WVU - Medical Center Library Locked Cage QR 41.1 F67m3 c.l v.l WVMJ Die mikroorganismen. Mit besonderer / Flügge, Kar lim 3 0802 000024919 3 This book must not be taken from the Library building. ^^^jw Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from LYRASIS IVIembers and Sloan Foundation Iittp://www.archive.org/details/diemikroorganism01flgg DIE MIKKOOEGANISMEN. Mit besonderer Beriicksichtiguug der xitioloaie der Iiifektioiiskrankheiten. Dritte, völlig umgearbeitete Auflage BEARBEITET VON Dr. P. Fkosch in Berlin, Dr. E. CtOTSCHLICH in Breslau, Dr. W. KOLLE in Berlin, Dr. W. Kruse in Bonn, Prof. E. Pfeiffer in Berlin, herausCtEGebex von Dr. 0. FLÜGGE, 0. Ö. PROFESSOR UND DIREKTOR DES HYC4IENISCHEN INSTITUTS ZU BRESLAU. ERSTER THEIL. MIT 57 ABBILDUNaEN IM TEXT. LEIPZIG, VERLAG VON F. C.W. VOGEL. 1896. Q-R fi.i Das Übersetzungsrecht sowie der Nachdnick der Abbildungen vorbehalten. Vorwort zur dritten Auflage. Seit fast S Jahren ist die 2. Auflage der „Mikroorganismen" vergriffen nnd wiederholt hat mich die Verlagsbuchhandlung um Be- arbeitung einer neuen Auflage ersucht. Leider habe ich diesem Ersuchen nicht entsprechen können. Die Erfahrungen bei der Herstellung der 2. Auflage — eigentlich eines völlig neuen Werkes gegenüber der ersten Bearbeitung — hatten mich darüber belehrt, dass akademische Lehrer mit ausgedehnten Berufs- pflichten solchen Aufgaben kaum gewachsen sind: endweder muss man den Unterricht jahrelang einschränken, oder ganz auf Forschungen ver- zichten, oder die Bearbeitung zieht sich so lange hin, dass die ersten Abschnitte des Buches beim Erscheinen veraltet sind, insbesondere wenn das Werk ein so rege bebautes und so fruchtbares Wissens- gebiet behandelt, wie die Bakteriologie. Wenn ich aber selbst eine 3. Auflage nicht schreiben konnte, so war doch zu erwägen, ob die Neubearbeitung nicht jüngeren, weniger durch Berufspflichten in Anspruch genommenen Kollegen überlassen werden sollte. Indess man wird es mir nicht verdenken, dass ich nur ungern an diesen Ausweg dachte. In der 1. und namentlich in der 2. Auflage hatte ich die Lehre von den Mikroorganismen in vielen Abschnitten von neuen Gesichtspunkten aus behandelt; manche Kapitel hatte ich ganz neu schafi'en müssen. Ich machte dort zum ersten Male den Versuch, eine wenn auch vorläufige, so doch praktisch brauchbare, hauptsächlich auf Kulturmerkmale gegründete Systematik und diagno- stische Difi'erenzierung der Bakterien zu liefern; ihre Lebensbedingungen und Lebensäusserungen behandelte ich eingehender und erschöpfender, als es bisher geschehen war; aus den experimentell festgestellten lY Vorwort Lebenseigenschaften der krankheitserregenden Bakterien suchte ich die Verbreitungsweise der "wichtigsten Infektionskrankheiten bis ins Detail zu erklären. Zum mindesten musste ich wünschen, dass bei einer Neubearbei- tung durch Andere die in meinem Buche vertretenen Auffassungen im allgemeinen beibehalten würden, imd dass die Art der Behandlung des Stoffs ungefähr die gleiche bleibe. Da diese Bedingimg schwer zu erfüllen war, blieb die 3. Auflage lange Zeit ungeschrieben, obwohl ich erkennen musste, dass die inzwischen erschienenen grösseren Hand- bücher von CoRNiL u. Babes und von Sternbeeg die entstandene Lücke nicht auszufüllen vermochten, weil sie in ihrer Art zwar Vorzügliches boten, aber doch von wesentlich anderen Gesichtspunkten aus bearbeitet waren. Eine Lösung des Dilemmas fand ich erst, als Dr. Kruse 1893 die Assistentenstelle an meinem Institut übernahm. Dr. Kruse hatte be- reits aus der seiner Leitung unterstellten Abteilung der zoologischen Station zu Neapel so zahlreiche tüchtige bakteriologische Arbeiten er- scheinen lassen, war offenbar mit der ganzen Materie so völlig vertraut, und seine Anschauungen harmonierten so gut mit den meinigen, dass ich kein Bedenken trug, mit seiner Hilfe an die Bearbeitung einer neuen Auflage der Mikroorganismen heranzutreten. Aber selbst Kruse's frische Arbeitskraft würde kaum ausgereicht habßn, die in- zwischen enorm angewachsene Materie in absehbarer Frist in die Form eines zuverlässigen und in allen Teilen gründlichen Handbuchs zu bringen. Ich entschloss mich daher, den Abschnitt „Biologie" ganz abzuzweigen, und habe für diesen in meinem jetzigen Assistenten Dr. GoTSCHLiCH einen vortrefflich geeigneten, physiologisch gut vor- gebildeten Bearbeiter gefunden; ferner hatten Prof. Pfeiffer, Dr. Frosch und Dr. Kolle vom KocHschen Institut in Berlin die grosse Freundlichkeit, einzelne Abschnitte der Systematik (Schimmel- und Hefepilze, Mikrokokken, Spirillen) und einige kleinere Kapitel („Fund- orte" und „Methoden") zu übernehmen. Mit diesen bewährten Mitarbeitern ist es möglich gewesen, das Werk etwa innerhalb eines Jahres fertig zu stellen. Ich selbst habe mich darauf beschränkt, für eine zweckmässige Verteilung des Stoffs, ferner für Vollständigkeit einerseits, für Ver- meidung von Wiederholungen andererseits nach Möglichkeit Sorge zu tragen, ausserdem hier und da Gesichtspunkte für die Bearbeitung zu Vorwort "V empfehlen, zuweilen auch zwischen den widerstreitenden Ansichten der verschiedenen Mitarbeiter zu vermitteln. Im übrigen habe ich den einzelnen Autoren ganz freie Hand gelassen; auch darin, ob sie sich mehr oder weniger an den Text der 2. Auflage halten wollten. Wenn gerade in diesem Punkte die Bearbeitung ungleich ausgefallen ist, so liegt darin kaum ein Schaden gegenüber dem grossen Vorteil, dass die Verfasser volle Selbständigkeit bei der Bearbeitung ihrer Abschnitte hatten. Sie sind allein für den Inhalt verantwortlich; ihnen gebührt aber auch allein alles Verdienst, wenn Gutes geleistet ist. Von Abbildungen habe ich nur einfache Figuren, meist im Text, aufgenommen. Zur Orientierung und für Unterrichtszwecke sind die- selben vollauf ausreichend. Wer morphologische Details von Mikro- organismen an Abbildungen studieren will, für den sind einzig gute Photogramme brauchbar, und diese besitzen wir in dem ausgezeich- neten Atlas der Bakterienkunde von Fkänkel und Pfezefer, der für jeden Bakteriologen unentbehrlich ist und auch durch den später er- schienen Atlas von Niemann und Itzerott nicht weniger entbehrlich geworden ist. Die Litterat urcitate sind in den Text eingeschoben; sie sind so überaus zahlreich, dass wir der Raumersparnis wegen es vorgezogen haben, dabei Abkürzungen zu verwenden, deren Verzeichnis in Band I und in Band II unmittelbar hinter dem Inhaltsverzeichnis abgedruckt ist. — Nur in dem Abschnitt „Schimmel- und Hefepilze" ist die Litteratur infolge eines Versehens nicht im Text citiert, sondern am Schluss des Abschnitts zusammengestellt. Möge das Buch auch in der neuen Gestalt viele Freunde finden und fördernd und klärend auf dem Gebiet der Bakteriologie wirken. Die Bedeutung dieser Disciplin wird freilich zur Zeit gerade sehr ver- schieden beurteilt. Viele geben sich der Hoffnung hin, dass die Tage der Bakterien gezählt seien, und dass man sich nicht mehr der Mühe zu unterziehen brauche, ihnen ernste Studien zu widmen. Soll doch noch jüngst die Majorität einer medizinischen Fakultät sich zu dem Votum geeinigt haben, dass „an der Bakteriologie nichts daran sei; da sei immer dasselbe, immer eine Gelatineplatte und eine Maus und eine Platinöse, und das sei kein wissenschaftliches Arbeiten". — Derartige absprechende Urteile sind indess stets nur von Solchen geäussert worden, welche die Bakteriologie nicht kennen. Diejenigen, welche sich Mühe gegeben haben, die Methoden der Bakterienforschung YI Vorwort sich anzueignen und in ernster Arbeit bei der Lösung wissenschaftlicher Fragen anzuwenden, haben nie in solcher Weise abgeurteilt, sondern sind einig in der Überzeugung, dass die Bakteriologie für die aller- rerschiedensten Wissensgebiete, namentlich aber für die praktisch- medizinischen Fächer eine der wichtigsten Hilfsdisciplinen ist, die von Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnt. Wer sie fortdauernd ignoriert, für den werden die jüngeren Mediziner bald in einer Sprache reden, die er nicht mehr versteht, und vergeblich wird er später versuchen, die verlorene Fühlung mit der modernen Wissenschaft wiederzugewinnen. Breslau, im Juli 1S96. C. Flügge. Inhaltsverzeichnis des ersten Teiles. Seite Vorwort III Yerzeichjiis der Abkürzungen bei den „Litteraturcitaten'* XV Einleitung. Allgemeine Morphologie, Biologie, Vorkommen und Fundorte. Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen 1 Einleitung' von Dr. E. Gotschlich 3 A. Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorga- nismen 3 I. Mikroorganismen als Erreger ran Gührung und Fäulnis ... 6 Allmähliche Entwicklung der vitalistischen oder Keimtheorie . . 6 Einwände gegen die Grundlagen der Keimtheorie 15 II. Mikroorganismen als parasitäre Kranklieitserreger 22 B. Jetzige Definition und Klassifikation der Mikroorga- nismen 31 ERSTER ABSCHNITT. Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen von Dr. W. Kruse und Dr. P, Frosch 34 Erstes Kapitel. Allgemeine Morphologie der Schimmel- oder Fadenpilze von Dr. P. Frosch 34 Zweites Kapitel. Allgemeine Morphologie der Sprosspilze (Hefenpilze) von Dr. P. Frosch 40 Drittes Kapitel. Allgemeine Morphologie der Bakterien von Dr. "W. Kruse 44 A. Definition und Verwandtschaften 44 B. Fonnen 45 C. Wachstum und Teilung 52 D. Dauerzustände, Sporenbildung ^56 E. Unregelmässige Formen 61 r. Bewegungsorgane 04 G. Kapsel- und Zooglöabildung 67 H. Bau der Bakterienzelle 69 I. Kreislauf der Formen, Formkonstauz und Pleomori)hismus . . 76 VIII Inlialtsverzeichnis Viertes Kapitel. Seite Allgemeine Morphologie der Protozoen von Dr. W. Kruse 79 ZWEITER ABSCHNITT. Allgemeine Biologie der Mikroorgauismen von Dr. E. Gotschlich und Dr. W. Kruse 84 Einleitende Bemerkungen von Dr. E. Gotschlich 84 Erstes Kapitel. Lebensbedingungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich . . 89 A. Physikalische Beschaffenheit des Zellleibes der Mikroorganismen 89 B. Chemische Zusammensetzung der Mikroorganismen 92 I. Schimmelpilze 93 IL Sprosspilze 94 in. Spaltpilze 96 C. Die Nährstoffe der Mikroorganismen 108 l. Die Nährstoffe der Schimmelpilze 109 IL Die Nährstoffe der Sprosspilze 115 IIL Die Nährstoffe der Spaltpilze . 118 a) Die einzelnen Nährstoffe der Spaltpilze 118 b) Die zusammengesetzten Nährmedien der Bakterien . . . 129 D. Die physikalischen Lebensbedingungen der Mikroorganismen . 132 E. Vitale Konkurrenz der Mikroorganismen 137 Zweites Kapitel. Lebensäusserungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich . . 141 A. Allgemeiner Charakter des Lebensprozesses bei den Mikroorga- nismen 142 B. Die direkte Gasatmung der Mikroorganismen 147 C. Die Assimilation und Verwendung der Nährstoffe im Zellleib der Mikroorganismen 148 D. Die physikalischen Leistungen der Mikroorganismen .... 157 I. Lokomotion 157 IL Wärmeproduktion 164 III. Lichtentwicklung 165 E. Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen 168 I. Reduktionsvorgänge 169 IL Die Entwicklung von Schwefelwasserstoff 170 III. Die Bildung von Farbstoffen 174 IV. Die Veränderung der Reaktion des Nährsubstrats durch Bil- dung von Säuren oder Alkalien 178 F. Ptomaine, Toxine und Toxalbumine 181 G. Die isolierbaren Fermente 195 I. Fermente, welche Kohlehydrate und deren Derivate spalten . 197 a) Fermente, welche den Abbau der Stärke u. verwandter Körper bewirken 197 b) Invertierende Fermente 202 c) Glukosidspaltende Fermente 206 d) Celluloselösende Fermente 207 Inhaltsverzeichnis IX Seite IL Eiweissspaltende (peptonisierende) Fermente 207 III. Labfermente • 209 IV. Harnferment 211 • V. Fettspaltende Fermente. Allgemeine Eigenschaften und Theorie der Fermentprocesse 213 Drittes Kapitel. Gährungserregung von Dr. E. Gotschlich 219 A. Gährungen durch Spaltung 220 I. Vergährungen der Kohlehydrate 220 1. Die alkoholische Gährung der Zuckerarten durch Hefe . . 220 2. Osalsäuregährung 232 3. Citronensäuregährung 232 4. Milchsäuregährang 232 5. Buttersäuregährung 236 6. Schleimige Gährungen 239 7. Cellulosevergährung (Sumpfgasgährung) 241 8. Verschiedene Vergährungen der Kohlehydrate . ... 243 IL Vergährung der mehrwertigen Alkohole 244 III. Vergährungen der Fettsäuren und Oxysäuren 246 B. Gährungen durch Oxydation 248 I. Die Essiggährung 248 IL Nitrifikation 251 C. Zusammengesetzte Gährungen 254 I. Die Fäulnis 254 IL Komplizierte, ihrem chemischen Verlauf nach noch unbekannte Gährungen, die in den Gährungsgewerben Anwendung finden 262 1. Kefirgährung 262 2. Käsereifung u. abnorme Käsegährung 263 3. Brotgährung 264 4. Gährungen im Gerbereibetriebe 265 5. Tabaksgährung 265 G. Opiumgährung 266 7. Indigobereitung 266 D. Allgemeine Eigenschaften und Theorie der Gährungsprocesse . 266 Viertes Kapitel. Krankheitserregung von Dr. W. Kruse 271 A. Einteilung der Bakterien nach Wachstumsfähigkeit und Wirkung im lebenden Köqier 271 B. Lokale Wirkungen der Bakterien 276 C. Allgemeinwirkungen der Bakterien 282 D. Einfluss der Menge des Virus 296 E. Virulenzgrad 299 F. Mischinfektion 309 G. Eintrittspforten der Infektion 316 H. Natürliche Immunität und Disposition 328 I. Erworbene Disposition 332 K. Künstüsche, nicht spezifische Immunität und Heilung .... 341 Inhaltsverzeichnis Seite L. Spezifische Immunität und Heilung 355 I. Immunität gegen das lebende Virus 356 n. Giftimmunität 368 M. Ausscheidung der Infektionserreger und ihrer Produkte . . . 375 N. Infektionsquellen und Selbstinfektion 380 0. Vererbung der Infektion, Disposition und Immunität .... 388 P. Theorie der Infektion, Immunität und Heilung 394 Anhang: Pflanzeninfektion 418 Fünftes Kapitel. Fortpflanzung, Wachstum und Fruktifikation der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich 420 A. Die Vermehrung durch Zellteilung 420 B. Wachstum und Bildung von Kolonien 425 C. Fruktifikation 427 I. bei Schimmelpilzen 427 n. bei Sprosspilzen 429 in. bei Spaltpilzen 430 Sechstes Kapitel. Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich 433 A. Schädigung der Mikroorganismen durch physikalische Einvrir- kungen 435 B, Schädigung der Mikroorganismen durch chemische Einwirkungen 44(5 Allgemeine Vorbemerkungen und Methodik 446 I. Anorganische Desinfektionsmittel 451 a) Metalle und Metallsalze 451 b) Säuren und Alkalien 456 c) Gasförmige anorganische Stoft'e. Halogene u. Halogen- derivate 460 IL Organische Desinfektionsmittel 463 a) Körper der Methanreihe 463 b) Körper aus der aromatischen Reihe 466 c) Körper aus den Pyridin-, Chinolin- u. verwandten Reihen Alkaloide 472 d) Ätherische Öle 473 e) Farbstoffe 474 Siebentes Kapitel. Variabilität der Mikroorganismen von Dr. W. Kruse 475 A. Einleitung 475 B. Morphologie 478 C. Wachstum in künstlichen Nährböden und Koloniebilduug. Gela- tineverflüssigung und Schleimbildung 480 D. Temperatur, Sauerstoflzutritt u. Sauerstofi'mangel als Wachstums- bedhigungen 483 E. Zusammensetzung des Bakterienkörpers, Reaktionen 485 F. Resistenz der Bakterien 485 G. Bakterielle Zersetzungen, Bakterienprodukte 486 Inhaltsverzeichuis XI Seite H. Pigmentbildung 487 J. Beweglichkeit 488 K. Sporenbilduug 489 L. Virulenz und Giftbildung 490 M. Natürliche Varietäten 490 N. Schluss 491 DRITTER ABSCHNITT. Vorkomuien imd Fundorte der Mkroorgauismeu von Prof. R. Pfeiffer 494 Erstes Kapitel. Allgemeine Verbreitung der Bakterien 494 Zweites Kapitel. Vorkommen und Verhalten der Bakterien in der Luft 496 Gefahr der Luftl-eime 499 Drittes Kapitel. Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden 500 A. Verhalten der pathogenen Bakterien im Boden 505 I. Findet Vermehrung pathogener Bakterien im Boden statt? . 506 IL Findet im Boden eine Konservierung pathogener Bakterien statt? 508 III. Wie erfolgt die Verbreitung der konservierten Bakterien vom Boden zum Menschen? 512 B. Zeitliche Beeinflussung der Verbreitung durch die Bodenfeuchtig- keit 513 C. Einfluss der örtlichen Bodenbeschaffenheit auf die Verbreitung . 514 D. Resume 515 Viertes Kapitel. Vorkommen von Bakterien im AVasser 517 Fünftes Kapitel. Bakteriengehalt der Nahrungsmittel 521 Sechstes Kapitel. Bakteriengehalt der Kleidung 524 Siebentes Kapitel. Vorkommen von Bakterien in der Wohnung 524 Achtes Kapitel. Infektionen durch Beruf und Beschäftigung 526 Neuntes Kapitel. Bakterien auf den Köii^eroberflächen 526 ■ VIERTER ABSCHNITT. Methoden znr Untersuchung der Mikroorganismen von Dr. W. Kolle 531 A. Die mikroskopische Untersuchung der niederen Pilze .... 531 XII Inhaltsverzeichnis Seite I. Herstellung und Färbung von Deckglaspräparaten .... 532 II. Herstellung von Schnitten 533 III. Färbung u. Behandlung der Schnitte 535 a) Allgemeines 535 b) Gebräuchlichste Farblösungeu 536 c) Besondere Färbungsmethoden 537 1. Doppelfärbung 537 2. Färbung der Tuberkelbacilleu 538 3. üniversalmethoden(L ö f f 1 e r's Methode u. P f e i f f e r ' s Methode) 539 4. Gram 's Methode 539 Die Benutzung der Gram 'scheu Methode zur Differenzierung von Bakterien 541 IVl Färbung von Bacillensporen 541 V. Geisseifärbung 542 VI. Konservierung mikroskopischer Präparate 544 VII. Mikroskopische Durchmusterung der Präparate 544 VIII. Photographische Abbildung von Bakterien 545 IX. Zur Difierentialdiagnose der Bakterien 548 B. Die künstliche Kultur der Mikroorganismen 549 I. Gefässe für die Kultivierung 549 II. Die Nährsubstrate 550 a) Allgemeines 550 b) Künstliche Nährlösungen für die pathogeneu Bakterien . 552 III. Besondere Vorschriften für die Bereitung einiger Nährsubstrate. 555 IV. Brutschränke 559 V. Die Beschickung der Nährböden 562 VI. Kulturmethoden 563 a) Kultur aerober Bakterien 563 Gelatineplattenmethode 566 Keimzählung mittelst Plattenverfahrens 568 Rollplatten nach v. Esmarch 569 b) Kultur anaerober Bakterien 570 c) Isolierung in flüssigen Nährsubstraten 573 VII. Untersuchung der biologischen und pathogenen Eigenschaften der Bakterien 575 Instrumente zur Injektion , . 576 Tierhalter 577 VIII. Methoden und Apparate für die chemische Untersuchung der Bakterien 582 C. Die bakteriologische Untersuchung von Luft, Wasser und Boden 586 I. Luft 586 IL Wasser 590 III. Boden 594 Figiireuverzeiclinis des ersten Teils. Figur Seite 1. (Aus van Leeuwenhoek's „Arcaua naturae" nach Löffler, S. 6) 3 2. (Aus O. F. Müller' s „Animalcula infusoria" nach Löffler. S. 17) 4 3. Gemmen- od. Chlamydosporenbildung (nach Tavel) 36 4. Sporenbildung von Sacch. cerevis. (nach Jörgensen) 43 5. Sporen von Sacchar. Ludwigii (nach Jörgensen) 43 6. Sporenformen von Sacch. anomalus (nach Jörgensen) 43 7. Verschiedene Kugelformen der Bakterien 47 8. Verschiedene Fonnen von Baktei*ienstäbchen . '. 49 9. Verschiedene Formen von Schrauben; Kommabacillen 51 10. Sporenformen, Sporenbildung, Sporenkeimung der Bakterien ... 58 11. Unregelmässige Bildungen (Involutionsforuien) von Bakterien ... 62 12. Bewegungsorgane und Bau der Bakterienzelle 66 13. Bakterien in Kapseln und Zooglöen 68 14. Cornet'sche Pinzette zum Handhaben der Deckgläschen .... 533 15. Mikrophotographischer Apparat von Zeiss in Jena 547 16. Erlenmeyer'sches Kölbchen für künstl. Kulturen 549 17. Petri'sche Schale 549 18. Kolle'sche Schale 550 19. Pasteur'sches Kölbchen (matras) für Kulturflüssigkeit 550 20. Stei'ilisierungsapparat 553 21. Treskow'scher Fülltrichter 554 22. Dampfofen zum Sterilisieren 554 23. Wärmetrichter 556 24. Brutschrank oder Thermostat 560 25. Koch 'sehe Sicherheitsvoirichtung 561 26. Thermoregulator (von Quecksilber) des Brutschranks 561 27. Deckgläschen u. hohle Objektträger 563 28. Aluminiumhalter mit Platinöse u. Platiunadel zum Übertragen des Impfmaterials 564 29. Nivellierständer mit Koch'schem Plattengiessapparat 567 30. WolffhügeTs Zählnetz zur Keimzählung 569 31. Glas für anaerobiotische Züchtung 571 32. Kitasato'sche Schale 572 33. Botkin'scher Apparat 572 34. Gährungsröhrchen 575 35. Koch'sche Spritze für Injektion von Flüssigkeiten 576 XIV Figurenverzeichnis Figur Seite 36. Kitasato's Tierhalter 578 37. Von F. Lautenschläger modifizierter Tierhalter 578 38. Derselbe 579 39. Aderlasskanülen 579 40 u. 41. Tierhalter von Malassez 580 42. Derselbe 581 43. Voges'scher Meerschweinchenhalter 581 44. Temperaturmessung bei Tieren 582 45. Kitasato'sche Kerze für Filtration 583 46. Pukall'sches Filter 583 47. Proskauer'scher Dialysator 584 48. Vakuum-Destillationsapparat von Proskauer 584 49. Extraktionsapparat von Proskauer 585 50. Heizbarer Vakuumtrockenapparat von Proskauer 585 51. Röhre zur Bestimmung des Keimgehalts der Luft 588 52. Dieselbe in Verbindung mit der Luftpumpe 589 53 u. 54. Gefässe zur Entnahme u. Aufbewahrung von Wasserproben . . . 592 55. Proskauer's transportabler Kasten zur bakteriolog. Untersuchung des Wassers 593 56. Frank el'scher Bohrer zur Entnahme von Bodenproben .... 594 57. Davids' Bodenbohrer 595 Verzeichnis der Abkürzmigen M den „Litteratnrcitateii". A = Archiv f. Hygiene. B. = Berlin, klin. Wochenschr. A Ro. = Atti deH'Academ. me- dica di Roma. B. B. = Beiträge zur Biologie d. Pflanzen von F. Cohn. Ac. = Bullet, de l'academie B. Ch. ^ Berichte der deutschen che- de medecine. misch. Gesellschaft. A Bi. = Archives italiennes de biologie. B. G. = Berichte der deutschen bo- tan. Gesellschaft. A. D. = Archiv f. Dermatol. B. M. = British med. Journal. u. Syphilis. B. T. = Berliner thierärztl. A. Ch. = Archiv für Chirurgie Wochenschrift. (Langenbeck). B. Z. = Botanische Zeitung. A.Ch. Pharm. = Annalen der Chemie Bo. = Boston med. and surgical und Pharmazie. Journal. A. eh. ph. = Annales de Chemie et de physique. Buc. = Annales de l'institut de Pathol. et de Bacteriol. de A. E. = Archives de medec. ex- Bucarest. periment. et d'anatom. C. = Centralblatt für Bakterio- path. logie. A. Ct. = Arbeiten aus dem Kai- serl. Gesundheitsamte. C. C. = Centralblatt für Bakterio- logie II. (technische) Ab- A. I. = Annali dell' Institute theilg. d'igiene sperimentale C. B. = Botanisches Centralblatt. di Roma. C. Ch. ^ Centralblatt f. Chirurgie. A. J. M. = American. Journ, med. scienc. C. I. = Congress f. innere Medizin, Verhandlungen. A. M. = Deutsches Archiv für C. G. = Centralblatt f. Gynäkologie. Min. Medizin. C. M. = Centralblatt f. innere Me- A. Mi. = Annales de micrograph. dizin. A. 0. = Archiv f. Ophthalmolo- gie (Gräfe's Archiv) C. W. = Centralblatt f. d. med. Wissenschaften. A. P. = Archiv für experim. C. R. = Compt.rend.de l'Ac.d.scienc. Pathologie u. Phar- Ch. = Charite-Annalen. makologie. Cel. ^ la Cellule. A. Pet. = Archiv des Petersbur- ger Instituts für ex- D. == Deutsche mediz. Wochen- schrift. periment. Medizin etc. F. = Fortschritte d. Medizin. A. Ph. = Archives de Physiolog. norm, et pathol. G. I. = Giornaleinternaz. d.scienz. med. A. f. Ph. = Archiv für Physiologie [Teil des Archivs für Ho. = John Hopkins Hospit. Report. Anatomie und Physio- J. = Baumgarten's Jahresbe- logie]. richte über die Fortschritte A. S.M. = Archivio della scienze me- diche. in der Lehre von den patbo- genen Mikroorganismen. A. T. = Archiv f. wissen, und prakt. Thierheilkunde. J. K. = Jahrbuch f. Kinderheil- kunde. XVI Abkürzunsren J. p. = Journal of Pathol. and Bacteriol. Ph. Tr. J. pr. Ch.= Journal f. praktische Che- Pogg. mie. J. w. E . = Jahrbücher für wissensch. Botanik. Proc. Lond. K. = Koch's Jahresbericht über dieFortschr.in derLehre von r: den Cxährungsorganismen. R. L. = Lehrbuch resp. Kompen- Re. ' dium etc. von de Bary. Ri. Zopf, Leuckart, Bütschli, S. Flügge, Hueppe, Heim, Kra- S. B. mer, Eisenberg, Zimmer- mann, Adametz, Lustig, Seh. Sternberg, Cornil - Babes, ' G ünther, C. Fränkel, Löf fler. Crookshank, Mace, Baum- Schw. T. garteu, L. Pfeiffer, Braun, Ludwig etc. Sp. La. = Lancet. Tu. L. L. = b. Hueppe: Formen U.Arten, bei Zopf: Schleimpilze od. V. Pilzthiere etc. V. D. L. V. ^= Landwirtschaftl. Versuchs- stationen. W. M. = Münch.med.Wochenschrift. M. Ch. = Monatshefte f Chemie. W. B. M. D. = Monatsschrift f prakt. Der- AV. J. matologie. W. K. M. G. = IVIitteilungen a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt. Z. Nachtr. = L. Pfeiffer, Nachträge zu: Die Protozoen als Krank- Z. f B. heitserreger. Z. M. Nat. = Nature. N. V. = Tagebl. d. Naturforsch.- Z. Heil. Versamml. Z. Gy. P. = Annales de l'Institut Pasteur. Z. Ch. Pf. = Pflüger's Archiv f d. Z. physioLCh. gesamt. Physiolog. P. W. ;7^ = Prager med. Wochen- schrift. Z. T. Die erste Zahl nach dem Buchst aben bedeutet Jahreszahl (mit Weglässung von 18 . . .), die zweite Zahl Schrift, das Heft der Zeitschrift oder die Seitenzahl. = Philosophical Trausac- tions. = Poggendorff"'s (später Wiedemann's) Annalen f Physik u. Chemie. = Proceedings of the Roy. Society f London. = referiert bei. = Hygien. Rundschau. = Revue de medecine. Riforma medica. Semaine medicale. = Comptes rendus de la societe de biologie. Mittheilungen aus Kli- niken u. med. Instituten d. Schweiz. Schweiz. Archiv für Thierheilkunde. = Lo Sperimentale. Arch. d. path. Instit. zu Tübingen(Baumgarten). Virchow's Archiv. Vierteljahrsschi-, f. Der- matologie. Wiener mediz. Wochen- schrift. Wiener mediz. Blätter. Wiener mediz. Jahrb. Wiener klinische Wochenschrift. Zeitschrift f. Hygiene u. Infektionskrankheiten. = Zeitschrift für Biologie. = Zeitschrift f. klin. Me- dizin. Zeitschrift f. Heilkunde. Zeitschrift f. Gynäkolo- gie. = Zeitschrift f. Chirurgie. .= Zeitschrift für physio- logische Chemie. Deutsche Zeitschrift f. Thiermedizin. immer die Bandzahl oder die Nummern der Wochen- Erster Teil. Einleitung. Allgemeine Morpliologie , Biologie, Yorkommen und Fundorte. Methoden zur Tlntersuchung der Mikroorganismen. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. Einleitung von Dr. E. Gotschlieh. A. Historische Entwicklung der Lehre von den Mil -l: Fig. 7. VergT. c. 1000. Vei ■scliiedene Kug selben zu Kugelpaaren und Kugelketten (Diplokokkus und Strepto- kokkus'), bei Teilung nach zwei aufeinander senkrechten Axen zu Tafeln von Kügelchen (Tetragenus oder Merismopedia, Merista'), bei Teilung nach drei Richtungen zu Packeten von Kügelchen (Sarcina ')). Gewöhnlich wird zum Unterschied von den bisher genannten Ver- bänden noch von häufen- oder traubenförmig gruppierten Kügelchen (Staphylokokken *)) gesprochen. Einer besonderen Art der Wachstum- richtung entspricht diese Anordnung keineswegs, es handelt sich vielmehr um Kokken, die sich nach einer, nach zwei, vielleicht auch nach drei Rich- tungen des Raumes teilen, aber sich bald gegeneinander zu verschieben pflegen, so dass, wenn die Zellen trotzdem in einem gewissen Zusammen- hang bleiben, nur unregelmässige Haufen resultieren. Von einigen Bakterien (z. B. Bac. prodigiosus, pneumoniae, aceticus) werden mit mehr oder weniger Regelmässigkeit Formen gebildet, die sich, isoliert und manchmal auch in ketten- oder haufenförmigen Ver- 1) Vgl. Bd. II, 3. Abschn. 1. Kap. 48 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. bänden beobachtet, in keiner Weise von typischen „Kokken" unter- scheiden. Es sind eben Elemente, die wir vom rein morphologischen Standpunkte als isodiametrische anerkennen müssen. Nehmen wir da- gegen die Entwicklungsgeschichte zuhilfe, verfolgen wir sie in Rein- kulturen unter verschiedenen Bedingungen, so erkennen wir bald ihre wahre Natur: wir konstatieren einerseits, dass schon unter Verhält- nissen, die für das Auftreten der kugligen Bildungen besonders günstig sind, immer wenigstens einige Individuen einen deutlich stäbchen- artigen Charakter haben, andererseits aber bei richtiger Veränderung der Versuchsbedingungen die letzteren Elemente geradezu vorherrschen. Genügen nun diese Thatsachen dazu, das oben aufgestellte morpho- logische Grundgesetz umzustossen, d. h. die Scheidewand zwischen Kokken und Bacillen einzureissen, oder sind wir nicht vielmehr in der Lage, hier nur einen besonderen Fall der allgemeinen Regel anzunehmen und die Kügelchen des Bac. prodigiosus, des Bacillus pneumoniae u. s. w. als Kurzstäbchen anzusehen, bei denen die Schnelligkeit der Teilung die Wachstumsgeschwindigkeit überwiegt? Nichts steht dem entgegen; weder in den genannten Beispielen noch sonst überhaupt erweisen sich die von manchen Seiten sog. „Kokken" als Formen, die unter allen Bedingungen wieder nur Kokken zeugen; niemals wurde auch bei diesen kugeligen Elementen eine Abweichung von dem ein- axigen Wachstums- und Teiluugstypus der Bacillen konstatiert. Es führt uns das zur Betrachtung der IL Stäbchenformen (Fig. 8). Während bei den kugeligen Bak- terien, wenigstens morphologisch betrachtet, alle Durchmesser gleich- wertig sind, gewinnt bei den Stäbchen ein Durchmesser das Übergewicht. Je nach dem Verhältnis des Längendurchmessers zu dem Dickendurch- messer unterscheidet man schlanke Stäbchen (etwa 1 : 4 bis 1 : 10) oder plumpe („Kurzstäbchen", etwa 1 : 2), nach dem Rauminhalt, der selbstverständlich durch die Dicke des Stäbchens mehr beeinflusst wird als durch seine Länge, grosse und kleine. Die grössten bekannten Bacillen, die von J. FßENZEL (Z. 11) beschrieben sind, haben bei einer Länge von 30 // und einer Breite von 4 // etwa einen Inhalt von 180 //^ der Riese unter den pathogenen Bakterien, der Milzbrandbacillus, misst 3,0 : 1,0 ^i und 5 /m-*, die kleinsten Formen (Influenzabacillen) bei einem Axenverhältnis von 0,2 : 0,4 // nur etwa den zehnten Teil eines Kubik- mikromillimeters. Mit Hilfe der oben gewählten Bezeichnungen lassen sich auch ohne Angabe genauer Masse die Dimensionen eines Stäbchens für das praktische Bedürfnis hinreichend genau ausdrücken. Wie für die Kokken die Kugel, so bildet für die Bacillen die Walze (der Cylinder) mit kreisförmigem Querschnitt den geometrischen Typus. Genau entspricht demselben z. B. der Milzbrandbacillus: die Axe ist Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 49 eine Gerade, die Seitenlinien sind ihr parallel, die Polflächen sind senk- recht zur Axe stehende Ebenen (Fig. 8 a). Der Typus wird im wesent- lichen dadurch nicht verändert, wenn der Durchmesser der Axe sich im Verhältnis zum Querdurchmesser verkleinert, vorausgesetzt nur, dass die Walzenform unverändert beibehalten wird. Es kommt z. B. vor, dass die Teilstücke eines Scheinfadens ebenso lang sind wie dick, dennoch wird Niemand anstehen, dieselben als Stäbchen zu bezeichnen. Ein Beispiel dafür, dass die cylindrischen Elemente relativ noch kürzer, also scheibenförmig werden, ist unter den echten Bakterien für normale u \ Fif 8. Verscliiedeue Formen von Stäbchen. Die dunkel ausgezogenen sind gefärbt, die übrigen ungefärbt. Vergr. c. 1000. Verhältnisse nicht bekannt, es findet sich das aber bei den Oscillarien, derjenigen Gruppe unter den Spaltalgen, die den Bacillen morphologisch parallel stehen. Eine Abweichung vom Typus besteht zunächst darin, dass die Polflächen der Stäbchen sich abrunden, bei den frei beweglichen Ba- cillen eine häufige Erscheinung. Früher hat man geglaubt, dass auch der umgekehrte Fall eintreten könnte: die Milzbrandbacillen sollten nämlich an den Berührungsflächen konkave Einziehungen zeigen. Johne hat nachgewiesen, dass es sich hier um Kunstprodukte handelt, und dass gerade die Milzbrandstäbchen durchaus typisch geformt sind (vgl. Milzbrand Bd. II). Die Axe der Stäbchen kann statt gerade mehr oder weniger ge- krümmt sein. Wenn solche Krümmungen bei sehr schlanken, kleinen Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 4 50 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Formen (z. B. Mäuseseptikämiebacilleu) vorkommen, so ist das nicht auifallend, weil die Bakterien ja sämtlich aus einer biegsamen Sub- stanz bestehen und um so leichter passive Formveränderungen erleiden, je kleiner sie sind. Aber auch grössere Formen, namentlich zusammen- gesetzte, zeigen öfters eine ausgesprochene Neigung zur Abweichung von der Greraden, so z. B. der Bac. Megatherium (Bd. II). Eine Un- gleichmässigkeit im Wachstum muss die Ursache davon sein. Ganz besonders trifft das für gewisse Fälle zu, die wir unter den abnormen Bildungen später besprechen werden (s. u. E). Abweichungen vom parallelen Verlauf der seitlichen Konturen- flächen bei den Stäbchen sind fast stets als Entwicklungsanomalien zu betrachten. Regelmässig treten nur manche Veränderungen der Form als Vorstadien der Sporenbildung einiger Bacillen auf. Werden nämlich Dauerformen gebildet, die einen grösseren Dickendurchmesser besitzen, als dem Durchmesser der Mutterzelle entspricht, so schwillt vorher das Stäbchen spindelförmig oder keulenförmig an (s. u. D). Es sind das aber immer nur vorübergehende Zustände. Stäbchen, die in ihrer ganzen Entwicklung die Spindelgestalt beibehielten („Clostridium"), giebt es nicht. Eine besondere Stellung nehmen die diphtherieähnlichen Bacillen ein (vgl. C u. E). Sie bilden zwar auch oft typische Stäbchen, sehr häufig finden sich aber gerade bei ihnen Abweichungen, die darin be- stehen, dass die Längsseiten der Stäbchen nicht ganz parallel sind, so dass keil- und keulenförmige Figuren entstehen (Fig. 8 b). Die Teilungs- und zusammengesetzten Formen der Bacillen sind lange nicht so vielgestaltig, wie die der Kokken, weil der einaxige Bau der ersteren auch das Wachstum und die Teilung nach einer einzigen Richtung bedingt. Die Axe des Cylinders giebt die Richtung des Wachstums an, senkrecht zu ihr werden die Teilungsflächen angelegt. Eine Längsteilung findet niemals statt, i) Aus der Querteilung resul- tieren Stäbchenpaare, Stäbchenketten. Die letzteren werden, wie oben bemerkt, Scheinfäden genannt, wenn die Abgrenzung der einzelneu Zellen eine mehr oder weniger undeutliche ist. Solche Verbände er- reichen oft sehr erhebliche Längen (bis zu einigen mm). Die Cylinder, aus denen sie zusammengesetzt sind, behalten dabei ihre Selbständig- keit, d. h. wenn sie spontan oder künstlich aus dem Verbände gelöst werden, wachsen sie unabhängig weiter. Bei einigen Arten von fadenbildenden Bacillen kann man eine eigentümliche Art der Teilung und des Wachstums beobachten, die als 1) Pasteuria ramosa kann nicht 'zu den Bakterien gerechnet werden (vgl. Bd. II, 3. Abschn. 1. Kap.) KßUSE, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 51 Pseudoramifikation bezeichnet wird. Es findet an einer Stelle des Scheinfadens zwischen zwei Zellen eine Lösung des Verbandes statt, die frei gewordenen Pole schieben sich an einander vorbei und beginnen jedfc: für sich ein Wachstum zu entfalten. Unter Umständen entstehen dadurch verästelte Figuren, wie sie die Abbildung c in Fig. 8 zeigt, oder aber es treten mannigfach verschlungene Figuren auf. Diese falsche Zweigbildung ist übrigens weiter verbreitet, als man gewöhnlich annimmt, besteht z. B. ausser bei Cladothrix auch bei Proteusarten. — « ^^ Fig. 9. Verschiedene Formen von Schraiiben, bei a Kommabacillen. Die einzelnen Glieder in den Fäden unterscheiden sich der Regel nach gar nicht von einander, sie wachsen auch nicht etwa blos an der Spitze, sondern gleichmässig im ganzen Verlauf des Fadens („interkalares "Wachstum"). Nur bei einigen von Winogeadsky^) gut beschriebenen Arten, die er Thiothrix benennt, bedingt die relative Lage der Zellen einen deutlichen Unterschied in der Form und in gewissem Grade auch in der Funktion. Die Fäden sitzen nämlich an einem Ende auf dem Substrate fest, während das andere frei in die umgebende Flüssigkeit hineinragt. Die Zellen der Basis sind breiter und kürzer, die der Spitze schmaler und länger. Geringer sind die Unterschiede bei der ebenfalls mit einem Ende festsitzenden and baumförmig verästelten Cladothrix (Fig. 8 c; vgl. auch Bd. II). III. Schrauben (Fig. 9), Die morphologischen Verhältnisse dieser Formen ähneln denen der Stäbchen, insofern als auch die Schrauben einaxig gebaut sind. Die Dimensionen schwanken in ähnlicher Weise und wie dort unterscheidet man auch hier schlanke und plumpe, grosse und kleine Formen. 1) Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Bakterien. Leipzig 1888. 4* 52 Allgemeine MoriDhologie der Mikroorganismen. Als ein neues Element, das die Gestalt sehr erheblich beeinflusst, tritt hier die Drehung der Axe hinzu, die regelmässig nach dem Typus der Schraube erfolgt. Schon bei den kürzesten Formen, den sog. Kommabacillen (R. Koch) ist dieselbe deutlich: es sind das lÄcht etwa in einer Ebene gekrümmte Stäbchen, sondern kurze Schrauben- abschnitte. Der Name „Komma" passt deswegen nicht ganz, hat aber nun einmal in der Sprache Bürgerrecht gewonnen und kann auch weiterhin verwendet werden, vorausgesetzt dass man sich seiner Bedeutung bewusst bleibt. Die Schrauben haben ein verschiedenes Aussehen je nach dem Querdurchmesser der Schraube und dem Abstände der Schraubengänge von einander; man spricht danach von eng und flach gewundenen Schrauben. Die Drehung kann so stark sein, dass sich die Windungen fast berühren, und so schwach, dass die Schrauben wie wellige Fäden aussehen. Der Regel nach ist die Drehung eines Spirillums an allen Punkten seiner Länge eine gleichmässige, Abweichungen davon erklären :sich wohl dadurch, dass durch äussere mechanische Einwirkungen ein Teil des schraubigen Fadens auseinandergezogen wird. Konstant ist da- gegen die Intensität der Drehung bei einer und derselben Spirillenart keineswegs (vgl. Kap. „Variabilität"). Eine doppelte Schraubendrehung, bei der auf die grossen Win- dungen noch kleinere aufgesetzt sind, zeigt die Spirochaete plicatilis (Fig. 9 c). Was für die Teilungs- und zusammengesetzten Formen der Stäb- chen gilt, gilt in gleicher Weise für die der Schrauben. Paare von Kommabacillen sieht man meist in der Weise verkettet, dass die beiden Elemente zusammen eine S-Form bilden, in anderen Fällen liegen sie aber, wie Fig. 9b zeigt, t-artig zusammen. Es lässt sich das nur so er- klären, dass die beiden Zellen, schon im Begriff sich zu trennen, eine Drehung ihrer ursprünglichen Lage vollzogen haben. Es giebt sehr lange Schrauben, die aus einer einzigen Zelle bestehen und schraubig gekrümmte Scheinfäden. Wenn Verbände von Spirillen seltener gefunden werden, als solche von Bacillen, so liegt das an der den ersteren nie fehlenden Eigenschaft der Bewegungsfähigkeit. C. Wachstum und Teilung. 1. Das Wachstum der Bakterien ist der Regel nach von Zweiteilung gefolgt, und ebenso regelmässig geht der Teilung ein Wachstum vor- auf; auf dieser Teilung beruht die Vermehrung der Bakterien. Eine Sporenbildung in dem Sinne, wie wir sie bei Protozoen — namentlich Sporozoen — und Kryptogamen finden, d. h. eine gleichzeitige oder schnell hintereinander erfolgende Bildung zahlreicher Keime aus einer Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 53 Zelle, ebenso wie eine geschlechtliche Fortpflanzung, ist nicht beo- bachtet (vgl. D). Der Prozess des Wachstums und der Teilung erfolgt in der Weise, dass ein Bakterium, das eben aus einer Teilung hervorgegangen ist, auf das Doppelte seiner Grösse anwächst und sich dann wieder in zwei gleiche Hälften teilt. Am einfachsten ist dieser Vorgang bei den Ba- cillen und Spirillen: in der Richtung der Hauptaxe strecken sich die Elemente in die Länge, sei es in gerader Linie, sei es mit schraubiger Drehung, ohne eine Veränderung des Dickendurchmessers. Ist das Doppelte der Länge erreicht, so tritt die Teilung der Quere nach ein oder richtiger gesagt, dann wird sie perfekt, da man häufig schon in der noch wachsenden Zelle Andeutungen der bevorstehenden Teilung erkennen kann. Eine Veränderung der Wachstumsrichtung ist bei der einmal fest bestimmten Lage der Axe von Bacillen und Spirillen nicht möglich. Unter den Kokken giebt es Arten, die sog. Streptokokken (Ketten- kokken), die ebenfalls Wachstum und Teilung in einer sich gleich- bleibenden Richtung vollziehen. Wahrscheinlich können aus dem Ver- bände einer solchen Kette gelöste Elemente nur in dem Durchmesser weiterwachsen, der ursprünglich mit der Längsaxe der Kette zusammen- gefallen war. Der ganz sichere Beweis dafür ist natürlich wegen der isodiametrischen Gestalt der Kokken nicht zu liefern. Andere Kokken- arten, z. B. der Tetragenus, wachsen abwechselnd in zwei aufeinander senkrechten Richtungen, wieder andere (Staphylokokken) scheinen mehrere Teilungsperioden hindurch nach einer Richtung wachsen zu können, so dass sie kurze Kettchen bilden, teilen sich aber auch senkrecht zu dieser ersten Richtung, so dass tetragenusartige Verbände entstehen. Bei den Sarcinaarten endlich sind drei senkrecht zu einander stehende Wachstumsrichtungen vorhanden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ent- spricht diesen verschiedenen Modi der Entwicklung die Anordnung der Moleküle im Innern der Kokken nach 1, 2 oder 3 Axen. Ein Einfluss auf die jeweilige AVachstumsrichtung durch äussere mechanische Mo- mente ist deswegen nicht ausgeschlossen. Bei den Kokken, besonders bei den zweiaxig und dreiaxig gebauten, ist das Wachstum nicht einfach identisch mit Längenwachstum in der zur späteren Teilungsebene senkrechten Richtung, sondern es tritt meist noch ein Dickenwachstum hinzu. Besonders deutlich ist dasselbe bei den sog. Semmelkokken, deren Elemente halbkugelförmig aus der Teilung hervorgehen, sich dann zur Kugel ergänzen und häufig in neuer Richtung teilen. Manchmal teilen sich nicht beide Hälften eines Doppelkokkus gleichzeitig, die geteilte Hälfte bleibt aber doch mit der ungeteilten in Verbindung, so dass dreigliedrige Formen entstehen. 54 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Ausserordentlich gross ist die Schnelligkeit, mit der unter günstigen Bedingungen Wachstum und Teilung der Bakterien erfolgen. Teils durch direkte Beobachtung, teils durch wiederholte Zählungen der Keime in einer Kultur mittelst Plattenzüchtung kann man fest- stellen, dass oft nur 20 — 30 Minuten zwischen zwei Teilungsakten ver- fiiessen. Die gewaltige Vermehrung, die daraus resultiert, lässt sich zahlenmässig veranschaulichen, wenn man bedenkt, dass ein einziger Bacillus, der sich alle halbe Stunde teilt, in 24 Stunden 2 ^^, d. h. viele Billionen Nachkommen zeugt. Nach vollendeter Teiltmg behalten die Elemente entweder im wesentlichen ihre ursprüngliche Lage — es entstehen dann gerade oder mehr-weniger gekrümmte Ketten und Scheinfäden — oder sie verschieben sich gegenseitig; dann bilden sich unregelmässige Gruppen, die sich in einzelne Elemente auflösen können. Bei den Bakterien aus der Ab- teilung derDiphtheriebacillen beobachtet man ganz regelmässig nach der Teilung eine Verschiebung der Teilstücke um einen rechten oder stumpfen Winkel und bei fortschreitendem Wachstum sogar Parallel- stellung derselben — es resultieren daraus die für diese Bakterien ganz charakteristischen, oft pallisadenartigen Häufchen. Der Grund dafür liegt wohl in der, wie oben schon bemerkt, etwas asymmetrischen Form der Bacillen (vgl. Bd. II). II. Ausser dem beschriebenen gewöhnlichen Modus des Wachstums und der Teilung, durch die Elemente geliefert werden, die in ihren Dimensionen immer einander gleich bleiben, kommt, wie es scheint, nur bei einigen Bacillen eine etwas abweichende Entwicklung vor. Manche Stäbchenarten, die in ein frisches Medium ausgesät, zuerst üppig in die Länge wachsen und durch Teilung gleichartige Glieder produzieren, verlieren allmählich an Wachstumskraft, ohne doch die Teilungsfähig- keit einzubüssen. Es werden dadurch Stäbchen erzeugt, die immer kürzer und kürzer und schliesslich sogar kugelförmig werden können. Ein Vorgang dieser Art ist zuerst beim Bacterium Zopfii (s. Fig. in Bd. II) beobachtet und sehr verschieden gedeutet worden. Man kann sich aber bei diesen und bei ähnlichen Spezies (Proteus, Bacterium allan- toides u. a. s. Bd. II) von dem Vorliegen obigen Thatbestandes durch fortgesetzte Untersuchung isolierter Keime im hängenden Tropfen ohne Schwierigkeit überzeugen. Es liegt gar kein Grund vor, die mehr oder weniger kugelförmigen Endprodukte der Entwicklung als wesentlich verschieden von den ersten stäbchenförmigen Teilungsgliedern, etwa als Sporen („Arthrosporen") zu betrachten. Das allmählich mit Erschöpfung des Nährmaterials langsamer werdende Wachs- tum bei ungeschwächter Teilungsenergie erklärt die verschiedene Formbildung. Die aus den letzten Teilungen hervorgegangenen „Kokken" Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 55 wachsen auf neue Nährsubstrate übertragen nicht als Kügelchen weiter, sondern zu Stäbchen aus, die den ursprünglichen Stäbchen durchaus ähnlich sind. IIL Während in dem el)en angeführten Falle Teilung ohne deut- liches "Wachstum erfolgt, giebt es zahlreiche Beispiele unter den Bakterien, wo nach ausgesprochenem und selbst gesteigertem Längen- wachstum die Teilung ausbleibt. Manchmal tragen die dadurch — bei Kokken und Bacillen — entstehenden Formen den Charakter der Anomalie deutlich zur Schau, wir werden darauf bei der Besprechung der unregelmässigen Bildungen zurückkommen (v. E). Vielfach treten sie aber ganz regelmässig auf, dahin gehören z. B. die langen Fäden und Schrauben, die besonders in älteren Bacillen- und Spirillenkulturen zu finden sind. Es handelt sich hier meist nicht etwa um Verbände, um Scheinfäden. Die Lebensfähigkeit der Elemente wird durch ihr normales Aussehen und die oft vorhandene Beweglichkeit bewiesen. Eine Weiter- entwicklung auf demselben Nährboden bleibt gewöhnlich aus, dagegen kann mau eine solche nach Übertragung in neues Substrat direkt unter dem Mikroskop beobachten: die ursprünglich homogenen geraden oder schraubigen Fäden zeigen Teilungslinien und zerfallen in eine Reihe von kleinen Elementen, die sich dann normal weiter entwickeln. Es liegt hier offenbar nichts weiter als eine verspätete Teilung vor, für die man den Ausdruck Segmentierung gebrauchen kann. IV. Nicht zu verwechseln mit der Segmentierung, durch welche lebensfähige normale Elemente geschaffen werden, ist der unregelmässige Zerfall von kürzeren und längeren Bakterienzellen in ungleiche und oft abnorm gebildete Teilstücke, die Fragmentierung, die in alten Kulturen zu beobachten ist. Es ist das offenbar ein regressiver Vor- gang, der hier nur erwähnt sein mag, weil die Möglichkeit nicht aus- geschlossen werden kann, dass unter günstigen Umständen aus dem Zerfall noch lebensfähige Keime hervorgehen, die sich durch eine Art von Verjüngungsprozess, wie wir ihn auch sonst im organischen Reich antreffen, zu normalen Elementen regenerieren könnten. Wieder und wieder tauchen in der bakteriologischen Litteratur Angaben auf, wonach in einer Kultur, die keinerlei normale Elemente mehr enthielt, doch noch Keime — es sind meist Kügelchen gemeint, die dann den Titel Kokken oder Arthrosporen erhalten — vorhanden gewesen wären, die die Lebensfähigkeit solcher Kulturen verbürgt, und die sich sogar unter den Augen der Beobachter zu gewöhnlichen Bakterien entwickelt hätten. Die allermeisten dieser Angaben beruhen Avohl, wie man sich durch Kontroiversuche oft überzeugt hat und leicht überzeugen kann, auf blossen Vermutungen, denn der Beweis dafür ist mit sehr erheblichen 56 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Schwierigkeiteu verknüpft. Immerhin ist der Beweis dagegen für alle Fälle auch nicht zu liefern. Eine weitere Art des Wachstums, nämlich diejenige durch Sprössung, aus welcher verästelte Formen hervorgehen, besprechen wir unter den unregelmässigen Bildungen (vgl. E). D. Dauerzustände, Sporenbildung. Jede Bakterienzelle kann zum Ausgangspunkt einer neuen Generation, einer neuen Kolonie werden. Jede Zelle wächst und teilt sich, so lange ihr genügendes Nährmaterial zugeführt wird und sie nicht durch hem- mende Einflüsse chemischer oder physikalischer Natur betroffen wird. Letzteres tritt in der Natur und in unseren künstlichen Kulturen früher oder später immer ein. Von dem Moment, wo ihr Wachstum aufhört, beginnt eine regressive Veränderung der Bakterienzelle, beginnt das Ab- sterben: es ist das geradezu ein allgeineines Gesetz, das nur unter bestimmten Umständen und nur für eine beschränkte Anzahl von Bakterienarten Ausnahmen erleidet. Die Thatsache lässt sich z. B. für künstliche Reinkulturen durch wiederholte Plattenkulturen mit nach- folgender Keimzählung leicht feststellen: man findet im allgemeinen zuerst ein schnelles Ansteigen der Keimzahl und dann ein Absinken derselben in verschieden schnellem Tempo. In manchen Fällen, z. B. beim Diplokokkus der Pneumonie ist nach 24 Stunden währender Züchtung bei 37*^ schon das Maximum erreicht, nach weiteren 24 Stunden leben nur noch wenige Individuen und in den folgenden Tagen stirbt auch der Rest noch ab. Beim Choleraspirillum erfolgt das Ansteigen der Keimzahl bis zur Höhe etwa ebenso schnell, der Abfall ist langsamer, aber immerhin schon in den ersten Tagen sehr deutlich; doch nach Wochen und Monaten finden sich noch entwicklungsfähige Keime in der Kultur vor. Die Typhusbacillen zeigen insofern einen anderen Typus, als vom Gipfelpunkte der Entwicklung an das Absterben nur sehr langsam und allmählich eintritt. Auf die Umstände, durch die der Bakterientod bedingt wird, kann hier nicht näher eingegangen werden (vgl. 2. Abschnitt, 7. Kapitel), in jedem Falle ist die Lebens- dauer der Bakterienindividuen eine sehr beschränkte. Sucht man dieses Resultat durch direkte Beobachtung, z. B. im hängenden Tropfen, zu kontrolieren, so bemerkt man ganz entsprechend den eben gemachten Angaben, dass bald ein Stillstand in der Vermehrung erreicht wird und dass von diesem Zeitpunkte an die Elemente wenigstens zum Teil anfangen ihr normales Aussehen zu verlieren. Die besonderen Formen dieser Degeneration werden später zu beschreiben sein, oft genug kann man vom Verschwinden einzelner Zellen sprechen. Es verdient aber . Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 57 hervorgehoben zu werden, dass durch die mikroskopische Beobachtung allein nicht immer festgestellt werden kann, ob eine Kultur noch lebens- fähige Glieder enthält: einerseits können scheinbar normale Zellen ab- gestorben, andererseits sichtbar veränderte noch entwicklungsfähig sein. Ein Grund für die in unseren Beispielen so sehr verschiedene Widerstandsfähigkeit der unter gleichen Bedingungen entstandenen In- dividuen einer und derselben Kultur gegenüber den das Absterben bedingenden Einflüssen ist in morphologischen Merkmalen nicht zu entdecken, wir müssen uns damit begnügen, individuelle Differenzen und das Vorkommen ausnahmsweise zu grösserer Resistenz befähigter Zellen anzunehmen („Ausnahmezellen"). Ganz anders liegen die Dinge bei einer Reihe von Bakterien, die mit einer besonderen Schutzvorrichtung gegenüber äusseren schädigenden Momenten begabt sind: es sind das die Bakterien mit endogener Sporenbildung. Die Sporen sind morphologisch bestimmt charak- terisierte Dauerzustände, die von Peety') zuerst gesehen, von Pasteue-) und Billeoth^) in ihrer Bedeutung gewürdigt und von F. CoKN"') in ihren Haupteigenschaften beschrieben worden sind. Die Sporen (Fig. 10) erscheinen als kugelige oder ellipsoidische,. • viel stärker als das Bakterienprotoplasma das Licht brechende Körper- chen ursprünglich im Leibe der sie bildenden Zellen, nachher auch im freien Zustande. Bei weitem am häufigsten kommen sie den Bacillen zu, sind aber auch bei Kokken (Hausee's Lungensarcine. A. M. 42 und Peove's Mikrokk. ochroleucus. B. B. 4) und bei Spirillen (Peazmowski's Vibrio rugula: Diss. Leipzig 1880 undSoEOKiN:C. 2. 16) beobachtet. Nach ihrer Form, ihrer Lage und ihren Dimensionen im Verhältnis zur Mutterzelle, die übrigens bei den einzelnen Spezies ziemlich konstant sind, kann man folgende Typen unterscheiden (Fig. 10 1 — 5). Entweder ist der Querdurchmesser der Spore kleiner resp. ebenso gross als der ihrer Mutterzelle — die Lage ist dabei eine centrale, polare oder un- regelmässige. Oder die Spore ist dicker als ihre Mutterzelle — dann ist sie central gelegen (Spindelform, Clostridiumform), oder an einem Pol (runde oder ovale Köpfchensporen, Trommelschlägelform), oder un- regelmässig. Die Bildung der Sporen erfolgt immer endogen, d. h. im Leibe 1) Perty, Zur Kenntnis kleinster Lebensformen. 1852. S. 181. 2) Pasteur, Etudes sur la maladie des vers ä soie. 1870. I. p. 168. 228. 256. Vgl. Hueppe, Formen der Bakterien. Wiesbaden 1886. S. 113 fF. 3) Billroth, Vegetationsformen von Kokkobacteria septica. Berlin 1874 an vielen Stellen. 4) Cohn'.s Beitr. z. Biologie d. Pflanzen. Bd. II, H. 2. 1876. 58 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. der Bakterienzelle, aber in verschiedener Weise: der gewöhnliche Modus ist der, dass an einem Punkte des Stäbchens ein glänzendes Körnchen auftritt, das sich allmählich vergrössert und schliesslich zur Grösse der Spore heranwächst. Oder es treten mehrere Körnchen auf, die schliess- lich zu der Sporenanlage verschmelzen, oder es bildet sich in der Zelle ein Körper, der die Grösse der künftigen Spore hat, aber zuerst blass ist und erst allmählich den Glanz derselben erreicht. Fig. 10. Sporenformeu, Sporenbildimg, Sporenkeimuug. Vergr. 1000 (G — 9 über 2000') 1 — 5. Ver- schiedene Form IX. Lage der Sporen. 6 — 9 Zwei Sporen z. T. verschiedener Grösse in einem spindelförmigen Stäbchen bei Bacillus iuflatus..(A. KoCH). 10 — 14 Bildung der Sporen in zwei Stäbchen. 15. Anskeimimg einer Spore im Äquator. 16. Auskeimung einer Spore am Pol. 17. Auskeimung einer Spore am Pol ohne Abstreifung der Sporenmembrau. 18. Allmähliche Eesorption der Sporenmembran bei der Keimung. 19. Auskeimung der innerhalb des Spirillum endoparagogicum liegenden Sporen (Sorokin). Nach der fertigen Bildung der Spore hört gewöhnlich die Mutter- zelle zu leben auf, sie ist nur noch ein leerer Schlauch, der zerfällt und die Spore frei lässt. In Ausnahmefällen (Klein: C 7. 440) behält dagegen die Mutterzelle ihre Lebenskraft, wie aus dem Fortdauern ihrer Beweglichkeit folgt. Die Entwicklung der Sporen geschieht stets unter Bedingungen, die ein weiteres vegetatives Wachstum der Zelle nicht gestatten; sie Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 59 ist gewissermassen die Reaktion auf eine Wachstumshemmung. Daher muss die fertige Spore auch erst in andere günstigere Verhältnisse gelangen, um ein neues Wachstum zu beginnen, um auszukeimen. Die Art der Auskeimung der Spore ist nicht unregelmässig, sondern scheint für jede Spezies konstant zu sein. Beobachtet ist dieser Prozess z. B. beim Milzbrandbacillus. Nach Peazmowski, dessen Schilderung sich leicht bestätigen lässt, verliert die S]3ore unter Vergrösserung ihres Volumens ihre starke Lichtbrechung und streckt sich ein Avenig in die Länge; plötzlich reisst an einem Pole die Membran der Spore und heraus tritt ein kurzes Stäbchen, an dessen hinterem Ende die geborstene Membran als ein leerer, etwas kontrahierter Schlauch haften bleibt. Das Stäbchen wächst noch mehr in die Länge, teilt sich: die vegetative Entwicklung des Milzbrandbacillus hat damit von neuem be- gonnen. Der ganze Prozess verläuft bei höherer Temperatur (37*^) in Ibis wenigen Stunden. Er findet sich in ähnlicher Weise auch beim Butter- säurebacillus Peazmowski's (Fig. 10 ig). « Beim Heubacillus (B. subtilis) und verwandten Bacillen unterscheidet sich die Sporenauskeimung dadurch, dass die Spore an einer Längs- seite das junge Stäbchen aussehlüpfen lässt. Hier bleibt die leere Hülle noch längere Zeit wie eine Haube dem Bacillus aufsitzen (Fig. 10 15). Ein dritter Modus ist nach L. Klein (C. 6) folgender: Die Spore ver- liert unter Anschwellung ihre Lichtbrechung und streckt sich in die Länge, ohne dass man das Ausschlüpfen aus einer Sporenhaut bemerkt. W^ahrscheinlich wird dieselbe langsam aufgelöst, ohne Spuren zu hinter- lassen (Fig. 10 is). Die Auskeimung der Sporen findet gewöhnlich erst nach ihrem Freiwerden statt, Sorokin hat indessen bei seinem Spirillum endo- paragogicum (C. 2.16) die Sporen noch innerhalb ihres Mutterfadens auskeimen sehen (Fig. 10 19). Die Bedeutung der Bildung von Sporen verdient noch näher dis- kutiert zu werden, da dieselben abweichend von unserer Darstellung gewöhnlich nicht als einfache Dauerzustände, sondern als Frukti- fikationsformen betrachtet werden. Es ist das letztere durch nichts be- gründet, denn unter dem Begriffe der Fruktifikation verstellt man sonst immer einen Vorgang, der zu einer Produktion mehrerer, meist zahl- reicher Keime führt, also in letzter Linie der Vermehrung der Indivi- duen dient. Sehr häufig sind die neugebildeten Keime freilich nebenbei durch besondere Schutzorgane gegenüber schädlichen äusseren Einflüssen ausgezeichnet, also zugleich Dauerzustände. Bei den Bakteriensporen tritt die letztere Bedeutung ausschliesslich hervor, die sog. „Sporen" stehen auf einer Stufe wie die von vielen Protozoen gebildeten, nur der Erhaltung des Individuums dienenden Dauer Cysten. Als einziger 60 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Beweis gegen unsere Auffassung könnten die Angaben einiger weniger Forscher (vgl. A. Koch: B. Z. 88) gelten, wonach von einem Bakterien- Individuum mehrere Sporen gebildet werden. Es sind das aber meist nicht zweifellose Fälle, mehr als zwei Sporen werden niemals von einem Stäbchen entwickelt (vgl. Fig. 10 6 — 9). Über die Berechtigung, den Dauerzustand der Bakterien als „Spore" zu bezeichnen, lässt sich streiten, an dem herrschenden Sprachgebrauche dürfte aber nicht leicht etwas zu ändern sein. Auch andere Dinge, als die beschriebenen endogen entstehenden Gebilde, sind von manchen Forschern (de Baey, Hueppe, van Tieghem) als Sporen bezeichnet worden, und zwar im Gegensatze zu den erst- genannten als Arthrosporen, weil sie aus einzelnen Gliedern eines Bakterienverbandes hervorgehen sollten. Nur sehr wenige und dann auch noch zweifelhafte Thatsachen lassen sich für diese Annahme ins Feld führen. Wenn man freilich jede Bakterienzelle, die, ohne Formverände- rungeg zu erleiden, äusseren Einflüssen gegenüber sich etwas dauerhafter erweist als die Mehrzahl der übrigen Mitglieder einer Kolonie, Arthro- spore nennen will, so giebt es diese in jeder Kultur, auch von solchen Bakterien, die echte endogene Sporen bilden. Es sind das Individuen, die man vielleicht als Ausnahmezellen bezeichnen könnte. Verlangt man aber für die Arthrosporen bestimmte morphologische Charaktere und einen erheblich grösseren Resistenzgrad, so sucht man vergebens nach Beispielen dafür. Es wird zwar angegeben, dass von den Zellen des Leuconostoc mesenterioides einige in den Ketten regellos verteilte Glieder etw^as „grösser, derbwandiger, mit anscheinend dichterem, stärker lichtbrechendem Inhalt erfüllt" wären, und dass gerade diese Elemente ihre Lebensfähigkeit besonders lange behielten. Es ist billig zu bezweifeln, dass diesen Unterschieden ein erhebliches Gewicht bei- zulegen ist; ganz ähnliche morphologische Differenzen kann man bei allen Streptokokken beobachten, sie sind aber dem Grade nach äusserst variabel und der Nachweis der grösseren Widerstandsfähigkeit für die betreffenden Elemente ist bisher nicht erbracht. Wie die Entwicklungsverhältnisse bei dem Bakterium Zopfii liegen, wurde unter C erörtert. VonKuETH ist zwar behauptet worden (B. Z. 83), dass die kugeligen Endprodukte dem Eintrocknen gegenüber einige Tage länger widerständen; aber auch wenn man das als einen wesentlichen Unterschied hinnehmen wollte,, ständen der Beobachtung selbst die Erfahrungen Schedtler's (V. 108) entgegen, nach welchen die runden Formen geradezu geringere Resi- stenz besitzen sollen. Weiterhin glaubt Winogeaüsky (a. a. 0.) „kokkenförmige, stark licht- brechende" Glieder, die aus dem Zerfall von Stäbchen hervorgehen sollen, bei Cladothrix dichotoma und Leptothrix ochracea gefunden zu Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 61 haben und schreibt ihnen den Charakter von Dauersporen zu. Beobach- tungen der Auskeimung und Experimente z.um Beweise dafür werden aber auch von diesem Autor nicht angeführt. Von den eigenartigen Verhältnissen, die bei Crenothrix zu bestehen scheinen, sehen wir hier ganz ab, da wir diesen Organismus überhaupt nicht zu den eigent- lichen Bakterien rechnen können (vgl. Bd. II, 3. Abschn. 1. Kap.). Damit sind aber auch die Beispiele erschöpft, die zum Beweise einer Arthrosporenbildung beizubringen sind. Die Angaben über der- artige Bildungen bei Choleraspirillen, Diphtheriebacillen u. s. w. sind als widerlegt zu betrachten. Man dürfte keinen Fehler begehen, wenn man diesen Namen aus der bakteriologischen Nomenklatur völlig striche. Die Möglichkeit, dass unter Umständen durch Fragmentation der Bakterienzelle keimfähige Produkte entstehen, wurde unter C schon erwähnt. E. Unregelmässige Formen. Jede Abweichung von der normalen Form wird bei den Bakterien gewöhnlich als Degeneration oder Involution bezeichnet. Als normale Formen sieht man dabei diejenigen an, die in jungen, auf dem günstigsten Nährboden gewachsenen Kulturen beobachtet werden. Es herrscht hier im allgemeinen eine grosse Einförmigkeit. Sobald das Maximum der Entwicklung überschritten ist, also die Bakterienindivi- duen älter zu werden beginnen, und andererseits auf Substraten, in denen das Wachstum von Anfang an ein spärliches ist, pflegen unregel- mässige Bildungen aufzutreten. Augenscheinlich verdanken dieselben hemmenden, schädigenden Einflüssen, wie sie in alten Kulturen durch die bakteriellen Zersetzungsprodukte (vgl. 2. Abschn. 7. Kap.), in un- günstigen Nährböden von vornherein gegeben sind, ihren Ursprung. Man ist wohl meistens berechtigt, den Vorgang als Degeneration zu benennen, weil die umgeformten oder missgebildeten Elemente eine gewisse Einbusse an Lebensfähigkeit erleiden. Oft handelt es sich direkt um absterbende oder abgestorbene Formen, der Nachweis dafür muss aber in jedem einzelnen Falle erbracht werden; denn aus mor- phologischen Merkmalen allein kann man, wie schon früher bemerkt wurde, mit Sicherheit nicht auf den Tod einer Bakterienzelle schliessen. Z. B. giebt es Formen, die so missgestaltet sind, dass Avir ihre Zu- gehörigkeit zu einem uns bekannten Bakterium kaum zugeben möchten, und die dennoch durch lebhafte Bewegungen ihr Leben bekunden. Die Vereinbarkeit von Degeneration mit Lebensfähigkeit wird durch die Thatsache bewiesen, dass die Entartung vererbbar sein kann (vgl. Kap. „Variabilität"). 62 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Fraglicli muss es bisher bleiben, ob nicht iinregelmässige Bildungen umgekehrt durch einen Überschuss an Lebenskraft entstehen können („Riesenwuchs" Eschekich ^)), ferner ob nicht manche anomale Formen als Anpassungen der Bakterien an eine besondere Funktion, z. B. an die Gährthätigkeit (Hueppe, Gährungsformen. L.L. 107) aufzufassen sind. ^- fi @ Fig. 11. Unregelmässige Bildungen (Involutionsformen). Veiigr. c. 1000. 1. Von B. protens mirabilis (Hauser). 2. Von Bac. aceticus (Hansen). 3. Spirulinenbildung bei Bac. anthracis (Petkuschky). i. Involutionsformen von Bac. halopliilus (RUSSELL). 5. Von Spirillum cholerae (VAN Ermenghem). Im einzelnen sind etwa folgende bemerkenswerte Abweichungen von der typischen Form zu verzeichnen (Fig. 11). In alten Kulturen von Kokken begegnet man oft Individuen von ausserordentlich verschiedener Grösse, ebenso auch in altem Eiter, in dem die Staphylokokken nur noch spärlich vorhanden und offenbar im Absterben begriffen sind, Pneumoniekokken bilden auf Nährböden, die ihnen wenig zusagen, z. B. auf Blutserum, manchmal höchst sonder- 1) Escherich, Aetiologie und Pathologie der epidemischen Diphtherie. I. Der Diphtheriebacillus. Wien 1894. S. 84. Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 63 bare Gestalten, die an Hefe erinnern, statt der Lanzett- oft Semmel- formen, statt Ketten zooglöaartige Massen. Manchmal scheinen sich die Elemente bei demselben Mikroorganismus nicht die Zeit zur Teilung zu nehmen und erscheinen als mehr oder weniger lange, unregelmässige Stäbchen (vgl. Keuse und Pansini: Z. 11. 283 ff.). Auch kolbenförmige Bildungen hat Babes (Z. 20. 3) bei Streptokokken beobachtet. Bei Bacillen kommen körnige, kugelige, spiudel-, keulen- und wurstförmige, spiralige und verästelte Gebilde vor, die an Kokken, Hefen, Monaden, Spirillen oder Streptothrix erinnern können. Die einzelnen Spezies scheinen sehr verschieden stark zu solchen Missbildungen dispo- niert zu sein. Einige Beispiele mögen herausgegriffen werden. Der Ba- cillus halophilus, den Russell (Z. 11.200 ff.) im Golfe von Neapel fand, ist ein beweglicher, mittelgrosser, ziemlich plumper Bacillus, der in künst- lichen Nährböden je nach dem Alter der Kultur und der Zusammensetzung des Substrates verschiedene rundliche, wurstförmige oder monaden- ähnliche Formen zeigt (Fig. 11 4). Gerade die letzteren sind besonders interessant, weil sie mit Grund für die Annahme einer Verwandtschaft der Bakterien mit den einfachsten Monadinen verwertet werden können. Der Diphtheriebacillus bildet häufig ganz charakteristische keulen- förmige Anschwellungen an seinen Enden, die von Neisser ursprüng- lich als „Gonidien" bezeichnet und mit der Fortpflanzung in Verbindung gebracht, später aber wie auch von den meisten übrigen Autoren als Aus- druck gestörten Wachstums aufgefasst wurden (Z. 4. 191). Der Bacillus pyocyaneus wächst in Fleischbrühe mit 0,6 % Borsäurezusatz, Avie Wasserzug (P. 88) und Charrin gefunden haben und vom Verfasser be- stätigt werden konnte, zu zickzackförmig, fast spiralig gewundenen Fäden heran. Es bedeutet das freilich nicht, wie der französische Forscher will, die Umwandlung der Bacillen in Spirillen, denn von den schönen regel- mässigen Schraubenwindungen der letzteren sieht man hier nichts; die Beweglichkeit, die den Spirillen nie fehlt, ist hier auch nur ausnahms- weise vorhanden. Beim Bac. prodigiosus haben Wasserzug und Ver- fasser nach 0,2 % Borsäurezusatz ähnliches beobachten können. Haar- flechtenähnliche Formen kennt man schon lange aus älteren Kulturen von fadenbildenden Bacillen, z.B. von Bac. anthracis (Fig. 11 3), ferner von Proteus vulgaris und mirabilis, wo sie als „Spirulinen" bezeichnet worden sind (Hauser, Fäulnisbakterien. Leipzig 1885; Hueppe, L. L,; vgl. Fig. 11 1). Störungen des normalen Wachstums sind auch die sonderbaren Bildungen, die beim Essigbakterium sehr häufig gefunden werden (Fig. 11 2). Die teils aus kurzen, teils aus langen Gliedern zusammengesetzten Fäden zeigen deutlich, welche Unregelmässigkeiten der Teilangsprozess hier erfährt. Ganz besonders interessant sind die verzweigten Formen (vgl. Fig. 12 11 — 13), auf die man seit einiger ß4 Allgemeiue Morphologie der Mikroorganismen. Zeit aufmerksam geworden ist; sie finden sich bei Tuberkelbacilleu (Metschnikoff : V. 113; Maffucci: Z. 11 ; Koppex Jones: C. 17. 1 ; Babes: Z.20.3u. A.), beiDiphtheriebaeillen (C.Feänkel: R.95, Babes). nach Babes auch bei Leprabacillen nnd sogar bei Streptokokken (vgl. auch Tetanus, Rotz und Typhus). Dass sie unregelmässige Bildungen sind, unterliegt kaum einem Zweifel, indessen sind sie deswegen noch nicht als degeneratiye, fortpflanzungsunfähige Gebilde zu betrachten. Man könnte sie hervorgegangen denken (Neisser: Z. 4.2 u. Babes) aus der Keimung von Sporen innerhalb der Mutterzelle, wie wir eine solche schon beim Spirillum endoparagogicum (s. u. D) kennen gelernt haben. Aber von hierher gehörigen Bakterien sind gerade SjDoren nicht bekannt. Also bleibt nichts übrig, als die Seitenzweige als echte Sprossungen des Bakterienleib es anzusehen, wie sie die Regel bilden bei der Gruppe der Streptothricheen. Es stellt sich bei den genannten Bacillen dadurch eine Verwandtschaft mit der letzteren Familie heraus. Auch das Vorkommen keuliger Anschwellungen der Enden ist ein weiteres gemeinsames Merlanal. Die übrigen Momente, die für eine solche An- näherung der Streptothricheen an die eigentlichen Bakterien sprechen, werden wir im systematischen Teile (Bd. II 2. Abschn. u. 3. Abschn. 1. Kap.) zu erörtern haben. Wohl anderer Natur sind die gabeligen oder mehrfach verzweigten Formen, die wir bei dem Bacillus radici- cola der Leguminosenwurzeln antreifen. Das sind eigentümliche Um- Avandlungsprodukte, die sich sehr erheblich von den Bacillen, aus denen sie hervorgehen, unterscheiden. Durch Auflösung derselben sollen nach Beobachtungen im hängenden Tropfen typische Stäbchen entstehen (über ihre Bedeutung vgl. Bd. II). Spirillen weisen ganz ähnliche Degenerationsformen auf wie Bacil- len; Fig. 11 5 giebt z. B. diejenigen wieder, die beim Choleraspirillum vorkommen. Bisher war nur von Anomalien der Form die Rede, Hand in Hand damit gehen solche des Inhalts der Bakterienzelle, das Auf- treten von Körneluugen, andererseits von Vakuolen in dem sonst homo- genen Bakterienkörper, die verschiedene Reaktion desselben bei der Behandlung mit Farbstoffen u. s. w. Wir verweisen deswegen auf die Besprechung bei H. F. Bewegungsorgane. Eine grosse Zahl von Bakterien besitzt Eigenbewegung, die durch besondere Organe, Geissein, vermittelt wird. Schon Ehrexberg hat bei einem, wenigstens den Spirillen nahe verwandten Mikroorganismus, der Ophidomonas einen „fadenförmigen Rüssel als Bewegungsorgan'" be- Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 65 schrieben. F. Cohn konstatierte dann bei einem grossen echten Spi- rilluni an jedem Ende eine Geissei, die durch ihre Bewegung einen Strudel erregten (B. B. 1, 2. 183). Dallingeb und Detsdale sahen solche bei kleineren Bacillen. R. Koch wies ihre Existenz durch die Photographie nach (B. B. 2. 3). Ein ausserordentlicher Fortschritt wurde durch Löeflee angebahnt, der eine allgemein giltige Methode angab, um die Geissein durch eine Art von Beizung mit nachfolgender Färbung sichtbar zu machen (C. 7. 20). Mit Hilfe dieses neuen Verfahrens ist es in allen Fällen gelungen, bei beweglichen Bakterien solche Organe nachzuweisen, während bei unbeweglichen nichts dergleichen zu finden ist. Damit kann denn die von manchen Seiten noch als offen betrachtete Frage (vgl. Hueppe: L. L. 98) nach der Ursache der Bewegung bei unseren Or- ganismen als erledigt angesehen werden. Die Geissein erscheinen nach LöFFLER gefärbt als sehr zarte Gebilde, die immer ein Vielfaches des Dickendurchmessers ihres Bakteriums erreichen, von dessen Körper losgerissen werden und sich zu grösseren zopfartigen Massen vereinigen können (Fig. 12, 5a; Löffler: C. 7; Novy: Z. 17. 2). Auf allen, nach der LöFFLER'schen Methode gefärbten Präparaten erscheinen die Bak- terien bedeutend dicker, als wenn sie nach den gewöhnlichen Methoden dargestellt sind. Möglicherweise hängt das nur mit einer Quellung der Zellen zusammen. Nach Babes (Z. 20. 3) ist diese Erscheinung hin- gegen ein sicheres Zeichen für die Existenz einer Rindenschicht oder Hülle, von der erst die Geissein ausgehen sollen.') Ihre Zahl und An- ordnung ist bei den verschiedenen Spezies eine verschiedene. Man kann mit Messea"^) folgende Typen aufstellen (Fig. 12. i — s): Monotricha mit einer einzigen Geissei am Pol, Amphitricha mit je einer Geissei an beiden Polen, Lophotricha mit einem Büschel von Geissein an einem Pol, Peritricha mit einer variablen Zahl von Geissein rings um den Körper. Über den Zusammenhang der Geissein mit dem Bakterienkörper ist wenig zu sagen; voraussetzen muss man, dass die Bewegungsorgane protoplasmatische Gebilde, nicht einfache Ausläufer einer starren, etwa 1) In manchen Fällen konstatiert man nach Babes sogar noch eine zweite nach aussen gelegene breite Hülle, die nur schwach gefärbt ist. Die Bilder, auf die sich der Autor bezieht, sind Jedermann wohl bekannt, aber diese zweite Hülle fehlt gerade in gut gelungenen, scharf gefärbten Präparaten, man darf sie daher wohl als ein Produkt der Präparation ansehen (vielleicht durch Verschmelzung der Cilien entstanden?). 2) Rivista d'igiene e sanita publica. 1S90. 11. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 0 66 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Fig. 12. Bewegungsorgane und Bau der Bakterienzelle. Vergr. c. looo. i — 5. Geisseifärbung. 1. Monotriches Bacterium (Messea), 2. Lophotriche B. 3. u. 4. Amphitriclie B. 5. Hülle mit Geissein (Babes). 5a. Ein Geisseizopf aus einer Rauschbrandkultur. G — S. „Bakterium lineola" (BÜTSCHLi), mit Alkohol fixiert, mit Hämatoxj'lin gefärbt: Membran, Wabenstruktur des Zell- körpers und CentTalkörper sichtbar. Die durch Hämatoxylin rot gefärbten Körnchen liegen teils im Centralkörper, teils im Plasma. 9. Durch Kochsalzlösung plasmolj'sierte, fixierte und gefärbte Bakterien (A.Fischer). 10. Dieselben, nicht plasmol.Y.siert. 11. Verästelte und keulig angeschwollene Bacillen (Hühnertuberkulose, JIaffücci). 12. Ähnliche Formen (Diphtherie und Pseudodiphtherie, Babes). 13. Knospenbildung (?) und keulige Degenerationsformen von Strepto- kokken (Babes). 14. Ähnliche Formen. 15. Diphtheriebacillen ebenso behandelt. 16. Cholera- spirillen ebenso behandelt. 17. Wurzelbacillen mitMethj^lenblau-Bismarckbraun gefärbt(ERNST). Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 67 aus Cellulose bestehenden Membran sind. Wo eine solche existiert, muss sie also von den Geissein durchbrochen werden; Teenkmann glaubt eines seiner Photogramnie in diesem Sinne interpretieren zu müssen (C. 8. 389). Ein Beispiel für den Fall, dass die Membran nur den äussersten verdichteten Teil des Protoplasmas repräsentiert und wie bei vielen Flagellaten kontraktil geblieben ist, führt Bütschli (Bau der Bakterien. Leipzig 9ü) an; die Geissein scheinen hier von der Membran auszugehen. In jedem Falle müssen die Geissein wohl als ersetzbar gedacht werden. Am nächsten liegt die Vorstellung, dass sie eingezogen und ausgestossen werden können; anders lässt sich wohl kaum die That- sache erklären, dass die Bakterien in festem (und nicht verflüssigtem) Nährboden nicht nur keine Bewegung zeigen, sondern auch nicht einmal, dichtgedrängt wie sie sind, Platz haben, ihre Geissein unterzubringen, während sie doch in flüssige Medien übertragen vom ersten Moment an beweglich sind (vgl. A. Fischer: J. w. B. 94).^) Eine andere Art der Bewegung als durch Geissein, z. B. durch Kontraktion ihres Leil)es, ist bisher bei Bakterien nicht beobachtet worden. Selbstverständlich findet beim Wachstum auch eine Verschie- bung von der Stelle statt (Wachstumsbewegung). G. Kapsel- und Zooglöabildung. Manche Bakterien besitzen eine breite schleimige Hülle um ihren Körper, eine sog. Kapsel, die namentlich in fixierten und gefärbten Präparaten deutlich zu demonstrieren ist, indem sie dann als breiter, heller oder mehr oder weniger gefärbter Hof das Bakterium umgiebt (Fig. 13 1 — 3). In einer einzigen Kapsel sind häufig mehrere Bakterien- individuen, gewöhnlich in Form eines der charakteristischen Verbände (Paar, Kette, Tetrade), vereinigt. Sehr eigentümlich ist die einseitig erfolgende Schleimbildung bei dem B. pedicu latus (A. Koch und HosAEüS: C. 16. 6), der dadurch ein gestieltes Aussehen erhält (Fig. 13 4). Aber auch mehrere solcher Verbände können zu einer Hülle ver- schmolzen sein. Schliesslich entstehen durch Zusammenlagerung vieler Individuen ganze Schleimkolonien, sog. Zooglöen. Die Menge und Konsistenz der Bindemasse wechselt ebenso sehr wie die Form der 1) Über eigentümliche Mikroorganismen mit dicken, schwanztormigen An- hängen (Vibrio [?] spermatozoides) s. Löffler: C. 7. 637 ft'. Über spermatozoenartige Gebilde in Kulturen von tj^phusähnlichen Bacillen vgl. Germako und Maurea: Zi. 12. 517. AVähreud die Bakterien-Geissein im allgemeinen wellig gekrümmt sind, erscheinen sie regelmässig kreisfönnig gebogen bei der Sarcina mobilis (Maurea: C. 11. 230). *5* 68 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. gesamten Kolonie. In stehendem Wasser, das an organischen Stoffen reich ist, entwickeln sich gewöhnlich solche Zooglöen geradezu massen- haft. Einige charakteristische Formen seien hier herausgegriffen. Kugelige Fig. 13. Bakterien in Kapseln u. ZooglÖeu. 1 — 6 stark, 7—8 schwach vergrössert. 1 — 3. Kapseltragende (gefärbte) Kokken u. Bacillen. 4. Gefärbte Stäbchen (a) mit einer stiel- artig ausgebildeten und verzweigten Hüllsubstanz (Bact. pediculatum [KOCH n. Hosaeus]). 5. Leuconostoc mesenterioides. G. Myconostoc gregarium. 7. Zoogloea ramigera der Autoren. 8. Ascokokkus Billrothii (COHN). Zooglöen von verschiedener Grösse sind sehr gemein, auch eine baum- artig verästelte Form ist oft als Zoogloea ramigera beschrieben (Fig. 13 7). Der Ascokokkus Billrothii bildet knorpelartig harte Kolo- nien, die oft zu Familien vereinigt sind (Fig. 13 s). Meist werden die Zooglöen zw^r von gleichartigen Elementen, sei es von Kokken, Bacillen Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 69 oder Spirillen, erzeugt, nicht selten beobachtet man aber auch mehrere Spezies in einer Gallerte verbunden (R. Koch: B. B. 2. 415). Die Bak- terien innerhalb einer Zooglöa sind selbstverständlich unbeweglich, mit Bewegung begabte Arten müssen erst in den ruhenden Zustand über- gehen, um Schleimkolonien zu bilden. Wenn man früher auf die Fähigkeit der Bakterien zur natürlichen Zooglöabildung einen solchen Wert legte, dass Cohn sie geradezu in zwei Familien: die der Gloeogenae und Nematogenae, einteilte, so ist das jetzt nicht mehr angängig, weil die künstliche Kultur, bei allen überhaupt züchtbaren Bakterien die Möglichkeit der Zooglöabildung bewiesen hat. Denn was sind die Kolonien auf festen Nähr- böden anders als Zooglöen? Dass aber unsere Mikroorganismen auch in flüssigen Medien sämtlich Schleim zu secernieren vermögen, beweisen allein schon die verschiedenen Arten der Bakterienverbände, wie wir sie geschildert haben. Die für die Staphylokokken charakteristischen Häufchen, die Ketten der Streptokokken, die Fäden der Milzbrand- bacillen sind Ansätze zur Zooglöabildung. Die Bakterienhäutchen, die sich an den Oberflächen von Nährflüssigkeiten entwickeln, bilden weiter- hin mit ihrer grösseren Ausdehnung und reichlicheren Produktion von Zwischensubstanz den Übergang zu den echten, d. h. ursprünglich so genannten Zooglöen. Auf die nähere Beschaffenheit der Kolonien in künstlichen Nähr- böden, die für unsere heutige Systematik eine grosse Bedeutung ge- wonnen hat, wird im 1. Kap. d. 3. Abschn. d. II. Bd. einzugehen sein. Die Frage nach der Entstehung der schleimigen Hülle der Bakterien führt uns zur Besprechung des Baues der Bakterienzelle. H. Bau der Bakterienzelle. Die Bakterien erscheinen, im frischen Zustande in wässrigen Flüssig- keiten ohne Zusatz von Reagentien untersucht, mit wenigen Ausnahmen als leichtgraue, durchaus homogene Körper von geringem Lichtbrechungs- vermögen, die keine Differenzierung in Kern, Protoplasma und Membran erkennen lassen. Regelmässig zeigen sie bei genauer Betrachtung einen helleren, gänzlich farblosen, schmalen Hof, der mit Unrecht von einigen Autoren als Kapsel bezeichnet wird. Es handelt sich hier vielmehr um eine rein optische Erscheinung, die man bei kleinsten, nicht organi- sierten Körnchen aller Art ebenfalls bemerken kann und die, sei es durch Interferenz, sei es durch Reflexion, von der äusseren Fläche aus erklärt worden ist (vgl. Nägeli und Schwendenee, Das Mikroskop. Leipzig 1877). 70 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Die eigentliche Kapsel, von der schon im vorhergehenden Kapitel die Rede war, ist, selbst wenn sie recht stark entwickelt ist, wie z. B. bei dem Mikrokokkus tetragenus, im frischen Präparat überhaupt nicht direkt zu sehen, man erkennt sie aber daran, dass die einzelnen Bak- terienindividuen resp. Verbände, wenn sie frei schwimmen, immer in einem verhältnismässig grossen Abstände von einander bleiben, also durch ein unsichtbares Hemnis vor der Berührung bewahrt werden. Dieses letztere ist eben die Schleimhülle, die erst im fixierten und ge- färbten Präparat leicht sichtbar gemacht werden kann, neben der aber der oben erwähnte viel schmälere Lichthof um die Zellkörper herum deutlich zu erkennen ist. Die Hülle muss aufgefasst werden als ein Produkt der Bakterienzelle, das bald reichlicher, bald spärlicher ge- bildet wird, aber wohl niemals gänzlich fehlt (vgl. G. S. 67). Gewöhnlich bezeichnet man sie als ein Umwandlungsprodukt der äussersten Zell- schicht und zwar der Bakterienmembran, deren Existenz freilich meist ohne weiteres vorausgesetzt wird. Durch die Beobachtung nach- weiseü lässt sich eine solche nur ausnahmsweise, so z. B. bei einigen sehr grossen Organismen, die von Frenzel (Z, 11) und Bütschli (Bau der Bakterien. Leipzig 1890) als Bakterien beschrieben worden sind; ferner bei Beggiatoa und Cladothrix. Teenkmann (C. 8) hat bei einem grossen Spirilluin, dessen Geissein durch eine besondere Färbungsmethode sicht- bar gemacht waren, gefunden, dass diese Bewegungsorgane eine deutlich vom Bakterienkörper abgehobene Membran durchbohrten. Für das Vorhandensein einer, wenn auch nur sehr dünnen Membran, auch bei den kleinsten Bakterien, sprechen einige Thatsachen, die sich unter günstigen Bedingungen beobachten lassen, nämlich erstens das Vorkommen von sog. Schatten, d. h. scheinbar leeren, aber doch scharf begrenzten Bakterienzellen, die in absterbenden Kulturen gefunden werden und die sich durch Austritt des Plasmas aus einer zurück- bleibenden Membran erklären lassen, i) Ahnlich ist das Bild bei Bak- terien, die Sporen entwickelt haben: der Inhalt der Mutterzelle hat sich völlig in die Spore hinein koncentriert, während ihr ümriss er- halten gejslieben ist. Hierher gehören ferner gewisse Degenerations- formen, namentlich solche, bei denen offenbar eine Schwellung des Um- fangs der Zelle eingetreten ist. Manchmal erkennt man bei diesen eine blasenartig aufgetriebene Membran, andere Male ist von einer eigent- lichen Auftreibung der Zelle nicht die Rede, der Inhalt scheint sich 1) BÜTSCHLI hat diesen Vorgang bei einer den Bakterien nahestehenden grossen Form, Chromatium Okenii (vgl. Purpurbakterien im 1. Kap. d. 3. Abschn. d. II. Bds.) durch Druck auf die Zelle unter dem Mikroskop hervorrufen können (a. a. 0. S. 8). Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterier». 71 vielmehr zusammengezogen und Lücken gebildet zu haben, die teil- weise nach aussen hin nur von einem zarten Kontur, eben der sup- ponierten Membran, begrenzt werden. Derartige Vorgänge erinnern an die Plasmolyse bei höheren Organismen und können auch hier künstlich durch Zusatz von starken Salzlösungen zu den frischen Zellen hervor- gerufen werden (A.Fischer, Ber. der sächs. Ges. der Wiss. Leipzig 1891 u. J. w. B. 94. Fig. 3 o). Sehr häufig verläuft freilich nach des Verf.s Be- obachtungen die Erscheinung nicht so typisch, wie sie nach Fischee's Ab- bildungen erscheinen könnte. Die Zellen reagieren zwar auf den Zusatz von Salzlösungen durch Zusammenziehung, dieselbe ist aber eine gleich- massige und führt nicht zur Abhebung einer Grenzschicht, sondern die Bakterien erscheinen im ganzen stärker lichtbrechend und kleiner. Auch mit diesem Bilde Hesse sich die Annahme der Existenz einer Membran vereinigen. Es wäre nur die Hilfshypothese nötig, dass die Membran elastisch wäre. Dafür spricht mancherlei. Aus der ausserordentlichen Biegsamkeit, die die Bakterien, besonders viele spontan bewegliche, bei Bewegungen zeigen, müsste man schon auf eine solche Beschaffenheit der Grenzschicht schliessen. Die Elastizität mancher Sporenhüllen wurde schon früher berührt, man kann sie direkt unter dem Mikroskop kon- statieren, wenn man sieht, wie vor dem Auskeimen die Spore anschwillt und wie nach dem Ausschlüpfen des jungen Bacillus die zurückbleibende Haut sich zusammenzieht. Dass die Membran aber nicht blos aus elas- tischer, sondern sogar aus kontraktiler Substanz bestehen kann, folgt aus der Thatsache, dass die Geissein manchmal unmittelbar aus der Membran entspringen (vgl. u. F). Wenn nach alledem die Wahrscheinlichkeit besteht, dass den Bak- terien im allgemeinen eine Membran zukommt, so weist dieselbe in ihren Eigenschaften doch erhebliche Unterschiede gegenüber der Mem- bran der Pflanzenzellen auf. Die mikroskopische Cellulosereaktion gelingt nicht, daher kann auch der Umstand, dass die Bakterien sich verdünnten Alkalien gegenüber gewöhnlich sehr widerstandsfähig er- weisen, nicht als Beweis für eine celluloseartige Beschaffenheit der Membran angesehen werden. Es liegt näher, diese Resistenz auf die molekulare Konstitution des Bakterienleibes selbst zurückzuführen; für einige Spezies sind wir gewungen, diese Hypothese anzunehmen, nämlich für diejenige Bakterien, die bei höheren Temperaturen (50 — 70 0 C.) wachstumsfähig sind (vgl. 2. Kap. d. 2. Abschn. dies. Bds.). In demselben Sinne sprechen die Thatsachen, die bezüglich der Er- haltung der Lebensfähigkeit des Bakterienprotoplasmas nach Ein- wirkung excessiver Wärmegrade bekannt sind. Von den vegetativen Formen der Kokken, Bacillen und Spirillen gilt das in gleicher, nur quantitativ verschiedener Weise, wie von den Sporen. Die ersteren 72 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen, . können Temperaturen von 60 ^ die letzteren gar von 100*^ einige Zeit ertragen, ohne wie sonst alles lebende Protoplasma abgetötet zu werden. Die in jedem Falle recht zarte Membran kann daran nicht schuld sein, sondern nur die Beschaffenheit der Leibessubstanz. Ob der Unter- schied einzig und allein in dem geringeren Wassergehalt der Zelle bei den Bakterien zu suchen ist, wie das besonders für die Sporen behauptet worden ist (Lewith: A. P. 26), muss dahingestellt bleiben. Was sich mit Hilfe des Mikroskops von Strukturverhältnissen im Körper der Bakterien sonst entdecken lässt, ist Folgendes. Es hat an Versuchen nicht gefehlt, die Ergebnisse der neueren Zellenlehre auch auf unsere Mikroorganismen anzuwenden. So hat z. B. Bütschli bei «inigen Bakterien der grössten Art den „wabigen Bau" des Plasmas, den er für die Zelle im allgemeinen postuliert, wiedergefunden und einen sehr voluminösen „Centralkörper" darin als Kern beschrieben (Fig. 12 6 — s). Bei den kleineren Bakterien, bei denen die Beobachtung im Stich lässt, möchte der Autor die Existenz einer sehr «lünnen Plasma- schicht um den als Kern aufzufassenden, allein deutlich sichtbaren und färbbaren Körper herum annehmen. Auch andere Forscher (Klebs, Hüppe: L.L., Fkenzel: Z. 11, Wahrlich: r. C. 11.2,Zettnow:C. 10. 21, Sjöbeing: C. 11. 3/4) haben hauptsächlich auf Grund der leichten Tingir- barkeit -der Bakterien durch Kernfärbemittel die Bakterienleiber als Kerne interpretiert. Uns scheint durch diese, zweifelhaften Analogien zu Liebe gegebene Deutung wenig gewonnen zu sein. Wenn man überhaupt das übliche Zellschema als absolut bindend betrachten, also eine kernlose Zelle nicht gelten lassen will, so liegt es viel näher nach Analogie mit anderen niedrigstehenden, nicht mit einem unzweifel- haften Kern versehenen Organismen nach einem Äquivalent des Kerns im Innern des Körpers zu suchen, als sich aus dem ganzen sichtbaren Körper ein Monstrum von Kern zu konstruieren, das dann mit einer Spur unsichtbaren Plasmas umgeben sein soll. An Versuchen auch nach jener Richtung hin hat es nicht gefehlt, ohne dass freilich sichere Resviltate gewonnen wären. Schottelius (C. 4. 23) unterscheidet in der Bakterienzelle ein in der Mitte liegendes sehr feines „Kern- stäbchen", das Farbstoffe intensiver aufnehmen soll, von einer breiten Schicht weniger stark färbbaren Protoplasmas. Verfasser hat sich Mühe gegeben, diesen Befund zu bestätigen, hat aber aus frischen Präparaten eher den Eindruck gewonnen, dass die centrale Zone der Bakterien von einer weniger lichtbrechenden Substanz eingenommen ist, als von einem dichteren Kern; im gefärbten Objekt kommen zweifellos Bilder vor, wie sie Schottelius beschreibt, oft aber auch geradezu entgegen- gesetzte, d. h. mit stärker gefärbter Aussenschicht und schwächer ge- färbter Innenschicht. Das würde dann eher mit der Auffassung Migula's Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 73 übereinstimmen, der beim Studium eines grossen Bacillus (C. C. 1. 6) im Gegensatze zu Bütschli und Schotteliüs junge Individuen gänzlich strukturlos fand und bei älteren im Centrum eine grosse Vakuole, die von unverdaulichen, mit dem Chromatin verwandten Körnchen umgeben war, konstatierte (vgl. auch A. Fischer, J. w. B. 94). Noch weiter wie Schotteliüs gehen Tramububsti und Galeotti, die bei einem Wasserbacillus nicht nur einen deutlichen Kern, sondern auch zum ersten Mal eine typische karyokinetische Kernteilung gefunden haben wollen. Die Figuren, die sie dazu geben, überzeugen gerade nicht (C. 11. 23). Nicht einen konstanten, aber doch sehr häufigen Befund bilden bei vielen Bakterien in der Ein- oder Mehrzahl vorkommende Körner verdichteten Protoplasmas, die kernfärbende Mittel besonders stark anziehen (Ernst: Z. 4. 1 und 5. 3; Neisser: Z, 4. 2; Babes: Z. 5. 1 und 20. 3; Bütschli: a. a. 0.; vgl. über die Färbungsverfahren in den „Me- thoden"). Sie sind teils als Aqiiivalente des Kerns, teils als Phasen der Sporenbildung, teils als Produkte der Zelldegeneration aufgefasst worden, und es ist wohl möglich, dass alle diese Deutungen in ein- zelnen Fällen zu Recht bestehen, dass wir es also trotz des anscheinend gleichartigen mikrochemischen Verhaltens mit Bildungen ganz ver- schiedener Art zu thun haben. Bei der Inkonstanz des Befundes (vgl. Fig. 12 6, 7, 12 — iv) dürften diese ERNSTschen Körner für die Frage der Kernhaltigkeit der Bakterien nur von geringerem Interesse sein. Die Bedeutung der körnigen Elemente im Bakterienkörjier für die Sporenbildung wurde schon in einem früheren Abschnitte besprochen und eljenda auch der fälschlich als Sporen beschriebenen „Polkörner" (vgl. Typhusbacillus) und „Arthrosporen" gedacht. Nach diesen mehr oder weniger hypothetischen Erörterungen, die durch das grosse theoretische Interesse des Gegenstandes entschuldigt werden mögen, wäre über den Inhalt der Bakterienzelle noch einiges zu bemerken. Normalerweise, d. h. unter günstigen Wachstums- bedingungen erscheint der Körper fast aller Bakterien durchaus homogen. Eine regelmässige Ausnahme davon machen vor allem die sog. Schwefel- bakterien (Beggiatoa,Thiothrix) die aus Schwefelwasserstoff den Schwefel abspalten und als Reservematerial in Form stark glänzender, runder Körnchen in ihrem Leibe aufspeichern, um ihn erst bei eintretendem Mangel von Schwefelwasserstoff zu Schwefelsäure zu oxydieren (Winogradsky: B. Z. 87. 31—37). Hat die Ansammlung von Schwefel ihren Höhepunkt erreicht, so erscheinen die Bacillenfäden fast schwarz, von Gliederung in Einzelindividuen ist dann nichts zu sehen. Ist der Reservestoff aber völlig oxydiert, oder werden die Schwefelkörnchen durch Alkohol entfernt, so tritt die Struktur wieder hervor, die einzelnen 74 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Stäbchen haben dann ein homogenes Aussehen. Bei absterbenden Exemplaren werden die Schwefelkörnchen eckig, imdeutlich krystalli- nisch. Auch andere Bakterien verlieren unter Umständen ihr gleich- massiges Aussehen, bilden Körnchen verschiedener Grösse und blasige Hohlräume (Vakuolen). Es tritt das physiologischer Weise ein bei der Vorbereitung zur Sporenbildung (vgl. u. D) und pathologischer Weise beim Absterben, bei der Degeneration. Am schönsten lassen sich diese Vorgänge natürlich bei den grössten Arten der Bacillen und Spirillen beobachten. Die Veränderungen der Form, die das Absterben häufig begleiten, wurden schon früher besprochen (E). Das Lichtbrechungsvermögen der Bakterien ist unter normalen Bedingungen ein massiges, nur die Sporen nehmen durch Verdichtung ihres Plasmas regelmässig einen sehr starken, Fetttropfen ähnlichen Glanz an. Aber auch die vegetativen Formen werden unter Umständen stärker lichtbrechend, wie man sich leicht experimentell überzeugen kann, wenn man dem frischen Objekt eine koncentriertere , z. B. 5proz. Kochsalz- lösung zvisetzt. Der Vorgang, dessen schon früher unter dem Namen Plasmolyse (A. Fischer) Erwähnung gethan wurde, verläuft häufig so, dass eine gleichmässige Zusammenziehung des ganzen Bakterienkörpers entsteht; bei manchen Individuen tritt dagegen eine Zerreissung in stärker brechende Teilstücke auf, die durch Lücken von verschiedener Form von einander getrennt sind (vgl. Fig. 12 9 u. lo). Das normale Aussehen kann diirch Zurückgehen auf die ursprüngliche Koncentration des Mediums wieder hergestellt werden. Der Plasmolyse ähnliche Er- scheinungen kommen auch spontan in künstlichen oder natürlichen Kulturen vor. Sie lassen sich aber nur teilweise auf die durch Ver- dunstung zunehmende Koncentration der Salze in den Nährböden zu- rückführen. • In anderen Fällen handelt es sich um eine Umlagerung der Substanzen innerhalb des Bakterienleibes, die das Absterben be- gleitet. Unter den Abbildungen in Fig. 12 ii u. 12 sind auch die merk- würdigen Formen wiedergegeben, die beim Diphtherie-, Tuberkelbacillus und Verwandten häufig gefunden werden. Die Stäbchen erscheinen, wie zerhackt in kurze, fast scheibenförmige, die Farben fixierende Ele- mente („Chromatinbanden"). Der Körper der Bakterien ist im allgemeinen farblos und er- scheint bei mikroskopischer Beobachtung der einzelnen Elemente auch dann noch so, wenn durch die Thätigkeit der Bakterien ein Pigment gebildet wird, das den Kolonien bei Betrachtung mit blossem Auge oder schwacher Vergrösserung anhaftet, ohne in die Nährlösung sich zu verbreiten. Der Grund dafür liegt entweder in der schwachen Kon- centration des Farbstofi'es oder in dem Umstände, dass nur die Zooglöa den letzteren (und zwar in Form von unregelmässigen Körnern) aufge- Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 75 speichert enthält. Nach Schottelius (Biolog. Untersuch. überProdigiosus. Leijjzig 1887) ist beimBac. prodigiosns die Zelle selbst ursprünglich blass- rot und das Pigment findet sich erst später zwischen den Zellen. Bei den sog. Eisenbakterien (Leptothrix ochracea; Winogeadskt: B. Z. 88) wird in der die Bakterien umgebenden Scheide, nicht im Innern der Zellen das in der umgebenden Flüssigkeit gelöste kohlensaure Eisenoxydul als rotes Eisenoxydhydrat niedergeschlagen; wenn das Wasser auch noch Schwefelwasserstoff enthält, zugleich Schwefel in körniger Form („Pseudo- Schwefelbakterien" Winogeadsky's). Bezüglich der den echten Bakterien nahe verwandten chlorophyll- haltigen Mikroorganismen, sowohl der wenigen grünen Formen als der zahlreichen und vielgestaltigen „Purpurbakterien", sei auf das 1. Kapitel d. 3. Abschn. d. IL Bds. verwiesen. Die chemische Zusammensetzung des Bakterienleibes wird in einem späteren Abschnitte zu besprechen sein (vgl. Kap. 2. d. 2. Abschn.). Uns in- teressieren hier einige Reaktionen, die für die mikroskopische Unter- suchung unserer Organismen grosse Bedeutung gehabt haben und noch haben. Bevor die Färbetechnik so ausgebildet war, wie heutigen Tages, benutzte man zur Erkennung der Bakterien im Gewebe die Beobach- tung, dass sie durch verdünnte Alkalien nicht zerstört werden, wäh- rend die allermeisten organisierten Gebilde dadurch zum Verschwinden gebracht werden. Es ist das eine Regel, die nur wenige Ausnahmen zu erleiden scheint. Ein solches Beispiel hat Verfasser in den Bakterien gefunden, die sehr häufig in den roten Blutkörperchen des Frosches schmarotzen (Keuse: V. 120). Auch Jodlösung wurde, namentlich früher, in der Technik viel verwendet, sie färbt die Bakterien gewöhnlich blassgelb. Nur einige Spezies reagieren darauf mit Blaufärbung und zeigen dadurch einen Stärkegehalt an (Jodokokkus vaginatus, Bac.'maxi- mus buccalis [Millee], Bac. Pasteurianus [Hansen], Vibrio Rugula und Clostridium butyricum vor der Sporenbildung [Peazmowski]). Praktisch viel wichtiger geworden sind die eigentlichen Färbe- mittel, besonders die basischen Anilinfarben (vgl. „Methoden"). Die Theorie der Färbung, die Folgerungen aus Farbenreaktionen auf die Struktur der Bakterien sind vorläufig noch sehr hypothetischer Natur (vgl. Unna: C. 3; Hueppe: L.L.). Die Aufstellung „spezifischer" Tinktionen hat, wie das oben erwähnte Beispiel der EENST'schen Kernfärbung beweist, nur zu sehr zweifelhaften Schlüssen geführt. Gewisse Behandlungsmetho- den, wie die zur Darstellung der Tuberkel- und Leprabacillen benutzten und die GEAM'sche Methode, sind so eingreifend, dass man sich immer die Möglichkeit der Entstehung von Kunstprodukten vor Augen halten sollte. Die „Kokkothrix"-Form einiger Autoren dürfte namentlich hier- 7ß Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. her gehören (Unna^) und Neisser'). Als eine der sicheren Erfahrungen, die bisher auf diesem Gebiete gewonnen sind, dürfte der Satz gelten, dass diejenigen Bakterienformen, die sich schwer färben und ebenso schwer wieder entfärben lassen (die echten Dauersporen und die Tu- berkelbacillen), im lebenden Zustande eine besondere Resistenz be- kunden, weniger wohl wegen Vorhandenseins einer widerstandsfähigen Membran, als wegen der molekularen Beschaffenheit ihrer Sub- stanz. Die GRAM'sche Färbungsmethode hat, wie man später sehen wird, nicht nur eine grosse diagnostische Bedeutung, sondern auch einen gewissen Wert für die Systematik der Bakterien, indessen hat sich herausgestellt, dass die Reaktion nicht nach Art einer chemischen ent- weder positiv oder negativ ausfällt, sondern dass Übergänge existieren, ja dass die einzelne Spezies sich unter Umständen sogar verschieden verhalten kann (vgl. im speziell. Teil bei Diphtherie, Rhinosklerom, Bac. coli, malignem Odem u. a,.). Degenerierende Bakterien zeigen gegen- über den Farben ein von dem typischen durchaus abweichendes Verhalten (vgl. Beäm: Zi. 7). Sie förben sich entweder gar nicht oder unregel- mässig, oder schwerer als gewöhnlich; das gilt sowohl für die gewöhn- lichen Färbungen als für die GßAM'sche und Tuberkelmethode. J. Kreislauf der Formen^ Formkonstanz und Pleomorphismus. Seit demBeginn der bakteriologischen Forschung haben sich zweierlei Anschauungen gegenüber gestanden. 2) Die eine, wesentlich vertreten von F. CoHN (B. B. I. 2; II. 2) und später von R. Koch und seiner Schule, nahm an, dass sich die Bakterien gleich anderen Organismen in wohl charakterisierte Arten einreihen Hessen, die sich in ihren biologi- schen und morphologischen Eigenschaften unveränderlich erhielten. Namentlich wurde auf die grosse Konstanz der Form des Einzel- individuums und seiner Verbände hingewiesen und darauf die Gattungen gegründet. Demgegenüber verfochten Lankestee, Billeoth, Waeming, Klees und besonders Nägeli'^) die Ansicht, dass die Bakterien in allen 1) Verh. des Kongr. f. inn. Med. zu Wiesbaden 1886. Vortrag von Unna und Diskussion. 2) Vgl. auch die historische Darstellung von Hueppe, Formen der Bakterien. 1886; LÖFFLER, Vorlesungen üb. die Geschichte u. s. w. Leipzig 87; ferner 1. Kap. d. 3. Abschn. II. Bds. und das Kapitel ,, Variabilität". 3) LANKESTER,On a peached colouredBactei-ium. Quarterly Journ. of microscop. science 185'3 u. 1876; Billroth, Untersuchungen über die Vegetationsformen von Coccobacteria septica, 1874; Warming s. b. Hueppe; Klebs, A. P. 4 (1875); Nägeli, Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrankheiten. München 1877 und Untersuchungen üb. nied. Pilze. München und Leipzig 1882; Zopf, Zur Morphologie der Spaltpflanzen. Leipzig 1882 und L. 1. Auflage. Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 77 ihren Eigenschaften ausserordentlich variabel wären und sich geradezu durch ihren Pleomorphismus auszeichneten, so dass die Aufstellung von distinkten Spezies zu den grössten Schwierigkeiten gehörte. Die Entwicklung der bakteriologischen Wissenschaft hat der CoHN'schen Theorie im grossen und ganzen recht gegeben, namentlich gilt das für die morphologischen Verhältnisse, die uns hier allein interessieren. Eine Zeit lang, vor allem unter dem Eindrucke der ZoPF'schen Publikationen mochte es wohl scheinen, als ob dem Pleomorphismus im Reiche der Bakterien grössere Verbreitung einzuräumen wäre, als das auf Seiten Cohn's und Koch's geschehen war, indessen erwiesen sich gerade die ZoPF'schen Beobachtungen der Kritik gegenüber nicht als stichhaltig und deswegen die Analogieschlüsse, die er darauf gründete, als unzulässig. Die pleomorphen Spezies Zopf's (Beggiatoa alba, roseopersicina, Cladothrix, Leptothrix u. s. w.) wurden durch Winogkadsky^) je in mehrere ganz von einander unabhängige Arten zerlegt; es blieb als wirklich pleo- morphe Art eigentlich nur die Crenothrix polyspora übrig, die schon Cohn als eine alleinstehende Form von den Bakterien getrennt hatte. "Xach imserer jetzigen Kenntnis der Dinge ist es erlaubt (vgl. u. B), als morphologisches Grundgesetz die Konstanz der Form hinzu- stellen, d. h. kugelige Formen pflanzen sich fort als Kugeln, Stäbchen als Stäbchen und Schrauben als Schrauben. Damit wird das Wesent- liche in dem Kreislauf der Formen bezeichnet, und die Berechtigung der Aufstellung der 3 Gattungen der Kokken, Bacillen und Spirillen begründet. Freilich erfordert unsere Regel einige Erläuterungen, die teilweise darin begründet sind, dass die morphologischen Begriffe: Kugel, Stäbchen, Sehraube, gewisse Übergänge zulassen, teilweise dadurch nötig werden, dass in die reguläre vegetative Entwicklung der Bakterien Zustände eingeschaltet sind, die entweder besonderen physiologischen Zwecken dienen oder pathologischer Entstehung sind. Auf folgende Punkte, die in den vorhergehenden Abschnitten aus- führlich besprochen sind, ist zu achten: 1. Kokken, die vor der Teilung stehen, können kurzen Stäbchen gleichen. Bei den Pneumoniekokken sind solche Übergangsformen besonders häufig, daher sie auch früher von manchen Seiten als Bacillen bezeichnet Avorden sind. 2. Es giebt Bacillenspezies (B. prodigiosus, pneumoniae), bei denen die Teilung oft das Wachstum überflügelt, so dass vollständig kugelige Individuen resultieren. Wird die Teilungstendenz vermindert, z. B. durch Zusatz von Antisepticis zum Nährboden, so werden ausschliesslich Stäbchen gebildet. Bei echten Kokken findet ähnliches nicht statt. 1) WiNOGRADSKY, B. Z. 87 Und 88 und Beitr. z. Morph, d. Bakt. Leipz. 88. 78 Allgemeine Morpliologie der Mikroorgauismeu. 3. Verlangsamtes Wachstum bei fortschreitender Teilung führt bei einigen echten Bacillen (Proteus, B. Zopfii) unter allmählichem Über- gange durch kurze Stäbchen zu kugeligen Formen. Letztere wachsen in frischen Kulturen wieder zu den ursprünglichen Stäbchen aus. 4. Bei völligem Stillstand des Wachstums findet bei Bacillen unter Umständen eine Fragmentierung statt, deren fast kugelförmigen Produkte vielleicht manchmal zur Auskeimung in Stäbchen befähigt sind. Dieser Prozess ist aber noch nicht als gesichert zu betrachten. 5. Die echten Dauerzustände, die von Bacillen und Spirillen ge- bildet werden, sind kugelig oder ellipsoidisch. Ihre Struktur, Bestimmung und Entwicklungsart unterscheiden sie von echten Kokken. 6. Als Degenerationsprodukte treten bei Kokken stäbchenartige, bei Bacillen kugelige und unregelmässig schraubige, bei Spirillen kugelige und stäbchenförmige Gebilde auf, die meist einen starken Verlust an Lebenskraft dokumentieren oder gar ganz entwicklungsunfähig sind. 7. Schliesslich sei noch der Missdeutungen gedacht, zu denen die Beobachtung mit ungenügenden Instrumenten und unzureichende* oder allzu eingreifende Präparationsmethoden verleiten. Auf solche Weise können z. B. Stäbchen und Schrauben als Kugelpaare und Kugelketten erscheinen. Die angeführten „Ausnahmen" von der allgemeitien Regel der Form- konstanz sind nicht derart beschaffen, um die letztere umzustossen. An- dere Beobachtungen führen hingegen zur Anerkennung noch weiter- gehender Gesetzmässigkeiten der Formenbildung. Die Wachtumsrichtung der Elemente, die Anlage der Teilungsebenen, die Konfiguration der Elementarverbände ist bei jeder Spezies eine ganz bestimmte, unver- änderliche. Auf Grund dieser Konstanz können wir bei den Kokken sogar Untergattungen aufstellen, je nachdem eine, zwei, oder dreiWachs- tumsaxen vorhanden sind (Streptokokkus, Tetragenus, Sarcina); bei Bacillen und Spirillen ist das nicht möglich, weil ihre Entwicklung stets in einer und derselben Richtung erfolgt. Die übrigen moqjholo- gischen Verhältnisse: die absolute Grösse der Elemente, das Verhältnis ihrer Längen- und Dickendimensionen, die Ausbildung von Dauerzuständen, Bewegungsorganen, Schleimhüllen u. s. w., zeigen zwar auch eine relative Konstanz, indessen sind die Schwankungen, die hier vorkommen, zum Teil recht bedeutende. Sie erscheinen in dreierlei Form : entweder sind sie blos individuell: in einer und derselben Kultur finden sich z. B. grosse und kleine Individuen neben einander; oder der Einfluss der Lebensbedingungen auf eine ganze Generation tritt hervor, z. B. in der Weise, dass dieselbe Spezies auf einem Nährboden nur kleine, auf einem anderen nur grosse Elemente bildet, oder schliesslich die Ver- Kruse, Allgemeine Morphologie der Protozoen. 79 änderungen, die auf irgend eine Weise entstanden sind, werden erb- liche. Diese individuellen Abweichungen, zweitens die Ernährungs- und Standortsmodifikationen und drittens die eigentlichen Varietäten werden uns in einem besonderenKapitel beschäftigen (s. Kap. Variabilität). Viertes Kapitel. Allgemeine Morphologie der Protozoen') von Dr. W. Krvise. Als Protozoen bezeichnet man die einzelligen Organismen, die tierischen Charakter tragen. Die Abgrenzung derselben gegen die einzelligen Pflanzen ist aber eine zum Teil willkürliche. Hier halten wir uns im grossen und ganzen an die BüTSCHLi'sche Definition, doch ziehen wir ausser den vier Hauptklassen dieses Autors (Sarkodinen, Mastigophoren, Infusorien, Sporozoen) noch gewisse Mycetozoen (Myxo- myceten) und die nicht myceltreibenden Chytridiaceen in den Bereich unserer Besprechung. Die Protozoen haben fast durchweg bedeutendere Grösse, als die Bakterien; unter den parasitischen Vertretern der Gruppe, die uns an dieser Stelle wesentlich interessieren, sind allerdings einige, die in ihrem Durchmesser nur wenige Tausendstel Millimeter messen (Malariaplas- modien, Variolaparasiten). Die grössten Spezies können im ausgewachsenen Zustande dem blossen Auge sichtbare Dimensionen erreichen (Grega- rinen, Sarkosporidien). In ihrer Struktur (vgl. Kruse: R. 92. 9) ähneln die Protozoen den Zellen der höheren Tiere (Metazoen), insofern sie regelmässig einen Zellleib und Zellkern unterscheiden lassen, wenn auch der Nachweis des letzteren in manchen Fällen auf Schwierigkeiten stösst (vgl. Malaria- plasmodien). Zum Teil liegt das daran, dass die Kerne der meisten 1) Vgl. von älteren Werken Leuckart, Parasiten des Menschen. 2. Aufl. 1879fi'. und die ginindlegende Darstellung von Bütschli in Bronn's Tierreich. Bd. I. Abt. 1—3. Leipzig u. Heidel1)erg 1880—88 (3 Bände). Ferner Krxj.se, Der gegen- wärtige Stand unserer Kenntnisse von den parasitären Protozoen. Hygienische Rundschau. Berlin 1892. Nr. 9 u. 11 (S. 357—380 u. 453—485) und den ersten Ab- schnitt bei Braun (Tierische Parasiten des Menschen. Würzburg 1895). Viel Material findet sich bei L. PFEiFFER-Weimar (Protozoen als Krankheitserreger. Jena 1891 und Nachtrag dazu 1895). 80 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. parasitischen Protozoen nicht nur absolut, sondern auch verhältnismässige klein sind und in ihrem Bau oft nicht dem Typus der Metazoenkerne entsprechen. Die Kernteilung ist in vielen Fällen eine karyokine- tische, zeigt jedoch auch dann gegenüber der bei höhereu Tieren be- obachteten gewisse Unterschiede. Daneben kommt aber auch direkte Kernteilung vor. Das Studium gerade dieser Verhältnisse ist durch die Kleinheit vieler Formen sehr erschwert. — Die Einzahl des Kerns ist die Regel bei jungen Zellindividuen, doch treffen wir nicht selten mehrere bis viele Kerne, besonders bei Myxosporidien und Infusorien. Die letztere Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass häufig Kerne zweierlei Art neben einander vorhanden sind, nämlich die Macronuclei, die sich nach direktem Schema teilen und der Ernährung zu dienen scheinen, und die Micro- nuclei, die sich karyokinetisch vermehren und der Fortpflanzung dienen. Die Körperform der Protozoen ist entweder amöboid veränder- lich (Sarkodinen und einige Sporozoen) oder beständig (Mastigophoren, Infusorien, die meisten Sporozoen) und dann kugelig, elliptisch, ei-, bim-, herz-, sichelförmig, wurmartig verlängert u. s. f. Die Zellsubstanz ist entweder gleichmässig, mehr oder weniger körnig, oder in eine äussere und innere Schicht differenziert. Die äussere Schicht (Ektoplasma, Ektoderm) kann zähflüssig sein wie bei vielen Amöben und durch ihre Strömungsbewegung (s. u. Pseudopodien) die Formveränderungen der Zelle bewirken; regelmässig unterscheidet sie sich dann von dem übrigen Körper durch ihre homogene Beschaffen- heit (Hyalo- und Granuloplasma), oder sie hat ein festeres Gefüge und giebt der Zelle dadurch eine bestimmte Form. Nicht selten scheidet sie sich dann wieder in eine bewegungsunfähige Oberhaut (Kutikula) und eine kontraktionsfähige Binnenhaut. Das Entoplasma (Entoderm) ist immer zähflüssig und enthält ausser dem Kerne mehr oder weniger reichliche Körner und häufig auch Vakuolen. Hierher gehören z. B. die sog. Gregarinenkörner, die sich im polarisierten Lichte wie Stärke- körner verhalten, in heissem Wasser, nicht in Alkohol lösen, sich mit Jod braun bis braunviolett, mit Jod und Schwefelsäure weinrot bis veilchenblau färben, in wässriger Lösung durch Speichel schnell ver- ändert werden (Paraglykogen, Zooamylum). Andere Granulationen sind weniger gut bekannt ( vgl.Drepanidium i. spez. Teil B. II). Vakuolen sind im Körper von Sarkodinen oft so zahlreich vorhanden, dass derselbe eine schaumige Beschaffenheit erhält; ihr Auftreten hängt manchmal mit Änderungen in der Zusammensetzung des umgebenden Mediums zusammen und ist nicht selten ein Zeichen der Degeneration. Nahrungsvakuolen enthalten corpuskuläre Elemente, die mit Flüssigkeit zugleich von aussen in das Plasma aufgenommen sind. KontraktileVakuolen, die übrigens bei parasitären Protozoen nicht häufig sind, sind Blasen, die sich perio- Kruse, Allgemeine Morphologie der Protozoen. §X disch in Zeiträumen, deren Länge zwischen 3 Sek. und 30 Min. schwankt, füllen und sich durch Platzen ihrer Wand nach aussen entleeren. Sie scheinen hauptsächlich der Wasserabscheidung zu dienen, durch die im Wasser gelösten Stoffe aber auch als Exkretions- und Respirations- organe zu funktionieren. Auch parasitäre Einschlüsse kommen im Zellleibe vor (vgl. Hämosporidien des Frosches, Cytamoeba). Zellfortsätze sind von verschiedener Art. Als Haftorgane dienen kutikuläre Anhänge des vorderen Körpersegments bei den poly- cystiden Gregarinen, mit deren Hilfe die Parasiten an der Darm wand befestigt sind, und die sie abstossen, wenn sie in den freibeweglichen Zustand übergehen. Wahrscheinlich haben die merkwürdigen Pol- kapseln der Myxosporidien (s. d.) eine ähnliche Bedeutung. Auch die schwanzartigen Verlängerungen des hinteren Körperendes vieler Flagel- laten dienen wohl zur Festheftung. Andere Zellfortsätze stellen Bewe- gungsorgane vor. Die Sarkodinen und ein Teil der Sporozoen bewegen sich durch stumpfe oder spitze Ausstülpungen ihres amöboiden Ekto- plasmas, die sog. Pseudopodien (Scheinfüsse), die in Ein- oder Mehr- zahl vorhanden sind und beständig ihre Lage an der Zellperij^herie wech- seln. Die Mastigophoren und einige Jugendformen der Sarkodinen be- sitzen an einer (gewöhnlich dem Vorderende) oder mehreren Stellen ihres Körpers 1 — 6 lange Geissein (Flagellen), die Infusorien tragen dagegen auf der ganzen Oberfläche oder wenigstens auf grösseren Strecken der- selben eine Menge von kleinen, dichtstehenden Wimpern. In einzelnen Fällen kommen bei diesen beiden Gruppen neben Geissein oder Wimpern noch zarte, der Länge nach über den Körper hinziehende bewegliche Häutchen, die sog. undulierenden Membranen, vor. Bei der vierten Abteilung der Protozoen, den Sporozoen, finden sich meist keine be- sonderen, der Bewegung dienenden Zellfortsätze ^), sie sind aber dennoch zu Bewegungen befähigt. Teilweise sind dieselben auf Kontraktionen des Ektoplasmas, die auch den Mastigophoren und Infusorien nicht ganz fehlen, zurückzuführen. So sind vielleicht die kreisförmigen oder schlangenähnlichen Bewegungen ihrer Jugendformen (Sichelkeime) zu erklären. Dazu kommt bei vielen Sporozoen noch eine eigentümliche Art der Lokomotion, die als Gleit- oder Gregarinenbewegung be- kannt ist. Sie besteht in einem Vorwärts- oder Rückwärtsgleiten des Körpers, ohneFormveränderung des letzteren. Möglicherweise wird diese rätselhafte Bewegung durch einseitige Sekretion einer gallertigen Sub- stanz, auf der sich die Organismen wie auf einem Stiele vorwärts schieben, bewirkt (s. spez. System, der Gregariniden Bd. II). 1) Die geisselartigen Gebilde, die bei den Hämosporidien der Vögel und des Menschen beobachtet werden, sind wahrscheinlich Degenerationsprodukte. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 6 g2 Allgemeine Morphologie der Mikroorgauismeu. Die Ernährung der Protozoen erfolgt entweder mittelst Endos- mose durch die Aussenschicht des Körpers hindurch oder durch Intus- susception fester und flüssiger Stoife. Der erstere Modus findet sich hauptsächlich bei der ganzen Gruppe der Sporozoen, der letztere, auch als tierische Ernährung bezeichnet, bei Sarkodinen, Mastigophoren und den meisten Infusorien. Bei den Sarkodinen vermitteln die Pseudo- podien die Aufnahme der Nahrungskörper, indem sie dieselben um- fliessen und in das Entoplasma hineindrücken. Die mit festem Ekto- plasma versehenenMastigophoren und Infusorien lassen dagegen die Nähr- substanz an einer bestimmten Stelle ihres Leibes, der Mundstelle, die meist vorn gelegen und häufig als eine Vertiefung sichtbar ist, durch die hier unterbrochene Hautschicht eintreten und können sie nach der Verdauung an einer anderen Stelle (Afterporus) wieder ausstossen. Die Vermehrung der Protozoen geschieht durch einfache Teilung der Zelle in zwei Hälften oder durch Bildung von Sporen. Es ist das ein Vorgang, der von der Sporulation der Bakterien vollständig verschieden ist, sich vielmehr der Askosporenbildung bei den Pilzen nähert. Die „endogenen" Sporen der Bakterien (vgl. vorsteh. Kap.) dienen nicht der Vermehrung der Individuen, sondern blos ihrer Erhaltung: es sind Dauerzustände, die mit den Dauerformen mancher Protozoen (Flagel- laten) in Parallele gestellt werden können. Die Sporen der Protozoen sind dagegen Keime, die durch den Zerfall einer erwachsenen, grossen Zelle in viele (wenigstens vier) unter sich gleichartige kleine Teilstücke entstehen. Der Vorgang der Sporulation ist noch nicht überall in seinen Einzelheiten bekannt, w^ahrscheinlich handelt es sich stets um mehrfache, schnell hintereinander folgende Zweiteilungen. Sehr häufig erfolgt die Sporenbildung der Protozoen in zwei Absätzen, so dass zuerst Mutter- sporen und durch deren Zerfall — oft an anderer Stelle und zu anderer Zeit — Tochtersporen entstehen. Man kann diesen Modus als in- direkte Sporulationbezeichnen im Gegensatz zu der direkten Sporu- lation, bei der die Keime durch einen kontinuirlichen Prozess aus der ursprünglichen Zelle hervorgehen (vgl. Kjruse: R. 92. 367). Die Dauerformen der Protozoen entstehen in der Weise, dass sich die Zellen mit einer widerstandsfähigen Membran umgeben; eine Kondensation des Protoplasmas wie bei den Bakterien findet da- bei nicht statt. Von Dauercysten spricht man, wenn erwachsene Individuen (unter ungünstigen Lebensverhältnissen) in den Dauerzustand treten, einerlei ob dieselben (unter günstigen Bedingungen) als solche wieder auskeimen oder zur Sporulation schreiten. Aber auch die jungen Keime, die Sporen selbst, werden häufig als Dauerformen gebildet: man unterscheidet sie danach als Dauersporen von den Nacktsporen ( Gymnosporen), die mit keiner resistenten Hülle versehen sind. Beide Arten Kruse, Allgemeine Morphologie der Protozoen. §3 können auf dem direkten oder indirekten Wege gebildet werden. Die Auskeimung der Dauerzustände erfolgt nach Auflösung oder Zer- sprengung der Membran, die das Resultat äusserer, im Medium liegen- der Einflüsse (z. B. der Einwirkung von Magen-Darmsäften) ist. Die Sporen lassen sich ihrer Struktur nach, die bei den Dauer- sporen erst nach Zerstörung der Schale sichtbar wird, in Amöboid-, Geissei-, Flimmer- ifnd Sichelsporen unterscheiden, je nachdem sie durch Pseudopodien, Geisseln, Flimmercilien oder durch wurmartige Krümmungen ilires sichelförmigen Körpers beweglich sind. Im grossen und ganzen entsprechen diese verschiedenen Formen den vier Haupt- gruppen der Protozoen, nur haben die Geissei- oder, wie sie gewöhnlich genannt werden, Schwärmsporen eine grössere Verbreitung auch unter den Sarkodinen (sowie bei Chytridiaceen und Mycetozoen). Ausserdem kommen amöboide Keime auch bei den Sporozoen vor. Die Individuen der Protozoen können in verschiedener Weise unter sich in Beziehung treten. Bei Gregarinen wird nicht selten eine äusser- liche Vereinigung von 2 — 12 Individuen (Association, Syzygienbil- dung) beobachtet, die sich jederzeit lösen kann. Plasmodien^) ent- stehen durch Verschmelzung des Protoplasmas vorher getrennter, gleich- artiger Individuen (einzelne Sarkodinen und Mycetozoen). Kopulation (oder einfache Konjugation) nennt man die totale Verschmelzung zweier gleichartiger Individuen zu einem Körper mit einem einzigen Kern. Sie scheint in allen Klassen der Protozoen vorzukommen; indessen sind die Vorgänge dabei nur teilweise genauer verfolgt. Nach Wolters (Arch. mikrosk. Anatom. 37. Bd.) fände bei Gregarinen vor der Fusion der Kerne in beiden kopulierenden Individuen die Ausstossung eines Richtungskörperchens statt. Die Kopulation kann mit oder ohne En- cy stierung verlaufen und ist bald von einfacher Teilung, bald von Spo- renbildung gefolgt. Geschlechtliche Kopulation, d. h. die totale Verschmelzung zweier wesentlich ungleichartiger Individuen derselben Spezies kommt bei parasitisch lebenden Protozoen nicht vor. Partielle Konjugation heisst der bei Infusorien weit verbreitete Vorgang, bei dem sich gleichartige Individuen vorübergehend mit einem Teile ihres Körpers vereinigen, je einen ihrer Mikronuclei mit einander austauschen und sich wieder von einander trennen. Ausstossung von Richtungs- spindeln, Kernauflösung und -Neubildung findet dabei statt. Über die Systematik der Protozoen und die Methoden zu ihrer Untersuchung vffl. Bd. IL 4. Abschn. 1) HieiTQit nicht zu verwechseln ist der Genusname der Malariaparasiten (Plasmodium malai-iae). Zweiter Absclinitt. Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Einleitende Bemerkungen von Dr. E. Gotsehlich. Schon in einer früheren Zeitepoche, wo eingehendere experimen- telle Untersuchungen über die Lebenseigentümlichkeiten der Pilze fehlten, und wo man hauptsächlich durch naturphilosophische Spekulationen das bereits vorhandene lebhafte Interesse an der Bedeutung und Lebens- weise der Fermentorganismen zu befriedigen suchte, statuierte man für die Klasse der Pilze eine bestimmte, sehr wichtige Rolle im Haushalt der Natur und bemühte sich, die beobachteten Lebenserscheinungen der Pilze mit dieser Rolle in Einklang zu bringen. Durch die zahlreichen experimentellen Untersuchungen der neueren Zeit ist dann diese früher entwickelte Idee zwar in ihren Grundzügen bestätigt, aber im Einzelnen sind erhebliche Abweichungen zu Tage getreten. Die Ansicht von der teleologischen Funktion und der Bedeutung der Pilze stützt sich vor allem auf den Chlorophyllmangel derselben und setzt die Pilze somit in einen starken Gegensatz zu den gesamten übrigen durch einen Gehalt an Chlorophyll ausgezeichneten Pflanzen. Während diese letzteren, einschliesslich der den Pilzei* so nahe stehen- den Algen, ihren Bedarf an Kohlenstoff und Stickstoff' der Kohlensäure und dem Ammoniak oder der Salpetersäure in ihrer Umgebung ent- nehmen und ans diesen einfachen Verbindungen die komplizierten C- und N- haltigen Stoffe ihres Organismus mit Hilfe des Chlorophylls auf- bauen, und während demgemäss für diese Pflanzen die Möglichkeit besteht, z. B. aus Wasser, welches die nötigen Mineralsubstanzen ent- hält, und aus CO2- und NH-^-haltiger Luft ihr Nährmaterial zu assi- milieren, sind die Pilze durch ihren Chlorophyllmangel zu einer der- artigen Existenz nicht befähigt, sondern bedürfen vorgebildeter organischer Substanz, um den Verbrauch ihres Körpers zu decken und neue Körper- substanz zu bilden. Daher können sie nicht in reinem, nur Mineral- substanzen enthaltendem Wasser existieren; sie vegetieren vielmehr nur GoTSCHLicH, Einleitende Bemerkungen. 85 auf totem, N- und C- reichen, organischen Material, namentlich also auf abgestorbenen Pflanzen- und Tierorganismen, oder sie leben als Parasiten, ihren pflanzlichen oder tierischen Wirten die zum Leben und Wachstum nötigen organischen Stofi'e entziehend. Daraus ergiebt sich dann sogleich die Bedeutung der Pilze für den Haushalt der Natur. Um der chlorophyllhaltigen Vegetation stets wieder die nötigen einfachen Nährstoffe zuzuführen, bedarf es einer steten Zerlegung und Auflösung der gebildeten Pflanzensubstanz zu jenen einfachen Verbindungen. Die gesamte jährlich entstandene und wieder abgestorbene Vegetation muss in relativ kurzer Zeit so verändert werden, dass aus den komplizierten Pflanzenstofi'en, dem Eiweiss, den Kohlehydraten, derCellulose wieder Wasser, Kohlensäure und Ammoniak entsteht; nur unter dieser Bedingung ist eine stetig fortgehende Er- neuerung der Vegetation denkbar. Nun fällt zwar ein Teil dieser zer- störenden Arbeit dem tierischen Organismus zu; die tierische Zelle spaltet die aufgenommenen pflanzlichen Stoffe und überliefert sie der Oxydation. Die Energie, welche in den komplizierten chemischen Ver- bindungen der Pflanze dadurch aufgehäuft war, dass die Pflanze mit Hilfe des Chlorophylls die Arbeit der Lichtstrahlen in chemische Spann- kraft umsetzte, wird dabei vom tierischen Organismus verbraucht und zur Wärmeproduktion und zu den verschiedenen Leistungen des Körpers benutzt. Aber dieser Konsum der pflanzlichen Substanz durch tierische Organismen reicht bei weitem nicht aus, um der ganzen Produktion pflanzlicher Stoffe das Gleichgewicht und die Menge der einfachen Nährstoffe der Pflanzen auf solcher Höhe zu halten, dass sie für Er- nährung und Wachstum immer neuer Vegetationen ausreichen. Es muss offenbar im Haushalt der Natur noch ein anderer Faktor vor- handen sein, durch den eine viel umfangreichere Zerstörung toter pflanz- licher Substanz und eine viel stärkere Bildung von CO^ und NHg statthat, als durch den Lebensprozess der Tiere; und es tritt diese Not- wendigkeit um so schärfer hervor, seit man erkannt hat, dass das ein- fache Nebeneinandersein der meisten organischen Stoffe und des atmo- sphärischen Sauerstoffs bei gewöhnlicher Temperatur nur zu einer kaum merklichen Oxydation führt, dass vielmehr erst die lebendige Zelle die Bedingungen für eine rasche Zerstörung und Oxydation organischer Stoffe liefert. Weiter muss die Forderung erhoben werden, dass auch die Substanz der toten tierischen Körper einem zerstörenden und auf- lösenden Einfluss ausgesetzt ist, der hier ganz in demselben Sinne wirkt wie bei der pflanzlichen toten Substanz; denn auch den tierischen or- ganischen Stoffen gegenüber sehen wir den atmosphärischen Sauerstoff' relativ machtlos und ungeeignet, deren L^mwandlung in CO^, NHg und Wasser zu bewirken. 8() Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. In diese gefahrdrohende Lücke in dem steten Regenerationspro- zess der Natur greifen nun die niederen Pilze ein. Sie bilden den not- wendigen Faktor, der eine rasche Zersetzung und Oxydation toter or- ganischer Substanz, tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, ermöglicht und in grösstem Umfange immer wieder die einfachen C- und N-Ver- bindungen herstellt, deren die lebende wachsende Pflanze als Nahrung bedarf. Die Pilze sind zu dieser Rolle befähigt gerade dadurch, dass sie nicht wie die anderen chlorophyllhaltigen Pflanzen die Energie der Sonne auszunützen und sich von CO2 und NH3 zu nähren Yermögen, sondern dass sie gleich den Tieren komplizierte chemische Verbindungen verarbeiten, deren Spannkraftvorrat ihnen das Material zu ihren Lei- stungen liefert. Sie sind weiter dazu befähigt durch die weiten Grenzen, innerhalb deren ihre äusseren Existenzbedingungen ohne Schaden schwanken können; dann durch ihre unglaublich rasche Vermehrung, für welche sie in kurzer Zeit eine bedeutende Masse von Nährstoffen verbrauchen; ferner noch dadurch, dass sie unter gewissen Umständen doch nur einen relativ sehr kleinen Bruchteil der Nährstoffe für das eigene Wachstum verwenden, dagegen einen vielfach grösseren durch die ihnen eigentümliche Gährwirkung oberflächlich zersetzen und zu weiterer Oxydation geeignet machen. Es ist schliesslich gleichsam nur als eine wenig auffällige Verschiebung ihrer Funktion anzusehen, wenn sie gelegentlich als Parasiten schon auf lebenden Pflanzen oder Tieren sich ansiedeln und diesen Vernichtung bringen, indem sie in kürzester Frist die organischen Körperbestandteile ihrer Wirte zu ein- fachsten chemischen Verbindungen auflösen. Entsprechend dieser ganzen Auffassung von der Funktion und Be- deutung der Pilze muss das wesentlichste Merkmal ihrer physiologischen Eigentümlichkeit in der Ernährung durch komplizierte organische Sub- stanz und in dem Unvermögen, den C und N aus CO2 und NH3 zu assimilieren, gesucht werden. Von dieser Eigenschaft gingen daher frühere Untersuchungen als einer sicheren Thatsache aus. Pasteur war der Erste, welcher exakte exj)erimentelle Untersuch- ungen über die Biologie der Pilze anstellte; diese aber ergaben Resultate, welche in mancher Beziehung von den bis dahin geltenden Anschau- ungen abwichen. Pasteur zeigte vor allem, dass Hefe und Schimmel- pilze insofern auch in einer den höheren Pflanzen ähnlichen Weise zu leben vermögen, als sie den Stickstoff aus Ammoniaksalzen und selbst aus Nitraten zu assimilieren und so, gerade wie chlorophyllhaltige Pflanzen, die komplizierten eiweisshaltigen Substanzen ihres Körpers aus einfachem Material aufzubauen vermögen. Weiter fand man, dass verschiedene Pilze ein sehr diff'erentes biologisches Verhalten zeigen, dass die einen des Sauerstoffs bedürfen und rasche Oxydationen aus- GoTSCHLiCH, Einleitende Bemerkungen. 87 führen, andere ohne Sauerstoff zu leben vermögen und dann oft um- fangreiche, aber oberflächliche Spaltung des Nährmaterials bewirken, dass nur gewisse Pilze sauere Reaktion und starke Koncentration des Nährmediums ertragen; dass sie bei sehr verschiedenen Temperaturen am üppigsten gedeihen; dass die einen diese, die anderen jene Nähr- substanzen bevorzugen, und dass auch nicht alle gleich gut den N des NHß und der HNO3 zu verwerten im stände sind, dass- endlich sogar ein und dieselben Pilze unter wechselnden äusseren Bedingungen in ihrem Stoff- und Kraftwechsel sich ganz verschieden verhalten. Durch diese Resultate der experimentellen Forschung wurde zwar die früher konstruierte Ansicht über die Bedeutung der Pilze für die übrige belebte Natur nicht völlig erschüttert. Denn nach wie vor steht es fest, dass sämtliche niedere Pilze auch von komplizierten chemischen Stoffen zu leben vermögen, dass diese sogar das bevorzugte Nährmaterial bilden, und dass daher die Zerstörung der toten organischen Substanz wesentlich durch Pilze erfolgt; ferner dass CO2 von keiner Art (mit einziger Ausnahme der später eingehend zu behandelnden nitrifizieren- den Mikroorganismen Hueppe's und WinogeAdskt's) zur Assimilation und zum Aiifbau verwendet werden kann. Aber das physiologische Verhalten, durch welches sie zu ihrer eigentümlichen Rolle befähigt werden, erscheint nicht mehr als ein so einfaches, mit wenigen Worten zu definierendes, sondern setzt sich zusammen aus einer Menge von ge- sondert zu betrachtenden Vorgängen, die je nach der Art der Pilze und nach den äusseren Bedingungen, unter denen sie sich befinden, erheblich variieren. Wir können uns daher nicht mehr mit einer allgemeinen Formel begnügen, wenn wir einen Einblick in die Lebenserscheiuungen der Pilze gewinnen wollen, sondern wir müssen induktiv verfahren und aus einer grossen Reihe von Einzelbeobachtungen und Einzelexperimenten das Leben der niederen Organismen zu erkennen suchen. Und auch an dieser Stelle werden wir demgemäss der Biologie der Pilze eine ein- gehende und detaillierte Erörterung widmen müssen, um so mehr, als diese Seite der mykologischen Forschung für die Hygiene von ganz hervorragender Wichtigkeit ist. Die gesamten biologischen Erscheinungen, die an den Pilzen zur Beobachtung gelangen, werden zweckmässig in ähnlicher Weise dem experimentellen Studium unterworfen, wie die Lebenserscheinungen der komplizierteren Organismen, der Tiere oder höheren Pflanzen. Wenn wir die letzteren als Paradigma zu Grunde legen, so gehen wir im Grunde vom Komplizierteren zum Einfacheren zurück; es ist wahrscheinlich, dass manche biologische Probleme, die trotz zahlreichster Untersuchungen 88 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. am komplizierten Organismus unlösbar waren, an diesen einfachsten Lebewesen weit eher zur Lösung gelangen, und dass somit in späterer Zeit die Biologie der Pilze ein Licht auf die Biologie höherer Geschöpfe reflektieren wird, wenn wir auch einstweilen die an diesen gelernten Erkenntnismethoden benutzen. Wollen wir den Stoffwechsel irgend eines komplizierteren Organis- mus in Betracht ziehen, so pflegen wir durch verschieden variierte Ernährungs- und Stoffwechselversuche zunächst die Art und Menge der Stoffe zu bestimmen, welche derselbe von aussen aufnimmt, und die sonstigen äusseren Bedingungen zu normieren, die zum geregelten Ab- lauf des Lebens notwendig sind; ferner untersuchen wir die Schicksale und die Verwendung der aufgenommenen Nährstoffe im Körper, die Ausscheidungsprodukte und endlich die Leistungen des Organismus und sind auf diese Weise in Stand gesetzt eine Bilanz zu ziehen, die darüber aufklärt, welche stoffliche Veränderungen und welche Kraft- umsetzungen die Grundlagen des Lebens jenes Organismus ausmachen. In ganz ähnlicher Weise werden wir die Biologie der niederen Pilze zergliedern müssen. Auch für diese haben wir zunächst die not- wendigen Lebensbedingungen experimentell zu ermitteln; es fragt sich, welche festen Nährstoffe den Pilzen geboten werden müssen, welche Rolle der Sauersoff spielt, ob Temperatur, Luftdruck, Licht u. s. w. von merkbarem Einfluss auf Wachstum und Vermehrung der Pilze sind. Zweitens sind dann die Lebensäusserungen der niederen Pilze zu erörtern. Als solche lernen wir die Atmung, die Assimilierung des Nährmaterials, die Stoffumwandlungen in den Zellen und gleichzeitig damit verschiedene Kraftleistungen, z. B. Lokomotion, Licht- oder Wärme- entwicklung, Wachstum, Vermehrung und Fruktifikation kennen; ferner scheiden die Pilze gewisse Stoffwechselprodukte aus, die von be- sonderem Interesse sind; endlich äussern sie unter Umständen zwei eigentümliche Wirkungen, nämlich die Gährwirkung und die Krank- heitserregung, die eingehende Betrachtung in besonderen Ab- schnitten erfordern. Die Erörterung der Lebensbedingungen schliesst eigentlich bereits eine Besprechung der das Leben schädigenden und störenden Einflüsse in sich. Es erscheint jedoch zweckmässig, in einem gesonderten Ab- schnitt die Erscheinungen der Involution und des Todes der niederen Pilze, sowie derjenigen Mittel spezieller zu besprechen, welche zu einer Wachstumshemmung oder Vernichtung der Pilze führen können. Es sind diese Mittel identisch mit den desinfizierenden Agentien, welche neuerdings so grosse Bedeutung erlangt haben. Endlich sind die Untersuchungen über die Biologie der niederen Pilze auch noch über das einzelne Individuum hinaus auszudehnen, und das GoTSCHLicH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 89 Verhalten einer fortlaufenden Reihe von Individuen ist in Betracht zu zu ziehen. Das Auftreten von Modifikationen, Varietäten, Rassen und Arten ist es namentlich, das in dieser Richtung unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen muss. Die gesamten im Folgenden gegebenen biologischen Erörterungen sind lediglich auf die hygienisch wichtigsten niederen Pilze (Schimmel pilze, Hefepilze und Spaltpilze) beschränkt; bezüglich anderer Pilze, welche in die vorstehende morphologische Übersicht mit aufgenommen sind, muss auf de Bary's vortreffliche Darstellung der Morphologie und Biologie der Pilze verwiesen werden. Erstes Kapitel. Lebensbedingungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich. Für ein Verständnis der äusseren Lebensbedingungen ist es zunächst erforderlich, die physikalische und insbesondere die chemische Be- schaffenheit des Zellleibes der Mikroorganismen kennen zu lernen. Sodann sind vor allem die Nährstoffe der Mikroben zu ermitteln, Bedeutung und Wert jedes einzelnen, sowie auch der Mengenverhält- nisse, der Koncentration und Reaktion des Nährgemisches zu prüfen. Neben der Lehre von der Ernährung, welche die chemischen Lebens- substrate der Mikroorganismen aufdeckt, ist nun aber auch noch der nicht minder wichtige Einfluss physikalischer Faktoren zu prüfen; endlich kommen die Einwirkungen, welche die Mikroorganismen wechsel- seitig auf einander ausüben, die Konkurrenz derselben unter einander in Betracht. In vielen dieser Punkte zeigen nun aber die Schimmel-, Spross- und Spaltpilze so durchgreifende Verschiedenheiten, dass es zuweilen zweckmässig erscheint, innerhalb der grösseren Abschnitte eine getrennte Behandlung dieser drei Klassen von Lebewesen vorzunehmen. A. Physikalische Beschaffenheit des Zellleibes der Mikroorganismen. Über die physikalische Beschaffenheit des Zellleibes der Mikroorga- nismen, soweit sie sich nicht schon dem rein morphologischen Studium erschliesst, ist nur wenig bekannt. Folgendes wäre etwa anzuführen: Amann (C. 13. 775) konnte nachweisen, dass manche Bakteiüenmem- branen ihrem optischen Verhalten nach doppelbrechend sind; mit Ma- 90 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. lachitgrün oder nach Gram gefärbte Milzbrandbacillen zeigen nämlich Pleochrois- mus, und zwar erscheinen sie in demjenigen Bilde, in welchem Schwingungsebene des polarisierten Lichtes und Längsrichtung des Bacillus zusammenfallen, heller-, als wenn beide sich kreuzen. Sie verhalten sich also pleochroitisch wie eine mit Chlorzinkjod gefärbte Cellulosemembran. Über die osmotische Spannung des Zellsaftes und die dios- motischen Eigenschaften der Membran von Bakterien geben Ver- suche mit Plasmolyse der Bakterienzelle Aufschluss. Unter Plas- molyse versteht man das Zurückweichen des Plasmas von der Zellwand unter dem Einfluss wasserentziehender Mittel, wobei jedoch das Plasma nicht abstirbt, sondern sich nach Auswaschen der wasserentziehenden Substanz wieder normal ausdehnen und an die Zell wand anlegen kann; die Plasmolyse lässt sich nur an lebenden Bakterien beobachten. Bei längerem Verweilen in der wasserentziehenden Losung kann die Plas- molyse entweder dauernd bestehen bleiben, wie dies z. B. von de Veies für Zellen höherer Pflanzen, von Klees für Algen, Moose etc. festgestellt ist, oder es tritt ein Rückgang der Plasmolyse ein, wie es von Janse an einer Chaetomorpha und einer Spirogyra, sowie von Wielee. an Keim- lingen von Phaseolus, Vicia etc. beobachtet wurde. Das verschiedene Verhalten der Zellen hierbei beruht entweder darauf, dass die Zellmembran für die gelösten Stoffe im einen Falle un- durchlässig, im anderen durchlässig ist, oder auf einem verschiedenen Ver- mögen des kontrahierten Protoplasten, selbst osmotisch wirksame Stoffe zu produzieren und so seine Turgorkraft zu steigern. Das Verhalten beim Rückgang der Plasmolyse lässt also gewisse Schlüsse auf die Per- meabilität des Bakterienplasmas zu. In dieser Beziehung fand A. Fischee (Unters, üb. Bakterien. Berlin 1S94. 9 ff.), dass bei allen untersuchten Arten, Cladothrix dichotoma, Spirillum undula, Vibrio choler. asiat., Vibrio Metschnikoff. Bac. typh. abd.,Bac. cyanogen. und Bac. fluorescens, die Plasmolyse in KNO3-, NaCl-, NH4CI- und Rohrzuckerlösungen voll- ständig wieder zurückgeht. Dieser Rückgang kann nicht auf zelleigener Steigerung der Turgorkraft beruhen, sondern muss durch Übergang der gelösten Stoffe in das Plasma erklärt werden. Denn abgesehen davon, dass die Zeit von wenigen Minuten, innerhalb deren oft die Rückbildung erfolgt, zur Erzeugung der erforderlichen Menge osmotisch wirksamer Stoffe kaum ausreichend erscheint, so müsste auch die Plasmolyse in schwächeren Lösungen schneller zurückgehen, als in koncentrierteren, weil die aktive Drucksteigerung in der Zelle im ersten Falle viel geringer zu sein braucht; gerade das Umgekehrte ist aber der Fall: in kon- centrierteren Lösungen erfolgt der Rückgang viel schneller, was sich durch die Annahme einer Diffusion der gelösten Stoffe in das Plasma sehr wohl erklärt. Diese eingedrungenen gelösten Stoffe können auch I GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 91 ebenso leicht wieder durch Auswaschen entfernt werden und hierdurch, wie der Versuch zeigt, Bakterien, in denen soeben erst die Plasmolyse zurückgegangen ist, sofort wieder zu einer neuen Plasmolyse befähigt werden. Endlich müsste auch, wenn es sich um eine aktive Druck- steigerung in der Zelle handelte, der Rückgang der Plasmolysen in iso- tonischen Lösungen verschiedener Stoffe in annähernd gleicher Zeit erfolgen, dies ist aber nicht der Fall; das Bakterienplasma ist also für verschiedene Stoffe in sehr verschiedenem Grade permeabel. Manche Stoffe dringen sehr schwierig ein; so hatte A. Fischee schon früher (Ber. d. Kgl. sächs. Ges. d. Wiss. math.-phys. Kl. 1891) nachgewiesen, dass plasmolysierte Bakterien durch Iproz. Osmiumsäure, Iproz. Sublimat oder 20 % Alkohol nicht fixiert werden können, weil während der langen Eindringungsdauer dieser Stoffe die Plasmolyse mehr oder minder voll- ständig wieder zurückgeht; auch Jod dringt sehr schwierig ein. Da- gegen dringt Vio koncentrierte Gährungsmilchsäure fast augenblicklich ein. Ausserdem ergaben sich im Verhalten verschiedener Bakterien gegen eine und dieselbe Substanz interessante Artdifferenzen; so ist z. B. Bac. fluorescens viel weniger permeabel fürKNO.^, als die anderen unter- suchten Arten; ferner zeigt der Choleravibrio eine besonders grosse Permeabilität für NaCl. Die Geissein beweglicher Bakterien werden ausnahmslos erst durch weit koncentriertere Lösungen plasmolysiert, als das Plasma des Zell- leibes; Bakterien, die schon eine vollständige Plasmolyse ihrer Leibes- substanz zeigen, können sich, wie A. Fischer gezeigt hat, nichtsdesto- weniger in ungestörter Eigenbewegung befinden; erst in stärker kon- centrierten Lösungen erlischt die Bewegung, kann aber bei längerem Aufenthalt in der Salzlösung durch Rückgang der Geisselplasmolyse restituiert werden. Die Substanz der Geissein ist also wasserärmer, kon- centrierter, als die des Zellleibes, was mit der Auffassung dieser Gebilde als ektoplasmatischer Kutikularorgane wohl zusammen stimmt. Aus diesem Grunde sind übrigens auch die früheren Angaben Wladi- miroff's (Z. 10. 89; Z. f. physikal. Ch. 7.524), der einen bestimmten Grad der Schädigung der Eigenbewegung von Bakterien als Indikator für die eingetretene Plasmolyse des Zellleibes verwenden und hieraus die zur Erreichung des plasmolytischen Effekts erforderlichen „Grenzkon- centrationen" verschiedener Salzlösungen und die osmotische Spannung des Zellsaftes ableiten zu können glaubte, in ihrer Bedeutung zu modi- fizieren. Wegen des oben dargelegten diöerenten Verhaltens zwischen Leibes- und Geisseisubstanz sind nämlich für alle Grenzkoncentrationen die Werte von W^ladimiroff im Vergleich mit den von A. Fischer durch direkte Beobachtung gewonnenen viel zu hoch bestimmt; da- gegen geben sie möglicherweise eine richtige Vorstellung von der Kon- 92 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Centration der Geisseisubstanz. Merkwürdigerweise fand Wladimiroff fast dieselbe Koncentration des Plasmas bei 5 verschiedenen Bakterien, nämlich beim Bac. cyanogen., Bac. typh. abd., Bac. subtilis, Spirillum rubrum und einem Darmb akter ium, während bei Bakt. Zopfii ein etwa um die Hälfte geringerer Wert erhalten wurde. Die Koncentration der Grenzlösungen verschiedener Salze stimmt in äquimolekularen Lösungen ziemlich genau überein; die Abweichungen zeigen eine gewisse Gesetz- mässigkeit, aus der sich ergiebt, dass im allgemeinen die Chloride in stärkeren Koncentrationen ertragen werden, als die Nitrate, und diese wieder in stärkeren, als Sulfate und Bromide. Grössere Abweichungen von der Regel kommen ausserdem dadurch zustande, dass manche Salze infolge von Giftwirkungen schon in abnorm niedriger Konzentration bewegungshemmend wirken, sowie andererseits auch dadurch, dass manche Salze, wie z. B. KBr und KNO3 beim Spirillum rubrum, schon während der Plasmolyse rasch in das Plasma eindringen, hierdurch die Wasserentziehung verlangsamen und demnach erst in höherer Koncen- tration wirksam sind. In den Versuchen von A. Fischer, wo der Eintritt der Plasmolyse der Leibessubstanz direkt beobachtet wurde, ergab sich keine genaue Übereinstimmung der Grenzkoncentrationen mit den iso- tonischen Lösungen; bei verschiedenen Arten hatten die Grenzkoncen- trationen verschiedene Werte. Das spezifi sehe Gewi cht der Kulturmasse einiger Spaltpilze ist von Rubner (A. 11. 384) nach dem Prinzip der pyknometrischen Methode bestimmt worden; es fand sich grösser als 1, z. B. beim Bac. prodigiosus im Mittel 1,054. Allerdings giebt diese Zahl nicht direkt das spezifische Gewicht des Zellleibes, da die Kultur- masse auch reichlich Intercellularsubstanz enthält; doch spricht auch das von demselben Autor und bereits früher von Bolton (Z. 1. 72) nachgewiesene Absetzen unbeweglicher Bakterien in stagnierenden Flüssigkeiten dafür, dass die Bakterien- leiber etwas schwerer sind als Wasser. B. Chemische Zusammensetzung der Mikroorganismen. Bei der Untersuchung der chemischen Zusammensetzung der Mikro- organismen kommt zunächst ihre quantitative elementare Zusammen- setzung, wie sie durch die Elementaranalyse erschlossen wird, in Be- tracht. Aus dieser lässt sich schon manches über das Vorkommen und gegenseitige Verhalten ganzer Klassen von chemischen Körpern im Zellleib der Mikroorganismen erschliessen; dahin gehört z. B. das Ver- hältnis N-haltiger zu N-freien Stoffen. Dann aber erscheint es geboten, auch die einzelnen Verbindungen selbst, die an der Zusammensetzung des Zellleibes teilnehmen, die Eiweissstoffe, Kohlehydrate, Aschen- bestandteile etc. kennen zu lernen. Da Schimmel-, Spross- und Spaltpilze GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 93 in ihrer Zusammensetzung grosse typische Verschiedenheiten zeigen, werden sie im Folgenden in getrennten Abschnitten behandelt. I. Schimmelpilze. Chemische Analysen von Schimmelpilzen liegen von Sieber (J.pr. Ch. (2.) 23. 412) und neuerdings von Ceamer (A. 13. 71; 20. 197) vor. Bei ersterem Autor scheinen jedoch nicht genügende Vorsichtsmassregeln für Reinhaltung des Materials getroffen worden zu sein. Sieber fand in der Trockensubstanz einer Kultur von Penicillium und Mukor auf einer Nährlösung von Zucker und Gelatine: Ätherextrakt 18,7 %, Alkoholextrakt 6,9 %, Asche 4,9 %, Eiweiss 29,9 o/,,, Cellulose 39,6%. Für eine vorwiegend aus Aspergillus glaucus bestehende Kultur auf Salmiakzuckerlösung fand sich: Ätherextrakt 11,2%, Alkoholextrakt 3,4%, Asche 0,7%, Eiweiss 28,9%, Cellulose 55,7 %. Besonders bemerkenswert ist hiernach gegenüber den unten mit- zuteilenden Analysen derSpross- und Spaltpilze das bedeutende Über- wiegen der N-freien Stoffe; es beruht dies vor allem wohl darauf, dass bei den Schimmelpilzen eine stark entwickelte Cellulosemembran vor- handen ist und nur im Zellinhalt sich eiweissartige Substanzen finden, sowie darauf, dass auch lösliche zuckerartige Stoife in wägbarer Menge vorhanden sind. Der Gesamt-N-Gehalt von mit Wasser gewaschenen und über Schwefelsäure getrockneten Schimmelpilzen verteilt sich nach Stutzer (Z. physiol. Ch. 6. 573) so, dass 3,026 % auf Proteine und 1,539 % auf Nukleine entfallen. Der Gehalt an Trockensubstanz beträgt nach Gramer im Mittel: Mukor stolonifer: Rohrzucker 1 % Lösung oder Brotbrei 10,97 % 5 % Lösung 15,60 %. Penicillium : Rohrzucker 1 % Lösung 7,11 % Harn mit 5 % Rohrzucker 13,55 %>. Einer höheren Koncentration des Nährsubstrats scheint also ein höherer Trockengehalt des Mycels zu entsprechen. Über die höchst merkwürdigen quantitativen Differenzen, welche nach Cramer zwischen Mycel und Spore bestehen, und ihre biologische Bedeutung wird bei der Physiologie der Sporenbildung eingehend gehandelt werden; in qualitativ-chemischer Beziehung sei hier nur der hohe Gehalt der Sporen an Eiweiss und N-freien Extraktivstoffen hervorgehoben. 94 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. II. Sprosspilze. Die Untersuchungen über die chemische Zusammensetzung der Sprosspilze erstrecken sich fast durchweg auf die gewöhnliche Bierhefe, deren technische Verwendung von jeher ein besonderes Interesse an dieser Spezies erweckt hat; selten sind andere Sprosspilze zum Unter- suchungsobjekt gewählt, wie z. B. Mykodenna vini. Gesamtanalysen Yon Hefe sind mitgeteilt von Schlossbeeger, Mulder und Wagner, MiTSCHERLiCH, Patex, Lieeig (vgl. Mayer, Lehrbuch der Gährungs- chemie 4. Aufl. 1895. S. 110 ff. — Schützenbeeger, Gährungsersch ei- nungen. 5S). Im Mittel wurden in ausgewaschener und möglichst asche- freier trockener Hefe gefanden: 48 o/o C, 9-12 % N, 6-7 "/„ H, 0,6 % S. Hessexland (r: K. 92. 67) findet einen Unterschied in der Ele- mentarzusammensetzung von Ober- und Unterhefe, in dem Sinne, dass letztere reicher ist an C, H und N; es ergab sich im Mittel für Unterhefe 49,28 % C, 8,17 % H, 10,53 % N, 10,12 % Asche Oberhefe 48,58 % C, 7,15 % E, 7,77 % N, 11,47 % Asche. Hefe, welche längere Zeit Gährung unterhalten hat, soll nach Pasteür's u. A. Angaben einen erheblich niedrigerenN-Gehalt, nur 5,0-5,5 ''(, enthalten; Haydück (cit. nach Wijsman) hingegen fand bei einer Reihe von successiven Gährungen eine Zunahme des N-Gehalts. Wijsman (r: K. 91. 120) kam durch eine Reihe von Analysen zu verschiedenen Zeiten des Gährprozesses zu der Überzeugung, dass der N-Gehalt der Hefe meist keinen ganz konstanten Wert besitzt, sondern grossen, ziemlich regelmässigen Schwankungen unterworfen ist. Nach dem Einbringen der Hefe in die Gährflüssigkeit findet zuerst eine schnelle Steigerung des N-Gehalts statt, die sich wahrscheinlich durch die Ansammlung N-haltiger Nährstoffe im Zellleib vor der Entfaltung der grössten Vermehrungsintensität erklärt; im späteren Verlauf des Gährprozesses erfolgt eine allmähliche Abnahme. So stieg z. B. der N-Gehalt (auf Trockensubstanz bezogen) von dem Anfangswert 7,09 nach 1 Stunde auf 9,90; nach 2 Stunden betrug er 9,60, nach 3 Stunden 9,55, nach 10 Stunden nur noch 6,40 %. Die Gährungsphysiologie darf also nicht nur den N-Gehalt am Ende der Gährung berücksichtigen. Die Ver- teilung des Gesamtstickstoffs auf Protein- und Nuklei'nstickstoff fand Stutzer iZ. physiol. Ch. 6. 572) so, dass 5,519% N auf Proteine, 2,257% auf Nuklei'ne entfielen. UberdieBeteiligung der einzelnen chemischen Stoffe an derZusammen- setzung derHefe giebt eine anuntergährigerHefe vonNÄGELi(Sitzungsber. d. bayr. Akad. 1S78 Mai 4) ausgeführte Analyse Auskunft; es fanden sich: GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 95 Cellulose und Pflanzenschleim der Zellmembran . 37 % Albuminstotfe 45 % Peptone 2% Fett 5 'Vo Extraktstoffe (Leucin, Glycerin u. s. -w.) ... 4 % Asche 7 %. Die Eiweissstoffe haben Schlossbeegee und Muldee entweder durch Behandeln mit Kalilauge oder mit Essigsäure zu isolieren gesucht und haben dabei in der That eine den Proteinstoffen zukommende Zusammen- setzung der isolierten Stoffe gefunden: von XE^■CKI (Beitr. z. Biol. d. Spaltpilze. 1880. 4S) wurde in der Hefe auch Mykoprotein nachge- wiesen, ein Eiweisskörper, der bei der Zusammensetzung der Spaltpilze nähere Beschreibung finden wird. Aus dem Xuklei'n der Hefe stellte LiEBEEiiAXN (Pf. 43 und 47. 155) Metaphosphorsäure, Xishemuba (A. IS. 31Sj die Xukleinbasen dar; er erhielt auf die 24,3 ^o betragende Trockensub.stanz der Hefe bezogen 0,0265 '^^ Xanthin, 0,006% Guanin, 0,07^,0 Adenin, 0,071 *^o Hypoxanthin. Unter den X-freien Bestand- teilen der Hefe ist zunächst der reichliche Gehalt an Cellulose zu er- wähnen: die Hefencellulose zeigt zwar dieselbe Elementarzusammen- setzung wie die gewöhnliche Cellulose, unterscheidet sich jedoch von ihr durch die Unlöslichkeit in Kupferoxyd- Ammoniak, sowie dadurch, dass sie sich durch Kochen mit Schwefelsäure in gährfähigen Zucker umwandeln lässt: nach Salkowski iA. f. Ph. 1S90. 554 1, der sie zum Unterschied von der gewöhnlichen Cellulose als Membranin bezeichnet, geht sie durch langdauerndes Kochen mit Wasser teilweise in Lösung: aus dieser Lösung lässt sich durch Alkohol ein dem tierischen Gly- kogen sehr ähnlicher, aber nicht mit ihm identischer Körper ge- winnen. Auch präformiertes Glykogen oder wenigstens ein dem tierischen Glykogen sehr ähnlicher Körper ist nach Eeeeea (Acad. roy. d. Belg. Ser. 3 IV. Xo. 11 und C. E. lOl. 253j als Reservestoff, wie in vielen anderen Pilzen, so auch in der Hefe vorhanden. Ceemee (M. 94. Xr. 26) gelang es, das Hefeglykogen zu isolieren und seine Spaltbarkeit durch Ptyalin, Pankreasferment und Diastase darzuthun. Von Kohlehydraten in der Hefe sind ausserdem von Salkowski und HESSE^"LA^*D gummiartige Körper gefunden, aus denen sich Man- nose abspalten lässt. Ober- und Unterhefe ergaben gleichmässigen Ge- halt an Gummi, nämlich etwa 6,5 ''oj ^^^ ^^ Pentaglukosen etwa 2,6^0 der Trockensubstanz. Femer fand Wegxee (r: K. 90. 33) Dextran, Loew^ (r: K. 91. 122) einen den Pflanzenschleimen ähnlichen Hefeschleim. Bemerkenswert ist, wie gegenüber den Schimmelpilzen sich das A erhältnis zwischen X-losen, kohlehydratähnlichen Bestandteilen und 96 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Proteinsubstanzen zu Gunsten der letzteren verändert; bei der Hefe finden wir 37 ^/q Cellulose und 47 *^'o Eiweissstoffe, während die Schimmel- pilze ca. 50% Cellulose und nur 29% Eiweiss enthielten. Allerdings ist es nicht ganz richtig, die in den Hefeanalysen gefundene N- Menge ganz auf Eiweiss umzurechnen; ein Teil des Stickstoffs stammt vielmehr aus einfacheren Substanzen, wie Leucin, Tyrosin u. s. w., die durch Extraktion frischer Hefe mit Eiswasser zu erhalten sind; doch kommen diese Substanzen gewöhnlich in viel zu geringer Menge vor, als dass sie die erwähnte Relation zwischen C und N stören könnten. Als Fäulnisprodukte der Hefesubstanz treten nach A. Müllee (J. pr. Ch. 70. 65) hauptsächlich höhere Fettsäure, Amide, NH3 , Leucin und Tyrosin auf. Der Wassergehalt frischer, vegetationsfähiger Hefe schwankt zwischen 40 and 80%. Die Hefenasche hat nachMiTSCHEELiCH folgende Zusammensetzung: Obergährige Hefe: Untergährige Hefe: Kali 38,8% 28,3% Phosphorsäure .... 53,9% 59,4% Kalk 1,0% 4,3% Magnesia 6,0% 8,1% Kieselsäure Spuren — Bemerkenswert ist vor allem der hohe Phosphatgehalt, der dem Eiweissreichtum der Hefe vollständig entspricht. — Die chemische Zusammensetzung des den Hefen nahestehenden Soorpilzes ist nach Kappes (Analys. d. Massenkulturen einiger Spaltpilze etc. [Diss.] Leipzig 1890) folgende: Die frische Kultur enthält 81,40% H2 0 und 18,60 ^'0 Trockensubstanz; in Prozenten der letzteren ausgedrückt fanden sich: Ätherextrakt . 4,28 Stickstoff . . 12,21 Asche . . . 10,83 Davon : Kali .... 0,946 Natron . . . 1,950 Kalk ... 1,472 Magnesia . . 0,742 Phosphorsäure 5,731 Chlor. . . . 0,032 Kieselsäure . 0,210 Bemerkenswert ist auch hier der hohe Gehalt an N-Substanz und Phosphorsäure. HI. Spaltpilze. Um die chemische Zusammensetzung der Spaltpilze zu ermitteln, muss man grosse Mengen derselben möglichst frei von Teilen des Nähr- GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen dei- Mikroorganismen. 97 Substrats und von Stoffwechselprodukten gewinnen. Nach Nencki (Beiträge zur Biologie d. Sjialtpilze. 1S80) verfuhr man so, dass man die Kulturflüssigkeit mit 2 — 3% freier Salzsäure versetzte und aufkochte; hierbei fielen die Bakterienleiber koaguliert aus und Hessen sich von der Kulturflüssigkeit durch Filtration trennen; eiweisshaltige Nähr- lösungen mussten hierbei freilich vermieden werden. Briegee (Z. j)hysiol. Ch. 91), Gramer (A. 13. 71; 16. 151; 22. 167), Kappes (Analyse der Massenkulturen einiger Spaltpilze etc. Diss. Leipzig 1890), Nishimura (A. 18. 31 S) bedienten sich zur Gewinnung reiner Bakterienleiber fol- genden Verfahrens: Sie legten Oberflächenstrichkulturen auf Gelatine, Agar oder Kartoffel an und hoben. die ausgewachsene Bakterienmasse mittelt eines Messers oder Spatels vorsichtig vom Nährboden ab. Die ältesten analytischen Resultate stammen von Nencki. Er fand für eine Mischkultur von Fäulnisbacillen in 2 % Gelatinelösung oder in Lösung von schleimsaurem Ammoniak für die aufeinander folgen- den Stadien der Entwicklung, die mit der Bildung einer schleimigen Zooglöa begann und der Bildung zahlreicher „reifer" Bakterien endete, folgende Werte: Reine Zooglöamasse Zooglöamasse Reife Bakterien mit entwickelten Bakterien Wassergehalt 84,81 % 84,26 % 83,42 % In der wasserfreien Substanz: Eiweiss 85,76% 87,46% 84,20% Fett 7,89% 6,410/0 6,04% Asche 4,20% 3,04% 4,72 o/g Nicht bestimmter Rest . . 2,15 % 3,09 % 5,04 % Die Ei Weisssubstanz bestand grösstenteils aus einem Körper, der sich durch einige Reaktionen (Nicht-Fällbarkeit durch Alkohol), be- sonders aber durch seine elementare Zusammensetzung von anderen Ei- weisskörpern imterschied und von seinem Entdecker als Mykoprotein benannt ist. Derselbe enthielt 52,32 % C, 7,55 % H, 14,75 % N, keinen Schwefel und keinen Phosphor; durch Schmelzen mit Atzkali konnten Phenol, Skatol, Indol, Leucin und reichliche Mengen von Fettsäuren, namentlich Valeriansäure, aus dem Mykoprotein gewonnen werden. — Leider sind diese analytischen Resultate, da nicht mit Reinkulturen gearbeitet wurde und demnach die verschiedenen angeblichen Vegetatio- nen wahrscheinlich nicht derselben, sondern mehreren Arten angehörten, nicht direkt auf die Zusammensetzung des Bakterienleibes zu beziehen und mit den folgenden Analysen nicht unmittelbar vergleichbar; die Konstanz der Ergebnisse und die Höhe des Eiweissgehaltes beruht nach Gramer (A. 16. 154) wohl darin, dass Nencki's Methode mehr zur Flügge, Mikroorganismen. .3. Auflage. I. 7 98 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Darstellung der Eiweisskorper der Bakterien als zur Isolierung des Zellleibes selbst geeignet ist. Beieger (a. a. 0.) fand bei der Analyse von 4 Wochen alten reinen Kulturmassen des Bac. pneumon. Friedländer, die auf Gelatine gezüchtet und einwandsfrei entnommen waren (s. oben) 84,2 % H2O, in der Trocken- substanz 1,74 % Fett, in der fettfreien Trockensubstanz 30,13 % Asche, in der fett- und aschefreien Trockensubstanz 9,75 % N. Dies entspricht einem Gehalt von 6,70 % N bezogen auf die gesamte Trockensubstanz, während die NENCKi'schen Analysen unter Zugrundelegung des N-Ge- halts des Mykoproteins in der gesamten Trockensubstanz 12,65 ",'0 ^^~ gaben. Die von Beiegee gefundene organische Grundsubstanz lässt sich nicht mit Nencki's Mykoprotei'n identifizieren; sie gab einige für Proteine charakteristische Reaktionen, löste sich unvollkommen in Wasser, fiel beim Kochen aus, löste sich beim Ansäuern mit verdünnter HNO3 in der Wärme wieder auf; gab die Biuretreaktion und Nieder- schläge mit Ferro cyankalium und Essigsäure, Kochsalz und Salzsäure, Gerbsäure. — Nägeli und Loew (Nägeli, Theorie 'der Gährung. S. 111 und Sitzuugsber. d. Kgi. bayer. Akad. math.-phys. Kl. Mai 1878) fanden bei einer Mikrokokkusvegetation in weinsaurem Ammoniak in der Trocken- substanz 10,65 % N und 6,94 % Asche, bei einer Essigmutter, die aus einer zähen Gallerte mit eingebetteten Kurzstäbchen bestand, in der nur 1,7 ^;q der Gesamtmasse ausmachenden Trockensubstanz da- gegen nur 1,82 *^/q N und 3,37 % Asche; hier bestand also der weit- aus grösste Teil der Trockensubstanz aus N-freien, vielleicht cellulose- ähnlichen Körpern. Hiermit stimmt überein, dass Scheibler und Duein (Z. physich H. Bd. 8.) beobachteten, dass die Membranen des Leucono- stoc mesenterioi'des als wesentlichen Hauptbestandteil ein celluloseähn- liches Kohlehydrat enthalten. ViNCENZi (Z. physiol. Ch. 11. 181) fand bei Reinkulturen des Bac. subtilis in verdünnter Fleischextraktlösung folgende Werte für den Stickstoffgehalt der Trockensubstanz: 6,24 %, 11,15%, 7,97 %, 5,34 %, 6,26%; woher die bis über 100 % betragenden Differenzen zwischen den einzelnen Bestimmungen herrühren, weiss er nicht mit Sicher- heit anzugeben; möglicherweise seien dieselben in der verschiedenen zeitlichen Entwicklung der untersuchten Kulturen begründet. Kappes (a. a. 0.) züchtete Bac. prodigiosus und den Xerose-Bacillus auf einer Mischung von 1,5 Agar, 1,0 Fleischextrakt, 1,5 Pepton, 0,5 NaCl, 95,5 Wasser und fand bei der Analyse der reinen Bakterienleiber den Wassergehalt bei Bac. prodigiosus zu 85,45 %, beim Xerose-Bacillus zu 84,93 %; in 100 Teilen Trockensubstanz fanden sich: GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 99 Bac. prodigiosus. Xerose-Bacillus. Ätberextrakt 4,83 8,06 Stickstoff 11,40 12,12 Asche 13,47 9,52 Kali 1,55 1,06 Natron 3,93 2,34 Kalk 0,56 0,28 Magnesia 1,05 0,58 Phosphorsäure 5,12 3,28 Chlor 0,66 0,06 Kieselsäure 0,07 0,05 Hammeeschlag- (C. M. 91. Nr. 1) fand in Tuberkelbacillen, die in 5 proz. Glycerin-Bonillon oder auf Glycerin-Pepton-Agar gewachsen waren, im Mittel einen Wassergehalt von 85,9 %; die Trockensub- stanz enthielt 27,2 ^/'o Alkohol- und Ätherextrakt; die in Alkohol und Äther unlösliche Trockensubstanz enthielt 51,62 ^'0 C, 8,07 % H, 9,09 \ N, 8 % Asche. Kresling (Arch. d. sc. biol. t. I. 711) wies in den Kulturen der Rotzbacillen 23 — 25 ^'0 Trockensubstanz und in dieser 6,67 % Asche nach; die Masse der Trockensubstanz soll mit dem Alter der Kultur zunehmen. DziEEZGOwsKi und Rekowski (Arch. d. sc. biol. 1892. 167) geben bezüglich der Zusammensetzung der in reiner Lösung von Pepton ge- wachsenen Diphtheriebacillen Folgendes an: 48,87 ^/q C> ^,61 ^,'0 H, 11,17 0/0 N, 4,57 o'o Asche, 1,62 «o Ätherextrakt, 2,24 «/o Alkohol- extrakt, 28,01 ^'0 Cellulose, 63,40 ^'0 Albumin in der Trockensubstanz. Zwischen den bisher mitgeteilten Analysen verschiedener Bakterien, ja sogar zwischen verschiedenen Analysen desselben Bakteriums be- stehen zum Teil so ungeheure Differenzen, wie sie sonst nirgends bei Lebewesen bekannt sind. Es fragt sich, ob diese enormen Verschie- denheiten auf gleich grosse wirkliche Unterschiede in der Zusammen- setzung der Bakterien zurückzuführen sind, was freilich bei einander so nahe verwandten Lebewesen sehr merkwürdig wäre, oder ob etwa ein und dasselbe Bakterium, je nach den Lebens- und Ernährungs- bedingungen seine Zusammensetzung wesentlich ändert. Gramer hat diese Frage im letzteren Sinne entschieden und nachgewiesen, dass „von einer typischen Zusammensetzung der Bakterien in dem Sinne, wie sie für höher organisierte Wesen bekannt ist, nicht die Rede sein kann, sondern dass dieselbe in hohem Masse selbst bei einem und demselben Bacillus schwankt, in- dem sie bis zu einem gewissen Grade ganz von der Zusam- mensetzung des Nährmaterials abhängt" (A. 12. 157 f.). Gramer bewies zunächst (A. 13. 76 ff.), dass der Wasser- und Aschengehalt eines und desselben Bakteriums durchaus inkonstant ist. wenn A^erschieden- 100 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Leiten des Nährbodens, der Züchtimgstemperatur, des Alters der Kultur etc. nicht berücksichtigt werden. In zwei, etwa ein Jahr auseinander liegenden Analysen desselben Wasserbakteriums bei annähernd gleicher Wachstumsdauer fand er: 15,23 % Trockensubstanz und darin 22,77 % Asche bezw. 18,32 o/o „ „ „ 12,49 %, „ Die Trockensubstanz hatte also merklich zugenommen, der Asche- gehalt hingegen war fast auf die Hälfte verringert. Bei systematischen Versuchen mit Kartoffelkultaren des Bac. pro- digiosus ergab sich unter verschiedenen Bedingungen der Tem- peratur, Wachstumsdauer und des Nährbodens eine sehr deut- liche Verschiedenheit im Wasser- und Aschegehalt, während innerhalb jeder einzelnen Gruppe bei gleich gehaltenen Bedingungen eine hinreichend genaue Übereinstimmung der einzelnen Resultate be- steht. Dies beweisen folgende, nach Ckamer (A. 13. 7S — 84) zusammen- Sestellte Tabellen: Einfluss der Temperatur bei konstanter Wachstumsdauer. Nr. des Ver- suches Bruttemperatur (33») Zimmertemperatur Trocken- substanz in o/„ Asche in d. Trocken- substanz in o/o Asche in d. feuchten Masse in % Trocken- substanz in o/o Asche in d. Trocken- substanz in o/o Asche in d. feuchten Masse in o/o 1 2 8 4 25,02 22,87 26,03 22,77 9,61 9,95 9,93 7,76 2,41 2,28 2,58 1,77 21,57 18,69 23,10 20,56 12,92 13,79 12,92 10,43 2,79 2,58 2,99 2,15 Mittel: 24,17 9,31 2,26 20,98 12,52 2,63 Einfluss der Wachstumsdauer bei Zimmertemperatur. Nr. des 4 Tage langes Wachstum 13-16 (Mittel 14,5) Tage langesWachst. Asche in d. Asche in d. Asche in d. Asche in d. Ver- Trocken- Trocken- feuchten Trocken- Trocken- feuchten suches substanz substanz Masse substanz substanz Masse in o/o in o/o in o/o in o/n in o/o in o/o 1 20,38 10,22 2,13 18,91 16,37 3,09 2 21,40 12,50 2,67 18,01 10,26 1,85 3 21,58 13,78 2,97 15,87 13,64 2,17 4 18,01 8,93 1,50 16.60 14,80 2,40 Mittel: 20,44 11,38 2.32 17,45 13,77 2,38 GoTSCHLiC'H, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 101 Der Trockengehalt von Kulturen, die bei Bruttemperatur gehalten wurden, ist also grösser als solcher, die bei Zimmertemperatur gewachsen sind, was auf eine vermehrte Produktion organischen Materials bei dem üppigen Wachstum schliessen lässt. Der Trockengehalt ist ferner bei jungen Kulturen grösser als bei alten; es scheint also in den späteren Perioden des Wachstums eine stärkere Wasseraufnahme aus dem Nähr- boden zu erfolgen. Einfluss des Nährbodens. Alte Kartoffeln Neue (wasserreichere) Kartoffeln Trocken- substanz in % Asche in d. Trocken- substanz in % Asche in d. feuchten Masse in % Trocken- substanz in % Asche in d. Trocken- substanz in % Asche in d. feuchten Masse in % Maxim.: Minim.: 23,14 18,69 13,86 9,95 3,25 1,85 20,56 18,01 10,43 8,93 2,40 1,60 Mittel: 21,49 12,80 2,71 19,39 9,85 2,10 Dagegen auf gelben Rüben: Mittel: 12,58 11,22 ; 1,31 Die Kartoffeln haben nach König (Zusammensetzung d. Nahrungs- u. Genuss- mittel. S. 650) im Mittel einen Trockengehalt von 25,02 % mit 4,36 % Asche = 1,09 7o Asche in der feuchten Masse; in den gelben Rüben fand Gramer nur 13,30 "^/o Trockensubstanz mit 5,81 % Asche = 0,77 % Asche in der feuchten Masse. Der Trocken- und Aschegehalt der Bakterien hängt also von dem des Nährsubstrats ab und ändert sich mit letzterem in gleichem Sinne. Eine ähnliche Abhängigkeit von der Beschaffenheit des Nährsub- strats stellte Ceamer in einer späteren Untersuchung (A. 16. 171 ff.) auch für die Eiweisskörper der Bakterien fest. Stickstoffsubstanz Äther-Alkohol-Extrakt Asche Ö ö' 1 S H Ö A 1 ö ^ ö Ö ä cs Bacillus S"^ o O CS 1 ^ S O-, U Ol <ä nj CC 1 CS J-i o -2 ,JZ cS • -° ü Ph ^ -5 fS^ ' PL, ^ Ph öd _o CS 1—1 ip 5- P -^ lO ST^ r-i lO »o Pfeiffer's Kapsel-B. 66,6 70,0 53,7 17,7 14,63 24,0 12,56 9,10 9,13 Nr. 281) 73,1 79,6 59,0 16,9 17,83 18,4 11,42 7,79 9,20 Pneumonie-B. 71,7 79,8 ' 63,6 10,3 11,28 22,7 13,94 10,36 7,88 Rhinosklerom-B. 68,4 76,2 62,1 11,1 9,06 20,0 13,45 9,33 9,44 1) Ein Wasserbakterium. 102 Allgemeine Biologie der Mikroorgaiiismen. Bacillus 1« Bei Wachstum auf Agar mit Zusatz von /o Pepton 5 % Pepton 5 % Traubenzucker C H N C H N C H 1 N Pfeiffer's Kapsel-B. Nr. 28 Pneumonie-B. Rhinosklerom-B. 51,42 51,72 50,95 51,19 7,31 7,32 7,18 7,40 12,18 13,20 13,28 12,63 50,63 50,47 51,37 51,81 6,59 6,77 6,71 7,49 12,32 13,82 14,25 13,46 49,44 50,33 50,55 50,33 6,52 6,79 6,92 6,76 9,44 10,44 11,05 10,76 Wie sich aus der ersten Tabelle ergiebt, schwanken die Stickstofif- substanzen je nach der verschiedenen Zusammensetzung des Nährbodens sehr erheblich: im Maximum um 35%, im Minimum um 23%, im Mittel um 28%. Dass diese Schwankungen im Gehalt an Stickstoff- substanz nicht etwa auf Stickstoffmangel im Nährboden oder auf Ver- flüchtigung eines Teiles des Stickstoffs in Form von Ammoniak oder auf einen wechselnden N-Gehalt des Alkoholextrakts zurückzuführen ist, hat CßAMEE durch Kontroiversuche dargethan. Die Stickstoffsubstanzen sind also als Eiweisskörper aufzufassen, wofür direkt auch die aus der zweiten Tabelle zu entnehmende elementare Zusammensetzung der Bakterien spricht, welche mit der des Eiweisses fast vollständig über- einstimmt. Hieraus ergiebt sich, dass der Eiweissgehalt der unter- suchten Bakterien ein sehr hoher ist (bis 80%) und im Mittel je nach den Ernährungsbedingungen um 28% schwankt. Diese „phy- siologische Breite der Eiweissschwankung" hängt ab von der im Nährmaterial vorhandenen Menge assimilierbaren Stickstoffs, jedoch nicht von dieser allein, sondern auch, aber in entgegengesetztem Sinne, von der Wachstumsenergie, indem trotz gleichen absoluten Gehaltes an Stickstoff bei einer intensiveren Vermehrung für das einzelne Indivi- duum weniger Stickstoff verfügbar ist. Daher ist z. B. auf 5 % Trauben- zucker-Agar, der die gleiche Menge Stickstoff enthält wie der gewöhn- liche Agar, doch infolge der stärkeren Wachstumsenergie der Eiweiss- gehalt der Bakterien ein geringerer. Üppiges Wachstum und hoher Eiweissgehalt brauchen also durchaus nicht zusammen zu fallen. Das Verhältnis, in dem der Eiweissgehalt der Bakterien mit der relativ verfügbaren Menge Stickstoff zu- nimmt, ist kein direktes; vielmehr verhalten sich die mittleren Eiweissmengen wie 100 : 120 : 128, die Mengen des verfügbaren Stick- stoffs wie 10 : 20 : 60. Hieraus ergeben sich interessante Folgerungen betr. der Assimilation und des Stoffwechsels bei den Bakterien, die später an entsprechender Stelle Berücksichtigung finden werden. Diese Resultate über die Abhängigkeit des Eiweiss- und Asche- gehalts der Bakterien fand Ckamee in seiner neuesten Untersuchung GoTSCHLicii, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 103 (A. 22. 167 ff.) auch bei den Cholerabacillen bestätigt. Bei Züchtung derselben in 1 proz. Sodabouillon fand er einen mittleren Wassergehalt von 88,3 % und in der Trockensubstanz rund 65% Eiweiss und 31% Asche, bezw. bei der Elementaranalyse 48,88 % C, 15,00 % N, 7,26 % H. Bei Züchtung in UscHiNSKT'scher Nährlösung hingegen, die viel weniger Asche, und den Stickstoff in schwieriger assimilierbarer Form enthält, waren in der Trockensubstanz im Mittel nur 45,28% Eiweiss und 11,32% Asche. Bezüglich der Extraktivstoffe zeigten sich ebenfalls (s. d. zweite Tabelle auf S. 101) die erheblichsten Schwankungen; bei Wachstum auf Traubenzucker-Agar war der Alkohol- und Atherextrakt auf das Doppelte vermehrt. Diese von Cramek, entdeckte Anpassungsfähigkeit der che- mischen Zusammensetzung der Bakterien an die Beschaffen- heit des Nährsubstrats ist für dieselben in hohem Grade zweck- mässig und befähigt sie ausserordentlich zu der Rolle, die sie im Haus- halt der Natur spielen, grosse Mengen verschiedenartigster organischer Substanz, die zudem während des Zersetzungsprozesses selbst konti- nuierlich ihre Beschaffenheit ändert, in kurzer Frist vollständig zu zer- legen. Nur Lebewesen, deren Existenz nicht an eine ganz bestimmte Zusammensetzung ihrer Körpersubstanz gebunden ist, und die daher auch nicht ganz bestimmte Ansprüche an das Nährmaterial zu machen brauchen, sind zu so vielseitigen Leistungen unter so verschiedenen Bedingungen befähigt. Übrigens wäre es wohl verfehlt, aus dieser weitgehenden Anpassungsfähigkeit der Bakterien an ihr Substrat folgern zu wollen, dass gar kein konstanter Faktor an ihrer Zusammensetzung mitwirke. Eine solche Annahme ist schon mit Rücksicht auf die Konstanz der spezifischen physiologischen Wirkung der einzelnen Bak- terienarten, z. B. ihrer spezifischen Ferment-, Gähr- und krankheits- erregenden Wirkung ganz unthunlich; die thatsächliche Existenz scharf charakterisierter Bakterieuarten verlangt vielmehr die Annahme eines festen, von den äusseren Umständen unabhängigen Kerns in ihrer chemischen Zusammen^setzung. Auch sprechen hierfür sogar manche Resultate der chemischen Analysen des Bakterienleibes; so fand CßAiiER bei seinen verschiedenen Bakterienarten unter gleichen Versuchsbedingungen spezifische Artverschiedenheiten in der Zusammen- setzung, die er sogar in differential-diagnostischer Beziehung verwenden zu können für möglich hält. Auffallend sind ausserdem, wie ebenfalls Ceamee betont (A. 16. 183), die fast vollkommen konstanten Werte des Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalts in der Trockensubstanz seiner Bak- terien, die auch in bemerkenswerter Weise mit den Werten anderer Au- toren für andere Bakterien übereinstimmen. Gemeinsames Charakte- 104 Allgemeiue Biologie der Mikroorganismen. ristikum der Bakterien gegenüber den Spross- und Schimmelpilzen ist ferner das bedeutende Überwiegen N-haltiger, gegenüber N- freien Substanzen. Der Zellleib der Bakterien ist also ausser- ordentlich reich an Eiweissstoffen, während Kohlehydrate etc. sehr zurücktreten. — Der Einfluss nun, den die hiernach anzunehmende, für jede Bakterienart bestimmte chemische Struktur auf ihren Stoff- wechsel ausübt, geht freilich nicht, wie bei höheren mehrzelligen Lebewesen, auf die Erhaltung einer ganz genau quantitativ bestimmten Zusammensetzung der Leibessubstanz, sondern ist nur qualitativ; es wird wahrscheinlich nur die Richtung angegeben, in der sich der Chemismus bewegt, wobei aber die quantitativen Verhältnisse von den äusseren Be- dingungen in weitestem Masse abhängen. Nach dieser Auffassung steht die Abhängigkeit der chemischen Zusammensetzung des Bakterienleibes von der Beschaffenheit des Nährsubstrats durchaus nicht ohne Ana- logie da; freilich ist diese Analogie nicht bei dem ganzen mehr- zelligen Organismus zu finden, wohl aber bei den einzelaen ihn konsti- tuierenden Zellen; so z. B. bei einer einzelnen Leberzelle, bei der auch unter verschiedenen äusserenBediugungen der Gehalt anEiweiss, Glykogen und Fett ganz verschieden ist und demnach von einer typischen Zu- sammensetzung wie beim ganzen Organismus nicht die Rede sein kann. Ebenso wird bei der chemischen Analyse des Bakterienleibes die ganze Masse der darin eingelagerten Stoffwechselprodukte und aller jener Stoffe, welche nicht zu plastischen Zwecken, sondern nur zur Erzeugung von Energie für die Leistungen der lebenden Maschine dienen, mit- bestimmt; diese letzteren „dynamogenen" Stoffe können aber wahr- scheinlich, wie noch später zu betrachten sein wird, sehr verschiedener Herkunft sein. Gar keine Berücksichtigung hat auch bisher bei den chemischen Untersuchungen die Frage gefunden, inwieweit die ge- fundenen Zahlen auf die Bakterienleiber und inwieweit sie auf die Inter- cellularsubstanz zu beziehen seien; wie in einem späteren Kapitel ge- zeigt werden soll, kann dieser Punkt von sehr erheblicher Bedeutung sein. Es muss also die chemische Zusammensetzung einer Kulturmasse in zahlenmässige Beziehung gebracht werden zu der Anzahl der darin enthaltenen lebenden Individuen; derartige Versuche würden auch die schärfste Bestimmung für den Höhepunkt in der zeitlichen Entwicklung der Kultur, auf dessen Einhaltung bei der Analyse Ceainiee mit Recht grossen Wert legt, gestatten. Über die Beschaffenheit der einzelnen chemischen Bestand- teile des Bakterienleibes ist Folgendes bekannt: 1. Eiweisskörper. Das NENCKi'sche Mykoprotei'n ist bereits oben erwähnt. Derselbe Autor fand in Milzbrandbacillen mit Sporen- bildung einen anderen schwefelfreien Eiweisskörper, der sich in Alkalien GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 105 leicht löst, in Wasser, Essigsäure und verdünnten Mineralsäuren aber ganz unlöslich ist, und nannte ihn Anthraxprotein (B. Ch. 13. 2605). über den von Bkieger (a. a. 0.) in den Pneumoniebacillen gefundenen Eivyeisskörper ist bereits oben berichtet. Von besonderem Interesse ist ein von Hellmich (A. P. Bd. 26. 328) aus der Reinkultur eines nicht näher untersuchten Bacteriums isolierter Eiweisskörper, der die Eigen- schaften der gewöhnlichen Globuline zeigt. Aus den Tuberkelbacillen wurden von Hamimerschlag (a. a. 0.) ein, von v. Hofmann (W. K. 94. 712) sechs verschiedene Eiweisskörper ohne besondere chemische Cha- rakteristika isoliert. Besondere Erwähnung verdienen ferner die Unter- suchungen Th. Weyl's zur Chemie des Tuberkelbacillus (D. 91. 256 f.), weil es hierbei gelang, Bestandteile der Hülle und des eigentlichen Bakterienleibes getrennt zu untersuchen. Bei Behandlung mit warmer verdünnter Natronlauge entstand eine gelblich-trübe Mischung, in der kleine weisse Fetzen umherschwammen; beim Erkalten erstarrte die Flüssigkeit zu einer trüben Gallerte und zwar in zwei Schichten, deren untere aus den weissen Fetzen bestand. Diese weissen Mem- branen lösten sich erst in koncentrierter Schwefelsäure langsam auf und gaben mit Millon's Reagens keine Rotfärbuug; sie zeigen die spezifische Färbbarkeit der Tuberkelbacillen und entstammen daher wahrscheinlich der Hülle der Tuberkelbacillen. Die Gallerte, welche wahrscheinlich aus dem Protoplasma der Bacillen hervorgegangen war, ergab bei Fällung mit verdünnter Essigsäure einen mucinähnlichen Körper, der im Uberschuss der Essigsäure unlöslich blieb, durch Alkalien dagegen in Lösung gebracht werden konnte. Dieses „Toxomucin" enthält 51,6% C, 7,3% H und 4,4 ^o ^i ausserdem kleine Mengen von S und P. Die im plasmatischen Zellinhalt der Bakterien präformiert vor- handenen eiweissartigen Stoffe gelang es Büchner (B. 90. 673 u. 1084) rein darzustellen. Diese Stoffe, die er zunächst in Mischung mit an- deren Bakterienprodukten einfach durch Sterilisation von wässrigen Emulsionen der verschiedensten Bakterien (Staphylokokkus pyogenes aur., Staphylokokkus cereus flavus, Sarcina aurantiaca, Bac. prodigio- sus, Fitzianus, cyanogenus, megaterium, ramosus, subtilis, coli comu- nis, acidi lactici, anthracis [sporenfrei], mallei, Kieler Wasserbacillus, Proteus vulgaris, Friedländer's Pneumobacillus, Vibrio Finkler- Prior) gewann, zeigten eine sehr bedeutende Hitzebeständigkeit und be- wirkten bei Injektion in den Tierkörper aseptische Eiterung durch chemotaktische Anlockung der Leukocyten. Dass diese Stoffe Bestand- teile der Bakterienleiber selbst und nicht ausgeschiedener Stoffwechsel- produkte sind, bewies Buchner dadurch, dass sie in der klaren, von Bakterienleibern freien Kulturflüssigkeit nicht vorhanden waren. Sehr 106 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. bemerkenswert ist, dass diese Körper bei Behandlung mit basischen Anilinfarben ihre Wirkung auf den Tierkörper einbüssen; sie gehen also mit dem Farbstoff eine chemische Verbindung ein und sind daher wahrscheinlich identisch mit den Bestandteilen des Bakterienleibes, welche seine Färbbarkeit bedingen. Die Reindarstellung dieser Bakterien- protei'ne gelingt durch Auflösung derselben in verdünnten Alkalien und nachträgliche Ausfällung durch verdünnte Säuren ; im Überschuss von Säure sind sie wieder löslich. Genauer chemisch untersucht ist das Protein der FmEDLÄNDERschen Bacillen und des Pyocyaneus. Beide dokumentieren sich durch die Xanthoprotei'n-, die MiLLON'sche, dieBiuret- und die ADAMKiEWicz'sche Reaktion als Eiweisskörper. Beide sind löslich in Wasser, in verdünnten Alkalien, in koncentrierteren Säuren, unlöslich dagegen in verdünnten Säuren, Durch Kochen, durch ge- sättigte Kochsalzlösung, durch Quecksilberchlorid wird keine Fällung erzielt, wohl aber durch Magnesiumsulfat, Kupfersulfat, Platinchlorid, Goldchlorid, Bleisalze, Pikrinsäure, Gerbsäure, absoluten Alkohol. Das Pyocyaneusprotei'n enthält 11,52% Asche, welche hauptsächlich aus NaCl besteht, daneben auch Phosphorsäure enthält. Vom Mykoprotei'n Nencki's sind diese Proteine scharf unterschieden. Sie nähern sich in ihrem Verhalten den Pflanzenkasei'nen. — Die hitzeunbeständigen^ aus der Züchtungsflüssigkeit der Bakterien gewonnenen Toxalbumine, sowie- die alkaloidähnlichen Toxine gehören nicht hierher, da sie nicht als Bestandteile des Bakterienleibes, sondern als Stoffwechselprodukte aufzufassen sind. Ihr chemisches Verhalten wird daher bei den Stoff- wechselprodukten besprochen. Dagegen sind hier noch zu erwähnen die von Peeifeee (Z. 11) in den Leibern der Choleravibrionen enthaltenen spezifisch wirkenden Giftsubstanzen, die „primären Toxine", von deren chemischer Beschaffen- heit man jedoch nicht viel mehr kennt, als ihr ausserordentlich labiles Verhalten gegenüber der Einwirkung der gebräuchlichen Darstellungs- verfahren und Reagentien; nur mit Chloroform oder durch vorsichtiges Trocknen bei 37^ gelingt ihre Konservierung auf kurze Zeit; bei ein- greifender Behandlung gehen sie in Körper von geringerer Gift- wirkung und grösserer chemischer Beständigkeit, in die sog. „sekun- dären Toxine", über. 2. Nu kleine und Nukleinderivate. [Nukleine fand zuerst Vandevelde (Z. physiol. Ch. 8) bei der Analyse des Bac. subtilis. Nuklein glaubt ferner Deetfuss (ebd. 18. 338) in den Bakterien annehmen zu müssen, da ihre Färbbarkeit durch basische Anilinfarben nach Extraktion mit Salzsäure, wobei die Eiweisskörper als Acidalbumine in Lösung gehen müssen, nicht beeinträchtigt wird; dagegen ist sie nach Behandlung mit Natronlauge fast ganz verschwunden. Gottstein GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. j^Q7 (V, 133. 296) schliesst aus der durch die Bakterien veranlassten ener- gischen Spaltung des Wasserstoffsuperoxyds auf die Existenz von NuMem in den Bakterienleihern. Endlich gelang es Nishimuea (a. a. 0.) aus der Kulturmasse eines Wasserbacillus die Nuldeinbasen abzuspalten und so indirekt die Existenz von Nukleinen im Bakterien- leibe darzuthun; es fanden sich 0,17% Xanthin, keinHypoxanthin, 0,14'^/o Guanin, 0,08% Adenin. 3. Kohlehydrate. Scheibler u. Duein (a. a. 0.) isolierten, wie bereits oben erwähnt, aus den Hüllen des Leuconostoc mesenterio'ides ein celluloseähnliches Kohlehydrat, das Dextran, von der Formel CgHjoOj, welches in Wasser löslich ist, die Polarisationsebene stark nach rechts dreht und durch Kochen mit verdünnten Säuren in Zucker umgewandelt wird. Ein sehr ähnliches Kohlehydrat von derselben Zu- sammensetzung fand Ceamee (M. Ch. 10. 467) in den schleimigen Hüllen des Bac. viscosus sacch.; es unterscheidet sich von Dextran durch seine sehr geringe Löslichkeit im Wasser, in dem es nur kleisterartig aufquillt. Cell u lose wurde von Vandevelde (a. a. 0.) und Vincenzi (a. a. 0.) bei der Analyse des Bac. subtilis vermisst. Nencki u. Schaefee (J. pr. Ch. [N. F.] Bd. 20. 443) haben in Fäulnisbacillen, Hammeeschlag in den Tuberkelbacillen Cellulose gefunden; doch sind diese Befunde nicht ganz einwandsfrei. Auch ist durch eine neuere Untersuchung von NiSHiMUEA (A. 21, 52) bewiesen, dass die Tuberkelbacillen bei Züchtung in Glycerinbouillon keine Cellulose enthalten. Dagegen wies mit aller Sicherheit Beow^n (r: B. Ch. 20. 580) in seinem Bacterium xylinum Cellulose nach; ebenso fand Deetfuss (a. a. 0.) Spuren echter Cellu- lose in Eiterbacillen und im Bac. subtilis. Auch Dzieezgowski und Rekow^ski fanden in den Diphtheriebacillen ca. 28% Cellulose. Hemicellulosen, die sich nach der Begriffsbestimmung von E. Schulze (Z. physiol. Chem. 14. 227; 16. 387) von der echten Cellulose dadurch unterscheiden, dass sie schon beim Kochen mit ver- dünnter Säure in Zucker übergeführt werden und in verdünnter Salz- säure sich auflösen, sind von Nishimuea (A. 18. 330 ff.) zuerst in seinem Wasserbacillus gefunden worden; der Körper hatte wahr- scheinlich die Formel C,iH|QO-^ und war in der Trockensubstanz zu etwa 12 % vorhanden. Später fand derselbe Autor reichliche Mengen von Hemicellulosen auch im Bac. prodigiosus, Staphylokokkus pyogen, citreus und in den auf Glycerinbouillon gewachsenen Tuberkelbacillen (A. 21. 61 f.); NiSHiMUEA hält es für möglich, dass der Cellulose- gehalt tuberkulöser Organe , der zuerst von E. Feetjnd (Jahrb. d. Ges. Wiener Arzte. Bd. 28) festgestellt ist, auf einer Umw^andlung der in den Tuberkelbacillen enthaltenen Hemicellulose in echte Cellulose beruht. 1Q3 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. 4. Fette. Die Fette seiner Bakterien fand Gramer (A. 16. 166) von weisser Farbe und niedrigem Schmelzpunkt (etwa 40 ^); bei Wachstum auf traubenzuckerhaltigem Nährboden war das Fett etwa auf das Doppelte vermehrt. Hier, sowie auch in den Diphtheriebacillen, wo DziERZGOWSKi Und Rekow^ski (a. a. 0.) den Schmelzpunkt des Fett- säuregemenges bei ol,b'^ fanden, war offenbar auch Triolein vorhanden, während nach Hammerschlag in dem Fette der Tuberkelbacillen, dessen Schmelzpunkt 63 ^ betrug, ganz vorwiegend Tristearin und Tripalmitin enthalten sind. Nishimura fand in seinem Wasserbacillus Nr. 28 alle Fettsäuren, ausserdem auch Lecithin in einer Menge von 0,68%, welches übrigens auch in den Tuberkelbacillen enthalten zu sein scheint. Auch Cholestearin war in dem Wasserbacillus enthalten, aber nur in ganz minimalen Spuren. In anderen Bakterien konnte Cholestearin bisher nicht nachgewiesen werden. 5. Die Bestandteile der Asche der Bakterien sind oben bei den Analysen angegeben. 6. Ausserdem kommen in einzelnen Spaltpilzen immer oder zu Zeiten gewisse chemische Substanzen vor, die nicht zu den gewöhn- lichen Bestandteilen der Bakterien gehören. So die granuloseartige Substanz, die in dem Bac. butyricus und verwandten Anearoben, sowie im Vibrio Bugula vor der Sporenbildung auftritt und die auch im Bac. Pasteurianus (Hansen) und in der Leptothrix buccalis nachweisbar ist; sie färbt sich mit Jod blau. Auch der Gehalt der Beggiatoaarten an regulinischem Schwefel, vielleicht auch bei einigen Bakterien ge- wisse spezifische Farbstoffe, während freilich die Mehrzahl der Farb- stoffe als Exkrete aufgefasst werden müssen. Beijerinck (B. Z. 1891. Die Lebensgeschichte einer Pigmentbakterie) glaubt, dass die ersteren der Leibessubstanz der Bakterien eingelagerten Farbstoffe eine biolo- gisch wichtige Rolle spielen und etwa in dem Verhältnis zum Zell- leib stehen wie das Chlorophyll zur Pflanzenzelle. Er nennt solche Bakterien chromophore zum Unterschied von den chromoparen, welche den Farbstoff als wertloses Exkret ausscheiden. Ferner sind von Schewiakofe (Über einen neuen bakterienähnlichen Organismus des Süsswassers. Habilitationsschr. Heidelberg 1893) in seinem Achro- matium oxaliferum, einem dem Chromatium Okenii ähnlichen Mikroben, Oxalsäure und Kalk nachgewiesen worden. C. Die Nährstoffe der Mikroorganismen. Die Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der Mikroorganis- men setzt uns in den Stand, der Frage näher zu treten, aus welchen äusseren Bestandteilen die Stoöe ihres Zellleibes sich aufbauen und GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 109 beständig regenerieren. Unter Zugrundelegung der elementaren Zu- sammensetzung der Mikroorganismen wird es nötig sein, für jedes der sie konstituierenden chemischen Elemente die in der Natur sich vor- findenden Nährstoffe anzugeben, aus denen dasselbe zum Aufbau des Zellkörpers entnommen wird, während der Mechanismus der Aufnahme und die mit den Nährstoffen vorgehenden Veränderungen als Lebens- thätigkeiten der Mikroben einem späteren Abschnitt vorbehalten sind. Da aber in der Natur den Mikroben nicht chemisch reine Nährstoffe, sondern Mischungen derselben zur Verfügung stehen, so ist es eine weitere Aufgabe, die Wirkung verschiedener Mengenverhältnisse derselben und allgemeiner chemischer Eigenschaften (Reaktion etc.) des Nährsubstrats auf die Mikroben festzustellen. I. Die Nährstoffe der Schimmelpilze. Die ersten ausgedehnten Versuchsreihen hierüber sind von Raülix (C. R. 56. 229) ausgeführt. Er züchtete den Aspergillus niger in einer Nährlösung, von der nach vielfältigen Versuchen feststand, dass sie zur Ernährung des Pilzes be- sonders geeignet und gewissermassen als Normallösung für denselben zu betrachten sei. Diese „RAULiN'sche Flüssigkeit" war zusammengesetzt aus 1500 ccm Wasser, 70 gr Kandiszucker, 4 gr Weinsäure, 4 gr Ammoniumeitrat, 0,6 gr Ammonium- phosphat, 0,6 gr Kaliumkarbonat, 0,4 gr Magnesiumkarbonat, 0,25 gr Ammonium- sulfat und je 0,07 gr Zinksulfat, Eisensulfat und Kaliumsilikat. Die Nährflüssig- keit wurde in 2 — 3 cm hoher Schicht in flachen bedeckten Schalen bei 35 ° gehalten und ergab 3 Tage nach der Aussat der Sporen ein üppiges fruktifizierendes Mycel; dasselbe wird abgenommen und von der restierenden Flüssigkeit nach abermals 3 Tagen eine neue Vegetation gewonnen, nach deren Entfernung sich dann die Nährstoffe der Flüssigkeit fast völlig erschöpft zeigten. Das Trockengewicht der gesammelten Ernten wurde bestimmt und zu etwa 25 gr gefunden. — Mit diesem Resultat wurden nun diejenigen Erntegewichte verglichen, die sich erzielen Hessen, wenn der eine oder andere Bestandteil der Normalnährlösung fortgelassen wurde. Raulin fand, dass das Fehlen der Phosphorsäure den grössten Ausfall bedingt, indem sie die Ernte auf -ji-g- der normalen reduzierte; Fehlen des Ammoniaks Hess nur y-|-g-, des Kalis -^-^ der normalen Ernte aufwachsen. Kein Bestandteil der RAHLiN'schen Flüssigkeit durfte ohne Schaden ganz fehlen; selbst ein Fortlassen des Zinks be- einträchtigt das Ernteergebnis erheblich; vielleicht ist die günstige Ein- wirkung des Zinks als eine Reizwirkung anzusehen, wie wir sie in ähnlicher Weise bei der Förderung der Gährung durch manche Metall- salze (in sehr schwachen Koncentrationen) kennen lernen werden. Vollkommenere Versuche ähnlicher Art, in denen insbesondere nur mit sicheren Reinkulturen unter Abschluss aller anderen Pilze ge- arbeitet wurde, sowie alle übrigen Lebensbedingungen, als Luftzutritt, Reaktion und Koncentration des Nährmediums etc., eingehende Berück- sichtigung fanden, sind von Nägeli (Unters, üb. niedere Pilze. 18S2 IIQ Allgemeine Biologie der Mikroorgauismen. und Botan. Mitteilungen. Bd. 3) ausgeführt. Seine Resultate sind etwa folgende: Zur Deckung des N-Bedarfs scheint nächst löslichen Eiweiss- stoffen und Peptonen am geeignetsten die NH2 -Gruppe, etwas weniger günstig die NH-Gruppe zu sein; es sind also brauchbare Nährstofi'e: Harnstoff, Leucin, Asparagin, Acetamid, Oxaniid, Methyl- und Athyl- amin, Ammoniaksalze (als Salmiak, Ammoniumphosphat, Ammonium- nitrat, Ammoniumacetat, -oxalat, -succinat, -tartrat etc.). Auch aus Ni- traten kann der N entnommen werden; ein deutlicher Unterschied in dem Nährwert derselben Yon dem der Ammoniaksalze Hess sich nicht erkennen; vermutlich findet hierbei eine allmähliche Reduktion der Nitrate zu Nitriten und Ammoniak statt. Neuere Versuche von Laueent (P. 89. 362) ergaben ebenfalls annähernd gleiche Nährtüchtigkeit der Nitrate und der Ammoniaksalze; manche Arten bevorzugten etwas mehr die Nitrate, andere die Ammoniaksalze. Nitroverbindungen der aro- matischen Reihe, wie Pikrinsäure und Nitrobenzoesäure waren sehr schlechte Nährstoffe. Aus der Cyangruppe und aus freiem N konnte der Stickstofil)edarf nicht gedeckt werden. Neuerdings ist indessen von Frank (Landw. Jahrb. 21. 1) eine Penicilliumart beobachtet, die auch elementaren atmosphärischen Stickstoff assimiliert. Der C kann der Gruppe CH3 oder CHq entnommen werden, wo- bei es ausserdem günstig und unter Umständen notwendig ist, dass mehrere C-Atome zu einem Molekül vereinigt sind. Verbindungen, in denen der C nicht mit H, sondern nur mit 0, N oder C verknüpft ist, hielt Nägeli nach seinen Versuchen für untauglich zur Deckung des C-Bedarfs; indessen ist diese Ansicht nach neueren Versuchen nicht mehr haltbar; so ist z. B. nach Reinke (Unters, a. d. botan. Inst. Göt- NH-C^O fingen. 1S83. 39) Parabansäure: CO Cxrrrpf) ein guter Nährstoff, ob- gleich in ihr jede direkte Verbindung an C und H fehlt; auch Oxal- COOH säure: p/-jQTT kann als Nährstoff dienen (Wehmer, B. G. 91. 163) u. s. w. Ganz unbrauchbar sind selbstverständlich alle in Wasser unlöslichen Stoffe, wie die höheren Fettsäuren und die unlöslichen Huminsub- stanzen. Unter den nährenden C- Verbindungen scheint dann noch, ab- gesehen von der Zahl der C-Atome ; die Zersetzlichkeit der Verbindung einen günstigen Einfluss auszuüben; je leichter durch grobe chemische Reagentien eine Zerlegung der Verbindung zustande kommt, um so leichter vermag auch das lebende Plasma sie für seine Zwecke zu verwenden. Empirisch ergab sich etwa folgende Skala für die Nähr- tüchtigkeit verschiedener organischer Verbindungen betr. des Kohlen- stoffs: 1. die Zuckerarten, 2. Mannit, Glycerin, die C-Gruppe in Leucin; GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. lll 3. Weinsäure, Citronensäure, Bernsteiusäure, die C-Gruppe in Asparagin; 4. Essigsäure, Aethylalkohol, Chinasäure; 5. Benzoesäure, Salicylsäure, die C-Gruppe in Propylamin; 6. die C-Gruppe in Methylamin, Phenol. Von sonstigen aromatischen Körpern erwiesen sich noch Pyrogallol und Gerbsäure als ziemlich gute C-Quellen. Schon aus dieser empirisclien Skala, in der mehrfach Körper von ganz verschiedener Struktur auf gleicher Stufe bezüglich des Nührvrerts stehen, erhellt, dass eine allgemein - giltige Abteilung des letzteren aus der chemischen Struktur bisher unmöglich ist. Dazu kommt noch, dass andererseits zwischen chemisch sehr nahe verwandten Körpern häufig erhebliche Verschiedenheiten in der Nähr- tüchtigkeit zu finden sind. Am merkwürdigsten ist in dieser Beziehung der ver- schiedene Nährwert gewisser optisch-isomer er Verbindungen; bei Dar- reichung von optisch inaktiven racemischen Verbindungen findet daher häufig eine Spaltung derselben statt, wobei die eine optisch aktive Komponente vor- zugsweise oder gänzlich aufgezehrt wird und die in entgegengesetztem Sinne optisch aktive Verbindung" zurückbleibt. Das erste, berühmteste Beispiel einer solchen Spaltung ist die von Pasteur (C. R. 46. 614; 51. 298) entdeckte Zerlegung der optisch inaktiven Traubensäure durch Penicillium glaucum und verschiedene Bakterien, wobei die d-Weinsäure völlig aufgezehrt und die 1- Weinsäure übrig gelassen wird. Seitdem sind zahlreiche ähnliche Zerlegungen, so von Lewkowitsch (B. Ch. 16. 1568) an der Mandelsäure, Frankland (C. 15. 106) an der Glycerin- säure, Linossier (r: K. 1)1. 177), Frankland (1. c), Pere (P. 92. 512) an der in- aktiven Gährungsmilchsäure u. s. w. konstatiert worden; eine ausführliche Litte- raturzusammenstellung über solche Spaltungen racemischer Verbindungen s. bei WiNTHER (B. Ch. 28. 3000). Besonders bemerkenswert ist nun aber nach neueren Versuchen Pfepfer's (J. w. B. 1895. 221), dass eine solche Bevorzugung der einen. Komponente vor ihrem optischen Antipoden nicht allein von der Art der chemi- schen Struktur der betr. Verbindung, sondern ebenso sehr auch von dem elektiven Vermögen des betr. Pilzes abhängt; so giebt es z. B. Mikroorganismen, welche in geradem Gegensatz zu Penicillium nicht die d-, sondern die 1- Weinsäure bevor- zugen, sowie andere, welche beide Komponenten der Traubensäure in gleichem Masse verzehren; und ganz ähnliche Verhältnisse gelten, wie später beim Abschnitt „Milchsäuregährung" noch zu besprechen, auch für die Spaltung der inaktiven Gährangsmilchsäure durch verschiedene Mikroben. Auch bei denjenigen Pilzen, die, wie Penicillium und Aspergillus niger, die d-Weinsäm'e aufnehmen und die 1-Verbindung übrig lassen, handelt es sich nach Pfefper's Versuchen nicht um eine absolute Deckung der Linksweinsäure durch die besser ernährende d-Ver- bindung, sondern auch die 1-Säure wird stets, wenn auch freilich nur in sehr geringen Mengen, däneben in Angriff genommen. — Dem verschiedenen Nährwert optisch isomerer Verbindungen reiht sich unmittelbar das in analoger Weise ver- schiedene Verhalten anderer stereo-isomerer Körper an; so ist nach Bvchner (B. Ch. 1892. 1161) Fumarsäure für Aspergillus niger und Penicillium glaucum ein guter Nährstoff', während die stereo-isomere Maleinsäure fast gar keinen Nähr- wert besitzt. Die Beurteilung des Nährwerts einer einzelnen C-Quelle ist auch deshall) sehr schwierig, weil sich die Ausnützung und der Verbrauch derselben in Nähr- gemischen in weitem Masse nach der Natur der übrigen in der Nährlösung ent- haltenen, zur Deckung des C-Bedarfs dienenden Nährstoffe richtet. So vermag z. B. 112 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. nach Pfeffer's Versuchen an Penicillium glaucum und Aspergillus niger eine ge- nügende Menge Traubenzucker etwa daneben vorhandenes Glycerin oder Milch- säure vor stärkerer Verarbeitung durch den Pilz mehr oder minder zu schützen, während eine Deckung in umgekehrtem Sinne, eine Ersparnis von Traubenzucker durch reichliche Mengen von Glycerin, in viel geringerem Grade hervortritt. Essig- säure andererseits vermag trotz reichlichen Vorhandenseins von Traubenzucker in der Nährlösung nicht vor der Aufnahme durch den Pilz geschützt zu werden, wird vielmehr von demselben in noch höherem Masse angegi'iifen, wie Dextrose. Worin diese eigentümlichen Verschiedenheiten in der Elektion der Nä,hrstoffe, die übrigens auch teilweise von der Art des eingreifenden Pilzes abhängen, ihre Er- klärung finden mögen, lässt sich bisher nicht in jedem speziellen Falle mit Sicher- heit angeben (vgl. Pfeffer [1. c.]). — In ähnlicher Weise zeigt sich der Nährwert der als C-Quellen dienenden Nährstoffe auch abhängig von der Natur derjenigen Stoffe, welche gleichzeitig zur Deckung des N-Bedarfs in Frage kommen; so ver- mag nach Pfeffer Pepton sogar noch in höherem Grade als Traubenzucker den Verbrauch an Glycerin und Milchsäure herabzusetzen; umgekehrt scheint dasselbe Verhalten auch betr. des Nährwerts der N-haltigen Verbindungen zu gelten. Es scheint daher zu exakteren Vergleichsversuchen zu führen, wenn man C- und N-Quellen kombiniert und dann verschiedene derartige Kombinationen vergleichenden Experimenten unterwirft. In solcher Weise ist Nägeli zur Aufstellung folgender Skala gelangt, die von den besser zu den schlechter nährenden Substanzen fortschreitet: 1. Ei- weiss oder Pepton und Zucker; 2. Leucin und Zucker; 3. Ammonium- tartrat oder Salmiak und Zucker; 4. Eiweiss oder Pepton; 5. Leucin; 6. Ainmoniumtartrat oder -succinat oder Asparagin; 7. Ammonium- acetat. Eiweissartige und zur Gruppe der Kohlehydrate gehörige Stoffe scheinen demnach die normalen C- und N-Quellen der Schimmelpilze zu sein, und es sind dies zugleich diejenigen Nährstoffe, auf die dieselben in den natürlichen Verhältnissen meistens angewiesen sind. Anderer- seits aber ist es bemerkenswert, in welcher grossen Breite eine Vari- ierung des Nährmaterials gestattet ist, und wie die Schimmelpilze ge- rade durch die Nährfähigkeit der allerverschiedensten, chemisch ganz differenten Substanzen in besonders günstiger Weise für die Erhaltung ihres Lebens ausgerüstet erscheinen. — Die Zufuhr des H und des gebundenen 0 erfolgt teils durch die genannten C- und N-Quellen, teils durch Wasser und freien Sauerstoff. Des letzteren bedürfen sämtliche Schimmelpilze zu ihrer normalen Entwicklung durchaus notwendig. Schon Pasteur hatte konstatiert, dass ähnlich, wie dies von grösseren Pilzen bekannt war, auch Schimmelpilze (Penicillium) Sauerstoff aus der umgebenden Atmosphäre aufnehmen. Schon die Art des Vorkommens und die Lage der Kolonien bestätigt das rege Sauerstoffbedürfnis der Schimmelpilze; sie siedeln sich nur da an, wo unmittelbarer Kontakt mit dem atmosphärischen Sauerstoff mög- i GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 113 lieh ist und vegetieren daher nur auf der Oberfläche des Substrats. Eine Ausnahme hiervon bildet scheinbar das Wachstum mancher para- sitischer Schimmelpilze innerhalb des tierischen Körpers. Durch zahl- reiche Versuche ist der sichere Nachweis erbracht, dass Sporen von einigen Aspergillus- und Mukor-Arten in der Niere und anderen inneren Organen des lebenden Organismus keimen und zu Mycel auswachsen. Jedoch ist hierbei stets nur eine beschränkte Mycelbildung, niemals Fruktifikation beobachtet worden; der Satz, dass zum normalen Wachs- tum mit Fruktifikation die Schimmelpilze notwendig der Berührung mit freiem Sauerstoff bedürfen, bleibt also hierdurch unangefochten. Dieser Anschauung entspricht auch das Verhalten der parasitischen Schimmelpilze bei niederen Tieren; die pathogenen Empusa-, Cordy- ceps-, Botrytis-, Isaria-Arten bilden innerhalb des Körpers der befalle- nen Raupen und Insekten nur Mycel und eventuell Cylindergonidien; die eigentliche Fruktifikation mit echten Sporen erfolgt stets erst mit Hilfe von Fruchtträgern, welche die Körperoberfläche durchbrochen haben und mit der Luft in Berührung getreten sind. — Die Menge des Sauerstoffs, der die Schimmelpilze zu ihrem Leben bedürfen, ist allerdings sehr gering; nach Brefeld stellen die nicht gährfähigen Schimmelpilze ihr Wachstum erst ein in einer CO2 -Atmosphäre, welche nur V500 ihres Volumens Luft enthält. Werden die Schimmelpilze in sauerstofffreien Flüssigkeiten untergetaucht, so hört das nor- male Wachstum auf; einige Schimmelpilze, namentlich Mucor, bil- den dann nur noch hefeartige Sprossungen, wodurch nach Beefeld's Anschauung ein auf die Erhaltung der Art abzielendes Moment ge- schaffen wird; denn die hefeartigen Zellen erzeugen in dem sauerstoff- freien Medium Gährung mit reichlicher COj-Entwicklung, und die entstehenden COo-Bläschen können die Pilzzellen wieder an die Ober- fläche tragen, wo sie normal zu wachsen und fruktifizieren vermögen. An der Konstitution der organischen Substanzen der Schimmelpilze beteiligt sich schliesslich auch der Schwefel, der ja vermutlich in allen eigentlichen Eiweissstoffen enthalten ist. Nach Nägeli kann der- selbe aus Albuminaten, ebenso gut aber oder noch besser aus Sulfaten, Sulfiten und Hyposulfiten entnommen werden; auch Sulfosäuren können als Ersatz dienen, nicht aber Sulfoharnstoff und Rhodanverbindungen. Exakte Versuche über die S-Zufuhr sind übrigens deshalb sehr schwierig auszuführen, weil die geringen, zur ausreichenden Ernährung nötigen S-Mengen gewöhnlich als Verunreinigung den übrigen Nährmaterialien anhaften. Von Mineralsalzen sind für die Ernährung der Schimmelpilze nach Nägeli relativ wenige erforderlich. Während die chlorophyll- haltigen Pflanzen ausser Phosphorsäure, Schwefelsäure und Alkalien auch Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 8 114 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Calcium und Magnesium, sowie Eisen-, Kieselsäure und Chlor zur aus- reichenden Ernährung bedürfen, wird der Bedarf der Schimmelpilze ge- deckt durch Schwefelsäure, Phosphorsäure, Kalium und Calcium oder Mag- nesium; dabei kann das Kalium nicht etwa durch Natrium, wohl aber durch die beiden ihm chemisch sehr nahe verwandten Metalle Rubidium und Cäsium ersetzt werden; für Calcium können ausser Magnesium auch noch Barium oder Strontium eintreten. Stets muss aber im Nähr- substrat gleichzeitig ein Element aus der Gruppe der Alkalien und eines aus der Gruppe der alkalischen Erden vorhanden sein; eine wechsel- seitige Vertretung beider ist unmöglich. Hiernach scheinen beiden Gruppen von Metallen verschiedene Funktionen im Zellleib zuzukommen; vielleicht darf man sich vorstellen, dass die Erdalkalien, zum Teil als Erdphosphate, nur Einlagerungen in Plasma und Zellmembran bilden, während die Alkalisalze hauptsächlich wohl in Form von primärem und sekundärem Kaliumphosphat (KH2 PO4 und K^ HPO4, ersteres von saurer, letzteres von alkalischer Reaktion) in Lösung im Plasma und Zellsaft sich finden. Selbstverständlich bedürfen die Schimmelpilze ebenso wie höhere Pflanzen und sämtliche Mikroorganismen zu ihrer Existenz auch reich- licher Mengen von Wasser. Teils tritt dasselbe in die komplizierten Verbindungen ein, welche im Plasma aufgebaut werden, teils macht es einen Hauptbestandteil der neugebildeten Pilzsubstanz aus, teils ist es das universelle Lösungs- und Transportmittel, welches hier wie bei höheren Lebewesen Chemismus und Stoffbewegung in der Zelle er- möglicht. Von besonderem Interesse ist bezüglich des Wasserbedarfs der Schimmelpilze derjenige minimale Gehalt von Wasser, welcher im Nährsubstrat vorhanden sein muss, um eine genügende Ernährung zu gestatten, kurz, das Verhalten der Schimmelpilze gegenüber der Koncentration des Nährmediums. Dieselbe kann ganz ausser- ordentlichen Schwankimgen unterworfen sein, ohne das Wachstum von Schimmelpilzen völlig zu hindern. Die Anpassungsfähigkeit derselben ist in dieser Hinsicht viel grösser, als die der Spross- und Spaltpilze. Einige Schimmelpilze, z. B. Penicillium, gedeihen noch in den ver- dünntesten Nährlösungen, die nur Spuren von Nährstoffen enthalten; dies vermögen allerdings auch manche Spaltpilze. Die Überlegenheit der Schimmelpilze zeigt sich aber auf sehr wasserarmen, stark kon- centrierten Nährsubstraten; hier vermögen die Schimmelpilze unter Be- dingungen zu wachsen, unter denen kein anderer Mikroorganismus mehr fortkommt. So kommenz.B. Schimmelvegetationen auf gepökeltem und ge- räuchertem Fleisch vor, das nur 50 % Wasser enthält und demnach Ansiede- lungen von Spaltpilzen nicht mehr zulässt; erst bei einem Wassergehalt von 10 — 12% tritt völlige Hinderung auch für Schimmelpilze ein, bei gleich- GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. lj[5 zeitiger Anwesenheit von Zucker im Substrat schon bei 30 ^/o- Das Optimum des Wassergehalts, soweit sich von einem solchen, unabhängig von den übrigen Lebensbedingungen reden lässt, liegt aber viel höher, etwa bei 80 ^/o- Übrigens sind nicht alle Schimmelpilze in gleicher Weise gegen höhere Koncentration des Substrates indifferent; gewisse Arten scheinen erheblich empfindlicher zu sein, so einige unter natür- lichen Verhältnissen vorzugsweise parasitische und auf grossen Feuchtig- keitsgehalt angewiesene Formen. Auch die Reaktion des Nährsub- strats ist von Avesentlichem Einfluss auf das Gedeihen der Schimmel- pilze. Am empfindlichsten scheinen sie mit Ausnahme einiger Arten gegen einen Überschuss von Alkali zu sein; viel weniger schädlich ist ein Überschuss von Säure. Freie Phosphorsäure kann bis zu 1 %, freie Weinsäure bis zu 5% im Nährgemisch vorhanden sein, ohne dass dadurch die Ansiedlung von Schimmelpilzen verhindert wird. Auch dieses Verhalten bedingt wiederum einen wichtigen Unterschied zwischen Schimmelpilzen und der Mehrzahl der Sjialtpilze, welche letztere ge- rade gegen Acidität meist sehr empfindlich sind; es spielt daher dieses verschiedene Verhalten beider Klassen von Mikroorganismen oft bei der Konkurrenz derselben auf einem und demselben Nährsubstrat eine ausschlaggebende Rolle. IL Die Nährstoffe der Sprosspilze. Bei der Untersuchung der Ernährung und der Nährstoffe der Hefe ist es vor allem notwendig zu beachten, dass diese Begriffe sich nicht etwa mit dem der Gährung und der Gährstoffe decken. Die Gährung ver- läuft in gewisser Beziehung ganz unabhängig von der Ernährung der Hefe; sie gehört nicht notwendig zum Stoffwechsel der letzteren, sondern bildet nur eine gelegentliche Ausdehnung und Komplikation desselben, welche man zweckmässig zunächst ganz unberücksichtigt lässt, wenn man die Art der notwendigen Nährstoffe und ihre Verwendung in der Hefezelle kennen lernen will. Erst in den neueren Versuchsreihen ist diese Trennung richtig durchgeführt, während frühere Beobachter Gährung und Hefewachstum stets mit einander verknüpften. Ferner sind die neueren von Nägeli und namentlich von Hansen angestellten Ver- suche deshalb einwandfreier, weil in denselben auf möglichste Her- stellung reiner Hefekulturen geachtet wurde. (Vgl. Pasteur, A. eh. ph. (3.) t. 58. — DuCLAUx, Theses pres. ä la fac. de sc. de Paris 1865. — DUBRUNFAUT, C. R. 73. — SCHÜTZENBERGER, C. R. 78. — MaYER, Unters, üb. d. alkohol. Gährung etc. 1869. Landwirthsch. Versuchstat. Bd. 14. — Nägeli, Theorie d. Gährung. 1879, und Unters, üb. nied. Pilze. 1SS2. — Hansen, Meddedelser fra Carlsberg Laboratoriet. Kopen- hagen 1879 ff.) Die Versuche ergaben, dass die Hefen sich bezüglich \\Q Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ihres Nährstoffbedarfs vielfach eng an die Schimmelpilze anschliessen. Der Stickstoff wird den Hefen entsprechend ihrem höheren N-Gehalt in reichlicherem Masse zugeführt werden müssen. Am günstigsten sind für die echten Saccharomyceten lösliche, diflfusible Eiweissstoflfe und Peptone, wobei jedoch nach Delbrück (r: K. 93. 139) in der Assimilations- fähigkeit gewisse Unterschiede zwischen verschiedenen Hefearten be- stehen, ähnlich, wie sie später bei der Gährfähigkeit des Zuckers zu besprechen sein werden. Der Saccharomyces octosporus z.B. (Beijeeinck, C. 12. 57) ist fast nur auf die natürlichen N-haltigen Verbindungen angewiesen, wie sie in Würze, Rosinen etc. vorkommen, und selbst mit Pepton, das für Bierhefe eine ausgezeichnete N-Quelle ist, nur sehr kümmerlich ernährbar. Nächst den Eiweissstoffen kommen hauptsächlich Amide (nicht aber Harnstoff), Amine und Ammoniaksalze in Betracht; die letzteren aber werden schon schwieriger assimiliert; auch scheint bei andauernder ausschliesslicher Ernährung mit Ammonsalzen eine Degeneration der Hefezellen einzutreten, indem ihre Substanz fettreicher undN-ärmer wird. Peptone haben unter gleichen Versuchsbedingungen einen etwa 4 mal höheren Nährwert als Ammontartrat. Nitrate sind nur für wenige Arten, Nitrite, CN und freier N, für keine Hefe als N-Quelle verwendbar. Der Kahmpilz unterscheidet sich in seinem N- Bedarf nach Beijerinck (C. 11. 68) dadurch, dass er auch mit. Ammon- salzen und Harnstoff trefflich ernährt werden kann. Der Soorpilz ver- hält sich nach Linossiee u. Roux (r: K. 90. 31) sehr ähnlich dem echten Saccharomyceten. Zur Deckung des Kohlenstoffbedarfs ist bei den echten Saccharo- myceten nach Beijerinck (a. a. 0.) neben der N-Quelle meist noch eine gesonderte C-Quelle erforderlich. Der Kahmpilz kann seinen Be- darf an C und N aus einer und derselben Verbindung decken und kommt z. B. in einer Lösung von Ammonacetat und Kaliumbiphosphat gut fort. Die Nährtüchtigkeit einiger Kohlehydrate hat Beijerinck für verschie- dene Saccharomycesarten folgendermassen zusammengestellt, wobei -1- assimilationsfähig, +i assimilationsfähig, aber vorher invertiert, und — nicht assimilationsfähig bedeutet. (S. Tabelle nächste Seite.) Glykogen ist nach Untersuchungen von A. Koch u. Hosaeus (C. 12. 145) kein Nährstoff für Hefen. Das in der Hefe als Reserve- stoff enthaltene Glykogen wird nach Ceemer (a. a. 0.) aus einfachen Hexosen, und zwar aus d-Glukose, -Fruktose, -Galaktose und -Mannose synthetisch dargestellt. Nächst den Kohlehydraten kommen nach Laurent (r: K. 90. 54) als C- Quellen für Hefe in Betracht: essig- saure, milchsaure, maleinsaure, bernsteiusaure, brenzweinsaure, glyce- rinsaure, äpfelsaure, weinsaure, citronensaure Salze; Äther, Aldehyde und einatomige Alkohole sind schädlich für Hefe. Für Mykoderma GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 117 Milch- zucker Dextrin Glycerin S. ellipsoideus, Wein- oder Pressliefe S. cerevisiae S. Pastorian. Reess . . S. fragrans = Pastorian. Pasteur S. Kefyr S. Mykoderma .... S. acetaethylicus . . . + + + hingegen ist Alkohol ein sehr guter, schwer ersetzbarer Nährstoff, nach LiNOSSiEE u. Roux auch für den Soorpilz verwendbar. Aromatische Körper, mit Ausnahme der Glukoside, bei denen aber nur der Zucker, nicht die aromatische Gruppe in Betracht kommt, werden nicht as- similiert. Unter den Alkaloiden finden sieb nach Laurent (a. a. 0.) merkwürdigerweise im Colchicin und Atropin Nahrstofi'e für Hefe. Eine eigenartige Beziehung zwischen der Wuchsform und dem Mole- kulargewicht der zugeführten Nahrung gelang es Linossier u. Roux (a. a. 0.) beim Soorpilz festzustellen: je höher das Molekulargewicht, desto komplizierter ist die Wuchsform, desto mehr und längere Fäden treten auf. Bezüglich der Deckung des Bedarfs an H, gebundenem 0 und an S hat sich bisher keine bemerkenswerte Differenz im Verhalten der Sprosspilze gegenüber den Schimmelpilzen ergeben. Auch bei der mineralischen Nahrung sind wiederum Kalium, Calcium und Phosphor- säure unentbehrlich; einen merkwürdig günstigen Einfluss hat das Vor- handensein einer grösseren Menge (bis 20%) von Kaliumbiphosphat, Wesentlich anders wie bei den Schimmelpilzen ist jedoch das Ver- halten der Sprosspilze gegenüber dem freien 0. Im allgemeinen ist der Zutritt freien Sauerstoffs ebenfalls sehr günstig für das Wachstum der Hefe; mit sauerstoff'haltigem Wasser oder mit Oxyhämoglobin in Berührung gebracht, nimmt die Hefe nach Schützexberger sehr be- gierig den Sauerstoff auf; auch wird unter sonst gleichen Umständen die beste Hefe erzielt, wenn ein gleichmässiger Luftstrom durch die Nährlösung geleitet wird. Es kann aber auch ohne Zutritt von Sauerstoff' Vermehrung der Hefe stattfinden, freilich nur dann, wenn die übrigen Nährstoffe in günstiger Form geboten sind und wenn die Hefe gleich- zeitig Gährthätigkeit entfalten kann. So gestattet eine Peptonlösung oder U§ Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Hefenabsud, mit 1 — 10 "^'o Zucker und 0,5% Phospliorsäure versetzt, auch ohne Luftzutritt lebhafte Vermehrung der Hefe; weniger energisch ist das Wachstum, wenn statt des Peptons minderwertigere Nährmaterialien, als Fleisch extrakt, Harnstoff, Ammoniaksalz mit Zucker gemischt sind; und endlich bleibt die Hefevegetation ganz aus oder wird doch nur sehr kümmerlich, wenn der Zucker ganz fehlt oder durch andere minder gährfähige Substanzen, als Glycerin, Mannit, ersetzt ist. In allen Fällen geht mit der Vegetation im sauerstoflf'freien Medium Hand in Hand eine Vergährung des Zuckers, und die Gährthätigkeit scheint geradezu die Wirkung des freien Sauerstoifs zu ersetzen. Auch in Bezug auf Koncentration und Reaktion des Nähr- substrats ergeben sich einige Differenzen zwischen Schimmel- und Hefe- pilzeu. Letztere vertragen nicht so starke Koncentration wie die Schimmelpilze; besonders schlecht nährende Verbindungen dürfen nur in grosser Verdünnung geboten werden (NHg- Salze nur in höchstens Iproz. Lösungen); Zucker hingegen darf bis zu 55% (nach Laueent, a. a. 0.) im Nährgemisch vorhanden sein, ohne dass die Hefevegetation aufhört; erst in 60proz. Zuckerlösungen steht das Wachstum still. Das Verhalten gegenüber der Reaktion des Mediums ist darin dem der Schimmelpilze ähnlich, dass ziemlich stark saure Reaktion ohne Schaden vertragen wird; doch ist ihre Resistenz gegen hohe Säuregrade geringer, so dass durch starkes Ansäuren eines Substrats (5% Weinsäure, 1% Phos- phorsäure) die Entwicklung der Schimmelpilze gegenüber den Hefen begünstigt wird. Sehr empfindlich scheint die Hefe selbst gegen Spuren überschüssigen Alkalis zu sein. III. Die Nährstoffe der Spaltpilze. a) Die einzelnen Nährstoffe der Spaltpilze. 1. Die Deckung des N-Bedarfs erfolgt bei den meisten Spalt]jilzen am besten aus diffusiblen Eiweissstoffen, weniger günstig sind Ammoniak- verbindungen; doch werden dieselben relativ besser vertragen als bei den Sprosspilzen. Die übrigen N-haltigen Verbindungen scheinen unge- fähr die für die Schimmelpilze angegebene Reihenfolge einzuhalten. Besondere praktische Bedeutung hat die eiweissfreie UscHiNSKY'sche Nährflüssigkeit (C. 14. Nr. 10) gewonnen, welche folgende Zusammen- setzung besitzt: Wasser lüOO, milchsaures Ammoniak 10,0, Asparagin 3,4, Glycerin 40,0, Kochsalz 5,0, Magnesiumsulfat 0,2, Chlorcalcium 0,1, Kaliumbiphosphat 1,0. Nägeli nimmt an, dass auch aus Nitraten Stick- stoff entnommen werden könne, und stützt sich dal)ei auf Versuche, in denen er eine allmähliche Reduktion der Nitrate zu salpetriger Säure und zu Ammoniak konstatieren konnte. Eine derartige Reduktion GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 119 der Nitrate ist in der That auch noch mehrfach von Gayon und Dupetit (C. R. 95), Deheeain und Maquenne (ebd. und Bd. 97, sowie Bull. soc. chim (2.) 39), Springer (B. Ch. 16), Frankland, Warington, Laurent (P. IV. 722), Leone (r: K. 90. 111), Giltay und Aberson (r: K. 92. 226) Breal (C. R. 114. 681) bei vielen Bakterien beobachtet worden, w^obei als Reduktionsprodukte salpetrige Säure, Stickoxydul, reiner Stickstoff und Ammoniak auftreten können; die Reduktions- produkte sind bei den verschiedenen Bakterien verschieden; z. B. erzeugt das von Giltay und Aberson kultivierte Bact. denitrificans nur reinen Stickstoff. Die Fähigkeit der Nitratreduktion kommt nament- lich anaeroben, dem Bac. butyricus ähnlichen Formen zu; doch be- sitzen sie auch aerobe Bakterien, z. B. die Bacillen des Milzbrands und der Hühnercholera in geringem Grade. Nach diesen neueren Versuchen erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass die Nitratreduktion den Bakterien als eine Stickstoffquelle dient; es scheint sich vielmehr nur um eine sekundäre, den StoffVechsel begleitende Erscheinung zu handeln, die einer Gährung vergleichbar ist; hierfür sprechen besonders die Be- funde Laijrent's, der nachwies, dass Nitratreduktion nur bei Sauer- stoffabschluss vor sich geht und exquisit aeroben Bakterien überhaupt nicht eigen ist, sowie dass auch bei höheren Pflanzen und keimenden Samen sogar durch extrahierbare, un geformte reduz'ierende Substanzen eine solche Wirkung zustande kommt (weitere Angaben über die Frage s. unter Gährung und Fäulnis). Eine ganz exzeptionelle Stellung bezüglich der Deckung ihres N-Bedarfs nehmen die in den Wurzelknöllchen der Legumino- sen und verwandten Pflanzen in Symbiose mit der Wirtspflanze leben- den sog. stickstofffixierenden Bakterien ein, indem sie befähigt sind, den elementaren Stickstoff der Atmosphäre zum Aufbau ihrer Leibessubstanz zu verwenden. Auf die höchst interessanten ana- tomischen Verhältnisse des Baues der Wurzelknöllchen, sowie auf den morphologischen Entwicklungsgang der eigentümlichen Bakterien in den Knöllchen kann hier nicht eingegangen werden; bezüglich aller dieser Details muss auf die spezielle Litteratur (u. a. zusammengestellt bei KiONKA, Biol. Centralbl. 1891) verwiesen werden. Hier können nur die physiologischen Verhältnisse der Stickstofffixierung kurze Be- sprechung finden. Nachdem schon längst, u. A. durch Hellriegel (Unters, üb. d. Stickstoöuahrung der Gramineen u. Leguminosen. 1SS8) nachgewiesen war, dass Leguminosen im Ernteertrag weit mehr N-Sub- stanz liefern, als dem Stickstoffgehalt des Bodens entspricht, ja dass sogar der Stickstoff'gehalt des Bodens durch Bebauung mit Legumi- nosen eine Anreicherung erfahren kann, und hieraus indirekt auf eine Assimilation des atmosphärischen Stickstoffes geschlossen werden musste. 120 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ist in den letzten Jahren der Nachweis gelungen, dass diese Aufnahme atmosphärischen Stickstoffs nicht etwa durch die Pflanze selbst bewirkt wird, sondern nur unter Mitwirkung bestimmter im Boden enthaltener Bakterien (Bact. radicicola) zustande kommt. Unter Anderen konnte Praz- MOWSKi(L. V. Bd. 37. 161; 3S.lj diese Bakterien auf Gelatine rein züchten und durch Impfungsversuche an Pflanzen, die in sterilem Boden mit Fern- haltung aller Bakterien gezogen waren, mittelst seiner Reinkulturen den bestimmten Nachweis führen, dass die Knöllchenbildung und Assimi- lation des atmosphärischen Stickstoffs nur an den geimpften Pflanzen zustande kam, also nothwendig an die Lebensthätigkeit jener Mikro- organismen gebunden ist. Der Vorgang scheint dabei sich so abzu- spielen, dass zunächst die Bakterien den atmosphärischen Stickstoff zum Aufljau ihrer Leibessubstanz verwerten, und dass dann die durch diese synthetische Thätigkeit der Bakterien gebildeten Stickstoffsub- stanzen von der Pflanze aufgenommen werden, wobei die Knöllchen- bakterien nach vorgängigen Degenerationserscheinungen („Bakteroi- den"-bildungen) aufgelöst werden und zugrunde gehen. Für die Physio- logie der N-Ernährung dieser Bakterien ist besonders interessant, dass sie nach Winogradsky's Versuchen (C. R. 12. Juni 1893; 12. Febr. 1894) von ihrer Fähigkeit, den atmosphärischen N2 zu assimiliren, keinen Ge- brauch machen, wenn ihnen genügende Mengen von Ammonsalzen zur Verfügung stehen; das stimmt gut überein mit der Beobachtung Hell- eiegel's, dass in den knöllchentragenden Leguminosen die Nutzbar- machung des elementaren N2 sinkt, sobald im Boden reichlich Nitrate enthalten sind. 2. Zur Deckung des Kohlenstoffbedarfs kommen ausser Eiweiss, Pepton, Zucker und ähnlichen Kohlehydraten, Glycerin, Fetten noch organische Stoffe verschiedenster chemischer Konstitution in Betracht, wie ein- und zweibasische Säuren (Essigsäure, Bernsteinsäure), hydro- xylierte Säuren (Weinsäure, Citronensäure), Amidosäuren (Asparagin- säure, Leucin), ein- und mehrwertige Alkohole (z. B. ist Äthylalkohol das günstigste Nährmaterial für den Essigsäurepilz und darf bis zu 10% in dessen Nährlösung enthalten sein), Ketone, Ketonsäuren (Brenz- traubensäure, Lävulinsäure), Ester (Essigäther, Acetessigester), Harnstoff- und Guanidinderivate, Amine, Nitrile (Methylcyanid); in grosser Ver- dünnung können selbst solche Stoffe als C-haltiges Nährmaterial ver- wendet werden, die in stärkerer Koncentration entschiedene Giftwirkungen entfalten, wie Carbolsäure, Salicylsäure. Ein von Loew (C. 12. 462) entdeckter Bacillus vermag sogar aus formaldehydschwefligsaurem Natron und noch besser aus ameisensaurem Natron seinen C-Bedarf zu decken. Die gewaltigste synthetische Fähigkeit aber entfalten die von WiNOGEADSKY isolierten Nitrobakterien, indem sie in einem GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 121 Medium normal zu wachsen vermögen, das keine Spur von organi- schen Kohlenstoffverbindungen enthält, und ihren C-Bedarf einzig und allein aus der CO2 decken. Diese Thatsache, die übrigens schon früher von Heeaeus (Z. f. Hyg. I) und Hueppe (Schilling's Journ. f. Gasbel. u. Wasservers. 1887) beobachtet war, ist von Wino- GEADSKY (P. 90. 257), der mit Reinkulturen und unter strengstem Ausschluss von organischen Verunreinigungen arbeitete, über jeden Zweifel erhoben worden. Godlewsky (Anzeiger d. Akad. d. Wiss. in Krakau. 1892. 408) hat bei einer sorgfältigen Nachprüfung dieser Ver- suche die Resultate Winogeadsky's durchaus bestätigen können, glaubt aber, dass nicht die in den Karbonaten der Lösung, sondern die in der zutretenden atmosphärischen Luft enthaltene COo als Quelle für die Deckung des C-Bedarfs diene; Wachstum und Nitrifikation gingen normal vor sich, wenn die zutretende Luft durch Schwefelsäure und Kaliumpermanganat von allen organischen Beimengungen befreit war, blieben aber aus, wenn die Luft durch Kalihydrat von ihrer Kohlen- säure befreit war. Auch Müntz (C. R. 111. 1370) konnte die Er- nährung der Nitrobakterien durch Kohlensäure bestätigen, indem es ihm gelang, auf den vollständig kahlen, jeden organischen Stoffes baren Felsspitzen hoher Berge, z. B. auf dem Faulhorn, regelmässig Nitro- bakterien nachzuweisen, die dort den ersten Grundstock zur Entwick- lung einer Humusschicht und die Basis für weiteres organisches Leben liefern. Näheres über diese höchst merkwürdigen Mikroorganismen folgt unter „Nitrifikation". Für einige Bakterien sind empirisch die günstigsten Ernährungsbedingungen näher festgestellt, und zwar für den C- und N-Bedarf gleichzeitig. So fand V. Jaksch (Z. physiol. Ch. 5), dass der Mikrokokkus ureae seinen N- und C-Bedarf in einer Lösung von bernsteinsaurem, milchsaurem, äpfelsaurem, wein- saurem, citi-onensaurem Ammoniak, von Glykokoll, Leucin, Asparagin, asparagin- sauren Salzen, Kreatin, benzoesaurem Ammoniak, hippursauren Salzen und Pepton zu decken vermag; unbrauchbar waren ameisensaures, essigsaures, buttersaures, oxal- saures, salicylsaures Ammoniak, sowie Acetamid. Für den Milchsäurebacillus fand Hueppe (M. G. 11) als beste C- Quellen Milchzucker, Rohrzucker, Mannit und Dextrose ; als beste N-Quelle erwies sich Pepton und unter den Salzen weinsaures Am- moniak; Nitrate waren zur Deckung des N-Bedarfs durchaus untauglich. Die Nährsalze waren am günstigsten vertreten durch 0,2—0,5 "/n Dikaliumphosphat -h 0,05 bis 0,1 % Magnesiumsulfat-|-0,015— 0,025 % Calciumchlorid ; diese Mischung konnte durch 1 % Fleischextraktlösung ersetzt werden. Sehr eingehend sind die Ernährungsbedingungen für den Tuberkelbacillus von Proskal'er und Beck (Z. 18. 128) festgestellt worden. Nachdem schon durch Sanders (A. 1(3) nachgewiesen war, dass Tuberkelbacillen auch auf pflanzlichen Nährböden fortkommen, und Kühne (Z. f. Biol. 30. 221) dieselben in einer künstlichen eiweissfreien, kompliziert zusammengesetzten Nährlösung gezüchtet hatte, haben Proskauer und Beck selbst auf folgendem einfach zusammengesetzten Substrat Wachstum erzielen können : 122 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. käufliches Ammouiumkarbonat 0,35%, Monokaliumphosphat 0,15%, Magnesium- sulfat 0,25 %, Glycerin 1,5 %. Hier wird der ganze Stickstofllaedarf aus dem Ammoniak, der C-Bedarf aus dem Glycerin gedeckt. Letzteres ist für die Tuberkelbacillen ein fast unentbehr- licher Nährstoff; selbst durch chemisch nahe verwandte Stoffe, wie Triglyceride, Glycerinphosphorsäure , Glycerinsäure, Erythi-it, kann es nicht ersetzt werden; einen sehr kümmerlichen Ersatz bieten Isodulcit, Mamose, Milchzucker, Dextrin, einen besseren d-Fruktose und vor allem Stärke. Bei Zusatz von mindestens 1 — 1,5 % Glycerin aber können viele organische Verbindungen trefflich ausgenützt werden, insbesondere die Amidosäuren(Glykokoll, Alanin, Leucin, Asparagin), Kohle- hydrate, als d-Glukose, Mannose, d-Fruktose. Rohrzucker, Milchzucker, Maltose. Raffinose und die den Kohlehydraten nahestehenden 6-wertigen Alkohole Mannit, Dulcit, Isodulcit. Merkwürdigerweise sind die Substitutionsprodukte der Ami do säuren, als Sarkosin (Methylglykokoll), Betain (Trimethylglycin) , Hippur- säure (Benzoylglykokoll) ganz untauglich zur Ernährung. Ebenso bemerkens- wert ist auch, dass Biuret einen trefflichen Nährstoff darstellt, während Harnstoff und alle seine anderen Derivate, als Alloxan, Alloxantin, Allan- toin, Harnsäure, Coffein, Guanin, Guanidin, keine Nährstoffe sind. Freilich stellt ja auch das Biuret eine im Eiweissmolekül vorhandene Gruppe fertig gebildet dar, während Harnstoff' und seine Derivate erst eine synthetische Arbeit bis zum Biuret hin erfordern würden. Ferner lässt sich nachweisen, dass der Nährwert eines Stoffes durch die Anwesenheit anderer gesteigert werden kann; so wird die Wirkung des Asparagins durch Gegenwart kohlenstoffreicher Verbindungen, wie Zucker, Citronensäure und höherwertiger Säuren anderer Reihen gesteigert, ähnlich wie der Glycerinzusatz überhaupt erst die Ausnutzung der oben aufgeführten Stoffe ermöglicht. Wir sehen also, dass die Abhängigkeit des Nährwerts einer Verbindung von ihrer chemischen Konstitution durch die verschiedensten äusseren Bedingungen, durch andere Nährstoffe und vor allem durch die Eigen- artigkeit des betr. Mikroben wesentlich mitbestimmt wird. Das ver- schiedene Verhalten der Bakterien gegen einen Nährstoff wird auch ohne genaue chemische Untersuchungen genugsam durch die vollständig verschiedenen Ansprüche illustriert, die sie an ihr Substrat stellen. Einzelne Arten vermögen nur im Körper und oft nur auf einem ganz bestimmten Wirt zu existieren (Syphiliserreger, Rekurrensspirillen, Lepra- bacillen); andere bedürfen zu ihrer Existenz notwendig der nächsten Abkömmlinge des lebenden Eiweiss, z.B. des Blutserums. Der Influenza- erreger und die Pseudoinfluenzabacillen können ihren Bedarf an or- ganischen Stoffen einzig und allein aus hämoglobinhaltigen Substraten decken. Den stärksten Gegensatz hierzu bilden andererseits die von BoLTON (Z. 1) beschriebenen Wasserbakterien (Bacill. erythrosporus, Mikrokokkus aquatilis etc.), welche selbst in reinem, destilliertem Wasser immer noch Nährmaterial genug finden, um sich in kolossaler Weise zu vermehren. GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 123 Endlich ist zu berücksichtigen, dass der Kreis der für Deckung des C- lind N-Bedarfs ausnutzbaren Stoffe bei vielen Bakterien sich dadurch erheblich erweitert, dass sie durch Gährungen und Ferment- wirkungen weitgehende Spaltungen im Nährmaterial bewirken und so vorher unbrauchbare Stoffe durch diastatische, invertierende, peptoni- sierende Wirkungen in lösliche, assimilierbare Nährstoffe umwandeln. Der Nährwert einer Verbindung ist also eine Funktion ihrer chemischen Zusammensetzung und der individuellen chemischen Fähigkeiten der einzelnen Bakterienart. Bei der ausserordentlichen Vielseitigkeit und Ver- schiedenheit dieser chemischen Fähigkeiten der Bakterien wird es nun aber sehr schwer halten, allgemein gültige Beziehungen zwischen der chemischen Konstitution und dem Nährwert einer Ver- bindung für Bakterien aufzustellen. Hierbei spielt sowohl die quan- titative Zusammensetzung als auch die Struktur der Verbindung, der Charakter neu eintretender Gruppen in den Substitutionsprodukten und endlich sogar die auf Stereoisomerie und der gesamten molekularen Geometrie beruhende Verschiedenheit im optischen Verhalten eine Rolle. LoEW (C. 9. 690; 12. 361) hat versucht, einige solche allgemeine Beziehungen aufzustellen. So nimmt nach Loew der Nährwert der Fett- säuren mit steigendem C-Gehalt ab, mit neu eintretenden Amido- oder Hydroxylgruppen zu; mehrwertige Alkohole haben höheren Nährwert als die entsprechenden einwertigen, z. B. Glycerin mehr als Propyl- alkohol; in Substitutionsprodukten verringert Anhäufung von Methyl- gruppen an Stelle von H- Atomen sehr den Nährwert, so dass z. B. Trimethylamin eine weit schlechtere C-Quelle ist als Methylamin, Sehr bemerkenswert für das Verständnis der Nährtüchtigkeit als chemischer Funktion sind solche Verbindungen, die, ohne irgend welche Gift- wirkungen gegen Bakterien zu äussern, doch als Nährstoffe für sie absolut un verwendbar sind. Hierher gehören nach Loew Oxalsäure Salze, Pyridin, pikrin- und nitranilsaure Salze, Nitrobenzoesäure. Citrakousäure und Maleinsäure, Glyoxal, Pinakon, Athylendiamin. Worauf diese Unterschiede in der Nährtüchtigkeit einer Ver- bindung beruhen, ist vorläufig unmöglich in jedem speziellen Falle anzugeben; von einem allgemeinen Gesichtspunkte aus aber wird man solche Erfahrungen für durchaus verständlich finden, wenn man be- denkt, dass die assimilierende Thätigkeit der Bakterienzelle, die zu einem ganz bestimmten Endprodukt führt, je nach der chemischen Konstitution des Nährmaterials sehr verschiedene Widerstände gegen die mit ihm vorzunehmenden Umlagerungen finden und unter Umständen einmal auch gar nicht zum Ziele gelangen wird, ebenso wie auch der Chemiker bestimmte Reaktionen und Umformungen nur mit Körpern von einer gecfebenen chemischen Struktur ausführen kann. 124 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Übrigens stehen mit den Gesetzmässigkeiten Loew's manche An- gaben anderer sorgfältiger Untersuchungen in direktem Widerspruch; als solcher ist besonders anzuführen, dass oxalsaures Ammonium, welches nach Loew als C-Quelle untauglich sein soll, weil es die nach seiner Theorie für die Eiweisssynthese ganz besonders ungeeignete Gruppe C CrjxT zweimal enthält, nach Peoskauee, u. Beck (a. a. 0.) doch ein ausgezeichneter Nährstoff für Tuberkelbacillen ist und sogar für sich allein die Deckung des gesamten C-Bedarfs zu leisten vermag. Eine wirkliche Erkenntnis dieser verwickelten Verhältnisse kann nur durch zahlreiche systematische Detailuntersuchungen der einzelnen Spaltpilzarten gefördert werden, wobei insbesondere die quantitativen Verhältnisse der Ausnutzung der Nährstoffe zu berücksich- tigen wären. 3. Die Deckung des Schwefelbedarfs erfolgt nach Rubnee (A, 16. 78) teilweise aus dem in Form von Sulfaten vorhandenen Schwefel, zum grösseren Teil aus organischen Schwefelverbindungen (vgl. auch „Schwefel Wasserstoff bildung"). Eine ganz exzeptionelle Stellung nehmen die „Schwefelbakterien"WiNOGEADSKT's ein, die zu ihrer Ernährung notwendig der Anwesenheit freien Schwefelwasser- stoffs bedürfen und ohne diesen überhaupt nicht zu vegetieren vermögen. 4. Bei der Regeneration der Aschenbestandteile spielt, ent- sprechend der quantitativen Zusammensetzung der Bakterienasche, die Phosphorsäure die grösste Rolle. Chloride fanden Peoskauee u. Beck (a. a. 0.) ganz entbehrlich. > Auch Kalksalze sind entbehrlich (Loew, Flora 1892. 390). Zwischen Ca und Mg einerseits, K und Na anderer- seits soll nach Kappes (a.a.O.) eine wechseleitigeVertretung möglich sein. 5. Auch Eisen gehört zu den Nährstoffen mancher Fadenbakterien, die es in Gestalt von Eisenoxydverbindungen in die Substanz ihrer Scheidengallerte gleichmässig ablagern und so rostbraune Scheiden bilden. Diese Bakterien, zu denen z. B. Crenothrix gehört, finden sich massenhaft in eisenhaltigem Wasser. Über die Bedeutung und den Vorgang dieser Eisenablagerung standen sich früher zwei An- sichten gegenüber: Cohn nahm an, dass sie, ähnlich der Ablagerung der Silikate in Diatomeen, durch die lebende Thätigkeit der Zelle zustande komme, während Zopf sie auf äussere, rein mechanische Vorgänge zurückführen wollte. Die neueren Untersuchungen Winogeadskys (B. Z. 86. 261) haben die CoHN'sche Ansicht bestätigt und erweitert. Die in natürlichen Eisenwässern fast konstant vorkommenden Eisen- bakterien nehmen das im Wasser gelöste Eisenoxydul in sich auf, oxydieren es in ihrem Protoplasma zu einer löslichen, wahrscheinlich organischen Eisenoxydverbindung, die dann nach aussen in die Scheide GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 125 diffundiert und dort als unlöslichesEisenhydroxyd niedergeschlagen wird. Ist die Scheide ganz von Eisenhydroxyd erfüllt, so schwärmen die Bak- terien aus und verlassen sie, um neuerdings ihr Werk zu beginnen. Auf diese Weise entstehen wahrscheinlich durch die Thätigkeit der Eisenbakterien allmählich die grossen Lager von Raseneisenstein. Die Leptothrixstäbchen können bei ihrer ausserordentlich langsamen Ver- mehrung ihr hundertfaches Gewicht an eisenhaltigen Scheiden produ- zieren. Die Quantität der chemischen Umwandlungen ausserhalb der Zelle steht zu der der Assimilation in derselben in gar keinem Verhältnis, ganz ähnlich wie bei den Gährungen. Dieser Oxydatlonsprozess ist für die Eisenbakterien notwendige Energiequelle; ohne Eisenoxydzufuhr vermögen sie überhaupt nicht zu wachsen. Gegen diese Auffassung Winogradsky's ist neuerdings von Molisch (Die Pflanze in ihren Be- ziehungen zum Eisen. Jena 1S92) Einspruch erhoben Avorden; nach ihm ist das Eisen für den Lebensprozess dieser Bakterien von keiner grösseren Bedeutung, wie die Kieselsäure für die Gräser; es soll völlig durch Mangan ersetzbar sein und überhaupt nicht in das lebende Plasma ein- dringen, sondern sofort in der Gallertscheide niedergeschlagen werden. Gegen die WiNOGEAESKT'sche Erklärung der Entstehung der Raseneisensteinlager durch Bakterienthätigkeit macht Molisch geltend, dass nur in wenigen Proben von Raseneisenstein Eisenbakterien ge- funden werden konnten, während der grösste Teil überhaupt keimfrei war. Diese Thatsache könnte sich aber sehr wohl mit Winogeadskt's Ansicht vertragen, da dieser ausdrücklich betont, dass fertig gebildete Eisenscheiden stets von den Bakterien verlassen werden. 6. Ausserordentlich merkwürdig ist das Verhalten der Spaltpilze zum Sauerstoff. Ein grosser Teil derselben bedarf dieses Elementes ebenso dringend zum Leben, wie die höheren Pflanzen und Tiere. Zahl- reiche Spaltpilze aber üben ihre Funktionen nur beiSauer- stoffabschluss aus und stellen alle Lebensäusserungen bei Anwesen- heit selbst geringer Mengen von Sauerstoff ein, so dass es den Anschein hat, als wirke der Sauerstoff, der sonst so recht eigentlich als Lebens- element angesehen wird, auf diese Wesen giftig ein. Diese über- raschende Thatsache eines Lebens ohne Sauerstoff wurde zuerst von Pasteur (C. R. 52. 340 u. 1260; 56; 75; 80) entdeckt; nach ihrem Ver- halten zum Sauerstoff schied er die Bakterien in Aeroben und An- aeroben. V^on vielen Seiten, so von Nencki (Über die Zersetzung der Gelatine. Bern 1876. — Beitr. z. Biol. d. Spaltpilze. 1880. — J. pr. Ch. 19. 337), wurden diese Angaben Pasteuh's bestätigt. Eine Haupt- frage blieb freilich, ob nicht doch minimale, den gewöhnlichen Rea- gentien unzugängliche Spuren von Sauerstoff in den Nährmedien zu- rückgeblieben wären, auf deren Kosten das Leben der Anaeroben vor 126 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. sich ginge; dann würde man es nicht mit dem von Pasteur betonten prinzipiellen Gegensatz zweier Lebensformen, sondern nur mit einer quantitativ sehr verschiedenen Abstimmung auf verschiedene optimale Sauerstoffspannungen zu thun haben. Diese Möglichkeit ist zuerst von GuNNiNG (J. pr. Ch. [N.F.] 16, 17, 20) betont, aber durch die Ver- suche von Nencki und Lachewicz (Pf. 33), in denen das Fehlen des Sauerstoffs in den betreffenden Kulturapjmraten durch feinste chemi- sche Reaktionen (Unverändertbleiben von Ferroferrocyanür und redu- ziertem Hämoglobin) erwiesen wurde, streng widerlegt worden. Neuer- dings wurde die Frage, ob eine vollständige Anaerobiose dauernd möglich sei, von Beijeeinck aufgeworfen. Dieser Autor betonte die Möglichkeit, dass ähnlich, wie die Hefe in einem sauerstofffreien Medium nur auf Kosten einer geringen an sie gebundenen Sauerstoffreserve gähren und wachsen kann, nach einiger Zeit aber an die Oberfläche kommen muss, um neuen Sauerstoff aufzunehmen, auch die Anaeroben bei ihrem na- türlichen Wachstum in Schlamm, Wasser etc. sich verhalten und durch die sich entwickelnden Gasblasen von Zeit zu Zeit an die Oberfläche getrieben werden, um sich mit Sauerstoff zu beladen und wieder leis- tungsfähig zu werden (C. 11. 73). In einer neueren Arbeit aber hat Beijeeinck (r: K. 93. 264) bestimmt nachgewiesen, dass dauernd voll- ständige Anaerobiose stattfinden kann; das zu diesen Versuchen benutzte Granulobacter butylicum wuchs unbegrenzt in Lösungen, in denen Hefe nach 20 — 30 Zellteilungen aus Sauerstoffmangel ab- starb; Granulobacter wuchs ferner kräftig in Lösungen, in welchen durch Natriumhydrosulfit Indigblau reduziert war und in denen sich Natriumhydrosulfit noch im Überschuss befand. Durch diese Versuche ist die Existenz einer absoluten permanenten Anaerobiose endgiltig entschieden. Sehr bald hatte man gefunden, dass bei anaerobem Wachstum die Gährthätigkeit eine grosse Rolle spiele, und Pasteur (CR. 80 und Etudes sur la biere. Paris 1S76) und Nägeli (Theorie d. Gährung. München 1879) stellten die Theorie auf, dass die Gährthätigkeit bei anaerobem Wachstum geradezu einen Ersatz für die Sauerstoff- zufuhr darstelle und mit der Anaerobiose notwendig verknüpft sei. Über die Beziehungen zwischen Sauerstoffzufuhr, Anaerobiose und Gährung wird später bei Behandlung der Gährungserregung eingehend gehandelt werden. Hier sei nur bemerkt, dass diese Theorie Pasteur's, welche die Gährthätigkeit als notwendige Lebensbedingung für das Leben ohne Sauerstoff bezeichnet hatte, sehr bald vollständig erschüttert wurde. LiBOßius (Z. 1. 115) wies nach, dass auch ohne Gährung intensives Wachstum und Vermehrung von Anaeroben möglich ist. Nach seinen GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 127 Untersuchungen sind unter den Bakterien nach ihrem Verhalten zum Sauerstoff 3 Klassen zu unterscheiden: a) Obligate Anaeroben, welche nur gedeihen können, wenn der Sauerstoff vollständig aus dem Nährmedium entfernt ist. Hierher ge- hören die von Liboeiüs entdeckten Bac. oedematis maligni, Clostri- dium foetidum, Bac. polypiformis, Bac. muscoides, der Pseudoödem- bacillus und nach Untersuchungen anderer Autoren vor allem auch der Bac. tetani und der Rauschbrandbacillus. Unter diesen finden sich auch solche Bakterien, die keine Gährung erregen, so z. B. der Bac. oedematis malign. und der Bac. polypiformis. Nach neueren Versuchen von Smith (C. 18. 1) scheint allerdings für manche obligate Anaeroben (Rauschbrand- und Tetauusbac.) die Anwesenheit eines gährfähigen Zuckers notwendige Lebensbedingung zu sein. Sauerstoffzufuhr sistiert alle Lebensäusserungen dieser obligaten Anaeroben. ß) Obligate Aeroben wachsen nur bei reichlicher Luftzufuhr; erhebliche Verminderung des Sauerstoffs beeinträchtigt zuerst gewisse Funktionen (z. B. Farbstoffproduktion, Fermentbildung) und sistiert in höheren Graden alle Lebensprozesse. Hierher gehören Bac. aerophi- lus, Bac. fluoresc. liquefac, Bac. cyanogenus, Bac. fuscus, Bac. aqua- tilis fuscus, Bac. subtilis, Sarcina lutea, rosa Hefe. . Innerhalb dieser Gruppe sind wieder grosse quantitative Unterschiede betr. des opti- malen Grades der Sauerstoffspannung vorhanden. Gährungen, die durch dieser Gruppe angehörige Bakterien hervorgebracht werden, er- fahren durch Sauerstoffzufuhr ausnahmslos eine Förderung, so z. B. namentlich die Essigsäuregährung. Nach Hoppe-Seyler's Beobachtungen (Über die Einwirkung des Sauerstoffs auf Gährungen. Festschr. Strassburg ISSl) kann auch auf die Entwicklung mancher fäulniserregender Bakterien, sowie auf den Ablauf der durch sie her- vorgerufenen fauligen Gährung fortgesetzte reichliche Imprägnierung des Nährmediums mit Luft günstig einwirken. 7) Fakultative Anaeroben. Diese Bakterien wachsen zwar am besten bei reichlichem Luftzutritt, sind aber zu einer langsameren Ent- wicklung auch bei Fehlen von Sauerstoff' befähigt; meist findet hier- bei eine Beeinträchtigung mancher Lebensäusserungen statt; doch ist diese dem Grade und der Art nach bei den verschiedenen Angehöri- gen dieser Gruppe sehr verschieden. Hierher gehören namentlich viele pathogene Arten, die naturgemäss im tierischen Körper oft bei Sauer- stoffmangel zu wachsen genötigt sind, so Bac. anthracis, Spirillum cholerae asiat., Bac. typb. abd., Staphylokokk. pyogen, aur., Streptokokk. pyogen., Bac. pneumoniae, Bac. crassus sputigen., ferner von Sapro- phyten z. B. Bac. acid. lact., Bac. prodigiosus. Proteus vulgär. Übri- gens giebt es auch umgekehrt fakultative Anaeroben, die bei Sauer- J28 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. stoffabschluss besser gedeihen, als bei Luftzutritt; so verhalten sich die „thermophilen" Bakterien von L. Rabinowitsch (Z. 20. 154) bei 40*^. Was das Verhältnis von Gährthätigkeit und anaerobiotischer Existenz bei den fakultativen Anaeroben anlangt, so scheinen hier wieder zwei Unterabteilungen zu bestehen. Für einige, so z. B. für den Bac. lactis aijrogen. von Escherich (Die Darmbakterien des Säuglings. 1885. 130) ist nachgewiesen, dass die Gährthätigkeit eine unerlässliche Bedingung für ihr anaerobes Wachstum darstellt, oder doch ihr Gedeihen wesent- lich fördert; diese Bakterien verhalten sich in dem Sinne der Pasteue- schen Theorie. Bei der grossen Mehrzahl der Bakterien dieser Gruppe aber ist das Vorhandensein einer Gährthätigkeit für ihre anaerobe Existenz ganz irrelevant; manche, z. B. der Typhus- bacillus, sind überhaupt keine Gährungserreger; andere, wie der Bac. crassus. sputigen, und Proteus vulgaris, zeigen keine ersichtliche Schä- digung der Gährung bei Luftzutritt; noch andere, wie der Bac. pro- digiosus, die nur bei anaerobem Wachstum Gährung erregen, kommen ebenso gut bei völliger Abwesenheit von gährungsfähigem Material fort. Die Gährthätigkeit ist also nur sehr locker mit der Möglich- keit des anaeroben Lebens verknüpft und stellt wahrscheinlich nur eine der Energiequellen dar, die für die fehlende Sauerstoff- aufnahme vikariierend eintreten können. Nach Beijeeinck (a. a. 0.) ist für die Anaeroben die Gegenwart reduktionsfähigen Materials Lebensbedingung; durch die Reduktion gewinnen sie die Energiemengen, welche andere Organismen durch direkte Sauerstoff- atmung erhalten. Auch Hesse (Z. 15) schliesst aus später zu be- s^irechenden Versuchen, dass die Anaeroben Sauerstoff aus dem Nähr- material abspalten. Anwesenheit reduzierender Substanzen im Nährmaterial begünstigt, Anwesenheit oxydierender Stoffe schädigt das Wachstum der An- aeroben (KiTASATO und Wetl, Z. 8. 41; 9. 17); insbesondere wirkten begünstigend E ik o n o g e n ( A mido-Naphthol-Monosulfosäure), ameisen- saures Natron und indigosulfosaures Natron; letzteres wird durch die Anaeroben selbst wieder zu Indigweiss-Sulfosäure reduziert. Von Oxydationsmitteln wirken besonders die Alkalisalze der Chrom- säure, Chlor- und Jodsäure schädigend auf Anaeroben in einer Koncentration, in welcher aerobe Bakterien noch gar nicht gehemmt werden. — Sehr merkwürdig sind einige in neuester Zeit von Kitt (C. 17. 168) und Kedrowski (Z. 20) gemachte Beobachtungen, nach denen auch obligate Anaeroben unter gewissen Bedingungen bei Luftzutritt gezüchtet werden können; nach Kedeowski wird hierbei das Wachstum der Anaeroben erst durch die Anwesenheit ge- wisser, vorläufig nicht näher charakterisierbarer Stoffe, die er von Aeroben GoTSCHLicH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. ^^29 erzeugt sah, ermöglicht. Eine genauere Kenntnis der Bedingungen dieser Erscheinung fehlt noch durchaus; jedenfalls würde sie die Kluft zwischen beiden, heim ersten Anblick unvergleichbaren Existenzweisen mit und ohne Sauerstoff überbrücken helfen und einen Beitrag zur Er- kenntnis der prinzipiellen Identität anaeroben und aeroben Lebens liefern. Abgesehen von diesem fundamentalen Unterschied der Bakterien in dem Verhalten derselben gegen den Sauerstoff, der sich im Gegensatz zwischen Anaeroben und Aeroben kund giebt, bestehen aber noch innerhalb der letzteren Gruppe bedeutende quantitative Differenzen, indem jede Bakterienart auf einen besonderen, bei ver- schiedenen Arten verschiedenenGradder Sauerstoffspannung abgestimmt ist. In sehr anschaulicher Weise ist dies von Engel- mann (B. Z. Si. 441; S2. 33S; 88. 696) und von Beijeeinck (C. 14. 837) mit seiner Methode der „Atmungsfigiiren" der Bakterien gezeigt worden. Beide Methoden beruhen auf der später zu beschreibenden chemotaktiscken Anziehung des Sauerstoffs auf Bakterien und seines Einflusses auf ihre Schwärm- bewegungen. Engelmaxn wies nach, dass in einem hängenden Tropfen, in dessen Mitte sich eine belichtete chlorophyllhaltige Alge befindet, die beweglichen Bak- terien sich entweder in dichten Haufen unmittelbar um die sauerstoff'speudende Alge ansammeln oder, wenn sie auf eine geringere Sauerstofi'spannung eingestellt sind, einen koncentrischen Ring um die Alge bilden, dessen" Entfernung von der Alge bei verschiedenen Arten verschieden und zwar um so grösser ist, einen je geringeren Wert die optimale Sauerstoffspannung bei den einzelnen Arten erreicht. Spii-illen sind z B. auf eine geringere Sauerstoffspannung abgestimmt wie Bac. subtilis und Proteus; sie vei'mögen noch minimale Spuren Sauerstoff auszunützen und sich lebhaft in einem so sauerstoffarmen Medium zu bewegen, in dem Subtilis und Proteus infolge Sauerstoffmangels die Energie zur Lokomotion fehlt. Anderer- seits sistiert eine höhere Sauerstofi'spannung, die für Subtilis und Proteus günstig ist, gänzlich die Bewegung der Spirillen. — Unter „Atmuugsfiguren" versteht Beijeri^ck die ,, Anordnung beweglicher Mikroorganismen unter Einfluss des Sauer- stoffs und der übrigen Nährstofie bei bestimmten Versuchsbedingungen". Die- selben zeigen sich in von der Aussenluft abgeschlossenen hängenden Tropfen ganz ähnlich wie bei der EKGELMANN'schen Methode, nur dass sie hier makroskopisch zu beobachten sind, während die Engelmaxx' sehen Versuche unter dem Mikroskop gemacht wurden. In flüssigen Kulturen in Reagensgläsern zeigen sie sich als ,, Bakterienniveaus", d. h. als scharf begrenzte dünne Schichten von Bak- terien, die in der klaren Flüssigkeit in einer vom Sauerstofi'bedürfnis der betr. Art abhängigen Höhe stehen; jede Änderung des Sauerstoff'gehalts der über der flüssigen Kultur stehenden Atmosphäre bewirkt Steigen oder Fallen des Bakterien- niveaus, welches sich stets in die Zone der optimalen Sauerstofispannung einstellt. Über den Einfluss des Sauerstoffs auf die Lebensäusserungen der Bakterien wird an späterer Stelle eingehend gehandelt. b) Die zusammengesetzten Nährmedien der Bakterien. Ausser den im Vorigen besprochenen einzelnen chemischen Kom- ponenten kommt bei den zusammengesetzten Nährsubstraten, welche Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 0 130 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. den Bakterien bei natürlichem Wachstum oder künstlicher Züchtung zu Gebote stehen, noch Dreierlei in Betracht: 1. Die Mengenverhältnisse der einzelnen Nährstoife zu einander können jedenfalls bei den meisten Spaltpilzen unbeschadet ihrer Lebens- thätigkeit in sehr weiten Grenzen variieren, indem auf ganz verschieden zusammengesetzten Nährböden gutes Wachstum möglich ist. Die günstigsten Mengenverhältnisse sind in Betracht der ganz verschiedenen Ansprüche der einzelnen Arten auch durchaus verschieden; so z. B. fand Cramek (A. 16. 170), dass Bac, Friedländer, der Rhinosklerom- bac. und ein Wasserbakterium den grössten Ernteertrag auf Agar mit 5 % Traubenzucker- Zusatz gaben, während Pfeiffers Kapsel- bacillus auf Agar mil 5 "/q Pepton ohne Zucker üppiger wuchs. Alle 4 Bakterien wurden aber durch steigenden Peptongehalt des Nähr- bodens in den Grenzen von 1 — 5% begünstigt, allerdings nicht in gleicher Weise. Was man sonst darüber weiss, beschränkt sich auf rohe, empirische Rezepte zur Herstellung von Nährböden, z. B. über den günstigsten Gehalt des Agars an Glycerin für Züchtung der Tuberkel- bacillen oder des Serums an Traubenzucker zur Diphtheriebacillen- züchtung etc. Dass neu hinzutretende Stoffe die Ausnutzung der vor- handenen Nährstoffe wesentlich verbessern können, ist bereits oben erwähnt. 2. Die Koncentration des Nährbodens kann im allgemeinen so- wohl bei demselben Bakterium als auch bei verschiedenen Arten in weiten Grenzen schwanken, wie schon daraus hervorgeht, dass viele Spalt- pilze in fest- weichen Nährböden von ca. 80% Wassergehalt ebenso gut wachsen, wie in ganz verdünnten Lösungen, die nur Spuren von Nährstoffen enthalten. Allerdings giebt es auch zahlreiche Arten (Spi- rillen), die nur in flüssigen Substraten fortkommen, dagegen nicht umgekehrt solche, die nur auf festem Substrat zu wachsen vermögen. Die untere Grenze der Koncentration ist schliesslich nur durch die drohende Erschöpfung an Nährmaterial festgelegt, während für alle Arten eine, allerdings im einzelnen verschiedene, obere Grenze besteht, über welche hinaus Wachstum unmöglich ist. Kappes (a. a. 0.) fand schon bei einem Trockengehalt von 20 '^/o (wovon 7,5 % Agar) fast völliges Erlöschen des Wachstums. Wasserentziehung vermag daher fäulnisfähige Substanzen vollständig gegen Zersetzungen durch Spalt- pilze zu schützen, während Schimmelpilze darauf noch günstigen Nähr- boden finden. Vermehrte Koncentration spielt daher imter den Konser- vierungsmethoden für Nahrungsmittel eine grosse Rolle. S.tiber denEinfluss derReaktiondesNährmediums auf die Bakterien bestehen zahlreichere und genauere Erfahrungen. Die meisten Spaltpilze finden ihre srünstiffsten EntwicklunofsbedinsunQ-en auf neutralem oder GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. \'^\ schwach alkalischem Substrat; nur wenige verlangen ein saures Sub- strat, wie z.B. die Essigbakterien, welche erst bei einem Gehaltvon2% Säure wachsen. Säureüberschuss wird im allgemeinen von den Spaltpilzen viel schlechter vertragen als vonSpross- und Hefepilzen. Die Ansäuerung des Nährbodens bietet daher ein wertvolles Hilfsmittel, um Verunreini- gungen der Kulturen letzterer Pilze durch Bakterien zu verhüten. Die schädigende Wirkung eines Säureüberschusses auf Bakterien hat man sich jedoch früher vielfach als zu gross vorgestellt; neuere Untersuch- ungen haben gezeigt, dass die meisten Bakterien auch auf schwach sauren Nährböden fortkommen können. So fand Heim noch ver- hältnismässig günstiges Gedeihen von Kot- und Milchbakterien in Ge- latine mit einem Salzsäuregehalt von 1 %o; ferner zeigte Uffelmann (B. 91. Nr. 39), dass Typhusbacillen in mit Citronensäure, Essigsäure etc. stark angesäuerter Gelatine gut wachsen, und dass überhaupt die Zahl der säurebeständigen Bakterien nicht so klein ist, wie man ge- wöhnlich annimmt; nach Schlüter (C. 11. 589) war unter zahlreichen Arten der Erysipelkokkus der einzige, welcher überhaupt keinen Säure- zusatz vertrug, während alle anderen bis zu einem gewissen, je nach der Art verschiedenen Maximalgehalt an Säure, manche sogar bei sehr starker Acidität (1 % Milchsäure) üppig wuchsen; besonders bemerkens- wert ist, dass auch der Milzbrandbacillus, der früher als Prototyp der säureempfindlichen Bakterien galt, selbst bei 2 %o Milchsäurezusatz gedeiht und bei dem gleichen Alaunzusatz sogar üppiger und schneller als auf neutralem Substrat wächst. Manche Bakterien, wie die Er- reger der Buttersäuregährung und die Essigbakterien, vertragen sehr hohe Säuregrade. Neuerdings giebt Tueeo (C. 17. 1; 17. 865) an, auch Gonokokken und Streptokokken, sogar mit besonders günstigem Er- folge, auf sauren Nährböden gezüchtet zu haben. Alkaliüberschuss hingegen wird von der Mehrzahl der Spalt- pilze sehr gut ertragen, von manchen, wie z. B. von Mikrokokkus ureae, sogar bis zu sehr hohen Koncentrationsgraden, Der Cholerabacillus wächst noch auf Nährböden von so hoher Alkalescenz, dass Kurkuma- papier durch sie deutlich geln-äunt wird. Für diesen Bacillus hat Hesse (Z. 15. 183) auch das Optimum der Reaktion ermittelt und fand es bei dem beträchtlichen Gehalt von 0,4 — 0,92 gr krystallisierten Na2C03 auf 1 Liter Nähr-Agar; auf schwach saurem Nährsubstrat ging der Bacillus zugrunde. Von dem verschiedenen Verhalten der Bakterien gegenüber der Reaktion des Nährbodens, z. B. von der Widerstandsfähigkeit des Choleravibrio gegen Alkalescenz und des Typhusbacillus gegen Säure, wird in differential- diagnostischer Beziehung vielfach Gebrauch ge- macht, indem man zur Züchtung dieser Bakterien aus Gemischen Kultur- 9* 132 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Substrate von stark abweichender alkalischer bezw. saurer Reaktion verwendet, in denen viele andere Bakterien nicht zur Entwicklung ge- langen, die Cholera-, bezw. Tyjjhusbacillen dagegen ungehindert wachsen oder sogar begünstigt werden. Durch Veränderung der Reaktion können auch die eigenen Stoff- wechsel- oder Gährprodukte der Bakterien das Wachstum der letzteren sistieren. Manche Spaltpilze sind allerdings so indifferent gegenüber der Reaktion des Nährmediums, dass sie durch diese Veränderungen in keiner Weise alteriert werden. D. Die physikalischen Lebensbedingungen der Mikroorganismen. Unter den physikalischen Lebensbedingungen der Mikroorganismen spielen die Temperaturverhältnisse die bedeutendste Rolle. Nur innerhalb gewisser Temperaturgrenzeu ist Wachstum und volle Ent- faltung aller Funktionen möglich: bei Annäherung an diese Grenzen kommen schon gewisse Beeinträchtigungen einzelner Lebensäusserungen zustande; schliesslich sistiert entweder das Leben, um unter günstigen Bedingungen sich wieder zu entwickeln, oder es wird dauernd ver- nichtet. Innerhalb der die Lebensthätigkeit zulassenden Temperatur- breite existiert ein Optimum, bei welchem die intensivste Entwicklung und Lebensäusserung stattfindet. Sowohl das Optimum wie die Grenzen der Temperatur sind nun aber bei verschiedenen Arten häufig ganz verschieden. Von den Schimmelpilzen gedeiht Penicillium glaucum zwischen -\- 2,5*^ und etwa 43*^, wobei das Optimum bei ungefähr 20" liegt; für Aspergillus glaucus liegt das Optimum bei +10 bis 12*^. für Aspergillus niger hingegen bei 34 bis 35*^, für Aspergillus fumigatus sogar bei etwa 40". Für die Hefen liegt das Optimum bei etwa 25 bis 30 "; Vegetation desselben ist aber noch in der Nähe des Gefrier- punktes und bis etwa + 53 " möglich. Bei den Spaltj^ilzen bezeichnen für die meisten Arten etwa -j- 5 bis 10" und + 40 bis 45" die Grenzen der zulässigen Temperaturen; das Optimum liegt bei pathogenen Arten bei ca. 37", bei Saprophyten häufig tiefer, im Durchschnitt jedenfalls höher als bei den Spross- und Schimmelpilzen. Im einzelnen ergeben sich freilich auch innerhalb dieser Gruppe grosse Verschiedenheiten; so beginnt nach Eidam (B. B. 1. 3. S. 209) die Entwicklung von Bacterium termo in CoHN'scher Nährlösung bei + 5,5 ", nimmt dann mit steigender Temperatur erst langsam, von -|- 10" an rasch zu, erreicht zwischen 30 und 35 " das Optimum und nimmt dann sehr schnell wieder ab, um bei 40 " schon völlig aufzuhören. Für den Essig- säurepilz liegt das Optimum zwischen 20 und 30"; unter 10" findet nur sehr langsames Wachstum statt; über 35" nimmt es rapid ab, um i GoTSCHXiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 133 wenige Grade höher ganz zu erlöschen. Selbst unter sehr nahe verwandten Spaltpilzen ergeben sich Differenzen in der Abhängigkeit ihrer Wachs- tumsenergie von der Wärme-; so zeigt nach FIügge (Z. 17. 300) der eine von den peptonisierenden Bacillen der Milch ein scharf ausge- prägtes Optimum bei 40*^, während der andere zwischen 25 und 40*^ eine annähernd gleichmässige Vermehrungsintensität erkennen lässt; beide entwickeln sich noch bis 60 ^ während der Bac. acid. lact. nach demselben Autor schon bei 40^ seine Entwicklung einstellt und bei 27 ö sein Optimum hat. Der Tuberkelbacillus wiederum kann sich nur innerhalb enger Temperaturgrenzen, zwischen 30 und 41*^, am besten bei 3S^ entwickeln. Ausser diesen in mittlerer Temperatur gedeihenden Bak- terien existieren aber noch 2 Gruppen, deren eine sich durch Wachs- tum bei O'^ auszeichnet, während die andere, die der „thermophilen Bakterien", bei 50 — 70^, ja zuweilen ausschliesslich bei diesen hohen Temperaturen fortkommt. Angehörige der ersten Gruppe wurden zu- erst von FoESTER (C. 2. 337; 12. 431), und zwar aus Gartenerde, Strassenschmutz, Kanalwasser, Meerwasser und an der Oberfläche von Seefischen gezüchtet. Letztere Art war durch ihre Lichtentwick- lung, die sich noch bei 0*^ in bedeutender Intensität zeigte, besonders merkwürdig. Später gelang es Fischee (C. 4. 89) in kurzer Zeit 14 ver- schiedene Arten aus Hafenwasser, Boden etc. zu isolieren, die sämtlich bei 0^, aber auch bei Zimmertemperatur wachsen und bei Gefrier- temperatur alle ihre Lebensäusserungen, als Lichtentwicklung, Farb- stoffentwicklung, Verflüssigung der Gelatine, Entwicklung von Fäulnis- gasen etc. ausüben. Einen Übergang von dieser merkwürdigen Gruppe zu dem Gros der Bakterien bilden viele Wasserbakterien, die sich am besten bei 20 ^ entwickeln und Bruttemperatur nicht vertragen, sowie Beijeeinck's Bac. cyaneofuscus (B. Z. 1891), dessen Optimum bei 10^ liegt und auf den schon Züchtung bei 20*^ nachteilig wirkt. Bakterienwachstum bei exzessiv hohen Temperaturen wurde zu- erst von MiQUEL (Annuaires de l'observ. d. Montsouris 1881. 464. — Les Organismes viv. de l'atm. 1883. 182. — A. Mi. 1888. 4) an einem in Seine- und Kloakenwasser, selten in der Luft vorkommenden Ba- cillus, ferner von van Tieghem (Soc. bot. d. France Bull. T. XXVllL 35) an einem Streptokokkus, der sogar bei 74 ^ wuchs, und mehreren anderen Bakterienarten, später von Certes und Gareigon (C. R. 103. 703) an 2 Bakterienarten im 64 gräd. Sprudel von Luchon be- obachtet. Doch galten diese Fälle mehr als Kuriositäten. Erst Globig (Z. 3. 294) gelang es, das regelmässige Vorkommen zahlreicher Arten von Bakterien, die zwischen 50 und 70*^ wachsen, in den oberen Bodenschichten nachzuweisen; er fand sie sowohl in deutschem jungfräulichen und aufgeschüttetem Boden.^ 134 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. als auch in Erdproben von Südseeinseln, in Heideboden von den He- briden, in norwegischem Lehmboden u. a. m. Am merkwürdigsten ist, dass die meisten der untersuchten Arten auf diese hohen Temperaturen, die allen anderen Lebewesen verderblich sind, geradezu notwendig an- gewiesen sind; imter den 30 untersuchten Arten fand sich nur eine einzige, die auch bei Zimmertemperatur wuchs. Alle Versuche be- zogen sich auf Kartoffelkulturen. Es entstand nun die Frage, wo diese auf exzessiv hohe Temperaturen angewiesenen Bakterien unter natür- lichen Verhältnissen ihr Fortkommen finden. Globig wies nach, dass in den obersten Bodenschichten durch intensive Insolation wenigstens zeitweise so hohe Temperaturen erzeugt werden, und glaubt, dass hier- durch vielleicht die Lebensbedingungen für diese Pilze geschaffen werden; hiermit würde die Thatsache, dass in Bodenproben aus den Tropen viel zahlreichere thermophile Bakterien als in solchen aus dem Norden gefunden wurden, gut übereinstimmen. Neuerdings hat nun aber L, Rabinowitsch (Z. 20. 154) eine andere Möglichkeit für das natürliche Fortkommen der thermophilen Bakterien aufgezeigt, indem sie nachwies, dass dieselben auch zwischen 34 und 44*^ eine günstige Entwicklung auf Agar und Bouillon unter anaeroben Versuchs- bedingungen erkennen lassen. Insbesondere im Darmkanal des Menschen und vieler Tiere findet intensive Entwicklung der thermo- philen Bakterien unter diesen Bedingungen statt. Auch aerobes Wachs- tum ist bei diesen niedrigeren Temperaturen möglich, aber nur in sehr beschränktem Masse. Auf Kartoffeln entwickeln sich diese Bacillen über- haupt stets erst bei über 50*^. Sehr merkwürdig ist, dass bei diesen hohen Temperaturen das Verhältnis zwischen aerobem und anaerobem Wachs- tum sich ausnahmslos zu Gunsten des ersteren umkehrt. Die Unter- suchungen von Rabinowitsch haben auch die ausserordentlich weite Verbreitung der thermophilen Bakterien in der Natur bewiesen; sie fan- den sich im Luftstaub, in Erde, in Flusswasser, im Darminhalt des Menschen und zahlreicher warm- und kaltblütiger Tiere, in käuflicher Kuhmilch, auf Getreide, auf keimender Gerste etc. Auch von F. Cohn (B. G. 1893. 66) und von Macfadyen und Blaxall (Journ. of Paras. and Bact. 1894) ist neuerdings noch über das häufige Vorkommen dieser merkwürdigen Mikroben berichtet. Die höchste beobachtete Temperatur, bei der thermophile Bakterien noch fortkommen, betrug 75 ö, fällt also mit der Gerinnungstemperatur des Serumeiweiss an- nähernd zusammen. Nähert sich die Temperatur der oberen zulässigen Grenze, so findet bei allen Bakterien eine rapid zunehmende Verminderung der Ent- wicklung statt; dies ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass das allgemeinste Grimdgesetz über den Einfluss der Temperatur auf GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 135 Lebensprozesse auch für die Bakterien gilt: mit steigender Temperatur werden die chemischen Prozesse im Protoplasma an Intensität gesteigert, was innerhalb gewisser Grenzen eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit, über das Optimum hinaus aber ein Missverhältnis zwischen der Dissi- milation und den Restitutionsvorgängen zu Ungunsten der letzteren setzt und demgemäss eine Schädigung und schliesslich Vernichtung der Zelle bewirkt. Über die Abschwächung und Tötung der Bakterien durch Hitze wird bei der Besprechung der Absterbedingungen eingehend verhandelt werden, ebenso über die Beziehungen der Temperatur zu den einzelnen Lebensäusserungen, wie FarbstoiflDildung, Lichtentwick- lung etc. bei den betr. Abschnitten. Hier sei nur bemerkt, dass nach Galeotti (Sp. 1S92) und Dieudonne (A. G. 9. 492) durch Ein- schaltung von Zwischentemperaturen und . fortgesetzte Züchtung eine teilweise oder vollständige Anpassung von Pigmentbakterien an ursprünglich ungünstige Temperaturverhältnisse erreicht werden kann. Während schon ein geringes Steigen der Temperatur über die obere Wachstumsgrenze deletär auf die Spaltpilze wirkt, ist eine zu niedrige Temperatur, bei der keine Fortentwicklung und Vermehrung mehr statt- finden kann, gleichwohl doch noch nicht von schädlichem Einfluss auf das Leben der einzelnen Bakterienzelle selbst. Im Gegenteil werden die Bakterien bei niederer Temperatur ausgezeichnet konserviert und beginnen, wieder unter günstige Temperaturverhältnisse gebracht, so- gleich wieder ihre Lebensäusserungen zu entfalten; neuere Untersuch- ungen von Petruschky (C. 17), sowie von Gotschlich und Weigang (Z. 20; H. 3), haben gezeigt, dass die Virulenz von Streptokokken-, bezw. von Cholerakulturen, die bei Bruttemperatur sehr rasch verloren geht, bei Eisschranktemperatur vollständig erhalten bleibt. Das Leben wird nur sistiert; es findet eine Fixierung derjenigen Beschaffen- heit des Zellleibes statt, welche sich vorher gemäss den herrschenden Lebensbedingimgen ausgebildet hatte und die nunmehr bei der durch die niedere Temperatur beschränkten Labilität der lebenden Substanz keine Veränderung erfahren kann; werden die Bakterien wieder unter günstige Lebensbedingungen gebracht, so entfalten sie ihre Lebens- äusserungen mit alter, ungeschwächter Kraft. — Über die Bedeutung der Ruhe und mechanischer Erschütter- ungen für das Leben der Mikroorganismen ist Folgendes bekannt. Fortgesetzte ruhig fliessende Bewegung der Nährmedien scheint die Ent- wicklung der Spaltpilze nicht zu hemmen (Hoppe-Seyler, Üb. d. Ein- wirkung d. Sauerstoffs auf Gährungen. ISSl); dagegen bewirken lang- dauernde kontinuierliche intensive Erschütterungen, z. B. mittelst einer Schüttelmaschine, meist Entwicklungshemmung oder gar Abtötung der j^36 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Bakterien (Horvath, Pf. 17; Pohl, cit. bei Reinke ebd. 23). Auch starke Schallwellen, welche durch die Nährbouillon geleitet wurden, verlangsamten nach Reinke die Entwicklung der darin befindlichen Bakterien. Nach B. Schmidt (A. 13. 247) scheinen übrigens betr. des Verhaltens der Bakterien gegenüber mechanischen Erschütterungen Artdifferenzen ganz wesentlich in Betracht zu kommen, indem z. B. Staphylokokk. pyogen, citreus fast ganz vernichtet wurde, während der Typhusbacillus gar keine Schädigung erlitt. Meltzer (Z. f. Biol. 30. 464) konnte diese Resultate bestätigen; Bac. Megaterium erwies sich als sehr vulnerabel, Bac. fluoresc. non liquefac. dagegen als sehr resistent. Nicht nur grob mechanische Stösse, sondern auch minimales Zittern kann bei genügend langer Einwirkung Entwicklungshemmung und Abtötung bewirken; so fand Meltzee Bac. Megaterium und sub- tilis in flüssigem Nährmedium nach einem 4tägigen Aufenthalt in einer grossen New-YoVker Brauerei, in welcher durch die Tag und Nacht arbeitenden Maschinen ein ununterbrochenes Zittern des ganzen Ge- bäudes hervorgerufen wurde, vollständig abgestorben, während die Kon- trollproben lebhafte Entwicklung zeigten. Die mikroskopische Unter- suchung der abgestorbenen Bakterien ergab, dass sie nicht etwa in grobe Trümmer zerstückt, sondern zu feinstem Detritus verwandelt waren. Sehr bemerkenswert ist ferner die mit analogen Untersuchungen von Hansen (Medd. fra Carlsberg I. H. 2) an Hefe übereinstimmende Thatsache, dass ein geringes Mass mechanischer Erschütterung auf einen Wasserbacillus förderlich einwirkt; absolute Ruhe war für die Entwicklung desselben sogar ungünstig; andererseits wirkte exzessive Erschütterung auch hier entwicklungshemmend. Meltzer fasst hiernach die Einwirkung mechanischer Bewegung auf den Lebens- prozess ganz analog dem Einflüsse der Temperatur auf; in beiden Fällen handelt es sich um Zuführung äusserer Energie zur lebenden Maschine, die bis zu einem gewissen Grade die Funktionen der letz- teren fördert, darüber hinaus aber durch übermässige Inanspruchnahme das Bestehen der Maschinenteile selbst gefährdet, wobei Minimum, Optimum und Maximum bei verschiedenen Arten von Mikroorganismen ebenso verschieden sind wie ihr Verhalten gegenüber Temperaturein- wirkungen. — Über die Wirkungen hohen Druckes auf Mikro- organismen s. den Abschnitt „Absterbebedingungen". Licht scheint nicht zu den allgemeinen Lebensbedingungen der Spaltpilze zu gehören; im Gegenteil gedeihen dieselben vortrefflich bei Lichtabschluss und von stärkerer Beleuchtung sind überhaupt fast nur schädigende Eff'ekte bekannt(letztere s.unt. „Absterbebedingungeu"). Nach Engelmann (Pf. 26. 537. — B. Z. 82) sind bei einer Spaltpilzart, Bact. photometricum, die Schwärmbewegungen vom Lichte abhängig. Über GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. j^37 die phototaktischen Bewegungen der Chromatien ist bei der Eigen- bewegung der Bakterien gehandelt. Der Elektrizität kommt kein Einfluss als Lebensbedingung für Spaltpilze zu; stärkere Ströme wirken entwicklungshemmend, worüber bei den Absterbebedingungen mehr. E. Vitale Konkurrenz der Mikroorganismen. Nach Erörterung der chemischen und physikalischen Lebenssub- strate der Mikroorganismen ist es nun noch erforderlich, den Einfluss kennen zu lernen, den verschiedene gleichzeitig oder nach einander auf demselben Nährsubstrat angesiedelte Mikroben auf einander wechsel- seitig ausüben. Diese Verhältnisse finden sich ja in der Natur, wo wir es nicht mit Reinkulturen zu thun haben, sehr häufig verwirklicht. Die künstliche Nachahmung kann durch gleichzeitige oder successive erfolgende Verimpfung zweier Mikroorganismen auf denselben Nähr- boden bewirkt werden; hierbei kann entweder eine unmittelbare Ver- mischung beider Kulturen stattfinden, z. B. durch Impfung eines neuen Keimes in eine andere ausgewachsene flüssige Kultur, in der die leben- den Individuen erhalten sind; oder es wird nur der Einfluss der Ver- änderungen des Substrats, löslicher Stoflfwechselprodukte der vorigen Insassen auf die neu anzulegende Kultur geprüft und zu diesem Zweck in flüssige, mittelst Filtration durch Chamberland-Filter keimfrei ge- machte Kulturen geimpf t (Fkeudenreich), oder eine räumliche Trennung verschiedener Kolonien auf festem Substrat durch Anlegung nahe bei einander liegender Impfstriche verschiedener Arten bewirkt (Babes). In den meisten Fällen bemerkt man dann eine antagonistische Wirkung, die häufig bis zur völligen Unterdrückung des Wachs- tums einer Art führt. Bei gleichzeitiger Einsat überwuchert diejenige Art, welche die günstigsten Lebensbedingungen auf dem betr. Substrat findet. Hier sind vor allem Koncentration, Reaktion und Temperatur massgebend. Bei den ausserordentlich abweichendenBedürfnissen, welche in dieser Beziehung Schimmelpilze, Sprosspilze und Bakterien äussern, ist es nicht wunderbar, dassbei gleicherAussaat unter verschiedenen Kulturbe- dingungen ganz verschiedene Vegetationen zustande kommen; so über- wiegenbeiZüchtung auf saurem, wasserarmen Substrat die Schimmelpilze, auf leicht alkalischem hingegen die Bakterien; unter beiden findet wieder beiZimmer- undBrüttemperatur eine Auslese statt, indem z.B. bei Zimmer- temperatur Penicillium und Mucor, sowie viele gewöhnliche Fäulnis- und Wasserbakterien vorwiegend zur Entwicklung gelangen, während bei Brüttemperatur Aspergillusarten, peptonisierende Bakterien etc. üppig wuchern. Bei annähernd gleich günstigen Lebensbedingungen 138 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. für verschiedene Arten giebt die Verschiedenheit der spezifischen Wachstumsenergie den Ausschlag. Sind nun mehrere Ansiedelungen desselben Keimes oder verschiedener Arten auf dem Nährsubstrat er- folgt, so tritt meist bald eine Hemmung der weiteren Entwicklung ein; noch stärker macht sich eine solche geltend, wenn ein neuer Keim erst nachträglich auf ein von anderen Mikroben bereits occupiertes Substrat gelangt. Die bekannteste Thatsache, die in dieses Gebiet ge- hört, ist die Wachstumshemmung, welche Bakterienkolonien meist in sehr dicht besäten Platten erfahren; die Kolonien bleiben, trotzdem noch Platz zum Wachstum vorkanden ist, viel kleiner als bei dünnerer Aussat. Ausnahmen kommen freilich vor; man sieht sogar bisweilen zwei miteinander verschmolzene Kolonien verschiedener Arten, die sich ungestört entwickeln. Dies weist schon darauf hin, dass die antago- nistische Wirkung bei den einzelnen Arten sehr verschieden ist. Eine grosse Anzahl von Arbeiten hat diese Beziehungen für einzelne Arten festzustellen gesucht. Um nur einige Beispiele hervorzuheben, so fand Babes (Cornil und Babes, Les Bacteries. I), dass Milzbrandbacillen und Staphylokokken in sterilisierten Cholerakulturen sehr kümmei-lich wachsen, dass Milzbrandkolonien auf benachbarte Entwicklung von Pneumoniebacillen hemmend wirken, den Prodigiosus dagegen nicht stören, dass Staphylokokkus pyogen, aur. die Entwicklung des Milzbrand- bacillas, dagegen nicht die des Pyocyaneus, Cyanogenes, Pneumoniebacillus hindert. Nach Garre (Correspondenzbl. f. Schweizer Ärzte. XVII) ist der Bac. fluoi'esc. putidus ein Antagonist des Typhusbacillus und umgekehrt, hindert dagegen gar nicht den Milzbrandbacillus und das Spirillum Finkler-Prior; nach Pavone (G-. J. 87) ist der Typhusbacillus Antagonist des Milzbrandbacillus etc. Abnahme der Virulenz des Milzbrandbacillus ist von Zagari (ebd.) bei Züchtung in sterili- sierter Cholerakultur, Beeinträchtigung der Farbstoffproduktion durch antagonis- tische Wirkung von vielen Autoren, z. B. von Babes bei der Züchtung des Bac. Indiens ruber neben dem Cyanogenes konstatiert. Garre unterscheidet „ein- seitigen" und „gegenseitigen" Antagonismus, je nachdem die eine Art rein passiv ist oder bei geänderter Versuchsanordnung auf die erste Art auch ihrerseits hemmend einzuwirken vermag. Bakterien, die sich gegenseitig nicht stören, nennt er „symbiotisch". Systematische Durcharbeitung des Gebietes und allgemeine Gesetzmässigkeiten der antagonistischen Wirkungen fehlen noch fast ganz, wes- halb eine weitere Häufung von Beispielen als zwecklos unterbleiben mag. Von besonderem praktischen Interesse ist die antagonistische Wirkung von Saprophyten auf pathogene Mikroorganismen, die z. B. bei der Frage der Haltbarkeit von Krankheitsei-regern in der Aussenwelt, z. B. von Chloravibrionen und Typhus- bacillen im Flusswasser, in Dejekten etc. eine wichtige Rolle spielt und später noch eingehend verhandelt wird. Die antagonistische Wirkung der Mikroorganismen lässt eine mehr- fache Deutung zu. Einmal könnte es sich um eine einfache Erschöpf- ung des Substrates an geeigneten Nährstoffen handeln, die durch die zuerst geimpfte, bezw. bei gleichzeitiger Impfung durch die rascher I GoTSCHLiCH, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 139 wachsende Kultur zustande "kommt und die Entwicklung eines neuen Keimes unmöglich macht; diese Deutung ist sicher für eine ganze Reihe von Fällen ausreichend. Daneben sprechen aber auch zahlreiche Er- fahrungen dafür, dass häufig durch St off Wechselprodukte der Bak- terien der Nährboden für eine andere Art ungünstig oder ganz un- brauchbar gemacht wird; so z. B. konnte Kappes (a. a. 0.) einen durch vorangegangene Kultur unbrauchbar gewordenen Nährboden durch nachträglichen reichlichen Zusatz von Nährstoffen auch nicht annähernd wieder restituieren; ferner gelang es ihm nachzuweisen, dass auch die tieferen Schichten des Substrats, in denen eine Erschöpfung an Nähr- stoffen wohl nicht anzunehmen war, dennoch sich auch als zur Ernäh- rung einer neuen Kultur ungeeignet erwiesen. P. Franklakd (Z. 1 9. 393) konnte durch vergleichende Versuche mit rohem Flusswasser imd einem künstlich infizierten, vorher durch Kochen sterilisiertem Wasser von gleichem Bakteriengehalt nachweisen, dass die deletäre Einwirkung der Saprophyten auf Typhusbacillen in Flusswasser nicht durch die grössere Vermehrungsenergie der ersteren, sondern durch schädliche, beim Kochen zerstörbare Stoffvvechselprodukte derselben zustande komme. Was die chemische Natur der antagonistisch wirkenden Stoffwechsel- produkte angeht, so handelt es sich häufig nur um Änderung der Reaktion des Nährsubstrats; wurde diese durch Neutralisation rück- gängig gemacht, so sahen Sirotinin (Z. 4. 262) und Bitter (Über bakterienfeindliche Stoffe in Bakterienkulturen etc. Habilitationsschrift. Breslau 1891) in vielen Fällen eine vollständige Restitution des Nähr- substrates eintreten. In anderen Fällen, wo trotz bestehender antago- nistischer Wirkung eine Veränderung der Reaktion des Substrats nicht nachweisbar ist, wie in den Versuchen von Olitzkt (Üb. d. antagonist. Wirkungen des Bac. fluoresc. liquefac. [Diss.] Bern 1891) und Müh- sam und Schimmelbusch (A. Ch. 46. 677), oder wo, wie in einigen Versuchen Bitter's (a. a. 0.) durch Neutralisation die entwicklungs- hemmenden Eigenschaften des Substrats nicht beseitigt werden können, muss eine Schädigung durch besondere bakterienfeindliche Stoffwechsel- produkte angenommen werden. Für die letztere Annahme spricht auch das elektive Verhalten, welches sich häufig in der antagonistischen Wirkung zeigt: die Schädigung erstreckt sich oft nur auf einige wenige Arten, was schwerlich durch eine so allgemeine Alteration des Nährbodens, wie die Veränderung der Reaktion es ist, erklärt werden kann. Über die che- mische Natur dieser bakterienfeindlichen Stoffe wissen wir freilich noch fast nichts. Ausserdem scheint endlich noch die Ausübung der Gähr- thätigkeit ein mächtiges Hilfsmittel zu sein, durch welches Hefe in gäh- renden Zuckerlösungen Invasionen von Spaltpilzen abwehrt; die Fern- haltung der Bakterien gelingt um so vollständiger, je rascher und inten- X40 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. siver nach der Einsat die Gährung beginnt, also bei einer genügenden Quantität der Hefenaussat, zu der erfahrungsgemäss etwa 1,7 gr Hefen- trockensubstanz ^10 ccm dicker Hefenmasse auf 1 Liter Nährlösung ausreichen; wird dagegen nur eine ganz geringe Hefenmenge eingesät, so gelangen Spaltpilze zu üppiger Wucherung, und man erhält eine stark verunreinigte Hefenkultur oder gar ein Vorherrschen der Spaltpilze. Seltener als der Antagonismus zweier neben einander vegetierenden Arten findet sich eine gegenseitige Begünstigung. So hat Buchner (Münch. ärztl. Intell.-Bl. 18S5. Nr. 50) gefunden, dass der Choleravibrio in einer sterilisierten Nährlösung, welche bereits als Nährsubstrat für Cholera gedient hat und demgemäss die Stoffwechselprodukte der Cholerabacillen enthält, ein ganz besonders üppiges und vor anderen Spaltpilzen bevorzugtes Wachstum zeigt; eine ähnliche Begünstigung des Wachstums durch Stoffwechselprodukte will auch Salkowski (C. W. 92. 305) bei Wasserbakterien beobachtet haben. Der Saccharomyces der Ingwerbierhefe gährt nach Waed (r: K. 91. 133) in Symbiose mit einem anaeroben „Bakterium vermicosum" viel kräftiger; das Bakterium verwertet und beseitigt wahrscheinlich Stoffe, die bei ihrer Anhäufung der Hefe schädlich wären. Neuerdings will ferner Türeo (C. 17. S68) ge- funden haben, dass Streptokokken ganz besonders üppig in nicht steri- lisierten lebenden Cholera- und Pyocyaneus-, sowie auch in Milzbrand- Kulturen wachsen. In grossem Massstabe findet wahrscheinlich vielfach in der Natur eine Begünstigung verschiedener Arten statt, indem die eine der später auftretenden ihren zusagenden Nährboden erst durch Änderung der chemischen Reaktion, Schaffung geeigneter Nährstoffe, Beseitigung schädlicher Stoffe etc. bereitet. So kommt z. B. in ver- schiedenen Stadien der Fäulnis eine verschiedene Flora von Bakterien zur Entwicklung; vor allem wird auch auf diesem Wege den obligaten Anaeroben, die im Laboratorium nur unter besonderen Cautelen, bei strengem Luftabschluss zu züchten sind, unter natürlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Entwicklung geschaffen, indem durch massenhafte Wucherung aerober Arten der auf die Anaeroben giftig wirkende Sauerstoff' vollständig aus dem Substrat entfernt wird, oder, wie aus neueren Versuchen Kedeowski's (Z. 20. 358) zu folgen scheint, indem durch diese aeroben Arten besondere chemische Substanzen gebildet werden, die etwa nach Analogie reduzierender Stoffe den Anaeroben das Wachstum ermöglichen. — Über die antagonistischen Wirkungen verschiedener pathogener Mikroorganismen im Tierkörper, sowie über Mischinfektion wird an anderer Stelle dieses Werkes verhandelt. Ctotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 141 Zweites Kapitel. Lebeusäusserungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich. Nach Kenutuis der Bedingungen, die für das Leben der Mikro- organismen notwendig sind, ist es nunmehr die Aufgabe dieses Ab- schnitts, zu zeigen, welche Effekte durch das Zusammenwirken der be- sprochenen äusseren Faktoren und der lebenden Mikroben entstehen, so- wie die Art und Weise des Zustandekommens dieser Lebensäusserungen soweit als möglich zu erklären. Es liegt auf der Hand, dass dieses Thema, welches auch die spezielle Thätigkeit der Mikroorganismen bei der Gährung und Krankheiterregung zu behandeln hat, zu den wichtigsten Kapiteln gehört, welche die Lehre von den niederen Pilzen ausmachen. Der Stoff- und Kraftwechsel der Schimmel-, Spross- und Spalt- pilze stimmt in seinen Hauptzügen so weit überein, dass eine geson- derte Behandlung der drei Klassen in diesem Abschnitt mit wenigen Ausnahmen nicht notwendig erscheint; es ist daher überall das Ver- halten der Spaltpilze als der am genauesten gekannten und hygienisch wichtigsten Gruppe zu Grunde gelegt, und nur an einzelnen Stellen musste das abweichende Verhalten der anderen Hauptgruppen speziell geschildert werden. Vorausgeschickt sei eine kurze Übersicht über den allgemeinen Charakter des Lebensprozesses bei den Mikroorganismen; hier- nach werden in besonderen Kapiteln Atmung, Assimilation und Verwendung der Nährstoffe im Zellleib der Mikroorganismen, so- wie die physikalischen Leistungen, zu denen sie dadurch befähigt werden, abgehandelt. Hieran schliesst sich die Betrachtung der Stoffwechselprodukte, unter denen die Bakteriengifte, als Ptomai'ne, Toxine, Tox- albumine, sowie die isolierbaren Fermente der Bedeutung und dem Umfange des Gebietes angemessen, in besonderen Kapiteln ab- gehandelt werden. In den beiden demnächst folgenden Hauptabschnitten soll uns sodann Erörterung jener zwei eigentümlichsten und hygienisch besonders wichtigen Lebensäusserungen der Mikroorganismen, derGähr- thätigkeit und Krankheitserregung beschäftigen. Endlich gelangt diejenige höchste vitale Funktion, welche Abschluss und Ziel aller Lebensprozesse darstellt, die Erzeugung neuer gleichartiger In- dividuen, mit der dazu gehörigen Lehre vom Wachstum und der Fruktifikation der Mikroorganismen zur Besprechung. J42 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. A. Allgemeiner Charakter des Lebensprozesses bei den Mikroorganismen. Wie bei den höheren Lebewesen, so ist auch bei den Mikro- organismen der Lebensprozess charakterisiert durch die Hervorbringung von Leistungen, die sowohl durch ihre Grösse und Vielseitigkeit, als auch durch ihre Produkte, Avelche in der Erzeugung neuer, gleich- gearteter Individuen gipfeln, von den in der leblosen Natur unter gleichen äusseren Umständen erzeugten Wirkungen sich unterscheiden. Die naive unwissenschaftliche Betrachtung derLebensvorgänge musste daher, da sich ihr keine zureichende äussere Erklärung für diese so auffallenden und mächtigen Leistungen darbot, zu der Annahme sich gedrängt fühlen, dass diese Vorgänge überhaupt nicht auf die sonst in der Natur herrschenden Gesetze zurückzuführen seien, und dass es zu ihrer Er- klärung einer besonderen mit aussergewöhnlichen Wirkungen begabten „Lebenskraft" bedürfe. Wenn nun auch freilich die wissenschaftliche Beobachtung feststellte, dass die Lebensvorgänge nur unter ganz be- stimmten äusseren Bedingungen zustande kommen, so konnte es ihr doch nicht entgehen, dass der Effekt dieser äusseren Faktoren unter Mitwirkung der lebenden Zelle entweder ein ganz anderer, wie in der leblosen Natur war, oder doch quantitativ sehr weit von den Vor- gängen in der letzteren sich unterschied, indem dieselben Leistungen künstlich nur mit Aufwand ungleich mächtigerer Mittel bewerkstelligt werden konnten. Wir sehen z. B. gerade bei den Mikroorganismen chemische Umsetzungen, wie Gährungen, Fermentwirkungen oder Syn- thesen sich vollziehen, die im chemischen Apparat entweder noch gar nicht oder nur unter Zuhilfenahme anderweitiger äusserer Mittel, wie z.B. des Sonnenlichtes, hoher Hitzegrade, starker Säuren etc. nachgeahmt werden können. Es muss also im Protoplasma selbst eine Energiequelle vorhanden sein, die für diese äusseren Hilfsmittel einzutreten, ja ihre Wirksamkeit zu übertreffen vermag; diese Energie- quelle ist in der Selbstzersetzung hochkomplizierter, sehr labiler Moleküle unter Sättigung von Affinitäten und Frei- werdenkinetischerEnergie zu sehen. Auf diese Auffassung wird man schon durch den scheinbar spontanen Charakter der Lebens- vorgänge hingedrängt, die mit den scheinbar ebenso ohne äusseren An- stoss erfolgenden und zuweilen, wie bei Explosivstoffen, mit gewaltiger Kraftentwicklung verbundenen Zersetzungen lebloser chemischer Stoffe gewisse Ähnlichkeit bieten. Ausserdem aber stimmen mit dieser An- nahme zwei Grundthatsachen, welche, soweit bekannt, für das gesamte Reich aller Lebewesen gelten und auch speziell für die Mikroorganismen nachgewiesen sind, überein: erstens die durchgängige Abhängigkeit der Energie des Lebensprozesses von der Temperatur, und GoTSCHLicH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. j^43 zwar in dem Sinne, dass unterhalb einer gewissen Temperaturgrenze das Leben nicht erlischt, sondern nur sistiert wird, dass dann mit steigender Temperatur die Energie der Lebensäusserungen sich stetig vermehrt und endlich nach Überschreitung des Optimums rasch wieder vermindert, wobei das Leben selbst in Gefahr gebracht wird. Genau ebenso geht auch die Selbstzersetzung einer explosiven Substanz nur oberhalb eines bestimmten Temperaturminimums vor sich und verlangt überhaupt jeder chemische Prozess eine gewisse Wärmezufuhr, weil nur oberhalb eines bestimmten Temperaturgrades die Energie der intramolekularen Schwingungen so gesteigert ist, dass sie, sei es blos durch die Bestandteile des eigenen Moleküls, sei es noch unter Mit- wirkung äusserer Affinitäten, die anziehenden Kräfte zu überwinden und das Molekül zu sprengen vermag, worauf unter festerer Bindung der Atome zu neuen, einfacheren Molekularverbänden kinetische Energie frei wird. Mit zunehmender Temperatur wird sich dieser Prozess, wie jede chemische Reaktion, bis zu einer gewissen Grenze beschleunigen; nach Überschreitung dieser Grenze kann er deshalb keinen dauernden Bestand haben, weil dann die restitutiven Prozesse nicht gleichen Schritt mit der Zersetzung halten können und vielleicht schon die Vorstufen derjenigen Substanz, welche sonst der Träger des Lebensprozesses ist, bei so gewaltiger Steigerung der zu- geführten Energiemengen zerfallen und es so zur Bildung der lebenden Substanz gar nicht mehr kommen lassen. — Ausser dieser Abhängig- keit von der Temperatur spricht für die Existenz eines Zersetzungs- prozesses als primärer Ursache des Lebens noch zweitens die Thatsache, dass bei Aufhören der Nahrungszufuhr das Leben nicht so- gleich erlischt, wie es der Fall sein müsste, wenn dasselbe in der lebenden Zelle blos durch die Wirksamkeit äusserer Faktoren, ähnlich wie im Reagensglas, oder höchstens noch unter geringer Mit- wirkung osmotischer Triebkräfte zustande käme; es geht vielmehr auf Ko sten der lebenden Zelle we iter, welche schliesslich dadurch zerstört wird und so den Charakter des Zersetzungsprozesses deutlich zeigt. Diese grundlegende Thatsache, die z. B. für höhere Lebewesen von Pflüger (Pf. 10) durch den Nachweis der Ausscheidung von CO2 bei Fröschen in reinem Stickstoff festgestellt wurde, besteht auch für Mikroorganismen, wie später im Abschnitt über Vermehrung und Fortpflanzung derselben noch eingehend gezeigt werden soll. Die Art dieser primären, im Protoplasma erfolgenden Zerlegungen und die chemische Natur der Körper, welche ihnen unterliegen, ist noch nicht genau bekannt; vermutlich handelt es sich um den Proteinstoffen nahestehende, aber wohl noch kompliziertere Verbindungen, jedenfalls von ausserordentlich labiler Konstitution. Als Spaltlingsprodukt wird 144 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ausnahmslos CO.2 beobachtet. Dieser ganze Prozess, welcher die primäre Ursache des Lebens darstellt, wird gewöhnlich als intra- molekulare Atmung bezeichnet. Für dieselbe ist kein Sauer- stoff zutritt erforderlich, es ist vielmehr sowohl für Pflanzen- als für Tierzellen charakteristisch, dass ihr Leben auch ohne Sauerstoffzufuhr eine Zeit lang weiter gehen kann, bis die Zellsubstanz selbst zerstört ist. Die intramolekulare Atmung hat offenbar einen destruktiven Charakter; zum dauernden Bestände des Lebensprozesses ist dem- gemäss das Hinzutreten restitutiver Prozesse erforderlich, welche die lebendige Substanz beständig regenerieren. Hierzu bedarf es der Zuführung geeigneter chemischer Stoffe, der Nährstoffe, von aussen, die dann unter dem unmittelbaren Einflüsse der durch den destrukti- ven Lebensprozess freigewordenen Energie zu ganz anderen und weit bedeutenderen Leistungen befähigt sind als ausserhalb der lebenden Zelle; mag man sich nun diese aussergewöhnlichen Leistungen mit Hoppe-Setler als durch Aktivierung des Sauerstoffs oder mit Pelüger durch enorm hohe Temperaturen, welche in der unmittelbaren Nähe der zerspaltenen lebenden Moleküle zustande kommen, bewirkt denken. Die Aufnahme der Nährstoffe in die lebende Zelle hat nun zweier- lei Aufgaben zu erfüllen: erstens soll neues, zur Zersetzung im Protoplasma geeignetes Material geschaffen werden; dieser Teil des restitutiven Stoffwechsels, welcher neue Energiequellen schafft, kann als „dynamogene Ernährung" bezeichnet werden; ausserdem aber sollen die abgenützten Maschinenteile der lebenden Zelle wieder her- gestellt werden, es soll die Zelle sich vergrössern, wachsen, und endlich sollen neue gleichartige Organismen aufgebaut werden; diese Thätig- keit kann als „plastische Ernährung" bezeichnet werden. In beiden Fällen müssen aber, da weder die dynamogenen noch die plastischen Stoffe in der Natur vollständig präformiert sich finden, die Nährstoffe eine Reihe von Umwandlungen durchmachen, ehe sie in die geeignete Form gebracht werden; diese Thätigkeit der lebenden Zelle begreift man als „Assimilationsprozesse". In diesen allgemeinsten Zügen verhält sich der Lebensprozess bei höheren Tieren und Pflanzen und bei den Mikroorganismen vollständig gleich, wobei es auch im Prinzip nichts ändert, dass bei der Pflanze der Chlorophyllapparat unter Ein- wirkung des Sonnenlichtes eine weit mächtigere synthetische Thätigkeit entfaltet, als dies im Tierkörper der Fall ist, wo die Nährstoffe in bereits relativ complexen Molekülen aufgenommen werden; bieten doch gerade die Mikroorganismen in ihrem so ausserordentlich verschiedenen NährstoffTaedarf, wie wir im vorigen kennen gelernt haben, eine fast kontinuierliche Kette von Übergängen zwischen Tier und Pflanze, an- gefangen von obligaten Parasiten, die nur im lebenden menschlichen J GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. I45 Körper zusagende Nährstoffe finden, bis zu den Nitrobakterien Hueppe's und Winogradsky's, welche COo, sogar ohne Mitwirkung von Licht, zur Synthese höherer organischer Verbindungen verwenden. Auf dem Gebiete der dynamogenen Ernährung dagegen ergeben sich zwischen den höheren Lebewesen einerseits, den Mikroorganismen andererseits durchgreifende Verschiedenheiten. Während nämlich der Sauerstoff für alle Tiere und Pflanzen ein zum dauernden Be- stände des Lebens absolut unentbehrlicher Nährstoff ist, da erst durch sein Eingreifen die Produkte der intramolekularen Atmung durch lim fangreiche Oxydationen gewaltige Energiemengen liefern, vermag ein grosser Teil der Mikroorganismen dieses wichtige Lebens- element dauernd zu entbehren; ja für die obligaten Anaeroben wirkt der freie Sauerstoff geradezu als Gift, und ihr Leben kann sich nur bei Abschluss desselben vollziehen. Das Verhalten der Mikroorganis- men bei Sauerstoffabschluss ist nun aber im einzelnen ein sehr verschie- denes. Häufig beobachtet man eine deutliche Abschwächung gewisser Lebensäusserungen; dann vermag eben die intramolekulare Atmung bei Sauerstoffabschluss nur geringere Mengen von Energie zu entwickeln, aber doch immerhin ausreichend, um das Leben dauernd zu erhalten. In vielen Fällen tritt dagegen für diese fehlende mächtige Energie- quelle ein eigenartiger, nicht minder ergiebiger Ersatz in Form der Gährthätigkeit ein, indem in den Chemismus der Zelle Stoffe ein- bezogen werden, welche durch ihren gewaltigen Gehalt an potentieller Energie, der bei ihrer Spaltung in kinetische Energie umgesetzt wird, der Zelle diejenigen Kraftmengen zuführen, die sie sonst durch Oxy- dationen erhielt; unter diesen Umständen können sogar streng aerobe Mikroorganismen, wie Hefe, temporär ihr Dasein bei Luft abschluss fristen. Freilich tritt ein solcher Ersatz durch Gährthätigkeit nicht in allen Fällen ein, wie LiBORius (Z. 1. 115) gezeigt hat; häufig findet üppige Entwicklung unter anaeroben Versuchsbedingungen ohne gleich- zeitige Gährung statt; in solchen Fällen muss man annehmen, dass die intramolekulare Atmung genügende Mengen von Energie für alle Lebensäusserungen schafft, was gar nichts Unverständliches an sich hat, da die Menge der entwickelten lebendigen Kraft je nach der chemi- schen Natur der zur Spaltung kommenden Stoffe sehr verschieden sein kann; auch scheint dann häufig ein anderweitiger Ersatz, z. B. durch die Anwesenheit reduktionsfähigen Materials, geboten zu werden. Hiernach ist die Möglichkeit eines dauernden Lebens ohne Sauerstoff wohl einzusehen, und die Frage wäre als gelöst anzusehen, wenn es nur eine fakultative Anaerobiose gäbe. Wie erklärt sich aber die Thatsache, dass zahlreiche Mikroorganismen überhaupt nicht bei Sauerstoffzutritt leben können, dass dieses Element für sie geradezu Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 10 146 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. giftig, abtötend wirkt? Auf diese merkwürdige Erscheinung vermag vielleicht die Thatsache, dass auch aerobe Mikroorganismen auf eine bestimmte Sau'erstoffspannung angewiesen sind imd durch höheren Gehalt an diesem Gas geschädigt werden, einiges Licht zu werfen. Die Anaeroben sind dann als Mikroorganismen anzu- sehen, die auf die Sauerstoffspannung Null abgestimmt sind; ihnen stehen sehr nahe die roten Schwefelbakterien, für die nach Wino- GRADSKY ein ganz minimaler Sauerstoffgehalt des Mediums das Optimum ihrer Existenzbedingungen repräsentiert. Inwiefern aber der Sauerstoff in einer bestimmten oder auch in jeder, selbst der kleinsten Spannung schädigend auf die Zelle einwirken kann, ist zwar im einzelnen Falle nicht speziell anzugeben, wohl aber im allgemeinen verständlich, wenn man die eingreifende Rolle desselben in der intramolekularen Atmung be- trachtet; sei es, dass analog den Wirkungen übermässig hoher Temperatur- grade eine unverhältnismässige, den Bestand des Lebens gefährdende Zer- setzung bewirkt wird, der gegenüber die restitutiven Vorgänge nicht mehr aufkommen können, sei es, dass giftige Stoifwechselprodukte entstehen, welche zur Entwicklungshemmung führen etc. Übrigens steht die schädigende Wirkung selbst geringer Sauerstoffmengen auf obligate Anaeroben vollständig in Analogie mit dem entwicklungshemmenden Einfluss des Lichtes auf viele Bakterien, das auch in keiner Intensität als Reiz, sondern stets, freilich in quantitativ sehr verschiedenem Masse als ungünstiges Moment wirkt. Jedenfalls liefert die Thatsache des Lebens ohne freien Sauerstoff eine glänzendeBestätigung der im Vorigen dargelegten Anschauung, welche als primäre Ursache des Lebens einen Spaltungsprozess ansieht und dem Sauerstoff nur eine se- kundäre Rolle beimisst, im Gegensatz zu der früheren, einzig an höheren Lebewesen gewonnenen Annahme, die das Leben als Oxj- dationsprozess auffasste; hier ist zugleich ein Beispiel dafür gegeben, wie die allgemeine Erkenntnis der Lebensvorgänge aus der Betrachtung der Biologie der Mikroorganismen noch bedeutende Aufschlüsse zu erwarten hat. Endlich ist noch, im Gegensatz zu dem Verhalten der höheren Lebewesen, die ausserordentliche Mannigfaltigkeit der chemi- schen Substanzen und Prozesse hervorzuheben, welche die Mikroorganismen als Kraftquellen auszunutzen vermögen. Ab- gesehen von den Arten, denen Gährungs- oder Reduktionsprozesse die erforderlichen Energiemengen liefern, bestehen auch innerhalb der grossen Gruppe, die in Gemeinschaft mit Tieren und Pflanzen Oxydations- prozesse ausnützt, die grössten Verschiedenheiten, indem viele Arten durch Verbrennung hochkomplizierter Eiweissstoffe leben, während GoTSCHLiCH, Leben säusserungen der Mikroorganismen. 147 andere, wie die Essigbakterien, durch Oxydation des Aethylalkohols, oder wie die Nitrobakterien durch Oxydation des Ammoniaks, oder wie die Schwefelbakterien durch Oxydation des H^S ihren Energiebedarf decken und sogar geradezu auf diese differenten Stoffe angewiesen sind. Die unverhältnismässig geringe Menge organisierter Substanz, die in diesen Fällen Umsetzungen kolossaler Massen veranlasst, hat diese eigen- artigen Oxydationsvorgänge ebenfalls den Gährungen anreihen lassen. B. Die direkte Gasatmung der Mikroorganismen. Im Gegensatz zu der intramolekularen Atmung, bei welcher nur die Entfaltung imd der Ersatz bestimmter Energiemengen konstant sind, während die stofflichen Träger derselben und der dabei statt- findende chemische Prozess sehr verschieden sein können (eine An- schauung, die neuerdings besonders Hueppe [Naturwissenschaft]. Ein- führung in d. Bakteriologie. Wiesbaden 1896] mit grossem Gewicht vertritt), lässt sich bei den zu aerobem Leben befähigten Mikroorganimen eine direkte Gasatmung unterscheiden, die ganz wie bei höheren Lebewesen in der Abgabe von CO 2 und der dafür eintretenden Auf- nahme von O2 besteht. Quantitative Untersuchungen über diesen Gas- wechsel der Mikroorganismen sind von Lübbert (Biolog. Spaltpilz- imtersuchung. Der Staphylokokk. pyogen, aur. 1886. 38 ff.) und in um- fangreicher Weise von Hesse (Z. 15. S. 17 u. 183) angestellt worden. Es ergab sich hierbei, dass die Abgabe von Kohlensäure und Auf- nahme von Sauerstoff um so reichlicher erfolgt, je energischer das Wachstum der Kultur vor sich geht; daher ist der Gasaustausch bei Brüttemperatur bedeutender als bei Zimmertemperatur, bei optimaler Alkalescenz grösser als bei imgünstigerer Reaktion und vor allem, wenigstens bei schnell wachsenden Bakterien, in den ersten Tagen weit intensiver als im späteren Alter der Kultur. Unter gleichen Versuchs- bedingungen und bei einem und demselben Bakterium gestaltet sich der Gasaustausch ganz gleich; verschiedene Bakterien unterscheiden sich unter gleichen äusseren Verhältnissen zuweilen in ihrer Atmung in ganz charakteristischer Weise; so zeigt z. B. der PFEiFFEß'sche Kapselbacillus einen plötzlichen Anstieg des Gasaustausches, dann 1 — 2 Tage hindurch Verweilen auf der Höhe, hierauf zuerst rasche, dann immer langsamere Abnahme desselben; der Tnberkelbacillus hingegen zeigt lang andauern- den, sehr schwachen und ziemlich gleichmässigeu Gaswechsel. Sehr bemerkenswert ist dieThatsache, dass, besonders zur Zeit des lebhaftesten Wachstums der Kultur, weit mehr Sauerstoff aufgenommen wird, als sich in der ausgeschiedenen Kohlensäure wiederfindet; der zurückge- haltene Sauerstoff wird zum Aufbau der Bakterienleiber oder zur Dar- io* 148 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen. Stellung uichtflüchtiger StoflFvvechselprodukte verwendet. Die Grösse der Sauerstoffretentiou ist bei verschiedenen Arten und unter verschie- denen Versuchsbedingungen verschieden. Auch anaerobe Arten zeigen Kohlensäureproduktion, müssen also den hierzu erforderlichen Sauer- stoff aus dem Nährmedium abspalten. Leider ist in diesen Versuchen die Wachstumsenergie der Kultur nur nach dem Augenschein beurteilt; dies mag wohl bei einer und derselben Art einen gewissen Vergleich verschiedener Züchtungsbedingungen zulassen, giebt aber keinen brauch- baren Massstab für den Vergleich verschiedener Kulturen und auch schon nicht mehr derselben Kultur in verschiedenen Stadien ihrer Ent- wicklung, da die verschiedene Ausbildung der Intercellularsubstanz au der makroskopisch entwickelten Kulturmasse einen sehr verschiedeneu und ganz unkontrollierbaren Auteil hat. Ein genauer Massstab liesse sich nur durch zahlenmässige Feststellung der Vermehrungsenergie erhalten; auf diese Weise könnte man in absolutem Masse den Stoff- wechsel des einzelnen Bakterienindividuums, dessen Verhalten in ver- schiedenem Alter der Kultur und unter verschiedenen Versuchsbeding- ungen bestimmen und die chemischen Leistungen verschiedenerBakterien- arten vergleichen. C. Die Assimilation und Verwendung der Nährstoffe im Zellleib der Mikroorganismen. Da das Eindringen der Nährstoffe bei den Pilzen gerade so wie bei jeder pflanzlichen Zelle mittelst Diosmose durch die Zellwand er- folgen muss, sind selbstverständlich nur diejenigen Stoffe zur Aufnahme geeignet, welche in wässriger Lösung vorhanden imd diffusibel sind; wo scheinbar eine Ernährung der Pilze durch feste Substrate erfolgt, ist eine Lösung derselben durch Sekrete der Pilze voraufgegangen. An diesen vorbereitenden Prozessen sind namentlich die schon erwähnten, von den Mikroorganismen ausgeschiedenen Fermente beteiligt, die z. B. festes Ei weiss peptonisieren oderDisaccharate hydratisieren oder Cellulose lösen und so den Pilzen zugänglich machen. Die chamische Beschaffenheit der aufzunehmenden Stoffe kann, vt^ie früher erwähnt, sehr verschieden sein. Schon deshalb ist die An- nahme eines Assimilationsprozesses unerlässlich, weif so ditferente Stoffe für die Funktionen der Zelle nicht gleichwertig sein können. Die assimilierende Fähigkeit ist bei verschiedenen Mikroorganismen von ausserordentlicher Verschiedenheit; die Grösse dieserFähigkeit, sowie die chemische Konstitution des gegebenen Stoffes stellen die Bedingungen dar, unter denen derselbe als Nährstoff verwendet werden kann. Bei der grossen Verschiedenheit, welche hiernach der Assimilationsprozess I GoTSCHUC'H, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 149 bei verschiedenen Arten zeigen mnss, und mit Rücksicht auf die von Ckamek (A. 13; 16; 22) festgestellte Thatsache, dass die Bakterien sich der Zusammensetzung ihres Nährsubstrats in weitgehender Weise anzupassen vermögen, erscheint es vorläufig als unmöglich, den Gang dieses Prozesses allgemein schematisch anzugeben. Auch über die Frage, welcher Art das erste Assimilationsprodukt auf dem AVege zum Eiweiss zu sein pflegt, sind einstweilen nur Vermutungen möglich. Die bei höheren chlorophyllführenden Pflanzen deutlich als eines der ersten Assimilatiousprodukte erkannte Stärke spielt bei den Mikro- orcfanismen diese Rolle sicherlich nicht, da sie nur bei wenigen Arten (Granulobakter, Leptothrix) gefunden ist. Nägeli glaubte aus der ver- schiedenen Nährthätigkeit der C-Verbindungen schliessen zu müssen, dass das erste Assimilationsprodukt aus drei verketteten C-Atomen be- stehe, an denen H- und 0- Atome hängen und welches mit einem gleich- artigen Atomkomplex zu einem grösseren Molekül von 6 C-Atomen sich verbindet; je ähnlicher die Nährstoffe diesem hypothetischen Körper sind, desto geringere Schwierigkeit soll ihre Assimilation machen und desto grösser ihre Nährtüchtigkeit sein. Die Thatsache, dass sich eine allgemein giltige Skala der Nährtüchtigkeit für die Mikroorganismen nicht aufstellen lässt, steht freilich der allgemeinen Bedeutung dieser Hypothese im Wege. Loew (C. 9. 659) stellt für das primäre Assi- milationsprodukt, von dem sowohl die Bildung von Kohlehydraten als auch, unter gleichzeitiger Mitwirkung N- und S-haltiger Verbindungen, die Bildung der Eiweisskörj^er ausgehen könne, den Formaldehyd auf. Was speziell die Assimilation der CO2 durch die Nitro- monas anbelangt, so widerspricht Winogeadsky (P. 1S90. — C. R. 110. 1013) entschieden der früher von Hueppe (Schilling's Journ f. Gasbel. und Wasservers. 1SS7) geäusserten Anschauung, dass hierbei zunächst eine „ Chlorophyll wirkung ohne Chlorophyll", d. h. die Bildung von einem celluloseähnlichen Kohlehydrat stattfinde; er glaubt vielmehr, dass zuerst eine Amidbildung aus CO2 und NH3 vor sich geht und dass das erste Produkt der Synthese vielleicht Harnstoff sei, welcher dann weiterhin, in Analogie mit anderen Mikroorganismen, zum Aufbau des Eiweissmoleküls dienen könne, wogegen freilich Loew (a. a. 0.) gewichtige Bedenken geltend macht. In ganz eigenartiger Weise muss sich auch offenbar bei den stick- stofffixierenden Bakterien die Assimilation des elementaren at- mosphärischen N2 und seine Verwendung zum Aufbau des Protoplasmas vollziehen, zumal wenn man die geringe Reaktionsfähigkeit und die träge Affinität des freien Stickstoffs gegenüber anderen Körpern in Rücksicht zieht. Nach Winögradsky's (C. R. HS. 335) Versuchen mit einem solchen N-fixiereuden Bakterium, welches gleichzeitig Gähruns j^50 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. zu erregen vermochte, ist die Assimilation des N^ vielleicht in der Weise zu denken, dass sich derselbe zuerst mit nascierendem, im Zell- leib entstandenen H verbindet; von da aus böte das Verständnis des weiteren Assimilationsprozesses keine besondere Schwierigkeit mehr. Neben diesen beiden ganz einzig dastehenden Gruppen der Nitro- bakterien und der stickstofffixierenden Mikroorganismen lassen sich unter den Bakterien bezüglich der Ernährung nach Loew (a. a. 0.) und Beije- EiNCK(r: C. 8) folgende physiologische Typen unterscheiden: 1. solche, die Proteine oder ihnen sehr nahestehende Körper und daneben noch eine be- sondere Kohlenstoöquelle, Z.B.Traubenzucker verlangen; 2. solche, die nur Proteine und ähnlicher Verbindungen, aber keiner besonderen Kohlen- stoffquelle bedürfen; 3. solche, die aus einfacheren Verbindungen, Amiden etc. ihren Bedarf decken können. Die zweite Gruppe, zu der einige Leuchtbakterien, sowie Beijerinck's Bac. cyaneofuscus gehören, ist nach diesem Autor deshalb besonders interessant, weil ihr Verhalten nicht in das hergebrachte Schema der Atmung passt, wonach der Er- satz für die aus dem lebenden Eiweiss abgespaltene CO2 stets durch Kohlehydrat bewirkt werden soll; hier tritt das Pepton dafür ein. — Das Wesen der Assimilation besteht, wie schon der Name besagt, darin, dass heterogene, von aussen eingeführte Stoffe unter dem Ein- fluss des lebenden Plasmas so umgeformt werden, dass sie ebenfalls zum lebenden Plasma werden, ein Prozess, den man sich nur als eine komplizierte Synthese vorstellen kann. Der direktive Einfluss des lebenden Plasmas auf diese bei der Assimilation stattfindende Syn- these ist nach den neueren Untersuchungen von E. Fischer über Synthesen in der Zuckergruppe nicht mehr ohne Analogie. Auch hier hat sich allgemein gezeigt (B. Ch. 27. 3230), dass bei ein- mal gegebener Asymmetrie eines Zuckermoleküls auch der weitere Aufbau asymmetrisch und zwar in demselben Sinne verläuft, dass also auch hier eine Elektion unter den möglichen Pro- dukten der Synthese stattfindet. Denkt man sich z. B., dass die durch 3 malige Blausäureanlagerung an die aktive d-Mannose entstehende, el)enfalls aktive d-Mannononose so gespalten wird, dass sich die ur- sprüngliche aktive d-Hexose zurückbildet, so müsste auch die neu entstehende Triose optisch aktiv und zwar eine d -Verbindung sein. „Das eine aktive Molekül hätte dann ein zweites ge- boren". In ähnlicher Weise lässt sich vielleicht die Entstehung neuen lebenden Plasmas durch Anlagerung der eintretenden Gruppen an alte lebende Moleküle erklären, worauf eine Abspaltung eines neuen, gleich- artigen, lebenden Moleküls stattfindet, das dann ev. durch Polymeri- sation sich vergrössern, wachsen kann. Das alte Molekül wird dabei nach Analogie des Verhaltens beim Zucker zurückffebildet und kann GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 151 sich neue, zu assimilierende Atomgruppen anlagern; auf diese Weise würde sich erklären, wie eine minimale Menge lebender Substanz, einem Fermente ähnlich, ungleich grossere Massen von Nährstoffen zu ver- arbeiten und zu assimilieren vermag. — Über die quantitative Ausnutzung der Nährstoffe sind systematische Untersuchungen bisher noch nicht angestellt. Gelegent- liche Beobachtungen sind von Kappes (a. a. 0. Diss.) und Cramer (A. 16. 170 und 190; 22. 188) mitgeteilt. Kappes fand von einem 1,5 proz. Agar, der insgesammt 4 % Trockensubstanz enthielt, denTrocken- gehalt der Ernte bei Bac. prodigiosus zu 0,26%, bei Bac. xerosis zu 0,36%, beim Soorpilz zu 0,33% des frischen Nährbodens; es waren also im Mittel etwa 12 % der Trockensubstanz des Substrats zu plastischen Zwecken ausgenutzt; durch Erhöhung der Koncentration des Nähr- mediums Hess sich dieser Ertrag nicht steigern. Ckamee fand beimPneu- moniebacillus, beim Rhinosklerombacillus, beim PEEiFFEß'schen Kapsel- bacillusund einem Wasserbakterium bei Wachstum auf Agar verschiedener Zusammensetzung eine relativ geringe Ausnützung der Trockensubstanz, welche zwischen 4,4 und 7,5 % schwankte. Sehrbemerkenswertistfernerdie schon oben erwähnte Thatsache, dass der Eiweissgehalt des Bakterien- leibes, welcher vom Eiweissgehalt des Nährmediums abhängt, mit steigendem Gehalt des letzteren unverhältnismässig viel langsamer zu- nimmt; hiernach scheint die Ausnutzung des Nährbodens mit steigen- der Stickstüffzufuhr ungünstiger zu werden oder auch die Zerlegung mit der Aufnahme gleichen Schritt zu halten. Eine sehr vollständige Ausnützung des dargebotenen Stickstoffs fand dagegen Ceamer für Cholerabacillen in alkalischer Bouillon; 90 — 95% desselben fanden sich in der Leibessubstanz der Vibrionen wieder. Sehr ungenügend war wiederum die Ausnützung des Stickstoffs in der eiweissfreien Uschinsky- schen Nährlösung, wo sie häufig nur 2 — 3% betrug; dabei traten zwischen verschiedenen Cholerarassen bemerkenswerte Differenzen auf, indem ältere, lange Zeit im Laboratorium fortgezüchtete Kulturen auf diesem Nährboden besser fortkamen, als frisch aus dem menschlichen Körper isolierte. Vollständige Aufzehrung des Asparagins als alleiniger Stickstoffquelle wiesen Arnaud u. Charrin (C. R. 112. 755) für den Bac. pyocyaneus nach. Cramer (A. 22. 176 ff.) fand für Cholera- bacillen, dass der direkte Kontakt mit der atmosphärischen Luft sie zu einer weit grösseren Ausnützung des N ährmaterials befähigt, als wenn die Luft durch eine Flüssigkeitsschicht zu ihnen diffundieren muss. In ganz analoger Weise vermögen übrigens auch Tuberkelbacillen nur in unmittelbarer Berührung mit der atmosphärischen Luft sich fortzuentwickeln; untergesunkene Kulturbröckchen zeigen selbst in mit Luft geschüttelter Nährlösung kein Wachstum mehr. 152 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Das Verhältnis der dynamogeueu zur plastischen Er- nährung wird häufig zu Ungunsten der ersteren falsch beurteilt, in- dem meist nur das Resultat der plastischen Prozesse, die Anlagerung neuer Körpersubstanz, Wachstum und Vermehrung, ins Auge fällt, während die für die Energieentwicklung aufgewendeten Umsetzungen der makrosko- pischen Betrachtung entgehen und nur durch chemische Analyse nach- weisbar sind. In der That ist aber sehr häufig der dynamogene Teil des Stoffwechsels viel bedeutender als der plastische. So fanden AßNAUD und Chaerin (a. a. 0.) beim Wachstum des Bac. pyocyaneus in einer 5 %o Asparaginlösung nach 15 Tagen folgende Verteilung des im Substrat vorhanden gewesenen Kohlenstoffs: 72,5 % waren in CO2 abgeschieden, also zu Zwecken der Atmung bestimmt und nur 13,8 % zum Aufbau der Bakterienleiber verwendet; 13,5 % waren ausserdem zur Darstellung von nicht flüchtigen Stoffwechselprodukten verbraucht worden. Ahnliche Resultate ergab die Berechnung für die Ausnutzung des Stickstoffs aus dem Asparagin: 91,1 % des N waren in Form von Ammoniakverbindungen ausgeschieden, und zwar hiervon 50,0 ^'o durch direkte Hydratation des Asparagins, 41,1 "^'o auf einem Umwege durch Bildung aus einem intermediären Produkt, der Aspara- ginsäure; 4,04 ^0 waren in andere Stoflfwechselprodukte eingegangen und nur 4,66 % waren zum Aufbau der Bakterienleiber verbraucht worden. Bei Wachstum auf Gelatine änderte sich das Verhältnis etwas zu Gunsten der plastischen Ernährung, indem nur 70 % des Stickstoffs in Form von Ammoniakverbindungen ausgeschieden wurden (C. R. 112. 1157). Auch die oben erwähnten Angaben Hesse's über die Sauerstofi- retention beim Gaswechsel der Bakterien lassen vielleicht gewisse Schlüsse über das Verhältnis zwischen Stofifverbrauch und Stoftanlage- rung zu, wenn auch wohl nicht die ganze Menge des zurückgehaltenen Sauerstoffs zu plastischen Zwecken, sondern teilweise zur Herstellung nicht flüchtiger Stoffwechselprodukte verwendet worden sein mag. Nach diesen Zahlen ist im Beginn der Kultur, wo ein üppiges Wachstum und massenhafte Neubildung von Individuen stattfindet, der plastische Stoffwechsel bedeutender als der dynamogene; so ist z. B. aus den Tabellen zu entnehmen, dass beim PfEiFFERschen Kapselbacillus (a. a. 0. 35. Nr. 7 a) binnen 2 Tagen 20,9 % O2 aufgenommen, aber nur 10,0 % CO2 abgegeben worden sind; in der COo sind also nur 7.3 % O2 ausgeschieden, während zum Aufbau der Bakterienleiber 13,6 % O2 verbraucht werden; die Gesamtmenge des aufgenommenen Sauerstoffs verteilt sich also zu etwa 35 % für dynamogene und zu 65 "^o ^^^ plastische Zwecke. Über die Beschaffenheit dieses Verhältnisses, sowie über die absolute Grösse des Stoffwechsels bei verschiedenen Arten und unter verschiedenen Versuchsbedingungen müssen spätere Unter- GoTSCHLiCH, Lebensäussemngen der Mikroorganismen. 153 suchungen entscheiden; auf diesem Wege wird es möglich sein, für die Mikroorganismen eine quantitative H au shaltsbilanz aufzustellen und vielleicht auch hier die Giltigkeit des Gesetzes von der Erhaltung der Energie durch Vergleichung der Verbrennungswärmen der auf- genommenen und ausgeschiedenen Stoffe, sowie durch Messung der abgegebenen Energiemengen empirisch zu beweisen. Die Frage, ob es spezielle dynamogene Nährstoffe für ein- zelne Funktionen der Mikroorganismen giebt, ähnlich wie man sich etwa ziickerartige Körper als spezielles Kraftmaterial für den quer- gestreiften Muskel vorstellt, scheint für manche Lebensäusserungen der Bakterien bejaht werden zu müssen. Besonders auffallend ist in dieser Beziehimg die Thatsache, dass alle Leuchtbakterien zur Produktion ihres Lichtes eines ziemlich hohen Gehaltes an NaCl im Nährboden absolut notwendig bedürfen. In ähnlicher Weise beobachtete Gessard (P. 92. 801), dass zur Erzeugung der fluo- rescierenden Substanz durch den Bac. pyocyaneus unbedingt ein Ge- halt von mehr als 0,25 °/oo ^^ Phosphaten erforderlich sei, und dass andererseits zur Bildung des anderen Farbstoffes, des Pyocyanins, ein gewisser minimaler Gehalt au N-haltigen Stoffen vorhanden sein müsse; die gleichzeitige Bildung beider Farbstoffe ist nur bei einem gewissen, innerhalb bestimmter Grenzen schwankenden Verhältnis beider Arten von Körpern möglich. Neuerdings fand jedoch Lepierre (P. 95." 643) diese Angaben für einen anderen fluorescierenden Bacillus nicht bestätigt; bei diesem war das Vermögen der Fluorescenz an die ganze Zusammensetzung des Nährsubstrats, besonders was C- und N- Zufuhr betraf, gebunden; Phosphate wurden nur^insoweit erfordert, als sie überhaupt zum Leben nöthig sind. Vor allem ist aber der Sauerstoff ein ganz unentbehrlicher dynamogener Nährstoff für viele Funktionen der Spaltpilze, so für Lichtentwicklung, Bildung peptonisierender Fermente etc., während seine Beziehung zur Farb- stofflnldung wohl aus einem anderen Gesichtspunkte erklärt werden muss, wie noch weiter unten zu besprechen sein wird. Interessant ist, dass manche Nährstoffe für verschiedene Entwicklungsstadien von Schimmelpilzen eine verschiedene Be- deutung haben; so sind nach Duclaux (P. 89. 111) Essigsäure, Milch- säure und Glycerin für Penicillium glaucum und Aspergillus niger in den Keimungsstadien eine viel schlechtere Nahrung als für das ent- wickelte Mycel. Auch dies spricht vielleicht dafür, dass bestimmten Nährstoffen vorzugsweise die Deckung bestimmter Funktionen vor- behalten ist; die Bedeutung dieser Nährstoffe könnte dann zeitlich eine verschiedene sein, je nachdem dieses oder jenes Bedürfnis dringender hervortritt. In anderen Fällen erklärt sich ein solcher zeitlicher Wechsel 154 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. in dem Nährwert einer Substanz auch auf andere Weise, so z. B. scheidet erst das entwickelte Mycel der beiden genannten Schimmel- pilze ein milchzuckerspaltendes Ferment ab, so dass Milchzucker erst für den voll ausgewachsenen, nicht aber für den keimenden Pilz brauch- bar ist; oder es kann ein vorher dringend benötigter Nährstoff in den späteren Entwicklungsstadien ohne Schaden entbehrt werden (wie z. B. der Rohrzucker für die Sporenbildung beim Aspergillus niger), weil inzwischen Reservestoffe abgelagert worden sind, auf deren Kosten bestimmte Funktionen des Pilzes vor sich gehen. — Die Entscheidung, ob eine bei der Analyse als Bestandteil der Leibessubstanz nachgewiesene Substanz als plastischer, zu weiterer Ver- wendung geeigneter Stoff oder als Produkt des dynamogenen Stoff- wechsels, als Exkret aufgefasst werden muss, ist bei den Spaltpilzen im allgemeinen leichter, als bei höheren Pflanzen, bei denen die durch die intramolekulare Atmung gebildeten Spaltungsprodukte teilweise in denselben oder doch in anderen Zellen des Gesamtorganismus wieder zur Verwendung gelangen können. Von den N-haltigen Körpern sind als plastische Stoffe vor allem die ganze Gruppe der protein- ähnlichen Substanzen anzusehen; dieselben sind teilweise in festerem Zustande in der Zellwand und der Gerüstsubstanz des Zellleibes ein- gelagert und konstituieren so die wirkenden Maschinenteile des Orga- nismus; teilweise finden sie sich gelöst im Zellsaft, wo sie als Träger der intramolekularen Atmung und als plastisches Material für Wachs- tum und Zellteilung fangieren. Auffallenderweise konnte allerdings Nägeli konstatieren, dass Hefezellen auch Eiweiss und Peptone ausscheiden, und zwar Peptone in nicht gährenden, neutralen oder sauren Nährmedien, Eiweiss in gährenden oder in alkalisch reagieren- den, nicht gährenden Flüssigkeiten. Auch die in Spross- und Spalt- pilzen gefundenen Amide, wie Leucin, Tyrosin, Guanin, Sarkin etc., sind häufig als plastische, zur Synthese der Proteinstoffe dienende Stoffe aufzufassen, weil es zweifellos ist, dass aus ihnen allein der N-Bedarf gedeckt werden kann; andererseits deutet ihr Auftreten bei ausschliesslicher Eiweissnahrung, sowie bei der Selbstvergährung der Hefe darauf hin, dass sie in diesen Fällen Spaltungsprodukte höher konstituierter Körper, also Exkrete darstellen. In Mischkulturen können demnach diese Körper gleichzeitig für eine Art als Exkrete und für andere Mikroben wieder als plastische Stoffe dienen; es ist bezeichnend für die Sparsamkeit, mit welcher der Haushalt der Pilze bei der Zerlegung der N-haltigen Substanzen verfährt, dass hierbei meistens wieder be- nutzbare Reste entstehen. Hieraus ergiebt sich die Möglichkeit, dass eine Pilzkolonie auf Kosten einer kleinen Menge N-haltiger Substanz ausserordentlich lange zu existieren und sich zu regenerieren vermag. GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 155 indem die Zerlegungsprodukte der Proteinstoffe sich immer von neuem mit N-losen Komplexen zusammenlagern und so neue zerlegbare Proteinsub- stanzen bilden. Durch diese Einrichtung gelangen Avir einigermassen zu einem Verständnis der schon oben erwähnten Versuche von Bolton, in denen einige Bakterienarten in reinem destillierten Wasser lebten und sich stark vermehrten, also offenbar mit den minimalsten Nährstoffimengen auskamen. Ja, diese Versuche führten auch dann immer wieder zu der gleichen starken Vermehrung, wenn in demselben Wasser bereits mehrere Generationen bis zum Maximum ihrer Vermehrung sich ent- wickelt hatten und nach erfolgter Sterilisierung eine neue Aussat gemacht wurde. Hier müssen also die Stoffwechselprodukte und wohl auch die abgetöteten Leiber der früheren Generationen zur Ernäh- rung der neu ausgesäten Individuen gedient haben. In anderen Fällen ist allerdings das Vorhandensein N-haltiger, nicht weiter verwerteter Exkrete nachgewiesen. So haben für Hefe die Untersuchungen von Pasteur (A. eh. ph. [3] 58. 507), SCHÜTZENBERGEE (C. R. 78), Mayer (Unters, üb. d. alkohol. Gährung. Heidelberg 1869) u. A. gezeigt, dass bei Kultivierung derselben in reiner Zuckerlösung die N-Menge des Substrats abnimmt, und zwar nicht nur der prozentische Gehalt, sondern auch die absolute Menge; es müssen also N-haltige exkrementitielle Stoffe in Gasform abgeschieden sein. Ein solcher Stickstoffverlust wird vor allem dadurch oft eintreten, dass eine rasche und massenhafte Bildung flüchtiger N- haltiger Substanzen stattfindet, mit der die N- Assimilation nicht Schritt zu halten vermag. Fehlen ferner diejenigen Nährstoffe, welche den Pilzzellen den C zu liefern vermögen, so müssen alle solche N-hal- tigen Spaltprodukte als unbrauchbare Exkrete fungieren, die nicht gleichzeitig auch verwertbaren C im Molekül enthalten (als Ammo- niumsalz, Harnstoff, Oxamid); in diesem Falle findet ein Stickstoff- verlust eigentlich nur deshalb statt, weil mit dem C nicht in gleicher Weise sparsam verfahren wird, und das fortgesetzte Entweichen von CO 2 eine Erschöpfung an diesem Element herbeizuführen vermag. Endlich ist auch der Gehalt des Nährsubstrats an anderen N-haltigen Substanzen von Einfluss; sind reichlich bestnährende N-haltige Körper zugegen, so wird das Zustandekommen stickstoffhaltiger Exkrete sehr begünstigt; insbesondere kommt ein Stickstoffverlust bei der Re- duktion der Nitrate des Nährbodens vor, wie bereits früher er- wähnt; doch handelt es sich in diesen Fällen oft nicht mehr um N-haltige Ausscheidungsprodukte des Bakterienleibes, son- dern um übrig gebliebene Produkte einer am äusseren Sub- strat vorgenommenen Spaltung, wobei die denitrifizierende Thäticfkeit der Bakterien als Gährthätigkeit aufzufassen ist. 156 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Weiteres über die Bedingungen der Denitrifikation folgt noch bei Besprechung der Fäulnis. Wo also eine Produktion N-haltiger echter Exkrete stattfindet, ist sie mehr als Luxusproduktion oder als ein accidenteller, den inneren Stofi'vvechsel der Mikroben nicht unmittelbar angehender Gähr- vorgang anzusehen. Im Notfall aber bildet ein Teil der N-haltigen Spaltungsprodukte stets wieder von neuem nährtüchtiges Material, so einen seltsam sparsamen Kreislauf vollendend. — Stickstofflose plastische Stoffe scheinen bei den Mikro- organismen eine weit geringere Rolle zu spielen als bei den höheren Pflanzen. Stärke ist nur ausnahmsweise, und von sonstigen Kohle- hydraten ist in Schimmelpilzen nur d-Glukose und Trehalose, bei einigen ferner der den Kohlehydraten nahe verwandte Alkohol Mannit gefunden. Über das Vorkommen von Cellulose und Hemicellulosen, die bei Schimmel- und Sprosspilzen fast ausschliesslich, bei Spaltpilzen nur ausnahmsweise die Zellwand konstituieren, ist bereits früher berichtet. Eine wichtige Rolle scheinen in den Zellen und ganz besonders in den Sporen fette Öle zu spielen. Diese Stoffe werden wohl nur zum kleinsten Teil präformiert aus dem Nährmaterial aufgenommen; meist werden sie entweder aus einfacheren Verbindungen synthetisch dargestellt, wie dies bei ausschliesslicher Ernährung mit einfacheren Verbindungen bei Ausschluss von Eiweissstoffen der Fall sein muss, oder sie entstehen durch Abspaltung aus komplizierteren Molekülen, wie bei ausschliesslicher Eiweissernährung, z. B. bei den oben erwähnten BEiJERiNCKschen „Peptonbakterien". Die Möglichkeit der Entstehung von Fett aus Kohlehydraten wird nach Versuchen von Nägeli u. Loew für Penicillium glaucum, von Gramer für den Bac. Friedländer, den Rhinosklerombacillus und ein Wasserbakterium wahrscheinlich gemacht, indem mit steigendem Zuckergehalt des Nährbodens eine erheblich gesteigerte Fettablagerung in den Mikroben zu konstatieren war. Du- CLAUX (P. 89. 413) glaubt für die Hefezellen eine Fettbildung aus N- haltigem Material mit Sicherheit ansschliessen zu können. Die stick- stofiflosen plastischen Stoffe werden teilweise als solche zur Bildung von Organteilen verwendet, wie Fett und Cellulose, teilweise gehen sie wahrscheinlich durch Anlagerung an N- haltige Komplexe in die Synthese der Proteinstoffe ein. Die stickstofffreien Exkrete können teilweise wahrscheinlich auch wieder als plastische Stoffe Verwendung finden, so z. B. die or- ganischen Säuren, die bei gleichzeitig vorhandenen besseren C-Quellen kaum weiter benutzt werden, während sie in Ermangelung solcher sehr wohl, wie früher erwähnt, zur Deckung des C-Bedarfs heran- gezogen werden können. Einige stickstofflose Exkrete dagegen sind GoTSCHLicH, Lebensäusserungeu der Mikroorganismen. 157 für die meisten Bakterienarten ganz unverwendbar, so die Oxalsäure, die Ameisensäure, obgleich auch diese noch von vereinzelten Arten auf- genommen werden können; vor allem aber ist die COo stets als echtes Exkret anzusehen, da sie von keinem Mikroorganismus, mit Ausnahme der Nitrobakterien, verwendet werden kann und ihre exkre- mentitielle Natur auch dadurch deutlich kundgiebt, dass sie das Wachs- tum vieler Arten zu hindern vermag (C. Fkänkel: Z. 5); sie ist daher auch zur Verdrängung der atmosphärischen Luft für anaerobe Versuchs- bedingungen vielfach unbrauchbar. Ferner sind einige aromatische Pro- dukte, die bei Besprechung der Fäulnis näher behandelt werden sollen, wie Phenol, Indol, Skatol, als Nährstoffe nicht mehr verwendbar und wirken sogar direkt giftig. Auf die Gestaltung der Stoffumwandlungen im Zellleib der Mikro- organismen ist, wie schon öfters betont, der Sauerstoff von ein- greifendster Bedeutung. Seine Teilnahme am Stoff'wechsel charakterisiert sich durch sehr tiefgehende Zerlegungen, bis zu den letzten Endprodukten COo und HoO, demgemäss auch durch bedeutende Energieentwicklung. Bei Sauerstoffabschluss hingegen finden sich unter den Exkreten auch Körper von hochkomplizierter Struktur, die je nach dem zur Verfügung stehenden Material sehr ver- schieden sind. Insbesondere ist dies dann der Fall, wenn bei An- wesenheit gährfähiger Substanzen durch die Vergährung derselben ein Ersatz für die Energieentwicklungj gegeben ist, die sonst durch die Teilnahme des Sauerstoffs am Stoffwechsel geschaffen wird; es findet dann eine ausserordentlich umfangreiche, aber nur wenig tief- gehende Spaltung statt, welche hochkonstituierte Produkte zurücklässt. Die sonstigen weitgehenden Unterschiede im Verhalten der Aeroben und Anaeroben haben bereits ihre Besprechung gefunden. D. Die physikalischen Leistungen der Mikroorganismen. I. Lokomotion. Diese ist einer sehr grossen Zahl von Bakterienarten, insbesondere den Spirillen und Vibrionen, vielen Bacillen und auch einigen Kokken und Sarcinen eigen. Die Intensität und Mannigfaltigkeit der Be- wegung ist bei verschiedenen Arten ausserordentlich verschieden, worüber bei den einzelnen Arten im speziellen Teil näheres nach- zusehen. Neben der Ortsveränderung besteht häufig noch eine Dreh- ung um die Längsaxe oder Wirbelbewegungen auf der Stelle. Bei den meisten Arten, denen überhaupt Eigenbewegung zukommt, besitzt jedes Individuum diese Fähigkeit; einige dagegen bilden nur zu Zeiten bewegliche Keime, den Schwärmern der Algen vergleichbar, so die 158 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Cladothricheen. Aerobe Formen verlieren die Eigenbewegung bei der Sporulation, während anaerobe sie auch in diesem Zustand beibehalten. Die Sporen selbst sind ausnahmslos ohne Eigenbewegung. Die Lo- 'komotion wird durch besondere Organe, die Geissein, vermittelt; die- selben sind nicht als pseudopodienartige Fortsätze des Protoplasmas, sondern als differenzierte, von der Hülle entspringende Cuticularorgane anzusehen. Eine Einziehung derselben in den Bakterienkörper ist nie beobachtet; im Gegenteil spricht das Fortbestehen derselben bei deut- licher Plasmolyse des Protoplastes durch massig koncentrierte Salz- lösungen mit aller Bestimmtheit gegen eine solche Annahme (Fischer, Unters, üb. Bakt. Berlin 1894. 36). Diese Versuche beweisen gleich- zeitig, dass die Schwärmbewegung nur durch die Wirkung der Geissein, nicht, wie man früher annahm, durch direkte Kontraktionen des Proto- plasmas zustande kommt, welches in plasmolysiertem Zustande derselben gar nicht fähig wäre. Doch ist wahrscheinlich in Analogie mit dem Verhalten der Geissein bei Flagellaten, Flimmerepithelien etc. der Zu- sammenhang zwischen Protoplast und Geissein notwendige Vorbedingung für die Thätigkeit der letzteren. Die Bildung der Geissein ist von der normalen morphologischen Entwicklung der Bakterien unzertrennlich und erfolgt daher unter allen Umständen, die überhaupt Wachstum zulassen; hiermit sind aber noch -keineswegs die notwendigen Bedingungen für die normale Funktion der Geissein erfüllt; unter ungünstigen Umständen kann bei vollständig normaler Entwicklung der Cilien die Eigenbewegung sistiert werden oder von vornherein fast ganz fehlen. Als solche hemmende Einflüsse sind nach A. Fischee (a. a. 0.) zu nennen: un- genügende Nährstoffzufuhr, übermässiger Gehalt des Substrats an Neutralsalzen (über 5 % KNO3) iind Anwesenheit von Giften (z. B. 0,1 % Carbolsäure). Stark koncentrierte Lösungen von Neutralsalzen wirken wahrscheinlich nicht allein, wie schon Wladimiroee (Z. 10. 89) zeigte, durch Wasserentziehung, sondern auch durch spezifische chemische Einflüsse, da verschiedene Salze nicht immer im Verhältnis ihrer isoto- nischen Koncentrationen wirken. Durch Auswaschen mit Wasser kann in wenigen Minuten die Bewegung vollständig wieder hergestellt werden. Ausser durch Wasserverlust und Gifte kann auch durch Säuren „Geissei- starre" hervorgerufen werden. Die auf ungeeignetem Nährsubstrat auf- tretende „Hungerstarre", von Pfeeeer (Üb. chemotakt. Bewegungen von Bakterien, Flagellaten und Volvo cineen. 630) als Trophotonus be- zeichnet, lässt sich durch Zusatz geeigneter Nährstoffe aufheben; die bewegungsanregende Wirkung dieser Stoöe ist keineswegs mit dem nachher zu besprechenden bewegungsrichtenden chemotaktischen Ein- fluss mancher Stoffe zu* verwechseln, kann sich aber mit letzterem GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. I59 kombinieren. Die roten Schwefelbakterien bedürfen zu ihrer Bewegung, wie überhaupt zu ihrem Leben der Anwesenheit reichlicher Menge von HjS (WiNOGEADSKT, Zur Morphologie u. Physiol. d. Schwefeibakt. 18S8. S. 52). Ausser vom Nährsubstrat ist die Beweglichkeit hauptsächlich von der Temperatur und dem Sauerstoffzutritt abhängig. Was erstere anlangt, so fallen wohl meist Grenzen und Optimum für die Eigen- bewegung mit denen des Wachstums zusammen. Mit steigender Tem- peratur nimmt die Intensität der Bewegung zu; zu hohe und zu niedere Temperatur rufen Starre hervor, die jedoch innerhalb gewisser Grenzen wieder rückgängig gemacht werden kann. Besonders gegen Kälte sind auch in dieser Beziehung die Bakterien recht resistent; Zopf fand selbst nach 3 stündigem Aufenthalt seines Bact. vermicosum (Beitr. z. Physiol. und Morphologie niederer Organismen. Heft 1. 1S92) bei — 83*^ das Schwärmvermögen erhalten; Bac. subtilis war etwas empfindlicher. Der Sauerstoff zutritt ist für aerobe Arten Vorbedingung zur Fähigkeit der Lokomotion; doch sind verschiedene Arten auf sehr verschiedene Sauorstoffspannungen abgestimmt, wie sich besonders schön mit der ENGELMANNschen Bakterienmethode oder durch Darstellung der BEiJEEiNCKschen Atmungsfiguren zeigen lässt; manche Proteusarten z. B. entfalten bei maximaler Sauerstoffspannung ihre grösste Energie, während andere, z.B. Spirillen, auf niedrigere Grade der Sauerstoffspannung abgestimmt sind und durch vermehrte Zufuhr schädlich beeinflusst werden; besonders interessant ist das Verhalten der Chromatien, die einer minimalen Sauerstofifmenge dringend bedürfen, bei der geringsten Erhöhung der Sauerstoffspannung aber ihre Eigenbewegung einstellen (WiNOGEADSKY, a. a. 0. 51). Anaeroben hingegen entfalten ihre Be- wegung nur bei Sauerstoffabschluss. Nach ExGELMANN (Pflüger's Arch. 18821 ist auch das Licht für eine Bak- terienart, von ihm als Bakterium photometricum bezeichnet und nach Wixo- GRADSKY zur Reihe der Chromatien gehörig, notwendige Vorbedingung ihrer Eigen- bewegung; die letztere soll überhaupt nur bei Lichtzutritt erweckt werden können und in ihrer Geschwindigkeit zu der Stärke der Beleuchtung in direktem Ver- hältnis stehen; im Dunkeln soll die Bewegung durch „photokinetische Nach- wirkung" nur eine gewisse Zeit fortdauern, und zwar um so länger, je intensiver die vorangegangene Beleuchtung war. Winogradsky (a. a. 0. 90 S.) konnte bei der Nachprüfung dieser Befunde nicht zu demselben Resultat gelangen; er fand bei Chromatien erst nach 10 tägigem Aufenthalt imDunkeln ein Erlöschen der Eigen- bewegung; starke Beleuchtung schien sogar eher das Festsitzen der Chromatien zu begünstigen. Für die Bewegung der übrigen Bakterien ist Beleuchtung keine notwendige Bedingung. Die Richtung der Bewegung wird durch mannigfache äussere Einwirkungen bestimmt. Vor allem spielen chemische Einflüsse 1(30 Allgemeine Biologie der Mikroorganismeu. eine Rolle; viele chemische Stoffe üben bei ungleichmässiger Verteilung im Nährmedium auf die Bakterien chemotaktische Reize aus, in- folge deren die Mikroben dem betr. Stoff' bezw. der Stelle seiner stärkeren Koncentration sich nähern (positive Chemotaxis), oder sich von ihm entfernen (negative Chemotaxis). Die chemotaktische Bewegung des Bakteriums erfolgt in der Diffusionszone des reizenden Stoffes so, dass die Längsaxe und die Bewegungsrichtung senkrecht gegen die Kurven gleicher Koncentration gerichtet sind. Unter den chemotaktisch wirksamen Stoffen nimmt der Sauer- stoff eine ganz besondere Stellung ein, indem er je nach seiner &[3an- nung positiv oder negativ chemotaktisch wirkt. Wie schon mehrfach betont, sind verschiedene Bakterien auf verschiedene Sauerstoffspan- nungen abgestimmt; jede Art sammelt sich in derjenigen Zone au, in welcher die ihr zusagende Sauerstoffspannung herrscht, während sie höhere Spannungen flieht. Für obligate Anaeroben wirkt nach Beijerinck's direkten Beobachtuugen schon die geringste Sauerstott- spannung negativ chemotaktisch. Von diesem Autor, sowie vor allem schon früher von Engelmann sind diese Verhältnisse in sehr anschaulicher Weise zur Darstellung gebracht worden. Die hierbei in Anwendung gezogene „Bakterienmethode" Engelmann's, sowie die Darstellung der BEUEEiNCKschen ,, Atmungsfiguren" und „Bak- terienniveaus" ist bereits an früherer Stelle besprochen (s. S. 129). Die chemotaktische Wirkung fester und flüssiger Stoffe in Lösung ist sehr eingehend von Pfeffer (Üb. chemotakt. Bewegungen von Bakterien, Flagellaten und Volvocineen) studiert worden. Die Methodik der Beobachtung ist eine sehr einfache; in einen, mit dem zu prüfen- den Bakterium beschickten hängenden Tropfen wird von der einen Seite eine Kapillare eingeschoben, die mit der auf ihre chemotaktische Wirkung zu untersuchenden Flüssigkeit gefüllt ist. Nach kurzer Zeit, oft schon nach wenigen Minuten, bildet sich dann um den Kapillar- mund eine charakteristische Anordnung der Bakterien aus, indem bei positiver Chemotaxis die Bakterien in dichten Haufen den Kapillar- mund umdrängen und sogar in die Kapillare selbst massenhaft ein- wandern, bei abstossender Wirkung dagegen rings um den Kapillar- mund eine vollständig bakterienfreie Zone entsteht. Das wesentliche der Resultate Pfeefer's ist im Folgenden wiedergegeben. Positive Cliemotaxis wird unter anorganischen Körpern am stärksten durch Kaliumsalze bewirkt; unter den organischen Verbindungen übten vor allem Pepton, demnächst Asparagin eine starke, Harnstoft' und Xanthinkörper eine schwächere Wirkung aus ; Kohlehydrate sind nur bei einigen Arten wirksam, und dem Glycerin kommt merkwürdigerweise gar keine chemotaktische Wirkung zu. Negative Chemotaxis wird allgemein durch Alkohol, ferner durch saure und alkalische Re- GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 161 aktion, oft auch durch genügende Steigerung der Koncentration einer Lösung er- reicht. Die geringste, noch eben wirksame Koncentration, welche die „Reiz- schwelle" bezeichnet, ist bei verschiedenen Körpern ausserordentlich verschieden; sie beträgt z. B. beim Trikaliumphosphat nur 0,001%, beim Traubenzucker da- gegen 10%. Zwischen den einzelnen Arten bestehen spezifische Unterschiede der chemotaktischen Reizbarkeit; z. B. ist Dextrin ein sehr wirksames Anlockungs- mittel für Bact. termo, während es auf Spirillum undula kaum merklich wirkt; andererseits wird Bact. termo durch stark koncentrierte Salzlösungen fast gar nicht, Spirillum undala dagegen sehr energisch zurückgetrieben. Manche Arten scheinen ganz unempfindlich zu sein. Schon diese spezifisch verschiedene Empfind- lichkeit differenter Arten zeigt, dass die chemotaktische Wirkung einer Verbindung ebensowenig wie der Nährwert im allgemeinen schematischer Weise aus der chemischen Zusammensetzung derselben hergeleitet werden kann. Aber auch für einen einzelnen Mikroben lässt sich vorläufig der chemotaktische Reizwert einer Verbindung nicht in jedem speziellen Falle gesetzmässig ableiten; so steht der Reizwert eines Metalls in keiner direkten Beziehung zum Atomgewicht des- selben; ferner lässt sich z. B, der Reizwert der Kaliumsalze nicht durch ihren Gehalt an Kalium bemessen; das Kaliumchlorat übt erst bei 10 fach höherem Kaliumgehalt in der Lösung die gleiche Wirkung aus wie Kaliumphosphat, wobei aber der Phosphorsäure kein besonderer Reizwert zukommen kann, da Mono- und Trikaliumphosphat bei gleichem Kaliumgehalt annähernd die gleiche Reiz- wirkung ausüben. Der Reizwert einer Verbindung entsteht also nicht etwa durch Summation der Wirkungen der in derselben enthaltenen Atome oder Radikale, sondern hängt in einer bisher unbekannten Weise von der Kon- figuration des Moleküls ab, wobei die Reizwirkung jeder einzelnen Gruppe durch Verbindung mit anderen in weitem Umfange modifiziert, ja sogar ganz aus- gelöscht werden kann; eine Analogie hierzu bietet das chemotaktische Verhalten der Apfelsäure gegenüber den Samenfäden der Farne, die sowohl frei als auch in ihren Alkalisalzen eine mächtige und ziemlich gleichbleibende anziehende Wirkung entfaltet, während ihr Diäthyläther völlig wirkungslos ist. Auch von der Dif- fusionsbewegung und der osmotischen Wirksamkeit einer Lösung ist der chemo- taktische Wirkuugswert nicht abhängig, wie man wohl besonders betr. der repul- siven Wirkung stärker koncentrierter Lösungen geglaubt hatte ; Spirillum undula wird durch Lösungen von Metallsalzen schon bei geringer Koncenti'ation zurück- getrieben, während Glycerin selbst in 17,1 proz. Lösung gar keine Wirkung- äussert; auch finden sich gute Reizmittel sowohl unter krystalloiden Körpern (Kali- salze), wie unter kolloiden (Pepton, Dextrin). Sehr bemerkenswert ist ferner das Fehlen einer bestimmten Beziehung zwischen Nährwert und chemotak- tischer Wirksamkeit einer Verbindung; so z. B. kommt dem Glycerin, welches ein guter Nährstoff für Bakterien ist, gar keine chemotaktische Wirksamkeit zu; andererseits stellen Lithiumsalze, welche für die Ernährung der Mikroben ganz entbehrlich sind, ein gutes Anlockungsmittel für Bact. termo dar. Auch kommt entwicklungshemmenden, schädlichen Substanzen durchaus nicht immer repulsive Wirksamkeit zu. So z. B. steuern Bakterien in tötliche Koncentrationen von Glycerin, ferner noch in 20 proz. Chloi'natrium- oder 40 proz. Chlorcalciumlösungen hinein, in denen sie sehr bald ihre Bewegungen einstellen müssen; selbst intensive Gifte, z. B. Sublimat, haben oft keine repulsive Wirksamkeit; Bakterien lassen sich durch zugesetzte Reizmittel in 0,05 proz. Sublimatlösung hineinlocken, wo sie sehr rasch absterben. In ganz analoger Weise fehlt auch für die Samenfäden Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 11 162 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. der Farne eine Repulsion gegenüber Sublimat und Strychnin. Die Erklärung vom teleologischen Gesichtspunkt aus, welche in den chemotaktischen Bewegungen ein Mittel sieht, die Bakterien zu günstigen Nährstoffen zu führen und Schädlich- keiten zu vermeiden, ist also keineswegs für alle Fälle zutreffend. Interessant ist das Verhalten der Bakterien bei antagonistisch wirkender Anlockung und Abstossuug, wie sie in Gemischen, oder auch in einheitlichen Lösungen bei Steigerung der Koncentration zustande kommt, wo dann durch die spezifische qualitative Wirkung des betr. Stoffes eine Anziehung, durch die er- höhte Koncentration dagegen eine Abstossung stattfindet; soweit bekannt, ist die resultierende Wirkung hierbei durch einfache algebraische Addition der einzelnen wirksamen Komponenten bestimmt, im Gegensatz zur chemischen Verbindung, in welcher, wie oben ausgeführt, eine funktionelle Abhängigkeit der einzelnen chemotaktischen Reizwerte der eintretenden Atome oder Gruppen besteht. Für die einfache Summation in Gemischen spricht insbesondere die Thatsache, dass ein positiver chemotaktischer Erfolg durch Vereinigung zweier Reizmittel erzeugt werden kann, von denen jedes einzelne in einer so geringen Menge vorhanden ist, dass es für sich allein unwirksam wäre; und zwar muss zur Erzielung gleichen Erfolges von dem weniger wirksamen Natriumsalz entsprechend mehr zugesetzt werden als von dem stärker anlockenden Kaliumsalz. Eine scheinbare Ausnahme kann zustande kommen, wenn durch den Einfluss eines Stoffes die Reizbarkeit der betr. Mikroorganismen so alteriert wird, dass ein gegebener Stoff' nunmehr einen quantitativ anderen Reizerfolg erzielt. Dass dies in der That der Fall ist, erhellt aus der Betrachtung der quantitativen Verhältnisse zwischen Reiz- und Reaktionsgrösse bei der chemotaktischen Wirkung. Für diese gilt nämlich, so lange nicht durch übermässig steigende Koncentration störende repulsive Wirkungen herbeigeführt werden, dieselbe Beziehung, welche im WEBER'schen Gesetz ausgesprochen und von Fechner (Elemente d. Psychophysik. I) für die Abhängigkeit zwischen Empfindungs- und Reizgrösse beim Menschen festgestellt worden ist. Dieses Abhängigkeitsverhältnis liess sich ebensowenig wie bei den menschlichen Empfindungen durch direkten Vei-gleich der auf Reize von ver- schiedener Stärke erzeugten Reaktionen feststellen; es gelang aber, genau wie beim FECHNER'schen Verfahren, auf einem Umweg, nämlich durch Bestimmung der Unterschiedsschwelle, d.h. derjenigen Reizgrösse, die zu dem schon vor- handenen Reiz hinzutreten muss, um einen eben merklichen Erfolg herbei- zuführen, bei verschiedener Grösse des ursprünglichen Reizes. Es wurde nun er- mittelt, dass zur Erzielung einer eben merklichen chemotaktischen Anlockung eine um so grössere Koncentration der reizenden Aussenflüssigkeit geboten werden musste, je grösser der Gehalt des Mediums, in welchem sich die Bakterien be- fanden, an derselben oder einer im gleichen Sinne wirkenden Substanz be- reitswar. Wegen der gleichmässigen Verteilung der Substanz in dem flüssigen Medium konnte dieselbe natürlich nicht einseitig richtend wirken; sehr wohl aber beein- flusste sie die Reaktionsfähigkeit der Bakterien gegen eine einseitige Verstärkung des Reizes. Zur Erzeugung einer wirksamen Unterschiedsschwelle war also bei verschiedenen Koncentrationen der Nährflüssigkeit nicht eine konstante Dif- ferenz, sondern ein konstantes direktes Verhältnis zwischen Innen- und Aussenflüssigkeit erforderlich, so dass bei ei'höhter Koncentration des Mediums die Diflereuz zwischen beiden Flüssigkeiten im steten Wachsen begriffen war. So z. B. war bei Bact. termo in 0,01 proz. Fleischextraktlösung zur Erzeugung einer deutlichen chemotaktischen Anlockung eine Koncentration der Kapillarflüssigkeit GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 163 von 0,05% Fleischextrakt vollkommen ausreichend, während aus einer hundert- mal koncentrierteren Nährlösung von 1 % Gehalt an Fleischextrakt die Kapillar- flüssigkeit erst bei einem Gehalt von S^/o deutliche Anlockung erzielte; dagegen war eine Sproz. Aussenflüssigkeit noch von durchaus unsicherer Wirkung, trotzdem die absolute Differenz hier fünfzigmal grösser war als die kleinste noch eben wirksame absolute Differenz im vorigen Falle. Genau dasselbe Resultat ergab sich bei Anwendung von Dextrinlösung in der Kapillarflüssigkeit bei verschiedenem Gehalt an Fleischextrakt im ursprünglichen Medium; merkwürdiger Weise war sogar der Wert der Unterschiedsschwelle bei beiden annähernd in gleicher Weise wirksamen Substanzen nahezu gleich, nämlich 5; d. h. zur Erzielung eines chemo- taktischen Erfolges muss die Reizflüssigkeit eine 5 mal höhere Koncentration besitzen wie das ursprüngliche Medium, und zwar in gleicher Weise innerhalb einer bis zum hundertfachen Betrage gehenden Koncentrationsänderung des letzteren. Pfeffer betont übrigens ausdrücklich, dass die hier zwischen Reiz- und Reaktionsgrösse gefundene Beziehung nicht ohne weiteres zu der von Fechner aufgedeckten Be- ziehung zwischen Reiz- und Empfindungs grosse beim Menschen in Parallele gestellt werden dürfe, wenn sie auch beide gleichen mathematischen Ausdrucks sind. Dass für die Reaktion nicht ohne weiteres Empfindung substituiert werden darf, geht schon daraus hervor, dass die Reaktion den Schlusseffekt der durch den Reiz im Protoplasma bewirkten Kette von Umsetzungen darstellt; mit welchem Glied dieser Kette aber und ob überhaupt mit irgend einem derselben eine Em- pfindung funktionell verknüpft ist, wissen wir nicht. Auch beweist die Existenz einer Reaktion auf einen Reiz nicht im mindestens mit Notwendigkeit das Vor- handensein einer Sensibilität; nach Analogie kann man eine solche mit ebenso viel Recht annehmen, wie bei anderen Lebewesen. Dieselbe wäre dann bei den Bakterien gegenüber anderen niederen Lebewesen, die nur auf wenige Reize reagieren, wie z. B. die Spermatozoen der Farne auf Apfel- und Maleinsäure, verhältnismässig vielseitig ausgebildet, um so mehr, als ausser den chemischen Einflüssen auch noch viele andere äussere Agentien Reaktionen der Bakterien hervorrufen. Unter diesen ist vor allem der Einwirkung des Lichtes zu ge- denken, welches nachWmOGEADSKY (Zur Morphologie und Physiologie der Schwefelbakterien. S.94 u. f.) und Beijeeinck (C. 14. S44) auf die Be- wegungen der Chromatien einen deutlichen richtenden Einfluss aus- übt. Dieselben sammeln sich stets an der hellsten Stelle, sind also positiv phototaktisch; ihre Empfindlichkeit ist eine so bedeutende, dass sie nach Beijeeinck zu den besten Photometern gezählt werden können. Sehr merkwürdig ist ferner ihre äusserst heftige Reaktion auf plötzliche Abnahme der Lichtintensität, die schon von Engelmann festgestellt und als „Schreckbewegung" bezeichnet wurde; selbst auf die leiseste plötzliche Beschattung erfolgt momentaner Still- stand oder heftiges Zurückprallen, worauf dann sehr bald die Bewegung meist mit geänderter Richtung fortgesetzt wird. Plötzliche Verstärkung der Lichtintensität ruft solche „Schreckbewegungen" nicht hervor. Nach Schenk (C. 14. 37) soll auch Wärme einen richtenden Einfluss auf die Bewegung ausüben, und zwar im Sinne einer An- 11* Iß4 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. lockung zu einem wärmeren Punkte. Da dieses Zuströmen auch an unbeweglichen Mikroorganismen beobachtet wurde, z. B. am Staphy- lokokkus pyogen, aureus, so fragt es sich sehr, ob hier nicht rein physikalische Strömungen vorliegen. Ferner will Roth (D. 1893. Nr. 15) einen Einfluss schwacher Flüssigkeitsströmungen beobachtet haben, und zwar in dem Sinne, dass die Bakterien gegen den Strom schwimmen. Diese Erscheinung stände in Analogie zu dem von Stahl (B. Z. 1884. 147) beobachteten „Rheotropismus" der Myxomyceten. Nach Massakt soll auch die Oberflächenspannung (r: C. 11. 566), sowie die Schwerkraft (Bull, de l'Acad. Royale de Belgique. Serie III. t. XXII, no. 8) auf die Bewegungsrichtung bei einigen Spi- rillen einwirken, und zwar bei verschiedeneu Arten bald in positivem, bald in negativem Sinne. Die von demselben Autor (a. a. 0.) beobachteten Bewegungen von Mikroorganismen gegen koncentriertere oder verdünntere Salzlösungen, die er als positiven bezw. negativen Tonotaxismus bezeichnet, fallen vielleicht mit den oben geschilderten chemotaktischen Bewegungen zusammen. Ebenso wie innerhalb der Gruppe der chemotaktischen Wirkungen kann auch zwischen diesen und anderen bewegungSrichtenden Einwir- kungen Antagonismus bestehen; in sehr merkwürdiger Weise zeigt sich derselbe bei Chromatien, die selbst bei stärkster Beleuchtung nie bis an den Rand des Tropfens kommen, weil dort eine zu hohe Sauerstoff- spannung herrscht, sondern sich in einer bestimmten Entfernung vom Rande halten. Auch die BEUEEiNCKschen Atmungsfiguren und Bak- terienniveaus sind Produkte antagonistischer Wirkungen verschiedener bewegungsrichtender Faktoren. II. Wärmeproduktion. Ahnlich wie bei höheren Lebewesen, ist auch bei den niederen Pilzen eine deutlich wahrnehmbare Wärmeproduktion beobachtet. Die- selbe ist minimal, wenn nur die intramolekulare Atmung vor sich geht und weder durch Sauerstoff noch durch Gährung von aussen Energie erzeugt wird; in solchem Falle wurde für Hefe in Wasserstoffatmo- sphäre ein Temperaturüberschuss von 0,2 '^ über die Temperatur der Umgebung konstatiert; bei Luftzutritt steigerte sich der Überschuss auf 1,2 <>, bei Gährung auf 3,9*^ (Eriksson, Unters, a. d. bot. Inst, in Tübingen. 1881. H. 1). Sehr bedeutende chemische Effekte kommen durch die Lebensthätigkeit von Bakterien bei der sog. Selbsterhitzung verschiedener Stoffe, wie Malz, Dünger, Baumwolle, Heu u. s. w., die in GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. ^55 feuchtem Zustande und in grossen Massen dicht zusammengepresst aufeinander lagern, zustande; in solchen Fällen kann sogar Selbst- entzündung erfolgen. Schloesing (Ann. agronom. XVIII. 5) wies zu- erst als Ursache der Erwärmung des Düngers die Thätigkeit von Mikro- organismen nach; er fand im geimpften Dünger eine über 17 mal stärkere COo -Produktion wie im sterilisierten. Für die Selbsterhitzung des Heus machte es Berthelot (C. R. 117. 1039) wahrscheinlich, dass sie durch Fermentthätigkeit von Mikroorganismen eingeleitet werde. Insbesondere hat F. Cohn (Jahresber. d. schles. Ges. 1890) die Erhitzung keimender Gerste bis 64,5^ auf die intensive Vegetation des Aspergillus fumigatus zurückgeführt; wurde die Gerste durch Behandlung mit Kupfervitriol von Aspergillussporen befreit, so erwärmte sie sich beim Keimen nur auf 40 ^. Die Selbsterhitzung der Baumwolle kommt nach demselben Autor (B. G. 1893. 66) durch Mikroorganismen zustande, die an den durch den Reisswolf entfernten Unreinigkeiten , den sog. Nisseln, haften; bei reichlicher Befeuchtung erfolgt die Entwicklung der Mikroben unter Produktion von Trimethylamin und humusartigen Körpern mit einer Temperatursteigerung bis 67*^. Die Erhitzung geht, wie alle fermentativen Selbsterhitzungsprozesse, mit lebhafter Sauer- stofifaufnahme und Kohlensäureabgabe einher und steht bei Luftabschluss still; der Prozess ist also durch die Atmung aerober Mikroorganismen bedingt. Sterilisierte Baumwollabfälle zeigen nie spontane Erhitzung; erst auf Zusatz von Waschwasser frischer Abfälle beginnt der Prozess. III. Lichtentwicklung. Pelüger (Pf. 10. 275; 11. 222) war der erste, der das zuweilen vorkommende Leuchten faulender organischer Substanzen, das ins- besondere an toten Seefischen zur Beobachtung gelangt, auf die Lebensthätigkeit von Mikroorganismen, und zwar eines Mikrokokkus zurückführte. Die von Ludwig (Z. f. Mikroskopie. I) und Nüesch (r: C. B. 27. 161) beobachteten Leuchtbakterien sind w^ahrscheinlich mit dem PELÜGER'schen Mikrokokkus identisch. Seitdem ist eine grosse Anzahl leuchtender Bacillen beschrieben worden, so von B. Fischer ein solcher aus den westindischen Gewässern (Z. 2. 54), sowie mehrere Arten aus der Nord- und Ostsee (C. 3. 105 und 137), ferner von Katz (C. 9. 157) 6 Arten aus dem stillen Ocean, eine Art aus Java von EiJKMANN (r: K. 1S92. 71), eine interessante für Krustaceen pathogene Art von Giard (r: C. 6. 645); ferner mehrere Arten leuchtender Vi- brionen von Dunbar u. Kutscher (C. 15.44) aus der Elbe bei Hamburg, vonKÄxscHE (r: Kruse, Z. 17.33) aus einem oberschlesischenGrenzfluss etc. Das Licht ist bei den verschiedenen Arten von verschiedener Intensität 1QQ Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. und Farbe; letztere ist entweder rein weiss oder bläulich bis grünlich. Mehrfach sind Spektraluntersuchungen des Lichtes angestellt worden: so fand Fischee beim einheimischen Leuchtbacillus ein kontinuierliches Spektrum von D bis etwas über G hinaus; das Maximum der Hellig- keit befand sich zwischen E und der Mitte von F und G. Das Licht einiger von Fischer isolierter Arten besass eine solche Intensität, dass man beim Scheine desselben den Stand der Uhr ablesen konnte; die Kulturen phosphorescierender Bakterien sind sogar schon in ihrem eigenen Lichte photographiert. Hauptbedingung für das Zustande- kommen desLeuchtensist reichlicher unmittelbarer Sauerstoffzutritt; feste Kulturen leuchten nur an der Oberfläche, flüssige Kulturen können durch Schütteln mit Luft für kurze Zeit in ihrer ganzen Masse leuchtend ge- macht werden. — Nächst dem Sauerstoffzutritt ist eine gewisse Temperatur notwendige Bedingung für das Leuchten, deren Grenzen jedoch keines- wegs mit den Grenzen des Temperaturbereichs zusammenzufallen brauchen, in denen das Leben für die betr. Arten möglich ist; vielmehr können diese Bakterien auch leben und wachsen, ohne Licht zu entwickeln. Die für das Leuchten notwendige Temperatur ist bei verschiedenen Arten verschieden; ein von Förster (C. 2. 337) und Fischer (C. 4. 89) be- schriebenes Leuchtbakterium leuchtet z.B. noch bei 0^ und in geringem Grade sogar noch bei — 12 "^ (Tollhausen, Unters, üb. Bakt. phosphoresc. Fischer [Diss.], Würzburg 1S89). Die einheimischen Leuchtbacillen Fischer's leuchten zwischen 5*^ und 25^; jenseits 25*^ erfolgt Beein- trächtigung und bei 35 ^ schon nach 5 Minuten völliges Erlöschen des Lichtes. Beim westindischen Leuchtbacillus zeigte sich, entsprechend seiner Abkunft aus einer wärmeren Zone, die untere Grenze bei 10*^, das Optimum bei 25 bis 30°, deutliche Schädigung erst bei 37*^. Kul- turen, deren Leuchtkraft durch Abkühlung oder vorsichtige Erwärmung erloschen ist, können dieselbe wiedergewinnen. — Belichtung hatte auf das Leuchtvermögen meist gar keinen Einfluss; nur Dubois (C. R. d. 1. soc. d. biol. 1893. 160) berichtet von einer Abschwächung der Lichtentwicklung nach mehrtägigem Aufenthalt im Licht. — Elektro- lyse hebt nach Dubois (C. R. 111. 363) das Leuchten auf, und zwar an der Anode durch Säureentwicklung, an der Kathode durch die re- duzierende, sauerstoffverdrängende Wirkung des naszierenden Wasser- stofts; durch Neutralisation mit Ammoniak auf der einen Seite, durch Lufteinblasen auf der anderen Seite wird dieser schädigende Effekt rückgängig gemacht. — Alle chemischen Agentien, welche das Leben der Mikroorganismen schwächen oder zerstören, heben auch die Licht- entwicklung auf; auch Fäulnis sistiert dieselbe. — Von dem bestimmen- den Einfluss des Nährsubstrats auf die Lichtentwicklung ist vor allem die Becpünstiguns; derselben durch Natrium- und Mao-nesiumsal ze zu GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 167 erwähnen daher eignet sich auch das Seewasser besonders gut zur Be- reitung von Kultursubstraten für Leuchtbakterien. Meerwasser kann nach Fischer durch Impfung mit Leuchtbacillen künstlich leuchtend gemacht werden; dieser Autor hält es auch für sehr wahrscheinlich, dass beim natürlichen Meerleuchten diese Mikroben eine wichtige ur- sächliche Rolle spielen. Über die sonstigen Ernährungsbedingungen und über die chemischen Leistungen der Leuchtbacillen hat Beueeinck (ref. Koch's Jahresber, 1S90. ISO) eingehende Untersuchungen ange- stellt; einige dieser Mikroorganismen vermögen mit Pepton und eiweiss- artigen Körpern allein auszukommen, während andere neben diesen noch eine besondere Kohlenstoffquelle (Kohlehydrate, Salze organischer Säuren etc.) verlangen, — Die Dauer des Leuchtens einer Kultur kann nach Tollhausen eine sehr lange sein; an einer und derselben Kultur des Bact. phosphoresc. Fischer war noch nach einem Jahre deutliches Leuchten wahrzunehmen; allerdings schwächt sich die Intensität des Lichtes schon nach einigen Tagen ab. Die Ursache des Leuchtens kann in zweifacher Weise gedacht werden: entweder ist die Lichtentwicklung eine direkte Funktion des lebenden Protoplasmas und von diesem ebenso unzertrennlich, wie die Wärmeproduktion, die Gährthätigkeit etc.; oder die lebende Zelle produziert ein nach aussen abgeschiedenes „Photogen", eine Substanz, die extracellulär leuchtet. Die erste Theorie ist die wahrscheinlichere und vermag allen Thatsachen Rechnung zu tragen; auch die Erschei- nung, dass tief unter 0^ abgekühlte Kulturen noch einige Zeit fortfahren zu leuchten, bereitet ihr keine ernstliche Schwierigkeit, da bei den betr. Bakterien ungestörte Ausübung aller Lebensfunktionen noch bei 0^ beobachtet ist und demnach ein langsames Eintreten der Kältestarre bei — 12*^ sehr wohl begreiflich wird. Gegen die Theorie eines extra- cellulären Leuchtstoffes spricht vor allem die Unmöglichkeit, einen solchen Stoff bisher mit Sicherheit zu isolieren; Dubois (C. R. 107. 502) allerdings will bei einem auf Seetieren lebenden Leuchtbacillus eine solche Substanz, die er „Luciferin" nennt, sogar in krystallinischem Zustand gefunden haben; auch sollen nach Ludwig (C. 2. 40) beim Mikrokokkus Pfluegeri nicht die Kolonien selbst, sondern ausgeschie- dene Stoffwechselprodukte desselben leuchten. In allen übrigen Ver- suchen über die Isolierung eines Leuchtstoffes aber war das Resultat ein durchaus negatives; man müsste also annehmen, dass das hypo- thetische Photogen gegen äussere Eingriffe fast ebenso empfindlich sei wie das lebende Plasma. So wenig wahrscheinlich hiernach diese Theorie ist, so lässt sie sich doch freilich bisher auch nicht mit zwin- gender Sicherheit ausschliessen. j^ßg Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. E. Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen. Eine allgemein umfassende, rationelle Darstellung der Lehre von den Stoffvvecliselprodukten der Mikroorganismen ist vor der Hand nicht möglich, weil es uns an der hierzu erforderlichen Kenntnis der chemischen Fähigkeiten der Bakterien mangelt, mittelst deren wir für jedes Produkt die Quelle und den Entstehungsmodus anzugeben vermöchten. Wir müssen uns also mit einer speziellen Aufzählung der vorkommenden Produkte begnügen; ausserdem können einige genauer studierte Klassen von Sto"ffwechselprodukten, deren Entstehungsbedingungen und Be- deutung sich unter allgemeine Gesetzmässigkeiten subsumieren lassen, wie die Reduktionsprozesse, die Schwefelwasserstoifproduktion, die Farb- stoffbildung, die Veränderungen der Reaktion des Substrats, in speziellen Kapiteln behandelt werden. Endlich sind noch einige allgemeinere Fragen, wie die nach der Spezifität einzelner Stoffwechsel- produkte bestimmter Arten und ihrer differential-diagno- stischen Bedeutung, sowie nach Konstanz und Variabilität des Stoffwechsels innerhalb eines gegebenen Kreises von Lebens- bedingungen, zu erledigen. Die Reihe der gelegentlich bei Kulturen der Mikroorganismen beobachteten Stoflfwechselprodukte ist eine ausserordentlich grosse: Gase wie GO2, H2, CH4, HjS, NHs; Nitrate; Wasser; Schwefel; flüchtige Körper, wie Trimethylamin, Alkohol, Ameisensäure, Essigsäure, Propion- säure, Buttersäure; Oxysäuren und mehrbasische Säuren, wie Milchsäure, Apfelsäure, Bernsteinsäure, Oxalsäure,Weinsäure; Sulfosäuren, wieTaurin; Amide, namentlich Leucin, Alanin u. s. w.; aromatische Körper, wie Tyrosin, Phenol, Kresol, Hydroparacumarsäure; Indol; Farbstoffe; Kohle- hydrate; Peptone; alkaloidähnliche und eiweissähnliche giftige Substanzen; hydrolytische Fermente. Je nach der spezifischen Art des herrschenden Mikroben und je nach der im Nährmedium gebotenen Bedingungen treten bald diese, bald jene Produkte auf; eine besonders grosse Zahl derselben und darunter ganz eigentümliche, sonst nicht vorkommende Produkte finden sich bei Entfaltung der Gährthätigkeit vor. Die allgemein beim Lebensprozess sämtlicher oder doch der meisten Mikroorganismen auftretenden Stoffwechsel- produkte wurden schon im vorigen Abschnitt unter den N-haltigen und N-freien Exkreten behandelt. Unter den spezielleren, nur einzelnen Klassen oder Arten der Mikroben zukommenden chemischen Leistungen erheischen die giftigen Produkte, die isolierbaren Fermente und die Gähr]3rodukte eine gesonderte Besprechung in eigenen Abschnitten. Hier ist noch auf folgende, spezielle chemische Leistungen der Mikroben einzuQ-ehen. GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 169 I. Reduktionsvorgänge durch Bakterien kommen insbesondere bei der Fäulnis vor, wo sie später noch eingehend zu besprechen sind, und wurden hier zuerst von Helmholtz (A. f. Ph. 1843) mittelst lakmushaltiger flüssiger Nährböden (Glutinlösungen) erkannt. Ferner ist hier noch die be- reits erwähnte Reduktion der Nitrate und die Reduktion des Wasser- stoffsuperoxyds zu nennen; auch die weiter unten zu besprechende H2S-Bildung beruht in vielen Fällen auf Reduktionsvorgängen. Be- sonders energische reduzierende Wirksamkeit kommt den Anaeroben zu, bei welchen, wie bereits dargelegt, diese Thätigkeit für die direkte Sauetrstoffaufnahme der aeroben Arten als Energiequelle einzutreten vermag. Die reduzierende Wirkung der Bakterien lässt sich durch Verwendung gefärbter Nährböden sehr hübsch demonstrieren; nach Beheing (Z. 6. 177) eignen sich hierzu am besten Strichkulturen auf mit Lakmus gefärbtem Agar, die bei 37^ gehalten werden; zu demselben Zweck wurde früher von Buchner (A. 3. 361) Lakmus- bouillon verwendet. Der blaue Lakmusfarbstoff wird durch die redu- zierende Thätigkeit der Bakterien entfärbt; es bildet sich e'in farb- loses Leukoprodukt. Durch starkes Schütteln mit Luft geht dasselbe infolge von Oxydation wieder in den blauen Farbstoff über. Lakmus- gelatine verwendete F. Cahen (Z. 2. 386) und konnte hierbei kon- statieren, dass alle Bakterien, welche die Gelatine verflüssigen, auch Reduktionen bewirken; die Entfärbung ging in vielen Fällen infolge von Diffusion der Stoflwechselprodukte über den Verflüssigungsbereich weit hinaus. Auch unter den nichtverflüssigenden Bakterien fanden sich reduzierende Arten. Ausser Lakmus sind noch Methylenblau von Spina (C. 2. 71), ferner indigschwefelsaures Natrium von Kitasato und Weyl (Z. 8.) sowie Rosolsäure von Sommarüga (Z. 12. 290) zur Erkennung von Reduktionsvorgängen in Bakterienkulturen empfohlen worden. Die Ergebnisse solcher Versuche können auch oft in differen- tial-diagnostischer Hinsicht verwertbare Aufschlüsse liefern. Die reduzierenden Wirkungen der Bakterien scheinen in vielen Fällen durch nascierenden Wasserstoff hervorgebracht zu werden, worüber weiter unten bei der H2S-Produktion noch eingehend gehan- delt werden soll. In anderen Fällen überträgt das Protoplasma Wasser- stoff und Sauerstoff; so wird z. B. nach LoEW (B. Ch. 1S90. 675) bei Luftabschluss und gleichzeitiger Gegenwart von Äthylalkohol und Kaliumnitrat der N des letzteren zu Ammoniak reduziert und der Alkohol zu Essigsäure oxydiert; es findet also eine Wanderung des H- und 0-Atoms statt, die sich nach Loew durch den sehr heftigen Bewegungszustand des Protoplasmas erklärt; derselbe rege die Mole- X70 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. küle des Salpeters und Alkohols zu energischem Mitschwingen an und ermögliche auf diese Weise den Austausch der Affinitäten. In ganz ähnlicher Weise wirkt nach Loew Platinmohr, welches durch den an seiner Oberfläche verdichteten Sauerstofi" denselben lebhaften Schwingungszustand auszulösen vermag. Es kommen also gleichzeitig mit den Reduktionsvorgängen auch mächtige Oxydationen zustande, die entweder wie in dem soeben be- trachteten Falle durch Atomaustausch oder wie bei freiem Luftzutritt nach der Annahme von Hoppe -Seyler durch Aktivierung des Sauer- stoffs mittelst nascierenden H bewirkt werden. II. Die Entwicklung von Schwefelwasserstoff bei der Fäulnis und bei gewissen krankhaften Harnzersetzungen (Hydro- thionurie) ist eine längst bekannte Thatsache. Schon Chevalliee (cit. nach Rosenheim und Gutzmann, D. 8S. Nr. 10) vermutete, dass es sich hierbei um eine Gährungserscheinung handle. Mit Bestimmtheit ver- lieh Ranke (cit. ebd.) dieser Ansicht Ausdruck, dem es bereits gelang, durch Übertragung solchen zersetzten Harns auch im gesunden Urin H2S-Entwicklung zu erzeugen. Die Isolierung bestimmter Mikroorga- nismen aus derartigem Harn, deren Reinkultur dann, in sterilisierten Harn überimpft, H2S-Entwicklung bewirkte, gelang zuerst F. Müller (B. 87. Nr. 23) und Härtling (Üb. d. Vorkommen von H2S im Harn. Diss. Berlin 1886), später Rosenheim u. Gutzmann (P. 87. 345 und D. 88. Nr. 10) und neuerdings Karplus (V. 131. 210). Ferner war schon 1879 von Miquel (r: B. Ch. 12. 2152) in Jauche, Trink- und Regenwasser eine anaerobe Bakterienart gefunden worden, welche aus Eiweisskörpern oder bei Anwesenheit von Schwefel oder vulkanisiertem Kautschuk H2S bildete. Schwefelwasserstoff erzeugende Bakterien aus Wasser und Schlamm wurden ferner von Holschewnikoff (F. 89, 201) beschrieben; Strassmann und Strecker (r: C. 4. Nr. 3) fanden ein solches bei der Leichenfäulnis. Neuere Versuchsreihen von Stag- nitta-Balistreri (A. 16. 10), sowie von Petri und Maassen (A. G. 8. 319 u. 490) haben nachgewiesen, dass die Schwefelwasserstoff- bildung unter den Bakterien sehr weit verbreitet ist; die letzteren Autoren fanden bei sämtlichen von ihnen untersuchten Arten, worunter sich auch alle wichtigen pathogenen Arten befanden, unter geeignetenEr- nährungsbedingungen deutliche Schwefelwasserstoffproduktion; auch bei denjenigen Bakterien, welche in den Versuchen Stagnitta-Balistreri's ein negatives Resultat ergeben hatten, nämlich beim Mikrokokk. tetra- genus, beim Milzbrand- und Diphtheriebacillus, beim Wurzelbacillus, Heu- und Kartoäelbacillus, wurde H2S mit Sicherheit nachgewiesen. GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 171 Der scheinbare Widerspruch der beiden Arbeiten erklärt sich offenbar durch Verschiedenheiten der Ernährungsbedingungen; so zeigten Petei u. Maassen, dass in peptonfreien Substraten bei manchen Arten die H2S- Bildung ausbleibt, während sie in 5 — 10% Pepton enthaltenden Nähr- lösungen bei allen Arten ausnahmslos in Erscheinung trat. Die Energie der H2S-Produktion hält mit der Wachstumsenergie gleichen Schritt; sie ist je nach dem Gehalt des Substrats an Nährstoffen und locker gebundenem Schwefel, sowie nach der Art der Erreger bedeutenden quantitativen Unterschieden unterworfen. Selbst ganz geringe Differenzen in der Beschaffenheit des Nähr- bodens, wie der Unterschied zwischen koaguliertem und frischem Ei- weiss, bewirken nach Holschewnikoef's und Stagnitta-Balisteeri's Versuchen erhebliche Änderungen im Ausfall des Versuches. Eine scharfe Trennung zwischen Sulfidbildnern und Nichtsulfidbildnern halten Petei u. Maassen hiernach für unthunlich. Durch gleichzeitig sich abspielende anderweitige StoffVechselvorgänge kann die Schwefel- wasserstoffbildung teilweise verdeckt werden; so fand Rubnee (A. 12. 78), dass bei ausgiebiger Lüftung einer Kulturflüssigkeit die Schwefelwasserstoftproduktion erheblich vermindert wurde, die Sulfate dagegen eine sehr bedeutende Vermehrung erfuhren; es ist also wahr- scheinlich der erzeugte H2S zu H2SO4 oxydiert worden. Als Quellen des H2S sind ausser komplizierten schwefelhaltigen Molekülen, wie z.B. Eiweissstoffen, noch alle diejenigen Stoffe zu nennen, welche Schwefel in leicht reduzierbarer Form enthalten, als Sulfate, Sulfide, Thiosulfate und regulinischer Schwefel. Letzterer giebt, in feinverteilter Form flüssigen Kulturen zugesetzt, bei allen bisher untersuchten Arten zur Bildung von H2 S Anlass. H2 S-Entwicklung aus Sulfaten ist von Rubnee und Beijeeinck, aus Sulfiden und Thiosulfaten von Beijeeinck, HolscheW'NIKOFE und Zelinsky (r: C. C. 1. 6) unter Ausschluss an- derer S- haltiger Verbindungen festgestellt. Andere schwefelwasser- stoffbildende Bakterien scheinen hingegen ganz auf kompliziertere Stoffe angewiesen zu sein; so konnte Kaeplus (a. a. 0.) feststellen, dass ein von ihm gefundenes Bakterium im Harn nur aus dem Neutral- schwefel HoS zu entwickeln vermochte, den oxydierten Schwefel da- gegen gar nicht angriffl Über die quantitative Beteiligung von Sulfaten und organischen Schwefelverbindungen, sowie über das Verhältnis der H2S-Ausscheidung zum gesamten Schwefelstoffwechsel der Bakterien hat Rübner (A. 16. 7S) Untersuchungen angestellt. Er fand, dass zwischen Sulfidbildnern und Nichtsulfidbildnern im ge- samten Schwefelstoffwechsel eine sehr grosse Ähnlichkeit besteht; in beiden Fällen werden die organischen Schwefelverbindungen in stärkerem Masse herangezogen als die Sulfate; 22,S— 4ü,l '"o ^^^ dargebotenen 172 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Schwefels fanden sich in der Leibessubstanz der Bakterien wieder. Besonders interessant ist, dass in einem Falle bei einer Piroteuskultur trotz intensiver HoS-Entwicklung nicht nur keine Verminderung, sondern sogar eine Vermehrung der Sulfate stattgefunden hatte; hier waren also Sulfate als Stoffwechselprodukte der Bakterien erzeugt worden. Nach der chemischen Natur der Substanzen, welche als Quellen der Ho S-Entwicklung zu dienen yermögen, kann der Chemismus dieses Prozesses in zweierlei Weise gedacht werden: als Reduktions- prozess oder als Resultat einer Spaltung. Erstere Art der Ent- stehung muss überall da angenommen werden, wo H2 S aus oxydiertem oder regulinischem Schwefel entsteht, weil hier eine andere Art der Entstehung überhaupt nicht möglich ist; bei der Bildung von H2S aus Eiweissstoffen aber könnte ebensowohl auch eine Abspaltung prä- formierter H2 S-Grruppen unter dem Einfluss des Bakterienlebens zu- stande kommen, ganz wie sie bei viel einfacheren Eingriffen, z. B. beim Erhitzen des Eieralbumins oder sterilisierter Würze beobachtet ist. Neuerdings haben jedoch Petei u. Maassen (a. a. 0.) versucht, auch diese Fälle als Reduktionswirkungen aufzufassen. Ihre allgemeine Theorie über die Entstehung des biogenen H2 S gründen sie auf die Annahme, dass unter dem Einfluss des Bakterienlebens nascier ender Wasserstoff entstehe, der neben anderen wohl bekannten Reduktions- vorgängen auch die Hydratation des in Säuren oder komplizierten Ver- bindungen vorhandenen Schw^efels bewirke. Als Hauptstütze für diese Ansicht lässt sich die Thatsache anführen, dass bei Gegenwart fein verteilten regulinischen Schwefels alle Bakterienarten H2 S entwickeln, was überhaupt gar nicht anders, als durch reduzierende Wirkung nascierenden Wasserstoffs zu erklären ist. Ferner spricht hierfür die von Petei u. Maassen konstatierte Thatsache, dass nur diejenigen S-haltigen Verbindungen, welche ihren Schw^efel ganz oder teilweise an nascierenden H abgeben, den Bakterien als Quelle der H^S- Produktion zu dienen vermögen, während diejenigen, welche ihren Schwefel nur durch tiefgreifende Spaltung abgeben, hierzu unfähig seien. Andererseits bildet auch das Argument, dass freier Wasser- stoff bisher nur bei Anaeroben, nicht aber bei Aeroben gefunden sei, kein Hindernis für die Petei - MAASSEN'sche Anschauung; bei Aeroben geht eben der nascierende H sogleich in chemische Ver- bindungen ein. Überhaupt ist nach den angeführten Versuchen nicht daran zu zweifeln, dass in gewissen Fällen die H2S-Bildung durch nascieren-den H vermittelt wird; auch die Existenz analog wirkender, stark redu- zierender Stoffe, wie z. B. des von de Rey-Pailhade (r: K. 90. 32 GoTSCHLiCH, Lebensäusserungea der Mikroorganismen. 173 und C. R. soc. biol. 1893. 46) in Hefezellen nachgewiesenen „Philo- thions" kann als Erweiterung der PETEi-MAASSEN'schen Theorie angesehen werden. Gegen die allgemeine Geltung derselben jedoch lässt sich manches einwenden. So hat Rubner mit Recht dagegen geltend gemacht, dass die Thatsache der synthetischen Entstehung des HoS in Kulturen, die regulinischen Schwefel enthalten, noch lange nicht denselben Modus der Entstehung für schwefelfreie Substrate beweist; im Gegenteil sah er vielfach beim Fehlen des regulinischen Schwefels in der sonst in gleicher Weise zusammengesetzten Nährlösung Ausbleiben der HoS-Produktion. Es liegt also nahe anzunehmen, dass die H2 S-Entwicklung aus komplizierteren Molekülen, als Eiweissstoffen etc., nicht auf indirektem synthetischen Wege, durch Reduktion zu- stande kommt, sondern vielmehr einer Spaltung des Moleküls, wobei präformierte HjS-Gruppen frei werden, seine Entstehung verdankt. Zwar hatten auch Petki und Maassen sich einer derartigen An- schauung insofern angenähert, als sie betonten, dass der zur Erzeugung des H.2S erforderliche nascierende Wasserstoff auch aus demselben Molekül entstehen könne, welches den Schwefel dazu hergiebt, dass also hier eine Wanderung des Wasserstoffs im Molekül, eine „innere Re- duktion" zustande komme; doch halten sie ersichtlich auch hier die Not- wendigkeit des nascierenden Wasserstoffs für die Schwefelwasserstoff- entwicklung fest, während Rttbner einfach die Existenz des HjS als eines Abspaltungsproduktes von Eiweissmolekülen konstatiert, ohne über den vorläufig unbekannten Modus desselben sich zu verbreiten. In der That stehen nun auch auf diesem Punkte der PETRi-MAASSEN'-schen Anschauung gewichtige Bedenken gegenüber. So betont Beijerinck (a. a. 0.), dass manchen Bakterien, welche freien Wasserstoff in grossen Mengen ausscheiden, wie die anaeroben Granulobakterarten, und sehr intensive Reduktionsvorgänge^bewirken, doch das Vermögen fehlt, H2S aus Sulfaten zu bilden; ferner ist es in Rubner's Versuchen höchst auffallend, dass die orange Sarcine trotz lebhaftester H^ S-Entwicklung doch Nitrate nicht zu Nitriten zu reduzieren vermag. Auch die von Rubner gefundene Thatsache, dass bei energischer Durchlüftung der Kulturflüssigkeit, w^obei an die Wirksamkeit nascierenden Wasserstoffs nicht wohl gedacht werden kann, doch die HjS- Ausscheidung fort- besteht, bereitet der PETRi-MAASSENschen Anschauung mindestens grosse Schwierigkeiten. Jedenfalls ist hiernach die ausschliessliche Auffassung jeder H2 S-Entwicklung als eines Reduktionsprozesses bedenklich erschüttert, und man wird, wie dies auch Petri und Maassen in ihrer letzten Mit- teilung thun, für gewisse Fälle die Möglichkeit der Entstehung des H2S als eines primären Spaltungsproduktes anerkennen müssen. 174 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Ganz ähnlich liegt die Frage nach der Entstehung des häufig neben dem H2S auftretenden und zuerst von Nencki (M. Ch. 10. 526) bei der Fäulnis nach- gewiesenen Merkaptans. Auch hier kann entweder eine synthetische Ent- stehung aus gleichzeitig erzeugtem H2S und Alkylen vorliegen, oder das Merkaptan bei der Spaltung der Eiweisskörper als fertige, relativ resistente Gruppe abge- spalten werden. Wahrscheinlich kommen in der That beide Prozesse vor und ist die Entstehung des Merkaptans bei verschiehenen Arten verschieden. Für die Existenz der synthetischen Bildung des Merkaptans spricht der Befund bei dem von Maassen entdeckten Bac. esterificans, bei welchem in den ersten Tagen der Kultur intensive Entwicklung von Merkaptan, später aber eine durch den Ge- ruch nach Ananasäther sich kundgebende Esterbildung vorliegt; ferner fand Rtjbner (A. 19. 187) in gährenden Hefekulturen, die aus beigemengtem feinverteilten Schwefel gleichzeitigHoS entwickelten, Erzeugung von Aethylmerkaptan. Anderer- seits spricht für die Möglichkeit einer direkten Abspaltung der Merkaptangruppe die von Rubner gefundene Thatsache, dass Eiweissstofi'e beim Schmelzen mit Kali Merkaptan abgeben. Sporen von Penicillium glaucum, Reinkulturen von Hefe und Bac. prodigiosus entwickelten bei derselben Behandlung nur wenig Merkaptan; also sind abgestorbene Zellleiber keine sehr ergiebige Merkaptanquelle ; doch spricht dieses Resultat indirekt für die thatsächliche Existenz der Ab- stossung von Merkaptangruppen aus dem . als Nahrung dargebotenen Eiweiss- molekül, bevor es zum Aufbau der Leibessubstanz von der Bakterienzelle ver- wendet werden kann. Auch Sulfate können, wie oben erwähnt, nach Rubnee's Ver- suchen gelegentlich als Stoffwechselprodukte der Bakterien auftreten; bei den Schwefelbakterien bilden sie nach Winogeadsky das wich- tigste Stoffwechselprodukt, welches in seiner Bedeutung für die dyna- mogene Ernährung dieser Mikroben der CO2 - Ausscheidung anderer Lebewesen gleichzustellen ist. — Der Kreislauf des Schwefels im Stoff- wechsel der Bakterien, speziell dieH2S-Ausscheidung hat wahrscheinlich eine grosse Bedeutung in der Natur: einerseits für die grosse Fauna und Flora, die speziell auf H2S als Lebensbedingung angewiesen ist, anderer- seits auch für die chemischen Formen, in denen der Schwefel auf der Erde auftritt; so ist nach Beijerinck (a. a. 0.) der Gehalt ausgedehnter Schlammlager am Grunde von Seen und besonders am Boden des schwarzen Meeres an Schwefeleisen auf die Thätigkeit von Sulfidbak- terien zurückzuführen; auch erklärt sich nach demselben Autor die Armut mancher Grundwässer, z. B. im südlichen Holland, an Sul^ faten vielleicht durch die reduzierende Thätigkeit anaerober Mikro- organismen. in. Die Bildung von Farbstoffen ist unter den Mikroorganismen ausserordentlich verbreitet. Rotes Pig- ment wird beispielsweise gebildet von der Rosahefe, vom Mikrokokkus cinnabareus, Bac. prodigiosus, Bac. indicus ruber, Spirillum rubrum, den GoTSCHLicH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 175 roten Schwefelbakterien u.a.m.; grüne nFarbsto ff erzeugen nnter anderem der Bac. pyocyaneus und die ihm nahestehenden Arten, B. fluoresc.putidus, B. erythrosporus, B. fluoresc. liquefac, Frick's Bac. des grünen Sputums; blauer Farbstoff findet sich beim B. cyanogen., beim BEUERiNCKschen Bac. cyaneo-fuscus, violetter beim Bac. janthinus, brauner beim Bac. fuscus, schwarzbrauner bei der Cladothrix dichotoma, schwarzer bei einigen Torulaarten, gelber bei zahlreichen Mikrokokken, Sarcinen und Bacillen, orangegelber beim Staphylokokkus pyogenes aureus, der Sarcina aurantiaca etc. Ihrer physiologischen Dignität nach sind nun aber diese Farbstoffe sehr verschieden; nach Beijeeinck (B. Z. 1891) kann man hiernach folgende drei Hauptgruppen der chromogenen Bakterien unterscheiden: 1. Chromophore Bakterien, bei denen der Farbstoff in der Leibessubstanz selbst abgelagert ist und wahrschein- lich eine bestimmte biologische Bedeutung hat, analog dem Chlorophyll der höheren Pflanzen; hierher gehören zunächst die wenigen durch VAN TiEGHEM Und Engelmann (cit. nach de Bart, Vgl. Morphologie der Pilze etc. 1884) beschriebenen Bakterienarten, welche echtes Chloro- phyll führen und nachweislich genau wie die höheren Pflanzen im Lichte Sauerstoff ausscheiden, ferner vor allem die schon mehrfach erwähnten roten Schwefelbakterien, deren Farbstoff' nach neueren Untersuchungen- Engelmann's (Pf. 42) ebenfalls ein echtes Chromo- phyll sein und im Lichte Sauerstoffausscheidung veranlassen soll. 2. Chromopare oder echte Pigmentbakterien scheiden den Farbstoff als nutzloses Exkret aus, und zwar wahrscheinlich oft nicht als solchen präformiert, sondern in Form einer ungefärbten Vorstufe, eines Leuko- körpers, der dann mit dem atmosphärischen Sauerstoff sich erst zu dem gefärbten Produkt verbindet; die Individuen selbst sind also farb- los und lassen sich unter veränderten Versuchsbedingungen leicht in farblosen Varietäten züchten; hierher gehört insbesondere der Bac. prodigiosus, der Bac. cyanogenes, B. cyaneo-fuscus, B. pyocyaneus. Die Farbstoffe diffundieren häufig weit in das Nährsubstrat, wie z. B. beim Bac. fluoresc. non-liquefac, Cladothrix dichotoma, oder lagern sich in Krystallen in der Kulturmasse ab, wie beim Bac. cyaneo-fuscus und den weiter unten zu beschreibenden Lipochrombildnern. 3. Para- chromophore Bakterien bilden den Farbstoff zwar als Exkret, doch haftet er ihrer Hülle an; hierher sollen B. janthinus und violaceus gehören. Die Bedingungen der Farbstoffproduktion fallen bei den chromophoren Bakterien vollständig mit den Lebensbedingungen zu- sammen, da bei ihnen die Farbstoffbildung ein notwendiges Glied des allgemeinen Lebensprozesses darstellt. Die anderen chromogenen Mikro- ben hingegen bedürfen zur Ausübung der Farbstoffbildung, welche für 176 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. sie gewissermassen eine Luxusproduktion darstellt, gewisser optimaler Bedingungen, während sie unter minder günstigen Verhältnissen farb- lose Kulturen bilden, aber immer noch lebhaft wachsen. Betr. der Nährstoffzufuhr ist bereits oben erwähnt, dass Gessakd einen gewissen, 0,25 *^;'o übersteigenden Gehalt an Phosphaten als notwendige Vor- bedingung für die Erzeugung des iiuorescierenden Farbstoffs des Bac. pyocyaneus nachwies; in ähnlicher Weise zeigt Frick (V. 116), dass sein Bac. virescens den grünen Farbstoff in mineralischer Nährlösung trotz üppiger Kulturentwicklung nicht bildet, sondern ihn offenbar nur aus hochkomplizierten Molekülen abzuspalten vermag. Auf ver- schiedenen Nährböden sind auch häufig die Nuancen des Farb- stoffs verschieden, z. B. in den Kulturen des Prodigiosus, Cyanogenes, Pyocyaneus auf Gelatine einerseits, Kartoffel andererseits. Von ein- greifendster Bedeutung für das Zustandekommen gefärbter Kulturen ist reichlicher Zutritt freien Sauerstoffs; insbesondere LiboeiüS (Z. 1. 115) hat nachgewiesen, dass schon bei massiger Behinderung des Luftzutritts, z. B. durch Bedeckung mit einer Olschicht, die Farbstoff- produktion sistiert wird, während das W^achstum ungehemmt bleibt; hiernach schien der Schluss geboten, dass die Bakterien zunächst nur ein Leukoprodukt ausscheiden, welches bei Luftzutritt zu dem gefärb- ten Stoffe oxydiert wird. Indessen existieren auch Bakterien, die ihren Farbstoff gerade nur bei Luftabschluss bilden, so das Spirillum rubr. von Esmaech, Bei manchen chromogenen Arten ist die Farb- stoffproduktion nicht innerhalb des ganzen, das W^achstum gestatten- den Temperaturbereichs, sondern nur in engeren Grenzen möglich; am bekanntesten ist wohl das Beispiel des Bac. prodigiosus, der nach ScHOTTELius (Biolog. Stud. üb. d. Mikr. prodigios. Leipzig 1887) bei Brüttemperatur völlig farblose Kulturen bildet. Dieudonne (A. G. 9. 492) hat ein ähnliches Verhalten auch für mehrere andere Arten kon- statiert, gleichzeitig aber gefunden, dass durch eine allmähliche An- gewöhnung an diese ungünstigen Temperaturen die Farbstoffproduktion annähernd oder vollständig restituiert werden kann. Gegen das Licht verhalten sich die chromogenen Arten sehr verschieden; notwendige Vorbedingung ist dasselbe allein für die Farbstoffbildung des Mikro- kokkus ochroleucus von Prove (B. B. IV), der im Dunkeln farblos wächst, im Lichte schwefelgelbe Kulturen bildet; andere Farbstoff- bildner, wie Frick's Bac. virescens, sind gegen massige Belichtung indifferent, während noch andere durch Licht geschädigt werden, wie z. B. ein von Grotenfeld (F. 89. 41) beschriebener Bacillus, der seinen roten Farbstoff nur im Dunkeln bildet. Durch längere Fort- züchtung oder schädigende Einwirkungen können farblose Rassen entstehen; besonders ist dies vom B. cyanogenes (Behr, C. 8. GoTSCHLiCH, Lebensäusserungeu der Mikroorganismen. 177 485) und Pyocyaneus (u. A. Chaeein u. Fhisalix, C. R. 114. 1565) bekannt. Die chemische Untersuchung der Pigmente hat ergeben, dass sie sehr verschiedenen Gruppen von Körpern angehören. Am ge- nauesten ist ein Farbstoff des B. pyocyaneus, das Pyocyanin, von Gessaed untersucht; dasselbe ist eine den Ptomai'nen nahestehende Base, dessen Sulfat und Chlorid in rötlichen Nadeln krystallisieren, und dessen Lösungen krystallinisch gefällt werden durch Goldchlorid, Platinchlorid, Kaliumquecksilberjodid, Quecksilberchlorid, Tannin, Phosphormolybdän- säure; aus einem Gemisch von Ferridcyankalium und Eisenchlorid fällt das Pyocyanin allmählich Berlinerblau. Ferner sind von Bajbes noch 3 andere Farbstoffe des Bac. pyocyaneus beschrieben worden: ein azurblauer, der auf Säuren und Alkalien in ähnlicher, aber noch feinerer Weise wie Lakmus reagiert, und 2 dichroitische Farbstoffe. Auch ein gelbbrauner Farbstoff, Pyoxanthin, ist von Foedas aus Pyocyaneus- kulturen isoliert worden. Die fluorescierende Substanz des Bac. fluo- resc. liquefac. ist von Hoffa (M. 91. Nr. 14) als Eiweisskörper erkannt worden, der jedoch nur in ammoniakalischer Lösung fluoresciert. Das Ammoniak scheint auch noch in mehreren anderen Fällen ein Bestand- teil des Farbstoffs zu sein; so ist nach Hüeppe und Scholl (F. S9. 807) der in Milch gebildete Farbstoff des Bac. cyanogenes ein Salz, bestehend aus Ammoniak und einer fetten Säure. Der Farbstoff des Bac. prodigiosus hat nach Geiffiths (C. R. 115. 321) die Zusammensetzung Cgg Hjg NO5 und zeigt in seinem Spektrum je einen Absorptionsstreifen im Blau und im Grün. Dieser Farbstoff war bereits früher, von Scheoetee (B. B. I. Heft 2, 109), allerdings ohne Verwendung von Reinkulturen, eingehend untersucht worden; hierbei hatte sich eine interessante Übereinstimmung mancher chemischer Reaktionen desselben mit denen von gleichfarbigen Anilinfarbstoffen herausgestellt; ähn- liche Übereinstimmungen waren auch von Erdmann (J. pr. Ch. 1866. 385) beobachtet worden. Der Farbstoff des Bac. cyaneo-fuscus ist nach Beijeeinck mit dem Indigblau sehr nahe verwandt, vielleicht gar identisch. Endlich sind noch neuerdings von Zopf (B. Z. 89. Nr. 5/6 und B. G. IX. 22) und Oveebeck (Nova Acta d. K. Leop. Carol. Deutschen Akad. d. Naturf. Bd. 55. Nr. 7) in Bakterien Farbstoffe von fettartigem Charakter, Lipochrome, isoliert worden; dieselben machen auf Papier Fettflecken, lassen sich verseifen, geben die Acrolei'nreaktion und zeigen bei Behandlung mit Schwefel- oder Salpetersäure Blaufärbung (Lipocyan). Gelbe Lipochrome mit zwei charakteristischen Absorptions- streifen bei F und G, sog. Dilipoxanthine, werden von B. egregium Z., B. Chrysogloia Z. und von Staphylokokk. pyogen, aur. gebildet; rote, mit einem Absorptionsstreifen beiF, sind bei zwei Mikrokokken nachgewiesen. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. L 12 178 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. IV. Die Veränderung der Reaktion des Nährsubstrats durch Bildung von Säuren oder Alkalien lässt unbeschadet der Verschiedenheit der erzeugten chemischen Pro- dukte doch einen gewissen Einblick in die allgemeine Natur des Stoff- wechsels zu, indem ein gegebener Mikroorganismus unter bestimmten Versuchsbedingungen entweder saure Affinitäten freimacht oder solche sättigt. Freilich ergeben sich je nach der Natur des Nährmaterials und vor allem durch gleichzeitige Gährungen oft ganz veränderte Verhält- nisse. Hierauf sind auch die häufig geradezu widersprechenden An- gaben der Autoren zurückzuführen. Zur Erkennung der Reaktionsveränderung bediente sich zuerst Büchner (A. 3. 418) des Zusatzes von Lakmus zu den Nährböden; doch traten bei dieser Versuchsanordnung besonders in eiweiss- und peptonhaltigen Medien in störender Weise die Reduktionsvsrirkungen der Bakterien hinzu. Eine Verbesserung der Methode erreichte Petruschky (C. 6. 657) durch Verwendung von Lakmus- Molke. SoMMARUGA (Z. 12. 273) prüfte die Reaktion der Stoffwechselprodukte beim Wachstum in den gewöhnlichen Nährmedieu durch nachträgliche Titration der ausgewachsenen Kultur mit Rosolsäure; in einigen Versuchsreihen setzte er den Indikator gleich von vornherein dem Nährmedium zu. Freilich kommen hierbei häufig wieder intensive Redaktions Vorgänge ins Spiel, die jedoch nach Sommaruga's Angabe leicht von den Veränderungen der Reaktion zu unter- scheiden sind und das Resultat nicht beeinträchtigen. Phenolphthalein eignet sich für diese Zwecke nicht, weil es in den gebräuchlichen Nährmedien erst auf Alkalimengen reagiert, die schon entwicklungshemmend wirken. Kauf- mann (C. 10. Nr. 2/8) empfiehlt für die Prüfung der Säure- oder Alkaliproduktion als Nährsubstrat ein Dekokt von Jequiritysamen , welches bei neutraler Reaktion von hellgelber Farbe ist, durch Säuren entfärbt und durch Alkalien grün gefärbt wird. Ein hübsches, für demonstrative Zwecke geeignetes Verfahren zur Er- kennung selbst kleiner Säuremengen hat Beijerinck (C. 9. 781) angegeben; die zu prüfenden Mikroorganismen werden auf Gelatineplatten gebi-acht, die mittelst einer Aufschwemmung von Kreide oder anderer unlöslicher Karbonaten undurch- sichtig gemacht sind; um die säurebildende Kolonie entsteht dann durch Auf- lösung der Kreideteilchen ein heller Hof. Die bisher mit diesen Methoden erreichten Ergebnisse sind folgende. Buchner (a. a. 0.) wies für den Bac. neapolitan. Emmerich, den Typhusbacillus, einen aus Darminhalt isolierten Bacillus, den Cholera- vibrio und den Vibrio Proteus intensive Säurebildung durch Zersetzung des Traubenzuckers nach; Weisser (Z. 1. 335 ff.) bestätigte im we- sentlichen diesen Befund. Petruschky (C. 7. 49) fand, dass nur wenige Arten, als Hühnercholera, Kaninchenseptikämie, Mäusesepti- kämie die Reaktion der neutralen Lakmusmolke gar nicht verän- dern; die Mehrzahl der untersuchten Arten brachte eine deutliche, so- wohl ihrem Sinne als auch annähernd ihrer Grösse nach unter gleichen Versuchsbedingungen konstante Reaktionsveränderung hervor; unter GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 179 den Säiirebildnern fanden sich in aufsteigender Reihe Mikrokokkus tetragemis, Bacillus typhi abd., Bac. crassus sputigen., Bac. Fried- länder, Bac. prodigiosus, Bac. neapolitan., Bac. capsulat. Pfeiffer, Bac. acid. lactici; zu den Alkalibildnern gehörten Bac. der Schweineseuche, Proteus Zenkeri, Spirill. Deneke, rosa Hefe, Oidium lact., Staphy- lokokkus pyogen, aureus, Spirill. Finkler, Sarcine, Proteus vulgaris, Streptokokk. erysipel., Bac. des Schweinerotlaufs, Spirill. choler. asiat. , Bac. violaceus, Bac. fluoresc. liquefac, Bac. indicus ruber, Pyocyaneus, Cyanogenes. Sommaruga (a. a. 0.) hingegen fand, dass die von ihm untersuchten Arten, auf den gewöhnlichen Nährmedien gezüchtet, fast sämtlich Alkali bilden; auf Agar, mit Fleisch- wasserpeptonbouillon bereitet, wird überhaupt nur Alkali produziert; unter ungünstigen Ernährungsbedingungen bewirken der Mikrokokkus tetragenus, der Wurzelbacillus, Milzbrandbacillus und Heubacillus Säurebildimg. Die Werte schwanken schon bei verschiedenen Proben von Bouillon sehr erheblich. Der scheinbare Widerspruch mit den Versuchen Petruschky's erklärt sich dadurch, dass in dessen Ver- suchen gährfähiges Material in Form von Milchzucker vorhanden Avar, welches demgemäss zur Bildung von Säure Veranlassung gab. Auch fand Sommaruga (Z. 15. 291) in einer späteren Versuchsreihe, dass eine grosse Anzahl von Bakterien auf glycerinhaltigen Nährböden so viel Säure aus dem Glycerin abspalten, dass die sonst gebilde- ten alkalischen Stoffvvechselprodukte neutralisiert werden und freie Säure auftritt, was auch durch eine Angabe von Burri (A. 19. 29) bestätigt Avird. Die gleichzeitige Entstehung alkalischer und saurer Stoffwechselprodukte durch denselben Bacillus aus 2 verschiedenen Stoffen des Substrats beobachtete ferner Smith (C. S. 389); selbstver- ständlich hängt dann der Ausfall der Reaktion des ganzen Kultur- mediums von dem Verhältnis beider Substanzen ab, ist also nicht eindeutig. Nimmt man noch hinzu, dass nach Tataroff's (Die Dor- pater Wasserbakterien. Diss. Dorpat 1891) Versuchen mit Petruschky- scher Lakmusmolke die Tendenz einer Art, Alkali oder Säure zu produ- zieren, ganz wesentlich von den äusseren Umständen abhängt, und dass die Resultate sich schon bei geringen Differenzen der Temperatur, der Zusammensetzung des Substrats etc. ändern, so wird man von einer allgemeinen Einteilung der Bakterien in Säure- und Alkalibildner ganz absehen müssen; für differential-diagnostische Zwecke zwischen man- chen Arten vermag aber vielleicht die Reaktionsbestimmung, besonders, wenn es sich nur um qualitative Differenzen handelt, etwas zu leisten. Alle diese verschiedenartigen Stoffwechselprodukte verteilen sich nun nicht etwa in der Weise auf die produzierenden Pilzarten, dass jede 12* IgO Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Art nur einige, zur gleichen Gruppe gehörige Produkte liefert, sondern sehr häufig beobachten wir, dass dieselbe Bakterienart- gleichzeitig z. B. CO.,, Fettsäure, Ptomaine, Fermente, Farbstoff produzieren und ausserdem Gährung erregen kann oder zu parasitärer Existenz und Krankheitserregung befähigt ist. Die Bakterien entfalten also eine ausserordentliche Vielseitigkeit in ihren chemischen Leistungen. Was sodann die Beantwortung jener auf die Konstanz und Spezifität der Stoffwechselprodukte bezüglichen Fragen anlangt, so ergiebt sich zunächst aus zahlreichen Beobachtungen, dass die einzelne Bakterienart nicht etwa auf jedem beliebigen Nährsubstrat alle die Stoffe liefern kann, zu deren Produktion sie überhaupt befähigt ist; viele Produkte setzen vielmehr ganz bestimmte physikalische Lebens- bedingungen und eine bestimmte Beschaffenheit des Substrats voraus, wofür z. B. die voraufgegangene Behandlung der Bedingungen der Farbstoffproduktion zahlreiche Belege liefert. Endlich veranlassen zu- weilen abnorme Veränderungen oder mehr zufällige Beimengungen des Nährmediums das vorübergehende Auftreten abnormer Produkte. Bei höheren Pflanzen beobachtet man in diesem Sinne die massenhafte Bildung von Amiden beim Fortfall der C- Assimilation; ferner die Bildung vonBenzoesäure, wenn den Pflanzen Hippursäure als N-haltiges Nährmaterial geboten wird. Ebenso vermögen z, B. Schimmelpilze zu- fällig vorhandene Gallusgerbsäure in der W^eise zu verarbeiten, dass Gallussäure und Glukose gebildet werden; in analoger W^eise ist auch die von Gosio (A. Bi. 92. 253) beobachtete Spaltung von Arsenver- bindungen durch Penicillium und vielleicht auch die mehrfach erwähnte Zerlegung von Nitraten durch Bakterien aufzufassen. W^enn nun also auch, wie von vornherein zu erwarten war, keine absolute Konstanz der Stoffwechselprodukte unter den verschiedensten Versuchsbedingungen besteht, so ist doch die Variationsbreite konstant, und innerhalb derselben vollziehen sich die chemischen Leistungen in streng gesetzmässiger Abhängigkeit von den äusseren Faktoren, so dass unter vollständig gleichen Bedingungen auch die er- zeugten Produkte bei derselben Bakterienart stets die gleichen sind. Es ist also zulässig, charakteristische Stoffwechselprodukte als differential-diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung und Unterscheidung der einzelnen Bakterienarten zu benutzen. Manchmal reicht ein einzelnes Merkmal nicht aus, um diese Trennung verschiedener Arten zu vollziehen, wie dies z. B. bei der Unterscheidung zwischen dem Typhusbacillus und den typhusähnlichen Bacillen der Fall ist; dann wird die Charakterisierung durch das Zusammensein verschiedener biologischer Merkmale ermöglicht. Als Artcharakteristica werden namentlich die Produktion von Farbstoffen, Peptonisierung der Gelatine GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. \^l und Gährprodukte benutzt. Selbst wenn diese charakteristischen Pro- dukte unter dem Einfluss abnormer äusserer Bedingungen in Wegfall gekommen sind, lassen sie sich doch gewöhnlich wieder zur Anschauung bringen, sobald die Mikroben wieder in günstige Bedingungen versetzt werden. Die Konstanz der chemischen Wirkung einer Art erhält sich also selbst nach Einwirkung schädigender äusserer Momente. Die Bakterien verhalten sich in dieser Beziehung offenbar im ganzen ähnlich wie die höheren Pflanzen, die auch nicht die Produktion bald dieser, bald jener spezifischen Stoffwechselprodukte ablegen oder erwerben; so verliert wohl der Schierling imter abnormen Bedingungen die Fähig- keit, Coniin zu produzieren; doch kehrt die Produktion wieder, wenn günstigere Lebensbedingungen den überlebenden Exemplaren oder deren Nachkommen die volle Ausübung aller Lebensfunktionen ge- statten. Nur bezüglich der Gährungs- und Krankheitserregung zeigen die Bakterien eine eigentümliche Abweichung von dem Verhalten der höheren Pflanzen; die Spaltpilze können nämlich diese Fähigkeiten unter dem Einfluss abnormer äusserer Bedingungen auch dauernd einbüssen, und dieser Verlust vererbt sich dann auf die Nachkommen durch mehrere Generationen, selbst wenn wieder normale Existenz- bedingungen Platz gegriffen haben. Auf diese Punkte, sowie auf die Rassenbildung bei den Bakterien überhaupt ist in einem besonderen Kapitel „Variabilität" näher eingegangen. F. PtomaVne, Toxine und Toxalbumine. Giftige Produkte, die unter dem Einfluss des Bakterienlebens ent- stehen, sind zuerst aus Fäulnisgemischen isoliert worden. So gewannen Panum sein „extraktförmiges ]3utrides Gift", Beegmann und Schmiede- berg ihr Sepsin, Zuelzeb und Sonnenschein, Hagee, Otto, Selmi u. A. aus faulenden Substanzen giftige Extrakte, die meist dem Coniin, zu- weilen aber auch dem Atropin, Curare, Delphinin, Morphin etc. in ihrer Giftwirkung ähnlich waren und in ihrem ganzen chemischen Ver- halten eine sehr nahe Verwandtschaft mit den pflanzlichen Alkaloiden zeigten. Eine genaue historische Aufzählung der älteren Arbeiten über Ptomaine würde hier zu weit führen; vgl. Husemann's Bericht im Arch. f. Pharmazie. 3. R. Bd. 16 — 22, ferner Otto, Anleitung zur Ausmitte- lung der Gifte. 6. Aufl. Braunschweig 1SS5, Beiegee, Ptomaine. I — IIL Berlin 1885 u. 1886 und Maly's Jahresber. f. Tierchemie. Selmi (B. Ch. 1878) schlug für die ganze Gruppe dieser N-haltigen Basen, mit Einschluss auch derjenigen, welchen eine Giftwirkung fehlte, den gemeinsamen Namen der Kadaveralkaloide oder Ptomaine {jcrmfia, Leichnam) vor. Die bisher erwähnten Untersuchungen hatten aber |§2 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. noch nicht zur Isolierung wohl charakterisierter chemischer Individuen geführt, sondern waren bei der Herstellung toxischer Extrakte von un- sicherer Zusammensetzung stehen geblieben. Die Reindarstellung und die Ermittlung der Elementarzusammen- setzung und Struktur eines Ptomams gelang zuerst Nencki (Üb. d. Zersetzung der Gelatine u. d. Eiweisses. Bern 1876). Derselbe stellte aus gefaulter Grelatine einen krystallinischen Körper dar, welcher die Zusammensetzung CgHuN und mit Wahrscheinlichkeit die Struktur OTT CeH4 C p-TT'^ MTX hatte; die Base ist also isomer mit dem CoUidin, jedoch durch das Verhalten beim Erhitzen etc. von diesem unterschieden. Später stellten Gautieb, u. Etakd (C. R. 94) aus gefaulten Fischen 2 Alkaloide dar, das Parvoliu, C^HjgN und das stark reduzierend wirkende Hydrocollidin, CgHj^N. Ferner erhielten Guakeschi u. Mosso (A. Bi. II) aus faulem Rindfleisch die Base CjoHigN, E. u. H. Salkowski aus faulem Fibrin und Fleisch eine wahrscheinlich noch nicht ganz reine Base, ferner Pouchet (C. R. 97) aus Abwässern von Fleisch- und Knochenabfällen 2 sauerstoffhaltige Produkte, deren Platinsalzen die Formeln (C^HigNoOg, HCllo PtCl^ bezw. (C5H,,N,04, HC1)2 PtCl4 zukamen. Die chemischen Methoden, welcher sich die genannten Autoren zur Isolierung der Ptomaine bedienten, können hier nur kurz berührt werden. Am ältesten ist die Methode von Stas-Otto; die faulenden Stoöe werden mit Alkohol mehrmals digeriert und dann mit Äther unter Zusatz von Acid. tartaric. etc. ausgeschüttelt; diese Methode ist jedoch nicht imstande, die Ptomaine völlig rein zu isolieren. Vollkommener ist das Verfahren von Dragendorff, bei welchem nach Analogie der Gewinnung von Pfianzenalkoloiden die Ptomaine zuerst durch Ansäueruug mit H2SO4 in Sulfate übergeführt werden, die sich durch ihre Löslichkeit in Alkohol von der übrigen Masse trennen lassen; durch Behandlung mit Alkalien werden dann die Ptomaine frei und lassen sich in Äther oder Amylalkohol auf- nehmen. Durch mehrmalige Wiederholung dieser Prozedur gelingt eine Reinio-uno- der Alkaloide. Freilich zersetzen sich manche Ptomaine bei der Behandlung mit Alkali ; andere gehen wieder in den Äther nicht über. Mit verbesserten che- mischen Methoden nahm Brieger (Üb. Ptomame. I — III. Berlin 1885—86) das Studium dieser Körper in Angriif. Der (jrrundzug der BRiEGER'schen Methode besteht darin, dass das Filtrat der unter Ansäuerung gekochten faulenden Sub- stanzen zuerst mit Bleiacetat, dann, nach Entfernung des Bleies durch HoS, mit Quecksilberchlorid gefällt wird; die Ptomaine lassen sich dann schon teilweise durch die verschiedene Löslichkeit ihrer Quecksilberdoppelverbindungen, teilweise aber erst durch das differente Verhalten ihrer Phosphormolybdänsäure-, Gold- chlorid-, Platinchloriddoppelverbindungen und Pikrate trennen; die Darstellung der Basen aus den Doppelsalzen gelingt dann durch Entfernung der Metalle mittelst Schwefelwasserstoff, aus den Pikraten durch Ansäuerung mit Salzsäure und wieder- holte Ausschüttelung mit Äther. In einzelnen Fällen sind oft spezielle Modi- fikationen der Methode erforderlich. GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 133 Bei der Beurteilung der mittelst dieser Methoden gewonnenen Resultate ist jedoch gewisse Vorsicht geboten. Denn abgesehen davon, dass die Reagentien, besonders der Amylalkohol, häufig stark giftige Verunreinigungen enthalten oder selbst giftig sind, ist es auch sehr wohl möglich, dass durch die eingreifenden chemischen Manipulationen aus dem Eiweiss oder ungiftigen Spaltungsprodukten desselben Gifte ab- gespalten werden, die dann fälschlich als präexistent angenommen und derLebensthätigkeit der Mikroorganismen zugeschrieben werden können; so hat z. B. Gram (A. P. XX. 116) darauf hingewiesen, dass das Cholin, welches nach Brieger die Muttersubstanz vieler Ptomaine darstellt, gegenüber chemischen Eingriifen sehr wenig widerstandsfähig ist und leicht das giftige Neurin abspaltet. Andererseits ist es auch möglich, dass präexistente kompliziertere Giftstoffe durch die schonungs- lose chemische Behandlung so tief gespalten werden, dass nur einfache ungiftige Produkte übrig bleiben; hierdi\rch erklärt sich vielleicht der negative Erfolg mancher Untersuchungen. — Mittelst dieser Verfahren gelang es nun Brieger eine grosse An- zahl N-haltiger Basen aus faulendem Material darzustellen, von denen viele ohne besondere toxische Wirkung waren, während andere sich stark giftig zeigten. Diese letzteren giftigen Basen fasste Breeger unter dem speziellen Namen der Toxine zusammen. 1. Zu den ungiftigen oder höchstens in grossen Dosen toxisch wirkenden Basen gehören: Neuridin, C5Hj4N2, sehr verbreitet, erhalten bei der Fäulnis von Fleisch, Käse, Leim (in besonders grossen Mengen), aus faulenden menschlichen Leichenteilen vom dritten Tage ab. Es ist seiner Struktur nach ein Diamin und chemisch durch seine schwerlösliche Pikrinsäure- verbindung ausgezeichnet; in ganz reinem Zustande völlig ungiftig. Gadinin, C^Hj-NO,, unbekannter Struktur, aus faulenden Dorschen und faulender Gelatine erhalten; Mäuse reagieren auf grössere Gaben mit einem der akuten aufsteigenden Paralyse ähnlichen Symptomen- komplex. Vielleicht ist dasselbe an den Symptomen bei Fischver- giftung auch beim Menschen beteiligt. TT Dimethylamin, N < ,rrio Finkler-Prior, Spirillum tyrogenum, B. megaterium, Heubacillus etc. durch Fällung mit Alkohol zu isolieren. Keine diastatische Wirkung zeigten Staphylokokk. pyogen, citr., Mikrokokkus ascoform., B. prodigiosus, B. pyocyan. und der Soorpilz. Über die Natur der durch diese bakteriellen Diastasen erzeugten Zucker ist nichts mitgeteilt, so dass sich hiernach der speziellere chemische Charakter der Fermente nicht bestimmen lässt; übrigens scheinen nach dem verschiedenen Ver- halten zu den Versuchsbedingungen, z. B. zur Temperatur, sowie nach der Ver- schiedenheit der quantitativen Leistung die von differenten Arten producierten Fermente chemisch verschiedene Körper darzustellen. Betreifs der Bedingungen für die Bildung vonDiastase durch Bakterien hatte Woetmann (a. a. 0.) festgestellt, dass dieselbe nur bei Gegenwart freien Sauerstoifs und nur dann stattfinde, wenn den Bakterien keine andere C-Quelle ausser der Stärke zur Verfügung steht ; in eiweisshaltigen Nährlösungen wird kein diastatisches, sondern ein peptonisierendes Ferment gebildet. Da jedoch Wortmann, wie er- wähnt, nur mit unkontrollierbaren Bakteriengemischen arbeitete, so ist es sehr wohl möglich, dass auf den verschiedenen Nährsubstraten ganz diflferente Arten zur Entwicklung gelangt waren. Feemi fand in seinen mit Reinkulturen augestellten Versuchen, dass auch auf stärkefreiem Substrat Bildung des diastatischen Ferments stattfinde; dagegen ver- misste er dasselbe bei Züchtung auf eiweissfreiem Substrat, also unter ungünstigeren Ernährungsbedingungen. — Von den Bedingungen der fermentativen Wirksamkeit der Diastase ist vor allem die Temperatur einflussreich; das Optimum liegt bei etwa 63^; die Wirkung beginnt schon bei -}-5*^ und er- lischt zwischen 65 und 75'^. Glycerinbeimengung lässt die schäd- liche Temperatur höher rücken, Alkoholzusatz wirkt in umgekehr- tem Sinne. Geringe Acidität ist für die meisten diastatischen Fermente GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. j^99 günstig; Ptyalin und Pankreasferment wirken dagegen mir in alka- lischer Lösung. Die chemische Wirkung der diastatischen Fermente auf die Stärke ist keine einheitliche; es existieren mehrere Gruppen solcher Körper, die sich durch die verschiedene Natur der bei ihrer Einwirkung auf die Stärke entstehenden Zwischen- und Endprodukte unterscheiden und die in den gebräuchlichen Diastasepräparaten häufig vereinigt vorkommen. Die ersten positiven Angaben über das Vor- kommen zweier Enzyme im Gerstenmalz rühren von Dübrunfaut und CüisiNiER (cit, nach BeuERiNCK [C. C. 1. 229] her; die Trennung derselben gelang mittelst ihrer ungleichen Diffusionsge seh win- digkeit in Gelatine zuerst Wijsman (r: K. 90. 155), welcher sie nach Cuisinier's Vorgang als Maltase und Dextrinase benannte. Diese ..Zweienzymtheorie" stützt sich auf die Thatsache, dass bei Einwirkung von Gerstenmalzdiastase auf Stärke bei Temperaturen bis zu 60 ^' viel luehr Maltose als Dextrine entsteht, während bei höherer Temperatur die Dextrine überwiegen; ferner unterscheiden sich die unter- und oberhalb 60" gebildeten Dextrine dadurch, dass letztere durch neu hinzugefügtes Malzextrakt in Zucker übergeführt werden können, während dies bei den unter 60 "^ gebildeten nicht ge- lingt. Hiernach muss nach Wijsman angenommen werden, dass in der Stärke zwei Fermente existieren: eines, die Maltase, welche schon bei 55*^ zerstört wird, verwandelt Stärke in Maltose und Erythro- granulose (identisch mit Erythrodextrin); das andere, welches gegen diese Temperatur noch resistent ist, die Dextrinase, verwandelt Stärke in Isomaltose, welche ihrerseits weiter durch Maltase in Maltose umgewandelt werden kann. Nach Beijerinck (a. a. 0.) be- darf diese Anschauung noch insofern einer Korrektur, als die Dextri- nase wahrscheinlich nicht im Gerstenmalz präformiert vor- kommt, sondern aus einer „Granulase", d. h. nach Beijekinck's Definition einem Enzym, das bei seiner Einwirkung auf Stärke Maltose und Achroodextrine erzeugt, durch die Erhitzung als Kunstprodukt ge- bildet wird; hierbei soll die Granulase das Vermögen der Maltose- produktion verlieren, während ihre Fähigkeit, Dextrin zu erzeugen, er- halten bleibe, und hierdurch zu Wijsman's Dextrinase werden. Andere Granulasearten, wie z. B. die im Mais- und Buchweizenmalz enthaltenen, zeigen eine solche Veränderung bei Erhitzung nicht, woraus eine chemische Verschiedenheit der Granulasen verschiedener Herkunft er- sichtlich ist. Unter den weitverbreiteten Granulasen lassen sich dann nach Beijerinck wiederum mehrere Arten unterscheiden; davon sei hier nur erwähnt die Trennung in „Alkaligranulasen", wozu Ptyalin 200 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. und Pankreasferment gehören, und „Säuregranulasen", zu denen z. B. auch das diastatische Ferment der anaeroben Granulobakterarten, der Erreger der Buttersäuregährnng, zu rechnen ist. Neben diesen beiden Hauptgruppen der Maltasen und Granulasen ist als dritte gleichwertige die der Gl u käsen anzuführen. Die Glukase wurde 1885 von Cüisinier im Maismalz entdeckt und von Geduld (r.: Koch's Jahresber. 1891. 250) rein dargestellt. Sie liefert als End- produkt d-Glukose durch Spaltung der Maltose, vermag aber auch höhere Stärkederivate, z. B. Isomaltose und Stärke selbst zu spalten. Hierbei werden aber Zwischenprodukte (Maltose bezw. Isomaltose) nur vorübergehend gebildet; die Spaltung geht stets vollständig bis sur d-Glukose als Endprodukt. Die Glukase ist in Wasser schwer löslich; ihr Vorkommen kann daher leicht übersehen werden. Thatsächlich sind Glukasen nach Beijeeinck (a. a. 0.), Röhmann (B. Ch. 27. 3251), BiAL (Pf. 52. 137) im pflanzlichen und tierischen Orga- nismus, wenn auch nur in geringen Mengen, doch sehr weit verbreitet. Auch in Mikroorganismen sind dieselben mehrfach nachgewiesen, so von BouEQUELOT (cit. nach E. Fischer, B. Ch. 28. 1430) im Asper- gillus niger und neuerdings von Lintner (cit. ebd. 1433), Beijeeinck, E. FisCHEE (a. a. 0.) in der Hefe. Manche dieser Fermente zeigen deutliche Unterschiede von der GEDULD'schen Maisglukase; Beijeeinck's „Zymoglukase" z. B. ist gegen Erhitzung empfindlicher, Lintnee u. Keöbee's Hefeglukase vermag nur Maltose, nicht auch Dextrin zu spalten. Eine Verwirrung der ohnedies schwierigen Nomenklatur auf diesem Gebiete droht dadurch, dass Bouequelot und E. Fischee für die im Aspergillus bezw. in der Hefe enthaltene Glukase den Namen „Maltase" vorschlagen, der bekanntlich längst für andere Fer- mente vergeben ist. Wir halten uns im Folgenden an die unzweideutige Bezeichnungsweise Beijeeinck's. Nach diesem Autor lassen sich die chemischen Leistungen der drei Hauptgruppen der Amylasen folgen- dermassen tabellarisch veranschaulichen, wobei + die endgiltige, -|-^ die vorübergehende Erzeugung, — das Fehlen des betr. Produkts be- deuten: Amylase- Umwandlungsproclnkt aus Stärkegranulose Gattungen Erythrodextrin Isomaltose Maltose d-Glukose Glukase Maltase Granulase + + + + GoTSCHLiCK, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 201 Amylase- Umwandlungsprodukte mit Erythrodextrin Gattungen Isomaltose Maltose d-Glukose Glukase Maltase Granulase + + Amylase- Umwandlungsprodukte aus Isomaltose Um wandlungsp rodukt Gattungen Maltose d-Glukose aus Maltose Glukase Maltase Granulase + + + + Ausser den genannten entsteht noch ein als Leukodextrin be- zeichnetes, wegen ungleichmässiger DifFusionsgeschwindigkeit offenbar als Gemenge anzusehendes Zwischenprodukt, welches schliesslich auch in Maltose übergehen kann. Diese Auffassung zeigt eine ziemlich gute Übereinstimmung mit den Resultaten, welche bei der Beobachtung des Stärkeabbaus durch natürliche Diastasen, die stets ein Gemenge der BEiJEEiNCKschen Typen darstellen, gewonnen wurden. Insbesondere scheint durch Untersuchungen von Lintner (r: K. 92. 254) und Schif- ferer (Über die nicht krystallisierten Produkte der Einwirkung der Diastase auf Stärke. Diss. Basel) sichergestellt zu sein, dass die früher als Zwischenprodukte angesprochenen „Maltodextrine" (vgl. z. B. Brown u. Morris, r: K. 90. 68) nur als Gemische von Achroo- dextrin und Isomaltose aufzufassen sind, sowie dass das letzte vor der Maltose auftretende Zwischenprodukt Isomaltose ist. Lintner (B. Ch. 26. 2533) nimmt an, dass die Stärke zunächst in eine Anzahl hoch komplizierter Komponenten zerfalle, und formuliert von dem relativ einfachsten derselben, dem Amylodextrin (Ci2H2oOio)54 an den Prozess folgendermassen: (C,2H2oO,n)34 + 3 H2O = 3 [(CioHaoOioln CijHsoO,,! (Erythrodextrin). 3 [(Ci2H2oO,o)i7 C12H22C,,] + 6 H,0 = 9 [(C,2H2nO,o)5 Ci2H220,ii (Achroodextrin). 9 [(CisHjoOiols- Ci2Ho20n]+45H20 = ö4 Ci.HooO,, (Isamaltose). 54 C12H22O11 (Maltose). Das Erythrodextrin wird übrigens von einigen Autoren, so von 202 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ScHirPEEER (a. a. 0.) n. Röhmann (B. Ch. 25. 3654) für ein Gemenge gehalten. Vor der chemischen Spaltung wird die verkleisterte Stärke einem Verflüssigungsprozess unterzogen; diese Arbeit wird nach Beijeeinck durch die Granulase geleistet. Hierbei kommen Korrosionen der Stärke- körner zustande, und zwar nach Keabbe (r. K. 90. 149) nur durch Einwirkung der Diastase von aussen, also durch gleichmässigen Schwund oder durch kraterähnliche Korrosionen oder tiefe Poren- kanäle; eine Verflüssigung der Stärke von innen heraus, die ein Ein- dringen der Diastase in die intermicellaren Räume der Stärke vor- aussetzen würde, soll nicht stattfinden, was allerdings von anderer Seite bestritten wird. Die Korrosionsfiguren können je nach der Natur der Diastase verschieden sein; so zeigt Kartofi^elstärke nach Keabbe (a. a. 0.) unter der diastatischen Wirkung von Fäulnisbacillen eine andere Einschmelzung, wie in Malzdiastaselösungen. Von analoger V^irkung, wie die besj)rochenen diastatischen Fermente, ist die von Bouequelot (C. R, 116. 826 u. 1143; CR. soc. biol. 1893. 653) in Aspergillus niger und Penicillium glaucum aufgefundene In u läse, welche Inulin fast vollständig in Lävulose verwandelt. b) Invertierende Fermente. Verwandeln Disaccharide (Rohrzucker, Maltose) in einfache Hexosen (d-Glukose, d-Fruktose). Ambekanntesten istdasinvertin, auchlnver- tase genannt, welches Saccharose in d-Glukose und d-Fruktose spaltet. Im tierischen Verdaiiungstraktus verbreitet, in höheren Pflanzen noch nicht nachgewiesen. Dagegen ist ein solches Ferment in Penicillium- und Aspergillus- arten von Gayon (Bull. soc. chim. 35. 58) nachgewiesen; Bouequelot (C. R. 97) gelang es, aus dem Aspergillus niger ein invertierendes Ferment zu extrahieren. Ferner wird dasselbe regelmässig und in reichlicher Menge von der gewöhnlichen Hefe geliefert, welche nur vermöge dieses Ferments zur Vergährung des Rohr- zuckers befähigt ist. Doch produzieren nicht alle Hefearten Invertin; so fand Roux (Bull. soc. chim. 35) eine kleine runde Hefe, welche in Traubenzuckerlösungen intensive Gährung veranlasste, auf Rohr- und Milchzucker aber gar keine Wir- kung ausübte. Auch Hansen (G. R. laborat. Carlsberg. IL 144) fand bei mehreren, keine Endosporen bildenden Saccharomyceten und Saccharomyces membra- naefaciens keine Invertinbildung, konnte sie aber bei der Mehrzahl der echten Saccharomyceten nachweisen. Beijeeinck (C. 4) konnte beim Saccharomyces Kefir und Sacch. Tyrocola invertierende Wirkung nachweisen; Kellner, Mori und Nagaoka (Z. physiol. Ch. 14. 297) schrieben dem Eurotium oryzae inver- tierende Wirkung zu; Kulturen desselben auf Reisbrei werden unter dem Namen Koji in Japan zur Herstellung alkoholischer Getränke verwandt. In Mukorarten konnte weder Gayon (a. a. 0.), noch Hansen (a. a. 0.) Invertin nachweisen. Über das Vorkommen des Invertins in Bakterien ist Folgendes bekannt: Gayon schrieb dem Bac. anthracis invertierende Wirkung zu, was aber durch die sogleich zu GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 203 erwähnende Untersuchungen von Fermt und Montesano (C. C. 1. 482 u. 542) widerlegt WTirde; Hueppe (a. a. 0.) nahm für die Milchsäurebacillen invertie- rende Wirkung an, was aber weder Bourquelot (a. a. 0.) noch Ferju und Montesano bestätigen konnten; freilich bleibt hierbei die Möglichkeit, dass diesen Autoren verschiedene Arten vorgelegen haben ; Sclavo (cit. nach Fermi-Moxtesano) fand beim Choleravibrio und beim Vibrio Metschnikoff eine inkonstante inver- tierende Wirkung. Besonders eingehend ist die Frage neuerdings von FERm u. Montesano untersucht. Sie fanden unter etwa 70 Mikrobenarten in gewöhnlichen, mit Rohrzucker versetzten Bouillonkulturen nur bei Bac. Megaterium, Bac. des Kieler Hafens, Bac. fluoresc. liquefac, Proteus vulgaris, weisser und rosa Hefe Inversionsvermögen, inkonstant ausserdem beim Choleravibrio und Vibrio Metsch- nikoff. Bei veränderter Reaktion der Nährflüssigkeit verlieren einige der genannten Mikroben ihre Invertinproduktion. An die Gegenwart von Rohrzucker ist dieselbe nicht gebunden, wie schon Fernbach (P. 90. 1. II. 641) für den Aspergillus niger nachgewiesen hatte, der in RATTLiNscher Flüssigkeit stets Invertin bildete. Einen guten Ersatz des Rohrzuckers bildete für die meisten invertierenden Spaltpilze das Glycerin, während in einfacher oder traubenzuckerhaltiger Bouillon keine oder eine nur sehr unbeständige Wirkung stattfand. Auch auf eiweissfreien Substraten erfolgt nach Fernbach, sowie nach Feemi und Montesano bei den meisten überhaupt zur Invertinproduktion be- fähigten Hypho-, Blasto- und Schizomyceten ungestörte Fermentbildung statt. Die Quantität des Invertins, zu deren Messung Fernbach eine etwas komplizierte Methode angegeben hat, ist bei differenten Arten von Mikroben sehr verschieden. Ebenso zeigt der zeitliche Verlauf der Invertinproduktion grosse Verschiedenheiten; während z, B. Proteus in Glycerinbouillon schon nach 24 Stunden invertierende Wirkung zeigt, tritt diese bei manchen Hefen erst nach 8 — 9 Tagen ein; bei einer und derselben Art ergeben sich wieder je nach der Natur des Nährbodens Verschiedenheiten. Besonderes Interesse verdienen Fern- bach's Resultate über das Verhältnis der im Zellleib des Aspergillus enthaltenen und der an die Kulturflüssigkeit abgegebenen Inver- tinmengen in verschiedenen Stadien der Kultur; merkwürdiger- weise findet sich die gesamte Menge des Invertins schon nach 24 Stunden in den Zellen fertig gebildet vor, aus denen sie successive, und zwar zuerst sehr langsam an die Kulturflüssigkeit ab- gegeben wird; erst bei nahezu vollständigem Verbrauch des Zuckers steigt die Invertinabgabe beträchtlich, was mit Rücksicht auf gleich- zeitige degenerative Erscheinungen am Mycel auf Inanition zurück- geführt werden muss. Wird dem Mycel frische Zuckerlösung geboten, so erfolgt sofort Sistierung der Invertinabgabe. Letztere erfolgt ferner sehr reichlich bei ungenügendem Sauerstoffzutritt. Ahnliche Resultate 204 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. erhielt Feenbach auch für die Invertinab gäbe der Hefezellen. O.Sullivan (r: K. 92. 256) findet sogar, dass jede Abgabe von Invertin aus der Hefezelle in das Medium auf Degenerationserscheinungen der Hefe zurückzuführen sei; gesunde Hefe giebt an Wasser kein Invertin ab, dagegen wie bereits früher erwähnt, reichliche Mengen stickstoffhaltiger Substanzen. Hiernach müsste bei der Einwirkung lebender Hefe auf Rohrzucker der Ort der invertierenden Wirkung als innerhalb des Zellleibes an- genommen werden. Invertin ist auch aus der Hefe isoliert dargestellt mittelst Extraktion und nachträglicher Fällung mit Äther. Die Analyse ergiebt 40,5 % C, 6,9% H, 9,5% N. Die vollständige Reinigung des Präparates scheitert an seiner leichten Zersetzlichkeit; insbesondere wird es auch bei Luft- zutritt sehr bald oxydiert. 0. Sullivan und Tompson (r. K. 90. 170) haben eine Reihe von Zersetzungsprodukten des Invertins, die sie Invertane nennen und die aus einem Eiweisskörper und einem Kohlehydrat bestehen sollen, eingehend studiert. Die von verschiedenen Mikroben gebildeten Invertine seh einen chemisch differente Körper zu sein, wie sich aus ihrem verschiedenen Verhalten gegen Dialyse und Filtration durch Chamberland-Filter, sowie aus ihrer ungleichen Resistenz gegen" schädigende Einwirkungen ergiebt. So sind z. B. nur die von Penicillium glaucum und Aspergillus niger gebildeten Invertine der Dialyse fähig; ferner geht das Invertin der Bierhefe durch Porzellan- filter, während die von den beiden oben erwähnten Schimmelpilzen gebildeten Fermente hierbei ja auch schon durch Papierfilter zurück- gehalten werden; auch sind die von Hyphomyceten gebildeten Inver- tine gegen abnorme Reaktion des Mediums und Temperaturen über 60*^ viel widerstandsfähiger, als die aus Bakterien stammenden. Das Temperaturoptimum für die Wirkung des Invertins von Schimmel- und Sprosspilzen liegt bei etwa 56** C. Zur Erreichung maximaler Wirkung ist ferner eine schwachsaure Reaktion erforderlich; der Aciditätsgrad ist bei verschiedenen Invertinen sehr verschieden; so zeigt das von Aspergillus niger ausgeschiedene Ferment nach Feenbach seine optimale Wirkung bei Gegenwart von -Ybu Essigsäure, das der Tautonville-Hefe aber bei -^-qi^jj. Alkaliüberschuss wirkt schon in ge- ringsten Spuren schädigend ein. Auch Alkohol setzt die Intensität der Inversion herab. Auffallend ist auch hier, dass das Invertin bei Gegen- wart von Rohrzucker, im Zustande der Thätigkeit, gegen schädigende Einwirkungen sich viel widerstandsfähiger zeigt, als isoliert im inaktiven Zustande. — Die Zersetzung des Rohrzuckers durch Invertin ist als hydrolytische Spaltung aufzufassen: GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 205 Ci2 H22 Oll + HoO = Co H12 Oß + Cg Hl 2 Oß. (d- Glukose) (d- Fruktose) Die Inversionsprodukte scheinen auf die Intensität des Prozesses keinen Einfluss auszuüben. Die invertierende Thätigkeit einer gegebenen Fermentmenge scheint bis ins Unbegrenzte fortzugehen; wenigstens fanden 0. SuLLiVAN u. Tompson (a. a. 0.) noch Fortgehen des Prozesses, nachdem das angewandte Präparat bereits das lOOOOOfache seines Eigen- gewichtes an Rohrzucker zerlegt hatte. Sehr bemerkenswert ist, dass der Inversionsprozess in quantitativer Beziehung bei optimalem Säure- grad fast vollständig dem für einfache chemische Umsetzungen giltigen HARCOURT'schen Gesetz folgt, wonach unter gleichbleibenden Versuchs- bediugungen (abgesehen von der Verminderung der umzusetzenden Sub- stanz) die Intensität der Umsetzung proportional der Menge der ange- wandten Substanz ist; für jeden Zeitpunkt der Umsetzung ist ein Wert 1 1 K:^ — 7^ — log :; konstant, wo & die Zeit in Minuten und x den in der Zeiteinheit umgesetzten Bruchteil der ursprünglich vorhanden gewesenen Substanzmenge bezeichnet. Die Zeit, die zur Erreichung eines bestimmten Inversionsstadiums erforderlich ist, steht also im umgekehrten Verhältnis zur Menge des vorhandenen Invertins. Bei Temperaturerhöhung bis 30^ steigt dieUmsatzgrösse entsprechend Harcourt's Gesetz, jenseits 30 '^lang- samer. Die Grösse des optimalen Säuregehalts ist mit der Temperatur und der Menge des Invertins in einer vorläufig noch nicht bestimmt formulierbaren Weise gesetzmässig verknüpft. Die eben dargelegte mathematische Gesetzmässigkeit gilt nun aber nach 0. Sullivan (r: K. 92. 256) auch für die invertierende Wirkung lebender Hefe auf Zuckerlösungen bei 12 — 20 ^; nur ist hier die hydro- lytische Energie der angewandten Hefe ohne Säurezusatz der Menge derselben direkt proportional, weil in der Hefezelle selbst schon die für das Invertin geeignetste Säuremenge sich vorfindet. Trotz- dem also die Inversion des Rohrzuckers im Zellleib der Hefe selbst vor sich geht, folgt sie doch einer für alle einfachen chemischen Pro- zesse giltigen mathematischen Gesetzmässigkeit; sie bildet daher ein Mittelglied zwischen einfachen chemischen Prozessen und Ferment- wirkungen einerseits, Gähr Wirkungen und direkter Thätigkeit des Proto- plasmas andererseits. — In diese Gruppe gehört ferner die Zerlegung von Polysac- chariden durch Hefe, z.B. der Melitriose in d-Fruktose und Meli- biose, sowie der Melibiose in d-Glukose und d-Galaktose; das die Me- litriose spaltende Ferment ist nach Bau (Chemiker-Zeitung 1895. Nr. 89) das gewöhnliche Invertin, während die Spaltung der Melibiose durch ein besonderes, nur in Unterhefe enthaltenes Enzym, die Melibiase, 2Q(3 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. zu stände kommt. Auch die Zerlegung der Maltose, deren Ferment, die Glukase, bereits oben besprochen ist, lässt sich unter diese Gruppe rechnen. Ferner ist hier der milchzuckerspaltenden Fermente, der Laktasen, zu gedenken, die u. a. von E. Fischer (B, Ch. 27. 2991 u. 3481) in Kefirkornern, sowie in der Milchzuckerhefe nachgewiesen sind und Milchzucker in d-Galaktose und d-Glukose zerlegen. Endlich wird auch die Trehalose durch ein von E. Bouequelot (C. R. 116. 826) im Aspergillus niger gefundenes Ferment, das er Trehalase nennt, gespalten; da neuerdings indessen E. Fischer (B. Ch. 28. 1432) die- selbe Zerlegung durch Malzdiastase eintreten sah, so wird an der Existenz eines spezifischen, nur Trehalose zerlegenden Fermentes viel- leicht zu zweifeln und diese Fähigkeit vielmehr einer besondern Art von diastatischen Fermenten zu vindizieren sein; dann würde sich die Trehalase in ähnlicher Weise wie die Glukase in die Hauptgruppe der Diastasen einreihen. c) Glukosidspaltende Fermente. Wirken auf Glukoside, d. h. auf Körper, die durch ätherartige Zusammenlagerung der d-Glukose mit einer anderen Komponente unter Wasseraustritt entstanden zu denken sind. In ganz analoger Weise leiten" sich von der Fruktose und der Galaktose, sowie ihren optischen Antipoden, d- bezw. 1-Fruktoside und Galaktoside ab. Da die im vori- gen Kapitel besprochenen Disaccharide nach der neueren Auffassung von E. Fischer ebenfalls als Glukoside der Zucker unter sich aufzu- fassen sind, so bieten sie mit den eigentlichen Glukosiden viel Ge- meinsames; auch werden manchmal durch dasselbe Ferment, wie z. B. durch Invertin, gleichzeitig Disaccharide und andere Glukoside gespal- ten. Bei der Spaltung zerfällt das Glukosid-Molekül unter Wasser- aufnahme in seine ursprünglichen Komponenten; es wird also stets d-Glukose und daneben ein sehr verschiedenartig ausfallender anderer Körper gebildet. Bekannte Beispiele dieser Art sind die Einwir- kung des Emiilsins auf Amygdalin, wodurch dieses in Glukose, Benzaldehyd und Blausäure gespalten wird: C2oH,,NOn + 2H2O = 2C6H,20o + C^R^ ■ COH + CNH; ferner die Sj)altung des myronsauren Kalis durch Myrosin in Glu- kose und Senföl, die analogen Zerlegungen des Salicins, Coniferins, Arbutins etc. Emulsin ist von Bourquelot (C. R. soc. biol. 1893. 653) im Aspergillus niger, von Gerard in Penicillium glaucum (C. R. soc. biol. 1893. 651) nachgewiesen worden. Unter den Bakterien fanden Fermi und Montesano (C. 15. 722) nur bei drei Ai-ten konstant das Vermögen, Amygdalin zu spalten, ausserdem bei einigen Arten GoTscHLiCH, Lebensäusserungen dei- Mikroorganismen. 207 eine unsichere Wirksamkeit. Doch scheint diese Spaltung direkt durch das lebende Protoplasma der Mikroben und nicht durch ein isolier- bares, von denselben ausgeschiedenes Ferment zustande zu kommen. Eine Zersetzung des Amygdalins beim Fäulnisprozess wurde schon von Geisson (Jahresber. d. Tierchem. 1S83) beobachtet. d) Celluloselösende Fermente werden vermutlich von manchen Arten des Bac. butyricus, sowie von Vibrio Rugula gebildet; auch ist wohl ihre Mitwirkung bei der Cellulose- gährung anzunehmen. VAN Senus (r: K. 90. 136) gelang es, aus Wasser, in dem Rüben faulten, durch Alkoholfällung ein celluloselösendes Fer- ment darzustellen. Nähere Untersuchungen über diese Fermente fehlen jedoch bisher. II. Eiweissspaltende (peptonisierende) Fermente. Sie führen die Eiweissstoffe durch hydrolytische Spaltung in lös- liche, diffusible Produkte über. Ausser den hierher gehörigen Fermenten des Magensaftes und Pankreassekrets sei hier als Beispiel für die weite Verbreitung dieser Körper noch ein Ferment pflanzlicher Herkunft, das Papai'n aus Carica Papaya erwähnt, das ebenso wie Trypsin in alkalischer Lösung wirksam ist. — Bei den Mikroorganismen sind offen- bar diese Fermente ebenfalls sehr häufig vertreten; die von so vielen Arten bekannte Verflüssigung der Gelatine und anderer eiweisshaltiger Nährböden kommt lediglich durch Produktion eines eiweiss- und leim- lösenden Ferments zustande. Da diese Verflüssigung meist bei alka- lischer Reaktion erfolgt, so nähern sich diese Fermente in ihrem Ver- halten mehr dem Papai'n und Trypsin, als dem Pepsin. Der Nachweis, dass dieses peptonisierende Ferment aucli unabhängig von der lebenden Bakterienzelle zu wirken vermöge, gelang zuerst Bitter (A. 5. 241); eine durch halbstündiges Erwärmen auf 60" stei'isilierte Fleischwasser- peptonkultur des Choleravibrio zeigte noch energisches peptonisierendes Vermögen. Auch Sexger (D. 87. Nr. 33/34) und Jerosch (r: J. 87. 104, Anm. 173) kamen zu der Ansicht, dass die Verflüssigung der Gelatine durch Bakterienkulturen durch chemische Umsatzprodukte derselben zustande kommt. Rietsch undSTERNBERG (ref.ebd.3ß2.f.) konnten in den Kulturen verflüssigender Bakterienarten, wie beim Choleravibrio, Spirill. Finkler-Prior, Bac.prodigiosus,Pyocyaneus, pyogenen Staphylokokken pepto- nisierende Fermente nachweisen, während in Kulturen nicht verflüssigender Bak- terien, wie des Tuberkel- u. Typhusbacillus, bei gleicher Behandlung solche Fer- mente nicht aufzufinden waren. FermkA. 10. 1) wies in einwandsfreier Weise bei einer grösseren Zahl von Mikroorganismen Leim und Fibrin peptonisierende Fermente nach, indem er nach Ausschaltung der Wirkung des lebenden Protoplasmas mittelst Desinficientien oder fraktionierter Sterilisation Verflüssigung der Gelatine und des Fibrins konstatierte. Auch gelang es ihm mittelsj; Fällung durch abso- 208 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. luten Alkohol die Fermente einer Anzahl von Arten , z. B. vom Choleravibrio, Spirillum Finkler-Prior, Prodigiosus, Pyocyaneus, Heubacillus, Megaterium etc., zu isolieren. Weitaus am wirksamsten war das Ferment vom Finkler- PRiOR'schen Spii'illum. Die Fermente dialysieren nicht, sind im trockenen Zustande gelb- liche amorphe Pulver; gegen trockene Hitze sind manche, ähnlich wie das Trypsin, sehr widerstandsfähig; das Ferment des Spirillum Finkler- Prior ertrug unbeschadet eine 10 Minuten dauernde Einwirkung einer Temperatur von 1 20 — 140*^. Bei Erwärmung über 70 ^ in wässriger Lösung hingegen werden alle Fermente zerstört, jedoch nicht gefällt. Ver- schiedene Bakterienfermente zeigen eine ungleiche Resistenz gegen hohe Temperaturen; so wird das Ferment des Prodigiosus schon bei 55*^ zerstört, Avährend dies beim FiNKLER-PRiORschen erst bei 70*^ der Fall ist. Gegen Zusatz von Alkali selbst in hohen Koncentrationen sind die peptonisierenden Fermente der Bakterien sehr resistent; dagegen werden sie schon durch geringe Acidität erheblich beeinträchtigt. Or- ganische Säuren wirken weit weniger ungünstig als anorganische; unter letzteren zeigen sich besonders HNO^ und H2SO4 stärkt schä- digend; verschiedene Spezies zeigen eine ungleiche Empfindlichkeit ihrer Fermente gegen ein und dieselbe Säure. Nur bei Schimmelpilzen liess. sich ein Ferment nachweisen, welches ähnlich dem Pepsin nur. in Gegenwart von HCl seine peptonisierende Wirksamkeit ausübte; ein Ferment, welches in saurer Lösung Fibrin peptonisiert, liess sich nirgends nachweisen. Die Gelatine wird von den Fermenten viel leichter an- gegriffen als das Fibrin; viele verflüssigende Arten vermögen Fibrin überhaupt nicht zu peptonisieren, bei anderen wird diese Fähigkeit durch schädigende Einwirkungen viel leichter beeinträchtigt als die Verflüssigung der Gelatine. Flüssige Gelatine wird von einigen Fermenten leichter angegriffen, d. h. an der Erstarrung verhindert, als starre; im letzteren Falle ist eben noch die Arbeit der Verflüssigung zu leisten. In feuchtem Zustande aufbewahrt, werden die Fermente mit der Zeit unwirksam. Das Sonnenlicht vermag ihre Wirksamkeit sehr herabzusetzen. Die meisten Fermente wirken auch in Stickstoff-, Wasserstoff-, Kohlenoxyd- und Kohlensäureatmosphäre; letztere vermag nur einige Fermente sehr wenig abzuschwächen; durch Schwefelwasser- stoff hingegen werden die Enzyme des Prodigiosus, Pyocyaneus und des Choleravibrio stark beeinträchtigt, während andere resistenter sind. Gegen Carbolsäure und Sublimat zeigen die Fermente eine noch grössere Resistenz als die Sporen. Ebenso wie unter sich sind die peptoni- sierenden Fermente auch unterschieden von den oben besprochenen diastatischen; häufig werden freilich mehrere Arten von Fermenten von demselben Mikroorganismus produziert. GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 209 Die Fermentbildung hängt von einigen besonderen Bedingungen ab, unter denen nach Fekmi der Eiweissgehalt des Nährbodens und nach LiBOEius (Z. 1. 115) der Zutritt freien Sauerstoffs besonders wichtig sind. Auf eiweissfreien Nährböden sah Fermi nur beim Bac. subtilis Bildung eines peptonisierenden Enzyms. Bei Sauerstoffabschluss geht die Verflüssigung der Gelatine bekanntlich viel langsamer vor sich ; eine Ausnahme machen gewisse Anaeroben. Zusatz von Carbol- oder Salicylsäure zum Nährboden hebt die Fermentproduktion auf, wirkt aber gleichzeitig wachstumshemmend. Ohne jede Beeinträchtigung der vegetativen Entwicklung vermögen dagegen bei einigen Mikroben Chinin, Antipyrin und Strychnin die Fermentproduktion ganz zu sistieren. Dieselbe ist also kein notwendiges Glied im Lebens- prozess dieser Mikroben. — Auch in Hefezellen scheint ein peptonisierendes Ferment, von Delbeück (r: K. 93. 139) „Peptase" genannt, vorzukommen. III. Labfermente » bewirken eine Alteration der Eiweissstoffe der Milch, welche sich in der Gerinnung des Kaseins äussert. Derartiges Ferment ist bekanntlich im Kälbermagen enthalten. Das Vor- kommen desselben bei Bakterien ist zuerst von Duclaux (C. R. 91) und Hueppe (D. 84. Nr. 48 und 49) beobachtet worden; das Kasein der Milch wird bei schwach saurer, amphoterer oder gar alkalischer Reaktion gefällt und häufig nachträglich durch ein anderes tryptisches Ferment peptonisiert. Hierher gehören die Duclaux- schen Tyrothrixarten, der Bac. pyocyaneus, Sarcina aurantiaca und vor allem die FLÜGGE'schen (Z. 17.272) peptonisierenden Bakterien der Milch. Auch Warington (La. 88. No.25 u. r: C. 6. 498) erschloss aus der Thatsache, dassbei manchen Erregern einer Milchgerinnung die Säurebildung ganz fehlte oder doch zu gering war, um für flie Kaseinfällung verantwortlich gemacht werden zu können, die Produktion lab- artiger Fermente durch diese Mikroben. Andere Bacillen dagegen bewirken Milch- gerinnung nur durch Säuerung; bei noch anderen wirken beide Faktoren zusammen. Den Beweis dafür, dass die Kaseinfällung durch Bakterien mittelst eines isolier- baren, vom lebenden Bakterienleib unabhängigen Enzyms zustande komme, er- brachte CoHN (C. 9. 653), indem er auch bei Gegenwart von Chloroform und voll- ständiger Wachstumshemmung doch die Fermentthätigkeit der Kultur völlig intakt fand. Später gelang es demselben Autor (C. 12. 223 und r: C. 16. 916) das Lab- ferment mehrerer Arten von Bakterien zu isolieren und von etwaigen gleichzeitig vorhandenen tiyptischen Fermenten zu trennen; dasselbe besitzt durchaus die Eigenschaften des typischen, im Molkereibetriebe bekannten Labs und wird durch Temperaturen von 63 — 75" zerstört. Ferner wies Gorixi (ref. C. 12. 666 und R. 93. 381; beim Bac. prodigiosus ein Labferment nach, welches sich von den anderen in gleicher Weise wirkenden Enzymen durch seine bedeutende Re- sistenz gegen Hitze unterscheidet; durch einstündige Einwirkung einer Temperatur von 70—80" wird es noch nicht geschädigt; erst bei halbstündiger Erhitzung auf 100" wird es zerstört. Flügge, ^likroorganismen. 3. Auflage. I. 14 210 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Die Menge des erzeugten Labfermentes ist bei verschiedenen Arten und mit verschiedenem Alter der Kultur verschieden. Bei 20"^ wird merkwürdigerweise viel mehr Lab erzeugt als bei 37^, während sich das proteolytische Ferment gerade umgekehrt verhält. Das Ferment wirkt, wie Kälbermagen, bei Brütwärme viel intensiver als bei niederer Temperatur; durch Alkalien wird seine Wirksamkeit gehemmt. Bei gleich- zeitiger Produktion tryptischer Enzyme kommt bisweilen das langsamer gebildete Labferment nicht zur Wirkung, weil das Kasein peptonisiert wird, ehe seine Ausfällung zustande kommt; in solchen Fällen kann die Labproduktion leicht übersehen werden. Bei Gegenwart von l*^'o Fluornatrium wird die Wirkung des Labfermentes nach Feeudenreich (r. : K. 93. 2P1) gehemmt, während andere Enzyme durch diese Kon- centration nicht geschädigt werden (Arthus u. Huber, C. R. 115. 839). Der Chemismus der Labwirkung geht nach Untersuchungen von Arthus u. Pages (A. Ph. V. ser. t. IL 331 u. 540) und Ringer (Journ. of Physiol. XL 464) wahrscheinlich in zwei Phasen vor sich: zuerst wird das Kasein (oder nach Ringer Kasei'nogen) in ein oder wahrscheinlich mehrere noch nicht näher bekannte Zwischen- produkte umgewandelt; darauf tritt Fällung dieser Körper durch die in der Milch vorhandenen Kalksalze ein. Für diese letzteren können aucli Barium- oder Magnesiumsalze eintreten, nicht aber die Salze der leichten Alkalien. Nach dieser Vorstellung vom Chemismus der Lab- wirkung erklärt sich z. B. die schon von Hammaesten gefundene Thatsache, dass möglichst reines, von Zucker, Fett und Asche befreites Kasein durch Labferment allein nicht gefällt wird, Avohl aber, wenn man noch Calciumphosphat hinzusetzt; ebenso koagulierte in den Ver- suchen von Arthus u. Pages entkalkte Milch nicht direkt durch Lab, sondern erst nach Zusatz von Chlorcalcium; andererseits wurde frische, nicht entkalkte Milch durch kleine Mengen Lab, die an sich erst spät Koagulation hervorgebracht hätten, so verändert, dass beim Erwärmen oder durch Chlorcalciumzusatz sofortige Gerinnung eintritt. Die Be- dingungen für beide Phasen der Labwirkung sind durchaus verschie- den; die Umwandlung des Kaseins wird durch niedere Temperatur verlangsamt, durch Alkalien aufgehoben, durch verdünnte Säuren be- schleunigt; die Verbindung mit Kalksalzen geht aber auch bei 0*^ und in schwach alkalischer Lösung vor sich. Man kann daher das Ferment nach seiner Einwirkung auf das Kasein durch Alkali zerstören, ohne die nachträgliche Koagulation zu beeinträchtigen; auf diese Weise er- hellt deutlich die Unabhängigkeit jener zweiten Phase des Gerinnungs- prozesses von der Wirkung des Ferments. — Fick (Pf. 45) erblickt eine fundamentale Verschiedenheit des Labfermentes von den hydro- lytischen Fermenten darin, dass bei ersterem nicht, wie bei diesen. GoTSCHLiCH, Lebensäusserungeu der Mikroorganismen. 211 jedes Molekül der umzusetzenden Substanz mit einem Fermentmolekül in Berührung komme, sondern dass sich der durch ein Fermentmole- kül irgendwo angeregte Umsetzungsprozess ausserhalb desselben und ohne seine weitere direkte Mitwirkung von Molekül zu Molekül der umzuwandelnden Substanz fortsetze. Zum Beweise für diese Auf- fassung macht FiCK geltend, dass jedes Fermentmolekül durch seine eigene Wirksamkeit sich mit einer festen Schicht geronnener Substanz umgiebt und dadurch den Kontakt mit anderen Molekülen der gerin- nungsfähigen Substanz unmöglich macht; auch kann bei der Käse- bereitung ein halber Kubikmeter Milch in weniger als 5 Minuten ge- rinnen, wenn man mit dem Lab nur einige Male darin herumfährt, wobei nach Fick's Ansicht an eine vollständige Verbreitung des Labs in der Milch in so kurzer Zeit nicht gedacht werden kann. Gegen diese Auffassung Fick's und auch gegen die ihr zu Grunde liegenden thatsächlichen Angaben sind nun aber von Lea u. Dickinson (r: K. 90. 175) und Walther (Pf. 48. 529) gewichtige Einwände erhoben worden; bei vorsichtigem Überschichten von Milch mit Lablösung, wobei eine schnelle, direkte Vermischung beider Flüssigkeiten völlig ausgeschlossen war, beobachteten sie den Eintritt der Gerinnung in den von der Lablösung entferntesten Schichten der Milch erst nach mehreren Stunden. IV. Harnferment, welches eine hydrolytische Spaltung gewisser Amidverbindungen des Harns bewirkt; Harnstoff wird in Ammoniumcarbonat, Hippursäure in Glykokoll und Benzoesäure verwandelt. Man schrieb früher diese Fermentwirkung, die sich beim normalen Harn nach längerem Stehen an der Luft, bei Cystitis dagegen schon innerhalb der Blase voll- zieht, ausschliesslich dem Mikrokokkus ureae zu. Musculus (Pf. Xn. 214) isolierte aus einem stark schleimigen Harn bei Cystitis ein im Wasser lösliches, Harnstoff zerlegendes Enzym, das von diesen Kokken gebildet sein sollte. Ladueeau (C. R. 99) stellte die Bedingungen der Wirksamkeit desselben fest; er fand es bei Gegenwart von Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, sowie im luftleeren Raum und auch bei einem Druck von 3 Atmosphären wirksam. Da jedoch Leube (V. 100. 540) nachwies, dass Reinkulturen d^s Mikrokokkus ureae nach Filtration durch Thonzellen unwirksam werden, so musste es mindestens zwei- felhaft erscheinen, ob das von Musculus isolierte Ferment wirklich von den Bakterien gebildet worden sei. Später gelang es jedoch Miquel, mit Sicherheit die Existenz eines isolierbaren, unabhängig von den lebenden Mikroben wirksamen Enzyms darzuthun, welches er als Urase bezeichnet. In einer Reihe von Abhandlungen (A. Mi. I. 414, 14* 212 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. 470, 506, 552, IL 53, 122, 145, 367, 488, III. No. 6, V. 162; C. R. 111. 397) beschreibt er an 60 verschiedene aus der Luft, Flusswasser und besonders aus Abwässern gezüchtete HarnstofflDakterien — teils „Uro- kokken", teils „Urobacillen" und eine „Urosarcine Hansenii" — , welche sich durch die Intensität der erzeugten Umsetzung und kulturelle Merk- male scharf unterscheiden. Ein besonders kräftiger Harnstoffspalter, der Urobacillus Pasteurii, wandelt 3 gr Harnstoff pro Stunde um, während ein Urokokkus nur 0,5 gr pro Tag zu zerlegen vermochte. Dass es sich bei diesem Prozess nicht, wie man bisher glaubte, um eine Harnstoff- Gährung, um eine direkte Zerlegung des Harnstoffs durch das lebende Hakterienplasma, sondern um eine unabhängig von der lebenden Zelle erfolgende Enzymwirkung handle, entnimmt Miqltel zunächst aus der Thatsache, dass die Bakterien den Harnstoff keines- wegs zum Aufbau ihres Zellleibes verwenden, sondern Pepton und ähn- liche Körper als Stickstoffquelle bei weitem vorziehen, daher denn auch der Eiweissstickstoff in der Kulturflüssigkeit nicht vermehrt, sondern vermindert wird. Ferner findet eine intensive Fermentwirkung noch bei 55 ^ statt, bei welcher Temperatur die Harnstoffbakterien bereits abgestorben sind. Endlich gelang es auch nach vielen vergeblichen Bemühungen, das Ferment rein darzustellen; die Schwierigkeit, an der frühere Versuche scheiterten, besteht in der sehr leichten Zersetzlich- keit der Urase, welche fast der Labilität des lebenden Plasma gleich- kommt. Bei 50^ zersetzt sich die Urase in 3 — 4 Stunden, bei 70^ in 20 — 30 Minuten, bei 80 ^ in wenigen Sekimden; bei 0*^ ist sie einige Wochen lang haltbar. Von den gebräuchlichen Fällungsmitteln wird sie fast vollständig zerstört, auch ist sie sehr leicht oxydierbar; bei Filtration einer Kultur durch Porzellanerde ohne besondere Vorsichts- massregeln wird sie häufig ganz oxydiert und in den Filterporen zurück- gehalten, woher sich wohl auch die oben erwähnten negativen Resul- tate Leube's erklären. Die Darstellung der Urase gelingt nur in Lösung, undzwar aus sehr urasereichenKulturflüssigkeitenmittelstFiltration durch Porzellanerde bei Sauerstoffabschluss, also z. B. in Leuchtgasatmosphäre. Verschiedene Harnstoffbakterien erzeugen, wie bereits aus dem obigen hervorgeht, sehr verschiedene Mengen Urase. Alle bedürfen zu ihrer Erzeugung der Zufuhr freien Sauerstoffs. Die fermentative Thätigkeit scheint auch bei demselben Erreger nicht immer den vegetativen parallel zu gehen, indem bei Urosarcina Hansenii mit fortschreitender Harnstoff- zersetzung das Verhältnis der umgewandelten Harnstoflfmenge zum Gewicht der vorhandenen Zellen sinkt. Wahrscheinlich erklärt sich dies aus einer schädigenden Einwirkung des gebildeten kohlensauren Ammoniums auf die Bakterien; daher ist auf harnstofl'freiem Substrat das Wachstum derselben weit üppiger imd die Lebensdauer der einzelnen Kultur viel GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 213 länger. Verschiedene Harnstoffbakterien zeigen übrigens eine sehr un- gleiche Resistenz gegenüber dem Ammoniumkarbonat. Auch auf die isolierte Urase wirkt Ammoniumkarbonat schädigend ein, wie sich bei der reinen Fermentwirkung mit Ausschluss der lebenden Mikroben konstatieren lässt. Bei letzterem Prozess erreicht die Reaktion sehr bald ein Maximum und wird dann viel schwächer; unter. Umständen kann sogar die Urase in harnstoffreichen Lösungen schwächer arbeiten, als in einer weniger konzentrierten Kulturflüssigkeit. Das Optimum der Wirkung der Ursache liegt bei 50*^; jenseits dieser Temperatur tritt sehr bald Schädigung und Zerstörung des Enzyms ein. V. Fettspaltende Fermente, welche Neutralfette in Glycerin und Fettsäure zerlegen, sind bisher in Mikroorganismen noch nicht nachgewiesen; v. Sommaruga (Z. 18. 441) sah zwar eine solche Spaltung der Fette durch eine Reihe von Mikro- organismen eintreten, die dann das Glycerin als wertvolles Nährmaterial auszunützen vermögen; doch muss es unentschieden bleiben, ob dieser Prozess als Wirkung eines isolierbaren Enzyms oder nicht vielmehr als direkte Leistunsj des lebenden Plasmas aufzufassen sei. In ihrer chemischen Zusammensetzung scheinen die Fermente einen gemeinsamen Typus zu repräsentieren, über dessen Zugehörigkeit zu den sonst bekannten Klassen von Körpern jedoch noch nichts Be- stimmtes feststeht. Die quantitative elementare Zusammensetzung zeigt eine grosse Annäherung an die der Eiweisskörper. Den älteren Ana- lysen haben noch stark verunreinigte Fermente zu Grunde gelegen; später jedoch gelang es Loew (Pf. 27) durch möglichste Reinigung derselben namentlich von gummi- und dextrinähnlichen Körpern Fer- mente darzustellen, die eine den Eiweisskörpern sehr ähnliche Zu- sammensetzung aufweisen. So ergab die Analyse des Pankreasferments: 52,75% C, 7,51 0'o H, 16,55 Oq N, 23,19 o/q 0 + S,l,77 0'o Asche. Jegoeow (r: K. 93. 279) giebt für Weizendiastase folgende Zu- sammensetzung an: 40,24^0 C, 6,78 O'o H, 4,7% N, 0,7 öq S, 1,45% P, 4,6% Asche. Der Gehalt an C, H imd S in der Diastase kommt hier- nach dem in den Nukle'inen sehr nahe. Auch in ihrem chemischen Verhalten zeigen die isolierbaren Fer- mente viel Gemeinsames. Sämtlichen Fermenten kommt die Fähig- keit zu,Wasserstoffsuperoxyd zu zerlegen; diese allgemeine Reak- tion hängt aber, wie Jacobson (Z. physiol. Ch. 16. 340) angiebt, durch- aus nicht in derselben Weise von den Versuchsbedingungen ab, wie die spezielle spezifische Wirksamkeit des einzelnen Fermentes. Alle 214 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Fermente sind löslich in Wasser und unlöslich in Alkohol; durch Fällung mit letzterem können sie daher aus ihrer Lösung abgeschieden und rein dargestellt werden. Gegen äussere Einwirkungen sind die Fermente sehr empfindlich; im einzelnen ergeben sich natürlich noch grosse Differenzen. Nur innerhalb eines bestimmten Temperatur- bereichs und in besonders intensiver Weise an einem Temperatur- optimum wird die Ferment Wirkung ausgeübt; Optimum und Temperatur- grenzen sind bei verschiedenen Enzymen verschieden; das Optimum liegt meist bei 50^ oder etwas höher, über 70^ werden fast alle gelösten Fermente (mit Ausnahme des resistenten Labferments des Bac. prodi- giosus) rasch zerstört. In trockenem Zustande dagegen ertragen die Fermente Temj^eraturen von 120 — 160° ohne Schädigung. Alkaliüber- schuss, sowie stärkere Säuregrade sind für die meisten Fermente schäd- lich; geringe Acidität wirkt auf manche fördernd. Die Salze der schweren Metalle und sonstige Eiweissfällungsmittel wirken zerstörend; Diastase wird schon in einer Sublimatlösung von 1 — 200000 voll- ständig gehemmt. Carbolsäure dagegen beeinträchtigt die Diastase in 1 — 2prozentigen Lösungen noch gar nicht; Salicylsäure hinwiederum wirkt schon bei einem Gehalt von 0,1 % zerstörend, Fluornatrium, sowie Wasserstoffsuperoxyd, welche alle echten, auf unmittelbare Lebens- thätigkeit von Mikroorganismen zurückzuführenden Gährungen hemmen, schädigen die isolierten Fermente fast gar nicht; ebenso unwirksam sind Blausäure, Chloroform, Äther, Benzol, Terpentinöl. Sehr merkwürdig ist die Thatsache, dass manche Salze und N- haltige Verbindungen die Wirksamkeit der Fermente intensiv zu steigern vermögen. So wies Effront (C. R. 115. 1324) nach, dass die verzuckernde Kraft von Diastase, Glukase und des Fermentes von Aspergillus oryzae durch eine passende Mischung von Alurainiumsalzen, Phosphaten und Asparagin auf den zehnfachen Wert erhöht werden kann. Möglicherweise erklärt sich diese Begünstigung durch Bildung von Zwischenprodukten, die leichter von den Fermenten gespalten werden als das ursprüngliche Material; inParallele hierzu steht der begünstigende Einfluss, den nach Friedel u. Ceaets (A. eh. ph. [6] 1. 449; 14. 433) manche Mineralsalze auf organische Synthesen ausüben. Alle Fermente zeigen, soweit sie daraufhin untersucht sind, im Zustand der Thätigkeit eine grössere Resistenz gegen äussere schädigende Einwirkungen als in rein dargestelltem Zustand; hierbei scheint vor allem das umzusetzende Material und demnächst auch noch andere Körper, wie Salze, sowie endlich eine günstige Reaktion des Substrats auf das Ferment einen schützenden Einfluss auszuülDen. So fand Petzoldt (r: K. 90. 163) dass Malzdiastase gegen schädigende Einwirkung abnorm hoher Temjieratur durch die Gegenwart von ver- GoTsciTLiCH, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 215 zu ckerter Maische geschützt werden kann; Invertin hält nach O'Sijlliv AN (r: K. 92. 258) in Gegenwart von Zucker eine um 25 ^ höhere Tem- peratur aus als sonst; Trypsin und Ptyalin werden nach Bieenacki (Z. f. Biol. 28. H. 1) durch alkalische Reaktion der Lösung, sowie durch Neutralsalze in ihrer Resistenz gegen zerstörende hohe Temperatur gefestigt, ähnlich Pepsin durch Acidität und Peptongehalt der Lösung. Die Wirkung der schützenden Körper erklärt sich vielleicht dadurch, dass sie mit dem Ferment resistentere Zwischenprodukte bilden. Die schützende Wirkung der Neutralsalze, die übrigens nach Büchner (A. 17. 183) in ganz analoger Weise auch auf Toxalbumine und Se- rumalexime sich erstreckt, beruht nach diesem Autor vielleicht auf der wasserentziehenden Wirkung der Salze; hiermit würde die Thatsache, dass der Grad dieser schützenden Wirkung mit dem Grade der wasser- entziehenden Kraft des Salzes parallel geht, dass z. B. die stark wasser- entziehenden Sulfate einen wirksameren Schutz verleihen als die Chloride und Nitrate, wohl zusammenstimmen. Die chemische Wirkungsweise sämtlicher isolierbarer Fermente ist relativ einfach imd besteht allgemein in einer hydrolytischen Spaltung, bei welcher das Molekül der zu zerlegenden Substanz unter Aufnahme eines oder mehrerer Moleküle HoO in zwei oder mehrere Moleküle gespalten wird. Für eine Reihe von Fermentwirkungen ist es möglich, den Prozess bestimmt zu formulieren, wie bei der Wirkung des Invertins, des Emulsins, der Urase etc. oben angegeben; bei anderen sind die speziellen Formulierungen mehr oder minder hypothetischer Natur oder, wie bei den eiweissspaltenden Fermenten, überhaupt noch nicht aufstellbar. Jedenfalls steht die Einfachheit dieser chemischen Leistung in scharfem Gegensatz zu den später zu betrachtenden Gäh- rungsvorgängen, bei denen ungleich kompliziertere und eingreifendere Veränderungen im Bau des Moleküls stattfinden. Jedes Ferment Avirkt nur auf eine bestimmte, ihrer chemischen Natur nach ganz nahe verwandte Klasse von Körpern; systematische Untersuchungen über den Einfluss der Zusammensetzung und Kon- figuration der zu zerlegenden Stofi'e auf die Enzyme sind in neuester Zeit von E. Fischer (B. Ch. 27. 2985 u. 3479; 28. 1429) angestellt worden. Dieselben haben dargethan, dass die Enzyme ebenso eine Elektion ihres Au griffsmaterials zeigen, wie dielebendenMikroorganismen in Bezug auf Nährstofi'e ^^nd gährangsfähige Stoffe. Als Angriffsmaterial wurden Glukoside gewählt, und zwar sowohl die in der Natur vorkommen- den mit aromatischem Bestandteil, als die von E. Fischer durch Kochen der betr. Zucker mit Alkoholen in salzsaurer Lösung künstlich dargestellten Alkoholglukoside (B. Ch. 26. 111. 2400), als endlich auch einige Disac- charide, die nach E. Fischer als Glukoside der Zucker mit ein- 216 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ander aufzufassen sind. Es ergab sich nun, dass Hefeauszug die Maltose und das «-Methyl-d-Glukosid spaltete, die entsprechende ß-Yev- bindung und die hiernach zur /?-Reihe gehörigen natürlichen aromatischen Glukoside aber unverändert Hess; die korrespondierenden a- und ß- Methyl-1-Glukoside blieben wegen der abweichenden stereochemischen Konfiguration unverändert; das Methyl-d-Fruktosid hingegen Avurde wegen der nahen Verwandtschaft zwischen d-Glukose und d-Fruktose gespalten (diese Spaltungen sind übrigens nicht durch das Invertin, sondern durch die Glukase der Hefe ausgeführt). Emul sin hingegen verhielt sich in mancher Beziehung gerade umgekehrt; es spaltet das i3-Methyl-d-Glukosid und die zur /3-Reihe gehörigen natürlichen aro- matischen Glukoside, nicht aber das a-Methyl-d-Glukosid; es spaltet ferner das ^-Methyl-d-Galaktosid wegen seiner auch durch die Ver- gährbarkeit der Galaktose evidenten nahen Verwandtschaft mit dem d-Glukosid; die 1-Glukoside sind ebenso, wie für den Hefeauszug, auch für das Emulsin nicht spaltbar. Ebenso indifferent gegen beide Enzyme verhalten sich die Methylderivate der mit grösseren Abweichungen der Konfiguration behafteten Glukoheptose, Rhamnose, Arabinose und Xylose. Der spezifische Gegensatz zwischen beiden Fermenten wird also durch den Gegensatz von a- und /3-Modifikation beherrscht; gemeinsam ist beiden, dass eine geringe Änderung der Konfiguration (wie zum -Fruktosid oder -Galaktosid) die Fermentwirksamkeit nicht stört; bei grösseren Änderungen jedoch hört dieselbe sehr bald auf, wie das ge- meinsame Verhalten beider Fermente gegen die 1-Glukoside und gegen die Derivate der zuletzt genannten Zucker beweist. Beide Fermente unterscheiden sich endlich von dem My rosin, welches weder das a-, noch das /9-Methyl-d-Glukosid spaltet, also unabhängig von der a- und /^-Modifikation Widerstände im Molekül vorfindet, die es nicht über- winden kann. Die Ursache dieses elektiven Verhaltens der Enzyme mag, wie bei den lebenden Gährungserregern in dem asymmetrischen Bau ihrer Eiweisskörper liegen. E. Fischee stellt sich vor, dass nur bei ähnlichem geometrischen Bau des Enzym- und des Glukosid-Moleküls diejenige räumliche Annäherung des Moleküls stattfinden kann, welche zur Auslösung des chemischen Vorganges erforderlich ist, ähnlich wie Schloss und Schlüssel zu einander passen müssen, um die Aufschliessung des ersteren zu bewirken. Was die quantitativen Verhältnisse der Fermentwirkun gen anlangt, so hat eine genauere Beobachtung gezeigt, dass die Menge der zerlegten Substanz durchaus nicht unbegrenzt ist, wie es den Anschein hat. Insbesondere hat es Tammann (Z. physiol. Ch. 16. 271) geradezu als Charakteristikum der Fermentreaktionen hingestellt, dass sie unvollständig sind; ein Teil der zu zerlegenden Substanz GoTSCHLiCH, Lebensäusserungen der Miki'oorganismen. 217 bleibt unverändert. Die einzige sichere, sogleich zu erklärende Aus- nahme von diesem Gesetz bildet die Labwirkung. Das Zustandekommen eines Endzustandes ist nach Tammann so zu erklären, dass das Ferment mit den Spaltungsprodukten der zerlegten Substanz sich zu einer unwirksamen Modifikation verbindet; diese letztere ist aber nur in Gegenwart der Spaltungsprodukte beständig und Avandelt sich leicht w^ieder in das ursprüngliche Ferment zurück. Werden also die Spaltungsprodukte beseitigt, wie dies z. B. bei der Labwirkung durch ihr Ausfallen geschieht, so wird die ursprüngliche wirksame Modifikation des Fermentes regeneriert, und die Reaktion wird ausnahmsweise vollständig. Die unwirksame Modifikation ist offenbar gegen schädigende äussere Einw^irkungen beständiger, wodurch sich gleichzeitig die oben erwähnte schützende Einwirkung von Spaltungsprodukten etc. auf das gelöste Ferment gegenüber demselben in isoliertem Zustande erklärt. Die im Endzustand gespaltene Menge der Substanz hängt von der Temperatur und der Menge des angewandten Fermentes ab; mit beiden Faktoren steigt sie bis zu einem gewissen Maximum, welches bei weiter zu- nehmender Fermentmenge einen konstanten Wert zu behalten scheint, während bei weiterer Steigerung der Temperatur sehr bald Abnahme und endlich völliges Erlöschen der Fermentwirkung stattfindet. Ahnlich verhält sich die Geschwindigkeit der Fermentreaktion. Die Abnahme der Energie der Fermentwirkung bei abnorm hohen Temperaturen bildet nur eine scheinbare Ausnahme von dem Fundamentalgesetz über den Einfluss der Temperatur auf die Reaktionsgeschwindigkeit; sie erklärt sich daraus, dass das Ferment oberhalb einer bestimmten Temperatur mit zunehmender Geschwindigkeit in unwirksame Komponenten zerfällt, aus denen es sich nicht wieder zurückbilden kann; die Geschwindigkeit dieses Zerfalls des Fermentes wächst mit steigender Temperatur viel schneller als die Geschwindigkeit der spezifischen Fermentreaktion und wird endlich bei 70 — 80*^ meist so gross, dass das Ferment augenblicklich zerfällt, ohne seine Thätigkeit ausgeübt zu haben. Ganz ähnlichen Verhältnissen sind wir schon bei dem Einfluss der Temperatur auf das lebende Plasma begegnet; auch hier findet Steigerung der Lebens- äusseruugen bis zu einem Temperaturoptimum statt, von da ab aber mit zunehmender Beschleunigung eine deletäre Zersetzung desselben, welche seine Lebensthätigkeiten beeinträchtigt und schliesslich ver- nichtet. Die besonders genau studierten quantitativen Verhältnisse der Invertinwirkuug sind schon oben im speziellen Teil besprochen. Was endlich den Chemismus der Fermentwirkung anbe- langt, so lassen sich darüber gegenwärtig noch keine bestimmten Vorstellungen machen. Am ehesten wird man sich den Vorgang wohl so denken müssen, dass zuerst Zwischenprodukte des Ferments ent- 218 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. stehen, die leicht wieder zerfallen und zn Regeneration des ursprüng- lichen Fermentes führen; sei es nun, dass das Ferment als Überträger des einzulagernden Wassers wirke, oder nach Bunsen-Hüfnee (ähnlich wie die Schwefelsäure bei der Atherbildung) direkt mit gewissen Atom- gruppen der zu zerlegenden Sustanz interimistische, leicht zerfallende Produkte bildet, nach deren Zerfall dann einerseits eine neue Atom- gruppierung geschaffen und andererseits das Ferment regeneriert ist. Auf die Annahme der Bildung solcher Zwischenprodukte sind wir ja bisher schon durch eine Reihe von Gründen geführt worden. Daneben stellt sich Nägeli in Übereinstimmung mit seiner unten zu besprechen- den Gährungstheorie vor, dass die Fermente durch Übertragung ihres intramolekularen Bewegungszustandes auf die umliegenden Moleküle Umlagerung und Neugruppierung der Atome bewirken. Neuerdings wird sogar mehrfach eine Fernwirkung bei der Fermentwirkung an- genommen (vgl. oben Fick's Theorie der Labwirkung); de Jager (V. 121. 182) möchte die Fermente sogar den früheren Im- ponderabilien an die Seite stellen und will Übertragung der Ferment- wirkung durch Äther oder gar Luft (?!) beobachtet haben; die experi- mentellen Grundlagen dieser Anschauungen sind aber mindestens äusserst zweifelhaft. "Soweit unsere jetzige Kenntnis über die Fermentwirkungen reicht, nehmen dieselben eine interessante Mittelstellung zwischen einfachen chemischen Prozessen und den Gährungsprozessen sowie überhaupt den Lebensäusserungen der Mikroorganismen ein. Die Berechtigung und Notwendigkeit einer Trennung zwischen Ferment- und Gähr- wirkung ist nach allen Eigenschaften der ersteren, speziell mit Rück- sicht auf ihre Isolierbarkeit, auf ihre relativ beschränkten chemischen Fähigkeiten, auf ihr von den Mikroorganismen vielfach völlig ab- weichendes Verhalten zu äusseren Momenten, evident. Doch ist nicht zu verkennen, dass auch grosse Ähnlichkeiten der Fermente mit dem lebenden Plasma bestehen, so die z. B. bei der Urase ganz ausser- ordentliche Labilität, ferner ganz besonders das Wahlvermögen für die zu zerlegenden Substanzen, die Fähigkeit, eine im Vergleich zur wir- kenden Masse des Ferments unverhältnismässig grosse Menge Substanz zu spalten, sowie endlich das merkwürdige Verhalten zur Temperatur, wenn auch das Optimum und die deletäre Grenze der Temperatur im Durchschnitt höher liegt, als bei den meisten Mikroorganismen. Nach diesen Ähnlichkeiten sind die Fermente von Ad. Mayer als „Plasma- splitter", von Hueppe (Naturwissenschaftl. Einführung in d. Bakterio- logie. 1896. 31) als „ausgestossenes Zellprotoplasma" bezeichnet worden. Trotz aller Ähnlichkeiten besteht aber immer noch der Kardinal- unterschied zwischen den Träscern der Ferment- und der Gährwir- GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 219 kungen, dass die ersteren nur leblose, wenn auch noch so komplizierte, Substanz darstellen, während die Gährung eine Funktion lebender, organisierter," fortpflanzungsfähiger Elemente ist. Drittes Kapitel. GrährungseiTegung von Dr. E. Gotschlieh. Unter besonderen Umständen tritt eine eigenartige Veränderung in dem biologischen Verhalten der Mikroorganismen ein, die mit einer ausserordentlich umfangreichen Zersetzung des Nährmaterials und mit der Bildung eigentümlicher, durch Qualität und Quantität auffallender Produkte einhergeht. Unter den letzteren pflegen namentlich massen- haft entweichende Gase eine wichtige Rolle zu spielen; ferner entstehen dabei stets Produkte von zusammen geringerer Verbrennungswärme, als derjenigen Stoffe, aus denen sie gebildet sind, so dass bei der Zer- legung immer lebendige Kraft frei wird. Die Gesamtheit dieser Er- scheinungen pflegt man als Gährung zu bezeichnen. Als allgemeines äusseres Charakteristikum jedes Gähr- prozesses, wodurch sich derselbe von dem gewöhnlichen Stoffwechsel der Mikroben unterscheidet, erscheint das ausserordentliche Über- wiegen der durch den Gährungserreger bewirkten äusseren Zersetzungsprozesse üb er die p las tisch eThätigkeit desselben, über die gleichzeitig stattfindenden Assimilations- und Fort- pflanzungsprozesse. Die Masse des Gährungserregers verschwindet gegenüber der Grösse der Umsetzungen, welche er hervorruft; auch hier besteht, wie bei den leblosen isolierbaren Fermenten, dasselbe er- staunliche scheinbare Missverhältnis zwischen Ursache und Wirkung, und dieser Umstand hat früher Veranlassung gegeben, beide Prozesse zu konfundieren. Der Hauptunterschied jeder Gährung von den reinen Enzymwirkungen besteht aber, wie bereits erwähnt, darin, dass die Enzymwirkungen, wenn auch häufig ebenfalls bei Lebewesen auftretend, an ein lebloses, isolierbares Substrat geknüpft sind, während die Gähr- wirkung mit dem lebenden Individuum unzertrennlich ver- bunden und noch nie ohne Mitwirkung lebender Zellen be- obachtet worden ist. Der bei den Gährungsvorgängen stattfindende Chemismus wird in seiner Bedeutung erst eingehend gewürdigt werden können, wenn wir 220 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. die einzelnen Gährungsprozesse einer speziellen Besprechung unterworfen haben. Doch zeigen sich schon jetzt einige Unterschiede ganz allgemeiner Natur, welche der Chemismus bei verschiedenen Klassen von Gährungen erkennen lässt, und die daher zweckmässig als Einteilungsprinzipien für die spezielle Betrachtung verwandt werden können. Der Prozess, durch welchen die Gährprodukte aus dem Gähr- material entstehen, ist nämlich entweder eine Spaltung oder eine Oxydation, oder es wirken bei komplizierteren Gährphänomenen diese beiden Kardinalprozesse kombiniert. Hiernach unterscheiden wir a) Gährungen durch Spaltung, b) Gährungen durch Oxydation, c) zusammengesetzte Gährungen. Zwar finden sich auch bei den Spaltungsgährungen sogar stets Produkte, die nur als Oxydations- produkte aufgefasst werden können, wie z. B. vor allem die CO.2 ; doch findet hierbei immer die Oxydation innerhalb der Moleküle des Gähr- materials, ohne Mitwirkung des äusseren Sauerstoffs, also stets erst nach vorgängiger Spaltung statt, während bei den Oxydationsgährungen ein synthetischer Prozess, eine Oxydation des Gährmaterials durch den von anderwärts, aus der Luft bezogenen Sauerstoff zustande kommt. Hiernach müssen offenbar Bedingungen, Material und Erreger des Gährjirozesses bei beiden Klassen von Vorgängen grundverschieden sein, "was schon an sich als genügende Berechtigung unseres Ein- teilungsprinzips erscheint. Innerhalb der 3 grossen Gruppen scheiden wir dann die Gährungen nach dem Material, ein Einteilungsprinzip, das auf der Thatsache basiert, dass nur ganz bestimmte Arten von chemischen Körpern als Gährmaterial fungieren können und dass unter diesen immer für jeden einzelnen Gährungserreger und jede einzelne Art der chemischen Umsetzung nur wenige auserlesen sind. Die Benennung der einzelnen Gährungen erfolgt entweder nach dem zu zerlegenden Material oder nach einem charakteristischen Gähr- produkt, oder auch wohl nach dem Erreger. Bei jeder einzelnen Gährung sind vor allem Material, Erreger, Chemismus und Produkte derselben, dann ihre Abhängigkeit von den Versuchsbedingungen und eventuelle hygienische oder gewerblich-technische Bedeutung derselben zu erörtern. A. Gährungen durch Spaltung. I. Vergährungen der Kohlehydrate. 1. Die alkoholische Gährung der Ziickerarten durch Hefe. Das Material der alkoholischen Gährung kann entweder in direkt vergährbarer Form dargeboten werden, oder es ist nur indirekt, nach vorangegangener chemischer Umformung durch Fermente, die unter Umständen auch von dem Gährungserreger selbst geliefert sein GoTSCHLicH, Gährungserregung. 221 können, vergährbar. Für Hefe direkt vergährbare Ziickerarten finden sich nur unter denjenigen Monosacchariden, deren Anzahl von (.'-Atomen 3 oder ein Multiplum dieser Zahl beträgt; so sind nach E. Fischer (B. Ch. 23. IL 2137) ausser den noch näher zu charakterisierenden gährfähigen Hexosen (CgHijO,;) nur die Glycerose (C^HgOg) und die Mannononose (CgH, ^Og) durch Hefe direkt ver- gährbar, während Tetrosen, Pentosen, Heptosen und Oktosen hierzu nicht föhig sind; einige derselben können indessen sehr wohl durch Bakterien vergohren werden, woraus schon erhellt, dass dieGährföhig- keit nicht blos von der Beschaffenheit des Substrats, sondern auch von der Natur des Erregers abhängig ist und demnach eine kombi- nierte Funktion beider darstellt. Unter den Hexosen spielt nun weiter die Struktur und die molekulare Konfiguration der Verbindung eine ausschlaggebende Rolle für die Gährfähigkeit. Was zunächst den Unterschied zwischen Aldosen und Ketosen anbelangt, so findet sich unter den letzteren (d. h. Zuckern, die die Ketongruppe -CO- ent- halten) nur ein gährfähiger Zucker, die d-Fruktose (früher als Lävu- lose bezeichnet); unter den Aldosen (Zuckern, in deren Molekül die Alde- hydgruppe -CHO sich vorfindet) sind leicht vergährbar die d-Mannose und d- Glukose (früher als Traubenzucker, Dextrose, bezeichnet); schwie- riger vergährbar ist die d-Galaktose, welche von minder gährkräfti- gen Arten, z. B. nach F. Voit (Z, f. Biol. 29. 149) vom Sacch. apicu- latus, überhaupt nicht angegriffen werden kann. Alle anderen bekann- ten Hexosen, also die optischen Antipoden der d-Mannose, d-Glukose, d-Galaktose und d-Fruktose, die Talose, die Gulose und die zur Ketosen- reihe gehörige Sorbose, sind unvergährbar. Die Konfigurationsformeln der drei gährfähigen Aldosen sind nach E. Fischer (B. Ch. 24. II. 2685; 27. I. 385): H H OH H d-Glukose: CH2OH - C - C - C - C - COH ÖHÖHH ÖH H H OH OH d-Mannose: CH2OH - C - C - C - C - COH ÖHÖHH H H OHOHH d-Galaktose: CHoOH - C - C - C - C - COH ÖHH H ÖH Jede weitere Veränderung in der Stellung der H- und OH-Gruppen an den 4 asymmetrischen C-Atomen hebt die Gährfähigkeit auf. Ein besonders interessantes Beispiel hierfür bildet die d-Talose: H OH OH OH CH2OH - C - C - C - C - COH ÖHH H H 222 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. welche, wie ersichtlich, in der Konfiguration zur d-Galaktose in dem- selben Verhältnis steht, wie die d-Mannose zur d-Glukose; in beiden Fällen handelt es sich um eine Vertauschung in der Stellung des H und OH am letzten, der Aldehydgruppe benachbarten asymmetrischen C-Atom; während aber bei der leicht vergährbaren d-Glukose diese Verschiebung noch nichts ausmacht und aus ihr die ebenfalls leicht vergährbare d-Mannose hervorgeht, genügt bei der d-Galaktose, die wegen der von der d-Glukose abweichenden Konfiguration am zwei- ten asymmetrischen C-Atom schon schwieriger der Gährung unter- liegt, die weitere kleine Verschiebung am letzten asymmetrischen C-Atom, um die Gährfähigkeit der d-Talose ganz zu vernichten. Die Gährfähigkeit verschiedener Zucker ist also nicht etwa blos, wie das verschiedene Verhalten optisch isomerer Verbindungen, von einem Unter- schied in der Stellung einer Atomgruppe, sondern von der Kon- figuration des gesamten Moleküls abhängig. Endlich gehört hierher die Thatsache, dass nur die d-Verbindungen vergährbar sind, während die korrespondierenden 1-Z ucker unvergohren blei- ben. Daher werden nach Fischer (B. Ch. 23. I. 3 75 ff; IL 2114) die in- aktiven racemischen Zucker durch Penicillium glaucum oder Bierhefe so gespalten, dass der 1-Zucker übrig bleibt, während der d-Zucker vergoh- ren wird; diese Spaltung ist für i-Glukose, i- Fruktose, i-Mannose und i-Mannonsäure nachgewiesen. Zu den indirekt gähr fähigen Substanzen, die erst nach Be- handlung mit Fermenten oder analogen chemischen Einwirkungen direkt vergährbare Spaltprodukte liefern, gehören zunächst die Di- und Polysaccharide, als Saccharose (Rohrzucker), Maltose, Isomaltose, Milchzucker, Raffinose etc. Durch die im vorigen Abschnitt be- sprochenen und teilweise von den Hefen selbst gelieferten Fermente werden diese Körper in einfache, direkt gährfähige Hexosen zerlegt, (so z. B. Saccharose in d-Glukose und d-Fruktose, Milchzucker in d-Glu- kose und d-Galaktose, Raffinose in d-Fruktose und Melibiose) und dann vergohreu. Eine scheinbare Ausnahme von dem Verhalten der Disac- charide macht der Rohrzucker, indem er durch Monilia Candida nach Hansen direkt ohne vorangegangene Inversion vergohren wird; wenn aber auch aus diesem Pilz ein isolierbares invertierendes Ferment nicht gewonnen werden konnte, und demgemäss die direkte Vergährung des Rohrzuckers durch denselben gefolgert wurde, so ist doch wahrscheinlich der Prozess so aufzufassen, dass auch hier zuerst eine Spaltung des Rohrzuckers durch die lebende Zelle selbst zustande kommt und erst die Komponenten desselben der direkten Ver- gährung anheimfallen; auch in der lebenden Hefe kommt ja, wie oben dargelegt, die Inversion mittelst Invertiu nur innerhalb des Zellleibes GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 223 zustande; der Unterscliied gegenüber der Monilia würde also nur darin liegen, dass bei letzterer eine Trennung des invertierenden Prinzips vom lebenden Plasma bisher unausführbar ist. Neuerdings ist es übrigens E. FisCHEE u. P. LiNDNEE (B. Ch. 28. 3034) gelungen, durch frische, mit Glaspulver zerriebene oder durch getrocknete Monilia Candida, die keinerlei Gährwirkung mehr auszuüben vermochte, doch eine deutliche Inversion des Rohrzuckers (mit Bildung von Invertzucker bis zu 60 %) zu erzielen; das invertierende Agens war in Wasser nicht löslich und konnte nicht rein dargestellt werden. Jedenfalls ist aber hiermit er- wiesen, dass auch bei der Monilia Candida Inversion und Vergährung getrennte Funktionen sind. Ferner wurde früher die Maltose für direkt vergährbar gehalten; doch ist für viele Fälle bereits die Existenz maltose-spaltender glukaseartiger Fermente in der Hefe nach- gewiesen (vgl. S. 200); in anderen Fällen mögen vielleicht ähnliche Ver- hältnisse obwalten, wie bei der „direkten" Vergährung des Rohrzuckers durch Monilia. Als auch vom chemischen Standpunkte wahrschein- lichste Annahme lässt sich wohl also die dargelegte Ansicht aufstellen, dass nur Monosaccharide unmittelbar gährfähig sind, während bei Disacchariden stets vorgängige Spaltung, sei es durch isolierbare Fermente, sei es durch das lebende Plasma selbst, stattfindet. Ferner ist eine solche Spaltung in allen Fällen anzunehmen, wenn höhere Zuckerderivate als Gährmaterial dienen; hierher gehören Dextrine, Stärke, Inulin, zwei neue vonTAüEET (CR. 117. 50) in Topinambour-Knollen nachgewiesene Kohle- hydrate Helianthenin und Synarthrin etc.; diese Stoffe werden zuerst durch diastatische Fermente verzuckert und erst dann vergohren. Glykogen dagegen kann nach A. Koch und HosÄus (C. 16. 157) selbst von kräftigen Hefen nicht vergohren werden. Praktisch hat wegen der leichten Spaltbarkeit der Disaccharide und Stärkesubstanzen durch Fermente das Unvermögen derselben zur direkten Vergährung gar keine Be- deutung; im Gegenteil finden gerade diese Stoffe in den Gährungsgewerben ausgedehnte Verwendung. Für die Gährungserreger selbst bedeutet ihre Ausstattung mit verzuckernden und invertierenden Fermenten eine wichtige Erweiterung ihrer Lebens- und Wirkungsfähigkeit. — Wenngleich eine Abspaltung von Alkohol undCOo aus Kohlehydraten auch durch die Lebensthätigkeit zahlreicher Schimmelpilze und Bakterien gelegentlich zustande kommt, so ist doch die massenhafte und fast ausschliessliche Bildung dieser Produkte aus bestimmten Zuckerarten, wie sie für die alkoholische Gährung charakte- ristisch ist, nur bei Hefen und hefeartigen Sprossungen einiger Schimmelpilze zu finden. Eine physiologische Einteilung der Alkoholgährungspilze nach dem Gährsubstrat lässt sich im wesentlichen den Angaben Hansens (Meddedelser etc. Bd. IL Heft 5), der 224 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Zusammenstellung Jöegensen's (Die Mikroorg. d. Gährungsindustrie. S. 131 ff.) und den Untersuchungen von E. Fischek und Thierfeldee (B. Ch. 27. 2031) gemäss etwa folgendermassen aufstellen. o) Echte Saccharomyceten mit endogener Sporenbildung. 1. Solche, die Alkoholgährung verursachen und isolierbare inver- tierende Fermente ausscheiden. ß) Solche, die d- Glukose, d-Mannose, d- Galaktose, d-Fruktose, sowie Saccharose, Maltose, aber nicht Laktose vergähren. Hierzu gehören Hansen's G Hefearten: S. cerevis. I, S. Pastorian. I, II, III, S.ellipsoid.I, II, sowie sämtliche in der Brauerei- industrie verwandten untergährigen Rassen. Die d - Galaktose wird von einigen Arten, so von S. ellipsoid. II nur schwach vergohren. Bei gleichzeitigem Vor- handensein von d- Glukose und d-Fruktose, wie z. B. nach Inversion des Rohr- zuckers, wird von den meisten Hefen die d- Glukose bevorzugt und daher rascher vergohren als die d-Fruktose; es giebt aber nach Gayon u. Dubourg (C. R. 110. 865) auch Hefen, die das umgekehrte Verhalten zeigen. ß) Solche, die von den Disacchariden nur Saccharose vergähren, Maltose und Laktose dagegen nicht angreifen; S. Marxianus, S. exiguus, S. Ludwigii. y) Solche, die Laktose vergähren, als die von Duclaux (P. 87. 573), Adametz (C. 5. 116), Grotenfeldt (F. 80. 121), Beijerinck (C. 6. 44), Kayser (P. 91. 395), Schnurmaus-Stekhoven (ref. K. 1891. 136), Bocicchio (C. XV. 548), Fischer und Thierfelder (B. Ch. 27. 2031) beschriebenen Arten. 2^1 Solche, die weder gährende, noch invertierende Wirksamkeit äussern. Hierher gehören Sacc. membranaefaciens Hansen und zwei demselben sehr ähnliche, von Pichi entdeckte Arten. b) Sprosspihe ohne Endosporenbildufig. 1. Sacch. apiculatus vergährt nur d-Mannose, d-Fruktose, d-Glukose, und zwar sehr langsam, gar nicht die d-Galaktose; invertierende Wirkung fehlt, daher werden Rohrzucker, Milchzucker und Maltose nicht vergohren. 2. Torula- Arten geben grossenteils nur wenig Alkohol; einige bewirken In- version des Rohrzuckers und vergähren d-Glukose und Invertzucker, nicht aber Maltose. 3. Monilia Candida produziert kein isolierbares invertierendes Fer- ment, vergährt Rohrzucker „direkt", vergährt d-Glukose leicht, Maltose schwieriger und nur in Gegenwai't N-haltigen Nährmaterials. 4. Mykoderma zeigt weder Gährthätigkeit, noch invertierende Wirksamkeit. c) Hefeartige Sprossungen von Sehimmeljjihen. Werden Schimmelpilze, besonders Mukorarten in zuckerhaltige Nährlösungen untergetaucht und so zu anaerober Existenz gezwungen, so bilden sich, wie be- reits erwähnt, hefeartige Sprossungen, die eine ziemlich energische Gährthätigkeit entfalten können. Verschiedene Arten zeigen nach Hansen (a. a. 0.) Verschieden- heit ihrer chemischen Leistung; so vergährt Mucor erectus d-Glukose und Maltose, Dextrin und sogar Stärke nach vorangegangener Verzuckerung; Rohrzucker wird weder invertiert noch verrohren; Mucor racemosus vergährt schwächer d-Glukose GoTscHLiCH, Gährungserregung. 225 und Maltose, auch Rohrzucker nach vorgängiger Inversion; Mucor spinosus und Mucor mucedo vergähren nur d- Glukose und Maltose, letztere aber nur schwach. Ausserdem sind in neuester Zeit mehrfach hefeartige Sprossungen von Schimmelpilzen beschrieben worden, die sich durch ihre Endosporenbildung und Gährthätigkeit als echte Saccharomyceten erwiesen, so dass hiernach vielleicht sämtliche Saccharomyceten in den Entwicklungskreis von Schimmelpilzen gehören würden. So fand Juhlee (C. C. I. 16 u. 326), dass Konidien des Aspergillus oryzae in zuckerhaltigen Nährlösungen sich zu typischen Saccharomyceten um- bilden. JÖRGENSEN (ebd. 322) bestätigte dieses Resultat und wies auch für die Weinhefe, den Sacch. ellipsoideus, einen ähnlichen Ursprung aus dematium- oder chalaraähnlichen Schimmelpilzen, die auf den Trauben vegetieren, nach. Gegen die Richtigkeit dieser Angaben hat sich jedoch bereits von Kosai u. Yabe (C. C. I. 609 und Klöcker u. Schiöxning (ebd. 777) Widerspruch erhoben; endgiltige Entscheidung bleibt abzuwarten. Unter den Angehörigen der einzelnen Gruppen finden sich wieder Verschiedenheiten je nach der Art und Grösse der Leistung bei der Vergährung. Bekannt ist die alte Unterscheidung der Brauereihefen in Ober- und Unterhefe; bei ersterer bilden sich die Sprossungen rascher aus, es entstehen zusammenhängende Zellkomplexe, welche durch den Strom von CO2 -Bläschen leicht an die Oberfläche gerissen werden; bei der Unterhefe erfolgen die Sprossungen langsam, es entstehen nur kleine Sprossverbände, die am Boden liegen bleiben; die Gährung erfolgt bei der Unterhefe weniger stürmisch und meist bei einem niedrigeren Temperaturoptimum wie bei der Oberhefe. Ein Unterschied besteht ferner darin, dass die in der Bierbrauerei verwendeten Unter- hefen Melibiose nach vorgängiger Spaltung in Glukose und Galaktose vergähren, während Oberhefen dazu nicht imstande sind (Fischee, u. LiNDNER,B.Ch.2S.3034;BAU,Chemiker-Ztg. 1895.Nr.83). Während früher nach Reess und Pasteur angenommen wurde, dass die eine dieser Formen sich leicht in die andere umbilden könne, ist jetzt von Hansen (Unters, a. d. Praxis d. Gährungsindustrie. I. 70f. 1895) mit Bestimmtheit nachge- wiesen, dass derartige Umbildungen selbst bei jahrelanger Fortzüchtung nicht vorkommen; jede Hefeart bewahrt vielmehr ihren Charakter als Ober- oder Unterhefe als konstantes Merkmal. — Ferner unterscheidet man je nach dem Umfang und der Geschwindigkeit der Vergährung schwache und kräftige Hefen. — Die Art und Weise der Zerlegung der Hexosen durch die Hefe- gährung hat man früher durch eine sehr einfache chemische Gleichung dargestellt. Man glaubte, dass eine Spaltung des Zuckermoleküls in 2 Moleküle Alkohol und 2 Moleküle COj stattfinde: CgHisOc = 2C2H5OH-I- 2CO2. Pasteur wies zuerst nach, dass regelmässig noch eine Reihe von Nebenprodukten auftritt, selbst wenn mög- lichst reines Gährmaterial benutzt wird; die thatsächlich gefundene Menge Alkohol ist stets geringer als die aus der obigen einfachen Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 15 226 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Formel theoretisch hergeleitete; ca. 6*^0 des umgesetzten Zuckers sind für die Entstehung der Nebenprodukte verbraucht. Unter diesen letzteren treten in vorwiegender Menge Glycerin und Bernsteinsäure auf; die Menge des ersteren entspricht im Durchschnitt 2,5 — 3,6 % des ver- gohrenen Zuckers, die der Bernsteinsäure 0,4 — 0,7*^'o desselben; ausser- dem finden sich konstant als Beimengungen Spuren von Aldehyd und Essigsäure, ferner Acetal, höhere Alkohole, wie Propyl-, Butyl-, Amyl-, Hexylalkohol (letzterer besonders im Spiritus aus Rübenmelasse), deren Gemenge als Fuselöl bekannt ist, Furfurol und ätherartige Stoffe, welche letzteren insbesondere bei der Gährung des Weines als Bouquetbildner eine wichtige, noch zu • besprechende Rolle spielen. Während für die früheren Gährversuche die Möglichkeit bestand, dass diese Nebenprodukte nicht der alkoholischen Gährung selbst, sondern der Mitwirkung fremder, zufällig eingedrungener Mikroben ihre Ent- stehung verdanken, kann dieser Einwand einer ganzen Reihe neuerer Untersuchungen gegenüber, die mit tadellosen Hefe-Reinkulturen unter allen Vorsichtsmassregeln angestellt wurden und bei denen trotzdem die erwähnten Nebenprodukte auftraten, nicht mehr aufrecht erhalten werden; vgl. z. B. Boegmann (C. 1. 8), Lindner (r. ebd. 3. 749), Amthor (r. ebd. 4. 650; Z. physiol. Ch. XIl. 64), Martinaud (C. R. 107); Thylmann und Hilger (A. 8. 451), Rau (ebd. 14. 225), Wortmann (Landw. Jahrb. 1892. 906 u. r. Koch 1893. 159), Katser (P. 90. 321), Mach und Portele (L. V. 41. 233), Roeser (P. 93. 41). Diese Untersuchungen haben ferner ergeben, dass das Ver- hältnis der einzelnen Produkte bei verschiedenen Hefearten ein ver- schiedenes ist; es ist deshalb nicht möglich, der Bildung dieser Nebenprodukte durch eine allgemein giltige, kompliziertere Gährungs- gleichung Genüge zu leisten, wie dies früher von Pasteur u. Monoter versucht worden ist. Sehr wichtig für die Praxis der Gährungsindustrie sind ferner jene Unterschiede in der chemischen Leistung verschiedener Hefearten, die die ätherartigen, aromagebenden oder Bouquetstoflfe des Gährproduktes, speziell des Weines betreflen und sich deutlich in ver- schiedenem Geschmack und Aroma der verschiedenen Gährprodukte kundgeben; hierauf ist später noch zurückzukommen. Die Bildung der Nebenprodukte der alkoholischen Gährung ist aber nicht nur von der Natur des Erregers, sondern ausserdem noch von den äusseren Versuchs- bedingungen abhängig. So fand Brefeld, dass die Nebenprodukte sich um so mehr anhäufen, je ungünstiger die Verhältnisse für den Gährungserreger liegen; daher häufen sich dieselben gegen Ende der Gährung an und kommen besonders reichlich bei solchen Gährungs- erregern zustande, die nur mühsam eine Gährung unterhalten und eigentlich auf andere Existenzbedingungen angewiesen sind, z. B. bei GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 227 Mucor stolonifer und mucedo; auch scheint nach Pasteue, sowie nach Mach und Portele (L. V. 41. 261) alte Hefe mehr Bernsteinsäure und Glycerin zu liefern als frische. Für die Bedingungen der Glycerin- und Bernsteiusäurebildung konstatierten Thylmann u. Hilgee (a. a. 0.) bezw. Bau (a. a. 0.) Folgendes: Niedere Temperatur verringert die Glycerinbildung, nicht aber die Bernsteinsäureproduktion; Nährstoff- zusatz zum Gährgemisch ruft erhöhte Glycerinbildung hervor, vermehrt aber die Bernsteinsäuremenge nicht; die Entstehung beider Neben- produkte geht in gleicher Weise bei Zutritt und Abschluss der Luft vor sich. Auffallend gering war die Glycerinproduktion in mehreren Fällen, in denen reine Hefen angewandt wurden. Die Produktion der höheren Alkohole erfolgt nach Lindet (C. R. 107. 182; 112. 102) erst in den späteren Stadien der Gährung und wird durch niedrige Temperaturen unterdrückt. Aldehyd entsteht nach Roeser (a. a. 0.) bei Luftzutritt in weit grösserer Menge als bei Luftabschluss und ver- dankt wahrscheinlich, wenigstens teilweise, seine Existenz einer durch die Hefe vollzogenen Oxydation des Alkohols. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass in einigen der besprochenen Nebenprodukte nicht direkte Abbauprodukte des vergohrenen Zuckers zu sehen sind, sondern dass sie dem von der Gährwirkung unterschiedenen und neben ihr hergehen- den Stoffwechsel der Hefe angehören. Für diese Ansicht könnten manche Punkte herangezogen werden, so z. B. die Thatsache, dass die Aldehydbildung nach Roeser auch in Nährlösungen vor sich geht, die gar kein gährfähiges Substrat enthalten, ferner die durch v. Udranszky (Z. physiol. Ch. 13. 539) bei Hefe beobachtete Glycerinproduktion ohne gleichzeitige COo-Bildung unter Umständen, unter denen sowohl Gährwirkung als Selbstvergährung der Hefe ausgeschlossen waren, sowie die von demselben Autor beim Absterben der Hefe festgestellte Glycerin- produktion ohne CO2 -Entwicklung. Indessen spricht doch auch man- ches, so insbesondere die eigentümliche Qualität der Produkte, ihr fast regelmässiges Auftreten bei jeder alkoholischen Vergährung des Zuckers, gegen die allgemeine Zulässigkeit einer solchen Annahme. Die Frage nach der Bedeutung der Nebenprodukte ist offenbar noch nicht abgeschlossen. Über die Veränderungen, welche dasGährprodukt der Hefe bei jahrelangem Ver- weilen der letzteren in dem gegohrenen Substrat erleidet, haben Raymann und Kruis (r. K. J. 1S91. 1 25) Untersuchungen unter Verwendung von Reinkulturen an- gestellt. Der Alkohol verbleibt neben der Hefe jahrelang unverändert, wenn die Flüssigkeit bei niedriger Temperatur und Luftabschluss aufbewahrt wird; anderen- falls steigt die Hefe an die Oberfläche, bildet hier eine Kahmhaut und oxydiert den gebildeten Alkohol weiter zu CO2 und H^O. Die in der Flüssigkeit ent- haltenen Eiweisskörper werden, sobald der Hefe keine gährfähigen Kohlehydrate mehr zur Verfügung stehen, angegriffen und bis zu Amiden und Ammoniaksalzen organischer Säuren hydratisiert; ausserdem findet eine Oxydation der Eiweissspalt- 15* 228 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Produkte zu Ameisen- und Valeriansäure statt. Auch Dtjclaux (P. 93. 537) fand bei längerem Lagern von Weinproben mit Krankheitshefen Fortgehen der Oxydationsprozesse im Wein; in sterilisierten Weinen fand dagegen selbst nach 20jähriger Lagerung keine weitere Oxydation, jedoch eine erhebliche Ester- bildung statt. Unter normalen Verhältnissen, wo wie in der Gährungsindustrie von einer ganz geringen Aussaatmenge ausgegangen wird, findet stets bei der Vergährung des Zuckers eine gleichzeitige Vermehrung der Hefe Zellen statt. Diese Vermehrung steht cet. par. in direktem Verhältnis zur Menge des umgesetzten Zuckers, bezw. des neugebilde- ten Alkohols; nach Ad. Mayee (L.V. 16.301) beträgt sie, berechnet auf trockene Hefesubstanz, etwa 1,38 — 2,03 % des neugebildeten Alko- hols. Durch reichliche Lüftung kann die Vermehrung der Hefe erheblich gesteigert werden. Selbstverständliche Voraussetzung zum Zustandekommen einer reichlichen Hefevermehrung ist die Anwesen- heit genügender Mengen organischer Nährstoffe. In einer gegebenen Gährflüssigkeit kann daher nur eine ganz begrenzte Anzahl von Hefe- zellen vegetieren, die Hefeernte ist daher unabhängig von der Aus- saatstärke (Brotvts": r. K. 92. 101); werden von vornherein mehr Hefe- zellen in die Gährflüssigkeit gebracht, als darin nach Massgabe der Versuchsbedingungen sich überhaupt entwickeln könnten, so tritt gar keine Vermehrung ein. Nichtsdestoweniger findet hierbei doch Gährung statt; auf diese Weise ist es auch möglich, sogar in remen Zuckerlösungen durch grosse Hefegaben Gährung hervorzurufen, wo- bei freilich eine an N-haltigen Stoßen sehr erschöpfte Hefe zurück- bleibt. Auch unter normalen Verhältnissen bei Hefevermehrung gehen die vegetative und die Gährungsenergie der einzelnen Hefe- zelle nicht immer parallel. Ob im zeitlichen Verlauf der Gährung das Maximum der Energieentfaltung bezüglich Teilung und Gähr- wirkung zusammenfällt, ist noch nicht eindeutig entschieden; Beown (a. a. 0.) behauptet es, während Andere, wie z. B. Mach u. Poetele (r: K. 1892. 130), annehmen, dass zuerst die vegetative, dann die Gährungsenergie ihr Maximum zeige. Sicher geht die Vergährung noch weiter fort, nachdem die Vermehrung der Zellen längst aufgehört hat. Ferner besteht ein solcher Parallelismus nicht bei der Erhöhung der Vermehrungsenergie der Hefe durch ausgiebige Lüftung; hier ist nach VAN Laee (r: K. 1893. 137) zwar die Gesammtmenge der in einer gegebenen Zeit stattfindenden Zuckerumsetzung wegen der grösseren Zahl der beteiligten Individuen vermehrt, doch die Gäh- rungsenergie der einzelnen Zelle geringer als bei Luft- abschluss. In merkwürdigem Gegensatz zu diesem Verhalten der normal sprossenden Hefe steht die Thatsache, dass Hefe, die in so GoTSCHLicH, Gährungserregung. 229 grossen Mengen in die Gährflüssigkeit gebracht ist, dass keine weitere Vermehrung mehr stattfinden kann, doch durch Sauerstofi'zufuhr in ihrer Gährleistung, also natürlich auch in der Gährungsenergie jeder ein- zelnen Zelle gefördert wird (Brown, 1. c). Es hat vorläufig noch nicht gelingen wollen, diese divergenten Thatsachen zwanglos unter einen Gesichtspunkt zu vereinen. Hierher gehört endlich noch Effeont's (r: K. 1891. 156) Beobachtung, dass durch Fluorverbindungen in bestimmten Koncentrationen Hefe zwar in ihrer Vermehrungsfähig- keit beeinträchtigt wird, wobei jedoch die Gährenergie der Einzelzelle sogar eine Steigerung erfährt; ein analoges Resultat ergiebt sich aus den Versuchen von Foth (C. 1. 502) für Hefe in CO2 -Atmosphäre. Betreffs der Abhängigkeit der Gährung von äusseren Beding- ungen kommt neben dem bereits besprochenen Nährstoffgehalt der Lösung die Koncentration der Zuckerlösung in Betracht. Zuckerlösungen von 5 — 20 •'o werden nach Beown (1. c.) annähernd mit der gleichen Intensität vergohren; 30proz. Lösungen vergähren langsamer. Nach Dumas (A. eh. ph. 1874) ist die Dauer der Gährung annähernd der vorhandenen Zuckermenge direkt proportional. Die Diffusion kann nicht der beherrschende Faktor bei der Gährung sein, da Gaton u. Dubourg (C. R. 110. 865) fanden, dass verschiedene Hefen verschiedene Zuckerarten in einem ganz anderen Verhältnis ver- gähren. als deren Diffusionsfähigkeit entspricht. Als Temperatur- optimum ist im allgemeinen etwa 25*^ anzusehen, doch ist dasselbe unter dem Einfluss verschiedener anderer äusserer Faktoren verschieb- bar. — Der Fortdauer der Gährung wird sehr bald ein Ziel gesetzt durch die Ansammlung der Gährprodukte; ein Gehalt von 12 "0 Alkohol hemmt bereits das Wachstum der Hefe, und bei mehr als 14^/0 Alkohol sistiert jede Gährung. Für Mukorhefe liegt diese Grenze noch viel tiefer, bei 3 '4 — 4 '^0 (bei Mucor stolonifer gar nur bei 1,3 ^0); Mukorhefe ist auch gegen stärkere Koncentration der Zuckerlösung viel empfindlicher, da nur bis zu einem Zuckergehalt von 7 ^'q aus- giebige Gährung eintritt. Verschiedene Hefearten scheinen gegen die- selbe Koncentration ihrer flüchtigen Gährprodukte sehr verschiedene Resistenz zu zeigen; so soll nach Prior (C. C. 1. 432) der durch die ..schwache" Saazer Hefe erreichte niedrige Endvergährungsgrad sich durch die Empfindlichkeit dieser Hefe gegen ihre Gährprodukte erklä- ren: werden dieselben durch Überdestillieren im Vakuum stetig ent- fernt und sonst für günstige Gährungsbedingungen Sorge getragen, so lässt sich auch mit dieser schwachen Hefe eine fast vollständige Vergährung erreichen. Den zeitlichen Verlauf der Gährung hat Cochin (CR. 96) durch fortlaufende Messung der entwickelten C0.2-Mengen zu bestimmen ge- 230 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. sucht. Er fand, dass immer zunächst 10 — 20 Minuten vergehen, bis lebhafte Gährung eintritt, in verdünnten Lösungen noch längere Zeit. Diese Inkubationszeit kommt nicht etwa dadurch zustande, dass die Zuckerlösung zunächst ins Innere der Zellen eindringen muss und dazu eine gewisse Zeit verbraucht; denn sie ist auch dann zu beob- achten, wenn die Hefe direkt aus bereits gährender Zuckerlösung in neue Lösung übertragen wird. Der weitere Verlauf der Gährung lässt sich durch eine steil aufsteigende Curve versinnlichen, die nach neueren Untersuchungen von Beown (1. c.) sich sehr der Geraden nähert, jeden- falls von einer für rein chemische Umsetzungen berechneten Kurve völlig abweicht; die Gährung kann also nicht etwa als ein durch eine von der Zelle ausgeschiedene chemische Substanz zustande kommender einfacher chemischer Prozess angesehen werden. Besondere Beachtung ist von vielen Forschern der sog. Selbstvergährung der Hefe geschenkt. Dieselbe findet statt, wenn grosse Massen frischer, lebens- kräftiger Hefe mit reichlich Wasser bei ungenügendem Luftzutritt und günstiger Temperatur (25 — 30") sich selbst überlassen werden. Es wird unter diesen Um- ständen reichlich CO2 und Alkohol gebildet; die Hefe geht in einen erweichten Zustand über und lässt in das wässrige Extrakt zahlreiche Stoffe übertreten, die zum Teil als Eiweissspaltprodukte (Tyrosin, Butalanin, Carnin, Sarkin, Guanin, Xanthin etc.) angesprochen werden müssen. Die Produktion von CO2 und Alkohol liesse sich entweder dadurch erklären, dass vergährbarer Zucker in der Hefe vor- handen war, oder dass irgend ein Bestandteil der Hefe, sei es ein Kohlehydrat oder eine Proteinsubstanz, sich leicht in Zucker umwandelte. Nach Pasteur finden sich nun in der That stets in der Hefe zuckerähnliche Stoffe, die als solche schwer extrahierbar sind, aber z. B. durch Mineralsäuren die Umwandlung in Zucker er- leiden; diese, sowie die Cellulose der Zellmembran sollten nach Pasteur das Material der Selbstvergährung liefern. Liebig vertrat eine andere Anschauung; da er zuweilen bei der Selbstvergährung so grosse Mengen von CO2 und Alkohol entstehen sah (8 — 13,5% Alkohol vom Trockengewicht der Hefe), dass der ge- samte Gehalt der Hefe an Kohlehydraten nicht ausreichte, um diese Menge von Gährprodukten zu liefern, nahm er an, dass dieselben aus einer Spaltung der Eiweisssubstanzen der Hefezellen hervorgehen, und sah darin eine Stütze seiner allgemeinen Anschauung, nach welcher der wesentliche bei jeder Gährung statt- findende Vorgang stets die Zersetzung einer komplizierten Proteinsubstanz und Übertragung der chemischen Bewegung von dieser auf die Zuckermoleküle sei. NÄGELi wies jedoch nach, dass bei der Selbstvergährung kein auf die Hefe allein beschränkter Prozess vorliege, sondern dass in den früheren Versuchen zweifellos Spaltpilze an der Zersetzung mitgewirkt haben. Die CO2- und Alkohol-Produktion kann dann ebenso wie die Bildung der N-haltigen Pi-odukte auf die Gährthätigkeit dieser Spaltpilze zurückgeführt werden, für deren Vermehrung ja alle Bedingungen gegeben waren. Wurde die Ansiedlung dieser fremden Eindringlinge z. B. durch Zusatz von Citronensäure erschwert, so fanden sich immer nur minimale Spuren Alkohol, die vielleicht durch Vergährung der geringen in der Hefe präformierten Zuckermengen entstanden. Dieser letztere Vorgang würde den Zersetzungen im hungernden Tier ganz analog sein. Dass aber weiterhin auch die Proteinsubstanzen GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 231 der erschöpften Hefezellen durch die Gährthätigkeit anderer lebender Hefezellen angegrifien werden, dafür fehlen bisher alle sicheren Anhaltspunkte. In der technischen Verwertung der Alkoholgährung bei der Brauerei, Brennerei, Weinbereitung etc. benutzte man früher als Gährungserreger unkontrollierbare Hefegemische, die als Weinhefe, Bier- hefe u. dgl. bezeichnet wurden Nachdem sich aber durch die Unter- suchungen von E. Che. Hansen (C. R. laborat. d. Carlsberg: Unters, a. d. Praxis d. Gährungsindusrie. H. 1 u. 2) herausgestellt hat, dass viele Krankheiten des Bieres, als schlechter bitterer Geschmack, mangelhafte Klärung, geringe Haltbarkeit etc. durch „wilde Hefen" bewirkt werden, die zufällig in die Gährbottiche gelangen und die Thätigkeit der Kultur- hefen stören, — nachdem ferner durch die Arbeiten desselben Autors die Möglichkeit gegeben war, Hefe sicher rein zu züchten und durch Aus- sat derselben ein ganz bestimmtes zuverlässiges Gährprodukt zu er- halten, erschien es geboten, auch bei der Brauerei im grossen reine Hefearten und sterilisierte Würze anzuwenden. Dies ist zuerst von Hansen, später von vielen Anderen mit durchweg aus- gezeichnetem Erfolge unternommen worden; zahlreiche Brauereien arbeiten bereits mit grossem Vorteil nach diesem Prinzipe, welches wirksam vor dem Eindringen von Krankheitshefen und anderen Bier- krankheiten verursachenden Mikroben (als Bacillen, Sarcinen etc.) schützt und jede Unsicherheit aus dem Gährungsbetriebe verbannt. Das zuerst für Untergährung angegebene Prinzip Hansen's ist nach Jöegensen auch in obergährigen Brauereien anwendbar. Berichte über die Er- fahrungen, welche man mit Hansens Verfahren gemacht hat, finden sich in grosser Anzahl in den erwähnten Werken Hansen's und Jöegensen's zusammengestellt. Neuerdings ist das HANSEN'sche Prinzip mit grossem Vorteil auch bei der Wein- und Schaumweinberei- tung (vgl. u. a. WoETMANN, r: K. 1893. 159), sowie von Greg (r: C. 15. 46) bei der Rumfabrikation angewandt werden. Ja, man ist noch einen Schritt weiter gegangen: auf die Überlecning; gestützt, dass verschiedene Arten von Hefen verschiedene charakteristische Aroma- stoffe erzeugen, auf denen teilweise die verschiedene Qualität differenter Weinsorten beruht, hat man versucht, minderwertige Weine durch Impfung mit vorzüglich aromagebenden Hefen zu veredeln. Diese Versuche, die schon in grosser Zahl angestellt sind, haben im allgemeinen ein günstiges Resultat ergeben; nur darf man nicht ver- langen, dass die Thätigkeit der Hefe den ganzen Charakter des Weines ändern und etwa aus einem ganz minderwertigen Gährmaterial ein vor- zügliches Produkt erzeugen soll. Der Grundcharakter des Weines, beruhend auf den von der Rebe fertig gelieferten „primären Bouquet- stoffen" (MüiiLEE-THURGAU, Woetmann) bleibt ungeändert; die von 232 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. der Hefe gelieferten „sekundären Bouquetstoffe" vermögen auf dieser Grundlage jedoch Modifikationen des Geschmacks und Aromas hervorzurufen. Eine besonders dankbare Wirkung wird daher bei Ver- edlung minderwertiger Moste, die wenig primäre Boviquetstoffe enthalten, beispielsweise bei Veredlung von Obstwein durch Weinhefen (Nathan, r: K. 1893. 160) erzielt. 2. Oxalsäuregährung in Lösungen von d- Glukose, Galaktose, Maltose, Rohrzucker, Milchzucker, Mannit, Dulcit und Glycerin konstatierte Zopf (Ber. d. dtsch. botan. Ges. 1889. 94) bei seinem echten endosporeu „Saccharomyces Hansenii". 3. Citronensäuregährung von Zuckerarten sah Wehmer (C. 15. 427) durch zwei neu entdeckte Schimmel- pilze : Citromyces PfefFerianus und glaber, zustande kommen. Die Ausbeute ist so reichlich, dass an eine technische Verwertung des Verfahrens gedacht werden kann. 4. Milchsäuregährung. Das Material für die Milchsäuregährung liefern Traubenzucker, Rohrzucker, Milchzucker (letztere beiden wahrscheinlich erst nach vor- gängiger Inversion), Rhamnose, Mannit, Sorbit. Spontan tritt die Milchsäuregährung regelmässig in der Milch auf, wenn diese 3 — 4 Tage bei Zimmertemperatur oder besser noch bei 30*^ gehalten wird; ausserdem wird sie sehr häufig bei Fruchtsäften, Rübensaft, vegetabilischen Stoffen, wie Rübenschuitzeln, beobachtet und bei der Herstellung des Sauerkrauts und Sauerfutters verwertet. Künst- lich erhält man Milchsäuregährung auch durch mehrtägiges Stehenlassen einer mit etwas altem Käse und geschlemmter Kreide versetzten Rohr- zuckerlösung von geringer Koncentration bei 30 — 35*^; der milchsaure Kalk lässt sich in einfacher Weise gewinnen. Als Erreger dieser Gährung können eine ganze Reihe von Bakterien fungieren. Bei der spontanen Milchsäuregährung in der Milch sind zuerst von Hüeppe (M. G. II), später von Geotenfelt (F. 1889. 121) u. A. Bacillen als Erreger isoliert worden, die in Rein- kultur auf sterile Milch übertragen typische Milchsäuregährung hervor- riefen. Daneben sind aber auch noch viel andere Bacillen, ferner Kokken, so von Lübbert (Biolog. Spaltpilzunters. S. 35), ferner von Fokker(Z.9.41), auch Sarcinen,so vonLiNDNER(r:C.2.340)beschrieben, und nach Gosio (A. 21. 114; 22. 1) und Kupeianow (ebd. 19. H. 3) auch Vibrionen zu dieser Gährwirkung befähigt. Das Hauptprodukt der Gährung ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Athyliden- milchsäure: CH3-CHOH.COOH; nur Hilger (A. Ch. Pharm. 160. 336) will in einem Falle neben Propion- und Buttersäure die isomere Äthylen- GoTSCHLiCH, Gährungserregnng. 233 milchsäure: CH.jOH-CHo.COOH erhalten haben. Die Athylidenmilch- säure tritt in drei optisch isomeren Modifikationen als Gährprodukt auf: erstens als gewöhnliche, optisch inaktive sog. Gährungsmilch- säure, ausserdem aber in zwei optisch aktiven Formen als Rechts- bezw. Linksmilchsäure, deren erstere mit der längst bekannten Fleisch- oder Paramilchsäure des Muskels identisch ist. Die Linksmilch- säure wurde erst neuerdings von Schaedinger (M. Ch. 11. 545) als Produkt einer durch einen Wasserbacillus erzeugten Gährung erhalten. Die Zinksalze der beiden optisch aktiven Milchsäuren verhalten sich in optischer Beziehung gerade umgekehrt wie die zugehörigen Säuren; das Paralaktat dreht links, während das Zinksalz der Linksmilchsäure rechtsdrehend ist. Die inaktive Gährungsmilchsäure ist als eine race- mische Verbindung, analog der Traubensäure aufzufassen; hierfür sprechen die Krystallisationsversuche Schaedinger's, sowie die durch Lewkowitsch, LiNOssiEE (r: K. 1891. 177) und Feankland u. Mac GEEGOE(r: ebd. 1893. 193) konstatierte Spaltung der inaktiven Säiire durch Mikro- organismen, wobei nach Angabe letzterer Autoren die linksdrehende Säure zuerst zersetzt wird und die Fleischmilchsäure übrig bleibt. Welche der drei optisch isomeren Athylidenmilchsäuren als Gährprodukt auf- tritt, hängt zunächst von der Natur des Erregers ab. So fand Schae- DiNGEE (r: C. 15. 48) unter 9 Arten von Milchsäure produzierenden Bak- terien bei 2 die inaktiven, bei 7 Arten die aktiven Milchsäuren; ferner unterscheiden sich nach Gosio und Kupeianow selbst nahe verwandte, zu derselben Gruppe gehörige Bakterien, nämlich die choleraähnlichen Vibrionen, durch die Natur der entstehenden Milchsäure: der Vibrio cholerae.asiaticae, sowie die Vibrionen von Finklee-Peioe,Metschnikofe, Weibel, Dunbae, Weenicke I, II und III, Vibrio Massaua und Vibrio danubicus bilden Linksmilchsäure, während die Vibrionen von Deneke und Bonhoff a die rechtsdrehende und endlich Vibrio aquatilis, Bero- linensis und Bonhoff b die inaktive Modifikation erzeugen; analoge Diff'erenzen existieren nach Blachstein (r: K. 1S92. 80) zwischen Typhus- und manchen Colibacillen, Ausserdem hängt aber die Natur der gebildeten Säure auch von der chemischen Natur des Gährsubstrats und den sonstigen Versuchsbedingungen, insbesondere den Ernährungsverhältnissen des Erregers ab; so fand Täte (r: K. 1893. 191) bei demselben Bakterium Bildung von Linksmilchsäure aus d- Glukose und Mannit, von inaktiver Milchsäure dagegen bei der Vergährung von Rhamnose; nach Peee (P. 92. 512) bildet dasselbe Bact. coli bei Vergährung der d-Glukose unter Luftzutritt Rechtsmilch- säure, aus d-Fruktose inaktive Milchsäure; bei länger fortgesetzter Kultur unter schwierigen Ernährungsbedingfungen hing-egeu wird letztere ge- spalten und von den entstehenden Komponenten die Liuksmilchsäure 234 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. stärker angegriffen. Derselbe Autor fand in einer späteren Unter- suchung (P. 93. 737), dass manche Colibacillen, die bei günstigen Er- nährungsbedingungeu Rechtsmilchsäure liefern, unter ungünstigeren Verhältnissen Linksmilchsäure produzieren; andere Arten vermögen überhaupt nur Linksmilchsäure zu bilden; entweder muss also die Pro- duktion der Linksmilchsäure für die Zelle leichter sein, als die der rechtsdrehenden Form, oder die Linksmilchsäure wird schwieriger weiter zersetzt als die Rechtsmilchsäure. Jede Zuckerart scheint also, je nach der Natur des Erregers und der Gährungsbedingungen, zur Abspaltung aller 3 optischen Isomeren der Athylidenmilchsäure fähig zu sein. Die Art der chemischen Umsetzung stellte man sich früher in sehr einfacher Weise so vor, dass ein Molekül Hexose glatt in zwei Moleküle Milchsäure gespalten würde: CoHiaOg = 2C3HCO3. Eine solche einfache Spaltung, die unter allen übrigen Gähr- prozessen ganz ohne Analogie dastände und überhaupt kaum mehr zur Gährung zu rechnen wäre, findet aber hierbei mit Bestimmtheit nicht statt. Nur etwa 83% des umgesetzten Zuckers finden sich nämlich in Form von Milchsäure wieder; der Rest wird auf die Produktion von Nebenprodukten verwandt. Zwar haben die von früheren Beob- achtern erhaltenen Nebenprodukte (Alkohol, Buttersäure, Mannit, Gummi) wahrscheinlich keine direkte Beziehung zur Milchsäuregährung, son- dern sind vielfach nur der gleichzeitigen Wirksamkeit anderer Mikro- organismen zuzuschreiben; doch ist es auch gelungen, bei Gährung mit Reinkulturen solche Nebenprodukte zu beobachten, die bei ver- schiedenen Erregern verschieden ausfielen; so wies Hueppe (a. a. 0.) neben der Milchsäureproduktion eine Entwicklung von CO2 nach; Leichmann fand (r: C. 16. 826) bei seinem von dem HuEPPE'schen scharf unterschiedenen Erreger deutliche Spuren von Äthylalkohol, aber keine Spur CO2; Adametz (C. C. 1. 465) sah bei der durch seinen Mikrokokkus Sornthalii eingeleiteten Milchsäuregährung sogar erhebliche Gasentwicklung; auch konnte Kuprianow (a. a. 0.) konsta- tieren, dass bei der durch Vibrionen vermittelten Gährung die Menge der erzeugten Milchsäure durchaus nicht immer der Menge des zer- setzten Zuckers parallel geht, ein Teil des letzteren also auf Neben- produkte verbraucht worden sein muss. Hiernach ist die alte oben erwähnte Formel als unrichtig anzusehen, da sie der Erzeugung der Nebenprodukte, insbesondere der C02- Entwicklung nicht Rechnung trägt. Eine allgemein giltige Formel dürfte bei dem difi'ereuten Ver- halten der einzelnen Arten überhaupt nicht möglich sein; vielmehr wird der Prozess wahrscheinlich in den verschiedenen Fällen einen verschiedenen und wohl recht komplizierten Verlauf nehmen. GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 235 Von besonderer Bedeutung ist die verschiedene chemische Leistung diiferenter Arten von Milchsäurebakterien für die technische Verwer- tung der Rahmsäuerung im Molkereibetriebe, welche meist zur Erleichterung des Ausbutterns vorgenommen wird. Nachdem durch eine Reihe von Untersuchungen, z. B. von Storch (r: K. 1890. 85), Jensen (ebd. 1891. 181), Conn (C. 9. 653), Adametz (r: nach Klecki, 0. 15. 354), Weigmann (r: ebd.) festgestellt ist, dass eine grosse Anzahl von Batterfehlern, sowohl bezüglich der Haltbarkeit als bezüglich des Aromas der Butter, durch die Wirkung zufällig ein- gedrungener fremder Bakterien zustande kommt, erscheint es dringend geboten, durch Anwendung von pasteurisiertem Rahm und Säuerung mittelst Reinkulturen solche Vorkommnisse zu verhüten. In der That ist dies auch auf dem angegebenen Wege nach den umfangreichen Erfahrungen von Weigmann (r: K. 1890. 84; 1891. 178; 1892. 179), Adametz und Wilkens (Landw. Jahrb. XXI. 131), Conn (r: K. 1893. 181), ZiKN (r: C. C. 1. 706) in überraschend zufriedenstellender Weise gelungen. Die zur Butterbereitung verwendeten Kulturen sind bereits käuflich zu haben; einige derselben, wie z. B. die Qüist- schen Milchsäurebakterien, erzeugen eine reinschmeckende Süssrahm- butter ohne Beigeschmack, andere geben der Butter verschiedenartige, zuweilen vorzügliche Aromen; eine solche Aromaerzeugung kann, wie z. B. bei einem von Conn isolierten Bacillus (C. C. 1. 385) auch ohne Säuerung zustande kommen. In manchen Fällen übertraf die künstlich mittelst Reinkulturen hergestellte Butter sowohl an Haltbarkeit als an Geschmack selbst die feinsten natürlichen Produkte. Von den äusseren Bedingungen der Milchsäuregährung ist vor allem der merkwürdige Einfiuss des Sauerstoffs zu erwähnen; Zutritt freien Sauerstoffs ist nach A. Mater (r: K. 1S91. 173 und Gährungschemie. 1895. 191) zum Zustandekommen der Gährung zwar nicht notwendig, begünstigt aber die Energie der Umsetzung erheblich. Diese Begünstigung beruht wahrscheinlich nicht blos, wie bei der Einwirkung des Sauerstoffs auf die Erreger der alko- holischen Gährung, auf einer Anregung zur Vermehrung, sondern auf einer unmittelbaren direkten Förderung der Gährthätig- keit selbst, freilich wiederum nicht in dem Sinne, dass der atmosphä- rische Sauerstoff in der Gährungsgleichung eine Rolle spielte, wie dies bei den Oxydationsgährungen kennen zu lernen sein wird. Das Tem- peraturoptimum liegt bei 30 — 35*'; bei 50" hört die Gährung auf, doch werden die Keime bei kurzem Verweilen auf dieser Temperatur noch nicht getötet; bei sehr niedrigen Temperaturen, 2—3*^, findet keine Gährung statt. Eine Kurve für die Vermehrungsenergie eines gewöhnlichen Bac. acid. lact. bei verschiedenen Temperaturen findet sich 236 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. bei Flügge (Z. 17. 300). Gegen freie Säure sind die gewöhn- lichen Milchsäurebacillen sehr empfindlich; die Gährung kommt daher durch die vom Bacillus selbst erzeugte Säure sehr bald ins Stocken, wenn nicht für Neutralisation derselben gesorgt ist. In Milch wird trotzdem unter gleichen Umständen stets mehr Milchsäure ge- bildet als in zuckerhaltigen Nährlösungen, was sich nach Timpe (A. 18. 1) und Kabrhel (Z. 19. 392) dadurch erklärt, dass ein Teil der produzierten Säure sich mit dem Kasein chemisch ver- bindet und so für die Bakterien unschädlich gemacht wird; daneben wird noch ein anderer Teil durch Umsetzung der in der Milch vor- handenen neutralen in saure Phosphate neutralisiert. — Metallsalze fördern in sehr schwacher Dosis (CUSO4 und HgCl2 z. B. in 0,0005 gr pro Liter) nach Richet (C. R. 114. 1494) die Gährung; bei Steigerung der Dosis tritt zuerst eine Verlangsamung, dann völlige Hemmung ein. Diese letztere gährungshemmende Koncentration („dose antibio- tique") fällt aber durchaus nicht immer mit derjenigen zusammen, welche die Vermehrung der Erreger sistiert („dose antigenetique"); letz- tere ist vielmehr nach Chassevant u. Richet (C. R. 117. 673) oft schon bei einer dreimal schwächeren Koncentration erreicht, so dass also die Gährung, analog dem Verhalten der Saccharomyceten gegenüber Fluor- verbindungen, unabhängig von der Fortpflanzungsfähigkeit des Er- regers ungestört fortbestehen kann. Das lebende Plasma kann also die eine Funktion, die Gährungserregung, noch ausüben, während es zu bedeutenderer Kraftentfaltung, zur Erzeugung neuer Individuen, nicht mehr fähig ist. 5. Buttersäuregährung. Stärke, Dextrin, Inulin, Rohrzucker, Traubenzucker liefern das Material für diese Gährung; die Di- und Polysaccharide werden vor der eigentlichen Vergährung erst durch Fermente, an denen die hier in Betracht kommenden Bakterienarten sehr reich sind, gespalten; Milch- zucker kann nur in bereits invertiertem Zustande angegriffen werden. Spontan kommt die Buttersäuregährung sehr verbreitet vor, so in lange gestandener Milch, wo sie sich, wie noch unten zu besprechen, der Milchsäuregährung als zweite Phase anschliesst, in Sauerkraut, Rüben- schnitzeln, Sauerfutter und vielfach in den Gährungsgewerben, in Brennereien, Brauereien etc., wo sie eine grosse Gefahr für den Betrieb darstellt; vielleicht spielt sie auch eine Rolle bei der Käsereifung (vgl. unten). Auch bei der „Nassfäule" der Kartoffeln scheint nach Krame» (r: K. 1891. 228) eine Buttersäuregährung wesentlich mit im Spiele zu sein. Zur künstlichen Herstellung von Buttersäure mischt man nach Fitz 100 gr Kartoffelstärke (oder Dextrin), 1 gr Salmiak und GoTSCHLiCH, GähiTingseiTegang. 237 die üblichen Nährsalze mit 2 Liter Wasser und fügt zur Neutralisation der gebildeten Buttersäure 50 gr CaCOs zu. Das Gährgemisch wird mit Acker- oder Gartenerde, in der sich nach Deheeain u. Maquenne (Bull, soc. chim. (2.) Bd. 39) die Erreger der Buttersäuregährung in grossen Mengen finden, oder mit etwas altem Käse oder Kuhexkrementen u. dgl. infiziert und bei 40^ gehalten. Die Buttersäuregährung wurde zuerst von Pasteüe (C. R. 45. 913) und CoKN (B. B. IL H. 1. 172) beobachtet. Peazmowski (Unters, üb. d. Entwicklungsgesch. u. Fermentwirkung einiger Bakt. Leipzig 1880) beschrieb als den Erreger das Clostridium butyricum (Amylobakter), welches jedoch nach neueren Untersuchungen nur noch als Sammel- name einer grossen Gruppe von Bacillen, denen sämtlich die Fähigkeit, Buttersäuregährung zu erregen, zukommt, angesehen werden darf. So beschrieben Fitz (B. Ch. XVII. 1188), Hueppe (M. G. IL 319), LiBORius (Z. I. 160), BoTKiN (Z. XL 421), Gruber (C. L 367), Perdrix (P. 91. 286), Kedkowski (Z. XVL 445), Beijerinck (r: K. 1893. 258), Baier (C. C. 1. 118) Arten, welche Buttersäuregährung erregen; die systematische Beschreibung derselben s. Bd. IL Die weitaus über- wiegende Mehrzahl derselben sind obligate Anaeroben. Viele sind, besonders in physiologischer Hinsicht, sehr wenig gekannt. So viel steht jedoch fest, dass die Zersetzung in allen Fällen nach einem komplizierten Prozess erfolgt, bei dem noch grosse Mengen von Neben- produkten gebildet werden, und dass die Art und Weise der Zersetzung bei den einzelnen Arten sehr verschieden ist. Man kennt Buttersäure- gährungen in neutraler, saurer und alkalischer Lösung; die Buttersäure- erzeugung tritt vielfach so wenig vor den anderen Umsetzungen hervor, dass eine Abgrenzung dieser Gährung von verwandten Prozessen oft sehr schwierig ist und Baier z. B. eine eigentliche Buttersäuregährung überhaupt nicht mehr gelten lassen will. Auf die älteren Analysen der Gährprodukte ist kein allzu grosser Wert zu legen, da dieselben nicht mit zuverlässigen Reinkulturen angestellt sind; neuerdings sind jedoch für einige Arten die Gährprodukte in einwandfreier Weise nach- gewiesen und auch ein Verständnis des dabei stattfindenden chemischen Prozesses angebahnt. So fand Beijerink (a. a. 0.) bei seinem Granulo- bakter saccharobutyricum, welches den echten Erreger der Buttersäure- gährung in Zuckerlösungen darstellt, Produktion von Buttersäure, da- neben normalen Butylalkahol, 00-2 und Ho ; dagegen erzeugt das nahe verwandte Granulobakter butylicum aus Maltose nur normalen Butyl- alkohol, CO2 und H2, aber keine Buttersäure. Perdrix (a. a. 0.) fand bei seinem „Bacille amylozyme", dass die Vergährung des Trauben- zuckers in den ersten Tagen des Versuchs einen anderen Verlauf nahm, als in der späteren Zeit; in den ersten 3 Tagen entsteht nämlich neben 238 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Buttersäure, 00-2 und H2 noch Essigsäure, die im späteren Stadium nicht mehr gebildet wird; auch überwiegt anfangs die Menge des Wasserstoffs erheblich die der CO2, was sich später ausgleicht. Für das erste Stadium der Gährung gilt die Gleichung: 56 CgHiaOe + 42 H.O = 312 H + 114 CO, + 30 C2H4O2 + 38 C4HSO2. Traubenzucker Essigsäure Buttersäure Im späteren Stadium aber lässt sich der Prozess so formulieren: CßHisOe =4H + 2C02 + C4HSO2. Traubenzucker Buttersäure Bei der Vergährung der Stärke, die der Bacillus vorher verzuckert, nimmt die Menge der erzeugten Kohlensäure und Buttersäure im Ver- laufe der Gährung successive zu. Sehr eingehend ist der Verlauf der Buttersäuregährung und ihre Ab- hängigkeit von den äusseren Bedingungen von Geimbert (P. 93. 353) für seinen anaeroben „Bac. orthobutylicus" untersucht. Der Bacillus vergährt Glycerin, Mannit, Arabinose, Glukose, Galaktose, Invertzucker, Rohrzucker, Maltose, Milchzucker, Stärke, Dextrin, Inulin, greift da- gegen Glykol, Erythrit, Trehalose, arabisches Gummi, milchsauren und weinsauren Kalk nicht an. Es findet also, ähnlich wie bei der alko- holischen Gährung durch Hefe, selbst unter einander sehr nahe stehen- den Körpern eine Elektion des Gährmaterials statt. Der Bacillus ver- gährt die Disaccharide ohne vorgängige Inversion, ebenso das Inulin ohne vorgängige Umwandlung zu d-Fruktose, eine Ausnahme, die wohl analog wie bei der Monilia Candida so erklärt werden muss, dass das lebende Plasma selbst die Spaltung bis zu einfachen Hexosen besorgt, die dann sofort weiter vergohren werden, so dass reduktionsfähiger Zucker niemals nachweisbar ist. Gährungsprodukte sind normaler Butyl- alkohol, etwas Isobutylalkohol, normale Buttersäure, Essigsäure, zu- weilen etwas Ameisensäure, daneben COo und H2. Der Gesamtverlauf der Gährung lässt sich folgendermassen formulieren: 7C6H,206 = 2C4H,oO + 2C2H4 02 + 5C4Hs02 + 10C02 + 4H + 6H2 0. Hexose Butylalkohol Essigsäure Buttersäure Im Fortgang der Gährung verändert sich, analog den Resultaten von Perdeix, das Verhältnis von H9 : CO2 zu Gunsten der letzteren; ebenso nimmt die Menge des Butylalkohols kontinuierlich zu, die der Butter- und Essigsäure dagegen ab. Dies beruht wahrscheinlich auf dem hemmenden Einüuss, den die produzierte Säure auf das Weiter- gehen der Gährung ausübt; erfolgt Neutralisation durch CaCOs, so be- ginnt sofort wieder eine stärkere fäurebildung. Auch das Alter der verwandten Kultur, sowie das Substrat, auf dem sie gewachsen war, ist auf den V^erlauf der Gährung von Einfluss. Jede Zelle des Erregers GoTSCHLicH, Gährungserregung. 239 macht eine biologische Entwicklung durch, in deren Verlauf sie ein Maximum ihrer Gährkraft erreichen soll; es ist also eine vergebliche Hoffnung, den vollständigen Verlauf der Gährung rationell durch eine einzelne Gleichung darzustellen; die Gährung kann vielmehr nur durch ein System von Gleichungen erschöpfend dargestellt ^yerden, von denen jede einzelne nur für ein ganz bestimmtes Stadium des Gährprozesses und für ganz bestimmte Versuchsbedingungen giltig ist. 6. Schleimige Gährungen. Unter diesem Namen kann man eine Reihe von Gährprozessen zu- sammenfassen, die in zuckerhaltigen Nährsubstraten vor sich gehen und wobei als Hauptprodukt Massen schleimiger, fadenziehender bis gallertiger Substanz auftreten. Unmittelbar vergährbares Material sind für viele Arten nur d-Glukose und Invertzucker; andere Arten aber können auch den Rohrzucker angreifen, den sie vorher durch ein in- veitierendes Ferment zerlegen. Künstlich erhält man solche Gährungen am besten mit Hefendekokt, welches filtriert und mit Zucker versetzt ist, oder auch mit zuckerhaltigem Stärke-, Reis- oder Gerstenvvasser; das Temperaturoptimum ist etwa 30 '^. Auch spontan kommt diese Gährung häufig in einer ganzen Reihe von Substraten vor. 1. Im Wein, besonders in gerbstoffarmen Weiss weinen ist sie schon von Pästeur (Etud. s. 1. vin. p. 57) beschrieben und auf die Gährthätigkeit des Mikrokokkus viscosus zurückgeführt. Als Gährprodukte sollen hierbei konstant eine dem Dextrin nahestehende Gummiart, welche von Bechamp (CR. 93. 78) als „Viskose" bezeichnet wird, ferner Mannit und CO2 auftreten. Die Viskose ist in kaltem Wasser löslich, wird durch Alkohol gefällt, reduziert nicht die Fehling'sche Lösung, zeigt die Zusammensetzung der Stärke und ein Drehungsvermögen ähnlich dem der löslichen Stärke. Aus 100 Teilen Zucker erhält man bis zu 51,1 Teile Mannit, 45,5 Teile Gummi und 6,2 Teile CO2; danach würde diese Gährung einen ent- sprechenden Ausdruck finden durch die Formel: 50 (C6H,206) = 12 (C,,H2nO,o) + 24 (CeH^Os) + 12 CO2 + 12H20. Traubenzucker Gummi Mannit Nach Schmidt-Mülheim laufen bei dieser Gährung wahrscheinlich zwei Pro- zesse neben einander her: durch den einen wird Mannit und CO2, durch den anderen die schleimige Substanz produziert. Hiernach würde sich erklären, dass nach Pasteur bei verschiedenen Gährungen bald das Mannit, bald das Gummi überwiegt; auch stimmt hiermit die Thatsache, dass bei den weiter zu besprechenden schleimigen Gährungen die Mannitbildung fehlt, für welche demnach ein be- sonderer Entstehungsmodus anzunehmen wäre. Diese Gährung kommt nur in neutraler Lösung zustande, während eine andere ähnliche von Kramer (M. Ch. 10. 167) beschriebene Zersetzung auch in saurer Lösung erfolgt. 2. In Bier und Würze konstatierte van Laer (Mem. publ. par FAcad. roy. d. Belgique. Bd. 43) als Ursache der schleimigen Gährung 3 Arten von „Bac. vis- cosus'-. Bemerkenswert ist, dass die Produktion der schleimigen Substanz vou der Gegenwart N-haltiger Stoffe abhängt; in reinen Zuckerlösungeu tritt sie nicht 240 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ein, dagegen um so leichter, je höher der N-Gehalt des Substrats ist, und je weniger freie Säure sich vorfindet. In stickstoiFarmen Lösungen vermag schon eine sehr geringe Acidität die Schleimproduktion vollständig zu hemmen. Das Gähr- produkt besteht aus einer stickstofl'haltigen , in Wasser unlöslichen und einer stickstofffreien, wasserlöslichen Substanz. — Langwerden der Würze durch De- matium pullulans beobachtete auch Lindnek (r: C. 3. 750). 3. Im Saft der Zuckerrüben kommt häufig Bildung massenhafter schlei- miger bis gallertiger Substanz als sog. „Froschlaich" der Zuckerfabriken vor und stellt in den letzteren eine gefürchtete Betriebsstörung dar. Der Erreger wurde zuerst von von Jubert (cit. b. Stift, C. C. 278) nachgewiesen und von CiENKOwsKi (cit. ebd.) und van Tieghem (Ann. d. sc. natur. 1878. 180) alsLeuconostocmesenterioides beschrieben, ein Name, der jedoch nicht eine einzelne Art, sondern eine ganze Gruppe bezeichnet. Später wurde das Leuconostoc nicht nur bei der Rübenverarbeitung, sondern auch von Däumichen (cit. b. Stift) im Osmosezucker und von Strohmer (cit. ebd.) im Raffineriebetrieb nachgewiesen. Die gallertartige Substanz ist am eingehendsten von Scheibler (Z. d. Vereins f. Rübenzuckerindustrie d. dtsch. Reiches. 24. 309) untersucht und als Dextran be- zeichnet. Beim Kochen mit Säuren wird sie in Traubenzucker übergeführt. Über die Bildungsbedingungen des Dextrans und die sonstigen- Gährprodukte des Leuconostoc haben Liesenberg und Zopf (r: K. 1892. 89) Untersuchungen angestellt. Auf Substraten, welche frei von Trauben- oder Rohrzucker sind, bildet Leuconostoc keine Gallertmassen und erscheint demnach in einer hüllenlosen Varietät; in dieser Form kommt es vielleicht häufig in der Natur vor, wo ihm nicht" immer Zucker zu Gebote steht; sobald es aber in Zuckerlösungen gelangt, beginnt sofort die Dextranproduktion; so erklärt sich wohl das manchmal ganz plötzliche Auftreten dieser Betriebsstöi'ung in der Zuckerindustrie. Von den Kohle- hydraten werden nur Trauben- und Rohrzucker, letzterer nach Inversion durch den Pilz, zur Dextranbildung verwandt. Ausserdem wird aus diesen beiden Zucker- arten, sowie aus Maltose, Milchzucker und Dextrin Milchsäure gebildet. Einen sehr fördernden Einfluss auf die Gährthätigkeit des Leuconostoc übt ein Zusatz von Chlorcalcium in 3 — 57o oder NaCl in 1 — 3% oder NaNOa in 1% aus; bei- spielsweise wurde unter auch sonst günstigen Bedingungen und bei einem Zu- satz von 4,5% CaClo binnen 4 Tagen aus 50 gr Rohrzucker eine Gallertmasse , von 101,5 gr Frischgewicht produziert; auch kommt es dabei zu einer sichtbaren Gasentwicklung. Leuconostoc ist fakultativ anaerobiotisch ; durch Sauerstoft- abschluss wird die Gährung beschleunigt. Das Temperaturoptimum liegt für die gewöhnliche in Europa vorkommende Form bei 30 — 35°, für eine indische Form bei 370. — Ein merkwürdiger anderer Erreger des Froschlaiches der Zuckerfabriken wurde von A. Koch u. Hosäus (C. 16. 225) als Bact. pediculatum beschrieben; die Schleimproduktion erfolgt nur an der einen Längsseite des Bakteriums. Die erzeugte Gallertmasse verquillt schon bei massiger Erwärmung und löst sich auf. — Femer beobachtete Leichmann (Landw. Versuchsstat. 43. 375) eine durch einen Bacillus verursachte schleimige Gährung, deren Bedingungen sich von der vorigen wesentlich dadurch unterschieden, dass auch in zuckerhaltigen Lösungen erst von einem bestimmten Trockengehalt ab Schleimbildung erfolgte, während vorher nur hüllenloses Wachstum stattfand. Als Gährsubstrat waren verwendbar: Trauben- zucker, Fruchtzucker, Galaktose, Rohrzucker, Maltose, Milchzucker, Dextrin, da- gegen nicht Stärke und Maunit. Ausser dem Schleim entstehen als Nebenprodukte Äthylidenmilchsäure und Äthylalkohol; Gasbildung findet nicht statt. GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 241 4. Zahlreiche Untersuchungen sind über die Erreger der schleimigen oder fadenziehenden Milch angestellt worden. Schmidt - Mülheim (L. V. 28. 91), HuEPPE (D. 84. 777), Ratz (r: K. 1890. 87), WeigmajsN (Milchztg. 1889. Nr. 48. Beil.), GuiLLEBEAU (r: K. 1891. 185) beschrieben als Erreger derselben Kokken; DucLAtrx (Le lait. 1887), Freudenreich (r: K. 1890. 95), Guillebeau (a. a. 0.), Adametz (Landw. Jahrb. 20. H. 1) sahen ähnliche Prozesse durch Bacillen zustande kommen; auch einige unter den FLÜGGE'schen (Z. 17. 273) pepto- nisierenden Bakterien der Kuhmilch bewirken eine intensive Produktion schlei- miger, fadenziehender Substanz. Einige der oben genannten Mikroben sind auch von pathogener Wirkung und erzeugen im Kuheuter schwere Mastitis. — In chemischer Beziehung ist die produzierte schleimige Substanz sicher nicht in allen Fällen von gleicher Entstehungsweise; in einigen Untersuchungen, wie z. B. bei Adametz, hat sich gezeigt, dass der Schleim sicher nicht als Gährprodukt von Kohlehydraten aufzufassen ist, da er sich auch in zuckerfreien, reinen Pepton- lösungen bildet; er stellt hier vielmehr wahrscheinlich ein Quellungsprodukt der Bakterienhüllen, einen Abkömmling des Zellprotoplasmas dar. Nur des praktischen Zusammenhangs halber, den diese Fälle mit der echten schleimigen Gährung gemein haben, seien sie an dieser Stelle erwähnt. 5. Aus demselben äusseren Grunde seien hier auch die Betrachtungen von Malerba u. Sanna - Salaris (Z. physiol. Ch. XV. 539) über schleimigen, fadenziehenden Harn erwähnt, wobei das „Bakt. gliscrogenum" ursächlich beteiligt ist. Die produzierte weisse, ausserordentlich viskose, in trockenem Zu- stande dagegen elastische Masse charakterisiert sich durch ihre Reaktionen als Eiweisskörper. 6. Schleimigwerden von Pflanzeninfusen wurde schon 1878 von BiNZ (Pharm. Ztg. 36. 707 u. 766) auf die Wirkung von Schimmelpilzen zurück- geführt. Bräutigam (Pharm. Centralhalle. 32. 427), Ritsert (Pharm. Ztg. .36. 774) und Happ (r: K. 1893. 247) isolierten als Erreger desselben verschiedene Bacillen und Kokken. Als Nebenprodukte der schleimigen Gährung fand Happ Mannit, Milchsäure, Buttersäure und CO2. Hery (r: K. 1893. 223) fand auch als Ursache des Fadenziehendwerdens der Tinte zwei Bakterienformen. 7. Cellulosevergährung (Sumpfgasgährung). Cellulose in Form von abgestorbenen Pflanzen, Stroh, Papier, Baum- wolle unterliegt häufig einer Lösung und Vergährung durch Bakterien. Diese Vergährung wurde zuerst von Mitscherlich (Monatsber. d. Berlin. Akad. 1850. 104) beobachtet und auf die Thätigkeit von Mikroorganismen bezogen. Dieselbe scheint in der Natur ausserordentlich weit verbreitet zu sein; so istzuerztvonPopOFF(Pf. 10. 113) wahrscheinlich gemacht, dass die in Sümpfen häufig beobachtete Entwicklung von CH4 und CO.2 auf Cellulosevergährung beruht; auch kommt sie nach Deherain und Gaton (C. R. 9S) sehr oft im Dünger vor. van Tieghem (C. R. 88. 205; 89. 5) sprach als Erreger der Gährung Bakterien an, die mit der von ihm als Amylob akter bezeichneten Art übereinstimmten; als Neben- produkt fand er eine Säure, welche bei zunehmender Anhäufung den weiteren Fortgang der Gährung hemmt. Tappeiner (Z. f. Biol. 19. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 16 242 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. 288; 20. 52) wies nach, dass auch im Intestinaltractus des Rindes durch die Bakterien des Pansens, der Haube und des Dickdarms Cellulose vergohren wird. Tappeinee konnte hierbei je nach der Reaktion des Substi'ats einen verschiedenen Verlauf der Vergährung konstatieren; bei neutraler Reaktion wurde die in 1 proz. Fleischextraktlösung suspendierte Cellulose (in Form von gereinigtem Papierbrei oder Baumwolle) zu CO, und CH^ vergohren, wobei in den ersten Tagen das Methan stärker überwog wie in der späteren Zeit; in alkalischer Fleischextraktlösung hingegen ergab die Vergährung der Cellulose CO2 und H2 als End- produkte; in beiden Fällen entstanden als Nebenprodukt kleine Mengen von H.2S, Aldehyd, Essigsäure und Isobuttersäure, die aber vielleicht gar nicht aus der Cellulose, sondern aus einer gleichzeitigen Vergährung des Fleischextraktes stammen. Hoppe-Seyler (Z. physiol. Ch. 10. 401) vermochte die Cellulosegährung durch jeden Schlamm, Acker-, Wiesen- und Walderde in Gang zu setzen; Bedingungen waren nur vollständiger Luftabschluss, genügende Feuchtigkeit und relativ hohe Temperatur; analoge Bedingungen konstatierten auch Schlösing (C. R. 109. 835) und Hebert (C. R. 115. 1321) für die Vergährung der Cellulose im Stall- dünger. Als Erreger nahm Hoppe-Seyler ebenfalls die von van Tieghem als Amylobakter bezeichneten Arten an. Als Produkte ergaben sich bei Vergährung von reinem, feuchtem Fliesspapier mit etwas Schlamm nur CH4 und CO2, und zwar in annähernd gleichen Volumina; H2 war nicht nachweisbar. Das Mengenverhältnis zwischen CH4 und CO2 ändert sich zu Gunsten der letzteren, wenn Spuren freien Sauerstoffs oder solche Stoffe zugegen sind, die bei ihrer Reduktion Sauerstoff ab- geben, wie Sulfate, Eisenoxyd, Manganoxyd. Die Menge der ent- wickelten Gase war grösser, als dem Gehalt des Schlamms an orga- nischer Substanz entsprach, so dass sie hiernach mit Sicherheit als Gährprodukte der Cellulose anzusprechen sind. Die Gährung ging nur so lange vor sich, als noch lebende Bacillen vorhanden waren. vanSenus (r: K. 1890. 136) kommt zu dem Schlüsse, dass Bac. amylobacter für sich allein die Vergährung der Cellulose nicht bewirken könne; wohl aber ist er dies in Symbiose mit einer anderen sehr kleinen, aus dem Kaninchendarm isolierten Form imstande, die ihrerseits ebenfalls isoliert Cellulose nicht anzugreifen vermag. Den Prozess der Ver- gährung denkt er sich so, dass die Bakterien zuerst durch ein cellulose- lösendes Ferment (vgl. oben S. 207) die Cellulose spalten und die Spaltungs- produkte sofort zu H2, CO2 und Essigsäure zerlegen; die Essigsäure soll dann durch den Wasserstoff successive zu Aldehyd, Alkohol, Äthan und Methan reduziert werden, wobei in Medien, die an anderen reduzier- baren Stoffen sehr arm sind, Wasserstoff und Essigsäure vollständig verbraucht werden und als Endprodukte der Vergährung wie in Hoppe- GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 243 Seylee's Versuchen CH4 und CO., übrig bleiben; sind aber noch andere reduzierbare Verbindungen vorhanden, wie z. B. im Darmkanal, so bleibt die Essigsäure unzersetzt. Durch direkte mikroskopische Betrachtung konnte van Senüs die zunehmende Verquellung und Auflösung der cellulosehaltigen Zellwände durch die angelagerten Bakterien, die sich hierbei mit Schleimmassen umgeben hatten, konstatieren. Eine ganz ähnliche Vergährung erleidet nach Hoppe -Seylee (Z. physiol. Ch. 13. 82) auch das Holzgummi. Die Cellulosevergährung hat vielleicht eine gewisse technische Be- deutung bei der Flachsbereitung und spielt möglicherweise im Darm der Herbivoren eine physiologisch wichtige Rolle. 8. Verschiedene Vergährungen der Kohlehydrate. In diesem Kapitel werden eine Reihe von Gährungen behandelt, die sich unter allgemein durchgreifende Gesichtspunkte bisher nicht bringen Hessen, hauptsächlich deshalb nicht, weil die Spaltung oft sehr kompliziert ist und kein Spaltungsprodukt so vor den anderen hervor- tritt, dass eine besondere Bezeichnung der Gährung nach diesem einen Produkt gerechtfertigt wäre. Unter den Produkten finden sich neben CO2 und H2 hauptsächlich Milchsäure, Essigsäure, Buttersäure, Äthyl- alkohol etc. So beobaclitete Fitz bei verscliiedeuen Kohleliydraten eine Gährung, bei welcher Äthylalkohol als vorherrschendes Produkt gebildet wurde. Die Kenntnis einer Reihe von Vergährungen der Kohlehydrate durch patho- gene Bakterien verdanken wir namentlich Beieger (Z. physiol. Ch. 8. 306 und 9. 1). So zerlegt der Bac. cavicida Traubenzucker derart, dass Propionsäure als Hauptprodukt entsteht. Der Bac. Friedländer raft in traubenzuckerhaltigem Nähr- substrat starke Gasentwicklung hervor und bildet als Hauptprodukt Essigsäure, daneben kleine Mengen von Ameisensäure und Äthylalkohol. Die bei dieser Gähining entwickelten Gase wurden von Fränkland, Stanley und Frew (r: K. 1891. 234) quantitativ untersucht; es ergaben sich neben geringen Mengen von SauerstofF und Stickstoff aus der anfangs über der Kultur befindlichen atmosphärischen Luft nach einer Gährdauer von 11 Tagen 51,14o/o COo und 47,41% H, nach einer Gährdauer von 21 Tagen 56,57% CO2 und 43,24% H; im Mittel wurden auf 10 Moleküle H 13 Moleküle CO2 ausgegeben (vgl. unten die korrespondierende Mannitvergähi-ung). Eine ganz ähnliche Vergährung konstatierte Sjhth (C. 10. Nr. 6) für mehrere dem Bac. Friedländer sehr ähnliche Darmbakterien. — Die normalen Darmbakterien des Menschen, speziell des Säuglings sind auf ihr Gährvermögen mehrfach untersucht. Nach Escherich (Die Darmbakt. d. Säug- lings. Stuttg. 1881) bewirkt Bac. lactis aerogenes ausgiebige Zuckerspaltung, wo- bei als Hauptprodukt Milchsäure auftritt. Ein von Baginsky (Z. physiol. Ch. 12. 434) isolierter Bacillus, vielleicht mit dem eben genannten EscHERicii'schen identisch, bildet aus Milchzucker hauptsächlich Essigsäure, daneben etwas Aceton und sehr wenig Milchsäure; aus milchsauren Salzen wird wesentlich Butter- säure gebildet; auch bei der Spaltung der Stärke entsteht hauptsächlich Essig- IG* 244 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. säure; die Analyse der entwickelten Gase ergab Ha, CH4 und CO2. Bei Sauer- stoffabschluss entsteht nach Oppenheiji (r: C. VI. 586) statt Essigsäure ganz überwiegend, vielleicht ausschliesslich Milchsäure; vielleicht ist diese über- haupt stets das primäre Produkt und wird erst bei Luftzutritt zu Essigsäure oxydiert, wodurch sich auch erklären würde, dass im Säuglingsstuhl selbst stets nur Milchsäure, nicht Essigsäure nachgewiesen ist. — Ferner sind sehr zahlreiche Arten des Bact. coli comm. zur Vergährung der Zuckerarten befähigt, wobei die Produkte je nach der Art des Erregers verschieden sind: so fand z. B. Baginsky (Z. physiol. Ch. 13. 352) bei der Spaltung des Milchzuckers neben Essigsäure und geringen Mengen höherer Fettsäuren, als Propion- und Buttersäure, erhebliche Mengen von Ameisensäure und Milchsäure, Bovet (r: K. 1891. 239) bei Ver- gährung des Traubenzuckers Milchsäure, Bernsteinsäure, Äthyl- und Propyl- alkohol u. s. w. Über die optische Verschiedenheit der bei der Vergährung von Zucker durch Typhus- und Coli - Bacillen entstehenden Milchsäuren ist bereits oben verhandelt. Manche Bakterien erzeugen bei der Zuckerspaltung auch wohl- riechende Produkte, so der von Sclavo und Gosio (r: K. 1891. 242) beschriebene „Bac. suaveolens", der neben Alkohol, Aldehyd, Ameisen- Essig- und Buttersäure wohlriechende Butter- und Valeriansäureester produziert; ferner ein von Went (r: K. 1893. 248) entdeckter Schimmelpilz, der neben Alkohol, Essigsäure und Athylacetat einen Ananasäther erzeugt. — Von anaeroben Gährungen sei die von Kerry und Fränkel (M. Ch. 11. 268 u. Z. 12. 204) beobachtete Spaltung des Traubenzuckers durch Bac. oedemat. malign. erwähnt, wobei als Gährprodukte Äthylalkohol, Buttersäure, Ameisensäure und Gährungs- milchsäure gefunden wurden. Von ganz besonderem Interesse ist endlich die von Feankland u. Mac Geegor (r: K. 1892. 232) erforschte Vergährung der Arabinose durch den „Bac. esthaceticus", weil hierdurch gezeigt wird, dass die Pentosen nicht an sich und für alle Gährungs- erreger unvergährbar sind, sondern nur von der Hefe wegen des spezifischen asymmetrischen Baues ihrer wirksamen Protoplasmasub- stanz nicht angegriffen werden können. Als Produkte der Arabinose- vergährung fanden sich neben CO2 und H2 hauptsächlich Äthylalkohol und Essigsäure, ferner etwas Bernsteinsäure und eine Spur eines höheren Alkohols; bei Luftabschluss entstand auch etwas Ameisensäure. Auf 2 Moleküle Äthylalkohol entstehen nahezu 3 Moleküle Essigsäure. II. Vergährung der mehrwertigen Alkohole. Während für die zweiwertigen Glykole noch keine Gährungen mit Sicherheit ermittelt sind, hat man für den dreiwertigen Alkohol Glycerin, den vierwertigen Alkohol Erythrit, den fünfwertigen Quercit und die sechswertigen Alkohole Mannit und Dulcit verschiedene Gährungen durch Spaltpilze festgestellt. Die Gährprodukte sind meist den bei Kohlehydratvergährungen sehr ähnlich, was bei der nahen Verwandt- schaft der Struktur beider Reihen von Körpern nicht Wimder nehmen darf. — GoTSCHLiCH, Gährungserreguiig. 245 Für Glycerin beobachtete Fitz 4 Gährungen. Erstens liefert es unter dem Einfluss des an anderer Stelle zu beschreibenden Bac. Fitzianus reichlich Äthylalkohol (z. B. 29 gr Alkohol aus 100 gr Glycerin) und als Nebenprodukt Kapronsäure, Buttersäure und etwas Essigsäure. Zweitens wird durch Heuinfus eine Vergährung des Glycerins ausgelöst, bei der hauptsächlich Butylalkohol entsteht und deren Erreger wahrscheinlich zu den Heubacillen zu rechneu ist. Drittens entsteht aus Glycerin durch die Gährthätigkeit des Bac. pyocyaueus reichlich Butter säure und daneben etwas Äthylalkohol und Berusteinsäure. Viertens wurde Glycerin durch kleine Stäbchen, die nämlichen, die auch äpfelsauren Kalk vergähren, derart gespalten, dass reichlich Äthylalkohol und daneben Ameisen- und Bernsteinsäure entstanden. Auch von anderen Autoren wurden noch Ver- gährungen des Glycerins mitgeteilt ; so fand Vandevelde (Z. physiol. Ch. 8. 367) eine Vergährung des Glycerins durch Bac. subtilis, wobei als wesentliche Produkte Milchsäure und Buttersäure (letztere wohl erst indirekt aus der Milchsäure ge- bildet), daneben etwas Bernsteinsäure entstanden. Doch bot in allen genannten Fällen die Methode nicht hinreichende Garantie für reine Einsat, wodurch die Verwertbarkeit der sorgfilltigen chemischen Untersuchungen leider beein- trächtigt wird. Dagegen erhielt Frankländ (Proc. Lond. 1889. 345) mittelst eines reingezüchteten Bacillus (Bac. esthaceticus) eine einwandfreie Vergährung ■des Glycerins; als Gährprodukte traten wesentlich Äthylalkohol und Essigsäure, daneben etwas Ameiseusäure uud Spuren von Bernsteinsäure auf. Für Erythrit fand Fitz ebenfalls verschiedene Gährungen: ein Spaltpilz bewirkte eine Zersetzung, die sich als Spaltung von 2 Mol. Erythrit in 1 Mol. Buttersäure und 1 Mol. Bernsteinsäure unter Austritt von 2 H2O und 1 H auf- fassen Hess; ein anderer Spaltpilz ergab bei der Gährung nur geringe Spuren von Bernsteinsäure. Qu e reit liefert nach Fitz eine Gährung mit fast ausschliesslicher Bildung A'on Normalbuttersäure. Mannit und Dulcit liefern zunächst die oben besprochene Milchsäure- gährang. Ausserdem ist von Fitz für Mannit eine Vergährung mit Bildung von Normalbutylalkohol , Äthylalkohol, Bernsteinsäure und Milchsäure, sowie eine andere mit Bildung von Äthylalkohol (2G%), Ameisensäure (5,6%) und etwas Bernsteinsäure nachgewiesen, ebenso für Dulcit eine Gährung mit etwas Alkohol und viel Buttersäure. Eingehende quantitative Untersuchungen über die Ver- gährung von Mannit und Dulcit mit Verwendung sicherer Reinkulturen sind von Frankländ in Verbindung mit anderen Forschern angestellt worden. So fanden z. B. Frankland, Stanley u. Frew (a. a. 0.), dass sowohl durch den Fried- LÄNDER'schen Bacillus als durch den Bac. esthaceticus von den beiden isomeren Köii)ern Mannit und Dulcit nur der erstere vergohren wird; als Gährprodukte ergaben sich hauptsächlich Alkohol und Essigsäure, daneben etwas Propionsäure und Bernsteinsäure. Das Verhältnis des Alkohols zu den flüchtigen Säuren (als Essigsäure berechnet) war bei beiden Gährungserregern annähernd gleich dem IMolekularverhältnis : 2 Co H5 OH : CH3 COOH = 1,53. Die Mengen der gebildeten Produkte waren aber bei der durch Friedländer hervorgerufenen Gährung viel geringer als bei der durch Esthaceticus bewirkten. Als Umsetzungsgleichung ergab sich mit Wahrsclieinlichkeit für den Fried- LÄNDER'scheu Bacillus: 6 CeHuOc + HoO = gCaHgO + 4 C2H4O2 + 10 COo + 8 H2. Mannit Äthylalkohol Essigsäure 246 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Für die durch den Bac. esthaceticus hervorgerufene Mannitgährung dagegen gilt nach Frankland und Lumsden (r: K. 1892. 231) folgende Gleichung: 3 CcHuOß + H2O = C2H4O2 + 5 CaHgO -+ 5 CH2O2 + COo. Mannit Essigsäure Äthylalkoliol Ameisensäure Die Ameisensäure wird, besonders bei Luftzutritt, rasch weiter zersetzt. Ferner fanden Fbankländ und Feew (ref. ebd. 229) einen Bacillus, der Mannit und Dulcit vergährt; als Gährprodukte fanden sich neben CO2 und H2 Äthyl- alkohol, Essigsäure und ziemlich viel Bernsteinsäure (nahezu 10% der vergohrenen Substanz), weshalb der Erreger als Bac. esthacetosuccinicus bezeichnet wurde; ein grosser Teil der CO2 und des H2 stammen aus Ameisensäure, welche bei der Gährung gebildet, aber besonders bei Luftzutritt rasch weiter zersetzt wird. Auffallender Weise blieb trotz langer Gährdauer (85 Tage) ein grosser Teil, etwa 3/4 der angewandten Substanz, unvergohren zurück; hierbei handelte es sich aber nicht etwa um eine Spaltung des optisch inaktiven Dulcits mit Zurücklassung der einen unbrauchbaren optischen Komponente, da der unvergohrene Rest eben- falls optisch inaktiv war. III. Vergährungen der Fettsäuren und Oxysäuren. Zahlreiche Fettsäuren und Oxysäuren liefern ein geeignetes Gähr- material, sobald sie den Spaltpilzen in Form neutraler Salze dargeboten werden. Am geeignetsten scheint das Kalksalz dieser Säm-en zu sein, und mit diesem wurden auch fast durchgehends die betreffenden Gähr- Yersuche angestellt. Es zeigten sich gährfähig: Ameisensäure [H.COOH], Essigsäure [CH3.COOH], ferner die Oxysäuren: Milchsäure [C2H4.OH- COOH], Glycerinsäure [C2H3.(OH)2.COOH] , Apfelsäure [CHg.OH. (C00H)2], Weinsäure [CoH2(OH).,.(COOH>,], Citronensäure [C3H4.OH. (C00H)3]. Ameisensaurer Kalk liefert nach Hoppe - Seyler (Z. physiol. Ch. 11. 561) mit Schlamm versetzt CaCOs, CO2 und H2; essigsaurer Kalk liefert bei gleicher Behandlung CaCOs, CO2 und CH4 (Methangährung der Essigsäure). Hierbei findet eine Vermehrung der Spaltpilze nur in sehr geringem LTmfange statt. Eine ähnliche chemische Wirkung wird auch von fein verteiltem Rhodium oder Iridium ausgeübt. Milchsaurer Kalk geht nach Fitz 4 verschiedene Gährungen ein: erstens unter dem Einfluss eines dünnen Bacillus, der oft lange Ketten bildet, die Pro- pionsäuregährung, bei der als Nebenprodukte etwas Essigsäure, Bernstein- säure und Alkohol auftreten. Zweitens liefert das Calciumlaktat bei anderer Einsat neben Propionsäure reichlich Normalvaleriansäure; aus 8 kgr Calciumlaktat wurden etwa 126 gr Propionsäure und 101 gr Valeriansäure ge- wonnen. Drittens erfolgt unter der Gährwirkung eines kurzen aeroben Butter- säm-ebacillus gleichzeitige Produktion von Buttersäure und Propion- säure. Viertens ist schon früher von Pasteur (CR. 1861) die Buttersäure- gährung des Calciumlaktats beobachtet, bei der nur geringe Mengen von Neben- produkten entstehen ; Fitz erhielt aus 500 gr Calciumlaktat etwa 34 gr buttersauren Kalk, ausserdem 3,6 gr Äthyl- und Butylalkohol. Der wesentliche Teil dieses Gährprozesses kann also folgen dermassen formuliert werden: GoTSCHLiCH, Gähningserregung. 247 2 (C2H4 . OH . COOloCa = COgCa + 3 Cüa + 4 HoO + (CsH^COO b Ca. Milchsaui-er Kalk Calciumkarbonat Buttersaurer Kalk. Glycerinsaurer Kalk wird nach Frankland und Frew (r: K. 1891. 237 f.) durch den Bac. esthaceticus vergohren, wobei Äthylalkohol und Essigsäure, sowie Spuren von Ameisensäure und von Bernsteinsäure entstehen. Sehr annähernd werden hierbei auf 1 Mol. Äthylalkohol 4 Mol. Essigsäure gebildet; der wesent- liche Teil der Zersetzung kann also folgendermassen formuliert werden: 5 C3H6O4 = C2H5 . OH + 4 C2H4O2 + H2O + 5 CO2 + 3 H2. Glycerinsäure Äthylalkohol Essigsäure Ungefähr die Hälfte der angewandten optisch inaktiven Glycerinsäure bleibt nach Ablauf der Gährung zurück; dieser Rest ist rechtsdrehend und bildet links- drehende Na- und Ca-Salze. Es findet also bei der Gährung eine Spaltung der inaktiven Glycerinsäure statt, wobei die Linksglycerinsäure weiter vergohren wird, die rechtsdrehende Modifikation dagegen übrig bleibt. — Nach Fitz kann glycerin- saurer Kalk noch eine andere Vergährung durch mittelgrosse Bacillen erleiden, wobei Ameisensäure mit etwas Methylalkohol und Essigsäure als Nebenprodukte entsteht. Äpfelsaurer Kalk ist ebenfalls mehreren Gährungen unterworfen. Unter der Einwirkung dünner Bacillen — derselben, die auch Glycerin vergähren — wird hauptsächlich Bernsteinsäure (etwa 60% des vergohrenen Materials) und etwas Essigsäure gebildet. Mit anderen, kürzeren Bacillen entsteht Propionsäure als Hauptprodukt, daneben wieder Essigsäure. Drittens tritt zuweilen eine Butter- säureproduktion unter H2-Entwicklung ein; endlich wird nach Schützenberger (Die Gährungserscheinungen. 1876) der äpfelsaure Kalk auch unter Produktion von Milchsäure und CO2 zerlegt. Weinsaurer K'alk liefert entweder die schon Pastedr bekannte und auch von Fitz erhaltene Propionsäuregährung, die vielleicht nach der Gleichung verläuft: 3 C4HGO6 = C2H5 . COOK + 2 CH3 . COOH + 5 CO, + 2 H2O. Weinsäure Propionsäure Essigsäure Oder es entsteht Buttersäuregährung, oder drittens findet eine Zerlegung statt, bei der hauptsächlich Essigsäure gebildet wird (aus 100 gr weinsaurem Kalk erhielt Fitz 45 gr essigsauren Kalk) und daneben etwas Äthylalkohol, Buttersäure und B ernsteinsäure. Citronensaurer Kalk liefert nach Versuchen von Fitz unter der Gähr- wirkung kleiner dünner Bacillen (aus Heuwaschwasser) reichlich Essigsäure, als Nebenprodukte Äthylalkohol und Bernsteinsäure. Auch die Schleimsäure wird nach Schützenberger leicht unter Ent- stehung von Essigsäure, CO2 und H2 vergohren. Anhangsweise sei hier auch noch der von Loew beobachteten Vergährang des chinasauren Kalkes gedacht, bei welcher unter dem Einfluss von Spalt- pilzen bei Luftzutritt Protokatechusäure, bei SauerstofFabschluss statt dieser Essig- säure und Propionsäure entstehen soll. Der Wert vieler älteren, in diesem Kapitel aufgeführten Versiiclie wird leider dadurch sehr beeinträchtigt, dass nicht mit völlig einwand- freien Reinkulturen gearbeitet worden war. Insbesondere ist es erforder- 248 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. lieh, nach Beendigung der Gährung die restierende Gährflüssigkeit genau daraufhin zu untersuchen, ob keine anderen Bakterien als die einge- säten vorhanden sind. Nur wenn auf diese Weise absolut ausgeschlossen ist, dass andere Mikroorganismen zufällig eingedrungen sind und sich in unkontrollierbarer Weise an den Zersetzungsvorgängen beteiligt haben, ist man vor Irrtum in der Beurteilung der chemischen Leistungen einer Art beschützt. B. Gährungen durch Oxydation. I. Die Essiggährung. Als Essiggährung bezeichnet man den bereits seit Jahrtausenden bekannten Vorgang, durch welchen verdünnte alkoholische Lösungen spontane Säuerung erfahren, wobei der Alkohol in Essigsäure verwan- delt wird. Dabei ist stets auf der gährenden Flüssigkeit die Ent- wicklung einer oberflächlichen Haut oder eines schleimigen Boden- satzes zu konstatieren, Bildungen, die als „Essigmutter", „Essigkahm" oder dergl. bezeichnet wurden. Die Zusammensetzung dieser Kahm- haut aus kleinsten Lebewesen wurde schon 1837 von Kützing- er- kannt; die Mikroben wurden dann von Thomson (Ann. Ch. Pharm. 83) und Pasteur (Etud. s. 1. vinaigre. — C. R. 54. 265) als Mykoderma aceti beschrieben. Hansen (Medd. Carlsberg Laborat. 1879) wies 1879 nach, dass unter dem Namen Mykoderma aceti zwei botanisch ver- schiedene Bakterienarten zusammengefasst worden waren, die er als Bakt. aceti und Bakt. Pasteurianum bezeichnete; die Kahmhäute des ersteren färbten sich mit Jod gelb, die des letzteren blau. Später fand Hansen (R. G. 1893. 69 u. C. R. Carlsberg. IIL 182) noch eine dritte Art, das Bakt. Kuetzingianum. Ferner hat Weemischeef P. 93. 213) zwei neue Essigbakterien isoliert, die weder die gelbe noch die blaue Jodreaktion gaben und sich ausserdem von einer durch DucLAUx (r: bei Wermischeff) beschriebenen Art deutlich unterschie- den. Es ist also nicht nur eine Art, sondern eine ganze Reihe von Bakterien zu dieser Gährthätigkeit befähigt. (Betr. der morpho- logischen Eigenschaften der Essigbakterien s. Bd. 11). Nach Lafar (C. 13. 684) scheint auch ein Sprosspilz als Erreger von Essiggährung funktionieren zu können. Dagegen ist der sehr häufig gleichzeitig mit den Essigbakterien, besonders im Anfang der Gährung auftretende Saccharomyces mycoderma, Weinkahm, nicht als Erreger der Essiggährung aufzufassen; er oxydiert vielmehr den Alko- hol bis zu den Endprodukten CO2 und H2O. Das auffallend häufige Zusammentrefi'en beider Pilze erklärt sich nach NägelI daraus, dass GoTSCHLiC'H, Gälirungserregung. 249 die Hefeart oft erst den Essigbakterien den Nährboden bereitet, indem sie bei einem starken Gehalt des Nährmaterials an Fruchtsäuren diese aufzehrt und dadurch die Acidität des Substrats verringert; doch be- friedigt diese Annahme deshalb nicht vollkommen, weil ja gerade die Essigbakterien in viel höherem Grade als andere Spaltpilze saure Reaktion des Substrats ohne Schaden ertragen. Ob die Essigbakterien bei der Essiggährung wirklich eine ursäch- liche Rolle als Gährungserreger spielen, ist lange zweifelhaft ge- wesen. Dieselbe Umsetzung von Alkohol in Essigsäure Hess sich nämlich in derselben Weise, allerdings in geringerem Grade auch durch Platinmohr erreichen. Hiernach stellte sich Liebig (Ann. Ch. Pharm. 153. 144) den Vorgang in beiden Fällen in ganz gleicher Weise als rein chemische Wirkung vor; wie das Platinmohr so sollte auch der Essigkahm als ausserordentlich poröser Körper den Sauerstoff auf seiner Oberfläche kondensieren und so die Umwandlung des Alkohols in Essigsäure bewirken; hiermit stimmt scheinbar die Begünstigung der Essiggährung durch andere poröse Substanzen, wie die in der Schnellessigfabrikation angewendetenHobelspäne,Avohl überein. Pasteur betonte zwar, dass zum Zustandekommen der Essiggährung in allen Fällen die Anwesenheit des Essig'pilzes unumgänglich nothwendig sei, führte jedoch die Art der Wirksamkeit des letzteren auf eine in ganz analoger Weise wie beim Platinmohr vor sich gehende Sauerstoif- kondensierung und -Übertragung zurück (vgl. Etud. s. 1. viuaigre. p. 72). Ad. Mayee und Knieeim (L. Y. 16. 305) wiesen nun aber in überzeugender Weise nach, dass die Bedingungen beider Vorgänge ganz verschieden sind, indem die Essigbildung durch Platinmohr in gleicher Weise bei niedriger wie bei höchster Koncentration des Alko- hols sich vollzieht und durch Temperaturen über 35*^ eher begünstigt ■svird, während die durch den Essigpilz vermictelte Gährung nur in Lösungen bis zu einem Alkoholgehalt von etwa 10% und nur unter- halb 35 "^j am besten zwischen 20 imd 30 "^ vor sich geht; ferner Hess sich nachweisen, dass Essigkahmhäute, die durch massige Erhitzung über 50*^ nachweislich abgetötet, aber in ihrer mechanischen Struktur gar nicht verändert worden waren, sich unfähig zeigten, Essiggährung hervorzurufen, und dass ebenso unorganisiertes poröses Material, wie Fliesspapier, selbst bei sehr langer Dauer des Versuchs, nicht durch Sauerstoffübertragung Essigsäure aus Alkohol zu bilden vermochte, so lange das Hinzutreten von Essigbakterien von aussen absolut verhin- dert war. Hiernach ist also die Funktion der Essiggährung unmittelbar mit dem Leben der Essigbakterien verknüpft und als echte physiologische Leistung derselben zu betrachten. Hierfür sprechen auch die übrigen Bedingungen der Essiggährung. Dieselbe kommt nämlich nur dann zu- 250 Allgemeine Biologie der Mikroorgaüismen. stände, wenn die Essigbakterien ausser dem verdünnten Alkohol, der ihnen als hauptsächlichster Nährstoff dient, noch stickstoffhaltiges Nährmaterial und Aschebestandtheile vorfinden. Die N-haltige Nah- rung wird am besten in Gestalt von Proteinstoffen, weniger günstig durch Ammoniaksalze geliefert. Über den Bedarf an Salzen ist nichts näheres bekannt; doch scheint derselbe ähnlich zu sein wie bei den Hefepilzen, da dieselben Nährsalzlösungen für beide Gattungen von Mikroorganismen brauchbar sind. Besonders begünstigt wird die Ent- wicklung der Essigbakterien, wenn schon eine gewisse Menge Essig- säure (1 — 2%) vorhanden ist. Unbedingtes Erfordernis für die Essig- gährung ist reichlicher Luftzutritt, da die Oxydation des Alkohols zu Essigsäure auf Kosten des atmosphärischen Sauerstoffs vor sich geht. Daher wirkt auch die Anwendung porösen Materials, z. B. der Hobel- späne, über welche das Essiggut bei der Schnellessigfabrikation sickert, durch die Vergrösserung der Oberfläche, zu welcher der Sauerstoff un- gehinderten Zutritt hat, indirekt begünstigend auf den Prozess. Gegen die Temperatur zeigen verschiedene Arten der Essigbakterien ein verschiedenes Verhalten; nachLAFAE (C. C. 1. 145) vermag das Bakt. Pasteurian. bei 4,5 — 5*^ C. selbst bei einer Versuchsdauer von über drei Monaten keine Essiggährung hervorzurufen, während Bakt. aceti Hansen noch bei 4 — 4,5^ intensive Gährthätigkeit äussert. Die Säureproduktion erfolgt anfangs um so langsamer, je niedriger die Temperatur; ist aber erst einmal eine bestimmte Menge von Essigsäure gebildet, so steigt unter deren begünstigender Wirkung die weitere Produktion auch bei niederer Temperatur ganz rapid. Das Temperaturoptimum liegt zwischen 30 und 34^; bei weiterer Steigerung der Temperatur nimmt die Gähr- intensität rasch ab, um bei 42*^ ganz zu sistieren; Erhitzung auf etwa 50^ tötet die Essigbakterien ab. — Während die Essigbakterien gegen ziemlich hohen Gehalt an Essigsäure sehr widerstandsfähig sind und durch einen Gehalt von 2% dieser Säure sogar gefördert werden, sind sie gegen andere Säuren viel empfindlicher. Salzsäure wirkt nach HiKSCHFELD (r: K. 1890. 139) schon in einer Koncentration von 0,06—0,07% störend, während 0,01—0,02% den Prozess fördern sollen; auch Phosphorsäure wirkt nach Cohn (ebd. 1890. 140) schon in 0,05 bis 0,07 proz. Lösung hindernd. Thymol soll nach Ad. Matee (Gährungs- chemie. 1895. 181) schon in der Verdünnung von 1:10000 nachteilig wirken; Salicylsäure in gleicher Verdünnung ist unschädlich, soll sogar fremde Mikroben ausschliessen, so dass sie vielleicht zur R.einerhaltung der Essiggährung verwendet werden könnte. — Der chemische Prozess bei der Essiggährung lässt sich einfach folgendermassen aus- drücken: C2H5.OH +02= CH3.COOH + H2O. GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 251 Wahrscheinlich wird als Zwischenprodukt Aldehyd gebildet, der be- sonders bei ungenügendem Sauerstoifzutritt in merkbarer Menge auf- tritt, so dass der Prozess in folgenden 2 Phasen verläuft: C2H3 . OH + 0 = CH3 . CHO + H2O CH3.CHO + 0 = CH3 . COOH. Daneben sollen nach Nägeli auch ausserordentlich kleine Mengen von CO2 entstehen. Endlich tritt als sekundäres Produkt durch Ver- bindung der neugebildeten Essigsäure mit dem Alkohol des Gährsub- strats Essigäther auf. Unter Umständen kann nach Verbrauch sämt- lichen vorhandenen Alkohols auch die neu erzeugte Essigsäure selbst weiter zu COo und H2O verbrannt werden, weshalb bei längerer Gäh- rungsdauer der Säuregehalt des Essiggutes wieder abnimmt; diese bereits von Pasteur beobachtete Thatsache ist neuerdings von Laeae für das B. Pasteurian. Hansen sichergestellt worden. Da die ver- schiedenen Arten von Essigbakterien in ihrer Gährthätigkeit nach Laeae, durchaus nicht gleichwertig sind und häufig durch fremde Eindring- linge Störungen des Prozesses herbeigeführt werden können, so er- scheint die Forderung von Beesch (r: K. 1893. 252), in den Be- trieb der Essigfabrikation behufs besserer Materialausnutzung und Er- zeugung eines qualitativ feineren Gährproduktes Reinkulturen von Essigbakterien einzuführen, durchaus berechtigt. II. Nitrifikation. Im Ackerboden vollzieht sich beständig eine Oxydation des Am- moniaks, welches das letzte Abbauprodukt der bei der Fäulnis zer- störten komplizierten N-haltigen Substanzen darstellt, zu Nitrat, das dann von den Pflanzen aufgenommen und zur Synthese der N-haltigen Proteinsubstanzen verwandt wird. Hiermit ist der Kreislauf des Stick- stoffs in der Natur geschlossen. Dasjenige Glied dieses Kreislaufs nun, welches den Übergang vom Ammoniak zum Nitrat darstellt, war bis vor kurzem in seinem Mechanismus und seinen Bedingungen noch un- aufgeklärt. Nachdem dieser Nitrifikationsprozess bisher stets als rein chemischer Oxydationsvorgang aufgefasst worden war, wiesen zuerst MÜLLEE (L. V. 6. 263) und Schlösing u. Müntz (C. R. 84. 301; 85. 1018) nach, dass zum Zustandekommen der Nitrifikation die Lebensthätigkeit gewisser, vorläufig noch nicht näher zu definierender Mikroorganismen unumgänglich notwendig ist; in erhitztem oder mit desinfizierenden Mitteln behandeltem Boden kommt dieser Prozess nicht zustande. Diese Ansicht der Forscher fand durch Waeington, Emich, Muneo (cit. n. BuEEi, C. C. 1. 23) weitere Bestätigung. Die Bemühungen je- doch, die nitrifizierenden Mikroorganismen des Bodens rein zu züchten, 252 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. schlugen lange Zeit völlig fehl. Zwar gelang es Heraus (Z. 1. 193) von einer ganzen Anzahl von Bakterien, so vom Bac. prodigios., Typhusbacillus, Milzbranclbacillus , Spirillum Finkler, Spirillum Denecke, eine Nitrit- bildung aus Ammoniak nachzuweisen; doch waren sowohl hier, wie bei analogen Befanden Hueppe's (Tagebl. d. Naturf-Vers. Wiesbaden 18S7), die stattfindenden Umsetzungen so geringfügig, dass sie die ausgiebig unter natürlichen Verhältnissen im Boden stattfindende Nitrifikation in keiner Weise zu erklären vermochten. Das Misslingen aller bis- herigen Versuche, die spezifischen nitrifizierenden Mikroorganismen rein zu züchten, hatte seinen Grund darin, dass zur Züchtung die ge- bräuchlichen, an organischen Stoffen reichen Nährsubstrate verwendet wurden, in denen, wie sogleich gezeigt werden soll, die nitrifizierenden Organismen nicht zu wachsen vermögen. In der That gelang es Wino- GRADSKT (P. 1890. 213, 257, 760) zuerst bei Züchtung in rein minera- lischer Nährlösung (1 gr Ammonsulfat, 1 gr Kaliumphosphat, 0,5 bis 1,0 gr basisches Magnesiumkarbonat auf 1 Liter Wasser) durch fortge- setzte Übertragung einen nitrifizierenden Organismus rein zu züchten, den er als „Nitromonas" bezeichnete. Auf ähnlichem Wege vermochten auch P. u. G. Feankland (Proc. Lond.. 47. 289; Ph. Tr. 181. 107), sowie Warington (r: K. 1S90. 109; 1S91. 215) nitrifizierende Mikroben zu isolieren. Auffallend war dabei, dass in den mit den nitrifizierenden Mikroorganismen infizierten Ammoniaksalzlösungen stets viel mehr Nitrite als Nitrate gebildet wurden, obgleich im Ackerboden sich nur die letzteren finden, Nitrite dagegen ganz fehlen. In den Kulturen von P. u. G. Frankland fanden sich überhaupt nur Nitrite, gar kein Nitrat. Durch ungenügenden Luftzutritt konnte diese unvollständige Oxydation nicht erklärt werden; denn bei vergrösserter Oberfläche der Kulturflüssigkeit, also bei vermehrtem Sauerstoflfzutritt sah WiNOGRADSKY die Energie der gesamten Oxydation zwar steigen, doch das Verhältnis zwischen Nitriten und Nitraten sich noch mehr zu Ungunsten der letzteren verschieben. Das Überwiegen der Nitrite über die Nitrate konnte nun entweder in der Weise erklärt werden, dass die nitrifizierenden Organismen die Oxydation des Ammoniaks stets nur bis zum Nitrit treiben, welches dann durch den atmosphärischen Sauerstoff auf rein chemischem Wege weiter zu Nitrat oxydiert werde, oder durch die Existenz verschiedener Arten von Nitrifikationserregern, deren einer das Ammoniak nur bis zum Nitrit oxydiert, während der andere die Oxydation zu Nitraten bewirkt. Letztere Annahme bewährte sich als zutreffend; die Trennung beider Arten von Organismen gelang Warington noch unvollständig, Winogradskt (P. 91; S. 92 u. 577) dagegen vermochte sie mit Hilfe einer verbesserten Methode durch GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 253 Züchtung auf dem von W. Kühne (C. 8. 410) angegebenen rein mineralischen, gelatinierenden Kieselsäure - Nährboden mit Sicherheit durchzuführen und erhielt so zwei ganz verschiedene Arten von nitri- fizierenden Mikroorganismen, deren eine Ammoniak zu Nitriten oxydiert, während die andere auf Ammonsalze gar nicht ein- zuwirken vermag und Nitrite in Nitrate überführt. Durch zahlreiche Untersuchungen von Bodenproben aus den verschiedensten Erdteilen überzeugte sich Winogradsky (r: C. C. 1. 243) von der geradezu ubiquitären Verbreitung seiner Nitrifikationsorganismen, wodurch ihre Bedeutung als das spezifische Salpeterferment des Bodens eine weitere Stütze erhielt. Diejenige Klasse von Mikroben, welche Ammoniak in Nitrite oxydiert, zerfällt in 2 Arten, deren eine, Nitro- somonas, mit 2 Unterarten europaea und javanensis in der alten Welt gefunden wurde, während die andere, Nitrosokokkus, aus Bodenproben von Südamerika und Australien stammt; dasjenige Bakterium, welches die Verwandlung der Nitrite in Nitrate vollzieht, ist als Nitrobakter benannt. Die morphologischen Eigenschaften der Nitrobakterien s. Bd.II. Die ausserordentlich merkwürdige physiologische Stellung, welche diese Mikroorganismen dadurch einnehmen, dass sie ihren C -Bedarf ohne Chlorophyll und ohne Mitwirkung des Lichtes aus der CO2 der Atmosphäre decken, ist früher bereits besprochen. Die Mengen des assimilierten C und des oxydierten N zeigten bei den einzelnen Versuchen Winogkadsky's ein ziemlich konstantes Verhältnis, das zwischen 1 : 33 und 1 : 37 schwankte; im Mittel bedurfte es der Oxydation von 35,4 mgr N, um 1 mgr C in organische Verbindungen überzuführen. Dieses gewaltige Überwiegen des Nitrifikationsprozesses über die Assimilationsvorgänge berechtigt uns vollauf, den Vorgang als eine Gährung zu bezeichnen; der Unterschied von den gewöhnlichen Gährungen liegt hier, wie bei den übrigen Oxydationsgährungen, darin, dass diese Existenz unter Gährthätigkeit überhaupt die für den betr. Pilz einzig mögliche ist, während andere Gährungserreger, wie z. B die Hefe, auch ohne Gährthätigkeit zu vegetieren vermögen. Die Nitri- fikation des NH3 stellt für die Nitrobakterien die einzige Kraftquelle dar; auf organischem Nährmaterial vermögen sie nicht zu existieren; die bezüglichen vermeintlichen positiven Befunde von P. u. G. Feank- LAND und Warington erklären sich nach Winogradskt's sorgfältigen Kontrollversuchen durch Verunreinigungen der Kulturen jener Autoren. Ganz neuerdings wollen indessen Burri und Stutzer (C. C. 1. 721) einen nitrifizierenden Bacillus gezüchtet haben, der auch auf Gelatine wächst, hier jedoch seine nitrifizierende Thätigkeit nicht ausübt. Von der Einwirkung äusserer Bedingungen auf den Nitrifikationsprozess sei der von Dumont u. Crochetelle (C. R. 117. G7(); 118. 601; 119. 93) 254 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. konstatierte begünstigendeEinfluss mancherSalze hervorgehoben; Kalium- karbonat befördert denselben bei einem Zusatz von 0,2 — 0,3 "^/o, Kaliumsulfat in etwa 0,7 — 0,8 %, doch nur bei einem gewissen Kalkgehalt des Bodens. Chlorkaliumzusatz wirkt schädlich, aber nur indirekt, indem im Boden eine teilweise Umsetzung zu Chlorcalcium erfolgt; wird letzteres aus dem Boden ausgewaschen, so tritt sogar ein günstiger Erfolg des Salz- zusatzes zu Tage; hiernach glauben die Verff. den sehr wechselnden Einfluss des Zusatzes von Chloriden auf die Erntegrösse je nach der Durchspülung des Ackers mit Regen erklären zu können. Selbst- verständliche Voraussetzung zum Zustandekommen des Nitrifikations- prozesses ist reichlicher Zutritt von atmosphärischem Sauerstoff, da auf dessen Kosten die Oxydation erfolgt. Die Konkurrenz zwischen der Ammoniakbildung und der Nitrifikation im Ackerboden wird daher wesentlich durch die Porosität und Luftdurchgängigkeit des Bodens entschieden (Müntz: C. R. 110. 1206); in sehr dichtem Boden findet nur NH3 -Entwicklung statt. So erklärt sich auch die von Deherain (C. R. 116. 1091) festgestellte Thatsache, dass in stark durchgearbeitetem, energisch zerkleinertem Boden die Nitrifikation viel energischer vor sich geht. Ausserdem zeigt die Energie der Nitrifikation im Boden jahreszeitliche Schwankungen und ist speziell vom Frühling bis zum Herbst viel intensiver als im Winter. Genauere Aufklärung dieser auch praktisch hochwichtigen Verhältnisse muss späteren Untersuchungen aufbewahrt bleiben. Zu den Oxydationsgährungen ist wohl noch zu rechnen die von BouTROUX (C. R. 102. 924) beobachtete Vergährung des Trauben- zuckers zu Glukonsäure: CQH12O7, oder einer mit dieser isomeren Zymoglukonsäure, sowie die weitere Vergährung dieser zur Oxyglukon- säure: C,jH, jOg. Ferner lässt sich auch die früher besprochene Oxydation von Eisenoxydulsalzen zu Ferrihydrat durch Winogradsky's Eisen- bakterien, sowie die Oxydation des H2S zu H2SO4 durch die Schwefel- bakterien desselben Autors unter dem Gesichtspunkt einer Oxydations- gährung betrachten. Die Grenzbestimmung zwischen einfachem Stoff- wechsel und Gährthätigkeit ist hier mindestens sehr schwierig. C. Zusammengesetzte Gährungen. I. Die Fäulnis. Unter Fäulnis oder fauliger Gährung begreift man die rasche und intensive Zerlegung N-haltiger, hauptsächlich eiweissartiger Substanzen durch gewisse Spaltpilze, bei welcher gasige, übelriechende Produkte in grösserer Menge gebildet werden. GoTSCHLiCH, Gähmngserregung. 255 Das Material für diese Gährung liefern zunächst die eigent- lichen Eiweissstoffe; dieselben scheinen allerdings niemals direkt der Zerlegung anheimzufallen, sondern zunächst einer Verwandlung in Peptone zu unterliegen; da aber peptonisierendes Ferment den fäulniserregen- den und vielen anderen Spaltpilzen zuzukommen pflegt, so ist prak- tisch nur ein zeitlicher Unterschied zwischen der Fäulnis löslicher wad unlöslicher eiweissartiger Stoffe; durch Hinzufügen von peptonisieren- dem Pankreasferment wird aber dementsprechend die Fäulnis besonders beschleunigt. Ferner sind die leimartigen und leimgebenden Stoffe zur Fäulnis disponiert, dann die Peptone, endlich einige N-haltige Körper von viel einfacherer chemischer Zusammensetzung als die Eiweisssubstanzen, die jedoch den letzteren dadurch nahe stehen, dass sie als Komponenten des Eiweissmoleküls angesehen Tverden müssen, so namentlich das Leu ein. Auffalleud ist, dass Milch sehr wenig zur Fäulnis neigt und sogar andere fäulnisfähige Stoffe, "wie Fleisch, gegen Fäulnis zu schützen vermag. Dies ist schon eine alte Erfahrung aus der Haushaltung, wird aber noch besonders durch Versuche von Wixteexitz (Z. physiol. Ch. 16. 460) bestätigt. Auch im Darmkanal äussert sich diese fäulnishemmende Eigenschaft der Milch; daher fehlen in den Säuglingsstühlen gänzlich Indol, Skatol, Phenol; ebenso ist die Darmfäulnis beim Erwachsenen bei Milch- oder Kefyrdiät nach Pohl (Maly's Jahrb. 1SS7. 277), Bierxacki (A. M. 49), Ko\^GHI (Z. physiol. Ch. 16. 43), WiXTERNiTZ (a. a. 0.) sehr herabgesetzt, wie sich in der verminderten Ausschei- dung der Atherschwefel säuren im' Harn kundgiebt. Diese fäulniswidrige Wirkung der Milch beruht auf ihrem Gehalt an Milchzucker, in Übereinstimmung mit Ver- suchen von Hirschler (Z. physiol. Ch. 10. 302), der allgemein eine fäulnisverzögemde "Wirkung der Kohlehydrate beobachtete. Nach den Fütterungsversucheu von K. Schmitz (ebd. 14. 378; 15. 401) übt auch frischer Käse eine solche fäulnis- ■svidrige Wirkung aus; doch beruht diese nur auf seinem Gehalt an Milchzucker; reines Kasein setzt der Fäulnis keinen Widerstand entgegen. Die fäulniswidrige Wirkung der Kohlehydrate erklärt sich nach Hirschler dadurch, dass bei gleich- zeitiger Anwesenheit von Eiweisskörpern und Kohlehydraten eine Elektion des Nährmaterials statthat, wobei die letzteren leichter angegriifen werden und da- durch das Eiweissmolekül vor Zerfall schützen, oder nach Winterxitz und K. Schmitz dadurch, dass unter den durch den Zusatz von Zucker oder dgl. ganz veränderten Verhältnissen des Nährbodens nicht die zur fauligen Zersetzung des Eiweiss befähigten spezifischen Fäulniserreger, sondern eine ganz andere Bakterien- flora mit anderen chemischen Fähigkeiten auftritt. — Übrigens ist die Milch nicht gegen jeden Fäulnisprozess gefeit; vielmehr konstatierte Flügge (Z. 17) eine mit Produktion ausserordentlich übelriechender Gase einhergehende, durch Anaeroben eingeleitete faulige Zersetzung derselben. Die Art der Zerlegung des Eiweissmoleküls bei der Fäulnis ver- läuft in vieler Beziehung analog der durch einfache chemische Eingriffe, z. B. durch Behandlung mit Säuren oder Alkalien hervorgerufenen Spaltung. Zuerst erfolgt eine hydrolytische Spaltung in Albumosen 256 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. und weiterhin in Peptone. Diese komplizierten Moleküle werden dann zunächst in der Weise abgebaut, dass Amidoderivate der Fett- reihe (namentlich Amidosäuren), N-haltige Körper aus der aromatischen Reihe (z. B. Indol, Skatol), Sulfosäuren (Taurin) und vielleicht noch peptonartige Reste entstehen. Unter diesen ersten Fäulnisprodukten findet sich auch das von Stadelmann (Z. f. Biol. 26) beschriebene Tryptophan, das sich, mit Bromwasser versetzt, purpurrot färbt. Meist unterliegen diese erstgebildeten Produkte rasch einer weiteren Zerlegung, so dass sie wenig bemerkbar werden; z. B. die Amidosäuren in NH3 und Fettsäuren, von denen die letzteren noch weiter nach einer der oben gegebenen Gleichungen, gewöhnlich unter Freiwerden von COo, Ho, CH4 gespalten werden. So hat man speziell für das Leucin eine Gährung feststellen können, die nach folgender Gleichung zu ver- laufen scheint: C5H10.NH2.COOH + 2H20 = C4H9.COOH + NH3 + CO2 + 2H,. Leucin Valeriansäure. Leucinsäure unterliegt nach Stölnikoff (Z. physiol. Ch. I. 345) einer ähnlichen Zersetzung, bei welcher ein Teil zu Kapronsäure redu- ziert wird, während der grössere Teil eine tiefer gehende Spaltung zu Buttersäure, Essigsäure, CH4, COo und H^ erfährt. Ahnliche Zer- setzungen erleiden ferner vielleicht das Glykokoll und andere Amido- säuren. Auch für das Tyrosin muss man eine baldige weitere Zerlegung supponieren, da dasselbe in grösserer Menge nur im Anfang der Fäulnis gefunden wird. Die Entstehung der N-freien aromatischen Substanzen, der Homo- logen der Benzoesäure, als Phenylessigsäure und Phenylpropionsäure, erfolgt nach Baumann (B. Ch. 13. 385) aus einer im Eiweissmolekül präformierten Phenylamidosäure, wie eine solche von Schulze u. Bar- biert (ebd. 14. 1785) bei anderer Gelegenheit als Eiweissspaltungs- produkt nachgewiesen ist; auch giebt Phenylamidopropionsäure nach Baumann (Z. physiol. Ch. 7. 282) bei der Fäulnis in der That Phenyl- essigsäure. Daneben könnten aber die Homologen der Benzoesäure nach E. u. H. Salkowski (ebd. 7. 450) wahrscheinlich auch direkt aus dem Tyrosinkern des Eiweissmoleküls entstehen, da es gelang, aus reinem Tyrosin Hydrozimmtsäure zu erhalten. Die N-haltigen aromatischen Fäulnisprodukte, als Indol, Skatol, Skatolkarbonsäure, entstehen nach E. Salkowski (ebd. 8. 417) wahr- scheinlich aus einer gemeinsamen, im Eiweissmolekül präformierten Muttersubstanz, da Indol und Skatol sich vertreten können; ausserdem wird das Indol nicht direkt als solches aus dem Eiweissmolekül abge- spalten, sondern zunächst in Form einer Zwischensubstanz, die dann ihrerseits bei weiterer Zerlegung Indol liefert; daher steigt in der ersten GoTSCHcrcH, Gährungserregung. 257 Zeit des Fäulnisprozesses die Menge des gebildeten Indols in stärkerer Progression als die Zersetzung des Eiweisses. Die quantitative Aus- beute an Indol ist bei verschiedenen Fäulnisgemischen verschieden, kann aber bis über 1 '•'q betragen. — Von den äusserst zahlreichen Körpern, die überhaupt als Fäulnisprodukte auftreten können, seien genannt: COo, CH4, Ho, No , HjS; Ameisensäure, Essigsäure, Buttersäure, Valeriansäure, Palmitinsäure, Akrylsäure, Krotonsäure, Grlykolsäure, Milchsäure, Valerolaktonsäure; Oxalsäure, Bernsteinsäure; Leucin, Gly- kokoll, Glutaminsäure, Asparaginsäure, Amidostearinsäure; Ammoniak, Ammoniumkarbonat, Ammoniumsulfid ; Propylamin, Trimethylamin u. s.w. ; die oben besprochenen aromatischen Körper, sowie Ortho- und Para- kresol, Hydroparacumarsäure; endlich die früher eingehend behandelten Ptomai'ne. Schon die Zahl und Mannigfaltigkeit dieser Produkte lässt darauf schliessen, dass ihre Bildung nicht in dem gleichen Umfang bei jedem Fäulnisakte wiederkehrt. In der That finden wir durchaus nicht immer alle die aufgezählten Produkte, sondern die Zerlegung des Eiweissmole- küls verläuft in wechselnder Weise und fördert bald diese, bald jene Produkte zu Tage. An diesem schwankenden Verlauf der Fäulnis kann teilweise wohl die Verschiedenheit des Gährmaterials, sowie eine Diffe- renz der äusseren Bedingungen beteiligt sein; zum grössten Teil ist aber die Verschiedenheit der die Fäulnis erregenden Bakterien die Ur- sache. Je nachdem die eine oder die andere Bakterienart oder ein wechselndes Gemenge derselben im Fäulnisgemisch vorherrscht, kommt es zu qualitativ oder quantitativ anderer Zusammensetzung der Pro- dukte. In der That ist durch Versuche mit Reinkulturen bereits eine grosse Zahl von Bakterienarten bekannt geworden, welche sämtlich in reiner Kultur eine rasche Zerlegung des Eiweissmoleküls unter Bil- dung übelriechender Gase bewirken, deren Leistung aber sowohl hin- sichtlich der Qualität der Produkte, wie nach der quantitativen Seite hin sehr verschieden ist. Bei vielen Arten giebt allerdings einstweilen nur die Entwicklung chemisch nicht näher definierter übelriechender Gase das Kriterium, auf welches hin wir eine Zerlegung des Eiweiss- moleküls im Sinne der Fäulnis annehmen, so bei Bac. saprogenes I, II, III, Bac. coprogen. foetidus, Proteus, Bac. pyogen, foetidus, Mikrok. foetidus und verschiedenen Anaeroben. Bei anderen ist eine schärfere Charakterisierung der entstehenden Produkte bereits möglich; so ist z. B. die Bildung von Trimethylamin durch Bac. ureae, Bac. prodigiosus, Bac. fluorescens putidus erwiesen; Bac. fluorescens liquefac. bildet Pepton und flüchtige Fettsäuren, Bac, butyricus Hueppe Pepton, Leucin, Tyrosin, Ammoniak, Bac. putrificus coli Bienstock (Z. M. 8) Pepton, Ammoniak, Fettsäuren, Tyrosin, Phenol, Indol, Skatol. Nach Kuhn Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 17 258 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. (A. 13. 40) sind als hauptsächlichste Erreger der Leichenfäulnis Pro- teus vulgaris und Zenkeri zu betrachten; nur der erstere bildet In- dol. Es sind also zahlreiche Bakterien zur Eiweissspaltung befähigt; die meisten lassen jedoch grosse Reste des Eiweissmole- küls unzerlegt und bewirken nur in einzelnen Teilen desselben tiefere Spaltungen; nur Avenige bewirken so vollständige und tiefgehende Zer- legungen, wie etwa Bienstock's Bac. putrificus coli, der Repräsentanten der verschiedensten Gruppen von Fäulnisprodukten erzeugt, und bei diesen wenigen muss es zweifelhaft bleiben, ob die ganze Spaltung unter direkter Einwirkung des Bakterienlebens erfolgt', oder ob nicht nach einer oberflächlichen direkten Zerlegung der weitere Abbau der Zwischenprodukte mittelbar durch Reduktionen und Oxydationen, her- vorgerufen durch nascierenden H, bewirkt wird. Jedenfalls kann von der Aufstellung einer allgemein giltigen Umsetzungsgleichung für die als Fäulnis bezeichnete Zerlegung der Eiweisskörper nicht die Rede sein, sondern es werden bestimmte chemische Grleichungen nur für jede einzelne, durch einen bestimmten Mikroben verursachte Art der Zer- legung anzunehmen sein. Hiernach wird die spontan verlaufende Fäulnis je nach den zu- fällig vorhandenen Bakterien und nach den jeweiligen, der einen oder anderen Art günstigeren Existenzbedingungen ausserordentlich viele Verschiedenheiten zeigen. Welche Pilze namentlich im Anfang zur Herrschaft gelangen, das hängt von der chemischen Zusammensetzung, der Koncentration, Reaktion und Temperatur des fäulnisfähigen Sub- strats ab; im Laufe der Zeit und unter dem Einfluss der allmählich fortschreitenden Fäulnis ändern sich diese Bedingungen vollständig; aus neutralen Körpern können Säuren abgespalten werden, durch Zerfall der N-haltigen Moleküle unter Bildung von NH3 kann andererseits die Alkalescenz vermehrt werden; die Relation der einzelnen chemischen Bestandteile ändert sich, weil die eine Art stärker in die Zerlegung hineingezogen wird, als die andere. Dadurch bieten sich immer wieder für andere Spaltpilze günstige Existenzbedingungen, und so stellt sich die spontan verlaufende Fäulnis gewöhnlich als eine fast regellose, von nicht übersehbaren Einzelbedingungen abhängige Folge von Umsetzungen dar, welche durch die verschiedensten und in ganz verschiedener Weise wirksamen Spaltpilzarten hervorgebracht wird. Im Anfang der Fäul- nis beobachtet man gewöhnlich mehrere Arten von Mikrokokken so- wie grosse Bacillen, später finden sich auch Massen von kürzeren Bak- terien ein; an der Oberfläche des Fäulnisgemisches scheinen Formen zu prävalieren, wie sie früher unter dem Sammelnamen Bakt. termo beschrieben wurden und unter denen nach Ausweis der Plattenkultu- ren der Bac. fluorescens liquefac. in grösster Zahl vertreten ist. Da- GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 259 bei ist nicht zu vergessen, dass ausserdem zahlreiche Spaltpilze in faulenden Gemischen sich ansiedeln, denen überhaupt keine Gährwir- kung zukommt, oder die doch einstweilen noch kein für sie passendes Gährmaterial vorfinden; später freilich, wenn erst intensive Gährung eingeleitet ist, pflegen die dabei aktiv beteiligten Pilze die Entwick- lung anderer Formen zu hemmen. Alle diese Massen von begleitenden Mikroorganismen müssen den Fäulnisprozess noch dadurch komplizie- ren, dass auch ihre Stoffwechselprodukte sich mit den Gährprodukten mischen. Von grösstem Einfluss auf den Verlauf des Fäulnisprozesses ist der Sauerstoff. Schon längst ist bekannt, dass nur bei Beschränkung des Luftzutritts eigentliche stinkende Fäulnis stattfindet. Bei reich- licher Luftzufuhr dagegen fehlen die übelriechenden Gase, vielmehr beobachtet man hierbei eine rasche und sehr vollständige Oxydation aller fäulnisfähigen Stoffe und bezeichnet daher diese Art von Fäul- nis mit einem besonderen Namen als „Verwesung". Pasteür hob den Unterschied der Fäulnis mit Sauerstoffzutritt und derjenigen ohne Sauerstoff zuerst schärfer hervor; nach seiner Ansicht sind die eigent- lichen Fäulnispilze Anaeroben und bedürfen zu ihrer Entwicklung durchaus der vorbereitenden Thätigkeit aerober Mikroorganismen, welche bei Luftabschluss nur den in der Faulflüssigkeit gelösten Sauerstoff zu verzehren brauchen und dann ihre Thätigkeit einstellen, bei Luft- zutritt dagegen während der ganzen Dauer des Fäulnisprozesses auf der Oberfläche der Flüssigkeit unter Häutchenbildvmg intensiv wuchern und so den Zutritt des Sauerstoffs zum Innern durch Konsumption desselben hindern; die erste Spaltung der Eiweisskörper wird dann durch die in der Tiefe des Substrats vegetierenden Anaeroben bewirkt, während die hieraus hervorgehenden komplizierten Zwischenprodukte durch die Thätigkeit der an der Oberfläche wuchernden Aeroben rasch und vollständig bis zu den Endprodukten zerlegt werden. Pasteue, suchte also den Unterschied zwischen Fäulnis bei Sauerstoffzutritt und -Abschluss entsprechend seiner auf der Anaerobiose basierenden Gähr- theorie zu erklären. Doch ist durch neuere Untersuchungen zweifel- los erwiesen, dass einige Bakterien sowohl bei Fehlen wie bei reich- licher Anwesenheit von Sauerstoff imstande sind, das Eiweissmolekül unter Erzeugung charakteristischer Fäulnisprodukte zu zerlegen. Ausser- dem ergiebt sich eine teilweise Erklärung für den Einfluss der Sauer- stoffzufuhr schon ans den rein chemischen Vorgängen, die sich bei der Fäulnis abspielen. Unter Abschluss des Sauerstoffs treten um- fangreiche Reduktionen auf, teils direkt durch den Gährvorgang selbst, teils indirekt durch den hierbei entstehenden Wasserstoff. Über den Chemismus und die Produkte dieser Reduktionen ist schon in 17* 260 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. einem früheren Abschnitt bei der Behandlung der Stoffwechselpro- dukte eingehend gehandelt, worauf hier verwiesen sein mag. Im gan- zen ist jedenfalls die Veränderung des Gährmaterials und der Gähr- produkte hierbei nur eine geringfügige, und es ist somit für den Ver- lauf der Fäulnis ohne Sauerstoff charakteristisch, dass die eigentlichen Gährprodukte meist unverändert zu Tage treten, ohne dass eine um- fangreichere Zerstörung und Oxydation derselben erfolgt; auch ist es begreiflich, dass unter diesen Bedingungen nur solche Spaltpilze existie- ren können, denen der Sauerstoff völlig entbehrlich ist, so lange ihnen Gährmaterial zur Verfügung steht. Anders bei reichlichem Sauerstoffzutritt. Hier spielt der nascierende Wasserstoff vermutlich eine viel bedeutsamere Rolle. Hoppe-Seylee hat es wahrscheinlich zu machen gesucht, dass der nascierende H das Sauerstoffmolekül zerreissen und so den Sauerstoff aktivieren muss; der Vorgang ist hierbei so vorzustellen, dass je 2 Atome des nascierenden H immer ein Atom des Sauerstoffmoleküls 0-2 an sich reissen und damit Wasser bilden, während nun das andere Atom Sauerstoff' in freiem Zustand zu den kräftigsten Oxydationen befähigt ist. Auch auf anderem, rein chemischem Wege entstandener H vermag diese Aktivierung des Sauerstoffs auszuführen, so der aus Palladiumwasserstoff durch Disso- ciation allmählich austretende H. Unter dieser Annahme wird es leicht verständlich, weshalb bei Luftzutritt die Fäulnis so völlig anders ver- läuft, als bei Luftabschluss. Nicht nur dass die eigentlichen Reduktions- produkte, wie H2, H2S, überhaupt nicht zu Tage treten, sondern der Oxydation anheimfallen, auch eine Menge anderer Substanzen, die sonst dem geschlossenen Sauerstoffmolekül gegenüber bei gewöhnlicher Tempe- ratur völlig resistent sind, werden von dem aktivierten Sauerstoff an- gegriffen und in einfachste Verbindungen übergeführt. Die Zerstörung der fäulnisfähigen Stoffe erfolgt so in gleich vollständiger Weise wie bei der Zerlegung im lebenden tierischen Organismus oder auch in Spaltpilzen, die bei Sauerstoffzufuhr in normaler Weise die gebotenen Nährstoffe oxydieren. Ausserdem werden nicht selten auch an der Oberfläche der Faulflüssigkeit angesiedelte Mikroorganismen sich von den Gährprodukten ernähren und diese zu einfachsten Verbindungen verbrennen. — In unserer natürlichen Umgebung sind beide Vorgänge — Fäulnis und Verwesung — reichlich vertreten. Häufig findet man beide Prozesse neben einander auf demselben toten organischen Substrat; so kann an der Oberfläche einer Faulflüssigkeit vollständige Verwesung erfalgen, während in der Tiefe unter anaeroben Bedingungen Fäulnis- prozesse vor sich gehen; ferner findet man Überwiegen der Oxydations- prozesse an der Bodenoberfläche, während in tieferen Schichten haupt- sächlich Reduktionsprozesse sich abspielen. Auch die Zersetzungen im GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 261 Stallmist, sowie im gedüngten Acker sind nach Wollny (C. 1. 441) und Se\t;kin (C. C. 1) teils als Reduktions-, teils als Oxydationsprozesse aufzufassen. Reine Fäulnis kommt leicht überall da zustande, wo für vollständige Fernhaltung des Sauerstoffs gesorgt ist, sei es in der Tiefe der faulenden Substrate, sei es nach vorgängiger Konsumption des vor- handenen Sauerstoffs durch aerobe Arten. Vollständige Verwesung dagegen ohne jede Entwicklung von übelriechenden Gasen und kom- plizierten Reduktionsprodukten kommt viel seltener vor, weil hierzu eine äusserst innige, beständige Berührung des Fäulnismaterials mit Luft vorausgesetzt wird; am günstigsten scheinen die Bedingungen hierfür in leicht durchgängigem und zeitweise durchfeuchtetem Boden zu liegen; dort geht geradezu eine Mineralisierung organischer Sub- stanzen in so vollkommener Weise vor sich, dass bald weder kompli- ziertere C-Verbindungen, noch H2S, noch NH3 vorhanden sind, sondern nur noch CO2, Sulfate und Nitrate. (Vgl. den vorangegangenen Ab- schnitt Nitrifikation.) — Endlich beobachtet man noch häufig, be- sonders bei der Zersetzung pflanzlicher, N-armer, cellulosehaltiger Sub- stanzen im Boden einen nicht näher charakterisierten Prozess, bei dem es zur Bildung von Huminsubstanzen und CH4 kommt; dieser Prozess, der sowohl in Bezug auf seine Erreger als auf seinen Chemismus noch ganz unklar ist, wird als „Vermoderung" bezeichnet. Von besonderem Interesse, zumal in praktischer Hinsicht, sind die unter gewissen Bedingungen bei der Fäulnis, z. B. im gedüngten Boden und bei verwandten Prozessen, auftretenden Stickstoffverluste, wo- bei elementarer N, entweicht und für die Ausnutzung für landwirt- schaftliche Zwecke verloren geht. Der Prozess ist als eine Reduktion der Nitrate anzusehen und geht nur bei völligem Luftabschluss vor sich. In faulendem Material, das weder Nitrate noch Nitrite ent- hält, findet daher nach den übereinstimmenden Angaben zahlreicher Beobachter, wie König (Der Kreislauf des Stickstoffs. 1878. 19), Moegex (L. V. 30. 213), Lowes, Gilbert u. Pugh (Ph. Tr. 1861. IL 497), Rüge (Sitzungsber. d. Wiener Akad. math. Kl. 43. 758), Tacke (Landw. Jahrb. 1887. 917), Ehrenberg (Z. physiol. Ch. 11. 145), Kellner u. YosHii (ebd. 12. 95), Burri, Herfeldt u. Stutzer (Journ. f. LandAv. 1894. 329), kein Stickstoffverlust statt. Bei Gegenwart von Nitraten oder Nitriten hingegen kann elementarer N2 abgespalten werden, wie durch Gayün u. Dupetit (C. R. 95. 644 u. 1365), Deheräin u. Maquenne (ebd. 691, 732, 854), Heraus (Z. 1. 193), Tacke (a.a. 0.), Ehrenberg (a.a. 0.), Springer (B. Ch. 16. 1278), Leone (r: K. 90. 111), Dietzell (r: Z. physiol. Ch. 11. 153), Breal (C. R. 114. 681), Giltat u. Aberson (r: K. 92. 226), Burri u. Stutzer (C. C. 1. 353) festgestellt ist. Der Stickstoffverlust in dem faulenden Material betrug in manchen 262 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Versuchen nur einige Prozent, in anderen Fällen aber, wie bei Burri u. Stutzer, etwa 80 % ; Giltat u, Aberson geben sogar an, dass fast der ganze Nitratstickstoff in freien Stickstoff umgewandelt worden sei. Bedingung für das Zustandekommen der Nitratreduktion ist ausser dem Luffcabschluss noch starker Wassergehalt der Substrate; ferner scheint, wenigstens für manche Arten, der Gehalt des Fäulnisgemisches an be- stimmten organischen Nährstoffen notwendig zu sein. Die älteren Ver- suche sind meist nicht mit Reinkulturen, sondern mit Fäulnisgemischen angestellt, oder die Beschreibung der verwendeten Arten ist nur eine unvollständige, so dass ein Wiedererkennen derselben unmöglich wäre. Neuerdings haben aber Burri u. Stutzer mehrere Arten nitrat- zerlegender Bakterien sehr eingehend beschrieben, die sie aus Pferde- fäces und Stroh isolierten. Besonders bemerkenswert sind zwei dieser Arten, deren eine fakultativ anaerob, deren andere obligat aerob ist, und die nur in Symbiose mit einander zur Nitratzerlegung befähigt sind, während jede einzelne Art diesen Prozess nicht auszulösen vermag. Doch kann die fakultativ anaerobe Art in ihrer Funktion sehr wohl durch Bact. coli comm. und durch den Typhusbacillus vertreten werden, während dies bei der anderen Art nicht angeht. Ein dritter denitri- fizierender Bacillus übte für sich allein seine Wirkung aus, ja sogar in einer Lösung, die das Nitrat als einzige N-Quelle enthielt. Bei der Reduktion des Salpeters werden bedeutende Mengen von Alkali frei, die schliesslich hemmend auf den Fortgang der Gährung einwirken. II. Komplizierte, ihrem chemischen Verlauf nach noch un- l)ekannte Gährungen, die in den Gährungsgewerben Anwen- dung finden. 1. Kefir gährung. Kefir und Kumys sind alkoholische Getränke, die seit Alters von kaukasischen Völkern durch die Vergährung der Milch gewonnen werden. Hierbei findet ein Zusammenwirken von Milchsäurebakterien und Hefe statt; erstere bewirken die Umwandlung des Milchzuckers in gährfähigen Trauben- zucker, der dann durch die Hefe zu Alkohol vergohren wird; ausserdem bilden die Milchsäurebakterien natürlich noch Milchsäure. Das Ferment der Kefirgähruug, welches diese Erreger enthält, kann in Gestalt der sog. „Kefirkörner" lange Zeit trocken aufbewahrt und versandt werden. Die in den Kefirkörnern ent- haltenen Mikroorganismen sind zuerst von Krajs'nhals (A. M. 35) und Kern (Biol. Centralbl. 2. 137) genau beschrieben worden, (vgl. Bd. II). Im Kumys fanden Nencki u. Fabian (r: C. IL 523) zwei ähnliche Mikroben. Beijerinck (r: K. 92. 182) fand, dass die Hefe der Kefirkörner ein Milchzucker spalten- des Ferment, eine Laktase besitzt und so zur Vergährung desselben befähigt ist; durch die von den Milchsäurebakterien ausgeschiedene Säure wird die Entwicklung der Hefe begünstigt. Die im Kaukasus übliche Methode der Kefirbereitung ist sehr einfach; fi'ische Kuh- oder Ziegenmilch wird in einen Schlauch gefüllt, mit einigen frischen Kefir- GoTSCHLiCH, Gährangserregung. 263 körnern versetzt, der Sclilaucli geschlossen, bei mittlerer Temperatur verwahrt und häufig durchgeschüttelt; nach 1 — 2 Tagen ist das Getränk fertig und wird abgefüllt ; der im Schlauch verbleibende Rückstand von Kefirkörnern kann sogleich zu einer neuen Gährung verwendet werden. — Zur Bereitung ausserhalb des einheimischen Gebietes sind 2 Methoden anwendbar. Nach der ersten lässt man die trockenen bräunlichen Kefirkörner des Handels 5—6 Stunden in lauem Wasser liegen, bis sie quellen; dann spült man sie sorgfältig ab und bringt sie in frische Milch, die täglich 1—2 mal zu erneuern ist, bis die Körner rein weiss werden und in frischer Milch rasch (nach 20 — 30 Min.) an die Oberfläche steigen. Auf einen vollen Esslöff'el der so vorbereiteten Körner giesst man dann in einer Flasche etwa 1 Liter Milch, lässt 5 — 8 St. ofi'en stehen, verschliesst dann die Flasche fest und hält dieselbe bei ca. 18", indem man sie etwa alle 2 Stunden schüttelt. Nach 8 — 24 Stunden giesst man die Flüssigkeit durch ein feines Sieb in eine andere Flasche, die höchstens zu ^5 gefüllt werden darf, und lässt wieder verschlossen und unter Umschütteln stehen. Nach 24 Stunden erhält man dann den sog. ein- tägigen Kefir, der noch wenig CO2 und Alkohol enthält; gewöhnlich trinkt man erst den 2tägigen, der nach längerem ruhigen Stehen 2 Schichten, eine untere molken- artige, durchscheinende und eine obere, aus feinsten Kaseinflöckchen bestehende unterscheiden lässt und nach dem Durchschütteln rahmähnliche Konsistenz zeigt. 3tägiger Kefir ist wieder dünnflüssiger und sehr saner. — Der beim Absieben er- haltene Rückstand kann nach gründlichen Abspülen mit Wasser sogleich zu einer neuen Gährung verwandt werden. Die im Gebrauch befindlichen Körner sind stets von Zeit zu Zeit gründlich zu reinigen und immer wieder bis zu Erbsen- grösse zu zerkleinern. Im lufttrockenen Zustand bewahren die Kömer ihre Keim- fähigkeit jahrelang. — Eine zweite einfachere Methode ist da anwendbar, wo man einen guten 2 — Stägigen Kefir fertig bekommen kann. Man fügt dann von diesem 1 Teil zu 3 —4 Teilen frischer Kuhmilch, füllt auf Flaschen und lässt etwa 48 Stunden unter zeitweisem ümschütteln stehen. Von dem fertigen Getränk lässt man etwa 1/5 — Vs ^^ ^^^' Flasche zurück, als Ferment für die neu anzusetzende Gährung. — Schuppan (C. 13. 527) empfiehlt, Kefir aus sterilisierter Milch mittelst aus Kefirkörnei-n gewonnenen Reinkulturen zu bereiten. Die chemische Untersuchung ergiebt als wesentlichste Gährprodukte Äthyl- alkohol, Milchsäure und CO2; daneben treten kleine Mengen von Glycerin, Bern- stein-, Essig- und Buttersäure auf. Der Gehalt an Milchsäure beträgt in fertigem Kefir gewöhnlich 1,5%, der Alkoholgehalt 1^ Tr.; beide entstehen nachweislich nur aus dem Milchzucker; in den ersten 24 Stunden überwiegt die Milchsäure- bildung, in den folgenden Tagen dagegen die Alkoholproduktion. Dnrch höhere Temperatur (25—30") wird die Milchsäuregährung zu stark gegenüber der Alkohol- gährung begünstigt; bei etwa 18" laufen beide gleichmässig neben einander her. Der Eiweissgehalt der Milch scheint durch die Kefirgähi-ung nicht verändert zu werden; Peptone sind nicht nachweisbar, doch erfährt das Kasein eine Verände- rung in der Weise, dass es äusserst feinflockig verteilt wird, so dass die Flüssig- keit eine fast rahmartige Konsistenz erhält. Auf dieser Veränderung beruht ver- mutlich der hohe diätetische Wert des Präparats (in Deutschland zuerst in der Kuranstalt des Hofrats Dr. Stern in Kissingen eingeführt). 2. Käsereifung und abnorme Käsegährungen. Der normaleKäse- reifungsprozess, bei welchem zuerst eine Peptonisierung der Eiweisskörper, in späteren Phasen eine tiefergehende Zei'setzung mit Fi'eiwerden von Ammoniak, Leucin und Tyrosin (Maggiora, A. 14. 217) stattfindet, erfolgt nur unter 264 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. der Einwirkung bestimmter Mikroorganismen. Bei Ausschluss der letzteren, z. B. durch Verwendung von gekochter oder pasteurisierter Milch und sterilisiertem Lab (Schaffer u. Bondzynski, r: Koch's J. 1890. 92; Freudenreich, r: ebd. 1891. 135) oder durch Zusatz von Antisepticis , wie Thymol oder Kreolin (Adametz, Landw. Jahrb. 18. 228) kommt keine Käsereifung zustande. DieMikroben, welchen diesen Prozess verursachen, müssen offenbar in der Milch selbst enthalten sein ; doch ist die Frage, welche Arten als Erreger der Käsereifung anzusprechen sind, noch nicht endgiltig entschieden. Nachdem schon F. Cohn (B. B. H. 3. 191) eine ursächliche Beteiligung des Bac. subtilis an diesem Prozesse für wahr- scheinlich erklärt hatte, wies Benecke (C. I. 521) denselben im Käse nach, und glaubten insbesondere Duclaux (Le lait. 1887), sowie Marchal (C. C. 1. 506) und W. Winckler (ebd. 609) den nahe verwandten Tyrothrisarten die Hauptrolle bei der Käsereifung vindizieren zu müssen, v. Freudenreich (ebd. 349) hat es dagegen mindestens für den Emmenthaler Käse sehr wahrschein- lich gemacht, dass hier die Milchsäurebakterien als wesentliche Erreger anzusehen sind, und die Tyrothrixarten eine nur ganz sekundäre Bedeutung haben, da die letzteren gewöhnlich nur in geringer Zahl im Käse vorhanden sind, in ihm keine Vermehrung zeigen, sondern sogar rasch absterben und bei Verimpfung auf einen Käse dessen Reifung nicht beschleunigen. In Weichkäsen scheinen Oidium lactis und verwandte Formen bei der Reifung wesentlich beteiligt zu sein (Marchal 1. c). — Die Lochbildung im Käse wird durch eine grosse Anzahl von gasentwickeln- den Mikroorganismen bewirkt, unter denen sich hauptsächlich Bacillen, aber auch Kokken und Hefen befinden ; der von Batjmann (L. V. 42. 181) besonders benannte „Bac. diatrypeticus casei" ist also nur als ein Repräsentant einer grossen Gruppe anzusehen. Viele von diesen gasentwickelnden Mikroben, die sich z. B. bei Adajmetz (r: bei Bocicchio, C. 15. 548) übersichtlich zusammengestellt finden, können unter Umständen abnorm stark geblähte oder „nisserige", d. h. mit zahl- losen kleinen Löchern durchsetzte Käse erzeugen und so arge Betriebsstörungen hervorrufen; daneben verleihen solche abnorme Gährungserreger häufig noch einen schlechten Geschmack. Die Käseblähung kann nach Freudenreich (r: K. 93. 206) durch Zusatz von etwa 2,5% Kochsalz verhindert werden, ohne dass dadurch der normale Reifungsprozess beeinträchtigt wird. Auch durch Anwendung höherer Temperaturen (bis 60") beim „Nachwärmen" des Käses lassen sich nach Schaffer und v. Freudenreich (r: C. C. 1. 760 und 763) übermässige Zer- setzungen hintanhalten, weil hierbei die Erreger teilweise abgetötet werden. — An- hangsweise sei endlich noch den Störungen in der Käsefabrikation durch chro- mogene Bakterien gedacht, wie solche z. B. von de Vries, Beijerinck (r: K. 1891. 82), Adametz (r: ebd. 91. 196; 92. 184) u. A. beschrieben sind. 3. Brotgährung. Während bei der Weissbrotbereitung wahrscheinlich nur eine mechanische Auflockerung des Teiges durch die bei der alkoholischen Gähr- thätigkeit einer Hefe entstehende CO2 zustande kommt (Lehmann, C. 15. 350), haben wir es bei der durch Sauerteig vermittelten Brotgährung mit einem viel komplizierteren Prozesse zu thun. Im Sauerteig sind stets neben Hefen noch Spaltpilze in überwiegender Mehrzahl vorzufinden. Einige Autoren, wie Chicandärd (C. R. Bd. 96 u. 97), Marcano (ebd.), Laurent (C. I. 504), Popofp (P. 90. 679), glaubten daher verschiedenen Bakterienarten die Hauptrolle bei der Brotgährung zuschreiben zu müssen. In der That gelang es Popoff sowie Wolffin, der bei Lehmann (1. c.) arbeitete, durch Verimpfung von Reinkulturen von gährungs- erregenden Bakterien aus Sauerteig auf steriles Material typische Brotgährung GoTSCHLiCH, Gälirungserreguug. 265 vtie durch Sauerteig zu bewii-ken; als Gährprodukte fand Wolffin bei seinem wahrscheinlich zur Coli-Gruppe gehörigen Bakterium Ho, CO2, Essigsäure, Milch- säure und Buttersäure. In der Regel scheint aber nach BorxROux (CR. 97; 113. 203), Arcangeli (r: C. 3. 717), Peters (B. Z. 47. 405) eine kombinierte Gähr- wirkung von Hefen (von denen häufig eine dem S. minor. Engel sehr ähnliche Form gefunden wurde) und Bakterien stattzufinden, wobei durch die Hefe eine alkoholische Gährang bewirkt wird, während die Bakterien diastatische Wirkung ausüben und Lösungsvorgänge und Säuregährungen von keineswegs nebensäch- licher Bedeutung einleiten. In welcher Weise in den einzelnen Fällen das Zu- sammenwirken von Hefe und Bakterien zustande kommt, ist noch unbekannt. Auch über die Abhängigkeit des Gähmngsverlaufes von den Versuchsbedingungen ist noch wenig ermittelt; nach Lehmann (A. 19. H. 4) gähren Schrotmehl- teige viel rascher und intensiver als Feinmehlteige; aus jedem Teige lassen sich aber durch Anwendung reiner Hefen annährend säurefreie Gebäcke herstellen. Die Triebkraft einer Hefe im Teig lässt sich nicht nach ihrer- Gähriingsenergie (gemessen durch die C02-Menge) bestimmen (Eliox, C. 14. 53); Hefen von ausgezeichneter Triebkraft entwickeln manchmal erheblich weniger COo, als Hefen von geringerer Triebkraft. Das Aufgehen des Teiges wird also wohl nicht allein durch die Menge der entwickelten GO2 , sondern noch durch ander- weitige Veränderungen des Teiges, vielleicht durch ein von der Hefe ausgeschiedenes Fennent bewirkt. — Von Anomalien des Brotes sahen Uffelmaxn (C. 8), sowie Kratschmer u. NiEjnLOwicz (cit. bei Uffeljiann) Klebrig- und Schleimig- werden des Brotes durch Bac. liodermos und Bac. mesenter. vulgat. zustande kommen. 4. Gährungen im Gerbereibetriebe. Die während des Gerbeprozesses eintretende Säuerung der aus Rinden hergestellten Gerbebrühen ist nach Hänlein (r: K. 93. 225; C. C. 1. 30) wahrscheinlich auf Bakterienwirkung zurück- zuführen; vielleicht spielt dabei der von Hänlein regelmässig auf Fichtenrinde gefundene Bac. corticalis eine Rolle, der die kohlehydratartigen Bestandteile der Rinde unter Säureentwicklung vergährt. Genauer gekannt ist nach den Untersuchungen von Wood u. Willcox (r: K. 93. 256) die Gährung der in der Lederfabrikation behufs Schwellung der Häute angewandten Weizenkleienbeize. Als Gährprodukte finden sich CO2 und H2, die vielleicht erst sekundär aus Ameisensäure hervorgehen, ferner N, H2S, Butter-, Essig- und Milchsäure. Als Gährmaterial dient nicht die Cellulose der Kleie, sondern die vorher durch ein Enzym verzuckerte Stärke. Als Erreger soll ein ,,B. furfuris" fungieren. Durch Antiseptica wird die Gähning sistiert. 5. Tabaksgährung. Nach Erreichung der Dachreife werden die Tabaks- blätter in grossen Haufen fest zusammengepackt und gehen eine unter starker Ei-wärmung verlaufende Gährung ein. Die Produkte derselben sind von Behrens iL. V. 43. 293) eingehend untersucht; in reichlicher Menge entsteht CO2, daneben wahrscheinlich Buttersäure und Bemsteinsäure ; die Vergährung geht auf Kosten der Kohlehydrate, des Nikotins und der organischen, nicht flüchtigen Säuren vor sich; das Verhältnis der Eiweisskörper zu den übrigen N-haltigen Verbindungen ändert sich dagegen bei der Fermentation nicht. Ausserdem entstehen bei der Tabaksgährung die spezifischen Aromastoffe, welche die Qualität verschiedener fertiger Tabakssorten bedingen. Verschiedene bei der Tabaksgährung beteiligte Bakterien üben in dieser Beziehung eine verschiedene Wirkung aus. Suchsland 266 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. (B. G. 9. 79) hat daher, und zwar mit günstigem Erfolge, versucht, in- ländische, bei der gewöhnlichen Verarbeitung minderwertig ausfallende Tabakssorten durch künstliche Vergährung mit Reinkulturen, die aus feinen ausländischen Tabaken gewonnen waren, zu veredeln, ein Verfahren, welches nach Hanausek (r: K. 92. 242) bereits in Cuba in primi- tiverer Gestalt zur Verbesserung des Aromas Anwendung findet. 6. Bei der Opiumgährung, der das zum Rauchen dienende Opium 10 — 12 Monate vor dem Konsum unterworfen sein muss, ist nach Calmette (r: K. K. 92. 242) hauptsächlich der Aspergillus niger beteiligt, der Zucker und Dextrin des Gährmaterials zu Oxalsäure vergährt, die Alkaloide aber nicht anzu- greifen scheint. Durch Zusatz von Reinkulturen konnte der Prozess beschleunigt werden. 7. Bei der Indigofabrikation fand Alvarez (C. R. 105. 286) einen dem Bac. Friedländer und Rhinosklerombacillus sehr ähnlichen „Bac. indogen.", der ebenso wie jene die Produktion des Farbstoffs aus den Indigopflanzen besorgt. Sterilisierte Indigopflanzen bilden selbst nach monatelangem Lagern keinen Farbstoff^. D. Allgemeine Eigenschaften und Theorie der Gährungsprozesse. So verschieden auch im einzelnen der chemische Vorgang bei den Gährungen ist, so lassen sich doch einige allgemeine Gesichtspunkte aufstellen, die bei allen echten Gährungen zur Geltung kommen. Wäh- rend bei den Wirkungen isolierbarer Enzyme nur eine geringe chemische Arbeit geleistet wird, gehen bei der Gährung weitgehende ümlagerungen der Atome vor sich und werden stets neue Bindungen zwischen Sauerstoff einerseits und am häufigsten Kohlenstoff, seltener anderen Elementen andererseits geschaffen. Bei den Oxydationsgäh- rungen, bei denen, wie schon der Name andeutet, stets eine solche neue Bindung geschaffen wird, ist die hierbei geleistete chemische Ar- beit am grössten, indem erstens eine Verbindung äusseren freien Sauer- stoffs mit dem Gährmaterial, also eine echte Synthese, vollzogen wird, und indem zweitens die Oxydation nicht allein, wie z. B. in der Essig- säuregährung, am C-Atom, das die grösste Affinität zum Sauerstoff be- sitzt, sondern auch an anderen Elementen, z. B. bei der Nitrifikation am N, beim Lebensprozess der Schwefel- und Eisenbakterien (sofern dieser überhaupt als Gährungsprozess anerkannt wird) am S bezw. Fe zustande kommt. Freilich sind diese Oxydationsgährungen mit ihrer gewaltigen chemischen Leistung ja auch die einzige Energie- quelle für ihre Erreger, die ausserhalb ihres Gährsubstrats über- haupt nicht zu vegetieren vermögen. Bei den Spaltungsgährungen wird kein ausserhalb des zu vergäh- renden Moleküls stehendes Atom in den Chemismus einbezogen und beschränkt sich die chemische Arbeit nur auf Umlagerung der schon zu einem Molekül vereinigt gewesenen Atome; immerhin treten auch GoTSCHLiCH, Gährungserregung. 907 hier sehr erhebliche Mengen chemischer Energie in Aktion. Stets Averden neue Bindungen zwischen C und 0 geschaffen, was sich in der Bildung von CO2 kundgiebt. Auf Kosten der neu zustande kommenden Bindungen des Sauerstoffs werden andere Bindungen zwischen 0 und H, C und H, C und C gelöst (vgl. Hoppe-Seyler, Physiol. Ch. S. 124 und Pf. 12. 1). So wird bei der Vergährung der Ameisensäure H-Cj- -r-i. i.-i. • ut ^ ^ " ^ ° \ 2. die spezifische antitoxische I. Die Berechtigung dafür, dass wir hier dem Problem der Heilung keinen besonderen Platz einräumen, ergiebt sich aus den früheren Er- örterungen. Eine Krankheit, die heilt, ist entweder eine Infektion mit relativ zu schwachem Virus — natürliche Heilung, oder sie verdankt den günstigen Ausgang ^ einem künstlichen Immunisierungsprozesse während des Krankheitsverlaufes — künstliche Heilung. 1) Die hier gebrauchten Ausdrücke empfehlen sich, weil sie sofort verständ- lich sind. Es sind neuerdings von Buchner (M. 94. 38) und Pfeiffer (Z. 19) Verände- rungen der Nomenklatur vorgeschlagen worden, die aber wenig für sich haben. Immunität, Resistenz, Unempfänglichkeit, Widerstandskraft, — und andererseits Disposition, Empfänglichkeit, Widerstandslosigkeit u. s. w. sind nun einmal im Sprachgebrauch gleichbedeutend. Kruse, Krankheitserregung. 395 Uns interessieren hier') wesentlich die allgemeinen Erschei- nungen der Infektiosität und der Immunität. Ausser Betracht müssen bleiben die Arteigentümlichkeiten der pathogenen Bakterien, die sich äussern in der verschiedenen Schnelligkeit ihres Wachstums und ihres Absterbens, in der Vorliebe für aerobie oder anaerobie Entwicklung, in der Neigung, das eine oder das andere Organ zu invadieren, in der Produktion dieses oder jenes Giftes — ausser Betracht bleiben auch die Besonderheiten der Tierspezies und der einzelnen Organe, die in dem verschiedenen Verhalten der Tiere bezw. der Organe gegen eine und dieselbe Infektion zu Tage treten (Art- und Organ-Immunität). I. Da der Wirtsorganismus den Nährboden für die infektiösen Bakterien darstellt, so müssen wir zuerst versuchen, eine Vorstellung zu gewinnen über die natürliche Disposition und Immunität. Aus der Thatsache, dass die grosse Mehrzahl der Bakterien, die Sapro- phyten, im tierischen Organismus nicht wachstumsfähig sind, dass auch die virulentesten Bakterien gegenüber einer grossen Zahl von Tieren sich wie Saprophyten verhalten, dass ferner die Empfänglichkeit eines Tieres gegenüber dem einen Mikroorganismus Immunität desselben gegenüber einem zweiten nicht ausschliesst, und dass durch Abschwächung sich die infektiösen Bakterien den Saprophyten nähern, ist zu folgern, dass alle lebenden tierischen Gewebe den Bakterien im allge- meinen einen Wachstumswiderstand entgegensetzen, der nur von einem kleinen Teil derselben und zwar nur einer beschränkten Zahl von Tieren gegenüber auf Grund einer spezifischen, variablen Eigenschaft überwunden werden kann. Es handelt sich darum, den Grund dieses Widerstandes zu erklären. Man könnte denken, dass 1. der Tierkörper nicht die nötigen Nährstoffe enthielte, welche die ihm gegenüber nicht infektiösen Bakterien zum Wachstum brauchen. Für eine kleine Zahl von Saprophyten, nämlich diejenigen, die wir auf unseren gewöhnlichen künstlichen Nährböden nicht zu züchten vermögen, trifft das zu, für die grosse Masse aber nicht, denn die abgestorbenen, abgetöteten Gewebe oder die daraus hergestellten Extrakte bilden meist einen vorzüglichen Nährboden für die grosse Masse der Saprophyten und infektiösen Bakterien. Höchstens gewisse, sehr saftarme Gewebe, z. B. der Mantel der Tunikaten (Lubaescbt, Z. M. 19) sind als Nährboden ungeeignet. 1) Vgl. Flügge und seine Schüler, Z. 4; Sahli, Volkmann's Samml. Nr. 319/20, Leipzig. 88; Ziegler, Zi. 5; Lubarsch, Z. M. 18 u. 19 (Litteratur bis 1891); Buchker, M. 91. 31 u. 32, M. 94. 37 u. 38; Rocx, P. 91. 8, P. 94. 10 Metsch^'ikoff, P. 91. 584 u. P. 94. 10; Kruse, Zi. 12. 3; Stern, C. P. 94. 201 (Litt, über Blutserum) ; Behring, Infektion und Desinfektion. Leipzig 94. Ausser- dem die im Text genannten Arbeiten. ^gß Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. 2. Die hohe Koncentration der Nährstoffe im Tierkörper ist für manche Saprophyten ein die Entwicklung hemmendes Moment, genügt aber in den meisten Fällen ebenfalls nicht zur Erklärung. 3. Die Reaktion der tierischen Säfte entspricht im allgemeinen der Forderung, die die Bakterien an die Reaktion der künstlichen Nährsubstrate stellen. Das Blutserum der Ratte scheint nach Behring- (Z. 6. 123) wegen seiner hohen Alkalescenz eine Ausnahme zu machen, allerdings nur extravaskulär, nicht im lebenden Organismus, denn die Milzbrandbacillen, die in dem Blutserum nicht wachsen, können doch die lebenden Ratten in der übergrossen Mehrzahl der Fälle infizieren (vgl. K. Müller, Milzbrand d. Ratten. F. 93). 4. Die Eigenwärme des Tierkörpers ist für diejenigen Sapro- phyten, die nur bei niederer Temperatur gedeihen, und umgekehrt die niedere Temperatur der Kaltblüter für Tuberkelbacillen, Gonokokken, Influenzabacillen ein Grund, der genügt, ein Wachstum zu verhüten. Zur allgemeinen Erklärung der Immunität reicht dies Moment selbst- verständlich nicht aus. Aber in einzelnen Fällen kommt die Temperatur allerdings in Betracht. Wenn wir auch die Versuche, Frösche, die bei höheren Temperaturen gehalten wurden, milzbrandig zu machen, nicht als völlig beweiskräftig ansehen können (vgl. Lubarsch, Z. M. 19. 234), so haben doch die Experimente von Dieudonne (A. G. 9. 3) dargethan, dass bei gewöhnlicher Temperatur Frösche regelmässig an Milzbrand erliegen, wenn man eine Kultur zur Infektion wählt, die durch an- dauernde Züchtung bei niederer Temperatur derselben angepasst worden ist. In gewissem Grade lässt sich auch die Immunität der Tauben gegen Milzbrand durch ihre hohe Körpertemperatur erklären; denn auch bei ihnen hat Dieudonne die Infektion zwar nicht immer, aber doch häufiger als sonst bewirken können, wenn er ein der Temperatur von 42^ angepasstes Virus wählte. Auch die auf S. 333 erwähnte That- sache, dass Frösche dem Bacillus der Frühjahrsseuche nur bei niederer Temperatur erliegen, ist vielleicht so zu deuten, dass der genannte Bacillus dami eine grössere Wachstumsintensität entfaltet. 5. Zugegeben, dass an allen Stellen des Körpers Nährmaterial für die Bakterien in genügendem Masse vorhanden ist, so könnte man für die unempfänglichen Tiere behaupten, die Zellen derselben wären stärker als die Mikroorganismen und machten im Kampfe ums Dasein denselben die nötigen Stoffe streitig. In Anbetracht der in den höheren Tieren reichlich vorhandenen Zwischensubstanz ist das an sich schon nicht wahrscheinlich. Wenn ausserdem die Immunität eines Tieres auf der Assimilationsenergie seiner Zellen beruhte, wie kommt es, dass sich dieselben Tiere verschiedenen Bakterien gegenüber oft gerade entgegengesetzt verhalten? Wie erklärt es sich ferner, dass nächstverwandte EIruse, Krankheitseirregung. 397 Tiere oft ganz verschieden gegenüber denselben Mikroorganismen reagieren? Schliesslich spricht noch gegen diese Hypothese, dass die lebenden Gewebe direkt schädlich auf die Eindringlinge wirken (s. unten.) 6. Mehr für sich hat jene Theorie, nach welcher zwar das nötige Nährmaterial vorhanden sei, aber in einer Form, welche die Assi- milation durch die Bakterien nicht gestatte. Man hat Grund, sich vorzustellen (Pflügek), dass das lebende Eiweiss vom toten ver- schieden sei. Es ist möglich, dass dieses Moment eine gewisse Bedeutung hat, dass z. B. für die grosse Masse der Saprophyten schon dadurch die lebenden Gewebe des Körpers unangreifbar sind. Aber aus den imter Nr. 5 angegebenen Gründen genügt diese Eigenschaft des leben- den Organismus allein noch nicht zur Erklärung der Immunität. 7. Wir kommen so notgedrungen zu der Annahme, dass die Wider- standskraft des lebenden Organismus gegenüber den Bak- terien von der Existenz direkt bakterienfeindlicher Stoffe abhängt. Drei Fälle sind hier möglich: entweder sind diese Stoffe a) einmal gebildet, stets in den Zellen oder in den Säften oder in beiden vorhanden. Oder b) sie werden regelmässig in den Zellen produziert und unterliegen dem Stoffwechsel. Oder c) sie werden erst im Momente der Bakterieninvasion entwickelt. Keiner dieser Fälle schliesst übrigens den anderen aus, namentlich eine Kombination von b) und c) ist wohl denkbar und, wie wir gleich sehen werden, sogar wahrscheinlich. Die erste Möglichkeit ist wenig annehmbar, denn sie setzt voraus, dass die einmal vorhandenen Substanzen nicht ausgeschieden werden können und unzerstörbar, oder wenn verloren gegangen, unersetzbar sind. Das grundlegende Experiment, welches das Vorhandensein einer antibakteriellen Eigenschaft der Körpersäfte beweist, ist folgendes. Wenn man einerseits unschädliche Bakterien und anderer- seits solche, die für den betreffenden Organismus infektiös sind, Tieren injiziert, so zeigen die ersteren vom ersten Moment an keinen Ansatz zur Vermehrung, sondern degene- rieren und sterben, je nach der Spezies mit verschiedener Schnelligkeit, ab, w^ährend die letzteren sofort zu wachsen beginnen. Irgend eine wesentliche Veränderung tritt dabei im Gewebe gerade in den ersten Stadien des Prozesses nicht auf, wenn man darauf achtet, dass man die Bakterien selbst ohne ihre gelösten Stoffwechsel- produkte und nicht in zu grosser Menge injiziert. Der Unterschied ist natürlich am deutlichsten, wenn man ganz unschuldige Mikroorga- nismen und sehr virulente mit einander vergleicht. Die Demonstration gelingt nach der Methode von R. Pfeiffer (Z. 18), der intraperitoneal impft und von Zeit zu Zeit aus der Bauchhöhle mittelst kapillarer Glas- 398 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. röhrchen Material zur Untersuchung entnimmt, am leichtesten. Um die Mitwirkung zelliger Elemente ganz auszuschliessen, haben andere Autoren, wie Peteuschky (Zi, 3), Faheenholz (Königberg. Diss. 89) Pekelhaeing, (S. 92. 503) die Bakterien in Päckchen von Filtrier- oder Pergamentpapier oder in pflanzliche und tierische Membranen einge- schlossen unter die Haut von nicht empfänglichen Tieren gebracht und auch dann kein Wachstum beobachtet. Aber nicht allein sind die Säfte ohne direkte Beteiligung von Zellen imstande, eine Entwicklungs- hemmung zu bewirken, sondern sie vermögen sogar die resistentesten Keime, wie Milzbrandsporen (Pekelhaeing), in wenigen (11) Tagen zu vernichten. Ohne solche Vorsichtsmassregeln, aber doch mit genügender Beweiskraft, hat eine ganze Anzahl von Forschern den gleichen Vor- gang im Gewebe beobachtet.^) Nicht blos im lebenden Körper hat man auf diese Weise das Vor- handensein antiseptischer Stoffe bewiesen, sondern auch durch Versuche im Reagensglase. Am nächsten lag es, dazu das Blut oder das Serum des Blutes und die Transsudate zu wählen, und so sind denn in der That die meisten derartigen Experimente mit diesen Flüssigkeiten an- gestellt 2), wenige nur mit Muskelsaft (Teia, G. J. 91).^) Es hat sich nun dabei herausgestellt, dass in einer grossen Zahl von Fällen die Säfte antibakterielle Wirkung entfalten, und zwar spezifische in dem Sinne, dass dieselbe nicht mit dem Effekt der chemischen Antiseptika parallel geht. Die Art des Verhaltens der Mikroorganismen unter dem Einfluss dieser Substanzen ist verschieden, indem die einen schneller, die anderen langsamer erliegen, ohne überhaupt zum Wachstum zu kommen, andere sich nur spärlich entwickeln und wieder andere üppig gedeihen. Die Bedeutung der Menge, in welcher die Bakterien mit jenen Flüssigkeiten in Berührung kommen, ist von ausschlaggebender Bedeutung. Durch diese Thatsachen ist die Möglichkeit dafür gegeben, dass 1) Vgl. Wyssokowitsch (Z. 1), Nuttall und Bitter (Z. 4), Czaplewski (Zi. 7 u.Z. 12), Lubarsch(Z.M.19), Behring (Z. 6), G. Frank (C. 4. 23 u. 24), Rogowitsch (Zi. 4), Kruse und Pansini (Z. 11), Leber (Entstehung der Entzündung. Leipzig 91). 2) Traube und Gscheidlen (Schlesische Gesellschaft f. vaterländ. Kultur, medizin. Sektion 1874), Grohmann (Dorpater mediz. Diss. 1884), Fodor (D. 87. 745), Nuttal (Z. 4), Behring (Z.6. 117), Nissen (Z. 6), Lubarsch (F. 88. 4.u. Z. M. 19), Buchner (C. 5. 25; C. 6. 1. und 21), Buchner, Voit, Sittmann, Orthenberger (A. 10), Behring u. Nissen (Z. 8), Prudden (r: J. 90), de Giaxa u. Guarnieri (Ann. de micrographie 90) , Rovighi (Ri. 90), Stern (Z. M. 18), Kruse u. Pansini (Z. 11), Bakunin u. Boccardi (Ri. 91. 188), Kionka (C. 12), Bonaduce (Zi. 12), Pansini (Zi. 12), Pasquale (Zi. 12), Leclef (Cellule 10. 2), R. Pfeiffer (Z. 18. 15). 3) Über die baktericiden Eigenschaften der Milch, des Harns, Schleims u. s. w. vgl. Abschn. G. Kruse, Krankheitserregung. 399 die natürliche Immunität auf der Existenz ähnlicher Stoffe im Körper beruht. Wenn weiter im einzelnen eine Korrespondenz zwischen dem Verhalten z. B. des Blutsei'ums als Nährboden gegenüber den verschiedenen Bakterien und der relativen Empfänglichkeit des lebenden Tieres gegenüber denselben bestände, so wäre das Problem so gut wie gelöst. In der That ist eine solche Beziehung jetzt durch einwandfreie Unter- suchungen (vgl.BoNADUCE a. a. 0.) für viele Fälle nachgewiesen, ihr Nicht- vorhandensein in anderen Fällen steht allerdings ebenso wenig in Zweifel. Daraus folgt also, dass die Eigenschaft des Blutserums als Nähr- boden nicht in allen Fällen einen sicheren Index der Immu- nität abgiebt. Wir müssen deswegen auf die lebenden Zellen zurück- greifen und die natürliche Immunität im wesentlichen auffassen als bewirkt durch antiseptische Substanzen, die von den Zellen fortwährend erzeugt werden und in die Intercellularflüssig- keit (besonders das Blut) übergehen und sich unter Umstän- den daselbst halten können. Es sind allerdings eine Reihe von Einwänden gegen die Annahme baktericider Stoffe im Blut erhoben worden. Erstens haben Metschnikofe (P. 89), Haffkine (P. 90), Christ- MAS (P. 91), CzEKELY u. SzANA (C. 12), Jetter fArb. d. pathol. Inst. Tübingen 92. 421) behauptet, die Abtötung von Bakterien im extravas- culären Blut erkläre sich aus der plötzlichen Übertragung aus dem ge- wöhnlichen in einen total verschiedenen und zwar koncentrierteren neuen Nährboden. Besonders Denys und Kaisin (Cellule 9. 2. 1893) haben demgegenüber gezeigt, dass auch Bakterien, die vorher in gleichem Blut gezüchtet waren, dem baktericiden Einfluss unterliegen. Zweitens soll nach Czekely und Szana, sowie Jetter zwischen der Zahl der abgetöteten Bakterien bei verschiedener Einsat Pro- portionalitat bestehen und eine vollständige Abtötung der Einsat nie- mals erzielt werden. Auch dieser Einwand wird durch die Ergebnisse Büchners, Kruse und Pansini's, Dents und Kaisin's entkräftet. Drittens soll die Erfahrung, die bei Serumversuchen. häufig ge- macht wird, dass nach einer anfänglichen Abnahme der Keime wieder eine wirkliche Zunahme erfolgt, gegen das Vorhandensein eines Anti- septikums sprechen. Auch diese Thatsache hat durch Kruse und Bona- DUCE, Denys und Kaisin eine ausreichende Erklärung gefunden. Sie ist begründet in der Einwirkung der Bruttemperatur auf das Serum, die dessen baktericide Kraft schwächt, sowie in dem Umstände, dass die Bakterienleiber beim Zugrundegehen die bakteriellen feindlichen Substanzen neutralisieren (Antilysine Kruse's vgl. später). Viertens will Jetter in Kontroiversuchen gefunden haben, dass auch in Flüssigkeiten, die keiue Nährstoffe enthalten, die Bakterien in 400 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ähnlicher Weise absterben wie im Blutserum; der Einfluss des letzteren soll also vorwiegend in mangelnder Nährfähigkeit bestehen. Durch Zusatz von notorischen Nährsubstanzen zum Serum werden aber nach Denys und Kaisin die baktericiden Eigenschaften des letzteren nicht verändert. Fünftens wird von manchen Seiten gegen die Blut- und Serum- experimente der Einwurf erhoben, dass erst durch den Absterbeprozess oder durch die vorhergehende Gerinnung die fraglichen Substanzen entstehen. Dagegen konnten de Giaxa und Guaenieei nachweisen, dass der Abtötungsprozess im Blut, das innerhalb abgebundenen Gefässen des lebenden Tieres geprüft und dessen Gerinnung durch vorsichtiges Arbeiten verhütet wird, ganz ähnlich verläuft wie im Reagensglas. Ferner wurde durch Lubaesch, Nuttall, Nissen, Roger u. Charrin, Behring u. Nissen, y. Szekelt u. Szana, Kruse u. Pan- siNi, Hankin und Kanthack, Denys und Kaisin gezeigt, dass das antiseptische Vermögen des Blutes künstlich durch Infektionen herab- gemindert und andererseits erhöht werden kann, ein Beweis dafür, dass hier Verhältnisse des lebenden Blutes in Frage kommen. Sechstens glaubt Lubaesch, dass extravasculäres Kanin chenblut weit mehr Anthraxbacillen zu vernichten vermöge, als zur Tötung des Tieres bei Injektion in den Kreislauf erforderlich seien. Buchner (M. 91. 33) hat dagegen mit Recht darauf hingewiesen, dass die Fixie- rung der Milzbrandbacillen in den Kapillaren sie vor der Einwirkung grösserer Serummengen schützt, und Bonaduce hat auf weitere Fehler- quellen in der LuBARSCn'schen Rechnung aufmerksam gemacht. Die schon öfter citierten Untersuchungen von Dents und Kaisin haben nun aber unsere Kenntnisse über die baktericiden Stoffe des lebenden Körpers noch in anderer Weise bereichert, indem sie fest- stellten, dass auch in den Fällen, wo das Blut eines immunen Tieres (des Hundes) keine abtötende Wirkung auf Bakterien (Milzbrand, B. coli) zeigt, diese sofort (nach 2 — 4 Stunden) hervortritt, nachdem die Infektion mit den betreffenden Mikroorganismen erfolgt ist. Wir finden also die oben ausgesprochene Möglichkeit, dass erst im Mo- mente der Infektion die baktericiden Substanzen in den Säften erscheinen, hierdurch bewahrheitet. Es ist dieser Vorgang offenbar als eine heilsame Reaktion des Organismus auf eine Bakterieninvasion aufzufassen. Dass diese Reaktion auch durch andere Reize erhalten werden kann, zeigt die Angabe von Pfeieeer und IssAEEE (Z. 17. 399), die durch Injektion normalen Meerschweinchen- serums die bakterienfeindliche Wirkung des Serums von anderen Meerschweinchen erheblich steigern konnten. Diese Versuche ver- dienten eine Erweiterung in ausgedehntestem Massstabe. Kruse, Krankheitserregung. 4Qj[ Über die Natur der im Blutserum vorhandenen baktericiden Sub- stanzen — der Alexine Büchners — wissen wir namentlich durch BucHNEß und seine Schüler, dass sie durch Erhitzung auf 55^ — 60*^ binnen V2 — 1 Stunde zerstört, durch Zusatz von 8 — 10 Teilen destillierten Wassers ihrer Wirksamkeit beraubt werden. Im letzteren Fall be- wirkt aber nachträgliche Zufügung von Kochsalz und anderen Salzen eine mehr oder weniger vollständige Herstellung der Aktionskraft. Ein starker Sulfatzusatz steigert die Wirkung der Alexine und erhöht deren Resistenz gegen Erhitzung um 10 Temperaturgrade (A. 17. 173). Die Fällung der Alexine aus Serum gelingt — allerdings mit erheb- lichem Verlust — durch 40% Natriumsulfat (A. 17. 134), nicht mit Alkohol.') Neben der mikrobiciden Fähigkeit besitzt das aktive Serum zugleich eine zerstörende Wirkung auf rote Blutkörperchen einer fremden Spezies („globulicide" Wirkung). Die Einreihung der Alexine unter die Eiweisskörper hält Büchner nach den angegebenen Reaktionen für berechtigt. Jedenfalls handelt es sich um sehr kompliziert gebaute Substanzen, denn sonst würden wir uns kaum die ausserordentliche Verschiedenheit der Alexine bei den einzelnen Tieren erklären können. Die obigen Angaben über den Verlust der antibakteriellen Eigen- schaften des Serums durch Erhitzung sind von den meisten Autoren bestätigt worden, in manchen Fällen haben sich allerdings Ausnahmen ergeben (vgl. Keuse u. Pansini, Z. 11. 377; Bonaduce, Zi. 12. 366 Pansini, Zi. 12. 892). Geschädigt werden übrigens die Alexine schon durch Aufenthalt bei 37 ° während einiger Tage und durch wochen- langes Stehen bei gewöhnlicher Temperatur. Die Labilität dieser in- teressanten Stoffe ist also eine recht bedeutende. Was die Herkunft der Alexine anlangt, so wird man wohl auf die Zellen zurückgehen müssen. In der That haben Hankin (B. M. 90; C. 9 und 10; Z. 18) sowie Christmas (P. 91) und Bitter (Z. 12) aus der Milz und anderen Organen baktericide Substanzen labiler Natur, die freilich nicht alle durch Temperaturen von 65 ^ zerstört werden, 1) Nach Cheistmas (P. 91) und Bitter (Z. 12) sind auch durch Alkohol- fällung baktericide Substanzen aus dem Serum darzustellen. Ähnliches berichten Emmerich, Tsuboi, Steinmetz u. Low (C. 12), die auch durch Alkalizusatz die erhitzten Alexine haben regenerieren wollen, vgl. dazu Buchner (C. 12). Mit den Alexinen haben wohl nichts gemein die Substanzen, die Ogata (C. 9. 597) aus Hundeblut durch Fällung mit Alkohol-Äther und Wiederauflösen in Glycerin gewonnen hat (nicht bestätigt von Petermann, P. 91. 8). Auf bakterienfeindliche Wirkungen wurden sie nicht geprüft, erwiesen sich aber in Tierversuchen als Schutzmittel gegen Milzbrand u. s. w. Einstündige Erwärmung auf 45'* machte sie unwirksam (vgl. S. 344). Vaughan u. Clintock (Medical News 93, r: C. 15. 13/14) isolierten aus Blut- serum ein ,, Nuklein" mit mikrobiciden Eigenschaften. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 26 402 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. durch Ausziehen mit Glycerin, Fällung mit Alkohol und andere Me- thoden dargestellt. Sicher sind nicht alle Zellen zur Produktion dieser Schutzstoffe befähigt, die roten Blutkörperchen z. B. üben geradezu einen verderblichen Einfluss auf das baktericide Vermögen des Serums aus. Alle Momente, die geeignet sind, dieselben zu zerstören, begünstigen dadurch mittelbar die Entwicklung von Bakterien. Möglicherweise hängt diese Eigenschaft mit dem Mangel des Kerns zusammen. Der Kern spielt] a auch in anderen Beziehungen die wichtigste Rolle im Leben der Zelle, die Untersuchungen Vaughan's (Medic. News 93. 15—26) und H.Kossel's (D. 94. 7) über die bakteriellen Kräfte des Nukleins und der Nukleinsäuren scheinen dafür zu sprechen, dass er auch im Kampfe der Zelle gegen die Bakterien Anteil nimmt. Die Nukleine selbst können allerdings schon wegen ihrer grossen Resistenz mit den Alexinen nicht identisch sein; ob sie etwa einen Bestandteil der letzteren darstellen, ist unbekannt. Die Frage nach dem baktericiden Wert der Kernsubstanzen ge- winnt dadurch eine besondere Bedeutung, weil eine Reihe von Er- fahrungen zu beweisen scheint, dass diejenige Gruppe von Zellen, die durch Reichtum an Kernsubstanz und zwar oft von zerfallenden Kern- elementen ausgezeichnet ist, nämlich die Lymphzellen und Leukocyten des Blutes, sich Bakterien gegenüber nicht indifferent verhalten. Sie sind es gerade, die am Entzündungsprozess den bedeutendsten Anteil nehmen, auf sie vor allem wird sich also die Aufmerksamkeit lenken, wenn man die Entzündung als heilsamen Vorgang betrachtet (vgl. S. 350 ff.). Experimentell ist die schädliche Wirkung der Eiterkörperchen zuerst beobachtet worden von v. Cheistmas-Diecking-Holmsfeld (F. 87. 13), der Milzbrandbacillen in dem von immunen Tieren gewonnenen Eiter zu Grunde gehen sah. Geawitz (V. 116) u. Eichel (V. 121) haben eben- falls im keimfreien Terpentineiter Staphylokokken und Milzbrandbacillen im Laufe weniger Tage absterben sehen. Die genannten Autoren konnten dabei eine aktive Bethätigung der Eiterzellen durch Aufnahme von Keimen ausschliessen, sie haben aber die Versuche nicht mit Er- hitzung des Eiters wiederholt, so dass der Anteil von Alexinen an der Vernichtung der Bakterien nicht festzustellen ist. Neuerdings ist in dieser Frage durch andere Beobachter ein Fortschritt erzielt worden. Dents u. Havet (Cellule 10. 1), sowie BüCHNEE (M. 94. 25) haben durch sterilisierteBakterienkulturen, oder durch Weizenkleberlösungen Exsudate erzeugt und deren baktericide Wirkungen viel grösser gefunden, als wenn sie die reichlich darin vorhandenen Leukocyten davon abfiltrierten oder das zellfreie Blutserum damit verglichen. Nach Btjchnee ist es leicht, durch Gefrieren des Exsudats die Leukocyten abzutöten: auch in diesem Falle erfolgt die Bakterienvernichtung mindestens ebenso kräftig, als im unveränderten Exsudat, wird aber durch Erhitzung auf 60 ^ Kruse, Krankheitserregung. 4Q3 aufgehoben. Es werden also aus den Leukocyten den Alexinen ähnliche Substanzen frei, welche den erhöhten Effekt be- dingen. Auch die neuen Resultate von van de Velde (Cellule 10. 2) und M. Hahn(A. 25. 2) bestätigen diesen Satz. Darin liegt der erste sichere Beweis dafür, dass die Entzündung eine Einrichtung des Körpers darstellt, welche dazu dient, den in jedem Gewebe vorhan- denen Abwehrstoffen Hilfskräfte zuzuführen. Manche Autoren sind noch weiter gegangen und wollen die Alexine überhaupt von den Leukocyten ableiten; Hankin (C. 12. 22/23 u. 14. 25) bezeichnet eine Gruppe von Leukocyten geradezu als „alexocytes". Es ist das eine Theorie, die allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat: man müsste natürlich annehmen, dass schon im normalen Zustande des Or- ganismus — vielleicht durch den regelmässig stattfindenden Leukocyten- zerfall — die betreffenden Substanzen frei werden und den ganzen Körper durchdringen; denn die Bakterien finden in der Regel, wie wir oben sahen, die Alexine im Gewebe vorgebildet. Allgemeine Leuko- cytose müsste nach dieser Annahme die baktericide Fähigkeit des Blutes steigern. In der That haben Denys u. Kaisin beim Hunde nach Milz- brandinfektion Hyperleukocytose und Vermehrung der Alexine Hand in Hand gehen sehen. Everaed, Massaht u. Demoor (P. 93), sowie Sana- RELLi (P. 93) konstatierten bei einer Reihe von Infektionen, wenn die- selben in Heilung ausgingen, Hyperleukocytose (vgl. S. 288), frühere Forscher in ähnlichen Fällen Vermehrung des antibakteriellen Ver- mögens des Blutes (vgl. 413). Von den Leukocytose verursachenden Substanzen, die zugleich immunisierend wirken, haben wir schon S. 345 ff. gesprochen und werden bei Gelegenheit der Erklärungsver- suche der nicht spezifischen Immunität darauf zurückkommen. Alle diese Thatsachen berechtigen wohl dazu, die Möglichkeit des Ursprungs der Alexine aus den Leukocyten festzuhalten, der sichere Beweis dafür fehlt und ist auch von Bordet (P. 95. 6) nicht erbracht worden. Nach ihm ist die baktericide Eigenschaft des Blutserums wesentlich auf die Schädigung der Leukocyten durch den Vorgang der Koagulation im Reagensglas zurückzuführen, im Transsudate von demselben Tier, das durch künstliche Stauung gewonnen wird, gehen dagegen weniger Leukocyten zu Grunde und es zeigt geringeres mikrobicides Vermögen. Wird durch Injektion von Karmin eine Hypoleukocytose hervorgerufen, so hat das aus diesem Blut durch Koagulation im Reagensglas abge- schiedene Serum eine geringere antibakterielle Kraft als normales Blut- serum. Die Beteiligung der Leukocyten an der Alexinbildung wird durch diese Experimente zwar wieder bewiesen, aber die Herkunft aus anderen Quellen noch nicht ausgeschlossen. Übrigens ist Bordet's Methode nicht ganz einwandfrei: das Stauungsserum kann nicht gut 26* 404 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. mit dem Blutserum verglichen werden, weil das erstere nach der eigenen Angabe des Autors zahlreiche rote Blutkörper, die bekanntlich auf die Alexine ungünstig wirken, enthielt, das letztere aber vollständig zellen- frei war. Es wäre wünschenswert, dass ähnliche vergleichende Ver- suche am Menschen angestellt würden, die an natürlichen Stauungs- transsudaten leiden. Die wichtige Rolle der Leukocyten und der Entzündung wurde auch von anderen Seiten hervorgehoben, aber durchaus verschieden inter- pretiert. So schreibt Ribbeet ^) dem Leukocytenmantel, der sich um die auskeimenden Schimmelpilzsporen im Kaninchenkörper bildet, eine grosse Bedeutung zu, die hauptsächlich in mechanischer Behinde- rung des "Wachstums und in Sauerstoffabschluss bestände. Viel wich- tiger für die ganze Entwicklung der Immunitätslehre, weil sie den Forschungen eine mächtige Anregung gaben, wurden die Anschauungen Metschnikoef's über die Phagocytose. 2) Nach Metschnikoef's Theorie sind die Wanderzellen, besonders die Leukocyten des Blu- tes, die wahren Kampforgane des tierischen Körpers, die sich den ein- dringenden Mikroben entgegenwerfen, sie „auffressen" und durch intra- celluläre Verdauung unschädlich machen. Auf dieser Fähigkeit der Phagocyten beruht die — natürliche wie künstliche — Immunität, auf der Lähmung derselben durch spezifische Giftstoffe die Wirkung der virulenten Bakterien im empfänglichen Tier. Diese ursprüngliche Theorie hat weiterhin Vervollstäudigungen erfahren, besonders nach zwei Seiten: das Verdauungsvermögen der Phagocyten war eine Vor- aussetzung, die nie bewiesen, sondern nur auf Grund der analogen Eigenschaft einzelliger Tiere aufgestellt worden ist. Die Fähigkeit der Bakterien, verdaut zu werden, ist ebenfalls sehr zweifelhaft. Die neuere Entwicklung unserer Kenntnisse von den Alexinen hat die ursprüng- liche METSCHisriKOEE'sche Lehre von der Verdauungsthätigkeit der Phago- cyten insofern modifiziert, als den Phagocyten jetzt ein spezifisches bak- tericides Vermögen zugeschrieben wird. Während ferner früher das Erscheinen der Phagocyten auf dem Kampfplatze bei immunen Tieren und ihr Fernbleiben bei empfäng- lichen etwas Mystisches an sich hatte, haben die Untersuchungen von Peeefer (Botan. Institut. Tübingen 88), Lebee (F. 88. 463), Pekelhaeing 1) Untergang pathogener Schimmelpilze im Körper. Bonn 87 und D. 85. 31. 2) Metschnikoff, Arbeiten d. zoolog. Instituts. Wien 83; V. 96 (Spross- pilzkrankheit der Daphnien); V. 97 (Milzbrand); V. 107 (Erysipel) ; V, 109 (Eecurrens); V. 113 (Tuberkulose); V. 114 (Milzbrand); P. 87—95 (zablreiche Arbeiten und Kritiken von Metschnikoff und seinen Schülern); Hess (V. 109); Lubarsch (Z. M. 18 u. 19) mit vollständiger Litteratur bis 1891 ; Roux, P. 91 u. 94. Vgl. ferner Baumgarten, L.; Zi. 7; Z. M. 15; Bittee, Z. 4; Buchner, M. 91. 32/33; M. 94. 37, Kruse, Krankheitserregung. 405 (S. 89), Massart und Bordet i), Gabritschewsky (P. 90), Buchner (B. 90. 30 u. 47) über Chemotaxis gezeigt, dass die Bakterien selbst durch Produktion positiv chemotaktischer Stoffe die Leukocyten anlocken und durch negative Chemotaxis fernhalten. 2) Nach Massart wären im allgemeinen die virulenten Bakterien schwächer chemotaktisch wirk- sam, als die abgeschwächten, eine Beobachtung, die mit den Forde- rungen der METSCHNiKOFF'schen Lehre übereinstimmt. Die negative Chemotaxis kann man nach demselben Autor entweder erklären durch grössere Koncentration desselben Stoffes, der in geringerer Menge Leu- kocyten anlockt, oder durch Produktion einer immer abstossend wir- kenden Substanz (Gift nach Metschnikofe). Einige Ausnahmen von dem obigen Satze bestehen übrigens, so hat Massart gefunden, dass der virulente Diphtheriebacillus stärker chemotaktisch wirkt, als der nicht virulente, und nach Kruse u. Pansini (Z. 11) locken hochinfek- tiöse und abgeschwächte Pneumokokken gleich stark Leukocyten an, Thatsachen, mit denen es wohl zusammenhängt, dass sowohl bei Diph- therie als auch bei schwerster Pneumokokkeninfektion die örtliche Leukocytenansammlung eine sehr erhebliche ist. Bei der Diphtherie liegt der Grund dafür, wie es scheint, in der chemotaktischen Eigen- schaft des spezifischen Diphtheriegiftes, bei Pneumonie vielleicht in dem schnellen Absterben der Infektionserreger. Wissen wir doch durch Buchner, dass die positiv chemotaktischen Substanzen der Bakterien aus deren Körper beim Absterben frei werden (vgl. S. 279 ff.). Wenn man auch zugeben muss, dass durch diese neueren Er- rungenschaften die Phagocytentheorie entschieden an Klarheit ge- wonnen hat, und wenn auch feststeht, dass der Prozess der Pha- gocytose ausserordentlich weit verbreitet ist und gerade da regelmässig sich einstellt, wo die Infektion für den Organis- mus eine günstige Wendung nimmt, d. h. im relativ unem- pfänglichen Tier und bei relativ schwachem Virus, während er zu fehlen oder zurückzutreten pflegt bei raschem, siegreichem 1) Massart u. Bordet, Recherclies sur l'irritabilite des leucocytes et sur l'intervention de cette irritabilite daiis la nutrition des cellules et dans l'inflammation. Bruxelles 90 und P. 91; ferner Massart, P. 92 und Bordet, Communication faite a la Societe Royale des sciences medicales et naturelles de Bruxelles, seance d. 13. VI. 92. 2) Die Versuchsanordnung ist die folgende: Kapillarröhrchen werden mit den flüssigen Kulturen gefüllt, an einem Ende zugeschmolzen, in das Gewebe von 1'ieren eingeschoben und nach verschieden langer Zeit (z. B. 24 Std.) herausgezogen. Bei positiver Chemotaxis hat sich dann an dem offenen Ende der Kapillaren ein Pfropf von Leukocyten gebildet, der verschiedene Länge hat. 406 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Verlauf der Infektion ^), so ist nichtsdestoweniger die Auslegung, die Metschnikoff diesen Vorgängen giebt, eine im wesentlichen irrige. Die Frage, ob eine Infektion an einem bestimmten Orte günstig oder ungünstig endet, ist schon entschieden, bevor die Phago- cytose in ausgedehnterem Grade eingetreten ist, und zwar entschieden erstens durch die baktericiden Eigenschaften des Gewebes im Momente der Infektion (vgl. S. 397) und zweitens durch die Hilfe, die dem Gewebe in der entzündlichen Reaktion, mit anderen Worten in der secernierenden Thätigkeit der herzugewanderten Leuko- cyten erwachsen ist (vergl. S. 402ff). Je grösser die Unempfäng- lichkeit des Organismus im Verhältnis zum Virus, desto eher genügt schon das erstgenannte Moment zur Abwehr; je grösser die Empfänglichkeit, desto mehr kommt das zweite zur Geltung; im empfänglichsten Organismus sind beide Schutzeinrichtungen unzureichend. Die Phagocytose kann ohne Zweifel schon beginnen, während der Kampf noch tobt, sie erreicht aber sicher ihren Höhepunkt erst nach dem Ende desselben. Diese Sätze sind nachgerade durch die zahlreichen Forschungen, die durch die METSCHNiKOFF'sche Hypothese angeregt worden sind, als be- wiesen anzusehen. Es ist schon lange zweifellos, dass Infektionserreger im Körper in ihrem Wachstum gehemmt und vernichtet werden können, ohne in Leukocyten aufgenommen zu sein. Früher hat man ausschliesslich die baktericiden Eigenschaften der Säfte dafür verant- wortlich machen wollen, neuerdings wurde die Mitwirkung der Leuko- cyten an dem Kampfe gut beglaubigt, aber wohl gemerkt nur in dem Sinne, dass der Wert der Leukocyten wesentlich in ihren Sekretionen, nicht in ihrer Fressthätigkeit besteht. Die ersteren kommen viel schneller zur Wirkung, als die letztere, Selbstverständlich ist die Vorstellung, dass die Aufnahme der Bak- terien in die Leukocyten, also die Phagocytose, die Unschädlich- machung derselben vollenden kann, nicht von der Hand zu weisen. Metschnikoff's Experimente mit Kultivierung leukocytenhaltigen Exsudats im hängenden Tropfen haben ad oculos demonstriert, dass nicht etwa nur tote Bakterien der Phagocytose zum Opfer fallen. Sehr viele Bakterien beschliessen ihr Leben erst im Körper der Phago- cyten; die Stoffe, die da wirken, sind mit den Sekretionsprodukten der Leukocyten wahrscheinlich identisch. In manchen Fällen, in denen die Mikroorganismen grosse Virulenz besitzen, folgt freilich der 1) An der Richtigkeit dieser Sätze ist gar nicht zu zweifeln, sie wären auch schon längst allgemein anerkannt worden, wenn nicht ihr Verfechter Metschni- koff zu sehr die ausschliessliche Bedeutung der Phagocytose betont hätte. Kruse, Krankheitserregung. 407 intracellulären Aufnahme eine Vermehrung der Keime und die Zer- störung der Wirtszellen (Mäuseseptikämie, Gonorrhoe, Tuberkulose). Der Vorgang der Inkorporierung von Bakterien in Leukocyten ist in seinen Einzelheiten noch nicht vollständig aufgeklärt, die verschiedenen Spezies scheinen sich nicht gleich gut zur Aufnahme zu eignen. Es kommen da wohl bakterielle Stoffe in Betracht, die mit den chemo- taktisch wirkenden durchaus nicht identisch zu sein brauchen, z. B. hat VAN DE Velde (Cellule 10. 2) in Staphylokokkenkulturen eine bei 60^ schnell zerstörte Substanz gefunden, das „Leukocidin", das die Be- wegungen der Leukocyten in kürzester Zeit zum Stillstand bringt und sie dann abtötet. Wenn wir somit der Phagocytose entgegen Metschnikofe nur sekundären Wert zuschreiben können, so stimmen wir doch, wie man gesehen hat, mit den Anschauungen dieses Forschers (Festschr. für Virchow, Berlin 91. II) über die teleologische Rolle der Entzündung überein und billigen seinen Versuch einer phylogenetischen Ableitung derselben. Metschnikofe gebührt unstreitig das Verdienst, die Be- deutung der Leukocyten als der mobilen Truppen des Organismus zuerst betont und energisch verfochten zu haben. II. Worauf die natürliche Immunität gegenüber den Bak- teriengiften beruht, ist unbekannt. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Tierspezies sind hier übrigens lange nicht so bedeutend, wie bei der Immunität gegen die lebenden Keime. Es handelt sich mehr um quantitative Differenzen der Empfänglichkeit. Fertig in den Säften gelöste Stoffe scheinen kaum in Betracht zu kommen, so dass man keine Ursache hat, mit Hankin (C. 10. 704) von „Toxo-Phylaxinen" oder „Toxo-Alexinen" zu reden. Manche Erfahrungen scheinen dafür zu sprechen, dass einzelne Organe, besonders nuklein-reiche, wie die Thymus, Lymphdrüsen u. s. w., ein antitoxisches Vermögen besitzen, ähnlich wie es für andere Organe, z. B. die Leber gegenüber anderen Giften, nachgewiesen ist (vgl. S. 330 u. 354). In manchen Fällen, nämlich bei Giften, die nur auf Zellen bestimmter Art wirken, wie das Tetanusgift auf die Zellen des centralen Nervensystems, wird die Intensität der Giftwirkung ausschliesslich von der Zusammensetzung der letzteren abhängen. III. Wodurch werden die virulenten (infektiösen) Bakterien befähigt, im tierischen Organismus trotz der Abwehreinrichtungen desselben zu wachsen, worin besteht die sog. Virulenz oder Infektiosität? Nur sehr wenige Autoren haben sich ernstlich mit dieser Frage beschäftigt. 1. Man könnte daran denken, dass die Zusammensetzung des Protoplasmas, die Konstitution der Moleküle bei den virulenten Bakterien eine derartige ist, dass keine Schädigung ihrer Lebensthätig- 408 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. keit durch die Alexine bewirkt wird. Wenn wir diese Annahme machen wollten, hiesse das von vornherein auf ein Verständnis verzichten. 2. Schon näher liegt uns die Vorstellung, dass eine grössere Resistenz bedingt würde durch die Ausbildung von Schutzvorrichtungen, etwa von Hüllen, welche die Bakterien umgeben. Dann müsste man folgern, dass die infektionstüchtigen Bakterien sich auch im allgemeinen gegenüber den Antisepticis widerstandsfähiger erweisen, als die abge- schwächten und saprophytischen. Als Regel ist das durchaus nicht der Fall, wenn auch Flügge u. Smirnow (Z. 4) für einige künstlich ab- geschwächte Bakterien den Nachweis haben führen können, dass sie schädigenden Einflüssen leichter erlagen als die infektiösen Varietäten. Behring hat aber für einzelne Kulturen des Milzbrandbacillus geradezu umgekehrte Verhältnisse gefunden (Z. 6). Auch die künstlich abge- schwächten Pneumoniekokken sind resistenter als die virulenten (Kruse u. Pansini, Z. 11). 3. Es könnte sich um eine Eigenschaft der lebenden Mole- küle der virulenten Mikroorganismen handeln, die letztere befähigt, die Alexine des tierischen Gewebes etwa durch Zersetzung zu neu- tralisieren. Dadurch wäre die Virulenz dem Gährvermögen der Hefe- zellen und vieler Bakterien analog. Abschwächung wäre nichts anderes als ein Verlust dieser Fähigkeit, dessen Möglichkeit auch für die Gährungserreger nachgewiesen ist. Wir würden diese Erklärung zu der unserigen machen, wenn nicht gewichtige Gründe dafür sprächen, dass 4.-spezifischeBakterienprodukte es sind, denen die Eigen- schaft zukommt, die Alexine unschädlich zu machen. Schon Gamaleia (P. 88) und Behring (Z. 6. 138) haben zwischen den viru- lenten und abgeschwächten Varietäten des Milzbrands Unterschiede in ihren chemischen Wirkungen gefunden, die in stärkerer Säurebildung bei den ersteren bestanden; den letzteren sind dagegen nach Behring reduzierende Fähigkeiten eigen. Konstant sind diese Differenzen nicht, so konnten Kruse u. Pansini (Z. 11. 317 u. 323) bei Pneumonie- diplokokken und Pasquale bei Streptokokken (Z. 12. 460 u. 464/65) regelmässige Beziehungen zwischen dem Grade der Säurebildung oder Reduktionswirkung und der Virulenzstufe nicht konstatieren. Dagegen dürfte uns die Analogie zwischen den enzymbildenden und virulenten Mikroorganismen weiterführen. Sowohl die Eigenschaft der Enzym- bildung als die Virulenz kann dem Grade nach variieren und ganz verloren gehen und zwar durch dieselbe künstliche Behandlung der Kulturen (Fortzüchtung in künstlichen Nährböden, Einwirkung von Hitze und Antisepticis vgl. Kap. „Variabilität"). Es liegt der Schluss nahe, dass auch die virulenten Bakterien ihre Wirksamkeit bestimmten Substanzen verdanken, die sie secernieren, Kruse, Krankheitserregung. 409 wie die Enzyme von den Saprophyten secerniert werden. Ob aller- dings die spezifischen Produkte der infektiösen Bakterien auf die Alexine wie Fermente wirken (kataly tisch), oder ob sie die Wirkung der Alexine dadurch, dass sie sich mit ihnen zu unschädlichen Stoffen verbinden, paralysieren, muss vorläufig noch unentschieden bleiben — nennen wir sie Angriffsstoffe oder Lysine. Schon mehrfach (vgl. S. 336 u. 362) haben wir auf das Vorhandensein solcher Substanzen hin- weisen müssen. Die begünstigenden Stoffe, die sich nach Boüchakd und seinen Schülern in den Bakterienkulturen gelöst finden, sind wahrschein- lich nichts anderes als unsere Lysine. In den toten Leibern der Milzbrand- bacillen hat Keuse mitBoNADUCE (Zi. 12. 366 ff) lytische Kräfte nachge- wiesen und zwar sowohl im Serum ausserhalb der Gefässe, als im lebenden Körper. Dass es sich hier um spezifische Substanzen handelt, bedarf freilich noch ausgedehnterer Beweise. Eine schöne Bestätigung dafür ist schon in einem älteren Experiment Nissen's (Z. 6) enthalten, ohne dass der Autor seine Beobachtung in unserem Sinne verwertet hätte. Nach Injektion grosser Mengen vonKokkus aquatilis in das cirkulierende Blut fand Nissen, dass das defibrinierte Blut seine keim vernichtende Eigenschaft gegenüber dem letzteren Bakterium verloren hatte, nicht gegenüber dem Cholerabacillus; nach Einspritzung des Cholerabacillus ergab sich gerade das entgegengesetzte Resultat. Bei einem ähnlichen Versuch mit Staphylokokken und B. aerogenes konstatierte zwar Bastin (Cellule 8. 2), dass diese Bakterien bezüglich ihrer Wirkung auf das baktericide Vermögen des Blutes sich gegenseitig vertreten, es ist dies aber kein Gegenbeweis gegen unsere Theorie, weil wir wissen, dass es zahlreiche Kombinationen zwischen Bakterien verschiedener Art giebt, die virulenzsteigernd wirken (s. S. 313 Mischinfektion). Die ly tischen Sub- stanzen des Aerogenes werden denen des Staphylokokkus in gewissem Grade gleichwertig sein. ') Für die Existenz von Lysinen spricht ferner 1) In einer sehr interessanten Arbeit bescbäftigt sich van de Velde (CeUule 10. 2. 1894) mit dem Mechanismus der Virulenz von Eiterstaphylokokken. Er bestätigt zunächst die Existenz von Lysinen in den Kulturen durch Versuche mit Serum, dem im Reagensglas filtrierte Kulturen zugesetzt werden. Dann wirft er die Frage auf, ob Lysine in gleicher Menge von virulenten und abgeschwächten Staphylokokken gebildet werden, was er durch ein Experiment, in dem wieder filtrierte eintägige Bouillon benutzt wird, im positiven Sinne entscheiden zu können glaubt . Neben den Lysinen findet der Autor — ebenfalls in gleichen Mengen — bei beiden Varietäten das leicht zerstörbare Leukocidin. Dasselbe betrachtet er gleich den ersteren zwar als Hilfsmittel im Kampfe gegen den Organismus, das wahre Wesen der Virulenz soll aber in der Resistenz der Bakterien gegenüber den baktericiden Substanzen bestehen. Eine Wiederholung dieser Versuche mit nicht filtrierten Kulturen ist dringend notwendig. Wie leicht diese ,, Resistenz" übrigens vor den Antilysinen auch im Reagensglas verschwindet, werden wir gleichsehen. 410 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. der Umstand, dass einige Zeit nach dem Beginn einer tötlichen In- fektion der baktericide Effekt des dem betreffenden Tiere entzogenen Blutserums gegenüber dem Erreger erheblich geschwächt oder gänzlich geschwunden erscheint (vgl. Flügge, Z. 4. 229; Szekely u. Szana, C. 12; LuBAESCH, Z. M. 19. 363). Durch die Annahme lytischer Sub- stanzen erklärt sich auch der Einfluss der Menge, in der die Bak- terien zur Wirkung gelangen. Was den einzelnen Individuen an der Fähigkeit, Lysine zu bilden, abgeht, wird durch die grössere Masse ersetzt. Die wichtigsten Belege für unsere Ansicht ergeben sich aber vor allem aus den Verhältnissen, denen wir im immunisierten Organis- mus begegnen, aus der nachweisbaren Existenz der „Antilysine" (s. später unter Nr. V). Über die Natur der Lysine ist vorläufig nichts näheres auszusagen. IV. Es handelt sich jetzt zunächst darum, die künstliche, nicht spezifische Immunität zu erklären, die Thatsachen verständlich zu machen, die über die Erhöhung und Herabsetzung der Empfänglichkeit bei den Wirtsorganismen bekannt sind (vgl. S. 332 u. 341 ff). Der Fall, wo durch Hinzutreten eines anderen Bakteriums zu dem ursprünglichen Infektionserreger die Chancen des letzteren verbessert werden, wurde eben schon auf das Vorhandensein gleichwertiger lyti- scher Produkte beider Mikroorganismen zurückgeführt. Auch die Mittel, welche die Vitalität des Infektionsmaterials schädigen oder seine Entfernung aus dem angegriffenen Körper bezwecken, sind in ihrer Wirkung ohne weiteres verständlich. Wenn die Alexine ferner Stoffe sind, die von den Zellen produziert werden, so ist klar, dass jede Verbesserung oder Verschlechterung des allgemeinen Stoffwechsels einen günstigen bez. ungünstigen Einfluss auf die Resistenz des Körpers, auf den Vorrat an schützenden Sub- stanzen haben wird. Die Energie der Zelle, die Beschaffenheit ihrer Sekretion hängt selbstverständlich von ihrer normalen Ernährung und der normalen Inanspruchnahme ihrer Funktion ab. Ob es Arznei- oder Nahrungsmittel giebt, die imstande sind, auf die Produktion oder Sekretion von Alexinen direkt einzuwirken, wissen wir nicht. Die Reagierfähigkeit des Organismus auf infektiöse Reize durch Vermittlung der Entzündung und ihrer hauptsächlichsten Träger, der Leukocyten, haben wir weiterhin als das wichtigste Hilfsmittel er- kannt zur Bekämpfung der Infektionserreger. Diejenigen Fälle von Mischinfektionen, die eine günstige Beeinflussung des Prozesses er- kennen lassen, verlaufen unter dem Bilde einer intensiven Entzündung. Diejenigen nicht organischen (und nicht spezifischen) Stoffe, die gegen eine Infektion Schutz verleihen, rufen, wie es scheint, immer eine lokale Kruse, Krankheitserregung. ^W Leukocytose hervor (vgl. Metschnikoit, Issaeff, Z. 16). Auch die allgemeine Leukocytose ist eine wichtige Erscheinung, wie die Wir- kung von Bakterienextrakten, Seruminjektion, die Pilocarpin- und Fer- mentbehandlung beweist (s. S. 345 flf). Es muss freilich durch wei- tere Untersuchungen festgestellt werden, welche chemischen Verände- rungen der Säfte dadurch in den einzelnen Fällen herbeigeführt werden, ob es sich dabei um eine reichlichere Sekretion von Alexinen durch die lebenden Leukocyten oder um die Entstehung solcher Stoffe durch den Zerfall derselben handelt, welcher Art schliesslich die Veränderung der weissen Blutkörperchen sein muss, um die Resistenz des Körpers, die Alexinproduktion, zu steigern. Bekanntlich giebt es mehrere Formen von Leukocytose, die eine sehr bedenkliche Vorbedeutung haben. V. Gegenüber diesen Mitteln, die zur Abwehr von Infektionen aller Art dienen, gewährt das spezifische Immunisierungsverfah- ren einen Schutz nur gegen den Infektionserreger, mit dessen Pro- dukten — im weitesten Sinne des Wortes — der Organismus behan- delt worden ist (vgl. S. 355). Diese Thatsache ist zwar neuerdings angezweifelt worden, weil es gelingt, durch Behandlung mit ganz ver- schiedenen Bakterien eine kurz dauernde Immunität gegen diese oder jene Infektion zu erzielen (s. S. 314), indessen ist sie nicht nur schon lange durch die ärztliche Erfahrung für die meisten der natürlich vor- kommenden Krankheiten, sondern auch für die experimentellen In- fektionen von zahlreichen Autoren, neuerdings durch die systematischen Untersuchungen E. Pfeiefee's (Z. 17 — 21, vgl. S. 344 fiP.; Sobeenheim, Z. 20; Dunbar, Z. 21) bewiesen. Diese Spezificität geht so weit, dass sie selbst Bakterien zukommt, die man durch unsere bakteriologischen Differenzierungsmethoden nur schwer von einander unterscheiden kann (vgl. Typhus u. Cholera Bd. II). Zur Erklärung sind eine Reihe von Hypothesen aufgestellt worden: 1. die Erschöpfungstheorie von Pasteur (C. R. 91) und Klebs (A. P. 13), die besagt, dass eine zweite Infektion eines und desselben Organismus dadurch unmöglich würde, dass durch die erste Vegetation der Krankheitserreger eine zu ihrer Ernährung notwendige, nicht er- setzbare Substanz verbraucht würde. Die Unwahrscheinlichkeit dieser Lehre erhellt, von aprioristischen Gründen ganz abgesehen, aus der Thatsache, dass erstens spezifische Immunität auch ohne die Invasion lebender Bakterien erzielt werden kann, dass zweitens, wo eine solche stattgefunden hat, nur eine örtliche Vermehrung erfolgt, dass drit- tens die Gewebe so geimpfter Tiere, wie Bitter (Z. 4) in einer besondern Experimentalreihe festgestellt hat, einen gleich günstigen Nährboden für die betreffenden Bakterien abgeben können, wie diejeni- gen ungeimpfter Tiere, und dass endlich durch genügend grosse Dosen 412 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. des Virus meist auch beim immunisierten Tier ein Wachstum der Bakterien, also die Überwindung der Immunität erreicht werden kann. 2. Auf eine lokale Veränderung in dem Organe, das zuerst von der Infektion betroffen ist, führen Büchner ^) und Wolefberg ^) die spätere Immunität zurück, indem sie entweder eine Modifikation des Gewebes durch die voraufgegangene reaktive Entzündung in einem für die Bakterien ungünstigen Sinne oder eine Auslese der stärkeren und ein Zugrundegehen der schwächeren Zellen durch die Impfkrank- heit annehmen. Diese Theorie hat heutzutage nur noch historische Bedeutung, da wir jetzt wissen, dass die durch die Impfung an irgend einer Stelle des Körpers erzeugte Immunität Geltung hat für den ganzen Körper. 2) 3. Metschnikofe hat seine Phagocytentheorie auch auf die Erklärung der spezifischen Immunität angewandt, indem er eine An- passung der Leukocyten an die Gifte der Bakterien oder eine Auslese der im Kampfe mit den Infektionserregern erprobten mobilen Zellen des Organismus voraussetzte. Unsere Einwände gegen diese Theorie (s. S. 404) bestehen in gleicher Weise wie für die natürliche Immunität auch für die spezifische. Der Begriff der „Anpassung" und „Auslese" klärt uns übrigens über die wirklichen Vorgänge bei der Immunisierung in keiner Weise auf; jeder Versuch, sich die Sache im einzelnen vorzu- stellen, scheitert, oder man müsste eine ganze Reihe unbewiesener Hilfs- hypothesen herbeiziehen. Das gilt von allen ähnlichen Theorien, die mit diesen Begriffen operieren. 4. Die Retentionshypothese, die von Wernich (V. 78) und Chauveau (C. R. 90, 91) aufgestellt ist, lässt im Körper der Vacci- nierten Stoffwechselprodukte der Infektionserreger zurückbleiben, die eine nochmalige Invasion wegen ihrer antiseptischen Eigenschaften verhindern. Zu Grunde liegt dieser Anschauung die bekannte That- sache, dass das Bakterienwachstum in künstlichen Kulturen unter An- häufung von schädlichen Zersetzungsprodukten allmählich erlischt. Die Untersiichung der letzteren, besonders von Sirotinin (Z. 4, vgl. 2. Kap. dies. Abschn. unter E), haben allerdings gezeigt, dass es sich hier häufiger um ein Zuviel von Säure oder von Alkali, oder um eine Erschöpfung des Nährbodens handelt, Dinge, die im Tierkörper nicht in Fras;e kommen können. Bei der Immunisierung ist ferner in Be- 1) Buchner, Neue Theorie über Erzielung von Immunität gegen Infektions- krankheiten. München 83. Wolffberg, Ergänzungslieft 4 zum Centralblatt f. allgem. Gesundheitspflege. Bonn 85. 2) Damit erledigt sich auch der Erklärungsversuch, den Schleich (mit Gott- STEiN, Immunität, Infektionstheorie und Diphtherieserum. Berlin 94) neuerdings gemacht hat. Kruse, Krankheitserregung. 413 tracht zu ziehen, dass die Vaccins nur eine beschränkte Entwicklung im Körper durchmachen, dass also, wenn man die Unschädlich- machung und Ausscheidung der schädlichen Substanzen noch mit berücksichtigt, kaum so viel von diesen letzteren zurückbleiben kann, um einer neuen Infektion wirksam zu begegnen. Nach recht inten- siver Immunisierung, d. h. nach allmählicher Einverleibung grösserer Mengen von Stoffwechselprodukten oder wiederholte Impfung mit steigenden Dosen virulenter Bakterien, ist es allerdings gelungen, in manchen Fällen in dem Blutserum des immunisierten Tieres recht energische baktericide Wirkungen nachzuweisen, die beim nor- malen Tier fehlten, so z. B. nach Behandlung mit dem Vibrio Metschnikoff (Behring u. Nissen, Z. 8), mit dem Diplokokkus der Pneumonie (KeüSE und Pansini, Z. 11), mit dem Choleraspirillum (SOBEENHEIM, Z. 14; R. Peelfeer, Z. 18). In anderen Fällen, wie beim Erysipelkokkus (Roger, S. B. 90), beim Hogcholerabacillus (Metschnikoff, P. 92), bei Milzbrandhammeln (Behring u. Nissen, Z. 8 gegen Nuttall, Z. 4 und Lubarsch, Z. M. 19), bei Rauschbrand (Rufeer, P. 91), beim Typhus (Stern, D. 92. 37 gegen Bruschettini, Ri. 92. 181) war dieses Verhältnis nicht konstant. ^) Wir kommen schliesslich zur 5. modifizierten Retentionstheorie (Antilysintheorie). Die eben genannten Arbeiten haben jedenfalls gezeigt, dass das Blut- serum in manchen Fällen von sj)ezifischer Immunität eine deutliche, im Reagensglas nachweisbare chemische Veränderung erleidet. Es hat sich aber auch in den eben citierten negativen Fällen, sowie bei einer ganzen Reihe anderer Infektionen herausgestellt, dass auf anderem Wege, nämlich durch den Tierversuch, eine durch die Immunisierung bewirkte Modifikation des Blutserums hervortritt; auf S. 360 haben wir die Schutz- und Heilwirkung, die derartigem Serum inne- wohnt, besprochen. Wie lässt sich diese Thatsache anders erklären, als durch die Annahme, dass der Immunisierungsprozess im Körper Stoffe zurücklässt, die einen spezifischen Effekt haben? In welcher Weise äussert sich die Schutzwirkunff solchen Serams? Unter seinem 1) Auch wenn das spezifische Serum nicht sehr erhebliche baktericide Eigen- schaften besitzt, zeigt es insofern eine Veränderung als Nährboden gegenüber dem normalen Blutserum, als das Wachstum der betr. Bakterien nicht gleichmässig in der ganzen Flüssigkeit erfolgt, sondern in Form von klumpigen Massen, die am Boden des Gefässes entstehen. Es ist das schon von Kruse u. Pansini (Z. 11), Metschnikoff, Issaeff u. A. beobachtet worden. Diese ,, agglutinierende" Fähig- keit des spezifischen Serums soll nach Gruber und Durham's neuester Hypothese (M. 96. 13) die eigentliche Wirksamkeit desselben ausmachen. Uns erscheint sie von sekundärer Bedeutung. 414 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Einfluss gelangen die vollständig virulenten Infektionserreger nicht zum Wachstum im empfänglichen Organismus! Schon hierdurch wird jeder Versuch, die Schutzkraft des Serums aus einer antitoxi- schen Wirkung abzuleiten, illusorisch. Der Vorgang der Infektion hat unmittelbar nichts zu thun mit dem der Intoxikation, die Be- kämpfung der ersteren kann also nicht durch antitoxische Mittel ver- sucht werden. Es hat kaum der besonderen, zur Widerlegung dieser Hypothese ausgeführten Experimente bedurft (vgl. S. 362). Auch die ab- schwächende Wirkung des spezifischenBlutserums, die vonBoüCHAED (Verh. Internat. Kongr. Berlin 91) auf Grund der Versuche von Roger (S. B. 90) mit dem Erysipelkokkus, dann von Roger u. Charrin für den Pyocyaneus (S. 92. 268) behauptet war, hatMETSCHNiKOEF (P. 92 u. S. 92) nicht bestätigen können, denn die vom Serum abfiltrierten Bakterien zeigten ihre alte Virulenz, nur das bei den Tierversuchen mit ein- gespritzte Serum hatte den Anschein erweckt, als ob die Infektions- erreger abgeschwächt wären. Diesen vergeblichen Versuchen gegen- über hat Verfasser 1892 (Zi. 12. 3) die Theorie entwickelt, dass die Schutzkraft des Serums immunisierter Tiere auf seinem An- tilysingehalt beruhe, d. h. auf seiner Fähigkeit, die Angriflfsstoffe der virulenten Bakterien, die Lysine (s. S. 409), im Momente ihrer Ent- stehung zu neutralisieren. Diese Annahme erklärt alle aus den Serumversuchen bisher be- kannten Thatsachen. Das infektiöse Bakterium unterliegt, seiner Lysine durch das Schutzserum beraubt, den Einflüssen der Alexine des Ge- webes, wie ein nichtvirulentes Bakterium, ohne dass sich eine lokale Reaktion bemerkbar macht. Wenn die Wirkung des Serums eine nicht ausreichende ist, wird zwar ein Teil der Lysine neutralisiert, aber nicht alle; die Mikroorganismen verhalten sich dann wie abgeschwächte, sie wachsen massig und werden schliesslich durch den Einfluss der im Gewebe vorrätigen Alexine und der durch die Entzündung heran- gezogenen Leukocytenalexine überwältigt. Wird die Serumbehandlung erst einige Zeit nach der Infektion begonnen, so kann durch genügende Mengen kräftigen Serums eine Heilung bewirkt werden, wenn diesel- ben ausreichen, die durch die Vermehrung im Körper natürlich um ein Vielfaches angewachsene Lysinproduktion zu kompensieren, und wenn nicht schon alle verfügbaren Alexine des Körpers, die vorgebil- deten und die in den Leukocyten enthaltenen, durch die bis zum Momente der Serumeinspritzung ungehindert gebildeten Lysine un- schädlich gemacht sind. So erklärt sich die von vielen Forschern beobachtete Thatsache, dass nach einer gewissen Dauer der Infektion selbst die grössten Heilserumdosen keine Wirkung mehr haben: die natürlichen Resistenzmittel (Alexine) des Organismus sind erschöpft, Kruse, Krankheitserregung. 4;15 die Bakterien wachsen mit oder ohne Lysine darin, da keine Wider- stände mehr da sind. Einige neuere Experimentalergebnisse haben die Antilysintheorie sehr gefestigt. R. Pfelffee hat durch eine Versuchsanordnung, die ihm gestattet, den Prozess der Bakterienentwicklung im lebenden Körper fast wie im Reagensglase zu verfolgen, nämlich durch die in beliebigen Zeiträumen wiederholte Probeentnahme von Flüssigkeit aus der infi- zierten Peritonealhöhle mittels Glaskapillaren, den Nachweis geführt, dass unter der Einwirkung von Schutzserum die in das Peritoneum eingeführten virulenten Bakterien (Cholera u. ähnl.) in kürzester Frist, ohne wesentliche Beteiligung von Phagocyten zerfallen und nicht zum Wachstum kommen, genau ebenso, wie es stark abgeschwächte Bakterien ohne Serumbehandlung thun. Pfeiffer glaubt wenigstens im ersten Fall es mit spezifisch baktericiden Substanzen zu thun zu haben, die auf reaktive Weise nach der Infektion ins Peritoneum ab- gesondert werden. Nach unserer Auffassung handelt es sich um die- selben nicht sjjezifischen Stoffe gegen Cholera im ersten wie im zweiten Fall: um die Alexine, die teils schon in den Geweben vorgebildet sind, teils wirksam durch Reaktion aus denLeukocyten ausgeschieden werden. Dass gerade hier die Alexine vorgebildet sind, dafür sprechen die Ver- suche mit dem extravasculären Blutserum von gegen Cholera immuni- sierten und nicht immunisierten Meerschweinchen. Das erstere hat im Reagensglas nach Pfeiffer (Z. 18) — natürlich im frischen Zustande — starke baktericide Eigenschaften gegen virulente Cholerabakterien, ganz ebenso wie das Serum normaler Tiere gegen abgeschwächte (Behring und Nissen, Z. 8). Auch in diesen beiden Fällen sind nach unserer Ansicht die baktericiden Stoffe die gleichen, nämlich die Alexine, die durch Erhitzen auf 60 ^ zerstört werden. Der Unterschied besteht "nur darin, dass im Serum des normalen Tieres die abgeschwächten Bakterien zu Grunde gehen, weil sie keine Lysine bilden, während die virulenten Cholerabacillen im Serum des immunisierten Tieres zu Grunde gehen, weil ihre Lysine durch die spezifischen Schutzstoffe desselben, unsere Antilysine, neutralisiert werden. Natürlich müssen alle diejenigen Ein- flüsse, die geeignet sind, die Alexine zu zerstören, ausser der Er- wärmung auf 60*^ auch Aufenthalt bei 37 ^, bei gewöhnlicher Temperatur und selbst im Eisschranke, Zusatz von roten Blutkörperchen u. s. w. (s. S. 401 ff.), auch die baktericiden Eigenschaften des spezifischen Serums aufheben, daher sie wohl von Pfeiffer u. A. im Serum von cholera- und typhusimmunen Menschen nicht gefunden worden sind. Ausserdem wird sich in allen den Fällen, wo das Blutserum der normalen Tiere keine keimtötenden Fähigkeiten gegenüber den abgeschwächten Infektions- erregern besitzt, dieselbe auch nicht gegenüber den gleichen, aber viru- 4X6 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. lenten Bakterien einfinden, nachdem die betrefi'enden Tiere immuni- siert worden sind. Ganz überzeugend sprechen für unsere Theorie die neuesten Ver- suche von BoEDET (P. 95. 6). Derselbe setzte zu dem normalen Serum von Meerschweinchen, das ein guter Nährboden für virulente Cholera- bacillen war, nur Spuren von dem auf 58 ^ erhitzten Serum einer gegen Cholera hochimmunisierten Ziege und sah danach plötzlich die stärksten baktericiden Effekte hervortreten, d. h. mit anderen Worten, der Zusatz von Antilysin bewirkte in dem mit Cholera besäten Meer- schweinchenserum die Neutralisierung der Lysine; die dadurch kampf- unfähig gemachten Bakterien unterlagen den Alexinen, Der Versuch schlug natürlich fehl, wenn die Alexine durch Erhitzen oder längeres Stehenlassen des Meerschweinchenserums unschädlich gemacht waren. Ebenso machte sich die Wirkung des Choleraserums nur gegen Cholera- bakterien, nicht gegen andere geltend. Weit verbreitet, weil am nächsten liegend, ist die Vorstellung, dass die spezifischen SchutzstofFe im Serum gelöst vorgebildet seien, Boedet giebt aber auf Grund von Experimenten der Ansicht Ausdruck, dass sie wenigstens zum Teil erst bei der Gerinnung, aus den Leukocyten, in die Flüssigkeit übertreten. Wir hätten danach diese mobilen Truppen des Organismus mit zweierlei Stofii'en ausgerüstet zu denken: im normalen Tier mit alexinartigen Stofi'en (vgl, S. 403), im immunisierten Tier ausser- dem noch mit Antilysinen. Schon früher haben wir allerdings gesehen, dass der aktiv immunisierte Organismus nur zu gewissen Zeiten Schutz- kräfte in seinem Blut besitzt und trotzdem in der Zeit vorher und nachher spezifische Resistenz bekundet (S. 366). Man könnte dann von einer dauerhaften „Gewebsimmunität" (Beheing) im Gegensatz zu der vorübergehenden „Serumimmunität" sprechen und hätte sich vorzu- stellen, dass die Gewebszellen Antilysine aufgespeichert ent- halten — entweder als solche oder vielleicht in Bindung mit anderen Stoffen. Jedenfalls müssen sie in allen Geweben vorhanden sein, denn, wo auch eine Infektion erfolgt, treten im immunisierten Organismus den Erregern die Schutzstoffe entgegen. Über die Entstehung der Antilysine lässt sich bis jetzt nichts sicheres aussagen, aller Wahr- scheinlichkeit nach werden sie während des Prozesses der aktiven Immunisierung unter Beihilfe der Gewebszellen aus den Angriffsstoffen der Bakterien, den Lysinen, erzeugt. Die Schwierigkeiten, die hier noch bestehen, werden hoffentlich bald eine Aufklärung erfahren. Die passive Immunität (s. S. 366) durch Serumübertragung besteht nur, so lange die Antilysine im Blute kreisen. Sie ist nur mit einer der Verdünnung entsprechenden Abschwächung auf neue Tiere zu überpflanzen, wie R. Peeieeee (Z. 17. 366 u. 18. 13) entgegen Feänkel u. Sobeenheim Kruse, Krankheitserregnng. 4j^7 (R. 94. 3) festgestellt hat; eine Neubildung von Schutzstoffen findet in dem passiv immunisierten Organismus keineswegs statt. VI. So wenig man von dem Wesen der natürlichen Giftimmanität weiss, so sehr kann man darüber im Zweifel sein, wie sich die künst- liche Verminderung und Erhöhung dieser angeborenen Resistenz erklärt (vgl. S. 340 u. 354). Nur über die Natur der spezifischen Immunität gegen Bakteriengifte kann man einigermassen Bescheid geben (368 ff.), dank den Arbeiten von Behring u. Kitasato u. A. über die Immuni- sierung gegen Tetanus und Diphtherie. Auch hier geht die Erkenntnis des Vorganges von den Eigenschaften des Blutserums der aktiv immuni- sierten Tiere aus; die schützenden Prinzipien, die Antitoxine, sind hier aber schon länger bekannt. Was eben von den Antilysinen gesagt wurde, gilt auch von den Antitoxinen, nur sind hier die bekämpfen- den Substanzen nicht die Angriffstoffe der Bakterien (Lysine), sondern ihre Gifte (vgl. unter C S. 282 ff.). VII. In kurzen Worten lassen sich die Ergebnisse unserer Unter- suchungen über Infektion, Immunität und Heilung etwa folgender- massen zusammenfassen. In den tierischen Organismen sind im allgemeinen Schutzeinrich- tungen ausgebildet '), die sie befähigen, in sie eingedrungene Bakterien zu bekämpfen, es sind das: 1. die Abwehrstoffe oder Alexine, die in den Geweben vorgebildet sind; 2. die Leukocyten, die durch die Entzündung herbeigelockt unter Umständen in Aktion treten, nicht durch Vermittlung von Phago- cytose, sondern durch Sekretion von ähnlichen Alexinen; 3. eine je nach der Spezies wechselnde Giftunempfindlichkeit, die vielleicht auf giftzerstörender Wirkung einzelner Organe beruht. Die Krankheitserreger ihrerseits verfügen 1. über Stoffe, die ihnen durch Zerstörung der Alexine ermög- lichen, im lebenden tierischen Körper zu wachsen, das sind die An- griffsstoffe oder Lysine; 2. über Gifte. Sieger in dem Kampfe zwischen Organismen und Bakterien bleiben die ersteren, wenn ihre Gewebs- oder Leukocyten- Alexine hinreichen, das Wachstum der Bakterien zu beschränken, und wenn die während 1) Von denjenigen Schutzvorrichtungen, durch die der höhere Organismus das Eindringen der Infektionserreger verhütet, ist hier nicht die Rede, sie haben mit der eigentlichen Immunität nichts zu thun. Oben unter Eintrittspforten (S. 316) haben wir sie im einzelnen besprochen (äusseres Integument, Epithel der Schleim- häute, Flimmerzellen, Magensaft, Schleimsekretion, Lymphdrüsen u. s. w.) Liber die Bedeutung der Ausscheidungen für den Heilungsvorgang vgl. S. 375. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 27 418 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. dessen gebildeten Gifte zu schwach sind, nm die natürliche Gift- festigkeit zu überwinden — natürliche Heilung. Auf künstlichem Wege kann die Widerstandsfähigkeit der Or- ganismen erhöht werden und zwar 1. durchErhöhung der Alexin-" Produktion des Gewebes (Er- nährung etc.); 2. durch Steigerung der zelli- gen Exsudation oder örtlichen Leukocytose; 3. durch Verabreichung von Anti- septicis, die lebende Bakterien oder ihre Gifte schädigen; 4. durch Erzeugung oder Übertragung von Antilysinen, die durch Neutralisierung der Lysine die Angriflfskraft der Bakterien hemmen, imd von Antitoxinen, die deren fertigen Gifte unschädlich machen. Wenn die Behandlung vor der Infektion eingeleitet wird und zu glücklichem Ende führt, sprechen wir vonPräventivb ehandlung, Impf- schutz, Immunisierung nicht spezifischer Art; wenn die Be- handlung nach der Infektion er- folgt, von nicht spezifischer Heilung. Spezifischer Impf- schutz und spezi- fische Heilung. Anhang: Pflanzeninfektion. Eine Reihe von bakteriellen Infektionskrankheiten der Pflanzen ist schon bekannt geworden. Dahin gehören (s. Bd. II: spezielle Systematik, vgl. MiGULA, r:C. 13. 564; Ludwig, L; Russell, Bacteria in her relation to vegetable tissue. Diss. Baltimore 92): 1. der Pear blight und Apple blight der Amerikaner (Bueeill), 2. der Hirsebrand (Bueeill), 3. die Bakterienkrankheit des Mais (Bueeill), 4. der Rotz der Hyazinthen (Heinz), 5. die Nassfäule der Kartoffeln (Bjramee), wahrscheinlich ferner 6. die Gallenkrankheit der Aleppokiefer (Vuillemin), 7. die Gallenkrankheit der Oliven (Peillieux), 8. der gelbe Rotz der Hyazinthen (Wakkee), 9. die Bacteriosis der Weintrauben (Cugini und Macchiati). Sehr zweifelhaftenUrsprungs sind die „Schleimflüsse" der Bäume, die Gummosis des Weinstockes und anderer Pflanzen u.a.m. — Die Reaktionen der Pflanzen auf infektiöse Reize bestehen in Zelldegenerationen (Nekrosen), Zellwucherungen, Sekretionen u. s. w. Die betreffenden Krankheiten Kruse, Krankheitserregung. 4j^9 befallen unter natürlichen Verhältnissen nur immer wenige Varietäten, Arten oder Gattungen von Gewächsen. Für alle übrigen besteht Im- munität. In manchen Fällen müssen die Ursachen der Immunität in mechanischen Verhältnissen gesucht werden. Manche Birnensorten z. B. verhalten sich gegenüber der natürlichen Infektion, die durch Über- tragung des Bac. amylovorus auf die Blüten erfolgt, refraktär, sind aber ebenso leicht durch parenchymatöse Injektion zu infizieren, wie die empfänglichen Sorten (Russell a. a. 0.). Auch die letzteren haben einen gewissen Schutz in ihren epidermoidalen Bedeckungen, nur wo dieselben durch Wunden verletzt sind, oder wo natürliche Ein- trittspforten bestehen, wie in der Blüte, vermögen die spezifischen Er- reger einzudringen. Ihr Vordringen in den Geweben wird durch die mehr oder weniger feste Konfiguration der Zellwandungen beein- flusst, findet also in dem genannten Beispiel hauptsächlich in den jüngeren Trieben der empfänglichen Pflanzen statt. Die wichtigste Ursache der Immunität muss aber doch bei den Pflanzen wie bei den Tieren in chemischen Eigenschaften der lebenden Organismen gesucht werden. Für manche Bakterien und an manchen Stellen der Pflanze wird schon die saure Reaktion des Gewebes genügen, um jede Wucherung zu verhindern. Im allgemeinen ist aber diese Reaktion nicht vorhanden und es giebt auch Bakterien genug, die eine solche vertragen. Wir sind daher gezwungen, das Vorhandensein anderer chemischer Kräfte in der Pflanzenzelle anzunehmen. Es ist bis jetzt nicht gelungen, antiseptische Stoffe, die den Alexinen des Tier- körpers entsprechen, in Pflanzen aufzufinden; ausgepresster Zellsaft der- selben erwies sich inRussELL's Experimenten als vorzüglicher Nährboden für alle möglichen Bakterien. Die Existenz eines stark ausgesproche- nen baktericiden Vermögens im Pflanzenprotoplasma wird auch dadurch widerlegt, dass bei Einimpfung von beliebigen, nicht pathogenen Bakterien ins lebende Pflanzengewebe (Lominskt, r: C. 8. 325 u. Russell a. a. 0.) nicht selten eine Vermehrung derselben erfolgt und jedenfalls ihr Ab- sterben meist sehr lange (Wochen lang) auf sich warten lässt. Die Bakterien (Prodigiosus, Fluorescens, B. acidi lactici, coli communis u. a.) können sich sogar stellenweise ziemlich weit im Gewebe verbreiten. Das Endresultat ist in allen FäUen allerdings das Verschwinden der eingeführten Mikroorganismen. Eine speziflsche Immunität, die durch einmaliges Überstehen einer Infektion erworben würde, kennt man bei Pflanzen nicht. 27^ 420 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Fünftes Kapitel. Fortpflanzung:, Wachstum und Fruktiflkation der Mikroorganismen von Dr. E. Gotsehlich. Während bei den höheren mehrzelligen Lebewesen, in welchen die einzelnen Zellen nicht mehr unabhängige Individuen, sondern abhängige differenzierte Teile eines Ganzen sind, nicht jede Zellteilung eine Fort- pflanzung der Art darstellt, sondern dem gegliederten Organismus meist nur einen neuen, zu selbständigem Leben nicht befähigten Spross hin- zufügt, und daher die Hervorbringung neuer Individuen besonderen Funktionen obliegt, die bei aller Verschiedenheit im einzelnen unter dem gemeinsamen Namen der Fruktiflkation zusammengefasst werden können, ist bei den Mikroorganismen eine solche Trennung noch nicht ausgebildet. Hier bedeutet jede Zellteilung zugleich Erzeugung eines neuen, zu selbständigem Leben und . Fortpflanzung befähigten Indivi- duums; daneben aber finden wir bei einer grossen Zahl der Mikro- organismen noch besondere, durch ihre höhere Resistenz gegenüber schädigenden äusseren Einflüssen vorzugsweise zur Erhaltung der Art bestimmte Formen, die Sporen, welche durch einen, der Fruktiflkation höherer Organismen analogen Vorgang gebildet werden, und von denen durch Keimung und Zellteilung erneute Vermehrung der Art ausgehen kann. Das Verhältnis zwischen einfacher vegetativer Vermehrung und Fruktifikation ist nun aber bei den Schimmelpilzen einerseits, den Spalt- und Sprosspilzen andererseits wesentlich verschieden, so dass bei der Besprechung der Sporenbildung eine getrennte Behandlung dieser drei Klassen der Mikroorganismen erforderlich sein wird; auch die morpho- logischen Verhältnisse der Sporenbildung, betr. deren auf frühere Ab- schnitte verwiesen sei, sind ja bei diesen Klassen von durchaus ver- schiedener Bedeutung. A. Die Vermehrung durch Zellteilung ist die höchste imd wesentlichste Leistung der lebenden Zelle, zu der alle früher besprochenen Funktionen in untergeordneter Bedeutung stehen; ihre Intensität geht parallel mit allen übrigen Lebensäusse- rungen, sie ist daher auch der beste Massstab für die Energie des Lebensprozesses; fehlt die Vermehrung, so ist das Leben der Zelle ent- weder erloschen oder sistiert; in letzterem Fall ist der Kraft- und Stofl- GoTSCHLicH, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 421 Umsatz in derselben so herabgesetzt (z. B. durch niedere Temperatur), dass nur das eigene Leben der Zelle erhalten werden, aber keine Energie nach aussen, sei es zu physikalischen oder chemischen Leistungen, sei es zur Erzeugung neuer Lebewesen, abgegeben werden kann. Der quantitative Ausdruck für die Energie der Vermehrung wird durch die Zahl der aus einer Zelle in einer gegebenen Zeiteinheit hervor- gegangenen Individuen gegeben. Er bietet die Möglichkeit, die von der lebenden Zelle geleistete Arbeit zu messen und zahlenmässig fest- zustellen, ist also für die exakte Auffassung der Lebensprozesse von hohem Wert. Der strenge Parallelismus zwischen Vermehrungsenergie und der Intensität aller übrigen Lebensäusserungen ist ausser durch den Augen- schein, dass bei optimalen Vermehrungsbedingungen auch alle übrigen chemischen und physikalischen Leistungen intensiver vor sich gehen, für Bakterien noch zahlenmässig bewiesen, indem Smiexow (Z. 4. 248) zeigte, dass bei Abschwächung der Lebensäusseruugen, speziell der Virulenz von Bakterien auch ihre Vermehrungsenergie in dem- selben Verhältnis abnahm, indem ferner Gotschlich und Weigang (Z. 20) nachwiesen, dass bei einer Cholerakultur die Grösse der Viru- lenz in strengem Sinne eine Funktion der Individuenzahl darstelle. Hiermit ist die Basis dafür gegeben, die Vermehrungsenergie im all- gemeinen als sicheren Massstab der Intensität des Lebensprozesses auf- zufassen. Ausnahmen von dieser Norm kommen bei dauernd abge- schwächten Gährungs- oder Krankheitserregern vor, bei denen, wie früher erwähnt, häufig mit der Verminderung ihrer spezifischen gährungs- oder krankheitserregenden Energie eine Steigerung des vegetativen W^achs- tums auf künstlichen Nährböden Hand in Hand geht. Für die VeiTaehrungsenergie haben zuerst Buchnee, Longaed und RiEDLiN (C. 2. 1) einen brauchbaren praktischen Ausdruck ge- schaffen. Bezeichnet a die Zahl der Bakterien in der Aussat, b die Zahl derselben in der Ernte, n die Zahl der aufeinander folgenden Generationen, so ist unter Zugrundelegung der Thatsache, dass die Bakterien sich stets durch Zweiteilung vermehren: b = a.2° und n = — ^=^^ ^r-^ — Ist T die Versuchszeit, so ist die Dauer jeder einzelnen T Generation = • Auf diese Weise fanden die benannten Autoren für n '^ den Choleravibrio bei Wachstum in Fleischwasserpeptonzuckerlösung bei 37*^ die Generationsdauer zwischen 19,3 bis 40,0 Minuten. Die Versuchszeit darf, wenn man einen brauchbaren Durchschnittswert ge- winnen will, nicht zu lange ausgedehnt Averden, da sehr bald durch Erschöpfung des Nährbodens und zunehmende Bildung hemmender 422 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Stoffwechselprodukte die Entwicklung verlangsamt und die Generations- dauer verlängert wird. Über die Grösse der Generationsdauer bei verschiedenem Alter einer Kultur hat M. Müllee (Z. 20. 245) am Typhusbacillus interessante Ermittelungen angestellt. Derselbe fand, dass die Ver- mehrungsintensität sehr rasch abnimmt; schon nach 24 Stunden hatten die schädigenden Einflüsse so die Oberhand gewonnen, dass die Gene- rationsdauer um das Doppelte oder noch mehr verlängert wurde; die- selbe betrug z.B. in einer bei 37,5*^ gehaltenen Bouillonkultur 8 Stunden nach Beginn des Versuchs durchschnittlich 28,95', 24 Stunden nach Beginn des Versuches dagegen 69,05'. Die rasch eintretende Entwick- lungshemmung und die damit parallel gehende Abschwächung der einzelnen Individuen zeigt sich auch noch in der merkwürdigen That- sache, dass beim Ansetzen einer neuen Kultur nicht sofort die Ver- mehrung der von der alten Kultur abgeimpften Keime beginnt, sondern dass erst eine gewisse Zeit vergeht, in der sich die übertragenen Keime von ihrer vorangegangenen ungünstigen Alteration erholen müssen; diese Zeit beträgt im Durchschnitt 2 — 3 Stunden, ihre Dauer hängt ganz von dem Alter der zur Abimpfung verwandten Kultur ab; nur bei Verwendung ganz junger (2 V2 — 3 stündiger) Kulturen beginnt die Fortpflanzung fast sofort nach der Übertragung; aber schon bei 6stüudigen Bouillonkulturen liess sich eine Schädigung der Vermeh- rungsenergie konstatieren. Ferner fand MüXiLee, dass die durchschnitt- liche -Länge der Generationsdauer durch Steigerung der Temperatur über das Optimum vermehrt wird; bei 37,5 — 38,1*^ betrug die Gene- rationsdauer im Mittel 32,02', bei 39,7— 40,4» dagegen 37,2'. Erst die Temperatur von 44,5^ aber wirkte bei andauernder Einwirkung abtötend auf die Typhusbacillen. Über das zeitliche Verhalten der Entwicklung haben femer GoTSCHLiCH u. Weigang (a. a. 0.) Untersuchungen an Cholerabacillen, und zwar auf Agarflächenkulturen angestellt. Die Besäung erfolgte bei allen zu vergleichenden Kulturen in gleichmässiger Weise durch eine wässrige Aufschwemmung einer 20stündigen Agarkultur. Die Genannten fanden in Übereinstimmung mit Müller's Resultaten, dass das Maximum der Entwicklung bei 37** sehr rasch, zwischen 12 und 20 Stunden erreicht wird und dann das Wachstum nicht etwa blos sistiert wird, sondern ein rapides Absterben erfolgt, so dass im Mittel nach zwei Tagen nur noch 7,43%, nach drei Tagen gar nur 0,80% der in der 20 stündigen Kultur vorhandenen lebenden Individuen übrig geblieben sind; in einem Falle starben in einer Kultur bei 37** zwischen der sechszehnten uud zwanzigsten Stunde 10000 Millionen Individuen ab. Wurde daseien die auf dem Höhe- GoTSCHLiCH, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 423 punkt der Entwicklung stehende Kultur fernerhin bei Eisschrank- temperatur verwahrt, so blieb die gesamte Individuenzahl er- halten; bei Zimmertemperatur wurde das Absterben wenigstens sehr verlangsamt. Genau parallel mit diesen Änderungen der Individuen- zahl ging, wie bereits oben erwähnt, die Virulenz; sie nahm bei einer dreitägigen im Brütofen gehaltenen Kultur ebenso rapid ab wie die Individuenzahl und blieb bei Eisschranktemperatur ebenso wie jene konserviert. Es hängt also nur von der Temperatur ab, ob die In- dividuen einer Kultur von einer bestimmten Zeit an zu Grunde gehen oder erhalten bleiben. Die Ursache dieses Absterbens massenhafter Individuen beiBrutwärme liegt in der vollständigen Erschöpfung des Nährbodens; unter solchen Umständen ist eine Erhaltung der Lebens- fähigkeit der Mikroben nur dann möglich, wenn der Lebensprozess keine oder nur minimale Energieausgaben und demgemäss auch keinen Ersatz von aussen erfordert, wenn also das Leben latent ist; dies ge- schieht aber bei niederer Temperatur, wo die intramolekulare Energie im lebenden Plasma auf ein Minimum reduziert ist. Wird dagegen durch günstige Temperaturverhältnisse die Entfaltung der Lebensäusse- rungen ermöglicht, welche als unausbleibliche Grundbedingung eine Ausgabe an Energie erfordern, so kann diese nur auf Kosten der eigenen Leibessubstanz der Mikroorganismen stattfinden, und da jeder Ersatz von aussen fehlt, so tritt notwendig eine vollständige Zerstörung des Individuums ein. Besonders rapid muss dieser verzehrende Prozess bei Brüttemperatur vor sich gehen, da hier, wie aus der maximalen Energieentwicklung zu schliessen, die Dissimilation des lebenden Plasmas mit fast explosiver Heftigkeit erfolgt. Die Bakterienzelle muss also, ganz ähnlich wie ausgeschnittene Organe höherer Tiere, bei Abschnei- dung der Nahrungszufuhr durch ihren eigenen Lebensprozess zu Grunde gehen und kann einzig und allein durch vollständige Erstarrung, Sistierung desselben vor dem Absterben bewahrt bleiben. Diese höchst merkwürdige Thatsache, die mit dem Verhalten jeder lebenden Substanz gegen die Temperatur prinzipiell übereinstimmt, giebt einen gewichtigen Beweis für die oben dargestellte allgemeine Auffassung, dass auch bei den Bakterien die primäre Ursache des Lebens eine Zersetzung, nicht eine Synthese ist, und dass der ganze Charakter des Lebens- prozesses auch hier eigentlich ein destruktiver ist. Die dargelegte Auffassung, welche der Erschöpfung des Nährbodens die Hauptrolle für das Zustandekommen des eigentümlichen Entwicklungsganges einer Kultur beimisst, findet ferner eine Stütze in den vergleichenden Be- obachtungen über das Verhalten von Randzone und Mitte einer Kultur In der Randzone findet noch üppige Entwicklung zu einer Zeit statt, in der die Mitte bereits massenhafte abgestorbene Individuen aufweist; 424 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. dann aber erfolgt das Absterben am Rand ebenso rasch wie in der Mitte, da ja nach Erschöpfung der Nährstoffe, die am Rande nur später eintritt, die Verhältnisse sonst die gleichen sind. Auch das Verhalten der Entwicklung bei mittleren, weit über dem Optimum liegenden Temperaturen bestätigt durchaus die vorgetragene Auffassung; das Maximum der Entwicklung ist hier zeitlich hinausgeschoben und die Abnahme der Individuenzahl erfolgt nur sehr allmählich; die absolute Zahl der erzeugten Individuen ist dabei sogar grösser wie beim Wachstum bei 37 ^, aus dem einfachen Grunde, weil die einzelnen Individuen in- folge ihres geringeren Umsatzes auch geringere Ansprüche an das Nährmaterial stellen. Man sieht also, dass durch die absolute Grösse der Vermehrung kein Massstab für die Energie des Lebens- prozesses gegeben werden kann, wohl aber durch die relative Ver- mehrung in der Zeiteinheit, welche auch bei 22*^, ganz wie zu erwarten, geringer ist als bei 37^. Es steht zu erwarten, dass syste- matische, in dieser Richtung fortgesetzte Untersuchungen mit gleich- zeitiger quantitativer Berücksichtigung der Ausnutzung der Nährstoffe und der Stoffwechselprodukte uns zur Aufstellung zahlenmässiger Ab- hängigkeitsverhältnisse der Arbeit lebender Zellen von äusseren Faktoren führen werden. Auch ist es wahrscheinlich, dass der Grad der Vermehrung und die Gestalt der Entwicklungskurve ceteris paribus spezifische Art- charakteristika darstellen. Dass Volumen oder Gewicht der Kultur- masse bei Vergleich verschiedener Arten von Bakterien keinen Mass- stab für die Intensität der Entwicklung geben, dürfte schon jetzt aus den mitgeteilten Untersuchungen folgen, da an der Bildung von Kultur- masse zwei Bestandteile durchaus verschiedener Dignität sich beteiligen, nämlich lebende Mikroben und leblose Intercellularsubstanz, und das Verhältnis beider bei verschiedenen Arten durchaus different ist. Über die Beziehungen zwischen der Grösse einer Kolonie und ihrem Gehalt an lebenden Keimen giebt eine Untersuchung von FiCKEK (Üb. Wachstumsgeschwindigkeit des Bakt. coli comm. auf Platten. [Diss.] Leipzig 1895) Aufschluss. Es zeigte sich hierbei in Übereinstimmung mit den soeben berichteten Resultaten anderer Auto- ren, dass der relative Keimgehalt, die Keimzahl in der Kubikeinheit, sehr bald, bei 22^ schon am zweiten Tage ihr Maximum erreicht und die Teilungsenergie bei zunehmender Annäherung an dasselbe fort und fort träger wird. Nachher nimmt der relative Keimgehalt durch Ab- sterben zahlreicher Individuen ab, die absolute Zahl der Keime in der ganzen Kolonie aber ist noch einige Zeit im Wachsen begriffen, bis völlige Erschöpfung des Nährbodens erreicht ist. Die Keimzahl steht daher nur im Anfang der Entwicklung in direktem Verhältnis zur Grösse der Kolonien; später nimmt sie viel langsamer zu als GoTSCHLiCH, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 425 diese. Die Keimzahl gleich alteriger Kolonien schwankt sehr erheb- lich, bis um 300 ^Iq ; diese Differenzen sind auf verschiedene Lage der Kolonien, insbesondere mit Bezug auf ihre Entfernung von der Ober- fläche und den Zutritt des Sauerstoffs zurückzuführen. B. Wachstum und Bildung von Kolonien. Die durch Zellteilung neu gebildeten Individuen lagern sich nicht regellos an einander, sondern vereinigen sich nach bestimmten, bei verschiedenen Arten der Mikroorganismen verschiedenen Gesetzen zu regelmässigen Anordnungen in Form von Haufen, Ketten, Spirillen etc. Der physiologische Mechanismus, nach dem diese Gesetze wirken, ist noch ganz unbekannt. Auf festem Nährsubstrat entstehen endlich makroskopisch sichtbare Anhäufungen, Kolonien, in charakte- ristischer Erscheinungsweise, die eine sichere Erkennung der Art er- möglichen. Die Verschiedenheit der Kolonien wird theilweise durch chemische Prozesse, durch Absonderung peptonisierender Fermente. Farbstoffe etc., teilweise aber auch durch einfache Wachstums- und Formverschiedenheiten, ähnlich den differenten Bildungen von Organ- teilen höherer Pflanzen bewirkt. Die Faktoren, welche die Form der Kolonie bedingen, sind im einzelnen noch nicht genau anzugeben; doch kann man sehr wohl im allgemeinen die Momente bezeichnen, die hierbei eine Rolle spielen. Zunächst ist hervorzuheben, dass die verschiedenen Kolonieformen ebenso wenig wie die morphologische Gruppierung der Einzelbakterien spezifische Artcharakteristika darstellen; sie sind vielmehr nur Wachstumstypen, von denen ein und derselbe sehr vielen Arten zukommen kann und von denen anderer- seits mehrere in den Entwicklungskreis einer und derselben Art ge- hören. Um nur einige Beispiele herauszugreifen, sei daran erinnert, dass oberflächliche, ausgebreitete, weinblattähnlich gezeichnete, häut- chenartige Kolonien sowohl dem Typhusbacillus und dem Heere der verwandten typhusähnlichen Arten, andererseits aber auch einzelnen Vibrionen zukommen, und dass hingegen die meisten Arten, z. B. alle typhusähnlichen Mikroben, zwei vollständig verschiedene Wachstums- typen in ihren oberflächlichen und tiefen Kolonien erkennen lassen. Gerade dieser Unterschied zwischen oberflächlichen und tiefen Kolo- nien führt uns zur Erkenntnis eines bedeutsamen Moments bei der Koloniebildung, nämlich des Zutritts atmosphärischen Sauerstoffs. In früheren Abschnitten wurde gezeigt, dass den Bakterien eine direkte Gasatmung zukommt und dass unmittelbarer Zutritt des Sauerstoffs viele Funktionen fördert; so erklärt sich, dass die auf der Oberfläche in direktem Kontakt mit der Luft befindlichen Keime eine intensivere Vermehrung und grössere Ausbreitung gewinnen, als die in der Tiefe 426 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. des Nährbodens liegenden Individuen. Auch mag hierbei der Umstand mitwirken, dass bei letzteren ein allseitig gleicher Wachstumswider- stand durch den Nährboden stattfindet, daher eine gleichmässige kugelige Ausbreitung der Kolonie zustande kommt, während bei den oberflächlichen Kolonien der Wachstumswiderstand nur von der un- teren Seite her wirkt, also die Entstehung platter, häutchen- oder scheibenartiger Kolonieformen bedingt. Ferner zeigt die Anordnung der einzelnen Individuen einen devitlichen Einfluss auf die Form der Kolonie; liegen die einzelnen Bakterien in Ketten, wie z. B. bei Streptokokken, beim Bac. anthracis und insbesondere bei manchen Froteusarten, so weisen auch die Kolonien lockige, fädige oder netz- artig verstrickte Bildungen auf. Sehr merkwürdig sind die bei ein- zelnen Arten, zuerst bei Proteus von Hauser beobachteten verspreng- ten kleinen Kolonien, die massenhaft um eine grössere geschart liegen, und zwar in einer centrischen Anordnung, die ihren Ursprung von jener unzweifelhaft darthut; dieselben entstehen durch Ausschwär- men eines Bakterienfadens in die Umgebung, wobei vielleicht eine chemotaktische Anlockung durch die noch unberührten Nährstoffe in der Nähe der Kolonie mitwirken mag; unter günstige Ernährungs- bedingungen gelangt, bilden diese Schwärmer eine neue Tochterkolo- nie, die scheinbar unabhängig von der ursprünglichen erscheint, oft aber noch durch dünne Fäden mit ihr verknüpft ist. Dass eine Schwärmbewegung bei manchen Bakterien auch in gallertiger, fest- weicher Masse thatsächlich vorkommt, konnte Beijeeinck bei der Dar- stellung seiner früher besprochenen „Atmungsfiguren" in l%o Agar direkt nachweisen. Ferner übt es auf die Form der entstehenden Kolonie wahrscheinlich einen wesentlichen Einfluss aus, ob sie aus einem einzigen oder von mehreren zusammengelagerten Keimen her- vorgeht; in letzterem Falle entstehen leicht unregelmässige Formen durch Interferenzwirkung. Jendeassik (r: K. 91. 43) giebt an, dass aus vollständig von einander getrennten, ganz einzeln liegenden Keimen bei manchen Bakterienarten zuerst ganz geometrisch regelmässig gebildete, an Krystalle erinnernde Kolonieformen entstehen; als solche beschreibt er das Triphyllon, Hexaphyllon etc., Bildungen, die im wesentlichen aus Blättern bestehen, die unter gleichen Winkeln mit einander zusammenstossen; er führt ihre Entstehung auf polare Eigenschaften der Bakterien zurück. Auch die Schwerkraft scheint nach Beobachtungen von Botce und Evans (Proc. Lond. LIV. 300) am Bakt. Zopfii einen Einfluss auf die Form der Kulturen auszuüben; in senkrecht stehenden Kulturröhr chen senden die Kolonien fiederförmige, nach oben gerichtete Fortsätze aus; bei Elimination der Schwerkraft durch langsame Drehung am Klinostaten bleibt die Fie- GoTSCHXiCH, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 427 derung aus; bei schneller Drehung wird sie in gleicher Weise wie durch die Schwere durch die Centrifugalkraft ausgebildet; Bakt. Zopfii ist also negativ geotropisch. Bei den Schimmelpilzen besteht nach Manabu Miyoshi (B. Z. 1894. H. 1) ein wachstumsrichtender Einfluss hinzndiffun- dierender chemischer Stoffe, der bald in positivem, bald in nega- tivem Sinne wirkt und zum Unterschied von der Chemotaxis, zu der sonst viele Analogien bestehen, als positiver bezw. negativer Chemo- tropismus bezeichnet wird. Anlockend erwiesen sich für Mucor, Penicillium, Aspergillus: Fleischextrakt, Pepton, Dextrin, neutrale Phos- phate, Ammonsalze und ganz besonders Rohr- und Traubenzucker; der Schwellenwert des letzteren für Mucor ist sehr gering, nämlich 0,01%. Repulsion wird bewirkt durch Säuren, Alkalien, Alkohol, gewisse Salze, giftige Substanzen und durch übermässige Koncentration auch solcher Stoffe, die in verdünnteren Lösungen anlockend wirken; so ist z. B. öOproz. Traubenzuckerlösung für Mucor von repulsiver Wirkung. Die Wirkung verschiedener Stoffe auf denselben Pilz ist nicht gleich stark; ausserdem besteht bei verschiedenen Arten eine verschiedene Grösse der Reizbarkeit gegenüber demselben äusseren Reiz. Auch hier hat das WEBEEsche Gesetz Giltigkeit. C. Fruktifikation. I. Bei Schimmelpilzen gehört die Sporenbildung ebenso in den normalen Entwicklungsgang jeder Form wie die Fruchtbildung bei höheren Pflanzen; es gelten daher die oben aufgeführten Lebens- bedingungen des Wachstums auch in ganz gleicher Weise für die Fruktifikation; insbesondere ist für dieselbe der unmittelbare Zutritt freien Sauerstoffs notwendig, daher denn auch die im tierischen Körper schmarotzenden Aspergillusarten in den Geweben nur eine beschränkte Mycelbildung, nie Fruchtträger produzieren. Über die chemische Be- deutung des Vorgangs der Sporenbildung und die Zusammensetzung der Sporen gegenüber dem vegetativen Mycel haben Ceaäier's (A. 13. 71) Untersuchungen Folgendes gelehrt. Er fand bei der Analyse im Mittel: Asche in % der Asche in % der Trockensubstanz Trockensubstanz feuchten Masse Mycel 12,36 11,34 1,30 Sporen .... 61,13 8,09 1,84 Auffallend ist ausserdem nach neueren Analysen desselben Autors (A. 20. 197) der relativ sehr hohe Gehalt der Sporentrockensubstanz an Cellulose (11,13%) und stärkeähnlichen Kohlehydraten (17,0%), 428 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. sowie an äusserst hygroskopischen alkohollöslichen Extraktivstoffen (30,46%). Es hat also bei der Sporenbildung eine Differenzierung des Plasmas in der Weise stattgefunden, dass unter Austritt von Wasser und Salzen ein höchst koncentrierter Eiweisskörper entstanden ist, der wohl den stark lichtbrechenden Kern der Spore bildet, wäh- rend die schwer durchdringliche Hülle wahrscheinlich aus Cellulose und ähnlichen Kohlehydraten besteht und mit den hygroskopischen Extraktivstoffen durchtränkt ist. Fast sämtliche 38,87% Wasser der Sporensubstanz sind an diese hygroskopischen Substanzen gebunden; in trockener Luft wird das hygroskopische Wasser sofort abgegeben, nnd dann stellt die Spore eine salzarme, wasserfreie Eivveiss- substanz dar, deren Widerstandsfähigkeit gegen Koagulation selbst bei sehr hohen Hitzegraden durch Lewith's Untersuchungen (A. P. 26. 641) festgestellt ist. Hierdurch erklärt sich leicht die grosse Widerstands- fähigkeit der Spore gegen trockene Hitze; die relativ ebenfalls sehr bedeutende Resistenz gegen strömenden Dampf ist wohl so zu deuten, dass die hygroskopischen Stoffe der Sporenmembran zuerst sich mit Feuchtigkeit sättigen und so den lebenden Eiweisskern derselben lange Zeit vor Quellung und Koagulation schützen. — Für den Akt der Sporenkeimung ist zunächst nur eine gewisse Wassermenge, dagegen meist nicht Anwesenheit von Nährstoffen er- forderlich; die Bildung des Keimschlau chs erfolgt vielmehr auf Kosten der in der Spore angehäuften Nährstoffe; erst von einer gewissen Ent- wicklung des Keimschlauchs an bedarf es äusserer Nahrungszufuhr. Das Auskeimen der benetzten Sporen kann daher selbst auf Glas- platten beobachtet werden. Einige Pilze, wie Mucor mucedo, machen hiervon eine Ausnahme, indem sie nur auf geeignetem Nährsubstrat auskeimen. Ferner ist zum Keimungsprozess wie zu allen Lebens- äusserungen der Schimmelpilze Sauerstoffzutritt und eine geeignete Temperatur erforderlich. Letztere zeigt auch hier für verschiedene Pilzsporen ein verschiedenes Minimum, Maximum und Optimum. Für Penicilliumsporen liegt ersteres bei + 0,5*^, das Maximum bei + 43^, das Optimum bei -|- 22^; für Aspergillus fumigatus liegt dagegen das Minimum schon bei Ib^. Belichtung ist für die Sporenkeimung der Schimmelpilze nicht erforderlich. Vom Eintritt der Keimungs- bedingungen an bis zum Hervortreten des Keimschlauchs ist ein ge- wisses Latenzstadium erforderlich, dessen Dauer von der Art der Sporen und vermutlich vor allem von der Dicke der Sporenmembran abhängig ist und von wenigen Stunden bis zu mehreren Tagen variiert. Ahn- liche Schwankungen bestehen bezüglich der Dauer der Keimfähigkeit der Sporen. Bei den Uredo- und Acidiumsporen der Rostpilze, sowie bei Peronosporeen erhält sie sich nur wenige Wochen, während die GoTSCHLiCH, Fortpflanzung, Wachstum u. Fniktifikation der Mikroorganismen. 429 Sporen von Penicillium glaucum 1 V2 Jahre, die von Mucor stolonifer und Aspergill. niger etwa 1 Jahr, die von Aspergill. flavus 6 Jahre, von Aspergill. fumigatus 10 Jahre, von Tilletia caries und Ustilago carbo ungefähr 8 Jahre keimfähig bleiben. IL Bei Sprosspilzen besteht im Gegensatz zu den Schimmelpilzen und höheren Pflanzen eine sehr grosse Neigung, das dargebotene Nähr- material zu einer unbegrenzt fortlaufenden, rein vegetativen Zellver- mehrung zu verwenden, ohne eine eigentliche Fruktifikation zu liefern. In adäquatem Nährmedium treibt die Hefe durch Sprossung immer neue Zellen, einem stark entwickelten Baum ohne Früchte vergleichbar. Nur vereinzelte Saccliaromyceten bilden auch in gährenden Nährlösungen Sporen. In der Regel erfährt die gewöhnliche Art der Vermehrung nur dann eine Unterbrechung, wenn die Nährbedingungen erheblich ungünstiger werden, wenn einer der wichtigsten Nährstoffe zu fehlen beginnt. Der Pilz flüchtet dann gewissermassen den Rest der aus- reichenden Nährstoffe in eine haltbarere Zellenform, die ein gänzliches Versiegen der Nährstoffe zu ertragen und demnächst selbst nach langer Pause in frischem Nährsubstrat eine neue Vegetation hervorzurufen vermag. Für die Hefe sind die Bedingungen der S]3orenbildung nament- lich dann gegeben, wenn das Nährsubstrat sehr arm an Zucker ist; ausserdem ist nach Hansen vor allem reichlicher Zutritt des Sauer- stoffs erforderlich, wobei jedoch eine schädliche Verdunstung zu ver- meiden ist; auch sind nur junge, kräftige Zellen zur Sporenbildung fähig; endlich findet die Sporenbildung nur innerhalb eines be- grenzten Temperaturintervalls statt. Die Grenzen dieses letzteren, sowie das Temperaturoptimum sind für verschiedene Arten verschieden und bieten ein wertvolles Mittel zur Artcharakteristik. So bildet Sac- charomyces cerevis. I Hansen nur zwischen 11 und 37^ Sporen, Sac- charomyces Pastorianus I Hansen hingegen nur zwischen 3 und 30,5'' (cit. nach Jöegensen, Mikroorg. d. Gährungsindustrie. S. 144 ff.). Das Temperaturminimum, bei welchem überhaupt Sporenbildung beobachtet wurde, betrug 0,5 — 3 " C, das Maximum 37,5 ^ C; das Optimum liegt für die meisten untersuchten Arten in der Nähe von 25 '^ C. Bei den höheren Temperaturen erfolgt die Sporenbildung bei verschiedenen Arten mit annähernd gleicher Geschwindigkeit; in etwa 30 Stunden erscheinen die „Anlagen zu den Sporen" deutlich ausgebildet. Bei nie- deren Temperaturen hingegen ergeben sich bei den verschiedenen Arten wiederum charakteristische, diagnostisch höchst verwertbare Differenzen. Nach Holm u. Poulsen (C. r. d. lab. d. Carlsberg IL H. 4 u. 5) scheiden sich in dieser Beziehung die zu Brauereizwecken verwandten unter- gährigen Kulturhefen in zwei Gruppen: die einen bilden bei 25 "^ ihre Sporen später als die wilden Hefen, die anderen zeigen zwar bei dieser 430 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Temperatur gleichzeitig Sporenbildung mit den wilden Hefen, bleiben aber bei 15^ C. erheblich hinter ihnen zurück. Die Methode gestattet noch eine Verunreinigung von -g^y der Kulturhefenmasse mit Sicherheit binnen 2 — 3 Tagen zu erkennen. Ein analoges Untersuchungsverfahren ist nach Jöegensen (a. a. 0. u. Z. f. d. ges. Brauwesen. 1891. Nr. 3) auch für Kulturoberhefen verwendbar. Zur Beobachtung der Sporenbildung verwendet man nach Hansens Vorgang am zweckmässigsten Kulturen auf angefeuchteten Gypsblöckchen. Die Bedingtingen für die Sporenkeimung sind hier ähnlich wie bei den Schimmelpilzen; unbedingt nötig ist Feuchtigkeit, Sauerstoff- zutritt und eine gewisse mittlere Temperatur, die "Hansen (C. r. du la- boratoire de Carlsberg III. 1) für Saccharomyces cerevisiae I und Sac- charomyces anomalus auf 22 — 28*^ feststellt. Nährstoffe sind für die ersten Sprossungen nicht unbedingt notwendig; auch in Wasser kommt Keimung zustande; erst von einer gewissen Entwicklung an ist Nähr- stoffzufuhr erforderlich; ein besonders günstiges Nährmedium für kei- mende Hefesporen fand Hansen in gehopfter, stark gelüfteter Bier- würze; Zusatz von 4 — 5% Gelatine verlangsamt die Entwicklung. Von Einfluss auf die Keimung ist es auch, ob die Sporen jung oder alt sind und ob sie trocken oder feucht aufbewahrt werden. Sehr merk- würdig ist die bei einigen Sprosspilzen, z. B. sehr häufig bei Saccharo- myces Ludwigii, von Hansen beobachtete Verschmelzung zweier Sporen oder ihrer Keimschläuche. Diese Fusion kommt besonders bei jungen Sporen vor, während bei älteren, lange Zeit trocken aufbewahrten Sporen der Keimschlauch meist isoliert weiter wächst. Die biologische Bedeutung dieser Erscheinung ist unsicher; Hansen hält für möglich, dass durch dieselbe die Vermehrungsenergie junger Sporen gesteigert wird, wonach der Vorgang in gewissem Sinne den Kopulationsvorgängen höherer Organismen an die Seite zu stellen wäre. III. Bei Spaltpilzen*) besteht noch in weit höherem Grade als bei den Sprosspilzen die Neigung, das dargebotene Nährmaterial zu rein vegetativem Wachstum auszunutzen. Viele Arten besitzen überhaupt keine Sporenbildung. Welche Bedingungen vorliegen müssen, um die im ganzen seltene Erscheinung der Sporenbildung hervorzurufen, ist noch nicht völlig aufgeklärt. Vielfach acceptiert ist die Ansicht Büchners (Sitzungsber. d. Kgl. Akad. d. Wiss. math.-phys. Kl. München 7. Febr. 1880. — C. 8. 1), welche die physiologische Ursache der Sporenbildung in dem „eintretenden Mangel an Ernährungsmaterial" sieht; hiernach würden die Verhältnisse ähnlich wie bei den Spross- 1) Nacli der Ansicht einiger Autoren stellt die Sporenbildung bei den Spalt- pilzen überhaupt keinen Fruktifikationsprozess, sondern nur eine Bildung von Dauer formen dar. GoTSCHLiCH, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 43 1 pilzen liegen. Buchner stützt sich dabei auf die Thatsache, dass man bei regelmässig fortgesetzter, sehr frühzeitiger Erneuerung der Nähr- lösung unzählige Generationen rein vegetativer Zustände von Milz- brandbacillen erhalten kann, ohne dass jemals Sporenbildung eintritt; bei Übertragung in destilliertes Wasser aber erfolgt sehr schnell Bildung massenhafter Sporen in den übergeimpften vegetativen Zellen. Buchner betont dabei ausdrücklich, dass der „ein trat ende Ernährungs- mangel", nicht eine von vornherein kümmerliche Ernährung sei, welche die Sporenbildung begünstige. Vielmehr ist die Sporulation um so reichlicher, je besser die vegetativen Formen vorher genährt waren. Hiermit werden die Einwände Lehmann's (Würzburger med.- physikal. Ges. 8. Febr. 1890) und Osborne's (A. 9. 51) gegenstands- los, welche gegen Büchner geltend machen, dass Wachstum und ab- solute Zahl der Sporen um so grösser sei, je günstiger der Nährboden zusammengesetzt ist; um die absolute Zahl handelt es sich ja aber in Buchner's Theorie gar nicht, sondern um die Intensität der Sporen- bildung im Verhältnis zum vegetativen Wachstum, die sich in der Schnelligkeit der Fruktifikation und in der relativen Menge der gebildeten Sporen kundgiebt; freilich giebt Osborne an, dass auch relativ die Sporulation auf erschöpften Nährböden gegenüber nor- malen Verhältnissen zurücksteht. Hiernach ist die Frage noch nicht als erledigt anzusehen, um so weniger, als auch C. Feänkel (Grund- riss d. Bakterienkunde. 3. Aufl. S. 23) behauptet, dass die meisten Arten gerade auf der Höhe der Entwicklung Sporen bilden. TuRRO (r: K. 91.74) meint, dass die Sporenbildung nicht durch Erschöpfung des Nähr- bodens zustande komme, sondern auf die entwicklungshemmende Wirkung der regressiven Stoffwechselprodukte zurückzuführen sei. — Von grossem Einfluss auf die Sporenbildung ist der Sauerstoff, in dieser Beziehung verhalten sich wiederum die beiden Gruppen der Aeroben und echten Anaeroben grundverschieden. Erstere bedürfen zur Sporenbildung notwendig des freien Sauerstoffs, wie dies z. B. von Neisser für den Xerosebacilliis, von Buchner für den Milzbrandbacillus festgestellt ist und in flüssigen Kulturen auch dadurch sich deutlich kundgiebt, dass in den oberflächlichen Deckenbildungen zuerst und am reichlichsten Sporenbildung eintritt; für diese Bakterien ist nach Praz- MOWSKi das weitere Symptom charakteristisch, dass sie im Zustand der Fruktifikation unbeweglich sind. Die Anaeroben dagegen, wie insbe- sondere für Bac. butyricus nachgewiesen ist, bilden nur bei Sauerstoff- abschluss Sporen und bleiben dann auch im Zustand der Fruktifikation beweglich. — Fördernd wirkt ferner auf die Sporenbildung nach Buchner (a. a. 0. S. 6) ein Zusatz von 2 % Na Cl zum Nährboden. — Auch die Reaktion des Nährbodens ist nach Neisser von Einfluss. 432 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Am günstigsten erwies sieh merkwürdigerweise schwach alkalischer oder schwach saurer Nährboden, etwas weniger günstig neuti-ale Reaktion, ganz nnbranchbar starke Acidität. — Einen beherrschenden Eiufluss hat auch hier wieder die Temperatur. KoCH (M. G. 1. 65) stellt für die Sporenbildung der Milzbrandbacillen als Temperaturminimum -|- 16^ fest, wobei aber erst nach 7 Tagen spärliche Mengen von Sporen gebildet wurden; bei 21*^ waren 72 Stunden, bei 25*^ 35—40 Stunden, bei 30 — 40*^ etwa 24 Stunden zur Sporenbildung erforderlich; das Opti- mum für die Sporulation lag bei 20 — 25*^, Bei Bac. subtilis trat unter 6*^ überhaupt keine Sporenbildung ein; bei 18,75^ nahm sie zwei Tage, bei 22,5 ö einen Tag, bei 30^ 12 Stunden in Anspruch. Beim Bac. xerosis lag nach Neisser das Minimum bei 13*^, das Optimum bei ca. 37,6 *'. Die einzelnen Bakterienarten verhalten sich also auch in dieser Beziehung verschieden. — Nach Kotjlar (Wratsch 1892. Nr. 39/40) ist auch das Licht von Einfiuss auf die Sporenbildung. Beim Bac. pseudoanthracis fand er günstig wirkend violettes Licht, un- günstig dagegen rote Strahlen. Sehr bemerkenswert ist die Existenz asporogener Rassen, deren spontanes Entstehen mehrfach im Kocn'schen Institut beobachtet wurde und die sich auch durch künstliche Züchtung mit vorsichtiger An- wendung entwicklungshemmender Einwirkungen (Soblimatgelatine, Züch- tung bei abnorm hoher Temperatur, 42*^) nach Angaben von Behring (Z. 7. 171), Roux (P. 90. 25), Phisalix, (A. Ph. 93. 217) aus normalen sporogenen Rassen züchten und nach neueren Untersuchungen auch wieder in diese zurückverwandeln lassen (Phisalix, A. Ph. 1893. 256). Lehmann (M. W. 1 887. 485) beschreibt in diesen asporogenen Kulturen runde, glänzende Körperchen, die wirklichen Milzbrandsporen täuschend ähnlich sehen können, von diesen sich aber durch ihre mangelnde Re- sistenz unterscheiden. Über den biologischen Mechanismus der Sporenbildung bei den Bakterien weiss man nichts; die Ähnlichkeit mit manchen plasmolytischen Vorgängen haben Fischer (Ber. d.Kgl. sächs. Ges. math.-phys. Kl. Leipzig 1891) zu der vorläufig noch der thatsächlichen Begründung entbehren- den Annahme geführt, dass durch Erhöhung des Salzgehalts im Nähr- medium etc. künstlich bei solchen Bakterien Sporenbildung anzuerziehen sei, bei denen bisher noch keine Sporulation gefunden war. Gramer (A. 13) glaubt mit Rücksicht auf das vielfach übereinstimmende Verhalten von Bakterien- und Schimmelpilzsporen gegen äussere Ein- flüsse seine Beobachtungen an letzteren auch auf die Bakteriensporen übertragen zu können. In der That hat auch Dyrmont (A. P. 21. 309) beim Milzbrandbacillus den N-Gehalt der Sporen weit grösser gefunden als den der vegetativen Zellen. GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 433 Die Bedingungen der Sporenkeimung bei den Bakterien sind noch nicht genügend festgestellt; im allgemeinen stimmen sie mit den Lebensbedingungen der betr. Arten überein. Das Optimum der Keimungs- temperatur liegt für Bac. subtilis bei 30 — 35*^, für Bac. anthracis bei 350. Sechstes Kapitel. Die A])sterbe]jedmguiigen der Mikroorgauismen von Dr. E. Gotschlich. Verschiedene äussere Einflüsse verursachen eine Schädigung der niederen Pilze, die bald mehr, bald weniger tief in die Lebensthätigkeit derselben eingreift. Alle derartigen schädigenden Faktoren sind offen- bar deshalb von grossem Interesse, weil wir unter ihnen die Mittel suchen müssen, um die schweren uns von den Pilzen drohenden Gefahren, die Infektionskrankheiten, zu beseitigen; daher bezeichnet man gern in etwas einseitiger Betonung dieses Gesichtspunktes die gesamten das normale Leben der niederen Pilze alterierenden Einflüsse als „Desin- fektionsmittel". Ausserordentlich zahlreiche Versuchsreihen über Art und Mass der Wirkung von desinfizierenden Mitteln sind bereits ausgeführt, und doch müssen dieselben noch vielfach ergänzt und erweitert werden. Denn wie beim Studium der biologischen Verhält- nisse der Pilze überhaupt, so hat sich auch hier gezeigt, dass die ver- schiedenen Arten sich durchaus nicht gleichmässig verhalten: die einen werden durch diese, die anderen durch jene Einwirkung stärker betroffen, noch andere zeigen gegen schädigende Einflüsse jeglicher Art eine gleichmässige geringere oder grössere Resistenz. Ausserdem wird aber auch die Wirkung jedes einzelnen Desinfektionsmittels durch die Summe der gleichzeitig vorhandenen übrigen Lebensbedingungen mitbestimmt; so schädigen höhere Temperaturen die Pilze leichter, wenn gleichzeitig schlechte Nährstoffe vorliegen; spezifische Gifte variieren in ihrer wirk- samen Dosis, je nachdem die äusseren Verhältnisse Optima repräsen- tieren oder von diesen abweichen. Ferner ist der Entwicklungszustand der Bakterienart auf ihre Resistenzfähigkeit von bedeutendem Einfluss; junge Individuen pflegen im allgemeinen besseren Widerstand zu leisten, und ältere, der Involution bereits nahe Individuen können schon durch geringfügige und vorübergehende Schädigung zum Absterben gebracht werden. Besonders eingreifend ist der Effekt der Sporenbildung. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 28 434 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Liegen Pilze vor, welche diese so überaus resistenten Dauerformen bilden, so sind die Mittel machtlos, welche andere Pilze schon tief schädigen oder töten. Sporentragende und sporenfreie Mikroorganismen sind daher, wie dies zuerst von Koch betont wurde, bei Desinfektions- versuchen schlechterdings nicht gemeinsam zu behandeln, sondern erfor- dern eine durchaus gesonderte Prüfung. Die Schädigung, welche Mikroorganismen durch äussere Einwir- kungen erfahren, kann von sehr verschiedenem Grade sein. Liegt nur eine leichte Beeinträchtigung vor, so werden nur eine ödere mehrere Funktionen der Mikroben in ihrer vollen Entfaltung gehemmt oder ganz unterdrückt, wobei im übrigen die Entwicklung und alle anderen Lebens- äusserungen ungestörten Fortgang nehmen können. Diese Ab- schwächung oder der dauernde Verlust einer einzelnen Lebens- äusserun g kann die verschiedensten Funktionen der Mikroben, als Produktion von Sporen, Lichterzeugung, Lokomotionsvermögen , Er- zeugung von Farbstoffen, Fermenten, Giften, Gährungs- und Krankheits- erregung betreffen und ist in den bezüglichen einzelnen Kapiteln nach- zusehen. Die ganz besonders merkwürdige Thatsache, dass diese Abschwächung auf die folgenden, wieder unter günstigeren Lebens- bedingungen vegetierenden Generationen vererbbar ist, findet in dem Kapitel über Konstanz und Variabilität der Arten eingehende Wür- digung. — Ein stärkerer schädigender Einfluss zeigt sich sodann in der Verlangsamung des Wachstums und Beeinträchtigung sämt- licher Lebensäusserungen, die bis zur völligen Entwicklungs- hemmung fortschreiten kann. Hiermit ist aber das Leben noch keineswegs definitiv erloschen; vielmehr können die in ihrer Entwick- lung vollständig gehemmten Mikroben bei Übertragung in günstigere Verhältnisse von neuem ihre Lebensäusserungen entfalten. Die end- giltige Abtötung der Mikroorganismen ist erst durch noch intensivere Schädigungen zu erreichen. Diejenigen Grade der Schädigung, welche die völligeEntwicklungshemmungunddie endgiltige Abtötung bezeichnen, sind vom praktischen Gesichtspunkte aus besonders interessant und sollen daher, soweit bekannt, bei der Besprechung der einzelnen schädigenden Einwirkungen stets angegeben werden; auch liefern diese beiden, verhältnismässig leicht und sicher festzustellenden Werte brauch- bare Indikatoren für die vergleichende Beurteilung der Wirksamkeit verschiedener Desinfektionsmittel • einerseits und der verschiedenen Resistenz differenter Arten andererseits. Die schädigenden Einwirkungen, welche die Mikroorganismen treffen können, lassen sich behufs spezieller Behandlung zweckmässig in zwei grosse Abteilungen einreihen, in physikalische und chemische Ein- wirkungen. GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 435 Anmerkung. Die nachfolgende spezielle Darlegung dieser äusseren Ein- wirkungen deckt sicli nicbt mit der Gesamtheit der Desinfektionsmittel und -Methoden überhaupt, wie diese vom praktischen Gesichtspunkte aus in Frage kommt. In der Desinfektionspraxis handelt es sich zunächst darum, die In- fektionserreger zu beseitigen, und es werden daher manche Verfahren, wie z. B. die Entfernung der Infektionserreger von infizierten Objekten durch Ab- reiben etc., auch unter den Desinfektionsmethoden beschiieben , obgleich sie keineswegs die Erreger abzutöten vermögen, sondern nur die infizierten Objekte von den anhaftenden Keimen befreien. Der Gedanke, dass es sich bei der Des- infektion in erster Linie um eine Befreiung infizierter Objekte von In- fektionsstoffen handelt, der insbesondere von Behring (Bekämpfung d. In- fektionskrankh. Leipzig 1894. S. 4) betont ist, muss auch sonst die Darstellung der praktischen Desinfektion beherrschen; dieselbe muss auch bei den anderen bakterientötenden Massnahmen mit steter Rücksicht auf das zu desinfizierende Objekt, dem pathogene Keime anhaften (Fäces, Wäsche etc.) erfolgen. A. Schädigung der Mikroorganismen durch physikalische Einwirkungen. Von schädigenden physikalischen Einwirkungen kommen in Be- tracht: Einwirkung excessiv hoher und niedriger Tempera- turen, Belichtung, Elektrizität, Druck und mechanische Erschütterungen, sowie endlich eine zu starke Verminderung des Wassergehalts, ein Austrocknen der Kulturen. Der mächtigste Effekt kommt unter den physikalischen desinfizieren- den Agentien derEinwirkunghöherer Temperaturen zu, DerEffekt der Hitze ist eine Funktion des Temperaturgrades und der Zeitdauer; mit anhaltender Einwirkung relativ niedriger Temperatur lässt sich die gleiche Wirkung erzielen wie durch kurzdauernde starke Erhitzung. Ferner sind die zur Tötung erforderlichen Temperaturen sehr verschieden, je nach den sonstigen Lebensbedingungen und namentlich nach der spezi- fischen Resistenz der einzelnen Art. Der grösste Unterschied stellt sich zwischen sporenfreien vegetativen Formen und Dauersporen heraus. Erstere sind im allgemeinen im benetzten Zustand oder in Flüssig- keiten durch eine etwa 10 — 15' dauernde Einwirkung einer Temperatur von ca. 50—60*^ zu töten; in lufttrockenem Zustand pflegt eine länger dauernde oder höhere Erhitzung notwendig zu sein. Dabei ergeben sich jedoch merkliche Verschiedenheiten in der Resistenz der einzelnen Arten. So ist nach Sterxbeeg's Versuchen (A Manual of Bacteriology. New- York 1892. S. 147) derjenige Temperaturgrad (feuchte Wärme), welcher bei einer Ein- wirkung von 10 Minuten gerade hinreicht, um sämtliche Individuen der Kultur abzutöten, für: Spirill. cholerae asiat 52" C^ Vollständige Ab- Spirill. tyrogen 520 jtötung schon nach 4' 28* 436 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Spirill. Finkler-Prior ÖO« Bac. typh. abd 56« Bac. des Schweinerotlaufs 58° Bac. murisepticus 58" Bac. neapolitau. Emmerich .... 62" Bac. cavicida 62o Bac. pneumon. Friedländer .... 56" Bac. crassus sputigen 54" Bac. pyocyaneus 56" Bac. indicus 58" Bac. prodigiosus 58" Bac. cyanogen 54" Bac. fluoresc 54" Bac. acid. lact 56" Staphylokokkus pyogen, aur 58" „ „ citreus . . . 62" albus ... 62" Streptokokkus pyogen 54" Mikrokokk. tetragenus 58" Sarcina lutea 64" Sarcina aurantiaca 62" Nach demselben Autor wird auch der Mikrokokk. gonorrhoeae im Tripper- sekret, sowie das Virus der Lyssa in der Medulla eines an dieser Krankheit zu- grunde gegangenen Kaninchens durch 10 Minuten lange Einwirkung von 60" ver- nichtet. Nach Carsten und Coert (cit. ebd. 148) verliert frische animale Vaccine bei 30' dauernder Ei-wärmung auf 54,5" ihre Wirksamkeit, während eine Tempe- ratur von 52" sie intakt lässt. Ferner werden durch eine 10' lang dauernde Er- wärmung getötet: der Milzbrandbacillus (ohne Sporen) nach Chauveau bei 54", der Rotzbacillus nach Löffler bei 55", der Diphtheriebacillus nach Löffler bei 60". Bei entsprechend längerer Dauer der Einwirkung genügen zur Erzielung desselben Effekts bereits niedrigere Temperaturen; so wird nach Chauveau der Milzbrand- bacillus bei 20' dauernder Erwärmung schon bei 50" abgetötet; bei demselben Temperaturgrad wird auch bei längerer Einwirkung der Diphtheriebacillus ver- nichtet. Umgekehrt lässt sich die Abtötung bei Anwendung höherer Temperaturen sehr beschleunigen; so fand van Genus (A. 9. 369) den Choleravibrio und den Vibrio Finkler-Prior bei 55,5" schon in 30" vernichtet; ebenso sind nach Klein (c. J. 1890. 501) Kulturen von Milzbrand (sporenfrei), Typhus, Bac. Friedländer, Bac. diphth., Choleravibrio, Mäusesepsis, Mäusetyphus, Hühnercholera, Schweine- seuche und den pyogenen Kokken bei 70" schon nach 5' abgestorben. Der Tuberkelbacillus wird nach Bonhopf (R. IL 1009) bei 60" in 20', nach Forster (ebd. 869) erst in 45—60', bei 70" dagegen schon in 5—10' sicher abgetötet; an- nähernd hiermit übereinstimmende Werte fanden auch Sternberg (1. c. 150) und Yersin (P. 88, IL 60). Häufig ergeben die Beobachtungen verschiedener Autoren an einer und derselben Bakterienart etwas von einander abweichende Werte; bei M. Neisser (Z. 20. 308) finden sich z. B. eine Anzahl solcher Daten den Typhusbacillus betreffend zusammengestellt; vielleicht handelt es sich in solchen Fällen, abgesehen von Differenzen in der Versuchsmethodik, um indivi- duelle Verschiedenheiten in der Resistenz der Kulturen, wie solche noch weiter unten kennen zu lernen sein werden. GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 437 Jedenfalls ist die Möglichkeit, sporenfreie Bakterien, zu denen ja fast alle Krankheitserreger gehören, durch relativ kurze Einwir- kung einer noch weit unter dem Siedepunkte liegenden Temperatur mit Sicherheit zu vernichten, von grösster praktischer Bedeutung und findet bei dem Pasteurisieren, d. h. Erwärmung der zu sterilisieren- den Flüssigkeit während 30' auf etwa 70^ Anwendung (vgl. Bitter, (Z. 8. 268). — Auch sporenbildende Bakterien lassen sich durch solche relativ niedere Hitzegrade abtöten, wenn man die Erhitzung wiederholt anwendet und in den Pausen durch Herstellung günstiger Existenzbedingungen dafür sorgt, dass die vorhandenen Sporen zu Bacillen auswachsen; werden die letzteren, ehe noch eine erneute Sporen- bildung eintreten kann, durch die folgende Erhitzung getötet und das ganze Verfahren etwa 5 — 6 mal wiederholt, so kann man ziemlich sicher sein, dass keine keimfähigen Sporen mehr vorhanden und alle vegetativen Formen vernichtet sind. Dies ist das Prinzip der von Tyndall angegebenen sog. „fraktionierten Sterilisation", mittelst deren z. B. Blutserum, ohne durch die Erhitzung zur Gerinnung zu gelangen, sterilisiert werden kann. — Viel schwieriger ist schon eine rasche Abtötung von Schimmelpilzsporen. Heisse Luft von 120** bewirkt bei ^,'2 stündiger Einwirkung nicht sichere Abtötung; erst durch 1 V2 stündige Erhitzung auf 110 — 115^ lässt sich diese erreichen. Peni- cilliumsporen sind weniger resistent als Sporen von Aspergill. niger. — Am schwierigsten endlich gelingt die Vernichtung der Bacillen- sporen. Besonders durch trockene Hitze, wie heisse Luft, ist nur sehr schwierig und erst nach ausserordentlich langer Einwir- kungsdauer eine Vernichtung der Sporen zu erreichen. Heisse Luft von 100—120*^ vermochte nach den Versuchen von Koch u. Wolff- HÜGEL (M. G. I. 301) selbst nach stundenlanger Einwirkung noch nicht die Entwicklungsfähigkeit der Milzbrandsporen aufzuheben; erst eine 3 stündige Einwirkung einer trockenen Hitze von 140^ war hierzu imstande. Unter natürlichen Verhältnissen, wo die Sporen nicht isoliert der schädigenden Einwirkung der Temperatur preisgegeben, son- dern inmitten schlecht wärmeleitender Hüllen (Kleidungsstoffe oder dgl.) verborgen sind, gestaltet sich die Desinfektion mit trockener Hitze noch viel schwieriger, da nur nach sehr langer Erwärmungsdauer im Innern der zu desinfizierenden Gegenstände die erforderlichen hohen Temperaturgrade erreicht werden können. Schon bei einer 3 stün- digen Einwirkung von 140^ aber werden sämtliche Kleiderstoffe und Gebrauchsgegenstände in irreparabler Weise beschädigt, so dass an eine Verwendung der trockenen Hitze zu praktischen Desinfektions- zwecken nicht gedacht werden kann. 438 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Im feuchten Zustand unterliegen die Sporen viel leichter der Vernichtung durch Hitze. In siedendem Wasser gehen Milzbrand- sporen in etwa zwei Minuten zugrunde; nach l' behalten sie meist noch ihre Entwicklungsfähigkeit und Virulenz (Geppeet, B. 90. Nr. 11). In der Praxis ist es oft schwierig, die ganze zu desinfizierende Flüssigkeitsmasse durch Kochen gleichmässig auf 100*^ zu erwärmen. Leicht gelingt dies jedoch, wie Koch in Verbindung mit Löffler und Gaffkt gezeigt hat (M. G. I. 301) durch strömenden Dampf, der sehr rasch in die zu desinfizierenden Objekte eindringt und dort die Temperatur von 100^ erzeugt. Auf diesem Prinzipe be- ruhen die verschiedenen Dampfdesinfektionsapparate, auf deren Kon- struktion hier nicht näher eingegangen werden kann, sowie der bekannte zur Sterilisierung der Nährsubstrate und Geräte beim bakteriologischen Arbeiten verwendete KocHsche Dampfkochtopf. Milzbrandsporen gehen in strömendem Dampf bei 100*^ in wenigen (höchstens 12) Minuten zu- grunde. Noch viel widerstandsfähiger sind die Sporen vieler peptoni- sierenden Bakterien der Kuhmilch (Flügge, Z. 17, 272), sowie gewisser in Gartenerde vorkommender, zur Gruppe der Heu- und Kartoffelbacillen gehöriger Bakterien, wie solche insbesondere von Globig (Z. 3. 322) beschrieben sind, die erst nach 6 stündigem Verweilen in strömendem Dampf vernichtet werden; die resistentesten dieser Sporen sind nach Geeisten (r: C. 13. 498) sogar erst nach einer mehr als 16 Stun- den dauernden Erhitzung im strömenden Dampf abgetötet. Der des- infektorische Effekt lässt sich durch Anwendung gespannten Dampfes von mehr als 1 Atmosphäre Druck steigern; in solchem gespannten Dampf sterben nach Geeisten selbst die resistentesten Sporen aus Erde etc. bei 105— 110^ in 2—4 Stunden, bei 115» in 30—60', bei 120» zwischen 5 und 15', bei 125 — 130"^ in etwa 5', bei 140^ in l' ab. Im Gegensatz hierzu hat der auf über 100** „überhitzte" Dampf von gewöhnlicher Spannung nicht nur nicht eine grössere desinfizierende Wirkung als einfacher ungespannter, strömender Dampf von 100**, sondern zeigt sogar eine wesentlich geringere Wirksamkeit, ähnlich wie heisse Luft. Solcher überhitzter Dampf lässt sich leicht dadurch herstellen, dass man gewöhnlichen Wasserdampf von 100^ über stark erhitzte Metallflächen oder durch ebensolche Metallröhren gehen lässt; hierdurch kann die Temperatur des Dampfes bis gegen 200*^ erhöht werden, ohne dass seine Spannung zunimmt; der überhitzte Dampf ist also ungesättigt und „trockener" als der gesättigte Dampf von 100 ^; mit zunehmender Überhitzung nähert er sich in seinen Eigen- schaften mehr und mehr der heissen trockenen Luft. Dementsprechend fand VON Esmarch (Z. 4), dass bei Temperaturen über 100° die Des- infektionskraft des Dampfes sich bald verringert, bei 120 — 130° ihren GoTSCHXiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 439 tiefsten Stand erreicht und dann allmählich wieder ansteigt, um erst bei 150 — 200 ö wieder die ursprüngliche Wirksamkeit des gesättigten Dampfes von 100^ zu erreichen; bei so hohen Hitzegraden wirkt ja freilich auch die trockene heisse Luft energisch desinfizierend. Über- hitzter Dampf ist also für die Zwecke der Desinfektionspraxis als un- geeignet anzusehen. In ähnlicher Weise wie die Überhitzung wirkt auch die Beimengung von Luft vermindernd auf die desinfizierende Energie des Dampfes ein, weil auch hierdurch die Sättigung und das Wärmeleitungsvermögen desselben verringert wird. So machten schon Koch, Gaffky u. Löitler (1. c.) darauf aufmerksam, dass zuweilen selbst in dem v. NÄGELi'schen Dampfkochtopf, der nach dem Prinzip des Papin'schen Topfes konstruiert war und mit 2 ','2 Atmosphären Überdruck arbeitete, die vollständige Sterilisation nicht erreicht wurde; dies rührt von dem Zurückbleiben gewisser Luftmengen her, die sich dann mit dem Dampf mischen und seine Wirksamkeit herabsetzen. Dieser Übelstand lässt sich dadurch vermeiden, dass zunächst durch starkes Strömen des Dampfes die Luft aus dem Apparat vollständig entfernt wird. Da die Luft schwerer ist als der Dampf, so ist es vorteilhaft, zur Erleichterung ihrer Entfernung die Einströmung des Dampfes von oben her erfolgen zu lassen und die Abströmungsöffnung im unteren Teil des Apparates anzubringen, so dass die Luft aus demselben direkt „herausfallen" kann. — Die Verschiedenheit in der Wirkung der Hitze auf die Sporen in trockenem und feuchtem Zustande erklärt sich von demselben Gesichtspunkt aus wie die verschiedene Resistenz der vege- tativen Formen und der Dauersporen gegen Erhitzung. In beiden Fällen ist der Wassergehalt der ausschlaggebende Faktor. Diejenige totale Änderung des Protoplasmas, die den Tod herbeiführt und die wir uns als eine Koagulation vorstellen müssen, geht offenbar bei einem gewissen Wassergehalt des Plasmas viel leichter vor sich, als im völlig trockenen Zustande. Nun aber enthalten die Sporen nach den früher besprochenen Befunden Ceamer's ein fast wasserfreies, sehr koncentriertes Eiweiss, welches nach den ebenfalls schon erwähnten Untersuchungen Lewith's ausserordentlich schwer und nur durch sehr hohe Temperaturen zur Gerinnung gebracht werden kann, während der Wassergehalt der vegetativen Formen ein recht beträchtlicher, etwa 80 % ist. In diesen letzteren wird daher schon bei den weit unter- halb des Siedepunktes liegenden Gerinnungstemperaturen der Albumine Koagulation und definitive Abtötung eintreten, während das höchst koncentrierte, überdies noch durch seinen hohen Salzgehalt geschützte Eiweiss der Sporen hierdurch noch gar nicht und durch höhere Grade trockener Hitze, über 140^, auch noch schwierig angegriffen wird; bei diesen hohen Graden trockener Hitze kann die Spore vielleicht, ohne zu 440 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. gerinnen, direkt verkohlen, verbrennen, wie dies auch leblos organische Stoffe bei diesen Temperaturen bereits thun. In benetztem Zustande hingegen quillt das Plasma der Spore auf, wird dadurch gerinnungs- fähig und kann so durch weit niedrigere Temperaturen, denen gegen- über die trockene Spore vollständig gefeit ist, koaguliert und seiner Lebensfähigkeit beraubt werden. Gegen niedere Temperaturen sind Bakterien im allgemeinen sehr resistent. Fällt die Temperatur nicht auf excessiv niedere Grade, oder ist die Einwirkung der Kälte nicht von sehr langer Dauer, so wird überhaupt das Leben der Bakterien meist nur sistiert und kann bei Übertragung in günstigere Temperaturbedingungen sofort wieder un- geschwächt seine Leistungen fortsetzen. Der gewöhnlich in unseren Kli- matenherrschendenWinterkältevermögen viele Bakterien sehr lange stand- zuhalten, selbst wenn die Temperatur zuweilen auf sehr niedrige Grade fällt. So konnten nach Babes (Coknil u. Babes, Les bacteries.) Cholerabakterien vollständig überwintern, wobei dieTemperatur bis auf — 14" C. fiel; auch Uffelmann (B.1893. Nr. 7), Raptschewski (r: C.17. 185) und Wnukow (ref.ebd.) fanden Cholera- kulturen nach einmonatlichem ununterbrochenen Aufenthalt bei Winterkälte noch lebend, obgleich in den Versuchen des letzteren die Temperatur nie über — 12 " gestiegen, einmal aber bis — 32,5" C gefallen war und 8 Tage hindurch sich zwischen — 25 und — 30 " C. hält. Kasansky (C. 17. 184) fand für Kulturen von Cholerabacillen und mehreren ähnlichen Vibrionen, dass sie noch lebensfähig bleiben, selbst wenn sie 20 Tage hindurch vollständig hart gefroren waren, und dass sie sogar mehrmaliges Auftauen und Wiedergefrieren vertragen. Einzelne Autoren, wie Ftnkelnburg (C 13. Nr. 4), Renk (F. 93. Nr. 10), Abel (C. 14. Nr. 6), Kaeschinskt (r: ebd. 17. 185) fanden etwas geringere Resistenz, die sich teilweise vielleicht durch individuelle Differenzen der Kulturen erklären dürften; wenigstens wiesen Finkelnbukg (a, a. 0.) und Kasansky (a. a. 0.) nach, dass ältere, jahrelang schon fortgezüchtete Kulturen viel weniger widerstandsfähig wären als frische. Auch ist die Resistenz der Choleravibrionen gegen Kälte verschieden je nach dem Me- dium, in welchem sie sich während der Kälteeinwirkung befinden (Weiss, Z. 18. 492); in Bouillon ist ihre Widerstandsfähigkeit viel erheblicher als in Wasser; am schnellsten gehen sie in Fäces zugrunde. Für Diphtheriebacillen wies Abel (C. 17. 545) eine 2 — 3 monatliche Resistenz gegenüber der Winterkälte und mehr- maligem Auftauen und Wiedergefrieren nach ; selbst die Virulenz hatte nur wenig abgenommen, und zwar weniger als bei gleichai-tigen Kulturen bei Zimmer- temperatur; dies stimmt mit den Angaben Petruschky's (ebd. 551) über die Er- haltung der Vinilenz von Streptokokkenkulturen wohl überein. Eine bedeutende Resistenz gegen Kälte wies ferner Nonewitsoh (r: C. 17. 292) für die Schweinerot- laufbacillen nach, die nach einmonatlichem Aufenthalt im Freien, wo dieTemperatur zwischen — 1,5" und — 10° R. schwankte, lebend und virulent geblieben waren. Von grossem praktischen Interesse ist ferner die Angabe Galtier's (ref. ebd.), der Tuberkelbacillen nach 17tägigem Aufenthalt bei einer Temperatur von -+- 10 ° C. am Tage und — 7 o C. Nachts noch vollständig lebensfähig fand, was mit Rück- sicht auf die häufigen grossen Temperaturschwankungen mit Auftauen und Wieder- zufrieren eine sehr erhebliche Resistenz bedeutet. Ebenso wiesen Cadeac und Maxet (cit. n. Sternberg, A Manual of Bacteriologg. New- York 1892. S. 145) in GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 44 1 gefrorenen Stücken tuberkulöser Lungen noch nach 4 Monaten virulente Bacillen nach. Auch die sp 0 renfreien Milzbrandbacillen können nach Klepzoff (C. 17.289) eine 12tägige ununterbrochene Einwirkung einer mittleren Temperatur von — 26,8" C. ohne Beeinträchtigung ihrer Virulenz aushalten; bei längerem Aufent- halte erfolgt Abschwächung und schliesslich Abtötung derselben. Über die Einwirkung künstlich erzeugter, excessiv nie- driger Temj) er aturen liegen folgende Erfahrungen vor. Schumacher (Beiträge zur Morphologie und Biologie der Alkoholhefe. Diss. Wien 1874) fand Hefe und Bakterien nach kurzdauernder Einwirkung einer Kälte von — 113 '^ noch lebend. Frisch (Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wiss. Bd. 75. H. 5) fand verschiedene Bakterien nach einstündiger Einwirkung einer Kälte von — 59*^ bis — 87,5*^ C. lebendig. Pigtet und JouNG (C. R. 1884. No. 12) fanden noch nach 20stündiger Einwirkung einer Temperatur von — 130*^ C. oder lOSstündigem Aufenthalt bei — 70 ^C. Milzbrandsporen und Bac. subtilis lebendig und ungeschwächt, erstere sogar noch pathogen; Milzbrandbacillen waren abgetötet, Hefe noch lebend, aber ihrer fermentativen Eigen- schaften verlustig gegangen. — Das Licht wirkt auf die überwiegend grösste Mehrzahl der Mikro- organismen, insbesondere der Bakterien schädigend ein; die schädigende Wirkung desselben äussert sich je nach Intensität und Dauer der Ein- wirkung in Abschwächung einzelner Funktionen, Entwicklungshemmung oder vollständige Abtötung der Mikroben. Von den wenigen Arten, welche durch Licht begünstigt werden, ist schon früher das Engel- MANN'sche Bakterium photometricum erwähnt worden; hier sei noch der Angabe Gaillard's (De l'influence de la lumiere sur les Micro- organismes. Lyon 1888, r: Z. 6 bei Raum) gedacht, welcher eine Begünstigung mehrerer Arten von Schimmel- und Hefepilzen durch Belichtung fand, sowie der Beobachtung Schenk's (r: K. 1893. 53), welcher einen aus Fäces gezüchteten Kokkus bei Belichtung intensiver wachsen sah als im Dunkeln, weshalb seine im Zimmer aufgestellten Kulturen aus koncentrischen, entsprechend den wechselndenBedingungen von Tag und Nacht dichter oder weniger üppig ausgewachsenen Ringen zusammengesetzt erschienen. Über die schädigende Einwirkung des Lichts auf Mikroorganismen liegt eine umfangreiche Litteratur vor, in der sich jedoch in Betreff mancher Einzelheiten widersprechende Angaben finden. Diese Wider- sprüche erklären sich teilweise daraus, dass in den älteren Versuchen nicht mit Reinkulturen, sondern mit unkontrollierbaren Bakterien- gemischen gearbeitet wurde, deren einzelne Arten vielleicht ganz ver- schiedene Resistenz gegen Lichteinwirkung zeigten, teilweise aus der Verwendung verschiedenartiger Nährsubstrate, endlich, wie besonders Buchner (C. 12. 217) hervorhebt, aus der Verwendung von Massen- 442 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. kulturen, in denen die tieferen Schichten vor dem Einfluss des Lichtes mehr oder weniger geschützt sind. Es ist daher am zweckmässigsten, die Bakterien nach Büchners Methode in gleichmässiger Suspension in Flüs- sigkeit oder in gelatiniertem Substrat der Lichteinwirkung zu exponieren und jedenfalls innerhalb vergleichender Versuchsreihen konstante Kultur- bedingungen einzuhalten. Eine Schädigung von Bakterien durch Ein- wirkung des Lichtes wurde zuerst von Downes u. Blunt (Proc. Lond. 26. 488) für Faulflüssigkeiten gefunden, dann von Duclaux (C. R. 100 u. 101) für Tyrothrix und einige Kokkenarten, von Aeloing (C. R. 100 u. 101, A. Ph. 7) für Milzbrandbacillen und -Sporen, von Büchner (C. 9. 781 u. 12. 217) für Fäulnisbakterien, Bac. typhi abd., Bakt. coli u. den Cholera vibrio, von Janowski (C. 8) ebenfalls für den Typhus- bacillus, von Pansini (cit. Dieudonne, A. G. 9, 413) für eine Reihe von Pigmentbakterien u. pathogenen Arten, von Galeotti (cit. ebd. 412) für Pigmentbakterien, von Giunti (r: C. 9. 539) für die Erreger der Essiggährung, von Maetinaud (C. R. 113. 782) und Waed (Proc. Lond. 93. 23) für Hefen, von R. Koch (Verhdlg. d. X. internat. Congr. Berlin 1890. I) und Migneco (A. 25, 361) für Tuberkelbacillen kon- statiert. Eingehende Litteraturverzeichnisse finden sich u. a. bei Raum (Z.6)u.DiEüDONNE(A.G.9.4r2). Besonders merkwürdig ist die verschiedene Resistenz der Milzbrandsporen und Milzbrandbacillen, die sich hier nach Aeloing gerade in entgegengesetztem Sinne wie sonst geltend macht. Die Sporen fand Aeloing schon nach 2 stündiger direkter Besonnung abgetötet, während die Bacillen viel widerstandsfähiger sind und erst nach 26 — 30 Stunden dauernder Insolation vernichtet werden. Dieses paradoxe Verhalten ist auch nicht etwa, wie Nocard wollte (cit, Dieu- donne S. 413) auf eine besonders grosse Empfindlichkeit der aus den Sporen hervorbrechenden Keimlinge zurückzuführen, denn auch auf Eis gestellte und demnach am Auskeimen verhinderte Sporen sterben nach Aeloing viel rascher ab als vegetative Formen. — Direktes Sonnenlicht übt eine weit intensivere Wirkung aus als diffuses Tageslicht; bei direkter Besonnung sah Buchner schon nach IV2 Stunden Entwicklungs- hemmung der Typhusbacillen eintreten, im diffusen Tageslicht erst nach 5 Stdn. Auch Kruse (Z. 19. 313) sah schon durch eine 2 stündige Besonnung vollständige Abtötung eintreten. Da die bakterieide W^ir- kung von der Intensität des Lichtes abhängt, so ist sie auch selbst- verständlich in verschiedenen Jahreszeiten, bei verschiedenem Hochstand der Sonne ganz verschieden; so fand Dieudonne (1. c.) am Bac. prodi- giosus u. Bac. fluoresc. putidus Entwicklungshemmung eintreten nach V2 stündiger direkter Besonnung im März, Juli und August, dagegen erst nach 1 V2 stündiger im November; zur definitiven Abtötung bedurfte es im März, Juli u. August einer Insolation von 1 Y2 Stdn., im Novem- GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 443 ber von 2 V2 Stdn. Diffuses Tageslicht wirkt auf einige Arten, wie z. B. die Tuberkelbacillen, erst nach mehreren Tagen schädlich. Auch elek- trisches Licht ist von Büchner u. Minck (A. 17), Santori (A. J. 90. 121), Geisler (C. 9. 161) und Dieudonne (1. c.) in seiner Wirkung auf Bakterien geprüft worden; entsprechend seiner geringeren Intensität wirkt es langsamer als Sonnenlicht. Unter den verschiedenen Strahlen des Spektrums sind nach den im allgemeinen übereinstimmenden Re- sultaten von DowNES u. Blunt, Kotljar (r: C. 12. 836), Ward, Galeotti, Buchner u. Minck und Dieudonne die ultraroten, roten u. gelben Strahlen ganz unwirksam; die stärker brechbaren blauen, violetten und ultravioletten Strahlen, die ja auch die stärkste chemische Wirkung äussern, haben dagegen deutliche baktericide Eigenschaften. Mehrfach wurde versucht, die bakterienfeindliche Wirkung des Lichtes einzig und allein auf die begleitende Temperaturerhöhung zurückzuführen; in der That will auch Geisler gefunden haben, dass die begleitende strahlende, dunkle Wärme einen gewissen Anteil am Zustande- kommen der baktericiden Wirkung habe, und Kruse und Santori konstatierten, dass diese Wirkung mit steigender Temperatur an Intensität zunehme. Doch ist dieser Einfluss der Temperatur sicher nur eine reine Begleiterscheinung; denn Licht, welches durch Absorption in einer dicken Wasserschicht oder in Alaunlösung aller seiner dunklen Wärme- strahlen beraubt war, zeigte doch nach Buchner und Dieudonne un- verminderte baktericide Wirkung. Was den Chemismus der baktericiden Wirkung des Lichtes anlangt, so ist sowohl eine direkte Wirkung auf das Plasma der Bakterien selbst, als auch eine gleichzeitige indirekte Schädigung durch photochemische Veränderung des Nährbodens anzunehmen. Eine solche indirekte Wirkung kon- statierten z. B. Geisler und Kruse durch nachträgliche Aussat auf Nährböden, die vorher im sterilen Zustand besonnt worden waren; es zeigte sich deutliche Entwicklungshemmung, die bei Kruse etwa dem schädigenden Effekt eines Carbolgehalts von V4 ^,0 gleichkam. Über die Natur der hierbei entstehenden chemischen Substanzen ist noch nichts sicheres bekannt; die Stoffe sind hitzebeständig; Kruse sah dieselben nur aus komplizierten Körpern, Peptonen o. dgl., nicht aber aus weinsaurem Ammon oder Zucker entstehen; zu ihrer Bildung ist Zutritt freien Sauerstoffs erforderlich. Bei Belichtung unter Sauerstoff- abschluss fanden Dieudonne sowie Tizzoni u. Cattani (A. P. 2S. 59) sehr starke Verminderung der baktericiden Wirkung. Nach Versuchen von RicHAUDSON (r: B. Ch. 26. 823) und Dieudonne (A. G. 9. 537) entsteht aus organischen Substraten bei Besonnung und O2 -Zutritt deutlich nachweisbar H2O2, welches antiseptisch wirkt und demnach wahrscheinlich einen nicht unwesentlichen Faktor für das Zustande- 444 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. kommen der baktericiden Wirkung des Lichtes darstellt. Dass die letztere übrigens nicht ausschliesslich auf indirektem Wege durch Umstimmung des Nährbodens, sondern auch durch direkte Schä- digung des Plasmas erfolgt, ist durch Versuche von Ward und Kefse festgestellt; auch angetrocknete Sporen ohne Nährmaterial werden durch Besonnung vernichtet, und andererseits tritt bei gleicher Dauer der Lichteinwirkung ein viel intensiverer baktericider Effekt in der ausgewachsenen Kultur als in der vorher belichteten bei nachträglicher Besonnung ein. Eine solche direkte Wirkung ist nach den voran- . gegangenen Betrachtungen über photochemische Zersetzungen des Nähr- '1 Substrats leicht verständlich und erfolgt im Plasma offenbar in ganz analoger Weise. Die baktericide Wirkung des Lichtes spielt nach Buchnee in der Natur wahrscheinlich eine bedeutende Rolle bei der „Selbstreinigung" der Flüsse. Ein sicheres, für alle Zwecke der Praxis empfehlenswertes Verfahren stellt sie deswegen nicht dar, weil nach v. Esmarch (Z. 16. H. 2) ihre Wirkung sich nur auf die oberflächlichsten Schichten der Objekte beschränkt, in das Innere derselben aber gar nicht eindringt. Bei der Einwirkung der Elektrizität auf Mikroben, welche von der Stärke und Einwirkungsdauer des Stromes abhängt und je nachdem in einer Ab- schwächung, Wachstumshemmung oder Tötung der Bakterien sich äussert, ist eine indirekte und eine direkte zu unterscheiden. Erstere kommt durch die vom elektrischen Strom hervorgebrachte Temperaturerhöhung und die elektrolytischen chemischen Zersetzungen im Nährmedium zustande. Auf dieser Wirkung beruhen die mehrfach gemachten Beobachtungen über die ent- wicklungshemmende resp. keimtötende Wirkung galvanischer Ströme in Nähr- lösungen, wie sie zuerst von Cohn u. Mendelssohn (Cohn, B. B. III. 141) fest- gestellt worden ist. Später fanden Apostoli u. Laquerriere (C. R. 110. 918), dass ein 5 Minuten wirkender Strom von 300 M-A Milzbrandbacillen in Bouillon sicher tötet. In beiden Versuchsreihen erwies sich nur die Anode als wirksam, weil an ihr Säure und nascierender Sauerstoff frei wird. Ahnliche Resultate über die polare Wirksamkeit erhielten Prochownick u. Späth (D. 1890) für Agar- kulturen, die auf Platinelektroden gewachsen und in 0,6 proz.NaCl-Lösung versenkt waren; sogar Milzbrand s p o r e n wurden nach 1/2 — 1 stündiger Wirkung eines Stromes von 2 — 300 M-A getötet; dagegen war die Fernwirkung auf die in der Flüssigkeit suspendierten Bakterien sehr gering und äusserte sich nur in Bewegungshemmung. Foth (Wochenschr. f. Brauerei 1890. 51) bezog seine ana- logen, bei der Hefe in gährenden Flüssigkeiten erhaltenen Resultate auf Ozon- entwicklung. Auf gleiche Weise ist vielleicht auch die Beobachtung Tolomei's (r: C. 9. 539), dass starke Entladung eines Ruhmkorfi''schen Apparates dicht über einer in Essiggährung befindlichen Flüssigkeit die Mykodermabildung sistiere, zu erklären. Hierher gehören auch zum Teil die neuerdings mehrfach gemachten Versuche, Abwässer durch elektrische Ströme zu reinigen; nach Feräh (A. 8. 206) wird die Keimzahl schon durch einen Strom von 66 M-A bei fünfstündiger Ein- wirkung bis auf 1 %o reduziert; die chemische Beschaffenheit der Elektroden war GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 445 von Einfluss, indem eiserne am stärksten wirkten; ein grosser Teil der Wirkung ist übrigens auf rein mecbanisches Niederreissen der Bakterien durch die infolge der Elektrolyse gebildeten Niederschläge zurückzuführen. — Von Versuchen über direkte Wirkungen des Stromes sind zu nennen die Beobachtung von Bukci u. Fkascani (r: K.92. 76) welche eine Abtötung der an einem Platindraht angetrockne- ten und in Quecksilber versenkten Bakterien durch konstante Ströme nachwiesen ; jedoch war hier die Erwärmung nicht ausgeschlossen. Ferner fanden d'Aesonval u. Charein (C. R. d. 1. soc. d. biol. 1893. 467 und 764) eine Abschwächung von Kulturen des Bac. pyocyaneus in Bezug auf Farbstoffbildung und Vermehrungs- intensität bei längerem Verweilen derselben innerhalb eines Solenoids, durch welches ein starker Strom von 800 000 Oscillationen pro l" geleitet wurde. Bei der- selben Versuchsanordnung fanden Spilker u. Gottstein (C. 9. 77) Abtötung des Bac. prodigiosus und murisepticus in wässriger Aufschwemmung; die Wirkung trat rascher in blut- oder eisenalbuminathaltiger Lösung ein. Diese Wirkungen im elektrischen Felde sind nach d'Arsonval u. Charrin (a. a. 0.) dadurch zu erklären, dass sich in demselben kleine Induktionsströme bilden, die jedes Mole- kül umkreisen, während Verhoogen (r: J. 1891. 472) sie nach Analogie der schäd- lichen Einwirkung hoher Temperaturgrade durch übermässige Aufnahme elektri- scher Energie zu deuten versucht. — Druck scheint erst bei sehr massiver Anwendung das Leben der Mikro- organismen zu beeinträchtigen; so beobachtete Certes (C. r. 99. 385), dass noch bei einem Drucke von 350 bis 500 Atmosphären Fäulniserscheinungen vor sich gingen, dass Hefe noch bei 300—400 Atmosphären Druck imstande war, Zucker zu vergähren, sowie dass Milzbrandbacillen selbst nach 24stdg. Einwirkung eines Drucks von 600 Atmosphären virulent blieben. Die Angabe d' Arsonval's , dass CO2 unter hohem Druck, etwa von 50 Atmosphären, bakterienfeindliche Wirkung ausübe und sogar zu Sterilisationszwecken brauchbar sei, konnten bei einer Nach- prüfung Sabrazes u. Bazin (r: K. 1893. 34) für Staphylokokkus pyogen, aur., Bakt. coli, Typhusbac. und Milzbrandbac. sowie Schaffer u. Freudenreich (r: B. 1892. 502) für letztere beiden Erreger nicht bestätigen; die Bakterien zeigten sich weder in ihren sonstigen Lebensäusserungen, noch speziell in ihrer Virulenz irgendwie beeinträchtigt, obgleich z. B. in den Versuchen der letztge- nannten Autoren 7 Tage lang ununterbrochen ein Druck von 47 Atmosphären (CO2) angewandt worden war. Auch durch gleichzeitige Temperatursteigerung konnte, sofern diese nicht schon an und für sich einen deletären Einfluss aus- übte, die Wirkung des Drucks auf die Mikroben nicht verstärkt werden. Viel- leicht sind nur einige Arten gegen Drucksteigerung empfindlich; so soll nach d'Arsonvax u. Charrin (r: K. 1893. 115) der Bac. pyocyan. in CO2 unter 50 Atm. Drack schon nach 2 Std. eine geringe Beeinträchtigung seiner Ver- mehrangsintensität, nach 4 Std. eine Behinderung der Farbstoffproduktion und nach 6 — 24 Std. völlige Abtötung erleiden. Jedenfalls ist die Resistenz der Mi- kroorganismen gegen Druckwirkung eine ganz aussei'ordentliche. Über die unter Umständen schädigende Einwirkung mechanischer Er- schütterungen ist bereits bei der Besprechung der Lebensbedingungen gehandelt. Eine besonders wichtige Rolle spielt endlich das Austrocknen. Von diesem Tötungsmittel wird auch in der Natur ein sehr ausgedehnter Gebrauch gemacht, und ihm erliegen wohl schliesslich die meisten Bakterien, welche nicht Dauersporen bilden, in einiger Zeit. Die be- 446 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. deutende Differenz der Zeitdauer, während welcher das Austrocknen von sporenfreien Bakterien einerseits, von Sporen andererseits ertragen wird, giebt uns sogar ein brauchbares Kriterium dafür, ob ein mor- phologisch zweifelhaftes Gebilde etwa als Dauerform anzusprechen ist. Dauersporen können in völlig trockenem Zustande anstandslos Jahr- zehnte lang lagern, ohne etwas von ihrer Lebensfähigkeit einzubüssen. Unter den vegetativen Formen bestehen bezüglich ihrer Resistenz gegen Wasserentziehung bedeutende Artdifferenzen. Am empfindlichsten scheinen Spirillen und einige pathogene Kokken (besonders Pneumo- kokken) zusein; Cholerabacillen, dünn auf Deckgläschen ausgestrichen, sind durch das blosse Austrocknen an der Luft nach Koch (B. 1884. Nr. 31) und Kitasato (Z. 5. 134) binnen 3 Stunden, nach Gäetnee, (Verhütung der Übertragung und Verbreitung ansteckeckender Krank- heiten. S. 85) bereits in 15' abgestorben; wird die Wasserentziehung an ganzen Klümpchen Kultursubstanz sehr rasch, z. B. im Exsikka- tor, vorgenommen, so bildet sich an der Oberfläche des Klümp- chens rasch eine ausgetrocknete harte Schicht, welche die weitere Wasserentziehung aus dem Innern fast vollständig hindert, so dass sich im Innern die Bacillen oft Tage lang lebendig halten. Die Lebens- dauer der Choleravibrionen bei Austrocknung auf den verschiedensten im praktischen Leben vorkommenden Substraten ist von Uffelmann (B, 92. 1209) studiert. Andere sporenlose Bacillen, wie z. B. die Typhus-, Diph- therie- und Tuberkelbacillen, ertragen wochen- bis monatelanges vollstän- digesAustrocknen, ohneSchaden zunehmen(vgl.LöFrLEE,C.8.665). Diese Bacillen können daher gelegentlich in trockenem Zustande mit Staub aufgewirbelt und durch Luftströmungen eine kurze Strecke weit fort- geführt werden, so dass die Möglichkeit einer Infektion durch In- halation besteht, während dies z. B. beim Cholera vibrio ganz aus- geschlossen ist (Williams, Z. 15). Die Erkenntnis des Verhaltens ver- schiedener Bakterien gegen Austrocknung ist daher auch von grossem praktischen Interesse für die epidemiologische Forschung. — Die Ent- wicklungshemmung, welche sämtliche Mikroben erfahren, wenn der Wassergehalt des Substrats unter eine gewisse, bei differenten Arten verschiedene Grenze sinkt, ist schon früher besprochen. B. Schädigung der Mikroorganismen durch chemische Einwiri(ungen. Allgemeine Vorbemerkungen und Methodik. Die antibakterielle Wirksamkeit einer chemischen Substanz hängt von einer Reihe von Faktoren ab, als deren wichtigste die chemische Natur der betr. Substanz, die Koncentration, in der sie angewandt wird, die Dauer der Anwendung, sowie die Natur des Bakteriums, GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 447 auf welche sie wirkt, zu nennen sind; ausserdem kommen noch die Natur des Mediums, die Temperatur, sowie die Zahl der an- zugreifenden Keime als mitbestimmend für den Erfolg in Betracht. Die antibakterielle Wirkung lässt sich in zweierlei Art beobachten: entweder befinden sich die Mikroorganismen in einem Medium, in dem sie dauernd einer chemischen Schädigung ausgesetzt sind, und es fragt sich nun, ob sie diesen ungünstigen Bedingungen zum Trotz sich entwickeln werden, oder ob völlige Entwicklungshemmung eintritt — oder die Mikroben werden nur während einer bestimm- ten Zeit der Einwirkung eines gegebenen Desinfiziens ausgesetzt, dann aber wieder in durchaus günstige Existenzbedingungen versetzt; derjenige Grad der Schädigung, bei dem dann keine Entwicklung unter günstigen Bedingungen mehr stattfindet, bezeichnet die völlige Abtötung der Mikroben. Die Werte, bei denen völlige Entwick- lungshemmung bezw. endgiltige Abtötung eintritt, werden als anti- septischer bezw. desinfizierender Wert bezeichnet; bei letzterem haben wir für solche Bakterien, welche resistente Dauerformen bilden, streng den bacillentötenden und den sporenvernichtenden Wert des Desinfektionsmittels zu unterscheiden. Die Bestimmung des entwicklungshemmenden, antisepti- schen Wertes erfolgt allgemein in einfacher Weise dadurch, dass zu einer Reihe von Nährböden verschiedene genau bemessene Quantitäten der zu prüfenden chemischen Substanz zugesetzt und die zu prüfenden Bakterien auf diese Nährböden ausgesät werden; derjenige geringste Koncentrations- grad, bei welchem eben die Entwicklung völlig ausbleibt, bezeichnet den antiseptischen Wert des betr. Mittels. In verschiedenen Nährböden ist derselbe ausserordentlich verschieden, speziell in eiweisshaltigen Flüssig- keiten, Blutserum oder dgl. ist die entwicklungshemmende Energie des Mittels stets stark herabgesetzt gegenüber der Wirkung, in wäss- rigem Medium. Gerade in diesen eiweissreichen, den Flüssigkeiten des lebenden Körpers ähnlich zusammengesetzten Nährböden ist es aber besonders wichtig, die Prüfung anzustellen, worauf neuerdings in erster Linie Behring stets hingswiesen hat; seine besondere Methode besteht in der Beobachtung der Entwicklung im hängenden Tropfen von Rin- derblutserum. Der entwicklungshemmende Wert ist aber auch noch von den anderen Versuchsbedingungen abhängig. Je mehr die sonstigen Ver- hältnisse sich dem Optimum der für das betr. Bakterium giltigen Existenzbedingungen nähern, desto widerstandsfähiger sind dieselben gegen äussere Schädigungen; daher tritt z. B. bei Bruttemperatur die Entwicklungshemmung erst bei einer höheren Koncen- tration des Antiseptikums ein, als bei Zimmertemperatur. Ferner 448 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. hat ein bestimmter entwicklungshemmender Wert nur für eine ganz bestimmte, genau anzugebende Beobachtungszeit Geltung; bei längerer Beobachtung kann einerseits immer noch eine verspätete Entwicklung eintreten, wenn die hemmende Einwirkung noch nicht vollständig war; andererseits aber können sich manche Substanzen, wie Sublimat, bei längerem Aufenthalt in eiweissreichen Flüssigkeiten zersetzen, so dass ihre entwicklungshemmende Wirkung aufhört und eine nachträgliche Vermehrung der Mikroben Platz greifen kann. Nur bei ganz genauer Angabe der Versuchsbedingungen haben also Bestimmungen dieses Wertes Giltigkeit und können mit anderen verglichen werden. Zur Bestimmung der abtötenden Wirkung eines Desinfiziens gilt es zunächst, möglichst gleichmässige Testobjekte herzu- stellen. Bei Bakterien, die das Antrocknen vertragen, besonders bei den vorzüglich zu vergleichenden Prüfungen geeigneter Milzbrandsporen, verfährt man nach Koch so, dass man dieselben an sterilisierten, etwa 1 cm langen Seidenfäden antrocknen lässt; diese sehr handliche Methode hat jedoch nach Geppeet Nachteile, indem sich an den Seidenfäden feste, sehr schwer durchdringliche Krusten von Bakterien bilden können und andererseits im Innern des Fadens das angewandte Desinfektions- mittel so fest haftet, dass es nach beendigter Einwirkungsdauer nur sehr schwer wieder entfernt werden kann; Geppert empfiehlt daher Sporenemulsionen in sterilem Wasser, eine Methode, die selbstver- ständlich überall da allein in Frage kommt, wo die zu prüfenden Keime sehr durch das einfache Antrocknen geschädigt würden. Bei verglei- chenden Versuchen empfliehlt es sich übrigens, auch an ein und derselben Art stets nur Kulturmaterial derselben Provenienz zu entnehmen, da z, B. selbst bei Milzbrandsporen verschiedener Kultur- massen erhebliche Unterschiede in der Resistenz vorkomrnen. Auf die Testobjekte lässt man nun das zu prüfende Desinfiziens in Lösung von genau bekanntem Gehalt eine bestimmte Zeit, wenige Sekunden oder Minuten bis mehrere Stunden oder Tage einwirken, wobei zur Erreichung vergleichbarer Resultate alle übrigen Versuchsbedingungen streng kon- stant erhalten werden müssen. Nach Ablauf dieser Zeit handelt es sich darum, das Desinfiziens rasch und vollständig aus dem zu prüfen- den Kulturmaterial zu entfernen, um jede weiter schädigende Einwir- kung desselben zu vermeiden; dies sucht Koch durch mehrmaliges Abspülen der Sporenfäden in sterilem Wasser zu erreichen; jedoch wird hierdurch sicherlich nur eine ungenügende Entfernung des Desinfiziens, besonders aus den tieferen Schichten des Sporenfadens erreicht; ein Teil bleibt zurück und wirkt dann bei der nachfolgenden Übertragung des Sporenfadens in das Nährsubstrat entwicklungshem- mend, so dass durch das Ausbleiben des Wachstums ein Gelingen der GoTSCHLicH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 449 Desinfektion bereits bei sehr niedriger Koncentration vorgetäuscht werden kann, bei der es in der That nicht zustande kommt. Man glaubte sich zwar durch einen Kontrollversuch vor einem solchen irr- TD tümlichen Resultat schützen zu können, indem in den gleichen Nähr- boden auch frische, unbehandelte Sporen gebracht wurden; wüchsen diese ungehindert aus, so glaubte man einen schädigenden Gehalt des Substrats an desinfizierender Substanz mit Sicherheit ausschliessen zu können; indessen hat Geppeet gezeigt, dass dieser Kontrollversuch keine Sicherheit gewährt, indem solche Sporen, die einer vorherigen desinfizierenden Einwirkung ausgesetzt, aber noch nicht abgetötet wor- den sind, nachträglich schon durch ganz geringe Schädigungen, welche normale Sporen gar nicht am Auswachsen behindern, z. B. durch einen Sublimatgehalt des Substrats von 1 : 2 Millionen, doch bereits in ihrer Entwicklung völlig gehemmt werden. Geppert erreicht eine schnelle und vollständige Entfernung des Desinfiziens durch Überführung des- selben in eine unlösliche, unschädliche Verbindung mittelst chemi- scher Fällung, z. B. beim Sublimat durch Fällung mit Schwefel- ammonium, wobei unlösliches Schwefelquecksilber entsteht. Schäeeee (Z. 16. 173) schlägt den umgekehrten "Weg ein, indem er nicht das Des- infiziens, sondern die Bakterien mittelst Centrifu gierung rasch aus der Lösung entfernt. Behring und Nocht (Beheing, Bekämpfung d. Infektionskrankheiten. Leipzig 1894) haben eine Kombination der KocHschen und GEPPEETschen Methode mit Erfolg angewandt, in- dem sie das Sublimat aus den Sporenfäden durch Schwefelammonium- fällung entfernten. — Nach Beendigung der Einwirkung des Desinfiziens werden nun die Keime in frisches Nährmaterial gebracht; hierbei kommt alles darauf an, den bereits geschwächten Keimen möglichst optimale Existenzbedingungen zu gewähren; nach Behring verwendet man daher nicht, wie Koch früher gethan hatte, Gelatine, sondern Bouillon oder Blutserum und hält bei Brüttemperatur; auch ist nach Geubee (r: C. 11. 115) eine mehrtägige Beobachtungsdauer erforderlich, da häufig trotz der besten Züchtungsbedingungen erst ein verspätetes Auswachsen stattfindet. Dagegen ist der Vorschlag Gep- pert's (B. 90. 248), statt der Kultur auf künstlichem Nährboden den Tierversuch als Kriterium für die erfolgte Abtötung zu verwenden, nicht allgemein empfehlenswert, da, wie Behring mit Bestimmtheit nachgewiesen hat, Milzbrandsporen vor dem endgiltigen Absterben in ein Stadium gelangen, in dem sie zwar nicht mehr infektions- tüchtig sind, aber doch noch auf künstlichem Substrat auswachsen; dies steht auch mit den sonstigen Erfahrungen über das Ver- hältnis von Abschwächung und Abtötung ganz im Einklang. Für Keime, die überhaupt nur sehr kümmerlich auf künstlichem Sub- Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 29 450 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. strat gedeihen, wie Pneumokokken, ist freilich der Tierversuch un- entbehrlich. Unter den allgemeinen Bedingungen der Desinfektion ist vor allem der Temperatur zu gedenken, welche hier, im Gegensatz zu ihrer Wirksamkeit bei der Entwicklungshemmung, nach Untersuchungen von Henle (A. 9. 192), Nocht, Hüneemann und Behring (Z. 9. 403), sowie Heider (A. 15. 341) den Desinfektionseffekt stets sehr erheblich steigert. Ferner ist die zuerst von Koch (M. G. I. 250) gefundene und seitdem noch mehrfach (Ceppi, r: J. 93. 557; Lenti, A. J. III. 518) bestätigte Thatsache von grösster Bedeutung, dass alle Desinfektionsmittel nur in wässriger, nicht aber in alkoholischer oder öliger Lösung wirken; der desinfektorische Effekt des in der Praxis zuweilen angewandten Carbolöls ist also ganz illusorisch. Eine scheinbare Ausnahme von diesem Gesetz machen nach Gottstein Lösungen des Sublimats in Lanolin, welche dieselbe Wirksamkeit zeigen, wie wässrige Lösungen; hier handelt es sich aber eben nicht um eine Lösung des Desinfektionsmittels in dem Fett des Lanolins, sondern um eine wässrige Sublimatlösung, in der sich das Fett in fein emulgiertem Zustande befindet. Übrigens ver- halten sich nach neueren Untersuchungen von Breslauer (Z. 20. 165) und ScHEüRLEN (A. 25. 373) auch die übrigen Fette und Ol in dieser Beziehung sehr verschieden; während z. B. Olivenöl und Vaseline nur sehr langsam das Desinfiziens an ein wässriges Medium abgeben und demzufolge im Körper nur geringe desinfizierende Wirkung ausüben, gestalten sich z. B. bei Gelböl und Unguent. leniens die Verhältnisse weit günstiger; nach Scheurlen giebt ein Ol um so leichter Carbol an Wasser ab, je geringer sein spezifisches Gewicht ist. — Diese Ver- hältnisse haben Bedeutung für die Wahl eines Konstituens zu einer antiseptischen Salbe. Von hohem Interesse ist endlich noch das Studium der Gift- wirkung der Desinfizientien auf höhere Tiere. Hierbei zeigt sich fast ausnahmslos eine viel höhere Giftigkeit gegenüber diesen letzteren als gegenüber den Mikroorganismen. Dieses Verhältnis hat Behring (Be- kämpfung der Infektionskrankheiten) zahlenmässig ausgedrückt in dem Begriff der „relativen Giftigkeit"; der Ausdruck für dieselbe berechnet sich z. B. für Carbolsäure folgendermassen: Die tötliche Minimaldosis der Carbolsäure für höhere Tiere ist bei einem Ver- hältnis der injizierten Carbolsäure zum Körpergewicht von 1:3000 erreicht; der entwicklungshemmende Wert für Milzbrandbacillen in Rinderblutserum beträgt 1:500; der Bruch 3^*u\j" = 6 drückt dann aus, dass die Carbolsäure für höhere Tiere sechsmal giftiger ist als für Milzbrandbacillen in Rinderblutserum; die relative Giftigkeit der GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 451 Carbolsäure ist also gleich 6. Die Erkenntnis, dass die allgemein wirksamen Desinfektionsmittel stets für das tierische Protoplasma hef- tiger giftig wirken, als für die Mikroorganismen, lässt leider eine „innere Antisepsis", eine Abtötung der Infektionserreger im infi- zierten menschlichen oder tierischen Körper dmxh diese Mittel nicht zu. Nun giebt es aber ausser diesen allgemein wirksamen Protoplasma- giften noch spezifisch wirksame Mittel, die nur auf eine Art patho gener Keime zerstörend wirken, alle anderen aber, sowie auch die tierischen Gewebe unberührt lassen. Andeutungen solcher spezifi- schen Wirkung werden wir schon bei einigen der zu besprechenden chemischen Desinfizientien finden; vollkommen ausgeprägt ist sie bei den in einem früheren Abschnitt eingehend besprochenen baktericiden Antikörpern des lebenden Körpers, welche in der Serumtherapie als praktische Anwendung rationeller innerer Antisepsis ihren Triumph feiern. — Behufs spezieller Besprechung ordnen wir die grosse Masse der Desinfektionsmittel, so viel wie möglich nach chemischer Zusammengehörigkeit gehend, in Haupt- und Unterab- teilungen, ähnlich wie dies zuerst von Behring geschehen ist. I. Anorganische Desinfektionsmittel. a) Metalle und Metallsalze. Manche Metalle üben als solche, in reinem Zustand, eine deut- liche antiseptische Wirkung aus. Dies ist zuerst von Miller (Verhdlg. d. dtsch. odontolog. Ges. 1889) an einigen Goldpräparaten, die in der Zahnfüllungstechnik Verwendung finden, konstatiert und dann von Behring (Z. 9. 432) bestätigt. Legt man ein Stückchen Gold in die Mitte einer Gelatineplatte, so bleibt in einem gewissen Umkreise das Wachstum mancher Arten aus ; die verschiedenen Arten werden in sehr verschiedenem Grade beeinflusst, z. B. sind Diphtherie- und Milzbrand- bacillen, sowie Pyocyaneus stark, Cholerabacillen nur massig empfind- lich, während Typhus- und Rotzbacillen gar nicht gehindert werden. Ausserdem metallischen Gold fand Behring auch Silber und Queck- silber, in geringerem Grade auch Kupfer, Nickel und Zink wirksam. Eisen, Blei und Zinn dagegen unwirksam. Wurden die Metallstückchen. aus dem Nährboden entfernt, so war trotzdem auch bei nochmaliger Besäung in den frei gebliebenen Bezirken des Nährbodens wiederum eine Entwicklungshemmung zu konstatieren, die um so vollständiger war, je mehr der Impfstrich sich dem Centrum, wo früher das Metall gelegen hatte, näherte. Dies spricht dafür, dass von den Metallen geringe Spuren im Nährmedium aufgelöst werden und so direkt das Bakterienwachstum hemmen, was freilich bei der Schwerlöslichkeit des 29* 452 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Goldes sehr merkwürdig ist. Vielleicht kommt die Lösung überhaupt erst durch die Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen zustande; so wird sich wenigstens das verschiedene Verhalten differenter Arten gegenüber demselben Metall, welches bei gelösten Metallsalzen nicht in gleicher Weise zu beobachten ist, zwanglos erklären. Unter den Metallsalzen sind weitaus am besten bekannt und von stärkster desinfizierender Wirkung die Quecksilbersalze, in erster Linie das Quecksilbersublimat, HgCl2. Die eminenten baktericiden Eigenschaften desselben wurden zuerst durch Koch erkannt, und wenn auch durch spätere Versuche, namentlich von Behring, mit vervoll- kommneter Methodik gezeigt worden ist, dass die antiseptische und desinfizierende Wirksamkeit des Sublimats nicht ganz so hoch ist, wie es nach den ersten Versuchen den Anschein hatte, so nimmt doch noch immer das Sublimat die hervorragendste Stelle unter den chemischen Desinfizientien ein. Die Entwicklungshemmung ist in Gelatine für die Milzbrandbacillen bereits bei einem Gehalt von 1 : 1 Million eine voll- ständige; getötet werden Milzbrandbacillen in Wasser bereits durch den Gehalt von 1 : 500000 Hg Gl, in wenigen Minuten. In organischem Substrat hingegen ist die Wirksamkeit des Sublimats erheblich ver- ringert; so werden die Bacillen in Bouillon erst bei 1:40000, in Blut- serum gar erst bei 1 : 2000 abgetötet. Die Entwicklungshemmung tritt in Blutserum nach Beheing's sehr zahlreichen und sorgfältigen Versuchen in der Regel bei einem Gehalt von 1:10000 ein; dieser Wert, bezieht sich nur auf eine zweitägige Beobachtung, reicht aber für längere Beobachtungszeiten nicht aus, da das Sublimat allmählich zersetzt und dadurch unwirksam wird; so z. B. reicht selbst ein Gehalt von 1 : 6000 nicht mehr hin, um noch nach 8 Tagen die Entwicklung aufzuhalten. Interessant ist ferner der Einfluss der Temperatur auf den entwicklungshemmenden Wert; bei Brutwärme, wobei sich die Bacillen in optimalen Lebensbedingungen befinden, widerstehen sie der- selben Schädigung leichter als bei Zimmertemperatur; so wurde nach Beheing bei einer 24 stündigen Beobachtungsdauer in Bouillon bei 20*^ vollständige Entwicklungshemmung schon bei einem Sublimatzusatz von 1 : 500000 konstatiert, während bei 36 "^ cet. par. eine Concentration von 1:125000 hierzu erforderlich war. Mit zunehmender Verdünnung des Blutserums nimmt auch die entwicklungshemmende Wirkung des Sublimats, und zwar annähernd proportional mit der Verdünnung wieder zu, so dass z. B. in einem 40 fach mit Wasser verdünnten Serum schon bei einem Gehalt von 1 : 500 000 die Entwicklungshemmung selbst bis zu 72 Std. eine vollständige ist. — Besonders weitgehende Änderungen haben die Ansichten über den sporentötenden Wert des Sublimats er- fahren müssen; während nach Koch's erster Mitteilung schon bei einem GoTSCHLicH, Die AbsterbebedingTingen der Mikroorganismen. 453 Gehalt von 1 : 5000 HgCl, die Sporen in einigen Minuten abgetötet sein sollten, ist nach neueren Versuchen von C. Fränkel dieser Effekt bei 1 : 1000 erst in 30 Minuten in wässriger Lösung zu erreichen, und nach Beheing und Nocht tritt in Bouillon und Globulinlösung selbst nach 3 stündiger Behandlung mit l%o Sublimat noch keine Abtötung der Sporen ein; dieselbe ist mit gewöhnlicher Sublimatlösung zu I^Iqq sicher erst binnen 24 Stdn. zu erreichen, bei 1:200 in 2 Stdn., bei 1:100 in 80 Minuten; durch Zusatz von Schwefelsäure (1 HgCl^ + 9 Gewichtsteile H2SO4) lässt sich die Wirksamkeit etwas steigern, so dass z. B. durch 1 %o Lösung Sporenabtötung schon nach 6 Stdn. erfolgt. — Die starke Verringerung der Wirksamkeit, welche das Sublimat in Blutserum und ähnlichen eiweisshaltigen Flüssigkeiten erleidet, ist darauf zurückzu- führen, dass das in diesen Lösungen enthaltene leblose organische Ma- terial ebenso, wie es nachher noch vom lebenden Plasma kennen zu lernen sein wird, reduzierend wirkt und so einen Teil des Quecksilbers für sich in Anspruch nimmt; in ähnlicher Weise setzt auch das Vor- handensein zahlreicher lebender Milzbrandbacillen die sporentötende Wirksamkeit des Sublimats herab. Diese Wirkung darf nicht ver- wechselt werden mit der Bildung eines Quecksilberalbuminat- Niederschlages, welcher sich im Blutserum bildet, wenn der HgCl2- Gehalt 0,25 ^/oo übersteigt; denn die Verringerung der desinfizierenden Wirksamkeit des Sublimats in eiweisshaltigen Medien tritt auch dann ein, wenn eine solche Ausfällung des Quecksilberalbuminats durch Zusatz geeigneter Mittel verhindert wird. Zu letzterem Zwecke ist zuerst von Laplace (D. 87. 866) der Zusatz von 5 %o Weinsäure oder HCl zu 1 %o HgCl2 empfohlen worden; nach Behring (C. 3. 27 u. 64) wird dieser Niederschlag von allen Mitteln, die Niederschläge der Mer- kurireihe in Lösung halten, mit Ausnahme natürlich der an sich schon koagulierend wirkenden, in Lösung gehalten. Besonders geeignet sind für diesen Zweck KCl und NaCl. Die mit diesen Salzen (5 Teile KCl oder NaCl auf 1 HgCl2) bereiteten Lösungen zeichnen sich durch ihre grosse Haltbarkeit aus; sie werden weder durch das Licht zersetzt, noch geben sie eine Fällung mit kohlensauren Alkalien; sie können daher auch mit nichtdestilliertem Wasser hergestellt werden. Die etwa eintretende Bildung von Quecksilberoxychloriden beeinträchtigt die Wir- kung nicht; „überhaupt ist der desinfizierende Wert der Queck- silberverbindungen im wesentlichen nur von dem Gehalt an löslichem Quecksilber abhängig, die Verbindung mag sonst heissen, wie sie wolle" (Behring, Z. 9. 400). Entwicklungshemmung der Milzbrandbacillen in Rinderblutserum sah Beh- ring (D. 89. 41/43) bei verschiedenen Hg-Präparaten durch folgende Koncentra- tionen bewirkt: Quecksilberchlorid + 2 Cyankalium + Quecksilbercyanid bei 11: 454 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ISOOO, Quecksilberchlorid 4- 1 Cyankalium bei 1:15000, Quecksilberchlorid + 1/2 Cyankalium bei 1:12000, Quecksilberchlorid allein bei 1:10000, Quecksilberchlorid + 10 NaCl bei 1:15000, Quecksilberchlorid + 3 Salmiak bei 1:12000, Quecksilber- cyanid bei 1:18000, Quecksilbercyanid-Cyankalium bei 1:24000, Quecksilberoxy- cyanid bei 1:16000, Quecksilberjodidjodkalium bei 1:20000, Quecksilberformamid bei 1:10000, 1 Sozojodolquecksilber + 5 NaCl bei 1:6000. Die relative Giftigkeit der Quecksilberpräparate beträgt nach Behring etwa 6, d. h. die Quecksilbersalze sind für höhere Tiere etwa 6 mal so giftig, wie für Milzbrandbacillen in Rinderb Intserum. Die anderen Metallsalze teilen mit den Quecksilbersalzen die unangenehme Eigenschaft, in eiweisshaltigen Lösungen unlösliche Nie- derschläge zu bilden, besitzen dagegen meist eine geringere desinfi- zierende Energie. Besondere Erwähnung unter ihnen verdienen die Silbersalze. Dieselben kommen in ihrer entwicklungshemmenden Energie dem Sub- limat fast gleich, übertreifen dieselbe sogar gegenüber dem Rotzbacillus. So werden nach Behring (D. 87. Nr. 37 u. 38) Milzbrandsporen in Rinderblutserum durch eine Silberoxyd -Penthamethylendiaminlösung von 1:40000, durch eine Silbernitratlösung schon bei 1:80000 am Auskeimen verhindert; Vernichtung trat bei 24 stündigem Verweilen in einer Silberoxydlösung von 1:2500, resp. nach 70 stündigem Auf- enthalt in einer Silbernitratlösung von 1:12000 ein. Boer (Z. 9. 482) fand bei Anwendung von Silbernitrat für folgende pathogene Bakterien in Bouillon folgende Werte: Abtötung nach 2 Stdn. Entwicklungs- einer frisch geimpften hemmung Kultur Asporogene Milzbrandbacillen . 1:60000 [1 : 80 000] 1:30000 [1:70000] Diphtheriebac 1:60000 [1:80000] 1:10000 [1:60000] Eotzbacillen . ...'.... 1:75000 [1:60000] 1:15000 [1:50000] Typhusbacillen 1 : 50 000 [1 : 60 000] 1: 4000 [1:50000] Cholerabacillen 1:50000 [1:90000] 1:20000 [1:80000] Zum Vergleich sind in eckigen Klammern die korrespondierenden Werte für Quecksilberoxycyanid beigegeben. Es geht daraus ohne weiteres die bedeutende entwicklungshemmende Wirkung des Silbernitrats hervor; doch zeigt sich seine desinfizierende Wirksam- keit wesentlich geringer. In Blutserum dagegen leisten Silber- lösungen etwa 5 mal mehr als Sublimatlösungen; Behring hat daher ver- sucht durch intravenöse Silbernitratinjektionen auch am lebenden, mit Milzbrand infizierten Tier die Bacillen abzutöten und so das Tier durch „innere Antisepsis" zu retten. In der That gelang ihm dies einige Male bei infizierten Kaninchen dadurch, dass ein Silbergehalt von 1: GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 455 15 000 2 — 3 Tage hindurch, unmittelbar von der Infektion ab, im Blut des lebenden Tieres unterhalten wurde; doch kommt hierbei bereits das Leben der Tiere durch Silberintoxikation in grösste Gefahr. — In chloridhaltigen Medien erleidet die Wirksamkeit des Silbernitrats durch die teilweise Ausfällung des Silbers als AgCl eine sehr erhebliche Ein- busse. — Dieser Ubelstand ist teilweise vermieden in dem neuerdings von ScHÄFFER (Z. 16. 179) geprüften Athylendiaminsilberphos- phat („Argentamin"), welches bei Zusatz zu eiweiss- und chlorid- haltigen Flüssigkeiten nur eine Trübung, keine Fällung erzeugt. Die desinfizierende Wirkung desselben gegen vegetative Formen und vor allem gegen Gonokokken war in allen Nährböden der des Silbernitrats, zuweilen sogar der des Sublimats überlegen; nur die Mi]zbrandsj)oren wurden von der Silbernitratlösung in gleicher Koncentration rascher getötet als von Athyleudiaminsilberphosphat; bei Verwendung einer 1 proz. Lösung trat bei ersterer schon in 5 Minuten, bei letzterer erst in 15 Minuten Abtötung der in Bouillon suspendierten Sporen ein. Neuer- dings ist ferner von R. Meyer (Unters, üb, d. Wirk. d. Argentum- kaseins etc. Diss. Breslau 1894) das Argentumkasei'n (nach Röhmann und Liebrecht aus 10 Teilen Kaseinnatrium + 1 Teil AgN03 bereitet) geprüft worden; in wässrigen Lösungen steht es dem Athyleudiamin- silberphosphat zwar nach, in eiweisshaltigen aber kommt es ihm gleich und entfaltet dabei eine etwa 5 mal geringere Reizwirkung auf mensch- liche Gewebe. — Von droldsalzen ist das Aur onatriunichlorat von Behrixg und Boer(Z. 9. 479) geprüft worden; docb ist seine desinfizierende Wirkung nur eine geringe, in- dem z. B. Rotzbacillen in Bouillon erst bei einem Gebalt von 1 : 1000, Typhusbacillen bei 1:800 in 2 Stunden absterben. Dies erklärt sieb dadurcb, dass das Präparat sebr leicbt von den organiscben Substanzen der Nährlösungen, besonders von den Globulinen angegriffen wird. Andere Goldsalze, wie das Goldkaliumcyanid, können vollständig mit den Quecksilber- und Silbers aJzen konkurrieren. — Von anderen Metallen kommt nach v. Lingelsheesi (Z, 8.203) dem Tballiumkarbonat erbebliche desinfizierende Fähigkeit zu; unter den Kupfer salzen besitzt nach Greex (Z. 13. 495) Cuprum bicbloratum die stärkste desinfizierende Wirksamkeit; die Kupfersalze wirken um so stärker, je grösser der Gebalt ihres Moleküls an Cu ist. Kupfer-, Palladium- und Platin Verbindungen sind nach Behring von etwa 5 mal ge- ringerer Wirksamkeit als Sublimat; Iridium, Zinn, Zink und Eisen haben einen sebr geringen desinfizierenden Wert; Eisenvitriol wirkt nach Jäger (A. G. 5. 247) selbst in Koncentration von 1:3 nicht auf Milzbrandsporen und Tuberkel- bacillen, dagegen auf Hübnercbolera, Scbweinerotlauf, Scbweineseucbe und Eotz- bacillen, sowie bereits in 1:10 auf sporenfreie Milzbrandbacillen. Das Eisen- cblorid ist von Löffler, (C. 16. 955) zur lokalen Behandlung des Diphtherie in 4proz. Lösung gemischt mitAlkobol undToluol verwendet werden; diese Mischung tötet eine dicke, wohl ausgewachsene Dipbtheriekultur binnen 5 Sekunden ab; reiner Liquor ferri bewirkt Abtötung in 10 Sekunden. 456 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Über das Wesen der antibakteriellen Wirkung der Metall- salze auf die Bakterien giebt yielleicht die von Loew festgestellte Thatsache einigen Aufschluss , dass das Protoplasma gewisser Algen eine Reduktion der Metallsalze zu niederen Oxydations- stoffen oder bis zum Metall selbst bewirkt und sich durch Aufnahme des Metalls selbst vergiftet; besonders wirksam erwiesen sich Quecksilber-, Silber- und Goldsalze. Beheing gelang es nun, an den Doppelcyaniden der Metalle, welche durch leblose organische Sub- stanzen fast gar nicht angegriffen werden und demnach rein den Effekt der Reduktion durch das lebende Plasma zeigen, bei vergleichender Prüfung des entwicklungshemmenden Wertes auf Milzbrand- bacillen und der Giftwirkung auf höhere Tiere zu zeigen, dass zwischen beiden Reihen von Werten ein vollständigerParalle- lismus besteht; ordnet man die Metalle nach ihrer entwicklungs- hemmenden Wirkung, so ist gleichzeitig die so gewonnene Skala auch giltig für ihre Giftwirkung im Tierkörper, Hiernach darf man auch annehmen, dass Giftwirkung und baktericide Wirkung auf einer und derselben Protoplasmawirkung beruhen, die sich wahrscheinlich als Reduktionswirkung darstellt. Auf demselben Prozess beruht auch die chemische Bindung der Metallsalze durch leblose Eiweisskörper, wodurch z. B. im Blutserum die verminderte Wirksamkeit der Desinfizientien zustande kommt; durch Zusatz geeigneter Mittel lässt sich diese Zer- setzlichkeit herabsetzen, ganz analog wie dies für das Kupfersulfat in der FEHLiNG'schen Lösung durch Zusatz von Weinsäure erreicht ist. b) Säuren und Alkalien. Der Einfluss der Reaktion des Nährsubstrats auf die Lebensfähig- keit der Mikroorganismen ist bereits in einem früheren Kapitel be- sprochen worden, wo auch das ausserordentlich verschiedene Verhalten verschiedener Arten dargethan wurde. Hier erhebt sich nun die wei- tere Frage, ob die Wirkung der Säuren und Alkalien nur auf ihrer Acidität, bezw. Alkalescenz beruht, so dass sie auch quantitativ nur nach der Grösse der titrimetrisch ausgewerteten Reaktionsänderung richtet, oder ob es dabei nicht auch gleichzeitig auf die chemische Natur der Säure oder des Alkalis ankommt, so dass bei verschiedenen Körpern trotz gleicher Änderung der Reaktion doch Verschiedenheiten in dem antibakteriellen Verhalten vorkommen könnten. Diese Alternative ist, was die Säuren anlangt, durch die Unter- suchungen V. Lingelsheim's (Z. 8. 201) im Sinne der ersteren Annahme entschieden. Nicht blos die anorganischen Säuren, wie Salzäure, Schwe- felsäure, Salpetersäure, Phosphorsäure, sondern auch die organischen, wie Ameisensäure, Essigsäure, Buttersäure, Valeriansäure, Oxalsäure, GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungeu der Mikroorganismen. 457 Milchsäure, Weinsäure, Malonsäure, Citronensäure, zeigten die gleiche entwicklungshemmende Wirkung auf Milzbrandsporen im Rinderblutserum, wenn sie in gleichem titrimetrisch festzu- stellenden Aciditätsgrade im Nährboden vorhanden waren; die chemische Konstitution der einzelnen Säure machte für das Resultat nichts aus. Derjenige Säuregehalt, bei welchem, eine Ent- wicklung der Milzbrandbacillen ausblieb, war für alle Säu- ren annähernd gleich und entsprach etwa 40 ccm Normal- säure pro 1 Liter Nährflüssigkeit. Bei diesem Säuregehalt, der vollständige Entwicklungshemmung bewirkt, sterben auch schon viele Keime ab; definitive Abtötung sämtlicher Keime erfolgt aber erst bei einem etwa doppelt so hohen Säuregehalt. Von den organischen Säuren, die ein viel höheres Molekulargewicht haben, sind demnach natürlich auch grössere absolute Mengen nöthig, weshalb diese Säuren eine schwächere Wirkung auszuüben scheinen wie die anorganischen; auf Normalsäure berechnet, besteht aber in beiden Fällen dasselbe quantitative Ver- hältnis. Die späteren Untersuchungen von BoER (Z. 9. 479) bestätigen diese Regel und zeigen noch zahlenmässig, dass der zur Entwicklungs- hemmung erforderliche Aciditätsgrad bei verschiedenen Arten verschie- den ist; Rotzbazillen werden z. B. erst durch einen 6 mal höheren Säure- gehalt in ihrer Entwicklung gehemmt wie Cholerabacillen. In scheinbarem Widerspruche hierzu steht eine Angabe von Kitasato (Z. 3. 404), wonach die Schwefelsäure erheblich wirksamer sein sollte, als die Salzsäure; dieser Widerspruch erklärt sich aber wahrscheinlich aus der abweichenden Versuchsanordnung Kitasato's, der die Bakte- rien nach beendigter Einwirkung des Desinfiziens in Gelatineplatten brachte, während Boee sie in Bouillon bei Brüttemperatur züchtete. Durch genaue Nachahmung der KiTASATo'schen Versuchsanordnung erhielt Boer auch sofort dieselbe scheinbare Überlegenheit der Schwefel- säure über die Salzsäure; dieselbe erklärt sich vielleicht so, dass die durch die Schwefelsäure bereits geschädigten, aber noch nicht abgetö- teten Bakterien bei der niedrigen Temperatur des Gelatineplattenver- fahrens durch die mit übergeimpften kleinen Mengen von Schwefelsäure am Auswachsen verhindert wurden, was unter den günstigeren Be- dingungen der Brüttemperatur nicht der Fall ist, während die flüchtige Salzsäure allmählich aus dem Nährboden entweicht und so auch ein Auswachsen bei Zimmertemperatur ermöglicht. — Ein grosser Unter- schied macht sich in den Resultaten über die antibakterielle Wirkung der Säuren geltend, je nachdem man von Züchtung in alkalischer oder neutraler Bouillon ausgeht; hierbei findet jedoch nicht etwa blos eine einfache algebraische Addition der Acidität oder Alkalescenz des Substrats zu der hinzukommenden Säuremenge statt, sondern der Unter- 458 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. schied fällt bei verschiedenen Bakterien, z. B. heim Cholera vibrio und Diphtheriebacillus, in entgegengesetztem Sinne aus, je nachdem das be- treffende Bakterium in alkalischer oder neutraler Bouillon seine opti- malen Lebensbedingungen findet; bei diesem Reaktionsoj)timum bedarf es zur Erreichung desselben Effekts, der vollständigen Entwicklungs- hemmung, eines grösseren Säurezusatzes als sonst, so dass unter Um- ständen dasselbe Bakterium, wie eben der Diphtheriebacillus, in neu- traler Lösung erst durch grössere Säuremengen abgetötet wird, als in saurem Substrat. — Sporentötende Wirkung kommt nur der Salz- säure, Schwefelsäure und Salpetersäure in koncentrierten Lösungen zu; stärkere Verdünnungen sind auch bei langdauernder Einwirkung machtlos. Für praktische Desinfektionszwecke kommen nur die rohe Schwefelsäure und die rohe Salzsäure in Betracht. Während die verschiedenen Säuren, auf gleichen Gehalt an Nor- malsäure berechnet, sich in ihrer desinfektorischen Wirksamkeit alle annähernd gleich verhalten, spielt bei den Alkalien nach v. Lingels- HEiM (1. c.) die chemische Natur des einzelnen Alkalis für die Grösse des antibakteriellen Effekts eine ausschlaggebende Rolle. So genügte zur Hemmung der Entwicklung von Milzbrandbacil- len in Rinderblutserum, auf 1 Liter Nährüüssigkeit bezogen, von Barium- hydroxyd bereits ein Zusatz von 5ccm, von der Natronlauge llccm, von Ammoniak dagegen erst von 70ccm; auf Normallauge berechnet ergiebt dies die Werte 4,64; 11,00; 70,00. Vom Ammoniak wird also ein 7 mal grösserer Laugenzusatz vertragen als von Natronlauge. Ausser- ordentlich hohe entwicklungshemmende Werte ergaben das schon früher genannte Thalliumkarbonat (1:7500) und das Lithionkar- bonat (1:2000). Die ausschlaggebende Rolle der chemischen Natur des Metalls im Alkali kommt auch ebenso in den neutralen Halogen- salzen des Metalls zum Ausdruck. Während z. B. NaCl erst bei einem Zusatz von 1:12,5 die Entwicklung des Milzbrands in Blutserum verhin- derte, trat dies bei Calciumchlorid schon bei einem Zusatz von 1:50 und bei Lithiumchlorid gar bereits in einem Zusatz von 1:500 zu Tage. Sporentötend wirken bei gewöhnlicher Temperatur nur die Alkali- hydrate, nicht aber die Karbonate; auch die Hydrate töten Sporen nur in stärkeren Lösungen, zeigen sich aber doch wirksamer als die Säuren; so werden nach Beheing (1. c. S. 89) Milzbrandsporen in 30 \ NaOH schon nach 10 Minuten, in 4^/0 (also Normal-NaOH) in 45 Minuten ab- getötet. Auch die Karbonate und die alkalischen Seifen können bei erhöhter Temperatur eine sehr energische Desinfektions- wirkung entfalten. In gew^öhnlicher Waschlauge von etwa 1,4 % Sodagehalt und 85^ Temperatur sah Beheing (I.e. S. 89) selbst die GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 459 resistentesten Milzbrandsj)oren nach spätestens 8 — 10 Minuten absterben; bei 75*^ trat dieser Effekt erst in 20 Minuten ein. EinelOproz. Lösung gewöhnlicher Schmierseife zeigt fast die gleiche Wirksamkeit. Heider (A. 15. 341) konstatierte in 2proz. reiner Lösung von Soda bei 75*^ erst nach 1 — 2 Stdn. Vernichtung der Milzbrandsporen. Aber auch bei Zimmertemperatur üben gewöhnliche Seifenlösungen auf Cholera- und Typhusbacillen eine bedeutende desinfizierende Wirksam- keit aus (di Mattei, A. J. 1; Jolles, Z. 15. 460; 19. 130). Die doppeltkohlensauren Alkalien, welche neutral oder ganz schwach alkalisch reagieren, besitzen keine nennenswerte antibakterielle Wir- kung. Von einzelnen Alkalien ist ferner ausser dem schon erwähnten Ammoniak, das sowohl hier als in seinen Salzen eine auffallend ge- ringe antiseptische Wirksamkeit entfaltet und das in Gasform nach DE Feeudeneeich (A. Mi. 93. 493), Boedoni-Uefeeduzzi, (r: C. 15. S62) und MoEENO (r: C. 17. 505) keine sichere für die Praxis verwend- bare desinfizierende Wirkung ausübt, das ungleich stärker wirksame Hydroxylamin, NH^OH zu nennen, das nach Beheing (D. 89. Nr. 41/43) (als Chlorhydrat untersucht) schon in 1:1500 die Entwick- lung der Milzbrandbacillen im Rinderblutserum aufhebt, also über 9mal wirksamer als Carbolsäure ist; auch Heinisch (P. 89. 438) fand eine erhebliche entwicklungshemmende, aber nur eine geringe ab- tötende Wirkung. Die praktisch wichtigste Stelle unter den Alkalien und Erdalkalien nimmt der Atzkalk, Calciumhydroxyd, Ca(0H)2 ein. Seine Be- deutung für die Desinfektionspraxis wurde von Liboeiüs (Z. 2. 15) und Pfuhl (Z. 6. 97; 7. 363; 12. 509) begründet. Der Ätzkalk wirkt nur durch seine Alkalescenz; die neutralen Salze dessel- ben, z. B. das bei Berührung mit der atmosphärischen Luft aus dem Atzkalk durch Einwirkung der atmosphärischen CO2 entstehende Cal- ciumkarbonat, sind gänzlich unwirksam. Atzkalk tötet nach Liborius Cholerabouillonkulturen, die reichliche Eiweissgerinnsel enthielten und also für die Desinfektion ähnliche Verhältnisse darboten wie Dejektio- nen, bereits in der Koncentration von 0,4 "^'q in wenigen Stunden; nach Pfühl genügt in Kanalwasser ein Gehalt von 1,5 ^'q Atzkalk, um Typhus- und Cholerabacillen binnen einer Stunde zu vernichten, wenn die Mischung in steter Bewegung gehalten wurde; ohne Bewegung waren mehr als 3 °/o erforderlich. Für die Desinfektionspraxis bewährt sich am besten die von Pfuhl angegebene 20proz. Kalkmilch, Tünchung mit Kalkmilch tötet nach Jägee (A. G. 5. 247) die Erreger von Hühnercholera, Schweinerotlauf, Schweineseuche, Schweinepest und sporenfreie Milzbrandbacillen in zwei Stunden; Milzbrandsporen und Tuberkelbacillen dagegen bleiben noch nach 3maligem Kalkanstrich 460 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. selbst nach sechs Stunden intakt. Ahnliche Resultate erhielt de Giaxa (r: J. 1890. 497). — Von den Neutralsalzen verdient das Kochsalz noch eine kurze Erwähnung. Bei Nachahmung des Prozesses des Einpökeins durch Bestreuung von Kulturen mit einer dicken Lage Na Cl erhielten Fokster und DE Feeytag (A. 11. 60) nur bei Cholerabacillen, die in wenigen Stunden, und bei sporenfreien Milzbrandbacillen, die in 18 — 24 Stunden zugrunde gingen, ein positives Resultat; Typhusbacillen, Schweinerot- lauf bacillen, Staphylokokken und Streptokokken, Milzbrandsporen und Tuberkelbacillen blieben selbst nach Wochen bis Monaten resistent. e) Gasförmige anorganische StoflFe. Halogene und Halogenderivate. In früherer Zeit, als man von der korpuskularen Natur der In- fektionserreger noch nichts wusste, sondern sie sich als flüchtige Kon- tagien vorstellte, waren die gasförmigen Desinfektionsmittel, in Gestalt von Räucherungen u. s. w. sehr beliebt; bei der exakten Prüfung dieser Mittel hat sich jedoch ergeben, dass denselben nur eine ganz ungenü- gende Wirksamkeit zukommt. Der Hauptnachteil aller gasförmigen Des- infektionsmittel, der zuerst an der schwefligen Säure, SO2 von WoLEFHÜGEL (M. G. I. 181) nachgewiesen wurde, besteht in dem mangelhaften Eindringen und Durchdringen derselben durch die zu desinfizierenden Gegenstände, so dass Infektionserreger, die sich im Innern solcher Gegenstände, durch dicke äussere Um- hüllungen geschützt, befinden, von der schädigenden Einwirkung gar nicht getroffen werden. Sogar die stärksten, praktisch gar nicht an- wendbaren Koncentrationen, wie 10,1 Vol.-% SO2, sind unter solchen Umständen selbst bei 48 stündiger Einwirkung ausserstande, auch nur sporenlose Mikroben zu töten. Ausserdem ist die Verteilung der Gase in grösseren Räumen eine ganz ungleichmässige imd unkontrollierbare; daher erklärt sich, dass die sogleich zu erwähnenden Laboratoriums- versuche, die im kleinen und unter genau zu beherrschenden Be- dingungen positive Resultate ergaben, ihre Wirkung versagten, sobald sie im grossen wiederholt wurden. So gelang es z. B. Koch und Wolef- HÜGEL, in einem Glaskasten sporenfreie Bacillen bei einem Gehalt der Luft von 0,8—0,5 Vol.-*^,'o i^ 24 Stunden zu töten. Fischee u. Peos- KAUEE (M. G. IL 228) konnten bei ähnlicher Versuchsanordnung mit 0,18—0,3 Vol-o/o Chlor in 24 Stdn. und mit 0,3 Vol-% Brom in 3 Stdn. sporenfreie Mikroben töten. Als aber die Versuche in einem 28 Kubikmeter grossen Keller wiederh olt wurden, waren dieResultate durch- aus unsicher, indem sich wegen der 60 — 80 % betragenden Verluste fast nie ein zur Abtötung hinreichender Volumprozentgehalt an wirksamem GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 4ßl Gas herstellen Hess. Endlich werden die Bakterien in trockenem Zustande nur sehr schwer von den gasförmigen Desinfizien- tien angegriffen; bei den oben angeführten Volumprozenten war stets eine intensive Anfeuchtung der Objekte oder Sättigung der Luft mit Wasserdampf erforderlich; in feuchtem Zustande werden aber die Gegenstände durch diese Gase in irreparabler Weise beschädigt. Die angeführten gasförmigen Desinfektionsmittel sind also für die Zwecke der Desinfektionspraxis ganz unbrauchbar. Von anderen Gasen seien erwähnt der Schwefelwasserstoff, H2S, der zwar nach Feankland's Versuchen (Z. 6. 13) auf manche Bak- terien (Pyocyaneus, Choleravibrio, Spirill. Finkler) schädigend einwirken soll, der jedoch nach Gkaüer (r: J. 1887. 379) selbst bei stunden- langer Einwirkung auf Cholera-, Typhus-, Milzbrand- und Tuberkel- bacillen ganz ohne Einwirkung war. Stickoxyd, NO, soll nach Feank- LAND auf seine genannten 3 Mikroben rasch abtötend, Stickstoff- oxydul, N2O nur entwicklungshemmend wirken. Ozon, O3, übt nach Wtssoko witsch (Mitt. a. Dr. Brehmer's Heil- anstalt in Görbersdorf. N. F. Wiesbaden 1890. S. 71) bei einem Gehalt von 20 — 50 Milligramm pro 100 Kubikmeter eine gewisse Hemmung, namentlich auf langsam wachsende Arten aus; auch wird steriler Nähr- boden durch Ozoneinwirkung so verändert, dass bei nachheriger Aussat eine Entwicklungshemmung der überimpften Keime zu konstatieren ist. Eine immer noch sehr unsichere baktericide Einwirkung beginnt nach den Versuchen Sonntaqs (Z. 8. 95) erst bei einem Gehalt von 13,53 mgr O3 pro Liter, eine Koncentration, die aber nur durch ganz aussergewöhn- liche Mittel zu erreichen ist und bereits heftige zerstörende Wirkungen auf anderes Material ausübt. Auch nach den neueren Versuchen 0hl- müllee's (A. G. 8. 229) und Cheistmas (P. 93. 777) ist das Ozon als für die praktische Desinfektion von Gebrauchsgegenständen gänzlich ungeeignet anzusehen. — Hier mag auch noch einmal an die Rolle des Sauerstoffs bei der baktericiden Wirkung des Lichtes erinnert werden; in dieser Weit spielt der Sauerstoff wahrscheinlich in der Natur eine wich- tige Rolle als antibakterielles Mittel. Wasserstoffsuperoxyd, H2O2, ist nach Gibiee (Verhdlg. d. 10. Kongr. Berlin 1890. 5. 123), van Hattinga-Teomp (Diss. Gro- ningen 1887), Altehoefee (C. 8. 129), Pane (A. J. 90. II) und Teau- GOTT (Z. 14. 427) ein energisches Desinfiziens; es vermag bei einem Zusatz von 1 ^'q Trinkwasser in 24 Stdn. keimfrei zu machen, auch wenn dasselbe Typhus- oder Cholerabacillen enthielt. Hierbei wurde die Menge des H2O2 nicht wesentlich vermindert, wenn organische Sub- stanzen nur in spärlicher Menge im Wasser vorhanden waren. In Medien allerdings, die reich an organischem Material sind, wie in Fäces, 402 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. wird ein grosser Teil des H2O2 durch die organischen Substanzen in Beschlag genommen und so für die Desinfektion entzogen. Trotzdem erscheint es wegen seiner prompten energischen Wirkung vmd seines billigen Preises nach Teaugott für manche praktische Zwecke recht gut verwendbar. Während, wie oben dargethan wurde, die Halogene in Gasform nur geringe desinfizierende Wirksamkeit besassen, kommt ihnen in Lösung sowie einigen ihrer Derivate ein hoher desinfektorischer Wert zu. Chlorwasser ist nach Geppeet (B. 1890. Nr. 11) ein sehr kräftiges Desinfiziens; eine 0,2 proz. Lösung vernichtet Milzbrandsporen binnen 15 Sekunden; vollständige Entwicklungshemmung zeigt sich schon bei der Koncentration von 1 : 700. Die desinfizierende Wirkung wird noch erheblich gesteigert, wenn das Chlor in statu nascendi verwandt wird, indem man der zu desinfizierenden Masse Chlorkalk und langsam Salz- säure zufügt. Wegen der ausserordentlichen Schädigungen, welche Chlor auf organisches Material ausübt, kann das Mittel nur in sehr beschränktem Masse Anwendung finden. — Chlorkalk, aus CaCl2, Ca(0H)2 und Ca(C10)2 (unterchlorigsaurem Kalk) bestehend, giebt bei Behandlung mit Säuren schon mit der CO2 der Luft unterchlorige Säure ab, die dann weiterhin Cl abspaltet. Dass der desinfektorische Effekt der Räucherungen mit Chlorkalk ganz illusorisch ist, wurde schon erwähnt. Nach neueren Untersuchungen von Steenberg, Jägee und Nissen (Z. 8. 62) vermag er jedoch in Lösungen bedeutende antiseptische Wirkung zu entfalten; in 0,12 \ zu Bouillon zugesetzt, tötet er Cholera- und Typhusbacillen schon in 5 Minuten, Milzbrandbacillen schon in 1 Minute bei 0,2 % auch die pyogenen Kokken nach 2 Minuten. Sehr widerstandsfähige Milzbrandsporen wurden durch 5 % Chlorkalk erst in 4|-Stdn. getötet. Die desinfektorische Wirksamkeit wird in eiweiss- oder salzhaltigen Substraten sehr stark herabgemindert; in Fäces werden z. B. Typhusbacillen erst durch 1 ^j^ Chlorkalk in 10 Minuten abge- tötet. Für seine Verwendung in der Desinfektionspraxis liegt minde- stens kein Bedürfnis vor. — Jodtrichlorid, JCI3 , von Riedel (A. G. 2. Heft 3—5), Beheing (1. c. S. 93) und Teaugott (1. c.) geprüft, ist ein ausserordentlich energisches Desinfiziens. Cholerabacillen werden schon durch 1 : 2000 in 1 Minute, Milzbrandbacillen durch 1:1000 in 10 Sekunden, Milzbrandsporen in wässriger Suspension mit 1 % JCI3 fast momentan getötet. Diese sehr energische Wirkung erfährt auch in eiweiss- und salzreichen Lösungen nur eine geringe Abschw^ächung; in Fäces sind durch 1 : 1000 JCI3 Cholera- und Typhusbacillen schon in 15 Minuten abgetötet. GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 453 IL Organische Desinfektionsmittel. aj Körper der Methanreihe. Das Leuchtgas wirkt nach Kladakis (Üb. d. Einwirkung d, Leucht- gases auf d. Lebensthätigkeit der Mikroorg. Diss. Berlin 1890) auf eine ganze Reihe von Bakterien schädigend ein; Cholera-^ Typhus-, Milz- brand-, Tetanusbacillen, Pyocyaneus, Bac. Friedländer, Tetragenus und Staphylokokken wuchsen in Leuchtgasatmosphäre nicht, sondern waren nach 11 — 13 Tagen sämtlich abgetötet. Nur Proteus vulgaris gedieh üppig; auch Hessen sich Faulflüssigkeiten mittelst Durchleiten von Leuchtgas nicht sterilisieren. Alkohol bewirkt nach de la Ceoix (A. P. 13.175) im Verhältnis von 1 : 21, nacliMiQUEL im Verhältnis von 1 : 10,5 Entwicklungshemmung in Faulflüssigkeiten, nach Koch bei Gehalt von 1 : 12,5 völlige Entwick- lungshemmung der Milzbrandbacillen; dagegen vermochte absoluter Al- kohol Milzbrandsporen selbst nach monatelanger Einwirkung nicht zu schädigen. Vegetative Formen jedoch können durch Alkohol zerstört werden; so fanden Schill und Fischer (M. G. II. 131) die Tuberkelbacillen im Auswurf nach 24 stündigem Verweilen in einer Mischung, hergestellt aus 1 Teil Sputum und 4 Teilen absoluten Alkohols, abgetötet; Rein- kulturen von Tuberkelbacillen werden nach Yeesix (P. 88. 60) schon durch 5' dauerndes Verweilen in absolutem Alkohol ihrer Lebensfähigkeit beraubt. Eiterkokken werden nach Sternberg (A Manual of Bact. 189) schon durch 2 stündige Einwirkung 45% Alkohols vernichtet, sapro- j)hytische Kokken in noch verdünnteren Lösungen. Aceton übt nach Koch auf Milzbrandsporen nach 5tägiger Ein- wirkung eine allerdings immer noch unvollständige Wirkung aus; nur ein Teil der Sporen ist abgetötet. Aether wirkt nach Koch auf Milzbrandsporen nach 8 Tagen noch unvollständig, nach 30 Tagen jedoch sicher abtötend. Formaldehyd, H.COH, der Aldehyd der Ameisensäure, kommt in 40 proz. Lösung als „Formalin" in den Handel und ist von ausserordent- lich starker antiseptischer Wirkung. Dieselbe wurde zuerst von Loew u. Fischer (J. pr. Ch. 33. 221) sowie Buchner u. Segall (M. 89) ent- deckt und seitdem von vielen Forschern bestätigt. Trillat (C. E. 114) findet schon bei einem Zusatz von 1:50000 zu Fleischwasser eine merkliche, bei 1:12000 eine auf mehrere Wochen sich er- streckende Entwicklungshemmung. NachSLATER u. RiDEAL (La. 21. IV. 1894) lässt sich Entwicklungshemmung konstatieren für Staphylokokk. pyog. aur. bei einem Gehalt der Kulturbouillon von 1:5000, für Bac. typh. abd. bei 1:15000, für Bakt. coli comm. bei 1:7000, Bac. anthracis bei 1:15000, Bac. mallei bei 1:20000, Bac. pyo- cyaneus bei 1:7000, Bac. prodigiosus bei 1:20000, Spii'ill. cholerae asiaticae bei 464 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. 1:20000, für gewöhnliche Hefe Aufhebung der Gährung bei 1:2500. In einer Lösung von 1 : 10000 starben sporenfreie Milzbrandbacillen nach 30 Minuten, Cholera- bacillen in 2 Stdn. ab, Fäulnisbakterien dagegen wurden selbst binnen 24 Stdn. nicht getötet. In einer Iproz, Lösung wurden Milzbrand- und Cholerabacillen in weniger als 15 Minuten, Staph. pyogen, aur. erst zwischen 50 und 60 Minuten getötet. Zur sicheren und schnellen Abtötung müssen daher, wie schon Blt;m (M. 93. 32) betont hat, mindestens 2proz. Lösungen verwendet werden. lOproz. Lösung tötet nach Ascoli (r: C. 17. 849) Cholerabacillen in 3 Minuten, Milz- brandsporen in weniger als 5 Stdn.; 5proz. Lösungen töten Cholerabacillen in 3 Minuten, Diphtheriebacillen in 10 Minuten, Milzbrandbacillen in 15 Minuten, Staphylokokken in 30 Minuten, Milzbrandsporen in 5 Stdn. Die desinfizierende Kraft des Formalins ist also weit geringer, als man nach der bedeutenden anti- septischen Wirksamkeit schliessen sollte. Wichtig ist, dass den Formalin- dämpfen eine ziemlich energischeDesinfektionswirkung zukommt. Nach Ascoli (C. 17. 849) werden in einem Raum bei einem Formaldehydgehalt der Luft von 1:10000 Cholerabacillen in 1 Std., Diphtheriebacillen in 3 Stdn., Staphylokokk. pyog. in 6 Stdn., Milzbrandsporen in 13 Stdn. abgetötet; bei einem Formaldehyd- gehalt von 1:100 sterben Staphylokokken und Milzbrandsporen bereits in höchstens 45' ab. Eine andere, noch nicht endgiltig zu beantwortende Frage ist freilich, ob das Formaldehyd auch die zu desinfizierenden Objekte durchdringt und überall seine Wirksamkeit entfalten kann. Hiervon wird es abhängen, ob das Formalin auch für die Zwecke der praktischen Desinfektion von Wohnräumen, Gebrauchs- gegenständen etc. brauchbar und zuverlässig ist; über diese Frage liegen bereits Versuchsreihen von Lehmann (M. 93. 32), Freymuth (D. 94. 649), Boedoni- Uffreduzzi (r: C. 15. 862), Philipp (M. 94. 926), Walter (Z. 21. 421) mit teil- weise recht ermutigendem Ergebnis vor. Chloroform, CHClg ist Milzbrandsporen gegenüber ohne jede Einwirkung (Koch). Dagegen vermag es, wie zuerst Salkowski (D. 88. 16. — V. 115. H. 2) entdeckte, auf sporenfreie Mikroben schädigend zu wirken; Cholera- und sporenfreie Milzbrandbacillen wer- den dadurch sehr schnell getötet; gesättigtes Chloroformwasser (1 %) führt selbst bei Massenkulturen von Cholerabacillen binnen 1 Minute zur Ab- tötung. Auch Chloroformdämpfe bewirken eine ziemlich starke Ent- wicklungshemmung an Staphylokokken, Cholera-, Typhus- undMilzbrand- bacillen. Kiechnee (Z. 8. 465) hat vorgeschlagen, eiweisshaltige Flüssigkeiten, z. B. Blutserum, ohne Erhitzung mittelst Chloroform zu sterilisieren; die Methode ist sehr praktisch, da sie die Eigenschaften, speziell die Gerinnungsfähigkeit des Serums, nicht verändert, und da das Chloroform vor dem Gebrauch der Nährsubstrate leicht durch Er- hitzung verjagt werden kann. Das Chloralhydrat, CClg.CHO, hat eine ähnliche, nur etwa 3 mal geringere antiseptische Wirksamkeit. Chloralcyanhydrin besitzt nach Roheee (C. 13. 43) nur geringe bakte- ricide Eigenschaften. Jodoform, CHJg, ist schon seit lange in die Chirurgie eingeführt und leistet insbesondere bei Behandlung jauchiger Wunden sowie tuber- GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 4(35 kulöser Prozesse sehr gutes. Um so auffallender erseheint es nun, wenn wir aus der bakteriologischen Prüfung dieses Stoffes erfahren, dass seine baktericiden Fähigkeiten nur ganz geringe sind. Eine sichere baktericide Wirkung äussert das Jodoform nämlich nur gegenüber den Choleravibrionen (Neissek, V. 110. 281 und BüCHNEE, M. 87. 25), während es allen anderen pathogenen Bakterien gegenüber nach den übereinstimmenden Ergebnissen von Heyn u. Rov- sing (F. 87. Nr. 2), Tilanus (M. 87. 309), Baumgaeten (B. 87. 20), KuNZ (r: J. 87. 370), de Ruytee (Langenbeck's A. 36. 984), Keonacher (M. 87. 29), ScHNiEEE (r: J. 1887. 373), Jefeeies (r: ebd. 374), Kae- LiNSKi (r: C. 6. 237), Maetens (V. 112. H. 2) u. A. vollständig machtlos ist; auch im Tierkörper vermag es keine baktericide Wirk- samkeit zu entfalten, selbst wenn es dem Infektionsmaterial in 40facher Menge beigemengt war (Baumgaeten und Kunz 1. c). Dagegen ver- mag es nach Kunz (1. c.) im Kontakt mit dem lebenden Gewebe Sapro- phyten zu zerstören und so Fäulnisprozesse in Wunden hintanzuhalten. Diese Wirkung ist nach Beheing (D. 87. Nr. 20) so zu erklären, dass durch die bei der Fäulnis auftretenden Reduktionsprozesse das Jodoform zerlegt wird; hierbei entstehen lösliche Jodverbin- dungen, welche ihrerseits teils antiseptisch auf die Erreger wirken, teils die gebildeten Ptoma'ine verändern und ihrer eiterungserregenden Eigenschaften berauben, wie dies Beheing (D. 88. 653) vom Kadaverin direkt konstatieren konnte. Durch beide Wirkungen wird der Eiterungs- prozess günstig beeinflusst. Aus der Thatsache, dass Jodoform nur nach vorgängiger Zersetzung wirkt, erklärt sich nun auch die Unwirk- samkeit desselben bei direkter Applikation auf die Kulturen. Die positive Wirkung auf Cholerakulturen erklärt sich wohl, abgesehen von der sehr geringen Resistenz dieser Mikroben, aus ihrer bedeutenden redu- zierenden Thätigkeit, die sich ja auch in ihrem Stoffwechsel kundgiebt. Kohlensäure, CO,, ist in ihrer Wirkung auf verschiedene Bak- terien von C. Feänkel (Z. 5. 333) untersucht. Manche Arten gedeihen in reiner CO-i fast ebenso gut wie in der Luft, so der Typhus- und der FEiEDLÄNDEE'sche Bacillus. Andere, wie Proteus und Prodigiosus, erleiden in CO, -Atmosphäre eine gewisse Entwicklungshemmung. Die Mehrzahl der Bakterien, namentlich viele Saprophyten, wachsen in CO 2 gar nicht, werden aber auch durch dieselbe nicht geschädigt. Einige Arten endlich, wozu z. B. Cholerabacillen, Milzbrandbacillen und Staphylokokken gehören, werden durch reine Kohlensäure mehr oder minder vollständig abgetötet. Schon verhältnismässig geringe Beimengungen von Luft gestatten jedoch selbst den empfindlichsten Arten wieder normales Wachstum. — Über desinfizierende Wirkung komprimierter COj (50 Atmosphären und mehr) vgl. S. 445. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 30 466 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. b) Körper aus der aromatischen Reihe. Benzol, C^Ht;, ist nach Koch (M. G. I) selbst nach einer 20 Tage lang dauernden Anwendung auf Milzbrandsporen ohne jede schädigende Einwirkung auf dieselben. Toluol ist in Mischung mit Alkohol und 4 % Eisenchlorid von Löfflee (1. c.) als wirksames desinfizieren- des Mittel zur Lokalbehandlung der Diphtherie empfohlen worden (vgl. S. 455). Anilin, CtjHv NH,; nach Riedlin (Vers. üb. d. antisept. Wir- kung etc. Diss. München 89.) hemmt Zusatz von Anilinwasser zum Nährboden im Verhältnis von 1:5 jegliche Entwicklung von Mikroben. Acetanilid hat nach Lepine (r: J. 87. 380) nur eine massige antibak- terielle Wirkung. Phenol, Carbolsäure, CgHg.OH, nimmt in dieser Gruppe die wichtigste Stellung ein. Ihre desinfizierende Leistungsfähigkeit steht zwar weit hinter der des Sublimats zurück; nach Koch beginnt die entwicklungshemmende Wirkung auf Milzbrandbacillen bei einem Ge- halt von 1 : 1250, wird vollständig bei 1 : 850; Abtötung der vegetativen Formen erfolgt bei 1:400 bis 1:200; Abtötung der Sporen erfolgt nach Koch in 5proz. wässriger Lösung zwischen dem ersten und zweiten Tage, ist jedoch nach Geppert (B. 90. Nr. 11) selbst durch 7% Carbolsäure und bei einer Einwirkungsdauer von 38 Tagen nicht zu er- reichen. Das Ausbleiben der Entwicklung in Koch's Versuchen darf wohl "entweder auf geringere Resistenz seiner Sporen oder auf die Wirkung mit den Sporen ins Nährsubstrat übertragener kleiner Mengen von Carbolsäure bezogen werden. In erwärmter (37,5 °) Carbolsäure von 5% starben dagegen Milzbrandsporen nach Nocht (Z. 7. 521) schon nach 3 Std., in 4% nach 4 Std., in 3% nach 24 Std. ab. Ferner fanden Gärtner u. Plagge (Verh. d. dtsch. Ges. f. Chir. 85) für sporen- freie Milzbrandbacillen, Rotzbacillen, Streptokokken aus Eiter und Puerperalfieber, Erysipelstreptokokken, Staph. pyogen, aur. und alb., Osteomyelitiskokken, Tetragenus, Typhusbac. , Diphtheriebacillus aus- nahmslos sichere Abtötung durch 3 % Carbolsäure binnen 8 Sekunden. Diese Koncentration ist also für die gewöhnliche chirurgische Praxis völlig ausreichend. — Dass Carbollösungen in Ol oder Alkohol völlig unwirksam sind, ist bereits erwähnt worden. — Durch Zusatz von 1/2 % Salzsäure oder 1 % Weinsäure lässt sich die Desinfektions- kraft der Carbolsäure noch erhöhen (Laplage D. 88. 121; Jäger, A. G. 5. 247). — Trotz der im Verhältnis zum Sublimat ziemlich geringen Desinfektionsenergie findet und verdient die Carbolsäure weiteste Anwendung in der Praxis. Ihr Hauptvorzug besteht näm- lich in ihrer sehr festen, nur schwierig angreifbaren chemischen Kon- GoTSCHLicH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 457 stitiition; ihre Wirkimg ist daher sehr gleichmässig vind zuverlässig und wird weder durch Alkalien und Salze, noch durch Eiweisssub- stanzen aufgehoben. Die wenigen Verbindungen, welche die Carbol- säure mit Säuren etc. bildet, wirken selbst wieder desinfizierend. Auch durch Licht wird ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt; die Rotfärbung, die in nicht ganz reinen Präparaten allmählich entsteht, ist nicht schädlich. Eresole (Methylphenole), C6H4 .(CH3)0H, bilden den wich- tigsten Bestandteil der sog. „rohen Carbolsäure", die ausserdem noch bis 25% reine Carbolsäure und wertlose Kohlenwasserstoffe ent- hält. Der desinfizierende Wert der rohen Carbolsäure in ihren ein- fachen wässrigen Lösungen ist nur ein geringer, weil die wirksamen Bestandteile derselben, die Kresole, sich fast gar nicht in Wasser lösen. Dagegen lässt sich, wie zuerst Laplace (D. 88. 121) und C. Fränkel (Z. 6. 521) nachwiesen, durch Yermischung der rohen Carbolsäure mit roher Schwefelsäure eine dünne syrupartige, leicht wasserlösliche Flüssigkeit gewinnen, die sehr bedeutende desinfizierende Eigenschaften zeigt und beispielsweise Milzbrandsporen in 4proz. Lösung binnen 48 Std. abtötet. Am besten bewährte sich eine Mischung aus gleichen Volumteilen roher Carbolsäure und Schwefelsäure, weniger günstig war die Verwendung gleicher Gewichtsteile. Wichtig ist, dass die beim Vermischen auftretende spontane Erhitzung durch künstliche Kühlung vermieden wird, weil die desinfizierende Kraft des heiss be- reiteten Gemisches bedeutend geringer ist, als des unter Kühlung her- gestellten; so sah C. Fränkel in letzterem bei einer Koncentration von 5% Milzbrandsporen in einem Tage absterben, während sie in der gleich koncentrierten, heiss bereiteten Lösung noch nach 9 Tagen lebend blieben. Dies erklärt sich daraus, dass die bei Kühlung in der Schwefelsäure einfach in gelöstem Zustand ohne chemische Bindung mit der Säure existierenden Kresole: O-CH3 C-CH3 O-CI13 ^\ /\ /^\ HC C-OH HC CH HC CH HC CH HC C-OH HC CH \, •■ ^v \^- CH CH C-OH Ortho- Meta- Para- Kresol. bei Erwärmung eine chemische Bindung mit der Schwefel- säure eingehen und so in die weniger wirksamen Phenolsulfo- säuren übergehen: 30* 468 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. C.OH C.OH C.OH HC C.SO3H HC CH HC CH .i HC CH HC C.SO3H HC CH \/ \/ \/ CH CH C.SO3H Ortho- Meta- Para- Phenolsulfosäure. Zudem geht bei Erwärmung die Orthophenolsulfosäure (als „Aseptol" bekannt) nach Hueppe (B. 86. 6Ü9) in die unwirksamere Para-Verbindung über. Die Orthophenolsulfosäure vernichtet in 6proz. Lösung Milzbrandsporen nach Feänkel in 3 Tagen, die Parasäure in 12 Tagen; beide erweisen sich also als überlegen über die wässrigen Carbollösungen ähnlicher Koncentration. Tritt in der Seitenkette SO3H für H ein Na ein, so wird die Desinfektionskraft ausserordentlich herabgesetzt. Noch leistungsfähiger sind jedoch, wie gesagt, die Kresole als solche in schwefelsaurer Lösung, und zwar ist am wirksamsten die Mischung aller 3 Kresole, durch welche schon bei einer Koncentration von 0,3 \ vegetative Formen in wenigen Minuten, Milzbrandsporen in 8 — 20 Std. vernichtet werden. Einzeln geprüft, erwies sich nach Feänkel und Henle (A. 9. 188) das Metakresol am wirksamsten, hierauf folgten die Para- und zuletzt die Orthoverbindung. — Dieselbe Erhöhung der Desinfektionsenergie lässt sich nach Behring (Bekämpfung d. Inf -Kr. 121) durch Schwefelsäurezusatz auch bei der reinen Carbolsäure erreichen; die Kresole sind also nicht an sich bessere Desinfektions- mittel wie das gewöhnliche Phenol; in Gemischen von reiner Karbolsäure einerseits und roher Carbolsäure andererseits mit gleichen Teilen Schwefelsäure war sogar meist das mit reiner Carbolsäure her- gestellte von etwas stärkerer Wirkung. — Jedenfalls ist es von ausser- ordentlichem Vorteil, durch die Säureaufschliessung aus einer fast wert- losen Substanz, dem Rohcarbol, billige und sehr wirksame Desinfizien- tien herstellen zu können. Die Kresole lassen sich aber auch in alkalische Lösung über- führen. Hierher gehört zunächst das englische Kreolin Pearson. Nach Henle (A. 9. 188) stellt das Kreolin eine Emulsion von Kresolen durchHarzseife dar, der ausserdem nach Kohlenwasserstoffe (in ihrer Gesamtheit als Kreolinöl bezeichnet) von geringerem anti- septischen "Wert und wertlose Pyridine beigemengt sind. Der des- infektorische Effekt des Kreolins ist grösser als der aller seiner einzelnen Bestandteile zusammengenommen; es findet also eine kumulierende Wirkung der in gleichem Sinne wirkenden Antiseptika statt, wie auf GOTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der j\Iikroorgauismen. 469 eine solche schon früher von Rottee (C. Chir. 88. Nr. 40) aufmerksam gemacht worden war. Eine 0,5proz. Lösung tötete Staphylokokken in 10', was durch eine gleich starke CarboUösung erst nach Stunden er- reicht werden kann. Der Desinfektionswert der Carbolsäure, der Kre- sole und des Kreolins in Bouillon gegenüber sporenfreien Mikroben verhält sich nach Behring wie 1 : 4 : 10. In eiweisshaltigen Flüssig- keiten jedoch vermindert sich die desinfizierende Kraft des Kreolins ganz ausserordentlich; während die entwicklungshemmende Wirkung gegenüber Milzbrandbacillen in Bouillon schon bei einem Gehalt von 1 : 10000 eintritt, ist dies nach Behring in Rinderblutserum erst bei 1:200, also in 50 mal stärkerer Koncentration der Fall; analog sinkt der milzbrandbacillentötende Wert von 1 : 5000 auf 1 : 100. In eiweiss- haltigen Flüssigkeiten von ähnlicher Zusammensetzung wie Blutserum fand Behring beim Kreolin eine ganz minderwertige, 3 — 4 mal geringere Leistung als bei der Carbolsäure. Der Grund für diese auffallend ge- ringe Wirkung in eiweisshaltigen Flüssigkeiten ist noch unaufgeklärt. Interessant ist auch, dass frisch bereitete Kreolinlösungen eine viel grössere Wirksamkeit entfalten, als länger gestandene; Henle führt diese Differenz auf Wirkung der bei der Emulsionierung entstehenden Diffusion zurück. — Die mehrfach behauptete Ungiftigkeit des Kreolins existiert nicht; nach Behring beträgt vielmehr die relative Giftigkeit etwa 4. — Das sog. deutsche Kreolin (Artmann) ist von weit geringerer desinfizierender Wirkung als das englische. — Eine alkalische Lösung (nicht Emulsion) von Kresolen ist ferner das Lysol; dasselbe unter- scheidet sich vom Kreolin durch den viel höheren Gehalt an Kresolen (ca. 50% gegen 10%) und den viel geringeren Gehalt an schwerlös- lichen Kohlenwasserstoffen, sowie dadurch, dass die Lösung mit einer Leinölseife hergestellt ist, welche besser löst, aber weniger emulgiert, als die Harzseife in Kreolin; daher stellt Lysol eine klare Lösung dar. Nach Ha]mmer(A. 12. 358) vernichtet eine 0,3proz. Lösung Eiterkokken in Bouillon in etwa 30 Minuten. Das Lysol steht also in seiner desinfizieren- den Kraft einer gleichkoncentrierten Kresollösung etwa gleich. Die desinfizierende Kraft wird jedoch, wie beim Kreolin, in eiweisshaltigen Flüssigkeiten stark herabgesetzt. — Endlich gehört zu den alkalischen KresollÖsungen noch die NocHT'sche Carbolseifenlösung (Z. 7. 521), d. h. eine klare Lösung der Kresole aus roher Carbolsäure, gewonnen durch warme, etwa 6proz. Seifenlösung (Schmierseife) und 5% rohen Carbols. Sporenfreie Bakterien werden in Carbolseifenlösung von lV2^'o schon nach V2 Std., Milzbrandsporen bei Erwärmung auf 50^ in 6 Stunden sicher getötet. Die Billigkeit des Präparats macht es be- sonders für die grobe Desinfektion im grossen geeignet. — Alle diese alkalischen Lösungen der Kresole sind bei gewöhnlicher Temperatur, 470 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. selbst in stärksten Koncentrationen und bei noch so langer Anwendung ohne Einwirkung auf Sporen; so fand Hüneemann (D. militärärztl. Z. 89. 111) Milzbrandsporen selbst nach 35 Tage langem Aufenthalt in reinem Kreolin Pearson vollständig intakt; doch geringe Erwärmung (bis 40 bis 50*^) erlangen jedoch diese Lösungen auch Sporen gegenüber eine bedeutende desinfizierende Kraft. — Endlich ist es auch gelungen, die Kresole in neutrale Lösung zu bringen, und zwar nach Hueppe (B. 91. Nr. 45) durch Zusatz von Natriumsalicylat, wofür jedoch auch benzinsaures Natrium sowie die Salze aller Orthooxybenzoesäuren, der Orthobenzolsulfosäuren und der entsprechenden Naphtalinabkömmlinge eintreten können. Praktisch bewährte sich insbesondere ein Gemisch aller 3 Kresole in kresotinsaurem Natrium (Gemisch aller 3 Kresotinsäuren) als Lösungsmittel. Diese Mischung, von Hueppe u. Hammer (A. 12. 358) als Solveol bezeichnet, enthält keine Pyridine, keine Kohlenwasser- stoffe, keine Carbolsäure, sondern nur die w^ertvollen hochsiedenden Teerphenole. Eine 0,5proz. Lösung ist etwa ebenso wirksam wie eine 2proz. Carbollösung. Für die grobe Desinfektion empfehlen Hueppe u. Hammer ein dem Solveol ähnliches Präparat, das Solu toi, welches durch Auflösung von Rohkresol mit Rohkresolnatrium bereitet wird. Das Solutol reagiert stark alkalisch und enthält gegen 60% Kresole, wovon etwa V4 frei, der Rest an Na gebunden ist; U,5proz. Lösungen töten in 5 Minuten alle vegetativen Formen; Milzbrandsporen werden bei gewöhnlicher Temperatur durch 10,'proz. Lösung in 3, durch 20proz.Lösung in 2 Tagen getötet, bei gleichzeitiger Erwärmung auf 55 ^ dagegen schon in 5 Minuten vernichtet. — Neuerdings hat ferner Grubee (A. 17. 618) gefunden, dass auch die geringen Mengen, in denen sich Kresole direkt im Wasser lösen (bei einem Kresolgemisch bis über 2%) vollständig zur Abtötung sporenfreier Keime ausreichen. Auch ist nach BuGTA u. DiECKHOFF (cit. bei Gärtner) Ortho- u. Parakresol zu etwa 8 % in Glycerin löslich und lässt sich mit Wasser in beliebigem Ver- hältnis klar mischen. — Auf der direkten Wasserlöslichkeit der Kresole beruht auch das neuerdings von Scheurlen (A. 18. 35; 19. 347), Keiler (A. 18. 57), Laser (C. 12. 229), Peuhl (Z. 15. 192) empfohlene Saprol, d. h. eine Mischung von 50 — 60proz. (auf Löslichkeit in Natronlauge bezogen) Rohcarbol mit 20% Mineralöl; diese Mischung ist leichter als Wasser, bedeckt daher die zu desinfizierende Flüssigkeit und hindert hierdurch das Entweichen von Fäulnisgasen; ausser dieser desodorierenden Wirkung kommt aber auch durch allmähliche Auflösung der Kresole in der Flüssigkeit eine vollständige Desinfektion zustande. Von Substitutionsprodukten des Phenols ist das Parachlorophenol C6H4.CI.OH von Spengler (S. m. 31. Okt. 94) in 2proz. Lösung zur Desinfektion, phthisischen Sputums empfohlen. Trinitrophenol, Pikrinsäure, CeH^ (NOo)^- GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungeu der Mikroorganismen. 471 OH wirkt nach de la Ckoix bereits in 1 : 1000 entwicklungshemmend, in V2 — 1% tötend. Sehr geringen desinfektorischen Wert besitzt nach Lübbekt (F. 88. Nr. 22/23) das Sozojodo], Dijodparaphenolsulfosäure, besonders in neutralem Zustande als sozojodolsaures Na oder K. Das Sozojodolquecksilber hingegen ist ein sehr energisches Desinfiziens , was aber auf seinem Quecksilbergehalt beruht; schon in 1 : 6000 wirkt es auf Milzbrand entwicklungshemmend. — T h y m 0 1 , C10H14 hemmt nach Koch bereits in der Koncentration von 1:80000 merklich die Entwicklung der Milzbrandbacillen , verhindert nach Lübbert in 1:11 000 vollständig die Entwicklung von Staph. pyog. aur. ; bei 1 : 1000 tötet es den Staphylokokk. pyogen, aur. in 10—15 Minuten bei 37» (Pake, r: J. 90. 507); auf Milzbrandsporen vermag es .nicht einzuwirken. Von höheren Phenolen üben nach Duggan (cit. b. Rideal, Disinfection aud Disinfectants. [1895] 172) das Pyrokatechin = Orthodioxybenzol, C^;H9(OH)2 [1. 2], nach Lübbert (Biol. Spaltj)ilz- unters. 56) das Resorcin = Metadioxybenzol, CyH4(OH)2 [1. 3] und das Hydro chinon, Paradioxybenzol, C6H4(OH)2 [1. 4] antiseptische Wirkung ans. Das Resorcin hemmt bei einem Gehalt von 1 : 122, das Hydrochinin bei 1 : 353 vollständig die Entwicklung des Sta- phylokokk. pyog. aur. Ferner sei erwähnt das Kreosot, ein wech- OPTT selndes Gemisch von Guajakol, Cf-IL^ =^f)xi ^ [1- 2] und Kreosol, Co Ho OCHo [1.3.41; nach Guttmann wirkt es auf verschiedene patho- ^OH gene Bakterien in einer Koncentration von 1:3000 bis 1:4000 ent- wicklungshemmend und tötet in einer Lösung von 1 : 300 den Pyo- cyaneus und sporenfreie Milzbrandbacillen in 1 Minute, Prodigiosus in 2 Minuten. Die desinfizierende Kraft des Guajakols verhält sich nach IVIaefoei (cit. Rideal 176) zu der der Carbolsäure wie 5:2; eine 0,5 — Iproz. Lösung soll Tuberkelbacillen in 2 Stunden abtöten; nach KuPEiAXOW (C. 15. 933) hingegen steht sein desinfizirender Wert dem der Carbolsäure und des Kresol nach; in 1:500 hemmt es die Ent- wicklung der Choleravibrionen. Säuren, die sich vom Benzolkern ableiten. Benzoesäure, CßHj.COOH bewirkt nach Koch selbst bei monatelanger Einwirkung keine Schädigung der Milzbrandsporen, wirkt jedoch nach Salkowski (B. 1875. 22), BucHOLTZ (A. P. IV) und de la Ceoix (ebd. XIIL 175) in Koncentrationen von etwa 1:3000 bis 1:1000 entwicklungshemmend auf Bakterien in Fäulnisgemischen; Milzbrand wird nach KoCH schon durch 1:2000 merklich im Wachstum behindert; Staph. pyog. aur. wird nach Lübbeet durch 1:400 vollständig in seiner Entwicklung verhindert. Die Homologen der Benzoesäure, Phenylessigsäure, Phenyl- propionsäure und Phenylbuttersäure sind von Paeey Laws (Chem. 472 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. News 1895. 15) geprüft; ihre desinfizierende Kraft steigt in der Reihe mit dem Molekulargewicht; sporenfreie Milzbrandbacillen werden durch die erstere binnen 30' in einer Koncentration von 1:450, durch die zweite schon bei 1:600 und durch die dritte bei 1:1000 getötet. — OH Die Salicylsäure, Orthooxybenzoesäure, CgH^ Cn/-)rvTT [1. 2], hat eine sehr energische desinfizierende Wirkung; nach Lübbert hemmt sie in der Koncentration von 1:655 bereits vollständig das Wachstum des Staph. pyogen, aur.; die Entwicklung von Milzbrandbac. wird nach Koch schon bei einem Gehalt von 1:1500 völlig gehemmt; dagegen war sie selbst bei monatelanger Anwendung ohne jede schädigende Einwirkung auf Milzbrandsporen. Höhere, mehrere Benzolringe enthaltende Derivate. Naph- talin selbst, C[oHg, ist nach Boüchaed (cit. Rideal 178) ein stärke- res Antiseptikum als Phenol. Noch stärker antiseptisch wirkt nach demselben Autor /?-Naphtol, C|oH;.OH; auch a-Naphtol hemmt nach Maximovitsch (CR. 1888) schon bei einem Gehalt von 1:10000 die Entwicklung der Milzbrandbacillen. Von Heintz u. Liebeecht (B. 1892. 1158) ist neuerdings das Alumnol, ein Aluminiumsalz einer Naphtolsulfosäure empfohlen; die keimtötende Kraft ist zwar nur gering, die entwicklungshemmende aber recht bedeutend; schon 0,01 proz. Lösungen stören das Wachstum von Milzbrand-, Typhus-, Pyocyaneus-, Prodigiqsus-, Staphylokokkus-, Cholera- und Finkler- Kulturen merklich, 0,4 proz. heben es vollständig auf. c) Körper aus den Pyridin-, Chinolin- und verwandten Reihen ; Alkaloide. Die Dämpfe der Pyridinbasen, Pyridin, Picolin, Lutidin, Colli- din, können nach Falkenbeeg (r.: J. 1891. 449) bei genügend langer Einwirkungsdauer selbst dicke Schichten von Bakterien durchdringen und töten. Auch Chinolin wirkt nach Donath (B. Ch. 14) schon in 0,2 proz. Lösung antiseptisch. Das Th allin, Para-Methoxychinolin- tetrahydrat, wirkt nach Schultz (C. med. W. 1886. 113) als Sulfat in 0,5 % entwicklungshemmend. Chinin hemmt nach Koch in Konzen- tration von 1:625 vollständig die Entwicklung des Milzbrandbacillus; in 1 proz. Lösung in mit Salzsäure angesäuertem Wasser tötet es Milz- brandsporen nach 10 Tagen. Für den Staphylokokkus pyogen, aur. hat LüBBEET die entwicklungshemmende Wirkung einer Anzahl hier- her gehöriger Körper festgestellt; es ergab sich vollständige Behinde- rung des Wachstums für Kairin bei einem Grehalt von 1:407, für schwefelsaures und weinsaures Thallin bei 1:1100, für salzsaures Chi- nin bei 1:550; bei salzsaurem Morphin war noch bei einem Ge- halt von 1:53 deutliches, wenn auch verlangsamtes Wachstum zu kon- GoTSCHLiCH, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 473 statieren. Auch für Antipyrin ergab sich erst bei einem Verhältnis von 1:26 Wachstumshemmimg. Endlich sei hier noch das Jodol, Tetrajodpyrol, erwähnt, das sich vom Pyrrolring ableitet und dem mehrfach eine dem Jodoform analoge antiseptische Wirkung zugeschrieben wurde; nach den Ver- suchen von RiEDLiN (A. 7, 309) geht ihm indessen eine solche gänz- lich ab. d) Ätherische Öle. Schon R. Koch wies in seiner ersten Desinfektionsarbeit auf die bedeutend entwicklungshemmende Wirkung mancher ätherischer Öle hin: beispielsweise ergab sich für Senf öl schon bei einem Gehalt von 1:330000 eine merkliche, bei 1:33000 eine vollständige Behinderung des Wachstums der Milzbrandbacillen. Spezielle Versuchsreihen über die desinfizierende Wirksamkeit der ätherischen Öle sind dann zu- erst von Chamberland (P. 87. 153), teils unter Einwirkung von Dämpfen derselben auf die Kulturen, teils durch Herstellung von Emulsionen der Essenz mit der Kultur; am wirksamsten erwiesen sich Ceyloner Zimmtöl und Ol. origani. Ferner fand Riedlin (Üb. die antisept. Wirkung des Jodoforms etc. Diss. München 1887) Rosma- rin-, Lavendel- und Eucalyptus-Öl wirksam, aber nur in Sub- stanz, nicht in Emulsion; auch Nelkenöl und Perubalsam erwiesen sich als antiseptisch. Sehr eingehend studierten dann Cadeac u. Meunier (P. 89. 317) die Wirkung ätherischer Öle auf die Typhus- und Rotzbacillen, indem sie Spuren der Kulturen mittelst Platinnadel in das Öl während einer abgemessenen Versuchsdauer versenkten und dann auf Nährsubstrat brachten; hierbei stellten sich die grössten Diffe- renzen zwischen den einzelnen Ölen heraus; einige, wie Canelle de Ceylon, töten schon nach 12 Minuten die Bacillen ab und kommen also hierin der l%o "Sublimatlösung nahe; andere sind noch nach 10 Tagen unwirksam; bei Cadeac u. Meuniee findet sich eine ganze Skala mit den Wirkungswerten der verschiedenen Öle. Nach Beh- ring's Versuchen entfaltet das Zimmtöl und die Patchuly-Essenz auch im Blutserum eine nennenswerte entwicklungshemmende Wirkung, die grösser war, als die der Carbolsäure von gleicher Koncentration, beim Zimmtöl sogar die letztere um das Dreifache übertraf. Auch Omeltschenko (C. 9. 813) konstatierte bedeutende desinfizierende Eigen- schaften einiger Öle, insbesondere des Ol. Cinnamon., Ol. Foeniculi, Ol.Levandulae, Ol. Caryophyllorum etc., während Ol. rosarum nur schwache Wirkung äusserte; die Öle wurden in Dampfform angewendet; inter- essanterweise gab sich das Absterben der Bacillen in einem mehr oder weniger bedeutenden Verlust der Fähigkeit zur Aufnahme von 474 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Anilinfarben und in gleichzeitiger körniger Degeneration kund. — Ferner sind hier die Versuche zu erwähnen, welche von Heim (M. 1S87. Nr. 16) und Lüdeeitz (Z. 6. 241) über die Wirkung des Kaffeeinfuses angestellt wurden; lOproz. Kaffeeinfus zum Nährboden zugesetzt tötete nach letzterem Autor Staphylokokkus pyogen, aur. in 6 Tagen, Choleravibrionen und sporenfreie Milzbrandbacillen in 3 Stdn.; bei geringerem Zusatz trat eine Entwicklungshemmung auf. — Der Tabaksrauch wirkt nach Tassinari (A. J. 1891) entwicklungs- hemmend auf manche Bakterien, insbesondere auf Cholerabac. und Bac. Friedländer; nach Falkenbeeg (r* J. 1891. 449) hängt dieser Einfluss an den wasserlöslichen Bestandteilen des Tabakrauchs; nach Durchleiten durch Wasser verliert der Rauch seine bakterienfeind- lichen Eigenschaften. Tabaksabkochung zum Nährboden zugesetzt, wirkt von 4% ab deutlich entwicklungshemmend. Das Terpentinöl zeigt nach Koch schon von 1:75000 ab eine deutlich hemmende Einwirkung auf die Entwicklung von Milzbrand- bacillen; Milzbrandsporen zeigen sich nach Itägigem Verweilen in Ter- pentinöl noch teilweise erhalten, nach 5 Tagen abgestorben. Nach RiEDLiN wirkt eine 1 proz. Emulsion entwicklungshemmend auf Pro- digiosus- und Cholerabacillen; doch vermag es nach v. Cheistmas- DiECKiNCH-HoLMEELD (F. 1887. Nr. 19) mit Gelatine, selbst zu gleichen Teilen vermischt, nicht den Staph. pyog. aur. abzutöten; unvermischt ist es jedoch ein ziemlich wirksames Antiseptikum (Geawitz, ebd. Nr. 21). Terpene und Kampherarten, sowie Menthol wirken ebenfalls in stär- keren "Koncentrationen als 'I^Iqq entwicklungshemmend, Terpinhydrat schon bei 1 ^Jqq (Behring, h c. 129). e) Farbstoffe. Unter den organischen Farbstoffen finden sich, wie bereits Koch hervorgehoben hat, eine Anzahl stark wirkender Desinfizientien. Behring (D. 89. Nr. 43) teilte dann für Malachitgrün, Cyanin und Safranin die entwicklungshemmenden Werte mit; hieraus ergab sich, dass die Farbstoffe gegenüber Milzbrandbacillen im Blutserum um ein mehr- faches dem Sublimat überlegen sind; z. B. ist der entwicklungshemmende Wert für Malachitgrün und Cyanin 1:40000. Später empfahl Stilling (LancetXI. 965) das Methylviolett, welches jedoch nach Beheing eine nur 3 mal geringere Wirkung als das Malachitgrün hat; immerhin hemmt es nach Jakowski (r: J. 1890. 492) schon in einer Koncentration von 1 : 10000 deutlich die Entwicklung von Milzbrandbac, Staphylokokk. pyog. aur., Typhusbac. und Bac. Friedländer; doch konnten Gaeee u. Teoje (M. 90. Nr, 25) selbst nach 12 stündiger Einwirkung einer 1 o/oq Lösung keine Abtötung der Staphylokokken konstatieren. Schwächer Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 475 wirksam ist das sog. gelbe Pyoktanin oder „Auramin", welches erst in Lösungen von 1:4000 bis 1:1000 entwicklungshemmende Wirkung äussert. Sehr bemerkenswert ist das elektive V^erhalten mancher Farbstoffe in der Desinfektionswirkung, welches in Analogie zu der elektiven Färbbarkeit bestimmter Gewebsteile steht. So wirkt z. B. nach Behring das Malachitgrün den Milzbrand- und Cholera- bacillen gegenüber etwa 100 mal stärker entwicklungshemmend als dem Typhusbacillus gegenüber. Das hochkomplizierte Molekül dieser Farbstoffe vermag offenbar um so besser in das lebende Molekül ein- zugreifen, je näher verwandt sein Aufbau mit der Struktur des letzteren ist. Es tritt uns also hier bereits eine deutliche Vorstufe jenes aus- geprägt spezifischen Verhaltens entgegen, das noch komplizierter struk- turierte Substanzen wie die spezifischen Antikörper des tierischen Or- ganismus in Vollendung zeigen. Siebentes Kapitel. Variabilität der Mikroorganismen^) von Dr. W. Kruse. A. Einleitung. Seitdem, wesentlich durch die Arbeiten R. Kochs, die Methoden der Reinkultur in die Bakteriologie eingeführt sind, ist man erst in den Stand gesetzt, der Frage nach der Variabilität der Bakterien, die in früheren Theorien eine grosse Rolle spielte, auf wirklich wissen- schaftlichem, d. h. dem experimentellen Wege nahe zu treten. Man kann jetzt in der Regel von einem einzigen Keime ausgehen und dessen Veränderungen längere Zeit hindurch verfolgen; bisher stehen uns frei- lich nur Erfahrungen zu Gebote, die im besten Falle 10 bis 15 Jahre währen; die Dauer einer einzigen Bakteriengeneration ist aber so kurz, dass man schon jetzt über Beobachtungen verfügt, die ungezählte Generationen umfassen. Allein aus theoretischen Gründen könnte man aus dieser letzteren Thatsache und aus der Kleinheit der Bakterien 1) Zunächst sind hier die Bakterien berücksichtigt. Für die Verhältnisse bei den Sprosspilzen vgl. Ha^jsex, Untersuchungen aus der Praxis der Gähi-ungs- industrie. München u. Leipzig 1895. 476 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. darauf schliessen, dass es bei ihnen schneller gelingen möchte, als bei anderen Organismen, durch künstliche Züchtung Variationen des ursprünglichen Typus zu erzielen; entscheidend sind natür- lich nur die Thatsachen des Versuchs: dieselben sprechen unzweifelhaft für die Wahrheit unseres Satzes. Für jedes Bakterium giebt es Bedingungen, die gestatten, es be- liebig lange Zeit fortzuzüchten , ohne dass dabei irgend welche Ver- änderungen hervortreten, die Bakterien sind also gewissen Be- dingungen angepasst. Für die einzelnen Spezies sind dieselben verschieden: der adäquate Nährboden für infektiöse Bakterien ist der empfängliche Tierkörper, für Gährungserreger sind es Gährflüssigkeiten, für die Pigmentbakterien der Luft die weitverbreiteten pflanzlichen Substrate. Die Milzbrandbacillen von Maus auf Maus überimpft, das Essigbakterium immer frisch mit alkoholischer Nahrung gespeist, der Prodigiosus von Kartoffel auf Kartoffel übertragen verändern sich nicht, so lange man auch das Experiment fortsetzt. Unter diesen günstigsten Bedingungen weisen zwar die Nachkommen eines eiiizigen Keimes ge- wisse individuelle Abweichungen auf, z. B. geringe Differenzen in der Grösse ; dieselben verschwinden aber bei fortgesetzter Züchtung, die Abkömmlinge der einzelnen abweichenden Exemplare sind wieder gleich. Grösser werden die Abweichungen, wenn die gleichen Nähr- böden benutzt werden, aber die Erneuerung derselben nicht rechtzeitig vorgesehen wird, mit anderen Worten in alten Kulturen. Lässt man z. B. eine Prodigiosus-Kartoffel monatelang stehen und überimpft dann erst auf frisches Substrat, dann kann man schon Differenzen zwischen den noch lebenden Keimen konstatieren, die nicht in der nächsten Kulturgeneration wieder verschwinden; es wachsen z. B. auf der neuen Kartoffel Kolonien mit mehr oder weniger Pigmentierungsvermögen. Diese Abänderungen erklären sich daraus, dass der alte Nährboden nicht mehr den günstigsten Lebensbedingungen entspricht, dass sich darin Substanzen bilden, die schädigend wirken, und zwar um so kräftiger, je länger sie einwirken können. Aus dieser Schädigung ent- springen nachweislich die Variationen des ursprünglichen Typus. Dieser Vorgang ist ganz allgemein: die Altersveränderungen begünstigen das Auftreten von Varietäten. Sehr häufig gehen diese Abweich- ungen bei konsequenter Züchtung im passenden Nährboden wieder zurück, unter Umständen sind sie aber auch recht dauerhaft. Befestigen lassen sie sich durch Wiederholung der Züchtung in alten Kulturen. Dem Wesen nach gleich mit den Variationen, die in alten Kul- turen auftreten, sind diejenigen, die erzeugt werden durch künst- liche Eingriffe bei Bakterien, die wachstumsunfähig sind, sei es, dass sie ihren Nährboden erschöpft haben, sei es, dass sie in Medien ge- Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 477 bracht worden sind, die kein Wachstum gestatten, oder dass sie in den trockenen Zustand übergeführt sind. Lässt man in diesem Zustande auf die Bakterien schädigende Momente, wie hohe Temperaturen, Des- infizientien etc. wirken, so werden ebenfalls Modifikationen erzeugt, die man als degenerative Veränderungen auffassen muss. Auch diese Abweichungen können mehr oder weniger dauerhafter Art sein, z. B. die Abschwächung derMilzbrandbacillen nach der CHAUVEAu'schen Methode. Jede Veränderung der Lebensbedingungen beeinflusst die Eigen- schaften der Bakterien: die Milzbrandbacillen im Mäuseblut sehen ganz anders aus wie die in Bouillon, hier wachsen lange Fäden ohne Scheide, dort kurze Stäbchen mit Kapseln; der Essigbacillus bildet üppige Decken auf saurem Bier mit zahlreichen wundersamen Involutionsformen, in unseren künstlichen Nährböden wächst er spärlich und ziemlich regel- mässig als kurzer Bacillus; der Prodigiosus entwickelt auf Agar bei 37^ sehr wenig Pigment, bei 24*^ auf Kartoffeln prächtig scharlachrote Rasen. Es sind dies Standorts- oder Ernährungsmodifikationen, die regelmässig dem ursprünglichen Typus weichen, wenn die Über- tragung rechtzeitig genug auf den adäquaten Nährboden erfolgt. Durch fortgesetzte Züchtung unter veränderten Bedingungen können aller- dings dauerhaftere Variationen erzielt werden, so gilt das für unsere obigen Beispiele: der Milzbrandbacillus kann durch künstliche Kultur der Fähigkeit verlustig gehen, in typischer Weise im Tierkörper zu wachsen, der Prodigiosus sein Pigmentierungsvermögen völlig ein- büssen. Es sind hier zwei Fälle von Modifikationen zu unterscheiden. Sind die neuen Lebensbedingungen der Entwicklung des Bakteriums an sich günstig, so vollzieht sich allmählich eine Anpassung an die- selben, die eine Rückkehr zu der alten Lebensweise erschwert oder unmöglich macht. Wirken aber die veränderten Verhältnisse hemmend oder direkt schädigend ein, so spielt wieder die Degeneration des .Bakterienprotoplasmas eine Rolle. Auf dem letzteren Wege vollzieht sich die Umwandlung schneller als auf dem ersteren; z. B. durch Züchtung der Milzbrandbacillen bei 42^ oder in einem mit Antisepticis versetzten Nährboden geht die Virulenz viel rascher verloren, als in der gewöhnlichen Nährgelatine. Im wesentlichen ist hierdurch die Bedeutung der Methoden ge- kennzeichnet, durch die es gelingt Bakterienvariationen zu erzeugen. Sehr wichtig für den Erfolg sind noch zwei Dinge. Ganz selbstver- ständlich ist natürlich, dass man von einem Keim, d. h. einer Kolonie auf der Platte ausgehen muss, um die Gewähr einer wirklichen Variabilität zu haben; aber die Auswahl einzelner Individuen ist auch in der Folge sehr wichtig, weil unter den Nachkommen eines 478 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. Keimes die Tendenz zur Veränderung eine sehr verschiedene ist; wenn man blos mit Massenkulturen operiert, z. B. von einem Röhrchen ins andere absticht, dann verlässt man sich allein auf die natürliche Auslese der Individuen, die sehr unzuverlässig ist und häufig Rückschläge mit sich bringt. Man verbindet am besten mit der natürlichen Variation eine künstliche Auslese, indem man sich mit Hilfe der Platten- oder Verdünnungsmethode diejenigen Individuen auswählt, die am meisten verändert sind. Eine zweite Vorsichtsmassregel besteht darin, dass man bei Bakterien, die zur Sporenbildung befähigt sind, dieselbe möglichst verhütet, denn die Sporen unterliegen viel weniger leicht der Variation, weil sie einen unthätigen Dauerzustand darstellen und gegen degenerative Ein- flüsse viel weniger empfindlich sind als die vegetativen Formen. Wir werden im Nachfolgenden die einzelnen Variationen, die bei den Bakterien beobachtet worden sind, und den Grad ihrer Dauer- haftigkeit besprechen. B. Morphologie. Individuelle Abweichungen in der Grösse und Form kommen in allen Bakterienkulturen vor, namentlich häufig bei einem gewissen Alter der letzteren. Die einzelnen Spezies verhalten sich dabei sehr verschieden: es giebt solche, die ausserordentlich gleichförmig und andere, die sehr vielgestaltig sind. Man hat die letzteren wohl als prote-usartig bezeichnet, wenn sie alle Übergänge von ganz kurzen oder kugligen Formen zu den längsten Stäbchen darbieten. Es hängt diese Erscheinung mit der verschiedenen Schnelligkeit der Teilung zu- sammen (vgl. Allg. Morph. S. 52 ff.). Die Veränderungen in alten Kulturen erfolgen, von den eigentlichen Degenerationsformen (a. a. 0. S. 61) abgesehen, entweder in dem Sinne, dass längere Individuen ge- bildet werden, wie es namentlich in Spirillenkulturen häufiger vorkommt, oder umgekehrt immer kürzere und kürzere (Bac. Proteus, B. Zopfii). Beispiele von Ernährungsmodifikationen haben wir schon oben einige angeführt, sie Hessen sich leicht vermehren, da sie bei keinem Mikroorganismus vollständig fehlen. Besonders auffallend sind die Ver- änderungen, die der Bac. pyocyaneus und prodigiosus zeigen, wenn sie in Nährmedien, die mit einem antiseptischen Zusätze (Borsäure, Kalium- bichromat, Weinsäure etc.), der das Wachstum zwar hemmt, aber gerade noch gestattet, versehen werden (Guignaet» u. Chaeein, C. R. 105; Wasseezug, P. 88; Küblee, C. 5; Verfasser). Statt der gewöhn- lichen kurzen Bakterien findet man hier vielfach längere, fast imregel- mässig gewundene Stäbchen und Fäden, die bei oberflächlicher Betrach- tung an Spirillen erinnern können und auch so gedeutet worden sind. Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 4.79 Es sind nichts weiter als anomale Formen, deren Länge sich ans dem Ausbleiben der sonst frühzeitigen Teilung erklärt (vgl. Allg, Morph.). Recht erhebliche Modifikationen des ursprünglichen Typus hat Verfasser auch bei Choleravibrionen beobachtet, besonders in einem Falle, wo dieselben in mit einem Antiseptikum versetzten Nährböden kultiviert wurden. Die Bakterien wuchsen in schönen Kommas, die noch an Grösse die FiNKLEß'schen Spirillen hinter sich liessen. Auch durch vorübergeh ende schädigen deEinflüsse, z.B. 5 Minuten lange Erhitzung auf 50^, kann man nach Wassekzug- beim Prodigiosus ein ähnliches Resultat erreichen, wenn man diese Prozedur öfter wie- derholt. Im allgemeinen kehren die Bakterien, wenn man sie auf den adä- quaten Nährboden überträgt, schnell zu ihrer ursprünglichen Form zurück, doch kann man diese Rückkehr durch systematische Züchtung um mehrere Kulturgenerationen verzögern (Küblee, , Verfasser), nach Wasserzug sogar dauerhafte Varietäten bekommen. Für die Möglich- keit dieses Resultats sprechen auch andere Erfahrungen; so haben Keuse und Pansini (Z. 11) Pneumoniekokken, die vom Tier gewonnen in Form lanzettförmiger Diplokokken wuchsen, durch mehr als 100 Übertragungen auf künstlichen Nährböden in Streptokokken umgewan- delt, die sich von Eiterstreptokokken morphologisch nicht unterschieden und diesen Charakter bewahrten. Andere Male gelangten wir schon viel früher zu demselben Ergebnis, in einigen Fällen blieben die Ver- suche, eine erhebliche Modifikation zu erzielen, vergeblich, oder die erhaltenen Varietäten waren nicht konstant. Bei dieser Gelegenheit trat die Wahrheit des Satzes, dass die Neigung zu variieren ausser- ordentlichen Schwankungen unterliegt, selbst bei Bakterien der- selben Art, recht deutlich zu Tage. Dasselbe hat Verfasser (Z. 17. 36/37) für den Choleravibrio konstatiert. Morphologische Abweichungen sind hier schon von früheren Autoren gefunden worden, Verfasser konnte aus einer Kultur durch längeren Aufenthalt in Brunnenwasser zwei dauerhafte Varietäten herauszüchten, von denen die eine regelmässig kurze, plumpe, die andere lange, schlanke Kommas bildete. Neuerdings gelang es ferner, ähnliche Spielarten aus sehr alten Cholerakulturen zu isolieren, deren Zurückführung auf einen Typus erst mittelst zahl- reicher Passagen durch Meerschweinchen glückte (vgl. auch Metschni- KOEE, P. 94. 5. u. 8). Morphologische Varietäten des Finkler-Peioe- schen Vibrio von mehr oder weniger grosser Beständigkeit hat schon FiRTSCH (A. 8) erhalten. Ferner haben Pasquale manchmal bei Strepto- kokken (Zi. 12. 449) und Wilde ^) bei Bacillen aus der Gruppe des 1) Unter Leitung des Verfassers im liygieniscTaen Institut zu Bonn (Diss. Bonn 96). 4gO Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. B. aerogenes ganz konstante Spielarten, die in Form und namentlich in der Grösse Dijfferenzen zeigten, gefunden und lange Zeit unverändert weiter kultivieren können. Am leichtesten sind derartige Formen aus alten Kulturen zu gewinnen. Dass auch die Kapselbildung sich auf dem Wege der Züchtung beeinflussen lässt, haben Keuse und Paksini für Pneumoniekokken, Wilde für den Bacillus aerogenes gefunden. Es handelt sich dabei um den Verlust des schleimbildenden Vermögens, der sich dann auch weiter in der Struktur der Kolonien äussert (s. unten). C. Wachstum in künstlichen Nährböden und Koloniebildung. Gelatineverflüssigung und Schleimbildung. Was man als Kulturmerkmale zu bezeichnen pflegt, sind keine individuellen Charaktere, sondern Massenwirkungen. Eine „Kultur- generation" setzt sich, wenn wir ihr Alter nur zu einem Tage annehmen und den Zeitraum von einer Teilung bis zur anderen auf eine halbe bis eine Stunde berechnen, aus 24 — 4S Einzelgenerationen zusammen. Die Kolonie auf der Platte kann man sich im allgemeinen aus einem ein- zigen Keim hervorgegangen denken, die Stichkultur in Gelatine, die Bouillonkultur resultieren aber aus der Nachkommenschaft einer grossen Zahl von Keimen, Diese Bemerkungen sind nötig, um die Bedeutung der Kulturmerkmale zu kennzeichnen. Eigentlich individuelle Ab- weicliungen verschwinden in der Kultur fast vollständig, höchstens kann aus einer Verzögerung des Wachstums auf eine Schwächung der Entwicklungsenergie der verimpften Keime geschlossen werden. In der Regel werden nur solche Abänderungen in den Eigen- schaften der Kultur zum Ausdruck kommen, die auf eine grössere Reihe von Generationen vererblich sind. Es erhöht entschieden den Wert der Wachstumscharaktere, dass man aus den mit blossem Auge oder mit schwacher Vergrösserung wahrnehmbaren Differenzen schon auf erb- liche Varietäten schliessen kann. Die Eigenschaften der Platten- kolonien sind für die Beurteilung der stattgehabten Veränderungen natürlich viel wichtiger, als die Reagensglaskulturen, weil sich in diesen letzteren die Variationen leicht compensieren. Entsprechend dem oben (S. 476) ausgesprochenen Satze, dass in frischen Kulturen nur individuelle Abweichungen auftreten, finden wir im Aussehen der Kolonien auf den daraus angelegtenPlatten überhaupt keine abschätzbaren Unterschiede; ist das Kulturmaterial, das zur Zucht dient, älter, so stellen sich solche sehr häufig heraus. Die ersten derartigen Beobachtungen wurden veröffentlicht in Bezug auf B. Proteus von Hausek (Fäulnisbakterien. Leipzig 85), auf Finkler-Peigr's Spirillum von I KJRUSE, Variabilitit der Mikroorganismen. 481 Geubek und Fietsch (A. 8). Saneelice (A. Ro. 90) hat die verschie- denen Formen der Proteuskolonien und auch eine Reihe von anaeroben Fäulnisbakterien mit ähnlichen Eigenschaften der Kolonien genavi be- schrieben. Die Erscheinung ist aber eine noch viel mehr verbreitete, wenn sie auch bisher wenig Beachtung gefunden hat. Der Prodigiosus, Pyocyaneus, das Choleraspirillum, der Typhus- und der Pneumonie- Bacillus mit ihren Verwandten weisen auch eine gewisse Variabilität der aus der Nachkommenschaft eines einzigen Keims hervorgegangenen Kolonien auf, wenn man zur Aussat auf Platten alte Kulturen benutzt. Den Unterschieden der Kolonien liegen verschiedene Momente zu Grunde: in den meisten Fällen genügt es, Differenzen in der Wachstums- schnelligkeit und im Verflüssigungsvermögen, d.h. also in der Produktion eines peptonisierenden Ferments anzunehmen. Beim Feied- LÄNDEE'schen Bakterium variiert das Schleimbildungsvermögen. Daneben kommen aber noch in Betracht morphologische Verhältnisse: die Grösse der Individuen, die Festigkeit ihrer Verbände (Ketten. Fäden). Die Kolonien eines und desselben Mikroorganismus auf den ver- schiedenen Nährböden weichen sehr von einander ab, schon wegen der durchaus verschiedenen physikalischen Verhältnisse. Praktisch wich- tig, aber lange nicht genug gewürdigt sind die Unterschiede besonders auf den scheinbar gleich oder wenigstens ähnlich zusammengesetzten Nährböden. Nehmen wir z. B. die gewöhnliche Fleischwasserpepton- nährgelatine, so bedingt die Art der Herstellung schon ganz erhebliche Differenzen, selbst wenn die Substanzen in den gleichen Mischungs- verhältnissen angewendet werden. Die Zeitdauer des Kochens der fer- tigen Gelatine beeinflusst bekanntlich den Konsistenzgrad des Nähr- bodens und dieser letztere wieder die Form der Kolonien. Der Typhus- bacillus z. B., der in fester Gelatine glattrandige kompakte Kolonien bildet, wächst auf einer weicheren wie ein Proteus mit zahlreichen korkzieher- und haarartigen Ausläufern und ähnelt im Strich nicht einem glatten Bande, sondern einer Bürste. Andere Differenzen treten auf bei Unterschieden im Alkalescenzgrad, im Gelatinegehalt des Nährbodens. So hängt z. B. das Oberflächenwachstum in Stichkulturen beim Typhusbacillus und ähnlichen Bakterien ausserordendlich von diesen Momenten ab, ebenso die Stärke der Gelatineverflüssigung, bei allen langsamer peptonisierenden Bakterien, Die Konfiguration der Kolonien und Stichkulturen erleidet dadurch natürlich erhebliche Ver- änderungen (Cholera). Auch die Zusammensetzung des Fleischsaftes ist nicht gleichgiltig: feinere, uns unbekannte Schwankungen darin können ein verschiedenes Aussehen der Kulturen bedingen. So erklären sich wohl zum grossen Teil die abweichenden Angaben mancher Autoren Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 31 482 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. über das Wachstum von Pneumokokken und Streptokokken in Bouillon (vgl. Keuse u. Pansini Z, 11; Pasquale Zi. 12). Älmliche Unterschiede gelten bezüglilch der Kulturen auf Agar (Pneumokokken), auf Kartoffeln (Typhus) u. s. w. Da der Mechanismus der Koloniebildung, wie oben bemerkt, auf verschiedenen Eigenschaften morphologischer und physiologischer Natur beruht (Grösse der Bakterien, Festigkeit ihrer Verbände, Wachstums- intensität, Verflüssigungs- und Schleimbildungsvermögen), so wird jede dauernde Variation einer oder mehrerer dieser Eigenschaften auch von einer beständigen Veränderung der Wachtumscharaktere begleitet sein. In der That verändern die Pneumoniekokken, die durch Züchtung aus Diplo- kokken in Kettenkokken verwandelt sind, auch die Form ihrer Kolonien, erscheinen dann nicht mehr mit scharfem, sondern mit gekräuseltem Rand, aus dem die Ketten hervorragen. Die FRiEDLÄNDEEschen Pneumonie-Ba- cillen, die nach Wilde in einer kleineren und weniger Schleim bildenden Spielart auftreten können, entwickeln in diesem Falle auf der Gelatine oberflächliche Kolonien, die denen des B. coli sehr ähneln, d. h. flach, weniger granuliert und zackig umrandet sind. Eine Verminderung der Wachstumsintensität lässt sich bei allen Bakterien dadurch erreichen, dass man sie unter ungünstigen Bedingungen züchtet, z, B, die Kulturen alt werden lässt, ehe man sie erneuert, einen mehr sauren Nährboden wählt, oder zu demselben schädigende Substanzen zusetzt. Verflüssigende Bakterien erleiden dabei sehr häufig gleichzeitig eine mehr oder weniger vollständige Einbusse in ihrem Peptonisierungsvermögen (Finklee- Peioe-, Choleraspirillen, Staphylokokken), Um dies letztere Resultat schneller zu erreichen, kann man folgende Wege einschlagen. Liboeius hat (Z, 1. 156) zuerst beobachtet, dass viele Bakterien bei Wachstum ohne Sauerstoffzutritt und einzelne schon in Nährböden, denen redu- zierende Substanzen, wie Traubenzucker, zugesetzt sind, die Gelatine langsamer oder gar nicht mehr verflüssigen, Saneelice (A, J. 92) hat dies nicht allein bestätigt, sondern auch durch fortgesetzte anaerobe Züchtung des B, Proteus, subtilis, indicus, anthracis, cholerae, Staphylo- kokkus pyogenes Varietäten erzielen können, die dann auch im aeroben Zustande nicht mehr verflüssigten. Dasselbe gelang Hueppe und Wood (r: C. 8, 267) durch Kultivierung in carbolhaltiger Bouillon, und zwar war die neue Eigenschaft um so dauerhafter, je längere Zeit die Be- handlung dauerte und je weniger koncentriert die CarboUösung war. Die Koloniebildung erscheint bei so veränderten Kulturen stark modi- fiziert, es kommt zu sog, atypischen Kolonien, So hat Verfasser z. B. atypische Cholerakulturen herangezüchtet, die ihre Charaktere, trotzdem sie wiederholt durch den Tierkörper geschickt wurden, mit Zähigkeit festhielten. Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 4 §3 • Während in den meisten dieser Fälle die Veränderungen im Wachs- tum auf degenerative Einflüsse zurückzuführen sind, wird in anderen Steigerung der Wachstums] ntensität, also eine A n p a s s u n g a n d e n N ä h r - boden beobachtet, z. B. bei Pneumokokken, Diphtherie-, Tuberkelbacillen, deren Kulturen regelmässig in kurzen Zwischenräumen erneuert werden. Durch systematische Züchtung mit allmählicher Veränderung des Nähr- substrats können Bakterien sogar unter Bedingungen zum Wachstum gebracht werden, auf denen sie ursprünglich gar nicht fortkamen (Kul- turen von Essig- und Nitrobakterien auf den gewöhnlichen Nährböden s. Bd. II). D. Temperatur, Sauerstoffzutritt und Sauerstoffmangel als Wachstums- bedingungen. Die Entwicklung jeder Bakterienspezies findet in gewissen Tem- peraturgrenzen statt und für eine jede besteht ein Temperatur-Optimum, bei dem das Wachstum am üppigsten ist. Je nach dem Nährboden können die Temperaturgrenzen verschieden sein, z. B. wachsen die Choleraspirillen auf Kartoffeln gewöhnlich erst bei Bruttemperatur, während sie in Gelatine schon bei Zimmertemperatur gedeihen. Der Grund dafür wird wohl wesentlich in der Gunst- oder Ungunst des betreffenden Substrates liegen, denn durch Zusatz eines entwicklungs- hemmenden Stoffes zu einem guten Nährmedium kann das Wachstum bei niederer Temperatur gehemmt werden, während es auf dem Optimum der Temperatur noch vor sich geht. Dasselbe lässt sich durch schädigende Einflüsse, die das Bakterienprotoplasma selbst vor der Einsat in einen Nährboden treffen, erreichen. Auf dieser Erfahrung beruht die Vorschrift, m Desinfektionsversuchen die Prüfung auf die Lebensfähigkeit der Keime stets durch Züchtung beim Temperatur- optimum vorzunehmen. Auf dem Wege der Behandlung mit schädigenden Agentien gelingt es vielleicht dauerhafte Spielarten, die nur in beschränkteren Temperatur- grenzen als die Originalkulturen gedeihen, zu erzeugen. Unbeabsichtigt ist dieses Resultat erreicht worden bei jahrelanger fortgesetzter Züch- tung des DENEKE'schen Käsespirillums in Gelatine; dadurch ist, wie in mehreren Laboratorien gleichzeitig beobachtet wurde, dem letzteren Mikroorganismus die Fähigkeit verloren gegangen, bei höheren Tem- peraturen zu wachsen. Diese Thatsache scheint bis jetzt isoliert da- zustehen. Dagegen kommt der umgekehrte Fall, dass sich die Temperatur- grenzen für das Wachstum eines Bakteriums künstlich erweitern lassen, öfter vor. Kkuse und Pansini (Z. 11) haben für Pneumokokken ver- 31* 484 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. schiedenen Ursprungs nachgewiesen, dass dieselben, wenn sie längere Zeit unter günstigen Kulturbedingungen gehalten werden, bei erheblich niedrigeren Temperaturen fortkommen, als unmittelbar nach ihrer Iso- lierung. In ausgedehntem Masse hat Dieudonne (A. G. 9. 3) die An- passungsfähigkeit der Bakterien an ungewöhnliche Temperaturen erwiesen. So hat er Milzbrandbacillen durch allmähliche Veränderung der Wachs- tumstemperatur dazu gebracht, dass sie bei 10^ und andererseits bei 42,5 ^ üppig sich entwickelten. Auch bei Pigmentbakterien Hessen sich die Temperaturgrenzen nach oben verschieben und das eben erwähnte DENEKE'sche Spirillum Hess sich wieder an die Bruttemperatur gewöhnen. Zu den Lebensbedingungen der Bakterien gehört auch ein be- stimmtes Mass des freien Sauerstoffzutritts bez. Sauerstoffmangels. Es giebt alle Übergänge vom obligaten Aerobion zum obligaten Anae- robion (vgl. Liborits Z. 1). Ein interessantes Beispiel für den Übergang von letzterem zum fakulkativen Aerobion hat Verfasser neuer- dings beobachtet. Es handelte sich um einen Köpfenchensporen bildenden Bacillus, der auf der Gelatineoberfläche bei 24^ zwar leidlich fortkam, aber auf schrägem Agar bei 37 ° sich nicht entwickelte, wahrend er in der Tiefe des Gelatine- resp. Agarstichs üppig wuchs. Bei höherer Tem- peratur war offenbar die Sauerstoffwirkung an der Oberfläche des Nähr- bodens zu kräftig, um das Wachstum zu gestatten. Der Einfluss der Zusammensetzung des Substrats macht sich für strenge Aerobien und Anaerobien in der Weise geltend, dass die ersteren durch reduzierende Substanzen (Zucker u. s. w.), namentlich an- Stellen, wo der Sauerstoffzutritt beschränkt ist, z. B. in der Tiefe des Nähr- bodens, gehemmt, die letzteren eben dadurch begünstigt werden. Eine Anpassung an anaerobe und aerobe Verhältnisse ist in ge- wissem Grade möglich. Man kann schon individuelle Abweichungen in der Empfindlichkeit gegen den Sauerstoffmangel bei manchen obli- gaten Aerobien konstatiren: macht man eine Stichimpfung in einen frisch ausgekochten festen Nährboden, so sieht man wohl vereinzelte Kolonien tiefer unter der Oberfläche wachsen. Durch systematische Auswahl solcher relativ resistenteren Individuen kann man, wie Sanfelice (A. J. 92) gezeigt hat, auch exquisit aerobe Bakterien (Subtilis, Pyocyaneus) an den Sauerstoffmangel gewöhnen. In manchen Fällen tritt dabei zu dem Verlust alter Eigenschaften (Peptonisierungs-, Pigmentierungsvermögen) der Gewinn einer neuen, nämlich der Gähr- fähigkeit (Liboeius, Saneelice). Umgekehrt wird auch eine Anpassung von Anaerobien an aerobe Bedingungen erreichbar sein. Kitt (C. 17. ^/e) ist dieses Resultat beim Rauschbrandbacillus wenigstens in beschränktem Maasse, Righi (R. 94. 205) beim Tetanusbacillus vollständig gelungen (s. Bd. II). Kurse, Variabilität der Mikroorganismen. 485 E. Zusammensetzung des Bakterienkörpers^ Reaktionen. Die Zusammensetzung des Bakterienkörpers (vgl. l.Kap.d.2. Abschn. dies.Bdes.) wechselt, je nach den Wachstumsbedingungen(CEAMEE, A. 13, 16u.22). Wasser- und Aschegehalt ist bei der Entwicklung in höherer Tem- peratur vermindert, bei alten Kulturen vermehrt. Mit der Koncentration des Nährbodens nimmt der Trocken- und Aschegehalt zu. Auf eiweiss- und salzreichem Substrat bestehen die (Cholera-)Bakterien wesentlich aus Eiweiss, Salzen und Wasser, auf eiweissfreiem und salzärmerem Nährboden (Uschinsky-Lösung) wird lange nicht so viel Eiweisssubstanz und Asche gebildet, und daneben gehen noch andere Stoffe reichlich in den Bakterienkörper über. Inwieweit durch künstliche Züchtung erbliche Veränderungen in der Zusammensetzung des Bakterienkörpers in einem und demselben Nährboden erzielt werden können, ist noch nicht festgestellt. Mit der chemischen Zusammensetzung werden auch die Reaktionen des Bakterienleibes wechseln. In der That bestehen gewisse Differenzen in der Aufnahme von Anilinfarben je nach dem Alter der Kultur und der Natur des Nährbodens. Auch individuelle Unterschiede treten unter den gleichen Bedingungen hervor. Für die spezifischen Methoden, die GßAM'sche und Tuberkelbacillenfärbung, gilt das gleiche. Einzelne Thatsachen scheinen dafür zu sprechen, dass die chemische Beschaffen- heit des Substrats für das Zustandekommen oder Ausbleiben dieser Reaktionen bestimmend ist. So berichtet A.Schmidt (W.K.92.643), dass die gewöhnlichen Darmbakterien (B. coli) sich in einzelnen Abschnitten des Intestinaltraktus nach Geam färben lassen, während sie im allge- meinen, auch in künstlichen Kulturen, unfärbbar sind. Die Erscheinung lässt wohl auch noch andere Erklärungen zu, immerhin verdient sie experimentell weiter verfolgt zu werden (vgl. Wilde, Diss. Bonn 96). Auch die Tuberkelbacillenmethode ist auf andere Bakterien anwendbar, wenn dieselben sich in einem bestimmten (fettreichen) Medium be- finden (BiENSTOCK, F. 86. 6 u. Gottstein, F. 86. 8). Abgesehen von den Fällen, in denen die Behandlung eine deut- liche Degeneration des Bakterienprotoplasmas setzt und dadurch das- selbe ungeeigneter zur Aufnahme von Farbstoffen macht, ist auf künst- lichem Wege die Färbbarkeit von Bakterien noch nicht dauernd be- einflusst worden. F. Resistenz der Bakterien. Schon lange bekannt ist die Thatsache, dass die Individuen einer Bakterienkultur — seien es Sporen oder vegetative Formen aus jungen 486 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. oder alten Kulturen — schädigenden Einflüssen, z. B. Desinfizientien gegenüber, verschiedene Widerstandsfähigkeit bekunden. C. Feänkel hat die resistenten Keime „Ausnahmezellen" benannt. Morpho- logische Differenzen, die sie auszeichnen könnten, sind bisher nicht bekannt. Dass die Herkunft von verschiedenen Nährböden eine gewisse Bedeutung hat, wurde ebenfalls bei Desinfektionsversuchen konstatiert (Beheing, Z. 9; Pane, Atti Accadem. med. Roma 90); auch ist dabei nicht gleichgiltig, ob man die Bakterien im trockenen oder feuchten Zustand verwendet, und ob schon vorher schädigende Momente auf sie eingewirkt haben. Alle Verfahren, die durch Behandlung mit hohen Temperaturen oder Antisepticis eine Abschwächung der Bakterien bezwecken, sind geeignet, die Resistenz derselben im allgemeinen herabzusetzen (Smirnow, Z. 4). Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass man durch sehr vorsichtige Behandlung mit den angegebenen Mitteln eine Anpassung der Mikroorganismen an diejenigen Ein- flüsse erzielt, die bei plötzlicher Einwirkung schädlich wirken. Einen allmählichen Übergang zu Temperaturen von 40 — 42*^ vertragen Pigment- bakterien sowie Milzbrandbacillen nach Dieudonne (A. G. 9. 3) ganz gut, ebenso acclimatisieren sich Saprophyten und Parasiten nach KossiAKOEE (P. 87), Teambusti (Sp. 92) und Galeotti (Sp. 92) an ent- wicklungshemmende Mittel (z. B. Sublimat), wenn sie in langsam steigender Koncentration angewandt werden. Ob die erlangte Wider- standsfähigkeit sich auch gegenüber anderen Mitteln, als denen, die zur Behandlung gedient haben, geltend macht, verdient noch festgestellt zu werden. Nach Teambusti und Dieudonne kann trotz der An- passung eine Virulenzabschwächung der Bakterien eintreten. G. Bakterielle Zersetzungen, Bakterienprodukte. Über die Variabilität des Peptonisierungsvermögens haben wir uns oben schon (unter C) ausgelassen, wir besprechen hier die Schwankungen in der Gährthätigkeit in zuckerhaltigen Medien, in der Bildung von Indol und in der 'Produktion von Labferment. Je nach der Zusammen- setzung des Nährbodens wechseln natürlich die Zersetzungen, welche durch die Bakterien in demselben verursacht werden (vgl. 2. und 3. Kap. des 2. Abschn. dies. Bdes.). Am besten ist es, zum Studium dieser Verhältnisse sich künstlicher Nährlösungen zu bedienen. Traubenzucker ist häufig im Fleischsaft enthalten, so dass Gährungserscheinungen auch in den gewöhnlichen damit hergestellten Nähr Substraten sich bemerk- bar machen können, es ist das aber durchaus inkonstant. Die Milch ist dagegen ein natürliches Reagens auf gewisse Gährungserreger. Das Gährvermögen kann durch langdauernde Züchtung in künst- Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 4g7 liehen Nährböden, die keine gährfähigen Stoffe enthalten, sehr ge- schwächt werden; das ist z. B. für Milzbrandbacillen von Hueppe u. Geotenfeld (F. 89. 4) gefunden worden. Dieser Verlust konnte durch Zurückbringen und fortgesetzte Kultur in Milch wieder ersetzt werden, wenn die Veränderung nicht schon zu weit vorgeschritten war. Schneller und vollständiger soll es nach Rodet und Roux, sowie Malvoz ^) ge- lingen durch Züchtung in carbolhaltiger Bouillon bei 42" den sog. B. coli seiner Fermentierungsfähigkeit zu berauben. Villingee's nach demselben Rezept wiederholte Versuche haben das aber nicht be- stätigen können (A. 21. 2). Zur Produktion von Indol ist Vorbedingung ein eiweiss- (oder pepton-) haltiger Nährboden. Bekannt ist, dass durch bestimmte Ein- flüsse (Existenz von Traubenzucker in dem Nährboden [Gorini, C. 13; Kruse, Z. 17]) die Bildung dieses Stoffes hintangehalten werden kann. Ferner sind einzelne Umstände festgestellt, die das Hervortreten der Indolreaktion (Baeyer) begünstigen oder hemmen. Dazu gehört das Vorhandensein von grösseren Mengen Nitrit in der fertigen Kultur, resp. von Nitrat der Nährflüssigkeit bei reduzierenden Bakterien (Petri, A. G. 6. 1; Bleisch, Z. 14). Durch die wechselnde Zusammensetzung des Peptons und Kochsalzes, sowie des Fleischsaftes erklärt sich wahrscheinlich ein grosser Teil der Angaben, die bezüglich der Inkonstanz und Veränderlichkeit der Indolproduktion gemacht worden sind, ein anderer Teil derselben lässt sich vielleicht auf die Variabili- tät des Reduktionsvermögens der untersuchten Mikroorganismen zu- rückführen. Als Reagens auf Labferment wird Milch benutzt. Bei gehöriger Berücksichtigung der anderen Momente, welche die Gerinnung der Milch bewirken (Gährwirkung, Säuregehalt der sterilisierten Milch, un- vollständige Sterilisierung) ist es nicht schwer, sich von einer grossen Variabilität der Labproduktion zu überzeugen. Klassische Beispiele dafür bieten die Choleraspirillen, die Pneumo- und Streptokokken. Ausser den hier besprochenen Eigenschaften der Bakterien kom- men noch zahlreiche andere Ferment- und Enzymwirkungen dersel- ben in Betracht. Es liegen bisher aber noch nicht genügend sichere Beobachtungen über die Veränderlichkeit derselben vor. H. Pigmentbildung. Schon mehrfach berührt wurden die Schwankungen, denen die Pigmentbildung der Bakterien unterliegt. In alten Kulturen kann man regelmässig individuelle Abweichungen in der Intensität dersel- 1) Malvoz, Reclierches bacteriologiques sur la fievre typhoide. Bruxelles 92; vgl. auch einige Angaben mit Litt, bei Kiessling, R. 93. 17. 488 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ben konstatieren. Durch Auswahl der am meisten differenten Kolo- nien lassen sich Varietäten herauszüchten, die keinen Farbstoff ent- wickeln (vgl. den pigmentierten Streptokokkus Pasquale's, Z. 12. 462). Dasselbe Resultat wird erreicht durch Kultivierung bei abnor- men Temperaturen, bei Sauerstoffabschluss oder in mit Antisepticis versetzten Nährböden. Schottelius ') und Chaerin u. Phisalix (S. B. 92) haben den Prodigiosus und den Pyocyaneus durch fort- gesetzte Züchtung bei 37*^ resp. 42,5 "^ seines Pigmentes — und zwar wie es scheint dauernd — beraubt. Das Ausbleiben der Pigmentierung in vor Luftzutritt geschützten Kulturen hat schon Liborius (Z. 1) beob- achtet, Sanfelice (A. J. 92) machte die Bemerkung, dass diese Eigen- schaft auch noch lange sich erhält, wenn man nach einer Reihe anaerober Generationen zu aeroben Bedingungen zurückkehrt. Das gleiche gilt nach Wasserzttg (P. 88) in dem Falle, dass man den Pyocyaneus und Prodigiosus in Bouillon mit entwicklungshemmenden Zusätzen züchtet. Notwendig zu einem vollständigen Erfolg ist bei Anwendung der genannten Verfahren, dass durch dieselben eine Schä- digung des Bakterienprotoplasmas gesetzt wird, denn wenn sich die Mikroben den schädlichen Einflüssen anpassen können, findet unter Umständen ein Rückschlag der alten Eigenschaften, in unserem Falle des Pigmentierungsvermögens, statt (vgl. unter F). So hat Galeütti (Sp. 92) in der That gefunden, dass Bakterien durch Hinzufügung eines Antiseptikums zum Nährboden ihr Pigment einbüssten, dasselbe aber wieder entwickelten, wenn sie sich an das veränderte Substrat gewöhnt hatten. Ähnliches hat Dietjdonne (A. G. 9. 3) bezüglich des Einflusses hoher Temperaturen bei Prodigiosus, Fluorescens u. s. w. festgestellt (vgl. Bd. II). Als ein Beispiel dafür, wie durch Anpassung an einen anderen Nährboden, der durchaus nicht ungünstig zu sein braucht, die farb- stoffbildende Funktion verloren gehen kann, mag der Bacillus der blauen Milch genannt werden (Scholl, F. 89. 21). Bei diesem letzteren tritt auch der Einfluss, den die Zusammensetzung des Substrats auf das Erscheinen des charakteristischen Farbstoffes ausübt, sehr deutlich hervor. Der noch nicht durch die Kultur modifizierte Bacillus bildet, je nachdem er auf Milch, Gelatine oder Kartoffeln kultiviert wird, blaues, grünes oder braunes Pigment. I. Beweglichkeit. Die Beweglichkeit der Bakterien hängt ab einerseits von dem Vegetationsstadium, andererseits von dem Medium, in dem sich diesel- 1) Biologische Untersuchungen üb. d. Mikrokokkus prodigiosus. Leipzig 87 (Festschr. für Kölliker). Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 4g9 ben befinden. Der Einflnss des letzteren verdiente noch mehr studiert zu werden, im allgemeinen schädigen entwicklungshemmende Mo- mente, z. B. die durch das Wachstum entstandene oder zugefügte Säure, auch die Beweglichkeit. Eine scheinbare Ausnahme hiervon bildet der Prodigiosus, der nach Schottelius und Wasserzug (a. a. 0.) besonders bei saurer Reaktion beweglich ist,' obwohl dieselbe an sich seinem Gedeihen nicht förderlich ist. Vielleicht hängt das von dem Ausbleiben der Schleimbildung in saurem Substrat ab. Dauernde Einbusse an Beweglichkeit scheinen die Bakterien zu erleiden, wenn sie längere Zeit unter ungünstigen Bedingungen kulti- viert werden. Z. B. sah Villinger (A. 21) das Bacterium coli unbe- weglich werden und bleiben, wenn es mehrere Generationen hindurch bei 42^ in carbolhaltiger Bouillon gezüchtet und dann in die gewöhn- lichen Kulturbedingungen zurückgebracht war. Allerdings zeigte es sich auch in anderen morphologischen und physiologischen Eigenschaf- ten stark geschädigt. An den unbeweglich gewordenen Bakterien lassen sich die Bewegungsorgane (Geissein) nicht mehr darstellen. Eine Varia- bilität der letzteren in dem Sinne, dass ihre Zahl oder ihre Verteilung am Bakterienkörper sich unter Umständen änderte, ist bisher mit Sicherheit nicht festgestellt worden (vgl. Ferrier, A. E. 95). K. Sporenbildung. Zur Sporenbildung ist ausser gewissen äusseren Voraussetzungen (Temperatur, Sauerstofl:', Erschöpfung des Nährbodens u. s. w.) noch eine innere Anlage des Bakterienleibes von Nöten. Dieselbe kommt nur einer beschränkten Zahl von Spezies zu und kann auf dem Wege der künstlichen Züchtung beseitigt werden. Alle diejenigen Mittel, die geeignet sind, die natürliche Entwicklung zu stören, degenerierend zu wirken, können zum Verlust des Sporenbildungsvermögens führen. Dahin gehören die in alten Kulturen — namentlich Gelatine bei nie- deren Temperaturen — wirksamen Faktoren, die Züchtung bei zu hohen Temperaturen und in Nährböden, die mit antiseptischen Zu- sätzen versehen sind (vgl. Chamberland u. Roux, C. R. 96. 1090; Roux, F. 90; K. B. Lehmann, 87. 26; Behring, Z. 6. 125 u. 7. 181; Phisalix, Bull. med. 92. 25). Die Versuche sind meist am Milzbrand angestellt worden, aber die Erfahrungen des Laboratoriums beweisen, dass auch andere sporenbil- dende Bacillen denselben Einflüssen unterworfen sind. Die Umwand- lung erfolgt stufenweise, indem beim Zurückbringen auf passende Nährböden zuerst die Sporenbildung nur verlangsamt wird, dann nur einige Individuen noch sporifizieren. Schliesslich gelingt es, Varietä- 490 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ten zu erzielen, die auch nach wiederholter Passage durchs Tier nicht mehr zur Sporulation gebracht werden können. L Virulenz und Giftbildung. Über die Wandlungen, welche die pathogenen Eigenschaften der Bak- terien erfahren können, sind unsere früheren Ausführungen (oben S. 299) nachzusehen. Die Virulenz ist sicher derjenige Charakter der Bakterien, der am wenigsten konstant ist. Die Momente, welche die Variabilität bedingen, fallen auch hier wieder in das Gebiet der degenerativen Ver- änderungen oder in das der Anpassungen. M. Natürliche Varietäten. Es ist von vornherein zu erwarten, dass die natürliche Züchtung in ähnlicher Weise Varietäten erzeugen wird wie die künstliche Züchtung. Die Erfahrung bestätigt das auch immer mehr, worüber im syste- matischen Teil im einzelnen berichtet werden wird. Hier seien nur einige Beispiele herausgegriffen. Besonders gross ist die Zahl der Varietäten des Pneumoniekokkus. Durch Vergleich von 84 frisch iso- lierten Kulturen desselben haben Khuse und Pansini (Z. 11) festgestellt, dass dieselben sich nicht nur in ihren pathogenen Eigenschaften, son- dern in zahlreichen morphologischen und physiologischen Charakteren von einander vielfach unterscheiden. Scharfe Grenzen zwischen den einzelnen Spielarten aufzustellen, war nicht möglich, da alle Übergänge zwischen ihnen existierten. Die Züchtung unter gleichen Bedingungen brachte die Differenzen zum grossen Teil zum Verschwinden. Pasquale (Zi. 12) hat bei Streptokokken ähnliche Verhältnisse gefunden. Die Erreger des Milzbrandes, des Typhus, der Diphtherie, der Tuberkulose, der Hühnercholera und Schweineseuche, der Pyocyaneus, Proteus, der Bac. coli communis und der Heubacillus repräsentieren zwar jeder einen Typus, aber man hat sich denselben nicht als einen starren, gänzlich unveränderlichen vorzustellen; auch unter natürlichen Verhält- nissen zeigt er eine gewisse Labilität, die entweder physiologische Fähigkeiten, z. B. die Virulenz, das Verflüssigungsvermögen, oder auch morphologische Eigenschaften betrifft. 0 Dasselbe gilt auch für den Mikroorganismus der asiatischen Cholera. Namentlich die Untersuchungen während und nach der letzten Epidemie haben in verschiedenen Labora- torien die Variabilität dieses Krankheitserregers bezüglich Virulenz, 1) Auf die Differenzen, die Milzbrandsporen verschiedenen Ursprungs in ihrer Resistenz gegen schädigende Einflüsse zeigen, hat Esmarch (Z, ö) zuerst hin- gewiesen. Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 49 j^ Verflüssigungsvermögen, Koloniebildung, Labproduktion, Morphologie u. s. w. über allen Zweifel erhoben, wenn auch die Angaben mancher Forscher (Cünningham r: J. 90) zu weit gehen '). Diese Neigung zur Ab- änderung scheint, wie Hueppe mit Recht hervorhebt (D. 91. 53), bei den sporadischen Fällen und kleinen, langsam verlaufenden Cholera- epidemien grösser zu sein, als in den sehr ausgebreiteten, plötzlich entwickelten Epidemien, wahrscheinlich weil die Bakterien im ersteren Falle viel ungleichartigeren äusseren Lebensbedingungen ausgesetzt sind, als im letzteren. N. Schluss. Aus unserer Darstellung ergiebt sich, dass die Variabilität der Bakterien in der That eine sehr bedeutende ist. Durch künstliche Züchtung gelingt es, die ursprünglichen Typen nach Umständen fast bis zur Unkenntlichkeit — und zwar wie es scheint auf die Dauer — zu verwischen. Kein einziger Charakter ist also absolut konstant zu bezeichnen. Es ist besonders bemerkenswert, dass dieses Resultat schon jetzt, kurze Zeit nachdem man der Frage durch wissenschaftliche For- schung nahegetreten, erzielt ist. Die Erfolge künftiger, langdauernder systematischer Züchtung sind noch nicht abzusehen. Indessen würde es gänzlich verkehrt sein, unter diesem allgemeinen Eindruck die spe- zifischen Differenzen, die trotz alledem im Reiche der Bakterien bestehen, ausser Acht zu lassen. Folgende Punkte sind zu berücksich- tigen: 1. Die Eigenschaften, die am meisten der Veränderung unterliegen, sind die physiologischen; die morphologischen Variationen sind verhält- nismässig unbedeutend — soweit sie dauernd sind — sie gehen kaum über die Grenzen der individuellen Abweichungen heraus, obwohl natür- lich das mikroskopische Bild einer so veränderten Kultur im ganzen genommen ein anderes ist (vgl. Abschn. B). 2. Nicht zu vergessen ist, dass die erworbenen Abänderungen sich allermeist nach der negativen Seite hin bewegen, indem nämlich vor- handene Eigenschaften auf dem Wege der künstlichen Züchtung ver- loren gehen. In vielen Fällen tragen die Varietäten den Stempel un- verkennbarer Degeneration. Wirkliche Anpassungen, verbunden mit dem Auftreten neuer Charaktere, sind bisher viel seltener beobachtet worden. 1) Friedrich, A. G. 8. 1; Grubek, A. 20; Kruse, Z, 17 und nicht publi- zierte Untersuchungen; Pasquale, Giom. medic. del Esercito e della Marina. Roma 94; Sirena e Scagliosi r: C. 15. 24; Celli u. Santori, C. 15. 21; Schoffer, A. G. 11. 2, BoRDONi-ÜFFREorzzi u. Abba, R. 94. 12; Dunbar bei Gafltky, A. G. 10. 1. S. 155*; Ckamer, A. 22. 2; de Giaxa u. Lenti, r: C. 15. 16. 492 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen. ff 3. Durch die Epidemiologie und zahllose, freilich noch nicht sehr alte Erfahrungen auf bakteriologischem Gebiet ist bewiesen, dass die Konstanz der Art unter günstigen Bedingungen, d. h. im adäquaten Nährboden, eine ausserordentlich grosse ist. Die autochthone Entstehung von Krankheitserregern aus Saprophyten ist bisher für keinen Fall bewiesen und nicht einmal wahrscheinlich gemacht worden. Die ersten derartigen Versuche betrafen die Entstehung des Milzbrandes ausHeubacillen(BuCH- NEK bei Nägeli, Niedere Pilze. München u. Leipzig 82). Sie sind durch R, Koch (M. G. 1) zurückgewiesen worden und werden von ilirem Autor nicht mehr aufrecht erhalten. Ferner ist namentlich von Rodet und Roux (s. Bd.II) der Versuch unternommen worden, den Typhusbacillus aus dem B. coli zu erzeugen, freilich mit gänzlich ungenügendem Resultat. Selbst wenn es aber gelungen wäre, auf künstlichem Wege den letzteren Mikroorganismus aller seiner differentiellen Merkmale scheinbar zu ent- kleiden, so fehlte demselben doch noch gerade das spezifische Kriterium des Typhusbacillus, die Fähigkeit, den Typhus des Menschen zu er- zeugen. Das gleiche gilt von den neuesten Bestrebungen, die Ent- stehung der Cholera mit weit in der Aussenwelt verbreiteten Sapro- phyten des Wassers in Verbindung zu bringen. Mag die Ähnlichkeit der Wasserspirillen mit dem KoCHSchen Bakterium auch noch so weit gehen, das letztere zeichnet eben seine spezifische Wirkung auf den Menschen aus. Glücklicherweise sind wir nicht genötigt, das Experi- ment am Menschen selbst als ultimum refugium der Differentialdiagnostik zu betrachten, seitdem R.PrEiEFER(Z. 17 — 21) gefunden hat, dass die spe- zifische Immunisierung von Versuchstieren in zweifelhaften Fällen zur scharfen Unterscheidung genügt. Durch diese Thatsache werden wir auch da zur Vorsicht in der Beurteilung gemahnt, wo es gelingt, durch künstliche Züchtung verschiedene Formen auf einen scheinbar gleichen Typus zurückzuführen. Wenn sonach unsere bisherigen Erfahrungen über die Variabilität der Bakterien nicht geeignet sind, die spezifischen Differenzen der letz- teren aus der Welt zu schaffen, so haben sie doch eine grosse wissen- schaftliche Bedeutung, weil sie die verwandtschaftlichen Bezieh- ungen der Bakterien unter einander in das rechte Licht setzen und so dazu beitragen, die Phylogenese derselben aufzuklären. Es wird freilich noch umfangreicher Forschungen bedürfen, um die Grundlagen für ein auf der natürlichen Entwicklung aufgebautes System (vgl, Bd II S. 93 ff.) zu schaffen, als Beispiel indessen, wie man sich für eine gut bekannte kleinere Gnippe von Mikroorganismen den phylogenetischen Hergang denken könnte, möge folgende Ableitung dienen (vgl. Keuse und Pansini, Z. 11 und Pasquale, Zi. 12). Die für die Pathologie so wichtigen Streptokokken stammen Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 493 jedenfalls von saprophytischen Formen her, die ursprünglich kurze Ketten gebildet, dann die Fähigkeit, Pigmente zu erzeugen und Eiweiss zu peptonisieren, gewonnen haben. Solche giebt es jetzt noch, sie be- halten auch in der Kultur die Gewohnheit, in kurzen Ketten zu wachsen, bei. Aus den kurzen, nicht verflüssigenden Streptokokken gingen die langen hervor und bei diesen erst entwickelte sich die Anpassung an das parasitäre Leben, die Pathogenität; dafür spricht die Thatsache, dass alle virulenten Strepto- (und Diplo-)kokken mit dem Verlust ihrer Pathogenität die etwa vorher bestehende Neigung, kurze Ketten zu bilden, verlieren und lang auszuwachsen beginnen. Mit der Steigerung der Virulenz nimmt wieder die Länge der Ketten ab und die am meisten infektiösen Streptokokken sind der Diplococcus der Pneumonie sowie der Diplococcus pyogenes (Pasquale). Sie entsprechen den Enden zweier Entwicklungsreihen, von denen die eine von Streptokokken sich ableitet, die oberflächlich auf den Schleimhäuten von Warmblütern vegetiert und ganz die Fähigkeit des Wachstums bei niederer Tem- peratur eingebüsst hat (lange Pneumoniekokken der Schleimhäute [Kruse und Pansini]), während die andere noch zu saprophytischer Existenz bei niedriger Aussentemperatur befähigt ist (gewöhnliche Streptokokken der Eiterung etc.) Beide Reihen sind durch Übergänge verbunden, durch Züchtung gelingt es, die Pneumokokken auch an niederere Tem- peraturen zu gewöhnen. Merkwürdigerweise sind unter den virulen- testen Pneumo- und Streptokokken einige Pigmentbildner gefunden worden (Fowitzky, A. M. 50; Pasquale) — vielleicht ein Rückschlag auf saprophytische Ahnen. Dritter Absclinitt. Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen^) von R. Pfeiffer. Erstes Kapitel. Allgemeiue Verbreitung der Bakterien. In den verschiedensten Teilen der Umgebung des Menschen wuchern zahlreiche Bakterienarten, sobald nur hinreichende Feuchtigkeit, Nähr- material und eine Temperatur von mindestens 6 — 10^ gegeben ist; und die Masse derselben vermehrt sich um so rascher, je näher die Tem- peratur dem durchschnittlichen Optimum von 20 — 30^ liegt und je bessere und reichlichere Nährstoffe vorhanden sind. Überall wo totes organisches Material, Exkrete der Menschen und Tiere, Kadaver, ab- gestorbene Pflanzen, Abfallstoffe des Haushalts und der Industrie auf der Bodenoberfläche, in stagnierenden oder fliessenden Gewässern oder innerhalb der Wohnungen bei genügender Feuchtigkeit und Tempe- ratur sich häufen, entstehen Bakterienherde, welche schliesslich die völlige Zerstörung jener Massen bewirken und dafür eine enorme Zahl neugebildeter Individuen an die Stelle setzen. Angesichts der Verbreitung, der enormen Vermehrungsfähigkeit und der relativ grossen Resistenz der Bakterien muss man unwill- kürlich nach den Mitteln fragen, welche in der Natur zur Anwendung kommen, um die immer von neuem gebildeten Massen von Bakterien wieder zu vernichten und ihrer zu starken Anhäufung entgegenzu- arbeiten. Diese Mittel sind nicht etwa in der Kälte des Winters ge- geben, welche bekanntlich im wesentlichen eine Entwicklungshemmung verursacht, im übrigen aber die überwiegende Mehrzahl der Bakterien im lebensfähigen Zustand zu konservieren scheint. Die natürlichen Desinfektionsmittel sind vielmehr in erster Linie Austrocknung der Bakterien, sodann anhaltende Erschöpfung der Nährsubstanzen, 1) Bearbeitet nacli d. 2. Aufl. dies. Buch. Pfeiffer, Allgemeine Verbreitung der Bakterien. 495 zuweilen auch hohe Temperaturen, namentlich an der Bodenober- fläche mit Hilfe der Insolation. Des ferneren entwickeln die chemisch wirkenden kurzwelligen Sonnenstrahlen und sogar das diffuse Tages- licht nach den übereinstimmenden Untersuchungen zahlreicher Bak- teriologen (Büchner, Arch. f. Hyg. XVII, Kruse, Z. XIX u. A.) energisch abtötende Effekte, durch welche das Bakterienleben in durchsich- tigen Medien, vor allem im Oberfiächenwasser sehr wesentlich beein- flusst zu werden scheint. Natürlich werden vor allem die vegetativen Formen der Spaltpilze von diesem natürlichen Desinfizientien betroffen, während die meisten Dauerformen sowohl im ausgetrockneten Zustande, wie auch in erschöpften Nährlösungen und bei den höchsten, an der Bodenoberfläche durch Insolation erreichten Temperaturen sich lebens- fähig erhalten. Aber trotzdem können grosse und vollkommen genügende Wir- kungen mit jenen Mitteln erzielt werden, dadurch dass eben in der Natur den Dauerformen sehr häufig Gelegenheit gegeben wird, wieder auszukeimen und so in eine angreifbare Form überzugehen; ein steter Wechsel von guten Nährbedingungen einerseits, Wasser- und Nähr- stoff'mangel andererseits ist es daher wesentlich, der eine weitgehende Vernichtung der verschiedensten Bakterien und eine Regulierung des Bakterienlebens bewirkt. Für diejenigen Bakterienarten, welche durch die gelegentliche Aus- dehnung ihres Entwicklungskreises auf lebende höhere Organismen unser besonderes Interesse erregen, ist eine fortgesetzte Existenz in unserer natürlichen Umgebung noch besonders erschwert, dadurch dass sie in der Qualität ihrer Nährstoffe meist sehr wählerisch sind, dass sie besonders günstiger Temperatur bedürfen und oft in hervorragen- der Weise gegen Alterationen des Nährsubstrats und Wasserentziehung empfindlich sind. Dazu kommt, dass alle fakultativen Parasiten sehr leicht von Saprophyten überwuchert werden, welche unter den in unserer Umgebung vorhandenen Existenzbedingungen viel schneller wachsen; diese entziehen daher jenen bald die notwendigen Nährstoffe und schädigen sie ausserdem durch StoffVechselprodukte. Sollen daher In- fektionserreger unter den natürlichen Verhältnissen längere Zeit hin- durch sich vermehren können, so müssen sie offenbar Gelegenheit haben, geradezu in einer Art Reinkultur zu wachsen; auf fest-weichen Nährsubstraten, schwimmenden pflanzlichen oder thierischen Resten wird es gelegentlich zu einer solchen ausschliesslichen Occupierung eines Terrains durch pathogene Bakterien kommen. — Sogar die Kon- servierung der in solcher Weise ausserhalb des Menschen gewachsenen oder auch der im Menschen vermehrten und von dort in die Umgebung gelangten fakultativen und obligaten Parasiten stösst auf ziemliche 496 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Schwierigkeiten. Am leichtesten gelingt dieselbe mit Hilfe von Dauer- formen, die im ausgetrockneten Zustand oder in erschöpften Nähr- substraten lange Zeit unverändert persistieren können. Wo Dauer- formen fehlen, da kann möglicherweie noch dann eine Konservierung eintreten, wenn die vorliegenden Verhältnisse eine derartige Entwick- lungshemmung bedingen, dass keine Überwucherung durch Saprophyten, aber auch keine Abtötung der empfindlicheren parasitischen Bakterien eintritt. Ein solcher Fall ist z. B. gegeben bei Kälte unter +5^; ferner (wie unten näher auszuführen ist) bei einem porösen, massig durchfeuchteten Boden. Für die Verteilung des Bakterienlebens auf der Erdoberfläche ist es sodann noch wichtig, dass sie oft nicht auf den Ort ihrer Ent- wicklung beschränkt bleiben, sondern dass ein vielfacher Transport der Bakterien, eine Verschleppung auf kleinere und grössere Strecken stattfindet. Die Luftströmungen und die fliessenden Gewässer sind als die wesentlichsten Transportmittel zu nennen; in kleinerem Massstabe, aber in vielseitigster Weise findet ferner eine Verschleppung durch Tiere und durch die Hantierungen, Beschäftigungen und den Verkehr des Menschen statt. Zweites Kapitel. Yorkommeii und Verhalten der Bakterien in der Luft. Untersuchen wir die einzelnen Teile unserer Umgebung auf das Vorkommen von Bakterien, so finden sich dieselben zunächst in der Luft in sehr wechselnder Menge. Mit den bis jetzt zur Untersuchung verwendeten Methoden sind im Freien in Luftschichten, welche nahe über der Erde lagern, etwa 100 — 500 lebensfähige Bakterien pro Ku- bikmeter gefunden; in der Luft der Wohnräume werden sie in sehr geringer Anzahl beobachtet, sobald längere Zeit hindurch jede Bewe- gung der Luft möglichst vermieden war; während sie in grossen Mengen vorhanden sind, wenn durch Bewegungen und Erschütterungen ein Aufwirbeln von Staub bewirkt wird. Durch direkte mikroskopische Beobachtung der gesammelten Luftkeime, sowie aus den Experimenten über Luftfiltration (Hesse, D. M. 1884) hat sich ergeben, dass die in der Luft schwebenden Mikroorganismen meist nicht isolierte Individuen reprä- sentieren, sondern dass zahlreiche, in der Regel derselben Art zugehörige Individuen zu Verbänden und Gruppen vereinigt sind oder an gröberen Partikelchen und sichtbaren Stäubchen haften. Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien in der Luft. 497 Der Ursprung der Luftkeime ist fast stets in den Bakterienan- siedkingen der Erdoberfläche zu suchen; für eine Vermehrung während des Transports durch die Luft fehlt es vor allem an der genügenden Feuchtigkeit. Der Übergang von Bakterien in die Luft findet ferner im allgemeinen nur statt von völlig trockenen und durch äussere Gewalt zertrümmerten Bakterienkolonien aus. Nägeli und Buchner (Vortrag. München 1881) hat nachgewiesen, dass selbst starke Luft- ströme von feuchten Oberflächen keine Bakterien loszureissen im- stande sind; nur wenn gleichzeitig ein Verspritzen von Flüssigkeiten durch Erzeugung von Wellen oder durch heftiges Schlagen (Mühl- räder, Wäsche) oder durch Blasenbildung erfolgt, können Wasser- bläschen und mit diesen Bakterien für kurze Strecken von Luft- strömen mitgeführt werden. Selbst wenn ferner eine Bakterienkolonie austrocknet, so ist damit noch nicht ohne weiteres die Möglichkeit zur Ablösung und zum Übergang einzelner Teile derselben in die Luft gegeben, sondern die angetrockneten Bakterien pflegen sehr fest an ihrer Unterlage zu haften, und erst durch Lockerung, durch Risse und Brüche, die durch äussere Gewalt oder Temperatureinflüsse entstehen, kommt es zur Ablösung kleiner, leichter Partikelchen, die mit Luft- strömen fortgeführt werden können. Die einmal in die Luft übergetretenen Bakterien werden dann dort verschieden lange schwebend erhalten resp. durch Luftströme fortge- führt. Von Einfluss ist in dieser Beziehung ausser der Stärke der bewegenden Strömungen namentlich Grösse und Gewicht der schwe- benden Partikel. Gröbere Stäubchen, die man mit blossem Auge bei jeder Beleuchtung sieht, fallen mit ihrem Anhang von Bakterien bei ruhiger Luft bald nieder; die kleineren sogenannten Sonnenstäubchen bleiben schon leichter schwebend und werden durch geringfügige Ströme auf- oder seitwärts fortbewegt. Endlich kommen auch noch die makro- skopisch niemals sichtbaren kleineren Bakterienverbände resp. einzelne Bakterien in Frage, die ein Gewicht von 1 Billionstel Gramm und weniger repräsentieren xmd auch in ruhiger Luft sich nicht merklich niedersenken. Alle diese kleinsten Körperchen sind noch umgeben zu denken von einer verdichteten Lufthülle, die wohl wesentlich aus Wasser- dampf besteht und gleichsam einen als Fallschirm dienenden und das Schweben erleichternden Mantel bildet (Nägeli). Aus diesen Beobachtungen und Erwägungen ergeben sich dann ohne weiteres einige Gesetzmässigkeiten für die örtliche und zeit- liche Verteilung der Bakterien in der Luft. Überall, wo vielfache Bakterienansiedlungen auf der Erdoberfläche sich finden, und wo ferner eine völlige Austrocknung oberflächlicher Kolonien statthat, wird es auch zu einem bedeutenden Gehalt der Luft an Bakterien kommen. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 3- 498 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Wo keine Gelegenheit zur Ansiedlung von Bakterien gegeben ist (in Einöden, auf hohen Bergen), oder wo stetig feuchte Oberflächen vor- liegen (über dem Meere), wird die Luft fast oder völlig frei von Bak- terien sein. Wie weit trockene, aber lebensfähige Bakterien durch Winde fortgeführt werden können, darüber ist noch nichts sicheres bekannt; man darf wohl nach den ausserordentlich weiten Strecken, welche andere Luftstäubchen nachweislich'' zurückzulegen vermögen, auch auf gelegentliche erhebliche Ortsveränderungen der Bakterien schliessen. Diese sind dann natürlich geeignet, lokale DiflPerenzen im Bakterien- gehalt der Luft in gewissem Grade zu verwischen; indess die über- wiegende Hauptmasse der Luftkeime wird doch immer örtlichen Quellen entstammen. Zeitliche Variationen in der Zahl der Luftkeime sind, abgesehen von der wechselnden Menge der verfügbaren Bakterienansiedlungen, in erster Linie von den Bedingungen abhängig, welche den Übertritt neuer Bakterien in die Luft befördern, und zweitens von denjenigen Faktoren, welche die Abscheidung der schwebenden Keime aus der Luft beein- flussen. Die Aufnahme von Bakterien begünstigen vor allem aus- trocknende Winde. Auch bei massigem Sättigvmgsdefizit und feuch- teren Winden kommt es an exponierten Stellen der Erdoberfläche wohl zur Austrocknung der obersten Schichten und zu einem Fortführen von Staub und einer gewissen Menge von Bakterien; eine Periode an- haltend starker Trockenheit (wie sie bei uns Ostwinde herbeiführen) bewirkt aber ein Austrocknen in ganz anderer Ausdehnung; jeder Winkel der Strassen, Höfe und Häuser, tiefere Schichten des Acker- bodens u. s. w. werden dann allmählich trocken gelegt und erheblich zahlreichere und namentlich viel mannichfaltigere — eventuell auch pathogene — Bakterien gehen von allen diesen Stätten in die Luft über. Trotz dieses bedeutenden, die Zahl und Art der Luftkeime begün- stigenden Einflusses der trockenen Winde ist es nun aber doch immer- hin möglich, dass der Kubikmeter der uns umgebenden Luftschicht kaum mehr Keime zeigt, als bei ruhigem feiichtem Wetter. Denn die trocknen Winde werden möglicherweise die aufgenommenen Keime auf einen viel grösseren Raum verteilen und sie namentlich in relativ hohe Schichten hinaufführen. Ein höherer Wassergehalt der Atmo- sphäre dagegen, namentlich aber der Eintritt absteigender feuchter Luft- strömungen und in besonders hohem Grade Condensationen von Wasser- dampf müssen zum Niedersinken der emporgeführten Staubteilchen Anlass geben und so zunächst eine Zunahme des Keimgehalts in den der Erdoberfläche nahen Luftschichten bewirken, bis eventuell fort- gesetzte Kondensationen und Niederschläge den grössten Teil der Bakterien dem Boden wieder zugeführt haben. Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien in der Luft. 499 Gefahr der Luftkeime. Im grossen und ganzen hat man früher der Luft wohl eine zu bedeutende Rolle bei der Verbreitung saprophytischer und infektiöser Keime zugeschrieben. Durch die Erfahrungen beim bakteriologischen Arbeiten und in der chirurgischen Praxis ist es evident gewordeu, dass Bakterien aus ruhiger Luft nur selten in vorhandene Nährsubstrate geraten, dass schon eine einfache Bedeckung, welche die vertikal herab- fallenden Stäubchen aufhält, einen äusserst wirksamen Schutz selbst in unreiner Luft gewährt, und dass weitaus häufiger als durch Luft- keime eine Einschleppung von Bakterien durch unreine Objekte, un- beabsichtigte Berührungen u. dgl. erfolgt. Dagegen scheint eine stark bewegte, staubige Luft reichliche Gelegenheit zur Verbreitung von Bakterien zu bieten, und bewerkenswert ist es, wie massenhaft letztere auf einem kühleren Objekt — in Eis gelegenen Nahrungsmitteln u. dgl. — mit dem gleichzeitig kondensierten Wasserdampf niedergeschlagen werden können. Aber auch dann bilden stets die pathogenen Bakterien immer nur einen verschwindenden Bruchteil gegenüber den Saprophyten. In der freien Luft geht vielmehr die Verdünnung pathogener Keime bald so ins Unendliche, dass eine direkte In- fektion von da aus zur Seltenheit wird. Dagegen kommt die Luft innerhalb der Wohnungen und in der Nähe des Kranken als Infektions- quelle sehr wesentlich in Betracht. So wissen wir, dass unzweifelhaft die Pocken durch infektiösen, in der Luft suspendierten Staub über- tragen werden können, und für die anderen akuten Exantheme, Masern, Flecktyphus und Scharlach, ist es zum mindesten sehr wahrscheinlich. Aber auch bakterielle Krankheiten werden dvirch Luftstaub hervor- gerufen; so entsteht der bei gewissen Fabriksbetrieben unter den Ar- beitern häufiger auftretende Lungenmilzbrand durch die Inhalation von lufttrockenen, anWoll- und Haarpartikelchen haftenden Anthrax- sporen. Des weiteren sprechen manche Erfahrungen dafür, dass Typhus- bacillen in staubförmigem Zustande sehr wohl ihre infektiösen Eigen- schaften für den Menschen bewahren können. Vor allem aber ist hier die Lungentuberkulose zu nennen, diese furchtbarste Geissei des Menschen- geschlechtes, welche nach den absolut beweisenden experimentellen Arbeiten Koch's und seines Schülers Cornet fast ausschliesslich durch die Einatmung von Luftstaub erzeugt wird, welchem Partikelchen ver- trockneten und mechanisch zerriebenen tuberkulösen Sputums beige- mengt sind. Im ganzen zeigt unser Wissen über den Anteil der Luft an der Verbreitung infektiöser Krankheiten noch manche Lücken. Doch so viel lässt sich jetzt sicher sagen, dass fiühere Versuche, den Keim- 5Q0 Voi'kommen und Fundorte der Mikroorganismen. gehalt der Luft in einen Causalnexus zu bringen mit der Morbidität und Mortalität der verschiedensten Infektionskrankheiten, weit über das Ziel hinausschössen und auf falsche Interpretation unsicherer sta- tistischer Daten basiert waren. Drittes Kapitel. Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. Die Verbreitung und das Verhalten der Bakterien im Boden hat ein ganz besonderes hygienisches Interesse dadurch gewonnen, dass seit längerer Zeit und namentlich seit den Deduktionen Pettenkofer's der Boden als ein höchst bedeutsamer Faktor für das Zustandekommen epidemischer Krankheiten angesprochen ist. Der statistisch erwiesene Zusammenhang zwischen der Bewegung der Typhusmortalität in Mün- chen und den Grundwasserschwankungen daselbst lieferte das haupt- sächlichste Argument für die Anschauung, dass irgend welche im Boden sich abspielenden Vorgänge von massgebendem spezifischem Einfluss seien auf die Ausbreitung einer Reihe von Infektionskrankheiten. Jene statistischen Beobachtungen Hessen an sich eine dreifache Deutung zu : erstens konnte der durch die Grundwasserschwankungen angezeigte Vorgang im Boden für die Entwicklung der Infektionskeime von Einfluss sein, oder zweitens nur den Transport der im Boden vor- handenen Keime zum Menschen befördern, oder drittens, eine direkte Beziehung zwischen dem Verhalten des Bodens und den Infektions- keimen war nicht vorhanden, sondern mehr eine indirekte, derart, dass sowohl das scheinbar disponierende Verhalten des Bodens wie die Verbreitung der Epidemie auf einen dritten gemeinsamen, ursächlichen Faktor zurückgeführt werden mussten. — Ferner fragte es sich, wenn irgend welcher direkte Einfluss des Bodens auf einen oder einige Infektionserreger erwiesen war, ob derselbe für das Zustandekommen einer epidemischen Ausbreitung der betreffen- den Krankheiten unbedingt als erforderlich erachtet werden musste, so dass dem Boden eine unerlässliche spezifische Rolle zukam, oder ob die Ausbreitung der gleichen Krankheit häufig auch auf anderen Wegen ohne alle Mitwirkung des Bodens erfolgen kann. Eine Entscheidung dieser Fragen war offenbar nur möglich mit Hilfe einer genaueren Kenntnis der Krankheitserreger, ihrer Lebens- cigenschaften und der Art ihrer Verbreitung; ehe wir über diese Kennt- Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 501 nisse verfügten, waren lediglich Vermutungen über die nähere Be- ziehung zwischen Boden und Infektionskrankheiten möglich. Pettenkoeer und seine Schüler suchten es früher wahrscheinlich zu machen, dass eine bestimmte Beschaffenheit des Bodens sowohl auf die Entwicklung der Krankheitskeime wie auf den Transport derselben zum Menschen in eigentümlicher Weise einwirke; ein poröser, mit organischen Abfallstoffen durchsetzter und wechselweise durchfeuchteter Boden sollte für die Entwicklung und eine Art Reifung der Infektions- erreger unerlässlich sein, und derselbe Boden sollte vielleicht bei einem bestimmten Grade von Austrocknung die Möglichkeit zum Ent- weichen der infektiösen Keime mit Hilfe von transportierenden Luft- strömungen liefern. Diese Deutung war gewiss nach dem damaligen Stande der Kenntnisse über die Natur der Krankheitserreger berechtigt; eingehende Studien über das biologische Verhalten, den Entwicklungsgang und die Existenzbedürfnisse der Krankheitserreger haben indes die Halt- losigkeit jener früheren Anschauungen über das Zustandekommen der Infektionskrankheiten und speziell auch über den Eiufluss des Bodens auf die pathogenen Bakterien erwiesen. Fassen wir zunächst dasjenige, was bisher über das allgemeine Verhalten der verschiedensten Bakterien im Boden durch direkte Beobachtung und durch das Experiment ermittelt ist, kurz zusammen, so ergiebt sich in erster Linie das übereinstimmende Resultat, dass in der That das Bakterienleben im Boden ein äusserst reges ist, dass der Boden offenbar das hauptsächlichste Reservoir der Bakterien bildet, in welches der grösste Teil aller bakterienhaltigen Flüssigkeiten, fast alle Abfallwässer, Exkrete u. s. w. gelangen, und zu dessen Ober- fläche auch die in die Luft übergegangenen Keime grossenteils wieder zurückkehren. Von den verschiedensten Beobachtern sind stets enorme Zahlen von Bakterien im Boden gefunden. Aus gedüngter Acker- oder Gartenerde gehen oft in jeden Tropfen eines mit lOOfacher Verdünnung bereiteten Infuses noch Tausende von Bakterien über, und auch der gewöhnliche Strassen- und Hofboden zeigt deren eine bedeutende Menge. Vorwiegend finden sich Bacillen, doch in den oberflächlichsten Schichten lind ])ei feuchterem Boden auch zahlreiche Mikrokokkenarten. Einige Arten sind entschieden vorherrschend und finden sich an den ver- schiedensten Orten und zu den verschiedensten Zeiten im Boden, während sie in anderen Substraten viel seltener vorkommen, z. B. der Bac. mycoi'des und einige noch nicht näher beschriebene Arten. Sehr oft müssen die verschiedenen Bacillen in Form von Dauersporen im Boden vorhanden sein, wie aus den Desinfektionsversuchen mit Be- stimmtheit geschlossen werden darf. 502 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Auch pathogene Arten kommen nicht selten zur Beobachtung. Bekannt sind als Bodenbewohner die Erreger des malignen Odems, des infektiösen Tetanus, der Bac. septicus agrigenus u. a. Diese patho- genen Arten sind im Boden weit verbreitet und besonders reichlich enthalten in der Erde unserer Gärten und Felder, welche mit dem Mist unserer Haustiere gedüngt sind. Wahrscheinlich stammen die Sporen der Tetanus- und Odembacillen eben aus dem Darmkanal der grösseren Pflanzenfresser, wo sie die für ihr Wachstum unerlässlichen streng anaeroben Verhältnisse und ein geeignetes Nährsubtrat vor- finden. Impft man mit nicht zu kleinen Mengen von der Oberfläche eines beliebigen Bodens Mäuse, Meerschweinchen oder Kaninchen, so erhält man stets einen viel höheren Prozentsatz von erkrankten Tieren, als bei der Impfung mit irgend einer bakterienreichen Faul- flüssigkeit. Dabei haben wir Grund anzunehmen, dass die infektiösen Erkrankungen durch Boden noch mannigfaltiger ausfallen und zur Isolierung anderer Arten von pathogenen Pilzen führen würden, wenn nicht die Verbreitung jener Odem- und Tetanusbacillen eine so grosse wäre, dass dieselben andere Infektionserreger verdecken und den Tod des Tieres herbeiführen, ehe andere, langsamer wachsende Bakterien zur Vermehrung gelangen können. — Diese hervorragende Infektions- tüchtigkeit des Bodens schien von vornherein offenbar der Annahme einer spezifischen Bedeutung des Bodens für das Zustandekommen auch der menschlichen Infektionskrankheiten günstig zu sein. Ferner wissen wir, dass im Boden ein reges Bakterienleben herrscht, dessen Thätigkeitsäusserungen von hoher Bedeutsamkeit sind. So konnten Schlösing und Müntz und später Warington nach- weisen, dass die Salpeterbildung aus dem Ammoniak der organischen Substanzen vorzugsweise durch niedere Organismen bewirkt wird; erhitzter oder mit desinfizierenden Mitteln behandelter Boden stellt diese sonst regelmässig beobachtete Thätigkeit fast völlig ein. In ähnlicher Weise gelang es Wollny und Fodor (Hygien. Untersuch, über Luft, Wasser etc. Braunschweig 1882) zu zeigen, dass auch die Bildung der Kohlensäure im Boden ausschliesslich auf die Lebens- thätigkeit niederer Organismen zurückzuführen ist. Ferner haben Gaton und DuPETiT sowie Deheeain und Maquenne den Nach- weis erbracht, dass bei Sauerstoäinangel eine Reduktion der Nitrate zu Nitriten, Ammoniak und Stickstoff durch die Bakterien des Bodens stattfinden kann. Nach Untersuchungen von Heraeus (Z. 1) vermögen viele Bakterienarten (so der Bac. prodigiosus, die Käsespi- rillen, FiNKLEß'schen Spirillen, Typhusbacillen, Milzbrandbacillen, Sta- phylokokken) Ammoniak zu salpetriger Säure zu oxydieren, während andere Arten (z. B. zwei aus Wasser gezüchtete Bacillen) in ausge- Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 593 sprochener Weise Reduktion der Nitrate bewirken. ScHLösma und MüNTZ hatten die Nitrifikation als ausschliessliche Leistung einer ein- zelnen, von ihnen aus dem Boden isolierten Bakterienart ansprechen wollen, aber es war ihnen nicht gelungen, wirkliche Reinkulturen zu gewinnen. So konnte lange Zeit die Auffassung von Heraetjs, wonach eine grössere Zahl von Bakterien an der Bodeunitrifikation sich beteiligt, herrschend werden. Erst durch die mustergiltigen Untersuchungen Winogradskt's (Annales de l'Inst. Pasteur T. VI) über die Nitrifi- kationsvorgänge im Boden ist die ursprüngliche Ansicht von Schlösing und MüNTZ als thatsächlich begründet erwiesen worden, da es gelang, aus dem Boden eine wohlcharakterisierte Bakterienart mit höchst merk- würdigen biologischen Eigenschaften zu isolieren, welche als das nitri- fizierende Ferment par excellence zu betrachten ist. Weiter liegen über die Verteilung der Bakterien im Boden zahl- reiche und ausführliche Beobachtungen vor. Die Bakterien gelangen mit den Abfallflüssigkeiten, aus der Luft u, s. w. zunächst gewöhnlich auf die oberflächlichsten Schichten und in diesen finden wir daher weitaus die grösste Zahl von Bakterien. Von Versitz- und Abortgruben aus geraten auch viele Bakterien sofort in etwas tiefere, 1 — 3 Meter unter der Oberfläche befindliche Schichten und imprägnieren diese in der näheren Umgebung der Gruben besonders stark. Es fragt sich nun, ob von jenen Invasionsstellen aus eine Verbreitung der Bakterien über weitere Strecken des Bodens in horizontaler und vertikaler Richtung stattfindet. Als Transportmittel könnten dabei entweder in erster Linie Wasser- oder Luftströmungen in Betracht kommen. Erstere würden eventuell beim Durchsickern von der Oberfläche her durch den Boden bis zum Grundwasser hin die Bakterien in die Tiefe und in das Grund- wasser führen, oder kapillar aufwärts steigendes Wasser schafft bei starker Verdunstung von der Oberfläche die unten angesammelten Bakterien nach den oberen Schichten. Beide Transportarten haben sich aber bei experimenteller Prüfung als nicht anwendbar erwiesen. Zahlreiche Filtrationsversuche im grossen und im kleinen haben aufs deutlichste gezeigt, dass eine Bodenschicht von V2 — 1 Meter Dicke schon ein vor- zügliches Filter für Bakterien darstellt; im gewachsenen und nament- lich im lehmhaltigen Boden und bei der äusserst langsamen Fort- bewegung von Flüssigkeiten im natürlichen Boden muss dort die Reinigung derselben von Bakterien noch weit vollkommener sein. Damit harmoniert auch die zuerst von Koch, später auch im Institut von C. Flügge und von C. Feänkel (Z. II) konstatierte Thatsache, dass die tieferen Bodenschichten ausserordentlich viel weniger resp. keine Bakterien enthalten im Gegensatz zu den stets enorm reichen oberflächlichen Schichten (abgesehen natürlich von künstlich aufgeschüttetem BodenX 504 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Ferner ist es eine allgemeine Regel, dass Brunnen, welche gegen eine Verunreinigung durch Bakterien seitens der Oberfläche und des Brunnenschachtes gut geschützt sind, ein fast bakterienfreies Wasser liefern; dass ferner Brunnen mit bakterienhaltigem Wasser um so reiner werden, je mehr gepumpt wird und je mehr Grundwasser aus den umgebenden tieferen Bodenschichten zutritt. Diese Keimarmut resp. Sterilität der Bodenschichten und des Grundwassers gilt zunächst nur für Bodenverhältnisse, welche den in der norddeutschen Tiefebene herrschenden ähnlich sind, wo also diluviale Schichten feinen oft auch lehmhaltigen Sandes die Bodenzusammensetzung wesentlich bestimmen. In Gegenden, wo der Boden aus grobem Kies und Schotter besteht, wird die filtrierende Kraft des Bodens sehr viel weniger hervortreten und wir müssen erwarten, auch in tieferen Bodenschichten und im Grundwasser auf Bakterien zu stossen. In der Regel wird aber ein Tieferspülen von in den Boden ein- gedrungenen Bakterien nur in sehr geringem Grade stattfinden, zumal auch der Durchtritt der Flüssigkeiten selbst und der gelösten Sub- stanzen nach Hofmann's Untersuchungen nur ausserordentlich langsam vor sich geht und meist Monate und Jahre gebraucht, bis die dem Grundwasser nahen Schichten erreicht sind. Dass ein kapillar aufsteigender Flüssigkeitsstrom Bakterien aus tieferen Bodenschichten in oberflächlichere fortzuführen imstande sei, ist seiner Zeit von Soyka ^) auf Grund einer Versuchsreihe behauptet. Dieselben Versuche haben indess bei einer Wiederholung durch A. Pfeiffer-) und im KocH'schen Institut zu ganz entgegengesetzten Resultaten geführt. Selbst wenn aber eine solche Beförderung von Bakterien durch Kapillarströme in geringfügigem Grade möglich wäre, so hätten wir doch kaum anzunehmen, dass damit unter natürlichen Verhältnissen ein ausgiebig verwertbares Transportmittel für Bakterien gegeben sei; denn wir haben in den tieferen Bodenschichten gerade die bakterienarmen, in den oberflächlichsten dagegen die bakterien- reichen Zonen kennen gelernt, und ausserdem würde für den Trans- port der Bodenkeime aus dem Boden heraus zum Menschen die Kapillarströmung immerhin kaum eine Bedeutung haben, weil, wie wir sehen werden, für diesen nur die Beschaffenheit der äussersten Boden- oberfläche in Frage kommt. Ob Luftströmungen durch den Boden hindurch Bakterien fortbe- wegen können, ist zuerst vouNägeli, dann von Renk, Soyka, A. Pfeiffer, Petri u. A. experimentell geprüft worden. Alle Beobachter sind zu 1) P. W. 1885. Nr. 28. 2) Repert. d. anal. Ch. 1886. Nr. 1. — Z. 1. Heft 3. Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 505 dem übereinstimmenden Resultat gelangt, dass selbst starke Luftströme durch eine Bodenschicht von wenigen Centimetern Dicke nicht einen einzigen Bakterienkeim hiedurchzuführen vermögen; die Bodenschicht wirkt selbst im völlig trockenen Zustand vollkommen filtrierend, und in dem natürlichen, stets etwas feuchten Boden und bei den mini- malen Bewegungen der Bodenluft wird demnach um so weniger jemals die Möglichkeit für eine Loslösung und Fortführung von Bakterien gegeben sein. — Schliesslich könnte noch an eine Verbreitung der Bakterien durch Fortwachsen gedacht werden. Die energischen Oxydationsvorgänge im Boden geben uns allerdings von einem regen Leben und dementsprechend auch von einer starken Vermehrung der Bodenbakterien Kunde, aber selbst bei einem sehr lebhaften Wachstum würden doch die enorm grossen Flächen, welche ein poröser Boden darbietet, nur ein äusserst langsames Vorrücken der Vegetationen ge- statten, und vollends für pathogene Bakterien würde diese Art der Verbreitung ganz in Wegfall kommen. — Schliesslich kann in man- chen Fällen wohl ein Transport von Bakterien durch allerlei im Boden lebende und sich fortbewegende Tiere, z. B. durch ßegenwürmer er- folgen, der aber nur sehr beschränkten Umfang haben wird.^) Im ganzen haben wir somit die Bakterien des Bodens als lokal fixiert und nur langsam und durch kleine Strecken ihren Ort verändernd zu denken. A. Verhalten der pathogenen Bakterien im Boden. Ganz besonders wichtig sind für uns sodann die Ergebnisse der neueren Untersuchungen über das Verhalten der pathogenen Bakterien im Boden. Wir haben namentlich zu sehen, ob wirklich eine spezifische Beeinflussung der pathogenen Bakterien durch den Boden zustande kommt, ob etwa ein solcher Einfluss nachweisbar wird in einer Be- günstigung des Wachstums und der Vermehrung der pathogenen Bak- terien, oder ob er sich auf die Sporenbildung und Konservierung der- selben erstreckt, oder ob drittens nur die Verbreitung der Infektions- erreger vom Boden zum Menschen eine Abhängigkeit von bestimmten Bodenverhältnissen ergiebt. 1) So glaubte Pasteur, dass durch die Regenwürmer Milzbrandsporen, welche sich in vergrabenen Milzbrandkadavem bilden sollten, an die Oberfläche des Bodens transportiert werden könnten, und hielt diese Möglichkeit für um so näher liegend, als direkte Versuche ergaben, dass verfütterte Anthraxspoi'en sich im Darm dieser Tiere längere Zeit haltbar erwiesen. Aber die Voraussetzung, von welcher Pasteur ausging, ist unrichtig, denn wir wissen jetzt, dass in vergrabenen Milzbrandkadavern Sporenbildung nicht eintritt. 506 ' Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. I. Findet Vermehrung pathogener Bakterien im Boden statt? Die Möglichkeit einer Vermehrung pathogener Pilze im Boden müssen wir nach unseren jetzigen Kenntnissen über die Lebensbedürf- nisse derselben als in hohem Grade unwahrscheinlich bezeichnen. In tieferen Schichten ist allein schon die niedrige Temperatur genügend, um diese Kategorie von Bakterien an einer Vermehrung völlig zu hindern.^) In denjenigen höheren Schichten, welche immer oder zeit- weise eine Temperatur von mindestens 16^ zeigen, könnte ein V^achs- tum von pathogenen Pilzen stattfinden, wenn entsprechende Nährsub- stanzen vorhanden, wenn keine die Entwicklung hemmenden Stoffe zugegen sind und wenn nicht rascher wachsende Saprophyten in Kon- kurrenz treten. Diese Bedingungen sind aber unter gewöhnlichen Verhältnissen fast niemals erfüllt. Zahlreiche Versuche von Bolton, Heraeus (Z. 1, 1. c.) u: A. haben auf das bestimmteste gezeigt, dass selbst die Typhusbacillen, die unter den übrigen pathogenen Pilzen noch am wenigsten wählerisch sind, doch eine geringe Menge bester Nährstoffe unbedingt zum Wachstum und zur Vermehrung erfordern. Die patho- genen Bakterien stehen in dieser Beziehung in schroffem Gegensatz zu einigen saprophy tischen Arten, welche mit Nährstoffen fast jeder Qualität ihren Haushalt bestreiten und es daher auch im Boden zu einer lebhaften Vermehrung bringen können. Bessere Nährstoffe sind aber höchstens vorübergehend an vereinzelten Lokalitäten in den ober- flächlichsten Bodenschichten zu finden, weil stets eine schnelle Zer- störung" und Dekomposition durch saprophytische Bakterien und durch die Flächenwirkung der Bodenelemente erfolgt. In reinem ver- dünnten Harn lassen sich allerdings verschiedene pathogene Bakterien züchten, iind ebenso hat Scheakamp (Arch. f. Hygiene. Bd. II) eine Ent- wicklung von Milzbrandbacillen konstatieren können in einem vorher ste- rilisierten und dann mit Harn, Blutserum, Nährgelatine u. s. w. versetzten Boden. Daraus ist aber für die Verhältnisse des natürlichen Bodens nicht 1) Sehr beweisend für diese Annahme ist der Ausfall der C. FRÄNKEL'schen (1. c.) Versuche. Derselbe brachte frisch auf Nähragar und Nährgelatine angelegte Reinkulturen von Milzbrand, Cholera und Typhus in verschiedene Bodentiefen und prüfte nach 2 — 3 Wochen, ob Wachstum eingetreten war oder nicht. Es er- gab sich, dass Milzbrand schon in 2 Meter Tiefe nur noch ausnahmsweise zum Wachstum kommt, in 3 Meter Tiefe gar nicht mehr gedeiht und auch in IV2 Meter Tiefe in der Entwicklung zurückbleibt. Die Bacillen der Cholera hatten nur in den Monaten August, September und Oktober in 3 Meter Tiefe Kolonien gebildet, in den übrigen Monaten waren sie nicht zum Auswachsen gekommen. Vom April bis Juli waren sie auch in 2 Meter Tiefe ausgeblieben. Am wenigsten empfindlich erwies sich der Typhus, welcher nur vom April bis Juni in 8 Meter Tiefe versagte, im übrigen aber ein recht kräftiges Wachstum entfaltete. Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 5Q7 das mindeste zu folgern. Auf diesen gelangen für gewöhnlicli die Exkrete und Abwässer in schon stark alteriertem Zustande und reichlich mit saprophy tischen Bakterien durchsetzt; im Boden erleiden sie meist eine starke Verdünnung durch die Niederschläge; die Schichten, in welchen sie zunächst aufgehalten werden, sind ebenfalls mit Sapro- phyten und Gährungserregern durchsetzt und geeignet, die rasche Dekomposition des Materials ihren Fortgang nehmen zu lassen. Ein gedüngter Boden bietet daher ganz wesentlich andere Nährbedingungen dar, als jene reinen Versuchsflüssigkeiten, und Schlussfolgerungen auf das Verhalten des natürlichen Bodens werden nur aus Experimenten mit wirklichem gedüngten Acker- und Gartenboden zu ziehen sein. Solche sind bereits von Koch angestellt; derselbe versuchte Milzbrand- bacillen in Gartenerde, in sehr humusreicher Erde vom Ufer eines Flusses, im Schlamm desselben, sowie im Strassenschlamm (welche Substanzen mit etwas Wasser versetzt wurden) zu züchten, dieselben zeigten jedoch kein Wachstum. — Sodann hat Peaussnitz im Institut von C. Flügge Untersuchungen in dieser Richtung angestellt; dieselben haben aber bei keiner Bodenart und bei keiner Art der Düngung eine irgend ausgiebigere oder anhaltende Vermehrung pathogener Bakterien ergeben. Es ist wohl möglich, dass hier und da Grade der Boden- verunreinigung existieren mögen, welche eine kurzdauernde lokale Vermehrung gestatten, aber im ganzen gehört eine derartige Fähig- keit des Bodens jedenfalls selbst unter den im Laboratorium gesetzten Bedingungen zu den Ausnahmen. Und dabei sind diese Bedingungen insofern für die Vermehrung der pathogenen Bakterien ausserordent- lich viel günstiger wie unter den natürlichen Verhältnissen, weil in denselben durchweg ein vorher bei 100 ^ sterilisierter, von anderen Bak- terien freier Boden und eine C02-freie Luft zur Anwendung kommen. In Wirklichkeit wird die Konkurrenz der Saprophyten, die dort ihre günstigsten Existenzbedingung"en vorfinden, sowie die Anhäufung der CO2 einer Vermehrung der pathogenen Bakterien in noch weit stär- kerem Masse hinderlich sein. Demnach erscheint es für die Frage der Vermehrung der patho- genen Bakterien im Boden auch relativ gleichgiltig, ob ein Boden mehr oder weniger „verunreinigt", d. h. mit Abfallstoffen imprägniert ist. Möglicherweise führt ein Mehr oder Weniger wohl zu einem gewissen Wechsel der herrschenden Bakterienarten, aber alle diese gehören zur Kategorie der obligaten Saprophyten und gewähren kei- nen Raum für die in ihren Lebensbedingungen viel empfindlicheren fakultativen Parasiten. Es wird gewiss zuweilen der Fall vorkommen, dass auch einmal eine Reinkultur pathogener Bacillen zusammen mit gutem Nährmaterial in die oberen Bodenschichten gelangt (wie z. B. 508 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Blut von Milzbrandkadavern), und dann wird in dem so imprägnierten Boden zunächst noch eine Vermehrung der Milzbrandbacillen erfolgen, aber das ist dann offenbar keine besondere Leistung des Bodens, son- dern das gleiche kann sich auf jedem anderen Substrat abspielen. Auch Typhus- und Cholerabacillen, die mit frischen Dejektionen in einen mit schlechten Nährstoffen und Massen von Saprophyten durch- setzten Boden gelangen, werden vielleicht noch eine kurze Frist auf Kosten der in den Dejektionen mitgebrachten Nährstoffe eine gewisse Vermehrung leisten, wie sie das auch unter den verschiedensten an- deren Umständen ohne Berührung mit dem Boden thun würden; dabei tritt keinerlei begünstigender spezifischer Einfluss des Bodens und der Bodenverunreinigung hervor, sondern im ganzen eher ein schädigender Effekt. II. Findet im Boden eine Konservierung pathogener Bakterien statt? Etwas anders muss vielleicht unsere Antwort ausfallen, wenn wir fr*agen, ob etwa eine Konservierung pathogener Bakterien im Boden besonders leicht zustande kommt. Es könnte dies geschehen durch eine Begünstigung der Sporenbildung oder durch eine besonders lange Konservierung der präformierten oder im Boden gebildeten Sporen, oder durch eine Erhaltung auch sporenfreier Bakterien in lebensfähigem Zustande. Sotka (F. 86. 9) hat in einer Versuchsreihe mit Milzbrand- bacillen beobachtet, dass in denselben schneller Sporen gebildet werden, wenn bacillenhaltige Flüssigkeiten im Boden vertheilt sind, als wenn sie in den ursprünglichen Flüssigkeiten unter sonst gleichen Verhältnissen (bei gleicher Temperatur u. s. w.) aufbewahrt werden. Nun erfolgt die Sporenbildung bei den Milzbrandbacillen wesentlich nur an der Ober- fläche der Flüssigkeiten, und eine Flüssigkeit zeigt sich daher stets um so reicher an Sporen und um so früher mit denselben beladen, in je dünnerer Schicht sie ausgebftitet ist. Im nicht mit Feuchtigkeit übersättigten Boden werden aufgegossene Flüssigkeiten schnell in dünnsten Schichten verteilt, und somit werden dort die besten Be- dingungen für die Sporenbildung gegeben. Dies kann aber in ähnlicher Weise in irgend welchen dünnen, auf der Oberfläche beliebiger Substrate ausgebreiteten Schichten geschehen. SoYKA hat die Beschleunigung der Sporenbildung am ausge- sprochensten eintreten sehen bei einem Feuchtigkeitsgehalt des Bodens, der zwischen einer Füllung von 75 % der Poren mit Flüssigkeit und zwischen einer solchen von 25 ^o ^^^' Poren schwankte, also Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 599 jedenfalls in sehr weiten Grenzen, die ausserdem in den betreffenden Versuchsreihen nicht einmal scharf hervortreten, da auch bei 100 % Porenfüllung immer noch reichliche Sporen mit zum Teil sehr gering- fügiger Verspätung gefunden wurden, und da bei den unter 25 % gelegenen Feuchtigkeitsgraden die zu grosse Verteilung der Sporen eine Vergleichbarkeit der Resultate ausschloss. Eine Sporenbildung der Milzbrandbacillen unterhalb 18° oder überhaupt bei Bedingungen, welche die Sporenbildung in Flüssigkeiten verhindern, konnte Soyka im Boden nicht konstatieren. Sonach ergiebt sich aus diesen Versuchen keineswegs irgendwelcher bedeutsamer und spezifischer Einfluss des Bodens auf die Sporenbil- dung der Milzbrandbacillen, sondern diese liefern, wenn sie in die oberflächlichen, in einigermassen trockenem Zustand befindlichen Boden- schichten gelangen, dort in der nämlichen Weise — vielleicht hier und da etwas schneller, was aber gewiss nicht von Belang ist — Sporen, wie in oberflächlich angesammelten Resten von Milzbrandkadavem, in Dejektionen von milzbrandigen Tieren, auf den vegetabilischen Nähr- substraten in sumpfigen Niederungen u. s. w. Es ist immerhin denkbar, dass bei anderen pathogenen Bacillen, die im ganzen weniger geeignet sind zur Sporenbildung, als die Milz- brandbacillen, noch eine Sporenbildung gefunden wird, die in exklu- siverer Weise unter den dem Boden eigentümlichen Verhältnissen weit- aus am günstigsten vor sich geht, bis jetzt haben wir aber für eine solche Anschauung noch keine thatsächlichen Anhaltspunkte. Dagegen werden wahrscheinlich die präformierten oder im Boden gebildeten Sporen dort entschieden besser als in irgend welchen ober- flächlichen Substraten konserviert. In letzteren sind die Sporen durch Niederschläge, durch Wasser- und Windströme, welche neue Nährsubstanzen zuführen, eingetrocknete Massen wieder befeuchten, die Sporen auf andere nährstoffreiche Stellen verschleppen u. s. w., sehr leicht der Möglichkeit ausgesetzt, wieder in Bacillen auszuwachsen und dann konkurrierenden Saprophyten zu unterliegen. Im Boden sind dagegen fast durchweg die ungünstigen Nährbedingungen und die ungünstigen Temperaturverhältnisse einem Auskeimen hinderlich, und so kann man es sich erklären, dass die einmal vorhandenen Sporen dort lange persistieren, und dass der Boden jene oft beobachtete Menge resistenter Dauerformen ansammelt. Aber auch sogar ohne voraufgegangene Sporenbildung vermag der Boden möglicherweise die verschiedensten Bakterien, mit Einschluss gewisser pathogenen, zu konservieren. Wir sahen früher, dass sporen- freie Bakterien unter natürlichen Verhältnissen hauptsächlich deshalb leicht zu Grunde gehen, weil sie sich entweder in flüssigen Medien 510 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. befinden, dann aber der Gefahr der Überwucberung durch andere Bak- terien ausgesetzt sind, oder aber weil die Nährsubstrate austrocknen und die Wasserentziehung sie tötet. Wir können uns nun vorstellen, dass im Boden und selbst in so- genanntem trockenen Boden durch die mit Wasserdampf stets gesättigte Luft und die Wasserdampfhüllen der Bodenelemente ein schädigendes Austrocknen von Bakterien nicht leicht vor sich geht, dass aber anderer- seits, wie SoYKA hervorgehoben hat, die Anordnung der Flüssigkeit im Boden in dünnen, kapillaren, die Körnchen umgebenden Lamellen eine Art Fixierung der Bakterien bewirkt und den freien Verkehr, wie er in dickeren Flüssigkeitsschichten stattfindet, hindert. Dadurch würde dann sowohl ein Überwuchern wie ein Austrocknen vermieden sein, und beide im Boden in ganz exzeptioneller Weise vorhandenen Momente können vielleicht zu einer Konservierung sporenfreier pathogener Bak- terien führen, wie sie in anderen Substraten viel seltener vorkommt. So spricht manches dafür, dass Typhusbacillen im Boden vielleicht jahrelang ihre Infektiosität bewahren. Von praktischem Interesse ist die hieran sich knüpfende Frage, wie lange in vergrabenen Leichen von Menschen und Tieren, welche an infektiösen Krankheiten gestorben sind, die pathogenen Mikroorga- nismen sich lebend und virulent erhalten. Aus den sorgfältigen, Jahre lang fortgesetzten Versuchen des Kaiserlichen Reichsgesundheitsamtes (Arb. aus dem Kais. Gesundheitsamt. Bd. VII) geht hervor, dass die von Kirchhöfen drohende Gefahr für die Gesundheit der Anwohner früher vielfach stark überschätzt worden ist. Milzbrandkeime er- wiesen sich in verscharrten Tierkadavern in der Regel nach einigen Monaten als völlig abgestorben, nur wenn schon vor dem Vergraben an der Oberfläche der Kadaver die Sporenbildung begonnen hatte, waren einigemal ganz vereinzelte Keime noch nach 2 und selbst 5 Jahren durch Verimpfung auf Mäuse aufzufinden. Cholerabacillen konnten nach dem 1 2. Tage nur noch ausnahmsweise gezüchtet werden, nach dem 19. Tage dagegen nicht mehr. Nicht völlig einwandsfrei sind die Versuche mit Typhuskadavern. Die Typhusbacillen wurden nämlich schon nach 17 Tagen vermisst. Möglicherweise ist dies auf- fällige Resultat mitbedingt durch die Schwierigkeiten, welche bei dem bakteriologischen Nachweis spärlicher Typhuskeime in von Saprophyten wimmelnden Medien zu überwinden sind. Tuberkelbacillen waren längstens nach 3 Monaten abgestorben. Diese Angaben stehen im Gegensatz zu gewissen Befunden von Schottelius, der an vergrabenen Phthisikerlungen im Erdboden sogar eine Vermehrung der Tuberkel- bacillen beobachtet haben wollte, was jedoch noch sehr der Bestätigung bedarf. Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 511 Diese relativ geringe Haltbarkeit der pathogenen Keime in ver- grabenen Kadavern steht nicht im Gegensatz zu den früher betonten konservierenden Eigenschaften des Bodens, da die in den faulenden Leichenteilen in exzessiver Weise vor sich gehende Wucherung sapro- phytischer Bakterien für die pathogenen Mikroorganismen sehr viel ungünstigere Chancen schafft, als sie sonst irgendwo im Boden reali- siert sind. Ist nun die konservierende Eigenschaft des Bodens für pathogene Bakterien örtlichen und zeitlichen Schwankungen unterworfen, und würden diese Schwankungen ausreichend sein, um in Pettenkofer's Sinne die örtlich und zeitlich verschiedene Ausbreitung epidemischer Krankheiten zu erklären? In der That mögen zeitliche und örtliche Differenzen des Konser- vierungsvermögens des Bodens vorhanden sein. So kann kompakter Felsboden, der gar keine Flüssigkeiten und Bakterien eindringen lässt, für eine Konservierung überhaupt nicht in Frage kommen. Ferner können auch im übrigen die verschiedenen Arten des porösen Bodens je nach ihrer Korngrösse und Durchlässigkeit quantitative Differenzen zeigen. Vielleicht ist auch die stärkere oder geringere Verunreinigung des Bodens von Einfluss, jedoch nur in dem Sinne, dass ein stärkerer Gehalt an Saprophyten und an Nährstoffen den Boden schlechter ge- eignet macht zur Konservierung pathogener Bakterien. Zeitlich mögen auch gewisse Schwankungen hervortreten; nament- lich ist es denkbar, dass ein stark durchfeuchteter Boden mehr die Verhältnisse einer Flüssigkeit repräsentiert und die erforderliche schnelle Verteilung und Fixierung der bakterienhaltigen Massen, sowie die gleich- zeitige Einwirkung der in den Poren des nur teilweise durchfeuchteten Bodens enthaltenen Luft hindert und dadurch die Konservierung vereitelt. Da eine starke Durchfeuchtung der oberen Bodenschichten gewöhn- lich mit hohem Grundwasserstand einhergeht, so mag häufig ein Sinken des Grundwassers die Disposition des Bodens zur Konservierung patho- gener Bakterien anzeigen. Aber trotz dieser vielleicht vorhandenen zeitlichen und örtlichen Schwankungen würde das Konservierungsvermögen des Bodens doch nicht im entferntesten geeignet sein, auf die Verbreitung epidemischer Erkrankungen einen ausschliesslichen Einfluss auszuüben. Denn von keiner Bakterienart dürfen wir annehmen, dass der konservierte Zu- stand, in welchem sie im Boden vorhanden ist, irgendwie notwendig ist, um sie zu Übertragungen zu befähigen, sondern alle Infektions- erreger sind sicher, auch ohne dass sie mit dem Boden in Berährung kommen, durchaus tüchtig zu weiterer Infektion. Und ferner ist die Konservierung der pathogenen Bakterien gewiss nicht alleiniges Privi- 512 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. legium des Bodens, sondern es kann auch in den verschiedensten anderen Substraten eine ausreichende Konservierung stattfinden, zumal wenn die betrefi'enden Bakterien leicht Sporen bilden, wie die Milz- brandbacillen. Manche Bodenarten können sich vielleicht in dieser Beziehung quantitativ auszeichnen, sie vermögen eine hervorragend lange und vollständige Konservierung zu bewirken, aber dann be- stehen immerhin noch so viel andere Ubertragungsmöglichkeiten für die pathogenen Bakterien, dass die Beteiligung oder Nichtbeteiligung des Bodens an der Konservierung in sehr vielen Fällen nicht be- stimmend auf die Ausbreitung der Epidemie einwirken kann. III. Wie erfolgt die Verbreitung der konservierten Bakterien vom Boden zum Menschen? Drittens fragt es sich, in welcher Weise eine Verbreitung der im Boden konservierten Bakterien zum Menschen stattfinden kann und ob etwa für diese Verbreitung eine bestimmte, zeitlich und örtlich wechselnde Bodenbeschaflfenheit einflussreich ist. — Folgende Transport- wege für die Bodenbakterien können eventuell in Funktion treten: 1. Winde, welche von der oberflächlichen Bodenschicht Staub und mit diesem Bakterien emporheben und durch die Luft fortführen. Nach dem, was oben über die Luftpilze und über die Bewegung der Bakterien innerhalb des Bodens gesagt ist, ist eine solche Loslösung von Bakterien nur bei völlig trockenem Boden und nur aus derjenigen oberflächlichen Schicht möglich, welche in Staub verwandelt wird. Ein völlig durchfeuchteter Boden gestattet ebensowenig ein Fortführen von Bakterien, wie ein Boden, der zwar eine obere ausgetrocknete Schicht besitzt, dessen äusserste Oberfläche aber durch geringe Niederschläge für kurze Zeit wieder befeuchtet ist. 2. das Grundwasser und das aus demselben entnommene Trink- und Brauchwasser. Eine höhere Schicht gewachsenen Bodens über dem Grundwasser lässt zwar diesen Transportweg in Fortfall kommen, aber da, wo das Grundwasser nur durch geringe Schichten lockeren Bodens von der Oberfläche getrennt ist und beim Ansteigen diese eventuell erreicht, ferner, wo Risse und Sprünge eine Kommunikation zwischen einem Grubeninhalt und dem im Haushalt verwendeten Grundwasser vermitteln, wird ausnahmsweise eine solche Rückbeför- derung von in den Boden gebrachten Bakterien zu den Menschen und Wohnungen statthaben. 3. Nahrungsmittel, welche im Boden wachsen (Kartoffeln, Rüben, Wurzeln u. s. w.) transportieren mit den anhaftenden Erdpar- tikelchen grosse Mengen von Bakterien aus den oberen Bodenschichten Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 513 in die Wohnungen, Küchen, Kochgeschirre, Handtücher u. s. w. und durch deren Vermittelung eventuell auf andere Nahrungsmittel. 4. Menschen und Tiere, die irgendwie mit dem Boden in Be- rührung kommen, Gerätschaften, die bei der Bearbeitung des Bodens benutzt werden u. s. w. u. s. w. können in ähnlicher Weise zu einem Transport der Bodenpilze in die menschlichen Haushaltungen beitragen. 5. Durch Aufgraben des Bodens und Biossiegen tieferer, aber noch mit Bakterien durchsetzter Bodenschichten kann es bei gleich- zeitig herrschenden trockenen Winden zu einem reichlichen Loslösen solcher pathogener Bakterien kommen, welche aus undichten Gruben oder in früherer Zeit von der Oberfläche her in den Boden gelangt, eventuell aber durch Aufschüttung neuer Bodenschichten längst dem Verkehr mit der Aussenluffc entzogen waren. Der mehrfach vermutete Zusammenhang zwischen Typhuserkrankungen und Aufgrabungen des Strassenbodens ist vielleicht in solcher Weise zu erklären. In der That kommen nun diese verschiedenen Transportwege für die pathogenen Bodenbakterien offenbar nicht in jedem Boden und zu jeder Zeit gleichmässig zur Anwendung, sondern es existieren örtlich und zeitlich variierende Momente, welche den einen oder anderen Trans- portweg begünstigen oder hemmen. B. Zeitliche Beeinflussung der Verbreitung durch die Bodenfeuchtigkeit. Am ausgesprochensten zeigt sich eine zeitliche Beeinflussung des ersten und verbreitetsten Transportwegs, der Verbreitung durch die Luft, und zwar kommt diese zustande durch den wechselnden Feuchtigkeitsgrad der oberen Bodenschichten. Über die in dieser Beziehung wichtigen Verhältnisse der Bodendurchfeuch- tung haben wir durch Hofmann'si) Untersuchungen klarere Vorstellungen ge- wonnen, und zwar haben wir im porösen Boden zu unterscheiden zunächst eine oberflächliche Verdunstungszone, in welcher der Grad der Bodenfeuchtigkeit sehr schwankt und zwischen völliger Durchfeuchtung und starker Austrocknung wechselt; in dieser Zone kann oft, wenn infolge der Sommerwärme die Aus- trocknung sich tiefer erstreckt, die ganze Menge der Spätsommer- und Herbst- niederschläge Platz finden, ohne dass eine Füllung der kapillaren Poren bis zur unteren Grenze der Zone herabreicht. Es ist dann also stets noch eine unter- brechende trockene Schicht zwischen der äussersten. vorübergehend durch Nieder- schläge befeuchteten Oberfläche und den tieferen, Wasser führenden Bodenschichten. Auch alle auf den Boden gelangenden Veninreinigungen verbleiben unter solchen Verhältnissen in der obersten Austrocknungszone. Unter dieser Schicht folgt dann die sogenannte Durchgangszone, welche das Gebiet bezeichnet, das von einer Austrocknung niemals mehr erreicht wii'd, son- 1) A. Bd. 1 u. 2. Heft 2. Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 33 514 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. dern stets die kapillaren Poren mit Wasser gefüllt konserviert. Erhält diese Zone, nachdem die ausgetrocknete oberflächliche Schicht endlich wieder ganz mit Nieder- schlagswasser gefüllt ist, Zufluss von oben, so bleibt trotzdem ihr Wassergehalt der gleiche, indem der Überschuss nach unten abläuft, und zwar in die dritte Zone, die des Grundwassers. Für die Losreissung und Fortführung der Bodenbakterien durch Luftströmungen sind nun offenbar die günstigsten Verhältnisse dann gegeben, wenn eine Austrocknungszone besteht. Nur dann kann dieser wichtigste Transportweg in Betracht kommen. Während des ganzen Winters und eines grossen Teils des Frühjahrs pflegt in unserem Klima keine Austrocknungszone und damit keine Möglichkeit für einen solchen Übergang der Keime in die Luft zu bestehen. Im Spätsommer und Herbst ist dieselbe dagegen häufig gegeben und cessiert nur zeitweise, solange Niederschläge die äusserste Oberfläche feucht erhalten. Da nun die Existenz einer Austrocknungszone stets das Aufhören oberer Zuflüsse zum Grundwasser und damit ein Sinken des Grrund- wasserstandes zur Folge hat, so ist in den Schwankungen des Grundwassers ein ziemlich brauchbarer Index für die Möglichkeit jenes Transports der Bodenbakterien durch Winde gegeben. Völlig korrekt wird aber dieser Index nicht sein, weil die vorübergehende (zuweilen sogar durch Wochen und Monate sich erstreckende) Durch- feuchtung der Bodenoberfläche und die damit verbundene Sistierung des Transportweges in den Bewegungen des Grundwasserniveaus keinen Ausdruck findet. Die übrigen Transportwege unterliegen nur in geringem Grade zeitlich wechselnden Einflüssen. Dem Grundwasser hat man früher wohl eine sehr verschiedene Infektiosität zugeschrieben, je nachdem es hoch oder niedrig steht; für gewöhnlich wird aber der Bakteriengehalt des- selben nur wenig durch Änderungen des Niveaus beeinflusst werden. Im ganzen ist es also wesentlich nur die Austrocknung der Boden- oberfläche, welche die Verstäubung und Verbreitung von Bakterien- keimen aus dem Boden vermittelt. Unter diesen werden sich gelegent- lich auch diejenigen pathogenen Arten befinden, welche eine energische Austrocknung vertragen (Typhusbac.) C. Einfluss der örtlichen Bodenbeschaffenheit auf die Verbreitung. Weniger deutlich tritt ein Einfluss der örtlichen Bodenbeschaffen- heit auf den Transport der Bodenbakterien hervor. Selbstverständlich wird wiederum nur ein poröser Boden, der allein zur Aufnahme grösse- rer Mengen von Bakterien befähigt ist, für die Verbreitung derselben in Betracht kommen. Ferner lässt sich wohl die Vermutung aufstellen, Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 51^5 -dass in einem grobporigen, durchlässigen Boden die Bakterien im ganzen nicht so massenhaft sich anhäufen und leichter durch Tiefer- .spülung auf eine weitere Strecke vertheilt werden, als im feinporigen Boden, und dass dies namentlich hervortreten muss, wenn reichliche Niederschläge den Boden ganz durchfeuchten und keine Austrock- nungszone besteht. In solchem grobporigen Boden könnte daher die Austrocknungszone besonders wirkungsvoll sein; denn nur während sie besteht, sind die Chancen sowohl für einen Transport durch Winde wie auch für eine Verschleppung durch Menschen und Objekte ge- ■geben. Feinporöser Boden hält dagegen vielleicht auch beim Fehlen der Austrocknungszone die hineingelangenden Bakterien mehr in der oberflächlichen Schicht zurück, und hier könnte daher eine Verbrei- tung zwar nicht durch Winde, aber doch auf anderen Wegen, z. B. •durch Verschleppung, selbst bei feuchter Oberfläche erfolgen, und es würden daher die Unterschiede zwischen dem trockenen und feuchten .Stadium beim feinporigen Boden nicht so schroff hervortreten. D. Resume. Wir sind im Vorhergehenden so genau auf alle das Leben der Bakterien im Boden beeinflussenden Verhältnisse eingegangen, weil immer noch die Nachwirkungen PETTENKOEERscher Anschauungen, nachdem sie jahrzehntelang fast als Dogmen geherrscht haben, einer rationellen Auffassung der epidemiologischen Thatsachen den Weg versperren. Wir haben deshalb Schritt für Schritt an der Hand des Experimentes die PETTENKOFER'schen Bodentheorien bis in ihre ent- legensten Schlupfwinkel verfolgt. Wir wissen jetzt, dass pathogene und selbst saprophytische Bakterien in denjenigen Bodentiefen, in wel- chen nach Pettenkofer das auf- und abschwankende Grundwasser die Vermehrung und Reifung der Krankheitskeime abwechselnd be- günstigt und hemmt, in der Regel überhaupt nicht vorhanden sind, und dass die pathogenen Mikroorganismen, wenn sie wirklich einmal durch Zufall dahin gelangen sollten, unter den dort herrschenden Temperatureinflüssen keinerlei Wachstum zeigen. Wir haben ferner gesehen, dass die filtrierende Kraft des Bodens einen Transport von Bakterien durch Luft- und Wasserströmungen sowohl von oben nach unten als auch umgekehrt aus der Tiefe des Bodens nach der Ober- fläche unmöglich macht, und dass daher die Anwesenheit selbst zahl- loser Krankheitskeime in tieferen Bodenschichten für die darauf leben- den Menschen eine sehr gleichgiltige Sache wäre. Die einzige Kon- cession, welche wir den Bodentheorien zu machen hatten, betraf die Konservierung dieser oder jener pathogenen Bakterienart im Boden und die Möglichkeit, dass zeitliche und örtliche Verschiedenheiten in 33* 516 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. diesen konservierenden Eigenschaften des Untergrundes bei der Er- klärung einzelner epidemiologischer Beobachtungen mit in Frage kom- men könnten. Von dem stolzen Hypothesengebände der PETTENKOFER'schen Rich- tung sind demnach nur spärliche Reste stehen geblieben. Wenn wir uns nun spezieller mit den einzelnen Seuchen, deren Entstehen und Vergehen mit Zuständen des Bodens in Verbindung gebracht wird, beschäftigen wollen, so können wir für die Cholera mit positiver Sicherheit behaupten, dass bei der letzten grossen, mit allen Mitteln bakteriologischer Forschung beobachteten Epidemie keinerlei Boden- einflüsse eine Rolle gespielt haben. Etwas anders liegen die Verhält- nisse beim Typhus. Hier kennen wir doch eine Reihe von That- sachen, welche wenigstens einer längeren Konservierung der Krank- heitskeime im Boden günstig sind, so das gelegentliche Auftreten von Abdominaltyphus unter Arbeitern, welche mit Ausschachtungen in als verseucht zu betrachtendem Boden beschäftigt sind. Beim Typhus wäre sogar ein zeitlich und örtlich wechselnder Einfluss des Bodens auf das Entstehen von Epidemien wenigstens denkbar. Sicherlich sind jedoch auch bei dieser Infektionskrankheit die pathogenen Mikroorga- nismen nicht ausschliesslich auf den Weg durch den Boden angewie- sen und alles spricht dafür, dass ganz wie bei der Cholera die direkte Kontagion von Person zu Person und die Verschleppung der Typhus- bacillen durch Trinkwasser, Nahrungsmittel u. s. w. sehr viel bedeu- tungsvoller und wichtiger ist. Wir kennen bisher nur eine bakterielle Krankheit, deren epidemi- sches Auftreten in der That mit Zuständen des Untergrundes einen deutlichen Causalzusammenhang erkennen lässt, es ist dies der Milz- brand. Wir wissen, dass bestimmte Weiden jahraus jahrein unter den darauf grasenden Heerden Anthrax hervorrufen, und wir müssen annehmen, dass dort in den oberflächlichsten Bodenschichten Milz- brandsporen enthalten sind. Zur Sporenbildung der Milzbrandbacillen gehört nun eine 20*^ C. überschreitende Temperatur, reichliche Feuch- tigkeit und eine neutrale oder besser schwach-alkalische Reaktion des Nährsubstrats. Diese Bedingungen finden sich nur auf solchen Wei- den realisiert, welche, im Überschwemmungsgebiet gelegen, gleichzeitig einen ziemlich starken Kalkgehalt der oberflächlichsten Bodenschich- ten besitzen. Leider ist mit diesem Beispiel einer örtlich und zeitlich begrenz- ten Einwirkung des Bodens auf Infektionsvorgänge der Bodentheorie nur wenig gedient. Die wesentliche Differenz zwischen der Auffassung Pettenkofers und der Ansicht, welche wir uns auf Grund unserer jetzigen Kenntnisse über die Biologie der pathogenen Bakterien und Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 517 -über deren Verhalten im Boden bilden müssen, besteht demnach darin, dass wir kein Moment im Boden finden, das notwendigerweise erst auf die pathogenen Bakterien einwirken muss, um sie infektions- tüchtig zu machen. Der früher statthafte Begriff einer Art Reifung der Infektionserreger unter dem Einflüsse gewisser geheimnissvoller Bodeneigenschaften lässt sich mit den eingehend studierten biologi- schen Eigenschaften der Bakterien nicht in Einklang bringen, i;nd wir müssen denselben entschieden zurückweisen. Eine ausschliesslich im Boden vor sich gehende Vermehrung pathogener Bakterien können wir ebenfalls nicht annehmen, da vielmehr andere oberflächliche Sub- strate sich für eine solche Vermehrung im ganzen weit geeigneter er- weisen. Das, was der Boden wirklich vielleicht für manche pathogene Bakterien zu leisten vermag, die Konservierung und demnächst wieder Verbreitung der konservierten Krankheitserreger, ist aber auch nicht etwa ausschliessliches Privilegium des Bodens, sondern die Verbrei- tung derselben Krankheitserreger kann ausserdem durch andere Mittel und auf anderen Wegen geschehen, die sogar meist viel wichtiger sind, als der Umweg durch den Boden. Auch das Hervortreten örtlicher und zeitlicher Schwankungen in der Verbreitung der Infektionskrankheiten, das nach Pettenkofee nur unter der Annahme eines Bodeneinflusses erklärlich sein soll, nöthigt keineswegs zu der Anerkennung eines konstanten Zusammenhanges zwischen Boden und Epidemien. Wir sehen vielmehr, dass ebenso- wohl die übrigen Verbreitungsarten, bei welchen der Boden ganz aus dem Spiele bleibt, z. B. die Verbreitung durch das Wasser, durch Nahrung, durch Berührungen u. s. w. örtlichen und zeitlichen Schwan- kungen ausgesetzt sind, welche vollauf zur Erklärung der entsprechen- den Oszillationen der Epidemien ausreichen. Viertes Kapitel. Vorkommen von Bakterien im Wasser. Im Wasser finden sich fast stets Bakterien in sehr wechselnder Menge. Die beobachteten Arten sind beinahe ausnahmslos Saprophy- ten. Unter diesen erwecken einige besonderes Interesse dadurch, dass sie mit unwägbaren Mengen der einfachsten Nährstoffe und bei einer Temperatur von 8 — 10*^ schon eine sehr bedeutende Neubildung von Individuen zu leisten vermögen und sich daher in den verschiedensten Wässern in enormem Grade vermehren. Diese „Wasserbakterien'", von 518 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen, denen Bolton ^) 6 sehr verbreitete Arten isoliert hat, sind bestim- mend für die Gesamtmenge von Bakterien in irgend welchem Wasser-^ denn wo sie sich einfinden, vermehren sie sich so überwiegend rasch, dass alsbald die Zahl aller übrigen Bakterien gegen sie zurücktritt. Die Qualität des Wassers ist dabei für diese exquisiten Wasserbewoh- ner ganz gleichgiltig, sie vermehren sich in einem möglichst reinen destillierten Wasser gerade so stark, wie in sogenanntem schlechtem,, mit Abfallstoffen verunreinigtem Brunnenwasser. Im Gegensatze zu diesen an das Leben im Wasser speziell an- gepassten Saprophyten bildet für die pathogenen Bakterien selbst bei günstigster Temperatur das Wasser kaum jemals ein geeignetes Nähr- medium, weil es die für das Wachstum dieser Bacterienspezies erfor- derlichen Mengen von Nährstoffen nicht beherbergt. Typhusbacillen er- fordern nach den Versuchen von Bolton mindestens 67 mgr organischer Nährstoffe pro 1 Liter, Cholerabacillen 400 mgr pro 1 Liter. Eine solche Menge organischer Stoffe kommt in benutztem Trink- und Brauchwasser nur äusserst selten vor; ausserdem aber hängt für die pathogenen Bakterien ausserordentlich viel von der Qualität der Nährstoffe ab, und selbst ein höherer Gehalt an den weit weniger nährtüchtigen^ sogenannten organischen Stoffen, wie sie im Wasser enthalten zu sein pflegen, vermag nicht die notwendige kleine Menge von Pepton und Eiweiss zu ersetzen. Dagegen ist die Haltbarkeit der pathogenen Bakterien im Wasser eine unter Umständen recht beträchtliche. So halten sich sporenfreie Milzbrandbacillen etwa 6 Tage, Typhusbacillen bis zu mehreren Wochen lebensfähig. Diese Daten sind allerdings unter Bedingungen gewonnen, welche erheblich abweichen von den normalen Verhält- nissen, indem durch vorherige Sterilisierung der Wasserproben die Konkurrenz der Saprophyten ausgeschaltet wurde. Wichtiger sind daher einige neuere Untersuchungen über die Lebensdauer der Cholerabakterien unter den in der freien Natur herr- schenden Bedingungen. So liess sich in unsterilisiertem Brunnenwasser mit Hilfe der empfindlichen Pepton- Vorkulturen die Anwesenheit spärlicher lebender Cholerakeime noch nach 18 Tagen feststellen. Im Schlamm eines reichlich mit Cholerabacillen infizierten Aquariums konnte sie Weenicke (Hygien. Rundschau Bd. V) sogar noch nach mehreren Monaten in vereinzelten Exemplaren züchten. In fliessendem Wasser gehen jedoch die KoCHschen Vibrionen wahrscheinlich sehr viel rascher zugrunde. 1) Bolton, Z. 1. 1. — Vgl. Ckajmer, Die Wasserversorgung von Zürich. Züricli 1885. — "WoLFFHÜGEL, Arh. a. d. Kais. Ges. Amt. 1885. Bd. 1. — Wolffhügel u. Riedel, ibid. 1886. Bd. 2. — Leone, Atti della R. Acad. dei Lincei. Ser. 4. Bd. 1. Pfeiffer, Vorkommen von Bakterien im "Wasser. 519 Der Weg, auf welchem die verschiedenen Bakterien in das Wasser gelangen, führt, wie bereits oben erwähnt, der Hauptsache nach nicht durch grössere intakte Bodenstrecken und das Grundwasser. Die über- einstimmenden Resultate der Versuche von Roth ^), Bolton^), Heraeus^) u. A. ergeben bei der Mehrzahl der Brunnen eine immer fortschreitende Abnahme des Bakteriengehalts, je mehr frisches Grundwasser durch anhaltendes Pumpen zuströmt. Ferner zeigen nach dem Pumpen die- jenigen Brunnen einen besonders geringen Bakteriengehalt, welche gegen die Oberfläche gut gedeckt und gegen eine stets erneute Ein- sat von der Brunnenwandung und dem Pumpenrohr aus möglichst geschützt sind, so namentlich eiserne Röhrenbrunnen und Wasserlei- tungen. Des weiteren hat zuerst C. Feänkel den direkten experimen- tellen Nachweis geführt, dass das Wasser eines eisernen Röhrenbrunnens im Centrum Berlins, das also aus einem Boden stammte, welches seit Jahrhunderten als Wohnstätte benutzt worden war, nach ausgiebiger Desinfektion des Brunnenrohres durch mechanische Reinigung und Kressolschwefelsäure mehrere Tage lang absolut keimfrei sich erwies. Zu ähnlichen Resultaten kam Neisser in Flügge's Institut bei Kessel- brunnen, welche durch Wasserdampf gründlich desinfiziert worden waren. Danach haben wir uns die Vorstellung zu bilden, dass die Bakterien vorzugsweise durch Rinnsale von der Oberfläche her, ferner durch Gänge und Spalten, welche im Innern des Bodens von Abort- und Versitzgruben nach dem Brunnenschacht hinführen, in das Trink- und Brauchwasser geraten. Auch pathogene Bakterien werden offen- bar auf dem nämlichen Wege in die Brunnen gelangen. Daher wird dort am besten Gelegenheit zu einer Infektion des Trinkwassers gegeben sein, wo ein schlecht gedeckter Brunnen inmitten eines der üblichen unreinlichen Höfe sich befindet; auf den Boden solcher Höfe pflegen fast alle Abwässer und Dejektionen ausgegossen zu werden, und ausser- dem ist häufig noch die Einrichtung getroffen, dass das z. B. beim Spülen der Wäsche überschüssig entnommene Wasser wieder in den Brunnenschacht zurückfliesst. Während in der Regel das Grundwasser als keimfrei zu betrachten ist, wird unter besonderen Umständen auch das Grundwasser selbst, in welchem der Brunnen steht, zahlreichere Bakterien enthalten, z. B. wenn der Abstand von der Oberfläche gering oder künstlich durch Aufschüttung des Bodens hergestellt ist, oder wenn Jauchegruben in der Nähe der Brunnen bis ins Grundwasser herabreichen, oder wenn der Boden aussergewöhnlich durchlässig ist. Die Zahl der Bakterien eines Brunnenwassers richtet sich wesent- 1) Viertelj. f. ger. Med. N. F. Bd. 43. Heft 2. 2) Z. 1. 1. 3) Ibid. Heft 2. 520 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. lieh danach, ob vermehrungsfähige Arten vorhanden und ob günstige Bedingungen für deren Vervielfältigung gegeben sind. Diese Bedingungen liegen um so günstiger, je höher die Temperatur ist, und je länger das Wasser stagniert und die neugebildeten Bakterien in voller Zahl zu behalten vermag. In stagnierendem Wasser und in den Sommer- monaten finden wir daher die höchsten Bakterienzahlen, in viel benutz- ten Brunnen und in der kalten Jahreszeit die geringsten. Die sonstige Beschaffenheit des Wassers, sein Gehalt an organischen Stoffen und Salzen, ist für die Vermehrung jener Bakterienarten und daher über- haupt für die Anzahl der in einem Wasser beobachteten Bakterien ohne Bedeutung. Nur wenn die eigentlichen Wasserbakterien fehlen imd lediglich solche Saprophyten zugegen sind, welche einer etwas grösseren Menge von Nährstoffen bedürfen, werden die Differenzen der chemischen Beschaffenheit auch in der Bakterienzahl einen Ausdruck finden. — Aus der Anzahl der entwicklungsfähigen Bakterien in einer Wasserprobe ist daher keineswegs ohne weiteres ein Schluss auf die Infektionsgefahr gestattet, und sogar auf den Grad der Verunreinigung nur dann, wenn gleichzeitig berücksichtigt ist, ob Wasserbakterien vorhanden sind und ob durch die Jahreszeit und die Art der Benutzung des Brunnens eine Vermehrung derselben vor der Probenahme begün- stigt war. Pathogene Bakterien sind stets sehr schwierig unter der grossen Zahl von Saprophyten herauszuerkennen. Ausserdem ist zu erwägen, dass sie sich meist nicht lange in einem Brunnenwasser halten werden; da sie sich kaum jemals im Wasser vermehren, muss jede Wasser- entnahme und jeder Zufluss von reinem Grundwasser ihre Zahl ver- mindern, und nur in den Fällen, wo wiederholt eine Beimengung von pathogenen Bakterien stattfindet, sind die Chancen für den Kulturnach- weis einigermassen günstig. Trotz dieser thatsächlich grossen Schwierig- keiten sind die Cholerabacillen schon in einer ganzen Zahl von Fällen mit Sicherheit im Brunnen-, Fluss- und Leitungswasser nachgewiesen. Dagegen sind die bisherigen Angaben über Befunde von Typhusbacillen im Wasser sehr skeptisch zu beurteilen. Neben dem hauptsächlich als Trink- und Brauchwasser benutzten künstlich gehobenen Grundwasser dienen auch die auf der Oberfläche des Bodens abfliessenden Tagewässer oft als Transportmittel von sa- prophytischen und gelegentlich pathogenen Bakterien. Derartiges in Rinnsteinen, Bächen, Flüssen sich fortbewegendes Wasser ist sogar besonders gefährlich, weil es mit Abwässern der verschiedensten Art verunreinigt wird, denen sich nur zu oft höchst gefährliche Infektions- stoffe, z. B. Typhus- und Choleradejektionen zugesellen. Zahlreiche Städte werden bis jetzt immer noch mit derartigem. Pfeiffer, Vorkommen von Bakterien im Wasser. 521 allen Infektionen ausgesetztem Oberflächenwasser versorgt, allerdings meist nach vorheriger Filtration durch Centralfiltrieranlagen. Es ist leicht einzusehen, welch unberechenbare hygienische Bedeutung einer stetigen und zuverlässigen Kontrolle dieser Filter zukommt, und hier, wo die chemische Untersuchung des Wassers uns völlig im Stich lässt, ist die bakteriologische Feststellung der Keimzahlen geradezu aus- schlaggebend. Genaue Untersuchungen der Filtrationsvorgänge haben ergeben, dass bei tadellos arbeitenden Sandfiltern die Zahl der im fil- trierten Wasser enthaltenen Bakterien fast unabhängig ist von der Keimzahl des Rohwassers. Jede Störung des Filterbetriebes, Über- lastung der Filter, zu grosse Filtriergeschwindigkeit, Risse und Sprünge im Filterkörper verraten sich dagegen sofort durch sprungweises An- steigen der Keimzahlen im filtrierten Wasser. Die tägliche bakterio- logische Untersuchung des Rohwassers und des filtrierten Wassers bildet deshalb die beste und einzig verlässliche Kontrolle der Filter- werke, von deren Intaktheit in Epidemiezeiten das Wohl und Wehe vieler Tausenden abhängt. Man sollte sich nicht auf die Prüfung des Gesamtreinwassers beschränken, da fast niemals sämtliche Filter zugleich untauglich werden und die gestörte Funktion eines Filters im Gesamt- resultat leicht verdeckt wird durch das tadellose Arbeiten der übrigen. Es ist daher durchaus notwendig, das Filtrat jedes einzelnen Filters für sich gesondert bakteriologisch zu untersuchen. Fünftes Kapitel. Bakterieugelialt der Nahruiigsuiittel. Wie mit dem Wasser, so führen wir auch mit den Nahrungs- mitteln sehr grosse Mengen lebensfähiger Bakterien täglich in unseren Körper ein. Einigen (Bier, Käse u. s. w.) werden absichtlich zahlreiche Bakterien bei der normalen Bereitungsweise zugefügt; anderen Nah- rungsmitteln, deren essbare Teile sich unter der Erdoberfläche ent- wickeln, haften mit den Erdpartikelchen sehr grosse Mengen von Bak- terien an; wieder andere, z. B. die Früchte, sind durch Luftkeime, die auf ihrer klebrigen Oberfläche fixiert oder durch Kondensation von Wasserdampf dort abgelagert werden, reichlich mit Bakterien verun- reinigt. Ferner kommt es sehr häufig vor, dass ursprünglich bakterien- freie oder bei der Zubereitung sterilisierte Nahrungsmittel (Milch, Fleisch, die verschiedensten gekochten Speisen) durch Berührungen oder auch durch Luftkeime infiziert werden und je nach den Nähr- 522 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. bedingungen, die sie darbieten, und nach der herrschenden Temperatur geringere oder ausgedehntere Bakterienkolonien entstehen lassen. In allen Fällen können die Ansiedelungen entweder aus völlig harmlosen Saprophyten bestehen, oder es sind Bakterien vorhanden, welche Gährungen erregen und dadurch nicht ganz indifferent sind, dass sie bei reichlicher Einführung diese Eigenschaft in zu energischer Weise innerhalb des menschlichen Verdauungstraktus äussern; oder es kommen Bakterien in Frage, welche zwar für gewöhnlich als Sapro- phyten zu wachsen pflegen, aber heftig wirkende Gifte (Botulismus) liefern, deren einige namentlich auch krankhafte Veränderungen der Darmschleimhaut hervorrufen (Cholera infantum); oder endlich es kommt gelegentlich zu einem Gehalt der Nahrungsmittel an pathogenen Bak- terien (Milzbrand, Tuberkulose, Bacillus enteritidis [Gäetner]). Beachtenswert erscheinen besonders diejenigen Bakterienansiede- lungen, welche auf den in den Haushaltungen konservierten Speisen sich etablieren. Dort kommt es leicht zu Temperaturen, welche einer Vermehrung fakultativer Parasiten sehr günstig sind; ferner ist dort ein Nährsubstrat geboten, wie es in den zur künstlichen Kultur der pathogenen Bakterien hergestellten Mischungen kaum besser kompo- niert werden kann; ausserdem bieten viele Speisen ganz die Verhält- nisse des festen Nährbodens, so dass eine Überwucherung durch Sapro- phyten erschwert wird. Nachweislich sind Milch, Bouillon, Fleisch vorzügliche Nährsubstrate für Typhus- und Cholerabacillen, und es ist nicht anders denkbar, als dass diese und andere Krankheitserreger, wenn sie durch Luftströmungen, Erde oder Berührungen einmal auf die Speisen oder zunächst nur in die Gefässe, Reinigungstücher u. s. w. gelangt sind, es sehr leicht zu einer erheblichen Vermehrung und zu einer so bedeutenden Individuenzahl bringen, dass aus dem Genüsse solcher Nahrung die schwersten Gefahren entstehen. Abgesehen von den fakultativen Parasiten, die demnach hie eine besonders günstige Stätte für ihre Vermehrung finden, können auch obligate Parasiten mit der Nahrung auf den Menschen übertragen wer- den, und zwar solche, welche (wie die Tuberkelbacillen) sowohl für die Schlachttiere wie für den Menschen infektiös sind und letzterem gelegentlich durch den Fleischgenuss importiert werden. Die Gefahren, welche von Seiten der Nahrungsmittel drohen, sind nun allerdings durch die Zubereitung — durch ausreichendes Kochen und Braten — und dadurch, dass man sich gewöhnt, keine Nahrung zu gemessen, welche längere Zeit seit der Zubereitung aufbewahrt war, fast vollständig zu vermeiden. Aber erfahrungsgemäss wird bei allen Völkern und in allen Klassen der Bevölkerung ein Teil der Nahrung in rohem oder in längere Zeit aufbewahrtem und nachweislich stark Pfeiffer, Bakteriengelialt der Nahrungsmittel. 523 bakterienhaltigem Zustande genossen. Welcher Bruchteil der Gesamt- nahrung in solch gefahrdrohender Beschaffenheit verzehrt wird, ist sehr verschieden und variiert je nach den Sitten und Gewohnheiten einer Bevölkerung. Während namentlich in südlichen Ländern beim Genuss der Nahrung mit äusserster Sorglosigkeit verfahren und geradezu die grössere Menge in rohem oder halbverdorbenem Zustande verzehrt wird, ist in anderen Gegenden eine so peinliche Sorgfalt in der Aus- wahl, Behandlung und Zubereitung der Lebensmittel gebräuchlich, dass dieser Infektionsweg aufs äusserste eingeschränkt wird. Daher muss der Bakteriengehalt der Speisen und die aus deren Genuss resultierende Infektionsgefahr offenbar erhebliche lokale Diffe- renzen darbieten, und nicht minder häufig können auch zeitliche Schwankungen zustande kommen. So ist bei uns naturgemäss der Sommer die Jahreszeit, in der es am leichtesten zu einer Ansiedlung der hoher Temperatur bedürftigen Parasiten auf Nahrungsmitteln kommt. Ein besonders beweisendes Beispiel für den Einfluss der Jahreszeit auf den Bakteriengehalt der Nahrungsmittel bietet uns nach den Unter- suchungen C. Flügge's (Z. XVII) das Verhalten der Milch. In diesem wichtigsten Nahrungsmittel sind stets ausserordentlich widerstands- fähige Sporen in grosser Menge enthalten, welche beim Aufkochen nicht zerstört werden. Diese Sporen keimen nur bei Temperaturen, welche über 20^ C. hinausgehen, aus und durchwuchern die Milch in rapider Weise, so dass schon in wenigen Stunden ungezählte Mengen von Bakterien sich entwickeln können. Flügge zeigte nun, dass die so veränderte Milch für Tiere in- tensiv giftig wird und bei Verfütterung besonders auf säugende Tiere die schwersten Darmkatarrhe erzeugt. Es ist bei dieser Sachlage höchst wahrscheinlich, das die im Spätsommer unter den menschlichen Säug- lingen so grosse Opfer fordernde Cholera infantum gleichfalls auf den Genuss derartig verdorbener Milch zurückzuführen ist. Auch die Häufung von Darmkatarrhen aller Art bei Erwachsenen, welche im Spätsommer erfahrungsgemäss eintritt, wird sich in analoger Weise durch die Aufnahme besonders grosser Mengen von Bakterien in den Darmkanal mit der Nahrung erklären lassen. Darauf beruht wahrscheinlich ferner zum Teil wenigstens die besondere Prädisposition für Cholera nnd Typhus, welche dem Spätsommer eigen is-t. Offenbar bilden die Nahrungsmittel nach dem Gesagten mutmass- lich ein so bedeutsames Moment bei der Verbreitung gewisser infek- tiöser Krankheiten, dass wir allen Grund haben, durch eingehendere Untersuchungen diesen Infektionsmodus genauer kennen zu lernen. 524 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Sechstes Kapitel. Bakterien gehalt der Kleidimg. Auch in der künstlichen Umgebung, welche der zivilisierte Mensch sich schafft, finden sich mannigfache Ansammlungen von Bakterien. So ist die Kleidung meist sehr reich an lebensfähigen Mikroorganis- men, welche teils von der Körperoberfläche und von den Exkreten, teils von aussen durch Staub und Regen dorthin gelangen. Nicht selten vermitteln Wäsche und Kleidungsstücke auch den Transport von fakultativen und obligaten Parasiten; bekannt ist eine solche Rolle der Kleider namentlich bei den in der Haut lokalisierten Infektions- krankheiten (z. B. Pocken), ferner bei Cholera, wo die Durchtränkung der Wäsche mit den Nährsubstraten der Dejektionen sogar noch eine Vermehrung der Krankheitserreger gestattet, solange kein Austrocknen eintritt. Durch Wäschestücke und Verbandmaterial werden ferner zweifellos Wundinfektionskrankheiten, Diphtherie, Puerperalfieber, Tu- berkulose u. s. w^ häufig übertragen. Dagegen ist die von Kleiderfetzen, welche mit Geschossen in die Wundkanäle hineingerissen werden, drohende Infektionsgefahr nicht sehr gross. Jedenfalls gelang es Peuhl (Z. XIII) nicht, in selbst sehr stark verunreinigten Kleidungsstücken viruleute Strepto- und Staphylokokken nachzuweisen. Siebentes Kapitel. Vorliommeii TOii Baltterieii in der Wohnung. Die Wohnung bietet vielfache Gelegenheit zur Konservierung und zur Weiterverbreitung von Bakterien und speziell auch von fakul- tativen und obligaten Parasiten, unter denen an erster Stelle die Er- reger der Diphtherie und der Tuberkulose zu nennen sind; eine Ver- mehrung scheint innerhalb des zur Wohnung im engeren Sinne gehörigen Materials nicht stattzufinden. Weiterhin sind dann noch die Möbel, Vorhänge, die gewöhnlich ungenügend gereinigten Ecken und Kanten der Räume Stätten, an welchen Bakterien abgelagert und längere Zeit konserviert werden können. Einen Sammelplatz von Bakterien aller Art liefern ferner die Ab- fallstoffe des menschlichen Haushaltes und der Viehhaltungen. Die Pfeiffer, Vorkommen von Bakterien in der Wohnung. 525 Darmexkrete enthalten neben Massen von Saprophyten zuweilen In- fektionserreger, z. B. Typhusbacillen, Cholerabacillen, Tuberkelbacillen, Milzbrandbacillen, Bacillen des Schweinerotlaufs, der Hühnercholera u. s. w., ferner vermutlich die Erreger der Ruhr, des epidemischen Brechdurchfalls der Kinder. Der Harn enthält frisch selten Mikro- organismen, ist aber ein geeignetes Nährsubstrat für verschiedenste Bak- terien; ferner kommen in Betracht die Küchenabfälle, Küchenabwässer und Waschwässer, die meist von vornherein mit zahlreichen Bakterien schon beladen sind und bei längerem Stagnieren anderen als Ansied- lungsstätte dienen können. Diese Abfallstoffe sind daher gelegentlich ausserordentlich geeignet, gewisse Krankheiten zu verbreiten besonders Cholera, Typhus, Ruhr. Zum Glück halten sich die pathogenen Bak- terien in ihnen nicht allzu lange, da sie von Saprophyten überwuchert werden. Wegen der Infektionsgefahr, welche den frischen Abfallstoffen anhaften kann, wird es daher die wesentlichste hygienische Aufgabe der Anlagen zur Entfernung der Abfallstoffe sein, die ganzen Massen mit den eventuell in ihnen vorhandenen Infektionserregern so rasch und vollständig wie möglich aus den Wohnungen und dem Bereich infektionsfähiger Menschen fortzuschaffen. Am besten wird diese Forderung durch eine Schwemmkanalisation erfüllt, die zugleich regelmässig mit ausgiebiger Zufuhr reinen Wassers und dadurch mit einer wesentlichen Erleichterung der Reinlichkeit in jeder Be- ziehung verbunden ist. Weniger entsprechend erscheint die Tonnen- abfuhr, namentlich wenn diese die Exkremente und mit ihnen even- tuell die Krankheitserreger in der Nähe der Wohnungen auf Garten- oder Ackerland schafft und so bewirkt, dass die Keime konserviert und demnächst vielleicht wieder den Wohnungen zugeführt werden. Das Grubensystem bietet durch die längere Aufspeicherung der Massen immerhin mehr Garantie als das Tonnensystem für ein Zugrundegehen der infektiösen Bakterien, ehe sie auf den konservierenden Boden ge- langen. Einen entschiedenen Nachteil gegenüber der Schwemmkana- lisation haben dann aber die beiden letztgenannten Systeme dadurch, dass sie nur die Fäkalien beseitigen, während die sehr viel massigeren sonstigen Abfälle und die Sehmutzwässer der Haushaltungen unbe- rücksichtigt bleiben, obwohl sie, was die Übertragung von Typhus und Cholera anbetrifft, fast ebenso gefährlich sein können wie die Fäkalien. 526 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Achtes Kapitel. Infektionen durch Beruf und Beschäftigung. Vielfach führt auch der Beruf und die Beschäftigung zur Verbreitung resp. zur Aufnahme von pathogenen Bakterien. In früherer Zeit sind beispielsweise die Wundinfektionskrankheiten zweifellos oft durch Arzte übertragen worden, welche sich damals nicht scheuten, mit demselben notdürftig gereinigten Finger die infizierte Wunde des einen Kranken und die frische des anderen Kranken nach einander zu unter- suchen. Auch jetzt kommen sicher noch vielfache Verschleppungen durch Kleider und Hände solcher Arzte vor, welche keine richtige Schätzung der Infektionsgefahren besitzen. Die Hebammen, denen nachweislich fast ausschliesslich die Übertragung von Puerperalfieber zuzuschreiben ist, Krankenwärter, Wäscher, Trödler und Lumpen- samler vermögen gleichfalls sehr oft die Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu veranlassen. — Speziell hingewiesen sei nur noch auf die vielfachen Übertragungsmöglichkeiten, denen sich Kinder auszusetzen pflegen; man braucht nur zu beobachten, wie dieselben die Hände bald mit dem Boden schmutziger Höfe, bald mit dem Wasser der Rinnsteine und den verschiedenartigsten anderen bakterienreichen Objekten in Berührung bringen, um sie im nächsten Moment in den Mund zu führen oder mit den ungereinigten Händen ihre Nahrung zu verzehren. Neuntes Kapitel. Bakterien auf den Körperoberflächen. Ausser in der Umgebung des Menschen sind auf den Oberflächen des menschlichen Körpers grosse Mengen von Bakterien enthalten. — Auf der äusseren Haut, im Fuss- und Achselschweiss u. s. w. sind bereits die verschiedensten Bakterienarten nachgewiesen. Dass diese an der faltenreichen Haut der Finger und unter den Fingernägeln trotz scheinbar sorgfältiger Reinigung zäh haften und sich lebensfähig halten können, geht aus den Versuchen vouFokster (C. 85. 18) hervor; derselbe konstatierte, dass die unter Benutzung von Bürsten, Wasser und Seife gereinigten Hände beim Einbohren in Nährgelatine regelmässig eine wechselnde Anzahl von Bakterienkolonien zur Entwicklung kommen Pfeiffer, Bakterien auf den Körperoberfläclieu. 527 lassen. Jedoch lässt sich, wie besonders Füeeringer (D. M. 1888) gezeigt hat, eine vollständige Sterilisier ung der Hände erreichen, wenn dieselben nach gründlicher mechanischer Reinigung mehrere Minuten lang in Alkohol absolutus und in 1 %o Sublimatlösung getaucht werden. Der Alkohol wirkt hierbei nicht allein durch seine an sich schon starke desinfizierende Kraft, sondern auch dadurch, dass er das Hautfett löst und so das Eindringen der wässrigen Subli- matlösung erleichtert. Noch grössere Bakterienmassen findet man auf den inneren Ober- flächen des Körpers. In der Mundhöhle kennt man seit langer Zeit einige Saprophyten, die zum Teil Gährungen erregen und zur Zahn- karies in Beziehung gebracht werden; ferner sind ebendort verschiedene pathogene Bakterien beobachtet. So findet sich ein für Kaninchen und Mäuse hochvirulenter kapseltragender Diplokokkus, wie A. Feänkel nachgewiesen hat, ziemlich häufig im Speichel gesunder Personen, wo- bei es allerdings firaglich erscheint, ob es sich um dieselbe Spezies handelt, welche die krupöse Pneumonie erzeugt. Auch Streptokokken sind nicht seltene Mundhöhlenschmarotzer, ferner eine den Diphtherie- bacillen nahestehende, von diesen aber durch den Mangel der Tier- pathogenität zu trennende Bacillenart (Pseudodiphtheriebacillen), Eine ganze Reihe anderer für unsere Laboratoriumstiere sehr pathogener Bakterienarten wurden aus dem Speichel von Keeibohm und Biondi isoliert, dieselben scheinen aber in der menschlichen Pathologie keine Rolle zu spielen. — Diese Befunde sind leicht erklärlich, wenn man erwägt, dass in der Mundliöhle eine für pathogene Bakterien sehr ge- eignete Temperatur und durch die abgestorbenen Epithelien, Nahrungs- reste u. s. w. ein gutes Nährmaterial gegeben ist. Es ist daher auch sehr wohl denkbar, dass dort parasitische Bakterien, die besonderer Invasions- pforten bedürfen, um ins Innere des Körpers einzudringen, eine Zeit lang als Epiphyten leben, bis sich eine Gelegenheit zur Invasion findet, so dass also einer Infektion die Aufnahme des Infektionserregers nicht unmittelbar voraufgegangen zu sein braucht. Das von Löfflee zuerst beobachtete Vorkommen von Diphtheriebacillen im Mundsekret eines gesunden Kindes ist in solcher Weise zu deuten. Auch in den Nasenhöhlen, im Schleim des Kehlkopfs, der Trachea und der Bronchien werden sehr verschiedene dem Sekret der Schleimhäute angehörende Bakterien gefunden. Es sind hier zu erwähnen Strepto- kokken, kapseltragende Diplokokken, Kapselbacillen (Bac. Friedländer, sputigenus crassus), Mikrokokkus tetragenus u. a. m. Ein enormes Gewirr von Bakterien begegnet uns sodann im Darm- traktus. Schon im Mageninhalt finden sich zahlreiche Arten. Irr- tümlicherweise hat man vielfach angenommen, dass der saure Magen- 528 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. saft die meisten Bakterien töte; das ist aber nicht der Fall. Versuche^ welche Mac Fadyan im Institut Flügge's anstellte, haben gezeigt, dass selbst der stark saure Magensaft des Hundes nur Cholera- und Milzbrandbacillen einigermassen konstant zu töten vermag, dass da- gegen die meisten anderen Bakterien nicht eine derartige Empfind- lichkeit gegen die Magensäure besitzen und den Magen in lebens- fähigem Zustande passieren, selbst wenn die Bedingungen für eine energische Einwirkung des Magensaftes möglichst günstig gewählt werden ; so verhalten sich z. B. Mikr. tetragenus, Staphylokokkus aureus, Bacillus cuniculicida u. s. w. Meistens tritt demnach im Magen nur eine vorübergehenbe Ent- wicklungshemmung ein und vegetative Formen wie Sporen gelangen in grosser Menge lebend in den Dünndarm. Dort finden sie teilweise gute Gelegenheit zur Vermehrung, so lange neutrale oder schwach alkalische Reaktion des Speisebreis vorliegt; freilich scheint diese Ver- mehrung vorzugsweise einige bestimmte Bakterienarten zu treffen, so dass trotz der anfänglich imponierenden Mannigfaltigkeit der Formen und Arten schliesslich doch einige sich herauserkennen lassen, die offenbar besonders günstigen Boden zur Vermehrung im Darminhalt finden und daher einigermassen konstant wiederkehren. Je nach der Zusammensetzung der Nahrung sowie nach dem Verlauf und dem Stadium der Verdauung scheinen diese prävalierenden Arten einem gewissen Wechsel zu unterliegen. — Unter diesen „Darmbakterien'' überwiegen einige Bacillenarten, welche gewisse morphologische und bio- logische Charaktere gemeinsam haben und deshalb zu der Gruppe der Kolonbakterien zusammengefasst werden, obwohl es sich um mehrere differente Spezies handeln dürfte. Ein vertieftes Studium dieser Kolon- bakterien nach Escheeich's Vorgang wird voraussichtlich für die Pathogenese vieler menschlichen Darmkrankheiten bedeutungsvoll werden. — Stets finden sich ferner im Darminhalt Anaeroben, und oft in so grosser Menge, dass sie zweifellos dort eine Vermehrung erfahren haben. Es ist das ohne weiteres verständlich, da in einzelnen Ab- schnitten des Darms und in gewissen Schichten des Darminhalts wohl immer eine für die Entwicklung von Anaeroben genügende Sauer- stoffarmut vorhanden ist. Besonders reich an solchen Anaeroben er- weisen sich die Därme der Pflanzenfresser, und neuere Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass die Bacillen des Tetanus und des malignen Odems, deren Sporen wir in den oberflächlichsten Schichten der Garten- und Ackererde angetroffen haben, ihre vegetativen Zustände hauptsächlich in den Därmen von Pferden und Kühen durchleben, von wo die fertigen Sporen mit dem Kot der Tiere in die Erde gelangen. — Einigermassen erschwert wird das Studium der Darmbakterien durch Pfeiffer, Bakterien auf den Körperoberfläclien. 529 den Umstand, dass in mikroskopischen Präparaten, welche aus Darm- inhalt von irgend einer Stelle des Darms oder auch aus Mundsekret hergestellt sind, ein viel grösserer Artenreichtum und eine erheblich grössere Zahl von Bakterien zur Beobachtung gelangt, als bei der Isolierung der in den gleichen Proben enthaltenen Bakterien durch unsere gebräuchlichen Kulturmethoden. Oft kommt es offenbar nur zum Wachstum eines kleinen Bruchteils der überhaupt vorhandenen Exemplare, wobei auffallenderweise fast niemals verflüssigende Kolonien auftreten. Einige der in den gewöhnlichen Kulturen fehlenden Bakterien sind offenbar Anaeroben, und erhält man oft eine erheblich bessere Ausbeute von entwicklungsfähigen Bakterien, wenn man auch Proben unter Luftabschluss züchtet. Ein anderer Teil der im mikroskopischen Präparat sichtbaren und färbbaren Bakterien hat vermutlich durch die Einwirkung der Magensäure oder anderer im Darminhalt vorhandener entwicklungshemmender Einflüsse eine gewisse Desinfektionswirkung erfahren, welche das Auswachsen in unseren Kulturmedien verhindert. Schliesslich sind sicherlich im Darm Bakterienarten vertreten, welche wie die Mundspirochäten nur unter ganz bestimmten Lebensbedingungen gedeihen, die wir aber bisher noch nicht künstlich nachahmen konnten. Während so die äussere und innere Oberfläche des Körpers reich mit Bakterien besetzt ist, finden wir im Innern desselben unter nor- malen Verhältnissen keine Bakterien; nur wenn parasitäre Mikro- organismen eingedrungen sind und eine Krankheit hervorgerufen haben, kommt es bald im Blut, bald in den verschiedensten Organen zur Ansiedelung der spezifischen Bakterien. Andere nicht pathogene Bakterien werden, wenn sie nicht in ungeheueren, stark toxisch wirken- den Quantitäten eingeführt werden, im Körper sehr rasch vernichtet. Der Modus dieser Bakterienzerstörung, aiif welchem die natürliche Immunität jedes lebenden Organismus beruht, beginnt erst in letzter Zeit durch die Forschungen Nutall's, Buchnee's, Metschnikofp's und R. Ppeiteer's sich unserem Verständnis zu enthüllen. Auch die Sekrete des Körpers, insbesondere der Harn, sind nach den Untersuchungen von Wyssoko witsch (Z.l. 1) frei von Bakterien, selbst dann, wenn infektiöse Bakterien den Körper occupiert haben und im Blute kreisen. Nur in den Fällen, wo in der Niere Verstopfungen von Blutgefässen durch Bakterienmassen und infolge dessen nekro- tische Herde mit tiefer Läsion des Gewebes sich ausgebildet haben, kommt es zu einer Abscheidung von Bakterien in den Harn. Fast regelmässig wird ein solcher Übertritt beobachtet nach Injektion von Staphylokokkus aureus ins Blut; auch diese Bakterien erscheinen aber nicht etwa bald nach der Injektion im Harn, selbst wenn reichlichste Mengen eingebracht waren, sondern erst nachdem sich Herde in der Flügge, Mikrooi'ganismen. 3. Auflage. I. 34 530 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen. Niere gebildet haben und künstliche Wege hergestellt sind. Ähnlich wird es sich verhalten mit den Angaben verschiedener Autoren, be- sonders aber Beunner's (Berl. klin. Woch. 1891), wonach in die Blut- bahn injizierte Staphylokokken z. B. durch den Schweiss ausgeschie- den werden sollen. Von GuNNiNG ^) ist die menschliche Exspirationsluft auf Bakterien untersucht. Er fand, dass beim Exspirieren durch eine Nährlösung hin- durch keine Infektion der letzteren erfolgte, sobald nur das Eindringen von Speichel u. s. w. gehindert war. In der That müssen wir nach dem, was über die Loslösung der Bakterien von feuchten Flächen bekannt geworden ist, ein Mitreissen von Bakterien von den stets feuchten Schleimhäuten und durch den mit Wasserdampf gesättigten Exspirationsstrom für durchaus unwahrscheinlich halten. — Eine Ver- breitung von Organismen, welche die Schleimhautoberfläche des Respirationstraktus occupiert haben, durch die Luft ist daher nur in der Weise denkbar, dass beim Sprechen und Husten kleine Flüssigkeits- partikelchen losgerissen, herausgeschleudert und für kurze Strecken dem ausgeatmeten Luftstrom beigemengt werden, oder durch Sputa, welche später eintrocknen und verstäuben. 1) Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Jahrg. 20. 1882. Vierter Absclmitt. Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen von Dr. W. KoUe. Eine einigermassen vollständige Darlegung der eigenartigen Methoden der bakteriologischen Forschung liegt nicht im Plane des vorliegenden Buches und würde den Umfang desselben zu sehr er- weitem; eine Beschränkung in Bezug auf dieses Kapitel ist aber um so eher zulässig, als auf die eingehende Darstellung der bakterio- logischen Methoden von Hueppe^) (4. Aufl.) sowie auf die Bearbeitung desselben Themas von Heim 2) verwiesen werden kann. Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Methoden zur mikro- skopischen Untersuchung der Bakterien, zur Kultur derselben und zur Übertragung auf Tiere, sowie zum Nachweis in Luft, Wasser und Boden zusammengestellt werden. A. Die mikroskopische Untersuchung der niederen Pilze. Die verschiedensten Objekte, Flüssigkeiten und festere Substanzen, Nahrungsmittel, Staub, Erdproben, pflanzliche und tierische Organe und Säfte, vom lebenden oder toten Tier genommen, angesiedelte Pilz- kolonien u. s. w. können zur mikroskopischen Untersuchung gelangen. Dabei hat man zunächst sich bewusst zu sein, dass in unserer ganzen Umgebung sich niedere Pilze befinden, und dass, um den Nachweis von Pilzen in einem dieser Objekte zu führen, das zufällige Hinein- gelangen von Pilzen aus unserer Umgebung in das Präparat vermieden werden muss. Alle Instrumente, Gläser, Zusatzflüssigkeiten müssen daher pilzrein sein, was bei den beiden ersteren am besten durch kurzes Erhitzen auf mindestens 150'^, bei letzteren durch Kochen im Dampf- kochtopf erreicht wird. 1) Die Methoden der Bakterienforscliuiig. Wiesbaden. 4. Aufl. 2) Ludwig Heim, Lehrbuch der bakteriologischen Untersuchung und Dia- gnostik. Stuttgart 1894. 34* 532 Methoden zur Untersucliung der Mikroorganismen. Soll auf pathogene Pilze geprüft werden, so ist zu berücksichtigen,, dass auf den Oberflächen des gesunden und kranken Menschen und des Tieres stets massenhaft Pilze wuchern; auf der Haut, in der Mund- höhle u. s. w. findet man die zahlreichsten Keime. Nach dem Tode tritt eine rasche Verbreitung derselben zunächst in alle oberflächlich zugänglichen Körperteile, sowie vom Darm aus in die inneren Organe ein. Proben zur Untersuchung auf pathogene Pilze sind daher selbst beim Lebenden niemals von der ungereinigten Oberfläche zu entnehmen. Nach dem Tode ist die Sektion sobald als möglich vorzunehmen. Die Organe werden, um sie von den etwaigen aussen anhaftenden Keimen möglichst zu befreien, in Sublimatlösung und darauf mehrmals in sterilem Wasser abgespült; dann wird das Innere der Organe durch frische Schnitte mit sterilen Instrumenten freigelegt. Die direkte mikroskopische Beobachtung (eventuell unter Zusatz, von 1/2 % Kochsalzlösung, Mischung von Glycerin und Wasser, Lösung von essigsaurem Kali 1 : 10) ohne weitere Hilfsmittel führt nur bei grösseren Pilzen und höchstens bei der Untersuchung von Kulturen von Spaltpilzen einigermassen zum Ziele, während letztere selbst mit den stärksten Vergrösserungen nicht wahrgenommen ^Verden können, wenn andere Objekte (Zellen, Kerne und Kerndetritus, Krystalle und amorphe anorganische Massen) im Präparat zugegen sind. Fast in allen Fällen, wo es auf genaue Durchmusterung eines Präparats an- kommt, ist daher eine Färbung der Mikroorganimen auszuführen. Letztere nehmen gewisse Farbstoffe mit ausserordentlicher Energie auf, und es gelingt meistens die Färbung so zu leiten, dass nur die Mikro- organismen gefärbt oder wenigstens nur diese stark gefärbt sind, während alle übrigen Objekte des Präparats schwach oder gar nicht fingiert sind. Auch wo die Abwesenheit von Spaltpilzen in einer Sub- stanz konstatiert werden soll, ist lediglich mit Zuhilfenahme der Färbe- methode eine einigermassen sichere Entscheidung möglich. — Die Be- handlung der Präparate zum Zweck der Tinktion ist verschieden, je nachdem Flüssigkeiten oder tierische Organe vorliegen. I. Herstellung und Färbung von Deckglaspräparaten. Flüssigkeiten werden zunächst in dünnster Schicht auf dem Deckglase angetrocknet, dadurch, dass mit kurz vorher geglühtem Platin- draht ein kleiner Tropfen auf das Deckglas gebracht und durch einige kreisförmige Bewegungen ausgebreitet wird; oder noch zweckmässiger legt man auf das betropfte Deckglas ein zweites, so dass der Tropfen breit gedrückt wird und die Flüssigkeitsschicht sich bis zum Rande der Deckgläschen erstreckt; dann zieht man die Gläschen seitlich von einander und erhält so zwei dünn bestrichene Flächen; nach wenigen KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 533 Minuten ist dann die ScHcht angetrocknet. Wollte man das Deckglas jetzt unmittelbar mit Farblösung in Berührung bringen, so würde die Schicht wieder abgelöst und fortgeschwemmt werden; die Pilze müssen daher wo möglich erst auf dem Glase fixiert werden. Dies geschieht •entweder durch längeres Einlegen der Gläschen in absoluten Alkohol oder durch kurzes Erhitzen auf 110 — 130^ C. (2 — 10 Minuten; der richtige Orad der Erhitzung liegt für verschiedene Objekte etwas verschieden und muss durch einige Versuche ermittelt werden). Das Erhitzen kann am zweckmässigsten dadurch in ausreichender Weise ausgeführt werden, dass man die Deckgläschen 2 — 3 mal langsam („etwa so rasch wie man Brot schneidet") durch die Flamme eines Bunsenbrenners oder eine Spiritusflamme zieht. Die Pilze haften nach dieser Behandlung so fest an den Gläsern, dass diese ohne Schaden lange Zeit in wässrigen Flüssig- keiten gehalten werden können. Auf die so präparierten Deckgläschen wird dann die unten zu er- wähnende Farblösung getropft; meist genügt es, wenn man die Lösung 5 — 10 Minuten einwirken lässt; ist eine längere Einwirkung nötig, so ist es zweckmässig, die Deckgläschen auf einem flachen Schälchen mit Farblösung schwimmen zu lassen. Man kann die zur Färbung nötige Zeit wesentlich verkürzen, wenn man die Farblösungen über der Flamme erwärmt. Das Deckgläschen wird dann mit der Pinzette gefasst, von der Farblösung durch Absaugen mit Filtrier- papier befreit, dann in destil- ,. -jTj, ., Fig. 14. Pinzette vou Cornet. liertem W asser, zuweilen auch in sehr verdünnter Essigsäure (etwa 5 — 10 Tropfen auf 100 ccm Wasser) gespült, und nun entweder mit Wasser auf den Objektträger gebracht oder erst nochmals getrocknet und dann in Nelkenöl oder Kanada- balsam eingelegt. Eine grosse Erleichterung beim Färben der Deckglaspräparate wird durch Benutzung der CoENET'schen Pinzetten (s. Fig. 14) gewonnen, welche vermöge ihrer Federkraft die Deckgläschen wagerecht fixieren und ein leichtes Handhaben der Deckgläschen ermöglichen. IL Herstellung von Schnitten. Organe müssen zunächst längere Zeit (mehrere Tage) in absolutem Alkohol gehärtet werden; sie müssen dabei allseitig von diesem um- geben und nötigenfalls zerkleinert sein. Sodann klebt man die ge- härteten Stückchen auf Korkstückchen mit Gelatine auf und stellt mit den Mikrotom Schnitte daraus her. Für manche Zwecke, vor allem bei bröckligen Geweben, oder sehr dünnen Objekten oder zur Her- 534 Metlioden zur Untersuchung der Mikroorganismen. Stellung sehr dünner Schnitte, welche zum Nachweis mancher Bakterien notwendig sind, muss man die Organe durch Einbettung in Celloidin, Paraffin, Glyceringelatine oder durch Gefrierenlassen zum Schneiden vorbereiten. Die Paraffineinbettung ist einigermassen umständlich und zeit- raubend, so dass von ihr im ganzen wenig Gebrauch gemacht wird^ Nur da, wo es auf Gewinnung zusammenhängender Reihen von Schnitten, sog. Serienschnitte, ankommt, ist das Paraffin verfahren angezeigt. Das Verfahren gestaltet sich so, dass aus dem Alkohol die Organstückchen für 24 Stunden in Chloroform, Terpentinöl oder Toluol gelangen. Dann werden sie bis zum Schmelzpunkt des zu benutzenden Paraffins erwärmt, in das verflüssigte Paraffin übertragen und im Paraffinbade 6 — 24 Stunden belassen. Darauf füllt man Paraffin in kleine Formen, wirft die Organstückchen hinein und lässt die Masse erstarren. Schneidet man einen solchen Paraffinblock mit dem Mikrotom, und zwar mit quergestelltem Messer, so schieben sich, wenn die Ränder des Blockes parallel sind, die Schnitte vor einander her und kleben an einander.- Die so erhaltenen Serienschnitte kann man auf Objektträger ankleben und weiter bearbeiten. Mit der Paraffinmethode lassen sich sehr dünne Schnitte erzielen. Die Einbettung in Celloidin ist das am meisten gebrauchte Ver- fahren. Durch Auflösung mehr oder weniger grosser Mengen von Celloidin in einer Mischung von Äther und Alkohol zu gleichen Teilen stellt man sich eine dünnere und eine dickere Lösung her. Die Organ- stückchen verbleiben einige Tage in der dünneren, ebensolange in der dickeren Celloidinlösung und werden dann, mit etwas Kollodium auf Korkstückchen aufgeklebt, in 70 proz. Alkohol geworfen. Die Stückchen werden bald hart und lassen sich in sehr dünne Schnitte zerlegen. Beim Schneiden wird das Messer und das Organstückchen mit 70 proz. Alkohol befeuchtet. Für Schnitte, welche nach Geam gefärbt oder in denen Tuberkelbacillen nachgewiesen werden sollen, eignet sich die Celloidineinbettung nicht. Bei ersteren treten leicht Farbstoffnieder- schläge ein, während in letzteren die Tuberkelbacillen häufig ihre Färbbarkeit verlieren. Die Einbettung in Glyceringelatine empfiehlt sich da, wo man die Organe rasch zum Schneiden fertigstellen will, oder wo man Bakterien sichtbar machen will, deren Färbbarkeit bei Celloidineinbettung leidet (Tuberkelbacillen). Die Organstückchen, welche sehr klein sein müssen, gelangen einige Stunden in Glyceringelatine (1 Teil Glycerin, 2 Teile Gelatine, 3 Teile Wasser) vmd werden dann auf Kork geklebt in ab- solutem Alkohol aufbewahrt. Steht ein Gefriermikrotom zur Verfügung, so kann das frische KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 535 Organ sofort nach dem Gefrieren geschnitten werden; die Schnitte bringt man zunächst in physiologische Kochsalzlösung, von da vor- sichtig in absoluten Alkohol und behandelt sie dann weiter wie oben. Man kann aber auch in Alkohol gehärtete Organe mit dem Gefrier- mikrotom schneiden und vermeidet so die Einbettung in Celloidin u. s. w. Ehe die Schnitte auf die Scheibe des Gefriermikrotoms kommen, werden sie in physiologischer Kochsalzlösung so lange gewärmt, bis der Alkohol aus ihnen entfernt ist. III. Färbung und Behandlung der Schnitte, a) Allgemeines. Hat man mit dem Mikrotom eine grössere Anzahl feiner Schnitte hergestellt, so bringt man dieselben zunächst in absoluten Alkohol und von da in die Farblösung. In letzterer bleiben die Schnitte V2 — 5 Stunden, in einzelnen Fällen sogar 24 Stunden. Durch Erwärmen auf 30 — 40*^0. kann diese Zeit erheblich abgekürzt werden. Nimmt man die Schnitte aus der Farbe, so ist das ganze Gewebe stark gefärbt; man sucht dann eine Differenzierung der Pilze gegenüber dem Gewebe dadurch zu bewirken, dass man die Schnitte in mit Wasser verdünnten Alkohol oder verdünnte Essigsäure bringt, die den Zellen den Farbstoff wieder entziehen und nur Pilze und höchstens noch Zellkerne (ausserdem ge- wisse Mucinarten, die verhornten Gebilde, zuweilen Fett, Nervenmark) gefärbt erscheinen lassen. Dann folgt die Entwässerung des Präparats. In den meisten Fällen wird die Entwässerung des Gewebes am zweck- mässigsten dadurch bewirkt, dass man die Schnitte in absoluten Alkohol bringt, hier etwa 15 — 30 Minuten lässt, aus diesem nochmals in reinen Alkohol und dann zur Aufhellung in Xylol bringt. Als Farbstoffe verwendet man nur selten Karmin oder Häma- toxylin, sondern hauptsächlich Anilinfarben, zu denen die niederen Pilze die grösste Verwandtschaft zeigen. Man unterscheidet nach Ehrlich^) 2 grosse Gruppen von Anilin- farben, die durch chemische und histiologische Eigentümlichkeiten scharf geschieden sind, die sauren und die basischen Farbstoffe. Zu den sauren rechnet man alle solche Farbstoffe, bei welchen das färbende Prinzip die Säure ist; der Farbstoff braucht darum nicht eine freie Säure zu sein oder sauer zu reagiren, sondern kann z. B. mit Basen salzartige Verbindungen bilden (wie prikinsaures Ammon). Man unterscheidet 4 Klassen von sauren Farb- stoffen, nämlich 1. Fluoresceine ; dahin gehören Fluorescei'n, Pyrosiu, Eosin (Tetra- bromfluorescein) u. a. m. 2. Nitrokörper, z. B. Martiusgelb (Salz des Binitro- 1) Vgl. Westphal, Schwarze, Spilling; auch Weigert, Virchow's Archiv. Bd. 84. 536 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. naphtols), Pikrinsäure, Aurantia (Ammonsalz des Hexanitrodiphenylamins). 3. Sulfosäuren, z. B. Tropäolin, Bordeaux, Ponceau; Derivate des in Spiritus lös- lichen Anilinblau; Anilinschwarz u. s. w. 4. Primäre Farbsäuren, z. B. Rosol- säure, Alizarin, Nitroalizarin, Purpurin, Cörulein, vielleicht Hämatoxylin u. s. w. Zu den Farbbasen gehören: Fuchsin (Rosanilin), Methylviolett, Methylgrün (beides Methylderivate des Rosanilins, letzteres gewöhnlich mit Methylviolett ver- unreinigt), Triphenylrosalin (rohes Anilinblau) und dessen Derivate, Cyanin, Safranin, Magdala, ferner die besonders viel zur Bakterieufärbung gebrauchten Bismarck- braun, Dahlia, Gentianaviolett, Methylenblau. Die basischen Farbstoffe kommen gewöhnlich nicht als freie Basen im Handel vor, sondern als Salze, so das Fuchsin als salzsaures oder essigsaures Rosauilin. Für die Färbung der Spaltpilze eignen sich fast ausschliesslich die basischen Farbstoffe; nur diese vermögen auch die Kerne zu färben» Um nicht eine diifuse Färbung des ganzen Gewebes zu bekommen, muss man nach der Tinktion die Präparate noch mit solchen extra- hierenden Lösungen behandeln, die zu den Farbstoffen eine grössere Verwandtschaft haben als die Gewebe, aber eine geringere als die Spaltpilze (und Zellkerne); derartige differenzierende Lösungen sind eben Alkohol und verdünnte Essigsäure. Manche Spaltpilze zeigen nur zu wenigen Farbstoffen starke Ver- wandtschaft, es sind daher bei der Aufsuchung noch unbekannter Mikro- organismen die verschiedensten Farbstoffe, bald unter Zusatz von etwas Essigsäure, bald in schwach alkalischer Lösung durchzuprobiren; Bacillensporen nehmen ohne besondere Behandlung (s. unten) keine Farbstoffe auf. — Für die meisten Mikrokokken ist jedes Kernfärbe- mittel (Karmin, Hämatoxylin, basische Anilinfarben) geeignet. Sie färben sich roth mit den kernfärbenden Karminsorten, mit Purpurin, Fuchsin, Magdala, Magentarot; braun mit Bismarckbraun, Vesuvin; grün mit Methylgrün, blau oder violett mit Hämatoxylin, Methylenblau, Jod- violett, Methylviolett, Dahlia, Gentiana. Für manche Bacillen eignen sich nur die kernfärbenden Anilinfarben. b) Gebräuchlichste Farblösungen. Die meiste Anwendung verdienen: 1. Fuchsin, welches in Form der ZiEHLschen oder in koncentrierter alkoholischer Lösung vorrätig zu halten ist. Die ZiEHLSche Lösung stellt man sich dar, indem man je 1 gr Fuchsin in 10 ccm absolutem Alkohol durch inniges Verreiben löst und zu je 10 ccm dieser alkoholischen Fuchsinlösung 100 ccm 5 proz. wässriger Carbolsäurelösung zusetzt. Die ZiEHij'sche Lösung ist dauernd haltbar und behält ein sehr starkes Fär- bungsvermögen. Die Carbolsäure wirkt als Beize. Ausser in der kon- centrierten Form (zur Tuberkelbacillenfärbung) benutzt man sie mit KoLLE, Methoden zur Untersucliung der Mikroorganismen. 537 "Wasser (im Verhältnis 1 : 20) verdünnt (nach R. Pfeiffer) als eine Art Universalfärbemittel. 2. Methylenblau; namentlich in schwach alkalischer Lösung (Löfflee's Universalfärheflüssigkeit). Bereitet durch Vermischen von 1 ccm koncentrierter alkoholischer Methylenblaulösung, die lange konserviert werden kann, mit 200 ccm dest. Wasser und 2 — 4 Tropfen 10 proz. Kalilauge. Die Mischung muss täglich frisch filtriert und etwa alle acht Tage frisch bereitet werden. Ausserdem hält man wässrige Lösung vorrätig. 3. Gentianaviolett (BR nach dem Katalog der Berliner Aktien- gesellschaft für Anilinfarben, Berlin SO); in ca. 1 proz. wässriger Lösung. 4. Die EHELiCHschen Parblösungen. Dieselben werden her- gestellt durch Mischung von koncentrierter wässriger Anilinlösung mit koncentrierter alkoholischer Farbstofflösung (Fuchsin, Gentianaviolett, Methylviolett). Man schüttelt 4 ccm Anilinöl in 100 ccm Wasser und filtriert die Emulsion durch ein angefeuchtetes Filter. Zum Filtrate (dem in Wasser gelösten Anilinöl) setzt man 10 ccm koncentrierter alkoholischer Farbstofflösung (1 gr Farbstoff auf 10 ccm Alkohol) und filtriert. Die EnELiCH'schen Lösungen werden unverdünnt zur Tuberkelbacillen- und GßAM'schen Färbung, verdünnt zur Färbung fast aller B akterein benutzt. Methyl violett, Gentiana und Dahlia zeigen in besonderem Grade die Eigenschaft der metachromatischen Färbung, d. h. sie färben ver- schiedene Elemente mit einer von der Grundfarbe abweichenden Nuance rötlich bis rot u. s. w. Das gewöhnlich mit Methylviolett verunreinigte Methylgrün giebt oft blaue und zuweilen rosa Nuancierungen. e) Besondere Färbungsmetlioden. 1. Doppelfärbung. Zur besseren Differenzierung zwischen Kernen und Spaltpilzen sind ■zuweilen die Doppelfärbungen sehr geeignet; erwähnt sei z.B. die Tinktion mit Pikrokarmin und Gentiana, die darauf beruht, dass Karmin den violetten Farbenton aus den Kernen zu vertreiben vermag, aber nicht aus Bacillen. Die Schnitte werden erst in Gentianalösung ge- b)racht, dann in Alkohol, dann zur Entfernung des Alkohols auf einen Moment in Wasser, darauf in WBiGEET'sche Pikrokarminlösung. Nach ^2 — 1 stündigem Verweilen kommen sie in Wasser, Alkohol, Nelkenöl, Balsam. Die Zellkerne erscheinen dann rot, die Bacillen blau gefärbt. — Aktinomycesdrusen lassen sich durch Behandlung mit W^EDL'scher Orseille (V. Bd. 74) und dann mit Gentiana rothblau färben. 538 Methoden zur Untersucliung der Mikroorganismen, 2. Färbung der Tuberkelbacillen. Tuberkelbacillen werden am besten nach folgender Methode ge- färbt, welche sich eng an die von Ehelich hierfür angegebene Methode anschliesst. Auf die mit Sputum nach der oben gegebenen Vorschrift be- strichenen und erhitzten Deckgläschen wird koncentrierte ZiEHL'sche Lösung getropft, bis die Fläche ganz damit bedeckt ist. Durch vor- sichtiges Auf- und Niederführen der mit CoKNET'scher Pinzette ge- haltenen Deckgläschen über einer Gasflamme erwärmt man die Flüssig- keit, bis sie eben dampft (nach Rindfleisch). Dann lässt man die Deckgläschen, mit der erwärmten Flüssigkeit bedeckt, 1 — 2 Minuten stehen, spült sie hierauf mit Wasser ab und taucht sie so lange in 20 proz. Salpetersäurelösung, bis die violette Farbe des Präparats ver- schwunden ist. Dann werden die Deckgläschen in 60 proz. Alkohol so lange abgespült, bis die Schicht auf den Deckgläschen nur noch einen ganz blassroten Farbenton zeigt. Nach Abspülung in Wasser förbt man mit verdünnter wässriger Methylenblaulösung einige Sekunden nach^ trocknet das Präparat und schliesst es in Kanadabalsam ein. Schnitte, in welchen man Tuberkelbacillen färben will, bringt man in ein Schäl- chen mit koncentrierter Carbolfuchsinlösung und belässt das Schälchen im Brütschrank bei 37 ^ C. 1 — 2 Stunden lang. Man über- trägti dann die Schnitte in Wasser und nach kurzer Abspülung aus diesem in 60 proz. Alkohol, dem auf 100 ccm 20 Tropfen einer Mineral- säure zugesetzt sind, und zwar nochmals in frische Gläschen. Aus dem sauren Alkohol gelangen die Schnitte in Wasser, um sorgfältig gespült zu werden. Darauf erfolgt die Kontrastfärbung in stark ver- dünnter wässriger Methylenblaulösung, Differenzierung in absolutem Alkohol. Die Weiterbehandlung erfolgt nun wie gewöhnlich. Man erhält so Bilder, in welchen die Tuberkelbacillen rot, Zellkerne und Zellen blau gefärbt sind. Von anderen Spaltpilzen, welche die Färbung der Tuberkelbacillen zeigen, sind bisher nur die Leprabacillen bekannt. Ausserdem färben sich noch einige sonstige Objekte, so die Epidermoidal- gebilde, Schimraelpilzsporen, eventuell Bacillensporen, sowie feine im Sputum zuweilen vorkommende Fettnadeln mit der Farbe der Tuberkelbacillen; die Fettnadeln sind jedoch in Äther und Chloroform leicht löslich (Celli und Guarnieei). Betreffs der sehr zahlreichen sonstigen, zur Tuberkelbacillenfärbung empfohlenen Methoden s. die Spezialschriften von Plaut '), Kaatzee '^), CZAPLEWSKI^). 1) Plaut, Färbungsmetboden u. s. w. 2. Aufl. 1885. 2) Kaatzer, Die Technik der Sputumuntersuchung auf Tuberkelbacillen. 2. Aufl. 1885. 3) Die Untersuchung des Auswurfs auf Tuberkelbacillen. Jena 1891. KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 539 Über die Färbung der sogenannten Syphilisbakterien und der Smegmabacillen s. Bd. II 3. üniversalmethoden. Methoden, welche für die Färbung aller Bakterien im Gewebe ge- eignet sind und daher als Universalmethoden bezeichnet werden können, sind von Löfflee und. R. Pfeutee, angegeben worden. ß) Löffler's Methode. Nach Löffler's Anweisung (M. G. II) werden die Schnitte einige Minuten (bei Tuberkel- und Leprabacillenfärbung einige Stunden) in eine Lösung gelegt, die aus 30 ccm koncentrierter alkoholischer Lösung von Methylenblau und 100 ccm einer Kalilaugelösung 1 : 10000 zu- sammengesetzt ist. Zur Differenzierung gelangen die gefärbten Schnitte einige Sekunden in 1 proz. Essigsäurelösung, zur Entwässrung in Al- kohol, zur Aufhellung in Xylol, von da zur Konservierung in Kanada- balsam. ß) Pfeiffer's Methode. Bei Ausführung der Pfeiffee' sehen Färbung, die nur für Tuberkel- und Leprabacillen nicht geeignet ist, verfährt man so, dass man die Schnitte \ Stunde in verdünnte ZiEHL'sche Lösung legt und dann in Alkohol absolutus, der ganz schwach mit Essigsäure angesäuert ist, überträgt. „Hier müssen die Schnitte sorgfältig überwacht werden. Sobald die ursprünglich fast schwarzrote Färbung in einen eigentümlich rotvioletten Farbenton abgeblasst ist, werden sie sofort in Xylol auf- gehellt." Will man die Präparate konservieren, so kann man sie direkt aus dem Xylol in Kanada übertragen (R. Pfelffee, Ätiologie der Influenza. Z. XIII). 4. Gram's Methode. Zur Differentialfärbung der Bakterien im Gewebe, sowie als Mittel zur diagnostischen Unterscheidung mancher Bakterienarten, auch bei Deckglaspräparaten, ist die GEAM'sche Methode vorzüglich geeignet. Hierzu sind erforderlich: 1. Anilinwassergentianaviolettlösung nach Ehelich (s. oben), 2. Jod-Jodkaliumlösung (Jod 1 gr, Jodkalium 2 gr, Wasser 300 gr). Man bringt die Schnitte aus absolutem Alkohol in die Farblösung, lässt sie dort 3 — 4 Minten und überträgt sie nach Abspülung mit Wasser dann in die Jod-Jodkaliumlösung. Die Schnitte bleiben 1 — 2 Minuten in der Jodlösung und werden dabei glänzend schwarz. Sie werden dann in absoluten Alkohol gebracht, in dem sie sich unter Bildung einer purpurroten Farbstoffwolke entfärben, darauf in Xylol u.s.w. Gewebe und Kerne erscheinen schliesslich schwach gelblich, die Spalt- 540 Methoden zur Untersucliung der Mikroorganismen. pilze dagegen äusserst intensiv blau bis schwarz gefärbt. Mit Ausstrich- präparaten wird ebenso verfahren. In der Hand des geübten und erfahrenen Bakteriologen liefert die GEAM'sche Methode bei genauer Einhaltung dieser Vorschrift meist gute Bilder. Doch versagt die Methode zuweilen dadurch, dass keine völlige Kernentfärbung eintritt, und dass Farbstoffniederschläge sich bilden, oder auch dadurch, dass die Bakterien mit entfärbt werden. Aus diesem Grunde sind Modifikationen der GEAM'schen Methode ein- geführt worden, von denen hauptsächlich zwei, weil sehr brauchbar, in ausgedehnterem Masse Anwendung gefunden haben: die GEAM-GüNTHER- sche sowie die Weigert' sehe Methode. Günther benutzt ausser Alkohol 3 proz. Salzsäure-Alkohol zur Entfärbung. Weigert's Methode war ursprünglich für die Färbung des Fibrins bestimmt und wird auch unter dem Namen der WEiGERTSchen Fibrinni.ethode be- schrieben. Das Fibrin behält nämlich in gleicher Weise, wie manche Bakterien, die blaue Farbe bei dieser Behandlungsweise. Aus der Anilinwassergentianaviolettlösung bringt Weigert die Schnitte auf den Objektträger, tropft dann Jod- Jodkaliumlösung darauf, bis der Schnitt glänzend schwarz erscheint, und nach Abtupfung derselben Anilinöl. Diese Färbung auf dem Objektträger hat die Vorteile, dass einmal die Schnitte sich gut ausbreiten lassen und nicht zusammenrollen, und zweitens der Verlauf der Färbung unter dem Mikroskop beobachtet und verfolgt werden kann. Es wird daher so lange Anilinöl auf den Schnitt, getropft, bis die Besichtigung mit schwacher Vergrösserung eine Entfärbung der Gewebskerne erkennen lässt. Ist dieser ZeitiDunkt eingetreten, so wird das Anilinöl, durch welches der Schnitt zugleich entwässert ist, wieder abgetupft, der Rest mit Xylol entfernt und der Schnitt in Kanadabalsam eingeschlossen. Statt des Anilin wassergentianaviolett hat Kühne mit gutem Erfolg Krystallviolett angewandt. Die zur Färbung dienende Lösung stellt man sich nach Kühne so her, dass man eine koncentrierte alkoholische Krystallviolettlösung (1 gr KJ-yst. auf 10 ccm Alkohol) mit leicht durch einige Tropfen Salzsäure angesäuertem Wasser im Verhältnis 1 : 10 mischt. Die mit Krystallviolett gefärbten Schnitte geben die schönsten Bilder. Die weitere Behandlung der Schnitte geschieht dann nach Weigert's Methode. Es empfiehlt sich, bei der GRAM'schen Färbemethode eine Gegen- färbung der Schnitte vorzunehmen, damit die Bakterien leichter zu erkennen sind und in ihrer Lage zu den Zellelementen prägnanter hervortreten. Benutzt man zur Gegenfärbung Fuchsin oder Bimarck- braun, so erscheinen etwaige, nicht nach Gram färbbare Mikro- organismen in der Gegenfarbe, also rot oder braun gefärbt. Wo es KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 54 1 auf eine Gegenfärbung von solchen Mikroorganismen nicht ankommt, verwendet man am besten Karmin oder Pikrokarmin oder Lithion- karmin zur Kontrastfärbung des Gewebes. Am vorteilhaftesten ist es, die Gegenfärbung vor dem GEAM'schen Verfahren anzuwenden. Man kann die vorgefärbten Schnitte dann, unbeschadet der späteren Färbung differenzieren und von Farbstofifniederschlägen nötigenfalls befreien, was nach Ausführung der GßAM'scheu Färbung für die Farbe der Bakterien schädlich sein kann. Die Benutzung der GEAM'schen Methode zur Differenzierung von Bakterien. Die Bakterien zeigen nun gegenüber der GEAM'schen Färbungs- methode (und ihren Modifikationen) ein verschiedenartiges Verhalten, nach dem sie in zwei Klassen geschieden werden können: sie bleiben entweder gefärbt, oder sie entfärben sich bei dem Verfahren. Es färben sich von den pathogenen Bakterien nach Geam: pyogene Staphylokokken, Streptokokken, Diplokokkus pneumoniae (Feänkel), Mikrokokkus tetragenus, Milzbrandbacillus, Tuberkelbacillus, Leprabacillus, Bacillus der Mäuseseptikämie und des Schweinerotlaufs, Tetanusbacillus, Diphtheriebacillus. Es färben sich nicht nach Geam: Gonokokkus, Bacillus des malignen Odems, Rauschbrandbacillus, Typhusbacillus, Rotzbacillus, In- fluenzabacillus, Vibrionen, Spirillen und Spirochäten, Hühnercholera-, Kaninchenseptikämie- , Schweine-, Wild-, Rinderseuchebacillen, Feied- ländee's Kapselbacillus. IV. Färbung von Bacillensporen. Färbung der Sporen verschiedener Bacillen wurde zuerst von BuCHNEE (C. VIII), dann von Hueppe (1. c.) erzielt. Man verwendet dazu eine stärkere Erhitzung der ausgestrichenen Deckglaspräparate, welche man nicht 3mal, sondern 6 — lOmal durch die Flamme zieht,oder V4 — V2 Stunde im Trockenschrank bei 180 — 200^0. belässt. Nach dieserBehand- lung nehmen die Sporen die gewöhnlichen Anilinfarben auf, — Nach Neissee gelangt man auch zur Färbung der Sporen durch Anwendung der zur Tuberkelbacilleufärbung benutzten Lösungen unter gleichzeitiger Erwärmung. Die in gewöhnlicher Weise vorbereiteten Deckglaspräparate lässt man auf ca.80 — 90^C. warmen Carbol-Fuchsinlösimgen 10 — 20 — 40 Minuten schwimmen und behandelt dann weiter wie bei den Tuberkel- präparaten. Man erhält so die Sporen rot, die Bacillen blau gefärbt. — Durch Einwirkenlassen von Säuren (koncentrierte Schwefelsäure 25 Sekunden lang oder 5proz. Chromsäurelösung einige Minuten [Möllee, 542 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. C. X] lang) auf die Sporen vor der eigentlichen Färbung erleichtert man das Eindringen des Farbstoffs in die Sporen sehr, in analoger Weise wie durch das starke Erhitzen. Die Anwendung der Säuren ist der starken Erhitzung vorzuziehen. V. Geisseifärbung. Für die Färbung der überaus feinen Bakteriengeisselfäden sind mehrere Methoden im Gebrauch. Am verbreitetsten ist die von LörrLER (C. VI u. C. VII) angegebene Geisselfärbungsmethode, deren Charakteris- tikum die Anwendung einer Beize vor der eigentlichen Färbung ist. Um das Verfahren anzuwenden, verteilt man auf sorgfältig von Fett und Staub (am besten durch längeres Ausglühen auf Blech) gereinigten Deck- gläschen ein Tröpfchen einer Aufschwemmung der betreffenden Bakterien, die von frischen Agarkulturen stammen. Um Niederschläge zu vermeiden, ist es unbedingt notwendig, eine sehr stark verdünnte Aufschwemmung der Bakterien zu benutzen, indem man z. B. auf 10 ccm Wasser diejenige Menge, welche beim Berühren der Kultur an einer Platinnadel haften bleibt, verteilt. Es empfiehlt sich, die Auf- schwemmung in einem Spitzglase einige Zeit stehen zu lassen. Die unbeweglichen Bakterien sinken dann zu Boden, während in den oberen Schichten die mit wohlerhaltenen, gut färbbaren Geissein versehenen Exemplare sich befinden. Hierauf wird die Schicht in der Flamme unter Vermeidung zu grosser Erhitzung fixiert, was am besten da- durch erreicht wird, dass man das Deckglas zwischen den Fingern durch "die Flamme zieht. Nun wird auf das Deckglas eine Beize gebracht, welche besteht aus 10 ccm 20proz. Tanninlösung (20 Tann. + 80 Wasser), 5 ccm kalt gesättigter Ferrosulfatlösung (20 Eisenvitriol + 30 kaltes Wasser), 1 ccm wässriger oder alkoholischer Fuchsinlösung. Der Beize, welche mit zunehmendem Alter immer besser wird, muss ausserdem noch entweder Alkali oder Säure zugesetzt werden, was für jede Bakterienart empirisch bestimmt werden muss. Unter Hin- und Herneigen des Deckgläschens wird die Flüssigkeit über der Flamme bis zum schwachen Dampfen erwärmt, dann mit Wasser abgespült und durch eine gesättigte Anilinwasser-Fuchsinlösung ersetzt, der man, um den Zustand der höchsten Färbekraft, denjenigen der Schwebe- fällung zu erreichen, noch etwas Natronlauge zufügen kann. Nach einer Einwirkungsdauer von einigen Minuten wird die Flüssigkeit mit Wasser entfernt und das Präparat in der üblichen Weise Aveiter be- handelt. Nach LöFrLEE's Methode lassen sich die Geisseifäden aller geisseltragenden Bakterien färben, oft allerdings unter grosser Mühe und nach vielem Probieren. Die erhaltenen Bilder sind bei richtiger Ausführung der Färbung sehr klar, ohne Niederschläge und zur photo- KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 543 graphischen Wiedergabe vielfach benutzt (s. d. mikrophotograph. Atlas d. Bakterienkunde von C. Feänkel u. R, PrEiEPEE. Berlin, Hirsch- wald 1894). In der Zusammensetzung der Beize hat neuerdings R. Bunge (F. XII. 12) eine Modifikation angegeben. Bei Anwendung der Bunge- schen Beize ist der Zusatz von Alkali oder Säure, wie er bei der LöFFLEß'schen Beize in einer für jede Bakterienart besonders fest- zustellenden Menge geschehen muss, nicht notwendig. Bunge stellte die Beize her, indem er 3 Teile einer wässrigen koncentrierten Tannin- lösung mit 1 Teil einer wässrigen Lösung von Liq. Ferr. sesquichlor. (1:20) mischte und zu 10 ccm dieser Mischung 1 ccm Fuchsirdösung setzte. Die Beize ist erst nach einiger Zeit verwendbar. Sie giebt dann ohne weitere Zusätze bei allen Bakterienarten gleich gute und niederschlagsfreie Bilder. Ein auf anderen Prinzipien, als die bisher beschriebenen, beruhen- des Verfahren hat VAN Ermengem (üne nouvelle methode etc. 1894) für die Geisseifärbung angegeben. Das Verfahren ist besonders da zu empfehlen, wo es sich um den Nachweis handelt, ob überhaupt bei einer Bakterienart Geissein vorhanden sind oder nicht. Für Präparate, welche photogra- phisch wiedergegeben werden sollen, eignet es sich wegen der kaum zu vermeidenden Niederschläge weniger. Bei Ausführung ist nach folgender Vorschrift van Ermengem's zu verfahren. Auf Deckgläschen, welche in einer Mischung von Kali bichromic. und Acid. sulfur. conc. aa 60,0 und 1000,0 Wasser gekocht, dann mit Wasser sowie Alkohol abgespült und getrocknet sind, wird in der oben beschriebenen Weise die zu untersuchende Bakterienmasse von frischen Agarkulturen gebracht. Nach Fixierung der Schicht wird eine Beize, bestehend aus 1 Teil einer 2proz. Lösung von Acid. osmic. und 2 Teilen lOproz, Tanninlösung, 5 Minuten lang zur Einwirkung gebracht bei massiger Erwärmung derselben. Nachdem die Deckgläschen wieder mit Wasser und abso- lutem Alkohol abgespült sind, werden sie einige Sekunden in eine 0,5proz. Silbernitratlösung getaucht, darauf ohne Abspülung in eine Lösung von Acid. gallic. 5,0, Tannin 3,0, Kai. acet. pur. 10,0 in 350,0 Wasser. Nach einigen Augenblicken bringt man das Präparat unter fortwährendem Bewegen in die Silbernitratlösung und nach noch- maliger Eintauchung in die andere Lösung wieder in das Silberbad zurück, solange bis sich das Silberbad zu schwärzen beginnt. Nach Abspülung in Wasser wird das Präparat in gewöhnlicher Weise zur mikroskopischen Untersuchung fertig gemacht. Bei allen Geisselfärbungsmethoden erscheinen die Bakterien, welche zugleich mit den Geisselu mitgefärbt werden, unter sonst gleichen Be- dingungen bedeutend grösser als bei gewöhnlicher Färbung. Es hat 544 Methoden zur Untersuclaung der Mikroorganismen. dies darin seinen Grund, dass die bei den gewöhnlichen Tinktionen nicht gefärbte protoplasmatische Hülle der Bakterien infolge der Beizung bei der Geisseifärbung sich intensiv mitförbt. VI. Konservierung mikroskopischer Präparate. Zum Konservieren der Präparate kann man Kanadabalsam^ Dammarlack, koncentrierte Lösung von essigsaurem Kali oder Glycerin verwenden, letzteres nur für die mit glycerinhaltiger Lösung von Anilinbraun gefärbten Präparate. — Für das Einlegen von Schimmel- und Hefepilzen eignet sich am besten Glyceringelatine (1 Teil Gelatine^ 6 Teile Wasser, 7 Teile Glycerin, 1% Carbolsäure zusammen erwärmt und filtriert). VIL Mikroskopische Durchmusterung der Präparate. Zur Untersuchung der Präparate sind nur die besten Mikroskope geeignet. Für die grösseren Spaltpilzformen (Milzbrandbacillen u. s. w.) sind Trockensysteme ausreichend, für alle feineren Formen bedarf man der besten Öl-Immersionen'). Zeiss in Jena hat in Verbindung mit Abbe die denkbar vollkommensten Mikroskopsysteme in Gestalt der Apochromaten konstruiert. Bei den Apochromatsystemen sind in- folge geeigneter Gläserkombinationen in allen Zonen mehr als zwei Farben des Spektrums korrigiert, so dass nur das Tertiärspektrum übrig bleibt. Ausserdem ist die sphärische Aberration fast völlig ausgeglichen. Diejenigen Teile des Sehfeldes, in welchen die richtige Farben- oder sphärische Korrektion trotzdem nicht ganz erreicht ist, erhalten durch eigens konstruierte Okularsysteme eine Ausgleichung. Diese sog. Kompensationsokulare sind nämlich so konstruiert, dass sie den entgegensetzten Fehler wie die Objektive aufweisen. Man erhält so mittelst dieser Systeme Bilder, welche frei von Chromasie und sphärischen Aberrationen sind. — Um die gefärbten Mikroorganismen im Gewebe erkennen zu können, ist ausserdem noch eine besondere Beleuchtung erforderlich. Am vorteilhaftesten würde es selbstver- ständlich sein, wenn man ein reines Farbenbild vor Augen bekäme, d. h. wenn Kanadabalsam und Gewebe von ganz gleichem Brechungs- vermögen und infolge dessen von dem Gewebe gar nichts, die Bakterien aber nur vermöge ihrer Färbung zu sehen wären. Nun differieren aber für gewöhnlich die verschiedenen Teile des Gewebes in ihrem Licht- brechungsvermögen vom Kanadabalsam und erzeugen durch Diffraktion 1) Oel-Tmmersionen und Beleuchtungsapparate werden in vorzüglicher Aus- führung geliefert von Zeiss, Seibert u. Kraft, Leitz und R. Winkel. — Farb- stoffe und sonstige Utensilien sind zu beziehen von Dr. Grübler in Leipzig. KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 545 der durchgehenden Lichtstrahlen ein ans Linien und Schatten be- stehendes Strukturbild, welches das Farbenbild verdeckt. Es muss demnach wo möglich angestrebt werden, die Diffraktionserscheinungen und das Strukturbild möglichst zum Verschwinden zu bringen, und dies ist möglich durch Anwendung eines passenden Beleuchtungs- apparates. Betrachtet man ein mikroskopisches Präparat bei einer Beleuchtung mit zuerst schmalem und dann immer breiter werdendem, aber immer gleich langem Lichtkegel, so verschwinden die Diffraktionserscheinungen und das iStrukturbild, welche bei engster Blende am intensivsten waren, allmählich immer mehr, und in demselben Masse, in dem das Strukturbild abnimmt, wird das Farbenbild intensiver und schärfer. Es muss daher wo möglich ein Beleuchtungs- kegel von so grosser Oefliiung zur Beleuchtung verwandt werden, dass die Dif- fraktionserscheinungen gänzlich zum Verschwinden gebracht werden. Ein In- strument, welches diesen Zweck vollständig erreicht, hat Koch in dem von Abbe angegebenen und von Zeiss angefertigten Beleuchtungsapparat gefunden. Derselbe besteht aus einer Linsenkombination, deren Brennprunkt nur einige Millimeter von der Frontlinse entfernt ist. Wenn die kombinierte Beleuchtungs- linse also in der Öffnung des Mikroskoptisches und zwar ein wenig tiefer als die Tischebene sich befindet, dann fällt der Brennpunkt mit dem zu beobachtenden Objekt zusammen und letzteres erhält in dieser Stellung die günstigste Beleuch- tung. Der Öflnungswinkel der ausfahrenden Strahlen ist so gross, dass die äussersten derselben in einer Wasserschicht fast IC gegen die Axe geneigt sind, der gesamte wirksame Lichtkegel demnach eine Öffnung von 120°, also eine grössere Öffnung als irgend ein anderer Kondensor besitzt. Die Lichtstrahlen werden dem Linsensystem durch einen Spiegel, der nur um einen festen Punkt in der Axe des Mikroskops drehbar ist, zugeführt. Zwischen Spiegel und Linse, nahe dem Brennpunkt des ersteren, befindet sich ein Träger für Blenden, die ausserdem seitlich und kreisförmig beweglich sind, so dass der beleuchtende Strahlenkegel in jeder beliebigen Weise verändert werden kann. Durch mehr oder weniger grosse Blendenöffnung wird auch die Öffnung des Strahlenkegels von der kleinsten bis zur grössten mit der Beleuchtungslinie überhaupt zu er- zielenden modifiziei't. Seitliche Verschiebung der Blendenöffnung giebt ohne Be- wegung des Spiegels schiefe Beleuchtung und mit Hilfe einer centralen Ab- biendung kann der mittlere Teil des Kegels ausgeschaltet werden. VllI, Photographische Abbildung von Bakterien. Die beste Wiedergabe der unter dem Mikroskop beobachteten Bilder liefert die Photographie. Die photographische Platte giebt ob- jektiv die Erscheinungsformen, wie sie auf sie wirken, wieder und besitzt daher den Wert eines Dokuments. Dabei ist die Schärfe der photographischen Bilder eine gi'össere, als diejenige der direkt auf unserer Netzhaut durch das Mikroskop entworfenen. Die lichtempfindliche Platte ist gewissermassen ein Auge, wel- ches nicht durch helles Licht geblendet wird, welches nicht bei der Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 35 546 Methoden zur Untersucliung der Mikroorganismen. anhaltenden Unterscheidung der geringsten Lichtunterschiede ermüdet und das nicht durch Glaskörpertrübungen oder andere Fehler behin- dert wird. Oft findet man auf dem Negativ, wenn das Bild nur scharf eingestellt gewesen war, feine Objekte, z. B. feinste Geisseifäden, welche man nachträglich nur mit äusserster Mühe und unter den günstigsten Beleuchtungsverhältnissen im Mikroskoj) erblicken kann. Das Photo- graphieren von mikroskopischen Präj)araten schärft daher auch das Auge des Mikroskopikers und zwingt ihn, seine Präparate so voll- kommen als möglich herzustellen, indem es auch die Fehler mit un- beirrter Redlichkeit wiederspiegelt. Die Demonstration von schwierigen Objekten vor Anderen, nament- lich des Mikroskopierens Unkundigen, ist kaum auf andere Weise als mit Hilfe von Photogrammen möglich. Auch bei der Vorführung und Erklärung mikroskopischer Objekte vor mehreren Personen gleich- zeitig, wo nicht von jedem einzelnen der Zuhörer, sondern nur von einem zur Zeit das Mikroskop benutzt werden kann, ist das Mikro- photogramm unentbehrlich. Gegenüber diesen grossen Vorzügen, auf welche zuerst R. Koch, der erste Darsteller von Bakterienphotogrammen, hingewiesen hat, treten die Mängel, bestehend in der W^iedergabe nur einer Ebene eines räumlich sehr beschränkten Teiles des Präparats und in der Schwierigkeit der Technik, so in den Hintergrund, dass die photogra- phische Darstellung von Bakterienpräparaten ein sehr wichtiger, not- wendiger Bestandtheil der Untersuchungsmethoden geworden ist. Zur Herstellung von Mikrophotogrammen benutzt man am besten den allen Anforderungen der neueren Technik Rechnung tragenden, in Fig. 15 wiedergegebenen mikrophotographischen Apparat von Zeiss (Jena), bestehend aus drei Teilen: der Beleuchtungsvorrichtung, dem Mikroskop mit Zubehör und der Kamera. Die drei Teile sind hinter- einander horizontal angeordnet und zweckmässig mit einander verbunden. Die Aufstellung des ganzen Apparates hat am besten im Erdgeschoss des Gebäudes auf eingemauerten Pfeilern stattzufinden, damit die Erschütte- rung während der Expositionszeit eine möglichst geringe ist. Die beste Lichtquelle bietet Sonnenlicht, das vermittelst eines Heliostaten aufge- fangen wird. Einen Ersatz für das Sonnenlicht hat man inCirkonlicht. Die Lichtquelle und der Abbe 'sehe Beleuchtungsapparat müssen so zu ein- ander gestellt sein, dass in der zu photographierenden Ebene des Objekts ein scharfes Bild der Lichtquelle entsteht, so dass keine Diflfraktionsräume auftreten können. Es sind zu diesem Zwecke Mikrometerschrauben an dem Abbe 'sehen Beleuchtungsapparat angebracht, vermöge deren eine genaue „Centrierung" desselben sowie der Objektivlinsen möglich ist. Die Objektivsysteme des Mikroskops sind so konstruiert, dass nur bei KoLLE, Methoden zur üutevsuckung der Mikroorganismeu. 547 einer bestimmten Brennweite (meist 160 mm) ein scharfes Bild des Objekts aufgefangen wird. Damit auch bei stärkeren Vergrösseruno-en, wobei der auffangende Schirm vom Übjek-tiv entfernt wii-d, ein scharfes Bild auf der lichtempfindlichen Platte erscheint, ist die Einschaltung 35* 548 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. von sog. Projektionsokularen zwischen Objektiv ^^ncl Platte not- wendig. Man kann ungefärbte und gefärbte Objekte zur Darstellung bringen. Die mit Fuchsin, Methylenblau oder Methyl violett gefärbten Präpa- rate werden unter Anwendung eines grünen Lichtfilters (Zettnow, C.IV. 2. 1888) auf orthochromatischen, d. h. mit Erythrosin durchtränk- ten Platten photographiert. Bei der photographischen Aufnahme ungefärbter Präparate verwendet man, schon um die Wärmestrahlen auszuschliessen, Kupferoxyd-Ammoniakfilter. Es genügen dann ge- wöhnliche Bromsilbergelatineplatten. Jeder, der Mikrophotogramme herstellen will, muss das gewöhn- liche photographische Verfahren sicher beherrschen. Die speziellen mikrophotographischen Methoden bieten aber in Einzelheiten noch viel Schwierigkeiten und erfordern ein genaues Studium. Wer sich daher eingehender über Mikrophotographie informieren will, findet in dem trefflichen Werke von R. Neühauss (Anleitung zur Mikrophoto- graphie. Braunschweig 1890) die beste Belehrung. Als Muster vor- züglicher Photogramme sollen die Mikrophotogramme R. Koch's in Cohn's Beitr. Bd. 2 und in den Mittheilungen aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt Bd. 1, sowie diejenigen von R. Pfeiffer und C. FsÄn- KEL in ihrem mikrophotographischen Atlas der Bakterienkunde nicht unerwähnt bleiben. Das eingehendere Studium derselben mit Hilfe der Lupe wird nicht nur für den Bakteriologen von Fach, sondern auch für alle, die selbst nicht oder wenig bakteriologisch arbeiten, empfeh- lenswerth und nutzbringend sein. IX. Zur Differentialdiagnose der Bakterien. Eine Verwechselung von Spaltpilzen, namentlich von Mikro- kokken, ist möglich mit Kerndetritus, der aber ungleich grosse und nicht regelmässig gruppierte Körnchen zeigt; ferner findet man zu- weilen kleine Tröpfchen oder Kügelchen, die sich mit kernfärbenden Mitteln fingieren und deren Zugehörigkeit noch zweifelhaft ist. Namentlich leicht ist aber eine Verwechselung möglich mit den Ehr- lich'sehen Mastzellen (Plasmazellen, granulierte Zellen), die sich ausserordentlich verbreitet finden und bei den verschiedensten patho- logischen Prozessen an Zahl erheblich zunehmen. Die gleichmässig runden Körnchen dieser Zellen werden meist ebenso oder in ganz ähnlicher Nuance wie die Spaltpilze gefärbt; eine Unterscheidung zwischen beiden ist oft nur durch die Lagerungsverhältnisse imd namentlich dadurch möglich, dass eben bei den Mastzellen die fingier- ten Körnchen stets zu zellenähnlichen Gebilden gruppiert sind. — Handelt es sich darum, jede Verwechselung mit thierischen Gewebs- KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 549 theilen auszuschliessen, so kann noch ein besonderes Verfahren zur Anwendung gelangen. Werden nämlich nach der Anilinfärbimg die Schnitte anstatt mit Essigsäure oder Alkohol mit einer schwachen Lösung von kohlensaurem Kali behandelt, dann verlieren auch die Kerne und Plasmazellen, überhaupt alles thierische Gewebe, den Farb- stoff wieder, und die Spaltpilze bleiben ganz allein gefärbt (Koch). B. Die künstliche Kultur der Mikroorganismen. Zum näheren Studium der Eigenschaften aufgefundener Mikro- organismen ist deren künstliche Züchtung durchaus erforderlich. I. Gefässe für die Kultivierung. Als G e f ä s s e 1) benutzt man für diesen Zweck am häufigsten dickwan- dige Reagensgläser oder Kolben verschiedener Grösse, am besten sogenannte ERLENMEYER'sche (Fig. 16) mit flachem Boden, oder Glasschalen von ca. 12 cm Durchmesser und mit 1 — 2 cm hohen senkrechten Wan- Fig. 16. Fig. 17. düngen (sog. PETEi'sche Schalen, hauptsächlich bei der Plattenmethode [s.u.] gebraucht) (Fig. 17). Für manche Fälle, wo man auf grösseren Oberflächen Kulturen erzielen will, z. B. bei Massenkulturen, sind flachere, ähnliche Schalen mit 2 parallelen ebenen Flächen zu empfehlen. Am ovalen Halse dieser 16: 18 cm grossen Schalen, die mit Wattepfropfen verschlossen wer- den, ist ein vorspringender Falz vorhanden, um das in den Schalen befind- 1) Die nähere Beschreibung der zur Kultur von Bakterien erforderlichen Apparate und Utensilien ist aus den Spezialkatalogen der Firmen zu entnehmen, von welchen alle diese Artikel bezogen werden können. Empfohlen sei vor allem : F. u. M. Lautenschläger, Berlin NW. 550 Methoden zur Untersucbung der Mikroorganismen. liehe Nährmedium beim Erstarren vor dem Ausfliessen aus den horizontal liegenden Schalen zu verhindern (Kolle) (Fig. 18). Als pilzdichten Verschluss wählt man für alle Gefässe einen Wattepfropfen, der ca. 3 cm lang in den Hals der Gefässe hineinragt und oben 1 cm hoch Fig. lö. Übersteht; derselbe soll nicht zu fest an den Wandungen anliegen, damit nicht durch Furchen der kompakten Masse durchlässige Kanäle her- gestellt werden. Von Pasteue sind kleine Kölbchen (matras) eingeführt, auf deren Hals zunächst ein kleiner Helm (Fig. 19) aufgeschliffen ist, und erst dieser Helm trägt einen Wattepfropf (a). Diese Kölbchen sind namentlich geeignet für Kulturflüssigkeiten, von denen häufiger abgeimpft werden soll; man braucht dann nicht den Wattepfropfen mit seinen anhängenden Staubteilchen abzunehmen, sondern hebt eventuell den Helm ab. — Für gewöhnlich sind jedoch diese Vorsichtsmassregeln völlig überflüssig; bei einer wiederholten Öffnung der Kulturgläser genügt es, den nach aussen vorstehenden Fig. 19. sengen, um seitigen. und eventuell staubhaltigen Teil des Wattepfropfens in der Flamme eines Bunsenbrenners leicht abzu- die Gefahr hineinfallender Keime fast völlig zu be- ll. Die Nährsubstrate. a) Allgemeines. Die Zusammensetzung derselben muss entsprechend dem oben über die Lebensbedingungen der niederen Pilze gesagten vor allem die nötigen Nährstoffe, C-haltige, N-haltige Stoffe und Mineralsub- stanzen, enthalten; dabei hängt die Güte der Nährlösung ab von der Nährtüchtigkeit der gewählten Stoffe, ferner davon, ob ihre vorhandene Menge sich dem Koncentrationsoptimum möglichst nähert, ob die Re- KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 55 1 aktion dem betreffenden Pilze zusagt, ob und in welcher Menge Sauer- stoff zugegen ist u. s. w. Will man Schimmelpilze züchten und gegen das Eindringen von Spaltpilzen schützen, so ist vor allem der Wassergehalt gering, das Substrat also fest und die Reaktion stark sauer zu wählen; für Spross- pilze bieten Flüssigkeiten mit nicht so stark, aber doch noch energisch saurer Reaktion und reichlichem Zuckergehalt die günstigsten Be- dingungen; für Spaltpilze sind neutrale oder alkalische, wasserreiche Substrate am geeignetsten. Als Nährböden wählt man für Schimmelpilze Dekokte von getrockneten Pflaumen und Rosinen, Dekokte von frischem Mist von Pflanzenfressern, Ab- kochung von Hefe mit starkem Zuckerzusatz , ausgestrichenen Mist von Pflanzen- fressern, Scheiben von ungesäuertem Brot, das noch mit verschiedenen Dekokten gedüngt wird, Brotbrei u. s.w. Die Ansäuerung der Substrate, wenn diese noch nicht hinreichend sauer reagieren, erfolgt mit Weinsäure (je nach der Koncen- tration der Nährlösung 2 — 5 %) oder Phosphorsäure (V2 — 1 %)• — Für Sprosspilze wählt man Malzdekokt, Bierwürze, Most oder eines der oben ge- nannten Dekokte mit Traubenzuckerlösung versetzt. Von historischem Interesse sind die von Pasteur, Cöhn und Nägeli für Spaltpilze angegebenen rein künstlichen Nährlösungen. Die Zusammensetzung derselben soll hier kurz angegeben werden, weil in neuester Zeit (s. u.) für die Züchtung pathogener Bakterien künst- liche Nährböden Verwendung gefunden haben, bei deren Herstellung von den Lösungen der drei genannten Autoren ausgegangen wurde. Pasteur's Nährlösung bestand aus 100 Teilen Wasser, 10 Teilen Kandis- zucker, 1 Teil weinsauren Ammon und Asche von 1 Teil Hefe, deren Gewicht etwa 0,075 der Mischung beträgt. Cohk wählte folgende Zusammensetzung: 0,1 gr phosphorsaures Kali, 0,1 gr krystallisierte schwefelsaure Magnesia, 0,01 gr dreibasisch phosphor sauren Kalk, 20 gr destilliertes Wasser, 0,2 gr weinsaures Ammon. — Diese und ähnliche Nährlösungen litten an verschiedenen, von Nagelt auf- gedeckten Fehlern. Nägeli empfahl auf Grund seiner zahlreichen Experimente über den Ernährungsmechanismus der niederen Pilze folgende Lösungen als Normal- flüssigkeiten für Spaltpilze (aus denen durch Zusatz von Zucker und Säure leicht solche für Schimmel- und Sprosspilze hergestellt werden können): 1. Wasser 100 ccm, weinsaures Ammon Igr, Dikaliumphosphat (K2HPO4) 0,1 gr, Magnesiumsulfat (MgS04) 0,02 gr, Calciumchlorid (CaCla) 0,01 gr. Statt des weinsauren Ammons kann auch essigsaures, milchsaures Ammon u. s. w. oder auch Asparagin, Leucin gewählt werden. 2. Wasser 100 ccm, Eiweisspepton oder lösliches Eiweiss 1 gr, K2HPO4 0,2 gr, MgS04 0,04 gr, CaCl, 0,02 gr. 3. Wasser 100 ccm, Rohrzucker 3 gr, weinsaures Ammon 1 gr, MineralstofFe wie in 2. 552 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. Alle diese Nährsubstrate sind für die Züchtung der pathogenen Bakterien mehr oder weniger ungeeignet. Die Krankheitserreger verlangen offenbar stets gewisse Mengen von Eiweiss und Pepton, eventuell auch Zucker und sind gegen Abweichungen der Nährsub- strate sehr empfindlich. Für die meisten Arten müssen die günstigsten, in engen Grenzen schwankenden Nährbedingungen speziell ausprobiert werden. Am besten geeignet sind folgende Nährlösungen: Fleischinfus (in derselben "Weise wie zur Herstellung der Nährgelatine bereitet), Fleisch- infus mit 1 ^Iq Pepton und 2 •'/'o Dextrose, Fleischextraktlösung (LiEBia's Fleischextrakt 1 pro Mille) mit Pepton und Dextrose, Milch, Molke, Blutserum. Ferner eine Reihe von fest weichen Nährsubstraten: Mischungen der Nährlösungen mit erstarrenden Agentien, Gelatine oder Agar, eventuell mit Blut bestrichen, z. B. als Blutagar (R. Pfeiffer) oder mit Zusatz verschiedener Chemikalien, z. B. Glycerin als Glycerin- agar, erstarrtes Blutserum, gekochte Kartoffeln. Sämtliche Nährsub- strate müssen neutralisiert werden, bis schwach alkalische Reaktion vorhanden ist; bei stark saurer Reaktion der Substrate geschieht dies mit koncentrierter wässriger Sodalösung, welche man so lange zusetzt, bis rotes Lakmüspapier ausgesprochen blaue Farbe zeigt. Bei geringerem Säureüberschuss des Substrats wird von manchen Autoren die Alkali- sierung mit Dinatriumphosphat empfohlen. b) Künstliche Nährlösungen für die pathogenen Bakterien. In ähnlicher Weise, wie von Pasteur, Cohn, Nägeli für die saprophytischen Spaltpilze, sind auch für die pathogenen Bakterien rein künstliche Nährlösungen angegeben. Zuerst hat üschinsky (C. IV. 10) einen eiweissfreien Nähr- boden empfohlen, in dem enthalten waren: Wasser 1000, Glycerin 40 — 50, Chlomatrium 5 — 7, Chlorcalcium 0,1, Magnesiumsulfat 0,2, Dikaliumphosphat 1,0, Ammonium lacticum. In etwas abweichender Weise hat Maassen (K. A.) einen eiweissfreien Nährboden zusammengesetzt, auf dem vor allem der Choleravibrio gut wächst. Maassen's Nährlösung besteht aus: 7 gr Äpfelsäure, 10 gr Asparagin, 0,4 gr Magnesiumsulfat, 2,0 gr sekundärem Natriumphosphat, 2,5 gr krystallisierter reiner Soda und 0,01 gr trockenem Calciumchlorid auf 1000,0 Wasser und einem Kohlehydrat, z. B. Traubenzucker Yj — 1 %. In beiden Nährlösungen entstehen beim Erhitzen Niederschläge, wodurch nicht nur die Nährkraft der Lösung, sondern auch ihre Brauchl;)arkeit für Kultur- zwecke beeinträchtigt wird. Während die angegebenen Nährböden rein empirisch zusammengestellt sind, haben neuerdings Proskauer und Beck (Z. XVIII) in systematischer Weise nach Art der agrikulturchemischen Bestimmungen eiweiss- und peptonfreie Nährböden zu- sammengestellt, in denen nur die für eine Bakterienart unbedingt notwendigen Stoffe, und zwar nur in der für eine bestimmte Wachstumszeit notwendigen Menge vorhanden waren. Bei Unter.suchungen über die Entwicklung der Tuberkelbacillen KüLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 553 fanden die genannten Forscher z. B., dass diese Bakterien Phosphate, Magnesium- salze, Alkali (Natrium oder Kalium), Schwefel, gewisse N-haltige Verbindungen (haupt- sächlich Amidosäuren und Ammoniumsalze) und Glycerin in bestimmten Mengen zum Wachstum gebrauchen. C. Fränkel (R. IV. 1894) hat nach denselben Prin- zipien zusammengesetzte Nährböden für Cholera-, Eotz-, Milzbrandbakterien und Streptokokken angegeben. Für das nähere Stii- dium der Chemie der Bakterienzelle und der von ihr gelieferten Gift- stoffe ist die Züchtung der Bakterien, vor allem der pathogenen, in die- sen künstlichen Nährlö- sungen von hoher Be- deutung. Während nämlich bei der chemischen Be- handlung von Bakterien- kulturen in Bouillon, Pepton u.'s. w. die in die- sen Nährsubstraten ent- haltenen Eiweisskörper mit in die Niederschläge gehen und die Reindar- stellung, der wirksamen Substanzen erschweren, wenn nicht unmöglich machen, ist bei Benutzung der künstlichen Nährlö- sungen zur Kultur die Möglichkeit vorhanden, die wirksamen Substan- zen der Bakterien zu iso- lieren und chemisch rein darzustellen. Alle Nährsubstrate und Gefässe müssen vor der Verwendung zur Kultur gründlich sterilisiert, d. h. von lebensfähigen Keimen befreit sein. Dies wird erreicht durch Erhitzen der Gefässe (Probierröhrchen Fig. 20.') 1) Die zu dieser Figur, sowie den meisten folgenden benutzten Cliches ver- danke ich der Liebenswürdigkeit der Firma Lautenschläger. 554 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. mit Wattepfropf u. s. w.) im kupfernen oder eisernen Trockenschrank auf 150 — ISO^ C. während 1 Stunde; die Watte wird dabei schwach ge- bräunt: die Temperaturen pflegen an den verschiedenen Stellen der Ofen sehr ungleich zu sein, und es ist daher auszuprobieren, in welcher Weise die richtige Erhitzung und Verfärbung der Watte zustande kommt. Am besten eignen sich Apparate, wie sie beifolgende Fig. 20 Fig. 21. Fig. 22. zeigt. In dem zwischen beiden Wänden des Kastens befindlichen Hohl- raum führen die Röhrchen a, b, c, d, e, f die kalte Luft nach unten zum Brenner, der keine andere Luftzufuhr hat. Es findet dabei eine Vor- wärmung der Luft statt, so dass in kurzer Zeit schon hohe Temperaturen (200*^ C.) en-eicht werden können, mit gleichmässiger Verteilung der KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 555 Wärme. Grössere Schalen werden mit Sublimatlösung (1 : 2(J00) aus- gespült, danach wiederholt mit durch Kochen sterilisiertem destillierten Wasser resp. mit absolutem Alkohol. — Das Einfüllen der Nähr- substrate in die Reagensgläser muss so geschehen, dass die Wandung des Glases nicht benetzt wird; es würde sonst der zum Verschluss dienende Wattepfropf leicht anhaften. Sehr zu empfehlen ist eine Abfüllvorrichtung, und zwar, wenn man gleich die Mengenverhältnisse berücksichtigen will, einTßESKOw'sch er Fülltrichter (Fig. 21). An dem- selben befindet sich unten ein mit rechtwinkliger Bohrung versehener Hahn, von dem ein kleines Messrohr L-förmig nach oben abgeht. In das Messrohr strömt bei der ersten Drehung des Hahns das Nähr- material ein^ während bei der zweiten Drehung die nunmehr abgemessene Flüssigkeitsmenge in ein untergehaltenes Gefäss abfliesst. — Die Nähr- substrate werden, nachdem sie in die sterilisierten Gefässe eingefüllt sind, durch Kochen im Dampfofen von Keimen befreit; sie bleiben 15 Minuten im strömenden Dampf, dann bis zum nächsten Tag bei 15 — 20*^ C, so dass etwa lebend gebliebene Sporen auskeimen können; man wiederholt am zweiten Tag die 5 Minuten dauernde Erhitzung i^nd am dritten Tag abermals (Fig. 22). — Bei Blutserum, das klar und durchsichtig erhalten werden soll, verwendet man nur Temperaturen von 55 — 60 ^ und wiederholt deren mehrstündige Einwirkung an 5 — 6 Tagen. ni. Besondere Vorschriften für die Bereitung einiger Nähr- substrate. Kartoffeln. Geschälte Kartoffeln werden für V2 Stunde inSublimat- lösung eingelegt, um die resistenten Sporen in den anhaftenden Erdpar- tikelchen zu töten; dann werden sie mit sterilisiertem Wasser abgespült imd entweder Scheiben aus ihnen geschnitten, welche in kleine Doppel- schälchen gelegt werden, oder mit einem Kartofifelbohrer (nach Keal) aus den Kartoffeln kleine Cylinder hergestellt, welche man schräg durchteilt und in Reagensgläser bringt. Die Schälchen und Reagens- gläser mit den Kartoffeln werden dann an 3 auf einander folgenden Tagen je 1 Stunde im Dampfkochtopf sterilisiert. Nährbouillon, Nährgelatine und Agar-Agar. 1 Kilo gutes, fettfreies Rindfleisch wird gehackt und mit 2 Liter Wasser übergössen; nach 24 stündigem Stehen bei 15 — 20 ^ C. wird die Flüssigkeit abgeseit und der Rückstand gut ausgepresst. Das Infus wird in Kolben verteilt und 1 Stunde im Dampfofen gekocht, dann filtriert. Um eine Nährlösung zu erhalten, fügt man zum Filtrat 1 % Pepton, ^2 ^0 Kochsalz und neutralisiert mit Sodalösung; dann wird nochmals aufgekocht, filtriert, in die Kulturgefässe eingefüllt und diese im Dampfofen sterilisiert. — 556 Methoden zur Untersuchuucr der Mikroorganismen. Soll ein festes Substrat erhalten werden, so fügt man ausser Pepton und Kochsalz 5 — 10 % Gelatine oder 1 % Agar-Agar zu. Die Gelatine wird in der Wärme gelöst, dann wird die Mischung neutrali- siert, 10 Minuten in strömendem Dampf gekocht upd filtriert, eventuell unter Zuhilfenahme einesWärmetrichters (Fig. 23^)). Wird das Filtrat nicht klar, so muss nochmals aufgekocht oder vorher etwas Eier-Eiweiss zugefügt werden. Das klare Filtrat wird in die Reagensgläser oder Kölbchen eingegossen und in diesen an 3 Tagen je 5 Minuten im Dampfofen sterilisiert. — Die Agargemische müssen sehr lange, 10 — 12 Stunden, über freier, kleiner Flamme in fortdauerndem massigen Aufwallen erhalten werden unter unge- fährem Ersatz des verdunsteten Wassers; danach filtriert man im Wärmetrichter oder giesst in einen höheren Cylinder und hält diesen in warmem Wasser, bis Ab- setzen der Trübungen erfolgt ist; dann lässt man erstarren, schneidet den oberen geklärten Theil ab, löst denselben durch Siedhitze und verteilt ihn in die Kultur- gefässe; diese werden dann durch V^ stün- digen Aufenthalt im strömenden Dampf nochmals sterilisiert. Blutserum. Blut wird, wo möglich unter aseptischen Cautelen, in ein sterili- siertes Gefäss (grossen Champagnerkelch) aufgefangen und mit sterilisierter aufge- schliff'ener Glasplatte bedeckt; nach 48 Stunden pipettiert man das klare Serum direkt in die Kultargefässe und erhitzt in diesen auf 68 — 70 ^ C, bis das Serum erstarrt ist. Die nachfolgende Prüfung im Brütofen zeigt dann ge- wöhnlich, dass die grösste Zahl der Proben steril geblieben ist. — War die aseptische Entnahme des Blutes nicht möglich, dann muss zunächst Fig. 23. 1) Die Konstruktion der Heisswasser- oder Wärmetricliter ist, wie aus vor- stehender Figur ersicMlich ist, eine derartige, dass in einem mit Heisswasser ge- füllten Trichter sich der mit dem zu filtrierenden Nährmedium gefüllte Glastrichter befindet. Der Hals des Glastrichters durchsetzt den Hals des äusseren Trichters; zwischen beiden ist eine wasserdichte Stopfung. Das Wasser des Wännetrichters wird auf konstantem Niveau erhalten und durch Gasflämmchen. die an der Spitze des Trichters sich ])efinden, erwärmt. KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 557 durch diskontinuirliches Erhitzen auf 55 "^C. sterilisiert werden (s. oben). — Statt des Tötens der Keime kann man zuweilen auch die Befreiung der Nährsubstrate von denselben mittelst Filtration durch Kiesel- gurfilter versuchen (Bitter). Blutagar, zur Züchtung von Influenzabacillen hauptsächlich benutzt, wird nach R. PpEirFERs (Ätiologie der Influenza. Z. XIII) Vorschrift mit menschlichem Blut oder Taubenblut bereitet. Das erstere gewinnt man leicht aus dem mit Alkohol und Äther des- infizierten Ohrläppchen durch einen kleinen Schnitt und Auffangen der herausquellenden Tropfen mit der Platinöse, das letztere aus der grossen Flügelvene der Taube. Nach Desinfektion der Haut, von der die Federn entfernt sind, schneidet man die oberflächliche Vene an und lässt das Blut direkt in ein steriles Reagensglas fliessen. Das Blut wird auf der Oberfläche schräg in Röhrchen erstarrten Agars verstrichen. Um die Sterilität des so bereiteten Nährbodens zu kontrollieren, werden die Röhrchen vor der Benutzung einen Tag im Brütschrank bei 37 " C. gelassen. Deycke's Nährboden mit Alkalialbuminat. Einen Nähr- boden, dessen wesentlichste Nährstoffe ausser Pepton Alkalialbumi- nate sind, hat Deycke angegeben. Mehrere pathogene Bakterien wachsen auf demselben in üppigster, zum Teil charakteristischer Weise, so vor allem Vibrionen und nach einigen Angaben auch der Diphtheriebacillus. Bei der bakteriologischen Diagnose der betreffenden Bakterienkrankheiten kann der DEYCKE'sche Nährboden daher ge- gebenenfalls mit benutzt werden. Nach Deycke's Vorschrift (C. XVII) werden zur Herstellung des Sub- strats 1000 gr Fleisch mit 1200 ccm 3 proz. Kalilauge 24 Stunden digeriert. Die abfiltrierte klare, dunkelbraune Flüssigkeit wird vorsichtig mit reiner Salzsäure versetzt, bis ein Niederschlag entsteht. Die so aus- fallenden Albuminate werden auf einem Tuchfilter gesammelt und. mit wenig Flüssigkeit aufgerührt, deutlich alkalisch gemacht. Um eine Lösung derselben von bestimmtem Prozentgehalt herstellen zu können, wird der Trockengehalt bestimmt, oder die Flüssigkeit wird eingedampft und zu Pulver eingetrocknet. Am geeignetsten fand Deycke eine 2V2Pi'oz. Lösung derartiger Alkalialbuminate, der 1% Pepton, 1*^0 NaCl und Gelatine oder Agar zugesetzt werden. Petruschky's Molke. Zur Bestimmung, ob eine Bakterienart Säiire oder Alkali bildet und in welchem Grade, sowie für die da- durch mögliche Difi'erenzierung mancher Bakterienarten hat Pe- truschky eine neutrale Molke empfohlen, welche mit Lakmus gefärbt ist. Ihre Herstellung geschieht nach Petruschky (C. VIII) so, dass 1 Liter frischer Magermilch mit 1 Liter Wasser versetzt wird. Nach 558 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. kräftigem Schütteln wird bei einer entnommenen Probe, z. B. 10 ccm, festgestellt, wie viel von einer vorhandenen Salzsäurelösung be- stimmter Koncentration nöthig ist, um eben die Gerinnung der Milch herbeizuführen. Man berechnet danach ungefähr, welche Säuremenge zur Koagulierung der gesamten Flüssigkeit nötig ist und vermeidet so unter Umständen einen Ueberschuss von Säure, in dem sich Albuminate lösen. Man setzt die berechnete Säuremenge, nötigenfalls noch etwas mehr zur Milch zu, lässt die Koagulation er- folgen und filtriert. Dann wird das klare Filtrat genau neutralisiert und gekocht. Dabei tritt meist eine Trübung und saure Reaktion ein. Man filtriert daher wieder, kocht und neutralisiert von neuem genau. Dann wird Lakmuslösung zugesetzt, so dass die Molke eine vio- lette (amphotere Farbe) zeigt. Die PETEUSCHKT'sche Molke leistet vor allem bei der Differen- zierung des Typhusbacillus von den Kolonbakterien, namentlich den Alkalibildnern, sehr gute Dienste. Während der Typhusbacillus nach eintägigem Wachstum der leicht getrübten Molke eine himbeer- rote Farbe verliehen hat, ist durch das Wachstum der meisten Kolon- bakterien die Farbe der stark getrübten Molke eine ziegelrote. Al- kalibildner verändern die Farbe der Molke nicht oder erzeugen einen blauen Farbenton. Milch. Bei der Herstellung von Milch als Nährboden ist besonders die Abtötung der darin als Sporen enthaltenen Keime schwierig, welche meist sehr widerstandsfähig sind. Es empfiehlt sich daher, eine fraktio- nierte Sterilisierung der Milch an 4 aufeinander folgenden Tagen derart vorzunehmen, dass die Milch täglich eine Stunde im Dampf- kochtopf und in der Zwischenzeit wo möglich bei höherer Temperatur (20*^ C.) gelassen wird, damit etwaige Sporen auskeimen können. Bei dem öfteren Erhitzen bekommt die Milch, unbeschadet ihrer Brauch- barkeit zu Kulturzwecken, häufig eine bräunliche Farbe. Peptonlösung, 1 oder 2prozentige mit ^2% NaCl und mit einem Alkaligehalt von 10,2 %, auf festes Natriumkarbonat berechnet, ist für viele Bakterien ein gutes Nährsubstrat und wird vor allem bei dem KocH'schen Anreicherungsverfahren der Choleravibrionen und zur Anstel- lung der Cholerarot- Reaktion benutzt. Nicht jedes Peptonpräparat eig- net sich für den letzteren Zweck, als bestes Präparat ist das Peptonum siccum Witte zu empfehlen. Um den Grad der Alkalität bez. Acidität der zur Züchtung von Bakterien benutzten Nährböden ganz genau zu bestimmen, wie er für manche biologische oder biochemische Untersuchungen der Mikro- organismen notwendig sein kann, ist die Verwendung von Normal- lösungen am Platze. Unter Normallösungen versteht man bekannt- KoLLE, Methoden zur Untersucliuiig der Mikroorganismen. 559 lieh solche Lösungen, welche den chemischen Körper in dem seinem Molekular- oder Atomgewicht entsprechenden Verhältnis in 1 Liter Wasser enthalten, z. B. Salzsäure (HCl) ^= 36,5 gr oder Natriumkarbonat (Na2C03)=53 gr. Man giebt den Alkalitäts- oder Aciditätsgrad des Nährbodens in Prozenten der Normallösungen oder der aufs zehn- fache mit Wasser verdünnten Normallösungen (Vio normal), berechnet auf das Volumen des Nährbodens, an. Als Indikatoren benutzt man meist Lakmus und Phenolphtaleinlösung. Alle Nährsubstrate, die demnächst zur Kultur verwendet werden sollen, müssen endlich noch vor ihrer Benutzung auf Reinheit geprüft werden, dadurch dass man sie längere Zeit ev. bei höherer Tem- peratur (30 — 35*^) stehen lässt; in vollkommen sterilisierten Nähr- medien darf dabei keinerlei Veränderung vor sich gehen. Gegen Ver- dunstung sind die Substrate durch Ueberziehen von Gummikappen über den Wattepfropf zu schützen. — Mit Gelatine bereitete Nähr- böden dürfen einer Bruttemperatur von nur 20 — 25*^0. ausgesetzt werden, weil sie sich sonst verflüssigen; Agar-Agargemische und geronnenes Blutserum vertragen dagegen ein Erwärmen auf 35 — 39*^ C. IV. Brutschränke. Für die Herstellung der zur Züchtung der Mikroorganismen not- wendigen konstanten Temperaturen benutzt man die sog. Brutschränke oder Thermostaten, von denen in Fig. 24 ein Modell enthalten ist. Die- selben bestehen aus der Wärmequelle mit Thermoregulator, dem Wasserreservoir zur Konstanterhaltung der Temperatur, sowie drittens dem Binnenraum zur Aufnahme von Utensilien. Der für ein gutes Funktionieren eines Brutschrankes wichtigste Bestandteil ist der mit der Wärmequelle in Verbindung stehende Thermoregulator. Die Wärme- quelle, von Gas gespeist, ist mit einer Kocn'schen Sicherheitsvor- richtung (s. Fig. 25) versehen. Eine durch die brennende und wärme- ausstrahlende Flamme in Ausdehnung befindliche Feder verhindert ein Gewicht, welches beim Auslöschen der Flamme infolge von Windstoss etc., infolge Erkaltung der Feder sofort die weitere Gaszufuhr abschneidet, am Abfallen. Die Gaszufuhr für die brennende Flamme, welche gegen Luftzug durch einen Cy linder (C) möglichst geschützt ist, wird ver- mittelst des sog. The rmoregu lato rs geregelt. Man besitzt elektrische und Quecksilberregulatoren. Die ersteren erforden genaue technische Kenntnisse und fortwährende Beobachtung, so dass sie um so weniger für allgemeine Benutzung empfohlen werden können, als häufig Re- paraturen an ihnen vorzunehmen sind. Nur in den Fällen, wo es darauf ankommt, rasch hinter einander verschiedene Temperaturen ein- zustellen (oder bei ganz genauen Beobachtungen von Temperatur- 559 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. Schwankungen), sind die elektrischen den Quecksilberregulatoren vorzu- ziehen. Denn bei den letzteren ist die rein empirische, d. h. durch Fig. 24. Th = Thermoregulator. S = Sicherheitsilamme. T = Thermometer. B = Brütraum. Ausprobieren erfolgende Einstellung des Brutschrankes auf bestimmte Temperaturen oft erst innerhalb einiger Tage möglich. Die Konstruktion des bewährtesten Quecksilberregulators, der von der Firma F. u.M. Lauten- KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 561 Schläger konstruiert ist, lässt sich aus Fig. 26 erkennen. Das an einem Ende zugeschmolzene Grlasrohr g ist am oberen Ende mit dem Metall- kopf K versehen, in dem sich das gasdicht verschiebbare Rohr r mit Vor- richtung (f) zur Regulierung der Reserveflamme befindet. An der Seite des Rohres befindet sich die ÖÖnung b. Durch eine Scheide- wand c ist das Rohr G in zwei Hälften zerlegt, welche durch die oftene Spirale Sp mit einander kommunizieren. Die untere Hälfte enthält Fig. 25. Fig. 26. Quecksilber und Äther. Bei a ist die Einströmungsöflfnung für das Gas, bei b das Ausströmungsrohr. Findet nun durch die unter dem Brütapparat befindliche brennende Flamme, welche zunächst unter vollem Gasdruck brennt, eine Erwärmung der den Thermoregulator umgeben- den Wassermenge statt, so steigt infolge dessen das sich ausdehnende Quecksilber durch die Spirale Sp in den oberen Teil des Rohrs und gelangt schliesslich bis an den Schlitz d des Rohrs r, durch den das Gas in den oberen Teil von G einströmt, und verschliesst den- Fliigge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 3G 562 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. selben beim Steigen mehr imd mehr. Je nach der schon erreichten Höhe wird durch Verschieben des gasdicht verstellbaren Rohres r die Temperatur von dem Beobachter durch Senken oder Heben des Rohres reguliert. Es bildet sich dann gewissermassen ein Kreislauf. Je kleiner der Schlitz durch das steigende Quecksilber wird, desto weniger Gas kann bei b ausströmen. Dadurch brennt die Flamme kleiner, die Temperatur des Wassers (und damit das Quecksilber) sinkt; der Schlitz d wird infolgedessen wieder grösser, es strömt wieder mehr Gas bei b aus, die Flamme brennt grösser, die Temperatur des Wassers (und damit das Quecksilber) steigt, der Schlitz wird wieder kleiner u. s. f. Damit bei plötzlichem Steigen des Quecksilbers der Schlitz indessen nicht ganz verschlossen werden kann, ist eine Öffnung e an dem Rohr angebracht, durch welche Gas für die sog. Reserve- flamme strömt. Die Gaszufuhr für diese Reserveflamme, welche mög- lichst klein sein soll, ist durch eine Schraube regulierbar. Der zweite Hauptteil eines Brutschranks, das Wasserreservoir, ist in dem doppelwandigen, aus Kupferblech hergestellten Mantel, der aussen mit Linoleum versehen ist, enthalten. Es fasst ca. 60 bis 70 1 und ist mit einem Rohr (r) zur Ablesung des Wasserstandes sowie mit einer Vorrichtung zur Verteilung des durch die Flamme erwärmten Wassers versehen. Der Binnenraum zur Aufnahme der Gegenstände ist am besten in mehrere Etagen abgeteilt. Ein Thermometer, dessen Skala aussen ablesbar ist, ermöglicht die Kontrolle über den jeweiligen Stand der Temperatur im Brütraume. V. Die Beschickung der Nährböden. Das Übertragen der Pilze auf das sterilisierte Nährmedium erfolgt unter grösster Vorsicht durch Entnahme einer kleinen Probe des pilzhaltigen Materials mittelst geglühten Platindrahtes ^) und Über- führung derselben, unter kurzer Lüftung des Wattepfropfens, auf oder in das Nährsubstrat. Für manche Zwecke empfiehlt es sich, statt des Drahtes oder der Ose einen Pinsel zu benutzen, der aus sehr feinen Platindrähten besteht. Die Verteilung des Materials ist mit diesem sterilisierbaren Pinsel eine sehr gleichmässige. Bei dieser Übertragung ist der Zutritt von Luftkeimen niemals ganz ausgeschlossen; da aber die Gefahr, dass aus der Luft verunreinigende Keime sich niederlassen, 1) Den Platindraht schmilzt man sich in Glasstäbe vermittelst eines Glas- gebläses ein. Da namentlich der dickere Platindraht leicht aus dem Glasstabe sich loslöst, infolge von Abspringen des Glases beim Ausglühen, empfiehlt es sich, Aluminiumnadelhalter zu benutzen (s. Fig. 28). KOLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 5G3 überhaupt viel geringer ist als die, class an den benutzten Gegen- ständen Pilze haften, so erweist sich diese Fehlerquelle in praxi als nicht so bedeutend. Immerhin ist es geboten, in allen Fällen, wo es auf sichere Fortführung von Reinkulturen ankommt, für ruhige Luft im Zimmer, Vermeiden von Erschütterungen u. s. w. zu sorgen und eventuell den Fussboden und die Wände reichlich zu befeuchten. VI. Kulturmethoden. a) Kultur aerober Bakterien. Kulturen in kleinem Massstabe, auf hohlen Objektträgern oder in sogenannten Glaskammern, dienen namentlich dazu, die Ent- wicklungsstadien einer bereits rein gezüchteten Bakterienart zu verfolgen, ihre Schwärmfähigkeit festzustellen u. s. w. — Am einfachsten stellt man diese Kulturen dadurch her, dass man einen flachen und nicht zu 5 Fig. 27. grossen Tropfen Nährlösung auf ein sterilisiertes Deckglas bringt; letzteres fasst man mit geglühter Pinzette und legt es, den Tropfen nach abwärts, über die Höhlung eines hohl geschliffenen, sterilisierten Objektträgers. Rings um die Höhlung des letzteren hat man vorher eine kranzförmige Schicht von Vaselin aufgetragen, die von dem auf- gelegten Deckglas breit gedrückt wird und einen luftdichten Verschluss liefert (Fig. 27, a der hängende Tropfen, b die Vaselinschicht, die den Rand des Tropfens nicht berühren darf). Man kann die Entwicklung der Bakterien in dem Tropfen mit stärksten Systemen beobachten, ent- weder mit fixiertem Präparat und unter Anwendung eines heizbaren Objekttisches oder nach der Methode von VVatson Cheyne. Für die Entwicklung mancher Pilze ist eine Zufuhr von Luft not- wendig, die bei der beschriebenen Vorrichtung nicht stattfinden kann. Peazmowski hat für diesen Fall die Einrichtung getroffen, dass von 3G* 564 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. der feuchten Kammer eine kleine Rinne ins Freie führt, die nicht durch das Vaselin verschlossen wird. — Eine lange Beobachtungsdauer ge- statten diese feuchten Kammern nicht, weil der Verschluss mangelhaft ist und sich nach einigen Tagen Verunreinigungen, namentlich durch Schimmelpilze bemerklich machen. — Vollkommenere Vorrichtungen repräsentieren die Glaskammern von v. Recklinghausen und von Brefeld (Botan. Unters, über Schimmelpilze. Bd. IV. 1881). Die letzteren, die speziell für die Kultur von Schimmelpilzen und für die Beobachtung mit den stärksten Systemen konstruiert sind, bestehen aus einem engen Glasrohr, das in der Mitte zu einer von oben und unten bis fast zur Berührung der Pole zu- sammengedrückten Kugel erweitert ist. Die Wan- dungen der Kammer haben nur Deckglasdicke und sind so flach, dass innen ein gleichmässig dünner Überzug von Flüssigkeiten aufs leichteste hergestellt werden kann. In solche vollkommen gereinigte und mit Äther und dann mit kochendem Wasser von an- haftendem Fett u. s. w. befreite Glaskammern wird dann die mit dem zu untersuchenden Pilz beschickte Nährlösung so eingesogen, dass sie die Innenwand der Kammer nur schwach überzieht, und dass auf der glatten, gleichmässig dünnen Fläche die Fixierung eines Keimes mit starken Systemen tagelang ohne Störung möglich ist. Kulturen in grösserem Massstabe werden entweder in flüssigen oder auf festen Nährsubstraten angelegt. Die letzteren sind zur Herstellung und Erhaltung reiner Kulturen bei weitem geeigneter, ebenso bieten sie das beste Mittel zur Isolierung einzelner Bakterien- arten aus einem Gemenge. Feste Nährmedien sind schon früher häufig benutzt worden, aber R. Koch hat dieselben erst in bewusster Absicht, um damit Reinkulturen zu erzielen, verwandt. — Während in Flüssig- keiten die ausgesäten und die zufällig hineingelangenden Organismen sich mit einander vermischen, so dass spärlicher entwickelte unter der grösseren Zahl rascher entwickelter Pilze kaum herauszuerkennen sind, bleiben auf einem festen Substrat die einzelnen Arten viel leichter isoliert. Impft man eine Bakterienart auf verschiedene Stellen eines festen Nährbodens, so bilden sich an jeder Impfstelle kleine, bald deutlich makroskopisch sichtbare Kolonien; siedeln sich nun zufällig auf demselben Nährboden fremde Spaltpilze an, so bilden diese ihrer- seits gesonderte Kolonien, die gewöhnlich mit den geimpften sich H Fig. 28. KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 565 nicht vermengen und sich durch Farbe, Form oder Konsistenz von jenen unterscheiden. Gerät aber auch etwa ein fremder Keim in eine der früheren Impfkolonien und vermehrt sich auf demselben Terrain, so wird sich meist schon das äussere Ansehen der Kolonie verändern, eventuell wird durch eine einfache mikroskopische Untersuchung fest- zustellen sein, ob an einer Stelle, die man zum Üb erimpfen auf einen neuen Nährboden wählen will, Verunreinigungen oder Bakterien nur von der einen Art sich finden. Ausschliesslich die völlig rein be- fundenen Stellen benutzt man zur zweiten Übertragung, und gerade in dieser Sicherheit, mit der das Material zu jeder weiteren Impfung ausgesucht werden kann, liegt ein wesentlicher Vorteil gegenüber den flüssigen Nährsubstraten. Wenn in letzteren einmal fremde Filze sich finden, so verbreiten sie sich im ganzen Medium, und es ist reiner Zufall, wenn bei der Überimpfung nicht auch einer der eingedrungenen Keime übertragen wird. Eine vorherige, an einer Probe ausgeführte Kontrolle mit dem Mikroskop bringt hier ofi'enbar nicht den entsprechen- den Vorteil; denn wenn die Untersuchung erst einmal fremde Keime erkennen lässt, so ist es sehr schwer, dann doch noch eine Reinkultur zu erzielen. Bei den festen Nährböden ist dagegen ein penibles Ver- meiden des Zutritts fremder Keime gar nicht erforderlich, denn hier gewährt die unter steter Kontrolle vorgenommene Auswahl der zum Abimpfen geeigneten Stelle dennoch Garantie für Reinheit der zweiten Kultur. Als solche feste Nährsubstrate sind z. B. schon Kartoffeln vor- züglich geeignet, noch zweckmässiger sind aber die durchsichtigen, mit Gelatine oder Agar bereiteten Nährsubstrate, auf welchen die meisten Bakterienarten in höchst charakteristischer Weise wachsen und welche eine sehr scharfe Unterscheidung der Kolonien nicht nur mit blossem Auge, sondern auch mit Hilfe des Mikroskops gestatten. Auf die wesentlichsten Differenzen der auf diesen Nährsubstraten her- gestellten Strich- und Stichkulturen ist bereits hingewiesen. Eine Gewinnung von getrennten Kolonien zur Isolierung der Bak- terien lässt sich auf verschiedene Weise aus einem Bakteriengemenge erreichen. R. Koch erzielte zuerst eine räumlich getrennte Entwick- lung der einzelnen Keime, und zwar je eines einzigen zu einer An- siedlung dadurch, dass er mit einer Platinöse, an der das bakterien- haltige Material haftete, eine Anzahl längerer Striche auf der Oberfläche erstarrter Gelatine zog. Wenngleich diese Methode nach der ursprüng- lichen Vorschrift Koch's für Gelatine kaum mehr angewandt wird, so darf sie doch als Prototyp für die Gewinnung isolierter Kolonien auf Agar nicht unerwähnt bleiben. Man zieht in der gleichen Weise Striche mit der Platinöse auf einem schräg erstarrten Agarröhrchen, 566 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. dann mit derselben Nadel noch auf mehreren Röhrchen, 4 — 5 nach einander. Während in den ersten beiden ßöhrchen, namentlich bei grossem Keimreichtum des Ausgangsmaterials, keine diskreten Kolo- nien sichtbar sind, sondern ein dem Impfstrich der Nadel entsprechen- der zusammenhängender Belag, erhält man auf den letzten Röhrchen nur getrennte Ansiedlungen, von welchen man leicht abimpfen kann. Statt der Agarröhrchen lassen sich mit Vorteil wegen der grossen Oberfläche auch Agarplatten verwenden. Dieselben stellt man sich in der Weise her, dass man Nähragar in PETRi'sche Schalen giesst und diese letzteren nach dem Erstarren des Agars dann 48 Stunden im Brütschrank bei 37 '^ C. lässt. Während dieser Zeit verdunstet das von dem Agar nach dem Eingiessen in die Schalen ausgepresste Kondens- wasser, und zugleich wird die Sterilität des Nährbodens kontrolliert. Gelatineplattenmethode. Für viele Zwecke bakteriologischer Arbeiten ist eine Entwicklung cfer Keime in isolierten Kolonien vermittelst des sog. Gelatineplatten- verfahrens unentbehrlich. Für manche in Gelatine bei niedrigen Tem- peraturen wachsende Bakterien ist dasselbe besonders deshalb sehr empfehlenswert, weil neben der Isolierung auch eine Erkennung vieler Bakterienarten durch ihr charakteristisches Wachstum leicht gelingt. Ferner ist das Gelatineplattenverfahreu zur Zählung der Keime (s. u.) unentbehrlich. Das Prinzip des sog. Plattenverfahrens besteht darin, dass man zunächst das zu untersuchende Material mit der flüssigen Gelatine mengt, und zwar in verschiedenen V^erdünnungen; und dass man dann die mit den gut verteilten Keimen beladene Gelatine auf grösseren Flächen ausgiesst und erstarren lässt. Es wird dann offen- bar jeder einzelne der suspendierten Keime an einer bestimmten Stelle fixiert, und wenn die Aussat nicht zu dicht war, entwickeln sich aus den einzelnen Keimen räumlich getrennte Kolonien, deren charakteri- stisches Verhalten unter dem Mikroskop sich bestimmen lässt und von denen man, eventuell unter Kontrolle des Mikroskops, abimpfen kann. Das Gelatineplattenverfahren rührt von R. Koch her. Obwohl das ursprüngliche KocH'sche Plattenverfahren heutzutage nur noch selten angewandt wird, so soll es doch der historischen Bedeutung wegen sowie deshalb, weil die Modifikation desselben mit PETEi'schen Schalen noch jetzt eine der gebräuchlichsten Methoden bildet, hier ausführlich beschrieben werden. R. KoCH verwandte oblonge Glasplatten von etwa 8—12 cm Länge und 6—8 cm Breite, welche bei 180 ^ C. in grösserer Zahl sterilisiert und in bedeckter Schale aufbewahrt wurden; zum Ge- brauch nimmt man immer die oberste Platte ab, bringt aber die Ge- latine demnächst auf die der folgenden Platte zugekehrt gewesene KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 567 Fläche. Man verwendet gewöhnlich 3 Platten, deren jede man auf einen mit grösserer Glasplatte bedeckten Nivellierständer legt, welcher vorher mittelst Dosenlibelle horizontal eingestellt ist (Fig. 29). Im warmen Zimmer schaltet man zwischen Nivellierständer und grosse Glasplatte zweckmässig noch eine Schale mit kaltem (eishaltigem) Wasser ein. Auf die somit genau horizontal gelagerten Platten giesst man sodann die Mischung von Nährgelatine und Untersuchungsmaterial, indem man gleichzeitig mit einem vorher geglühten Glasstab die Gelatine auf der Platte gleichmässig verteilt. An den beiden Schmalseiten der Platte lässt man einen Streifen von ca. 1'.2 cm Breite frei; auf diese Stellen werden sterilisierte Glas- klötzchen gelegt (und mit einigen Tropfen Ge- latine fixiert), die dem- nächst ein Aufeinander- schichten der Platten gestatten. Bis die Ge- latine völlig erstarrt ist, werden die Platten mit einer Glasglocke bedeckt gehalten; nach 10 — 15 Minuten kann man sie in eine Glasschale trans- portieren, in welcher 4 — 6 Platten über einander Platz finden. Die Schale und der übergreifende Deckel derselben sind mit im Dampfofen ste- rilisiertem und befeuch- tetem Filtrierpapier aus- gekleidet. In diesen Schalen kommen die Platten in den auf etwa 22" C. eingestellten Brütofen und werden in Pausen von 12 bis 24 Stun- den revidiert, anfangs ohne die Schale zu öffnen, später indem man die Platten mit 80 — lOOfacher Yergrösserung besichtigt. Um mit Sicherheit bei dem Plattenverfahren getrennte Kolonien zu erzielen, bereitet man sich Mischungen der Gelatine und des Ausgangs- materials in verschiedener Koncentration, sogenannte Verdünnungen (eine erste und eine zweite.) Man nimmt zu dem Zweck 3 Reagens- gläser mit je 8 — 10 ccm Nährgelatine Inhalt und verflüssigt in allen 3 Gläsern die Gelatine durch Eintauchen in 40" C. warmes Wasser. Dann fügt man dem ersten Glas eine kleine Probe des Untersuchungs- Fig. 29. 568 Methoden zur Untersuchiing der Mikroorganismen. materials zu, mischt langsam, aber sorgfältig; nimmt dann von dieser Mischung 10 Platindrahtösen in das zweite Glas mit verflüssigter Ge- latine, mischt wieder und bringt aus diesem Glase 10 Ösen in das dritte Glas und verteilt sie gleichmässig darin. . Bei Einhaltung der beschriebenen 3 Verdünnungsstufen wird fast stets eine der 3 Platten brauchbar, d. h. sie enthält einzelne, gut unter- scheidbare und zählbare Kolonien. Gerade beim Nachweis der patho- genen Bakterien und ihrer Züchtung aus Bakteriengemischen ist die Gefahr besonders gross, dass durch zu grosse Keimzahl die meist lang- sam wachsenden Krankheitserreger von schnell wachsenden Saprophyten überwuchert werden. Andererseits darf eine Platte aber auch nicht zu wenig Keime enthalten, bei denen es zweifelhaft bleiben könnte, ob dieselben durch zufällige Verunreinigungen, Luftkeime u. s. w. ent- standen sind. Die wichtigste Modifikation des Kocn'schen Plattenverfahrens rührt von R. Petei her, welcher anstatt der Platten runde Glasschalen von ca. 12 cm Durchmesser mit 1 — 2 cm hohem Rande und übergreifendem Deckel benutzt. Die in die Platten ausgegossene Gelatine wird zum Erstarren gebracht, indem man die Schalen auf den Kocn'schen Plattengiessapparat (Fig. 29) stellt. Die Handhabung der Schalen ist eine sehr bequeme. Zudem kann man jederzeit die sich entwickelnden Kolonien einer Besichtigung, auch mit dem Mikroskop ^^nterwerfen, ohne dass eine Verunreinigung auf die Gelatine gelangt. Trotzdem ist für manche Zwecke die An- wendung der KoCH'schen Glasplatten, allerdings solcher mit einer geringfügigen Abänderung versehenen, unentbehrlich, so namentlich für genaue Keimzählungen, bei grösserem Keimreichtum des Ausgangs- materials. Der Boden der PETEi'schen Schalen ist nämlich fast stets mit grösseren oder geringeren Unebenheiten versehen, so dass die er- starrte Gelatine eine ungleichmässig dicke Schicht bildet; zudem ist am Rande der Schale eine genaue Zählung der Kolonien nicht mög- lich; auch die Grundfläche der Schalen ist gewissen Schwankungen unterworfen. Bei Benutzung von Platten, bei welchen nach E. Pfuhl's Vorschlag durch einen Emaillerand eine Fläche von bestimmter Grösse abgegrenzt ist, vermeidet man alle diese Missstände. Keimzählung mittelst Plattenverfahrens. Für die Bearbeitung der verschiedensten Fragen ist es ausser- ordentlich wichtig, dass man mit Hilfe der auf der Platte gewachsenen Kolonien eine Zählung der in einem Pilzgemenge vorhandenen Bakterienindividuen erhalten kann; man muss dann nur darauf Bedacht nehmen, dass man einen bekannten, gemessenen Bruchteil des Unter- suchungsmaterials der Gelatine zufügt und muss die demnächst ge- KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 559 wachsenen Kolonien genau zählen. Letzteres gelingt auch bei dicht besäten Platten leicht mittelst quadrierter Glasplatte, am besten WoLrrHÜGEL's Zählnetz ; man zählt dann nur einen Teil der kleinen quadratischen Felder aus, nimmt von den so erhaltenen Ziffern das Mittel und multipliziert mit der Zahl der den Raum der Gelatine be- deckenden Quadrate (Fig. 30). Fig. 30. Auch mit Nähragar lassen sich solche Platten herstellen. Der- selbe wird in den Röhrchen zuerst durch Kochen verflüssigt, dann ab- gekühlt auf 40*^ C. (im Wasserbad); darauf wird das Material zugefügt und die Mischung auf Platten ausgegossen. Nur solcher Agar ist brauchbar, der bei 40*^ C. noch flüssig ist, bei 38 — 39'^C. aber schon erstarrt. Der Agar presst später auf den Platten leicht Wasser aus, und dadurch kommt es zuweilen zum nachträglichen Abgleiten der ganzen Masse vom Glase. Es ist deshalb wichtig, den Deckel der Schalen, in welchen die Agarplatten konserviert werden, mit trockenem Filterpapier aus- zukleiden; des ausgepresste Wasser verdunstet dann so rasch, dass es sich nicht zwischen Agar und Glasplatte ansammeln kann. Rollplatten nach v. Esmaech. Für manche praktische Zwecke ist eine Modifikation des Platten- verfahrens sehr brauchbar, die von Esmaech^) angegeben ist. Man benutzt weite Reagensgläser und ersetzt die Fläche der Platte durch die ungefähr ebensogrosse innere Wandfläche des Reagensglases; dies ist dadurch zu erreichen, dass man die verflüssigte und mit der zu untersuchenden Probe versetzte Gelatine bei horizontaler Haltung des Röhrchens unter fortgesetztem Rotieren und gleichzeitigem Ab- kühlen über die Wandungen des Röhrchens verteilt, so dass sie diese überall in gleichmässig dicker Schicht bedeckt. Am zweckmässigsten verschliesst man das Röhrchen mit einer Kautschukkappe, lässt das Röhrchen dann auf kaltem Wasser schwimmen und setzt es mit der 1) Z. 1. 1. 570 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. rechten Hand in leicht rotierende Bewegung, während die linke Hand das Röhrchen an der Mündung lose iimfasst hält und es in der wag- rechten Lage konserviert. — Zur Zählung der Kolonien kann man die äussere Fläche des Glases mit Tinte in grössere oder kleinere Felder abteilen. Ein besonderer Vorteil der Methode besteht darin, dass auch sehr langsam wachsende Bakterien bei dem pilz- und luftdichten Ver- schluss der Röhrchen noch zur Entwicklung kommen können. Das genaue Beobachten der einzelnen Kolonie und das Abimpfen ist schwie- riger als bei dem Plattenverfahren, das durch diese Modifikation auch nur in gewissen Notfällen der Praxis ersetzt werden soll. Kommt es auf eine möglichst vollständige Kenntnis aller in einem bakterienhaltigen Material vorhandenen Bakterienarten an, so sind die Nährbedingungen möglichst zu variieren. Namentlich ist ein Zusatz von Zucker, ferner der Grad der alkalischen Reaktion, die Temperatur und der Sauerstoffzutritt von Bedeutung; für zahlreiche Bakterien sind die Bedingungen zur künstlichen Kultur noch nicht aufgefunden und eine vielseitige Variierung der Kulturbedingungen ist daher durchaus wünschenswert. b) Kultur anearober Bakterien. Zur Kultur von anaeroben Bakterien eignen sich nach LiBOßiüS am besten hohe Schichten von Nähragar mit 2 ^'q Dextrosezusatz. Zu dem Zweck werden Reagensgläser in ca. 15 cm hoherSchicht mit dem Nährsubstrat gefüllt, und in der dann frisch aufgekochten, auf 40 ^ C. ab- gekühlten Masse wird das Untersuchungsmaterial verteilt; man erhält dann in den tieferen Schichten isolierte Kolonien der Anaeroben. Wenn man aus dem Nähragar, nach Zerschlagen des ihn umgebenden Rea- gensglases, dünne Scheiben mit einem sterilen Messer schneidet, kann man die Anaerobenkolonien unter dem Mikroskop näher beobachten, von ihnen abimpfen und so Reinkulturen herstellen. Das Wachstum der anaeroben Mikroorganismen findet in Nährböden mit hoher Schicht üppiger statt und lässt sich auch in Stichkulturen erzielen, wenn dem Nährsubstrat reduzierende Substanzen zugefügt werden. Vor allem hat sich für diese Zwecke der Zuckerzusatz zum Nährboden (Liboeius, Z. I) bewährt, während die Anwendung des ameisensauren Ammoniaks oder indigschwefelsauren Natrons, welche Substanzen Kitasato und Weyl (Z. VIII) vorgeschlagen haben, bereits allgemein wieder ver- lassen ist. Um die Anaeroben auf Platten, auf der Oberfläche fester Nähr- medien oder in Flüssigkeiten züchten zu können, ist es notwendig, für die zu züchtenden Mikroorganismen eine sauerstoffifreie Atmosphäre herzustellen. Das kann geschehen entweder durch mechanische Ent- KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 571 ferming der Luft mittelst der Luftpumpe oder durch Zufügung von Sauerstoff absorbierenden Stoffen zum Nährboden oder endlich durch Auswaschen des Sauerstoffes der Luft durch ein indifferentes Gas. Die erste Methode (Grubek, C. I; Nikifokoff, Z. VIII; VAN Senus, C. XII) ist relativ unsicher bei Züchtung streng anaerobiotischer Bakte- rien, da zu viel Sauerstoff im Nährboden ab- sorbiert bleibt. Bei Anwendung der an zweiter Stelle genannten Methode ist das Verfahren Buchnek's sehr vorteilhaft: das mit dem Kulturmaterial geimpfte Reagensröhrchen wird in einen Glascylinder gestellt, der eine Mischung von 1 gr Pyrogallussäure auf 10 ccm einer lOproz. Kalilauge enthält und durch einen Gummistopfen luftdicht abgeschlossen ist. Auch im hängenden Tropfen kann man eine Kultur von Anaeroben anlegen, indem man auf dem Grunde der Höhlung eines Ob- jektträgers je ein Tröpfchen Kalilauge und Pyrogallussäure zusammenfliessen lässt. Das beste und heutzutage wohl am meisten angewandte Verfahren für die anaerobio tische Züchtung der Mikroorganismen ist dasjenige des Ersatzes der Luft durch ein indifferentes Gas, und zwar durch V^asserstoffgas. Das aus einem Kipp'schen Apparat entnommene W^asserstoffgas lässt man, nachdem es zur Zurück- haltung von Säuredämpfen durch eine Flasche mit Jod-Jodkaliumlösung und zur Zurückhaltung von Sauerstoff durch eine zweite mit einer Mischung von Kalilauge und Pyrogallussäure geleitet ist, so lange durch die Kultur- gefässe strömen, bis keine Luft, sondern nur das eingeleitete Gas entweicht. Man erkennt das Entweichen reinen Wasserstoffgases am besten daran, dass das entweichende Gas, in einem Reagensglas unter Wasser aufge- fangen, ohne Knall verbrennt. Es ist eine ganze Anzahl verschiedenartig konstruierter Kulturgefässe für die anaerobiotische Züchtung angegeben. Sehr gut bewährt haben sich die Gläser von beistehender Form (Fig. 31), die bis an das seitliche Rohr mit Nähragar gefüllt werden; das Impf- material wird durch die obere Öffnung eingebracht, dann wird durch das seitliche Rohr ein anhaltender H-Strom geschickt, darauf bei a und schliesslich bei b zugeschmolzen. In solchen Gläsern kommen die exquisitesten Anaeroben zu üppiger Entwicklung. — Auch in ERLENMETERschen Kölbchen, die mit einem von 2 Glasröhrchen durch- 572 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. bohrten Gummipfropfen versehen sind, gelingt die Züchtung der Anae- roben, wenn man vermittelst der Glasröhrchen, deren eines in die Flüssigkeit taucht, Wasserstoff durch die Kölbchen leitet und nach Fis. 32. Verdrängung sämtlicher Luft die Röhrchen an ihren Enden zuschmilzt. In derselben Weise ist eine Anaerobenentwicklung auch auf der Ober- fläche schräg erstarrter Agarröhrchen möglich. Zur Kultur der bei Sauerstoffabschluss wachsen- den Mikroorganismen auf Platten (Gelatine oder Agar) wählt man entweder die in Figur 32 abgebildeten Kita- SATo'schen Schalen, die keiner Erläuterung bedürfen, oder den sog. BoTKiNschen Ap- parat (Fig. 33). Man kann sich diesen Apparat leicht selbst konstruieren, indem man in einer grossen Schale eine grosse Glasglocke auf der Unterlage eines Blei- kreuzes aufstellt, so dass ein Spalt zwischen dem Boden der Schale und dem unteren Rande der Glocke bleibt. Durch diesen Spalt wird ein gebogener Bleischlauch zur Einleitung des Wasserstoff- gases eingeführt. Zur Ab- sperrung des unter der Glocke sich ansammelnden Gases gegen die äussere Luft wird flüssiges Paraffin in die Schale gegossen. Unter der KoLLE, Methoden zur Uutersucbuug der Mikroorganismen. 573 Glocke werden auf einem Drahtgestell die geimpften Platten sowie eine Schale mit Pyrogallussäure und Kalilauge aufgestellt. Die bei Einleitung des Wasserstoffgases aus der Glocke verdrängte Luft wird durch ein U-förmig gebogenes Rohr abgeleitet, das man am Schluss der Gasfüllung zuschmilzt. Der ganze Apjiarat kann in den Brut- apparat gestellt werden. c) Isolierung in flüssigen Nährsubstraten. Des historischen Interesses wegen sollen hier noch einige Methoden zur Isolierung der Bakterien in flüssigen Nährsubstraten angegeben werden. Von Pasteur und seiner Schule sind derartige Methoden zur Erzielung von Reinkulturen der Bakterien früher viel angewandt, seit der Einführung der KocHSchen festweichen Nährböden in die Bakteriologie aber auch verlassen, weil sie zu unsicher, umständlich und schwierig in der Ausführung sind. Die Mängel der Methoden lassen sich am besten an der Methode der sog. fraktionierten Kultur (nach Klees) zeigen, welche darin besteht, dass man zu- nächst auf ein Kulturglas impft, hier die Bakterien aus wachsen lässt, von der ersten Kultur wieder eine kleine Menge auf neues Substrat überträgt, nochmals auswachsen lässt und so mit der Impfung durch eine Reihe von Kulturen fortfährt. Dabei bekommt man in der That allmählich reinere Kulturen und zwar von dem- oder denjenigen Pilzen, welche am raschesten sich unter den gegebenen Verhältnissen ver- mehren, während die Chancen immer geringer werden, dass auch von den langsamer wachsenden Pilzen Exemplare in die Impfproben ge- langen. Die Methode ist aber deshalb meistens nicht förderlich, weil gewöhnlich nicht die am schnellsten sich vermehrenden Pilze die inter- essierenden sind; man kann zwar durch Variierung der äusseren Ver- hältnisse, namentlich der Temperatur, bald diese, bald jene Arten eines Gemisches zu rascherem Wachstum bringen, aber dies Verfahren bleibt immer unsicher und langwierig, weil wir die günstigsten Wachstums- bedingungen für die verschiedenen Pilzarten zu wenig kennen. Weit besser ist das Prinzip der stärksten Verdünnung des Impfmaterials zum Zweck der Isolierung einer Pilzart. Dies Prinzip ist zuerst von Beeeeld, dann von Nägeli und Btjchner empfohlen und von Beeeeld z. B. auch zur Beschickung der oben beschriebenen, für mikroskopische Kulturen konstruierten feuchten Kammern befolgt. Man nimmt nach Beeeeld eine kleine Partie des Materials und mischt sie gleichförmig mit reinem sterilisierten Wasser; dabei treibt man die Verdünnung so weit, dass in einer mit einer lanzettförmigen Nadel- spitze herausgenommenen Probe nur ein Keim sich vorfindet. Hat 574 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. man sich durch mikroskopische Untersuchung davon überzeugt, dass dieser Bedingung Genüge geschehen ist, dann überträgt man je eine solche Probe auf ein Kulturglas und man hat dann die grössten Chancen, dass in einer grösseren Reihe solcher Gläser lediglich die Pilze sich entwickeln, die in solcher Zahl im Impfmaterial waren, dass ein Keim derselben in einem Tropfen vorhanden war. In einige Gläser werden freilich auch Exemplare von den in geringerer Menge im Impf- material verbreiteten Keimen gelangen. — Handelt es sich um die Isolierung von Schimmelpilzen, deren Sporen schwer zu sehen sind, so benutzt man zweckmässig statt des Wassers Nährlösung, lässt die Sporen in das Keimungsstadium kommen, sie dadurch grösser und leichter sichtbar werden, und nimmt dann erst die weitere Verdünnung (mit Kontrolle unter dem Mikroskop) vor. Für Spaltpilze ist aber die mikroskopische Untersuchung meist zwecklos, da die Sporen oder auch die ausgewachsenen Exemplare zu klein sind, um die Anwesenheit eines einzelnen Keimes in einem Tropfen zu konstatieren. Man kann hier für die weitere Verdünnung nur einen ganz ungefähren Anhaltspunkt durch das mikroskopische Bild ge- winnen. Ausserdem ist bei dem ganzen Verfahren vorausgesetzt, dass die interessierenden Pilze in relativ grosser Menge sich im Impfmaterial finden; in vielen Fällen, auch wo es sich um Isolierung pathogener Pilze handelt, wird diese Annahme vielleicht zutrejffen, wo aber Sapro- phyten verschiedener Art in grosser Überzahl sind, wird es wenig aus- sichtsvoll sein, auf diesem Wege zu einer vollkommenen Trennung zu gelangen. Die ganze Methode der Reinkultur muss notwendig erst an einigen Schulfällen erlernt werden; als solche empfehlen sich die Züchtung von Bac. prodigiosus auf Kartoffeln, Gelatinen u. s. w. bei verschiedenen Temperaturen; die Züchtung von Milzbrandbacillen auf Kartoffeln, Fleischinfuspepton-Gelatine, Blutserum und in flüssigen Substraten, ebenfalls bei verschiedenen Temperaturen durch zahlreiche Generationen hindurch, die Züchtung von Cholerabacillen auf den verschiedensten Nährmedien u. s. w. Wenn Jeder, der sich mit Bakterienkulturen be- fasst und namentlich an die Aufgabe der Isolierung pathogener Mikro- organismen sich heranwagt, vorher an diesen Schulfällen sein Können prüfen würde, dann würden sehr viele unreife und der Wissenschaft nicht förderliche Publikationen unterbleiben. KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 575 VII. Untersuchung der biologischen und pathogenen Eigen- schaften der Bakterien. Ist die Reinkultur eines Pilzes gelungen, dann handelt es sich noch um die Feststellung seiner biologischen und pathogenen Eigen-' Schäften. Es ist zu ermitteln, welche Nährstoffe und welche Temperatur sein Wachstum am meisten begünstigen, ob und in welchem Masse er auf Sauerstoffzufuhr angewiesen ist. Es ist ferner zu prüfen, ob er Gährung zu erregen vermag, und zu diesem Zweck sind der Reihe nach die wichtigsten gährfähigen Substanzen (Kohlehydrate, mehr- wertige Alkohole, Fettsäuren, Eiweissstoffe u. s. w.) nebst den not- wendigen sonstigen Nährstoffen und unter den sonstigen geeigneten Bedingungen in sog. Gährungs- röhrchen mit dem Pilz in Be- rührung zu bringen. Nicht nur für die Untersuchung der Mikro- organismen auf ihre Fähigkeit, in zuckerhaltigen Flüssigkeiten Gährung hervorzurufen, sondern auch um überhaupt festzustellen, ob dieselben Gas in flüssigen Nährmedien bilden, benutzt man diese Gährungsröhrchen. Als Haupttypen für die Form der- selben können die in Fig. 34 a u. b dargestellten Röhrchen gelten. Da ein Sterilisieren der in Fig. 34 dargestellten Röhrchen mit dem flüssigen Inhalt nicht möglich ist, weil dabei die kochende Flüssigkeit ausläuft, so muss man Röhrchen und Nährmedium, jedes für sich allein, sterilisieren und das letztere unter Beobachtung aseptischer Cautelen in das Gefäss einfüllen. Zur Impfung nehme man dann möglichst grosse Mengen des Bakterienmaterials. Weiter ist die etwaige patTiogene Natur des isolierten Pilzes zu konstatieren; Impfversuche an verschiedensten Tieren, an den für Infektionskrankheiten besonders empfänglichen Mäusen sowie an Meer- schweinchen, Kaninchen, Affen u. s. w. sind eventuell auszuführen. Die Versuche sind mit kleineren und grösseren Dosen vorzunehmen, die Einverleibung muss bald eine oberflächliche Impfung sein, bald eine Injektion in das subkutane Gewebe, bald eine Einspritzung direkt in die Blutbahn oder in die Körperhöhlen. Für manche Zwecke ist es Fig. 34. 576 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. ferner notwendig, Infektionsversuche an Tieren durch Yerfütterung der zu untersuchenden Pilze vorzunehmen. Um die Mikroorganismen durch die Atmung auf die Schleimhaut der Lunge gelangen zu lassen, benutzt man geschlossene Kasten, in denen das infektiöse Material zerstäubt wird (Inhalationskasten). Endlich sind noch Experimente über die Absterbebedingungen des Pilzes und speziell über die Abschwächung seiner pathogenen Eigen- schaften anzustellen, und es ist zu ermitteln, welche äusseren Umstände und welche Desinfektionsmittel am leichtesten zu seiner Vernichtung führen. Instrumente zur Injektion. Für die Injektion von Flüssigkeiten ist von R. Koch eine Spritze konstruiert worden, bei welcher eine Luftsäule durch Zusammendrücken eines Gummiballons als Stempel gebraucht wird (Fig. 35). Die Kocn'sche Fig. 35. Spritze besteht aus 4 Teilen, die beim jedesmaligen Gebrauch zusammen- gefügt werden: Kanüle, Cylinder, Hahn und Ballon. Die Flüssigkeit, welche injiziert werden soll, wird durch die Kanüle in den graduierten Cylinder vermittelst des Gummiballons eingesogen. Der zwischen Cylinder und Ballon eingeschaltete Metallhahn macht es möglich, jederzeit die Ansaugung oder Entleerung der Flüssigkeit zu unter- brechen. Nach dem Gebrauch wird die Spritze auseinandergenommen, Cylinder, Kanüle und Metallhahn werden einige Minuten in Sodalösung gekocht und in absolutem Alkohol aufbewahrt. Der Ballon wird nötigenfalls im Dampfkochtopf oder durch Einlegen in 5 proz. Carbol- säurelösung desinfiziert. Der Vorzug der KocHschen Spritze vor den KoixE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 577 mit Stempel versehenen Spritzen ist vor allem in der Leichtigkeit und Geschwindigkeit der Reinigung und Sterilisierung sowie in der Mög- lichkeit gegeben, dieselbe in keimfreiem Zustande aufzubewahren. Die Spritze ist auch haltbarer als die Stempelspritzen, an denen wegen Un- dichtigkeit des Stempels häufig Reparaturen notwendig sind. Für Einspritzungen von Flüssigkeiten in die Blutbahn, nament- lich bei kleineren Tieren, bedient man sich am besten kleinerer oder grösserer Glaskanülen, die man sich für den vorliegenden Zweck selbst anfertigt. Vermittelst eines kleinen Gummischlauches wird die Kanüle mit dem Gefäss, in welchem die Injektionsflüssigkeit sich be- findet, in Verbindung gesetzt. Als treibende Kraft benutzt man bei Einspritzungen in die Carotis, deren ziemlich grosser Druck überwunden werden muss, den Stempel einer Pravaz'schen Spritze oder Luft, welche durch Kompression eines Gummiballons, unter Einschaltung eines Windkessels zur Erzeugung eines gleichmässigen Druckes, in Be- wegung gesetzt wird. Zur mikroskopischen Beobachtung mancher Prozesse, die sich in den Körperhöhlen, vor allem dem Peritoneum der Versuchstiere nach Injektion von bakterienhaltigen Flüssigkeiten abspielen, empfiehlt sich die Entnahme von Exsudat z. B. aus der Bauchhöhle mittelst feiner Glaskapillaren. Um die sog. PEEirrEE'sche Reaktion der Cholera- bakterien auf Choleraserum beobachten zu können, kann man derartige Kapillaren, welche leicht aus Glasröhrchen durch Ausziehen in der Flamme herzustellen sind, nicht entbehren. Tierhalter. Bei Ausführung von grösseren Operationen an Tieren und überall da, wo es auf eine länger dauernde Festhaltung der Tiere bei Ver- suchen ankommt, werden zweckmässig Tierhalter benutzt. Kitasato hat für Mäuse einen sehr einfachen Apparat angegeben, bestehend aus einer Blechplatte, die vermittelst eines Kugelgelenkes nach verschiedenen Seiten gedreht und vermittelst einer Schraube in diesen verschiedenen Stellungen fixiert werden kann (Fig. 36). An der Blechplatte sind eine Klemme für den Schwanz und eine Federzange für den Nacken angebracht. Entsprechend vergrössert kann derselbe Apparat auch für Ratten benutzt werden. Zum Befestigen von Meerschweinchen, Kanin- chen, Katzen sind in Paris sehr einfache Apparate konstruiert, auf welchen die Tiere am Kopf gefesselt werden, ohne Schmerzen zu empfinden, und daher sehr ruhig liegen. Modifikationen eines solchen Apparates, welche von F. Lautenschläger hergestellt sind, zeigen die Abbildungen in Figur 37 u. 38. Je nach der Grösse der Tiere werden entsprechend grosse Ringe als Nackenhalter eingefügt. Besondere Schwierigkeiten bietet Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 37 578 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. das Experimentieren mit bissigen Tieren, wie Katzen, Hunden, Affen. Als der beste Halter für derartige Tiere ist wohl der in Fig. 40, 41 Fig. 36. Tl. 42 abgebildete Halter von Malassez hier zu erwähnen. Dieser Halter ist ursprünglich für Hunde konstruiert worden. Für den Aderlass grösserer Tiere, wie Pferde, Hammel, Ziegen, Kühe, hauptsächlich zum Zwecke steriler Blut- und Serumgewinnung KoLLE, Methoden zur Untersucliung der Mikroorganismen. 579 sind Kanülen von der Form der in Fig. 39 abgebildeten gebräuchlich. Man fasst an dem unteren Blatt die Kanüle und stösst sie in die durch Komprimieren mit einem Finger zum Schwellen gebrachte Ju- gvüaris externa ein. Das Blut fliesst dann im Strahle heraus. Fig. 38. Sehr empfehlenswert für manche Zwecke, namentlich kleinere •Operationen an Tieren, z. B. subkutane oder intraperitoneale Injektionen, oder Exsudatentziehung aus der Bauchhöhle ist der von 0. VoGES (C. XVIII. Seiberg) angegebene Meer- schweinchenhalter. Derselbe besteht aus einem an dem einen Ende offenen, am anderen Ende durch eine mit Löchern versehene Platte abgeschlosse- nen Blechrohr, in dessen Wandung sich ausserdem ein Schlitz befindet, durch den man zu den ver- schiedenen Körperteilen der Tiere gelangen kann. (Fig. 43). Für grössere oder kleinere Tiere sind zwei Grössen des Halters vorhanden. Die Meer- schweinchen, welche mit dem Kopf nach dem ver- schlossenen Teil zu in das Rohr gebracht werden, liegen längere Zeit völlig ruhig. Auch die Tem- peraturmessung der Tiere im Anus ist dann sehr leicht und, ohne dass ein Zerbrechen des Thermo- meters zu befürchten ist, ausführbar (Fig. 44). Erkranken oder sterben Versuchstiere, so sind mit deren Blut oder Organen die nämlichen Züch- tungs- und Übertragungsversuche zu machen und die Identität der 37* 580 Methoden zar Untersuchung der Mikroorganismen. eingeimpften und der gefundenen Pilze ist sicherzustellen. Alle diese Versuche sind über längere Reihen auszudehnen. KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 5Sl 582 Methoden zAir Untersuchung der Mikroorganismen. VIII. Methoden und Apparate für die chemische Unter- suchung der Bakterien. In neuerer Zeit sind Untersuchungen über die Chemie der Bak- terien, namentlich die in ihnen enthaltenen oder von ihnen abgeson- derten Gifte, sowie über das chemische Verhalten der nach Einver- leibung von Bakterien im Tierkörper erzeugten sog. Anti-Körper ange- stellt. W^ir haben durch diese Untersuchungen wichtige Aufschlüsse über die Natur der Gifte und der vom Tierkörper er- zeugten Anti - Körper bei mehreren Bakterienarten er- halten, so z. B. bei den Tu- bekel-, Cholera-, Diphtherie- und Tetanusbacillen. Die Resultate der Forschungen, welche noch nicht in allen Beziehungen als abgeschlos- sen zu betrachten sind, for- dern zu weiterer Verfolgung der eingeschlagenen Wege auf, wobei die Benutzung be- stimmter, eigens hierzu kon- struierter Apparate von gros- sem W^ert ist, z. B. von Filtra- tionsapparaten, Dialysatoren, Extraktions-, Vakuum-, De- stillations- und Trockenap- paraten besonderer Kon- struktion. Zur Trennung der korpuskularen Elemente einer Bakterienkultur (hauptsächlich also Bakterien) von den gelösten Bestandteilen der Nähr- flüssigkeiten und diesen selbst sind Filter im Gebfkuch. Als Material für dieselben wird Porzellan, (Chamberland), Infusorienerde (Berckefeld- Bitter) und hart gebranntes Kaolin (Pukall) angewandt. Die zu filtrierende Flüssigkeit wird am besten durch Saugwirkung einer W^asserstrahl-Luftpumpe (s. u.) durch die engen Poren des Filters ge- trieben. Es hat sich gezeigt, dass man jedes Filter, um sicher damit keimfreie Filtrate zu erzielen, prüfen muss. Nach jedem Gebrauch ist das Filter sofort zu reinigen, in Sodalösung oder Salzsäure auszu- kochen, in absolutem Alkohol aufzubewahren; vor jedem Gebrauch findet eine nochmalige Desinfektion durch Auskochen statt. Fig. 44. KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 583 Was die Form der Filter betrifft, so ist für Filtration kleinerer Menge, wie sie bei Laboratoriumsversuchen hauptsächlich in Betracht kommt, die sog. KiTASATO'sche Kerze am geeignetsten (s. Fig. 45), während für Filtrierung grösserer Mengen die eine Kölbchenform auf- weisenden PuKALL'schen Filter vorzuziehen sind (Fig. 46). Jedoch muss man die Funktion^fähigkeit der letzteren stets kontrollieren. Fig. 45. Fig. 46. Die Filtration wird so geregelt, dass in der Minute ca. 10 Tropfen durch das Filter gehen. Es empfiehlt sich, zwischen der Saugflasche und der Saugpumpe eine Woulf'sche Flasche einzuschalten. Die Dialysatoren dienen zur Befreiung der Kultur- oder tieri- schen Flüssigkeiten von bestimmten Körpern, z. B. Salzen, Peptonen etc. Besonders geeignet erweist sich derPEOSKAUEE'sche Dialysator (s. Fig. 47). In ein mit einer Ausflussöffnung versehenes Gefäss B ist das obere Gefäss C mit Einschliff eingefügt, an welchem die Membran in Form eines Beutels mit einem Bindfaden festgebunden wird. Der Apparat ist sterilisierbar und ermöglicht steriles Arbeiten, er kann in fliessen- dem Wasser benutzt werden und verhindert ein kapillares Aufsteigen der Flüssigkeit aus dem Dialysat in der Membran. Zur Eindickung labiler flüssiger Substanzen in möglichst kurzer Zeit und bei niedrigen Temperaturen dient der Vakuumdestillations- apparat von B. Peoskauer (Fig. 48). Die Konstruktions- und An- 584 Methoden 7.nv Untersuchung der Mikroora:anismen. Fig. 47. wendungsweise desselben kann an der Hand der beifolgenden Figur 48 erläutert werden. Der zur Aufnahme der Flüs- sigkeit dienende Kolben K, welcher sich auf der Unterlage F über dem durch einen Brenner erwärmten Wasserbade W befindet, ist an seinem Halse zu einer Kugel erwei- tert und besitzt einen 3fach durch- bohrten Gummipfropfen. Durch diesen werden der Tropftrichter S und das mit einer von koncentrier- ter Schwefelsäure angefülltenVor- lage H- in Verbindung stehende Luftzuführungsrohr, sowie das Thermometer T eingeführt. Wäh- rend des Destillierens lässt man langsam einen Strom Torgetrock- neter Luft aus dem Luftzu- Fig. 48. KoLLE, Metboden zur üntersucliung der Mikroorganismeu. 585 führungsrohr über das Flüssigkeitsniveau in K streichen, in welchem die in K entwickelten Dämpfe, weil eine Kühlvorrichtung um K' angebracht ist, kondensiert werden und in flüssigem Zustande in die Flasche M abtropfen. Mit der letzteren steht ein Quecksilbermano- meter M in Verbindung, dessen einer Schenkel mit dem Lüftungshahn _c Fig. 49. Fig. 50. H^ verbunden ist. Ein Seitenrohr der Saugflasche steht mit einer Wasserstrahlpumpe mit Rückschlagventil in Verbindung. Zwischen Saugflasche und Pumpe ist als Sicherheitsvorla"ge gegen zurücksteigen- des Wasser eine Woulf sehe Flasche eingeschaltet. Wenn nötig, kann man den Apparat nach seiner Zusammen- setzung durch Ausspülung mit Alkohol und Abdestillieren desselben sterilisieren. 586 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. Um den Apparat in Gang zu setzen, stellt man das Vakuum her lind lässt, sobald die erforderliche Luftleere erreicht und nachdem das Wasserbad geheizt ist, die Flüssigkeit durch den Hahn H tropfenweise zu, derzumZwecke der Regulierung konisch durchbohrt ist. Die Destillation findet nun statt, ohne dass sie durch Auseinandernähme des Apparats behufs Neueinfüllung von Flüssigkeiten unterbrochen zu werden braucht. Nähert sich die Destillation ihrem Ende, so entfernt man die Flamme und saugt weiter, bis das Wasser im Wasserbade erkaltet ist. Der Apparat kann nun auseinandergenommen werden, nachdem man das Pumpen eingestellt und den Hahn H^ geöffnet hat. Für die Abdampfung und Eintrocknung kleinerer Flüssigkeits- mengen bei niederen Temperaturen ist der PROSKAUER'sche heizbare Vakuum-Trockenapparat sehr geeignet, der eine Modifikation des von Brühl (Berl. ehem. Ges.) konstruierten Apparates darstellt (s. Fig. 50). Die Erwärmung des automatisch arbeitenden Apparats beruht auf dem Prinzip der Warmwasserheizung. Aus dem Wasserbad B, welches durch eine Gasflamme erwärmt wird, steigt das warme Wasser durch P zu der innerhalb der Glocke A befindlichen Erwärmungskammer, welche aus einem doppelwandigen Teller besteht, giebt hier die Wärme ab und sinkt durch Rohr G zum Expensionsgefäss zurück, wo es von neuem erwärmt wird. Die Luft in der Glocke A wird durch eine Wasserstrahlpumpe evakuiert. Am Boden der durch die Glocke einge- schlossenen Kammer befinden sich Glasgefässe mit koncentrierter Schwefelsäure zur Absorption des Wasserdampfes. Die Extraktion von Substanzen aus Flüssigkeiten mit Äther ge- lingt sicher und rasch vermittelst des Figur 49 abgebildeten, gleich- falls von B. Peoskauer angegebenen Apparates Die in einem mit Äther gefüllten, über einem Wasserbade erwärmten Kölbchen ent- wickelten Atherdämpfe steigen durch das Rohr B auf, gelangen in den unteren Teil der zu ^extrahierenden Flüssigkeit, werden hier konden- siert und sammeln sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit mit den Extraktionsstoffen beladen an. Von hier fliessen sie in das Kölbchen vermittelst des Rohres C zurück. Die bei allen diesen Versuchen zu benutzende Wasserstrahl- LuftpumjDe empflehlt es sich, mit einem Lippenrückschlagventil von Gummi zu versehen. C. Die bakteriologische Untersuchung von Luft, Wasser und Boden. L Luft. Nachdem man früher vergeblich versucht hatte, durch Fixieren der Luftkeime auf klebrigen Flächen und mikroskopische Unter- KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 537 snchnng einen genügenden Einblick in die Zahl, Art und Lebens- fähigkeit der in der Luft vorkommenden Bakterien zu erhalten, sind in neuerer Zeit Methoden bekannt geworden, welche zunächst eine Entwicklung der einzelnen Luftkeime und dann eine Zählung der- selben anstreben. Zur vorläufigen Orientierung über den Keimgehalt der Luft und die in ihr enthaltenen Arten genügt es, PsTEi'sche Schalen mit steriler Gelatine oder sterilem Agar-Agar "2 — 1 ccm hoch gefüllt eine be- stimmte Zeit offen hinzustellen, dann wieder zu bedecken und stehen zu lassen. Die Spaltpilze fallen auf das Nährsubstrat und wachsen auf demselben zu Kolonien aus. Für die Zählung der in einem bestimmten Luftquantum enthalte- nen Pilze sind zwei Methoden angegeben und häufig angewandt wor- den. Die ältere derselben ist die HESSE'sche Methode, deren Ver- suchsanordnung sich folgendermassen gestaltet: Ein Glasrohr von ca. 70 cm Länge und 3,5 cm Weite wird mit 50 ccm Nährgelatine so beschickt, dass dieselbe die inneren Wandungen ganz überzieht und auf dem Boden eine dickere Lage bildet. Das eine Ende ist mit einem Kautschukkork verschlossen, in dessen Bohrung ein mit Wattepfropfen armiertes Glasrohr steckt; letzteres wird mit dem Aspirator verbun- den, das andere Ende ist von einer Gummikappe überzogen, die durch ein centrales Loch die Luft eintreten lässt. Das ganze Rohr wird horizontal auf ein Stativ aufgelegt. Das Durchströmen der Luft lässt man mit einer Geschwindigkeit vor sich gehen, die ungefähr 1 1 in 2 Minuten, jedenfalls aber nicht mehr beträgt. Die in der Luft enthaltenen Keime fallen — meist bald nach dem Eintritt der Luft in die Röhre — auf die Gelatine und entwickeln sich dort zii isolierten zählbaren Kolonien. Man erhält so oft sehr instruktive Bilder, aber ganz genau vergleichbare Resultate gewährt diese Methode nicht. Theils ist die richtige Stärke der Luftströmung, bei welcher keine Keime das Rohr passieren und bei welcher sie auch nicht zu dicht im Anfangstheil sich häufen, schwer herzustellen, theils bietet die oberflächlich eintrocknende Gelatine eine ungünstige Ansiedelungsstätte. Endlich beruht die Anwendbarkeit der Methode auf der Annahme, dass die Verteilung der Keime in der Luft eine sehr gleichmässige ist und dass keine Haufen und Konglomerate von Mikroorganismen existieren. Nach allen sonstigen Beobachtungen ist das aber nicht der Fall; es lassen sich durch direkte mikroskopische Unter- suchung zahlreiche Verbände von Bakterien unter den Luftkeimen nach- weisen, und eine völlig gleichmässigeVerteilung der Verbände und Einzel- individuen in der Luft wird auch schwerlich immer repräsentiert sein. Ganze Bakterienverbände geben bei dem Wachstum gerade so gut iso- 588 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. lierte Kolonien wie einzelne abgelöste Individuen. Ein nicht unerheb- licher Mangel der Methode ist endlich der Umstand, dass man nur ein verhältnismässig geringes Laftquantum durch den Apparat saugen und so der Untersuchung unterwerfen kann, und dass trotzdem die Durchleitung der Luft sehr langsam von statten geht. Von diesen Mängeln der HESSE'schen Methode, die für gewisse Zwecke der Praxis in der Hand des Geübten immerhin brauchbar sein kann, ist die PETEi'sche Methode zum grossen Teil frei, welche aller- dings die Benutzung mehrerer komplizierter Apparate, z. B. einer Gasuhr, erforderlich macht. Die Luft, welche auf ihren Keimgehalt untersucht werden soll, wird durch feinen, ausgeglühten Quarzsand von ^/4 — Vs ™iii Korngrösse geleitet (Fig. 51). Der Sand ist in einem ca. 9 cm langen und 1,6 cm weiten Röhrchen enthalten und zwar in zwei von einander durch ein dünnes Drahtgeflecht getrennten Filtern, deren eines als Kontrollfilter dient. Die Sandfilter sind auch nach aussen durch ein Drahtgeflecht abgegrenzt. Neuerdings hatM.FiCKEE (Z.22) vorgeschlagen, statt des Quarz- sandes Glasstückchen zu benutzen, weil die Zählung der Kolonien in den mit dem Glassand beschickten Platten genauere Resul- tate, als bei den mit Quarzsand hergestellten giebt. Nach der Füllung wird das Röhrchen mit zwei Wattejifropfen verschlossen und sterilisiert. Bei Ausführung der Luftunter- suchung wird der eine Wattepfropfen entfernt und an Stelle - des anderen ein von einem Glasrohr durchbohrter Gummi- stopfen gesetzt. Nachdem das Glasrohr mit einer besonders konstruierten Luftpumpe in Verbindung gesetzt ist, wird ein Fig. 51. starker Luftstrom (ca. 10 Liter in einer Minute) 10—20 Mi- nuten durch das senkrecht gestellte Röhrchen gesaugt (Fig. 52). Die durchgesaugte Luftmenge wird durch eine Gasuhr unter Benutzung eines zwischen dem Röhrchen und der Gasuhr eingeschalteten Mano- meters, welcher eine Berechnung der Luftverdünnung möglich macht,^ gemessen. Immerhin bietet also die genaue Messung der Luftmenge nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Nach Abschluss des Durchsaugens wird das obere, der Einströ- mungsöffnung zugelegene Filter in verflüssigte Nährgelatine über- tragen, welche nach länger dauerndem Schütteln (um die Auflösung etwaiger Bakterienverbände zu ermöglichen) in PETEi'sche Schalen ausgegossen wird. Sollen verschiedene Nährsubstrate untersucht wer- den, so ist das Filtermaterial zunächst in Kochsalzlösung zu vertei- len, und von dieser ist ein alicjuoter Teil den verschiedenen Nähr- substraten zuzufügen. Das untere, dem Aspirator zugelegene- Filter dient als Kontrollfilter. Es wird in gleicher Weise wie das obere KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 589 Filter behandelt, doch dürfen, falls der Versuch gelungen ist, keine Keime aus diesem Filter mehr zur Entwicklung kommen. — Die sonstigen, bisher bekannt gewordenen Versuche zur quantita- tiven Bestimmung der Luftkeime beruhen meistens auf dem Prinzip, die Luft durch eine Flüssigkeit zu leiten, wodurch eine Zurückhaltung der Keime in der Waschflüssigkeit erzielt werden soll. Diese Ver- suche haben indessen zu völlig befriedigenden Resultaten nicht ge- führt. Wie verschiedentlich nachgewiesen ist, gelingt es schwer, in Waschflüssigkeiten alle Keime der Luft zurückzuhalten. Ausserdem leiden diese Methoden noch an einem anderen Fehler, dass nämlich in solchen Nährsubstraten schon während der — nothwendigerweise sehr langsamen — DurcÜl^itung der Luft Vermehrung rasch wachsender 590 Methoden zur üntersucliuug der Mikroorganismen. Saprophyteu eintreten kann, so der Versuch \. Sehlen's, Agarlösung zur Aufnahme der Luftkeime zu verwenden. Auch bei Verwendung von Gelatine ist die Möglichkeit der Vermehrung von Saprophyten nicht von der Hand zu Aveisen. Beim Nachweis von pathogenen Mikroorganismen, von denen mehrere Arten gelegentlich in der Luft in infektionstüchtigem Zu- stande existierend auf Grund theoretischer Erwägungen angenommen werden müssen, lassen die bisher für die Luftuntersuchung angegebe- nen Methoden im Stich. Aber selbst bei Zuhilfenahme des Tierexpe- riments und Kombination mit anderen Methoden ist es bis jetzt nicht gelungen, Bakterien, welche ohne Zweifel zeitweise in der Luft sus- pendiert sind, wie z. B. die Tuberkelbacillen, in der Luft nachzuwei- sen. Es hat dies seinen Grund w^ohl hauj^tsächlich darin, dass die pathogenen Bakterien nur in sehr geringer Zahl in der Luft verbreitet sind, so dass das Auffinden derselben ein glücklicher, aber seltener Zufall ist. Für das Vorkommen der Tuberkelbacillen in der Luft hat auf indirektem Wege unzweideutige Beweise Cornet geliefert. Coenet (Z.) gelang es, im Niederschlage der Luft, im Staub, Tuberkelbacillen an denjenigen Stellen von Wohnräumen nachzuweisen, wohin sie nicht direkt durch verstaubtes oder verschlepptes Sputum, sondern nur durch Absinken aus der Luft gelangt sein konnten. Petei hat diese Unter- suchungen wiederholt und bestätigt. Die Untersuchung geschieht nach Coenet's Vorschrift so, dass man mit sterilen, feuchten Schwämmchen Staub aufwischt und Partikelchen von den Schwammstückchen in die Bauchhöhle von Meerschweinchen bringt. Bei geeigneter Versuchsanord- nung wird es ohne Zweifel aber auch gelingen, in der Luft stark infizierter Wohnräume vermittelst des PETEi'schen Apparates Tul^erkelbacillen nach- zuweisen, indem man den Sand in steriler Flüssigkeit auswäscht und diese letztere Versuchstieren intraperitoneal injiziert. II. Wasser. Die Probenahme geschieht am besten in sterilisierten Glas- gefässen. In den Fällen, wo man das zu untersuchende Wasser direkt in ein Gefäss auffangen kann, ohne ein anderes bakterienhaltiges Medium zu passieren, z. B. aus Brunnen, offenen Flussläufen, benutzt man zweckmässig EELENMETEE'sche Kölbchen oder, falls das Gefäss verschickt werden soll, Gläser mit eingeschliffenem Stöpsel. Damit bei dem Anfassen des Kölbchens an der Einflussöffnung von den Hän- den des Untersuchers keine Keime anhaften können, welche durch das einströmende Wasser mit in das Kölbchen gespült Averden, hat E. Pfuhl vorgeschlagen, den oberen Teil des Kölbchens vor dem Sterilisieren mit einer weit übergreifenden, durch Bindfaden fixierten Wattekappe zu KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 591 versehen. Kurz vor der Probenahme wird die Kappe entfernt. Bei Befolgung dieser PFUHL'schen Vorschrift ist ein Hineingelangen von Keimen in das Gefäss aus einer anderen Quelle als aus dem zu unter- suchenden Wasser unmöglich. Um die Wasserproben leicht transpor- tieren zu können, empfiehlt es sich, dieselben in den von Flügge an- gegebenen kleinen, luftleer gemachten Glaskugeln, welche nachher zuge- schmolzen werden, aufzufangen (Fig. 53). Derartige Glaskugeln von ca. IV2 cm Durchmesser, an der einen Seite mit einem 10 — 15 cm langen, fast kapillaren Glasrohr versehen, werden durch Erwärmen der Kugel und folgendes Eintauchen in destilliertes Wasser etwa zur^Hälfte mit Wasser gefüllt; dann stellt man die Kugel auf ein Drahtnetz eines Stativs, richtet das Glasrohr schräg nach oben und umgiebt dasselbe mit einem Bausch Filtrierpapier. Darauf bringt man das Wasser der Kugel ins Sieden; der Wasserdampf strömt in starkem Strahl aus dem Kapillar- rohr hervor, etwa mitgerissene und herablaufende Tropfen w^erden von dem Filterpapier aufgesogen. Wenn die ganze Masse des Wassers bis auf etwa V2 — 1 Tropfen verdampft ist, schmilzt man, noch während der Strom von Wasserdampf entweicht, mit einem zweiten Brenner das Kapillarrohr oben zu. In diesem Zustand werden die Kugeln transportiert; sie lassen sich in Blechtrommeln, die im Innern zwei siebartig durchlöcherte hölzerne Böden und im Deckel eine Watteeinlage tragen, sehr gut ver- senden. — Die Probenahme geschieht so, dass der Untersuchende zuerst etwas Sublimatlösung (1 : 2000) über die Kugel und über die eigenen Hände giesst; dann muss ein Assistent einige Minuten pumpen. Das erste Wasser benutzt man, um das Sublimat von der Kugel und den Händen gründlich abzuspülen; dann wird mitten im vollen Wasser- strahl das Kapillarrohr nahe der Spitze bei a (Fig. 53) abgebrochen, worauf momentan der ganze luftleere Apparat bis zur Spitze sich mit dem Wasser füllt; alsdann wird in der Flamme einer Spirituslampe (even- tuell unter Zuhilfenahme eines Lötrohrs) weiter unterhalb bei h zuge- schmolzen. — Das ins Laboratorium zurückgebrachte Gläschen wird wieder desinfiziert und mit sterilisiertem Wasser abgespült; darauf wird bei c ein Feilstrich gemacht und das Rohr abgebrochen. Die entstehende Öffnung ist weit genug, um mit Hilfe einer sterilisierten Tropfpipette eine beliebige Menge — 1 Tropfen bis 1 ccm und mehr — Wasser zu entnehmen. Kommt es darauf an, für wissenschaftliche Untersuchungen oder praktische Zwecke aus der Tiefe der Gewässer Proben zu entnehmen, so kann man sich verschiedener, zu diesem Zwecke hergestellter Appa- rate bedienen. Roux benutzte kleine Glaskölbchen, welche am oberen Ende in ein fast kapillares, mehrfach gewundenes Glasrohr ausgezogen >92 Methoden zur Untersucliung der Mikroorganismen. sind. In der oben beschriebenen Weise (s. Fig. 54) wird das Kölbchen luftleer- gemacht und daraiif das Glasrohr am äussersten Teile zuge- schmolzen. An einer Schlinge des Glasrohres (A) wird nun ein Bindfaden befestigt und darauf das Kölbchen in einem mit Gewichten (C) beschwerten Gefässe (B) vermittelst einer Schnur in die Tiefe gesenkt. Ist die ge- wünschte Tiefe, welche an der Schnur abgelesen werden kann, erreicht, so zerbricht man durch einen kräftigen Zug an dem Bindfaden das kapillare Rohr. In den luftleeren Apparat stürzt das Wasser nun rasch hinein, worauf das Kölbchen an der Schnur wieder nach oben gezogen wird. — v. Esmaech hat Kölbchen empfohlen, welche mit einem doppelt durchbohrten Gummi- stopfen verschlossen sind. In der einen Öffnung desselben befindet sich ein Glasrohr, das in ein kapillares Ende ausgezogen und nach unten umgebogen ist, während das in der anderen Öffnung des Pfropfens ange- brachte Röhrchen mit einem Gummi- schlauch verbunden ist, der über die Oberfläche des Wassers geführt ist. Vor der Benutzung wird der ganze Apparat sterilisiert. Das Kölbchen wird entsprechend mit Gewichten beschwert und sinkt unter. Hierbei tritt in das Kölbchen kein Wasser ein. Sobald der Apparat sich in der gewünschten Tiefe be- Fig. 53. Fig. 54. findet, saugt man die Luft vermittelst des Gummischlauches aus dem Kölb- chen, das sich infolge dessen durch die Kapillare mit Wasser füllt. Jedes Wasser ist möglichst unmittelbar, wenn es sich um die Feststellung der Keimzahl der Probe handelt, nach der Entnahme zu untersuchen. Ist aus irgend welchen Gründen die Untersuchung erst nach längerer Zeit (mehrere Stunden) nach der Entnahme mög- lich, so ist das zu untersuchende Wasser in Eis verpackt aufzu- bewahren bez. zu versenden. Die von verschiedenen Seiten konstatierte schnelle Vermehrung der Wasserbakterien, sobald das Wasser in der Wärme aufbewahrt wird, macht diese Vorsichtsmassregel unerlässlich. Die Untersuchung der Zahl und Art der vorhandenen Keime geschieht KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 593 am besten mit Hilfe der Gelatineplatten, welche man, vim sie brauch- bar zu erhalten (mit 10 — 10000 Kolonien) mit abgestuften Mengen des Wassers (1, V2> Vio) ^^^^ unter Zuhilfenahme der Verdünnung in steri- lem Wasser eventuell mit Vioo ^^^^ '/looo com beschickt. Zur Zählung benutzt man eine Lupe. Die Platten werden auf den Zählapparat von Wolfhügel gesetzt. Max Neisser hat vorgeschlagen (Z. XX) die Platten, sofern sie mehr als ca. 1500 Kolonien enthalten, mit Hilfe des Mikroskops bei schwacher Vergrösserung zu zählen, da in diesem Falle die mikroskopische Untersuchung in Bezug auf die Vermeidung der Fehler der Lupenzählung entschieden überlegen ist. Man zählt je nach der Dichte der Platte 30 — 60 Gesichtsfelder. Zur Erleichterung der Zählung bei dicht besäten Platen dient ein Okularnetzmikrometer, zur Ausmessung des Gesichtsfeldes ein Objektivmikrometer, ein Glasplätt- Fig. 55. chen, auf dem Teilstriche bis ^ mm angebracht sind. Bei Platten die weniger als 1500 bis zu 600 Kolonien enthalten, ist die Lupenzählung der mikroskopischen gleichwertig zu erachten, bei den weniger als 600 Kolonien enthaltenden Platten sogar überlegen zu betrachten. "Will man, wie es für manche Zwecke notwendig ist, die Unter- suchung des Wassers auf seine Keimzahl an Ort und Stelle der Ent- nahme ausführen, so benutzt man zweckmässig den von B. Peoskacer zusammengestellten, leicht transportierbaren Kasten (Fig. 55), in dem die dazu notwendigen Geräte zusammengestellt sind. Dersell)e enthält: 4 sterile ERLENMETER'sche Kölbchen zur Wasserentnahme, 1 Thermo- meter, 1 transportable Spirituslampe, 12 sterile PETRi'sche Doppelschalen in 2 runden Blechbüchsen, 12 Reagensgläser mit Gelatine, 15 sterile Wasserpipetten in 3 Röhren, 1 zusammenlegbaren Dreifuss, 1 Handtuch, 1 Notizbuch, 1 Bleistift u. dgl. m. Die bei 35 ^ C. aufgeschmolzene Nähr- Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. L 38 594 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. gelatine wird direkt an der Untersuchungsstelle geimpft und zu Platten gegossen, so dass der Transport der Wasserproben wegfällt. Für den Nachweis von pathogenen Bakterien im Wasser, vor allem von Typhus- und Cholerabakterien, werden die zur Züchtung dieser Mikroorganismen überhaupt gebräuchlichen Kulturverfahren angewandt: bei Untersuchung auf Typhusbacillen also das Gelatine- plattenverfahren, bei derjenigen auf Cholera vibrionen die KocHsche Peptonmethode. Man verarbeitet, um die letztere anzuwenden, grössere Quantitäten Wassers, 1 1 und mehr, in dem man so viel einer sterili- sierten 20 % alkalischen Peptonlösung mit 10 ^^q NaCl-Gehalt (sog. Stammlösung) zusetzt, dass die zu untersuchende Flüssigkeit einen Gehalt von 1 "^o Pepton, ^/o "^o NaCl hat, und verteilt das ganze Quantum auf ERLENMEYERsche Kölbchen. Auf der Oberfläche der Flüssigkeit sammeln sich, nachdem die Kölbchen 12 Stunden im Brutpparat bei 37 ^ C. gelassen sind, zahlreiche Vibrionen und unter ihnen gegebenen Falles auch Choleravibrionen an, deren Isolierung und weitere Differenzierung nach den bei der Besprechung der Züchtung und Differenzierung von Vibrionen aufgestellten Gesichtspunkten zu geschehen hat. III. Boden. Die Untersuchung des Bodens kann geschehen, um die Zahl der in einer Bodenprobe enthaltenen Keime zu bestimmen, oder zum Zwecke der Feststellung der im Boden vorhandenen Arten von Mikro- organismen, im besonderen von Krankheitserregern. Das zur Untersuchung notwendige Material entnimmt man, wenn die zu untersuchende Bodenstelle oberflächlich liegt, auf C,FEÄNKEL"s(Z.Bd.II) Empfehlung mittelst eines kleinen Platinlöffels, der scharfe Ränder hat lind eine a:enau abgemessene Menge fast. Um aus der Tiefe des Bodens KoLLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 595 Material in einer solchen Weise zu entnehmen, dass jede Verunreini- gung der Probe von aussen und von angrenzenden Bodenschichten vermieden wird, ist die Benutzung des FEÄNKEL'schen Bohrers uner- lässlich (Fig. 56). Über dem Bohrgewinde dieses Bohrers befindet sich eine durch eine Hülse verschlossene Kammer, welche bei der Eintreibung des Bohrers in die Erde mit Drehung von links nach rechts geschlossen bleibt. Ist die Kammer bis zu der beabsichtigten Tiefe eingetrieben, so genügen einige wenige Drehbewegungen von rechts nach links, um die Hülse von der Öffnung der Kammer wegzuschieben, so dass eine Füllung der Kammer mit der umgebenden Bodenschicht stattfindet. Ein auf ähnlichen Prinzipien beruhender Bohrer, der aber die Boden- "^f^ 1 57 proben nach der Entnahme sicherer als Fränkel's Instrument vor der Verunreinigung mit den oberen Bodenschichten schützt, ist von Davids (H.) angegeben worden, wie es beifolgende Fig. 57 zeigt. Die Untersuchung muss möglichst sofort nach Entnahme der Bodenprobe geschehen, da im Laboratorium infolge der höheren Tem- peratur eine rasche Vermehrung der Saprophyten einzutreten pflegt. Das Untersuchungsmaterial wird gegebenen Falls nach Verteilung in sterilisiertem Wasser zu verflüssigter Gelatine gefügt, die nach v. Es- 3S* 596 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. maech's Methode zu Rollplatten benutzt wird. Die Rollröhrchen ver- dienen vor den Gelatineplatten in PETRi'schen Schalen für diese Zwecke vor allem deshalb den Vorzug, weil einmal die anaerobio tische Züch- tung sehr leicht in den Röhrchen auszuführen ist und zweitens auch die langsam wachsenden Bakterienarten in den vor Verunreinigungen leicht zu schützenden Röhrchen zur Entwicklung kommen. Die Zahl der Keime wird in der gewöhnlichen Weise bestimmt. Die saprophytischen Mikroorganismen können, soweit sie auf Ge- latine wachsen, auf diese Weise isoliert und einer Artbestimmung unterworfen werden. Auch der Typhuserreger kann so gegebenen Falles nachgewiesen werden, wie aus den sorgfältigen Untersuchungen Lösenee's (Arb. aus dem Kais. Ges. A. Bd. XI) hervorgeht. Um die Erreger des Tetanus, des malignen Odems und des Milzbrandes im Boden nachzuweisen, ist eine subkutane Verimpfung von Erdproben bei Tieren, namenlich Mäusen, vorzunehmen. Die geimpften Tiere sterben, wenn die benutzte Bodenprobe diese Krankheitserreger auch nur in sehr geringen Mengen enthält, an der betreffenden Krankheit. Es ist dann leicht, aus den Leichen die gesuchten, in relativ grosser Menge darin vorhandenen Mikroorganismen zu züchten. Druck von Augnst Pries in Leipzig. NEUERE MEDICINISCHE WERKE AUS DEM VERLAGE VON F. C.W.VOGEL. 1890. LEIPZIG. 1896. Soeben ist erschienen: Prof. C Plügge's 2)ie /Iftil^toorGaniömen. Mit besonderer Berücksichtigung der dRe^iofoßte bcv jfnfectioneßranß^ei^en. Dritte völlig umgearbeitete Auflage bearbeitet von Dr. P. Frosch in Berlin, Dr. E. Gotschlich in Breslau, Dr. W. Kolle in Berlin, Dr. W. Kruse in Bonn, Prof. R. Pfeiffer in Berlin. 2 Theile. Mit zahlreichen Abbildungen, gr. S«. 1896. Preis 36 M. His, Prof. Wilhelm in Leipzig. Johann Sebastian Bach. Forschungen über dessen Grabstätte, Gebeine und Antlitz. Bericht an den Rath der Stadt Leipzig. Mit 1 Situationsplan und 9 Tafeln in Kupferätzung, gr. 4". 1895. 16 M. His, Wilhelm, Karl Ludwig und Karl Thierse h. Akademische Gedächtniss- rede im Auftrage der medicin. Facultät zu Leipzig am 18. Juli 1895 ge- halten. 80. 1895. 50 Pf. Landerer, Prof. A. in Stuttgart. Vorschriften für die Behandlung der Rück- grats-Verkrümmungen mit Massage. Für Aerzte und Laien. Dritte Ate f läge. Mit 10 Abbildungen, kl. 8o. 1893. 50 Pf. Landerer, Prof. A. in Stuttgart. Die Behandlung der Tuberkulose mit Zimmtsäure. gr. 8". 1892. 2 M. Landerer, Prof. A. in Stuttgart. Anweisung zur Behandlung der Tuberku- lose mit Zimmtsäure. Mit 2 Abbildungen. 8». 1893. 50 Pf. Krause, Prof. F. in Altona. Die Tuberkulose der Knochen- und Ge- lenke. Nach eigenen an der Volkmann'schen Klinik gesammelten Er- fahrungen und Thierversuchen dargestellt. Mit 42 Abbildungen im Text und 5 Lichtdrucktafeln. Lex. 8«. 1891. 10 M. Mittermaier, Dr. C. in Heidelberg u. Dr. J. Goldschmidt in Funchal, Madeira und seine Bedeutung als Heilungsort. Zweite völlig umgearb. Auflage, gr. 8». 6 M. Bang, Prof. D. B. in Kopenhagen. Die Verwendung des Tuberkulins in dem Kampfe gegen die Tuberkulose des Rindviehs. 8^. 1896. Sonderabdr. 1 M. Juckuff, Dr. E. in Leipzig. Versuche zur Auffindung eines Dosirungsgesetzes. Eine toxikologisch-mathematische Studie. Mit 4 Tafeln und 1 Abbildung im Text. gr. 8«. 1895. 2 M. Crede, Dr. med. Benno, Königl. Sachs. Hofrat, Oberarzt der chirurgischen Abtheilung des Carolahauses zu Dresden und Dr. J. L. Beyer, Assistenz- arzt am Carolahause. Silber und Silbersalze als Antiseptika, gr. 8. 1896. 1.50 M. Ostmann, Professor Dr., Director der K. Universitäts-Poliklinik für Ohren-, Nasen- und Halskranke zu Marburg. Gemeinverständliche Anweisung zur Heilung der Eiterung des Ohres. 1896. 50 Pf. VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 2 Lehrbuch der patboloötscben Enatomie von Prof. Dr. F. V. Birch-HirSChfeld in Leipzig. 2 Bände in 3 Theilen. Lex. 8o. Zweiter Band. Lehrbuch der Speciellen Pathologi- schen Anatomie. 1. und 2. Hälfte. Mit 207 Abbildungen. Vierte Auflage. Lex.-S». 1895. Preis 24 M., geb. 26.50 M. I. Band. Lehrbuch der Allgemeitien Pathologischen Anatomie. Mit veterinär- pathologischen Beiträgen von Professor Dr. A.Johne in Dresden. 5. Auflage wird im Laufe dieses Jahres erscheinen. Die Birch-Hirschfeld'sche Patholo- gische Anatomie ist als eines der besten und reichhaltigsten Lehrbücher anerkannt. Der Verfasser hat bei der neuen Bearbeitung unermüdlich den neuesten Forschungen Rechnung getragen. Die zahlreichen vor- trefflichen , zum Theil farbigen Abbildungen erhöhen den Werth des AVerkes. His, Prof. Dr. W. (Leipzig), Anatomie menschlicher Embryonen. 3 Ab- theilungen. Text mit Abbildungen und Atlas mit 15 Tafeln, gr. Fol. 75 M. 1. Abtheilnng'. Embrj-onen des ersten Monats. Text mit 17 Abbil- dungen u. Atlas, Tafel I— VIII. gi-.80u.gr. Fol. 30 M._ (Text apart 8 M.) 2. Abtheilung. Gestalt- und Grössenentwicklung bis zum Schluss des zweiten Monats. Mit 67 Abbildungen, gr. 8**. 5 M. 3. Abtheilnng. Text: Zur Geschichte der Organe. Mit 156 Abbildungen, gr. 8". Atlas: Embryonen bis Ende des zweiten Monats. Taf. IX — XIV und P. gr. Fol. 40 M. (Text apart 8 M.) Manchot, C. Die Hautarterien des menschlichen Körpers. Mit 9 Tafeln, gr. 4". 1889. 12 M. VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 3 Grundriss der von Prof. Dr. F. V. Birch- Hirschfeld in Leipzig, gr. 80. 1892. Preis 6 M., geb. 7.25 M. Birch-Hirschfelcl's Grundriss soll den angehenden Mediziner in das Studium der allgemeinen Pathologie einführen, wie auch dem fertigen Axzte als ein Nachschlagebuch dienen, in ■welchem er sich jederzeit rasch über die Lehren der allgemeinen Pathologie orientiren kann. Bei der Anlage des Werkes wui-den als Hauptziel ,,die scharfe Umgrenzung der pathologischen Grundbegriffe durch klare Zusammenfassung der sicheren Forschungsergebnisse und mit Hervorhebung der noch offenen Fragen" angestrebt. Grundriss der von Prof. Dr. Ludolf Krehl in Jena. gr. 80. 1893. Preis 6 M., geb. 7.25 M. Das Werk ist eine Ergänzung des Birch-Hirschfeld'schen Grundrisses, es zerfällt in folgende Abschnitte: 1) Der Kreislauf. 2) Das Blut. 3) Die Athmung. 4) Die Verdauung. 5) Der Stoffwechsel. 6) Das Fieber. 7) Die Hai-nabsonderung. 8) Das Nervensystem. — In dem Krehl'schen Werke werden dem Studirenden die gegenwärtig herr- schenden Vorstellungen über die Funktionsstörungen der Organe zusammen- fassend vorgeführt. Zweifellos fehlte seither ein Buch dieser Tendenz in der heutigen medizinischen Litteratm-, und es gebührt dem Verf. schon deshalb Dank, weil er die bisher in den Lehrbüchern der allgemeinen Pathologie, der klinischen Diagnostik und der innerenKrankheiten zerstreuten Grundsätze der klinischen Patho- logie zum ersten Male in einer gesonderten Abhandlung zusammengefasst hat. (Ad. Schmidt, Bonn, Centralbl. f. innere Med.) Ref. kann mit grosser Anerkennung die völlige Beherrschung des Stoffes und das allenthalbe klare besonnene ürtheil des Verfassers hervorheben. Möge das Buch fleissig von Studirenden und Aerzten gelesen werden. Es wird dann sicher zur Verbreitung einer tiefer gehenden physiologischen Auf- fassung der krankhaften Vorgänge im menschlichen Körper viel beitragen. (v. Strümpell, Schmidt's Jahrbücher.) VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 4 Lehrbuch der der inneren Krankheiten. Für Studirende und Aerzte. Von Professor Dr. A. V. Strümpell iu Erlangen. = Zehnte verbesserte Auflage. = 3 Bände. Mit zahlreichen Abbildungen, gr. 8". 1896. Erster Band. 12 M., geb. 14 M. cga Zweiter Band. 12 M., geb. 14 M. Dritter Band. 12 M., geb. 14 M. Der 1895 erschienenen 9. Auflage folgt jetzt bereits die 10. Auflage dieses Innerhalb und ausserhalb Deutschlands gleich bekannten und vielverbreiteten Lehrbuches. Verfasser hat in der 10. Auflage wiederum zahlreiche Zusätze und Aenderungen angebracht, ja mehrere Capitel des Buches ganz von Neuem geschrieben. Das Werk hat bekanntlich seit der 8. Auflage eine etwas ver- änderte äussere Eintheilung erfahren. Von dem allmählich zu umfangreich gewordenen ersten Bande sind die Abschnitte über die Erkrankungen der Digestionsorgane abgetrennt, und mit dem bisherigen zweiten Theil des zweiten Bandes zum zweiten Bande vereinigt worden. Die Krankheiten des Nervensystems bilden somit jetzt den dritten Schlussband des Lehrbuches. V, Strümpell, Prof. A. (Erlangen). Kurzer Leitfaden für die Klinische Krankenuntersuchung. Für die Praktikanten der Klinik zusammen- gestellt. Vierte AuHage. kl. 8». 1896. cart. 80 Pf. V. Strümpell, Prof. A. (Erlangen). Ueber die Alkoholfrage vom ärztlichen Standpunkte aus. Vortrag, gr. 8». 1894. 60 Pf. V. Strümpell, Prof. A. (Erlangen). Ueber die Ursachen der Erkrankungen des Nervensystems. Antrittsvorlesung, gr. 8^. 1884. 1 M. Naunyn, Prof. B. (Strassburg). Klinik der Cholelithiasis. Mit 5 Tafeln. Lex.-8o. 1892. 10 M. Minkowski, Prof. 0. (Strassburg). Untersuchungen über den Diabetes Mellitus nach Exstirpation des Pankreas, gr. 8". 1893. Sonder- abdruck. 2 M. Sonnenburg, Prof. E. (Berlin). Pathologie und Therapie der Perityphlitis (Appendicitis simplex und Appendicitis perforativa). Sonderabdrack. Zweite sehr erweiterte Auflage, gr. 8. 1895. 5 M. V, Ziemssen's Klinische Vorträge. 1—23. gr. 8». 1895. a 60 Pf. VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 5 Lehrbuch der für Studirende und Aerzte Professor Dr. von Edmund Lesser, Director der Klinik für Haiitkranklieiten in Bern. = Achte und Neunte Auflage. == I. Band. 9. Auflage. Hautkrankheiten. Mit 29 Abbildungen im Text und 3 Tafeln in Kupferätzung. gr. 80. 1896. Preis 6 M., geb. 7.25 M. Dem Verfasser ist durch seine neue Thätigkeit als Kliniker in Bern Gelegen- heit geboten worden, eine Reihe von Krank- heitsfällen zu sehen, welche ihm früher in der Poliklinik überhaupt völlig fehlten; dieser günstige Umstand ist auch nicht ohne Einüuss bei der Bearbeitung der neuen Auflage geblieben, und wenn auch der Umfang des Buches nur um einen halben Bogen zugenommen hat, so wird der aufmerksame Le- ser doch fast in allen Kapi- teln verbessernde Aende- rungen und erweiternde Zusätze fijiden. Auch ist eine Anzahl von Erkrankungen, die nur selten zur Beobachtung kommen, in ganz kurzer Schilderung aufgenommen worden. Mehrere neue Auto- typien, sowie 3 Tafeln in Kupferätzung tragen zur Bereicherung der Illu- strationen bei. II. Band. 8. Auflage. Geschlechtskrank- heiten. Mit 12 Abbildungen im Text u. 3 Tafeln in Kupferätzung, gr. 8". 1895. Preis 6 M., geb. 7.25 M. VERLAG VON F. C. \V. VOGEL LV LEIPZIG. 6 A-tlas der von Dr. Hermann Rieder, Privatdozent und Assistent der medizinisclien Klinik in München. 12 Tafeln mit 48 Abbildungen in Farbendruck. Lex.-S«. 1893. 8 M., geb. 9.50 M. 12 Tafeln mit prächtigen, von Krapf ausgeführten Bildern geben alle Ein- zelheiten wieder. Jeder wird unbedingt die Schönheit und den Reiz dieser Bilder anerkennen. Es sind durchweg Musterpräparate, mit einem wahren Schwelgen in Farbentönen und Grössenverhältnissen dargestellt. (Berliner klin. Wochenschrift.) Handbuch von Dr. Hermann Rieder, Privatdocent und Assistent der medicinischen Klinik zu München. Mit 423 Abbildungen im Text. gr. S'l 1895. Preis 10 M., geb. 11.25 M. Rieder, Dr. H. in München. Beiträge zur Kenntniss der Leukocytose und verwandter Zustände des Blutes. Mit 2 Abbildungen im Text u. 4 farbigen Tafeln, gr. S'\ 5 M. Monti, A., Prof. und Dr. E. Berggrün, in Wien. Die chronische Anä- mie im Kindesalter. Mit 4 farbigen Tafeln, gr. 8". 6 M. Reinert, Dr. E. in Tübingen. Die Zählung der Blutkörperchen und deren Bedeutung für Diagnose und Therapie. Von der medicinisehen Klinik XU Tübingen gekrönte Preisschrift, gi-. 8". 6 M. Schmidt, Prof. Dr. Ales. Zur Blutlehre, gr. S». 1892. 6 M., geb. 7.25 M. Dennig, Dr. A. (Tübingen). Ueber Septische Erkrankungen mit be- sonderer Berücksichtigung der ki-yptogenetischen Septicopyämie. Mit 8 farbigen Tafeln und Ü Curven. Lex. 8«. 8 M. Dennig, Dr. A. (Tübingen). Ueber die Tuberculose im Kindesalter. Im Druck. Goldschmidt, Dr. J. Madeira). Die Lepra auf Madeira. Mit 13 Licht- drucktafeln. Lex. 8'J. 4 M. Ziemssen, Dr. 0. in Wiesbaden, Die Heilung der constitutionellen Syphilis, gr. 8«. 1 M. VERLAG VON F. C. W. VOGEL IX LEIPZIG. 7 der innctcn Hr anßßetf en. Ein Handbuch für Aerzte und Studirende Dr Wilhelm von Leube, Professor der mediz. Klinik und Oberarzt am Juliusspitale in Würzburg. Zwei Bände. Vierte umgearbeitete Auflage. I.Bd. Mit 10 Abbildungen. Lex.-8o. 1895. Preis 10 M., geb. 11.25 M. II. Bd. Mit 57 Abbildungen. Lex.-8o. 1895. Preis 12 M., geb. 13.25 M. Das Leube'sche Werk steht unter den vorhandenen medizinisch- klinischen Lehrbüchern mit an erster Stelle. Nicht nur der Studirende wird aus ihm Belehrung schöpfen, auch jeder Arzt wird es gei'n in die Hand nehmen, wenn er seine Kenntnisse wieder auffrischen, sich über die neueren Errungenschaften der klinischen Forschung unterrichten will. Centralbl. f. klin. Medizin. Insbesondere sind wir dem Verf. für zweierlei dankbar: er ist sichtlich bestrebt, den klinischen Blick dahin anzuleiten, dass er alles umfasst, nichts übersieht , insbesondere nicht über minutiösen Einzelheiten das grosse Ganze, den Allgemeinverlauf, die Wirkung der Krankheit. Fortschritte der Medizin. Leube, Dr. Wilhelm von, (Würzburg), Über Stoffwechselstörungen und ihre Bekämpfung. Rede zur Feier des 314. Stiftungstages der Kgl. Julius -Maximilians-Universität gehalten am 2. Januar 1896. 1896. gr. 8^. 1 M. Vorlesungen über von Dr. C. üebermelster, 0. ö. Prof. der Pathologie und Therapie, Vorstand der med. Klinik in Tübingen. Fünf Bände. gr. 80. 1894. Preis 42 M., geb. 48.25 M. Jeder Band ist einzeln käuflich. Diese, mit dem vorliegenden 5. Bande abgeschlossenen, Vorlesungen des berühmten Tübinger Klinikers sind das Produkt langjähriger Erfahrung und um- fassender Kenntnisse eines gewiegten Klinikers. Die Uebersichtlichkeit und die leichte Fasslichkeit des Textes machen das Lehrbuch dem Studirenden zugäng- lich, aber auch dem praktischen Arzte wird es in Folge seines reichen Inhalts ein willkommenes Besitzthum sein zu weiterer Vervollkommnung. VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 8 Genitale Neurosen und Neuropsychosen der Männer und Frauen von Prof. Dr. Albert Eulenburg iu Berlin. Lex. 80. 1895. Preis 4 M., geb. 5 M. Diagnostik der (UetDentran^ßei^ett, Von Dr. P. J. MÖbiUS in Leipzig. Zweite veränderte und vermehrte Auflage. Mit 104 Abbildungen im Test. gr. So. 1894. Preis 8 M., geb. 9.25 M. In dieser neuen Auflage ist der Plan des Buches erweitert worden. Das- selbe zerfällt in seiner neuen Gestalt in 3 Theile. Der erste enthält die Me- thoden der Untersuchung und die allgemeine Symptomatologie, geht also vom einzelnen Symptome aus; der zweite enthält die Lehre von der Localisation, geht also vom Orte der Läsion aus; der dritte sucht die ätiologisch-klinischen Krankheitseinheiten zu fassen, ist eine Skizze der speciellen Diagnostik. Handbuch der Neurasthenie. Herausgegeben mit anderen von Dr. Franz Carl Müller in Alexandersbad. gr. 8o. 1893. 12 M., geb. 14 M. Beard, H. M., Die Nervenschwäche (Neurasthenie), ihre Symptome, Natur, Folgezustände und Behandlung. Mit einem Anhang: die Seekrankheit und der Gebrauch der Brommittel. Uebersetzt und bearbeitet von Sanitätsrath Dr. M. Neisser in Breslau. Dritte vermehrte Auflage, gr. 8o. 4 M., geb. 5 M. König, Wilh., Dr. in Dalldorf, Ueber Gesichtsfeldermüdung und deren Beziehung zur concentrischen Gesichtsfeldeinschränkung bei Erkrankungen des Centralnervensystems. gr. 8«. 1893. 4 M. Günther, R. Dr. in Sonnenstein, Ueber Behandlung und Unterbrin- gung der irren Verbrecher, gr. 8°. 1893. 3 M. Hitzig, Eduard, Professor Dr. in Halle, Ueber den Quärulantenwahnsinn, seine nosologische Stellung und seine forensische Bedeutung. Eine Ab- handlung für Aerzte und Juristen. Lex. So 1895. 5 M. Lindenhof. Heilanstalt für Gemüts- und Nervenkranke. Von Dr. R. H. Pierson, (Director und Besitzer der Anstalt). Mit 81 Lichtdrucktafeln und 5 Plänen. Lex. 8". 1896. 10 M- VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 9 Schroeder's Haiidbucli der Krankheiten der Umgearbeitet und herausgegeben von M. Hofmeier, 0. ö. Professor der Gebiutsbülfe und Gynäkologie iu Würzburg. Elfte Auflage. Mit 186 Al)l)ildungen im Text. gr. 80. 1893. Preis 12 M., geb. 14 M. Die E 1 f t e A u f 1 a g e dieses bekannten und allgemein verbreiteten Handbuchs ist sorgfiütig kritisch durchgearbeitet und an vielen Stellen verändert und er- gänzt. Obwohl vielfach früher in demselben vortretende Anschauungen ge- ändert werden mussten, was in der Natur der Verhältnisse und der allmäh- lichen Fortbildung unserer Wissenschaft liegt, so liegen dem Werke doch die speciellen Ansichten Schroeder's zu Grunde. Es bleibt daher dieses Werk in seiner vorzüglichen kritischen Bearbeitung ganz dazu geeignet, den Wunsch des Herausgebers zu erfüllen, das Andenken Schroeder's unter den Fach- genosseu lebendio^ zu erhalten. Hueter-Lossen's Grundriss der dbicnvgie. I. Bd. Die Allgemeine Chirurgie. Sechste umgearbeitete Auflage. Mit 200 Abbildungen. Lex. 8". 1889. Preis 10 M., geb. 12 M. II. Bd. Die Specielle Chirurgie. Siebente Auflage. Mit 353 Abbil- dungen. Lex. 8». 1892. Preis 25 M., geb. 27.50 M. N „Hueter's Chirurgie, die nahezu an allen deutschen Universitäten gebraucht wird und sich von Generation zu Generation forterbt, gehört zu den am meisten verbreiteten Lehrbüchern. Die trett'liche Bearbeitung, die Professor Lossen seit einer Reihe von Jahren dem vorzüglichen Werke angedeihen lässt, bewahrt das Buch vor dem Veralten. Bietet das Werk dem Studirenden ein verlässliches Compendium, das alles Wissenswerthe in gebotener Kürze, jedoch frei von jedem Schematismus enthält, so genügt es auch andererseits vollauf den Bedürfnissen des praktischen Arztes , da es iu knapper Form, in gut geschriebener klarer Darstellung in allen Fällen Aufklärung verschafft, ohne jemals durch theoretischen Ballast zu ermüden." VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 10 V o r 1 e s u 11 g e ii über Hllgemeine ITberapie. Mit besonderer Berücksichtigung der inneren Krankheiten von Dr. Friedrich Albin HofFmann, K. R. Wirkl. Staatsrath, o. ö. Professor und Director der Universitäts-Poliklinik an der Universität zu Leipzig. Vierte umgearbeitete Auflage. gr. 8". 1895. Preis 10 M., geb. 12 M. Die neue Auflage bietet noch reicheren Inhalt als die früheren und berück- sichtigt zahlreiche Untersuchungen, welche namentlich über die Stoffwechsel- Erkrankungen inzwischen erschienen sind. Wie bei den früheren Auflagen hält die frische und originelle Art der Darstellung das Interesse des Lesers von der ersten bis zur letzten Seite wach. Berliner klin. Wochenschrift. Möge das vortreffliche, von echt philosophischem Geiste durchwehte, eine Fülle praktischer Einzelheiten enthaltende, äusserst anregend geschriebene Lehrbuch in der Bibliothek keines Arztes fehlen, der in der Therapie etwas mehr erblickt, als das Verschreiben eines Receptes und die Abfassung eines Speisezettels. Deutsche Medizinal-Zeitung. In der That gehört das Buch zu den wenigen, in neuster Zeit erschienenen Werken, welche durch erfrischende Originalität in Wort und Gedanken das Intei-esse des Lesers vom Anfang bis zum Schlüsse in steigender Spannung er- halten. St. Petersburger Medic. Wochenschrift. JDrei Vorträge aus dem Gebiete der 5 ^ 5 i ^ tt e gehalten im Sitzungssaale des Abgeordnetenhauses Prof. Dr. Max Rubner '^°'' Prof. Dr. Carl Fraenicel in Berlin und in Marburg Prof Dr. Dittmar Finkler in Bonn, gr. 8". 1895. Preis: 2 Mark. und Prof. Dr. H. Tappeiner in München. Zweite vollständig umgearbeitete Auflage. gr. 8". 1895. Preis G M., geb. 7.25 M. VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 11 ImSommerlS96er scheint: V o r 1 e s u n g e n ■ ußßi? Den ^m hv nm\m iS^tntuiov^mt' 5etr .Ollenfcßen unb Z^icve, Für Aei'zte und Studirende von Dr. Ludwig Edinger in Frankfurt a/M. Fünfte völlig umgearbeitete Auflage. Mit zahlreichen Abbildungen. Lex. -8". Preis ca. 10 M. äsere "4 — Irmere / Opticusschicht. Centr. Höhlengrau. Dec. d. tiefen Markes. Tiefes med. Ther. Tief. Mark. lat. Abth. Co. post. Fase. long. post. Opticus. Nucl. prof. lat. Nucl. prof. med. Gangl. ventr. tegmenti. Frontalsehnitt durch das Mittelhirn von Lacerta. Die fünfte neu reviclirte Auflage ist wesentlich erweitert durch eine grosse Anzahl neuer, nach Photographien von grossen Hirnschnitten gefertigten Ab- bildungen. Der Mangel solcher gi-ossen Himbilder hat bisher den Gebrauch in der Praxis etwas erschwert. Aber das Buch hat auch eine wesentliche Er- weiterung dadurch erfahren, dass es in einer Reihe von einleitenden Vorlesungen zum erstenmale eine durchaus originale Uebersicht über das Ge- hirn der Wirbelthiere bringt, für welche an 100 neue Abbildungen nach Präparaten des Verfassers gezeichnet wurden. Durch diesen neuen Abschnitt und dadurch, dass nun auch das Functionelle mehr als früher berücksichtigt worden ist, eignet sich E dingers Hirnanatomie nun auch für die Studien über den Bau des Nervensystems im Allgemeinen und über seine Functionen. Speciell sei auch di.e Aufmerksamkeit der vergl. Anatomen und Zoologen auf das Werk gelenkt. Erb, Prof. W. in Heidelberg, Dystrophia muscularis progressiva. Klinische u. patholog.-anatom. Studien, gr. S**. 1891. Sonderabdruck. 4 M. Steudel, Dr. E.. Stabsarzt. Die perniciöse Malaria in Deutsch- Ostafrika. Mit 1 Curventafel. gr. 8». 1894. 2 M. VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG. 12 ■' ! / ^^. '< \