Antobte Watteau, Iris

Die Mode. 18. Jatrh. 1

DIE MODE

Menschen und Moden im achtzehnten Jahrhundert

Nach Bildern und Stichen der Zeit ausgewählt von

Dr. Oskar Fischel

Text von

Max von Boehn

Zweite verbesserte Auflasre

MÜNCHEN / BEI F. BRUCKMANN A.-G.

Alle Rechte, besonders das für fremdsprachliche Ausgaben, vorbehalten

Klischees und Druck von F. Bruckmann A.G., München 1919

Das Bild der Mode menschlich und ohne Verzerrung zu geben, hat dieses Bändchen sich zum Ziel gesetzt. Der Text schildert als Parallele dazu das Leben in seinen geistigen, politischen und künstlerischen Faktoren, kurz alles, was die Abbildungen schuldig bleiben müssen. Ganz ineinander auf- gehen können Bild und Wort hier naturgemäß nicht. Niemand wird vernünftigerweise zu allem, was an kulturellen Regungen einer Zeit besprochen wird, eine Illustration aus der Mode erwarten dürfen, so wenig, wie es notwendig scheint, zu einem Bilde, das sich von selbst erklärt, nochmals eine Paraphrase in Worten zu geben.

Nur, wer Text und Bild als ein Ganzes nimmt, wird das, was der Titel verspricht »Menschen und Moden« finden.

Für eine kurze Spanne Zeit ist hier versucht, was für die gesamte Kostümgeschichte geleistet werden sollte: die äußere Erscheinung einer Epoche im Spiegel ihrer Kunst zu geben, aufrichtig, aber ohne die Schärfe oder Ueber- treibung, die bisher fast stets in Kostümgeschichten beliebt worden ist.

Denn nicht die Kuriosa und Absonderlichkeiten in dem Bilde früherer Zeiten, so wenig wie lokale Besonder- heiten sollte man suchen, sondern das Typische, Normale und gesetzmäßig Entwickelte der Tracht. Wer sich wirklich mit Empfinden und Gehaben einer Epoche vertraut machen kann, wird auch für die unserem Gefühl widersprechenden

2076800

Formen der älteren Moden nicht die besser wissende Kritik und den Spott erübrigen können, in denen lange Zeit das Interesse an diesem Teil der Kulturgeschichte sich erschöpft hat. So wurde hier versucht, neben der Mode und der geistigen Erscheinung der Zeit zugleich soviel wie angängig von der Szenerie des Lebens in Wohnungen, Möbeln, Gärten anzudeuten, kurz die Kunst als Zeugin für das gesamte Leben aufzurufen. Denn die Maler sind die unbefangensten und zuverlässigsten Schilderer. Die Illustration ist darauf bedacht gewesen, nur authentisches Material, das als Ur- kunde für die äußere Erscheinung der Zeit gelten kann, zu bieten. Bei der Anordnung desselben ist wie beim 17. Jahr- hundert der Versuch gemacht worden, eine möglichst chrono- logische Ordnung durchzuführen. In den Fällen, in denen die Originale der Bilder oder Stiche ein Datum tragen oder dasselbe auf andere Weise zu ermitteln war, ist es der Unter- schrift hinzugefügt worden. Zwischen diese zeitlich fest be- grenzten Bilder sind jene eingeschaltet worden, deren Datum nur annähernd zu bestimmen war. Dieses Verfahren schließt Irrtümer nicht aus, wer aber die Schwierigkeiten der Materie kennt, wird die Arbeit mit Nachsicht aufnehmen.

Die Verfasser möchten an dieser Stelle Herrn Dr. Doege auf das wärmste für die große und selbstlose Liebenswürdig- keit danken, mit der sie von ihm bei ihren Studien über die Mode gefördert und unterstützt wurden.

MAX V. BOEHN DR. OSKAR FISCHEL

Für das Abbildungsmaterial sind die Vorlagen besonders folgenden Sammlungen entnommen :

der Freiherrlich LipperheideschenKosiümbibHothek, dem K. Kunst- gewerbemuseum, dem K. Kupferstichkabinett, dem Hohenzollern- Museum, dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, der K. Neuen Pinakothek, der Graphischen Sammlung, dem Nation^lmuseum und der K. Residenz in München, der Bibliolheque nationale, dem Cabinet des Estampes in Paris, dem British Museum und dem South Kensington Museum in London, dem Museum in Versailles, der Kaiserl. Gemäldegalerie, der Albertina, der Hof- bibliothek, der Galerie Liechtenstein in Wien. Auch an dieser Stelle sei der Dank der Herausgeber und des Ver- lags für das Entgegenkommen, mit dem von staatlicher und privater Seite das Unternehmen unterstützt wurde, zum Ausdruck gebracht.

Ganz besondere Dankbarkeit schulden Verfasser und Verlag den Vorständen der Kunstgewerbemuseums- und Lipperheideschen Kostüm- bibliothek urd des Kupterstichkabinetts in Berlin.

Chodaiüiecki , JJjg

Chodowiecki, ijSi

MENSCHEN UND MODEN IM ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERT

Inhalts-Übersicht

1 . Kapitel :

Politik S. I Empfindung S. 5 Rousseau S. 6 Einfluß Frankreichs S. 8 Deutsch und französisch S. 12 Standesvorurteile S. 16 Rang und Titel S. 18 Die Bekenntnisse S. 21 Die Jesuiten S. 26 Er- ziehung S. 29.

2. Kapitel:

Die Moral S. 38 Empfindung und Empfindelei S. 47 Klopstock S. 49

Werther S. 50 Bildungsbedürfnis S. 52 Norden und Süden S. 54

Friedrich der Große S. 58 Der Aberglaube S. 60 Abenteurer S. 66.

3. Kapitel:

Die Kunst S. 71 Architektur S. 74 Der Klassizismus S. 77 Romantik S. 79 Malerei S. 79 Das Porträt S. 85 Das Pastell S. 86 Die Silhouette S. 88 Das Interieur S. 90 Das Mobiliar S. 94 Das englische Möbel S. 100 Das Briefschreiben S. 104 Gartenkunst S. 108 Das Porzellan S. iii.

4. Kapitel:

Die Mode S. 121 Die Damenmode S; 124 Die Fontange' S. 128 Der Reifrock S. 130 Das Schnürleib S. 13S Die Adrienne S. 145 Der Caraco S. 148 Stoffe und Farben S. 148 Das Brautkleid S. 151

Unterkleider S. 152 Die Spitzen und Wäsche S. 156 Die Frisur S. 158 Puder S. 172 Schminke S. 174 Die Mouches S. 177

Der Schuh S. 178.

5. Kapitel:

Die Herrenmode S. 181 Gilets S. 186 Das Beinkleid S. 186 Spitzen S. 189 Der Degen S. 190 Hofaniformen S. 194 Der englische Anzug S. 197 Die Frisur S. 198 Die Perncke S. 200 Puder und Schminke S. 206 Der Hut S. 207 Die Orden S. 208 Kleiderordnungen S. 209

Uniformierungssucht S. 2 1 4. Die Uniform S. 2 1 7 Das Modejournal S. 2 20.

6. Kapitel:

Zustände S. 224 Reisen S. 228 Reinlichkeit S. 232 Essen S. 235

Vergnügungen S. 241 Das Spiel S. 244 Die Jagd S. 246 Das Theater S. 248 Die Heilkunde S. 252 Die Klöster S. 254 Die

Zeitungen S. 256.

^%.di \\

/en<ii^ i

yacques-Andre Portaii, Bildnis einer Dame

Die Mode. 18. Jährt. 2

Besser, Pauker tind Trompeter aus dem Königsberger Krönungswerk ijoi

Eine spätere Epoche hat das i8. Jahrhundert mit Vorliebe VoUtik das der Aufklärung genannt, und wenn die Zeitgenossen desselben in seinen letzten Jahrzehnten von ihrer eigenen Zeit sprachen, so bezeichneten sie sich mit Stolz als Ange- hörige des »philosophischen« Zeitalters. Wie bedenklich es auch sein mag, einen Zeitabschnitt von solcher Länge mit einem Worte charakterisieren zu wollen, wie bedenklich es zumal bei diesem vielgestaltigsten und an Gegensätzen reichsten Jahr- hundert der Weltgeschichte ist, in dem sich, wie Johannes Scherr so hübsch ausgeführt hat, in einer wahrhaft kaleidoskopischen Buntheit der Kontraste das kühnste Denken und die raffinierteste Genußsucht, philisterhafte Verknöcherung und revolutionärstes Wollen, kolossale Laster und reinsterldealismus, zynischer Skep- tizismus und kindlichster Glaube, verhärtetster Egoismus und sentimentalste Schwärmerei zusammenfanden, so scheint es uns doch heute beim Rückblick auf jene Zeit, daß man mit Recht die »Aufklärung« als die wesentlichste und wichtigstealler Er- scheinungen, die das Jahrhundert geboten, bezeichnen darf. Die »Aufklärung« im Sinne der Befreiung von der Theologie zur Philosophie, der Emanzipation vom sklavischen Dogma zum freien Denken.

Die neuen Wege, welche die Großtat Luthers der Menschheit gewiesen, sind zwei Jahrhunderte hindurch nicht von ihr be-

DieMode. IS.Jahih 2,A.

Besser, die Herren Hofgerichtsräie aus dem Königsberger Krönungswerk lyoi

gangen worden. Die geistigen Fesseln, welche die Theologen des Luthertums in dieser Zeit der protestantischen Welt anlegten, waren nicht minder drückend, nicht weniger eng, als es da? Lehrgebäude gewesen, in dem die katholische Kirche vor Luther den Geist gefangen gehalten hatte. Erst das i8. Jahrhundert ist reformatorisch weitergeschritten, indem es sich der Führung der Theologie entzog, indem es von theologischen Voraus- setzungen völlig absah und sich der Erkenntnis vom Wesen der Dinge auf Wegen zu nähern versuchte, die ihre Richtschnur vom Denken, nicht vom Glauben empfingen. Die neue Welt- betrachtung, welche der Menschheit eine neue Weltanschauung bescherte, hat dann, als sie aus der Studierstube des Philo- sophen auf den Marktplatz trat, die hergebrachte Ordnung der Gesellschaft in ihren Grundlagen erschüttert, und jenen enormen Umschwung herbeigeführt, der die zweite Hälfte des i8. Jahr- hunderts so wesentlich und so merkwürdig von der ersten unter- scheidet.

Wer heute an die Geschichte jener Zeit herantritt und mit den Vorurteilen, welche der Geschichtsunterricht der Schule uns zu vermitteln pflegt, das i8. Jahrhundert als eine Ein- heit zu begreifen sucht, wird bald gewahr werden, daß sich etwa zwischen 1740 und 1760 ein Bruch vollzieht, der das Jahrhundert in zwei Hälften spaltet, in zwei Teile zerlegt, die von Grund aus verschieden, zwei Körper bilden. Der erste gehört in seiner Geschichte und Kultur noch völlig dem Mit- telalter an. Er ist überlebt und tot, der zweite aber beginnt die neue Zeit. Der Geist, der ihn erfüllte, ist noch lebendig, sein

Erbe nährt uns noch heute. Die erste Hälfte des Jahrhunderts sieht im Fürsten den absoluten Herrscher, der in Sonnenhöhe von seinen »Subjekten« entfernt, für Wohl und Wehe derselben unempfänglich, für ihre Wünsche unerreichbar ist. Der Adel seines Hofes ist seine Welt, der Genuß der einziee Zweck seines

Hyaänthe lügaud, Ludwig XI V.

Daseins. König Friedrich I. von Preußen verbrauchte für seinen Hof 820000 Taler, soviel wie die ganze übrige Verw^altung kostete. Die vorzüglichsten Repräsentanten dieser Art Herr- scher sind in Frankreich Ludwig XV., in Deutschland August der Starke und Max Emanuel von Bayern. Die Pracht ihres Hofhaltes, der verschwenderische Luxus ihrer Bauten sind in den Augen der Zeitgenossen glänzende Ruhmestitel, Ver-

Bonnard, Dame 7?iit langem Schal

dienste, der Unsterblichkeit wert und 50 Jahre später sind die Könige, wie Friedrich der Große, Joseph IL, Katharina von Rußland, stolz, sich als die ersten Diener ihrer Staaten fühlen zu dürfen. Friedrich II. nennt sich den roi-philosophe, Stanis- laus von Polen den philosophe bienfaisant, Kaiser Joseph einen Schätzer des Menschengeschlechts. Ehemals war der Untertan nur geduldet, weil er die Mittel zur Befriedigung der Launen seines erhabenen Herrn zu schaffen hatte, er wurde nicht gefragt, besaß kein Urteil und erstarb in ehrfurchtvollster Bewunderung. Jetzt bildet sein Wohl den Angelpunkt der Ge- danken des Herrschers, den Markstein seiner Taten. Der Adel war alles gewesen, der Bürger nichts. Jetzt hatte der letztere sein Haupt erhoben und setzte der Weltklugheit der Hofleute

Bonnard, Dame mit Schürzchen

duns

die Tugend des Biedermanns, dem berechnenden Verstand das fühlende Herz entgegen.

Einer Epoche der Aeußerlichkeit, die nur die Form geschätzt Empß, hatte, folgte eine solche der Innerlichkeit, die das Wesen suchte und es in der Empfindungssphäre des Gefühlslebens zu finden meinte. Der Endzweck des Lebens war nicht mehr der Genuß, sondern das Glück, nicht länger die Befriedigung der Lust, sondern die Erfüllung der Pflicht. Es war ein gewaltiger Umschwung der Anschauungen, der sich auf allen Gebieten des menschlichen Geistes geltend machte, der wie ein schöpfe- risches »es werde« die Wissenschaft, die Kunst, die schöne Literatur zu neuem Leben erweckte. Und diesen Umschwung verdankte die Welt die Philosophie, welche die Erziehung der

Menschheit der Theologie entwunden hatte, verdankte Deutsch- landinsbesondere Christian Wolff, einem Denker, der in seinen eigenen Werken und mehr noch durch die zahllosen Schriften seiner Schüler seine Zeitgenossen zuerst zu philosophischem Denken erzog, zu einer Lehre, deren Endzweck die Beförderung der Tugend, der moralische Fortschritt war. Und wie er am Beginn des Jahrhunderts, so steht am Ende desselben Kant, der einem zwiespältigen und zerrissenen Volk in dem ehernen Pflichtgebot seines kategorischen Imperativs ein Fanal errich- tete, dessen Licht die Irrenden auf den rechtem Weg zusammen- geführt hat. Rousseau Wie Weitgehend aber auch der Einfluß der Wolff und Kant auf die Bildung ihrer Zeitgenossen gewesen sein mag, tiefer im Innersten bewegt, hinreißender ergriffen hat sie doch noch ein anderer und das war Jean Jacques Rousseau. Die ganze zweite Hälfte des i8. Jahrhunderts steht unter seinem Zeichen. Wie die Astrologen einst dem Sternbild, welches in der Geburts- stunde eines Menschen im Zenith steht, eine bestimmende Ge- walt über das ganze Leben des Neugeborenen zuschrieben, so beherrscht Rousseau die Menschheit, deren Gedanken und Gefühle er in seinen Bann zwingt. Er leiht der Sehnsucht eines ganzen Zeitalters die leidenschaftlichsten Worte, den flammendsten Ausdruck. Der Philosoph wird zum Propheten und verkündet einen neuen Glauben, dessen einziges Evange- lium die Natur ist. Er selbst führt ein Leben in Jammer und Elend, aber die Feder des armseligen Notenschreibers stößt Könige von ihren Thronen und weist der Weltgeschichte neue Bahnen. Er bezaubert die strengen Denker wie Kant, in dessen Rechtslehre sein Einfluß so unverkennbar ist, und die Dichter, wie Goethe. Herder ruft ihn zu seinem Führer an, Joseph IL. geht an Voltaires Haus vorüber, aber Rous- seau zu besuchen, läßt er sich nicht nehmen. Der »Emile« und die »Neue Heloise« machten Rousseau zum Abgott aller feurigen schwärmerischen Seelen. Mendelssohn berichtet uns, wie man sich damals seine Bücher aus den Händen gerissen hat. Das Berauschende seiner freisinnigen Ideen und das Verfüh- rerische seines Stiles machten seine Werke zu einer gefährlichen Lektüre. Wenn man weiß, daß sie den berühmten Maler Maurice Quentin de laTour um den Verstand brachten, so wundert man sich nicht, daß Geliert seine Freundin, die Demoiselle Lucius

direkt vor ihnen warnt, ja der Beichtvater der Fürstin Lori Liech- tenstein würde ihr noch eher gestattet haben, Voltaire zu lesen als Rousseau. Daß die katholische Kirche seine Schriften unter die verbotenen Bücher zählte, hinderte die Domherren der

Hyacinihe Rigaud, Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans » Liselotte <■

rheinischen Stifte nicht, seine Büste in ihren Zimmern an die Stelle der Mutter Gottes zu setzen. Unannehmlichkeiten zog das nur Laien zu, wie etwa Meinhardt, der mit seinem Zög- ling, dem Grafen Moltke, Wien besuchte und im Besitz des »Emile« betroffen, froh sein mußte, mit Konfiskation des Buches davonzukommen.

Die Ideen der Aufklärung, wie sie außer Rousseau, wenn auch in anderem Sinne, Voltaire und die Enzyklopädisten vertraten,

verbreiteten sich um so schneller und unaufhaltsamer, als diese Autoren Französisch schrieben, also in der Sprache, die der gesamten kultivierten Welt geläufig war, vielen sogar vertrauter als ihre Muttersprache. Der besonders von deutschen Schrift- stellern der folgenden Zeit den Deutschen des i8. Jahrhunderts so oft gemachte Vorwurf der Französelei verliert bei gewissen- hafter Untersuchung seine Berechtigung. Deutschland und das Deutsche Reich waren in jener Zeit weder ein geogra- phisch noch politisch feststehender Begriff. An seinen Gren- zen verschmolz es nach allen Seiten mit den Nachbarländern zu staatlich zusammengehörigen Gebilden. Die tonangebende Macht im Reiche, das Kaiserliche Haus, wurzelte in seiner Herr- schaft hauptsächlich in außerdeutschen Gebieten, in Ungarn, Böhmen, den Niederlanden, Neapel ; die Kurfürsten von Sachsen waren Könige von Polen, die Kurfürsten von Brandenburg Könige von Preußen, die Kurfürsten von Hannover Könige von England, der Landgraf von Hessen-Cassel König von Schweden. Oldenburg gehörte zu Dänemark, Pommern zu Schweden. Der Kurfürst Max Emanuel hat, solange er lebte, nicht aufgehört, nach einer ausländischen Krone zu trachten, gleichviel, ob sie ihm in Spanien, in Ungarn, in Neapel, Bel- gien oder sonstwo zu winken schien, und noch Karl Theodors höchster Wunsch war es, Bayern dranzugehen, um König von Burgund zu werden. Die Aufhebung des Ediktes von Nantes füllte die deutschen protestantischen Staaten Baden, Hessen, Braunschweig mit Refugiers, besonders die Mark Brandenburg. So war z. B. in Berlin am Ende des 17. Jahrhunderts jeder dritte Mensch ein Franzose. Diese Refugierten, welche ihrem Glauben zuliebe Heim.at und Besitz unter tausend Gefahren verließen, waren nicht nur durch die Stärke ihres Charakters hervorragende Menschen, sie waren auch Leute, die eine feinere Ges ttung, eine höhere Kultur mitbrachten und in der neuen Heimat verbreiteten. In der Mark Brandenburg sollen sie allein 43 unbekannte Arten von Gewerben eingeführt haben. Lud- wig XIV. hat allen Ernstes daran gedacht, sich zum Kaiser von Deutschland wählen zu lassen. Und wenn er die Mehr- zahl der deutschen Fürsten durch Subsidienzahlungen an Frank- reich fesselte, so darf man gegen die Empfänger deswegen noch nicht den Vorwurf des Undeutschen erheben. Sie waren infolge der Geldarmut ihrer im Dreißigjährigen Kriege völlig ausge-

8

Ni^

""^ -^

Antoine Watteau, Junges Mädchen

Die Mode. 18. Jatrh. 3

Watteau, Der Maler selbst und Herr von yulienne

sogenen Länder geradezu auf diese Subsidien angewiesen. Der enge, auf die Nationalität beschränkte »Patriotismus«, wie wir ihn heute verstehen, ist erst im 19. Jahrhundert entstanden. Jene Zeit kannte ihn gar nicht. Wenn die deutschen Höfe damals von Franzosen wimmelten, Friedrich der Große sich

für seine Steuerunternehmungen Scharen französischer Beamten kommen ließ, so zogen nicht weniger Deutsche nach Frankreich. Wenn ein preußischer Feldherr wie Herzog Ferdinand von Braunschweig äußerte: »Es ist für jeden deutschen Offizier eine Ehre, in französischen Diensten zu stehen«, so darf man sich nicht wundern, daß die Marschälle Frankreichs mehr als einen Ausländer in ihren Reihen zählen, den Schweden Grafen Löwendal, Moritz von Sachsen, den Sohn Augusts des Star- ken u. a. Ja ganze Regimenter des französischen Heeres, wie Royal Allemand, Royal Deux-Ponts, Royal Etranger u. a. rekrutierten sich dauernd aus Deutschland. Ist nicht dagegen Prinz Eugen von Savoyen kaiserlicher Feldherr geworden und rechnen wir den »edlen Ritter« nicht zu den Unseren? Graf Schulenburg verrichtete seine glänzenden Waffentaten im Dienste Venedigs, Graf Lippe in dem Portugals, der Schotte Keith im Solde Preußens. Der deutsche Graf Goerz war schwe- discher, mehrere Grafen Bernstorff dänische Minister. Daß ein Staatsmann oder ein Feldherr nacheinander verschiedenen Herren verschiedener Länder diente, erregte weder Aufsehen noch Anstoß. Nicht die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Nation gab den Ausschlag bei der Beurteilung eines Mannes, sondern die Zugehörigkeit zur guten Gesellschaft. Diese war international, weltbürgerlich, ihre Formen aber, ihre Sprache, ihre Sitten, ihre Kunst und ihre Mode war französisch. Dieses Ueberwiegen der französischen Kultur datierte seit den Glanz- tagen Ludwigs XIV., seit der Sonnenkönig auf dem Gipfel politischer Macht sich nicht mit Unrecht als den Herrscher der Welt betrachten konnte. Von ihm empfing sie Krieg oder Frieden, von ihm Kunst und Bildung.

Und was hätte das Deutschland von damals dieser Macht und diesem Glanz auch entgegensetzen können? Politisch, wie Pufendorf das Reich charakterisierte, eine krankhafte Zwitter- bildung, ein monströser Körper, der aus mehreren Hundert theoretisch gleichberechtigter Staaten zusammengesetzt war, »Staaten«, unter denen sich Reichsdörfer von 500 Einwohnern, Reichsritter über Vs Quadratmeile befanden, Miniaturdespoten, die das Recht über Leben und Tod, Krieg und Frieden, Zölle und Steuern nicht tiur besaßen, sondern auch ausübten. Fürst Hya- zinth von Nassau-Siegen ließ 1707 einen Bauern aus keinem anderen Grunde hinrichten, als um zu zeigen, daß er auch

10

Antoine Watteau, Das sog. Firmenschild des Gersaint (rechte Hälfte)

als Besitzer einer halben Grafschaft Herr über Leben und Tod sei. Der Herzog von Sachsen-Weimar bekriegte den Fürsten von Schwarzburg; Mainz und Würzburg, Meiningen und Koburg haben gegeneinander die Waffen ergriffen. Herr v. Flemming auf Weissig überzog mit seinem Heere von 30 Mann die Staaten der Herzogin- Witwe von Sachsen- Weißenfels mit Krieg ; Lächerlich- keiten, die den Zeitgenossen gar nicht zum Bewußtsein kamen.

II

Deutsch und So wenig wie Deutschland als Staat sich mit Frankreich, so französisch ^gj^jg konnte die deutsche Literatur sich mit der französi- schen messen. Wie hätte neben der Formvollendung, der glatten Eleganz der Corneille und Racine, dem Witze Molieres und Boileaus der Schwulst bestehen können, den die Lohenstein und andere in einer holperigen Sprache von sich gaben, oder jene entsetzlichen Romane AntonUlrichs von Braunschweig, von denen Liselotte trotz ihrer Neigung für den blutsverwandten Autor gestand, sie könne täglich nur einige Seiten davon auf dem Kackstuhl lesen. Das Deutsche, wie man es im Beginne des i8. Jahrhunderts schrieb und sprach, ist eine plumpe, mit Fremdwörtern infizierte Sprache, deren grammatikalisch un- gefügen Bau die Schriftsteller nur mit Gewalttätigkeit hand- haben können. Wie schwerfällig drücken sich selbst solche Deutsche aus, die eine Vorliebe für ihre Muttersprache haben, wie Liselotte oder Friedrich Wilhelm L, wie wenig können auch sie, um ihre Gedanken klar zu machen, das fremde Idiom, sei es selbst nur in einigen Worten oder Phrasen, entbehren. Im Munde des sächsischen Postmeisters Trömel, der sich als Dichter Jean Chretien Toucement nannte, wird dieses Kauderwelsch der damaligen Umgangssprache absichtlich oder unabsichtlich geradezu burlesk. Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen, daß die Deutschen der höheren Klassen, welche die Elemente einer feineren Gesittung von Frankreich empfingen, besonders die Höfe und der Adel sich auch mit Vorliebe der französischen Sprache zum Ausdruck ihrer Gedanken bedien- ten. Das ganze Jahrhundert hindurch bleibt Französisch die Sprache des Weltmanns. Baron Pöllnitz am Beginn, Graf Lamberg am Schluß legen ihre mondainen Erinnerungen so gut Französisch nieder wie der Italiener Casanova. Friedrich der Große schreibt, spricht, dichtet lebenslang besser Fran- zösisch als Deutsch, ebenso wie seine boshafte Schwester, die Markgräfin von Bayreuth. Voltaire schreibt 1750 aus Pots- dam : Ich befinde mich hier in Frankreich. Man spricht nur unsere Sprache. Das Deutsche ist bloß für Soldaten und Pferde. Kaiser Franz, der Gemahl der Maria Theresia, lernte über- haupt nie ordentlich Deutsch. Die Prinzessin Eleonore Oet- tingen-Spielberg fing erst an, Deutsch zu lernen, nachdem sie sich mit dem Fürsten Liechtenstein vermählt hatte und konnte es sich in einem halben Jahrhundert doch nicht zu eigen machen.

\2

Antoine Watteau, Cavaliei

Die Mode. 18. Jahrh. 4

AniuDie i'y uucau. I^ii inemciulii des Gersaint ( .umL/iHiiC)

13

Watteau- Liotard, Franzusisclu Scliauspiehzen

Der Marquis de Boufiflers übersetzt während eines Aufenthalts in Wien Wielands Grazien in das Französische und begeisterte die Damen dadurch für die deutsche Sprache. Fräulein von Pannwitz korrespondiert mit ihrem Bräutigam, dem Herrn von Voß, Französisch, gerade so wie Wieland mit Sophie von Guter- mann. Deutsche, die in Paris ihren Wohnsitz nahmen, be- herrschten die Sprache ihrer neuen Heimat bald besser als die des Mutterlandes, wie etwa Grimm oder der berühmte Kupfer- stecher Wille, während im umgedrehten Fall Franzosen, wie Henri de Gatt, der Vorleser Friedrichs des Großen, 40 Jahre und länger in Deutschland angesessen sein konnten, ohne je seine Sprache zu lernen.

Erst von jenen Tagen an, da Christian Thomasius 1687 in Leipzig das erste auf deutschen Universitäten in deutscher Sprache gehaltene Kolleg ankündigte, eine Tat, welche der Senat als entehrend für die Hochschule ansah, ist die deutsche Sprache langsam zu Ehren gekommen. Thomasius Beispiel

14

Watteau- Basan, Italienis

cuau^j'teitr

folgte erst 1705 Professor Buddeus in Jena. Eine systematische literarische Pflege wurde ihr aber erst, zu teil, als Gotsched zu diesem Zweck 1727 in Leipzig eine Gesellschaft gründete, welcher bald an anderen Orten, wie z. B. in Jena Tochter- gesellschaften zur Seite traten. Diese absichtliche Pflege des Deutschen betont bewußt und gewollt den Gegensatz, in dem sich das Bürgertum zu dem Adel fühlte. Sie bildet eines der stärksten Elemente in der Reaktion der aufkommenden deut- schen bürgerlichen Gesellschaft, gegen die französierten höfischen und adligen Kreise der vornehmen Welt. Der Verachtung des Heimischen, wie jene sie affektierten, stellten sie die Ueberschät- zung desselben entgegen, ein Umstand, der die scharfe äußere Trennungder beiden Stände geistig noch bedeutend vertiefte. Die Gesellschaft jener Zeit gliederte sich in Stände, die gegeneinander mitsoviel Rechten und Pflichten Verbarrikadiertwaren, daß deren Wahrung nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Staa- ten als Ganzes den Gegenstand eifersüchtigster Sorge bildete,

15

Standes- Dcf Wert, den man auf diese Standesvorrechte legte, erhellt für uns aus der Wichtigkeit, mit der dazumal diese Quisquilien behandelt wurden, hat doch ein Leibniz sich literarisch damit befaßt, sind doch die Berichte der Diplomaten zum größten Teil mit nichts anderem angefüllt. Freiherr von Widmann, öster- reichischer Gesandter in München, schreibt 1750 21 Folioseiten nach Wien über die Streitigkeiten, die er bei seinem Empfang am kurbayerischen Hofe hatte und die Memoiren der Mark- gräfin Wilhelmine von Bayreuth behandeln in breitester Aus- führlichkeit die ewigen Rangstreitigkeiten zwischen dem Hof- personal, den Streit um Lehnstüle und Tabourets, um den Vortritt und dergleichen. Nie vergißt sie zu erwähnen, bis in welches Vorzimmer ihr die Kaiserin, die Königin von Preußen (ihre Mutter!) und die verschiedenen minderen fürst- lichen Personen entgegenkommen. Diese lästigen Weitläufig- keiten der Etikette veranlaßten schließlich, daß an einzelnen Höfen, z. B. am preußischen, von den Gästen um den Vortritt, um die Plätze an der Tafel usw. gelost wurde. Wie besonders der Vortritt vor anderen den Damen am Herzen lag, beweisen die mannigfaltigsten kleinen Ereignisse der Zeit. Als der Her- zog Ulrich von Meiningen Frankfurt a. M. besuchte, verdrängte beim offiziellen Empfang eine fremde Dame die Stadtschult- heißin Textor geborene Lindheimer gewaltsam von ihrem Platz; wenn der Kurfürst von Bayern in Nymphenburg Soupers gab, entstand zwischen den Hofdamen und den Gesandten- Frauen ein solches Wettrennen um den Vortritt in den Speise- saal, daß die alten Oberhofmeisterinnen den freigebig ausge- teilten Püffen und Rippenstößen weichen mußten. Wie ein- mal ein solcher Streit um den Vortritt, den 1747 in Meiningen Frau von Gleichen und Frau von Pfaffrath geb. Gräfin Solms miteinander ausfochten, sogar zum Kriege führte, mag man in der Geschichte des sogenannten Wasunger Krieges bei Gustav Freytag nachlesen. Uebrigens wurden diese Dinge auch außer- halb Deutschlands mit der gleichen Wichtigkeit behandelt. Aus Liselottens Briefen erfährt man, daß den Besuchen ihres Schwiegersohnes, des Herzogs von Lothringen, wochenlange Korrespondenzen über seine Ansprüche auf einen Sitz im Arm- stuhl und dergleichen vorauszugehen pflegten und die Titulatur des Königs von Dänemark in ihren Briefen, dem sie durchaus nicht das Prädikat Majestät geben will, verursacht ihr und ihren

16

Frani,ois le Maine, Picknick

Die Mode. 1?. Jährt. 5

D£eMode,18.Jahrh. 2. A-

Ratgebern das größte Kopfzerbrechen. Ebenso verrufen wie der französische Hof, dessen Kleinlichkeit in Titeln Casanova verspottet, vv^ar jener der Großherzoge von Toscana. Nannte man in Versailles die römischen principi nur Marquis und einen titellosen Mann nicht monsieur, sondern nur sieur, so machten die letzten Fürsten aus dem Hause der Medici solche Ansprüche im Zeremoniell, daß es z. B. bei dem Besuch des Königs von Dänemark erst langer Verhandlungen des Kammerherrn von Ahlefeldt bedurfte, ehe ein Zusammentreflfen der Herrscher ermöglicht werden konnte. Ganz besonders war allerdings der immerwährende Reichstag in Regensburg ein Schauplatz nie endender Streitigkeiten über Rang- und Zeremonialfragen, einem Thema, dessen eingehender Erörterung Johann Georg Keyßler, der als Hofmeister zweier Freiherren von Bernstorff 1730 dort weilte, in seiner Reisebeschreibung zwölf eng gedruckte Quartseiten widmet. Er verleiht dabei auch seiner und aller Beteiligten höchster Verwunderung darüber Ausdruck, daß der damalige französische Gesandte von Chavigny jedem Anspruch sofort nachgebe und setzt ganz naiv hinzu, daß er durch diese Nachgiebigkeit seine politischen Absichten allerdings wesentlich zu fördern pflege. Rang und Da Rang und Titel zu gesellschaftlichen Ansprüchen berech- ^*"^ tigten, so war das Streben nach solchen allgemein. Der Adel war käuflich, zumal hat ihn der Kurfürst Karl Theodor von Bayern während seines Reichsvikariates billig abgegeben. Für 900 bis 1000 Gulden konnte man Reichsgraf, für 600 bis 700 Gulden Reichsfreiherr werden und für 400 bis 500 Gulden hatte man schon den niederen Adel. Die mindere Bürgerschaft der Reichsstädte staffelte sich z. B. in Nürnberg in »Ehrbare und Veste«, »Ehrbare und Wohlführnehme«, »Ehrbare und Fürnehme«. Da aber diese Titel den Ehrgeizigen noch nicht genügten, so bemühten sie sich eifrig um die Rats- und Konsul- titel auswärtiger Fürsten; so eifrig, daß der Rat 1722 ein kaiser- lichesVerbot gegen diese Titeljagd erwirkte. Der brave Nettelbeck erzählt voll Spott, wie einer seiner Bekannten, ein armer Teufel, nachdem er von der reichen Erbschaft seiner Tochter eine größere Summe erhalten, sich als dringendste Notwendigkeit zuerst gleich den Titel eines »Licentrats« kauft, der ihm, nach- dem er alles vertan hat, auch schließlich als einzige Errungen- schaft kurzen Glückes verbleibt. Friedrich Nicolai, der 1781 die

18

Watteau, Häuslidu Beschäftigung

Reichsstadt Ulm besuchte, bemerktmit einem Erstaunen, welches an jemand, der Berliner Verhältnisse gewöhnt war, nicht ganz natürlich erscheint, den Unterschied, der dort das Patriziat von der Bürgerschaft trennte. In Gesellschaften mußte jedermann nach seinem Range gesetzt werden. Die Bürgermeister führten das Prädikat »Wohlgeborene Herrlichkeiten«, die Ratsherren »Hoch und Wohlweise«, ein Bürger hatte den Anspruch auf den Titel »Ehrbarer«, ein Kaufmann auf »Edler und Vester«, ein Patrizier aber bekam »Wohlgeboren« und wenn sein Sohn etwa einen akademischen Grad erwarb, so stand diesem der Titel »Hochedelgeboren« zu. Die zunehmende Aufklärung hat die Titel in Deutschlandwenigstensvereinfacht. Einerderersten.der sich von seinen Freunden die Titulaturen verbat, war der Dichter Gleim, weil er »der Einfalt griechischer Helden näherkommen wollte«. Im Jahre 1794 erließ auch ein Adliger, der schlesische Graf Schlabrendorf, einen Aufruf an seine Standesgenossen zum Verzicht auf bloße Titel. Das Gefühl aber von dem Wesens- unterschied der Stände war zu tief eingewurzelt, als daß es mit

19

der Abschaffung einzelner Prädikate und Titulaturen hätte aus- gerottet werden können. Wenn gelegentlich eine Frau von Wöll- warth auf Neubronn erklären konnte: »Adel und Bürgerstand seien zwei verschiedene Menschenrassen, deren Trennung auch im Jenseits fortdauern werde«, so sprach sie damit nicht nur eine persönliche Meinung aus oder urteilte im Sinne des Adels,

yakobvan Schuppen, Prinz Eugen von Savoyen, ijiS

nein, sie wußte nur zu gut, daß der Bi^irger selbst so dachte, hat doch der Mangel an Selbstachtung, der die Mehrzahl aus- zeichnete, der Ueberhebung des Adels nur zu viel Vorschub ge- leistet. Männer von der Bedeutung eines Moser, eines Pütter sind stolz darauf, wenn sie im Bade Pyrmont in adlige Kreise gezogen werden; Helferich Peter Sturz ist glücklich, wenn er sein Frühstück in Gemeinschaft Adliger einnehmen darf, und was soll man sagen, wenn Daniel Schubart, den der Herzog von Württemberg zehn Jahre wider Recht und Gerechtigkeit auf dem Hohenasperg gefangen gehalten hatte, nach seiner Frei-

?Q

lassung an Posselt schreibt: der Herzog habe sich bei einer Unterredung so huldreich gezeigt, daß aller Groll seines Herzens gegen ihn wie Xachtgewölk verschwunden sei! ? Das \'orurteil der Stände gegeneinander ist im Laufe des i8. Jahrhunderts zwar nicht ausgeglichen worden, noch 1781 schreibt Philippine Engelhardt aus Cassel an Bürger, daß man ihr in bürgerlichen Kreisen den Verkehr mit Adligen sehr verüble, aber der intime geistige Verkehr in den Adel- und Bürgerstand je länger je mehr miteinander traten, lehrte sie, ihre Ansichten unter höflichen äußeren Formen zu verbergen. Drei Faktoren haben dieses Einandernäherbringen wesentlich gefördert. Erstens der Um- stand, daß im Laufe des Jahrhunderts die geistige Bildung als höchstes Gut anerkannt wurde und daß der Wetteifer im Er- werb und im Genuß derselben Adlige und Bürgerliche zu- sammenführte. In dieser Beziehung ist vor allem der hol- steinische Adel vorangegangen. Zweitens indem der Hang des Jahrhunderts zur Mystik die geheimen Gesellschaften und an ihrer Spitze die Freimaurerei begünstigte, deren End- zweck neben der Ausbreitung der Aufklärung die Milderung der Standesunterschiede war, und schließlich der Pietismus. Die Anhänglichkeit an ein bestimmtes Bekenntnis, der Fanatis- mus für ein solches, wie sie das kirchliche Leben des 16. und 17. Jahrhunderts gekennzeichnet hatten, war unter dem Einfluß der französischen Kultur einer großen Gleichgültigkeit gegen dasselbe gewichen. 1720 schreibt Liselotte: »Ich bin weder reformiert noch katholisch noch lutherisch, sondern eine gute Christin«, aber die Toleranz, für welche diese Aeußerung der Fürstin ein so beredtes Zeugnis ablegt, war bei der Mehrzahl der Angehörigen der oberen Klassen in eine völlige Indifferenz umgeschlagen, während die große Masse in stumpf sinnigerWerk- heiligkeit verharrte. Gegen beide, die Lauheit der einen, wie den Buchstabenglauben der anderen richtet sich der Pietismus. Wie einst im 15. Jahrhundert die Gottesfreunde und Mystiker das in scholastische Spitzfindigkeiten zerfaserte Christentum aus der Nüchternheit bloßer Verstandesspielereien in die herzliche Wärme einfältigen Kinderglaubens gerettet hatten, so flüch- teten jetzt Spener und die Seinen ihr Luthertum aus der Er- starrung des Dogmas in die Innerlichkeit ihres Gefühls. Der nach Tausenden zählende Anhang von Bekennern, den Spener fand, bewies, wie lebhaft das Bedürfnis war, dem er entgegen-

21

kam. Die heftige Feindschaft der orthodoxen Geistlichkeit, der er allenthalben begegnete, zeigte, welche Gefahr die herr- schende Kirche in dieser Bewegung sah. Die Verfolgungen, die der Pietismus zu erleiden hatte, schlössen um alle, die sich zu ihm hielten, ein enges Band der Gemeinsamkeit, die durch einen süßlichen Gefühlskultus, eine seltsame Art weiner- licher Gottesverehrung, demütigender Gleichstellung vor dem Lamm dazu gelangte, die Standesunterschiede, wenigstens in kleinem Kreise zum ersten Male völlig zu verwischen. An den hochfrommen Höfen der Reuß, der Stollberg, der Wittgenstein und anderer verkehrten Handwerksgesellen auf einem sonder- baren Fuß der Gleichheit mit den regierenden Herrschaf- ten. So fuhr z. B. ein Herzog von Sachsen -Saalfeld einige fromme Schusterweiber, um den Heiland zu ehren, in eige- ner Person öffentlich spazie- ren und Graf Zinzendorf grün- dete seine neue Gemeinschaft als Gemeinde von »Brüdern«. Wie ein Komet seinen leuch- tenden Schweif, so zog Spener einen Schwärm von Enthusia- sten und Erweckten aller Art nach sich. Die Abschließung von der »argen Welt« führte zu einem Konventikelwesen, in dem Unheilige wie Eva von Buttlar und ihre Rotte und Heilige wie Fräulein v. Kletten- berg, Goethes schöne Seele, ihr Wesen mit gleicher Unbefan- genheit trieben. Der allgemeine Zug der Zeit nach Aufklärung hat den Pro- testantismus dann zu völligem Rationalismusgeführt,zu einer Nonchalance, die z. B. den zum Katholizismus übergetretenen

Antoine Watteau, Studie

22

Johann August Starck jahrzehntelang als lutherischen Oberhofprediger in Darmstadt fungieren lassen konnte, die Herder das Bedauern abnötigte, daß er nicht Kardinal werden könne. Die protestantische Predigt ver- flachte zu bloßer Nützlichkeitslehre. Schiller sagte von Herders Predig- ten, daß man sie ebensogut in einer Moschee halten könne. Wenn die Gleichgültigkeit gegen die offenbarte Religion auch so zur Modesache ge- worden war, daß beispielsweise Ra- bener, der Geliert bittet, einen Hof- meister zu besorgen, welcher den Kindern eines Beamten in Dresden auch Religionsunterricht geben soll, ihn beschwört, diesen Umstand geheim zu halten, damit es dem Beamten nicht schade, so hat sie doch damals durchaus nicht dazu geführt, daß die Konfes- sionen sich gegenseitig Duldung gewährt hätten. Der Westfäli- sche Friede hatte zwar die Gleichberechtigung des katholi- schen, lutherischen und refor- mierten Bekenntnisses feierlich verbürgt, aber das war eine schöne Theorie, von der die Wirklichkeit weit genug ent- fernt lag. Nicht nur in den kaiserlichen Erblanden war die katholische die einzig erlaubte Religion, auch in Bayern war den Protestanten jede Ansied- lung verboten. Unter den Kur- fürsten Johann Wilhelm und Karl Philipp sind die Refor- mierten der Pfalz in jeder Weise

Studien von Antoine Watteau

23

drangsaliert worden ; aus Salzburg hat der Erzbischof Freiherr V. Firmian 1731 Tausende von Lutheranern und Reformierten aus- gewiesen. Die Duldung, welche Karl XII. den Protestanten Schle- siens ausgewirkt hatte, ist ihnen nach dem Tode des Königs tun- lichstverkümmert worden. In den paritätischen Reichsstädten war man übereingekommen, alle Aemter vom Bürgermeister bis zum Nachtwächter zwischen Katholiken und Protestanten entweder zu teilen oder sie wenigstens abwechselnd zu besetzen, gerade wie in Osnabrück abwechselnd den Bischofsstuhl mit Katholiken und Protestanten. Das waren Uebereinkommen, welche die Quelle endlosen Haders geworden sind. Den gegenseitigen Haß, der das ganze Jahrhundert latent blieb, konnte der gering-

J.ouis de Silvestre, König August II. von Polen und König Friedrich Wilhelm I. von Preußen

24

Kurfürst Ka>i. Alo^h von txiyern im j

üi^dkosuirn

Die Mode, 18. Jatrh 6

Aiiinlia Maria Josepha, AiojuiMi/i von Bayern, im yagdkostüm

Die Mode, 18. Jahrb.?

Antoirte Pisne, Friedrich d. Gr. und seine Schwester VVilhelmine als Kinder

fügigste Anlaß zu offener Flamme auflodern lassen, wie 1750 in Oehringen, wo es erst dem Einrücken einer ansbachischen Grenadier-Kompagnie gelang, die Zwistigkeiten zu schlich- ten, welche zwischen Katholiken und Protestanten wegen einer nach gregorianischem Kalender zu bestimmenden Feier des Osterfestes ausgebrochen waren ; oder 1781 in Wallthüren, wo drei protestantische Grafen Leiningen mit ihrem Anhang die Fronleichnamsprozession gestört hatten, und es eines Aufgebots von 600 Mann würzburgischer Truppen bedurfte, um die Ruhe

25

wiederherzustellen. Daß im Laufe des i8. Jahrhunderts einmal die Truppen eines protestantischen Staates den Kirchenstaat besetzt hatten, ist heute ziemlich in Vergessenheit geraten, und doch stand 1708 General v. Arnim mit mehreren preußischen Regimentern vor der Einnahme Roms, und König Friedrich I. freute sich schon auf die päpstlichen Kanonen, die man ihm für sein schönes Zeughaus mitbringen werde. Als Papst Clemens XI. und Kaiser Joseph I., in dessen Armee die brandenburgischen Hilfsvölker marschierten, sich aber versöhnten, blieb der Welt die Wiederholung eines Sacco di Roma erspart. Daß es da, wo die eine Partei notorisch im Uebergewicht war, an offener oder versteckter Gewalt nicht gefehlt hat, versteht sich von selbst. In Thorn ließen die Jesuiten 1724 zehn Protestanten, an ihrer Spitze den Bürgermeister Rösner, hinrichten, weil der Janhagel eine ihrer Prozessionen gestört hatte. Die Schauer- geschichten, welche in späterer Zeit entsprungene Mönche wie Feßler und andere erzählten, die von Klöstern zu berichten wußten, in denen des Protestantismus Verdächtige ewig ein- gekerkert wurden, mögen auf Uebertreibung beruhen, indessen ist noch in Wiblingen in Schwaben ein Jurist Nickel wegen Gottlosigkeit enthauptet worden. Er hatte nichts getan als im Wirtshaus einige Voltairesche Ideen zum besten gegeben. In Frankreich, dem ja die Protestanten fehlten, spitzte sich der vorhandene Gegensatz der Meinungen auf einen Kampf zwischen strenggläubigen und freisinnigen Katholiken, auf die leidenschaftlich geführten Kontroversen zwischen Jansenisten und Jesuiten zu. Wenn Liselotte 1701 ihrer herzlieben Amelisse schreibt: »Die frantzösischen katholischen seien nicht so albern wie die teutschen, es ist gantz ein andere sach mit, schier als wens eine andere Religion were. Man ist nicht obligiert, an bagatelle und alberne mirakel zu glauben«, so wird man diese Anschauungen und diese Praxis wohl auf die konzilianten Hof- theologen beschränken müssen, denn die Fälle der Calas, der Sirven, d'Etallondes und anderer, die törichte oder imaginäre Vergehen gegen die Kirche blutig büßen mußten, beweisen zu Die deutlich das Gegenteil. Die Abneigung gegen die Gesellschaft Jesu wuchs mit der Zunahme ihrer Macht und wußte ihren Namen in gehässigster Weise mit allem in Verbindung zu bringen, was geeignet war, sie verächtlich zu machen. Die absichtliche Art, in der Pascal ihre Lehren entstellte, die Lügen

26

Nicolas Lancret, Die Tänzerin Camargo

Die Mode. 18. Jahrh. 8

.1.

bif;. ^

27

der hysterischen Cadiere, die unglücklichen Spekulationen eines Pater Lavalette, alles mußte herhalten, um die Moral des Ordens zu verdächtigen, seine Mitglieder als lasterhaft und verrucht zu brandmarken. Endlich gelang es dem vereinten Haß der Auf- geklärten, den gefürchteten Orden zu stürzen. Man hatte weder offene Gewalt gescheut, zu der Aranda in Spanien griff, noch List wie Pombal, der ein Attentat auf den König Joseph von Portugal bestellte, dessen Sühne zu einer wahren Orgie seiner Privatrache wurde. Wieviel Habgier und Eigennutz zu der Aufhebung des Ordens beigetragen haben, ist wohl noch nie untersucht worden. Hört man aber, daß allein in Bayern zwölf Häuser der Gesellschaft Jesu bestanden, so begreift man, wie groß die Anzahl derjenigen sein mußte, die von der Kon- fiskation der Ordensgüter Gewinn zogen. Die berühmte Bulle »Dominus ac Redemptor noster«, mit der Clemens XIV. 1773 die Aufhebung der Gesellschaft verkündete, löste einen Jubel ohnegleichen aus. Es war in der Tat der größte Triumph, welcher der Aufklärung beschieden war. Die Sorge der weit- sichtigen Kaiserin Maria Theresia, daß nun die Vormauer aller Autoritäten ins Wanken gekommen sei, beachtete nicht ein- mal ihr Sohn. Mit der ihm eigenen Ueberstürzung, er tat, wie Friedrich IL von ihm sagte, stets den zweiten Schritt vor dem ersten, fuhr Joseph IL auf dem Wege der Unterdrückung fort zu reformieren, und glaubte mit der den Fürsten eigenen Ueber- schätzung ihrer selbst, daß er nur zu wollen habe, um die Ge- bräuche und Gewohnheiten langer Jahrhunderte von heute auf morgen zu ändern. Er starb, ohne daß selbst die Partei der Aufgeklärten ihres Sieges recht froh geworden wäre. Die

Furcht vor den Jesuiten ließ kein Gefühl der Sicherheit aufkom- men, injederneuen geistigen Rich- tung der Zeit witterte man ihren Einfluß, hinter allem, was sich ereignete, ihre geheimnisvolle Macht. Der alte Friedrich Nico- lai stand in seinen Zeitschriften förmlich Wache gegen die Ge- sellschaft und zog sich nicht mit Unrecht den Spottnamen des Parrocel, Der Gruß Jesuitenriechers zu. Am längsten

28

Ghunhattista Tiepolo, Aus den Fresken der J'il/u Valmarana. ijjj

Die Mode. 18. Jahrh. 9

Fan Loo, Porträtstudie

haben Friedrich der Große und Katharina II. sie in ihrem Bestände geschützt. Beiden schien ihre Tätigkeit als Pädagogen unentbehrHch, zumal in einer Zeit, wo ihre seit zwei Jahrhun- derten bewährte Methode wie ein Fels in der Hochflut täg- lich neu auftauchender Erziehungsmethoden stand. Es war nur natürlich, daß der Umschwung des geistigen Erziehung Lebens, der sich in der Mitte des i8. Jahrhunderts vollzog, sich auch sogleich in einem Drängen nach erzieherischen Re- formen äußerte. Erst, indem man sie der Jugend einpflanzt, können neue Errungenschaften des Geistes zu dauernder Wir- kung gebracht werden. Gerade wie im 17. Jahrhundert hatte man in der ersten Hälfte des 18. unter der Erziehung des Welt- mannes nichts anderes verstanden, als eine Dressur zum Ka-

29

Gravelot, Cavalier

30

Gravelot, Cavalier

31

valier. Außer den ritterlichen Künsten lernte ein solcher viel- leicht noch Französisch, in Oesterreich und Süddeutschland allenfalls Italienisch. Gelehrtes Wissen zu erwerben galt bei vornehmen Leuten direkt für unschicklich. Wie Liselotte es einmal ausdrückt »junge Leute von qualitet sollen weißen, daß sie hertz haben, sonst kommt es gar zu doctorisch herauß«. Und wenn sie ein ander Mal schreibt »lateinisch ist nur vor Pedanten«, so begreift man, daß Friedrich Wilhelm L einen seiner gewöhnlichen Tobsuchtsanfälle bekam, als er seinen Sohn beim Einpauken von mensa mensae antraf. Um seinen Sohn herzhaft zu machen, ließ ein anderer Hohenzoller, der Mark- graf von Ansbach, in seinem Zimmer junge Bären aufziehen, eine Maßregel, von welcher er erst absah, als eins der heran- gewachsenen Tierchen sich anschickte, einen Diener zu ver- zehren. Weltbildung erwarb ein Kavalier nicht auf Univer- sitäten, sondern auf Reisen, gewöhnlich auf der sogenannten großen Tour, die ihn in Begleitung seines Hofmeisters durch Deutschland und Italien, später hauptsächlich an den franzö- sischen Hof führte. War die Erziehung der männlichen Jugend derhöherenStände schon einehöchst unzulängliche Georglll. von England konnte z. B. zehn Jahre alt, weder Deutsch noch Englisch so war die der Mädchen vollends ganz vernach- lässigt und diejenigen, welche später die Lücken derselben aus- zufüllen wußten, wie die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar, Katharina IL, können ihre schlechte und oberflächliche Erziehung meist auch durch ganz ungeeignete Individuen nicht genug beklagen. Der Mangel an geeigneten Erziehern wurde auch sehr drückend empfunden. Der spätere Fürst Kaunitz z. B. beschwert sich 1745 gegen seinen Vater, daß er in Brüssel keinen passenden Hofmeister für seine Kinder finden könne. Geliert sah sich, um diesem Uebelstande zu steuern, veranlaßt, in Leipzig ein Kolleg über die Eigenschaften eines Hofmeisters zu lesen. Lief schon die Erziehung der oberen Stände rein auf eine Abrichtung zu gewissen äußeren Formen hinaus, so war die der Jugend der übrigen Stände vollends vernachlässigt, und beschränkte sich in der Hauptsache auf eine gründliche Verachtung der deutschen Sprache. Den Oldenburger Schülern wurde noch 1704 verboten, außerhalb der Schule etwas anderes als Latein zu sprechen. 1709 schreibt August Hermann Francke, daß kein

Z2

y. B. Siiiiion Cliardin, Die Lektüre

Die Mod«. 18. Jatrt. 10

DieMode.18. Jatrh. 2. A.

Nicolas Lanc7et, Schäferszene

Student der Theologie in Halle imstande sei, einen richtigen deutschen Brief zu schreiben, ja der Hofmeister von Louise Adelgunde Kulmus, der späteren Frau Gottsched, verwies ihr das Schreiben deutscher Briefe als »gemein«. Und selbst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch schreiben Lauckhard und sein Vater an Professor Semler lieber Lateinisch als Deutsch. Wie traurig es um den Unterricht überhaupt aussah, lehrt Winkelmanns Jugendgeschichte. Wenn Friedrich Nicolai auf seiner Reise feststellt, daß man in Bayern etwa nur in jedem dreißigsten Dorf einen Schulmeister finde, so paßt das dazu, daß auch in Oesterreich-Schlesien nur etwa der fünfund- zwanzigste Teil der Bevölkerung Schulunterricht empfing, und daß in Krain die Geistlichkeit in ihren Predigten das Lernen von Lesen und Schreiben als »Teufelswerk« bezeichnete. Ganz in diesem Sinne erzählt Serafina Feliziani, die »Gräfin« Cagliostro einmal ihren Anbetern, daß man in Rom Mädchen, die ehrbar und tugendhaft werden sollten, weder Lesen noch Schreiben lehre. Als Rousseau nun der Menschheit zurief, tut das Gegenteil des Herkömmlichen und Ihr werdet das Rechte tun, da sproßten

34

Nicolas Lancret, Nicaise

die pädagogischen Systeme aus dem Boden wie die Blumen im Mai. Man wollte abseits von der verkünstelten Gesellschaft mit ihrer Schablonenkultur Individuen erziehen, freie Menschen in freier Natur. Wie die vergangene Generation die Ritter- Akademien und die Kadetten- Anstalten zur Dressur ihrer Jugend errichtet hatte, so gründete man jetzt » Philanthropine«. Basedow in Dessau, Salzmann in Schnepfental, Campe in Hamburg u. a. wirkten im Sinne individualistischer Erziehung, um wenigstens das künftige Geschlecht dem wahren Menschentum nahe zu bringen. Als aber Herr v. Rochow die Wohltaten der Schule auch der Landbevölkerungzuteil werdenlassen wollte, dabedeuteteihn ein preußischer Minister, innezuhalten, denn der gemeine Mann habe nur Gehorsam zu lernen. Das geschah durch den gleichen Herrn von Zedlitz, der einst Gottfried August Bürger nicht als Lehrer anstellen wollte, damit die Jugend keinen Hang zu der alle Seelenkraft untergrabenden Poeterei bekomme.

35

An Schonungslosigkeit gegen die Kinder ließ es allerdings auch diese Generation, die selbst noch in sklavischem Gehor- sam aufgewachsen war, nicht fehlen. Ismael Mengs hat Anton Rafael und Therese Concordia Mengs zu Künstlern erprügelt,

Daulli, Ludwig XV. lyjS.

eine pädagogische Kunst, die Rafael an seinen eigenen Kindern 30 Jahre später ebenfalls übte, Casanova erzählt, wie er sie fast zu Krüppeln geschlagen hätte. Aus Wahrheit und Dichtung erfahren wir, wie unbarmherzig der Rat Goethe gegen Wolf- gang und Cornelia verfuhr, wie der berühmte Zimmermann Sohn und Tochter durch seine Härte zur Verzweiflung trieb. Mit dieser Strenge hängt wohl auch die uns so seltsam anmutende Frühreife der Menschen jener Zeit zusammen. Die damalige

36

selbst noch in sklavischem Gehor- p.icht fehlen. Ist '^^ .:it Anton

:cordi?. Meng's z -prüp^el'.

R.HotiStor. nac^-. Zoaz

i^iezzolmto

WILLIAM PITT, ENGLISCHER STAATSMANN

Gesellschaft entließ ihre Angehörigen in einem Alter, in dem sie noch Kinder waren, als fertig ins Leben. Moritz von Sachsen wohnt als Dreizehnjähriger der Schlacht von Malplaquet bei, Prinz Max von Württemberg ficht mit 14 Jahren schon in der Schlacht von Pultusk mit : Leopold von Gerlach ist 1780 noch minderjährig aber schon kgl. Regierungsrat. Sophie von Pann- witz ist vierzehnjährig schon Hof- und Staatsdame der Königin von Preußen, ihr späterer Mann, Johann Ernst von Yoß mit 18 Jahren Geheimrat mit Sitz und Stimme am Oberappellations- gericht in Berlin; ihre Tochter heiratet mit 14 Jahren, Wielands Tochter mit 15, Goethes Mutter mit 17 usw. Diese Frühreife hängt wohl damit zusammen, daß man den Unterricht fast npch in den W^indeln beginnen ließ. Sieht man selbst von Wunderkindern wie ^vlozart und dem kleinen Heinecken, derein Jahr alt den Pentateuch auswendig konnte, völlig ab, so bleibt es doch noch wunderlich genug, daß Emilie Basedow noch nicht vier Jahre alt Französisch spricht, Wieland seinen Unterricht schon mit 3V2 Jahren beginnt, Seume sich auf die Zeit, in der er nicht hätte lesen und schreiben können, überhaupt nicht mehr besinnen kann. Welche \'orwürfe man auch immer der heutigen Schule machen mag, man muß als Anerkennung wenigstens gestehen, daß sie ihren Vernichtungskampf gegen den Geist der Kinder erst in einem späteren Alter aufnimmt.

Watteau, Die Göttin Ki Mao Sao

27

Nicola

Im Winler

Die Moral

D

ie Unbefangenheit, mit welcher noch das i6. Jahrhundert seine naive Sinnlichkeit zur Schau getragen hatte, war im Laufe des 17. unter den Nachwehen des furchtbaren großen Krieges zu völliger Zügellosigkeit entartet. Im 18. Jahr- hundert werden die moralischen Anschauungen der Gesellschaft dann so laxe, daß die Unsittlichkeit geradezu als Folgeerschei- nung der Toleranz wirkt. Wenn Fürsten und hohe Herren sich ihrer Liebschaften früher noch geschämt hatten, und wenigstens

38

Nicolaus Lancret, Am Morgen

eine weitere Oeffentlichkeit nicht gerade zu Zeugen ihrer Eska- paden einluden, so macht das Beispiel Ludwig XIV. die Unmoral nunmehr zum guten Ton. Eine Maitresse zu haben, gehörte für einen Herrscher absolut zur Notwendigkeit, und Fürsten, die keine Herzensneigung zu einer anderen als der eigenen Frau fühlen, halten sich eine maitresse en titre, um ihrer höfischen Pflicht zu genügen. So Friedrich I. von Preußen die Gräfin Wartenberg, Kaiser Karl VI. die Gräfin Althann, Georg III. von England, u. a. Ludwig XIV. war in der Nachgiebigkeit gegen seine zärtlichen Neigungen durch keine Skrupel des Gewissens behindert worden; er hatte aber die Rücksichten, die er seiner königlichen Würde und dem öffentlichen Anstand schuldete, nie aus den Augen verloren. Er gab seinen Maitressen hohe Titel und Hofstellen, ja, er hat die letzte derselben, Frau von Maintenon, sogar zur linken Hand geheiratet, sein Verkehr mit diesen Damen bewegte sich stets in Formen, deren Feinheit von derihm eigenen Ritterlichkeitgegen dasweiblicheGeschlecht diktiert wurde. Sofort nach seinem Tode ward das anders. Der

39

Herzog von Orleans, Regent für den unmündigen Ludwig XV., kannte nur noch ein Gesetz: sich zu amüsieren. Er suchte seine Unterhaltung in einem Kreise, dessen Eingeweihte sich mit Stolz Roues, d. h. von allen Lastern Geräderte nannten, und auf den Ton, den er damit angab, stimmte sich sofort die gesamte gute Gesellschaft. Was Liselotte, die brave Mutter des Regenten, über das Treiben und die Anschauungen der Pariser vornehmen Welt an ihre Korrespondentinnen, auch an die Unverheirateten derselben berichtet, stellt alles in Schatten, was unsere Zeit an Skandalprozessen an den Tag gebracht hat. Dieser Gesellschaft galt die eheliche Treue nicht nur als lächer- lich, nein, sie hielt sie geradezu für einen groben Verstoß gegen den guten Ton, nur dann verzeihlich, wenn die Gatten, wie etwa die herzoglichen Paare von Luxemburg und von Bouffiers miteinander in einer viereckigen Ehe lebten. Die Treue, die Ludwig XV. jahrelang seiner Gattin bewahrte, empörte den Hof, und seine Umgebung ruhte nicht, bis sie ihn debauchiert. Als ähnliche Manöver bei seinem Enkel mißglückten, verfiel der- selbe rettungslos der Lächerlichkeit. Das geringe Ansehen, in dem Ludwig XVL bei seinem Volk stand, verdankte er der Verachtung, mit der die Höflinge über seine Sittenstrenge urteilten. Es war ein Ruhm, sittlich ohne Vorurteil zu sein ; als die Tischgenossinnen der Madame de Chauvelin in einem Vaudeville 1733 als die sieben Todsünden auf die Pariser Bühne gebracht wurden, waren sie stolz darauf und der Herzog von Richelieu verdankte seine sprichwörtlichen Erfolge bei den Frauen nur dem Umstand, daß er der berüchtigste Don Juan seiner Zeit war. Die Damen wetteiferten darin, sich für ihn bloßstellen zu dürfen, Frau von Polignac und die Marquise de Nesle haben sich seinetwegen sogar auf Pistolen duelliert. Maitresse des Königs zu werden, war das höchste Ziel, das dem Ehrgeiz der Frauen vorschwebte, das zu erreichen Intriguen über Intriguen sogar aus den Pensionaten der vornehmen Klöster heraus angesponnen wurden. Der Adel rechnete es zu den Privilegien seiner Kaste, dem Herrscher die Maitressen aus seinen Kreisen zu liefern. Die Pompadour hatte gegen den Haß des Hofes nur aus dem Grunde zu kämpfen, weil sie eine Bürgerliche war, und Friedrich Wilhelm H. von Preußen kuppelte man Julie von Voß, Gräfin Sophie Dönhoflf nur zu, um die gehaßte Bürgerliche Rietz-Enke-Lichtenau zu stürzen.

40

Ludwig XV,, ' f^r suchte ;«-eiIitesicli tf nannten, 5'ch sofort rave Mutter "Ingen der 'cn, auch an in Schatten, «bracht hat. ralslächer- rstoß gegen Gatten, wie 3n Bouffiers e Treue, die mpörte den debauchiert, .. verfiel der- Anseben,, in ikte er der tteustrenge lil zusein; I in einem lie Pariser der Herzog ilgebeiden ; Don Juan ich für ihn : Marquise n duelliert. e Ziel, das ilntriguen len Klöster es zu den ressen aus ;nden 1, weil sie n Preußen iffnurzu, ;u stürzen.

%:^^-

Stern G'

v.t «laniu angab,

chaft. Was Lisel:

das Treiben und d'

■'Veit an ihre Koit^--

Kr suchte

'"^^^ihte sich

nannten,

sich sofort

rave Mutter

;:^en der

v.irfi an

en,

♦l

ralt die eheliche Treu- :■. ,

radezu für einen giol- . cn

.•nn verzeihlich, wenn -vic

etwa die herzoglichen Paare von Luxemburg u -.'rs

I liteinander in eit,ier viereckigen Ehe lebten, i.-...- nKut-, die

'dwig XV. jahrelang seiner Gattin bewahrte, empörte den

.1, und seine Umgebung ruhte n'icht, bis sie ihn debauchiert.

^.hnliche Manöver bei seinem Enkel mißglückten, verfiel der-

< herlichkeit. Das geringe Ansehen, in

, als die sieben lo' ,ei

wurden, waren sie stOw. .<... , ,, , c . . < vi zog

rdankte seine sprichwörtlichen Erfolge bei den

nd, daß er der berüchtigste Don Juan

imen wetteiferten darin, sich für ihn

rau von Polignac und die Marquise

i.twegen sog?'- "ir Pk.Mie" duelliert.

ics Köm erden, \v .iel, das

\<:n

.rseu Krt xiaß des }li>:^^ jiui .lus ufT.M v, ;:!(

eine Bürgerliche war, und Fiiedrich ' cn

kuppelte man Julie von Voß, Gräfin So- ',n nur zu,

um die gehaßte Bürgerliche Rietz-Enke-I . zu stürzen.

40

James '^Vatson r.t =i::.^,,-j Mezzotinto Bruckmaim.

JUNGES MADCHEN MIT SPITZENMANTILLE

12

August dem Starken stellte man vor, daß er sich auch eine Maitresse aus dem polnischen Adel wählen müsse, damit man in Polen nicht eifersüchtig darauf werde, daß der König diese Ehre bisher nur Deutschen habe zuteil werden lassen. Die Ver- hältnisse lagen in Deutschland durchaus nicht anders als in Frankreich. Man war hohen und höchsten Ortes in Bezug auf die Moral außerordentlich tolerant. Die Königin Sophie Charlotte von Preußen gab einst während eines Aufenthalts in Leipzig ihrem königlichen Wirt August dem Starken einen Ball und hatte sich, wie Pöllnitz sehr witzig erzählt, als besonderen Spaß ausgedacht, nicht nur die gerade in Gunst befindliche Maitresse des Königs, sondern auch die in Ungnade gefallenen heimlich zu diesem Fest einzuladen, so daß zu ihrem höchsten Ergötzen der Monarch, als er ganz unerwartet die Gräfin Königsmark, die Fürstin von Teschen, Frau von Haugwitz und Frau von Esterle traf, sich einem Quartett von Geliebten gegenübersah. Diese Konnivenz der Höfe blieb sich das ganze Jahrhundert über ziemlich gleich. Herzog Karl Eugen von Württemberg be- suchte mit Franziska von Hohenheim die deutschen Höfe lange ehe er die Dame geheiratet hatte, und später noch empört sich die Gräfin Voß darüber, daß die Königin von Preußen den Markgrafen von Ansbach und Lady Craven empfängt. Es muß allerdings zugestanden werden, daß, wenn in Deutschland auch die moralischen Anschauungen von dergleichen Frivolität waren wie in Frankreich, die Betätigung derselben doch jener Grazie entbehrt, die in Frankreich selbst die Tugend weniger lang- weilig macht als anderswo. Es liegt etwas Wüstes und Rohes, etwas brutal Täppisches in der Art, wie viele deutsche Fürsten jener Zeit sich auslebten. Man denke nur an den Herzog von Mecklenburg, der Frau von Wolffrath zu seiner Maitresse machte, nachdem er eben ihren Mann hatte hinrichten lassen, oder an den Markgrafen von Baden-Durlach, der seineTage in einem Harem von i6o Gartenmägdlein zubrachte, oder an den Herzog von Württemberg, der seine Kinder von fünf Maitressen unter- einander verheiratete. Man war in England dazumal gewiß nicht sittenstrenger als auf dem Kontinent, aber alle Reisenden englischer Nationalität, die in jenen Jahrzehnten Deutschland besuchten, fällt es auf, wie völlig gleichgültig man hier gegen jedes Gefühl äußeren Anstandes sei. Lady Montague schreibt aus Wien, daß jede Dame von Stande ihren Cicisbeo habe

42

Frangois Boucher, Familienbild, ijjg

daß diese Verhältnisse ebenso bekannt wie selbstverständlich seien und in allen Gesellschaften respektiert würden. In späterer Zeit berichtet Sir William Wraxall vom Hofe in Cassel, daß die Mißachtung des Schicklichkeitsgefühls geradezu wie etwas Geheiligtes betrachtet werde.

Unter diesen Umständen mußte die Opposition, die aus bürger- lichen Kreisen gegen das lockere Treiben an den Höfen und

43

?^,

Festbau auf der Place Louis le Grand, 174J

unter dem Adel laut wurde, ganz von selbst auf den Weg der Tugend gedrängt werden. So sehen wir denn auch, daß die Wochenschriften, die so ziemlich mit dem Anfang des Jahr- hunderts zu erscheinen beginnen, und sich in immer steigender Zahl an die bürgerliche Familie wenden, direkt auf moralische Wirkung zielen, genau wie die englischen Vorbilder, denen sie nachgeahmt sind. Während Gottsched und seine blaustrümpfige Frau in ihrer pedantischen Art mit der Verbesserung der deutschen Sprache die Deutschen auf rein verstandesmäßigem Wege zur Tugend bilden wollten, machte Geliert die Pflege der Tugend zur Sache des Herzens und des Gefühls, und beginnt damit jene Epoche der Empfindsamkeit, welche für die Menschen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so charakteristisch ist. Diese Richtung auf das Schwärmerische und Gefühlvolle wurde ganz wesentlich unterstützt durch die Literatur, die einen ganz anderen Charakter annimmt. An Stelle der schwülstigen Roman- ungeheuer, die ihre ledernen Helden-, Haupt- und Staatsafifären in dicken Quartanten abhandeln, treten die Romane, deren Aktionsgebiet im menschlichen Herzen allein liegt, ein Unter- schied, der sofort in die Augen springt, vergleicht man etwa den ersten dieser neuen Art: Gellerts schwedische Gräfin mit

46

Lohensteins asiatischer Banise oder des Herzogs von Braun- schweig Octavia, die noch die Unterhaltung der vorigen Ge- neration gebildet hatten. Wenn Zoten und Zweideutigkeiten sich selbst in den Versen der Dichterinnen jener Epoche breit gemacht hatten, man lese einmal die Gedichte der Sidonia Hedwig Zäunemann, um sich einen Begriff von dem Geschmack und dem Zartgefühl einer Zeit zu machen, in der eine Jungfrau einer Freundin derartige Gedichte zur Hochzeit verfertigen konnte, so werden sie jetzt durch sentimentale Wendungen ersetzt. Die Dichter entrücken die Liebe der Sinnlichkeit und verpflanzen sie" in die Seele an die Seite der Freundschaft, die bald einen ebenso breiten Raum einnimmt. Jetzt erst scheinen die Menschen sich bewußt geworden ,zu sein, daß sie Empfindung eine Seele haben und die Neuheit der Entdeckung reißt sie Empßndeiei zumUeberschwangfort, zu einer Schwelgerei der Gefühle, welche bald jede echte Empfindung in bloße Empfindelei ausarten läßt. So gesteht Charlotte von Clausewitz ihrer Freundin Elise von Bernstorff, daß ihr der tote Baum im Garten lieber sei als der grüne, weil er besser zu ihrer Stimmung passe. Tausend bis dahin unbekannte Gefühle und Gefühlchen werden tändelnd gepflegt, man rührt sich und andere, schwelgt in Tränen und Seufzern. Heftige Gefühlsausbrüche werden guter Ton, Um- armungen, Küsse, Tränenströme, Ohnmächten gehören zu den alltäglichen Umgangsformen beider Geschlechter. Bürger be- dankt sich überschwenglich bei Miller für die wollüstigen Trä- nen, die er beim Siegwart habe weinen dürfen, Friedrich der Große bricht beim Rezitieren französischer Verse konvulsivisch in Tränen aus. Prinz Ferdinand, Prinz Heinrich, preußische Generale weinen bei jeder Gelegenheit, ebenso wie de Catt, der nie versäumt, die vergossenen Zähren in seinem Journal zu buchen. Die Dichterjünglinge des Hainbundes vergießen so- viel Tränen, wie sie Verse machen, ja selbst der nüchterne Voß steigert sich in einen wahren Rausch tränenseliger Ueberschweng- lichkeit hinein. Man führt ein Tagebuch, um es andere lesen zu lassen, wie die Prinzessin Heinrich, die es in Magdeburg bevor- zugten Hofdamen zu lesen gibt und sie durch diesen Blick in ihr Herz »innig rührt«. Man spiegelt die eigene schöne Seele in der fremden und wird nicht müde, sich selbst und anderen ein Theater seelischer Sensationen vorzuspielen. Gustav Gott- hardt von Blücher, ein Bruder des Fürsten, hatte über seinem

47

Pietro Longhi-, Die Tanzstunde, I74J-

Bette die Modelle des Sarges seiner Gattin und seines eigenen mit den zärtlichsten Inschriften. Sie war 1772 gestorben, er starb 1808. Die Stammbücher, die bis dahin ausschließliches Eigentum der Studenten und im Laufe der Zeit zum Tummel- platz rohester Zoterei ausgeartet waren, wandern in den Besitz zartfühlender Jünglinge und Jungfrauen und werden Tempel,

48

Figurine für ein Ballett

Die Mode. 18. Jahrli. 13

in denen die Herzen der Empfindsamen den Gefühlen ewiger Liebe, unvergänglicher Freundschaft die süßesten Worte leihen. In jedem Park gehört ein Freundschaftstempel zu den unent-

Ckarditi, Die Tanzstunde^ ^74S

behrhchen Requisiten gerührter Stimmungsmacherei. Friedrich der Große weiht in Sanssouci einen solchen dem Andenken seiner Schwester, Gleim richtet sich in seinem Hause in Halber- stadt einen Freundschaftstempel ein, in dem er die Bildnisse seiner zahllosen Freunde numeriert und etikettiert bewahrt, wie die Kräuter in einem Herbarium. Wie Oel ins Feuer so goß die Literatur von Zeit zu Zeit immer Kiopitock

Di« Mode. 18. Jahrh. 2. A.

49

wieder neues wonniges Gift in die Herzen der Gefühlvollen. Klopstock riß durch den feurig leidenschaftlichen Schwung seiner Sprache, durch das Fremdartige seiner ungereimten Strophen die Seelen in die Höhe unbegreiflich erhabener Vor- stellungen und füllte sie mit Idealen, weit ab von den ausge- tretenen Pfaden der Alltäglichkeit. Der Messias war das erste Werk der deutschen schönen Literatur, das ein lautes Echo in ganz Deutschland weckte. Es gab den Lesern etwas Höheres, als sie bis dahin je empfangen hatten. Er wirkte mit der Kraft eines Elementarereignisses, das alles mit sich fortreißt. So voll waren die Köpfe davon, daß die Synode in Magdeburg unter dem Vorsitz des Hofpredigers Sack einmütig beschloß, daß die eine Hauptfigur der Dichtung, der gefallene Engel Abbadonna unbedingt selig werden müsse, und in Wahrheit und Dichtung teilt Goethe etwas von der Wirkung des Buches in der Kinderstube mit, als er und Cornelia das verzweifelnde Gespräch zwischen Satan und Adramelech mit verteilten Rollen aufsagen und durch ihre Leidenschaft eine tragikomische Kata- strophe herbeiführen. Aus den Gebieten des Uebersinnlichen führten dann Richardsons Romane, die in aller Hand waren, die Gemüter der Exaltierten wieder in die bürgerliche Sphäre sanften Empfindens zurück, wo sie mit Clarissa und Pamela, mit Grandison und Lovelace schwärmen durften, um sich bald darauf von Ossian mit der schmerzlichen Süßigkeit einer nebel- haften Schwermut durchschauern zu lassen, um schließlich durch den Werther vollends um Vernunft und Besinnung gebracht zu werden. Werther Man hat die Wirkung von Goethes Roman das Wertherfieber genannt und mit um so größerem Rechte, als man sich heute kaum noch einen Begriff davon machen kann, wie tief und wie weit der Einfluß dieses Buches damals ging. Daß sein Ver- fasser mit einem Schlage ein berühmter Mann, der Lieblings- dichter seines Volkes wurde, daß Auflage der Auflage, Nach- druck dem Nachdruck, Uebersetzung der Uebersetzung, Nach- ahmung der Nachahmung folgte, will wenig besagen. Dieses Schicksal haben viele Autoren mit ihren Büchern geteilt. Hier aber hatte ein Dichter ofifenbart, was ein ganzes Volk empfand, das Buch schien mit dem Herzblut der Zeitgenossen geschrieben. Es drang in alle Kreise, sogar in die Hütte leibeigener Bauern, Ernst Moritz Arndt besann sich darauf, es im Hause seiner

SO

Jean Marc Nattier, Mme. Viäoire de France, Tochter Ludwig XV. als Diana

Bildungs- bedürfnis

Eltern gesehen zu haben ; es brachte die Studenten, wie Matthison bekannte, aus Roheit und Verwilderung zu feinerer Sitte; es drängte sich in Aeußerlichkeiten selbst der Tagesmode auf. Lauckhard erzählt von der nächtlichen Prozession, die unter Trauergesängen die gute Gesellschaft Wetzlars im Frühjahr 1776 nach Werthers Grab führte, und von wievielen wissen wir, denen in jenen Jahren der freiwillige Tod Werthers der Weg- weiser in die Freiheit wurde? In Linz sah Nicolai Werther sogar als tragisches Ballett, in Wien Werther und Lottchen als Feuerwerk.

Die Erhebung des deutschen Volkes, das Entstehen der neuen Gesellschaft, die gleich entfernt von den Vorrechten des Adels, den Vorurteilen der Gelehrten und der Roheit des Pöbels ihre Mitglieder unter den »Gebildeten« sucht, dankt die Nation der schönen Literatur und ihrer Pflege, in welcher sich die besten und edelsten Geister zusammenfanden, in welcher sie ihre höchste Aufgabe sahen. Das Erringen dieser Bildung war

52

'■f^^

«Bi r^Hß^ ^"

Boucher, La belle botiqueiicre

Die Mode. 18, 'atr}. 15

Chardin, Der Zeichenunterricht

indessen außerordentlich schwer, da nur die Begüterten im Besitz von Bibliotheken waren und imstande, sich Bücher zu beschaffen. Aus Winkelmanns und Bürgers Briefen wissen wir, wie schwierig es war, überhaupt nur die Bücher zu erhalten, deren man be- durfte, und daß Winkelmann einen ihm wenig zusagenden Posten beim Grafen Bünau nur annimmt, weil er da an eine große Bibliothek kommt. Aus Cassel schreibt 1781 Georg Forster an Jacobi, daß dort kein Buch zu sehen sei, gerade wie Reb- mann in Köthen nur Bibel und Gesangbuch findet. Perthes, gewiß ein Sachverständiger, berichtet uns, daß nur die wenigsten kleinen Städte Buchhandlungen besaßen, daß z. B. zwischen Regensburg und Tirol nur in Augsburg und im ganzen Nord- westen nur in Münster eine solche zu finden gewesen sei. Die Erscheinungsart der Bücher, die damals nur zweimal im Jahr, zur Oster- und Herbstmesse, auf den Markt kamen, machte aber die Buchhandlungen geradezu zu Mittelpunkten des lite- rarischen Verkehrs und auf diese Weise ganz von selbst Leipzig als Zentrale des Buchhandels zur Zentrale des ganzen geistigen

53

Deutschlands, zu dessen Provinzen Oestcrreich und Süddeutsch- land aber nicht gehörten. Wie stark auch der Gegensatz Norden und zwischcu dem KathoHzismus des Südens und dem Protestan- tismus des Nordens sein mochte, weit stärker war noch jener.

Chardin, Die Gouvernante

der dadurch entstand, daß der Süden ganz unliterarisch war. In Oesterreich wütete die Zensur so systematisch, daß man sich schließlich gezwungen sah, das Verzeichnis der verbotenen Bücher zu verbieten, damit man aus demselben nicht die guten Bücher kennen lerne ! Das kleine Bayern von damals zählte

54

Jacques- Andre Portail, Ein Duett

D;« Mode. 18. Jalirt. 16

Chardin, Das Tischgebet

zwar 28000 Kirchen und 200 Klöster mit 5000 Mönchen, aber der einzige Verleger Grätz, der es seit undenklichen Zeiten gewagt hatte, sich darin anzusiedeln, büßte durch schikanöse Prozesse seiner Verfolger binnen kürzester Zeit sein Vermögen ein. Das Land war von der geistigen Bewegung, die das

55

Ckard'm, Die Briefsieglerin

übrige Deutschland ergriffen hatte, so völlig ausgeschlossen, als läge es auf einem anderen Planeten, so daß Riehl einmal mit Recht sagen konnte, das bayerische Volk sei aus dem 17. in das 19. Jahrhundert geschritten, ohne etwas vom 18. zu merken. In der Reichsstadt Ulm machte man sich ein Ver- dienst daraus nichts zu lesen. Man hatte dort nicht einmal den Versuch gemacht, eine Lesegesellschaft zu gründen, wie an anderen Orten, wo sie allerdings als Institute, welche die Auf- klärung förderten, bald genug von der Polizei verboten wurden, denn selbstverständlich kann es keiner Regierung erwünscht sein, denkende Untertanen zu haben. Nicht einmal die Sprache war ein Bindemittel zwischen Nord und Süd. Das Schrift- deutsch, wie es sich im Lauf des Jahrhunderts herausbildete,

S6

Chardin, Dame mit Drehorgel

machte man im Süden als »lutherisch Deutsch« verdächtig, und die Norddeutschen wiederum gaben vor, die Sprache der anderen gar nicht zu verstehen. Möchte man der sympathischen Pfälzerin Liselotte nicht beinahe gram werden, wenn sie »das verfluchte Oesterreichisch wohl eine abscheuliche sprach« nennt ? Die spinöse Markgräfin von Bayreuth kann von dem österreichischen Kauderwelsch der Kaiserin Amalie, die sie in Frankfurt besucht, nur hie und da ein Wort verstehen und Friedrich Nicolai, auch ein Berliner, begleitete seine Reisebeschreibung gar mit einem Wörterbuch des »Wiener Rotwelsch«, wie er den herzigen Wiener Dialekt artigerweise nennt. Keyßler, der im ersten Drittel des i8. Jahrhunderts in Süddeutschland war, bemerkt,

57

ihr Große

daß man aus dem mittäj^lichen Strich unseres geliebten Vater- landes ruhig wegbleiben könne, da unsere Muttersprache im Munde von Schwaben, Bayern, Oesterreichern ohnehin nicht zu verstehen sei. Goethe erzählt umständlich genug, wie er unter dem unerträglichen Hofmeistern der Leipziger, die seinen oberdeutschen Dialekt lächerlich fanden, gelitten hat, und Lauckhard nennt das Deutsch der Straßburger das jäm- merlichste, ihre Aussprache die allergröbste, widerlichste und abscheulichste, die man hören könne. Zu dem literarischen Uebergewicht des Nordens trat der Ruhm der Heldentaten Fried- Friedrich richs dcs Großeu, von dem, wie Goethe sagte, die deutsche Lite- ratur den ersten wahren und höheren Lebensgehalt empfing, von dessen strahlendem Namen auch ein Abglanz auf die Deutschen als Nation fiel. Noch während des Siebenjährigen Krieges hatte sich selbst im Lager seiner Gegner eine Fritzische Partei gebildet. Wie es in Frankfurt zuging, erzählt ja in anschaulicher Weise Wahrheit und Dichtung. Daß man sogar in Leipzig preußisch gesinnt sei trotz der Kontribution von 900000 Talern, schreibt 1757 Kleist an Gleim. In Rom trank der Kardinal Albani mit Ostentation auf das Wohl des Ketzerkönigs. Zur Zeit des baye- rischen Erbfolgekrieges war in München kein Haus, in dem man nicht das Bildnis Friedrichs H. gefunden hätte, man verehrte ihn als Schutzgott Bayerns. Immermanns Vater pflegte zu erzählen, daß, wenn bei den Revuen in Körbelitz Friedrich IL die Front heraufgeritten sei, in lautloser Stille jeder die Empfindung ge- habt habe, es komme der liebe Gott. Diese Bewunderung aber blieb auf die überragende Persönlichkeit beschränkt. Man fühlte Fritzisch, nicht preußisch, denn der Gedanke an nationale Neu- gestaltung etwa fehlte der Zeit völlig, deren Ideen ganz auf Huma- nität im allgemeinen, auf Menschenglück und Menschenwohl- fahrt gerichtet waren. Die Verfolgung dieser idealen Ziele mußte indessen fortwährend auf die Schranken stoßen, welche unhalt- bare politische und gesellschaftliche Zustände jeder realen Bestä- tigung entgegensetzten. Der Widerspruch zwischen hochsin- nigem Wollen und unmöglichem Können hat zu der Erbitterung geführt, welche gerade die Menschenfreunde an der friedlichen Besserung alles Bestehenden verzweifeln ließ, so daß sie mit Fritz Stollberg den Ausbruch der französischen Revolution als die Mor- genröte der Freiheit begrüßten. Diese unerträgliche Enge der Verhältnisse hat so viel dazu beigetragen, daß der Sturm und

58

Surugue nach Nicolas Coypel, Madame de X. (Mouchy), 1746

Drang jener Periode lediglich auf literarischem Gebiete hausen, sich nur in Aeußerlichkeiten betätigen konnte. Sie hat ver- schuldet, daß so viele dieser Stürmer und Dränger ihre besten Kräfte in einer seelischen Schwelgerei von Gefühlen und Stim- mungen nutzlos verpufiften, daß so viele andere sich in einem

59

Aberglaube

Fran^ois Boucher, Schlittenfahrt.

Hang nach dem Wunderbaren verloren, der sie hinter geheimen Gesellschaften, illuminaten und Freimaurern, Magnetismus und Mesmerismus, Kabbala und Rosenkreuzerei Aufschlüsse über die letzten Geheimnisse der Menschheit suchen ließ, fl"- So begleitet eine starke Utiterströmung des Aberglaubens die Fluten der Aufklärung, die sich im i8. Jahrhundert durch die Köpfe ergossen. Wenn in diesen wirbelnden Fluten viele Vor- urteile, viel auf mangelnder Kenntnis beruhender Aberwitz zu- grunde ging, ebensoviel blieb bestehen. Die Aufklärer kämpften wohl erfolgreich gegen die Religion, aber indem sie den Glauben erschütterten, befestigten sie nur den Aberglauben. Wenn man die Aufklärung von dieser Seite aus betrachtet, so glaubt man ein Satyrspiel vor sich zu sehen, in dem die Geste des Fort- schritts höhnend persifliert, der Ausdruck geistiger Würde zur grinsenden Fratze verzerrt wird. Man glaubte nicht mehr an Gott, aber die gleichen Menschen, welche stolz darauf waren, sich von der offenbarten Religion emanzipiert zu haben, zwei- felten durchaus nicht an der Existenz des Teufels. Im Jahre 1727

60

Piclro Lo/i^hi. DtDiie bci iUr Toiklte

veranstalteten der berüchtigte Herzog von Richelieu, der Kar- dinal von Sinzendorf und ein Graf Merode in Wien eine Teufels- beschwörung. Als der Böse aber nicht erschien, erschlugen die drei Herren im Zorn ihrer Enttäuschung den Magus. Bei einer ähnlichen Veranlassung erging es mehreren Damen der Pariser vornehmsten Gesellschaft noch übler. Die Hexe, welche ihnen versprochen hatte, den Teufel zu beschwören, forderte, daß sie sich ganz ausziehen sollten, da die Etikette verlange, vor dem Höllenfürsten nackt zu erscheinen. Sie schloß die vorschriftsmäßig Entkleideten dann in ein Zimmer ein und ent- fernte sich mit Kleidern und Schmuck derselben. Die blamierten Teufelsfreundinnen wurden erst am anderen Tage zwar nicht vom Teufel selbst, aber von seinen Helfershelfern, der Polizei, höchst beschämt befreit. Ungeheures Aufsehen machte durch ihren unglücklichen Ausgang die Teufelsbeschwörung, welche der Studiosus Weber in der Christnacht 1716 in einem Wein- berg bei Jena vornahm. Der Unvorsichtige erstickte im Kohlen-

61

dampf und erntete statt der Schätze, die er hatte heben wollen, den zweifelhaften Nachruhm, der Teufel habe ihm den Hals umgedreht. Der Glaube an Zauberei und Hexen saß trotz Spee, Becker und Thomasius fest in den Köpfen. Wilhelmine von Grävenitz, die Landverderberin Württembergs, wurde angeklagt, den Herzog Eberhard Ludwig bezaubert zu haben, gerade wie Fräulein von Neitzschitz den Kurfürsten von Sachsen. Auch Liselotte ist fest davon überzeugt, daß ihr Schwiegersohn von Madame de Craon durch Eingeben einer bezauberten Muskat- nuß zur Gegenliebe gezwungen worden sei. In Turin wurde ein Mann gehängt, weil er die Absicht gehabt habe, den König durch Sympathie zu töten. In Szegedin verbrannte man 1729 den Stadtrichter nebst seiner Frau und 34 Leidensgefährten wegen Zauberei. In Deutschland erlitt zu Würzburg in der Person der siebenzigjährigen Nonne Maria Renata Singer die letzte Hexe den Feuertod am 21. Juni 1749. Niemals fand die Kabbala so viel Gläubige als in der Zeit, da man zwar mit dem Jenseits aufgeräumt hatte, aber doch der Zukunft ihre Rätsel zu entreißen wünschte. Die Gräfin Cosel, Maitresse Augusts des Starken, hat die letzten Jahrzehnte ihres Lebens ganz in der Beschäftigung mit dieser hebräischen Geheimlehre

zugebracht, der zu Liebe Duchanteau zum Juden- tum übertrat. Casanova ver- dankte die Mittel zu seinem Aufwand zum guten Teil seinen kabbalistischen Ora- kelkünsten, in denen der Regensburger Kapuziner- pater Tertius mit ihm riva- lisierte.

Aller Aufklärung, aller Fortschritte der Naturfor- schungzum Trotz hieltauch das ganze 18. Jahrhundert noch an einer Lieblingsidee des Mittelalters fest, näm- lich an jener der Verwand- lung minderwertiger Me- Louis Tocque, Der Opernsänger Jcliole falle in Gold. DieAlchimi-

64

#'

Jean Ilonori Fragonard, La Coqtutte

Die Mode, 18. Jahrh.

^ ; i)/' *5/.'tffir77«MWC;'.'.Ä' TT'. \>',ic;.v-.-,i- ji rat.- •,•-•;

Ch. N. Cochin, M?ne. de Potnpadour und der Vicomte de Kuntm ais Aas und Galathea auf dem Theater von Versailles, 174g

sten zählten Kaiser und Könige, Adel und Geistlichkeit, Ge- lehrte und Ungelehrte, Männer wie Frauen zu ihren Adepten. Wenn man Wraxall Glauben schenken will, so wären allein in Wien 3000 Personen mit Alchimie beschäftigt gewesen. Kaiser Franz, die Könige Friedrich I. von Preußen, August der Starke, Kurfürst Max Joseph von Bayern, der Landgraf von Hessen- Homburg, Graf Ingelheim, Fürstbischof von Würzburg, die Mutter Katharinas der Zweiten haben unablässig laboriert und ihr gutes Gold, statt es zu vermehren, ebenso durch den Rauch- fang verflüchtigt, wie der Pastor Lauckhard, der Maler Heinecken, die Marquise d'Urfe, Fräulein v. Klettenberg u. a. Sogar ein schlichter Leinenweber wie der Großvater von Karl Rosenkranz, der in Buchholz bei Rostock lebte, vertat sein sauer verdientes Geld in alchimistischen Versuchen. Man wundert sich nicht, wenn man Fürsten sinnlosen Chimären nachjagen sieht, schrieb doch Graf Manteuffel 1738 an Christian Wolf: »Deutschland wimmelt von Fürsten, von denen drei Viertel kaum gesunden Menschenverstand haben«, daß aber Gelehrte, wie der Anatom Sömmering, denkende Köpfe wie Georg Forster, sich ernstlich mit Goldmacherei beschäftigten, das darf uns befremden. Hätten sie doch Veranlassung genug gehabt, eine Sache mit Mißtrauen

Die Mode. 18. Jalirli. 2. A.

65

zu betrachten, der sich so viele Abenteurer ihrer Zeit eifrig wid- meten. Der Elsässer Jude Simon Wolff, der als Graf Saint- Germain Europa düpierte und mehrere hundert Jahre alt seih wollte, zeigte Ludwig XV., wie man aus mehreren kleinen Diamanten einen großen macht, und verwandelte zu Casanovas Zerstreuung ein i2-Sous-Stück in pures Gold. Freilich hatte

yean Etienne Liotard, jDie schöne Leserin<(^^ I7J2

er sich in der Person des berühmten Abenteurers ein ungläubiges Publikum ausgesucht. Besserais irgendjemand wußte Casanova, wie man die Schwächen der Menschen zu seinem Vorteil aus- nützt. Wie er Frau von Urfe durch alchimistische, magische und kabbalistische Spaße um die geringen Reste ihres Verstandes und die großen ihres Vermögens brachte, muß man sich von dem amüsanten Hochstapler selbst erzählen lassen. Abenteunr Kein Zeitalter ist überhaupt Abenteurern aller Art so günstig gewesen, wie das i8. Jahrhundert, kaum eines hat ihnen so seltsame und so romantische Schicksale bereitet. Ein kleiner westfälischer Adliger, Theodor von Neuhof, wird König von

66

M. A. Parelle, Proz'oking fidelity, iTjj

Die Mode, 18. Jatrk. 19

Fratifois Boiicher, Matquise de Pompadour

Corsica und stirbt im Schuldturm zu London ; ein Pastors- sohn aus Halle, Struensee, wird Premier-Minister in Dänemark und endet auf dem Schafott; ein kurländischer Gutsbesitzers- sohn, Bühren, wird Regent von Rußland und besteigt auf dem Umweg über Sibirien schließlich den Thron seines Heimat-

67 5-

h 'Mm

Chevillet^ Die Schwester des Künstlers

landes; der Holländer Ripperda wird spanischer Minister, der Franzose Bonneval türkischer Pascha. Lord Baltimore, der S, 30000 im Jahre zu verzehren hat, lebt mit seinem Harem von acht Frauen immer auf Reisen, um den Ort nicht zu kennen, an dem man ihn begraben wird. Charles Wortley Montague, der erste Europäer, der als Kind geimpft wurde, war Straßenkehrer, Fischer, Maultiertreiber in Portugal, Lakei, Student in Göttingen, Postillon, Kutscher und Gott weiß was noch alles. Wenn im An- fang des Jahrhunderts krippenreitende Kavaliere von Hof zu Hof ziehen, um für ihre Spaße Unterkunft und Kost zu finden, wie Pöllnitz, Bielefeld u. a., so werden gegen das Ende dieses

68

Lepicie, Die Jugend ah Alter verkleidet (Mme. Coyfel), lysr

Zeitraumes aus den Spaßmachern Magier und Adepten, welche den Aberglauben ihrer Zeitgenossen für ihre Bedürfnisse in klingende Münze umzusetzen verstehen. Dazu gehören vor allem Cagliostro, dem kein Betrug fremd blieb, der Wunder- täter Gaßner, welcher Teufel austrieb, der Goldmacher Sehfeld, der Leipziger Gastwirt Schrepfer, dessen Person ihren geheim- nisvollen Schatten noch in Wilhelm v. Kügelgens Jugend warf. Und diese Abenteurer begleitet eine Schar von Sonderlingen und Originalen aller Art, Menschen, deren verschrobene Eigen- art nie besser gedieh, als in einem Zeitalter, in dem Glaube, Aberglaube und Unglaube sich ebenso unklar durcheinander

69

wirrten wie politische und soziale Rechte und Pflichten. Edward Wortley Montague, der in der höchsten Sphäre geboren, nur in der niedrigsten leben konnte; der Ritter d'Eon, der sein Geschlecht wechselte, wie andere das Hemd; der Maronit Baron Antonio de Burkana, der nur seinem Stammbuch zu Liebe reiste; der geheimnisvolle Baron Franck in Offenbach; der Schwindler Orffyraeus, der das Perpetuum mobile erfunden haben wollte und beabsichtigte, von dem ergaunerten Geld in Karlshafen ein Tugendhaus mit einer Weisheitsschule zu errich- ten ; Mesmer, der bei der Ausbeutung des von ihm entdeckten tierischen Magnetismus nie den Charlatan verleugnete, der die blinde Pianistin Therese von Paradies in Wien sehend gemacht haben w^ollte und sich in Paris dazu herbeiließ, den Schoßhund von Sophie Arnould zu behandeln, und viele, viele andere mehr, deren Leben und Taten einen so farbenreichen Einschlag im Gewebe der Geschichte einer Zeit bildet, die auf nichts so stolz war, wie auf ihre Philosophie, ihr klares und kühles Denken und mit deren Dünkel darauf doch nichts stärker kontrastiert, als der Umstand, daß gerade diese Leute ein so gläubiges Publikum fanden.

Sog. Krinolinengruppe mit August III.

70

Meißener Porzellan

Der übermächtige Einfluß, welchen die Aera Ludwigs XIV. Die Kumt auf die Politik, die Gesellschaft und die Literatur der europäischen Kulturvölker ausübte, macht sich auch in der Kunst geltend. Das italienische Barock erobert, von Le Brun und Le Pautre französiert, als Stil Louis Quatorze die Welt. Und da diese Vorherrschaft der französischen Kunst auch durch das ganze i8. Jahrhundert hindurch anhält, hat man sich daran gewöhnt, die historischen Stile, welche die Kunst dieses Zeitraums bestimmen, das Rokoko und den Zopf nach den französischen Königen, deren Regierungen diese Jahrzehnte ausfüllen, auch als Stil Louis Quinze und Louis Seize zu be- zeichnen und doch kann nichts irriger sein. Man würde für das Rokoko, welches man allgemein Louis Quinze zu nennen pflegt, richtiger Regence sagen. Und insofern der sogenannte Stil Louis Seize nichts anderes ist als eine Vorblüte des später Empire genannten Stils, die sich aber unter Ludwig XV. entfaltete, würde man die Bezeichnung Louis Seize am besten ganz fallen lassen. Künstlerisch beginnt das i8. Jahrhundert mit dem Tode Ludwigs XIV. Gerade wie die französische Gesellschaft ordent- lich aufzuatmen scheint in dem Augenblick, da der Tod des Königs sie von dem unerträglich gewordenen Joch der Etikette befreit, wie sie sich Hals über Kopf in den tollsten Wirbel der Vergnügungen und Zerstreuungen stürzt, geradeso entzieht sich die Kunst den strengen Regeln, denen sie bis dahin gehorchen mußte. An die Stelle der Regelmäßigkeit tritt die Willkür, die Laune wird zum obersten Gesetz. Alles gerät in Fluß, die geraden Linien beginnen sich zu schwingen, die tragenden Glieder krümmen sich, das rein Zufällige ersetzt die Sym- metrie. Feierlich undpomphaft wie der Alexandriner der Tragödie erscheint das Barock neben der lustigen Sorglosigkeit des Ro- koko, das unbekümmert um eine pedantische Ordnung alles auf den Kopf stellt und durcheinander wirft. Aus dem Chaos scheinbarer Unordnung erwächst dann jene Kunst der Ca- price, deren graziöse Neckerei immer das Unerwartete bringt, welche spielt und tändelt und scherzt, eine Kunst, deren bezaubernder Reiz in einer unvergleichlichen Anmut liegt. Ihre Gebilde sind rätselhaft und unverständlich, Wunder- blumen einer daseinstrunkenen Phantasie, nicht zu fassen und nicht zu beschreiben, wie Schöpfungen einer gesetzlosen Natur, die der Uebermut mit der Schönheit zeugte. Eine

71

yean Bapüste Van Loo, Forträtstudie

ausgelassene Kunst für eine ausgelassene Gesellschaft, beider Geburtsstunde schlug in den Jahren, da Laws Aktienschwindel den Parisern die Fata morgana unermeßlicher Reichtümer vorschwindelte. Müheloser Reichtum und genialer Leichtsinn sind denn auch die Elemente dieses Stils, der in seinen

72

yean Bapdste I

'\'rträtstudie

-i:!ie kuiLst für eine a> ,:]..f

: unde schlug in den ja. __. -■■.\(\q\

cn Parisern die Fata morgana unenneßüchr -mer

. orschwindelte. Müheloser Reichtum und geni;: . ( . icntsinn

md denn auch die Elemente dieses Stils, <\i:r ^x\ seinen

72

Mc Ar daü r.axii. fii. is

^^^zz^■ti^^to Bracknvann

MARY" DUCHESS OF All CAS TER

Schöpfungen einen undefinierbaren Duft von der unbeküm- merten Lebenslust einer Zeit bewahrt hat, die genießen, nur genießen und nichts als genießen wollte. Die Gesellschaft des Rokoko hat ihren Chronisten in der Kunst gefunden. Keine Feder wäre imstande gewesen, die Verfeinerung ihres Lebensgenusses, die Schwelgerei ihrer raffinierten Kultur zu beschreiben. Aus dem überschwenglichen Reichtum der spie- lenden Linien dieser Kunst aber, deren ruheloser Flug allen Ge- setzen der Vernunft zu spotten, alle Regeln der Schwerkraft in Frage zu stellen scheint, klingt die gleiche Lebensfreude, die- selbe übermütige Verantwortungslosigkeit wie aus dem berühm- ten Geständnis jener großen Lebenskünstlerin der Zeit »nach uns die Sintflut«. Für das Urteil einer späteren Zeit hat sich dann auch, wie sonst bei keiner Epoche der Weltgeschichte die Kunst dieser Zeit völlig mit ihrem Geist identifiziert. Wer die Kunst des Rokoko kennt, der glaubt, die ganze Zeit zu kennen, gerade als pulsiere in diesen tollen seltsamen Schnörkeln noch ein geheimnisvolles Leben, als kose ein leises Geflüster der Vergangenheit zärtlich mit der Gegen- wart. Der neue Stil ist zwar in Frankreich entstanden und hat sich von dort aus verbreitet, wie aber seine Väter keine Franzosen waren, Oppenort war Niederländer, Meissonnier Italiener, so hat er bei seinem Fluge über die Grenzen das spezifisch Französische überall so mit der fremden Eigenart vermischt, daß das englische, das spanische, das italienische Rokoko etwas von dem ursprünglichen Pariser Rokoko durch- aus Verschiedenes geworden ist. Seine eigentliche Blüte hat dieser Stil überhaupt erst in Deutschland getrieben. Das landläufige Vorurteil, als habe man sich im Zeitalter der Ludwige in Deutschland damit begnügt, den Stil der Fran- zosen einfach zu kopieren, hat schon vor einem Menschen- alter Gurlitt dahin widerlegt, daß in jener Zeit die deutsche Baukunst genau so reich an nationalen Eigentümlichkeiten war, wie nur in irgend einer anderen Blütezeit der Kunst. Es ist bezeichnend für die nüchterne Art des 19. Jahrhun- derts, daß überhaupt erst ein Kunstgelehrter kommen mußte, um der Welt die Augen für den Reiz eines Stils zu ö£fnen, den man nur deshalb solange verachtet hatte, weil man seiner schöpferischen Fülle impotent gegenüberstand, weil man zu arm an Empfindung war, um künstlerische Werte zu genießen,

73

die sich nur fühlen, aber nicht rechnerisch nachprüfen lassen. Als Gurlitt endlich sehen gelehrt hatte, da erkannte man plötzlich, welche Perlen feinsten Rokokos Deutschland besitzt und mußte alsbald inne werden, daß die reichsten und köst- lichsten Schöpfungen dieses Stils entweder von Deutschen oder von Ausländern auf deutschem Boden ausgeführt wurden. Es ist gerade als habe der fremde Zaubertrank die Phantasie deutscher Künstler in einen Rausch versetzt, dessen Ekstase ihrem künstlerischen Vermögen Flügel lieh. Aller Erden- schwere entkleidet, waltet ihr schöpferischer Geist fessellos im Reiche der Schönheit, in dem alle Schranken der Möglichkeit gefallen sind. Es entstehen Formen so neu, so kühn und viel- gestaltig, daß neben ihnen die vergangene Kunst arm erscheint, daß ihr unerschöpflich quellender Reichtum jeder kommenden Kunst einen Vorwurf bedeutet. Architehur Die damalige Zeit kannte an Monumentalbauten nur Kirchen und Schlösser, die Richtungen, nach denen sich ihr Leben in der Oeffentlichkeit dokumentierte, bedurften keines weiteren Aus- drucks, höchstens, daß katholische Gegenden noch den Kloster- bau forderten. Kasernen, Bahnhöfe und Fabriken sind erst im nächsten Jahrhundert hinzugekommen. Wenn wir uns aber heute in den Ländern deutscher Zunge umsehen, ob wir den Rhein entlang wandern oder die Donau, ob wir die alte Kaiserstadt Wien besuchen oder die still gewordenen Residenzen der Kleinen und Allerkleinsten, ob wir die von Bergeshöhen herab herrschen- den Gotteshäuser und Abteien oder die in grünender Wildnis verborgenen Schlößchen aufsuchen, welche Fülle der Gesichte offenbart sich da, wieviel Schönheit, wieviel Mannigfaltigkeit, wieviel Zweckmäßigkeit ! Weiträumige Kirchen für den Schöpfer der Welt und herrliche Paläste für ihre Herren, schimmernde Hallen für lauten Prunk und lauschige Winkel für stille Freuden, wie mannigfaltig alles und wie zweckmäßig immer, geordnet von einem Geschmack, der das größte wie das kleinste mit gleicher Lust behandelt, um im ganzen wie im einzelnen stets das höchste künstlerische Wohlgefühl auszulösen. Die ganze Zeit ist in diesen Bauten! Den spanischen Pomp des Kaiserhofes verkündet der großzügige Stil der Hildebrand und der Fischer von Erlach, aus dem Zwinger Pöppelmanns quillt förmlich die unverwüst- liche Lebenslust seines königlichen Bauherrn, aus der heiteren Anmut von Knobelsdorfifs Sanssouci lächelt der souveräne Geist

74

Daniel Chodoiuiecki, Gesellschaf tsbiUi, 1754

seines philosophischen Königs. Wie vieles auch zerstört ist, und durch die Restauratoren täglich weiter beschädigt wird, selbst in ihrer Degradation zu Ministerien oder Schulen haben diese Bauwerke einen Charakter künstlerischen Adels bewahrt, den die Folgezeit, selbst wenn sie es wollte, ihren Schöpfungen nicht hatgeben können. Der Stil, der in der Ausführung von Schlössern und Kirchen den ganzen verschwenderischen Reichtum seines Könnens an den Tag legt, offenbart, wenn er kleineren Objekten gegenüber zum [Maßhalten gezwungen ist, erst recht die originale JCraft seiner ganz neuen schöpferischen Möglichkeiten. München erfreut sich z. B. in Haus und Kirche der Brüder Asam eines solchen Bauwerks, dessen persönliche Eigenart und hohe künst- lerische Bedeutung ihm einen ersten Platz unter den Baudenk- malen Deutschlands sichern. Freilich ist dies ein Grund, der heutzutage so bedeutungslos erscheint, daß man für den Fort- bestand von Haus und Kirchlein fürchten muß. Vielleicht machen beide bald einem jener Protzenkästen Platz, wie sie so bösartig in die feingestimmten Straßenbilder der Promenaden-, Pranner- oderTheatinerstraße hineingespuckt haben ? Das.Hauszum Fal-

75

Nattier, Mme. Anne Henriette de France, Tochter Ludwig XV., 17s 4

ken in Würzburg, die Böttingerschen Häuser in Bamberg, das Wespiensche Haus in Aachen und viele, viele andere zeigen das Rokoko in glücklichster Anwendung auf Privatbauten. Gurlitt hat mit schöner Wärme nachgewiesen, daß es ferner gerade diesem Stil vorbehalten war, die offene Frage der protestan-

76

yean Marc Nattier, Mme. Adelaide^ Tochter Ludzuig X V.

tischen Predigtkirche inBährs Dresdener Frauenkirche meister- haft zu lösen.

Der Wechsel des Geschmacks, der um die Wende des Jahr- Der KUsti- hunderts sich von der höfischen Kultur abwandte, tat zugleich ^'"««'•' mit ihr die höfische Kunst in Bann. Das Akademische, Regel- gerechte, das der tolle Uebermut des Rokoko nur zurückgedrängt hatte, triumphierte in Gestalt der Antike. Man wollte vornehme Einfachheit an Stelle der fratzenhaften Schnörkel und Voluten. Das Natürliche, zu dem man um jeden Preis zurückzukehren suchte, schien sich noch am reinsten in der schlichten Einfalt der Alten zu bieten. Ein Menschenalter vor der großen Re- volution ist die Antike bereits das Schibboleth des Heils. Die unvermutete Entdeckung Pompejis, die aus langer Vergessenheit

77

auftauchenden Tempel Siziliens und Unteritaliens, die Unter- suchung der Ruinen von Athen und Spalato vereinigen sich, um der auf angstvoller Suche nach ursprünglicher Kunst be- griffenen Menschheit das Ideal vorzutäuschen, nach dem sie strebte. Der Einfluß der Winckelmann, Caylus, Adam, die ästhe- tischen Erörterungen der Diderot, Lessing und anderer taten dann das Ihre, um alle Gebildeten mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß der Antike der Vorzug in jedem Sinne gebühre. Bei der Wiederherstellung des alten guten Geschmacks griff man denn auch mit beiden Händen in den Formenschatz der antiken Architektur, zu deren herber Strenge dann unter den geschickten Händen der Künstler des i8. Jahrhunderts so viel Zierliches und Allerliebstes hinzutrat, daß aus der klassischen Kunst die puppige Eleganz wurde, die wir heute Zopfstil nennen. Die Kunstanschauung der Zeit erhob die Nachahmung zum leitenden Grundsatz ihres Schaffens, aber man konnte sich doch nicht ver- hehlen, wie gewaltsam die Anpassung vor sich ging, mit der man das moderne Gegenwartsleben in die Säulenhallen und Pilasterstellungen zwängte. Auf dem Wege der Nachahmung konnte man ja ebenso gut versuchen, andere Gebiete der Stilge- schichte zur Verwendung zu erobern, als gerade nur die allein- seligmachende Antike. So begegnen wir auch wirklich schon in der Mitte des i8. Jahrhunderts Versuchen in gotischer Baukunst.

'■!■> ^ -!'.- .<">?

lJ^\MM\

Jean Marc Nattier, Maria Leszcynska, Gemahlin Ludwig XV., ijjj

78

Zcßany, Bildnis eines Ehepaares

D ; e M o d e , 18. Jatrt, 21

Der Schotte William Adam baute in diesem Stil Douglas Castle, Romantik Robert Morris Inverary Castle, Wyatt nur wenige Jahre später Fonthill Abbey für den reichen Sonderling William Beckford. Der romantische Geschmack sucht im Mittelalter nach Sensa- tionen. Er läßt Macpherson sich hinter Ossian verstecken, den armen Chatterton seine Gedichte einem imaginären Thomas Rawley in den Mund legen, diktiert Horace Walpole sein Schloß von Otranto, durch ihn erwächst aber auch langsam wieder ernsthaftes Verständnis für die Jahrhunderte hindurch als bar- barisch verschriene Gotik. In Straßburg trat der jugendliche Goethe mit Ehrfurcht vor das Münster und bildete mit seinem Gefühl gewissermaßen das Bindeglied zweier Generationen; denn wenn er als Jüngling mit seiner Bewunderung allein stand, so sah er als Greis die Gotik überschwenglich gefeiert. Die schulmeisterliche Richtung des Anlehnens an berühmte Vor- bilder, die im 19. Jahrhundert in der Kunst zum Durchbruch kam und unter der Lava ihrer Pedanterie alle \"ersuche eigen- tümlichen Schaffens erstickte, beginnt sich schon mehrere Jahr- zehnte früher durchzuringen. Es heißt ganz in diesem Sinne gedacht, wenn Friedrich der Große sich einmal gegen Henri de Catt rühmt, er habe in Potsdam im kleinen die schönsten Bauten der ganzen Welt kopieren lassen, und später in Berlin Gebäude aufgeführt, deren Originale in Rom, in Wien, in Eng- land und anderswo zu finden waren. Man denkt unwillkürlich an Hadrian.

Auf diesem Wege, der sie aus freiester Ungebundenheit in Malerei die Enge akademischer Bevormundung führte, wird die Archi- tektur von den Schwesterkünsten Malerei und Bildhauerei ge- treulich begleitet. Das Jahrhundert, welches die Malerei mit Watteau beginnt, beendet sie mit David. Antoine Watteau ! Klingt der weiche Schmeichellaut des Namens nicht wie ein Zauberwort, ein »Sesam, öffne dich!«, das den Eintritt in selige Gefilde erschließt, wie ein Wegweiser nach Cythere? Bei seinem Klang erstehen vor unserem Auge alle jene anmut- vollen Bilder ungetrübten Glücks, wo unter ewig blauem Him- mel Schäfer und Schäferinnen kosen, wo holde Unschuld und verführerische Sinnlichkeit miteinander tändeln, wo die mur- melnde Quelle und der leise Zephyr wie in der gleichen süßen Melodie die Sprache der Liebe reden. Eine Welt der Schön- heit und der Fr^eude, die Heimat der Sehnsucht, jeder Atenj-

79

Pietro Longhi, Carneval, Pal. Grassi, Venedig

zug ist Heiterkeit und Lust, unter dem Lächeln ihrer Sonne erblüht dem Wunsch auch die Erfüllung, denn die rohe Wirk- lichkeit ist verbannt und die häßHche Wahrheit! Eine schmei- chelnde Kunst, Zufluchtsort für die von allen Genüssen über- zeizten Sinne einer ermüdeten Gesellschaft, deren raffinierter

80

^ES^ ! Wn«r ft'T

Pietro Longhi, Carneval, Pal. Grassi, Venedig

Kultur sie eine ebenso verfeinerte Xatur entgegenstellt, Bauern und Bäuerinnen, Schäfer und Schäferinnen, aber in Seide und Spitzen mit Puder und Parfüm. Zeigt uns Watteau den Geist seiner Zeit im heiteren Gleichmaß eines Genusses, den eine schönheitsdurstige Aesthetik im Zaume hält, so malt ihn Boucher

Die Mode. 18. Jahrb. 2. Ä.

De Troy, Toiktte pour le Bai, gesl. von Beauvarlet

im Chanipagnerrausch der Lust unter dem Stachel zügelloser Sinnlichkeit. Er male Götter oder Sterbliche, Wesen der Erde oder der Fabel, Menschen oder Tiere, immer geilt die Woll- lust durch ihre Adern und buhlt aus ihren Blicken. Seinen Göttinnen und Menschen ist die Nacktheit nur ein kokettes Spiel der Entkleidung, ihre Haltung ist schmachtend, ihr Lächeln zweideutig, sie stammen aus Paphos und wollen eben dahin zurück. Boucher ist der Maler der lüsternen Grazien, die Wirkung, auf die er ausgeht, der Kitzel der Sinne. Da- durch ward er zum Abgott seiner blasierten Zeitgenossen. Ebenso fruchtbar wie vielseitig hat er allem, was mit der

82

De Troy, Retour du Bai, gest. von Beauvarlet

Kunst der Zeit zusammenhing, seinen Stempel aufgedrückt. Mit ihm ging die frivole Zeit zu Grabe, denn als er starb, war die Tugend in der Mode, anständig zu sein war guter Ton und die Schwelgereien Bouchers wurden durch die pro- grammatische Tugendlangweilerei eines Greuze verdrängt. Wie in Boucher das übersteigerte Glücksgefühl des Rausches zum Ausdruck kommt, so stimmt der Engländer Hogarth sein Werk auf die Ernüchterung. In langen Bilderfolgen schildert er die Ehe nach der Mode, den Lebenslauf einer Dirne und andere Vorwürfe von der Schattenseite der Gesellschaft. Wo die Gegensätze von Gut und Böse in der sozialen Welt so

83 6-

unvermittelt neben einander lagen, bedurfte es für einen Künst- ler wie Hogarth nur einer unmerklichen Korrektur der Wirk- lichkeit, um aus ihren barocken äußeren Formen die Kari- katur zu machen, um die Lüge ihrer Zustände mit grellem Hohn zu beantworten. Hogarth entstellt seine Zeit wie im Zerr- spiegel, eine bittere Simplizissimusstimmung spricht aus allen

Z. Tocqtie, Kaiserin Elisabeth von Rußland

seinen Bildern. Wahr, aber mit Liebe gesehen, erscheint uns dagegen das i8. Jahrhundert, betrachten wir es in den Werken von Chardin oder Chodowiecki. Da wird die ganze putzige Gegenständlichkeit der Perückenzeit wieder lebendig, jugend- licher Ungestüm im Haarbeutel und zarte Tugend im Reifrock, der gravitätische Ernst einer Zeit, die gar zu gern klassisch sein wollte und der der Zopf doch hinten hing! Zumal ist uns Chodowiecki, der bis in sein hohes Alter rastlos fleißig war

84

und die Lebensäußerungen mehrerer Generationen mit seinem Stift begleitet hat, nichts von alledem schuldig geblieben, was die Urgroßväterzeit interessant machen kann. Er zeigt uns nicht nur ihre Wesenheit in der äußeren Erscheinung, er schildert uns auch die Form ihres Verkehrs, den Ausdruck ihrer Gefühle und die An- schauungen, in denen sich ihr Geist bewegte. Chodowiecki ist kein großer, aber ein überaus sympathischer Künstler, einer von den guten Beobachtern mit scharfem Blick. Er weiß die trockene Anmut des Lebens und der Sitten seiner Zeit mit einer haus- backenen Ehrlichkeit aufzufassen und wiederzugeben, die etwas Rührendes hat. Sein Oeuvre, das mehr als 2000 Blätter umfaßt, vermittelt eine Kenntnis der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die man von den Schöpfungen der großen Kunst damaliger Zeit nicht erwarten darf. Während Chodowiecki seine Blättchen schuf, kommandierte ja in der großen Kunst die Antike und über- schrie den matten Widerspruch der eingeschüchterten Natura- listen, die sich mit ihrer Freude an Leben und Wirklichkeit auf die bescheidene Enklave des Porträts beschränkt fanden. Die Porträtkunst als solche hat vielleicht nie größere Triumphe Das Porträt gefeiert als im 18. Jahrhundert. Das Erbe der großen Meister des 16. und 17. Jahrhunderts trug ihr Wucherzinsen in der glänzenden Vollendung der malerischen Technik. Dazu in beiden Geschlechtern Objekte, die nicht bedeutend, sondern schön sein wollten, wo die Alten sich rosig schminkten, um jung, und die Jungen sich weiß puderten, um alt zu scheinen, wo Herren und Damen in der Sorgfalt der Toilette, im Reich- tum der Kleidung sich selbst wie Kunstwerke zurechtmachten. Der Erscheinung dieser überfeinerten Gesellschaft, deren Raffine- ment für ein so ganz anders geartetes Geschlecht wie das unsere immer einen Beigeschmack des Perversen behält, hat die Bild- niskunst um so größeren Charme zu leihen gewußt, als sie den größten Wert auf die Wiedergabe der Kleidung legte. Die Menschen jener Zeit waren weit entfernt von jener blöden Biedermeiermeinung, die das Aeußere gering schätzt, um das Wissen zu überschätzen. Sie wußten recht wohl, daß viel Lernen reine Popo-Arbeit sei, die jeder Esel auch leisten kann, daß aber nur ein kultivierter Mensch imstande ist, sich gut anzuziehen. Sie verlangten daher mit Recht, sorgfältig gemalt zu werden. Sie waren überzeugt, daß Kleider nicht nur einen wesentlichen, sondern in den meisten Fällen auch den besten

85 .

^^^■K ^'''''''''" ' " ^

|BS|^jgP»^fe|/ 1

I^j^JkHBMkum

^^^^PBW^PI^^^fck ^ii|M8fer]^^^gl.g^^^H|

IHhH^^^^h

William Hogarth, Selbstbildnis., 1738

Teil der Menschen ausmachen. So sehen wir denn, daß in den Gemälden wie in den Stichen ein fabelhaftes Können ver- schwendet wird, um den Glanz von Atlas und Seide, den Schimmer des Sammets, die Wärme des Pelzwerks, die zarte Musterung der Spitzen, das Feuer der Juwelen in einer stupenden Weise wiederzugeben. Und zu dem Aufwand, den die Malerei in Oel- und Wasserfarben, den Miniaturen, Schwarzkunstblätter Das P^teii und Farbstichc treiben, tritt, eine neue Technik, das Pastell. Sie versteht die flüchtige Grazie, den Duft des Augenblicks festzuhalten und beherrscht wie kein anderer jene mondäne Eleganz, die an der Oberfläche liegt. Das Pastell ist die Kunst des gepuderten Jahrhunderts, die schöne Rosalba Carriera führte es im Triumph durch die Welt der Höfe. Und wenn wir die umfangreiche Sammlung ihrer köstlichen Porträts in Dresden betrachten, so fühlen wir uns mitten in die Zeit ver- setzt, die leichten Sinnes ihre Denkmäler aus Porzellan, ihre Bilder aus buntem Staub formte. Der lächelnde Skeptizismus eines Geschlechts, das wie Madame de la Verrue »fit pour

86

iic'r.insor. rvadh. "S^yr.olis

MeEzotinto Pn.r.X.T'.aru'.

LISABE'

3RBV

JfiiM

iiil

William Hogarlh, Selbstbildnis, ^7SS

Teil der Menschen ausmachen. So sehen .... .. ., a. ^ivu

Gemälden wie in den Stichen ein fabelhaftes Können ver- schwendet wird, um den Glanz von Atlas und Seide, den Schimmer des Sammets, die Wärme des Pelzwerks, die zarte Musterung der Spitzen, das Feuer der Juwelen in einer stupenden Weise wiederzugeben. Und zu dem Aufwand, den die Malerei in Oel- und Wasserfarben, den Miniaturen, Schwarzkunstblätter Das PmuU und Farbstiche treiben, tritt eine neue Technik, das Pastell. Sie versteht die flüchtige Grazie, den Duft des Augenblicks festzuhalten und beherrscht wie kein anderer jene mondäne Eleganz, die an der Oberfläche liegt.. Das Pastell ist die Kunst des gepuderten Jahrhunderts, die schöne Rosalba Carriera führte es im Triumph durch die Welt der Höfe. Und wenn wir die umfangreiche Sammlung ihrer köstlichen Porträts in Dresden betrachten, so fühlen wir uns mitten in die Zeit ver- setzt, die leichten Sinnes ihre Denkmäler aus Porzellan, ihre Bilder aus buntem Staub formte. Der lächelnde Skeptizismus .,,..,; Geschlechts, das »wie Madame de la Verrue »fit pour

86

"W: Dickmson nach. Re^Tiolds ; Mezzotinto Bmckmaim.

ELISABETH COMTESS OF DERBY

plus grande surete son paradis dans la terre«, blickt aus der zarten Harmonie halber Töne und gebrochener Farben, der leisen Musik neutraler Hintergründe, die den Blick auf den Dargestellten allein konzentrieren. Ein Menschenalter später und das bloße Bildnis wandelt sich unter den Händen der Reynolds, Romney, Gainsborough zum Bild. Die Distinktion der Farbe ist die gleiche geblieben, aber die Wärme des Kolorits kündet ein anderes Geschlecht, der Hintergrund, der das Auge in weite Fernen grünender Landschaft lockt, teilt dem Be- schauer etwas von der schwärmenden Empfindung mit, die hier Maler und Gemalte erfüllt.

Auch die Porträts der Deutschen Graff, Tischbein u. a. zeigen uns andere Gesichter, schlichte Menschen, die gern auf den Pomp theatralischer Aufmachung verzichten, wie er noch 30 Jahre früher selbst dem einfachsten Bürgersmann unerläßlich gewesen wäre. Keine bauschenden Seidenvorhänge mehr,

Daniel Chodowucki, Die Schwestern Quantin, 17J8

87

Alexandre Roslin, Jean de Betzkoy (Bruder der Gegenüberstehenden)

prunkende Säulen und gewaltige Architekturen sind verschwun- den. Einfache Menschen in bescheidener Tracht und ruhiger Hal- tung stehen vor uns. Das wirklich intime Bildnis dieser Zeit aber müssen wir ganz wo anders suchen, nicht der Pinsel in der Hand des Künstlers hat es uns hinterlassen, sondern wir danken es vielmehr der Kunstfertigkeit des Amateurs. Die Schere ist es, die uns den Schattenriß gab. Gelehrte wie Leisching, Die Siihouttu Grünstein, Pazaurek u. a. haben die Geschichte der Silhouette gründlich untersucht und ihre Ahnen im Altertum bei der Tochter des Dibutades gefunden, die den Schatten ihres Ge- liebten im Umriß auf der Felswand festgelegt, oder in den »ombres chinoises« des fernen Ostasiens vermutet, sie haben auch nachgewiesen, daß Scherenbilder bereits seit dem Jahre

88

K7>]HHH

P

1

1

Hh

p

1

1

iHli m

ujy

1

^^^K^^^

■HS

m

H

^

'*-<i

i^^^B

^^r*

^^1

^^H

%■

^?^

sMä

^^^BBwi^

.-.';;

.>:

Hp(

BH

V,

^v

^^^^^^^^^m^^f

Ff-»,

^ ^'V.'

^^^^^^^^^^^R

i

m. -- - ~-v

■HkiH

1

Bn

U.

■H

Hg

Roslin, Anastasia, Landgräfin von Hessen, geb. Prinzessin Trubetzkoy

1631 in Deutschland gefunden wurden, daß sie bereits von Swift erwähnt werden, aber was macht das aus? Das erklärt noch lange nicht, woher der Schattenriß so plötzlich in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Paris auftaucht, warum ihm der unbeliebte Finanzminister Etienne de Silhouette seinen Namen leihen mußte. Stammt nun die Erfindung oder Wiederein- führung auch aus Frankreich, ihre eigentliche Heimat hat die Silhouette doch erst in Deutschland gefunden. Während man sie in Frankreich bald wieder fallen ließ, hat man diese Kunst- fertigkeit in Deutschland mit dem größten Eifer ausgeübt, mit solcher Liebe gepflegt, daß man das bloße Spiel wirklich zur Kunst erhob. Die früheste Erwähnung findet sich wohl in Briefen der Landgräfin Karoline von Hessen, die 1760 der Prin-

89

zeß Amalie Silhouetten sendet. Bald aber wird die Kunst ihrer Anfertigung zum Gesellschaftsspiel. Biester schreibt 1775 aus Bützow, es herrsche eine Wut von Schattenrissen. Alle Damen handhabten den Storchschnabel und als Lavater an die Aus- arbeitung seiner Physiognomik geht, gerät ganz Deutschland in Aufregung. Sportmäßig werden Silhouetten gesammelt und ihm gesandt. Jeder möchte in dem großen Werk des berühmten Schweizers aufgenommen sein und Frau Rat Goethe ist bitter- böse, daß sie zu den Zurückgewiesenen gehört! Man malt die Schattenrisse, sticht sie in Kupfer, schneidet sie aus. Man zeichnet den schwarzen Grund sorgfältig mit Deckweiß aus und schafft auf diese Weise wirklich die reizendsten kleinen Kunstwerke. Man hängt sie an die Wand, klebt sie in Albums, trägt sie als Schmuck, schleift sie in Gläsern, malt sie auf Tassen, schließlich genügt das Profilbrustbild nicht mehr, man fertigt Silhouetten in ganzen Figuren, sogar in Lebensgröße, die man auch zu Gruppenbildern vereinigt. 1780 erschienen gleich auf einmal drei gedruckte Leitfaden zum Silhouetten- zeichnen, allerorten gab es Künstler, die sie für Geld anfer- tigten, überall fanden sich Sammler. Goethe sucht, wie Lavater und Merck, die Charaktere nach Schattenrissen zu beurteilen, und verliebt sich in Charlotte von Stein bei dem Anblick ihrer Silhouette, die Zimmermann ihm mitteilt. Er findet in der traurigen Kampagne von 1792 in dieser Kunst eine willkom- mene Zerstreuung und sammelt noch als Greis Schattenrisse für Marianne von Willemer. Das inutieur Wie das Rokoko in erster Linie Gesellschaftskunst ist, so entfaltet es auch seine feinsten Reize in der Ausstattung der Innenräume, da hat es seine intimsten Wirkungen zur Gel- tung gebracht. Die Zeit beanspruchte keinen Komfort, man kannte den Begriff gar nicht, aber man forderte Kunst, Kunst bis in den unscheinbarsten Gebrauchsgegenstand hinein. Man war der prunkenden Staatsräume des Barock ebenso müde, wie der steifen Etikettenformen des Verkehrs und flüchtete aus der stilisierten Pracht der Säle und Galerien in die Traulich- keit der kleinen Salons, in kosige Winkel des Behagens und der Intimität. Im Schmuck und in der Ausstattung derartiger Privatzimmer haben die Stile des 18. Jahrhunderts wohl das Höchste geleistet, was der Kunst in dieser Beziehung über- haupt erreichbar ist. Aehnliches haben frühere Zeiten nicht

90

Troost^ St. Nikolausfest in einan holländischen Hause, lyöi

erstrebt, spätere nicht erreicht. Mit der Freiheit des Stils, dessen phantastische Laune an Wänden und Plafonds einen Zierat von unbeschreiblicher Grazie erblühen läßt, vereint sich die unermüdlich Neues schaffende Phantasie der Künst- ler und die vollendete Technik des Handwerkers, um Räume zu schaffen und einzurichten, deren Geschmack das ganze Raffinement einer hochkultivierten Gesellschaft atmet. Das Kunstbedürfnis der Zeit, das sich bis auf das geringste Blätt- chen Gebrauchspapier erstreckte Boucher, Cochin, Saint Aubin, Bartolozzi u. a. haben Geschäftspapiere, Visitenkarten, Billetts, Annoncen, Rechnungen entworfen, Watteau, Chardin u. a. Ladenschilder gemalt stellte die bedeutendsten Künstler in den Dienst der Dekoration, und befruchtete ihren Geist mit immer neuen, originellen Ideen. Man sparte weder die kostbarsten Hölzer noch die seltensten Marmorsorten, das überreich verwendete Gold wußte man durch die verschieden- artigste Tönung unaufdringlich zu machen, jedem Material verstand man durch eigenartige Verwendung noch neue Reize abzugewinnen. Seitdem der Architekt Leblond durch die Ein-

91

BBBBnnj^^^^^

"™'!

^^^SBHIH

■|H

^^^^^^^^t^--"'""'

^^^■^^^^fcvA '

.' i

j^^B

^I^^Ki'I^H

1

lil'^l

^^^H

1

1^^

H

^^HhI

2l

'Al^Bfittpli^'^ ;. ^

hH

^^H!^^^®

iJ

_ - - -i^^^,^^

'■- 3lSH^^^^^^

i^^^^E^ . ,

Cornelis l'roost, Holländische Wochenstube

fügung großer Spiegel ein völlig neues Element in die Aus- stattung gebracht hatte, faßte man eine Vorliebe für sie, kein Raum, den nicht Spiegel belebten und erhellten. Die Mark- gräfin von Bayreuth berichtet mit Stolz von der Menge der- selben in den Zimmern ihrer Mutter. Der Architekt Miquc war der erste, der bei der Einrichtung des Boudoirs in Petit Trianon auch die Fensterverkleidung durch Spiegel bewerk- stelligte. Man hat Kabinette hergestellt, deren Wände und Decke ganz mit Spiegeln belegt waren, in den römischen Palästen wurden dem kostbaren Material zuliebe Flecken und Sprünge mit Blumen übermalt. An anderen Orten, z. B. in der Würzburger Residenz, gab man den Spiegelgläsern durch Eglomisemalereien ein noch reicheres Ansehen. Tändelndes Rankenwerk, aus dem Vollen geschnitzt, überspielt die Wände und rahmt um Spiegel und Bilder wie in dem köstlichen Bibliothekraum Knobelsdorffs in Sanssouci, wie in der Amalien- burg Cuvillies, »der künstlerisch reichsten Anlage, welche dieser Stil überhaupt zur Durchführung gebracht hat«. Man spannt reich gemusterte Seidenstoffe über die Mauern oder Gobelins nach Boucher und Watteau, Goya entwirft neue Serien von Hautelisse-Tapeten für den Escorial. Olavides ließ in

92

Corne/is Troost, Holländische Villa tnit Lustboot

Lyon eine Tapete für sein spanisches Palais weben, dessen Muster in Gold auf silbernem Grunde ausgeführt war. Der Pfalzgraf von Zweibrücken hatte für Schloß Karlsberg eine Atlastapete mit Darstellungen von Vögeln ausführen lassen, die aus den richtigen Federn dieser Tiere gebildet waren. Er hatte eigens zu diesem Zwecke die kostbarsten ornithologi- schen Sammlungen gekauft. Man führt nicht nur das Parkett der Fußböden, sondern die ganzen Wände in Marketterie aus, wie in dem Kabinett der Casa del Labrador in Aranjuez, das mit Piatina eingelegt ist und Millionen gekostet haben soll. In Tsarskoje Selo befand sich ein Zimmer, dessen Wände ganz mit Bernstein belegt waren, ein Geschenk Friedrich IL an die Kaiserin Katharina. Schließlich wird es Mode, die Zimmer von Künstlerhand ausmalen zu lassen. Von dem berühmten Tiermaler Huet stammte die Mode der Affenkabinette, deren bekanntestes sich wohl in Chantilly befindet. Van Spaendonck hat das Boudoir der Tänzerin Duthe mit einer Dekoration von Blumengirlanden versehen, deren leichte Grazie von un- vergleichlichem Reiz ist. Fragonard malte das Boudoir einer anderen Theaterprinzessin, der Guimard. Boucher ein Zimmer für seinen Freund Desmarteau. Später, als der erste Vorstoß

93

der Antike erfolgte, war in Frankreich Rousseau de la Rot- tiere berühmt für seine Zimmer im pompejanischen Stil. Das Mobiliar Wie man sich in der Dekoration von der wuchtigen Pracht des Barock abwandte, so ersetzte man auch das schwerfällige Mobiliar dieser Zeit durch leichtere und bequemere Stücke. Zur Zeit Ludwigs XIV. hatte man den Pomp silberner Möbel geliebt, d. h. solcher, die über einem hölzernen Kern ganz

Wille nach Tocque, Marquis de Marigny^ lyöi

mit getriebenen Silberplatten belegt waren, in Whitehall hatte Karl II. mehrere Zimmer in dieser Weise ausstatten lassen, Friedrich Wilhelm I. Millionen an sein silbernes Mobiliar im Berliner Schloß gewandt. Als Lady Montague Wien besuchte, war in den Häusern des hohen Adels silbernes Mobiliar etwas ganz Gewöhnliches. Nur einzelne Stücke sind im Laufe der Zeiten dem Schmelztiegel entgangen, zahlreich finden sie sich heute noch im Schlosse Rosenborg in Kopenhagen. Der ver- feinerte Geschmack fand an solchen Prunkstücken keine Freude

94

^^«it^jt;~j/;X

Morean, Les delices de la Maternite. ijjö

Die Mode. 18. Jatrh. 24

mehr, nur für einige barbarische Höfe, wie die zu Petersburg, Madrid und Lissabon hat der Pariser Goldschmied Germain auch später noch silberne und vergoldete Toiletten geliefert. Man betrachtete Gerät und Geschirr aus edlem Metall als Kapitalsanlage, so investierte Friedrich Wilhelm I. in seinem Silbergeschirr i'/2 Millionen Taler; Friedrich der Große 1743 ebensoviel in seinem goldenen Tafelservice; Maria Theresia in ihrem goldenen Service 1 300 000 Gulden, und das Tafel- service, das Max Emanuel von Bayern hatte aus Dukatengold anfertigen lassen, diente ihm in der zweiten Hälfte seiner Regie- rung in Augsburg als willkommenes A^ersatzstück. An Stelle der schweren Formen treten leichtere und zweckmäßigere. Der rohe Prunk des protzigen Materials verschwindet hinter dem

¥

A

j '-^J^^.

Dame mit Fächer

Dame mit Fiaschetto

Nymphenbxirgcr Porzellan

95

Raffinement der künstlerisch vollendeten Ausführung. Was die Pariser Kunsttischlerei im Laufe des i8. Jahrhunderts in dieser Art geschaffen hat, läßt sich weder beschreiben noch durch Abbildung verdeutlichen. Man muß die Sammlungen des Louvre-Museums, der Wallace Collection im Hertford- house, den Jones bequest im South Kensington Museum ge- sehen haben, um einen Begriff von der Vollendung dieser Möbel zu bekommen. Zu den kostbarsten Hölzern Indiens: Mahagoni-, Rosen-, Veilchen-, Tulpen-, Amaranthen-, Am- boina-, Ebenholz fügte man Schildpatt und Perlmutter, Gold- und Silberintarsien, Einlagen von Pietra dura, Inkrustationen von Sevres- und Wedgwoodplatten, Mosaik aus glänzenden Vogelfedern, Eglomise-Malereien, alles das verbunden und zu- sammengestimmt durch Bronzen, deren köstliche Arbeit an Feinheit der Tönung und Präzision der Ausführung ihresgleichen heute nicht einmal mehr in Goldschmiedearbeiten findet. Die Reihe dieser Künstler beginnt die Familie Boulle, die der von ihr geübten Technik der Marketterie ja den Namen ge- geben hat. Die Tüchtigkeit ihres Könnens hätte wohl den Wech- sel des Stils überlebt, aber das Feuer, das am 30. August 1720 ihre Ateliers zerstörte, vernichtete ihren Wohlstand. Andre Charles Boulle war in seine Arbeiten so verliebt, daß er sich nicht entschließen konnte, sie abzuliefern und sie unter dem Vorwand, daß sie noch nicht fertig seien, im Hause behielt. Diese Vorliebe wurde ihm zum Verhängnis, denn die erwähnte Katastrophe zerstörte die Früchte und den Wert jahrelanger Arbeit. Wie die Boulle deutschen Ursprungs, so waren auch ihre Nachfolger die Oeben, Riesener, Weißweiler, Benemann, Schwerdfeger u. a. , die im 18. Jahrhundert den Ruhm des Pariser Kunsthandwerks bildeten, größtenteils Deutsche. Ihrer Kunst verdanken die berühmtesten Stücke jener Zeit ihre Ent- stehung. So das .Rollbureau Ludwigs XV., an dem neun Jahre lang mit einem Kostenaufwand von 72yys Livres (nach heu- tigem Geldwert, das Livre zu M. 2,40 gerechnet, M. 174660) gearbeitet wurde, der monumentale Schmuckschrank Marie An- toinettes usw. Mit der Schönheit der Möbel harmoniert der kostbare Bezug aus gestickter, bemalter, gewirkter Seide, die Farbenpracht der Tapisserien, der Glanz der Lustres und Ge- räte. Im Hotel der Madame de la Verrue hatte der geringste Kronleuchter loooo Taler gekostet, Prinz Eugen bezahlte die

96

Alexandre kuiiin. Ainaceiic Ln> istine von Sachsen- Tescketi. ijSz

Die Mode. 18. Jahrh. 25

y. K. Seekatz, Die Goethesche Familie im Schäfer koslüfti aus dem Besitz Bettina s V. Arnim, gemall 1762

DieMode.18. Jahrh. 2. A.

97

seinen das Stück mit 20000 Talern. Die Bronzen der Caffieri, Gouthiere, Thomire, ihre Möbelbeschläge, Uhren, Leuchter, Feuerböcke wurden mit Gold aufgewogen. Dem unglücklichen Gouthiere blieb die Dubarry für einige Arbeiten, die er in ihrem Schlosse Luciennes ausgeführt hatte, 756000 Livres schuldig und stürzte den Künstler dadurch ins Elend. Wenn auch in der Reinheit des Entwurfs und der Vollen- dung der Technik den Pariser Arbeiten dieser Zeit der Vor- rang gebührt, so beanspruchen doch auch die außerhalb Frank- reichs Grenzen hergestellten Möbel einen hohen Rang. Die Mannigfaltigkeit der Formen, in der z. B. deutsche Schreiner das Thema Kommode abwandeln, ist unbeschreiblich. Man findet in Grundriß, Aufbau und Profilen immer Neues und Gefälliges. Die Hoppenhaupt, Nahl, Kambly, Hülsemann u. a.

De Carmontelle, Mme. Hirault und Mme. de Sechelle, lyöj

98

Carmontdle , Der elfjährige Mozart, ijöj

dürfen sich mit ihren Arbeiten wohl neben Pariser Stücken sehen lassen, zumal wenn sie im Auftrag fürstlicher Mäzene schufen. Die prächtigen Schränke aus Salzdahlum, heute in verschiedene Museen zerstreut, sind in Entwurf und Ausführung ebenso vollendet wie die Möbel, die Friedrich II. sich aus

99

Zedernholz mit Beschlägen von Silber, aus Schildpatt mit Platten von Amethyst fertigen ließ. David Röntgen aus Neuwied genoß eine europäische Berühmtheit. Für einen seiner Sekretäre, die ihrer vielen geheimen Fächer und Schnurrpfeifereien wegen boites ä surprises genannt wurden, zahlte Ludwig XVI. Soooo Livres.

Raffad Mengs, Marie Louise von Parma, Gattin König Karls IV. von Spanien

Ein hervorragendes Stück aus seinen Ateliers ist heute noch im Schloß Monbijou. Das englische Geuz eigene Wege wandelte die englische Dekoration und Möbelkunst des i8. Jahrhunderts. Das englische Rokoko, wie die Chippendale es verkörpern, besteht eigentlich aus einer sonderbaren Mischung. Sein Grundbestand ist französisches

100

Möbel

yaninet, Königin Marie AntoinetU, 177 J

Die Mode. 18. Jahrh. 26

Daniel Chodowiecki, Prinzessin Sophie Wilhelmine von Preußen, 1767 vermählt mit dem Erbstatthalter von Oram'en _

Rokoko, aber dies ist so stark mit chinesischen und selbst gotischen Elementen verquickt, daß etwas durchaus Neues daraus geworden ist. Das gleiche Unglück wie den Boulle ist auch dem jüngeren Chippendale zugestoßen. Am 5. April 1755 brannte sein Laden in St. Martins Lane aus, eine Kata-

lOI

Strophe, die auch in diesem Fall die Aenderung eines Stiles beleuchtet. In England haben die wissenschaftlichen Reisen und praktischen Versuche der Brüder Adam die Antike früher als auf dem Kontinent in Mode gebracht. Die Nachfolger der Chippendale, George Hepplewhite und Thomas Sheraton führen ihr Mobiliar schon mit starkem Anklang an klassische Vorbilder aus. Der erstere mit der leicht englisierten Anmut des Louis Seize-Stils, der letztere mehr in den strengeren For- men des sogenannten Empire. Was den englischen Möbeln aber ein ganz besonderes Gepräge gab, war ihr Charakter, das Zweckmäßige, Schöne und Bequeme zu vereinigen, ein Vorzug, der später das Möbel der Biedermeierzeit so stark beeinflußt hat. In Inventaren des Berliner Schlosses finden sich schon im Jahre 1713 englische Möbel aufgeführt, und mit der zunehmenden Beeinflussung des Kontinents durch eng- lische Philosophie, Literatur und Sitte wächst auch der Import englischer Möbel und Geräte. Man gewann langsam auch bei uns Verständnis für englischen Komfort. Die Modejournale enthalten in jeder Nummer Anzeigen englischer Waschmaschi- nen, Apparate zur Zimmergymnastik, Motionsstühle gegen Hypo- chondrie u. dgl., und auf der Leipziger Messe 1797 schätzt man die Einfuhr englischer Luxusartikel auf £800000, die der Frank- furter Messe des gleichen Jahres auf i Million Pfund Sterling. Das 18. Jahrhundert hat den Vorrat von Möbeln, den es überkommen hatte, ganz bedeutend vermehrt. Einmal hat es

Ä. Aubin, Prottienade

102

Kaiserin Katharina von Rußland (Berliner Porzellan)

die Formen der Sitz- möbel, wie Kanapees, Lehnstühle und Sessel in geradezu unendlicher Mannigfaltigkeit ausge- staltet. Die spätere Zeit hat darin kaum etwas Neues geschaffen. Dann aber hat es endgültig mit der Truhe gebro- chen und die Kommode an ihre Stelle gesetzt. Schließlich hat es aus dem Kabinettschränk- chen den Schreibtisch gemacht. Der Sekretär, das Rollbureau, der Kau- nitz und andere heute Das Brief- uoch gebräuchliche Formcu des Schreibtisches stammen so gut schreiben ^^^ diescr Zeit wie viele, viele andere, die heute vergessen sind, wie etwa das Miniaturmöbel, das man in Frankreich » bonheur du jour« nannte, und das in keinem Schlafzimmer einer Dame von Welt fehlen durfte, gehörte doch beim Einschlafen ihr letzter, wie beim Erwachen ihr erster Gedanke ihrer Korre- spondenz. Wir sind im briefschreibenden Jahrhundert, an dessen Beginn wir eine so schreibfrohe Seele finden wie Liselotte,welcher Brief e von 25 Seiten eine Kleinig- keit waren, die von der Prin- zeß von Wales Antworten von 28, 33, ja 45 Seiten er- hielt. Ihr Zeitgenosse Phi- lipp Jakob Spener empfing jährlich etwa 1000 Briefe, von denen er zwei Drittel selbst zu beantworten pfleg- te, und diese Leidenschaft für das Korrespondieren nahm zu, je weiter das Jahr- Taraval, J. J. Rousseau

104

Bartolozzi ,i,.

-',«»u Uuu.^c. A.v.c Mu

Auhc.

Die Mode. 18. J»lirh. 27

hundert vorschritt. Männer, welche wie Geliert bessernd aufweite Kreise wirken wollten, unterhielten eine ausgebreitete Korre- spondenz zum Teil mit ihnen persönlich ganz Unbekannten. Pri- vate Korrespondenzen, besonders der ausgedehnte Briefwechsel Julie Bondelis gewannen Rousseaus Anschauungen mehr An- hänger als seine Bücher. Voltaire, der sich ',als geistiger Patriarch Europas fühlte, korrespondierte mit der halben Welt und konnte Casanova 1760 bei einem Besuch in Ferney eine Samm-

Dti Greux, Kaiserin Maria Theresia

lung von 50000 an ihn gerichteter Briefe zeigen. Lavater, der jahrelang der Prophet der stillen Gemeinde der Empfindsamen in Deutschland war, schrieb seine Zirkelbriefe, wie Friedrich Nicolai sie nennt, unter der Voraussetzung, daß jeder der- selben an 30 40 Orten bekannt werden würde. »Denn es war überhaupt eine so allgemeine Ofifenherzigkeit unter den Men- schen«, sagt Goethe, »daß man mit keinem einzelnen sprechen oder an ihn schreiben konnte, ohne es zugleich als an mehrere

105

gerichtet zu betrachten. Man spähte sein eigen Herz aus und das Herz der anderen und bei der Gleichgültigkeit der Regie- rungen gegen eine solche Mitteilung, bei der durchgreifenden Schnelligkeit der Taxisschen Posten, der Sicherheit des Siegels, dem leidlichen Porto griff dieser sittliche und literarische Ver- kehr bald weiter um sich. Solche Korrespondenzen, besonders

mit bedeutenden Perso- nen, wurden sorgfältig gesammelt und alsdann bei freundschaftlichen Zusammenkünften aus- zugsweise vorgelesen und so ward man, da politische Diskurse we- nig Interesse hatten, mit der Breite der morali- schen Welt ziemlich be- kannt.« Das Briefschrei- ben, das Weltdamen eine Forderung der Mode war, wurde den Blau- strümpfen zur Pflicht. MadameGeoffrin schrieb aus Prinzip täglich min- destens zwei Briefe und Madame du Deffand schrieb auch nicht das kleinste Billett, ohne nicht vorher mehrere Brouillons davon aufzu- setzen. So entstanden dann jene Briefwechsel, von denen Goethe einmal sagt, daß die neuere Welt sich über ihren Geha;ltsmangel verwundere, Ergüsse einerSchreibwut,die so tyrannisch herrschte, daß auch der Trägste ihr gehorchen mußte ; wenn sich z. B. ein Brieffauler wie Graf Stadion auch dadurch der Qual des Selbstschreibens entzog, daß er die Liebesbriefe, auf die seine Schöne ein Recht hatte, von seinem Sekretär La Roche schrei- ben ließ. Leuchsenring, ein Apostel der Empfindsamkeit, reiste mit mehreren Schatullen voller Briefe von Freunden, die er Dritten mitzuteilen pflegte, und wenn wir heute diese Leiden-

Raffael Mengs, Zwei spanische Infanten

io6

Joseph Wright, Die Luftptviipe , ijög

Schabkunst von Green

Schaft für das Korrespondieren nicht mehr verstehen, so müssen wir uns erinnern, daß auch die Modeliteratur von damals die- sem Hang eitler und lügnerischer Selbstbespiegelung Vorschub leistete. Von Richardsons Clarissa bis zu den frivolen »Liaisons dangereuses« Choderlos de Laclos beherrscht die so ganz unwahrscheinliche Form des Romans in Briefen die Lesewelt und ein so langweiliges und konfuses Buch wie »Sophiens Reise von Memel nach Sachsen« erlebt Auflage über Auflage, während man schon nach dem fünften oder sechsten Brief von keiner der handelnden Personen mehr weiß,whichiswhich ? Heute lächeln wir über die Periode der Empfindsamkeit, die der Gesellschaft zwischen 1760 und 1790 so sichtbar ihren Stempel aufgedrückt hat. Heute schickt es sich, seine Gefühle zu verbergen, Tränen, Küsse, Umarmungen sind so gut aus der Mode gekommen wie das Briefschreiben, das wir alten Damen überlassen, die sich nichts Dringenderes anzuvertrauen haben als die Geheimnisse anderer Leute. Unser Verkehr bewegt sich in anderen Formen, unser Geist wandelt andere Bahnen, nur eine Erbschaft jener Zeit, die auf das engste

107

mit ihrer Empfindelei zusammenhängt, ist uns geblieben: der englische Garten. irienhunsi ßis zur Mitte des i8. Jahrhunderts gehorchten Park und Garten dem architektonischen Gesetz, welches den Bau diktiert hatte, den sie umgaben. Ihre Wege und Alleen setzten die Per- spektiven der Säle und Galerien fort, ihre Anlage samt Wasser- künsten undBoskettswar geometrisch, Bäume und Büsche stan- den unter der Schere, es war eine künstlerisch geordnete und eingerichtete Natur zum Gebrauch für vornehme Leute. Als nun die Rückkehr zur Natur das Schlagwort der Gesellschaft wurde, als es Mode wurde, Empfindungen zu haben und zu zeigen, da sah man sich voller Enttäuschung in Gärten, deren regelmäßige Anlage so gar nicht zu den neuen ungeregelten Gefühlen paßte. Man verlangte nach einer natürlichen Natur im Gegensatz zu dieser künstlich hergerichteten, im Gegen- satz auch zur wirklichen Natur, an der erst das nächste Ge- schlecht Genuß finden sollte. Dies Verständnis für landschaft- liche Schönheit ist erst am Ende des Jahrhunderts zum Durch- bruch gekommen. Diesem Bedürfnis trug die Anlage der Parks Rechnung, wie es in England Mode geworden war, wo bereits im Anfang des Jahrhunderts Pope und Addison ihre Gärten einfach der Natur überlassen hatten. Die Freude an dem Zufälligen, Regellosen einer ungehindert schaltenden

Panini, Gustav III. von Schweden beim Papst, iTjo

io8

F. Cotes, Mary Lady Boynton, ijjo

Schabkunst von Waison

109

Natur führte dann dazu, diesen Zufälligkeiten bewußt nach- zuhelfen, das Regellose künstlich herzustellen. Durch William Chambers wurde die Aufmerksamkeit auf die chinesischen Gärten gelenkt, deren geschickte Anlage auch auf dem kleinsten Raum das Bild einer ganzen Landschaft vorzutäuschen weiß.

Chambers schuf 1763 in Kew Garden bei Rich- mond die Anlage, welche ganz Europa als muster- gültig ansah und sich beeiferte, überall nach- zuahmen. Es wurden jene Parks angelegt, die darauf berechnet waren, Empfindungen zu erre- gen, Stimmungen auszu- lösen. Tempel, Altäre, künstliche Ruinen, Bau- ernhütten,Einsiedeleien, Kapellen, Pyramiden, Moscheen, Grotten, Grä- ber, Denkmäler nichts wurde gespart, um der Seeledes Wanderers Ein- drücke zu vermitteln, welche Regungen sanf- ter Schwärmerei und

stillen Nachsinnens, Schrecken oder Entzük- ken erzwingen sollten.

Auf Wilhelmshöhe täuschten in der Grotte des Pluto feuergelbe Glastüren einen schauer- lichen Feuerpfuhl vor, in unterirdischen Gewölben saßen Wachs- figuren von Tempelrittern, Mönchen, Einsiedlern wie in Laxen- burg oder Monrepos bei Ludwigsburg. Der Park sollte die bessere Welt darstellen, in die man so gerne geflüchtet wäre, darum führten seine Anregungen in zeitliche oder räumliche Fernen, in das Altertum zu den Gräbern Homers und Virgils,

Galaanzug König Gustav III. von Schweden

HO

die besonders beliebt waren, oder nach China, das man sich gern als Heimat beschaulicher Glückseligkeit vorstellte, in chinesische Dörfchen, von denen eines die Kolonie Mulang bei Kassel zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit noch mit afrikanischen Mohren besiedelt wurde ! Der verdrehte Graf Hoditz, der in seinem Leben fünf Millionen Taler verschwen- dete, glaubte sein Roßwalde in ein Arkadien umgeschaffen zu haben, als es ihm gelungen war, seinen Hörigen Schäfer- spiele einzudrillen, die sie gelegentlich im Park improvisieren mußten ; liebten die Schäfer und Schäferinnen aber zu realistisch, so setzte es Prügel. Graf Moritz Brühl arbeitete das Röder Tal bei Seifersdorf in der Lausitz ästhetisch empfindsam um, Goethe spricht einmal in seinen Briefen an Carl August tadelnd von »Seifersdorfisiren«. Berühmt war der Park des Baron Peter Braun in Schönau bei Wien, für dessen Anlage sich der Besitzer ruinierte.

Fast alle kontinentalen Parks sind damals in englischem Sinne umgestaltet worden und ihren Anlagen nach bis heute auch geblieben, wenn die Mehrzahl der sentimentalen Baulichkeiten inzwischen natürlich auch verschwunden ist. Damit es dem Geschmack nicht an einem Leitfaden zur Sentimentalität fehle, gab ihm der Däne Hirschfeld in fünf Quartanten seine Theorie der Gartenkunst, die alle Rezepte zur Erregung sanfter Trauer und stillen Entzückens zum Schwärmen ä la St. Preux und Heloise mitteilt.

Gelegentlich der Charakterisierung des Rokoko ist schon dar- auf hingewiesen worden, daß die reichsten Schöpfungen dieses Stils diejenigen, welche seine Gestaltungsmöglichkeiten am wildesten ausgebildet zeigen, auf deutschem Boden entstanden sind. Deutschland hat aber nicht nur in der Architektur und den dekorativen Künsten das in Phantasie und Laune über- schäumende Rokoko gezeitigt, es hat mehr getan, indem es für diesen Stil gerade das Material erfand, das seiner kapri- ziösen Kunst zu vollem Ausleben verhalf: das Porzellan. Sich heute das i8. Jahrhundert ohne das Porzellan vorzustellen, erscheint gerade so unmöglich, wie Biedermeier ohne die Litho- graphie zu denken oder das zweite Kaiserreich ohne den Photo- graphen. Das chinesische Porzellan war in Europa seit langem bekannt und hochgeschätzt August der Starke gab Friedrich Wilhelm L für einige besonders schöne Vasen ein ganzes Regi-

III

ment Soldaten es in seiner eigenen Masse nachzumachen, war aber noch nicht dauernd geglückt. Es ist bekannt, wie der Arkanist Johann Friedrich Böttger von August dem Starken zum Goldmachen angestellt, durch Zufall mit der Porzellanerde bekannt wurde und eine Erfindung machte, die wenigstens indirekt gutes Gold einbrachte. Seit 1713 zum ersten Male die Leipziger Messe mit Böttgerscher Ware beschickt werden konnte, eroberte sich das sächsische Porzellan den europäischen

y. H. Tischbein, Lessing

Markt. Es trat anfänglich in der Maske seiner ostasiatischen Heimat auf, denn die Bizarrerie des chinesischen Stils führte eben ihren ersten siegreichen Vorstoß gegen die Kunst des Westens aus. Chinesisches Porzellan, chinesischer Lack, chine- sische Seiden waren die begehrtesten Luxusartikel; glocken- behängte Pagoden, schwebende Brücken von Bambusrohr, bezopfte Chinesen mit langen Pfeifen waren so beliebte Elemente der Dekoration, daß sie aus dem Rokoko nicht mehr verschwun- den sind, ja, wie Edmond de Goncourt einmal sehr hübsch

112

^

11

"I^^^^^^H

L

sagt: China zu einer Provinz des Rokoko machten. Trotz der eifersüchtigen Hut, mit der die Fabrikation in Meißen bewacht wurde, gelang es auf die Dauer weder das Fabrikat für chinesisch auszugeben, noch auch das Geheimnis der Her- stellung zu bewahren. 1718 entstand in Wien eine Porzellan- fabrik, der seit den vierziger Jahren weitere Manufakturen in Berlin, Fürstenberg, Frankenthal, Nymphenburg usw. folgten. In ihren Erzeugnissen verkörpert sich heute für uns das

Graff, Frau Böhme, Goethes Freundin in Leipzig

18. Jahrhundert, dessen Anschauungen wir in der anmutigen Form des Gebrauchsgeräts so gut wiederfinden wie in der preziösen Grazie der zierlichen Figürchen und Vasen. Indem man dies köstliche Material dem eigenen Bedürfnis anpaßte, fand man auch sofort den Stil dafür. Die Meißner Manufaktur wirkte auf diesem Gebiet ebenso schöpferisch wie bahnbrechend und hat für alle Zeiten die Grenzen abgesteckt, jenseits deren der Porzellanstil sich nicht wagen darf, will er sich nicht selbst aufgeben. Ein günstiger Zufall war es, der die neue Kunst

D i e M o d e. 18. Jahrh. 2. A.

113

auch sofort vor dankbare Aufgaben stellte, als es galt, für die neuen Luxusgetränke Kaffee, Tee und Schokolade Gefäße zu bilden, und der glänzenden Lösung, die sie in ihren Bechern und Tassen für diese Aufgabe fand, hatte die Porzellankunst es zu danken, daß die vornehme Gesellschaft damit begann, ihre ganze Tafel mit Porzellan zu besetzen. Bis dahin hatten Reiche von Silber oder Vermeil, minder Begüterte von Zinn oder Steingut gegessen, den Tafelschmuck fertigte der Kon- ditor aus Zucker oder Dragant. Alle diese Materialien ver- drängt jetzt das Porzellan. Seit 1734 liefert Meißen Tafel- service, bei denen Form und Malerei um den Vorrang zu streiten scheinen, liefert es jene Serien von Gruppen und Fi- guren, die in Modellierung und Bemalung auf kleinstem Raum das höchste künstlerische Vermögen ihrer Bildner verraten. Ob es nun Meißner Schäfer und Schäferinnen, Fischer, Jäger. Bauern sind, oder Nymphenburger Kavaliere und Damen, immer sind es Angehörige der vornehmen Welt, die wir vor uns haben, immer lächelt aus ihren süßen Gesichtchen die kokette Schelmerei, tragen sie die ländliche Maskerade mit derselben Ziererei v^^ie den spitzenbesetzten Putz, immer ist ihr Tun das gleiche leichte Getändel. Die Gruppen bringen diese herzigen Dämchen und allerliebsten Herrchen in Situationen voll schalkhaften Humors und drolliger Neckerei, wo die leise Affektation ihrer Haltung die gesenkten Köpfchen und gespreizten Fingerchen, die tän- zelnden Beinderln und gebauschten Röcke uns verraten, was man in der Perückenzeit unter Grazie verstand, wie man sich hielt, als das Menuett den Rhythmus der Bewegung angab. Zu diesen Tischdekorationen und Gebrauchsgefäßen tritt bald der ganze Kleinkram der Bedürfnisse des Luxus an Dosen, Flakons, Stockgriffen, Etuis, Vasen, Uhrgehäusen, Potpourris etc. Das Porzellan scheint sich geradezu die ganze Kultur untertänig machen zu wollen und vergißt wie ein glücklicher Eroberer die Grenzen seiner Macht. Die Freude an dem herr- lichen Material verleitet den berühmten Kandier dazu, sich an die Ausführung einer überlebensgroßen porzellanenen Reiter- statue Augusts HL von Polen zu wagen und läßt Carl IIL von Spanien in seinen Schlössern Zimmer völlig mit Relief- platten von Porzellan auskleiden, ein Unternehmen, bei dem das Mißverhältnis zwischen dem erzielten Resultat und der aufgewandten Mühe deutlich darauf hinweist, welche Schran-

114

ken der Leistungsfähigkeit dieses festen, aber spröden und technisch unzuverlässigen Materials gezogen sind. Das Porzellan errang sich seinen Platz bald auch in der Dekoration. Entweder belegte man wie in dem Zimmer des Grafen Dubsky in Brunn die Wände mit vielen Hundert kleiner Platten von Porzellan oder man überzog sie mit hölzernem

Chodowiecki, Minna von Barnhelm, 1770

Schnitzwerk, das auf tausend kleinen und kleinsten wie in zu- fälligem Spiel entstandenen Vorsprüngen und Konsolen Raum zur Aufstellung von Tassen, Vasen und Figuren bot, während dahinter befestigte Spiegel das unruhige Spiel des Lichts auf Farben und Glasur steigerten und vervielfältigten. August der Starke errichtete für seine Porzellansammlung ein eigenes Schloß, das japanische Palais, dessen Erdgeschoß für chinesisches und japanisches Geschirr bestimmt war, während das erste Stock-

116

Drouais, Cotnte Philippe de Vaudreuil

Stich von Henri Chef er

117

werk dem Meißener Porzellan vorbehalten blieb. Bei der Ein- richtung war der Gedanke maßgebend, daß in jedem Zimmer Porzellan von einer Farbe vorherrschen sollte. In der Schloß- kapelle waren nicht nur die großen Statuen, sondern auch Kanzel und Altar in Porzellan projektiert. Als der Pariser Kunsttischler Martin Carlin begann, seine Möbel mit Sevres- platten zu inkrustieren, fand sein Geschmack solchen Beifall, daß die Herzogin von Valentinois sich 1778 in Longchamps in einer ganz mit Porzellanplatten belegten Kutsche zeigte, eine Uebertreibung der Mode, ähnlich jener, deren sich die Pompadour schuldig machte, als sie bei der Vorliebe des Hofes für Blumen aus Porzellan in ihrem Lustschloß Bellevue ein Treib- havts einrichtete, das nur parfümierte Porzellanblumen enthielt.

Im Garten zu Beloeil

120

Nicolas Lavreince, Das Andenken

Die Mode. 18. Jährt. 29

Hubert, Voltaire am Schreibtisch

Die Vorherrschaft, die Ludwig XIV. in Europa ausübte, du Modi hat sich zwar auf allen Gebieten des Lebens in Politik, Kunst und Literatur gleichmäßig geäußert, sich doch aber auf keinem anderen so augenfällig zur Geltung gebracht als auf dem der Mode. Alle Unterschiede, welche bis dahin der Kleidung einzelner Länder und Städte ein gewisses charak- teristisches Gepräge verliehen hatten, verschwinden mehr und mehr vor der unaufhaltsam vordringenden französischen Mode. Alle Ordnungen und \^erbote sind vergebens. Nichts vermag ihren Siegeszug aufzuhalten. Die Kleidung der Gesellschaft wird im Lauf des i8. Jahrhunderts überall die gleiche, nämlich die französische, und in diesem Sinne sprach Caraccioli damals mit Recht von dem französischen Europa. Die Geschichte der französischen Mode wird dadurch ganz von selbst zu einer Modegeschichte Europas, das Vorbild des Hofes von Versailles beeinflußt die Gesellschaft in Paris, und von da aus die übrige Welt. Die Mode wirkte sicher, wenn sie auch beim Herab- steigen der sozialen Stufenleiter die untersten Schichten eben- sogut später erreichte wie die räumlich entfernter Wohnenden. Jeder formte sich doch nach besten Kräften nach ihrem Bilde. Und wenn das Pariser Muster auch nicht überall erreicht wurde, so blieb es doch das Ideal, nach dem man strebte. Es ist ja auch ganz selbstverständlich, daß man schneller dazu gelangte, die äußeren Formen der bewunderten französischen Kultur anzunehmen als ihren Geist. Wer sich französisch klei- dete, dokumentierte schon dadurch seine Zügehörigkeit zu einer

121

höheren Klasse, und diese Tendenz, sich dem französischen Geschmack anzupassen, wurde von Frankreich aus um so syste- matischer unterstützt, als die französischen Manufakturen zum größten Teil Luxusartikel produzierten: Sammet- und Seiden- stoffe, Spitzen, Tressen u. dergl. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte man in Paris begonnen, .'die Monat ein-

Louis-Michel Van Loo, Detiis Diderot

mal eine vollständig nach neuester Mode kostümierte lebens- große Puppe nach London zu senden: »die große Pandora« in Staatstoilette, »die kleine Pandora« in Neglige gekleidet. Diese Puppe der Rue Saint Honore wurde anfänglich im Hotel Rambouillet zurecht gemacht mit der gern geleisteten Hilfe der berühmten Mademoiselle de Scudery, jener fruchtbaren Romanschriftstellerin, die man zwar nicht mehr liest, aber aus

122

Hoffmanns Erzählungen so gut kennt. Diese Puppe wanderte so regelmäßig über den Kanal, daß selbst Kriegszeiten die englischen Damen nicht der Möglichkeit beraubten, sich all- monatlich über die letzte Pariser Mode zu orientieren. Mitten im Spanischen Erbfolgekriege bestellte König Georg I. von Eng- land die ganze Ausstattung seiner deutschen Schwiegertochter in Paris. Die feindlichen Generale erlaubten Pandora stets frei zu passieren, eine Galanterie, der erst ein Barbar, wie Napo- leon, ein Ende machte. Als zu Anfang des 19. Jahrhunderts die englischen Damen auf den Besuch Pandoras zu verzichten gezwungen waren, sahen sie sich, wie Mrs. Bury-Palliser be- dauernd bemerkt, leider genötigt, sich nach eigenem Geschmack zu kleiden. Nachdem sie der Not gehorchend einmal in diesen Fehler verfallen mußten, haben sie ihn leider als Gewohnheit einwurzeln lassen; von dem Resultat kann jeder Besucher Eng- lands sich schaudernd überzeugen. Mit der Zeit reiste Pan- dora auch nach anderen Orten als gerade nur nach London und formte nach ihrem Bilde in Rußland wie in Deutschland und Italien aus der Europäerin die Pariserin. Wir wollen aber nicht verschweigen, daß es schon im 18. Jahrhundert Leute gab, welche behaupteten, daß Pandora im Ausland stets die Moden von vorgestern und nicht die von heute trüge; so findet die Fürstin Liechtenstein die Damen des Ansbacher Hofes angezogen und dekolletiert, wie sie es nie gesehen, und Nico- lai konstatiert bei seiner Reise durch Deutschland, daß das vornehme Frauenzimmer in Augsburg, Stuttgart und anderswo sich zwar französisch kleide, aber nach der vorletzten Mode! Als der Großfürst Paul von Rußland 1782 in Frankfurt a. M. den Adel der Umgebung empfängt, da findet sein Hof, daß die Kleider desselben einer Mode angehören, die mindestens 40 Jahre alt sein müsse.

Die Mode, in welcher die Frau aus dem 17. ins 18. Jahrhun- dert schritt, war in der zweiten Hälfte der langen Regierungs- zeit Ludwigs XIV. entstanden und hat mit geringfügigen Ver- änderungen fast 40 Jahre gedauert. Ihre Stetigkeit darf man wohl auf die ernste Sinnesweise der Dame zurückführen, die in jenen Jahrzehnten am französischen Hofe den Ton angab, der Marquise von Maintenon. Der Anzug der Dame bestand, soweit er sichtbar war, aus drei Hauptstücken, der Taille mit zwei Röcken. Die Taille, tief und spitz geschnürt, ließ Hals

124

Nicolas Lazreince, Junges MädcJun

Di« Mode. 18. Jahrb. 30

Zpffatiy, Thomas King und Mrs. Baddely in der Heimlichen Vermählung^ 1772

Schabkunst von Earlom

und Unterarme frei, ein Decollete, an das sich die schöne Welt zwar sehr rasch, MoraHsten und Geistliche aber nur sehr lang- sam gewöhnten. In Wien hat ein Prediger sich damals in seinem Eifer so weit hinreißen lassen, daß er in der Hofkirche äußerte,

125

er wünsche, der Adler des Evangelisten Johannes solle den

Damen auf die entblößten Brüste seh , und sich weigerte,

dem öffentlichen Aergernis durch Abbitte Genüge zu tun. Man beauftragte also Abraham a Santa Clara mit einer Korrektur der anstößigen Bemerkung und der fromme Mann äußerte am nächsten Sonntag von der Kanzel, er bedaure die Unanständig- keit, zu der sich sein Vorredner habe hinreißen lassen herz-

Rat Goethe

lieh, ginge es aber nach seinen Wünschen, so müsse nicht ein Adler, sondern der Ochse des Evangelisten Matthäus dies Geschäft besorgen !

Das Kleid bestand aus zwei Röcken, von denen der untere rund geschnitten und meist garniert war, der obere aber vorn aufgeschnitten, nach rückwärts hochgenommen in langer Schleppe nachfloß. Um das auf ihm lastende Gewicht der Schleppe tragen zu können, war der untere Rock abgesteift und enthielt, um seine runde Form zu behalten, eiserne Reifen im Futter. Während Taille und Schlepprock, in Frank-

126

reich Manteau genannt, in Farbe und Stoff gleich waren, so durfte das Unterkleid verschieden sein. Es wurde gestickt und besetzt und trug, seitdem der Falbala, was wir heute Volant nennen, erfunden war, kaum noch anderen Besatz als solchen. Ein' glücklicher Zufall hat uns den Namen dessen bewahrt, der den Falbala erfand, er hieß Langlee. Liselotte schreibt einmal wie sie angezogen ist: »Alle meine Unter-

Frati Rat Goethe

rock sind mit Nesteln an mein Leibstück gebunden und le Manteau ist auf mein Leibstück genehet.« Das Leibstück ist die Taille, die mit dem Korsett in eins gearbeitet war. also in diesem Fall die ganze Last der Röcke zu tragen hatte. Die Erscheinung einer Dame in dieser Tracht war nicht nur vorteilhaft, sondern auch würdevoll und ansehnlich, wozu die Schleppe nicht wenig beitrug. Damit der Wetteifer der Damen, den sie in der Länge ihrer Schleppen entfalteten, nicht zu weit gehe, wurden genaue Vorschriften darüber er- lassen; so durfte in Frankreich nur die Königin eine ii Ellen

127

lange Schleppe tragen, während die Prinzessinnen je nach dem Grade ihrer näheren oder weiteren Blutsverwandtschaft mit dem König, sich mit solchen von fünf bis neun, Herzo- ginnen aber mit Schleppen von drei Ellen Länge begnügen mußten (die alte französische Elle ungefähr im 20cm). Wenn die Schleppe schon das ihre dazu beitrug, die Erscheinung der Dame in die Länge zu ziehen, so wurde diese Richtung nach dem Stattlichen noch bestärkt durch den Kopfputz, Die-Fontangi dic Fontangc. Bussy-Rabutin, das bekannte Klatschmaul, er- zählt die Geschichte ihrer Entstehung folgendermaßen. Auf einer Hofjagd in Fontainebleau war der Geliebten des Königs, der Herzogin von Fontanges, die Frisur aufgegangen und da sie nicht daran denken konnte, sie gleich wieder richten zu lassen, band sie ihr Haar geschwind über der Stirn mit einer Schleife zusammen. Der verliebte König fand, daß ihr dieses Arrangement vorzüglich zu Gesicht stände und bat sie, sich nie mehr anders zu frisieren, Grund genug auch für alle übrigen Damen des Hofes, den königlichen Wunsch zu befolgen. Aus dieser Frisur, welche die Haare über der Stirn aufbaute, entstand, als man dieses Auftürmen nicht hoch genug fortsetzen konnte, unter Zuhilfename einer Coif- füre endlich die berühmte Fontange, welche das kurze Glück ihrer Erfinderin um Jahrzehnte überlebte. Es war ein Kopf- putz aus Leinwand, von etwa zwei Fuß Höhe, der sich in der Form von Orgelpfeifen auf einer Wulst aufbaute, die in das Haar hineingearbeitet wurde. Metallstäbe gaben diesem Gerüst Halt und Fagon, so daß der Abbe Vertot sagte, die Damen müßten sich eigentlich vom Schlosser fri- sieren lassen. Diese Coiffüre wurde durch Bänder, Locken und allerhand Zie- ^ <i

rat auf das mannig- -— /«^ -^A^

faltigste ausgeputzt; man kannte schließ- lich 20 verschiedene Arten der Fontange, von denen Lady Montague beson- ders jene derWiener Damen auffielen. Sie nennt sie eine Elle Bunbury, Tanzgruppe

128

Hu'iert Droiiais, Of^sc du Barry

hoch aus unzähligen Ellen schweren Bandes in drei bis vier Stockwerken errichtet, mehrere Reihen dicker mit Diamanten und Perlen besetzter Nadeln standen etwa drei Zoll aus dem Kopf hervor und schienen dem Gebäude Halt zu geben. Montesquieu schrieb 1721 in den persischen Briefen : es gab eine Zeit, wo man wegen der unermeßlichen Höhe der Fontange das Gesicht eines Frauenzimmers in der Alitte ihrer Figur sah. Daß Edelsteine der beliebteste Schmuck der Fontange waren, nimmt nicht wunder. Mit Erstaunen erfährt man aber die Tatsache, welche Frau von Maintenon 1692 einer ihrer Freundinnen berichtet, daß nämlich die Coiffüre der Duchesse du Maine so viel Gold und Edelsteine enthielt, daß sie mehr gewogen habe, als der ganze Körper ihrer Trägerin. Der erste, welcher sich gegen diese Ausschreitungen der Mode wandte, war Ludwig XIV. selbst. Aber merkwürdig, der Wunsch eines verliebten Königs hatte

Die Mode, 18. Jatit. 2, A.

12g

zwar die Fontange in die' Mode gebracht, aber der Befehl des- selben Herrschers konnte sie nicht wieder abschaffen. Frau von Sevigne schreibt 1691 ihrer Tochter : ganz Versailles sei in Aufruhr, weil der König die Fontangen verboten habe. Ein Sturm im Glase Wasser. Dangeau erzählt, daß nur die im Exil in St. Germain lebende Königin von England Maria von Modena dem Könige zu Gefallen ihre Coiffüre bedeutend nied- riger gemacht habe, um den Damen ein gutes Beispiel zu geben. Die verbotene Fontange existierte noch länger als 20 Jahre und mehr als einmal, berichtet der Herzog von St. Simon, habe Ludwig XIV. sich darüber beklagt, daß seine Macht nicht so weit reiche, um den Damen eine Coiffüre zu verbieten, die ihm mißfiele. Endlich schlug ihre Stunde. Im Jahre 1714 war eine englische vornehme Dame, die Herzogin von Shrewsbury beim Diner des Königs in Versailles Zuschauerin, und mit Bezug auf ihren niedrigen Kopfputz äußerte der König, die französischen Damen wüßten doch gar nicht, was ihnen stände, sonst würden sie sich ebenso frisieren. Dies war ein Wort zur rechten Zeit! Am anderen Morgen hatten die Damen des Hofes ihre Coiffüren um zwei Stockwerke niedriger gemacht und damit die neue Mode inauguriert. So hat der Sonnen- könig, ehe sein Gestirn erlosch, wenigstens noch den Beginn jenes großen Umschwungs mitangesehen, der unmittelbar nach seinem Tode einsetzt, um in der Gesellschaft, der Kunst, der Mode, der ganzen Kultur mit einem Wort, eine neue Aera heraufzuführen.

Wie immer in diesen Dingen schwankte die Mode von einem Extrem zum anderen. Hatte sie eben die Frisuren mittelst der Fontange nicht hoch genug aufbauen können, so verbot sie im nächsten Augenblick mit den Coiffüren auch die kunst- reichen Frisuren. Die Damen sahen sich auf ihr eigenes Haar beschränkt, das sie nun auf einmal nicht glatt, nicht flach genug um den Kopf legen konnten. Einige Löckchen an den Schläfen war alles, was die Mode duldete. Die systematische Uebertreibung, in der aber das Wesen der Frauenmode be- schlossen ist, suchte sich einen anderen Tummelplatz und fand Dtr Reifroch ihn im Rock. Die Fontange verschwindet, der Reifrock erscheint und gibt der Mode des Rokoko ihre eigentümliche Signatur. Der Reifrock war durchaus nicht neu. Das 16. Jahrhundert hatte ihn als Vertugadin gekannt und im 17. Jahrhundert hatte er

130

Daniel Choäowiecki, Der Künstler tualt die Gattin des Strasnik Czacl:! (Aus : Von Berlin nach Danzig)^ ^77 J

der spanischen ^lode den grotesken Charakter verliehen, der uns an den Porträts des Velasquez so frappiert. Er war nie so ganz verschwunden, denn wenn Liselotte 1702 ein Kleid beschreibt, das die Königin von Spanien ihrer Schwester, der Duchesse de Bourgogne schenkt, und sagt: Im Unterrock seynd eiserne Reiffen, unten weit, im Heraufgehen enger, so gibt sie damit ein gut getroffenes Bild der Krinoline. Aber in dieser Form war der Reifrock nur ein unsichtbares Hilfsmittel der Toilette ge- wesen, um die Last der schweren Robe tragen zu helfen, von jetzt an drängt er sich vor, denn er gibt der Trägerin einen ganz veränderten Umriß. Als Tugendwächter \'ertugadin war er verabschiedet worden, als Hühnerkorb panier kam er wieder. Soweit die Nachrichten gehen, erschien er, von England kommend, zum erstenmal 1719 in Paris auf dem Theater. Es hat fast den Anschein, als hätten ihn die italie- nischen Komödianten, die der Herzog von Orleans nach Paris zurückrief, mitgebracht. Allgemeines Gelächter empfing ihn : sein Sieg war entschieden. Die heftigen Anfeindungen, denen er vonseiten der Geistlichkeit ausgesetzt war, ein Mitglied der Sorbonne, J. J. Duget, machte ihn zum Studium einer ( jewissensangelegenheit für Beichtväter, haben ihm nicht ge-

131 9*

Ans iLes C/iansons de La Borde f., IJJS

132

Ses TCux Com £erines an ioar Comme fon cocnr a L amour

^us iLes Chansotxs de La Borde t^ i-jyj

133

schadet, denn ehe der Erzbischof von Paris Kardinal de No- ailles dazu kam, das Tragen des Reifrockes zu verbieten, hatte ihn ein Lustspieldichter Legrand 1722 in einer Posse so verhöhnt, daß der Kirchenfürst seine Absicht aufgab. Ueber 40 Jahre hat er geherrscht und das Bild der weiblichen Erscheinung bestimmt. Die Reifröcke waren anfänglich rund und bestanden aus fünf Reihen von Reifen, die sich nach oben verjüngten und durch Wachstuch miteinander ver- bunden waren. Das Geräusch, das sie beim Tragen machten, zog ihnen den Namen Kreischerinnen Criardes zu. Dann nahm man an Stelle dieses häßlichen Stoffes Wolle, Baumwolle oder Seide und begann die Abwechslung in der Veränderung der Form zu suchen. Man machte den Reifrock tonnen- förmig oder gab ihm seit dem Beginn der vierziger Jahre die ovale Gestalt einer Ellipse, indem man ihn von vorn und hinten flach zusammendrückte. Dann hob man ihn an den Seiten durch Aufbinden von Poches über die Hüften hinaus, so hoch, daß der Ellenbogen einen bequemen Ruheplatz dar- auf fand, und gab ihm eine Größe, die den untersten Reifen 7 8 Ellen, den obersten etwa noch 4 Ellen messen ließ. Die Damen, welche solch einen Käfig trugen, konnten nur seitwärts durch die Türen gehen, der Herr, der sie führte, mußte einen Schritt vor oder hinter ihnen zurückbleiben. Wenn sie sich setzten oder mehrere beisammen waren, so beanspruchten sie dreimal soviel Platz als bisher. Der weimarische Hofpage Karl Freiherr von Lyncker besann sich darauf, daß, wenn die Herzo- gin Anna Amalia Sonntags in ihrer Glaskutsche ausfuhr, ihr Reifrock zu beiden Fenstern weit herausragte. Zu manchen Bällen in Paris und den Hofbällen in Berlin enthielt die Ein- ladung den Vermerk: »Die Damen ohne Reifröcke«. Das veranlaßte sofort Zank und Streit. In Versailles fand man es der Würde der Königin nicht entsprechend, daß die Prin- zessinnen, die rechts und links von ihr saßen, sie mit ihren Reifröcken vollständig verdeckten, es wurde also angeordnet, daß die Stühle neben Maria Lesczynska frei bleiben sollten. Nun verlangten aber die Prinzessinnen von Geblüt, daß auch sie durch leere Sessel von den Herzoginnen geschieden würden und die Herzoginnen wollten nicht mehr unmittelbar neben den Gräfinnen Platz nehmen. Es entstand ein Aufruhr, der den Frieden des Hofes gefährdete und den zu beschwichtigen

134

erst der Weisheit des Premierministers, des Kardinals Fleury, ge- lang. Er ließ leere Tabourets zwischen Prinzessinnen und Herzo- ginnen einschieben, Herzoginnen und Gräfinnen aber mußten nebeneinander sitzen bleiben und sich mit Reifröcken und Schick-

y. M. Moreau lej'.. In der Loge, 1774

sal abfinden, so gut sie konnten. Diese Haupt- und Staatsaffäre findet ein Gegenstück in Deutschland, wo die Pfarrerin in Fürstenau mit Rücksicht auf ihren Reifrock zwei Kirchen- stühle für sich allein beanspruchte und es darüber sogar zum Prozeß kommen ließ.

Der Reifrock verbreitete sich mit großer Schnelligkeit in alle Kreise. In Paris gehen in den zwanziger Jahren schon die

Mägde darin auf den Markt, während die deutschen Damen viel weniger nachsichtig gegen ihr Küchenpersonal waren. Sie ließen den niederen Ständen das Tragen des Reifrockes ver- bieten, in Sachsen hat man 1743 im Dorfe Dennschütz zwei Bauernmädchen prozessiert, weil sie in Paniers gingen, und 1751 in Dresden zwei Dienstmädchen gestraft, weil sie sich

erfrecht hatten, im Reifrock die Kirche zu besuchen. Als den Leipziger Mädchen 1750 der Reifrock von der Obrig- keit genommen wurde, gestat- tete man ihnen zur Entschädi- gung eine »Commode« zu tra- gen, was wir heute Cul de Paris nennen. Der Reifrock drang bis in die klösterlichen Erziehungsinstitute, trotzdem die Geistlichen eine Gewissens- frage daraus machten, ob Klo- sterfrauen ihren Klosterfräu- lein den Reif rock gedulden dür- fen ? Die kleinsten Mädchen trugen ihn wie die ältesten Da- men. Hat doch 1737 Frau von Bussy in Verdun, die ihr Leben bis auf 1 1 1 Jahre gebracht hatte, sterben müssen, weil sie beim Anprobieren eines neuen Reif- rockes einen Fehltritt tat. Beim Hinfallen beschädigte sich die alte Dame tödlich, während der neue Reifrock glücklicherweise keinen Schaden nahm. Man be- nutzte bald statt der eisernen oder hölzernen Reifen, welche man anfangs verwendet hatte, solche von Fischbein und der enorme Bedarf an diesem Material brauchte man doch zu einem ge- wöhnlichen Reifrock fünf, zu einen sogenannten englischen aber acht Reifen veranlaßte die Generalstaaten von Holland, schon im Jahre 1722 zur Gründung einer Aktiengesellschaft mit 600000 Gulden Grundkapital, zu keinem anderen Zweck, als zum Wal- fischfang. In Paris schwankte der Preis eines Paniers zwischen

136

Valtaire

Kleine Wiederholung der 177s 'V'"- Friedrich d. Gr. an Voltaire geschetikten Büste

Watteau de Lille, Im Park (Zeichnung)

Die Mode. 18. Jahrk. 32

10 15 Livres [i Livrc nach heutigem Geldwert M. 2,40]. in Leipzig kostete auch ein Reifrock mindestens 8 Taler [was heute ungefähr 72-75 M. gleichkommen würde]. Wenn man auch damals noch keine Witzblätter im heutigen Sinne kannte, an Spott, der über den Reifrock ausgeschüttet wurde, hat es nicht gefehlt. Auf der Bühne wurde er vom Harlekin ver-

J. M.Moreau U j , Illustration zu Koussea:i, Notivclle IJeloise, 1:74

höhnt, in Liedern, Karikaturen und Flugschriften lächerlich gemacht, von der Kanzel wurde gegen ihn geeifert. Das hat ihm alles nichts geschadet, denn als er zu verschwinden be- gann, da wich er nicht der Vernunft oder Einsicht, sondern der Veränderungslust der Mode. Die Pariser Schauspielerinnen Clairon und Hus sollen um 1760 eine Form des Reifrocks lanziert haben, die von den Hüften nur bis zum Knie reichte

137

und in einem Volant endigte. Man nannte sie in Frankreich halbe Paniers oder Jansenistinnen, in Deutschland Springrock oder Hänschen, bald aber wurde diese kleinere Form durch eine neue Erfindung verdrängt. Monsier Pamard gab den Damen die «Considerations«, Gerüste in der Gestalt von Turnüren, die rechts und links auf beiden Hüften befestigt wurden und den großen Reifrock entbehrlich machten. Diese beiden Haupt- formen bestanden nebeneinander fort. Die eine zum großen Putz, die andere zum bequemen Anzug. Auf den reizenden Wiener Ansichten von Janscha und Schütz erkennt man in der Staffage, die diese Blätter so wundernett macht, wie der große breite und der kleine runde Reifrock gleicherweise beim Spaziergang getragen wurden. Der eine mit langer Robe und kleiner, zum Anknöpfen eingerichteter Schleppe, der andere mit einem völlig fußfreien Kleid. Als in den siebziger Jahren die Aufmerksamkeit der Mode sich fast ausschließlich der Fri- sur zuwendet, wird der Rock vernachlässigt. Der große Panier verschwindet allmählich ganz und hält sich nur noch als Zere- monienkleid des Hofes. In Versailles hat er noch die ersten Stürme der Revolution erlebt. Die letzte Dame, die sich einen Reifrock für ihre Vorstellung bei der Königin bestellte, war wohl Frau v. Lostanges, die am 31. August 1789 an Made- moiselle Motte 102 Livres für ihn bezahlte. Er versank dann mit allem übrigen Brimborium des Hofes und hat sich nur noch am Hofe von St. James bis zum Tode der Königin Charlotte und noch länger am sächsischen Hofe in Dresden behauptet.

So groß die Veränderung war, die der Rock der Damen im 18. Jahrhundert erlitt, so gering war diejenige der Taille. Diese behielt im großen Ganzen die Form, welche sie unter Lud- wig XIV. erhalten hatte, sehr tief und sehr spitz schnürend, Hals und Unterarme freilassend. Der Aermel, der am Ellen- bogen in weiter Manschette endigte, hat diese überaus kleid- same Form beinahe ein Jahrhundert beibehalten. Man nannte, wie der Mercure galant von 1688 berichtet, die drei- oder mehr- fache Reihe Spitzen, in denen er aufhörte, »Engageantes«. ^af Das weibliche Wesen war von seinem zartesten Alter an, die meisten Tag und Nacht, mit dem Schnürleib gepanzert, dessen Planchette aus einer Eisen-oder Stahlschiene bestand, die 3/4 Ellen lang, etwa i Finger breit und 1/4 Zoll stark war, ein

138

Marteriustrumeiit, gegen dessen gesundheitschädigende Wir- kung sich i\erzte, wie der Breslauer Gottlieb Oelsner, schon 1/54 vergebens wandten, an das Frau v. Genlis noch fünfzig Jahre später nur mit Entsetzen denken konnte. Gräfin Elise

Ouvrier, Nach Schen.iu, Die Entstehung der Malerei

von BernsdortT erzählt, daß viele Damen, die Abends in Gesell- schaft gingen, schon am frühen IMorgen mit dem Schnüren begannen und damit von Viertelstunde zu Viertelstunde fort- fuhren. Gräfin Franziska Krasinska berichtet, daß ihre Taille den Umfang einer halben Elle (30cm?) nicht überschritt. Rousseau, Winslow, Buffon, Sömmering u. a. haben gegen das

139

Schnürleib geeifert, mit dem gleichen Mangel an Erfolg; erst am Ende des Jahrhunderts hat es der Mode gefallen, dasselbe ganz vorübergehend zu beseitigen. Anfänglich hatte man als Besatz der Taille nur vorn am Ausschnitt ein Schleifchen »Masche«, wie man damals sagte als Postillon d'amour ge- steckt. Diese kleidsame Verzierung aber fand lebhaften Bei- fall und in der Mitte des Jahrhunderts war die ganze Kor- sage in Schleifen aufgelöst. Später trug man das Korsett aus schwarzem Taft oder gelbem Batist auch über dem Kleid.

Die Mode der doppelten Röcke behielt man auch im i8. Jahrhundert bei, wie früher der untere Rock, so wurde jetzt der Reifrock sichtbar getragen. Anfänglich hob man den oberen Rock nicht, sondern öfTnete ihn nur vorn in Dreieckform, als dann in den fünf- ziger Jahren der Reifrock an Umfang verlor, und das Kleid kürzer, schließlich völlig fuß- frei wurde, raffte man den oberen Rock in drei großen Bäuschen rückwärts und an den Seiten. Da der Reifrock zu sehen war, so wurde er aus den gleichen Stoffen, wenn auch in anderen Farben verfertigt, wie das Ueberkleid und meist reich garniert, wcJzu seine Form ja auch geradezu herausforderte. In mehreren Etagen umzogen ihn Volants, Rüschen, Bänder, Blumen, Festons, Tressen, Spitzen, Passementerien, Borten, Pompons, Stickereien, alles auf das kunstreichste ge- arbeitet und arrangiert. Sehr beliebt waren die italienischen Blumen, die in italienischen Nonnenklöstern gemacht wurden, und vo n den Damen sehr geschätzt wurden. Goethe erzählt, wie er als halb- wüchsiger Jüngling Myrten und Zwergröslein für seine Schwester besorgte weniger aus brüderlicher Liebe, als um bei der Ge- legenheit — »Sie« sehen zu können. Der Marquis de Bom- belles beschrieb dem Baron von Gleichen zwei Hofroben der Königin von Portugal. Auf der einen sah man in Stickerei ein Portal, dessen Säulen der Richtung der Beine folgten. Sie trugen ein Fronton aus dem ein Wasserfall von Gaze her- vorbrach. Auf der anderen waren Adam und Eva dargestellt,

Goethe

140

in ihrer Mitte der verhängnisvolle Apfelbaum, aus dessen Höhe die Schlange herabkam. Zur Herstellung einer großen Robe waren drei Leute nötig. Die Taille fertigte der Schneider, den Rock die Schneiderin, den Besatz aber lieferte die Marchande

Goethe

de mode, deren Garnituren fast die Hauptsache waren. Man hatte 1/79 ^50 verschiedene Arten derselben, die in Paris alle ihre bezeichnenden, zum Teil sehr drolligen Xamen trugen, »soupirs etouffes«, »regrets superflus«, »oeil abattu«, »plaintes indiscretes«, »composition honnete«, »desirs marques«, »doux sourire « etc. etc. Eine solche Toilette kostete 10500 Livres,

141

für die bloße Garnierung eines großen Hofkleides berechnete der Schneider Lacoste einmal 3500 Franken. Die Prinzessin de Solre zahlte 1789 an Mademoiselle Eloffe nur für ihren Reif-

Damel Chodowiecki, Lotte, iffS

rock 1382 Livres, ja Frau von Matignon wies ihrer Schnei- derin für eine besonders gelungene Robe eine Leibrente von 600 Livres jährlich an. Als Frau von Genlis in ihren Denk- würdigkeiten auf diese Mode ihrer Jugend zu sprechen kommt,

142

sagt sie, daß nichts der Pracht gleichkam, den der Anblick einer Gesellschaft reich gekleideter Hofdamen jener Zeit bot.

Daniel Chodowteckt, Wei thei , J'j'jj

Sie hätten einem kostbaren Spalier von Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen geglichen. Das Kleid, in dem Katharina II. 1775 den türkischen Gesandten empfing, war außer mit Dia- manten mit 4200 großen und schönen Perlen bestickt. Und

143

nun stelle man sich vor, daß die Kaiserin Elisabeth von Ruß- land, welche 1761 starb, eine Garderobe hinterließ, welche 15000 derartig kostbare Kleider enthielt! Sie hatte sie teils nur einmal, teils nie angehabt. Welch ein Fortschritt gegen die Zeit, als Peter der Erste die Kleider seiner Zarina auf dem

.

1

coi.r.F.c-

1

1 1(>\

1

;./; ,1,11.1 '

1

MoJn MC s

'

c..l..„...

5'. Cahier.

^

- .,,„

1 ,m

Jcui.c Doii.oilMIc ..11 l\ilni,.i,l,- .L- TuK

Modekitp/er, ITJJ

Trödel kaufte! Gräfin Czernicheff büßte 1770 auf einer Reise durch Schiffbruch 158 Kleider ein. Die Garderobe der Frau von Bühren, der Gattin des Günstlings der Kaiserin Anna, wurde auf 500000 Rubel geschätzt. Dagegen erscheint der Aufwand Marie Antoinettes geradezu bescheiden. Wir erfah- ren von Madame Campan, daß die Königin im Sommer und im Winter nie mehr als 36 Roben im Gang hatte, 12 Staats-

144

Angelica Kauffmann, Louisa Hamtnond

Die Mode. 18. Jahrh. 33

kleider, 12 große Reifröcke ilnd ebensoviele Hauskleider von Phantasiestoffen. Eine rechte Kleidernärrin, wenn auch in bescheideneren Grenzen als die russische Kaiserin, muß die Markgräfin Sybille Auguste von Baden gewesen sein, die sich

Modekupfer, 177J

für ihr Lustschloß Favorite vierzigmal porträtieren ließ, jedes- mal in einer anderen Toilette. Neben dieser Zeremonien- und Staatsrobe setzt sich im Laufe des Jahrhunderts noch ein an- derer Schnitt durch, der für Neglige galt und seinen Namen häufiger wechselte als seine Form. Unter Neglige verstand man damals jedes Kleid, das nicht für große Gala bestimmt war, also auch jedes Haus-, Straßen-, und Reisekleid. Bei Die AdHtnne diesem neuen Kleid waren Taille und Rock in eins geschnitten.

Die Mode, 18. Jahrb. 2. A.

145

Perücken

Es war weit, lang und umhüllte, ohne am Gürtel eingenommen zu sein, seine Trägerin nur ganz lose, ihr die Gestalt eines Kegels gebend. Es ist das Kostüm mit der weiten Rücken- falte, in dessen legeren Wurf Watteau auf seinen Bildern die Frauen am liebsten kleidet. Es trat zugleich mit der Einfüh- rung des Reifrocks auf und begegnete starker Mißbilligung. Liselotte, welche findet, daß man »kammermegtisch« darin aus- sehe, schreibt 1721 ihre Meinung ganz unverhüllt: »Die weitte rock, so man überall tragt, seind mein aversion, stehet inso- lent, als wenn man auß dem Bett kommt. Die mode von den wüsten rocken kompt von Madame von Montespan so es trug, wenn sie schwanger war. Madame d'Orleans hat sie wieder auf die Bahn bracht.« Diejenige, welche dieses Kleid in die Mode lancierte und ihm den Namen »Adrienne« gab, war die Schauspielerin Madame Dancourt, die den Schnitt 1703 zuerst auf der Bühne trug. Sie spielte in der Komödie Andrienne von Baron die Glycerie und trat darin der Situation ihrer Rolle entsprechend in diesem Umstandskieide auf. Die Aversion der guten Pfälzerin ist nicht leicht zu begreifen, denn diese weiten Kleider erforderten ebensogut das Korsett, wie der große Habit, ihr Neglige bestand nur für das Auge in dem losen Wurf ihrer Falten. Wie aber das Neue Gegner schon aus dem Grund fin- det, weil es neu ist, so wurde diese »Adrienne« 1730 in Wien verboten. Die Frauen sollten nicht, wie Keyßler schreibt, um ihre Fleischbänke desto besser auslegen zu können, in fran- zösischen Säcken zur Kirche kommen. Zu den Zeiten der Montespan hatte dieses Umstandskleid den Namen »Innocente« geführt. Dann hieß es »Adrienne« oder »Volante«, führte auch eine Zeitlang nach der Gattin des Malers Pater die Bezeich- nung »Hollandaise«. In England nannte man die weiten Klei-

146

der 1/54 »Carclinals«, »Trollo- pies « , » Slammerkins « , in Deutschland am liebsten Kon- tusche. In Gellerts Lustspiel »Die kranke Frau« bildet die neue Adrienne der Frau Ste- phan den Drehpunkt des gan- zen Stückes. Die Kontusche gewährte reisenden Prinzes- sinnen eine Art Inkognito. So erfindet die Markgräfin von Bayreuth, als sie zur Krönung nach Frankfurt reist, für sich und ihre Hofdamen einen beson- deren Schnitt derselben. Als Marie Antoinette 1778 zum ersten Male in anderen Umständen war, brachte sie ihr Umstands- kleid als »Levite« in die Mode. Sie ließ sich auch von Madame Vigee Lebrun in diesem Kostüm n-mlen, als das Bild aber im Salon von 1 783 ausgestellt wurde, erregte es beim Publikum solchen Anstoß, daß es entfernt werden und durch ein Porträt in großem Putz ersetzt werden mußte. Dieser Form fügte die Vicomtesse de Jaucourt 1781 noch eine Schleppe »ä queue de singe« hinzu. Als die Dame zum ersten Male im Garten des Palais Luxembourg in geschwänz- ter Affenform promenierte, trieb sie der Hohn der Spazier- gänger.in die Flucht. Man nannte den Schnitt auch »Polonaise«, Pierrot, Circassienne, robe a la turque.älaCreoleetc. Schließlich wird hoch und geschlossen mit langen Aermeln die Robe ä l'Anglaise daraus, wie sie Reynolds,Gainsboroughu.a. ^^.^^ so oft mit ihren schönen

Modellen gemalt haben. Es ist das Kostüm, aus dem einige Jahre später das an- tike wird, wie es einzelne besonders mutige Damen auch schon früher zu tragen versucht haben. Die schöne

rj^^'i-^-'-j''

147

10*

Elisabjpth Chudleigh, als nachmals vermählte Herzogin von Kingston durch ihren famosen Bigamieprozeß so bekannt ge- worden, erschien 1749 auf einem Subskriptionsball in Somerset House in London als Iphigenie vor dem Opfer, vv^urde aber ihrer dürftigen Bekleidung v^egen auf Veranlassung des Hofes aus dem Saal gewiesen, während Corona Schröter, die 1778 ihr antikisierendes Gewand »in edler attischer Eleganz« auch auf der Straße trug, in dem Weimar der Geniezeit nur Bewun- derung erntete. Dtr Caraco Seit der Mitte des Jahrhunderts bildet sich noch ein anderes Negligekostüm heraus, der Caraco. So nannte man eine Taille mit Schößen, die ihre Einführung in die Mode dem Herzog von Aiguillon verdanken soll, welcher 1768 bei seiner Reise durch Nantes die dortigen Bürgerfrauen damit bekleidet sah. Im Grunde genommen ist der Caraco aber wohl nichts anderes als der für die Damenmode adaptierte Herrenfrack. Der Schnitt des Kleidungsstückes hat sehr oft gewechselt und dem Caraco, den man auch Casaque und Casaquin nannte, die allerver- schiedensten Formen gegeben. Manchmal waren die Schöße rückwärts sehr kurz, »Caraco pet en l'air« , dann ver- längerte man sie gelegentlich sogar bis zur Schleppe, dann wieder fielen sie nicht flach auf den Rock, sondern man bauschte sie um die Hüften. Mal waren es mehrere Schöße, mal nur einer, kurz, man hat diesem Kleidungsstück, das sehr beliebt war und bis in die Mitte der neunziger Jahre getragen wurde, die mannigfaltigste Abwechslung zu geben gewußt, zu- mal es stets von anderer Farbe und anderem Stoff gewählt war als der dazu gehörige Rock.

Solange der große Reifrock getragen wurde, dessen Form und Umfang schöne Stoffe voll zur Geltung brachte, waren Seide, Damast, Brokat außerordentlich beliebt. Wir können die herrlichen Muster und Farben derselben noch auf den Bildern jener Zeit bewundern. In der Delikatesse seiner Farben ist das Rokoko ja heute noch nicht übertroffen. Die matten Töne seines Blau, Rosa, Grün müssen in ihrer zarten Nuan- cierung, im Raffinement ihrer Zusammenstellung für das Auge von unbeschreiblichem Reiz gewesen sein. So besaß i734 Frau von Bülow geb. von Arnim ein Schleppkleid aus Taffet mit eingewebten Jonquillen, für das sie 40 Reichstaler, nach heutigem Geldwert etwa 600 Mark, bezahlt hatte. In den späte-

Stoffe und Farbtn

148

ren Jahren der Regierung Ludwigs XV. bewegten sich die bevorzugten Farben auf einer Skala zwischen tiefem sattem Rot und Lichtbraun, während die ersten Jahre Ludwig XVL durch die Vorliebe für ein in das Violette spielendes Braun gekennzeichnet werden, das man fiohfarben nannte und in den verschiedensten Schattierungen besaß. Da gab es die Farben: Junger und alter Floh, Flohkopf, Flohrücken, Floh- bauch, Flohschenkel, Floh im Milchfieber usw. In Gelb war die beliebteste Xüance ein blasses Blond, das von der Farbe des Haares der Königin Marie Antoinette genommen w-ar, später ersetzte es ein tiefer gefärbtes Chamois, das man ge- schmackvollerweise »caca Dauphin« oder gar »merde d'oie« nannte. Man schwelgte in Paris förmlich darin, den Mode- farben die verdrehtesten Xamen zu geben: Rinnstein, Straßen- schmutz, Londoner Rauch, Nymphenschenkel, Nönnchenbauch. Karmeliterbauch, vergifteter Affe, sterbender Affe, lustige Witwe, traurige Freundin, der auferstandene Tote, Stutzers Eingeweide, kranker Spanier, Verstopftenfarbe, Pockenkrank usw. ist eine Blütenlese der törichten Xamen. die man sich gefiel, den ein- zelnen Schattierungen von Gelb und Grün beizulegen. Die Gold- und Silberbrokate des i8. Jahrhunderts sind in ihrer Qualität unübertroffen geblieben. Man fertigte goldstoffene

Chodozviecki, > Wallfahrt nach Französisch-Btichholzi, ^77S

149

Roben auch ganz ohne Naht, deren Preis aber so exorbitant war, daß ihn Marie Lesczynska unerschwinglich fand. Gräfin Stroganow wurde 1763 in Berlin der Königin vorgestellt in einem Kleide von Goldbrokat, besetzt mit Silberspitzen und garniert mit Juwelen für 20000 Rubel »wie eine Sonnengöttin«, schreibt Graf Lehndorff. Für die Börsen Minderbemittelter gab es bedruckte Baumwollstoffe und Kattune, die sich aller obrig- keitlichen Verfolgung zum Trotz siegreich durchgesetzt haben. Friedrich Wilhelm L, der die Erzeugnisse seiner Tuchmanu- fakturen schützen wollte, bestrafte das Tragen englischer bedruckter Baumwollzeuge mit dem Halseisen. In Leipzig wurde der Kattun noch 1750 ausdrücklich verboten. Am heftigsten aber wütete man in Frankreich gegen die »Indienne«. Diese billigen, leichten, mit schönen Mustern und in leuch- tenden Farben bedruckten Stoffe wurden gegen Ende des 17. Jahrhunderts nicht so bald bekannt, als die Regierung ihre Konkurrenz für die kostbaren Gewebe der französischen Seidenindustrie fürchtete und ihren Gebrauch verbot. Daraus, daß sich von 1697— 1715 25 Verbote einander folgten, geht schon hervor, wie wenig sie nutzten, und in dieser Einsicht griff das Gouvernement zu wahrhaft drakonischen Maßregeln. Man bedrohte 1717 die Händler, die noch ferner diese ver- pönten Stoffe einführen oder verkaufen würden, mit der Galeerenstrafe, man ließ den Frauen und Mädchen des Bürger- standes öffentlich solche Kleider vom Leibe reißen. Noch 1755 wurde, wie Grimm schreibt, die Verurteilung zu den Galeeren ausgeführt, es nutzte alles nichts. Der Verbrauch bedruckter Kattune für Kleider, Möbel und Tapeten stieg mit jedem Jahre. Es wurde schließlich ein Sport, gerade diese Stoffe zu benutzen, die verboten waren und nur als Konterbande ins Land kommen konnten. Die Pompadour war 1755 stolz darauf, daß in ihrem Schlößchen Bellevue alle Möbel mit geschmuggeltem Kattun bezogen waren. Endlich gab die Regierung nach. 1760 wurden die Verbote aufgehoben und zu den ersten, die sich auf die Herstellung von Indienne warfen, gehörte der bekannte Glücksritter Casanova. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verdrängten dann die leichten englischen Gewebe Musselin, Battist, Linon die Kattune. Die Eleganz beruht nicht mehr auf der Kostbarkeit der Stoffe, oder dem Geschmack ihrer Musterung, sondern auf der Fein-

150

J. M. Mo)cau ... }'., I..jidez-vous pour Marly, jyjö

heit des Fadens. Die Dubarry kaufte sich ein Stück indischen Musselin, ausreichend für vier ganze Kleider, das nur 15 Unzen wog. Man trug diese leichten Gewebe mit Vorliebe ganz weiß, aber es ist merkwürdig, daß das Brautkleid damals durchaus nicht immer weiß war. Eine deutsche Braut des Das Mittelstandes trug 1750 bei der Trauung einen Rock von brauner, mit roten und gelben Blumen durchwirkter Seide und dazu eine Schnürbrust von grasgrünem gros de Tours, mit Gold gesteppt. Am französischen Hof und in der vornehmen Ge- sellschaft trug das Brautpaar am Hochzeitstag Goldbrokat auf schwarzen Grund. Wir begegnen in französischen Mode- journalen z. B. Brautkleidern in Blau und nur in den oberen

BraiilkUiJ

151

St. Aubin, Au moins soyez discret

St. Aubin, Coviptez sur mes serments

Kreisen Deutschlands setzt sich im Laufe des Jahrhunderts das reine Weiß für diesen Zweck durch. Das Brautkleid von Fräulein v. Pannewitz, die 1751 heiratete, besteht aus weißem Moire mit silbernen Blumen und kostet 1000 Taler, Fräulein V. Alvensleben, die 1761 heiratet, trägt weiße Seide mit Silber broschiert. Als Dorothea Schlözer 1787 in Göttingen zum Dr. phil. promoviert, kleidet sie sich auf Wunsch der Mutter »wie eine Braut« ganz in weißen Musselin mit weißer Flor- Frisur, nur Rosen und Perlen im Haar. Unierhieider Wenn man sich vorstellt, daß der große und weite Reifrock den Unterkörper der Frauen zwar bedeckte, aber doch so gut wie gar nicht schützte, so würde man glauben müssen, die Trägerinnen desselben hätten aus Rücksichten der Gesund- heit und des Anstandes gern zur Hose gegriffen, aber dem war durchaus nicht so. Es galt sogar direkt für unschick- lich, und nur von alten Damen, wie Liselotte, hört man, daß sie wollene Hosen tragen, sonst war es nur in gewissen Fällen als Ausnahme gestattet. Selbst die Mägde des Herrn Hope in Amsterdam zogen Hosen nur an, wenn sie Fenster putzten. Die Holländerinnen legten sonst nur zum Schlittschuhlaufen solche von schwarzem Sarnmet an. Casanova, unzweifelhaft ein kompetenter Sachverständiger in allen Fragen, welche die Dessous des schönen Geschlechts betreffen, konstatiert mit Mißbilligung, wenn eine Dame, der er den Hof macht, etwa

152

lySs

Maonsin des MoiJes

D|-e Mode. 18. Jahtfi. 34

Hosen von grünem Sammet trägt. Der liebenswürdige Schwere- nöter geht sogar so weit, Damen, mit denen er im Postwagen zusammenfährt, Vorwürfe darüber zu machen, daß sie schwarze Beinkleider anhaben. Eine Ausnahme von dieser Regel machten nur die Tänzerinnen auf dem Theater, welche Hosen tragen mußten und denen in Spanien z. B. bei Strafe verboten war, sie bei ihren Sprüngen sehen zu lassen. Casanova erzählt von der Prima Ballerina Nina in Barcelona eine famose Geschichte. Durch die Lebhaftigkeit ihres Temperamentes hingerissen, gab sie eines Abends bei der Rebaltade einem Rückwärtssprung mit Pirouette ihrem Reifrock einen solchen Schwung, daß das verpönte Kleidungsstück ganz und gar zu sehen war, und mußte demgemäß eineGeldstrafezahlen. Wütend darüber zog sie am nächsten Abend ihre Höschen erst gar nicht an und gab bei der Rebaltade auch dem ganzen ParterreGelegenheit, sich davon zu überzeugen. Als sie dar- über vom Gouverneur zu Rede gestellt wurde, erwiderte sie ganz kalt: »Es ist mir nur verboten, meine Hosen zu zeigen, und ich glaube, kein Mensch kann behaupten, daß er sie heute abend

Zoffany, Garrick und Mrs. Pritchard in y Macbeths, 1776 Schabkumt von Val. Green

153

gesehen hat.« Unterröcke waren selbstverständlich unerläßlich. Auf den obersten derselben, der oft sichtbar wurde und in Deutschland auch den Namen »Appetitröckl« führte, wendete

), BwnfiimrwP'ii'yi.wiiH.n.iniiwii.i

y. M. Moreaii le j , ^La declaration de la Grossesse<, 1776

man viel Sorgfalt. Er wurde aus Seide gefertigt, gestickt, mit Gold und Silber bordiert und wir hören, daß besonders die schottischen Damen ihre Jupons außerordentlich reich ausgestattet haben, da die engen Gänge und Treppen ihrer alten Häuser sie fortwährend nötigten, ihre Reifröcke auf- zuklappen. Als die leichten Musselinkleider Mode wurden, kamen die Unterröcke aus dem gleichen Stoffe auf. Man

154

benötigte dieselben stets in größerer Anzahl, so daß z. B. Sophie Arnould 1789 aus ihrem Landhause in Clichy gleich 17 weiße Unterröcke aus Battist und Baumwolle gestohlen

y. M. Moreau le j., Dame du palais de la Reine, 1777

werden konnten. Zur \'ervollständigung der Toilette gehörte noch das Fichu, das kreuzweise gebunden den Ausschnitt be- deckte und kurz vor der Revolution als »Trompeuse« bis zum Kinn hinaufstieg, und die Schürze, die man auch außer- halb des Hauses trug. Ein kokettes Tändelschürzchen, das der Trägerin das Aussehen einer Soubrette gab, und deswegen, als die Mode aufkam, von den Müttern in Acht und Bann getan wurde. Die Marschallin von Luxemburg schenkte ihrer

155

Enkelin, der Herzogin von Lauzun, um sie auf die Lächerlich- keit dieser Mode aufmerksam zu machen, eine Schürze aus Rupfen, über und über mit den kostbarsten Spitzen besetzt. In England wurde die Schürze aus Spitzen die Rage der schönen Welt, trotzdem sich einige Dandies gegen sie er- klärten. In Bath ging einer derselben, Richard Nash »le beau Nash« soweit, der Herzogin von Queensberry, als sie mit einer Schürze im Wert von £ 200 zu einer Reunion kam, dieselbe abzureißen und in die Ecke zu werfen. Der Luxus in der Wäsche erstreckte sich nicht, wie heutzu- tage, auf den häufigen Wechsel derselben. Der Kurfürst von der Pfalz z. B. gab seiner Tochter, die den Bruder Ludwigs XIV., den Herzog von Orleans, heiratete, nur sechs Tag- und sechs Nachthemden in ihren Trousseau, genug, w'enn man, wie Scarron von den Damen seiner Zeit sagt, gewohnt ist, nur einmal im Monat das Hemd zu wechseln. Die achtzigjährige Marquise von Coislin äußerte sich einmal sehr ungehalten zu Chateau- briand über ihre Kammerjungfer, die ihre Wäsche so oft wechsle. »Was hat das für einen Sinn«, sagte sie, »zu meiner Zeit hatten wir nur 2 Hemden, die man erneuerte, wenn sie verbraucht waren. Aber wir trugen dafür seidene Roben.« Fürst Kheven- hüller stellte fest, daß sich in der Ausstattung der Erzher- zogin Josepha 1767 zwar 90 seidene Kleider befanden, aber nur wenige und schlechte Wäsche. »Ich war sehr schlecht ausge- stattet nach Rußland gekommen«, schreibt Katharina IL in ihren Memoiren, »ein Dutzend Hemden war meine ganze Wäsche.« Man legte mehr Wert darauf, daß die Wäsche kostbar aus- gestattet, als daß sie sauber war. Kaum eine Zeit war z. B. in der Verwendung von Spitzen so verschwenderisch wie das 18. Jahrhundert. Man trug sie nicht nur als Besatz an Klei- dern und Leibwäsche, man garnierte auch die Bettwäsche damit Madame de Crequy besucht einmal die Herzogin de la Ferte- und findet sie in einem Bett, dessen Spitzengarnitur 40000 Taler gekostet hatte. Die Marquise von Pompadour besaß ein Spit- zenkleid von points d' Angleterre, das ihr 22500 Francs (etwa 60000 M.) gekostet hatte. Die Spitzenmantillen, mit denen man den Ausschnitt bedeckte, waren ebenfalls kostspielige Artikel, man bezahlte sie mit 100 Dukaten und mehr. Im Trousseau der französischen Prinzessin, die 1739 den Infanten von Spanien heiratete, befanden sich für 625 000 Francs Spitzen

156

Gallerle des Modes

Die Mode, 18. Jahrh. 35

Daniel Chodmviecki, Friedrich d. Gr., die Parade abnehmend, 1777

und noch 1786 schreibt Swinburne aus Paris, daß man im Trousseau jeder vornehmen Braut allein an Spitzen für etwa £ 5000 finden könne. In Baden war es 1739 guter Ton, für beide Geschlechter die spitzenbesetzte nasse Wäsche zum Trocknen vor seinem Fenster aufzuhängen, dazwischen pro- menierte dann die elegante Welt und bewunderte die ausge- breiteten Herrlichkeiten. Viele konnten sich von ihren Spitzen nicht trennen. Aurora V. Königsmarck nahm ein Vermögen ah Spitzen in den Sarg mit, ebenso wie der Herzog von Alba, der 1739 in Paris mit allen seinen Spitzen begraben wurde. In England war man nicht weniger toll auf Spitzen wie in Frankreich und anderswo. Die Königin Anna gab

157

z. B. im Jahr 1712 für Spitzen £ 1418 aus. Ein Kopfputz aus Points de Bruxelles kostete 1719 & 30 -40. Auf zwei Millionen Pfund Sterling berechnete man im Durchschnitt die jährliche Einfuhr an flandrischen, französischen und italie- nischen Spitzen. Aus patriotischen Rücksichten begann man unter der Regierung Georgs II. die englischen Spitzen zu bevorzugen. Bei der Hochzeit des Prinzen von Wales 1736 trug die ganze Hofgesellschaft ausschließlich Spitzen englischen Ursprungs, nur der Herzog von Malborough machte eine Ausnahme, er trug Brüsseler Kanten. Eine der berühmt schönen Misses Gunning, Anna Herzogin von Hamilton, seit 1759 Herzogin von Argyll, führte in den vierziger Jahren die Spitzenfabrikation in Schottland ein. Regierung und Private vi^etteiferten darin, die heimische Produktion in Flor zu brin- gen. Unnachsichtlich wurden ausländische Spitzen konfisziert. So revidierte die Steuerbehörde drei Tage vor der Hochzeit der Prinzessin Auguste mit dem Herzog von Braunschweig die Werk- stätte der Hofmodistin und nahm ohne Barmherzigkeit die ferti- gen Galakleider fort, soweit sie mit ausländischen Spitzen oder anderen geschmuggelten Artikeln besetzt waren. Auf der Straße riß man den Frauen aller Stände Hauben und Besätze weg. In Dublin verbanden sich 1755 die jungen Herren zu einem Verein, welcher alle Damen, die französische Spitzen tragen würden, boykottieren wollte. Seit 1756 die Blonde auftauchte, 1768 Hammond in Nottingham eine Maschine erfand, welche den Tüll den man zuerst Fond de Bruxelles nannte auf mechanischem Wege herstellte, kommt die Spitze allmählich außer Mode. Die indischen Musseline verdrängen sie wenigstens aus der Toilette, denn als Besatz der Bettwäsche bleibt sie in Ehren. Als 1778 Georg III. und die Königin Charlotte das Töchter- chen des Herzogs von Chandos aus der Taufe hoben, da war der kleine Täufling so in Spitzen eingehüllt, daß er während der Zeremonie in seinem Tragkissen erstickte. Die Ehre der königlichen Patenschaft hatte »Georgiana Carolina« das Leben gekostet. Die Frisur Die Frisur der Damen entwickelte sich im Gegensatz zum Um- fang ihrer Röcke. Als der Reifrock am größten war, war sie ganz klein. Als Reifrock und Kleid enger und kürzer wurden, nahm sie in der gleichen Proportion zu wie jene ab. Auf die hochansteigenden Fontangen folgte eine Frisur, welche

158

»füll»!!

!?■?

rWy^": '

F^-^R

T

Rosmaesler, Promenade in Leipzigs ^777

alles Haar knapp und flach um den Kopf legte, fast möchte man sagen anklebte. Man trug dazu kleine Spitzenhäubchen, die man 1731 Fledermäuse nannte, wenn sie tief bis in das Gesicht reichten. Seit 1760 etwa beginnt sich eine Verän- derung geltend zu machen. Das Haar wird über der Stirn hoch toupiert, und fällt hinter den Ohren in langen, meist nach vorn gelegten Locken auf den Hals. Die Frisur wird kunstreicher und umständlicher in ihrer Herstellung. Man braucht den Friseur dazu. Der erste Mann, der in Paris Damen frisierte, war Mr. Frison, neben ihm waren Larseneur und Dage berühmt. Der letztere besonders dadurch bekannt daß er sich geweigert hatte, die Pompadour zu frisieren. Der Matador der Pariser Friseure war aber doch Legros, der sich vom Küchenjungen zum Herrscher über die Köpfe der Damen- welt aufschwang, der das Haaremachen zur Kunst erhob. Er veröffentlichte 1765 ein methodisches Werk über die Kunst, jede Dame nach der Eigenart ihres Charakters zu frisieren und eröffnete gleichzeitig eine Akademie, die in drei Klassen ein- geteilt. Wißbegierige in alle Geheimnisse des Metiers einweihte.

160

Ward, Louisa, ijSö

Die Mode. le.'Jatrli. 36

Nicolas Lav7eince, La Soubrette confidente

Die Frisur wird zur Hauptsache der Toilette. Erfindungsgabe und Phantasie werden nur noch in ihrem Dienst gebraucht. Eine neue Frisur wird zum Ereignis. 1772 bereits zeigte das Pariser Modejournal, der »Courier de la Mode« in jedem seiner

Die Mode. 18. Jahrb. 2. A.

l6l

11

Hefte 96 verschiedene Arten Frisuren an, im ganzen Jahre bringt es diese Zahl auf 3744 Beispiele. Der berühmte Legros gehörte zu den Opfern der Katastrophe, welche gelegentlich der Feste zur Vermählung Marie Antoinettes auf dem Platze Ludwigs XV. in Paris vielen Hundert Menschen das Leben kostete, er erstickte in der Menge. Aber sein Verlust bedeutete nichts. In wenigen Jahren war die Zahl der Damencoiffeure in Paris allein auf 600 gestiegen. Die Damen, die Friseure, die Putzmacherinnen und Kammerjungfern wetteiferten in der Erfindung neuer und immer neuer Frisuren. Alle Gebiete der Natur und des Wissens wurden geplündert. Die Mythologie und die Neuigkeiten des Tages mußten Vorwürfe liefern nur zum Besten neuer Ideen für die Frisur. Nichts war so wider- sinnig und so abgeschmackt, nichts so verkehrt und so son- derbar, daß es nicht zu einer Damenfrisur benutzt worden wäre. Sonne, Mond und Sterne, Meere und Wälder, Tier und Men- schen sah man auf den Köpfen der Schönen. Eine Fregatte mit allen Segeln war nichts Ungewöhnliches als Coiffüre und nachdem nichts mehr übrig zu sein schien, blieb es doch noch der Herzogin von Chartres vorbehalten, mit dem »Pouf au sentiment« etwas völlig Neues zu lancieren. Sie trug in dieser Frisur Figuren ihres kleinen Sohnes und seiner Amme, ihres Lieblingspapageien und Mohren, verflochten in Locken ihrer männlichen Verwandten, ihres Mannes, ihres Vaters und Schwie- gervaters ! ? Der eigentliche Wahnsinn beginnt aber doch erst in dem Augenblick, in welchem Marie Antoinette am 10. Mai 1774 Königin wird. Sie war jung, schön, töricht und schlecht be- raten und stürzte sich wirklich Hals über Kopf in die Mode, so daß sie im ersten Jahre nach ihrer Thronbesteigung nur für Putz und Tand bereits 300000 Francs Schulden gemacht hatte. Ihr Coiffeur war Leonard Autier, der berühmte, der große Leonard, der bis zu 14 Ellen Gaze in eine einzige Coiffüre hineinarbeitete und dessen Prinzip es war, niemals Spitzen zu verwenden. Der Coiffeur en titre der Königin war Larseneur, ein alter Mann ohne Geschmack, den sie aber aus Mitleid nicht abschaffen wollte. Sobald er fertig war, zerstörte sie seine Arbeit, Leonard kam und frisierte sie aufs neue. Marie An- toinette konnte sich nicht von ihm trennen und nahm ihn sogar auf die unglückliche Flucht nach Varennes mit, deren verfehl- ten Ausgang er durch sein Zuspätkommen verschuldet haben

162

soll. Die Putzmacherin der Königin war Mlle. Bertin. Mit beiden »arbeitete« die Königin mehrere Male in der Woche und kreierte die Moden, um die sich die Pariserinnen aller

LaV7-eince, La consolation de l' absence

Klassen dann förmlich gerissen haben. Jede wollte, wie Ma- dame Campan, die Kammerfrau Marie Antoinettes, in ihren Memorien schreibt, dieselben Modelle tragen wie die Königin, und man beschuldigte die Fürstin, daß sie durch ihre Launen der Verschwendung Vorschub leiste und den finanziellen Ruin Frankreichs befördere. Mlle. Bertin wurde der Minister der Mode genannt und sie fühlte sich auch als solcher. Einmal

163

11*

Nicolas Lavreince, Qu^en dit fabbe ?

kam eine Dame in ihren Laden und verlangte Coiffüren von der neuesten Mode. »Zeigen Sie der Dame die Modelle der letzten Woche«, befahl sie darauf einem ihrer Fräulein. Als die Käuferin schüchtern zu bemerken wagte, daß sie die neue- sten, nicht die der letzten Woche sehen wollte, erhielt sie von der Bertin die stolze Antwort: »Dann müssen Sie noch acht

164

Nicolas Lavreince, Le Billet-doux

Tage warten, die Königin und ich haben beschlossen, die neue- ste Mode erst in der nächsten Woche erscheinen zu lassen.« Von ihrer Arroganz und Einbildung können die Memoiren der Zeit überhaupt nicht genug berichten. Trotz der exorbitanten Preise, welche die Gunst des Hofes ihr zu nehmen erlaubte, machte sie im Jahre 1787 einen Bankerott von zwei Millionen

165

Passiva. Marie Antoinette war so stolz auf ihre Erfindungs- gabe, daß sie sich für ihre Mutter in der neuen Mode malen ließ. Die Kaiserin Maria Theresia sandte das Bild aber zu- rück mit der Bemerkung, es läge wohl eine Verwechslung vor, so könne vielleicht eine Schauspielerin aussehen, aber nicht die Königin von Franljreich ! Die Frisuren wurden jetzt so extravagant nach Größe und Zusammensetzung, wie man sich heute doch kaum noch vorstellen kann. Die Baronin Ober- kirch erzählt, daß bei Damen mittlerer Größe das Kinn genau in der Mitte zwischen den Fußspitzen und dem Gipfel der Frisur lag. Madame Campan sagt, daß die Damen sich nicht mehr in ihren Kutschen setzen konnten, sie mußten sich auf den Boden derselben knien und den Kopf zum Fenster hinaus- stecken, gerade so wie ihnen das Tanzen große Mühe verur- sachte, da sie sorgfältig danach trachten mußten, Zusammen- stöße mit den Kronleuchtern zu vermeiden. Graf Vaublanc schreibt in seinen Erinnerungen, zu wie wenig geschickten Bewegungen die Tänzerinnen durch diese Rücksicht oft ge- zwungen waren. So soll es wirklich vorgekommen sein, daß eine Dame ihre Coiffüre an dem Lüster eines Pariser Cafe- hauses in Brand gesteckt hat. Um der Mißbilligung der alten Tanten und Schwiegermütter zu entgehen, konnten sich junge Frauen »ä la bonne maman« frisieren lassen. Dann kamen Ressorts in die Frisur, die auf einen Druck dieselbe höher oder niedriger machten. Es war, als hätte eine Raserei diese Köpfe ergriffen, die sich nicht genug falsches Haar, Federn, Bänder, Blumen, Vögel aufsetzen konnten und nur begierig waren, für diese Chiffons immer neue Arten des Arrangements zu erfinden. Madame de Matignon abonnierte sich bei dem Friseur Beaulard und zahlte ihm 24000 Livres jährlich, wofür er verpflichtet war, ihr täglich eine neue Coiffüre zu liefern. Die Mode wechselte so rasch, daß Leonard, wenn er von der gestrigen Mode sprach, nur »ehemals« zu sagen pflegte. Die Schwierigkeit, eine so komplizierte Frisur herzustellen, sie über Kissen und Drahtgestellen aufzubauen, ihr durch Pomaden Halt zu geben, sie zu pudern usw., erforderte die Arbeit von Stunden und es kann nicht wundernehmen, daß die Damen sich dieser Prozedur nicht alle Tage unterwerfen konnten. Selbst vornehme Damen ließen sich nur alle 8 bis 14 Tage neu frisieren, ärmere noch viel seltener und wir hören davon,

166

Bandouin-Moreau^ Le coucher de la Mariee

daß Frauen und Mädchen des Mittelstandes einen Monat und länger ihr Haar in der gleichen Frisur beließen, ohne es doch in der Zwischenzeit kämmen zu können. Was dieser Mangel an Reinlichkeit für Folgen hatte, läßt sich denken. Es war das goldene Zeitalter des Ungeziefers, dem die Damen mit ihren »grattoirs«, langen Kopfkratzern aus Gold oder Elfenbein,

167

Be7ij. West, Kdnig'm Charlotte von England und ihre Tochter, 1778

Schabkunst von V. Green

natürlich nicht beikommen konnten. Die Markgräfin von Bay- reuth notiert bei ihrem Empfang in Hof, daß die Haare der adligen Damen voller Schmutz und Unrat gewesen seien und was Casanova einmal in dieser Hinsicht für Beobachtungen auf dem Kopf einer Augsburgerin machte, teilt er in seinen Memoiren sehr ergötzlich mit. Katharina II. verbot die Fri- suren höher zu tragen als V4 russische Elle. Ihre Schwieger- tochter Maria Feodorowna mußte sich deswegen einen Teil ihrer schönen Haare abschneiden lassen. Nach einigen Jahren änderte sich die Mode insofern, als die Coiffüre nicht mehr in das Haar hineingearbeitet, sondern als Haube oder Hut besonders aufgesetzt wurde. Man frisierte sich einfacher, angeblich dem Beispiel Marie Antoinettes folgend, der während ihres ersten Wochenbettes das Haar sehr stark ausgegangen war. Man toupierte es nicht mehr, sondern wickelte es in Locken und ließ es rückwärts bis zur Taille offen herabfließen. Im Auf- stecken der Bonnets und Hüte waltete die Phantasie nun un-

168

G aller ie des Modes

Die Mode. 18 Jatrh. 37

unischränkt weiter. Drahtgestelle mit Flor überzogen, Formen ausStroh und Filz wurden derTummelplatz der launischen Mode, wo sie Federn, Blumen, Bänder, Schleifen, Agraffen u. a. in der buntesten und bizarrsten Mannigfaltigkeit durcheinander wir- belte. Ebenso barock wie die Formen der Frisuren, Coiffüren und Hüte waren die Namen, welche man ihnen beilegte. Denn so gut wie jede Nuance jeder Farbe einen besonderen Namen erhielt, gab man jeder Frisur, jeder Coiffüre, jedem Hut einen eigenen Namen. Diese Bezeichnungen, die mit dem eigent- lichen Wesen des Gegenstandes natürlich nicht das mindeste zu tun hatten, entlehnte man Tagesereignissen, dem Brand der Oper, dem Freiheitskriege der Amerikaner, dem Halsbandpro- zeß, man nahm Verbrecher zu Paten, wie den abscheulichen Desrues oder Erfinder wie Montgolfier. Man entlieh ihn am liebsten dem Theater. So begegnen wir Namen wie ä ITnde- pendance, ä la Bostonienne, ä la Philadelphie, ä la nouvelle Angle- terre, ä la Belle Poule, au glorieux d'Estaing, ä la Desrues, ä la Montgolfiere, ä la Figaro, ä l'Almaviva, ä la Suzanne, ä la Vol- taire, ä la nouvelle Ciarisse, ärAndrosmane,auBandeau d'amour, le Chien couchant, au Parterre galant, au Cerf volant, ä la douce Raillerie, ä la Randan, ä la Baillard, ä la Zinzara, ä la Tarare, ä la nouvelle Omphale, ä la Marlborough, ä la grande Pretention, au Papillon con- stant, au galant Desespoir, au Plaisir de la Cascade usw. usw. Wenn man bedenkt, daß es allein 1779 ^^ P^" riser Modehandel 200 ver- schiedene Häubchen gab, von denen jedes im Preise zwischen 10 und 100 Livres schwankend, einen beson- deren Namen trug, so be- greift man leicht, daß zwi- GeigenspieUr Italien. Porzellan schen Himmel und Erde,

170

Der Handkuß^ Biskuit, Wien. Von Anton Graßl

auf und unter derselben nichts davor sicher war, der Verbin- dung von einigen Ellen Band, Flor und Federn seinen Xamen leihen zu müssen. Dieselben Bezeichnungen begegnen uns auch in Deutschland. Wenn Chodowiecki oder Riepenhausen uns die Moden von Berlin, Göttingen oder Leipzig entwerfen, be- dienen sie sich der gleichen Xamen wie die Pariser Mode- zeitungen. Zu den Formen, die sich fast das ganze Jahr- hundert hindurch behaupteten, gehörte die Dormeuse, ein Xame, der einer Haube zukam, die vielfach wirklich als Xacht- haube benutzt wurde, wegen ihrer Einfachheit aber auch von älteren Damen gern getragen wurde. So sieht Goethe z. B. Frau von La Roche stets in einem »netten Flügelhäubchen«. Den X'amen hat man dann gelegentlich im Jahre 1758 z. B. auch einem Topfhut beigelegt, wie man ihn 1909 wieder liebt, als ob man Mademoiselle Bertin Recht geben wollte, die einmal sagte: »II n'y a rien de nouveau dans ce monde que ce qui est oublie.« Sehr drollig war die Coiffüre ä la Therese, eine Kopfbedeckung wie ein Kutschdach, die man auf- und zuklappen konnte, prak-

171

tisch und kokett zugleich. Diderot erzählt, wie gewandt seine kleine Tochter ihm die Vorzüge dieser Kalesche auseinander- zusetzen wußte. Für die englische Dame war der Hut nicht nur der wesentlichste Bestandteil der Toilette, er erst gab ihr das Cachet der Eleganz, sondern sie verstand auch, ihn mit besonderem Schick aufzusetzen und mit feinster Koketterie zu tragen. Wer sich von Bildern, Farbstichen oder Schabkunst- blättern her auf die Porträts der schönen Engländerinnen jener Zeit besinnt, wird das Entzücken begreifen, mit dem der be- kannte Zeitungsschreiber und Pamphletist Linguet erklärte, wenn Homer die Engländerinnen gekannt hätte, so würde er der Ve- nus als Attribut der Gra-^ zien nicht einen Gürtel, sondern einen englischen Hut gegeben haben. Die reizenden Londonerinnen jener Zeit erfreuten sich aber auch einer Einrich- tung, welche man heute, wo man stets auf der Suche nach neuen Berufen für die Frau ist, eigentlich nach- ahmen könnte. Die schöne Schauspielerin Mrs. Abing- ton, welche am Drurylane Theater engagiert war und dort als Extrahonorar für ihre Toiletten £ 500 jährlich bezog, fuhr in ihren Mußestunden um- her und erteilte Rat und Auskunft in Modeangelegenheiten, welche Nebenbeschäftigung ihr im Jahr etwa £ 1500 bis £, 1600 eingebracht haben soll.

Alle Frisuren hatten nur einen Zug miteinander gemein, sie waren alle gepudert. In den Zeiten Ludwigs XV. und Lud- wigs XVL puderte sich die ganze feine Welt, Männer, Frauen Kinder stäubten sich ihr Haar dick mit Reismehl ein. Das graue Haar machte alle miteinander gleich alt. Sich alt zu machen, war der gute Ton, das Haar zu pudern etwas so Selbstverständliches, daß Friedrich Nicolai in Augsburg ein

Moreau, Alte Dame

172

Gnadenbild der heiligen Jungfrau sah, dem an hohen Festen die Perücke frisch gepudert wurde. Für das Privileg. Puder erzeugen zu dürfen, zahlte Pietro Capranica dem Senat in Ve- nedig 2000 Dukaten jährlich, aber sein Puder brachte ganze Schwärme von ekelhaftem Gewürm hervor. Erst sein Sohn

y. M. Moreau Uj., Illustration zu Rousseau, Emi/e, ijjg

führte den Reispuder ein. Erst nach der Mitte des Jahrhunderts setzt eine Bewegung gegen den Haarpuder ein, die Gründe der Reinlichkeit und der Philanthropie miteinander verbunden gegen das Pudern ins Feld führt. Man machte geltend, daß der enorme Verbrauch an Weizenmehl dem Volk die notwen- digsten Nahrungsmittel verteuere und wenn das Haarpudern als allgemeiner Verbrauch auch erst im letzten Jahrzehnt des i8. Jahrhunderts verschwunden ist, der Beginn der Bewegung

173

Chodow'ucki, jy8o

liegt weiter zurück. 1764 sah Casanova auf einem Ball des Herzogs von Cum- berland Lady Grafton mit ungepudertem, zwanglos in die Stirn fallendem Haar, eine Frisur, welche von allen Anwesenden gemiß- billigt wurde und daher binnen einem halben Jahr in ganz England allgemein getragen wurde. Sie inau- guriert die Mode, welche uns auf den Köpfen der Modelle von Reynolds und Gainsborough so entzückt. Auf dem Kontinent hat es weit länger gedauert, bis man sich des Puders entwöhnte. Noch in den achtziger Jahren berichten Reisende aus England mit Erstaunen, daß selbst zierlich ge- kleidete Damen sich nicht zu pudern pflegten. Schminie Das künstlich grau gemachte Haar schadete selbst dem jugend- lichen Teint, wenn es ihn nicht ganz tötete. So zog das Pudern ganz von selbst das Schminken nach sich. Alfred Franklin, dessen Studien wir so schätzbares Material zur Kul- turgeschichte der Moden, Trachten, Sitten und Gewohnheiten verdanken, sagt einmal sehr witzig: Die Dichter des 18. Jahr- hunderts hätten ihre Heldinnen sich freigebig küssen vmd noch verschwende- rischer Tränenströme ver- gießen lassen, während sie sich vor gar nichs so sehr hätten hüten müssen, wie gerade davor. Denn ihre Schminke gestattete ihnen derartig heftige Gefühle gar nicht. An das Waschen brauchte die Modedame von damals nicht zu denken, aber das Schminken durfte sie nicht vergessen. Wenn sie das Gesicht weiß angelegt

Chodowiecki, ijSo

174

Chodmviecki, lySo

hatte, zog sie die Brauen mit Schwarz nach, malte die Adern schön blau und dann wurden die Lichter mit Rot aufgesetzt. Das Rot war die Hauptsache. Der gute Ton verbot den an- ständigen Frauen, sich das Rot natürlich aufzulegen, nur die Damen von einem gewissen Metier durften sich mittels Rot »schön« machen, d. h. die Xatur nachahmen, die anderen

mußten es ä tranchant auflegen, d. h. so, daß man hundert Stund weit sah, daß dieses Rot Kunst sei. Man hatte das Rot nicht nur in den verschiedensten Nuancen und Zusammen- setzungen trocken und flüssig, man suchte auch in der Art, wie man es auflegte, Gefühle und Stimmungen, sogar Standes- unterschiede auszudrücken, wie sich denn die Damen des Versailler Hofes brandrote abgezirkelte Flecke dicht unter die Augen legten. »Ob die Frauen in Paris schön sind?« schreibt Leopold Mozart 1763 an seine Frau, »das ist unmöglich zu sagen, denn sie sind gemalt wie die Nürnberger Puppen und durch diese widerwärtigen Kunstgriffe derartig entstellt, daß eine von Natur schöne Frau in den Augen eines ehrlichen Deutschen völlig unkennt- lich wird.« Man besaß an Rot allein zehn verschie- dene Sorten und hat trotz- dem in Paris versucht, an seiner StelleLila aufzulegen. Martin in Paris führte eins der gesuchtesten rouge, von dem der Topf zwischen 60 und 80 Louisdor kostete. Wie stark der Verbrauch war, kann man beurteilen, wenn man hört, daß z.B. Ma- dame Dugazon im Jahrei/Si Chodowiecki, 1780

175

Chodowieckiy ijSo

bei dem Parfümeur Montclar sechs Dutzend Töpfe Rot kaufte, den Topf zu sechs Francs. Der Chevalier d'Elbee schätzte zur gleichen Zeit den jährlichen Verbrauch in Frankreich allein auf zwei Millionen Töpfe. Die Damen hatten ihre Schmink- döschen stets bei sich und erneuerten sich ungeniert, wenn sie es nötig fanden. Der Gebrauch war so natürlich, daß man sogar die Leichen schminkte. Mrs. Oldfield, eine be- kannte englische Schauspielerin, hatte in ihrem letzten Willen festgesetzt, wie sie zum Begräbnis geschminkt sein wollte. Keyßler sieht in Rom 1730 die Leiche des Kardinals Pamphili rot geschminkt aufgebahrt.

In Frankreich war die Gewohnheit am tiefsten eingewurzelt, Madame de Monaco schminkte sich auch noch, als sie zur Guillotine gefahren wurde. In anderen Ländern schminkte man sich wohl auch, aber man trug das Rot doch nicht so fingerdick auf. Nicolai fällt es z. B. 1781 in Stuttgart ange- nehm auf, daß das Frauenzimmer von Stand sich das Rot

Chodowiecki, lySo

176

zart und natürlich auflegt. Maria Lesczynska konnte ihren Widerwillen gegen die französische Art des Schminkens nie verbergen und erschien zu Casanovas Erstaunen sogar un- geschminkt bei ihrem Diner. Die Infantin Marie Therese von Spanien, w^elche 1745 den Dauphin heiraten sollte, war nur durch einen Befehl des Königs zu bewegen, sich Rot auf- zulegen. Man fürchtete, ihr Bräutigam würde sich vor einer Ungeschminkten grausen. Am Wiener Hofe durften sich die Damen nicht schminken, wenn Hoftrauer war. So wurde es ihnen z. B. beim Tode des Kaisers Franz ausdrücklich ver- boten. Joseph n. verbot 1787 die weiße Schminke gänzlich als der Gesundheit schädlich und legte auf die rote eine hohe Steuer. Wie der Haarpuder die Unsauberkeit des Kopfes beförderte, so verursachten die Schminken, vielfach mit giftigen Substanzen versetzt, Hautausschläge, Augenkrankheiten und dauernde Kopfschmerzen. Aus diesem allgemeinen Gebrauch des Schminkens erklärt sich das krasse Rot vieler Damen- bildnisse der Zeit. Die Maler mußten ihre Modelle eben ge- schminkt malen, weil es für schön galt. Die meisten haben sich damit abgefunden, der berühmte Grenze allerdings weigerte sich, die Dauphine zu porträtieren, weil sie sich so rot an- gestrichen habe.

Den Abschluß der Gesichtstoilette bezeichnete das Anbringen Die Mouches der Mouches, kleiner Fleckchen aus gummierter schwarzer Seide oder Papier, die schon seit den Zeiten Heinrichs IV. Mode, den Höhepunkt ihrer Beliebtheit doch erst im 18. Jahr- hundert erreichen. Man hatte sie in den verschiedensten Formen als Sterne, Halbmonde, Sonnen, Kreise, Vierecke,

Chodowiecki ij8o Die Mode, 18. Jahrh. 2, A.

177

12

Chodou'iecki lySo

Herzen, selbst in der Ge- stalt von Tieren und Män- nerchen. Es war durch- aus nicht gleichgültig, an welche Stellen des Gesich- tes man diese Fleckchen pappte. Man gab ihnen je nach ihrem Sitz beson- dere Namen. Mitten auf der Stirn hieß die Mouche die Majestätische, auf der Nase die Unverschämte, am Auge die Leidenschaft- liche, am Mundwinkel die Küssefreudige, auf der Lippe die Kokette, inmitten der Wange die Galante, zwischen Mund und Kinn die Verschwiegene, auf einem Pickelchen endlich die Diebin. Seit der berühmte Kanzelredner Massillon in einer seiner Predigten gegen den Gebrauch der Mouches geeifert und sich ironisch gewundert hatte, daß man sie nicht überall hinklebe, entschlossen sich die Damen wirklich dazu, sie auch auf dem Busen anzubringen, ja die geheimen Memoiren der Zeit versichern, sie hätten sich mit diesen sichtbaren Stellen noch nicht begnügt. Einen Augen- blick lang trug man eine Mouche von schwarzem Sammet so groß wie ein Pflaster auf der rechten Wange und nannte sie die Zahnschmerzliche. Madame Cazes trieb diese Mode ins Extreme, als sie diese Sammetpflaster noch mit Diamanten besetzte. Dtr Schuh Die Chaussüre der Damen war der bekannte Stöckchenschuh, ein Halbschuh, der mittels eines etwa sechs Zoll hohen Ab- satzes den Hacken in die Höhe schob und den ganzen Fuß nach vorn drängte, wo die Zehen in scharfer Spitze zusamrhen- gepreßt wurden. Der Schuh bestand aus Stofif, aus Seide oder Leinen und wurde je nach Laune oder Geschmack reich mit Stik- kerei verziert, denn der kurze Reifrock ließ ihn ja voll zur Geltung kommen. Lederschuhe gab es nicht. Das schöne Geschlecht ging selten odernie aus. Der Hauptschmuck des Schuhes bestand nächst seiner Kleinheit in den Schuhschnallen oder Schleifen, die ihn vorn zu schließen schienen. Eine Zeitlang hatte man in Paris auch an der Naht des Hakens kleine Schmuckstücke,

1/8

die man »Venez-y-voir« nannte und gern aus Smaragden wählte. Man kann sich wohl denken, daß es für die Damen, die in ein enges, tiefschnürendes Korsett eingepanzert waren und turmhohe Frisuren zu balancieren hatten, keine geringe Aufgabe war. sich in diesem Schuhwerk zu bewegen. An schnelles Gehen war überhaupt nicht zu denken. Als Casanova einmal in \'ersailles den Damen der Königin begegnet, die aus irgendeinem Grunde genötigt waren, sich sehr rasch in einen anderen Raum zu begeben, sieht er sie mit hochgeho- benen Reifröcken in halb huckender Stellung mit krummen Knien eilends davonhatschen, und als er, der die Damen dieses Hofes überhaupt sehr häßlich fand, sich erkundigte, warum sie sich gar so grotesk bewegen, hört er, das müßten sie, sonst fielen sie unfehlbar der Länge nach hin. Der Zustand der Straßen erlaubte ja auch in damaliger Zeit gar kein Ausgehen zum \'ergnügen. In London trugen die Frauen, mußten sie aus dem Hause, hohe, runde, eiserne Maschinen, wie kleine Stelzen, am Fuß, sonst begnügte man sich im Garten oder auf den seltenen Promenaden ein wenig herumzutrippeln. Erst als der berühmte Arzt Tronchin es unternahm, die Krankheiten dadurch zu heilen, daß er ihnen mittels einer naturgemäßen Lebensweise vorbeugte, und den Frauen als Heilmittel gegen das Modeleiden der Vapeurs fleißige Bewegung in freier Luft empfahl, griffen sie zu den langen Stöcken aus spanischem Rohr und »tronchinierten« ein wenig damit [was wir heute müllern nennen]. Ein anderer Arzt, Roussel. wandte sich als- bald heftig gegen diesen Gebrauch, denn das unnütze Spazieren- gehen schade dem Temperament der Frauen und verwirre ihre Ideen. In den achtziger Jahren nahmen die Damen den Herrenschuh mit flachem Absatz an, der sich im letzten Jahr- zehnt zur völlig absatzlosen flachen Sandale wandelt. Der immer offen getragene Hals hätte eigentlich nach Schmuck verlangen sollen, aber das war merkwürdigerweise nicht der Fall. Man trug zur Zeit Ludwigs XV. um den Hals gern kleine Rüschen aus Spitze oder Band, aber weder Steine noch Perlen. Diamanten besetzten die Korsage und hingen in rie- sigen Fassungen in den Ohren, krönten auch die Frisur, aber Hals und Busen blieben frei von ihnen, an den Armen trug man Perlenschnüre mit einem Medaillon als Schloß, im Gürtel gern zwei Uhren mit Berlock wie die Herren. Unter Ludwig XVI.

179 12-

Francesco Bartolozzi, Comte de Caglloitro^ lySi

trugen Frauen und Mädchen gern ein schmales Band um den Hals, an dem vorn am langen Ende ein Kreuzchen oder Me- daillon hing. Als die Empfindsamkeit Mode war, fertigte man Schmucksachen aus Haaren und trug sie als Ringe, Armbänder und Ketten.

i8o

Während die Damenmode zur Zeit Ludwigs XIV. Tod eine so völlige Veränderung erleidet, hat die Herren- kleidung ihre Form noch lange beibehalten. Der Mann trug in den letzten Jahren der Regierung des Sonnenkönigs einen Rock, der etwa bis zum Knie reichte, Justeaucorps oder Surtout hieß und geschlossen getragen wurde, so daß man die darunter getragene fast ebenso lange Schoßweste gar nicht oder kaum sah. Dazu gehörte ein kurzes Beinkleid und Knie- strümpfe, die .über der Hose befestigt wurden. Ein spitzen- besetztes Halstuch vervollständigte den Anzug. Dieses wurde seit 1692 in einer besonderen Form getragen, der man den Namen »Steinkerke« beilegte. Als die französische Armee unter dem Marschall von Luxembourg gegen die Holländer unter dem Prinzen von Oranien im Felde lag, da überfielen die letzteren eines Morgens die Franzosen bei dem Dorfe Steinkerke so plötzlich, daß die französischen Kavaliere keine Zeit mehr fanden, ihre Hals- tücher in die üblichen eleganten Schleifen zu binden, sondern sich begnügen mußten, sie umzuschlingen und die langen Zipfel schnell durch ein Knopfloch des Rockes zu stecken. Nachdem der Ueberfall mit einem glänzenden Siege der Franzosen endete, trugen die Offiziere ihre Halstücher fortan nie mehr anders und machten ihre Manier sofort zur allgemeinen Mode, der sogar die Damen folgten. Die Steinkerke ist bis tief in das 18. Jahrhundert hineingetragen worden. Der Schnitt des Herren- anzuges änderte sich nach Ludwigs XIV. Tod eigentlich nur dadurch, daß man die Schöße des Rockes und der Weste mit Wachstuch, Crin oder Papier abzusteifen begann, so daß sie von den Hüften ebenso abstanden wie der Reifrock von der Taille der Damen. Dadurch öffnete sich vorn der Rock, den man von nun an nicht mehr zuknöpfte und ließ die Weste sehen, die immer noch mit langen Schößen bis auf die Hälfe des Oberschenkels reichte. Die Aermel des Rockes endigten am Ellenbogen in einer weiten Stulpe, aus welcher der Hemd- ärmel bis an das Handgelenk hervorbauschte, wo er in einer Spitzenmanschette endigte. Erst seit etwa 1730 beginnt "man die Kniehose über dem Wadenstrumpf mit einer Schnalle zu schließen und hat dadurch jenes Kostüm hergestellt, das man bis etwa 1760 getragen hat. Für den Soldaten waren die langen Röcke mit den abstehenden Schößen- unpraktisch und so be- ginnt man, zuerst zur Erhöhung der Beweglichkeit des Militärs

181

Utietine Aubry, Abschied von der Avuite

die Schöße vorn zu beschneiden, so daß das Bein in seiner Bewegung nicht gehemmt wird. Unter dem Einfluß des Militärs nimmt auch der Rock des Zivils langsam die gleiche Form an. Man schneidet die Rockschöße vorne schräg ab, die Aermel werden lang und eng und so entsteht allmählich der Frack. Während die Weste in ihren Dimensionen zurückgeht, ihr Schnitt enger und ihre Schöße kürzer werden, behält man Kniestrumpf und Kniehose bei und der Schnitt der Herren- kleidung, der die ganze zweite Hälfte des i8. Jahrhunderts beherrschte, ist fertig. Dieses Kostüm war reich und farben- prächtig, denn im Gegensatz zu heute, wo die männliche Kleidung in der Farbe unansehnlich geworden ist und sich auch in derberer Qualität der Stoffe wesentlich von jener der Damentoilette unterscheidet, waren dazumal beiden Geschlech- tern alle Stoffe und alle Farben gemeinsam. Ein verliebtes Mädchen konnte aus ihrer Adrienne für den Schatz einen Rock schneidern, wie es z. B. Mademoiselle Silvestre für den der elterlichen Zucht entronnenen Philipp Caffieri tat. Ludwig XIV. trug 1697 ein Habit aus Goldbrokat, dick mit Gold bestickt, wäh-

182

IVatteau de Lille^ La Loterie Rovale

rend man in der Folgezeit auf die Brokate verzichtete und den Luxus mehr in der kostbaren Stickerei suchte. Ludwig XV. trug gelegentlich der dreitägigen Festlichkeiten zur Hochzeit seines Dauphin drei Kostüme, von denen jedes auf 15000 Livres zu stehen kam. Für ihn entwarf der berühmte Kupferstecher Eisen die Zeichnung der Stickereien zu den Hof kleidern, fiel aber in dauernde Ungnade, als er die Dummheit beging, für sich selbst einen Rock mit den gleichen Verzierungen machen zu lassen und darin an den Hof zu gehen. Man stickte die Herrenröcke und Westen in Gold und Silber, bunter Seide, Füttern und Pailletten, wobei man darauf zu achten hatte, daß Sammetkleider reicher gestickt sein mußten als solche von Atlas. Wenn z. B. die Weste aus Silber- oder GoldstofY bestand, so mußten die Aufschläge des Rockes von demselben Stoff sein und mit der Stickerei der Weste übereinstimmen. In der Garderobe des preußischen Ministers Freiherrn von Bülow befanden sich 1734 außer anderem ein Purpurkleid mit Silber bestickt und tafifetene Weste dazu ; ein kaffeebraunes

183

Kleid mit goldenen Troddeln; ein olivefarbenes Kleid ganz mit Silber bestickt. Für die Bestickung eines seiner Kleider mit Silber (man nannte damals auch den Herrenanzug »Kleid«) hatte Herr von Bülow 180 Taler gegeben, für eine einzelne Prachtweste 70 Taler, und das war verhältnismäßig billig. In einer Rechnung, die der Schneider Langner 1740 Friedrich dem Großen überreichte, erscheint der Macherlohn eines Rockes mit 10 Talern, der Stoff mit 20 Talern, der Besatz mit sil- bernen Marlytressen dagegen mit 85 Talern. Der Silbersticker Jean Pally berechnete dem Könige für die in Silber ausge- führte Stickerei eines blauen Rockes und ebensolcher Weste 1000 Taler, wo man, um zum heutigen Geldwert dieser Summe zu gelangen, mit fünf multiplizieren muß. Friedrich H., der als junger Mann auf einen prächtigen Anzug Wert legte und in der Farbe desselben blau und silber anscheinend ebenso bevorzugte, wie bei dem Bezug seines Mobiliars, ließ, um immer schöne Stickereien zu erhalten, Künstler von weither kommen. So finden wir in seinen Diensten einen böhmischen Sticker, Heynitschek, und später Joseph Genelli aus Kopen- hagen, den Großvater des berühmten Bonaventura Genelli. Die Verschwendung in Farbe und Stickereien nahm noch zu, so daß Melchior Grimm im April 1760 aus Paris schreibt: »Die Pracht der Anzüge bei der Hochzeit des Herzogs von Chartres war bis zum Exzeß übertrieben. Wohin soll dieser Überschwang des Luxus noch führen? Vor 15 Jahren erfand man für den Männeranzug Stoffe von drei Farben und glaubte, eine so frivole Mode könne nicht von Dauer sein. Seitdem aber hat man das Geheimnis ergründet, für eine ganze Palette von Farben aller möglichen Schattierungen auf dem Rücken eines Mannes Platz zu finden. Heute ist man schon soweit, die Gold- und Silberstickereien ebenso abzutönen und mit Pailletten zu vermischen. Wäre ich König von Frankreich, so würde ich für meine Person diese gotischen Moden ablegen, die aus einem bekleideten Franzosen das unwürdigste, unbedeutendste und lächerlichste Geschöpf machen, das jemals auf zwei Beinen ging.« Um das Jahr 1780 war die Farbenzusammenstellung des Her- renanzuges etwa folgende: Blauer Frack, lila Weste, gelbe Hose ; nußbrauner Frack mit Kragen von schwarzem Sam- met und einer Doppelreihe Knopflöcher, die mit Gold einge- faßt waren, kirschrote, goldgalonierte Weste, schwarze Sam-

184

jfamnet, L' indiscretion

Die Mode, 18. Jährt. 39

y aninet, Lhweu difficile, lySy

Die Mode, 18. Jahrh. 40

methose, grauseidene Strümpfe. Man benähte auch die Röcke mit goldenen und silbernen Tressen, ein Besatz, der gewisse Gefahren mit sich brachte. In Paris war es nämlich eine Zeit- lang Mode geworden, daß die Damen als Handarbeit im Salon Tressen aufdröselten und den gewonnenen Goldfaden verkauf-

Anton Hickd, Charles yanies Fox, englischer Staats- vtinister

ten. Wenn sie nun Mangel an Stoff hatten, so fielen sie mit ihren Scheren über die anwesenden Herren her. schnitten ihnen mit sanfter Gewalt die Tressen von den Röcken und »parfi- lierten« sie. Als die Mode einfacher wurde, behielt man Sticke- reien und Galons den Hofkleidern vor, besetzte aber dafür die Fräcke mit Knöpfen so groß wie ein Fünffrankentaler. Man fertigte sie aus kostbaren Stoffen oder trug darin Minia- turgemälde unter Glas, z. B. eine Folge der Medaillen der römi- schen Kaiser, die ]\Ietamorphosen Ovids, die berüchtigten Po- sturen Aretins, Rebusse u. a. Der Herzog von Artois trug einst statt der Knöpfe eine ganze Garnitur von Uhren und wußte.

185

wie ein Witzbold sagte, doch nie, was die Glocke geschlagen hatte. Diese Knöpfe waren so teuer, daß ein damit besetzter ganz einfacher Frack ebensoviel kostete wie ein gestickter Giieis oder galonierter. Zur gleichen Zeit trieb man auch einen großen Luxus in Phantasiewesten. Die Baronin Oberkirch schreibt, daß ein eleganter Herr sie dutzend- oder gar hundertweise besaß. 1786 war es Mode, immer ein Dutzend Westen mit Szenen aus den beliebtesten Theaterstücken : Figaros Hoch- zeit, Richard Löwenherz u. a. zu kaufen. 1787 trug man in Paris solche, worauf <lie Eröffnung der Notabeinversammlung durch Ludwig XVL nach einem Kupferstich gestickt war. Man hatte die Westen auch in gewirkten Stofifen, was etwas bil- liger war. Da gab es z. B. violetten Moiree mit grünen Afifen, die silberne Sonnenschirme trugen; rauchbraune mit weiß und grünen Bordüren, auf denen sich die Tiere der hohen oder niederen Jagd, Fischerei und Vogelfang u. dgl. befanden. Am Das Beinkleid geringsten war die Veränderung, welche das Beinkleid durch- gemacht hat. Man schloß es vorn durch einen Latz, was man in Frankreich »au pont« oder »ä la Bavaroise« nannte. Die beiden Schlitze rechts und links suchte man durch zwei Uhrketten zu verstecken, an denen viele Berlocks hingen. Beim Gehen hatte der Träger darauf zu achten, daß Ketten und Anhänger ein liebliches Klingeln hören ließen. Man konnte im Hervorbringen desselben in Paris eigenen Unter- richt nehmen. Gleichzeitig versuchte man, an Stelle dieser zweischlitzigen Klappe einen Schlitz einzuführen, eine Form, die in Spanien zum Gegenstand der Verfolgung von selten der Inquisition gemacht wurde. Man verbot solche Bein- kleider, bestrafte nicht nur die Träger, sondern auch die Schneider, die sie machten. Als alles nichts half, bediente sich der Großinquisitor von Spanien desselben drastischen Mittels, welches einst ein Pariser Kürschner mit Erfolg an- gewendet hatte, um den Herren das Tragen von Muffen aus Stoff statt solcher aus Pelzwerk zu verleiden. Dieser hatte eine prachtvolle, reich besetzte Muffe aus Sammet an- fertigen lassen und schenkte sie dem Henker mit der Be- dingung, sie bei der nächsten Hinrichtung auch öffentlich zu tragen. »Monsieur de Paris« tat das mit Vergnügen und da kein anständiger Mensch das tragen konnte, was der Henker trug, waren die Stoffmuffen von dem Tage an für

186

Thomas Gainsborough , George IV. als Prince of Wales, 178s

Schabkunst von Raph. Smith

die Pariser eleganten Herren erledigt. Man griff, wie gesagt, in Spanien zu dem gleichen Mittel und ließ einen Erlaß an die Kirchtüren anschlagen, der das Tragen von Hosen mit Schlitz dem Henker erlaubte! Friedrich der Große griff zu nicht minder drastischen Mitteln, wenn er den Herren vom Hofe eine Mode verleiden wollte. 1770, als die großen Herrenmuffen Mode waren, sah er in seinem Vorzimmer ein schönes Exemplar liegen, das einem Herrn von Kameke ge-

188

hörte. Er nahm die Muffe und warf sie in das Kaminfeuer, damit waren sie bei Hofe aus der Mode. Die Kniehose blieb dabei halbweit. Erst nach 1780 wurde es Mode, sie ganz enganliegend zu tragen, so daß sie die Schenkel deutlich modellierte. »Der Herr steckt darin wie in einem Hand- schuh«, schreibt Mercier. »Adam war mit einem Feigenblatt bedeutend anständiger gekleidet.« Dies war eine Mode, welche der Papst im Gebiete seiner weltlichen Macht alsbald verbot. Der Herzog von Artois trug sie so eng, daß er sie nur an- legen konnte, wenn er in das Kleidungsstück, das mehrere Bediente halten mußten, von oben hineinsprang. Von dem Herzog von Guines erzählt der Herzog von Levis, daß er sich zu jedem Anzug zwei Paar Beinkleider machen ließ, eins, in dem er sitzen konnte, ein anderes, in dem das nicht möglich war. Kaiser Alexander I. von Rußland konnte sich, wie die Gräfin Potocka erzählt, nicht setzen aus Furcht, die Hosen zu zerplatzen. Hosenträger, wie die Herren sie heute tragen, kamen erst 1792 allgemein auf. Vorher bedienten sich nur Greise und Kinder derselben.

Zur Vervollständigung der großen Toilette gehörten die, Man- Spitztn schetten und das Halstuch, welches später durch das Gefältel des Jabots ersetzt wurde. Mit den weiten und langen Man- schetten, die über die Hände fielen, und Pleureuses genannt wurden, trieb man einen kolossalen Luxus. Mercier, der eine Beschreibung von Paris und den Parisern jener Zeit hinterlassen hat, schreibt, daß man ein schmutziges oder gar kein Hemd, aber kostbare Spitzen trug, sagte doch das 18. Jahrhundert: den Mann erkennt man an seinen Spitzen. Das ist in einem Fall sogar im Wortsinn wahr geworden. Als während der Pöbel- revolte, die Lord Gordon 1780 angezettelt hatte, London an 36 Stellen zugleich in Flammen stand, die Gefängnisse gestürmt und ihre Insassen in Freiheit gesetzt wurden, warf eine Rotte Übeltäter den Earl of Effingham in die Themse, wo er ertrank. Seine Leiche konnte nur an den Spitzenmanschetten erkannt werden, die er getragen. Der Erzbischof von Cambray besaß 1764 vier Dutzend Paare Manschetten von Malines und Valen- ciennes-Spitzen, Ludwig XVL 1792 noch 57 Paar Spitren- manschetten. Man trug sie so breit, daß der sparsame Fried- rich der Große vor den Augen de Gatts einige Paar, die er eben erhalten hatte, mit der Papierschere auseinanderschnitt.

189

Die Herren trieben in der Verwendung von Spitzen den glei- chen Aufwand wie die Damen. Der Herzog von Penthi6vi*e zahlte 1738 für ein spitzenbesetztes Nachthernd 520 Livres. Casanova trug Spitzenhemden für 50 Louisd'ors und reiche Leute ließen aXich die Livreen ihrer Domestiken reich mit Spit- zen besetzen. Als der englische Gesandte Lord Stairs 1719 in Paris einzog, waren die Kleider seiner Dienerschaft mit Silber- spitzen ganz bedeckt.

Mäntel waren durchaus kein allgemein gebräuchliches Klei- dungsstück, konnte doch Malherbe sich nicht anders gegen die Kälte schützen, als daß er 14 Hemden und 12 Paar Strümpfe übereinander zog. Unter Ludwig XIV. hatte man den ärmel- losen Radmantel gehabt, der etwa zwei Finger breit über das Knie hinab reichte und dessen einer Zipfel über die Schulter geschlagen wurde. Diese Art Mäntel aus rotem Stoff blieb in Venedig noch lange als Inkognitokleidung in Gebrauch. Man verdeckte sein Gesicht zur Hälfte damit und ersparte auf diese Weise alle Komplimente. Die Herrenüberzieher mit Ärmeln »Casaque d'hiver ä la Brandebourg« genannt und die Redingote, die 1725 aus England nach Paris kam, durfte man an- fangs nur auf Reisen tra- gen, beileibe nicht in der Stadt, Keyßler findet es z. B. sehr lächerlich, daß die Leute in Mailand bei schlechtem Wetter Regen- mäntel überziehen. Der Degen Unerläßlich gehört zurKlei- dung des Kavaliers der De- gen, den das ganze Jahr- hundert hindurch kein Herr der besseren Gesellschaft entbehren konnte. In der Zeit der weit abstehenden Röcke trug man ihn hori- zontal ; englische Degen mit Griffen von brillantiertem Stahl waren die kostbarsten. Es ist so gut wie selbstver- v. Göz, Supplement des Graceseffanees^ij 83

190

ständlich, daß das beständige Tragen einer Waffe zum Ge- brauch derselben ordentlich herausfordern mußte, und wie seine Vorgänger ist denn auch das i8. Jahrhundert noch er- füllt vom Lärm der Duelle. Casanova beschwert sich einmal darüber, daß man jeden Augenblick bereit sein müsse, wegen irgendeiner Bagatelle den Degen zu ziehen, denn für rauflustige und händelsüchtige Leute war ein Vorwand, sich zu schlagen, bald gefunden. Herr von Blücher ließ seine Söhne, darunter den späteren Fürsten, in die Welt ziehen, ohne ihnen etwas anderes mitzugeben, als den Rat. sich vor allem und immer in Avantage zu setzen d. h. jeden Gegner sofort zu schlagen. Zweikämpfe, die aus irgendeinem Grunde nicht sofort aus- getragen werden konnten, blieben oft Jahr und Tag in der Schwebe, wie das Duell zwischen dem Grafen Max Adam Zobor und dem schwedischen Gesandten am kaiserlichen Hof Hen- ning V. Strahlenheim. Der ungarische Graf hatte in Gegen- wart des anderen geäußert, auf die Gesundheit des Großtürken, des Rakoczy und des Königs von Schweden trinke kein ehr- licher Mann, hatte ä tempo ein paar ordentliche Ohrfeigen erhalten und hatte dann alle Mühe, sich von dem durch das Völkerrecht geschützten Gesandten Genugtuung zu verschaffen. Die Duellwut, die besonders auf den Universitäten grassierte, auch Goethe hatte das seine 1767 in Leipzig mit dem Livländer Gustav Bergmann, ergriff die Theologen so gut wie die Stu- denten anderer Fakultäten. Besonders berüchtigt waren in Deutschland die Universitäten Jena und Gießen. Man hat das Tragen des Degens, wie es in Hannover schon seit 1731 den Lakaien. Handwerkern, Gesellen, der studierenden Jugend u. a. untersagt war, auch in Halle 1750 den Studenten überhaupt verboten. Denn daß ein Student Duell kniff, wie Bürger 1770 in Göttingen, der den Rektor um seinen Schutz anfleht, als ihn der Mecklenburger Jakob Ludwig Ratje beleidigt hatte, dürfte wohl ein Ausnahmefall geblieben sein. Das Duellieren war indessen durchaus kein Vorrecht ungebärdiger Jugend. Im Jahre 1729 beabsichtigten die Könige Friedrich Wilhelm L von Preußen und Georg IL von England allen Ernstes, ihre Differenzen mittels eines Zweikampfes im Angesicht ihrer Heere zu erledigen, wie einst die trojanischen Helden. Der regierende Fürst Leopold von Anhalt forderte den General von Grumb- kow, konnte seinen Gegner aber, wie die Prinzessin Wilhelmine

191

erzählt, nicht zum Stehen bringen. Ganz allmählich setzten sich mildere Sitten durch. Wenn in Wien bei Beginn des Jahr- hunderts in einem Duell noch beide Gegner Graf Collalto und Graf Sinzendorf fallen, wenn der Fürst Czartoryski die Hand seiner reichen Geliebten nur dadurch gewinnen kann, daß er seinen Mitbewerber um ihre Gunst im Duell tötet, so ist das Duell am Ende des Jahrhunderts ein Schauspiel geworden, dessen Aufführung in Paris z. B. 1790 30 Wagen voll Damen beiwohnen. Lauckhard war 1777 in Straßburg schon aufge- fallen, wie fein und manierlich die dortigen Offiziere mit ein- ander verkehrten. Er, der den rohen Ton deutscher Univer- sitäten gewöhnt war, schob das feine Benehmen auf den Wunsch, Duelle möglichst zu vermeiden. Diese Gesinnung brach sich jedenfalls Bahn ; denn 1792 erließen gerade in dem ehedem so berüchtigten Jena 300 Studenten einen Aufruf an die anderen Universitäten wegen gänzlicher Abschaffung der Zweikämpfe.

Dieser Vorschlag mußte ihnen um so natürlicher erscheinen, als mit der weiten Verbreitung des* englischen bürgerlichen An- zugs das Degentragen außer Gebrauch kam. In England trugen Fußgänger nie Degen. Er gehörte dort nur zur Gala und in der Tat paßte er schlecht zu dem legeren Schnitt des englischen Anzugs. In Deutschland allerdings fiel es dem schwedischen Reisenden Björnstahl noch 1774 als bemerkenswert auf, daß der Fürst Karl von Nassau-Usingen ohne Degen ging. Das Kostüm der Herren war in jeder Beziehung außerordent- lich reich und leistete der Prunksucht und der Verschwen- dung jeden denkbaren Vorschub. Der Aufwand, den die Herrentoilette erforderte, war nicht geringer, als jener der Damen, im Gegenteil. Frau v. Sevigne entwirft ein Budget für ihren Schwiegersohn, den Grafen Grignan, der nicht ein- mal in Paris, sondern in der Provinz lebte, und rechnet dabei für seine Toilette 20000 Francs jährlich, für seine Frau da- gegen nur 6000 Francs. Ludwig XIV. trug als Garnitur bei der Audienz des persischen Gesandten 1715 für 12 '/a Million Diamanten an Rock und Hut. Er erlag unter der Last der- selben, schreibt der Herzog von Saint Simon. Der Kurfürst Max Emanuel von Bayern besaß eine Garnitur Diamantknöpfe, an welcher er 20 Jahre hindurch gesammelt hatte. Die Kleider- garnituren August des Starken in Smaragden, Saphiren, Rubi-

192

"Q

nen, Diamanten, welche Keyßler 1729 im Grünen Gewölbe zu Dresden bewunderte, können wir auch heute noch dort sehen und schätzen. Es gab Privatleute, welche hinter dieser Pracht nicht zurückstanden. Die Garderobe des sächsischen Premier-

Heideloff- Stadler, Carl Eugen, Herzog 7'on Wih-ttemberg

ministers Grafen Brühl enthielt 500 Anzüge, 47 Pelze, 13 Muf- fen, 75 Degen, 102 Taschenuhren, 87 Ringe, 63 Riechfläsch- chen usw. Mr. Damer, der Gatte der englischen Bildhauerin, der sich täglich mindestens dreimal umzuziehen pflegte, hinter- ließ 1776 eine Garderobe im Werte von & 15000; ein Glücks- ritter wie Casanova erzählt mit Stolz von sich, daß der An- zug, in dem er 1766 in Lyon ein Fest besucht: Rock von aschgrauem geschorenem Sammet mit Gold und Silber ge- stickt, Uhren, Dose, Schuhschnallen usw. 150000 Francs wert war. Auch für den berühmten österreichischen Staatskanzler Fürsten Kaunitz war die Kleidung eine der Hauptangelegen- heiten des Lebens, aber im Gegensatz zu seinem sächsischen Kollegen trug er sich zwar sehr geschmackvoll, aber stets ein- fach, nie reich oder gestickt. Wenn nun auch nicht jeder

D£e M ode. 18. Jahrh. 2. A.

193

Herr zu solchen Ausgaben gezwungen war, so blieb doch für solche, die der besseren Gesellschaft angehörten, die Toilette immer höchst kostspielig. Am Hofe der 1740 gestorbenen Kaiserin Anna war es verboten, zweimal in dem gleichen Anzug bei Hof zu erscheinen. Wer da von den Herren etwa nur 3000 Rubel im Jahr für seine Toilette auszugeben hatte, der spielte eine Hof- ärmliche Figur. Am kurfürstlichen Hofe in München existier- mformen ^^^ ^ -^ ^^ Galatage, an denen die Hofleute jedesmal in einem anderen Anzug kommen mußten. Da war es natürlich eine große Erleichterung für sie, als der Kurfürst Max Joseph HL für den Aufenthalt in Nymphenburg eine besondere Hofuni- form einführte, die aus einem grünen Rock mit weißen Auf- schlägen und weißer Weste bestand. Ebenso hatte der Land- graf von Hessen-Kassel für jedes seiner Schlösser besondere Uniformen eingeführt. Die Hofuniform, die Maria Theresia für Laxenburg vorschrieb, bestand für die Damen aus roten, Silber- oder goldgewirkten Roben mit einem Ausputz von Blon- den, für Herren in Fracks von rotem Tuch nebst grünen goldbordierten Westen. Die Dresdener Hofuniform war für die Damen Weiß mit Gold, für die Herren Scharlach mit Gold. Den Herren, die ihn bei seinen Reisen auf die ver- schiedenen kleinen Lustschlösser begleiteten, gab Ludwig XV. 1748 eine Hofuniform in Grün und Gold. Katharina H. schrieb 1783 den Herren Hofuniformen in der Farbe ihrer Provinzen vor, gleichzeitig nahm sie auch den Damen das Modekleid und gab ihnen einen russischen Kaftan von rotem Sammet. Manche Privatpersonen in außergewöhnlicher Stellung machten das nach. So führte die Pompadour in ihrem Schlößchen Bellevue Hofuniformen der Herren von rotem Tuch ein, der Herzog von Choiseul erfand für Chanteloup eine Uniform in Grün mit gol- denen Brandebourgs. Andere kleideten sich aus Ersparnisrück- sichten als Abbes, schwarz mit kurzem Mäntelchen und Kra- gen, wie z. B. Herder während seiner Reise mit dem Prinzen von Schleswig oder Winckelmann in Rom, wo überhaupt alle Welt bis zum Ofenheizer des Papstes hinunter als Abbate gekleidet ging. Wer von Herren aber die halb geistliche Klei- dung des Abbe nicht annehmen konnte, der gab vor, in Trauer zu sein. So mokiert sich der Abbe Galiani einmal über die reisenden Kavaliere, die sich aus Geiz immer in Trauer kleideten.

194

Andre Vincent^ Kreidezeichnung

195

13*

Gainsboroughy Porträtstudie

196

Zu Hause legte man die kostbaren gestickten Kleider natür- lich ab, wenn man deswegen auch noch nicht, wie Lauck- hards Freunde im Semlerschen Hause zu Halle gleich ganz nackt zu gehen brauchte; man bediente sich der Schlafröcke, die im i8. Jahrhundert für Herren Mode werden. Man trug sie nicht nur im Kreise der Familie, sondern durfte auch Be- suche darin empfangen, wie Gottsched in einem gründamast- nen, rotgefütterten Schlafrock Goethes Visite annimmt. Un- zählige Porträts jener Zeit zeigen uns denn auch Gelehrte, Künstler, Musiker u. a. im Schlafrock.

Unter Neglige verstand man damals jeden Anzug, der nicht DerengUscht für Besuch bei Hofe oder große Gesellschaft bestimmt war, ""^ also den einfachen Alltagsanzug und je weiter der Kreis der- jenigen wurde, welche den Verkehr an Höfen oder in höfischen Kreisen nicht suchten oder die großen Kosten, welche der französische Anzug verursachte, nicht erschwingen konnten, je mehr die bürgerliche Gesellschaft an Selbstgefühl gewann, desto größer wurde auch die Anzahl jener, die das bürgerliche Ne- gligekleid dauernd dem höfischen vorzogen. Wie eine Reak- tion gegen das prunkvolle und kostspielige französische Hof- kleid beginnt das einfache Gewafcid des englischen Bürgers sich in Europa auszubreiten, im Gefolge des Siegeszuges, den die englische Literatur über den Kontinent hält. Der Rock kehrt wieder, bequem im Schnitt, Tuch statt Seide oder Sammet, also dauerhaft im Stoff; dunkel- statt hellfarbig, also praktisch im Tragen. Als der preußische Gesandte von Cocceji 1760 aus England zurückkam, kaufte ihm die Prinzessin von Preu- ßen den schwarzen Tuchrock ab, den er sich in London hatte machen lassen und spielte ihn in einer Lotterie unter den Her- ren des Hofes aus. Zu solchen Tuchröcken trug man lederne Beinkleider und hohe Stiefel und das Kostüm, wie es Goethe im Werther vorbildlich beschreibt, ist fertig. »Es hat schwer gehalten,« läßt Goethe seinen Helden schreiben, »bis ich mich entschloß, meinen blauen einfachen Frack, in dem ich mit Lotte zum erstenmal tanzte, abzulegen. Auch habe ich mir einen machen lassen, ganz wie den vorigen, Kragen und Aufschlag und auch wieder so gelbe Weste und Beinkleid dazu.« Wenn Werther dann in seinem Abschiedsbriefe sagt: »In diesen Kleidern, Lotte, will ich begraben sein,« so war das für das empfindsame Geschlecht von damals Grund genug, um ebenso

197

gekleidet sein zu wollen. Es ist das Gewand, in dem wir uns die brausende Jugend der Stürmer und Dränger vorstellen dür- fen, die Genies der Wertherzeit, deren ungestümer Protest gegen all das Überlebte und Verknöcherte in der Gesellschaft am heftigsten in der nachlässigen Art zur Geltung kam, wie sie sich kleideten. Der Genieapostel Christoph Kaufmann aus Winterthur ging nicht allein mit offenen ungekämmten Haaren, sondern ließ auch die Brust bis zum Nabel unbedeckt. Ein junger Mann dagegen, der sich sorgfältig kleidete, wie z. B. Goethe, galt, wie Jerusalem 1772 aus Wetzlar an Eschenburg schreibt, für einen Geck. Alle diese Genies wähnten sich der Freiheit schon nahe durch die Befreiung von Zopf und Perücke, in denen sie mit Recht eine starke Beschränkung der indivi- duellen Freiheit empfanden. Die sorgfältige Frisur, welche die Toilette eines gut gekleideten Herrn erforderte, war nicht weniger mühevoll herzustellen, wie diejenige der Damen und ebenso schnell zerstört; sie legte dem Träger den Zwang auf, sich sehr ruhig und gesittet zu benehmen, wie es uns u. a. auch Goethe in seinen Straßburger Erinnerungen so hübsch beschreibt. Die Frisur Unter Ludwig XIV. war die große Allongeperücke aufgekom- men, zu der sich der Monarch selbst aber erst bequemte, als er sein schönes Haar, auf das er sehr eitel gewesen war, verlor. Wie die Fontange der Damen stieg die Herrenperücke über der Stirn hoch auf, meist gescheitelt und in zwei Türme dressiert, dann floß sie in langen Locken bis fast an die Taille. Man fertigte sie aus Menschenhaar, bei der starken Nachfrage genügte das aber bei weitem nicht, so daß man schließlich zu Roßhaar und Wolle greifen mußte. Anfänglich blond, hellbraun oder schwarz, beginnt bald das Pudern derselben aufzukommen, das sich etwa um das Jahr 1700 allgemein durchgesetzt hat. Das Beispiel des Sonnenkönigs wirkte wie immer unwiderstehlich. Niemand war, der nicht die pomphaft majestätische Wolkenperücke angenommen hätte, und das trotz ihres hohen Preises und der hohen Steuern, die z. B. 1698 in Preußen darauf gelegt wurden. Die große Allongeperücke war schwer, heiß und sehr kostspielig, 1000 Taler konnte eine solche von blondem Haar kosten, ein Preis, den man, um auf den heutigen Geldwert zu kommen, mit fünf multi- plizieren muß. Bergholz erzählt in seinen Erinnerungen von

198

Thomas Rozvlandson, Vauxhall gardens^ ijSs

dem russischen Großkanzler Golowkine, der 1721 den Herzog von Holstein in einem Zimmer empfing, dessen größter Schmuck eine riesige blonde Perücke war. Der Kanzler war zu geizig, dieses kostbare Stück zu tragen. Sogar die Geistlichkeit beider Konfessionen grifif zu ihr. Katholiken mußten sie beim Messe- lesen abnehmen, sie sollten nicht falsches Haar tragen, weil der Kopf die Weihen empfangen habe, eine Vorschrift, welche Bullen der Päpste Benedikt XHL und Klemens XL wieder-

199

holt einschärften. Schließlich brachte man, um dieser Unbe- quemlichkeit abzuhelfen, in der Perücke eine kleine Klappe an, welche während der Messe gestattete, die Tonsur zu entblößen. Der Kardinal Ganganelli, später als Papst Klemens XI V. genannt, war zu seiner Zeit der einzige Angehörige des Kardinalkollegiums, der keine Perücke trug. Die protestantischen Geistlichen hatten, wie gewöhnlich, erst auf das heftigste gegen die Perücke als einen neuen Fallstrick des bösen Feindes gezetert, als sie sich dann aber auch entschlossen, sie aufzusetzen, taten sieeshauptsächlich, weil es den katholischen Geistlichen verboten war. 40 fanatische Flugschriften wurden über die Perückenfrage zwischen den hadernden Konfessionen gewechselt. Die Protestanten haben dafür noch Jahrzehnte länger an ihr festgehalten als die übrige Menschheit; wenn Torheiten und Irrtümer nur alt sind, werden sie von selbst ehrwürdig. Nach dem Tode Ludwig XIV. tritt mit dem Wechsel in der Kleidung auch ein solcher in der Perücke ein. Sie türmt sich nicht mehr so hoch auf und die Ueberfülle ihrer Locken wird an den Seiten gekürzt, rück- wärts aber in einen Beutel gesteckt, in Frankreich Crapaud genannt. Die Haarbeutelfrisur bestimmt das Bild der männ- lichen Mode im 18. Jahrhundert. Der Beutel aus Seide oder gummiertem Tuch wurde mit einer großen, breiten, im Nacken sitzenden Schleife geschlossen oder mittels eines Bandes ge- halten, welches leicht um den Hals lag. Das Seitenhaar flog in offenen Löckchen oder wurde zu festen Rollen gewickelt, die einfach, doppelt oder gar mehrfach an den Schläfen lagen. Als die Damenfrisuren unter Ludwig XVI. so extravagante Dimensionen annahmen, gab es Herrenfrisuren ä la nouvel Adonis, die zwanzig dicke runde Locken um den Männerkopf legten. Das Stirnhaar wurde toupiert, lange Jahre hindurch in der geschwungenen Vergette, eine Mode, welcher die Damen ebenfalls huldigten, wie denn überhaupt die Haartracht für beide Geschlechter zwischen 1740 und 1760 ziemlich die gleiche war. Die Mode der Haarfrisur wechselte häufig, wenn sich Die Perücke auch bald gcwissc Formen der Perücke denn bei den Herren- frisuren handelt es sich fast immer nur um eine solche als Standesabzeichen einbürgerten. Die Encyclopedie peru- quiere beschrieb 1764 schon 115 verschiedene Sorten von Pe- rücken. Die englischen Perückenmacher richteten 1762 eine Eingabe an den König, er möge befehlen, daß alle Männer

200

^^'V^?^

bfl

Perücken tragen sollten, sonst könnte ihr Gewerbe nicht be- stehen. Die große Perruque carree, auch spanische genannt, blieb dem Kaiser und den höchsten Standespersonen vorbe-

IVaiteau de Lille, La piude Melisse

Aus der Galerie des ModeSy 1/8/

halten. Am österreichischen Hofe Karls VI. war sie ein aus- schließliches Vorrecht des Kaisers und den Hofleuten nur während des Aufenthalts in Laxenburg oder der Favorite erlaubt. Dann aber trugen z. B. Advokaten andere Perücken als Geistliche, Kaufleute andere als der Adel, zumal aber hat das Militär eine besondere Frisur gepflegt, den Zopf. Man schreibt seine Erfindung Friedrich Wilhelm I. von Preußen zu. wahrscheinlicher ist seine Herkunft aus China, das ja ge-

201

rade damals Europa mit den Erzeugnissen seiner künstlerischen Kultur erstaunte und entzückte. Jedenfalls entsprach seine Form dem pedantischen und sparsamen Sinn des Königs, der in seiner Jugend die große Perücke nur mit Widerwillen ge-

Watieau de Lille, yLa belle Lyonnaise*.

Aus der Galerie des Modes, lySs

tragen hatte, war sie ihm doch schon deswegen verhaßt, weil sie aus Frankreich kam. Wenn er den Zopf nun auch nicht zu erfinden brauchte, jedenfalls hat er ihn in seine Armee ein- geführt, die fast ein Jahrhundert lang den steifen bebänderten Zopf im Nacken trug. Da die Heere der übrigen europäischen Staaten sich nach dem preußischen Muster richteten, so ver- breitete sich der preußische Zopf über die Welt; in der

202

französischen Armee wurde er nebst dem Puder zuerst wieder abgeschafft, aber auch erst 1803 durch den Marschall Junot. Für solche, die nicht zum Militär gehörten, galt der Zopf eigentlich nicht als schicklich. In Deutschland hat ihn wohl

Watteau de Lille, iAussi brillante .'^

Aus der Galerie des Modes, 178;

der Herzog Karl August von Sachsen-Weimar, der als Oberst der preußischen Armee angehörte, zuerst abgelegt. Wie die Mode aber auch wechseln mochte, wie verschieden die Formen der Perücke der Privatleute, des Zopfes bei den Soldaten war, pudern mußten sie sich alle miteinander. Man hat damals Aufstellungen zu machen versucht über die enormen Mengen von Reis- und Weizenmehl, welche alljährlich an den Köpfen

203

der Menschheit zerstäubten und schließlich durch die hohen Ziffern erschreckt gegen Ende des Jahrhunderts die Gepu- derten als Volksfeinde gebrandmarkt, welche das Nahrungs- mittel des Volkes geringschätzten. Bis dahin aber war es un- erläßlich für jeden, der zur besseren Klasse gerechnet sein wollte, sich auch das Haar mit Puder einzustäuben. Die gleich- mäßige Verteilung desselben war eine Frage von größter Wichtigkeit. Vornehme Leute hatten eigene Kabinetts zu diesem Zwecke. Der Puder wurde gegen die Decke gestäubt und fiel von da wie ein zarter Schnee auf die Köpfe herab, indessen der also Behandelte sein Gesicht während der Mani- pulation in eine Tüte steckte, damit ihm das feine Pulver nicht in Augen, Mund und Nase käme. Sich pudern zu kön- nen, war nicht jedermanns Sache, sich pudern zu dürfen nicht jedermann erlaubt. Auf der hohen Karlsschule durften nur Adelige und Offizierssöhne sich pudern, die anderen nicht. Auch den Stipendiaten der Tübinger Hochschule war es unter- sagt. Sich pudern zu dürfen, war eben das Vorrecht einer höheren Klasse. So zahlte auf der Donaufahrt von Regens- burg nach Wien die »gemeine« Person für ihren Schiffsplatz nur zwei Gulden, die »gepuderte« dagegen einen Dukaten. Wir, die wir seit Jahren gewohnt sind, daß ein Herr, der nicht wie ein Musikschüler aussehen will, seinen Kopf scheren lassen muß wie ein Zuchthäusler, begreifen die Wichtigkeit gar nicht mehr, die damals die Frisur auch für Männer hatte. Ein kahler Kopf war eine Schande im i8. Jahrhundert, daher die Sorgfalt, mit der man das Haar pflegte, um es so lang wie möglich zu erzielen. Fürst Belgiojoso in Mailand ließ sich jeden Monat einen Friseur aus Paris kommen, um stets nach der neuesten Mode frisiert zu sein. Die Perücke war übrigens der Frisur aus eigenem Haar vollkommen gleich- wertig. Man trug sie ganz offen und schämte sich derselben nicht, ja als einst der englische General Lord Albemarle sich das Gesicht verbrannt hatte, und, um es zu verbergen, seine Perücke schief aufsetzte, machten es ihm alle Offiziere seiner Truppen sofort nach. Wohlhabende hatten mehrere Perücken, wenn auch vielleicht nicht alle in demselben Maßstab wie der Graf Brühl, welcher 1500 besaß, »viel für einen Mann ohne Kopf«, soll Friedrich der Große von ihm gesagt haben. Es galt in manchen Kreisen für reinlicher, Perücken zu tragen,

204

Ulrich Wertmüller, Maria Antoinette mit ihren Kindern, iyi,j

205

als das eigene Haar, was man bezweifeln möchte, wenn man an die Beschreibung denkt, welche die Markgräfin von Bay- reuth entwirft, als sie von ihrem Empfang in Hof. den Herren von Reitzenstein und ihren Perücken voller Läuse spricht. Wenn der Kopf eingefettet und mit Puder dick bestreut sein mußte, war das allerdings oft von zweifelhafter Sauberkeit. Aus diesem Grunde hatte Casanova als Knabe eine blonde Perücke zu tragen. Als der französische Marschall Conflans in rundgeschnittenem Haar ging und diese Mode beim Militär einzuführen versuchte, wurde ihm entgegnet, daß das unsauber sei, denn wenn die Soldaten sich nicht mehr Zöpfe flechten und Locken wickeln müßten, dann würden sie sich überhaupt nicht mehr kämmen. In Wien dagegen durften die Kellner sich nicht frisieren und pudern, sondern mußten das Haar rund verschnitten tragen. Jedenfalls waren die Perücken sehr heiß am Kopf, und so gut wie man die gestickten Kleider im Hause ablegte, hängte man auch die Perücke an den Nagel und trug eine Mütze oder ein Tuch. So beschreibt Goethe den Hofrath Hüsgen, der immer eine weiße Glocken- haube trug. So ging auch Voltaire in Ferney am liebsten ohne Perücke, und viele Künstler haben sich selbst in der Nachtmütze porträtiert, wie Chardin, La Tour, Georg Friedrich Schmidt, Bernhard Vogel, Preisler, Haid u. a. Während des ganzen Jahrhunderts war auch der Bart streng verpönt, nur Schauspieler, welche Mörder oder Straßenräuber spielten, trugen einen Schnurrbart. Der bekannte Schwärmer Edelmann erregte durch seinen langen Bart mehr Aufsehen als durch seine heterodoxen Anschauungen, ja der Bildhauer Permoser, welcher ebenfalls einen Bart trug, fühlte sich gedrungen, zur Entschuldigung dieses ganz ungewöhnlichen Vorgehens ein amüsantes kleines Buch zu schreiben. Der Maler Gabr. Andr. Donath, der um 1735 in Dresden lebte, trug einen langen Bart in Papilloten von Papier, der Genfer Liotard war in Paris durch seinen langen Bart mindestens ebenso berühmt wie durch seine Pastelle und Miniaturen. Puderund Die grau gepuderten Herren mußten sich so gut schminken wie die gepuderten Damen. Puder und Schminke verwischen auch bei ihnen die Altersunterschiede. Wir können uns aller- dings vorstellen, daß der 60jährige Chevalier de Malezieux trotz seiner rot gefärbten Backen keinen Eindruck auf Sophie

206

Schminke

Arnould machte oder der 80jährige Chevalier d'Arcigny, der nahezu ebenso alte Herzog von Villars mit ihren rot und weiß geschminkten Gesichtern, ihren falschen Gebissen von Elfen- bein, ihren von Ambra duftenden Perücken und den button- holes aus Tuberosen, Narzissen und Jasmin, Casanova recht lächerlich erschienen.

Erst seit der Perückenzeit hörte der Mann auf, beständig den Der Hut Hut zu tragen. xA.lle Bilder des 17. Jahr- hunderts, welche Ge- sellschaften, Mahl- zeiten, Bälle, Unter- haltungen darstellen, zeigen die Herren mit bedecktem Haupt. Seit die Perücke auf- kommt, ist das nicht mehr angängig. Hat derHerr den Hut bis dahin nicht abge- nommen, so setzt er ihn nun nicht mehr auf. Das ganze 18. Jahrhundert hin- durch trug der Mann seinen Hut unterm Arm. Ob Perücke oder eigenes Haar, gleichviel, den Hut hätten beide nicht

geduldet. Erst in der Zeit, als der einfachere Anzug über den Kanal zu uns kommt, als die jungen Männer ihr eigenes Haar offen und ungepudert zu tragen beginnen, kommt der große runde Filzhut auf, der Quäkerhut Franklins, welcher 1786 die Pariser so enthusiasmierte und den Ahnherrn un- seres Zylinders darstellt. Der Hut, dessen Platz stets unter dem Armwar, hatte aufgeschlagene Krempen, nach deren ver- schiedener Fassonierung sein Name wechselte, war mit Goldtres- sen und Federborte besetzt und meist aus Filz. Im 17. Jahrhun- dertkommtin Frankreich derHutausFilziniitation auf, wie Alfred

Goethe, Relief von J. V. Melchior

207

Franklin recht witzig sagt, gleichsam wie eine Vorahnung des Ideals der Industrie des 19. Jahrhunderts »ein billiger Gegen- stand von minderer Qualität, der alle Eigenschaften der besse- ren zu besitzen scheint«. Diese Hüte von Halbfilz »demi castor« wurden verboten, ohne daß dieses Verbot eine besondere Wir- kung gehabt hätte. Wie man jetzt die Damen einer gewissen Klasse als demi-monde bezeichnet, so nannte man sie damals, als diese halbechten Hüte aufkamen, demi-castor. Die französische Mode dringt unaufhaltsam vor und beseitigt nicht nur die Reste sogenannter Volkstrachten, sondern auch die Amtstracht. Selbst an dem so konservativen Kaiserhof in Wien verdrängt die französische Mode die alte spanische schwarze Hoftracht mit ihren kurzen spitzenbesetzten Mänteln, roten Strümpfen und roten Schuhen. Maria Theresias loth- ringischer Gemahl, der nur Französisch sprach, trug sich auch am liebsten französisch. 1765 schaffte Kaiser Joseph zum Ent- setzen der alten Hofherren das spanische Mantelkleid endgültig ab. Das Vordringen der Mode auch in die niederen Stände war ein Punkt, der von den Angehörigen der oberen Klassen so schmerzlich empfunden wurde, daß sie es nicht ertragen zu können glaubten, blieben als sichtbare Auszeichnung doch Die Orden nicht einmal mehr die Orden ihnen allein! Bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts waren unter den wenigen Orden, die es überhaupt nur gab, der des Goldenen Vlieses und der dänische Elefantenorden wohl die angesehensten gewesen. Dann aber begannen alle die unzähligen deutschen Fürsten Orden zu stif- ten; schöne, bunte, glänzende Orden, mit deren Stern und Band sie ihr Kleid schmückten, durch deren Verleihung an andere sie aus der Masse der Höflinge gewissermaßen einen Klub vertrauter Freunde heraushoben. Wie lange aber dauerte es, und das Tragen eines Ordens bedeutete nicht einmal mehr die Zugehörigkeit zu einer besonderen Klasse der Gesellschaft. Man konnte sie ja überall kaufen. Casanova hält mit seiner Meinung über die Orden, die für niemand mehr eine Auszeich- nung seien und nur Dummköpfen Eindruck machten, nicht zurück. Er kauft sich aber trotzdem einen, denn die Dummen wurden schon damals nicht alle. Den Michaelsorden konnte man für billiges Geld von den Höflingen des Kurfürsten von Köln haben und der Markgraf von Bayreuth, der, wie seine bissige Schwiegertochter bemerkt, beim Ordensfest ein so feier-

208

1787

Magasin des Modes Wintertoilelie

Die Mode, 18. Jahrh. 43

liches Wesen annahm, wie Hanswurst als Kaiser im Mond, verkauft nachher ungeniert seinen Roten Adlerorden. Der arme Henri de Catt allerdings, der Vorleser Friedrichs des Großen, ist recht hereingefallen, als er einem italienischen Grafen für 200 Louisdor einen falschen preußi- schen Orden auf- hängen will. Durch das ganze Mittel- alter geht der Kampf, den die Obrigkeiten mit- tels ihrer Kleider- ordnungen gegen den Luxus und die Verschwendungs - sucht ihrer Unter- tanen geführt ha- ben, einKampf, der in erster Linie der Aufrechterhaltung äußerlich sichtba- rer Standesunter- schiede galt. Er ist nie erloschen, denn er war immer ver- geblich, aber er hat sich bis zum Aus- gang des i8. Jahr- hunderts ununter- brochen fortge- setzt. Wie man in einigen Staaten die Einfuhr verschiedener Stoffe und Spitzen untersagte, um die heimische Industrie zu schützen, so verbot man auch den Angehörigen gewisser Stände das Tragen mancher Modeartikel, weil die Herren sich absolut nicht in den Ge- danken finden wollten, daß die äußerliche Sichtbarkeit der Standesunterschiede verschwinden könnte. Die Fontangen wurden z. B. 1698 in Leipzig, 1705 in Zwickau verboten, ebenso der Gebrauch der Mouche. Daß in Sachsen den

Kleider- Ortintiiijjen

y. H. JV. Tiscilbein, Goethe in Roi.

D{e Mode. 18. Jahrh. 2. A.

209

14

Dienstmädchen das Tragen der Reifröcke untersagt war, ist schon erwähnt worden. Man wollte den niederen Ständen auch vorschreiben, welche Sorten von Pelzwerk sie tragen durften. L. Bartsch hat über die Prozesse, welche oft da- raus entstanden sind, die amüsantesten Tatsachen beigebracht. Darüber, »was jedem in seinem Stand in Bekleidungen zu- gelassen oder verboten ist«, Verbote der Hofifart, wonach sich Bürger nach Unterschied der Stände zu verhalten haben, sind z. B. in Nürnberg 1693, in Stettin 1708, in Stralsund 1729, in Gotha 1737, in Fulda 1766 erschienen, das letzte natür- lich in Mecklenburg 1786. Ganz besonders hatten es die regierenden Herren auf die goldenen und silbernen Tressen, Besätze und Stickereien abgesehen, welche sie Bürgersleuten nicht gönnen wollten. In Kur-Bayern, das in Reglemen- tierungssucht und polizeilicher Bevormundung der Unter- tanen auf das erfolgreichste mit Preußen wetteiferte, das seinen Bauern vorschreiben wollte, zu welchen Stunden das Vieh im Stalle, an welchen auf der Weide zu sein habe, die Höhe des Tagelohnes ohne Rücksicht auf Angebot und Nachfrage zu regeln unternahm, wo man selbst die Größe der Baumaterialien vorschrieb, untersagte man 1749 dem Volk die Verwendung von Gold- und Silberstoffen und Besätzen und schritt, um diesem Verbot Nachdruck zu geben, am Neujahrsmorgen 1750 zum Angriff gegen die Kirchgängerinnen vor. Ohne Schonung wurden ihnen die goldenen Riegelhauben und Bruststücke entrissen und konfisziert. Manche, die be- sonders schlau hatten sein wollen, und ihre Riegelhauben erst in der Kirche aufgesetzt hatten, mußten sie beim Ver- lassen derselben doch noch hergeben. Den Ratsfrauen, gegen die man nicht ganz so brutal vorzugehen wagte, wurde zur Strafe Militär ins Haus einquartiert.

Am rigorosesten in dieser Beziehung war man in den kleinen Gemeinwesen staatlicher und städtischer Republiken. Die Schwei- zerinnen waren daheim durch Kleiderordnungen so beschränkt, daß sie, wie Keyßler findet, deshalb mit solcher Vorliebe aus- ländische Badeorte besuchen, ja viele derselben sich vor der Heirat schriftlich die Versicherung geben ließen, daß sie jedes Jahr ihre Badereise ins Ausland sollten machen dürfen. In Genua war den verheirateten Damen nur im ersten Jahr des Ehestandes erlaubt, bunte Farben zu tragen, nachher mußten

210

des Ornies in Fa

sie egal schwarz gehen. In den deutschen Reichsstädten, wo das Tragen von Federhut und Degen allein den Patriziern vorbehalten war, in denen Ratsherren, Geschlechtern, gemei- nem Volk, Handwerkern, Mägden usw. für jeden sich im Leben bietenden Vorfall wie Taufe, Hochzeit, Beerdigung usw. genau vorgeschrieben war, was sie tragen mußten, kommt die lokale Tracht, in der sich noch Reste alter Moden des i6. und 17. Jahrhunderts konserviert hatten, allen Ge- und Verboten zum Trotz doch in Abnahme. Keyßler fand schon 1730 in Heil- bronn, daß die eigentümliche Trauerkleidung der dortigen Frau so ziemlich verschwunden sei und in Ulm bemerkte Nikolai 1781, daß hauptsächlich nur noch die Dienstmädchen, wenn sie zu Hochzeiten, Kindstaufen und Leichen einluden, jedes- mal anders gekleidet sein müßten. Am längsten hat sich merk- würdigerweise Straßburg, das doch seit 1681 zu Frankreich gehörte, eine altreichsständische Einfachheit bewahrt. Der be- rühmte Rechtslehrer Pütter beobachtete das noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts, während zu Goethes Zeiten die städtische

ZW

Gesellschaft sich schon französisch kleidete, und die deutsche Tracht sich auf die Landbewohner beschränkte. Als er die Schwestern Brion aus Sesenheim nach Straßburg bringt, sind sie dort die einzigen in deutscher Kleidung. Wieder einige Jahre später findet Lauckhard nur noch die dienende Klasse in der alten Tracht.

In bezug auf die Kleidung sind Befehle ebenso machtlos wie Verbote. König Friedrich Wilhelm L von Preußen kleidete einmal .bei einer Truppenrevue, der die französische Gesandt- schaft beiwohnte, die verachteten Profossen in die eleganteste Pariser Modetracht. Gerade in jenen Jahren erlitt die eng- lische Regierung, welche nach dem Unglückstage von Culloden den Schotten das Tragen des Kilt verboten hatte, einen Fehl- schlag. Sie hat es auch nicht durchsetzen können, daß ihr Befehl, an Stelle des Schurzes Beinkleider zu tragen, befolgt worden wäre. Im Gegenteil, die französische Mode hat, wie manche alte Bilder von Bonnie Prince Charlie und anderen Kavalieren zeigen, eine Verbindung mit dem Kilt eingegangen, eine Art Zweiteilung des Mannes geschaffen, von oben bis zum Gürtel ist er Franzose, von da bis zu den Füßen Schotte. Unter den Regierungen der Könige Karl III. und Karl IV. dringt die französische Mode auch nach Spanien vor und be- hauptet sich neben der schwarz gehaltenen Volkstracht. Man nennt sie auch beim Zivil »Militärkleidung« und selbst die ältesten Leute tragen, wenn sie ihr heimisches Schwarz einmal ablegen, im französischen Kostüm Rosa oder Himmelblau. Überzeugt von dem Mißerfolg polizeilicher Verbote, versucht es 1781 der Großherzog Leopold von Toskana, seinem Adel durch freundliches Zureden den Luxus in der Kleidung ab- zugewöhnen und hat auch vorübergehende Erfolge insofern, als eben in Florenz eine Zeitlang die einfachen Schnitte und Farben Mode werden. Ein Anonymus veröffentlichte (im Wien Josephs IL) 1786 einen Vorschlag, der genaue Unterschiede festsetzte für die Kleidung aller Stände und Berufe, wo für alle Abstufungen der Beamten, Lakaien u. a. gewissenhafte Vorsorge getroffen war. Andere versuchen die Standesunter- schiede, welche eine gleiche Kleidung allerorten äußerlich völlig zu verwischen im Begriff ist, dadurch zur Geltung zu bringen, daß, wie z. B. ein Freiherr von Schröder damals vor- geschlagen hat, jedermann durch ein gewisses Kleinod, das er

212

L. Pk. Debticourt, Le Metmet de la Mariee, 1786

sichtbar zu tragen habe, seine Zugehörigkeit zu dieser oder jener Klasse dokumentieren müsse. Der Marquis Caraccioli wollte, daß Achselbänder von gewisser Form und Farbe die- sem Zwecke dienen sollten, Vorschläge, die selbstverständlich

213

ebenso ins Wasser fielen wie das Unternehmen, eine National- tracht einzuführen, die den beständigen Wechsel der Mode verhindern sollte. In Deutschland sind derartige Ideen, wie sie z. B. Justus Moser oder der bekannte Pamphletist Weck- herlin in seinen Chronologen vertrat, wie sie später Bertuch in seinem Journal des Luxus und der Moden zur Diskussion stellte, über das Papier, auf dem sie erörtert wurden, nicht lebendig geworden. Nur in Schweden hat man sich ernsthaft damit befaßt. 1773 hat die schwedische patriotische Gesell- schaft eine Preisfrage zur allgemeinen Beantwortung gestellt, ob es nicht für Schweden vorteilhaft sein würde, eine National- tracht anzunehmen und schon im Jahre darauf 65 verschiedene motivierte Antworten erhalten, die größtenteils bejahend aus- fielen. 1778 erließ Gustav III. wirklich eine Verordnung, die beiden Geschlechtern eine Nationaltracht vorschlug, ein Kostüm, welches der König, seine Brüder und der ganze Hof auch wirklich eine Zeitlang getragen haben. Es war nach den er- haltenen Abbildungen zu urteilen, nichts anderes als die Zeit- mode verquickt mit einigen Elementen der Tracht des 15. Jahr- hunderts. Der König hatte nicht viel Glück mit seiner Er- findung. »Im Putze Gustavs III. und seiner Günstlinge«, schreibt der Herzog von Levis, »bemerkte man mit Erstaunen etwas Weibisches und Weichliches, das einen gewissen Verdacht hinsichtlich seiner Sitten zu bestätigen schien.« Als er in Petersburg so erschien, nannte ihn Katharina II. nur König Harlekin. Es war ein Versuch genau nach dem Muster des- jenigen, den die Brüder Ludwigs XVI. in Versailles unternommen hatten, als sie 1777 für sich und ihr Gefolge gelegentlich des Besuches Kaiser Josephs IL von ihrem Hofschneider Sarrazin ein Kostüm entwerfen ließen, das sich mit Wams und Puffen an jenes der Zeit Heinrichs IV. anlehnte, und nur am Hofe vorübergehend zur Geltung gekommen ist. Uniformie- Dieser Wunsch, durch Verschiedenheiten in der Kleidung- btande und Volker vonemander scheiden zu wollen, die sich gerade in dieser Zeit des Weltbürgertums einander zu nähern beginnen, müßte wundernehmen, hinge diese Neigung nicht auf das engste mit einer anderen Eigenschaft des 18. Jahr- hunderts zusammen, der Uniformierungswut. Die aufgeklärten Volksbeglücker leiden an derselben Reglementierungssucht und Gleichmacherei wie Tyrannen und Republikaner. Man baut

214

f^ ~

bia

Reynolds, Herzog und Herzogin vott Hamilton

ganze Städte nach einförmigen Plan, wie in Deutschland Mann- heim und Karlsruhe, neue Stadtviertel wie Dorotheen- und Friedrichstadt in Berlin; als Pombal nach dem großen Erd-

215

beben das zerstörte Lissabon wieder aufbaut, da geschieht es in der Form einer Kaserne. Eine Riesenprachtfassade nach dem Tajo, dahinter in abgezirkelten, uniform ausgestalteten Rechtecken die neuen Stadtteile, wo jedes Handwerk nur in einer bestimmten Straße wohnen soll. Madrid, Salamanca, Paris, London, Turin, Petersburg und viele, viele andere Orte tragen heute noch die Spuren der ästhetischen Uniform, die ihnen das i8. Jahrhundert angelegt. Wie die kurbayerische Regierung alles regeln will, was die Untertanen tun und lassen, so mischt sich auch Struensee während der kurzen Zeit seiner Macht durch einen Regen von Erlassen und Verordnungen in die persönlichsten Angelegenheiten seiner Dänen, um sie mit Gewalt glücklich zu machen, gerade so wie Joseph IL seine

Oesterreicher. Der Sturm und Drang der Aufklärungsperiode war die natürliche Reaktion gegen diese schnöde Mißach- tung der persönlichen Freiheit. Wie man die Städte am lieb- sten in gleicher Form gesehen hätte, so würde man am lieb- sten auch jedermann ein glei- ches Kleid gegeben haben. Selbstverständlich steckte man die Zöglinge der Erziehungs- institute undWaisenhäuser zu- erst in Uniform. Auf dem Phi- lanthropin in Heidenheim tru- gen die Kinder braunroten Berkan mit blau atlassnen Auf- schlägen und Stahlknöpfen, da- zu weiße runde Hüte mit blauen Federbüschen ; auf dem in Dessau weiße Röcke mit hell- blauem Brustlatz, in Schnep- fenthal rote Jacken. Der Her- zog von Württemberg wollte sein ganzes Land uniformieren

. " und gab wenigstens dem ganzen

Magasin des Modes, iy86 Volk seiner Hof-, Militär- und

2l6

%

m

■!^-

■-■]

imi

Barlolozzi nach Sir Joslnia Reynolds^ Lady Fester . i^Sj

Die Mode. 18. Jahrh. 45

Zivilbeamten Uniformen. Katharina IL erließ 1783 einen Ukas, mittels dessen in Esthland, Livland und Ingermann- land Männer und Frauen eine bestimmte Provinzialkleidung erhielten. Herr von Corberon, 1775 1780 Attache der fran- zösischen Gesandtschaft iin Petersburg, schreibt diese Ver- ordnungen dem Wunsche der Kaiserin zu. ihre Schwieger- tochter am Tragen französischer Moden und Pariser Coif- füren zu hindern. Der knappe Schnitt der männlichen Klei- dung und die bunte Farbe derselben forderte ordentlich dazu heraus, den Zusammenschluß Befreundeter durch die gleiche Art der Kleidung zu dokumentieren, die genialische Jugend ging ä la Werther, der Schillersche Kreis in Jena trug als Zeichen seiner Zusammengehörigkeit dunkelblauen Frack mit himmel- blauem Futter und silbernen Knöpfen, die Ritterschaft in West- falen gab sich selbst eine nach den Kreisen in ihren Farben unterschiedene Uniform usw. Die stehenden Heere, die sich du Umßi nach dem Dreißigjährigen Kriege zu einer bleibenden Ein- richtung entwickeln, kennen Uniformen erst seit dem Ende des 17. Jahrhunderts. Wenn sie den Schnitt derselben ur- sprünglich dem der gewöhnlichen Männerkleidung entlehnen, so entwickeln sie aus ihm allmählich ihren Bedürfnissen ent- sprechend eine neue Form. Die Rockschöße werden erst mit ihren Enden an den Seiten zusammengenommen, dann zum I^Vack abgeschnitten, das Beinkleid wird eng, die Gamasche bedeckt oder ersetzt den seidenen oder wollenen Zwickel- strumpf. Die Wechselwirkung zwischen Zivil- und Militär- kleid war um so reger, als die Unterschiede in Schnitt und Farbe zwischen denselben so sehr geringe waren. Die mili- tärische Uniform gewann schließlich ein starkes Uebergewicht dadurch, daß sie, ebenso wie das englische Bürgerkleid es tat, dem kostspieligen französischen Moderock einen Anzug gegenüberstellte, der praktisch und wohlfeil war. In gewissem Sinne hat diese Wechselwirkung ja bis heute nicht aufgehört. Wenn im Augenblick, wo wir dies schreiben, unsere Mode- herren im unförmigen Schnitt ihrer Kleider dem perversen (ieschmack des halb barbarischen Amerika huldigen, so wett- eifern unsere Militärs erfolgreich mit der zivilistischen Ge- schmacklosigkeit und wandeln als lebende Karikaturen stolz in zu weiten Hosen, zu langen Röcken und zu großen Mützen umher. (Das war 1908!)

217

Dieses Uebergewicht gewann die Uniform im i8. Jahrhundert, trotzdem ihre Träger verachtet waren. Denn im damaligen Deutschland war ein Soldat nicht viel besser angesehen als ein Zuchthäusler. Der moralische Zustand des Militärs, dessen Freiwillige sich nur aus der Hefe der Bevölkerung rekrutier- ten, während der Rest aus Geworbenen bestand, die mit Be- trug oder Gewalt enrolliert waren, ließ die Bürger mit Ab- scheu auf die Soldaten blicken, deren Umgang sie flohen. Im Ansehen stand unbedingt das preußische Heer als solches obenan, seit Friedrich IL es in seinen Kriegen zu unvergeß- lichen Heldentaten geführt hatte, aber im privaten Leben ging, wer es konnte, den Angehörigen dieser Armee weit aus dem Wege, Offizieren wie Gemeinen. Die Erinnerungen der Bräker, Nettelbeck, Seume, Lauckhard u. a. erzählen die Gründe dazu ja anschaulich genug. Der Zustand der übrigen Armeen aber konnte wahrlich keine Achtung beanspruchen. In Oesterreich, wo die Offiziersstellen bis 1809 käuflich waren, galt der Dienst der eigenen Bereicherung im Frieden wie im Kriege. Von den 135000 Mann, die bei Karls VL Tode auf dem Papiere standen, waren de facto nur 68000 unter den Waffen, die Löhnung der übrigen steckten die Vorgesetzten ein. Die Ver- waltung des Generalkriegskommissariates machte reich. Wie Prinz Eugen und der Markgraf Ludwig von Baden im Be- ginne des Jahrhunderts geklagt hatten, war die Armee auch später noch in Feindes- wie in Freundesland auf Plünderung angewiesen. Der berüchtigte Oberst Menzel erbeutete drei Millionen Gulden im Felde, den Freiherrn von der Trenk ließ Maria Theresia seiner Schandtaten wegen auf dem Spielberg sterben. Das kurbayerische Militär bestand aus 15000 Mann, von denen aber nur 3000 unter Gewehr standen, die mit ihren 39 Generalen monatlich 93000 Gulden verbrauchten. Wenn die Frau eines Offiziers in anderen Umständen war, so er- hielt sie für ihr erwartetes Kind ein Offizierspatent, dessen Einkünfte ihr auch dann verblieben, wenn das Kind tot zur Welt kam oder eine Tochter war. Als dieses Heer während des Siebenjährigen Krieges im Mai 1758 im Felde war, erbat der Kurfürst für seine Soldaten zwei Monate Urlaub, damit sie sich erholen könnten! Kurpfalz hielt 5500 Mann mit 21 Generalen und die Groteske dieser Zustände vervollstän- digt der Betrieb derselben. Der schwäbische Kreis gab seinen

218

yohn Rapliael Smith, Lott: a

II (.j/'/c/S

Truppen die Artillerie nicht mit ins Feld, weil sie sie am Ende verlieren könnten. In Mainz standen die Festungswerke unter der Obhut des Hofgärtners, von dem die Ingenieure sich im Bedarfsfall die Schlüssel erbitten mußten. Als Spanien 1762 mit Portugal im Kriege lag, war das spanische Heer bereits an die portugiesische Grenze vorgerückt und stand im An- gesicht des Feindes, als man erst bemerkte, daß man ver- gessen hatte, das Pulver mitzunehmen !

Von Herrschern war wohl Friedrich Wilhelm I. von Preußen der erste, welcher immer Uniform trug, die französischen Könige legten nie eine solche an. Graf Valentin Esterhazy schreibt in seinen Erinnerungen, daß der Dauphin 1764 zum größten Erstaunen des Hofes zum erstenmal die Uniform seines Regi- ments angelegt habe, man hätte das vorher nie bei Hofe gesehen. Erst Ludwig XVI. pflegte am Nachmittag stets Uniform zu tragen. Kaiser Joseph eiferte auch darin seinem bewunderten

219

Vorbild Friedrich dem Großen nach, daß er fast nur Uniform trug und höchst selten das gestickte Hofkleid anlegte. Da er die Uniform auch auf Reisen trug, so gab er damit ein gern befolgtes Beispiel, 1772 schreibt Abbe Galiani aus Neapel an Grimm, daß die reisenden Prinzen alle in der Uniform ihrer Regimenter erscheinen. Friedrich der Große verzichtete bald auf den Luxus einer geschmackvollen Kleidung nach der Mode und legte ausschließlich Uniform an ; als er starb, bestand seine ganze Garderobe aus 5 Uniformen, 8 Westen, 4 Paar Hosen, 6 Paar Stiefel, 10 Paar weißen und 5 Paar schwarzseidenen Strümpfen nebst 16 schlechten Hemden. Sein Nachfolger ver- kaufte alles zusammen für 400 Taler.

Die Frage des Schneiders und der Schneiderin war in jener Zeit selbstverständlich ebenso wichtig wie heute. Wer im Hause arbeiten ließ, wie Goethes in Frankfurt, dem konnte es wohl blühen, daß er, wenn er, wie Wolfgang mit seiner Garderobe in eine elegante Stadt wie Leipzig kam, als komische Figur aufs Theater gebracht wurde. Die Reklame mancher heutiger Schneider, daß sie Durchreisenden binnen einem Tag einen Anzug machen, war damals schon etwas Altes. Casanova erhielt in Neapel binnen 24 Stunden ein Gewand, ebenso wie Graf Tiretta in Paris. In Wien zeigte der Schneider Otto 1781 an, daß er ein Kleid auf Wunsch in sieben Stunden liefere. Auch die Konfektion geht bis in den Anfang des 18. Jahrhun- derts zurück. Für Paris ist sie seit 1716 nachgewiesen. Nach der Angabe des Voyageur fidele hatte ein Schneider in St. Denis fertige Kleider für Männer, Frauen und Kinder auf Lager. In London konnte man aber, wie wir von Reisenden wissen, schon vorher Kleider und Wäsche fertig kaufen. Das 18. Jahrhundert hat auf dem Gebiet der Mode eine Er- scheinung gezeitigt, welche die Vorwelt nicht kannte, das Modejournal. Seit 1672 schon hatte zwar der Mercure ga- lant, dem von 1717 bis 1792 der Mercure de France folgte, die schöne Welt regelmäßig darüber unterrichtet, was in Ver- sailles oder in Paris elegant war, hatte erzählt, wie und womit man sich amüsierte, was man trug usw. Da aber beiden Zeit- schriften die Bilder fehlten, kann man sie wohl nur als Vorläufer des eigentlichen Modejournals betrachten. Erst die »Galerie des Modes« und der »Courrier des Modes«, welche in Paris seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts herausgegeben wur- .

220

John Hoppner, Mrs. Ben-vcll

den, halfen diesem Uebelstande ab und brachten allen Herren und Damen, welche sich für ]\Iode und Eleganz interessierten, nicht nur Beschreibungen, sondern bis ins Detail getreue Ab- l)ildungen dessen, was in Paris getragen wurde. Die künstlerisch vollendeten Abbildungen dieser Zeitschriften dienten dann den außerfranzösischen Publikationen als \'orlagen. Die Taschen- bücher und Almanache, welche damals in Deutschland erblühten und sich mit ihrem Inhalt vorwiegend an das schöne Geschlecht wandten, haben aus dieser französischen Quelle eifrig geschöpft, und ihre Leserinnen auf diesem kleinen Umwege mit den Pariser Dioden bekannt gemacht. Die reizenden kleinen Bilder, welche bei der Umwertung aus dem französischen Original in das deutsche durch die Meisterhand eines Chodowiecki, eines Riepenhausen u. a. an Charme entschieden gewannen, erschie- nen aber nur einmal im Jahr. Da war es sicherlich ein äußerst glücklicher Gedanke des unternehmenden J. J. Bertuch in Weimar, eine Zeitung herauszugeben, die wenigstens jeden

221

G. Morland, Das Picknick

Monat einmal über die Veränderungen der Mode berichten wollte, und sein »Journal des Luxus und der Moden«, welches 1/86 zu erscheinen begann, erwies sich denn auch als äußerst glückliche Spekulation. Die feinen und mit größter Delika- tesse ausgemalten Modekupfer verschafften ihm ebensoviele Freunde wie die literarisch wertvollen Texte, an denen Gelehrte wie Hufeland, Böttiger, Hirt u. a. sich beteiligten. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Korrespondenz der Frau Rat mit ihrem Wolfgang die Sorge um diese roten Heftchen, die sie mit Ungeduld erwartet und schmerzlich vermißt, wenn' sie mal ausbleiben. Gegen Ende des i8. und zu Beginn des

222

19- Jahrhunderts werden die Modejournale immer zahlreicher und erscheinen auch immer häufiger, schließlich sogar all- wöchentlich. Als die Pariser Ereignisse das Erscheinen neuer Moden verhindern, da beginnt der Schwabe Heideloff 1794 in London seine Galery of Fashion herauszugeben und gibt für einige Jahre damit den Ton der ]\Iode an. welche indessen bald genug wieder ihren Thron in Paris autschlue.

Hiepenhausen, Ahnanachkupfer

223

D

Zustände 1 \as Aussehcn der Städte im 18. Jahrhundert vermag man sich gut vorzustellen, sind uns doch in gemalten und ge- stochenen Prospekten jener Zeit Bilder genug erhalten. Betrachtet man nun z. B. die Ansichten Canalettos von Dresden und Pirna, die Kupferstichfolgen, welche Nürnberg, Augsburg. München. Göttingen, Berlin u. a. darstellen, so fällt es auf, daß die bedeutendsten Architekturen sowohl der öffentlichen wie der Privatgebäude fast alle auf das i/. Jahrhundert hin- weisen, daß nur vereinzelte Bauwerke im 18. Jahrhundert ent- standen zu sein scheinen. Damit stimmt auch das Erinnerungs- bild, das sich Goethe an Frankfurt bewahrt hatte, wo nichts architektonisch Erhebendes zu sehen gewesen sei, alles auf eine längst vergangene Zeit hingedeutet habe; damit stimmt auch der Eindruck, den Nikolai 1781 auf seiner Reise durch Deutschland von den großen süddeutschen Reichsstädten emp- fängt. Die Nachwirkungen des verheerenden Dreißigjährigen Krieges dauern bis tief in das 18. Jahrhundert hinein. Erst 1787 z. B. errichtet man in Wittenberg die Eibbrücke neu, welche die Schweden 1637 verbrannt hatten. Wenn man die Ansichten, die Salomon Kleiner etwa 1710 von Wien und seinen Vorstädten verfertigt hat, mit jenen vergleicht, welche Janscha, Schütz, Ziegler ca. 80 Jahre später ausführten, so ist man er- staunt über die geringen Veränderungen, die in der Zwischen- zeit eingetreten sind. Wenn die Kulturfortschritte der Kaiser- stadt so geringe waren, so nimmt es nicht wunder, daß klei- nere Städte noch viel weiter zurückblieben, so daß man z. B., wenn man neue Pläne der Städte benötigte, immer wieder auf die Merlans zurückgreifen konnte, die doch schon hundert Jahre alt waren. K. Fr. von Klöden schreibt noch im Beginn des 19. Jahrhunderts über Preuß. Friedland: Dieses Gepräge des 17. Jahrhunderts trug nicht bloß die Schule, sondern die ganze Stadt in ihren Einrichtungen, ihren Lebensbedürfnissen, ihrem Kulturzustand, ihrer Sprache, ihrer überaus einfachen Häuslichkeit und nicht minder ihren Anschauungen. Wenn fürstliche Luxusbauten wie das Schloß Salzdahlum, das Opern- haus in Ludwigsburg, nur in Fachwerk ausgeführt wurden, so ist es selbstverständlich, daß die Privathäuser der Bürger noch weit bescheidener waren. Erst seit 1768 hört man z. B. auf, die Dächer in Weimar mit Stroh zu decken. Wenn, wie es in Halle 1730 geschah, alle Häuser der Stadt auf Befehl

224

17SS

Magasin des Modes Straßenkleid

Die Mode, 18. Jalirh. 46

//. IV. Btmbury\ Morgen- Unter 'all im j

gelb angestrichen wurden, oder man in Jena zu diesem Zweck die grüne Farbe vorzog, so mag der Anblick freilich nichts Erhebendes gehabt haben, wie denn Nikolai einmal klagt, daß man etwas Schönes im modernen reinen Stil nur in Hamburg oder Plön finde, wo wenigstens die Galgen aus korinthischen Säulen bestünden. In Florenz fand Keyßler in den Bürger- häusern statt der Fensterscheiben Papier, und wenn selbst im Schlosse zu Bayreuth die meisten Fenster zerbrochen waren, so war es ja noch ein Vorzug, daß die Häuser in Nürnberg, Alt- dorf, Regensburg, Ulm wenigstens Butzenscheiben aufwiesen ! Die Reinlichkeit der Straßen ließ für unsere Begriffe alles zu wünschen übrig. Liselotte schrieb einmal: Nichts ist stinken- der und sauischer als Paris, aber die Berichte über andere Städte wie Berlin, Hamburg, Rom, IMadrid usw. lauten ebenso ungünstig. Als König Karl HI. und sein Minister Esquilache unternahmen, die Straßen von Madrid säubern zu wollen.

Die Mode, 18. Jatrb. 2. A.

22-

15

verfaßte die Korporation der Aerzte eine Denkschrift, in der sie ausführte, die Luft von Madrid sei so gesund, daß es höchst gefährlich sein würde, sie durch ReinHchkeit ändern zu wollen ! Mit der Beleuchtung stand es nicht besser. Berlin besaß

Vigee-Lebrun, Damenbildnis

Straßenbeleuchtung seit 1682, Wien seit 1687, langsam folgen die übrigen deutschen Städte. 1702 Leipzig, 1705 Dresden, 1765 Braunschweig usw. Aber diese Beleuchtung ist cum grano salis zu verstehen. In Berlin wie in München brannten die Laternen im Sommer nie und auch im Winter nur, wenn nicht Mondschein im Kalender stand. Stuttgart wurde nur beleuchtet,

226

wenn der Herzog anwesend war, Städte von der Bedeutung wie Nürnberg, Augsburg, Ulm besaßen 1781 überhaupt noch keine regelmäßige Straßenbeleuchtung! Auch die Beleuchtung der Innenräume war bescheiden. Der englische Gesandte in

Vigee-Lebrun, Die Schauspielerin Mole-Raymoud

Berlin, Lord Malmesbury erzählt 1767, daß die Schloßzimmer auch bei Hoffesten nur durch eine Kerze beleuchtet wurden, die Königin und der Hof mußten im Finstern warten, bis der König anstecken ließ. Selbst im Salon der Gräfin Dubarry in \'ersailles trug der Lüster nur 6 Kerzen. Ebenso langsam beginnt man die Straßen ordentlich zu pflastern. In Potsdam

227

IS*

nötigte der Schmutz alle, die sich in Gesellschaft begaben und nicht eigene Equipage besaßen, auf Stelzen zu gehen. In Wien fiel es Nikolai sehr auf, daß bei Staub die Straßen täglich zwei- mal gesprengt wurden. Oeffentliche Promenaden erhielten Ber- lin erst durch Friedrich den Großen im Tiergarten, Wien durch Joseph II. im Prater und im Augarten. So unansehnlich wie die Häuser von außen, so unbequem waren sie im Innern. Man denke nur an die Beschreibung, die Goethe von seinem Vaterhaus macht und an die Szene, die er mit dem alten Rat hat, als er ihm die praktische Einrichtung der Leipziger Wohn- häuser rühmt. Nürnberg fand Nikolai 150 Jahre zurück in allem, was die Einrichtung der Zimmer und die Ausnutzung des Raumes beträfe, nur Wien fand Gnade vor seinen Augen. Die Einrichtung der Läden war höchst primitiv. Das Brett, welches nachts das Fenster verschloß, wurde am Tage als Tisch herausgeklappt, so daß der Käufer auf der Straße blieb. So wird es uns beschrieben und so zeigen es die Bilder. Als der Franzose Gonord, ein Silhouettenkünstler, in Wien 1782 einen Laden eröffnete, erregte es Erstaunen und Mißbilligung, daß er abends sogar sein Fenster beleuchtete. Fachwerkhäuser, Schindel- und Strohdächer machen Brände zur größten Gefahr. Nur sehr allmählich wird, vielfach zwangsweise, die Feuerver- sicherung eingeführt, welche großem Widerstand begegnet, denn, sagen in Württemberg die Prälaten : Womit soll denn Gott strafen, wenn alles versichert ist? Rnsen Dem Zustaud der städtischen entsprach jener der Land- straßen. Oesterreich hatte die besten, Süddeutschland gute, die schlechtesten Preußen, das erst seit 1787 Chausseen erhält. Friedrich IL hatte eine Abneigung gegen den Bau von Chaus- seen gehabt, »damit die fremden Fuhrleute auf den schlechten Wegen desto länger liegen bleiben und mithin mehr ver- zehren müssen«. Man rechnete damals in Süddeutschland etwa 15 bis 18 Meilen täglich zurücklegen zu können, während das in Norddeutschland unmöglich war. Die Markgräfin Wil- helmine fährt von Hof bis Schleiz neun Stunden, Casanova von Magdeburg nach Berlin drei Tage. Im Auslande war es nicht besser. Winckelmann braucht im Trentino einen ganzen Tag, um zwei Meilen zurückzulegen, 1758 von Rom nach Neapel fünf Tage. Dabei sind Wagen und Wege so, daß man weder sitzen, noch stehen, noch liegen kann. Die Schnellpost, welche

228

Romney, Lady Hamilton am Spinwad

Die Mode. 18. Jahrh. 47

Vigie-Lebrun, Harfenspielerin

229

Casanova in fünf Tagen von Lyon nach Paris bringen soll, ist ein ovaler Kasten, der schwankt wie ein Schiff im Sturm und den Unglücklichen sofort mit Vehemenz, seekrank macht. So reiste denn auch nur, wer absolut mußte. Kant z. B. ist sein lebelang nie über den Umkreis von Königsberg hinaus- gekommen. Bei

den schlechten Wegen sind Un- fälle etwas Selbst- verständliches. Winckelmanns Freund Berg aus Livland hatte 1767 auf derReise durch

Frankreich bei Avignon einenUn- fall, dessen Folgen ihn zwingen, 6 Wo- chen das Zimmer zu hüten. Der Fürstin Liechten- stein bricht der Wagen zweimal zwischen Mün- chen und Ansbach. Die Dichterin Si-

donia Hedwig Zäunemann er- trinkt auf der Reise von Erfurt nach Ilmenau in einem angeschwollenen Fluß. Wer damals eine Reise tat, der konnte was erzählen! Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts hatte der Freiherr V. Lilien Fahrposten eingeführt im Dienste der Taxisschen Post. Die Meile kostete 26 Kreuzer, mit Extrapost i'/z Taler; die preußischen Postwagen waren nur auf den Hauptlinien bedeckt, sonst offen. Alle 20 Meilen wurde umgepackt. Die Reisekosten berechnete Schlözer für eine Person auf einen Dukaten für die laufende Meile. Wen nun die hohen Kosten nicht abhielten, der scheute außer schlechten Straßen und schlechtem Fuhrwerk vielleicht noch die eroben Postillione.

Reynolds^ Contemplation

230

Friedrich der Große erzählte de Catt eine köstliche Geschichte, die einem seiner französischen Bekannten zwischen Potsdam und Berlin passiert war. Monsieur Cogolin, dem der Wagen in dem mahlenden Sand zu langsam vorwärts kommt, glaubt, den Postillion durch Stockschläge aufmuntern zu sollen. Ganz unversehens aber steigt dieser ab, setzt den Koffer des Franzosen auf die Straße, zieht diesen selbst aus dem Wagen und verhaut ihn nach besten Kräften, dann läßt er ihn neben seinem Gepäck stehen und fährt davon, so daß der Franzmann mit seinem Koffer auf dem Rücken zu Fuße nach Berlin laufen muß, und auf seine Beschwerde vom König obendrein noch ausgelacht wird. Dit große Unsicherheit der Straßen war wohl ein Hauptgrund, der das Reisen zum bloßen Ver- gnügen nicht gerade rät- lich machte. Das i8. Jahr- hundert war das der großen Straßenräuber und R^y^oids, Lady Caroline Price Mordbrenner, die gleich

in ganzen Banden die Gegenden unsicher machten, und mit offener Gewalt plünderten und raubten. Italien, Frankreich, Deutschland, England gaben sich darin nichts nach. Sie haben um ihre Lips Tullian und Nickel List, um Mandrin und Cartouche, Rinaldo Rinaldini, Highwaymen usw. auch den gleichen Nimbus der Romantik gewoben. In London ging niemand ohne Waffen aus, denn am hellen Tage über- fielen die Gauner in den belebtesten Straßen der Stadt die Wagen, schnitten die Riemen durch, in denen die Kutschkästen hingen und nahmen den Insassen alle Wertsachen ab. Die Unternehmer des Vergnügungsetablissements in Vauxhall,

231

nS6

Älagasin des Modes

nss

das vor dem Tore lag, gaben bekannt, daß der Weg bis Westminsterbridge abends beleuchtet und gegen Straßenräuber bewacht werde. R.iniichktii Wer sich vom Standpunkte heutiger Verwöhnung aus über die schlechten Straßen jener Zeit und zumal über ihren un- glaublichen Schmutz wundern wollte, der darf nicht vergessen, daß ein Geschlecht, welches in seinen Wohnungen und an sich selbst den Begriff der Reinlichkeit überhaupt nicht kannte, darin eben gar nicht anspruchsvoll war. Die Galerie vor den Zimmern der Prinzessin Wilhelmine im Berliner Schloß be- nutzten die Wachen als Abort, denn besondere Einrichtungen dafür waren damals noch lange nicht allgemein. Ist doch selbst im Schlosse zu Versailles der erste Heu d'aisance erst unter Ludwig XVI. angelegt worden, und diente nur für den König und die Königin. Henri de Gatt kann es im Kloster Grüssau vor Unsauberkeit und schlechter Luft kaum aushalten, so wenig wie Keyßler in der »Schweinerey« des Dogenpalastes in Venedig. Liselotte findet in Saint Gloud vor Wanzen keinen

232

Bartolozzi nach Sir Joshua Reynolds, Jane Counless of Harrington mit Kindern

Die Mode. 18. Jatrh. 48

y}

Schlaf und sie tröstet sich nur mit dem Schicksal ihrer Tochter, der Königin von Sizilien, der es in ihren Betten nicht besser geht. Ebensowenig wie Klosetteinrichtungen gab es Bade- zimmer. Die eine Badewanne in Versailles war vermauert worden und wurde, als man sie zufällig auffand, als Schale für einen Springbrunnen in den Park der Pompadour ver- setzt. Ludwig XIV. hatte nur gebadet, wie St. Simon erzählt, als er noch verliebt war. Dieser große Herrscher pflegte sich beim Aufstehen mit einem in Parfüm getauchten Tuch das Cesicht abzuwischen, ein Edelmann goß ihm ein paarTropfen Rosen- und Orangenwasser über die Fingerspitzen und damit war er fertig. Wenn in einer Anleitung zum guten Ton zum Gebrauch für die höheren Stände noch 1782 vor dem Ge- brauch des Wassers zum W^aschen gewarnt wird und dafür Parfüm empfohlen wird, wenn man liest, daß es gut sei, sich beinahe täglich die Hände und fast ebenso oft das Gesicht zu waschen, so wundert man sich über nichts mehr. Kaiserin Anna von Rußland brauchte niemals Wasser zu ihrer Toilette, sondern rieb sich mit Butter ab. Liselotte, die ihre Tageseinteilung einmal genau beschreibt, bemerkt, daß sie sich nach dem Aufstehen die Hände wäscht, das ist alles, und darum suchen wir in den Prachträumen jener Zeit den Waschtisch ganz ver- geblich. Es gibt detail- getreue Abbildungen der WohnzimmerLudwigXIV., des Prinzen Eugen u. a., sie zeigen keine Spur von einem Waschtisch. Die Waschbecken, die uns aus jener Zeit erhalten sind, Magasin des Modes, iy88

233

Watteau de Lille, tAiinable Colinette*. (Modekupfer)

Aus der Galerie des Modes, 178g

haben die Größe etwa von Fingerbowls, wie wir uns ihrer bei Tisch nach dem Obstessen bedienen. Nimmt man dazu, daß diese Herrschaften, Herren wie Damen, alle schnupften (Tabakdosen waren die beliebtesten Geschenke für Damen, zur Ausstattung Marie Antoinettes gehörten 52 goldene Dosen, der Prinz Conti hinterließ 800 Dosen, Graf Brühl ebenso viele), so kann man sich vorstellen, wie sauber sie ausgesehen und wie sie gerochen haben. Liselotte sagt vom Schnupftabak, daß er stinkend und allen Damen schmutzige Nasen mache. Die schöne Aurora von Königs- marck roch so übel, daß August der Starke ihr eine andere vorzog; von der Frau Friedrichs des Großen sagte ihre

234

liebende Schwägerin : Sie stinkt entsetzlich. Der berühmte Anton Magliabecchi wusch sich nie und war ebenso berüch- tigt durch seine Unreinlichkeit wie der unsterbliche Leibniz. Die Aversion Liselottens gegen das Baden sie schreibt einmal: »Baden wäre meine sache nicht, habe diese lust mein lebe lang nicht begreifen können« dauert das ganze Jahr- hundert hindurch an. Goethe rechnet das Baden im fließen- den Wasser unter die »damaligen Verrücktheiten« seiner Jugend und als er und die Grafen Stolberg in Darmstadt, in der Schweiz sich im Freien baden, da ziehen sie ihren Gastgebern Merck und Lavater den größten Verdruß zu; die Rechtgläu- bigkeit des Theologiestudenten Seume wird 1780 vom Kon- sistorium in Leipzig in Zweifel gezogen, weil er sich zu oft gebadet hätte! Es war etwas so Ungewöhnliches, sich die Zähne zu putzen, daß Fürst Kaunitz eine Hauptaffäre daraus machte, die er, unbekümmert um Ort und Gesellschaft, un- mittelbar nach dem Essen, noch bei Tische sitzend, vornimmt. In späteren Jahren wurde den französischen Prinzen die Zähne einmal im Monat von einer eigens damit beauftragten Person gereinigt. Daß der Jenenser Student Bartholomäus Fischenich seine Nägel pflegte, erschien Charlotte von Schiller so lächer- lich, daß sie über ihn schreibt: »F. putzt die Nägel fleißig. Wir haben ausgedacht, er könne darauf reisen und wie ein Zahnarzt seine Kunst ausbieten. Damen werden bald für wichtig halten, schöne Nägel zu haben.« Sie ahnt also die Manicure ! Diesen Anschauungen entsprachen die Manieren. Noch Ludwig XIV. mit den Fingern und zu seiner Zeit Essen tauchte beim Essen jeder mit seinem Löffel in alle Schüsseln. Zum Vorlegen bedienten sich die Damen ihrer zehn Finger. Gabeln sowie der Gebrauch besonderer Löffel zum Vorlegen kommen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts im allgemeinen Gebrauch. In Hamburg erhielt man schon in den achtziger Jahren »auf englische Art« zu jedem Gericht reine Messer und Gabeln, in Wien noch nicht, da empfing jeder Gast eine silberne dreizinkige und eine stählerne zweizinkige Gabel, um sich ihrer zum Nehmen und Essen zu bedienen, dagegen stän- dig reine Löffel. In Wien erhielt man auch zum Dessert eine reine Serviette, die man aber nicht brauchen durfte. Das Essen war überhaupt in dieser Zeit eine wichtige Angelegen- heit. Man unendlich viel mehr als heute, wenn auch der

235

berühmte Josef Kohlnicker aus Passau, der auf einen Sitz zwei gebratene Kälber verzehrte, 12 Maß Wein dazu trank und in den Pausen Filzhüte knusperte, ein ausnahmsweiser Vielfraß gewesen sein dürfte ! Man servierte die Mahlzeiten in Trachten, so daß immer mehrere Gerichte auf einmal auf dem Tische standen. Der erste Gang bestand etwa, wie es Keyßler aus Genf beschreibt, nur aus gekochten Speisen, der zweite nur aus gebratenen, der dritte nur aus gebackenen, der vierte brachte endlich das Dessert. Ein Diner des 18. Jahr- hunderts würde im 20. mindestens für zehn ausreichen. Darum verbrachte man auch viel Zeit bei Tische. In den Villeggia- turen der vornehmen Venezianer herrschte eine Zeitlang die Sitte, eine Mahlzeit in drei verschiedenen Sälen einzunehmen, in einem Suppe und Fleisch, im zweiten Braten, im dritten die Süßigkeiten. Kaffee und Liköre wieder in eigenen Kios- ken. In Magdeburg dauerte ein Diner, wie Frau v. Voß schreibt, einen halben Tag, ein Fastenessen in Wien immerhin fünf Stunden. Die gewöhnliche Tafel des Wiener Bürgers war mittags mit zehn bis zwölf Speisen besetzt, bei festlichen Schmausen gab es 24 Schüsseln. Da erschien den Wienern das Menü, welches die Zöglinge der orientalischen Akademie erhielten, natürlich sehr mäßig, die armen Hascherin kriegten ja auch mittags nur fünf und abends gar nur drei Gänge ! Im Gegensatz dazu begnügten sich die »Hungerpreußen« mit zwei Schüsseln, wofür sie von den Phäaken des Südens auch gründlich verachtet wurden. Am Hofe Friedrich Wilhelms I. mußte man nach dem Bericht seiner Tochter von dem Geruch satt werden und am kurbayerischen Hof scheint es nicht immer viel besser gewesen zu sein, wenigstens schreibt Graf Lynar 1762 aus Nymphenburg, man bekomme wenig zu essen und alles sei kalt. Casanova bewirtet die Hof- gesellschaft des Kurfürsten von Köln in Brühl mit einem Dejeuner von 24 Schüsseln, ungerechnet die Austern und das Dessert und er verzehrt ein andermal in Mailand mit sieben anderen 30D Austern und 20 Flaschen Sekt. Dem Thermometermacher Reaumur verdankte man es. Gefrorenes herstellen zu können, eine kulinarische Kunst, die auch als- bald eifrig ausgeübt wurde. Frau Rat allerdings goß noch das Eis, das der Königsleutnant ihren Kindern schickte, fort, denn das könne unmöglich gesund sein. Ein ganz beson-

236

yn^fi^ssf

L'^iäs-Philibert Debucotirt, La rose mal de/endue

derer Feinschmecker war jedenfalls der Graf Manderscheidt- Blankenheim, Bischof von Wiener-Neustadt, der, um seine Hechte ja recht schmackhaft zu bekommen, sie mit Forellen füttern ließ. Eine größere Rolle als das Essen spielte, wenigstens im Anfang des Jahrhunderts, das Trinken,

237

zumal in Deutschland. Lord Chesterfield schreibt, daß man an den Höfen der geistlichen Kurfürsten in Trier und Mainz gesoflfen habe wie die Vandalen, Baron Pöllnitz wird in Würzburg acht Tage lang gar nicht nüchtern, der Mark- graf von Bayreuth betrinkt sich täglich nur dreimal. König Friedrich Wilhelm I. und August der Starke gründen mit- einander die Societe des Antisobres. Als Keyßler 1730 in Florenz weilt, erzählt man ihm, daß der Großherzog der letzte Medici seit einem halben Jahr nicht mehr nüchtern geworden sei. Liselotte, die mit ihrer gewohnten Offenher- zigkeit 1699 schreibt: »das sauffen ist gemein bei die weiber«, erzählt 1722 die Geschichte vom kaiserlichen Gesandten Grafen Sintzendorff, der sich in Rheims an Champagner so sternvoll getrunken, daß er »zweimal 24 Stundt wie eine bestia ist liegen geblieben«. Sogar am Hof des Kronprinzen Friedrich in Rheins- berg betrinkt sich die Gesellschaft nach dem Bericht Baron Bielefelds derart, daß sie im Suff alles Geschirr kurz und klein schlägt, genau wie in Nymphenburg, wo bei der Einweihung der Magdalenen-Kapelle im Rausch des Finale für 200 Taler Gläser zerbrochen wurden. Die Gläser standen bei Mahlzeiten nicht auf dem Tisch. Man mußte sie sich zum Trinken fordern, außer bei den parties fines, wo keine Diener zugegen waren. Unser heutiger Gebrauch stammt erst seit der Revolution. So waren denn die Gäste in Wien z. B. gewohnt, bei ihrem Couvert eine Liste der Weine zu finden, die sie verlangen konnten. Darin suchte ein Gastgeber den anderen zu über- treffen. Bis zu 18 verschiedene Sorten wurden angeboten, eine Unsitte, die der französische Gesandte de Bussy dadurch persiflierte, daß er einmal eine »Liste von Weinen, die ich nicht habe«, auflegte. Wenn Trinken und Betrinken nicht nur an den Höfen allgemeine Sitte war, sondern es auch in Bürgerkreisen zum guten Ton gehörte, sich zu berauscli^n, wie Winckelmann mit gutem Humor von seinen Räuschen berichtet, wenn man in Nürnberg z. B. fremde Gäste nicht im eigenen Hause bewirtet, sondern sie ins Wirtshaus führt, und ihnen einen Rausch anhängt, so erlaubt das einen Rück- schluß auf die Manieren, die im übrigen den Verkehr be- stimmten. Die Prinzessin Wilhelmine, die vom Hofe ihres königlichen Vaters her an Zoten, Zweideutigkeiten, und Stock- prügel gewöhnt war, ist doch noch überrascht durch die un-

238

anständige Unterhaltung, die der Erbprinz von Hessen-Darm- stadt mit seiner Schwester führt und chokiert durch die freien Manieren der Herzogin von Württemberg. Liselotte, die an einem Hofe lebte, der in der Welt als das Musterbild des feinsten Tons galt, schreibt 1702: Am Hof weiß niemand, was Politesse ist als der König und der Dauphin, die gelten am artigsten, so am plumpsten sind und wenn sie ein anderes Mal den Lieblingswitz des großen Dauphins erzählt, der darin bestand, den Damen, die im Begriffe waren, sich zu setzen, die Hand mit aufgerichtetem Daumen unterzuhalten, so darf man ihr wohl recht geben, daß das plumpe Spaße waren. Friedrich August IL von Sachsen-Polen hielt sich noch Hof- narren, deren Roheiten sein größtes Vergnügen bildeten. Der allgemein im 18. Jahrhundert noch herrschende Ton würde uns wohl heute sehr befremden. Auf der einen Seite im Ver- kehr mit Hochstehenden eine Etikette, die bei der Aufwar- tung vor Kaiser und Kaiserin die spanische Reverenz ver- langt, d. h. ein Niederfallen auf beide Knie, auf der anderen Seite eine Rücksichtslosigkeit gegen Gleichberechtigte oder Niederstehende, die erstaunt. In studentischen Kreisen galt die gröbste Roheit und Unflätigkeit für Witz, Lauckhard ist ein klassischer Zeuge dafür. Im Siegwart kommt es vor, daß Herren sich in Dämengesellschaft ohrfeigen, daß der Puder stäubt. Militär und Kaufleute waren, wie Dorothea Schlegel- Veith berichtet, nicht weniger roh, besonders in Berlin, und als das Geniewesen Mode war, da durchbrachen die Stürmer und Dränger absichtlich wieder die Schranken, di.e der gute Ton aufzurichten begonnen hatte. Charlotte v. Stein schreibt an Zimmermann, daß der Herzog Karl August selbst so sehr Kraftbursche geworden sei, daß er finde, Leute mit Anstand und feinen Manieren könnten unmöglich ehrliche Männer sein. Die bequemen Manieren dringen auch in die Damenwelt, so- gar an den Hof. Die Gräfin Voß beschwert sich bitter dar- über, daß die Damen sich begnügen, als Gruß mit dem Kopf zu nicken, anstatt sich mit den Knien ehrbar und feierlich herabzusenken und langsam und stattlich wieder zu erheben. Erst das häufige Zusammenkommen der Geschlechter ver- feinerte die Sitten. Auch dafür gab Frankreich das Vorbild. Die schöngeistigen Pariser Salons, die berühmt gewordenen Bureaux d'esprit der Damen Tencin, Geoffrin, Lespinasse,

240

du Deffand u. a., die in ihren geselligen Zusammenkünften die geistreichsten Männer mit den schönsten Frauen zusam- menführten, gaben den Ton einer verfeinerten Gesellschaft, die in ganz Europa bewundert und nachgeahmt wurde. Die Frau der bürgerlichen Kreise lebt im i8. Jahrhundert sehr abgeschlossen; eine Geselligkeit außer dem Hause existierte eigentlich nur für Männer. Mit Ausnahme der seltenen großen Familienschmäuse war die Frau so ziemlich auf das Kaffee- kränzchen beschränkt, dessen Auftauchen wir an der Hand der Spottbilder bis in das erste Drittel des Jahrhunderts ver- folgen können. In Nürnberg wurden zu Damengesellschaften nicht einmal die einheimischen Herren zugelassen. Die Männer gingen ins Wirtshaus und begannen sich in Klubs nach eng- lischem Muster zusammenzuschließen. J749 erhält Berlin seinen Montagsklub, vorwiegend literarischen Charakters, dem u. a. Lessing, Nikolai, Ramler angehört haben. 1752 gründet der Assessor v. Wülben in Hannover einen Klub mit geselligem Endzweck. Aus Italien und Frankreich werden Kaffeehäuser und Konditoreien bei uns eingeführt, deren Wirte denn auch lange Zeit Ausländer waren. In München Tambosi, in Berlin Josty, d'Heureuse, Spargnapani, in Weimar Ortelli, Predari, Horny, in Kassel Beneze usw.

Mehr Vergnügen verschafften sich die Höfe und Adelskreise, Verpuiguvofn deren raison d'etre wie heute einzig in der Zerstreuung be- stand. Kaiserin Katharina II. schildert in ihren Erinnerungen die Maskenbälle, die ihre Vorgängerin auf dem Throne zu veranstalten liebte, alle Herren mußten als Damen, alle Damen als Herren gekleidet erscheinen. Graf Lehndorff erzählt von derartigen Soupers beim Prinzen von Preußen und fügt hinzu, besonders spaßhaft habe der Bischof von Breslau, Graf Schaff- gotsch, als Dame ausgesehen. Während des Siebenjährigen Krieges residierte der preußische Hof in Magdeburg, aber auch während der trübsten Zeiten desselben verzeichnet das Tagebuch der Frau v. Voß nichts als Schlittenfahrten, Schäfer- spiele, Cafes coiffes und andere Amüsements. Prinzessin Amalie veranstaltet einmal ein Fest, zu dem alle Herren sich als Damen, alle Damen sich als Herren verkleiden müssen. In Wien waren, solange ein Türkenkrieg dauerte, Masken- bälle überhaupt nicht erlaubt, während die großen Schlitten- fahrten, das Hauptvergnügen der vornehmen Wiener Gesell-

Die Mode. 18. Jahrfe. 2. A. 24I 16

Schaft, nicht auszusetzen brauchten. Eine solche Schlitten- fahrt, zu der der Schnee oft erst in die Stadt gebracht werden mußte, kostete den teilnehmenden Herren 500 Louisdors und mehr. Die Schlittenequipage eines Grafen veranschlagte Nikolai auf 30000 bis 70000 Gulden. Zur Zeit, als Lady Montague sich in Wien aufhielt, veranstaltete man »Merenden«, Abend- gesellschaften, bei denen um 2 Uhr nachts das Souper serviert wurde, und um 3 Uhr der Ball begann. Ein Hauptvergnügen der Höfe waren die »Wirtschaften«, Feste, bei denen die An- wesenden sich als Bauern maskierten und für den Abend die Etikette beiseite legten. In einem Brief vom 13. Juli 1700 beschreibt Leibniz der Kurfürstin Sophie eine Wirtschaft, die der preußische Hof in Charlottenburg als Jahrmarkt ge- spielt hat. Von dem Ton kann man sich einen Begriff machen, wenn man hört, daß die Prinzessin Wilhelmine in Bayreuth eine Wirtschaft veranstaltet, bei der sich die Gesellschaft im »Wirtshaus zur guten Frau ohne Kopf« versammelt. Auch an dem feierlichen Wiener Hofe waren die Wirtschaften ein Hauptvergnügen. Man rechnete, daß eine solche jedem der Teilnehmer für sich und seine Dame auf 3000 Gulden zu stehen käme. Als Kaiser Joseph II. 1777 auf dem Wege nach Paris durch Stuttgart kam, hatte er die Einladung des Her- zogs, bei ihm abzusteigen, abgelehnt und verlangt, im Gast- haus zu wohnen. Da ließ der Herzog an dem Residenzschloß ein großes Schild anbringen: Wirtshaus zum römischen Kaiser, verkleidete sich als Wirt, den Hof als Dienstpersonal und zwang den überraschten Monarchen auf diese Weise, doch seine Gastfreundschaft anzunehmen. Der Hof der Herzöge von Württemberg gehörte im 18. Jahrhundert überhaupt zu den brillantesten in Europa. Man konnte sich im Karneval nirgends besser unterhalten, als in Stuttgart. Alle Dienstag und Freitag um 5 Uhr war Oper, alle Montag und Donners- Buiie tag abends von 8 bis 2 Uhr Redoute. Der Besuch derselben, auf denen es sehr frei zuzugehen pflegte, war den Beamten mit Frau und Töchtern befohlen, wer nicht hinging, dem wurde zur Strafe ein Vierteljahrsgehalt abgezogen. In Augs- burg fanden im Januar und Februar in den Drei Mohren Maskenbälle statt, die um so besuchter waren, als die übrigen Reichsstädte Nürnberg, Ulm, Biberach, Nördlingen, Hall u. a. solche Vergnügungen nicht kannten. Wie ein preußischer

242

Werbeoffizier, der lange in Süddeutschland in Garnison stand, 1785 berichtet, war die Lebensart dieser Reichsstädte sehr ein- förmig. N-ur mit Heilbronn und seinen modernen Einwohnern macht er eine Ausnahme. Zu den Zeiten Lady Montagues hatte das En- tree zu den

öffentlichen Bällen in Wien

der Dame nichts und dem Herrn einen Dukaten ge- kostet. 70 Jahre später kostete das Entree zu den Redouten, die im Fasching

dreimal wö- chentlich in der Hofburg statt- fanden, nur noch zwei Gul- den. Oeffent- liche Bälle wa- ren eine Not- wendigkeit zu einer Zeit, in der turmhohe Schranken den Adel vom Bür- gerstand schie- den. Als der Adel in Dessau einen Ball gab,

lud er aus dem Philanthropin natürlich nur die adeligen Schüler ein. Da diese aber ohne Begleitung eines Lehrers nicht aus- gehen durften, ein bürgerlicher Schulmeister aber ganz un- möglich auf einen Ball Adeliger zugelassen werden konnte, so mußte für den Abend ein italienischer Edelmann engagiert werden, um die Knaben zu begleiten. Nur auf öffentlichen

243

16*

Bällen, gar auf Redouten, konnten Adelige und Bürgerliche miteinander tanzen. Viel bewunderte Vergnügungsetablisse- ments, deren Einrichtungen überall nachgeahmt wurden, waren in London Ranelagh und Vauxhall gardens. Sie konkurrierten so erfolgreich mit den Subskriptionsbällen der Therese Cor- nelys, der Freundin Casanovas, daß diese berühmte Vergnü- gungskünstlerin 1797 im Schuldgefängnis in Fleetstreet starb, nachdem ihr Millionen von Pfund Sterling durch die Hände gegangen waren. Zu ihren Bällen hatte man nie weniger als zwölf Billetts nehmen können, welche neun Pftmd kosteten und dabei belief sich die Zahl ihrer Subskribenten auf ca. 3000. Man tanzte unter hundert verschiedenen Namen, was man heute Kontertänze nennt: Pavanen, Couranten, Quadrillen, Menuetts, seit dem Siebenjährigen Kriege bürgert sich in der vornehmen Gesellschaft Frankreichs die Allemande ein, jener überaus graziöse Tanz, den das berühmte Blatt Saint Aubin's »Le bal pare« darstellt, und für den Johann Sebastian Bach so viele seiner Kompositionen geschrieben hat. Bei dem jün- geren Geschlecht werden diese Tänze, die so viel Geschick, so viel Grazie und Anmut verlangen, seit der Mitte des Jahr- hunderts durch den Walzer verdrängt, der sich binnen kür- zester Zeit zum Alleinherrscher der Ballsäle aufschwingt. Er ist in den sechziger Jahren schon so verbreitet, daß Goethe in Straßburg das Walzen lernen muß, um in Gesellschaft mit- tun zu können. Das Spitl Alles, was das 18. Jahrhundert an Zerstreuungen kannte, wird aber in Schatten gestellt durch das Spiel. Eine wahre Spiel- wut scheint die Zeit ergriffen zu haben. Hoch und nieder, arm und reich, Höfe, Adel, Bürger und kleine Leute, alle huldigen dem Glücksspiel, keine Gesellschaft ohne Kartenspiel, kein Zirkel ohne Falschspieler. Niemand tanzt mehr, beklagt sich Liselotte, alles spielt und 70 Jahre später findet Goethe, daß sein Vater ihm einen großen Schaden zugefügt habe, indem er ihn vom Spiel abgehalten und fügt hinzu, das Spiel sei jungen Leuten doch sehr zu empfehlen, denn eine Gesellschaft ohne Kartenspiel ließe sich ja gar nicht denken, Grundsätze, denen auch Lesing, der eine Jeuratte war wie nur eine, nur zu eifrig huldigte. Vermögen, Ehre, guter Ruf, Anstand und Sitte werden in die Schanze geschlagen, um dem Spiel zu fröhnen. Die Gräfin Sintzendorff verspielt 20000 Gulden in einem Winter,

1 244

Debucourt, La Noce au chäteau, 178g

die Fürstin Auersperg verliert ihre ganze Mitgift, 12000 Dukaten, an einem Abend. Der Abt vom Heiligen Kreuz in Donau- wörth spielte so leidenschaftlich, daß das Kloster eine Besitzung nach der anderen verkaufen muß. Die Frau des Malers J. B. Tiepolo verspielte, während ihr Mann verreist war, alle Skizzen -ihres Mannes, sogar ihr Landhaus mit allen seinen Fresken. Der Herzog und die Herzogin von Glocester, die sich 1783 in Ansbach aufgehalten haben, verlassen es nach ^ji Jahren mit Hinterlassung von 150000 Gulden Spielschulden. Ein Graf Schwerin verspielt sein ganzes Vermögen und abenteuert dann mit dem blutbefleckten Sterbehemd und Ordensband seines vor Prag gefallenen Onkels, die er für Geld sehen läßt oder versetzt, solange in der Welt umher, bis ihn der König auf- greifen und in Spandau internieren läßt, wo er mit dem Abschaum der Festungsgefangenen weiterspielt. In Regensburg wird eine Dame am Spieltisch von der Geburt überrascht und wenn

245

Keyßler von zwei Damen erzählt, welche 24 Stunden hinter- einander fortspielten, so übertrifft sie Casanova, der in Sulzbach eine Partie mit dem Chevalier d'Entragues ununterbrochen 42 Stunden hindurch fortsetzte. Nikolai schätzte das Karten- geld, welches die Bedienten erhielten, für Berlin allein auf etwa 30000 Taler im Jahr und dieser allgemeinen Spielwut huldigt selbst die Geistlichkeit. Die Oratorianer in Genua ließen ihre Gäste auf der Vigna des Klosters spielen, aber nicht um Geld, sondern um Paternoster und Ave Maria, die der Verlierende, ehe er sich in die Stadt zurückbegab, vor einem Kruzifix abbeten mußte. In Venedig errichtete der Rat den Ridotto, ein Gebäude, welches ausschließlich dem Glücks- spiel gewidmet war, wo an 60 bis 80 Tischen gespielt wurde, wo aber das Bankhalten nur den Patriziern erlaubt war, die dazu Amtstracht und die große Wolkenperücke anlegen mußten. 1709 sprengte König Friedrich von Dänemark im Ridotto die Bank. Der Schelm Casanova, auf dessen unterhaltende Me- moiren man immer wieder zurückkommen muß, wenn man sich mit der Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts beschäftigt, bekennt ja oft genug, wie gewinnbringend das Bankhalten war. Er selbst und ein ganzes Heer von Abenteurern seiner Gattung bestritten ihren gan&en Lebensunterhalt durch das Spiel und sind beständig auf Reisen, um die Gesellschaft ztl' schröpfen ; denn gespielt wird immer und überall und von jedermann. Bei dieser allseitigen Neigung zum Spiel begreift man erst das Staunen, mit dem der Marquis von Chastellux 1782 von seinem Besuch beim General Nelson in Amerika berichtet, wo in einem Aufenthalt von mehreren Tagen nie gespielt worden sei. Um von dieser Disposition der Menschheit zu profitieren, führten damals fast alle Regierungen die Geld- lotterien ein oder das Zahlenlotto, welches Italiener mit Be- willigung der hohen Obrigkeiten nach Oesterreich, Preußen, Württemberg, Bayern, Hessen-Kassel usw. brachten. Den Ge- winn am Wiener Lotto veranschlagte Schlözer für das Jahrzehnt Die Jagd von 1759 bis 1769 auf 21 Millionen Gulden. Nächst dem Spiel war der vornehmste Zeitvertreib hoher Herren wie im 17. Jahr- hundert die Jagd, die so manche Existenz auf dem Thron, besonders die der spanischen und französischen Bourbons ganz ausgefüllt hat. Wer das Tagebuch liest, welches Ludwig XVI. führte, das über die Tage, welche die wichtigsten und folgen-

246

schwersten seiner Regierung werden sollten, nichts zu bemerken weiß, als die Anzahl der Tiere, die der Monarch erlegte, wird sich über die Rolle, die der imbecille König gespielt hat, nicht mehr wundern. Das Vorrecht der Jagd wurde mit der größten Unbarmherzigkeit und der grausamsten Härte ausgeübt, die

Joseph Boze^ Mirabeau

Untertanen, welche in so vielen Staaten nicht einmal das Recht besaßen, ihre Fluren gegen das Wild zu schützen, wurden dann noch gezwungen, das erlegte Wildbret zu kaufen und teuer zu bezahlen. Ein Wilddieb soll nach den Lehren des Geh. Rat von Ickstadt zwar nicht das erstemal, wohl- aber im Wieder- betretungsfalle mit dem Tode bestraft werden. Man bezahlte Schußgelder für erlegte Wilddiebe. Im kaiserlichen Hofhalt,

247

der jährlich mehr als 3 Millionen kostete, verschlang die Jagd nicht den geringsten Teil. Jedesmal, das der Kaiser auf Jagd ging, kostete, wenn er über Mittag ausblieb, 30CO Gulden und brauchte er bei weiten Entfernungen Postpferde, noch 1000 Taler mehr. Es gab leidenschaftliche Jagdfreunde, wie den Grafen Christian Ernst Pappenheim, welcher Jäger blieb auch nach seiner Erblindung, ein Umstand, der heute nicht mehr befremdet, wo auf den großen höfischen Treibjagden auch ein Stockblinder Massen von Wild zur Strecke bringen kann. Die Jagd, die wie eine furchtbare Last auf die Untertanen drückte, war es auch, welche die meiste Erbitterung erregte und die ersten Symptome der Unbotmäßigkeit zeitigte. Als 1789 Graf Wilczek in gewohnter Weise seinen Bauern das Jagen ansagen läßt, d. h. ihnen bedeutet, daß sie wieder einmal für einige Wochen ihre Arbeiten liegen zu lassen haben, um Treiber zu machen, da erscheinen nur sechs von ihnen, aber nicht als Treiber, sondern um mitzujagen. Es gab auch unter den Damen leidenschaftliche Freundinnen dieses rohen Vergnü- gens. Liselottens drollige Jagdabenteuer mag man sich von ihr selbst erzählen lassen. In Deutschland war die Kurfür- stin Amalie von Bayern eine eifrige Jägerin, welche zu diesem Sport grüne Manneskleider mit kleiner weißer Perücke an- legte, während Fräulein v. Pannewitz für diesem Zweck ein Kostüm von rotem Samniet mit dreieckigem Hütchen besaß. Die »große Landgräfin« Karoline von Hessen hat sich in der Jagduniform ihres Schwiegervaters: rot mit goldener Litze, schwarzer Krawatte und Dreispitz malen lassen. ixii Theaier Bcvor wir einen flüchtigen Blick auf das Theater jener Zeit werfen, müssen wir uns klar machen, daß die abstrusen Ideen, die mit dem Theater den Begriff von Bildungsanstalt verbinden, Ideen, die man im 20. Jahrhundert endlich wieder über Bord geworfen hat, dem 18. Jahrhundert fremd waren und erst im Laufe desselben mit dem Erstarken des Bürgertums erwachen. Das Theater war damals Gurlitt hat das so sehr hübsch ausgeführt eine Schaubühne, bei der nicht die Handlung die Hauptsache war, sondern die pompöse Dekoration und Comparserie. Das Auge sollte in erster Linie unterhalten wer- den, das Ohr kam erst an zweiter Stelle. So war die große Oper ein Schauplatz der Prachtentfaltung fürstlicher Höfe. Vier Generationen der berühmten Künstlerfamilie der Bibbiena haben

248

Älorland, The squires door, 1790

Die Mode. 18 Jahrh. 50

Diiponl nach Gainsborough^ Königin Charlotte von England, ijqo

249

dieser Kunst der Illusion ihre Talente geliehen, die verschwen- derischsten Fürsten der Zeit, August der Starke, Karl Eugen von Württemberg, den ganzen Luxus ihrer Hoihaltungen in ihren Dienst gestellt. In Wien kostete die Inszenierung jeder neuen Oper 60000 Gulden, in Dresden kamen einzelne Ballette auf 36000 Taler, in Stuttgart erhielt der Tänzer Vestris für sich allein für sechs Monate 12000 Gulden, Zahlen, die man, um den heutigen Geldwert zu erhalten, mit 3 multiplizieren muß. Das war die alte italienische Oper mit ihrem sinnlosen Text, bei der es auf Sinn und Verstand gar nicht ankam, aber auf dankbare Arien für die großen Sterne. Jahrzehntelang dichtete damals Metastasio in Wien die Libretti, welche jeder Hofkomponist Salieri, Graun, Hasse u. a. dann nach eigenem Gefallen komponierte. Die Ausführenden waren meist italie- nische Castraten, die sich an manchen Bühnen bis in den An- fang des 19. Jahrhunderts behauptet haben. Diese Unglück- lichen bezogen solche Gehalte, daß in Italien damals mancher Vater seinen Sohn verstümmeln ließ, damit er einmal die Stütze seiner Familie werden könne. Einer der berühmtesten von ihnen war wohl Farinelli, außerordentlich durch seine Stimme, die 22> ganze Töne beherrschte, ohne zu fistulieren, und seine Schick- sale. Als er von 1734 bis 1736 in London sang, war die Gesell- schaft im Delirium. Das Glaubensbekenntnis: es gibt nur einen Gott, vermehrte man um den Zusatz: und nur einen Farinelli. Dann ging er für ein Jahrgehalt von 50000 Francs nach Spa- nien, um 26 Jahre lang im Dienste zweier geisteskranker Könige zu stehen. Zehn Jahre lang sang er Abend für Abend die glei- chen vier Arien, ohne je vor Fremden oder im Theater auf- treten zu dürfen. , Der Zutritt in die Opernhäuser, deren Pforten auch in pro- testantischen Ländern meist nur im Fasching geöffnet waren, war umsonst. Der Hof, der sie unterhielt, nahm die besten Plätze für sich. Die Herrschaften saßen vorn im Parkett, die übrigen nach Rang und Würden. Der beste Platz war im Proszenium auf der Bühne selbst und diese Gewohnheit, von der Liselotte schreibt: die leutte stellen sich so haufenweis auf das Theater, daß die Schauspieler keinen Platz haben, existierte noch in Goethes Jugendzeit in Frankfurt. Da die höfische Gunst sich ausschließlich der prachtvollen Oper zu- wandte, blieb das Schauspiel dem Hanswurst oder schlimme-

250

ren Unterhaltungen wie den Tierhetzen. In Wien wohnte 1781 Nikolai einer \'orstellimg im Hetztheater bei, in der ein fettes Schwein von zwei Wölfen lebendig gefressen wurde. Katho- lische Gegenden kannten noch eine Art moralischer Theater, wie Jesuitenkomödien, welche biblische und profane Vorwürfe, wie etwa die Geschichte von Abraham und Isaak mit Perseus und Andromeda auf

das wunderlichste durcheinander misch- ten, oder gar wie die regulierten Chorher- ren in Wengen 1783 das Lustspiel von Engel »Der Edel- knabe« mit Hinzu- fügung von Isaak und Ismael in ein Sing- spiel verrührten. Einen Platz für sich

beanspruchten die Autos sacramentales, wie sie der sächsische Gesandte v. Gleichen in Spanien sah. Man sah da etwa einen Jahrmarkt, auf dem Christus und die hei- lige Jungfrau Buden halten, während der Teufel und die sieben Todsünden Konkurrenzgeschäfte auf- gemacht haben. Die armen Seelen kommen in Haufen und wenden ihre Kundschaft natürlich den letzteren zu. Unser Herr und seine göttliche Mutter teilen sich ihren Verdruß über den schlechten Geschäftsgang in einem pas de deux mit, worauf sie sich kurz entschließen, und die Konkurrenz mit Peitschen vertreiben. Bei der Darstellung der Verkündi- gung sah man Maria beim Kohlentopf sitzen und den als Stutzer gekleideten Engel Gabriel zur Schokolade einladen. Er muß leider danken, da er schon bei Gottvater eingeladen sei. Nach vielen gegenseitigen Komplimenten tritt der Heilige

Anton Graff, Schiller

251

Geist ein und tanzt mit Maria einen Fandango. In dem Auto von der Entstehung des Christusordehs erfährt man, daß der Heiland sich darum bewirbt, Ordensritter von San Jago zu werden. Dieser Orden ist sehr stolz und nimmt nur Leute von ältestem Adel in seine Reihen auf. Es ist also unmöglich, daß er unseren Herrn akzeptiert, dessen Vater ein Zimmer- mann war und dessen Mutter sich mit Nähen ernährte. Immerhin erkennt das Kapitel an, daß ja gewisse Rücksichten in diesem Falle genommen werden könnten, und so schreitet man dazu, für den Heiland einen besonderen Orden, den Christus-Orden zu stiften.

Zur gleichen Zeit, als Gluck und Mozart die deutsche Musik von der Alleinherrschaft des italienischen Stiles zu befreien suchen, als Bach und Händel dem veralberten religiösen Schau- spiel das Oratorium entgegensetzen, Geister, viel zu groß, als daß ihre Zeitgenossen sie mehr als halb hätten verstehen können, ersteht auch das deutsche Schauspiel wieder. In den Truppen der Koch, Ackermann, Döbbelin, Schuch erwächst eine deutsche bürgerliche Nationalbühne, welcher Lessing mit seiner Minna von Barnhelm 1765, mit seiner Emilia Galotti 1773, den Lebensodem einhaucht. 1768 gründet die Herzogin Amalie in Weimar ein Theater, um Geschmack und Sitten des Volkes zu verbessern und zu verschönern, welches jeder- mann dreimal wöchentlich umsonst besuchen durfte. 1776 wird das Burgtheater in Wien begründet, die klassische Stätte deutscher Schauspielkunst, 1779 das National-Theater in Mann- heim, lange Jahre das Vorbild Deutschlands. P" Eines recht geringen Ansehens hat sich im 18. Jahrhundert die ärztliche Kunst und der ärztliche Stand erfreut. Liselotte, welche ja nie ein Hehl aus ihrer Meinung machte, schreibt: Die Doktoren wissen nichts als purgieren, Aderlassen und Klystieren, und kein Todesfall passiert in der königlichen Familie, den sie nicht den Aerzten zur Last legt. Viel mehr noch als heute sind sympathetische und Geheimmittel im Ge- brauch: Bezoar Kugeln, Mylady Kent-Pulver u. a., ja, als Augs- burgs Handel schon ganz darniederliegt, besteht die Ausfuhr der Stadt hauptsächlich in allerlei Geheimmitteln : Schauers Balsam, Elixier des Doktor Kieso, philosophisches Goldsalz werden in ganz Deutschland verlangt. Die Pocken grassieren fürchterlich, töten oder entstellen den vierten Teil der Mensch-

252

heit, aber trotzdem gewinnt die Schutzpockenimpfung' nur langsam an Boden. Als 1777 der Kurfürst von Bayern an den Pocken erkrankt, ^da läßt ihn der Leibarzt Sänfiftl ein Muttergottesbild verschlucken, und als das nichts nützt, da

Jarques\Louis Dnvid^ Marquise d' Orvillicrs

hilft eben nix mehr! Mau tröstet sich über die eigene Hilflosigkeit, wie der protestantische Theologe Süßmilch, der in der großen Kindersterblichkeit eine weise Einrichtung Gottes erblickte, welche wenigstens die eine Hälfte der Menschheit den Verführungen dieser Welt entziehen wolle. Der Krebs wurde als etwas Lebendes betrachtet, ein Wesen, das man mit Kalbfleisch füttern müsse, damit es nicht sterbe und den

253

Kranken 'nach sich ziehe. War jemand von einem tollen Hund gebissen worden, so genoß er in der Schweiz die rohe Leber des erkrankten Tieres, in Kur-Bayern war es in solchen Fällen verboten, sich auf eine andere als allein auf die göttliche Hilfe zu verlassen. 1784 waren zwölf Personen von einem tollen Hund gebissen worden. Man nötigte sie, zu Fuß nach St. Hubert in Flandern zu wallfahrten. Nachdem sie dort acht Tage lang nur kaltes Schweinefleisch genossen und Weih- wasser dazu getrunken hatten, wurde ihnen die Kopfhaut ge- öffnet und eine kleine Partikel von der Stola des Heiligen eingeheilt. Den Arzt aber, der sich unterstanden hatte, einen dieser Kranken zu behandeln, bestrafte man. Bei solchen An- schauungen hatten die Kranken doch wirklich recht, wenn sie ebensogut grüne Seife innerlich gebrauchten, wie es der Kur- fürst von Trier sechs Jahre lang tat, oder ihre Zuflucht zu einem der geweihten Mittel nahmen, mit denen die Klöster einen so schwunghaften Handel trieben. Da gab es in Tegernsee St. Quirinsöl, in Eichstädt St. Gertraudsöl, das Kloster Scheyern verkaufte jährlich etwa 40000 geweihte Kreuzchen usw. Die Kiös/er Dcu Platz, dcu hcutc im öß'entlichen Leben das Militär be- ansprucht, nahm damals in katholischen Gegenden die Geist- lichkeit ein. Kur-Trier zählte 90 Klöster, Kur-Bayern 28000 Kirchen und 200 Klöster mit 5000 Mönchen, Oesterreich un- ter Karl VL über 2000 Klöster für beide Geschlechter mit 63000 Insassen. In Bayern bestand der dritte Teil des Jahres aus Feiertagen, die mit Prozessionen, Wallfahrten und Gottes- diensten ausgefüllt wurden. Während der Fasten schleppten besonders Eifrige riesige hölzerne Kreuze durch die Straßen, um dem Heiland nachzufolgen, geißelten sich öffentlich, zogen am Fuß eiserne Ketten mit schweren Kugeln nach wie Bau- gefangene und trieben allerhand andere Selbstkasteiungen, wie man sie auf alten Veduten der Wiener Straßen dargestellt sieht. Für Oesterreich verbot schon Maria Theresia diesen Unfug. Wie man heute oft sieht, daß geschmacklose Eltern ihre kleinen Knaben in Militärtracht stecken, als Husaren oder Dragoner herumlaufen lassen, als sei die Uniform ein Spielzeug und das Tragen derselben ein Vergnügen, so konnte man damals in katholischen Gegenden Kinder als Jesuiterchen, Benediktinerchen, Karmeliterchen auf den Straßen sehen. Ja, Casanova bemerkt in Spanien Frauen in der Kapuzinerkutte

254

Henry Danloux, M'"e de Nauzieres

und erfährt, daß das ein Akt der Frömmigkeit sei, denn die Betreffenden trügen dieselbe auf dem bloßen Leib ohne Hemd, Im Gerundio de Campazas wird uns verraten, daß die Frauen sich zwar gern als Mönche trügen, für die Kutten aber bes- sere Stoffe wählten. Heute denken Unwissende, wenn sie vom Kloster hören, gleich an Barbara Ubryk, während im i8. Jahr- hundert ein großer Teil gerade der Nonnenklöster nichts an- deres war, als Stätten der Ruhe, wohin man sich zurückzog, wie heute in ein Sanatorium. Madame du Deft'and, der be- kannte Blaustrumpf, die Herzogin v. Choiseul u. a. wohnten im Kloster, weil es billig war, Fräulein v. Osterhausen, die verabschiedete Maitresse August des Starken, begibt sich zu den Ursulinerinnen in Prag, juchhet aber tagsüber in der Stadt umher! Es ging auch in den Klöstern durchaus nicht etwa langweilig zu. Die Pfalzgräfin Louise Hollandine, Aebtissin von Maubuisson, eine Tante Liselottens, hatte 14 natürliche Kin- der und zu jedem einen anderen Vater, es wird ihr also die Zeit nicht lang geworden sein, und wie lustig es in den Sprech- zimmern italienischer Nonnenklöster sein konnte, wo sogar Bälle abgehalten wurden, berichten außer anderen auch Keyß- 1er und Casanova, der, wenn man von seiner Frivolität ganz absieht, eine erwiesenermaßen durchaus glaubwürdige und zu- verlässige Quelle ist. Der protestantische Pfarrerssohn Lauck- hard, der sich ein Kloster wohl auch anders vorgestellt hatte, ist ganz erstaunt, daß es bei den Augustinerinnen in Metz höchst fidel zugeht. Franz X. Bronner erzählt aus dem Kloster zum Hl. Kreuz in Donauwörth, daß ein beliebtes Gesellschafts- spiel der Mönche darin bestand, Frauen und Mädchen die Waden zu messen, daß man sich in bunter Reihe im Kreise auf den Boden setzte und unter den Röcken und Kutten Schuh suchen spielte. .-D« Zeitungen als Organe der öffentlichen Meinung kommen noch nicht ni Betracht. 1784 zahlte ganz Deutschland kaum 217 Zei- tungen, unter denen eigentlich nur Schlözers Staatsanzeigen eine Rolle spielen. Man nannte ihn seiner Veröffentlichungen wegen die Geißel der deutschen Reichsfürsten. Maria Theresia soll bei Erwägung jeder neuen Maßregel gesagt haben, was wird wohl Schlözer dazu sagen ! Er schrieb in Göttingen, wohin ein Strahl der englischen Preßfreiheit fiel, an anderen Orten würde es ihm wohl nicht möglich gewesen sein, sich

256

Sir Thomas Lawj-ence, Miss Farren, ijgs

Die M ode. 18. Jahrh. 51

Die Modfi. IS. Jahrk., 2. A

17

Girodet, Dfei musizierende Damen

gefürchtet zu machen. Das oft zitierte Wort Friedrichs des Großen : Gazetten dürfen nicht genieret werden, darf man beileibe nicht so verstehen, als habe es etwa für Preußen Gel- tung gehabt. In Preußen bestand, wie Lessing 1769 an Nicolai schrieb, die Freiheit darin, so viele Sottisen gegen die Reli- gion, als man wolle, zu Markte zu bringen, in allen übrigen Rücksichten war Preußen das sklavischste Land in Europa, wie Alfieri 1770 bemerkt, eine einzige ungeheure Wachtstube. Graf Ernst von Manteuffel hatte schon 1735 an Prof. Wolf in Marburg geschrieben : »Jeder Untertan in diesem Lande, von welchem Stande er auch sei, ist ein geborener Sklave.«

258

Jt-h. Baptist von Lanipi, Kaiserin Maria Feodorcmma von Rußland

Die Mode. 18. Jahrb. 52

,,^k^i

VERLAG VON F. BRUCKMANN A.-G., MÜNCHEN

DIE MODE

Menschen und Moden im 17., 18. und 19. Jahrhundert

Nach Bildern und Kupfern der Zeit

Mit Text von Max von Boehn

Sechs wunderhübsck ausgestaltete Bändchen mit fast 1200 Abbildungen in Ein- und Vier- farbendruck, handkoloriertem Lichtdruck, Mezzotintogravüre, Rötel-, Sepia- und Duplexdruck

Das siebzehnte Jahrhundert

(2. Aufl. Frühjahr 1920); in violettem Pappband M. 15.

Das achtzehnte Jahrhundert

(2. verbesserte Aufl.); in violettem Pappband M. 18.

Das neunzehnt e Jahrhundert

I. Band: 1790 1817 Directoire Empire Befreiungskriege (^. Aufl. Frühjahr 1920) II. Band : 1818 1842 Restauration Biedermeierzeit (4. vermehrte Aufl.) III. Band: 1843 1878 4" er Revolution Zweites Kaiserreich (4. Aufl. Frühjahr 1920) in violetten Pappbänden; jeder Band M. 15.

Im Dezember 1919 erschien:

Das neunzehnte Jahrhundert

IV. Band: 1879 1914. In violettem Pappband M. 18.

Jeder Band ist für sich abgeschlossen und einzeln käuflich.

Das neunzehnte Jahrhundert in 4 Pappbänden M.63. ; in 4 Halblederbänden M. 123.—

Alle 6 Bände zusammen in Pappbänden M. 96.— ; in Halbleder gebunden, M. 186.

Die entzückend ausgestatteten und verschwenderisch mit farbigen Ab- bildungen geschmückten Bändchen enthalten eine allerliebste Kultur-, Kostüm- und Kunstgeschichte vergangener Jahrhunderte, nicht wissenschaftlich erschöpfend, aber wertvoll anmutig und lebendig. Der temperamentvolle amüsante Text und die fein gewählten Illustrationen geben ein lebenswarmes Bild jener Zeiten, ihrer Menschen und ihrer Moden.

Den Bändchen wurde von Seiten des Publikums und der Presse ungeteilter Beifall gespendet:

>Selten ist eine glückliche Idee glänzender verwirklicht worden, als mit diesem ebenso lehrreichen wie ergötzlichen Zeitspiegel. Der Reichtum der teils schwarzen, teils farbigen Illustrationen, für die sich die Herausgeber alle Schätze der großen Sammlungen und der bildenden Kunst nutzbar zu machen verstanden haben, ist ebenso groß wie die Sorgfalt, Findigkeit undDeHkatesse der Auswahl und die Feinheh der technischen Reproduktion. Schlechtweg vorzüglich ist auch die typographische und buchbinderische Ausstattung: alle Kräfte haben hier harmonisch zusammengewirkt, ein buchtechnisches Kunstwerk zuwege zu bringen.« Literarisches Echo

» . . . Doch nachdem man das Buch so im ersten entzuckten Ansturm durch- genascht hat, möge man sich soviel Zeit nehmem, es auch zu lesen. Ein wohl- unterrichteter, ausnehmend geschmackvoller Mann dient uns als Führer; dabei ein kunstvoller Stilist, der uns mit sicherer Leichtigkeit durch die Wirrnis eines komplizierten Jahrhunderts geleitet.« Neue Freie Presse

Die Bände sind in den meisten Buchhandlungen vorrätig.

VERLAG VON F. BRUCKMANN A.-G., MÜNCHEN

In gleicher Ausstattung erschienen:

Miniaturen und Silhouetten

Ein Kapitel aus Kulturgeschichte und Kunst

von MAX VON BOEHN

3. Auflage. Oktavformat. Mit 200 Abbildungen. Schön gebunden M. 15. . In Halbpergamentband M. 30. ,

Zahlreiche, mit Sachkenntnis gewählte, mit Feinheit wiedergegebene Minia- turen und Silhouetten geben in farbiger Fülle eine reizende Vorstellung von dieser liebenswürdigen Kunst unserer Voreltern. Der heiter-geistvolle Text des wohlunterrichteten Verfassers geleitet uns mit sicherer Leichtigkeit in eine ent- zückende kleine Welt voll Anmut und Freude, in der wir gern für ein paar Stunden die Not der Gegenwart vergessen. Für geschmackvolle Menschen gibt es keine willkommenere Gabe als dieses Buch Max von Boehns.

lllllllll><>lllllllllIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIillllllMllllllMIIIIIIIIIMIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII

Die deutschen Volkstrachten

Gesammelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Nach dem Leben aufgenommen und beschrieben von Rose Julien

Mit 250 Abbildungen und 1 6 farbigen Tafeln Geheftet Mark 4.80 :: Gebunden Mark 8.

iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii

Folgende Bilder aus dem vorliegenden Bande »Die Mode im 18. Jahrhunderte sind auch als Einzelblätter im Verlag von F. Bruckmann A.-G., München, Text Seite: erschienen:

7 Rigaud, Liselotte, Pigmentdruck, Folio 1.50 Mk. (ca. 20:30 cm)

41 Canaletto, Altmarkt zu Dresden Pigmentdruck, Folio 1.50 Mk. (ca 20: 30 cm).

54 C hardi n, Die Gouvernante, Pigmentdruck, Folio I 5oMk. (ca 20:30 cm); Imperial

Knhledr- (ca 30:40cm) 25. Mk.; färb. Medici-Druck (38: -ii^li cm) 27. Mk.

56 Chardin, Die Briefsieglerin, Pigmentdruck, Folio 1.50 Mk. ; Imperial Kohledruck

25.— Mk. 66 Liotard, Uie schöne Leserin, Pigmentdruck, Folio i 50 Mk. Tafel :

I Watteau, Der Tanz (ganzes Bild), einfarb. Pigmentdruck, Folio 1.5} Mk.;

Imperial Kohledruck 25 Mk S Lancret, Tänzerin Camargo (ganzes Bild), einfarbig. Pigmentdruck, Folio i.soMk.; Faksimile Me^zotintogravüre (44 64 cm) 10. Mk. 14 Boucher, Madame de Pompadour, einfarb. Pigmentdruck, Folio 1.50 Mk.; Imperial

Kohledruck 25. Mk. 20 Zoffany, Bildnis eines Ehepaares, einfarb. Pigmentdruck, Folio 1.50 Mk.

Verzeichnis von Kunstblättern aus dem Verlag von F. Bruckmann A.-G. München, kostenlos.

Anfang ig 20 erscheint:

WEIBLICHE KÖRPERBILDUNG UND BEWEGUNGSKUNST

NACH DEM SYSTEM MENSENDIECK

Herausgegeben von Dr. Fritz Giese und Hedwig Hagemann

Ein Band in 8** mit gegen 100 Abbildungen Geheftet etwa M. 8. Gebunden etwa M, 12.

Dieses neue Buch ist die notwendig gewordene Ergänzung zu dem vor 1 2 Jahren zuerst erschienenen und zu großer Verbreitung gelangten, neben- stehend angezeigten, bahnbrechenden Werke derFrauDr.BessM.Mensendieck über die Körperkultur der Frau. In einer Reihe von schön und lehrreich illustrierten, von Fachleuten verfaßten Aufsätzen vertritt und erweitert es den Gedanken zweckmäßiger weiblicher Körperbildung, den es nach ver- schiedenen Gesichtspunkten ausbaut und, indem es Anwendung und Wirkung auf das private und öffentliche Leben der Frau berührt, in vielfacher Weise mit neuen Kulturfragen verbindet. Mitarbeiter an dem Buche sind: Dr. F Giese, Dorothee Günther, Dr. K. Hagemann, Dr. Auguste Hohbaum, Dr. Müller- Freienfels, Dr. Freiherr von Oeynhausen, die Tän- zerin Ellen Petz, Professor P. Schnitze -Naumburg, Dr. Frank Thieß, Professor F. Winter, Hanna Winter, Dr. J. Zadek

VERLAG VON F. BRÜCK MANN A.-G. / MÜNCHEN

Haltung zu Beginn der Übungen " Nach dreimonatlicher Übung

(Verkleinerte Probeabbildung)

Körperkultur der Frau

Praktisch hygienische und praktisch ästhetische Winke

von

FRAU Dr. BESS M. MENSENDIECK

Ein Band in 8 " mit loo Abbildungen Geheftet M. 6.50 / Gebunden M. 9.50

Dieses Buch konnte nur von einer Frau geschrieben werden ; nicht der Arzt, nicht der Hygieniker, nicht der Künstler hätten, trotzdem sie in Theorie und Praxis mit den in dem Buche gegeißelten Mißsländen wohl vertraut sind, mit solcher Eindringlichkeit, mit solchem Freimut, mit solcher Begeisterung und Ueberzeugungskraft dem modernen Frauengeschlecht den Spiegel vorhalten und das ihr vorschwebende Ideal einer besseren Zu- kunft predigen können, als die eigene Geschlechtsgenossin. Wir können das Buch jedem, dem die Entwicklung der künftigen Generation am Herzen liegt, dringend empfehlen." Reichs-Medizinal-Anzeiger

Zu beziehen durch jede Buchhandlung

VERLAG VON F. BRUCKMANN A.-G. / MÜNCHEN

o«. .■r..^^""'^®'^'*y o* California ^nl2V^"5^^ REGIOFiAL LIBRARY FACILITY 405 Hilgard Avenue, Los Angeles, CA 90024-1388

Return this material to the library ^rom which it was borrowed.