. Die Herrin waltet an ihrem Herde, dessen Feuer, obgleich fast stets im Freien, ausschliesslich für sie brennt. Das Gesinde muss anderswo hantieren, der Herr ebenfalls, so ihn nach einem Braten gelüstet. Er röstet sich Frucht und Fleisch an Feuer und in Asche wie in der Wild- nis, oder lässt es sich von seinen Dienern rösten, wenn es seine Frau ihm nicht zuliebe tun will. Ihre Pflicht und ihr Recht ist es, für ıhn an ihrem Feuer Speisen in Geschirren zu bereiten, mithin für ihn zu kochen, zu dämpfen. Er hat Wild, Fisch, Gewürz, Baumfrüchte, Palmsaft und Handelszutaten zu liefern. Sie beschafft Gemüse und andere Zukost aus ihrer Pflanzung oder im Tauschwege und sammelt manchmal Muscheln. Was sie von ihrem Felde über den Verpflegungsbedarf für ihren Ehemann erntet, was sie aus ihrer Tierzucht gewinnt, ist ihr eigen. Der Gatte darf nicht eine Knolle aus ihrem Korbe, nicht ein Ei aus ihrem Hühner- stall nehmen, sie hätten denn eine Art der Ehe geschlossen, die neben anderem auch Gütergemeinschaft bedingt. Ganz verkehrt wäre es, die Frau, wie das so gäng und gäbe ist, als Lasttier des Mannes zu betrachten. Sie arbeitet gewiss nicht mehr, oft viel weniger als er. Wer oder was sollte sie zum Lasttier machen? Das Essen ist des Eheherrn schwache Seite auch in Afrika. Mit dem Kochen hat sie den Gemahl am Schnürchen, und mancher, der seine Frau geärgert hat, klagt mit gutem Grunde, dass sie ihn schlecht versorge. Eine gut gestellte Frau beschäftigt sich nach ihrer Neigung, ganz wie bei uns daheim. Zum Arbeiten hat sie ihr Gesinde, und auch das hat viel weniger als bei uns zu tun. Sie kocht zwar selbst für ihren Mann, aber, wo mehrere Ehefrauen sind, Reihe um mit den anderen. Frau nicht Lasttier. Platzrecht. Baumwirtschaft. 215 Selbst in der Einehe und unter den Kleinleuten, wo die Frauen über keine Hilfen verfügen, haben sie herzlich wenig zu tun, viel weniger als unsere Bauernweiber. Herren wie Dienende, sogar die Leibeigenen ein- geschlossen, sind keinesfalls überbürdet. Alle Weiber mit ihrer wechseln- den, wenig anstrengenden und gesunden Beschäftigung stehen sich jeden- falls viel besser als zahlreiche Mädchen, Frauen, Mütter unter Zivilisierten, die mit rastloser quälender Tätigkeit ihr Leben in Dürftigkeit fristen, unter denen man bei den Kleinleuten die wahren Lasttiere findet wie nirgendwo unter Wilden. Gibt es keinen Grundbesitz, so gibt es doch ein zeitliches Anrecht auf die Erträge urbar gemachten Bodens und auf alles, was die Erde freiwillig hervorbringt. Wer die Scholle stürzt, hält den Platz. Wer aber seine Kabel abgeerntet, nicht durch Wiepen oder andere Marken gesichert oder keine neue Bestellung vorbereitet hat, lässt sie damit jedem Nachfolger offen. Indessen wird nur ausnahmsweise, auf Waldboden und bei Fruchtwechsel, dasselbe Feld mehrmals bepflanzt. Es pflegt jahrelang brach zu liegen, wird vielleicht in einem Menschenalter nicht wieder bearbeitet. Dieser Raubbau schadet dem Waldwuchs, der mit Eisen und Feuer verringert wird (III 127, 140). Baumwirtschaft bindet natürlich viel mehr an den Boden als Feld- wirtschaft und verleiht auch dauerndere Rechte. Wer Fruchtbiume wirklich pflanzt und aufzieht, behält Zeit seines Lebens das Anrecht an ihre Erträge, auch an den Honig, den etwa wilde Bienen eintragen, selbst wenn nachmals ein anderer auf dem Standorte säet und erntet. Aber das Nutzungsrecht des Baumzüchters vererbt sich nicht durch viele Menschenalter, sondern zunächst an seine Geschwister, dann an die Schwesterkinder und erlischt etwa mit deren Tode. Es müssen nämlich noch Unparteiische das eigenhändige Pflanzen bezeugen können; sind die gestorben, dann werden die Fruchtbäume Gemeingut. Nur die bleiben der Familie und gehen an Abnehmer über, deren Schatten irgendwie die Wohnstätte deckt, so lange die eben Menschen beherbergt. Erträge wild wachsender Nutzpflanzen, etwa der Ölpalmen, wovon er Saft und Frucht- stände, oder der Lianen, wovon er Kautschuk gewinnt,, bleiben jedem Berechtigten so lange gesichert, als er seine Geräte, namentlich den Steig- reifen oder sonst ein Zeichen an ihnen lässt. Ohne Zutun der Menschen gedeihende Fruchtbäume dürfen weder beseitigt noch verletzt werden. Wo ein Waldstück abgeräumt wird, bleibt jede Ölpalme unberührt. Unserem Ansehen hat es anfangs recht geschadet, dass ein allerdings rasch heimgekehrtes Mitglied der Expe- dition, in leider so verbreiteter Missachtung der Zustände von Einge- borenen, die Krone einer dicht am Gehöft stehenden Ölpalme mit Schrot beschoss und zerstörte. Nach Jahr und Tag wurde uns dieser Streich 916 Felddiebstahl. Busse. Vergünstigungen. Mundraub. noch vorgehalten. Baumfrevel, Beschädigung von Pflanzungen, Feld- diebstahl wird am schwersten an bätua, an Erdfremden geahndet. Übel beleumundete Gemeinschaften stellen von weither kommenden Handels- zügen mit einfältigen Buschnegern gelegentlich eine Falle. Sie legen, wo der Pfad eine Pflanzung streift, verlockende Feldfrüchte hin und lauern, ob ein esslustiger Träger davon nimmt. Dann brechen sie hervor und fordern hohe Busse, indem sie die Karawane pfänden und tagelang aufhalten. Ungewöhnlich reiche Ernten an einigermassen haltbaren Feldfrüchten sucht man vor den Nachbarn zu verheimlichen und in aller Stille einzu- heimsen und zu verwerten. Man will weder Missgunst erwecken noch Habsucht und Bettellust reizen. Ja nicht grosstun mit Erfolgen in Wirt- schaft oder Handel, auch nicht sein Vieh vorzählen. Ohne Schuld keine Strafe. Nachgewiesene Unkenntnis der Gesetze schützt vor Strafe innerhalb der Gemeinschaft, aber nicht immer vor Ersatzpflicht. Deswegen gehen Geisteskranke und meistens auch Kinder frei aus, wenn sie sich vergangen haben; nötigenfalls muss ihre Familie den etwa angerichteten Schaden vergüten, oft wohl auch Bussgeld zahlen, weil sie nicht wachsam gewesen ist. Wer aber Unmündige listig ver- führt, für seine bösen Zwecke angestiftet hat, wird sehr schwer bestraft; es kann ihm in Erdsachen leicht an den Hals gehen. Dagegen ver- pflichtet zu nichts der Mundraub von Schwangeren; die mögen sich von Feld und Baum aneignen, wonach sie gelüstet. Als einst unsere Leute eine Frau fingen, die in unserer Pflanzung grüne Maisähren brach und abknabberte, wurde unsere Beschwerde glatt abgewiesen, weil die Täterin guter Hoffnung wäre. Das machte sich nachher eine andere Frau zu nutze und stibitzte gleich ein Körbchen Maiskolben, die sie uns obendrein zum Kaufe anbot. Diese Frau hatte nun zwar einen kleinen Sparren, war aber doch eine zu ehrwürdige Ma- trone, als dass für sie die frühere Entschuldigung hätte stichhaltig sein können. Es wurde uns etwa das Sechsfache des entwendeten Maises überbracht. Nicht lange nachher gewann die gebüsste Dorfschaft die Oberhand. Einer unserer Leute hatte auf ihren Feldern Maniok gemaust, und nun mussten wir zahlen. Um solcher Kleinigkeiten willen wird nicht die ganze Erdschaft auf- gerufen; die erledigt jeder Dorfherr kurzerhand selbst. Denn er hat neben Verpflichtungen natürlich auch Machtvollkommenheiten, und er- weitert sie zu seinen Gunsten, wo immer es angeht. Ein Dorf wird bisweilen verlegt, vielleicht weil darin ein Grosser gestorben ist, zumeist aber weil Krankheiten, Gespenster und allerlei Spuk es unheimlich ı1achen oder weil man näher am Walde, am Wasser, an einem aufstrebenden Handelsplatze leben will. Ist das mit Erlaubnis Dörfer: Umzug, Feuer, Namen. Verwaltung. Recht. 917 des Erdherrn gewählte Gelände gesäubert, so schafft man seine Habe, auch Wände und Dächer der Hütten hin, falls die nicht zu verwittert sind oder auf Rat der Zaubermeister verbrannt werden. Selbstverständ- lich pflegt man an der neuen Wohnstätte ebenfalls zu zaubern, um Übles zu vernichten, worüber ein folgendes Kapitel Auskunft gibt. Zieht der Erdherr selbst mit um, so nimmt man das Feuer mit sich. Wohnt er anderswo, so lässt der umsiedelnde Häuptling alle Feuer am alten Orte ausbrennen und neues Feuer vom Erdherrn holen. Zwar erscheint diese Handlung nur noch wie eine Artigkeit, bedeutet aber Unterordnung. Auf Plätzen des bezogenen Dorfes werden mehrere Tage lang hell lodernde Feuer unterhalten, um die Luft zu reinigen und die Erde gut zu machen. Das neue Dorf wird nach der Örtlichkeit, falls die einen Namen hat, zumeist jedoch nach einem Geschehnis beim Umzug oder nach einer Besonderheit in der Umgegend benannt. So entstehen volkstümliche Namen: Schlammloch, Affenbrotbaum, Kolanuss, Fades Wasser, Regen, Sonnenschein, Vogelsang, Stechmücke, Husten, Geklemmter Finger, Zwil- linge, Antilope, Schande, Traurigkeit, Heiterkeit, Gemächlichkeit und andere mehr. Am liebsten baut man im offenen Gelände, auf Hügeln oder Hügelhängen, im Grase, zwischen etlichen Bäumen oder in einem lichten Haine, um frische Luft und Trockenheit zu haben. Im dichten Walde baut man nur, wo man muss, wie im Berglande; man schafft ‚aber eine Lichtung. Der Erdherr, sei er einer nach alter Art und ein Fürst, sei er ein Emporkömmling, halte er ein grosses Gebiet mit vielen Dörfern oder nicht, hat eigentlich nur so viel Macht, wie ihm seine Untertanen zugestehen. Er kann Dorfherren nicht willkürlich ein- oder absetzen oder gar der Erde verweisen, solange sie nicht Schuld auf sich laden. Er versucht es auch gar nicht. Denn Häuptlinge sind meistens zugleich Alteste einflussreicher Familien mit allem ihrem Anhange und wollen rücksichts- voll behandelt sein. Ihr Abzug wäre ein grosser Verlust an Menschen und Macht; anderswo wären sie willkommen. Der Erdherr hütet das Wohl aller, vertritt sie nach aussen, hilft ihnen in Nöten und ist für gemeine Rechtsfälle in inneren Angelegen- heiten oberster Gerichtsherr, sofern die Häuptlingschaften nicht allein fertig werden. Er entscheidet über Frauengeschichten, Diebstähle, Sach- beschädigungen, Eingriffe auf Pflanzungen, Streit um anvertrautes Gut; dabei erkennt er auch höhere Gewalt an und entbindet von Haftpflicht und Busse, wenn trotz sorgsamer Verwahrung dem Hüter ein Haustier gestohlen oder von Raubzeug gewürgt wurde. Alle die Seinen, die ihn anrufen, bringen zugleich Gaben zur Deckung der Kosten. Alle grossen Fälle gehören vor seinen Stuhl, doch pflegt er hierzu seine Häuptlinge als Ratsherren zu laden. Ist er persönlich an solchen Händeln beteiligt, 215 Häuptlinge. Zehnte. Jagdrecht. dann lässt er andere Richter entscheiden, die womöglich aus ziemlicher Entfernung geladen werden. Ehedem schlichtete solchen Streit der Ma Loängo selbst, später trug man die Sache noch ab und zu dem Ngänga mvümbi vor. Ein durch gemeinschaftliche Arbeit erzielter Gewinn wird oft vom Häuptling oder Erdherrn verwaltet, der daraus Zahlungen für die Ge- meinschaft leistet, Gastfreunde sowie vorsprechende Geschäftsleute und Reisende beschenkt, verpflegt. Aber über dergleichen Verfügungen ist gewöhnlich Rechenschaft abzulegen. Kriegsdienste haben die Häuptlinge mit Anhang dem Erdherrn nicht unbedingt zu leisten, zunächst nicht, weil ein Krieg unterbleibt, den sie nicht wollen, sodann nicht, weil ein Angriff natürlich alle zur Abwehr zwingt. Wie schon erwähnt, führt im Kampfe ein Kriegsoberster — Mankäka —, nicht der Erdherr. Dieser soll wohl, wie einst der König, selbst im Kriege kein Blut vergiessen, vielleicht auch durch Wunden nicht verstümmelt werden. Die Einkünfte des Erdherrn bestehen in einem Zehnten — mpäku, plur. simpäku. Er empfängt einen allerdings nicht genau bemessenen Teil von Feld- und Baumfrüchten, ungefähr einen Korb voll von jeder Pflanzung, und zwar sollen es die Erstlinge sein, bevor die Gewinner davon geniessen. Ist sein Gebiet gross und fruchtbar, so sind die Ab- gaben strichweise nach Einforderung zu verschiedenen Zeiten zu leisten und können dann natürlich nicht stets und durchweg in Erstlingen be- stehen, werden auch, je nach Vorschlag der Dorfschaften, in andere Gaben verwandelt. Von Haustieren soll ihm die Erstgeburt auf der Erde zu- getrieben werden. Vom Grosswild, das mit der Mvüli genannten hirsch- grossen Antilopenart (III 224, Abbildung II 64) beginnt, fällt ihm der Kopf zu, der am sogenannten Tierschädelfetisch, jetzt auch mit Um- gehung seiner Person, geopfert wird, und das Hinterviertel, das auf der Erde lag. So auch ausserdem die Schwanzquaste vom Büffel und vom Elefanten, von diesem ferner der Stosszahn, der die Erde berührte, oder beide Zähne, falls der Träger knieend und sich darauf stützend verendet war. Vom Manatus beansprucht der Erdherr Brust- und Schwanzstück, vom Hippopotamus Kopf und Keule, vom Fischfang mit Netzen und Reusen einen entsprechenden Anteil. Edelfische, zwei oder drei riesige Arten, hier und da auch Seeschildkröten werden ihm stets unverkürzt mit Läufern zugeschickt, in Gebieten mit fürstlichen Erdherren auch er- legte Leoparden oder wenigstens deren Krallen und Schnurrhaare von den glücklichen Jägern überreicht. Endlich empfängt jeder Erdherr einen wesentlichen Anteil von den eingezogenen Bussen. Eine Erdschaft wird schwerlich eine Gelegenheit verpassen, ihr Ver- mögen zu vermehren, obschon sie, wenn sie auf guten Ruf hält, in kleinen Dingen nicht nörgelt. Sie zieht Abgaben und Zölle — nsämbu, plur. Verkehrsrecht. Gaben. Zölle. 219 sinsambu — für Wege, Fährplätze oder Brücken ein. Von Handels- zügen, die abseits von gebräuchlichen Pfaden ihre Erde überschreiten oder darauf lagern wollen, erwartet sie Anmeldung und ein Geschenk. Weist sie die Gabe ab, so verbietet sie damit ihre Erde und stellt sich geradezu feindlich. Die Annahme des Geschenkes verpflichtet sie, Schutz und Obdach zu gewähren, Schutz selbst gegen feindlich gesinnte Nach- barn. Vom europäischen Reisenden erwartet sie keine Anmeldung und Gabe; sie bewillkommt ihn mit einem Gastgeschenk an Nahrungsmitteln, das er nachher in Gütern erwidert. Anders verfährt sie mit einheimischen Besuchern, mit Angehörigen anderer Erdschaften; da wird, auch wenn diese nicht bei Verwandten, Blutsbrüdern, Freunden nächtigen, nur ge- geben und bewirtet, nicht genommen. Diese Gastlichkeit wird selbst- verständlich früher oder später in gleicher Weise vergolten. Von Handelskarawanen erhebt man Zölle je nach Wert der Waren, also vom Elfenbein die höchsten, und Busse von den Angehörigen eines verstorbenen Fremdlinges. Die Beförderung eines Leichnames gestattet die Erdschaft gegen Abfindung, aber gewöhnlich auf vorgeschriebenen Pfaden und während der Nacht, oft nur mit Vorläufern und Fackel- trägern, damit niemand durch vermeintliche Spukgestalten erschreckt werde. Härtere Bedingungen sind: nur während mondloser Nächte oder bei abnehmendem, nicht bei wachsendem Monde. Ferner fordert die Genossenschaft regelmässige Abgaben von allen, die sich auf ihrer Erde aufhalten wollen, sowie von denen, die Öl kochen, Kautschuk herstellen, Kopal suchen, Salz sieden, jagen, fischen, töpfern, Rotholz gewinnen, einen Stamm zum Höhlen eines Kahnes fällen, Schäfte aus Papyrus- horsten und Raphiabeständen zu Bauzwecken schneiden wollen. Aber, wie schon betont, man ist nicht gar zu ängstlich und lässt anständigen Fremdlingen im Allsenneinen grosse Freiheit. Nur Verwüstung, sowie Über- sriffe an Feldern und Fruchtbäumen nimmt man übel. Natürlich sind es — eine Folge der zerfahrenen Verhältnisse — nicht immer nur anerkannte alte Erdschaften und Erdherren, die diese Rechte und Pflichten ausüben. Gelegentlich massen sich das gleiche auch Emporkömmlinge sowie gewöhnliche Häuptlinge und Dorfschaften an, wenn die politischen Verhältnisse sie begünstigen. Die Anerkannten tadeln wohl solche Übergriffe, weil sie selbst geschädigt werden, rufen auch zum Palaver, aber sie sind oft uneinig oder nicht mächtig genug, zu verbieten, zu strafen, oder sie fürchten sich, ihre Macht anzuwenden, und lassen die Sache gehen. Das Leichenrecht darf auf den Gottespfaden nicht ausgeübt werden. Doch kehrt man sich daran nicht mehr streng wie vordem. Am sichersten sind Leute am gespensterlosen Strande so weit die Woge rollt und der nasse Sand fest liegt, weil man dort keine Toten trägt. Die berussten 290 Leichenrecht. Leopardenrecht. Männer, die einen Erdherren oder anderen Grossen zu beerdigen haben, nötigen alle auf ihrer Erde Betroffenen sowie alle dem Leichenzuge Be- gegnenden zu einer Steuer, bestehend in der Hälfte der mitgeführten Habe, wobei es nicht peinlich genau genommen wird. Denn ihr Kummer ist gross und wirksamer Tröstung bedürftig. Auch das Gefolge einer gewöhnlichen Leiche heischt Geschenke. Da vermeidet denn jedermann, eine trauernde Erdschaft zu betreten, einem Leichenzuge zu begegnen oder mehr bei sich zu tragen als die notwendige Kleidung, die zu nehmen der Anstand verbietet. Wer mehr zu verlieren hat, umgeht die Erde oder sucht sich durchzuschlängeln oder vorher zu lösen oder reisst beizeiten aus. Dennoch wird mancher gerupft. So unser Dolmetscher, der mit den Seinigen vom Kuilu eine hübsche, ihm von seiner ertrunkenen Schwester zugefallenen Erbschaft auf dem Luntämbi heimtrug. Seinen Weg kreuzte, vielleicht nicht zufällig, ein Leichenzug und plünderte ihn erheblich. Ein andermal wurde unseren eigenen, Sammlungen nach der Station schaffenden Leuten Verschiedenes abgezwackt. Auch betriebsame Frauen und Mädchen, die vom Hökern in Faktoreien heimkehren, müssen es sich gefallen lassen, dass noch so gut verborgene Rumflaschen grösstenteils geleert und Stoffe um tüchtige Stücke verkürzt werden. Nicht belästigen darf man Schwangere, Leid- tragende, Sendboten, Kinder, ferner nicht Personen, die zu Palavern berufen worden sind oder heimkehren, nachdem sie sich in der Hexen- probe als unschuldig bewiesen haben. An das Leichenrecht erinnert ein anderer Brauch. Wenn ein als Räuber von Haustieren verhasster Leopard, das Königstier, auch das Staats-, Fürsten- oder Stammes-Totem, erlegt worden ist, wird unter Jubel und Schaugepränge die Beute fleissig in den Ortschaften herumgetragen. Die prahlenden Schützen erhalten auf fremder Erde Geschenke, auf eigener Erde dürfen sie ihnen Begegnende um die Hälfte ihrer Habe erleichtern, in den Dörfern Weiberhütten mit offen stehenden Türen aus- rauben, wobei es manchmal arg hergehen mag. Ausnahmen sollen wie beim Leichenrecht gelten. Bisweilen schleppt man noch das bereits stinkende Tier oder auch den roh ausgestopften Balg umher. Doch das gilt als Unfug. Übrigens sind die Leoparden im Küstenstrich ziemlich ausgerottet. Zur Königszeit wurde dieses Jagdfest feierlicher und umständlicher begangen. Der Erleger des Leoparden musste vor dem Ma Loängo oder vor der Makünda oder vor einem der alten fürstlichen Erdherren er- scheinen und melden, dass er ein Königstier getötet, wie und warum er es getan habe. Zugleich musste er die Schnurrhaare des Leoparden, die für sehr giftig und zauberkräftig gelten, sowie die als Kraftschmuck begehrten Krallen wohlgezählt aushändigen. Hierauf wurde er seiner Handelsverkehr. Schmuggler. 991 Schuld ledig gesprochen, über und über rot eingerieben und reich be- schenkt. War er (vielleicht ohne eigenes Verschulden?) ein Leibeigener und hatte er es mit der Makünda oder mit einer anderen Fürstin zu tun, so wurde er in der bekannten Weise als Kind der Erde adoptiert. Manches von diesen alten Volksfesten steht in verschiedenen Erdschaften noch heutzutage in Ehren. Früher soll der enthäutete Leopard wie ein Mensch begraben oder wie eine Hexe, wohl als vermeintlicher Werwolf, verbrannt worden sein. Es hiess aber auch wieder, dass dies nur mit einem sehr seltenen dunkeln, also vielleicht schwarzen Lieoparden ge- schehen sei und dass dem glücklichen Schützen am Königshofe drei Wünsche erfüllt worden wären. Eigenartig ist das Verfahren mit Handelskarawanen, die während der Trockenzeit oft ziemlich weit aus dem Inneren zum Meere wandern. Deren Güter kaufte am liebsten jede Erdschaft selber auf, um sie mit Nutzen weiter zu vertreiben. Dieser Zwischenhandel ist lohnend. Wenn jedoch die Führer der Karawanen geschäftskundige und gewitzte Leute sind, die selbst den Verdienst einstreichen und Maklergebühren sparen wollen, muss man sich begnügen, von ihnen Durchgangszölle zu erheben. Diese werden oft bis zur Rückkehr gestundet. Ruppige Erdschaften sind immer geneigt, die Zölle unerschwinglich hoch anzusetzen, sogar die Güter unter irgendwelchem Vorwande einfach aufzuessen. Ihrer Will- kür sind jedoch Schranken gezogen. Die weiter küstenwärts sitzenden Erdschaften wollen auch Handel treiben, auch Zölle erheben und wollen nicht um der Nachbarn willen Einbusse erleiden. Allzusehr "'bedrückte Händler könnten andere Verbindungen anknüpfen, andere Pfade ein- schlagen, wo ihnen günstigere Bedingungen gestellt werden. Dann wäre es mit den Einkünften aus dem durchgehenden Handel vorbei, weswegen man sich gegenseitig scharf überwacht. Die Erdschaften, die binnenwärts sitzen, wo die gangbaren Wege über das Gebirge in das Vorland auslaufen, haben freilich die Vorhand an der Zollschraube. Sie errichten gern Zollschranken — nssilu, plur. sinssilu, kurze Zäune quer über den Pfad mit einem Tor, wo Wächter herumlungern. Noch wichtiger sind die alten einträglichen Fährstellen, die man den zuverlässigsten Leuten anvertraut, deren Amt sich gewöhn- lich in der Familie vererbt. Da die Karawanen aus dem Inneren seit Menschengedenken den durch die Gestalt des Geländes und, wie es scheint, zur Königszeit auch durch Gebote vorgeschriebenen Pfaden folgen, leiten Machthaber daraus ein Recht her, alle Handelszüge, die sie auf ihrer Erde anderswo oder während der Nacht wandernd betreffen, voll- ständig auszupfänden. Die Sünder haben sich auf Schleichwegen taxfrei durchschmuggeln wollen und dadurch alle Rechte verwirkt. Eigentlich soll niemand sich nächtlicherweile ohne Fackel oder glimmenden Brand 2933 Karawanenführer. Geleit. Gesandte. durch ein Dorf oder auf Verkehrspfaden bewegen. Ausgenommen ist ein Eilbote, und der räuspert sich wenigstens oder meldet leise, halb singend das Woher und Wohin im Dorfe, damit Wachende unterrichtet, Schlafende nicht gestört werden. Ein verständiger Karawanenführer, in der Regel ein viel erfahrener, gewandter Küstenmann, pflegt zu verhandeln. Bestimmte Zollsätze gibt es natürlich nicht, aber doch durch Herkommen eingerichtete. Seinen lagernden Leuten zeitweilig voraus eilend, erkundet er die Zustände in den zu passierenden Erdschaften, vereinbart er die Höhe der Abgabe. Das kann tagelang dauern. Als Unterhändler ist er unverletzlich. Durch die Drohung, umzukehren und anderwärts sein Heil zu versuchen, weiss er sich Vorteile zu sichern. Klüglich bedingt er sich aus, dass seinem Zuge Leichen oder erlegte Leoparden nicht begegnen dürfen. Das ge- troffene Abkommen gilt. Nur hat er zu sorgen, dass unerfahrene unter seinen Trägern, vielleicht Buschleute, bei bösen Erdschaften nicht listigen Anschlägen zum Opfer fallen, als da sind: Verlockungen durch Weiber, durch scheinbar verlorene leckere Nahrungsmittel, Verstösse gegen Fetisch- gebräuche und so weiter. Der Herr einer ausgedehnten Erde sendet seinen Stabträger oder sonst einen Boten mit, der, die eiserne Doppelglocke schlagend, der Trägerreihe voranschreitet und sie sicher bis zum nächsten Reichlein geleitet. Vor dem Übertritt werden, falls es nicht im voraus geschehen, abermals Verhandlungen gepflogen, und so fort, von Gebiet zu Gebiet. Gelegentlich können die Wanderer an Erden gelangen, die irgendeines (seschehnisses, namentlich Verbrechens halber geschlossen, das heisst, deren Pfade für jeglichen Verkehr gesperrt sind. Dann haben sie wer weiss wie lange zu warten oder Umwege zu machen. Indessen verbreitet sich die Neuigkeit einer Sperrung zumeist rasch weithin. Das alles ist sehr umständlich. Es beruht auf uraltem Herkommen, das freilich die Europäer zu durchbrechen versuchen, woran zu rütteln aber niemand sonst einfällt. Indessen senden rührige Erdherren, um den Verkehr zu erleichtern und durch ihre Gebiete zu lenken, während der Trockenzeit, die die Haupthandelszeit ist, erprobte Vertrauensmänner nach dem Inneren. Diese verhandeln mit Karawanenführern und Häupt- lingen und schliessen oft Verträge, die allen förderlich sind. Zur Be- glaubigung tragen sie Würdenzeichen ihrer Herren, Stäbe, Messer, Ehren- schwänze, Eisenglocken, und übermitteln Grüsse sowie Geschenke. Solche Boten mit kleinem Gefolge, klug und beredt, aber häufig, vielleicht meistens, die Rolle des Dümmlings oder Narren spielend, vertreten wie Gesandte die Interessen ihrer Erdschaft und überwachen insgeheim das Treiben der anderen, namentlich der anrüchigen. Bisweilen unternimmt auch ein Erdherr selber eine Verbrüderungsreise. Ausnahmen. Verbrechen. Gesperrte Erde. 223 Gänzlich enthoben aller Scherereien, der Meldungen und Abgaben, dennoch berechtigt zu Schutz und Obdach, zu freiem Geleit, sind alle, die vor Gericht oder zum Palaver geladen sind, eine Botschaft tragen, zu einer Leiche gehen, einen Kranken besuchen, zu einer Festlichkeit und zu Markte ziehen, sich der Giftprobe unterwerfen wollen oder sie bestanden haben. i Hohe Entschädigung steht der Erdschaft zu, wenn namentlich Fremd- linge Verbrechen gegen die Erde begangen, wenn sie Blutschuld auf sich geladen, das grosse T'schina gebrochen haben. Solch ein göttliche wie staatliche Gesetze verletzendes Verbrechen heisst lundämbu, plur. sin- dämbu, der Verbrecher mundämbi, plur. bandämbi. Schwere Verbrechen gegen die Erde sind: Notzucht, insonderheit Defloration eines unreifen Mädchens, sowie Unzucht, zumal im Freien und auf blanker Erde begangen, blutig verlaufene Händel oder Totschlag auf Märkten, bei Palayern und Gerichtsverhandlungen, Verlockung oder Raub und Verkauf von Kindern, ferner Mord. Erschwerend wirkt es, wenn das Verbrechen auf den Gottespfaden oder an Personen verübt worden ist, denen freies Geleit zustand. Endlich muss hier noch erwähnt werden, dass von Zwillingen, die zweierlei Geschlechtes sind, mindestens einer umgebracht wird. Die Leute finden in solch engem Beisammen- sein im Mutterleibe etwas Unsittliches, Unheimliches, Unglückbringendes. Leichtere Verbrechen sind: Beischlaf im Freien und auf blanker Erde, auch, wie einige behaupteten, in einem Raume, wo zugleich andere sich aufhalten; Einbruch in Gehöfte oder Hütten in einer Ortsehaft, wo gerade Palaver oder Lustbarkeiten abgehalten werden. Übrigens darf der auf frischer Tat ertappte Einbrecher vom Besitzer auch getötet werden, aber nur von vorne. Wunden im Rücken brächten schlimme Palaver. Wo ein schweres Verbrechen begangen wurde, ist die Erde gleichsam entweiht. Sie pflegt für einige Zeit geschlossen, für jeglichen Verkehr gesperrt zu werden, selbst über die Zeit hinaus, während welcher man etwa nach dem Übeltäter fahndet oder ihn richtet. Kukäka ku nssi oder nsila, sperren Erde oder Pfad. Zum Zeichen dessen sind auf den Wegen Querfurchen geschürft oder Knüppel angepflöckt, Wiepen ausgesteckt, Fransenschnüre gespannt, Popanze aus Mattengebinden aufgehängt und von beiden Seiten Grasbüschel über dem Pfade verknotet. Ausrufer mit ihren Geräten verkünden die Sperrung, die zur Königszeit sich manchmal bis auf die Feuer erstreckt haben soll. Bis zur Behebung sind Lustbar- keiten und Märkte untersagt; Eheleute sollen sich getrennt halten, Felder nicht bestellt werden. Auf gesperrter Erde geborene Kinder hält man für belastet, ihrer wartet kein Lebensglück. Nicht die ganze Erde, sondern nur ein kleiner Teil wird gesperrt, wenn innerhalb von Wohnsitzen gesündigt worden ist. Da scheint man 994 Verbrechen. Sühnehandlung. sich oft damit zu begnügen, mit Stricken und Lianen oder mit einer in die Erde gerissenen Furche das Dorf zu umziehen und abzuschliessen, nötigenfalls auch ein Haustier, das man nachher isst oder wieder laufen lässt, längs dieser Schranke zu tragen. Aber die nämlichen Massregeln und andere mehr werden auch beim Zaubern gegen Seelen und Seuchen angewendet. Eine feierliche Sühnehandlung wird vollzogen, falls der Verüber eines Erdfrevels unentdeckt geblieben oder entflohen ist. Dazu senden alle angrenzenden Erdschaften Abgeordnete, die seit Sonnenuntergang weder N ' AN | 1m N JM. 0 "N | Pfadsperre. Speise und Trank noch Weib genossen haben dürfen. Mit einem schwarzen Zicklein ohne Abzeichen, es darf sich noch nicht fortgepflanzt haben, zieht man des Morgens hinaus, gewöhnlich an den Ort der Tat, jedenfalls an eine Stelle, wo der Boden unbearbeitet liest. Um Sonnenaufgang geschieht die Handlung. Das Opfertier wird nicht geschlachtet, weil kein Blut fliessen darf, sondern es wird mit dem Kopfe in gelockerte Erde gedrückt und erstickt. Alle Beteiligten klemmen die Geschlechtsteile zwischen die Schenkel, knieen nieder, rühren die Erde, legen davon auf die Zunge und schwören: Wir und unsere Leute sind schuldlos an dem Verbrechen. Unsere Augen haben die Tat nicht gesehen, unsere Ohren haben die Tat nicht gehört, wir wissen nicht, wer die Tat begangen hat. Dabei schlagen sie die Schenkel oder greifen an das Gemächte und Erdfrevel. Beurteilung. 225 streichen mit den Händen abwärts über die Arme. Wer für sich oder seine Leute wissentlich oder unwissentlich falsch geschworen hat, den verlässt die Lebenskraft, @emächte und Glieder verdorren; er geht elend zugrunde. Bei ihm reisst die Ahnenkette ab, und das ist, wie in einem anderen Kapitel beschrieben werden wird, eine schlimme Sache, wenigstens für Leute von Stand. Das Opfertier wird nachher gegessen. Die Stelle, wo die Tat ge- schehen ist, wo man geschworen hat, ist eben ndämbu. Sie bleibt wüst und verrufen. Die so geschworen haben, sind Schwurkinder: b’äna ba nkändu. Statt des Zickleins soll man jetzt oft bloss ein Hühnchen oder gar kein Tier mehr nehmen, auch das Schwören nicht mehr überall in alter Weise vollziehen. Es unterblieb oder ist mir absichtlich verhehlt worden, nach einem schweren Erdfrevel im Norden des Gebietes. Anders, wenn der wirkliche oder vermeintliche Verbrecher ergriften worden ist. Ihn zu richten, ist nur teilweise eigene Angelegenheit der betroffenen Erdschaft. Sie kann selbst über die Höhe der Busse be- finden. Doch pflegt sie, um die Verantwortlichkeit zu verallgemeinern, die Nachbarn anzurufen und sich im Palaver zubilligen zu lassen, was Rechtens ist. Damit ist, wie bei gewöhnlicher Klagsache, der beleidigten Erdschaft, der geschädigten Familie Genüge getan, aber noch nicht der (Gesamtheit. Der Missetäter ist noch des Gemeinwohles wegen zu be- strafen, weil er nicht bloss an Menschen, sondern gegen Erde und Erd- recht gesündigt und damit Nsämbis Zorn erweckt hat. Im allgemeinen sind Rechtssachen bloss Privatsachen. Kein Kläger, kein Richter. Aber bei Erdfrevel klagt die Tat. Sie muss gesühnt, am Frevler gerächt werden, sonst kommt grosses Unglück über das ganze Land und seine Bewohner, sonst geht die staatliche und gesellschaftliche Ordnung aus den Fugen. Es wird aber keineswegs kurzerhand einer umgebracht. Das ginge den Leuten wider Natur und Gerechtigkeit, gegen den Grundsatz: Ohne Schuld keine Strafe. So obenhin kann man ja sagen, ein Menschenleben gelte recht wenig. Das mag so sein wie bei uns auch im Kriege, bei Schiffbruch, Seuchen, im alltäglichen Leben. Ohne Opfer geht es eben nicht. Und Menschen, Zivilisierte eingerechnet, können die Leiden anderer, die ihnen nicht nahe stehen, und oft genug auch die der Nächsten, durchschnittlich recht gut ertragen. Für die Stärke der Teilnahme ist die räumliche Entfernung, sind die persönlichen Beziehungen und Gefühle massgebend. Ein durch eigenes Verschulden Leibeigener, also ein Sträfling, der bei uns im Zucht- haus sässe oder längst hingerichtet wäre, der gar keinen Anhang mehr hat und seinem Herrn wie ein Sklave, wie ein Haustier gehört, der gilt nicht viel. Dagegen ist Familien und Freunden das Ergehen und das Leben eines Angehörigen, sei er frei oder unfrei, in der Regel viel Loango. 15 226 Erdgericht. wert. Sie wollen ihn nicht, sich zur Schande und zum Schaden, aufs Ge- ratewohl verdammen, verstümmeln und vielleicht umbringen lassen. Fände doch selbst nach einem Justizmorde seine Seele so viele Jahre keine Ruhe, als sein Leben gewaltsam verkürzt worden ist, und eine Verstümmelung quälte ihn auch im Jenseits. Der Erdfrevel fordert seine Sühne, aber es soll dabei ordnungsmässig zugehen, es soll keine Hinrichtung als Not- behelf und Schreckmittel vollzogen werden. Deswegen tritt das Erdgericht zusammen. An einer Stelle, wo Pfade sich gabeln oder kreuzen, wird auf einem gesäuberten viereckigen Platze über den vermeintlichen oder überführten Verbrecher Gericht gehalten. Es soll nicht, wie andere Palaver, im Dorfe, unter Baum oder Schatten- dach, sondern im Freien, vor Erde und Himmel, gleichsam vor Nsambis Angesicht stattfinden. Oberrichter in Erdsachen ist der Maboma, der Herr der Furcht und des Schreckens. Er hält auf Lebenszeit das hohe Ehrenamt, womit ihn vielleicht mehrere Erdschaften gemeinsam betraut haben. Ein festes Gehalt bezieht er ebensowenig wie andere Würdenträger; Amtshandlungen werden durch herkömmliche Gaben im voraus vergütet. Aber alle Kosten tragen die Erdschaften. Beklagte oder deren Angehörige dürfen nicht schenken. Einen ob seiner Weisheit und Gediegenheit gerühmten Maböma lädt man nicht selten auch nach anderen Landstrichen zu schwierigen Ver- handlungen. Seine Schöffen, je nach Bedeutung des Falles zwei bis sechs, sind unbescholtene und erfahrene, stets neu und gewöhnlich von fernher berufene freie Männer, wenn es sich um Freie, und hörige Männer, wenn es sich um Unfreie handelt. Sie dürfen weder Verwandte oder Bluts- freunde des Beklagten und der Geschädigten nebst Anhang sein. Sind gegnerische Parteien in die Angelegenheit verwickelt, so vermittelt zwischen ihnen und den Richtern ein dazu erwählter ehrenwerter und rechtskun- diger oder besser: in Überlieferungen erfahrener Mann als Unparteiischer, als Sprecher — musönssi, plur. basönssi. Unmündige und Weiber, die zwar sonst, in gewöhnlichen Prozessen, allenthalben persönlich für ihr Recht einstehen, aber vor dem Erdgericht weder aussagen noch schwören dürfen — bei der Erde kann nur der mit Zeugungsglied schwören —, vertritt ein Blutsmann oder ihr Erdherr, Hörige ihr Besitzer oder ebenfalls der Erdherr. Doch lässt man tüch- tige, in der Erdschaft geborene Hörige auf Verantwortung ihrer Herren auch persönlich gelten. Gänzlich ausgeschlossen von Bericht, Zeugen- schaft und Eid sind Leibeigene, ferner alle Personen, die irgendwelche körperliche Fehler haben, sowie Trottel, Besessene, Trunksüchtige, Zänker, Klatschmäuler, Lügenbolde, Erkrankte und Altersschwache. Fürsten unterstehen nicht dem Erdgericht, brauchen nicht einmal als Zeugen zu erscheinen. Erdgericht. 227 Vor dem Erdgerichte geht es in der Regel auf Leben und Tod. Gegen den Spruch, der gewöhnlich sogleich ausgeführt wird, gibt es kem Auf- lehnen, doch muss ein Todesurteil einstimmig gefällt werden. Der Ange- schuldigte wird derartig gesetzt, dass sein Gesicht nach dem Orte der Tat schaut. Handelt es sich um Parteien, so wird umständlich zwischen ihnen Licht und Luft gleichmässig verteilt oder der Maböma wählt seinen Sitz mit dem Rücken nach ihren Wohnorten sowie mitten im Winkel der Richtungen dahin. Auch äusserlich gleiches Mass für jeden, dafür wird mit grosser Gewissenhaftigkeit gesorgt. Bevor die Richter die Verhandlung eröffnen, ermahnen sie sich bei Nsambi, ohne Ansehen der Person und reinen Herzens oder aus der Tiefe des Herzens (Gewissen) das Rechte — lulüku — zu finden. Mass- gebend sind dabei vornehmlich Präzedenzfälle, die im Volksmunde fort- leben und das Rechtsbewusstsein stärken. Alle Personen, die mitzuwirken haben, werden gleichermassen feierlich zur Wahrhaftigkeit — tschie- lika —, zur Vermeidung von Irrtum — luvündschiu —, von Verschleierung und Gedankenmogelei — lubälu lu (a) luvünu — ermahnt. Verteidiger, Freunde, Eideshelfer für guten Leumund werden angehört, Aussagen umständlich erwogen, Eide auferlegt. Aber es wird bei der Erde, nicht auf Fetische geschworen, wie es sonst landläufig ist. Wanderer, Handelszüge haben den Gerichtsplatz weit zu umgehen, um nicht zu stören, nicht die Aufmerksamkeit abzulenken. Unbeteiligte dürfen zuhören, aber nicht dreinreden, nicht miteinander schwatzen, nicht rauchen, essen, trinken. Wer zu reden hat, steht auf. Ungebühr vor Gericht wird hart geahndet, kommt aber schwerlich vor. Angaben, die unwürdig, zu laut gemacht werden, leidenschaftliche Reden — tübila ngölo: redend mit Macht, zuviel, zu eifrig; mutübi: Einer mit Zünd- nadelmundwerk — dämpft auf Wink des Maboma der Sprecher, heisst allzu Erregte austreten und zur Abkühlung ein Gefäss mit Wasser leeren; als letztes Mittel legt er das Tschimpäpa auf den Boden. Solange das Blutbannzeichen daselbst ruht, hat jedermann am Platze, ausser den Richtern, sich zu erheben und bei schwerer Busse zu schweigen. Nicht einmal Räuspern oder Husten ist erlaubt. Der Angeklagte, der auf einer groben Lüge ertappt wird, ist sogleich schwer belastet. Denn, so schliessen die Richter, hätte er nichts zu ver- bergen, so würde er nicht von der Wahrheit abgewichen sein. Nach Schluss der Verhandlungen, während die Richter sich abseits beraten, das alte oder kluge Weib fragen, liegt das Blutbannzeichen auf der Erde. Jedermann soll stehen, niemand soll reden oder sich bemerkbar machen. Keiner soll sich entfernen, auch keiner herantreten, winken oder irgend- welche Zeichen geben. Beim Verkünden des Urteiles drückt der Sprecher des Maböma, ein Knie gebeugt, den Grift des Tschimpäpa auf die Erde, 15* 2928 Todesurteil. Milderung. Strafaufschub. lautet aber der Spruch auf Tod, so setzt er das obere Ende auf und kratzt damit dreimal Erde gegen den Verdammten. Manche Richter pflegen dabei noch Blätter oder Stücke von Grashalmen zu zerreissen, was auch als Bekräftigungszeichen eines Handelsabschlusses gilt. Zur Königszeit soll stets zum Gedenken des Todesurteiles auf dem Gerichts- platz ein Gesetzespfosten, ein Merkbalken — tschinssiku — eingerammt worden sein, was jetzt kaum noch geschieht, wenigstens habe ich nur einen einzigen frischen gesehen.”) Ein Todesurteil muss einstimmig gefällt werden. Als erwiesen pflegt zu gelten, was zwei einwandfreie Zeugen beschworen haben. Einen unklaren Fall lässt man durch Gottesurteil, durch die Giftprobe ent- scheiden, oder man heisst den Mann sich bei der Erde frei schwören. Gefoltert wird keiner, der seine Unschuld beteuert; das kommt gelegent- lich bei Hexenprozessen vor, wird auch auf Beschluss der Blutsfamilie von deren Oberhaupt gegen einen verstockten, grundschlechten Angehörigen angewendet, aber das Erdgericht befasst sich nicht mit solchen Dingen. Vormals ging die ungeklärte Sache in Berufung an den König. Jetzt beruhigt man sich dabei, man habe das Seinige getan, Nsämbi werde richten. Natürlich kommt es vor, dass trotz erwiesener Schuld Ein- stimmigkeit nicht zu erzielen ist, dass aus irgendwelchen Gründen Gnade vor Recht geht, weil der Frevler sonst ein guter Mensch und beliebt war, weil er einer mächtigen Familie angehört, weil noch anderes zu seinen Gunsten wirkt. Alsdann wird der Sünder verbannt und statt seiner vielleicht ein Leibeigener, häufiger ein Tier getötet, das er vorher um den Richtplatz oder um die Stelle des Verbrechens oder um die ihr zunächst benachbarte Ortschaft zu tragen hat. Darin scheint der Brauch abzuweichen. Dem Freigesprochenen steht, falls er vor das Erdgericht erst durch die Beschuldigung einer Partei gekommen ist, ein Reugeld von dieser zu neben dem Ersatz aller Kosten, den übrigens auch noch die betei- listen Erdschaften für sich fordern. Darüber wird dann in gewöhnlichen Palavern befunden. Dem zum Tode Verurteilten wird manchmal ein Aufschub der Straf- vollziehung bewillist, damit er sich von seiner Mutter oder von Ge- schwistern, Frau und Kindern verabschiede, sein Haus bestelle und seine *) Kutäba richten, mutäbi Richter, luntäbu Urteil; kubokä ku ntäbu, das Urteil verkünden. Mubängi Zeuge, mukündi Eideshelfer, auch ndiku Freund, bulundiku Freund- schaftsbeweis. Mpessa Eid, luvunu Lüge, lungängu List, Verschleierung, ngängu mtata Falschheitsvater, Lügenbold, überhaupt schlechter Kerl. Nkängu a ntima wörtlich: ge- schnürt, gekrampft am Herzen, Angst, Entsetzen des Schuldigen, dem, wenn er Mörder ist, sein Opfer erscheint. Mumpovi berufsmässiger Unterhändler, bezahlter Anwalt, dem Sinne nach: Viel- oder Mischmaschredner. Bürgschaft. Flüchtlinge. Fürsten. Asyle. 2929 Schulden bezahle. Mit dem Vertrauen, das in Palaverbeschlüssen herrscht, stellt sich für ihn ein Bürge, ein Verwandter oder Blutsfreund, und man lässt ihn ziehen. Ab und an ist man vielleicht ganz froh, wenn er nicht wiederkehrt. Der Bürge und seine Familie haben dann ein Reugeld, sowie die Kosten des Gerichtsverfahrens und der Sühnehandlung mit dem Opfertier aufzubringen, oder der Bürge wird Höriger. Beides ist gewinn- bringender als eine Hinrichtung. So war es auch zur Zeit des Sklaven- handels, da verkaufte man Verbrecher einfach übers Meer und hatte damit seine Erde von ihnen befreit. Ein Verurteilter rettet sein Leben, wenn es ihm glückt, eine fürst- liche Person zu berühren oder zu bespucken, ferner auf Speichel und andere Auswurfstoffe eines Mfümu nssi zu treten. Man glaubt, dass dadurch eine enge Verbindung der Lebenskräfte von Personen erzielt werde. Der Gerettete wird Leibeigener, muss aber die Erde, wo er sündigte, verlassen und darf niemals zurückkehren, sonst hat er sein Leben endgültig verwirkt. Rückkehr eilt gleich Rückfälliskeit und findet keine Gnade. Schutz, wenigstens vorläufig, gewähren dem entsprungenen Verur- teilten die Gottespfade nebst den Anländen der eingeschalteten Fähr- stellen, wo ihn der Ferge zuerst und allein und darauf nach Belieben die Verfolger übersetzt, sodann die Gräberfelder der Könige und Fürsten, die ja von den Gottespfaden berührt werden, sowie an Geschäftstagen die Märkte. Sicherheit fand er zur Königszeit auch dort, wo die Staats- feuer brannten, und findet sie daselbst wohl manchmal noch gegenwärtig. Aber alle diese Zufluchtsstellen nützen bloss zeitlich, weil, wenn er im Finsteren nicht zu entschlüpfen vermag, Hunger und Durst ihn in die Hände lauernder Häscher treiben, er müsste denn insgeheim von Weibern 'gelabt werden. Mancherlei- Geschichten erzählen, wie Frauen und Mäd- chen gleichsam zum Sport Wächter und Schergen überlistet haben. Der Gehetzte kann nichts dafür, dass er ohne Speise und Trank ist. Aber er muss Sorge tragen, dass ihm nicht ein verräterischer Streich gespielt werde. Einem Erdfrevler, der die Seite 223 aufgezählten schwersten Verbrechen begangen hat, soll überhaupt nicht geholfen werden, weil sonst Nsäambi Heimsuchung sendet. Feuer darf der Flüchtling unter keinen Umständen zünden, das duldet keine Erdschaft. Rettung kann ihm auch durch einen Weissen werden, der ihn von seinem Gehöft sogleich über See verschickt. Das habe ich einmal unter besonders günstigen Umständen erlebt. Der Mann war fort, der Fall erledigt, und es schien, die Leute waren im stillen froh darüber. Ein freundlich gebotener Trunk beschwichtigte alle Missstimmung. Der Vorgang wird im vierten Kapitel ausführlich beschrieben werden. Aber der Europäer hat kein Erdrecht. Wenn er nicht sehr angesehen und erfahren ist, 230 Strafen. Todesarten. Liebestaten. lasse er sich lieber nicht auf solche Rettungen ein. Schon die Gläubiger, berechtigte und unberechtiste, könnten ihn mit Palavern um seine Ruhe bringen und endlos quälen. Ah Ein schwerer Erdfrevel wird in der Regel an Leib und Leben gerächt, damit keine Plagen über das Land kommen. Schon der Versuch ver- wirkt das Leben, weil der böse Wille vorhanden war. Verschärft wird das Urteil, indem man dem Missetäter das Grab verweigert. Doch ver- meidet man, sein Blut zu vergiessen. Sittlichkeitsverbrechen werden, wenn nicht mit dem Tode, mit dem Brechen der Oberschenkelknochen oder mit dem Zerquetschen der schuldigen Teile bestraft. Zur Könies- zeit gab es eine grosse Trommel. Wenn zwischen Aufgang und Nieder- gang der Sonne ein Verdammter mit dem, womit er sündigte, das Trommelfell zu durchstossen vermochte, wurde er weder getötet noch verstümmelt, weil er erwiesenermassen gut zum Volksvermehrer taugte. Todesarten sind je nach Beschluss: Eingraben bis an den Kopf; Einhängen mit dem Halse in einen eng gegabelten Pfahl; Aufbinden an Bäume oder an Kreuze, worauf man wahrscheinlich zuerst im Kongo- reiche seit der Missionstätigkeit verfallen ist; Aufhängen an den Beinen; Festschnüren auf gebrechlichen Flössen von leichten Hölzern, die man ins Wasser schiebt. Einen an ein Kreuz gefesselten Toten habe ich einmal auf dem Tschiloängo flott gesehen. Die Gerichteten, denen man häufig vorher einen betäubenden Trank eingibt, mögen sterben, wie Nsambi will, wie sie können. Derartige Strafvollziehungen erregen grosses Auf- sehen, locken das Volk an, wie man bei uns zum Hochgerichte zog, und liefern Gesprächsstoff für lange Zeit. Wo die Art der Strafe es zulässt, sollen Mutter oder Schwestern sich des Gerichteten annehmen, bei ihm wachen, ihn versorgen, gefrässige Tiere verscheuchen, damit der Leib unversehrt bleibe, der Seele wegen. Manchen sollen sie sogar heimlich befreit und ausser Landes geschafft haben. Es werden allerlei Geschichten erzählt von treuen Schwestern. Eine hat den bis zum Halse eingegrabenen Bruder des Nachts von ihrer Brust genährt. Eine andere hat den auf einem Floss triftenden Bruder den Strom hinab begleitet, hat ihn gespeist und getränkt, mit einem Knüppel die Krokodile abgewehrt, bis ein Schiff Hilfe brachte. Und wie der Berichte mehr sind. Derlei Liebestaten scheint man in guten Zeiten stillschweigend zu dulden. Dem Rechte ist genügt, den Gerich- teten wird man los. Der Verbrecher, dem es nicht an Leib und Leben geht, wird geächtet. Seine Erdschaft pflegt ihn auszustossen, nicht bloss um ihn zu strafen, sondern um sich seiner zu entledigen, um weiterer Verantwortung für ihn enthoben zu sein. Muküli, der Verbannte; kuküula ku nssi ändi (gesprochen wie kunssiändi) wörtlich: entfernen, abtrennen von Erde seiner. Achtung. Rückkehr. Märkte und Marktrecht. 931 Seine Behausung wird verbrannt, all sein Besitz verfällt dem Erdherrn oder der Erdschaft, nicht der Familie, denn der legt man zur Last, dass er schlecht geworden ist. Sie hätte ihn besser erziehen müssen. Nun ist er ein münya Nsämbi, ein Elender, der seine Sache auf Nsämbi stellt. Er geht ins Elend, in die Fremde, friedlos, vogelfrei, ausgeschlossen von Dach, Feuer, Wasser, Tier und Pflanze, so weit die Erde seiner Richter reicht. Das ist für ihn das Härteste. Denn er hat allen Rückhalt ver- loren. Für seinen früheren Verband ist er ein Nichts, mag auch seine Familie sich noch um ihn bekümmern. Er wird in der Ferne verenden. Niemand wird für sein Grab, für seine Seele sorgen. Kehrt ein muküli auf die Erde zurück, wo er sündigte, so muss er sterben wie der Rückfällige, wie der Flüchtling, der vor der Aburteilung entlief. Anderthalb Stunden binnenwärts von unserer Station hatten sich während einer öffentlichen Verhandlung auf dem Palaverplatz zwei junge Männer und ein dritter, der seinem Blutsfreunde beisprang, an- einander vergriffen und Blut vergossen. Sie entwichen in das Waldland, wo sie verschollen. Zu unserer Zeit, es mochten sechs Jahre darüber hingegangen sein, und der alte Erdherr war inzwischen gestorben, wagten sie es, mit einem Gang von Buschleuten ihre Heimat zu kreuzen. Sie wurden erkannt, ergriffen und gerichtet. Der am wenigsten Schuldige, der dem Blutsfreunde geholfen hatte, wurde bloss geächtet, weil er aus Freundschaft gefehlt, und weil ihn die Sehnsucht nach seiner alten Mutter heimgetrieben hatte. Die beiden anderen mussten an der Stelle, wo sie einst gefrevelt hatten, einen jämmerlichen Tod erleiden. Auf dem neu gesäuberten, mit Wiepen, Bastgehängen und anderem Zauberkram umfriedigtem Platze wurden sie aufrecht bis an den Hals eingegraben und dem Verschmachten preisgegeben. Zu retten waren sie nicht. Die Zeiten waren schlimm, und die Leute befürchteten schwere Heimsuchung, falls sie ein Auge zudrückten. Ähnliche Bestrafung droht einem jeden, der sich hinreissen lässt, den Marktfrieden zu stören, gar durch Bluttat zu brechen. Jeder Markt- platz, ob gross, ob klein, gewöhnlich im offenen Gelände und womöglich hoch liegend, bietet an Markttagen Schutz und freies Geleit. Wie an den schon genannten Zufluchtsstellen ist es nicht erlaubt, irgend jemand auf dem Marktplatze oder zwischen den Marktgängern Gewalt anzutun, im Menschengewühl einen Flüchtling, eine Geisel zu greifen. Für den Gottes- frieden zeugen häufig Denkmäler: umpfählte Erdhaufen, Gedenkbalken, auch künstlich verflochtene und allmählich wunderlich verwachsene Stangen- hölzer oder Zweige von Bäumen, endlich niedrige grossblätterige Feigen- bäume mit sperrigem Astwerk und weit ausladenden flachen Wipfeln (III 176, Abbildung I 146), Nsända genannt, was insofern bezeichnend ist, als der Markt lisändu, plur. masändu heisst. Nicht selten sind 932 Marktordnung. Gedenkbalken. Pflöcke. Erdhaufen, woraus Schäfte von Gewehren ragen. Es soll nämlich niemand mit Buschmessern, am wenigsten mit Schiessgewehr zu Markte kommen oder das Menschengewühl kreuzen. Der Bewaffnete soll den Ort umkreisen, sonst büssen ıhn die Marktordner hart, es kann ihm bei herausfordern- dem Wesem sogar an den Kragen gehen, nehmen ihm mindestens die Flinte ab. Diese wird, nach Zerstörung der Batterie, zu drei Vierteln eingegraben. Oft wird derartig bereits bei Gründung des Marktes ein untaugliches Gewehr als Warnungszeichen angebracht. Diebstahl, Betrug, Zank, Rauferei auf dem Markte werden sehr hart und gewöhnlich auf der Stelle bestraft. Schon Berauschtheit, eine Mei- nungsverschiedenheit lockt die Marktmeister herbei, die Ruhe gebieten, als Schiedsrichter wirken oder Erregte hinausweisen in die Campine, Aber das ist sehr selten notwendig, weil alle Beteiligte, und das mögen viele hundert, oft mehrere tausend Menschen jeden Alters und Geschlechtes sein, schon selbst auf Ordnung und Ehrlichkeit im Verkehre halten, worüber bereits die ältesten Gewährsleute lobend berichten. Der Markt- platz, dessen Frieden arg gestört worden ist, wird bisweilen für längere Zeit gesperrt, unter Umständen sogar verlegt. Wenn zur Königszeit ein Gedenkbalken gesetzt werden sollte, wurde dessen unteres Ende zuvor im Staatsfeuer angekohlt. Dabei mag wohl ab und zu ein Verbrecher, ein Leibeigener getötet und mit eingegraben worden sein, um der Handlung grössere Bedeutung zu verleihen. Heut- zutage könnte solches Opfer, das etwa einer unserer Hinrichtungen ent- spräche, zwar auch noch geschehen, doch kennen wir keinen verbürgten Fall. Bei einem der Friedensschlüsse am Tschiloängo boten allerdings die Eingeborenen den Europäern an, einen Leibeigenen zu töten und einen Balken zu setzen. Es geschah aber nicht. Und nach einem grossen Feindschaftsbegraben im Königsgau erwuchs neuer Verdruss, weil es auf- kam, dass die schuldigste der beiden Erdschaften statt des zugestandenen Menschen nur dessen Abbild und Haar mit dem Holzpfeiler unterge- bracht hatte. Nachahmungen solcher Feierlichkeiten geschehen im kleinen. Als Wahrzeichen dient ein zugespitzter kurzer Knüppel oder Pflock. Bevor dieses Holzstück bis zum Oberende in die Erde getrieben wird, trägt es ein Bote herum, klopft damit an die Umzäunung oder an einen Stütz- pfosten des Vordaches der Behausung von Erdsassen und ruft zur Hand- lung. Diese wird ebenfalls an einem mpämbu vollzogen, also an einer Stelle, wo Pfade sich gabeln oder kreuzen. Die beteiligten Erdherrn und Erdschaften bürgen für die genaue Erfüllung dessen, wozu der oder die Eintreiber des Holzes sich verpflichten. Jeder auf diese Weise Ge- bundene ist ein mubändi, plur. babändi, von kubända, einsetzen, ein- treiben, nageln; er ist ein Gepflöckter. Schwur bei der Erde. Schwurzeichen. 233 An eben solchen Stellen wird der zwingendste Bann und feierlichste Schwur bei der Erde ausgesprochen, der sich ursprünglich doch wohl auf die im Schosse der Erde ruhenden Vorfahren bezog. Der Schwörende kniet auf der Kreuzung oder Gabelung nieder, berührt seine Geschlechts- teile, schlägt die Schenkel, dann Stirn und Erde, streicht Brust und Arme. Auch wird häufig ein Pflock eingetrieben. Wer so geschworen hat, ist ebenfalls ein Schwurkind — muäna mu nkändu. Verstösst er gegen das Gelöbnis, so verlässt ihn die Lebenskraft, und seine Glieder schwinden. Aber nicht ihn allein trifft das Verhängnis, sondern alle die Seinen aus der Reihe vom nämlichen Gemächte (Totemismus). Das Hauptstück des Ahnen, vielleicht noch durch das Holz dargestellt, ist dabei wesentlich, weswegen Frauen so nicht schwören können. Solche Schwurplätze, wo ja auch Erdgerichte tagen, erwecken eine gewisse Scheu. Es ist da, wie auf unseren Kreuzwegen, nicht recht geheuer. Weniger feierlich geht es her, wenn jemand bei der Erde ein Zeugnis, eine Zusicherung bekräftigt. Er rührt oder nimmt Erde irgendwo. Doch ist auch diese Handlung bedeutungsvoll und wird nicht um Kleinigkeiten getan. Nimm Erde drauf, verwahre dich bei der Erde, wird von einem verlangt. Er reckt den rechten Arm gen Himmel, beugt sich nieder, wobei er oft die linke Hand wie grüssend über die Augen hält, zeichnet mit dem Mittelfinger eine Figur auf den Boden und nimmt daraus ein wenig Staub, den er auf die Zunge bringt. Zuweilen berührt er bloss die Erde mit den Fingerspitzen, während er seine Versicherung abgibt. Das Nän- liche geschieht auch unaufgefordert, um besorgte oder misstrauische Fremd- linge zu beruhigen oder zu überzeugen. Als einst ein von Dr. Falkenstein behandelter Europäer in der benach- barten Faktorei einen Aufwärter mit dem Messer verwundet hatte, erschienen wie aus der Erde gewachsen zahlreiche Eingeborene. Bald wälzte sich ein tobender Haufe in unser Gehöft. Die Leute gebärdeten sich ob der Bluttat wie rasend. Doch sprangen, sobald wir erschienen, die Vornehmsten aus der Menge auf uns los und nahmen feierlich Erde. Die Aufgeregten kamen zu uns, ihren Gefühlen Luft zu machen und unsere Ansicht zu hören. Sie meinten, der behandelnde Arzt müsste wissen, ob es sich um die Tat eines Unzurechnungsfähigen handele. Sehr bemerkenswert ist die Zeichnung, die der Erde Nehmende in den Boden kratzt. Sie fällt verschieden aus, je nach der Geschicklichkeit des Zeichners und je nach dem Gebiete, wo man sich gerade befindet. Die vollständige Form ist ein kleiner Kreis mit einem dreiarmigen oder vierarmigen Speichenkreuz. Der Kreis, auch sonst vielfach angewendet, um einen Abschluss nach aussen anzudeuten, wird aber öfters gar nicht oder unvollständig beschrieben. Dadurch entstehen schlichte drei- und vierarmige Kreuze sowie Haken- und Krückenkreuze, deren Arme bald 234 Schwurzeichen. Merkzeichen. Unfreie. serade bald gekrümmt sind. Ob mit oder ohne Kreis, Bogen, Haken, immer ist das Kreuz die Hauptsache und in Loängo zweifellos ein Sinn- bild des Kreuz- oder Gabelweges, wo gerichtet, geschworen, gebannt wird. Wäre es zu gewagt, ähnliche Zeichen bei anderen Völkerschaften: Swastika, Triskeles und andere im nämlichen Sinne zu deuten ? Um die Wirkung dieser Zeichen zu erproben, brachte ich mehrere gleich Drudenfüssen im Haupteingange unseres Gehöftes an. Hökerinnen, die des Morgens kamen, stutzten, besprachen sich, kehrten um und betraten den Hof von der Rückseite. Etliche Männer zauderten wohl, schlängel- ten sich aber um die Türpfosten an den Zeichen vorbei. Das auf einem viel belaufenen Pfade eingerissene Kreiskreuz blieb während des ganzen Tages unberührt. Die Passanten drängten sich seitlich längs des hohen (rases vorüber und liessen an der Stelle vielerlei Blätter und Halm- stückchen fallen. Das sollte bedeuten: ich denke daran. Erst als es herauskam, dass ich wieder einmal experimentiert hatte, schwand die Scheu. Aber man steckte sich hinter meinen Jungen, der um den Auf- trag bat, das Zeichen zu verwischen. Das Hinwerfen von Merkzeichen an solchen Stellen hängt mit einem anderen Brauche zusammen, der geübt wird, nachdem es gelungen ist, einen ernsthaften Streit zwischen Erdschaften in Güte zu schlichten. Falls man nicht einen Merkpfosten setzt, kubanda macht, wird ein Feind- schaftsbegraben gefeiert. Die ganze Angelegenheit wird sinnbildlich unter allerlei Zauber in einen Topf oder Korb getan, und dieser auf einem mpämbu der Erde anvertraut. Damit ist die ganze Geschichte endgültig abgetan. Alle dabei &ewesenen nebst Anhang pflegen beim Passieren etwas Grünes hinzuwerfen, was auch andere mittun, da es nicht schaden kann. Vielleicht verwendeten die Leute Steine oder Zweige, wie bei uns daheim vielfach an einem sogenannten Mordfleck, wenn die allent- halben zur Hand wären. Ab und zu findet man auf der gesäuberten Stelle zwischen einer Pfadgabel aus Erde geformt ein bis etliche Meter langes Krokodil oder eine locker gerollte Schlange (Python). Diese manchmal recht naturwahren und ganz künstlerischen Gebilde mit und ohne Zauberkram sind ebenfalls Wahrzeichen, die selbst eine ergiebige Regenzeit überdauern können. — Die Stellung der Personen innerhalb der Erdschaft ist in der Haupt- sache schon besprochen worden. Die Erdsassen geniessen alle Vorteile. Doch sind Unfreie, namentlich Hörige durchaus nicht rechtlos. In Loängo sind gewiss die meisten Menschen unfrei. Die Art der Unfreiheit hängt davon ab, ob eine Person gänzlich erdlos geworden, das heisst wegen eines Verbrechens von ihrer Erdschaft ausgestossen, von ihrer Erde verbannt und somit aller bürgerlichen Rechte beraubt worden ist, oder ob sie noch einen Rückhalt an der Erdschaft hat. Leibeigenschaft. Verbrecher. Fluchtrecht. 235 Familienbeziehungen, die bei alledem gut oder schlecht sein können, ändern daran nichts. Der geächtete oder der entflohene Verbrecher bleibt ja, falls er ein Freier war, zunächst immer noch frei. Aber er hat keinerlei Rückhalt mehr. Darum erstrebt er Anschluss an irgendeine andere Gemeinschaft. Das kann er, indem er sich zu eigen gibt. Der Menschenhunger begün- stigt sein Verlangen. Auf anderer, entlegener Erde wiegt seine Schuld nicht schwer, ist auch daheim mit der Verstossung hart genug gerächt. Er wird mehr als ein Unglücklicher, Bedauernswerter angesehen. Das ergibt sich auch aus der unter den Sprichwörten und Weistümern ange- führten Mahnung: Wo ein Leibeigener ist, rede nicht von Leibeigenschaft! Auf änderer Erde Zuflucht suchend, tritt der Erdlose als Leibeigener eines Erdherrn in dessen Erdschaft oder vielmehr als Wertstück in deren Vermögen ein. Nur Erdherren und Fürsten können Leibeigene annehmen und vertreten. Andere Besitzer von Leibeigenen gibt es nicht, kann es nach dem Erdrecht nicht geben. Und andere Leibeigene als Sünder und Verbrecher, die man verstiess, statt sie zu töten, und die man früher an die Sklavenhändler verkaufte, gibt es ebenfalls nicht, wenigstens nicht sofern sie den Bafiöti entstammen — ausgenommen natürlich die Kinder einer leibeigenen Mutter. Zur Zeit des Sklavenhandels, als man um der Menschenware willen für die Europäer Grenzkriege führte oder Stämme des Inneren aufhetzte, galten freilich, des Geschäftes halber, alle Gefangenen als Leibeigene, und man ist noch geneigt, einzeln schweifende Land- und Stammfremde, also bäatua, danach zu behandeln. Hätten die Heimat und Anschluss aufgegeben, wenn nicht gezwungen durch schlechte Taten ? Dessenungeachtet ziehen vielerlei Personen unbehelligt im Lande umher und leben, wie schon geschildert, als Halblinge unter den Eingeborenen. ‚Jenseits des Ozeans ist keine Nachfrage mehr nach Menschen. Leibeigenschaft entspricht ungefähr lebenslänglicher Zuchthausstrafe ohne Einkerkerung, mit gelegentlich erschwerenden Zutaten. Wer sie auf sich nehmen muss, gibt sich völlig in seines Herrn Hand. Der beerbt ihn, verfügt über ihn für sich und für die Erdschaft, kann ihn miss- handeln, töten, verkaufen. Der Leibeigene ist mehr zweibeiniges Haus- tier als Person, ist wirklich Sklave in unserem Sinne, ohne jegliches Recht der Selbstbestimmung. Nur das Fluchtrecht hat er. Und die Neigung, dieses auszunutzen, gilt als ein gesetzlicher Fehler, der, beim Verkaufe verschwiegen, Ansprüche auf Schadenersatz begründet. Sein Herr, richtiger die Erdschaft, hat ihn zu erhalten und für ihn in jeder Hinsicht einzustehen. Auch heiraten mag er, wenn ihn eine will. Aber von Rechts wegen gibt es für ihn, den Menschen, weder Eigentum noch Hüttenrecht. Der Erdherr kann nach Belieben unter sein Dach treten und sich seine Habe aneignen. Freilich wird dies selten genug geschehen, 236 Leibeigene. Stellung. Zuläufer. denn bei aller Roheit und aller Habgier werden die Gefühle sowie die Besitztümer der Niedrigsten in versöhnender Weise garen), so lange es das Gemeinwohl zulässt. Auch sonst wird der Leibeigene nicht hart gehalten, falls er sich gut beträgt. Er wird nicht missachtet, verkehrt mit den Freien, und muss jedenfalls nicht mehr als andere arbeiten. Es heisst zwar, dass er in der viertägigen Woche eigentlich drei Tage fronen solle, gewöhnlich werden daraus aber nur zwei Tage, wie für die Hörigen üblich. Die übrige Zeit nutzt er zu seinem Vorteil. Seine Kinder haben die Stellung der Mutter. Die von einer Leibeigenen stammenden Kinder sind nach Mutterrecht zwar leibeigen, sind aber schon wesentlich besser gestellt. Der Erdschaft geboren, in ihr aufgewachsen, sind sie inniger mit ihr verbunden. Sie selbst haben doch keine Schuld auf sich geladen, leiden daher unter einem unverdienten Missgeschick. Deswegen werden, wie die besten Gewährsleute behaupten, Nachkommen Leibeigener mit dem Tode des dritten Erdherrn frei, oder, wie andere wollten, die dritte (seneration ist frei geboren. Vermutlich kommt der Ausgleich in beider- lei Gestalt vor, wenn überhaupt nachher darauf noch Wert gelegt wird. Das Kind einer Leibeigenen, das der Erdherr auf eigener Erde erzeugt hat, ist, wie noch zu besprechen, in der Erbfolge ausserordentlich be- günstigt. Wer sich leibeigen erklärt, kniet vor dem erwählten Erdherrn nieder, bläst und besprudelt ihm leicht die Fusssohle, setzt sich den Fuss in den Nacken und drückt das Gesicht zur Erde. Fürst oder Fürstin haben sich zu wahren, dass der Zuläufer bei der Aufnahme sich nicht unver- sehens zum Kinde der Erde macht (Seite 164). Will der Erdherr ihn nicht annehmen, so scharrt er nötigenfalls mit dem Fusse Staub gegen ihn; dann hat der Abgewiesene vor dem nächsten Sonnenschein die Erd- schaft zu verlassen. Gleichwohl gewährt man ihm durch die Weiber Nahrung, aber nur solche, die nicht am Feuer gestanden hat. Auch darf er sich kein Feuer anfachen. Begehrt ihn jedoch eine nkümbi, eine Jungfrau, zum Manne, so bleibt er in der Erdschaft, selbst wenn ihn der Erdherr vorher verwarf. Der aufgenommene Leibeigene gehört fortan zur Erdschaft, die für alles, was er anrichtet verantwortlich ist, nur nicht für Schulden, weil er kein Recht hat, zu borgen. Kein Gläubiger kann wider ihn klagen. Die Verantwortung geht auf jeden anderen über, dem der Mensch auf irgendwelche Weise zufällt, oder dem er sich, entwichen, wiederum zu eigen gibt. Solchen Überläufer aus der Nachbarschaft oder von bekannter böser Art pflegt man allerdings lieber abzuschieben, um sich seinetwegen nicht in Ungelegenheit zu bringen. Aber festgehalten und ausgeliefert wird er nicht. Niemand leistet den Verfolgern, die vielleicht schon an- Hörige. Herren. Anhang. Versprengte. 237 gelangt sind, Beistand; sie mögen sehen, wo sie ihn finden und greifen können. Auch ihm kommen zugute, wie schon beschrieben, die Stellen mit Gottesfrieden und die Machtbefugnis der Fährleute. So kann er, allenthalben von den Frauen, die er vielfach auf dem Felde anbettelt, mit ungekochter Wegzehrung versehen, in entlegene Gebiete eilen, wo er Unterschlupf finden oder ausser Landes gelangen mag. Freilich läuft er auch Gefahr, von beharrlichen Häschern dennoch gepackt zu werden. Diese Vergünstigungen verlieren sich aber immer mehr unter dem Em- fluss der Europäer, denen Entlaufene für Fanggeld zurückgebracht werden. Viel besser als Leibeigene sind Hörige daran, die mit Halblingen und Geiseln sicherlich den Hauptteil der Bevölkerung ausmachen. Sie sind keine Verbrecher und fallen nicht, wie Leibeigene, in das Vermögen der Erdschaft. Denn sie sind nicht erdlios, nicht ausgestossen, haben vielmehr häufig noch Anhang, der die Besitzer verantwortlich hält. Ihre Herren, denen sie übrigens das Herrsein manchmal recht sauer machen, können nicht willkürlich über sie verfügen, dürfen sie weder misshandeln noch töten, auch nicht verkaufen, es wäre denn wegen Schulden, die niemand tilgen kann oder will. Dagegen haben die Herren sie in jeder Hinsicht zu vertreten, .sie auch zu ernähren, zu kleiden, zu behausen, ihnen auf Wunsch Frauen oder Männer zu beschaffen, für ärztliche Be- handlung, auch für Beerdigung zu sorgen. Menschen jedes Alters. und Geschlechtes können auf immer oder bloss auf Zeit, auf eigener oder fremder Erde hörig sein, und zwar bei Männern wie Weibern, bei Erdherren, Fürsten, Freien, Kindern, sogar wiederum bei Hörigen, da, wie bereits erklärt, lebendiges Besitztum der Personen nach Erdrecht so gut wie unantastbar ist. In Hörigkeit ge- raten sie auf mancherlei Weise: freiwillig, durch eigenes Verschulden oder durch das von Verwandten, durch äusseren Zwang. Wer nicht mehr aus noch ein weiss, verschuldet ist, sich mit den Seinen überworfen hat oder als ein Unglückskind (das unverschuldet den Seinen dauerndes Ungemach bringt) in aller Güte fortgeschickt wird, wer sich verlassen, unsicher fühlt, die Folgen dummer Streiche, Anklagen wegen Hexerei fürchtet, geht zu irgendeinem anderen: nimm mich, sei mein Vater, meine Mutter. Am liebsten wählt er natürlich angesehene Leute von gutem Rufe. Mit der Erfüllung seines Wunsches ist er ein unverantwortlicher und sorgenloser Dienstbote oder Gefolgsmann geworden. Reste von Erdschaften und Familien, die durch Hungersnot und Seuchen gelichtet, zersprengt worden sind, irren umher. Sie sind unver- schuldet in Not geraten, sind Unglückliche, Elende Nsämbis, an denen niemand sich vergreift, um sie etwa leibeigen zu machen. Sie leiden, wie man erfahrungsmässig nur zu bald selber leiden kann. Man lässt sie mitessen, wenn man’s dazu hat. Sie bieten sich Afrikanern oder 238 Hörigkeit. Vaterrecht. Europäern als Hörige an oder geben von den ihrigen hin. Auch uns haben solche Unglückliche aufgesucht. Eine Mutter aus dem Norden wollte um das Sattessen sich und ihre drei Kinder uns geben. Der Europäer helfe, aber hüte sich, solche Leute ohne Palaverbeschluss als Hörige anzunehmen. Erstens kann er sie verlieren, indem sie gelegent- lich zu anderen entlaufen, zweitens wird es ihn ziemlich sicher in Unge- legenheiten bringen ebenso wie die Fälle, wo er einen Taugenichts auf- bindet oder einen Kranken behandelt, ohne die Verhältnisse genau zu kennen. Am Menschen hängen zu oft Forderungen dritter, die nun der Neuling, der sich seiner annahm oder bemächtigte, erfüllen soll. Nach Fug und Recht kann zur Rettung aus Schwierigkeiten, über- haupt zum Besten der Familie, der Onkel Neffen und Nichten, die Mutter ihr Kind, können einander Geschwister — welcher Verwandtschaftsgrad sehr weit ausgedehnt zu denken ist — als Pfänder oder Hörige hingeben. Obschon sie das nach uraltem Brauch, nach Mutterrecht, nicht besser wissen, fällt es ihnen doch recht schwer, weil sie sich lieben oder doch aneinander hängen, und weil die Hingabe von Angehörigen das Ansehen schädigt. Aber schliesslich ist unter solchen Umständen die Trennung von Kindern, die es nicht härter als daheim haben werden, nicht schlimmer, als wenn sie bei uns in Pension gegeben oder ins Leben entlassen werden. Der Vater kann das Verfügen über seine Kinder nicht verbieten, aber er hat wenigstens das Vorrecht, es zu verhindern, indem er die Gläubiger der Mutterfamilie und vielleicht diese dazu abfindet. Dem Vater steht es auch zu, falls es ihm nicht gleich möglich war, seine Kinder später auszulösen, was freilich viel kostspieliger sein mag, insofern etwa eine Tochter unter ihnen ist, die auf anderer Erde geheiratet und geboren hat. Ihre Kinder sind gesondert auszulösen. Deshalb und weil man sich der Mehrerinnen der eigenen Kopfzahl nicht berauben will, gibt man Töchter, die übrigens der neue Herr um ihrer Hörigkeit willen durchaus nicht missbrauchen darf, höchst ungern aus dem Verband. Die Verwicklungen können noch weiter gehen. Onkel, Vater, An- gehörige sind vielleicht gestorben oder verschollen. Sind Hörige vor- handen, so sorgt deren Obmann für die verwaisten Kinder. Andernfalls nimmt sich ihrer ein Blutsfreund eines: der Verstorbenen an. Vormund- schaft — lukebu — oder Adoption — lunsülua — ist Ehrensache für ihn. Alle Kosten soll er aus eigenem Vermögen bestreiten und hat dennoch keinerlei Recht an die Mündel, kann sie am allerwenigsten ver- pfänden. So gibt es noch andere Fälle unübersichtlicherer Art. Die meisten Menschen geraten infolge von Rechtshändeln in Hörig- keit: wegen Überschuldung, Diebstahl, Sachbeschädigung, unabsichtlicher Körperverletzung oder Tötung, missglückter ärztlicher Behandlung oder Entbindung, manchmal wegen böswilliger Anklage der Hexerei, wegen Hörigkeit: Ursachen. 239 Ehebruch, welches Vergehen übrigens viel weiter als unter uns gefasst wird. Schon unziemliche Schäkerei, Betasten kann als Ehebruch aus- gelegt werden, denn, so sagen die Richter, eine ordentliche Frau lässt sich auf dergleichen nicht ein, und weiteres ist Sache der Gelegenheit. In allen solchen Fällen heisst es zahlen oder hörig werden, nachdem im Palaver über das Richtige befunden worden ist. Das geht nun freilich nicht schneller als anderwärts. Kläger und unbescholtene Männer als Richter wären schon da, aber die Beklagten fehlen, die von einem Schiedsspruch nicht ihren Vorteil erhoffen. Das ist ja ihre Hauptkunst, unter tausenderlei Ausflüchten ein Palaver hintan zu halten. Denn haben sie es erst zum Beschluss kommen lassen, so sind sie auch gebunden, sich zu fügen. Es ist kaum genug zu rühmen, wie gewissenhaft Palaverentscheidungen durchgeführt werden, wie ver- trauensvoll ihre Erfüllung gestundet wird, wie stark sonach das Rechts- gefühl im Volke ausgeprägt ist. Aber man vermeidet, was man zu fürchten hat. So verschleppt man mit Fleiss die Schlichtung von Streitigkeiten, bis sich vielleicht Neues zum Alten gesellt und einer Partei das allerwärts geschätzte moralische Übergewicht verleiht. Hartnäckigen gegenüber nützt das allein freilich noch nichts. Doch gibt es ein wirksameres Mittel: die Pfändung. Das beste, ja das einzig brauchbare Pfand ist der Mensch. Ds die Erdschaft solidarisch haftbar ist, sucht man sich des Schuldigen oder eines Unschuldigen, womöglich eines angesehenen Mannes, zu bemächtigen. Erdherren, Leibeigene und Weiber sollen ausgenommen sein. Mit dem Abfangen einer Person — mehrere zu fassen, ist unstatthaft, ausser wenn man die Verüber eines Unrechtes bei der Tat ertappt — sind sogleich alle den Fall betreffenden Ansprüche erloschen. Man hat seinen Menschen und damit basta. An der Person hängt alles. Wer sich vergriff, wird weidlich verspottet, hat sich vielleicht gar einen neuen Rechtshandel auf- gehalst. Im günstigen Falle kommt es darauf an, wieviel der Ergriffene den Seinen gilt. Den geringen Mann lässt man im Besitze seiner Fänger, überweist ihn förmlich im Palaver, falls anderweitige Regelung zu kost- spielig ist. Ein wichtiger Mann wird ausgelöst, indem man bezahlt oder, wenn es sich um eine Person handelt, für die niemand mehr einstehen will, indem man den Schuldigen oder einen seiner Angehörigen ausliefert. Volle Hörigkeit sichert erst der Palaverbeschluss. Uns diente längere Zeit ein junger Bursche und ausgezeichneter Jäger, der Hörige Mavungo. Er hatte seine Freiheit durch zu hitziges Schiessen eingebüsst. Eines Nachts in der Savanne birschend, schiesst er ins Dickicht und tötet einen Hörigen. Die Geschichte kam auf. Da nicht bezahlt wurde, musste er an Stelle des Erschossenen Höriger des 940 Hörigkeit: Ursachen. (Geschädigten werden. Dieser liess Mavüngo unbesorgt eine mehrmonatige Reise mit uns antreten, strich aber natürlich den Lohn ein. Eine weise Frau und Hebamme wurde hörig, weil ihr das eben geborene Kind einer Freien, das schon geschrieen hatte — nsämbu, Seite 166 — , unter den Händen starb. Unser Wäscher verübte einen der wenigen Diebstähle, die in unserem Gehöft vorkamen. Ein nicht genügend verwahrtes Fass Rum war für ihn zu verführerisch, er bohrte es an und zapfte ziemlich viel vom köstlichen Nass. Seine Leute er- setzten den Schaden und zahlten die Busse, doch nahmen sie den Mann, weil die Familie nicht aufkommen konnte oder wollte. Einer unserer Leibdiener war von seinem Onkel verpfändet worden. Der Onkel hatte einen misslungenen Handelszug mit geliehenen Gütern unternommen, die er vorläufig nicht ersetzen konnte, Es ist immer das- selbe: der Grosse, der Reiche, das Mitglied einer angesehenen Familie oder der Genosse reicher Freunde oder eines Geheimbundes bezahlt durch Vermittlung der Erdschaft, der Geringe, der Arme gerät in Hörigkeit. Solange zwischen Erdschaften ein Streitfall schwebt, vermeiden alle, die Erden der Gegner zu betreten, lassen sich auch nicht listig, oft durch Weiberkünste, dahin verlocken, oder vertrauen unter Umständen ihrer Findigkeit und der Schnelligkeit ihrer Beine. Das gibt bisweilen eine recht lustige Hatz. Auf neutraler oder eigener Erde spotten sie des missglückten Anschlages. Leider verlaufen die Grenzen meistens recht unsicher, wodurch neue Verwicklungen entstehen, die der Palaverlust eben recht sind. Man hat doch immer etwas vor. Mancher Reisende hat zu klagen über Ungehorsam oder scheinbare Niederträchtigkeit seiner Leute, die sich plötzlich weigerten, ein Gebiet zu kreuzen. Sie wussten warum. Irgendein Rechtshandel ihrer Erdschaft ist noch nicht geschlichtet; vielleicht schwebt eine Schuld, oder es ist vor- zeiten ein Topf zerbrochen, ein Fetisch gekränkt, ein Zoll nicht bezahlt worden. Gewarnt oder nicht gewarnt fürchten die Leute, einen der Ihrigen als Geisel zu verlieren. Oft mögen sie die Verhöhnung ihrer Dummheit noch mehr fürchten, weil Erdschaften sich gern hänseln. Da bleibt dem Reisenden nichts übrig, als ein weiter Umweg oder Umkehr oder An- werbung neuer Träger, wenn er es nicht für klüger und billiger hält, die Ansprüche der hinderlichen Erdschaft in einem Palaver zu befriedigen, was natürlich den Beteiligten am besten gefallen würde. Ein Gläubiger, der es mit einem leichtsinnigen oder böswilligen Schuldner zu tun hat, nicht länger warten will und seine Erdschaft nicht für seine Privatsache gewinnen kann, vielleicht, weil er unbeliebt, ein arger Wucherer ist, macht sich ebenfalls das Erdrecht zunutze. Zu- nächst zieht er allein oder mit Familienangehörigen nach Dörfern, Tanz- und Marktplätzen und schreit die Schlechtigkeit seines Schuldners in Gläubiger und Schuldner. 241 alle Welt. Dergleichen berührt empfindlich. Der Schuldner mag jedoch ein hartgesottener Sünder sein. Dreist tritt er in Person seinem An- kläger gegenüber oder schickt Freunde und bezahlte Leute, um ihn zu überschreien. So können die Anstrengungen des Gläubigers vergeblich sein. Er wird vielleicht von übermütigen oder ergrimmten Unbeteiligten verhöhnt oder gar fortgewiesen. - Nun muss er nachdrücklicher vorgehen, das Hungerleiden anwenden. Nämlich er, der Gläubiger hungert, damit sein Schuldner bezahle. Er begibt sich auf dessen Erde, setzt sich vor dessen Hütte, wehklagt Tag und Nacht, nimmt weder Speise noch Trank, wird allmählich elend und schwach oder weiss wenigstens so zu erscheinen und beinahe zu sterben. Es tut nichts, falls sich der Schuldner verzogen hat. Von dem hat er doch nichts zu erwarten, desto mehr von dessen Erdschaft. Der Gläu- biger sitzt auf des Schuldners Erde, sein Recht wird nicht bestritten. Niemand darf ihn verdrängen. Je hartnäckiger er im Hungern ist, desto bedenklicher wird die Angelegenheit für die Erdschaft. Sie hat es zu verantworten, falls er erkrankt oder gar stirbt. Wenn alle List, alles Zureden, die schönsten Versprechungen nichts fruchten, dann ist man gezwungen, zu palavern, zu bezahlen oder den Schuldner oder einen seiner Angehörigen auszuliefern. Ein Verschuldeter stirbt. Sogleich eilen seine Gläubiger herbei. Ein jeder tritt zu dem Toten, legt die Hand an einen Fuss und nennt ihm ins Angesicht die Höhe seiner Forderung. Vielfach wird auch auf einen in die Erde gestossenen Säbel geschworen, den dabei die Hand- berührt. Gläubiger, die nicht befriedigt werden, verhindern das ehrliche Begräbnis. Sie rollen den Leichnam in grobes Papyrusgebinde, machen einen Popanz daraus und hängen diesen auf ihrer Erde in Sicht eines viel begangenen Pfades etwa in Manneshöhe wagrecht zwischen zwei Pfosten auf (Ab- bildung I 178). Damit sind aber alle ihre Ansprüche an Lebende er- loschen; ihre Rechte haften einzig und allein am Menschen, am Leichnam. Dieser soll unantastbar sen. Doch wurde mir erzählt, dass treue Hörige ihren toten Herrn stahlen, begruben und nicht erwischt wurden. Andern- falls hätten sie seine Schulden tilgen müssen. Sobald er aber in der Erde ruhte, war alles gut. Die Gläubiger wurden ausgelacht. Mancher Leichnam mag hängen, bis er mit allem, was drum und dran ist, zerfällt. Aber so weit lassen es die Angehörigen selten kommen. Denn die Schande ist gross. Und was wird erst die Seele anstiften? Deswegen wird der Tote womöglich schon im Trauerhause ausgelöst, indem man bezahlt oder bürgt oder Geiseln, Hörige stellt. In solcher und anderer Weise geraten Menschen in Abhängigkeit und Unfreiheit, und schliesslich durch Palaverbeschluss in rechtskräftige Hörigkeit. Dadurch verlieren sie zwar die Selbstbestimmung und manche 16 Loango. 242 Rechte und Stellung der Hörigen. Mütter. bürgerliche Rechte, aber sie verlieren nicht wie Leibeigene ihr Erdrecht, ihr Menschenrecht. \ So haben Herren oder Herrinnen, die eigene Hörige fahrlässig oder jähzornig derartig schwer verletzten, dass Blut auf die Erde tropfte, die Geschädigten frei zu geben. Je nach Art der Zuweisung und nach ver- einbartem Vorbehalten können viele ausgelöst werden: von Verwandten durch Berichtigung der Schuld, für die sie hingegeben wurden, von sich selber durch Aufbringen einer gewissen Summe. Eine Verfallzeit für Geiseln scheint es nicht zu geben. Gewöhnlich, es müsste sich denn um neue Fälle handeln, wissen weder die Haftenden und Hörigen noch ihre Herren genau, wie es um sie steht, pflegen sich auch darüber den Kopf nicht zu zerbrechen. Hörigkeit ist keine Schande, und es lebt sich so ziemlich überall gleich gut. Gewohnheit, Anhänglichkeit, Familienbande üben ihren Einfluss. Mancher Herr hält seine altbewährten Hörigen höher als seine Verwandten. Unfreie Leute werden weder missachtet noch unbillig behandelt, schon aus Klugheit nicht, weil sie zur grossen Majorität zählen und weil sie Rechte haben. Sie verkehren mit jedermann, teilen Leid und Freud der Familie und Erdschaft. Der hörige Mann mag jedwedes freie Mäd- chen, selbst die Tochter seines Herrn oder seiner Herrin, sogar seine Herrin ehelichen. Eine Fürstin kann ihm ihre Gunst schenken. Er kann, und das ist bezeichnend, bestellter Vormund — mukeba, plur. bak&eba — von verwaisten Kindern sein, die ıhn geerbt haben. Er mag anderswo wohnen und seinem Herrn zinsen. Weib und Kind, falls er sie schon hat, ziehen zu ihm oder mit ihm, ohne dass sich ihre eigene politische und gesellschaftliche Stellung ändert; über sie hat der Herr keine Gewalt. Eine Hörige ist beschränkter in der Gattenwahl. Da ihre Kinder wieder hörig sind, wird ein freier Mann zögern, sie zu ehelichen. Und doch kommt auch das vor, manchmal mit besonderer Absicht, nämlich um den Erbgang nach Mutterrecht zu unterbrechen. Dies geschieht, wenn ein Grossmann, hauptsächlich ein Erdherr seine Hörige zum Ehe- weibe nimmt. Die Kinder, die sie ihm schenkt, sind frei geboren, mag die Mutter vorher frei erklärt worden sein oder nicht. Es ziemt sich nicht, dass die von einem Grossen auf seiner Erde gezeugten Kinder nach Mutterrecht und daraus folgendem Neffenerbrecht später den Ge- schwistern oder den Schwesterkindern des Vaters als Besitztum zufallen. Solche Nachkommen sind nach Erdrecht weniger Kinder aus der Mutter Leibe als Kinder von des Vaters Art und Erde. Sie sind nur mit seinen Ahnen totemistisch verbunden, weil sonst nichts zu ihren Gunsten wirkt. Sie sind eben Vaterkinder — b’äna ba ntü — und zählen nicht als Mutterkinder, als Nabelkinder — b’ana ba nkümba —, sondern als Kopf- Kopf- und Nabelkinder. Erbe. Patenrecht. 243 kinder, weil sie lediglich von dem, der auch einen Kopf — ntü, mutü, plur. mitü — hat, abstammen. Sonach haben sie, laut Mutterrecht, keine Familie, mithin auch kein Erbe. Der Vater sorgt für sie bei Lebzeiten und sichert ihre Zukunft oft auf Kosten seiner Familie, weswegen die natürlich solche Ehen als nicht standesgemäss zu verhindern trachtet. Nichtsdestoweniger mag einem Vaterkinde Einreihung in einen recht- mässigen Erbschaftsgang mittelbar verliehen werden, wenn nämlich eine gutherzige leibliche Schwester des Vaters oder eine andere gültige Ver- wandte aus seiner Bluts- oder Nabelschnureinheit sich gewinnen lässt. Sie erfüllt den Wunsch des Vaters, indem sie die kreissende Mutter stützt, und nachher das Kind zuerst einmal an ihre Brust legt. In gleicher Weise mag ein Herr seine Kinder aus standesgemässer Ehe adoptieren, zu b’äna ba ntü erheben. Er löst die aus, die etwa vom Bruder seiner Frau, vom Erbonkel der Kinder, nach Mutterrecht verptändet oder in Hörigkeit gegeben worden sind oder gegeben werden sollen, bindet sie dadurch an sich und weist ihnen ein Erbe an oder einverleibt sie nachher seiner Mutterfamilie. Ein anderer verpflichtender Zusammenhang besteht zwischen Kindern und Personen, die vermeintlich mittelbar an ihrem Dasein beteiligt ge- wesen sind. So wenn ein Zauberarzt kinderlosen Eheleuten zu Nach- kommen verholfen hat, wenn eine Hebamme, die beim Missglücken ihrer Hilfe hörig werden kann, arge Geburtsschwierigkeiten geschickt überwunden hat. Solche Personen werden nicht bloss etwa als Paten betrachtet. Sie gelten viel mehr. Sie haben ein gewisses Anrecht an die Kinder, dessen sie sich meistens erst zur Pubertätszeit ihrer Schützlinge gegen Geschenke, gegen Ablösung begeben. — Im ganzen leben die Hörigen kaum weniger behaglich als ihre Herren und gewiss sorgenfreier. An den Grossleuten sind die Zeiten nicht spurlos vorübergegangen. Der legitime Handel ist anstrengend infolge des regen Wettbewerbes und bringt nicht annähernd den Gewinn wie einst der Sklavenhandel. Viele Herren, die nicht auf gutem Boden in klimatisch wie geschäftlich günstiger Lage sitzen und nicht beizeiten mit dem Anbau lohnender Handelsgewächse begonnen haben, sind allmählich verarmt und haben ihre liebe Not, ihr Ansehen und ihre Leute in Ordnung zu halten. Ihre guten alten Zeiten sind vorüber. Und dennoch sollen sie nach Erdrecht für ihre Hörigen in jeder Hinsicht sorgen, und für alles, was die etwa anrichten, einstehen. Nur Spekulanten und Taugenichtse, die zu tief in Schulden gerieten, dürfen sie an Gläubiger ausliefern. Unver- besserliche Schuldenmacher möchten sonst ihrer Herren Vermögen bald erschöpfen. Die Hörigen wiederum haben Dienste zu leisten. Sie handeln, fischen, jagen, beschaffen Palmöl, Kautschuk, Holz, Baustoffe, üben Handwerke 16* 944 Patriarchalische Verhältnisse. aus, bestellen die Felder, was, wie wir schon wissen, ausser Ehefrauen und Töchtern, die aber lediglich eigenes Feld bearbeiten, kein Freier zu tun pflegt. Sie fronen eben nach Anordnung, richtiger ausgedrückt, nach Wunsch des Herrn. Zumal von aufreibender Arbeit, etwa unter der Peitsche, kann gar keine Rede sein. Sie verrichten den Dienst sehr behaglich, und die zwei Tage der viertägigen Woche, die sie nach Her- kommen und Gesetz dem Besitzer widmen sollen, werden recht gekürzt. Des weiteren mag der Herr sie als Lastträger und Begleiter an Reisende, als Diener, Tagelöhner oder Handwerker in Faktoreien verdingen, wo zwar mehr verlangt, aber auch nicht viel geleistet wird. Dazu bedarf er aber der Zustimmung der Leute, die sich einen guten Anteil am Lohne ausbedingen, weil sie bei Europäern sechs Tage der siebentägigen Woche zu arbeiten haben. Vielleicht am häufigsten wirtschaftet der Hörige selbständig und entrichtet dafür dem Herrn einen vereinbarten Zins bei jedem Neumond oder am Ende der Handels- und Erntezeit. Ein rühriger und geschickter Höriger mag schliesslich reicher als sein Herr werden. Es fällt nicht leicht, sich in solchen Verhältnissen zurecht zu finden. Nicht bloss Erwachsene, sondern auch Kinder beiderlei Geschlechtes — die durch Erbonkel, Blutsfreunde verstorbener Angehöriger, Vormünder oder Adoptivväter, häufig auch von den Ältesten, von den Obmännern ihrer Hörigen vertreten werden — können Herren von Hörigen sein. Diese Hörigen können wiederum Hörige haben und so weiter. Das gibt ein Gewirr von persönlichen Beziehungen, das sogar der, der eingeweiht sein müsste, nicht mehr klar durchschauen kann — oder will, wie wir bald verstehen werden. Wenn der Oberste einer vielästigen Familie von den Seinen redet, nennt er alle, Freie wie Unfreie, seine Kinder, und alle nennen ihn Vater. Ganz patriarchalisch. Man muss erst eingehend fragen, um sich genau zu unterrichten, und das macht ihm gewöhnlich ebensoviel Spass wie Kopfzerbrechen, weil er sich in unsere Gliederungs- weise nicht hineindenken kann, so wie uns die seine schwer fällt. Die leiblichen Kinder sind ihm ja weniger eigen als seine Unfreien. Als am engsten verbunden mit seiner Person und Familie betrachtet ein Herr natürlich die Hörigen, die in seinem Gremeinwesen geboren wurden. Mütter vermehren das Volk. Deshalb gilt das Aufgreifen von Frauen oder Mädchen, sowie von Kindern als Pfänder für unanständig, falls sie nicht gerade im Verüben einer Fehltat ertappt wurden, und wer es doch tut, erregt Ärgernis. Dieser Unverletzlichkeit folgend, drängen sich Weiber dreist in die Reihen feindlicher Krieger, übernehmen Frauen und Mädchen furchtlos die Vermittlung zwischen erbitterten Parteien. Im Kampfe selbst können sie freilich auch ihren Teil abkriegen; davon sollen sie eben wegbleiben. Bei befürchteter Gefahr oder bei bösen Ab- ! Pfändling. Aufbinden. Herrenwechsel. 245 sichten schafft man zuerst immer Weiber und Kinder beiseite. Fehlen die in einem Dorfe, so hat der Fremdling auf seiner Hut zu sein und beim Verhandeln zunächst auf ihr Wiedererscheinen zu dringen. Werden sie zurückgerufen, dann darf er auch vertrauen. Wer als Pfand ergriffen wurde und natürlich fluchtverdächtig ist, wird aufgebunden, das heisst, er wird mittelst Schloss und Halseisen an eine Kette gelegt — das sind von europäischen Sklavenhändlern eingeführte Fesseln — oder er wird nach einheimischer Weise mit einem langen klobigen gegabelten Holzstück um den Hals gesichert. Jetzt befindet er sich, da es feste Gelasse nicht gibt, gewissermassen im Gefängnis, was übrigens gar keine Schande für ihn ist. Nun heisst es gut aufpassen, bis eine Entscheidung im Palaver erzieit worden ist, weil der ganze Rechtshandel für alle Zeit erledigt wäre, wenn der Gefangene ausrisse. Man hatte sich eigenmächtig ge- holfen, hatte einen Menschen gepackt; an ihm hingen fortan alle For- derungen. Man hat den Menschen entweichen lassen und hat damit jegliches Recht verscherzt. Der Handel ist sogleich abgetan, fertig. Palaver zu Ende. Erde drauf. Viel Gespött dazu. Deswegen über- wacht man den Gefangenen aufmerksam, bis ein Palaverbeschluss erzielt worden ist. : Nachher wird keinerlei Zwang mehr ausgeübt. Hörige werden nicht bewacht. Wohin sollten sie entweichen? Die Flucht macht keinen Hörigen frei. Liefe er zu seiner Erdschaft, laut deren Zustimmung er in seine Lage kam, so müsste sie ihn zurückschicken. Entwiche er anderswohin, so käme er auf fremde Erde und gewönne nichts, könnte sogar noch schlimmer fahren als vorher. Dennoch gewährt das Erdrecht jedem Hörigen, wie dem Leibeigenen, die Möglichkeit, sich einen anderen Herrn zu wählen, sogar wider dessen Willen, nur muss der Erwählte ein Freier sein. Der neue freiwillige oder unfreiwillige Besitzer muss ihn gegen jede etwa geplante Vergewal- tigung schützen, auch seine Schulden übernehmen, überhaupt ganz wie der vorige Herr für ihn eintreten, wenn die Hingabe rechtskräftig voll- zogen worden ist. Dies geschieht in folgender Weise. Zunächst im gegenseitigen Ein- verständnis. Der Hörige tritt zu seinem künftigen Herrn und bietet ihm, indem er seinen Wunsch ausspricht, einen Grashalm, ein Blatt; der Er- wählte greift das andere Ende, und beide zerteilen das Stück wie wir einen Knallbonbon. Mit dieser Handlung, die auch für Geschäfte und andere Abmachungen im Schwange ist, ist der Übertritt besiegelt. In- -dessen wird derartig selten verfahren. Denn bei einem Vorkommnis, das dem einen Gewinn, dem anderen Verlust bringt, bleibt der Geschädigte, der frühere Herr, selten gleichgültig. Deswegen sucht man den Schein der Unfreiwilligkeit zu wahren. Der Hörige tritt wie zufällig an den 946 Übertritt von Hörigen. Scherben binden. künftigen Herrn hinan, zerreisst ihm das Gewand oder versetzt ihm einen Schlag oder zerbricht ihm in seiner Behausung ein Glas, einen Teller, eine Schüssel. Das bindet beide. ; Die nämlichen Handlungen wirken ohne Abrede ebenso bindend. Dabei geschehen überraschende Dinge für alle, den Hörigen ausgenommen, der sich, und damit auch alle seine Schulden und andere Verbindlich- keiten, einem neuen Herrn aufzwingt. Da fällt in der Hast der kritische Schlag übermässig derb aus, unnötig viel Kleidung wird abgerissen oder (eschirr zertrümmert. Der erkorene Herr, der nicht willig ist und des Hörigen Absicht rechtzeitig merkt, sucht diese zu vereiteln, indem er sich inmitten seines Gefolges birgt, verlässt sich nötigenfalls auf die Schnellig- keit seiner Beine. Manchmal läuft der Hörige besser. Ich habe gesehen, wie einer den davonrennenden Herrn einholte und dermassen ansprang, dass beide sich überkugelten. Hernach lachten sie und die Zuschauer ebenfalls. Die Tatsache war nicht mehr umzustossen. Ein Leibeigener, den wir nebst mehreren anderen von einem Europäer geerbt hatten, schlug, um sich zu verändern, wie unsere Dienstboten sagen würden, einen Erdherrn in unserem Gehöft mit einem Pfahl, dass er taumelte. Es kostete uns einiges, die Geschichte auszugleichen. Weniger den Schlag, der den Häuptling für eine Woche lähmte, hatten wir zu bezahlen, als den Täter, den wir, um keinen Präzedenzfall zu schaffen, nicht verlieren wollten, und den der Geschlagene nun von uns als seinen Menschen beanspruchte. Allerdings nicht gerade mit vollem Fug und Recht, da wir als bätua ausserhalb des Erdrechtes standen. Ein Freier, der sich freiwillig in Hörigkeit geben will, vollzieht eben- falls eine der beschriebenen Handlungen oder nimmt Feuer und Erde. Soll recht feierlich Treue versprochen werden, so schlachtet der Herr ein Huhn oder gar eine Ziege, mit deren Blut man sich betupft, bevor man sie verspeist. Der Spiess kann auch umgedreht werden: Man vermag einen Freien wider Willen in Hörigkeit zu bringen, indem man es listig einrichtet, dass er unversehens ein Geschirr zerbricht. Scherben binden. Freilich nicht etwa jemand, der berufsmässig als Koch oder Diener in einer Faktorei ungeschickt hantiert. Der hat einfach Teller oder Napf zerbrochen, oder, nach volkstümlicher Ausdrucksweise, getötet, umgebracht. Es gehört schon Ungewöhnliches dazu, einen Menschen unversehens in Hörigkeit zu bringen. Die Handlung muss unter dem Dache des Überlistenden, mindestens unter der Traufe der Behausung geschehen. Das haben sich europäische Händler zunutze gemacht, um gar zu zähe Bettler, zu zudringliche Häupt- linge los zu werden. Grossleute, überhaupt Leute, die etwas vorstellen wollen, setzen sich nämlich nicht auf einen blanken Sessel, sondern erwarten, dass ihnen Überlistung. Reiche Leute. Gefolgschaft. 947 erst ein Stück Zeug untergeschoben werde. Das ist der Brauch, und so empfangen auch sie Gäste. Eigentlich: je höher der Rang, desto dicker die Unterlage. Da hält es nicht schwer, ein flaches Geschirr einzuschmuggeln, das unter dem Niedersitzenden zerknackt. Nun ist die Not gross, denn der hohe Herr ist von Rechts wegen hörig geworden. Er verspricht alles, verpflichtet sich sogar, und das will viel heissen, seinen Nörgeleien und Betteleien zu entsagen, damit ja nichts bekannt werde. Der Weisse hat seinen Zweck erreicht; er schweigt und hat Ruhe. So pflegen denn vor- sichtige Leute sich beim Weissen nicht zu setzen, ohne die Stoffunterlage zu mustern, auch so nebenher zu befingern, bevor sie sich darauf nieder- lassen. Wer mancherlei auf dem Kerbholz hat, und wer hätte das nicht, tut gut daran. Die Bafiöti lernen indessen von den Europäern und legen im Verkehr mit ihnen solchen Vorfällen nicht mehr die Wichtigkeit wie vormals bei. Aber unangenehm bleibt dergleichen doch und wäre es nur um des Gespöttes willen. Übertritte von Hörigen finden übrigens nicht häufig statt. Selbst ein gestrenger Herr scheut sich, seine Leute hart anzufassen. Sie sind ja sein höchster Reichtum, Je grösser sein Anhang, seine Gefolgschaft, desto grösser ist sein Ansehen, seine Macht, nach innen wie nach aussen. Die sucht er sich zu erhalten, womöglich zu vermehren. Dem unbilligen Herrn könnten die Unzufriedenen ausrücken oder das Leben recht sauer machen. Es kommt vor, dass ein Unfreier reicher ist, über mehr Leute ge- bietet als sein eigener Herr. Er bewohnt mit seiner Gefolgschaft ein eigenes Dorf oder mehrere Dörfer und tritt gern, namentlich vor Fremden, als grosser Häuptling auf. Die Eifersucht anderer Machthaber behindert oder begünstigt ihn. Ist er ein kluger und kühner Mann, verschwägert “ mit starken Familien, gewandt im Verkehr mit Menschen, geschickt in Handel und Wandel, so fügt sich alles zu seinem Gewinn. Menschen aller Art gesellen sich zu ihm, auch Freie, die sich nach Belieben an- gliedern. Es gibt solche Gemeinschaften von Hörigen mit allerlei an- hängendem Volk, welche eine nicht zu unterschätzende Macht vorstellen und mit Vorsicht behandelt sein wollen. Kaum anders als gewohnheits- mässig besteht das alte Verhältnis fort. Der Herr ist ihnen gegenüber zaghaft und fühlt sich abhängig von ihrem guten Willen. Eine Kraft- probe wagt er schwerlich anzustellen. Zwar kann ein Vorsteher solcher Gemeinschaft nicht Erdherr sein und hat nicht Sitz und Stimme bei allgemeinen Beratungen in Erdsachen. Aber er erscheint bei solchen Gelegenheiten mit seinen Leuten auf dem Platze als Gefolgschaft des Herrn und verleiht dessen Auftreten Glanz wie Gewicht. Überdies weiss er im voraus dafür zu wirken, dass die 248 Geheimbündelei. Vereine. zu fassenden Beschlüsse seinen Wünschen nicht zuwider laufen. In Erd- schaften, wo Hörige an Zahl weit überwiegen, und das ist die Regel, zumal wo sie einhellig sind und die Frauen für sich haben, auch allerlei Geheimbündelei treiben, lenken sie die Angelegenheiten nachdrücklicher als die, die sich als Entscheidende gebärden. Die stolzen Erdsassen fügen sich ihren Frauen und Hörigen, tragen indessen, wie allerwärts, mit Würde den Verhältnissen Rechnung. Die Geheimbündelei und Vereinsmeierei, nicht bloss Wilden eine Lust, spielt ihre Rolle auch in Loängo. Die zügellose Einbildungskraft und der derbe Witz der Leute gibt ihr volkstümliche Gestalt. Die Freude am Geheimnisvollen, am Gruseligmachen, das Bedürfnis nach Abwechs- lung im Einerlei des Lebens, nach Kurzweil, der Drang zum Zusammen- schluss, zur Förderung gemeinsamer Ziele, auch blosser Nachahmungstrieb bindet die Gemüter aneinander. Es ist wie bei uns auch: Sänger, Turner, Schützen, Radler, Ballvereine mit und ohne Abzeichen, Fahnen, Reiser- aufputz, Volksspiele, Haberer, Freimaurer, Jünglingsvereine, Prozessionen, Wildmännle, Pelzmerten, Knecht Ruprecht, Fastnachtsmummereien und was sonst noch zu nennen wäre. So haben die Bafıöti allerlei Verbände mit und ohne Satzungen, Schwüre, Abzeichen und Maskeraden. Die Ver- bände entstehen neu oder bilden Altes fort. Sollten sie ausarten, wie manche Prophetenbewegungen und von Zaubermeistern begünstigte krank- hafte Erregungen der Jugend, so erliegen sie über kurz oder lang dem allgemeinen Unwillen. Wir haben von keiner Brüderschaft erfahren, dass sie durch weite (ebiete einen grossen einheitlichen Einfluss ausübte, allgemeine politische oder soziale oder religiöse Erfolge erstrebte. Eine Ausnahme wäre allen- falls die Handelsgilde der Sinkimba (Seite 96), die aber der neueren Zeit und mehr den Gebieten jenseits des Kongo angehört. Sonst gibt es Spieler-, Erzähler-, Bänkelsängervereine. Händler, Wucherer, Fetisch- leute tun sich zusammen, um Preise zu halten, Schulden einzutreiben, Wunderkuren zu verrichten. Ehemänner verbinden sich gegen die Frauen und diese wieder gegen die Männer, Unfreie gegen die Herren. Eine Vereimigung bedingt die andere. Junggesellen kriechen in den Busch und kommen zurück wie unsere Kirmesburschen mit Maien; sie gründen primitive Aktiengesellschaften zur gegenseitigen Unterstützung, zum Hei- raten, zu gemeinsamer Arbeit. Ab und zu erscheint ein Verkleideter mit kleinem Gefolge, verkündet allerlei Dinge, treibt Unfug und bringt Leben in die Dörfer. Was auch vorgenommen wird, Zauber ist immer dabei, manch- mal auch Mummenschanz und Lärm, überhaupt zeitweilig auffälliges Ge- baren. Man will Eindruck machen. Das verlangt schon die liebe Eitelkeit. Alles das ist recht fesselnd und gewiss der Erforschung wert, allein es ist doch ganz und gar allgemein menschlich. Aussergewöhnliches ist nicht Herrenfell. Treue. Freigabe. 249 darin zu finden. Das Wesen der Eingeborenen ist zu unbeständig, die Geschlossenheit der Erdschaften, Häuptlingsschaften, Familien ist zu gross, desgleichen der Widerstreit zwischen den Einheiten. Ob es zur Königszeit anders gewesen ist, erscheint fraglich. Etliche Verbände mit gelegentlichen Mummereien sollen sehr alt sein, haben aber zweifellos grosse Wandlungen erfahren und stimmen selbst in benachbarten Gebieten nicht überein, weder in Verkleidung noch in Gesichtsmasken. Was sie ursprünglich waren und bezweckten, falls darüber geredet werden könnte, weiss wahrscheinlich kein Mensch mehr genau. Noch weniger werden wir es austüfteln. So bleibt nur übrig und wird am lehrreichsten sein, Geheimbündler an passenden Stellen handelnd zu schil- dern und zu melden, was über sie zu erfahren war. — Äusserlich sind Freie und Unfreie kaum zu unterscheiden. Alle leben gemütlich beisammen. Das sicherste Kennzeichen des freien Herrn ist noch ein kleines, fein zubereitetes weiches Fell, das er als Feigen- blatt auf seinem Schurze trägt. Das ihm abzureissen wäre eine so schwere Beleidigung wie anderswo das Zupfen des Bartes, Doch binden sich auch Halblinge und übermütige Emporkömmlinge gelegentlich ein Fell vor und trotzen der Missbilligung. Das Verhältnis zwischen Herrn und Hörigen beruht vielfach nicht hloss auf Recht und &ewohnheit, sondern auf wirklicher Zuneigung. ‚Man liebt einander und hält sich die Treue, derartig, dass mancher Herr seine Leute höher schätzt als seine Blutsverwandten und künftigen Erben, ihnen auch mehr vertraut. Nicht selten schenkt er ihnen von Stund an oder für den Fall seines Todes die Freiheit. Er nimmt Feuer und Erde sowie Sonnen- und Mondenschein zum Zeugen, dass sie niemand als Erbe zu- fallen sollen. Diese umständlichere Form der Freigabe kommt indessen mehr und mehr ab. Manchmal erklärt der Herr bloss seinen Vertrau- testen oder einige Lieblinge für frei und überlässt ihnen ihre Genossen. Über alles muss er jedoch mit eigenem Munde vor versammelter Erd- schaft verfügen, auch besonders von seiner fahrenden Habe bei Lebzeiten aushändigen, was er seiner Gefolgschaft zuwenden will, oder er muss an- ordnen, dass sie ihn begraben soll, weil dann die Erbschaft überhaupt nicht strittig ist. Die derart beschickten Leute bleiben beim Herrn wie vordem. Wenn er gestorben ist, beerdigen sie ihn recht schön und ver- sorgen seine Seele, denn das war sein höchster Wunsch. In anderer Weise werden Hörige selbständig, herrenlos, wenn ihr Herr oder ihre Herrin stirbt, ohne Verwandte der nächsten Grade: Brüder, Schwestern, Schwesterkinder zu hinterlassen. Hat der Verstorbene nicht schon bei Lebzeiten seine Hörigen bestimmten Personen zugewiesen, So gibt es vielleicht Erbberechtigte für seine fahrende Habe, aber nicht für seine Hörigen. Diese sind fortan herrenlos, obwohl darum noch nicht frei. 250 Erdherr. Gotteskind. Erbschaft. Ferner ändert sich die Stellung der Hörigen in einem dritten und bemerkenswertesten Falle. Sie mögen dem Kinde einer Leibeigenen zufallen. Leibeigene erben in der Erdschaft, nicht in der Familie fort. Ihr einziger Halt ist die Erdschaft, der Erdherr, der über sie nach Beschluss ver- fügt. Nach Mutterrecht sind natürlich auch die Kinder leibeigen, die eine Leibeigene gebiert. Wenn aber eine Leibeigene durch ihren Herrn, dem sie ja zu Willen sein muss, auf dessen Erde Mutter geworden ist, so wird der sonst gültige Erbgang nicht mittelbar wie bei einer Hörigen (Seiten 242), sondern ohne weiteres völlig durchbrochen. Das Kind wird frei geboren und beerbt den Vater mit Ausschluss aller anderen Erbberechtigten. Es erbt zwar nicht seinen Rang als Erdherr, aber alles übrige: seine fahrende und atmende Habe, nämlich Stoffe, Geräte, Handelsgüter, die Haustiere, die Hörigen. Da solches Ereignis das ganze Gesipp, die Familie und Erdschaft in Verlust setzt, wird alles versucht, eine derartige Blutmischung zu ver- hüten, obschon nicht immer erfolgreich. Auch von verbrecherischen An- schlägen wird erzählt, um das Kind nachträglich zu beseitigen, vom Rauben, vom Umbringen mit Gift oder Eisen, vom Verfolgen der etwa entflohenen und das Kind unter anderen in einer Siedlung verborgen haltenden Mutter, wo dann eine Art bethlehemitischer Kindermord aus- geführt worden sein soll. Solches durch Geburt überaus begünstigte Kind einer Leibeigenen ist bütu nssi, zur Erde geboren, wird auch Erdkind — muäna (mu) nssi —, kurz muanssi und monssi — sehr bezeichnend aber Gotteskind — muäna Nsämbi, kurz muansämbi und mansämbi genannt. Gönnt ihm der Vater nicht die ganze Erbschaft, so muss er davon bei Lebzeiten austeilen. Dieser Einrichtung gemäss vermag ein Grossmann seine ehelich geborenen Kinder zu seinen unmittelbaren Erben einzusetzen, ohne dafür besondere Bestimmungen treffen zu müssen. Er einigt sich mit seiner freien Frau und deren Familie zur Aufhebung des Mutterrechtes und kauft zu diesem Zwecke die Frau nebst Kindern regelrecht los, wodurch sie, allen Rückhalt verlierend, mit Nachkommen ihm leibeigen wird. Nachher schliesst er vielfach mit ihr nochmals eine Ehe, aber eine von untrennbarer Art mit Blutsbrüderschaft oder Seelenbündnis. Sie sind dann eins, gelten als eine Person, und die Kinder erben in der beschrie- benen Weise das väterliche Vermögen. Abgesehen von diesem Fall geraten mithin drei Gruppen von Un- freien durch den Tod ihrer Besitzer in eine neue Lage. Die erste Gruppe wurde frei nach dem Willen ihres Herrn, die zweite ist verwaist und herrenlos, die dritte ist einem Gotteskinde zugefallen. Natürlich können die Leute allerlei Fährlichkeiten ausgesetzt sein, wie sie sich aus den vielgestaltigen Interessen der Umgebung entwickeln. Es werden Ränke Freigewordene. Einordnung. 251 gesponnen, Anklagen auf Hexerei erhoben, hinterlistige wie gewaltsame Eingriffe versucht. Doch lässt man Leute ungeschoren, die zahlreich fest zusammenhalten, und deswegen stark sind; man verhandelt mit ihnen und behält sie, wo es angeht, am liebsten in der Erdschaft, die ja durch ihren Wegzug geschwächt würde. y Am besten sind die daran, denen der Erblasser bei Lebzeiten Frei- heit und Vermögen schenkte, und damit aus eigener Machtvollkommen- heit alles tilgte, was sie unfrei gemacht hat. Nachdem sie vor der Be- erdisung alle seine etwa noch schwebenden Verpflichtungen geregelt und ihn schön begraben haben, zerstreuen sie sich, gehen als freie Leute zu ihren Familien, in ihre angestammten Erdschaften zurück oder bleiben, und das scheint die Regel zu sein, aus alter Anhänglichkeit in ihrem gewohnten Verbande. : Die zweite und dritte Gruppe der Hörigen befindet sich in üblerer Lage. Beide sind noch unfrei, die zweite ist ausserdem herrenlos, die dritte gehört dem Erbkinde der Leibeisenen. Aber auch ihnen bietet sich ein Mittel, in der Nähe oder Ferne einen guten Anschluss zu erlangen. Für die zweite Gruppe, die aus der Hinterlassenschaft ausschied, weil keine erbberechtigten Blutsverwandten da waren, tritt gern als Erbe der Erdherr ihrer bisherigen Erdschaft auf. Ein allgemein anerkanntes Recht dazu hat er nicht, aber er kann das Recht beugen oder den Leuten Zugeständnisse machen, um sie in der Erdschaft zu behalten. Je nach Ausgang der Verhandlungen bleiben die Leute oder ziehen anderswohin, wo man ihnen Besseres bietet. Ähnlich mag sich das Schicksal der dritten Gruppe gestalten. Nur kommt hier noch ein wichtiger Umstand hinzu. Das Erbkind der Leib- eigenen verhandelt, oder lässt verhandeln, mit einer Fürstin, die es gegen entsprechende Geschenke in der schon Seite 163 beschriebenen Weise der Makünda feierlich adoptiert. Fortan trägt das Gotteskind, das natürlich schon erwachsen sein kann, den Namen der Fürstin. Als Besitzer der ererbten Hörigen und des toten Eigentums kann es in der alten Erdschaft bleiben oder, wie gewöhnlich ausbedungen wird, in die der Adoptivmutter eintreten oder, wie die zweite Gruppe, anderswo sein Heil versuchen und eine der neuen fragwürdigen Erdschaften für sich gründen. Die von der alten Heimstätte auswandernden und vielleicht reich beladenen Leute — es sind schon welche, wie Seite 3 angeführt, weit über die Grenzen des Landes hinaus nach Süden wie nach Norden und Osten gezogen — öffnen sich durch Ansage und Verhandlungen die Pfade und siedeln nach der neuen Erde über. Unzufriedene, hörig Ge- bliebene, die diese Veränderungen nicht mitmachen wollen, können sich in bekannter Weise neue Herren wählen. — 252 Ältere politische Verhältnisse. Wie die Zustände sich im einzelnen allmählich umgebildet haben, mag eine Schilderung der Verhältnisse und der Machthaber im Bereiche unserer Station lehren. Das einst umfangreiche Gebiet von Tschintschötscho, der südlichsten Provinz des alten Staatswesens, erstreckte sich von der T'schissambo-Lagune bis zum T'schiloängo. Der letzte grosse, etwa ein Menschenalter vor unserer Zeit verstorbene Mfümu nssi dieses Gebietes, der Ma Tschötscho, war ein Fürst Samäno (Nsamäno), der, nach Erzählungen alter Sklaven- händler, als mächtiger Herr ein strenges Regiment geführt und auch Europäer hart angefasst hat. Er residierte in Tschiböna bei Massäbi, unfern der Mündung des Lueme, dort, wo die geweihte Stätte des Ge- bietes mit dem zugehörigen sogenannten Tierschädelfetisch lag, den wir noch vorgefunden haben. Wo die Reste des Muene Samäno geblieben sind, war nicht festzustellen. Nach Lubü sind sie nicht gelangt. Nachfolgerin des Erdherrn Samäno war dessen Schwester, Fürstin Madyäni, die in einer schon wieder verschwundenen Ortschaft, binnen- wärts von unserer Station hinter Nsönya gelegen, hauste. Dort, in einem Buschwalde, umwuchert und zerfallen, sahen wir noch Reste ihres Leichen- wagens. Sie überlebte ihren Bruder wohl kaum um ein Jahrzehnt. Von ihr wurde Gutes berichtet. Vielleicht war sie zu mild. Ihr folgte ım Range ihre Tochter, Fürstm Samäno, die wir noch als ein stattliches Weib gekannt haben. Sie hat nachmals einen angesehenen Eingeborenen, Tiäba, der einige Schulung genossen hatte, des Lesens und Schreibens kundig und zu unserer Zeit Hofmeister sowie Dolmetscher in der Faktorei Massäbi war, zum Manne genommen und mit ihm in einem nach euro- päischer Art gebauten Hause an der Lagune von Tschissämbo gewohnt. Anfang der achtziger Jahre, als Frankreich, Portugal und der spätere Kongostaat die Küste zu besetzen trachteten, hat Tiäba mit seiner fürst- lichen Frau eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. Durch ihn hat Por- tugal das Gebiet gewonnen, wofür er verschiedentlich mit Rang und Titeln belohnt worden ist. Tiäba starb, erblindet, vor Fürstin Samäno, Anfang der neunziger Jahre. Bevor solchergestalt die Verhältnisse gänzlich umgestossen wurden, hatten sie sich schon von innen heraus erheblich verändert. Bereits unter der milden Fürstin Madyäni hatten sich Häuptlinge im Gebiete mehr oder minder unabhängig gestellt. Unter ihrer Nachfolgerin, damals noch ein junges Mädchen, vollendete sich der Verfall der alten Ordnung. Der Sklavenhandel erstarb, der rechtmässige Handel blüht immer mehr auf. Das war in den sechziger Jahren. Neue Faktoreien entstanden. Rüh- rigen Häuptlingen und untergeordneten Leuten glückte es, emporzukommen. Die persönlichen Vorrechte konnten sie Muene Samäno nicht nehmen, ehrten sie auch nach wie vor als Fürstin, kümmerten sich aber immer Neuere politische Verhältnisse. 253 weniger um ihre politischen Rechte. Als Mfümu nssi wurde Muene Samäno bedeutungslos, setzte aber, wie erwähnt, nach unserer Heimkehr mit Tiäbas Hilfe ein letztes Mal ihren Willen durch. Wir fanden Mitte der siebziger Jahre im Gebiete folgende Zustände. Die Landschaft Nsönya, binnenwärts von unserer Station gelegen, einige benachbarte Gelände und womöglich auch unseren engeren Küstenstrich vertrat der Häuptling Makösse als ein Erdherr der erklärten neueren Art. Eigentlicher Mfümu nssi und Ma Tschötscho konnte er natürlich nicht sein, denn das war Muene Samäno. Überdies wurde er auch nicht Ma Nsönya, sondern Mambüku, etwa Statthalter genannt. Er war nämlich nach Loängo gepilgert und hatte sich dort vom Ngänga mvümbi, natür- lich gegen Geschenke, diese Würde mit der grossen Häuptlingskappe verleihen lassen, die ihm nicht die unbestrittene Macht, aber den höchsten Rang im Gebiete gab. Der bejahrte Mambüku war ein ruhiger, ver- ständiger Mann, mit dem wir allezeit recht gut ausgekommen sind. Bei ihm, als dem Erbonkel, hielt sich häufig sein Schwestersohn Ndiku auf, der ihm nachmals auch in der Würde oder im Titel gefolgt ist. Ndiku, der Herr einer kleinen Erdschaft nördlich vom Lu&mefluss, wurde nach dieser damals Ma Tschita genannt. Südlich vom Mambuku hausten in einigen Dörfern die bereits Seite 61 erwähnten Häuptlinge Samäno und Matötila mit allerhand zusammen- gelaufenem Volk. Samäno, ein Gotteskind oder Erdkind, hatte seinen Vater beerbt und war von der Fürstin Samäno adoptiert worden. Sonach war er eigentlich der Freie und der Herr. Aber er kam nicht auf neben seinem ererbten Hörigen Matötila, der, besser begabt, ihn vertrat. Wiederum südlich von Samäno und Matötila sass Malıku, nach seinem Hauptdorfe Ma Ntebenga genannt. Ein kluger Kopf und rühriger Händler trachtete er danach, den Wasserweg des Tschiloängo für seine Geschäfte offen zu halten und dort von anderen Gefälle einzuheimsen. Die Gebiete dieser Grossleute sowie kleinerer, zwischen ihnen lebender Machthaber, schieden unseren Küstenstrich vom Inneren. Jenseits wohnte der mächtigste Häuptling von allen, der gewandte, entschlossene Ngönda, der über viele Dörfer gebot und als Erdherr Ma Bända hiess. Galäsi, die gescheite und liebenswürdige junge Frau unseres Maboöma, war seine Schwester. Ngönda verstand trefflich zu regieren und baute Handels- gewächse im grossen. Als Fürstenenkel dünkte er sich höher als die übrigen, war jung, hoch gewachsen, ein schöner Afrikaner und vornehm dazu. Er bettelte niemals, hatte überhaupt keine Anliegen, was sehr viel besagen will, kam selten zur Küste und dann hauptsächlich, um sich mit der klugen Schwester zu beraten. Beide liebten sich sehr, Sein Handel ging nach dem Gebirge und nach dem Tschiloängo, weshalb er der natürliche Nebenbuhler des Ma Ntebönga, zugleich aber auch dessen 954 Häuptlinge von Tschintschotscho. Bundesgenosse war. Sie standen gemeinsam gegen die am Südufer des Tschiloango hausenden und den Handel störenden nichtsnutzigen Misso- löngi (Seite 60), und kamen für Angelegenheiten unseres Küstenstriches kaum in Betracht. Wir hatten es von Rechts wegen mit dem Mambüku, und nicht mit dem Störenfried Matötila, ausserdem mit etwa einem halben Dutzend der vielen kleineren Häuptlinge zu tun, die seewärts von den Grösseren sassen und offen oder insgeheim mit ihnen oder gegen sie standen. Teilweise noch Hörige oder ehemalige Hörige oder Leute von unklarer Herkunft und Stellung hatten sie sich heraufgearbeitet, waren zu Menschen, Ver- mögen und Macht gelangt, oder hatten geerbt und waren frei geworden. Daraufhin hatten sie sich das kennzeichnende Fellchen der Freien und Herren vor den Schurz gebunden und hausten je in einem Dorfe oder Weiler, nach dem sie sich Ma betitelten. Die meisten hatten Sitz und Stimme bei Palavern, obgleich sie nur im Anschluss an die Grösseren politisch wirken konnten. Viele hielten zum Mambüku, namentlich die zwischen ihm und uns wohnenden. Manche waren geradezu abhängig von ihm und erschienen bei wichtigen Angelegenheiten mit ihren Leuten als seine Gefolgschaft. Einige dieser Kleinen, die wir im Laufe der Jahre gut kennen lernten, waren bemerkenswerte Persönlichkeiten. Zunächst in Nssänka, unfern Nsönya, der Mpänsomböma, eine Art wilder Landrat oder Feld- rat, der über Boden und Wachstum, über Pflanzungen, Erträge und Zeehnten gesetzt war. Er hiess Ntöna, war die rechte Hand des Mam- büku und sein Mund, nämlich Verkündiger der Verordnungen. Zweifellos war er einer der besten Redner des Gebietes, dazu schlau, aber anspruchs- voll und sehr habsgierig. Anders Mavüngo, der Ma Nssälove, Fürstenenkel und erbsässiger Herr einer kleinen Erdschaft, der sich, obgleich gering an Macht, unter den anderen Häuptlingen stets mit einem gewissen Hochmute bewegte, auch nie im Gefolge des Mambüku erschien. Er war befreundet mit unserem Maböma und dessen Frau Galäsi, mit deren Bruder, dem mäch- tigen Ngönda, er Blutsbrüderschaft geschlossen hatte. Dem ähnelte er auch, obschon älter und in voller Manneskraft stehend, m Wesen, Wuchs und Haltung. Er hatte viel Mannhaftes an sich, eine seltene Eigenschaft unter den Leuten, und war allen sonst so beharrlich betriebenen kleinen Künsten, auch der Bettelei abhold. Zu uns kam er nur gelegentlich, um den Lohn für seiner Schwester Sohn, das war mein Junge Ndömbo, abzuholen. Als Original zeichnete sich vor allen aus der grauköpfige Herr von Mpütumöngo (Europahügel) mit dem schönen Namen Sambüki. Lebhaften Geistes, schlagfertig, voller Witz und köstlichem Humor verbarg der viel- Häuptlinge von Tschintschoötscho. 255 erfahrene Alte unter einem überaus putzigen Wesen einen Schatz von Weltklugheit. Wo er weilte, ging es lustig her. Aber die Eingesessenen pflegten sich auch in ernsten Dingen Rat bei dem närrischen Weisen zu holen, der einen viel grösseren Einfluss besass, als man ihm zutraute. Mir schleppte er unermüdlich Nachrichten und Gegenstände zu und liess sich dafür beschenken. Er bettelte mittelbar.. Um seines Eifers willen, der doch recht nützlich war, gab man ihm gern, zumal sein unverwüst- licher Frohsinn etwas Bestechendes hatte. Diese Heiterkeit des Geistes trübte sich indessen alljährlich einmal, zur Zeit, wenn die Mangopflaumen reiften. Sambüki pflegte nämlich neben seinem Wohnsitz einen der im Gebiete recht seltenen Mangos, einen mächtigen Baum, dessen vollaubiges Gezweig bis zur Erde nieder- hing und mich manches Mal beschattet hat. Der Baum, wahrscheinlich von einem alten Sklavenhändler gepflanzt, trug Früchte der edelsten Sorte in Menge. Aber wenn diese reiften und goldig rot aus dem Laube leuchteten, kamen die Dorfrangen und pflückten sie. Das ging Sambüki über den Spass. Wir werden dem lustigen Alten noch im Kapitel be- gegnen, das von den Fetischen handelt. Zwanzig Minuten nördlich von unserem Gehöft und hart am Strande lag das Dorf Yenga, und noch etwas weiter Ntumbu. Der Ma Ntümbu, ungewöhnlich feist, aber trotzdem nicht gut, stand weit zurück hinter dem Ma Yenga. Dieser, ein stattlicher Mann in den besten Jahren, ruhig, überlegend, wortkarg, hiess Liümba. Er genoss hohes Ansehen weithin im Lande, war Maböma und wohl der beste Mann des ganzen Gebietes. Wir hatten Grund, ihn besonders zu schätzen, da er bis zu seinem Tode, er starb leider am Fieber, als Obmann in unserer Station waltete. Unser Maboma, der Häuptling Ngönda mit seiner Schwester Galäasi, der Häuptling Mavüngo, sowie mehrere Leute aus dem Volke, unter ihnen Ngö, der uns bis zuletzt als Hofmeister und nachmals OÖ. Lindner viele Jahre als Faktoreiaufseher treu diente, sowie mein Junge Ndembo waren Persönlichkeiten, wie man sie sich nur wünschen konnte. Bei ihnen fand man Verständnis und vertrauenswürdige Ge- sInnung. Südwärts von uns, jenseits einer gestreckten Lagune, wohnten Bawümbu (Seite 6) im Hauptdorfe Makäya und in den Nebendörfern Nkondo, Mpuela, Winga. Ihr Oberhäuptling Mämbu, der sich den Titel Mangövo zugelegt hatte und an grossen Tagen Binden von Leopardenfell um Kopf und Oberarm trug, war ein kleiner, magerer Mann, ränkevoll, mit bösen Augen. Er vertrat eine recht grosse Gemeinschaft, der man keinerlei politische Rechte zugestehen wollte, die, als aus wuchernden und kein Geschäft verschmähenden Fremdlingen bestehend, scheel angesehen wurde. In günstigeren Verhältnissen wären die Leute wahrscheinlich 256 Übersiedeln von Bawümbu. Mangävi. besser gewesen als ihr Ruf. Bei ihrer Rührigkeit und bei ihrem aus- geprägten Erwerbssinn hätten sie gewiss auch Handelsgewächse im grossen gebaut, wenn ihnen geeigneter Boden überlassen worden wäre. So mussten sie sich mit ein paar flachen Erhebungen in meist sumpfigem Gelände und einigen Lagunen begnügen, wo sie fleissig Salz sotten. Diese missliche Lage der Bawümbu wurde während unserer Zeit noch verschärft durch ein für sie recht ernstes, für uns ebenso lehrreiches wie ergötzliches Fetischpalaver, wovon im anderen Kapitel zu handeln sein wird. Jedenfalls sehnten sich viele der Bawümbu nach günstigeren Wohnsitzen und verhandelten deswegen mit der gegen das Gebirge hin wohnenden Fürstin Nsässi. Diese, eine Erdherrin alten Schlages und eine ehrwürdige Greisin von einnehmendem Wesen, kam mit ihren Räten selbst zur Küste, wo sie auch uns besuchte. Wirklich ist später ein Teil der Bawümbu zu der Fürstin übergesiedelt. Zuletzt ist noch der Weiler Lusäla zu erwähnen, der nach unserer Ansiedlung etwa drittehalbhundert Schritt hinter unserem Gehöft, am Fusse eines Hügels entstand. Die kleine Gemeinde gedieh vortrefflich, gleichsam unter unserer Obhut. Wir hielten gute Nachbarschaft und hatten starken Rückhalt am Weibervolke, das uns, ehe wir selbst ernteten, eifrig mit Hökerwaren versorgte. Der das gewöhnliche Mass überragende grauköpfige Dorfherr Mangävi, ein harmloser Mann, den wir den Alten vom Berge nannten, litt in bemitleidenswerter Weise am Gliederreissen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass er jemals um eine Gabe angesprochen hätte. Bloss um Hilfe bat er wegen seiner grossen Schmerzen und war rührend dankbar für kleine Freundlichkeiten. Nur einmal waren wir und er verschiedener Meinung, und wir hatten klein beizugeben. Da sein Dörfchen durch Zuzug stetig wuchs, gedachten auch wir dort zu bauen und Leute unterzubringen, die wir nicht unmittelbar in der Station haben wollten. Da kamen wir aber schön an. Der Alte vom Berge humpelte, auf seinen Stab gestützt, in unser Grehöft und hielt eine be- lehrende Rede. In seinem Reichlein und gar inmitten seiner Gemeinde konnte und wollte er keine von uns abhängige Menschen haben. Der Klagen und des Streites würde kein Ende sein. Er hatte recht. So hatten sich zu unserer Zeit die Verhältnisse in dem wiederholt aufgeteilten Gebiete von T'schintschötscho gestaltet. Fürstin Samäno, die geborene Erdherrin, kam damals kaum noch zur Geltung. Die am fernsten landein hausenden starken Machthaber strebten zum Tschiloängo, zum bequemen Wasserwege. Die zwischen ihnen und dem Küstenstrich sitzenden Kleineren trachteten ans Meer zu gelangen, an die Faktoreien, wo Zwischenhandel, Maklergebühren und allerlei Sporteln winkten, und an den Strand, wo einträgliche Netzfischerei, an die Lagunen, wo lohnende Salzsiederei betrieben werden konnte. Die Küstenleute suchten ihre Häuptlingsbesuche. Rangordnung. Abgaben. 257 günstige Stellung zu wahren. Sie hielten, mit Ausnahme der schwanken- den Bawümbu, fest zum Mambüku, der binnenwärts mit den Seinigen so viel Zölle und Abgaben einheimste, als er kriegen konnte, und im übrigen seine Ruhe haben wollte. Alle Machthaber hatten, je nach ihrer Bedeutung, wenige oder viele Betitelte und Gefolgsleute um sich. Sie befleissigten sich streng höfischer Mangävi. 4 Formen und verkehrten untereinander mit all dem der Kleinstaaterei eigenen wichtigen Getue. Wenn zur Neumondszeit die Berechtigten, mit dem Mambüku an der Spitze, den Siedelzins von uns erhoben, liess sich, des Willkommen- trunkes und der Überwachung wegen, selten einer durch seinen Sprecher und Stabträger vertreten. Sie rückten genau nach ihrem Range an und setzten sich so auf die schön mit gefaltetem Kattun belegten Stühle und Bänke unter dem Vordach unserer Behausung. Das Gefolge stand etliche Schritte vor ihnen. Nur der Reihe nach begrüssten sie uns und redeten Loango. 17 958 Förmlichkeiten. Grosse Palaver. Tagung. sie. Der Willkommentrunk, ein Gläschen besserer Schnaps, als es ge- wöhnlich gab, wurde von einem Kundigen unserer Knaben mit aller ge- hörigen Ehrerbietung,. Kniebeugung, Verbeugung, Händeklappen, genau dem Range nach auf einem Teller als Untersetzer dargeboten. Ein Ver- stoss gegen die Etikette hätte bitter gekränkt. Der Oberste nahm das Gläschen mit Würde, nippte daran, sprudelte sogleich etliche Tropfen zur Erde, leerte es dann etwa zur Hälfte, goss den Rest in den Teller und reichte ihn dem nächsten seiner Leute, der ihn unter Händeklappen und Kniebeuge annahm. Dann wanderte der Teller durch das Gefolge des Herren, das sich gewissenhaft in das kost- bare Nass teilte, je ein wenig davon mit gespitzten Lippen aufsaugend, aber nichts der Erde widmend. Auch der Letzte kam nicht zu kurz. So ging es der Reihe nach, bis allen Genüge getan war. Kein geringer Häuptling trank vor einem höheren oder sprach zu ihm, ohne die Hände zu klappen, auch forderte der Oberste von ihnen stets dem Range nach ihre Meinung ein. Ebenso befingerten und prüften sie die ausgehändigten Stoffe, bevor sie sie dem Gefolge übergaben. Hatten die Herren sonst welche Anliegen vorzubringen, und die zielten meistens unter allerlei umständlichen Begründungen auf Erhöhung der Abgaben, so beauftragten sie ihren Sprecher, der sagte sie unserem Dolmetscher und der unterrichtete uns. Auf dem nämlichen Umwege, obgleich alle zuhörten, ging die Antwort zurück, sonst hätte sie nicht gegolten. Anders zu verhandeln wäre gegen Würde und höfische Sitte gewesen. Es hätte nur unter vier Augen geschehen können. Waren die Angelegenheiten erledigt, so nahmen die Herren Abschied und zogen im (sänsemarsch von dannen, immer dem Range nach. Gingen zwei im (respräch einmal nebeneinander, so hielt der Geringere sich mindestens einen halben Schritt zurück und zur Linken oder auf der Sonnenseite, um den Schatten des Höheren zu vermeiden. Alle solche Förmlichkeiten geschahen durchaus selbstverständlich und geschickt. Sie gehören zur Lebensordnung der Leute. Manches davon mag seltsam erscheinen, aber zum Bespötteln ist es nicht mehr geeignet als das Zeremoniell zivilisierter Völker, das doch mit jenem nach Ursprung und Zweck innig zusammenhängt. Viel feierlicher und würdevoller als bei kleinen Verhandlungen geht es her bei grossen Palavern, wo Hunderte, auch Tausende miteinander tagen. Vorher sind weitschweifige Verhandlungen zwischen den Gross- leuten gepflogen worden. Die meisten Schwierigkeiten bereiten gewöhnlich die Etikettenfragen und die weiteren: wer zur Tagung eingeladen werden soll, wie eng oder weit die Grenzen gezogen werden sollen. Wer un- berücksichtigt zu bleiben fürchtet, erstrebt Beachtung mit aller Kraft. Andere und nicht geringe Schwierigkeiten ergeben sich bei der Fest- Vorbereitungen. Feierliche Eröffnung. 259 stellung des Ortes und der Zeit. Nicht jeder Tag ist jedem ein Glücks- tag, um wichtige Dinge zu unternehmen. Auch das Alter des Mondes ist von Bedeutung. Fetische und Zaubermeister, Orakel sind zu befragen, Frauen und Hörige zu berücksichtigen, Bundesgenossen und Stimmen zu werben, geheime Abmachungen und vielerlei Vorkehrungen zu treffen. Häuptlingsboten laufen, geschäftige Unterhändler, Weiber statten Besuche ab. Die Dörtler sind allenthalben in gehobener Stimmung, bis endlich, manchmal erst nach vielen Wochen, die Einigung erreicht worden ist. Nachher gelten keine Ausreden und Entschuldigungen mehr. Wer nicht kommt, tut nicht mit. Am Palavertage erscheinen die Häuptlinge mit zahlreichstem Ge- folge. Die Erdschaften haben alle Männer aufgeboten, nur nicht Kranke, Hustende und Leibeigene. Seit dem vorhergehenden Tage sollen die Teilnehmer nicht beim Weibe gewesen sein, sie sollen weder Schnaps getrunken noch Hanf geraucht, weder gejagt, gefischt noch die Erde be- arbeitet haben. Alle sind im Staate. Im Königsgau und angrenzenden alten Fürstengauen pflegt man für grosse politische Beratungen sich nicht mit europäischen Stoffen, sondern mit den einheimischen Bastzeugen zu bekleiden, so wie es der Vorfahren Art war. Die Vertreter trauernder und begrabender Erdschaften tragen indigoblaue Stirnbinden und, im Gegensatz zu den übrigen, verschiedent- lich leichte Bemalung auf Stirn und Wangen: schwarze, blaue, gelbe, weisse Tupfen und Striche. Sie kommen auch mit ihren Steinschloss- gewehren, die aber kein Zündkraut auf der Pfanne haben und, an die linke Schulter gelehnt, mit der Mündung zur Erde gerichtet werden. Das Palaver wird gewöhnlich in oder an einem Dorfe abgehalten. Dort ist, je nach Anzahl der erwarteten Teilnehmer, ein Platz unter einem breitästigen Feigenbaum und darüber hinaus, soweit er nicht schon glatt und frei liegt, von jeglicher Vegetation gesäubert und sorgsam ge- fegt, auch, um ein längliches Viereck herum, mit Matten und Schwaden von Papyrushalmen als Sitzen belegt worden. Haustiere, die stören könnten, hält man eingesperrt. Die Bewohner des Dorfes, auch Frauen, Kinder nebst zahlreichen Besuchern, alle festlich angetan, warten der Kommenden. Die ziehen in langen Reihen heran, haben auch die Ent- fernungen so genau abgeschätzt, dass alle ungefähr gleichzeitig anlangen. Ohne grosse Begrüssung ordnen sich die Gruppen und nehmen, nur durch schmale Zwischenräume getrennt, rings um das Viereck dicht ge- drängt ihre Plätze ein. Innen sitzen vor jeder Partei in besonderer Reihe die Häuptlinge mit ihren Räten und vor ihnen, allein, ihre Kriegs- obersten, die Mankäka, mit möglichst altertümlichen, in Eisen, Kupfer und Messing gearbeiteten säbelähnlichen Buschmessern. Diese Prunk- waffe stösst jeder Mankäka vor sich mit der Spitze in die Erde, Schneide ze 960 Musik. Ermahnungen. einwärts bei freundlichen, Schneide auswärts bei feindlichen Absichten seiner Partei. Die Häuptlinge tragen ihre Würdenzeichen: die einfachen oder geschmückten Stäbe, die fein geknoteten beutelförmigen, oft mit Leopardenkrallen besetzten Kappen, je nach Stellung und Vermögen auch eben solche, aber durchbrochen gearbeitete betroddelte Schulterkragen. Ihre Beamten halten vielerlei Ehrengeräte, und mindestens ein Sprecher des Höchsten im Range oder des Einberufers führt ein T'schimpäpa. So harren die Grossen ernst und schweigend mit ihrem Volke. Ringsum halten sich in angemessener Entfernung die Zuschauer. Die Tagung wird in der Regel mit Musik eröffnet. Vier oder acht Bläser treten mit ihren Elfenbeinhörnern in das Viereck, knieen oder hocken vor dem höchsten Häuptling nieder und begrüssen ihn mit einem hallenden Tonsatz, wenden sich dann zum nächsten und so fort, bis der Umzug vollendet ist. Nach dieser Einleitung erhebt sich der Sprecher des Obersten oder des Häuptlings, der das Palaver bestellt hat, schreitet mit dem Tschimpäpa, das leicht im gebogenen Arme lehnt, gemessen in die Mitte des Viereckes und ruft, sich nach allen Seiten wendend, die Versammelten dreimal an; darauf geht er Reihe um zu jeder Partei, um sie zu begrüssen. Er lässt sich auf ein Knie nieder, stösst das Tschim- päpa mit dem Griffe dreimal langsam auf die Erde und legt es mit dem oberen Ende gegen die Gruppe nieder. In Pausen dreimal feierlich je doppelt die Hände klappend, was ihm die Betreffenden getreulich nach- machen, bewillkommt er sie, wobei sie dıe letzten Worte von Sätzen oder grössere Satzteile gemeinsam mit ihm sprechen. Zum Schluss wieder das feierliche Händeklappen. So geschieht jeder Gruppe. Sind es ihrer viele, alsdann gehen schon über diesen einleitenden Bräuchen Stunden hin, zumal wenn mehrere Grossleute gleichen Ranges es für angemessen halten, auch ihre Sprecher das Nämliche tun zu lassen. Und doch genügen diese Förmlichkeiten nicht, falls es sich etwa um Krieg oder Frieden, um schwere persönliche Anklagen handelt, weil die (Gemüter gar zu sehr erhitzt werden könnten. Bei solchen Befürchtungen tritt der Sprecher, der begrüsst hat, oder ein Nachfolger, wiederum in die Mitte und hält, mit dem Rücken nach seiner Partei, eine eindring- liche Rede, Worte und Gebärden auch nach den Flanken gleichmässig verteilend. Er ermahnt alle, reinen Herzens, mit gutem Gewissen zu beraten, ihre Sache zu vertreten, sich an die Wahrheit und nur an die Wahrheit zu halten, kein böses Wort zu sagen, Palaverrecht, freies Geleit und was sonst noch zu achten. Dabei verfällt er öfters in den Redegesang, den die Tagenden unterstützen. Alsdann einen kurzen feierlichen Reigen ausführend, begibt er sich im Tanzschritt abermals von Partei zu Partei und bindet sie förmlich zum Frieden. Er tritt dicht vor jeden führenden Reigen. Palaverzucht. 261 Häuptling und hält dem Sitzenden in ausdrucksvoller Stellung das Tschim- päpa wagrecht über den Kopf, während der Angeredete, seine rechte Hand ihm an den Knöchel des vorgeschobenen rechten Beines legend und ihm ins Auge schauend, die Formeln mit- oder nachspricht. Der ' Mankäka zieht sein Prunkmesser aus der Erde und nimmt es in den Arm oder legt es flach auf den Boden. Ist solchergestalt jede Gruppe daran gewesen, so vollführt der Sprecher wiederum seinen Reigen, hält in der Mitte des Viereckes an, schwingt das Tschimpäpa grüssend nach allen Seiten und begibt sich im Tanzschritt auf seinen Platz zurück. Alles das geschieht unter achtungsvollem Verhalten der Menge, die aufmerksam den Vorgängen folgt. Man legt grossen Wert darauf, dass der Sprecher fesselnd und eindringlich rede und seine Worte mit aus- drucksvollen Gebärden begleite, dass er alle Bräuche und Förmlichkeiten vollkommen beherrsche und geziemend zu erfüllen verstehe. Nun endlich ist das Parlament eröffnet. Die wirklichen Verhand- lungen beginnen oder werden auf den nächsten Tag verschoben, der grösseren Feierlichkeit wegen oder wegen Ermüdung der Teilnehmer. Eine lange Tagung, vielleicht auf sonnigem Platze, strengt an. Es ist nämlich nicht üblich, während der Sitzung zu rauchen, zu trinken, zu essen oder seinen Platz zu verlassen, solange das Tschimpäpa im Viereck verwendet wird. Hingegen pflegt man verstohlen zu schnupfen ‚sowie etliche Genussmittel zu kauen: Kolanuss, Liböka (III 186, 188), Ingwer und dergleichen mehr. Das Tschimpäpa, das, je nach Art des Palavers, entweder in der Hand des leitenden Sprechers bleibt oder von Redner zu Redner, der stets in das Viereck tritt, wandert, zwingt als geheiligtes Wahrzeichen alle Anwesenden zum Gehorsam. Wer zur Gesamtheit redet, hält es in der Hand, wer für oder gegen Parteien redet, legt es vor sich auf die Erde. Das ist insofern bedeutsam, als dadurch jeder störende Wider- spruch, mit Ausnahme der Laute des Beifalles oder Missfallens, verhindert wird. Wer sich unparlamentarisch beträgt, wird gänzlich oder auf einen Tag von der Beratung ausgeschlossen oder mindestens zum Wassertrinken verurteilt, das ihn zur Vernunft bringen soll. Er hat zu den Weibern zu gehen, die ihm den Krug reichen, zu trinken und sich dann wieder als abgekühlt zu melden. Ein treffliches Mittel, auch Zivilisierten zu empfehlen. Während dieser Massregelung ruhen die Verhandlungen. Kommt es gar zum Tumult, der mit Worten nicht zu beschwichtigen ist, so fliegt das Tschimpäpa zur Erde. Sogleich haben alle aufzustehen und vollkommen ruhig zu verharren. Wer sich dagegen auflehnt, gar tätlich wird, verfällt hoher Busse, verwirkt Leib und Leben. Die Versammlung löst sich auf. Palaverplatz und Erde werden gesperrt. Über den oder die Sünder wird Gericht gehalten. 262 Beiwerk. Redende Weiber. Derartige ernsthafte Störungen des Palaverfriedens kommen übrigens ausserordentlich selten vor. Regelrecht verlaufende Beratungen werden indessen durch allerlei Beiwerk, durch Zwischenspiele und Nebenhand- lungen, die ergötzen und erheben, durch Einflechten von Geschichten und Fabeln, die belehren sollen, vielfach unterbrochen und abgelenkt. Weiber mischen sich ein, Tänze werden aufgeführt, sogar Gesänge an- gestimmt. Und alles und jedes geschieht mit solcher Nachhaltigkeit, als ob immer nur das die Hauptsache wäre, womit man gerade beschäftigt ist. Ein Redner löst den anderen ab, nimmt das Tschimpäpa, begrüsst kurz oder umständlich die Versammelten und redet zur Sache oder von etwas anderem. Ein jeder ist bemüht, sich im besten Lichte zu zeigen, seinen Zweck zu fördern und den grössten Eindruck hervorzubringen. Bei Gelegenheit drängt sich hübsch geputzt ein Mädchen, eine junge oder alte Frau heran, ruft eine Anfrage in das Viereck und betritt auf zustimmende Antwort hin, ihre Gewänder zusammenraffend, den Raum. Das Oberkleid gänzlich zu Boden fallen lassend oder bloss achtungsvoll senkend, um es sogleich schauspielmässig zu verwenden, redet sie los wie ein Mann und oft besser als Männer. Meistens wird ihr Tun sehr beifällig aufgenommen, ob sie nun eine Meinung verficht, ein Gleichnis erzählt, ob sie die Anwesenden bloss be- glückwünscht, ermuntert und vielleicht zum Zeichen des Vertrauens mit etlichen Häuptlingen die rechten und linken Arme abwechselnd verhakt. Wahrscheinlich wagen sich nur die begabtesten Frauen, die ihrer Sache sicher sind oder sich genügend vorbereitet haben, in das Viereck. Über- dies sind sie meistens jung und hübsch, was gewiss nicht schadet. Sie mögen bald einer augenblicklichen Eingebung folgen, bald eine vorbedachte Rolle für ihre Erdschaft spielen. Manchmal treten mehrere Frauen nach- einander auf, als ob gar kein Männerpalaver stattfände. Obschon man sonach den Weibern grosse Rechte einräumt, sie offenbar auch ganz gern hört: das Tschimpäpa gibt man ihnen nicht in die Hände, und Sitz im Viereck erhalten sie, ausser Fürstinnen, auch nicht. Aber sie können unter Umständen doch recht bedeutend einwirken. Galäsi, die Frau unseres verstorbenen Maboma und die kluge Schwester des Ma Bända, freilich eine durchaus sympathische Persönlichkeit, brachte einmal durch eine lange eindrucksvolle Rede schwierige Verhandlungen zu einem versöhnenden Abschluss. Häufiger als Weiber unterbrechen Tänzer das mündliche Verfahren, und zwar gewöhnlich dann, wenn ein Sprecher tiefen Eindruck gemacht hat. Ein Mann erhebt sich und tanzt nun gleichsam die Rede nochmals vor, ruhig und würdevoll, wenn sie versöhnlich, wild und ungestüm, wenn sie aufregend war. So werden zwischen den Reden Schaustücke aufge- führt: feierliche Reigen, Schleppen- oder Serpentinentänze, am häufigsten Zwischenspiele. Kriegstänze. 963 Kriegstänze. Zu diesen wird das Kriegsgeschrei angestimmt, das schnei- dende und erschütternde, durch Anschlagen der Hand vor den Mund verstärkte Gellen, das, wenn es von ein paar hundert oder gar von einigen tausend wohl eingeübten Männern mit aller Kraft ihrer Lungen ausgestossen wird, fast nicht zu ertragen ist. Solche Vorführungen stecken an, begeistern und lockern meistens die strenge Ordnung dermassen, dass nach Beendigung der Zwischenspiele eine geraume Zeit vergeht, bis wieder die abgemessene Ruhe und Würde in der Versammlung zur Geltung kommt. Kaum hat ein Kriegstänzer, seine Hiebwaffe schwingend, sich im Viereck ausgetobt, so springt wild aufschreiend ein zweiter heran, und, bevor der fertig ist, ein dritter, der die Zeit nicht erwarten kann, ihm geschickt vor und zurück zwischen den Beinen durchkriecht, ihm sym- bolisch die Aufgabe abnimmt, das grosse Buschmesser aus der Hand reisst und den Tanz fortsetzt, bis ihn ein vierter ablöst, und so weiter. Jede Partei sucht die andere zu übertrumpfen. Wenn irgend möglich laufen Weiber mit grünen Reisern herbei und befestigen sie im Gürtel der Ungeduldigen. Diese leisten in der Aufregung nicht selten Ausser- ordentliches. Ein junger Mann, den ich einmal den Kriegstanz ausführen sah, hätte bei Schaustellungen in Europa sicherlich einen Preis errungen. Von schlanker Gestalt, geschmeidig, behende, verrieten alle seine Bewegungen grosse Kraft und Gewandtheit. Sein Säbelmesser schwingend, tobte er in furchtbarer Wildheit umher: hin und her laufend, haltend, sich drehend, niederduckend, aufschnellend, herumwirbelnd, zugleich wie rasend um sich hauend und stechend, vollführte er in schnellster Folge erstaunliche Sprünge und hielt wieder augenblicklich wie versteint an, die Arme vor sich, hinter sich, über sich gestreckt, manchmal in einer Stellung, die nach den Gesetzen des Gleichgewichtes unmöglich erschien. So kämpfte er gegen das Böse, gegen schlechte Seelen. Zuletzt sein Gesicht schreck- lich verzerrend, die Augen verdrehend, die Zähne bleckend und die Zunge heraushängend, schritt er durch die Reihen der Seinigen, jeden Muskel mächtig gespannt, die Waffe in der Linken, den rechten Arm mit zwingen- der Gebärde auf jeden einzelnen richtend. Es war ein hinreissendes Schauspiel. Dazu das betäubende Geschrei der Zuschauer, das die Luft förmlich erschütterte. Derartig geht es bei Palavern zu. Selten, dass Reden und Gegen- reden, die zudem Nebensächliches und Abgetanes immer wieder von vorne beginnen und Neues hineinweben, etliche Stunden ununterbrochen ein- ander folgen. Oft genügt ein Tag, die Verhandlungen zu beenden, oft hat man nach einer Reihe von Tagen zwar vieles gesehen und gehört, ist aber dem Ziele kaum näher gerückt. Kein Wunder, dass wichtige 264 Fürstenpalaver. Palaver mit Unterbrechungen wochenlang währen oder wiederholt werden und trotzdem ziemlich ergebnislos verlaufen können. Bei einem grossen Staatspalaver im Königsgau hatten die streitbaren Damen von Lubü und ihre Widersacherinnen von Luändschili einander so viel zu sagen, dass während dreier Tage die Männer eigentlich nur Zuhörer waren. Bei Fürstenpalavern, die auf Gewalttat hinauslaufen, die aber aus schon dargelegten Gründen recht selten vorkommen, spielt das Feuer wieder eine bedeutsame Rolle. Der Fürst, der einem anderen den Krieg erklärt, sendet ihm auf seine Erde eine lodernde Fackel. Nimmt der die Fackel, so nimmt er den Krieg, weist er sie ab, so will er den Streit im Palaver erledigen. Alsdann folgen die Beratungen, die, wenn sie sich gar zu lange hinziehen, der Ungeduldige dadurch zu entscheiden sucht, dass er unter die von seiner Absicht verständigten und infolgedessen kriegsmässig gerüstet tagenden Parteien, mitten ins Viereck wiederum eine brennende Fackel setzen lässt. Erlischt diese, bevor Einigkeit er- reicht worden ist, brennt sie nieder, wird sie zufällig oder absichtlich umgestossen, so kanu sogleich der Kampf beginnen. In der Regel ziehen sich die Parteien schon vorher vom Platze zurück. Wo die Fackel brennt, wo die Waffen drohen, ist niemals ein T'schimpäpa. AV ETSEIIIEN et Häuptlingsgehöft. Adansonienzweig. KAPITEL II. Nsambi. — Schöpfungssage. — Die Himm- lischen. — Erdkraft. — Geweihte Stätten. — Verfall. — Bittgänge. — Büsser. — Opfer. — Tierschädelfetische. — Unsterb- lichkeit. — Potenz. — Seele. — Abfindung. — Scheinbegräbnis. — Fremde Seelen. — Seelenfang. — Wiedergeburt. — Keine Elementargeister. — Seelenordnung. — Gespenster. — Platzgeister. — Blutsauger. — Fabelwesen. — Allerlei Glaube. — Tod natürlich. — Verdacht auf Hexerei. — Hexenwesen. — Ndodschi. — Hexenkünste. — Unglückskinder. — Werwölfe. — Kein Oberer der Schwarzkünstler. — Zweifler. — Vergleichende Hinweise. — Religion ist ein Gefühl und ge- hört zur Wesenheit des Menschen. Niemand lebt ohne Religion, wie niemand lebt ohne Kenntnis der Sprache, des Feuers. Denn die Menschen fühlen sich abhängig von unfassbaren (Grewalten, stossen allezeit auf Unbegreifliches, und finden sich damit ab, ein jeder in seiner Weise. Zwischen Geburt und Tod erfüllen sie ihre Welt mit den nämlichen, obschon ungleich entwickelten Schöpfungen 966 Religionen und Völkerkunde. ihres Geistes, haben sie ıhren Teil an der uralten schönen Menschheitsdich- tung. Und fassen doch niemals, was jenseits ist von den Schwellen des irdischen Lebens. Diese Grenze der Einsicht verrückt nicht der stolzeste (tedankenbau. An ihr sind alle Menschen gleich. Religiöse Vorstellungen entstehen aus innerer Notwendigkeit. Ob ursprünglich und ungeregelt, ob durchdacht und lehrhaft geordnet, er- gänzen sie das Erkannte, das überhaupt Wissbare zu einer befriedigenden Weltanschauung. Bei aller Einheitlichkeit sind sie vielteilig und wandelbar, zu allen Zeiten, bei allen Völkern, und in einem jeden nach den Er- fahrungen des eigenen Lebens. So viele Menschen, so viele Religionen. Und wie die Menschen, so ihre Götter, an denen sie hängen, deren sie bedürfen, die sie ausstatten nach ihrem Begreifen. Keine Lehre vermag zu erschöpfen und zu stillen, was die Gemüter bewegt. Über alle Satzungen hinaus wirken noch viele Regungen, die dadurch, dass man sie in das Gebiet des Aberglaubens verweist, ihrer Kraft nicht beraubt werden. Die Völkerkunde kennt keinen Aberglauben. Sie hat die Äusse- rungen des alle bewegenden Gefühles zu untersuchen und zu vergleichen. Für sie handelt es sich weder um eine Wertbestimmung noch um eine Scheidung, wo doch niemand die Linie zu ziehen vermöchte. Was dem einen Aberglauben dünkt, ist eben dem anderen Religion. Und um den wahren Glauben werden Menschen streiten, solange es welche gibt, am härtesten die mit der Kirche über der Religion, und weniger um des himmlischen Reiches als um der irdischen Herrschaft willen. Der Primitive hat allerlei Glauben wie der Zivilisierte. Allein ihn leitet keine auswendig gelernte Lehre. Dass er darum schlechter wäre, liesse sich wohl behaupten, aber nicht beweisen. Er vermag nicht Gebote und Verbote aufzusagen, und lebt doch nach ihnen schlecht und recht als nach der uralten natürlichen Ordnung der Gemeinschaftlichkeit. Er hat seine untrennbar verwobenen Sagen, die von Menschen, und seine Mythen, die von Göttern handeln. Er macht seine Erfahrungen an Lebendigen und an Toten, an Dingen und Kräften. Seinen Glauben spürt er, wie es sich gerade schickt. Aber was ihm glaubhaft ist, ver- liert sich im Unsicheren. Freilich nicht bei ihm allein. Ebensowenig wie unter uns wären unter den Bafıöti Gewährsleute zu finden, fähig, die Glaubenswelt des Volkes in ihrer schier unendlichen Mannigfaltigkeit als Ganzes oder auch nur Einzelheiten daraus ohne Ab- schweifungen und Widersprüche zu schildern. So kann das Folgende nur ein Stückwerk sein, nach bestem Ermessen zusammengefügt aus Beobachtetem, Erlauschtem, Erfragtem. Nsaämbi hat Gewalt über alles. Nsämbı oder seine Macht, seine Lebens- und Schaffenskraft ist in der Erde, im Wasser, in der Luft, ın Schöpfungssage. Der Mann als Sünder. 267 Pflanzen, Tieren, Menschen. Wenn er will, kennt er die Gedanken der Menschen wie ihre Taten, sieht er sie, ob sie schlafen oder wachen, im Freien, in den Hütten, am Tage, in der Nacht. Nsämbi spendet den Regen, auf dass die Pflanzungen gedeihen und es den Menschen gut ergehe, wenn sie gut sind. Nsämbi sendet Dürre, Hungersnot, Seuchen und andere Übel, damit die Menschen leiden, hin- siechen und sterben, wenn sie böse sind. Ob Nsambi alles, was da ist, gemacht hat, kann man nicht wissen, da niemand dabeigewesen ist; es war vor den Menschen da. Doch wird es für möglich gehalten, auch fest behauptet, dass er Land, Wasser, Pflanzen, Tiere, Sonne, Mond und Sterne erschaffen habe. Was von diesen erzählt wird, ist Seite 137 nachzulesen. Die Menschen hat er gemacht, die waren dabei und mussten es merken. Wie und wovon er sie gemacht hat, ist freilich nicht genau überliefert. Manche halten Nsämbi für einen richtigen Vater. Doch meint der eine und der andere, dass Mann und Weib von oder aus der Erde, von oder aus einem Baume, aus einem Kahne, auch dass der Mann mit oder aus einem Stabe oder Ruder, die Frau mit oder aus einer Hacke gekommen sei. Dabei handelt es sich um ein Paar. Nebenher laufen Berichte, wonach die Menschen zahlreich auf einmal aus dem Meere gestiegen oder übers Wasser heran- gefahren, in Menge aus der Erde gekrochen, aus Bäumen geschlüpft oder daran gewachsen sein sollen. Auch heisst es, sie wären, und zwar ihrer fünf oder zehn oder noch viel mehr, Nsambi gleichsam durchgebrannt und am Spinnenfaden, am Regenbogen zur Erde gelangt. Endlich soll Nsaämbi viele Menschen auf einmal gemacht haben, und zwar wieder aus Erde, aus Töpfererde, die er mit dem Blute von Tieren vermischte. Als Nsämbi einst bei seinen Menschen weilte — denn anderswo mögen andere Menschen gewesen sein — und einiges verrichten wollte, legte er eine Kolanuss, wovon er eben ass, beiseite und vergass sie nachher. Das bemerkte der Mann, ergriff die Nuss und wollte sie ver- zehren. Aber das Weib warnte ihn, Nsämbis Speise zu geniessen. Trotz- dem kostete der Mann und fand sie schmackhaft. Gerade kam Nsämbi zurück und gewahrte, wie der Mann sich abmühte, den Leckerbissen zu verschlucken. Rasch griff er ihn an die Kehle, würgte und zwang ihn, die Frucht wieder von sich zu geben. Zum Gedenken dessen sieht man am Halse der Männer die Nuss der Kehle. Nsämbi schalt den Mann und lobte das Weib. Er sagte der Frau, sie sei stark und das sei gut, sie sei aber stärker als der Mann, und das sei nicht gut. Deswegen schnitt er ihr den Leib auf und machte sie kleiner und schwächer. Als er die Öffnung wieder zuheftete, reichte der Faden nicht. Das war dem Weibe nicht recht. Da nun das Paar sich bemühte, auch diese Lücke zu schliessen, erkannte sich der Mann. 268 Bandundu und Bafiöti. Der Menschen wurden viele, und sie zogen über das Land. Aber sie lebten in Unfrieden. Sie zankten miteinander um die Früchte und den Saft der Ölpalmen, um die Fische im Wasser, um die Tiere des Waldes; sie stritten um die Weiber, um gutes Land, um Wohnplätze und klare Quellen. Ein jeder hatte recht, und niemand war, der da half. So schrieen sie denn nach Nsämbi, und wenn er kam, plagten sie ihn mit ihren Angelegenheiten und gaben ihm viel Verdruss. Damals war die Hautfarbe aller Menschen hell. Sie hielten aber ihren Leib nicht rein, gingen nicht zum Baden und wurden schmutzig. Als Nsämbi das merkte, ward er ärgerlich und befahl ihnen, sich zu säubern. Die es hörten, liefen zum Wasser und badeten sich; ihre Haut wurde wieder rein. Die derartig nach Nsämbis Gebot gehandelt hatten, blieben hellhäutig und wurden die Stammeltern der hellen Menschen, der Bandündu. Dies geschah zur Zeit der Regen, wo es warm war und die Sonne brannte. Und wieder einmal begegnete Nsämbi Menschen, die schmutzig einherliefen. Auch diese schickte er zum Wasser, damit sie sich wüschen. Es war aber in der kühlen Zeit, und die Sonne schien matt. Die Leute froren und gingen nicht zum Wasser, sondern liefen zum Feuer, wärmten sich und drängten sich in den Rauch. Da wurden sie dunkler und blieben so. Von ihnen stammen die dunkeln Menschen ab, die Bafıöti. Die Herkunft der Bandündu und Bafıöti wissen viele noch in anderer Weise zu erklären. Irgendwo soll einmal eine Frau, deren Entbindung heranrückte, in eine Hütte gekommen sein. In der Hütte befand sich ein Topf mit schwarzem Schlamme, womit gefärbt werden sollte. Die Frau fiel in das Gefäss oder stiess daran, so dass der Inhalt sich über ihren Körper ergoss. Das machte sie schaudern, und ihr Kind wurde dunkel. Eine andere Frau, der Mutterfreuden bevorstanden, begegnete einem Menschen, der weiss war oder sich ganz und gar weiss bemalt hatte. Darob erschrak sie so arg, dass ihr Kind eine helle Haut behielt. Die Hellen und die Dunkeln lebten miteinander in dem nämlichen Lande. Sie wurden immer zahlreicher. Wer das Wild nicht erlegte, nicht Fische fing, wer den Boden nicht hackte und bepflanzte, der hatte nichts zu essen. Die Bandündu dünkten sich höher als die Bafiöti, gebärdeten sich schlimm und wollten alles für sich haben. Schliesslich wurden sie auf Anstiften und unter Führung eines mächtigen Weibes übers grosse Wasser vertrieben, wie Seite 182 erzählt worden ist. Nachdem die Hellen ausgezogen waren, in die Ferne des Meeres, nahmen die Dunkeln alles Land. Viele aber wanderten fort und wohnten anderwärts. Denn die Menschen waren nicht besser als sie sind; sie haderten miteinander wie ehedem, lebten in Unfrieden und taten Schlechtes. Das wollte Nsämbi nicht, und er verbot ihnen vieles. Es gab gute und Gottheit. Art und Aufenthalt. 969 böse Menschen. Die Bösen achteten nicht der Verbote. Da kam Dürre über das Land, Hungersnot und grosse Krankheit, von Nsämbi angeordnet, damit ein grosses Sterben werde. Es starben auch die Guten, weil sie die Bösen nicht überwachten. Immer wieder riefen die Menschen nach Nsämbi, dass er helfe. Kam er endlich, schrieen alle und klagten wider einander. Sie machten schlechte Palaver. Alle wollten von ihm haben, bestürmten ıhn mit Bitten und Betteleien, und des grossen Lärmes war kein Ende. So ging es immer fort. Dessen ward Nsämbi endlich müde. Er geriet in grossen Zorn, entfernte sich und kam nicht wieder. Allein ein Etwas sandte er, oder er liess einen Teil von sich zurück. Dieses Etwas sollte in der Erde sein, über Regen, Fruchtbarkeit und über die Geschicke seiner Menschen walten. Dies ist der allgemeine Inhalt der Sage von Nsämbi und seinen Menschen. Es kommt dazu aber noch vielerlei anderes, wodurch die Überlieferungen sowohl ergänzt, als auch in ihrer Mannigfaltigkeit und Verschwommenheit gekennzeichnet werden. In welcher Gestalt die Gottheit den Menschen erschienen sei, ob sie heile oder dunkle Haut habe, wes Geschlechtes sie sei und von welcher Grösse, ob sie auf Beinen gehe, schwebe oder fliege, vermag niemand sicher zu sagen. Gegessen oder mindestens geschleckert hat sie, das bekundet der Vorfall mit der Kolanuss. Irgendwo soll es ein Gebilde von Nsämbi geben, gross wie ein Mensch, von dem leuchtende Helligkeit ausstrahlt. Wie immer es vordem mit der Gottheit gewesen sein mag, jetzt ist sie unsichtbar, aber überall, wobei gewiss an die von ihr ausgehende Lebenskraft gedacht wird, auf die später zurückzukommmen ist. Fragt man nach dem eigentlichen Aufenthalte der Gottheit, so pflegen die im Freien Stehenden mit gespreizten Fingern nach oben zu weisen und die Arme nach allen Richtungen zu bewegen. Sie meinen sonach den Himmel. Über die Lebensführung Nsambis sind genaue Überlieferungen nicht vor- handen. Nsämbi mag in einem Hause wohnen, er mag allenthalben weilen und gänzlich bedürfnislos sein. Manche meinen, dass er in der Weise eines mächtigen, reichen Herren lebe, ein grosses Gefolge und seiner Winke gewärtige Diener, vielleicht auch Frauen und Kinder habe. Wer kann das wissen? Nsämbi (a) mböte, Gott der Gute, will den Menschen wohl, er tut nichts Schlimmes gegen sie, dies tut Nsämbi (a) mbi, Gott der Böse. Vielen ist die gute und böse Gottheit nur der eine Nsämbi, der, je nach dem Verhalten seiner Menschen, sie entweder ungestört und ordnungs- mässig dahinleben lässt oder zürnend sie heimsucht, indem er aller- lei Übel über sie verhängt. Anderen ist die Gottheit ein wirkliches 270 Die Himmlischen. Doppelwesen, von denen jedes nach Verdienst der Menschen seine Macht ausübt. Häufiger als Nsämbi (a) mböte und Nsämbi (a) mbi wird Nsämbi (a) mpüngu erwähnt. Diese Bezeichnung wäre als Nsämbi der Mächtige aufzufassen. Mpüngu, nachdrucksvoll auch ämpüngu, bedeutet etwas Gewaltiges, Zeugungskräftiges, mit hervorragenden Eigenschaften Aus- gestattetes. Mpüngu ist nicht nur Nsämbi, sondern auch ein bedeutender Mensch, ein Vater grosser Familie, ein packender Redner, überhaupt eine überlegene Persönlichkeit, ferner ein überzeugender Grund, eine durch- schlagende beweiskräftige Ansprache. Demnach wäre das Wort bloss als ein bezeichnender Zusatz zum Namen Nsämbi zu betrachten. Trotz- dem könnte auch Nsämbi (a) Mpüngu geschrieben und übersetzt werden: Nsämbi und Mpüngu oder Nsämbi, der Sprössling von Mpüngu. Denn auch dafür gibt es mannigfaltige Überlieferungen. Es wird erzählt, Mpüngu sei Nsämbis Vater und als Mpüngu (a) mpuene der Grossmächtigste, der Allbeherrscher gewesen. Mpüngu habe sich mit Nsämbi veruneinigt und habe ihn verbannt. Des weiteren: Er habe seinen Sohn gesandt, statt seiner Menschen auf der Erde zu machen; um nach denen zu sehen, die ihm einst am Regenbogen aus dem Himmel entwischt waren; um die Wehklagenden zu beruhigen. So kam Nsambi zur Erde, als ein Wanderer, dem Volke zu helfen. Er war gut zu den Menschen. Mpüngu sandte den Hunger, dass er in den Bäuchen wühle, die Menschen zu mahnen. Aber Nsämbi fing den Hunger ab, die Feld- früchte gediehen, und die Menschen hatten zu essen. Mpüngu sandte die Krankheit. Nsämbi hielt sie fern von den Menschen oder heilte die Menschen. Endlich sandte Mpüngu das Sterben. Das traf die Menschen und nahm ihnen den Atem weg, denn es war stark wie Mpüngu. Andere Berichte besagen, dass Mpüngu die Mutter Nsämbis, oder dass Mpüngu die Frau des grossen Vaters Nküngu oder Nköngo (Seite 167) gewesen sei, dem sie viele Söhne gebar. Dann heisst es wieder in südlichen Teilen des Landes: auch Mpüngu sei geboren worden, und zwar von einer Mutter namens Ndösu oder Nesu, unter welchem Namen wir ausserdem noch ein tanzlustiges Waldgespenst kennen lernen werden. Andere betrachten Mpüngu gleichsam als ein Seitenstück zu Nsämbi und als die Mutter von Ndesu. Aus dem Leibe Ndösus ist hervorgegangen, was den Himmel schmückt, aus dem Leibe Mpüngus, was die Erde belebt, auch die Menschen, überhaupt das Wesen der Natur — lupängulu. Endlich soll Ndesu auch eine Schwester oder Mutter namens Madia gehabt haben. Als Ndesu einst weinte, wurden ihre Tränen zu Feuer und fielen zur Erde. Nach anderen soll Nsämbi selbst oder auch Mpüngu die feurigen Tränen vergossen haben. Es wird sogar lustig bestritten, dass überhaupt geweint worden sei. Es hätte vielmehr oben einmal einen Nsämbi. Kultus. 971 argen Streit oder eine Balgerei gegeben, dabei wären die Sterne nur so herumgeflogen und zur Erde gefallen. Auf solche Weise gelangte vom Himmel zur Erde das Feuer, das nachher Nküngus Söhne den Menschen zutrugen. Die Berichte über Nsambi, so wirr sie sein mögen, geben ihm doch die Stellung eines höchsten Wesens, das unsichtbar überall ist, in der Natur waltet oder von seinem Vertreter walten lässt. Den Menschen gegenüber verhält sich die Gottheit jetzt allerdings ziemlich teilnahmlos, greift aber manchmal noch in ihre Geschicke ein, und verhängt Heim- suchungen über sie. ‚Jedenfalls geschieht in dieser Beziehung nichts ohne ihr Wissen, ohne ihren Willen. Nsämbi ist keineswegs ein Oberster aller Fetische. Mit allem, was zum Fetischismus gehört, wird er überhaupt niemals in Verbindung ge- bracht. Wie noch zu erweisen, steht er hoch und unbekümmert über den kleinen Künsten der Menschen. Sein Name wird nicht häufig aus- gesprochen und niemals in lästerlicher, aber auch kaum in ehrfürchtiger Weise. Sehr selten verraten dabei Mienen oder Gebärden irgendeine besondere Gefühlsregung, die sich doch bei der Erwähnung recht starker Fetische oftmals äussert, etwa so wie bei uns in bekannter Weise un- berufen gesagt und dazu geklopft wird. Die Namen der anderen Gött- lichen hört man überhaupt nur in Berichten oder Geschichten auf genaue Nachfrage nennen. Es gibt keinerlei allgemeinen Kultus für Nsämbi an sich, keine Handlung gilt ihm, kein Opfer wird ihm dargebracht. Als -Gottheit scheint er den Leuten gänzlich ausserhalb ihrer Lebensführung zu stehen. Denn nicht ihn fürchten sie, sondern das Böse, das sie überall auf Erden bedroht. Weil er dieses geschehen lässt und sie sich dagegen anderweitig zu helfen wissen, so brauchen sie ihn nicht mehr. Die praktisch veran- lagten Leute vermissen die Gegenseitigkeit der Leistungen. Nsämbi ist zu gross, zu weit; er kümmert sich kaum noch um das Wohl und Wehe seiner Geschöpfe. Weil er sich gar zu teilnahmlos verhält, ist er ihnen so gut wie gleichgültig. In Zeiten grosser, allgemeiner Not vermeinen sie freilich seine Macht zu spüren und gedenken seiner mit einer ge- wissen Furcht. Nsämbi ist zornig, er bringt uns alle um, rufen sie, aber sie wenden sich nicht bittend unmittelbar an ihn, wie sie es ja auch kaum einem Mächtigen der Erde gegenüber zu tun pflegen. Erst durch das Eingreifen eines Vermittlers erwarten sie eine Milderung ihres Elendes. Bei dem Vertreter des Etwas, das Nsämbi in ihrer Erde zurückliess, versuchen sie ihr Heil. Vielleicht schafft der Wandel. Haben sie auch damit keinen Erfolg, erreicht die Not eine schier unerträgliche Höhe, so sind sie zu allem fähig. Eine derartige Leidens- zeit nennen sie Zeit der Traurigkeit, des Elendes, der Wehklagen, und 972 Zeiten der Not. Anrufung Nsambis. verwenden sie auch als Marken in ihren Überlieferungen, in der Zeit- rechnung. In solchen Nöten erstehen Begeisterte, Reformatoren oder Propheten — mubili, plur. babili, von kubila: verkünden, weissagen —, die, ausser den uns schon bekannten Rufern und Barden, das Land durchziehen und das den Leiden erliegende Volk aufrütteln. Davon später. Immerhin äussert sich dann und wann der Glaube, dass in persön- lichen Angelegenheiten, wenigstens in solchen wichtigerer Art, Nsämbis Wille sich betätige. Die Leute fühlen sich unter bedrohlichen Umständen, nur nicht im Kriege, unmittelbar abhängig von seinem Walten, und stellen ihm, trotz ihrer Fetische und Zauberkünste, ihre Geschicke anheim. Das geht schon aus ihren Reden hervor. Wer einer Krankheit zu erliegen fürchtet, wer um den Ausgang eines ihn tief berührenden Unternehmens bangt, mag sich mit den Worten trösten: Nsaämbi hat die Macht, wie Nsämbi will. Wenn ein Fahrzeug durch gefährliche Brandung, über eine Stromschnelle zu leiten ist, und wenn man deshalb den Steuermann er- mahnt und anspornt, entgegnet der mit einem Hinweis nach oben: das ist Nsämbis Angelegenheit. Bei einem Todesfalle mögen sich die Hinter- bliebenen mit dem Ausspruche beruhigen: Nsämbi hat ihn befohlen, ab- berufen. Auch Frauen in schweren Kindesnöten schreien zu Nsämbi, dass er sich erbarme. Das erste Autkreischen des Neugeborenen gilt gewissermassen als ein Anruf, als eine Anmeldung bei Nsämbi. Freud- voll hören sie es, das ja auch ein wichtiges Zeichen für das zur Erde geborene Kind ist, und nennen den Schrei nsämbu: Gnade, Gunst. Nicht minder bedeutsam ist, obwohl nur als Bild zu nehmen, dass man einen recht leuchtenden Rundschein um die Sonne als ein Sonnenpalaver an- sieht und dahin erklärt, dass bei Nsämbi beraten werde, ob wieder ein Mächtiger unter den Menschen abzurufen sei. Wem öffentlich ein empfindliches Unrecht geschieht, wem es an Leib und Leben geht, der verweist manchmal angesichts mächtiger Fetische mit Worten und Gebärden auf Nsämbi und führt dabei einen kurzen, feierlichen Reigen aus. Bisweilen gebrauchen auch die Leute das Wort Nsämbi unter sich oder Fremden gegenüber, und zwar unterwürfig, be- teuernd, verbindlich, je nachdem sie die Erfüllung eines Befehles, eines Auftrages, eines eindringlich geäusserten Wunsches zusichern wollen. Bezeichnend ist, dass sie statt Nsämbi gelegentlich Kalünga rufen. Dabei streichen sie manchmal mit der Hand von der Schulter abwärts über einen Arm, der absterben, gelähmt werden möge, wenn sie das Zu- gesicherte nicht getreulich besorgen. Freilich pflegt ein unter Mitwirkung berühmter Fetische gegebenes Versprechen gemeiniglich besser gehalten zu werden; wird doch auch unter Zivilisierten der Staatsanwalt oft mehr gefürchtet als Gott. Um sich unverbrüchlich zu binden, übergibt jemand dem Auftraggeber wohl auch die Hälfte eines zerknickten Holzstückchens Beteuerung. Weiber und Leibeigene. 273 oder reisst ein Haar vom Kopfe als Unterpfand. Nach getaner Dienst- leistung erhält er Hölzchen oder Haar, womit freilich auch gezaubert werden kann, wieder zurück. Ferner pflegen um Nsämbis willen ge- legentlich untergeordnete Leute von ihren Herren die Gewährung eines Anliegens zu erflehen. Wird jemand unerwartet und ohne zu einer Gegenleistung verpflichtet zu sein, durch ihn erwiesenes Gutes recht beglückt, so dankt er manch- mal nicht bloss mit Worten und Gebärden dem Wohltäter, sondern hebt auch die Arme gen Himmel, dass Nsämbi es vergelten möge. Ferner fordern die Berufenen bei Gerichtstagungen auf Wegkreuzungen, bei wichtigen Handlungen einander auf, wahrhaftig zu sein, aus reinem Herzen zu richten um Nsämbis willen. Sodann haben sie die Redensart: für Nsambi, um Nsämbis Lohn arbeiten, womit sie frei- lich meinen: Nutzloses treiben, herumbasteln, Arbeiten verrichten, die nichts einbringen, und scherzhaft auch, beschaulich faulenzen, am Tage schlafen, was ja im Dienste der Fremdlinge nicht weiter schadet. Ferner findet sich die Meinung, dass ein Sprachloser oder Taub- stummer von Nsambi der Fähigkeit beraubt worden sei, damit er die Geheimnisse der Gottheit nicht verratee Auch wird, allerdings mehr drollig, erzählt, dass aus demselben Grunde Affen und andere, vielleicht alle Tiere in den Menschen unverständlichen Sprachen reden. Ein Glücks- kind kann jedoch die Tiere verstehen. Den Weibern und Leibeigenen wollen die Männer das Rufen zu und das Reden über Nsämbı nicht erlauben; es soll verboten sein. Den- noch sprechen Frauen und Mädchen von Nsämbi und rufen ihn auch an. Ob sie es tun oder lassen, wird, wie so vieles, lediglich eine Macht- frage zwischen ihnen und den Männern sein. Als die junge Frau unseres Maboma von Nsämbi erzählte und ein dünkelhafter Gesell deswegen aufbegehrte, wiederholte sie nun erst recht in herausfordernd mutwilliger Weise das verpönte Wort. Um das Verhältnis unserer Leute zu Nsämbi richtig zu würdigen, müssen wir uns erinnern, dass ihre Welt nicht unsere Welt, ihre Erde nicht unsere Erde ist, sondern nur das Stückchen, worauf sie leben, mit dem Himmel, der sich darüber spannt. Wenn sie sagen, Nsämbi habe alles gemacht, so meinen sie nur, was für sie da ist. Nicht einen Weltengott in unserem Sinne begreifen sie, sondern nur ihren Nsämbi, der ihnen wie ihr höchster Häuptling vorschwebt, dem sie als Volk, als Stamm zugehören. Sie sind seine Menschen, wie sie wiederum ihre Menschen haben. Die Bandündu, die auszogen, um anderwärts zu leben, haben mit der neuen Heimat wahrscheinlich auch einen neuen Nsämbi eingetauscht. Und sie sind überlegene Menschen, weil sie den stärkeren Loango. 18 274 Wer und was ist Nsambi? Name. Gott (oder stärkere Fetische) haben. Danach ist der Monotheismus der Bafiöti zu beurteilen. Wer und was ist Nsämbi? Eine dem eigenen Vorstellungskreise entsprungene oder eine fremde, in uralter Zeit den Vorfahren über- kommene Gottheit, die im Gedanken der weithin durch Afrika Gewan- derten fortlebt? Sind die Götter die Geschöpfe der Menschen, so müsste der Nsämbi der Bafiöti ein zwar väterlich sorgendes, aber ganz und gar selbstsüchtiges Wesen sein, immer bedacht, seine Macht, sein Ansehen zu wahren und streng auf sein Recht bestehend. Das wäre ihr Gott. Ein Jahve würde ihnen imponieren. Zu dem würden sie sich anders zu stellen suchen als zu dem, der ihnen vorschwebt, der sich zur Ruhe gesetzt hat, sich vertreten lässt und höchstens gelegentlich noch einmal dazwischen fährt. Vielleicht hat Nsämbi vor den zahllosen Fetischen an Bedeutung verloren, ähnlich wie in manchen Ländern dem Volke über den vielen Heiligen der grosse Gott in dämmerige Ferne rückt. So ist auch bemerkenswert, dass Eingeborene gelegentlich vom alten Herrn, vom grossen Mann reden, wenn sie Nsämbi meinen. An den Gott der Missionare darf nicht gedacht a denn Nsämbi ist älter und weiter verbreitet als alle Missionstätigkeit. Her- kunft und Ableitung des Namens, der anderswo auch Yami, Nyambi und Ndyämbi lautet, zu enträtseln, will nicht gelingen, zumal die Aus- sprache vieler Worte, die leiten könnten, gar zu sehr schwankt. Man denkt zuerst an nsämbu: Höhe, Grösse, Erhabenheit, und nsämbi: die Person, ferner an nsämbu: Glück, Gnade, Gunst, wovon musaämbi und nsämbi: der, der Gnade, Gunst erweist, zu bilden wäre, ferner an nsä: die Welt, und mbi: schlecht. Dazu kommen noch andere Wörter von verlockender Bedeutung: sich erheben, aufschwingen, erhöht sein; flehen, bedrängen; Spiel, Musik und Musikinstrumente; eine Art Tätowierung; Abgabe, Zoll für das Durchkreuzen eines Gebietes, für das Übersetzen an einer Fährstelle.. Von den Leuten selbst ist auf Umwegen keinerlei stichhaltige Auskunft zu erlangen, und fragt man unmittelbar, so legt man ihnen ja die Antwort auf die Zunge. So ist es denn mit dem Worte Nsämbi wie mit unserem Worte Gott. Über die Namen der ersten Menschen, die hellhäutig gewesen sein sollen, wie die Kinder der Farbigen zur Welt kommen, und wie die Toten wieder werden sollen, wissen nur wenige zu berichten. Danach ist des ersten Mannes Name Nsäu, des ersten Weibes Name Mbüta gewesen (Seite 167 und 168). Vielfach erhalten Kinder, je nach ihrem Geschlechte, diese Namen von ihrer Geburt an und tragen sie, bis ihre Hautfarbe sich völlig entwickelt hat und bis bei ihrer öffent- lichen Anerkennung andere, endgültige Rufnamen an deren Stelle treten. Fremdes. Keine Hölle. Keine Sintflut. 275 Unschwer ist zu erkennen und lehrreich, zu verfolgen, wie in den Sagenschatz der Bafiöti fremde Gedanken eingedrungen sind. Missionare haben, wie wir bereits wissen (Seite 149), im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert versucht, obschon ganz vereinzelt und vorübergehend, dem Christentum in Kaköngo Eingang zu verschaffen. Viel früher, allge- meiner, ausdauernder arbeiteten sie in den Gebieten südlich vom Kongo, wo sie Kirchen und Kapellen errichteten und Eingeborene in grosser Anzahl in die christliche Gemeinschaft aufnahmen, bis auch dort ihre Kräfte erlahmten. Von dem Wirken der frommen Väter zeugen da- selbst noch Ruinen, allerlei im Besitze der Eingeborenen gebliebene Gegenstände des Kultus, etliche Gebräuche sowie Erinnerungen an Namen und Lehren, die besonderen Eindruck auf die Gemüter gemacht haben mögen. Die in den südlichen Teilen unseres Gebietes neben Nsämbi erwähnten und trotz ihrer unklaren Beziehungen doch immerhin göttlich gedachten Wesen Madia sowie Ndösu oder Nösu sind vielleicht von Kaköngo, sicher über den Kongo gekommen. Das Leuchten von Nküngus Sohn, der lichte Schein, der ihn umgab, kann ebensogut auf ihn als Feuerbringer wie auf Darstellungen von Heiligen mit dem Heiligenschein hinweisen, die gleich- sam als Fetische der Weissen im ehemaligen Kongoreiche aufbewahrt worden sind. Nsämbis leuchtendes Bild in Menschengrösse dürfte ebenda zu finden sein, mutmasslich nahe genug, nämlich bei einer verfallenen Kapelle an der Südseite der Kongomündung (II 53), wo neben dem Gekreuzigten lebensgrosse Bildwerke von der Jungfrau Maria und von dem heiligen Antonio mit einem Gemisch von Neugier und Ehrfurcht betrachtet und gezeigt wurden. Der eingeborene Hüter dieser und anderer Reste einstiger Missionstätigkeit ging sogar noch unter dem unverstandenen Namen Bisbo oder Bisobo. Die Bafiöti haben keine Überlieferung von einem Paradiese, von einer Hölle im Gegensatz zu einem Himmel, von einer Belohnung oder Strafe im Jenseits, wenigstens nicht in solchem Zusammenhange, dass an christliche Lehren zu denken wäre. Nsämbi umschweben keine seligen Geister. Ferner wissen die Leute nichts von einer Sintflut. Dafür berichten sie von Leiden, die Nsambi verhängt habe, von grosser Dürre und folgender Hungersnot, vom grossen Sterben. Das ist ihre Auffassung von Heimsuchung und Vernichtung. Was sie hier und da von Wassers- not erzählen, lässt sich zurückführen auf Hochfluten von Flüssen mit plötzlichem Verlegen der Mündungen oder auf ein zeitweiliges Anschwellen des Meeres, verbunden mit einem besonders starken, einzelne Küsten- striche verwüstenden Anstürmen der Calema (III 30). Daraus mag sich dereinst, wenn sie mit der biblischen Geschichte vertraut werden, ihre Flutsage entwickeln. Ebenso werden die Lehren, 18* 276 Mkissi nssi oder Bunssi. die sie jetzt aufzunehmen beginnen, ihren Seelenglauben, ihr Geisterreich ordnen und ihren Nsämbi anders gestalten. — Als Nsämbi sich von seiner Erde und von seinen Menschen zurück- zog, liess er oder sandte er etwas, oder es blieb etwas in der Erde zurück. Dieses Etwas hat einen Vertreter, der Mkissi nssi und Bünssi genannt wird. Mkissi, plur. simkissi, bedeutet Zauber und das Zauberding, den Fetisch, nssi, Erde, Gau. Danach wäre Mkissi nssi als Erdfetisch oder Gaufetisch zu betrachten, wenn dem nicht Bedenken entgegenstünden. Ein Fetisch wird nicht verehrt. Mkissi nssi wird verehrt. Ein Fetisch ist greifbar und kann vernichtet werden. Mkissi nssi ist unan- tastbar und ist den Blicken der Menschen ebenso entzogen wie Nsambi selbst. Er ist in der Erde und steigt zeitweilig zur Oberfläche empor, namentlich an den Stellen der Gaue, wo einst die Staatsfeuer brannten. Niemand kann ihn rufen oder beschwören, selbst der grösste Zauber- kundige kat ebensowenig Macht über ihn wie über Nsämbi. Der höchste Fürst muss sich persönlich ihm nahen. Danach wäre Mkissi nssi als ein Erdgeist aufzufassen. Aber auch das dürfte nicht entsprechen. Was von Nsämbi auf Erden blieb, ist oder hat lunyensu. Darunter wird verstanden Naturkraft, Lebenskraft, Vermehrungskraft, kurzum das Allwaltende, das Höchste, das alles Lebende durchdringt. Lunyönsu ist nicht das Leben selbst, sondern eine damit verbundene Betätigung, eine Lebensäusserung und zugleich Lebensbedingung. Mit dem Tode hört lunyensu auf, ist fort, aber nicht etwa als Seele an sich, und fehlt auch einem gelähmten Gliede. Tschyensa, nyensa ist ein Ausruf höchster Er- regung und Glückseligkeit. Im Fetisch ist nicht lunyensu, der hat Zauber- medizin — ngiligili —, demnach ein Kunsterzeugnis in sich. Hierzu kommt, dass Mkissi nssi zwar nicht überall, aber doch ın vielen und besonders in küstenfernen Gegenden fast ausschliesslich Bünssi genannt wird. Ebenso heissen die Verehrungsstätten und die in der Regel dicht dabei befindlichen Opferplätze, die sogenannten Tierschädel- fetische, also die Stellen, wo Nküngus Sohn gerastet und wo das heilige Feuer, das Staatsfeuer gebrannt haben soll (Seite 170). Auch wird. Bünssi hier und da erklärt als mäma ma nssi — mäma: Mutter —, vielleicht in dem Doppelsinne wie wir sagen Mutter Erde und Mutter- erde. Ausserdem hört man, obschon seltener, Nsämbi nennen, und zwar so, als ob man an solcher Stätte an ıhn als mit Bünssi verbunden dächte, wie wir in einer Kirche an Gott denken. Bü nssi kann bedeuten: zur Erde gehörig, von der Erde ausgehend; man könnte von Erdkraft schlecht- hin reden. Es tauchen aber noch die Ausdrücke auf: tschikümbu, das Wunder, und tschiy&mu, ein geweihter Platz, von kuy&mu, weihen, zu- eignen, buy&mu, die Weihung, und buy&mu bu nssi, im Sprachgebrauche, wie es auch sonst häufig geschieht, abgekürzt zu bu nssi, und schliesslich Bünssi. Heiligkeit der Erde. 377 zum Namen Bünssi geworden. So heisst nun die Stätte mit dem Opfer- platze und was dort verehrt oder vermutet wird. Bünssi scheint die ursprüngliche Bezeichnung, Mkissi nssi erst ein infolge des Verfalles staatlicher Einrichtungen und mit dem Überwuchern des Feetischismus aufgekommener Name für den Vertreter der Lebenskraft zu sein. Vielen gilt er gegenwärtig kaum mehr als ein Fetisch, vielen aber noch immer als ein höheres Wesen, als eine Art Statthalter — mutumi — Nsämbis, als ein Vermittler zwischen ihm und den Menschen. Fasst man alles zusammen, was zu beobachten und von den Eingeborenen zu erlauschen ist, so hat es seine Berechtigung, das verehrte Wesen nicht als einen Fetisch, auch nicht als einen Erdgeist, sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung als den Inbegriff der Erdkraft, der alles durch- dringenden Schaffenskraft, des Allwaltenden, des Werdens, der Frucht- barkeit aufzufassen. Und das ist, was Nsämbi in seiner Erde zurückliess. Ein richtiger Fetisch hat mit Nsämbi gar nichts zu tun. Bünssi oder Mkissi nssi tut nichts ohne Nsämbis Willen. Sein Walten besteht darin, das Wohl und Wehe der auf Nsämbis Erde lebenden Gesamtheit zu ordnen, die Fruchtbarkeit der Erde und die Verteilung der Nieder- schläge zu regeln. Dafür ist ihm massgebend, ob die Menschen das Tschina, die auf Nsämbi zurückgeführten Verbote und Gebote, einhalten oder übertreten. Dieses Tschina ist als grosses Tschina von anderen, bloss Personen oder Familien von Fetischmeistern auferlegten und gewöhn- lich ebenso benannten Verhaltungsmassregeln zu unterscheiden. Das grosse oder göttliche Tschina ist schon erwähnt worden. Es richtet sich gegen Unsittlichkeit und Verbrechen, gegen Störung der öffentlichen Ordnung und soll auch die der Fürstenkaste geltende Verbote (Seite 177) mit umfassen. Im Königsgau und angrenzenden (rebieten kommt dazu noch folgendes: Eheleute dürfen das Lager, das sie des Nachts teilten, während des folgenden Tages bis Sonnenuntergang nicht wieder berühren, und Besucher dürfen darauf nicht rasten. Unrein ist auch die Men- struierende, die Gebärende, der Leichnam. Hungrige soll man nicht ungesättigt von Behausung und Erde weisen. Die Verletzung, der Bruch des göttlichen Tschma bringt Unheil über einzelne Gebiete oder über das ganze Land. Um des allgemeinen Wohles willen müssen Zuwiderhandlungen bestraft, gesühnt werden. Mit allem diesem hängen innig zusammen die Vorstellungen von der Heiligkeit der Erde, aus der das Allwaltende wirkt; von der Fruchtbar- keit der Erde, die für Ackerbauer in einer Lage wie die Bafiöti schlechthin das Dasein bedeutet; von der Fortpflanzung und Erneuerung; von dem Leben vor und nach dem Tode. Solche Vorstellungen sind die Grund- lage für das Erdrecht, für die Gastlichkeit und für die Beziehungen beider Geschlechter. Diesen ist die Fortpflanzung etwas Grosses, mit 278 Geweihte Stätten. dem Seelenglauben verbunden, wonach Vergangenheit und Zukunft in eins zusammenfliessen, fast ein Wunder im Zusammenhange mit den Ge- wesenen, was auch für das Eintreten der Probejungfern, der Bakümbi, beim Zuge des Ma Loängo bedeutsam erscheint, und was uns späterhin zur Erklärung von mancherlei anderen Einrichtungen zu dienen haben wird. Bei Grossleuten und überhaupt bei Leuten, die auf sich halten, ist dadurch auch die Wahl der Gattin stark beeinflusst. Zur Königszeit hatte Bünssi oder Mkissi nssi eine ganz andere Be- deutung als heutzutage. An seinen Verehrungsstätten, wo auch die Opfer- plätze lagen, brannten die von jedem Herrscher erneuerten Staatsfeuer, deren Hüter, Priester und Reichsschmiede zugleich, mit nicht geringer Machtbefugnis ausgestattete Beamte waren, etwa wie die Fergen nament- lich an den Grenzflüssen des engeren Reiches. Nach Aussagen der Kundigen im Königsgau, die freilich nicht unbe- einflusst von Eitelkeit und Missgunst sein dürften, gab es ursprünglich nur je eine Verehrungsstätte in jedem einem Mfümu nssi unterstellten (Grau. Mit dem politischen Verfall hat sich, wie im zweiten Kapitel geschildert worden ist, vieles geändert. Zwar bestehen noch alte Ein- richtungen, und noch hat das Tschina seine Kraft nicht gänzlich verloren. Aber die Hüter der Verehrungsstätten sind nicht mehr eine durch einheitliche Auffassung verbundene, dem Staate dienende Genossen- schaft. Viele betreiben nebenbei die einträglichen Künste der gewöhn- lichen Zaubermänner oder Fetischmeister. Sie sind ebensowenig einig wie die Herren von Stücken der wiederholt aufgeteilten alten Gaue, von denen ein jeder am liebsten als mächtiger Erdherr gelten und eine Ver- ehrungsstätte auf seiner Erde haben möchte. Wo es keine gibt, lässt man neue entstehen oder verlegt alte dahin, namentlich die wirksamen Opferplätze. Das ist politisch klug. Deswegen sind geweihte Stätten, die sogenannten Tierschädelfetische, meistens unechte, zahlreicher als anderswo in Gebieten, wo der Handel blüht, wo die Emporkömmlinge gedeihen, besonders in einiger Entfernung von Königsgau und von alten Fürstensitzen. Auch mag daher der Brauch kommen, die Stätten mit Namen zu belegen und diese Namen dem Titel ihrer Hüter beizufügen, was deren Selbstschätzung sehr befriedigt. Priester und Häuptlinge — die Würden beider sind oft in der näm- lichen Person vereinigt — obgleich selbst befangen, sind natürlich bestrebt, das Ansehen ihrer geweihten Stätte, das Geheimnisvolle, das sie umwebt, nach Kräften zu erhöhen. Während Altgläubige versichern, es gäbe nur ein Allwaltendes, einen Mkissi nssi, eben Bünssi, glauben andere an eine Vielheit und wenden die Pluralform an, und zwar die, die sonst nur für Personen gilt: sie reden, und das ist auch kennzeichnend, von Bakissi ba nssi. Geweihte Stätten. 279 So ist denn der alte, ehrwürdige Bünssi gleichsam zu einem poli- tischen Fetisch geworden. Bis zu einem gewissen Grade wird das auch in der Königszeit so gewesen sein. Damals lag jedoch die Macht in den Händen einer Familie, einer Kaste, bei wenigen, die natürlich dafür sorgten, dass Einrichtungen, womit sie standen oder fielen, unangetastet blieben und ihren tieferen Sinn behielten. Da ein Ma Loängo nicht mehr regiert, da die Staatsfeuer beinahe seit vier Menschenaltern erloschen sind, da immer neue (Gewalthaber und Erdherren aufstreben, so weiss das Volk nicht recht, was es eigent- lich vom Bünssi oder Mkissi nssi zu halten hat. Er wird doch nur so lange waltend gedacht, wie ein Oberherr auf Nsämbis Erde thront. Kein Ma Loängo, kein heiliges Feuer, kein Bünssi. So ungefähr lehrt die Überlieferung. Trotzdem vermeint man im Laufe der Zeit sein Walten noch zu spüren, und man hat es während der schweren Heimsuchungen in den siebziger und achtziger Jahren wieder mit Schrecken erkannt. Das Volk schwankt in seinem Glauben und in seinen Stimmungen, so wie fette und magere Jahre, leibliche Not, Krankheit, Streit, Handels- krisen, und wiederum Lebensfülle, behagliches Dasein miteinander wechseln. Je nachdem pflegen unerklärliche Vorgänge, seltsame Erschei- nungen in der Natur und im Menschenverkehr die Gemüter kaum leise zu berühren oder mächtig zu erregen. Vergangenes steigt dann herauf, Vergessenes wird wieder lebendig, Altes und Neues übt in unentwirrbarer Mischung seine Macht. So wird es erklärlich, dass die im Volke ver- breiteten Ansichten über das Wesen Bünssis ihn bald als Gottheit, bald als Fetisch nehmen. Die meisten der G@ewährsleute, die eine höhere Einsicht beanspruchen, gestehen ihm die bereits angeführten Eigenschaften zu: Er ist unsichthar, wohnt in der Erde; er regelt nach Verdienst der Menschen Niederschläge und Fruchtbarkeit; wer sich an ihn wenden will, muss zu ihm pilgern. Im übrigen gehen aber die Meinungen namentlich bei der grossen Masse weit auseinander. Er ist von Nsambi eingesetzt. Er hat mit Nsämbi nichts zu tun. Er ist überall derselbe. Er ist an jedem Orte eine selbständige Grösse, an Macht verschieden, und trägt deswegen auch verschiedene Namen. .Ja man will wissen, er sei überhaupt nicht mehr da oder tätig, habe sich vielmehr gleich Nsämbi zur Ruhe gesetzt, in die Tiefen der Erde oder anderswohin zurückgezogen. Man müsse sich ohne König und ohne ihn behelfen, so gut es eben gehen wolle, Deswegen wirkten statt seiner in den verschiedenen Landschaften von Zaubermännern ersten Ranges hergestellte ungeheuer starke Fetische. Die seien aber nicht unsichtbar, sondern greifbar wie andere Fetische auch. Der eine sei ein Holzgebilde, der andere ein Kasten, Korb, Topf, Geflecht oder Sack, noch andere bestünden aus anderem Zauberkram, 280 Orakelplätze. Sie alle müssten sorgsam in ihren Behausungen verborgen gehalten werden, weil Sonne und Mond sie nicht bescheinen, Regen und Wind sie nicht treffen, kein Auge ausser dem ihres Meisters sie erblicken dürfte, sonst verlören sie sogleich ihre Kraft, und es würden sich wer weiss was für schlimme Dinge ereignen. Jeder dieser Fetische beschütze sein Gebiet vor Übel und besorge den Regen. Als einer der vornehmsten dieser Regenspender gilt ein Fetisch im Dorfe Lusinda, in der zu Ngöyo gehörenden Küstenlandschaft Muända. Als Orakel geniesst er ein noch grösseres, weit über seine engere Heimat hinaus reichendes Ansehen. Dieser Fetisch ist wohl mit Bedacht Bünssi benannt worden. Freilich heisst dort Bünssi und Bünsi auch der Süd- westwind, der manchmal leichte Niederschläge bringt. Aber die Einge- borenen wissen recht gut, dass die schweren befruchtenden Regen mit den Gewittern kommen, die nicht mit dem Westwind, sondern von Osten nach Westen, vom Lande zum Meere ziehen. Dann hat der Bunssi nebst anderen Fetischen seine Wohnung gewiss nicht zufällig nahe bei der dem echten Bünssi geweihten Stätte. Aber orakelt wird nicht dort, sondern in einem am Dorfrande liegenden Bauwerke. Und der Mann, der mit ihm arbeitet, der Dorfherr Ma Sinda selbst, ist keineswegs zugleich auch der Priester des echten Bünssi. Er betreibt, obgleich gewiss nicht ohne Mitwirken des oder der Genossen, das Orakeln als einen gesonderten Beruf und legt seinem Fetisch Bünssi, der eine gute Quelle von Ein- künften bildet, natürlich einen grösseren Wert bei als der mit demselben Namen bezeichneten geweihten Stätte, woran die ganze Landschaft An- rechte hat. Diese Stätte ist durchaus nicht vernachlässigt. Denn trotz all der eingerissenen Verwirrung wendet sich das Volk in Zeiten der Not nicht an den Fetisch und das Orakel Bünssi, sondern an den echten Bünssi oder richtiger an seinen mit diesem Namen bezeichneten Verehrungsort. Daselbst haben auch Übeltäter Busse zu tun, die Reinigung von ihrer Schuld zu erstreben. Ähnlich dürfte es sich mit allen anderen, mit geweihten Stätten, ver- gesellschafteten Fetisch- und Orakelplätzen verhalten, die einstmals ebenso berühmt oder noch berühmter waren als der des Bünssi von Lusinda. Vielleicht überflügeln sie ihn wieder einmal, falls nicht neue entstehen, die es den alten zuvortun und manche vielleicht gänzlich ausser Kraft setzen. Dergleichen ist schon des öfteren geschehen, worüber im vierten Kapitel über den Fetischismus zu berichten sein wird. Ebenso wird an anderer Stelle von gewissen, meist fremden Seelen oder Geistern zu er- zählen sein, die, an bestimmten Orten hausend, zwar nicht verehrt, aber gefürchtet werden. Sie wären noch am ersten mit dem alten Bünssi zu verwechseln, denn sie sind unsichtbar, wenigstens für Laien, sind aber Staatsfeuerplätze. 281 bezaubert, festgebannt worden. Sie sind in das Heer vieldeutiger Wesen zu verweisen, wie sie auch unsere Geister- und Gespensterwelt bevölkern. Jene Fetische sind nichts Besseres als Schmarotzer an geweihten Stätten, Eigentum einzelner oder von Familien und Genossenschaften, und haben wie diese ihre Schicksale. Sie sind vergängliche Grössen. Bünssi bleibt. Er gehört niemand, er dient niemand, und niemand hat Gewalt über ihn. Die ihm geweihte alte und ehrwürdige Stätte steht in der Hut der ganzen Erdschaft und ist für alle Zugehörigen ein Gegenstand der Ehrfurcht, was man von den wetteifernden Fetischen nicht behaupten kann. Auch läuft niemand etwa im Drange seiner Not von einem Bünssi zum anderen, wie er von einem Fetisch zum anderen läuft. Es hat sich, wie in der Auffassung von den Beziehungen Nsämbis zu seinen Geschöpfen, der Glaube erhalten oder ausgebildet, dass auch Bünssi sich gelegentlich um den einzelnen kümmere, der bitten oder büssen kommt, weil er sich bedrückt fühlt, leidet und dieses irgendwie mit einem Verstosse gegen das grosse Tschina verbindet. Da wird er gleichsam als ein übernatür- licher Richter betrachtet, der gewährt oder versagt, der verzeiht oder straft. Sein Wille wird jedoch ebensowenig wie Nsämbis Wille durch Menschenmund verkündet, sondern erst im Laufe der Zeit erkannt, je nachdem gute oder schlimme Folgen eintreten. 2 Da die Zustände überaus verworren und in rascher Anderung, wenn nicht Auflösung begriffen sind, so ist es nicht zu verwundern, dass die Bedeutung, die Bünssi einst beigelegt wurde, sehr geschwunden ist und damit im allgemeinen auch die ihm gezollte Verehrung. An den ehrwürdigen Plätzen, wo vor Menschenaltern das heilige Feuer des Ma Loängo wirklich gebrannt hat, wird der Gaubewohner selten weilen, ohne einen Fuss zurückzusetzen, das Knie leicht zu beugen, sowie die Hand an die Stirn zu legen, und durch diesen anmutigen Gruss seine Ehrfurcht zu beweisen. Auch dem Europäer wird es hoch ange- rechnet, wenn er an solcher Stelle die Hängematte verlässt und einige Schritte geht. Dem, der es versäumt, die Empfindungen der Leute zu achten, kann sogar Unliebsames widerfahren. Mancher Europäer ist gezwungen worden, die Hängematte zu verlassen oder umzukehren und einen anderen Weg einzuschlagen. Wie erginge es wohl einem Einge- borenen von Loängo, der unsere Gotteshäuser unehrerbietig beträte? Und was kann unter uns einem nicht unterrichteten Europäer geschehen, der eine feierliche Prozession nicht beachtet? An den neuen Plätzen dagegen, wo niemals das Staatsfeuer gebrannt hat, kümmern sich die Leute kaum um Ehrfurchtsbezeigungen. Denn diese Stellen ohne Überlieferung sind ebensowenig über allen Zweifel erhaben wie die, wo sich Fetischmeister eingenistet haben. Gerade an 282 Ältere Nachrichten. solchen Plätzen stellen aber begreiflicherweise die sich als Grundherren aufspielenden Häuptlinge die strengsten Anforderungen. In den alten Berichten finden sich viele und gute Angaben, auch welche über den Fetischismus, aber sehr wenige Bemerkungen, die auf Bünssi bezogen werden könnten. Die alten Beobachter, die selten über ihren Küstenstreifen hinauskamen, hielten sich an das, was sie sahen oder erlebten, ohne sich darüber weiter den Kopf zu zerbrechen. Ihnen war eben alles Fetisch, wie es vielen noch heute ist. Unter den Nachrichten, die Dapper in seinem Buche aufgenommen hat, findet sich die folgende: „Mokisie Injamie hat seine Wohnung in einer Landschaft ohngefähr sechs Meilen Sudwärts von Lovango, und ist ein grosses Bild, welches in einem Heuslein steht. Wer nach diesem Dorfe, vom Morgen nach dem Abende zu, reisen will, der mus über einen runten Hügel, darüber der Heerweg gehet. Es ist ihnen auch allen auferlest, dass niemand über diesen Berg mag fahren, oder getragen werden: sondern sie müssen zu Fusse darüber gehen, dan anders würde er entheiliget.“ Der Hügel mit dem Heerwege, womit nur der Luntämbi lu mbensa oder der aus dem Inneren kommende Gottespfad gemeint sein kann, deutet auf Lubü. Natürlich werden im Dorfe Fetische gestanden haben, darunter auch der verschollene Injamie. Aber ihretwegen hat man damals gewiss ebensowenig wie zu unserer Zeit zu Fuss zu gehen brauchen. Die Anstandspflicht galt für den Hügel, über den man reiste. Und dort, neben dem Wege, ein gutes Stück ab von den Wohnsitzen, liegt die geweihte Stätte von Lubü, die zu den angesehensten, weil sagenreichsten, gehört. Die ehrwürdigen geweihten Stätten befinden sich in schicklicher Entfernung von den Wohnsitzen frei in der Campine, höchstens inmitten einer Baumgruppe, die neuen und nicht über allem Zweifel erhabenen in oder neben Dörfern, am Rande von Gehölzen und im Walde. Auf allen stehen Bauwerke mannigfaltiger Art, von der verwetterten einsamen Hütte, bis zur mehrteiligen, fast Gehöft zu nennenden Anlage, die allerlei Zaubermännern Unterschlupf gewährt. Als Baustoffe dienen vornehmlich Papyrusstengel, sowie Wedelschäfte der Weinpalmen, hier und da auch ausschliesslich entweder Ölpalmenwedel oder die grossen Blätter gewisser Waldpflanzen. Zum Eindecken des manchmal zu einer Vorhalle verlängerten Daches bedient man sich ge- wöhnlich der aus den langen Fiederblättern der Weinpalme zusammen- gereihten Blattschindeln. Die äusseren, den Bauten Halt gebenden Pfähle und Träger sind oftmals geschnitzt, sowie meist rot und schwarz bemalt, ebenso die, freilich selten vorkommenden, aus einem Holzblock gehauenen Tafeltüren, die ausnahmsweise sogar von Bündeln verschlungen gewachsener Lianen umrahmt werden. Aus schlanken Papyrusschäften Baulichkeiten. Lage. 283 ebenmässig gefügte Wände sind namentlich in den nördlichen Gegenden vielfach mit gefälligen, von durchgezogenen dunkelfarbigen Pflanzenstengeln oder dünnen Lianen gebildeten Mustern verziert, die wie grobe Stickerei und recht hübsch wirken. Umfangreichere Baulichkeiten sind keineswegs bloss Bünssi gewidmet. Es hat sich da noch allerlei zusammengefunden, das nicht hingehört, aber geeignet erscheint, das Gemüt des Besuchers zu stimmen, das Geheimnis- volle des Ortes zu erhöhen, ihn in den Geruch der Wundertätigkeit zu bringen und Nutzen zu stiften. Dazu gehören, wie in Lusinda, mancherlei Fetische, deren Meister bereit sind, den sie aufsuchenden oder sie irgendwohin rufenden Gläubigen gegen Entgelt zu helfen. Ferner werden daselbst um ihres Standortes willen für recht zauberkräftig gehaltene Gewächse gepflegt, wie Maniokbüsche, Pfeftersträucher, Hanfstauden, hochgeschossene Kohlstrünke europäischer Abkunft. Ein Blatt davon, vorschriftsmässig erworben und verzehrt, befreit von allerlei Übeln, macht stark, bringt Glück oder verbürgt andere Vorteile. Die einfachsten der geweihten Stätten sind durch nichts als durch eine schlichte, auf gestampfer Tenne errichtete Hütte ausgezeichnet. Die Tür ist geschlossen. Solche Hütten finden sich vornehmlich, und zwar in oder an der offenen Landschaft, in den mittleren Gauen des Landes, an alten Fürstensitzen, wo noch die strengen Formen des Kultus herr- schen. Die Hütte des Gaues Nkäya liegt an dreissig Schritt ab von der nächsten Adansonia, die von Ntängumböte zwischen dem Wurzel- gerüst eines einsamen ungeheuren Feigenbaumes, die von ‘Lubü am Hange, die von Mvümvu auf dem Gipfel eines Hügels, beide im hohen Grase versteckt. Die von Mbüku erhebt sich an einer Ausbuchtung des Nänga, im Schatten eines stolzen Baumes, einer in ihrer feurigen Blüten- pracht unvergleichlich schönen Spathodea campanulata. Diese Stätte ist die merkwürdigste von allen. Hier fand ich nicht die übliche viereckige und allseitig geschlossene Hütte, sondern einen offenen Pavillon, den einzigen Rundbau, der mir an der Loängoküste aufgestossen ist. Das etwa anderthalb Meter über dem Boden beginnende und, ebenfalls einzig in seiner Art, aus Lagen von Gras hergestellte Kegeldach ruhte auf sieben mässig starken Rundhölzern und schützte einen Raum von ungefähr fünf Schritt im Durchmesser. In der Mitte, auf erhöhter Tenne, stand ein niedriger, mit Matten bedeckter Bank- sessel. Sonst kein Schmuck, kein Bildwerk, keine Wand. Ein grosser Fetisch befand sich ein par hundert Schritt entfernt am Dorfeingange. Über den wunderlichen, verwetterten Bau war nichts weiter zu erfahren, als dass er Bünssi gewidmet sei, was auch durch den benachbarten Knochenplatz bestätigt wurde. Erst im folgenden Jahre erfuhr ich, dass sich neben dieser Stelle etwas ereignet hatte, dessen Folgen überaus 284 Ein Rundbau. Schutz der Stätten. bezeichnend für den Wunderglauben der Bafıöti und für das Treiben gewisser Fetischmeister waren. Doch der merkwürdige Rundbau wurde dadurch nicht erklärt. In Mbüku verkehrten allerdings Leute aus dem Hinterlande, von welchen eine starke Karawane etliche Tage neben uns lagerte; wo aber sollten die ein Vorbild gesehen haben? Die nächsten Rundhütten finden sich am Kamerunberge bei einem zweifellos eingewanderten Volksstamme und sollen ferner weit landein von der Kamerunmündung an einem srossen Wasser vorkommen. Vielleicht ist ein Aussichts- oder Lust- häuschen nachgeahmt worden, das einst ein Sklavenhändler an der Küste besass, oder ein Bild, das in die Hände eines findigen Eingeborenen ge- riet. Vielleicht haben die häufigen pilzförmigen Erdbauten von Ter- miten die erste Anregung gegeben. Alle die genannten und andere ehrwürdige Stätten sind schlicht und ohne Beiwerk. Man schützt lediglich Dach und Wände gegen Über- griffe der Vegetation. Zur Zeit der Grasbrände wird ringsum ein grösserer Platz gesäubert, damit kein Lauf- oder Flugfeuer den Ort schädige. Ge- weihte Tiere werden nicht gehalten, Blutopfer niemals dargebracht. Nie- mand darf am Orte ein leibliches Bedürfnis befriedigen, etwas zu sich nehmen oder von sich geben, auch nicht in der Nähe jagen. Den Bau- werken benachbart liegen in der Regel die von Europäern Tierschädel- fetische genannten Knochenhaufen. Neben dem Eingange mancher, durchaus nicht aller Hütten, ragt aus der Erde ein umgekehrtes Antilopenhorn oder ein Blechtrichter, ein unbrauchbar gewordener Flintenlauf. Diese (reräte empfangen als Opfergabe für die Erde ein wenig von dem Rum oder Palmwein, den Bittende oder Büssende als Zahlung für den Amtierenden bringen, wie Grossleute irgendwo vor dem Trinken ein wenig Schnaps zur Erde sprudeln. Solche Zutaten gelten aber schon als Vorläufer des in alle Ver- hältnisse eindringenden Fetischismus, noch mehr die bereits erwähn- ten Gewächse. Denn diese Pflanzen sind durchaus nicht der Erde geheiligt. Sie sind eine Quelle von Nebeneinkünften, ebenso wie die an gleichgültigen Plätzen gepflegten, gelten aber vermutlich ihres Stand- ortes halber für wunderkräftiger. Falls Haustiere, namentlich die leckeren Ziegen, sie befressen, so sollen diese, nach einigen Angaben, sogleich vom Hüter des Ortes getötet werden; sie sind ihm verfallen. Andere bestreiten das und behaupten, es dürfe den Tieren nichts ge- schehen; denn es sei Sache des Mannes, seine wertvollen Pflanzen einzuhegen, wie das allerwärts geschehe. Beide Angaben mögen richtig sein. Wo der Angestellte es durchsetzen kann, wird er die (elegenheit, sich umsonst ein Fleischgericht zu verschaffen, schwerlich versäumen. Eindringen des Fetischismus. 285 Wie dieser Zauberbrauch, so verrät auch die Tatsache das Über- wuchern des Fetischismus, dass man ab und zu unter dem Vordache der Hütte einen wirklichen Fetisch, einen kleinen Privatfetisch erblickt. Vielleicht ist er vom Angestellten für sich selbst oder für einen Bekannten neu angefertigt, vielleicht ist er verstohlen oder mit erkaufter Erlaubnis vom Besitzer für einige Zeit dahin gebracht worden, um seine Kraft zu verstärken. Bald wird auch die letzte der ehrwürdigen Stätten den Zauberkünsten verfallen sein. Und dann wird es nicht mehr lange dauern bis Bünssi oder Mkissi nssi ganz und gar zu einem gemeinen, greifbar dargestellten Fetisch geworden, bis selbst im Königsgau die Erinnerung an seine ursprüngliche Bedeutung gänzlich geschwunden ist. Noch ist der Glaube gäng und gäbe, und wird durch die Erfahrung gestützt, dass Bünssi und mit ihm die Lebenskraft oder Fruchtbarkeit aus irgendwelchen Gründen ein Gebiet längere oder kürzere Zeit verlasse. Dann bleiben die Regen aus, Hungersnot und Trübsal kommen über die Bewohner. Die stärksten Fetische vermögen nichts dagegen. Es muss etwas ganz Schlechtes geschehen, wahrschemlich das T'schina ver- letzt worden sein; oder Neuerungen, ins Land gekommene Fremd- linge wirken störend, oder eine Fürstenleiche harrt noch der Beerdigung. Auch aus älterer Zeit werden dergleichen Vorkommnisse erzählt. Als Fürstin Nsoämi mit ihren Kriegern den Nümbi überschritten hatte (Seite 182), kam das Unglück über Tschilünga. Viele Menschen g.ngen elend zugrunde, während andere in benachbarte Gebiete flüchteten. Ebenso soll es anderen Gauen ergangen sein, deren Staatsfeuer. erlöschen mussten, weil der Ma Loängo einen Bann über sie verhängt hatte. Auch ereignet sich, dass der Hüter der Stätte merkt und verkündet, es bereite sich etwas vor, und dann die Leute aufruft und zu guten Taten ermuntert, um das Unheil abzuwehren. Wie er das merkt, macht niemand Kopfzerbrechen. Es ist sein Amt, er muss es wissen. Jeden- falls steigt ihm Bünssi nicht in den Kopf, was auch, wenn er es wirklich so sagte, höchstens als ein bildlicher Ausdruck zu nehmen wäre. Aber keiner der Berufenen hat sich dessen mir gegenüber gerühmt. Der Ge- danke liegt ihnen ebenso fern wie der, dass Nsämbi selbst in sie hinein- fahren könnte. Der Hüter der geweihten Stätte, der alle Amtshandlungen vornimmt, ist ein Mann, den wir, um ihn vom gewöhnlichen Zaubermann, vom Fetischmeister, vom Ngänga, plur. Bangänga, zu trennen, Priester oder Erdpriester nennen wollen. Wo er noch gilt, ist sein Titel Ntöma nssi, eigentlich wohl Muntöma mu nssi, plur. Bantöma ba nssi. Die Be- zeichnung wird abzuleiten sein von kutöma, sorgsam verwahren, be- hüten, Geziemendes tun und darüber wachen, dass auch andere danach handeln, möglicherweise ist sie auch auf kutüma, befehlen, verwalten, 986 Erdpriester. ordnen, zurückzuführen. Der Ntöma, wie er kurz bezeichnet wird, zur Königszeit der Wächter des heiligen Feuers, bezieht keinen festen Gehalt, sondern wird für seine Amtshandlungen durch die Gaben der Hilfe Heischenden entschädigt. Legt der Ntöma sein Amt nieder, stirbt er, so ernennt der Erdherr oder wählen die Bewohner der Land- schaft einen anderen, falls man sich überhaupt dazu entschliesst. Denn es ist immerhin bedeutsam, dass im vielen Gauen seit Menschen- gedenken Bantöma der alten Schule nicht mehr walten, obschon die geweihte Stätte noch notdürftig in Ordnung gehalten, oder wenigstens die Stelle, wo sie sich einst befand, noch als etwas Besonderes betrachtet wird. Die Würde des Erdpriesters konnte jeder Freie erlangen. Doch durfte er niemals Menschenblut vergossen, niemals gegen das Erdrecht sefehlt haben. Er musste überhaupt unbescholten, gesund und fehlerlos an seinem Leibe sein. Aus vielen Zeichen und Angaben ist zu schliessen, dass in der Königs- zeit die Bantöma künftige Ersatzmänner unter geheimnisvollen Gebräuchen nicht nur in Kultushandlungen, sondern auch in der Kunst der Metall- bearbeitung unterwiesen, im Schmelzen, Giessen, Schmieden, Treiben, Zaselieren des Eisens, des Kupfers und seiner Legierungen, dass sie über- haupt stets geschulte Schmiede und Metallarbeiter — mfüsi, plur. ba- füsi —, etwa Königs- oder Reichsschmiede waren. Sie benutzten zwar nicht das heilige Feuer, hatten jedoch ihre Werkschuppen nahe bei der geweihten Stätte. Diese Schmieden wurden ebenfalls geschlossen, solange die Landestrauer um einen gestorbenen Ma Loängo währte, und finden sich jetzt überhaupt kaum noch an solchen Plätzen. Denn alten Nach- richten zufolge verfiel die Metallkunst schon bald nach Ankunft der Euro- päer. Ihre früheren Erzeugnisse werden aber im Lande noch sehr hoch bewertet und den eingeführten vorgezogen. So ist es recht bezeich- nend, dass man einen Ntöma auch Ngänga ntäli, Meister des Eisens — butäaliı das Eisen — nennen hört. Aus zwiefachem Grunde. Ein ge- schulter Ntöma schmiedet ab und zu noch ein altmodisches Zeptermesser in Eisen und Kupfer oder giesst über verlorene Form und ziseliert dann figurenreiche Kupferringe für Paare, die die Lömba-Ehe eingehen wollen. Sodann bedient er sich bei mancherlei Amtshandlungen und namentlich bei Sühnegebräuchen an geweihter Stätte altertümlicher Eisengeräte. Von Steingeräten weiss man in Loängo nichts. Eine Amtstracht und Amtswohnung hat der Erdpriester nicht. Er lebt bei den Seinen im Dorfe und kommt in Tagen, vielleicht in Wochen nicht an den ihm anvertrauten Ort. Seine Verrichtungen umfassen die Erhaltung und Säuberung des Bauwerkes nebst Umgebung, das Nieder- legen der Gaben am Opferplatze, das Übermitteln der Bitten und Wünsche bei veranstalteten Massenversammlungen in Zeiten allgemeiner Not, bei Amtshandlungen. 287 der Beichte von Bussfertigen und zu Entsübnenden, bei der Ansiedlung von Zugewanderten, die auf neuer Erde ihr Glück suchen. Niemand ausser ihm darf das Bauwerk betreten. Beim Nahen hat er sich zu räuspern, dreimal dreifach die Hände zu klappen und sich zu verneigen. Amtshandlungen darf er nur vornehmen zwischen Aufgang und Niedergang der Sonne und nachdem er .seit dem Abend gefastet und sich des Weibes enthalten hat. Schliesslich soll er das Innere in alter einheimischer Tracht, also in Baststoffe gekleidet betreten. Streng nach diesen Vorschriften soll aber nur noch in Lubü verfahren werden. Die Amtshandlungen, die der Ntoma jetzt noch zu erfüllen hat, sind einfacher Art. Er trägst die ihm anvertrauten Anliegen vor. Dies tut er, indem er in die Hütte tritt, die Tür hinter sich schliesst und bei dem Ertönen einer langsam geschwungenen, eisernen Handschelle die Bitte der Aussenstehenden dreimal leise wiederholt. Diese Handglocke — tschindi, plur. bindi — muss, wie überhaupt jedes seiner Geräte, von einheimischer Arbeit sein. Eine Antwort empfängt er nicht. Es stellt sich im Laufe der Zeit heraus, ob die vorgetragenen Wünsche günstig aufgenommen worden sind oder nicht. Die Menschen erscheinen an der geweihten Stätte entweder freiwillig oder gezwungen als Bittende oder als Büssende. Die Bittenden mögen Nsämbi durch Bünssi um alles anflehen: die Hungernden um Nahıung, die Schmachtenden um Regen, die Kranken um Gesundheit, die Frauen um Kinder, die Fischer und Jäger um Beute. Die Bitigänge. einzelner sind indessen ziemlich ausser Gebrauch geraten, da man das nämliche mit Fetischen billiger und bequemer zu erreichen hofft. Bei einem allgemeinen Notstand erinnert sich das Volk freilich noch des vermittelnden göttlichen Helfers, wie sich ja auch bei uns in schweren Zeiten die Kirchen füllen. Aber niemals geht man zur Stätte, um bei kriegerischen Verwicklungen den Sieg zu erflehen. Dafür hat man Fetische. Auch das Regenmachen wird an ehrwürdiger, geweihter Stätte nicht betrieben. Der Ntöma gibt sich wenigstens dort nicht damit ab. Das schliesst nicht aus, dass er anderwärts Gläubigen gegenüber sich dieser Kunst rühmt und sie ausübt. Doch versicherten Bantöma, und zwar mit gutem Grunde, das Herbeiziehen von befruchtenden Niederschlägen ge- höre in ein ganz anderes Fach. Gemacht wird Regen in Loängo über- haupt nicht, vielmehr der Zug der Wolken in bedürftige Landschaften gelenkt. Leute, die das zu verstehen vorgeben, man könnte sie recht bezeichnend Wolkenschieber nennen, tauchen zuzeiten der Dürre auf und ziehen durch das Land. Doch werden ihnen ihre Künste manchmal recht übel vergolten. In schlimmen Zeiten ist es nicht ratsam, für das Volk erfolglos zu zaubern. 288 Bittgänge. Anders ist es mit den Bantöma. Ihnen kann nichts geschehen, denn sie sind nicht verantwortlich für den Erfolg, weil sie, wenigstens an ge- weihter Stätte, nicht zaubern, sondern nur ihres Amtes walten. Unter dem Drucke schwerer Heimsuchungen erstarkt im Volke wieder der Glaube, dass es die Gottheit sei, die die Fruchtbarkeit der Erde regele, indem sie den Regen sende oder vorenthalte. Sie wird darum angerufen. Zu einer vereinbarten Zeit verlassen Männer, Weiber, Kinder, in alten Zeiten sollen es nur Freie gewesen sein, vor Tagesgrauen die Dörfer, in feierlichem Zuge auf den schmalen Pfaden einzeln hintereinander schrei- tend. Schwatzen, lachen, rauchen ist verpönt. Niemand darf während der vorhergehenden vierundzwanzig Stunden beim Weibe gewesen sein, niemand Rum und seit Sonnenuntergang auch nicht Speise genossen haben. Wo noch die strengen Formen gelten, nur in einheimische Bast- zeuge gekleidet, kurze Holztrommeln und Elfenbeinhörner mit sich führend, wallfahren die Leute stumm und gemessenen Schrittes von allen Seiten nach der geweihten Stätte. Daselbst ist schon vorher ein geräumiger Platz vor der Hütte von Gras und Buschwerk gesäubert worden. Die Ankommenden stellen sich an drei Seiten eines Viereckes auf, so dass die letzte Seite nach der Hütte zu unbesetzt bleibt; die Trommler und Hörnerbläser ordnen sich innerhalb des umschlossenen Raumes. Schweigend wird gewartet, bis die Sonne aufgeht, dann beginnen alle Anwesenden beim Schalle der Instrumente ihre Bitten um Regen vor- zutragen, wobei Rezitativ und Chor in beliebiger Weise abwechseln. Man scheint es für besonders wichtig zu halten, recht laut zu flehen, gewisser- massen dynamisch auf die Gottheit einzuwirken, — wie unter uns beim Beten noch Glocken angeschlagen, Kanonen gelöst werden, bei drohendem (sewitter geläutet wird. Auch rauft man das Haar, schlägt die Brust, bewegt leise wiegend den Körper, ohne den Platz zu wechseln, klatscht in die Hände und erhebt die Arme gen Himmel. Der Ntöma wartet seines Amtes in der Hütte, die Tschindi schwingend. Es geschehen keine Zeichen, die etwa in dem einen oder dem anderen Sinne gedeutet werden könnten, es dringt weder ein ungewöhnliches Geräusch aus der Hütte, noch quillt Rauch hervor, noch beben Dach und Wände. So geht es ununterbrochen fort, bis die Sonne versinkt oder bis die Leute, die weder essen noch trinken dürfen, schier erschöpft sind. Ist die Not überaus gross, so lässt man es nicht bei einem Bittgange bewenden. In der furchtbaren Leidenszeit der siebziger Jahre wurden derartige Wallfahrten von den verzweifelnden Eingeborenen in gross- artiger Weise veranstaltet. Manche Versammlungen mögen viele Tausende gezählt haben. Mangövo Mpängu, der Hüter der Königsgräber, bestä- tigte, dass eines Tages der Südhang des breit hingelagerten Hügels von Lubü vollständig mit Menschen bedeckt gewesen sei. Als am Nachmit- Anliegen. 239 tage Wolken aufstiegen und ein Platzregen sich über das ausgedörrte Land ergoss, habe sich ein Schauspiel sondergleichen entwickelt. Unter ungeheurem Jubel, wovon mir auch die ziemlich entfernt an der Loängo- bai sitzenden weissen Händler erzählten, sei die Menschenmasse wie wahnsinnig vor Freude auseinandergelaufen. Tritt keine Änderung in den schlimmen Zuständen ein, so hat das Volk eben nichts Besseres ver- dient, und der Zorn Nsämbis lastet deswegen so schwer auf dem Lande, weil zu oft das Tschina verletzt worden ist. \Vehe dann denen, die ein Verdacht treffen sollte, die von früher her als Sünder bekannt sind. Nicht nur sie, sondern auch die ihnen Nahestehenden schweben in Gefahr, der Rache der ergrimmten Menge zu verfallen, Hab und Gut und auch das Leben zu verlieren. Anders und verwickelter sind die Gebräuche, wenn Hilfe Heischende oder Bussfertige der geweihten Stätte nahen, Sowohl Besorgnis um das eigene Wohlergehen als auch äusserer Zwang treibt sie. Sei es, dass sie irgendwie unrein für die Erde geworden sind; sei es, dass sie etwas verschuldet zu haben glauben, weil sie an hartnäckiger Krankheit leiden, von allerlei unerklärlichen Unglücksfällen betroffen wurden, und schliess- lich zur Abwehr noch schlimmerer Folgen, zur Abhilfe der bereits einge- tretenen ihre Fetische und die Künste der Zauberer für nicht ausreichend halten. Sei es, dass sie gegen das T'schina gefehlt haben und um des allge- meinen Besten willen genötigt sind, ihr Vergehen zu beichten und zu sühnen. Die Bittenden suchen die geweihte Stätte lediglich in eigener An- gelegenheit auf und verhandeln darüber mit dem Ntöma. Ebenso mannig- faltig wie das, was sie beunruhigen mag, scheint das zu sein, was er mit ihnen anstellt, um sie zu entlasten. Die Öffentlichkeit ist ausge- schlossen. Sie müssen sich durch Fasten und anderes Verhalten vor- bereiten, wo nötig befunden auch zuvor das Gras entfernen, einen breiten Weg und Stecken nebst neuen Fransenschnüren zum Schmücken des Platzes herrichten. Sie haben Rum oder Palnıwein, -wovon eine Kleinigkeit der Erde geopfert wird, und neue Matten mitzubringen, die vor der Eingangsseite der Hütte ausgebreitet werden. Darauf stehen oder knieen sie. Manchmal wird ihnen ein gefülltes Wassergefäss auf den Kopf gesetzt und beobachtet, ob bei gewissen Bewegungen das Wasser vorn, hinten oder seitwärts überfliesst, während der Ntöma altertümliche Eisengeräte zusammenschlägt, auch ins Wasser taucht oder abgekratzten Rost hinein- fallen lässt. Mit den Eisen weiter hantierend, läuft und tanzt er um die Leute, führt Kapriolen aus, bläst sie an, streicht sie, malt ihnen rote, gelbe, weisse Linien, Tupfen, Kreise auf den Körper, erklärt schliess- lich, dass ihnen nun geholfen sei, und schickt sie mit Ratschlägen für ihr künftiges Verhalten heim. Loango. 19 290 Büssende. In alter Zeit, als noch das heilige Feuer brannte, spielte ein glim- mendes Holzstück, das Anblasen des Rauches, das Erhitzen der Eisen- geräte bei den Amtshandlungen an der geweihten Stätte die Hauptrolle. Darauf bezieht sich auch folgende Angabe in Dappers Buch: „Hierauf bläset der Schmid sein Feuer auf, darüber der Man oder die Fraun ihre Kleider halten: und der Schmid nimt ihren lincken kleinen Finger in seinen lincken Finger, und also drehen beide die Hände über den Kopf. Wan dieses drehen geschehen, schläget der Schmid zwee Hämmer drey oder viermahl gegen einander, und bläset mit dem Munde über seine oder ihre beyde Hände, welche sie neben einander halten, und mummelt dan in sich selbst. Und hiermit ist das Geliebde, das sie unwissendlich überträhten, wieder gereiniget.“ Dappers Gewährsmann lässt diese Sühne vollziehen, wenn sich Männer oder Frauen „auf das ende einer Betstelle niedersetzen, welche durch beyschlafen verunreiniget worden, ob es schon die Betstelle zweyer Ehleute were.“ Um die Hilfe Heischenden der oben beschriebenen Art, die übrigens immer seltener kommen, kümmert sich das Volk nicht sonderlich, um die Sünder der anderen Art desto mehr, denn die büssen ja nicht in eigener Angelegenheit. Dabei handelt es sich in der Regel um geringe Übertretungen des Tschina, denn wirkliche Verbrecher verfallen, wie wir schon wissen, dem Erdgericht. Hinsichtlich der Gebräuche, die den Verkehr der Geschlechter regeln, mögen sie auch mit unseren nicht gänzlich übereinstimmen, ist die öffentliche Meinung viel empfindlicher, als gewöhnlich vorausgesetzt wird. Arge Verstösse gegen das, was als sittlich gilt, bringt sogar Schande über die Angehörigen. Freilich weichen die Ansichten darüber und das Gefühl dafür bei Familien und Personen ebensosehr voneinander ab wie bei Zivilisierten. Was den einen bekümmert, mag den anderen ziemlich gleichgültig lassen. Immerhin bleiben diejenigen, welche ein Verschulden in Sachen der Liebe auf sich geladen haben, auch wenn sie es redlich büssten, gewissermassen vogelfrei und müssen befürchten, früher oder später bei einer allgemeinen Erregung der (Gemüter auf die eine oder die andere Weise zu leiden. Ängstliche gehen deswegen lieber ausser Landes, auf ferne fremde Erde. Beide Übeltäter sollen am Heiligtum der Landschaft bekennen und büssen. Dazu haben auch sie, wie schon beschrieben, den Platz zu be- reiten. Dem Ntöma sind im voraus für seine Mühewaltung je fünf Stück Zeug oder nach Übereinkunft andere Tauschwaren und etliche Flaschen starker Getränke zu entrichten. Vierundzwanzig Stunden lang darf das sündige Paar weder Speise noch Trank berühren. Bei Sonnenaufgang hat es sich am Platze einzufinden, aller Haare beraubt, über und über mit Holzkohlenpulver eingerieben, Kopf nebst Schultern mit Asche be- Büssende. 291 streut. Sie bringen zwei neue Matten und zwei grosse, fehlerlose Haus- hühner mit, der Sünder eine Henne, die Sünderin einen Hahn, die über- einstimmend oder entgegengesetzt fleckenlos weiss oder fleckenlos schwarz sein müssen. Die Leute treten splitternackt auf die vor dem Eingang zur Hütte entrollten Matten, worauf der Ntöma mittelst eines Eisens um sie einen Kreis in die Erde reisst. Dann bindet er dem Weibe den Hahn, dem Manne die Henne derartig an den Fussknöchel, dass die Vögel, ohne weitere Beschränkung ihrer Freiheit, auf den Matten aneinander kommen können. Sodann hantiert der Ntöma mit seinen kalten Eisen, nament- lich den sündigen Körperteilen zusetzend, während die Übeltäter mit leiser Stimme ihre Beichte ablegen, deren Inhalt er in der Hütte beim Klange der Tschindi wiederholt. Dies geschieht dreimal: bei Sonnen- aufgang, zur Mittagszeit, bei Sonnenuntergang. In der Zwischenzeit lässt er die Büssenden ruhig stehen, die bis zum Versinken des Tlagesgestirnes in ihrer unbehaglichen Verfassung am Pranger aushalten müssen, stumm, bewegungslos und preisgegeben den gewiss nicht massvollen Vorwürfen, dem Witz und Spott zufällig vorübergehender oder zu dem Zwecke ver- sammelter Dörfler. Ein Mädchen von Ntänga, das den Verlockungen eines älteren Mannes im Freien erlegen war, hatte es bei der Busse nicht mehr aus- halten können und war davongelaufen. Das wütend gewordene Volk hatte das Mädchen auf der Flucht eingeholt und totgeschlagen und dann auch gleich noch den Verführer umgebracht. Daraus waren weitschweifige Rechtshändel entstanden. So erzählte der alte Maböma von Lubü, der über den Fall mit zu befinden hatte. Wenn alles ordnungsgemäss verläuft, werden die Büsser am Abend entlassen, die nun nichts Eiligeres zu tun haben, als sich in der Nach- barschaft mit Hilfe sie erwartender Angehöriger oder Freunde von der Asche und der Schwärzung zu befreien und sich dafür von oben bis unten mit Rotholzpulver — tükula — einzureiben. Der Ntöma behält die Matten, die Hühner und das Getränk, wenn er morgens, mittags und abends ein wenig der Erde gespendet hat. Es scheint, dass man aus dem Verhalten der Hühner, ob sie zu- traulich oder ungebärdig sind, ob sie miteinander verkehren, ob der Hahn kräht, die Henne gackert, für das künftige Wohl und Wehe der Sünder nicht bedeutungslose Schlüsse zieht. Auch wurde behauptet, dass manche Büsser an drei Tagen in drei Monaten, je nach dem Vollmonde, sich einzustellen hätten, ferner, dass sie zunächst auf allen vieren über den gesäuberten Platz und dreimal um die Hütte kriechen oder ebenso- oft auf einem Beine umhüpfen müssten, was an das Kunststückchen beim Zuge des Ma Loängo zum Herrschersitze erinnert. Ebenso sollen Leute 19% 292 Opferpflicht. vor ihrer Entlassung behufs vollständiger Reinigung mit Erde beworfen, mit Staub angeblasen, mit abgeschabtem Rost von den Kulteisen be- pudert, mit Salzwasser besprengt werden, auch abseits über brennende Graswische zu springen haben. Wahrschemlich sind, je nach Art der Vergehen und je nach der allgemeinen Lage der Dinge, vielerlei neben- sächliche Gebräuche im Schwange. Eine Busse am Orte soll auch Jägern auferlegt werden, die es ver- säumt haben, das frische Kopfstück ihrer Beute an den Ntöma abzu- liefern, der es nachher auf dem sogenannten Tierschädelfetisch nieder- legt. Bantöma versichern, wer dagegen verfehle, der schädige die Erd- schaft und verliere das Jagdglück. Jäger und andere Leute behaupten, die Gaben seien freiwillig, schwanken aber, ob sie als Zuwiderhandelnde unter Umständen nicht verantwortlich gemacht werden können. Jeden- falls sind Priester und Erdherren gewiss nicht abgeneigt, eine Hinter- ziehung begehrter Abgaben als einen Bruch religiöser Gebote zu ahnden. Der Gebrauch, die Kopfstücke jagdbarer Tiere zu opfern, wird damit erklärt, dass die Tiere von dem leben, was die Erde hervorbringt. Richtig ist, dass die meisten Opferplätze sich als ein Zubehör bei den geweihten Stätten finden. Richtig ferner, dass daselbst fast ausschliess- lich Schädel von Pflanzenfressern liegen, nämlich von Hippopotamen, Manaten, Büffeln, Wildschweinen, von den grösseren Antilopenarten sowie von Gorillas und Schimpansen je nach Vorkommen. In die Opferpflicht verfällt demnach das Grosswild, das verhältnismässig selten und schwierig zu erlangen ist. Die kleineren Jagdtiere sind ausgeschieden, ebenso die angeführten, falls sie verendet, kalt und steif in Wald oder Campine gefunden wurden. Raubtiere sind ebenfalls nicht mit einbegriffen. Wäre es anders, so könnte man versucht sein, zu glauben, dass die mittelst Waffen erlegten Tiere, deren Blut die Erde befleckt hat, zur Sühne ausersehen wären. Zudem gibt es Knochenhaufen, die gar keine Reste von Pflanzenfressern, sondern lediglich Köpfe, Gräten und Schuppen ge- wisser grosser Seefische sowie Schädel, Ruder und Schilde von See- schildkröten enthalten, die den Erdherren zukommen. Wenn es sich um Gaben der Dankbarkeit handelte, so müssten doch vor allem die Erstlinge der Feldfrüchte dargebracht werden, ebenso auch die Köpfe wenigstens der grösseren Haustiere, die doch ebenfalls Pflanzen verzehren. Von Haustieren wird aber überhaupt gar nichts und von Feldfrüchten nur sehr selten eine Kleinigkeit an der Stätte niedergelegt. Es ist das durchaus nicht geboten. Manche dankbar gesinnte Frau mag ja von ihrem Überfluss hintragen in der Hoffnung, weitere reiche Ernten zu erzielen. Die Sitte, die Köpfe des Wildes abzuliefern, dürfte auf alte Ge- bräuche zurückzuführen sein, die aus einer Zeit des Jägerlebens stammen Opferpflicht. 293 und den Verhältnissen angepasst worden sind. Es wurde darauf in der Sage von Nküngus Sohn (Seite 170) hingewiesen. Auch ist des vom Mfümu nssi geltend gemachten Erdrechtes zu gedenken, demzufolge ihm von dem auf seiner Erde erlesten Grosswild das Hinterviertel gebührt, das den Boden berührte, und vom Elefanten ausserdem der Zahn, der auf der Erde ruhte. ; Die Ansammlungen von Schädeln und anderen tierischen Resten, die ebenfalls Bünssi heissen, werden vom Volke zumeist schlechthin als Knochen — mivesse — bezeichnet und nicht mehr sonderlich geachtet. Die Bantöma freilich, die den Nutzen davon haben, möchten den Haufen gern hohe Bedeutung beilegen, wenn nur ihr eigenes Verhalten sie nicht Lügen strafte. Die Knochen sind an allen Stellen ohne Sorgsamkeit übereinander geworfen und nicht umhegt, so dass sie zweifellos von hung- rigen Dorfhunden und wildem Getier verschleppt werden. Viele liegen ringsum verstreut und zeigen Spuren von Benagung. Selbst wenn der Ntöma an sie stösst, auf sie tritt, gibt er sich nicht die geringste Mühe, sie an den gehörigen Ort zurückzuschaffen. Sie sind abgegessen und daher für ihn wertlos. So vermögen die Ansammlungen nirgendwo eine auffällige Grösse zu erreichen, zumal da die Loängoküste schon lange nicht mehr reich an Grosswild ist. Die umfangreichsten Haufen von allen, wenigstens im Küstenstrich, der von Tschiböna, der von Mbüku und der von Tschilünga, wären je ungefähr eine kleine Wagenladung, die übrigen füllten nur einen oder ein paar Schubkarren. Der Jäger soll die Kopfstücke ganz frisch und mit der Zunge ab- liefern. Denn das Verspeisen des Fleisches erscheint jetzt wenigstens als die Hauptsache. Es geschieht wie etwas Alltägliches, Besucher und Gefolgschaft nehmen daran teil. Nach einigen dürfen die Frauen von den Opferstücken essen, nach anderen nicht; das wird von ihrem Ein- fluss abhängen. Die abgeknaupelten Knochen befördert der Ntöma auf den Haufen. Da er von den Schädeln gehörnter Tiere gewöhnlich die Hörner abzieht, ferner allen die Hirnschale aufbricht, sind die Stücke für den Sammler meistens unbrauchbar. Sonst wären sie wohl in der Stille zu erwerben. Dr. Güssfeldt vermochte im Waldlande zwei gute Schädel von Gorillas, deren Fleisch nicht gegessen wird, einzutauschen (aan). Die Knochenstapel werden, wie schon angedeutet, nicht mehr für besonders heilig gehalten. Doch mögen allerlei Umstände die Auffassung beeinflussen. Dr. Falkenstein musste seinen Versuch, den grossen Haufen zu Tschiböna zu photographieren, aufgeben, weil die Umwohner in be- denkliche Aufregung gerieten (II 17). Ein hübsches Geschenk hätte sie vielleicht willfährig gemacht, vielleicht auch nicht. Denn damals standen die Leute noch unter dem Drucke der grossen Leidenszeit und wurden 294 Verfall. Falsche Opferplätze. Neid. “von der Furcht beherrscht, dass sich wiederum wer weiss was Schlimmes ereignen könnte. Wie die Plätze vernachlässigt werden, so pflest man es auch nicht mehr genau mit den Abgaben zu nehmen. Als wir am Nänga ein Hippo- potamus zerwirkten, stellte sich der Ntöma nssi von Mbüku ein, um den Kopf für Bünssi abzuholen. Auf unser Bedeuten, dass wir den Schädel für unsere Sammlung brauchten, begnügte er sich nach einigem Zögern gern mit einem grossen Stück Fleisch vom Rumpfe. Ein eingeborener Jäger überbrachte mir von der Loängobai nach Tschintschötscho den frischen Kopf eines ausserordentlich starken Bockes einer seltenen Anti- lopenart. Wir waren zusammen dem Tiere einige Zeit vorher vergeblich nachgeschlichen. Der glückliche Schütze hatte den weiten Weg über Nacht zurückgelegt und dem Ntöma seinen Anteil an der Beute entzogen, weil er von mir belohnt zu werden hoffte. Auch sonst mögen manche nicht ängstliche Jäger dem Ntöma mit dem Essen auch die Mühe sparen, indem sie den geforderten Anteil lieber selbst verzehren und nachher die reinen Knochen heimlich zum Haufen schaffen. Sie lassen auch ein geschossenes Stück Wild ruhig liegen, bis es kalt und steif geworden ist. Nachher behandeln sie es als ein gefundenes und schleppen es heim. So umgehen sie das Gebot und beruhigen ihr Gewissen wie andere Menschen auch. Sehr bezeichnend für die Zustände ist, dass manche Opferplätze bereits mit Eigennamen belegt werden und dass Bantöma wohl nicht mit Unrecht behaupten, irgendeine in der Nachbarschaft gedeihende Schädel- stätte sei widerrechtlich und erst in neuerer Zeit angelegt worden. Der alte Vinga von Lubü, dem nebst seinem Amtsbruder in Mvümvu alle Abgaben von den an einem ausgedehnten Küstenstrich gefangenen See- tieren zufallen sollten, war sehr erbost über einen eigenmächtigen Kollegen zu Bänga am Kuilu, der daselbst kurz zuvor und mit gutem Erfolge einen ebensolchen Opferplatz eröffnet hatte, obschon ihm nur Rechte an Landtieren zustanden. Und der humorvolle Herr von Mpütumöngo, der, ohne überhaupt Priester zu sein, seinen sogar von Popanzen umgebenen Knochenhaufen vor der Tür eingerichtet hatte, lebte in lustiger Feind- schaft mit dem Nt6öma von Tschintschötscho. Dieser zweifellos Berech- tigte schleppte seine Knochen den weiten Weg nach Tschiböna und sorgte, dass dem anmassenden Nebenbuhler nicht Kundschaft zufiele. Zum Überfluss begann noch ein zweiter Häuptling in der Nachbarschaft ebenfalls einen Opferplatz aufzutun. Etliche Schädel von Büfteln und AÄntilopen, Ergebnisse kurz zuvor veranstalteter Jagden, waren bereits unter einer Adansonia an seinem Gehöft aufgestapelt. Bleibt das Jagd- slück ihm und den Seinen hold, so könnte das Beispiel noch andere zur Nachahmung reizen. Alter. Kein Gestirn- und Phallusdienst. 295 Die Opferplätze teilen das Schicksal der geweihten Stätten. Über dem Streit und Hader der Parteien verlieren sie ihre ursprüngliche Be- deutung und verfallen dem Fetischismus. Insofern hat die Gepflogenheit der im Lande lebenden Europäer, die Opferplätze schlechthin als Tier- schädelfetische zu bezeichnen, eine gewisse Berechtigung, aber im Grunde genommen doch keine grössere als ihre andere. Gepflogenheit, ihre eigenen Warenniederlagen ebenfalls Fetische zu nennen. Der Eingeborene hält weder die eine noch die andere Aufstapelung für einen Fetisch. In den älteren Nachrichten werden die geweihten Stätten und die Opferplätze oder Knochenhaufen nicht ausdrücklich erwähnt. Sie sind gewiss übersehen oder nicht sonderlich beachtet worden, weil sie ab- seits von den Wohnsitzen liegen. Sonst hätten sie mehr auffallen müssen als Fetische, mit denen die Fremdlinge vertraut waren. Wo Battell ein- mal von Opfern redet, lässt er sie, da ihm alles Fetisch ist, vor Fetischen verrichten: „Der Fischer bringt Fisch, damit ihm Hülfe beim Fischen werde; der Ackerbauer, Weizen; der Weber, Alibungos, Stücke von Bast- zeug; andere bieten Flaschen voll Wein dar. Alle bringen, was sie ent- behren und haben wollen, versorgen ihren Mokisso mit solchen Dingen, womit sie ihren Klagen nach selbst nicht versorgt sind.“ Wirklichen Fetischen wird aber zu Battels Zeit ebensowenig in solcher Weise geopfert worden sein wie heutzutage. Es ist anzunehmen, dass er eben Bünssi geweihte Stätten für nichts Besseres hielt. Seine Angabe „der Fischer bringt Fisch“ deutet geradezu auf den Opferplatz von Lubü, in dessen Nähe er lebte, und wo Seetiere abzuliefern sind. — Die Bafıöti haben keinen regelrechten Gestirndienst, obschon sie nach dem Sirius ihre Zeitrechnung berichtigen und den Mond, den Frauen gelegentlich anrufen, als Förderer des Wachstumes betrachten, obschon sie vom Sonnenpalaver reden und gelegentlich die Sterne für die Augen oder Gucklöcher Nsämbis halten. Auch Phallusdienst treiben sie nicht. Es findet sich wohl an einem Holzkloben oder Stamme der herausfordernde Rest eines Astes mit naivem Behagen derartig zuge- stutzt, dass über die Absicht des Schnitzers kein Zweifel obwalten kann. Auch die Raute, das bekannte Zeichen für die Vulva, taucht ab und zu auf, das, soweit meine Beobachtungen reichen, Völkern vom Eismeere bis in iR Tropen geläufig ist, obwohl es ihnen von den Europäern über- liefert sein mag. Doch sind derlei Äusserungen männlichen Übermutes in Loängo immerhin sehr selten und nie in oder an Wohnstätten zu sehen, denn dann kriegte man es mit den Weibern zu tun. Eine tiefere Bedeutung kann diesen und anderen Erzeugnissen der Schnitz- und Zeichenlust nicht mehr zugestanden werden als den ein- schlägigen Kunstleistungen etwa in den unentbehrlichen Gelassen öftfent- licher Gebäude. Nun gibt es allerdings noch etliche grosse Fetische 296 Unsterblichkeitsglaube. in männlicher Gestalt, die ganz Ungeheuerliches darbieten. Aber das ist, wie später zu erklären, bloss Marktschreierei. Bei ihnen und ihren Meistern suchen Männer insgeheim Trost und Stärkung. Tänze, Aufzüge, überhaupt irgendwelche Veranstaltungen, wobei der Phallus eine Rolle gespielt hätte oder auch nur zu sehen gewesen wäre, haben wir nicht beobachtet. Dagegen schreibt Degrandpre, dass er bei der Leichenfeier eines Königs (1787) einige maskierte Personen mit einem ungeheuren, mittelst Federkraft bewegten Priap vor ver- sammeltem Volke unzüchtige Tänze aufführen sah. Er betont, dass namentlich die anwesenden Weiber des Verstorbenen sich über diese Vorstellung sehr belustigten und dass Kinder zugegen gewesen seien, So wie wir die Eingeborenen und ihr Gefühl für das Schickliche kennen gelernt haben, würden wir ein solches Schauspiel in Loängo nicht für möglich halten. Allein Degrandpre berichtet als Augenzeuge und er- weist sich in jeder Hinsicht als ein glaubwürdiger Mann. Dieses Bei- spiel lehrt wiederum, wie selbst bei jahrelangem Einleben mit einem Volke Vorgänge verborgen bleiben können, die mit allen übrigen Er- fahrungen nicht in Einklang zu bringen sind. Vielleicht handelte es sich damals um eine Rüpelei, wie sie allerwärts einmal vorkommt, viel- leicht um eine anderweit bedeutsame Vorführung, die, gleich dem sagen- haften Kudyömba, nur bei Feierlichkeiten allerersten Ranges stattfand. Was von Ahnendienst vorhanden ist, oder dahin gedeutet werden kann, wird sich aus dem Folgenden ergeben. Man könnte viele Monate in Loängo verweilen, und nachher ver- sichern, je nach zufälligen Auskünften und Beobachtungen, dass ein aus- geprägter Unsterblichkeitsglaube die Gemüter erfüllte, dass keine Spur eines solchen vorhanden wäre. Das ist unsere eigene Erfahrung. Beides wäre unrichtig. Freilich behaupten Gewährsleute, mit dem Tode oder mit der Totenfeier sei alles vorüber. Aber ihre Herzensmeinung ist das nicht, denn ihre Handlungen widerlegen ihre Worte. Solche Redens- arten sind vielsinnig und beziehen sich oft auf ganz anderes, als man wissen wollte. Die Bafiöti glauben allesamt an eine Fortdauer. Der Tod ist nicht der Abschluss alles Lebens, sondern bloss eine Scheidung zweier Formen des Daseins: des körperlichen und des seelischen. Niemand zweifelt daran, dass vom Menschen nach dem Tode noch etwas Selbständiges übrigbleibe. Dieses bald zu erklärende Etwas, meinten Männer, stecke beim Lebendigen im Rückgrate und reiche bis in das Gemächte, es gleiche einem Wurme oder sei darin enthalten, wobei sie gewiss an Rückenmark und ejaculatio denken. Sie vergleichen auch Weib und Erde, Regen und keimende Saat. Mehrere Seelen. 297 Im Menschen sind zweierlei Leben: einmal die körperliche, die pul- sierende Lebendigkeit — möyo, sodann das Leben, das geistige Lieben, die Dauer, das Sein — lusingu. Der lebendige Mensch ist eine Einheit. Der tote Mensch, der unbeerdigt daliest, ist eine Zweiheit, fast eine Mehrheit. Diese besteht aus dem Leichnam — tschivimbu, plur. bivimbu — und aus dem Weiterlebenden, das die Hülle-oder den Körper — nitu, nyitu, plur. sinitu, sinyitu —, zu dem es gehörte, verlassen hat. Dieses Fortdauernde, nicht möyo, sondern lusingu, ist des Menschen nicht greif- bare Hälfte, ist seine Natur, seine ganze Wesenheit — lupängulu —, wovon nur ein Teil die Seele ist. Möyo ist gänzlich zu Ende, ist tot, und mit ihm haben aufgehört alle Verrichtungen des nun zerfallenden Körpers. Lusingu dagegen stirbt nicht. Es bleibt mit den Äusserungen des Geistes, mit dem Wünschen, Fordern, mit dem Willen: lusölu. Kusöla: wollen, lieben, oft zugleich auch tanzen, nämlich den Becken- oder Hüftentanz. Und das ist bedeut- sam. Tanz, so hingebend und feierlich betrieben, ist nicht Gottesdienst, aber Ahnendienst: er gilt den gewesenen und den kommenden Ge- schlechtern.. Er verherrlicht die Übertragung des Seins durch die Ver- mittler an die, die sein werden. Sonach hat die Seele zwar ein Sein — lusingu, aber sie ist keines- wegs das Leben — möyo — selbst, das im Herzschlag — bäga möyo — pulst, im Blute — mönga — sitzt, und mit diesem verebbt oder mit ihm durch List und Zauber zerstört wird. Die Seele ist auch nicht der Schatten, obschon der Glaube gäng und gäbe ist, dass Tote und Ge- spenster keinen Schatten werfen, was aber nur in gewissem Sinne zu ver- stehen ist. Die Seele entweicht mit dem letzten Atemzuge — mvümuku, aber sie ist keineswegs der Atem — muvü — selbst, die fühlbar und hörbar aus und ein gehende Luft. Der Atem hört beim Tode — lufuä, eigentlich das Sterben — auf, eben daran stirbt der Mensch. Die Wesenheit, die den Körper verlässt, besteht aus dem Abbilde des Menschen, aus der Seele, sodann aus dem gesamten geistigen Ver- mögen, nennen wir es Potenz, worunter zu verstehen ist: Lebens-, Genuss- und Zeugungskraft — lunyensu — Verstand und Einsicht — lünsi und luvindu, Gewissen, Herz und Gemüt — ntima und luntimu. Es wird gesagt, dem Narren fehle es an lünsi und luvindu, im Irrsinnigen sei beides verwirrt, während ihnen doch luntimu und luny@nsu und die Seele nicht abgesprochen werden. Bei hastigem Verfahren könnte man von einem Glauben an zwei, drei, auch vier Seelen reden. Diese wären: die Potenz, das Schöpfe- rische als Ahnen- oder Abkunftswesen, vielleicht auch als Teil einer All- oder Weltseelee Sodann die Personen-, Art- oder Gelüstseele. Schliesslich, wie sich nachher ergeben wird, die Traumseele und die 298 Potenz und Seele. schweifende Seele oder Wildnisseele. Solche Auffassung träfe aber nicht das Richtige. Das erste, die Potenz, ist für die Bafiöti überhaupt keine Seele: es ist unpersönlich, unsichtbar, unvergänglich, unzerstörbar. Nur die zweite Seele ist eine wirkliche Seele, und sie ist eine und die selbe mit der dritten und vierten: das Abbild des Menschen, persönlich, fangbar, ver- letzbar, vernichtbar. Sie ist eigentlich die Person selbst in einer anderen Lebensform. Vergänglich ohne äusseren Eingriff ist sie wenigstens inso- fern, als sie schliesslich in Vergessenheit sinken, an den Ort kommen kann, von wo keine Seele wiederkehrt, es sei denn von Nsämbis Gnaden. Dann ist es vorbei mit ihr. Die Menschen, besonders ihre Angehörigen, brauchen sich nicht mehr um sie zu kümmern. Und das ist das beste. Demnach ist eine zweifache Fortdauer nach dem Tode zu betrachten. Zunächst die Potenz. Sie besteht aus den bereits angeführten Eigen- schaften in mannigfaltiger Mischung, ist unpersönlich, unvergänglich, un- zerstörbar. Sie wird auch niemals sichtbar. Wie das Körperliche, wie Familienähnlichkeit ist sie etwas durch Abstammung Gemeinsames der Vorfahren und Nachkommen, Vergangenheit und Zukunft verbindend und durchdringend. Dieses Gemeinsame geht, trotz Mutterrecht, in der männlichen Linie, wird durch den Vater überliefert, weswegen auch gewisse Bestandteile des persönlichen Tschina, wobei an Totemismus zu denken ist, sich stets vom Vater auf die Kinder vererben. Und zwar nicht bloss auf eheliche Kinder, sondern auch auf uneheliche, namentlich auf die im zweiten Kapitel behandelten Kopfkinder und Erd- oder Gottes- kinder. Vom Erzeuger — muesi — geht die Potenz ungefähr wie die körperliche Ähnlichkeit über in die Erzeugten — muäna, plur. b’äna (baana), sie kommt von den Vorfahren — nkülu (mukülu), plur. bakülu — und geht in die Nachkommen über, in die Enkel — ntekulu (mutekulu), plur. bate- kulu.*) Durch den Erzeuger wird alles im lümi, dem vom Mannteile trinkenden Weibteile, überliefert, wo es sich entwickelt. Geburt in solchem Sinne ist Wiedergeburt oder besser: Weitergeburt. Die Potenz ist demnach nichts persönlich für sich Bestehendes wie die Seele, sondern eine Fortdauer der Vorfahren in den Nachkommen, wirksam durch alle Glieder der Kette. Väter, Kinder und Kindeskinder sind gleichsam wiedergeborene Ahnen. Bei Kleinleuten hat das natür- lich nicht viel zu bedeuten, bei Grossleuten desto mehr. In Bedrängnis geratene Männer von verantwortlicher Stellung ziehen sich ins Innerste ihrer Behausung zurück oder gehen abseits ins Freie oder, was am seltensten vorkommt, an die Gräber ihrer Älteren. So tun sie, um sich *) Die Abstammung: luküluku, von kukülula: abstammen, gleichsam von ferne herabsteigen. Nebenher hört man noch kusäbula und kusäbusa, sowie Hinweise auf nsabusi, den Fährmann, doch ist mir der Zusammenhang nicht klar geworden. Seele. Ahnendienst. 299 zu sammeln, um der Gewesenen zu gedenken, wie die wohl beschliessen würden. Sie setzen sich nieder, drücken das Gesicht in die Hände, murmeln wohl auch mit sich selber wie mit einer zweiten Person, was sie aber auch sonst oft tun: laut denken. Aber sie erwarten nicht etwa, dass die Seelen der Vorfahren, also die Seelen als Abbilder wirklich mit ihnen verkehrten, der Gedanke würde sie entsetzen, oder dass die Vorfahren ihnen in den Kopf stiegen, welcher Ausdruck nur bildlich zu nehmen wäre. Denn die Potenz der Vorfahren waltet schon immer in ihnen, seitdem sie leben, sie ist mit ihnen geboren. Die Bekümmerten wollen vielmehr ihrer Gewesenen gedenken, in ihrem Sinne mit sich zu Rate gehen, sich klar werden, ungestört einen Entschluss fassen, die vielleicht locker gewordenen Beziehungen wieder stärker empfinden. Mit der Erinnerung gewinnen sie Trost und Selbstvertrauen. Ihre Herzens- not treibt sie zu einer Selbsteinkehr, wenn man will zu einer Handlung der Pietät, zu einem schönen Ahnendienst, der auch Zivilisierten nicht fremd ist, die zu Gräbern gehen. In Südwestafrika, zu Okahändya, sah ich den alten Oberhäuptling Mahärero im Dämmerstündchen zu dem mit Gehörnen der Kuduantilope, des Totemtieres, geschmückten Grabe seines Vaters Tyamuäha gehen, wo er in seiner Bedrängnis mit sich und vielleicht mit ihm zu Rate ging. In Loängo habe ich dergleichen nicht beobachtet, nur davon gehört, als ob es gelegentlich vorkäme. Unser Maböma sass einst wohl zwei Stunden unbeweglich auf dem Strande vor der tosenden Brandung, die Ellbogen auf die hochgezogenen Knie gestützt, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Politische Ver- wicklungen machten ihm das Herz schwer. Ein anderes Mal, während eines schwierigen Palavers, hockte er eine halbe Stunde abseits in unserem Gehöft, mit sich selber redend, ab und zu leicht gestikulierend, bis er. seinen Entschluss gefasst hatte. Einen anderen Häuptling sah ich grübelnd an einem Baume, mit der Stirn am Stamme, stehen. Die An- gehörigen der Fürstenkaste können die Gräber ihrer ebenbürtigen Vor- fahren und Verwandten überhaupt nicht besuchen, weil die jenseits des für sie unüberschreitbaren Luntämbi lu mbensa liegen, und ihrer rang- losen Erzeuger, falls sie ihnen bekannt sind, achten sie weiter nicht. Sie haben nur Mütter, nicht Väter. Sie sind eben Kaste, nicht Volk. Mit der Seele, wie wir fernerhin kurz das mehrdeutige Wesen der (selüstseele oder Wildnisseele oder Traumseele nennen wollen, also mit der zweiten Lebensform der Person, hat die beschriebene Art des Ahnen- dienstes in Loängo nichts zu tun. Im Gegenteil. Man scheut die Seelen, man bangt vor ihnen, man wünscht ihnen nie und nirgends zu begegnen. Die Seele, das Abbild vom Menschen, die zweite Lebensform, ist etwas in sich Abgeschlossenes, das persönlich weiter lebt nach dem Tode, 300 Abbild vom Menschen. und völlig oder abgeschwächt irdische Eigenart behält. Man traut ihr zu, dass sie sich zu bereichern, gewissermassen zu mästen verstehe, dass sie anschwelle, gross und mächtig werde, dass sie sogar andere Seelen sich untertan mache. Das Jenseits ist die Fortsetzung des Diesseits. Drüben gibt es oft nichts, weswegen Hinterbliebene sorgen sollen für die Seele, damit sie ihre Ruhe finde und in Ruhe lasse. So ist auch die Unversehrtheit des Leibes im Tode sehr wichtig. Wie und woher die Seele in den Menschen gelange, darüber ist man vielerlei Meinung. In der Hauptsache wird als Vermittler das Weib betrachtet. Aber nicht so, als ob die Mutter von sich dem Kinde die Seele gäbe, wie der Vater die Potenz, sondern als ob die Seele ım kritischen Augenblick als ein Drittes irgendwie hineinschlüpfe. Daher der Glaube, dass Seelen zweierlei Menschen anreizen, um wieder eingekörpert werden zu können. Daher allerlei Vorsichtsmassregeln im wichtigen Augenblicke der Ehe, damit nicht eine schlechte Seele die Gelegenheit wahrnehme. Denn die Seele macht das Kind zum guten oder bösen Menschen, beglückt oder verderbt es. Geschieht es doch sogar, dass eine Seele in den Menschen, der schon eine hat, hineinfährt oder hineinfahren will, und das verursacht schlimme Vor- gänge. Eine schlechte Seele verdirbt die beste Potenz. Die Seele des Guten ist gut, die des Bösen ist böse. Sie kommt so mit ihm auf die Welt, wie es sich fügt. Auch das Allerböseste, das (sefährlichste, das es gibt: der Ndödschi, nämlich das böse Wesen, der Ziauberer, die Hexe, der Unhold, wird geboren. Mit den Tieren verhält es sich kaum anders. Auch sie, die denken, miteinander reden, haben Potenz und dazu eine Seele, die nach dem Tode weiter lebt und in ihrer Weise weiter handelt. Daher die Fabelwesen. Indessen kümmert man sich um diese bloss nebenbei, da verpflichtende Beziehungen nicht bestehen. Desto mehr beschäftigt man sich mit den Seelen der Menschen, besonders mit denen der Mächtigen und derer, die einem nahe stehen oder nahe standen. Es ist ein eigen Ding um die Seelen. Selbst die, die in Lebenden hausen, haben eine unüberwindliche Neigung, sich umherzutreiben. Beim Bewusstlosen ist das Leben noch da, solange er noch nicht riecht, aber die Seele ist ausgefahren und weilt irgendwo. Da ist Vorsicht geboten. Ebenso beim Schlafenden, den man nicht jählings wecken soll, weil seine Seele wandern könnte. Man muss ihr Zeit lassen, zurückzukehren. Manchmal begegnet der umherstreichenden Seele eine andere. Die ist gut, und die sagt ihr: kehre um, gehe heim, bleibe, wo du hingehörst. Oder sie trifft eine böse Seele, die sagt ihr nicht: gehe heim, sondern nimmt sie mit, verlockt und verschleppt sie, so dass sie lange ausbleibt, bisweilen sich gar nicht wieder zurück findet. Abbild vom Menschen. 301 So hat schon der lebendige Mensch mit der eigenen Seele seine liebe Not. Er ahnt ihre Neigungen. Und im Schlafe merkt er erst recht, was sie eigenmächtig unternimmt. Sie fliegt wie ein Vogel. Sie schweift in die Wildnis und jagt. Sie steigt in den Kahn und fischt, Sie geht vielleicht zum Baume, wo die Placenta vergraben worden ist, mit der sie geheimnisvolle Beziehungen unterhält. Sie macht sich lüstern an das andere Geschlecht, fährt in ein Tier, treibt vielerlei harmlosen oder groben Unfug. Das alles geschieht wirklich. Was wären sonst die Träume? ‚Solches erfährt ‘der Lebende an der eigenen Seele. Wieviel Not machen ihm nun erst die Seelen der Toten. Denn die Trennung der Seele vom Leibe löst durchaus nicht, leider nicht! ihre alten irdischen Beziehungen. Wie ehedem hält sie sich an ihren früheren Körper, sowie namentlich an ihre Angehörigen. Sie umschwebt zunächst die leblosen Reste, später vielleicht die Grabstätte, ‘treibt sich auch sonst noch wer weiss wo herum, je nachdem sie geartet ist. Sie kehrt ferner zu den Orten zurück, die einst dem Liebenden teuer waren, hängt überhaupt an ihren Liebhabereien. Daran zu zweifeln, kann niemand einfallen, denn der überzeugenden Beweise gibt es genug. Diejenigen, welche einen Verstorbenen gekannt, geliebt, gefürchtet haben, tragen ihn nicht bloss in der Erinnerung, im Herzen — kubäla ku ntima —, sondern sie nehmen ihn auch wahr. Im Traume erscheint der Mutter das verlorene Kind, dem Manne die Frau, dem Herren der Hörige; es meldet sich der Freund, der Feind. Folglich sind sie noch da. Aber nicht bloss schlafend, auch wachend, im Hellen, im Dunkeln verspürt man die Abgeschiedenen, in Wald, Campine, Pflanzung, Dorf und Hütte. Sie sind da, wenn es raschelt, knackt, senfzt, klopft, wenn einem ein absonderlicher Geruch in die Nase kommt, wenn es einem in den Ohren summt, wenn einen ein kühler Hauch umfächelt. Noch unheimlicher, falls ein Angehöriger in der Fremde verstarb, wahrscheinlich kein ordentliches Grab fand. Alsdann sucht seine Seele oft die Heimat auf, und zwar als Vogel, oder in einem wirklichen Vogel, in den sie geschlüpft ist. Wer kann das wissen. Aber man merkt es. Auf einmal erscheint ein solcher Vogel am Orte, wo man ihn sonst nicht sah, hält sich längere Zeit daselbst auf und zeigt ein vertrauliches oder zudringliches Gebaren. Das ist bedeutsam. Nicht weniger unheimlich, wenn jemand verscholl, irgendwo auf un- erklärliche Weise verschwand, wenn die Sorge um sein Verbleiben, das Geheimnisvolle seines Schicksales, das Schwanken zwischen Hoffen und Bangen, die Phantasie desto lebhafter erregen. Die Seinen wähnen ihn bald hier bald dort zu bemerken. Ähnliche Kunde kommt von anderen Orten. Sie suchen ihn, ziehen im Lande umher und mustern argwöhnisch das Ge- sinde in den Gehöften der Weissen. Lebt der Vermisste, ist er tot, ist 3023 Tote. Gespenster. er Hexenkünsten zum Opfer gefallen? Die Familie, die Gemeinde, die ganze Erdschaft regt sich darüber auf. Es geschehen Zeichen und uner- klärliche Dinge. Es ahnt. Überall in den Dörfern wird das Unheimliche besprochen. Des Nachts liegen sonst belebte Plätze wie ausgestorben. Der fröhliche Lärm ist verstummt. Zagend verkriechen sich die Leute in ihre Behausungen und lauschen, was sich draussen begibt. Denn die Toten gehen um. Diese Toten — mvümbi (muvümbi), plur. bavümbi —, das sind die Leute der Campine, die Leute des Waldes, des Wassers oder wo sie sonst sich aufzuhalten pflegen. Das sind die schweifenden Seelen, die nicht oder noch nicht in das Totenreich eingegangen sind, die noch am Irdischen hängen, weil sie unversorgt geblieben sind, weil das Leben ihres früheren Trägers gewaltsam verkürzt worden ist, oder weil sie einfach schlecht sind und auf Böses sinnen. Die allerschlechtesten kommen aus der Fremde. Sie alle betragen sich wie Lebende, sind aber doppelt geartet: bald unsichtbar, bald in die Erscheinung tretend. Alsdann sind sie schleier- haft, wie Dunst oder Rauch, halb durchsichtig, manchmal auch fester, so dass man sie fühlen, packen kann, werfen aber keinen Schatten. Mancher vermag sie zu erblicken, mancher nicht. Doch Raum brauchen sie alle. Durch etwas Dichtes, durch Wände, Dächer, Türen, durch engmaschige (sewebe können sie ebensowenig hindurch, wie bei Lebzeiten mit ihrem Leibe. Und in einen Menschen vermögen sie nur durch eine der sieben Öffnungen des Leibes zu schlüpfen — die Augen zählen nicht mit. Sie hausen in der Luft, im Grase, im Busche, auf Wegen, in und auf Bäumen, in Erdlöchern, Schluchten und Felsspalten. Sie wühlen die Saat aus frischbestellten Feldern, entleeren die Mostgefässe oben in den Palmkronen, trinken die Eier aus in liederlich gebauten Geflügelschlägen, drangsalieren Menschen und Haustiere. Alles das tun sie hauptsächlich des Nachts. Man kann sie totschiessen, einsperren, einpflöcken, in Schlingen und Tüchern fangen, mit Sand, Salz oder Pfeffer blenden. Aber wer sie bekämpfen will, muss ein mutiger Mann und ein ausgelernter Zaubermeister sein. So steht es mit den Toten: bavümbi, mit den Seelen: binimba, binyömba, bimbinda, bindele. Mit bavümbi sind die Toten allesamt, ist alles gemeint, was vom Leibe gelöst sich in zweiter Lebensform herumtreibt. Tschinimba und tschinys&mba heisst die Seele schlechthin, tschimbinda die Seele, die in Erscheinung tritt, und tschindele die, die hellhäutig und manchmal als neuer Mensch wiederkehrt. In der Unter- haltung werden natürlich die Bezeichnungen nicht stets sorgfältig ge- sonder. Am häufigsten hört man bavümbi und binyemba. Vielleicht hängt der Ausdruck zusammen mit kudyemba und lemba: alles mit Treiben der Seelen. 303 Zeugung und Adoption Verbundene, vielleicht mit buyemba: Armut, tschiyembe: arm sein. Denn nach dem, wie sich die Bafiöti den Zustand der Seelen vorstellen, empfinden diese hauptsächlich, was auch den Lebenden so arg plagt: Armut und Hunger. Mit Hunger sein, sterben, wild sein vor Hunger, das traut man den Seelen am meisten zu. Dabei wird aber nicht bloss einseitig an Essen und Trinken, sondern an alle möglichen Bedürfnisse und Gelüste gedacht. Der Seelenzustand scheint im allgemeinen bulembu zu heissen. Das Wort spielte eine grosse Rolle während des Notstandes zu Anfang der siebziger Jahre. Der Schrei höchsten Entsetzens: bulämbu! bul&ämbu! der von Mund zu Mund flog, vermochte eine unbegreifliche Kopflosigkeit zu erzeugen. Niemand wusste mehr zu sagen, als dass es sich um eine gespenstische Karawane handelte, die schon mehrmals in Zeiten grossen Sterbens das Land durchzogen hatte. Es war ein entsetzlicher Spuk, worüber das innerste Herz erstarrte. Glücklicherweise melden sich weder alle binyemba, noch sind sie geneigt, umherzuspuken. Auch sind sie nicht dauernd an die Gräber gebunden, und sind ganz sicher fort, sobald die Grabhügel einsinken, weil dann die Leiber der Toten in die Tiefe gegangen sind. Aber die Guten, die Wohlversorgten, die Zufriedenen — mit den Gierigen steht es leider anders —, ziehen schon weiter, nachdem sie durch die Klagefeste, durch die Grabtänze erfreut worden sind. Sie nimmt auf das Reich der Abgeschiedenen — nssi a fuä —, am Ende der Welt — lumämu lu nssi össo.. Wo oder wann das ist, denn lumämu gilt räum- lich wie zeitlich: im grossen Wasser, wo Mond und Sonne versinken, in einem Walde, unter der Erde, oben bei den Sternen, bei Nsämbi, oder am Ende aller Dinge; ob die Grossen gross, die Kleinen klein bleiben, ob gut Gewesene es gut, schlecht Gewesene es schlecht haben, ob sie essen, trinken, tanzen, singen, arbeiten, ob sie überhaupt Wesen bleiben oder in nichts zerfliessen — wer kann das wissen? Es ist auch gleichgültig. Im allgemeinen neigt man zur Meinung, es sei drüben wie hierüben. Jedenfalls sind die Seelen fort, fertig, sie wollen und fordern nichts mehr. Sie sind in der Vergessenheit — lusimbänganu. Damit ist die Angelegenheit für die Menschen abgetan. Das ist der Unsterblichkeitsglaube der Bafiöti. Er reicht so weit wie die Verpflichtung, wie das Gedenken, das Interesse. Etwa wie bei uns grosse Persönlichkeiten,. im Gegensatz zu ruhmlos verstorbenen, im Munde der Leute fortleben. Eine bemerkenswerte Ausnahme in der Auffassung vom persönlichen Walten des höchsten Wesens ist der schöne Glaube, dass einer abge- schiedenen Mutter, die sich nach ihrem Kinde sehnt, von Nsämbi ge- stattet werde, zu ihrem Liebling zurückzukehren. Nsämbi bewillige ihr 304 Wiedersehen. Abfindung der Seelen. sogar, das Kind, das nach der Mutter ruft, weil es ihm auf Erden schlecht ergeht, zu sich zu holen. Und umgekehrt: zu einer Mutter, die sich im Gram um ihren verstorbenen Liebling verzehrt, kann das Kind zurück- kehren, es kann wieder geboren werden. Dass auch der Gedanke an ein Wiedersehen drüben vorhanden ist, hörte ich von unserem Maböma. Als ich kurz vor seinem Tode nochmals bei ihm weilte, sagte er mir in Gegenwart seiner Leute, mit ihm wäre es vorbei, er ginge nun zur Erde, zu Mutter und Vater. Anscheinend gibt es auch einen Verweser an der Schwelle des Reiches der Abgeschiedenen, der gelegentlich wieder mit dem politisch einst so wichtigen Fährmann in Verbindung gebracht wird. Da hätten wir den Charon. Nur war leider darüber gar keine Klarheit zu erlangen. Es kann ein beliebiger Unhold gemeint sein. Ob dieser, als Wächter am Totenreiche gedacht, etwa die einziehenden Seelen wasche oder weiss färbe, war niemand bekannt. Die Vorstellungen vom Sein nach dem Tode, von der Seele als Ab- bild des Leibes führen zu Handlungen, die auf Abfindung der Toten, in der Hauptsache immer auf Schutz der Lebenden gerichtet sind. Ein System solcher vorwiegend abwehrender Handlungen, denen jedes, auch das derbste Mittel recht ist, als Seelenkultus zu bezeichnen, erscheint bedenklich. Indessen kommt es auf die Auslegung an. Wie wir schon wissen, gehört es zu den höchsten Wünschen der Lebenden, recht schön begraben, festlich beklagt und gut beredet zu werden. Das ist nicht bloss Grosstuerei. Vielmehr soll die Seele ver- sorgt sein, standesgemäss ins Jenseits gelangen, und bald ihre Ruhe finden. Gleich unseren Kleinleuten, die es sich vielfach am Munde ab- darben, um einst eine schöne Leiche zu sein in Staatskleidern eingesargt zu werden, den Totenschmaus reichlich ausrichten zu lassen, so sammeln die Eingeborenen, die auf sich halten, bei Lebzeiten Ballen von Stoffen zum Einwickeln ihrer Reste, und andere Schätze, darunter auch Rum, womit der Aufwand für die Leichenfeier, der manche Familie zu ruinieren vermag, bestritten werden soll. Schaffen die Angehörigen nachher von diesem Ersparten beiseite, legen sie nicht vom Eigenen hinzu, um die Beerdigung prunkvoll zu ge- stalten, die Klagefeste recht oft und lange zu wiederholen, so bekunden die zu kurz gekommenen Seelen ihre Unzufriedenheit. Und das ist bei Seelen von Grossleuten sehr ernsthaft zu nehmen. Deshalb küm- mern sich um sie nicht bloss die Angehörigen und Freunde, sondern die Gemeinde, die Erdschaft und die Nachbargebiete. Sie für die Zu- kunft sich wohlgeneigt zu stimmen, strebt man schon bei Lebzeiten ihrer Träger an, besonders wenn man glaubt, dass es mit ihnen zu Ende gehe. Krankenbesuche. Scheinbegräbnis. 305 Solche Regungen sind nicht unwesentlich für eine Entwicklung des Mitgefühles. Von weither kommen Bekannte, raten, trösten, bringen Geschenke. Die Seele, die wer weiss was anrichten, wer weiss wen nachholen könnte, soll freundlich gesinnt scheiden und nachher in Ruhe lassen. Als es mit unserem Maböma zum Sterben kam, eilten Besucher in Menge herbei, unter ihnen Fürsten vom fernen Waldlande. Aller- dings war unser Maboma ein beliebter und hochgeachteter Häuptling. Doch glaube ich, dass man sich um einen recht bösen, gefährlichen Grossmann noch mehr bemühen würde. Übrigens wird Blutsbrüderschaft vornehmlich um der Seelenversorgung willen geschlossen und ist in diesem Sinne eine Art Versicherung fürs Jenseits. Wegen der Seelen von Kindern, von Kleinleuten, von Ausgestossenen, Leibeigenen und Hörigen, die der Herr nicht besonders wert hielt, wird nicht viel Aufhebens gemacht. Es ist im Tode wie im Leben. Um die Seelen, deren Träger unter ihresgleichen nicht viel zu bedeuten hatten, ist es schlecht bestellt. Sie mögen sehen, wie sie auskommen. Übler daran ist man mit den Seelen der Menschen, die frühzeitig und gewaltsam, sei es durch Hexenwerk, sei es durch offenen Mord, das Leben verloren haben. Sie sollen mindestens noch so lange umgehen, wie ihr irdisches Sein gedauert haben würde, wenn es nicht frevlerisch | verkürzt worden wäre, finden aber leicht Geschmack am Umgehen und treiben es weiter. Jedenfalls können sie nicht Ruhe finden und plagen ihre Angehörigen, bis die Verbrecher entdeckt und bestraft worden sind. Daher die Blutrache und die schonungslose Vernichtung ausgefundener Hexen, die nicht in die Erde gelegt werden dürfen, mit deren Leibe auch das Böse, das Abbild, die gefährliche Seele zerstört werden soll. Für eine ordentliche Seele ist die Beerdigungsfeier so wichtig, dass sie solche auch dann fordert, wenn die Hinterbliebenen den Körper gar nicht erlangen können. Der Mensch hatte sein Heim, die Seele will für ihre Hülle ein Heim haben: die Grabstätte in eigener Erde. Um ihr und allerdings auch den Mitmenschen. zu genügen, wird ein Scheinbegräbnis veranstaltet. So tun wenigstens Leute von Familie. Wir haben es erlebt, dass unser Dolmetscher in dieser Weise für seine im Meere versunkene Schwester sorgte. Umgekehrt will man Seelen von Fremdlingen — bätua — nicht an seine Erde binden, weil sie mehr fordern, spuken könnten, will man sich mit dem Verscharren von Toten nicht befassen, um sich keine Verpflich- tungen aufzubürden, weil der erbt, der begräbt. Daher die Verweigerung des Grabes, Palaver und Scherereien, wie im zweiten Kapitel geschildert worden ist. Die Leiche eines Erdfremden, die längere Zeit unweit unseres Ge- höftes und des nächsten Dorfes in der üblichen Aufmachung hing, Loango. 20 306 Seelenfurcht. verursachte den Umwohnern keinerlei Beklemmungen. Mein Leibdiener und Vertrauter Ndembo ging mit mir öfter vorüber. Ganz geheuer mochte es ihm in der Nähe nicht sein, und allein wollte er im Dunkeln um keinen Preis hin. Mit mir trat er jedoch eines Abends an die Leiche hinan, nur hielt er sich aus guten Gründen, nicht etwa aus Seelenfurcht, die Nase zu. Ihm graute nicht vor der tschinyömba des Fremden, denn die war einstweilen ganz ordnungsmässig versorgt und hatte das Weitere abzuwarten. Aber er fürchtete bavumbi, also andere Tote, die sich an der Stelle herumtreiben könnten. Unser Nachbar, ein sehr liebenswürdiger Portugiese, hatte einen Knaben, Mkissi genannt, einen etwa zwölfjährigen strammen Muntetsche mit schönen Wangenschnitten. Der Bengel machte ihm viel Ärger und wurde hart gestraft. Das erweckte mein Mitleid, denn Mkissi hatte, wie man so sagt, etwas Apartes an sich. Eines schönen Tages erhielt ich ihn als Geschenk zugesandt, ich möchte versuchen, mit ihm fertig zu werden. Nun, der Knabe schlug ein und hat sich nachmals als freier Mann im Dienste von Europäern gut bewährt. Ich hatte ihn noch nicht lange, da starb sein früherer Herr, und wir begruben ihn. Mkissi ging freiwillig mit, nicht aus Liebe, sondern aus Furcht. Die Rückkehr vom (rabe artete bei den Leuten des Verstorbenen und bei unserem Gesinde fast zur schmählichen Flucht aus. Nur nicht Letzter sein. Ich blieb absichtlich zurück. Mkissi, mit der Hand nach mir tastend, drängte sich schaudernd dicht neben mich. Er fürchtete am lichten Tage die Seele des Weissen, der einst sein Herr war und ein gar strenges Regiment geführt hatte. Am Abend geriet er ganz ausser sich und bat, unter meinem Schutze schlafen zu dürfen. Bei den anderen Jungen fühlte er sich nicht sicher. Ihm graute vor dem Verstorbenen und vor den Leuten der Oampine. Wochenlang getraute er sich ohne mich nicht in die Dunkelheit hinaus. Um das Grab machte er nachher stets einen Bogen, falls er sich nicht an mich halten konnte. Von einem noch nicht Beerdigten redet man ganz unbefangen, nennt ihn auch bei Namen, ebenso bei den Grabtänzen. Erst später scheuen das manche oder viele, je nachdem die Seele für gefährlich gehalten wird. An des Maboma Grabstelle, die ich beobachtete, ausmass und zeichnete, begleitete mich Nd&mbo mehrmals, half mir und belehrte mich über vieles. Er berührte das Grab und den umgekehrt darüber gestürzten Leichen- wagen ohne Scheu. Allerdings war der Verstorbene ein guter Mann gewesen. Als ich aber ein paar Blüten auf den Hügel warf, nahm sie der Junge schnell weg und trug sie abseits. Das wäre nicht der Brauch, bedeutete er mich, und könnte den Toten stören, bavüumbi reizen. Es war vielleicht auch Besorgtheit wegen falscher Auffassung meines Tuns durch die Dörfler. Seelenfurcht. 307 Solange ein Grosser nicht begraben, also auch nicht beerbt worden ist, reden und handeln die Angehörigen in seinem Namen, als ob er sie beauftragte. Seine Seele ist noch da. Daheim vertritt ihn eine lebens- grosse Puppe, bei Botschaften und Palavern ein Würdenzeichen: Stab oder Zeptermesser. Die Geschäfte besorgt- ein Vertreter. Daher der Reichsverweser im Königsgau. Daher viele der allenthalben im Lande sitzenden Häuptlinge, die häufig bloss unbeerdigte Machthaber vertreten, freilich oft so lange, dass sie an deren Stelle rücken. Wie den Resten von Fürsten und Würdenträgern, die nicht begraben worden sind, so ergeht es den Resten von Ausgestossenen, Erdfremden, überschuldet Gestorbenen und Verschollenen. In Gegenden, die während der Leidenszeit am ärgsten litten, wo ganze Dörfer ausstarben oder ge- flohen wurden (I 164), kümmerte sich schliesslich niemand mehr um die Leichen. Mithin gibt es Seelen genug, und zwar von Angehörigen aller Stände, deren Forderungen erst spät oder gar nicht erfüllt werden. Zu ihnen gesellen sich die ausgesucht schlechten Seelen, die aus der Fremde kommen. Natürlich fürchtet man sich vor allen, lässt es aber gewöhnlich dabei bewenden; sie werden ja einem nicht gleich ein Leid antun. ‚Je nach Bedeutung der Verstorbenen und zufälligen Umständen, wie spär- liche oder reichliche Regen, je nach Familienbrauch, Gemütsstimmung und Furcht vor Gerede ist das Tun und Lassen der Leute ebenso mannig- faltig und schwankend wie das aller Menschen, Selbst wo man den Seelen wenigstens insofern Genüge tut, dass man ihre irdischen Hüllen in die Erde bettet, und das ist die Regel, lässt man es an anderem fehlen. Sie werden, obwohl sie hungern, nicht alle mit Nahrung versehen, weder vor noch bei der Beerdigung noch nachher. In manchen Familien ist es üblich, manche brauchen vielleicht ihr Biss- chen selber. Manche lassen nach einem Todesfalle oder erst nach der Bestattung ein kleines Stück Pflanzung unberührt verwildern. Manche stürzen eiligst Töpfe und Geräte, durchlochen oder zerbrechen sogar welche, entleeren Wassergefässe, klopfen Dach und Wände, wedeln mit Tüchern gegen die offene Türe, benachrichtigen die Haustiere oder schaffen sie fort. Andere wieder denken, es wird so arg nicht werden, und meinen, mit gebührender Bestattung genug getan zu haben. Sie warten ab, was geschehen mag. Meldet sich die Seele, dann lässt Versäumtes sich nach- holen. Der Beispiele gibt es genug, dass überaus reichlich versorgte Seelen nicht zufrieden gewesen sind. Sie gelüstete eben nach viel mehr als nach Leichenprunk und Nahrung. Sie sind wie die Lebenden, die, je mehr man schenkt, desto zudringlicher werden. Wie lange und warum will denn überhaupt eine Seele die Hinter- bliebenen plagen? Die Beerdigung war doch standesgemäss, die Klage- feste sind schön verlaufen. Was will sie mehr? Sie soll ihrer Wege 20* 308 Seelenfurcht. gehen, in Vergessenheit sinken, keinerlei Ansprüche mehr erheben. Zum Unglück weiss man ja nicht einmal, ob man es mit der zugehörigen oder mit einer fremden Seele zu tun hat, die die Gelegenheit benutzt. Wer kann den Toten trauen? Bis zum Begräbnis und, wo sie abgehalten worden, bis zu den Trauer- festen am Grabe, im äussersten Falle vielleicht bis zum Einsinken des Grabes sind die Beziehungen zur Seele freundlich oder wenigstens ver- söhnlich, nachher entschieden feindlich. Die Bedeckung mit Erde soll Tote und Lebende scheiden. Die Klagefeste sind ein letzter Liebesdienst, wenn eben der Verstorbene dazu bedeutend genug war. Alle trachten danach, sich die Seele vom Leibe zu halten, und lassen schliesslich rück- sichtslos mit Zauberkünsten gegen sie arbeiten. Es ist auch sowohl Pietät als Seelenfurcht, dass man die Erde nicht nach Schätzen durchwühlt und dass man Fremden widerstrebt, die es tun wollen. Das würde die Vorfahren stören, vielleicht auch Seelen, die irgendwie hervorkriechen und sich aufs Herumschweifen verlegen könnten. Daher vielleicht mit die Scheu, wund gemachte, bearbeitete Erde zu verunreinigen, Wurzelstöcke auszuroden, Pfosten oder Pfeiler von Ge- bäuden ein- oder ausgraben zu lassen. Rumort die Seele eines jüngst Begrabenen gar zu arg in Dorf oder Hütte, so suchen die Angehörigen sie zu beschwichtigen, abzufinden, ob- schon das nicht unbedenklich ist, weil sıe nur um so ungestümer mehr fordern mag. Man holt Unterlassenes nach, bringt ihr Speise und Trank dar. Man macht aber kein Aufhebens davon. Denn die Angelegenheit ist geeignet, den Klatsch zu reizen, das Ansehien der Familie zu schädigen, weil andere Leute gar zu leicht mutmassen, es sei bei der Leichenfeier und bei den Klagefesten geknausert worden. Dazu die Ungewissheit: ist es denn die richtige Seele, und wenn, hegt sie nicht andere, uner- füllbare Gelüste? In solcher Bedrängnis reichen schliesslich die eigenen Mittel nicht mehr aus. Entstellende Bemalung und Kleidung rechnet man nicht oder nicht mehr dazu; wer sie anwendet, huldigt bloss dem Brauche. Man muss sich schon an Fachleute wenden, Zaubermeister rufen. Die kommen, erkunden, untersuchen, beraten, und treffen dann dem Befunde ange- messene Vorkehrungen. Da eine Seele Raum einnimmt, kann sie in die Behausung nur durch Löcher und Lücken schlüpfen oder durch die Türe, die sie vielleicht zu öffnen versteht. Deswegen werden Zugänge verstopft, Verschlüsse be- zaubert. Auch das mag nicht genügen. Eine Frau fürchtet, dass der verstorbene Mann oder eine andere gierige Seele sie des Nachts heim- suche. Das wäre ihr Tod oder sie brächte etwas Schreckliches zur Welt. Nun richten die Zaubermeister ihr nach allen Regeln der Kunst ein -Seelenjagd. 309 Holzstück her, das gegen die Türe zu stemmen, als Sperrlatte oder Riegel querüber zu befestigen ist. Oder sie händigen ihr eine dahinter zu spannende und eine ums Lager zu ziehende befranste Schnur ein. Sie lassen auch die Türe der Hütte an eine andere Seite versetzen. Eine sehr geängstigte Frrau geleiten sie wohl im Dunkeln ganz heimlich auf Umwegen, die die Seele nicht leicht aufspüren kann, für die Nacht unter ein anderes Dach, wobei sie auch die Fussspuren überfegen, wenn sie die Frau nicht tragen lassen oder vielleicht mit Bundschuhen bekleiden. Nötigenfalls schnitzen sie ihr ausserdem noch einen kurzen Zauberknüppel, der beim Schlafen zwischen die Beine zu klemmen ist. Die junge Frau unseres Maboma lief nach dessen Tode am lichten Tage in solcher Weise beknüppelt herum, schämte sich aber, als ich es bemerkte. Gegen solche Mittel kann die Seele oder eine andere schwerlich auf- kommen. Treibt sie es trotzdem weiter, so ist sie eben sehr ungestüm und sehr hartnäckig, oder es ist etwas gründlich versehen worden. Als- dann muss umständlicher verfahren werden, und die Kosten steigen. Jetzt gilt es, die Behausung innen und aussen mit Zaubergeräten tüchtig abzuklopfen, nebst dem Vorplatz zu fegen, den Kehricht sorg- fältig zu sammeln und irgendwohin ins Gras oder Gebüsch auf einen Haufen zu schütten. Dann drückt der oberste Zauberer ein ganz schwarzes oder ganz weisses Huhn in alle Ecken und Winkel, worauf seine Gehilfen räuchern und ein wenig Salz oder frischen Seesand umher- streuen. In Ermanglung dessen tut’s auch besprochene Erde oder Blatt- werk von besonderer Art. Nachher schlachtet der Zaubermeister das Huhn über dem Kehricht, damit das Blut darauf träufele, verbrennt oft den Haufen, treibt noch einige Künste, und hat nun sein Werk voll- bracht. Das Huhn nimmt er mit und verzehrt es. Gehen aber Seelen im ganzen Dorfe um, das heisst, plagen sie auch noch andere Leute als ihre Angehörigen, so kämpfen die Bewohner gemeinsam gegen sie an. Es werden Zaubermeister in grösserer Anzahl geworben. Tüchtige Feuer lodern überall. Das Klopfen, Fegen wieder- holt sich im grossen unter Beteiligung der Einwohner. Es geht zu wie bei unserem Frühjahrs-Reinemachen. Die Kundigen rennen, schreien, murmeln, pochen, kratzen, kehren; der Staub fliegt nur so herum. Auch ist es nun mit Federvieh allein nicht getan; es sind Ziegen zu liefern. Schweine dienen niemals zum Zaubern. Nicht selten kämpfen die geplagten Dörfler selber mit gegen die Seelen. Männer mit Flinten, Knaben und sogar kühne Weiber mit Hiebwaffen und Stöcken — Fetische sind immer dabei — rennen gegen die Zugangspfade und eine Strecke hinaus, schiessen, fuchteln mit dem Buschmesser, springen, toben, belfern, und helfen so die Seelen zu ver- drängen. Eiligst spannen die Zaubermeister besprochene Fransenschnüre 310 Seelenjagd. an Ruten über die Pfade, die nun den Zugang sperren, hängen Popanze und Fetische auf und legen Bomben, nämlich mit Zauberkraft geladene Eier oder Fruchtschalen, die knallend bersten sollen, falls die Quälgeister wieder heranschleichen. Manchmal wird auch rings um das Dorf eine kleine Furche in den Boden gerissen oder eine Schnur gespannt und gehörig bezaubert und zugleich daran entlang ein Tier getragen, meistens eine Ziege, die man nachher schlachtet und verspeist. Spukt es trotzdem fort, dann sind die Kenner mit ihrem Witz zu Ende. Nichts bleibt übrig, als das Dorf zu verlegen, oder die Seelen regelrecht einfangen zu lassen. Das aber ist das schwierigste, das gefährlichste aller Werke, und nur ein Spezialist und dazu ein Zaubermeister ersten Ranges wagt es, sich damit zu befassen. Denn die gehetzten Seelen werden wütend, können ihm selber wer weiss was antun, in ihn hineinfahren, die schreck- lichsten Krämpfe verursachen, können ihn sogar gleich umbringen. Darum ist solch ein Unternehmen überaus kostspielig und wird recht selten auf- getragen. Der Ngänga trifft im geheimen umständliche Vorkehrungen. Nament- lich reibt er den Körper mit Zaubersalbe ein, verschliesst die Öffnungen seines Leibes so gut wie möglich mit bezauberten Pfropfen und Binden, schützt das Gesicht mit einer Maske. Im Dorfe wirtschaftet er nach Belieben, lässt Zäune ausheben, Türen verrammeln, Kochfeuer löschen, schickt die Weiber fort oder bloss die Mädchen oder alle Kinder, lässt die Haustiere, die Vorräte an Rum und Tabak fortschaffen, verbietet das Kochen und Essen oder das Rauchen im Orte und dergleichen mehr. Er setzt Wiepen, zieht Fransenschnüre, sprengt Seewasser, streut Salz, Zauberpulver, zündet Feuerchen, räuchert, schürft und verblendet die Zugangspfade, umläuft das Dorf, kriecht, schleicht und schnüffelt allent- halben umher, denn er riecht die Seelen aus, stellt Schlingen und Fallen. Alles natürlich mit Hilfe von starken Fetischen. Am liebsten geht er mit einem zu liefernden grossen neuen Tuche von starkem, dichtem Gewebe auf .den Fang der Seelen. Aber die sind auch schlau und gewandt. Sie wehren sich, verkriechen sich, sie ent- schlüpfen ihm immer wieder. Allmählich kommt er doch hinter ihre Schliche. Eine fängt er im dunkeln Hüttenwinkel, eine aussen unter den Blattschindeln des Daches, eine dritte vielleicht vom Rücken einer Ziege — welches Tier ihm am besten auszuliefern ist —, eine vierte beim Aus- reissen in freier Luft. Obschon er schnellstens das Fangtuch zusammen- rafit, sich mit ihm zu Boden wirft und grapsend darauflegt, entwischt ihm doch wieder manche starke Seele. Er eiligst hinter ihr her, über die Plätze, zwischen die Leute, durch Gras, in den Busch, auf einen Baum. Kann er nicht schnell genug an sie, dann schreit er nach dem Grehilfen mit der Flinte und schiesst sie mit Zauberladung tot. Seelenfang. all Aufgeregte Dörfler verfolgen des Meisters Tun mit fieberhafter Spannung. Oft hören und sehen sie selbst die Seelen und melden es ihm atemlos. Der Schatten eines vorüberfliegenden Vogels huscht über Boden und Bauten, ein welkes Blatt wirbelt um die Ecke, es raschelt im Fiederdach, es rührt sich zwischen Büschen. Das sind aufgestörte Seelen, die man auch sonst leibhaftig in mancherlei Gestalt erblickt: als Menschen, Fratzen, Ratten, Schmetterlinge, Vöglein. An Sinnes- täuschung denken die Leute nicht mehr als unsere Spiritisten. Auf einmal wird einem der Erregten schlecht zumute. Er schreit auf, reisst sich im Haar, seine Glieder zappeln, er bricht zusammen und wälzt sich stöhnend, kreischend am Boden. Da hat man’s. Nun ist das Un- glück fertig. Im den Vorwitzigen hat sich eine Seele geflüchtet, die nun mit unendlicher Kunst und Mühe herausgeholt und unschädlich ge- macht werden muss. Der arme Zaubermeister oder höhere Kammerjäger, der sich selbst nicht wenig fürchtet, rackert sich ab und wird dabei ganz elend. Das geht so tage-, vielleicht wochenlang. Aber allmählich wird er doch des Spukes Herr. Der Reihe nach erwischt er Seele um Seele, schafit sie eingeschnürt fort und pflöckt sie in einen Baum, spundet sie in ein Astloch, vergräbt sie in einem zugebundenen Topfe oder versenkt sie im Flusse, im Meere, oder bringt sie irgendwie um. Zum Schluss ein grosses Zaubern und Reinemachen, eine Jubelfeier mit Tanz und Schmaus. Die Seelen sind gebannt, die Einwohner von allem Spuk erlöst, wenigstens für die Gegenwart. 7 Manchmal ergibt sich, dass eine bestimmte Seele den Unfug anstiftet und vielleicht noch andere Tote verführt. Dann ist das Verfahren ein- facher. Die Bangänga machen sich an das Grab. Sie stecken darüber eine Reihe sprenkelförmig gebogener, mit Fransenschnüren bespannter Ruten, oder stellen ringsum durch aufgeputzte Fäden verbundene Gras- wiepen, gelegentlich auch einen Zaun ohne Lücken auf. Das Ganze wird gehörig besprochen und bezaubert. Nun kann die unruhige Seele nimmer- mehr heraus. Sie ist festgebannt. Manchmal gelingt es, sie just am Grabe zu belauern, tot zu schiessen oder weszufangen und weit fort zu verschleppen an einen Ort, von wo sie den Rückweg nicht findet oder wo sie ebenfalls festgemacht wird. Nicht allen Seelen macht das Spuken Vergnügen. Aber sie fühlen sich auch nicht behaglich in ihrem Zustand. Am liebsten möchten sie wieder das frühere Leben geniessen. Listig reizen sie Männer und Frauen oder nehmen sonst eine Gelegenheit wahr, um wieder geboren zu werden. Andere fahren lieber gleich in einen Menschen und suchen sich im Körper heimisch zu machen. In dem sitzt aber schon eine Seele, die natürlich nicht weichen will, und so entspinnt sich ein Kampf, unter 312 Besondere Gelüste der Seelen. Abwehr. dem der Besessene zugrunde gehen kann. Wieder müssen Bangänga beispringen, um die freche Seele zu bändigen. Für eigenartig gefährlich gelten die Seelen von Frauen, die bei oder infolge der Entbindung, und die von Mädchen, die mannbar gestorben sind. Jene werden gefürchtet von Frauen, die guter Hoffnung sind, weil sie ihnen namentlich in ihrer schweren Stunde allerlei Leid antun, und besonders von verheirateten Männern, weil sie aus Rache trachten, ihnen ihre Fähigkeit zu rauben. Die Seelen mannbarer Mädchen bedrohen junge Männer: man traut ihnen zu, dass sie geniessen wollen, was ihnen bei Lebzeiten versagt geblieben ist. Sie machen sich an Erkorene im Schlafe oder verlocken sie unter mancherlei Gestalt. Aber wer ihnen so erliegt, der verliert seine Kraft oder stirbt. (Gegen Beginn der Regen, wenn die Felder bestellt werden und die Nahrungsmittel knapp sind, pflegen hungrige Seelen die Menschen besonders arg zu plagen, woher die gesteigerten Fieberfälle kommen mögen, und pflegen auch über die Aussaat herzufallen. Am schlimmsten treiben sie es, wenn einmal wieder die Zeitrechnung nicht stimmt und der unheimliche dreizehnte Monat eingeschaltet werden muss. Um diese Zeit sind die Zaubermeister viel beschäftigt. Auch manches Haupt einer grossen Familie hält es alsdann oder auch alljährlich beim ersten Neumond der Regenzeit, etwa um die Wende des Oktober und November, für notwendig, des Nachts in aller Stille etwas für seine Lebenden und gegen die Toten zu tun. Der Patriarch versieht sich mit Salz, reibt sich damit ab, klemmt die Geschlechtsteile zwischen die Schenkel, und tritt nun splitternackt rückwärts aus seiner Behausung. Schweigend reisst er mit der rechten und der linken grossen Zehe einen Kreis um seinen Standort in den Boden. Je drei Prisen Salz wirft er, mit den Händen wechselnd, über die rechte Schulter, über die linke Schulter hinter sich, zuletzt auf das Dach der Hütte. Beim Werfen denkt er: Bleibt fort, kehrt nicht wieder, möge es euch gut sein. Einen Laut darf er nicht von sich geben, sich auch weder um- schauen noch von einem anderen erblicken lassen, sonst ist seine Be- schwörung erfolglos, ist sogar gefährlich. Nachher schlüpft er eiligst wieder in die Hütte. Statt des Salzes verwendet mancher frischen nassen Seesand. Weiter im Inneren, wo Salz rar ist, sollen statt dessen Erd- nüsse oder Straucherbsen (Cajanus) oder mancherlei kleine Samen geworfen werden. Mag nun der eine mehr, der andere weniger an die Eigenschaften und an das Treiben der Seelen glauben, denn auch in Loängo finden sich Leichtsinnige, Zweifler und bis zu einem gewissen Grade Aufgeklärte; mag Furcht in guten und schlechten Zeiten die Gemüter verschieden stark bewegen, darin sind die Leute einig: alle die Wesen im Jenseits, und Keine Elementargeister. Seelenarten. > wären sie noch so unheimlich oder schrecklich, sind Seelen von Menschen, vielfach auch von Tieren. Woher sollten sie sonst kommen ’? Die Bafiöti kennen keine Elementargeister. Für sie gibt es ihren Nsämbi mit Bünssi oder Mkissi nssi, sodann sie selbst, und zwischen beiden Parteien die Seelen der Verstorbenen. Weiter nichts. Dieses sich in zweiter Lebensform herumtreibende Heer vieldeutiger Wesen, starker und schwacher, guter und böser, lässt sich ungefähr folgendermassen ordnen: Die frischen Seelen, die von jüngst Verstorbenen, deren man sich erinnert, die also noch persönliche Beziehungen, nämlich Verwandte oder Blutsfreunde unter den Lebenden haben und sie bean- spruchen können, sind binyemba, und als Gespenster, wenn sie also in sinnlich wahrnehmbarer Gestalt erscheinen und willkürliche Handlungen begehen, bimbinda. Die alten, die verwaisten binyömba dagegen, die niemand kennt, die niemand mehr haben, die namentlich auch aus der Fremde kommen, sind Seelen, die fortan zur Seelen- oder Geisterwelt im allgemeinen, zu den bavümbi gehören. Sie können gleichfalls sichtbar oder unsichtbar auftreten. Ausserdem mögen sogar noch unter Menschen lebende Schwarzkünstler — ndödschi, plur. sindödschi — zeitweilig als Gespenster umgehen. So ist man eigentlich nie sicher, wen oder was man vor sich hat. Alle Geister und Gespenster nach unserer Auffassung, und die Fabel- wesen, die nicht zur natürlichen Tierwelt anderer Gebiete. oder zu den Hexen gerechnet werden, auch die, die Krankheiten verursachen, endlich die, so in Flüssen, Felsen, Dellen, T'obeln, Bäumen, Erdhaufen und sonstwo hausen, die wir HElementargeister nennen würden, sind aus- nahmslos nur Seelen. Und zwar Seelen von Menschen oder Tieren oder gar von Zwittergeschöpfen. Sie schweifen umher, oder haben sich frei- willig festgesetzt, oder sind festgebannt worden, schon vor undenklichen Zeiten bis in die letzten Tage. Tauchen doch immer neue auf. Ohne solche Bewohner, und das ist wichtig für die erweiterte Lehre vom Ani- mismus, sind in allen Dingen Kräfte, nur Käfte. Mit diesen Kräften, nicht mit. Seelen oder Geistern, hantieren die Schwarzkünstler und ihre Widersacher, die Weisskünstler. Dabei ist die wichtigste Frage, ob Wissen und Kräfte der Bangänga ausreichen, um der unheimlichen Wesen Herr zu werden. Dass sie nicht alle zu bändigen vermögen, beweisen immer wieder neue erschreckende Vorfälle. Dennoch hätten die mächtigen Zaubermeister längst gründlich aufgeräumt und das Volk von allen Quälgeistern befreit, wenn nur nicht durch das Sterben immer neue hinzukämen. Zum grössten Unglück, denn an den eigenen hat man schon übergenug, wandern auch noch welche, und gerade die allerschlimmsten, aus der Fremde ein. Wer soll da gleich wissen, wie die zu zwingen sind. Setzen sie sich an beliebigen Orten, in beliebigen 314 Platzgeister. Einhegung. Rum und Sünder. Gegenständen fest, so mag das hingehen. Ihnen kann man beikommen, ihnen kann man ausweichen. Schweifen sie dagegen umher, sind sie überall und nirgendwo, alsdann ist es überaus schwer, gegen sie anzu- kämpfen, sie zu fassen. Manchmal finden sie doch ihren Meister, der sie umbringt, verjagt oder auch gehörig festzaubert. Da müssen sie dann bleiben, und wenn sie noch so sehr toben. Der Neänga aber, dem so Grosses gelungen ist, wird ein berühmter Mann. Seelen sesshafter Art, nennen wir sie Platzgeister, kommen kaum jemand zu Gesicht. Keiner vermag sie ordentlich zu beschreiben. Von einem Erdloch, Stein, Baum, Erdhaufen und so weiter — immer ist es etwas Natürliches, nicht Künstliches, es wäre denn Flotsam und Jetsam aus der Zivilisation — weiss man eben nur, da steckt was drin. Oft hält man es mehr für eine Kraft als für einen Geist, überhaupt für etwas Unbestimmtes. Es genügt, die Berührung zu vermeiden, damit man nicht Schaden erleide, erkranke, irrsinnig werde oder unsichtbar festgehalten, wie von Feuer versengt, wuchtig zu Boden geworfen, ge- schlagen oder getötet werde. Man umgeht die Stellen. Hier und da erinnert solch ein Platz an die geweihten Stätten, die, wie wir schon wissen, nicht alle echt sind. Ein Obdach ist errichtet oder ein Haufen Erde oder Holz aufgeschichtet, ein Bodenstück gesäubert, das Ganze durch Wiepen, Zäune, Fransengehänge abgegrenzt. Das Wesen — natürlich irgendeine Seele —, das daselbst festgebannt haust, ist nämlich so gross und mächtig, dass es nicht wie kleinere Geister im engsten Raum eingepfercht werden kann. Verehrt wird es nicht. Doch stellen die Meister, um es zahm zu halten, vielleicht auch der Leute halber, ihm gelegentlich etwas Rum hin, wie man eben Seelen versorgt. Sie erzählen auch, es tummele sich ab und zu, etwa wie ein wildes Tier im Käfige, auf dem ihm angewiesenen Platze. Unberufene mögen sich fern halten, es könnte ihnen schrecklich ergehen. Nun ist aber Rum so gut wie bares Geld und ein schönes Getränk dazu. Da mag denn ein Aufgeklärter den Rum mehr lieben, als den Geist fürchten. Im Nachbarorte Nköndo entstand einst grosse Aufregung. Die Bangänga, dumm genug, schlugen Lärm, weil irgendein verwegener (Gesell dem gebannten Wesen das dargebrachte Labsal weggetrunken hatte. Der Geisterverächter und Rumliebhaber wurde nicht ausgefunden und wird künftig wohl zuversichtlicher gesündigt haben. Wie das Wesen solcher Geister mit dem der Fetische verquickt werden kann, erzählt Dapper: „Kikökoo (Tschiköko) ist ein schwartzes höltzernes Bild, in gestalt eines sitzenden Mannes, welches in Kinga stehet, einem Dorfe bey der See gelegen, da die gemeinen Begräbnisse seynd, von welchen sie tausend lächerliche Possen erzehlen. Nehmlich, dass Kikökoo die Todten bewahret, damit sie die Doojes (Sindödschi) Ältere Berichte. Allerlei Spuk. 315 oder Zauberer nicht beleidigen könnten; und dass er sie des Nachtes aus den Gräbern aufstehen liesse, dass er sie mit Geisseln und schlägen zur Arbeit triebe, dass sie mit ihm müsten an den Strand gehen, und die Schuhten in das Wasser schleppen, und fischen helfen, ja dass er sie des Tages wieder in die Gräber jagte; und dergleichen Mährlein mehr, welche sie den Alten und Jungen vorschwatzen, und von Jugend auf einschärfen. Diese Mokisie soll auch Sorge tragen vor die grosse See, dass sie nicht allzu ungestühm sey, auch dass sie viel Fische gebe, und dass viel Schiffe mit Kaufwahren ankommen.“ Bei Battell heisst es dagegen: „Kenga ist der Landungsplatz von Longo (an der Loängobai). Da haben sie ein Idol, genannt Gumbiri, und ein heiliges Haus, Munsa Gumbiri genannt, besorgt und bewohnt von einem alten Weibe (an anderer Stelle heisst es: eine alte Beschwörerin Ganga Gomberi), wo einmal im Jahre ein grosses Fest mit Trommeln, Tänzen und Palmwein gefeiert wird: und dabei, sagen sie, spricht er unter der Erde (im anderen Bande steht: und Ganga Gumbiri spricht unter der Erde). Das Volk nennt ihn Mokisso Colu (Mkissi ngölo) oder einen starken Fetisch und behauptet, dass er komme, um bei Chekoke (Tschiköko), dem Idol von Banza, zu verweilen“. Wie der mächtige Tschiköko, einstmals Fetisch des Hafens und des überseeischen Handels, von leichtfertigen Seefahrern entführt wurde, und was sich darauf begab, wird später zu berichten sein. Zu Geistern und Gespenstern gewordene grosse oder mächtige Seelen gibt es natürlich nicht viele, kleinere desto zahlreicher. Was haben die schon angerichtet. Sichtbar wie unsichtbar mischen sie sich in die Ange- legenheiten der Menschen. Überall spürt man sie. Wie vielen sind sie schon erschienen, auf einsamen Wegen begegnet. Man hört sie des Nachts bei Sturm und Wettergetöse. Sie ziehen kreischend durch Wald und Campine. Sie brüllen und winseln miteinander in schauerlichen Verstecken. Wie oft verkünden die Hunde im Dorfe ihre Nähe, indem sie plötzlich alle auf einmal zu heulen beginnen. Darum krähen auch die Hähne mitten in der Nacht, wenn sonst alles schläft. Wie braust und rauscht es auf einmal im stillen Walde durch die Wipfel der Bäume, wie saust es in der Dunkelheit grässlich über das Dorf hin, obgleich kein Lüftchen sich regt. Wer bricht die mächtigen Zacken von den Urwaldriesen, wer lässt sie wuchtig niederschmettern, dass die unten am Feuer lagernden Wanderer mit knapper Not dem Tode entgehen? Wer wirft die grossen, schweren Baumäste mitten in die Campine, in das Gestrüpp oder auf viel begangene Wege? Erst neulich sind wieder Männer von Tschissänga bei nächtlichem Gange über die Campine furchtbar erschreckt und fast zu Tode gehetzt worden. Voller Angst haben sie ihre Lasten, Flinten und sonstige 316 Allerlei Spuk. Habseligkeiten von sich geworfen und tags darauf erst nach langem Suchen an ganz entlegenen Stellen wieder gefunden. Und was geschah denn Mavüngo und Liümba, als sie im Abenddunkel zwischen dem hohen (Grase heimwanderten? Ein schreckliches Ding, zottelig, mit feurigen Augen rollte ihnen auf dem schmalen Pfade entgegen, fuhr ihnen zwischen die Beine und riss sie um, so dass sie sich kaum wieder aufraffen konnten. Mit Mühe und Not erreichten sie das Dorf, und es liegt ihnen heute noch in den Gliedern. Wie war es in Ntümbu, wo es mitten in der Nacht, als alle schliefen, plötzlich einen furchtbaren Schlag gegen die Hütte des Häuptlings tat? Entsetzt ist er hinausgesprungen, hat sein Gewehr abgefeuent, seme Fe- tische geschüttelt, und hat das ganze Dorf zusammengeschrieen. Als der weisse Händler erschossen worden war, hat es ganz fürchter- lich auf dem Luntämbi lu mbönsa gespukt. Wie viele, die dort gegangen sind, haben Schreckliches gesehen und erlebt, bis sich zuletzt kein Mensch mehr im Dunkeln in jene verrufene Gegend getraute und alle Leute weite Umwege machten. Woher kommen, was sind denn die Rauch- und Feuerballen, die plötzlich des Nachts mit dumpfem Schlage aus der Erde fahren, durch Busch und Gras huschen? Wer setzt in den Waldblössen die mühsam umgehauenen Bäume wieder so auf, als wären sie niemals abgehackt worden? Und wer reisst denn im Walde die mächtigen Stämme um, dass sie alles unter sich zusammenschlagen? Wer faucht plötzlich in das auf dem Dorfplatz brennende Feuer, dass die Funken sprühen, wer wirft es auseinander, dass die darum Sitzenden entsetzt davonrennen? Woher die Erdklösse, Holzstücke, Steine, die aus freier Luft auf und zwischen Leute fallen? Wer ent- leert über Nacht die Wasserkrüge und die Palmweingerässe, die des Abends bis zum Rande gefüllt in die Hütte gestellt wurden? Wer nimmt den Ziegen die Milch, den Hühnern die Eier? Was fährt denn plötzlich in einen sonst ganz gesunden Menschen hinein, dass ihm der Bauch anschwillt, der Atem ausgeht, der Kopf vor Schmerzen springen will? Was bringt ihm Krämpfe, Lähmung, Rucken und Zucken in den Gliedern? Was wirft ıhn jählings nieder, lässt ıhn wie versteinert still stehen, was macht ihn wie verrückt um sich schlagen oder umherrennen, unsinniges Zeug schwatzen und tun? Was brüllt und heult aus den Schluchten? Was ruft und redet so unheimlich aus Bäumen, aus Felsen, Erdlöchern und allen möglichen (Gegenständen? Was tobt des Nachts flussauf und -ab, macht das Wasser hoch aufspritzen und weithin schäumen ? In Ndäbi ist es geschehen, dass ein zum Kahnbau gefällter Stamm plötzlich fortrollte, dass alle dabei Stehenden sich überkugelten und einer Allerlei Spuk. 317 arg gequetscht wurde. Die Leute von Buluängo haben es erlebt, und das ist wohl bekannt, dass ihre hoch aufs Trockene gezogenen Kähne über Nacht ins Wasser geschoben und weit fortgetrieben worden waren, Auf dem Lueme ist Händlern plötzlich etwas unter den Kahn gefahren und hat ihn umgekippt, so dass alle samt den Waren ins Wasser ge- fallen sind. Ein anderes Mal sind Kahnfahrern plötzlich die Ruder fest- gehalten worden, sie haben weder vor- noch rückwärts gekonnt. Oben im Waldlande hat sich vor Wanderern jählings die Erde aufgetan; noch einen Schritt, und der Vormann wäre hinabgestürzt. Leute von Nköndo haben drüben im Makünyatale, wo das Wasser blinkt, bei hellem Mondenscheine mit eigenen Augen gesehen, wie seltsame Wesen sich badeten und ihre Kleider wuschen. Und nun gar in Lubü. Was sich dort begibt, weiss jedes Kind. Da spukt es ganz entsetzlich viele Nächte lang um Hügel und Dorf. Alle Hunde heulen und reissen aus. Es saust, stöhnt, jammert, gellt, kreischt. Es wimmelt von un- beschreiblichen Gestalten, die wie Vögel und Fledermäuse um die Höhe wirbeln oder in der Erde wühlen. Daran merkt man, dass es wieder mit einem Mfümu zum Sterben kommt. Kein Mensch in Lubü wagt sich des Nachts ins Freie. Wer nicht muss, besucht den Ort nicht ein- mal am Tage. So ist es. Davon redet alle Welt. Und viele haben es erlebt. Das ist doch ganz sicher: allüberall im Lande geschehen viele wundersame und schreckliche Dinge. Das sind die bavümbi. Wie schon besprochen, gibt es zweierlei Gespenster: echte und un- echte. Die unechten sind lebendige Menschen, die mit Hilfe von Zauber- kräften sich in mancherlei Gestalten verwandeln können. Wenn aber solche Schwarzkünstler unentdeckt gestorben und ehrlich begraben worden sind, werden sie echte Gespenster, und zwar die allergefährlichsten, weil sie nun erst recht ihre bösen Künste weiter treiben. Alsdann gehen sie um mit den Augen im Hinterkopfe oder mit einem dritten Auge, Ihr Gesicht ist verwendet und sie schreiten rückwärts, oder sie tragen den Kopf unterm Arme, oder sie hopsen gebückt einher und gucken zwischen den Beinen durch, oder sie rollen ihres Weges in einen scheuss- lichen Klumpen geballt. Auch als Tiere können sie erscheinen. Immerfort würgen sie, besonders als greuliche Blutsauger. Sie be- lauern ihre Opfer, locken sie in irgendwelcher Gestalt an sich, um sie zu erdrücken, zu zerfleischen, oder lähmen sie durch einen Tatzenschlag, oder entziehen ihnen das Herzblut, dass sie hinsiechen und sterben. Auch Milch lieben sie sehr. Sie entleeren den Ziegen das Euter im Stalle und trinken des Nachts an den Brüsten stillender Mütter, denen es dann an Nahrung für ihre Kleinen gebricht. Ferner quälen sie die Menschen im Schlafe, indem sie sich schwer auf die Brust setzen, 318 Blutsauger. Gespenster. Treiben. gewöhnlich als grosse Vögel oder Fledermäuse. Wer rechtzeitig erwacht, sieht sie davonfliegen. Mit zunehmendem Monde gewinnen, mit abnehmendem Monde ver- lieren diese gefährlichsten Wesen an Kraft. Während der mondlosen Tage sind sie machtlos, und dann ist es Zeit, sie zu vernichten. Ein letztes Mittel bleibt das Öffnen der Gräber der Verdächtigen, falls die Künste der Zaubermeister nichts nützen. Ihre Leiber liegen unverwest und mit offenen Augen in der Grube, wenn sie das sind, was man ver- mutete. Am sichersten vernichtet man sie durch Feuer, das in der be- zauberten Grube angefacht wird; man hört sie quietschen und fauchen, aber heraus können sie nicht. Manchmal schiesst ihnen ein ausgelernter Ngänga auch bloss eine Zauberladung in den Leib, dass das Blut her- umspritzt. Ein drittes Mittel ist, einen gegabelten Pfahl an den Enden zuzuspitzen und ihren Hals damit an den Boden zu pflöcken. Dabei stöhnen und kreischen sie oft in ohnmächtiger Wut, fletschen die Zähne und knirschen mit ihnen. Man kann sie endlich auch aus dem Grabe nehmen, binden und mit dem Halse frei in einem gegabelten Pfahl auf- hängen, wie es mit Verbrechern gegen das Erdrecht geschieht oder ge- schah, bevor man kreuzigen gelernt hatte. Nachher ist es vorbei mit ihnen, sie können nimmermehr schaden. Wir haben indessen niemand gefunden, der sich gerühmt hätte, dabei gewesen zu sein. Die gewöhnlichen Gespenster, die übrigens nicht stets bösartig zu sein brauchen, erscheinen gewöhnlich wie von Fleisch und Blut, sind aber kenntlich an weit offenen, nicht blinzelnden Augen, am starren Blick. Als Hauptkennzeichen gelten: sie werfen keinen Schatten und drücken keine Fussstapfen in weichen Boden. Manche haben einen ziemlich festen Körper und sind fühlbar, andere sind durchscheinend und nicht anzu- fassen. Man erkennt sie eigentlich niemals genau. Wer sie gesehen, weiss nicht zu sagen, ob Mensch oder Tier ihn schreckte. Bald gehen sie auf Pfaden, bald schweben sie frei durch die Luft oder hocken auf Bäumen; manche treiben mit dem Winde, und andere hat man sogar auf hochragenden Grashalmen ruhen sehen, deren Spitzen dennoch nicht niedergebogen wurden. Überhaupt hinterlassen sie nirgendwo unmittel- bare Spuren von sich selbst, wohl aber von ihrem Tun. Allen gewöhnlichen Gespenstern ist gemeinsam, dass sie auf An- reden nicht genügend antworten. Sie beginnen zwar zu sprechen, schwatzen aber sehr bald ungereimtes Zeug und lallen unverständliche Worte. Bisweilen essen sie von Früchten, von Gemüse, überhaupt von Pflanzenkost, trinken auch Wasser, aber stets nur eine Kleinigkeit. Sie schaudern zurück vor Nahrungsmitteln, die am Feuer gestanden haben oder gesalzen sind. Überhaupt hegen alle eine grosse Abneigung gegen Feuer, gegen Salz und salzige Gemenge, weswegen sie am Meeresstrande Erscheinungen. Weib. Waldgespenst. 319 kaum jemals gesehen werden, sowie gegen blanke und glitzernde Gegen- stände, als da sind: Spiegel, Gläser, Klingen, Messingbecken und blinken- des Wasser. Mit dem Monde haben sie nichts zu tun; man erblickt sie zu allen Zeiten. Wie während ihres Lebens als Menschen oder Tiere betragen sie sich verschiedenartig, pflegen auch allerlei Liebhabereien. Viele treiben unbequeme Kurzweil, indem sie Geschirr durcheinander schieben oder zerbrechen, Geräte verschleppen, Wasserkrüge umwerfen, das Feuer schüren oder stören. Andere dagegen stapeln Holz aus dem Walde an den Hütten auf, bringen Nahrungsmittel, verrichten Hausgeschäfte oder arbeiten in den Feldern. Freilich beunruhigen sie Menschen durch ihre Umtriebe, erschrecken durch gellendes Geschrei, durch plötzliches Er- scheinen; springen auch einem Wanderer im Dunkeln auf den Rücken und jagen ihn huckepack durch Wald und Campine. Ausser solchen Schabernacken fügen sie indessen niemand wirklich Schlimmes zu, und dem, der ihnen furchtlos Stand hält, tun sie überhaupt nichts an. Wenn man nur immer wüsste, ob sie gut oder böse wären. Wer die bösen auf einer Pfadkreuzung packen und zur Erde drücken kann, hat ge- wonnen Spiel. Doch ist keinem geheuer, der sie spürt oder erblickt; es mag Unglück, Krankheit und Tod bringen. Wenige Spukgestalten sind genau bekannt, weil sie stets in der nämlichen Weise und oft nur an bestimmten Orten oder in gewissen Gegenden vorkommen. Solche Fabelwesen sind menschenähnlich, wohl am häufigsten aber tierähnlich gebildet. ; Durch die Campinen zieht ein hellhaariges und hellhäutiges Weib. Es schwebt im stäubenden Wirbelwinde dahin. Aber nur ein Glücks- kind sieht das Weib, jeder andere bloss den Wirbelwind. Die Erschei- nung gilt von guter Vorbedeutung für alle, denen sie begegnet. Kinder sah ich unter Freudengeschrei kleine Wirbelwinde haschen und durch- laufen; dabei hielten sie die Hände vor, als ob sie eine Gabe erwarteten, klappten sie zusammen und schnippten mit den Fingern. Das bringt Glück und soll namentlich für Mädchen gut sein. In nördlichen Landstrichen, in Yümba, haust das Waldgespenst Nesu oder Ndesu. Das ist ein männlicher Unhold ersten Ranges, halb Tier, halb Mensch, riesengross, dunkel, aber mit hellfarbigen Zotteln be- deckt. Unversehens tritt er einsamen Wanderern oder Holzlesern oder ganzen Karawanen entgegen, um sie zu fressen, und fällt besonders gern über Frauen und Mädchen her. Nur eine Schwäche hat er; nämlich eine Leidenschaft für Musik und Tanz. Wer rechtzeitig daran denkt, der kann sich retten. Bevor ihn der Unhold packt, muss er einen Ge- sang anstimmen, die Hände klappen und tanzen, was er nur kann. Dem vermag Nösu nicht zu widerstehen. Er ahmt alle Bewegungen nach, 320 Nesu. Echo. Ungetüme. scharrt mit den Füssen, wackelt mit den Hüften, wiegt sich, hüpft, springt und gerät schliesslich in ein dermassen tolles Herumrasen und Zappeln, dass er in Stücke geht. Der Kopf fällt ihm ab, die Arme und endlich die Beine fliegen vom Rumpfe. Alle Teile tanzen fort und ge- raten immer weiter voneinander, im die Büsche, zwischen Gewurzel und Lianen. Jetzt gilt es auszureissen, bevor Nesu sich wieder zusammen- findet. Aber am allerbesten schützt man sich gegen ihn mittelst eines kleinen Frosches, der auf Büschen sitzt und pfeift. Sowie man diesen Frosch dem Unhold vorhält oder auf ihn wirft, erschrickt er über alle Massen, knickt zusammen, entleert seinen Leib von oben und von unten und entweicht unter entsetzlichem Geschrei. Nachher hört man lange nichts von ihm. Die steilwandigen Schluchten und Quellkessel (III 39) in manchen Gegenden des Lateritgebietes entstehen durch das unterirdische Wühlen eines kriechenden Ungeheuers, dessen Arbeiten zu sehen, dessen Fauchen und Zischen weithin zu hören ist. Tatsächlich sind an solchen Stellen, namentlich in der Umgebung der Loängobai, seltsame und mannigfaltig wechselnde Geräusche und Getöse zu vernehmen. Sie entstehen beim Abstürzen oder Niedergleiten mürber Erdmassen und werden durch das teilweise verwirrende Echo auffällig verstärkt. Ein Echo, wie es in den steil und tief eingeschnittenen Tälern der strudelnden Gebirgswässer nicht selten ist, stammt ebenfalls von Fabel- wesen, die jedoch nicht zu Gesicht kommen. Um sie nicht zu reizen, verhalten sich die Ruderer an den bekannten Stellen ganz still und warnen auch den Europäer. Das Schwatzen, Lachen, Singen hört auf, die Ruder werden geräuschlos gehandhabt. Man sucht sich vorbeizu- schleichen. Ja nicht pfeifen! Das wäre das Gefährlichste. In der offenen Landschaft, im grasigen Vorlande dagegen, wo an Waldrändern ebenfalls das Echo schallt, ist man nicht so ängstlich, ob- schon es auch da nicht jedem ganz geheuer sein mag und man es nicht mutwillig reizt. Man hat beobachtet: wird geschossen, schiesst es wieder; wird gehustet, hustet es wieder; wird gerufen, ruft es wieder. Und so haben die Leute schon einen Begriff vom wirklichen Sachverhalt, denn sie nennen das Echo mbüla mbembo, wörtlich: Schlag Stimme. Am Kuilufluss, am engen Felsentore von Ngötu (Abbildung I 134) haust ein Ungetüm, das Kähne nicht durchlassen will und Steine mit greulichem Getöse auf sie hinabwälzt. Weiter stromauf an einer engen Stelle, wo das Wasser reisst und wirbelt, lauert darin verborgen der böse Elefant, ein gerundeter Fels- block, der unvorsichtigen Ruderern unter den Kahn fährt, ihn umwirft oder zerbricht. Und noch weiter oberhalb, in einer Stromschnelle bei Bümina (Abbildung I 99, 101), wo bei Hochwasser die in den Klüften Wasser- und Landungetüme. 321 einer mächtigen Felswand eingesperrten Wesen fürchterlich toben — bü- mina: Getöse —, fahndet ein ungeheures Krokodil auf vorwitzige Boots- leute. Diese gefährliche Strecke des Flusses wird überhaupt nicht befahren. Auch eine noch höher liegende nicht, wo das Wasser zwischen steilen Bergen aus einem düstern engen Felskanal mit senkrechten Wänden hervor in ein weites Becken strömt (III 42, Abbildung Il 148). Es wird erzählt, dort schöben sich die Felsen zusammen. Das ist indessen mehr als eine richtige Schilderung des Augenscheinlichen, als etwa als afrikanisches Seitenstück zu der Sage von den Symplegaden aufzufassen, obschon die auch nicht anders entstanden sein wird. Sowohl an der Mündung des Nänga in den Kuilu als auch im Bänya unterhalb Tschissänga hält sich ein’ spukhaftes Hippopotamus auf, das Kähne verfolet, kein Klopfen am Rande des Fahrzeuges, keinen Ge- sang, kein Pfeifen und kein Feuer duldet. Auf einer Insel der Bänya- lagune haust ein riesiger Gorilla; sein Weib trägt ein Junges im Arme, unterhält ein Feuer und kocht Essen. Dem Unkundigen, der, durch den Rauch angelockt, landet, zerschmettert das Untier den Schädel. Wer sich in die Nähe wagt, kann die Knochen der Erschlagenen sehen. An anderen Orten wird von Büffeln, Leoparden, von anderen Vier- füsslern merkwürdigster Art, ferner von Riesenschlangen und anderen Kriechtieren erzählt, die sich alle feindlich zum Menschen verhalten. Fabelwesen in Gestalt von Vögeln sind verhältnismässig selten, und sind, mit Ausnahme derer, die Alpdrücken verursachen, kaum von gefährlicher Art. Vom verzauberten Vogel, der am Tschiloängo sowie am Kuilu singt, ist schon mehrmals die Rede gewesen. Daneben wird von einem grossen Vogel berichtet, dessen Hals eine Schlange ist, und von einem anderen, der mehr einem Drachen mit zwei bis vier Paar Flügeln und Klauen gleicht. Solche Gestalten, besonders die Schlangenvögel, finden sich häufig unter Schnitzereien in Holz und in Elfenbein. Fischern, die ihrem Gewerbe nachgehen, soll zeitweilig ein in Land- gewässern lebendes Geschöpf zu reichem Fange verhelfen, indem es ihnen Fische in die Schleppnetze und Fallen jagt. Im Bänya dagegen soll das nämliche Geschöpf, das der Beschreibung nach einem riesigen Rochen gleicht, badende oder im Wasser hantierende Menschen mit einem Schlage töten (elektrisch? III 281) oder sie auf den Grund ziehen und sich auf sie legen, bis sie tot sind. In Battells Mitteilungen findet sich das Folgende: „An dieser Küste pflegen sie mit Harpunen zu fischen und auf einen grossen Fisch zu warten, der einem Grampas (Grampus, eine Delphinart) gleicht und ein- mal am Tage kommt, um am Strande seine Nahrung zu erlangen. Er bewegt sich sehr nahe an der Küste und treibt grosse Schwärme von Loango. 21 322 Allerlei Glaube. Fischen vor sich her. Die Neger laufen, so schnell sie ihm folgen können, am Strande hin, werfen ihre Harpunen rines um ihn und töten auf diese Weise eine grosse Menge von Fischen. Diese lassen sie auf dem Sande liegen, bis der Fisch sich gesättigt hat, dann erst suchen sie ihre Beute zusammen. Oftmals gerät der Fisch auf dem Grunde fest, aber dann beeilen sie sich, ihn wieder flott zu machen, wozu vier oder fünf Männer alle ihre Kraft aufwenden müssen. Sie nennen ihn Emboa (mbuä), was in ihrer Sprache Hund bedeutet, und hüten sich unter allen Umständen, eins dieser Tiere zu verletzen oder zu töten.“ Hier hat, Battell wahrscheinlich Fabeleien der Eingeborenen erzählt, und die Aufschreiber haben ihn missverstanden. Von einem Stechen der vor Delphinen flüchtenden Fische haben wir an der ganzen Küste nichts erfahren, auch nicht im Süden des Kongo, wo Fischspeere all- gemeiner gebraucht werden. Bei der meist sehr heftigen Brandung wäre am flachen Gestade die gewerbsmässige Verwendung dieses Fanggerätes ausgeschlossen. Dass vor Delphinen flüchtende Schwärme mancher Fisch- arten an das Gestade und in die Schleppnetze geraten, mag schon vor- kommen. Trotzdem haben wir nicht einmal so viel beobachtet, obschon kleine Walarten öfter in Sicht kamen, und mancher überreiche Netzfang vor unseren Augen getan wurde. Als wir in Mbüku befürchteten, ein Abends im Nänga geschossenes und gesunkenes Hippopotamus könnte, über Nacht auftauchend, von den Eingeborenen bemerkt und versteckt werden, liessen wir später im Lager eine Rakete steigen. Die sollte nachsehen, so wurde erklärt, wo unsere Beute geblieben wäre. Daraus war nachher in den nördlichen Gegenden des Landes ein ganzer Sagenkranz entstanden: von einer feurigen Schlange, die sich tosend aufgebäumt hätte; von einem feurigen Tau, das gen Himmel gespannt worden wäre: von einer Luftfahrt über den Urwald in einem Feuer speienden Dinge. Noch sechs Jahre später hörte ich davon in Yümba. So glauben die Bafiöti Wald, Campine, Erde, Luft und Wasser mit Spuk aller Art, mit gespenstischen Abbildern, mit Seelen früherer Lebe- wesen bevölkert. Dementsprechend werden sie von Gespensterfurcht ge- plagt, obschon es auch recht arge Zweifler gibt. Je nach Gemütsanlage und Lebensstellung der Personen, je nach dem Vertrauen auf ihre Fetische und je nach der gerade herrschenden, durch äussere Verhältnisse beein- flussten Stimmung zeigt sich diese Furcht, die auch umgehenden Hexen gilt, verschieden stark. Nicht viele, unter ihnen aber auch Frauen und Mädchen, sind herzhaft genug, einen kurzen Weg durch Wald oder Öampine in der Finsternis allein zu gehen. In der Regel sieht sich jeder nach einem Begleiter um, nicht allem der Toten, sondern auch der Lebenden wegen, damit kein böser Verdacht aufkomme, wenn er unver- Allerlei Glaube. 323 sehens auf jemand stösst. Er stärkt auch seinen Mut und meldet sich zugleich anderen durch häufiges Räuspern und lautes Schwatzen, aber nie durch Pfeifen. Auch nimmt er am liebsten eine Fackel oder minde- stens einen glimmenden Feuerbrand mit sich, den er durch geschicktes Schwingen trefflich zum Leuchten bringt. Das macht ihn sicherer und ist Begegnenden ein gutes Zeichen. Geht man nächtlicherweile still und ohne Leuchte mit einem Mfiöti, so muss man es sich schon gefallen lassen, dass er, wenn ihn das Grausen packt, sich möglichst dicht herandrängt. Die Nacht ist keines Menschen Freund. Um so höher ist die Entschlossenheit der Leute zu veranschlagen, die sich als Jäger oder Boten während der Dunkelheit allein und ohne Feuer im Freien zu bewegen wagen. Gern tut es ge- wiss keiner, und das ist begreiflich. Es hat etwas Unheimliches, im Finstern, auf gewundenem Pfade zwischen einengenden Grasbeständen oder im Walde plötzlich vor einer dunkeln Gestalt zu stehen, die meistens eilig und, weil barfüssig, oft auch unhörbar dahergekommen ist. Am Strande des Meeres, wo freier Ausblick ist und die schäumende Brandung schimmert, fühlen sich die Leute am sichersten. Auch gilt der Strand, weil er salzig ist, für gespensterfrei, und ist mithin nicht bloss der Bequemlichkeit halber und als alter Gottespfad der beliebteste Verkehrsweg an der Küste. Landeinwärts im Freien einsam zu nich- tigen, wagt nicht einer, auch wenn er Feuer hat. Er sucht Unterkunft bei Menschen, was sich auf fremder Erde auch so gehört. Es scheint, als ob sich Wanderer in der Nähe von Europäern, die nicht gerade übel beleumundet sind, am geborgensten hielten. Uns ist es öfter vor- gekommen, dass Leute, die in benachbarten Dörfern hätten besser schlafen können, um Erlaubnis nachsuchten, unterhalb unseres Gehöftes am Strande übernachten zu dürfen. — Selbstverständlich glauben die Bafioti wie alle Menschen mehr oder minder fest an Ahnungen, Vorzeichen, überhaupt an Einwirkungen un- bestimmter und unerklärlicher Art. Das führt zu mancherlei und nicht allerorten übereinstimmenden Verhaltungsmassregeln und Gebräuchen. Hier sei einfach zusammmengestellt, was davon in anderen Abschnitten nicht angemessener unterzubringen ist. Ein Wirbelwind, der über eine Schwangere, über einen Säugling oder über die Geburtshütte hingeht, bringt dem Kinde Glück. Noch grösseres Glück verheisst der Regenbogen, der einen Säugling streift, oder die Hütte, worin sich dieser befindet, mit einem Ende berührt. Beginnt die Meute eines Jägers ohne Ursache und auf einmal im Dorfe zu heulen, so stirbt der Herr oder einer seines Geschlechtes. Das Ausfallen eines Zahnes meldet den Verlust eines Angehörigen oder eines Blutsfreundes. Auch die Eule, die vom Hüttendach ruft, verkündet einen 21* 324 Allerlei Glaube. Todesfall, aber ihre Eier, dem Essen beigemischt, sind gut gegen Trunk- sucht. Unheilvoll klingt das Krächzen einer im Dunkeln über das Dorf fliegenden Krähe, sowie das nahe Gekläff des Streifenwolfes (III 227) nach Sonnenaufgang. Ein Unglück trifft die Bewohner, wenn ein Schatten- vogel (III 261) über das Dorf schwebt und gar seinen Kot auf ein Hüttendach fallen lässt. Die Fischer an der Küste nehmen es als gute Verheissung, wenn Flamingos vorbeifliegen. Die Dorfjugend pflegt stellen- weise einen Zug dieser farbenschönen Vögel etwa so zu begrüssen wie unsere Kinder die Störche. Eine Henne, die wie ein Hahn kräht, meldet Schlimmes. Schnell den Hals abdrehen oder, damit der Handelsbetrieb des Dorfes nicht leide, schleunigst bis an den Kopf in die Erde graben. Ja nicht in der Nähe der Henne von ihren Eiern reden, sonst hört sie auf zu sitzen. Nötigenfalls muss man Steine oder Früchte sagen, wenn die Eier gemeint sind. Ein auf dem Boden zerbrochenes Ei ist sogleich mit Erde zu beschütten, ehe die Hennen es merken und die Lust verlieren, weiter zu legen. Der Hunde wegen ist es zu tun, weil die das Dotter auflecken und sich zu Eierdieben ausbilden könnten. Zu vermeiden ist, die Anzahl der Haustiere und den erhofiten Zu- wachs zu nennen, sonst kommt Missgeschick über den Bestand. Ver- kauft man welche, so sind etliche Haare oder Federn abzutrennen und dorthin zu legen, wo die Tiere sich gewöhnlich aufhielten. Den Schafen, Ziegen, Schweinen, und, wo sie vorhanden ist, auch der Jagdmeute, ferner Hühnern und Enten ist der Tod ihres Besitzers anzuzeigen. Sie sind leicht zu schlagen, hin und her zu treiben, in anderen Gewahrsam oder, noch besser, einige Zeit an einen anderen Ort zu bringen, nament- lich zur Zeit der Beerdigung und der Klagefeste. Sonst verkümmern und sterben sie. Dieser Brauch scheint aber abzunehmen. Kleinere Tiere, besonders Ratten und Mäuse, die über Wegkreuzungen, namentlich über Gerichts- und Schwurplätze laufen,. fallen sogleich tot hin. Wer bei einem wichtigen Gange an solcher Stelle ein verendetes Tier erblickt, verschränkt die Hände im Nacken, dreht sich dreimal um sich selber und läuft ohne Aufenthalt heim. An dem Tage wird ihm nichts glücken. Hat er einen Palavergang, so schickt er Geschenke und bittet um Aufschub. Ferner gilt als üble Vorbedeutung, wenn jemand beim Ausgehen an der Tür stolpert, ein frisches Spinnweb zerreisst, wenn ihm eine Eidechse oder Schlange über den Weg läuft, wenn er einen frisch geknickten Grasbüschel in den Pfad hängend, ein Stück dürres Holz oder ein Schlangenhemd darauf liegend erblickt, wenn er den lärmenden Ruf des Francolins zur Linken hört oder zuerst einer Frau begegnet, die eine Last auf dem Kopfe trägt. Besonders sind natürlich Anzeichen zu beachten, die mit dem Tschina zusammenhängen. Allerlei Glaube. 325 Dagegen darf er des guten Ausganges seines Vorhabens sicher sein, wenn er, während der Tau noch liegt, Perlhühner aufjagt, längs des Weges laufen sieht oder locken hört, auf dem Pfade einen grünen Zweig bemerkt, und wenn er den ersten Morgengruss einem den gefüllten Wasserkrug tragenden Mädchen bietet. Karawanen, die Handelsgüter befördern, halten und wählen andere Wege, falls sie im Walde vor sich einen dürren Ast niederbrechen sehen oder hören. Das ist ein Zeichen, dass der nächste Erdherr Schwierigkeiten machen wird. Als gutes Zeichen gilt, wenn das Aststück hinter den Trägern fällt. Wer in der Nacht vor der Abreise von dem träumt, was ihn be- schäftigt, verschiebt den Aufbruch um einen Tag. Beim Aussetzen zum Handelszuge, sei es zu Land oder zu Wasser, denkt er möglichst wenig an das, was er erreichen will. Auch kehrt er dreimal in geschäf- tiger Eile um, nachdem er je eine etwas längere Strecke zurückgelegt hat, und tut, als hätte er Vergessenes zu ordnen. Dann kann's ihm nicht fehlen. Bei einem besonders gefährlichen Unternehmen, manchmal auch, wenn er bemalt und geputzt in den Krieg zieht und besondere feindliche Gewalten fürchtet, nimmt er zeitweilig einen anderen, ihm vom Ngänga vorgeschlagenen Namen an. Der Krieger, der zum Kampfe aussetzt, rührt dreimal Erde und wirft sie hinter sich; mancher kratzt nur mit dem Fusse. Er darf nur vorwärts gehen, niemals rückwärts schauen, unter keinem Dache schlafen, kein Weib und keinen Rum berühren, sonst nützen ihm alle Zauber- kräfte nichts. Waffen und Ladungen für die Gewehre werden unter solchen Umständen niemals von Hand zu Hand gegeben, sondern erst auf die Erde gelegt und von dort weggenommen. Die Habseligkeiten eines auf der Reise umgekommenen Gefährten nimmt man weder in Gebrauch noch vertauscht man sie an andere. Es bringt unfehlbar Unglück. Ist kein Verwandter des Toten zugegen, so soll man alles unberührt liegen lassen. Das gebietet auch die Vorsicht, weil später die Erben Ansprüche erheben könnten. Wer für Tote von seinen eigenen gebrauchten Sachen beisteuert, stirbt, desgleichen, wer beim Begraben von seiner Habe in die Grube fallen lässt. Eine Familie, in der jemand erkrankt ist, darf nichts verleihen oder verschenken. Men- schen sterben nicht, während die Flut einkommt, sondern nur während die Ebbe ausläuft. Wer die Hütte verlässt, also durch die Fenstertür steigt, wer auf erhöhter Lagerstatt schläft, trage Sorge, dass immer das rechte Bein oder, wie es in Loängo heisst, das Mannbein — külu mbäkala — zuerst den Boden berühre. Ein Topf mit Essen, der über dem Feuer umgefallen ist, darf von der Frau nicht länger zum Kochen benützt werden. Ein Zaubermeister 326 Allerlei Glaube. kann ihn aber wieder gebrauchsfähig machen. Ein Wasserkrug, worein irgendein Tier geraten ist, muss sogleich entleert, gut ausgeschwenkt und an der Quelle frisch gefüllt werden, sonst erkranken die, die daraus trinken. — Wenn ein Schattenvogel vorüberfliegt, während Frauen Nah- rungsmittel offen zubereiten, sollen sie das Essen fortschütten, in Gras oder Busch ausserhalb des Dorfes. So soll auch mit dem Wasser ge- schehen, das sie etwa im Freien daneben stehen haben, sei es zum Kochen, sei es zum Waschen der Hände, und ebenso mit den frisch ge- pflückten grünen Blättern, die sie zum Anfassen der Speisen verwenden. Ihre Feuer haben sie an andere Stellen zu rücken, was auch geschieht, wenn im Dorfe jemand gestorben oder ein Kind zur Welt gekommen ist. Am Morgen ein leises Kitzeln in der Nase, das jedoch nicht zum Niesen zwingen darf, verheisst Gutes. Wer, sei es auch zu ganz un- wesentlichen Zwecken, aus seiner Behausung tritt oder noch im Dorfe geht und niesen muss oder jemand niesen hört, kehrt in der Regel so- gleich wieder in seine Hütte zurück und hantiert dort etwas, bevor er nochmals herauszukommen wagt. Manchmal gibt es tüchtige Schelte im Dorfe, weil Spassvögel durch rechtzeitiges und überlautes Niesen die Ge- wissenhaften öfters in die Hütten zurückscheuchen. Auch fallen harte Worte, wenn am frühen Morgen beim Erwachen einer recht herzhaft niest, dass es durch das ganze Dorf schallt. Jemand dabei anzusprudeln, gilt für eine Unanständigkeit gröbster Art. Wenn einer geniest hat, schlägt er eilig mit der rechten Faust oder auch mit beiden Fäusten gegen die Brust und streckt darauf zwei- oder dreimal den Arm oder die Arme abwehrend von sich, wobei die Daumen eingeschlagen, die Fäuste geballt und mit den Fingergliedern nach vorn gehalten werden. Dieselbe Gebärde wird auch beim Aussprechen des Namens eines als Diebfinder sehr gefürchteten Fetisches, des Mabiäla ma ndömba, wiederholt. Es soll damit Böses abgewehrt und angezeigt werden: ich war es nicht. Die gleiche Bewegung lässt ein Vater von seinen kleinen Kindern machen, wenn er auf Reisen geht und sie zum Abschiede herzt. Er drückt ihnen die kleinen Fäuste vor die Brust und streckt dann ihre Arme. Dadurch soll alles Üble von ihnen abgehalten werden. Die nämliche abwehrende Gebärde oder eine ähnliche, indem er mit eingeschlagenem Daumen Fäuste ballt und abwechselnd dreimal leicht über die Schultern spuckt, macht jemand, der ausgesprochen oder zuge- standen hat, gesund, zufrieden zu sein, oder einen Erfolg gehabt zu haben. Es ist nicht gut, sich damit zu brüsten, gleich kann einem was Schlimmes widerfahren. So wehrt man auch Seelen ab, deren Nähe man am kühlen Hauche, am Geruch, am Summen oder Klingen in den Ohren’ verspürt. Man schnippt überdies noch mit den Fingern und schüttelt die Ohr- Allerlei Glaube. 327 läppchen. Auch eine erst beginnende Krankheit hofft man in der selben Weise los zu werden, indem man zugleich mehrmals stark Luft ausbläst. Warum sie so handeln, namentlich beim Niesen, wissen die Leute kaum zu erklären. Es ist so der Brauch, pflegen sie zu antworten. Nur etliche können gelegentlich bessere Auskunft geben, und die wurde mir in Yumba. Eine Mutter bangte um ihr krankes Kind. Als das Kind plötzlich nieste, sprang die Mutter mit Wutgeschrei auf, lief vorwärts und fuchtelte wie rasend mit den Armen in der Luft herum, als be- kämpfte sie unsichtbare Feinde Der Mann kam gelaufen und feuerte sein Gewehr ab, ebenso ein hilfreicher Nachbar. Da stellte sich denn heraus, dass es sich um das Vertreiben böser Seelen oder Geister handle, die Krankheit bringen, die entweder ausgeniest werden oder durch die Nase erst in den Körper schlüpfen wollen. Daher mutmasslich die in ungefährlichen Fällen lässigere Gebärde der Abwehr. Wer von einem Tiere gebissen oder sonstwie verletzt worden ist, reibt sogleich das ganze Tier oder Teile von ihm auf die Wunde, damit diese aufhöre zu schmerzen, rasch und gut heile Aus dem nämlichen Grunde wird der Dorn oder Splitter, der ins Fleisch gedrungen war, leicht be- spuckt und über die Verletzung hin und her gestrichen. Eine schmer- zende Körperstelle oder eine Wunde drückt oder streicht man mit den Händen und macht dann rasch die Bewegung des Fortwerfens, wobei gemurmelt wird, das Schlimme solle verschwinden oder fortbleiben. Wenn man sich gestossen hat, ist es ein bewährtes Mittel, die getroffene Stelle auf den Gegenstand zu drücken. Alsdann hört der Schmerz auf, und am Kopf schwillt keine Beule. Wer Gift in sich zu haben glaubt, trinkt von seinem verwässerten Urin. Erlöste Gefangene pflegen, bevor sie sich entfernen, die Fesseln drei- mal zu besprudeln oder zu beissen. Es geschieht, um sich wirksam gegen weiteres Anketten zu schützen. Fundstücke irgendwelcher Art soll man draussen im Freien weder anfassen noch mitnehmen. Man kann nie wissen, was ihnen anhaftet. Es genügt, im nächsten Dorfe Anzeige zu erstatten. Bei sehr feierlichem Abschiede für eine weite Reise werfen die Ab- gehenden als letzten Gruss etwas Wertvolles von sich. An der Küste lässt man recht bunte neue Taschentücher flattern und nachher fallen, besonders wenn die Scheidenden zu Wasser fortfahren. Viele Verreisende opfern verstohlen noch ein kleines Wertstück oder ein gebrauchtes Gerät aus ihrem Besitz, das sie vorher noch mehrmals leicht bespucken oder beissen. Das gewährleistet fröhliche Heimkehr. Ausserdem lässt der Familienvater den Seinen, der Mann der Frau, der Liebhaber seinem Mädchen irgend etwas zurück und erhält ein Andenken, das täglich an- zusehen und zu berühren ist. Manchmal tauscht man Haarflocken aus, 328 Allerlei Glaube. Dadurch wird die Erinnerung, die Liebe warm erhalten. Wer es ganz ernsthaft nimmt, taucht das Andenken ab und zu in sein Trink- wasser. Solange jemand in den Krieg gezogen ist oder auf weiter Handels- reise abwesend ist, haben die Angehörigen vielerlei Enthaltsamkeit zu üben. Sie sollen nicht üppig leben, sich nicht vergnügen, nicht Besuche zur Kurzweil machen und nicht herumstehen und schwatzen. Bei Häupt- lingen gelten je nach ihrer Bedeutung die Beschränkungen der Ortschaft oder der Erdschaft. Dazu kommen dann noch mancherlei Gebote und Verbote, die von berufenen Zaubermeistern ausgegeben worden sind: dass kein Tier getötet werden, kein Feuer unterhalten und keine gekochte Nahrung gegessen werden, kein buntes Kleid getragen werden soll und dergleichen mehr. Unschlüssige pflegen Orakel zu befragen, was sie tun oder lassen sollen. Männer wirbeln ihr Messer in die Luft. Ja bedeutet, wenn es mit der Spitze, Nein, wenn es mit dem Griffe den Boden trifft. Oder sie schneiden einen Grashalm in kurze, gleich lange Stücke. Diese legen sie, am Hefte beginnend, abwechselnd längs und quer auf die Klinge, Ein glückliches Zeichen ist es, wenn das letzte Halmstück der Länge nach bis zur Spitze zu liegen kommt. Frauen legen einen Halm oder ein Fiederblatt der Ölpalmen in kurzen Knicken zusammen und richten sich danach, ob die Lagen paar oder unpaar sind. Sehr günstig ist die Auskunft, wenn bei vollen Paaren das letzte Stück mit allen übrigen gleich lang ist. Eine Behausung widersteht den Unbilden der Witterung und den Angriffen der Termiten besser, wenn die zum Bau verwendeten Hölzer, Papyrushalme und Palmwedel während der Trockenzeit bei abnehmendem Monde beschafft worden sind. In der neuen Hütte lässt man vielfach die erste Nacht ein Huhn oder eine Ente zubringen. Auch macht man innen ein Feuer, mit dem allerlei vom Ngänga erworbene oder selbst zusammengesuchte Zauberkräuter derartig verbrannt werden, dass der Rauch das ganze Bauwerk durchzieht. Nachher wird die Asche ge- sammelt und im Halbkreis auf dem Vorplatz vor die Tür sowie auf das Dach gestreut. Häufig wird dazu auch noch nasser Seesand sowie Salz genommen und letzteres namentlich innerhalb längs der Wände ver- krümelt, Salz schützt auch gegen Termiten. In einer neuen Hütte der Frau wird gern ein frisch gelegtes Hühnerei vergraben; das bedingt Fruchtbarkeit. Dieselbe Wirkung sollen auch Erdnüsse (Arachis) er- zielen. Zu dem nämlichen Zwecke werden Eier in jungen Pflanzungen vergraben, Gestört wird das Wachstum, wenn über die Felder Zähne von Elefanten oder Flusspferden getragen werden, wenn eine Schwangere darüber geht oder jemand daselbst seine Notdurft verrichtet. Allerlei Glaube. 329 Um sichere und reiche Ernten zu erzielen, muss man den Boden bei zunehmendem Monde lockern, aber bei abnehmendem Monde besäen und bepflanzen und damit fertig sein, wenn der erste junge Mond der Regenzeit sichtbar wird. In Gegenden, wo Vernichtung der Felder durch Flusspferde, Büffel, Elefanten, Gorillas, Schimpansen und Wildschweine zu gewärtigen ist, gilt es für ein sicheres Schutzmittel, eine Kleinigkeit vom Körper der etwa erlegten schädlichen Tiere auf Stäben zwischen die Gewächse zu stecken. In der nämlichen Weise angebrachte Schnurrhaare des Leo- parden, die, wie die Galle des Krokodiles, für äusserst giftig gelten, er- füllen den gleichen Zweck. Die Bewohner des Hinterlandes halten es für nachteilig, wenn ein Fremder ihre Pflanzungen besichtigt oder durch- streift. Die Küstenleute sind in der Regel nicht mehr so heikel, aber sie bezeichnen es als unklug, den Ertrag im voraus abzuschätzen. Davon soll man nicht reden. Mädchen sollen Haushühner weder schlachten, noch rupfen, noch essen. Doch wird diese Regel nicht mehr allgemein befolgt. Frauen essen Hühner, schlachten aber eigenes Geflügel meistens nicht selbst, sondern beauftragen andere. Sonst merken es die Hühner, brüten sicher- lich nicht mehr, oder verschleppen die Eier, oder verkriechen sich und geraten in Verlust. In vielen Familien, vielleicht in den meisten, werden Eier und Milch nicht genossen, weil sie, aus den Leibern der Tiere kommend, fast Exkrementen gleich geachtet werden. Dem Säuglinge ziemt die Muttermilch, nicht Milch von Tieren, die des Kindes Art ver- derben würde. Muttermilch, die auch als ein unfehlbares Mittel gegen den Biss giftiger Schlangen gilt, darf nicht auf die Erde tropfen; Ent- wöhnende lassen sie auf Zeugstückchen oder Kräuter fallen, die sie so- gleich verbrennen, noch lieber, wenn sie es haben können, auf heiss ge- machtes Eisen, damit sie verdampfe. Das soll nämlich besonders gut sein. Das Beben und Zucken von Muskeln an vielerlei Stellen des Kör- pers, auch der Schlag des Herzens gilt als sehr bedeutsam, namentlich wenn man etwas vorhat. Doch scheinen die nämlichen Beobachtungen durchaus nicht übereinstimmend gedeutet zu werden. Albinos werden als Merkwürdigkeiten betrachtet. Diejenigen, welche nach alten Berichten zum Hofstaate des Ma Loängo gehörten, und sich, nach Battell, gegen andere viel herausnehmen konnten, spielten viel- leicht eine Rolle als Bangänga oder Hofnarren. Wir haben nicht er- fahren, dass sie noch irgendwie bevorzugt würden. Den bösen Blick fürchtet man als Kind des Neides. Aber nicht vom Europäer. Wenigstens haben wir nicht beobachtet oder erfahren, dass man gegen Blicke empfindlich wäre, wenn nicht die leicht erreg- bare Schamhaftigkeit sich äusserte. Der böse Wind ist besser bekannt 330 Allerlei Glaube. und wird als Hexenwerk gefürchtet, obwohl mehr im Sinne des bösen Wunsches. Über Kinder soll man nicht hinwegschreiten, weil dadurch ihre Ent- wicklung beeinträchtigt wird. Auch soll man sie nicht heben, indem man unter die Arme greift. Heiratsfähige Mädchen sowie Frauen dürfen von Männern überhaupt nicht von der Erde abgehoben werden. Aller- dings hat die nämliche Handlung bindende Kraft bei der Adoption zur Erde. Auf eine Person mit den Fingern zu zeigen, ist durchaus unpassend und oft übel wirkend. Wer über einen ruhenden Menschen hinwessteigt, überträgt auf ihn alle Leiden, womit er selbst behaftet ist. Etwas einem dritten über einen anderen zuzureichen oder zuzuwerfen, ist nicht gut. (Geschieht es doch, so muss es sogleich in umgekehrter Richtung wieder- holt werden. Scharfe oder spitzige Gegenstände, wie Messer, Nadeln, Nägel, sind stets mit dem stumpfen Ende zu überreichen. Bei einem Verfehlen ist die Hand, die nehmen sollte, mit der Schärfe leicht zu piken. Schlafende zu erschrecken oder plötzlich zu ermuntern, ist gefähr- lich, nicht nur, weil die Seele schweifen, sondern weil es sie schwer krank machen und ihren Geist verwirren könnte. Wer aber einem Träu- menden leise ein Tuch über den Kopf breitet und nachher mit dem nämlichen Tuche beim Einschlafen den eigenen Kopf bedeckt, träumt dem anderen alles nach und erkennt seine Gedanken. Die eingeborenen Seeleute, die sich auf Küstenfahrten im Dienste der Europäer recht gut bewähren, suchen einer lästigen Windstille nach Seemannsart dadurch abzuhelfen, dass sie, mit den Fingern Masten und Tauwerk streichend, mit gespitztem Munde pfeifen. Dazwischen reizen sie auch lustig, mit der Zunge schnalzend: Komm, Wind, komm! oder sie rufen ebenso den für flotten überseeischen Handel gemachten Fetisch Tiäba: Bring Wind, Tiäba! bring guten Wind! Der alte Fischerbrauch, die Bewohner des Wassers durch Pfeifen herbeizulocken, ist auch im Schwange. Eigenartiger ist folgender Glaube, der zwischen den auf ihre Fischereigerechtsame eifersüchtigen Strand- dörfern schon zu ernsthaften Palavern geführt hat: Übelwollende tragen lebende Fische an eine Stelle des Strandes, geben ihnen einige Klapse und werfen sie ins Meer, mit der Warnung, ja nicht wieder dahin zu- rückzukehren. Darauf verschwinden die ziehenden Fischschwärme von dem ihnen verleideten Strich des Gestades. Sie meiden ihn für lange Zeit zum Schaden der Anwohner, während die Nachbarn desto reicheren Fang haben. Übrigens hört man an der Küste auch vom Seebaum erzählen, was weiter nicht wundernehmen kann, da häufig genug schwimmende, ab Allerlei Glaube. 331 und zu Holzbestand tragende Inseln aus dem Kongo in Sicht der Küste vorüber treiben oder an ihr stranden. Daher wohl die Sage, dass weit draussen von Zeit zu Zeit ein ungeheurer Baum aus dem Meere auf- wachse, dessen Gezweig alle begehrenswerten Dinge in Menge trage. Wer schweigend hinführe, könnte über alle Begriffe reich werden. Man soll sich hüten, auf Frösche zu spucken. Es macht krank, bringt die Zunge zum Anschwellen und kann mit Stottern enden. Hexen verwenden zu ihren Zaubereien gern Frösche, die mit schweren Regen manchmal zahlreich aus den Wolken fallen. Bereits im ersten Kapitel ist angedeutet worden, wie die unsinnigsten Gedanken im Nu die Gemüter mit zwingender Gewalt packen können, was freilich nicht bloss in Loängo vorkommt. Man weiss wenig, man glaubt alles. Was geschieht, hat eine Ursache, und schädigende Vor- gänge in der Natur wie im Menschenleben werden erklärt, wie der Zufall es füst. Die Ankunft eines Europäers, seine auffällige Kleidung, die unschuldigste Handlung kann als Ursache verschrieen werden einer neuen Plage. Da wird denn mit allen Kräften gezaubert, um dem neuen Übel zu steuern, auch versucht, die Europäer zu bewegen, Fetische machen zu lassen, wobei mancherlei Vorteile für die Eingeborenen abfallen, und wäre es bloss der Palavertrunk. Daher ist nicht leicht zu entscheiden, zumal es sonst Zweifler genug gibt, was sie am stärksten beeinflusst, ob die Furcht vor dem Unbekannten, ob die Lust am mühelosen Gewinn. Um gerecht zu sein, ist zu betonen, dass sie vielfach als Ursachen schlimmer Vorgänge ihr eigenes Verhalten betrachten, weswegen Nsämbi sie strafe. Aber es liest in ihrer Art, wo es angeht, nach der Menschen Weise andere haftbar zu machen (Seite 33). Als wir behufs kartographischer Aufnahmen eine grosse Grundlinie mittelst des Schalles ausmassen (I 212), und von zwei Hügeln in regel- mässiger Folge Schüsse abfeuerten, kam schnell das Gerücht auf, wir hätten den zwischen den Beobachtungsstellen liegenden Dorfschaften etwas angetan. Eigentlich traute man uns nichts Schlechtes zu, und man be- helligte uns auch nicht mit Einsprüchen, aber man erkundigte sich unter der Hand bei meinem Jungen Ndembo und schliesslich bei mir, denn so ganz zweifelsohne erschien die Sache doch nicht. Schliesslich nahm sie eine für uns günstige Wendung, weil in der ganzen Landschaft sich alles aufs schönste entwickelte Unser Erdzauber, denn das war und blieb unser Tun, konnte demnach nur Gutes bewirkt haben. Wenn nun aber die Regen ausgeblieben, Krankheiten aufgetreten wären? Höchst verdächtig erschien ferner den Umwohnern, als ich einst im (sehöft nach bewährter Weise der Ozeanier einen Lochbraten oder Feld- braten herstellte.e In eine vom darin angezündeten Feuer gut erhitzte Grube wird ein abgehäutetes, ausgeworfenes, aber sonst unzerstückt 332 Scheu vor dem Abbilden. Grenzen des Lebens. zugerichtetes und mit dem eigenen Fell umwickeltes Tier, Ziege, Schaf, Antilope, zwischen Kräutern eingelegt und mit heisser Erde hoch be- schüttet. Nach drei bis vier Stunden oder erst am nächsten Morgen hebt man das schön geschmorte Gericht heraus. Obgleich wir nun den Braten, eine Ziege, verspeist hatten, auch die von unseren Leibdienern, denen das Fleisch nicht tschina war, davon gegessen hatten, wurde doch weithin berichtet, bei uns wäre ein Erdzauber allerersten Ranges gemacht worden. Nur wenige Leute waren verständig genug, die natürliche Er- klärung gelten zu lassen. Hätte sich aber danach irgend etwas Schlimmes ereignet, so wären böser Verdacht und Palaver unausbleiblich gewesen. Das Photographieren und Abmalen, das Nehmen von Haarproben sowie von Umrisszeichnungen der Hände und Füsse verursachte selbst den mit unserem Treiben vertrauten Leuten Beklemmungen. Namentlich das grosse Glasauge der Kamera ängstigte sie, weswegen selten Köpfe mit vorteilhaftem Ausdrucke erhalten werden. Am scheuesten erwiesen sich wieder die Männer und weigerten sich vielfach rundweg, während die Weiber mit der Zeit ganz eifrig wurden. Aber Bedenken äusserten sie doch. Mädchen meinten, die Mutter könnte sterben, Krankheit könnte eintreten, sie würden keinen guten Mann kriegen oder kinderlos bleiben. Frauen fürchteten für ihre Kinder, für Haustiere, Pflanzungen, auch dass ihnen die Milch versiegen würde. Aber niemand redete von einem Schaden für die Seele. Menschen, die sogar den Seelen bloss eine begrenzte persönliche Fortdauer zuerkennen, können kaum die Meinung hegen, dass, falls es mit rechten Dingen zuginge, ihr irdisches Leben für immer währen müsste. Ob überhaupt ein solcher aller Erfahrung widerstreitender Gedanke jemals aufgetaucht ist? Gewiss sind Menschen mit dem Tode vertraut gewesen, lange bevor sie sich darüber Gedanken machten. Nichts in der Natur lehrte sie, das Beständige der Form, die körperliche Unsterb- lichkeit zum Glaubenssatze zu erheben. Auch sind Menschen nicht ein für allemal da, sondern gehen, wie alles in der Lebewelt, auseinander hervor, so dass immer neue hinzukommen. Wo der natürliche Zugang, warum da nicht der natürliche Abgang? Die Bafıöti begreifen vollständig, wie der hilflos geborene Mensch sich allmählich entwickelt, eine hohe Leistungsfähigkeit erreicht und nach- her wieder verliert. Wie er altert, an Kraft einbüsst und endlich gleich allen Lebewesen hinsiecht, folgerichtig abstirbt. So ergeht es allen Men- schen, gleichviel welcher Art sie sind. Das erscheint ihnen durchaus selbstverständlich. Der Tod ruft alle Menschen, oder alle Menschen müssen sterben, sagen sie. Sie denken gar nicht daran, den Tod greisen- Natürlicher und verfrühter Tod. Hexerei. 333 hafter Leute für unnatürlich zu halten. Bejahrte sprechen vom Sterben so selbstverständlich und treffen ihre Bestimmungen wie auch unsere in der Natur lebenden Leute. Fragt man nach einem verstorbenen Alten, so wird wohl ruhig geantwortet: Nsambi a n (nu) tümisi nändi, Gott hat gerufen ihn. Sie erkennen darin keineswegs die Folgen eines gött- lichen Gewaltaktes, der Willkür, eines Strafgerichtes; nein, seine Stunde war eben gekommen. Sie unterscheiden zwischen einem natürlichen Erlöschen des Lebens, und dem gewaltsamen, verfrühten oder schlechten Tode, der durch Böses, durch Seelen, Unholde, sowie durch Totschlag, Vergiftung, Verzaube- rung bewirkt werden mag. Ein Verdacht auf Behexung bemächtigt sich erst dann der Gemüter, wenn ein lebensfroher, kräftiger Mensch jählings erkrankt, stirbt, einem Unglücksfalle erliegt oder wenn er spurlos ver- schwindet. Hierbei spielt eine wenn man will kindliche, aber strenge Logik eine wichtige Rolle. Für die Eingeborenen gibt es keinen Zufall. Was zeit- lich aufeinander folgt, sei es auch räumlich weit getrennt, was in gleicher oder ähnlicher Weise geschieht, sei es auch in langen Pausen, das er- scheint leicht ursächlich verbunden. Nehmen wir zur Verdeutlichung einen einfachen Fall. A. und B. streiten. B. beleidigt und läuft davon. A. wirft ein Holzstück und trifft; er freut sich seiner Geschicklichkeit. B. denkt anders. Er versuchte doch dem Wurfe auszuweichen; wie konnte A. ihn, den doch sonst so Ge- wandten, treffen, wenn nicht vermöge geheimer Kräfte? Doch will diese Erwägung noch nicht viel besagen, wird vielleicht auch nicht einmal an- gestellt. Nun geht aber B. eines Tages mit Gefährten im Walde. Da bricht ein Aststück nieder und verletzt ihn. Er fühlt den Schlag und den Schmerz wie früher, als A. ihn traf. Vielleicht denkt er verständig an den Wind und an die Morschheit des Astes, aber es kann doch ebensogut ein Wille und eine Tat vorliegen. Das Holz ist durch die Luft gekommen wie früher das von A. geschleuderte; es hat zudem ihn getroffen und nicht einen anderen, den es ebensogut hätte treffen können. Das ist bedenklich. A. ist freilich nicht anwesend, aber er kann das Werk von ferne vollbracht haben vermöge geheimer Kräfte, durch Zauberei. A. kann hexen. Wenn nun B. seinen Verdacht ausplaudert, kann A. mit Argwohn angesehen werden, den er vielleicht durch unvor- sichtige Reden oder Drohungen verstärken hilft. Falls noch andere Vor- fälle ähnlich zu deuten sind, mag A. recht übel ins Gerede kommen, obschon es ihm deswegen nicht gleich an den Kragen geht. Wie aber, wenn nicht lange darauf der nämliche B. oder ein Bekannter, mit dem A. verfeindet ist, durch den Sturz eines Astknorrens, eines Baumes arg zugerichtet oder getötet wird? 334 Hexerei. Aufkommen des Verdachtes. Die Angelegenheit kann in anderer Weise verschärft werden. Es liegt nahe, da B. sich mit Gedanken über A. beschäftigt, dass ihm vom Gegner träumt. Vielleicht erscheint ihm A. im Schlafe, bedroht ihn, greift ihn sogar an, schlägt und verwundet ihn. Aus dem beängstigenden Traum erwachend und des Früheren gedenkend, grübelt B. darüber nach, ob, was ıhm träumte, nicht ein von A. wirklich versuchter heimtückischer Angriff gewesen sei. Er berät sich vertraulich mit Freunden und schliess- lich auch mit Bangänga. Man muss immer auf der Hut sein. Wenn Erkrankungen, Unglücksfälle, scheinbar widernatürliche Todes- fälle überraschen, kann der niemals schlummernde Glaube an Hexenwerk erneute Kraft gewinnen. Die aufgeschreckten Leute schauen um sich, woher wohl das Böse kommen könne, das sie alle bedroht. Zunächst überlegen sie, wer sich den betroffenen Personen feindselig erwiesen, wer Vorteil von ihrem Tode habe, insbesondere, wenn es sich um angesehene Leute handelt. Doch ist keineswegs ausgeschlossen, dass man das Ein- greifen Nsämbis, die Betätigung eines dem Gemeinwohle dienenden Fetisches, die Folgen einer Übertretung des T'schina vermutet und sich dabei beruhigt. Auch kann ja ein Verstorbener Lebende nachholen, ein böses Gespenst mag sein Unwesen treiben. Es hängt demnach von mancherlei äusseren und wandelbaren Verhältnissen, sowie von den Persön- lichkeiten ab, wie gerade aufregende Ereignisse, die begleitenden Um- stände gedeutet werden. In unserer Nachbarschaft trug sich unter uns wohlbekannten Leuten folgendes zu. Der Bruder eines kleinen Häuptlings hatte mit einem Mädchen ein Hühnerpalaver gehabt und verloren. Geärgert, hatte er sie nachher schnöde behandelt. Bei einem Fischzuge schlug sein Kahn in der Brandung um, und die Roller spielten ihm übel mit, bevor ihn seine Gefährten an den Strand brachten. Das Mädchen befand sich unter den Zuschauern. Nach geraumer Zeit traf den Mann, einen ge- schickten Fahrer, der sonst immer glücklich durch die Brecher kam, unter den nämlichen Umständen das gleiche Missgeschick, nur brach ihm der heftig überworfene Kahn den Oberschenkelknochen, so dass er fast leblos aufs Trockene gerettet wurde. Da das Mädchen abermals mit zugesehen hatte, heftete sich der Verdacht an sie und wurde bald zur lauten Beschuldigung, die Ursache des Unglückes zu sein. Doch traten ihre Angehörigen und Freunde so nachdrücklich für sie ein und verschleppten die Angelegenheit durch Verhandlungen und Palaver so lange, dass der Verunglückte mittlerweile gesundete und wieder ganz gut auf die Beine kam. Die Anklage wurde nicht erhoben. Aber dem Mädchen wurde verboten, sich fernerhin während des Fischens am Strande aufzuhalten. Sie war mindestens ein sogenanntes Unglücks- kind. Verruf. Sindodschi. Selbstbeziehtigung. 335 Ein Erkrankter mag sich einbilden, behext zu sein. Er drängt die Seinen, ihm zu helfen, die mächtigsten Fetische zu berufen, um den Schwarzkünstler auszufinden oder zu zwingen, das Übel im Stillen von ihm zu nehmen. Vielleicht bezeichnet der Leidende in seiner Angst sogar eine bestimmte Person und fordert die Giftprobe, falls sein Be- finden sich innerhalb kurzer Zeit nicht gebessert habe. Der Hexenglaube oder vielmehr die Furcht, den Verdacht auf sich zu lenken, hat zweifellos einen nicht geringen Wert für die Selbstzucht: die Leute hüten sich, derartig zu denken, zu reden und zu handeln, dass sie in Verruf kommen könnten. Sie unterdrücken deswegen manche üble Charaktereigenschaft und stellen sich besser zu ihren Nachbarn. Sie müssten aber nicht Menschen sein, wenn nicht auch gute Eigenschaften manchmal nachteilig wirkten. Tüchtige Personen haben sich zu hüten, denn man ist nicht gewöhnt, Tätigkeit und Geschick nach Verdienst zu würdigen. Wer immer klug und erfolgreich handelt, wer sich über die Masse erhebt, der kann mehr als andere. Wer weiss, was er sonst noch anzustellen vermag. Natürlich hat er wie jedermann seine Fetische, die ihm helfen. Nichtsdestoweniger erregt sein beständiges Glück Aufmerk- samkeit, Neid und ein Gefühl, als ob er anderen zuvorkäme, sie benach- teiligte. Er wird zu reich, zu mächtig. Da bedarf es nur eines An- stosses, und die Grenze zwischen geduldeter Zauberei und gefährlicher Hexerei schwindet. Über das Hexenwesen, über die alle Gemüter mit Grauen und Ab- scheu erfüllenden menschlichen Unholde und Schwarzkünstler — ndödschi plur. sindödschi; Hexerei, bundöoku —, über deren Fähigkeiten und Schliche, weiss man, ohne einmütig zu sein, sehr viel zu berichten. Es ist zweifellos das Unheimlichste und Fürchterlichste, das man kennt. Darüber sind alle einig. Wir dürfen kaum bezweifeln, dass es in der Tat Personen gibt, die sich selbst für Hexen im schlimmsten Sinne des Wortes halten und sich sogar als solche bekennen. Es genügt ja schon die feindselige Gesinnung, um vielleicht zu schaden, zu töten. Der böse Wille ist so gut wie die böse Tat. Er wirkt wie die Sonnenstrahlen wärmen, wie die Winde kühlen, wie Blumen riechen und Äser stinken, er wirkt wie Gifte von Pflanzen und Tieren. Nach dieser Auffassung ist dem Zufall eine sehr grosse Macht eingeräumt. Böse Gedanken können scheinbar Erfolg haben, bedingen ein böses Gewissen, sogar Selbstanklagen, oder doch ein Betragen, das in anderen Verdacht erweckt und sie zu Beschuldigungen ermutigt, zumal die mannigfaltigen persönlichen Beziehungen recht gut durchschaut werden. Allerlei Versuche von Zauberei ereignen sich wahrscheinlich viel häufiger, als man nachweisen kann. Denn im Grunde genommen bilden 336 Zaubern allgemein. Sindodschi werden geboren. sich doch alle dem Fetischismus — wenigstens dem, der hier zu schildern ist — Verfallenen ein, für ihre Zwecke mit geheimen Kräften wirken zu können. Die Leute zaubern eben alle. Das führt auch sonst ganz gute Menschen auf Abwege und verlockt sie, zum eigenen Vorteil und oft zum Schaden anderer, Dinge zu treiben, die sie besser unterliessen. Um ein bisschen Zauber in Liebe und Geschäften wird man selten in Verlegenheit sein. Mancher oder manche, sonst ganz brav, mag im Ärger einem Nebenbuhler oder einer Nebenbuhlerin, einem erfolgreichen Wettbewerber im Handel, einem aus irgendwelchen anderen Gründen unliebsamen Mitmenschen verwünschen oder ihn mit Hilfe von Fetischen gewissermassen zu überzaubern versuchen. Deswegen sind sie noch keine Hexen. Gefahr ist freilich dabei. Wenn nicht reiner Mund gehalten wird, und wenn zufällig dem Betreffenden oder seinen Angehörigen ein ernstlicher Unfall zustossen sollte, dann könnte der vorwitzige Zauberer in eine recht üble Lage geraten. Aber zaghaftes und gelegentliches Herumtappen im Nebel der Zauberei, wovon kaum einer sich ganz rein weiss, kommt nicht in Betracht neben der entsetzlichen Wirksamkeit ausgemachter Hexen. Als einmütig anerkannt ist festzustellen: die schlimmste Hexenart, der richtige Ndödschi, der schreckliche Unhold und Würger, wird geboren. Die ihn kennzeichnenden Eigenschaften besitzt er ohne sein Zutun und oft ohne sein Wissen bereits von der Geburt her. Er stiftet Böses, weil es in ihm steckt, durch sein blosses Dasein. Er ist das verkörperte Böse. Deshalb ist ein als Ndödschi Beschuldigter, dessen Unschuld die Giftprobe öffentlich und klar dargetan hat, für alle Zeit gegen neue schwere Bezichtigungen geschützt. Er hat bewiesen, dass nichts Böses in ihm steckt. Ein Ndödschi ist so furchtbar gefährlich für alle, dass er ohne Zaudern unschädlich zu machen ist, selbst wenn er noch ungeboren unter dem Herzen der Mutter ruht. Daher auch Fruchtabtreibung. Man beschuldigt weniger den bösen Menschen als das Böse im Menschen, das ununterbrochen und ohne sein Zutun aus ihm wirkt. Der folgen- schwangere Argwohn kann sich gegen jede Person richten, wes Alters, Geschlechtes und Standes sie auch sei, unter Umständen sogar gegen Tiere. Woher kommen diese schrecklichen Wesen? Wie soll ich es wissen, ich bin doch kein Ndödschi, antworten gewöhnlich die Befragten. Es gibt welche, das genügt ihnen. An eine unmittelbare Vererbung des Bösen wird kaum gedacht, denn die Kinder ausgefundener und umge- brachter Schwarzkünstler bleiben unbehelligt, obwohl ihre gesellschaftliche Stellung leidet. Doch meinten Bangänga, die sich gern als Wissende aufspielen, dass Unholde nächtlicherweile schlafende Mädchen und Frauen aufsuchten oder wachende über ihre Persönlichkeit täuschten, Kennzeichen. Gegengifte. Vernichtung der Leiber. 337 dass infolgedessen die schrecklichen Wesen zur Welt kämen. Erzäh- lungen von Gespenstern, die in unschuldiger Gestalt Männer wie Weiber berückt und mit ihnen längere oder kürzere Zeit ehelich gelebt haben, sind im Lande gäng und gäbe. Überdies wird auch geglaubt, dass der Uterus (oder sein Abbild?) eigenmächtig den Körper verlassen und um- herschweifen könne. Wo sich ihm Gelegenheit biete, bestehle er Männer und kehre wieder an seinen Ort zurück. Auch auf solche Weise mögen die echten Sindödschi entstehen. Neben diesen geborenen Unholden, aber nach Wirksamkeit von ihnen kaum zu trennen, gibt es noch Hexen in unserem Sinn, Schwarzkünstler, die ihre verderblichen Künste erst irgendwie erworben haben. Natürlich stehen derartige Bösewichte nicht mehr im kindlichen Alter, denn sie müssen doch mit dem Treiben erst vertraut werden. Von manchen werden sie für weniger gefährlich als die anderen gehalten, weil sie nicht ununterbrochen und allgemein töten, sondern nur gelegentlich gegen ihnen verhasste Personen böswillig zaubern. Die von ihnen Be- drohten oder schon Verhexten halten sie natürlich für mindestens ebenso furchtbar wie die anderen Sindödschi. Man erkennt sie im Alltagsleben oft am scheuen, heimtückischen Wesen, am unsteten, zur Erde gewendeten Blick, an den blöden Augen, die niemand fröhlich anzuschauen vermögen und, ein ganz sicheres Zeichen, die Aussenwelt verkehrt widerspiegeln. Doch gibt es auch welche, die jung, hübsch, freundlich und deswegen um so gefährlicher sind. Bei einem toten Ndödschi kann man den Beweis über seine Wesen- heit liefern, wenn man ıhn aufschneidet und sein Inneres untersucht. In der Mitte der Leibeshöhle, hinten am Rückgrate, findet sich ein Knäuel oder ein vielverzweigter Strang von Sehnen oder Fäden. Zieht man daran, so wackeln die Ohren und blinzeln die Augen. Dies ist das allersicherste Merkmal. Heftet sich der Verdacht der Hexerei an einen Lebenden, sind alle Umstände, besonders die öffentliche Meinung gegen ihn, gesteht er sein böses Treiben, wie dies wirklich bisweilen geschehen soll, nicht sogleich unumwunden ein, so bleibt ihm nichts übrig, als sich der Giftprobe zu unterwerfen. Darüber später. Viele Hexen, die sich erkannt haben, wissen freilich aus Fröschen, Eidechsen, Schlangen und sonstigem Ge- würm, sowie anderen Dingen, die man gar nicht alle aufzuzählen vermag, eine Latwerge zu bereiten, wodurch sie sich gegen einen übeln Ausgang der Probe sichern. Der Körper eines durch die Giftprobe überwiesenen, also eines ihr erlegenen Ndödschi wird am besten verbrannt oder, wie im Inneren und Norden des Landes, wo eingeschoben andere Volksstämme sitzen, in die Wildnis geschleift und den Raubtieren zum Frasse überlassen. Keinesfalls 22 Loango. 338 Vernichtung der Sindodschi. darf er beerdigt werden. Es ist ja von grösster Wichtigkeit für das Gemeinwohl, den Leib zu vernichten, mindestens die Gebeine zu ver- streuen. Das Verbrennen der Unholde, das im südlichen Teile des Ge- bietes und im Küstenstrich Regel ist, scheint, wie manches andere, vom Süden des Kongo übernommen worden zu sein, wohin es die Europäer, die alten Missionare gebracht haben mögen. Der Gedanke, dass auch im Hexenleichnam noch bedrohliche Kräfte sitzen, die von Kundigen herausgezogen und zu weiterem Zauberwerk benutzt werden können, dürfte den Leuten überhaupt noch nicht gekommen sein. Sonst würde die Feuervernichtung, die jeden Missbrauch ausschliesst, doch wohl all- gemein stattfinden. Die Körper der Sindödschi, deren böses Treiben nicht entdeckt wurde, die man in allen Ehren begraben hat, verwesen nicht in der Erde. Die Bösen setzen als gespenstische Wesen ihre verderbliche Tätigkeit desto erfolgreicher fort. Mit der Vernichtung des Leibes oder mit seiner von Tieren der Wildnis besorgten Zerstückelung, verbunden mit dem natürlichen Verfall aller Teile im Freien, glaubt man demnach die (Gefahr völlig beseitigt zu haben. Was aber wird aus der tschinyemba? Das Vertilgen des körperlichen Ndödschi schafft doch nur einen see- lischen, der im Jenseits viel weniger fassbar und desto furchtbarer ist. Völlig verblüffend wirkte dieser Einwurf auf manche Leute. Daran hatten sie gar nicht gedacht. Ihnen genügte, ihre Rache am Scheusal zu kühlen und ihm das Grab zu versagen. Bangänga meinten, das Böse stecke eben im Leibe und würde mit dem zerstört, oder es wäre schon vorher durch das Gift abgetan worden. Eben daran stürbe der Ndödschi. Andere versicherten, da der Körper nicht in die Erde gebettet, sondern vernichtet, zerstückelt werde, sei es mit der Seele, also mit dem Abbild auch vorbei. Umgekehrt sei es darum für alle Guten so wichtig, dass ihr Leib unversehrt in die Erde gelange und die Seele ihren Aufenthaltsort gewinne. Die Hexen aller Grade haben vielerlei Mittel und Wege, um ihren Mitmenschen Böses anzutun. Das aber steht fest: sie schaden entweder aus ihrer Natur, und alsdann oft ohne Wissen und Willen, oder sie zaubern absichtlich. Keinesfalls tun sie es mit Hilfe von Seelen oder Geistern, sondern lediglich mit Stoffen, deren verderhbliche Kräfte sie kennen, hauptsächlich mit Giften — tschigili, tschigila, tschilöngo tschi bi. Diese Gifte, kunstgerecht zubereitet, wirken sogar in die Ferne. Sie verderben Leib wie Seele. Ein einfaches Mittel, jemand zu schaden, zu töten, ist, ihn gegen sein Tschina verstossen zu lassen. Man braucht nur ein wenig ihm verbotener Speise unter seine Nahrung zu mischen, oder für deren Zubereitung einen Topf zu benutzen, worin zu beliebiger Zeit einmal Allerlei Hexenkünste. 339 gekocht wurde, was für ihn tschina ist, ja worauf nur einmal der Schatten des Verbotenen gefallen ist. Daran geht er unfehlbar zugrunde, auch wenn er es nicht weiss, und er stirbt vor Angst, wenn er darüber unter- richtet wird. Schwarzkünstler haben aber noch viele andere Mittel. Sie schnitzen aus Wurzeln, Pflanzenmark oder Holz ein rohes Gebilde, das eine be- stimmte Person darstellen soll, werfen es unter ihnen geläufigen Ver- wünschungen in den Fluss, ins Meer, in die Wildnis, halten es ans Feuer, hängen es in den Rauch. Wie das Ebenbild verrottet, zerfällt, verkohlt, verschrumpft, so siecht die Person hin und stirbt rettungslos. Mit Unheil geladene Gegenstände legen sie in die frischen Fuss- stapfen dessen, den sie verderben wollen, oder sie bewirken, dass ein Frosch hineinhüpft. Auch nehmen sie aus dem Abdruck eine Prise Erde und zaubern damit. Manchen genügt es schon, bloss in die Spuren zu spucken oder die Eindrücke zu verwischen und dabei eine Verwünschung zu denken oder zu murmeln. Desgleichen werfen sie Gegenstände auf die Wege, als ob sie verloren worden wären. Der, auf den es gemünzt ist, fängt das Übel, sobald er die Gegenstände mit seinem Schatten streift, oder sie ansieht, oder sie gar berührt. Ferner trennen sie eine giftige Mischung in zwei Teile und legen diese nieder zu beiden Seiten des Pfades, den der Verhasste gehen wird. Sobald dieser zwischen die Gift- stücke tritt, befällt ihn das Unheil. Warnen ihn jedoch seine Fetische und macht er an der Stelle einen Sprung, oder umgeht er sie, oder lässt er sich in der Hängematte tragen, wie es Fürsten zusteht, so kann ihm nichts geschehen. Die Träger erleiden keinen Schaden, da der Anschlag ihnen nicht gilt. Haustiere können in der nämlichen Weise getötet oder sonstwie geschädigt werden. Zauberschlingen legen Hexen ebenfalls, um anderen Seele, Lieben, Kraft, Gesundheit wegzufangen, damit sie verkümmern und sterben. Auch wissen sie aufgeblasene Gedärme sowie Schlangenhemden zu verwenden. Andere hängen ihre Gifte in Spinnwebe oder werfen sie, der Wirkung sicher, einfach in die Luft. Sie lassen ein Fädchen fliegen, verspritzen Flüssigkeit, zerstäuben Pulver, werfen mit einer Verwünschung allerlei Schlimmes in der Richtung der zu verderbenden Person. Sei die noch so weit entfernt, sie wird befallen: es tut einen Ruck, Knack, Stich im Körper, und sie hat das Leiden. Manchmal misslingt der Anschlag, weil der, der gemeint war, von seinen starken Fetischen behütet wurde. Er stolpert bloss, schreckt zusammen, und merkt daran, dass das Böse ihn verfehlt hat. Andere Schwarzkünstler hauchen mit einem Fluche in den Wind, der trägt das Übel weiter. Sie streuen Asche gewisser Holzarten in die Luft; dadurch entstehen Hautkrankheiten. Sie hexen winziges Gewürm 22* 340 Hexenkünste. auf den Leib; davon entstehen Ausschlag und Geschwüre. Das Gewürm machen sie aus dem Blute, das sie anderen entziehen oder das jemand in irgendwelcher Weise verloren hat. Namentlich aus dem Blute von Mädchen, die mit Gift oder Zauber geladen sind. Solche Giftjungfern sind zwar selten, aber sie verderben den, der mit ihnen in Berührung kommt, zerstören seine Lebenskraft wie Sindödschi. Die Hexen arbeiten noch häufiger mit dem Blute zum ersten Male menstruierender Mädchen. Auch deswegen sperrt man diese rechtzeitig in die Jungfernhütte. Ferner drücken Hexen einen Holzstift, Dorn, einen Palmwedelsplint in die Schilfwand einer Behausung und pflanzen dadurch eine Krankheit hinein. Sie bezaubern Speisen sowie Getränke, bemächtigen sich der Reste von angebissenen Früchten und bewirken damit Übles gegen den, der sie verzehrte, der sie übrigliess. Sie verwenden Haare, Nägel- abschnitte, ausgefallene Zähne gegen die Person, der sie entstammen. Besonders nehmen sie die Gelegenheit wahr, derlei Abfälle heimlich einer Leiche mit ins Grab zu geben. Dann muss der Lebende nach; ihn tötet die nämliche Krankheit, die den Verstorbenen hinwegraffte. Auch des Speichels bedienen sie sich, indem sie den Auswurf von einem Frosch verschlucken lassen. Verstohlen streichen sie mit der Hand über irgend- welche Körperteile und machen sie schmerzen, lähmen sie. Es genügt auch, wenn sie darüber hauchen oder pusten. Desgleichen mögen sie bewirken, dass einem Schützen beim Abfeuern das Gewehr springt, dass ein Wanderer sich einen Dorn in den Fuss tritt, dass ihm ein Ast auf den Kopf fällt oder dass den Holzfäller ein Baum erschlägt. Sie besprechen den Steigreifen, der beim Erklimmen der Palmen verwendet wird, damit er zerreisse und der Kletterer sich zu Tode falle. Ebenso verwünschen sie den Kahn, womit der Fischer nachher in den Wellen des Meeres verunglückt oder in Flüssen und Lagunen auf Felsen sowie versunkenen Stämmen festfährt und vielleicht gar umkippt. Dem Jäger verscheuchen sie das Wild, dem Händler nehmen sie den Erfolg, Zimmerleuten, Töpfern, Webern, Korbflechtern verderben sie die Arbeit. Anderen verhexen sie das Vieh, das nun kümmert und ver- endet. Die Hühner hindern sie am Eierlegen. Sie verunkrauten die Pflanzungen, lassen die Feldfrüchte missraten, Fruchtbäume eingehen, Hütten anbrennen, Netze zerreissen. Frauen bringen sie um den ersehnten Kindersegen, verwünschen Schwangere, die dann Wechselbälge gebären. Auch erschweren sie den natürlichen Verlauf der Geburt, steigern die Schmerzen und lassen sogar Frauen in Kindesnöten sterben. Viele Schwarzkünstler müssen bei ihren Anschlägen den Blick ihrer Opfer fangen, damit eine Verbindung mit dem Zaubergifte hergestellt Hexenkünste, 341 werde. Deswegen rufen sie eine Person mit verstellter Stimme an, oder sie ahmen den Laut eines Vogels oder Vierfüsslers nach, rascheln im Busche, knicken ein Hölzchen. Sowie nun der Betreffende den Hals reckt und hinschaut, so geht das Gift durch den Blick in ihn hinein. Sie binden ferner ein kleines Tier, Heuschrecke, Käfer, Wurm, auf einem Zweige fest und lauern nun, bis ihr Opfer in die Nähe kommt. Durch ein Geräusch lenken sie seinen Blick aut das gefesselte Tier und tun diesem im richtigen Augenblicke ein Leid an. Drücken sie das Tier tot, so fällt ihr Opfer auch tot um, reissen sie ein Bein aus oder brechen sie es, so verliert der Mensch ein Bein oder bricht es, und so fort, wie sie es gerade anstellen. Auch der Schatten einer Person kann ihnen zur Überleitung des Bösen dienen. Mit dem Angeführten ist das Treiben der Hexen keineswegs erschöpft. Es gibt welche, die bereiten eine Salbe, womit sie sich die Handteller einreiben. Scheinbar harmlos umhergehend, winken sie einem Menschen oder streichen mit der Hand über seinen Körper. Sogleich muss er ihnen folgen. Sie können mitihm machen, was sie wollen. Zur Zeit als die Weissen noch Sklaven kauften und übers Meer verschifften, sollen viele Leute durch diese bösen Künste sehr reich geworden sein, ehe man sie ausfand. Auch zahme und wilde Tiere können sie in solcher Weise ver- locken und verschleppen. Ihr nichtswürdigstes Treiben besteht darin, dass sie heute noch Menschen einfangen und irgendeinem unverdächtigen Gegenstande ein- verleiben. Niemand ahnt, wie sie das machen, aber sie tun es. Den Gegenstand, dem man gar nichts anmerkt, schaffen sie ganz dreist fort und verkaufen ihn an die Europäer. Für die muss nachher der arme Verzauberte in einer Faktorei oder jenseits des Meeres oder auf Schiffen arbeiten. Was treibt denn die ohne Segel fahrenden Rauchschiffe? Viel- leicht wird er in noch ärgerer Weise verwendet, etwa zu Nahrungsmitteln kurz und klein gehackt. Wer weiss, woraus alle die Fleischspeisen be- stehen, die in Blechbüchsen aus Weissmännerland kommen und in den Faktoreien verbraucht werden ? Dass solche Taten wirklich geschehen, ist genugsam bewiesen. Man hat aus den verschiedensten Gegenständen schon die Stimmen der armen Verschickten gehört, die ihr Los beklagten. Leider vermag man ihnen nicht zu helfen, denn man ist doch kein Ndödschi. Höchstens kann man ihnen ein bisschen Essen und Trinken zustecken. Erst neulich wieder als am Tschiloängo in einer Faktorei Palmöl geläutert wurde, haben alle Leute im Schuppen deutlich gehört, wie es aus dem Kessel mit jämmer- licher Stimme rief, es sei doch gar zu heiss. Ein anderes Mal hat es aus einem Kautschukballen, der fortgeschafft werden sollte, plötzlich so greulich geschrieen, dass die Träger vor Schreck die Last fallen liessen, 342 Hexenkünste. Anderswo fauchte und zeterte es aus dem Spundloch einer Tonne, die mit Öl gefüllt wurde; es klagte und seufzte aus Kisten und Koffern, die im Boote zum Schiffe befördert wurden. Ähnliches hat sich schon oft und überall ereignet, man frage nur den und jenen, der ist dabei gewesen. An solche Verzauberung armer Menschenkinder wird fest geglaubt. Tatsächlich kommen besorgte Leute von weit her und mustern argwöhnisch das Gesinde in Faktoreien, ob sie einen Vermissten entdecken oder Kunde von ihm erlangen können. Andere bitten Bekannte, bei ihren Reisen und Handelszügen Umschau zu halten. Es gibt Hexen, die es ab und zu gelüstet, sich an anderen unmittel- bar tätlich zu vergreifen. In ihrer wahren Gestalt begeben sie sich des Nachts auf einsame Pfade, um harmlosen Wanderern aufzulauern. Dabei können sie freilich übel anlaufen. Ein Mutiger, der auf seine Kraft und auf die Macht seiner Fetische vertraut, räuspert sich, ruft die verdächtige Gestalt an und wirft sich auf sie. Gelingt es, sie nieder zu ringen, so hat man gewonnen Spiel. Denn die Erde nimmt ihr die un- heimliche Kraft, zumal auf Gabel- und Kreuzwegen. Natürlich beteuert nun der oder die Überwältigte, gar keine Hexe zu sein, bittet um Verzeihung und gelobt, den Bezwinger reich zu beschenken, wenn er nur reinen Mund halte. So mag manches vertuscht werden. Auf die Länge der Zeit bleibt es aber doch nicht verborgen, denn solche Vorfälle kommen zuletzt immer an den Tag. Da wird denn so allerlei über an- rüchige Personen gemunkelt, und bei eintretenden Unglücksfällen weiss man schon, wo man nachzuspüren hat. Auch wendet man sich an die Sindüngu, sing. Ndüngu, an Angehörige eines Geheimbundes von Zauber- meistern, die zeitweilig maskiert erscheinen, mancherlei Unfug treiben und, nach Auftrag, allerlei auskundschaften oder verkünden. Ab und zu ver- anstalten sie auf eigene Faust am Tage eine Art Haberfeldtreiben, indem sie zweifelhaften Leuten ins Gewissen reden. Der Zufall mag es fügen, dass auch der reisende Europäer in schlimmen Verdacht gerät. Vielleicht hat er einen langen, glänzenden Regenmantel, Pumphosen und hohe Schaftstiefel, Kniehosen und Schuhe, bunte Blechkoffer, einen seltsamen Hut, eine merkwürdige Flinte oder sonst etwas Ungewöhnliches. Vielleicht hat er mit Barometer und Ther- mometer, des Nachts mit Sextant und Quecksilber - Horizont hantiert. Nun ereignet sich, wo er verweilt oder kurz zuvor gewesen ist, ein Unglücks- fall, oder jemand erkrankt plötzlich, stirbt. Alsdann liegt es nahe, Miss- geschick und Fremdling zu verbinden. Er ist ein Unglücksbringer, den man möglichst bald loszuwerden trachte. Mit List und passivem Widerstand wird darauf hingewirkt, denn mit offener Gewalt wagt man es kaum, einmal der Gastfreundschaft wegen, sodann weil er noch Unglückskinder. 343 Schlimmeres verüben könnte. Dabei geraten die Ängstlichen leicht in eine böse Klemme. Denn da die Nachbarn natürlich schnell genug von den Vorgängen gehört haben, senden sie Botschaften und Drohungen, dass der Unheilstifter, das Unglückskind, ja nicht etwa in ihre Gebiete abgeschoben werde. 3 Übrigens kann auch ein lieber Verwandter in den Verdacht geraten, Ndungu im Federkleide. ein Unglückskind zu sein, obschon er ein guter Mensch ist und nichts Böses will. Man ist dann fest überzeugt, dass alles die Familie heim- suchende Schlimme mittelbar von ihm ausgehe. Schliesslich stattet die Familie die Person aus, findet sie im Guten ab und schickt sie mit Segenswünschen in die weite Welt. Dort, fern von den Ihrigen, mag sie ihr Glück suchen und die Familie vor weiterem Unheil bewahren. Ausgelernte Schwarzkünstler gehen nicht in eigener Gestalt um, hetzen auch nicht bloss wilde Tiere auf, sondern verwandeln sich selbst leibhaftig in Tiere. Der eine schleicht als Leopard im Walde oder um das Dorf, 344 Werwölfe. Kein Oberherr der Hexen. der andere trampelt als Büffel durch Busch und Gras, der dritte lauert als Krokodil im Wasser und so fort. So verrichten sie Böses nach ihrer Weise. Gegen Verwundungen sind sie nicht gefeit. Von Männern gestochen oder angeschossen, von \Weibern zerkratzt, behalten die wieder Verwan- delten an ihrem Leibe die vorher empfangenen Wunden. Das sind die untrüglichen Zeichen ihrer Schuld. So gibt es für die Eingeborenen kein Ungemach, Missgeschick und Unglück, das nicht durch Menschen insgeheim verursacht werden könnte. Das Unerklärliche, das Erschreckende ist eitel Hexenwerk. Glücklicher- weise sind viele Fetische stärker und schützen ihre Besitzer, Ebenso ist die Schwarzkunst machtlos an den alten geweihten Stätten, an den Königs- und Fürstengräbern, auf Pfadkreuzungen und Schwurplätzen. Einen Oberherrn der Hexenzunft kennt man nicht. Der Gedanke an ein im Gegensatze zu Nsämbi stehendes teuflisches Wesen, mit dem etwa ein Pakt abgeschlossen werden könnte, ist den Leuten durchaus fremd. Auch wissen sie nichts davon, dass irgendwo regelmässige Zu- sammenkünfte von Hexen gefeiert würden. Es wird zwar erzählt, dass die Bösen sich gelegentlich träfen und dann ein schreckliches Brüllen, Heulen und Winseln anhöben, aber der allgemeine Glaube lässt jeden Schwarzkünstler für sich im stillen Unheil brüten und verrichten. — Das meiste des bisher Geschilderten und erst recht das im nächsten Abschnitte zu Behandelnde wird gern und geringschätzig als Aberglaube abgetan. Als ob es genügte, sich aufgeklärt zu zeigen, eine persönliche und nicht einmal berechtigte Ansicht zu äussern. Denn so weit haben es selbst die zivilisierten Völker nicht gebracht, dass sie die Gedanken- welt der primitiven abweisen dürften als etwas gänzlich Fremdes, nicht auch zu ihnen Gehöriges. Man vergesse und vertusche nur nicht, was heute noch in allen Ländern der Kirchenzucht, des Schulzwanges und der Aufklärung seine Macht über die Gemüter ausübt. Man beobachte Landleute und Städter, das Volksleben auf Jahrmärkten und Kirchweihen, die Soldaten im Kriege, die Seeleute im Hafen und während der Fahrt. In den Brennpunkten der Zivilisation dienen Wunderdoktoren, Kartenschlägerinnen, Seherinnen und andere weise Leute, nicht bloss den Bedürfnissen der Kleinleute, bei denen es sich am wenigstens lohnt. Amulette, Sympathiemittel, Ahnungen, Deutereien stehen in hohem Ansehen. Auch Geisterbeschwörungen sind gäng und gäbe, beinahe ärger und kunstgerechter als je zuvor, trotz aller Naturwissenschaft und Aufklärung. Der Wilde im Menschen ist un- sterblich. Wer sich um solche Zustände bekümmert, der wird vom Treiben der Wilden ganz vertraut angemutet, der kann nicht obenhin allgemein Menschliches aburteilen. All das Abgeschmackte, Widersinnige, Grausige, Primitive und Zivilisierte. 345 das als selbstverständlich über die Primitiven berichtet und geglaubt wird, sollte stets ins rechte Licht gerückt und mit dem Treiben der Zivilisierten verglichen werden. Wer das tut, wird auch nicht zu be- haupten wagen, wir hätten es zu herrlich weit gebracht, als dass die Schrecken, von denen die Geschichte lehrt, nicht wieder über uns kommen könnten, Hexenverfolgungen, Ketzerbrände und Foltereien haben doch, unentschuldbarer als irgendwo und irgendwann sonst, vor gar nicht langer Zeit, nicht etwa unter heidnischen, sondern unter christlichen Völkern gewütet, deren Kultur, deren Errungenschaften als bewundernswert gross gerühmt werden und sie vermeintlich hoch über alle Wilden stellten. Und wenn sich wieder einmal zum Wahne die Macht gesellt, da würden gar viele besser in der Wildnis geborgen sein, weil Zivilisation gefähr- licher macht. Die Naivität, die vieles mildert, streift sie den Menschen ab, seine Natur ändert sie nicht. Menschenkundige, die alles dessen eingedenk sind, kann es nicht befremden, dass Europäer, die lange und nahezu abgeschlossen vom Ver- kehr mit ihresgleichen inmitten der Eingeborenen gelebt haben, land- läufigen Anschauungen verfallen. Sie missachten zwar ihre Lehrmeister, aber sie glauben mit ihnen. Üppig entwickelt sich wieder in der Einsam- keit, was die Erziehung vielleicht zu dämpfen, aber nicht auszurotten vermochte. In einem Urwaldwinkel war ich einst bei einem überaus liebens- würdigen Manne zu Gaste, der Fetische nicht nur für ganz nützliche Dinge hielt, sondern wahrscheinlich auch welche besass, wiewohl er ob meines Staunens zögerte, auch das noch einzugestehen. Ihm erschien eigentlich nichts mehr unglaubwürdig. In dieser Hinsicht stand er nicht höher als die Eingeborenen, von denen mancher ihm an Einsicht über- legen gewesen sein dürfte. Plagten doch die Umwohner den bedauerns- werten Mann mit ganz tollem Spuk so lange, bis sie ihn glücklich ausser Landes trieben, worauf es abgesehen war. Denn auch unter den Bafiöti finden sich mehr oder weniger Wissende und Zweifelnde. Das ist wohl zu beachten bei Beurteilung der Art und der Tragweite religiöser Vorstellungen, ihres Wachstumes wie ihres Ver- falles und der Wandlungen, denen sie unterliegen. Es ist alles im Fluss, aus dumpfen Gefühlsregungen aufsteigend wie Schaumblasen aus brodeln- dem Wasser. Das meiste tut die Stimmung. Obgleich gewiss niemand in Loängo ebensowenig frei ist von Hexenfurcht wie vom Glauben an Gespenster und Fetische, bekundet sich doch oft eine merkwürdige Gleich- gültigkeit selbst erschreckenden Vorgängen gegenüber. Geschädigte mögen noch so laut über Verhexung jammern, ihre Beschwerden verhallen un- beachtet oder werden mit Spott und Hohn beantwortet. Mancher zieht es darum vor, zu schweigen, und wird irre in seinem Verdachte. Trotz 346 Zweifler. Übermütige. der gewiss grossen Macht der Überlieferung, trotz der erdrückenden Furcht vor dem Bösen respektiert der unter erträglichen Verhältnissen immer bereite Witz und Mutwillen des Volkes weder die Hexen noch ihre Opfer. Und wenn man so die Leute hört und sieht, könnte man leicht der groben Täuschung verfallen, dass sie weit erhaben wären über solchen Unsinn. Haare, Nagelschnippsel, Speisereste und andere Dinge bieten den Schwarzkünstlern willkommene Gelegenheit, ihre verderblichen Künste zu üben. Dennoch sieht man solche Dinge achtlos wegwerfen und findet man sie allenthalben herumliegend. Während Ängstliche sie sorgsam vernichten, fühlen sich andere nicht dazu bewogen, sei es aus Leichtsinn, aus Lässigkeit, sei es, weil sie wirklich nicht fürchten, geschädigt zu werden, oder weil sie ihren Fetischen unentwegt vertrauen. Ihre Angst vor Gespenstern ist gewiss ausserordentlich gross, und dennoch gewinnen sie es über sich, sei es aus reiner Lust am Unfug, um andere anzugruseln, sei es, um irgendwelche Zwecke zu erreichen, deren Rolle in eigener Person zu übernehmen und ganz herzhaft mit zu spuken. Aus dem Folgenden wird sich ergeben, dass auch der Fetischismus und was mit ihm sonst noch zusammenhängt, nicht alle Gemüter, selbst die gläubigsten nicht, allezeit mit gleicher Stärke beherrscht, dass selbst sonst sehr gefürchtete Fetische gröblich verspottet und tätlich beleidigt werden. Häuptlingsgrab. IENBENRIEITV Hauptsitz des Fetischismus. — Eigenart, Entleh- nungen. — Leitender Gedanke. — Zwei Stufen. — Fetisch und Götze. — Vorbestimmung. — Kräfte, nicht Geister. — Gestaltung. — Behandlung. — Persönliche Fetische. — Gemeindefetische. — Er- werbsfetische.— Schicksale. — Benagelung. — Ahnen- dienst. — Zauberkünste. — Zweifler. — Hexengerichte selten. — Gifte. — Was ist Krankheit? — Spe- zialisten. — Zöglinge. — Wolkenschieber. — Pro- pheten. — Erweckungen. — Bilderstürme. — Not- stände und Spukgeschichten. — Wunderglaube. — Tschina. Mannigfaltigkeit.e. — Totemismus. — Väterliche und mütterliche Verwandtschaft. — Er- klärungen. — Zaubermeister. Uralt ist die Erfahrung, dass Gegen- stände Eigenschaften haben, dass aus greif- X baren Dingen etwas Unsichtbares wirkt, . dass in Stoffen Kräfte sitzen. Uralt ist x 7, der Glaube, dass mit kunstgerecht ge- En ZUBE mischten Stoffen und durch kunstgerechte : Y Behandlung das geheimnisvolle Walten ” solcher Kräfte gelenkt werden könne. Uralt Ngänga mit Fetisch. endlich der Glaube, dass der Besitz ge- wisser Dinge auch gewisse Eigenschaften verleihe. Die Bestrebungen sind überall gleich, nur die Methoden sind verschieden. Dort tappende Zauberei, hier wägende Wissenschaft. Der sinnlose Zauberspruch wird zur sinnvollen Formel. Dem Primitiven ist in allem Zauber. Aber nicht ihm allein. Denn solche Auffassungen sind überaus zählebig und weichen nur langsam höherer Einsicht. Sie gänzlich abzutun, scheint nicht im Vermögen der Menschen zu liegen. 348 Aufkommen des Fetischismus. System. Der Drang, die allenthalben spürbaren Kräfte zu meistern, zeitigt auch den Fetischismus, der eine erstaunliche Ausbildung erlangen und als System ein beachtenswertes Erzeugnis des Menschengeistes sein kann. Seine wesentlichen Züge, mehr oder minder hervortretend, finden sich bei allen Völkern, zu allen Zeiten, in allen Religionen. Ob er als die niedrigste Art religiöser Betätigung, gleichsam als Keim aller Religion aufgefasst wird oder nicht, ist Sache der Meinung, nicht der Erfahrung. Nichts wissen wir über die Anfänge, und nur wenig über Art und Inhalt ursprünglicher Gedankenkreise. Es ist darüber mehr erdacht als erforscht worden. Alles wird ja wohl auf Beantwortung der Frage hinauslaufen, was Menschen früher und stärker beschäftigt hat: der Tod und die Seele, oder die Gegenstände und ihre Eigenschaften. Der Fetischismus muss nicht das Ursprüngliche, er kann ein späteres Beiwerk sein, das sich aus einem abhängigen zu einem selbständigen Vorstellungskreis entwickelt hat. Er mag ältere Vorstellungen durch- wuchert und überwuchert haben, weil er die Gemüter packt vermöge des Unmittelbaren und Anschaulichen, das in ihm steckt. Seine mannigfaltige Ausbildung vollständig zu entwirren, wird kaum im einzelnen, geschweige denn im allgemeinen gelingen. Immerhin ist der Versuch, den Fetischis- mus einer Gemeinschaft tunlichst gesondert zu behandeln, insofern be- rechtigt, als dadurch eine gewisse Übersichtlichkeit gewonnen wird. Nament- lich dort, wo recht gut unterschieden werden kann, zwischen religiösen Vorstellungen, die Götter anerkennen, und einem Fetischismus, der mit Stoffen und Kräften hantiert. An der Loängoküste tritt der Fetischismus unter allen Verhältnissen auffällig hervor, ist vollständig mit dem Dasein der Leute verquickt. Er durchdringt und beherrscht ihr öffentliches wie ihr häusliches Leben, ihre sittlichen Anschauungen wie den allgemeinen Inhalt ihres Wissens, ihr Staatswesen, Recht und Gesetz wie ihre Überlieferungen. Er ist zu einem dem Selbsterhaltungstriebe entsprungenen System geworden, das, bei aller Einfalt, immerhin als ein Meisterstück von ausgetüftelter Mannigfaltigkeit erscheint. Nach meiner Erfahrung gibt es keinen Stamm, der sich in dieser Hinsicht mit den Bafiöti messen könnte. ‚Jedenfalls ist ihre Heimat der Brennpunkt des urwüchsigen westafrikanischen Fetischismus. Nach Norden wie nach Süden hin verliert dieser an Eigenart und Bedeutung, nach dem Inneren hin in solchem Masse, dass er jenseits des Gebirges nicht mehr augenfällig ist — oder war. Denn die Mustergläubigen dürften infolge des gesteigerten Verkehrs bald Schule machen, während allerdings ihre (laubenssätze selbst sich schnell wandeln werden. Als Ursache dieser bemerkenswerten Erscheinung könnte die mittel- bare Ein- und Nachwirkung der frühesten Missionstätigkeit südlich vom Entlehnungen. Bedrohung und Abwehr. 349 Kongo betrachtet werden. Die alten Missionare, die hauptsächlich tapfer darauf los tauften, vermochten zwar die Gemüter zu erregen, aber nicht zu zügeln und in der neuen Lehre zu festigen. Auch konnte der Kultus, dem sie huldigten, die Eingeborenen kaum anders anmuten, als eine neue wohlgeregelte und prunkvolle Art von Fetischismus. Aber diese nahe- liegende Erklärung befriedigt nicht. Denn nach allen Berichten waren schon vor mehr als drei und dritthalb Jahrhunderten die Bafıöti eben- solche Mustergläubige wie sie noch heute sind. Damals hatten jedoch Missionare die Loängoküste noch nicht einmal berührt, und von ihrem erst beginnenden Wirken jenseits des Kongostromes wird um jene Zeit in Loängo gewiss noch nichts zu verspüren gewesen sein. Deswegen wäre es nicht gerecht, den frommen und eifrigen Vätern die Schuld an diesen Zuständen aufzubürden. Einige allmählich aufgekommene Besonder- heiten, wie das Kreuzigen von Verbrechern gegen das Erdrecht, die menschenähnliche Gestaltung mancher Hauptfetische, das Benageln solcher Stücke, das Anräuchern sowie manche Formen der Beschwörung dürften allerdings von der Missionstätigkeit entlehnt worden sein. — Gleich allen Menschen fühlen sich die Bafiöti von sichtbaren und unsichtbaren Gefahren bedroht, deren Abwehr der Selbsterhaltungstrieb fordert. Gleich allen Menschen haben sie Wünsche, deren Erfüllung ihnen am Herzen liest. Wie alltägliche Ereignisse lehren, sind die Ge- fahren nahe, Nsämbi hingegen ist weit. Man hegt zu ihm kein "anbe- dingtes Vertrauen. Denn die Erfahrung zeitigt Zweifel, ob er sich um das Schicksal einzelner, um ihre Leiden und Bedürfnisse kümmere, ob er um kleiner Angelegenheiten willen aus seiner Gleichgültigkeit heraus- trete. Ist doch die Zahl der Bedrohten wie der Begehrenden sehr gross, und noch grösser die Zahl ihrer mannigfaltigen, oft widerstreitenden Wünsche. Duldet doch Nsambi das Treiben der schlechten Seelen und Menschen, die sicherlich nur aus ihrer bösen Natur oder vermöge ihrer Kenntnis geheimer Kräfte andere gute Menschen verderben. Unsere Eingeborenen, ganz und gar mit sich und mit dem Nächst- liegenden beschäftigt, verstehen nicht, Kleines dem Grossen anzupassen, sich mit sinnigen Erklärungen zu trösten. Wäre ihr Nsämbi ein eifriger und tüchtiger Gott, aufmerksam und willig, so müsste er auf jeden hören, alle immerzu väterlich überwachen, wilde Tiere, Hungersnot, Seuchen, Seelen, Unholde abhalten, jedem Guten das Dasein behaglich machen, jeden Bösen strafen und vernichten. Da es hiermit hapert, weil Nsämbi sich fast zur Ruhe gesetzt hat, ist die Welt nicht völlig geordnet. Die erhabenen Vorstellungen versagen vor den gemeinen Sorgen des Lebens. Und so geschähe es wohl überall, wo nicht durch nachdrückliche För- derung der Lehre die Gemüter beständig auf Höheres hingelenkt würden. 350 Leitender Gedanke. Die Kräfte. Der leitende Gedanke des Fetischismus in Loango ist, Kräfte zu meistern und Eigenschaften zu erlangen, die Widriges abhalten und Wünschenswertes fördern. Alles in der Natur hat seine Eigenart, wird von Kräften durch- waltet. Alles und jedes wirkt aufeinander ein durch sichtbare Kraft- leistungen oder in verborgener Weise. Daraus entwickelt sich eine un- endliche Fülle von Beziehungen, worunter die dem Menschen am wich- tigsten sind, die sich auf seine Person erstrecken. Je nachdem sie für oder wider ıhn sind, findet er sich mit ihnen ab. Man kennt nach Augenschein die Wirkung physischer Kräfte, wie sie sich äussert im Arme des Gegners, in der Kralle des Leoparden, im Gebisse des Kroko- dils, in der Wucht des trampelnden Hippopotamus, im federnden Sprung der flüchtenden Antilope. Man fühlt die Hitze des Feuers, den Druck des Windes, den Schlag der Brandung, den Fall der Tropfen, Ebenso kennt man Mittel und Gegenmittel, die, auf Lebewesen übertragen, Spuren hinterlassen, heilsam oder verderblich wirken, so wie Getränke und Gerüche, allerlei Arzneien anheitern oder betäuben, sogar töten können gleich Gift von Pflanzen und Tieren. Wie die Erfahrung lehrt, sind Kräfte wirksam, obschon man den Vorgang nicht immer versteht. Demgemäss glaubt man auch an andere Kräfte, die sich ohne unmittel- bare Übertragung und Berührung in gleicher Weise betätigen. Weil sie äusserst stark sind, wirken sie in die Ferne, wirken sie weithin wie Sonnenstrahlen, Wind, Wärme, Geruch, wie ein Schuss. So lehren die Kundigen und handeln danach. Wie es zugeht, darüber zerbrechen sie sich den Kopf nicht, das suchen sie nicht zu erforschen, sonst wären sie Physiker und Chemiker. Es ist so. Damit gut. Also die Kräfte sind vorhanden. Sonst wäre unerklärlich, was ge- schieht. Die Kräfte werden zweifellos auch gemissbraucht. Klugheit und Rührigkeit, Gliederstärke und Geschicklichkeit allein tun es nicht. Es geschieht gar zu viel Schlimmes unter Menschen. Da zweifellos ge- hext wird, muss man sich schützen. Man setzt Kraft gegen Kraft, Zauber gegen Zauber. Gäbe es nicht grundschlechte Menschen, die andere wie offen so heimlich zu schädigen suchten, so brauchte man kaum noch Fetische. Dergleichen Ansichten werden öfter ausgesprochen. Auf sie bauen Weltverbesserer, die sich berufen glauben, die in schweren Zeiten begeistert gleich Propheten das Land durchlaufen und dem Volke ins Gewissen reden. Um übersichtlich zu teilen, könnte man gewisse Unterscheidungs- merkmale betonen und danach zwei Stufen des Fetischismus aufstellen: die untere naive Stufe, die sich mit einfachen handlichen Kräften behilft, die obere ausgeklügelte Stufe, die sich mit zusammengesetzten und ge- heimen Kräften beschäftigt. Auf der unteren Stufe sorgt man selber Untere und obere Stufe. 351 für sich, hält man sich an das Natürliche und verwendet man unmittel- bar Gegebenes. Auf der oberen Stufe vertraut man sich Gelernten an, die gegen Unnatürliches, hauptsächlich gegen die Schwarzkunst, doch auch gegen plagende Seelen ankämpfen, wundersam hergestellte Mischungen nach wichtigen Regeln verwenden und sich einen wissenschaftlichen An- strich geben. Diese Zweiteilung kennen die- Leute selbstverständlich nicht. Bei ihnen ist alles vermengt, geht ineinander über. Gegen Be- drohliches wollen sie sich schützen, begehrenswerte Eigenschaften wollen sie erwerben. Sie nehmen Gleiches oder Ähnliches sowohl gegen als auch für Gleiches oder Ähnliches. In ihnen keimt der Grundgedanke der Homöo- pathie. Gift hilft gegen Gift, Raubtier gegen Raubtier. Stärke kommt vom Starken, Ausdauer vom Zähen, Behendigkeit vom Geschmeidigen. Die einfachen Formen des Glaubens verdeutlichen folgende Beispiele. Wer Gift genossen hat, trinkt von seinem verwässerten Urin. Wer den Schnupfen hat, zerreibt Auswurf mit Maniokblättern zu Brei und stopft damit die Nase. Wer sich einen Dorn eingetreten hat, streicht ihn fest über die Wunde, die dann schnell heilt. Wer Teile vom Körper des Elephanten und Hippopotamus bei sich trägt, der hat von ihrer Stärke und braucht diese Dickhäuter nicht zu fürchten. Auch merken die es und denken entweder: der ist unseresgleichen, oder: der ist uns über, der hat schon welche unserer Art bezwungen. So denken auch andere Tiere, die sich mit den genannten gut oder schlecht stehen. In der nämlichen Weise schützt den Träger Schwanzquaste oder Hornstück vom Büffel, Kralle oder Fellstück vom Leoparden, Schuppe oder Kopf von der Giftschlange, Zahn oder Schild vom Krokodil. Wer Gefahren zu gewärtigen hat, nimmt die entsprechenden Bann- oder Schutzmittel mit sich, wie denn einheimische Jäger die Batterien ihrer Steinschlossflinten mit Hüllen von Leoparden- oder Büftelfell sichern. Man erstrebt aber nicht bloss Schutz. Man hofft auch mit allerlei Stücken von Tieren, Gewächsen, Gegenständen, deren hervorragende Eigenschaften an sich zu fesseln. Demnach handelt es sich sowohl um Mittel, die schützen, als auch um Mittel, die kräftigen. Daher um die Beine geschlungene Sehnen sowie Riemen aus der Haut schneller Anti- lopen, um Arme und Taille geknüpfte Schnüre festen Bastes oder zäher Lianen sowie Metallringe um Hals und Glieder, und daran hängend Hörnchen, Hufe oder Schnippsel davon, Zähne, Knöchelchen, Haar- zotteln, Federn, Muscheln, giftige Bohnen und Wurzeln, Steinchen. Daher wohl ursprünglich die Elfenbeinringe der Fürsten, die Schwanzhaare des Elefanten als Halsband, einst von der Makünda wie Orden verliehen; daher die Leopardenkrallen an Häuptlingsmützen, die Stirn- und Arm- binden von Leopardenfell, die Büffelschwänze als Fliegenwedel und andere Dinge mehr, die jetzt als Schmuck oder Auszeichnung gelten. 352 Untere Stufe. Beispiele. Erinnert sei ferner an Skalpe*), an Kopfjägerei und anderes mehr, an das Verzehren oder wenigstens an das Schlecken des Blutes erschla- gener Krieger und, wie ich es in Loängo sah, gefährlichen Wildes. Ferner gehört hierher der Gebrauch von Hausmittelchen bei allerhand Leiden. Alltäglich ist zu beobachten, wie Wasser, worin das beschriebene und noch anderes Zeug eingeweicht worden ist, getrunken oder zu Umschlägen verwendet wird. So geniessen Gebärende Wasser, das auf Eiern ge- standen hat, hoffend, ebenso leicht wegzukommen wie der legende Vogel. Ein angehender Zaubermeister, der uns auf einer längeren Reise begleitete und ein ganz brauchbarer Mann von ungewöhnlicher Körper- kraft war, erwies sich bald als ein gefährlicher Liebhaber unserer Samm- lungen. Er heimste in der Wildnis vielerlei Dinge ein für seine Zwecke: Kräuter, Wurzeln, Rinde, Pilze, Früchte, Dornen, Säfte. Er suchte un- entwegt nach den Geschossen, die unsere Beute getötet hatten. Er schnitt verstohlen ein dreieckiges Stückchen Haut aus dem mühsam präparierten Kopfe eines Hippopotamus. Er stibitzte Halsschilde und Zähne von Krokodilen, Teile von Schlangen, Fischflossen, Prunkfedern von Vogel- bälgen, Haarbüschel und Klauen von Fellen und anderes mehr. Vom Baum bis zum Grashalm, vom Flusspferd bis zur Mücke war nichts vor ihm sicher, das seine Augen fingen als rares Stück, als Schutz- und Bann- mittel, als Kraftträger, womit er Grosses zu leisten gedachte. Mir wurde ein hübscher Halsschmuck verehrt: das ausserordentlich lange Schwanzhaar eines Elefanten, woran durch feine Flechtarbeit die Kralle eines Leoparden und eines Adlers, der Zahn eines Seefisches und eines Krokodiles befestigt waren. Haar und Krallen sollten mich auf der Jagd schützen, in Wald und Gras scharfsichtig, stark, behende machen, die Zähne sollten mich vor allen Gefahren des Wassers be- hüten. Als ich mehrmals in der Brandung verunglückte und einmal mit knapper Not den Strand erreichte, wurde ernsthaft behauptet, nur die Zähne hätten mir Glück gebracht, weil ohne sie in den schweren Rollern meine Schwimmfertigkeit nicht ausgereicht haben würde. Dass ich den Schmuck gar nicht trug, tat dem Glauben keinen Abbruch. Als ein Bursche, vormals unser Koch, bei der Hexenprobe dem Gifte erlegen und verbrannt worden war, fand ich später in den Resten des Scheiterhaufens, ausser einigen Wirbeln, ein unversehrtes Stück seines Schädels. Eine daraus geschnittene kleine Platte fügte ich als Andenken an Stelle eines verlorenen Metallschildes in den Schaft meines Lieblings- gewehres ein. Diese Handlung wurde viel beredet. Denn dass ich mir etwa des Mannes Kochkünste, die nicht weit her waren, hätte zulegen *) Vorausgesetzt, dass das Skalpieren in Amerika einheimischer Brauch war, und nicht erst von den Besiedlern, die Abschussprämien zahlten, entlehnt worden ist. Obere Stufe. Die Lehre. 353 wollen, glaubte natürlich kein Mensch. Etwas musste aber daran sein. Offenbar hatte ich mit dem Stück unbegreiflichen, aber grossen Zauber gemacht. Längere Zeit galt ich als anrüchige Person. Die Waffe aber galt fortan als besonders zauberkräftig, für geradezu unfehlbar. Soviel hier über die untere naive Stufe des Fetischismus. Sie ist im entwicklungsmässigen Sinne beachtenswert als Vorläufer und Grund- lage der höheren Stufe, hat aber neben dieser nicht mehr viel zu be- deuten. Denn man ist fortgeschritten in Loängo. Die einfachen, ver- gleichsweise unwissenschaftlich zu nennenden Mittel kommen wenig in Betracht bei der Fülle des weiter entdeckten Bedrohlichen, das von Seelen, Unholden, auch von noch Unbekanntem, hauptsächlich aber von Menschen ausgeht. Diesen wesenlosen Gefahren und heimtückischen Anschlägen vermag niemand, wenigstens kein Laie aus eigener Machtvollkommenheit zu be- gegnen. Er muss sich an ausgelernte Leute wenden, die völlig vertraut sind mit allem Bösen im Diesseits und Jenseits, die tief eingedrungen sind in die Erkenntnis aller verborgenen Dinge. Diese Gelehrten helfen mutig mit all ihrer Kraft und Kunst den armen Geängstigten und Be- drückten, natürlich, wie überall unter der Sonne, gegen Entgelt. Und das führt uns zur oberen Stufe, zu dem ausgeklügelten System des Fetischismus der Bafiöti, der gelernte Vertreter hat. In der Natur sind viele Kräfte aufgespeichert. Sie werden insge- mein bufüngu genannt. Der Geschulte versteht es, vielerlei kräftereiche Dinge zu wählen und kunstgerecht zu behandeln, die Stoffe zu einer be- sonderen Masse zu vereinigen und ihre Kräfte zu einer besonderen Kraft zu verdichten. Der gewonnene Stoff heisst ngilingili, die darin sitzende Kraft tschinda und tschiinda, ihre Stärke oder Energie bunene. Ngi- lingili wird betrachtet als feinster Auszug vieler uns schon bekannter und aller möglichen Kraftträger, vornehmlich aber als eine Giftmischung mannigfaltigster Art, die je kuntsvoller desto wirksamer ist. Jedes ngilingili hat nur eine Art von tschinda und bunene, also nur eine Art von Wirksamkeit. Daraus folgt, dass für unzählige Zwecke auch unzählige Kraftstoffe hergestellt werden müssen. Das fertige ngi- linsili, mag es in ein Gebilde getan worden sein oder nicht, das bestim- mungsgemäss verwendet wird, ist mkissi oder nkissi, plur. simkissi oder sinkissi, ausnahmsweise auch bakissi, ist das, was wir Fetisch nennen. Mkissi lässt sich nicht anders übersetzen, als durch Zauber, Zauber- medizin und Zauberding schlechthin. Die vielfach verwechselten und sogar gekuppelten Ausdrücke Fetisch und Götze bezeichnen zweierlei wohl zu trennende Begriffe. Sie sind zu definieren, da es gerade für die Völkerkunde festzustellen gilt, wovon ge- handelt wird. Loango. 23 354 Definitionen. Keine Anbetung. Täuschung. Ein Fetisch ist ein künstlich hergerichteter Stoff und tragbarer Gegenstand, dem unter zauberischen Gebräuchen eine bestimmte, dem Eingeweihten verfügbare Kraft ein- verleibt worden ist, welche Kraft mit dem Stoffe und dem G&egenstande vernichtet wird. Ein Götze ist der gegenständliche Vertreter einer gött- lich oder mindestens geistig gedachten, keinem Menschen dienstpflichtigen Macht, deren Fortbestehen durch Ver- nichtung des Gebildes nicht berührt wird. Demnach unterscheidet sich der Fetisch wesentlich vom Götzen. Menschenkunst ist es, nicht ein Ungefähr, ein Geist oder eine Gottheit, die den Gegenstand zum Fetisch macht. Die Kraft fährt zufällig oder willkürlich weder in ihn hinein noch aus ihm hinaus. Sie ist einheitlich mit ihm verbunden und wirkt für den Besitzer, solange er den Gegen- stand richtig behandelt und gewisse Vorschriften befolgt, die zur Er- haltung der Kraft notwendig sind. Verstösst er gegen diese Regeln, so ist es vorbei mit der Wirksamkeit des Fetisches, wie mit der eines Werkzeuges, das abgestumpft oder zerbrochen worden ist. Wie bereits erwähnt, ist in Loängo jeder Fetisch der Träger nur einer für einen bestimmten Zweck brauchbaren Kraft. Behufs gleich- zeitigen Wirkens für vielerlei Zwecke sind vielerlei Fetische gleichsam zu einem Revolverfetisch zu verbinden. Träger und Kraft bilden stets ein Ganzes, eben den Fetisch. Wird dieser gestohlen, freiwillig weiter begeben, so ist die Kraft dem früheren Besitzer verloren, und wird der Fetisch vernichtet, so ist sie unwiederbringlich dahin. Mit dem Gebilde ist alles zerstört. Nichts bleibt von ihm, weder Stoff noch Kraft. Die Batiöti haben keine Götzen, sondern lediglich Fetische. Dem- gemäss kennen sie weder Anbetung noch irgendwelche Verehrung, sondern bloss fachmässige Herstellung und Benutzung. Ich wiederhole: Nie- mand an der Loängoküste verehrt Fetische oder betet sie an, es müssten denn dort, wo Missionare lehren, neuerdings Leute ge- lernt haben, einen missverstandenen Kultus nachzuahmen. Im gewesenen Kongoreiche, wo Heiligenbilder und Überlieferungen aus alter Missionszeit bewahrt worden sind, wäre dergleichen eher möglich. Fetische könnten etwas Höheres, könnten Vermittler geworden sein, wie umgekehrt in Loängo Bünssi oder Mkissi nssi fast zu einem Fetisch geworden ist. Dennoch ist mir in jenen Gebieten nichts von einer Verehrung der Fetische vorgekommen. Auch englische Missionare, die dort lehrten, gewiss gute Kenner der Ver- hältnisse, hatten nichts davon bemerkt, ebensowenig ein so vortreftlicher Beobachter wie unser, leider verstorbener, deutscher Pater Schynse. Allerdings zeigen Abbildungen aus Kongoland anbetende Einge- borene vor Fetischen oder sogenannten Ahnenbildern. Wer aber die Spezialisten. Fetische des weissen Mannes. 355 Verhältnisse, die Gegenstände und die Personen kennt, ist nicht im Zweifel, was er von solchen Darstellungen zu halten hat, die leider be- reits zu tiefsinnigen Betrachtungen angeregt haben. Derartige Bilder können nur freie Erfindung der Zeichner oder Blendwerk der Photo- graphen sein. Die in unsinniger Weise angebrachten Fetische, die unter- würfig im Staube liegenden Eingeborenen, und zwar Gesinde von Euro- päern, sind für die Aufnahme gestellt worden. — Die in Fetischen sitzenden Kräfte verstärken die natürlichen An- lagen, schützen und fördern das Wohlbefinden und die Bestrebungen der Menschen, aber ein jeder Fetisch nur in dem einen vorbestimmten Sinne. Wie wir mit dem Löffel nicht schiessen, mit der Säge nicht hacken, mit dem Hammer nicht schreiben, so nimmt man einen Kriegsfetisch nicht zum Heilen, einen Handelsfetisch nicht zum Gebären, einen Diebfinder nicht zum Heiraten. Ebenso wirkt die Kraft eines Fetisches vollwichtig oftmals erst auf Veranlassung des Besitzers, der sie nach allen Regeln der Kunst anreizt oder bändigt, so wie es bei ihm steht, ob er einen Schlag tun will oder nicht. Kutäka, kuvända und kuvänga mkissi: an- ordnen oder betreiben, flechten und machen Zauber, also das tun, was wir schlechthin beschwören nennen. Unsichtbare Kräfte. stecken auch in der Uhr, die dem Weissen die Zeit ansagt, im Schiesspulver, das verpufft, im Zündholz, das aufleuchtet, im Brennglas, das Feuer von der Sonne holt, im Harze, das Papier- schnitzel anzieht. Die Uhr muss aufgewunden, das Zündholz gekratzt, das Glas geputzt und gedreht, das Harz gerieben, und wer weiss was sonst noch getan, gesagt und gedacht werden. Da haben wir die Zauber- künste, die Verhaltungsregeln. Solche und andere Dinge sind eben Fetische des Europäers, der viel mehr kennt und viel stärkere besitzt als der arme Afrikaner, dem er deswegen so sehr überlegen ist. Küsten- leute, die mit dem Leben in Faktoreien vertrauter waren, ergötzten sich am Spiele mit Magnetnadel und Brennglas. Doch wurde es den meisten gleich ungemütlich, wenn ich einlud, Hand anzulegen, und vorgab, ich wollte nun einmal feststellen, wer mir die Unwabrheit gesagt hätte oder nicht so gut von mir dächte, wie er behauptete Das war ausser dem Spass. Nur wenige von den näheren Bekannten gingen ohne Zögern auf diese und andere Proben ein. Sie mittelst des Brennglases zu verletzen, hütete ich mich; sie fanden auch das Kunststückchen bald aus und übten es selbst. Einem vorlauten Burschen, einem angehenden Ngänga, der sich vermass, jedem Zauber gewachsen zu sein, sengte ich die Haut tüchtig. Um seiner Reputation willen suchte er den Schmerz zu ver- beissen, bis er es nicht mehr aushielt und mit dem Bekenntnis, des Weissen Zauber sei zu stark, zum Ergötzen der Zuschauer abzog. In entlegenen (ebieten war das Brennglas ein grosses Ding. Der Fetisch 23* 356 Weisskunst, Schwarzkunst. Kräfte, nicht Geister. verlor aber an Ansehen, als es sich herausstellte, dass er bei trübem Himmel versagte. Die Erklärung mit der Sonne befriedigte nicht. Es war klar: Fetische des Europäers haben ihre Mucken so gut wie die des Afrikaners. Wie die Menschen so stehen auch ihre Zauberkräfte gegeneinander, man weiss nur nicht wo und wie. Jedenfalls hat man es mit ähnlichen oder mit den nämlichen Kräften zu tun, deren sich die Hexen bedienen. Wer noch unbekannte und ganz besonders starke Kräfte ausfindet und glücklich vereinigt, der erlangt die Übermacht. Bangänga und Sindödschi sind allerwege auf Entdeckungen aus. Jene mischen, diese mischen. Die Kräfte werden gegeneinander mobil gemacht. Weisskunst — bungängu, tschingänga — steht gegen Schwarzkunst — bundöku. Freilich scheint niemand stets vorher zu wissen, ob er ein neues, unübertreffliches ngilingili gemischt hat. Das muss ausgeprobt werden. Der Erfolg ent- scheidet. Wenn sich mit dem neuen Kraftstoff versehene Fetische recht bewähren, dann ist man klug und glücklich gewesen. Kussüta, erfinden, entdecken, austüfteln; mussüti, plur. bassüti, der Erfinder; lussutu, die Erfindung und die Einbildungskraft. Nicht das geringste im ganzen Tun und Treiben der Leute deutet auf Geister, die sich etwa ein Zauberding zum Wohnsitz erwählten oder hineinbefohlen wären und nun dem Menschen gehorchten. Es gibt kein geistiges Wesen, mit dem ein Pakt eingegangen werden könnte, infolge- dessen es, verlockt oder gezwungen durch Spruch oder Gabe des Zauber- kundigen, gänzlich oder geteilt in ein Gebilde einträte und es zum Kraft- stück erhöbe. Nsämbi und Bünssi stehen vollständig ausserhalb aller Zauberei. Uns liegt es nahe, anzunehmen, und dann bei flüchtiger Beobachtung auch bestätigt zu finden, dass die Zaubermeister sich einbildeten, oder es anderen weismachten, mit Hilfe von dienstbaren Geistern zu arbeiten. Das lernen sie vielleicht noch, sobald sie fremde Lehren ihrem Systeme anpassen. Unsere alten Berichterstatter und ihre Nachgänger witterten überall ihren eigenen Teufelsspuk und Geisterbeschwörungen, und solche Ansichten werden immer wieder in die Beobachtungen hineingetragen, zumal der moderne Spiritismus verlockt. Als selbstverständlich wird an- genommen, was erst recht zu prüfen ist. Wie schon gesagt: Seelen- und Geistersitze sind etwas ganz anderes als Fetische. Auch kommt man in Loängo nicht aus mit der Lehre vom Animis- mus, insofern diese Lehre mehr voraussetzt als den Glauben an geistige Wesen. Wonach also alle Dinge oder mindestens alles, was Leben oder Bewegung hat und zu haben scheint, beseelt oder mit geistiger Eigenart begabt, und alle natürlichen Vorgänge sowie Erscheinungen als gewollt gedacht werden sollen. Die Worte gewollt, beseelt und geistig sind zu Animismus. Dapper. Fetischmeister. 357 streichen. Sie bezeichnen ebensowenig richtig Eigenschaften von natür- lichen und künstlichen Dingen in Loängo wie etwa Eigenschaften von Alraunen, Hufeisen, Erbschlüsseln, Elektrisiermaschinen und Arznei- pflanzen in Europa. Es steckt schon was drin, aber das ist weder Seele, noch Geist, noch ein Wille. Wenn ein Ausdruck geprägt werden soll, so wäre auf Dynamismus zurückzugehen und dieser für Animismus zu setzen. Der alte Dapper ist der einzige, der die Ergebnisse seiner eifrigen Erkundigungen in selbständiger und richtiger Weise verarbeitet. Er sagt: „Mit dem Worte Mokisie oder Mokisses, wie es andere nennen, bezeichnen die Einwohner allhier nichts anderes, als einen natürlichen Wahn- oder Aberglauben, und feste Einbildig, welche sie von einigem dinge haben, dem sie eine unbegreifliche Kraft zuschreiben, etwas guhtes zu ihrem Vorteile, oder etwas böses zu ihrem Nachteile zu tuhn, oder zu verschaffen, dass sie vergangener, oder zukünftiger dinge wissenschaft haben können. Es kann nicht füglich Abgötterei genennet werden; weil diese Völcker weder Gott, noch Teufel kennen: dan sie wissen ihm keinen eigenen Nahmen zu geben, sondern nennen alles, darbey sie einige ver- borgene Kraft vernehmen, allein Mokisie. Alle ihre Zauberkunst zielet allein dahin, dass sie die Gesundheit bewahren, Seuchen und Schmertzen genäsen, Regen veruhrsachen, iemand eine Kranckheit und Anfechtung antuhn, sterben machen, und dergleichen mehr, zu wege zu bringen können. Dan wan sie einiger Mokisie eine Gottheit zuschrieben, so würden sie ihr gebührliche Ehre anthun. Die alte Gewohnheit und der gemeine Gebrauch ist dem gemeinen Volcke ein unfehlbarer Beweis, dass bey den Mokisien eine grosse Kraft seyn müsse; ja sie werden in ihrer Hart- näckigkeit solches zu gläuben, nicht wenig gestärcket, weil sie sehen, dass ihr König, und die grössesten Herren des Landes hierinnen ihre Vor- gänger seynd; denen es zur Handhabung ihres Ansehens sehr viel nützet, und den gemeinen Mann im Zaume zu halten, grossen Vorteil schaffet.“ Die Fetischmeister stehen dem, was wir die Geisterwelt nennen, nicht minder furchtsam gegenüber als die Laien. Man frage nur einen berühmten Ngänga, mit Hilfe welcher Seele, welchen Geistes er seine Taten verrichte und wie er es anstelle. Verblüfft, tief erschrocken schaut er einen an. Daran hat er nicht einmal gedacht. Das wäre zu gefähr- lich der Lebenden und der Toten wegen. Lusäbu, Wissen; lungängu, Meisterschaft; ngilingili und bufüngu oder tschinda ngölo bene, Gift, Medizin und Kraft stark sehr ist es, beteuert er. Damit wirkt er für das Gemeinwohl gegen alles Böse auf, in und über der Erde. Für Geister ist in dem System kein Platz, ja ein Hauptteil ist ihretwegen ausgedacht worden, um sie sich vom Leibe zu halten. Und wenn ein Ngänga allzu verwegen gegen eine Seele losgegangen ist (Seite 310) und 358 Kunstgebilde. Pflanzen. Kraftübertragung. er sich einbildet, dass die ihm etwas angetan habe, dass er besessen sei, dann hat er nichts Dringenderes zu tun, als sich von Zunftgenossen er- lösen zu lassen. Nachher lebt er noch lange in Ängsten und scheut sich, seine Künste auszuüben. Mancher entsagt gänzlich dem Berufe, dem er nicht gewachsen ist, oder wird einfacher Arzt, der freilich nach Art der Zunft kleiner Zauberkünste auch nicht entraten kann. Sonach ist den Bafıöti ein Fetisch nicht mehr und nicht weniger als ein künstlich mit verdichteter — übernatürlicher wäre nicht der richtige Ausdruck — Kraft versehenes Gerät oder Werkzeug für den Kampf ums Dasein. Ein Kunstgebilde ist es, nicht ein beliebiges Natur- gebilde: weder ein Baum, Felsen, noch ein bunter Stein, ein Stück Metall, Holz, Elfenbein und dergleichen mehr. Wenn sie etwas nicht mit ngi- lingili Ausgestattetes mkissi nennen, so meinen sie, dass daselbst Bann und Zauber wirke oder gewirkt habe, wie im dritten Kapitel geschildert worden ist. Freilich denkt man sich auch manche gepfleste Büsche und Kräuter mit geheimen Kräften ausgestattet. Dabei handelt es sich indessen lediglich um eine Übertragung der Kraft. Derartige Gewächse sind von den Meistern besprochen worden. An ihren Wurzeln ist ngilingili vergraben; sie werden unter Befolgung zauberischer Gebräuche gepflegt und zeitweilig mit Wasser begossen, worein Fetische getaucht wurden. So erlangen ihre nach Vorschrift genossenen Blätter eine bestimmte Wirksamkeit und können mühelos an viele Personen abgesetzt werden, so wie man auch vielerlei andere Zauberstoffe an Bedürftige zum Ein- nehmen verabfolgt. Wirkliche Fetische sind diese Pflanzen ebensowenig geworden, wie die Flinten, die infolge des beim Laden verwendeten Kugelsegens nicht fehlschiessen sollen. Ähnlich verhält es sich mit mancherlei Bäumen, die bei oberfläch- licher Beobachtung des Verhaltens der Eingeborenen leicht für geheiligt angesehen werden könnten. An sich sind sie es nicht. Irgendeine Er- innerung hängt an ihnen wie an Femlinden, Siegeseichen und anderen Mal- bäumen bei uns, die zeitweilig bekränzt werden. Vielleicht hat der eine oder andere einst eine geweihte Stätte beschirmt. Noch öfter wird unter ihnen ein grosser Fetisch seinen Platz gehabt haben, dessen Wirken noch nicht vergessen worden ist. Oder man schützt sie aus Nützlich- keitsgründen, weil in ihrem Schatten palavert wird, weil daselbst viel- leicht wichtige Entscheidungen getroffen worden sind. Zum Gedenken dessen haben vielleicht etliche oder viele an einer bedeutsamen Tagung Beteiligte, sogar zwei Parteien dem einen oder anderen Baume Bänder und Zeugfetzen ins Gezweig gehängt oder noch lieber befranste Streifen und Graswische hineingeknotet, wie sie anderswo Halme verflechten oder Wiepen und Popanze aufstellen oder auf Schwur- Geputzte Bäume. Geltung von Fetischen. 359 plätzen Holzstückchen und Blätter verstreuen. Ferner kann solcher Baum- schmuck aus wirklichen Fetischen, er kann ebensogut aus Abschieds- und Wahrzeichen bestehen, die Fortreisende für die daheim Gebliebenen, Vorbeiziehende für fröhliche Wiederkunft anbrachten, wie sie das auch in Dorf und Hütte, an Einschiffungsstellen tun, wo sie ja überdies gern kleine Besitzstücke zurücklassen. Vielfach tun andere nachher desgleichen aus Höflichkeit, aus Freundschaft, aus Nachahmungstrieb, weil es die Erinnerung auffrischt, weil es keinesfalls schaden kann. Immerhin sind derartig ausstaffierte Bäume sehr selten, viel seltener als die mit Fransen- gehängen, Wiepen und ähnlichem Zeug bedachten Plätze oder sindömbe. Opfergaben möchte ich solche Merkzeichen nicht nennen. Sie gelten ja nicht dem Baume oder dem Platze, sondern der Erinnerung an die Handlung, die dort vollzogen worden ist, oder an Abwesende, deren Heimkehr man ersehnt. Dass irgend jemand glaubte, der Geist, so etwas wie die Seele oder die Potenz eines Ahnen sässe darin, habe ich in keinem Falle feststellen können. Möglich wäre ja solch ein Glaube, aber sicherlich gehört er nicht zu den allgemein verbreiteten Regungen, und er wird eben deswegen vor dem Nachspürenden nicht zugestanden. Die Zeichen darf man natürlich nicht verletzen, da sie den Leuten wert sind, aber ihren Träger, wie er auch sei, braucht man nicht als heilig zu schonen. Von einem solchen am Dorfe grünenden Feigerbaum der Lutätu genannten Art (Abbildung III 172, 174) durfte ich mit Bei- hilfe des Häuptlings ein sehr merkwürdig verwachsenes Bündel Luft- wurzeln aus dem Gerüst sägen. Niemand fand das ungehörig oder ge- fährlich. Die Leute schüttelten nur den Kopf, dass der wunderliche weisse Mann nun gar noch an solchem Holzstück Gefallen habe. Die meisten Fetische sind ihren Besitzern hochgeschätzte, vertraute Beschützer und Helfer, die die eigenen Kräfte in geheimnisvoller Weise verstärken. Grerichtsfetische sind den Schuldbewussten Gegenstände oft überwältigender Furcht, und die grosse Menge des Volkes hat eine heil- same Scheu vor ihnen, um ihrer rätselhaften Macht willen, deren Trag- weite der Mensch nicht abzusehen vermag. Wer hätte ein ganz reines Gewissen? Man fühlt ungefähr so wie bei uns vor elektrischen Apparaten, weil man eins abbekommen könnte. Aber Götter sind die Fetische den Leuten nicht, und einen Geist vermuten sie darin ebensowenig wie unsere Furchtsamen in einer Leidener Flasche. Selbst für die angesehensten Zauberbilder gibt es keinen Kultus, sondern lediglich Gebrauchsvorschriften. Die Besitzer beobachten ihnen gegenüber später zu schildernde, überaus mannigfaltige Verhaltungsregeln, die viel eher unsinnig und komisch als respektvoll anmuten. Wie Arbeitstiere bedürfen die Fetische der Wartung, der Pflege und oft auch der Anspornung, oder wie kunstvolle Maschinen der sachkundigen Leitung, 360 Kraftverlust. Auffrischung. Keine Vermittler. wenn sie ihre Dienste gut verrichten sollen. Je nach Art und Zweck sind die Bedingungen, unter welchen sie ihre Kräfte betätigen, ungemein verschieden. Ist man sicher, die Vorschriften genau befolgt zu haben, — jedoch kann dessen, wie noch zu erweisen, eigentlich niemand ganz sicher sein —, und zeigen sie sich trotzdem nicht wirksam, so arbeitet ihnen mutmasslich ein stärkerer Fetisch entgegen, und man muss einen noch stärkeren heranziehen oder für den erstrebten Zweck anfertigen lassen. Hat man aber die Gebrauchsanweisung nicht streng eingehalten, so sind eben die Fetische untauglich geworden wie abgenützte Werkzeuge. Alsdann werden sie wie die anderen, mit denen man seinen Zweck erreicht hat, abgelegt, von Hitzköpfen vielleicht auch in die Ecke geworfen wie von Kindern die Puppen, oder sie werden dem Meister zum Auffrischen übergeben, auch um eine Kleinigkeit verkauft. Das ist wichtig für den Sammler, der bewährte Fetische gar nicht erwerben könnte, wichtig ferner für die Bangänga, die für Ersatz zu sorgen haben. Ein Anhänglicher, der gegen die Vorschrift verstossen hat, versucht es vielleicht, bevor er seinen Fetisch abtut, dessen Leistungsfähigkeit nochmals selber zu erwecken. Den menschenähnlich gebildeten stopft, bestreut, bespuckt er namentlich mit Kolanüssen, deren Genuss ja auch des Menschen Lust, Kraft und Ausdauer reichlich anspannt. Ferner muntert er alle in verstärkter Form auf, indem er sie streicht, schüttelt, klopft, erwärmt, anräuchert. Das gehört zur Kunst, darf aber keines- falls so aufgefasst werden, als ob die Fetische wegen verweigerter Dienste abgestraft, geprügelt würden. Ist dergleichen überhaupt wirklich beobachtet worden? Gewiss stimmte doch solches Tun gar nicht zum Animismus, zur Geistertheorie. Auch der Zornmütigste würde sich doch recht sehr hüten, ein Zauberbild zu misshandeln, wenn er darin einen Geist und gar einen Ahnen vermutete. Die meisten Fetische sollen, ein jeder auf seine Weise, die Be- sitzer gegen Widriges aller Art schützen und die Erfüllung von Wünschen befördern. Nicht viele dienen auch dem Gemeinwohl als Heilkünstler oder als Entdecker und Rächer von Verbrechen. Im Grunde genommen haben alle die Aufgabe, das Walten Nsämbis zu ergänzen, das dem einzelnen hinsichtlich seiner Privatangelegenheiten und allen hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit nicht zuverlässig genug erscheint. Niemals gebraucht man Fetische als Vermittler bei Nsämbi, niemals gegen die Gottheit, als ob die durch Zauberei gefügig zu machen wäre, Daher erhofft man von ihnen keine Hilfe, wenn ein allgemeiner Notstand eintritt. Ist das Volk überzeugt, dass Nsämbi die Heimsuchung ver- hängt hat, so sucht man ihn zu versöhnen, wendet man sich zu den ge- weihten Stätten und lässt alle Fetische daheim. Viele Zwecke, viele Kräfte. Ängstliche. 361 Die durchaus praktisch veranlagten Bafiöti erwarten von ihren Fetischen Unterstützung aller Bestrebungen, Schutz gegen alles Ungemach, worum Nsämbi sich schwerlich kümmert. Es gibt deren, die dem Händler zu guten Geschäften, dem Wanderer zu behaglicher Unterkunft, dem Fischer und Jäger zu reicher Beute, kinderlosen Eheleuten zu Nach- kommen verhelfen. Es gibt andere, die das Absondern der Muttermilch, die Geburt, das Zahnen der Kinder, die Treue der Weiber, der Männer, das Eierlegen der Hühner, die Vermehrung der Ziegen und Schafe, das (redeihen der Pflanzungen, den guten Ausgang einer Liebeswerbung, eines Rechtshandels, den Erfolg im Kriege, das Gesunden von einer Krankheit befördern. Von anderen erwartet man, dass sie Fesseln sprengen, Hörige anlocken, das Gewicht von Traglasten erleichtern, Beine stärken, Augen schärfen, Handelswege öffnen, Ausblicke in die Zukunft geben, zweifelhafte Fälle entscheiden, dass sie Regenwolken vom Lagerplatze ablenken, Ungeziefer vertilgen, Nahrung besorgen, äusseres Ungemach, Leiden, überhaupt Schädigung des Leibes verhindern, Hexen, Gespenster, wilde Tiere abwehren. Immer bleibt der leitende Gedanke: das zu lenken, was wir Zufall nennen, den Umtrieben des Bösen zu begegnen, Zauber gegen Zauber zu setzen. Es ist der Kampf ums Dasein, aus dem Alltäglichen in das (reheimnisvolle übertragen. Für alles und jedes im Leben trachtet’man nach einer geheimen Verstärkung der eigenen Kräfte. Gleich den Mit- menschen muss man gerüstet sein. Dem Ängstlichen genügt es nicht, einen Fetisch gegen Kriegs- sefahr im allgemeinen zu besitzen, denn die wider ihn streitenden Gegner könnten für jede mögliche Art und Weise, zu verwunden, zu töten, zu fangen, geeignete Zauberkräfte bei sich führen. Deswegen muss er einen Fetisch haben, der ihn gegen Geschosse, einen zweiten, der ihn gegen den Hieb mit blanker Waffe, einen dritten, der ihn gegen Keulenschläge schützt; vielleicht nimmt er auch noch welche, die ihn davor behüten, in einen Hinterhalt zu fallen, mittelst einer Schlinge niedergerissen oder mit Händen gepackt zu werden, und so fort. Wer einen Handelszug unternimmt, der kann besondere Fetische brauchen für den Einkauf von Palmöl, von Palmkernen, von Kautschuk, für das Anwerben zuverlässiger Träger, für Marschfähiskeit, gegen Sandflöhe, Irregehen, schlechte Wege und grosses Wasser, gegen Anschläge aller Art, gegen Diebe und hab- gierige Erdherren. Wer heiratet, braucht erst recht mancherlei Fetische, wie sie nötig sind, um vor der Frau gut zu bestehen, um sich gleich anfangs als starken Herrn zu zeigen, um im rechten Augenblicke das Einschlüpfen böser Seelen zu verhüten. Die Bangänga wissen Rat für alles und jedes. Der Mann mit Selbstvertrauen, der Zweifler, der Geizige spart die Kosten und behilft 362 Glaube erzieht. Gestaltung der Fetische. sich mit wenigen Fetischen, die er teilweise vielleicht selber fertigt. Der Zaaghafte kann gar nicht genug haben. Wer im Glück ist, der verdankt es seinen Fetischen, und je mehr er wagt, desto mehr Fetische erwirbt er dazu. Zugleich steigt aber die Menge der Vorschriften, die beobachtet werden müssen, damit die Kräfte wirksam bleiben. Seine Zaubermittel werden ihm zur Last, ja zur Gefahr. Denn sehr starke mögen, wenn er etwas versieht, ihn selbst schädigen, wie Explosionsstofte in den Händen Unvorsichtiger. Er kann die be- währten Helfer zwar nicht entbehren, vermag aber den vielen verzwickten Regeln und Verboten nicht allezeit nachzuleben, so sehr er sich auch bemüht. Dabei übt er sein Gedächtnis, vermehrt er seine Umsicht, lernt sich beherrschen, sich manches versagen, und hat so einen Gewinn, woran er gar nicht denkt: sein Glaube erzieht ihn. Aber die Aufgabe wird zu schwierig, sie geht schliesslich über seine Kräfte. Fetische versagen, denn Missgeschick trifft ihn Schlag auf Schlag: Unternehmungen, sonst stets lohnend, missglücken; Prozesse gehen verloren; Kähne mit Waren kentern; Familienverbindungen zerschlagen sich; der beste Hammel verreckt. Das Alltägliche geschieht, wird aber aus dem Geheimnisvollen erklärt. Er fürchtet, und man munkelt, dass es mit seinen Fähigkeiten und Fetischen zu Ende gehe. Der Dorfklatsch gedeiht. Sem Ansehen schwindet, als stünde er vor dem Bankrott. Die Gläubiger melden sich. Das ist ein schlimmes Ende, und mag ihm Zuversicht und Freudigkeit beeinträchtigen. Ein zäher Mann fängt von vorne an, mit neuen Fetischen, ein schlaffer lässt die Dinge gehen und verkommt. Zahlreich wie Wünsche und Gefahren sind auch Fetische und ebenso manniefaltig in der Form. Da gibt es Muscheln, Krallen, Zähne, Hörner, Federn, Haarbüschel, Lederstreifen, Bänder, Schnuren, Zeugfetzen, Beutelchen, Erdklumpen, Harzkugeln, Rindenstücke, Blätter, Früchte, Teller, Mulden, Flaschen, Töpfe, Ketten, Körbe, Kübel, Klötze, Bündel, Rollen, Säcke, Kasten, sowie andere Gebilde von Holz, Metall, Knochen, Elfenbein, die Affen, Leoparden, Schlangen, Krokodile, Flusspferde, Elefanten, am seltensten Menschen darstellen. Den Gestalten ist manch- mal eine unnatürliche Haltung gegeben, und bei menschlichen, die nahe- liegenden geheimen Zwecken dienen sollen, sind die kennzeichnenden Merkmale mit Fleiss und manchmal ungeheuerlich dargestellt. Es ist das eine naive Reklame. Die Gebilde sind verschieden gross und sowohl grob wie künstlerisch fein ausgeführt. Menschengestalten messen gewöhn- lich zehn bis zwanzig Zentimeter, erreichen aber auch die halbe natür- liche Grösse des Vorbildes. Fetische aller Formen werden überhaupt klein oder gross hergestellt, je nachdem sie für eine Person oder für Familien und Gemeinden, sowie für unbeschränkte öffentliche Benutzung bestimmt sind, wofür ihre Macht auch sinnfällig auszudrücken ist. Kunstgerechte Behandlung. Negilingili. 363 Solange nun alle diese Gegenstände durch die Bangänga nicht einer kunstgerechten Behandlung unterworfen und mit ngilingili geladen worden sind, haben sie höchstens einen Wert als Zieraten, als Schmuck und Schaustücke, woran der eine oder andere sein Gefallen hat. Es ist daher ein grober Irrtum, beliebige Kunsterzeugnisse und namentlich Schnitz- werke von auffälliger Gestalt ohne weiteres für Fetische zu halten — von Ahnenbildern gar nicht zu reden. Auszunehmen wären teilweise die einfachen, der unteren Stufe zuzuweisenden Dinge, obschon auch diese jetzt meistenteils erst durch die Hände der Zaubermeister gehen. " ES Schnitzwerk ohne und mit neilingili. Ist es gelungen, das ngilingili herzustellen, so hat man damit eigent- lich schon den Fetisch. Denn die Gebilde, die mit ngilingili bestrichen, beklebt oder ausgefüllt werden, sind nicht die Hauptsache. Die meisten Fetische bestehen sogar nur aus einem Klümpchen des Kraftstoffes. Dieses wird in ein Schneckenhaus, in einen Krabbenpanzer, in ein Anti- lopenhörnchen, in eine Nussschale oder Kralle eingedrückt, oder in Zeug eingewickelt, in einem Beutelchen verwahrt, zierlich mit Schnuren um-- knotet, mit feinen Rohrsplinten umflochten. So hat man das Wesent- liche und spart man die Kosten für zugerichtete Gegenstände, die ohnedies in grösserer Anzahl nicht dauernd mit herumgetragen werden könnten. An stattlichen Fetischen in Tier- und Menschengestalt, die von den Bestellern fertig geschnitzt geliefert oder besonders bezahlt werden müssen, 364 Ausstattung. bringen die Meister gern als äussere Giftzeichen oder Gruselschmuck getrocknete Köpfe von Fischen, Schildkröten, von Eidechsen, Schlangen und anderem Getier an. Fbensolches Zeug und vielerlei Kleinkram stopfen sie in dichte Beutel, klein wie Stricksäcke und gross wie unsere Reisetaschen, in Körbe mit Aufsatzdeckel, in Holzkasten mit Klappdeckel, richtige Bundesladen, alle welche Behälter zusammengesetzte, in mehr- facher Hinsicht wirksame, weil mit verschiedenartigen Kräften geladene dE 1A ES 7 1 mr INN AN ni r Bm Ina SIE IM Gerichts-, Frauen- und Männerfetisch. Fetische, also Revolverfetische, sein sollen. In solchen Dingen betätigt sich die Phantasie der Bangänga und das Bestreben, durch allerlei Schmuck und modische Ausstattung ihrer Erzeugnisse die Zunftgenossen zu übertrumpfen. Bei tierischen und menschlichen Figuren wird das ngilingili öfter im Kopfe, im der Regel aber in einem auffälligen kasten- förmigen Ansatz, oder in mehreren, auf dem Bauche oder auf der Brust untergebracht. Denn auch diese Stücke, mögen sie klein oder gross sein, sind natürlich ohne den Kraftstoff keine Fetische. Und ihr Ge- ladensein soll in die Augen springen, denn sie dienen meistens dem Ge- meinwohle. Aus Unkenntnis des Sachverhaltes sind Figuren mit solchen Ansätzen als künstlerische Verirrungen getadelt worden. Ausstattung. 365 Zur Ausstattung vornehmlich der menschenähnlich gebildeten Fetische gehören sogar Spiegel- oder doch Glasscherben, die im Kraftbehälter auf GE TLIISSSE = N SU, N RED % N, TERN WEG N N 9 N N AN J DEN MR Einfacher Fetisch Mehrfacher Fetisch. (Kriegsfetisch, Elfenbein). dem Bauche, oder in Brust, Kopf, Rücken, sowie an Stelle der Augen eingesetzt werden. So ist durch Einführung europäischer Waren der Fetischismus um einen neuen Gedanken bereichert worden: Unholde, 366 Spiegelwirkung. Ansaugen von Kräften. Grösse. Gespenster, die ohnehin Glänzendes nicht leiden können, Bösewichter erblicken sich selbst in den spiegelnden oder glitzernden Scherben, er- schrecken darob und fliehen. Gerade diese Wirkung heben die Bangänga als wichtig hervor. Sie behaupten sogar, dass das Böse von den Spiegeln zurückgeworfen werde, wie eine Flinte losgehe, und den Übelwollenden selbst befalle, vernichte.e Das erinnert an den Billwitz- oder Bilsen- schnitter unserer Laandleute, der bei seinem Treiben auf der Flur in der Johannisnacht durch einen vom Eigentümer des Feldes vor die Brust gebundenen Spiegel getötet werden kann. Zudem habe ich in Loängo ein paar überängstliche Leute gekannt, untergeordnete Häuptlinge, die kleine Spiegel am Halse oder vor der Stirn baumelnd trugen, so wie bei anderen Völkern Leute von Stand Muschelstücke anbringen. Ein Fetisch, der, fein geschnitzt und ausstaffiert, recht stattlich her- gestellt werden soll, ist entsprechend teuer. Dass er um seines Äusseren willen auch für besonders stark gehalten wird, ist selbstverständlich. Denn die Länge der Zeit, die bis zur Übergabe des Werkes verfliesst, der Aufwand an Berufskünsten, steht im angemessenen Verhältnis zu den Kosten. Die Bangänga lehren nämlich, dass ein neuer Fetisch von recht starken und altbewährten, mit denen er in Berührung gebracht wird, Kräfte gleichsam ansauge. Sie müssen natürlich dem nänlichen Zwecke dienen. Deswegen bringen sie, wenn das Honorar dafür ausreicht, neue Stücke in ihrer Sammlung anerkannt mächtiger Zaubermittel unter und belassen sie wochen-, monatelang daselbst. Einem zweifelhaft oder schwach gewordenen Fetisch erneuern sie in der nämlichen Weise seine Kraft; sie frischen ihn auf. Dass man einen ähnlichen Einfluss manch- mal auch von den geweihten Stätten erwartet, kann nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, was bei uns Kirchgänger dem Altare zumuten. Man darf sagen: Gegen grosse Übel, für das Gemeinwohl, für Ge- nossenschaften, auf die Dauer, werden starke Fetische in auffälliger (Gestalt umständlich angefertigt. Gegen kleine Übel, für einzelne Personen, auf kurze Zeit, genügen schon geringfügige, schnell besorgte Dinge, die mehr an Amulette erinnern. Dennoch haben auch diese Kleinigkeiten stets, was alle Fetische kennzeichnet: die Stoffe mit den Kräften, das ngilingili, weil sonst nicht an sie geglaubt wird. Da gibt es zum Kleinhandel recht geeignete Ringe, Schnuren, Blattstreifen, Federn, dünne Lianen, Fäden, die ein Ngänga geknotet, bestrichen, gefärbt, besprochen und in seiner Werkstatt zwischen den starken Zaubermitteln einige Zeit untergebracht hat. Sogar mit ngilingili und bunten Farben auf die Haut gemalte Tupfen und Striche genügen für Stunden oder Tage. Je nach Art, Grösse und Zweck lassen sich die Zaubermittel zu- nächst einteilen in Privatfetische und in Erwerbsfetische. Privat- fetische: Schutz- und Förderfetische, dienen Personen oder Familien oder Privatfetische. Erwerbsfetische. Fetischbündel. 367 Gemeinden. Erwerbsfetische: Heil- und Gerichtsfetische, sind gewöhnlich Besitztum von Zaubergenossenschaften und dienen gegen Entgelt dem Gemeinwohl, indem sie Krankheiten heilen oder Verbrecher ausfinden und bestrafen. Da sie gesellschaftlich und sogar politisch bedeutsam sind, können wir sie auch Fetische ersten Ranges nennen. Privatfetische führen die Besitzer, je nach Belieben und Zweck, stets oder gelegentlich mit sich oder verwahren sie in der Behausung, befestigen sie auch an irgendwelchem Eigentum. Selbst kranke Haustiere: Schafe und Ziegen, sowie geschätzte Jagdhunde im Dienste werden ab und zu mit Fetischen behängt. Die zum Umbinden geeigneten Zauberdinge mit allerlei Zubehör trägt man nach Bedarf an Stellen des Körpers. Allerlei Klümpchen und Pülverchen von ngilingili verschiedener Herkunft werden eingewickelt in einem Beutel untergebracht. Und diesen vereinigt man wieder mit anderen grösseren, vielleicht auch geschnitzten Fetischen zu einem Bündel, das mittelst eines geflochtenen Bandes derartig über die linke Schulter geschoben wird, dass es dicht vor, selten unter oder hinter der Achsel- höhle baumelt. Bemittelte und Grossleute umhüllen ihr Zauberbündel gern mit dem Zeichen des freien Mannes, also mit hübschem weichem Fell. Zu diesem mpömbo mikända genannten Fetischbündel, häufig zu- gleich Familien- und Gemeinschafts-Revolverfetisch, gehören noch allerlei Kleinigkeiten, die nicht Fetische sind, aber beim Zaubern gebraucht werden: Pfeifen, Farben, Pülverchen, Späne gewisser Holzarten, Blätter gewisser Kräuter, Kolanüsse und andere Früchte, Gifte, Erden, Federn, Fäden und anderes Zeug. Ferner liebt man es, aussen etliche Schellen oder Glocken hinzuzufügen, um unterwegs durch deren Getön allem Bösen zu melden, dass der Träger gewappnet sei. Manchen hohen Herrn erkennt man, wie bei uns Rinder und Leithammel, schon von ferne am Gebimmel seiner Glocken (Abbildung Seite 257.) Der tönende Behang hat noch einen anderen Zweck. Wenn sich den etwa in der Schlafhütte befestigten Fetischen Böses naht, das schwächer ist als ihre eigenen Kräfte, so verscheuchen oder vernichten sie es. Ist es aber stärker, so setzen sie im Kampfe gegen die feindlichen Mächte Schellen und Glocken in Bewegung. Fetische, die sich solcher- gestalt rühren, benachrichtigen den bedrohten Herrn, dass er Gegenmass- regeln zu ergreifen habe. Viele Bangänga sowie angesehene Laien, sehr selten Unfreie und junge Leute, Weiber aber so gut wie gar nicht, weil sie ihre Fetische in der Hütte zu bewahren pflegen, tragen auf solche Weise mit gebüh- render Würde eine reichhaltige Sammlung von Zaubermitteln an sich herum, die manche unter keinen Umständen, selbst des Nachts nicht, ablegen. Andere erscheinen mit dem Bündel bloss bei feierlichen 368 Marken. Hautbemalung. Namen. Gelegenheiten oder lassen, während sie schlafen, nur die gefälligeren, be- quemeren Zaubermittel an ihrem Körper, und befestigen die übrigen am Kopfende ihres Lagers, um die vertrauten Helfer stets in der Nähe zu haben. In der Regel besteht das Bündel aus Schutzfetischen, die gegen alltägliches Ungemach wirken. Besonderen Zwecken dienende Fetische, Fördertetische, als da sind für Handel, Jagd, Fischfang, Krieg, Palaver, lässt man gewöhnlich daheim, bis sie für den bestimmten Fall gebraucht werden. An festlichen oder sonst bedeutsamen Tagen malt sich der Eigen- tümer mit roten, weissen, gelben, blauen Farben auf seine Haut Striche, Punkte, Kreise. Mancher lässt sie sich auch vom Ngänga malen. Es ist sicher, dass es nicht für jeden beliebigen Fetisch bestimmte, stets wiederholte Marken gibt. Aber ebenso zweifellos ist, dass für manche bedeutende Fetische immer wieder dieselben Zeichen in der nämlichen Farbe und Anordnung und auf den nämlichen Körperteilen angebracht werden. Manche Marken sind eine mehr oder minder genaue Nach- bildung von Skeletteilen. An dieser charakteristischen Bemalung, die auch als Zeichen eines Zauberbundes betrachtet werden könnte, sind namentlich Beschwörer und Mitbesitzer von einigen reiche Einkünfte bringenden Fetischen ersten Ranges zu erkennen, selbst diejenigen, welche noch im kindlichen Alter stehen. Manchmal erscheint eine ganze Familie oder Erdschaft mit solchen Fetisch- und Bundeszeichen geschmückt. Es bedarf kaum des Hinweises, dass die Fetische, ihre Befestigung und Umhüllung, je nach Phantasie und Geschmack des Verfertigers oder Besitzers, vielfach unwesentliche Zutaten erhalten. Man bemalt sie mit Rotholzpulver oder mit weissem Ton. Man putzt sie und die Bündel besonders gern auf mit den roten Schwanzfedern der Graupapageien, mit Federn von Haushühnern, namentlich von bunten Hähnen, seltener mit denen vom Geieradler, von Bananenfressern, Tauben, Rollern und einigen Nashornvögeln. Die Schwanztroddel des Stachelschweines ist ebenfalls beliebt. Auch fügt man gern hinzu einige aus Holz, Knochen geschnitzte oder aus zierlichen Antilopenhörnern bestehende einfache Pfeifen, denen man gelegentlich Töne entlockt. Ein ordentliches Fetischbündel umschliesst sonach eine Sammlung sehr verschiedener Gegenstände und mag mehrere Kilogramm wiegen. Mit Ausnahme der Schellen, Spiegelscherben, Ketten, Glasperlen und hier und da einer Kaurimuschel sind alle Gegenstände von einheimischer Arbeit und Abkunft. Selbst zu den Täschcehen und Beutelchen nimmt man am liebsten Bastzeuge, obwohl die Mittelstücke menschlicher Ge- stalten gewöhnlich mit einem Schurz oder Röckchen von europäischem Stoffe schicklich umkleidet werden. Viele Privatfetische, die für dauernde wichtige Dienstleistungen und für Zwecke, die allen gleichmässig am Herzen liegen, bestimmt sind, Ehrenfetische. Musterstücke. 369 tragen Eigennamen; die gleichartigen, wovon manche zu Hunderten oder, wie namentlich die den weiblichen Angelegenheiten dienenden, zu vielen Tausenden im Volke verbreitet sein mögen, gleichlautende, die verschieden- artigen verschiedene. Neu erfundene, für ungewöhnliche Zwecke begehrte, erhalten neue, manchmal auch alte, schon wohlbekannte Namen, je nach Laune und Belieben ihrer Verfertiger und Besteller. Bisweilen erheben jedoch Zunftgenossen Einspruch gegen Nachahmungen, und es gibt Palaver. Nicht selten lässt eine vornehme und zahlungsfähige Familie zu Ehren eines ausgezeichneten Mitgliedes einen neuen Fetisch herstellen, dem der Name, aber keineswegs häufig die Gestalt des Betreffenden gegeben wird. Ähnliches wiederholt sich bei Ankunft eines lange ersehnten Kindes, bei dem Eintritt irgendeines anderen wichtigen Ereignisses: wenn ein als Ndödschi verdächtiger Angehöriger durch die Giftprobe seine Unschuld glänzend dargetan hat, wenn ein schwieriger Rechtshandel gewonnen wurde, wenn eine erstrebte Familienverbindung geglückt ist und so weiter. Solch ein Fetisch ist ein Erinnerungs- und Freudenzeichen, wie man sich bei uns eine Standuhr, ein Bildwerk anschafft oder schenkt. Bangänga stellen wohl auch einen herühmten Verstorbenen ihrer Zunft im Bilde dar und benutzen das Stück mit bei ihren Zaubereien. Ferner verfallen sie auf den Gedanken, ein wichtiges Ereignis, eine all- gemeines Interesse erregende Persönlichkeit durch einen neuartigen Fetisch zu verherrlichen und somit in ähnlicher Weise Erfolge zu erstreben wie die Hersteller unserer Modewaren. Bemerken andere, dass der Käufer des neuen Zaubergebildes Glück hat, so wollen sie es ebenfalls haben und bestellen Nachbildungen. Bewähren sich auch diese, so kommt der Ngänga in den Ruf, ein neues und unübertreffliches Ngilingili gemischt zu haben. Der Ruhm seiner Erfindung geht durch das ganze Land. Er erhält Zulauf und Bestellungen, wird gleichsam Fabrikant und ein reicher Mann. Sein Muster wird massgebend, freilich auch für Nachahmer, was wieder zu mancherlei Rechtshändeln führen kann. So ist es zu erklären, dass in der Unzahl der verschiedenartigsten Fetische, die, auch wenn sie dem nämlichen Zwecke dienen, doch ihrer Form nach sehr mannigfaltig gebildet sein können, sich manche finden, die nach dem Musterstück gleichförmig gestaltet und benannt, in Menge über ein weites Gebiet verbreitet sind. So kann zum Beispiel ein Kriegsfetisch äusserlich ein schwerer bunter Knüppel, ein fein geschnitzter Elfenbeinstab, ein Männlein, ein Holzkloben, eine Schachtel, ein Sack mit Erde sein, ein gewisser ge- schätzter Geburtshelfer dagegen findet sich bei Frauen, vielleicht zu vielen Tausenden in der nämlichen, höchstens nach Grösse abweichenden Ge- stalt und natürlich in gröberer oder feinerer Ausführung. Gewöhnlich dienen derartige, beinahe fabrikmässig angefertigte Privat- fetische zum Schutze, den alle begehren, hauptsächlich zur Abwehr von Loango. 24 370 Alter und Zaubermittel. Hexerei, von Unholden, Krankheiten und sonst landläufigem Ungemach, sowie für Frauensachen. Aber neben den Schutzfetischen gibt es viele Förderfetische, also solche, die für Zwecke wirken, welche oftmals den Interessen anderer widerstreiten. Es wird nachher zu erzählen sein, was für komische und ernsthafte Verwicklungen zwei ähnliche Handels- fetische der Erdschaften Lubü und Luändschili verursachten. Eigentlich ist es ja nicht gut, so gegeneinander loszuzaubern, aber es ist, wie das Gegeneinanderarbeiten im täglichen Leben, nicht zu ver- meiden. Es macht auch den Gläubigen keine grossen Sorgen, denn jeder hat natürlich den besten Fetisch. Die Bangänga lehren, dass Fetische gleicher Art in verschiedenen Händen ungleich wirken. Ihr richtiger (sebrauch ist ja eine Kunst, die nicht ein jeder gleich geschickt auszu- üben versteht, und verlangt genaue Beobachtung von Vorschriften, wobei leicht etwas versehen wird. Wer ganz und gar sicher gehen will, der bestellt allerdings seinen besonderen, nur für ihn herzustellenden Fetisch, und zahlt dafür selbstverständlich einen angemessen höheren Preis. Er muss nur auch den leistungsfähigen Ngänga finden. Immerhin be- dienen sich der wichtigen Förderfetische fast nur die Grossleute, die sicher genug gegen Anfeindungen stehen; Kleinleute tragen Bedenken. So kommt es auch, dass man dem Herrn seine Fetische mit in das Grab gibt, wenn man sie nicht dem Ngänga zum Abtun aushändigt. Unein- geweihte vermögen ja doch nichts mit ihnen anzufangen. Und aufbewahrt wären sie ein Gegenstand der Sorge. Ihre Kräfte könnten unrichtig losgehen. Von besonderem Reize ist es, zu beobachten, wie die Leute, je nach Alter, Stellung und Besitz von Glücksgütern, sich der Fetische bedienen, Im allgemeinen sind in der ansteigenden Hälfte des Lebens die Fetische für Erfolge, die Förderfetische, in der absteigenden Hälfte die Fetische für Abwehr von Übeln, die Schutzfetische begehrt. Schon das hilflose Kind wird von der besorgten Mutter mit ein- fachen 'Zaubermittelchen behängt, die sie selbst erwirbt oder die Onkel und Tanten dem Liebling bringen. Die heranwachsenden Kinder kümmern sich kaum um Fetische. Sie haben wenig zu verlieren, wenig zu gewinnen. Mit dem glücklichen Leichtsinn der Jugend freuen sie sich des Lebens schöner Rechte und vertrauen dem Schutze ihrer Angehörigen. Das reifende Mädchen, dem der Ernst des Daseins früher als dem Knaben zum Bewusstsein kommt, dessen ganze Entwicklung das Hoffen und Bangen zeitiger erwachen lässt, beginnt zunächst sich helfenden, später, als Weib und Mutter, auch abwehrenden Zaubermitteln zuzuwenden, während der Knabe erst nach Jahren nachahmt. Mit zunehmendem Alter, wenn Er- fahrungen das Misstrauen steigern, wenn Besitztümer, Sorgen und körper- liche Leiden sich mehren, erlangt die Furcht vor Neid und Hass und Würdenstücke. Aufmunterung. 371 böswilliger Zauberei immer grössere Macht über die Gemüter, weswegen mehr Schutzfetische erworben werden. Das Haupt einer zahlreichen Familie und einer grossen Gefolgschaft, der Mann in Amt und Würden, besitzt gewöhnlich auch die meisten Fetische. Deren und seinem Schutze ver- trauen die Kinder, die Frauen, Angehörigen und Unfreien, die meist nur allerhand schwachen Zauberkram gegen die kleinen Plagen des Lebens benutzen. Wer aber von ihnen zu Glücksgütern kommt, der legt sich auch Fetische zu, auf die Gefahr hin, unter Umständen verdächtigt zu werden, Übles damit bewirkt zu haben. Doch wird dann der Ngänga, der ihn versorgte, für ihn eintreten. Selbstverständlich vermag der Reiche viele und mächtige, sowie fein ausgestattete Zaubermittel zu erwerben, und vermeint deren auch zu be- dürfen, während sich der Arme mit wenigen und geringen, mit denen der unteren Stufe begnügt. Unechte Fetische, unecht nach dem Urteile der Bangänga, gibt es natürlich auch. Es dient ja schon zur Beruhigung, wenn man den Schein aufrecht zu erhalten vermag. | Fetische gehören zu den Würdenzeichen, zur Rüstung und, wie das Gefolge, zum Prunk des vornehmen Mannes, des Häuptlings. Denn wie stünde es um seine Macht ohne sie? Wenn er der Kräfte aller seiner Fetische zu bedürfen glaubt, wenn er ein grosses Unternehmen vorhat, so macht er vorher mit allen seinen Mitteln Zauberei. Das ist eine wichtige öffentliche Angelegenheit, die, je nach Vorschriften und je nach Bedeutung seines Vorhabens, in mannigfaltiger und oft recht- umständ- licher Weise besorgt wird. Und zwar vor aller Augen. Denn er will Eindruck machen. Er hat zu repräsentieren. Die Leute sollen staunen, was alles er mit seinen Fetischen zu leisten vermag. Bei einem solchen Anlass verfährt der Mann ungefähr folgender- massen: er lässt ein Feuer anzünden, worein er allerlei Kräuter, Holz- schnitzel, Rindenstückchen, Harze, Pülverchen und andere Dinge wirft; dann nimmt er sein Fetischbündel, schüttelt, pufft und klopft — was vielleicht für Prügeln gehalten worden ist — es unter Ausrufungen, hält es über das Feuer, damit der Rauch es durchziehe, schwingt es ringsum, indem er sich mit ausgebreiteten Armen um sich selber dreht, macht einige Schritte, wirft sich in Positur, und rüttelt es mit drohender Ge- bärde nach Aufgang und Untergang der Sonne, vielleicht auch nach Norden und Süden. Dann macht er wieder einige Sprünge, schwingt das Bündel abermals ringsum, und hält es wieder über das Feuer, worin er vielleicht gleichzeitig etwas Schiesspulver verpuffen lässt. Nach diesem einleitenden Zauber, den mancher schon für genügend hält, geht ein anderer erst an die eigentliche Handlung, die ihm die Hauptsache ist. Das richtet sich nach Zahl und Eigenart der Fetische nach den Regeln, sowie nach der Wichtigkeit des Vorhabens. 24 * 3723 Häuptling regt seine Fetische an. Mit einem grossen Buschmesser oder Säbel reisst er um sich in die Erde einen Kreis, legt eine Matte hinein und setzt sich darauf in vor- geschriebener, oft recht unbequemer Haltung. Nun nestelt er das Bündel auseinander, klingelt mit den Schellen oder Glöckchen, bläst auf den Pfeifen, murmelt, klappt die Hände. Er öffnet die Beutelchen und Täschchen, klopft sie, haucht sie an, nimmt Farbe, betupft damit Fetische und sich selbst an der Stirn, neben den Augen, an den Backen, am Kinn. Dann wieder Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Abermals kramt er im Bündel und bringt ein Stückchen Kolanuss zum Vorschein; davon wird ein wenig abgeschabt und über die Hand auf die menschlich gestalteten Zaubermittel geblasen oder ein wenig abgeknabbert, gekaut und darauf gesprudelt. Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Der Beschwörer rutscht auf die entgegengesetzte Seite des Kreises, der In- halt des Bündels wird anders geordnet. Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Er sucht ein Stückchen Rinde oder Holz oder Knochen heraus und schabt auch davon über die Zauberdinge. Dann hebt er sie einzeln auf, horcht und riecht daran, drückt etliche auch an Brust und Stirn. Wieder Klingeln usw. Nun holt er eine andere Farbe her- vor und betupft die Fetische und sich. Schliesslich wickelt er vielleicht einen Faden ab, den er sich ins Haar legt, oder zieht eine Feder heraus, die er hinter das Ohr steckt. Mancher lässt dabei eine Flinte abschiessen oder eine handvoll Pulver ins Feuer werfen. Zum letzten Male Klingeln, Pfeifen, Murmeln, Händeklappen. Dann packt er alles wieder gewissen- haft zusammen, schnürt das Bündel, hängt es an die linke Schulter, streicht vorsichtig mit der flachen Hand einen Teil des in die Erde ge- rissenen Kreises glatt und schreitet dort hinaus. Nun ist der Zauber vollbracht. Er hat den Leuten dargetan, dass seine Fetische kunstgerecht aufgemuntert, ihre Kräfte gehörig angespannt worden sind. Das verleiht Zuversicht ihm und den Seinen. Er ist für alle und gegen alles gerüstet. Nun fühlt er sich gefeit und zieht wohlgemut hinaus ins feindliche Leben. Etwas anders verhält es sich mit den Privatfetischen, die beständig zum Besten einer Dorf- oder Erdschaft zu wirken haben. Sie sollen gegen Seuchen, Gespenster, Kriegsnot, Feuer beschirmen, Handel, Fischfang, das G@edeihen der Pflanzungen, die Volksvermehrung befördern und andere gute Dienste leisten. In der Regel sind solche Gemeindefetische gross und unförmlich. Ab und zu haben sie Tier- oder Menschengestalt, häufiger sind sie Töpfe, Körbe, Kübel, Klappladen, gehöhlte Holzklötze, umflochtene Ballen, Popanze aus Blättern und Palmschäften, Schüsseln mit harzigen Klumpen, verstopfte Blechtrichter. Selbst einen riesigen, mit stattlicher Halskrause aufgeputzten und halb gefüllten Glasballon habe ich bemerkt. Gewöhn- Gemeindefetische. Verlust der Kraft. 373 lich werden die Stücke unter einem Schattendach inmitten der Wohn- stätten oder am Hauptwege aufbewahrt. In allen steckt ngilingili von ' mannigfaltiger Art, weil sie in vielerlei Hinsicht wirken sollen. Sie vertreten sonach für die Gemeinde als zusammengesetzte Fetische das Zauberbündel des einzelnen. Dafür müssen aber alle freien, oft auch die hörigen Mitglieder, niemals aber die Leibeigenen der gesellschaftlichen oder politischen Einheit die Verhaltungsmassregeln beobachten, ohne die nun einmal die Zauberkräfte nicht wirksam bleiben. Doch ist die Be- folgung der Vorschriften ebenfalls recht verschiedenartig geordnet. Bei manchen Fetischen haben sie dauernd bloss die Hüter zu beachten, bei anderen auch alle übrigen wenigstens teilweise und vollständig dann, wenn in kritischer Zeit gerade die höchste Wirksamkeit erzielt werden soll. Ein Verstoss gegen die Regeln schädigt die ganze Gemeinde, weil die Kräfte des Stückes versagen, und ist nur in günstigen Fällen wieder auszugleichen, mit Hilfe des Zaubermeisters, der den Fetisch verfertigt hat. Kosten verursacht das jedenfalls. Wenn aber der Ngänga fort- gewandert oder gestorben ist, dann gibt es kaum noch Hilfe, denn das Geheimnis seiner Kraftmischung kennt niemand. Anderen schadenfrohen Leuten und (Gemeinden sucht man das Unglück, das ja für sie einen Gewinn bedeutet und ihre Spottlust herausfordern könnte, sorgfältig zu verheimlichen. Vielleicht wird nun in der Not alles mögliche versucht, um den Fetisch doch noch bei Kräften zu erhalten oder den Geschwächten wieder zu stärken. Dazu können verschwiegene Bangänga herangezogen werden, die die wunderlichsten Dinge auf gut Glück anstellen: räuchern, Feuer anzünden, Hütten und Strassen fegen, Löcher graben lassen, des Nachts die Ortschaft lärmend umlaufen, Graswische, Fransenschnüre herumstecken, mit Hühnern, Ziegen zaubern, die Weiber und Leibeigenen für etliche Tage anderswohin schicken, Seebäder, Fasten und andere Enthaltungen für die Freien anordnen und sonstwie nach bestem Wissen schalten und walten. Hat trotzdem die Gemeinde kein Glück mehr, so ist erwiesen, dass der Fetisch nicht mehr wirkt. Der Glaube an ihn ist dahin. Man trauert um ihn wie um ein treues Haustier. Nun er- kennt man erst vollständig, was man an ihm gehabt hat, und rühmt seine Verdienste über alle Massen. So einen Fetisch hat es noch gar nicht gegeben, und wird es auch nicht wieder geben. Vielleicht behilft man sich nun ohne Fetisch so gut es gehen will. Vielleicht bestellt man bei einem grossen Zaubermann einen neuen, der dann oft neben dem alten untergebracht wird, von dem man sich, aus alter Anhänglichkeit, sowie der Nachbarn wegen, nicht trennen mag. Wer kann aber wissen, ob der neue so trefflich wirken wird wie der alte, jederzeit bewährte? Erst der Erfolg macht den Fetisch gross und vertrauenswürdig. 374 Fetischgeschichten. Derjenige aber, welcher durch Missachtung der Vorschriften das Unglück verschuldete, hat oft einen harten Stand und wird zur Verant- wortung gezogen, etwa so, als wenn er unseren Bauern die Gemeinde- spritze verschraubt hätte. Darum sind die Schuldigen nichts weniger als geneigt, ihren Fehltritt zu bekennen, falls sie nicht stracks dabei er- tappt wurden. Sie schweigen fein still und warten ab, was sich weiter entwickeln wird. Treten keine Missgeschicke ein, so werden sie irre am Fetisch wie an den Lehren der Bangänga. Sie geraten unter die Zweifler, die zwar noch lange nicht Freigeister sind, aber den Zauber- männern und ihren Werken manchmal recht ungemütlich begegnen. Nicht immer vermutet oder entdeckt man die Schuldigen in der eigenen Gemeinde, sondern oft in einer anderen Gemeinde, die ja vom Lähmen der Kräfte des als Wettbewerber wirksamen Fetisches nur Vor- teil haben kann. Das mag zu schlimmen Händeln führen. So standen einst die uns schon bekannten Erdschaften Lubü und Luändschili gegeneinander in Waffen. Jede besitzt einen T'schivuku ge- nannten Handelsfetisch. T'sschivüku ist ein ziemlich grosser, mit Rotang- splinten fest umflochtener Ball, der im Dorfe unter einem Schattendach auf einem niedrigen Gerüst ruht. Er wird, wenn der Handel einer Be- lebung bedarf, hervorgeholt und schön weiss bemalt. Darauf wird er von den Männern, die seit dem letzten Sonnenuntergange in jeglicher Hinsicht enthaltsam gewesen sein müssen, in Tätigkeit gesetzt, einem Ermunterungszauber unterworfen. Das geschieht, indem man den T'schi- vüku unter Jauchzen und Lachen in tollem Gedränge wie beim Fussball- spiel in der ganzen Ortschaft umhertreibt, stösst und wirft. Da Weiber ihm verhasst sind und seine Kraft schwächen würden, müssen sie sich während dieser sonderbaren Beschwörung streng abseits oder in den Hütten halten. Nun sollte eine durch Luändschili wandernde Jungfrau von Lubü, die, nebst ihren Schwestern, der Tschivüku von Luändschili natürlich am allerwenigsten leiden kann, ihn bei einem solchen Feste gröblich insultiert haben. Sie war sogleich dingfest gemacht worden. Es hiess, sie wäre dem rollenden Fetisch absichtlich in den Weg gelaufen, hätte ihn gegen den Hinteren prallen lassen, ja sie hätte ihm etwas Unsagbares angetan, das, was bei Kindern das Wechseln der Windeln erheischt. Bald zeigten sich die übeln Folgen. Einer nach Luändschili heimkehrenden Kautschuk- karawane wurde im Waldlande übermässig hoher Durchgangszoll ab- gepresst. Einige Elefantenzähne konnten nicht vorteilhaft eingetauscht werden. Überhaupt wandte sich das Handelsglück von Luändschili ab, während Lubü mit Hilfe seines Tschivüku nach wie vor gute Geschäfte machte, und zudem ernstlich auf Herausgabe des einbehaltenen Mädchens drang. Fetischgeschichten. 375 Langwierige Verhandlungen führten zu nichts. Lubü wollte sich nicht einmal dazu verstehen, den Schaden zu ersetzen, den die Händler von Luändschili durch die Erpressung erlitten hatten. Die Erbitterung stieg, weil, wie gewöhnlich, Verspottung und Verhetzung dazu kam, und weil endlich einige waghalsige Lubuenserinnen bei einem kecken Versuche, ihre Jungfrau zu befreien, in Luändschili abgefasst und ebenfalls auf- gebunden worden waren. Schliesslich zogen die Waffenfähigen beider Dorfschaften mit Flinten, Säbeln, Messern und Kriegsfetischen zu Felde. Da jedoch ihre Erden, der Fürsten- und Königsgräber wegen, von alters her Blutfrieden haben, mussten sie erst mit benachbarten Erdherren um Überlassung eines Schlachtfeldes verhandeln. Einstweilen bestiegen die Parteien alltäglich zwei Grenzhügel, führten Kriegstänze auf, knallten nach Herzenslust ins Blaue und warfen sich gegenseitig unter homerischem Geschrei ihre Schlechtigkeiten vor. Viel Pulver wurde verpufft, um die (segner einzuschüchtern und es ihnen an Lärm zuvor zu tun, wobei Lubü entschieden voran war. Da trat eine überraschende Wendung ein. Wie im Juli 1848 die resoluten Marktweiber von Sachsenhausen dem Krawall auf der Frankfurter Mainbrücke ein jähes Ende bereiteten, so rückten plötzlich die braven Lubuenserinnen auf das Feld des unblutigen Schlacht- getöses, verhöhnten die Armee von Luändschili nach alter Weise mit Worten und Gebärden, vielleicht auch mit Scherben, und massregelten schliesslich unter endlosem Gelächter und Geschrei ihr Mannsvolk nach Hause in den friedlichen Schatten ihrer Hütten. Ä Die Aufsehen erregende Fehde wurde schliesslich in einem feier- lichen Palaver geschlichtet. Luändschili hatte Faustpfänder. Lubü ver- stand sich dazu, Busse zu zahlen, und erhielt die Unglücksjungfer nebst den Befreiungsweibern ausgeliefert. — Ein anderes bezeichnendes Fetischpalaver hatte sich vor dieser Zeit in unserem Gebiete von Tschintschötscho abgespielt. Die Bawümbu von Makäya waren mit Leuten von Tschiloängo uneins geworden wegen einer über den Fluss verhängten Handelssperre, wodurch sie grossen Schaden erlitten haben wollten. Dazu kam, dass sie, von jeher fleissige Salzsieder, erbost waren, weil die T'schiloängoleute sich ebenfalls der lohnenden Be- schäftigung zugewandt hatten. Sie behaupteten, ihr Lagunenwasser gäbe nicht mehr so viel Salz wie ehedem, und was sie gewönnen, wäre schmutzig und zerflösse immer wieder. Alles das sollte die Gegenpartei mit schlimmen Mitteln bewerkstelligt haben. Da die Anklagen der Bawümbu fruchtlos blieben, weil man keine Pfändlinge hatte, unternahmen es einige verwegene Burschen von Makäya, dem Feinde den Fetisch Mpinda, eine in einem Kübel stehende Büste in dreiviertel Lebensgrösse, der den Flusshandel behütete, zu rauben. Sie ruderten eines Nachts über die flussähnliche, mit Maneroven 376 Fetischgeschichten. bewachsene Lagune und bemächtigten sich des unfern vom Südende auf- gestellten Mpinda. Auf demselben Wege brachten sie ihn nach Makaya und von dort weiter landeinwärts zu Handelsfreunden. Damit hatten sie ein Faustpfand gewonnen, vermöge dessen sie ein Palaver erzwangen und günstig für sich abschlossen. Das war indessen nur das Vorspiel zu einer neuen Verwicklung, die sich jahrelang hinzog und auch zu unserer Zeit noch nicht ausgetragen war. Die Leute von Tschiloängo, die ihren lieben Fetisch Mpinda durch erhebliche Opfer an Gütern hatten einlösen müssen, beschuldigten jetzt die Leute von Makäya, ihr Zauberbild beleidigt und geschwächt zu haben, und machten auch die Bewohner von Vinya dafür verantwortlich, weil er durch ihr dazwischenliegendes Gebiet geschafft worden war. Mpinda hat nämlich ausser anderen Eigenheiten auch einen Abscheu vor Wasser- fahrten und besonders vor der Berührung mit Salzwasser. Denn Mpinda ist nur ein Nachfolger oder Kind; der Urfetisch wurde vom Meere fort- geschwemmt. Nun sollten die Räuber aus reiner Niedertracht den armen Fetisch mehrmals gründlich in die Lagune getaucht haben. Sie bestritten das zwar, aber die Folgen bewiesen unwiderleglich ihr böses Tun: Mpindas Kraft war dahin. Man hatte kein Glück mehr am Tschiloängo. Streitig- keiten und Verkehrssperren, die stromaufwärts an der Tagesordnung waren, brachten empfindliche Verluste. Zuletzt war noch ein schwer mit Kautschuk beladener Kahn in unerhörter Weise verunglückt. Die Boots- leute hatten, um an Land und in ein Dorf zu gehen, ihn zwischen Mangrovenwurzeln befestigt. Da war die Flut gekommen, hatte das Fahrzeug schräg zwischen das Gewurzel geklemmt, gefüllt, und den grössten Teil der Ladung fortgespült. Solches Missgeschick konnten nur die zauberkundigen Gegner verschuldet haben. So schrieen die Geschädigten wider die Makäyaleute. Dabei hatte es vorläufig sein Bewenden. Denn die Bezichtigten hüteten sich, die Erde der Tschiloängoleute zu betreten, die selbst wieder weite Umwege einschlugen oder die schmalen Küsten- streifen der gegnerischen Dörfer bloss verstohlen und im Laufschritt am Strande durchmassen. Der Anschlag der listigen Salzsieder von Makäya, des Gottespfades nicht achtend, eine längs des Meeres an unserem Gehöft vorüber heim- kehrende Karawane von Tschiloängoleuten abzufangen, oder wenigstens einige ihrer Lasten zu erbeuten, wurde in komischer Weise vereitelt. Und zwar geschah das durch unsere Jungen, die, auf die Jagd ge- schickt, unabsichtlich durch einige hinter dem Strandwall abgegebene Schüsse warnten. Die Bedrohten stutzten, wendeten rechtzeitig, er- reichten im Wettlauf mit den verfrüht vorbrechenden Gegnern den schützenden Strand unterhalb unserer Station und brachten ihre Güter in Sicherheit. — Erwerbsfetische. St In Yümba hatte ein Faktorist einen Gemeindefetisch erbeutet, der unter anderem auch für das Handelsglück zu sorgen hatte. Über dessen Rückgabe begannen Verhandlungen, denen ich beiwohnte. Der Fetisch, eine rote Lade mit Klappdeckel, etwa von der doppelten Grösse einer gewöhnlichen Zigarrenkiste, war zur Hälfte. mit allerlei Zauberkram, mit Päckchen, Beutelchen und Bündelchen, mit giftigen Mbünduwurzeln und anderem Zubehör gefüllt. Der Händler, dem ein nicht geringer Verlust an Gütern zugefügt worden war, forderte vollen Ersatz und erhielt im Palaver ein tüchtiges Gewicht Kautschuk zugesagt. Darauf lieferte er den Fetisch aus, der bei Beschaffung des Kautschuks helfen sollte. Nachdem die Dorfleute mir die beim Hexengericht benutzten Mbünduwurzeln überlassen hatten, zogen sie fröhlich mit ihrer Bundes- lade und der unvermeidlichen Gabe von Rum ab. Schon wenige Tage später beglichen sie ihre Schuld. — Eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Bedeutung haben die Erwerbsfetische. Wie schon angeführt, dürfen wir sie als Hauptfetische oder Fetische ersten Ranges ansehen. Wie wir bereits wissen, sind es Zauberstücke, die nicht den ein- seitigen Wünschen und Zwecken der Personen, der Familien, der Ge- meinden, sondern dem allgemeinen Besten dienen. Sie wirken als Orakel und Heilfetische oder als Gerichtsfetische. Aber, und das ist wieuerum wichtig, auch sie alle sind nur Fachfetische, Spezialisten, und sie alle wirken nur auf Antrag zahlender Parteien. Um ihrer oft _bewährten Kräfte willen, worüber Wundergeschichten umlaufen, können sie ein erstaunliches Ansehen geniessen und weithin im Lande berühmt sein. Es sind ihrer nicht viele. Je nachdem man die Grenzen zieht, viel- leicht vierzig bis fünfzig, wenn die sogenannten Kinder von meistens menschenähnlichen Stücken nicht mitgezählt werden. Ihre Macht ist nämlich eine vergängliche Grösse, wandelbar wie die öffentliche Meinung. Altberühmte verlieren, neue gewinnen an Ansehen und Zuspruch. Sie haben ihre Schicksale wie ihre Verfertiger und Besitzer. Von manchen, die einst hoch geschätzt wurden, berichtet bloss noch die Überlieferung. Man weiss nicht einmal, wo sie geblieben sind. Von etlichen kennt man das Ende besser. Die vornehmsten der Fetische ersten Ranges haben namentlich als Gerichtsfetische einen bedeutsamen Wert für grosse Gebiete. Sie dienen sowohl zur Verhütung als auch zur Enthüllung und Bestrafung von Ver- brechen, deren Planer und Urheber der Scharfsinn der Menschen nicht auszuspüren vermag. Als Wahrer der öffentlichen Sicherheit, der Sitt- lichkeit, der gesellschaftlichen Ordnung, als Rächer von Freveltaten sind sie gewissermassen automatische Staatsanwälte, Polizeimeister und Scharf- richter zugleich, die losarbeiten, sobald Zahlung und Aufmunterung ihre 378 Gerichtsfetische. Kräfte auslöst, gehören manchmal einer Person oder einer Familie, meistens jedoch Zaubergenossenschaften, in die man sich einkaufen kann. Bei manchen müssen alle Mitbesitzer oder doch die verantwortlichen Ältesten die für Erhaltung der Fetischkraft nötigen Vorschriften befolgen. Bei anderen sind nur die Besitzer, Hüter und Beschwörer verpflichtet, Verhaltungsmassregeln zu beobachten. Die strengsten Anforderungen treten meistens nur dann in Kraft, wenn sehr wichtige Handlungen vor- zunehmen sind. Wie wenig aber die Bangänga selbst in ihren persön- lichen Angelegenheiten allseitigen Schutz und Förderung von ihren eigenen Hauptfetischen erwarten, bekundet sich dadurch, dass sie stets nebenbei noch eifrig ihre Privatfetische verwenden, auch dann, wenn sie mit dem Hauptfetisch zaubern, weil selbst der immer nur ein Spezialist ist. Ihrer Wichtigkeit entsprechend sind die Fetische ersten Ranges ge- wöhnlich grösser als die anderen, falls sie aus Holz geschnitzt sind, Manche Gerichtsfetische, durchaus nicht die meisten, haben Menschen- gestalt und dann ein Drittel bis ein Halb der natürlichen Grösse. Als dingbare Verfolger von Übeltätern drohen sie mit einem gezückten Dolch oder mit einer Lanzenspitze, mit einem Buschmesser. Andere grosse (erichtsfetische sind unbewaffnete Tiergestalten: Flusspferde mit Köpfen an beiden Enden, Leoparden, Krokodile, sogar doppelköpfige Affen. Die meisten aber stellen weder Menschen noch Tiere vor, sondern wirken als Holzblöcke, Erdklumpen, Rindenbündel, Kasten, Töpfe, Kübel, Säcke, Körbe. Das Menschenähnliche des Äusseren ist auch bei Gerichtsfetischen durchaus nicht die Hauptsache, vielmehr ist das Ngilingili alles, natürlich ausser dem Glauben an die Kraft des Stückes, den die Menge haben muss. Ein Gerichtsfetisch von T'schilünga, Mkissi T'schimpüku, der in den benachbarten Küstengebieten als der hervorragendste gilt, ist ein recht schmuddeliger, aus Blattstreifen des Pandanus geflochtener, an einem Gabelpfahle baumelnder Beutel. Sein Nebenbuhler weiter landeinwärts in Mbüku, Mkissi Mpüsu, der neben einem Kinde vom Mkissi Maläsi, einem doppelköpfigen Hippopotamus wirkt, ist ein länglich viereckiger, schön aus bunten Blattrippen der Ölpalme geflochtener Korb mit Stülp- deckel, der auf einer Hitsche ruht. Der gefürchtetste von Yümba, Mkissi Mböyo zu Mambi, besteht aus einem auf dreibeinigem Bockgestell ruhenden Deckeltopf. Der mächtigste im Königsgau, Mkissi Mpängu, ist ein mit eiserner Kette umwundener Holzklotz. Alle diese und andere haben ein Regendach oder ein vorn offenes Hüttchen oder stehen in den Be- hausungen ihrer Meister. Hauptfetische, die nicht nach lebenden Vor- bildern hergestellt sind, wären noch in ziemlicher Anzahl zu nennen, vor- nehmlich aus den nördlichen und inneren Landschaften unseres Gebietes. Wie später genauer auszuführen sein wird, haben zu den Fetischen in Menschengestalt wahrscheinlich die heiligen Bildwerke der alten Gerichtsfetische. 379 Missionare im Süden angeregt. Davon oder dazu kam die Neigung von Angehörigen grosser Zaubererschulen, recht erfolgreiche und weithin berühmt gewordene Genossen aus ihrer Mitte durch Ehrenfetische auszu- zeichnen, so, wie wohlhabende Familien zu Ehren eines Mitgliedes, eines glücklichen Ereignisses einen Fetisch anfertigen lassen. Die Schüler bildeten ihren Obermeister in Holz nach, versahen das Schnitzwerk mit Kraftstoff und gaben ihm den Namen des Vorbildes. Vielleicht liessen sie den Obermeister selbst das Hauptwerk verrichten, um seinen Vertreter zu Lebzeiten wie nach dem Tode bei Zaubereien zu verwenden. Der Nutzen leuchtet ein. Mehrere menschenähnliche Hauptfetische, wenn nicht die meisten oder alle, sind ursprünglich sicherlich Ehrenfetische, Vertreter, gleichsam Denkmäler grosser Zauberer und Ärzte gewesen und bewahren deren Namen, wurden sogar schon zu deren Lebzeiten aufgestellt, als gewinn- bringende Schreck-, Mahn- und Heilbilder. Als Ahnenbilder können solche Erwerbsfetische nicht gelten. Da erschien denn bald der Ngänga selbst, bald nur sein Abbild mit Beauftragten, wohl auch ein Vermummter statt der Hauptperson, wie es noch heute geschieht und nicht gleich als Beweis eines Geheimbundes genommen werden darf. Damit dürfte teilweise auch die Pluralbildung bakissi statt simkissi zu- sammenhängen. Ehrenfetische, Abbilder, Denkmäler, hauptsächlich aber bis in die Neuzeit wirksame Vertreter verstorbener berühmter Bangänga, mit denen viel geleistet und verdient wurde, sind oder waren die Gerichtsfetische Matäli, Mavüngo, Tschitölo, Mabiäla ma nd&mba, Lipämba und andere mehr. An ihnen hing die Überlieferung, die stets die beste Reklame ist. So war der noch weiter zu behandelnde Frauenfetisch Mpemba, der bis vor etwas mehr als einem Menschenalter bei Lubü Wunderkuren ver- richtete, das Abbild einer vortrefflichen Hebamme im Königsgau, und . sein heilkräftiges Bastgewand soll das Kleid der weisen Frau gewesen sein. Der Brauch, solche lohnende Vertreter aufzustellen, war noch zu unserer Zeit im Schwange. Wurde doch ein Holzbild vom Ngänga Nsäu hergerichtet, der damals das Ansehen als der hervorragendste Gelehrte und Heilkünstler im Gebiete genoss. Fetische in Tiergestalt dürften gleich denen in Menschengestalt vielfach Konterfeis gewesen sein. Dahin deuten alle Angaben der Gewährsleute. Irgendein gefährliches Tier richtete Schaden an. Darauf wurde nach der Lehre: Gleiches gegen Gleiches, ein Abbild von ihm als Bann- und Schreckmittel hergerichtet, womit die Meister das böse Tier, das ein Werwolf sein oder von einer Hexe angestiftet sein mochte, ver- trieben oder dermassen verwirrten, dass es getötet werden konnte. Nach- her wurde möglicherweise das bewährte Bild, um sein gewonnenes 380 Doppelgänger oder Kinder. Ansehen anderweitig zu verwerten, mit einem anderen Kraftstoff aus- gestattet und diente anderem Zwecke. In der Regel sind menschen- oder tierähnlich gebildete grosse Fetische aus weichem Holze geschnitten. Da viele nach Bedarf herumgetragen werden, leiden sie durch Abnutzung, und die Menschenfiguren, die man zu benageln pflegt, bieten schliesslich keinen Platz melir zum Einschlagen von Eisenstiften. Alsdann fertigen die Besitzer, besonders von menschen- ähnlichen Stücken, Doppelgänger in ganzer Gestalt oder als Büsten an, von recht angesehenen vielleicht in grösserem Massstabe. Das jüngere Holzbild bleibt lange Zeit neben dem älteren und wird kunstgerecht behandelt, bis die volle Kraft des alten darauf übergegangen ist, richtiger, bis das Volk es glaubt. Nachher zaubert man mit dem neuen Fetisch und lässt den alten daheim oder man verwendet beide an verschiedenen Stellen zugleich. Ein solcher Doppelgänger heisst Kind des Urfetisches. Ebenso werden Nachbildungen bezeichnet, die man für zahlungsfähige Besteller in entlegenen Gebieten anfertigt, unter der Bedingung, dass sie mit dem Kinde nur bei sich daheim zaubern dürfen. Denn die eigenen, manch- mal recht beträchtlichen Einkünfte will man natürlich nicht geschmälert wissen. Selbstverständlich müssen die Erwerber des Doppelgängers, und zwar ebenfalls gegen Entgelt, alle für die Behandlung des Fetisches not- wendigen Bräuche und Kunstgriffe sowie die Vorschriften erlernen, ohne deren Befolgung die Zauberkräfte nicht wirken. Das Abgeben von Nachbildungen der Urfetische hat mehrfach zu Misshelligkeiten innerhalb der Zunft geführt. Dergleichen Vorfälle bieten der Spottlust und dem Dorfklatsch willkommene Nahrung und sind keineswegs geeignet, das Ansehen der Meister sowie ihrer Fetische zu heben. Ist es doch vorgekommen, dass Ahne und Kind, von Parteien für und wider die nämliche Angelegenheit gesetzt, mit aller Kraft gegen- einander gearbeitet haben. Weil man das zu spät erfuhr, soll schliesslich manche grossartig veranstaltete Zauberei in nichts verlaufen sein oder, wie auch behauptet wird, mit bösem Unfrieden der genarrten Beschwörer seendet haben. Über dergleichen Vorkommnisse laufen mancherlei phantasievoll aus- seschmückte Geschichten um. Hier eine davon, die an dem auf Seite 280 erwähnten Mkissi Bünssi von Lusinda haftet. Er gilt daselbst, weil er mehrfache Kräfte hat, als einer der mächtigsten Regenspender, genauer wohl als ein Lenker des den Regen bringenden Windes, und weithin im Lande als ein unfehlbares Orakel in Palaversachen, dessen Ansehen aller- dings schon zu schwinden begann. Vorgezeigt wird er nicht. Die ihn Befragenden, müssen sich nüchtern, in neuen Gewändern, mit wagerecht vorgestreckten Händen und gespreizten Fingern nahen. Auch müssen sie £) Schicksale von Fetischen. 381 niederhocken, und können auf Erhörung nur hoffen, wenn sie sich drei Tage lang des Weibes und Schnapses enthielten. Diesen Besuchern tut er seine Meinung durch den Mund seines Ngänga kund, der als Ma Sinda zugleich Dorfherr ist. Von Bünssi, dem Regenspender, gibt es drei Kinder: Lunssünssu, Lünga und Vömba, die an anderen Orten, in Ngöyo und Kaköngo, wie ihr Vater wirken, es ihm aber bei weitem nicht gleichtun können. So behaupten wenigstens der Ma Sinda und seine Leute, während die Be- sitzer der Kinder entgegengesetzter Meinung sind. Bünssi hatte noch einen Abkömmling, Tschimbinkönye, der sollte irgendwohin nach Loängo übertragen werden. Aber die Leute verstanden ihn nicht zu behandeln oder machten sonst welche Dummheiten, kurzum, der teure Fetisch hat seinen Bestimmungsort niemals erreicht. Ein Kabindamann fragt wohl heute noch Loängoleute arglistig, ob sie ihren Tschimbinkenye noch nicht wieder erwischt hätten. So äussert sich der Volkswitz, der sich gern am Schnurrigen, an mutwilligen Hänseleien ergötzt. Auch wird erzählt, wozu der Name, Sternschnuppe, Anlass gegeben haben mag, T'schimbinkönye sei seinen Trägern ausgerissen und in die Wolken oder in den Himmel gefahren. Dort treibe er allerhand Unfug, hantiere auf eigene Faust mit Wolken, Regen, Blitz und anderen Himmelserscheinungen, was die Loängoleute wieder nicht Wort haben wollen. Vorsichtige und selbstbewusste Meister weigern sich aus nahe liegenden Gründen, Kinder von ihren Hauptfetischen aus der Hand zu geben. Doch benutzen sie für den eigenen Gebrauch kleinere Nachbildungen, die sie bei weniger wichtigen Anlässen statt des schweren Hauptstückes zur Dienstleistung in entlegene Gegenden schaffen. Sie scheuen es, das kost- bare Urstück den Gefahren einer weiten Reise auszusetzen. Denn ein angesehener Fetisch kann, wie wir schon wissen, sowohl eine gute Kriegs- beute als auch ein wertvolles Pfand für Gläubiger sein. Während der Verhandlungen über seine Einlösung stocken die Einkünfte. Zudem mag er von natürlichen Unglücksfällen betroffen werden. So geschah es etwa zu Ende der fünfziger Jahre dem einer Genossen- schaft m Kaköngo gehörigen Urbilde des als Diebfinder weit und breit berühmten Fetisches Mabiäla ma ndemba. Ihn hatte man nebst anderen zu einer grossen Beschwörung nach dem Königsgau berufen. Beim Über- setzen der Mündung des Lu&me fasste der Kahn Wasser und schlug um. Den schweren, eisengespickten Fetisch konnten weder die eigenen Kräfte noch die Künste seiner Beschwörer retten: er versank in den reissenden Gewässern und ersoffl. Seitdem vertritt ihn ein auch schon wieder voll- auf benageltes Kind (Abbildung Seite 347), für das ebenfalls ein kleines Ersatzstück, eine Büste vorhanden ist. Den Nachfolger bringen aber die Besitzer höchst ungern übers Wasser, was ja erklärlich ist. 3823 Mabiala. ‘Marämba, Wegen des Unglücksfalles haben damals die Bangänga heftig wider die T'schibönaleute am Ludcme geklagt, weil deren eifersüchtige Zauberer den Urfetisch durch ihre Künste ertränkt haben sollten. Dafür konnte natürlich der Mabiäla nichts, denn er war fürs Diebfinden, nicht fürs Schwimmen gemacht. Auch andere Fetische ersten Ranges haben, wie bereits bemerkt, allerlei Schicksale erlitten, und manche sind gänzlich verschollen, so dass wir nur in alten Berichten der Europäer von ihnen hören. Battell erzählt von Fetischen, die vor drei Jahrhunderten eine grosse Rolle spielten, von denen aber schon Dappers Gewährsleute, bis höchstens zwei Menschenalter später, nur noch einen einzigen erwähnen. Battell beschreibt den Hauptfetisch des „Königs“ von Yumba, dessen Zeichen stets vor dem Ma Yümba hergetragen wurde. Der Fetisch, der bald Morumba bald Maramba heisst, bestand aus einem wie eine Bienen- haube geformten Korbe und war weit über die Grenzen der Landschaft hinaus berühmt. Seine Aufgabe war, Mörder und Hexen zu entdecken und zu bestrafen. Wer einer Freveltat beschuldigt wurde, der ging zum Fetisch und umschlang ihn knieend mit den Armen, indem er ausrief, dass er komme, gerichtet zu werden. Wer schuldig war, der „fiel sofort um, steif und todt für immer. Und selbst wenn er vor zwanzig Jahren schon Mann oder Kind umbrachte, er stirbt.“ Laut Bericht hielt sich Battell volle zwölf Monate an dem Platze auf und sah viele auf diese Weise sterben. An anderer Stelle nennen die Aufschreiber seiner Er- zählungen freilich bloss sechs oder sieben Personen, die während seiner Anwesenheit die Kräfte des Maramba erprobten. Von diesem einst so mächtigen Fetisch war nirgendswo mehr in Yümba Kunde zu erbringen. Er ist yerschwunden und vergessen. Statt seiner wirkt jetzt Mkissi Mböyo, ein Topf auf dreibeinigem Bockgestell. Nicht anders verhält es sich mit Gombiri, der am Landungsplatze der Loängobai bewahrt wurde, und vom dem Battell berichtet, was bereits auf Seite 315 wiedergegeben worden ist. Nur über den ebenfalls von ihm beschriebenen Checocke (Tschiköko) finden sich noch einmal Nach- richten bei Dapper, der ihn Kikokoo nennt. Dapper erzählt über die Abenteuer dieses Fetisches: „Es hat sich vor diesem begeben, dass etliche Bohtsgesellen von einem Portugallischen Schiffe, das nach Loango fuhr, den Kikokoo des Nachtes aus seinem Häuslein gestohlen, auch auf ihr Schif gebracht, und ihn, unterwegs einen Arm, samt dem Kopfe, abgezogen. Aber weil sie darnach wieder nach Loango musten, und dahin nicht kommen durften, wo sie den Kikokoo nicht wieder brächten; so nagelten sie seinen Kopf und den Arm wieder an den Rumpf, und trugen ihn des Nachts in aller stille in sein Häus- lein. Des andern Tages entstund unter den Schwartzen ein Gerüchte, Tschiköko. Mänsi. 383 welches der Ganga ausgestreuet, das Kikokoo in Portugal gewesen, und ein Schif mit Kaufwahren gehohlet. Kurtz darnach verunglückte ein Portugallisches Schiflein auf einer Steinribbe vor Loango. Darüber rieffen sie überlaut, dass Kikokoo dieses Schiflein zerbrochen, weil die Portugallier ihm einen Nagel in den Kopf geschlagen. Also wissen sie ihnen alle Begäbnüsse zu nütze zu machen, ihrer Mkisien Ehre zu be- wahren, und die Glücksfälle zu misbrauchen, zur Befestigung ihres Irr- thums.“ Als ob das nur die Bafıöti täten! Wie über den Maramba in. Yumba war nichts über den Gombiri und Kikokoo in Loängo zu erfahren, obgleich gerade diese beiden dem Ma Loängo als Haupt- und Staatsfetische dienten. Auch die Ortschaft Kenga oder Kinga, wo sie einstmals aufbewahrt wurden, ist verschwunden. Was in neuerer Zeit, innerhalb Menschengedenkens Fetischen ersten Ranges zugestossen ist, wie sie, zu hohem Ansehen gelangt, für einige Zeit eine bedeutende Rolle spielten und dann vom Schauplatze ver- schwanden, darüber wussten die Eingeborenen allerlei zu berichten. Sie hatten es teilweise mit erlebt. Derartige Erzählungen sind überaus be- zeichnend für das Wesen des Fetischismus und für die Auffassung der Gläubigen. Auch sind sie geeignet, aufzuklären über das Treiben von Geheimbünden und über den Ursprung von geistigen, durch Propheten eingeleiteten Bewegungen, von Psychosen, die ich als religiöse Erweckungen bezeichnet habe. Nördlich vom Kuilu, das Gebiet des Nänga umfassend, dehnt sich bis in das bergige Waldland die wasserreiche Landschaft Mbüku, vormals eine der wichtigen Provinzen des Reiches. Daselbst hauste an einem See — von uns bei der ersten Befahrung Güssfeldtsee genannt — eine Genossenschaft von Bangänga, die Erstaunliches in Zauberkünsten leistete. Kein Gespenst vermochte ihnen zu widerstehen, auch die zudringlichsten Seelen wussten sie zu meistern, und wo sie zu Hilfe eilten, da wichen Krankheiten, da wurde das Hexenwesen ausgerottet. Die Zauberer be- sassen unter anderen einen Fetisch Mänsi, von einer Macht, wie es ın Loängo noch nicht gegeben hatte. Dieser Mänsi — mänsi: Fett, Feist — war in Gestalt eines Manatus aus Holz geschnitzt und doppelt so lang wie ein Mann klaftern kann. Er wurde nicht herumgetragen, sondern ruhte unverrückbar auf einer im Wasser errichteten überdachten Platt- form. Wer seiner bedurfte, musste sich zu ihm bemühen. Vor allen Fetischen der Loängoküste war er dadurch ausgezeichnet, dass er auf einem Pfahlbau im See orakelte, sodann, dass er aus seinem Bauche mit mächtiger Stimme redete. In den vierziger und fünfziger Jahren muss der Zulauf zum Mänsi am grössten gewesen sein. Damals ist sozusagen alle Welt zu ihm ge- pilgert, um sich raten oder richten zu lassen. Neben anderen Gebräuchen 384 Mansi. war die Hauptsache, dass jeder, der Mänsis Kraft erproben wollte, zwischen dichten Hürden mit erhobenen Armen im Wasser zu ihm hinaus waten musste, bis es ihm an den Hals reichte. Alsdann rief er den Fetisch an, und hörte, was er wissen mochte. Die Hexenprobe kam hier nicht mit Gift zum Austrag. Der Verdächtigte watete vielmehr zu Mänsi und schrie dreimal, dass er komme, gerichtet zu werden. Der Unschuldige vermochte unversehrt wieder das Ufer zu gewinnen. Der Schuldige verschwand im Wasser und ward nicht mehr gesehen. Die Menschen waren abermals von einem Ndödschi befreit.”) Die einträgliche Zauberwirtschaft nahm ein jähes Ende, und zwar muss das in der Regenzeit 1860—1861 gewesen sein. Denn gerade zu der Zeit, vielleicht sogar infolge des Ereignisses, das ungeheures Aufsehen erregte, wurde wohl etwas zu früh die bereits erwähnte, als Schönheit sefeierte Fürstin T'schibila von Mbüku geboren, die eben deswegen ihren Namen erhielt. Tschibila: Grund, Ursache, Zusammenhang, bedingt auch: weil. Eines Tages gab es keinen Mänsi und kein Zaubergehöft mehr. Wie sich das zutrug, wird in verschiedener Weise erzählt. Bei einem schweren Gewitter wäre unter Sturm und Blitz der Fetisch nebst allem Zubehör, samt seinen Besitzern vom Erdboden verschwunden. Eine Herde Fluss- pferde hätte eines Nachts das ganze Werk nebst Anwesen zertrümmert. Eine grosse Flut, vielleicht ein Wolkenbruch, hätte alles vernichtet. Andere brachten das Ereignis in Verbindung mit einer gespenstischen Karawane, die damals im Lande gesehen wurde und deren Erscheinen ein krankhaftes, geradezu Wahnsinn erregendes Entsetzen verbreitete, einen Schrecken, der in der Leidenszeit der siebziger Jahre abermals auftauchte. Die richtige Erklärung dürfte die sein, die Fürstin Tschibila und ihre ältere Base, Fürstin Nsoami von Tschilünga gaben. Sie meinten, eine Rotte böser Leute aus dem Waldlande hätte das Gehöft der Zau- berer überfallen und ausgeplündert, den Mänsi aber nebst Behausung *) Einen ähnlich eingerichteten, im ganzen Nigerdelta berufenen Orakelplatz: Tschuüku oder oru Tschubihäama — öru: Zauber, Orakel — gab es noch vor drei Jahr- zehnten in einem Altwasser des Niger, auf der Beninseite, im Gebiete Tschubihama. John Jumbo, der in England erzogene Sohn Uku Tschumbus, des grossen Bönnyhäupt- lings und Händlers, — desselben Mannes, der mir zuerst von den Beninbronzen berichtete, auch ein schönes Stück davon besass — erzählte mir, das Orakel bestünde aus einem auf einem Schilfinselehen stehenden Pfahlbau mit einer Art Altar, wie im sogenannten Tschütschuhause (Schädel- und Zauberhaus, ikuba nönga, öru, zu Bönny, das ich damals (1874) noch in all seinem grausigen Schmuck gesehen und gemalt habe). Tschuuku wäre eine schlau ersonnene Menschenfalle. Für gewöhnlich antwortete von drüben eine Stimme auf Fragen. Wer aber auf Verlangen hinüber watete, kehrte häufig nicht zurück. Ge- knebelt würde er als Sklave nach Benin verhandelt. Von einigen nachmals Entsprungenen wäre der Schwindel verraten worden. Mpemba. 385 zerschlagen, verschleppt und verbrannt. Es wurden viele Leichen ge- funden. Jedenfalls war und blieb Mkissi Mänsi verschwunden. Jahre danach, zu unserer Zeit, begann sich aus diesem Ereignis ein überaus bezeichnendes Nachspiel zu entwickeln, das weiter unten im Zusammen- hang mit anderen Begebenheiten geschildert werden soll. Harmloser als Mänsi, aber ungefähr um die nämliche Zeit, trieb es der einst ebenfalls hochgerühmte Mkissi Mp&emba, der Vertreter der aus- gezeichneten Hebamme im Königsgau. Über seine Leistungen, Geschick und Ende wird Lustigeres berichtet. Unfern vom sagenumwobenen Lubü und nahe der Stelle, wo das auf Seite 166 beschriebene Holzbild des Elefanten mit Reiter im Grase rottet, erhob sich einst ein geräumiges festes Bauwerk. Darin hauste, heilte und orakelte der von Frauen aus Lubü bediente Fetisch, der, in Gestalt eines Weibes mit strotzenden, von den Händen gehaltenen Brüsten dargestellt, im unzähligen kleinen Nachbildungen noch jetzt dem schwächeren Geschlechte unentbehrlich ist. Mkissi Mpemba war nämlich ein unübertrefflicher Gynäkologe, dessen Beratungstage in die Zeit des wachsenden Mondes fielen. In der zweiten Hälfte des Monates, bei abnehmendem Monde, ruhte er sich aus oder sammelte neue Kräfte. Während der paar mondlosen Tage war er unzugänglich. Seine Wohnstätte blieb geschlossen. Mpembas Ansehen ist überaus gross gewesen. Sein Ruhm drang in alle Landschaften. Er hatte grossen Zulauf von Frauen und Mäd- chen, die sogar aus dem Waldlande und noch weiter aus dem Inneren zu ihm gepilgert sein sollen. Es muss damals wunderlich genug in der Behausung und ringsum in der Campine zugegangen sein, wo eine Art Klinik nach dem Barackensystem bestanden zu haben scheint. Da luden Hüttchen zum Verweilen ein, die von Eheleuten für ihren Wünschen ebenso förderliche Orte gehalten wurden wie einstens von frommen Pilgern die heiligsten Stätten zu Jerusalem, wo sich bis zur Gegenwart geschulte Diener Gottes, nicht etwa Wilde, zu prügeln pflegen. Die Hauptrolle bei der gynäkologischen Behandlung in der Fetisch- bude spielte Mpembas Gewand und ausserdem eine Planke, die abschüssig durch eine Luke ins Freie zur Erde führte. Was sich sonst im Inneren vor dem Fetisch begab, ist Geheimnis geblieben. Denn hineim gelangten nur Mädchen und Frauen, die einen braven Mann haben wollten, die ihrer Leiden ledig werden wollten, die sich nach Mutterfreuden sehnten, die ihre Stunde glücklich zu überstehen wünschten. Ihnen wurde das Bastgewand des Fetisches umgetan oder auf den Leib gelegt. Dann mussten sie, die durch die Türe eingetreten waren, mit dem enthlössten Sitztele auf der Planke rutschend durch die Luke Loango. 25 386 Mpemba. hinausfahren, nach mehrerlei Angaben nicht bloss einmal, sondern drei- oder siebenmal.*) Der grosse Gynäkologe praktiziert nicht mehr. Ruchlose Männer aus Luändschili, die den historisch berechtigten Groll gegen die Weiber von Lubü hegen, sollen Mpemba während der mondlosen Zeit, wo die Bude geschlossen blieb, geraubt, verbrannt oder ins Innere verschleppt oder in einem tiefen Erdriss verschüttet haben. Nach einem anderen (Gerücht hätten Männer von Lubü selbst die schlechte Tat begangen, weil ihnen das einträgliche Treiben und der Machtzuwachs der Dorf- genossinnen bedenklich geworden wäre. Mit Mpömba verschwand Planke, (Glaube, Kundschaft. Die Wunderstätte hat abgewirtschaftet. Von Gras- bränden arg mitgenommene Bretterreste und Pfostenstümpfe bezeichneten zu unserer Zeit den einst so belebten Platz, wo übrigens die Lubuense- rinnen noch immer geheime Zusammenkünfte abhalten sollten. Es schwebte noch ein Hauch ruhmreicher Vergangenheit um die verkohlten Hölzer. Wer kann wissen, ob Mpemba nicht wieder aufgefunden oder erneuert und die Rutschbahn eines schönen Tages wieder aufgestellt wird? Meine lebendige Chronik, Maböma Vinga, der Hüter der Fürstengräber, der nun auch schon zur Erde gegangen ist, hob die Augenbrauen und verzog verständnisinnig den Mund. Was will er machen, wenn Weiber von Lubü wieder den Gedanken fassen, dass Schwestern in Nöten geholfen werden müsse ? Mpömbas Unglück und Ende war ein Gewinn für den auch von Frauen bedienten Fetisch Mbinda von Buluängo. Der behandelt einfacher. Er steht in Gestalt einer fast lebensgrossen Büste in einem auf vier niedrigen Pfählen ruhenden halben Fasse, und zwar unter einem offenen Schuppen in einem lieblichen Ölpalmenhaine. Mbinda hat ebenfalls Be- ziehunsen zum Monde, stiftet Ehen, heilt Frauenleiden, kann aber Männer, Weiberhaare, Tabakrauch, Schnaps und Wasser nicht ausstehen, wonach alle sich richten müssen, die seiner bedürfen oder einen Rat aus dem Munde seiner Hüterinnen hören wollen. Hierzu müssen sich Mädchen und Frauen allüber glatt rasiert, splitternackt, die Hände im Nacken verschränkt, rückwärts schreitend dem Fasse nahen. So erhalten sie ihren Bescheid, werden schön rot und weiss bemalt, und mit einem Klaps auf den Bauch, sowie mit einem Schub gegen die Kehrseite abgefertigt. Was auch hinter ihnen geschehe, umschauen dürfen sie sich nicht, sonst ist die Behandlung verfehlt und muss an einem anderen Tage wiederholt werden. So wurde berichtet. *) Gedacht sei der Rutschfelsen mit glatt geschliffenen Bahnen der Frauen von Athen, von Chaeronea und des Sandhügels unfeın von Assuan, an dessen Hängen Lei- dende sich hinunterkollern, ferner des Kunigundenmantels im Dome zu Merseburg. Mangössu. 887 Mbinda ist es auch schon einmal übel ergangen. Er wurde von schlechten Menschen entführt und ins Meer geworfen, ins Salzwasser, das ihm ein Ekel ist. Bei Pontanegra spülte ihn die Brandung an den Strand. Die Weiber haben ihn schleunigst in seinen Palmenhain zurück- geschafft und neu hergerichtet. Zum Glück hat die unfreiwillige Schwimm- fahrt den Glauben an seine Kraft nicht erschüttert. Ein anderes vielberufenes, aber ziemlich unstätes Orakel war der in halber Mannesgrösse geschnitzte Mkissi Mangössu. Wie sein Name be- sagt, etwa Herr des Geschäftes — lungössu: Handel, Verkehr — gibt er Auskunft denen, die Unternehmungen planen: einen Handelszug, Tausch, Kauf, ein Palaver, einen Prozess, eine Heirat. Seine Meinung verkündet er in eigenartiger Weise. Sein Kopf trägt einen Dornenkranz und ist oben mit einem wie eine Helmraupe von vorne nach hinten verlaufenden Wulste versehen. Darin stecken drei grosse Stacheln vom Stachelschwein. Wer sich gebührend vorbereitet hat und eine Frage beantwortet haben will, der zieht an den drei Stacheln. Aber den Fetisch darf er nicht zum Wackeln bringen. Je nachdem die Stacheln alle oder teilweise leicht oder schwer oder gar nicht aus dem Wulste gehen, ist der Ziehende vom Mangössu beraten. Ursprünglich wirkte dieser Fetisch unweit von Ntängumböte, in einem ausgedehnten, von einer Zaubergenossenschaft errichteten Gehöft, das neben dem bewundernswerten Feigenbaume (III 172) angelegt war. Dort hatte er viel Kundschaft. Es gab indessen Zerwürfnisse "mit dem Erdherren, mutmasslich wegen Teilung der Einkünfte. Der Fetisch wanderte aus nach dem überlieferungsreichen, Binkösse genannten Platze auf der südlichen Endstrecke des Luntämbi lu mbensa. Inso- fern war der Platz gut gewählt. Aber die Gegend ist öde, wasserarm und abgewirtschaftet. Die Dörfer liegen abseits, und im nächsten, in Winga, hausten damals andere Zauberer. Bald stockte der Besuch, und Mangössu stand in Gefahr, vergessen zu werden. Auch kam das Gerücht auf, dass es in der Gegend spuke, woran die Genossen von Winga gewiss nicht unschuldig waren. Nach einer Untat, die in der Nähe begangen wurde, nahm der Spuk über alle Massen zu. Ge- spenster trieben ihr Wesen um Binkösse und auf dem Luntämbi lu mbensa so arg, dass es weithin ruchbar wurde und die Eingeborenen die Gegend scheuten. Der Verkehr zog sich an Winga und Buluängo vorbei längs des Strandes hin. Die Zauberer von Binkösse waren matt gesetzt. Da musste denn Mangössu abermals auswandern. Nach mancherlei fruchtlosen Verhand- lungen gewährte ihm ein Dorfherr im Königsgau eine Stätte, er wurde dorthin übergeführt und orakelte noch im Jahre 1882 mit befriedigendem Erfolge in einem Dornhage unweit Tschingänga-mvümbi. — 25” 388 Eigenheiten von Fetischen. Wie wir schon wissen, dienen die Kräfte der Fetische vorbestimmten Zwecken. Aber die Wirkungsweise des Ngilingili wird durch rätselhafte Beziehungen zur Aussenwelt beeinflusst, am stärksten bei den grossen, namentlich bei den Erwerbsfetischen. Da diese für das Gemeinwohl wirken, ist es von grosser Bedeutung, ob ihre Kräfte sich jederzeit mit voller Spannung entladen, oder ob es mit dem Losgehen hapert und die Zaubereien misslingen. Deswegen sind die Eigenheiten und Absonderlich- keiten der Fetische ein sehr wichtiger Bestandteil des Systemes. Diese rätselhaften Beziehungen zur Aussenwelt, die die Kräfte er- halten und vielleicht vermehren oder stören und schwächen, zwingen die Bangänga, sorgsam darüber zu wachen, dass Nützliches befolgt, Schäd- liches vermieden werde. Es gibt eine Menge Vorschriften für das Han- tieren mit Fetischen, für ihre Pflege und Aufbewahrungsweise, die von den Zaubermeistern einem Tschina gleichgeachtet werden. Selbstver- ständlich gelten die verzwickten Regeln nicht gleichmässig für alle Fetische, sondern sind ebenso mannigfaltig wie diese selbst. Auch sollen die Regeln für Fetische ersten Ranges wenigstens teilweise von Leuten beachtet werden, die mit ihnen unmittelbar nichts zu tun haben, vornehmlich vor und während Zaubereien. Verfehlungen dagegen dienen dem Bangänga als Entschuldigung für Misserfolge. Der eine Hauptfetisch darf nie in einer geschlossenen Behausung stehen, sondern nur unter dem Vorbau der Hütte seiner Pfleger oder abseits unter einem Schattendache. Dem entgegen erhält der andere seinen Platz stets in der Hütte, vielleicht nahe am Feuer, das hell brennen oder schmauchen soll, nur mit gewissen Holzarten unterhalten oder zeit- weilig mit Kräutern zum Räuchern versorgt werden muss. Manche stehen, manche liegen oder hängen, wenn sie nicht gebraucht werden, auf blosser Erde, auf einer Matte, auf einem Gerüst, in einem Kübel. Etliche haben das Gesicht nach Aufgang, etliche nach Untergang der Sonne gerichtet; vielen ist die Himmelsgegend gleichgültig. Diese dürfen Sonne und Mond nicht bescheinen, jene nur der Mond nicht, manche sind stark bei zunehmendem, schwach bei abnehmendem, kraftlos bei fehlendem Mond. Andere müssen bestimmte Dinge stets in der Nähe haben, noch anderen sind allerlei Gegenstände, wie Holzarten, Früchte, europäische Waren, und Lebewesen, wie Schafe, Ziegen, Schweine, streng fernzuhalten. Manchen können Weiber nahen, manchen nicht; manchen sind Jungfrauen oder Schwangere oder Männer ein Greuel, und sie be- tätigen ihre Kräfte nie zu deren Gunsten. Auf Reisen sind die, die ihren Standort verlassen dürfen, verhüllt oder unverhüllt, in beliebiger Weise oder in einem Tragkorbe oder in einer Hängematte zu befördern. Verschiedene dürfen nicht an das Meer, verschiedene nur an ganz bestimmten Fährstellen übergesetzt oder über- Bedecken. Anschreien des Mondes. 389 haupt gar nicht an das Wasser gebracht werden, weder an fliessendes noch an stehendes, und selbst Regenpfützen auf dem Pfade zwingen ihre Träser zur Umkehr oder zu Umwegen. Manche werden geschädigt durch den Schatten des Waldes oder gewisser Baumarten, durch Donner und Blitz im Freien, durch Tanzvergnügen oder Leichenzüge, durch den Rauch von Tabak und Pulver. Wohl die meisten sind, falls sie unterwegs nass wurden, erst am nächsten Tage dienstfähig, wodurch die Kosten der Be- rufung erhöht werden. Manche dürfen auf dem hinwärts verfolgten Pfade nicht zurückkehren. Manche, viele oder alle — es ist das überhaupt nicht genau zu bestimmen — pflegt man zu verschiedenen Zeiten bei- seite zu stellen und zu verhüllen. Zur Königszeit verfuhr man so mit allen Zauberstücken, wenn der dreizehnte Monat eingeschoben werden musste (Seite 138). Während der zweiten Hälfte des bösen Monates ruhten alle Fetische und jegliche Zauberei, bis die feine Mondsichel sichtbar wurde, die man mit Freudengeschrei begrüsste. Nun behaupteten zwar zu unserer Zeit noch übereinstimmend alle erfahrenen Küstenleute, Europäer, der Brauch wäre noch in vollem Schwange: alljährlich einmal würden alle Zauberbilder bedeckt und nach- her der Mond angeschrieen. Aber schon das war verdächtig, dass der Vorgang alljährlich wiederkehren sollte. Auch die Eingeborenen gaben sehr unklare Auskunft, meinten, das wäre nicht die Zeit, es geschähe nicht bei ihnen, sondern anderswo, wenn es dazu käme, würden es die Bangänga schon sagen, und was der fruchtlosen Rederei mehr war. Tat- sächlich haben wir es in Jahren, auch in der kritischen Zeit nicht er- lebt, dass die Leute alle Fetische auf einmal abgetan und verborgen, dass sie die Mondsichel angerufen hätten. Und doch hätte es uns gar nicht entgehen können, weil unsere Aufmerksamkeit besonders darauf gerichtet war. Tuckey dagegen berichtet vom Kongo, den er (1816) mit seiner so schwer heimgesuchten Expedition bis in das Gebirge verfolgte: „Als die Eingeborenen zuerst den Neumond sahen, schrieen sie ihn an als den Vorläufer der Regenschauer, die sie bald nach der Vollendung seiner Periode erwarten.“ Die Angabe bezieht sich aber auf den August, wo an eine Zeitkorrektion nicht zu denken ist, wo übrigens auch Regen noch lange nicht einzutreten pflegt. Der vielgereiste Burton, der (1863) gerade zu Anfang der Regenzeit Tuckeys Spuren bis zu den ersten Strom- schnellen folgte, erwähnt nicht das Anschreien des Mondes. Verstösse gegen die angeführten und andere Vorschriften lähmen die Kräfte der Fetische, so dass sie teilweise oder gänzlich für unbestimmte Zeit versagen. Sie sind in Unordnung geraten. Wie eine schlecht oder gar nicht geladene Flinte gehen sie nicht los. Zaubereien misslingen. Wenn sich nun nicht die Kunde verbreitet, dass ein stärkerer Gegenzauber 390 Vorschriften. wirkt, was selbstverständlich die matt gesetzte Partei ärgert, so merkt man, dass irgendwie wissentlich oder unwissentlich den Fetischen ein Leid angetan worden ist. Sie werden deswegen nicht gleich ver- worfen wie Privatfetische, denn die von erstem Range sind zu einträglich. Man sucht vielmehr den Sachverhalt zu ergründen und durch ein an- gemessenes Verfahren den Schaden zu heilen. Das Volk wird dann be- lehrt, dass irgendein berühmter Fetisch, wie eine Maschine, für einige Zeit nicht gehe. Sache seiner Besitzer ist es, ihn möglichst bald wieder in Ordnung zu bringen. Den Bangänga mangelt es nicht an Erklärungen und Ausflüchten zur Beruhigung für sich und für andere Gläubige. Weil ihnen aber als Eigentümern geschäftliche Nachteile erwachsen, denn die Einnahmen stocken und der Nebenbuhler gibt es genug, so versuchen sie von denen, die die Leistungsfähigkeit des Fetisches gestört haben, Sühn- geld einzuziehen. Freilich nicht immer mit Erfolg. Daraus entstehen alsdann Streitigkeiten und Rechtshändel, wie schon geschildert worden ist. Wer eimen Fetisch gestohlen oder erbeutet hat, gebietet darum noch nicht über seine Kräfte. Denn dazu gehört mehr. Man muss alle seine Eigenheiten, die Behandlungsweise oder, wie wir sagen, die Beschwörungs- weise genau kennen, alle Vorschriften befolgen. Die Zaubergebilde ver- halten sich genau so wie kunstvolle Maschinen in den Händen Un- geschulter: sie arbeiten gar nicht oder unordentlich, können Unheil an- richten. Privatfetische von Personen, Familien und Gemeinden betätigen, so- fern die Vorschriften eingehalten worden sind, ihre Kräfte jederzeit und in aller Stille für die bestimmten Zwecke und zugunsten ihrer Besitzer. Die Kräfte der Erwerbsfetische, der ersten Ranges dagegen, die im Auf- trage einer zahlenden Partei deren Zwecken oder dem Gemeinwohl dienen sollen, müssen für jeden einzelnen Fall besonders losgelassen werden. Kein Kläger, kein Richter; kein Entgelt, keine Arbeitsleistung. Ihre Meister stellen die Zauberstücke zur Verfügung etwa so, wie bei uns der Besitzer einer Lokomobile mit dieser von Dorf zu Dorf zieht und Land- wirten das Getreide ausdrischt. Wie hierbei mehr Dampf aufgemacht und mehr Arbeitsleistung erzielt wird, so werden scheinbar durch das Anregen oder sagen wir durch die Beschwörungen die Kräfte der Fetische in verschiedener Stärke entbunden und auf den Zweck gerichtet. Für die aufzuwendende Kunst oder Tätigkeit ist massgebend lediglich die Höhe des bewilligten Honorares, das man sich gern voraus entrichten lässt. Beschwörungen sind nämlich durchaus nicht notwendig, gehören viel- mehr zu den Seltenheiten. Das ist ebenfalls bezeichnend für die Auf- fassung. Heilfetische werden gar nicht beschworen und Gerichtsfetische, namentlich solche von Menschengestalt, nur bei grossen und entsprechend bezahlten Handlungen, die Neugierige anlocken. Jedenfalls will man Beschwören. 391 nicht auf die Fetische, sondern auf die Zuschauer Eindruck machen, Vor versammeltem Volke werden die Zauberbilder angerufen und manch- mal belehrt, was verbrochen worden ist, was zu strafen, was zu bessern sei. Dabei nimmt man sich Zeit, verfährt umständlich: vielleicht er- eignet sich ein erwünschter Zwischenfall, der zu einem Ausgleich führt. Wo die Zuschauer fehlen, da geht es ganz geschäftsmässig nüchtern zu, da wird schnell und sachlich verfahren. Meistens genügt schon die ein- fache Bestellung, was gemacht werden soll. Man einigt sich mit den Zauberern über die Kosten und überlässt ihnen nachher getrost die Ausführung. Das Loslassen, das Anregen oder Hetzen von Hauptfetischen heisst ebenfalls oft kuvända oder kutäka mkissi mit Hinzufügung des Fetisch- namens, angemessener jedoch luböndilu oder luböndilu ngölo, was mit Beschwörung oder grosser, starker Beschwörung zu übersetzen ist; kuböndila: eine Zauberei verrichten. Zum Zwecke des öftentlichen Beschwörens schafft man die Gerichts- fetische am liebsten an den Ort, wo die schlimme Tat begangen worden ist. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um ein Verfahren gegen Un- bekannt oder um einen ergriffenen, aber nicht geständigen Frevler handelt. Dort hofft man durch das Äusserliche des Vorganges heilsamen Schrecken zu verbreiten und hauptsächlich, wo es angeht, einen Vergleich anzu- bahnen. Denn oft lässt es ein Schuldbewusster gar nicht zum Zaubern kommen, sondern beeilt sich, durch einen Vertrauten Sühngeld anzubieten. Da der Unterhändler unverletzlich ist, soll der Schuldige gar nicht selten selbst als solcher auftreten. Dann wird gefeilscht, bis man einig ge- worden ist. Die Bangänga werden abgefunden und ziehen stolz von dannen mit ihrem Fetisch, der sich abermals trefflich bewährt hat. Solch ein Ausgang befriedigt die geschädigte Partei am meisten, und reizt zur Nachahmung. Leib und Leben der Mitmenschen schädigendes Hexen- werk ist freilich kaum durch Loskauf zu sühnen. Lässt ein Übeltäter nicht unterhandeln, ist er nicht zu entdecken, dann wird gezaubert. Der Schuldige, der vielleicht harten Sinnes und unter die Zweifler geraten ist, verhält sich zunächst abwartend. Er mag auch in der Stille einen anderen starken Fetisch oder mehrere zu seinen Gunsten in Tätigkeit setzen lassen, und leichten oder schweren Herzens des Ausganges harren. Nun meint er, sei es Sache der Fetische, die Angelegenheit unter sich auszutragen. Es wird auch gemunkelt, dass einflussreiche Familien die Bangänga, die im Dienste der Gegenpartei gearbeitet haben, durch Bestechungen und Drohungen dahin brächten, ihren Zauberkräften Einhalt zu gebieten. Ob Fälle beiderlei Art, die geeignet sind, die Meister mitsamt ihren Zauberstücken in Verruf zu bringen, häufig vorkommen, lässt sich nicht entscheiden; dass sie 392 Kräfte loslassen. Lärm. Schiessen. vorkommen, ist kaum zu bezweifeln. Warum sollten die Bafiöti besser als andere Menschen sein? Das Bedenkliche für die Zunft mit ihrem ge- werbsmässigen Betriebe liegt überhaupt darin, dass die grosse ns an derlei Durchstechereien glaubt. Beschwörungen geschehen in ziemlich übereinstimmender Weise, ohne peinlich genaue Anwendung feststehender Formeln und selten mit ver- stellter Stimme. Die zur Erhöhung des Eindruckes benutzten Instrumente sind gewöhnlich, je nach den Fetischen, verschieden. Bei einigen bläst man auf einfachen, bei anderen auf doppelten Panflöten, bei anderen wird auf kleinen Antilopenhörnern gepfiffen oder auf grossen getutet; bei manchen werden zugleich aus Kalabessen hergestellte Rasseln verwendet. (Getrommelt wird in den meisten Fällen. Man ist indessen nicht heikel hinsichtlich der Tonwerkzeuge und duldet es gelegentlich, dass Laien mit Pfeifen und Tuten nachhelfen. Die Meister des Mabiäla ma ndamba waren erfreut, dass wir ihren Zauber mit einigen Trompetenstössen unter- stützten und hätten die Trompete am liebsten selber gehabt; einer von ihnen nahm gern eine schrillende Schaffnerpfeife an und benutzte sie so- fort. Es handelt sich um Lärm, der Eindruck erzielen soll. Deswegen werden auch sehr kräftige Beschwörungen durch gesteigertes Bearbeiten von Langtrommeln unterstützt und mit dem Abfeuern eines Gewehres beschlossen. Dies ist das weithin hörbare Zeichen, dass die Kräfte des Fetisches losgegangen sind. Jetzt mag der Schuldige sich hüten. Überdies schiesst man vielfach auch die Kräfte selbst, richtiger die Stoffe, woran sie gebunden sind, mit in die Luft. Allen sichtbar wird in die Flinte eine Handvoll staubförmiger Kraftstoff geschüttet, manchmal auch Geschabsel vom Fetisch selbst hinzugetan. Dieses Zaubergift, so lehren die Kundigen, fliest durch die Luft und befällt den Schuldigen, und das leuchtet den Gläubigen ein. Es verstärkt demnach die Wirkung der Fetische, genügt aber, wie die Sachverständigen versichern, auch schon für sich allein. Einmal hatte ich mit Hilfe meines Ndembo, der sich auf den Spass freute, den älten Jägerscherz ausgeführt, nämlich die abzufeuernde Flinte mit einer tüchtigen Ladung zerschlissener Federn ‚versehen. Der Erfolg war grossartig. Als der Zaubermeister nach dem Schuss die Federwolke erblickte, stand er zuerst wie erstarrt, liess fallen, was er in Händen hielt, und wich schreiend mit allen Beteiligten ruckweise zurück. Der Mann, auf dessen Rücken der Fetisch stand, sprang hinterher, und das Zauberbild kollerte unrühmlich über die Erde hin. Die Beschwörung war verdorben und musste wiederholt werden, nachdem etliche Gläschen Rum unter grosser Heiterkeit das gute Einvernehmen hergestellt hatten. Der Fetischismus war um einen Gedanken reicher: die Federn sah man doch ordentlich fliegen und die Kraft verbreiten. Aufstellungsweise. Benagelung. 80) In der Regel werden die in Tätigkeit zu setzenden grossen Fetische einfach auf die Erde gestellt, selten auf eine Matte oder auf ein Stück Zeug. Manchmäl, aber keineswegs nur bei grossen Beschwörungen oder stets bei den nämlichen Fetischen, fällt es den Meistern ein, den Platz, den ihr Zauberbild einnehmen soll, erst gebührend herzurichten. Sie glätten einen Erdfleck mit belaubtem Gezweig oder mit den Füssen, streuen etwas Farbenpulver darüber und legen darauf gekreuzte Halme oder Ruten. Noch lieber reissen sie mit einem Messer allerlei Figuren in die Erde: ein gegittertes Viereck, einen grossen Kreis, oder mehrere ineinander beschriebene oder sich schneidende oder bloss berührende Kreise, innerhalb deren noch ein kleiner gezeichnet wird. In die Kreise kommen Speichen oder Hakenkreuze oder dreiarmige Gabelkreuze. Rings herum werden kleinere Rechtecke, Rauten, Kreise, Kreuze, oder kurze Zickzacklinien angebracht. Nachdem noch einige oder alle Linien mit gepulverter Farbe markiert worden sind, erhält der Fetisch seinen Platz inmitten der Figuren. Ein Zauberbild, das mehr lang und breit als hoch ist, das nicht leicht aus dem Gleichgewicht kommt, pflegt man bei einer grossen Beschwörung auf den Rücken eines beliebigen, auf Ellbogen und Knien ruhenden Mannes zu stellen. Soll Diebstahl, Hexenwerk, Treubruch gerächt, ein hartnäckiger Schuldner zum Zahlen, ein Trunkenbold zur Mässigkeit, eine Vertröuens- person im voraus zur Ehrlichkeit gezwungen werden, so gilt es in den südlichen Teilen des Landes für sehr dienlich, zum Schluss der Be- schwörung einen Nagel in den Fetisch zu schlagen, falls er in Menschen- gestalt aus Holz geschnitzt ist. Das ist wiederum wichtig für die richtige Auffassung in Sachen des Fetischismus. Zu dieser Handlung sind recht lange, von Europa eingeführte oder vom eingeborenen Schmied her- gestellte Nägel beliebt. Letztere gelten für besser. Doch werden Messer, Gabeln, Hobeleisen, sogar Bohrer ganz gern genommen, nur dürfen diese nicht eingedreht, sondern müssen eingeschlagen werden. Es muss schallen! Ein recht mit Nägeln, Klingen und sonstigem Eisenzeug gespicktes Stück (Abbildung Seite 347) ist natürlich der Stolz seiner Besitzer und ein ge- waltig Ding in den Augen des Volkes. Bisweilen wird der Nagel, namentlich im Verfahren gegen Unbekannt, zuvor am Feuer erhitzt und beim Einschlagen der Fetisch von einem Gehilfen oder Laien emporgehoben, damit jedermann die wichtige Hand- lung besser sehen könne. Ein Schuss dazu und das Werk ist getan, das Leben des Schuldigen verwirkt. Der auf ihn gehetzte Fetisch tötet ihn, isst ihn auf, wie es die Leute mit einer in der mannigfaltigsten Weise angebrachten Redensart ausdrücken. Packt nun erst den Schuldbewussten die Furcht oder beginnt er im Laufe der Zeit sich elend zu fühlen, und sucht er endlich sein Heil in 394 Ausziehen des Nagels. Gelöbnisse. einem Ausgleich, so erwachsen ihm viel bedeutendere Kosten, als wenn er hätte sofort unterhandeln lassen. Denn Schadenersatz und Bussgeld allein nützen ihm jetzt nicht mehr. Damit ist zwar die Tat zu sühnen, jedoch, und das ist sehr beachtenswert in Sachen des Fetischismus, der einmal losgelassene Zauber, das Gift wirkt ungeschwächt weiter. Der Reuige muss auch die Bangänga von dem Abkommen benachrichtigen, damit sie die ihn verfolgenden Kräfte des Fetisches wieder von ihm nehmen, hauptsächlich den Nagel entfernen. Das Ausziehen ist aber viel teurer als das Eintreiben. Es bildet nicht die geringste Quelle guter Einnahmen für die Besitzer, die allerlei Einwände erheben und vorgeben, unter den Hunderten von eingeschlagenen Eisenstücken, wozu in der Zwischenzeit vielleicht noch weitere gekommen sind, das entsprechende nur schwierig herausfinden zu können. Da der Nagel das Zeichen der Tat und der losgelassenen Zauberkräfte ist, hängt an ihm alles. Er muss gefunden und ausgezogen werden, sonst gibt es keine Rettung für den vielleicht erkrankten Übeltäter. Deswegen ist dieser gezwungen, die unverschämtesten Forderungen der Meister zu erfüllen, um jeden Preis mit ihnen handelseinig zu werden. Er ist ihnen gegenüber vollständig machtlos, denn sie sind nicht verantwortlich für die Folgen der Beschwö- rung. Sie nützen die Gelegenheit aus, und das ist dem Volke begreif- lich. Wäre die schlechte Tat nicht begangen oder wäre sie wenigstens noch rechtzeitig durch Schadenersatz gut gemacht worden, so hätte man die Zauberkräfte nicht zu entfesseln brauchen. Nicht selten geschieht es, dass auch beliebige Laien einen grossen Fetisch nebenbei auch einmal beschwören. So zum Beispiel, wenn ein Trinker sich freiwillig bessern will, wenn ein Bündnis abgeschlossen, ein Versprechen feierlich bekräftigt wird, wenn Diener ihrem Herrn Treue geloben. Dabei werden ebenfalls Nägel eingeschlagen, falls man für diese Handlung geeignete Fetische berufen hat. Jeder Beteiligte tut ein paar Schläge auf einen und denselben Nagel und fordert zugleich den Fetisch mit lauter Stimme heraus, ihn aufzuessen (volkstümliche Aus- drucksweise), falls er das Gelöbnis breche. Um sich recht feierlich zu binden und den Kräften das Ausfinden der schuldig gewordenen Person zu erleichtern, pflegen die Schwörenden den Nagel zuvor von Hand zu Hand zu geben, an Brust und Stirn zu drücken oder darauf zu beissen oder zu spucken. Gelegentlich wird das Eisen mit daran haftenden Haaren in den Fetisch getrieben. Alles das geschieht bei den Zauberstücken, die Menschengestalt haben, und nur um dieser Ähnlichkeit willen, wie bald zu erweisen. Die berufsmässigen Beschwörer erscheinen selbst bei wichtigen Vor- gängen nicht in einem sonderlich phantastischen und prunkvollen Aufzug. In der Regel haben sie die gewöhnliche Tracht, ergänzt durch eine bunte Putz der Meister. Gebaren. Volksleben. 395 und manchmal schon recht schäbige Federkrone, wozu die roten Schwanz- federn des Graupapageis und etliche Hahnfedern beliebt sind, und haben sich dazu mit Kreide oder mit bunten Farben etliche Punkte, Linien, Bogen und Kreise auf die Haut gemalt. Sein Bündel Privatfetische hat ein jeder bei sich. Manchmal begleiten sie die Anrufungen durch gelinde Zuckungen der Glieder, durch zeitweiliges Wenden und Drehen des Körpers, oder sie umlaufen ihren Fetisch mit trippelnden Schritten wie ein tretlustiger Hahn die Henne. Ordentliche Sprünge und heftige Bewegungen, etwa wie beim Schuhplatteln, kommen selten vor. Ab und zu unterbrechen die Zauberer ihr Treiben, um irgend etwas Gleichgültiges und durchaus Unzugehöriges vorzunehmen, um ein paar Züge aus der Pfeife eines Zu- schauers zu tun, um jemand zu begrüssen, und fahren dann wieder fort, als ob nichts geschehen wäre. Manchmal lärmten sie ungewöhnlich stark, fuchtelten mit blanken Säbeln und grossen Messern herum und schlugen damit auf die Erde. Trotzdem geriet keiner in den Zustand der Ver- zückung, noch trat ihm Schaum vor den Mund, noch erschreckte er durch solche übertrieben wilde Bewegungen, wie sie zum Beispiel bei Kriegstänzen beliebt sind. Es mag vorkommen. Wir haben es nicht beobachtet und nicht einmal bemerkt, dass ein Ngänga in Schweiss ge- raten wäre, Sie strengen sich nicht sonderlich an. Während bedeutender, vorher angesagter Beschwörungen entfaltet sich oft ein Volksleben wie auf einem Jahrmarkt, auf einer Kirmes. Auch pflegt man dazu, je nach Zahlungsfähigkeit der Veranstalter, allerlei andere, nicht für den besonderen Zweck eingerichtete Hauptfetische mit aufzustellen, manchmal ein halbes Dutzend und mehr. Aber diese, seien sie noch so mächtig, stehen im Hintergrunde um die Fachfetische wie (refolgschaft um Häuptlingee Man will mit dem stattlichen Aufmarsch Eindruck machen. Schaulustige kommen von nah und fern herbei und sammeln sich um den Platz. Die weibliche Jugend versäumt nicht die (relegenheit, sich im Putz zu zeigen. - Die ringsum stehenden, sitzenden, hockenden, liegenden Lieute treiben allerlei Kurzweil, drängen und necken sich, schwatzen, lachen, johlen. Schuldlose brauchen ja Fetische nicht zu fürchten. Passende und unpassende Bemerkungen, Spottreden, Witze fliegen hin und her. Es geht gelegentlich recht pöbelhaft zu. Ich habe Zaubereien beigewohnt, wo über dem Unfug der Zweck der Handlung vergessen wurde. Doch sieht man auch Gruppen, die ein tieferes Ver- ständnis und gebührende Würde sowie Unwillen über die Störungen zur Schau tragen. Näher Beteiligte folgen den Vorgängen mit Spannung und rufen tadelnd zur Ordnung. Dann wird es für ein Weilchen stiller. Die Beschwörer kümmern sich augenscheinlich wenig um das Treiben der Menge. Vielleicht scheuen sie sich, und nicht ganz grundlos, ihr 396 Gerichtsfetische versagen. Tabakrauch. Rum. Ansehen aufs Spiel zu setzen, denn die Menge ist unberechenbar; viel- leicht vertrauen sie ihren Fetischen und denken, dass das lose Volk die schon noch spüren werde. Sie wollen jedoch nicht dulden, dass während der Handlung auf der Windseite mancher Fetische Europäer verweilen und dass daselbst geraucht werde. Sie erklären, das würde die Zauber- kräfte schädigen, ferner, es sei von jeher so der Brauch gewesen, und das ist auch in Loängo eine unwiderlegliche Begründung. Landfremden Afrikanern gegenüber versagen nicht selten die Gerichts- fetische wie die Künste der Bangänga, weil jene nicht wie die Einheimischen in der nötigen Furcht aufgewachsen sind. Auch wird als zweifelhaft betrachtet, ob die Zaubereien Gewalt über Weisse haben, weil die letz- teren viel stärkere Fetische besitzen. Wichtig erscheint, dass das Verbrechen auf der betreffenden Erde, nicht von ausserhalb verübt worden sein muss. Doch meinten manche, dass die Machtvollkommenheit der Zaubergebilde und ihrer Beschwörer sich überall innerhalb der Grenzen der drei Reiche offenbarte. Wer diese überschreitet, wäre demnach der Strafe entgangen; er verfällt ihr jedoch wieder bei seiner Rückkehr, und zu dieser sollen ihn die Zauber- künste nötigen. Die Rückkehr der Flüchtlinge wird aber auch so erklärt, dass es im Wesen des Verbrechens liege, den Verbrecher zum Tatorte zurück zu zwingen, so wie auch der unentdeckte Mörder dem Begräbnis seines Opfers beiwohne. Andere behaupteten, dass ihre einmal in Tätig- keit gesetzen Fetische sich weder um die Hautfarbe der Schuldigen be- kümmerten noch durch Ländergrenzen, Meeresweiten und Zeiträume behindert würden. Kein Schuldiger vermöchte ihnen zu entrinnen. Die Übeltäter, die nicht entdeckt worden wären, entgingen darum nicht ihrem Schicksale. Die Macht der auf sie losgelassenen Fetische täte sich furcht- bar kund, früher oder später, in der Nähe oder Ferne. Solcher Glaube findet Beweise. Immer sterben Menschen, bisweilen unter auffälligen Umständen. Es ereignen sich Unglücksfälle. Es verschwindet jemand, und seltsame Gerüchte gehen durch das Land. Da hält es nicht schwer, die Vorfälle in entsprechendem Sinne zu deuten oder sich deuten zu lassen, und in dumpfem Staunen zu erkennen: gross ist die Macht unserer Fetische! Obgleich Fetische weder angebetet noch mit regelrechten Opfern erfreut werden, erhalten manche vor versammeltem Volke gelegentlich einen Puff Tabakrauch angeblasen, auch ein wenig Rum angesprudelt. Solches geschah aber, etwa wie wir Denkmäler bekränzen, ausschliesslich Fetischen in Menschengestalt, und es geschah nur um des Äusseren, vielleicht auch um der Erinnerung willen. Etliche Zauberer taten es, andere nicht. Ihren Angaben nach, die sie ja geschickt den Fragen anzupassen wissen, liesse sich folgern, dass sie in ihren Holzbildern menschliches Anrauchen. Gestalt. Grünzeug. Benageln entlehnt, 397 Empfinden und Begehren vermuteten, was nicht zu verwundern wäre. Sie glichen darin unseren mit Puppen spielenden Kindern, auch manchen Erwachsenen, die ihren Alraunen oder Erd- und Goldmännchen Genuss- mittel anboten, sie sogar in Wein badeten, was sie vielleicht noch heute tun während sie gewiss nicht daran dachten, ihren anders gestalteten Zauberkram ähnlich zu behandeln. So erscheint es den Bangänga eben- falls widersinnig, den als Tier, Topf, Korb, Sack, Bündel, Holzblock, Kasten eingekleideten Fetischen Tabakrauch anzubieten. Und doch sind diese Zauberstücke ebensogut ersten Ranges und gelten vielfach für mächtiger als menschlich gestaltete. Als einst der als Mann geformte Mankäka und der als doppel- köpfiges (mit Köpfen an beiden Enden) Flusspferd geschnitzte Maläsi miteinander in Tätigkeit gesetzt wurden, gaben die Meister nur dem Mankäka Rauch zu kosten. Daraufhin von mir gemahnt, doch den viel mächtigeren Maläsi nicht zu vergessen, guckten sie mich verblüfft an. Als ich nun Grünzeug raufte und vorschlug, diese angemessene Stärkung dem Grasfresser darzureichen, wurde die Zumutung von allen Bangänga und Laien als ein guter Witz und wohl auch als ein Zeichen von Hänselei des Weissen so weidlich belacht, dass eine längere Pause in der Beschwörung eintrat. Die belustigende Geschichte sprach sich dermassen herum, dass ich nach Jahr und Tag in entlegener Gegend ausgehorcht wurde, ob ich der Mann wäre, der den Maläsi hätte füttern wollen. 2 Auch mit dem Benageln der Menschengestalten hat es seine besondere Bewandtnis. Wir haben es, wie möglicherweise auch mit dem Anrauchen, mit einer Entlehnung zu tun, und zwar mit einer Nachwirkung der alten Missionstätigkeit jenseits des Kongo: das Bild des Gekreuzigten hat die Leute auf den Gedanken gebracht. Haben sie doch auch dem Fetisch Mangössu, dem im Schädeldach drei Stachelschweinkiele stecken, einen Kranz von Dornranken um den Kopf gepresst. Der zu unserer Zeit in den südlichen Teilen des Landes geübte Brauch, Nägel und Eisenstücke in menschlich geformte Fetische zu treiben, dürfte zudem erst in verhältnismässig neuer Zeit, vielleicht seit einem Jahrhundert aufgekommen sein. Wenigstens erwähnen alte Be- richte die doch gewiss merkwürdige und augenfällige Benagelung nicht, obgleich sie vielerlei Fetische und Zaubereien beschreiben. Dapper erzählt sogar, wie die Zauberer eiferten, weil spasshafte Seeleute den ab- gerissenen Kopf des Tschiköko wieder angenagelt hatten. (Seite 382.) Und um Tschintschötscho begann man vor unseren Augen zum ersten Male auch Tiergestalten mit Nägeln, und zwar die erste mit einer von uns gestifteten ausgedienten grossen Tischgabel, zu spicken. Jenseits des Kongo wurden damals längst alle möglichen Fetische benagelt. 398 Menschliche Gestalten. Beschränkte Verbreitung. Überhaupt ist der Gedanke nicht abzuweisen, dass die von den frommen Vätern im Kongoreiche eingeführten Bildwerke zu der neuartigen menschlichen Gestaltung von Fetischen angeregt haben. Besitze ich doch ein schönes älteres Kunstwerk, eine spannenhohe, die heilige Magdalena darstellende Elfenbeinfigur, die von einem einheimischen Künstler peinlich genau nachgebildet worden ist. Es wäre nun freilich, wenn auch nicht erweisbar falsch, so doch unvorsichtig, zu behaupten, dass der Gedanke, Fetische in Menschen- gestalt zu schnitzen, erst seit der Missionszeit, jenseits des Kongo auf- getaucht wäre. Menschen sind überall schöpferisch veranlagt. Nicht alles muss Entlehnung sein. Die Eingeborenen könnten ja selbständig darauf verfallen sein, die schon besprochenen Ebenbilder — Ahnenbilder sind es nicht — von berühmten Heilkünstlern und Zaubermeistern anzufertigen, die ihnen bei Lebzeiten der Dargestellten berufsmässig als hölzerne Ver- treter und nachher mit der Zutat von ngilingili als Fetische dienten. Hier käme wohl auch in Betracht die für die Unterstufe des Fetischis- mus bezeichnende Neigung, Gleiches oder Ähnliches für und wider zu benutzen. Indessen sind für die Annahme der Entlehnung folgende Tat- sachen beachtenswert. Zunächst: Im Inneren sowie im östlichen und nördlichen Afrika, das der bilderfeindliche Islam beeinflusst, ferner in Süd- und Südwest- afrika, wo protestantische Missionare im letzten Jahrhundert heimisch wurden, gehören Menschenfiguren, und noch dazu recht unvollkommene, zu den Seltenheiten.“) Dagegen sind sie häufiger und auch besser aus- gearbeitet in allen Strichen Westafrikas, wo, nach der Zeit der grossen Entdeckungen, Roms eifrige Glaubensboten das Christentum verkündeten. Sodann: Es werden in unserem engeren Gebiete, ein und anderthalb Jahrhundert nach Beginn der Kongomission, von Loängo bloss ein paar menschenähnliche Stücke, und zwar aus der Umgebung des Königs ge- meldet. Das könnte Zufall sein. Aber zu unserer Zeit stand es noch folgendermassen: Hauptfetische in Menschengestalt, und zwar vielfach mit Gesichtszügen von Europäern gebildete, prunkvoll ausgestattete und behauste, fanden sich am häufigsten im Gebiete des alten Kongoreiches, wo man auch Heiligenbilder aus früherer Zeit noch scheu bewahrte. An der Loängoküste dagegen waren sie prunklos, durchaus negerhaft und kamen zahlreicher bloss in den südlichen, dem Kongo nächsten Land- schaften vor, in den mittleren nebst Hinterländern, wo mir kein benagelter auffiel, wurden sie seltener, und in den nördlichen Landschaften fehlten sie so gut wie gänzlich. Dabei ist noch des Seite 380 geschilderten *) Erst jüngst wieder hat mir Professor Dr. S. Passarge dies aus seiner Erfahrung für das mittlere und östliche Südafrika bestätigt. Jagd auf Hauptfetische, "Kunsttrieb. Ahnenbilder. 399 Übertragens sogenannter Kinder zu gedenken, das doch vorwiegend Menschenbilder betraf und wohl auch das Benageln übertrug. Diese kennzeichnende Verbreitung mag sich inzwischen unter den neuen Verhältnissen verschoben haben, zumal im alten Ngöyo und Ka- köngo die europäischen Beamten eifrig auf Fetische, besonders auf die grossen Erwerbsfetische fahnden. Es sind verschiedene an Museen gelangt, andere sind zerschlagen oder verbrannt worden, andere haben die Ein- geborenen in ihrer Not versteckt. Auch mag nun, da seit einem Menschen- alter katholische Missionare ständig im Lande lehren, manchem Mhöti ein recht berühmtes Menschenbild allmählich etwas Höheres werden als ein anderer Fetisch, der bloss ein Sack, Korb, Kasten oder Tier ist. Nur leben sicherlich noch heute sehr viele Mustergläubige im Norden und Inneren des Gebietes, die solch ein menschenähnliches Hauptstück eben- sowenig zu Gesicht bekommen haben, wie etwa unsere Bauern einen Admiral. Wie nicht alles Fetisch ist, so ist auch nicht alles Ahne, was uns so aussieht. Der Kunsttrieb, der erfindet und nachahmt, schafft vieles ohne tiefere Absicht. Selbst Reihen von Figuren, die möglicher- weise genealogische Verzeichnisse sein sollen, sind noch nicht auf Manis- mus (Bezeichnung von Frobenius) zu deuten. Wo mir, und nicht bloss bei Afrikanern, äussere Zeichen der Alınen- schätzung und des Ahnendienstes aufstiessen, das heisst, überall wo ich genügend Einsicht gewinnen konnte in das, was sich natürlich verbirgt, da war der Ahne nicht durch ein Ebenbild dargestellt. Vielmehr be- wahrten ihn die Nachkommen zur Erinnerung naiver und treffender in der Hauptsache, in dem Bindegliede, das ihre Abkunft veranschaulichte. Sie bewahrten ihn im Merkmale des Mannes, des Erzeugers. Das rohe oder geschnitzte Zeichen des Ahnen, das auch als Feuerbohrer Bedeutung haben konnte, dieses Zeichen ist oder war ein Holz, Knüppel, endlich ein Stecken, ein Erbstab. Es mag auch mit gewissen Formen kurzer Schlag- und Wurfkeulen — ähnliche Waffen tragen englische und amerikanische Konstabler — verwandt sein. Hier und da kann es ja gefallen haben, an den vorstellenden Hauptteil das übrige, eine ganze Gestalt anzufügen. Ob mit, ob ohne Entlehnung, ob es sich bloss um genealogische Merk- zeichen handelt, das wäre von Fall zu Fall zu untersuchen. Selbst wenn dieses Kennzeichen an Figuren aufdringlich hervorträte, brauchte nicht an Ahnenbilder gedacht zu werden, Das lehren die erwähnten, geheimen Zwecken der Männer dienenden Fetische, bei denen es sich lediglich um Marktschreierei handelt. In Loängo weisen die einfachen und doch so bedeutsamen Ahnenzeichen, wo man sie noch in Ehren hält, unmittelbar auf die Abkunft hin. Man ist von einer Haut, im besonderen Sinne des Schwellenden, sich Straffenden, auch von einer Spannung oder Kraft. 400 Ahnenhölzer. Gelegenheitsfetische. In Südwestafrika nahm ich aus der Hand des „Ochsenkaisers“, des alten Heiden Mahärero, den Vertreter des kürzeren Holzes, des bei Fest- lichkeiten noch mit Speise gelabten Ahnen, den Erbstab aus heiligem Holze; einen zweiten von seinem Feldherrn Riäarua. Andere erhielt ich vom Ambohäuptling Kamböndo, von Black Akua in Kamerun, von Grossleuten in Loango und Kongo, sowie im Nigergebiete und an der Sklavenküste, oder ich sah die Stäbe und Stöcke wenigstens bei ihnen auch als wichtige Botschafts- und Geleitszeichen. Und alle diese Gross- leute hatten nur solche bis auf den Vater oder Grossvater zurückführende Merkmale für Ahnen, nicht Figuren als Ahnenbilder. Kleinleute sind natürlich zu bedeutungslos, als dass sie dergleichen zu bewahren hätten. — Ausser den für die Dauer berechneten Fetischen gibt es noch vieler- lei andere von vergänglicherer Art. Nennen wir sie Gelegenheits- und Zufallsfetische. Manchmal sehen sie aus wie müssige Spielereien, wie festlicher Schmuck, oft wie Warnungszeichen. Immer ist Zauber und der Kraftstoff dabei, der für bemessene Zeit, vielleicht bloss für Stunden oder kaum so lange wirken soll. So verhalten sich diese Gelegenheits- fetische für die Öffentlichkeit wie die bezauberten Kleinigkeiten für die Personen. Im Freien, vor den Eingängen der Ortschaften triftt man auf ge- knotete Grasbüschel und gebündeltes Gezweig, auf Pfähle und Stöcke, die meistens paarweise zu beiden Seiten der Zugangspfade, oder auf lange Ruten, die bogenförmig, wie umgekehrte Sprenkel über die Wege gesteckt sind. Daran baumeln Popanze, Fransenschnüre, Stricke, Zeugfetzen, Palmwedel, Rindenrollen, Blättersträusse, Schilfbesen. Die Anordnung erinnert an die Reiser, die das Begehen von Wegen, an die Wiepen, die auf unseren Fluren den Auftrieb des Weideviehes, im Walde das Betreten der. .-Schonungen verbieten sollen. In der Tat warnen diese Zeichen, wie bei uns Tafeln die Fussangeln, Schlageisen, Selbstschüsse ankündigen, dass man Pflanzungen, Plätze, Wege unvorsichtig betrete, weil sich daselbst starke Zauberkräfte entladen würden. Freilich können sie ebensogut melden, dass nahebei eine gepfändete Leiche hängt, eine im Dorfe liegende zur Beerdigung hergerichtet, oder eine feierliche Handlung vorgenommen wird, damit der Wanderer sich in schicklicher Weise nähere. Die paarweise errichteten und verschnürten Pfähle oder die sprenkel- förmigen Ruten haben gewöhnlich einen wichtigeren Zweck. Sie sollen Seelen, Hexen, Krankheiten abhalten oder umbringen, und wenigstens allem, das zwischen ihnen durchschlüpft, das Böse, das Schädliche ab- streifen. Derartige Gestelle werden Bingu: Reiniger, Vernichter genannt. Es wäre natürlich ein arger Verstoss, wenn man sie zerzauste, zerschnitte oder gar wegräumte. Am besten kriecht man vor dem Betreten der Bingu. Gestelle. Pfosten. Steinkreise. 401 Ortschaft unter den Gestellen durch, weil man nachher für das Ein- schleppen von Krankheiten nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Nicht selten liegen neben einem Bingu auf oder in der Erde mit ngilingili geladene Eier oder Fruchtschalen. Sie sollen krachend bersten, sobald Böses sich naht. Dem nämlichen Zwecke wie- diese Gestelle dienten in früherer Zeit wohl die Pfosten und Balken, die beim Krönungszuge des Ma Loängo und bei anderen Gelegenheiten in die Erde gesetzt wurden, sofern sie nicht Gesetzeszeichen und Denkpfeiler waren. Recht merkwürdig sind kleine Steinkreise, die allerdings selten sowie abseits von Pfaden und Dörfern auf unbewachsenen Stellen in der Cam- pine vorkommen. Weallnuss- bis faustgrosse Steine sind dicht neben- einander oder in handbreiten Abständen in einen Ring von einem halben bis einem ganzen Meter Durchmesser gelegt. Ein grösster oder kleinster Stein bezeichnet häufig den Mittelpunkt. Da das Land überaus stein- arm ist, so können die verwendeten Stücke nur mit Fleiss gesammelt und aus ziemlicher Entfernung hinzugetragen worden sein, zumal da grössere, von Natur kahle Flecke in der Campine sich nicht gerade häufig finden. Welche Bewandtnis es mit diesen, immerhin an Stein- setzungen erinnernden Ringen hatte, war nicht zu erfahren. Die meisten meiner Begleiter, die ihnen natürlich scheu auswichen, sowie später be- fragte Eingeborene schienen darüber ebenso erstaunt wie ich selber. Sie rieten auf Spielerei oder Hexenwerk oder Fetischzeichen. Einer nannte den mittelsten Stein den Vater, die im Kreise liegenden die Kinder. Einmal fand ich Spuren, die geeignet sind, zu erklären, wie der Gedanke, solche Steinmale herzurichten, sich entwickelt hat. Im Gras- lande entstehen am Rande kahler Plätze mit lockerem Boden halbkreis- förmige Furchen dadurch, dass angeknickte oder niedergebogene, vom Winde bewegte Halme, sowie Zweige schwanker Campinengewächse auf der Erde hin und her fegen. Sind die Halme oder Schosse nicht mehr vorhanden oder verharren sie bei Windstille aufgerichtet, so wird ein oberflächlicher Beobachter nicht ohne weiteres ihren Anteil am Hervor- bringen der Figuren erkennen. Es liegt nahe, an Zauberwerk zu denken, wie bei den Pilzkreisen, den Hexenringen auf unseren Viehtriften. Eine solche Furche, nahezu einen Halbkreis darstellend, fand ich einst mit Steinen belegt, dicht daneben, aber ausser Bereich der Gewächse, einen vollständigen Steinring und etliche Schritte davon einen bloss mit dem Stocke beschriebenen Kreis. Weit und breit gab es keine Steine. Es mag sein, dass die Furchen manchen Eingeborenen als rätsel- haft aufgefallen sind — zumal in den Boden gekratzte Kreise beim Zaubern eine Rolle spielen —, seine Einbildungskraft angeregt und ihn zu der beschriebenen Ausstattung veranlasst haben. In den Dünen der Nordseeinsel Langeoog beobachtete ich Kinder, die genau dasselbe taten Loango. 26 402 Woher die Kräfte. Afrikaner, Europäer. und mir sagten, der mittelste Stein wäre der Vater, die Stücke ringsum wären die Kinder. Ahnliche Steinmale, manche in der Mitte mit einem sogenannten Steinmännchen, mit einer kleinen Steinpyramide, fand ich später auf kahlen Flecken im Gebirge am Kongo, und daneben auch mittelst eines Stockes gerissene Kreise, Gabelkreuze und rohe Zeich- nungen von riesenhaften Menschengestalten. Steinmännchen fielen mir auch in Südwestafrika auf, wo sie aber auch von Europäern gesetzt werden. Vielleicht stammen die in Loängo bemerkten Steinringe gar nicht von Einheimischen, sondern von Fremdlingen, von Mitgliedern der ins Vorland herabsteigenden Handelskarawanen, sind möglicherweise Merkzeichen der Gilde der Sinkimba. Während schwieriger Fischzüge, die, falls der Fang reichen Lohn verspricht, auch bei gefährlicher Brandung gewagt werden, stellen Ban- gänga rasch Stöcke, Wiepen, Fransenschnüre, Bündel und dergleichen mehr in wunderlichem Verbande am Strande auf. Solche Zauberdinge sollen den Fang fördern, das Reissen der Netze, das Umschlagen der Kähne, das Verunglücken der Fischer verhüten. Da sie für den Augen- blick bestimmt sind, pflegt man die Zeichen nach getaner Arbeit am Meere zurückzulassen, ein Spiel der Winde und Wellen. Hat man aber unter sehr widrigen Verhältnissen ohne jegliches Unglück einen grossen Fang gemacht, dann sind solche Gelegenheitsfetische als besonders ge- glückt im Werte gestiegen. Man räumt sie sorgfältig fort und hebt sie für ein andermal auf. So mögen auch Zieraten und Schmuckstücke, obgleich sie kein Neänga berührt hat, einen Wert als Talismane erlangen, sei es infolge glücklicher Fügungen, sei es auf Grund ihrer Herkunft als Erbstücke oder Geschenke. Ganz wie bei uns können sie als Dinge von guter Vorbedeutung mit mancherlei Geschehnissen in Beziehung gebracht werden. Dass dies bei Krallen, Zähnen, Haaren, Schuppen behender, starker und gefährlicher Tiere schon von vornherein beabsichtigt wird, ist bereits auf Seite 351 abgehandelt worden. Wir halten es für selbstverständlich, dass die Vorstellungen der sogenannten Wilden unklar und verschwommen sind. Ist es denn aber bei Zivilisierten anders, wenn wir, was übrigens nicht einmal nötig ist, über die anerzogenen Gedankenkreise hinausgehen? Man frage doch die, die sich die Karten legen lassen, welche Macht denn solchergestalt Vergangenheit und Zukunft enthülle. Man versuche im Volke zu er- lauschen, woher denn dem Erbschlüssel, der Erbbibel und dem laufenden Siebe die geheimnisvolle Kraft komme, Diebe zu entdecken, und welcher Art sie sei. Man wende sich an beide Geschlechter aller Stände und lasse sich einmal erklären, wie es denn zustande komme, das Wirken der Wunderdoktoren, Wahrsager, Besprecher, der Medaillen, Ringe, Bändchen, Furcht verschieden. Zweifel. Scheinbarer Baumdienst. 403 Schnüre, Spruchzettel, Hufeisen, überhaupt der tausenderlei Dinge und Handlungen, durch die sich der gewöhnliche Fetischismus unter uns be- kundet. Darüber ist nichts zu erfahren. Man weiss es nicht, denkt auch nicht weiter nach. Es wird eben geglaubt und danach gehandelt, manchmal gezweifelt und dennoch weiter gezaubert. Ganz so verhält es sich in Loängo. Wie das Treiben der Hexen und Gespenster wird auch die Macht der Fetische nicht allezeit und nicht von allen Personen gleich stark gefürchtet. Das liesse sich durch eine ganze Reihe von Erlebnissen bestätigen. Der alte Sambüki, der mehrmals erwähnte Herr von Mpütumöngo, pflegte vor seiner Behausung einen stattlichen, im Gebiete nicht häufigen Mangobaum. Diesen Baum fand ich einst mit Fransenschnüren, Zeug- lappen und Klunkern aller Art über und über behangen. Ein über- zeugenderer Beweis für Ausübung des Baumdienstes hätte gar nicht ver- langt werden können. Indessen hatte es mit dem auffälligen Putz eine ganz andere Bewandtnis. Die lüsterne Jugend von Mpütumöngo und Umgegend tat sich nämlich gar zu oft gütlich an den tief niederhängenden saftreichen Mangopflaumen Sambükis, ganz so wie bei uns unartige Kinder die Obstgärten plündern. Deshalb hatte der Besitzer feierlich Zauber über den Baum gerufen und ihn zum Zeichen dessen mit Fetischen bekränzt. Dass der lustige Alte diesen Schreckmitteln, die überdies teil- weise unecht sein mochten, selbst nicht traute, weiss ich aus seinem eigenen Munde. Er hatte auch guten Grund dazu. Denn die Dorf- rangen liessen sich durch den Zauber nicht einschüchtern. Der Reiz der köstlichen Früchte war stärker als die Furcht vor den Fetischen. Nach wie vor wurde der Baum verstohlen gepflückt. Nun könnte freilich angenommen werden, dass sowohl der Mann selbst als auch der zu Rate gezogene Ngänga kein hohes Ansehen als Zauberer genossen hätten, dass ferner die Fetische dem Schicksale der Vogelscheuchen verfallen wären, gegen. welche Erfahrung und Gewohnheit abstumpfen. Solcher Einwand wäre jedoch für andere Begebnisse nicht stichhaltig. Einst liessen wir in unserem Gehöft wegen eines Diebstahles den mächtigen Fetisch Maläsi in Tätigkeit setzen. Da drängte sich dienst- eifrig aus unserem Gesinde ein Mann vor, der sich, Ellbogen und Knie auf den Boden stützend, das Zauberbild während der Handlung auf den Rücken stellen liess. Dieser Mann war der Dieb selber. Natürlich wurde er nicht entdeckt, erlitt auch sonst keinen Schaden. Aber später, als er eines zweiten Diebstahles überführt worden war, gestand er uns seine Schuld ganz gemütlich ein. Ein anderes Mal hatten wir den Mabiäla ma ndemba, einen der berühmtesten Diebfinder, mit seinen Bangänga nach der Station zum 26* 404 Tätliche Beleidigung von Hauptfetischen. Zaubern berufen. Welch ausserordentliche Furcht dieser für unfehlbar gehaltene Fetisch einzuflössen vermag, wird sich noch herausstellen. Nachdem die Zauberhandlung erledigt war, baten unsere Leibdiener und die Vormänner des Gesindes um die Gunst, den gewaltigen Fetisch per- sönlich auf ihre Treue beschwören zu dürfen. Durch eine geringe Er- höhung des Honorares erwirkten wir ihnen diese Erlaubnis. Einer nach dem anderen trat vor das nägelgespickte Holzbild und forderte es in feierlicher Weise heraus, ihn zu strafen, sofern er seine Pflichten gegen uns verletze. Dabei tat ein jeder einige Schläge auf einen zu diesem Zwecke in den Leib des Fetisches getriebenen Nagel. Als die Reihe an meinen neben mir stehenden Jungen Ndembo kam, der sich viel darauf zugute tat, dass ich ihm volles Vertrauen schenkte, lachte er, hob die Schultern und lehnte einfach ab. Da die übrigen dennoch in ihn drangen, ging er zu dem Fetisch, griff ihm an den Kopf und schlenkerte ihm die Hand ins Gesicht, dass es klappte. Die Umstehenden waren zuerst ver- blüfft, dann lärmten sie los. Ein Ngänga lachte, der andere maulte ob des dem Mabiäla angetanen Schimpfes. Dieser Vorfall gab viel zu denken. Wäre der kecke Beleidiger nachher erkrankt, verunglückt oder gar gestorben, so hätte der Fetisch natürlich an Ansehen gewonnen. Da jedoch keinerlei üble Folgen ein- traten — ich traf den Täter sechs Jahre später noch wohlauf und zu einem stattlichen Burschen herangewachsen —, hätte die Wirkung nur entgegengesetzt sein können, wenn man nicht auch in Loängo rasch ver- gässe, was nicht in das System passt. Ndembo, der keineswegs frei war vom Glauben an Gespenster, Hexen und Zaubermittel, versicherte auf Befragen, dass dieses mäch- tige Zauberbild ihm gar nichts anhaben könne, weil es bloss schlechte Menschen töte. Dies entsprach nun allerdings der land- läufigen Anschauung. Aber von dieser Überzeugung, die ja offen- bar auch unsere übrigen Diener beherrschte, bis zur tätlichen Ver- höhnung des allgemein Gefürchteten, ist doch noch ein weiter Schritt. Bei einer späteren, unter anderen Verhältnissen in einem Dorfe vorge- nommenen Beschwörung, sowie bei dem Auftreten eines in der grotesken Maske des Mkissi Ndüngu die Eingeborenen bedrohenden und vielfach in die Flucht jagenden Mannes, zeigte der Junge eine ähnliche Haltung. So schlagend und frei vor allem Volke, wie oben beschrieben, habe ich Missachtung eines Hauptfetisches nur noch von einer zweiten Person, von einem Mädchen, bei einer grossen Zauberei beweisen sehen. Das resolute Mädchen stiess nach einigen lauten Worten den menschenähnlich gebildeten Fetisch so derb mit dem Fusse, dass er umfiel und sich über- rollte. Viele aus der Menge lachten, andere murrten. Grollend hoben Bangänga. Hauptabteilungen. Spezialisten. 405 die Bangänga das Holzgebilde auf, bliesen den Staub ab und fuhren fort zu zaubern. Weiter geschah nichts. Es sei ausdrücklich davor gewarnt, in derartigen Vorfällen etwa Anzeichen von besonderem Heldenmute oder freierer, überlegener Welt- anschauung zu erkennen. Den Übermütigen, die angesehenen Familien entstammten, gefiel es eben, leichten Sinnes oder im Zorne einmal ge- rade so und nicht anders zu handeln, ohne sich weiter zu bedenken oder Rechenschaft abzulegen. Sie würden, namentlich im höheren Alter, gewiss nicht zaudern, sich vertrauensvoll der nämlichen Fetische zu bedienen. Sie würden unter anderen Umständen, mit schlechtem Gewissen, sie auch fürchten und vor ihnen vielleicht eine sehr kleinmütige Haltung zeigen. — In der Zunft der Bangänga sind zwei Hauptabteilungen zu unter- scheiden: Zaubermeister und Medizinmeister. Der richtige Zaubermeister, der Ngänga mkissi, der auch Fetische macht, steht höher im Range oder dünkt sich höher als der Ngänga milöngo, als welcher auch der euro- päische Arzt gilt. Der Missionar wird Ngänga Nsämbi genannt. Aber die Meister sind ausgemachte Spezialisten, genau wie ihre Fetische. Nicht jeder Ngänga hilft in allen Fällen. Zum Beispiel unter- sucht der eine, ob jemand einfach krank ist, und behandelt die Krank- heit oder lässt einen anderen rufen, der gerade darin erfahren ist. Scheint dem sein Leidender besessen zu sein, so löst ihn ein dritter ab, der be- sonders mit Besessenen und Seelen umgehen kann. Mutmasst der Be- hexung, so hat ein vierter darüber zu befinden, ob es stimmt, alsdann hat ein fünfter die Hexe auszuspüren. Erst der sechste übernimmt viel- leicht die Durchführung der Giftprobe. Je ernster die Angelegenheit, desto mehr Meister, namentlich entfernt wohnende, werden damit betraut. Selbstverständlich dürfen die Kosten nicht abschrecken. Aus solcher Arbeitsteilung erwachsen Umständlichkeiten, Verschleppungen und nicht unerhebliche Kosten. Aber das ist, bis auf die Kostspieligkeit, ganz im Sinne der in Einzelheiten aufgehenden Leute. Auch haben sie dann das Bewusstsein, dass es infolge der verteilten Verantwortlichkeit in allen peinlichen Dingen gerecht zugegangen sei. Die Herstellung der Fetische, insonderheit des Kraftstoffes, wird mit gebührender geheimnisvoller Umständlichkeit und unter Befolgung vieler zauberischer Gebräuche betrieben. Das ist ja der Kern aller Kunst und Wissenschaft der Bangänga. Die Stellen, wo die Meister arbeiten, seien es Schuppen, umhegte einfache Hütten, seien es grössere Anlagen, die am seltensten vorkommen, sind stets in besonderer Weise ausgestattet. Namentlich Siedlungen, wo ganze Genossenschaften, Meister und Schüler hausen, werden mannigfaltig ausgebaut. Wirr durchwachsene unordentliche Wälle, von Reisig und Ge- strüpp umgeben, irrgartenähnlich angeordnete über mannshohe dichte 406 Niederlassungen. Treiben. Papyruswände oder niedrige lockere Zäune aus Palmwedeln durchziehen die Gehöfte. Sie zwingen den Nahenden, bestimmten Pfaden zu folgen, und den Eintretenden, der das Innerste erreichen will, vielfach hin und her oder ringsum zu gehen, falls sich ihm nicht die den geraden Weg sperrenden Zwischentüren auftun. Die Abbildung auf Seite 264 veran- schaulicht einen solchen Zugang. Vielerlei Stangen, schlanke Wedel- schäfte der Weinpalme, behauene, rohe oder bemalte Pfosten stehen einzeln, zu zweien, zu vieren in die Erde gerammt, sind hier ohne weiteren Schmuck, dort mit Wedeln und Fächern von Palmen, mit Gehängen von Bast und Schilf, mit Streifen buntfarbiger europäischer Zeuge auf- geputzt. Zwischen manchem Gestänge baumeln hoch oben, so gross wie Tragkörbe, aus allerlei Pflanzenteilen zusammengeschnürte Klumpen und Popanze. Schon weit ausserhalb der Baulichkeiten schwanken über den schmalen Zugangspfaden verknotete Grashalme und ineinander geflochtene Zweige zu beiden Seiten wachsender Büsche. Auf gesäuberten Plätzen, in engen, in das Pflanzengewirr eingeschnittenen Nischen, unter Bäumen, sind Kegel und Haufen von Erde errichtet, kurze Stöcke zu Pyramiden vereinigt, plumpe Holzkloben, Kübel, Töpfe, Trichter, Antilopenhörner, aus Blattscheiden und zerschlissenen Schaftenden von Palmwedeln zu- sammengewickelte formlose Puppen und andere (regenstände mehr auf- gestellt. Hier und da liegen ferner die schon beschriebenen grossen Tiergestalten, Krokodile oder Schlangen, wie sie sich auch an Weggabeln finden. Zur Verzierung der nicht allzu wetterbeständigen Erdgebilde dienen, ausser den harten Nüssen der Ölpalmen, bisweilen Muscheln und umge- kehrt eingesetzte vierkantige geriefte Geneverflaschen. Es fehlen auch nicht die zauberkräftigen Gewächse, deren Blätter, nach Vorschrift genossen, eine bestimmte Wirkung haben sollen. Daneben sind ferner wirkliche Fetische, je in der ihnen zusagenden Weise, untergebracht. Allenthalben verteilt im Innern der Anlage stehen geschlossene grosse und kleine Hütten, Schuppen und Schattendächer, wo Meister, (sehilfen, Lehrlinge wohnen und hantieren. Feuer werden unterhalten, nur des Nachts oder auch bei Tage, im Freien, unter Schutzdecken, von ausgewählten Holzarten, hell brennend, schwelend, mit schmauchenden Kräutern bedeckt, so dass der aufsteigende Dampf und Qualm weithin sich ausbreitet. Durch Schalle sucht man nach aussen zu wirken. Es wird auf den langen hohlen Stielen der Blätter des Melonenbaumes trompetet, auf seitlich angebohrten Antilopenhörnern sowie auf alten europäischen Blech- trichtern getutet und mittelst ausgehöhlter hölzerner oder aus Rinden- streifen gewickelter Sprachrohre ein greuliches Gebrüll hervorgebracht. Dieses scheint, namentlich zwischen dichterer Vegetation, aus verschiedenen Richtungen zu kommen, je nachdem das Gerät gegen Wände, aufwärts, Herstellung der Kraftstoffe. 407 abwärts zur Erde und vielleicht in einen Kübel gerichtet wird. Da- zwischen dröhnt der mächtige Bass des Brummfasses, lärmen eiserne Hand- glocken, Kürbisrasseln, Klappern, Pfeifen, verschiedene Trommeln, grosse europäische Messingbecken, stellenweise auch freischwingende, mit einem Schlegel bearbeitete Holzplatten, wie sie vielleicht heute noch bei uns auf Rittergütern dienen oder ländliche Gemeinden zusammenrufen. Flinten werden abgefeuert, Eisengeräte angeschlagen, Schwertklingen gewetzt. Kerbhölzer schnarren, Ketten klirren, Wände schüttern, Schilfdächer rascheln. Die mannigfaltige Ausstattung ist übrigens selbst an den bedeutendsten Plätzen nicht vollständig, sondern nur teilweise und in verschiedener Zu- sammenstellung zu finden. Die Einrichtung hängt ab von der Laune, von der Geschicklichkeit und nicht zum wenigsten auch vom Vermögen der daselbst hausenden Meister, ebenso von den Gebräuchen, deren Be- folgung für notwendig gilt, um ngilingili zu bereiten und bei Kräften zu erhalten. Wie die Ausstattung, so der Lärm. Manchmal schwillt er zu wirrem (Getöse an, das stundenlang fortdauert und schliesslich in ein- tönigem Trommelschlag verhallt. Wenn kein Fetisch hergestellt, kein Kranker behandelt, kein Frager beraten, kein Lehrling oder Gehilfe ein- geweiht, wenn überhaupt nicht gezaubert wird, dann ist es an solchen Orten recht still, und die Bangänga gehen, wie andere Leute, alltäglichen Ge- schäften nach. ‚Je nach dem Zwecke, dem es dienen soll, wird ngilingili verschieden zusammengesetzt. Die Mischung gilt als Geheimnis. Die Hauptrolle spielen Teile und Absonderungen von Pflanzen und Tieren, die recht giftig sind oder für giftig gehalten werden: Blätter, Blüten, Säfte, Früchte, Wurzeln, Rinde von Kräutern, Büschen, Bäumen, Lianen; Galle, Schnurr- haare und Kot von Leoparden, Galle vom Krokodil, Köpfe von Schlangen, Fröschen, Eidechsen, Schildkröten, Fischen; Krabben, Skorpione, aller- hand Gewürm; Augen, Gehirn, Lebern, Federn von einigen Vögeln, Haut- stückchen, Haare, Fussteile und Mist von Tieren, die sehr flink, stark oder mutig sind; Geschabsel von Zähnen, Hörnern und Knochen. Dazu kommen noch Harze, bunte Erden, Speichel, Salz und salziger Schlamm aus den Manglaren, Rotholzpulver und was sonst noch die Einbildungs- kraft der Bangänga reizen mag. Teile vom Körper des Menschen oder vom Hausschwein werden nicht benutzt; nur Frauenmilch, die überhaupt als ein trefiliches Mittel gegen unmittelbare Vergiftungen gilt, und, wie bei Kunstschmiedearbeiten, Jungfrauenurin sollen gelegentlich verwendet werden. Die gebräuchlichsten Rohstoffe finden sich im Kasten und Körben aufbewahrt und werden nach Erfordernis ausgewählt und gemischt; andere müssen erst mühsam frisch beschafft werden. Die am häufigsten 408 Herstellung der Kraftstoffe. begehrten gewöhnlichen Kraftstoffe sind in der Regel schon fertig zubereitet und werden, wie bei uns Hausmittelchen und Patentmedizinen, vorrätig gehalten. In der Tat ist eine Zauberbude nichts anderes als eine wilde Apotheke und erinnert durch ihre Ausstattung mit allerhand totem Getier und Kuriositäten recht sehr an die altmodischen Spezereigewölbe, die noch vor einem Menschenalter bei uns nicht selten waren und sich ver- einzelt in weltfernen Winkeln bis zur Gegenwart erhalten haben. Schädel und überhaupt Knochen von Menschen sah ich niemals in den Zauber- buden. Sehr wichtig für die Art und Stärke des Giftes ist die Auswahl der Stoffe, die Reihenfolge ihrer Mischung und die sorgsame Beobachtung von Verhaltungsregeln. Das Gelingen des Werkes hänst davon ab. Den Kraftstoff für einen sehr starken Fetisch herzustellen, gilt für ein gefähr- liches Unternehmen und erfordert umständliche Vorbereitungen. Denn es liest in der Natur der Kräfte, die verbunden werden sollen, dass sie von aussen günstig oder ungünstig beeinflusst werden, und dass sie sich sogar gegen die Meister wenden, die etwas versahen. Einst soll ngilingili, gerade als es fertig war, mit fürchterlichem Geprassel in hellen Flammen aufgeschossen und durch die Luft gefahren sein. Die mit ihm Hantierenden waren versengt und weggeschleudert, die Baulichkeiten im Nu vernichtet worden. So erzählte unser Dolmetscher. Er hatte die feurige Lohe selbst gesehen und meinte, die Kräfte wären zu stark, die Bangänga zu dumm gewesen. Dergleichen Vorfälle beweisen eben, wie gefährlich der Beruf ist, und mahnen zur Vorsicht. Die stärksten Fetische können eben nur die klügsten Meister her- stellen. Wer seiner Sache nicht sicher ist, der fragt sie um Rat oder vereinigt sich mit ihnen zum grossen Werke. Zunächst wird, falls es sich lohnt, an einsamer Stelle eine neue Zauberbude mit Nebengelassen er- richtet, gegen Neugierige umzäunt und gegen Annäherung Unberufener verwahrt. Dann wird vielleicht bekannt gemacht, dass Weiber oder Leibeigene oder Haustiere oder überhaupt Menschen in bestimmten Zu- ständen wie nach Vornahme gewisser Handlungen die abgesteckten (srenzen nicht überschreiten dürfen. Manchmal beziehen sich die Ver- bote auch nur auf Reden, Lachen oder Singen, auf Wassertragen, Palm- weinzapfen, Jagen, Tabakrauchen, auf Leichenzüge, Handelskarawanen und was sonst noch für schädlich gehalten werden mag. Die Gehilfen müssen unterdessen allerlei seltene oder schwierig zu erlangende Dinge von bestimmten Örtlichkeiten, oft von weither beschaffen. Manchmal begeben sich zu diesem Zwecke die Meister selbst auf Reisen und leben dabei nach gemeinsam ausgetüftelten Vorschriften: sie geniessen weder Rum noch Palmwein noch Fleisch, und leben nur von Pflanzen- kost Sie grüssen bei Begegnungen in besonderer Weise, reden vielleicht Herstellung der Kraftstoffe. 409 nicht, rauchen nicht, berühren weder Weiber noch deren Geräte, halten sich stets windwärts von anderen Leuten, von Feuern und starken Fetischen, umgehen Gewässer, Moräste, Gipfel von Erhebungen, Pflan- zungen, gewisse Bäume und Sträucher. Sie beachten den wachsenden oder abnehmenden Mond, den Gang der Gezeiten, Wind und Wetter. Kurzum, ihr Tun oder Lassen während solcher Pilgerfahrten ist anders als im alltäglichen Leben, wie es ihr Vorhaben erheischt. Nachdem endlich alles Erforderliche regelrecht beschafft worden ist, sondern sich die Meister mit ihren eigenen Fetischen für Tage oder Wochen auf dem Zauberplatze ab. Sie bemalen sich mit bunten Farben, putzen sich ungewöhnlich auf, tragen vielleicht Masken, hungern, dursten und wachen abwechselnd. Sie ordnen ihre Rohstoffe und bereiten sie zu. Sie reizen, quälen, rösten langsam lebendig verschiedene Tiere, um ihren Speichel und ausschwitzende Säfte zu gewinnen. Die Gehilfen leisten die Handreichungen. Natürlich muss man während dieser Verrichtungen andere gefährliche Kräfte abhalten, sowie böse Seelen verscheuchen. Es wird bald geschwiegen bald gelärmt. ‚Man trommelt, klappert, rasselt, ruft, brüllt, pfeift, tutet; man trippelt, tanzt, läuft ins Freie, reisst Stauden, Büsche, Bäume aus und schleppt sie unter Toben und Schreien zusammen. So muss man sich ganz ungeheuer plagen. So wird das Gift immer stärker, so schwillt die Kraft des künftigen Fetisches immer mächtiger an. Zum Schluss werden die erlesenen und gewonnenen Mittel über Feuern geschmolzen, gekocht und zusammengerührt, wobei auch Sprüche sowie Bewegungen der Hantierenden und ungewöhnliche Körper- haltungen notwendig sein können. Das Endergebnis ist ein rasch er- härtender harziger, an (Gregenständen fest haftender Teig, worin die gewünschte Kraft versammelt ist. Das Ngilingili, die Hauptsache am Fetisch, ist fertig. Ob es in Schnitzwerk, Beutel, Topf, Kasten getan oder in irgendwelcher anderen Weise untergebracht wird, ist Ge- schmackssache. Das Zauberwerk ist beendet. Die Bangänga sind durch ihre Privat- fetische sowie durch ihre Gelahrtheit und Kunst vor Unglück bewahrt worden. Sie packen ihren Kram zusammen, verbrennen sorgfältig alle Überbleibsel sowie das ganze Anwesen, falls es eigens für das Unter- nehmen errichtet worden war, und gehen ihrer Wege. Bei ihren Wahrsagereien, um in grossen und kleinen Dingen das Richtige zu erkennen, bedienen sich die Meister, ausser ihren besonderen Fetischen, verschiedenartiger Hilfsmittel, aber derartig, dass ein jeder nur wenige vorzugsweise oder eins ausschliesslich anwendet. In wichtigen Fällen verlangt er, dass noch andere, entfernt wohnende Zauberer be- fragt werden sollen. Selbstverständlich hat er sich für grosse Dinge durch Enthaltsamkeit sowie durch Beachtung der zweckdienlichen Regeln 410 Wie Verborgenes entdeckt wird. vorzubereiten. Während er in gewohnter Weise hantiert, richtet er seine Gedanken auf das, was aufzuklären ist. Es wird eine kahle Stelle des Bodens gefest und eine Matte darauf- gebreitet. Der Ngänga setzt sich, nimmt aus seinem Fetischbeutel gleich gross geschnittene Rohrstückchen, Hölzchen, Eisenstäbchen, Nägel, glatte Steinchen, Leopardenkrallen oder kleine Knochen, je nachdem er mit Gegenständen der einen oder der anderen Art zaubert. Er riecht an ihnen, bläst darüber, besprudelt sie mit Kolanuss oder stärkt sie mit allerlei Geschabsel, schüttelt sie zwischen den hohlen Händen, wirft sie mit einem gewissen Schwunge auf die Matte und untersucht wie sie sich geordnet haben. Ein anderer trägt verschiedene der beschriebenen Gegenstände in einem derben Sacke bei sich. Den öffnet er und schüttelt ihn so lange, bis einiges vom Inhalte heraus und auf die Matte fliegt. Danach zieht er seine Schlüsse. Ein dritter reisst in die sauber gefegte Erde ein etwa metergrosses Quadrat und teilt es in kleinere Fächer. In der Regel sind es neun. Er setzt sich daneben und legt verschiedene Gegenstände in beliebige Felder. Dann reibt er langsam und nachdenklich die Handteller an- einander, verändert die Ordnung, reibt wieder die Hände, wechselt viel- leicht auch seinen Sitz, und fährt mit alledem so lange fort, bis die Handflächen aneinander haften. Dann ist er belehrt. Ein vierter schlägt, abgewendet oder bei geschlossenen Augen, mit einer schwanken Gerte über den linken Arm in die Quadrate, Rauten oder in andere von ihm bevorzugte Figuren, und sieht nach, wie die Schmitze verlaufen. Der fünfte hält einen krummen Gabelzweig wie eine Wünschelrute in beiden Händen und merkt auf, wie die Spitze in seine Zeichen oder an seine verstreuten Zauberdinge tippt. Mancher Weise wirbelt sein altertümliches Messer in die Luft und beobachtet, wie es die Erde berührt. Statt des Messers dienen auch geritzte Bleiplatten oder ziselierte Geräte von Kupfer: Armringe, Scheiben, auch bloss roh gegossene liegende Kreuze, die im Tauschhandel aus dem Inneren kommen. Auch ein Stock wird befragt. Ein Gehilfe hält ihn oben, und der Zauberer schiebt das untere Ende auf festem Boden hin und her. Ab und zu wird ein frisch geschnittener Stab derartig ge- spalten, dass die Enden unverletzt bleiben. Das Stück wird fest auf die Erde gedrückt, der Stock in dem Spalt hin und her bewegt. Sitzt er fest, so hat man richtig geraten. Eine aus dem Ganzen geschnitzte und oft hübsch verzierte Holz- büchse mit übergreifendem Deckel gibt ebenfalls Auskunft, und zwar in der Weise, dass der während des Nachdenkens gedrehte Deckel sich willig lösen lässt oder auf einmal festsitzt. Ebenso verhält es sich mit einem Kiele vom Stachelschwein, der in einer durchbohrten harten Frucht, Wie Verborgenes entdeckt wird. 411 in einem Holzklötzchen, im Kopfe oder Rumpfe eines kleinen tier- oder menschenähnlich gebildeten Fetisches steckt (Abbildung Seite 364). Zähe und biegsame Rohrsplinte, Stücke von Stricken oder festen dünnen Lianen werden folgendermassen benutzt. Der Meister legt ganz gleichartige und gleich lange locker gebündelte Stücke auf die Erde und bedeckt sie mit einer Matte, dass nur die Enden auf beiden Seiten her- vorragen. In die Mitte der Decke kommt irgendein Gegenstand oder ein Fetisch, bisweilen auch ein unmündiges Kind. Dann ergreift der Handelnde auf beiden Seiten gleichzeitig je eines der vielen sichtbaren Enden und prüft, ob sie zu einem Stück gehören, ob er damit die Be- lastung von der Erde zu lüpfen vermag. Das Gelingen bestätigt die Richtigkeit seines Gedankens. Ein an einem Faden und Stäbchen hängender Kupferring wird in ein leeres Gefäss gehalten, während der Zauberer an die Verdächtigen denkt. Der Ring gerät bald in Schwing- ungen und erteilt Auskunft, indem er gegen die Gefässwand schlägt. Auch wird Wasser in einem nicht zu kleinen Topf mit der Hand oder mittelst eines Zaubergerätes in wirbelnde Bewegung versetzt und eine Handvoll kleiner Schwimmer von Pflanzenmark hineingeworfen. Wie sich diese nach dem Aufhören der Wasserbewegung geordnet haben, so ist die Entscheidung gefallen. Mancher Ngänga verschmäht es, mit den bisher beschriebenen Mit*teln zu arbeiten. Er traut sich mehr zu und holt sich seine Weisheit aus einer mit Wasser angefüllten Schüssel oder aus einem Spiegel, indem er lange und aufmerksam hineinblickt. Es scheint, dass er seine Künste auch gern des Abends ausübt und, als eine Art Sterndeuterei, nach an- gemessenen Vorbereitungen, unter Wenden und Drehen des Körpers und Beugen des Kopfes, aus Spiegelbildern von Gestirnen seine Weisheit schöpft. Wenn man die Leute, die eine Übeltat begangen haben können, bereits zur Hand hat, oder wenn sich, um schleichende Verdächtigung im voraus abzuwehren, Freiwillige zur Probe melden, so wird anders verfahren. Es kommen, je nachdem es sich um kleine oder grosse Ver- gehen oder gar um Hexerei schlimmster Art handelt, geringfügige oder ernsthafte Verfahren zur Anwendung. Der Schuldige wird nach allen Regeln der Kunst ausgezaubert. Es geht nun nicht mehr ganz so nüchtern und alltäglich zu, wie bei den bisher beschriebenen Wahrsagereien. Denn bei diesen haben zwar Bangänga ihre Privatfetische, ihre ohnehin steten Begleiter, an sich, halten es aber selten der Mühe wert, sich aufzuputzen oder auch nur zu bemalen. Bei den nun zu beschreibenden Handlungen, wo es vielmehr darauf ankommt, Eindruck zu machen, stimmungsvolles Gruseln zu erregen, und ihr Können überzeugend darzutun, treten sie, je nach Wichtigkeit des 412 Grashalme ziehen. Das heisse Eisen. Falles, gewöhnlich in kleiner oder grosser Gala auf, die jedoch immerhin nicht besonders grotesk ist. Sie ziehen Hauptfetische heran, tanzen, trippeln, springen, lärmen, rufen, reden wohl auch einmal mit verstellter Stimme; kurzum, sie steigern ihre Künste bis zur regelrechten grossen Zauberei, stellen sich aber niemals so an, als ob sie rasten, als ob ein Geist in sie hineingefahren wäre. Ein Dieb, der Verüber eines zufällig oder absichtlich angestifteten Schadens, eines unanständigen Angriffes auf Mädchen oder Frauen soll entdeckt werden. Die zu prüfenden Leute treten in gerader Linie oder im Halbkreise an. Ein Gehilfe geht langsam an der Reihe entlang und lässt Mann für Mann aus einem Bündel langer Grashalme je einen ziehen und am Ende festhalten. Dicht hinter dem Gehilfen schreitet der Meister, packt das andere Ende des gezogenen Halmes und zerreisst diesen mit einem Ruck. Hat er selbst den kürzeren Teil in der Hand, so winkt er dem Gegner, der nun entlastet aus der Reihe scheidet; ist das Los umgekehrt gezogen, so muss der Mann bleiben. In dieser Weise werden alle Leute der Reihe nach geprüft und die nicht Ausgeschiedenen wieder- holt, bis man schliesslich nur noch den oder die Übeltäter auf dem Platze hat. Wer sich erst beim zweiten oder dritten Male frei zieht, an dem bleibt der Verdacht hängen, dass von früher her sein Gewissen nicht ganz rein sei. In ähnlicher Weise verfährt ein Neänga, der nicht Halme, sondern ein bewegliches Federtähnchen benutzt, das er den Leuten dicht vor das Gesicht hält und spielen lässt. Dabei sieht er ihnen scharf in die Augen und entscheidet nach nur ihm bekannten Anzeichen, wer aus- treten, wer bleiben soll. Gelegentlich wird auch eine Art Wasserprobe veranstaltet. Die Verdächtigen müssen nacheinander einen zum Überlaufen mit Wasser gefüllten Topf aufheben oder eine ziemlich vollgegossene Kürbisschale auf den Kopf nehmen und, getreu die Bewegungen des Ngänga nach- ahmend, einen Tanz um den zu diesem Zwecke mitgebrachten Fetisch aufführen. Der Meister vermisst sich, je nachdem durch die Bewegungen die Flüssigkeit vorwärts, rückwärts oder seitwärts verschüttet wird, den Schuldigen zu entdecken. Häufig pflegt man das heisse Eisen anzuwenden. Gewöhnlich wird ein Messer mit ziemlich langer und breiter Klinge im Feuer erhitzt und durch die Luft geschwungen oder über feuchte Kräuter gestrichen oder zwischen sie gelegt, bis es nach Wunsch abgekühlt ist. Man wendet es in zweierlei Weise an. Entweder hat der zu Prüfende das Messer an der Klinge aus den Kräutern zu nehmen und dem Ngänga zu überreichen, oder dieser selbst, und das kommt am häufigsten vor, packt es am Griff und streicht ihm mit der Klinge über die Waden oder schlägt mehr- mals ziemlich derb darauf, Entstehen sofort in der Hand, an den Beinen Wasserprobe. Seele. Hexenwerk. Stimmung. 413 starke Brandmale, so ist die Schuld erwiesen. Wenn es sich jedoch, wie bei einem echten Ndödschi, um Tod und Leben handelt, muss zu- letzt die Giftprobe entscheiden. In nördlichen Teilen des Landes sucht man Hexenwerk in folgender Weise zu entdecken. Ein grosses Gefäss wird mit Wasser und Zauber- mitteln gefüllt. Die Verdächtigen und die, die klugerweise freiwillig mittun wollen, haben es vom Boden abzuheben, was dem Schuldigen nie gelingen soll. Oder sie waschen sich darin Brust, Nabel und betupfen sich Ohren und Stirn. Darauf wird das Gefäss an der Stelle, wo der vermeintlich Behexte umgekommen ist, oder vor der Schwelle der Baulich- keit, wo der Tote liegt, in eine Vertiefung des Bodens entleert. Darüber schreiten nun in vorschriftsmässiger Haltung alle hinweg, die sich mit dem . Zauberwasser benetzt haben. Dem Schuldigen erscheint in diesem Augenblicke das Abbild seines Opfers. Er erschrickt, bebt zurück oder stolpert und verrät so sich selbst. Nach anderen Angaben merken die Zuschauer nichts besonderes, aber der Ndödschi stirbt in kürzester Zeit, die Zaubermittel töten ihn unfehlbar. Dass man diesen trotzdem nicht immer traut, beweist die Durchführung der regelrechten Giftprobe auch in jenen Landesteilen. Wie wir schon wissen, entspringt das nachhaltige Aufspüren und Niederhetzen Verdächtiger nicht bloss der allgemeinen Furcht vor Hexen- werk, dem Selbsterhaltungstriebe, sowie dem Verlangen nach Rache, sondern hauptsächlich dem Wunsche und der Pflicht, der Seele eines böswillig in seiner Lebensdauer Verkürzten die Ruhe zu geben. Erst wenn die Verbrecher gerechte Strafe erlitten haben, ist den Abgeschie- denen (renüge getan. Vom Aufkommen des schlimmen Verdachtes ist bereits die Rede gewesen (Seite 334). Vielleicht hat man bekannte Übeltäter, Bestrafte, offenkundige Tunichtgute, Dorflumpen, Mürrische, Geizige, Gekränkte, Neidische, Zanksüchtige, die den Argwohn herausfordern. Vielleicht streben Übelwollende, Habgierige, eifersüchtige Machthaber danach, die Gelegenheit auszunutzen und ihnen hinderliche Personen aus dem Wege zu räumen. Wer freundlos, nicht einwandfrei, nicht stark durch Familien- bande ist, schwebt in grösserer Gefahr als andere. Das Ansehen, der Leumund des einzelnen ist von grösster Tragweite. Ebenso die im Volke gerade herrschende Stimmung. Solange die grosse Menge nicht auf- gereizt worden ist und frei bleibt von der Erregung, die in schlimmen Zeiten nach Sühnopfern verlangt, solange ist sie erstaunlich gleichgültig selbst erschreckenden Vorgängen gegenüber. Und die öffentliche Meinung ist sehr zu beachten, Anklagen wegen böswilliger Zauberei haben ihre Schwierigkeiten und ihre Gefahren. Es gilt mancherlei Rücksichten zu nehmen, Stellung, 414 Geltung des Menschen. Gottesurteil. Einsatz. Familienbeziehungen zu beachten, überhaupt den Wert des Menschen abzuschätzen. Auch wollen Gläubiger ihre Schuldner nicht ohne weiteres umbringen lassen. Ferner gilt es, die Mittel zu beschaffen, einmal, um die Bangänga für ihre nur selten kurzerhand zu erledigende Tätigkeit zu entlohnen, sodann, um den Erdherrn, vielleicht mehrere Erdherren nebst Beratern durch Abgaben und Geschenke willfährig zu stimmen. Alle diese Vorbereitungen sind langwierig und kostspielig. Hexenprozesse sind Privatangelegenheiten, falls es sich nicht um einen ausgemachten gemeingefährlichen Ndödschi handelt, dem ein Grosser zum Opfer gefallen ist. Sie können von der öffentlichen Meinung ge- billigt, gefordert, sie können aber auch verworfen werden. Nur der von der Gerechtigkeit seiner Sache vollständig Überzeugte, nur der Zahlungs- fähige wagt es, sie anzustrengen. Doch kommt es vor, dass ein Ver- dächtigter, der um seine gesellschaftliche Stellung besorgt ist, sich im Vertrauen auf seine Makellosigkeit freiwillig der Giftprobe unterwirft und sogar selbst die Kosten trägt. Aber er mag damit eine Herausforderung verbinden. Der Gekränkte schwört sich feierlich frei bei Nsämbi, bei der Erde, auf das Haupt seines Widersachers. Bleibt der nun hart- näckig, so muss er ebenso nachdrücklich seine gegenteilige Überzeugung beschwören. Nachher nehmen beide zugleich das Gift. Einer hat un- recht und der stirbt. Das ist das echte, aber selten vorkommende Gottesurteil, ein passiver Zweikampf. Man hätte ein reines Gottesgericht, wenn nicht doch der Fetischismus damit verquickt wäre. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Giftproben wirken Fetische öffentlich allerdings nicht mit, werden aber insgeheim desto eifriger beschworen. Man traut zwar Nsämbi, dass er die Hauptsache gerecht entscheide, aber man zweifelt, ob er die Zaubermittel des Gegners abhalte. Noch viel wichtiger sind Fetische, wenn es sich um ausgemachte Hexen handelt; denn da Nsämbi sie überhaupt gewähren lässt, kann man während der Giftprobe eben nur durch stärkste Fetische ihre bösen Künste abwehren. So wird denn schliesslich jedes Grottesgericht mindestens äusserlich zu einem Fetisch- gerichte. Gelegentlich setzt ein Beleidigter seiner Familie gesamte Habe für seine Ehrenhaftigkeit ein und verlangt, dass der Gegner es ihm gleich tue. Gelingt es diesem, den Einsatz zu halten, dann mag durch die Entscheidung eine ganze Familie verarmen, unter Umständen sogar un- frei werden. Übrigens hat selbst im einfachsten Falle der, der seine Schuldlosigkeit erwiesen hat, ein Anrecht, von den Anklägern entschädigt zu werden. Alle solche Möglichkeiten wirken abschreckend, warnen vor über- eilten Ausbrüchen des Verdachtes. Sie verhindern manche Anklage oder wenigstens die Durchführung der Giftprobe. Mancher hat es ja eilig, Verdacht. Öffentliche Meinung. Durchstechereien. 415 falls seine Versicherung bezweifelt wird, zu rufen: ich nehme Gift darauf! Aber er tut es deswegen noch lange nicht. Wie die anderen, die gleich anfangs zaudern und sich herumdrücken, rechnet er mit Angehörigen, Blutsbrüdern und Freunden, mit seiner Beliebtheit, sowie mit Palaver- künsten. Wie immer die Angelegenheit stehen und wen sie, mit den schon erwähnten Ausnahmen, betreffen mag, die nächste Folge wird sein, dass man langwierige Untersuchungen und Verhandlungen beginnt, Leu- mundszeugen beschafft, grosse Familien- und Erdschaftspalaver abhält. Derweile mag der hitzige Ankläger in die Dörfer, auf die Märkte ziehen, aller Welt seine Beschwerden haarklein halb singend mit leiden- schaftlichem Ungestüm vortragen. Es nützt ihm nicht viel. Es kann geschehen, dass ihm Ruhe geboten, dass er hinausgeworfen wird. Ja es kann geschehen, dass der Beklagte selbst, ein Freund oder gemieteter Anwalt ihm entgegentritt, ihn niederschreit, lächerlich macht — ngänga mpäka: Prozesshansl. Unterdessen wird die Untersuchung weitergesponnen, und. die Parteien erklären sich allmählich für und wider. Die ganze Art der umständlichen, redelustigen und tüfteligen Leute, die alle ihre Weisheit anbringen wollen, wirkt hierbei günstig. Zumal wenn die Seele sich nicht meldet, wenn weder Zeichen noch Wunder geschehen. Denn vielleicht begibt sich inzwischen etwas Neues und Aufregendes, das die Aufmerksamkeit ablenkt und längere Zeit fesselt. Das ist eine Uhter- brechung. Die Angelegenheit tritt in den Hintergrund und wird nachher vielleicht gar nicht wieder aufgenommen. Man ist ihrer überdrüssig. Wer aber trotz aller Palaverkünste und Durchstechereien die öffent- liche Meinung gegen sich hat und dessenungeachtet noch zaudert, sich durch die Probe zu reinigen, der wird scheel angesehen, kommt in Ver- ruf, wird: von allen gemieden. Er gilt nicht mehr für respektabel und ist gesellschaftlich so gut wie tot. Selbst die besten Freunde fallen von ihm ab, und seine Familie fühlt sich mit Schande beladen. Einem solchen Drucke wird auch der Widerwilligste selten lange widerstehen, er müsste denn vorziehen, in die Fremde, ins Elend zu gehen. Der Gedanke ist jedoch den Leuten meistens schrecklicher als der an die Giftprobe. Kleine Leute freilich, die nicht mit einflussreichen Angehörigen und Freunden den Austrag der Probe verschleppen können, werden in stür- mischen Zeiten bald handgreiflich dazu gezwungen. Es ist eben von grösster Bedeutung, wer klagt, gegen wen, und unter welchen Umständen, ob ein bezahlter Hexenmeister anschuldigt oder ob der Volksglaube sich sofort gegen eine Person wendet. Die Bangänga, die die Tat feststellen, die Anklage erheben, die Gift- probe durchführen, sind keineswegs selbst gegen die nämliche Anklage geschützt. Sie bleiben auch sonst nicht immer ungeschoren, mögen sogar recht übel anlaufen. Mavüngo, ein kleiner Dorfherr, der, weil er als 416 Anklagen gefährlich. Giftproben bedenklich. Junge bis nach England gereist war, sich am liebsten Jack Knife nennen hörte, tötete in der ersten Wut auf der Stelle einen ihn gar zu dreist der Hexerei beschuldigenden Ngänga und erklärte sich sofort mit Ein- setzung seines Vermögens zur Giftprobe bereit. Für den Totschlag musste er eine hohe Busse an die geschädigte Familie zahlen, wurde jedoch sonst nicht weiter behelligt. Er besuchte unser Gehöft von Zeit zu Zeit und hat mich über manches gut belehrt, erwies sich indessen als einer der ärgsten Zaubergläubigen, die mir vorgekommen sind. Von Fetischen schleppte er stets eine tüchtige Last mit sich herum, und daran hängend ein schweres Kettenstück nebst zwei schönen Kuhglocken, deren Greeläute ihn von weither anmeldete, und ihm den Namen Almen- rausch verschaffte. Den Bangänga gegenüber hat man seine Bedenken. Die Giftprobe ist ja kein reines Gottesgericht, sondern auch ein Fetischgericht. Kraft steht gegen Kraft. Die Meister können ohne Wissen und Willen fehlen, zu schwach sein mit ihren Kräften, ihre Fetische falsch leiten. Man ist doch selbst kein Schwarzkünstler, Verwandte und Freunde sind es auch nicht. Wie viele haben sich durch die Giftprobe als makellos erwiesen, waren demnach unberechtigterweise angeklagt und verfolgt worden. Und wie viele ebenfalls Unschuldige können noch bezichtigt werden und haben die verderblichen Folgen für sich und ihre Familie zu tragen. Deswegen übertrifft die Furcht vor der Anklage, womit der gesellschaftliche Ruin, was auch die Erdschaft angeht, nur zu oft so gut wie besiegelt ist, noch die Furcht vor den alle bedrohenden Hexen. Zumal da ausgelernte Schwarzkünstler sich durch Hexenmittel feien mögen, so dass gerade die Schlimmsten frei ausgehen. Es gibt Leute genug im Lande, die, durchaus nicht frei von Hexen- furcht, die Giftprobe verwerfen und das ganze Treiben mit Misstrauen betrachten. Man hört ganz verständige Ansichten. Sie wagen nur nicht, ihre Meinung überall freimütig herauszusagen, denn die Masse steht gegen sie und ist gefährlich. Doch beweisen die noch zu schildernden religiösen Erweckungen, dass von Zeit zu Zeit ähnliche Gedanken über grössere Kreise des Volkes Macht gewinnen und die Menge zu ungewöhn- lichen Handlungen fortreissen. Auch spielen Unzufriedenheit und Miss- trauen sowie das Bedürfnis nach einem auf Gegenseitigkeit gegründeten Schutz in Hexenangelegenheiten in Geheimbünden sicherlich eine wesent- liche Rolle. Die Frauen von Lubü, so wurde mir am Orte versichert, beraten auf dem Platze, wo einst ihr Seite 385 geschildeter Fetisch Mpömba wirkte, ebenfalls über diese Dinge. Die Bangänga, die selbstverständlich nicht weniger als ihre Mit- menschen glauben, sollen, da sie nur Werkzeuge sind, für den Ausgang der Probe nicht verantwortlich sein. Mindestens möchten sie das zum [4 Hexengerichte nicht zahlreich. Battell. 417 Grundsatz erhoben wissen. Aber darauf ist kein Verlass. Sie haben sich vorzusehen. So deuten sie als Unbefangene manchen Vorfall anders als Beteiligte, und halten Anzeichen nicht für genügend, um die Anklage aufzunehmen. Sie vermitteln und begütigen, um einen Irrtum zu verhindern, dessen Nachweis freilich auch sie in Mitleidenschaft ziehen könnte. Sie entdecken nicht immer Hexenfrevel, sondern andere Ursachen. Sie weisen auf Nsämbi und den natürlichen Tod hin, bezichtigen Verstorbene, oder bebürden die anscheinend Behexten selbst mit der Schuld, wissentlich oder unwissentlich gegen ihr T'schina verstossen zu haben. Alles das lässt schon erwarten, dass Hexengerichte hochnotpeinlicher Art keineswegs so häufig vorkommen, wie man annehmen könnte, wenn man den an der Küste umlaufenden Erzählungen lauscht. Es wird da viel geredet, stark übertrieben und, nach Menschenart, dem wissbegierigen Neuling so vieles aufgebunden und ernsthaft versichert, dass er mit dem Wenn und Aber ganz kleinlaut wird. Es stimmt ja auch alles so schön mit Überliefertem zusammen. Man muss es nur nicht gleich drucken lassen. In Jahr und Tag lernt der Gewissenhafte, der mehr Respekt vor Tatsachen als vor Theorien hat, aus eigener Erfahrung prüfen und vergleichen. Er gewinnt seine volle Unbefangenheit und bereut, wenn er sich hat gar zu sehr beeinflussen lassen. Woher sollte denn über- haupt noch die Bevölkerung eines Landes kommen, wenn für jeden Todesfall etliche oder gar ein Dutzend und mehr vermeintliche Schul- dige umgebracht würden? Ist doch die natürliche Vermehrung nicht stark. Und so oft Missernten und in ihrem Gefolge Hungersnot und Seuchen das Land heimsuchen, wie zu unserer Zeit, sterben ohnehin erschreckend viele Menschen. Die Wiedergabe der Erzählungen Battells im Purchas kennzeichnet so recht die ganze Unsicherheit verarbeiteter, auf Hörensagen beruhender Berichte. An einer Stelle heisst es, dass im Lande keiner von Bedeutung sterbe, ohne dass sie einen anderen für ihn töten. Alle die Verdächtigen werden durch Freunde der Toten nach des Königs Residenz gebracht, damit sie sich dort der Giftprobe unterwerfen. Manchmal nehmen fünf- hundert Männer und Frauen den giftigen Trank: „Das wird gethan im Orte Longo (Loängo) fast jede Woche im Jahre.“ Aber an einer anderen Stelle, wo das Hexengericht und die Herstellung des Giftes noch- mals genau beschrieben wird, heisst es ausdrücklich: „Jede Woche kommt es vor, dass der eine oder der andere dieser Probe unterworfen wird.“ Wenn die Angaben sich dergestalt nicht selbst berichtigten, könnte man verleitet werden, zu schliessen, dass Hexengerichte seit drei Jahrhunderten sehr ausser Gebrauch gekommen wären. Gleich abweichend lauten die Sätze über die Anzahl der Personen, die in Yumba vor dem Fetisch Maramba erprobt wurden. Die angezogenen Stellen finden sich in 27 Loango. 418 Dapper. Proyart. Degrandpre. verschiedenen Bänden des Purchas zerstreut. Je nachdem man liest, kann man belegen. Und je nachdem man dazu draussen Gehörtes so recht blutig ausmalt, kann man Grauen erwecken und die abgrundtiefe Ver- kommenheit der Wilden kennzeichnen. Dapper, der die Angaben vieler Gewährsleute verarbeitet hat, schil- dert ausführlich, wie umständlich es wäre, wie zwei bis drei Monate darüber hingingen, bis eine Anklage erhoben und bis des Königs Erlaub- nis zum Gericht erlangt werden könnte. Proyart und auch Degrandpre, der im Lande lebte, erwähnen die Giftprobe, machen aber kein Aufhebens davon. Bemerkenswert ist dies namentlich bei Proyart, der die Berichte von Missionaren verarbeitet hat. Er und Dapper weisen ferner darauf hin, dass man Schuldigen, wenn es sich nicht um Halssachen handele, ein Gegengift eingebe, um sie am Leben zu erhalten und nach gemeinem Rechte zu bestrafen. Hexenprozesse erregen immer Aufsehen, und wer sich darum bemüht, hört wenigstens von ihnen. Zu einer Giftprobe laufen die Leute zusammen, wie sie bei uns in meiner Jugendzeit hinwallfahrteten, wenn einer ge- köpft wurde, was damals noch öffentlich geschah und, wie ich aus eigener Anschauung weiss, ein Volksfest, beinahe eine Volksbelustigung war. Mütter pflegten, wenn das Beil blinkte, ihre Kleinen hochzuheben, damit sie ja den kritischen Augenblick nicht verpassten. Uns sind in Jahren und in einem grossen Gebiete, trotz schweren Notstandes und unverhältnismässig zahlreicher Sterberälle, nur dreizehn Hexenprozesse bekannt geworden. Aber bloss sieben kamen wirklich zum Austrag, und drei davon endeten glücklich. Zweifellos sind uns andere Vorfälle verborgen geblieben. Immerhin dürfen wir versichern, dass Hexengerichte keineswegs zu den alltäglichen Geschehnissen gehören. Rauchende Scheiterhaufen und verkohlte Menschengebeine sind nicht charakteristische Wahrzeichen Loängos, wie sie es zu Battells und Dappers Zeiten in zivilisierten Ländern waren — von den damit verbundenen Entsetzlichkeiten der Folterkammern gar nicht zu reden. Das in letzter Instanz entscheidende Gift ist vegetabilisch und von zweierlei Art: Mbündu und Nkässa. Mbündu, das bis nach Oberguinea vorkommt, wo es als Sassı water und Red water bekannt ist, wird in Yümba und benachbarten Gebieten verwendet, Nkässa in den übrigen | Strichen der Loängoküste und bis weit südwärts vom Kongo. Die Ge- biete, wo das eine oder das andere Gift benutzt wird, scheidet ungefähr der Kuilufluss. Doch ist, wenigstens hier und da im Küstenstrich, Nkässa noch weiter nordwärts bis Tschilünga in Gebrauch, und Mbündu, allerdings nur für Entscheidung geringfügiger Angelegenheiten, bis in den Königsgau. Es ist nun auffällig, dass die älteren Berichterstatter, Battell sowie Dappers Gewährsleute, die doch nach ihren eigenen Angaben und nach Gifte Mbündu und Nkässa, 419 ihren Schilderungen den grössten Teil des Küstenstriches bis weit nord- wärts von Yumba kannten, nicht vom Nkässa, sondern nur vom Mbündu reden. Sie beschreiben die Pflanze, die Herstellung und Verwendung des Gifttrankes so genau, dass darüber kein Zweifel bleiben kann. Degrandpre, der das Gift nicht weiter beschreibt, redet yon einem Tranke, der an der Loängobai, wo er Handel trieb, verabreicht wurde. Erst bei Proyart, der vornehmlich über Kaköngo berichtet, taucht der Name Nkässa auf. Nach einheimischem Sprachgebrauch wird Mbündu getrunken, Nkässa gegessen. Will man nun nicht annehmen, dass die ältesten Beobachter einfach voraussetzten, das bei der Probe verwendete Gift sei in Yümba wie in Loängo das nämliche, dass sie also in einem Irrtum befangen blieben, wogegen jedoch ihre Ausführlichkeit sowie Degrandpres Angabe zu sprechen scheint, so bleibt nur übrig, anzunehmen, dass der Gebrauch des Nkässaessens sich erst später von Süden her nach Norden verbreitet und den des Mbündutrinkens verdrängt habe. Wann dies geschehen sein könnte, ist schwierig festzustellen. Nkässa war in Kaköngo in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sicherlich im Gebrauch. Nach Proyart wurde es getrunken, und so kann der Trank an der Loängobai, von dem Degrandpre spricht, ebensogut Nkässa wie Mbündu gewesen sein, falls nicht eine ungenaue Ausdrucksweise der Schreiber die Angelegen- heit noch mehr verdunkelt. Jetzt wird, wie wir feststellen konnten, in Loängo das Nkässa als ein grobes Pulver trocken gegessen und nur der Rest der Gabe mit Wasser hinuntergespült. 5 Nicht minder auffällig ist, dass weder Battell noch Dapper die Ver- nichtung der dem Gifte erlegenen Hexen durch Feuer beschreiben. Beide berichten bloss, dass deren Körper zerhauen oder in Schluchten gestürzt oder an Bäume gehängt, keinesfalls begraben wurden. In Yümba und im Waldlande schleift man die Gerichteten immer noch in die Wildnis, den Tieren zum Frass, in südlichen Gebieten der Loängoküste verbrennt man sie. Sollte sich dieser Brauch zugleich mit dem Nkässa erst später vom Süden her eingebürgert haben und den Europäern nachgeahmt worden sein? Denn den Eingeborenen konnte es doch kaum beifallen, die Körper schrecklicher und verhasster Wesen dem heiligen Feuer zu übergeben. Das Gift Mbündu stammt von einer Strychnosart, von einem nied- rigen, spärlich verästelten Busche mit schlank rübenförmiger blass- bis düsterroter Wurzel. An der Loängoküste fand ich das Gewächs in den Wäldern von Yümba, hier und dort in Gruppen wie unseren Hart- riegelstrauch, doch soll es im Berglande allenthalben vorkommen. Im (sebirge längs des Kongolaufes sah ich es nicht, dagegen weiter nord- wärts in Gabun, an der Coriscobai, in Kamerun sowie im Nigergebiete. Das Gift liefert die Wurzel. Ihre rote Schale wird abgeschabt und mit 27* 420 Wirkung der Gifte. Wasser übergossen, das umgerührt eine rote Färbung annimmt. In den Magen gelangt, soll das Gift bald derartig auf den Sphincter urethrae einwirken, dass der Schuldige die Herrschaft über ihn verliert. Über den Verlauf der Probe lauten jedoch die Angaben gerade entgegen- gesetzt. Dapper und namentlich Battell führen an, dass der Unschuldige sein Wasser wie gewöhnlich abzuschlagen vermöge, während der Schuldige höchstens einige Tropfen herauspressen könne, umfalle und unter Krämpfen sterbe. Uns bot sich keine Gelegenheit, die Wirkung des Mbündu zu beobachten. Von verschiedenen kundigen Eingeborenen in Yümba ist mir übereinstimmend folgendes erzählt worden: Wer Mbündu getrunken hat, muss sich mit gekreuzten Beinen niedersetzen. Ist er schuldig, so beginnt er bald zu zittern und wird von Krämpfen befallen. Dann hat er aufzustehen, wobei man ıhn unterstützt, wenn ihm die Beine schlottern, hat über kreuzweis gelegte Mbünduwurzeln zu schreiten und dabei zu rufen: ich tat es nicht. Da wirft er plötzlich die Arme hoch, stöhnt, lässt massenhaft roten Urin, fällt zu Boden, streckt sich und stirbt. Der Unschuldige aber bleibt bei Kräften, erhebt sich allein, schreitet ruhig über die Mbüunduwurzeln hin und zurück, lässt auf Geheiss einige Tropfen Urin, und ist gerechtfertigt. Ausgelernte Hexen nehmen ein Gegengift, das sie vom Rücken eines in den Vollmondschein gehängten Frosches, den sie mit Mbünduwurzel streichen, gewinnen. Dann wirkt der Trank nicht oder wenigstens nicht zweifellos. Die Probe muss wiederholt werden und verläuft nicht so ein- fach. Man nimmt vielerlei Fetische zu Hilfe und verfügt sich an den Ort, wo ein Hauptfetisch untergebracht ist, in den wichtigsten Fällen zu dem Seite 378 beschriebenen mächtigsten des Landes, zum Mkissi Mboöyo. Der Verdächtige wird mit Mbünduwurzeln berührt oder gerieben, muss über andere, die zwischen Fetischen gekreuzt auf der Erde liegen, hin und her schreiten sowie dabei unter Ruten und Fransenschnüren hindurch- kriechen, oder an den Enden der Bahn stehende abwechselnd berühren. Während dies geschieht. wird eifrig getrommelt. Für ein schlimmes Merkmal gilt es, wenn er bei dieser Prüfung an die Wurzeln stösst, wenn er stolpert, überhaupt die Herrschaft über seine Beine verliert und, wie es die Leute mir vormachten, in den sogenannten Hahntritt oder in einen schlotterigen Stechschritt (Westphalsches Zeichen?) verfällt. Schliesslich hat er auf ein schräg untergehaltenes Bananenblatt in kurzen Pausen drei Spritzer klaren Urins zu entleeren, die man längs der Blattfläche rinnen lässt. Bestehen trotzdem noch Zweifel, so muss er noch dreimal mit Anlauf der Länge nach über das nämliche Bananenblatt springen und ebensooft rufen: ich tat es nicht. Bisweilen sollen nicht die drei Sprünge gefordert werden, sondern das Umhüpfen des Bananenblattes - Wirkung der Gifte. 421 auf einem Beine. Diesen stärksten Proben vermag selbst der kundigste Ndödschi nicht zu genügen. Er beginnt zu zittern, stiert wild um sich, schwankt, strauchelt, lässt roten Urin in Menge von sich und fällt sterbend zu Boden. Ihm ist die Seele seines Opfers erschienen. Der Unschuldige aber besteht alle Proben, wird in festlichem Zuge von Angehörigen und Freunden herumgeführt, und ist für alle Zukunft gegen den Verdacht gefeit, ein geborener Ndödschi zu sein. Die Mbünduwurzel muss frisch verwendet und von den Angeklasten im Beisein der Bangänga eigenhändig aus dem Boden gezogen werden. Dem Glauben nach ist das Gift bei wachsendem Monde am stärksten. Die nach dem Angeführten sich direkt widersprechenden Angaben über die Wirkungen des Giftes auf den Organismus, Verkrampfung oder Er- schlaffung des Schliessmuskels, konnten nicht aufgeklärt werden, weil die nach Berlin geschickten Wurzeln nicht beachtet worden sind und später nicht mehr aufzufinden waren. Glücklicher hat es sich mit dem Nkässa gefügt. Professor Liebreich hat mit den eingesandten Stücken Versuche vorgenommen (III 187) und nachgewiesen, dass das Gift in verhältnismässig kurzer Zeit absolute Lähmung des Herzens herbeiführt. Das Nkässa stammt von dem gleichnamigen Baume (Erythrophleum guineense), der, im Hochwalde auf feuchtem Boden heimisch, eine be- deutende Grösse erreicht. Der Baum soll im Vorlande sehr selten, im Gebirge, wo ich ihn nicht finden konnte, häufig sein. Niemand mag jedoch mit ihm zu tun haben, woher es vielleicht kommt, dass er für seltener gehalten wird, als er ist. Wir haben drei dieser Bäume gesehen, wovon einer ungefähr anderthalb Stunden ostwärts von Tschintschötscho, in einem feuchten, walderfüllten Tale wuchs. Da der Giftbaum, wie die Bafiöti sagen, tschina ist, was übrigens in diesem Falle nicht allzustreng genommen werden darf, so kostete es nicht geringe Mühe, den ersten kennen zu lernen. Es gelang mir nur mit Hilfe eines einflussreichen Häuptlings, der zwar selbst den Standort des Baumes nicht kannte, mich aber in der Stille und mit Umgehung aller Wohnsitze durch einen seiner Leute, einen Ngängazögling, hingeleiten liess. Um meiner Sache ganz sicher zu werden, schnitt ich in die Rinde und tat so, als wollte ich vom Safte, der dick und klebrig aus der Ver- letzung drang, kosten, und war einstweilen befriedigt, als mein Führer mit Zeichen des Entsetzens mich daran hinderte. Er erzählte eifrig, der Baum bringe niemals Blüten oder Früchte; schon die Luft um ihn sei vergiftet; wer unter ihm schlafe, erwache niemals wieder; kein Be- sucher, er sei denn ein Ngänga, vermöge ihn wieder aufzufinden — welche Behauptung sich an mir nicht bewahrheitete. Ferner: das Gift sitze in der Rinde, sei bei wachsendem Monde sowie in frischem Zustande am 422 Nkässabaum. stärksten und wirke verschieden rasch, je nachdem man Rinde von der nach Aufgang oder nach Untergang der Sonne weisenden Stammesseite und des Morgens, des Mittags oder des Abends abtrenne. Rindennarben, es waren etliche alte und eine neue, fanden sich jedoch ausschliesslich an der Nordseite des Stammes. Sonnenstrahlen konnten in diesem Teile des Waldes überhaupt nicht durch das Laubdach dringen. Später erfuhr ich noch, dass die Zaubermeister mindestens zu zweien und mit allen ihren Fetischen zu dem Baume gingen, aus Vorsicht, um die Luft zu reinigen, Fackeln anzündeten und beim Ablösen der Rinde ein Stück Zeug über den Kopf bänden oder Masken trügen. Auch pflegten sie sich dem Stamme nur in vorgeschriebener Haltung des Körpers zu nähern und rückwärts schreitend sich von ihm zu entfernen. Vorher müssten sie sich vierundzwanzig Stunden lang des Weibes und des Rums ent- halten und unbekannte Gebräuche verrichten. Sonst kämen sie zu Schaden und die Kraft der Rinde wäre nicht angemessen wirksam. Unser Giftbaum trug auf einem etwa zwanzig Meter hohen, astfreien Schafte einen breit ausgelegten, von Lianen, namentlich von einer sehr starken, schön blühenden Aristolochia triactinia durchschlungenen Wipfel. Unten an einer Wurzelstrebe hatte sich ein drei Meter hoher Schössling entwickelt. Die braune, ziemlich glatte und, wie das feine weisse Holz, widerlich riechende Rinde war reichlich einen Zentimeter dick. Ich löste von ihr mehrere grosse Stücke, deren Echtheit ich später aus Vor- sicht noch mehrmals erprobte, und trennte den Schössling ab. Auf anderen Wegen geleitete mich der Führer eilig wieder zurück. Meine Beute musste ich selber tragen, da keiner meiner drei Begleiter sich dazu verstehen wollte, Nkässa auch nur zu berühren, selbst mein Nd&mbo nicht. Nach Jahr und Tag, als ich mit ihm allein wieder den Giftbaum besuchte, der übrigens keine neuen Narben zeigte, nahm er ohne Zögern ein grosses Rindenstück aus meiner Hand und brachte es in der Sammel- tasche unter. Es war eben niemand weiter dabei, auch kannten wir nun einander besser. Bei der Giftprobe wird die Rinde selbst verwendet, und zwar im ge- trockneten Zustande, jedenfalls nicht ganz frisch, denn sonst wäre sie zu zähe für die vorschriftsmässige Zurichtung. Sie wird in der Sonne ge- dörrt, zerbröckelt, zerklopft und schliesslich zwischen Holzplatten zu einem widerlich riechenden Pulver zerrieben, das hell gebranntem gemahlenem Kaffee gleicht. Bei dieser Arbeit sollen die Bangänga wunderliche Ge- bräuche beobachten, sowie Tücher vor das Gesicht binden oder Masken tragen. Von dem Pulver werden ungefähr drei Esslöffel voll eingegeben. Rasches Ausbrechen der unveränderten Masse tut die Unschuld des An- geklagten glänzend dar. In zweifelhaften Fällen wird, wie beim Mbündu- trinken, die Probe wiederholt und durch allerlei Zauberspuk verschärft. Giftprobe. 423 Es liegt auf der Hand, dass das Pulver in verschiedenen Dosen eingegeben, durch Auslaugen seines Giftes beraubt, durch Beimischen ähnlicher aber harmloser Rinde gefälscht, ja sogar gänzlich durch andere Stoffe ersetzt werden kann. Durch Hinzufügen eines Brechmittels mag ein rasches Auswürgen befördert werden. Da rechtschaffene und unbe- teiligte Beisitzer zur Überwachung der Probe nicht herangezogen werden, ist zu vermuten, dass mancherlei Betrug verübt wird. Im Volke raunt man davon, doch weiss man sich nicht zu helfen. Die Unemigkeit der wetteifernden Zauberer, die sich gegenseitig auf die Finger sehen, die Berufung entfernt wohnender Meister bieten die einzige, freilich unzu- reichende Sicherheit. Die Ansichten der Bafıöti über die Wirkung des Giftes laufen darauf hinaus, dass im Ndödschi Böses sei. Das Gift suche dieses Böse auf, zerstöre es, und töte dabei die Person. Wo kein Böses, da keine Wir- kung des Giftes. Die Durchführung der Giftprobe, und zwar mit Nkässa, habe ich nur einmal beobachten können. Leider war ich erst so kurze Zeit im Lande, dass mir unter der Fülle neuer Eindrücke manches Wesentliche entgangen sein wird und vieles mir unverständlich blieb, das ich später auch nicht völlig aufzuklären vermochte. Der Fall, der eine lange Vor- geschichte hatte, trug sich folgendermassen zu. Zwei junge Leute, beide von guter Familie, hatten sich geheiratet. Als der Mann einen Vertrauensposten in einer Faktorei erhielt, siedelte das Ehepaar in ein benachbartes Dörfchen über, wo die Frau fremd war. Das mochte mit den Bewohnerinnen des Weilers zu allerlei Unzu- träglichkeiten führen, die vielleicht dadurch gesteigert wurden, dass die junge Frau besser als andere gestellt war, dass sie eigene Leute, hübsche Kleidung besass und, von ihrem Manne wohl versorgt, recht behaglich lebte. Unter den Widersachern tat sich eine Frau hervor, die, soviel ich begreifen konnte, ihre stattliche Tochter lieber an der Stelle der anderen gesehen hätte. Verschiedentlich kam es zu Reibereien und scharfen Worten, die dem Dorfklatsch neue Nahrung boten. Die junge Frau mochte sich unter solchen Verhältnissen nicht wohl fühlen, sie wurde elend und fing an zu kränkeln. Nicht lange, und es kam auf, dass sie an der als ansteckend sehr gefürchteten und für un- heilbar gehaltenen Schlafsucht oder Schlafkrankheit leide. Ihre Behausung wurde gemieden, und die Dörfler forderten, dass die Fremde zu ihrer Familie gebracht werde. So geschah es. Bangänga waren von nah und ferne herbeigerufen worden, doch er- wiesen sich alle ihre Künste nicht stark genug, die Krankheit zu heben. Der Zustand der Leidenden verschlimmerte sich stetig. Da kam denn der Gedanke an böswilligen Zauber auf. Vielleicht lenkte die Kranke 4924 Giftprobe. selbst den Verdacht auf ihre ärgste Feindin im Dorfe, vielleicht dachte der junge Ehemann, der sein Weib dahinsiechen sah, an jene, kurzum es wurde ruchbar, dass Nsoämi, so hiess die junge Frau, von ihr behext worden sei. Die Familie und Ng6, der Ehemann, der selbst einige Zeit Zögling eines Ngänga gewesen war, liessen die Zaubermeister den Fall eingehend ausspüren. Darauf folgte eine Anklage auf böswillige Zauberei. Zunächst handelte es sich darum, die Kranke zu retten. Man drang in die vermeintliche Hexe, den Zauber zu lösen. Da sie ihre Unschuld beteuerte, wurde lange Zeit verhandelt, in der Hoffnung, dass sie heim- lich der Familie zu Willen sein und die Genesung der jungen Frau be- wirken werde. Als aber allmählich jede Hoffnung schwand, weil die Krankheit stetig fortschritt, forderte man die Giftprobe, und da die ver- meintliche Hexe sich dazu nicht verstehen wollte, wurde sie schliesslich gezwungen. Der Schauplatz war ein Dorf von anderthalb Dutzend kleinen und grösseren Hütten, zwischen welchen breite saubere Wege sich zum Dorf- platz vereinigten. Während der Nacht war schwerer Regen gefallen und überall am Blattwerke funkelten die Tropfen in der Morgensonne. Aus dem hohen Grase, aus den Büschen und vom nahen Walde klangen Vogelstimmen. Schwärme der schönen grünen Papageitauben, auf ihrem regelmässigen Morgenzuge nach Süden begriffen, sausten mit pfeifenden Flügelschlägen vorüber. Von einem breitästigen Wollbaum am Dorfe, dessen Gezweig Webervögel mit Tausenden von Nestern behangen hatten, schallte fröhlich der Lärm der kleinen eifrigen Baumeister herab. Einige Hunde lungerten zwischen den Baulichkeiten, Hühner scharrten im feuchten Boden nach Würmern, und Ziegen naschten vorsichtig von den Blättern am Saume der regenschweren Büsche. Einige Bangänga und Dorfbewohner standen vor einem offenen Schuppen, worin die Angeklagte auf einer Matte sass, starr und scheinbar teilnahmlos, als habe sie mit der Sache gar nichts zu tun. Sie war ein schon bejahrtes, kräftiges Weib. Hinter ihr kramte ein mit einem frei flatternden weissen Hemde bekleideter Ngänga, der eine lange schwarze Hahnfeder hinterm Ohr stecken hatte, in einer alten, grün an- gestrichenen Schnapskiste. Daneben stand eine Flasche Rum, der die Zauberer öfters zusprachen. Im Gesicht, auf Brust, Leib, Armen, Beinen waren sie mit weissen, sowie roten Strichen und Tüpfelchen bemalt; nur einer trug eine alte, zerdrückte Federkrone auf dem Kopfe. Ihre Fetisch- bündel hatten alle an der Schulter baumeln. Da die Frau das Gift nicht nehmen wollte, wurde sie wiederholt er- mahnt, mit Drohungen bestürmt und schliesslich an eine lange Kette gelegt, deren anderes Ende ein vor kurzem eingefangener Dieb um den Hals trug. Als die Frau bei ihrer Weigerung beharrte, wurde sie von Giftprobe. 425 den fünf belfernden Zaubermeistern an der Kette aus dem Schuppen gezerrt, geschlagen, niedergeworfen und an Händen wie Füssen gebunden, wobei der Schamschurz sich verschob. Da erhob sich unter den in- zwischen zahlreicher herbeigekommenen Dorfbewohnern ein Murren, das sich bedrohlich steigerte, als die erwachsene Tochter, die sich laut jam- mernd über die Mutter warf, rauh beiseite gerissen wurde. Die Ban- gänga hielten inne und lösten die Fesseln. Da mittlerweile ein tüch- tiger Regenschauer niederzuprasseln begann, flüchteten alle in den Schutz der Dächer. Als die. Sonne wieder leuchtet, treten die Leute abermals zusammen. Die Schwester des Ehemannes, ein hübsches junges Ding, legt den Arm über die Schulter der sich verzweifelt gebärdenden Tochter der Gemiss- handelten und spricht ihr mit weicher Stimme beruhigend zu. Eine alte Frau mit grauem Haar, von schlanker, sehniger Gestalt tritt vor und hält unter bedeutsamen Gesten, mit ausdrucksvoller Stimme eine lange Rede, zeitweilig etliche Worte halb singend betonend, die dann von den Umstehenden wie zur Bekräftigung in gleicher Weise wiederholt werden. Die Rede macht offenbar Eindruck auf alle, nur nicht auf die Bangänga, die der Rumflasche zusprechen und schwatzend abseits stehen. Endlich entschliesst sich die Angeklagte, das Gift zu nehmen. Einer der Zauberer bringt den grünen Kasten herbei, holt einen Holzlöffel mit kurzem Stiel heraus und eine halbe Fruchtschale, kleiner aber tiefer als eine Untertasse, die er aus einem feinen befransten Mattensäckchen, scheinbar nach Gutdünken, mit dem giftigen Pulver füllt. Kein Mensch schenkt seinem Tun Aufmerksamkeit, wie denn überhaupt auch gar kein Versuch gemacht wird, der Veranstaltung irgendwelche Weihe zu geben. Es geht einfach geschäftsmässig und nüchtern zu, als ob es sich gar nicht um Tod und Leben eines Menschen handele. Der Ngänga füllt der auf einer Matte sitzenden Angeklagten einen Löffel voll vom trockenen Pulver in den Mund. Sie kaut es, wälzt es im Munde umher und würgt es langsam hinunter. Zehn Minuten später erhält sie einen zweiten Löffel voll, den dritten nach weiteren achtzehn Minuten, den vierten vierzehn Minuten darauf, und nach einer Viertel- stunde den Rest, der ihr, mit Wasser zusammengespült, in der Schale zum Trinken gereicht wird. Inzwischen hat sich das Wetter vollständig aufgeklärt. Zuzug aus den umliegenden Dörfern stellt sich ein, in der Mehrzahl geputzte Mädchen und Frauen. Manche Dörfler bewillkommnen Gäste oder gehen ihren alltäglichen Verrichtungen nach. Andere bleiben unter den sich mehrenden Zuschauern, reden hin und wieder, lachen, gehen ab und zu, und streifen dabei oft die Angeklagte, die, manchmal völlig umringt, fast gleichgültig da- sitzt. Nur ihre Tochter macht sich aufmerksam um sie zu schaffen und die 426 Giftprobe. alte Frau, die vorhin die grosse Rede hielt, scheint ihr Ratschläge zu erteilen. Der eisgraue Dorfherr, kommt aus seiner Hütte und steht, eine stattliche, die gewöhnliche Grösse überragende Gestalt, auf seinen langen Stab gelehnt eine zeitlang unter dem jungen Mangobaum vor seiner Tür. tauscht einige Grüsse aus und verschwindet dann wieder. Ihn plagen arge Gliederschmerzen. Im Dorfe wird es stetig voller und lebhafter. Ein Dutzend Leute, lange Palmblattkörbe auf den Köpfen tragend und Ziegen mit sich führend, steigen den Hügel herab, um in der nahen Faktorei Tausch- handel zu treiben; sie grüssen, schauen, fragen und ziehen weiter. Junge Männer mit Flinten gehen vorüber, Mädchen und Frauen im Putz, alte Männer mit Fetischbündeln, Grosstuer und geschniegelte Dorflöwen schreiten selbstbewusst, bedächtig, lässig oder schäkernd die Pfade daher und mischen sich in das Gewühl. Man sieht sich und vergnügt sich. Wer raucht, muss unter dem Winde bleiben. Ein lustiger älterer, mit gewaltigem Ritterschwerte bewaffneter Mann kommt des Weges, abge- brochen singend. Laut schallend ruft er die Versammlung an, erhält vielstimmige Antwort, schreit drollig auf, packt seinen Zweihänder und schwingt ihn ringsum sausend durch die Luft. Gelächter und Geschrei belohnt sein Gebaren. Er schultert seine Waffe, grüsst und geht weiter. Bald nachdem die Angeklagte den Rest des Giftes genommen hat, schleppen die Bangänga zwei grössere Fetische herbei und stellen sie mitten auf den Dorfplatz: den menschenähnlich geformten Tschitölo und das doppelköpfige Flusspferd Maläsi. Dorthin hat die Angeklagte zu folgen, wird befragt, antwortet und setzt sich dann mit untergeschlagenen Beinen den Fetischen gegenüber auf ihre Matte, nach Anleitung mit halb ausgestreckten Armen und leicht geöffneten Händen, als wollte sie eine (abe empfangen. Einige der Bangänga blasen gelegentlich auf einem grossen Antilopenhorn und auf einer kleinen Pfeife, schwingen Zauber- rasseln, trippeln um die Fetische, rufen, brechen dann plötzlich ab, lachen und schwatzen mit Umstehenden und rauchen ein paar Züge aus den Stummeln Bekannter. Als sich bei der Angeklagten Übelkeit einstellt, werden die Zu- schauer aufmerksamer. Sie räumen den Dorfplatz und lagern sich im Schatten der Hütten und Bäume. Neben einer Wohnstätte bilden fest- lich gekleidete Mädchen eine malerische Gruppe. Die satten Farben der bunten faltigen Stoffe stimmen gut zur dunkeln Haut. Sie plaudern, scherzen, kichern, die fröhlichen Augen glänzen, die weissen Zähne schimmern. Sicherlich tauscht das übermütige Völkchen Bemerkungen über Anwesende aus, besonders über einen wilden Gigerl, der an Auf- machung und Haltung zivilisierten Genossen nicht nachsteht. Ein Mädchen, Giftprobe. 427 auf einer Matte hingestreckt, das blaue Gewandtuch nachlässig zurück- geworfen, erinnert überraschend an Correggios büssende Magdalena. Nahebei hält eine junge Mutter ihr Kleines und bedeutet es, mit der Hand zeigend: Nkässa, Nkässa. Etwas abseits sind zwei niedliche Kinder emsig beschäftigt, Palmnüsse zwischen Steinen aufzuklopfen und die Kerne sorgfältig zu sammeln; zeitweilig blicken sie lieb und verständnislos über den Platz. Vor einer müssig sitzenden Kindergruppe steht ein junges Ding und knotet eifrig an einem feinen Flechtwerk. Ein anderes kleines Mädchen setzt sich harmlos neben die Angeklagte und schaut unver- wandt den weissen Mann an. Jetzt stapft auch ein Ziegenbock über den Platz, sieht sich um, geht neugierig zu den Zauberbildern und be- riecht sie, beleckt sogar wiederholt den Maläsi, ohne verscheucht zu werden. Ebenso wird geduldet, dass das drollige Tier, nachdem es den Fetisch unschmackhaft befunden hat, sich behaglich zwischen beiden Bildwerken niedertut. Der vermeintlichen Hexe ist es ersichtlich sehr übel zumute. Eine halbe Stunde nachdem sie die letzte Gabe des Giftes genommen hat, erfolgt heftiges Erbrechen von gelbem Schleim in ziemlicher Menge. Jetzt sind die Zuschauer sehr gespannt. Sachverständige betrachten den Aus- wurf und entscheiden: es ist kein Nkässa. Auf den Rat der sich um sie bemühenden alten Rednerin, steht die Frau auf, schüttelt sich, geht hin und her, wirft mehrmals beide Arme zugleich vorwärts wie im Faust- kampfe und streckt die Beine stramm wie beim Parademarsch. Sie ist noch kräftig, spricht mehrmals mit sicherer Stimme zu Umstehenden und setzt sich wieder. Darauf verhandeln die meisten Anwesenden wieder miteinander, plaudern, rufen über den Platz, antworten und lachen. Manchmal schwillt der Lärm derartig an, dass einige Alte zur Ruhe mahnen, aber nur kurzes Gehör finden; bald wird es wieder laut und lustig, als ob nichts Ernsthaftes vorginge. Die Irrsinnige des Nachbar- ortes, ein zusammengedrehtes Grasbündel wie ein Kind im Arme tragend, drängt sich mehrmals heran. Sie tanzt, lacht gellend auf und stösst mit kreischender Stimme einen unverständlichen Wortschwall aus. Niemand hindert sie. Bei einer raschen Wendung fährt sie dem nächsten Ngänga mit ihrem Graswisch so derb übers Gesicht, dass er zurückprallt und strauchelt. Darob Gelächter ringsum und allerlei Witze, die immer neue stürmische Heiterkeit erwecken. Vierunddreissig Minuten nach dem ersten Erbrechen erfolgt ein zweites, heftiger als vorher und gelben Schleim in reichlicherer Menge fördernd. Die Frau besteht die Probe zweifellos, obwohl sie jetzt ange- griffen erscheint und mit unsicherer belegter Stimme spricht. Sie erhebt sich, geht umher und erholt sich zusehends. Kein Nkässa behaupten die Bangänga, rufen einige Männer herbei und besichtigen den Auswurf. Einer 498 Giftprobe. klemmteine der langen, Kanonenrohren gleichenden Holztrommeln zwischen die Beine und entlockt ihr mit Klöppel und Fingern weder laute noch schaurige Töne. Dennoch springt der inmitten der Fetische gelagerte Ziegenbock verdutzt auf, dass der Tschitölo bedenklich wackelt, dreht sich und scheint den Störenfried anrennen zu wollen, besinnt sich aber, schwenkt und trottelt ins Grüne. Wie ein ermüdetes Kind das Spiel- zeug, so lässt der Trommler sein Rohr fallen, geht zu einem Bekannten und tut ein paar Züge aus dessen Pfeife. Zu der wieder sitzenden Frau tritt bald ein anderer Meister, hält eine Hand über ihren Kopf und trippelt murmelnd mehrmals rund um sie; sobald er einige Worte lauter betont, werden diese von den nächsten Zuschauern gewissenhaft wieder- holt. Zugleich tuten, pfeifen, trommeln, rasseln seine Genossen neben den Fetischen wie vor einer Jahrmarktsbude. Dann legen sie ihre Ge- räte weg und laufen auseinander. Ihr ganzes Gebahren macht auf die Anwesenden kaum Eindruck. Als nun gar der Ngänga mit dem Hemde, der zu viel Rum getrunken hat, über seine grüne Zauberkiste stolpert, bricht ein förmliches Hallo los und selbst die Hexe lacht. Laute Zu- rufe und nicht enden wollendes Gelächter verhöhnen den Mann, wobei sich das Weibervolk besonders hervortut. Der junge Ehemann zieht sich zurück und kommt überhaupt nicht wieder zum Vorschein. Die Familien- angehörigen der angeblich Behexten bleiben. Jetzt springt ein vollwüchsiges jüngeres Weib, die Schwester der Angeklagten, auf den Plan, wechselt einige Worte mit der Frau, und wendet sich in langer, leidenschaftlicher Rede an die Versammelten. Zwischendurch bedroht sie zähnefletschend die Fetische mit den Fäusten, trampelt vor ihnen die Erde, wirft mit den Füssen Staub gegen sie und rückt abwechselnd den Zaubermeistern mit so heftigen Gebärden zu Leibe, dass sie zurückweichen müssen. Zuletzt ruft sie in schöner Stellung mit erhobenen Armen Nsämbi an. Die Rede macht Eindruck. Alle lauschen gespannt. Kein Wort wird erwidert. Ein Weilchen bleibt es recht still, während die Schwester fortstürmt und sich wieder der Tochter anschliesst, die wehklagend durch das Dorf läuft und ihre Fetische schüttelt. Noch etliche Frauen gesellen sich zu ihnen, die ebenfalls laut schreiend Fetische schwingen. Der dritte Auswurf erfolgt vierundzwanzig Minuten nach dem zweiten und ist der stärkste, abermals gelber Schleim. Die Kundigen erklären wiederum: kein Nkässa, ziehen sich zurück, trinken Rum und halten eine längere Beratung. Es ist zehn Uhr geworden. Vom wolkenlosen Himmel brennt die Sonne heiss auf den schattenlosen Platz. Die Frau wandert vor und hinter den Fetischen auf und ab, spricht mit Zuschauern, rafft dann rasch ihre Matte auf und setzt sich in den Schatten einer Hütte. Die Bangänga wollen das nicht leiden und der Hemdenmann ergreift sie Giftprobe. 429 am Arme. Da aber springt in heller Wut die starke Schwester heran, packt den Taumelnden an den Schultern, schüttelt ihn fauchend, schreiend und schiebt ihn unter dem Beifall namentlich des Weibervolkes unsanft zwischen die Zuschauer. Diese nehmen entschieden Partei für die Frauen. Der Gemassregelte hält sich fortan im Hintergrunde. Eine halbe Stunde später gibt die Angeklagte zum letzen Male gelben schaumigen Schleim von sich. Ein Weilchen darauf spricht sie lebhaft wie eine völlig Gesunde und hält offenbar ihre Unschuld für erwiesen. Dieser Ansicht scheinen auch die Neugierigen zu sein, denn viele brechen auf und wandern heimwärts. Andere folgen langsamer. Die Dörfler zerstreuen sich nach ihren Wohnungen. Die Bangänga setzen sich unter ein Schattendach, reden eifrig, essen und lassen die Rumflasche kreisen. Ausser der Angeklagten, ihrer Schwester und Tochter sind vielleicht noch zwanzig Personen anwesend, hauptsächlich Vertreter und Freunde der anklagenden Familie. Sie sind nicht überzeugt, das Nkässapulver ist nicht zum Vorschein gekommen. Das bedingt eine lange und ein- gehende Beratung aller Beteiligten, als deren Ergebnis der Angeklagten mitgeteilt wird, dass sie die Giftprobe nochmals zu bestehen habe. Der Fall ist zweifelhaft geblieben. Das Pulver hat nicht gewirkt, ist aber auch nicht regelrecht ausgeworfen worden. Obgleich ihre Angehörigen und Freunde eindringlich und drohend dagegen eifern und das ganze Dorf mit ihrem Geschrei erfüllen, ergibt sich die Frau darein. Die Ge- sellschaft bricht auf und zieht mit allen Geräten in den Schatten zweier, am Dorfrande wachsender Bäume. Ein Abgeordneter kündigt an, das Gericht sei zu Ende, erst morgen werde es fortgesetzt. Man will die Europäer los sein. Bedenklich schwankend kommt der angetrunkene Ngänga und bittet um eine Spende Schnaps. Wir verweigern sie, bieten dagegen Rum und Stoffe, um die Frau loszukaufen, mit dem Versprechen, sie weit fort in ein anderes Gebiet zu schaffen. Trotzdem wir das Angebot erhöhen, wird unser Vorschlag kurzerhand abgelehnt. Damit ist das Schicksal der Armen entschieden. Gegen zwölf Uhr beginnt sie wieder Gift zu nehmen wie vorher. Dieses Mal sind die Zaubermeister rühriger und steigern ihre Künste. Sie tuten, trommeln, pfeifen, rasseln, umlaufen paarweise, tief gebückt und mit den Fingerspitzen abwechselnd den Boden berührend, die Frau, arbeiten mit den Händen vor ihrem Gesicht, wie Hypnotiseure, feuern öfter wieder ihre Fetische an und bewegen ihren Körper zeitweilig in mancherlei Drehungen und Zuckungen. Dazwischen treiben sie wieder alltägliche Dinge. Die Angeklagte hält sich wacker und scheint auch diese Probe bestehen zu können; sie erbricht jedoch nicht. Da wir die Angeklagte nicht retten, hingegen durch unsere An- wesenheit, die den zweifelhaften Verlauf der ersten Probe befördert 430 Unschuld erwiesen. Feier. Triumphzug. Einsatz. haben sollte — der Weisse hatte geschrieben, nach der Uhr gesehen und anderes getan —, ihr nur schaden konnten, und da es unerträglich wurde, untätig zuzuschauen, verliessen wir gegen ein Uhr den Platz. Glaubten wir doch damals noch fälschlich, dass sich vollauf Gelegenheit zu weiteren Beobachtungen bieten würde Gegen zwei Uhr meldete ein Aufpasser, der Ndödschi wäre tot umgefallen und würde fortgeschafft. Wir sahen gerade noch, wie eine Schar Leute mit einer belasteten Hängematte oben über den Hügelhang stieg und ausser Sicht kam. Eilig setzten wir nach, konnten aber den Zug nicht einholen. Im hügeligen Gelände, auf den Pfaden zwischen den im Sonnenglast zitternden hohen (Grasbeständen und Hagen verloren wir die Spur. Die Hexe war nach dem Wohnort ihres vermeintlichen Opfers ge- bracht und dort verbrannt worden. Bald darauf ist die Kranke gestorben. Die Behausung der Hexe stand längere Zeit leer und war dann auf einmal wieder bewohnt. — Wer durch die Giftprobe seine Unbescholtenheit dargetan hat, muss von den Anklägern entschädigt werden. In der Regel soll bei Klein- leuten die Busse in zwölf Stücken Zeug bestehen; doch wird hin und her gefeilscht, so dass die Angelegenheit oft noch vor die Schiedsrichter kommt. Den Gerechtfertigten führen die Seinen festlich aufgeputzt unter (sesang und Trommelschlag oft tagelang im Triumph durch die Dörfer, erhalten Geschenke und veranstalten Lustbarkeiten. Die Ehre der Familie ist gerettet, und wenn die Leute auf sich halten, müssen sie, je nach ihrem Rang und Reichtum, das freudige Ereignis feiern. Das ver- ursacht trotz aller Geschenke ganz bedeutende Ausgaben, und verringert den Viehstand der Feiernden sowie ihren Besitz an Rum und Stoffen oft bedenklich. Aber geizen dürfen sie nicht, wenn sie ihre Stellung wahren wollen, und ob sie sich darüber ruinierten. Einst begegnete ich solchem Triumphzuge auf dem Luntämbi lu mbensa. Es mochten an zweihundert Personen beiderlei Geschlechts und jeglichen Alters sein, die ihr Oberhaupt, dessen Lob sie in Gesängen feierten, heimgeleiteten, und im Tross eine Menge von fahrender Habe, auch Schafe, Ziegen, Hühner mit sich führten. Ihr Häuptling, von einem anderen böswilliger Zauberei beschuldigt, hatte die Herausforderung stracks angenommen, aber sein ganzes Besitztum für seine Unschuld eingesetzt. Wohl oder übel hatte der Ankläger den Einsatz gehalten und alles verloren, weil der Beklagte das Gift sofort von sich gab. Der Gerechte hatte ein glänzendes Geschäft gemacht. Stolz schritt er hinter dem Vortrab seiner Getreuen einher: über und über mit tükula rot be- malt, um die Hüften einen weissen Schurz, darunter die nackten roten Beine, ein Paar gekreuzte gelbliche Hosenträger auf der Brust, darüber einen blauen Husarenattila, auf dem Kopfe einen fuchsigen Zylinderhut Wirksamkeit der Fetische. Zaubern mit Malasi. 431 (äusserst selten in Loängo) und über aller dieser Herrlichkeit einen schlotterigen roten Regenschirm. Ein ungeheurer Lärm begrüsste den herankommenden weissen Mann. Der Zug hielt. Ich gab dem Häuptling, der doppeltes Glück gehabt hatte, die Hand und, dem Brauche gemäss, schriftliche Anweisung auf ein Geschenk. Fürsten können zwar von jedermann böswilliger Zauberei geziehen, aber nur von ihresgleichen auf Schwur zur Giftprobe gefordert werden, die sowohl der Angeklagte wie der Ankläger gleichzeitig auf sich nimmt. Also ein echtes Gottesurteil. Fürsten essen aber in der Regel nicht selbst Nkässa, sondern lassen Freiwillige für sich eintreten oder be- stimmen Leibeigene. In Streitfällen wird die Probe auch so ausgetragen, dass zwei Hühner das Gift eingefüllt kriegen oder von den Zauberern so lange gleichzeitig unter Wasser getaucht werden, bis sie ertrunken zu sein scheinen. Das Huhn, das nachher wieder auflebt oder zuerst fort- läuft, entscheidet zugunsten der Partei. Beim Hexengericht dienen Fetische ersten Ranges eigentlich nur nebenbei als Parteikämpfer, dagegen spielen sie bei Aufklärung und Bestrafung von anderen Verbrechen und Vergehen die Hauptrolle. Als Fachfetische arbeiten sie rascher, sicherer und viel billiger als die beste Polizei unter Zivilisierten. An ihre Wirksamkeit wird gewöhnlich so fest geglaubt, dass sich durch ihre Berufung zum Zaubern schon im vcraus viel erreichen lässt. Freilich scheinen hartgesottene Sünder auch den stärksten Fetischen zu trotzen, namentlich wenn Erdfremde, wenn Euro- päer klagen. Doch ist anzunehmen, dass Grossleute die Zauberer be- stechen oder einschüchtern, während wohl Kleinleute meinen, zugunsten Fremder werden es die Fetische nicht zu arg machen. Eines Tages war die grosse Sammelflasche unseres Regenmessers verschwunden. Alle Untersuchungen brachten uns nicht auf ihre Spur. Bald erschienen Bangänga und erboten sich, gegen den Dieb zu zaubern. Wir bewilligten ihre bescheidenen Ansprüche unter der Bedingung, dass sie erfolgreich zauberten. Nächsten Tages rückten sieben spärlich auf- geputzte Meister an mit den menschenähnlichen Fetischen T'schitolo, Mankäka und mit dem Hippopotamus Maläsi. Sie rissen rechts und links zwei grosse Kreuze (Swastikaform) in die Erde, streuten weisses Pulver in die Furchen, legten je zwei Stöcke kreuzweise darüber und stellten darauf je eine der Menschenfiguren. Zwischen beide kam der stärkste Fetisch, der Maläsi, das Flusspferd.. Nachdem unser Gesinde und zugelaufene Neugierige im Halbkreise um die Fetische geordnet worden waren, begannen etliche Zauberer ein bisschen zu hopsen und die Körper zu schütteln, während die anderen tuteten, pfiffen, mit Kala- hassen rasselten und die Fetische anschrieen. Unterdessen schüttete der Obermeister pulverförmiges ngilingili und etwas Geschabsel, das er 432 Mabiäla ma ndemba hilft ohne Zaubern. von dem Maläsi kratzte, in seine geladene Flinte und feuerte den Schuss in die Luft. Damit war die Beschwörung zu Ende. Die Zauberer nahmen ihre Geräte und zogen ab. Am nächsten Morgen hatten wir unsere Flasche wieder, sie lehnte innen am Zaune. Während ich als Gast in einer Faktorei weilte, verschwanden dem Vorsteher rasch nacheinander drei schöne gelehrige Graupapageien. Um der Mauserei beizeiten zu steuern, liess er den berühmtesten Dieb- finder des Gebietes, den Mabiäla ma ndemba von Massäla rufen. Der. kam jedoch nicht, weil seine Besitzer von Leuten, die kein gutes Ge- wissen haben mochten, beeinflusst wurden. So hiess es wenigstens. Da verkündete der Faktorist den Arbeitern und Handelsfreunden: es gibt weder Löhnung, noch Verpflegung, noch Handel, bis der Fetisch zur Stelle ist. Das half. Schon am nächsten Vormittag kamen zwei Bangänga ohne Aufputz mit dem schweren Fetisch an, den der eine auf dem Kopfe trug und mit einem Uft! der Erleichterung ohne Umstände wie eine lästige Bürde recht unehrerbietig vor der Faktorei auf die Erde stellte. Diese Tragweise war eine seltene Ausnahme, denn eigentlich reist Mabiäla, wie ein grosser Herr, nur in der Hängematte. Neben den Fetisch legten die Meister einen Meissel, der als Hammer zu dienen pflegt, und einige Nägel auf die Erde. Sie waren zum Zaubern fertig. Aber so weit sollte es gar nicht kommen. Schon brachte ein Vertrauens- mann zwei der gestohlenen Vögel zurück. Gleich darauf traf der Bote eines benachbarten Häuptlings ein, der bat, man möge nicht zaubern, sein Herr käme zum Palaver. Die Bangänga liessen ihren Fetisch in der Sonnenglut und räkelten sich abseits im Schatten hin. So bot sich mir die Gelegenheit, heimlich ein Aquarell von dem unbewachten Zauberbilde anzufertigen, wonach die Zeichnung am Anfang dieses Kapitels (Seite 347) entworfen worden ist, leider mit dem Fehler, dass der Zaubermeister auf einem Horne statt auf einer Pfeife bläst. Der Mabiäla hat halbe Mannesgrösse. Sein Rumpf ist über und über mit Nägeln und Eisenstücken gespickt. Das Gesicht, mit halb offenem zahnlosen Mund, ist schwarz, um Augen und Mund rot, auf der Nase mit einem weissen Strich und über beide Backen mit je einem weissen und roten senkrechten Doppelstrich bemalt. Auf dem Kopfe hat er eine kronenförmig dicht mit roten Papageifedern be- steckte Mütze mit einer langen schwarzen Hahnenfeder in der Mitte. Von der rechten Schulter hängt, gleich einem Fetischbündel, ein buntes Wild- katzenfell, unten vor den Beinen ein Stück Schaffell und als Schurz wie Schleppe dient ihm eine lange blaue Signalflagge, die in zwei Spitzen mit Troddeln von roten Federn endigt. Unten vor dem Leibe hat er zwei rot und weiss umrahmte kastenähnliche Hervorragungen mit Spiegeln; zwei Spiegelstückchen bilden die Augen. Hinter den Spiegeln auf dem Bauche Mabiala ma ndemba ist nicht erfolgreich, 433 steckt das ngilingili mit seiner Kraft. Die Füsse, die sich rasch ab- nutzen mochten, waren neuerdings mit Schuhen aus Weissblech beschlagen worden. Nach einiger Zeit, mein Bild war unterdessen fertig geworden, kam der Häuptling mit einigen Begleitern in die Faktorei. Die üblichen langen Verhandlungen kürzte der Faktorist durch die Drohung ab, dass er keine Zeit hätte und der Mabiäla vor der Türe stünde. Er gedächte die Diebe totnageln zu lassen. Der Unterhändler bot schliesslich als Ersatz und Sühne für den dritten nicht zurückgebrachten Papagei vier schöne Papageien und sechzig Gallonen Palmöl, mindestens den vierzig- fachen Wert. Der Faktorist legte ihm noch auf, die Kosten des Ver- fahrens zu tragen und gab sich zufrieden. Die Schuld wurde gestundet, später aber, wie dies die Regel ist, richtig beglichen. Weniger erfolgreich liessen wir selbst mit dem Mabiäla zaubern. Seine Kraft bewährte sich nicht, weil die Diebe, um die es sich handelte, zu unseren eingeführten Leuten gehörten und nicht in der Furcht vor ihm aufgewachsen waren. Wir hatten zwar die beiden Diebe, ihre Kameraden hatten sie selbst angegeben, aber sie wollten nicht gestehen, wohin sie das gestohlene Schiesspulver geliefert hatten. Zwar mutmassten wir, dass ein berüchtister Häuptling, der landeinwärts wohnte, der An- stifter und Hehler war, aber wir wollten Gewissheit haben. So schickten wir denn einen Boten nach Massäla und liessen den Fetisch berufen. Der kam aber nicht, weil die Botschaft gar nicht aus- gerichtet worden war. Wir spürten die Macht des beargwöhnten Häupt- ling. Um uns nicht matt setzen zu lassen, unterhandelten wir durch einen Vertrauensmann, dem es auch gelang, die Bangänga zu gewinnen. Nach einigen Tagen kam die Nachricht, der Mabiäla wäre am Tschiloängo, da er indessen nicht gern übers Wasser ginge, wollte man lieber dort für uns zaubern. Wir möchten hinkommen. Auch das war gegen unsere Wünsche, weswegen wir durch unsere eigenen Leute den grossen Detek- tive holen liessen. ; Sobald das Kommen des Fetisches gesichert erschien, zeigte sich Unruhe unter der Bevölkerung. Mein Ndeömbo weissagte lachend, dass mancherlei stumm Entliehenes wieder auftauchen werde, So geschah es. Bald überreichte er mir ein Taschenmesser mit abgebrochener Klinge. Andere Unterhändler lieferten den Gefährten im Auftrage allerlei Gegen- stände ab: eine Scheere, etliche Fingerhüte, Bleistifte, Nadeln und andere Kleinigkeiten, die bisher nicht einmal vermisst worden waren. Mabiäla wirkte schon im voraus, wenigstens bei Einheimischen. Gegen Abend langt der Fetisch an, mit ihm vier Bangänga im All- tagsgewand. Sie stellen ihn einfach in den Hof für die Nacht, weil er, unter ein fremdes Dach gebracht, seine Kraft verliert, und gehen, wie Loango, 28 434 Eine grosse Beschwörung. sie sagen, in die Nachbarschaft zum Schlafen, wie Ndembo sagt, um mit den Kundigen der Umgegend zu beraten. Am nächsten Vormittag kommt mit den vier Zauberern der Oberngänga des Mabiäla. Sie bringen eine grosse, in der Nachbarschaft geborgte Langtrommel mit, und sind in Gala, ziemlich gut bemalt, mit Fetischen und Zauberbündeln behangen. Wie wir es ausbedungen haben, wollen sie ihr Bestes leisten, sich und ihren Fetisch im vollsten Glanze zeigen. Masken tragen sie nicht, haben auch sonst gar nichts Ungeheuerliches an sich. Nur der Obermeister, der mit einer alten Joppe prunkt, hat, wie der Fetisch, eine kronen- förmig mit roten Papageifedern besteckte Mütze auf. Mit den Zauberern drängen sich zahlreiche Neugierige ins Gehöft, viele andere gucken über den Zaun. Sie erwarten eine Beschwörung allerersten Ranges. Der Obermeister heisst die beiden Diebe dem Fetisch gegenüber niedersitzen und steckt vor diesem einen alten Säbel, Schneide nach aussen, in die Erde. Er nimmt eine recht grosse Maniokwurzel nebst Messer, tänzelt im Menuettschritt um die Fetischgruppe und lässt rings um sie Maniokschnitzel fallen, bis er zwei kleine Wurzelpfröpfe übrig behält, die in den halb offenen Mund des Mabiäla passen. Jetzt nimmt er dem Fetisch die Mütze ab, schlägt ihm dreimal, und ebensooft seinen Namen rufend, mit flacher Hand auf den Kopf, dass es schallt, abwechselnd sich selbst mit dem Rücken der Hand gegen die Stirn und reibt dann seine Stirn gegen die des Mabiäla so derb, dass er ihn dabei festhalten muss. Dann stülpt er ihm die Mütze wieder auf, stiert ihm, sich niederkauernd, in die Augen, in die Spiegel, wendet sich scharf fixierend gegen die Übel- täter und wiederholt auch diese Handlung mehrmals. Nachdem er den Fetisch ein wenig gerückt und ihm, wie liebkosend, die Backen geklopft hat, schärft er den beiden Dieben ein, in die Spiegel zu sehen, und geht mit seinen Gehilfen ab. Nach einer viertelstündigen Kunstpause kehrt er zurück und bringt die beiden Maniokpfropfen, die vorn am glatten Abschnitt jetzt einen roten Kreis und in der Mitte einen roten Tupfen haben. Den einen Pfropfen schiebt er dem Mabiäla in den Mund. Darauf stellt er die beiden Diebe zehn Schritt vom Fetisch auf und zeigt ihnen, wie sie das Stück mit dem Munde zu nehmen und zu essen haben. Er spreizt die Finger und kreuzt die Arme auf den Rücken, neigt sich, knickt die Knie ein, blickt starr in die Augen des Mabiäla und hoppelt nun, den Öber- körper förmlich in Schraubenlinie bewegend, auf ihn los, als wollte er ihn anrennen. Dreimal ‚tut er dasselbe, bis die Leute ihre Aufgabe völlig begriffen haben. Der erste Dieb macht es ihm beinahe noch besser nach, fasst das Maniokstück mit den Zähnen, beisst es mitten durch und kaut es, während der Rest zur Erde fällt. Sogleich grosses Geschrei der Bangänga. Das gilt nicht. Das Ganze muss gegessen werden. Der Eine grosse Beschwörung. 435 belehrte Dieb sprudelt das Gekaute aus und nimmt nun regelrecht den zweiten Pfropfen, den der Ngänga rasch eingeschoben hat. Dann geht der Obermeister abseits und macht zum Ersatz schnell ein drittes Stück Maniok zurecht, das der zweite Dieb in vorgeschriebener Weise holt und verzehrt. Beide erhalten darauf viel Wasser zum Trinken. Jetzt ereignet sich ein Zwischenspiel. Der erste Dieb, unser bester Jäger und ein schön gewachsener Bursche, springt vor den Fetisch, hebt die Arme gen Himmel und schwenkt sie, sich wie ein Ballettmädchen auf den Fussspitzen drehend, in anmutiger Weise. Dann leiht er sich von einem Kameraden ein grosses Tuch und beginnt vor dem Fetisch einen Schleppentanz oder Serpentinentanz, den er ganz meisterhaft aus- führt. Tuchenden und Fussspitzen kommen freilich dem Holzbilde manch- mal bedenklich nahe. Immer wilder tanzend, schliesslich in prachtvollem Sprunge über den Fetisch von hinten nach vorn setzend, zeigt der Bursche ihm plötzlich den entblössten Hinteren, klatscht schallend darauf, streckt sich und bleibt in der Haltung des Adoranten mit aufwärts gerichtetem Blick lange ruhig stehen. Dann gibt er das Tuch zurück und setzt sich auf seinen Platz. Die Bangänga haben den Mann gewähren lassen. Nun beginnen sie. Einer trommelt, einer bläst auf einer doppelten Panpfeife. Die anderen schreien. Der Obermeister reisst den alten Säbel aus der Erde, fuchtelt johlend damit umher, rennt um den Fetisch, wiederholt nach allen Seiten vorspringend, als wollte er Feinde verjagen, schlägt flach auf den Boden, haut wütend um sich, fährt auf die Übeltäter los, um sie herum, macht neue Ausfälle, umkreist, wie ein tretlustiger Hahn hurtig trippelnd, den Mabiäla mehrmals und schnauzt ihn zum Schluss, mit dem Säbel drohend, mit lauter Stimme an. Derweile lärmen die Ge- hilfen aus Leibeskräften; die Zuschauer klappen die Hände und schreien mit. Das Getümmel geht so etliche Minuten lang fort. Plötzlich tritt Ruhe ein. Der Staub verzieht sich. Vor dem Fetisch liegt der Säbel auf der Erde. Der Ngänga verschnauft. Die grossartige Beschwörung ist zu Ende. Die beiden Diebe haben die Geschichte ganz vergnügt mit angesehen. „Jetzt müssen sie vorrücken bis dicht vor den Mabiäla und ihm in die Augen schauen. Sie sollen schnell sagen, wo das Pulver geblieben ist, sonst schwillt ihnen der Leib auf, berstet, und sie müssen elend sterben. Aber sie gestehen nichts. Der eine ist gänzlich verstockt und der andere, der Tänzer, erzählt unsinnige Geschichten, wo das Gestohlene geblieben sein soll: hier und dort vergraben, ins Wasser geworfen, verschenkt, ver- pufit; dann widerruft er und gibt andere Auskünfte. Der Obermeister macht sich an ihn, malt ihm mit grausiger Anschaulichkeit aus, wie schrecklich es in seinem Leibe zugehen werde, bis er knallend aufplatze, 28* 436 Eine grosse Beschwörung. dass die Eingeweide nur so herumflögen. Vergebens. Er erhält nur neue, aber ebenso unsinnige Geständnisse. Nicht besser glückt es unserem Dolmetscher und den übrigen Leuten, die den Fall aufklären wollen. Die Zaungäste vergnügen sich derweile auf ihre Art und werden recht übermütig. Sie schreien allerlei Anzüglichkeiten herüber, reissen Witze, die von den Zuschauern im Gehöft erwidert und weitergesponnen werden. Man drängt sich lachend und schwatzend durcheinander, man kommt und geht, man ahmt den Schleppentanz und den Klaps nach. Die grossartige Beschwörung ist gänzlich verfehlt. Sie artet in eine fesselnde, aber nicht dem Zweck entsprechende Volksbelustigung aus. Auch diese nimmt ein jähes Ende, als der Friedensstifter unseres Ge- höftes, der starke Hammel Mfüka (III 301, Abbildung II 139), dem unsere Jungen des Spasses halber das Gehege geöffnet haben, auf dem Plane erscheint. Stolz und gewichtig stapft er heran, prüft die Sachlage, und wirft, in seiner unfehlbaren Weise kurz anrennend, einen eben recht lauten Ngänga von hinten bäuchlings auf den Sand. Bevor er weitere Niederlagen anrichten kann, flüchtet das Volk, das den Hammel gut kennt, lustig lärmend nach allen Seiten, drängt sich zeternd und kreischend durch das Tor, rettet sich katzengleich auf den Zaun. Wir sind mit den Zauberern und unseren Leuten fast allein im Ge- höft. Der Oberngänga, ein schlauer Bursche, tritt vor uns hin, zieht Schultern und Augenbrauen hoch und schlägt die Innenflächen der senk- recht gehaltenen Hände mehrmals aneinander vorüber. Das bedeutet: es ist nichts. Er gibt es auf. Wir fürchten für das Leben der beiden Übeltäter und fragen, ob sie ein Brechpulver erhalten sollen. Er aber lächelt uns verschmitzt an. Seine Mittelchen sind unschädlich. Da nichts zu machen ist, lassen wir den zweiten Teil der Beschwö- rung vornehmen: den oder die Hehler des Schiesspulvers totnageln. Ein Ngänga hebt den Mabiäla hoch und der Obmann treibt ihm unter Ver- wünschungen einen erhizten riesigen Pfostennagel zwischen das übrige Eisen- zeug in den Körper. Aber es ist keine Stimmung mehr vorhanden. Die Zaungäste machen sich sehr unnütz und begleiten die Schläge mit Gejohle und Gehöhne. Leider hat auch Mabiäla seine Schuldigkeit nicht getan: er hat weder unser Pulver wieder beschafft, noch seinen Verbleib aufgeklärt, noch die bösen Anstifter und Hehler getötet. Ich argwöhnte, dass die Ver- nagelten gegen Entgelt den Nagel hätten heimlich ausziehen lassen, doch war dies, wie eine spätere Besichtigung ergab, nicht geschehen. Zum Schluss folgte noch die Beschwörung und Nagelung des Fetisches durch unser Gesinde, mit den Vorfällen, die schon Seite 403 geschildert worden sind. Dann zogen die Bangänga mit ihren Zaubergeräten ab, wie es schien, ganz unbekümmert darum, dass sie sich samt ihrem Fetisch gründlich blamiert hatten. Auszaubern eines Diebes. 437 Eine andere Zauberei, die wir in unserer Station vornehmen liessen, wurde recht hübsch ausgeführt und brachte uns Genugtuung. Wir pflegten, wenn wir des Abends im Essraum zusammenkamen, unsere Wohnräume, deren Türen nach dem Herrenhofe mündeten, nicht abzuschliessen, weil auf diesem Platze, wo niemand sich herumzutreiben hatte, unsere Leib- diener ab und zu gingen. Eines Abends, äls wir wieder beisammen sassen, legte mein Ndembo, indem er verständnisvoll lächelnd seine Grübchen zeigte, den Schlüssel meiner Zimmertür sachte neben mich auf den Tisch. Daran merkte ich, dass etwas nicht in Ordnung war, hütete mich aber, zu fragen. Bald darauf wurde einem Gefährten das Bettlaken entwendet. Etliche Tage später verschwand ein zweites. Der Dieb war gewiss einer unserer Leibdiener, auch den anderen bekannt. Natürlich nannten sie ihn nicht. Nd&mbo riet: Bangänga. Wir liessen Zauberer rufen. Es kamen ihrer zwei: ein ausgelernter und einer unserer Tagelöhner, der seit einigen Monaten sich nebenbei für den Beruf vorbereitete. Sie waren im Putz: Mützen von langen Hahnenfedern auf dem Kopf, umfangreiche, mit Fellen behangene Fetischbündel an der linken Schulter, allerlei Fetische am Halse baumelnd, in der rechten Hand ein grosses gebogenes Buschmesser einheimischer Arbeit. Bemalung: schwarz, rot, weiss, gelb; breite Kreidestriche vom Halse bis zum Nabel, um diesen ein Kreis, andere Kreidestriche von der Herzgrube zu den Schultern und längs der Vorderseite der Arme und Beine bis auf Finger und Zehen; um die Kniescheiben Kreise; quer über den Leib je einen Kreidestrich mit kleinen Endkreisen, ebenso senkrecht über die Backen und brillenförmig um die Augen bis zu den Schläfen. Dazu auf Gesicht und Brust, symmetrisch verteilt, schwarze, rote, gelbe Ringel und Tupfen, die Lippen gelb oder weiss bestrichen. Beide trugen das landesübliche Hüftentuch hoch aufgenommen und sahen, da sie kräftige, wohlgenährte Leute waren, nicht übel aus. Sie setzen sich an die Wand eines Schuppens, stellen zwei spannen- hohe Fetische, einen Menschen und einen Affen darstellend, vor sich auf Matten und legen daneben Muscheln, Steinchen, Bäuschchen, Säckchen und allerhand andere Kleinigkeiten, die sie aus ihren Fetischbeuteln hervorkramen. Dann gehen sie an die Arbeit. Über eine Viertelstunde lang rasseln sie mit Kalabassen und singen zeitweilig; einige unserer Leute setzen sich gemütlich zu ihnen, singen mit, betonen beim Wieder- holen gewisse Worte ausdrucksvoll und nehmen gelegentlich die Rasseln. Ab und zu blicken die Zauberer ernsthaft prüfend in die Spiegel ihrer Fetische, fahren mit dem Kopfe seitwärts, als wollten sie rasch hinter die Figuren gucken, und rollen die Augen. Allmählich wird der Vor- sitzende wärmer, rüttelt und schüttelt den Oberkörper, namentlich die Schultern, wackelt erstaunlich schnell mit dem Kopfe und verkündet mit 438 Auszaubern eines Diebes. hoher, verstellter Stimme allerhand wichtige Dinge. Er ist ein aner- kennenswert geschickter Bauchredner. Endlich springt er auf, rennt rufend hin und her und zappelt plötzlich wie eine halb totgeschlagene Wespe sehr komisch mit dem ganzen Körper. Ein Ruck und Halt, und nun ordnet er ganz ruhig und bedachtsam unsere mittlerweile vollzählig herbeigekommenen Leute im Halbkreise. Während sein Gehilfe eifrig weitertanzt, trippelt, singt und rasselt, holt er einen kleinen runden Handspiegel hervor, den er um den Hals hängt, und sein Hauptgerät: ein anderthalb Spannen langes, fingerdickes, kunstvolles Rundgeflecht von überaus schmiegsamen Pflanzenfasern, das sich nach vorn verjüngt und als Ende eine dunkle Hahnenfeder hat. Das ruhelose Zauberding sitzt an kurzem, rechtwinkelig eingeflochtenem Handgriff mit einer stumpfen Spitze unten und einem kleinen Federstrauss obenauf. Es windet sich unheimlich wie unsere Jahrmarktschlangen. So ausgerüstet tritt der Mann zu den aufgestellten Leuten, schaut ihnen der Reihe nach scharf in die Augen, je nachdem auch in die Ohren, in die Nasenlöcher, hebt ein Augenlid, schiebt die Lippen auseinander und lässt sich von einzelnen die Zunge weisen. (Grelegentlich betrachtet. er sinnend ihre Handflächen, deren Linien er prüfend mit dem Stielende seiner Zauberfahne verfolgt. Manchmal klopft er an einen Kopf, bläst übers Gesicht, pufft von hinten unversehens in die Kniekehlen, dass sie einknicken, streicht über die Oberarme, behorcht das Herz, pocht mit. dem Finger darauf und beriecht die Stelle schnaufend. Abwechselnd Wendehals spielend guckt er in seinen Spiegel und lässt sein Fähnlein schwanken. Dabei hebt er den Zeigefinger und fährt mit ihm dem Manne hart an der Nase vorüber, während er ihm durchdringend ins Auge schaut. So untersucht er längere oder kürzere Zeit mehr oder minder vollständig jeden einzelnen, setzt ihm nach Befinden die Fingerspitzen auf die Brust und schiebt ihn als unschuldig aus der Reihe oder lässt ihn stehen und wendet sich zum nächsten. Derartig behandelt er Mann für Mann, heisst die nicht ausgemerzten Leute wieder aufschliessen und untersucht sie von neuem, nur mit dem Unterschiede, dass er nicht mehr der Reihe nach geht, und dass er dann und wann zu den Fetischen läuft, die. herumgedreht worden sind, nieder- kauernd sie anschaut und wie ein Stossvogel wieder auf einen beliebigen Mann losfährt, den er hastig vornimmt, als müsste er an ihm rasch noch etwas Besonderes auskundschaften. Der Ngänga ist ein kluger Gesell, ein Menschenkenner, und weiss seine Künste vortrefflich auszuüben. Man sieht ihm gespannt zu, auch wenn man, wie in diesem Falle, als sicher annehmen muss, dass er den Übeltäter bereits kennt. Fortfahrend wird er immer lebhafter in seinem Treiben, je weniger Leute er noch vor sich hat. Jetzt bleiben noch zwei Personen, denen wir selbst seit einiger Zeit Auszaubern eines Diebes. Was dem Ngänga geschah. 439 nicht mehr trauen: ein Junge und ein grosser, stämmiger Bursche. Der Ngänga winkt uns mit den Augen zu und verschärft seine Untersuchungen. Der Junge hat schwerlich ein reines Gewissen, aber es handelt sich um die Bettlaken. Rasch wird er abgeschoben. Der Zauberer wendet sich zu uns, wirft sich in die Brust, deutet mit grossartiger Gebärde auf den alleinstehenden Stämmigen und spricht: muivi, Dieb. So hatten wir ıhn denn, hatten ihn in landesüblicher Weise aus- zaubern lassen. Das war nicht nur lehrreich, sondern auch nützlich. Der Dieb wurde aufgebunden, und sein Anhang musste ihn reichlich aus- lösen. Überdies gestand der Mann nun auch gleich ein, dass er uns die Regenwasserflasche gestohlen hatte. Das ging so in einem hin. Damals hatte er beim Auszaubern, wie schon Seite 403 beschrieben worden ist, den Fetisch sogar auf seinen Rücken stellen lassen. Wenn die ganze Aufführung mutmasslich auch nur zum Scheine er- folgte, so empfingen wir doch den Eindruck, dass der schlaue und ge- wandte Ngänga wohl imstande war, durch seine Künste auch einen Un- bekannten auszufinden. Er hatte nach Angabe unserer Leute, die übrigens sein Vorwissen bestritten, in dieser Hinsicht einen grossen Ruf. Für ihn hatte die Angelegenheit noch eine üble Folge. Erboste Angehörige des Diebes liessen ihren Ärger handgreiflich an ihm aus. Dabei war ihm sein Fetischbündel zerrissen worden, woraus sich ein langer Rechtshandel entwickelte. Zu uns kam er auch noch ganz ent- rüstet, klagte seine Not und verlangte Schmerzensgeld. Denn wenn unsere Bettlaken nicht entwendet worden wären, so hätten wir ihn nicht zum Zaubern bestellt, hätte er nicht gezaubert, so hätte er den Dieb nicht entdeckt, und hätte er den nicht bezeichnet, so wäre es ihm nicht übel ergangen. Folglich trugen wir die Schuld. Sein Gehilfe war weise und liess sich durch das Beispiel belehren. Er zog als ständiger Arbeiter auf die Station und begleitete uns auf einer mehrmonatigen Reise, bis Gras über die Geschichte gewachsen sein würde. Aber das Zaubern konnte er nicht lassen. Auf jedem Lager- platze in Wald und Campine hantierte er mit seinen Fetischen. Er be- schwor die Kähne, die uns trugen, die Stromschnellen, die wir nahmen, die Hippopotamen, Krokodile, Büffel, die wir jagten, die Dorfschaften, mit denen wir verhandelten; er beschwor auch grossartig die Wolken, die uns trotzdem beregneten. Dazu heimste er in der Wildnis wunderbare Raritäten ein für unübertrefilich starke Fetische, und vergriff sich zum selben Zweck auch an unseren Sammlungen. Wir mussten ganz ernstlich gegen ihn auftreten, um seiner bedenklichen Art der Naturforschung zu steuern. Im übrigen war er kein übler Bursche, kehrte als welterfahrener, mit Schätzen beladener Ngänga heim, und war gewiss fest überzeugt, auf unserer Reise die Hauptperson gewesen zu sein. — 440 Kräfte der Banganga. Alle Bangänga gebieten mehr oder weniger noch über Kräfte, die an ihre Persönlichkeit gebunden sind. Sie werden von den Gläubigen gewissermassen für lebendige Fetische gehalten. So erzählt das Volk von berühmten Zaubermeistern, die, wenn sie rauchen wollen, bloss mit dem Finger auf die Pfeife tupfen, und sie brennt. Bedürfen sie eines Feuers, so blasen sie auf grünes oder dürres Holz, sogleich brechen die Flammen hervor. Sie nehmen einen Frucht- kern in den Mund, spucken ihn in ein Häuflein Erde, und vor aller Augen wächst ein Pflänzlein auf. Sie legen ihre Hand an einen Baum, und er blüht, bringt Früchte oder verdorrt nach ihrem Willen; die Palme gibt ihnen Most, die Liane fertigen Kautschuk. Sie rufen den Elefanten an, und er wirft ihnen seine Stosszähne hin. Die bedeutendsten Meister brauchen nur ihre Hände tüchtig zu reiben und im Nacken zu verschränken oder aufs Haupt zu legen und sie verschwinden für jedermanns Augen. So vermögen sie unsichtbar überall hinzugehen und das Treiben der Menschen zu belauschen. Daher ihr Wissen von Dingen, die Veranstalter unverbrüchlich geheim zu haben meinten. Selbstverständlich kann nicht jeder Zaubermeister alles, aber manche können doch vieles. Es gibt welche, die behaupten, Vorwissende zu sein, eine rätselhafte Ahnungskraft, die Gabe des zweiten Gesichtes zu besitzen. Sie sehen, was sich weit von ihnen zuträgt, sie sehen sogar, was sich künftig begeben wird. Anderen offenbart sich Vergangenes und Künftiges nur im Traume, nachdem sie zweckdienliche Vorbereitungen getroffen haben. Manche rühmen sich, dass sie Wachenden oder Schlafenden, in- dem sie ihnen die Hand auf die Stirn legen, ihre Geheimnisse abfragen können, oder dass sie mittelst eines über den Kopf eines Träumenden gebreiteten Tuches dessen Hirngespinste auffangen und nachher durch Auflegen in den eigenen Kopf bringen, mithin nachträumen können. Kulöta: träumen, lulösse plur. sindösse: Traumvorstellungen. Ebenso ver- messen sie sich, einem Menschen ihren Willen aufzwingen zu können, so dass er nach ihrem Gebote handeln muss, ferner ihn standfest oder baum- fest zu machen, so dass er von einer betretenen Stelle nicht hinweg, von einem erstiegenen Baum nicht herunter kann. Entflohene wissen sie der- artig zu verwirren, dass diese immer wieder dem Orte zustreben müssen, den sie um jeden Preis meiden möchten. Einen Fluchtverdächtigen brauchen sie bloss zu berühren oder einzukreisen, nötigenfalls zu umpissen, und er ist an Ort und Stelle gebunden. Keiner der Kundigen hat sich jemals mir gegenüber vermessen, dass er, gleich einem Medium, mit irgendwelchen Wesen aus dem Jenseits verkehre und daher seine Kräfte, sein Wissen habe, und niemals hat sich vor meinen Augen ein Ngänga danach betragen, dass anderen glaub- haft werden sollte, es wäre der Zaubermeister Art, überhaupt mit Kräfte der Bangänga. 441 Geistern zu verkehren. Es ist das kaum nachdrücklich genug hervor- zuheben. Einer meint, die Gabe und Kraft stecke in ihm, weil er ein geschulter tüchtiger Mann sei, ein anderer hat sie sich umständlich erworben. Zu diesem Zwecke befolgt er gewisse Regeln, wendet er gewisse Kunstgriffe an, um, wie bei der Herstellung von Fetischen, sich selbst die gewünschten Kräfte einzuverleiben. Er sondert sich ab, schweigt, fastet oder geniesst wenigstens nur bestimmte Nahrungsmittel, richtet sein ganzes Verhalten in besonderer Weise ein und isst oder trinkt eigens zubereitetes ngilingili. Je nach dem Grade der Vorbereitungen macht er sich selbst zeitweilig oder dauernd gleichsam zu einem lebendigen Fetisch, dessen Leistungsfähigkeit, genau wie bei anderen Fetischen, erhalten bleibt, wenn Nützliches getan, Schädliches vermieden wird. Hervorragende Meister ziehen die erforderlichen Kräfte unmittelbar aus der Erde an sich. Auch sie befolgen zwar ein mannigfaltiges Tschina, scheinen jedoch nicht der anderen umständlichen Vorbereitungen zu be- dürfen. Wie ein starker Fetisch die Kräfte eines ihm zugesellten schwächeren auffrischt und gewissermassen durch Überstrahlung ver- grössert, so geht die alles durchdringende Erdkraft oder Lebenskraft in besonderer Stärke auf einen Menschen über, der es gelernt hat, sie sich zuzuleiten und kunstgerecht in sich aufzuspeichern. Um sich in dieser Weise auszurüsten, schläft der Ngänga des Nachts oder verbiingt überhaupt längere Zeit im Erdreich, und zwar in einer künstlich her- gestellten Grube oder Höhle oder in einer wannenartigen Vertiefung. Mancher, so wird erzählt, lässt sich für Tage oder Wochen lebendig begraben. Will er die von der Erde entlehnten und in sich versam- melten Kräfte zu einem recht schwierigen Werke verwenden, so verleiht er ihnen noch einen besonderen Antrieb, indem er unmittelbar vor der Handlung sich auf die Erde legt, eine kleine Vertiefung scharrt und daraus schnaufend Luft einzieht. Bisweilen sollen ihn dabei seine Ge- hilfen unterstützen: ihm eine Matte über den Kopf decken, ihm Arme und Beine hochheben und dergleichen mehr. Dass solche Zaubermeister aus eigener Machtvollkommenheit ganz Ausserordentliches zu leisten ver- mögen, wird niemand in Loängo bestreiten, denn dafür gibt es Beweise die Menge. Misslich wird die Sache, wenn der zweifelnde weisse Fremdling vom Ngänga etliche Proben seiner persönlichen Begabung wünscht. Da heisst es, das sei nichts für Ausländer, der weisse Mann sei eben ein anderer und störe die Kräfte, und was der Ausflüchte mehr sind. Man braucht nur einem als hieb- und schussfest bekannten Meister vor Leuten vorzuschlagen, er solle gegen hohe Belohnung einmal auf sich schiessen lassen. Anfangs schwankt er vielleicht, des verlockenden Lohnes wie der Zeugen wegen. Aber sobald man das Gewehr zur Hand nimmt, 442 Ärzte und Zaubermeister. lehnt er entschieden ab. Er traut der Sache nicht und gesteht, des Weissen Zauber sei für ihn zu stark, er sei überdies gar nicht vorbereitet. Dabei bleibt er, auch wenn ein Eingeborener mit seiner Flinte schiessen soll. Der Zauber des Anstifters könnte ja wer weiss wie wirksam bleiben. So verliert der Zaghafte nicht den Glauben an sich selbst, und das Volk begreift seine Weigerung, obschon nicht immer unbedenklich, denn man redet ihm dringend und schadenfroh zu. Die umfassendste und sicherlich am häufigsten verlangte Tätigkeit entfalten die Bangänga in der Heilkunst. Je nach den angewendeten Mitteln zerfällt die Zunft, wie schon erwähnt, in zwei Abteilungen: in wirkliche Zaubermeister und in Arzneimeister, die wiederum, wenigstens in wichtigen Fällen, als Spezialisten für innere Mittel, für äussere Mittel, als Wundärzte und Knochensetzer auftreten. Natürlich sind sie nicht immer einer Ansicht. Sie streiten, beschuldigen sich verfehlter Eingriffe. Jeder ist der Klügere, wie das so unter Menschen zu sein pflegt. Die Arzneimeister sind Ärzte in unserem Sinne, und wenn sie auch meistens der gleichzeitigen Anwendung zauberischer Kunstgriffe, ihrer Patienten wegen, nicht entraten können, so wissen sie doch mit bemerkens- wertem Geschick Schäden und Krankheiten zu bekämpfen. Sie haben ganz gute Heilmittel. Ihre Einsicht in anatomische Verhältnisse, die übrigens schon durch das Vorhandensein eines überraschend reichen Wortschatzes im Munde des Volkes bewiesen wird, ihr Wissen von den Verrichtungen innerer Organe haben uns oft in Erstaunen gesetzt. Unter diesen Heilkünstlern gibt es auch häufiger weibliche als unter den reinen Zaubermeistern, doch sind sie meistens Hebammen oder spielen mehr die Rolle der dem schwachen Geschlechte so unentbehrlichen weisen Frauen, Die Berufsübung des Ngänga milöngo erscheint als eine so einfache und natürliche Sache, dass davon kaum ein Aufhebens gemacht wird. Den Arzt bedroht ja nichts als höchstens ein Palaver wegen einer ver- fehlten Kur. Er schreibt Diät vor, reicht Tränklein und Pulver, lässt schwitzen, verordnet eine Luftveränderung, massiert, schröpft, schneidet, schliesst Wunden und entfernt Geschosse aus ihnen, richtet und schient gebrochene Glieder. Was ist da weiter dabei? Was will sein oft unleugbarer Erfolg bedeuten neben der Tätigkeit der echten grossen Zaubermänner? Die haben mit harter Mühe und grossem Fleisse ihre Gelehrtheit auf regelrechte Weise erworben und durch eigene Forschungen fortbilden müssen. Die sind unergründlich tief in die Wissenschaft von der Schwarzkunst und der Weisskunst eingedrungen, die hantieren mit äusserst gefährlichen Kräften und kämpfen mit Ein- setzung der eigenen Persönlichkeit gegen alle Schrecknisse, gegen das unheimliche, in verschiedenartigster Weise wirkende Böse im Diesseits und Jenseits. Dagegen schützen weder Tränklein noch Pulver noch Das Wesen der Krankheiten. 443 Handgriffe. Deshalb wird, wenn der Ngänga milöngo nicht hilft, der überlegene Ngänga mkissi gerufen, und wenn der nichts vermag, das heisst, wenn die einander ablösenden Spezialisten ratlos sind, alsdann ist der Fall hoffnungslos. Was ist den Leuten Krankheit? Sie unterscheiden vielerlei Zustände des Befindens und verfügen über eine Menge von Bezeichnungen für Leiden leichter und schwerer Art. Aber sie stellen sich selbst die schlimmsten Krankheiten, die verheerendsten Seuchen nicht als selb- ständige oder persönliche durchs Land ziehende Wesen vor. Der Sprach- gebrauch könnte freilich zu dieser Annahme verleiten. So, wenn Nsämbi erst die Krankheit und dann das Sterben gleichsam als Sendboten zu den Menschen schickt. So, wenn gelegentlich gesagt wird, eine Krank- heit esse die Menschen auf, komme, gehe, lebe, sterbe, werde vernichtet. Aber deswegen denken sich die Leute Krankheiten ebensowenig personi- fiziert wie den Pfad, von dem sie sagen, er sei gestorben, weil er nicht mehr benutzt wird, oder wie unsere Soldaten den Urlaub, von dem sie, abschlägig beschieden, klagen: mein Urlaub ist verreckt. Das ist reiz- volle volkstümliche Ausdrucksweise, in die man nicht hineindeuten darf, was denen, die sie anwenden, fernliegt, ihnen nachher durch uns vielleicht erst beigebracht wird. Auf mancher Entwicklungsstufe, die nicht einmal höher zu sein braucht, mag vieles vorstellbar geworden sein und bildlich wiedergegeben werden, was für Menschen von anderer Geartung in solcher Form unfass- bar ist, zum Beispiel Plagegeist, Tod, Krankheit, Krieg, Sorge, Freude, Glück. Man prüfe unser Landvolk. Selbst unsere Künstler schaffen mit klassischen Anleihen. Nicht an Ausdrucksmitteln fehlt es, sondern an gestaltbaren Vorstellungen. Nicht alles muss ursprünglich anthropo- morphisch gedacht werden. Daher ist es bedeutsam, dass bei den Bafıöti, die alles mögliche mit Lust anschaulich, besonders als Schnitzerei dar- stellen, keinerlei Bildwerk von einer Krankheit oder vom Tode oder von Unholden zu finden ist. So oft ich eine Zeichnung unseres Todes vor- wies und die Bedeutung erläuterte, machte das gar keinen Eindruck. Ein Gerippe, sagten sie einfach, die Knochenreste eines Menschen. Sie wissen ja auch nur die allerwenigsten ihrer Gespenster und Unholde, und selbst die nur recht unvollkommen zu beschreiben, die, es sei wieder- holt, niemals Elementargeister, sondern, wenn nicht umherspukende Schwarzkünstler, stets Seelen von gewesenen einheimischen oder fremden Menschen und allenfalls von Tieren sind. Demnach sind den Bafiöti Krankheiten an sich nicht eigenmächtige Wesen, die in bestimmter Gestalt würgend oder peinigend umherziehen. Sie kennen nur Ursachen als Träger und Erreger von Leiden. Sie behaupten, dass irgend etwas den Menschen befalle, in ihn hineinfahre, 444 Wie Krankheiten entstehen. ihm übel mitspiele. Dieses Etwas mögen Kräfte, also Schädlichkeiten, Gifte sein, die von natürlichen Gegenständen, von Örtlichkeiten, von Speisen und Getränken, aber auch von Fetischen, Menschen, Hexen ausgehen. Es mögen beliebige Seelen sein, die am Menschen herum- tasten, in ihn hineinschlüpfen, oder gewisse Seelen, die an seiner Lebens- kraft zehren, Schmerzen erzeugen, ihn lähmen, seinen Geist verwirren. Aber selbst etliche bekannte, Unholde zu nennende Seelen verursachen nicht stets die nämliche Krankheit. Dem einem bringt der nämliche Quälgeist, also die nämliche böse Seele, Kopfschmerzen, dem anderen Magendrücken, dem dritten Beinweh und so fort. Richtiger müsste es nach unserer Erfahrung heissen, die Meister tappen in Unklarheit herum, nennen in ihrer Verlegenheit Namen und reimen bald dieses bald jenes zusammen. Gerade das ist bezeichnend für ihre Auffassung vom Wesen der Krankheiten, die doch auch die des Volkes ist. Wo Arzneien nicht helfen, sollen Zauberkünste und Fetische helfen, auch voraus behüten. Die beschriebenen Fetischzeichen an Zugangspfaden und Dorfeingängen sollen gute und böse Seelen, überhaupt Zudringliches, Unheimliches und Verderbliches abhalten. Sie sollen wandernden Menschen, die Ungemach und Seuchen einschleppen könnten, das Schlimme ab- streifen. Bingu sind primitive Desinfektionsanstalten. Demnach kämpfen die Meister eigentlich gegen die Ursachen der Leiden, nicht gegen Krankheiten an sich als eigenmächtige, selbständige und vorstellbare Wesen. Die krankhaften Zustände verschwinden, sobald die Ursachen behoben sind. So lehren sie selbst. Auch kennzeichnet es die Ansicht unserer Leute, dass, mit Ausnahme erfahrungsmässig klarer Fälle von Besessenheit oder Behexung, zunächst der Arzt, nicht der Zaubermeister gerufen wird. Was sicherlich nicht geschähe, wenn sie sich Krankheiten personifiziert dächten. Denn was könnten gegen solche Wesen Tränklein, Pulver, Bäder, Kneten, Schwitzen, Hungern und andere Hausmittelchen helfen ? Allerdings pflegt nicht jeder, der sich unbehaglich fühlt, sogleich an das Schlimmste zu denken. Hat er wüst gelebt, geschwärmt, unmässig und gar noch Unbekömmliches gegessen oder getrunken, hat er sich herumgetrieben, an Lagunen oder Morästen genächtigt und sich dabei erkältet, so vermutet er selbst in den schwersten Formen des Katzen- jammers, in Kopfschmerzen, Magendrücken, Dysenterie, Fieber und so weiter doch nur die Folgen der Schwelgerei, Lotterei oder Unvorsichtigkeit. Das geht ganz natürlich zu und erregt keinen Argwohn. Auch andere Plagen und Leiden lässt der Mensch über sich ergehen; es wird schon wieder besser werden. Kommen aber neben allerlei Unglück Seuchen über die Menschen, die jung und alt, vornehm und gering hinwegraffen, alsdann liegt es nahe, sie als eine Schickung Nsämbis zu betrachten. Die Zaubertränklein. Feldsegen. 445 sucht man abzuwenden durch schleuniges Nachholen vernachlässigter Ge- bräuche, durch Ausfinden und Bestrafen von Erdfrevlern, von Sündern gegen das grosse Tschina. Zauberkünste helfen gegen solche Schickung nicht, ja es kann, wie noch zu schildern, Fetischen und Meistern recht übel ergehen. 3 Wenn der Arzt bei einem Leidenden nicht mehr aus noch ein weiss und alle Verantwortung ablehnt, erst dann wird der Zaubermeister geholt. Dessen oder deren, nämlich der Spezialisten, Künste sind jedoch viel umständlicher und kostspieliger. Sie haben sich sorgsam vorzubereiten, weil sie auf finstere Mächte stossen können. Dazu verlangen sie gewöhn- lich das Honorar voraus. Umsonst wird auch in Loängo weder geheilt noch umgebracht. Die Heilkünste der verschiedenen Meister werden aber besser an anderer Stelle geschildert. Recht ängstliche Leute fühlen sich trotz ihrer zahlreichen Fetische vielleicht noch nicht sicher genug. Sie möchten über Kräfte wie grosse Zaubermeister gebieten und ihr Leben lang Nutzen davon haben. Auch hierfür wissen die Kundigen Rat. Sie besprechen, bezaubern und be- malen die Furchtsamen in entsprechender Weise, besprengen sie mit Zauberwasser, verordnen ihnen auch köstliche stärkende Tränklein mit ngilingili, die gewöhnlich regelmässig bei Neumond oder Vollmond ein- zunehmen sind, senden sie vielleicht auch zu einer fernen Quelle, deren Wasser sie nach Vorschrift zu trinken haben, ans Meer, wo sie baden sollen. Nun kann ihnen das Böse nicht an den Leib. Wenn es aber trotzdem droht, so rühren sich nicht bloss ihre Fetische, sondern sie ahnen es auch selbst. Sie fühlen es, erkennen es an gewissen Zeichen in ihrem Körper, auch im Traume. Derartig gewarnt, können sie stets rechtzeitig für ihre Sicherheit sorgen — nur dürfen eben nicht noch stärkere Kräfte als ihre eigenen gegen sie stehen, und sie dürfen nicht gegen die ihnen auferlegten Gebote verstossen haben. An Pflanzungen gewahrt man häufig grosse, auf Stöcke gespiesste Schneckenhäuser, Wiepen sowie flatternde Fransen und Fäden. Auch abgeschossene Papphülsen unserer Jagdflinten wurden Mode. Diese Zeichen sind teils Grenzmarken, teils Scheuchen und Zaubermittel, um das Gedeihen der Feldfrüchte zu befördern. Manche fleissige Frau, manche gemeinsam den Boden bestellende Gemeinde fühlt überdies das Bedürfnis, einen Ngänga mit einer Art Feldsegen zu betrauen, damit sowohl Ungunst der Witterung als auch Schädigung durch wilde Tiere und hungrige Seelen von der Aussaat abgewehrt werde Da um- springt dann der Meister mit Gehilfen rufend und murmelnd das Acker- stück vor und zurück, nur einmal oder mehrere Tage nacheinander, auch immer wieder zu verschiedenen Zeiten, wie bei Neumond und Voll- mond, je nach dem Lohne, der ihm winkt. Er schreitet ebenso mit 446 Studierende der Geheimwissenschaft. gespreizten Armen durch die Saaten, über sie hinstreifend, darüber hauchend, mit einem aus den Rippen der Fiederblätter von Olpalmen gefertigten zierlichen Rutenbesen Zauberwasser sprengend, auch Asche oder Zauber- pulver streuend.. Mancher umpisst zuletzt rennend die Pflanzung. An ihm liegt es gewiss nicht, wenn die Ernte nicht nach Wunsch ausfällt. Leute, die viele Haustiere züchten, lassen auch deren Gedeihen vom Ngänga befördern, was ebenfalls, wie nach uraltem, nicht erst durch Missionare eingeführten Taufgebrauch, durch Besprengen mit Wasser oder durch Anblasen oder durch Bestreuen mit Kraftstoffen zu geschehen pflegt.*) Es liessen sich noch viele Bogen füllen mit dem, was die Zauberer sonst noch zu besorgen haben. Eigentlich werden sie mit ihren Fetischen für alles und jedes im Dasein der Gläubigen in Anspruch genommen. Sie sind dem gewohnheitsmässig auf sie angewiesenem Volke geradezu unentbehrlich. Und so sind sie auch in den meisten Angelegenheiten eine Macht, die nicht unterschätzt, aber auch nicht ungerecht beurteilt werden darf. Ihre Kunst erlernen sie wie einen Beruf, indem sie gegen Entgelt bei Erfahrenen in die Lehre gehen. Allmählich eignen sie sich das über- lieferte Wissen von der Schwarzkunst und der Weisskunst an, von den Hexengiften und dem in besonderen Fällen wirksamen Gegenzauber, von den verschiedenen Kräften der Fetische und den zu ihrer Erhaltung not- wendigen Regeln. Zuletzt werden sie eingeweiht, ngilingili und Fetische zuzurichten, und erfinden selbst vielleicht neue Mischungen von erstaun- licher Wirksamkeit. Doch nicht alle streben nach diesem höchsten Grade der Ausbildung. Die meisten begnügen sich mit dem Erlernen des all- täglichen Zauberns, überhaupt der kleinen nützlichen Künste für den eigenen Gebrauch, sowie mit einer mehr oder minder oberflächlichen Kenntnis von der Natur und dem Wirken der Kräfte. Sie wollen nicht praktizieren. Aber sie gefallen sich darin, um ihrer Schulung in der (seheimwissenschaft willen, der grossen Menge gleichsam als Studierte, als Gebildete überlegen und gegen Übel besser geschützt zu sein. Nun treten aber ganz überraschend als Zauberer Personen auf, die nicht den üblichen Unterricht genossen, sondern, gleich unseren Adepten und Wunderdoktoren, ihre Weisheit selbst gefunden oder irgendwie er- erbt haben wollen. In unserem eigenen Gehöft verfiel einer von unserem *) So auch bei den Ovahererö. Die Ondängere, die Feuerjungfer, die das heilige Feuer (Seite 170) wartet und überträgt, wenn der Weideplatz gewechselt wird, besprengt das abziehende Vieh mit Wasser mittelst eines Bruches vom heiligen Busch (Grewia). Auch der Häuptling besprengt ab und zu die um sein Feuer versammelten Leute in der nämlichen Weise. Männer, die auf Viehposten ziehen, knieen vorher an des Häuptlings Wassergefäss nieder, tauchen die Finger ein und betupfen sich die Stirn. Regenmeister oder Wolkenschieber. 447 Gesinde, sogar ein Unfreier, auf den Betrieb des nutzbringenden Gewerbes. Er gewann einen ausserordentlichen Einfluss auf seine Umgebung, und wir machten betrübende Erfahrungen, bevor wir hinter seine Schliche kamen. Die Zünftigen eifern allerdings gegen solche unliebsame Genossen und brandmarken sie als Täuscher und Kurpfuscher, doch, wie überall unter der Sonne, ohne durchschlagenden Erfolg. Die anerkannten Meister sind ja auch nicht einig miteinander. Warum soll sich nicht Ausser- ordentliches ereignen? Auch solche Leute finden Gläubige. Sind sie klug und geschickt, werden sie vom Zufall begünstigt, dann mögen sie die geschulten Gegner weit überflügeln.. Man hört und sieht, streitet, versucht, wird überzeugt oder enttäuscht. Wie bei Zivilisierten. Wenn die Trockenzeit zu lange anhält, wenn die erwarteten befruch- tenden Schauer ausbleiben und die Aussaat gefährdet ist, taucht hier und da ein Mann auf, der es übernimmt, der Dürre ein Ende zu bereiten. Er ist ein Ngänga mvüla, ein Regenmeister. Solche Leute geben nicht vor, befruchtende Niederschläge schlechthin aus dem Nichts hervorzaubern zu können. Sie wissen jedoch Rat und Hilfe, wie Ursachen, die die Niederschläge verhindern, zu erkennen und zu beseitigen wären. Oder sie behaupten, sie könnten fernes Gewölk bestimmen, die Pflanzungen ihrer Auftraggeber zu begiessen. Die solche Künste üben, sind also nicht gerade Regenmacher, sondern besser Wolkenschieber zu nennen. Und nur solche haben wir in Loängo gefunden. Sie verlangen von den Gläu- bigen nicht Bezahlung, sondern bloss Verpflegung während ihres Aufent- haltes, vereinbaren aber mit ihnen, dass sie im Falle des Erfolges einen Anteil vom Ertrage der Pflanzungen oder entsprechende Werte empfangen sollen. Nach geschlossenem Vertrag beginnen sie mit den mannigfaltigen Vorbereitungen. Sie erlassen Gebote und Verbote: allerlei nicht essen und trinken, keine Tänze abhalten oder besuchen, oder nicht ans Meer gehen, sich des Weibes enthalten und so fort. Im Freien dürfen Hähne nicht krähen, Schafe nicht blöken, Ziegen nicht meckern. Man soll nicht lachen, nicht singen, nicht trommeln, nicht schiessen, gewisse Gegen- stände nicht berühren. Ein grosses Feuer soll mit bestimmten Holzarten genährt, das Dorf soll mit einer Furche umschürft, mit einem Stricke oder Bande umzogen, die Fetische sollen bedeckt oder unter Dach gelassen, die Pflanzungen bei Sonnenaufgang umlaufen, sauber behackt und gejätet, geschüttelt, bestreut, beschrieen und wer weiss was sonst noch getan werden, das dem Meister erspriesslich deucht. Gelegentlich ordnet er auch, wie bei dem Verscheuchen zudringlicher Seelen beschrieben, ein gründliches Stöbern und Fegen aller Hütten, des ganzen Dorfes an, verbrennt den Kehrichthaufen und heisst die Einwohner schweigend über das Feuer springen. Schliesslich ist eine Ziege zu schlachten und zu verzehren, woran er sich natürlich beteiligt. 448 Wolkenschieber. Lohn. Wetterpropheten. Nach diesen Verrichtungen zieht er zu anderen Leuten, die ihn be- stellten, vielleicht schon auf ihn warten, und dient auch deren Wünschen in ähnlicher oder anderer Weise, je nach Befinden. Hat er Glück, so meldet er sich zur richtigen Zeit, um seinen Lohn einzuziehen. Ist er erfolglos gewesen, so lässt er sich sobald nicht wieder blicken, oder er kommt mit Beschuldigungen, dass ihm nicht völlig gehorcht worden sei. Dem erfolgreichen Wolkenschieber mag anderswo allerlei Unangenehmes widerfahren. Unbeteiligte Erdschaften beschuldigen ihn, ihre Regen von ihren Pflanzungen weg nach denen seiner Auftraggeber gelenkt zu haben. Mithin hat er sie geschädigt. Sie nötigen ihn, falls er sich unvorsichtig auf ihre Erde wagt, Busse zu zahlen, oder binden ihn auf, bis er ihnen umsonst die Wolken geschoben hat. Führt er aber den anderswo ein- geheimsten Lohn mit sich, so wird der ihm einfach weggenommen, oder auch nur einbehalten, bis es regnet. Nachher kann er verklagen. Wolkenschieber im kleinen entdeckt man auf Reisen nicht selten unter den eigenen Leuten. Beim Marschieren wie beim Lagern ist Regen recht ungemütlich, mehr noch als für Europäer für Eingeborene, denen er die Haut peitscht, die er frösteln macht. Da findet sich denn ein Begleiter, der den Niederschlag zu verscheuchen gelobt. Er hantiert mit Fetischen und Feuer, hüpft durch den Rauch und schüttelt sich oder springt ohne diese vorbereitende Handlung dem heranziehenden Gewölk etliche Schritte entgegen und weist es mit zwingenden Gebärden ab, in- dem er die Arme ausstreckt, mit gespreizten Fingern heftig schwingt, mit den Füssen trampelt, Staub oder Erde gegen die Wolken scharrt oder mit den Händen wirft und dazu murmelt, ruft oder Zischlaute ausstösst. Regnet es dennoch, so fehlt es ihm nicht an Ausflüchten. Der grosse Mann bescheidet sich, lässt sich verspotten und wird nass wie die übrigen. Die herumziehenden Wolkenschieber stammen gewöhnlich aus fernen Gebieten; ihnen traut man wahrscheinlich mehr zu als einheimischen. Ausser ihnen, die wohl meistens Gelegenheitsmacher sind, gibt es sess- hafte Wetterpropheten, von denen etliche grossen Ruf haben. Sie machen weder das Wetter noch schieben sie Wolken, sondern erkunden bloss gegen feste Bezahlung, die ihnen Boten überbringen, wie sich die Witte- rung demnächst gestalten werde. Sie hantieren mit Feuer oder mit Steinen. Einer entfacht bei Windstille das unter einem Klappdache beständig glimmende Feuer und wirft gewisse grüne Kräuter darauf. Je nachdem der Qualm hoch aufsteist oder sich unten schwadenförmig ausbreitet, schliesst der Kundige auf Trockenheit oder Regen. Ein anderer befragt zwei ungleich grosse Steine, Mann und Weib genannt. Ein Paar solcher Steine waren flache dunkle Gerölle von ungefähr acht und fünf Zentimeter Durchmesser. Der Eigentümer, kein Ngänga, verwahrte sie innerhalb Ma Loängo gibt dem Volke Regen. 449 einer Umfriedigung in der Erde, und zwar in einem Topfe, worüber ein Napf gestülpt war. So müssen sie aufgehoben werden, um ihrer Kraft willen, die auch durch Weiber, Mondschein und Schweine beeinträchtigt wird. Da sie das Wetter nur bei Sonnenschein verkünden, werden sie um die Mittagszeit eines heiteren Tages aufgedeckt. Der grosse Stein kommt im Topfe auf den kleinen; alsdann wird durch einen als Trichter dienenden langhalsigen Flaschenkürbis behutsam Wasser eingefüllt. Nun hocken oder knieen die Boten mit eingeklemmten Geschlechtsteilen um das Gefäss und warten geduldig, was sich begeben und wie der Kundige es deuten wird. Ihr Schatten darf aber nicht auf das Wasser fallen, sonst ist für den Tag alles verdorben. Je nachdem am oberen Steine glänzende Luftperlen schnell oder langsam, reichlich oder spärlich er- scheinen und aufsteigen, wird Regen bald und stark oder spät und schwach fallen. In der guten alten Zeit, als es noch einen Ma Loängo gab, stand es freilich besser um die Bafıöti. Der König konnte eben viel mehr als andere. Er schob nicht Wolken, lenkte nicht Winde, orakelte nicht; er holte den Regen unmittelbar vom Himmel, sobald seine Untertanen dessen bedurften. Battell erzählt, wie es dabei zuging. Einmal im Jahre, wenn die Zeit der Regen nahte, sandte das Volk Boten mit Geschenken zu dem Ma Loängo und liess um befruchtende Niederschläge bitten. Endlich wurde ein grosser Festtag anberaumt. Der Herrscher begab sich unter grossem Gepränge auf einen weiten Platz, wo Krieger in Scharen auf- gestellt waren, wo Trommeln und Elfenbeinhörner ertönten, wo die Grossen des Reiches und viel Volk ihn begrüssten. Nachher erhob sich der Mtötila von seinem Prunksitze, nahm einen ihm gereichten Bogen und schoss einen Pfeil gen Himmel. So eröffnete der König die Regen- zeit, und die Untertanen jubelten. „Ich war einst dabei,“ meldet Battell, „als der König Regen gab. Zurällig regnete es am selben Tage tüchtig, wodurch das Volk in seiner Narrheit bestärkt wurde.“ Wie unsere Schäfer, Windmüller, Bauern, sind die wandernden Wolkenschieber und die sesshaften Propheten wetterkundige Leute, die gewisse meteorologische Erscheinungen sowie das Verhalten von Pflanzen und Tieren erfahrungsmässig zu deuten wissen. Einzelne in ziemlicher Höhe schwebende langgestreckte Wolken, die oben regelmässige, nach derselben Seite gebogene Auszackungen aufweisen, etwa wie eine riesige Säge, kündigen sicher Regen an wie bei uns auch. Ebenso das ge- steigerte jauchzende Lärmen der Graupapageien, die darin noch zuver- lässiger als unsere Schwarzdrosseln sind. So gibt es noch viele andere Merkmale, die die Aufmerksamen leiten: die Ausdünstungen der Haus- tiere, dann des Erdbodens, der Campinen und der Manglare, die Blatt- stellung der Erdnüsse (Arachis), die sich wie unsere Kleearten verhalten. Loango. 29 450 Notstände. Weltverbesserer. Psychosen. In Zeiten der Not und des Elendes, wenn alle Künste der Zünftigen und Unzünftigen versagen, sind die Gemüter empfänglich für wunder- bare Geschehnisse und rettende Gedanken. Da erstehen Weissager und Weltverbesserer, die durch die Dörfer laufen, das Volk aus seiner Dumpf- heit aufrütteln und zu den seltsamsten Handlungen verleiten. Sie reden von der guten alten Zeit, von den Vorfahren, von Nsämbi, vom bösen Treiben der Menschen, von ihren heillosen Zauberkünsten, die alles ver- schulden. Das packt unter Umständen wie eine Offenbarung und führt zu einer oft weitgreifenden Umwälzung. Es wird aufgeräumt mit allem Zauberkram, mit den Fetischen, die verbrannt, zerschlagen, vergraben, ins Wasser geworfen werden. Auch manchem Ngänga ergeht es wie seinen Werken, damit alle fernere Zauberei unmöglich werde. Mancher Sünder verfällt der Wut des Volkes. Solche und andere Tollheiten, Ausbrüche der Verzweiflung und krankhafter Überreizung, mit manchmal recht schlimmen Begleiterschei- nungen, entstanden in verschiedenen Gebieten während der Leidenszeit zu Anfang der siebziger Jahre. Vor einem Menschenalter sollten sie sich ebenfalls, aber in umfänglicherer Weise ereignet haben. Durch Vater Merolla wissen wir, dass bereits vor mehr als zwei Jahrhunderten in Kaköngo ein wütender Bildersturm gegen Fetische tobte, weil sie sich bei einer allgemeinen Seuche nicht bewährt hatten. Die erste Bewegung, die zu unserer Zeit stattfand, scheint von Ge- bieten südlich des Kongo ausgegangen zu sein. So behauptete man wenigstens in Böma, wo viele Fetische vernichtet, gleich anfangs einige Zaubermeister umgebracht und die Arbeiter in mehreren Faktoreien zu Raub und Mord, zur Verjagung der Weissen aufgewiegelt worden waren. Europäer vollzogen damals in Böma ein grausames Strafgericht an auf- rührerischen Sklaven. Unter den Eingeborenen schienen stellenweise Zustände grosser Unsicherheit zu herrschen. Personen jedes Alters und Geschlechtes, selbst Leute von Rang und Ansehen verschwanden spurlos. Es hiess, sie wären lebendig begraben, in den Kongo versenkt, über den Strom nach Süden geschafft, übers Meer verkauft worden. Sogar auf- gegessen sollten sie sein, was freilich nicht wörtlich zu nehmen ist. Auch von Verhexung und unsichtbarer Verschleppung sowie von Werwölfen wurde erzählt. Diese Vorgänge blieben auf südliche Teile unseres Ge- bietes am Kongo und im Inneren beschränkt. Im Vorlande verlief die Bewegung in einer viel milderen Form und erstreckte sich nicht bis zur Küste und nordwärts nicht bis zum Königsgau. Dafür entwickelten sich im Kuilugebiete und weiterhin bis über Yümba hinaus andere Begebenheiten. Um diese zu verstehen, hat man sich den allgemeinen Notstand in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, der auch so schwer auf unserer Expedition lastete, zu vergegenwärtigen. Dürre. Hungersnot. Seuchen. Verderben. Spuk. 451 Die Not war allenthalben gross, am grössten in vielen Gauen des Nordens. Infolge der mehrere Jahre ungenügend gefallenen oder strichweise fast gänzlich ausgebliebenen Regen waren die Dauergewächse auf den Schlägen verkommen, Saatkorn und Haustiere waren aufgezehrt. Hunger und Seuchen, namentlich die Blattern, verbreiteten Tod und Verderben, störten im Verein mit der kurz zuvor eingeschleppten neuen Plage der Sandflöhe Handel und Verkehr und trieben die Eingeborenen von ihren Wohnsitzen. Ganze Dörfer lagen ausgestorben (I 162, 164, 177). In und an den verfallenden Hütten moderten Reste von nicht beerdigten Toten. Familien und Erdschaften waren gesprengt. Die Angehörigen fristeten zerstreut ein elendes Dasein im Busch, gaben sich jedem zu eigen, der sie haben und füttern wollte, oder verfielen auf ihren Streif- zügen einsam dem Tode. Kein Wunder, wen®a sich entwickelte, wovon die Geschichte aller Völker berichtet, wenn in solcher Bedrängnis Menschen, die allezeit von Furchtgebilden geplagt werden, deren zügellose Phantasie ihre unge- schulten Verstandeskräfte beherrscht, ausser sich gerieten und oft in Irr- sinn, in Raserei verfielen. Wie den Lebenden erging es den Toten. Die hungrigen Seelen trieben es über alle Massen arg. Die Aufregung wurde durch immer neue Schauermären gesteigert. Weissager eiferten, Zauberer durchliefen die Dörfer, Geheimbünde wagten sich dreister hervor. In Yümba, wo das Elend am grössten war, veranstalteten trotzdem Bewohner zweier Gebiete einen argen Spuk, den ich zum Teil mit erlebte. Sie wollten einen in einem Wildniswinkel hausenden missliebigen Händler verscheuchen, einen anderen zwingen, seine versuchsweise aufgetane Busch- faktorei an einen ihnen genehmeren Ort zu verlegen. Flammen schossen auf und huschten über Wege und Plätze; Wände und Dächer wurden durch mächtige Schläge erschüttert; Steine fielen vom Himmel, wo sich Personen im Freien zeigten. Auf den Zugangspfaden begegnete man Leuten, die längst gestorben waren, und anderen unbeschreiblichen Ge- spenstern. Zuletzt getraute sich niemand mehr zu den beiden Faktoreien; das Gesinde lief davon. In dem Anwesen, dessen Besitzer schliesslich dem Spuk weichen musste, war überdies der Handelsgehilfe eines Abends meuchlings erschossen worden, als er vor der Tür des Wohngebäudes sass. Ein in die Gegend verschlagener Ersatzmann verübte bald darauf an der nämlichen Stelle Selbstmord. Diese beiden Toten spukten im Hause, erschienen des Nachts dem gequälten Händler und machten ihm den Aufenthalt vollends unerträglich. Bevor er seine Buschfaktorei schloss, erlebte er noch neue Schrecken. Ein äusserst frech gewordener Leopard tauchte bald hier, bald dort auf, und drang sogar am hellen Tage in Dörfer und Gehöfte ein. Wahr- scheinlich waren es mehrere Raubkatzen, die unbeerdigte Leichen 2) 459 Geheimbund. Tigermenschen. Werwölfe. befressen und das Fürchten verlernt hatten. Der Hunger zwinge sie, hiess es, weil die wilden Tiere, die Büffel, Antilopen, Affen und Vögel jedes- mal einen vom grossen Sterben heimgesuchten Landstrich zu verlassen pflegten. So die Eingeborenen, die sich auf Überlieferung beriefen. Ausser den echten Leoparden trieben noch unechte ihr Unwesen, nämlich Männer, die, in Leopardenfell verkleidet, Menschen überfielen, sie zerfleischten und töteten. Dies wurde zur Gewissheit, als ein mutiger Jäger in der Verteidigung ein solches Scheusal erstach. Demnach hatte man es auch mit Angehörigen eines blutgierigen Geheimbundes zu tun, der, bis dahin aus den Ogoweländern bekannt, nach Süden vordrang. Nun begab es sich in der Faktorei, wo der Meuchelmord geschehen war, dass der Leibdiener des Herrn am hellen Mittag auf der Mordstelle von einem Leoparden besprungen und fortgeschleppt wurde. Zwar rettete ihn ein mutiger Hund mit Aufopferung des eigenen Lebens, aber der Knabe starb an den erhaltenen Wunden. Dieser selbe Knabe hatte damals den Meuchelmörder erkannt, verraten, und somit nach Erdrecht dem Tode überliefert. Zum zweiten Male seit Menschengedenken hatte ein Leopard ungereizt einen Menschen überfallen. Natürlich war diese Bestie ein Werwolf, nämlich der auf des Knaben Zeugnis hingerichtete Mörder. Der Vorfall verstärkte das Entsetzen. Echte und falsche Leoparden, Gespenster und andere Erscheinungen ängstigten die Einge- borenen. Die paar noch an der Yümbabai ausharrenden Europäer fürchteten „Tigermenschen“. Niemand getraute sich mehr des Nachts ins Freie und des Tages allein zwischen deckende Vegetation. Dazu immer neue Hiobsposten von weiteren Bluttaten, von spurlos Verschwun- denen, von umgehenden Verstorbenen, von grässlichen Erlebnissen, von fürchterlichem Heulen und Jammern in den Wäldern. Kurzum, die Zu- stände waren greulich, und die übertiebenen Gerüchte steigerten die Auf- regung auch in den südwärts sich dehnenden Landschaften. Dazu der Mangel an Nahrung, und das Sterben, das grosse Sterben. Sechs Jahre später, als ich Yümba abermals besuchte, hatte zwar die Hungersnot aufgehört, die Seuchen waren erloschen, auch etliche der frechsten Leoparden waren erlegt worden — einer in der Küche, einer im Ziegenstall —, aber die „Tigermenschen“ trieben es ärger als zuvor. Neuerdings machten sie auch Gebiete bis zum Kuilufluss hin unsicher. Ihr Dasein konnte nicht bezweifelt werden, denn mehrere der verkleideten Würger hatte man auf frischer Tat gefasst und hingerichtet. An der Hülle von Leopardenfell, deren sie sich bedienten, waren die Tatzen zu einer Art Fausthandschuh umgearbeitet und an Stelle der Krallen mit eisernen spitzen Nägeln und Messerklingen besetzt. So wurde erzählt. Während der grossen Not kam nun abermals das Gerücht von der gespenstischen Karawane auf. Bald da, bald dort war sie erschienen. Totenzug. Mänsi taucht wieder auf. 453 Ganz wie Händler reisen, in langer Reihe, folgte sie den Pfaden, zog sie durch Wald und Gras, durch die Dörfer, langsam, stumm, unhörbar. Tote trugen Tote; sie schritten rückwärts und hatten die Köpfe unter den Armen. Nein! sie wanderten wie Lebende, Licht ging von ihnen aus wie von Fackeln; der Vorderste schlug die _tschingöngo, die doppelte Geleitsglocke. Nein! sie schwebten grausig still ihres Weges; es war dunkel um sie, nichts zu erkennen. Die Hunde heulten, verkrochen sich in den Ecken, verliessen die Dörfer. Und so weiter. Wer den Zug er- blickte, musste sich anschliessen, zog mit davon und ward nie mehr gesehen. Woher kam die Karawane und wohin ging sie? Wer kann das wissen? Wer hat sie gesehen? Wir nicht. Wer sie sah, ist fort mit ihr. Woher dann euer Wissen? Das wissen alle. Es ist so. Das Land ist leer. Wo sind die Menschen geblieben ? Die Erzählungen vom Erscheinen des Totenzuges regten das Volk furchtbar auf und verbreiteten unglaubliches Entsetzen. Der Schreckens- schrei, dass sie nahe, der Ruf bulembu! bulömbu! vermochte die Leute völlig zu lähmen, aller Willenskraft zu berauben. Wie mir versichert wurde, standen sie jählings starr, hilflos, stürzten wie tot zu Boden oder verfielen in Krämpfe und Raserei, und zwar auch am Tage, wenn nichts Bedrohliches sich zeigte. Diesen Anfällen erlagen einzelne wie Trupps von Menschen jeden Alters und Geschlechtes, Widerstandslos liessen sie alles über sich ergehen. Und das scheinen andere benutzt zu haben, um zu rauben, vielleicht auch um Gänge nach dem Inneren abzuführen und zu verhandeln. Verständige Häuptlinge verboten den Schreckensruf und dämpften allmählich das wahnsinnige Gebaren. Auf einmal verbreitete sich die Nachricht von einem grossen Wunder. Der berühmte, als Manatus gestaltete Fetisch Mänsi (Seite 383), dessen Zauberherrschaft um das Jahr 1860 ein denkwürdiges Ende nahm, wäre wieder da. Und zwar jetzt lebendig. In Mbüku, seiner früheren Heimat, in einer Ausbuchtung der trägen Gewässer des Nänga, unfern vom Seite 283 beschriebenen auffälligen Rundbau, wäre Mänsi aufgetaucht. Er bätte einige Zaubermeister angerufen, vieles mit ihnen geredet, ihnen wichtige Geheimnisse anvertraut und zuletzt Fett von seinem Leibe ge- geben. Dieses Fett oder Öl war etwas ganz Unvergleichliches, noch nie Dagewesenes. Man pries es als ein unfehlbares Heil- und Schutzmittel, bestimmt, das Volk von allen Leiden zu erlösen. Natürlich wollte jeder- mann davon haben. Mänsis Vertraute zogen von Dorf zu Dorf, hatten ungeheuren Zulauf und heimsten von den Betörten guten Lohn ein. Ihre Behandlung war einfach: sie betupften mit dem kostbaren Öle alle sieben Öffnungen des Leibes. Wen sie derartig gesalbt hatten, der war fortan gefeit gegen alle Übel und Gefahren. Keine Seuche, keine Seele, kein Gespenst konnte ihm etwas anhaben. 454 Wunderfett und Wunderwasser. Die reisenden Wundertäter sammelten im Laufe der Zeit nicht bloss Reichtümer, sondern gewannen auch zahlreiche Anhänger, die als Gefolge mit ihnen wanderten oder vor ihnen herliefen und ihren Ruhm ver- kündeten. Wie es aber in menschlichen Angelegenheiten zu gehen pflegt, so auch bei dieser neuen Narrheit. Zweifler, Neider und rührige Gegner konnten nicht ausbleiben. Gesalbte Leute, die sich gefeit wähnten, wurden übel enttäuscht, und schrieen nun auch wider die Zauberer. Der Wunderglaube verlor an Kraft. Desto anmassender mochten sich die Bangänga mit ihrem Anhange gebärden. Beherzte Grossleute, die wohl fürchteten, dass die allenthalben einreissende Unordnung bald nicht mehr einzudämmen sein würde, verboten ihnen das Betreten ihrer Erde Da sie sich daran nicht kehrten, kam es zu Zusammenstössen. Blut floss, Leute wurden umgebracht, mitgeführte Güter listig oder gewaltsam er- beutet. Das Gefolge begann sich zu verlaufen. Im Norden des Landes, zwischen Kunkuäti und Buässa, ereilte den Rest der nach Yümba ziehen- den Wundertäter die Vergeltung. Das Volk fiel über sie her, raubte sie aus und schlug sie tot bis auf einen, der ins Dickicht kroch. Wie üblich wurde darauf das Gebiet für jeglichen Verkehr gesperrt. Das begab sich im März 1876, als ich in Yümba weilte Nicht einmal unser Briefbote, der von der Bai längs des Strandes nach Süden trabte, eine den Eingeborenen unter allen Umständen unantastbare Per- son, wurde durchgelassen. Alle Pfade waren geschlossen. Er kehrte unverrichteter Sache zurück, brachte aber den letzten der Wundertäter mit, der ihn unterwegs um einen Mundvoll Essen angebettelt hatte. In einer Faktorei, die man eben ausräumte, um sie auf unbestimmte Zeit zu schliessen, fand der Mann Unterschlupf. Natürlich wurde das ruchbar, und die Umwohner beantragten seine Auslieferung. Während hinten im Hofe verhandelt wurde, liess man ihn vorn heimlich in einem beladenen Boote an Bord des in der Bai ankernden Schiffes entweichen. So ge- langte er ausser Landes und schliesslich nach Süden an die Kongoküste. Dort hat den Entflohenen die Erinnerung an den einträglichen Ver- schleiss von Mänsis Fett mutmasslich nicht rasten lassen. Als ich ein halbes Dutzend Jahre später wieder die Südküste besuchte, erfuhr ich von einem seltsamen Ereignis, das die Gemüter zu erregen begann. Es zeigte eine verdächtige Ähnlichkeit mit den geschilderten Vorgängen. Ndungüsi, ein alter Bekannter, erzählte mir in Kinsömbo voller Eifer, dass bei Ambriz sich folgendes Wunder begeben hätte. Ein seltsames, noch nie gesehenes Seetier war am Strande aufgetaucht und war von beherzten Leuten gegriffen worden. Da hatte es angehoben jämmerlich zu schreien, zu reden und zu bitten, um freigelassen zu werden. Darür hatte es den Leuten Wasser von unvergleichlicher Heilkraft gegeben. Ein Tröpflein davon, auf die Zunge getupft und verschluckt, bewahrte Ndungüsi. Bastian. Tschina. 455 fortan gegen alles Übel. Ein Tröpflein davon, auf dem Körper eines Kranken, auf einem leidenden Gliede nach Vorschrift verrieben, heilte alle Gebrechen. Ndungüsi hatte selber gesehen, wie ein Mann, der an- gehumpelt kam, nachher auf gesunden Beinen von dannen lief. Sogar ein Gestorbener sollte lebendig gemacht worden sein und munter wieder seinen Verrichtungen nachgehen. Mein braver Gewährsmann, ein Nachfolger der alten Pombeiros und Mitglied der Nkimbagilde, wird mit seinen Bundesbrüdern nicht wenig geholfen haben, die Kunde von der erstaunlichen Begebenheit nach dem Inneren zu verbreiten. Kurzum, das neue Wunder schlug ein. Die köst- liche Flüssigkeit wurde niemals alle, die Flasche, worin man sie bewahrte, blieb immer voll. Wie einst mit Mänsis Fett an der nördlichen Loängo- küste entwickelte sich bald ein schwunghafter Vertrieb des Wassers im alten Kongoreiche, der nach Jahren noch weithin im Lande ausserordent- lich erfolgreich war. Ndungüsi war der nämliche Eingeborene, dem Adolf Bastian, welcher ihn Gouchi nennt, im Jahre 1857 sich anvertraute und der ihn so brav ins Innere nach Ambäsi geleitete. Er betrachtete sich, im Bewusstsein seiner geleisteten Dienste und der ihm gezollten Anerkennung als allen Reisenden besonders empfohlen und rechnete selbstverständlich auf Ehren- geschenke. Alt und grau war er geworden, aber noch rüstig. Von ıhm, der mit seinem stattlichen Sohne eben eine grosse Elfenbeinkarawane zur Küste gebracht hatte, erfuhr ich vom Verbleib eines denkwürdigen Papieres. Nämlich des Stückes von Landers Porträt, das Bastian damals aus dem Buche gerissen und gleichsam als Erkennungszeichen dem Könige von Ambäsi oder Kongo verehrt hatte. Dieses Papier, inzwischen in die Hände eines anderen Mächtigen, des sogenannten Marquis von Katönde, des späteren Königs Dom Pedro gelangt, wurde von diesem 1859 Mon- teiro in Beömbe als ein wichtiges Stück vorgewiesen. Als Monteiro 1873 zum letzten Male, und zwar mit seiner Frau Rose — einer Engländerin, wegen ihrer schönen blonden Haare damals noch unvergessen bei den Schwarzen — nach Bämbe reiste, war von dem Papiere nicht mehr die Rede. Dr. Richard Büttner fragte 1885 in San Salvador vergeblich danach. Kein Wunder, denn zu meiner Zeit diente es Ndungüsi als Geleitsschein, als Königszeichen. Sicherlich wird es auch in Zukunft wieder auftauchen und noch manchen Europäer an vergangene Zeiten, an die Zeit unbefangener Forschung gemahnen. — Tschina! Kein Wort tönt dem Fremdling im Verkehr mit den Ein- geborenen so oft entgegen wie dieses. Vielleicht bereitet auch keines einem Reizbaren mehr Arger. Tschina ist gleich zu achten dem bekannteren Tabu des Völkerkreises im Stillen Ozean, wird aber umfassender angewendet. 456 Beschränkung durch Tschina. Man nähert sich einem Dorfe. Der Führer weicht vom geraden Pfade ab und geleitet im Bogen zum Ziele, manchmal durch Gras und Gestrüpp. Dem Einspruch begegnet er mit dem Rufe tschina. Wer stolz in der Hängematte reist, wird an einer Stelle ersucht, auszusteigen und eine Strecke zu gehen. Er sträubt sich, poltert, droht. Vergeblich. Tschina. In einem Dorf, wo er gut aufgenommen worden ist, will er einer Frau ein Andenken überreichen. Ein vielstimmiges eh! tschina, tschina! nkäsi lemba! verboten! es ist eine lömba-Frau! belehrt ihn über seinen Missgriff. Er langt nach einem niedlichen zutraulichen Kinde, um es zu hätscheln. Warnend tönt es sogleich: bika, bika, tschina! halt ein! unerlaubt! Ebenso, wenn er vielleicht nach hübschen Schmuck- stücken, Schnitzereien, Geflechten deutet oder greift, die Weiber oder Männer an sich tragen. Einem Begleiter bietet er von seinem Essen an. Der weicht bedauernd zurück: tschina. Er trägt dem Diener eine Botschaft auf. Der bleibt und sendet einen anderen, ihm sind die Um- stände oder ihm ist der Wohnort des Empfängers oder ein zwischen- liegendes Gelände tschina. Nicht anders ist es, wenn er jemand, der an der Tür zaudert, zu sich einlädt; wenn er selbst eine Hütte besuchen, eine Vorrichtung betrachten, eine Örtlichkeit untersuchen, eine Pflanzung prüfen, an einer Quelle lagern, einen Kahn benutzen, mit Häuptlingen sich irgendwo besprechen will. Tschina! heisst es wer weiss wie oft. So geht es fort, je nach seinem Tun und Lassen und nach den Ver- hältnissen, wobei nicht immer ausgeschlossen ist, dass das T'schina bloss vorgeschoben wird, weil es gerade so passt und eine gute Ent- schuldigung ist. Tschina, der Plural bina wird kaum gehört, bedeutet hauptsächlich Verbot, Verbotenes, das Verbieten, manchmal auch Gebot, also im ganzen etwa Verordnung, Regel, Vorschrift, Unverletzlichkeit; es bedeutet gleich- falls Erlass, Gesetz, wofür aber im Lande gewöhnlich mukäka, plur. mikäka und noch anders gesagt wird. Am passendsten können wir für das Hauptwort wohl Satzung, Auflage setzen. Europäer führen als gleichbedeutend das Wort kissille oder keschila und kesila an, und im Verkehre mit ihnen gebrauchen es bisweilen die Bafiöti, um sich verständlich zu machen, wie sie auch vom Warenmagazin als vom Fetisch reden, lehnen aber sonst den Ausdruck als portugiesisch ab. Im Süden des Kongo, an der Kongoküste, wo ich das Wort nicht hörte, soll es kesile lauten. Unsere aus dem Hinterlande Benguelas (sprich Beng@las) eingeführten Leute betonten es kisila und liessen es nur teilweise sich mit tschina decken. In Loängo, wo es vergessen sein mag, würde es tschisila lauten und könnte entstanden sein aus tschi- nsila: zum Wege gehörig, für den Weg, auch gegen gesperrte oder ver- legte Pfade, und bezeichnete dann einen Weg-, Wander- und vielleicht Andere Bezeichnungen. 457 auch Handelszauber für glückliche Reise und Heimkehr. Leider habe ich von Sinkimba nicht erfragt, ob sie den Ausdruck in diesem Sinne anwenden. Vermutlich hatten die Bafiöti vormals so viele Ausdrücke wie Arten von Satzungen und Auflagen, von denen sogleich zu handeln sein wird, und vermehrten sie nach Bedürfnis. Neben tschina sind es Ausdrücke wie tschimpängu, tschinkönko, lemba, lünga, nlöngo, lubiku, luwilu, mwila. Ab und zu taucht beiläufig noch die eine oder die andere Bezeichnung auf. Aber wenn man ihrer besonderen Bedeutung nachspürt, gerät man ins Ungewisse und stösst zuletzt auf das Tschina, womit dann alles erklärt sein soll. Den Leuten genügt jetzt eben unterschiedslos für alles das eine Wort, und daran haben wir uns zu halten. Schon der alte Battell sagt: Ein jeder hat sein Kin. Jetzt würde er eher melden: Ein jeder hat seine Kins. „Kin,“ erklärt Battell, „ist der Name von ungesetzlichem und verbotenem Fleisch, das, entsprechend jeder Gemeinschaft Glauben, in manchen Familien irgendeine Art Fisch, in anderen Huhn, in anderen Büffel und so fort ist.“ Er erzählt ferner, dass, wenn jemand, selbst unwissentlich, von seinem Kin gegessen hätte, er an seinem Schuldbewusstsein und aus Angst vor dem Zorne des Mokisso sterben würde. Leuten, die bei ihm gegessen hatten, redete er manchmal ein, sie hätten von ihrem Kin genossen, bis er sich an ihrer Todesangst genug ergötzt hatte und ihnen dann das Gegenteil versicherte. Bemerkenswert für unsere Untersuchungen ist, dass Battell aus- schliesslich von verbotenem Fleische sowie vom Mokisso, vom Zauber, Fetisch berichtet. Wahrscheinlich war tschina der ursprüngliche Aus- druck für älteste ererbte und bedeutsamste Satzungen, hat aber allmählich Geltung auch für spätere Zutaten erlangt und endlich die erwähnten besonderen Ausdrücke verdrängt. Nicht ganz grundlos, wie bald zu er- weisen sein wird. Die Einrichtung ist mannigfaltig erweitert, übertrieben worden. Sie umfasst jetzt viel mehr als Fleischverbote und sozusagen Wappentiere oder Symbole, mag allerdings schon zur Zeit Battells nicht darauf beschränkt gewesen sein. Schliesslich haben die Eingeborenen die einstige Bedeutung, den tieferen Sinn des Überlieferten teilweise ver- gessen, in ihrem Wust von Fetisch, Zauber und Tschina begraben. In vielen erst erworbenen Einzelheiten der persönlichen Dinge können die Leute allerdings Auskunft geben, wann, wo und warum ihnen dieses oder jenes auferlegt worden ist. Aber über Grund und Entstehung der Einrichtung überhaupt und besonders über älteste ererbte Verbote und Auflagen, die im totemistischen Sinne aufklären könnten, wissen sie kaum Brauchbares. Sie meinen, dieses oder jenes Tier, diese oder jene Pflanze, ein Gestirn, eine Erscheinung habe einst die Aufmerksamkeit, das Wohlgefallen der Vorfahren erregt, sei ihnen einstmals nützlich oder 458 Geltung des Tschina. schädlich gewesen, berufen sich aber noch mehr auf die Bangänga, die hätten die Schonung oder Beachtung empfohlen. Von Abstammung, Erträumung oder anderer persönlicher Beziehung, wie etwa Seelenwande- rung, reden sie nicht, halten sie sogar für lächerlich. Man ehrt die Satzungen, weil Zuwiderhandeln sicherlich schaden würde. Die Einrich- tung ist überkommen aus unvordenklicher Zeit, ist verwickelt wie das Menschenleben selbst und unerklärbar. Tschina ist eben Tschina. Ein Tschina kann allen gelten, vielen, wenigen oder einem. Es kann Uraltes oder Neuestes, Ererbtes oder Erworbenes, Freiwilliges oder Erzwungenes in sich begreifen. Es kann sich auf ganz kurze oder lange, auf periodisch wiederkehrende Zeiträume, dann auf die Dauer des Lebens, auf ungezählte Geschlechter erstrecken, und zwar mit oder ohne Vor- behalt gewisser Ausnahmefälle. Es mag Speisen, Getränke, Wege, Ge- wässer, Berge, Wälder, Ortschaften, Gegenden, Länder, Pflanzen, Tiere oder Teile von diesen allen, es mag ferner Gestirne, Winde, Regen, Kattune, Handlungen, Stellungen, Bewegungen, Worte und sogar Ge- danken betreffen. Ja es gibt nichts in menschlichen Angelegenheiten, das ihm nicht unterworfen sein könnte. Doch hat sich im Wandel der Zeiten, hauptsächlich durch den Einfluss der Fremdlinge, mit dem Ver- falle der Staatswesen und mit der Zersetzung der Zustände, die Scheu und Ehrfurcht vielfach abgestumpft. Manches kommt ausser Übung. Manches wird nur widerwillig und bloss gelegentlich beachtet, wenn äussere Macht es erzwingt. Vieles, namentlich was Personen und Familien angeht, wird noch gewissenhaft befolet, ob aber mehr aus Ergebenheit als aus Gewohnheit, Furcht und Eigennützigkeit, ob wegen des Wohl- befindens der Seele nach dem Tode, bleibe unentschieden. Selbstverständlich ist die Einrichtung jetzt, falls sie es jemals war, nach Herkunft und Zweck nicht mehr einheitlich. Der Übersicht halber seien, so gut es gehen mag, zunächst zwei Hauptabteilungen unterschieden und besprochen: das allgemeine oder öffentliche und das persönliche oder private Tschina. Nachher soll, so gut es geht, herausgezogen werden, was zum Totemismus gehören mag. Das allgemeine Tschina verträgt ganz gut die Zweiteilung in das göttliche oder grosse und in das politische Tschina. Das göttliche oder grosse Tschina soll von Nsämbi selbst stammen. Es ist unveränder- lich und dient, wie schon ausgeführt, der Wahrung des (remeinwohles, der Sittlichkeit. Unverbrüchlich befolgt werden seine Verordnungen wohl kaum mehr als etwa entsprechende Gesetze unter Zivilisierten. Das bewegliche politische Tschina, auch schon mehrfach behandelt, hat natürlich ebenfalls eine religiöse Färbung, wird aber von Menschen erlassen und aufgehoben. Einst dienten seine Satzungen dazu, die Unter- tanen in Abhängigkeit und Ehrfurcht zu erhalten, das Ansehen des Politisches Tschina. 459 Herrschers zu erhöhen, aber auch seine Macht zu beschränken. Zu diesem Zwecke setzten die Grossen des Reiches mit Hilfe der Bangänga manche Bestimmungen gewiss auch gegen den Willen des Herrschers in Kraft. So ist wenigstens für die Regeln anzunehmen, die nach Ankunft der Europäer die Mächtigen gegen üble Beeinflussung abschliessen sollten. Manches davon mag später auch in das Tschma der Fürstenkaste über- gegangen sein. Ein drückendes Tschina trat in Kraft, wenn ein Mtötila erkrankte, wenn er starb. Ein anderes wurde verkündet, wenn ein wichtiges Unter- nehmen gelingen sollte. Auch als Rechts- oder Strafmittel in Form der bedingten oder unbedingten Ächtung wurde eines über Personen und Landstriche verhängt. So war das politische Tschina ein wesentliches Mittel der Staatskunst. Es konnte Personen jedes Ranges und Standes, die Bevölkerung des ganzen Reiches oder einzelner Gebiete treffen. Seine Satzungen galten dauernd oder zeitweilig. War der Zweck erreicht, so wurden sie wieder aufgehoben. Neu erfundene blieben wohl erhalten, weil sie gegen Erdfremdes gerichtet waren. Reste von diesem Tschina wurden von Häuptlingen noch immer für ihre Zwecke verwendet und, wo es an- ging, dem Volke aufgezwungen. So ist denn oder war das allgemeine oder öffentliche T'sschina von grösster Bedeutung für das gesamte Volksleben und für die staatlche Ordnung. Hierdurch unterscheidet es sich wesentlich von der zweiten Abteilung, vom persönlichen oder privaten Tschina, das eben .lediglich für Personen, für Familien und Sippen Geltung hat. Auch dieses liesse sich in zwei Zweige spalten: in das ererbte oder teilweise als totemistisch zu bezeichnende T'schina, und in das erworbene oder Fetisch- und Krank- heits-Tschma. Aber die Abgrenzung zwischen beiden ist nicht genügend scharf durchzuführen, weil, wie sich aus dem folgenden ergeben wird, die Merkmale versagen. So verschiedenartig nach Gestalt und Zweck die Fetische sind, so wunderlich ausgetüftelt, von zügelloser Phantasie geboren sind die Ge- bräuche und Verhaltungsmassregeln, die beachtet werden müssen, um sie bei Kräften zu erhalten. Ausnahmslos hat, wer einen Fetisch erwirbt oder sich bezaubern lässt, Vorschriften zu befolgen, die ebenfalls in das oder mindestens in sein Tschina gehören. Sie verbieten eine liebe Gewohnheit, den Genuss gewisser Speisen und Getränke, das Anschauen einer Jung- frau oder Schwangeren unter bestimmten Verhältnissen, das Tragen einer Art von Schmuck oder Gewandung, die Benutzung irgendwelcher Geräte, die Berührung irgendwelcher Gegenstände Es verbietet den Anblick des Meeres, den Besuch von Geländen besonderer Art, den Aufenthalt im Freien während der finsteren Nacht oder bei Mondschein, das Durch- waten von Gewässern, das Sitzen oder Vor- oder Rückwärtsfahren im 460 Fetiseh-Tschina. Kahne, das Lagern auf blanker Erde oder an einer Seite des Feuers, das Antasten oder Besteigen mancher Bäume oder das Eintreten in deren Schatten, das Verrichten gewisser Arbeiten, das Aussprechen ge- wisser Worte, das Denken an gewisse Tiere, Pflanzen oder Dinge. Es gebietet, jede Rede mit einem bestimmten Worte zu beginnen, beim Sitzen, Liegen, Schlafen, Essen, Trinken mancherlei Stellungen einzunehmen, das Haar in absonderlicher Form zu scheren, die Haut zu bemalen, die Zähne zu stutzen, bei gewissen Begegnungen oder anderen Vorkommnissen Hände und Arme in eigenartiger Weise zu verwenden: eine geballte Faust auf den Magen zu stemmen, die Zeigefinger zu verhaken, die Daumen zu schieben oder einzuschlagen, ein paar Finger zu strecken, die Hinterbacken zu klappen, die Seiten oder Wangen zu reiben, dabei stets nach rechts oder links auszuweichen, zu knixen, mit einem Fusse zu scharren, sich um die eigene Achse zu drehen, sich nicht umzuschauen, nie den nämlichen Weg zurückzugehen und dergleichen mehr. Manches gilt nur bei ab- oder zunehmendem Mond, bei Voll-, Viertel- oder Neu- mond, während der Regen- oder Trockenzeit, zur Reise-, Fisch- oder Erntezeit und so fort. Kurzum, das Fetisch-Tschina enthält eine erstaun- liche Menge von Regeln, von komischen und nichtigen bis zu tief greifenden und ernsten Dingen, je nach Ermessen der Bangänga. Freilich, was zum Leben notwendig ist, wird von diesem T'schina höchstens eingeschränkt, auch wird Selbstverstümmelung, wie Unterbinden oder gänzliches Abschnüren oder Abhauen von Gliedmassen, nicht ge- fordert. Doch mögen die Leitregeln den Strenggläubigen die Freiheit der Lebensführung sehr beengen. Wer viele Fetische besitzt, vielleicht ausserdem noch mit den Seinen das Tschina von Gemeindefetischen oder Erwerbsfetischen, ferner, gleich Hausgesetzen, ein ererbtes Tsschina zu beachten hat, kann in seinem Tun und Lassen arg behindert sein. Der vielbelastete Grossmann vermag sich beim besten Willen nicht immer gegen Übertretungen so zahlreicher verzwickter und oft vom Zufall durchkreuzter Verhaltungsmassregeln zu wahren. Da ist es denn nicht zu verwundern, wenn die allerbesten Zaubermittel entkräftet werden. Der herbeigerufene Ngänga findet Erklärungen genug, die den Fetischen nicht zum Schaden gereichen. Irgendwie muss das Tschina verletzt worden sein. Der Meister fragt, prüft. Er stösst auf Unsicherheit. Nun, da hat man’s ja. Immer tragen die Menschen oder die Verhält- nisse die Schuld, und die Unfehlbarkeit des Systems bleibt gewahrt. Die Regeln dieses Tschina gelten, solange man sich der Fetische bedient, und zwar viele ununterbrochen, viele bloss zeitweilig. Sie er- löschen mit der Verwerfung der Fetische oder sobald der Zweck erreicht ist. Demnach liegt es bei den Gläubigen, sich gänzlich oder teilweise von den Schranken und Banden zu befreien. Kranken-Tschina. 461 Anders verhält es sich mit dem bei Erkrankung auferlegten Tschina. Das bleibt bestehen, bis der Ngänga es wieder löst. Zweifler und Leicht- sinnige mögen freilich die Fesseln auch selbständig lockern oder zerreissen, wenigstens solange ihr Gesundheitszustand sie dazu ermutigt. Derlei Anordnungen sind von grösster Tragweite im- Heilverfahren. Die Ban- gänga schärfen sie ihren Kunden nachdrücklich ein. Meistens liegt die Sache einfach genug. Es handelt sich um Diät, um Prophylaxe, um Erziehung. Nehmen wir an, unter uns leide jemand an einem Herzfehler. Der Arzt verbietet ihm das Tanzen. Das ist ein Tschina. Der Arzt warnt vor hastigem und starkem Trinken, vor dem Bergsteigen. Noch und noch ein Tschina. Andere fühlen sich unpässlich oder leiden an Friesel nach dem Genuss von Krebsen, von Erdbeeren. Kruster und Früchte werden tschina. Mancher schaufelt mit dem Messer Speisen in den Mund, juckt sich, kratzt sich den Kopf, trinkt zu viel. Das wird tschina. So verfährt man auch in Loängo. Der Ngänga mit weniger Wissen, aber vielleicht mit grösserem Selbstvertrauen, und sicher- lich mit guter Menschenkenntnis. Was an seiner Diagnose, die man aber nicht gleich verwerfen soll, zweifelhaft ist, ersetzen Glaube und Zu- versicht wie bei uns auch. Jemand sei erkrankt, leide schwer und lange. Die Ärzte begreifen, dass alle ihre Künste keine Besserung bringen. Seelen oder Hexen kommen nicht in Betracht. Die Leute sind ratlos. Da hören sie, dass der Kranke bei einem Feste Manatusflleisch verzehrt habe, dass er schon einmal erkrankte und auch damals von einer Seekuh gegessen hätte; einem Ver- wandten soll es einst ebenso ergangen sein. Man erinnert sich noch anderer Vorfälle. Nun ist das Rätsel gelöst. Beide Tatsachen stehen in engster Verbindung. Stirbt der Patient, so hat das Manatusfleisch ihn umgebracht, gesundet er, so ist das Manatus für ihn tschna. Auch seine nächsten Angehörigen tun gut, sich dessen zu enthalten. Es kann sich natürlich auch um andere Tiere sowie um Früchte, Gegenden und so weiter handeln, auch bloss um bestimmte Teile von Tieren, Früchten, Wurzeln. Nur die zum Leben notwendigen alltäglichen Nahrungsmittel werden nicht verboten, vielleicht aber etliche Zubereitungsweisen. Auch werden tiefgreifende Verordnungen nicht um Kleinigkeiten gegeben. Auf Wunsch wird ein Tsschina auf Ungeborene gelegt. Eine ängst- liche Frau, die Mutterfreuden erhofft, der vor ihrer schweren Stunde bangt, oder eine Familie, die schon mehrfach Unglück mit ihrem Zuwachs gehabt hat, hält es angezeigt, eine weise Frau, einen Ngänga beizeiten zu Rate zu ziehen. Regelmässig scheint das zu geschehen, wenn ein Meister einem bis dahin kinderlosen Ehepaare zur Stillung ihrer Sehn- sucht verholfen hat. Die Dankbaren rufen ihn vor der Entbindung, damit er auch das Gedeihen des Kindes sichere. Gewöhnlich haben die 462 Kinder-Tschina. Ehegatten schon seit der ersten Behandlung ein mannigfaltiges Tschina befolgen müssen: sie haben eine Zeitlang getrennt gelebt, haben vor- schriftsmässige Wanderungen unternommen, bestimmte Orte besucht, aus dieser oder jener Quelle getrunken, in einem Wasser gebadet und so weiter. Vielleicht hatten sie das nur bis zum Erfolge zu wiederholen, teilweise als dauerndes Tschina zu betrachten, das für das künftige Kind gleichfalls bindend sein sollte, damit es männlichen oder weiblichen Ge- schlechtes, stark und gut werde. Um aber allen Wünschen gerecht zu werden, tut der Ngänga gern ein übriges. Je nach Rang und Wohlhabenheit der Auftraggeber trifft er seine Vorbereitungen mit allerhand Zauberei. Zunächst legt er den hoffenden Eltern oder der Mutter allein noch ein einfaches oder verwickeltes Tschina auf, das bis zum ersten Schrei oder bis zum ersten Schritt des Kindes, aber auch viel länger zu beachten ist, damit das Kind gedeihen und noch Geschwister bekommen möge. Deswegen ist, falls ein Vater vor wie nach der Geburt seines Sprösslinges ein seltsames Verhalten be- obachten sollte, nicht gleich an regelrechtes Männerkindbett zu denken, obschon die Sitte, die doch wohl in der Hauptsache rechtliche Aner- kennung der Vaterschaft bedeutet, sich mit aus solchen Bräuchen ent- wickelt haben wird. Ähnlich sorgt der Berater für den erwarteten Sprössling, für den er ein besonderes Tschina empfiehlt. Meistens verbietet er gewisse Speisen, in der Regel das Fleisch eines Tieres oder mehrerer Tiere verschiedener Art oder nur gewisser Teile des Körpers. Manchmal verbietet er ganze Gruppen von Tieren: solche die brüten, solche die Schuppen tragen, die nackt sind, die im Meere, die in Flüssen schwimmen, die in der Luft fliegen. Oder er verbietet dazu Gruppen von Früchten: solche die an Ranken hängen oder auf Bäumen oder an Sträuchern oder einzeln oder büschelförmig wachsen. Auch mag er untersagen, dass das Kind anders als mit einheimischen Stoffen bekleidet sich dem Winde oder dem Regen oder dem Gewitter aussetze, in Regenpfützen patsche, bei Sonnenschein oder Vollmond oder bei bewölktem Himmel im Freien auf den Boden niederhocke, und was der Vorschriften mehr sind. Familien, die auf sich halten und es sich leisten können, geben bei solcher Gelegenheit zu Ehren des erwarteten Kindes ein Fest. Am Schmause beteiligen sich die Schwangere und ihre Blutsverwandten, also die Mutterfamilie, vielleicht mit Freunden. Der Ngänga sorgt für die Zurichtung, zaubert und entwirft den Speisezettel. Nachher bestimmt er, was von dem Verzehrten, wie lange und unter welchen Vorbehalten, nicht mehr genossen werden soll, was für das Kind, was für die Mutter, was für die Blutsverwandten, was für die übrigen Gäste, die eine Art Patenrolle haben, tschina sein soll. Grosse Beteiligung und gemeinsames Paten-Tschina. 463 Verhalten bringt dem Kinde Glück. Ein Verstoss dagegen, ein voller Bruch des Tschina bringt Unglück: die Entbindung geht schlecht oder gänzlich fehl, die Mutter stirbt, das Kind auch, oder missrät körperlich und geistig, wird unbeholfen, unschön, stumm, blind, taub, dumm, schlecht, erwirbt keine Freunde. Gewöhnlich wird, wie schon angedeutet, das meiste von diesem ver- zwickten Tschina dem noch ungeborenen Kinde und den Mutterange- hörigen und erst recht der Gevatterschaft, nur zeitlich bedingt auferlegt, und zwar derartig, dass nacheinander die Vorschriften erlöschen, wie ge- wisse Ereignisse eintreten. Dem Kinde mag zum Beispiel eine Frucht verboten sein, bis sie an einem bei der Geburt gepflanzten Baume ge- reift ist. Seetiere dürfen erst gegessen werden, sobald der Knabe be- schnitten worden ist oder das Mädchen menstruiert hat. Was fliegt, ist verboten bis zur Heirat oder bis das Mädchen Mutter, der Knabe Vater geworden ist. Und so fort, bis zuletzt vielleicht nur noch Ziegenfleisch oder grüner Mais oder die Spitze der Maniokwurzel tschina ist und auch für das ganze Leben bleibt. Die Auflagen der Blutsverwandten werden viel früher gelöst, auch die der Mutter vielleicht bis auf einen kleinen Teil. Die der Gevattern gelten überhaupt nur, bis der Säugling die Mutter- brust genommen hat, selten noch etliche Tage, Wochen, Monate darüber, bis das Kind seine Farbe hat und bei der Namengebung öffentlich aner- kannt wird. Meistens werden für sie aber zu diesem Feste die Regeln bloss auf kurze Zeit erneuert. - Der Erfolg stärkt den Glauben. Eine gut beratene Familie wird den Ngänga auch zum nächsten Kinde rufen. Der Meister stellt dann möglicherweise für jeden folgenden Sprössling andere Satzungen auf, weil er solches Vorgehen für wirksamer hält. Daraus ist zu ermessen, was ängstliche kinderreiche Mütter im Kopfe zu behalten und ihren Nachkommen einzuprägen haben, und ferner, wie erzieherisch das ganze System angelegt ist. Mit alledem ist jedoch die Einrichtung des Tschina noch lange nicht erschöpft. Häufig wird eins ausgetauscht oder angenommen beim Schliessen von Blutsbrüderschaft, eines Seelenbundes. Eines erhalten auch gruppen- weise zuerteilt Mitglieder von allerhand Vereinen und Geheimbünden, namentlich von Jugendklassen. Wie und wozu, das ist in einem folgenden Kapitel zu erklären. Ferner: der Verbrecher, der Ausgestossene, der Leibeigene verliert sein Tschina wie bei uns seinen Adel oder die bürger- lichen Rechte. Er selbst mag es ja noch in Ehren halten, aber andere kümmern sich nicht mehr darum. Der Hörige behält sein Tschina, wenn ihm daran liegt, und wenn er nicht, wie in anderen Dingen, sich fest an seinen Herrn hänst. Aber Unfreie, die ihren Herrn beerbt haben, sowie Halblinge mit zusammengelaufenem Volk, die auf eigene Faust ein 464 Tschina von mancherlei Art. Zu sehr Belastete. Gemeinwesen, eine Erdschaft gründen und die Macht und Ansehen er- langen, legen sich mit anderen schönen Sachen auch wieder ein Tschina, gewissermassen ein Renommier-T'schina zu. Sie versteigen sich sogar bis zum Königstier, Staatstotem oder Staatswappentier, nämlich bis zum- Leoparden. Und die sich adoptieren lassen, pflegen ein Tschina von ihrer Adoptiv- oder Erdmutter gleich bei der Aufnahme zu empfangen, Da Fürstinnen noch in der alten Weise der Makünda adoptieren und da zum Tschina ihrer Kaste auch das Schwein gehört, pflegen sie dieses ihren neuen Kindern der Erde zu verleihen. Dabei verfahren sie vielleicht nicht einmal willkürlich, sondern nach historischem Brauche. Wo in Dörfern Schweine nicht gezüchtet werden, kann man ziemlich sicher den Beginn der Ansiedlung auf Adoption zurückführen, man müsste sich denn in einer Fürstenresidenz befinden. Allerdings kann die ursprünglich auch derartig entstanden sein. Endlich verbinden sich durch ein Tschina Leute, die eine Brüderschaft oder Schwesterschaft, einen Geschäftsbund — ntema — für Handel oder Gewerbe oder für Heiratsangelegenheiten gründen. So erwerben Mitglieder angesehener Familien, sowie ab und zu allerlei geringere Leute auf Wunsch, Rat oder Befehl in recht verschie- dener Weise ein mannigfaltiges Tschina. Dieses mag sowohl zu schon vorhandenen, ebenfalls erworbenen oder ererbten, bis auf Lebensdauer hinzugefügt, als auch teilweise selbst wieder mit älteren vererbt werden, namentlich von Müttern auf Kinder. Diese Vererblichkeit bringt eine neue, in mehrfacher Beziehung be- deutsame Wendung in die Angelegenheit. Aber auch dabei haben Bangänga all ihre Kunst und ihr Wissen aufzubieten. Es kann geschehen, dass die Angehörigen eines kränkelnden und ängstlichen Geschlechtes die ererbten und neu hinzu erworbenen Verbote wie Gebote in ihrer Zahl und Art als eine schier unerträgliche Last fühlen. Diese Bürde zu erleichtern oder gänzlich abzunehmen, wissen die Kundigen Mittel und Wege. Unter vielerlei Veranstaltungen, die sich von den schon geschilderten höchstens durch bedeutendere Umständ- lichkeit und Kostspieligkeit unterscheiden, denn es handelt sich meistens um eine Gruppe von Menschen höherer Stellung, werden die Beladenen von der ferneren Befolgung ihrer verwickelten Satzungen befreit. Das vielverschlungene Tschina wird gründlich vereinfacht. Die Speiseverbote werden fortan auf ein Tier oder eine Pflanze oder bloss auf Teile des einen oder der anderen, die Beachtungsregeln auf einen unwesentlichen Naturgegenstand oder auf ein überseeisches Fabrikat oder auf etwas Fernes, auf Sonne, Mond, Wolke, Gestirne gerichtet, wobei das Tschina, das eigentlich Totem ist, wieder zu Ehren kommen kann. Es wird aber auch jedwede Satzung völlig aufgehoben, so dass sich die ehemals in Vereinfachung. Totem. Vater vererbt auf Kinder. 465 förmlicher Knechtschaft Lebenden nun um gar nichts mehr zu kümmern haben. Sie sind ohne Tschma, und es gibt Gemeinschaften, die sich dessen rühmen und sich danach bezeichnen. Die Aufgeklärten, die Mutigen und Gesunden mögen lange so verharren. Andere verfallen allmählich doch wieder dem Herkömmlichen und laden Neues auf sich. Nach Menschenaltern befinden sich ihre Enkel wahrscheinlich wieder in der gleichen übeln Lage. Bei solcher wichtigen Vereinfachung oder Abschaffung des Tschina pflegt man unter Anleitung der Bangänga wiederum Feste zu feiern. Die Handlung soll bekannt werden. Es geht hoch her. Man lässt es sich nicht wenig kosten, um die Wichtigkeit des Vorganges hervorzuheben. Kleinleute können das freilich nicht. Aber ihr Tschina will auch nicht viel bedeuten. Sie brauchen sich um der Vorfahren und der Nachfahren willen überhaupt nicht sonderlich zu belasten, am wenigsten mit einem vererblichen Tschina. Vielleicht besassen sie überhaupt keines. Vielleicht haben sie in der gemeinen Not des Lebens verlernt, es wert zu halten. Endlich sind sie abhängig von ihren Grossleuten, vertrauen deren Be- vormundung und Schutz. Das kunstgerecht vereinfachte Tschina, falls eines verblieben ist, gilt fortan nicht nur für alle lebenden Angehörigen, sondern auch für die Nachkommen. Und zwar vererbt es sich nach Befinden der Banganga wie andere Satzungen in mehrfacher Weise. Erstens von Vätern auf ihre Kinder, also in der Vaterlinie. Zweitens von Müttern -auf ihre Kinder. Dann gilt es der Mutterfamilie, im vollsten Sinne des Wortes dem Bluts- oder Nabelverbande, woran der Erzeuger keinen Teil hat. Drittens vom Vater auf seine Söhne, von der Mutter auf ihre Töchter. Und viertens in Ehen besonderer Art, wobei es sich um Erdrecht handelt, erben die Nachkommen wie schon Seite 250 geschildert, oder sie erben alles zugleich von Vater und Mutter, nämlich beider Satzungen und beider Vermögen. In dem mannigfaltigen Tschina, das in derartig verschiedener Weise vererbt wird, steckt zweifellos auch der Bestandteil, der als totemistisch zu nehmen ist. Mit ihm, und das wird doch als das Kennzeichnende betrachtet, hängen beschränkende Heiratsregeln zusammen. In diesem Sinne nachspürend, kommt man zu dem Ergebnis, dass das Totem das behaltene oder eben das einfache oder vereinfachte Tschina oder der Teil des mehrfachen ist, der sich massgebend vom Vater auf seine Kinder vererbt. Und zwar geschieht dies, obgleich die Kinder zur Familie der Mutter gehören, auch von der Mutter ein Tschina erben können. Nach alledem liegt nun die verwickelte Angelegenheit in Loängo wie folgt: Ererbtes war einst Erworbenes, und vieles, das eben erst dazu Loango. 30 466 Erdschaft und Rinderschaft. kommt, wird über kurz oder lang wieder vererbt werden. Ist nun der Teil vom ganzen Tschina, der zu einer gewissen Exogamie zwingt, anders entstanden als die übrigen Teile mit ihren Satzungen, die noch gegen- wärtig unter den Augen des Beobachters entstehen? Wenn nicht, dann wäre es unnötig, über einen anderen ausgetüftelten tieferen Sinn und Zweck der Einrichtung und über deren Herkunft aus grauer Vorzeit zu grübeln. Man hätte es mit willkürlichen, unter zauberischen Gebräuchen von Zünftigen bis in die Neuzeit auferlegten Satzungen zu tun, wozu dann natürlich auch die von Vereinen und Bünden aller Art etwa frei- willig übernommenen zu rechnen wären. Im Süden des Kongo findet sich die Einrichtung ähnlich wie in Loängo, nur erscheint dort die Sippe, die Clanschaft neben der Mutter- familie schärfer abgegrenzt. Bei den Ovahererö6 in Südwestafrika, wo ich aus dem reichen Wissen unserer deutschen Missionare schöpfen konnte, liess sich die Angelegenheit leicht feststellen. Wie bei den Bafıöti ge- hört dort das Kind in die Familie — eända, plur. om’ända (omaända) — der Mutter, und wird an das orüso des Vaters gebunden. Orüso, plur. otüso, entspricht ungefähr dem Tschina. Es betrifft, ausser Kultushand- lungen, nicht bloss Speisen, sondern Schmuck, Kleidung, Haartracht und namentlich äussere Merkmale in Färbung und Zeichnung des zu halten- den Viehes.. Und auch hier wussten es unsere Missionare nicht anders, als dass das Orüso von den Zaubermeistern — ongänga, plur. osongänga — stamme. Da bei den Ovahererö Rinder die Hauptrolle spielen und der Häupt- ling die Seinen durch Viehleihe verpflichtet, könnte man, wie bei den Bafiöti von Erdschaften, geradezu von Feldschaften oder Rinderschaften, nämlich von Weidefeldgenossenschaften, mithin von staatlichen Verbänden reden, die, unbeschadet der Mutterfamilie, je durch ein Orüso zusammen- gehalten würden. Aber in Loängo bindet nicht, oder bindet nicht mehr, das Tschina eine ganze Erdschaft, obschon deren Mitglieder durch eine Art Landleihe vom Erdherren abhängen.- Freilich: die Bafıiöti als Acker- bauer brauchen Arbeitskräfte, Menschen, die Ovahererö6 als Viehzüchter haben an etlichen Wächtern genug. Bei den hier behandelten Völkern mag sich die Einrichtung eigen- artig entwickelt oder bereits zersetzt haben, sie mag verfälscht, über- trieben worden sein. Jedenfalls erscheint sie lange nicht so einfach wie, laut Berichten, bei anderen Wildvölkern, deren Zustände mit Ausdrücken wie Tabu, Totemismus, Stammessymbol, Unverletzlichkeit, Heiligkeit, Exogamie, Sippe, Familie, freilich auch mehr umschrieben als beschrieben und aufgeklärt werden. Trotz der schon im Paradiese tabü oder tschina gemachten Frucht darf man sich den Anfang wohl so vorstellen, dass die Urmenschen Zweierlei Verwandtschaft. 467 gegessen und getrunken haben, lange bevor sie über das Wie und das Was nachdachten, lange bevor sie heilige Scheu empfanden, ihre Götter verspürten, nach Symbolen suchten und Gelübde taten. Wenn sie gewisse Nährstoffe vermeiden lernten, so geschah dies aus ganz natür- lichen Gründen, wie noch heute. Die Erfahrung, ob richtig, ob falsch gedeutet, war ihre Lehrmeisterin und ging auf die Nachkommen über. Sie wurde zur Regel, zum Brauch, und als nachher durch weise Leute das Bindende hinzukam, zur Sitte. Eine spätere Zutat war es, wenn die Enthaltsamkeit über ihren diätetischen Wert hinauswuchs und in bewusster Anwendung, vielleicht auch als Gelübde, eine gesellschaftliche, wirtschaft- liche und religiöse Bedeutung gewann. Die Volksphantasie mengte Mythisches, an Namen Haftendes hinein, griff über zu Gestirnen und Erscheinungen und machte sie zu verkettenden Gemeinschaftssymbolen der Liebenden und der vor ihnen Gewesenen. Wie in einem anderen Kapitel, bei Behandlung der Ehe- und der Verwandtschaftsverhältnisse, ausführlicher zu erklären sein wird, haben wir bei unseren Westafrikanern zwei nach ihrer Bedeutung streng ge- sonderte Verwandtschaften. Die eine hat die Mutter, die andere den Vater als nächstes Oberhaupt. Wir haben die Familie, die Mutterreihe: aus einem Bauche, von einer Nabelschnur, und daneben etwa die Stamm- baumlinie, die Ahnenkette oder Vaterreihe: aus einem Gemächte, von einem Kopfe. Die Verwandtschaft der Familie pflanzt sich nur durch die Gebären- den fort und endet bei allen Erzeugenden. Sie beruht auf Geburtsakt, Placenta und Nabelschnur, auf Einheit des Fleisches und des Blutes. In ihr vererbt sich Rang und Besitz. Die Verwandtschaft der Sippe da- gegen endet bei allen Gebärenden und pflanzt sich nur durch die Er- zeugenden fort. Sie beruht auf Zeugungsakt und Einheit der Übermitt- lung, des Übertragenen, nämlich des Lebensstoffes, des Lebenswurmes (Seite 296). In ihr vererbt sich die Art, die Potenz der Vorväter. Kurz gefasst: vom Vater das Sein, das Geistige, von der Mutter der Aufbau, das Leibliche. Noch kürzer: dort Ahnenschaft, hier Blutschaft, oder, im Sinne der Leute als unmittelbar kennzeichnend: Kopfschaft, Schnur- schaft. Neben Familie und Sippe pflegt man in ethnologischen Angelegen- heiten mancherlei Ausdrücke zu gebrauchen, als da sind: Clan, Gens, Geschlechtsgenossenschaft, Phyle, Phratrie und wie die Verbände sonst noch heissen mögen. Um so wünschenswerter ist es, sich zu verständigen und ein für allemal streng sondernde eindeutige Bezeichnungen anzu- wenden. Man könnte Vatersippen und Muttersippen oder, weil das viel- artig gebrauchte Wort Sippe missfällt, Vaterreihen und Mutterreihen, Vatergruppen und Muttergruppen, am sinngemässesten wohl Ahnenschaften 30* 468 Totemismus. Zweierlei Verwandtschaft. und Mutterschaften, schärfer noch Kopfschaften und Schnurschaften unterscheiden, wobei dann jegliches Missverständnis ausgeschlossen wäre. Denn die Hauptsache ist einmal die phallische, zum anderen die uterine Einheit, die in der Geschlechterfolge Hunderte und Tausende umfassen und aneinander binden mag. Nicht die Familien, sondern die Sippen sind oder waren politische und nicht zum wenigsten auch religiöse Körperschaften. Sie deckten sich einst vielleicht gänzlich mit den Erdschaften. So kommen denn bei allem Mutterrecht, und trotz der verschollenen Makünda, auch die Männer zur vollsten Geltung. Und da ist das, was dem Totem entspricht, doch wohl mehr als bloss eine willkürliche Auflage der Bangänga. Die Mutter- schaft — tschimäma — wird offenkundig. Aber die nicht an der Geburt, sondern an der Zeugung hängende Vaterschaft — tschintäta — und somit die Abstammung, die Ahnenreihe, namentlich der Kinder mehrerer Frauen eines Mannes, bedurfte des kennzeichnenden Symboles. Und dieses gleich einem Wappen den Kindern zugestandene Merkmal bedeutet, ungefähr wie in der Hauptsache doch wohl die merkwürdige Einrichtung des Männerkindbettes auch, rechtliche Anerkennung der Sprösslinge durch den Erzeuger. Es bindet mithin bei Vielweiberei in phallischer Einheit auch die uterin getrennten Geschwister. Mögen die Söhne wie die Töchter die Mutter als Hauptperson lieben und ehren und ihre Kindespflicht mit rührender Treue ausüben: das Totem bindet sie auch an den Vater, an den Übermittler des Daseins und der Ahnenart. Sie sind den Ahnen wie dem Vater Treue schuldig und haben für den Alternden, für den Vereinsamten einzutreten. Nötigen- falls sorgen sie für den Verstorbenen, für die Beerdigung seines Leibes und für seine Seele, damit die ihre Ruhe finde. Es ist mir überdies versichert worden, dass vormals der Erstgeborene — mupängi — sogar die Blutrache für den Vater übernehmen musste, wenn die eigentlich dazu Verpflichteten zögerten. Denn, wie schon früher erwähnt, die Blut- rache liegt oder lag der Familie, der Schnurschaft ob, denn Tötung trifft den Leib, und das Leibliche kommt aus der Mutter, wie die Pflanze vom Saatkorn oder Steckling aus der Erde. Anders ist es bei den Mifümu. Da sie höchsten Ranges sind, und die eines Landes, einer Erde als Geschwister gelten, folglich sich nicht vermischen dürfen, da ihnen die Mutterschaft alles bedeutet, kommen die beliebigen Väter niedrigeren Ranges nicht in Betracht. Bei kinderreichen Fürstinnen, die fleissigen Gebrauch von ihren Vorrechten machten, könnten der Väter viele sein. So haben die Mifümu nur Familie, Mutterreihe. Sie sind Kaste, mit eigenem Gräberfelde und einheitlichem Totem, soweit es noch gilt. Es ist die stärkste Raubkatze des Gebietes, das Königs- tier, Staatssymbol, der Leopard, der freilich in den bewohntesten Ge- Totemismus. Satzung unverletzlich. 469 bieten so gut wie ausgerottet ist. Welche seltsamen Gebräuche mit seiner Erlegung verbunden waren, ist Seite 220 geschildert worden. Es ist noch die Frage zu beantworten: Gilt alles in das Tschina Einbegriffene als unverletzlich, meinetwegen auch als heilig, oder nur die Satzung an sich? Jenes etwa deswegen, weil man rätselhafte persön- liche Beziehungen zu haben glaubt, oder weil man, es sich von Kräften oder höheren Mächten durchwaltet denkt? Diese, nämlich die Satzung, gleichgültig worauf sie gerichtet sei, um der Art der Auferlegung, der Ererbung willen ? Im allgemeinen gilt bei den Bafiöti nur die Satzung für unverletzlich. Anders war es einst vielleicht bei denen, die, wie Battell meldet (Seite 457), Fleisch, also Tiere als Kin hatten, wie denn auch die Angehörigen einer Sippe der Ovaherer6 die Chamäleons schonen und ehren, und sogar zum heiligen Feuer tragen, oder trugen, wie es jetzt heissen muss, um sie ein wenig auf der Asche herumspazieren zu lassen. Aber wie sollte ähnliches Tun möglich sein mit Rum, Herzensgüte, Regen, Wohltätigkeit, Baum- wollstoff und was sonst noch als Totem gilt, auch wenn wir mancherlei Bezeichnungen als Rufnamen von Ahnen betrachten? Wie könnte eine Ehefrau in ihrer Hauswirtschaft und in ihrer Pflanzung mit verbotenen Dingen hantieren? wie könnte sie für ihren Mann und für ihr Gesinde, wenn sie welches hat, sorgen? Tatsächlich wird ohne weiteres ein Strauch, ein Baum abgehackt, dessen Frucht, wird ohne Anstand ein Tier getötet, dessen Fleisch tschina ist. Denn Frucht und Fleisch lassen sich an andere verwerten. Meinem Jungen Ndembo war der Buschbock tschina, dennoch scheute er keine Anstrengung, ihn zu schiessen. Mavüngo, einem anderen unserer Jungen, war die Ziege tschina, trotzdem half er welche schlachten. Vom ver- botenen Fleische wollten die Jungen freilich nicht essen; Ndömbo meinte jedoch, bevor er verhungerte, würde er es wohl tun. Ängstliche Gläubige werden Verbotenes vielleicht nicht einmal anfassen, selbst wenn Berüh- rung nicht mit eingeschlossen ist. Wir kamen aus diesem Grunde um ein abgetriebenes riesiges Krokodil. Doch mag es sein — man lernt nie aus bei Primitiven wie bei Zivilisierten —, dass die im Kahne abgesandten Leute des einen Tschina gerade für diese Echsenart bloss vorschoben, um sich die Schlepparbeit zu ersparen, weil sie bei ausgehendem Wasser gewiss ein paar Stunden hätten gegen den ziemlich starken Strom an- kämpfen müssen. Je nach Art der Satzungen und je nach Art der Leute werden die einzelnen Vorfälle sehr verschieden verlaufen. Nur nicht unvorsichtig verallgemeinern. Natürlich erweist sich menschliches Begehren und Wollen, wie überall, stärker als die Macht der Einrichtung. Freigeister, Trotz- köpfe, Selbstbewusste, Leichtsinnige rütteln daran, werden kühner, wenn 470 Totemismus, Definition. Seltsames Tschina. üble Folgen ausbleiben und verlocken andere zum Nachahmen. Wie vieles sich sogar bei der Fürstenkaste geändert hat, ist bereits Seite 191 behandelt worden. Dennoch halten viele Eingeborene, sicherlich die meisten, noch erstaunlich fest wenigstens an manchen Regeln ihres Tschina, und dessen muss, wer mit ihnen verkehrt, rücksichtsvoll gedenken. Nament- lich Speisenverbote und Heiratsverbote werden noch sorgsam beachtet, sind meistens — ein Adoptions-Tschina kann ja ganz frisch sein — auch die ehrwürdigsten und sind bedeutsamer als alle Vereins- und Bundes- symbole, Geburts-, Krankheits- und Fetischauflagen. Manche Gegenstände des Tschina, die sich dazu eignen und die Phantasie anregen, werden vielfach bildlich dargestellt. Es sind das namentlich Fische, Eidechsen, Skorpione, Vögel, Antilopen, Geräte. Sie zieren Arbeiten in Holz und Elfenbein, Faserteppiche, wo sie eingeknüpft, Baststoffe, wo sie eingewoben oder eingestickt, Baumwollzeuge, wo sie, aus andersfarbigen Stoffen ausgeschnitten, aufgenäht worden sind. Hier erscheinen die Darstellungen mehr als künstlerische Einfälle. Aber an allerhand Gerät, Topfzeug, Kalabassen und anderem Besitz, selbst an Türen und Hüttenwänden, wo sie eingeritzt, eingebrannt, eingekerbt, auf- gemalt oder eingeflochten vorkommen, sind sie zugleich Marken, sozusagen Urbilder von Wappen. Sogar in Tätowierungen kommen sie vor. Ganze Musterkarten solcher Marken und Wappen, auch teilweise farbig ausge- führte, die ich nach Berlin einsandte, sind daselbst, wie leider so vieles von unseren Sammlungen, nachher nicht mehr aufzufinden gewesen. Die Zeichnungen aus dem Gedächtnisse oder nach flüchtigen Skizzen wieder- zugeben, erscheint nicht ratsam. Abschliessend liesse sich folgende Definition aufstellen: Der im Tschina verborgene Totemismus der Bafiöti ist der Glaube an Beziehungen zwischen gewissen zu Symbolen erhobenen Arten von Lebewesen, Gegenständen oder Erscheinungen und gewissen Gruppen von Menschen, die durch ihre stets vom Vater ererbten Satzungen zu verpflichteten und mit Heirats- verboten belegten Gemeinschaften verbunden sind. Enthaltung des Sym- boles, wenn es danach geartet ist, wird meistens streng, Schonung be- liebig, Verehrung gar nicht geübt. Zuletzt seinoch ein seiner Natur nach seltener, aber um so bemerkens- werter Fall eines Tschina mitgeteilt. In einem Dorfe am oberen Kuilu lebten zwei Söhne einer Mutter, ein straffer Knabe von etwa vierzehn und ein Bursche von zwanzig Jahren. Beide waren gut und normal gewachsen, aber beide besassen regelrechte schöne Brüste. Äusserlich konnte man sie von ihrer leiblichen Schwester, die verheiratet und bereits Mutter war, nicht unterscheiden. Auf den Brüdern lastete, ihrer un- natürlichen Reize wegen, das Verbot, jemals ein Weib zu berühren. Wie ein anderer Fall bewies, hatten wir es keineswegs mit einem landesüblichen Einige Bemerkungen über die Bangänga. 471 Tschina zu tun. Auch war der Vater der Brüder mit den nämlichen, freilich schon verfallenen Reizen ausgestattet. Er hatte die auffällige Eigenart auf seine Söhne vererbt, und das sollte, wie versichert wurde, so nicht weitergehen. Die in Erinnerung an Humboldts Amerikaner gestellte Frage, ob der Vater seine Kinder auch gesäugt habe, erregte unbändige Heiterkeit. Einem späteren Besucher könnte sie nun leicht bejaht werden. — Noch einige Bemerkungen über die Bangänga selbst. Wer sich auf die Ansicht von der durchgängig ungleichen Veranlagung und der daraus gefolgerten verschiedenartigen Bestimmung der Menschenrassen versteift, wird geneigt sein, schon um des Beleges und um seiner Selbstschätzung willen, im Wesen der Primitiven nur oder vorwiegend hässliche und niedrige Züge zu entdecken. Als ob die bei Zivilisierten fehlten. So werden, obschon es ohne genügende Einsicht weder gerecht noch wissen- schaftlich ist, Zaubermeister schlechthin als Schwindler, Betrüger oder bestenfalls als betrogene Betrüger gebrandmarkt. Vieles in ihrem Tun, an unseren Zuständen gemessen, mag ja unsinnig und unehrlich erscheinen. Aber deswegen widerspricht es nicht ihren Verhältnissen. Es gibt doch, und das ist viel schlimmer, unter Zivilisierten Bangänga schlechter Art genug, die ohne Kundschaft nicht vorhanden wären. Und wie reden denn unsere grimmen Freigeister über Lehren und Bräuche der Kirchlichen, unsere verbissenen Naturheilkünstler über Arzneien und Handlungen der Studierten? - Wie unsere Geistlichen und Ärzte glauben die Bangänga ganz ent- schieden an ihre Überlieferung, an ihr Können, an ihren Beruf. Mit ihrem Volke sind sie überzeugt, dass Gutes und Böses von höherer Ge- walt verhängt wird, dass Seelen, Gespenster, Hexenkünste und Krank- heiten den Menschen bedrohen, und glauben ebenso, dass man den Willen Höherer sich günstig stimmen, gefährliche Wesen bezwingen und allerlei Übel bekämpfen könne. Alles fügt sich in ihren Vorstellungskreis ein. Wäre das bei uns anders? Sie sind angelernt worden, sie haben über- lieferungsmässig Kunst und Wissen mit ihren Fähigkeiten verbunden, und fühlen sich ihren Aufgaben gewachsen wie andere Menschen auch. So helfen sie den Furchtsamen und Beladenen, gestärkt und getragen vom Bedürfnis des Volkes, von Regungen, die doch selbst bei Zweiflern immer wieder hervorbrechen, sobald ihnen der Mut sinkt. Natürlich ist allgemein Menschliches nicht ausgeschlossen, dass nämlich Meister sich selbst erlauben, was sie bei anderen verdammen, dass sie die Menge ab und zu ein bisschen blenden und täuschen. Dieses Spiel durchschaut das Volk ganz gut. Aber aus alter Gewohnheit, zum lehrreichen Bei- spiel, zum Vergnügen, aus Bedürfnis lässt man trotzdem zaubern. Man hat nichts Besseres. Nur manchmal dringt, wie beschrieben, eine 472 Die Banganga. Gegenbewegung durch und ein Bildersturm räumt scheinbar für einige Zeit auf, ändert aber im Grunde genommen nicht einmal die Formen. Der Vorwurf, dass die Bangänga ihren Beruf, ihre Kunst gewerbs- mässig und deshalb tadelnswert betrieben, wird doch gänzlich hinfällig durch den blossen Hinweis auf unsere eigenen Verhältnisse. Gewiss wird es nicht an Meistern fehlen, die bestechlich sind oder zur Bewahrung des Systems oder aus anderen Regungen Schuldlose ins Unglück bringen. Aber schlecht geneigte oder mit geschmeidiger Gesinnung versehene Menschen hat es überall und allezeit gegeben, und wird es auch fernerhin geben. Nicht bloss bei den sogenannten Wilden hält es unter Umständen schwer, mächtigen Einflüssen gegenüber auf dem bekannten schmalen Pfade zu wandeln. Bingu. Verzeichnis erwähnter Schritten. Odoardo Lopez: Relazione delle Reame Congo e delle eirconvizinie contrade tratte delle dalli Seritti eragionamenti di Odoardo Lopez per Filippo Pigafetta. Roma 1591. — —: A report of the Kingdome of Congo, a Region of Africa. And of the Countries that border rounde about the same. Drawen out of the Writings and Discourses of Odoardo Lopez a Portingall, by Philippo Pigafetta. Translated out of Italian by Abraham Hartwell. London 1597. Hiervon enthalten gute Auszüge: A. Hakluytus Posthumus or Purchas his Pilgrimes. Contayning a History of the World, in Sea voyages & lande-travells, bei Englishmen & others. By Samuel Purchas. B. D. London 1625 II p. 986—1026. B. Purchas his Pilgrimage or Relations of the World and the Religions observed in all Ages and Places discovered, from the Creation unto this Present. London 1626 p. 769 — 174. 2 j Das letztgenannte Werk, zuerst 1613 erschienen, gilt in seiner vierten, unter B angeführten Auflage gewöhnlich als eine Fortsetzung und als ein fünfter Band von A. Andrew Battell: The strange adventures of Andrew Battell of Leigh in Essex, sent by the Portugals prisoner to Angola, who liued there, and in the adioyning Regions neere eighteene yeeres. Purchas A II p. 970—985, Purchas B p. 765 —773. Samuel Brun, des Wundartzet und Burgers zu Basel, Schiffarten: Welche er in etliche newe Länder und Insulen, zu fünff underschiedlichen malen, mit Gotteshülff gethan: An jetzo aber auf begern vieler ehrlicher Leuthen, selbs beschrieben: und menniglichen, mit kurtzweil und nutz zu läsen, in Truck kommen lassen. Gedruckt zu Basel. In Verlegung Johan Jacob Genaths. 1624. Unter dem Titel: Samuel Braun, der erste deutsche wissenschaftliche Afrika- reisende, Basel 1900, hat Dr. G. Henning eine kritische Würdigung [Dissertation, Leipzig] von Bruns Reisewerk mit Wiedergabe der wichtigen Stellen über West- afrika veröffentlicht. Auf S. 13 seiner Abhandlung: weist Henning darauf hin, dass in der deutschen Ausgabe von de Bry: Orientalisch Indien, 1625, ein unveränderter Abdruck von Bruns seltenem Buche als Anhang zu Lopez’ Beschreibung des König- reiches Kongo sich finde, ebenso in Hulsius: Schiffahrten, 1626, Bericht 19. — — Dazu ist zu bemerken, dass es auf die Ausgabe aukommt. In einem Exemplar der Ausgabe de Bry von 1623 habe ich von Lopez im Zusammenhange mit Brun nichts, in einem Exemplar der Ausgabe von 1628 nur Auszüge, nämlich Lopez 8. 1-40, Brun S. 502—518 finden können. Loango. 31 474 Verzeichnis erwähnter Schriften. Ein Buch von Dr. M. Böhme: Die grossen Reisesammlungen des 16. Jahr- hunderts und ihre Bedeutung, Strassburg: 1904, ist zugleich ein dankenswerter Führer, berücksichtigt aber nicht alle Ausgaben. O0. Dapper, Dr.: Umbständliche und eigentliche Beschreibung von Africa, und den darzu gehörigen Königreichen und Landschaften, als Egypten, Barbarien, Libyen, Biledutgerid, dem Lande der Negros, Guinea, Ethiopien, Abyssina, und den Afri- kanischen Insulen, zusamt deren verscheidenen Namen, Grenzen, Städten, Flüssen, Gewächsen, Thieren, Sitten, Trachten, Sprachen, Reichtum, Gottesdienst, und Re- gierung. Wobey die Land-Carten, und Abrisse der Städte, Trachten, etc. in Kupfer. Aus unterschiedlichen neuen Land- und Reise-Beschreibungen mit fleiss zusammen gebracht. In Amsterdam, Bey Jacob von Meurs. Anno MDCLXX. Father Jerome Merolla da Sorrento: A Voyage to Congo 1682. Churchill: A Colleetion of Voyages and Travels in six Volumes. Vol. 1. Barbot und Casseneuve: An Abstract of a Voyage to Congo-River, or the Zaire, and to Cabinde in the year 1700. By James Barbot, junior, Super-Cargo; and John Casseneuve, First Mate. Churchill: A Collection of Voyages and Travels in six Volumes MDCOXXXI. Vol. V p. 497—514. Proyart: Geschichte von Loango, Kakongo und anderen Königreichen in Afrika, aus den Nachrichten der Vorsteher der französischen Mission, (Übersetzt von Meiners.) Leipzig 1777. Mit einer ausgezeichneten Besprechung aller anderen Nachrichten als Anhang S. 255—352. L. Degrandpre: Reise nach der westlichen Küste von Afrika in den Jahren 1786 und 1787. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Sprengel. Weimar 1801. Wie Meiners in Proyarts Buch als Anhang, so hat Sprengel in Degrandpres Buch als Einleitung eine gute aber kürzere Besprechung von anderen Berichten gegeben. Tuckey: Narrative of an Expedition to explore the River Zaire, usually called the Congo in South-Afriea in 1816. London 1818. Namen- und Sachregister. (T, II, III1, IIT2 bezeichnen die vier Abteilungen.) Abfindung der Toten III2 304 Abgaben an die Häuptlinge IIT2 257 Abmarsch nach dem Kuilu 108 10) Abreise von Loanda (Falken- stein) II 73 — nach Yumba (Güssfeldt) I 181 Abrus precatorius L. (Rot- erbse) III1 132 Abstammung IIT2 187 Abstände der Calemawogen III1 20 Abstraktes in der Sprache E12 98 Abwehr gegen das Treiben der Seelen III2 308 312 Abweichungen der Fieber- anfälle II 174 Ächtung III2 230 231 Adansonia digitata (Affen- brotbaum, Baobab) I 41 46 48 II 52 III1 124 177 — — Tafel II 56 57 — Mangel an jungen Bäu- men III1 181 — Standort III1 181 — Varietäten IIIl 180 Adansonienzweig III2 265 Adler, angolensischer II 47 125 132 III1 252 Adler, schwarzweisser (Gy- pohierax angolensis) IT 48 111 252 — farn (Pteris 171121139 Adoption III2 238 — durch die Makunda III2 163 164 — durch Fürstinnen III2 251 Affektionen der Unterleibs- organe II 172 179 — der Haut II 180 Affen II 149 IIT1 234—249 — Scheuheit und Zählebig- keit III1 235 Affenbande am Flusse III1 199 Affenbrotbaum (Adansonia digitata, Baobab) I 41 II 4 52 III1l 124 177—182 — oder Baobab, Tafel II 56 57 — Stamm und Geäst III1 178 Affenfleisch, Leckerbissen der Eingeborenen I 168 Affenherden II 125 Affenversammlungen 238 Affen- und Vogelhaus II 46 Afrikaansche Handels-Ver- eeniging I 29 38 Afrikanische Plagen I 150 IIT1 292 296 297 aquilina) IIIl Agamen, Treiben derselben III1l 276 Agapornis pullaria (Zwerg- papagei) II 40 III1 259 Ahnenbilder IIT2 399 Ahnendienst III2 297 299 399 Ahnenhölzer III2 400 Ahnenschaften III2 467 Akazien, dornige IIT1 138 Akkommodation, forcierte II 182 Akkommodationsversuche, gewaltsame II 110 Akkordgefühl der Bafiöti II2 115 Alcedo ceristata II 132 Alkohol II 109 III2 33 — genuss III2 33 Alo& IT 131 Alter für klimatische Wech- sel II 182 Altwasser und Lagunen III1 34 35 Amaniama, Prinz I 72 Amarantus sp. (Fuchs- schwanz) III1 132 Ambatschflösse II 75 Ambatschholz (Herminiera elaphroxylon) II 74 75 Ambriz II 69 Ambrizette IT 131 Ameisen II 122 III1 292 Amomumgranum paradisiL. IIIl 139 31* 476 Amorphophallus III1 101 132 Ameisenbaue III1 194 Amphibien III1 270—278 Amtshandlungen der Erd- priester III2 287 Anacardium oceidentale (Ca- jubaum) III1 125 194 Ananas III1 139 Anderson, Missionar I 25 d’Andrade, Kontreadmiral I 144 Andropogon, Grasart IIIi 130 Anerkennung II 163 Anfall, ausgebildeter, Fieber- II 173 Anforderungen der Heimat II 45 Aungeklagter, Vermögens- einsatz III2 430 Angola, Provinz II 69 — oder Erderbsen (Voand- zeia) III1 193 — küste II 68 Angriff gegen die Neger II 161 Anhänglichkeit der Bafiöti III2 56 Animismus IIT2 356 Ankunft Güssfeldts in Yumba I 182 Anlage der Wohnräume II 182 Anliegen, Vorbringen an geweihten Stätten III2 289 Anona senegalensis I 67 86 85 III1 136 — — Charakterstrauch der Campinen II 150 III1 136 Anrauchen menschenähn- licher Fetische III2 397 Anschreien des Mondes III2 389 Ansiedlungen III2 5 Anstelligkeit der III2 39 Anthropomorphen II 144 Antilopen III1 224—225 Bafiöti Namen- und Sachregister. Antilopen am Buschwald 1DE 1 — hörner als Musikgeräte III2 176 Antonio, König II 50 52 583 Apotheke für die Reise I 156 — wilde III2 408 Appetit in den Tropen II 102 Äquator I1 Äquatoriale Westküste I 1 Äquatorialzone II 169 Arachis (Erdnüsse) III1 193 Arbeit der Neger II 5 — — Weissen II 5 — geistige und körperliche II 182 Arbeit und Gesang III2 114 Arbeitsteilung III2 214 Ardea alba, A. garzetta, A. nobilis, A. purpurea III 260 Arme der Bafiöti III2 12 Arimba II 75 Aristolochien IIIl 138 III2 492 Art der Fieber II 173 Arzt, Arzneien III2 442 — honorare, eigentümliche II 14 Asklepiadeen IIIl 138 Aspis, Giftschlange III1 207 Assango II 75 Astronomie der Bafiöti III2 133 Astronomische Beobach- tungen I 61 213 — Ortsbestimmungen I 225 Asyle III2 229 Ateuchus (Pillendreher) III 1 2% Atherura africana (Stachel- schwein) IIIl 232 Atmosphärenspannung Ill 56 Atmung II 110 Atlantisches Meer I 1 Atractaspis irregularis II 93 Atractocerus brevicornis (Käfer) II 97 Aufbinden Fluchtverdäch- tiger III2 245 Aufbruch nach dem Kongo II 49 Auferstandener (Ndele) IIT2 183 Auffassungsweise der Ba- fiöti III2 83 Auffindung Verirrter II 137 112 29 30 Auffrischung der Fetisch- kräfte III2 360 Aufgaben in Afrika I 222 Auflösungsordre II 157 Auflösung der Expedition II 164 Auftreten des Fiebers II 174 — afrikanischer Fieber II 170—176 Augen des Negers II 22 39 — brauen II 39 — der Bafıöti III2 13 Ausbruch der Feindselig- keiten II 160 Ausdünstung III2 16—18 — und Ernährung III2 17 Ausrüstung der Expedition I 5 155 Aussatz II 171 Austern (Ostrea parasitica) 1096, 1101290 — bänke I 186 Auswurf, Verrichtung III 2 40 Auszaubern III2 437 Avicennien III1l 154 Azolla pinnata III1 156 eines Diebes Babongo (nomadisierendes Jägervolk) II 27 — Zwergrasse II 26 Bachstelze (Motacilla vidua) II 131 II1 262 Backenknochen des Negers II 22 Backfisch mit Maiskörbehen 112 73 Bäder, kühle II 182 Bafiöti, Eingeborene II 40 un © — Negerstamm I 52 59 184 III2 183 Bai von Yumba I 189 Bakumbi IIT2 159 Bakunyaneger I 123 125 Balistes maculatus (Horn- - fisch) IIIT1 284 Balumbu, Land I 185 — Negerstamm I 184 — dörfer, Beschreibung der I 193 Bambuspalme III1 162 Bambus- oder Weinpalme (Raphia) II Titelbild Banana, Handelsplatz an der Kongomündung I 28 29 II 50 52 167 — das Lebenund der Handel in I 31 32 34 — Creek II 50 Banane (Musa paradisiaca) I 32 86 94 105 194 195 197 III1 195 — Ideal II Tafel 160 161 Bandundu, Leute III2 183 154 Bangänga (Zaubermeister) II12 314 356 405 406 471 — Heilkunst der III2 442 — Kräfte der IIT2 440 Bänkelsänger IIT2 102 Bänya, Fluss I 184 II 10 — lagune I 208 III1 1 14 — leute III2 182 Banyangela IIIl 4 Baobab(Affenbrotbaum) III1 177 Barbot über Loängo III2 148 Barden III2 102 103 Barometerschwankungen III1 54 Barometerstand über Land und Meer IIIl 57 Bartvögel IL 132 Bartwuchs der Bafiöti III2 14 Namen- und Sachregister. Bastian I 2 3 39 48 54 56 58 59 III2 455 — Abreise nach Deutsch- land I 90 — Einschiffung nach West- afrika mit v. Görschen 16 — Eintreffen in Landana I 89 — Vorbereitungen durch I 6 — Zusammentreffen mitI 56 Bataten I 32 46 105 IIIl 193 Batrachier II 92 Batschi, Knabe aus dem Volke II 27 Battell III2 162 182 185 210 417 418 420 449 457 — über Loängo III2 143 144 Batua 197 Baulichkeiten der geweihten Stätten IIT2 283 Baumdienst III2 358 403 Bäume, geputzte III2 359 Baumfarne I 195 Baumkletten der Bafiöti III2 38 Baumriese, gestürzter II 126 Baumschlange (Dendraspis Jamesonii II 95 Baumwanzen III1 290 Baumwirtschaft III2 215 Baumwolle als Körperbe- deckung II 103 182 Baumwollenstrauch- I 185 198 Bawumbu, „schwarze Ju- den“ III1 2 III2 6 255 Bayaka (Landschaft und ihre Zustände) I 196 — Negerstamm I 185 — frauen I 199 — .neger, feindselige I 204 Bayombeneger I 105 Becken von Bumina II 147 Beeinflussung der Träger I 218 Beerdigung Fremder, Ver- weigerung III2 210 (Erdfremde) III2 477 Befangenheit bei neuen Ein- drücken III2 80 81 Begabung der Bafiöti III2 53 75 80 85—88 Begräbnis II 73 — der Fürsten III2 188 — Schein IIT2 210 305 Begrüssungsformen der Ba- fiöti IIT2 41 42 Begünstigung Verurteilter III2 229—231 Behandlung, kunstgerechte, der Fetische III2 363 Beharrlichkeit, Mangel an IIT2 81 Beiwerk bei Palavern II2 262 Beleuchtung im Hochwalde 1II1 145 Benageln von Fetischen III2 393— 397 „Bengo“ (Dampfer) I 6 Benguellaleuten, Engage- ment von I 180 „Benin“ (Dampfer), Weiter- reise nach dem Schiffbruch auf dem I 15 Beobachtung lebender Tiere II 47 Beobachtungen, meteorolo- gische IT 44 Beobachtungsgang IIIl 52 Beobachtungszeiten III1 51 Beratung und Entschluss unserer Leute II 165 Bergland von Loango III1 56 Berichte, ältere, über Geister IT2 315 Beschäftigung II 71 Beschäftigungsdrang der Bafiöti III2 87 89 Beschwörer, berufsmässige, der Fetische III2 394 Besuch bei einem vornehmen Neger I 107 — ehrender, eines eng- lischen Kriegsschiffes und Konsuls II 162 — der Negerhäuptlinge II 8 478 Besuchsunsitte II 10 Beteuerung auf Nsambi III2 273 Betrachtung, anthropologi- sche, des Negers II 21 Bettelei III2 55 Bevölkerung im Norden von Loango III2 1 — im Yumbagebiet I 184 — Zahl und Abstammung II2 1 — Einteilung, Vermischung IT2 2 Bewaldung des Clarence Pic II1 122 — des Kamerun IIIl 122 — von Fernando Po IIIl 123 — der Savanne III1l 137 bis 141 — von Tschiyombe III1 124 — von Yumba IIIl 124 BewohnervonYangelalIl1 4 Bewölkung III1 69 „Biafra* (Dampfer) I 14 Bienen IIIl 291 — fresser II 132 IIIl 265 Bilderstürme III2 450 Bilderverständnis der Ba- fiöti III2 76 Bildsamkeit der III 2 67 Binda II 57 Bingu III2 400 Binkösse IIT2 158 Bisondo (Treiberameisen) III1 293 Bitte um Beistand II 159 Bittgänge zu geweihten Stätten III2 288 289 Bivalven im Laterit III1 11 Biwak im Walde I 206 Blasinstrumente III2 122 Blatta orientalis (Schaben) IIl 295 Blattern in Mayombe I 162 Blattheuschrecke II 98 Blattschrecken (Phyllocra- nia) III1 290 Blick der Bafiöti III2 13 Knaben Namen- und Sachregister. Blindschleiche (Feylinia Cur- vori) II 93 Blitze, Anzahl II1 92 — ohne Donner III1 102 — senkrechte III1 105 Blitzbahnen III1 105 Blitzfelsen II 56 — am Koneo II1 8 Blitzschaden IIIl1 93 Blitzstrahlen in Schleifen- form III1 105 Blumen der Campinen IIIl 132 Blutbannzeichen III2 227 Blüten- und Fruchtstände der Kokospalme III1 163 — — der Ölpalme I 56 102 224 IIIl 159 Blutfinken II 47 Blutrache III2 202 Blutsauger III2 318 Boden unveräusserlich III 2 210 — beschaffenheit von Lo- anda II 72 — form Loangos IIl 5 — leihe an Fremde III2 209 — schätze, Eigentum der III2 207 Böhr, Sanitätsrat I 143 Bohnen IIIl 193 Boma I 56 II1 89 — Fahrt dahin II 54 Bombax (Wollbaum) II 4 III1 182 Bonnyneger I 23 Bonnyriver (Fluss) I 21 Bonnytown (Negerdorf) I 21 Brände der Grasfluren IIIl 134 Brandung = Calema III1 18 bis 29 — an der Nyangamündung I 208 Brandungsgefahren I 180 II1 26 IIT2 272 Brauneisenstein III1 10 Brazza IIIl 6 Brech-undAbführmittel II10 derselben Brillenschlange (Naja haje) II 93 — afrikanische III1l 207 Brücke für den künftigen König IIT2 160 Brun III2 161 — über Loängo III2 145 146 Brustform II 28 Brustformen der Bafiöti III2 14 Brustkorb II 28 Brustumschnürung IT 31 Buala, Buali III1 39 40 III2 173 Bubis (Negerstamm) I 26 Buceros atratus (Riesennas- hornvogel) II 133 IIIl 257 — fistulator II 132 — melanoleucus II 132 Büffel III1 223 Bufo guineensis (Kröte) III1 278 Bumina, Stromschnellen von I 99 ITI1 41 Bundessprache III2 97 Bürgschaft Verurteilter III2 229 BuschbeschaffenheitIII1137 bis 141 Büschelentladungen von Blitzen III1 100 103 — mit Wolkenglühen III1 104 Buschneger II 27 Buschwald, Inneres 139 — Saum IIIl 138 Busen der Negerinnen II 30 Büssende an geweihten Stätten IIT2 290 291 Büttner III2 455 IT Cabo Lombo II 176 Cajubaum (Anacardium oceci- dentale) III1 125 194 Calabar-Häuptling (King) I 24 Calema, Brandung, ihr Vor- kommen, Erscheinung und Wesen III1 18—29 — Bewegung, Schema III1 19 — (Dünungserscheinung) I 80 182 — am Strande von Tschint- schotscho, Tabelle III124 — stärke, Tabelle III1 22 Calmengürtel IIIl 75 Campinen (Grasbestände) II 6 II1l 128 130 — brände II 67 IIT1 134 306 Canis adustus (Schakal oder Streifenwolf) II 2048 148 III1 227 Canavalia obtusifolia III 157 Canna indica III1 139 Cape Coast I 18 Cap Palmas I 16 Capparideen III1 138 Caprimulgus Fossii (Nacht- schwalbe) IIT1 264 Capsicum (Pfeffer) I 32 46 96 ITI1 139 193 Cardiosoma armatum (Rie- senkrabbe) II 2 96 IIIl 288 Carica Papaya (Melonen- baum) I 46 185 IIIl 194 Casseneuve über Loango IIT2 148 Cassia mimosoides III1 132 — oceidentalis I 87 II1 132 157 Causus rhombeatus II 93 Centropus Anselli (Sporen- kuckuck) II 134 III1 263 Cephalolophus Maxwelli II 116 III1 225 — sylvieultrix II 116 IIT1 225 Öereopithecus cephus (blau- nasige Meerkatze) II 49 120 IIIl 236 — nietitans (weissnasige Meerkatze) II 120 IIT1 236 Namen- und Sachregister. Ceryle rudis II1 260 261 — Sharpüi IT 132III1 260261 Chamäleon II 92 Charakteranlagen, mensch- liche III2 48—51 Charakterstrauch der Cam- pinen, Anona senegalensis Juss. III1 136 Charakterverschiedenheiten der Paviane III1 244 Chelonia mydas (Seeschild- kröte) II 92 III1 277 Chenopodium ambrosioidesL IIl 132 Chiko Franque, Häuptling I 48 Chimpansen II 48 144 IIIl 246 247 — Varietäten III1 248 Chinin II 115 183 — gebrauch II 116 — wirkung II 175 Cholerasymptome II 176 Chrysoeoccyx eupreus, Chr. resplendens III1 264 Ciconia episcopus (wollhal- siger Storch) II 133 Cirro-cumuli III1 68 Clanschaft III2 198 467 Clappertonia fieifolia IIT1 138 Clarence Pie I126 III1 122 Clerodendron III1 132 Cnestis ferruginea III1 139 Coccystesglandarius, C. jaco- bina III1 263 Coliiden, fruchtfressende II 47 Colius nigricollis III1 266 Congo s. Kongo Corvus scapulatus (Krähe) III1 264 Corythaeola eristata (Riesen- helmvogel) III1 255 Corythaix persa (Helm- kuckuck) II 133 Cosmeticum Tukula II 52 Crinum IIIl 156 Crocodilus vulgaris (Kroko- dil) IT 49 479 Crooboys (Kru-Neger) I 11 Crumanos I 30 — Ankunft der II 68 Ctenium, Grasart III1 130 Cucurbitaceen III1 138 Cumuli III1 59 Cuvo II 73 Cymbopogon (Grasart) IIIl 130 Cynixis erosa (Landschild- kröten) II 92 Cynocephalus Maimon (Man- drill) III1 243 Cyperus (Grasart) III1 131 Dactylopetalum III1 154 Dämmerungsdauer III1 110 Dämmerungsstrahlen III1 111 — Ursachen derselben IIIl 113 Dank des französischen Ad- mirals II 163 Dapper III2 162 165 173 179 182 418 420 — über Loängo III2 147 Dasypeltis fasciolata (Eier- freter) II 93 - — palmarum (Eierfreter) II 93 Dattelpalmen II 120 — wilde (Phönix spinosa) IIIl1 155 165 Degrandpre& III2 185 418 — über Loango III2 151 bis 154 Delphine II 95 III1 279 Deltabildungen III1 30 — im Lateritgebiet III1 13 Dendraspis Jamesonii(Baum- schlange) II 93 Denkweise der Bafiöti III2 95 80—86 Deportierte II 70 Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Äquatorial- Afrikas I 3 Diebstahl von Geld und In- strumentenschlüsseln I 152 480 Diebstahl selten III2 56 Diegosbai II 52 Dioscoreen III1 138 Diphtheritis II 172 Dirmamba (Dorf) I 132 Divumba (Berg) I 201 Dolichos (Mucuna) pruriens L. II1 133 „Donna Antonia“ II 73 Donner bei der elektrischen Entladung III1 93 — ohne Blitze III1 102 Doppelglocke III2 120 Doraden IIIl 281 Dörfer, Benennungen der I 70 — Verlegung von I 70 Dorfherrscher, Soba II 76 Dorfpauke III2 118 Dorfverlegung: III2 216 Dornburgen III1 138 Dorylus nigricans II 97 Dracänen III1l 138 Drapersinseln II 55 Du Chaillu II 152 Duketown (Negerstadt) I 24 Dunkelzelt II 58 Dunst IIIl 72 — druck, Monatsmittel III1 66 37 — nebel IIIl 70 Durchbohren der scheidewand II 38 Durchsichtigkeit der Luft III1l 114 Durst I 137 173° Dysenterie (Ruhr) II 179 Dynamismus III2 357 Nasen- Echo III2 320 Echsen, insektenvertilgende II 92 Edelreiher II 133 Ehrenbezeigung beim Trinken III2 194 — beim Niesen III2 192 Ehrenfetische III2 369 379 Eichhörnchen III1 232 —234 Eid III2 227 Eideshelfer III2 227 Namen- und Sachregister. Eierfreter II 93 Eigenart der Bafiöti III2 53—56 Eigenschaften, körperliche von Primitiven und Zi- vilisierten III2 10 11 Eigensinn der Bafiöti IIT2 74 Einbildungskraft der Bafiöti IIT2 84 Einbringen der Beute II 128 Einflüsse, fremde IIT2 185 Eingeborene von Novo Re- dondo II 34 Eingraben Lebendiger III 2 161 232 Einheit, phallische, uterine III2 468 Einordnung der Gotteskin- der III2 251 Einrichtung der Station I 60 Einschiffung unserer Leute II 167 Eisenglocke III2 120 Einsiedlerkrebse (Pagurus clibanarius) III1 288 Eisen, Bearbeitung von 1197 IT2 177 Eisvögel II 132 III1 260 261 Ela&is guineensis (Ölpalme) I 34 46 69 III1 120 III2 213 Elefanten II 122 III1 212 IIT2 168 — zähne als Musikgeräte 112 174 Elektrische Fische I 192 III1 282 Elementargeister, keine III2 313 Elfenbeinfiguren III2 75 Elfenbeinhörner III2 122 123 Elfenbeinschnitzer I 67 Elmsfeuer, Sankt III1l 106 Emporkömmlinge IIT2 191 199 Engen des Kuilu II 145 | „Enriquetta“ (Dampfer) I 181 Entada (scandens) Pursaetha III1 157 Enten III1 300 315 — schwarm II 144 Entladungen, elektrische; Anzahl derselben III1 92 — isolierter Abendwölkchen II1 104 Enttäuschungen I 215 Entwicklungstafeln, insekto- logische II 45 Entzündungen der Brust- organe II 172 Epomophorus macrocephalus IIIl 250 Erbe III2 243 Erbschaft III2 250 Erde, gesperrte IIT2 223 — Entweihung der III2 212 223 — heilig IIT2 194 — Schonung der II2 212 Erderbsen oder Angola (Vo- andzeia) III1 193 Erdfremde, Bätua III2 197 Erdfrevel III2 223 — Sühnehandlung für IIT2 224 Erdgericht, Urteilsverkün- dung III2 227 Zusammensetzung des III2 226 Erdherr III2 250 — und Erdschaft NI2 195 199 Erdherren, Eigenschaften der III2 205 Erdlicht IIT1 100 Erdnüsse (Arachis) I 32 46 105 198 IIT1 193 Erdorchideen III1 132 Erdpech III1l 11 Erdpriester III2 286 Erdpyramiden III1 39 Erdrecht III2 194 229 — 234 Erdsachen IIT2 219 223 226 Erdsassen III2 196 Erdschaft III2 195 466 Erdschaften, alte und neue 112 198 Erdschaften und Feld- oder Rinderschaften III2 466 — Menschenhunger der III2 205 — Vermögensvermehrung der III2 218 — Wesen der III2 206 Ereignisse, kritische II 118 Erfahrungen , photogra- phische II 58 Erhitzung des Bodens IIIl 64 Erholung durch Schlaf II 182 Eriodendron anfractuosum (Wollbaum) IT 52 IIIl 123 143 144 182—185 Erkrankungen, typhoide II 171 i — dysenterische II 183 Ermahnungen zur Wahr- haftigkeit bei Palavern III2 260 — — — bei Gerichtssitz- ungen III2 227 Ermattung II 173 — durch profuse Schweisse II 173 Ernährung, reichliche II 107 182 Ernährungsstörung II 183 Ernährungsweise und ihr Einfluss auf die Ausdün- stung III2 17 Ernte III2 216 Eröffnung, feierliche, grosser Palaver III2 259 Erosion im Gebirge III1 41 — im Lateritgebiet IIIl 39 Erosionsgebilde im Plateau von Buala III1 39 40 Erosionsthal im Plateau von Buala III1 48 Erotik, keine, bei Erzäh- lungen und Dichtungen III2 104 Erwerb menschlicher Ge- beine II 16 Erwerbsfetisch III2 366 | 367 377 Namen- und Sachregister. Erythrophleum guineeuse (Giftbaum, Nkassabaum) III1 137 186 Erzählungen III2 101—111 — Eigenart derselben III2 103 Eschenform III1 138 Essweise der Bafiöti III2 33 Eulen II 134 III2 106 Euphorbien, baumartige II 69 Europäer und Bafiöti IIT2 59 56 — Benehmen der Einge- borenen gegen III2 87 193 — Beispiele IIT2 59—70 — fetischgläubiger IIl2 345 — Stellung der III2 193 Europäerelemente an der Loangoküste II 170 Eurystomus afer (Roller) III1 264 Erythrophleum guineense (Giftbaum) III2 421 Exzess beim Essen II 182 Fabelwesen III2 318—320 Fächerpalme (Hyphaene guineensis) I 46 III1 76 121 166 — Herkunft derselben III1 170 — mit geteiltem Stamm (Hyphaene coriacea) III1 125 — Standorte und Verbrei- tung III1 169 — Wachstum und Frucht- stand III1 167 Fächerpalmentypus III1 166 Fährmann III2 165 ff. Faktorei, Einrichtung einer I 44 66 — schwimmende I 21 Falkenstein I 5 69 9 143 212 IT2 233 293 Fallgruben II 130 Familienstolz III2 187 481 Fangschrecke III1 290 „Fanny“ (Flussdampfer) II 161 Farbensinn der Bafiöti III2 30 Fasergips III1 12 Feigenbaum I 67 III 171 bis 175 — banyanenähnlicher (Fieus Lutatu) Tafel II1 172 173 Feinde der Affen III1 240 314 Feldarbeit III2 213 Felddiebstahl IIT2 216 Feldsegen III2 445 Felsen, dunkel gefärbte III 43 Felspyramiden II 146 Ferge III2 165 ff. Fernando Po I 26 II 6 Fernandianos (Negerstamm) I 26 Fernrohr verbeten III2 70 Fetisch I 45 71 72 107 — einfacher IIT2 365 — Kunstgebilde III2 358 — Mabiala ma ndemba III2 381 432 — Maläsi IIT2 397 403 431 — Mangössu III2 337 — Mansi III2 383 453 — Mbında III2 386 — Mpemba III2 385 — Mpinda III2 375 376 — mehrfacher III2 365 — Tsehivuku III2 374 — und Götze III2 354 — anbetung, keine III2 354 — anregung der Häupt- linge II2 371 372 — ausstattung III2 364 365 — beschwörung I 52 161 III2 391—395 — — grosse III2 431 434 — bilder, falsche III2 355 — bündel III2 367 — eigenheiten III2 383 339 — felsen II 56 — — am Kongo MI1 8 482 Fetischgericht III2 416 — geschichten III2 374 bis 376 381— 8387 — gestaltung III2 362 378 bis 381 398 — glaube III2 362 — kultus I 200 — marken III2 368 — meister III2 357 — palaver III2 374 375 — plätze III2 280 281 — schicksale III2 381—387 — schnitzwerk III2 363 — vernichtung III2 450 — zeremonien I 53 Fetische beim Hexengericht III2 431 — der Weissen III2 355 — Ehren- III2 369 379 — Einteilung III2 366 372 377 — für Männer III2 296 399 — Gebrauchsvorschriften III2 359 379 — Geltung III2 359 — Herstellung der III2 405 407 — in Menschengestalt, Vor- kommen III2 398 — keine Vermittler bei Nsambi III2 360 — Kraftstoffmischungen III2 407 ft. — Missachtung III2 404 — Spezialisten IIT2 355 — tätliche Beleidigung III2 404 — und Alter III2 370 — Wirksamkeit der III2 431—439 — Würdenzeichen III2 371 Fetischismus III2 347 ft. — der Grundgedanke des I 54 — Eindringen des III2 285 — leitender Gedanke III2 350 — obere Stufe IIT2 353 354 — untere Stufe III2 351 352 Namen- und Sachregister. Fetischismus zwei Grade III2 350—353 — lehre III2 353 Fettgeschwülste II 38 Feuchtigkeit, relative, Mo- natsmittel III1 67 87 Feudaler Titel III2 176 Feuer: Staatsfeuer, Ge- brauchsfeuer III2 170 171 — brand III2 174 — erzeugung der Neger I 165 III2 172 — fest III2 172 — finken II 132 III1 268 Feuersgefahr II 66 Feuerwaffen I 197 Feuerweber (Pyromelana flammiceps) III1 268 Feylinia Curvori (Blind- schleiche) II 93 Fieber I 150 — afrikanisches II 115 172 — biliöse II 175 — gelbes II 171 — perniziöse II 174 — verkappte oder larvierte II 175 — Wechsel- oder kaltes II 172 Fikus, banyanenähnlich III1 124 171—175 — arten IIIl 171—176 — Lutatu und Nsanda, Wurzelgerüst und Ge- zweig III1 172—175 Finken II 132 III1 268 Fische III1 280—287 — elektrische I 192 IIIl 282 — fliegende III1 17 — schmackhafte IIIl 283 — seltsame IIIl 284 Fischer am Strande I 49 III1 311 316 — glaube III2 330 Fischerei IIT2 208 Fischfang am Flussufer I 49 (Lipome) Flächenblitze III1 100 Flächeninhalt von Loango Ill 3 1212 Flamingos II 131 III1 251 3ıq Fledermäuse III1 250 Fleischhunger III2 25 Fliegen III1 291 — schnäpper (Museicapa lugens) II 132 IIIl 262 Flitter bei den Wilden I 34 35 II2 71 Flora am 100031 Sl Flucht der Trägermann- schaft I 174 — versuche und Flucht der Benguellaträger I 218 Flucht Verurteilter, Rechte 112 229 Flussbettänderungen in der Niederung III1l 44 Flussdurchbrüche III1 42 Flussmündungen, periodisch offene III1 37 Flussnamen, unrichtige I 78 Flusspferd (Hippopotamus) 1287299297 171 OT 213— 221 — bullen, kämpfende III1 219 — Foetus II 129 — jagd, erste II 127 Flussschwalben II 120 133 Flussschweine II 140 Förderfetisch III2 368 Förmlichkeiten bei Häupt- lingsbesuchen III2 246 247 258 Fortpflanzung der Ficus Lutatu und Ficus Nsanda III1 173 175 Francolinus Lathami IIIl 263 Frankolinhuhn (Francolinus ashantensis) IIIl 263 Frau, Stellung der III2 214 Frauenfetisch III2 364 Frauenpflichten I 72 Meeresstrande Frauenüberweisung an den neugewählten Herrscher III2 159 Freetown, Rede von I 10 Fregatte, französische II 163 Fregattvogel (Tachypetes aquila) III1 251 Freigabe von Hörigen III2 249 Freigewordene III2 251 Fremdes im Sagenschatz der Bafiöti III2 275 Freudeäusserungen III2 47 273 Frobenius III2 399 Frost II 174 Fruchtbarkeitder NegerIl30 Fruchtbäume III1 194 Früchte des Affenbrotbaumes III1 180 — wohlgeeignete Nährstoffe II 182 Fruchtfresser IT 133 Fuchsschwanz (Amaran- tus sp.) III1 132 Funchal I 7 Fundo, Dorf I 86 Furcht des Gorillas II 154 Furchtlosigkeit der Einge- borenen vor Blitzschlägen III1 93 Fürsten der Neuzeit IIT2191 — deren Stellung und Rechte II2 177 186 199 — art, Wandel der III2 192 — gräber III2 188 — leiche, Beförderung einer II2 189 — palaver III2 264 — titel III2 176 — tracht, alte III2 72 Fürstin, die III2 187 — Adoption III2 251 Fussbekleidung: II 104 Futila (Faktorei) I 50 II 50 Füttern, Fetisch, Scherz III2 397 Gabun (französische Ko- lonie) I27 II6 III1 182 Namen- und Sachregister. Gabun-Geschwader II 162 Gambongo II 74 Gangart der Bafiöti III2 37 Garneelen (Peneus monodon) II 96 Gastfreundschaft II 50 Gastlichkeit III2 33 55 Gebiete, umliegende, von Loango III1 4 Gebirgslauf desKuilu III 142 Gebrauchsvorschriften für Fetische III2 390 Geburtsflecke IIT2 15 Geckos (Hemidaktylus ma- bouia III1 276 277 Gedächtnishilfen III2 86 Gedankenkünstler III2 76 Gedankenlässigkeit der Ba- fiöti III2 85 87 Gedankensprünge III2 80 bis 84 Gedenkbalken III2 194 232 Gefahren der Wildnis IIIl 200—202 Gefolgschaft Freier Höriger III2 247 Geheimbünde III2 452 Geheimbündelei III2 248 Geheimsprache III2 96 97 Gehirnkongestionen II 170 Gehör der Bafiöti III2 31 Geieradler(Gypohierax ango- lensis) II 48 132 III1 252 Geisselgarneelen (Peneus monodon) III1 289 Geister IIT2 313— 315 — keine Elementar- 313 Geistesbeschaffenheit, Ver- gleiche III2 48—55 Geistige Verfassung der Ba- fiöti IIT2 80—87 331 Geizabscheu der Bafiöti III2 54 Gelegenheitsfetische 400 Gelegenheitsursachen der Fieber II 173 Gelüste III2 24 — der Seelen III2 312 und III2 III2 485 Gemeindefetische III2 372 373 Gemeinschaftsgeruch III2 16 Genettkatze (Viverra ge- netta) IIT1 230 231 Genussmittel der Bafiöti IIT2 32 Geologische Beschaffenheit d. Schiefergebirges III1 7 Geräusche bei Flächen- blitzen IIIl 101 Gerechtigkeit III2 227 260 Gerichtsfetische III2 326 364 377—8380 Gerichtssitzung III2 227 Geruch (Ausdünstung) der Bafiöti II 36 III2 16—18 Geruchssinn III2 31 Gerüche beim Regen III1 90 — von Elektrizität erzeugt IIl 91 Gesandte III2 222 Gesang der Vögel III1 263 268—270 Gesangsfehler III2 115 Gesangsweisen III2 127 bis 132 - Geschlechtsleben der -Ba- fiöti IIT2 19 Geschlechtsreife III2 19 Geschmack der Bafiöti I 35 II2 31 71 Geschwister III2 468 Geschwülste II 38 Gesichtsausdruck der Ba- fiöti III2 46 Gesichtsmasse II 21 Gesichtswinkel des Negers II 23 Gesinnung I 216 III2 53 55 56 58 88 Gesnerien IIIl 139 Gespenster III2 302 313 — Treiben III2 318 — erscheinung III2 319 — furcht der Bafiöti III2 322 — ungetüme III2 320 — weib III2 319 484 Gespenstische Karawane III2 452 Gespenstschrecke III1 290 Gestade III1 16 Gestank der Savanne IIIl 90 Gesteinsvarietäten III1 8 Gestirne I 9 III1 116 Gestirn- und Phallusdienst der Bafiöti III2 295 Gesundheitspflege, geord- nete II 100 Gesundheitszustand II 72 Gewässer III2 207 — Loangos IIIl 5 — namen III2 169 Gewissenhaftigkeit, Ermah- nungen zur III2 227 260 Gewitter, Herkunft und Ver- lauf III1l 83 — in Westafrika III1l 95 — und herrschende Winde 11141296 — Entstehungsherd IIIl 94 — Schilderung IITt1 97—99 — anzahl IIIl 87 dauer III1l 88 — einteilung III1 85 — tage, Anzahl III1 82 87 — — zu Tschintschotscho, Tabelle III1 56 — wolken mit Aureolen III1 118 Gewölk von Aureolen um- geben IIIl 103 Gewürm, giftiges II 98 Gezähmte Tiere II 20 149 151 II1 227 230-247 258 277 Gifte III2 419 — Wirkung der III2 420 Gift der Nkassarinde IIIl 187 — baum (Nkassabaum) Ery- throphleumguineenseIlIl1 186 — jungfer III2 180 — probe II 76 einzelner Namen- und Sachregister. Giftprobe bei Angeklagten III2 415 422 ff. — schlangen I 195 III1 206 bis 209 — versuche mit der Nkassa- rinde III1 187 Gin II 8 Glanzstare II 13 III1 264 Glareola nuchalis (Wade- schwalbe) III1 262 Glaube, allerlei III2 322 bis 331 344 348 — an Hexen III2 333—338 414 416 Glaubenskraft der Bafıöti III2 84 Gläubiger III2 241 Gleichgültigkeit für Schön- heit der Natur III2 77 Gliedmassenlänge II 32 Glimmerschiefer III1l 7 — verwitterter IIIl 9 Glocke für Jagdhunde III2 120 Glossina morsitans (Tsetse- fliege) II S4 III1 299 Goa (Dorf) I 191 v. Görschen I 5 Goliathiden II 97 Goliathus giganteus (Riesen- käfer) III1 290 Gomphrena globosa L. (Im- mortelle) III1 132 Gorilla 1123 171 194 II 14 III1 248 249 — fund II 149 Götze und Fetisch, Defini- tionen III2 354 Gottesfriede IIIT2 182 Gotteskind, durch Geburt besünstigtes Kind III2 250 Gottespfade III2 163 Gottesurteil III2 414 Gotteswege IIT2 209 Gotteswildnis III2 209 Gottheit, Art und Aufent- halt derselben III2 269 270 und Schuldner Gottheiten, verschiedene IIT2 276 Grabrecht III2 197 210 211 Grabwespen IIIl 291 292 Gramineen III1 130 Grandy, Begegnung mit II 57 Grasarten Loangos III1 130 131 Grasbestände IIIl 128 Grasfeuergefahren II 67 III1 135 Grasfluren (Campinen) II 6 III1 130 305 308 Gräserwachstum III1 133 Graupapageien (Psittacus erythacus) IT 122 133 134 IIIl 258 — polyglotte II 48 — Wert und Fang IIIl 259 Greiffuss IIT2 40 Grenzen III2 2038 209 — von Loango IIIl 73 Grösse der Fetische III2 366 — der Loangoneger II 27 Grossmann in Gala IIT2 141 Grübehen der Bafiöti III 2 12 Grundeigentum III2 207 Grundel (Periophthalmus papilio) III1 285 286 Guimeaneger II 27 Guineaströmung IIIl 17 Gunsa II 73 Güssfeldt III2 172 193 293 — Einschiffung nach West- afrika mit v. Hattorf I6 — Bericht in Berlin I 220 — Rückkehr nach Europa I 220 II-68 118 — Schiffbruch I 12 — See II 140 Gutherzigkeit der Bafıöti I12 7 55 78 Gymnothrix III1l 131 Gypohierax angolensis II 48 132 III1l 252 (Campinen) Haar der Bafiöti III2 14 — frisuren der Bakunya- neger I 126 Habgier III2 53 54 Häfen und Ankerplätze III1 47 Hängematte (Tipoja), das Reisen in der I 40 III2 35 — Kosten einer Reise in der I 44 — nächtliche Reise in der T 46 — Träger der I 40 Haftpflicht TII2 206 Haifisch I 18 IIIl 17 Hairochen oder (Pristis antiquorum) III1 282 Hakenkreuze III2 233 234 Halblinge III2 196 197 Haliaötos vocifer (Schrei- adler) II 133 IIIl 253 Hammel Mfuka II 139 III1 301 III2 63 436 Hammerkopf oder Schatten- vogel (Scopus umbretta) III1 261 326 Handelsstrassen, das Fehlen der I 136 Handelsverkehr III2 221 Hanfblätterrauchen(Liamba) II 52 Hardley,Mr., Konsul von Fernando Po II 79 Harem eines Dorfherrn I 171 Harfen III2 121 Harmonie des Gesanges III2- 115 Hartmann,R. II 84 155 — Urteil II 42 Hatton & Cookson, Faktorei I 55 v. HattorfIo5 149 Häuptlinge IIT2 199 — um Tschintschotscho I 59 III2 252—258 Häuptlingsbesuche III2 257 258 Häuptlingsgehöft III2 264 Sägefisch Namen- und Sachregister. Häuptlingsgrab IIT2 346 Hauptfetische III2 379 Hauptschädelmasse II 21 Hausbau II 4 Hausspatz (Passer Swain- soni) II 132 : Haustiere I 105 198 III1 299— 304 III2 68 436 | — Charakter derselben IIIl 301 Hautaffektionen II 180 Hautbemalung mit Fetisch- zeichen III2 368 ; Hauteinreibungen der Bayakaneger I 199 Hautfarbe der Bafiöti III2 15 — der Eingeborenen von Loango II Tafel am Schluss des Bandes — der Erwachsenen II 34 — der Neugeborenen II 39 — der Vorfahren III2 183 Hautfisch, vierzahniger (Te- trodon guttifer) II 94 III1 284 Hautkrankheiten II 172 175 III2 16 Hautleiden, schwere II 179 180 Hautnarben II 37 Hautrötung II 176 Hautsekrete II 36 Hebamme III2 166 240 Hebra II 86 Heiligkeit der Erde III2 194 277 Heilkunst III2 442 Heimat des Gorilla II Tafel 144 145 Heimfahrt II 163 Helmkuckuck (Corythaix persa) II 133 III1 257 Helmvögel (Turacus gigan- teus) II 120 125 131 III1 255 Hemidaktylus mabouia (Gecko) III1 276 277 Henning III2 21 | Hering, 485 Herbststimmung in der Savanne IIIl 308 westafrikanischer (Pellona africana) II 94 III1 283 Herminiera elaphroxylon (Ambatschholz) II 74 Herpestes paludinosus (Ich- neumon oder Manguste) IIIl 230 Herr und Herrin III2 214 Herrenfell als Standesab- zeichen III2 249 Herrenwechsel Höriger III2 245 Herrichten des Nachtlagers II 182 Herrscher Loängos III 2 155 165 — deren Stellung IIT2 184 — letzte III2 185 — wahl III2 158 — zus! 112159 Hesse III2 21 Heuschrecken I 50 Hexengerichte III2 161 4i8 bis 423 — Zahl der III2 417 Hexenglaube III2 333 bis 339 Hexenkünste, allerlei III2 338 — 343 Hexenprozesse IIIT2 414 bis 418 423 Hibiscus tiliaceus I 191 Hilfegesuch II 162 Hilferufe Schwerkranker II 13 Hilfsbereitschaft der Bafiöti 112779 Himantopus autumnalis (Strandreiter) III1 260 Himmelskunde der Bafiöti 1IT2 133—137 Hippopotamus d. h. Mvubu II 125 127 143 Hippopotamen, Flusspferde 1II1 213—221 — Gewohnheiten derselben IIIl 214 486 Hirundo nigrita III1 262 Hitze II 174 Hitzpiekeln II 177 Hitzschlag II 170 Hochwaldentwicklung III1 140 Hochwasser der Flüsse IIIl 46 Höflichkeit der Bafiöti III2 79 Hohenzollern-Prinzen, Unterstützung der Ex- pedition durch I 2 Höhenrauch IIIl 71 Hörnchen III1l 232 Hölle, keine III2 275 Holzbiene (Xilocopa) IIIl 291 Holzhäuser, Nachteile der- selben II 114 Holzpauken III2 118 Honigsauger II 132 Honigbienen III1 291 Hopkins, Konsul I 22 Hoplopterus albiceps (Kie- bitz) IT 144 IIIl 261 Hörige III2 196 234 237 241— 251 — Rechte und Stellung der- selben III2 242 — alsreiche Leute III 2 247 Hörigkeit III2 238 ff. Hornfisch (Balistes latus) III1 284 Hotel zum nassen Hippopo- tamus II 140 Hühner III1 263 300 Humboldt III2 471 Hund, Roter (Krankheit) II106 177 Hunde I 105 III1 302 — europäische, Unbrauch- barkeit derselben III1 304 — als Wächter II 112 Hundshaie (Sceyllium) IIIl 281 Hunger II 173 Hungersnot I 162 197 IIL2 450 Husten II 180 macu- Namen- und Sachregister. Hütte einer Jungfrau I 75 Hütten der Bayombedörfer I 104 — bau II 114 — —aıtlI 74 _ Hylambates Aubryi (Laub- frosch) III1l 278 Hymenocardia I 67 Hymenocardium IIL1 137 Hyphaene coriacea (Fächer- palme mit geteiltem Stamm) III1 125 —- guineensis (Fächerpalme) I 46 III1 76 121 — und Fikus III1 119 171 Hyrax (Klippschliefer) III1 234 Hbis caffrensis II 134 IIIi 261 Ichneumon oder Manguste (Herpestes paludinosus) IIT1 230 231 Immortelle (Gomphrena glo- bosa L.) IIl 132 Impfung der Pockenkranken II 86 Indigestionen II 173 179 Industriezweige in Yangela I 126 Infektionskrankheiten II172 IT2 20 Indigostauden III1 132 Ingwerpflanzen III1 139 Insekten III1 290-299 — abbildungen II 46 — plage I 193 Inseln, schwimmende III1 45 Inselvegetation III1 120 bis 123 Insolation, höchste, IIIl 64 — Tiefenwirkung IIIl 65 — Unregelmässigkeit der UIl 63 Insono, Faktorei 155 II 13 49 Instruktionen für die Expe- dition I 4 Instrumentenverlust IIT1 51 Intinde, Faktorei I 205 Ipomoea pes caprae IIIl 157 Irrsinn III2 21 Isabella, S. (Stadt) I 26 Jagd auf Delphine, miss- glückte II 95 — — Antilopen III1 226 — — Hauptfetische III2 399 — — Hippopotamen II 127 bis 130 IIT1 216--222 — beute II 50 — erfahrungen IT 129 IITL 200 209 119—221 223 238 273 -— meuten IIIl 303 — recht III2 208 218 Jahreszeiten in den Tropen I 80 — und Pflanzenleben IIIl 197 — — Wolkenformen IIIl 70 III2 449 — unregelmässiger Verlauf derselben IIIl 53 Jasmin III1 138 Jauchzen der Bafiöti III2 112 Juden, schwarze (Bawum- bu) III2 6 255 Juncacee III1 156 Jungenstreiche III2 68 69 87 | MKabinda I 39 46 47 II 4 50 Käfer III1 290 | Kaffee III1 191 — strauch I 46 „Kachexie“ II 176 180 181 Kahn (Canoe) 128 55 IL 3 69 Kaindschimbe (Dorf) I 132 Kaiser Wilhelm I., Au- dienz bei I 6 Unterstützung der Expedition durch I 2 Kakamueka II 143 144 147 Handelskolonie I 101 Kakongo (Königreich) I 47 IT2 149 151 Kalkbereitung II 96 Kalabubote (Dorf) I 132 Käma Tschitumbu, „Hun- dert Insel“ I 97 III1 44 Kamerun IIIl 122 Kampf zweier Flusspferd- bullen IT 143 Kandelaber-Euphorbien II 131 Kanoe (Fahrzeug) 128 II 3 69 — fahrt I 55 Kaolin II1 12 Kaposi II 86 Karawanenführer III2 222 Karawane, gespenstische III2 452 Kassotsche (Faktorei) I 202 Kastanı (Mann aus dem Volke) II 38 Kaste der Fürsten III2 175 Katarakte von Mongo Ny- anga I 192 Katarrhe, heftige II 180 Kautschuk I 34 185 — liane II11 192 1172212 — ranke (Landolphia flo- aa) ae ER) nakıl, Ser 1172 212 Keilhaken, Brachvogel (Nu- menius arquatus) III1 260 Kerdyk I3 Kettenblitz III1 105 Kettengefangene in Banana I 33 Kiebitz (Hoplopterus albi- ceps) II 144 III1 261 Kikombo I 76 176, — fluss II 76 Kimbanda (Zauberer) II 75 Kinder IIT2 37 66 88 — der Erde III2 163 — ähnlichkeit gebratener Affen III1 236 — art III2 88 — krankheiten, epidemische II 180 — segen II 41 III2 19 Namen- und Sachregister. Kinsembo II 69 III2 454 Kinsengalele (Blindschlei- che II 93 Kirchenruine von SantaCruz | II 54 Kischischi I 52 Kletterfisch (Periophthalmus | Koehlreuteri) IT 93 III1 285 Klima von Tschintschotscho IIIl 87 Klimatische Einflüsse auf den Körper I 62 III2 20 — Generaltabelle III1 37 Klimperinstrumente III2 120 487 Kopalharz im Laterit III1 10 Kopfbau des Negers II 22 IT28 Kopfbekleidung II 104 Kopfhaar II 40 III2 9 14 Kopfhöhe II 28 Kopf- und Nabelkinder III 2 243 Kopfschaft III2 467 | Kopfschmerz II 173 Kopfzahl der Geschlechter 112 19 v. Koppenfels 153 II 152 | Körperbau der Bafiöti III2 Klippschliefer (Hyrax) II1 234 Knochenstapel III2 293 Koagulieren der Eier IIIi 64 Kochen III2 214 Kochkunst der Neger I 73 Kohl I 46 94 Koko, Riesenhelmvogel II 120 131 III1 255 256 Kokodo, Fürst I 73, 74 Kokospalme I 69 III1 121 162 Kolabaum (Stereulia acumi- nata) IIIl 186 Kolanussbaum I 85 198 Kollektiva in der Sprache IIT2 98 Konde (Dorf) I 112 Königreiche, die alten I 47 TIROL Königsgräber III2 160 Kongo 135 II 7 10 50 — GrenzevonLoangolll13 — tätigkeit IIIl 45 — unterlauf IIIl 45 Konstitution des Übersie- delnden II 182 Konsultationen kranker Weisser II 10 Kontagien IT 171 11—15 Körperbewegung der Bafiöti UII2 36 Körperhaltung der Bafiöti III2 36 | Körperkraft der Bafiöti IIT2 35 Körpermasse des Gorilla II 155 Körperpflege II 106 182 IT2 14 18 32 Körperverhältnisse II 24 112 12 | Kost in Novo Redondo II 85 — — Loango II 85 \ Krabben III1 287 — herzförmige (Cardisoma armatum) II 2 Kräfte, Wirksamkeit der Fetische III2 276 353 355 407 Krähe (Corvus scapulatus) III1 264 Krafterneuerung tische III2 366 Kraftleistungen der Bafiöti II2 35 Kraftübertragung von Fe- tischen III2 358 der Fe- \ Kraftverlust der Fetische Kontraste in der Savannen- | flora IIIl 128 Kopal I 34 112 360 373 Kranichartige Vögel IIIl 252 488 Krankenbesuche III2 305 Krankheit, was ist III2 443 — und Tod II 90 Krankheiten IIT2 20 21 — Entstehung und Wesen der III2 443 444 — der Äquatorialzone II 170—180 — während der Regenzeit I 216 Krankheitscharakter der Lo- angoküste II Anhang 169 bis 183 Krankheitssymptome beiden Ochsen II 83 Kreuz (Gestirn) IIIl 116 118 — spinnen III1 291 Kreuzungen III2 8 Krieg II 160 III2 200 — führen, Zwang zum III2 201 — Waffenruhe im IIT2 200 Kriegerglaube III2 325 Kriegerische Gesandtschaft I 173 — Veranlagung III2 90 — Verwicklungen II 158 Kriegsdienst der Häuptlinge IIT2 218 Kriegsdienste III2 201 Kriegsfetische I 71 III2 365 Kriegsgeschrei III2 132 Kriegslärm III2 200 Kriegsministerium, König]. preuss., Unterstützung der Expedition durch I 6 Kriegsrat der Weissen II 161 Kriegstanz I 84 Kriegstänze bei Palavern III2 263 Kritik, gerechte, über den Neger II 41 III2 48 50 52 56 78 88 Krokodil I 82 87 III1 205 271—274 — fang II 56 — grösse III1 274 Namen- und Sachregister. Krönungszug: III2 185 —162 Kröte (Bufo guineensis) III1 278 Kru-Neger (Crooboys) I 11 27 30 TIII2 7 — Kampfszene von I 17 Krüppel I 85 Kuansa II 71 Kuckucke III1 263 Kudyemba III2 172 Kugelblitze III1 106 — flöte III2 122 123 Kuilu II 117 123 156 — IIIl Schlusstafel — Fluss I 92 — Übersetzung der Kara- wane über den I 170 — fahrt II 119 — wild II 120 — mündung II 147 — niederung III1 44 312 — tal III1 42 Kulturgewächse 171 193 Loangos | Kultus für Nsämbi III2 271 | Kunga, Jäger II 136 | Kunstfreude der Bafiöti III2 75 Kunstgriffe der Neger II 9 Kunsttrieb III2 399 Kurpfuscher III2 447 Kurzweil der Bafiöti III 2 87 Labyrinthfische III1 285 Lage von Loango IIIl 1 — der Station IIIl 50 — der geweihten Stätten 1112 283 Lagerstätte II 111 Lagerungsverhältnisse des Laterit III1 9 Lagos I 20 , Laguncularia racemosa III1 154 Lagune von Kaya I 87 Lagunen bei Station Tschin- tsehotscho III1 36 | Landana (Dorf) I 56 57 II 1 2 13 54 164 — in Not II 158 Landraub durch die Calema III1 30 Landkrabben III1 288 Landolphia florida Beauv. III1 130 — — (Kautschukranke) II 99 Landregen IIIl 78 Landschaftsgeruch III2 17 Landschildkröten (Cynixis erosa) II 92 Landung I 181 183 II 2 IT1 26 - Land- und Wasserungetüme 1112 318—321 Landestrauer IIT2 155 Langeweile, Streiche III2 87 Langusten (Palinurus argus) IT 96 III1 289 Lantana Camara L. (Wan- delröschen) IIL1 132 Lasttiere als Transportmit- tel I 138 II 78 82 Last- und Reittiere I 40 Laterit, ein Zersetzungs- produkt des Gebirges III1 12 41 48 — ablagerung IIIl 5 — gebiet IIIT1 8—14 Laubfrosch (Hylambates Au- bryi) III1 278 Laubschüttung: II 112 Laubwurf, ungewöhnlicher IIIl 198 Laurentino Antonio dos Santos II 149 Laute (Saiteninstrument) und Gedankenmitteilung III2 122 Lazarettherrichtung IT 11 Lebensbedingungen für Man- grovenkeimlinge III1 151 Lebensende natürlich III2 332 Lebensgefahr in den Tro- pen II 180 IIT1 201 bis 204 Lebens- und Siedelrecht 112 211 Lebensweise und ihr Einfluss auf die Ausdünstung III2 im Leber IT 180 Lederschildkröten (Trionyx triunguis und T. nilotica) III1 277 Leib des Negers II 29 Leibeigene III2 196 234 bis 236 — und Anrufen der Gott- heit III2 273- Leibeigenschaft IIT2 235 Leichen, Aufbewahrung der I 164 178 III2 219 241 — dienst III2 156 — färbung III2 183 — recht IIT2 220 — wagen III2 189 — Weisser ins Meer III2 211 Leichtschnäbler II 132 Leichtsinn der Bafiöti IIT2 8 Leidenschaftlichkeit der Ba- fiöti III2 22 24 Lembefetisch I 71 Lemur III1 250 1b, @ena IE ey nam Zeil Leoparden III1 204 III2 452 468 — recht III2 220 Lepra Arabum II 171 Liambarauchen (Hanfblät- ter) II 52 Liane I 68 82 III1 144 — (Kautschukliane) IIIl 192 — studie II 43 „Liberia* (Dampfer) I 143 II 43 Liboka III1 188 Lichtsäulen neben dem Zo- diakallicht III1 112 Lichtstreifen oder Wolken- büschel III1 107 Liebestaten für Verurteilte 1112 230 Likungubach I 195 Limonenbaum I 94 Loango. Namen- und Sachregister. Lindner, 0. 15149 181 II1 III2 56 — meuchlerisch angeschos- sen II 89 — Erkrankung II 66 — Rückkehr II 65 f Lingster (Dolmetscher) I 29 Linguistische Studien I 214 III2 93 94 Linkshändige Bafiöti III239 Lipome (Fettgeeschwülste) II 38 Lisonde III1 190 Liverpool, Abschied von I 7 Jar ıl Livingstone, III1 285 Loanda II 11 63 71 168 Loängo (Fluss) I 81 83 — küste, erste Eindrücke an der I 29 — — die Grenzen der I 39 II1 1 III2 141 „Loiret“ II 163 Longobonde (Faktorei) I 210 II 179 IIT2 191 Lootsenfische (Nancrates duetor) III1 281 Lopez über Loango III2 122 142 Löwe (Gestirn) III1 118 Lualaba (Fluss) I 1 Luändschili III2 182 Lubinda (Dorf) I 124 Luboma (Fluss) I 124 Lubu III2 182 - Lu&mme II 122 — und Kuilu III1 34 Lu&ämmefluss I 658 77 87 III2 144 158 381 Luftdruck III1 54—56 — in Millimetern, Monats- mittel III1 87 — zu Tschintschotscho, Mo- natsmittel III1 55 Luftstrom, aufsteigender IIIl 50 Lufttemperatur III1 60 61 — Monatsmittel III1 87 Tar1E525 489 Lufttemperatur zu Tschin- tschotscho, Monatsmittel IT1 61 Lukandu (Dorf) I 205 Lukulu (Fluss) I 81 83 Lungenaffektionen II 180 Lungen- oder Schlammfisch (Protopterus spec?) II 94 Lungenfisch (Lepidosiren), Protopterus annectens IIIl 285 Luntämbi lu mbensa III2 179 181 191 387 Lutanya (Dorf) I 204 Lüsternheit III2 19 Luvula II 161 Lycopersicum esculentum Mill. (Tomate) IIT1 132 Mä III2 175 Mabiala ma ndemba III2 881 432 Maboma III2 226 — Vinga von Lubu III2 166 177 386 Macaco (Meerkatze) II 50 Machila II 71 Mädchenweise IIF2 69 Madeira I 7 Magnetische Beobachtungen I 213 — — auf der Station Tschin- tschotscho I 230 Mahärero III2 34 299 Mahlzeiten II 182 Mais I198 II 156 III1 193 Makaya 1I 17 Makonde II 52 53 — mündung II 54 Makrelenarten IIIl 17 Makula III2 20 21 Makunda III2 162 183 — als Feuermutter III2171 — Macht der III2 165 — als Richterin III2 164 Malachitblöcke III1 10 Malaguettapfeffer III1 139 Malaria III2 20 — erkrankung, nal ale perniziöse 32 490 Malariafälle II 91 — fieber II 179 Maläsi, Fetisch, Futter an- bieten III2 397 Malemba (Dorf) I 163 Ma Loängo III2 155 165 184 Mamanya ma tali (Ort) I 98 Mambi (Faktorei) I 209 Mambuku Nduku (Dorfherr) I 170 175 Mambungo (Häuptling) I 205 Manaten III1 222 Manatus (Seekuh) II 140 MI1 211 222 Mandrill (Cynocephalus Mai- mon) III1 243 — als Schwimmer IIIl 245 Mangävi III2 256 257 Mangifera indica (Mango- baum) I 46 94 III1 194 III2 403 Manglare III1 147 Mangobaum (Mangifera in- dieca) I 46 94 III1l 194 III2 403 Mangössu III2 337 Mangrove, junge (Rizophora Mangle) IIl1 Tafel 146 147—153 — umgesunkene III1l 193 — baum I 55 81 94 191 — gebüsch II 51 — labyrinth II 54 — frucht III1 149 Mangroven, Luftwurzeln III1 148 — studie IIIl 1 — keimlinge III1 150 151 — typus IIIl 146 147 — fortpflanzung III1 149 Manguste oder Ichneumon (Herpestes paludinosus) III1 230 231 Mani Buatu (Dolmetscher) I 155 — Luömba (Dorfherr) I 163 — Mbandschi (Häuptling) I 114 — — (Dorfherr) I 176 Namen- und Sachregister. Manierlichkeit des Gorilla II 152 Maniok 132, 197 III1 193 194 Manis macrura (Schuppen- tiere) III1 232 Manismus III2 399 Mankaka Windo (Dorfherr) I 167 Mankatta Osobo (Dorf) I 84 Männerchor III2 130 131 Männerfetisch III2.296 364 399 Mansi 4583 — (Fluss) I 113 Mansombe II 135 Maranten III1 139 Marken für Eigentümer III2 132 Märkte III2 231 Marktrecht III2 231 Masern II 172 Massabe (Faktorei) I 151 m 13 122 Massabefluss I 83 Matüti (Kap) Grenze von Loango IIIli 3 Maurerwespen III1 291 292 Mavungo (Jäger) II 122 IIl2 239 Mayombe (Faktorei) I 133 II 143 — (Landschaft) I 102 Mbele (Fluss) I 78 Mbi (Fluss) I 113 Mbinda Fetisch III2 386 Mbuku (Dorf) I 87 118 Mbulu (zahmer Schakal) II 20 124 138 IIIl 227 bis 229 Mbundu IIl1 188 III2 419 — (Gift) ITI2 419 Mbüta, Gebärerin III2 168 v. Mechow, 15 II 80 Medizinmeister III2 405 442 Meeresbewohner an der Lo- angoküste III1 17 279 bis 289 Fetisch III2 383 Meereseinwirkung auf die Küste IIIl 15 17 Meerkatzen II 48 50 120 144 III1 236 237 Meerleuchten III1 115 Meerzwiebel (Scilla mari- tima L.) IIII 132 Meiners III2 124 Meldungen zur Beteiligung an der Expedition I 4 Melonenbaum (Carica Pa- paya) I 46 185 III1 194 — der Savanne (Anona se- negalensis) I 67 86 II 150 IIT1 136 Menschenabbild, Seele IIT2 297 302 Menschenhandel III2 178 Menschenopfer IIT2 161 Menschenraub nach De- grandpre III2 154 Menschenverluste in Indien III1 202 — durch wilde Tiere III1 200— 202 Merkmale, körperliche, bei Bafiöti III2 9 Merolla III2 185 — über Missionsversuche 112 149 — über Bildersturm III2 450 Merseystrom I 7 Messungen,anthropologische II15 — thermometrische II 15 Meteorologie der Bafiöti IIIl2 133 449 Meteorologische Station in Tsehintschotscho I 143 Methonica grandiflora Schum. (Prachtlilie) IIL1 139 Mfuka (Hammel) IL 139 III1 301 III2 63 436 Mfumu nssi III2 175 Miasmen (Wirkung) dersel- ben II 114 Mienensprache bei Freude und Trauer III2 48 Miguel Reale I 66 — (Fort) II 69 | Milchsaftreicher Baum IIIl 191 Mildtätigkeit der Bafiöti 112 78 Milz II 180 Mimosa pudica L. (Sinn- pfanze) III 132 Mimosenform III1 133 Miniaturziege, schwarz- weisse II 139 IIT1 301 Missbildungen, Mangel an II 40 Misstrauen derEingeborenen I 63 141 II 14—16 III2 83 332 416 Mitgefühl der Bafiöti III2 55 56 78 Mittagsruhe eines IIT2 140 Mittagsschlaf II 182 Mitteilungen durch tönende Saiten III2 122 Mittel zur Mosquitovertrei- bung II 178 Modelust der Eingeborenen III2 71—73 Mohr, unser Affe III1 241 242 Moll und Dur beim Gesang IT2 116 Monatsbenennung III2 139 Monbuttu I 1 Mond und Calema III1 23 — anschreien III2 389 . — beobachtungen I 180 — fisch (Orthagoriscus) III1 283 — höfe III1 114 — ringe IIIl 114 — sagen III2 137 — scheinnacht in der Sa- vanne III1 309 Mongo Fiabe (Berg) I 123 — Nunsi (Berg) I 122 — Sahi (Berg) I. 201 Monitor saurus (Warn- eidechse) II 47 81 92 III1 274 Bafiöti Namen- und Sachregister. Monodora III1 189 Monrovia (Hauptstadt Libe- rias) I 16 Monteiro IIIl 179 207 III2 455 Morgen am Kuilu III1 312 313 — in der Savanne IIIl 316 Mosquitoplage II 178 Mosquitos II 121 III1 295 296 — Auftreten derselben IIT1 296 III2 20 Mossämedes II 181 III2 7 Mosuko II 57 Motaeilla vidua (Bachstelze) III1l 262 Möwen II 131 Mpambo (Fürst) I 94 III2 188 Mpemba III2 385 Mpile II 120 III2 147 — fahrt II 122 Mpinda III2 375 Mpumbu III2 6 148 149 Mpungu (Gorilla) II 14 150 III1l 248 — frisch aus dem Urwalde II 168 — (Nsambi) III2 270 — (Nsoami) III2 182 Mtinu III2 155 Mtotila III2 155 161 Muanda (Dorf) I 42 II 50 Muboma I 216 II 67 90 Mücken III1 295 Muesi III2 136 137 Muinda (Frau aus Volke) II 39 Mukanden (Wechsel) II 18 Mukunda (Dorf) I 87 Mukungu (Dorf) I 195 Mukunya (Fluss) I 127 Mulando (Dorf) I 195 Mulatte I 195. 196 II 70 II2 8 — ein verräterischer I 203 Mulek (Negerknabe) II 18 Muleks I 31 36 III2 67 bis 69 dem 491 Mund der Bafiöti III2 13 Mundraub von Schwangeren III2 216 Mündungsgebiet des Kongo II 50 III1 45 Mündungsgebiete der Flüsse 111 31 Munya-muesi III2 137 Mus decumanus (Wander- ratte) III1 232 Musa paradisiaca (Banane) 100Eı a9 — — (Banane, Ideal) II Tafel 160 161 — sapientum (Pisang oder Plantaim) III1 193 195 Musaceen, Anpflanzung der- selben III1 196 Muscheln III1 289 Museicapa lugens (Trauer- fliesenfänger) II 133 III1 262 Musik in ihren Anfängen III2 115 — bei Palavern 260 — Text und Melodie III2 111 112 — geräte III2 116-126 — instrumente I 197 Musizieren von Tieren III 2 114 Muskelausbildung II 33 III 2 12 34 Musophagen III1 255 Mussaenda erythrophylla Schum. IIT1 138 Muteta II 21 Mütter als 242 Mutterrecht III2 165 250 298 465 468 Mutterreihe IIT2 467 Mutu Yako (Dorf) I 87 Muyabi (Dorf) I 195 Mvubu, d.h. Hippopotamus II 125 128 IIT2 216 Mygaliden (Vogelspinnen) 10: Ol Myrten III1 138 112 Hörige III2 32* 492 Nachdruck der Rede III2 32 Nachrichten, ältere, über Loängo III2 141—154 — betrübende II 148 Nacht in der Savanne IIIl 306 — ruhe, gestörte II 121 — ungestörte II 182 — schwalbe (Caprimulgus Fossii) III1 264 Nächtliches Wandern I 206 IIT2 323 Nacktheit und Bekleidung 12 10 Nadelfisch III1 287 Nageln, Fetische III2 393 Nahrung des Gorilla II 151 Nahrungsdurechschnitt IIIl 33 34 Nahrungsmangel II 124 Nahrungsmittelnot I 172 Nahrungsmittelpreise II 19 Naja haje (Brillenschlange) TI 93 11 207 Nanga I 96 II 123 140 143 III2 383 — mündung II 143 Nase der Bafiöti III2 12 — des Negers II 23 Nashornvögel II 47 124 132 IIT1 257 Naturschilderungen aus Wald und Savanne IIIl 305— 8316 Naucrates ductor (Lotsen- fisch) III1 281 Ndele (Auferstandener) III2 183 Ndembo (Knabe aus vor- nehmer Familie) II 32 IIT2 68 404 Ndindschi (Fürst von) I 73 Ndodschi (Zauberer) I 71 III2 300 336 338 356 Ndungu im Federkleide III2 343 Ndungusi, TII2 455 Nebelzeit III1 70 (Gewährsmann) Namen- und Sachregister. Neger (Albino) I 27 IIT2 16 — deren Genügsamkeit beim Essen I 96 III2 33 — stämme I 26 III2 4—8 Nehrung am Lu&mme, Kuilu und Banya III1 30 33 Nehrungen, ehemalige, des Kuilu IIIl 36 Neid der Schädelstättenhüter III2 294 Nervensystem der Bafiöti III2 24 Nervosität II 110 175 III2 24 Nestbau des Gorilla II 153 Nester der Webervögel II 117 Nesu (Waldgespenst) III2 319 320 Neugier der Bafiöti III2 80 Neumayer, Professor I 5 143 Nfubu (Fluss) I 82 III2 Neanga Mvumbi (Häuptling) I 160 III2 188 — mit Fetisch III2 347 — mvula (Regenmeister) III2 447 Ngilingili IIT2 276 353 407 Ngotu (Durchbruch) I 99 II 143 MI1 41.42 III2 320 Nguela (Dorf) I 127 Niam Niam I 1 Niederschläge, Herkunft der IIl 73 — und Vegetation III1 126 Niesen III2 192 326 327 Nigermündungen I 70 IIIi 122 „Nigretia“ (Dampfer) I 6 II 43 Nkambisi 124 138 — Ziege II 138 139 IIIl 301 Nkässa II 90 III2 419 — baum I 67 — — (Erythrophleum guine- ense Don) III1 137 186 (Prinzessin) II Nkondo (Dorf) I 72 Nkumbi III2 159 Nkungu III2 167—169 Noki II 57 „Noordcaper“(Dampfer) I 33 Nordlichtstrahlen III1 108 109 „Normandy“ (Dampfer) I 33 II 43 Notdurftverrichtung IIT 2 40 Notstände I 162 164 177 197 216 II 88—92 IM1 90 12 451 Novo Redondo II 73 167 Nsämbi, höchstes himm- lisches Wesen III2 271 — Schöpfer IIT2 265—266 — werund wasist?III2 274 Nsämbis Anrufung III2 272 Nsäu III2 166 Nsiamputu (Dorf) I 69 — (Faktorei) I 67 Nsumi (Berg) I 114 Ntombi (Flüsschen) II 120 Numenius arquatus (Brach- vogel, Keilhaken)III1260 Nutzbarkeit der Adansonia II1 179 — der Fächerpalme III1 168 — der Ölpalme III1 159 III2 213 Nyangafluss I 185 187 190 204 Obduktionsresultate II 156 Öbstipationen II 179 ÖOchsenabrichtung II 82 Ocypode rhomba (Sand- krabbe) III1 287 Old Calabar (Stadt und Fluss) I 24 II 6 Ölpalme (Ela&is guineensis) I 34 46 69 82 86 94 101 102 185 II 52 117 III1 120 159 III2 160 — Standortund Verbreitung IIT1 161 Ölpalmentypen III1 158 Ohr des Negers II 39 — lochstechen II 38 Opferpflicht IIT2 292 293 Opferplätze, Alter derselben MT2 295 — falsche IIT2 294 Opfertier III2 224 Orakelplätze IIT2 280 Orangenbaum I 43 46 Organisation Mangel III2 54 88 OrientierungsversucheIl136 112 28 Originale von Haustieren IIT1 301 III2 63 436 Orion (Gestirn) III1 118 Orseilleflechte I 34 III1 179 Orthagoriscus (Mondfisch) III1 283 Ortssinn, Verirrte IT 136 III2 23 30 Ortsgedächtnis der Bafioti IIT2 80 Ortssinn der Wilden III 2 18 Ortygometra nigra III1 260 Östrea parasitica (Austern) II 96 Otis melanogaster (Zwerg- trappe) III1 262 Ovaherer6 IIT2 169 170 466 Oxalis (Biophytum) sensitiva L. TIT1 157 Pagurus clibanarius (Ein- siedlerkrebse) III1 288 Palaver I 59 84 115 116 119 125 131 167 203 205 IT 52 — grosse III2 258—264 — schlacht I 172 — Wassertrinken III2 261 — zucht III2 261 Palinurus argus (Langusten) II 96 III1 289 Palisaden des Kuilu IT 146 148 Palmas (Kap) III1l 121 Palme (Phönix spinosa) I 24 81 195 Palmen III1 121 — arten Loangos III1 158 171 Namen- und Sachregister. Palmenmarder (Cynogale velox) III1 230 231 Palmnusskerne I 83 Palmöl I 22 34 83 III1 159 — Schmelzen und Klären Tafel II 88 89 Palmwein I 73 198 IIL1 160 T112 213 — Gewinnung III2 212 213 Palophus Centaurus (Stab- schrecke) II 98 III1 290 Pandaneen II1185 Pandanus I 191 II 120 Panieum (Grasart) III1 131 157 Panzerfestigkeit der Kroko- dile III1 273 Papageitauben (Treron cal- va) II 48 120 III1 263 Papyrus (Wasserpflanze) I 82 87 191 — horste IIIl 156 Parra africana III1 260 Passärge III2 398 Passifloren III1 138 Patenrecht III2 243 Patriarchalische Verhält- nisse III2 243 244 Pauken III2 118 Paviane IT 48 153 III1 243 — gezähmte IIIl 244 — bewahren Spielzeug III1 246 Pechuäl-Loesche, I5 80 96 212 216 II 68 95 143 148 — Ankunft II 68 Pelikane II 131 III1 251 Pellona africana (Heringe) II 94 III1 283 Penedo (Fort) II 69 Peneus monodon (Garneelen) II 96 III1 289 Periophthalmus Koehlreuteri (Kletterfisch) II 93 — papilio (Grundel) III1 285 286 Peristera afra (Zwergtäub- chen IIIl 263 493 Perlhühner III1 263 Perodietieus III1 250 Personengeruch III2 16 Perubalsam II 177 Petermann I 221 Petrefakten südlich vom Kongo III1 11 Pfändling III2 245 Pfeffer (Capsicum) I 32 46 IT 109 MT1 139 Pfeifen III2 122 126 Pferde III1 299 III2 83 Pflanzen alsFetische IIT2358 Pflanzenarmut des Urwaldes III1 145 Pflanzenkleid der Loango- küste III1 121—129 Pflanzenwelt an der Grenze von Ober- und Unterguinea IIIl 122 — der Guineainseln IIIl 123 — der Küste bis zum Kongo III1 124 — der Küste bis zum Ku- nene III1 125 — am Senegal III1 120 — der Unterguineaküste IIT1 76 Pflanzungen IIT2 213 Phallusdienst III2 295 Phallische Einheit III2 468 Phönix spinosa (Palme) I 81 III1 155 165 Phyllitschichten III1 7 Phyllocrania (Blattschrek- ken) II 98 III1 290 Physeter macrocephalus (Potwal) III1 278 279 Pillendreher (Ateuchus) IIIl 290 Pincoffs I 31 Pinselohrschwein (Potamo- choerus penieillatus) IIIl 227 Pionias robustus IIIl1 259 Pisang oder Plantain (Musa sapientum) IIIl1 193 195 Pistia stratiotes IIT1 156 — schwimmendePflanze182 494 Pläne zur Erweiterung der Station IT 4 Plantain oder Pisang (Musa sapientum) III1 193 195 Plantagen II 157 Platzgeister III2 314 — Einhegung III2 314 Platzrecht III2 215 Plotus Levaillanti (Schlan- genhalsvogel) II 133 IIT1 259 260 Pocken I 162 164 177 II 172 III2 451 — ausbruch II 86 — epidemie II 17 Podica senegalensis III1 260 Polarbanden IIT1 106—109 Politische Verhältnisse, ältere III2 252 — — neuere III2 253 Pontanegra I 28 II 149 166 III2 178 191 Ponta de Norte I 189 Porphyrio Alleni (Wasser- huhn) II 50 III1 260 Porto da Lenha, Fahrt da- hin II 55 Portugiesen, die I 38 Portulaca oleracea L. (Sup- penkraut) III1 132 Posaunen (Elfenbein) IIT2 124 Potamochoerus penicillatus (Pinselohrschwein) III1 227 Potenz und SeeleIIl2297299 Potto III1 250 Potwal (Physeter macroce- phalus) III1 278 279 Prachtlilie (Methonica gran- diflora Schum.) III1 139 Prachtralle (Rhynchaea ca- pensis) III1 260 Prazeres, Senhor II 76 77 Preise für Sammelobjekte II 19 Prickly heat II 177 Priesterschmiede III2 174 Primitivre und Zivilisierte III2 345 Namen- und Sachregister. Prinzessinnen, soziale Stel- lung der I 86 1II2 187 251 Pristis antiquorum (Säge- fisch oder Hairochen) III1 282 — Riesensäge vom IIIi 282 Privatfetische IIT2 366 367 372 373 Probejungfern III2 159 Prognathie II 23 Protest gegen Auflösungs- ordre II 157 Protopterus annectens, Lun- genfisch (Lepidosiren)IIII 285 — spec.? (Schlamm- oder Lungenfisch) II 94 Proviantbeschaffung II 78 Proyart, über Missions- versuche III1 279 III2 149 150 Prozessionsspinner II 97 Prügeleien III2 47 Prügelfest bei Leichenbe- gängnissen IIT2 190 Pseudogorilla II 155 Psittacus erythacus (Grau- papageien) III1 258 315 Pteris aquilina (Adlerfarn) MIT 139 Pteroceyon stramineus IIIl 250 Pulex penetrans (Sandflöhe) 1150 IT85 121. III1 297 II2 21 Puna, Emmanuel (Häuptling) I 48 Punga (Dorf) I 196 Pürschgang II 134 Pyromelana flammiceps (Feuerweber) III1 268 Python Sebae (Riesen- schlange) II 47 III2 208 Quallen III1 289 Quarzit III1 7 — berge II 146 Quarzsandstein III1 7 Quälgeister III2 444 Quellen, Eigentum an III2 208 Quellentemperatur III1l 65 Quisqualis indica L. (Wun- derstrauch) III1l 132 Readieschen I 46 94 Rangordnung der linge III2 257 Raphael Creek II 52 Raphia, gigantische III1 162 — vinifera(Weinpalme) 169 II Titelbild — Standort derselben IIIl 165 — horste III1 155 — spezies III1l 164 Rast am Kuilu II 120 Ratsche (Weibermusik- instrument) III2 116 Rätsel III2 100 Ratten III1 232 — plage I 190 II 118 „Battle Snake“ (englisches Kriegsschiff) II 53 Raubgesindel III2 199 Raubwespen II 46 Rauchen und Schnupfen 185 Rechtsgefühlder Bafiötilll2 53 225 227 239 Rechtspflege IIT2 217 Redegesang der Bafiöti IIT2 46 Redekunst IIT2 90 — der Neger I 84 Regeln für Übersiedlung in heisse Gegenden II 182 183 Regen II 139 — unzeitige II 131 — böen in der Trockenzeit IIl 84 — fälle IIIl 88 — — Schwankungen der- selben IIIl 79 — grenze III1 75 — höhe der Jahre 1870 bis 1880 III1 80 — — in Millimetern IIIl 87 Häupt- Regenjahre, Ungleichheit derselben III1 SO — meister, Ngänga mvula III2 447 — menge einzelner Gewitter IIIl 88 — pfeifer. II 120 — tage zu Tschintscho- tscho III1 79 — — mit messbarem Nie- derschlag III1 87 — wirkungen IIIl 89 — zeit II 89 III1 70 — zeiten der Jahre 1874 bis 1876 III1 79—87 — — Abgrenzung derselben IIIl 81 — — Abweichungen zweier IIIl 86 Reichssechmiede IIT2 174 Reichsverweser III2 155 188 Reichtum der Sprache III2 95 Reigen bei Palavern III2 261 Reiher I 87 III1 260 Reinlichkeit II 37 III2 14 1 — des Gorilla II 153 Reise nach Angola und Ben- guella I 143 — nach der Nyangamündung I 188 — nach Yangela I 109 Reisen zu Fuss I 139 Reis Rapid II 146 — Insel II 117 III1 210 — — und Faktorei I 92 93,183. 179 Reizbarkeit II 175 Reizmittel II 109 Religionen und Völkerkunde III2 265 344 348 Reptilien, Halten derselben II 47 Revolverfetische IIT2 364 Rhinozerosschlange (Vipera rhinoceros) II 47 III1 206 Rhinozerosvögel III1 257 Namen- und Sachregister. Rhipsalis cassyta (kaktus- artige Pflanze) III1 125 Rhizophoren III1 124 146 bis 153 — bestände und geologische Probleme III1 1593 Rhynchaea capensis (Pracht- ralle) III1 260 Rhynchops flavirostois (Sche- renschnabel) II 144 III1 261 Rhythmus der Sprache III2 92 Richtsinn der Wilden III 229 Riesenbäume III1 143 Riesenhelmvögel (Corythae- ola eristata) III1 255 Riesenkäfer (Goliathus gi- ganteus) IIII 290 Riesenkrabbe (Cardiosoma armatum) IIIl 288 Riesennashornvogel(Buceros atratus) II 133 IIIl 257 Riesenpandanus an der Lo- ängobai II Tafel 112 113 UI1 185 Riesenschlangen (Python Sebae) II 47 III1 208 209 — Grösse und Lebensweise III1 209 Riesensäge (Sägefisch) III1 282 Rinder III1 299 III2 3 — schaft (Weidegenossen- schaft) IIL2 466 Riverjack (Giftschlange) 1 RT. Rizinus I 191 III1 132 157 Roheit der Bafiöti III2 78 Rohrflöten III2 122 Rohrtrommeln III2 117 Roller (Vogel, Eurystomus afer) III1 264 — der Brandung IIIl 27 — und Gestade IIIl 28 — und Küstengestaltung III1 26-88 Roterbse (abrus precatorius | L.) III1 132 „Roter Hund“ II 106 176 495 Rotholzbaum III1 190 Rüben I 46 Rückfahrt, beschwerliche II 141 Rückkehr nach Tschintscho- tscho II 80 zeitweilige Heimat IL 183 — nach der Station II 58 Rückreise wegen Verrat der Träger I 176 Rücktransport der Leute II 166 Ruderlieder III2 131 132 Rudern der Bafiöti I 64 65 III2 38 — unserer Leute II 120 Rufe der Hippopotamen IIIl 216 Ruhr (Dysenterie) II 179 Rum und Sünder III2 314 Rundbau, einziger III2 284 nach der Sachsengänger,afrikanische III2 7 Sägefisch oder Hairochen (Pristis antiquorum) IIIl 282 ‚ Saiteninstrumente III2 121 Saitenschlagen (Verständi- gungsmittel) III2 122 Salat I 46 94 Salzausscheidung der Avi- cennienblätter IIL1 155 Salzbereitung aus Meer- wasser I 186 III2 6 Salzmangel II 121 III2 32 Sammelresultate II 7 Sammlungen, reiche II 147 Sandfloh (Sarcopsylla pene- trans) III1 297 298 III2 21 Sandflöhe (Pulex penetrans) I 150 II 85 121 Sandkrabbe (Öcypode rhom- ba III1 287 Sandverschleppung IIIl 28 St. Antonio II 52 St. Paulo de Loanda II 69 179 496 Sanseviera III1 139 Santa Cruz I 8 II 53 Sarcopsylla penetrans (Sand- floh) I 150 I 85 121 III1 297 298 Sättigung der Bafiöti IIT2 34 Sauberkeit, Mangel an II 70 Säugetiere, einheimische III1l 211—233 Saurier II 120 Savanne, Mittelglied zwi- schen Wald und Steppe III1 127 128 — und Talwälder I 46 50 68 86 — von Mvuli mit Wol- kengebilde in Nordlichts- 1II1 Titelbild — brände II 67 III1 39 49 134—136 — — und Höhenrauch III1 71 306 308 Seaevola senegalensis III 157 Schaben (Blatta orientalis) III1 295 Schädelfetisch IT 17 III2 292 — 295 Schädelhäuser in Bonnytown I 23 III2 384 Schäferhunde IT 1 III1 245 304 Schafe III1 300 Schaffensfreude der Bafiöti III2 89 Schakal (Canis adustus) II 48 III1 227 — unser gezähmter II[1228 — Kläffen desselben III1 230 307 Schakale in der Wildnis IIIl 229 Schallkasten III2 120 Scharben II 131 Scharlach II 172 Schattenvogel oder Hammer- kopf (Scopus umbretta) III1 261 III2 326 Schauder II 173 III2 46 Scheibengualle III1 289 Namen- und Sachregister. Scheinbegräbnis III2 210 305 Scherenschnabel (Rhynchops flavirostris) II 144 IIIl 261 Scheu vor schwerer Arbeit III2 88 Schiefergebirge, westafrika- nisches III1 5—12 Schiffbarkeit der Flüsse IIT1 48 Schiffbruch, Rettung.aus dem I 13 — der „Nigretia“ I 12 — der „Yoruba“ I 9 Schiffsverluste I 9 15 143 II 43 Schildkröten III1 278 Schilfgras der Savanne II 65 Schimpfen der Bafiöti IIT2 47 Schirrantilope (Tragelaphus seriptus) IIIl 224 Schlaf II 111 — der Bafiöti III2 36 — losigkeit II 173 Schlamm- oder Lungenfisch (Protopterus spec.?) II 94 Schlange der Kleopatra IIl1 207 Schlangen I 69 195 IL 93 — halsvogel (Plotus Levail- lanti) IT 124 133 IIIl 259 260 Schlauheit des Gorilla II 153 Schlüsse, sonderbare III2 83 331 333 Schmeichelkunst der Bafiöti II2 79 Schmerzempfindung der Ba- fiöti IIT2 34 Schmetterlinge IlI1 290 Schmetterlingsfinken II 132 Schmiede III2 3 170 174 195 — kunst II2 177 Schmuggler III2 221 Schnaken III1l 295 Schnarre (Weibermusikin- strument) III2 116 Schnecken III1 289 Schnepfen II 122 133 III1 260 Schnitzerei auf Backenzahn 112775 — auf Flusspferdzahn III 2 76 Schnitzkunst III2 74 Schnurschaft (neben Kopf- schaft) III2 467 Schönheitssinn der Bafiöti III2 74 77 Schöpfer, Nsambi III2 265 266 Schöpfungssage III2 267 268 Schreckenszeit nach des Königs Tode IIT2 157 Schreiadler (Haliaötos voci- fer II 133 III1 253 — Stimme desselben IIIl 254 Schriftzeichen, keine III2 132 Schröpfen II 37 Schuldner III2 241 Schulterbau der Bafiöti III2 12 Sehulterform II 28 Schuppentiere (Manis ma- erura) III1 232 Schutz der geweihten Stätten III2 284 Schutzfetische III2 370 Schwankungen der Regen- fälle III1 79—87 Schwärmen der Ameisen und Termiten III1 295 Schwarzkunst III2 356 Schweine III1 302 III2 59 Schweinfurth I1 205 na Schweiss II 174 — follikelentzündung II 177 — stadium II 174 Schwierigkeit bei Lebens- alterschätzung II 25 Schwimmen der Bafiöti III 2 36 Schwindel II 173 Schwören bei der Erde III2 233 Schwurzeichen III2 233 Schynse, Pater IIT2 353 Seilla maritima L. (Meer- zwiebel) III1 132 Seitamineen I 195 III1 139 Scopus umbretta (Hammer- kopf oder Schattenvogel) III1 261 — (Umbervogel) II 133 Seyllium (Hundshaie) III1 281 Seebäder, Bedenken gegen dieselben II 105 Seebrise und Landwind III1 67 Seefahrt am heiligen Abend II 78 — an Bord der „Nigretia“ 7 Seefische III1 280 Seegang und Calema IIT1 22 Seeigel III1 289 Seekrabben III1 287 Seekühe (Manatus) II 140 Seele, Potenz III2 298 Seelen III2 299—302 — mehrere, im Menschen III2 297 — abfindung IIT2 304 — arten III2 313 — fang III2 311 — furcht IIT2 306—308 — jagd III2 309 310 — ordnung III2 313 — zustand III2 303 Seeleute, Glaube IIT2 330 Seesäugetiere IIT1278—290 Seeschildkröte (Chelonia my- das) II 92 III1 277 Seetiere, wirbellose III1 287 bis 289 Seevögel III1 262 Segment, leuchtendes IIIl 110 Sehkraft der Bafiöti IIT2 26 Sekossi (Dorf) I 87 162 Selbständigwerden der Höri- gen III2 249 Namen- und Sachregister. Selbstmord III2 24 Selbstsucht der Bafiöti IIT2 53 Sellez II 75 Senna (Cassia oceidentalis) I 87 MI1 132 157 Sesam I 34 Sesuvium congense III1 157 Seuchen I 162 164 177 II 172 III2 451 Seufzermeer, das I 19 Shark Point II 50 Sideroxylon III1 189 Siechtum der Träger II 85 Siedelrecht III2 211 Sierra Leone (Kap) IIl1 120 — Kulturzustände in I 10 Signale III2 119 Silk-cotton tree (Wollbaum) I 82 IT 52 IIT1 123 143 182 185 Simbau III2 174 Sindodschi IIT2 300 338 356 Singweise IIT2 112—116 Sinnesschärfe III2 25—31 - Sinnlichkeit der Bafiöti III2 19 Sinnpflanze (Mimosa pudica L.). IIT1 132 Sintflut, keine III2 275 Sitzweise der Bafiöti III2 36 Sklavenaufstände 450 Sklavengänge III2 4 Sklavenhandel 1II2 2—7 Sklaverei in Loango I 91 141 Sklavin mit Kind II 42 Skolopendren III1l 210 Skorpion II 97 — (Gestirm) III1 118 Skorpione III1 210 Soba (Dorfherrscher) II 76 Songolo (Fluss Nsongolo) I 91 III1 37 II2 160 Sonneneinwirkung auf die Haut II 182 Sonnenhöfe III1 114 Sonnenringe III1 114 Sonnensage III2 137 II2 5 497 Sonnenstich II 170 III1 64 Sonnenuntergänge III1 110 Sonnenuntergang in der Sa- vanne III1 307 312 Soyaux I 5149 II 43 44 IT1 75 Spathodea campanulata IIT1 186 IIT2 283 Speischlange III1 207 Speisen der Bafiöti III2 32 Sperling, afrikanischer IIT1 267 Sperlingspapageien(Agapor- nis pullaria) II 48 Spezialisten, Bangänga III 2 405 — Fetische III2 355 Spiegelwirkung-beiFetischen III2 366 Spinnen IIT1 290 Spitznamen III2 70 Spondias III1 190 Sporenfrosch (Xenopus cal- caratus) III1l 278 Sporenkuckuck (Centropus Anselli) IT 134 IIT1 263 Sporen- oder Lappenkiebitz (Hoplopterus albiceps) II 144 III1 261 Sprache der Bayakaneger I 201 Sprachrohr III2 119 Sprachstudien I 214 Sprechgesang IIT2 91 Sprengel III2 142 Sprichwörter III2 99 100 Springspinnen III1 290 Spürkunst der Wilden II2 28 Spuk III2 180 451 — allerlei IIT2 315—317 — geschichten IIT2 451 — gestalten III2 319 bis 322 Staatsfeuer III2 165 170 at Staatsfeuerplätze III2 281 — ältere Nachrichten III 2 282 Staatspalaver III2 264 498 Staatswesen, Verfall der III 2 186 Stabschrecke (Palophus Cen- taurus) II 97 98 IIIl 290 Stachelschweine (Atherura afrikana) III1l 232 Stammformen der Urwald- riesen IIIl 144 Standtrommeln III2 117 Stanley I 221 Stationsarbeiten, Entwick- lung derselben II 44 Stationsveränderung, Pläne dazu II 142 StationszustandbeiderRück- kehr II 156 Stätten, geweihte IIT2 278 279 282 Staubregen IIIl 78 Steimkreise III2 401 Steinschmätzer II 131 Stellung der Neger zur Pho- tographie II 17 III2 332 — — — zum Europäer III2 56 — der Weiber I 72 III2 64 70 79 159 163 181 200 213— 215 — der Weissen III2 193 Stereulia acuminata (Kola- baum) III1 186 Sternbilder, südliche IIIl 116 117 Sternotherus derbianus (Sumpfbewohner) II 92 IIIl 278 Sternschnuppen IIIl 116 23 Stimmen der Hippopotamen II1 215 Stimmungsbilder aus Wald und Savanne IIIl 305 bis 316 Stirn des Negers II 22 Störche (Ciconia episcopus) III1 261 Storch, wollhalsiger (Ciconia episcopus) II 133 Störungen der Hautsekretion a3 Namen- und Sachregister. Störungen der Verdauung II 173 Strafaufschub III2 228 Strafe ergriffener Flücht- linge III2 231 Strafen III2 230 Strandkrabbe (Cardisoma armatum) II 96 Strandläufer IIIl 260 Strandreise zu Fuss I 183 III2 150 — in der Hängematte I 209 Strandreiter (Himantopus autumnalis IIT1 260 Strandwall am Songolo (Nsongolo) III1 38 — Aufbau und Umformung 171229 — bildung durch Wind und Vegetation IIIl 38 — Durchschnitt III1 29 Strandwälle an der Mündung des Kuilu III1 15 Strapazen II 173 Streifenwolf oder Schakal (Canis adustus) IIT1 227 Streiten, Zanken IIT2 47 Striga lutea Lour. III1 132 Strittiges Land III2 209 Stromschnellen III1 43 — von Bumina II 145 III 41—43 — gebiet des Kuilu II 143 II1 41—45 146 Strömung, südatlantische II1 16 Strunk der Kokospalme III1 163 Studenten- oder Totenblume (Tagetes patulus) III1 132 Stürme und Calema IIIl 24 Sturmmangel III1 68 Subaerilgebilde im Laterit- gebiet III1 13 Sukumiako (Dorf) I 124 Sula capensis (Tölpel) IT 131 IIIl 262 Sumpfbewohner (Sternothoe- rus derbianus) II 92 Sumpffieber II 180 Sumpflandschaft II 122 Sumpfmiasmen II 179 Sumpfniederung: II 51 IIIl 14 32 146 Sumpfschildkröte (Sterno- thoerus derbianus) III1 278 Sumpfvegetation IIIl 146 156 Sumpfvögel III1 262 Suppenkraut (Portulaca ole- racea L.) III1l 132 Süsswasservegetation IIIl 155 Synagris cornuta (Wespe) III 291 Szenerie westafrikanischer Küstenstriche IIIl 119 309— 8312 — wechsel am Kuilu II 120 II1 42 142 145 Tabakpflanze I 83 128 198 Tabakrauchen, gefährliches I 198 Tachypetes aquila (Fregatt- vogel) III1 251 Tag, heisser III1 311 312 Tageseinteilung II 20 Tagetes patulus (Studenten- oder Totenblume) III1 132 Tagung, grosse III2 258 Taille des Negers II 29 Taktik bei Sterbefällen II 75 Taktvolles Verhalten beim Essen und Trinken III2 193 194 Talfahrt IT 147 Tanz als Ahnendienst III 2 297 Tanzen der Bafiöti III2 38 113 Tanzfest I 76 Tanzgesänge III2 128 Tanzweisen III2 113 Tätowierung I 199 — der Frauen I 107 Tau III1 72 Tauben III1 263 — jagd II 48 Tauchvermögen der Hippo- potamen III1 215 Tauschartikel I 34 Teleianthera maritima IIIl 157 Temperatur des Bodens IIIl 64 — des Flusswassers III1 66 — des Körpers III2 21 — der Luft III1.60 — des Regens IIIl 89 — der südatlantischen Strö- mung III1 16 — differenzen III1 61 — schwankungen, jähe III1 62 Teneriffe I 7 Termiten II 122 IIIl 192 — baue III1 294 Terrainschwierigkeiten II 6 Tetrodon guttifer (Hautfisch, vierzahniger) II 94 Teufelsspitze II 78 Thonningia sanguinea III1 139 Thunda II 75 Tiaba IIT2 252 Tiere als Musiker III2 114 — fliehen verseuchte Ge- biete III2 452 — zahme II 20 48 149 III1 227 —247 258 277 Tierfreundschaften III1 245 Tierleben auf der Station IT 149 — der Wildnis III1 199 bis 201 206 212 223 236 247 272 313 Tierschädelfetische I 123 II 17 1112 170 292 293 Tifundobach I 113 Tigermenschen IIT2 452 Timaluis (Dorf) I 131 Tipoja, (Kanoe) IT 3 — (Hängematte) I 40 — träger III2 35 Titelsucht III2 204 Titelverleihungen III2 204 Tod des Dolmetschers Mani Mampaku I 215 Namen- und Sachregister. Tod der Ochsen II 84 — natürlicher und frühter III2 333 Todesarten bei Strafvollzug IIT2 230 Todesszene I 216 Todesurteil III2 227 228 Tölpel, grosser (Sula capen- sis) IT 131 IIT1 262 Tomate I 32 — (Lycopersicum esculen- tum Mill.) III1 132 Tonhöhe bei Reden III2 32 Tonnenschnecke III1l 289 Töpferei I 199 Tornados (Gewitter) sl Tote III2 302 Totem III2 465 Totemismus IIT2 468 ff. Totenbestattung der Bayaka I 200 Toten- oder Studentenblume (Tagetes patulus) IIIl 132 Totenklage III2 129 Totenzug, gespenstische Ka- rawane III2 453 Trachten II 71 Tragen (auf dem Kopfe) 37 Träger aus 217 — Engagement von I 153 — Erpressungsversuche und Widerspenstigkeit der I 132 154 158 160 166 172 — als Transportmittel I — frage II 68 — material II 76 III2 64 — — weibliches II 79 — versuche mit fremden Negern I 142 Trägern, Streit zwischen den I 163 Tragelaphus euryceros II 64 III1 224 — seriptus (Schirrantilope) II 64 III1 224 VEer- IIl Benguella I 499 Tragkörbe I 199 Transportmittel der Loango- küste I 137 Trauerfliegenfänger (Musci- capa lugens) II 133 Träumereien in der Tipoja II 3 Treiben der Seelen III 2 300 bis 303 Treiberameisen III1 293 Treron calva (Papageitaube) II 48 III1 263 Treue der Hörigen III2 138 249 Trinken der Bafiöti III2 33 — Ehrenbezeigung beim III2 192 194 Trinkwasser II 72 III2 61 Trionix triunguis und T. nilotica (Lederschildkrö- ten) III1 277 Triumphzug bei erwiesener Unschuld Angeklagter IIT2 430 Trockenzeit IIIl 70 Trogtrommeln(Pauken)III 2 117 Trommelfische III1 284 Trommeln I 129 III2 117 — des Gorilla II 152 III2 114 Trommelsprache III2 97 Tropennacht IIIl 309 — nicht plötzliches Herein- brechen III1 110 Tschibebe II 123 Tsehibona II 17 III2 252 Tschibongo, Savannenland II1 3 Tschikenyesse (Dorf) I 122 Tschikossu, Häuptling I 119 Tschiloango (Fluss) I 47 55 24 :197.80281. 112477715 49 158 162 — Bedeutung des für den Handel I 78 III2 253 — Landschaft I 58 — und Kongo IIIl 32 (Bisondo) 500 Tschimambu (Frau aus vor- nehmer Familie) II 33 Tsehimfimo II 13 — (Faktorei) I 51 54 Tschimpäpa (Zeptermesser) III2 176 Tschimposa II 50 — reise II 51 Tschimpungu II2 179 181 Tschina (Gesetz, Verbot, Satzung, Verordnung, Vor- schrift) III2 455 — Definition III2 470 — der Fürsten III2 178 — Geltung des III2 458 — Politisches, Fetisch-, Kranken-, Kinder-, Paten- III2 458 ff, 470 — Vererbung III2 465 Tschingombe II 121 Tschingöngo (Doppelglocke) 1II2 120 222 Tschintetsche III1 3 Tschintombi II 120 Tschintschötscho, Station der Expedition I 58 78 181 210 211 IT4 611 Da 570 12 Ki 13177162 11 50 III2 256 Tschissaäla (Insel) III2 168 Tschissambo (Faktorei) I 66 — die Lagune von I 69 — Landschaft I 87 Tschissulu II 121 Tschitabe (Dorf) I 170 Tsehitumbu Mvubu II 144 Tsehivuku (Fetisch) III2 374 Tsetsefliege (Glossina mor- sitans) II 84 IIIl 299 Tuberkulose II 180 Tugenden der Bafiöti III2 53 Turacus giganteus (Helm- vögel) II 120 131 — — (Turako) III1 255 Turbellarien III1 289 Typen, Mannigfaltigkeit der “ Bafiöti III2 8 Namen- und Sachregister. Übelkeit II 173 Überblick, geschichtlicher III2 184 Überfluss an Vorräten und Sammelobjekten II 139 Überlistung Freier zu Hörigen III2 247 Übermut des Mpungu I 152 Übermütige III2 346 Uelle (Fluss) I 1 Umbau II 91 Umbervogel (Scopus um- bretta) I 87 IL 125 133 — nest IT 133 IIT1 261 III2 326 Umfang von Loängo III1 2 Umgebung der Station III1 50 Umständlichkeit der Bafiöti II2 8 Umzug II 139 Unbeständigkeit der Bafiöti II2 81 Undankbarkeit II2 57 Unfreie III2 234 Ungetüme III2 318—321 Ungeziefer, Schutz gegen I 44 der Bafiöti Unglücksfälle in Loango I1l1 203 Unheilvolle Zeiten I 162 164 177 197 216 II 86 bis 92 III1 90 III2 451 Unregelmässigkeiten des Temperaturausgleiches IIIl 58 Unschlüssigkeit der Bafiöti III2 85 UnselbständigkeitderBafiöti III2 56 Unsterblichkeitsglaube III2 296— 303 Unterbrechungen der Beob- achtungen IIIl 52 Unterhaltungsstoff der Ba- fiöti III2 46 87 Unterleibsleiden II 180 III2 19 Unwetter II 79 Uräusschlange III1 207 Urfetisch, Doppelgänger oder Kind III2 380 Urwald, vollwüchsiger III1 142 — am Kuilu II1 145 313 — am Mongo Nyanga I 191 — an den Nigermündungen IIl 122 — riesen, Durchschnitt III1 143 Urwälder, Inneres derselben III1 143 Urwüchsiges im Gesang III2 116 Urwüchsige Wilde III2 11 Uterine Einheit III2 468 Varane III1 274 275 Vaterlandsliebe IIT2 207 Vaterreihe III2 467 Vegetationsformationen Westafrikas III1 126 bis 147 Vegetationsperiode der Cam- pinengräser 1II1 131 Vegetationsperioden, ab- weichende, der Woll- bäume III1 184 Verabschiedungsformen III 2 43 Verbrechen gegen die Erde 1II2 223 Verbrecher III2 235 — Schuldbeweise III2 409 413 Verbreitung der Adansonia III1 182 Verbrennen der Abiallstoffe II 183 Verde (Kap) III1 120 Verdunstung als Existenz- bedingung II 101 Verehrungsstätten der Gott- heit III2 278 Vereinsmeierei III2 248 Verfall der Bedeutung der Opferplätze III2 294 Verfall der Bedeutung ge- weihter Stätten III2 279 280 Vergnügen des Gorilla II 154 Verhöhnung III2 47 Verirrung im Urwalde II 135 III2 28 30 Verkauf der Station II 167 | Verkehrspfade III2 209 Verkehrsrecht III2 219 Verkehrssperrung: III2 222 Verkehrsweise II 17 Verkühlungen II 173 Verlogenheit der Bafiöti III2 57 58 Verlust der Ausrüstung I 7 143 — von Gepäck I 152 Vermehrung der Samm- lungen II 92 Vernichtung von Fetischen III2 450 Vernonia senegalensis III1 157 Vernonien III1 132 Verpackung: der Ausrüstung I 157 Verrichtungen, 1II2 32 Verschiffung des Palmöles II Tafel 16 17 Verschlagenheit der Bafiöti 112 59 Verschleppung von Volks- stämmen III2 4 Verschmelzungen Sprache III2 93 Verschuldete III2 241 Verurteilte, Ächtung III2 230 231 Vergünstigung, Asyle III2 228—231 Verwandtschaft III2 467 Verwegenheit der Bafiöti III2 85 Verwundung eines Negers II 12 Viervant I 57 Vincente Barcelo I 187 natürliche in der Namen- und Sachregister. Vipera rhinoceros (Rhino- zerosschlange) 1195 II 47 92 III1 135 Vista (Faktorei) 143 II 50 Viverra genetta (Genett- katze) III1 231 \ — Poortmanni (Zibetkatze) 1II1 230 Voandzeia (Angola oder Erd- erbsen) III1 193 Vogelarten, neue II 144 Vogelspinnen (Mygaliden) IE 97% Vogelstimmen IIIl 268 269 Vogelwelt III1 250-270 — am Kuilu II 133 II1 313— 316 — nördlich von Ambrizette bis zum Kuilu II 131 — bei Loanda II 131 Völkerkunde und Religionen III2 265 266 Volksvermehrung III2 19 Vollendung der Station II 164 Vorbereitungen zu grossen Palavern III2 259 — zum Abmarsch II 88 Vorbereitung zu einer neuen Reise I 147 Vorfälle, das Wesen der Bafiöti kennzeichnende IIT2 59—66 Vorlandsentstehung III1 13 Vormundschaft III2 238 Vorschläge für die Zukunft I 221 Vorsicht bei Wahl der Nah- rung II 108 Vorstellungsbezeichnungen, sprachliche III2 98 Vorstellungsreihen der Ba- fiöti III2 84 86 Vortragsweise bei Erzäh- lungen III2 86 102 Vorurteile IT 41 III2 48 bis 51 Vorzüge, körperliche, der Bafiöti III2 9 501 Waden III2 12 Wadeschwalbe (Glareola nuchalis) III1 262 Waffen I 197 — stillstand II 162 Wahrsagereien III2 409 Wal I8 Wälder Westafrikas IIIl 129 — verschiedenartige III1 137—141 Waldameisenbaue II 80 Waldgespenst III2 319 320 Waldreben IIT1 139 Waldtaube II 122 Wald und Savanne III1 305 bis 316 Wambano (Dorf) I 166 Wandelröschen (Lantana Camara L.) III1 132 Wanderratte (Mus decu- manus) III1 232 Wanderungen der Bevölke- rung III2 3 6 Wandlung der Sprache III2 94 Wangen der Bafiöti III2 13 Wärme in ihrer Wirkung auf den Körper II 100 Warneidechse (Monitor sau- rus) II 47 81 IIIl 274 275 Waschungen II 182 Wasser II 109 — becken, grosses IT 140 — huhn (Porphyrio (Alleni) II 50 — Jäufer II 133 — vögel III1 262 Wasser- und Landungetüme 1112 318—321 Webervögel II 49 132 — Nestbau derselben III1 267 Wechsel (Mukanden) II 18 Wedelschäfte, Festigkeit derselben III1 164 Wegeangaben der Bafiöti 1112 133 502 Weiber, redende, bei Pala- vern III2 262 — und Anrufen der Gott- heit III2 273 — Stellung I 72 III2 64 70 79 159 163 164 181 200 204 213—215 Weibermusikinstrumente III2 116 Weidefeldgenossenschaften III2 466 Wein- oder Bambuspalme (Raphia) 169 191 II Titel- bild 120 — gigantische III1 162 Weissager III2 450 Weisse Frau I 19 Weisskunst IIT2 356 Weistümer III2 99 Weitergeburt III2 298 Welwitschia mirabilis IIT1 125 Wert erlegter IIIl 226 Werwölfe III2 344 452 Wesen der Eingeborenen 1112 59—66 Wespen III1 291 Westwinde als Regenbringer IT 138 III 74 97 Wetterpropheten III2 448 449 Wiedergeburt III2 298 Wiederkehren der Seelen IIT2 304 — der Vorfahren III2 183 Wind und Vegetation am Strandwall III1 38 Winde III1 67 Winga (Faktorei) 151 Wirbelsäulenkrümmung II 29 Wirksamkeit der Fetische IIT2 431—439 Wissbegier der Bafiöti III2 80 Wissenswertes über Men- schen III2 52 Witterungsverhältnisse in den Tropen I 79 Antilopen Namen- und Sachregister. Wogen, Roller, Brandung III1 18—30 — grösse III1 20 Wohnungen II 113 Wolkenbedeckung 69 Wolkenbildung IIIl 59 — und Polarlichter IIIl 106 Wolkenbüschel IIT1 108 Wolkengewebe, zartes IIIl 100 Wolkenlicht III1 101 Wolkenschieber III2 287 447 —-449 Wolkenzug III1 68 Wollbaum (Eriodendron an- fractuosum) I 82 II 52 III1 123 143 144 182 bis 185 — Dornenbildung desselben III1 183 — Nutzbarkeit III1 185 — typus III1 183 Wollhaar II 39 III2 14 Wörmann I 27 Wortfügung der 172 93 Wortspiele IIIT2 100 Wunder, Mänsi III2 453 — fett III2 454 — strauch (Quisqualis indica L.) IIIl 132 — täter III2 454 — wasser III2 454 Würdenstücke (Fetische) III2 371 Würdenträger III2 203 Würdenzeichen III2 176 Würger II 132 III1 265 Wurmkrankheit (Maktla) 1III2 20 21 Wurzelpfeiler der Urwald- riesen III1 144 IIT1 desselben Sprache X enopuscalearatus (Sporen- frosch) III1 278 Xilocopa (Holzbiene) III1 291 Waba (Faktorei) I 46 Yamswurzel I 34 105 Yangela (Landschaft) T 122 MT1 3 TI12 145 Yellalafälle II 57 Yenga II 67 „Yoruba® I 9 Yumba, Handel in I 183 — Zustände I 183 184 III2 71 182 451—453 Zuahlensystem IIT2 95 Zahlungsmittel I 62 Zähmbarkeit des Gorilla II 151 III1 248 Zähne der Bafiöti IIT2 13 „Zaire“ (Flussdampfer) II 79 Zanken III2 47 Zauberbude III2 408 Zaubergehöfte IIT2 405 Zauberer (Kimbanda) II 75 — (Ndodschi) I 71 II2 300 336 356 Zauberei, Verdacht der I 76 Zaubermeister III2 352 405 406 442 446 466 471 — Spezialisten III2 405 Zaubern mit Malasi IIT2 397 431 — mit Mabiala III2 432 Zaubermittel und Alter III2 370 Zaubertränklein III2 358 445 Zaubern, 336— 346 Zeichenkunst III2 75 Zeichensprache der Bafiöti III2 44—46 Zeitgedächtnis III2 80 Zeitrechnung IT2 133 138 bis 140 Zeptermesser (tschimpäpa) III2 176 Zerlegen der Beute II 130 Zibetkatze (Viverra Poort- manni) III1 230 231 Ziekzackblitz III1 105 allgemein III2 Ziegen III1 300—802 — verlust II 91 Zisterne II 156 Zitronenbaum I 178 Zitterwels IIIl1 282 Zodiakallicht III1 115 Zölle II 71 III2 219 221 Zuckerrohr I 166 185 198 Zufallsfetische III2 400 Namen- und Sachregister. Zug der Toten III2 455 Zungeninstrumente III2 120 ZusammenbrechenallerHoft- nung I 219 Zweifler am Hexenglauben III2 345 Zwergantilope III1 225 Zwergpapagei (Agapornis pullaria) III1 259 503 Zwergrasse Babongo II 26 Zwergtäubchen (Peristera afra) III1 263 Zwergtrappe (Otis melano- gaster) III1 262 Zwischenhändler, rische I 187 Zwischenspiele bei Palavern III2 262 263 betrüge- INN NN