MITTEILUNGEN

DER

HEFT 9.

DIE NEUEN DIENSTGEBÄUDE DER STAATSARCHIVE

zu

COBLENZ UND DÜSSELDORF

VON

DR. RICHARD KNIPPINGr ond Dr. THEODOR ILGEN

ARCHIVAR AM STAATSARCHIV ZU COBLENZ. DIREKTOR D. STAATSARCHIVS ZU DÜSSELDORF.

MIT 14 FIGUREN.

K. PREUSSISCHEN ARCHIVVERWALTUNG, j

*

Digitized by the Internet Archive in 2019 with funding from Getty Research Institute

https://archive.org/details/dieneuendienstgeOOknip

MITTEILUNGEN

DER

K. PR RUSSISCHEN ARCIIIVVERW ALTUNG.

HEFT 9.

LEIPZIG

VERLAG VON S. HIRZEL 1907.

DIE

NEUEN DIENSTGEBÄUDE

DER

STAATSARCHIVE

ZU

COBLENZ UND DÜSSELDORF

VON

Dr. Richard Knipping ÜND Dr. Theodor Ilgen

Archivar am Staatsarchiv zu Coblenz. " Direktor d. Staatsarchivs zu Düsseldorf.

MIT 14 FIGUREN.

LEIPZIG

VERLAG VON S. HIRZEL 1907.

Vorwort.

In dem vorliegenden Hefte wird mit den früher in Aussicht gestellten Beschreibungen der im Bereiche der Staatsarchivverwaltung seit 1896 aus¬ geführten Bauten begonnen.

Die verschiedene äußere Anlage der beiden hier vereinigt auftretenden Darstellungen für die Staatsarchive der Rheinprovinz wurde durch die ge¬ gebenen Verhältnisse veranlaßt. Für die Zwecke des Staatsarchivs zu Coblenz ist eines der ältesten öffentlichen Gebäude der Stadt neu ausgebaut worden. Der hervorragende kunstgeschichtliche Wert des alten Baudenkmals ließ es angezeigt erscheinen, seine bis in die romanische Periode zurückführende Ge¬ schichte nach den Urkunden eingehender zu erforschen und den Schwerpunkt der Aufgabe in diesen historischen Teil zu legen, für den die Beschreibung des jetzigen Zustandes des alten Deutsch ordenshauses den Abschluss bildet.

Nach andrer Richtung ist in dem Abschnitte über Düsseldorf die Auf¬ gabe erweitert worden. Während für Coblenz das sechste Heft dieser „Mit¬ teilungen“ eine Übersicht über die Gliederung und damit zugleich über die Entstehung und Herkunft der Archivbestände bietet, liegt für Düsseldorf eine solche in unserer Sammlung noch nicht vor und wird in dem für Coblenz gewählten Maßstabe vorerst auch nicht in Aussicht genommen, weil der an andrer Stelle, im zweiten Ergänzungsheft der „Westdeutschen Zeitschrift für Geschichte und Kunst“ veröffentlichte „Wegweiser“ durch die handschrift¬ liche Überlieferung für die Geschichte des Niederrheins in gewissem Sinne als Ersatz dienen kann. Einen Ausschnitt in verändertem Maßstabe aus dieser seiner früheren Arbeit gibt nun Theodor Ilgen, im Anschluß an die Beschreibung der neuen Räume des Düsseldorfer Staatsarchivs, in seinen Aus¬ führungen (S. 48 ff.) über dessen Bestände nach ihrer äußeren Gliederung, ihrer Entstehung und ihren Schicksalen.

Für die Abbildungen dieses Heftes haben die Schriftleitung des „Zentral-, blatts der Bauverwaltung“ in Berlin die Druckstöcke zu den Figuren 10 12 und zu den Grundrissen auf S. 41 und der Herr Provinzialkonservator Professor Dr. Cie men in Bonn die zu den Figuren 1 5 und 9 freund- lichst zur Verfügung gestellt.

K. Koser.

o

Inhalt.

Seite

Das Deutscbordenshaus zu Coblenz. Seine Baugeschichte und seine Aus¬ gestaltung zum Staatsarchiv. Von R. Knipping.

A. Die Baugeschichte des Deutschordenshauses . 1

1. Die romanische Zeit . 3

2. Die gotische Zeit . 15

3. Die Zeit des Barock und die späteren Schicksale des Hauses ... 22

B. Beschreibung des Staatsarchivs . 28

1. Der Rheinflügel . 28

2. Der Moselflügel . 31

3. Der Westflügel . 32

4. Bauliche Nebenanlagen . 33

Das neue Gebäude des Staatsarchivs zu Düsseldorf und dessen Bestände.

Von Th. Ilgen.

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs . 37

II. Die Bestände des Staatsarchivs nach ihrer äußeren Gliederung ; deren Ent¬

stehung, frühere Aufbewahrungsorte und Verteilung im neuen Gebäude 48

Das Deutschordenshaus zu Coblenz.

Seine Baugeschichte

und seine Ausgestaltung zum Staatsarchiv.

Vou

Dr. Richard Knipping,

Archivar.

A. Die Baugeschiclite des Deutschordensliauses.

Ara Nordende der Stadt Coblenz, inmitten einer Landschaft von an¬ mutigster Schönheit, erheben sich dort, wo Rhein und Mose! ihre Wellen miteinander vermählen, drei bemerkenswerte Baulichkeiten: das gigantische, aus Riesenquadern gefügte Denkmal Kaiser Wilhelms I., die Castorkirche mit ihren reichen und feingegliederten Formen später Romanik und zwischen beiden eine Gebäudegruppe, zum Teil verdeckt von Grün und den Resten der mittelalterlichen Stadtmauer, das ehemalige Deutschordenshaus und jetzige Staatsarchiv. Dem Rhein zunächst steht ein hochragender, von steilem Sattel¬ dach bedeckter, vielfenstriger Bau, dessen Einförmigkeit den Zauber nicht ahnen läßt, der uns umfängt, wenn wir vom Castorplatz das malerische Innere der Komturei betreten. Da ist ein großer, stiller Garten mit den rebenumrankten Trümmern einer alten Kirche, weite Hallen wölben sich über uns, romanische, gotische, barocke Bauglieder fesseln in reizvollem Wechsel den Blick, und über dem Ganzen ruht ein Hauch träumerischer Romantik. Die Vergangenheit redet eine leise, aber eindringliche Sprache zu uns an diesem Orte, der wie wenige geeignet ist, ein Hüter ihrer Überlieferung zu sein.

Das deutsche Haus in Ooblenz ist die älteste Niederlassung des Ordens im Gebiet des Rheins. Im Jahre 1216 überwies Erzbischof Dietrich von Trier den Deutschordensbrüdern die Besitzungen des bei St. Florin gelegenen und bisher von den Kanonikern dieses Stifts verwalteten St. Nikolaushospitals *)• Es waren Geld- und Naturalrenten sowie Grundstücke in Coblenz und Orten der nächsten Umgebung. Das Gebäude des alten Hospitals, das den Brüdern für ihre Zwecke zu klein erschien, fand beim Neubau eines Refektoriums des Florinstifts Verwendung. Sie selbst gingen an die Errichtung eines neuen Hospitals vor den Mauern der Stadt an jener Stelle, die nach ihrer Siedelung noch heute den Namen „das deutsche Eck“ trägt. Frommer Schenkungs¬ eifer und geschickte Verwaltung vergrößerte allmählich den Besitz des Hauses. Am Ende des Jahrhunderts umfaßte er nicht weniger als 20 Höfe im Mosel¬ und Rheintal und auf der Höhe des Maifeldes, darunter die wertvollen, großen Weingüter zu Rhens, Oberlahnstein, Boppard, Oberwesel, Moselweiß,

1) Heunes, Urkundenbuch des deutschen Ordens I. S. 22.

Mitteilungen. 9. Heft. 1

1. Die romanische Zeit.

o

Güls und Lay, für deren Produkte schon früh Zollfreiheit erlangt wurde. Auch die Zahl der Ordensbrüder mehrte sich, und neue Niederlassungen am Mittel- und Niederrhein, in Mainz, Köln, Muffendorf, Breitbach, Judenroth, Rhein¬ berg, Meelieln in Brabant, von kleineren Häusern nicht zu reden, wurden dem seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zur Ballei erhobenen Coblenzer Hause unterstellt,1 2) ein zu großes Verwaltungsgebiet, als daß' es sich nicht bald als notwendig erwiesen hätte, an die Spitze der Hauptkomturei einen besonderen Leiter zu setzen, den Hauskomtur, der neben dem Landkomtur seit etwa 1290 in den Urkunden erscheint.

Die bauliche Entwicklung des Coblenzer Deutschordenshauses stand naturgemäß in engstem Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Ausdehnung und den vorhandenen Mitteln. Aus bescheidenen Anfängen ist im Verlauf zweier Jahrhunderte die Anlage zu dem stattlichen Umfange herangewachsen, mit dem sie sich jetzt, zum Teil nur noch in trümmerhaftem Zustand, unseren Augen darbietet.

Deutlich heben sich bei einer Betrachtung des architektonischen Befundes drei Bauperioden in dieser Entwicklung ab: eine romanische, eine gotische und als Nachklang eine mehr in ornamentaler als konstruktiver Form hervor¬ tretende Periode des Barock.-)

1. Die romanische Zeit.

Sehen wir zu, bevor wir die urkundlichen Quellen zur Geschichte des Hauses reden lassen, was uns von romanischen Bauteilen erhalten ist und zwar zunächst an dem westlichen der drei um den inneren Hof gelagerten Flügelbauten.

Der Grundriß dieses Westflügels3) bildet ein etwas verschobenes Rechteck von 23.30 bezw. 24 m : 10.14 m im Geviert. Seine Südwestecke ist ein wenig stumpf und zeigt, daß man sich hier dem Terrain hat an¬ passen müssen, daß also der anstoßende Teil des großen Gartens noch nicht den Bauherren gehörte. Die Stärke der aus Bruch- und Tuffsteinen be¬ stehenden Mauern beträgt nach Westen 1.10, nach Süden 0.88, nach Osten 0.80,

1) Vgl. Joh. Voigt, Geschichte des deutschen Ritterordens I, 76.

2) Viele Architekturteile und alle Malereien sind erst bei den mit sorgsamem Eifer ausgeführten Restaurationsarbeiten der Jahre 1895—1897 aufgedeckt worden. Der Leiter dieser Arbeiten, Reg. - Baumeister Haltcrmann, hat über sie Bericht erstattet (Berichte über die Tätigkeit der Provinzialkommission für die Denkmal¬ pflege in der Rheinprovinz 111 (1898) S. 37 ff.). Ein tieferes Eindringen in die Ge¬ schichte des Baues lag nicht in der Absicht jenes Berichtes. Manche der bau¬ geschichtlichen Angaben sind daher nach den folgenden Ausführungen zu ändern. P. Lehfeldt , Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Coblenz (188(0 S. 173, hat das Haus nur als Proviantamt vor seiner Restaurierung gesehen und vermag deshalb nicht viel darüber zu sagen.

3) Vgl Fig. 2. (auf der Tafel am Schluß des Heftes) C.

1

4

A. Die Baugeschichte des Deutschordenshauses.

nach Norden 0.85 bezw. 1.10 m.1) Eine 0.86 m starke Quermauer teilt den länglichen Bau in zwei nicht ganz gleiche Teile, die sich nach der Höhe zu verschieden entwickelten. Steigen wir in dem südlichen dieser Teile 2) auf einer siebenstufigen Treppe zu dem jetzt kellerartigen Raum hinab, so umgibt uns eine romanische zweischiffige Halle zu je drei Jochen, von quadratischen, rundbogigen, rippenlosen Kreuzgewölben überspannt, die durch breite, rechteckige Gurtbögen voneinander getrennt werden. Ebensolche Schildbögen verlaufen an den Wänden. Die Gewölbe werden in der Mitte von zwei achteckigen, mit einfachen Basen und kämpferartig gestalteten Ivapitälen versehenen Säulen , von denen eine mit dem Südjoch zur Zeit vermauert ist, an den Wänden abwechselnd von achteckigen Halbsäulen und Konsolen getragen. 3) Die Gewölbekappen sind aus Tuffstein hergestellt, Säulen, Gurt- und Schildbögen, sowie die Konsolen aus Basaltlava. Das Ganze zeugt von regelmäßiger und solider Arbeit.

Dieser bis zum Scheitel der Gewölbe 3.58 m hohe und mit seinem Fußboden 1.80 m unter dem Pflaster des Hofes liegende Raum war ur¬ sprünglich ein Erdgeschoß. Seine Höhenlage entsprach der des gewachsenen Bodens. Bewiesen wird dies durch die in das fast ebenso hoch liegende Erd¬ geschoß des Moselflügels führenden romanischen Tore, deren Schwellen früher in einer Ebene mit dem äußeren Terrain ruhten, jetzt aber tief in dem auf¬ geschütteten Boden stecken. Den Grund für diese Aufhöhung darf man wohl darin suchen, daß die Deutschherren durch Überschwemmungen über die nicht hochwasserfreie Lage ihrer Gebäude belehrt wurden.4) Sie muß schon sehr frühzeitig vorgenommen sein , denn der romanische Bau des Rhein¬ flügels und die frühgotische Kirche stehen bezw. standen bereits auf dem neuen Bodenniveau, das dem jetzigen entspricht. Bei der gotischen Ver¬ längerung des Moselflügels ist man dagegen in der Ebene des Hauptbaues geblieben.

Wie sich der Südteil des Westflügels in romanischer Zeit in die Höhe entwickelte, ist nicht mehr festzustellen, da der Bau im 18. Jahrhundert bis auf das Untergeschoß niedergerissen und neu aufgeführt wurde. Deutlich erkennbar ist dies aber bei dem Nordteil. Er hatte ein Keller-, Mittel- und Obergeschoß. Der 1.30 m tiefer als das Erdgeschoß des Südteils liegende Keller war ein dreischiffiger, 2.67 m hoher Raum von fast gleich langen Seiten mit neun Jochen, von denen sich noch sechs erhalten haben. Sie

1) Für das Bruchsteinmaterial besaß das Haus einen eigenen Steinbruch, aus dem auch die Stadt Coblenz 1277—1280 Steine für ihren Mauerbau bezog. Vgl. Bär, Der Coblenzer Mauerbau S. 60, 77, 85.

2) Vgl. Fig. 2 (auf der Tafel am Schluß des Heftes) 0 und Fig. 3 links unten.

3) Achteckige Säulen befinden sich auch in der romanischen Krypta von St. Severin in Köln.

4) Große Überschwemmungen fanden 1260 und 1279 statt. Vgl. die Kölner Jahrbücher, Chroniken der deutschen Städte XIII, 30 und das Chronicon monasterii Campensis, Annalen des liistor. Vereins für den Niederrhein XXI, 295.

1. Die romanische Zeit.

o

Fig. 4. Schnitt durch den Moselflügel.

6

A. Die Baugeschichtc des Deutschordenshauses.

sind von quadratischen, rundbogigen ') Gratgewölben überdeckt, die auf schlanken, achteckigen Säulen mit einfachen Basen und trapezförmigen Kapi¬ talen ruhen. Wandkonsolen fehlen. In der Ostwand zeigt sich eine Kamin¬ nische. Das Baumaterial ist das gleiche wie im Erdgeschoß des Südteils. Das Mittelgeschoß, welches in der Zeit der Entstehung des Baues 1.S0 m über dem gewachsenen Boden lag, jetzt aber zu ebener Erde liegt, trägt dieselbe Struktur wie der Kellerraum: es ist eine 3.19 m hohe, dreischiffige Halle gewesen, von denen sich gleichfalls nur zwei Schiffe erhalten haben, da man im Anfang des 18. Jahrhunderts durch die drei Nordjoche die den Vorhof mit dem Innenhof verbindende Durchfahrt legte, bei welcher Gelegen¬ heit auch die entsprechenden Joche des Kellers mit Erde aufgefüllt und ver¬ mauert wurden. Auch hier finden wir rundbogige,1) quadratische Gratgewölbe, deren Druck von achteckigen Säulen und von Wandkonsolen aufgefangen wird. Die Säulen sind nicht mehr die ursprünglichen romanischen. Sie tragen gotische Formen, ihre Kapitale sind durch einfache Auskehlungen gebil¬ det, doch kann man sie aus stilistischen Gründen kaum einer genauer begrenzten Zeit zuweisen. 2) Eine Rundbogentür, die in den später angebauten Treppen¬ turm führte, ist zugemauert. 3) Im Obergeschoß zeigen sich von romanischen Bauteilen nur noch die beiden prächtigen Fenster in der Nordgiebelfront. Es sind gekuppelte Rundbogenfenster, jedes umrahmt von einer Kleeblatt¬ bogenblende mit eingelegtem Rundstab (Blendenhöhe 2.50 m, Blendenbreite 1.55, Höhe der Fenster im Lichten 1.53, Breite je 0.60 m). 4)

Auch der Mos elf 1 ü g e 1 5) birgt noch so zahlreiche und zusammenhängende Architekturteile aus der romaniscke'n Zeit, daß wir uns unschwer das ganze Gebäude rekonstruieren können. Die Maße seines Grundrisses sind 18.10: 11.05 m. Die Höhe der romanischen, später um etwa 1.30 m auf¬ gemauerten Umfassungsmauern bis zum Dachansatz beträgt 11.50 m, bis zum First des romanischen Daches etwa 1 6 V2 m. Das romanische Dach hatte eine viel flachere Neigung als das jetzige gotische, dessen Höhe bis zum First 21.73 m zählt, seine Giebel waren abgetreppt, wie sich noch deutlich an der Westseite des Dachbodens wahrnehmen läßt. Die Stärke der Mauern ist etwas beträchtlicher als beim Westflügel: im Erdgeschoß nach Norden 1.25, nach Westen 1.10, nach Süden 1.00, nach Osten 1.10 m, in den oberen Etagen entsprechend 0.95 : 0.90 : 0.90 : 1 m. Das Material besteht aus Bruchstein.

1) Auf der Fig. 3 sind die Gewölbe irrtümlich als spitzbogige wieder¬ gegeben.

2) Sie sind wohl nach dem Muster der Säulen des gotischen Anbaues ge¬ macht.

3) Das in dem Gewölbefeld über ihr gemalte Deutschordenswappen (Kreuz mit aufgelegtem Adler) stammt aus ganz später Zeit.

4) Vgl. Fig. 5. Nach gell. Mitteilung des Herrn Landbauinspektors Haltermann hat sich beim Umbau auf der westlichen Innenwand des Westflügels ein Rest von Bemalung aus gotischer Zeit gefunden und zwar ein Pflanzenomament.

5) Vgl. Fig. 2 (auf der Tafel am Schluß des Heftes) B.

8

A. Die Baugeschichte des Deutsehordenshauses.

Das romanische Erdgeschoß, dessen Boden 1.20 m unter dem jetzigen Niveau des Hofes liegt, bildete eine zweischiffige, 4,35 m hohe Halle von sechs Jochen, deren rundbogige, grätige Kreuzgewölbe auf zwei runden Mittelsäulen ruhten. Die größere Hälfte des Raumes ist nach einem Durch¬ bruch der Decke im vorigen Jahrhundert in zwei Tonnengewölbe umge¬ wandelt worden '), nur der kleinere, westliche Teil ist in seiner ursprüng¬ lichen Form erhalten. liier haben die Gewölbe keine regelmäßige Kreuz¬ form, weil sie sich nicht gradlinig auf die Westwand aufsetzen konnten, son¬ dern einer in der Mitte dieser Wand angelegten Tür ausweichen mußten. Wandkonsolen fehlen. Die runde Mittelsäule aus Basaltlava hat eine Trommel¬ basis und ein ebensolches Kapitäl. Schaft und Kapital tragen Steinmetz¬ zeichen.1 2) In der Nordwestecke zeigt sich eine gerundete, nischenartige Mauerausbuchtung. Außer der Westtür besitzt die Halle noch ein auf den Hof führendes Tor in der Südwand. Von zwei großen, rundbogigen, tief in der Erde steckenden Toren in der Ostwand sind noch Bogenteile sichtbar.

Auf dem Erdgeschoß erhoben sich zwei obere, in gotischer Zeit zu einer einzigen hohen Halle vereinigte Stockwerke, die, wie ihre geringen Höhen¬ maße von je etwa 3.50 m dartun, nicht eingewölbt waren, sondern flache Holzdecken trugen. Das erste diente ohne Zweifel wie später der ganze Raum als Remter, der zweite wahrscheinlich als Dormitorium. Von den äußeren Architekturteilen ist uns in der Westfront 3 4) ein Bruchstück des den Eingang zum Remter bildenden Portals erhalten, zu dem eine Freitreppe empor¬ führte. Es war ein rundbogiges Tor von 3.32 m innerer Höhe und 2.04 m Breite mit reichgegliederter Laibung, in die zwei Rundstäbe eingelegt sind. Über ihm im zweiten Obergeschoß sitzt ein von einer Rundbogenblende um¬ gebenes Doppelfenster von 2.50 m innerer Bogenöffnung und 1.56 m Breite, dessen Mittelsäule zerstört ist, und noch höher hinauf im Giebeldreieck ein kleiner Vierpaß. Von den vier Zwillingsfenstern der gegenüberliegenden Ostfront ist leider nur eins der beiden des zweiten Obergeschosses auf uns gekommen, dieses aber unversehrt: ein gekuppeltes Fenster von fast der gleichen Struktur wie die des Westflügels mit Mittelsäulchen, Knosp enkapitäl und Eckblattbase, in einer Kleeblattbogenblende mit eingefügtem Rundstab stehend. (Innere Höhe der Blende 2.66 m, innere Blendenbreite 1.93, Höhe der Fenster im Lichten 1.52, Breite je 0.70 m.) In der Nordwand hat man bei den Umbauarbeiten der Jahre 1895 1897 in den Gewänden der go¬ tischen Fenster Reste von anscheinend zwölf romanischen Fenstern entdeckt 4),

1) Die beiden dort angebrachten Türstürze, der eine mit dem Wappen des Komturs Casp. Christian v. Neuhoff und der Jahreszahl 1676, der andere mit der Inschrift Trapeney, stammen aus anderen Bauteilen.

2) Auch das mit dem gleichen Steinmetzzeichen versehenen Kapitäl der an¬ deren Säule ist noch erhalten. Es ruht in dem hallenartigen Raum.

3) Vgl. Fig. 6 (auf der Tafel am Schluß des Heftes).

4) Nach freundlicher Mitteilung des Herrn Kais. Postbauinspektors Höfig, der an jenen Arbeiten teilgenommen hat.

1. Die romanische Zeit.

9

die nicht freigelegt bleiben konnten. Jedes der Obergeschosse hätte dem¬ nach nach dieser Seite hin je sechs einfache Rundbogenöffnungen gehabt. Sind solche schlichten, ungepaarten Fenster schon an und für sich für diese Zeit entwickeltester Romanik wenig wahrscheinlich, so legt die Betrachtung eines anderen Gebäudes, dessen Entwurf ohne Zweifel auf den Architekten des Moselflügels zurückzuführen ist, die Vermutung nahe, daß wir es hier nicht mit Resten von zwölf Einzelfenstern, sondern mit solchen von sechs dreifach gekuppelten Fenstern zu tun haben. Es ist das Haus, welches die Coblenzer Ordensritter kurze Zeit vor unserem Bau in Boppard auf ihrem im südöstlichen Stadtteil am Rheinufer gelegenen Hofe errichten ließen.1 2) In den Höhenverhältnissen des Aufbaues und der Ausbildung des Details dem Moselflügel aufs engste verwandt, zeigt dieses Gebäude an der Giebelfront Doppelfenster in Kleeblattbögen, im zweiten Obergeschoß der Langseite11) aber Fenster, die, von einem Rundbogen umschlossen, dreifach auf zwei Mittelsäulen gekuppelt sind. Ihre Breite entspricht dem jedesmaligen inneren Abstand zwischen zwei Laibungsbogen der in der Nordwand des Moselflügels steckenden Fensterreste. Nehmen wir auch für die Südwand des Hauses die¬ selbe Fensterbildung an, so steht der unten burgartig ernste, nach der Höhe zu lebendig gegliederte Bau kräftig und anmutig zugleich in voller Deutlich¬ keit vor unsern Augen.

Einen Schmuck eigener Art besaß der Moselflügel in seiner äußeren Bemalung. Ein großes Stück von ihr ist unter dem Schutze eines sich an¬ lehnenden Daches auf der Westgiebelseite erhalten geblieben, kleinere Reste finden sich etwas tiefer an derselben Wand und am Erdgeschoß der Ost¬ front. Sie sind zugleich von besonderem kunstgeschichtlichen Interesse als das vielleicht einzige auf uns gekommene Beispiel einer auf Verputz aus¬ geführten, äußeren Bemalung eines romanischen Profanbaus.

Auf einer etwa 3 cm dicken, sorgfältig geglätteten Mörtelschicht ruht als Grundton ein leuchtendes Ziegelrot (gebrannter, lichter Ocker), in Ab¬ ständen von 22 cm wagerecht von weißen Linien durchzogen, so daß der Eindruck entsteht, als legten sich breite, rote Bänder horizontal um das ganze Gebäude. Um den Bogen des oberen Fensters zieht sich in Weiß und Schwarz auf rotem Grunde ein Arkadenornament, das etwas variiert auch das Portal des ersten Geschosses und ein Tor des Erdgeschosses auf der Ostseite schmückt, am letzteren Ort noch von einem gelben Band um¬ rahmt.3) Auf dem eingelegten Eckstab des Fensters bemerken wir ferner

1) 1234 übergab Lukardis von Waltmanshusen dem Deutschen Orden ihr Haus mit Hof zu Boppard unter dem Vorbehalt, es lebenslänglich bewohnen zu dürfen. 1242 verzichtete sie auf diesen Vorbehalt, und die Brüder konnten den Neubau beginnen. Vgl. Hennes a. a. 0. I S. 100 und 114.

2) Diese Langseite ist jetzt leider durch moderne Romanisierang verunstaltet. Ihr früheres Aussehen gibt die Abbildung bei Bock, Rheinlands Baudenkmale des Mittelalters, Bd. II, wieder. Vgl. auch Lehfeldt, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Reg. Bez. Coblenz 581.

3) Vgl. Fig. 7 und 8.

10

A. Die Baugeschichte des Dcutschordenshauses.

ein Ornament von regellos gegeneinander gestellten, halbmondförmigen Flecken in braunroten (Drachenblut, caput mortuum dunkel), gelben (lichtem Ocker) und weißen Tönen, das anscheinend die Äderung buntfarbigen Marmors nachahmen soll und in kleinerer Form und in den Farben Gelb weiß und Blauweiß auf dem Rundstab des nach alten Spuren neubemalten Fensters im Obergeschoß der Ostfront wiederkehrt.1) An diesem Fenster ist der Schaft der Mittelsäule schwarz, Base und Knospenkapitäl gelb und rot bemalt.

Fig. S.

Fig. 7.

Den Zeitgenossen erschien dieser farbenreiche Schmuck des Gebäudes bemerkenswert genug, um es mit dem Namen „rotes Haus“ (domus rubricata, domus rubea) unter den anderen Bauten herauszuheben.'2) Später ist die gleiche Bemalung auf den Westflügel übertragen worden, wie Reste, die sich um die in den Treppenturm führende Spitzbogentüre ziehen, und die renovierte Polychromie der Kleeblattbogenfenster beweisen.3)

1) Das Fleckmotiv finden wir auch im Innern der Severuskirche zu Boppard, der Liebfrauenkirche zu Andernach und in der Nunkirche bei Sargenroth auf dem Hunsrück (vgl. Clemen, Die romanischen Wandmalereien der Rheinlande, Tafel 32, 33, 47, 60), das Arkadenmotiv in den Schiffen der Klosterkirche Arnstein a. d. Lahn und der romanischen Kirchen in Güls und Niedermendig.

2) Vgl. S. 11.

3) Im 14. Jahrhundert stand in der Nähe noch ein drittes rotes Haus, von dem die Stadt Coblenz einen Zins bezog: dat rode huß by deine Dutzschen huse,

1. Die romanische Zeit.

11

Auch am Rheinfltigel *) sind Überreste eines romanischen Baues bloßgelegt worden und zwar dort, wo seine Nordwestecke an die Mosel¬ durchfahrt stößt. Man siebt hier wohlgefügte, an das Bruchsteinmauerwerk gesetzte Eckquadern, die in der Form eines Wulstes abgerundet sind, der nach oben mit einem würfelkapitälartigen Aufsatz abschließt. Sie müssen zu einem Gebäude von kleinen Verhältnissen gehört haben, das dann später in den großen Neubau einbezogen worden ist.

Wie verhalten sich nun die Angaben der urkundlichen Überlieferung zu diesem architekonisclien Befund aus romanischer Zeit? Haben wir hier die älteste Deutschordensanlage vor uns, und sind die drei Gebäude gleichzeitig oder nacheinander entstanden? Es wird sich zeigen, daß das Hospital, das mit der Kapelle naturgemäß den frühesten Teil einer Gründung von Hospitalsbrüdern bilden muß, in keinem dieser Bauten seine Unter¬ kunft hatte.

In einer Urkunde vom 3. Dezember 1 2 7 9 2) gestatten der Erzbischof Heinrich von Trier und die Stadt Coblenz, daß die Deutschordensritter einen bisher öffentlichen, durch ihre Besitzung führenden Weg durch ein Tor sperren, und übergeben ihnen den abgesperrten Teil zu Eigen. Es heißt dort, daß sie erlauben, quod viam publicam, per quam itur iutra iamdictum hospitale et capellam fratrum predictorum per portam quandam construendam sumptibus eorundem in principio seu in capite edificiorum dicte domus iuxta capellam predictam versus plagam occidentalem ad utilitatem dicte domus et fratrum obstruere libere valeant et licenter aperiendam pariter et claudendam tantummodo pro necessitatibus dicte domus et fratrum et quando ipsorum placuerit voluntati, residua parte dicte vie, videlicet a porta predicta usque ad portam opidi Confluentini sitam iuxta Tyliam versus flumen Moselle dictis fratribus et eorum usibus minime precludenda. Dicti vero commendator et fratres pro recompensatione pariter et restauro vie prefate a porta pre¬ dicta fratrum usque ad finem nove domus site super flumina Reni et Moselle videlicet usque ad parietem orientalem, ipsorum fratrum, ut predic- tum est, usibus deputate, iuxta parietem orientalem iam predictam per mu¬ mm exteriorem opidi Confluentini ex opposito vie, per quam itur de Mo- sella versus chorum ecclesie s. Castoris, portam unam ad latitudinem et men- suram eiusdem vie et a fronte rubricate domus dictorum fratrum viam publicam ad latitudinem octo pedum extra muros opidi Confluentini usque ad predictam portam dicti opidi Confluentini, clausam et munitam versus flumen Moselle firmo murali propugnaculo dicti commendator et fratres ad utilitatem reipublice Confluentini opidi construere tenebuntur et quoties opus fuerit reedificare suis laboribus et expensis, ne per ruinas aliquas in quan- tum dicta via publica se extendit sepedictum Confluentinum opidum defor-

das da steit uff der stede muren liinder s. Castoirs chore. Vgl. das älteste Zins¬ register im Stadtarchiv Coblenz.

1) S. Fig. 2 (auf der Tafel am Schluß des Heftes) A.

2) Hennes a. a. 0. II. S. 222.

12

A. Die Baugesehichte des Deutschordenshauses.

metur. Erzbischof Heinrich drückt sich zwei Jahre später *) auf die Klage des Castorstifts, daß es durch diese Konzession geschädigt werde, also aus: er habe, cum per strepitum et clamores cottidie transeuntium per viam, que dividit capellam domus ipsorum ab hospitali eiusdem, ex una parte divinum officium in capella et ex alia parte paupernm et infirmorum in eodem hospi¬ tali decumbentium commodum tnrbaretur, den Deutschordensherren die Schlie¬ ßung des Weges durch ein Tor gestattet, in cuius vie restaurum de nostro consilio et mandato viam aliam in loco magis congruo construxerunt . . . . cum firmo murali, per quod ipsum opidum firmitatis augmentum recipit et munimen. Er veranlaßt eine Untersuchung der Beschwerde des Castorstifts.

Aus diesen beiden Urkunden ergibt sich, daß ein Weg von dem Lindentor an der Mosel, der späteren Scliwanenpforte, über den Castorplatz (plaga occidentalis) durch die Ordensniederlassung und zwar zwischen der Kapelle und dem Hospital hindurch zum Rhein führte. Der Teil des Weges von der Kapelle an, wo die Gebäude des Ordens beginnen, bis zur Ostwand des neuen Hauses am Rhein wird den Brüdern zur Verfügung gestellt, die dafür die Verpflichtung übernehmen, an jener Ostwand ein Tor durch die Stadt¬ mauer zu brechen und von der (Ost)-front des „roten“ Hauses einen öffent¬ lichen, durch eine Mauer befestigten Weg außerhalb der Stadtmauer an der Mosel hin bis zum Lindentor anzulegen. Man konnte nun, ohne das Gebiet des Deutschen Ordens zu berühren, von dem genannten Tor der Mosel ent¬ lang bis zum Deutschen Eck und von dort durch ein schon vorhandenes Moseltor und durch das neue Rheintor an den Rhein gelangen.

Im Jahre 1353 1 2) hat die Stadt, als sie an jener Stelle eine Erhöhung der Stadtmauer vornahm, die Deutschordensherren von der Verpflichtung, die jenen Weg sichernde Mauer zu unterhalten, entbunden. Sie schloß auch das Rheintor, errichtete dort, wo die Mosel- und Rheinmauer zusammenstießen, eine große Pforte und in dieser eine kleinere, deren Schlüssel sie den Brüdern anvertraute.

Zweifel, die man noch über die Lage des Hospitals und der älteren Kapelle hegen könnte, werden vollends durch folgende urkundliche Nach¬ richten beseitigt. Am 22. Juli 1281 3) erwirbt der Deutschorden von Lucia, Witwe des Ritters Simon de Porta, das westlich an das Hospital stoßende Grundstück, ex cuius uno latere seil, versus orientem est hospitale . . . . commendatoris et fratrum, ex alio latere versus septentrionem est murus opidi Confluentini, ex tercio latere versus meridiem est via publica, und als im Jahre 1318 Stadt und Erzbischof die in der Fortsetzung dieses Grund¬ stücks, etwa an der Stelle der jetzigen Dienerwohnung liegende Hausstätte schenken, wird sie in der städtischen Urkunde 4) folgendermaßen orientiert: ex uno latere possident dicti fratres et situm est hospitale eorundem, ex alio

1) Urkunde von 1281 Nov. 23 bei Hennes a. a. 0. I S. 245.

2) Günther, Codex dipl. Rheno-Mosellanus Hl S. 603.

3) Hennes a. a. 0. II S. 238.

4) Hennes I S. 366.

1. Die romanische Zeit.

13

sita est domus lapidea pertinens ad altare ss. Petri et Pauli apostolorum in ecclesia s. Castoris, ex anteriori parte est vicus et ingressus, qui ducit ad monasterium fratrum predictorum, ex quarto latere tendit dicta area super murum oppidi Confluentini versus Mosellam, und iu der Urkunde des Erz¬ bischofs *) heißt es von ihr: aream nostram sitam .... inter hospitale fra¬ trum Thetonicorum ibidem ex una parte et domum lapideam spectantem ad altare ss. Petri et Pauli ap. in ecclesia s. Castoris .... ex altera, item inter capellam dictorum fratrum Thetonicorum ex una parte et murum opidi nostri Confluentini versus Mosellam ex altera.

Damit ist nicht nur erwiesen, daß die romanische Kapelle an der Stelle der späteren gotischen Kirche stand und wesentlich kleiner als diese nicht so wreit nach Westen vorsprang denn die in der erzbischöflichen Urkunde von 1318 erwähnte Kapelle ist der 1302 vollendete Neubau, und 1281 konnte man noch nicht wie 1318 das Grundstück gegen Süden nach der Kapelle orientieren, obwohl es dichter an dem Hospitalbau lag als das von 1318 , sondern wir erhalten auch ein deutliches Bild von der ganzen ältesten An¬ lage, wie sie unmittelbar nach der Gründung im Jahre 1216 entstanden ist. Von sehr bescheidenem Umfang bestand sie nur aus einer kleinen Kapelle, dem von dieser durch einen Weg geschiedenen Hospital, dort gelegen, wo sich später die gotische Verlängerung des Moselflügels erhob, aber nicht so groß wie dieser Bau, und einem Wohnhaus für die Brüder, das wir in dem oben beschriebenen Westflügel oder wahrscheinlicher noch in seiner südlichen Hälfte zu suchen haben. Die kleine Gebäudegruppe war nach der Rheinseite, nach Süden und Westen von fremdem Besitz, nach Norden von der Mosel eingeengt.

Schon bald machte sich bei der wachsenden Zahl der Ordensritter das Bedürfnis nach Ausdehnung geltend, man suchte zunächst den Anschluß an den Rhein zu gewinnen. Am 25. Januar 1249 schenkte Ludwig von Rudens- heim 5/e Teile seines dem Deutschordenshause benachbarten, an die Ufer des Rheines und der Mosel stoßenden Hauses mit dem davor liegenden Grund¬ stück dem Orden, der fehlende Anteil wurde erst 1288 von Hermann von Horcheim hinzuerworben.1 2) Man legte das Haus nieder und errichtete ein neues, den Moselflügel, das unter der Bezeichnung „rotes Haus“ (domus rubricata) zuerst in der oben wiedergegebenen Urkunde von 1279 genannt wird.3) Doch war dieser Bau schon früher vollendet worden, denn als die Stadt im Jahre 1254 gelobt, gegen eine Geldentschädigung die Siedelung des Deutschen Ordens in den neuen Mauerring einzubeziehen, da soll die

1) Hennes I S. 367.

2) Hennes I S. 132 uud 271.

3) De rubea domo prima donatio und litterae de domo rubea lauteten die Dorsalnotizen von alter Hand auf den beiden Erwerbsurkunden von 1249 und 1288. Vgl. Notiz in den Prozeßakten saec. XVI im Coblenzer Stadtarchiv, Akten No. 187. Daß man das alte Haus nicht stehen ließ, sondern ein neues aufführte, beweist die Urkunde von 1288, in der es heißt, daß das letzte Sechstel der domus quondam vicina domui Theutonice verkauft werde.

14 A. Die Baugeschichte des Deutschordeushauses.

Mauer die Häuser, Wohnungen und Grundstücke in angulo utriusque lateris Reni et Moselle umschließen und vom Rhein usque ad domum ipsorum maiorem führen1), worunter nichts anderes als der neue Bau verstanden werden kann. Bei dieser Gelegenheit erhielten die Brüder auch die Aussicht auf einen direkten Zugang zur Mosel, der von der Stadt herzustellen war und der Obhut der Brüder anvertraut werden sollte. Doch scheinen die Bürger ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen zu sein, da in dem Vertrag vom 20. September 1275 2) ausgemacht wird, daß die Ordensherren das für den gemeinsamen Gebrauch der Stadt und der Bürger bestimmte Moseltor bauen sollen. Es ist später der Anlaß zu langwierigen Streitigkeiten mit der städtischen Verwaltung geworden.

Mit dem Erwerb des Rudensheimschen Hauses im Jahr 1249 war man dem Rhein nahegekommen, hatte ihn aber noch nicht ganz erreicht, denn ein öffentlicher Weg trennte das Ordensgrundstück noch von dem Fluß. In den Besitz dieser Straße, an deren Ostrand unterdessen die neue Stadt¬ mauer aufgeführt worden wrar, gelangten die Ritter im Jahre 1 2 7 5 . 3) Erz¬ bischof und Stadt übergaben ihnen den Weg zur beliebigen Bebauung. Als Ersatz hatten sie auf entsprechende Länge einen Pfad außerhalb der Stadt¬ mauer anzulegen, der so breit sein sollte, daß sich zwei Passanten aus- weichen könnten. In der Urkunde wird gesagt, daß sich schon Gebäulich¬ keiten des Ordens, an die Stadtmauer angelehnt, auf dem geschenkten Terrain befänden. Es werden zu Wirtschaftszwecken dienende, leichte Fach¬ werkbauten gewesen sein, aber wir haben unter ihnen auch den kleinen,, massiven, wahrscheinlich kurz nach dem Moselflügel entstandenen Bau zu suchen, dessen nordwestliche Ecke erhalten ist und, wie oben erwähnt, rein romanische Formen zeigt. Im Anschluß an dieses Haus und unter Ver¬ wendung desselben, wurde nun der große, dreigeschossige, alle anderen Ge¬ bäude der Niederlassung überragende Rheinflügel aufgeführt, und zwar, wie aus den Höhenverhältnissen zu schließen ist, in dem neuen gotischen Stil. Am Ende des Jahres 1279 war er bereits fertiggestellt4) und damit die Bautätig¬ keit an den Profanbauten der Anlage zu einem vorläufigen Abschluß gebracht.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das Bild der damaligen Kom¬ turei, so sehen wir zwei Gebäudegruppen, die kleinere und ältere, bestehend aus dem Hospital, der Kapelle und dem jetzigen Westflügel bezw.. seinem

1) Hennes a. a. 0. 1 S. 145.

2) Henues I S. 210. Papst Nikolaus III. bestätigte die Überlassung des Weges am 23. März 1280 A. a 0. 232.

3) De via versus Renum apud magnam domum stand von alter Hand ge¬ schrieben auf der Rückseite der Urkunde von 1275. Vgl. Prozeßakten saec. XVI im Stadtarchiv Coblenz, Akten No. 187. Als das Castorstift, das auch gegen die Überlassung dieses Weges an den deutschen Orden Einspruch erhoben hatte, sich am 26. Juli 1291 (Original im Staatsarchiv Coblenz, Deutscher Orden, Urk. No. 9a) zufrieden gibt, wird das neue Haus auch nova domus magna genannt.

4) Vgl. oben die nova domus in der Urkunde von 1279 Dez. 3.

1. Die romanische Zeit.

15

Südteil, und eine neue, den Mosel- und Rheinflügel, die mit dem Westflügel wie jetzt noch den inneren Hof umgaben. Zwei Wege durchschnitten das Deutschordensgebiet : der eine, vom Castorhof kommend, führte zwischen der Kapelle und dem Hospital und zwischen dem West- und Moselflügel hindurch auf den Binnenhof und endete an dem neben der Nordseite des Rheinflügels gelegenen Rheintor, der andere lief von der Moselpforte her zwischen Mosel¬ und Rheinflügel hindurch auf den Chor von St. Castor zu.

Der Besitz des Hauses war nach Osten und Westen zu von Grund¬ stücken und Häusern des benachbarten Stifts, der Stadt und des Erzbischofs umgeben. Nach diesen Seiten hin mehr Raum zu gewinnen, ließ man sich in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts angelegen sein. Von dem Erwerb von Grundstücken, die in der westlichen Verlängerung des Hospitals agen und wahrscheinlich zur Anlage von Stallungen benutzt wurden,1) war oben bereits die Rede. Im Jahr 1298 wird schon der Garten (viridarium) erwähnt.2) Der Orden kaufte damals von dem Castorstift ein daran an¬ stoßendes Haus. Eine der Verkaufsbedingungen lautete, daß auf seiner Stelle kein Friedhof angelegt werden dürfte. Die Brüder hatten in dieser Zeit schon eine zweite Begräbnisstätte einrichten müssen. Die ältere lag wohl westlich vor der Kapelle, die neue südlich von ihr in dem benachbarten Garten.3)

2. Die gotische Zeit.

Ist es schon in hohem Grade wahrscheinlich, daß der Bau des Rhein¬ flügels in gotischen Formen aufgeführt wurde, so betreten wir mit den neuen kirchlichen Bauten sicher den Boden des neuen Stils. Wie der Kirchhof, so war auch die Kapelle zu klein geworden. Man entschloß sich zu einem Neubau, der im Jahre 1302 vollendet war.4 5)

Von dieser Kirche stehen nur noch geringe Reste, doch ermöglichen sie in Verbindung mit einem in der französichen Zeit hergestellten Plan,0) der einen Querschnitt und Grundriß zeigt, eine ziemlich deutliche Rekonstruk¬ tion. Die Maße betrugen in Länge, Breite und Höhe bis zum Dach

1) Wenn ein Rückschluß aus dem späteren Zustand erlaubt ist. 1286 wird zum erstenmal ein Pferdestall aufgeführt. Hennes a. a. 0. I S. 267.

2) Hennes a. a. 0. I S. 298.

3) 1284 (Orig. Staatsarchiv Coblenz, St. Castor No. 31a) ist von dem Cimi- terium antiquum die Rede. Vgl. auch die Urkunde von 1302 (a. a. 0. No. 48). 1354 wird die neue Kapelle im Kirchhof errichtet. Vgl. Hennes a. a. 0. I S. 408.

4) Erzbischof Diether von Trier gestattet am 31. Aug. 1302, capellam de novo factam et altaria in eadem constructa in seiner Stellvertretung durch einen anderen Bischof weihen zu lassen. Hennes a. a. 0. I S. 318.

5) Staatsarchiv Coblenz, Kartensammlung E 19. Vgl. auch E 14. Zahlreiche von der Kirche herrührende Architekturteile werden jetzt im Erdgeschoß des West¬ flügels aufbewahrt, andere sind in die Zwischenwand im Erdgeschoß des Mosel¬ flügels eingemauert.

A. Die Baugeschichte des Deutschordenshauses.

16

28 : IIV2 : 12 1 /-2 m. Das Material bestand aus Sandsteinquadern, in dem Gewände und Maßwerk der Fenster aus Tuff. Der im Osten gelegene Chor berührte fast den Westflügel und ließ nur einen schmalen Zwischenraum frei, durch den man in den Garten gelangen konnte. Der Bau war wie die Deutsch¬ ordenskirche in Marburg eine Hallenkirche mit drei gleich breiten und gleich hohen Schiffen von den schlanken Verhältnissen der frühgotischen Bauweise. Die Gewölbe wurden von fünf Pfeilerpaaren getragen. Der aus fünf Seiten des Achtecks gebildete Chor wich dem sich an den Westflügel lehnenden Treppenturm aus ein Beweis, daß dieser beim Bau der neuen Kirche vor¬ handen war und schon die Verbindung mit der romanischen Kapelle her¬ gestellt hatte , so daß er sich nur gegen das Mittel- und südliche Seiten¬ schiff öffnete. In der Verlängerung des Treppenturms ist später noch eine Sakristei in das nördliche Seitenschiff hineingebaut worden. Jedes Seitenschiff besaß vier, der Chor drei Fenster. Der Haupteingang befand sich in der Westwand und gestattete auch Nichtordensmitgliedern den Zutritt vom Castor- hof aus, ein kleineres Portal stand in der Nord wand neben der Sakristei. An der Außenseite des südwestlichen Teiles der Südwand, dort, wo jetzt eine Tür in den Garten führt, stieg ein achteckiger Treppenturm empor. Von der Architektur ist nur die Südwand bis zu ihrer halben Höhe erhalten mit den unteren Hälften von vier Fenstern, einer breiten Nische, drei achteckigen Halbsäulen und drei Konsolen, welche die Dienste der Gewölbe des Seiten¬ schiffes getragen haben. Die Profile der Nischenumrahmung, die tiefe Gliederung der Fensterlaibungen, das sorgfältig gearbeitete, üppige Laub- und Figurenwerk der Kragsteine, worunter ein besonders gut gemeißelter Engel mit Spruchband, geben uns eine Vorstellung von dem reichen bild¬ nerischen Schmuck der Kirche. Auch von der Bemalung sind noch geringe schwarz-weiß-rote Farbenreste sichtbar.

Was die Ausstattung angeht, so besaß die Kirche, die gleich der roma¬ nischen Kapelle ') der b. Maria und der h. Elisabeth geweiht war, wie jene anfangs nur zwei Altäre2); später kam ein dritter hinzu. Eine Orgel wird bereits 1447 erwähnt.3) Von dem reichen Besitz der Kirche an Gemälden, Gefäßen, Reliquien usw. im 18. Jahrhundert berichten Inventare.

52 Jahre später hat dann der Komtur Christian von Binsfeld der Kirche die Kapelle hinzugefügt, dieses kleine Juwel der Hochgotik, das von allen Gebäuden der Deutschordensanlage sich am unversehrtesten in unsere Zeit hinübergerettet hat und neben dem ästhetischen Reiz seiner zierlichen

1) Die beiden Patrone der romanischen Kapelle lernen wir aus einem Abla߬ brief von 1251 kennen, Hennes a. a. 0. II S. 91; doch muß sie ursprünglich nur der b. Maria geweiht gewesen sein, da die Heiligsprechung der Elisabeth erst 1235 erfolgte.

2) 1325 wird eine Messe für die beiden Altäre gestiftet. Hennes II S. 370.

3) Rechnung des Landkomturs Klais von Gilsdorf von 1447/48 im Staats¬ archiv Königsberg: meister Pauwels gegeben op dat Orgelwerk zo Covelentz 5 guld.

2. Die gotische Zeit.

17

Schönheit noch den Vorzug der genauen Datierung besitzt. Am 14. Januar 1354 gestattet Erzbischof Balduin von Trier den Bau einer Kapelle in cimi- terio domus Theutonice1) und am 18. August 1355 dotiert die Witwe Patza von Lützelcoblenz die capella de novo constructa et edificata sita Confluencie retro domum , que vulgariter Spieshuys nuncupatur, in platea dicta Vet- bechersgasse mit zahlreichen Renten u. a. auch aus Kirschgärten zu Wallers¬ heim und Urbar.2)

Der aus Sandsteinquadern aufgeführte, von außen schlichte und nur durch kräftig profilierte Sockel-, Mittel- und Schlußgesimse horizontal geteilte Bau lehnt sich an die Südwand des Chores der Kirche. Durch eine kleine Spitz¬ bogentür, deren Schlußstein das von zwei Löwen gehaltene, jetzt zerstörte Wappen des Bauherrn trug, gelangt man auf einer zweistufigen Treppe in das etwas tiefer als das Kirchenniveau gelegene Kapelleninnere, dessen reiche und zier¬ liche Gliederung überrascht.3) Das einschiffige, gleich dem Chor von Kreuz¬ gewölben überspannte Langhaus besteht aus zwei rechteckigen Jochen, der Chor ist aus fünf Seiten des Achtecks gebildet. Die das Gewölbe tragenden Birnstabrippen werden an der Südwand im Langhaus von drei achteckigen, im Chor von zwei runden, vom Fußboden aufsteigenden Diensten aufgefangen, an der Nordseite ruhen sie auf ebensovielen achteckigen und runden Diensten, die aber in halber Wandhöhe auf Konsolen aufsitzen. Schlußsteine, Kon¬ solen und Kapitale sind mit üppigem Blatt- und Blütenornament bedeckt, an den Kapitalen der achteckigen Dienste und an der Konsole eines runden Dienstes im Chor schauen Männerköpfe aus dem Laubwerk hervor. Die feingemeißelten Figürchen eines Engels und eines Bauern schmücken die Konsolen der Nordwand. Der Schlußstein im Chor zeigt das von Engeln gehaltene Wappen des deutschen Ordens. Die Südwand hat vier von zwei Kleeblattbögen unterteilte, bis zur halben Wandhöhe herunterreichende Fenster, die im 19. Jahrhundert durchschlagen wurden, jetzt aber wieder hergestellt sind. Eine entsprechende Blende mit dem polychromierten Relief des Schwei߬ tuches der h. Veronika im Schlußring steht in der Ostwand über dem ganz zertrümmerten Altar. Von der Nordwand, an deren Fuß ein kräftiges Sockel¬ gesims entlang läuft, abgesehen sind die unteren Teile der übrigen Wand¬ flächen in Nischen aufgelöst. In der Südhälfte zählt man außer der Altar¬ nische deren fünf. Jede steht innerhalb einer rechteckigen, auf den Sockeln

1) Hennes a. a. 0. I S. 408.

2) Staatsarchiv Coblenz, D. 0. H. Coblenz, Urk. No. 18 f. Wie die Beschrei¬ bung der Örtlichkeit zeigt, war der westliche Teil des Gartens noch von fremden Däusern bedeckt. Andere Zeugnisse über das Vorkommen der Vetbechersgasse haben sich nicht gefunden. Günther, Topographische Geschichte der Stadt Coblenz 117, kennt eine Spießgasse nahe dem Deutschen Hause.

3) Vgl. Lehfeldt a. a. 0 116, der aber manche erst bei der Restaurierung der Kapelle, die im Jahre 1900 aus Mitteln des Allerhöchsten Dispositionsfonds erfolgt ist, freigelegte Architektur- und Schmuckteile noch nicht gesehen hat. Sehr zu wünschen wäre die Entfernung der die Wände und Steinmetzarbeit bedeckenden Tünche und des schwarzen Horizontal bandes.

Mitteilungen. 9. Heft. -

18

A. Die Baugeschichte des Deutschordenshauses.

der Dienste aufsitzenden, fein profilierten Umrahmung. Über der Westwand¬ nische hat sich als weiterer Schmuck eine Flachbogenblende mit einem Fries von Kleeblattbögen und Laubwerk und Basilisken in den Zwickeln zwischen Bogen und Umrahmung erhalten. Sie diente, wie das mit Abfluß versehene Wasserbecken beweist, als Lavatorium, während die vier anderen ebenso wie zwei weitere in der Ost- und Westwand wohl zur Aufbewahrung der kirch¬ lichen Gefäße und Gewänder benutzt wurden. Die Steinmetz- und Bild¬ hauerarbeit stammt fast ganz von einem einzigen Künstler, dessen Zeichen auf vielen Werkstücken erscheint. Nur der Sockel eines Dienstes trägt ein anderes Steinmetzzeichen.

Im Giebelfeld der Westwand haben sich Reste eines anscheinend dem 15. Jahrhundert angehörenden Gemäldes erhalten. Es stellt eine Anbetung dar und zwar wohl die der heiligen drei Könige. Rechts sitzt, in ein blaues Unter- und gelbes Obergewand gehüllt die Muttergottes mit dem Kind, das seine Ärmchen nach einem ihm zu Füßen knieenden, bärtigen, mit einem blauen Mantel bekleideten Mann ausstreckt. Eine daneben stehende, grün- gewandete Gestalt wendet sich einer dritten, nicht mehr sichtbaren Person zu. Den Hintergrund bildet ein braunroter, mit gelben Blättern und blauen Blüten bedeckter Teppich, dessen Muster, wie ein in der Türlaibung erhal¬ tener Rest zeigt, die ganze Wandfläche angefüllt hat. Spuren anderer Wand¬ bemalung sind an verschiedenen Stellen sichtbar. Von ganz eigenem Reiz muß die gewesen sein, bei der ein tiefes Schwarz in den Kappen des Chor¬ gewölbes lag, während die Dienste, Gewölberippen und der Hintergrund der Chorblende in einem feinen, seegrünen Ton leuchteten.

Nicht so genau läßt sich zeitßch fixieren, was die Gotik an den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden um- und neubauend geschaffen hat. Aus inneren Gründen ist anzunehmen, daß die durchgreifende Umgestaltung, die der Moselflügel in seinen oberen Geschossen erfahren hat, zuerst vorge¬ nommen wurde. Man entfernte die Decke zwischen dem zweiten und dritten Geschoß, vermauerte bezw. zerschlug teilweise die romanischen Fenster und wandelte die beiden Etagen zu einer einzigen, hohen zweiscliiffigen Säulen¬ halle von sechs Jochen mit spitzbogigen Kreuzgewölben um, die ihr Licht durch drei mächtige, mit einfachem Maßwerk versehene Fenster von Norden her empfing. ') Die weiß verputzten Wandflächen wurden mit einem leicht¬ geschwungenen Ranken werk in Rot und Grün geschmückt, von denen noch Reste auf der Westwand zu sehen sind, die Gewölbefelder mit ganzen Dar¬ stellungen. Diese sind leider bis auf eine Kreuzigung im linken Eckfeld der Südwand und zwei kleine Bruchstücke in den anstoßenden Feldern verschwunden. Die erstere, im unteren Drittel zerstört und auf der linken Seite stark beschädigt, zeigt Christus am Kreuz mit flatterndem Lendentuch,

1) Die jetzigen Fenster sind nach dem Muster der alten gebildet. Laut freundlicher Mitteilung des Herrn Kaiser! Postbauinspektors Höfig, dem beim Um¬ bau die Zusammensetzung eines der alten Fenster aus zahlreichen Bruchstücken gelang. Auch die neuen Konsolen sitzen an den Stellen der früheren.

2. Die gotische Zeit.

19

rechts zu seinen Füßen Maria mit auf der Brust gefalteten Händen, hinter ihr eine zweite weibliche Heiligengestalt. Zwei Engel fliegen herbei, um in Kelchen das Blut des Gekreuzigten aufzufangen. Ein Schwert ist noch sichtbar, das seine Spitze gegen die Brust der Muttergottes richtet, und die halb verfinsterte Sonne. Die Gestalten sind leichtkonturiert und mit bräun¬ lichen Schatten auf die weiße Kalkwand gesetzt. Den Hintergrund bildet ein grün-brauner, mit einem originellen Tierornameut tein dem Stoß eines Adlers entgehender Fisch gerät in den Rachen eines Löwen) gemusterter Teppich. Die Malerei dürfte aus dem Ende des 15. Jahrhunderts stammen, worauf auch der Charakter der in eckiger, gotischer Minuskel geschriebenen aber nicht mehr lesbaren Worte auf dem anstoßenden Gewölbefeld hinweist.

Fig. 9. Ansicht von Norden.

Mit der Einrichtung des neuen Remters waren die Wohnräume der dritten Etage, die wir oben als Dormitorium angesprochen haben, verloren gegangen. Für sie mußte Ersatz geschaffen werden, und man fand ihn, indem man das benachbarte alte Hospital niederriß und an seiner Stelle in der Verlängerung des Moselflügels ein neues, zweigeschossiges Gebäude aufführte

Das Coblenzer Deutschordenshaus hat sich seit dieser Zeit seiner Hos¬ pitalspflicht entzogen, denn ein neues Krankenhaus ist nicht geschaffen worden. In einem Einnahme- und Ausgabebudget der Ballei aus dem Jahre 1472 i) wird ein Hospital nicht mehr erwähnt, nur eine Firmarie, die Stube für erkrankte Ordensbrüder. Und wenn in der Hausordnung von 1544,‘0 mit der sich der Erzbischof von Trier in das innere Leben des Ordens ein¬ zudrängen suchte, von einem Hospital die Rede ist, so lehrt ein Vergleich mit der älteren Ordnung, die dieser als Vorlage gedient hat, daß hier die

1) Im Staatsarchiv Königsberg.

2) Staatsarchiv Coblenz, D. 0. H. Cobleuz, Akten No. 49 f. 29 und SO.

2 *

20

A. Die Baugeschichte des Deutschordeushauses.

Bezeichnung Hospital auf die Firmarie angewendet ist. Ausdrücklich erklärt auch hei einer Visitation im Jahre 1652 der Komtur Goswin Scheiffart von Merode, daß das Haus kein Hospital besitze. Das alte Gebot werktätiger Nächstenliebe wurde nur noch in der Form ausgeübt, daß man alle Sams¬ tage ein halbes Malter Korn in Gestalt von Broten an die Armen spendete. 4)

Völlig erhalten ist von dem gotischen Anbau nur das Erdgeschoß, das mit dem des Moselflügels in gleicher Ebene liegt und 16,20m: 11,05 m im Geviert hat. Es ist ein dreischiffiger, malerischer Saal von zwölf Jochen, deren spitzbogige, quadratische Gratgewölbe auf sechs achteckigen Säulen ruhen. Die Säulenkapitäle sind durch einfache Auskehlung gebildet. Die Gewölbehöhe beträgt 4,25 m. Während die Stärke der Außenmauern ge¬ ringer ist als die der romanischen Bauten, ist das verwendete Material das gleiche: Bruchsteine an den Wänden, Tuff an den Gewölben und Basaltlava an den Säulen.1 2) An der Ostseite d. i. in der Westwand des anstoßenden Moselflügels befindet sich ein kleiner Brunnen, ein zweiter, größerer in der Nordwand. Er ist jetzt verschüttet, sein Schacht ist bis zur oberen Etage durchgeführt. Auch dieses Obergeschoß war eine dreischiffige, gewölbte Halle. Zwei von den östlichen Jochen sind noch erhalten, ferner ein stark renoviertes, spitzbogiges Fenster in der Südwand und daneben eine acht¬ eckige Halbsäule, die als Gewölbedienst fungiert hat. Sie zeigt eine reicher gegliederte Kapitälbildung als die schlichten Säulen im Erdgeschoß.3 4) West¬ lich an diesen Neubau stießen Stallungen.

Aus gotischer Zeit stammen auch die Verbindungsbauten zwischen Rheinr und Moselflügel4) und zwischen dem Anbau des Moselflügels und dem Westflügel. Bei beiden mußten die zwischen den Gebäuden hindurch¬ führenden Wege überwölbt werden. Nunmehr standen, da auch die Kirche durch den Treppenturm von dem Westflügel aus zu erreichen war, alle Ge¬ bäude der Komturei miteinander in Verbindung. Der Moselzwischenbau reichte ursprünglich nur bis unmittelbar an den Rheinflügel, wie das in der Ostwand der jetzigen Plankammer stehende gotische Portal beweist, das auf

1) Württ. Filialarchiv zu Ludwigsburg, Ballei Coblenz, Akten No. 12. Vgl. auch die Komturrechnungeu vou 1663 an im Staatsarchiv Coblenz. Die Aus¬ führungen von Haltermann a. a 0 S. 46 sind hiernach zu berichtigen. Andrerseits irrt auch Rud. Virchow, Zur Geschichte des Aussatzes und der Hospitäler, Archiv für pathol. Anatomie und Physiologie XX S. 20, wenn er die Ausübung der Hospitalpflicht in Coblenz auch für die Frühzeit verneint. Vgl. die Urkunde von 1318 bei Hennes a. a. 0. I S. 366.

2) Das äußere Mauerwerk ist in der Preußischen Zeit, als man die Befestigung des Deutschen Ecks verstärkte, erneuert worden, bei welcher Gelegenheit auch die früheren Fenster durch kleine Lichtöffnungen ersetzt wurden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die dort eingemauerten älteren Steine mit den Inschriften [Chrjistoph . . . und [Christoph . . . aus dem Deutschen Hause herrühren.

3) Räume des gotischen Anbaus und der gotische Remter waren anscheinend mit Tonfließen bedeckt, von denen sich zwei verschiedene Muster erhalten haben.

4) Die Fachwerkausbildung des oberen Geschosses an diesem Verbindungsbau ist neu, entspricht jedoch dem früheren Zustand.

2. Die gotische Zeit.

21

eine Außentreppe geführt hat. Später verlängerte man den nördlichen Teil des Verbindungsbaues, so daß er um die Ecke des Rheinflügels herum¬ faßte.

Die Formen dieser gotischen Bauten lassen über ihre Ursprungszeit keine Schlüsse zu, sie können bis auf tief in das 1 6. Jahrhundert hinein ent¬ standen, sein. Um die Grenzen der Datierung enger zu ziehen, müssen wir uns noch andere Hilfsmittel beschaffen.

Auf einem Pfeiler der Liebfrauenkirche in Oberwesel ist ein Bild der Stadt Coblenz mit den Heiligen Castor, Catharina und Florin im Vorder¬ grund gemalt. Es ist die älteste erhaltene Ansicht dieser Stadt und im Ver¬ gleich zu den übrigen, verschiedene andere Städte wiedergebenden Dar¬ stellungen in derselben Kirche mit einer Sorgfalt und Genauigkeit behandelt, die die Annahme nahelegt, daß sie von einem Coblenzer Künstler herstammt. Dies Bild zeigt deutlich die drei gotischen Fenster des Remters und den gotischen Anbau. Seine Entstehung muß vor das Jahr 1530 fallen, da es noch nicht den Neubau des Schöffenhauses an der Mosel kennt, aus stili¬ stischen Gründen ist sie wohl um die Wende des 15. Jahrhunderts anzusetzen. Zu demselben terminus ad quem führt das Wandgemälde im Remter des Deutschördensliauses selbst, das der gleichen Zeit zuzuweisen ist.

War aber diese späte Zeit noch in der Lage, die Mittel für solche kostspieligen Bauten aufzubringen? Im 15. Jahrhundert beginnen im Orden allerorts die Zeichen materiellen und sittlichen Verfalles. Das Sinken der Bodenrente, Mißwirtschaft und leichtsinniges Schuldenmachen, die starken Anforderungen, welche die Zentrale im Preußischen Ordensland an die Balleien stellte, zerrütteten auch die Finanzen des Coblenzer Hauses. Im Jahre 1456 stehen sie schlecht, und um 1471 heißt es: das huys und die balley sy so schwerlich verschuldet, das man das huys nit gehalten enkonne.1) Damals konnte man an keine umfangreiche Bautätigkeit denken. Es ist deshalb in hohem Grade wahrscheinlich, daß der Umbau des Remters und der damit im Zusammenhang stehende Neubau noch dem 14. Jahrhundert angehören. Auf eine solche frühe Zeit weist übrigens auch die gute Er¬ haltung der romanischen Wandmalerei am Westgiebel des Moselflügels hin, die schwerlich mehrere Jahrhunderte lang den Einflüssen der Atmosphäre ausgesetzt gewesen sein kann, sondern schon bald unter den Schutz des gotischen Daches gelangt sein muß. 2) Das Beispiel der glänzenden, in der Mitte des 14. Jahrhunderts vollendeten Bauten in der Marienburg mochte den Rittern des Coblenzer Hauses die Lust erwecken, dem Ort ihrer täg¬ lichen Versammlungen und der Jahreskapitel der Balleikomture ein fest¬ licheres Gepräge zu geben. Die gotischen Verbindungsbauten werden später

1) Vgl. Voigt a. a. 0. I 245—50, 623 und Akten des D. 0. H. im Staatsarchiv Coblenz No. 51 f. 79.

2) Man kann auch schwerlich unter der im Jahre 1457 (Coblenz, D. 0., Akten No. 51 f. 15) genannten magna aula domus ordinis b. Marie Theuton. etwas anderes verstehen als den vergrößerten Remter.

22

A. Die Baugeschichte des Deutschordenshauses.

entstanden sein. Sicher ist dies von dem an den Westflügel stoßenden Zwischenbau anzunehmen, da das in seiner Nordwand sitzende, alte, nur im Maßwerk renovierte Fenster früher als Lichtquelle des gotischen Anbaues ins Freie geschaut haben muß.

3. Die Zeit des Barock und die späteren Schicksale

des Hauses.

Seit der Säkularisation des Preußischen Ordenslandes schritt der schon lange erkennbare Wandel in dem inneren Wesen des deutschen Ordens im Sinne der Verweltlichung immer schneller vorwärts. Er wurde zu einer Ge¬ nossenschaft von adeligen Pfründeninhabern. Um die Einkünfte des Ein¬ zelnen auf einer reichlichen Höhe zu halten, verfuhr man sparsam bei der Aufnahme von Brüdern. Hatte die Coblenzer Komturei um die Mitte des 1 5. Jahrhunderts außer dem Land- und Hauskomtur noch vier Ritter- und neun Priesterbrüder gezählt,1) so beherbergte sie im Jahre 1558 2) nur noch sieben Brüder, und seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, nachdem der Land¬ komtur seinen ständigen Wohnsitz nach Köln verlegt hatte, war der Haus¬ komtur der einzige Insasse des großen Hauses. Umgeben von einer zahl¬ reichen Dienerschar und allem Komfort eines vornehmen Herrn führte er von hier oder zur Sommerzeit von einem der beiden Lusthäuser in Mallendar aus die Verwaltung des ausgedehnten Grundbesitzes der Komturei. Nur die Kirche und ein Priester, der, einem der Coblenzer Stifter oder Klöster ent¬ nommen, den täglichen Gottesdienst versah, zeugten noch von dem geist¬ lichen Charakter des Hauses. Der Komtur bewohnte in dieser Zeit wie wohl schon seit langem den Rheinbau, in dem auch für den Besuch des Landkomturs Zimmer reserviert waren. Der Remter stand verödet, nur beim Kirchweihfest vereinigten sich in ihm nach altem Brauch als Gäste des Kom¬ turs die Stiftsherren von St. Florin zu einem üppigen Mahle. 3) Die übrigen Ge¬ bäude dienten Wirtschaftszwecken und der Unterkunft des Gesindes.

Zu einer Erweiterung der vorhandenen Baulichkeiten lag unter diesen Umständen kein Bedürfnis vor. Die Bautätigkeit beschränkte sich fast ganz auf die Instandhaltung des Bestehenden, die Wiederherstellung baufälliger Teile und auf kleinere Veränderungen. Neuerrichtet wurde im Verlaufe von drei Jahrhunderten nur ein Gartenpavillon.

Dem 16. Jahrhundert gehört noch ein in der Nordwand des Rhein¬ flügels sitzendes Rundbogenportal mit gotischer Profilierung an, ferner die noch jetzt als Eingang zum Remter benutzte, durch die Westwand des Mosel¬ baues gebrochene Tür, wie das über ihr angebrachte Wappen des Komturs Adolf von dem Bongard mit der Jahreszahl 1591 lehrt. Es ist nicht un-

1) Vgl. die Liste in Königsberg, Staatsarchiv, Schublade VI 8/a.

2) Staatsarchiv Coblenz, D. 0. Akten No. 4.

3) Staatsarchiv Coblenz, D. 0. Akten No. 58. Vgl. auch Stramberg, Rhei¬ nischer Antiquarius I 3 S. 494, 498.

3. Die Zeit des Barock und die späteren Schicksale des Hauses.

23

möglich, daß diese Tür im Zusammenhang mit dem Verbindungsbau zwischen Westflügel und gotischem Anbau entstanden ist. Stilistische Gründe können nicht dagegen sprechen , denn gotische Bauformen wurden neben . denen der Renaissance bis in diese späte Zeit verwendet.

Vom Jahre 1663 an fließen die archivalischen Quellen in Jahresrech¬ nungen, vereinzelten Baurechnungen und Visitationsberichten sehr reichlich, wenn sie auch nicht über alle Fragen Aufklärung bringen. Um den Leser nicht durch die Mitteilung aller Detailnachrichten zu ermüden, mag es genug sein, die Hauptpunkte aus dieser letzten Bauperiode hervorzuheben.

In dem großen Kriege hatte die Coblenzer Komturei stark gelitten, wie gelegentlich einer Visitation im Jahre 1652 !) festgestellt wird. Dies kommt auch zum Ausdruck in einem Berichte, den der Komtur Caspar Christian von Neuhof über die von seinem Amtsantritt am 14. Juli 1663 bis zum Jahr 1668 an verschiedenen Gebäuden der Komturei innerhalb und außer¬ halb Coblenz vorgenommenen baulichen Veränderungen erstattet.1 2) Von Coblenz schreibt er: Anno 1664. Die kirch wäre unden ganz von alter- turab und gewässer eingefallen, habe sie am boden renoviert. Trutzenburg 3) wäre gantz verschossen und verfallen, habe alle nötige Zimmerarbeit dahin fertig machen lassen. Im backhaus eine neue backstub, im brauhaus ein neu schiff. Die cännelen (Dachrinnen) waren auf allen getäcli veraltet, habe vier neue taffelen bley dahin gestelt. Das tach über der speysscammer habe ich gantz wegnemmen lassen und neugemacht. Anno 1665. Im haus waren alle thüren von alterthumb verfaulet, habe neue dargeschafft an brau- kelter¬ benderhaus, item raisigen stall. Trutzenburg habe ich aus- und inwendig mit gläser- und schreiner-schlösser-weissbenderarbeit ausstaffirt. Item eine neu küchen, spind, stub, cammer, neuen gang und steeg zugericht, den sommer- und wassersaal von glasfenstern, thüren, laden, weissbenders arbeit versehen. Zu Coblentz habe ich zween kelter renoviret, zwo neuer doggen, neue schwelle, neuen bäum, neu gebieth dargeschafft. Anno 1666. Die verfallene hoffstub habe ich renoviren lassen ; ins kelter ein neu kelter sambt bäum nach Coblentz führen und aufrichten. Anno 1667. Von dem stifft zu S. Castor habe ich eine servitut im ordensgarten erblich redimiret. Über dem kornsöller drei neuer taffel bley gelegt. Anno 1668. Die ganze kirch von oben bis unden renovirt.

Unter diesem Komtur wird auch das jetzt verschwundene Gartenhaus entstanden sein, das sich in der Südostecke des großen Gartens neben dem Castorchor an die Stadtmauer ablehnte. Es war ein dreigeschossiger, mit einem Mansardendach gedeckter Bau von ansehnlichen Verhältnissen (ca. 12 m lang, 6 m breit und 10 1/2 m hoch) und zählte außer einem Treppenhaus acht

1) Württemb. Filialarchiv zu Ludwigsburg, Commende Coblenz No. 12.

2) Ebendort No. 13.

3) Mit diesem Namen, der im 17. und 18. Jahrhundert mehrfach wiederkehrt, kann nur der gotische Anbau bezeichnet worden sein.

24

A. Die Baugeschichte des Deutschordeushauses.

Räume.1) Der Pavillon wird schon 1690 erwähnt.2) Vielleicht rührt der mit dem Neuhofschen Wappen und der Jahreszahl 1676 versehenen Tür¬ sturz, der im 3. Dezennium des 19. Jahrhunderts zu gleicher Zeit, als man den Pavillon niederriß, in dem Tonnengewölbe des Moselflügels angebracht wurde, von diesem Bau her.

Nicht viel später, wahrscheinlich unter dem Nachfolger Casp. Christians von Neuhof, dem Komtur Johann Georg von Neuhof, wurde das Barock¬ portal am Remter und die zu ihm emporführende große, doppelarmige Frei¬ treppe, die Royaltrapp, errichtet. Die Treppe ist zerstört, das Portal schmückt aber noch als prächtiges Dekorationsstück die große Fläche der Südwand des Moselbaues. Es wird von zwei Doppelpilastern eingefaßt, die jonische Kapitale tragen. Über ihm steht in einem flachbogigen Giebel und innerhalb kriegerischer Embleme, unter denen man einen Schild mit den Wittelbachschen Wecken be¬ merkt, das Wappen des Deutschen Ordens, bekrönt von einem Herzogshut. Da seit dem Jahre 1684 Angehörige des Wittelbachschen Hauses, Herzoge von Pfalz-Neuburg und Baiern, die Würde des Hoch- und Deutschmeisters inne¬ gehabt haben, so ist damit der terminus a quo für die Entstehungszeit gegeben.

Mit dem Jahr 1709, unter dem Komtur IJeinr. Willi, von Mirbach, be¬ ginnt eine zehnjährige lebhafte Umbau- und Restaurationstätigkeit. Der an¬ scheinend in Diensten des Kurfürsten stehende Kapitänleutnant Monsieur Philippant leitete sie. 3) Man begann mit der völligen Niederlegung des Brau¬ hauses, in dem sich damals auch die Trappenei befand, durchschlug dann das Erdgeschoß im Nordteil des Westflügels, die „alte Küche,“ und legte durch die drei nördlichen Joche die neue Durchfahrt. Im nächsten Jahr wurde ihr die mit dem Mirbaclischen Wappen geschmückte Bogeneinfassung aus Hau¬ stein gegeben. 4) Dann schuf man durch Zumauerung die alte Durchfahrt zu einem Zimmer um und führte von ihm aus auf einem im Keller ange¬ legten Fundament eine neue Treppe zum Obergeschoß des gotischen Anbaus herauf.5) Es ist die, welche noch jetzt ausschließlich als Aufgang benutzt wird. Zugleich entfernte man eine in der Nähe der Treppenmündung am „gewölbten Saal“ stehende Brunnenschale mit Wassersarg. 6) In diesem und dem folgenden Jahr wurde auch durch Einziehen von Zwischenmauern das eine einzige Halle bildende Obergeschoß des gotischen Anbaus, der Trotzen- burg, in mehrere Räume zerlegt.

1) Staatsarchiv Coblenz, Karten und Pläne, E 4.

2) A. a. 0., D. 0. Akten, Rechnung zum Jahr.

3) Vgl. die Rechnung im Staatsarchiv Coblenz, D. 0. Akten No. 57, und die Erläuterung zu dem 1710 von Philippant dem Deutschmeister in Mergentheim ein¬ gereichten Bauplan. Haus- und Staatsarchiv zu Stuttgart, Lade 751; Abschrift in Coblenz, D. 0. Akten No. 40 a. Der Plan selbst ist leider nicht erhalten.

4) Der Stein- und Bildhauer Meister Matheis bekam für die Arbeit an den Wappen 4 Reichstaler.

5) Auch das schmiedeeiserne Geländer stammt aus jener Zeit.

6) Der kleine Brunnen in der Westwand des Moselflügels (vgl. oben S. 20) hatte dazu offenbar das Wasser geliefert.

3. Die Zeit des Barock und die späteren Schicksale des Hauses.

25

Im „großen Bau am Rhein“ waren 1709 die Fenster „einwärts des hofs alle gleich und egal eingerichtet“ und der Erker am Zimmer der Land¬ komturei abgerissen worden. Im Jahre 1712 erneuerte man drei Pfeiler im Erdgeschoß (Kelterhaus), änderte die Lage von Zimmern im zweiten Stock¬ werk und legte die Verbindungstreppe zwischen dem Remter und Rheinbau an sowie in der Nordwestecke die später beseitigte, bis zum Söller führende Wendeltreppe, „allwo die bauren die frucht hinauf tragen und liefferen“. Der sehr baufällig gewordene Westflügel erfuhr die stärksten Veränderungen. Ein in den Garten vorspringender Anbau wurde bis auf den Grund nieder¬ gelegt. Im Gebäude selbst zerschlug man die Decken und Innenwände bis auf die unteren Gewölbe. Die Wiederherstellung verzögerte sich mehrere Jahre hindurch. Erst 1720 war der Bau wieder bewohnbar.')

Als letzte Bauarbeit wird uns zum Jahr 1759 die mit großen Kosten1 2) verknüpfte Reparatur der Kirche und die Erneuerung ihrer Ausstattung be¬ richtet. 3) Sie erhielt unter anderem einen neuen Anstrich, die Kapelle eine Freskomalerei. 4) Auch die Sakristei und der Glockenturm wurden restauriert. So konnte der Visitator des Jahres 1763 melden, daß er die Ordenskirche in gutem Stand gefunden habe.5 6 7)

Mit dem Beginn der französischen Herrschaft am Rhein setzte für das Deutschordenshaus eine Zeit wechselvoller, im wesentlichen destruktiver Schick¬ sale ein. Nachdem es schon in den Jahren 1792/93 alliierte Truppen be¬ herbergt und als Lazarett gedient hatte,0) wurde es 1795 Kaserne und Waffendepot. Als es dann von der Domänenverwaltung in Pacht ausgetan wurde, suchten die Pächter auf alle Weise, jeder aber auf eine andere, ihren Vorteil aus dem Bau herauszuschlagen. Die einen benutzten ihn als Versteck für Kontrebande, Juden häuften in den Kellern altes Eisen auf, ein anderer legte im Moselflügel ein Salzmagazin an, wobei durch Überlastung zwei Ge¬ wölbe des Erdgeschosses eingedrückt wurden. Am industriösesten verfuhren aber die Pächter Primavesi, Moseler und Kilian, die dort Kneipen (cabarets) einrichteten und im Remter für die Coblenzer Jugend Ballfeste veranstalteten. Auf einem solchen kam es im Winter 1801 zu tätlichen Beleidigungen vou Bürgern durch einen französischen Offizier. Die Folge war ein allgemeines Verbot der Maskenbälle in der Stadt. ')

Wie sehr die Baulichkeiten unter den Pächtern, die nichts für ihre In¬ standhaltung taten, gelitten hatten, zeigt ein wenige Jahre später von Sacli-

1) Staatsarchiv Coblenz, D. 0. Akten No. 55.

2) 1196 Keiclistaler 32 Albus.

3) A. a. 0. No. 57.

4) Sie kostete 73 Reichstaler 18 Alb.

5) Württ. Filialarchiv zu Ludwigsburg, Commende Coblenz No. 16.

6) Württ. Haus- und Landesarchiv in Stuttgart, Ballei Coblenz, Akten

2, 43- x-

7) Staatsarchiv Coblenz, Akten des Commissariat des pays conquis No. 1121.

26

A. Die Baugeschichte des Deutschordenshauses.

verständigen erstatteter Bericht '): Die Gebäude befänden sich in einem de¬ solaten Zustand und könnten nur mit großen Kosten wieder bewohnbar ge¬ macht werden. Bretter, Türen, Fenster, Balken seien gestohlen, selbst die Kirche habe man nicht respektiert. Ein Teil ihres Daches sei eingestürzt, weil durch Raub der Bleiteile das schöne Gebälk gelitten habe. Der Mosel¬ flügel lohne nicht die Wiederherstellung, das Holzwerk sei verfault, Dach und Gewölbe zusammengebrochen. Am Rheinbau wurden die Mauern noch gut befunden, doch müsse das vernachlässigte Dach wiederhergestellt werden, ebenso die Böden, Wände, Plafonds, Türen, Fenster und Treppen.

Zu mehreren Malen dachte man an die Niederlegung der Gebäude. Im Jahre 1803 entstand der Plan der Umwandlung des Hauses zu einer Dienst¬ wohnung für den die Truppen des Departements kommandierenden General.1 2) Nur der Rheinflügel sollte stehen bleiben, ihm vorgelagert war gedacht ein halbrunder Hof mit Gärten an Stelle der niedergelegten übrigen Gebäude, die große Freitreppe des Moselflügels wollte man an den Rheinbau setzen. Dann trug sich der Präfekt Lezay-Marnesia mit dem Gedanken, alle Deutsch¬ ordensgebäude zu beseitigen , um dort an der Grenze Frankreichs und Deutschlands ä la gloire de celui, qui posa ces limites ein Monument in Form einer Pyramide zu errichten. Die Worte der Genesis, die hier eine vor allem glückliche Anwendung finden würden, sollten die Inschrift abgeben: hucus- que et non ultra!3) Das Los der Vernichtung traf aber in Wirklichkeit nur die Kirche. Wegen drohenden Einsturzes wurde auf Gutheißen von Sachverständigen und des Maires, der berichtete, ihr Aussehen verunziere den Castorplatz, von dem Präfekten Doazan am 20. Juni 1811 ihre Niederlegung verfügt.4) Sämtliche übrigen Gebäude kaufte am Ende dieses Jahres für 10 500 Franks der General Guerin, der das deutsche Haus schon seit einiger Zeit bewohnte.

Aus dem Besitz dieses Mannes ging die Komturei, nachdem sie vorüber¬ gehend im Jahre 1815 dem aus dem Dikasterialbau vertriebenen Tribunal Unterkunft gewährt hatte,5) 1819 auf dem Wege der Expropriation an den Preußischen Militärfiskus über. Gudrin hatte 44 444 Reichstaler gefordert, er erhielt 25 000. 6) Nun begann der Umbau, der die Gebäudeanlage seiner neuen militärischen Bestimmung anpassen sollte. Das beim Chor von St. Cästor dicht an der Stadtmauer gelegene Gartenhaus fiel den Befestigungsarbeiten zum Opfer, ebenso die Ställe im vorderen Hof, wo ein Aufgang zur neuen

1) Staatsarchiv Coblenz, Präfektur Rhein-Mosel VII 50.

2) Staatsarchiv Coblenz, Karten und Pläne Eli vom 11. fructidor an 11.

3) Staatsarchiv Coblenz, Akten der Intendantur (106).

4) Staatsarchiv Coblenz, Präfektur Rhein-Mosel II 495. Napoleon genehmigte die Verfügung nachträglich am 6. Februar 1812.

5) Stramberg, Rheinischer Antiquarius I 3 S. 499.

6) Staatsarchiv Coblenz, Akten der Intendantur (106) f. 2, Generalgouv. Nieder- lind Mittelrhein No. 23, Akten des Landgerichts von 1819/20.

3. Die Zeit des Barock und die späteren Schicksale des Hauses. 27

Bastion angelegt wurde, und das Obergeschoß des gotischen Anbaues. l 2 3) Die drei Hauptgebäude, die als Proviantmagazin dienen sollten, erfuhren im In¬ neren eine völlige Umgestaltung. 2) Im Rheinflügel wurden sämtliche Innen¬ räume zerstört und bis zum Dach fünf neue, niedrige Geschosse zur Lagerung des Getreides geschaffen. Die zu schmale, steinerne Wendeltreppe in der Nord westecke des Gebäudes wurde beseitigt und durch eine breitere, jetzt noch vorhandene, in der Nordostecke ersetzt. Im Erdgeschoß des Moselflügels führte man an Stelle des eingebrochenen Gewölbeteils zwei Tonnengewölbe auf. Im Remter zerschlug man die Gewölbe, legte die Säulen nieder, ver¬ kleinerte die großen Spitzbogenfenster und teilte den Raum durch Einziehen einer neuen Decke in zwei Geschosse. Auch die prächtige, in den Hof führende Freitreppe wurde abgebrochen. Das Obergeschoß des Westflügels erhielt unter Beseitigung der vorhandenen Zimmer zwei schmale, von Nord nach Süd laufende Längsräume.

In diesem Zustand verblieb das Deutschordenshaus bis zum Ende des Jahrhunderts, wo es einer würdigeren Bestimmung zugeführt wurde. Zwar war schon früher einmal der Versuch gemacht worden, die Mehlsäcke aus einem Teil der Gebäude zu entfernen. Im Jahre 1856 nämlich bat die Rheinische Provinzialgenossenschaft des Johanniterordens, anknüpfend an den ursprünglichen, humanitären Zweck des Hauses, in einem Immediatgesuch den König um Überlassung des West- und Moselflügels, des Gartens und der Kapelle zur Einrichtung eines Hospitals. Die Bitte wurde gewährt unter der Voraussetzung, daß die Militärverwaltung einen genügenden Ersatz für die Räume des deutschen Ecks ausfindig machen werde. Man konnte als solchen nur das Schloß zu Engers vorschlagen. Das erschien dem Prinzen von Preußen jedoch aus militärischen Gründen zu abgelegen, und er lehnte im Januar 1858 den Antrag der Johanniter ab. ;!) Einen zwrei Jahre später hervortretenden Plan, im großen Garten und in Verbindung mit dem West¬ flügel eine Dampfmahlmühle anzulegen, konnte nur mit Mühe ein Protest der Castorkirchengemeinde , dem sich die Prinzessin Augusta anschloß, zu Fall bringen. 4)

Das Staatsarchiv hauste bis dahin im Gebäude der königlichen Regie¬ rung. Seine Räume waren aber schon längst unzureichend geworden und wurden überdies von jener Behörde für eigene Zwecke begehrt. Nachdem 1888 das Projekt erörtert worden war, die alte erzbischöfliche Burg an der Mosel zu erwerben, und nachdem sich 1892 Verhandlungen über einen Bau¬ platz auf dem Entfestigungsterrain der Stadt zerschlagen hatten, wurde die Aufmerksamkeit der Archivverwaltung durch den Geh. Baurat Cuno auf das Deutschordenshaus gelenkt, mit dessen vernachlässigtem Äußern sich grade damals bei der Errichtung des Kaiser- Wilhelmdenkmals die öffentliche Meinung

1) Staatsarchiv Coblenz, Karten und Pläne El".

2) Staatsarchiv Coblenz, Karten und Pläne, E 1 7, 10.

3) Staatsarchiv Coblenz, Akten der Intendantur (106).

4) Staatsarchiv Coblenz, Akten der Kommandantur.

28

B. Beschreibung des Staatsarchivs zu Coblenz.

lebhaft beschäftigte, und dessen Niederlegung von vielen Seiten gewünscht wurde. Die Preußische Staatsverwaltung erwarb das Haus mit dem dazu gehörigen Gelände 1895 vom Militärfiskus für 95 170 Mark und ließ es in diesem und den beiden folgenden Jahren zur Verwendung als Staatsarchiv wiederherstellen. Der Umbau wurde unter Mitwirkung der Organe der Denk¬ malpflege nach dem Entwürfe des Regierungsbaumeisters Haltermann und unter dessen Bauleitung ausgeführt. Die Oberleitung lag in den Händen des Geh. Baurats Cuno und nach seinem Tode in denen des Geh. Baurats Launer. Am 15. Oktober 1897 erfolgte die Übergabe des Gebäudes an die Archiv¬ verwaltung und am 16. Juni 1898 war der Umzug des Staatsarchivs in das neue Heim beendet.

B. Beschreibung des Staatsarchivs.

1. Der Rheinflügel.

Der das Archivalienlagerhaus bildende Rheinflügel, dessen Längen- und Breitenmaße außen 36.30 : 15.56 m, innen 33.40 : 12.88 m und dessen Höhen¬ maße bis zum Dachfirst 25.76V‘2 bezw. bis zum Dachgesims 13.9 6 */2 m be¬ tragen, ist durch einen schmiedeeisernen Einbau in ein Magazin verwandelt worden. Fünf Böden zerlegen den Innenraum in sechs Säle, die annähernd gleiche Höhe haben und zwar das Erdgeschoß 2.515 m, die folgenden 2.90, 2.70, 2.85 und 3.00 m. Das gewölbte oberste Geschoß mißt bis zur Scheitel¬ höhe 3.80 m. Der Boden zwischen Geschoß I und II ist massiv und feuersicher eingedeckt mit dünner Steinlage zwischen eisernen I-Trägern in der Form preußischer Kappengewölbe, ebenso der Boden zwischen Geschoß IV und V in Monierkappenform, die drei anderen Böden sind Rostböden und bestehen aus durchbrochenen Gußplatten. Das sechste Geschoß ist in den nach P 0 1 0 n c e a u art konstruierten Dachstuhl eingebaut und trägt eine feuersichere Abschlußdecke in der Form eines gedrückten Tonnengewölbes, gebildet aus gebogenen schmiedeeisernen Winkeleisen mit Querträgern, zwischen die Mo- nier-Kappen eingespannt sind. Die Last des magazinartigen Einbaues wird im Erdgeschoß von Mauerpfeilern getragen, die mit zwei Reihen in der Längsachse durch die Mitte des Raumes laufen, in den oberen Geschossen ruht sie auf „58 in Achsabständen von 2.20 m stehenden Stützen, die in den

vier unteren Geschossen aus vier Winkeleisen mit =) C förmigem Querschnitt, . I ^

in dem oberen aus zwei Winkeleisen mit -j förmigem Querschnitt gebildet werden.“1) Eine steinerne Wendeltreppe in der Nordostecke des Gebäudes und ein neugebauter Treppenturm, der sich im Hofe an die Südwestecke des Gebäudes lehnt, vermitteln die Verbindung zwischen allen Sälen. Außerdem

1) Vgl. „Die staatlichen Bauten am Deutschen Eck in Coblenz“ im Centralblatt der Bau Verwaltung XVI (1896) S. 5.

1. Der Rheinflügel.

29

führen vom II. zum III. und IV. und vom V. zum VI. Geschoß eiserne Treppen. Der von den Verwaltungsräumen aus gewöhnlich benutzte Zugang zum Magazin liegt zwischen dem Bibliotheksaal des Moselflügels und dem III. Magazingeschoß. Der Fußboden des Erdgeschosses ist mit roten Sand¬ steinfließen belegt, die beiden anderen massiven Böden tragen ornamentierte gelbliche Tonplatten, die alten, dem romanischen Bau entstammenden Fließen nachgebildet sind. Alle Eisenteile haben einen grauen Ölfarbenanstrich, die Wände sind verputzt und gelblich weiß in Kalkfarbe gestrichen.

Was die Lichtzufuhr an geht, so ist der oberste Saal am meisten be¬ günstigt. Er zählt 22 zweiflügelige, ein siebenflügeliges und ein dreiflügeliges Fenster und gibt von seinem Überfluß durch große ausgesparte, mit Ge¬ ländern versehene Lücken in dem Rostboden und durch diesen selbst Licht an Saal V ab, der sieben vierflügelige und elf zweiflügelige Fenster besitzt. Saal IV und III haben in 17 hohen, sechsflügeligen Fenstern gemeinsame Lichtquellen, Saal II wird durch 14 vierflügelige Fenster erhellt und empfängt durch den Rostboden noch Licht aus den beiden oberen Sälen. Das Erd¬ geschoß besitzt nur 13 kleine, zweiflügelige Fenster. Alle Fenster der Ost-, Süd- und Westfront sind mit Zuggardinen versehen, die Fenster des Erd¬ geschosses sind bis auf eins vergittert, die des II. Geschosses nach der Ost- (Rhein) Seite durch eiserne Schutzläden gesichert. Eine Telephonaulage ver¬ bindet Saal III und V untereinander und mit den Zimmern des Archivdirektors und des Archivdieners. Sämtliches Eisen des Einbaues ist an die Blitz¬ ableiteranlage angeschlossen. Das Magazin ist ebenso wie die Bibliothek nicht heizbar. ')

1) In dem Neubau des Staatsarchivs zu Düsseldorf, wo die Heizungsvorrich-

30

B. Beschreibung des Staatsarchivs zu Coblenz.

Der nicht hochwasserfreie Saal zu ebener Erde dient nicht zur dauern¬ den Aufnahme von Archivalien. Er ist zur Sichtung und ersten Ordnung größerer Bestände bestimmt und bewahrt vorübergehend die zur Kassation geeigneten Sachen auf. Seine Ausstattung besteht aus 53 kleinen, hölzernen Fachgestellen mit 734 Fächern, je einem Handschriften- und Aktenschrank und elf Urkundenschränken.

Die eigentlichen Archivlagerräume beginnen mit Saal II. Hier wie in den Geschossen III Y sind im Anschluß an die Eisenträger rechtwinkelig zur Längsachse 2 Reihen Doppelreposituren so aufgestellt, daß ein Mittel¬ gang von 2.17 m Breite und tan den Seiten Gänge von 0.84 m Breite frei-

Fig. 11. Querschnitt.

bleiben. Das schmalere, in den Dachstuhl eingebaute VI. Geschoß hat nur eine, durch die Mitte des Raumes laufende Reihe von Doppelfachgestellen.

Diese Gestelle sind in allen Teilen aus Holz, in heller Farbe lasiert und lackiert, die Auflagebretter sind unverstellbar. Die Öffnung der Gefächer beträgt in Breite, Höhe und Tiefe 0.29 : 0.295 : 0.40 m. Die oberen Deck¬ bretter haben zum größten Teil Seitenborde, so daß auf ihnen gebundene Akten, wie Protokollbücher, Rechnungen, Register u. a. Aufstellung finden können. An den Schmalseiten der Reposituren sind hier und da Klapppulte angebracht außer in Saal III, wo die niedrigen Handscliriftenschränke die Pulte entbehrlich machen.

tuug sich auch auf das Magazingebäude erstreckt, wird sie für dieses doch nur in Ausnalnnefällen angewandt. Ygl. unten S. 44.

2. Der Mosclfliigel.

31

Saal II zählt 23 dieser Doppelreposituren von 2.55 m Höhe und 4.67 m Länge mit je 240 Fächern, außerdem noch neun Einzelfachgestelle von 2.55 m Höhe und 1.55 m Länge zu je 35 Fächern und einen Schrank, der die Siegelstempelsammlung enthält. In Saal III, der vornehmlich der Aufbe¬ wahrung der Urkunden und Handschriften dient, befinden sich 25 Doppel¬ reposituren von 2.32 m Höhe und 4.67 m Länge mit je 180 Fächern und drei Einzelreposituren von 2.32 m Höhe und 1.55 m Länge mit je 30 Fächern. Sodann stehen an den Wänden und in den tiefen Fensternischen 19 Schränke von 1.10 m Höhe und 1.45 m Länge mit Ventilationsöffnungen in den Türen. Sie enthalten die „Handschriften“. Saal IV hat zehn Doppelfachgestelle von der Größe und Gefachzahl wie die des III. Geschosses, ferner 15 Doppel¬ fachgestelle von 2.32 m Höhe, 4,06 m Länge und je 156 Fächern, vier Einzel¬ gestelle von 2.32 m Höhe, 1.55 m Länge mit je 30 Fächern. Saal V be¬ sitzt 26 Doppelreposituren von 2.89 m Höhe und 4.67 m Länge mit je 270 Fächern sowie 13 Einzelreposituren von derselben Höhe und verschiedener Länge mit zusammen 474 Fächern. Die obersten Gefachreihen sind hier ohne Querscheiden gelassen worden und dienen zur Aufnahme von Flurkarten. Saal VI enthält 15 Doppel- und sechs Einzelreposituren von je 2.30 m Höhe und verschiedener Länge mit insgesamt 2716 Fächern. Im ganzen ergibt sich damit für den Magazinbau, die 585.50 m Auflagebretter auf 2342 Ge¬ fach gerechnet, die Zahl von 27581 Fächern. Von diesen sind 15612 belegt, so daß für Akzessionen noch 11969 Gefächer freistehen.

Über die Aufbewahrungsart der Urkunden sei noch bemerkt, daß sie in Folioblättern liegend gruppenweise in Pappkästen von 25 cm Breite, 9 cm Höhe und 36 cm Tiefe ruhen, deren rechte Längswand beweglich ist und beim Öffnen des Klappdeckels aufschlägt. Jedes Gefach enthält zwei dieser Urkundenkästen.

2. Der Moselflügel

enthält zu ebener Erde die oben beschriebenen, überwölbten kellerartigen Räume, die zur Aufbewahrung von Brennmaterial und Utensilien verwendet werden, im I. Geschoß den „steinernen Saal'4, den alten Remter. Bei der Umwandlung des Gebäudes zum Proviantmagazin ganz zerstört, ist dieser prächtige, lichtvolle Raum jetzt in Anlehnung an noch vorhandene Archi¬ tekturreste und an die Verhältnisse des Remters zu Lochstedt in Preußen wieder neu erstanden. Es ist eine zweischiffige Halle von je drei Jochen, deren spitzbogige Kreuzgewölbe von zwei schlanken Säulen und Wandkon¬ solen getragen werden. Drei 5.75 m hohe dreiteilige Spitzbogenfenster mit einfachem Maßwerk lassen von Norden her eine Fülle von Licht in den Saal fluten. Durch ein nach dem Hof sich öffnendes Portal, das früher -auf die im 19. Jahrhundert abgebrochene, große Freitreppe führte, jetzt aber durch ein eisernes (modernes) Gitter balkonartig abgeschlossen ist, fällt der Blick auf den aus dem Grün des Archivgartens emporragenden Chor von St. Castor mit seiner zierlichen Säulengalerie. Die Reste der gotischen Fresken (s. oben)

32

B. Beschreibung des Staatsarchivs zu Coblenz.

und ein gekuppeltes romanisches Rundfenster in der Ostwaud erhöhen noch den malerischen Reiz dieses Raumes. Seine Maße sind 16.20:9.22:6.80 m in Länge, Breite und Scheitelhöhe. Die Gewölberippen, Fensterrahmen und das Maßwerk bestehen aus Weibern er Tuffstein, die Konsolen, Basen, Kapitale und Kämpfer aus feinkörnigem Sandstein, die Säulenschäfte aus Basaltlava. Der Fußboden ist mit den oben erwähnten Tonplatten bedeckt, die Wände sind fein verputzt und mit gelblicher Kalkfarbe gestrichen, die Gewölbekappen in etwas hellerem Ton. Die Handbibliothek und Repertoriensammlung haben in diesem Saal Aufnahme gefunden, erstere in 4 m hohen Bücherreposituren mit 90.00 qm Ansichtsfläche, letztere in niedrigen Gestellen von 1.10 m Höhe, zwei derselben tragen zehn pultartige Schaukästen, die eine Ausstellung sehens¬ werter Urkunden und Handschriften enthalten.

Der Bibliotheksaal steht sowohl in Verbindung mit Saal III des Magazin¬ gebäudes, zu dem eine elfstufige Treppe hinaufführt, als auch mit einem Raum in dem gotischen Zwischenbau zwischen Mosel- und Rheinflügel. Dieses mit Kappengewölben gedeckte Zimmer bildet die Plankammer. Die Karten und Pläne ruhen in 6 Schränken von 1.10 m Höhe, 1.80 m Länge und 0.98 m Tiefe, die mit je 8 Schiebladen versehen sind. Oberhalb der Plankammer liegen im Zwischenbau noch zwei vom Saal IV des Rheinflügels aus zu er¬ reichende Zimmer. Das größere mit niedrigen Gestellen an den Wänden wird zu Ordnungsarbeiten benutzt. Seine Wände und die Decke sind mit den beim Umbau zutage gekommenen dekorativen Malereien geschmückt, durch das schöne romanische Doppelfenster in der Westwand schaut man von oben herab in den Remter. In dem kleineren Zimmer werden Zaponierungsarbeiten vorgenommen.

Verläßt man den Bibliotheksaal durch die westliche Tür, so gelangt man über einen kleinen, mit zwei spitzbogigen Kreuzgewölben gedeckten Flur, auf welchen die Zugangstreppe aus dem Erdgeschoß mündet, mit einer Wendung nach links in die erste Etage des

3. Westflügels

und zwar zunächst in einen kleinen, gotischen, reich ausgemalten Vorraum, in dem als Wandblenden die oben beschriebenen schönen romanischen Doppel¬ fenster stehen. Im Westflügel befinden sich die Bureau- und Verwaltungs¬ räume des Archivs: das Dienerzimmer, das Zimmer des Direktors, die Kanzlei, das Zimmer des I. Archivars und der Benutzerraum, und zwar liegen sie in dieser Reihenfolge an einem an der Westseite des Gebäudes hin laufenden Gang. Das Benutzerzimmer, das auch zwei (zurzeit drei) Beamten Unterkunft gewährt, bildet in seiner Grundfläche ein unregelmäßiges Viereck von 4.55 bezw. 5.52 m Breite und 8.15 bezw. 8.25 m Länge. Die Höhe beträgt 4.42 m. Vier große nach Osten, Süden und Westen gehende Fenster belichten den Raum in ausgiebiger Weise. Die Fenster der übrigen Zimmer gehen nach Osten. Alle Zimmer haben Monierdecken zwischen eisernen I-Trägern,

3. Westflügel. 4. Bauliche Nebenanlagen. 33

Tannenfußböden außer dem Gang, der mit Linoleum belegt ist, sie sind mit heller Leimfarbe gestrichen und stehen durch ein elektrisches Läutewerk mit dem Dienerzimmer in Verbindung. Die Heizung geschieht durch eiserne Füll¬ öfen. Zu ebener Erde befindet sich im Westflügel die vom Eingangshof zum inneren Hof führende Durchfahrt. Auf sie öffnen sich von beiden Seiten zwei Räume, von denen der südliche die oben beschriebene zweischiffige Halle bildet. Hier ist der Hydrantenschrank mit Feuerlöschgeräten unter- gebracht. Unter und südlich neben dieser Halle liegen das ehemalige Erd-

, , 0 5 10 m lililiilüi _ t i i i \ i i i i

Fig. 12. Das Torhaus.

geschoß und der Keller des Westflügels. In dem ehemaligen Erdgeschoß lagern die beim Umbau gesammelten, älteren Architekturbruchstücke. Ein nach dem großen Garten zu gelegenes Gewölbejoch dieses Raumes ist zu einem jetzt von dort allein zugänglichen Zimmer ausgebaut.

4. Bauliche Nebenanlagen.

Die Archivdienerwohnung steht mit dem Torturm in Verbindung und dient zugleich als Pförtnerhaus. Es ist ein wohlgelungener, kleiner Bau in gotischem Stil mit reicher Dachentwicklung und Fachwerk im Obergeschoß, der sich gut in das Gesamtbild der Gebäudegruppe einfügt. Er enthält zwei Zimmer, zwei Kammern, eine Küche und zwei Keller. Die große Spitzbogen-

Mitteilungen. 9. Heft. 3

34

B. Beschreibung des Staatsarchivs zu Coblenz.

einfahrt im Torturm ist durch ein schweres schmiedeeisernes Gitter und durch ein hölzernes Tor abgeschlossen. Das letztere haßt sich vom Dienerzimmer des Westflügels aus auf elektrischem Wege öffnen. Zu den baulichen Neben¬ anlagen gehören dann noch die oben beschriebene Kapelle (Oratorium) und die Kasematten räume in der Umwehrungsmauer an der Rhein- und Mosel¬ seite. Nach drei Seiten sind die Archivgebäude von Gärten umgeben, die mit Zier- und Fruchtsträu ehern, Reben und Obstbäumen reich bestanden sind Ein großer Garten trennt das Archiv von der Castorkirche. Er besitzt einen Springbrunnen und ist nach dem Castorhof zu durch eine hohe Mauer abge¬ schlossen, in die ein altes, aus dem Hofe des ehemaligen Dikasterialgebäudes hierher überführtes Barockportal eingebaut ist. Zwei kleinere Gärten liegen im Eingangshof dort, wo sich früher die Kirche und die Stallungen erhoben. Auch die hochragende Bastion, das Deutsche Eck, ist in einen Garten um¬ gewandelt worden.

Das neue Gebäude

des Staatsarchivs zu Düsseldorf

und dessen Bestände.

Von

Dr. Th. Ilgen,

Archivdiroktor.

I.

Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

Der Neubau für das Staatsarchiv Düsseldorf in der Josephinenstraße No. 8, der im August 1875 bezogen war, erwies sich nach kaum einem Jahrzehnt seines Bestehens für die inzwischen stark angewachsenen Bestände als nicht mehr ausreichend. War doch auch gerade bei den Gerichten und Verwaltungsbehörden das Bedürfnis hervorgetreten, die älteren Archivalien definitiv abzugeben, die ihnen im Anfang des Jahrhunderts zumeist mit der Bestimmung überwiesen waren, die zum größten Teil neue preußische Ver¬ waltungsorganisation am Niederi’hein an die durch die französische Fremd¬ herrschaft jäh unterbrochenen älteren Einrichtungen anzuknüpfen, und die, nachdem sie ihre praktischen Zwecke erfüllt hatten, auf Böden oder in den Kellern der räumlich beschränkten Amtshäuser schon lange einen tiefen, aber für ihren Erhaltungszustand nicht gerade zuträglichen Winterschlaf gehalten hatten. Die Abstoßung dieser alten Archive oder richtiger gesagt, Archiv¬ teile, erweckte namentlich bei den Verwaltungsbehörden die Erkenntnis, daß die daneben bestehenden, sogenannten reponierten Registraturen mittlerweile ebenfalls historisch geworden waren und für die Erledigung der neuen Auf¬ gaben der Provinzialregierungen nur noch in beschränktem Umfang heran¬ gezogen zu werden brauchten. So ergriff man gern die Gelegenheit, auch sie in die Staatsarchive überzuleiten, die auf so reichen Zuwachs doch nicht genügend vorbereitet waren.

Im Staatsarchiv Düsseldorf mußte man daher anfangs der SOei Jahie schon an eine weitere Raumbeschaffung denken. Anregungen, die damals gegeben wurden, durch den Ankauf des im Privatbesitz befindlichen Nachbar¬ hauses dem Platzmangel abzuhelfen, scheiterten von vornherein an dessen baulichen Zustand. Zu einem genügenden Erweiterungsbau aber fehlte es dem fiskalischen Grundstück selbst an der entsprechenden Tiefe. Da sich bei dem das Staatsarchiv auf zwei Seiten einschließenden Landgerichtsgebäude mittlerweile das Ausdehnungsbedürfnis ebenfalls immer energischer geltend gemacht hatte, und das Justizministerium die Abtretung des Areals in der Josephinenstraße dringend wünschte, wurde die Frage der Errichtung eines neuen Gebäudes für das Staatsarchiv im Jahre 1896 eine brennende.

Es war naturgemäß, daß aus diesem Anlaß die eventuelle Verlegung des Staatsarchivs von Düsseldorf in die Universitätsstadt Bonn wieder einmal zur

38

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

Sprache kam. In vollkommner Würdigung der großen Vorteile, welche Archive und Universitäten aus dem Zusammenleben an einem Orte zu ziehen ver¬ mögen, hatte Heinrich von Sybel schon sehr bald nach der Übernahme des Postens des Direktors der Preußischen Staatsarchive im Jahre 1877 den Ver¬ such gemacht, durch die Vereinigung zunächst der Archive von Coblenz und Idstein in Bonn, denen jedoch zweifellos das Staatsarchiv in Düsseldorf zu gelegener Zeit folgen sollte, ein großes Rheinisches Zentralarchiv zu schaffen. Die dem Landtag zu diesem Zweck unterbreitete Vorlage erweckte jedoch eine so lebhafte Opposition des nassauischen Abgeordneten Dr. Petri, der von verschiedenen Seiten des Hauses Unterstützung fand, daß das Projekt scheiterte. *)

Das Bestreben, die Konzentrierung der beiden Institute von Coblenz und Düsseldorf herbeizuführen, war in maßgebenden Kreisen früher bereits wieder¬ holt aufgetaucht. In einem Promemoria vom 16. Mai 1861 hatte einer der Amtsvorgänger Sybels, der damalige Direktor von Lancizolle, deren Zusammen¬ legung in Düsseldorf als wünschenswert bezeichnet. Der Vorschlag gelangte nicht zur Durchführung, weil die in Aussicht genommenen Räumlichkeiten im Regierungsgebäude zu Düsseldorf für die beiden Archive sich als zu klein herausstellten. Nicht besser erging es dem im Sommer 1867 bei den Ver¬ handlungen über die Errichtung eines neuen Dikasterialgebäudes in Coblenz erörterten Plan, diesem Neubau eine solche Ausdehnung zu geben, daß er auch das Konsistorium, das Provinzialschulkollegium, die Katasterverwaltung der Rheinprovinz und die drei Archive von Coblenz, Düsseldorf und Wetzlar zu fassen vermöchte.

Die im Juli 1897 in die Öffentlichkeit gedrungene Nachricht von der beabsichtigten Verpflanzung des Staatsarchivs nach Bonn, wo von seiten der Stadt ein Platz für den Neubau unentgeltlich angeboten war, rief unter der Bevölkerung Düsseldorfs einige Erregung hervor, die in verschiedenen Zei¬ tungsartikeln sich Luft machte. Sie hatte den Erfolg, daß sich die Düssel¬ dorfer Stadtverwaltung ebenfalls bereit erklärte, den Grund und Boden für ein neues Gebäude des Staatsarchivs kostenlos herzugeben, nachdem sich das allein zur Verfügung stehende fiskalische Grundstück am Rheinufer beim ehe¬ maligen Hauptsteueramt als wenig für den Zweck geeignet gezeigt hatte.

Es sei hier wenigstens kurz bemerkt, daß in den ersten Stadien der Beratungen über den Neubau die Vereinigung des Staatsarchivs und der da-

1) S. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Ab¬ geordneten vom Jahre 1877 S. 200 und 586 599.

Erwähnung verdient, daß bei der Neuordnung des preußischen Archivwesens der Bibliothekssekretär Dr. Bernd in Bonn, der bekannte Heraldiker und Genea¬ loge, in den Jahren 1819 1821 mit dem Plan hervortrat, für die Rheinprovinz in Bonn „ein wissenschaftliches Provinzialarchiv“ zu gründen. Am 24. Februar 1821 ward dessen Promemoria darüber durch den Staatsminister von Altenstein dem Fürsten von Hardenberg eingereicht. Vgl. Koser, Die Neuordnung des Preußischen Archivwesens durch den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg in den Mitt. der K. Preuß. Archivverwaltung 7 , S. 35.

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs. 39

raals noch Königlichen Landesbibliothek unter einem Dache in Erwägung gezogen wurde.

Unter vier Baustellen , welche die Stadt Düsseldorf zur Auswahl be¬ stimmte, um sich das Staatsarchiv zu erhalten, fiel schließlich die Entschei¬ dung für das an der Ecke der Prinz -Georgstraße und der Stockkampstraße gelegene Grundstück, dessen Abtretung an den Staat in der Stadtverordneten¬ sitzung vom 16. August 189S beschlossen wurde.

Da nach dem Vorbild des Archivgebäudes in Münster i. W. auch bei dem Düsseldorfer Neubau die Trennung in Verwaltungshaus und Magazin im Bauplan vorgesehen war, ergab sich der Grundriß auf dem 2118 qm großen Platze von selbst aus der Form des Geländes, dessen Breite in der Prinz- Georgstraße zur Tiefe ungefähr im Verhältnis von 1 : 3 steht. Dem mit seiner Längsachse der Stockkampstraße parallel gelegten Speicherhaus wurde daher mit einem Abstand von 6 m, welchen die Brücke des Verbin¬ dungsganges ausfüllt, das für die Geschäftsräume bestimmte Gebäude quer vorgesetzt, so daß dessen Front nach der Prinz - Georgstraße gerichtet ist. In einer zweijährigen Bauzeit ward das neue Staatsarchiv vollendet, das nach den Skizzen des Geheimen Oberbaurats Dr. Thür im Ministerium der öffent¬ lichen Arbeiten entworfen ist. Die Ausführung unter der Oberleitung des Regierungs- und Geheimen Baurats Hasenjäger lag in den Händen des Kreis- bauinspektors Baurat Bongard, während die örtliche Bauleitung durch den jetzigen Baurat Kochs in Wesel besorgt wurde.1) Die Kosten des Neubaues betragen, einige Ergänzungsanlagen mit eingerechnet, in runder Summe 248 000 Mk., wovon ca. 32 000 Mk. auf die innere Einrichtung entfallen. Es muß mit besonderem Danke anerkannt werden, daß das verständnisvolle Eingehen der Herren Bauleiter auf Anforderungen hinsichtlich der Innenein¬ richtung, die zum Teil erst während der Bauausführung zur Geltung gelangen konnten, es ermöglicht hat, mancherlei Neuerungen anzubringen, die in fünf¬ jähriger Erfahrungszeit sich bewährt haben.

Das Äußere des Neubaues ist mit viel Geschick so gefällig gestaltet, als es nach dem vorgezeichneten Plan und bei den zur Verfügung stehenden Mitteln möglich war. Die Anordnung, daß das Lagerhaus und die Geschäfts¬ räume gesondert gehalten werden sollten, ließ eine geschlossene einheitliche Gebäudeanlage nicht zu. Ein langgezogener Speicher mit sechs dicht über¬ einander liegenden Fensterreihen eignet sich nicht sonderlich zur Straßenfront¬ seite. Bei der Höhenausdehnung, die ihm gegeben werden mußte, war aber auch ein günstiges Verhältnis zum Verwaltungsgebäude schwieriger zu er¬ reichen. Man hat es dadurch herzustellen verstanden, daß man dessen Breit¬ seite mit 30 m zur Front entwickelte und so der Schmalseite des Magazins, die nur ungefähr die Hälfte mißt, vorlagerte. Indem man ferner den Mittel-

1) Vgl. hierzu und über die technische Seite der Ausführung des Neubaues die von der Bauleitung veröffentlichte Abhandlung „Das Königliche Staatsarchiv in Düsseldorf“ im Zentralblatt der Bauverwaltung (Jahrgg. 1903) XXIII 182.

40

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

bau des Verwaltungsgebäudes etwas zurüektreten Meß und statt dessen die beiden Flanken als 'Risalite ausgestaltete, die mit kleinen Giebeln bekrönt sind, wurde der mit kräftigen Kugelaufsätzen geschmückte westliche Staffelgiebel des Magazingebäudes über die Mitte des Geschäftshauses derart herausgehoben, daß von einem etwas entfernteren Standpunkt aus beim Blick auf die Fassade das Gebäude zu einer wuchtigen Gesamtwirkung zusammenwächst. Dazu stimmt die schlichte Architektur des Neubaues, der aus holländischen Ziegeln hergestellt ist. Ihr mattroter Ton erfährt durch den grünen Basaltsockel und durch die weißen Hausteine für die Gesimse, Fenstereinfassungen und Giebel bekrönungen lebhaft wirkende Unterbrechungen. Die Dächer sind mit braunroten Pfannen eingedeckt.

Vor dem Verwaltungsgebäude liegen zwei durch einen Mittelgang ge¬ schiedene Rasenflächen von verschiedener Größe, die mit Bäumen bepflanzt sind. Der 1148 qm große rechteckige mit Anlagen versehene Garten um¬ gibt auf drei Seiten das Speicherhaus und wird selbst auf diesen durch Mauern eingegrenzt, während die vierte Seite die Rückwand des Geschäfts¬ hauses abschließt. Die Gartenmauern nach der Stockkampstraße und dem Spielplatz des südlich angrenzenden Prinz-Georg-Gymnasiums sind ebenfalls aus holländischen Ziegeln errichtet; sie tragen auf der Straßenseite Abdeck¬ platten aus Sandstein mit eisernen Aufsatzgittern, auf der anderen Bedachungen aus glasierten Pfannen. Zwei Torausfahrten und eine kleinere Pforte führen aus dem Garten zur Stockkampstraße.

Da andere Gebäulichkeiten von den drei freien Seiten des Speicherhauses zum mindesten 23 m entfernt stehen und dieser Zustand für das Gymnasial¬ gebäude im Süden, bei dem allein ein Erweiterungsbau zu gewärtigen wäre, durch Eintragung ins Grundbuch ausdrücklich festgelegt ist, erscheint eine Gefährdung der Schätze des Staatsarchivs durch einen in der Nachbarschaft ausbrechenden Brand als ausgeschlossen. Gegen Blitzschlag sichern Blitz¬ ableiter, wobei besondere Sorgfalt darauf verwendet ist, die umfangreichen Eisenbestandteile des Magazingebäudes sicher an die Leitung anzuschließen.

Der Herbeiführung der Feuersicherheit im Innern trägt die Konstruktion der Gebäude, die in der Hauptsache nur aus Eisen und Stein bestehen, in weitgehendstem Maße Rechnung. Die Decken sind durchweg massiv und zwar in den Fluren als Kreuz- oder Kappengewölbe, in den Zimmern des Verwaltungsgebäudes als Kleinesche Decken, in den Magazinsälen und den Zwischengeschossen des Bibliotheksraumes als Koenensche Voutendecken aus¬ geführt; Rabitzdecken wölben die Giebelzimmer des nördlichen Risalits und das Dachgeschoß des Treppenhauses im Vorbau des Speicherhauses ein. Aus¬ schließlich die Dachverbände bestehen aus Holz. Doch hat man die Vor¬ sicht geübt, die Zugänge zu den Dachräumen mit eisernen Türen zu ver¬ sehen. Überdies sind Verwaltungs- und Lagerhaus bis zu den Dachgeschossen mit Wasserleitungsröhren durchzogen, Hydranten mit Schläuchen auf die ver¬ schiedenen Stockwerke verteilt.

Im Verwaltungsgebäude scheidet der in der Mitte der Fassade ange¬ brachte Eingang, der durch Außen- und Innentür verschließbar gemacht ist,

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

41

das Erdgeschoß in zwei gleiche Hälften, dessen südliche die aus drei Wohn- räumen nebst Küche bestehende Dienerwohnung einnimmt. Die Nordseite enthält zwei größere Vorderzimmer, von denen eines als Arbeitsraum eines Beamten dient, während das andere zurzeit für die Bibliothek des Düssel¬ dorfer Geschichtsvereines hergeliehen ist. Ein nach dem Garten zu gelegenes kleines Zimmer wird als Packraum, zur Anfertigung von Siegelabgüssen und zu anderen manuellen Verrichtungen benutzt. Auf dieser Seite des Erdge¬ schosses befindet sich auch die Treppenführung sowohl zum Keller, in dem

Die Grundrisse des Erdgeschosses und des ersten Stockwerks sowohl für das Verwaltungsgebäude wie für das Magazin.

in einem tiefer ausgeschachteten Raum die zwei Kessel für die Zentralheizung eingebaut sind, wie zum ersten Stockwerk, wo sie durch eine eiserne Schiebe¬ tür abgesperrt werden kann.

Den Hauptraum des ersten Stockwerkes bildet der rund 66 qm große Benutzersaal, der eine Geschoßhöhe von 4.80 m hat. 4erner enthält es die Arbeitszimmer des Direktors und eines Archivars, die Kanzlei, das Diener¬ zimmer, den Waschraum mit Aborten und endlich die Bibliothek, welche in drei durch zwei eiserne Treppen verbundenen Geschossen zu je 2.25 m Höhe nach dem Speichersystem in das Südrisalit eingebaut ist, derart, daß sie im Dachgeschoß, dessen ganze Tiefe ausfüllt. Der entsprechende Raum

42

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

im Giebel des nördlichen Risalits, zu dem man vom Flur des ersten Stock¬ werkes auf einer Steintreppe emporsteigt, hat die Anlage von zwei kleinere^ Zimmern ermöglicht, die im Bedarfsfall als Arbeitsräume benutzt werden.

Die Flure des Erdgeschosses und die Fußböden im Waschraum hat man aus roten einfarbigen Platten hergestellt, wohingegen die Zimmer des Erd¬ geschosses Holzfußboden haben. Die zu den oberen Geschossen führenden Treppen jedoch, sowie sämtliche Flure und Räume derselben sind mit Lino¬ leum belegt, das auf Gips- oder Zementstrich aufliegt. Für die Wände und Decken der Flure und der Bücherei ist Anstrich teils .in Wachs-, teils in Leim¬ farbe gewählt; die Zimmer sind tapeziert. Nur der durch vier große Fenster vortrefflich erhellte Benutzersaal hat eine etwas vornehmere Ausstattung er¬ fahren. Die hier bis Meterhöhe mit einem Linkrustasockel bekleideten Wände sind mit Kaseinfarbe in Tapetenimitation gestrichen. Gleichen Anstrich haben die Zwischenfelder zwischen der der massiven Decke aufgelegten Holzbalken¬ decke, deren Stützen durch kleine W appenschilde der niederrheinischen Terri¬ torien verdeckt werden. Um der immer etwas trocknen Luft der Zentral¬ heizung vor der Verteilung im Raume einige Feuchtigkeit, die das hiesige Klima im Winter ja reichlich darbietet, zuzuführen, sind die vier Heizkörper des Saales unter den Fenstern angebracht; sie haben Verkleidungen aus Eichenholz, welche durch dazwischen gesetzte feste Bücherablegegestelle und ein Kartenpult untereinander verbunden werden. Drei Tische von 3.30 m Länge und 1 .28 m Breite bieten gleichzeitig mindestens zwölf Benutzern aus¬ reichende Arbeitsgelegenheit. Nach reiflicher Erwägung wurde davon Ab¬ stand genommen, den Platz des aufsichtführenden Beamten des Benutzer¬ saales auf einem erhöhten Sitz herzurichten. Der für diesen bestimmte be¬ sondere Arbeitstisch steht vor der einen Schmalseite des Saales, von wo aus der ganze Raum doch einigermaßen sicher überschaut werden kann. In un¬ mittelbarer Nähe befindet sich ein verschließbarer Schrank, der zur zeit¬ weiligen Aufbewahrung der für den Benutzersaal bestellten Archivalien dient.

Im Benutzersaal an der inneren, von der Eingangstür durchbrochenen Längswand, hat auch ein Teil der Bibliothek Aufstellung gefunden. Es schien notwendig die Lexika der verschiedensten Art und die gebräuchlichsten Handbücher aus den einzelnen Abteilungen der Bibliothek an dieser Stelle zu vereinigen; sie sind durch doppelte Signierung für den Sonderzweck aus¬ gezeichnet. Andererseits gelang es die spezielle Literatur zur Geschichte des Niederrheins, welche die Abteilung VI der Bibliothek ausmacht, ebenfalls hier geschlossen unterzubringen, so daß sie zur Unterstützung der Studien der Be¬ nutzer jeder Zeit bequem zur Hand ist. Zudem führt eine Seitentür aus dem Benutzersaal direkt zum untersten Bibliotheksraum, in dem die Repo- situr für die Zettelkataloge und ein Gestell für die Lieferungswerke und für die ungebundenen Zeitschriften stehen ; hier werden auch die kurrenten Reper¬ torien über die Archivalien auf bewahrt. Für die gesamte Bibliothek ebenso wie für die im Magazin untergebrachte Handschriftensammlung des Staats¬ archivs sind die Lipmanschen Büchergestelle angeschafft.

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

43

Das Mobiliar der Arbeitszimmer der Beamten ist nicht gerade glänzend, aber zweckentsprechend. Schreibtische und Schreibpulte stehen in ausreichender Zahl zur Verfügung, ebenso Tische zum Auseinanderlegen von Archivalien und kleinere Aktenböcke. Selbst ein Kleiderschrank und eine kleine Wasch¬ kommode konnten für jedes Arbeitszimmer zumeist aus dem Material der früheren Bureauräume beschafft werden. Für die Aktenregistratur in der Kanzlei mußten leider die alten Schränke des Archivgebäudes in der Jo- sephinenstraße, die mit hoher Facheinteilung zur Aufbewahrung der gehefteten Akten wenig geeignet erscheinen, beibehalten werden.

Vermittels Niederdruck-Dampfheizung, für welche die Kesselanlage, wie bereits erwähnt wurde, sich im Kellergeschoß befindet, erfolgt durch Radia¬ toren die Erwärmung der Räumlichkeiten des Verwaltungshauses. Deren Zahl und Größe in den einzelnen Zimmern hängt von dem Kubikinhalt der letz¬ teren ab. Im Unterraum der Bibliothek, auf den Fluren des Erdgeschosses und des ersten Stockwerkes und im Toilettenraum sind ebenfalls Heizkörper angebracht.

Elektrische Klingeln, Telephone oder Sprachrohrleitungsanlagen laufen vom Benutzersaal, der Bibliothek und den Arbeitszimmern der Beamten zum Dienerzimmer; auf diese Weise ist auch mit dem Speieherhaus von einzelnen Stellen des Verwaltungsgebäudes eine Verbindung eingerichtet. Von der Treppe im Innern des Magazins aus mündet ein elektrischer Alarmapparat in die Wohnung des Dieners.

Den beim Neubau erzielten Ersparnissen ist die nachträglich eingerichtete elektrische Beleuchtung zu verdanken, mit der das erste und zweite Geschoß des Verwaltungsgebäudes versehen sind. Für den Benutzersaal steht auf den einzelnen Arbeitstischen eine Anzahl von Glühlichtlampen zur Verfügung.

Vom Flur des ersten Stockwerkes des Verwaltungshauses führt, dieses in seiner rückwärtigen Hälfte durchschneidend, der Zugang durch den auf einen Brückenbogen gesetzten Verbindungsbau Breite 2.50 m, Länge 6.00 m zu dem dritten Geschoß des Magazingebäudes, vor dessen Betreten man jedoch erst den Treppenabsatz des Vorbaus überschreiten muß, der zwischen Verbindungsbau und Speicherhaus bis zur Dachhöhe des letzteren errichtet ist. In der Länge mißt der Hauptbau des Magazins 22.58 m, in der Breite 15.28 m; die Höhe vom Terrain bis zur Oberkante des Haupt¬ gesims beträgt 16,50 m. Der Vorbau von 3.30 m Länge und 9.60 m Breite enthält die im Dachstuhl ausmündende Treppenanlage aus Trachytstufen und den bis zum sechsten Geschoß des Magazins reichenden Aufzug. Die Längs¬ seiten des Hauptbaus sind im Äußeren in fünf Joche zu zwei, bezw. im obersten Geschoß zu drei Fenstern gegliedert. Abweichend von der Kon¬ struktion des Magazins für das Staatsarchiv in Münster i. W . fehlt im Inneren des Gebäudes das Mauerwerk. Als Stützen dienen hier leichte aus Winkel¬ eisen zusammengesetzte Träger, die auf starken Backsteinfundamenten im

44

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

Keller ruhen. Sie tragen die Zementeisendecken mit Zementschicht (Koenensche Voutendecken); durch welche das Speicherhaus in sechs gleiche Säle von je 300 qm Flächenraum und 2.55 m Geschoßhöhe zerlegt wird. Eine die Mitte des Gebäudes in halber Breite durchschneidende eiserne Treppe, die von Ge¬ schoß zu Geschoß 15 Stufen zählt, stellt eine bequeme direkte Verbindung zwischen den Sälen her. Außerdem hat jeder Saal noch von der Treppenanlage des Vorbaus aus einen verschließbaren Zugang. Eine eisenbeschlagene Tür, die zwischen dem Vorbau und dem Verbindungsgang eingesetzt ist, unter¬ bricht bei Feuersgefahr die Kommunikation vom Verwaltungshaus zum Ma¬ gazingebäude. Eine zweite Tür gleicher Beschaffenheit, die vom Erdgeschoß des Vorbaus unter dem Brückenbogen in den Garten ausmündet, darf auch in Notfällen als stets benutzbarer Transportweg zur Rettung der Archivalien angesehen werden.

An die östliche Schmalseite des Speicherhauses ist in gleicher Fußboden¬ höhe mit dem untersten Geschoß und durch dieses zugänglich das photo¬ graphische Atelier in der Größe von 6.62 m zu 3.65 m vorgebaut. Weil es erst nach Fertigstellung des Neubaus in Angriff genommen wurde, war man gezwungen, für die Dunkelkammer und den Geräteraum von der letzten Achse des Saales im Erdgeschoß ein Stück durch Rabitzwände abzuteilen. Der Entwicklungsraum wurde noch durch eine Innenwand in zwei Hälften geschieden, um bei doppeltem Türverschluß jeden Lichtzutritt zu verhindern. Unter den festen Requisiten der Dunkelkammer seien die bequem angelegten Spülbecken für die verschiedenen Plattengrößen und der Wassertrog mit Überlauf namhaft gemacht. Das Atelier und der Vorraum der Dunkelkammer sind die einzigen Räumlichkeiten des Magazingebäudes, die elektrische Be¬ leuchtung haben. Da indessen auch an dieser Stelle ausschließlich Glühlicht¬ lampen vorgesehen sind, hat diese Einrichtung vorläufig nur bei der Auf¬ nahme kleinerer Gegenstände recht nutzbar gemacht werden können.

Der photographische Apparat besteht, um die übrige Ausstattung des Ateliers gleich hier kurz darzulegen, in einer Reise-Camera für Platten große bis zu 30 x 40 cm mit Anastigmat. Der eine verstellbare Platte tragende Tisch für den Apparat läuft ebenso wie der Tisch, auf dem der aufzunehmende Gegenstand angebracht wird, in Holzschienen, wodurch rasches Einstellen er¬ zielt wird. Die erforderlichen Arbeitstische, Schränke und Wandgestelle fehlen selbstverständlich nicht.

Atelier und Dunkelkammer haben Anschluß an die Zentralheizungs¬ vorrichtung im Verwaltungsgebäude.

In den Sälen 1, 3, 5 und 6 des Speicherhauses stehen je 2 8 Radia¬ toren. Die Heizung für das Magazingebäude wird indessen nur bei unge- gewöhnlich starken Kältegraden angelassen. Die Annahme, daß durch die Treppenöffnungen und die Deckenschlitze in den Fensternischen eine auto¬ matisch wirkende Luftspülung sich vollziehen würde, hat sich als irrig er¬ wiesen. Infolgedessen erfüllen auch die aus Saal 6 über Dach geführten zwei Abluftschlote aus Eisenblech ihre eigentliche Bestimmung recht unvollkom-

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

45

men; sie sind höchstens für diesen Raum tätig. Die Ablüftung der übrigen Säle muß unter diesen Umständen durch häufiges Öffnen der Fenster erfolgen. Man wird doch wohl noch daran denken müssen, Ventilatoren einzubauen.

Der Vorkehrungen zur Sicherung des Magazingebäudes bei Feuersgefahr wurde bereits kurz gedacht. Die Wasserleitung steigt im Treppenhaus em¬ por, auf dessen verschiedenen Absätzen Hydranten mit Schläuchen zum so¬ fortigen Gebrauch zur Haud sind. Deshalb glaubte man von der Anbringung eiserner Verschlüsse für die Fensteröffnungen absehen zu können. Lediglich die Fenster des untersten Saales haben zum Schutz gegen Einbruch Schieb¬ gitter, die im Inneren den Rahmen schließen; die Fenster der unteren Ge¬ lasse des Vorbaus sind von außen vergittert.

Wenn gleich den einzelnen Sälen durch je 10 bezw. 15 Fenster auf den Längsseiten uud ein größeres Mittelfenster an der östlichen Schmalseite Licht reichlich zufließt, so mußte doch bei der Innenausstattung auf die ge¬ ringe Höhe der nahezu 15 m tiefen Geschosse die weitgehendste Rücksicht genommen werden, damit auch die Endstücke der Reposituren nach der Mitte zu noch genügende Beleuchtung empfingen. Es wurden daher die Wände und Decken weiß gestrichen; die festen Teile der Reposituren erhielten grauen Anstrich. Der Fußboden wurde nur in den Mittelgängen vollständig mit Linoleum belegt. Bei den Quergängen zwischen den Reposituren begnügte man sich mit Laufstreifen, so daß am Fuß der Gestelle der hervortretende hellgraue Zement noch Licht reflektiert. Versuche, die mit der Aufstellung einer Holzrepositur mit festen Seitenwänden gemacht wurden, ergaben, daß bei dieser Art von Aktengestellen die Lichtzufuhr für die Schlußteile der Reposituren ganz erheblich geschwächt werden würde.

So fiel die Entscheidung für ein neues System von Aktengestellen, von dem die Finna Lipman in Straßburg ebenfalls ein Modell an Ort und Stelle hatte montieren lassen. Die eigentlichen Träger dieser aus Einzelstücken von 0.83 und 1.12 m Länge zusammengesetzten Reposituren bilden vier mit ihren Enden in Boden und Decke eingegipste T-Eisen, denen zahnartig durchlochte Führungsbleche angenietet sind. In die letzteren werden Winkel¬ bleche eingehängt, auf deren wagrechten Ansätzen die hölzernen Einlageböden ruhen. Durch Versetzen der Winkelbleche ist die Möglichkeit gegeben, die Höhenabstände der Einlageböden ganz nach Bedürfnis zu verändern. Zur seitlichen und rückwärtigen Abgrenzung der nebeneinander lagernden Archi¬ valien dienen vernickelte Eisenstäbe, die lose durch die in gleichen Abständen mit Bohrlöchern versehenen Einlageböden gesteckt werden. Die Eisenstäbe können für die verschiedenen Fachhöhen verschieden zugeschnitten werden.

Bei je zwei aneinander stoßenden Teilstücken der Gestelle fällt ein Trägerpaar aus, indem die mittleren T-Eisen die Führungsbleche auf zwei Seiten tragen. Fünf doppelte Teilstücke liefern ein zusammenhängendes Ge¬ rüste von 5.40 m Länge. Sie sind als Doppelreposituren mit vorderer und rückwärtiger Ansichtsfläche konstruiert und von zwei Seiten zugänglich. Nur

46

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

die Wände der Schmalseiten in den Sälen sind mit je vier Einzelgestellen besetzt. In zwei Reihen stehen die Gerüste, die überall senkrecht auf die Fenster der Längswände gerichtet sind, hintereinander in den Geschossen ent¬ lang. Die den Treppendurchbrüehen korrespondierenden Stellen wurden einst¬ weilen frei gelassen, um hier in Saalesmitte die Aufstellung großer Tische zum Ausbreiten von Akten zu ermöglichen. Nach dieser Anordnung enthält jeder Saal 16 Gerüste und vier Einzelgestelle. Der durch die Unterbrechung der Gerüste entstandene Mittelgang hat eine Breite von 1.55 m. Da die Reposituren vorläufig auch noch nicht bis unmittelbar zu den Innenwänden der Längsseiten geführt sind, sondern etwas über 80 cm davon abstehen, bleibt auch auf deren Außenseiten ein Bewegungsraum von entsprechender Breite. Die Entfernung zwischen zwei gegenüberliegenden Gerüsten, also die Breite eines Querganges, beträgt 1.35 m.

Die Quergänge, deren Achsen meist auf die der Fenster treffen, werden nicht allein durch das aus diesen direkt einfallende Licht erhellt, das Licht vermag, da Seiten- und Rückwände an den Reposituren fehlen, auch zwischen den Einlegeböden über die Urkundenkasten und Aktenbündel vorzudringen. Selbstredend ist die Luftspülung um die Archivalien die denkbar günstigste.

Als der größte Vorzug dieser Art von Reposituren muß es aber be¬ trachtet werden, daß damit Archivalienlager geboten sind, die ohne jede Schwierigkeit für verschiedene Höhen- und Breitenmaße nicht nur, sondern auch, indem man die erforderlichen Abschnitte einer Doppelrepositur zu einer Belegstelle vereinigt, für sonst nicht erreichbare Tiefenausdehnung aptiert werden können. Das Staatsarchiv Düsseldorf zählt zu seinen Beständen mehrere Hunderte von Archiven ehemaliger geistlicher Korporationen, deren handschriftliche Überlieferung in sehr mannigfaltigen Formen auf uns ge¬ kommen ist. Neben den Urkunden und den Akten noch heute gebräuchlichen Formats bestehen sie nicht selten aus Rechnungen, Protokollen und Lager¬ büchern, die sich nicht in die Maße eines Normalfachs fügen wollen. Die Akten aus der Zeit der französischen Fremdherrschaft am Niederrhein sind nicht nur ihrem Inhalt nach zum Teil recht scharfe Einschnitte in den all¬ gemeinen Entwicklungsgang des Verfassungs- und Verwaltungslebens des Archivsprengels, sie spotten auch geradezu des Ordnungsdranges des Archi- vars in ihren Größen Verhältnissen, die sich in buntem Wechsel von Kleinquart bis Großfolio bewegen und in den Bordereaux und Budgets zum Elephanten- format anwachsen. Dazu kommt, daß selbst die kleinei’en Klosterarchive vielfach Serien von Ai-chivalien, wie Rechnungen und Protokolle enthalten, die, weil sie feste Einbände haben, der besseren Übersicht wegen gestellt werden. Diesen mannigfaltigen Bedürfnissen sind die Lipmanschen Akten¬ gestelle ohne besondere Umänderungen zu entsprechen imstande; es bedarf nur der Entfei’nung der Eisenstäbe aus den Einlageböden und des Verschiebens der Winkelbleche.

Wie sich versteht, hat bei diesem Verfahren, die Gestelle zu belegen, von fester Fachnumerierung abgesehen werden müssen. Auf leichte schmale

I. Das neue Gebäude des Staatsarchivs.

47

Pappstreifen gedruckte Titel der Fonds, der Haupt- und größeren Unter¬ abteilungen der einzelnen Archive werden an den betreffenden Anfangsstellen den Köpfen der T-Eisen oder dem schmalen Rand der Einlageböden auf¬ geklebt. Außerdem führen die Reposituren an den Schmalseiten im Mittel¬ gang Blechschildchen mit fortlaufenden Nummern und auf eingeschobenen Papptafeln die kurzen Stichworte der dort beruhenden Archivaliengruppen. Die Belegung der Reposituren beginnt in jedem Geschoß links vom Eingang aus dem Vorbau und wird in der Längsrichtung von unten nach oben fort¬ gesetzt. Will man die Reihenfolge der in den Gestellen eines Saales lagern¬ den Fonds übersehen, so bewegt man sich fortgesetzt im Schlängelgang um die Gerüste.

Zur Erleichterung des Heraussuchens der Archivalien und zur schnelleren Durchsicht von Akten an Ort und Stelle dienen folgende Vorrichtungen r Teils an den Innenwänden, teils an den T-Eisen der Gerüste befinden sich eiserne Nuten, in welche kleine mit eisernen Krücken versehene Tischplatten verschiedener Größe eingehängt werden können, die man vermittels derselben Vorrichtung aber auch glatt an die Wand oder die Repositur anzulegen vermag. Ferner hat jeder Saal zwei kleinere Tischchen, deren Füße auf Rollen laufen. Daß auch in den einzelnen Geschossen je ein großer Tisch von über 3 m Länge bereit steht, wurde oben angedeutet.

Die Ausstattung des Saales 3, in dem hauptsächlich die Urkundenarchive aufbewahrt werden, weicht von der der übrigen Geschosse insofern ab, als dessen vierter Teil mit LipmaüSchen Büchergestellen besetzt ist, auf denen die sogenannte Handschriftenabteilung aufgestellt ist. Außerdem ist die eine Reihe der Doppelgerüste in ihm um ein Joch nach der Fensterseite verkürzt. Den dadurch frei gewordenen Raum nehmen Schränke von Brusthöhe ein, die zur Unterbringung der Kartenabteilung und der Wappentafeln und -Bücher bestimmt sind. Diese Schränke, für die zwei verschiedene Größen gewählt wurden, sind nach Mustern in der Universitätsbibliothek in Straßburg ange¬ fertigt. Sie haben Schiebfächer, die beim Ausziehen auf Holzschienen ruhen, welche an den Innenseiten der Doppeltüren parallel angeschraubt sind. Die Vorrichtung gewährt den Vorteil, daß die vorgezogene Schublade die Durch¬ musterung ihres Inhalts am Standort ermöglicht.

48

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

II.

Die Bestände des Staatsarchivs

nach ihrer äulseren Gliederung; deren Entstehung, frühere Aufbewahrungsorte und Verteilung im neuen Gebäude.

Bei der Beschreibung der Lagervorrichtungen für die Archivalien ist bereits andeutungsweise erwähnt, daß die Bestände des Düsseldorfer Archivs, wie das in fast allen Staatsarchiven üblich ist, ihrer äußeren Beschaffenheit nach in die Hauptgruppen : Urkunden, Handschriften und Akten geschieden werden, zu denen als kleinere Sonderabteilungen noch Karten und Wappentafeln oder -Bücher hinzutreten.

Unter den Urkunden faßt man in der Regel alle auf Pergament ge¬ schriebenen und besiegelten Einzelschriftstücke zusammen, ohne aus dem Inhalt ein Einteilungsprinzip herzuleiten. Wichtigere Verträge jedoch späterer Jahr¬ hunderte werden, auch wenn deren Ausfertigung auf Papier erfolgt ist, ihnen zuweilen ebenfalls zugezählt. Im Staatsarchiv Düsseldorf hat man auch die älteren Einzelabschriften auf Pergament oder Papier, deren Vorlagen Originale der vorbezeichneten Kategorien waren, die sich jedoch nicht erhalten haben, der chronologischen Reihenfolge der Originale eingereiht. Die Urkunden liegen in 36x 25 x 11 cm großen mit losen Deckeln verschließbaren Pappkasten, deren rechte Längsseite zum Herunterklappen eingerichtet ist. Das einzelne Stück umgibt ein mit dem Fonds, Datum und Nummer versehener Um- schlagebogen , der die Längen- und Breitenmaße des Innenraumes eines Kastens hat. Die Kasten tragen auf der vorderen Seite ebenfalls Fondsbe¬ zeichnung, Anfangs- und Endjahr der in ihnen enthaltenen Urkunden und eventuell auch deren Nummern. Für Urkunden umfangreichem Formats sind Behälter von der doppelten Größe des Normalkastens vorgesehen. Immer nur je zwei Kasten, denen übrigens an der Vorderseite Schleifen eingelassen sind, an denen man sie vorziehen kann, stehen auf den Einlageböden der Gestelle übereinander.

Als Handschriften werden Kopiare, Memorienbücher, Nekrologien, Statu¬ tensammlungen, Einkünfteregister, Lehenbücher und -Protokolle, alte Archiv¬ verzeichnisse, geschichtliche Darstellungen und dergleichen angesehen. Bei manchen Stücken ist für die Zuweisung zu dieser Abteilung nur der Um¬ stand ausschlaggebend gewesen, daß sie einen festen Einband tragen. Ihre Unterbringung im Saal 3 auf Lipmanschen Büchergestellen wurde bereits er¬ wähnt.

Die Aktengruppe bilden die Korrespondenzen der verschiedensten Art vom 16. Jahrhundert ab, Rechnungen und Register, Lagerbücher, die meisten Sorten von Protokollen, soweit nicht solche mehr zufällig der Handschriften¬ abteilung zugeführt worden sind. Eine gewisse Sonderstellung neben ihr

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

49

kommt den sogenannten Literalien zu, deren Wesen man aus dem Titel nicht so ohne weiteres zu erkennen vermag. Sie sind eine Erfindung La- comblets und stellen sich, näher besehen, so recht als Verlegenheitsprodukt heraus, das man bei der plötzlichen Anhäufung größerer Massen ungeordneter Arcliivalien geschaffen hat, weil man wegen des Mangels an Arbeitskräften nicht in der Lage war, die einzelnen Stücke ihrem Inhalt und ihrer Zuge¬ hörigkeit nach richtig einzuschätzen. Als Literalien gelten Niederschriften auf Pergament und Papier vom 14. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, die, obwohl besiegelt, in diesem Fall ihrem Inhalt nach nicht als vollwertige Ur¬ kunden taxiert wurden, wie Quittungen, Zahlungsanweisungen, Reverse, Fehde¬ briefe, ferner die Korrespondenzen, die ja in ihren Anfängen zumeist fragmen¬ tarischen Charakter zeigen, Teilstücke von Registern und Rechnungen, kurz, Aufzeichnungen des aller verschiedensten Formats, Inhalts und Ursprungs. Sie sind zum Glück in größerem Umfang nur bei den bedeutenderen Territorial¬ archiven angelegt, bestehen aber in dem Archiv von Jülich-Berg sogar noch in zwei selbständigen Abteilungen nebeneinander, einer chronologisch und einer sachlich geordneten. Ihr vielfach sehr defekter Zustand hat die Veranlassung gegeben, sie in Mappen einzuschnüren; wo das bisher noch nicht geschehen war, sind sie neuerdings in Stollesche Streckmappen eingelegt.

Die Literalien eröffnen in der Regel die Aktenserie eines selbständigen Archivs oder einer Hauptabteilung eines solchen. Da die Lipmanschen Repo- situren dazu überall Gelegenheit bieten, werden sie gestellt, jede Mappe auf den Rücken mit der entsprechenden Signatur versehen. Das Gleiche geschieht mit allen gebundenen oder fest gehefteten Aktenstücken, wenn sie eine Reibe von unmittelbar aufeinander folgenden Einbänden repräsentieren, welche zu¬ sammen die Breite eines Normalfaches überschreiten. Die einzelnen Bände erhalten an deutlich sichtbaren Stellen die ihnen zukommenden Provenienzver¬ merke und Aktennummern, gegebenenfalls auch den kurzen Titel; bei Pro¬ tokollen, Rechnungen und Registern darf natürlich auch die Jahresbezeichnung nicht fehlen. Die übrigen Akten werden in Bündel von mäßiger Dicke zu- sammengesehnürt. Um die schädigenden Wirkungen des Bindfadens an den Schnürstellen etwas aufzuheben, sind die Bündel zwischen zwei größere Akten¬ deckel gelegt. Mit dem Bindfaden, der die Fascikel zusammenhält, werden diesen zugleich durchlochte Kartontäfelchen angehängt, auf die die Fonds und Nummern aufgedruckt sind. Es gilt als Regel, daß nur zwei Bündel in einem Fachabteil übereinander geschichtet werden.

Das Verfahren, den Bestand eines jeden Archivfonds einheitlichen Ur¬ sprungs nach Urkunden, Handschriften, Literalien und Akten zu trennen und an drei, unter Umständen sogar an vier Stellen in gesonderten Gruppen zu lagern, trägt, konsequent durchgeführt, nur dazu bei, die Übersichtlichkeit bei der Aufstellung zu erschweren. Von den zahlreichen Archiven ehemaliger- geistlicher Korporationen, welche in das Staatsarchiv gelangt sind , haben sich viele so lückenhaft erhalten, daß deren Urkunden einen oder zwei Kasten füllen, die Akten kaum ein Fach ausmachen und für die Handschriftenabteilung eine Mitleilungen. 9. lieft. 4

50

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

Nummer, ein Memorienbuch oder etwas ähnliches, abfällt. Geschichtliche Studien, welche auf die Bearbeitung dieses Materials abzielen, können meisten¬ teils nur mit Erfolg durchgeführt werden, wenn sie die Gesamtüberlieferung des betreffenden Fonds berücksichtigen. Es müssen also bei derartigen Be¬ nutzungen nicht nur die Archivalien an drei verschiedenen Lagerstellen auf¬ gesucht werden, zunächst sieht man sich vielfach auch noch in die Not¬ wendigkeit versetzt, den Stoff erst aus mehreren Verzeichnissen zusammen¬ zustellen, weil gewisse Kategorien von Handschriften gar nicht in den Spe¬ zialrepertorien sondern nur im allgemeinen Handschriftenkatalog eingetragen sind. Dieser Verzettelung vornehmlich der kleineren Archive entgegen zu arbeiten, ist hier neuerdings der Anfang gemacht.

Von der gesonderten Behandlung der Urkunden kann man freilich nicht absehen. Ihre stetig wechselnde Form, die aufgedrückten oder angehängten Siegel bedingen für jedes einzelne Stück eine eigene Umhüllung und einen Lagerort, der es gegen scharfen Druck und unsanfte Berührung schützt. Die Pappkasten, welche auf jeden Fall den Vorzug bieten, daß das Aufsuchen einer Einzelnummer sehr erleichtert ist und daß dabei nur eine verhältnis¬ mäßig geringe Anzahl der übrigen Urkunden in Mitleidenschaft gezogen wird, erfüllen ihren Zweck schlecht und recht. Da die Urkunden für die früheren Perioden des Mittelalters als die hauptsächlichsten Quellen gelten und zu Spezialuntersuchungen, deren Themata durch engere chronologische Grenzen mehr als durch sachliche Gesichtspunkte festgelegt sind, Anlaß geben, so mag es gerechtfertigt erscheinen, aus ihnen ein Archiv im Archiv zu bilden.

Dagegen will mir der Vorteil, den eine Handschriftenabteilung in dem Umfang, wie sie im Staatsarchiv Düsseldorf eingerichtet ist, bringen soll, nicht einleuchten. So gut ich Protokolle, Einkünfte- und sonstige Register, Lager¬ bücher, *) Rechnungen usw. der Aktenabteilung eines Archivs einfüge, mit dem nämlichen Rechte kann ich dieser auch Kopiare, Lehenbücher und Lehenproto¬ kolle, Rechtsaufzeichnungen, Statuten, Memorienbücher, Nekrologien, ältere Archivinventare und, was es sonst noch an sogenannten handschriftlichen Besonderheiten geben mag, zuweisen, vorausgesetzt natürlich, daß alle Stücke gleichen Ursprung haben. Hier hat offenbar das Vorbild der Bibliotheken zur Nacheiferung angeregt. Aber bei diesen Instituten, in denen Hand¬ schriftenabteilungen vielfach von altersher bestehen, hat diese Einrichtung doch einen ganz anderen Sinn als in den Archiven, deren Inhalt so wie so nahezu ausschließlich handschriftlicher Überlieferung ist. Für diese mehr, als es notwendig ist, Sondergruppen herzustellen, die auf Grund zumeist äußerlicher Unterscheidungsmerkmale gebildet sind, erscheint mir vom Übel. Vor allem leidet aber auch das moderne oberste Ordnungsprinzip, die Provenienz, dar¬ unter Schaden. Und selten haben Benutzer von den Beamten ganz ab¬ gesehen einen wirklichen Gewinn von dem Bestehen einer besonderen

1) Stammen derartige Archivalien aus der Zeit vor 1500, so sind auch sie vielfach in die Handschriftenabteilung eingereiht.

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

51

Handschriftenabteilung, weil historische Arbeiten sich doch nur in Ausnahme¬ fällen auf die Durchforschung einer Handschriftenspezies beschränken können.

Gewiß besitzen wohl alle größeren Archive Handschriften, die sich in keinem der Hauptbestände unterbringen lassen, weil sie unbekannter oder fremdartiger Herkunft sind. Manuskripte rein theologischen Inhalts werden ja für geschichtliche Studien höchst selten herangezogen und bilden sie daher auch in einem Klosterarchiv eine Art Ballast. Als eine wahre Crux für viele Archive müssen die Sammelhandschriften der Geschichtsfreunde des 17. und 18. Jahrhunderts betrachtet werden, welche schon durch die latei¬ nischen Titel, Schedae, Farragines, die ihre Urheber ihnen bisweilen gegeben haben, ihren verhängnisvollen Ursprung andeuten. Gewöhnlich sind sie aus älteren Abschriften, gelegentlich auch aus Originalstücken zusammengelesen, die den verschiedensten Archiven entlehnt sind. Kann man sie nicht auf- lösen, so muß man sie natürlich als besondere Handschriftenabteilung bestehen lassen. Außer einigen Bänden J. G. von Redinghovens verwahrt das Staats¬ archiv Düsseldorf an derartigen Manuskripten die Sammlungen von Fuchsius, von Knapp und Sethe. Einzelne Stücke privater Herkunft, ein paar Geschäfts¬ bücher von Handlungshäusern des 18. Jahrhunderts wird man wohl am besten ebenfalls in der Abteilung belassen. Nach der Säuberung dürfte sie aber kaum noch den zwanzigsten Teil ihres bisherigen Umfanges einnehmen.

Am Niederrhein haben sich im Gegensatz zum Mittelrhein schon ziem¬ lich früh größere in sich geschlossene Territorien gebildet. Nachdem infolge der fränkischen Eroberung und der Verwaltungsmaßnahmen Karls des Großen die alten Stammesverbände mehr und mehr gelockert waren, als auch die an ihre Stelle getretenen Grafschaftsorganisationen sich überlebt hatten, waren es vornehmlich die kirchlichen Körperschaften, die hier eine zeitlang ihren Einfluß in überwiegendem Maße geltend machten. Allen voran schritten die Kölner Kirchenfürsten. Seit den Tagen Erzbischof Brunos, des Bruders Otto des Großen, beanspruchten sie auch in weltlichen Dingen die Führerrolle, in der sie durch die Gunst der Kaiser und die reichen Schenkungen an Be¬ sitz und Gerechtsamen der mannigfaltigsten Art gestärkt wurden. Aber gar bald streben daneben immer weitere Kreise zur politischen Selbständigkeit empor. Der älteste Sitz der Erzbischöfe, „das heilige Köln, der römischen Kirche getreue Tochter“, widerstrebt am frühesten dem kirchlichen Regiment. Und seit dem 12. Jahrhundert machen auch die Grafen und Herren, die bisher ihren Vorteil darin gesehen hatten, als Lehensmannen des Reichs und der Kirche zu dienen, den Erzbischöfen ihre Stellung streitig. I ngefähr gleich¬ zeitig tauchen um 1100 herum die Geschlechter der Grälen von Jülich, von Geldern, von Cleve und von Berg, die einen Zweig ihres Stammes, die Grafen von Altena-Mark, nach Westfalen ausbreiten, aus dem Dunkel empor; ihre Herkunft haben die Haushistoriographen vom 14. Jahrhundert ab mit einem dichten Sagengewebe umsponnen. In stetig wechselnden Bündnissen bald mit

dem einen bald mit dem anderen Grafengeschlecht suchen die Erzbischöfe

4*

52

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

von Köln den ihnen jeweilig lästigsten Nachbarn niederzuwerfen. Umsonst; das weltliche Territorialprinzip triumphiert. Die Soester Fehde, in der die aufrührerische westfälische Stadt mit Hilfe des clevischen Herzogshauses über den Erzbischof Dietrich von Moers obsiegte, bildet den Schlußakt dieses drama¬ tischen Eingens. Die Herzoge von Cleve, die im märkischen Stamm fortlebten, erscheinen im Anfang des 16. Jahrhunderts als die glücklichen Erben beinahe des gesamten weltlichen Gebietes am Niederrhein.

Nach dem Tode des Grafen Johann von Cleve nämlich, der im Jahr 1368 kinderlos starb, war diese Grafschaft an den Sohn seiner Nichte, den Grafen Adolf III. von der Mark (als Graf von Cleve, Adolf I.), gefallen. Cleve blieb Stammland; die Grafschaft Mark wurde zunächst zur Abfindung jüngerer Söhne verwendet, bis schließlich im 15. Jahrhundert die dauernde Vereinigung mit Cleve eintrat, das 1417 zum Herzogtum erhoben worden war.

Bei den Grafschaften und späteren Herzogtümern Jülich und Berg, zu denen auch Eavensberg und Heinsberg kamen , war mittlerweile eine ähn¬ liche Verschmelzung erfolgt. Das bergische (bergisch-limburgische) Grafenhaus stirbt 1348 aus, das Land geht durch eine ravensbergische Erbtochter auf Gerhard von Jülich über und dessen Nachkommen sukzedieren nach dem kinderlosen Absterben Herzog Reinalds von Jülich 1423 auch in diesem Fürstentum. Der Zusammenschluß von Cleve-Mark und Jülich-Berg nebst Ravensberg ward durch die 1510 vollzogene Heirat des Jungherzogs Johann von Cleve-Mark mit Maria, dem einzigen Kind Herzog Wilhelms von Jülich- Berg und Ravensberg, eingeleitet. Nachdem Herzog Wilhelm 1511 und der Altherzog Johann II. 1521 gestorben waren, wurde in Johann III. der cleve¬ märkische Stamm der herrschende am Niederrhein. Fast schien es, als ob ihm in den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts auch noch die Erwerbung Gelderns gelingen könnte. Indessen Herzog Wilhelm, Johanns III. Sohn erlitt in dem Kampfe, den er deswegen gegen Carl V. zu führen hatte, eine schwere Niederlage. Mit Herzog Wilhelms Sohn und Nachfolger, dem geistes¬ kranken Johann Wilhelm, starb 1609 das Geschlecht im Mannesstamm aus, die Erben der Töchter des ersteren, Kurpfalz und Brandenburg, teilten die Länder unter sich auf. Kurpfalz erhielt Jülich-Berg und Ravenstein, Branden¬ burg nahm Cleve-Mark nebst Ravensberg in Besitz,1) wozu es im Jahre 1702 die im Mittelalter von Cleve zu Lehen gehende Grafschaft Moers 2) und 1713 als Ersatz für bedeutende Kapitalforderungen an die spanischen Niederlande einen Teil des Herzogtums Geldern3) erwarb.

Der Sprengel des heutigen Staatsarchivs Düsseldorf war also am Aus-

1) Gemäß dem Dortmunder Abkommen vom 31. Mai 1609 und dem Vertrag zu Xanten vom 10. Mai 1614, die im wesentlichen durch den Vertrag d. d. Cleve 1666 September 19. bestätigt wurden.

2) Dienstbach, Nassau- Saarbrücken und Moers. Ein Beitrag zur Geschichte des oranischen Successionsstreites S. 111 ff. ; über das frühere Verhältnis von Moers zu Cleve s. S. 243 ff.

3) Durch den Utrechter Traktat vom 2. April 1713.

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

53

gang des 18. Jahrhunderts hauptsächlich in drei Herrschaftsgebiete geteilt, das der Erzbischöfe von Köln, der Kurfürsten von der Pfalz bezw. von Bayern und der Könige von Preußen. *) Zum Sitz der weltlichen und geistlichen Regierung des Erzstiftes Köln hatte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts Bonn entwickelt; bereits 1558 befindet sich hier das erzbischöfliche Archiv, wohin es aus dem Turm des Godesberger Schlosses transportiert war. In der Stadt Köln brachten es nur die verschiedenen Gerichte der Erzbischöfe zur Entwicklung selbständiger fürstlicher Registraturen. Das domkapitularische Archiv, dessen Akten ja in der Zeit der Sedisvakanz auch für das erzstiftische Territorium erhöhte Geltung gewannen, wurde selbstverständlich im Bereich der Domimmunität in Köln aufbewahrt. 'l 2)

Von den auf den fürstlichen Schlössern und Burgen eingerichteten Depots von Archivalien der Herzogtümer Jülich und Berg wurden die des letzteren, die auf Burg an der Wupper und Bensberg verwahrt gewesen waren, wahrschein¬ lich schon bald nach 1493 im Schloß zu Düsseldorf konzentriert, wo übrigens bereits 1444 ebenfalls eine Archivabteilung bestand. 3) Da hierhin im Laufe des 16. Jahrhunderts auch die jülichschen Archivalien übergeführt wurden, die bisher auf den Burgen Nideggen, Caster, Hambach, Jülich und Randerath zerstreut gelagert hatten,4) fand allmählich die heute noch bestehende Zusammen¬ schweißung dieser Bestände statt, bei welcher der Chronist des Fürstenhauses, Gerhard von .Jülich,5) besonders tätig war. Sie wurde befördert durch die Bemühungen Herzog Wilhelms, zunächst die Verfassung und Verwaltung von Jülich-Berg zu zentralisieren. Die fast ein Jahrhundert dauernde Personalunion zwischen diesen Fürstentümern und Cleve-Mark hat dagegen keine Spuren hinterlassen, die auf die Absicht hindeuteten, deren Archive ebenfalls zu ver-

1) Vgl. Harleß, Entwicklungsgang des Provinzialarchivs zu Düsseldorf. Ein Erinnerungsblatt an dessen Begründer Lacomblet, Bergische Ztschr. 3, 301 326 uijd Rheinisches Archiv, Wegweiser durch die für die Gesch. des Mittel- und Nieder¬ rheins wichtigen Handschriften. I. Teil: Der Niederrhein, bearbeitet von Ilgen. Westdeutsche Ztschr., Ergänzungsheft II, besonders S. 8 ff.

2) S. Harleß, Über die letzten Schicksale des Kölnischen Erzstiftes und Dom¬ kapitels, mit besonderer Beziehung auf das Archiv des letzteren in der Ztschr. für Preuß. Gesch. 11,432—451 und 12, 13S ff. Daß das erzstiftische Archiv nicht erst im 17. Jh. (so Harleß, Entwicklungsgang S. 302) in Bonn eingerichtet wurde, be¬ weist ein summarisches Repertorium des Bonner Archivs von 1558. Auch die Kanzleiordnungcn für die Registratur daselbst datieren aus den Jahren 1570 und 1574.

3) Die Repertorien der verschiedenen Archivstellen aus dem Anfang des 15. Jhs. haben sich erhalten.

4) Hierfür liegen ebenfalls Verzeichnisse vor, von denen einzelne bis 1415 zurückreichen.

5) Vgl. Harleß, Entwicklungsgang 303. Das „Inventarium der vornembsten schrifften, buecher, register, brief und sigel, so zu Gerhardi .Tuliacensis seligen re- gistration gewesen“ das 1576 aufgestellt ist, umfaßt die Ilauptgruppen der älteren Archivalien von Jülich-Berg. Übrigens hatte bereits 1528 Johannes Buff ein Registium litterarum et copiarum in camera cancellari Wilhelmi Lunynek angefertigt.

54

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

einigen. Das clevische Archiv blieb auch nach dem Jahre 1521 auf dem Schwanenturm in Cleve, wo dessen Urkunden schon im 15. Jahrhundert von den Verfassern der offiziösen Fürstenchroniken des clevischen Hauses benutzt worden sind.1) Wenn es im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts gelegentlich seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, so geschah das nur vorübergehend, um es den Gefahren kriegerischer Überfälle zu entziehen. 2)

Das Archiv des Herzogtums Geldern ist zufolge der Übereinkunft mit den Generalstaaten von Holland nicht aufgeteilt worden, sondern beruht noch heute zu Roermonde in seinem alten Bestände; im Jahr 1752 befand sich ein Teil desselben auf der Rechenkammer in Brüssel. Preußen ward nur der Rekurs auf dasselbe Vorbehalten. Deshalb kommt Geldern als Archivursprungs¬ stätte auch erst vom Jahre 1713 an in Betracht. Dagegen scheint es Preußen gelungen zu sein das oranien-moersische Archiv bei der Besitzergreifung der Grafschaft 1702 in Moers sofort in Beschlag zu nehmen.

Von den Archiven der Landstände dieser Fürstentümer und Grafschaften, die ja an der ursprünglichen territorialen Gliederung über alle Erbgänge der Herrscherhäuser und Ländervereinigungen hinaus zäh festhielten, so zwar, daß die Ständevertretungen sowohl von Jülich wie von Berg, von Cleve, Mark, Geldern und Moers bis zu ihrer Auflösung gesondert blieben, wenn sie auch zum Teil zu gemeinsamen Beratungen zusammentraten, hatten im 18. Jahr¬ hundert die der Ritterschaften, desgleichen das der jülichschen Unterherren, entweder am Tagungsort, der Landeshauptstadt, oder am Wohnsitz des Land¬ tagsmarschalls, zeitweise wohl auch des Syndikus, ihren Standort; die Sorge für das gemeinsame landständische Archiv der Städte eines Territoriums über¬ nahm die Vorortsstadt.

Während der Mittelrhein mit kleineren Reichsherrschaften übersät ge¬ wesen ist, fehlen sie am Niederrhein fast ganz; sie ragten eigentlich nur mit Streubesitz über die Grenzen in das Gebiet hinein. Die Reichsstädte Aachen und Köln fallen aus dem Rahmen unserer Betrachtung ganz heraus , wpil die Stadtarchive in Preußen überhaupt nicht in den Bereich des staatlichen Archivwesens einbezogen sind. Unter den reichsunmittelbaren Stiftern und Abteien mußte die Mehrzahl wohl oder übel mit der Zeit Anschluß an den Territorialstaat suchen, in dessen Bezirk sie lagen. So traten Essen und Werden zu Cleve-Mark resp. Preußen, Cornelimünster zu Jülich bezw. Pfalz in ein Schutzverhältnis. Burtscheid ging mit seinem Gebiet bereits im 14. Jahr¬ hundert in der Stadt Aachen auf. Auch das Stift Elten scheint vom 1 7. Jahr¬ hundert ab sehr stark den Einfluß des brandenburgisch-preußischen Nachbarn empfunden zu haben. Allein Stablo-Malmedy gelang es sich von den Ketten

1) Harleß a. a. 0. S. 303. Früher befanden sich die Littere und Registra des Hauses zu Monterberg, die indessen zumeist durch Brand zerstört zu sein scheinen. S. die Wisseler Chronik bei Seibertz, Quellen zur westfälischen Gesch. 3, 332.

2) Vgl. Harleß, Kurze Beschreibung der wunderbarlichen clevisch- und mär¬ kischen Archiv-Flucht von den Jahren 1672 und 1679 in der Bergischen Ztschr. 35, 105-117.

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

55

weltlicher Vormundschaft frei zu halten, worin es durch seine günstige Lage auf Grenzgebiet unterstützt wurde.

Um alle diese Territorien, Jülich-Berg, Cleve-Mark usw., mit Ausnahme jedoch des rheinischen Teiles des Erzstiftes Köln, um die genannten anderen Reichsstände schlang ein schmales Vereinigungsband deren Zugehörigkeit zum rheinisch - westfälischen Kreise. Da die Herzoge von Jülich -Berg neben den Bischöfen von Münster das Direktorium im Kreise ausiibten , hatte das Kreis¬ archiv ebenfalls am Niederrhein seinen Sitz und zwar in Düsseldorf. ')

Die Archive der überaus zahlreichen Stifter, Klöster und Ordenskom¬ menden wurden natürlich für gewöhnlich am Orte der Niederlassung auf¬ bewahrt. Daß die Klosterinsassen und deren Untergebene aber beständig des engen Zusammenhangs mit dem staatlichen Organismus, in dem sie lebten, sich bewußt blieben, dafür hatte die Kirchenpolitik sowohl in Cleve-Mark wie in Jülich-Berg bereits seit dem 15. Jahrhundert Vorkehrungen getroffen.

Insofern den Herrschaften und Unterherrschaften am Niederrhein ebenso wie zumeist den Klöstern eine beschränkte Gerichtsbefugnis eingeräumt war, kann man sie in gewissem Sinne als die weltlichen Pendants der geistlichen Korporationen ansehen. Die Bedeutung dieser Archive, deren Zahl unter den Beständen des Düsseldorfer Archivs nicht sehr erheblich ist, liegt doch im allgemeinen vorwiegend auf dem Gebiete der Familiengeschichte.

In dieses vielseitige archivalische Sonderleben fuhr nun zunächst auf der linken Rheinseite die französische Invasion von 1792 ab wie eine Winds¬ braut hinein. Das erste, das die Klöster zu retten sich bestrebten, waren die Dokumente über Besitz und Vermögen. Die Archive der geistlichen Korporationen wurden nach allen Richtungen hin zerstreut. Aber auch die Landesarchive selbst auf der rechten Rheinseite wurden sofort verpackt und weggeschafft.1 2) Infolge des Luneviller Friedensschlusses glätteten sich zwar die Wogen der Bestürzung etwas, jedoch die Durchführung der in ihm vor¬ bereiteten Säkularisation vermittels des Reichsdeputationshauptschlusses be¬ deutete eine förmliche Revolution in dem bisherigen Archivwesen. Damit verschwand eine der bisher wichtigsten Arten von Sammelstellen archivalischen Stoffes gänzlich von der Bildfläche.

Und mehr als ein Klosterarchiv ist bei der Flüchtling völlig unter¬ gegangen, manches wertvolle ältere Stück aus solchen Beständen bei dem Aufhebungsgeschäft vernichtet oder verschleudert worden. Unter dem frischen Eindruck der Verluste, welche besonders die Korporationsarchive in den voraufgegangenen Jahrzehnten erlitten hatten, schreibt Archivrat Hoefer in einem amtlichen Bericht vom 27. Juli 1820 aus Köln:3) „Freund und Feind

1) Im Jahre 1794 befindet es sich freilich in Köln. S. Harleß, Entwicklungs¬ gang S. 309.

2) S. Ilarleß, Entwicklungsgang S. 309.

3) Akten des Direktoriums der Staatsarchive, betr. die Archive des Nieder¬ rheins, Vol. I, Bl. 81. Hoefer war vom Staatskanzler Fürsten von Hardenberg mit

56

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

haben geraubt und geplündert. Die Geistlichen haben selbst dazu die Hand geboten und ihre zahlreiche Verwandtschaft und Freunde aufgefordert, sich von ihren Literalien und sonstigen Kunstschätzen nach Belieben zu nehmen. Daher die Zerstörung derselben und der so viele Jahre hindurch damit ge¬ triebene Handel und die Aufkauferei derselben von Fremden. Fast alle Häuser sind früher im Besitz von alten Urkunden oder Manuskripten ge¬ wesen und noch jetzt gibt es selten eine öffentliche Auktion, wo nicht der¬ gleichen mit Vorkommen.“ Dazu trat die Zerstückelung der fürstlichen Archive der Gegend, die auf Grund der staatlichen Neuschöpfungen Napoleons er¬ folgte. Das kurköluische Archiv, das nach Arnsberg geflüchtet war, geriet dort zum Teil in hessen-darmstädtischen und nassauischen Besitz, die andere Hälfte erhielt die Präfektur des Roerdepartements in Aachen ausgeliefert. Das cleve - märkische Archiv, dessen letzter Aufenthaltsort unter preußischer Herrschaft Hamm gewesen war, wurde zwischen dem Kaiserreich Frankreich, dem Großherzogtum Berg und Hessen - Darmstadt aufgeteilt. Zuvor jedoch hatte man die Bestände von dem gesäubert, was der veränderten Verwal¬ tungsorganisation nicht mehr zweckdienlich erschien. Mit welcher Gründ¬ lichkeit das Zerstörungswerk in Hamm betrieben ist, darüber vermögen uns zum Teil mit Kassationsvermerken versehene Verzeichnisse *) des Archivs der cleve-märkischen Kriegs- und Domänenkammer aufzukläreu. Ein ähnlich schweres Schicksal traf das jülich - bergische Archiv im Jahr 1809, nachdem das Großherzogtum Berg unmittelbar unter kaiserliche Administration gestellt war; Napoleons Bevollmächtigter Beugnot zeigte für historische Dokumente nicht das geringste Interesse. Über die Hälfte der Hoheitsregistratur von Jülich-Berg ist damals kassiert worden.* 1 2) Nur den Schriftstücken, die als Vermögensnachweise oder Besitztitel für die okkupierten Ländergebiete und die säkularisierten Kirchen güter gelten konnten, wurde mit Eifer nachgespürt und deren Niederlegung in den Repositorien der Ministerien, Präfekturen und Domänendirektionen angestrebt.

Hauptsammelstellen für Archivalien in der französischen Periode wurden die Sitze der Regierungen, für das Roerdepartement zu Aachen und für das Großherzogtum Berg zu Düsseldorf. Es ist bezeichnend für die geringe Pflege, die man selbst der jüngsten historischen Überlieferung zuwandte, daß geheftete Korrespondenzfaszikel 3) in den französischen Archiven gar nicht

der Inspektion der rheinischen Archive betraut worden. Vgl. Koser, Die Neuordnung des Preuß. Archivwesens S. 32 ff. u. S. 46 ff.

1) Sie beruhen in den Staatsarchiven Düsseldorf und Münster. Für die Ar¬ chive der vor 1794 preußischen Gebietsteile sind vortrefflich angelegte Repertorien erhalten, die kurz vor dem Hereinbruch der Fremdherrschaft angefertigt waren. Das Gleiche gilt vom kurkölnischen Archiv. Über die mangelhaften Verzeichnisse des jülieh-bergischen Archivs s. Harleß, Entwicklungsgang S. 306 ff.

2) Vgl. Harleß, Entwicklungsgang S. 317.

3) Die Listen der Güterverkäufe, die Budgets und Bordereaux hingegen sind meist gebunden erhalten.

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

57

vorhanden sind, wohingegen in den Registraturen von Cleve-Mark das Akten¬ heften schon seit dem 17. Jahrhundert Brauch gewesen war.1)

Die Leidenszeit der Archive des Niederrheins hörte aber mit dem Ende der Franzosenherrschaft noch nicht auf. Vorläufig hatten sie noch manchen Platzmangel durchzumachen, ehe feste Sitze und sichere Unterkunftsstellen für sie gefunden waren, die einige Gewähr für fernere sorgfältige Erhaltung der schon vielfach durch äußere Einflüsse schwer geschädigten Pergamente aus früheren Jahrhunderten boten. Zunächst ward jeder Regierung der Niederrhein erhielt bei der ersten preußischen Verwaltungsorganisation deren vier, zu Aachen, Cleve, Düsseldorf und Köln ein historisches Archiv beigegeben. In Aachen und Düsseldorf blieben einstweilen so ziemlich die Bestände, die an diesen Orten in französischer Zeit zusammen gehäuft waren. Das clevisclie Archiv entstand vornehmlich aus Ablieferungen niederrheinischer Korporationsarchive, die aus Münster gekommen waren, das kölnische, das übrigens von vornherein einen Grundstock älterer Archivalien besessen haben muß, ward zunächst von Arnsberg aus gespeist.2) Im Frühjahr 1819 siedelte das Aachener Archiv, das sogenannte Roerdepartementsarchiv, nach Köln über, während in Aachen selbst nur das Material zurückbehalten wurde, das für Verwaltungszwecke, insbesondere für die Liquidstellungs-Kommission ge¬ braucht wurde. Ähnlich verfuhr man mit den Clever Urkunden und Akten, die in der Hauptsache das Düsseldorfer Archiv übernahm.

Immer galt es noch in dieser Zeit als die erste Aufgabe der Archive, Material zur Aufklärung der älteren Rechts- und Besitzverhältnisse zu liefern, um damit die staatlichen Ansprüche begründen und festlegen zu können. Häufig genug wurden ältere Aktenstücke verschiedener Provenienz aus ihrem bisherigen Zusammenhang herausgerissen, um mit neu entstehenden Akten vereinigt einem Dezernenten in Domänenangelegenheiten eine schnelle Über¬ sicht über die historische Seite der älteren Zehentgerechtsame, des Verhält¬ nisses der Zivil- und Kirchengemeinden zueinander, oder über strittige Ge¬ rechtsame an Grund und Boden oder Kapitalvermögen usw. zu gewähren. Pergamenturkunden heftete man in moderne Aktenfaszikel hinein, trotzdem der spröde Schreibstoff mit seinen altüberlieferten Faltungen sich dem neuen Format absolut nicht anpassen wollte. Daß solche Stücke heutigen Tags die ihnen angehängt gewesenen Siegel in der Regel verloren haben, ist bei einer solchen Behandlungsart nur zu erklärlich. Der das Düsseldorfer Archiv in

1) Nur selten ist das auch in den kurkölnischen und jülich-bergischen Kanz¬ leien geschehen; an letzteren Stellen hatte man die leidige Gewohnheit die Akten in der Mitte gebrochen aufzubewahren.

2) S. die auf Grund der Berichte des Archivrats Hoof er im Frühjahr 1821 zu¬ sammengestellte Übersicht bei Koser, Die Neuordnung des Preuß. Archivwesens S. 46_48. Hier ist auch eine Aufzählung der den einzelnen Orten zugewiesenen Archivfonds gegeben, nur findet man unter Köln bereits das ursprüngliche Archiv daselbst mit dem später dahinversetzten Archiv des Roerdepartements zusammen genannt.

58

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

damaliger Zeit verwaltende Hofrat Kerris hatte schon bei dem Säkularisations¬ geschäft und während des französischen Regimes oft genug die Verwendung älterer Archivalien zu derartigen Zwecken vorbereiten müssen, daß von ihm ein Protest gegen diese Benutzungsmanier nicht zu erwarten war; überdies war er alt und abgestumpft. *) Von dem Archivar Holzmacher in Aachen, seit 1819 in Köln, liegen noch zahlreiche Sonderverzeichnisse von Archivalien vor, mit denen er diese, die vorwiegend den Archiven geistlicher Korporationen entnommen waren, den Regierungen zu Aachen, Cleve, Coblenz, Düsseldorf, Köln, Minden und Münster zugesandt hat. Bei den Registratoren in Aachen und Cleve, bei dem Rentmeister in Essen, der um 1820 noch einen Teil des Archivs des ehemaligen Stiftes daselbst in Verwaltung hatte, wird ganz gewiß kein sonderliches Interesse für alte Pergamente vorhanden gewesen sein ; blieb ihnen doch deren Inhalt bei ihrer Unkenntnis älterer Schriftarten ver¬ schlossen. 1 2)

Die Appellationsgerichts-, Hofrats- und Dikasterialarchive der Territorien des Niederrheins sind offenbar in der Zeit der Fremdherrschaft zumeist den Tribunalen in der Gegend überwiesen, welche die entsprechenden Befugnisse der früher daselbst bestandenen Gerichte ausübten. Von diesen Stellen haben sie dann gewöhnlich die neuen preußischen Landgerichte übernommen.3) Bei ihnen fanden sie auf den Böden oder in den Kellern der Gerichtsgebäude eine not¬ dürftige Unterkunft, bis sie von hier aus im Laufe der 80er und 90er Jahre des verflossenen Jahrhunderts nach und nach, z. T. leider in sehr üblem Er¬ haltungszustand, dem Staatsarchiv Düsseldorf einverleibt wurden.

Erst mit der Neuordnung des preußischen Archivwesens durch den Staats¬ kanzler Fürsten von Hardenberg in den Jahren 1819 1822 bricht auch für die Archive des Niederrheins es blieben vorläufig noch zwei Archive, zu Düsseldorf und zu Köln bestehen die Zeit fachwissenschaftlicher Kon¬ solidierung an. Wenn gleich Hardenbergs höchstes Ziel, die freieste Be¬ nutzung der Archive für wissenschaftliche Zwecke dauernd zu garantieren, einstweilen noch nicht erreicht wurde, seine Bestrebungen haben doch den Erfolg gehabt, daß auch in den Provinzen Männer an die Spitze der neu eingerichteten Institute gestellt wurden, die es als ihren Beruf ansahen, die ihrer Obhut anvertrauten arcliivalischen Schätze der geschichtlichen Forschung dienstbar zu machen.

Diese Aufgabe hat für das Düsseldorfer Archiv Theodor Joseph Lacom- blet,4) welcher am 17. Dezember 1821 das Anstellungspatent König

1) S. Koser, Die Neuordnung des Preuß. Archivwesens S. 33.

2) Vgl. die Berichte des Archivrats Hoefer vom 27. Juli und 25. August 1820 in den Akten des Direktoriums der Staatsarchive, Archive des Niederrheins, Vol. I.

3) Ausschließlich über die kurkölnischen Gerichtsarchive, die im Schloß in Bonn und im Kreisgericht daselbst untergebracht waren, sind uns Nachrichten aus den Jahren 1820 und 1821 erhalten. S. Koser, Die Neuordnung S. 47.

4) Vgl. Harleß, Entwicklungsgang, besonders S. 318 ff.

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

59

Friedrich Wilhelms III. datiert freilich erst vom 30. Juli 1822 ') als Ar¬ chivar desselben vereidigt worden ist, in der vorzüglichsten Weise erfüllt. Zunächst ist auf seine Anregung nicht nur die Auflösung des Provinzial¬ archivs in Köln und dessen Verlegung nach Düsseldorf in den Jahren 1831 bis 1835 erfolgt, er hat auch im Laufe der nächsten Jahrzehnte die An¬ sammlung der Archivalien des Niederrheins, soweit der Staat ihrer Provenienz nach darauf Anspruch erheben konnte, an dieser Stelle nach Möglichkeit durchgesetzt. Als seine Arbeit müssen auch die Repertorien der Landesarchive und der bedeutenderen Klosterarchive angesehen werden, die z. T. noch heute kurrent sind. Lacomblet verdankt das Staatsarchiv Düsseldorf, das früher sogenannte Provinzialarchiv, überhaupt sein wissenschaftliches Gepräge. Für die fachmännische Begabung des Mannes sprechen seine Veröffentlichungen und geschichtlichen Studien vernehmlich genug. Man mag noch soviel an dem Urkundenbuch herummäkeln, für die damalige Zeit bleibt es eine be¬ deutende Leistung. Und der Ruhm ist Lacomblet gesichert, daß er einer der ersten Editoren gewesen ist, der ein territoriales Quellenwerk bis iu das 17. Jahrhundert hinein fortgeführt hat. Dabei handelte es sich um die Ur¬ kundensammlung für ein Gebiet mit der ältesten und reichsten Vergangenheit. Gewiß die vier Bände des Urkundenbuchs für die Geschichte des Niederrheins bringen nur einen Teil aus der Fülle der authentischen Dokumente, die im Arehivsprengel überliefert sind. Die Auswahl wird man jedoch durchaus als eine sachgemäße bezeichnen müssen; sie ist danach angetan, das Bild von der geschichtlichen Entwicklung des Landes durch sichere gleichzeitige Zeugnisse überall zu vertiefen. Und der vermag Lacomblets Arbeitskraft und entschie¬ denes Organisationstalent erst zu würdigen, der in die Lage versetzt wird, den Spuren seiner amtlichen Tätigkeit auf Schritt und Tritt zu folgen. Lacomblet war offenbar eine etwas selbstherrliche Natur, die ein Stück schriftlicher Über¬ lieferung zunächst nur nach seinem allgemeinen Inhalt wertete und dabei noch in Rechnung zog, inwieweit es sich für das ihn gerade beschäftigende geschichtliche Thema verwenden ließ. Daher sein etwas willkürliches Ver¬ fahren, mit dem er die Urkundentexte gelegentlich behandelt hat. Verhängnis¬ voller ist sein Standpunkt für die großen Aktenarchive geworden. Die Territo¬ rialarchive sind zwar im großen und ganzen unvermischt geblieben, -) aber im übrigen war Lacomblet das Provenienzprinzip fremd. Nirgends hat er den Versuch gemacht, innerhalb der sogenannten Landesarchive die Registra¬ turen der verschiedenen Hauptkanzleien und Unterbehörden voneinandei zu scheiden oder wenigstens in der überlieferten Trennung zu erhalten ; hier ist

1) Im Original erhalten in den Akten des Direktoriums der Staatsarchive, Niederrheinische Archive, Vol. I, Bl. 158.

2) Die Urkunden und Akten der Archive des Erzstiftes und des Domstiftes Köln sind freilich an zahlreichen Stellen untereinander gemengt, was nicht darauf zurückgeführt werden kann, daß in älterer Zeit hier und da ein Austausch statt¬ gefunden habe.

60

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

der gesamte Aktenbestand nur nach sachlichen Gesichtspunkten zusammen- getragen.

Lacomblets Schüler und Nachfolger Woldemar Harless, ’) der nahezu 50 Jahre (von 1855 bis 1900) seines arbeitsreichen Lebens dem Staatsarchiv Düsseldorf fast ausschließlich1 2) gewidmet hat, wagte in pietätvoller Würdigung der hervorragenden Verdienste seines Amtsvorgängers nicht, die Axt an die Wurzeln von dessen Ordnungssystem zu legen. Es bleibt die wichtigste Ar¬ beit der nächsten Zukunft, sobald die Urkundenarchive in ihren neuen Auf¬ bewahrungsstellen, den Pappkasten, sämtlich untergebracht sind, die Akten der Landesarchive nach ihren Ursprungszentren auf die Wiederherstellung der Amtsarchive der älteren Zeit wird man wohl notgedrungen verzichten müssen zu sondern.

Einstweilen konnte bei der Aufstellung der Bestände im neuen Archiv¬ gebäude nur soviel angestrebt werden, den Werdegang des Archivwesens am Niederrhein äußerlich einigermaßen zur Anschauung zu bringen. Die nahezu völlige Aufhebung aller bisherigen Erzeugungssitze für Archivalien , welche die französische Periode und die Säkularisation bewirkt hatten, lieferte für die Gruppierung den markantesten Einschnitt, der bei den Archiven der linken Bheinseite zum Teil bereits mit dem Jahr 1793 einsetzt, während auf dem rechten Flußufer erst die Zeit von 1803—1806 dafür maßgebend wurde. So entstanden die zwei Hauptabteilungen:

A. Die Archive vor der französischen Okkupation und der Säkulari¬ sation.

B. Die Archive aus der Periode der Fremdherrschaft und seit dem Übergang des gesamten Gebietes an die Krone Preußen.

Der übersichtlichen örtlichen Verteilung der Archive nach diesen Gesichts¬ punkten kamen die räumlichen Verhältnisse und die ganze Inneneinrichtung des Magazingebäudes in vorzüglicher Weise zu statten. Es stellte sich heraus, daß die Abteilung A mit Einschluß des ihr allein angehörigen Urkundenarchivs bequem in vier Sälen Platz finden würde. Das Urkundenarchiv erforderte nicht mehr als einen Saal. Da dessen Bestände am häufigsten in Benutzung genommen werden, wurde es in Saal 3 aufgestellt, weil dieser mit den Ar- beits- und Geschäftsräumen in der nächsten Verbindung steht. Für die Aktenarchive der Abteilung A blieben sonach die Säle 4, 5 und 6 übrig. Selbstredend machte man unter diesen Umständen den Versuch, die territoriale Gliederung, die der Niederrhein, wie oben dargelegt wurde, vor der Zeit der Auflösung der alten Zustände gezeigt hatte, bei der Unterbringung der Akten in den drei Sälen einzuhalten in der Weise, daß man die Archive der Länder, die unter einem Herrscher gestanden hatten, in einem Saal vereinigte. Die bei weitem umfangreichsten Bestände, die der Herzogtümer Jülich und Berg,

1) Vgl. den Nekrolog von O. Redlich in der Berg. Zeitschr. 36, 1 13.

2) Vom 6. Februar 1873 bis zum 1. April 1875 war Harleß am Geheimen Staatsarchiv in Berlin tätig.

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

61

widerstrebten dem nicht; daher ward je ein besonderer Saal für die Akten des ehemals kurkölnischen, des zuletzt pfälzisch-bayerischen und der schon vor 1815 preußischen Territorien eingerichtet, die ihre altüberlieferten Titel, Archive von Kurköln, Jülich-Berg und Cleve-Mark, beibehalten haben. Den fürstlichen Archiven der Territorien schließen sich die landständischen und unterherrlichen an, soweit sie sich erhalten haben und in den Besitz des Staates gelangt sind. Ferner wurden die Klosterarchive nach den Länder¬ gebieten, in denen der Sitz der Niederlassung gewesen war, aufgeteilt. Für ihre Anordnung den Korporationscharakter oder die Ordenszugehörigkeit als obersten Grundsatz aufzustellen, schien wenig empfehlenswert; auch gegen eine durchgehende alphabetische Lagerung erhoben sich gewichtige Bedenken. Die Hauptmasse des in ihnen enthaltenen Materials ist vorwiegend für die Wirt¬ schaftsgeschichte der nächsten Umgebung des betreffenden Klosters bedeutungs¬ voll. Von den reichsunmittelbaren Abteien hörten wir ja, daß die meisten von ihnen es für gut befunden hatten, Anlehnung an den mächtigsten welt¬ lichen Nachbarn zu suchen. Daher kamen auch die einzelnen Archive in den entsprechenden Territorialsaal. In Analogie zu diesen Verteilungsprinzip erhielt Stablo-Malmedy Anschluß an den ehemals am nächsten angrenzenden Staat, nämlich an Jülich-Berg. Die Fragmente von Archiven früherer Reichs¬ herrschaften behandelte man nach dem gleichen Grundsatz. Das nieder¬ rheinisch-westfälische Kreisarchiv mußte Jülich-Berg angegliedert werden.

Die Archive der Hauptabteilung B sind fast sämtlich in Saal 2 unter¬ gebracht. Aus der französischen Periode und der Übergangszeit bilden sie Parallelgruppen : Roerdepartement (linke), Großherzogtum Berg (rechte Rhein¬ seite) = Generalgouvernement Mittel- und Niederrhein (linke), General¬ gouvernement Berg (rechte Rheinseite). Zu der ersten Abteilung treten noch kleinere Bestände des Archivs der Rhein- und Maaslande nebst Fragmenten von Archiven einzelner Departements des Kaiserreichs Frankreich, zu denen Grenzgebiete des Archivsprengels gehört hatten.

Bei der Aufstellung der Archive der Verwaltungsbehörden aus der neueren preußischen Periode von 1815/6 ab ist die jeweilige Behördenorgani¬ sation zugrunde gelegt so wurden neuerdings aus den Akten der Düssel¬ dorfer Regierung das Archiv der Regierung in Cleve, die anfangs 1822 auf¬ gehoben und mit der Regierung Düsseldorf vereinigt war , rekonstruiert und ferner aus den Akten der verschiedenen Regierungen drei bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts bestandene Archive der Domänenrenteien aus¬ geschieden und zugleich darauf hingearbeitet , die bei den Ablieferungen stark verwischten älteren Registraturordnungen soweit möglich wieder her¬ zustellen. Wo das nicht anging , wie bei den Archiven der Landratsämter und der Landgemeinden, aus deren zur Vernichtung bestimmten Akten in der Regel nur ein geringer Bestand vom Staatsarchiv übernommen wird, ist die Neuordnung nach einem besonderen Schema erfolgt, das auf die Archive derselben Kategorien gleichmäßig Anwendung findet.

62

II. Die Bestände des Staatsarchivs.

Die wenig umfangreichen Akten von Gerichtsbehörden der neueren Zeit, die in das Staatsarchiv gelangt sind, werden ebenfalls nach ihren Ursprungs¬ stellen gesondert gelagert. Den historisch wertvollsten Teil dieser Abteilung bilden die Akten der Immediat-Justiz-Organisations-Kommission zu Düssel¬ dorf, einer erst jüngst 1900 vom Geheimen Staatsarchiv in Berlin einge¬ gangenen Ablieferung. Sie sind in Saal 1 aufgestellt, dem außerdem die Abteilung Familienarchive ') und Privatsammlungen zugewiesen sind. Die Hälfte des Saales 1 ist jedoch für die Deposita reserviert, unter denen das vorzüglich erhaltene Weseler Stadtarchiv alle anderen an Reichhaltigkeit und Wert des Quellenmaterials übertrifft. Doch sei auch der Bereicherung, die das Staatsarchiv durch die Deponierung der Archive der Herrschaften Broich und Witten von privater Seite erfahren hat, dankbar gedacht. Für die Auf¬ nahme von Zuwendungen ähnlicher Art bietet Saal 1 noch genügenden Raum.

Im Saal 2 sind überall an den entsprechenden Stellen Reposituren frei¬ gelassen, damit daselbst die Ablieferungen der modernen Verwaltungsbehörden, die in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten sind, eingeschoben werden können. Und selbst den Kirchenbüchern des Archivsprengels, die leider zur¬ zeit bei den Landgerichten, den Bürgermeister- und Pfarrämtern versprengt und nicht immer feuersicher aufbewahrt werden, vermöchte das neue Archiv¬ gebäude eine passende Unterkunft zu gewähren, ohne daß die oben ge¬ schilderte übersichtliche Anordnung der übrigen Bestände dadurch zunächst beeinträchtigt werden würde.

1) Darunter befindet sich aber kein vollständiges Archiv irgend einer älteren rheinischen Familie; es sind meist nur vereinzelte Stücke, Einkäufe neuerer Zeit, die gemacht wurden, um sie dem ferneren Handelsbetrieb zu entziehen und vor der Einverleibung in eine schwer zugängliche Privatsammlung zu bewahren.

Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig'.

Fig. 2 (vgl. oben S. 3. 4. 6. 11). Grundriß.

Mitteilungen. Heft 9.

Verlag von S. Hirzel in Leipzig.

o

. Heft 9.

Verla? von S. Hirzel in Leipzig

Verlag von S. Hirzel in Leipzig.

Mitteilungen

der

K. Preussischen Arcliivvcrwaltuiig

Bisher sind erschienen:

Heft 1. Reinhold Koser, Über den gegenwärtigen Stand der archi- valischen Forschung in Preussen. JL . 80.

Heft 2. Max Bär, Geschichte des Königlichen Staatsarchivs zu Hannover. JL 1. 60.

Heft 3. Max Bär, Übersicht über die Bestände des [Königlichen Staatsarchivs zu Hannover. JL 3. .

Heft 4. Georg Hille, Übersicht über die Bestände des Königlichen Staatsarchivs zu Schleswig. JL 1. 40.

Heft 5. Adolf Warschauer, Die städtischen Archive in der Provinz Posen. JL. 10. .

Heft 6. Eduard Ausfeld, Übersicht über die Bestände des K. Staats¬ archivs zu Coblenz. JL 8. .

Heft 7. Reinhold Koser, Die Neuordnung des Preussischen Archiv¬ wesens durch den Staatskanzler Fürsten von Hardenberg. JL 2. 60.

Heft 8. Richard Knipping, Niederrheinische Archivalien in der Nationalbibliothek und dem Nationalarchiv zu Paris. JL. 5.

Heft 9. Richard Knipping und Theodor Ilgen, Die neuen Dienst¬ gebäude der Staatsarchive zu Coblenz und Düsseldorf. JL. 2. 60.

Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.