ODONTO i^^B CHE STUDIEN 1. DIE ONTOQENIE DER PRIMATENZÄHNE VERSUCH EINER LÖSUNO DER OEBISSPROBLEME VON PROF. DR. L. BOLK DIREKTOR DES ANATOMISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT AMSTERDAM MIT 2 TAFELN UND 74 ABBILDUNGEN IM TEXT dl. n\3 West Virginia University Libraries 3 0802 101932000 5 ODONTOLOGISCHE STUDIEN I. DIE ONTOOENIE DER PRIMATENZÄHNE VERSUCH EINER LÖSUNO DER OEBISSPROBLEME VON PROF. DR. L. BOLK DIREKTOR DES ANATOMISCHEN INSTITUTS DER UNIVERSITÄT AMSTERDAM MIT 2 TAFELN UND 74 ABBILDUNGEN IM TEXT i^ SÜSSER MAR 3 0 :9^3 'r7rprT^ . , ' . ' unteren Incisivus. man im Bereich einer Zahnanlage sich findet. Das Bild trägt jedoch den gleichen trügerischen Charakter, worauf ich bei etwas älteren Stadien (Fig. 1 u. 2) bereits hingewiesen habe. Man könnte meinen, man hätte es hier mit der schon ein wenig ein- gestülpten Schmelzorgananlage zu tun, das ganze epitheliale Gebilde ist auf dem Durchschnitt dreieckig mit einer geringen Aushöhlung der Basis. Ganz übereinstimmende Bilder bekommt man in der Tat, 14 Erstes Hauptstück. wenn das wirkliche Schmelzorgan im Begriff steht, vom knospen- förmigen Stadium ins kappenförmige überzugehen. Das epitheliale Gebilde in Fig. 9 c stellt jedoch nicht die Anlage des Schmelzorganes dar, sondern die medialwärts gerichtete Zahnleiste, von deren basalem Ende die breit mit ihr zusammenhängende laterale Schmelzleiste abgeht. Das wird deuthcher im nächstfolgenden Schnitt (Fig. 9 d), wo die laterale Schmelzleiste ein wenig mehr selbständig geworden ist und sich — in ähnlicher Weise, wie wir es bei den älteren Embryonen beschrieben haben — in der Richtung des freien Endes der Zahnleiste umzubiegen anfängt. Im nächsten Schnitt (Fig. 9 e) hat auch letztere eine hakenförmige Umbiegung in der Richtung der lateralen Schmelz- leiste gebildet. Aus der Form des von den beiden Leisten umgrenzten Raumes ist wohl ohne weiteres klar, daß es sich hier nicht um eine Einstülpung des Schmelzorganes handelt. Dieses Organ tritt erst im nächsten Schnitt auf (Fig. 9/). Weder von Zahnleiste noch von lateraler Schmelzleiste ist in diesem Schnitt etwas mehr zu verspüren, sie sind gleichfalls zusammengeflossen mit der Schmelzorgananlage. Die Skizzen / bis / geben die aufeinander folgenden Schnitte durch den vorderen Teil dieses Organes an, das sich noch über sieben Schnitte weiter ausdehnt. Von einer Einstülpung durch die Zahnpapille war jedoch noch nichts zu sehen, das Organ war noch ganz im knospen- förmigen Stadium. Aus diesem Beispiel geht somit zur Genüge her- vor, daß die laterale Schmelzleiste schon nachzuweisen ist, wenn die Zahnanlage noch im knospenförmigen Stadium sich befindet. Diese Leiste macht somit gewiß einen integrierenden Bestandteil der Anlage des Zahnes aus. Daß bei den Affen ganz übereinstimmende Verhältnisse vorliegen, davon gab Fig. 7 schon einen Beweis, denn auch bei diesem Semno- pithecus findet sich die Zahnanlage noch im knospenförmigen Stadium und doch ist auch hier die laterale Leiste schon nachweisbar. Wenn man die Skizzen Fig. 1 c, d, e und / mit den Skizzen Fig. 9 b, c, d und e vergleicht, dann konstatiert man leicht die große Übereinstimmung. Der Unterschied zwischen beiden Serien ist nur die Folge davon, daß bei Semnopithecus die Zahnanlage ganz in der Kontinuität des Kieferepithels sich findet. Dem gegebenen Beispiele könnte ich noch viele hinzufügen, ich hoffe jedoch, daß das Vorgeführte genügt, um die sehr frühe Diffe- renzierung der lateralen Schmelzleiste zu beweisen. Es muß jedoch bemerkt werden, daß im allerfrühesten Stadium, wenn die Zahn- anlage sich gerade in der Form einer Anschwellung am freien Rande der Zahnleiste kennbar macht, von dieser Leiste nicht die geringste Spur zu sehen ist. Das hängt mit ihrer Bildungsweise zusammen, welcher jedoch erst später eine ausführliche Besprechung gewidmet werden kann. Nachdem wir somit festgestellt haben, daß die laterale Schmelz- leiste einen inhärenten Bestandteil der Zahnanlage bildet, werden wir etwas näher auf ihre topographischen Beziehungen zum eigentlichen Schmelzorgan eingehen. Mit Hilfe der Figuren 1, 2 u. 5 ist es möglich, sich eine approximative Vorstellung dieser Verhältnisse zu machen. Denn wenn man z. B. an der Hand von Fig. 1 die Anlage vom unteren Incisivus des Menschen verfolgt, dann konstatiert man folgendes: Der vordere Rand der lateralen Schmelzleiste liegt etwas weiter nach Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 15 vorn als das eigentliche Schmelzorgan. Denn in Fig. 1 b und c ist wohl die Leiste getroffen, das Schmelzorgan tritt aber erst in Fig. 1 d auf. Selbstverständlich hat die Schnittrichtung einen Einfluß auf das zum Vorschein tretende Bild. Die Präparate wurden dann auch immer möglichst genau frontal zur Mundspalte geschnitten. Wenn die beiden Leisten — die Zahnleiste und die laterale Schmelzleiste — mit ihren Rändern sich mit dem Schmelzorgan verbunden haben (Fig. 1 ß), bilden dieselben oberhalb des Organes ein Gewölbe, deren Lichtung durch Bindegewebe ausgefüllt ist. Je weiter der Schnitt nach hinten liegt, desto niedriger und enger wird das Gewölbe infolge der An- näherung beider Leisten aneinander. Schheßlich fließen diese zu- sammen, wodurch ihre Abgrenzung gegeneinander und gegen das Schmelzorgan verstrichen ist (Fig. 1 h). Diesen Vorgang kann man leicht auch an den übrigen Schnittserien verfolgen. Wiewohl die räumliche Vorstellung der Zahnanlage auf Grund einiger Schnittserien ohne viel Mühe gelingt, habe ich doch im Laufe meiner Untersuchung mehrere Wachsmodelle in der gewöhnUchen Weise angefertigt. Dieser Abhandlung ist auf Taf. I eine Reihe von fünf Abbildungen beigegeben, welche nach Modellen der Entwicklung des ersten Incisivus des Unterkiefers vom Menschen angefertigt worden sind. Es sind fünf aufeinander folgende Entwicklungsstadien. Wir beschränken uns vorläufig auf Tafelfigur 1. Das Modell stellt die Zahnanlage bei Embryo A mit einer Steiß- Scheitellänge von nahezu 35 mm dar. Die TeXtfig. 1 (die Schnittbilder der nämlichen Anlage darstellend) und die Tafelfig. 1 vervollständigen einander. Das Modell ist abgebildet von der Vorderseite gesehen. Man überzeugt sich leicht, daß das Modell eine etwas andere Einsicht in die Zahnanlage gewährt als die von Rose angefertigten Modelle. Nach der bereits beschriebenen Zahnanlage in einem frühen Entwicklungsstadium braucht die Tafelfig. 1, besonders wenn man sie mit Tex:tfig. 1 vergleicht, wenig Erklärung mehr. Die laterale Schmelz- leiste ist sofort zu erkennen und ebenfalls die Zahnleiste. Der vordere Rand des Schmelzorganes ist noch ziemhch schmal, wiewohl das Organ von unten schon deutlich eingebuchtet erscheint. Es sei nun besonders die Aufmerksamkeit auf die Grube gefestigt, welche sich oberhalb des Schmelzorganes befindet, medial oder besser lingual durch die Zahnleiste, bukkal durch die laterale Schmelzleiste und nach unten durch die Anlage des Schmelzorganes begrenzt. Diese Grube ist nach hinten — d. h. vom Zuschauer — abgeschlossen, da die beiden ge- nannten Leisten ineinander übergehen; sie hat eine breite Eingangs- öffnung. Dieser Raum hat somit die Form einer Nische, sie wird weiter als ,,Schmelzkrypte" oder Schmelznische bezeichnet. Beim ersten Incisivus des Unterkiefers ist die Nische nach vorn — in bezug auf die Körperebene bei diesem Zahn richtiger nach medial — offen. Das ist auch der Fall bei sämtlichen übrigen Schneidezähnen und bei den Eckzähnen, auch noch beim ersten Milchmolaren. Es verdient diese scheinbar unbedeutende Tatsache nachdrücklich hervor- gehoben zu werden, denn wir werden bald sehen, daß bei den Molaren allmählich ein entgegengesetztes Verhalten sich entwickelt. Es streckt sich die Krypte hauptsächlich über die vordere Hälfte der Schmelz- organanlage aus, da letztere, wie aus den Textfiguren leicht ersichtlich, sich noch fortsetzt, wenn die Nische schon verschwunden ist. 16 Erstes Hauptstück. Betrachten wir jetzt noch einmal die Tafelfig. 1, um uns mög- lichst vollständig über die Beziehung des Schmelzorganes zu den beiden Leisten zu orientieren. Es ist in diesem sehr jungen Entwicklungs- stadium deutlich, daß das Schmelzorgan zu den beiden Leisten in voll- ständig gleicher Beziehung steht. Der untere Rand der Zahnleiste geht in den medialen (lingualen) Rand des Organes über, ganz in der- selben Weise, wie der untere Rand der lateralen Schmelzleiste mit dem lateralen (bukkalen) Rand des Organes sich verbindet. Man muß sich dieses primitiven Verhaltens wohl eingedenk bleiben, da sich später infolge von Wachstumsvorgängen am Schmelzorgan die Verhältnisse wesentlich ändern. Und es ist selbstverständlich, daß für eine Auf- fassung der genetischen Bedeutung dieser Erscheinungen gerade solche Zustände herangezogen werden müssen, welche am wenigsten durch sekundäre Wachstumsvorgänge alteriert worden sind. Es will mir scheinen, daß eine vorurteilsfreie Betrachtung des in Tafelfig. 1 abgebildeten Modelles, sowie die schon gegebenen Text- figuren, notwendig zur Auffassung führen muß, daß die beiden Leisten, die Zahnleiste und die laterale Schmelzleiste, an dem Zustandekommen des Organes gleichen Anteil haben. Daß diese Tatsache von tief ins Problem der Zahnentwicklung einschneidender Bedeutung ist, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Denn das Schmelzorgan erscheint jetzt nicht mehr als eine einfache Bildung, sondern als eine Doppel- bildung. Doch werde ich vorläufig auf die theoretische Bedeutung der Tatsachen nicht eingehen. Wir sind jetzt über die frühe Phase der Zahnentwickhmg der Antemolaren bei Primaten genügend unterrichtet, um zur Beschrei- bung der Erscheinungen an den Molaren übergehen zu können. Denn wiewohl keine prinzipiellen Abweichungen bei diesen Zähnen vorhegen, ist der Vorgang bei denselben doch in typischer Weise modifiziert. Es ist oben ausdrücklich die Tatsache ins Licht gestellt worden, daß bei den Antemolaren die Emailkrypte nach vorn offen ist, nach hinten geschlossen. Es streckt sich dann auch in Verbindung damit die laterale Schmelzleiste etwas weiter nach vorn aus als das Schmelz- organ, so daß man an einer Schnittserie zumeist erst die laterale Schmelz- leiste aus der Zahnleiste hervorsprossen sieht, und erst einige Schnitte weiter nach hinten tritt das Schmelzorgan auf. Man kontrolHere das an den Fig. 1—9, damit man den Gegensatz zu den Verhältnissen bei den Molaren besser verstehe. Es sei noch einmal hervorgehoben, daß es sich in allen diesen Fällen um frühe Entwicklungsstadien handelt. Verfolgt man nun eine Serie durch die Anlage eines Molaren, dann ist es bald deuthch, daß bei diesen Zähnen die topographische Be- ziehung zwischen Schmelzorgan und lateraler Schmelzleiste eine andere geworden ist. Zum Beweise davon fange ich mit einem sehr eklatanten Beispiel an. In Fig. 10 sind einige Skizzen gegeben von Schnitten durch die Anlage des oberen dritten Milchmolaren von Mycetes (Serie A). Wenn man die Anlage dieses Zahnes von vorn nach hinten verfolgt, dann bemerkt man zunächst von einer lateralen Schmelzleiste nichts, die Zahnleiste schwillt an der bukkalen Fläche regelmäßig an, bis die typische, auf dem Durchschnitt ungefähr dreieckige Anlage entstanden ist. Ohne viele Umänderungen rückt man in den folgenden Schnitten dem hinteren Ende der Anlage immer näher, was daraus zu erkennen ist, daß die Verbindung mit der Zahnleiste schmäler wird. Nun tritt Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 17 Fig. 10. Mycetes .^. Anlage des oberen dritten Milch- molaren. am lateralen Rande in der in der Figur nach oben gekehrten Basis der Zahnanlage eine Einkerbung auf. Der bezügliche Schnitt ist in Fig. 10 a abgebildet, und im nächsten Schnitt tritt plötzlich die Schmelz- nische auf (Fig. 10 &), wodurch die Zahnanlage in doppelter Verbindung mit der Zahnleiste erscheint. Denn aus den weiter folgenden Schnitten ist es deutlich, daß auch hier die laterale Schmelzleiste aufgetreten ist. Im nächsten Schnitt (Fig. 10 c) ist die Schmclzkrypte vergrößert, das schon stark verkleinerte Schmelzorgan hängt nur noch mittels einer schmalen Brük- ke mit der lateralen Leiste zusammen und im folgenden Schnitt (Fig. 10 d) ist diese Verbindung gelöst, die laterale Schmelzleiste ist ganz selbständig ge- worden und geht von der bukkalen Fläche der Zahnleiste aus. Mit dem unteren Rande der letztge- nannten ist in senkrechter Richtung der hintere Rand des Schmelzorganes noch verbunden, der im nächsten Schnitt noch spurweise zu sehen ist. Die laterale Schmelzleiste erscheint auf dem Durchschnitt noch ziemlich lang, aber in dem nächsten Schnitt (Fig. 10/) ist sie auf eine kurze Sprosse reduziert, die in Fig. 10 g noch eben angedeutet ist, und im letztabgebildeten Schnitt ist nur die Zahnleiste noch da in unkompliziertem Zustand. Durch diesen Fall ist zunächst festgestellt, daß es auch bei den Molaren eine laterale Schmelzleiste gibt und weiter, daß diese zu dem Schmelzorgan des Molaren vollständig sich verhält wie jene der Ante- molaren. Nur besteht der Unterschied, daß hier die Leiste sich mani- festiert nicht an der vorderen, sondern an der hinteren Seite des Or- ganes. Wenn man die Skizzen in Fig. 10 z. B. mit jenen in Fig. 1 ver- gleicht, dann ist die Übereinstimmung überraschend augenfälhg. Die Aufeinanderfolge der Bilder in Fig. 10 ist aber geradezu umgekehrt. Der meist hintere Schnitt durch die Anlage von m^ und der meist vordere durch jene von i^ SL-immen miteinander überein. Man ver- gleiche weiter Fig. 10 / mit Fig. 1 c, Fig. 10 e mit Fig. 1 d, Fig. 10 c mit Fig. 1 e, Fig 10 h mit Fig. 1 g und Fig. 10 a mit Fig. 1 h. Bei der Besprechung der Antemolaren ist darauf hingewiesen, daß der Vorderrand des Schmelzorganes wie zwischen den unteren Rändern von Zahnleiste und lateraler Schmelzleiste eingefaßt ist. Gleiches gilt für den Hinterrand des Organes von m^. Und es ist leicht einzusehen und aus den Figuren ersichtlich, daß auch die Topographie der Schmelznische eine andere sein muß. Bei den Antemolaren liegt sie im vorderen Abschnitt der Zahnanlage und ist nach vorn offen, bei W3 findet sie sich in der hinteren Hälfte und ist nach hinten ge- öffnet. Das wird später noch durch Figuren illustriert. Man bemerkt, daß es einen prinzipiellen Unterschied zwischen Antemolaren und drittem Milchmolaren nicht gibt, nur eine Modi- Bolk, Die Ontos:enie der Primatenziihne. 2 18 Erstes Hauptstück. fikation topographischer Art. Und daß es dabei nicht eine Erscheinung gibt, welche zu der Gebißdifferenzierung in Molaren und Antemolaren in Beziehung steht, geht daraus hervor, daß die soeben von ;% be- schriebene Sachlage keine ist, die plötzlich beim ersten Molaren auftritt, sondern allmählich zustande kommt. Der erste und zweite Milch- molar bilden — wir sprechen bis jetzt immer noch von Mycetes — einen Übergangszustand zwischen den Antemolaren, wo die Email- krypte ganz vorn gelagert ist, und dem dritten Molaren, wo sie ganz hinten sich findet. Um das zu zeigen, ist in Fig. 11 die Schnitt serie gegeben durch die Anlage vom ersten unteren Milchmolaren von Mycetes A. Es ist wieder eine ununterbrochene Reihe, welche von vorn nach hinten geht, die Skizze a gibt den meist vorderen Schnitt. Die Zahnleiste ist hier stark gekrümmt und an der Knickungsstelle geht von der lateralen Fläche eine kurze Sprosse aus. Diese ist die erste Andeutung der lateralen Schmelzleiste, welche also auch bei dem ersten Milch- molaren, ganz wie bei den Antemolaren, noch vor dem Schmelzorgan in die Erscheinung tritt. In den drei folgenden Schnitten (Fig. 11 b, c und d) wächst die Sprosse zu einer wirklichen Leiste an, und in Fig. 11 e taucht nun zwischen dieser Leiste und der Zahnleiste das Schmelzorgan auf, das in Skizze 11 / schon über eine größere Breite getroffen ist. Es erscheint die An- lage hier zwischen den bei- den Leisten, wird von der- selben überwölbt, ohne in Zusammenhang mit der- selben getreten zu sein. Das ist wohl der Fall im nächsten Schnitt (Fig. 11 g) und, in- dem die yerbindung zu- stande kommt, an der Stelle, wo Zahnleiste und laterale Schmelzleiste sich mitein- ander verbunden, ragen die freien Enden beider Leisten noch medial resp. lateral von der An- lage hervor. In Fig. Wh ist die Verbindung zwischen dem Schmelz- organ und den beiden Leisten schon eine breitere geworden, aber noch immer sind die freien Enden derselben zu sehen. Im nächsten Schnitt ist jede Spur der medialen Leiste als selbständige Bildung verloren gegangen, die ganze mediale Fläche des Schmelzorganes stellt die Fortsetzung der Zahnleiste dar, an der lateralen Fläche ist noch durch eine seichte Einsenkung zu sehen, wie weit sich die laterale Schmelzleiste ausdehnt, aber auch diese Andeutung fehlt schheßlich im mächsten Schnitt (Fig. 11 y), die laterale Leiste streckt sich bis zur Grundfläche des Organes aus. Gleichzeitig hat sich nun aber diese Leiste von der Zahnleiste gelöst, ragt noch als freie Sprosse aus der oberen lateralen Ecke des Organes hervor, die Sprosse ist in dem nächsten Schnitt niedriger (Fig. 11 h), in der letzten Skizze ver- schwunden. Fig. 11. Mycetes A. Anlage des ersten unteren Milchmolaren. Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 19 Die topographische Beziehung der Schmelzorgananlage zu den beiden Leisten besitzt bei dem ersten Milchmolaren noch große Über- einstimmung mit den Antemolaren, doch bestehen schon geringe Unterschiede. Denn es kommt im beschriebenen Falle nicht zur Bildung einer eigentlichen Emailnische, da die Spitze des Organes sich mit den beiden Leisten gleichzeitig verbindet. Die Leisten setzen sich nicht zuerst am vorderen unteren liande des Organes an, sondern zu selbiger Zeit an den beiden Seitenflächen. Es ist somit die erste Be- riihrungsstelle schon etwas auf dem Organ nach rückwärts verschoben. Das ist beim zweiten Milchmolaren in noch stärkerem Maße der Fall. Ich glaube es überflüssig von Mycetes auch von diesem Zahn Schnitt- serien zu geben. Man kann sich leicht die Beziehung seines Schmelz- organes zu den beiden Leisten als einen Übergangszustand denken zwischen den Verhältnissen beim ersten und dritten Molaren. Es folge überdies auch vom zweiten Molaren noch eine Serie eines mensch- lichen Embryos. Es ändert sich somit in der Richtung von vorn nach hinten die Beziehung des Schmelzorganes zu den beiden Leisten. Aus dem Um- stand, daß diese Umänderung ganz allmählich sich vollzieht und nicht plötzlich, ist zu schließen, daß diese Erscheinung mit dem verschieden morpholoigschen Charakter vun Molaren und Antemolaren nichts zu tun hat. Und weiter folgt die Unabhängigkeit beider Er- scheinungen noch daraus, daß die Beziehung von m.^ zur lateralen Schmelzleiste im Ober- und Unterkiefer verschieden ist. Indem im Oberkiefer bei m.^ die Emailkrypte schon deutlich nach hinten sich öffnet, die laterale Schmelzleiste sich also im hinteren Abschnitt der Zahnanlage manifestiert, ist bei der An- lage von in., im Unterkiefer die Krypte noch nach vorn offen. Es ist überhaupt, wie mir aus der Untersuchung verschiedener Serien durch Embryonen von Affen und Menschen klar geworden ist, die Beziehung der late- ralen Schmelzleiste zum Organ bei den Mo- laren eine etwas schwankende. Es liegen hier nicht jene konstanten Verhältnisse vor wie bei den Antemolaren. Es be- steht dabei im allgemeinen jedoch die Tendenz, daß die Emailnische mehr nach hinten gelagert ist, je nu^hr der Zahn eine rückwärtige Stellung im Gebiß einnimmt. Diese Unterschiede besitzen jedoch nur geringe Bedeutung. Hauptsache ist, daß auch bei den Primaten an der Anlage der Milchmolaren eine laterale Schmelzleiste beteiligt ist. Daß solches auch beim Menschen der Fall ist, geht aus Fig. 12 hervor, die einen Schnitt durch die Mitte der Anlage des ersten oberen Milchmolaren von Embryo C bringt, und aus Fig. 13, welche eine Schnittserie durch den hintersten Teil der Anlage des zweiten oberen Milchmolaren von Embryo E gibt. Diese Figuren genügen, um das Auf- treten der lateralen Schmelzleiste auch bei den menschlichen Molaren zu beweisen und brauchen keine weitere Erklärung. Nur kurz sei an dieser Stelle auf die AVucherungen hingewiesen, welche das Schmelzorgan in Fig. 13 aufweist. Diese sind nach Robin und Magitot, welche 2* Fig. 12. Homo. Serie C. Schnitt durch die Anlage vom oberen ;«,. 20 Erstes Hauptstück. zuerst eine gute Beschreibung derselben lieferten, öfters beschrieben und verschieden gedeutet worden. Sogar für rudimentäre Anlagen der hypothetischen prälaktalen Zähne hat man sie angesehen. Ich komme später auf diese Erscheinungen zurück, da auch auf diese Bildungen durch das nachgewiesene Vorkommen der lateralen Schmelz- leiste Licht geworfen wird. Nachdem uns diese Tatsachen bekannt geworden sind, ist es wohl erwünscht, das Hauptergebnis dieses Teiles meiner Untersuchung kurz zusammenzufassen. Jedes Schmelzorgan steht gleich vom Anfang an nicht nur mit der Zahnleiste, sondern dazu noch mit einer zweiten Leiste in Ver- bindung: die laterale Schmelzleiste. Diese zweite Leiste nimmt an Fig. 13. Homo. Serie E. Anlage des oberen w.,. der Bildung des Organes gleichen Anteil als die eigentliche Zahnleiste. Das Schmelzcrgan steht mit seinem bukkalen Teil zur lateralen Schmelz- leiste in ganz gleicher Beziehung wie der Hnguale Teil zur eigentlichen Zahnleistc. Das Schnielzorgan der Primaten ist daher genetisch nicht als eine Einfachbildung, sondern als eine Doppelbildung zu betrachten. Man muß sich denken, daß die bukkale Hälfte zur lateralen Schmelz- leiste, die linguale Hälfte zur Zahnleiste in engerer genetischer Be- ziehung steht. Für letztere Behauptung ist bis jetzt noch kein zwingender Grund angeführt worden. Es ist, solange die Untersuchung auf junge Em- bryonen beschränkt bleibt, eine sich von selbst aufdringende Ver- mutung. Es werden jedoch später auch für diese Behauptung Be- weise beigebracht. c- m., m.; Fig. 14. Erklärung im Text. Ich gebe in Fig. 14 eine auf die bis jetzt mitgeteilten Befunde basierte halbschematische Vorstellung der Gebißanlage eines Primaten, Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 21 wobei ich mir die Anlage im Unterkiefer von der bukkalen Seite ge- sehen gedacht habe. Es sind nur zwei Antemolaren und zwei Milch- molaren angegeben. Die Figur erheischt wenig Erklärung. Der Hinter- grund wird durch die bukkale Fläche der Zahnleiste gebildet. Der obere Teil derselben ist indifferent. Am unteren Rande finden sich die vier Schmelzorgane, wobei ich die Andeutung jedes Details unter- lassen habe. Von der Mitte der Zahnleiste macht sich die laterale Schmelzleiste frei und zieht zum unteren lateralen Rande des Schmel- organes. Die fein punktierte Linie, welche schräg über das Schmelz- organ verläuft, stellt die Ansatzhnie am Organ dar. Das verschiedene Verhalten der Leiste zu den verschiedenen Zahnanlagen ist ebenfalls zum Ausdruck gebracht, beim zweiten Licisivus (der zuerst angegebene Zahn) verläuft dieselbe von vorn nach hinten und beim zweiten Milch- molaren von hinten nach vorn, die beiden zwischenliegenden Zahn- anlagen bilden Übergangsstadien. Welches ist nun das weitere Schicksal der lateralen Schmelz- leiste? Es ist von der größten Bedeutung, daß es sich feststellen läßt, daß die Leiste während einiger Zeit mit der Größenzunahme des Schmelzorganes gleichen Schritt hält und daß ihre Beziehung zum Organ auch in älteren Stadien in nichts zurücksteht bei jener der medialen Leiste. Für eine erste allgemeine Orientierung über die weitere Entwick- lung der lateralen Schmelzleiste verweise ich auf die Tafelfiguren 2—5. Alle Figuren sind nach Wachsmodellen angefertigt. In B'ig. 1 war die Anlage des ersten unteren Incisivus vom Menschen abgebildet (Embryo A). In Fig. 2—5 ist vom nämlichen Zahn die weitere Ent- wicklung in vier aufeinander folgende Stadien zur Darstellung ge- bracht. Die Fig, 2 gibt die Anlage wieder bei Embryo B, Fig, 3 bei Embryo C, Fig, 4 bei Embryo D, Fig. 5 bei Embryo E. Die Fig. 1 ist früher genügend besprochen worden. Beim nächst- älteren Embryo (Fig. 2) sind progressive Entwicklungserscheinungen zu konstatieren. Das Schmelzorgan ist von unten tiefer eingebuchtet und hat jetzt eine wesentlich kappenförmige Gestalt angenommen. Die Schmelznische hat sich vertieft und wird von den beiden Zahn- leisten umschlossen. Die mediale hat sich gegen die Anlage des Organes schärfer differenziert; beim jüngeren Embryo setzt sie sich noch un- mittelbar in den medialen Rand des Organes fort, beim Embryo B ist die Abgrenzung zwischen Leiste und Organ schon deutlich durch eine Rinne markiert. Das ist bei der lateralen Leiste nicht der Fall. Dieselbe hat sich scheinbar infolge der Vergrößerung des Organts vom lateralen Rand zurückgezogen und die Anheftung am Organ ist dadurch ein wenig auf die Seitenfläche nach oben geschoben. Die ursprünglich topographische Beziehung zum lateralen Rande des Or- ganes ist dadurch weniger deutlich geworden. Von einer Regression der Leiste ist in diesem Stadium noch nichts zu sehen. Auch im nächstfolgenden Stadium (Fig, 3, Embryo C) ist das noch nicht der Fall, Das Schmelzorgan ist stark abgeplattet und die Abgrenzung gegen die mediale Leiste hat an Schärfe gewonnen, die laterale Leiste zieht noch in der Richtung zum lateralen Rande des Organes und begrenzt samt der medialen die Schmelzkrypte, die nach hinten geschlossen ist. Ein großer Teil der oberen Fläche des Schmelz- organes bildet zugleich die Bodenfläche der Schmelzkrypte, und es 22 Erstes Hauptstück. ist deutlich, daß das Organ sich in die Krypte einzu wölben anfängt. Sonst sind die Verhältnisse jenen in Fig. 2 noch sehr ähnlich. Wesentliche Fortschritte zeigt der nächste Embryo (Z), Fig. 4). Das Schmelzorgan hat die Glockenform erreicht, es erscheint in der Rekonstruktion wie ein eingestülpter Ballon. Die Eingangsöffnung ist — der Form der Zahnpapille entsprechend — quer ausgezogen, was in der Figur nicht deutlich hervortritt, da die nach vorn schauende Wand den Eingang zum Teil verdeckt. Die Abgrenzung gegen die mediale Leiste ist nicht nur durch eine ziemlich tiefe Furche angedeutet, sondern der freie untere Teil der Leiste ragt schon etwas hervor; der Rand fängt an frei zu werden. Es hat also die Abtrennung des Organes von der medialen Leiste angefangen. Ganz anders verhält sich die laterale Leiste. Es ist deutlich, daß dieselbe jetzt nicht mehr in gleichem Maße wie das Organ wächst, sie ist relativ schmäler geworden. In- folge der Größenzunahme des Organes ist ihre Ansatzlinie überdies weit vom unteren Rande gerückt und nach oben verlegt worden. Es macht den Eindruck, als schmiege sich die laterale Leiste infolge der starken Ausdehnung des Organes sich dessen lateraler Fläche an, denn eine scharfe Grenze tritt im Gegensatz zur medialen oder Zahnleiste nicht auf. Diese Tatsache verdient besondere Berücksichtigung, denn wie schon früher bemerkt worden ist, haben wir darin die Erklärung der zahlreichen Epithelwucherungen, welche oftmals an der bukkalen Fläche des Schmelzorganes zu sehen sind. Die Schmelzkrypte hat in diesem Stadium ihre größte Ausdehnung erreicht. Ihre Bodenfläche ist infolge der starken Aufblähung des Schmelzorganes stark gewölbt. Außer der relativen Verkleinerung der lateralen Leiste sind in diesem Stadium schon Anzeichen von Degeneration oder Regression fest- zustellen. Denn in der Tiefe der Schmelzkrypte, an der Stelle, wo die laterale Leiste mit der Zahnleiste sich verbindet, treten Epithel- sprossen auf, welche von ersterer ausgehen und sich mit der Ober- fläche des Schmelzorganes verbinden. Sie stellen unregelmäßige strangartige Verbindungen dar zwischen Schmelzorgan und Leisten- systeni und entstehen teils als Wucherungen der Leiste, teils sind sie die Folge von Durchlöcherungen in diesem Teil des Leistensystemes. Beim ältesten Embryo (Embryo E, Fig. 5) ist das Schmelzorgan so stark vergrößert, daß die Leisten ganz in den Hiiftergrund der Bildung gerückt sind. Wie die Figur zu erkennen gibt, gibt es hier immer noch ein Stadium, worin die Zahnleiste mit dem Mundhöhlen- epithel zusammenhängt. Das Schmelzorgan ist kugelförmig geworden und überzieht die Zahnpapille schon sehr weit. Die punktierte Linie gibt den Verlauf des Bodens der Einstülpung an. Der Eingang zu derselben ist spaltförmig. Die mediale Leiste hat angefangen sich vom Organ abzuheben, ein ziemlich tiefer Einschnitt grenzt das freie untere Ende der Zahnleiste vom Organ ab. Doch ist die Ablösung noch nicht vollständig. Die Schmelzkrypte ist durch die Ablösung der medialen Leiste viel kleiner geworden, doch bleibt sie immerhin noch zu erkennen. Die laterale Leiste ist ebenfalls in der Entwicklung zurückgegangen, doch von einer Ablösung wie bei der medialen Leiste ist keine Rede. Infolge der enormen Entwicklung des Organes ist die Ansatzstelle dieser Leiste jetzt ganz auf die Spitze des Organes gerückt, eine scharfe Abgrenzung gegen das Organ besteht auch hier jedoch nicht. Es ist Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 23 merkwürdig zu sehen, wie in diesem Stadium das Schmelzorgan noch mittels seiner beiden Verbindungen mit der Zahnleiste zusammenhängt. Auf diese Erscheinung, die besonders beim Menschen sehr deut- lich ist, möchte ich nachdrücklich hinweisen. Denn es scheint dadurch, als wäre die Beziehung der Milchzahnanlage zu der lateralen Leiste etwas inniger als jene zur medialen Leiste. Und wenn man regelmäßig die Ablösung des Schmelzorganes von der Zahnleiste bei mehreren Serien studiert, dann bekommt man ganz den Eindruck, daß die Be- ziehung der lateralen Leiste zum Organ nicht allein bei jener der medialen nicht zurücksteht, sondern sogar eine etwas nähere zu sein scheint. Denn wenn sich das Schmelzorgan ablöst von dem Leisten- komplex, dann ist nicht selten die mediale Verbindung schon ganz aufgehoben, wenn die laterale Verbindung noch in irgendwelcher Form da ist. Zum Beweise davon gebe ich in Fig. 15 einen Schnitt durch eine Zahnanlage, die im Begriff steht, sich von der Leiste zu emanzipieren. Er ist einem menschlichen Fötus entnommen (Serie F), wo im Ober- kiefer die Anlage des ersten blei- benden Molaren in der Form einer knospenförmigen Anschwellung zu sehen war. Der Schnitt geht durch die Anlage eines unteren Caninus. In diesem Falle ist das Organ durch einen einzigen Strang noch mit der Zahnleiste in Verbindung. Dieser Strang ist der letzte Rest, welcher von der lateralen Leiste sich noch zwischen Zahnleiste und Schmelz- organ erstreckt. Die mediale Ver- bindung ist schon völlig aufaehoben. Fig. 15. Homo. Serie F. Quer- schnitt durch die Anlage eines unteren Eckzahnes. Auf den ersten Anblick konnte man der Meinung sein, es sei die mediale Verbindung, welche hier noch anwesend ist, denn der Strang setzt sich nicht an der lateralen Fläche des Organes an. Doch ist dem nicht so. Wie bei den Incisivi verschiebt sich auch bei den übrigen Zähnen infolge der Ausdehnung des Schmelzorganes die Anheftungsstelle der lateralen Leiste nach oben (vgl. die Textfiguren), erreicht die oberste Spitze des Organes und kann schließlich sogar auf die mediale Fläche hinübertreten. Einen sehr lehrsamen Einblick in die topographischen Beziehungen zwischen Schmelzorgan und Leistenkomplex gewährt die Tafelfig. (3. Diese Figur ist angefertigt nach einem AVachsmodell der Anlage vom ersten und zweiten oberen Licisivus des menschlichen Embryo, Serie H. Die Schnittrichtung war eine sagittale. Es ist nur ein Stück des Mo- delles dargestellt, die eine Zahnanlage sieht man daher vollständig, die andere durchschnitten. Das Kieferepithel ist ganz, das Lippen- epithel sehr unvollständig abgebildet. Letzteres findet sich in der Figur an der rechten Seite. Betrachten wir zunächst die durchschnittene Zahnanlage. Links findet sich die Verbindung mit der Zahnleiste, die in dieser Ebene nur noch durch eine schmale Verbindungsbrücke mit dem Schmelzorgan zusammenhängt. Diese Verbindung findet 24 Erstes Hauptstück. sich an der lingualen Fläche des Organes. Die laterale Schmelzleiste heftet sich in dieser Ebene an der Spitze des Organes fest. Die Schmelz- nische, welche in ihrer größten Ausdehnung getroffen ist, liegt daher lingual und oben von dem Schmelzorgan, und es scheint sogar die laterale Schmelzleiste die eigenthche Fortsetzung der Zahnleiste zu sein. An der zweiten, vollständig abgebildeten Zahnanlage ist in sehr deutlicher Weise zu sehen, wie die Insertion der lateralen Schmelzleiste am Schmelzorgan in schräger Richtung über dasselbe herläuft. Auch hier steht die mediale Verbindung im Begriff sich abzulösen, was in der Figur noch gerade zu sehen ist. Bei Affen kommen andere Zustände vor, welche das ursprüng- liche Verhalten auch in späteren Entwicklungsstadien verraten. Ich darf diese Bemerkungen über die Ablösung der Zahnanlagen von der Zahnleiste nicht beenden, ohne auf eine weitere Erscheinung hingewiesen zu haben. Der Vorgang, wie er in Fig. 15 wieder- gegeben, ist als ein Beispiel einer ganz regelmäßigen Ablösung zu betrachten. Es gibt jedoch beim Menschen Komplikationen, welche den Vorgang undeutlich erscheinen lassen. Über die Art, in welcher die Abschnürung der Milchzähne sich von der gemeinsamen Zahn- leiste vollzieht, hat auch Rose (1. c. S. 457) Mitteilungen ge- macht, und der Autor schlägt vor, in Übereinstimmung mit Wal- deyer, die von älteren Autoren als ,,Hals des Schmelzorganes" an- geführte Bildung künftighin als ,, Verbindungsbrücken der Milchzähne" zu bezeichnen. Der Autor spricht an gleicher Stelle von „Schneide- zähnen, welche nur noch eine oder mehrere schmale Verbindungs- brücken aufweisen". Derartige Bilder bekommt man in der Tat zu sehen und entstehen in folgender Weise. Wie aus den Tafelfiguren von der Entwicklung des ersten Incisivus zu ersehen, wird die Schmelz- nische im Laufe der Entwicklung relativ kleiner. In der Tiefe fließen laterale Schmelzleiste und Zahnleiste miteinander zusammen. Und an der Verbindungsstelle kommt es zu sekundären Perforationen der lateralen Leiste infolge von Durchwachsung mit Bindegewebe, wie es auch an anderen Stellen der Zahnleiste als Äußerung von Re- duktion bekanntlich vorkommt. Dazu kommt, daß die nämliche Stelle der Sitz wird von unregelmäßigen Epithelwucherungen, eine Erscheinung, die man ebenfalls in der ersten Phase der Reduktion an anderen Stellen der Zahnleiste antrifft. Als Beispiel einer solchen scheinbar unregelmäßigen Ablösung verweise ich auf Fig. 13, wo in Skizze e eine solche netzartige Ver- bindung besteht, welche sich jedoch schon im nächstfolgenden Schnitt als die perforierte Wand der Schmelznische erweist. Es ist schon öfters betont worden, daß der lateralen Schmelz- leiste für die Zahnanlage eine ganz gleiche Bedeutung zuerkannt werden nmß als der medialen. Wir führten u. a. oben als Stütze für diese Behauptung an, daß beim Caninus die Verbindung des Organes mit der lateralen Leiste sich länger erhält als jene mit der medialen. Das war nur möglich, wenn die laterale Leiste während der ersten Periode der Zahnentwicklung progressiv sich entfaltet, größer wird. War es eine indifferente, bedeutungslose Bildung, deren Auftreten bei der Zahnanlage der Primaten in irgendwelcher Beziehung stehen sollte mit einer bei den Vorfahren der Säuger stattgefundenen normalen Entwicklungserscheinung, welche bei der Entstehung des Säuger- Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 25 gebisses unterdrückt worden war, dann konnte man erwarten, daß die erste Anlage, die dann als eine ontogenetisclie Wiederholung eines einstmaligen phylogenetischen Prozesses zu deuten war, rasch zu- grunde ginge. Das ist jedoch nicht der Fall. Die laterale Schmelz- leiste entwickelt sich während der ersten Entwicklungsphase pro- gressiv und steht in ihrer Beziehung zum Emailorgan in nichts bei der medialen Leiste zurück. Daß ich diese Tatsache wiederholt hervor- hebe, findet seinen Grund darin, daß dieselbe — wenn es auf eine genetische Deutung dieser Leiste ankommt — für unseren Gedanken- gang bestimmend ist. Die progressive Entwicklung der lateralen Leiste schafft unter gewissen Umständen Zustände an dem Zahnapparat, welche auf den ersten Blick unerklärlich erscheinen müssen, oder — wie es aus der jüngsten Arbeit von Adloff hervorgeht — bei ungenügender Kenntnis der Erscheinungen leicht zu ganz irrigen Vorstellungen und An- sichten führen können. Zum leichteren Verständnis der jetzt zu beschreibenden Erschei- nung muß ich kurz ein Hauptergebnis meiner Untersuchung über die Entwicklung des Gaumens hervorheben. In jener Abhandlung habe ich nachgewiesen, daß die Zahnleiste des Menschen nicht ausschließlich mit der Genese der Zähne in Beziehung steht, sondern daß auch ein Teil des gingivalen Epithels von ihr abgeleitet werden nmß. Wenn nuin ihrer ganzen genetischen Bedeutung Rechnung trägt, ist die Bezeichnung dento-gingivale Leiste für die Zahnleiste eine mehr zutreffende. Der Modus, in welchem das Epithel der Zahnleiste in gingivales Epithel übergeht, ist in der bezüglichen Abhandlung de- tailliert verfolgt worden und ich kann an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen. Es sei jedoch hervorgehoben, daß ich in jener Abhandlung, um die Besprechung nicht zu komplizieren, von dem Vorkommen der lateralen Schmelzleiste geschwiegen habe, wiewohl sie an mehreren Figuren zur Abbildung gelangt ist (vgl. z. B, 1. c. Fig. 28, 35, 37, 47) und einige Male ausdrücklich betont worden ist, daß auf die Form der Zahnanlage und auf die Verbindungen derselben mit der Zahnleiste nicht ein- gegangen wurde (1. c. S. 284 u. 301). In der genannten Arbeit unter- schied ich an der Zahnleiste drei Zonen: eine periphere, eine mittlere und eine tiefe. Die periphere Zone erstreckt sich vom Mundhöhlen- epithel bis zur Anlage der Milchzähne. Diese Zone hat mit der Zahn- anlage nichts zu schaffen, sie wird zur Bekleidung des sich ausbildenden Zahnwalles verwertet. Diese Zone konnte man als den gingivalen Teil unterscheiden, Nur wenn man diesem Entwicklungsvorgang an der primitiven oder generellen Zahnleiste Rechnung trägt, werden Verhältnisse be- greiflich, wie sie uns in weiter vorgerückten Stadien der Zahnentwick- lung begegnen. Ich gebe dazu in Fig. 16 u. 17 zwei Schnitte durch die Anlage eines menschlichen oberen ersten Molaren. Die Fig. 16 ist der Serie F entnommen, Fig. 17 dem etwas älteren Embryo, Serie G. In beiden Fällen ist die doppelte Verbindung des Organes sofort zu sehen, die Insertion der lateralen Schmelzleiste ist auf die Spitze des Organes gerückt, die mediale Leiste hängt in Fig. 16 noch zienüich breit mit dem Organ zusammen, beim älteren Embryo nur noch mittels eines zarten Epithelstranges. Es interessiert uns hier jedoch am meisten 26 Erstes Hauptstüök. die Verbindung- beider Leisten mit dem Mundhöhlenepithel. Bei jungen Embryonen geht die laterale Leiste von der bukkalen Fläche der Zahnleiste aus. Aber die periphere Zone letzterer wird zur Bekleidung des Kieferwalles verwendet, und sobald dieses sich vollzogen hat, ist die laterale Schmelzleiste mit ihrer Anheftungslinie ebenfalls auf das den Kieferwall bedeckende Epithel gerückt. In Fig. 16 gehen mediale und laterale Leisten von einer gemeinschaftlichen Stelle schon direkt aus dem Mundhöhlenepithel hervor. Bei dem älteren Embryo G sind beide Leisten auseinander gerückt und die laterale bildet einen vollkommen selbstständigen Strang, der vom Mundhöhlenepithel zum Schmelzorgan zieht. Diese und derartige Bilder liefern einen neuen Beweis für die in der oben zitierten Abhandlung schon gründhch erwiesene Tatsache, daß die Zahnleiste des Menschen nicht nur für die Zahnanlage benützt wird, sondern auch zum Teil zur Bildung des gingivalen Epithels. AVenn, wie in Fig. 17, die beiden Leisten, woraus die Zahnanlage her- vorgeht — die laterale und die mediale — , unabhängig voneinander vom Kieferepithel ins Mesenchym dringt, dann liegt bei diesem älteren Fig. 16. Homo. Serie F. Schnitt durch den oberen ersten Milchmolaren. Fig. 17. Homo. Serie G. Schnitt durch den oberen ersten Milchmolaren, Entwicklungsstadium des Menschen ein sekundärer Zustand vor, der prinzipiell übereinstimmt mit den primären Verhältnissen jüngerer Entwicklungsstadien solcher Formen, wo die Zähne gleich von Anfang an aus dem Mundhöhlenepithel entstehen (Semnopithecus). Es braucht kaum betont zu werden, daß Bilder, wie sie in Fig. 16 und 17 vorgeführt sind, ganz unverständlich sind bei der bis jetzt geläufigen Vorstellung der Zahnentwicklung. Die Schwierig- keit wächst noch, wenn, wie z. B. bei den Antemolaren, die laterale Leiste sich ziemlich weit nach vorn erstreckt und an Querschnitten der Mundhöhle schon auftritt, ehe das Schmelzorgan getroffen ist Das ist besonders bei der Anlage der Eckzähne der Fall, wie an den folgenden zwei Beispielen gezeigt wird. In Fig. 18 findet man einen Schnitt durch den Oberkiefer von Embryo C, dem das Spatium inter- dentale zwischen /g und c entspricht, kurz vor der Anlage von c. In Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznisclie. 27 Wirklichkeit sind hier zwei Zahnleisten zu sehen, welche von einem gemeinschaftlichen Punkt des Kieferepithcls ins Mesenchym ein- dringen, eine horizontal, die andere mehr vertikal. Die Erklärung dieser Verhältnisse würde bei der geläufigen Vorstellung von der Zahnentwick- lung gewiß große Schwierigkeiten bieten, und doch ist die Sache sehr einfach. Von der ursprünglichen Zahnleiste (dento-gingivale Leiste) ist die periphere Zone (die gingivale Zone) zu der gewaltigen Epithel- masse angeschwollen, welche den Raum zwischen Tektalwall des GaunuMis') und Wange ausfüllt. Drs geht bis zur Stelle der Anlage der Milchzähne, d. h. zu jener Stelle, wo die laterale Schmelzleiste aus der bukkalen Fläche der Zahnleiste hervortritt. In Fig. 18 fällt der abgebildete Schnitt durch das Leistensystem vor der Anlage von c. Die horizontale Leiste ist die mediale, die eigentliche Zahnleiste oder generelle Leiste, und die vertikale ist die laterale Schmelzleiste für die Zahnanlage von c, welche sich in diesem Stadium weiter nach vorn erstreckt als das Organ dieses Zahnes. Ehe es zur Abschnürung der Zahnleiste vom Mundhöhlenepithel kommt, kann noch eine geringe Strecke der Leiste als Gingivalepithel Fig. 18. Homo. Serie C. Schnitt durch das Spatium interdentale zwischen L und c. Fig. 19. Homo. Serie E. zwischen 4 und c. Schnitt VerwTndung finden, und darin kann sich auch im Bereich der Anlage von c der Zustand ereignen, daß die mediale und die laterale Leiste unabhängig voneinander aus dem Mundhöhlenepithel hervorgehen, wie das in Fig. 16 und 17 für die ersten Molaren gezeigt worden ist. Daß dieser Zustand sich verwesentlichen kann, geht aus Fig. 19 hervor, welche dem menschlichen Embryo E entnommen ist. Diese Figur ist dieselbe als Fig. 45 in meiner Abhandlung über die Gaumenentwick- lung beim Menschen. Der Zustand ist hier etw^as mehr kompliziert, da hier infolge der starken Vergrößerung der Schmelzorgane der hin- terste Teil der Anlage von /g und der vorderste Teil der Anlage von c getroffen ist. Das ist niöghch, da c beim Embryo nicht ganz hinter, sondern auch ein wenig seithch von i^ gelagert ist, so daß man an Querschnitten beide Zahnanlagen, sei es in sehr verschiedenem Niveau, treffen muß. Es sind nun auch in Fig. 19 zwei Leisten getroffen, eine 1) Für die Bedeutung dieses Begriffes verweise ich auf meine Abhandlung über die Gaumenentwicklung. 28 Erstes Hauptstück. mehr horizontal vorhiufendc, welche sich einige Schnitte weiter oral- wärts von der Anlage von / abschnürte, nnd eine mehr vertikale, welche sich mit der bukkalen Fläche der Anlage von c verbindet. Tatsächlich liegt hier somit ein übereinstimmender Zstand als in B'ig. 18 vor, aber vom Zahnleistenmaterial ist noch etwas mehr zu Gingivalepithel geworden, und demzufolge kommt die laterale Schmelz- leiste von c jetzt direkt aus dem Mundhöhlenepithel. In seiner jüngsten Abhandlung hat Adloff die hier als Fig. 19 gegebene Abbildung reproduziert. Er erklärt dabei ohne die ge- ringste Argumentierung, nicht zu glauben, daß mein Nachweis vom Übergang eines Teiles der Zahnleiste im Epithel des Alveolarwulstes, welches aus den beigegebenen Figuren sofort zu ersehen ist, viel Wahrscheinlichkeit besitzt, und benützt dann meine Figur zu ganz un- begründeten, auf keine einzige Beobachtung basierten spekulativen Betrachtungen über Zahnleistenkrümmungen, auf welche ich nicht ein- zugehen brauche, da die oben mitgeteilten Tatsachen genügend die- selben als völlig verfehlt kennzeichnen. Die in Fig. 16—19 abgebildeten Zustände werde ich schließhch noch durch die bikUiche Darstellung eines Falles erläutern, nicht weil mir die Sache noch weiterer Beweise bedürftig erscheint, aber weil ich meine, daß ich das Vorkommen und die Bedeutung der lateralen Schmelzleiste bei der Zahnanlage gleich bei ihrer ersten Darstellung in der Literatur des Primatengebisses nicht scharf genug betonen kann. Es hat großen AVert, diese prinzipielle Erscheinung sofort in fester Weise zu begründen. Ich gebe dazu in Fig. 20 die Abbildung der Anlage vom unteren Eckzahn des Embryos D. Die Figur ist nach einem Wachsmodel angefertigt, man sieht die Anlage von der oralen Fläche. Zur Kontrolle gebe ich in Fig. 21 die Schnitt- serie der Anlage dieses Zahnes. Die Serie ist ununterbrochen. Be- trachten wir zunächst die Fig. 20 etwas ge- nauer. Das Schmelz- organ hat das kappen- förmige Stadium er- reiche, und peripher- wärts von ihm findet sich die länglich aus- gezogene, aber ziem- hch tiefe Schmelz- nische oder Email- krypte. Seitlich wird dieselbe von der stark hervorragenden lateralen Schmelzleiste begrenzt, welche sich mit dem bukkalen Teile des Schmelzorganes verbindet. Der vordere Rand der lateralen Leiste ist frei, nach hinten setzt sie sich an der generellen oder medialen Leiste an. Der Hintergrund der Nische ist noch nicht perforiert, es finden sich überhaupt noch Fig. 20. Homo. Serie D. Anlage des unteren Ca ninus. Nach einem Modell.' Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 29 keine Reduktionserscheinungen am Leistenkomplex. Mit dem Mund- höhlenepitliel steht die laterale Leiste durch seine meist vordere Strecke schon direkt in Verbindung. Die Skizzenserie in Fig. 21 gibt nun eine Vervollständigung der gegebenen Abbildung. Die Skizze a ist am meisten oralwärts, sie entspricht jedoch nicht genau der vorderen Fläche des in Fig. 20 abgebildeten Modelles, sondern liegt ein wenig weiter nach hinten. Man erkennt leicht die Zahnleiste, welche an ihrem freien unteren liande die hakenförmige Umbiegung aufweist, welche in älteren Stadien im Gebiet der Antemohiren geradezu typisch ist. Die lateral von ihr sich findende Anhäufung von Epithel srellt die noch nicht eröffnete bukko-gingivale Furche dar. In den Schnitten b und c ändert sich wenig. Im Schnitt d erscheint neben der generellen Zahnleiste eine zweite, es ist die laterale Schmelzleiste für die Anlage des Caninus, die an dieser Stelle direkt vom Mundhöhlenepithel Aus- gang nimmt. Li den Schnitten e und / wird die laterale Leiste länger, kommt der medialen oder generellen an Länge gleich und im Schnitt g Fig. 21. Homo. Serie D. Anlage des unteren Caninus. wachsen beide stark aus, indem gleichzeitig die mediale Leiste ihren Charakter ändert. Die hakenförmige Umbiegung am freien Ranne ist verschwunden, die Leiste verläuft gestreckt. Noch immer ist vom Schmelzorgan nichts zu sehen. Es macht sogar in Skizze g den Ein- druck, als verschiebe sich die mediale Leiste auf die laterale, welche die Verbindung mit dem Kieferepithel zu übernehmen scheint. Im nächsten Schnitt tritt das Schmelzorgan zum ersten Male in der uns bekannten Weise auf. Es geht von der lateralen Leiste ein horizontaler Ausläufer aus, der im Schnitt / stark anschwillt und in der Richtung des freien Eendes der medialen Leiste sich vergrößert, um letztere in Schnitt / zu erreichen und die Emailkrypte nach unten zum Ab- schluß zu bringen. Letztere ist noch in den Schnitten k und / zu ver- folgen, aber schon in / ist es zu sehen, daß die laterale Leiste der me- 30 Erstes Hauptstück. dialen sich nähert und in Schnitt n ist das Organ nur noch mit der medialen Leiste in Verbindung. Es sind jetzt ^Y()hl genügende Tatsachen mitgeteilt worden, um die Beziehung der lateralen Schmelzleiste zur Milchzahnaiüage und zum Kiefcrepithel beim Menschen festzustellen. Wir werden uns jetzt wieder einmal den Affen zuwenden, um zu erfahren, wie diese Bildung bei den übrigen Gliedern der Primaten sich in seiner weiteren Entwicklung verhält. Daß auch bei den Affen die Zahnanlage durch Vermittlung einer lateralen Schmelzleiste zustande kommt, ist früher schon festgestellt worden. Etwas prinzipiell Abweichendes haben wir nicht konstatieren können. Es w'äre mir sehr erwünscht gewesen, wenn ich von einem Affengeschlecht eine genügende Zahl Embryonen verschiedenen Alters besessen hätte, denn ich habe den Eindruck be- kommen, daß wenigstens bei den Platyrrhincn die laterale Schmelz- leiste schärfer noch als beim Menschen als ein essentielles Element der Zahnanlage sich erweist. Aus Mangel an solchem vollständigen Material werde ich mich auf einige Bemerkungen beschränken, denen ich einige Abbildungen von Embryonen von Mycetes und Chrysothrix zugrunde lege. Wie schon gesagt, bleiben die ursprünglichen topographischen Verhältnisse beim Affenfötus offenbar länger erhalten als beim Men- schen. Das wird z. B. durch ...... die Figuren 22 und 23 be- wiesen. Beide Figuren stellen Schnitte dar durch die Anlage von den beiden medialen Incisiven des Ober- kiefers von Mycetes-Embry- onen. Fig. 22 ist dem Embryo A und Fig. 23 dem Embryo D entnommen. Beim letzteren war der erste bleibende Molar schon ziem- lich weit in der Entwick- lung fortgeschritten. Beim jüngeren Embryo hat das Schmelzorgan das kappen- förmige Stadium noch nicht erreicht, die linksseitige und rechtsseitige Zahnleiste hän- gen in der Medianebene noch zusammen, da der Schnitt ziemlich weit nach vorn liegt. Ohne Mühe er- kennt man die doppelte Verbindung des Organes mit der Zahnleiste, die laterale Schmelzleiste setzt sich an der Spitze des Organes an, die Ennilkrypte ist in ihrer größten Ausbreitung getroffen. Vergleicht man nun mit dieser Figur den in Fig. 23 abgebildeten Zustand, dann erkennt man sofort, wie konservativ die ursprünglichen Verhältnisse in der Be- ziehung der Zahnanlage zum Zahnleistensystem beibehalten sind, Fig. Mycetes. Serie A. Anlage der medialen oberen Incisivi. Fig. 23. Mycetes. Serie D. Anlage der medialen oberen Incisivi. Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 31 wiewohl die Zahnentwicklung solche große Fortschritte gemacht hat. Auf der Zahnpapille ist es bereits zur Ablagerung von Dentin ge- kommen. Doch findet die laterale Verbindung sich noch an entsprechen- der Stelle des Emailorganes wie beim jüngeren Embrj^o, nur die mediale Verbindung — die im Begriff steht, sich zu lösen — ist verschoben. Die Emailkrypte hat sogar an Größe zugenommen. Es ist früher nachgewiesen worden, daß beim Menschen die laterale Schmelzleiste, welche bei der ersten Anlage des Schmelz- organes sich an dessen lateralem Rande ansetzt, später immer mehr ihre Festheftungsstelle in der Richtung des Gipfels verschiebt, um diesen schließlich zu erreichen und bisweilen sogar auf die mediale Fläche des Organes zu gelangen. Wir dürfen hierbei nicht an eine aktive Wanderung der Anheftungslinie denken. AVenn das Schmelz- organ sich vergrößert, schmiegt die laterale Wand sich der lateralen Schmelzleiste an und es tritt eine Verwachsung von dieser Leiste mit der bukkalen Fläche des Organes auf. Es ist im Anschluß an dieser Verwachsungserscheinung auf die vielen Epithelsprossen hin- gewiesen, welche sich an dem äußeren Epithel des Schmelzorganes bilden und die als Pro- dukte der lateralen Leiste angesehen werden müssen. Wirwerden bald bei Chryso- thrix sehr überzeugende Be- weise dafür anführen. In dieser Frage war ein Be- fund sehr lehrreich, den ich beim unteren dritten Mo- laren des Mycetes-Embryos -Bmachen konnte. In Fig. 24 ist ein Teil von einem Schnitt durch die Anlage dieses Zahnes dargestellt. Es ist das Schmelzorgan fast ganz und dazu ein kleiner Bruchteil der Zahnpapille skizziert. Der Zahnleisten- komplex: ist schon ziemlich weit auf dem Wege der Reduktion fort- geschritten. Es ist jedoch noch ohne Mühe die mediale Zahnleiste zu sehen, welche noch in knapper Verbindung mit dem äußeren Epithel des Schmelzorganes steht, jedoch schon vom Kieferepithel abgelöst ist und zum Teil in Epithelinselchen auseinander gefallen. Besonders interessiert uns jedoch die laterale Leiste. Auch diese ist in einer großen Anzahl Epithelinselchen zerklüftet, aber offenbar war ihre Verwachsung mit der bukkalen Fläche des Schmelzorganes hier nicht zustande gekommeh, wenigstens nicht über die totale Länge. Und so lagern die Epitlielinselchen, welche aus dieser Leiste hervorgegangen sind, in kurzer Entfernung von der bukkalen Fläche des Schmelzorganes, bilden nach unten eine immer mehr zusammenhängende Masse, welche schließKch mit dem äußeren Epithel des Organes sich verbindet. LTnter der Ansatzstelle finden sich einige epitheliale AVucherungen. Und denkt man sich die ganze Leiste mit dem Organ verschmolzen, dann würde diese bukkale Fläche mit Exkreszenzen ausgestattet sein, welche Fig. 24. Mycetes. Serie B. Schnitt durch die Anlage des unteren Molaren. 32 Erstes Hauptstück. jetzt in der Form von Epithelinselchen in kurzer Entfernung von ihr gelagert sind. Dieser Fall beweist wieder aufs schönste, daß die Epithel- sprossen, welche sich an der äußeren Fläche des Emailorganes finden, nicht Produkte des sogeuanntcu äußeren Epithels sind, sondern auf die laterale Schmelzleiste zurückgeführt werden müssen. Die Tatsache, daß bei den PlatyrrhJnen die laterale Schmelz- leiste länger sich zu erhalten scheint als beim Menschen, trifft auch für das Geschlecht Chrysothrix zu. Und da ich bis jetzt von diesem Affen noch keine Bilder gegeben habe zum Beweise, daß auch hier die Zahnentwicklung in gleicher Weise wie bei den anderen Primaten verläuft, lasse ich einige Figuren folgen, wodurch diese Tatsache auch für diesen Affen bewiesen wird und wobei gleichzeitig einigen schon früher geäußerten Behauptungen neue Stütze verliehen wird. Ich entnehme alle Figuren einer lückenlosen Serie durch den Kopf eines Fötus, katalogisiert als Chrysothrix A. Es war im Ober- und Unter- kiefer der erste bleibende Molar bereits angelegt. Die Entwicklung des Gebisses war mithin schon ziemlich weit fortgeschritten, wie auch aus dem Entwicklungsgrad der einzelnen Zähne zu schließen war. Die Fig. 25 bringt einen Schnitt durch den ersten Incisivus des Oberkiefers. Dieser Schnitt durchstreift ungefähr die Mitte des stark horizontal liegenden Zahnes mit dessen Emailorgan. Seitlich vom ersten Schneidezahn ist auch die Anlage des zweiten durch dessen vordere Wand getroffen. Wenn man nun die Beziehung beider Zahn anlagen zu der Zahnleiste betrachtet, dann trifft man den etwas kom- plizierten Zustand an, den ich auch beim Menschen fand und beschrieb (vgl. Fig. 21). Es scheinen nänüich zwei Zahnleisten zu bestehen. Denn jede Zahnanlage steht durch eine eigene epitheliale Lamelle mit dem Ejeferepithel in Verbindung. Ich wiederhole, daß solche Bilder bei der bis jetzt geläufigen Vorstellung der Zahnentwicklung absolut unerklärlich sind. Die Interpretation der Verhältnisse in Fig. 25 ist folgende: Der mediale Incisivus ist durch die generelle Zahnleiste mit dem Kieferepithel in Verbindung, doch sieht man von derselben in nächster Nähe des Schmelzorganes eine kurze zweite Verbindung von dieser Leiste zum Organ sich erstrecken. Diese Verbindung gehört noch der lateralen Schmelzleiste an. Der Schnitt geht nänüich durch den hintersten Teil der Schmelznische, wo laterale und mediale Leisten einander sehr dicht genähert sind. Die epitheliale Lamelle, die von der Anlage des lateralen Incisivus zum Kieferepithel zieht, ist die laterale Schmelzleiste dieses Zahnes und heftet sich dann auch demgemäß an der bukkalen Fläche des Schmelzorganes fest. Wenn man diese Verbindung als die Zahnleiste im Sinne der älteren Autoren auffaßte, dann würde sich hier ein Zu- stand finden, wobei die Zahnanlage medial von der Zahnleiste sich fand. Wir haben hier ein Bild vor uns, das jenem in Fig. 21 sehr ähnlich ist. Dort handelt es sich um den unteren Caninus des Menschen, und Fig. 25. Chrysothrix. Serie A. Schnitt durch die Anlage des oberen medialen Incisivus. Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 33 wie dort, sehen wir auch hier lieiiii Incisiviis von Chrysothrix, daß die hiterale Schinelzieiste selbständig aus dem Kieferepithel hervor- geht. Der Zustand ist hier jedoch etwas komplizierter, da die beiden Schneidezähne mehr nebeneinander gelagert sind, wodurch die Anlage beider gleichzeitig in einem frontalen Schnitt erscheinen. Wenn man die Serie weiter nach hinten verfolgt, dann löst sich bald die Verbindung der Zahnleiste nüt dem medialen Incisivus, während die Anlage des zweiten rasch an Umfang zunimmt. Bald nach ihrer Ablösung von der Anlage des ersten Incisivus verbindet die generelle oder nunliale Zahnleiste sich mit der medialen Fläche der Anlage des zweiten Incisivns und das uns bekannte, schon viel- fach beschriebene Bild der doppelten Verbindung ist zustande ge- kommen. Anfänglich — d. h. im vorderen Teil der Anlage — liegen die Verbindungsstellen der medialen und der lateralen Leisten am Organ einander nahezu diametral gegenüber, je weiter man jedoch die Serie durch die Anlage hinterwärts verfolgt, desto mehr nähern sich die Ansatzstellen beider Leisten auf dem Schmelzorgan einander, während gleichzeitig die laterale Leiste ihre Ausgangsstelle vom Kieferepithel auf die bukkale Fläche der ge- nerellen Leiste verlegt. So ent- steht kurz hinter der Mitte der Zahnanlage des zweiten Incisivus ein Verhältnis, das jenem zum ersten Incisivus in Fig. 25 sehr ähnlich ist. In Fig. 26 ist ver- sucht worden, in halbschemati- scher Weise die Anlage eines In- cisivus von Chrysothrix: im Ent- wicklungsstadium von Fig. 25 bildlich darzustellen. Demjenigen, der der Beschreibung der Ent- wicklung des Primatenzahnes bis Fig. 26. Zabnleisten und Schmelzorgan eines Incisivus von Chrysothrix. jetzt gefolgt ist, ist diese Figur leicht verständlich. Die bukkale Fläche der generellen Leiste ist dem Zu- schauer zugewendet, die spezielle, laterale Leiste reicht vorn bis zum Kieferepithel und tritt sodann mit ihrem angehefteten Rande auf die bukkale Fläche der generellen Leiste (die Zahnleiste im Sinne der älteren Autoren) über. Die Anheftungslinie am Schnudzorgan zieht über letzteres hin von vorn und unten nach hinten und oben, näh(>rt sich deshalb immer mehr jener der generellen Leiste. Die Enuiilnische, welche nach vorn eine weite Eingangsöffnung hat, wird nach hinten immer mehr eingeengt. Auf einen Umstand möchte ich noch auf- nu'rksam nuichen, da derselbe in immer deutlicherer Weise bd den folgenden Zähnen dieses Fötus auftritt, die Nische nändich ist in ilirem Hintergrunde schon durchlöchert, sie ist schon zu einem trichter- förmigen Kanal geworden, wie durch das in der Zeichnung eingetragene Pfeilchen verdeuthcht wird. Dieser Zustand bildet die Ausgangsform für Verhältnisse, welche wir bei den Molaren dieses Fötus werden kennen lernen. In Fig. 27 sind sieben aufeinanderfolgende Schnitte durch die Anlage des ersten oberen Molaren vom selbigen Chrysothrix-Embryo abgebildet. Die generelle Zahnleiste ist noch kräftig entwickelt, steht B 0 1 k , Die Ontogenip der Primatenzähne. 3 34 Erstes Hauptstück. mit dem Kieferepithel in Verbindung und zeigt noch keine Spur von Ablösung oder sonstiger Reduktion, Ganz anders jedoch verhält sich die laterale Schmelzleiste, deren freie Teile nur als winzige Epithel- reste da sind, welche jedoch in den Schnitten e, f und g noch eine wohl erkennbare Verbindung zwischen Schmelzorgan und genereller Zahn- leiste darstellen. Es haben diese Schnitte Aufnahme gefunden, da sie wiederum zeigen — was schon öfters behauptet worden ist — , daß die Wucherungen, welche man am äußeren Epithel des Schmelzorganes beobachtet, nichts anderes sind als die Produkte des mit der bukkalen Wand des Schmelzorganes verM^achsenen Abschnittes der lateralen Leiste. Die Emailnische war bei diesem Zahn nach hinten schon sehr weit offen, denn im auf Fig. 27 g folgenden Schnitt bildete die laterale Leiste keine Verbindung mehr zwischen Schmelzorgan und genereller Zahnleiste. Auch war letz- tere bei diesem Molaren an kei- ner Stelle mit dem Kieferepi- thel in direk- tem Zusam- menhang, sie entsprang über eine immerhin sehr kurze Strecke an der bukkalen Flä- che der gene- rellen Zahn- leiste. Beim zweiten oberen Molaren dagegen fand sich wieder eine direkte Verbindung mit dem Epithel der Mundhöhle, wie aus Fig. 28 ersichtlich ist. In dieser Figur erkennt man wieder leicht den mit der bukkalen Fläche des Schmelzorganes verklebten Teil der lateralen Leiste. Das ganze Gebilde streckt sich jedoch bei diesem Zahn nur über einige wenige Schnitte aus, es ist die Leiste bis auf einen schmalen Strang reduziert. Und statt einer Nische findet sich zwischen der generellen Leiste und der lateralen Schmelzleiste ein sehr geräumiger, aber kurzer Kanal. Die Molaren des Unterkiefers ähneln in ihrer Beziehung zum Leistenkoinplex: jenen im Oberkiefer sehr, wie z. B. aus Fig. 29 er- sichtlich ist, welche einen Schnitt durch den zweiten unteren Molaren darstellt. Die laterale Schmelzleiste geht selbständig vom Kiefer- epithel aus. Doch ist auch bei den unteren Molaren diese Leiste äußerst schmal geworden und stellt beim dritten Molaren nur einen zarten Strang dar, der von der generellen Leiste zur bukkalen Fläche des Schmelzorganes zieht. In Tafelfig. 7 ist eine Abbildung des ModelleSj Fig. 27. Chrysothrix. Serie A. Sieben Schnitte durch die Anlage vom ersten oberen Molaren. Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 35 gegeben das ich von der Anlage dieses Zahnes anfertigte. Das Kiefer- epithel ist dargestellt mit der davon ausgehenden generellen Zahn- leiste, die noch mit der medialen Fläche des Schmelzorganes zusammen- hängt und von deren bukkalen Fläche die laterale Zahnleiste ausgeht, bis auf einen zarten Strang reduziert. Diese Figur vervollständigt die Fig. 28. Chrysothrix. Serie A. Schnitt durch den zweiten oberen Molaren. Fig. 29. Chrysothrix. Serie A. Schnitt durch den zweiten unteren Molaren. Serie der in Tafelfig. 1—5 gegebenen Abbildungen, denn sie zeigt, daß hier die Schmelznische verschwunden ist, es besteht nur ein tunnel- artiger Kanal, der von der generellen Leiste, der oberen Wölbung des Schmelzorganes und von der pfeilerartigen lateralen Leiste be- grenzt wird. Noch ein letztes Beispiel vom Vorkommen der lateralen Schmelz- leiste bei den Milchzähnen sei schließlich angeführt und kurz beschrieben Fig. '60. Chrysothrix. Serie A. Anlage vom' unteren medialen Incisivus. unter Zugrundelegung von Fig. 30. Es betrifft den unteren medialen Incisivus von Chrysothrix: A, wovon 15 aufeinander folgende Schnitte dargestellt sind. In den Skizzen a—f ist die allmähliche Ausbildung 3* 3ß Erstes Hauptstück. der die Zahnanlage zusammensetzenden Teile leicht vcrf olgbar. Es sei besonders auf die an der bukkalen Fläche des Schmelzorganes sich entwickelnde laterale Schmelzleiste aufmerksam gemacht, welche die Ansatzstelle am Organ immer mehr zur Spitze verschiebt, je weiter man in der Anlage nach hinten vorrückt. Von der medialen Leiste (die generelle Zahnleiste) treten die ersten Spuren erst in der Skizze / auf in der Form zweier isolierter Epithelinseln, welche in der Skizze g mit dem Mundhöhlenepithel bereits in Verbindung getreten sind und in Skizze h eine Verbindungsbrücke zwischen diesem Epithel und der Zahuanlage bilden. Im nämlichen Schnitt hat auch die laterale Leiste das Epithel der Kieferbekleidung erreicht, so daß die Zahn- anlage in der bekannten Weise jetzt mittels zweier epithelialer Stränge mit dem oberflächUchen Epithel verbunden ist. Bukkal von der An- lage des medialen Incisivus erscheint jene des lateralen. Wenn man jetzt die Beziehung beider Zahnleisten zueinander verfolgt, dann trifft es, daß diese sich ein wenig anders verhalten als bei den bis jetzt beschriebenen der Fall war. Denn in den weiter hinten folgenden Schnitten verschiebt sich die Ansatzstelle der lateralen Leiste am Schmelzorgan immer mehr in der Richtung der medialen Leiste, in- dem die Ursprungsstelle an dem Mundhöhlenepithel zwar medialwärts rückt, aber nicht so schnell als die Ansatzstelle am Organ. Die Folge davon ist, daß die Selbständigkeit der lateralen Leiste länger gewahrt bleibt und die Ansatzstelle an dem Organ schließlich auf die bukkale Fläche der medialen Lamelle übertritt. Dadurch wird die Schmelz- krypte vom Organ abgetrennt und findet sich von den beiden Leisten und dem Kieferepithel umschlossen. Li den früher beschriebenen Fällen war immer das Gegenteil der Fall, die Urspruugsstelle der lateralen Leiste geht da vom Kieferepithel auf die mediale Leiste über. Da mir dieser Fall nur einmal begegnete, erschien es mir er- wünscht, denselben abzubilden. Er zeugt vvieder für die große Be- deutung der lateralen Leiste. Li den Skizzen l—o ist auch die Ent- stehung dieser Leiste für den lateralen Licisivus zu verfolgen. Die hier zum Vorschein tretenden Verhältnisse sind bei den vorangehenden Fällen schon öfters beschrieben worden und ich brauche darauf somit nicht einzugehen. Ist die laterale Schmelzleiste eine Bildung, welche nur bei den Milchzähnen auftritt oder ist sie auch bei den Anlagen der perma- nenten Zähne aufzuweisen? Die Antwort auf diese Frage ist selbst- verständlich von der größten Wichtigkeit für die Ansichten, welche man sich über die Bedeutung der Leiste bildet. Denn wäre sie nur bei den Milchzähnen nachweisbar, dann kann ihre Bedeutung keine allgemeine sein, und es wäre ein prinzipieller Unterschied in der An- lage der Zähne beider Dentitionen ans Licht getreten. Ich habe mich bei meiner Untersuchung darauf beschränkt, eine vorläufige Be- antwortung der Frage zu geben. Denn konnte einmal festgestellt werden, daß, sei es nur bei einigen wenigen Zähnen des permanenten Gebisses, die laterale Schmelzleiste vorkommt, dann hat man allen Grund zu vermuten, daß es auch bei den übrigen der Fall sein wird. Es ist mir nun in der Tat gelungen festzustellen, daß auch bei der Anlage der bleibenden Zähne eine laterale Leiste sich an der Ent- stehung des Schmelzorganes beteiligt, und zwar konnte es konstatiert werden für die ersten Molaren und den medialen Incisivus, Bei den erst- Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 37 oonaimten Zähnen gelingt der Nachweis allerdings viel leichter und in ganz unzweideutiger AVeise. Zum Beweise gebe ich in Fig. 31 eine Serie von aufeinanderfolgenden Schnitten durch die Anlage des ersten unteren bleibenden Molaren von Mycetes (Serie B). Die Skizzen brauchen nur wenig Erklärung. In Skizze a ist nur die Zahnleiste getroffen, die keiiu' Keduktioiiserscheinungen aufweisend, mit dem Epithel der Mundhöhle in Verbindung steht. In Skizze b erscheint als isoliertes Feld die Anlage von M^, die in Skizze c vergrößert ist. Das untere Ende der Zahnleiste biegt sich ein WTuig medialwärts uiul stellt sich der medialen Fläche der Zahnanlage parallel. In Skizze d erscheint an der AbknickungssteHe eine geringe Anschwellung, die erste Andeutung der lateralen Schnu'lzleiste. Letztere vergrößert sich in den Schnitten e und /, aber noch immer tritt keine Verbindung zwischen Zahnleiste und Schmelzorgan ruf, ein schmaler spaltförmiger Fig. 31. Mycetes. Serie B. Anlage des ersten unteren bleibenden Molaren. Raum trennt beide. In dem Schnitt g geht von der Spitze des Organes eine kurze Sprosse aus, die der lateralen Leiste entgegenwächst und in den Schnitten h und / immer deutlicher hervortritt. Erst im nächsten Schnitt (/) vollzieht sich die Verbiiulung zwischen Schmelzorgan und Zahnleiste und wohl gleichzeitig mit der nunlialen und der lateralen Verbindung. Die uns bei den Milchzähnen bekannt gewordene Email- krypte ist auch hier jetzt anwesend und hat im Querschnitt eine läng- liche Gestalt. Verfolgt man nun die Serie weiter, dann sieht man, daß — wie es auch bei den Milchmolaren von Chrysothrix: der Fall war — von einer Krypte in wahrem Sinne hier nicht die Rede ist. denn die laterale Leiste fließt nicht mit ihrem hinteren Rande mit der nu^dialen Leiste zusammen. Statt einer Nische besteht auch hier ein Kanal, der vom Schmelzorgan und von den beiden Leisten be- 38 Erstes Hauptstück. grenzt wird. In Schnitt p wird das Dach des Kanales zerbrochen, nnd von der lateralen AVandfläche des Schmelzorganes geht eine zur Zahn- leiste gerichtete Sprosse aus, der Rest der lateralen Leiste. Der Fall ist sehr deuthch und stellt wohl außer Zweifel, daß wenigstens die unteren bleibenden Molaren sich in ihrer Entwicklung vollständig den Milchzähnen anschheßen. Für den oberen bleibenden Molaren wird der Beweis durch Fig. 32 erbracht. Es betrifft hier den oberen ersten Molaren von Mycetes (Embryo D). Die laterale Schnielz- leiste ist hier nur über vier Schnitte zu verfolgen, aber diese genügen für die Feststellung der Tatsache. Das Auftreten der lateralen Schmelzleiste bei den bleibenden Molaren läßt sich also unschwer nachweisen. Weniger leicht gehngt es für die Wechselzähne. Die Umstände sind hier ungleich viel un- günstiger, da zur Zeit, da diese Elemente des Gebisses angelegt werden, die Zahnleiste schon die bekannten Zeichen von Reduktion und Degene- rationaufweist und dieser Vorgang mit Wucherun- gen der Leiste verbun- den ist. Ich habe diese Frage überdies nicht gründhch verfolgen kön- nen, da ich noch keine genügenden Serien aus den erforderhchen Ent- wicklungsstadien besitze. Ich setze meine Untersuchungen in dieser Richtung noch fort. Doch glaube ich, daß die vier Skizzen in Fig. 33 wenigstens auch für den bleibenden Schneidezahn die Frage Fig. 32. Mycetes. Serie D. Sechs Schnitte durch die Anlage vom oberen ersten permanenten Molaren. Fig. 33. Homo. Serie E. Anlage der bleibenden medialen oberen Schneidezähne. zur Genüge lösen. Diese Figur gibt vier aufeinander folgende Schnitte wieder durch die Anlage des permanenten oberen medialen Incisivus vom menschhchen Embryo, Serie E. Die Zahnleiste bildet eine Menge Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 39 opithelialor Sprosse, hängt jedoch noch mit dem Oberkiefercpithel zusammen. Am unteren Ende spaltet sich die Leiste gabelförmig, und wiewohl die Spaltungsprodukte etwas unregelmäßig gebildet sind, ist die Tatsache, daß links und rechts nahezu übereinstimmende Bilder entstehen, von genügendem Wert, um hierin keine indifferente Erscheinung zu erblicken. Besonders nicht, wenn man bemerkt, daß .in Schnitt c die beiden Gabeläste durch eine Querbrücke miteinander in Verbindung treten, wodurch am Ende der Zahnleiste das eigen- artige steigbügelartige Gebilde entsteht, das, in durchaus größerem Umfang, uns wiederholt bei den Milchzähnen begegnete. Besonders in Schnitt d werden wir stark an jene Bildung erinnert, welche oftmals bei den Milchzähnen getroffen wurde, wo eine Schmelzkrypte von der lateralen und medialen Zahnleiste begrenzt war und die quere Ver- bindung zwischen beiden Leisten die erste Andeutung der Einstülpung durch die Zahnpapille zeigte. Ich bin dann auch der Meinung, daß man den lateralen Gabelast in den Schnitten a und h als die laterale Schmelzleiste zu betrachten hat, wodurch auch — falls diese Meinung richtig sei — für die bleibenden Incisivi der Beweis geliefert ist, daß deren Anlage prin- zipiell nicht von jener der Milchschneidezähne abweicht. Hiermit beendige ich die Beschreibung des auf die laterale Schmelz- leiste Bezug habenden Materials. Ich muß den geneigten Leser, der meinen Auseinandersetzungen b's jetzt gefolgt ist, um Entschuldigung bitten, daß ich vielleicht der in ihrem Wesen übereinstimmenden Tat- sachen etwas zu viel gegeben habe. Aber ich glaubte mich dazu ver- pfhchtet. Es gilt hier ein neues normales Element in der Zahnanlage, und der Nachweis desselben kann nicht anders als von grundlegender Bedeutung sein für die Ansichten über den morphologischen Wert der Zähne und deren Genese. Es kam mir deshalb erwünscht vor, end- gültig den Beweis zu bringen, daß es sich hier um ein Element handelt, das konstant bei allen Zähnen der Primaten auftritt, und nicht um eine individuelle Variation. Nur in dieser Weise wird eventuellen Fragen nach Allgemeinheit des Vorkommens sofort vorgebeugt. Und diese Beweisführung konnte nur an der Hand zahlreicher Beispiele er- bracht werden, wobei der bildlichen Darstellung eine hervorragende Bolle zuerkannt werden mußte. Es ist im vorangehenden jetzt wohl genügendes Tatsachen- material angeführt, um die Behauptung zu berechtigen, daß unsere Vorstellung von der Zahnanlage beim Menschen und Affen bis jetzt eine lückenhafte war und einer Vervollständigung bedürftig ist. In den folgenden Zeilen werde ich jetzt versuchen, eine Skizze zu geben von der Entwicklungsgeschichte des Primatenzahnes unter Berück- sichtigung der Erscheinungen, welche wir in diesem Abschnitt kennen gelernt haben. In dem folgenden Hauptstück werden wir noch weitere Erscheinungen kennen lernen. Es handelt sich dabei jedoch um innere Differenzierungserscheinungen, welche die Bestätigung bringen von dem, w^as schon auf Grund des jetzt Erkannten geschlossen werden kann. Ich werde — um die Darstellung nicht zu komplizieren — die Frage nach der Beziehung der Zahnleiste zur Vestibularleiste und von der Zahnleiste als Matrix von gingivalem Epithel nicht berühren. Für diese Frage verweise ich nach meiner Abhandlung über die Ent- wicklung des Gaumens beim Menschen. 40 Erstes Haiiptstück. Die Gebißanla^c wird eingeleitet durch die Entstehung einer aus dem Mundhöhlenepithel ins Kiefermesenchyni sich einsenkenden Leiste. Letztere — die Zahnleiste oder Schmelzleiste der Autoren — ist am zweckmäßigsten als die ,, generelle" Zahnleiste oder „Gebiß- leiste" zu bezeichneu. Die Zahnanlagen erscheinen in der bekannten Weise als Anschwellungen am freien Rande der generellen Zahn- leiste. Zwar findet man in der Literatur nicht selten die Angabe, daß die Zahnpapille seitlich in die Zahnleiste einwuchert, aber es kommt mir nicht unwahrscheinhch vor, daß es sich dabei um eine nicht ganz richtige Deutung der Schnittbilder handelt. Bei den Primaten erscheint allerdings die erste Zahnanlage als eine am freien Rande der Zahnleiste sich findende Anschwellung. Es sind somit die Milchzähne terminale Produkte der generellen Zahnleiste. Später rückt die Anlage immer mehr auf die bukkale Fläche, so daß die generelle Zahnleiste die mediale Wand des Schmelzorganes bildet. Während sich dies vollzieht, tritt immer deutlicher eine zweite Ver- bindung der Zahiuinlage mit der generellen Zahnleiste zutage. Sie wird hergestellt durch eine Lamelle, die von der bukkalen Fläche der generellen Zahnleiste ihren Ursprung nimmt und sich an der buk- kalen Fläche der Zahnanlage ansetzt. Diese Leiste tritt bei jedem Zahn auf und steht nur mit einer einzigen Zahnanlage in Beziehung. Es ist somit im Gegensatz zur generellen Zahnleiste eine spezielle Lamelle. Da sie sich mit der lateralen Seite der Zahnanlage, später des Schmelzorganes verbindet,_ ist sie am treffendsten als laterale Schmelzleiste zu bezeichnen. Über ihre Entstehungsweise ist es nicht leicht, sich rasch an wenigen Präparaten eine Vorstellung zu bilden. Denn sie entsteht nicht als eine freie Ausstülpung der bukkalen Fläche der generellen Leiste, welche sich sekundär mit der Zahn- anlage verbindet. Die Verbindung ist eine primäre. Man muß sich den etwas kompHzierten Vorgang folgenderweise verlaufend denken. Die erste Anschwellung an der generellen Zahnleiste, welche die Ent- stehung eines Zahnes einleitet, enthält potentia nicht ausschließlich das Material des Schmelzorganes, sondern auch die beiden Verbin- dungen, wodurch schließlich das Organ mit der generellen Zahnleiste zusammenhängt. Diese erste Anschwellung, welche am zweckmäßigsten als primäre Zahnanlage zu bezeichnen ist, differenziert sich in die Schmelzorgananlage und das Leistensystem, und zwar folgenderweise. Ln oberen zugespitzten Teil der primären Zahnanlage bildet sich an der nach vorn, oder bei gewissen Zähnen nach hinten gekehrten Fläche ein Grübchen, das bei der Vergrößerung der Zahnanlage sich immer mehr vertieft. Lidem nun die Zellmasse unterhalb dieses Grübchens an Breite gewinnt und sich zur Schmelzorgananlage differenziert, wird auch das Grübchen geräumiger und bleibt dabei seitlich und nach oben von der jetzt zu einer Lamelle umgestalteten Zellmasse begrenzt, die sich schon anfänglich seitlich und oben von ihm fand. Diese seitliche Wand des Grübchens ist somit aus der primären Zahn- anlage hervorgegangen. Beim weiteren Wachstum erlangt nun die laterale Wand des inzwischen zu einer Nische oder Krypte gewordenen Grübchens immer mehr den Charakter einer Leiste oder Lamelle. Die Schmelznische oder Emailkrypte wird jetzt begrenzt durch die Schmelzorgananlage, welche den Boden des Raumes bildet, und seit- lich durch die laterale Schmelzleiste. Ihre mediale Wand, welche Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 41 wie die direkte Fortsetzung der generellen Zahnleiste hervortritt, ist infolge der Entstehungsweise der Krypte in Wirklichkeit auch aus Material hervorgegangen, das ursprünglich zur primären Zahnanlage gehörte. Letztere dehnte sich anfänglich aus bis zur Stelle, wo die laterale Schmelzleiste mit der generellen Zahnleiste sich verbindet, denn die Schmelznische ist durch Aushöhlung des oberen Teiles der primären Zahnanlage entstanden. Bei den Anteniolaren wohl aller Primaten ist die Nische nach vorn, bei den Molaren des Menschen und auch wohl bei Affen nach hinten offen. Man kann an der lateralen Schmelzleiste einen freien Vorderrand unterscheiden (vgl. die Textfiguren 14 und 26), einen unteren Rand, der in die bukkale Wand der Schmelzorgananlage übergeht, und einen hinteren Rand, der sich in schräger Richtung von vorn oben nach hinten unten an der generellen Zahnleiste festheftet. Dieser hintere Rand, der somit ursprünglich nirgends frei ist, setzt sich in dem an der Schmelzorgananlage festgehefteten Unterrand fort. Mit Hilfe der Fig. 26 und der beiden vorderen Zähne in Fig. 14 meine ich, daß die Vorstellung der Entstehungsweise der lateralen Schmelzleiste jetzt keine Schwierigkeit mehr bietet. Die primäre Zahnanlage haben wir somit als ein kompliziertes Gebilde kennen gelernt. Es nmfaßte nicht nur die Schmelzorgan- anlage, sondern auch die laterale Schmelzleiste und jenen Teil der generellen Zahnleiste, der die Schmelznische medial begrenzt, gehen aus ihr hervor. Es ist die mediale Wand der Nische als mediale Schmelz- leiste zu unterscheiden. Kurz zusammengefaßt gehen also aus der primären Zahnanlage folgende Bildungen hervor: Schmelzorgananlage, laterale Schmelzleiste, mediale Schmelzleiste und Schmelznische. Es kann sich nun ereignen, daß die primäre Zahnanlage bis zum Mundhöhlenepithel sich erstreckt. Wenn in solch einem Fall die Schmelznische sich zu bilden anfängt, kommt dieselbe direkt unter das Mundhöhlenepithel zu liegen. Und dann entsteht jener Zustand. der in Fig. 26 bildlich dargestellt ist, wobei das Kieferepithel eine kurze Strecke zur Begrenzung der Nische beiträgt und die laterale Schmelzleiste als eine selbständige, von der generellen Zahnleiste un- abhängige Bildung, direkt aus dem Mundhöhlenepithel entsteht. Bei den Semnopitheciden haben wir die jüngsten Stadien dieses Zustandes kennen gelernt. Wenn einnuü aus der primären Zahnanlage die Schmelzorgan- anlage und das Leistensystem sich differenziert hat. ist das ganze Gebilde zweckmäßig als ,, sekundäre Zahnanlage" anzudeuten. In den Figuren 34 und 35 habe ich versucht, den Differenzierungsvorgang schematisch wiederzugeben. Die Fig. 34 hat Bezug auf jene Formen, wo der Milchzahn aus einer generellen Zahnleiste entsteht, die Fig. 35 auf solche, wo die primäre Zahnanlage bis zum Kieferepithel reicht. Li der Fig. 34^ ist die primäre Zahnanlage z. B. eines Licisivus dar- gestellt. Das Kieferepithel ist mit a bezeichnet, die generelle Zahn- leiste mit b, die kolbenartige primäre Zahnanlage mit d und die Grenze zwischen primärer Zahnanlage und genereller Zahnleiste mit c. In Fig. MB ist ein weiter vorgeschrittenes Stadium dargestellt. Es hat sich im oberen Teil der Vorderwand das Grübchen gebildet,''woraus die Schnielznische hervorgehen wird. Es ist mit e bezeichnet worden. 42 Erstes Hauptstück. Fig. 34. Erklärungen im Text. B. At-c In dem Schema 34 C hat das ganze Gebilde an Größe zugenommen und ist durch Vertiefung und Verbreiterung der Nische die primäre Zahnanlage deuthch in den drei Unterteilen differenziert. Es erheischt die Figur ebensowenig wie Fig. 35 nach dem Vorangehenden keine weitere Erklärung. Ich hoffe, daß durch diese Schemata die Einsicht in der Ent- stehungsweise der ,, sekundären Zahnanlage" wesenthch erleichtert wird. Es würden wohl ^ -3 noch mehrere Details der Anlage bei den unter- schiedenen Zähnen zu verzeichnen sein, je- doch um die Beschrei- bung nicht zu viel aus- zudehnen , unterlasse ich es, darauf einzu- gehen. Durch die Entste- hung der Schmelznische hat das Schmelzorgan eine doppelte Verbin- dung mit der Zahnleiste bekommen, eine an der medialen und eine an der lateralen Seite. Es geht aus der Entste- hungsweise klar hervor, daß beideVerbindungen einander vollkommen gleichwertig sind, man darf einer der Leisten in Hinsicht auf die Entstehung des Zahnes, keine andere oder minderwertige Bedeutung zuerkennen als der zweiten. Die mediale Verbindung, die mediale Schmelzleiste hat für die mediale Hälfte des Schmelzorganes vollkommen die gleiche Be- deutung als die laterale Schmelzleiste für die laterale Hälfte. Und man darf mit Recht folgendes behaupten: die Schmelzorgananlage bei den Primaten ist eine Doppelbildung, umfaßt eine bukkale und eine Unguale Anlage. Oder mit anderen AVorten: die Schmelzorgananlage der Primaten enthält potentia die Anlage zweier Zähne, welche topo- graphisch sich als eine laterale und mediale oder äußere und innere verhalten. Auf diese wichtige Schlußfolgerung komme ich später noch zurück. Verfolgen wir zunächst das Schicksal der aus der primären Zahn- anlage entstandenen Bildungen. Über die weitere Entwicklung des Schmelzorganes werde ich an dieser Stelle nicht ausschweifen, denn im nächsten Hauptstück bildet dieses Organ gerade den Hauptgegenstand der Besprechung. Wir wenden uns sofort zu den beiden Schmelzleisten. Es ist festgestellt w^orden, daß beide Leisten sich an der Kngualen resp. bukkalen Seite der Schmelzorgananlage ansetzen. Das Organ wird immer breiter und die AVachstumsrichtung ist dabei vorzüglich bukkalwärts. Die Folge davon ist, daß die mediale Schmelzleiste immer mehr als die Fortsetzung der generellen Zahnleiste erscheint (vgl. Fig. 31 und 32 c), während die bukkale Leiste einen immer größer Fig. 35. Erklärungen im Text. Die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische. 43 werdenden Winkel mit der linoualen Leiste bildet. So entsteht der Zustand, der von verschiedenen Fällen abgebildet worden ist, als nähme die bukkale Leiste ihren Ursprung von der bukkalen Seite der ,, Zahn- leiste" (im Sinne der Autoren). Und in dem deskriptiven Teil habe ich es dann auch oftmals in dieser Weise ausgedrückt. Dadurch erlangt die laterale oder bukkale Schmelzleiste einen stetig zunehmenden Anteil in der Bregenzung der Schmelznische. Wenn die Schmelz- organanlage jetzt noch mehr in die Breite wächst, und dazu in die Emailnische einzu wölben anfängt, kommt die Innenfläche der bukkalen Leiste mit der Außenseite des Schmelzorganes in Berührung, und streckenweise kommen beide Epithelschichten sogar zur Verwachsung miteinander. Li späteren Entwicklungsstadien lagert dann auch dem bukkalen Teil des sogenannten äußeren Epithels ein Teil der lateralen Schmelzleiste auf. Und wie früher an mehreren Figuren nachgewiesen worden ist, ist in dieser Verwachsung die Erklärung zu suchen von dem Auftreten der epithelialen Wucherungen an der Außenwand des Schmelz- organes. Denn die bukkale Leiste degeneriert in ganz gleicher Weise wie die generelle Zahnleiste: Durchlöcherung, Sprossenbildung, Epithel- perlenbildung. Die Schmelznische verschwindet während des weiteren Wachs- tums. Die Weise, wie sich das vollzieht, ist jedoch nicht immer die gleiche, es gibt Modifikationen. Bei gewissen Zähnen wird die Nische einfach relativ kleiner, die laterale Leiste wird durchsiebt und bildet die oben schon angedeuteten Epithelwucherungen und Zellstränge, welche auch in die Nische einwuchern können, dieselbe zum Teil aus- füllend. Bei anderen Zähnen bildet sich vorher im Hintergrunde der Nische ein Loch, durch Resorption von Material der bukkalen Leiste und in- folge davon wird die Schmelznische zu einem anfänglich trichterförmigen Kanal. Es ist leicht einzusehen, daß dadurch die laterale Schmelzleiste eine größere Selbständigkeit erlangt, da sie jetzt einen zum Teil freien Hinterrand bekommt (siehe Fig. 26). Bildet sich dieses Loch frühzeitig aus, und das ist z. B. beim zweiten Milchmolaren des Menschen der Fall, dann entsteht ein Kanal, der fast die gleiche Länge hat als die Schmelzorgananlage (vgl. Fig. 31). Bei weiterem Wachstum zerfällt nun die laterale Schmelzleiste mehr oder weniger schnell, gleichzeitig mit die generelle Leiste. Die mediale Schmelzleiste hat meistenteils längeren Bestand, doch ihre Verbindung mit dem Organ kann sich bisweilen früher lösen als jene der lateralen Leiste. Hiermit möchte ich die Übersicht über die Ontogenie des Primaten- zahnes, soweit es die Differenzierung der ,, primären Zahnanlage" be- trifft, schließen. Die gegebene Darstellung enthält nichts was theo- retisch konstruiert ist, alles Dargestellte gründet sich auf tatsächlich Beobachtetes. Es hat freiUch eine längere Untersuchungszeit erfordert, ehe es mir gelungen war, die Einzelbeobachtungen zu einer vollständigen Entwicklungsreihe aneinander reihen zu können. Oftmals hatte ich mir — besonders im Anfang meiner Untersuchungen — Vorstellungen gebildet, welche sich später als unrichtig erwiesen. Besonders das Epithelderivat, das später als Nebenleiste beschrieben werden soll, lieferte viele Schwierigkeiten. Als Hauptergebnis dieses Teiles meiner Untersuchung betrachte ich den Nachweis, daß das Schmelzorgan der Primaten zweier einander 44 Erstes Hauptstück. vollständiiu" gleichwertigen epithelialen Leisten seine Entstehung ver- dankt, daß dieses Organ potentia eine Doppelbildung ist. Zwar tritt diese Doppelnatur nicht gleich bei der ersten Anlage zur Schau, aber das darf uns kaum wundern. Bei der primären Zahnanlage findet sich der ganze Zahnentwicklungsapparat noch zu einer einheitlichen Masse zusammengefaßt. Erst im Laufe der weiteren Entwicklung und zwar sehr bald manifestiert sich die wahre interne Natur der Anlage. An dieser Stelle werde ich diese Tatsache noch nicht in Beziehung bringen zu den allgemeinen odontologischen Problemen, und verweise dazu auf das Schlußkapitel. Nur in Hinsicht auf die im nächsten Hauptstück zu beschreibenden Erscheinungen, möchte ich kurz hervorheben, daß meiner Meinung nach die Ontogenie des Primatenzahnes, soweit wir dieselbe bis jetzt verfolgt haben, genügend Grund abgibt für die Ansicht, daß dieser Zahn aus der Konkreszenz zweier Elementar- elementen hervorgegangen ist, welche sich topographisch als ein bukkaler und hngualer verhalten. Durch diese Ansicht wird die Erscheinung, zu deren Beschreibung ich jetzt übergehe, sofort ver- vStändhcher. Zweites Hauptstück. Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. Im folgenden werden Differenzierungserscheinungen zur Sprache gebracht, welche bei der weiteren Entwicklung des Schmelzorganes sich hervortun und besonders mit der Entstehung der sogenannten Schmelzpulpa zusammenhängen. Es sei daran erinnert, daß das Schmelzorgan sich bald n;;chdem es das glockenförmige Stadium erreicht hat, histologisch zu differenzieren anfängt. Die der mesenchymatösen Zahnpapille unmittelbar aufliegen- den Zellen bilden sich zu den Ameloblasten ans. Die an der Ober- fläche liegenden Elemente gehen in platte Zellen über, welche eine oberflächliche abschließende Membran bilden, und als äußeres Schmelz- epithel unterscheiden werden. Diezentrale Zellmasse differenziert sich zu dem bekannten aus sternförmigen Zellen aufgebauten Schwammgewebe, das als Schmelzpulpa bekannt ist. Diese Sternzellen sind umgewandelte Epithelzellen, zwischen welchen weite mit Flüssigkeit gefüllte Inter- zellularräume sich finden. Besonders in den älteren Stadien, wenn die Schmelzpulpa gut ausgebildet ist, ist es deutlich, daß letztere nicht unmittelbar an die Ameloblastenschicht stößt, denn diese Schicht von hohen zyKndrischen Zellen ist noch mit einer Lage von Zellen überzogen, welche ziemlich dicht gedrängt aneinander lagern, und die primitive runde Form länger behalten, um jedoch später sich mehr abzuplatten. Diese Schicht, das Stratum intermedinm von AValdeyer. ist auf die höchste Wölbung der Ameloblastenschicht am stärksten ent- wickelt, seitlich w^ird es dünner. Über die Weise, wie die Schmelzpulpa auftritt, fassen sich die Lehrbücher im allgemeinen nur kurz. So schreibt von Ebner in Köllikers Handbuch (Bd. III, S. 106): ,,Xach der Einstülpung der Schmelzorgane durch den Zahnkeim tritt die eigentliche Schmelz- pulpa durch Bildung von Interzellularräumen auf, und wachsen die Zellen des inneren Epithels zu hohen regelmäßigen Zylinderzellen aus." In Tomes Manual of Dental Anatomy finde ich über diesen Vorgang (S. 139) : ,.The transformation of the cells occupying the centre and constituting the bulk of the enamel organ into a stellate rcticulum goes on progressing from the centre outwards'), but it stops short of reaching the layer of columnar cells wich constitute the surface of the enamel organ next to the dentine papilla; a narrow layer of unaltered cells wich remain between the stellate cells and the columnar enamel cells constituting- the Stratum intermedium". In seiner ;in genauen 1) Ich kursiviere. 46 Zweites Hauptstück. Beobachtungen reichen „Untersuchungen über die Entwicklung der Zähne" (Danzig 1864) sagt Wald ey er (S. 55) über die Differenzierung des Schmelzorganes: „Nun beginnt zunächst in der Mitte des Schmelzkeimes^) eine Umformung derselben zu einem bestimmt gestalteten Gewebe." Ich möchte meine Bemerkungen an dem in den beiden letzteren Zitaten von mir Kursivierten anknüpfen. Tonies und Waldeyer behaupten, daß die Umbildung der zentralen Zellen zu der Schmelz- pulpa im Zentrum der Organanlage anfängt und von hier aus peripher- wärts weiter rückt. Obwohl von Ebner sich darüber nicht äußert, findet sich auch bei diesem Autor keine entgegengesetzte Angabe. Nun ist die Behauptung, daß die Schmelzpulpabildung im Zentrum anfängt, nicht richtig. Es sollte aus dieser Aufgabe folgen, daß es im Organ nur eine einzige Stelle gibt, von wo die Pulpabildung ausgeht. Das ist nun nach meinen Befunden nicht der Fall, die Pulpabildung geht von zwei Stellen aus. Das ist jedoch nicht an allen Präparaten und an allen Zähnen gleich leicht zu konstatieren. Aber wenn man einmal auf die Erscheinung und die Folge, welche sie bezüglich des inneren Baues des Schmelzorganes hat, aufmerksam geworden ist, dann ist es nicht sehr schwierig, die Spuren dieses Vorganges bei allen Zähnen nachzuweisen. Warum dieser Nachweis nicht so leicht bei gewissen Zähnen gehngt, wird wohl noch erklärt werden. Am leichtesten ist die Differenzierung der Schmelzpulpa von zwei Zentren aus an den Molaren zu konstatieren. Ich gebe in Fig. 36 z. B. den Frontalschnitt eines unteren dritten Molaren von Mycetes (Serie ^). Die Form der Zahnanlage darf ich jetzt in ikren Einzelheiten als bekannt voraussetzen; man erkennt die gene- relle Zahnleiste, die noch mit dem Kieferepithel verbunden ist, die la- terale Schmelzleiste, die sich an der Spitze der Schmelzorgananlage an- setzt , die mediale Schmelzleiste , die mit der Innenwand des Or- ganes verbunden ist, und die Schmelznische. Das Schmelzorgan steht im Begriff die Pulpa- bildung anzufangen. Die Diffferenzierung, welche mit einer Erhöhung des Flüssigkeitsgehaltes gepaart ist, hat demzufolge eine Aufhellung im Inneren des Organes zur Folge. Und wie nun die Fig. 36 ersehen läßt, tritt die Aufklärung nicht an einer einzigen Stelle auf im Zentrum des Organes, sondern letzteres behält gerade seinen mehr dunklen Ton, ist nicht durchsichtiger geworden. Es gibt deutUch zwei Aufhellungs- zentren, eines in der bukkalen und eines in der hngualen Hälfte des y Fig. 36. Mycetes A. Schnitt durcli die Anlage des unteren ;«,. 1) Ich kursiviere. Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. 47 Organes. Wir haben hier das erste Stadium der Pulpabildung vor uns, wahre Sternzellen bestehen noch nicht, auch ist die Schicht der Amelo- blasten noch nicht differenziert, ebensowenig als schon von einem äußeren Epithel die Rede sein kann. Zwischen den zwei Aufstellungszentren findet sich ein mehr dunkler Streifen, der sich von der Basis des Schmelz- organes zur Spitze erstreckt und die gleichsam eine Verbindung zwischen beiden darzustellen scheint. Es sei sofort darauf aufmerksam gemacht, daß die laterale Schmelzleiste sich an jenem Teil der Oberfläche des Organes ansetzt, der regional zum lateralen Aufhellungszentrum gehört, die mediale Leiste setzt sich im Gebiet des medialen Aufhellungs- zentrums an. Der Schnitt ist ein transversaler, und wenn man sich das ganze Organ in dieser Differenzierungsphase räunüich vorstellt, dann stellt der dunkle in der Mitte sich findende Streifen eine Art Septum dar, das im Schmelzorgan in sagittaler Richtung die beiden Pulpabildungszentren voneinander trennt. Ich schlage vor, diese Bildung als ,, Schmelzseptum" zu bezeichnen. In dem in Fig. 36 abge- bildeten Entwicklungsstadium trägt es allerdings noch wenig den Charakter eines Septum, wir stehen hier eben am Anfang der Diffe- renzierung, es bestehen noch keine scharfen histologischen Differenzen. Ein weiteres Entwicklungsstadium ist in den Tafelfigurcn 8 und 9 abgebildet. Die Figur 8 stellt einen Frontalschnitt dar durch das Schmelzorgan des unteren ersten Milchmolaren eines Macacus cyno- molgus und die Fig. 9 einen solchen des unteren Eckzahnes des näm- lichen Fötus. Ich gebe diese Figuren nebeneinander, um sofort fest- stellen zu können, daß die Differenzierung des Organes eines sogenannten monokuspidaten Zahnes sich vollkommen wie jene eines multikuspi- daten verhält'). In Fig. 8 geht der Schnitt durch den hinteren sehr engen Teil der Schmelznische, es sind dadurch die laterale und die mediale Schmelzleiste gerade noch als selbständige Bildungen zu sehen, der Schnitt in Fig. 9 verlief hinter der Schmelzkrypte. In beiden Figuren ist das zweifache Bildungszentrum der Schmelzpulpa so augenfällig, daß diese Figuren an sich genügen, um die Angabe, daß die Pulpabildung im Zentrum des Organes anfängt, endgültig zu widerlegen. Das Schmelz- septum, das in Tex:tfig. 36 in seiner ersten Anlage eben angedeutet war, tritt hier, infolge der inzwischen weiter vorgeschrittenen Aufhellung der beiden Regionen, als eine wohl ausgebildete Scheidewand zwischen beiden Hälften im Innern des Organes auf. Es hat sich inzwischen auch die Differenzierung in den übrigen Elementen des Organes kenn- bar gemacht, wobei das Organ des Eckzahnes (Fig. 9) jenem des Molaren vorausgeeilt erscheint. Die Ameloblsatenschicht ist in den beiden Anlagen schon aus den bekannten zylindrischen Zellen aufgebaut, auch das äußere Epithel ist schon differenziert, obwohl es noch nicht aus den stark abgeplatteten Elementen besteht, welche in späteren Entwicklungsstadien die Membran zusammensetzen. Die Elemente des Schmelzseptums besitzen noch ihre früh-embryonale Form, und während diese nach oben ununterbrochen in die Zellen des äußeren Epithels übergehen, setzen sie sich nach unten ohne Unterbrechung in der auch schon kennbaren intermediären Schicht fort. Besonders in Tafelfig. 9 erscheint letztere als eine Kappe auf die Ameloblasten- 1) In Wirklichkeit kommen im Primatengebiß keine wahre monokuspidate Zähne vor; die Incisivi und Canini sind, wie in einer folgenden Arbeit nälier begründet werden soll, pseudomonukuspidate Zähne. 48 Zweites Hauptstück. Schicht gelagert, und es bildet das Schmelzseptuiii gleichsam ihre stark zugespitzte Fortsetzung nach oben. In dem auf Tafelfig. 9 abgebildeten Schnitt geht das Schmelz- septuni in das äußere Epithel über, gerade an der Stelle, wo an der Außenseite die Zahnleiste sich am Organ festheftet. | Wenn man nun die ganze Schnittserie durch die bezüghchen Schmelzorgane verfolgt, dann wird es wohl deutlich, daß die Angabe von W a 1 d e y e r und T o ni e s nicht aus der Luft gegriffen ist. Das weitere Wachstum, die Vergrößerung des Organes mit sich bringend, ruft wesenthche Kompükationen zum Vorschein, welche jedoch leicht ver- ständlich sind. Denn in den meist vorderen Schnitten durch die beiden bezüghchen Zahnanlagen ist vom Schmelzseptuni nichts zu sehen, es scheint in der Tat eine einzige Pulpamasse zu bestehen, dann tritt bei den weiter nach hinten liegenden Schnitten das Septum auf, um in den meist hinteren Schnitten wieder zu verschwinden. Wie ist diese Erscheinung zu deuten? Die Sache ist ganz einfach. Am Beginn der Piilpabildung streckt sich das Septum in sagittaler Kichtung noch durch das ganze histologisch wenig differenzierte Organ aus. Letzteres wächst jedoch in die Länge, es schwillt infolge der Pulpabildung rasch an. Aber das Septum wächst nicht in gleichem Maße mit, als das Organ, verliert daher an Vorder- und Hinterwand des Organes den Zusammen- hang mit dem äußeren Epithel und die beiden Bildungszentren der Pulpazellen fheßen zusammen vor und hinter dem Septum. Es wäre dann auch vielleicht die Bezeichnung Schmelzseptum zu beanstanden, ich wählte jedoch diesen Namen, der so den Anfangsstadien entspricht, und wie wir später sehen werden, der phylogenetischen Entstehungs- weise gerecht wird. Was wird nun aus der Scheidewand beim weiteren Wachstum des Schmelzorganes ? Die Antwort hierauf kann kurz lauten, sie wird zu einer rudimentären Bildung reduziert. Aber dürfe Reduktion das Charakteristikum dieser Bildung sein, so treten dennoch eigentümliche Erscheinungen dabei auf, auf welche wir jetzt näher eingehen müssen. In den Tafelfiguren 8 und 9 handelt es sich um Stadien, worin das Schmelzorgan noch nicht den Höhepunkt seiner Differenzierung erreicht hat, die Schmelzpulpa ist auf dem Wege sich zu bilden, aber die typische Form der Sternzellen ist noch nicht aufgetreten. In Fig. 8 macht sich die Ameloblastenschicht eben bemerkbar, in Fig. 9 ist die Entwicklung schon etwas weiter fortgeschritten, das Schmelzseptum hebt sich hier gegen die Pulpazellen scharf ab. Die Septumzellen behalten anfänghch ihre früh-embryonale Gestalt und setzen sich in den Elementen des Stratum intermedium fort, das in Fig. 9 ebenfalls schon gut angedeutet ist. Bei der weiteren Entwicklung wächst das Septum nicht mit, aber die Beziehungen zum äußeren Epithel werden dagegen viel deut- licher. Wir werden jedoch, ehe wir das zeigen, erst die Gestalt des Sep- tums in einem weiteren Entwicklungsstadium mit Hilfe einer Figur klar machen. Es ist oben schon betont worden, daß die beiden Pulpazentren, wenn einmal die Differenzierung im Gange ist, vor und hinter dem Sep- tum ineinander übergehen. Infoige der Flüssigkeitsansammlung in den Interzellularräumen schwillt das Organ rasch an, und je stärker sich dasselbe vergrößert, desto kleiner wird relativ das Septum. Es Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. 49 verliert daher seine Bedeutung als Scheidewand, und bei einer gewissen Schnittrichtung erscheint es schheßlich mehr in der Form eines Stranges, der sich vom Stratum intermedium, rings von Sternzellen umgeben, bis zum äußeren Epithel erstreckt. Will man sich von der Tatsache überzeugen, daß die Bildung ihre ursprünghche Bedeutung als Schmelz- septum, je länger um so mehr einbüßt, dann gehngt solches an jedem etwas weiter entwickelten Organ durch Vergleichung der Schnitte einer frontalen Serie sehr leicht (siehe unten). Vollständiger jedoch sind die Verhältnisse zu überbHcken, wenn man durch ein nicht allzu- weit differenziertes Organ Schnitte anfertigt in der Ebene des Septums, Ein Beispiel davon gibt Fig. 37. Diese Figur stellt das Schnielzorgan dar, vom oberen Caninus eines mensclüichen Embryos (Serie H). Die Schnittrichtung war eine sagittale. Das Septuni ist, da die beiden Pulpabildungszentren als eine bukkale und linguale sich verhalten, anfänghch auch beim Caninus in sagittale Kichtung gestellt, un(l in Fig. 37 ist es dann auch der Länge nach getroffen dargestellt. Man sieht, daß es sich gar nicht mehr von der Vorder- bis zur Hinterwand des Organes ausdehnt. Vor und hinter dem Septum ist Pulpamassc zwischen Wand und Septum gelagert. Daß letzteres auch in anderer Rieh- ,, . ■ tung, auf dem Wege der Regression ,.'/ sich findet, wird erkennbar aus den a? .''""i-'^^,-.- helleren Partien, welche mit mehr dunk- v%, ,'>;>, len — zellenreicheren — abwechseln. v>;'''h -'■'••-./ Nach oben ist jedoch die Verbindung |;;/ \. r- ,' - '• •;= mit dem äußeren Epithel nicht gelöst. [•;'' «■;••:• ' '. -.'Ci Beim fortschreitenden Wachstum V"' v - : ia^. " :'•■"/ und Ausdehnung des Schmelzorganes \'--0&MM^ /',/ nimmt das Septum in den meisten \. C^:?<:-;%^ • , - / Fällen die Form eines bandartigen \/~ :0S!<} \'' ^-^ Zellstreifens an, der von der Spitze ^^ ''^^v.V-.i^i^^ des Stratum intermedium in einer \ '^l wechselnden Richtung die Pulpamasse '^^^^l^ durchstreift. Die Zellen bleiben stark ' ; •■^^^^ tingierbar und heben sich dadurch deuthch von der umgebenden Pulpa- masse ab. Daß es sich zu einem „. o- u zr o •.. . p,, ' • 1 . ' T . 1 Piff. Jr. Homo iY. Saeittal- Strange zusammenzieht, geht daraus schnitt durch den oberen Caninus. hervor, daß es bei ^etwas älteren Em- bryonen nur über wenige Schnitte sich erstreckt. Ich gebe zum Be- weis in Fig. 38 eine Serie von sechs Skizzen von aufeinander folgenden frontalen Schnitten durch die Anlage des oberen Caninus vom menscli- lichen Embryo, Serie F, Schnittdicke 25 [x. Das Organ steht durch die laterale Schmelzleiste mit dem Mundhöhlenepithel in Verbindung, die mediale Leiste steht in dieser Schnittreihe nicht mit dem Organ in Verbindung, diese tritt erst mehrere Schnitte nach hinten auf, jetzt streckt die mediale Leiste sich noch in horizontaler Richtung im Kiefermesenchym aus. Ich brauche auf diese zuvor ausführlich besprochenen Verhältnisse nicht einzugehen. Im Schnitt a ist von einem Septum noch nichts zu sehen. In Fig. h erscheint es in der Form eines unregelmäßigen Zellkonglomerates, das von der Ansatzstelle der lateralen Schmelzleiste am äußeren Epithel sich in der Richtung der B o I k , Die Ontogeaie der Primatenzähne. * 50 Zweites Hauptstück. Ameloblastenschicht erstreckt. Es macht sogar den Eindruck, als setze sich die laterale Schmelzleiste eine Strecke weit in die Pulpa- masse fort. Im folgenden Schnitt ist die Zellmasse ein wenig vergrößert und der von einer dünnen intermediären Schicht überzogenen Amelo- blastenschicht genähert. Im Schnitt d ist das Septum über die ganze Länge getroffen. Es tritt wieder als eine vom Stratum intermedium ausgehende Zellmasse hervor, welche die Basis des Schmelzorganes mit der Kuppe verbindet und in diesem Schnitt wenigstens die Pulpa- niasse noch vollständig in einer bukkalen und lingualen Hälfte trennt. Da sich — was öfters zutrifft — das Septum in diesem Falle an der Innenseite des äußeren Epithels festheftet, gerade an der Stelle, wo an der Außenfläche die laterale Schnielzleiste in diese Epithel- membran übergeht, macht es den Eindruck, als setze die Schmelz- leiste sich im Organ fort bis zur intermediären Schicht. Ähnhches war beim unteren Eck- zahn von Macacus, der in Tafelfig. 9 ab- gebildet ist, der Fall. Doch hat [man es hier mit einer zwar nicht zufälligen, aber durch- aus nicht ursprüng- hchen Erscheinung zu tun. Schon im nächsten Schnitt (e) ist das Septum wieder unvoll- ständig und im da- rauffolgenden (/) ist sogar nichts mehr von der Bildung zu sehen. Diese Skizzenserie bezweckt zu zeigen, daß das Septum bei der weiteren Entwicklung sich zu einem Strange von sehr geringer Dicke konzentriert. Und bei den älteren Stadien gelingt es dann auch nicht immer, die Anwesenheit festzustellen. Das wird auch noch dadurch bewirkt, daß das zu einem Strang umgebildete Septum oftmals in sehr schräger Richtung die Pulpa masse durchzieht. Nicht selten auch kommt es im Verlaufe desselben zur Bildung der bekannten konzentrisch gebauten Epithelperlchen, die man auch beim Zerfall der Zahnleiste, aber viel größer, wahrnimmt. Es ist oben bemerkt worden, daß bei einer frontalen Sclmitt- richtung das Schnielzseptum bei den Incisivi nicht leicht in seiner Beziehung zu den übrigen Unterteilen der Zahnanlage zu verfolgen ist. Die Ursache davon ist, daß die Pulpabildungszentren als eine bukkale und linguale sich verhalten. Bei den Incisivi stellt sich somit das Schnielzseptum nahezu in die frontale Ebene und erlangt man nur selten gute Bilder bei Frontalschnitten. Dagegen bildet eine sa- gittale Serie durch diese Zahnanlage alles Wünschenswerte und läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Zum Beweise davon gebe ich in Fig. 39 eine Skizzenserie von sagittalen Schnitten durch die Fig. 38. Homo. Serie F. Sechs Querschnitte durch die Anlage des oberen Caninus. Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. 51 Anlage vom oberen medialen Incisivus beim menschlichen Embryo H. Diese Serie ist besonders lehrreich, denn sie bringt nicht nur das Schmelz- septum zur Schau, sondern ebenfalls die besonderen Bildungen, Avelche wir schon früher kennen gelernt haben. Die Skizze 39 a z. 13. konnte fast als ein vollständiges Schema der Anhige eines Primatenzahnes gelten. In Skizze a erkennt man die generelle Zahnleistc, die vom Mund- höhlenepithjcl ausgeht und sich in die mediale und laterale Schmelz- leiste trennt. Die mediale ist hier die längere. Zwischen beiden spe- ziellen Leisten und der Knppe des Schmelzorganes findet sich die sehr geräumige Schmelznische. Am Schmelzorgan ist die Amelo- blastenschicht und das äußere Epithel, sowie die eine einheitliche Masse bildende Schmelzpulpa sofort zu erkennen. Von einem Schmelz- septum ist nichts zu sehen. Im nächsten Schnitt {b) hat sich am Leisten- Fig. 39. Homo. Serie H. Sagittale Schnitte durcli die Anlage des oberen medialen Incisivus. System nichts geändert, doch im Schmelzorgan ist eine Verdickung des Stratum intermedium zu konstatieren. Dieselbe ist im Schnitt c stärker ausgeprägt und gleichzeitig erscheint an der Kuppe des Or- ganes, von der Innenfläche des äußeren Epithels ausgehend, eine Sprosse, welche der Verdickung des basalen Stratum intermedium entgegenwächst. Im nächsten Schnitt {d) hat sich diese Sprosse mit der verdichteten Stelle des Stratum intermedium verbunden und die Pulpamasse wird im Niveau dieses Schnittes vollständig in eine bukkale und linguale Hälfte getrennt. Ich mache darauf aufmerksam, daß auch hier wieder die mediale Schmelzleiste und die laterale je an einer anderen Seite der Anheftungsstelle des Septum am äußeren Epithel mit dieser epithelialen Membran sich verbinden. Allerdings liegt die Ansatzstelle der lateralen Schmelzleiste jener des Septum sehr dicht genähert, aber sie fallen nicht zusammen. Wenn solches — wie z. B. in Fig. 38 — der Fall ist, hat nuui es mit einer Folge von Verschiebung zu tun (man vergleiche das früher darüber Gesagte). Auch in Schnitt e ist das Septum noch vollständig, es hat sich jedoch die laterale Schmelzleiste von der generellen Zahnleiste getrennt, 4* 52 Zweites Hauptstück. bleibt jedoch noch in allen folgenden abgebildeten Schnitten als eine von der Knppe des Schmelzorganes ausgehende Sprosse bemerkbar. In Schnitt / ist das Septum nicht mehr komplett, es hat sich vom äußeren Epithel zurückgezogen, und die bukkale und hnguale Pulpamasse hängen wieder zusammen. In den Schnitten g und h wird die Scheide- wand immer unvollständiger und im Schnitt / ist keine Spur mehr davon anwesend. Auch hat sich hier die Verbindung des Organes mit der medialen Schmelzleiste gelöst. Wenn man mit Hilfe dieser Skizzen die Form des Septum rekonstruiert, dann erscheint es auch hier wieder als ein Strang von pyramidenförmiger Gestalt, die breite Basis wii'd durch das Stratum intermedium dargestellt, die Spitze geht in das äußere Epithel der Kuppe vom Schmelzorgan über. ' Ich hoffe, daß das Vorangehende genügt für eine Vorstellung von Entstehungsweise, weitere Entwicklung und topographische Beziehung des Schmelzseptum. Wir werden jetzt einiges über die histologische Differenzie- rung und über die Beziehung zum äußeren Epithel mitteilen. Das Septum macht sich zuerst bemerkbar, wenn die Schmelzpulpa sich zu bilden beginnt. Es entstehen in ihm keine interzellulären Räume und es behalten einige Zeit seine Elemente ihren früh-embryonalen Charakter: kleine Kerne, welche dichtgedrängt liegen und von wenig Plasma umgeben sind. Die Kerne sind rund und es hat das Gebilde wie auch das Stratum intermedium mehr den Aspekt einer embryonalen Mesenchymmasse als jene eines Epithelgewebes. Dieser Cha- rakter behält auch die periphere Zone des Fig. 40. Homo D. Quer- schnitt durch den ersten oberen Molaren.' Emailoraanes noch längere Zeit. Bekannt- lich nehmen hier j edo ch die ob erf lächKchst en Zellen eine mehr abgeplattete Gestaltan. Wenn einmal die Schmelzpulpa vollständig entwickelt ist und das ganze Organ als ein prall angeschwollenes erscheint, hat sich auch im Schmelzseptum eine wichtige Differenzierung eingestellt, welche man jedoch nur bei günstiger Schnittrichtung zu beobachten Ge- legenheit hat. Wenn man nändich das Septum gerade der Länge nach durchschneidet, dann bemerkt man, daß die Zellen sich gestreckt haben, mehr plattenförmig geworden sind. Es sei dazu auf Fig. 40 verwiesen, welche einen transversalen Schnitt durch das Schmelzorgan des ersten oberen Molaren des menschhchen Embryo D darstellt. Es war in dem Präparat gerade die erste Tätigkeit der Odontoblasten bemerkbar. Was nun die Zusammensetzung des Septum betrifft, ist es deutlich, daß die in das äußere Epithel übergehenden Zellen sich in der Längs- richtung des Septum gestreckt haben, sie scheinen gleichsam vom äußeren Epithel in die Pulpamasse des Organes einzuströmen. In der Mitte setzen sie sich in den mehr rundkernigen Elementen des Stratum intermedium fort. Sehr interessant ist nun die Beziehung des Septum zum äußeren Epithel. Denn an der Stelle, wo es sich an diesem Epithel ansetzt, bildet die Oberfläche des Organes eine deutliche Vertiefung. Für diese Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. 53 Erscheinung — die, wie aus den folgenden Figuren hervorgeht, keine Zufallsbildung ist — möchte ich den Namen ,, Schmelznabel" vor- schlagen. Es ist dieser Nabel nicht an allen Präparaten mit gleicher Deutlichkeit anwesend, man muß, um denselben zu sehen, die ge- eigneten Entwicklungsstadien wählen. Und öfters ist er noch undeut- hch, da, wie es z. B. in Fig. 38 der Fall ist, die laterale Schmelzleiste sich gerade am Rande des Nabels am Schmelzorgan ansetzt. Doch bestätigt auch diese Figur das Vorkommen dieser Einsenkung im Schmelzorgan des Menschen. Bei gut gelungener Schnittrichtung macht es nun auch beim Menschen sehr stark den Eindruck, als biege sich das äußere Epithel am Nabel einwärts im Schmelzseptum um. Bei anderen Primaten ist das bisweilen sehr deutlich und es ist schließhch nicht zweifelhaft, daß eine wirkliche Einbiegung des äußeren Mantels des Schmelzorganes nach innen stattfindet. Wenn dann, wie in Fig. 38, die laterale Schmelzleiste gerade am .;.■.... Rande des Schmelznabels ansetzt, macht es den Eindruck, als bildete das Septum die Fortsetzung jener Leiste. Bei Propithecus habe ich von dieser Umbiegung des äußeren Epithels im Schmelzseptum sehr schöne Bilder gefun- den. So gebe ich in Fig. 41 einen Schnitt durch das Schmelzorgan vom oberen ersten Incisivus von Propithecus A. Der Schmelz- nabel ist sehr deutlich, findet sich auf der Kuppe des Organes. Die Platten- epithelien des äußeren Epithels biegen sich von beiden Seiten in der Nabelwand nach innen und das Septum ist nichts anderes als die Fortsetzung jenes Epithels. Daß dieses wirklich so aufzufassen ist, geht daraus hervor, daß in der Tiefe der Nabel- grube das äußere Epithel eine Unterbrechung aufweist, dasEpithellager der einen Hälfte ging nicht direkt in jenes der anderen Seite des Nabels über. Noch deutlicher war das beim in Fig. 42 abgebildeten Fall. Es betrifft hier sechs aufeinander folgende Schnitte durch das Schmelz- organ vom zweiten unteren Molaren von Propithecus B. In allen Schnitten bildet das äußere Epithel an der bukkalen Seite die bekannten Epithelwucherungen. Im Schnitt a ist vom Nabel noch nichts zu sehen. Das Stratum intermedium bildet einen etwas ausgezogenen Gipfel als erste Andeutung des Schmelzseptum. In Schnitt b hat letzteres das äußere Epithel erreicht, die Kerne erscheinen wie jene des Stratum punktförmig, eine Folge der Schnittrichtung. An der Oberfläche des Organes erscheint medial des mit Exkreszenzen besetzten Feldes eine noch undeutliche unregelmäßige Einsenkung, die im folgenden Schnitt (c) zu einer Grube geworden ist. und die Septalzellen strömen aus dem Boden dieser Grube fontäneartig ins Innere des Organes ein, um unter allmähhcher Verbreiterung ins Stratum intermedium überzugehen. Es war nicht zweifelhaft, daß in der Tiefe dieser Grube das äußere Epithel unterbrochen war, da die Zellen desselben, ihren Charakter ein wenig ändernd, sich in dem Septum fortsetzen. Fig. 41. Propethicus A. Schnitt durch die Zahnanlage des oberen ersten Incisivus. 54 Zweites Hauptstück. Gleiches war noch der Fall im nächsten Schnitt {d). Hier war der Schmelznabel am tiefsten, das Septum am vollständigsten ent- wickelt. Die Struktur der Scheidewand war hier, da der Schnitt wohl ungefähr der Längsachse des Septum folgte, äußerst klar zu sehen. Und es bUeb auch hier kein Zweifel übrig, daß das äußere Epithel sich in die Scheidewand umbiege. Im folgenden Schnitt {e) ist die Verbindung zwischen Septum und Boden des Schmelznabels gelöst, die Kontinuität des äußeren Epithels wieder hergestellt, während im letzten abgebildeten Schnitt vom Schmelznabel nichts mehr, vom Schmelzseptum nur die letzte Andeutung zu sehen war. Es sind, hoffe ich, die gegebenen Figuren genügend, um die Beziehung des Schmelzseptum zum äußeren Epithel des Schmelz- organes klarzulegen, r Das Septum erscheint zur Zeit, als die zelli- gen Elemente des Or- ganes ihre definitive Gestalt erlangt haben, als ein Produkt des äußeren Epithels, und zwar in der Weise, daß sich letzteres nach innen einstülpt. Zwar ist dieser Zustand nur an einer ganz be- schränkten Stelle zu beobachten, aber man behält dabei im Auge, daß in jenem Entwick- lungsstadium das Sep- tum der Form und Größe noch relativ schon bedeutend zu rückgebildet ist, daß es nicht mehr die Bedeutung eines Septum im eigentlichen Sinne hat, sondern zu einem Strang geworden ist. Aber wenn man an diesem Strang so deuthch die Beziehung zwischen Septum und äußerem Epithel feststellen kann, dann war diese Relation auch anwesend in jenem früheren Stadium, wenn sich das Septum noch durch das ganze Organ erstreckt. Man ist jedoch nicht imstande, von früheren Entwicklungsstadien die Beziehung zwischen Septum und äußerem Epithel nachzuweisen, da diese erst mit der histologischen Differenzierung kennbar wird. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die nachgewiesene Beziehung bei Em- bryonen anderer Säugetiere auch in jüngeren Stadien, wenn das Septum vollständiger ist, sich nachweisen läßt. Für die Primaten darf es wohl als feststehend betrachtet werden, daß das Septum nicht als eine Wucherung des äußeren Epithels zu deuten ist, sondern dadurch entsteht, daß letzteres nach innen biegt, um in dem Stratum intermedium sich fortzusetzen. In der mir zur Verfügung stehenden deutschen Literatur habe ich eine Beschreibung dieser Bildung nicht angetroffen. Das ist wohl Fig. 42. Propithecus B. Sechs Schnitte durch die Anlage des zweiten unteren Molaren. Das Schmelzseptum und der Schmelznabel. 55 befremdend, da schon im Jahre 1864 Waldeyer die Elemente des Septuni gesehen und beschrieben hat. Nur die Deutung, daß es ver- schleppte Elemente des Stratum intermedium sein sollten, muß ich ablehnen. Sie sehen in einer früheren Periode zwar ganz als Inter- raediumzellen aus, später nehmen sie jedoch, wie gezeigt, den Charakter der Elemente des äußeren Epithels an. In der französischen Literatur fand ich bei Renauti), S. 248 des zweiten Teiles folgende Bemerkung, die ich in Übersetzung wiedergebe: Dieses System (nämlich die Amelo- blastenschicht und das Stratum intermedium) bildet auf dem Gipfel der Zahnpapille einen Kegel, dessen Spitze sich aufwärts richtet und das Innere des Schmelzorganes in zwei Gebiete zerlegt, ein inneres und ein äußeres. Dieser Kegel bildet gerade die Eruptionsachse des Zahnes, weshalb ich ihm den Namen ,, Führungskegel" beilege („Cöne adamantin directeur"). Der Autor beschreibt hier offenbar die spätere Form des Septum, wenn es von pyramidaler Gestalt ge- worden ist. Ich meine, durch die gegebenen Beispiele das Schmelzseptum und der Schmelznabel in ihren allgemeinen Zügen genügend kennen gelernt zu haben. Wir haben es hier zu tun mit Bildungen, welche ebenso- wenig wie die laterale Schmelzleiste und die Schmelznische eine aktive Rolle spielen bei der Zahnentwicklung, sie treten infolge der Diffe- renzierung in Erscheinung. Sie sind mit den beiden genannten als „wertlose Nebenprodukte" zu betrachten, welche bei der Genese des Zahnes gebildet werden, denn ihre Entstehung ist nicht Zweck der Genese, sondern eine notwendige Folge. Mit dem Mechanismus der Zahnentwicklung als solche bei den Primaten stehen sie nur in einer sehr entfernten Beziehung. Aber desto größer ist wohl ihre historische Bedeutung. Denn wo wir schon auf Grund des Vorkommens zweier Schmelzleisten schheßen konnten, daß der Primatenzahn eine Doppel- bildung ist, aus einem bukkalen und lingualen Komponent zusammen- gesetzt, da erlangt diese Behauptung festeren Grund durch den Nach- weis vom Auftreten zweier Pulpabildungszentren, welche durch ein Septum getrennt waren, das bald der Reduktion anheimfällt. Die histologische Differenzierung des Schmelzorganes zeugt ebenso stark für die Doppelnatur desselben als dessen Beziehung zur Zahnleiste. Und wo der Nachweis zweier Schmelzleisten Anlaß w^nr, um in dem Schmelzorgan zwei Hälften zu unterscheiden, jede Hälfte mit einer der Leisten in Beziehung stehend, da können wir jetzt einen Schritt weiter gehen und die Vermutung aussprechen, es sei das Schmelz- organ des Primatenzahnes ein zusammengesetztes Gebilde, es be- steht aus zwei einander eng angeschlossenen Einzelorganen, welche je mittels ihrer eigenen Schmelzleiste mit der generellen Zahnleiste zusa mmenhängen. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf diese kurze Andeutung meiner Auffassung über Schmelzseptum und Schmelznabel. Im Schluß- abschnitt dieser Arbeit werde ich die Frage beantworten, welches Licht die ontogenetische Entwicklung des Primatenzahnes in der Form, welche wir jetzt kennen gelernt haben, auf die Phylogenese des Gebisses dieser Säugergruppe wirft. 1) J. Renaiit, Traite d'histologie pratique. Paris 1897. Drittes Hauptstück. Die Nebenleiste (rudimentäre Zahndrüsenleiste). Ich wende mich jetzt einer dritten Erscheimmg in der Entwick- hmg des Primatengebisses zu, welche schon lange meine Aufmerk- samkeit gefesselt hat, nänüich jene Bildung, die ich als ,, Nebenleiste" bezeichnen möchte. Über die Bedeutung dieser Bildung war ich lange im Unsicheren; anfänglich war ich der Meinung, daß es sich hier um eine rudimentäre Zahnleiste handelte, und daß somit bei den Primaten eine doppelte Zahnleiste auftreten sollte. Diese Ansicht war allerdings berechtigt, da bei gewissen Entwicklungsstadien die Nebenleiste in der Tat die Vermutung wachruft, es handle sich hier um eine rudi- mentäre Bildung, welche an der Entstehung der Molaren sich be- teilige. Die fortgesetzte Untersuchung hat mich indessen von der Unrichtigkeit dieser Vermutung überzeugt. Doch hat die Deutung dieser Leiste viele Schwierigkeiten gemacht und es hat lange ge- dauert, ehe ich die befriedigende Erklärung gefunden hatte. Auch in diesem Punkt hat die Untersuchung des Reptihengebisses die end- gültige Lösung gebracht. In seiner jüngsten Abhandlung^) kommt auch Adloff auf diese Bildung zu sprechen, hat dieselbe bei drei menschhchen Embryonen beobachtet und gründet auf diese Beobachtung weitgehende ent- wicklungsgeschichthche Spekulationen. Der Autor benutzt die Be- obachtung, um noch einmal gegen meine Hypothese der terminalen Reduktion des Primatengebisses das Wort zu ergreifen. Ich werde an der Adloff sehen Erklärungsweise keine Kritik üben und auch nicht den Wert seiner Beobachtung als Beweis gegen die Richtigkeit meiner Hypothese einer Prüfung unterwerfen, die in diesem Kapitel zu beschreibenden Tatsachen genügen für ein vernichtendes Urteil über ,, diesen weiteren einwandfreien Beweis für die Unmöglichkeit der von Bolk inaugurierten, wenig glücklichen neuen Theorie von der Differenzierung des Primatengebisses", wie Adloff 1. c. S. 397 es ausdrückt. Um die Adloff sehe Ansicht kennen zu lernen, werde ich mir erlauben, aus seinem Aufsatz die bezüglichen Sätze zu zitieren. Der Autor untersuchte einen ca. 9 wöchigen, einen 12 wöchigen Embryo und einen, der etwas jünger war als letzterer. ,,Das jüngste Stadium", sagt der Autor 1. c. S. 393, ,,bot für meine Zwecke nichts besonders 1) Zeitschr. f. Morph, u. Antlirop., Bd. XV, S. 301. Die Nebenleiste. 57 Bemerkenswertes! Interessant war schon die Durchsicht der mir von Herrn Prof. Kallius überlassenen Serie. Labial der Anlage des ersten Milchmolaren im Unterkiefer senkt sich hier nämhch vom Mund- höhlenepithel ein ziemlich starker Fortsatz ins Bindegewebe hinein. Derselbe ist eine Strecke weit verfolgbar, ohne daß aber eine weiter- gehende Differenzierung zu bemerken wäre. Wichtiger und entscheidend für die Bedeutung des Befundes war das älteste Stadium. „Kurz vor der Anlage des ersten Milchmolaren im Unterkiefer erscheint auch hier labial der Schmelzleiste ein weiterer Fortsatz des Mundhöhlenepithels, der nach einigen Schnitten deuthch die Form eines rudimentären Schmelzkeimes annimmt. Diese zweite Schmelzleiste bleibt immer labial der Anlage des ersten Milchmolaren während 59 Schnitten verfolgbar und läßt gegen Ende desselben noch einen zweiten rudimentären Schmelzkeim hervorgehen. Daß es sich hier direkt um einen Schmelzkeim handelt, geht aus der Betrachtung bei stärkerer Vergrößerung ohne allen Zweifel hervor. Nach einigen Schnitten verschwindet dann diese sekundäre Schmelzleiste. Die rudimentären Zahnanlagen sind auch noch weiter entAvicklungsfähig; das geht aus dem einzelnen Schnitt hervor, der augenscheinlich einem noch älteren Stadium entstammt. Hier ist der Schmelzkeim größer und kappenförmig eingestülpt, damit sind auch wohl die Grenzen der Entwicklungsfähigkeit erreicht, denn es scheint gerade hier eine Loslösung vom Mundhöhlenepithel zu erfolgen." ,,Es erhebt sich nun die Frage, was diese Anlagen vorstellen? Ich habe zunächst daran festgehalten, daß es sich in der Tat um prä- lakteale Anlagen handelt, habe dann aber diesen Gedanken fallen lassen müssen. Gegen diese Annahme spricht vor allen Dingen die weite Ausdehnung dieser zweiten Schmelzleiste und ihre zeitlich lange Konstanz, wie sie in diesem Maße bei prälaktealen Resten niemals beobachtet worden ist." ,, Gehören die rudimentären Schmelzkeime aber nicht der prä- laktealen Reihe an, so können es nur die letzten Reste der dem Menschen verloren gegangenen Prämolaren sein; dann bliebe zunächst die weit labialwärts gerückte Lage zu erklären. Die räunüiche Trennung der ursprünglich zu derselben Dentition gehörenden Anlagen müßte dann als Folge aufgefaßt werden einer durch die im Ij'Uife der Stammes- geschichte eingetretenen Kieferverkürzung hervorgerufenen Einfaltung der Schmelzleiste. Es ist diese Annahme um so wahrscheinlicher, als sich ähnliche Vorgänge auch gegenwärtig im menschlichen Gebiß wiederum abspielen." Der Autor führt dann zum Beweise das in Fig. 19 der vorliegenden Arbeit wiedergegebene Bild an, das auch schon in meiner Abhandlung über die Entwicklung des Gaumens Aufnahme fand, und interpretiert es in vollständig verfehlter Weise, worauf an geeigneter Stelle schon hingewiesen wurde. Die hypothetischen und in diesem Falle auf unrichtigen Grundanschauungen basierten Fal- tungen der Zahnleiste genügen jedoch dem Autor für die Behauptung, .,daß wir nunmehr mit Sicherheit annehmen können, daß es sich um die Reste der verloren gegangenen Prämolaren handelt". Es bemerkt der Autor auch noch, daß im Oberkiefer Spuren dieser ausgefallenen Zähne nicht nachgewiesen werden. Und die Er- klärung ist wieder ganz naheliegend! ,,Es ist", sagt er 1. c. S. 397, „das nicht weiter auffallend! Fast allgemein ist der Unterkiefer das 58 Drittes Hauptstück. konservativere Element. Es liegt das wohl daran, daß der Oberkiefer ein integrierender Teil des Schädels ist und an den sich hier abspielenden Unifornmngen in erster Linie teilnimmt, während der Unterkiefer als besonderer Knochen erst seknndär in Mitleidenschaft gezogen wird". Bis so weit die Adloffschen Erörterungen. Es sind dieselben so ausführhch zitiert, um den Autoren gerecht zu sein und um dem Vorwurf zu entgehen, von seinen Auffassungen eine unvollständige Darstellung gegeben zu haben. Gehen wir jetzt zu den Tatsachen über. Ich werde die Beschreibung des Gebildes, worum es sich hier handelt, anfangen mit jenem Objekt, an dem ich dasselbe zuerst be- obachtete, um daran die verschiedenen Erklärungsversuche anzu- knüpfen, welche ich im Anschluß an den Befund in Überlegung nahm. Es betraf einen jungen Embryo von Macacus cynomolgus, bei dem der zweite Milchmolar das kappenförmige Stadium erreicht hat. Die Fig. 43 bringt eine Serie Schnitte durch die Mundhöhlenschleimhaut mit der Zahnleiste in Ober- und Unterkiefer. Die Schnittdicke betrug 20 [L. Die Schnitte sind um den anderen abgebildet. In Skizze a sind untere Zahnleiste und Schmelzorgan von ni, leicht zu erkennen, die Wangenschleimhaut setzt sich auf den Oberkiefer fort und läßt die obere Zahnleiste aus ihr entstehen. Im Oberkiefer ging der Schnitt hinter der Anlage des nu. Diese Skizze bietet nichts Besonderes, als eine niedrige Erhebung vom Epithel an der Stelle, wo die obere Zahnleiste sich am Kieferepithel ansetzt. Zwei Schnitte weiter (Fig. 43 b) ist diese Erhebung zu einer wirklichen Sprosse gew^orden, welche ich gleich mit dem vorgestellten Namen ,, Nebenleiste" anführe. Letztere entsteht hier somit in unmittelbarer Berührung mit der Zahnleiste. In der Umgebung der unteren Zahnleiste gewahrt man gerade an der Ecke, wo die Wangenschleimhaut sich auf die Kieferwölbung um- biegt, eine zweite wenig erhabene Epithelverdickung, es ist die erste Andeutung der unteren Nebenleiste. In Skizze c ist letztere nur wenig vergrößert, die obere Nebenleiste scheint eine etwas breitere Ver- bindung mit der Zalmleiste bekommen zu haben. In d ist das noch deutlicher der Fall, die untere Nebenleiste ist auf dem Durchschnitt etwas vergrößert. In e hat die untere Nebenleiste die Form einer zienüich hohen schmalen Sprosse angenommen, welche gerade wie die obere Nebenleiste bei ihrem ersten Erscheinen Ausgang aus der An- satzstelle der Zahnleiste am Kieferepithel nimmt. Die obere Neben- leiste hat ihre Verbindung mit der Zahnleiste weiter ausgedehnt, am bukkalen Epithel tritt eine Drüsenanlage auf. In / ist die Verbindung zwischen Zahnleiste und Nebenleiste so weit gegangen, daß beide aus einer gemeinschaftlichen Epithelknospe hervorzugehen erscheinen, die untere Nebenleiste hat sich der Zahnleiste mehr genähert. Diese Annäherung ist die einleitende Phase zu dem Abschnürungsprozeß, der in den nächstfolgenden Schnitten zustande kommt. In g hat sich die Zahnleiste mit der von ihrem oberen Ende jetzt senkrecht ausgehen- den Nebenleiste tiefer ins Kiefermesenchym gesenkt, ist jedoch noch durch eine dicke Zellmasse mit dem Oberflächenepithel in Ver- bindung. In h und i schreitet dieser Prozeß weiter, indem sich zwischen Wange und Kiefer eine gewaltige Epithelanhäufung entwickelt. Es bleibt dabei die Nebenleiste in ständiger Verbindung mit dem oberen Ende der Zahnleiste. In / macht sich eine Einschnürung bemerkbar, Die Nebenleiste. 59 welche jedoch den Zusammenhang zwischen Zahnleiste und Nebenleiste nicht berührt. Jetzt wird es schon deutlich, daß die Nebenleiste mit der Zahnleiste zusammengehört, was schließlich wohl durch die nächste Skizze k außer Zweifel gestellt wird. Hier ist die Abschnürung voll- ständig und es ist wohl unzweifelhaft, daß mit der Zahnleiste auch die Fig. 43. Macacus cynomolgus. Hinterer Teil der Zahnleiste im Ober- und Unterkiefer. Nebenleiste vom Mundhöhlenepithel abgetrennt worden ist. Zu- sammen bilden sie jetzt ein auf Querschnitt hackenförmiges Gebilde, das ganz frei im Kiefermesenchym Hegt. Die Nebenleiste weicht senkrecht von der Zahnleiste ab und ist allerdings der kürzere Komponent. In den Skizzen l und m, werden Zahnleiste und Nebenleiste kleiner 60 Drittes Hauptstück. und an dem letzten abgebildeten Schnitt — es war der letzte, in dem die Zahnleiste noch getroffen wird — verrtät die Nebenleiste sich nur durch eine geringe Anschwellung der Zahnleiste. Die obere Nebenleiste schwindet etwas früher. In Skizze g er- scheint sie schon als eine von der bukkalen Fläche der Zahnleiste unter scharfem Winkel abgehende Sprosse, welche in h kürzer geworden ist, in /■ noch als eine niedrige epitheliale Erhabenheit an der Außen- fläche der Zahnleiste bemerkbar ist, in / nur eine geringe Anschwellung bildet, und in h nicht mehr bemerkbar ist. Jetzt verschmälert und er- niedrigt sich auch noch die Zahnleiste, aber es kommt nicht wie bei der unteren zu einer Abschnürung vom Kieferepithel, undin dem zwischen m und n liegenden Schnitt ist von der oberen Zahnleiste nichts mehr zu sehen. Zusammenfassend hat diese Skizzenserie die folgenden Erschei- nungen ans Licht geführt. Es gibt bei diesem Macacus eine epithehale Leiste, welche sich in unmittelbarer Berührung mit der Zahnleiste aus deui Epithel des Unterkiefers und des Oberkiefers bildet. Diese Leiste bleibt in inniger Beziehung zur Zahnleiste, tritt am Oberkiefer auf die bukkale Fläche der Zahnleiste über, am Unterkiefer wird sie gemeinschafthch mit der Zahnleiste abgeschnürt und bleibt dabei ständig mit dem oberen Ende dieser Leiste in Verbindung. Sie streckt sich am Unterkiefer bis zum hinteren Ende der Zahnleiste aus, im Ober- kiefer verschwindet sie etwas vor dem hinteren Ende der Leiste. Dieser Unterschied ist jedoch nur nebensächlich. Wenn ich diesen Befund gemacht hatte, erhob sich natürlich unmittelbar die Frage nach der Bedeutung dieses Gebildes. Verschiedene Möghchkeiten verdienten Überlegung. Es konnte sein, daß die Leiste einer prälaktealen Anlage entsprach, oder daß sie das Homologen der im vorangehenden Abschnitt beschriebenen lateralen Schmelz- leiste war, welche an den schon zur Anlage gelangten Zähnen dieses Embryo sehr deuthch entwickelt war. Dann mußte es die laterale Schmelzleiste für die noch nicht differenzierte Anlage der ersten Molaren sein. Es konnte jedoch auch sein, daß man es hier mit einer besonderen Leiste zu tun hat, welche speziell zu der Anlage der bleibenden Molaren in irgendwelcher Beziehung stand. Dann würden somit die bleibenden Molaren von den übrigen Zähnen in ihrer Anlage dadurch differieren, daß sie nicht ausschheßlich aus der generellen Zahnleiste gebildet wurden, sondern aus dieser unter Mitbehelf einer besonderen Leiste. Konnte es weiter nicht sein, daß diese Leiste eigentlich die zur Seite gedrungene Milchzahnleiste war, woraus folgen sollte, daß die bleibenden Molaren nur Produkte der Zahnleiste der bleibenden Zähne wären und also homolog mit den Elementen des bleibenden Gebisses. Oder konnte es vielleicht auch sein, daß das Gebilde mit der Zahnanlage in gar keiner Beziehung stand, und nur die vestibuläre Leiste darstellte, welche im hinteren Abschnitt des Mundes sich etwas abweichend verhielt? Alle diese Möghchkeiten drängten sich allmählich auf. Und bei weiter fort- gesetzter Untersuchung neigte ich mich bald mehr dieser, bald mehr jener Ansicht zu. Eine mir genügende Entscheidung konnte ich nicht nehmen, bis die Untersuchung an Reptiliengebissen die wahre Natur der Bildung ans Licht brachte. Der Gedanke, daß es sich hier um ein Knickungsprodukt der Zahnleiste handelte (vide Adloff) kam nicht bei mir auf, da die Be- Die Nebenleiste. 61 Ziehung dieser Nebenleiste zur Zahnleiste eine derartige Entstehungs- weise von selbst ausschloß. Denn wir haben es hier mit einer Leiste zu tun, die im Unterkiefer vom oberen Kande der Zahnleiste unter einem geraden Winkel abgeht und somit horizontal gestellt ist, im Ober- kiefer unter einem mehr scharfen AVinkel. In beiden Fällen ist die Nebenleiste der Länge nach mit der Zahnleiste verbunden. Von einer Entstehung durch Auswärtsbiegung und Knickung der Zahnleiste kann daher wohl keine Rede sein. Es schien mir anfänghch die Ansicht am wahrscheiidichsten, daß die Nebenleiste das Homologon bei den bleibenden Molaren der lateralen. Schmelzleiste bei den Milchzähnen war. Daß diese Ansicht jedoch unrichtig war, wurde im Laufe der weiteren Untersuchung deutlich. Denn bei Embryonen, die schon so alt waren, daß auch das Organ des ersten bleibenden Molaren ziemlich weit entwickelt ist, erwies es sich, daß zwischen Nebenleiste und lateraler Schmelzleiste gar keine Beziehung besteht, beide Bildungen entwickeln sich ganz unabhängig voneinander und bestehen gleichzeitig. Daß auch bei den bleibenden Molaren eine laterale Schmelzleiste zur Entwicklung kommt, ist schon im ersten Hauptstück nachgewiesen, Fig. 44. Mycetes D. Hinterer Teil der unteren Zahnleiste mit der Anlage des ersten bleibenden Molaren. doch werden die unten folgenden Beispiele diese Tatsache weiter be- gründen. Ich gebe in Fig. 44 eine Serie Schnitte durch die Anlage des unteren ersten bleibenden Molaren von Mycetes Serie D. In den Skizzen a und h sind Zahnleiste und Nebenleiste sofort zu erkennen, letztere geht wieder vom Mundhöhlenepithel aus an der gleichen Stelle wie die Zahnleiste. In Schnitt c und d erscheint bukkal von der Zahn- leiste das Schmelzorgan des ersten Molaren und biegt das untere Ende der Zahnleiste medialwärts. Die Nebenleiste verändert sich nicht, sie bleibt mit dem Epithel an gleicher Stelle wie die Zahnleiste verbun- den. In Schnitt e erscheint an der Knickungsstelle der Zahnleiste die erste Andeutung der lateralen Schmelzleiste, welche der Anlage des ersten Molaren zustrebt. In Schnitt / hat sich die kurze laterale Leiste 62 Drittes Hauptstück. unregelmäßig verdickt, berührt das Schmelzorgan, um im nächsten Schnitt mit demselben sich zu verbinden. Die Verschmelzung findet an der Spitze des Organes statt. Im Schnitt h und t nimmt das Organ die mehr regelmäßige Glockenform an, steht jedoch immer noch mittels der lateralen Schmelzleiste mit der Zahnleiste in Verbindung. Die Nebenleiste verändert ihren Charakter nicht, sie bleibt der Anlage des Molaren fern. Im Schnitt / ist auch die zweite Verbindung durch die mediale Schmelzleiste zustande gekommen, und die Schmelznische ist abgegrenzt. Wir nähern uns inzwischen der Stelle, wo die Zahnleiste sich vom Mundhöhlenepithel abschnüren wird. Es macht sich im Schnitt k schon eine deutliche Einschnürung der Verbindung mit Kiefer- und Wangenepithel bemerkbar, und im nächsten Schnitt / ist die Ab- trennung vollzogen. Nun tritt hier wieder der gleiche Zustand auf wie beim Macacus, daß nämlich die Abschnürung gerade an jener Stelle sich vollzieht, wo Zahnleiste und Nebenleiste miteinander zusammen- hängen, die Nebenleiste wird als ein offenbar zu ihr gehörendes Element mit der Zahnleiste abgetrennt. Wenn war nun die weiter abgebildeten Schnitte betrachten, dann ist die Nebenleiste fortwährend als eine hakenförmig abgebogene Sprosse am oberen Ende der Zahnleiste zu verfolgen, und wie beim Macacus streckt sie sich bis zum liintersten Ende der Zahnleiste aus und erlöscht gleichzeitig mit dieser. Von einer Beziehung zur lateralen Schmelzleiste der Anlage von M^ ist nichts zu bemerken. Dieser Fall an sich ist schon genügend, um jede Möglich- keit einer Identität von Nebenleiste und lateraler Schmelzleiste zu be- seitigen. Beide Bildungen sind zwei ganz unabhängig voneinander vorkommende Erscheinungen bei der Zahnentwicklung. Um diese Tatsache möglichst fest zu begründen, habe ich von dem hinteren Teil der unteren Zahnleiste eines etwas älteren Embryo von Mycetes (Serie B) ein Modell angefertigt, das in Fig. 45 wiedergegeben ist. Es ist ein Teil des Mundhöhlenepithels dargestellt und die da- von ausgehende Zahn- leiste, die an der buk- kalen Seite die Anlage vom ersten bleibenden Molaren trägt. Die topographischen Ver- hältnisse sind an der Figur leicht ersichtlich. Die Zahnpapille ist schon tief ins Schmelz- organ eingedrungen. Von der bukkalen Seite des Organes geht die laterale Schmelzleiste ab, welche das Organ zu überwölben scheint. Die Schmelznische war schon nicht mehr vollständig, ist schon kanalförmig geworden. Zwischen Schmelzorgan und lateraler Schmelz- leiste sieht man in die Lichtung dieses Kanales. Von der Ansatzlinie der generellen Zahnleiste am Mundhöhlenepithel geht die Nebenleiste Fig. 45. Mycetes Ä Hinterer Teil der Zahnleiste des Unterkiefers mit Nebenleiste und Anlage von M^. Die Nebenleiste. 65 ab, welche mit der Zahnleiste verbunden bleibt, auch dann, wenn der Zusammenhang mit dem Mundhöhlenepithel gelöst ist. Sie stellt dann gleichsam den oberen nach außen umgeklappten Rand der Zahn- leiste dar, der bis zum hinteren Ende zu verfolgen ist. Auch diese Abbildung bringt einen einwandfreien Beweis, daß zwischen Xebenleiste und lateraler Schmelzleiste der bleibenden Molaren keine Beziehung besteht. Letztere betragen sich — es ist nicht überflüssig das noch einmal zu wiederholen — in ihrer Anlage und Entwicklung vollständig wie die Zähne des Milchgebisses. Es fehlt jede Andeutung eines diver- gierenden Entwicklungsganges. Vergleicht man die bei Mycetes bekannt gewordenen Verhältnisse mit jenen bei Macacus, dann wird man über die Natur der Nebenleiste doch wohl etwas unterrichtet. Beim Macacusembryo war die Zahnleiste bis kurz liinter dem zweiten Milchmolaren angelegt, bei Mycetes bis hinter dem ersten bleibenden Molaren. Das war in beiden Fällen bis zum hinteren Ende der Zahnleiste. Da der erste bleibende Molar des platyrrhinen Mycetes als das Homologen zu betrachten ist, des zweiten bleibenden Molaren bei dem katarrhinen Macacus, ersehen wir also, daß die Nebenleiste in ihrer Entwicklung nicht auf eine kurze Strecke beschränkt ist, sondern mit dem weiteren Anwachsen der Zahnleiste nach hinten ebenfalls weiter wächst. Die Beziehung zum hinteren Ende der Zahnleiste bei den verschiedenen Embryonen stellt dieses außer Zweifel. Man hat sich den Entwicklungsgang derart vor- zustellen, daß das hintere Ende der Zahnleiste, indem es weiter rück- wärts ins Kiefermesenchym vordringt, seinen oberen Rand sofort bukkalwärts umklappt, der Umbiegungshnie entlang setzt sich dann das Ganze am Mundhöhlenepithel fest. Dieser Vorgang ist natürlich nicht mechanisch gedacht, und es wäre vielleicht richtiger, wenn man sagt, das hintere Ende der Zahnleiste produziert Material zur Verlänge- rung der Zahnleiste und in gleichem Maße zur Verlängerung der mit letzterer verbundenen Nebenleiste. Es bildet somit die Nebenleiste einen integrierenden Bestandteil der generellen Zahnleiste. In der Gegend der jVÜlchmolaren trifft man jedoch die Nebenleiste, wie wir das bald näher zeigen werden, nicht mehr mit der Zahnleiste in Berührung, wenigstens nicht bei etwas älteren Embryonen. Das ist jedoch ein sekundärer Zustand. Die älteste von mir an einer lückenlosen Serie untersuchte Ge- bißanlage betrifft das Embryo Chrysothrix: A, wovon ich in Fig. 46 eine Skizzenserie von Schnitten gebe durch den hinteren Teil der unteren Zahnleiste. An den ersten vier Skizzen ist noch die dem hinteren Teil der Anlage des ersten Molaren entsprechende Anschwellung zu erkennen. Die Schnitte bringen nichts prinzipiell Neues, die Nebenleiste erscheint hier in gleicher Gestalt und Lagerung wie bei Macacus und Mycetes, wird aber ebenfalls mit der Zahnleiste abgeschnürt. Ich möchte jedoch besonders die Aufmerksamkeit auf die Schnitte h, l und m lenken. AVenn man diese drei Schnitte ohne Zusammenhang mit den vorangehenden betrachtet, dann würde man zweifelsohne zu einer falschen Deutung gelangen, denn das Bild ist wohl imstande, den Be- obachter irre zu führen. Es sieht doch die ins lüefermesenchym einge- senkte Epithelleiste ganz so aus wie eine Zahnleiste, die am unteren Ende eine kappenförmige Zahnanlage trägt. Und doch haben wir hier gar nicht mit der Anlage des zweiten bleibenden Molaren zu tun, 64 Drittes Hauptstück. Fig. 46. Chrysothrix A. Hinterer Teil der unteren Zahnleiste mit Nebenleiste. sondern Zahnleiste und Nebenleiste sind in diesen Querschnitten nahezu gleich lang, letztere geht bukkahvärts vom oberen Rande der ersteren ab, und dadurch wird eine von bukkal eingestülpte Zahn- anlage vorgetäuscht. Dieser Fall warnt wieder davor, in bezug auf die Gebißentwicklung doch niemals Behauptungen zu äußern auf Grund isolierter Schnitte, Wir haben jetzt die Nebenleiste in ihren allgemeinen Beziehun- gen zur Zahnleiste ken- nen gelernt. Diese Be- ziehungen sind jedoch nicht immer deutüch, denn bei der weiteren Entwicklung treten be- sonders am vorderen Ende infolge von Ver- schiebung s- und Re- sorptionserscheinungen andere Verhältnisse auf. Bei Untersuchung älterer Embryonen wird es bald klar, daß man es hier mit einer Erscheinung zu tun hat, die wesentlich rudimentärer Natur ist. Denn an der Zahn- bildung beteiligt sie sich — wie wir gezeigt haben — gar nicht, und es ist kein einziger Befund anzuführen, woraus zu folgern wäre, daß sie es jemals getan hat. Nachdem sie einen gewissen Entwicklungsgrad erreicht hat, fällt sie der Regression anheim und verschwindet schließ- lich. Der Reduktionsprozeß äußert sich natürhch zuerst am vorderen Ende. Ich traf ihre Anlage bei den Affen bis in die Gegend des Eck- zahnes. Damit soll jedoch nicht ausgeschlossen sein, daß sie im vorderen Kieferteil sich auch nicht bemerkbar machen kann. Allein Querschnitte durch dieses Gebiet eignen sich nicht, um das festzustellen. Vor der Reduktion erlangt sie eine gewisse Selbständigkeit in der Weise, daß sie sich von der Ansatzstelle der generellen Zahnleiste in bukkaler Richtung entfernt, um als eine isolierte Sprosse aus dem Mund- höhlenepithel bukkal von der Zahnleiste hervorzugehen. Das sind aber sekundäre Verhältnisse. Adloff hat, wie aus den gegebenen Zitaten ersichthch, beim menschlichen Embryo die Reste der Leiste in geringer Entfernung der Ansatzstelle der Zahnleiste am Kiefer- epithel angetroffen, und konnte dieselben bis gegenüber der Anlage der ersten Milchmolaren verfolgen. Die von diesem Autor untersuchten Embryonen waren offenbar schon zu alt, es war dabei schon eine räum- Kche Trennung zwischen Ansatzstelle der Zahnleiste am Kieferepithel und Nebenleiste zustande gekommen. Daß auch beim menschlichen Embryo, beim ersten Auftreten, beide Leisten zusammenhängen, wie wir es bei den Affen beschrieben haben, geht zuerst aus den Figuren 47 und 48 hervor. In der erstgenannten Figur ist die Zahnleiste und Nebenleiste im Oberkiefer vom menschUchen Embryo B abgebildet. Die Nebenleiste. 65 Fig. 48 stellt beide Leisten im Unterkiefer des nämlichen Embryo dar. In letzterer Figur geht der Schnitt durch den hinteren Teil der Anlage von m, in Fig. 47 verläuft der Schnitt gerade hinter der Anlage dieses Zahnes. Man sieht, daß die Lagerungsverhältnisse beider Leisten zueinander im Ober- wie im Unterkiefer vollständig mit jenen bei den Affen übereinstimmen. Es muß bemerkt werden, daß es hier ein Präparat gibt, wo die Nebenleiste besonders im Oberkiefer sehr stark entwickelt war. Das Bild in Fig. 48 kann den Gedanken wachrufen, daß die Neben- leiste die Grundlage des tiefsten Teiles der bukko- gingivalen oder vestibulären Spalte darstellt. Was aber nicht der Fall ist. Weiter nach hinten wird auch hier die Nebenleiste mit der Zahn- leiste vom Mundhöhlenepithel abo'etrennt. ^■•% 's ' . ; .• r-1 !il '' ■■;>^ Fig. 47. Homo. Serie Z?. Zahnleiste und Nebenleiste im Oberkiefer. Fiff. 48. Homo. Serie B. Zahnleiste und Neben leiste im Unterkiefer. Untersucht man sehr junge menschliche Embryonen, dann ruft das Auftreten der Nebenleiste in Zusammenhang mit der ersten Diffe- renzierung des Zahnes bisweilen Verhältnisse ins Leben, die sehr fremd- artig aussehen, und die ich dann auch erst allmählich im Laufe meiner Untersuchung richtig zu deuten gelernt habe. Ich gebe dazu in Fig. 49 einen Schnitt durch den hinteren Teil der Zahnanlage vom menschUchen Embryo Serie Z. Es waren die Gaumenfo tsätze schon oberhalb der Zunge gelagert, berührten einander in der Medianlinie, aber waren noch nicht vollständig miteinander verwachsen. Die Zahnleiste im Unterkiefer bietet nichts besonderes, die Nebenleiste ist noch nicht bemerkbar. Die Zahnleiste im Oberkiefer erscheint dagegen als ein mehr kompliziertes Gebilde, das anfänglich einen etwas fremdartigen Eindruck macht. Die Deutung ist folgende. Man erkennt drei Sprossen. Die meist laterale stellt die erste Anlage der Nebenleiste dar, die beiden medialen die Anlage des ersten Molaren. Der Schnitt geht jedoch noch Bolk, Pie Ontoe;enie der Primatenz.ihne. O 66 Drittes Hauptstüek. nicht diircli die Anlage des Schnielzorganes dieses Zahnes, sondern durch die beiden Leisten, welche mit diesem Organ in Zusammenhang stehen, die laterale der beiden Sprossen repräsentiert die laterale Schmelz- leiste, die mediale ist die erste Andeutung der medialen Schmelzleiste. Drei Schnitte weiter nach hinten sind beide zusammengeflossen, wie wir das im ersten Hauptstück wiederholt beschrieben haben. Die Anlage der Xebenleiste ist auch in diesem Falle in unmittelbarer Ver- bindung mit jener der generellen Zahnleiste. Die Trennung beider Anlagen wird verursacht durch die Ausbildung des Alveolarabschnittes des Kiefers. Infolge der Entstehung desselben werden Nebenleiste und Zahnleiste voneinander getrennt, und die zwischen hnen sich findenden epithelialen Elemente werden für die Bekleidung eines Teiles des Alveolarfortsatzes benützt. Beim Menschen ist das jedoch im Unterkiefer viel deutlicher als im Oberkiefer. Hier bleibt die Nebenleiste der Zahnleiste inniger angeschlossen, wie z. B. aus Fig. 50 ersichtlich, die einen Schnitt durch die Anlage des oberen Fig. 49. Homo. Serie Z. Fig. 50. Homo. Serie V. Schnitt durch die Anhige des oberen zweiten Milchmolaren. zweiten ]\Iilch molaren vom Embryo V darstellt. Man überzeugt sich, daß die Nebenleiste hier mit der bukkalen Fläche der Zahnleiste ver- bunden bleibt. Bei Affen rückt sie auch im Oberkiefer mehr seitlich, emanzipiert sich von der Zahnleiste, wie aus Fig. 51 ersichthch. Diese Figur ist einem Schnitt durch den Oberkiefer von Mycetes A entnommen und liegt hinter der Anlage des zweiten Milchmolaren. Doch es verrät die Nebenleiste auch hier ihre Beziehung zur Zahnleiste noch durch die gleichmäßige Fortsetzung der zylindrischen basalen Epithelien von der einen auf die andere Leiste. Nebenbei sei bemerkt, daß durch die oben gegebenen Beispiele die Behauptung Adloffs, daß im Ober- kiefer die Nebenleiste nicht vorkommen sollte, endgültig wiederlegt ist. Dieser Autor hat weiter darauf aufmerksam gemacht, daß die Leiste lokalisierte Anschwellungen aufweist, und diese Verdickungen sich sogar kappenförmig gestalten können. Er findet an den von ihm unter- suchten Objekten zwei solcher Stellen, die er als Rudimente von Zahn- Die Nebenleiste. 67 Diese eigentümlichen anlagen (ausgeschaltete Milchinolaren) deutet Produkte der Nebenleiste sind auch mir öfters begegnet, und ich gebe z. B. in Fig. 52 die Abbildung eines Schnittes durch den hinteren Teil der Anlage eines ersten oberen Molaren von einem Macacusembryo Bukkal von der Ansatzstelle der Zahnleiste liegt die Nebenleiste, dessen Fig. 51. Mycetes A. Schnitt zwischen den Anlagen des oberen zweiten und dritten Milchmolaren. Fig. 52. Macacus. Schnitt durch die Anlage des ersten oberen Milchmolaren. freier Rand sehr deuthch eine Differenzierung sehen läßt. Es macht ganz den E ndruck, als spaltete er sich in zwei Sprosse. Auch im Oberkiefer des Menschen habe ich diese eigenartigen lokalisierten Anschwellungen gefunden, und gebe zum Beweis in Fig. 53 a und 53 h zwei Schnitte durch den hinteren Teil der oberen Leiste vom menschlichen Embryo A. Der Schnitt a liegt 10 Schnitte vor h. Die • «>** ... • • \i^f>„^ ■■■-■ "•)>., II..,., «.«:^4>>-=^^"^-\>^ ;'',-.j Fig. 53« und 5'.M). Homo. Serie A. Hinterer Teil der oberen Zahnleiste. Nebenleiste, welche in den weiter nach vorn liegenden Schnitten einfach war, schwillt ziemlich rasch an und nimmt auf dem Querschnitt die Form an, wie in Fig. 53 a wiedergegeben, sie wird etwas kürzer unter gleichzeitiger Verbreiterung. Hinter dieser Anschwellung er- langt sie wieder ihre schlanke Gestalt, wie aus Fig. 53 b ersichtlich. 63 Drittes Hauptstück. Hiermit können wir die Beschreibung der Nebenleiste abschließen. Wir haben sie kennen gelernt als eine anfänglich kontinuierlich sich erstreckende Leiste, die bei ihrer Anlage aufs engste mit dem oberen Kande der Zahnleiste, d. h. der Ansatzlinie dieser Leiste am Kiefer- epithel verbunden ist. Wenn sich bei älteren Embryonen die Zahnleiste im hinteren Teil des Kiefers vom Mundhöhlenepithel abschnürt, bleibt die Nebenleiste mit ihr verbunden, um in gleichem Maße als die Zahn- leiste mit dieser nach hinten sich zu verlängern. Im mittleren Teil der Zahnleiste, in der Gegend der Anlage der Milchmolaren, rückt sie im Unterkiefer, und bei den Auen auch im Oberkiefer, seitlich von der Zahnleiste, indem ein Teil ihres Epithels zu Gingivalepithel wird. An bestimmten Stellen bildet die Nebenleiste in beiden Kiefern An- schwellungen, welche jedoch bald nach ihrer Anlage ebenso wie die Nebenleiste selbst, der Reduktion anheimfallen. Das ganze Betragen dieser Leiste kennzeichnet sie als eine rudimentäre Bildung, die jedoch einmal mit der Gebißanlage aufs engste verknüpft gewesen sein muß. Es erscheint mir wünschenswert, an dieser Stelle sofort auf die Frage nach der Bedeutung der Nebenleiste einzugehen. Wie ich am Eingang dieses Hauptstückes hervorhob, war ich sehr lange über die Natur dieser Bildung im Zweifel geblieben, konnte keine mir befriedigende Entscheidung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten treffen. Längere Zeit neigte ich der Meinung zu, daß diese Nebenleiste in irgend- welcher Beziehung zu einer rudimentären Dentition stehen müsse, obwohl ich im allgemeinen kein unbedingter Anhänger einer prälaktealen Dentition war. Eine solche Deutung findet aber in den tatsächlichen Beobachtungen immerhin zu wenig Grund. Die Untersuchungen am Reptiliengebiß haben schließhch die Lösung der Frage über die Her- kunft dieser Leiste gebracht, und zur Überzeugung geführt, daß sie zu einer hypothetischen prälaktealen Zahnanlage in gar keiner Beziehung steht. Ich gebe hier gleich von dieser Überzeugung Ausdruck, denn ich glaube wohl nicht weit fehl zu gehen, wenn ich vermute, daß manche — wenn nicht sogar alle — Epithelsprossen, welche bei plazentalen Säugetieren bukkal von der Zahnleiste beschrieben wurden und als An- lage prälaktealer Zähne gedeutet sind, in der Tat nichts anderes sind als Zerfallsprodukte des oben als Nebenleiste beschriebenen Gebildes. Dieser Überzeugung habe ich schon Ausdruck gegeben in meiner Abhand - hing über die Gaumenentwicklung des Menschen und die Bedeutung der oberen Zahnleiste, wo es 1. c. S. 790 heißt: ,,Ich darf hier schon vorausgreifend auf den Inhalt einer folgenden Publikation die Be- merkung machen, daß ich weder beim Menschen, noch bei Affen auch nur ein einziges Mal die Anlage eines prälaktealen Zahnes gefunden habe. Dagegen manches, was als solche angeführt wird, aber mit prälaktealen Zähnen nichts zu tun hat. Eine vollständigere Kenntnis der Zahnent- wicklung beim Menschen hatte gewiß das Gebiet der prälaktealen Zähne sehr eingeschränkt." Ob überhaupt prälakteale Zahnanlagen bei plazentalen Säugern vorkommen, darüber werde ich mich an dieser Stelle nicht äußern, verweise dazu nach den folgenden Abschnitt. Nur sei bemerkt, daß die Doktrin einer Vormilchdentition die Gebiß- probleme viel komplizierter gemacht hat als sie es in der Tat sind. Kehren wir nach dieser Abschweifung zur Bedeutung der Neben- leiste zurück. W'ie gesagt, lehrte die Untersuchung an Reptiliengebissen die Herkunft derselben kennen. Es ist die Nebenleiste der Primaten Die Nebenleiste. 69 nichts anderes als die zu einem rudimentären Rest zurückgebildete Leiste, welche bei vielen Reptilien sehr kräftig entwickelt ist, und welche ich als ,, Zahndrüsenleiste" dieser Tiere bezeichnen möchte. Zur VerdeutHchung des Obenstehenden muß ich etwas näher auf die Anatomie des Drüsenapparates im Munde der Reptilien eingehen; werde mich dabei aber möglichst kurz fassen, da ich nicht bezwecke, auf die Ergebnisse meiner Untersuchung am Reptiliengebiß allzu tief einzugehen. Ich teile nur das mit, was für das Verständnis der Neben- leiste der Primaten erforderlich ist. Bekannthch kommt der Drüsenapparat bei den Reptilien zu kräftiger Entfaltung. An den von primitiven Formen vererbten sublingualen und palatinalen Drüsen gesellt sich eine neue Gruppe, die im allgemeinen als die Glandulae labiales bekannt sind. Gegen- baur sagt davon (Vgl. Anat., Bd. II, S. HS): ,,Eine neue Entfaltung von Drüsen folgt den Kiefern, in deren Schleimhaut sie sich zu Einzel- organen ausbildeten, welche, wie es scheint, in ihrer Anordnung Be- ziehungen zu den Zähnen erkennen lassen. Von diesen ,, Glandulae labiales" fehlen die superiores manchen Lacertiliern, während die in- feriores konstanter sind." Es ist jetzt die Frage: woher stammen diese Drüsen? In der oben zitierten Bemerkung, daß in der Anordnung der Drüsen eine Beziehung zu den Zähnen zu bestehen scheint, liegt der Schlüssel zur Lösung dieser Frage, denn wirklich besteht jene Be- ziehung, und zwar in zweierlei Richtung, nicht allein in der Anordnung, sondern auch in der Genese. Es nehmen nämlich die Drüsen ontogenetisch Ausgang aus einer ins Kiefermesenchym eingesenkten ununterbrochenen Leiste, die nichts anderes ist als ein Teil der generellen Zahnleiste, wodurch die genetische Beziehung wenigstens zum Gebiß im allgemeinen zum Ausdruck kommt. Weiter münden bei verschiedenen Formen diese Drüsen in die jeden Zahn umhüllende Scheide aus, wodurch ihre nähere Beziehung zum Zahn zum Ausdruck kommt. Bei solchen Formen gibt es eben so viele Drüsen als Zähne. Und auch bei jenen Formen, wo die Aus- mündungsstelle der Drüsen mehr lateral gerückt ist, und in einer Rinne sich findet, welche als Lippenrinne zu bezeichnen ist, wird die Beziehung zum Zahnsystem noch dadurch bewiesen, daß die Zahl der Zähne noch gleich ist an jener der Drüsengänge, so daß jeder Zahn einer Drüse entspricht. Es hat Gegenbaur ganz recht, wenn er bemerkt, daß im Unterkiefer die ,, Lippendrüsen" mehr konstant sind als im Ober- kiefer. Auch sind erstere durchschnittlich kräftiger entwickelt. Die Bezeichnung der Drüsen als ,, Lippendrüsen" ist zu beanstanden. Denn es könnte dadurch der Verdacht geweckt werden, daß diese Bil- dungen in genetischer Beziehung zu den gleichnamigen Organen der Säuger stehen, was wohl nicht der Fall ist, und weiter möchte man in der Lippenrinne, worin sie bei vielen Formen ausmünden, die Ausgangs- form des Vestibulum oris der Säuger erblicken, was eine noch nicht erledigte Frage ist. Es wäre zu empfehlen, auf Grund ihrer Genese diese Organe als ., Zahndrüsen" zu bezeichnen. Ich werde nun an der Hand einiger Figuren die beschriebenen Tatsachen und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen zu beweisen versuchen. Die primitive Ausmündung der Zahndrüsen in die epithelialen Zahnscheiden wird durch Fig. 54 bewiesen. Die Figur stellt einen Schnitt dar durch einen Oberkiefer eines noch jungen Iguaua sapi- 70 Drittes Haujjtistück. dissima. Von eiiiein wohl entwickelten Zahn, dessen Piilpahöhle an- geschnitten ist, ragt in dem vorhegenden Schnitt die Spitze gerade ans der Zahnscheide hervor. Der Schnitt dnrchqnert die hintere Hälfte des Zahnes, liegt somit hinter der größten Länge. Man sieht wie der Zahn mit seiner Basis an der Maxiila angewachsen ist nnd daß die nach unten gekehrte Hälfte von der epithehalen Zahnscheide umfaßt wird. An der medialen Seite setzt sich die Zahnscheide in die generelle Zahnleiste fort, an deren freiem Ende ein Ersatzzahn in Ent- wickhing begriffen ist. Bukkal liegt die Zahndrüse, deren Ausführnngs- gang nicht an der Oberfläche mündet, sondern im peripheren Teil der Zahnscheide. Die Scheide hegt gewöhnhch nicht der Oberfläche des Zahnes eng an, es bleibt wohl immer eine enge Spalte übrig. Darin ergießt die Zahndrüse ihr Sekret. Es ist nun die Frage, woher stammt der epitheliale Schlauch, welcher den Zahn zum Teil umfaßt und hier als ,, Zahnscheide" be- zeichnet worden ist? Auf diesen in seiner Entstehung etwas komplizierten Zu- stand kann ich nicht in Einzelheiten ein- gehen. Nur sei kurz hier mitgeteilt, daß die Zahnscheide nichts anderes ist als der obere Teil der Zahnleiste. Man hat sich die Leiste als eine Doppellamelle zu denken, und bei seiner Entwicklung drängt der anwachsende Zahn zwischen den beiden Blättern dieser Lamelle nach außen. Indem nun der untere Teil der Leiste sich zum mehr aktiven Teil um- gestaltet und die Ersatzzähne produ- zieren bleibt, differenziert sich der obere Teil zu einer bisweilen sehr dicken Hülle, welche den von unten her in sie hinein- wachsenden Zahn umschließt. Es stellt somit die Zahnscheide den in seinen beiden Blättern voneinander ge- spalteten peripheren Teil der generellen Zahnleiste dar. Wenn man das einmal festgestellt hat. dann wird die Herkunft der Drüse, die bukkal von dem Zahn sich findet, deuthch. Denn sie mündet am Eingang der Scheide aus, ist als eine Bildung der Zahnscheide, d. h. der peripheren Zone der Zahnleiste aufzufassen. Mit anderen Worten: die generelle Zahnleiste produziert bei den Reptilien nicht nur Zähne, sondern auch noch einen Drüsenapparat. Den in Fig. 54 abgebildeten Fall muß man als einen noch zienüich primitiven Zustand auffassen, denn jede Zahndrüse stellt noch ein selbständiges Gebilde dar, steht noch nicht in irgendwelcher AVeise mit den übrigen in Verbindung, denn die Zahnscheideräume sind in den Literstitien noch voneinander ge- trennt. Bei anderen Formen wird wohl eine zum Teil durchlaufende Rinne gebildet. Bei Iguana ist es nun leicht festzustellen, daß mit jedem Zahn eine Drüse korrespondiert, deren Ausführungsgang in die Zahnscheide endigt. Der für Iguana beschriebene Zustand erleidet bei anderen Sauriern wesentliche Umgestaltung, welche direkt an die bei Säugern zu beob- achtenden Verhältnisse anschließen. Fig. 54. Iguana sapidissima. Oberkiefer mit Zahn, Ersatz- zahn und Zahndrüse. Die Nebenleiste. 71 Lacerta agilis. In Fig. 55 gebe ich einen Schnitt durch den Unterkiefer eines noch jungen Lacerta-Embryo. Der Meckelsche Knorpel und das Dentale sind zu erkennen. Auffallend ist nun das Betragen der Zahn- leiste. Das Ektoderm, das den Kiefer medial bekleidet ist nur äußerst dünn, ebenfalls am Kieferrande. Dazwischen liegt eine vorgewölbte Stelle, welche mit einer bedeutend dickeren Zellschicht bekleidet ist. Diese Schicht sendet zwei Leisten ins Kiefermesenchym ein, eine mediale, die Zahnleiste, die eine glockenförmige Zahnanlage trägt, und eine bukkale, welche jetzt schon als eine Drüsenleiste sich verrät, da sie am unteren Ende schon zwei Sprossen treibt. Es ist aus der histo- logischen Zusammensetzung, aus dem Charakter und der Anordnung der Epithelzellen deutlich zu ersehen, daß wir es hier mit einer einheit- lichen Anlage zu tun haben. Gehen wir vom soeben bei Iguana geschil- derten Zustand, als einem mehr primitiven aus, dann kann man sich denken, daß bei Lacerta der periphere Teil der Zahnleiste nicht mehr ganz zur Bddung der Zahnscheide verwendet wird, sondern zum Teil zur Bil- dung von gingivalem Epithel benützt wird. Es gerät dadurch die Drüse, welche aus der / peripheren Zone der Zahnleiste ihren Ur- sprung nahm, mit ihrer Ausmündungsstelle an die Oberfläche, mündet nicht mehr in die Zahnscheide, sondern bukkal von ihr aus. Daß die Strecke zwischen der Ansatzlinie der Zahnleiste und die Ausmündung der Fig. 55. Drüsen genetisch zur Zahnleiste gehört, ist Q.uerschnitt durch den Unter- ,1 . S , •PHP, 1 -11 1 n 1 Kiefer mit Zahnleiste und wohl nicht zweiielhait und wird durch lol- Drüsenleiste. gende Figuren noch näher bewiesen werden. Es muß jetzt noch auf eine Besonderheit hingewiesen werden, welche für das Verständnis der bei den Primaten konstatierten Zustände von Bedeutung ist. Wenn man die Serie, aus der die Fig. 55 entnommen ist, verfolgt, dann sieht man, daß in gewissen Intervallen eine Drüsen- anlage erscheint, aber zwischen diesen Anlagen bleibt die Leiste, aus der diese Anlage ihren Ausgang nehmen, ununterbrochen fortbestehen. Man ist somit völlig berechtigt von einer ,, Zahndrüsenleiste" zu sprechen. Denn daß auch bei den Lacertillae die Bezeichnung Zahndrüsen eine richtige ist, geht aus dem Umstand hervor, daß, obwohl die Drüsen bei Lacerta sich topographisch mehr von den Zähnen emanzipiert haben (sie münden auf die Oberfläche und nicht mehr in den Zahn- scheiden aus), dennoch die Zahl der Drüsen jener der Zähne entspricht. Ungeachtet der räumlichen Sonderung von Zahnanlagen und Drüsen- anlagen verraten dieselben immer noch ihre ursprünglichen Beziehungen zueinander. Am schnellsten ist das zu beweisen durch einen Horizontal- schnitt, wie in Fig. 56 abgebildet. Die Figur stellt einen Teil eines hori- zontalen Schnittes dar durch den Oberkiefer eines erwachsenen Lacerta (spec. ?). Der Schnauzenteil ist in der Figur nach unten gerichtet. Die Zähne sind quer durchschnitten, das sehr variabele Aussehen dieser Querschnitte rührt von dem verschiedenen Entwicklungsgrad derselben her. In der Mitte der Figur geht der Schnitt der Länge nach durch die epitheliale Zahnscheide, welche sich bei diesen Formen den Zähnen eng 72 Drittes Hauptstück. anschließt, im vorderen und hinteren Teil durchläuft der Schnitt mehr die Basis der Zähne, es waren hier die tiefer nach innen dringenden medialen Teile der Zahnscheiden getroffen. Peripher von den Zähnen erstrecken sich in einer Reihe die Querschnitte durch die Ausführungsgänge der Drüsen. Es gehört der obere Querschnitt zu dem obersten der getroffenen Zähne. Wenn man nun letztere in ihrer Auffolgerung mit jener der Drüsengänge vergleicht, dann überzeugt man sich leicht, daß jedem Zahn ein Drüsengang entspricht. Zwar liegt Zahn und Ausführungsgang der Drüse nicht immer in einer gleichen Ebene, aber das ist auch kaum zu erwarten. Zählt man die Drüsengänge und die Zähne, dann erfährt man, daß es zwei Gänge mehr gibt als Zähne. Das war bedingt durch den Umstand, daß im unteren Teil die zu den prämaxillaren Zähnen — welche, da sie außerhalb des Gesichtsfeldes lagen, nicht gezeichnet sind — in Beziehung stehenden Drüsengänge, mehr ineinander gedrängt sind. Zu. zwei solchen Zähnen gehörten die überflüssigen Drüsengänge. Diese Figur genügt zum Beweis, daß auch bei jenen Formen, wo die Drüsen nicht mehr in der Zahnscheide ausmünden, die ursprüngliche Beziehung sich immer noch durch die numerische Übereinstimmung verraten kann. Ich darf jedoch nicht unterlassen darauf hinzuweisen, daß die in Fig. 56 wiedergegebenen Verhältnisse nicht bei allen Rep- tilien aufgefunden werden. Der Zahndrüsenapparat bietet bei den ver- schiedenen Familien stark variierende Verhältnisse. Kicht selten kommt Fig. 56. Lacerta. Erklärung im Text. er vor — wie z. B. bei Calotes — daß die Drüsenanlage nicht eine ein- heitliche geblieben ist, sondern sich spaltet, so daß die Ausführungs- gänge in den beiden Kiefern sowohl in der Zahnscheide als auf der Oberfläche ausmünden. Doch ist es nicht die Aufgabe dieser Abhand- lung, auf die Anatomie des Zahndrüsenapparates der Reptilien ein- zugehen. Für unsere Zwecke genügt es, nachgewiesen zu haben, daß diese Drüsen Produkte sind der nämlichen epithelialen Leiste, welcher auch die Zähne ihre Entstehung verdanken. Und weiter, daß bei der phylogenetischen Entstehung jede dieser Drüsen ursprünglich einem Zahn entsprach. Bei solchen primitiven Verhältnissen — wie z. B. in Fig. 54 dargestellt ist — mündet jede Drüse in eine Zahnscheide aus wie die Haarbalgdrüse in die Haarscheide. Im Vorübergehen sei im Anschluß an die nachgewiesenen topo- graphischen und ontogenetischen Verhältnisse daran erinnert, daß dieser Zustand als die Ausgangsform betrachtet werden darf, wodurch die Be- ziehung zwischen Drüse und Zahn bei den Giftschlangen möglich ge- worden ist. Man hat sich doch zu denken, daß die Drüse in dem Boden der Zahnscheide ausmündet, und dessen Ausführungsgang oder viel- leicht ein zum Ausführungsgang umgebildeter Teil der Zahnscheide vom wachsenden Zahn rinnenförmig umwachsen wird, um Verhält- nisse zu bekommen, wie sie uns bei den Schlangen bekannt sind. Auch Die Nebenleiste. 73 bei den Sauriern kdiiiiiit eine F(trm vor, wo die sehr eis;entiiniliche Be- ziehiino- zwischen Drüse und Zahn durch den Nachweis der primitiven Verhältnisse beoreifhch wird. Es ist von J. G. Fischer (Anatomische Notizen über Heloderma horridum, Verhandl. d. Ver. f. naturw. Unter- haltung zn Hamburg 1882, Bd. V) beim Geschlecht Heloderma eine von ihm sogenannte Unterkieferdrüse beschrieben worden. Diese läßt vier Ansführungsgänge entstehen, die in vier an der Außenseite des ITnterkiefers gelegene Öffnungen in letztere eindringen. Der Stamm jedes Ganges teilt sich in vier kleinere Zweige, die einzeln in medialer Richtung den Knochen durchsetzen und je vor der Wurzel eines der der medialen Seite des Knochens ansitzenden Furchenzähne münden. Die Drüsenkörper sind hier offenbar weit peripherwärts verschoben, die Ausführungsgänge vom Dentale umwachsen, aber ihre ursprüngliche Ausmündungsstelle in der Tiefe der Zahnscheide haben sie behalten. Kehren wir nach dieser Ausschweifung wieder zu der allgemeinen Betrachtung der Beziehung zwischen Zahn und Drüse bei Reptilien zurück. Wenn man sich einmal von dieser Beziehung bcAvußt geworden ist, dann bietet die Erklärung der vorher bei den Primaten als Neben- leiste bezeichneten Bildung keine Schwierigkeiten mehr. Nur ist es wirklich überraschend, daß diese Bildung sich so zäh erhalten hat, daß es möglich wird, zwei Bilder nebeneinander zu stellen, das eine einem Schnitt durch die Zahnanlage eines Reptils und das andere einer Zahn- anlage eines Affen entnommen, welche einander sogar in histologischen Details außerordentlich ähneln. Man vergleiche dazu Fig. 57 mit Fig. 58. Erstere stellt die AVölbung des Unterkieferwalles eines Embryo von Hemidactylus frenatus dar. Es ist nur das beklei- dende Epithel und die davon aus- gehende Drüsen- leiste und generelle Zahnleiste mit einer Zahnanlage dargestellt. Die Zellkerne sind mit dem Zeichenappa- rat genau eingetragen worden. Gleiches ist der Fall in der Fig. 58, welche einen Teil der Unterkieferwölbung eines Embryo von Mycetes darstellt. Der bezüghche Schnitt durchquerte das Interstitium zwischen Eckzahne und erstem Milchmolaren. Betrachten wir zunächst die Fig. 57 genauer. Die Kieferbekleidung schiebt zwei Lamellen ins Mesenchym, die größere ist die Zahnleiste, die kleinere stellt die Drüsenleiste dar. An der Drüsen- leiste, welche auch bei den Geckoniden eine kontinuierliche Leiste dar- stellt, macht sich noch keine Differenzierung von Drüsen bemerkbar. Das ist als ein glücklicher Umstand zu betrachten, denn jetzt ist leicht nach- zuweisen, daß die Drüsen nicht einzeln und sofort aus dem Kieferepithel entstehen, sondern Produkte einer Leiste sind. Diese ist zu betrachten als eine Nebenbildung der Zahnleiste. Es macht den Eindruck, als wäre die Zahnleiste zum Teil zur Bekleidung des Kieferwalles verwendet worden, und daß ihre primitive Ansatzlinie sich nach innen ins Kiefer- mesenchym eingebogen hat. Das geht deutlich aus dem verschieden Fig. 57. Hemidactylus frenatus. Zahnleiste [Z. /.) und Drüsenleiste {D. /.). 74 Drittes Haiiptstück. FijT. 58. Mycetes. Unterkieferepithel mit Zahnleiste {Z. l.) und Nebenleiste (A /). histnlogischeii Charakter der Kieferwallbekleidung hervor. Es besteht diese aus einem einschichtigen Epithel. Medial von der Zahnleiste sind die Kerne groß, rund, stehen mehr senkrecht zur Oberfläche, lateral von der Drüsenleiste erscheinen die Kerne stärker abgeplattet. Es verrät die Zahnleiste in dem zellularen Bau sofort ihren Charakter der Doppellamelle. Bei sehr Jungen Objekten sind nur zwei Zellschichten zu unterscheiden, ein laterales und ein mediales Blatt; jedes besteht aus einer einzigen Zellschicht. Bald treten jedoch zwischen beiden Blättern kleinkernige Zellen auf. welche in der Leiste selber nie- mals eine mächtige Schicht bilden, um sich jedoch im Be- reiche einer Zahn- anlage zu vermeh- ren und die Pulpa- zellen aus sich her- vorgehen lassen. Diese kleineren Zel- len sind in jedem gut konservierten Präparat sofort von den übrigen Zellen der Zahnleiste zu unterscheiden, da sie sich weniger stark tingieren. Verfolgt man nun diese mittlere Zellage, dann setzt sie sich als oberflächliche Schicht auf den Kieferwall fort in der Strecke durch die Zahnleiste und die Drüsenleiste begrenzt, um hier im Innern der Drüscnleistenanlage abzubiegen und an der Zusammen- setzung der letzteren sich zu beteiligen. Das erscheint vielleicht in Fig. 57 nicht so deutlich, da die Drüsenleiste in diesem Stadium noch aus rundkernigen Zellen besteht, die keine Differenzierung aufweisen. Ich gebe daher in Fig. 59 einen Schnitt durch die übereinstimmende Strecke des Oberkiefers eines Em- bryos von Cyclodus Boddaerti (das ich der Güte des Herrn Professor Spengel verdanke). Die histologi- sche Differenzierung ist in diesem Prä- parat einen Schritt weiter gegangen, denn es ist das den Kieferwall bekleidende Epithel schon zweischichtig. Es ist die Zugehörigkeit der zylindrischen basalen Zellen der Zahnleiste und jene der Drüsenleiste wohl außer Zweifel, und die abgeplatteten Elemente der mittleren Schicht der Zahnleiste setzen sich ebenfalls ununterbrochen in der zentralen Zellmasse der Drüsenleiste fort. Übrigens haben wir es hier mit einem Verhalten zu tun, zu dessen Studium man nicht gezwungen ist sich den Reptilien zuzuw'enden, man kann sich auch bei Primatenembryonen leicht davon überzeugen. Denn daß die Drüsenleiste der Reptilien wohl h()nu)log ist mit der Nebenleiste der Primaten, daran ist nicht zu zweifeln und geht aus einer Vergleichung der Figuren 57 und 58 miteinander deutlich hervor. Letztere Figur ist, wie gesagt, einem Mycetes-Embryo entnommen. Die nur in ihrem Anfangsteil abgebildete Zahnleiste verrät ihren Charakter als Doppel- lamelle sofort. In der meist peripheren Strecke liegen die Zellen weniger Fig. ö'J. Cyclodus Boddaerti. Z. l. Zahnleiste; D. l. Drüsenleiste. Die Nebenleiste. 75 rojjclmäßig geordnet, und diese etwas unregelmäßige Anordnung setzt sich fort in der Zone des oberflächlichen Epithels zNvischen der Ansatz- stelle der Zahnleiste und jener der Nebenleiste, In letzerer sind die Zellen wieder ganz als eine eingefaltete Membran geordnet. Im Anschluß an das oben Gesagte kann ich noch einmal auf die Figuren 47, 48, 51 und 53 verweisen, woraus die histologische Zu- gammengehörigkeit von Zahnleiste und Nebenleiste zu ersehen ist. Die Homologie der Nebenleiste der Primaten mit der Drüsenleiste der Reptilien unterliegt meiner Meinung nach keinem Zweifel. Da, soweit mir bekannt, echte Zahndrüsen bei den Säugetieren nicht vorkommen, diese Bildungen somit längst schon aus der Entwicklungsreihe aus- geschaltet sind, muß man sich wundern, daß bei den Primaten diese Leiste ontogenetisch noch so deuthch in Erscheinung tritt, ja sogar noch Anlaß geben kann zur Entstehung rudimentärer Drüsenanlagen. Denn die Anschwellungen, die am freien Rande dieser Leiste von Stelle zu Stelle auftreten können, und später, wenn die Leiste in Fragmente auf- gelöst und größtenteils ganz verschwunden ist, als isoherte Bildungen zu erscheinen, sind wohl nichts anderes als letzte schwache Äußerungen der erlöschenden Funktion dieser Leiste. Es sind gleichsam Versuche zur Sprossenbildung, die rudimentäre Zahnanlage vortäuschen, welche ein wenig eingestülpt sind. Ich bin der Überzeugung, daß manche so- genannte prälakteale Zahnanlage, welche in der Literatur beschrieben worden ist, in Wirklichkeit eine rudimentäre Anlage einer Zahndrüse ge- wesen ist. Doch ich möchte mich vorläufig auf die Primaten beschränken. Das Auftreten der Drüsenleiste der Reptilien in rudimentärer Form bei den Primaten ist wohl etwas überraschend, aber doch auch nicht ganz unverständlich. Denn man bedenke, daß diese Leiste ihrer Genese nach ein Produkt, ein Bestandteil der ursprünglichen generellen Zahnleiste gewesen ist. Ihre Derivate, die Drüsen, kommen zwar nicht mehr zur Entwicklung, aber das ist die Folge, daß die Funktion dieser Derivate nicht mehr erfordert wurde. Aber die Matrix, die Drüsen- leiste selber hat niemals eine spezifisch physiologische, sondern nur eine Bildungsfunktion. Und es begegnet uns hier bei der Nebenleiste der Primaten eine analoge Erscheinung wie bei der Milchleiste dieser Gruppe. Auch hier treten die Derivate, die Milchdrüsen, mit Ausnahme von zwei, nicht mehr auf, sie hatten nur physiologische Funktion, die in letzter Instanz mit Zellneubildung verknüpft ist. Die Leiste jedoch hat Bil- dungsfunktion, ihre Aufgabe war es nicht nur Zellen zu bilden, sondern Organe. Und dieser Bildungstrieb erlischt, da er von einer höheren Ordnung ist, viel langsamer als jener, welcher mit einfacher Zell- produktion verknüpft ist. Diesem Beispiel könnte man aus der Ontogenie mehrere zur Seite stellen. Das morphoh)gische Substrat, woran eine Bildungsfunktion verknüpft ist, erhält sich bei rückgängiger Entwick- lung länger als die morphologische Grundlage für spezifisch-physio- logische Funktionen. Der Nachweis, daß die Nebenleiste der Primaten der Drüsen- leiste der Reptilien homolog ist, erklärt es auch, warum erstere bei der rückwärtsen Verlängerung der Zahnleiste in gleichem Maße in der Länge wächst. Der hintere Rand der generellen Zahnleiste enthält potentia auch die Anlage der Nebenleiste. So wie sie sich phylogenetisch heraus- differenziert aus dem oberen Rand der generellen Zahnleiste, so tritt 76 Drittes Ilauptstück. sie auch oiitoocnetisch noch an diesem Rande auf, wenn letztere sich vom Mundh()hlenepithel abgelöst hat. Es ist die rudimentäre Anlage der Drüsenleiste der Reptilien bei den Primaten noch von einem anderen Standpunkte zu betrachten. Man kann diese Tatsache anführen zugunsten der Ansicht, daß die Primaten in ihrer Gebißanlage noch manches Primitives aufbewahrt haben, und daß auch in dieser Hinsicht das Primatengebiß als eine Form mit ur- sprünglichen Charakteren zu betrachten ist. Und daß letztere Ansicht eine richtige ist, wird aus dem folgenden Hauptstück hervorgehen, worin ich zunächst die Erklärung bringen werde jener ontogenetischen Erscheinungen, welche ich im ersten und zweiten Hauptstück ausführlich beschrieben habe: die laterale Schmelz- leiste, die Schmelznische, das Schmelzscptum und den Schmelznabel. Diese Erscheinungen sind nicht unabhängig voneinander. Im Gegen- teil, sie stellen einen Phänomenkomplex dar, welche, im Lichte der Ent- wicklungsgeschichte der Reptihenzähne betrachtet, als Äußerungen eines einheitlichen Bildungsvorganges erscheinen, welche die Beziehung zwischen Säugetierzahn und Reptilienzahn in erfreulicher Weise ent- schleiern. Viertes Hauptstück. Über die Beziehung des Säugerzahnes und Säugergebisses zum Zahn und Gebiß der Reptilien. In diesem Schlußkapitel werde ich zuerst die im ersten und zweiten Hauptstück beschriebenen Entwicklungserscheinungen, welche bei der Entstehung des Primatenzahnes auftreten, erklären, sodann werde ich die Frage beantworten, ob auch bei anderen Säugetieren die nämlichen Erscheinungen zu beobachten sind, um schließlich einzugehen auf die Frage der Beziehung des Gebisses der Säugetiere als ganzes zu jenem der Reptilien. Ich erinnere daran, daß in den beiden ersten Haupt- stücken die laterale Schmelzleiste, die Schmelznische, das Schmelz- septum und der Schmelznabel beschrieben worden sind. Bei der Beschreibung der lateralen Schmelzleiste ist immer darauf hingewiesen, daß die Bedeutung derselben für die Genese des Schmelz- organes — d. h. für jene des Zahnes — eine gleiche sein muß als die der medialen Leiste. Davon war ich schon überzeugt, obwohl es mir noch nicht gelungen war, ihr Auftreten zu erklären und ich den Zusammen- hang der vier soeben namhaft gemachten Erscheinungen noch nicht durch- schauen konnte. Zwar brach sich bald, nachdem ich festgestellt hatte, daß die laterale Schmelzleiste eine allen Primaten zukommende Bil- dung war, die Ansicht bei mir Bahn, daß die Morphologie der Zahnkrone der Primaten in irgendwelcher Beziehung zu der aufgedeckten onto- genetischen Erscheinung stehen sollte, aber in welcher Weise ich mir diese Beziehung denken mußte, war mir nicht klar. Um zu versuchen Licht in diese Frage zu bekommen, fing ich daher an das Relief des Primatengebisses genauer zu studieren. Ich tat es ganz unabhängig von dem Einfluß der geläufigen Theorien über die Entstehung des Kronenreliefs, welche sich auf die Cope-Osbornsche Theorie stützen. Ich war schließlich wohl gezwungen, diesen mehr freien Standpunkt einzunehmen, da ich bei dem Versuch, die Kronenhöcker der Primaten- zähne in ihren verschiedenen Spezialisierungen vergleichend-anatomisch unter Anwendung der Osbornschen Theorie zu homologisieren, auf große Schwierigkeiten stieß. Jeder Homologisierung auf Grund des Osbornschen Schemas war eine andere zur Seite zu stellen, welche gleichberechtigt erschien, es ist hier der Willkür freier Spielraum gegeben. Nur unter Berücksichtigung der ontogenetischen Entwick- lung der Kronenrcliefs — wie es von Taeker, Rose, Lee he und Wo od ward geschehen ist — und wodurch einstimmig das Fehlerhafte der Cope-Osborn sehen Ansichten für die oberen Molaren hervor- 73 Viertes Hauptstück. getreten ist — können wir hoffen in dieser Materie weiter durch- zudringen. In dieser Überzeugung liegt der Grund, warum ich bis jetzt nicht auf ein Argument eingegangen bin, welches von Adloff gegen meine Theorie der Differenzierung des Primatengebisses angeführt worden ist. Doch erfordert dieses Argument eine Widerlegung, da es auf einer Beobachtung beruht. Ich werde dieselbe an dieser Stelle kurz ein- schalten. Wiederholt hat der Autor das Argument angeführt. Es betrifft die Tatsache, daß beim Gorilla am unteren letzten Milchmolaren ein Höckerchen auftritt, das der Autor als Parakonid definiert, und das bei den bleibenden Molaren nicht vorkommt. Dagegen kommt nach Adlof f s Beobachtungen an übereinstimmender Stelle ein Höckerchen vor am dritten Milchmolaren von Cebus. Diese Beobachtung genügt dem Autor um den letzten Milchmolar der Platyrrhinen mit den letzten Milch- molar der Katarrhinen zu homologisieren. Und er erbhckt in diesem Befund wieder einen unwiderleglichen Beweis von der Unrichtigkeit nuMuer Hypothese der terminalen Reduktion des Primatengebisses, demzufolge der dritte Milchmolar der Platyrrhinen mit dem ersten bleibenden Molar der Katarrhinen homolog sein sollte. Ich werde auf die Beweiskraft der Adloffschen Homologisierung nicht eingehen, ich stehe bezüghch der Höckcrbildungen und der Anomalien darin auf einem vom Autor abweichenden Standpunkt. Ich möchte jedoch mich einen Augenblick auf den Standpunkt des Autor stellen. Fassen wir kurz die Tatsachen zusammen. Der Autor trifft bei einem Gorilla ein Parakonid am zweiten unteren Milchmolaren, er trifft ebenfalls ein Parakonid am dritten unteren Milchmolaren eines Cebus, also diese beiden Zähne sind einander lionu)log und meine Hypothese ist unrichtig. Aber es ist ohne weiteres klar, daß wenn einmal auch am zweiten Milch- molaren von Cebus ein Parakonid vorkommt, dann würde die vom Autor aufgestellte Homologie hinfällig werden. Ich muß leider auch in dieser Angelegenheit dem Autor die Illusion entnehmen, einen unwiderleglichen Beweis gegen die Richtigkeit meiner Hypothese ge- liefert zu haben, denn in der Tat kommt bisweilen auch am zweiten unteren Milchmolaren von Cebus ein Parakonid vor, zwar nicht so stark entwickelt als am dritten, aber immerhin sehr deutlich zu sehen. Durch dieses Auftreten wird das Adloff sehe Argument genügend widerlegt, denn wenn der Parakonid auch am zweiten Milchmolaren der Platyrrhinen gelegentlich auftritt, kann man mit gleichem Recht diesen Zahn dem zweiten Milchnu)laren von Gorilla honujlog stellen. Ich bin im Vorübergehen auf dieses Argument Adlof fs ein- gegangen, weil es sich auf eine tatsächliche Beobachtung stützt. Ganz abgesehen davon, daß die Interpretation derselben meiner Meinung nach wenig beweiskräftig ist (auch Bluntschli hat schon das Unzulängliche des Argumentes ins Licht gestellt aus ganz anderen Gründen) ist die Tatsache durch den oben mitgeteilten weiteren Befund als Beweis gegen meine Deutung des Katarrhinengebisses wohl ganz wertlos geworden. Wie schon gesagt, kann ich mich mit der üblichen Methode der Homologisierung der Höcker bei den Primaten nicht einverstanden erklären, da eine vorurteilsfreie Untersuchung meines Materials mich zu einer anderen Deutung der Erscheinuno-en ffeführt hat. Die Auf- über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 79 fassung stimmt im Prinzip mit jener überein, welche von d' Et er n od in seinem Vortrag auf der Leipziger Anatomen Versammlung verfochten worden ist. Der Genfer Anatom ist, hauptsächlich auf Grund der Variationen aus menschlichen Zähnen, zum Schluß gekommen, daß die Urform aller menschhchen Zähne derBicuspidat sei. Auf Grund meiner Untersuchungen am Milchgebiß und permanenten Gebiß der Affen war ich schon damals zu einer im Prinzip ganz übereinstimmenden Überzeugung gelangt, und schloß mich dann auch in der Diskussion dem Vortragenden an. Zu dieser Meinung war ich auf dem vergleichend- anatomischen Wege gelangt, und im Anschluß daran erhob sich von selbst die Frage, ob denn vielleicht die zweifache Verbindung des Emailorganes mit der Zahnleiste in irgendwelcher Beziehung zu dieser Doppelnatur der Zahnkrone stehen möchte. War es nicht möglich, daß in der lateralen und medialen Schmelzleiste die spezielle Leiste zu er- blicken war, für je eines der Komponenten des Zahnes ? Ein Lösungs- versuch dieses Problems konnte nur durch Untersuchung von Rep- tiliengebissen mit Voraussicht auf guten Erfolg angestellt werden. Und ich bin überzeugt, daß es mir wirklich gelungen ist, die etwas verwickelten Entwicklungserscheinungen beim Entstehen des Primatenzahnes in ein- fachster Weise von Verhältnissen abzuleiten, die bei der Entwicklung des Reptiliengebisses auftreten. Unsere Kenntnis von der Entwicklungsgeschichte des Reptilien- gebisses ist noch nicht als eine vollständige zu betrachten. Es treten auch hier Besonderheiten und Va- riationen auf, welche in der Lite- ratur noch unerwähnt sind. Auf eine derselben habe ich auf der Anatomenversammlung in München die Aufmerksamkeit gelenkt, und ich komme später noch auf den Inhalt dieses Vortrages zurück. Vorläufig gilt es die Lösung nicht eines generellen Gebißproblems, sondern die Entstehungsweise des Primatenzahnes zu untersuchen. Ich fange dazu an mit einer Verweisung auf Fig. 60. Diese stellt einen Frontalschnitt durch die ge- nerelle Zahnleiste und zwei Zahn- anlagen aus dem Unterkiefer eines jungen Varanus chlorostygma mit schon funktionierendem Gebiß dar. Die größere Zahnanlage liegt bukkal von der kleineren. Diese Anlagen stellen zwei Zahngenerationen dar. Es war in dem Präparat noch eine dritte Generation — die zurzeit funktionierende — vorhanden. Die beiden dargestellten Generationenge- hören zueinander, die größere Anlage stellt die ältere dar, welche bukkal gelagert ist von der jüngeren. Letzere ist angewiesen einmal den bukkal von ihr sich entwickelnden Zahn zu ersetzen. Es ist auffallend, wie wenig die ältere und die jüngere Generation in diesem Falle im Ent- /Vr:"-^;-:"r.v/y^! '■ Fig. 60. Varanus chlorostygma. Zwei Zahnanlagon am Unterkiefer. 80 Viertes Haiiptstück. wicklungsgrad voneinander differieren. Das ist eine Tatsache, worauf ich ganz besonders aufmerksam mache, da es nicht als Regel zn betrachten ist. Doch herrschen in dieser Hinsicht bei den Reptilien die größten Verschiedenheiten. Bisweilen trifft man, wie in Fig. 60, zwei anfein- ander folgende Generationen an mit nur sehr geringen Differenzen in ihrer Entwicklung, die also kurz nacheinander angelegt sein müssen, so daß der Ersatzprozeß nur eine kurze Zeitdauer umfaßt. Im Gegensatz dazu sucht man ein anderes Mal neben dem funktionierenden Gebiß an der generellen Ersatzleiste vergebens auch nur eine Spur einer Anlage der folgenden Zahngeneration, wiewohl die Ersatzleiste vollständig ent- wickelt ist und nicht die geringste Andeutung von Zerfall aufweist. Zwischen beiden Extremen findet man alle Übergangsstadien. Die Verhältnisse sind außerordentlich wechselnd. Der Zahnwechsel, d. h. die zeitliche Aufeinanderfolge der Zahngenerationen und die Funktionsdauer einer Generation sind von mehreren Ursachen abhängig. Nur eine davon sei hier namhaft gemacht, da sie mit der von uns verfolgten Frage in engem Konnex steht, es ist das Alter des Individuums. In Präparaten jugendlicher Tiere erscheint der Zahnwechsel im allgemeinen intensiver als bei älteren. Ich glaube die Ursache davon darin erbhcken zu dürfen, daß hier das Längenwachstum des Kiefers einen mehr schnellen Zahnersatz erfordert, wobei die Elemente jeder folgenden Generation jene der Vorangehenden an Größe übertreffen. Dadurch hält das Gebiß gleichen Schritt mit der Verlängerung des Kiefers. Daß in Fig. 60 die jüngere Generation der älteren wenig an Entwicklung zurücksteht, geht genügend aus der Abbildung hervor. Das einzige w^odurch die ältere Generation sich von der jüngeren unter- scheidet, ist die Anwesenheit der Dentinschicht, die schon auf die Papille zur Ablagerung gekommen ist. Betrachten wir uns die beiden Anla;(en etwas genauer. Besonders interessiert uns die Beziehung zur generellen Zahnleiste. Die ältere Generation ist noch mit letzterer in Zusammenhang, aber nur durch Vermittlung eines epithelialen Stranges, der von der Spitze des Schnielz- organes ausgeht, um an der generellen Zahnleiste sich anzuheften, kurz oberhalb der Stelle, bis wohin das Schmelzorgan der jüngeren Generation reicht. Das Besondere in den ontogenetischen Erscheinungen, welche dieser Schnitt sehen läßt, muß in dem Umstand gesucht werden, daß es im vorliegenden Fall zur Entstehung einer speziellen Zahnleiste ge- kommen ist, welche sich zwischen einer älteren Zahnanlage und der generellen Zahnleiste aasspannt. Die Ursache der Entstehung dieser speziellen Zahnleiste muß gesucht werden in der schnellen Aufeinander- folge der Zahngeneration. Die jüngere Anlage drückt die ältere gleichsam zur Seite, aber es muß letztere mit der generellen Zahnleiste in epi- thehaler Verbindung bleiben, da bei der weiteren Entwicklung dieser epithehale Verbindungsstrang den Weg vorbereitet, welchen der Zahn beim Emporrücken zu folgen hat. Auf ein Eingehen in weitere Details dieses Vorganges muß ich an dieser Stelle verzichten. Es sei nur darauf hingewiesen, daß bei diesem Emporrücken der Zahn nicht durch das Bindegewebe des Kiefers dringt, sondern einem epithelial angebahnten Weg folgt. Wäre das nicht eine Notwendigkeit, dann konnte der zur Seite gedrängte ältere Zahn seine Verbindung mit der generellen Zahn- leiste lösen. Diese Lösung kann nicht zustande kommen, weil er diesen über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 31 epithelialen Strang beim Emporwachsen benutzen muß. Darin liegt die Ursache, warum bei der bukkalen Verschiebung des älteren Zahnes eine spezielle Leiste von der generellen wie ausgezogen wird. Wenn man ein Bild von der Zahnentwicklung bei Varanus wie in Fig. 60 nach Kenntnisnahme der Entwicklungserscheinungen, welche wir bei dem Primatenzahn nachgewiesen haben, aufmerksam betrachtet, dann muß sofort die Tatsache auffallen, daß nur ein elemen- tarer Vorgang zustande zu kommen braucht, um das Bild in Fig. 60 in eine typische Anlage eines Primatenzahnes umzugestalten. Man hat sich nur zu denken, daß die beiden Zahnanlagen in ein gleiches Niveau gerückt, ihre einander zugekehrten Flächen aneinander legen. Sobald das geschehen ist und die beiden Zahnanlagen in dieser Weise eine morphologisch einheitlich scheinende Doppelbildung formen, hat man es mit einem Gebilde zu tun, v.orin man die vier Bildungen, welche wir bei der Entwicklung des Primatenzahnes nachgewiesen haben: die laterale Schmelzleiste, die Schmelznische, das Schmelzseptum und den Schmelz- nabel in vollkommener Übereinstimmung vor sich hat. Um das deut- lich hervortreten zu lassen, habe ich in Fig. 61 zwei Schemata neben- einander gestellt. Eines, Fig. 61a, stellt den Zustand dar der zwei in Fig. 60 abgebildeten Reptilienzähne, wenn der oben angedeutete Vor- gang sich vollzogen hat, das zweite, Fig. 61b, stellt eine Primatenzahn- jinlRge dar, worin die vier oben namhaft gemachten Bildungen zu sehen sind. Letzteres Schema, und darauf weise ich aus- drücklich hin, hat nichts Hypothetisches oder Phan- tastisches, es ist tatsäch- lich Beobachtetes. Wenn man eine glückliche Schnittrichtung getroffen hat, und ein geeignetes Entwicklungsstadium, tritt in dem Schnitt jede Besonderheit des embryo- nalen Primatenzahnes, die in Schema Fig. 616 wieder- gegeben ist, zutage. Ich verweise, um davon zu überzeugen, nach Fig. 'd9d. Die Fig. 61 ö ist nichts als die halbschematische Widergabe der letzteren. Vergleicht man nun die beiden Schemata miteinander, dann kostet es gar keine Mühe, um die laterale Schmelzleiste, die Schmelz- nische, das Schmelzseptum und den Schmelznabel des embryonalen Primatenzahnes in ihrer ontogenetischen Entstehungsweise zu erfassen. Die laterale Leiste des Primatenzahnes ist die spezielle Leiste des älteren, bukkal gelagerten Zahnes; das Schmelzseptum stellt die mit- einander verwachsenen Abschnitte des äußeren Schmelzepitheliums beider Reptilienzähne dar, welche bei ihrer Auseinanderweichung an der Stelle, wo die AVände wieder frei werden, sanft abgerundet sind und den Schmelznabel bilden; die Schmelznische schließlich ist der Raum, welcher sich ursprünglich zwischen den beiden Zahnanlagen fand. Es will mir vorkommen, daß die Übereinstimmung nicht vollständiger sein kann. Und ich wiederhole, daß es sich hierbei nicht um etwas Hypo- B o 1 k , Die Ontogenie der Primateuzähne. 6 Fig. 61. a Halbschematische Darstellung zweier Zahngenerationen von Varanus (vgl. Fig. 60). ö Halbschematische Darstellung der Anlage eines Primatenzahnes (vgl. u. a. Fig. 39^). 82 Viertes Hauptstück. thetsiches handelt, sondern um etwas Reelles. Nur eines ist nicht wirk- lich beobachtet, närahch die Aneinanderlagerung der äußeren Wände der Schmelzlorgane beider Reptilienzähne und die darauf folgende Ver- wachsung. Denn in Fig. 60 ist es genügend zu sehen, daß wenn die Zahn- anlagen etwa weiter in der Entwicklung vorgerückt sind, dann trennt eine dünne bindegewebige Schicht beide Anlagen voneinander. Nun wünsche ich jedoch in Anbetracht dieser Tatsache, auf etwas hinzuweisen, wovon ich bis jetzt keine Meldung gemacht habe. Es ist nümlich die Tatsache, daß l3ei Propithecus ich an ein paar Zahnanlagen im Zweifel war, ob nicht auch Mesenchymzellen in den Schmelznabel nach innen dringen. Ich habe bis jetzt diese Erscheinung nicht erwähnt, da es mir nicht gelungen war, darüber Sicherheit zu erlangen. Die Anordnung der Bindegewebskerne in und oberhalb des Nabels gab genügenden Grund zur Vermutung ab. Vielleicht gibt es andere Objekte, welche die Frage zur Entscheidung bringen können, und es schien mir daher erwünscht, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Aber ich brauche nicht einmal den Nachweis, daß dieses bei irgendwelchen Säugern in der Tat der Fall ist. Denn es findet sich sogar bei Reptilien zwischen den beiden Zahnanlagen nicht immer eine vollständig trennende dünne Schicht von Bindegewebe. Das geht z. B. aus Fig. 62 hervor. Hier gilt es einen Schnitt durch die generelle ^j^^^"^"' ■- Zahnleiste und die Zahnanlage des näm- lichen Objektes wie in Fig. 60, aber des Oberkiefers. Auch hier finden sich zwei Zahngenerationen, aber in bedeutend verschiedener Entwicklungsphase. Die größere, ältere Zahnanlage liegt wieder bukkal, medial die jüngere, kleinere. Zwischen beiden hegt ein mit Binde- gewebe ausgefüllter Raum, welcher sofort an die Schmelznische des Pri- matenzahnes erinnert. Sehr wichtig ist es nun, zu beobachten, wie in diesem Falle ein unmittelbarer Kontakt zwi- '\. u^ 7^'^^SSf''^ Fig. 62 stygma Varanus chloro- Zahnleiste (zum Teil) sehen den beiden Zahnanlagen besteht und zwei Zahnlagen im Oberkiefer. und zwar derart, daß die jüngere Zahn- anlage das äußere Epithel der älteren Anlage sogar ein zufalten scheint. In Wirkhchkeit muß man sich die aktive Rolle in diesem Vorgang beim bukkalen älteren Zahn denken. Denn das Schmelzorgan schwillt, wenn die interzellulären Hohlräume sich zu bilden anfangen, sehr stark an. Es kommt dabei bei den Reptihen nicht so deutlich zur Entstehung jener typischen Sternzellen, welche bei den Säugern auftreten, die Pulpazellen nehmen mehr eine länghche Form an. Durch die Schwellung des Organes wird das umgebende Bindegewebe zur Seite gedrängt und es kommt dadurch das äußere Epithel des älteren Zahnes in Be- rührung mit dem Schmelzorgan der folgenden Generation, und wird von diesem sogar eingestülpt. Ich glaube, daß die Übereinstimmung der Befunde bei der Ent- wicklung zweier Zahngenertaionen des Varanus, und die Entwicklungs- erscheinungen an der primären Zahnanlage und der Zahnleiste eines einzigen Primatenzahnes so augenfällig ist, daß wohl kein Raum für über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. H'S Zweifel mehr übrig bleibt, daß das geschilderte Reptilienstadium als ein phylogenetisches Ausgangsstadium betrachtet werden darf für die Diffe- renzierung des Primatenzahnes. Es braucht doch nichts neues mehr hinzuzukommen, es ist nur erforderlich, daß die Zeit, welche zwischen der Anlage zweier Generationen verläuft, möglichst kurz geworden ist, so daß die beiden Reptilienzähne, der bukkal gelagerte ältere, und der medial gelagerte jüngere nahezu gleichzeitig zur Anlage kommen. Ist das der Fall, dann entstehen auch die beiden Zahnpapillen gleichzeitig und in der unmittelbaren Nähe von einander, wodurch eine räumliche Sonderung beider unterbleibt, sie sind zu einer einzigen Papille zusammengewachsen, welche nur in der späteren Entwicklung ihre doppelte Herkunft durch die bukkale und mediale Höckerbildung verrät. Die Schlußfolgerung, welche mit strengster Logik aus dem Oben- stehenden gezogen werden muß, ist, daß das Schmelzorgan der Primaten init zwei Schmelzorganen der Reptilien homolog ist, welche in bukko- lingualer Richtung nebeneinander lagern. Zwei Schmelzorgane sind identisch mit zwei Reptilienzähnen, also muß der Primatenzahn aus einer Konkreszenz zweier, zu zwei verschiedenen Generationen "ge- hörigen Reptilenzähnen entstanden sein. Der Bequemlichkeit wegen wünsche ich hier gleich ein Paar meinen Befunden entsprechende Bezeichnungen einzuführen. Der Säugerzahn ist durch Konkreszenz von zwei Reptilienzähnen entstanden, welche einander als eine ältere Generation und eine jüngere verwandt waren, erstere war bukkal von der letzten gelagert. Indem ich nun den Zahn als „dimeres" Gebilde bezeichne, möchte ich den Zahnteil, der auf die ältere Generation zurückzuführen ist als der ,,Protomer" bezeichnen und den anderen Teil als der „Deutcromer". Ich glaube im Laufe dieser Arbeit diese Entstehungsweise des Säugerzahnes — denn sie gilt nicht nur von den Primaten — so fest begründet zu haben, daß in der Diskussion über Gebißprobleme nicht mehr die Fra'ze, ob Konkreszenz eines Beweises harrt, sondern tlaß jetzt den prinzipiellen Gegnern dieser Theorie den Beweis erbringen müssen, daß Konkreszenz nicht stattgefunden hat. Der ontogenetische Verlauf der Schmelzoreaiianlage und die Differenzierungserscheinungen der Zahnleiste genügten schon an sich, um eine Konkreszenz von zwei Elementen wahrscheinhch zu machen. Denn tieutlich sprach die Doppel- natur der Anlage sich schon aus in der doppellen Verbindung des Schmelzorganes mit der Zahnleiste, weiter in dem Auftreten zweier Bildungszentren von Pulpazellen in dem Or^an und schließlich in dem Auftreten des Schmelzseptum. Es ist nicht versäumt woraen, bei der Beschreibung dieser Talsache jedesmal auf ihre Bedeutung als Zeugnis der Doppelnatur der Anla;e hinzuweisen. Die beschriebenen onto- genetischen Erscheinungen am Reptiliengebiß stellten dann schließlich die Tatsache wohl über allen Zweifel fest. Es scheint mir dann auch prinzipiell die Fra-^e über die Herkunft des Primalenzahnes (Säugerzahn im all emeinen) entschieden. Es sei jedoch sofort bemerkt, daß die spezielle F(»rm des Zahnes in ihren Einzelheiten noch nicht erklärt sei; Auf ciiesen Punkt komme ich noch ausführhch zurück und möchte zuvor ncch einmal auf ein Paar Besoncierheiten zurückkommen, welche uns jetzt besser verstänuhch geworden sind. 6* 84 Vierte8[ Hauptstück. Bei der Beschreibung des Schmelzseptinu ist darauf hingewiesen, daß ursprünglich, wenn in den beiden Hälften die Pulpabildung ange- fangen hat, das Septum noch kein histologisches Gepräge hat. Es besteht aus den Rimdzellen, woraus anfänglich das ganze Organ auf- gebaut ist. Auch das äußere Epithel behält noch längere Zeit den primitiven Charakter bei. Bekanntlich bilden sich die Elemente des letzteren zu Plattenepithelien aus. Es ist ausdrücklich bei der Be- schreibung des Septums betont worden, daß eine übereinstimmende histologische Umbildung auch an den Septumelementen wahrzunehmen ist. Es sind zwar nicht alle Objekte gleich stark beweisend, da die Schnittrichtung mit der Längsachse des Septums zusammenfallen muß. um diese Form der Septalzellen hervortreten zu lassen, und das ist, bei der strangartigen Form des Septums in dem späteren Entwicklungs- stadium, nur selten der Fall. Doch habe ich davon einige sehr schöne Fälle wahrnehmen können (vgl. z. B. Fig. 40, 41 und 42). Es findet diese Erscheinung ihre Erklärung in der oben geschilderten Entstehungs- weise des Septums. Durch Aneinanderlagerung von AVandteilen zweier Schmelzorgane entstanden, bestellt es mithin aus äußerem Epithel, und daß es in späteren Entwicklungsstadien den gleichen Charakter wie letzteres bekommt, darf nicht wundernehmen. Man hat sich zu denken, daß an der Stelle, wo die Scheidewand sich am äußeren Epithel des Schmelzorganes festhaftet, das Epithel sich nach innen umschlägt. Und das ist bei den Halbaffen, wo das Septum sich offenbar besser erhält als bei den Affen, sehr evident. Man vergleiche z. B. die an Propithecus entlehnten Figuren 42 c und d. In der Struktur des Schmelzseptums habe ich jedoch Nichts finden können, was seine Zu- sammensetzung aus zwei Blättern verrät, ebensowenig wie an der Schicht der Ameloblasten eine Grenzmarke zu sehen ist zwischen dem bukkalen und dem lingualen Abschnitt. Das Schmelzepithel zeigt keine histologische Abgrenzung zwischen den beiden Komponenten. Bekannt- lich ist solches jedoch in funktioneller Hinsicht wohl der Fall. Es hat Kose, als Anhänger und als kräftiger Förderer der Konkreszenztheorie, ontogenetische Beweise zur Stütze dieser Theorie herbeizuführen ver- sucht, und dazu zuerst die Ablagerung von Schmelz auf die Zahnpapille genauer untersucht. Seine Ergebnisse sind auch für uns sehr wichtig, denn es konnte festgestellt werden, daß bei mehrhöckerigen Zähnen der Schmelz anfänghch nicht als eine kontinuierliche Schicht abgesetzt wurde, sondern in der Form von getrennten Scherbchen, welche den späteren Höckern entsprechen. Auf der bukkalen Seite tritt die Schmelz- ablagerung früher auf als auf der lingualen, eine Tatsache, die später von Schwalbe bestätigt worden ist. Im Prinzip schheße ich mich Roses Deutung dieser Tatsache an, die dem Autor ein Beweis ist. daß die bukkale Seite des Zahnes einer älteren Generation zugehört als die linguale. In einem sehr wichtigen Punkt jedoch bin ich ganz anderer Meinung als der genannte Autor, nändich in der Auffassung, daß jeder Höcker des Säugetierzahnes einem Kegelzahn der Reptilien gleichwertig ist. Diese äußerste Durchführung des Konkreszenzprinzips ist meiner Meinung nach gründlich verfehlt. Ich bin der Ansicht, daß nur zwei Reptilienzähne im Säugerzahn enthalten sind. Ich komme jedoch auf diese Frage später ausführlich zurück. Es empfiehlt sich, wie ich auch in meinem Münchener Vortrag vorgeschlagen habe, bei den Mammalien im allgemeinen an jedem Zahn zwei GUeder zu unterscheiden, den über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 85 oben «enannten Protnmer und den Deuteromer. Der Protomer bekommt, wie Rose, Schwalbe u. A. nachwiesen, den Schmelz- Überzug getrennt vom Deuteromer und etwas früher. Und darin äußert sich die funktionelle Doppelnatur der Ameloblastenschicht, an welcher, wie gesagt, strukturell nichts von einer ZusammenfUeßung zweier einstmals getrennter Stücke zu sehen ist. Und wenn man jetzt noch einmal die Figuren 60 und 62 betrachtet, dann wird es deutlich, daß Rose richtig sah, wenn er den bukkalen Komponent des Säuger- zahnes als eine ältere Generation, dem Ungualen gegenüberstellte'). Besonders die Fig. 60 ist in dieser Hinsicht sehr wichtig. Der Entwick- lungsgrad der zu zwei aufeinander folgenden Generationen gehörigen Zähne ist relativ wenig verschieden, die Papille der älteren, bukkal ge- lagerten Generation trägt eine zarte Dentinschicht, welche der lingualen, jüngeren fehlt. Ich schließe hiermit die Besprechung der Beziehung des Primaten- zahnes zu den Reptilienzähnen ab. Es ist, wie ich meine, in unzwei- deutiger Weise festgestellt worden, daß die mehr komplizierte onto- genetische Entwicklungsweise, die in ihren Einzelheiten für den Primatenzahn in den ersten zwei Hauptstücken bekannt geworden ist. die Einsicht in der Herkunft desselben nicht verwickelter macht. Im Gegen- teil, jene ontogenetischen Erscheinungen geben gerade den Schlüssel ab, wodurch das Problem der Phylogenese des Primatenzahnes gelöst werden konnte. Es ist derselbe ein Produkt von Konkreszenz. Das darf jetzt wohl als feststeheiul betrachtet werden. Aber mit der Feststellung dieser Tatsache ist die Frage nach der Herkunft noch nicht ganz erledigt. Es ist damit nur das Grundprinzip festgestellt, und die Grunderschei- nung. Die vielen Probleme, welche sich um die Formdifferenzen der Zähne gruppieren, harren noch ihrer Erledigung. Nun gedenke ich nicht in dieser Arbeit auf diese verschiedenen Probleme in der Tiefe einzu- gehen. Es kommt mir jedoch erwünscht vor, daß ich diese Arbeit nicht abschließe, ohne eine Übersicht meiner Ansichten über die weiteren Gebißprobleme gegeben zu haben. Denn zwar kann man jedes derselben als ein gesondertes betrachten, aber sie sind dennoch so eng miteinander verknüpft, daß der Nachweis einer fundamentalen Erscheinung bei einem derselben nicht ohne Einfluß sein kann, auf die Ansichten, welche man über die verwandten Probleme hat. Die erste Frage, welche sich im Anschluß an die in den voran- gehenden Kapiteln mitgeteilten ontogenetischen Erscheinungen erhebt, 1) Die Lagerungsbezieliung von Protomer und Deuteromer zueinander erleidet jedoch bei den unteren postcaninen Zähnen eine merkwürdige Umänderung. Die Kronenentwicklung dieser Zähne, wie dieselbe uns durch Untersuchungen von Rose, Leche, Taeker und Wood ward bei verschiedenen Säugergruppen bekannt geworden ist, und welche ich für mehrere Affen bestätigen konnte, scheint mit der oben gegebenen Darstellung in Streit zu sein. Denn bei diesen Zähnen fängt die Schmelzablagerung nicht an der bukkalen sondern an der vorderen Hälfte an. Dieser Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer, wie ich im nächst- folgenden meiner odontologischen Studien darlegen werde. Ich möchte jedoch schon an dieser Stelle in der Hauptsache die Lösung dieser Kontroverse geben. Es ist nämlich die folgende: im Unterkiefer haben sich in Anpassung an den Raum- verhältnissen die postcaninen Zähnen gedreht, und zwar derart, daß der Deuteromer hinten und lingual vom Protomer zu liegen kommt. Dieser Vorgang bringt die Erklärung mehrerer morphologischer Erscheinungen, und die Lösung einiger Fragen. 86 Viertes Hauptstück. ist wohl diese: sind letztere auf die Primatengriippe beschränkt oder weist die Ontogenie der Zähne anderer Säugergruppen die nämlichen Erscheinungen auf? Letzteres ist wohl a priori wahrscheinlich, denn man darf sich auf den Standpunkt stellen, daß die phylogenetische Ent- stehungsweise der Säugerzähne eine für alle Glieder dieser Vertebraten- gruppe übereinstimmende gewesen sein muß. Es soll damit nicht gesagt sein, daß die Gebißformen sämtlicher Säugetiere von einer einzigen Rep- tilienurform abzuleiten sind. Die ,,Mammalisierung" des Gebisses kam zwar in einer einzigen Weise zustande, aber dieser Prozeß konnte seinen Ausgang nehmen bei Formen, welche ihrer allgemeinen Organisation nach zwar zu einer einzigen Reptiliengruppe gehörten, aber innerhalb letzterer konnte das Gebiß unter Beibehaltung seiner ReptiHennatur doch schon in verschiedener Weise speziahsiert sein. Ich komme auf diesen Gesichtspunkt noch zurück. Aber wie gesagt, die Entstehungsweise der funktionell höheren Zahnform soll wohl für alle eine übereinstimmende gewesen sein. Und wenn jetzt für die Affen eine Entstehung durch Ver- wachsung nachgewiesen ist, da ist es wohl nicht zu erwarten, daß die Zähne anderer Säugetiere lediglich durch Differenzierung eines einzelnen Elementes entstanden sind. Doch genügt ein solcher theoretischer Standpunkt nicht, nur der Nachweis der Übereinstimmung kann be- friedigen. Meine Bemühungen in dieser Richtung haben nun ans Licht gebracht, daß wirklich übereinstimmende Entwickluugserscheinungen wie bei den Primaten nachgewiesen sind, auch bei den übrigen Säugern auftreten. Es ist mir dabei jedoch aufgefallen, daß nicht bei allen Ord- nungen die Erscheinungen in gleicher Deutlichkeit wie bei den Primaten auftreten. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, glaube ich, daß diese Tatsache zugunsten der Ansicht spricht, welche man in der Literatur schon mehrfach ausgesprochen findet, daß das Primatengebiß zu den primitivsten gehört, welche man bei den Säugern findet. Zum Beweis der obenstehenden Behauptung lasse ich in den Fig. 63 bis 68 einige Skizzen durch Zahnanlagen von Canis, Tragulus, Ovis, 'vlv ''■>^>>' Fig. 63. Canis familiaris. Schmelzseptum und Schmelznabel. Fig. 64. Tragulus javanicus. Schmelzseptum und Schmelznabel. Hyrax und Sciurus folgen. Die Figuren kommen des Schmelzseptums bei Canis gehen durch einen oberen Milchmolaren, besteht das Septuni, das sich durch 25 // dieser Zahnanlage ausstreckte, waren die Zellen schon abgeplattet. Schmelznabel sehr deutlich entwickelt. 63 und 64 illustrieren das Vor- resp. Tragulus. Beide Schnitte Bei jenem des Hundes (Fig. 63) vier von den 23 Schnitten von aus Rundzellen, bei Tragulus Beim Hunde ist überdies der Die weiteren Figuren (mit Aus- über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gehiß d. Reptilien. 87 nähme von Fig. 68) beweisen das Vorkommen der doppelten Verbindung des Schmelzorganes mit der generellen Zahnleiste und einer Schmelz- nische. Die Fig. 65 stellt einen Schnitt durch den medialen unteren Incisivus von Hyrax: siriacus dar. Die generelle Zahnleiste zeigt schon deutliche Keduktionserscheinung, die spezielle Leiste dagegen noch nicht. Die laterale Schmelzleiste ist sogar noch sehr kräftig, die mediale steht im Begriff sich vom Organ abzulösen. Die Fig. 66 bringt wieder Fig. 65. Hyrax siriacus. Laterale Schmelzleiste. Schmelznische. Fig. 66. Tragulus javanicus. La- terale Schmelzleiste. Schmelznische. einen Schnitt durch einen oberen Milchmolaren von Tragulus. Es tritt dabei die gleiche Erscheinung vor, welche wir auch bei Molaren von Primaten nachgewiesen haben, es kommt nämlich die laterale Schmelz- leistc nicht aus der generellen Zahnleiste zum Vorschein, sondern sie tritt selbständig aus dem Kieferepithel hervor, so daß die Schmelznische auch zum Teil durch dieses Epithel begrenzt wird. Ich mache auf die epithelialen Zellwucherungen aufmerksam, die sich an der bukkalen Seite des Schmelzorganes finden, und auf deren Bedeutung ich bei der Beschreibung der Primatenzähne wiederholt hingewiesen habe. Ein wenig anders verhält sich die Anlage eines oberen Milchmolaren von Ovis, in Fig. 67 abgebildet, da hier die laterale Schmelzleiste von einer generellen Zahnleiste Ausgang nimmt. Der Zahn ist hier tiefer ins Kiefermesenchym eingerückt. Die Fig. 68 illustriert sehr schön ein Ver- halten, das auch wohl bei Primaten beobachtet wurde, wovon jedoch keine Meldung gemacht worden ist, da es aus gewissen Gründen einer speziellen Untersuchung überwert ist. Es betrifft nämlich die Tatsache, daß das Septum nicht immer das Schmelzorgan in zwei gleich große Hälften trennt, bisweilen verläuft es sehr schräg durch die Schmelzpulpa. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß diese Erscheinung in Ver- bindung steht mit der ungleichen Entwicklung des lingualen und bukkalen Zahnkomponentes, ich möchte darüber jedoch kein Urteil aussprechen, da ich be- sondere Untersuchungen m dieser Richtung noch nicht angestellt habe. Ein sehr schönes Beispiel einer sehr exzentrischen Stellung Fig. 67, Ovis aries. Ijaterale Schmelzleiste. Schmelznische. 88 Viertes Hauptstück. liefert das Schmelzorgan der großen Schneidezähne von Sciurus, wie aus Flg. 68 ersichthch. Die vier Skizzen stellen vier aufeinanderfolgende Frontalschnitte dar durch den meist vorderen Teil der Anlage. Der Schnitt a ist ein Tangentialschnitt, wobei die Schmelzpulpa gerade getroffen wurde. Um diese Figur zu verstehen, tut man am besten, von Schnitt d Ausgang zu nehmen, diese liefert keine Schwierigkeit, die Skizze a liegt drei Schnitte weiter nach vorn. In dem Schnitt h ist innerhalb der Schmelzpulpa das Septum zu sehen, aus Rundzellen aufgebaut und in Form von zwei dem äußeren Epithel sehr dicht genäherten Bändern, die die Pulpa in eine zentrale Masse und periphere Schicht zu trennen scheinen. Gleiches ist noch in Skizze c der Fall; hier ist d^'e zentrale Masse kleiner ge- worden und im Schnitt d ist letztere kaum angedeutet. Zwei Schnitte weiter nach hinten ist von einem Septum nichts mehr zu sehen und es folgen dann noch mehr als zwanzig Schnitte durch die Zahnanlage. Versucht man nun den abgebildeten Zustand sich räumlich vor- zustellen, dann ist es deuthch, daß hier das Septum als eine Lamelle sich vortut, welche sehr kurz hinter der Vorderwand des Schmelzorganes und diesem parallel gestellt ist. Die jetzt angeführten Beispiele genügen zum Beweise, daß die vier Bildungen, welche bei den Primaten nachgewiesen sind: laterale Schmelzleiste, Schmelznische, Schmelzseptuni und Schmelznabel, nicht auf dieser Ordnung beschränkt sind, sondern auch bei der Entwicklung der Zähne anderer Säugetiere auftreten. Daraus folgt, daß die Be- merkungen allgemeiner Art, welche sich an diese Bildungen anknüpfen lassen, nicht allein für die Affen Geltung haben. Wenn wir also vom Primatenzahn nachgewiesen haben, daß eine Zusammensetzung aus zwei Elementen darin vorliegt, dann gilt Gleiches für den Säugerzahn im allgemeinen. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß bei dieser Regel keine Ausnahmen vorkommen können. Das muß Gegenstand spezieller Untersuchung sein. Insbesondere denke ich dabei an die Zähne der Cetaceen und der Edentaten, welche sekundär wieder zu ,, einfachen", nicht zusammengesetzten Zähnen zurückgebildet sein können. Über den Elefantenmolar komme ich noch *zu sprechen. Es ist die von mir als laterale Schmelzleiste bezeichnete Bildung in der Literatur schon öfters erwähnt worden, aber wohl immer ist sie mit einer hypothetischen prälaktealen Dentition in Zusammenhang gebracht. Ein Paar sehr lehrreiche Beispiele davon will ich aus der Literatur anführen. In der Arbeit Adloff s : Das Gebiß des Menschen und der Anthro- pomorphen^) bildet der Autor auf S. 136 einen Frontalschnitt durch den Schmelzkeim des unteren Premolaren eines Spermophilus ab. ¥\g. 68. Sciurus vulgaris. 1) Berlin 1908. Julius Sin-inger. über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. ,^9 Die laterale Schmelzleiste, die Schiiielznische und die generelle Zahn- leiste sind deutlich differenziert und sofort zu erkennen. Und merkwürdig ist es, wie nahe der Autor der richtigen Interpretation kommt. JEr kommt auf die Entstehung des Säugerzahnes durch Beteiligung mehrerer Dentitionen von Reptilien zu sprechen und fährt dann folgenderweise fort: .,Es sind neuerdings eine Reihe von Unter- suchungen veröffentlicht worden, die zum mindesten die Beteiligung mehrerer Dentitionen an dem Aufbau eines Zahnes außer allen Zweifel zu stellen scheinen. Textfig. 9 (die bezügliche Figur in der Adloff- schen Arbeit. Ref.) zeigt einen derartigen Befund. Es ist der Schmelz- keim des unteren Prämolaren von Spermophilus leptodactylus. Labial derselben liegt eine der sogenannten prälaktealen Dentitionen an- gehörige Anlage, die sich teilweise mit ihm in Verbindung befindet." Um noch ein zweites Beispiel — das wohl zu den überzeugendsten gehört, welche sich in der Literatur vorfinden — anzuführen, wähle ich die Beschreibung, die Kükenthal von der Entwicklung des Gebisses von Manatus gegeben hat. Ich verweise besonders auf die der Abhandlung beigegebenen Figuren'). Von der oberen zweiten Back- zahnanlage — wovon zwei Frontalschnitte die Beschreibung illustrieren — sagt der Autor: „Eine sehr auffällige Erscheinung ist ein Epithel- strang, der kurz unter dem Mundhöhlenepithel sich labialwärts von der Zahnleiste abzweigt und sich durch das Bindegewebe zur labialen Seite der Zahnanlage hinzieht. Fig. 4 zeigt aufs deutlichste, wie dieser Epithelstrang in die labiale Wand der Zahnanlage eintritt und wie er einen kleinen Vorsprung bildet. Daß die Verschmelzung der Zellen dieses Stranges mit den Zellen der Zahnanlage nicht vollkommen vollzogen ist, erkennt man daraus, daß sich zwischen ihnen und der Zahnanlage eine Lücke befindet. Als was ist nun dieser Epithelstrang aufzufassen ? Wir können ihn nur als die Anlage einer prälaktealen Dentition ansehen, die aber mit der zur ersten Dentition gehörigen Zahnanlage zu verschmelzen im Begriffe steht. Wir haben also hier eine Backzahnanlage vor uns, die aus zwei verschmelzenden Den- titionen besteht, der prälaktealen und ersten, von denen die erstere die labiale Wand der Zahnanlage zu bilden im Begriffe ist." Nicht weniger deutUch tritt die laterale Schmelzleiste (mihi) bei der Anlage des dritten Backzahnes von Manatus in die Erscheinung; die Schmelznische (siehe Kükenthals Fig. 5) ist hier sogar auffallend groß. Auch von den Backzähnen des Unterkiefers heißt es: ,, Ebenso wie auf aer labialen Seite sich der prälakteale Epithelstrang am Aufbau des Zahnes beteiligt, so auf der lingualen Seite die Zahnleiste." Die von Kückenthal bei Manatus beschriebenen Entwicklungsvorgänge sind mit jenen der von mir bei den Primaten beschriebenen so stark übereinstimmend, als hätte das Gebiß eines Affenembryo vorgelegen. Wenn man in den diesbezüghchen Sätzen von Kükenthal jedesmal statt ,. prälakteale Zahnleiste" die in dieser Arbeit inaugurierte Be- zeichnung laterale Schmelzleiste stellt, dann decken sich nicht nur die Beschreibung, sondern auch die auf Grund der Beobachtung gezogene Schlußfolgerung vollkommen. Kükenthal betrachtet jedoch den von ihm beschriebenen Fall als eine Ausnahme. Ich glaube gezeigt zu haben, sowohl durch eigene Befunde als durch die zitierten Fälle 1) Anat. Anz. 1896, Bd. XII. S. 513. 90 Viertes Hauptstück. aus der Literatur, daß es sich um ein regelmäßig vorkommendes, essen- tielles Element aller Zähne bei im allgemeinen allen Säugern handelt. Und damit ist zugleich die Deutung dieser Bildung als ein Beweis einer sogenannten prälaktealen Dentition hinfällig geworden. Es ist etwas Überraschendes darin, daß zur Deutung der lateralen Leiste immer eine hypothetische prälakteale Dentition herangezogen wurde, statt die mehr auf der Hand liegende und mehr einfachere Erklärung zu geben, daß diese labiale Leiste der Entstehung des Säugerzahnes aus wenigstens zwei Eeptihenzähnen zu beweisen imstande war. Man schuf sich doch dabei die Schwierigkeit, daß man eine Konkreszenz von Zähnen noch innerhalb des Säugetierstammes annahm. Daß ich der Doktrin einer hypothetischen prälaktealen Den- tition bei den plazentalen Säugetieren auf Grund meiner Untersuchungen an Säugetiergebissen abhold bin, brauche ich kaum besonders zu be- tonen. Ich verweise dazu an dieser Stelle kurz auf den Inhalt meines Vortrages auf der Anatomenversammlung zu München und besonders auf die darin enthaltene Schlußfolgerung, daß es keine Beziehung gibt zwischen den beiden Zahngenerationen der Mamniahen und den vielen Zahngenerationen bei den Reptilien. Der Zahnwechsel der ReptiUen ist ein ganz anderer Vorgang als jener der Säugetiere. Es würde jedoch zu weit führen, an dieser Stelle näher auf dieses Gebiß- problem einzugehen, ich komme darauf an geeigneter Stelle noch zu- rück, möchte hier jedoch einige kritische Bemerkungen folgen lassen über die supponierte prälakteale Dentition der Säugetiere, ganz un- abhängig von meiner Auffassung über den verschiedenen Charakter des Zahnwechsels bei Säugern und ReptiUen. Der Begriff prälakteale Dentition hat in der Literatur große Verwirrung gestiftet. Man trug nicht immer der Tatsache Rechnung, daß derselbe eine theoretische Konstruktion war, um der Konkres- zenztheorie eine Stütze zu verleihen. Und, wie gesagt, es muß wundernehmen, daß gerade jene Forscher, welche die Konkres- zenztheorie zu neuem Leben gebracht haben, diesen Begriff in der Phylogenie des Säugergebisses eingeführt haben, auf Grund von ontogenetischen Beobachtungen, statt den mehr auf der Hand hegen- den Weg einzuschlagen und die von ihnen beobachteten Er- scheinungen als Beweise zu deuten der Konkreszenz des Zahnes aus Einzelelementen. Bei der Ansicht, wie sie z. B. von Manatus durch Kükenthal laut obigem Zitat verteidigt worden ist, daß hier die prälakteale Dentition durch Verschmelzung mit der laktealen unter- gegangen sei, muß sich doch sofort die Frage erheben, warum denn im allgemeinen die Zähne der laktealen Dentition nicht viel kom- phzierter gebaut sind als jene der permanenten. Es hat diese Ansicht, daß Dentitionen miteinander verschmelzen, Anlaß gegeben zu den so zahlreichen Auffassungen, welche man in der Literatur über die Natur der permanenten Molaren findet. Durch die Schöpfung des Begriffes prälakteale Dentition wurden die Gebißprobleme unnütz viel komplizierter gestaltet als sie es in der Tat sind, und es Hegt auch etwas Inkonsequentes in diesem Begriff, denn der Kernpunkt der Konkreszenztheorie liegt in der Annahme, daß die zusammengesetzten Zähne durch Verwachsung von kegelförmigen Einzelzähnen der Rep- tiUen entstanden sind. Wir brauchen uns vorläufig nicht mit der Frage einzulassen, inwieweit die Konkreszenztheorie in dieser Form über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 91 richtig sei. Diese Hypothese ist allerdings eine in sich abgeschlossene, und aut ihre Richtigkeit ganz unabhängig von einer eventuellen prälaktealen Dentition zu prüfen. Aber in der Auseinandersetzung Kükenthals und anderer Anhänger der Verschmelzungstheorie wurde nun der Fehler begangen, daß man diese Theorie zu stützen suchte durch Beweise von Konkreszenz nicht von Einzelzähnen, sondern von verschiedenen Dentitionen. Man kannte den primitiven Säugern mehr als zwei funktionierende Zahngenerationen zu. Aber diese Dentitionen müßten schon aus säugetierähnlichen Zähnen aufgebaut gewesen sein, es dürften keine einfachen Kegelzähne mehr gewesen sein, denn m einem solchen Fall würden es noch keine Säugerzähne gewesen sein. Man muß sich daher, wenn man ganz konsequent sein will, auch die prä- laktealen Zähne mit den Merkmalen des Säugerzahnes ausgestattet denken, d. h. es waren schon zusammengesetzte Elemente. Und die als solche gedeuteten Verwachsungserscheinungen eines prälaktealen mit dem laktealen Gebisse, kann daher nicht als Beweis angeführt werden, daß der Säugerzahn durch Konkreszenz von Kegelzähnen entstanden sei. Sie können nur zur Stütze der Richtigkeit des Verwachsungs- prinzips überhaupt herangezogen werden. Die Natur der die Verwach- sung angehenden Elemente bleibt dabei ungelöst. Auf welchen tatsächlichen Beobachtungen beruht nun die An- nahme, daß es jemals ein prälakteales Gebiß bei Säugetieren gegeben hat? Es ist sofort darauf hinzuweisen, daß vergleichend-anatomisch diese Annahme auf große Schwierigkeiten stößt, denn es liegt bis jetzt in der Literatur keine Beobachtung vor, weder bei dem rezenten noch bei dem paläontologischen Maierial, welche das einstmalige Vorkommen von mehr als zwei Dentitionen bei den Mammahen beweist. Der ganze Begriff ist ein rein theoretischer: weil bei den Reptilien Polyphyodontis- mus vorherrscht, bei den Säugern meistenteils Diphyodontismus (bis- weilen Monophyodontismus) ist letzterer Zustand zustande gekommen zu denken durch allmähliche Verringerung der Zahngenerationen, wobei auch einmal eine triphyodonte Phase durchlaufen sein muß. Diese rein theoretische Ansicht ist schon durch ebenfalls rein theo- retische Argumente zu entkräften. Es liegt nämlich kein einziger Grund vor, uns diese Verringerung der Zahngenerationen bei den schon zu Säugetieren differenzierten Vertebraten vollzogen zu denken. Wenn man den Zahnwechsel der Reptilien vergleichend-anatomisch studiert, dann trifft man Formen, wo dieser Vorgang ein sehr intensiver ist, aber ebenfalls andere, wobei die Zahl der Generationen äußerst be- schränkt erscheint. Bei einer dritten Gruppe ist der Zahnwechsel im vorderen Teil des Gebisses viel intensiver als im hinteren. Bald werden die Zähne gewechselt, wenn noch nicht die geringste Spur von Abnutzung zu beoljachten ist, bald werden die Zähne in hohem Maße abgenützt, ehe sie durch neue ersetzt werden. Bei letzteren Formen nimmt man die interessante Tatsache wahr, daß beim Abschleifen der Zähne infolge des Gebrauches, die Pulpahöhle — welche bis zur Spitze des Zahnes reicht — durch Ablagerung von Dentin auf die Abnützungs- fläche geschlossen bleibt, bis schließlich die Kieferränder statt wohl- entwickelte, scharf spitzige Zähne zu tragen, nur mit einer Dentinleiste besetzt sind, wo Einkerbungen und seitliche Furchen die Grenze der ursprünglichen Einzelzähne noch verraten. Sehr schön ist das z. B. bei Histiurus (Lophura) amboinensis zu sehen. Ich komme in einer 92 Viertes Hauptstück. späteren Arbeit auf diese Erscheinungen zurück und gebe dieses Bei- spiel, nur um die bekannte Tatsache hervorzuheben, daß auch bei den Reptilien eine stark ausgesprochene Polyphyodontie keine Notwendig- keit ist. Von den Theromorphen lautet bekanntlich die Angabe, daß sie monophyodont gewesen sein sollen. Wenn man sich nun auf den Standpunkt stellt, daß jede Zahngene- ration der Säugtiere einer Zahngeneration der Reptilien homolog ist, dann ist theoretisch denkbar, daß schon bei den reptiUenartigen Vor- fahren der Säuger die Zahl der Generationen auf zwei beschränkt war. Oder wenn man in dem Säugerzahn jeder Dentition einen Komplex: von mehreren zu verschiedenen Zahngenerationen gehörigen Kegel- zähne erblickt, und in dieser Verwachsung den Grund der Verringerung der Zahngenerationen bei den Säugern auf zwei (drei) sieht, dann ist dagegen anzuführen, daß schon bei den Reptilien eine Verringerung dieser Generationen auftreten kann, ohne daß es dabei zur Entstehung eines zusammengesetzten Zahnes kommt. Aber, wie gesagt, alle diese Auffassungen gehen aus von der Grund- anschauung, daß der Zahnwechsel der Reptilien eine identische Erschei- nung ist als jene der Säuger, daß die Dentition als Zahngeneration auf- zufassen sei, was meiner Meinung nach nicht der Fall ist. Mit dem oben Gesagten war es dann auch nur mein Zweck, auf einige Schwierigkeiten hinzuweisen, welche entstehen, wenn man das Konkreszenzproblem mit dem Dentitionsproblem verknüpft. Das Konkreszenzproblem darf nur mit der Entstehung der Zahnformen in Beziehung gebracht werden und nicht mit dem Problem des Zahnwechsels. Es bleiben zur Stütze einer eventuellen prälaktealen Dentition nur ontogenetische Beobachtungen übrig, denn die Erklärung gewisser Zahnanomahen als Elemente des prälaktealen Gebisses ist doch schwer- lich als ein Beweis für das einstmalige Vorkommen eines solchen Ge- bisses anzuführen. Und was die ontogenetischen Beobachtungen be- trifft, stehe ich noch auf dem gleichen Standpunkt, den ich in meiner Abhandlung über die Entwicklung des Gaumens und die Bedeutung der Zahnleiste eingenommen habe: es wird manches als prälakteale Zahnanlage bei den Säugetieren angeführt, was in der Tat etwas ganz anderes ist. Die in der vorliegenden Arbeit nachgewiesene N'ebenleiste der Primaten, welche der Zahndrüsenleiste der Reptihen in rudimentärer Form entspricht, mit ihrer rudimentären Sprossenbildung, ist eine sehr fruchtbare Quelle von sogenannten prälaktealen Zahnanlagen. Eine weitere Quelle ist die laterale Schmelzleiste, welche, wie nachgewiesen wurde, bisweilen unmittelbar aus dem Mundhöhlenepithel hervortritt. Hat einmal diese Leiste ihre Verbindung mit dem Schmelzorgan teil- weise gelöst, oder zeigt sie andere Rückbildungserscheinungen, dann trifft man in einzelnen Schnitten bisweilen nur sprossenartige Reste, welche lateral von der Zahnleiste ins Kieferepithel eindringen. Wenn man nun alles, was auf die rudimentäre Zahndrüsenleiste oder die laterale Schmelzleiste zurückzuführen ist, aus den angeblichen prälaktealen Befunden ausschaltet, dann glaube ich, daß wenig mehr auch von den ontogenetischen Beobachtungen übrig bleibt, was zu- gunsten dieser Hypothese spricht. Und dadurch werden, wie ich meine, die Gebißprobleme zu viel einfacher und leichter verständKchen Auf- gaben zurückgeführt. über d. Bezieh, d. SäugerzaLnes u. Säiigergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 93 Auf die eben is;egebene Deutung der sogenannten prälaktealen Zahnanlagen muß ich jedoch sofort eine Ausnahme machen, nämlich was die Befunde betrifft, welche bei der ontogenetischen Entwicklung des Beutlergebisses gemacht sind. Bekanntlich spielt das Gebiß der Beuteltiere in der Theorie der prälaktealen Dentition, infolge der Unter- suchungen von Kükenthal, Leche, Carlsson, Rose, Woodward, Dependorf u. a. eine hervorragende Rolle. Wenn man als Kriterium einer Zahnanlage nicht jede willkürliche Epithelsprosse annimmt, sondern als solches eine wirkliche Zahnbeinentwicklung fordert, dann entspricht das Marsupialiergebiß wirklich dieser Bedingung. Denn wie aus den Untersuchungen der genannten Forscher hervorgegangen ist, erscheinen wirklich labial von dem funktionierenden Gebiß der Beutler, das wohl dem Milchgebiß der übrigen Säuger homolog ist, in Verbindung mit rudimentären epithelialen Bildungen, kleine Zahnscherbchen welche jedoch bald wieder resorbiert werden. Hier haben wir somit unzweideutige Anlagen von Zähnen, labial von der ersten oder Milch- dentition. Diese Beobachtungen bilden scheinbar wohl das kräftigste Argument für eine prälakteale Dentition. Ich möchte jedoch die rudi- mentären Zahnscherbchen bei dieser primitiven Säugergruppe in anderer Weise deuten, indem ich geneigt bin, sie zu indentifizieren mit jenen rudimentären Zahnanlagen, welche schon mehrfach bei den Reptihen nachgewiesen sind, und ebenfalls schon während der individuellen Entwicklung verschwinden, und welche ich in meinem Münchener Vortrag schon als den ,,Parastichos" des Reptihengebisses unter- schieden habe. Auf diesen wichtigen Punkt kann ich jedoch erst näher eingehen, wenn ich die Auseinandersetzung meiner Ansichten über die Bedeutung der Dentition bei den Säugetieren und ihre Beziehung zur Struktur des Reptiliengebisses gegeben habe. Daß es bei Säugern ehemals mehr als zwei Dentitionen gegeben haben sollte, ist eine Ansicht, welche man besonders von Anhängern der Konkreszenztheorie verteidigt findet, bei jenen der Differen- zierungstheorie findet man sie fast nicht. Unverständlich ist das nicht. Denn es bildet eine der hauptsächlichsten Hilfshypothesen der Kon- kreszenztheorie, daß die Verringerung vieler Zahngenerationen der Reptilien zu den wenigen der Säuger eben die Folge der Konkreszenz war. Von Hause aus trägt daher die Verwachsungstheorie einen viel komplizierteren Charakter, da hierin die Probleme der Formentwick- lung des Zahnes aufs engste verknüpft worden sind mit jenen des Zahnwechsels. Diese Konfusion von Problemen vermißt man bei der Differenzierungstheorie, Formbildungs- und Dentitionstheorien bleiben hierbei scharf getrennt. Daß solches auch der Fall sein kann mit An- wendung des Konkreszenzprinzipes, wird im Laufe dieses Abschnittes noch klar werden. Denn ich habe im Obenstehenden nur auf einige schwache Punkte der Konkreszenztheorie in ihrer jetzigen Form hin- weisen wollen. Daß es mir fern liegt, das Verwachsungsprinzip zu verwerfen, ist selbstverständlich, die ganze vorhegende Arbeit hat gerade zum Zweck, die Entstehung des Säugerzahnes durch Verwachsung zu beweisen. Es ist nicht gegen das Prinzip, daß ich opponiere, sondern gegen ihre Verwendung und Ausarbeitung. Es ist meiner Meinung nach die Hilfshypothese einer prälaktealen Dentition nur zum Schaden dieser Theorie gewesen, ebenso wie eine zweite Hilfshypothese, gegen welche ich mich jetzt wende. 94 Viertes Hauptstück. Es darf in den vorangehenden Hauptstücken der tatsächliche Beweis als erbracht betrachtet werden, daß der Säugerzahn durch Verwachsung entstanden ist. Aber nur durch Verwachsung von zwei Elementen; nur von zwei. Und auf diesen Punkt wünsche ich besonders die Aufmerksamkeit zu lenken. Denn darin kommt ein weiteres Prinzip zum Ausdruck, worin ich von der geläufigen Vorstellung der Konkre- szenztheorie abweiche. Schon bei einem der Autoren, welche zuerst die Konkreszenz- hypothese aufgebaut haben, nämlich bei Ameghino, findet man die Ansicht ausgesprochen, daß jedem Höcker des Säugerzahnes einem einfachen Kegelzahn der Reptilien homolog gestellt werden muß. Diese Ansicht ist wohl als die zurzeit herrschende aufzufassen. Bis- weilen — wie z. B. bei Kramberg er — wird sie noch auf die Zahn- wurzel ausgedehnt. Es kommt mir vor, daß diese Annahme einer der schwächsten Punkte der Konkreszenztheorie ist. Rose hat die- selbe dadurch zu stützen versucht, daß er bei seinen Untersuchungen besonders die Entwicklung der Zahnpapille verfolgte, um zu er- forschen, ob dieselbe ein zusammengesetztes Gebilde sei. Nun ist es w^ohl merkwürdig, daß sowohl beim Menschen als beim Opossum der Autor bei den zusammengesetzten Zähnen ursprünglich immer nur „zwei Papillen direkt nebeneinander gelagert und teilweise ver- schmolzen" fand (Anat. Anz., Bd. VII, S. 392 f.). Auch verweist der Autor nach der Untersuchung von Mahn (Morph. Jahrb., Bd. XVI), woraus zu ersehen ist, daß auch beim zweiten Molaren der Nager ähnlich wie beim Menschen ursprünghch nur zwei Papillen vorhanden sind. Diese Tatsache ist wichtig, denn sie stimmt mit der von mir nachgewiesenen Doppelnatur des Schmelzorganes überein. Erst später entwickeln sich, wie der Autor anführt, im Anschluß an die definitive Form der Zahnkrone ,,die weiteren Nebenpapillen, bis so viele Unter- abteilungen vorhanden sind als der ausgebildete Molar Hauptstücke besitzt" (1. c. S. 396). Sehr kennzeichnend ist es, daß der Autor hier von Nebenpapillen spricht. Dadurch erlangt das Auftreten zuerst von nur zwei Papillen, die nebeneinander gelagert sind, noch mehr Rehef. Doch hat Rose diese Erscheinung nicht weiter berücksichtigt, da er eine Entstehung wenigstens der Prämolaren und Molaren aus einer größeren Zahl von Einzelzähnen bevorsteht. Gleicher Ansicht war Ameghino, der schon vor Rose die Konkreszenztheorie formuhert hat und der Meinung war, es wären die postkaninen Zähne der Säuger durch Verwachsung von sechs Reptilienzähnen zustande gekommen. Es will mir scheinen, daß die Auffassung, daß jeder Kronen- höcker einem kegelförmigen Einzelzahn der Reptilien entspricht, die Konkreszenztheorie in unerwünschter Weise kompHziert und schwerer verständlich gemacht hat. Denn bei dieser Annahme muß nicht nur eine Verwachsung von Zähnen, zu verschiedenen Generationen gehörig, stattgefunden haben, wodurch die Vielhöckerigkeit in transversalem Sinne zustande kam, sondern daneben eine Verwachsung von Zähnen derselben Generation, wodurch der Zahn in sagittaler Richtung zu- sammengesetzt wurde. Ich bin der Überzeugung, daß es gar nicht notwendig ist, das Konkreszenzprinzip in so ausgedehntem Maße anzuwenden und daß in Wirklichkeit der Vorgang ein viel einfacherer gewesen ist. Meine Auffassung ist kurz die folgende. Ich denke mir den Säugerzahn über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 95 entstanden durch Verwachsung von zwei Reptilienzähnen, welche zu zwei aufeinander folgenden Generationen gehören und wovon der eine, ältere, deshalb bukkal von dem zweiten, jüngeren gelegen war. Dadurch wurde der Säugerzahn mehrhöckerig in transversaler Richtung, er wurde aus einem Protomcr und einem Deuteromer zusammen- gesetzt. Diese Entstehungsweise gilt für alle Zähne des Gebisses, sowohl Frontzähne als Molaren. Ein prinzipieller Unterschied in der Entstehung der sogenannten Monocuspidaten und Multicuspidaten besteht nicht, die Formdifferenzen zwischen den Zähnen sind nicht die Folge von verschiedenartiger Konkreszenz, sondern die Folge der weiteren Differenzierung. Bis so weit steht meine Auffassung auf gesichertem Boden, es ist vorher nachgewiesen, daß alle Zähne, In- cisivi sowohl als Molaren, ontogenetisch durch Konkreszenz zweier Elemente entstehen, und daß die Ontogenese der Molaren in nichts abweicht von jener der Incisivi. Nun denke ich mir weiter — und was jetzt folgt, ist nicht auf tatsächliche Beobachtung gegründet, sondern beruht auf anatomischen Erscheinungen, welche man am Reptiliengebiß wahrnimmt — daß die beiden Elemente, aus deren Verwachsung der Säugerzahn entstanden ist, nicht einfache Kegel- zähne waren, sondern schon mehrspitzig. Und zwar denke ich dabei an jene Form, die man nicht selten bei den Reptilien antrifft, nämlich die dreispitzige oder trikonodonte. Das Resultat der Verwachsung war somit in schematischer, idealer Form ein Zahn, der auf den Kronenflächen zwei Reihen von drei Höckern trug, eine bukkale und eine linguale. Die Kompliziertheit des Säugerzahnes in Längsrichtung ist meiner Ansicht nach ein Erbstück der reptilienähnlichen Stamm- formen. Es war, wie ich meine, eine schwach begründete Annahme der früheren Konkreszenztheoretiker, die Verwachsung so intensiv sich zu denken und als Grund element eines Säugerzahnes einen kegelförmigen Zahn zu postulieren. Es schwebte dabei als Grundform wohl ein wenig zu viel das haplodonte Gebiß der Krokodile vor dem Geist. Der kegel- förmige Reptilienzahn ist zwar in seiner Gestalt der denkbar einfachste, aber in seinem Auftreten muß auch diese Form als Anpassungsprodukt an eine spezielle Funktion betrachtet werden. Kegelförmige Zähne trifft man überall da, wo die Beute nur ergriffen zu werden braucht; es sind vorzügliche Hilfsapparate bei der Greiffunktion der Kiefer. Dagegen trifft man, wo nicht nur Ergreifen, sondern auch Beißen und Zerschneiden der Beute vorkommt, mehr abgeplattete, seitlich komprimierte Zähne mit einer scharfen Kante, einer wahren Schneide ausgestattet. Solche Zähne, in einer geschlossenen Reihe stehend, sind vorzüglich imstande, in die ergriffene Beute einzuschneiden. Rein haplodonte Gebisse, nur aus Kegelzähnen zusammengesetzt, trifft man hauptsächlich bei ReptiMen mit einer verlängerten Schnauze, besonders den Krokodilen. Hier hat sich die Form der Zähne vorzüglich an den Greifakt angepaßt. Auch ihre stärkere Befestigung in den Kiefern ist wohl als eine An- passungserscheinung von gleicher Bedeutung zu betrachten. Bei kurzschnäuzigen Reptilien kommen derartige einfache Zahnformen weniger vor. Nur jene, welche im Prämaxillargebiet stehen und ihre Gegenzähne im Unterkiefer, also im allgemeinen die Frontzähne, besitzen noch meistenfalls eine konische Gestalt, die nach hinten fol- genden nehmen dagegen mehr die abgeplattete Form an. Rein haplo- 96 Viertes Hauptstüek. donte Gebisse gibt es bei den kurzschnäuzigen Reptilien viel weniger. Man kann nun öfters konstatieren, daß die Schneide dieses abgeplatteten Zahnes sich kompliziert, mehrspitzig wird. Es würde zu weit führen, in dieser Arbeit auf Einzelheiten einzugehen und ich beschränke mich auf die Bemerkung, daß der dreispitzige Zahn in dem mehr hinteren Abschnitt des Gebisses bei den rezenten ReptiHen eine ziemlich ver- breitete Form darstellt. Es ist mir weiter wahrscheinlich geworden, daß auch das Krokodilengebiß erst sekundär ein rein haplodontes geworden isi, vielleicht wohl infolge einer phylogenetisch erfolgten Verlängerung der Kiefer. Es sind doch die hinteren Zähne dieser Reptilien bei ihrer ersten Anlage im Querschnitt w^eniger rund, und die kleinen Zähnchen, welche noch während der Embryonalperiode zugrunde gehen und zuerst von Rose beschrieben worden sind, haben sogar eine stark abgeplattete Form. Es liegt somit meiner Meinung nach kein zwingender Grund vor, um die Säugerzähne durch Verwachsung von Kegelzähnen ent- standen zu denken, und ebensowenig — aber darauf komme ich unten noch ausführlicher zurück — um dem Säugetiergebiß ein rein haplo- dontes Reptiliengebiß als Ausgangsform zu geben. Bei den mehr speziahsierten und differenzierten Reptiliengebissen tritt der trikono- donte Zahn so häufig, um nicht zu sagen regelmäßig, auf, daß es mehr wahrscheinlich ist, daß dieser Zahn den Ausgangspunkt des Säuger- zahnes bildete als der kegelförmige. Es wird auch durch diese Annahme — für w^elche auch paläontologische Befunde das Wort zu reden scheinen — die Konkreszenztheorie wieder zu einer viel einfacheren Form zu- rückgeführt und mit den ontogenetischen Befunden in Übereinstimmung gebracht. Denn wir finden bei den Zähnen des Mammaliengebissen während der Entwicklung nur die Spuren einer einmaligen Verwachsung von zwei nebeneinander liegenden Elementen. Von einer Konkreszenz in longitudinaler Richtung fehlt jede Spur. Nun erhebt sich gleich die Frage, wie ist denn die trikonodonte Form des Reptilienzahnes entstanden? Wir stehen hier vor dem näm- lichen Problem wie beiin Säugerzahn: entweder Differenzierung oder Konkreszenz. Rose ist der Meinung, daß der trikonodonte Zahn der ReptiKen (z. B. bei Chamaeleon) durch Verschmelzung von drei Kegel- zähnen zustande gekommen ist. Auch von den gelegenthch vorkom- menden zweispitzigen Amphibienzähnen glaubt er ,, annehmen zu dürfen, daß auch diese Zähne ursprünglich durch Verschmelzung von zwei einfachen Kegelzähnen entstanden sind" (Anat. Anz., Bd. VII, S. 399). Von den Amphibienzähnen habe ich keine Erfahrung, aber was die mehrspitzigen ReptiHenzälme betrifft, muß ich eine Entstehung durch Verwachsung unbedingt von der Hand weisen. Ich habe bei meiner Untersuchung über die Entwicklung des Reptiliengebisses selbstverständhch dieser Frage besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Und es ist mir dabei keine einzige Erscheinung begegnet, welche für eine Verwachsung von mehreren Zähnen zu einem zusammengesetzten zeugt. AnfängUch sind die Nebenspitzen reine Dentinformationen, erst später bekommen sie — und nicht einmal immer — eine kurze eindringende Nebenpapille. Aber weder an der generellen Zahnleiste, noch im Schmelzorgan ist auch nur die geringste Andeutung bei der Anlage und während der weiteren histologischen Differenzierung zu sehen, welche den Gedanken an eine vorangehende Verwachsung über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 97 Machriift. Und diese Tatsache ist sch^Yer^vieg•elld, wenn man bedenkt, daß bei der Entstehung des Säugerzahnes die Beweise der Verwachsung der zwei Elemente sich so vorzüghch äußern. Die Trikonodontie der Reptihenzähne als die Folge von Ver- wachsung anzusehen, ist somit eine durch nichts begründete Hypothese, welche durch die Ontogenie als höchst unwahrscheinhch, um nicht zu sagen unrichtig, gekennzeichnet wird. Es ist der dreispitzige Zahn, der gewöhnlich gleichzeitig mehr oder weniger abgeplattet ist, als eine Differenzierung des Einzelzahnes zu betrachten, als eine der schnei- denden Funktion des Gebisses angepaßte Gestalt. Dafür spricht z. B. noch der Umstand, daß die Zahl tler Nebenspitzen nicht immer auf zwei beschränkt bleibt. Es kann die Schneide des Zahnes mit einer größeren Zahl feiner Spitzen ausgestattet sein. In einer folgenden Arbeit hoffe ich auf diese Erscheinungen ausführhch einzugehen. Fasse ich jetzt das Obenstehende kurz zusammen, dann kommt also meine Auffassung über die Beziehung des Säugerzahnes zu dem Reptilienzahn im allgemeinen (über Besonderheiten siehe weiter unten) auf folgendes zurück. Der Säugerzahn ist entstanden durch Konkre- szenz. Das ist durch den Inhalt der vorangehenden Hauptstücke wohl als eine gesicherte Tatsache zu betrachten. Es ist für jeden Zahn — welcher Form er in erwachsenem Zustande auch sein darf und welche Stelle er im Gebiß einnehmen darf — nur eine einmalige Konkreszenz zweier Elemente anzunehmen; es ist der Zahn ein dimeres Gebilde. Diese Elemente sind zwei aufeinander folgender Gene- rationen des Reptihengebisses homolog, der Protomer des Säuger- zahnes entspricht der älteren Generation, der Deuteromer der jüngeren. Auch das ist durch die vorher mitgeteilten Beobachtungen aus der Ontogenie des Säugerzahnes und der Vergleichung mit der Entwicklung des Reptiliengebisses wohl als festgestellt zu be- trachten, ebenso wie die Tatsache, daß jede Andeutung einer Ver- wachsung in longitudinaler Richtung fehlt. Es ist also jeder Säuger- zahn zwei Reptilienzähnen homolog. Daß hierbei stillschweigend die Zähne von Edentaten, Cetacaeen, Monotremen und des Elefanten außer den Kreis unserer Betrachtung gestellt werden, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Durch diese Verwachsung kam die Mehrhöckerigkeit des Zahnes in transversalem Sinne zustande. Jene in longitudinaler Richtung isi nicht die Folge von Konkreszenz, diese wurde dadurch ins Leben gerufen, daß die die Verschmelzung ein- gehenden Elemente nicht einfache Kegelzähne oder monokuspidate waren, sondern schon mehrspitzig. Diese Mehrspitzigkeit war nicht die Folge von Verwachsung, sondern von Differenzierung. Die Mehr- höckerigkeit in transversaler Richtung ist somit vom Säugerzahn er- worben, jene in longitudinaler Richtung ist von den reptihenartigen Stammformen ererbt worden. Meine Theorie, welche als die „Dinier- Theorie ' des Säugerzahnes zu bezeichnen ist, nimmt somit eine Mittel- stelle zwischen Differenzierungs- und Konkreszenztheorie ein. Ich werde jetzt auf ein paar Punkte eingehen, welche wieder das Gebiß als Ganzes betreffen, und zwar auf die Entstehung der Hetero- dontie und die Beziehung zwischen dem Zahnwechsel der ReptiHen und jenem der Säugetiere. Es ist früher schon darauf hingewiesen, daß man bei den Betrach- tungen über die Umbildung des Gebisses dem heterodonten Gebiß der Bolk, Die Ontogenie der Primateiizähae. 7 98 Viertes Hauptstück. Säugetiere gern ein haplodontes Reptiliengebiß gegenüberstellt, und ein derartig gebautes Gebiß als die primitivste Ausgangsform des Säuger- gebisses auffaßt. Die Ansicht vertreten sowohl Anhänger der Kon- kreszenztheorie als der Differenzierungstheorie. So weist Osborn öfters auf den Zahnbau der Delphinen hin, dessen haplodontes Gebiß er als diese ursprüngliche Form des Säugergebisses anführt (vgl. Evolution of Mammalian Molar Teeth, S. 64) '). Daß es sich bei diesen Formen jedoch um eine Anpassungserscheinung handelt, um eine sekundär entstandene Form, ist wohl zweifellos, und durch die Unter- suchungen Kükenthals über die Entwicklung des Walengebisses hin- längKch festgestellt. Osborn selber ist ebenfalls dieser Ansicht (1. c. S. 191), dürfte aber dann auch nicht solche Gebisse als die Urform des Säugergebisses vorstellen. Diese ideale haplodonte Ausgangsform des Säugergebisses scheint mir von den Begründern beider Gebiß- entwicklungstheorien dem Prinzip ihrer Theorie zu Liebe postuhert zu sein. Denn Säugetiere mit einem primären haplodonten Gebiß sind bis jetzt unbekannt. Und das darf kaum wundernehmen. Denn auch bei den Reptilien trifft man rein haplodonte Gebisse nicht allzu häufig an. Es macht sich gewöhnlich eine allmählich nach hinten fortschreitende Spezialisierung der Zähne bemerkbar, sie werden größer und die Spitze wird mit Einkerbungen versehen. In den letzten Jahren ist nun von mehreren Seiten die Aufmerksamkeit auf die merkwürdige Gruppe der Theriodontien, und die Bedeutung dieser Gruppe als die vermuthche Stammform der Säugetiere gelenkt worden. So sagt Osborn in seinem oben zitierten Sammelwerk über die Entstehung der Säugermolaren auf S. 9: ,,The reptihan cone origin theory has recently gained strength by the very general admission that the Theriodont reptiles are at least nearly ancestral to the mammals." Es liegt in dieser Behauptung eine Über- schätzung der Beweiskraft für die Differenzierungstheorie. Es können die Gebisse der Theriodontien nur angeführt werden als Beweis, daß die trikonodonte Zahnform, welche hier nicht selten ist, in irgendwelcher Weise zu den Zähnen der Mammahen in Beziehung steht, und weiter der Beweis, daß die Trikonodontie nicht infolge von Verwachsung, sondern durch Differenzierung entstanden ist. Zu letzterer Ansicht sind wir auch auf Grund unserer ontogenetischen Untersuchungen ge- langt. Aber es sind diese Zähne doch immer nur in Längsrichtung mehr- spitzig, daß die Komphziertheit der Säugerzähne in transversaler Rich- tung durch Differenzierung entstanden sei, das vermögen die Gebisse der Theriodontien nicht zu beweisen. An diesem Punkte divergieren die Ansichten von Cope-Osborn und die meinigen, und zwar am schwächsten Punkte ihrer Theorie. Denn hier müßten die amerikanischen Forscher eine Verschiebung der Höcker gegeneinander postuheren, wofür genügende Beweise fehlen, während meiner Meinung nach hier das Konkreszenzprinzip Geltung hat, wofür die embryologischen Beobach- tungen die unzweideutigen Beweise gebracht haben. Auch von Fuchs-) ist neuerdings die enge Verwandtschaft der genannten Gruppe zu den Säugetieren betont worden, vornehmlich auf 1) New York 1907. Mac Millann Co. 2) H. Fuchs, Über die Beziehungen zwischen den Theromorphen Copes bzw. den Therapsiden Browns und den Säugetieren, erörtert auf Grund der Schädelverhältnisse. Zeitschr. f. Morph, u. Anthr., Bd. XIV, S. 367. über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 99 Grund von vergleichend-anatomischen Untersuchungen am Kopfskelett, eine Ansicht, der sich weiter Bluntschli ') angeschlossen hat. Auch dieser Autor faßt diese Gruppe als für den Ursprung der Säugetiere am meisten in Frage kommende auf. Es ist nun für die Anschauungen über die Herkunft der Zahn- formen der Säuger von der größten Bedeutung, daß diese Gruppe eine bisweilen hochgradige Spezialisierung des Gebisses aufweist. Nicht selten ist das Gebiß deutlich aus einer präkaninen und postkaninen Keihe zusammengesetzt, welche voneinander durch einen bisweilen einem Säugereckzahn ähnelnden, stark hervortretenden Caninus getrennt sind. Besonders bei den Cynodontia, welche auch, wie Fuchs hervorhebt, in anderen Beziehungen sich am meisten den Säugern nähern, ist die Diffe- renzierung des Gebisses bisweilen sehr weit fortgeschritten. Man braucht dann auch, wie ich in Übereinstimmung mit Fuchs meine, an der Wurzel des Säugetierstammbaumes sich keine Form zu denken mit einem haplodonten Gebiß, vielmehr spricht dafür, daß Heterodontie schon von den reptihenartigen Vorfahren auf die Säuge- tiere vererbt worden ist. Aber die Erscheinung gelangte bei den Säuge- tieren zu einer viel schärferen Ausprägung, und die MögUchkeit dazu wurde gerade durch die Entstehung des Säugetierzahnes durch Zu- sammenschmelzung zweier KeptiHenzähnen von aufeinanderfolgenden Generationen gegeben. Denn wenn einmal diese Verschmelzung zustande gekommen war, konnte die Differenzierung und Speziahsierung auf dem vielhückerigen Gebilde, das jetzt entstanden war, sich viel reich- licher entfalten und die Heterodontie immer mehr akzentuieren. Und wenn ich nun die Resultate meiner Untersuchungen am laktalen und permanenten Primat engebiß von diesem Gesichtspunkte aus betrachte, dann erscheint mir, wie gesagt, dasselbe zurückzuführen zu sein auf eine Grundform, worin die präkaninen sowohl als die post- kaninen Zähne trikonodont waren, so daß jeder Zahn dieses Gebisses einen sechshöckerigen Urzahn zum Prototyp hat. Für den Caninus habe ich keine sichere Andeutungen gefunden, daß derselbe aus einer wirkhchen mehrspitzigen Grundform hervorgegangen sein sollte, es ist zwar auch ein Doppelgebilde, aber wie es mir scheint, von rein kegelförmigen Elementen. Latent kann jedoch das Vermögen Neben- spitzen zu bilden sehr gut auch in diesem Zahn anwesend sein. Nun würde man natürlich umsonst bei jedem Zahn des Primaten- gebisses die ursprüngHche Grundiorm nachzuweisen hoffen ; ein einziger Bhck auf das Gebiß eines beliebigen Primaten oder eine nur oberfläch- liche Vergleichung der Molaren einiger Primaten genügt, um sich von der starken Metamorphosierung zu überzeugen, welche die einzelnen Zähne im Laufe der Entwicklung unterlegen waren. Nur ausgiebige vergleichend-anatomische Untersuchungen machen es niögUch, um zu entscheiden, in welcher Weise jeder Zahn infolge von Keduktion und Verlust von Spitzen oder Höckern von der Grundform sich entfernt hat. Dazu kommt, daß bei den Frontzähnen der Deuteromer des Zahnes immer nur in sehr stark reduzierter Weise als das sogenannte Tuber- kulum anwesend ist, was als eine Anpassung an die Funktion zu be- trachten ist. 1) H. Bluntschli, Zur Phylogenese des Gebisses der Primaten und Aus- blicke auf jenes der Säugetiere überhaupt. Vierteljahrschr. d. Naturf.-Gesellsch. in Zürich, Jahrg. 56. 100 Viertes Hauptstück. Es liegt ganz außerhalb des Rahmens dieser Arbeit, welche nur die Gebißprobleme im allgemeinen zum Gegenstand hat, eine verglei- chend-anatomische Betrachtung des Primatengebisses, vom von mir eingenommenen Standpunkt aus, zu geben. Ich beschränke mich an dieser Stelle darauf, meine Ansicht kennen zu lernen. In der zweiten dieser odontologischen Studien hoffe ich. die Anatomie des Primaten- gebisses von diesem Standpunkt aus zu bearbeiten. Nur möchte ich noch einmal hervorheben, daß diese Ansicht nicht eine aprioristische ist, sondern eine, wozu ich durch Vergleichung gekommen bin. In Abweichung von der Differenzierungstheorie komme ich somit bezüglich des Entwicklungsganges zu einer gerade entgegengesetzten Anschauung. Während es der Hauptgedanke jener Theorie ist, eine Ver- mehrung der Zahnhöcker bis höchstens sechs innerhalb der Säugetier- reihe anzunehmen, welche dann von einer Verringerung gefolgt sein kann, wobei dieser Vorgang auf den postkaninen Zähnen beschränkt bleibt, denke ich mir die maximale Zahl der Höcker gleich am Anfang anwesend, und weiter besteht kein prinzipieller Unterschied zwischen post- und präkaninen Zähnen. Alle Zähne sind von einer sechs- höckerigen Grundform ableitbar. Im Laufe der weiteren Entwicklung hat nur Verringerung der Höcker stattgefunden. Diese Verringerung kommt auf zweierlei Weise zustande, durch wirkhche Regression eines Höckers oder durch Verschmelzung zweier Höcker. Jener Zahn ist somit am primitivsten, der die größte Zahl der Höcker auf- weist, und jene Form ist die ursprünglichste, bei der die Sechshöckerzahl der Zähne noch am reinsten vorhanden oder am dichtesten genähert ist. Dieser Gedanke ist bekannthch gar nicht neu. Im allgemeinen wird er von den Anhängern der Konkreszenztheorie geteilt und ist öfters ausgesprochen worden. Fast identisch mit der von mir ver- teidigten Anschauung ist jene von Ameghino, der ebenfalls unter Hinweis auf die Molaren von Proteodidelphys den sechshöckerigen Zahn als die meist primitive Form der Säugermolaren auffaßt. Ich weiche jedoch in zwei Punkten von diesem Konkreszenztheoretiker ab, nämhch wenn er diese Form seines ,,plexodonten" Zahnen durch Verwachsung von sechs Einzelzähnen zustande kommen läßt, und wenn er einen Gegensatz zwischen postkaninen und präkaninen Zähnen macht. Auch durch Forsyth major wird ein vielhöckeriger Zahn als die Urform des Säugerzahnes angesehen. Von dem von mir eingenommenen Standpunkt betrachtet, er- leiden die Gebißprobleme eine wesentliche Vereinfachung. Erstens wird dadurch der Gegensatz zwischen den präkaninen und postkaninen Zähnen hinfällig, die Elemente beider Abschnitte des Gebisses sind potentia von gleicher Zusammensetzung, die Anpassung an die Funk- tion ist der alleinige Faktor, der die Formdifferenz geschaffen hat, und nicht eine Verschiedenheit in der Herkunft. Der Gegensatz zwischen einfachen und zusammengesetzten Zähnen im Gebiß der Säuger hat nur für die erwachsene Form und nicht für die Genese Bedeutung. Es soll damit nicht gesagt sein, daß bei den Stammformen der Primaten jemals Gebisse existiert haben, welche ganz aus molarenähnhchen Zähnen aufgebaut waren, denn schon bei den reptihenähnlichen Vor- fahren war die Formdifferenz zwischen Frontzähnen und hinteren Zähnen anwesend, und die Entstehung des Säugerzahnes durch Ver- wachsung von zwei solchen Reptilienzähnen akzentuiert, wie schon über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 101 gesaojt worden ist, dieselbe in hohem Maße. Wohl niemals wird diese Verwachsuno- zur Folge gehabt haben, daß die schneidende Funktion der Frontzähne eingebüßt wurde, der Deuteromer ist bei den Incisivi, wohl nicht immer, aber doch meistenfalls sehr rudimentär entwickelt. Eine weitere Vereinfachung erleidet von meinem Standpunkte aus das Gebißproblem noch bezügKch der Frage, welche Zähne als primi- tiver zu betrachten sind, die Milchmolaren oder die diese ersetzenden Prämolaren. Diese Frage ist für mich als gegenstandslos zu betrachten. Beide Formen sind von der identischen Urform abzuleiten, aus leicht zu durchschauenden Ursachen haben jedoch die Milchmolaren diese Urform, die sich besser für ihre Funktion eignet, reiner konserviert als die Prä- molaren. Das Studium der individuellen Variationen des Kronenreliefs letztgenannter Zähne beim Menschen bringt jedoch merkwürdige Er- scheinungen ans Licht, welche durch die von mir verfochtene Anschau- ung selbstverständhch erscheinen. Übrigens hat Loche schon betont, daß die Zähne der ersten Dentition Merkmale fossiler Vorfahren be- wahrt haben. Li der Deutung dieser Tatsache gehen jedoch unsere Ansichten auseinander. Ich kann die Besprechung dieses Gegenstandes nicht abschheßen ohne die folgende Frage noch kurz berührt zu haben. Wenn ich als Grundform des Primatenzahnes den Sechshöcker- zahn ansehe, dann möchte ich vorläufig diese Ansicht auf die Primaten (einschließlich die Prosimiae) beschränken. Nur von dieser Gruppe kenne ich auf Grund eigener Untersuchungen die Anatomie des Ge- bisses. Von den Gebissen der übrigen Säugerordnungen habe ich zurzeit noch zu wenig Detailkenntnis, um das oben genannte Prinzip auch dafür geltend zu machen. Damit soll nicht gesagt sein, daß auch bei den übrigen Säugern Übereinstimmendes nicht vorkommt. Ich erinnere daran, daß vorher nachgewiesen wurde, daß auch bei den meist ver- schiedenen Säugetieren der Zahn wie bei den Primaten durch Kon- kreszenz zweier Zähne entstanden sein muß. Aber fraghch bleibt es, ob bei allen Säugerordnungen die, die Verwachsung angehenden Ele- mente, alle eine dreispitzige Schneide besäßen, wie es bei den Stamm- formen der Primaten der Fall gewesen sein muß, und weiter ob der Deuteromer (der Zahn der jüngeren Generation) nicht bisweilen in ganz rudimentärer Weise mit dem Protomcr verwachsen ist, auch bei post- kaninen Zähnen, wie es bei den Primaten nur bei den präkaninen der Fall gewesen ist. Ich möchte somit vor einer Generalisierung, welche nicht auf spezieller Untersuchung beruht, warnen. Und ich finde je mehr Anlaß dazu, weil die jetzt wohl allgemein angenommene verwandtschaftliche Beziehung der Sängetiere zu den Theriodontien für die Herkunft der verschiedenen Formen des Säugetier- gebisses eine breitere Basis schafft. Wie früher betont worden ist, kommt bei diesen fossilen Reptilien ein bisweilen schon hochgradig differen- ziertes Gebiß vor. Aber weder die Differenzierung noch die Form der Zähne beantwortet bei allen Repräsentanten dieser Gruppe an einem einzigen Muster. Es gibt hier schon sehr weit auseinandergehende Verschiedenheiten. Diese werden wohl zum Teil durch die Art der Nahrung und die in Verbindung damit stehende Bewegungsart der Kiefer in Beziehung stehen Letzteres Moment ist besonders von Bluntschli herangezogen worden. Eine gemeinschafthche Urform für die Gebisse sämtlicher Säuger annehmen zu wollen, scheint mir eine J02 Viertes Hauptstück. nicht notwendige Hypothese. Es kommt mir wahrscheinhcher vor, daß die Divergenz der Gebißarten der Säugetierordnungen schon bei den reptilienähnhchen Verfahren der Säuger angebahnt war, um bei den Mammalien selber immer weiter fortzuschreiten. Es brauchen somit nicht immer gleichförmige Elemente gewesen sein, welche bei der Ent- stehung der Säuger miteinander verschmolzen, um den Säugerzahn zu bilden. Und die Verschiedenheiten zwischen den homologen Zähnen der Säugergebisse können somit schon in der Differenz der Zähne der reptilienartigen Stammform der verschiedenen Ordnungen wurzeln. In dieser Ansicht kommt jedoch nur eine Meinung zum Ausdruck, welche nicht durch tatsächliche Untersuchungen in dieser Eichtung gestützt wird. Mit dieser Bemerkung möchte ich meine Betrachtung über die Heterodontie des Gebisses abschheßen und werde ich auf das zweite große Gebißproblem eingehen, nämhch jenes des Zahnwechsels. Es gibt wohl kaum eine morphologische Frage, welche zu so vielen einander widersprechenden Meinungen Anlaß gegeben hat, als die Er- scheinung des Zahnwechsels. Eine Übersiehe der darauf Bezug habenden Theorien folgen zu lassen, kommt mir überflüssig vor, da ich bezüghch dieses Problems an keiner der bis jetzt veröffentlichten Meinungen an- knüpfe, sondern auf einem prinzipiell verschiedenen Standpunkt stehe. Den sich für diese Frage interessierenden Leser kann ich zu einem raschen Überblick über die Theorien auf das bekannte Referat von Schwalbe verweisen'), worin die verschiedenen Ansichten in vor- züglicher Weise dargestellt sind. Nur ein paar allgemeine Bemerkungen finden hier einen Platz. Es ist ganz richtig, wenn Kükenthal in seiner Untersuchung über die Entwicklungsgeschichte des Pinnipediergebisses -) bemerkt, daß die vielen Widersprüche, welchen man in der Literatur begegnet, auf die große Unsicherheit der Grundanschauungen zurückzuführen sind. Doch ist das wohl nicht die einzige Ursache. Nicht wenig hat zu der Vielseitigkeit der Meinungen die Tatsache beigetragen, daß man zwei fundamental verschiedene Gebißprobleme miteinander verbindend, diese gleichzeitig zu lösen versuchte. Ausgehend von der Ansicht, daß der Zahnwechsel der Reptilien und jener der Säugetiere identische Er- scheinungen sind, war man bestrebt, eine Beziehung ausfindig zu machen zwischen der Verringerung der Dentitionen und der Zahnzahl bei den Säugetieren und der komphzierten Form der Zähne dieser Gruppe. Be- sonders stellte man dabei die vielhöckerigen postkaninen Zähne den einfacher gestalteten Frontzähnen gegenüber. Diese Verknüpfung von fundamentell verschiedenen Erscheinungen miteinander hat Anlaß ge- geben zu einem solchen Reichtum von individuellen Ansichten, Mei- nungen und Erklärungen, wie sich kaum auf einem anderen Gebiet der vergleichenden Morphologie findet. Nicht wenig hat der oben genannte Autor selber und auch in der zitierten Abhandlung zu diesen zahlreichen Meinungsdifferenzen beigetragen. Denn seine Befunde gaben den Autoren Anlaß zur Behauptung, daß im Laufe der Entwicklung des Gebisses (von Phoca) nicht nur die beiden mit erster und zweiter Den- tition anderer Säugetiere zu homologisierenden Dentitionen auftreten, 1) Verhandl. der Anat. Gesellschaft 1894. 2) Jenaische Zeitschrift, Bd. XXVIII. über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 1Q3 sondern in der ersten Anlaoe können vier aufeinander folg:ende Den- titionen vorhanden sein. Eine von den beiden akzessorischen Denti- tionen dokumentiert sich als ein starker Epithelsproß, welcher nach außen von der Milchbezahnung abgeht und ein kolbenförmiges Ende besitzt. Der Autor deutet letzteres wieder als die letzten Reste einer ehemaligen, bei den Säugetieren geschwundenen Zahnreihe, als eine prälakteale Dentition. Gegenüber der Lehre einer prälaktealen Dentition bei Plazentaliern habe ich schon früher Stellung genommen. Ein Teil der Angaben über eine solche Dentition beruhen auf Beobach- tung von Teilstücken der lateralen Schmelzleiste, welche ein essentieller Bestandteil jeder Zahnanlage ist, und mit einer eventuellen Vormilch- zahnreihe nicht in Beziehung steht, sondern die Folge ist von der Ent- stehung des Säugerzahnes aus zwei Reptihenzähnen. Jedenfalls geht aus der Kükent halschen Untersuchung hervor, daß diese" Doppel- natur des Säugerzahnes auch bei den Phociden besonders deutlich sich verrät. Es hat bei den Plazentaliern wohl niemals mehr als zwei Denti- tionen gegeben. Denn auch die Annahme einer vierten, sogenannten postpermanenten, beruht auf keinem ausreichenden Grund. Küken- thal wie Leche basieren die Möglichkeit einer solchen Dentition auf das sogenannte freie Zahnleistenende, das beim Abschnüren der Zahn- anlage von der Zahnleiste auftritt. Ich kann mich dieser Meinung nicht anschließen, weil hierbei Zahngeneration der Reptilien und Dentition der Säugetiere als zwei identische Erscheinungen aufgefaßt werden, was meiner Meinung nach nicht der Fall ist. Über die Bedeutung des reifen Zahnleistenendes komme ich noch zu sprechen, denn meine Auf- fassung darüber wird allerdings erst verständlich sein, nachdem ich meine Ansicht über die Beziehung zwischen dem Zahnwechsel der Reptihen und jenem der Säuger auseinandergesetzt habe. Wie schon gesagt, bin ich der Auffassung, daß die beiden Gebisse der Säugetiere nicht den Zahngenerationen der Reptilien entsprechen, sondern eine essentiell andere Erscheinung sind, welche aber zum Schlüsse auf die Struktur des Reptihengebisses zurückzuführen ist. Schon auf der Anatomenversammlung zu München habe ich meine diesbezügliche auf anatomische Befunde begründete Ansicht aus- gesprochen. Der Vollständigkeit halber, und um in dieser Arbeit meinen Auffassungen über das Säugergebiß in möglichst abgerundeter Form Raum zu geben, werde ich auch hier diese Herkunft der Dentitionen bei den Säugern, wie ich mir dieselbe denke, auseinandersetzen. Das Kiefergebiß der Reptihen besteht aus einer bisweilen großen Anzahl ein- oder mehrspitziger Zähne, welche öfters ungleich groß, und in einer einzigen Reihe mit dem Kiefer verwachsen oder in Alveolen ein- gefaßt sind. Ein Gebiß, das nur aus einer einzigen Reihe von Zähnen be- steht, möchte ich als ein ,,nionostichisches" unterscheiden, im Gegen- satz zu solchen, wo — wie bei Fischen und Amphibien es öfters der Fall ist — die Zähne in mehreren Reihen nebeneinander vorkommen. Eine solche Gebißform ist als ,,polystichisch" zu bezeichnen. Dem An- schein nach ist nun das Reptihengebiß ein monostichisches. Wenn man jedoch die Untersuchung nicht auf das fertige Gebiß beschränkt, sondern die Anlage desselben untersucht, dann erscheint es in einem etwas anderen Licht, und bekommt man eine andere Auffassung über seine Struktur. Denn dann wird es deutlich, daß die Anordnung samt- 104 Viertes Hauptstück. licher Zähne in einer einzigen Reihe bei den Eeptilien keinen primären Zustand darstellt, sondern erst im Laufe der Ontogenie zustande kommt. Auf die generelle Zahnleiste werden die Zähne nicht in einer einzigen Reihe angelegt, sondern sehr deutlich in zwei. Die eine derselben ist der Ansatzstelle der generellen Zahnleiste am Kieferepithel mehr ge- nähert. Die Anschwellung, welche die erste Andeutung des sich entwickelnden Schmelzorga- nes darstellt, liegt in der Kontinuität der Leiste, und wölbt sich buk- kal vor, wäh- rend die Zahn- papille auch von dieser Sei- tein das junge Schmelzorgan einwuchert. In Wirkhchkeit ist der Vorgang ein etwas an- derer, da bei den Reptilien die Zahnleiste viel stärker als bei den Säuge- tieren den Cha- rakter einer Doppellamelle trägt, und die Glockenform des Schmelzorganes durch Einfaltung der Leiste zustande kommt. Das Schmelzorgan der Reptilien ist dann auch dem gleich- namigen Organ der Säugetiere nicht homo- log, denn das primäre Organ, oder die pri- märe Zahnanlage der letzteren umfaßt zwei Schmelzorgane der Reptilien und dazu ein Stück der generellen Zahnleiste. Eine ein- fache Vergleichung der Organe bei beiden Vertebratengruppen lehrt dann auch un- mittelbar den sehr verschiedenen Charakter kennen; bei den Reptilien erscheint die erste Anlage des Organes als eine einfache Ein- stülpung der generellen Zahnleiste, bei den Säugetieren kommt es zunächst zur Anlage eines kompakten birnförmigen Gebildes. Aber das sind für die jetzt verfolgte Frage nur Nebensachen. Kehren wir wieder zur Topographie der Zahnanlagen zurück. Die Organe der zweiten Reihe entwickeln sich am freien Rande der Leiste, und besonders bei diesen Anlagen ist es evident, daß die Einfaltung der Anlagen zum glockenförmigen Stadium gar nicht durch die Zahnpapille bedingt wird, Fig. tiO. Crocodilhis poro- siis. Anlage eines Zahnes des Exosticlios. über d. Bezieh, d. Säugerzalmes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 105 denn die Einfaltimg findet statt, wenn von einer Zahnpapille noch nicht die geringste Spur zu sehen ist. Auch hierin kommt wieder der mehr primitive Charakter vom Schmelzorgan zum Ausdruck. In den Figuren 69 u. 70 gebe ich zwei Schnittserien durch die beiden Formen von Anlagen eines Embryo von Crocodillus porosus. In Fig. 69 ist eine lückenlose [Serie durch eine „parietale", in Fig. 70 eine solche durch eine terminale Anlage gegeben. Bei der ersten Ge- bißanlage liegen somit die Zähnchen nicht in einer einzigen Reihe, sondern in zwei; das Gebiß ist daher in sei- nem Wesen kein mo- nostichisches, sondern ein ,, distichisches". Diese beiden Reihen sind am zweckmäßig- sten als ,,Exostichos" und Endostichos" zu unterscheiden, denn bei den jüngeren Em- bryonen der Reptilien hat die generelle Zahn- leiste meistenteils eine ausgesprochene hori- zontale Lage, welche besonders im Oberkiefer bei sehr vielen Rep- tilien das ganze Leben hindurch beibehalten bleibt. Die beiden Rei- hen sind deshalb hin- sichtlich einander als eine äußere und eine innere gelagert. Es ist nun von der größten Bedeutung, daß die Zahnanlagen in den beiden Reihen regelmäßig miteinander alternieren , auf ein Zähnchen des Ex:o- stichos folgt eines des Endostichos, welches wieder von einem exo- stichalen gefolgt wird usw. Die Elemente des Exostichos sind dabei in der Entwicklung immer etwas bei jenen des Endostichos vor. Doch bestehen hierin sehr große Differenzen zwischen den verschiedenen Crocodillus porosus. Anlage Zahnes des Endostichos. 106 Viertes Hauptstück. Familien, sogar zwischen nahe verwandten Formen. Bei den Kroko- dilen ist der Unterschied gering, bei Varaniis z. B. sehr stark. Wir kommen auf diese Tatsache noch zurück. In Fig. 71 ist versucht worden, ein Stück einer generellen Zahnleiste, von der bukkalen Seite gesehen Fig. 71. Schema der Gebißanlage von Crocodillus porosus. und mit Anlagen von sieben Zähnen besetzt, vier davon [a—d) gehören zum Ejtostichos, die drei übrigen (1, 2 u. 3) zum Endostichos, schema- tisch wiederzugeben. Eine distichische Anlage des Gebisses habe ich schon für eine Reihe von Sauriern aus den verschiedensten Familien feststellen können. In meinem in München gehaltenen Vortrag sind einige weitere Beispiele angeführt und ist auch darauf hingewiesen worden, daß bisweilen am erwachsenen Gebiß noch Erscheinungen festgestellt werden können, welche'mit dieser'ursprünglichen Struktur des Gebisses in direkter Be- ziehung stehen. Doch sind das wohl Ausnahmen, denn als Regel ist am funktionierenden Gebiß von einem Distichismus nichts mehr zu P'ig. 72. Hein idactylus marginatus. Horizontalschnitt durch den Oberkiefer. sehen. Das genannte Strukturmerkmal wird meistenteils schon während der embryonalen Entwicklung unkennbar. Denn bei der weiteren Ent- wicklung rücken nun bald die Zähnchen des Endostichos zwischen jene des Exostichos, so daß eine einzige Reihe gebildet wird. Und in solch einer einfachen Reihe kommen dann die Zähne mit dem Kiefer zur Ver- wachsung, oder werden in Alveolen aufgenommen und das Gebiß scheint monostichisch zu sein. Aber dieser Monostichismus ist kein wahrer, kein primärer, er stellt einen sekundär zustande gekommenen Zustand dar. Bei den folgenden Zahngenerationen äußert sich die wahre Natur des Gebisses noch bisweilen, indem die Zähne alternierend gewechselt werden. In meinem in München gehaltenen Vortrag habe ich davon über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 107 Beispiele angeführt, die in der Publikation abgebildet sind, ein weiteres gebe ich in untenstehender Fig. 72, die einen horizontalen Schnitt durch den Oberkiefer eines Hemidactylus marginatus darstellt. Die Zahnleiste ist der Länge nach getroffen, lingual vom Maxillare. Ein genaues Studium der Figur läßt zwei Punkte ans Licht treten: zuerst daß von einer Eeihe, welche in Begriff steht zu wechseln, die Zähnchen voll- ständiger sind je weiter sie nach hinten liegen, und weiter daß die Zähnchen dieser wechselnden Reihe mit jenen einer anderen alternieren, wovon alle Elemente ungefähr gleich alt und alle mit dem Kiefer ver- wachsen sind. Die Tatsache, daß die Zahnerneuerung in einer be- stimmten Richtung in einer der beiden Reihen allmähhch fortschreitet, während die andere in einer Periode von Intaktsein sich befindet, trägt dazu bei, daß die Funktion des Gebisses am wenigsten durch die Zähnung beeinträchtigt wird. Diese Regelmäßigkeit kommt nicht immer vor, ist häufig auf die Frontzähne beschränkt und wird in dem weitaus größten Abschnitt des Gebisses nicht selten gänzlich zerstört. Die Ursache hegt öfters schon darin, daß die Elemente der ersten Generation beider Reihen nicht alle gleich schnell wachsen, so daß z. B. ein mehr nach hinten gelegener Zahn schon weiter entwickelt sein kann als ein mehr nach vorn liegender, obwohl als Regel auch bei den Sauriern während der embryonalen Entwicklung die vorderen Zähne am weitesten ent- wickelt sind. Doch sind das Details, auf welche einzugehen ich mir in einer folgenden Arbeit vorbehalte. In der Literatur findet sich schon eine sehr merkwürdige Bestätigung meiner Befunde der distichischen Natur des Reptihengebisses. Doch war der Fall vom Untersucher nicht richtig gedeutet. Es betrifft nämlich die äußerst genaue Beschreibung, welche Harri son ^) von der Ent"wicklung des Gebisses von Hatteriagibt. Es bestehen bei diesem Reptil augenfällige Verschiedenheiten zwischen den Zähnen des Exostichos und jenen des Endostichos. Erstere sind merkhch größer als letztere, so daß am funktionierenden Gebiß ein großer und ein kleiner Zahn regelmäßig alternieren. Aber wie gesagt, Harrison gibt eine unrichtige Deutung des besonders ausführlich und genau beschriebenen Vorg-anges. Denn er sagt 1. c. S. 202: ,,The teeth wich are developed on the dental lamina during the incubation period and wich function during the early life of the living aninial, are almost certainly the members of two distinct dentitions, the later teeth in- stead of displacing the earlier Coming to alternate with then." Auch der Autor beschreibt hier somit bei Hatteria den Vorgang, daß eine Reihe von Zähnchen alternierend zwischen einer anderen Reihe sich einschiebt, aber fälschlich deutet er die beiden Reihen als eine ältere und jüngere Generation. Nach dem Autor hätten die Zähnchen der einen Reihe jene der anderen ersetzen müssen. Über die Tatsache, daß bei Hatteria das in der Jugendzeit funktionierende Gebiß aus zwei Generationen besteht, äußert der Autor dann auch seine Verwunderung. Doch ist letztere nur die Folge einer unrichtigen Deutung. Die Zähnchen, welche sich zwischen den anderen einschieben, sind nicht solche einer jüngeren Generation, es sind jene der inneren Gebißreihe. Dasselbe, was Harrison für Hatteria beschreibt, kann man bei jedem beliebigen Saurier wahr- nehmen, falls man die richtigen Entwicklungsstadien zur Verfügung hat. 1) Quat. Journ. of raicrosc. Sc, Vol. XLIV. 108 Viertes Hauptstück. Ich muß hier noch kurz auf einen Punkt eingehen, auf dem ich auch in meinem Münchener Vortrag schon hingewiesen habe. Es ist zuerst von Kose ein Befund beschrieben, den er bei CrocodiUus gemacht hat und den ich bestätigen konnte. Er fand nämlich bei sehr jungen Embryonen eine Reihe kleinster Zähnchen, welche der Insertionslinie der Zahnleiste am Kieferepithel entlang direkt aus dem Mundhöhlen- epithel entstehen. Diese Zähnchen treten vor der Anlage der Elemente des Exostichos und Endostichos schon auf, ohne daß es zur Bildung eines Schmelzorganes kommt, sinken in der Tiefe des Kiefermesen- chyms ein, um bald vollständig resorbiert zu werden. In Fig. 70 ist ein solches Zähnchen mit abgebildet. Derartige rudimentäre Anlagen sind seitdem auch von Leche, Levy, Carlson und Harrison, sowie von mir bei anderen Reptihen angetroffen. Rose deutet dieselben als die erste Zahngeneration der Reptihen. Ich kann mich dieser Auf- fassung nicht unbedingt anschließen. Nicht unwahrscheinlich kommt es mir zu sein vor, daß diese Rudimente die Reste einer dritten Zalmreihe sind, welche bukkal von dem Exostichos verhef, und welche ich als ,,Parastichos" andeuten möchte. Ich muß jedoch bemerken, daß die Entscheidung über die Natur dieser Zähnchen nicht leicht ist, und daß ich eine feste Überzeugung darüber noch nicht habe. Bis so weit die Tatsachen. Das Reptiliengebiß erscheint jetzt in einem etwas anderen Licht, seine Struktur schließt näher an jenes der amnionlosen Vertebraten an. Bekannthch kommt unter den Amphibien nur bei der niedrigsten Ordnung, bei den Perennibranchiaten, nach den bekannten Untersuchungen von Hertwig ein vielreihiges Gebiß vor. Es wäre jedoch wohl erwünscht, auch die Gebißanlage im Kiefer- gebiet, bei den anderen Ordnungen, auf eine verdeckte ,,Polystichie" zu untersuchen. Zwar hat Hertwig auch am Unterkiefer einer Siredon- larve eine äußere und innere Zahnreihe beschrieben, doch diese dürfen nicht ohne weiteres mit den beiden Reihen bei Reptilien homologisiert werden. Ich komme auf diesen Punkt noch zurück. Wichtiger ist es vorläufig darauf hinzuweisen, daß jetzt auch über die Beziehung vom Säugergebiß zu jenem der Reptilien neue Perspektiven geöffnet werden, da der Distichismus des Reptiliengebisses eine unerwartete Lösung des Problems vom Zahnwechsel bei den Säugetieren bringt. Denn wenn man die sämthchen Produkte, die bei einem Säuger, z. B. beim Menschen, von der generellen Zahnleiste produziert werden, das sind also die Elemente von Milchgebiß und permanentem Gebiß, in ihrer topographischen Lagerung hinsichtlich einander ordnet, dann erscheint eine Gebißkonstruktion, welche mit jener des embryonalen Reptilien- gebisses vollständig übereinstimmt. Die Zähne sind in zwei Reihen ge- ordnet, eine bukkale Reihe (Milchgebiß) und eine linguale Reihe (perma- nentes Gebiß), nur sind die beiden Reihen nicht gleich zahlreich. Im hintersten Gebiete, von den permanenten Molaren eingenommen, findet sich nur eine Reihe. Davon wird später noch die Rede sein. Noch eine zweite wichtige Übereinstimmung ist zu verzeichnen, nämlich, daß die Anlage der permanenten Zähne — der inneren Reihe also — auch bei den Säugetieren mit jenen der Milchzähne alternieren. Schwink hat das z. B. für Chiropterenembryonen ganz bestimmt ausgesprochen: ,,Das Schmelzorgan des bleibenden Zahnes", sagt er, ,,legt sich nicht einfach in gerader Richtung nach innen vom Milchzahne an, sondern nach innen und vorn." Auf diese wichtige Tatsache weist über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 109 aiicli Schwalbe in seinem früher zitierten Referat hin, und verwendet diese Erscheinung bei dem Aufbau seiner Theorie über die Zahnung der Säugetiere, Weiter ist diese alternierende Stellung der Zähne durch Carls so n bei den diprotodonten Beutlern nachgewiesen, Sie sagt darüber: „Bemerkenswert ist der Platz des Ersatzzahnes, er wird konstant vor seinem Vorgänger angelegt"'). Ein Verhältnis, worauf auch schon Kükenthal, Leche u, a. hingewiesen haben. Wir sehen somit, daß in der ontogenetischen Anordnung der Zähne im Gebisse der Reptilien und Säuger eine sehr weitgehende, um nicht zu sagen vollständige, Übereinstimmung besteht, bei beiden erscheint das Gebiß anfänglich in zwei Reihen von Zähnen angeordnet, eine äußere und eine innere, wovon die Elemente miteinander alternieren. Liegt es da nicht auf der Hand, die Reihen von beiden Gruppen miteinander zu honu)logisieren, und drängt sich nicht von selbst der Schluß auf: der Exostichos der Reptilien sei jenen der Säuger, d, h. dem Milch- gebiß homolog, und das permanente Gebiß letzterer entspricht dem Endostichos der Reptilien? Diese auf der Hand liegende Schlußfolge- rung schafft aber unmittelbar einen prinzipiellen Gegensatz zwischen dem Zahnwechsel der Reptilien und jenem der Säuger, denn ersterer ist und bleibt eine Verdrängung einer älteren Zahngeneration durch eine jüngere, es ist ein Elementarwechsel, aber bei dem Zahnwechsel der Säugetiere tritt die zweite, innere Reihe an die Stelle der ersten, äußeren Reihe. Es ist ein Reihenwechsel. Zahngenerationen gibt es bei den Säugetieren nicht mehr. Die Struktur des Reptilien- und Säugergebisses ist somit ur- sprünglich eine vollständig übereinstimmende, beide Gebisse sind distichisch. In der w^eiteren Entwicklung jedoch treten nun merkwürdige Unterschiede auf, welche bei der Entstehung der Säugetiere zustande gekommen sein müssen. Bei den Reptilien kommt nämlich eine sehr innige Mischung beider Reihen zustande, die Zähnchen des Endo- stichos dringen zwischen jenen der Exostichos ein, es wird eine einzige Reihe gebildet, wodurch die Zahl der gleichzeitig funktionierenden Zähne verdoppelt wird. Bei den Säugern dagegen kommt diese Mschung nicht zustande, beide Reihen bleiben getrennt, und es tritt für die Elemente der inneren Reihe — des Endostichos — eine bisweilen ziemlich langdauernde Periode von Latenz oder sehr stark verlangsamter Entwicklung ein. Letzteres ist ein sekundär erworbener Zustand, es ist eine Anpassungserscheinung. Die scheinbar ohne Vermittlung zustande gekommene plötzliche Verringerung der Anzahl von funktionierenden Zähnen bei den Säuge- tieren findet in dem beschriebenen Vorgang eine ungezwnmgene Er- klärung. Bei den Reptilien funktionieren gleichzeitig beide Reihen, und wenn man die Anzahl der Zähne miteinander vergleicht, muß man somit auch für die Säuger die Totalsumme der Zähne beider Dentitionen nehmen. AVählcn wir als Beispiel die Zahnformel der Urprimaten, mit noch drei Licisivi und vier Prämolaren, dann kommen wir zu einer Totalsumme von 19 Zähnen (3 + 1 + 4) + (3 + 1 + 4 + 3)in jeder Kiefer- hälfte. Merkwürdig ist es nun, daß bei so vielen Sauriern die Anzahl der Zähne in jeder Kieferhälfte um 20 variiert. Zur Erklärung der Ver- ringerung der Zähnenzahl ist von Konkreszenztheoretikern die Ver- 1) Zool. Jahrb. 1899, XII. 1^0 Viertes Hauptstück. Schmelzung zu Hilfe gezogen. Ich habe öfters betont, daß für eine solche Konkreszenz jeder Beweis fehlt. Die oben dargestellte Beziehung zwischen den Gebissen beider Vertebratengruppen bringt eine mehr natürhche Lösung dieses Problemes. Die Verringerung ist nur eine scheinbare, und wird durch die chronologische Trennung des Durch- bruchs beider Reihen vorgetäuscht. Auch das sehr frühe Auftreten der sogenannten Ersatzzähne bei den Säugetieren erscheint jetzt viel verständlicher. Diese sogenannten Ersatzzähne waren bei den reptihenartigen Vorfahren angewiesen, nicht um andere Zähne zu ersetzen, sondern um gleichzeitig mit den Elementen des Exostichos — das sind die Milchzähne der Säuger — zu funktionieren. Und daß die Ersatzzähne noch fast unmittelbar im Anschluß an die Milchzähne angelegt werden, kann uns auch jetzt nicht mehr wundern. Jetzt tritt jedoch eine wichtige Frage in den Vordergrund, näm- hch, warum sind bei den Säugern die beiden Zahnreihen voneinander getrennt, oder richtiger formuhert, welches war die Ursache, daß bei den Säugervorfahren die Zähne des Endostichos verhindert worden sind, sich zwischen jene des Exostichos einzuschieben. Ich glaube dafür folgende sehr einfache Erklärung geben zu dürfen. Eine stark in den Vordergrund tretende Umbildung, welche bei der Entstehung der Säugetiere aus ihren reptihenartigen Vorfahren sich abgespielt hat, ist bekanntlich die Metamorphose des Kiefergelenkes, welches mit einer Verkürzung des Kiefers verknüpft war. Diese Verkür- zung des Kiefergerüstes ist von den Konkreszenztheoretikern häufig als das ätiologische Moment angeführt worden, welches die Verwachsung mehrerer Einzelzähne zu einem zusammengesetzten Zahn verursachte. Dependorf hat sich schon gegen die Verkürzung der Kiefer als Ursache von Zahnkonkrezsenz gewendet, indem er hervorhebt, daß eine solche Verkürzung zwar Zähne aus der Reihe zu beseitigen imstande sein sollte, aber nicht zu Verwachsungen Anlaß geben kann. Ich brauche kaum mehr zu betonen, daß auch von mir diese Ansicht nicht geteilt wird, da eine Verschmelzung von Zähnen in longitudinaler Richtung nicht stattgefunden hat. Aber abgesehen von der Anwendung, scheint mir auch das Prinzip unrichtig zu sein. Es scheint mir, daß kein be- sonderer Grund vorliegt, um beim Übergang des Reptihenkiefers im Säugerkiefer einen solchen komphzierten Vorgang zu postuUeren. Je kürzer der Kiefer wird, desto kleiner werden die Zähne, davon sind sowohl bei den Reptihen selber als bei den Säugetieren Beispiele zur Genüge vorhanden. Das gilt nicht nur wenn man Repräsentanten verschiedener, einander verwandter Geschlechter untersucht, sondern auch wenn man innerhalb einer Spezies individuelle Vergleichungen anstellt. Der Kiefer bildet mit den Zähnen eine organische Einheit. Ein Zwerg mit ganz kleinen Kiefern besitzt nicht weniger zahlreiche Zähne als ein normales Individuum, sondern kleinere. Es hat jedoch auch meiner Meinung nach die Verkürzung der Kiefer eine wichtige Rolle gespielt, denn sie muß dafür verantworthch gemacht werden, daß die Zähne der inneren Reihe, des Endostichos, nicht mehr zwischen jenen der äußeren Reihe, des Exostichos, sich einschieben konnten. Mit anderen Worten, die Kieferverkürzung fixierte einen früh embryologischen Zustand. Denn in der Tat ist das Gebiß, z. B. beim Menschen, während einiger Jugendjahre noch ein rein über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. {\\ distichisches. Wenn im Laufe der beiden ersten Jahre die Ersatzzähne zur Anlage gelangt sind und das Milchgebiß vollständig durchgebrochen ist, sind beide Keihen da und besteht, abgesehen von dem ungleichen Entwicklungsgrad der Elemente beider Reihen, während längerer Zeit ein Zustand, der bei den Reptilien nur äußerst kurzen Bestand hat. Der Kiefer Verkürzung, welche aufs engste mit der Umbildung des Kiefergelenkes verknüpft war, teile auch ich somit eine sehr wichtige Rolle bei der Entstehung des Säugergebisses aus dem Reptihengebiß zu, aber dieser Einfluß war nicht ein zahnumbildender, sondern hat das Gebiß als Ganzes zum Gegenstand. Immerhin darf man dabei nicht aus dem Auge verlieren, daß gleichzeitig mit diesem Vorgang, jener andere sich vollzog, wobei durch Verwachsung zweier Zahn- generationen aus dem Reptilienzahn sich der Säugerzahn bildete. Ob die Kieferverkürzung auch für diesen Vorgang ein ätiologisches Moment war, darüber bin ich im Unsicheren. Es sind mir die Gründe, warum diese Verwachsung zustande kam, nicht deutlich. Denn bessere Anpassung an ihrer Funktion kann solche Formen fixiert haben, sie kann dieselben nicht geschaffen haben. Den prinzipiellen Gegensatz zwischen Reptilien- und Säuger- gebiß muß man also darin erblicken, daß beim erstgenannten die beiden Reihen gleichzeitig funktionieren (und die Elemente derselben öfters erneuert werden), während bei den Säugern die beiden Reihen einander in der Funktion zeitlich folgen (und die Elemente derselben nicht erneuert werden). Nun verhalten in dieser Beziehung die Reptilien sich nicht alle gleich, es gibt sogar höchst interessante Übergangsstufen zwischen beiden Vertebratengruppen, welche mit meiner Auffassung über die Beziehung der beiden Gebisse zueinander in vollkommenem Einklang stehen. Einen dieser Fälle, der eine leicht zugänghche Form betrifft, werde ich kurz ndtteilen. Es betrifft das Geschlecht Varanus. Wenn man das Gebiß eines jungen Varan untersucht (es standen mir ver- schiedene Exemplare von Varanus bivittatus und chlorostygma zur Verfügung), dann ist es auffallend, daß die funktionierenden Zähne in jedem Kiefer so gering in Anzahl sind und so weit auseinander stehen. Regelmäßig jedoch sieht man dann in den Interstitien zwischen den sieben oder acht funktionierenden Zähnen aus der Zahnscheide die noch kurze Spitze eines auswachsenden Zähnchens erscheinen. Diese wachsen empor und sobald sie ihre definitive Größe erreicht haben werden die Zähne, die vor ihnen funktionierten, abgestoßen und es finden sich wieder weite Spatia interdentalia in dem funktionierenden Gebiß. Eine ge- schlossene Zahnreihe trifft man bei den jungen Vai'anen ganz selten, bei älteren Tieren dauern die Zähne länger und ist auch das soeben beschriebene Regelmaß etwas gestört. Doch hefern die jungen Varanen ein sehr lehrreiches Beispiel von Formen, welche gewissermaßen einen Übergang bilden zum Säugerzustand. Denn während tler Jugendzeit funktioniert gewöhnlich nur eine Reihe von Zähnen, es sei Endostichos oder Exostichos, und der junge Varan wird nur mit einer Reihe geboren, dessen Elemente allerdings ziemhch weit voneinander absieben. Diese Reihe funktioniert einige Zeit, es entwickeln sich die Elemente der anderen Reihe, diese verwachsen in den Interstitien zwischen den funktionierenden Zähnen mit den Kiefern und letztere werden ab- gestoßen. Das Spiel wiederholt sich und alternierend funktionieren die Elemente je der beiden Reihen. Wie oft dieser Wechsel stattfindet, 112 Viertes Hauptstück. habe ich nicht feststellen können, man muß, um das zu entscheiden, über ein sehr reichhaltiges Material verfügen können. Das Kennzeichnende bei dem beschriebenen Vorgang besteht darin, daß die Zahnung bei Varanus während längerer Zeit den Charakter eines ReihenNveclisels hat, ganz wie bei den Säugetieren, nur mit dem Unterschied, daß dieser Prozeß bei den Säugetieren nur einmal und bei dem genannten Saurier mehrere Male sich abspielt. Auch treten hier die neuen Zähne nicht topographisch, sondern funktionell an der Stelle der älteren auf. Raummangel, der erst infolge Kieferverkürzung auftritt, und wodurch bei den Säugern die Zahnung zum Teil den Charakter einer mechanischen Verdrängung bekommt, macht bei Varanus seinen Einfluß noch nicht geltend. Die Natur der Zahnung bei den Säugetieren, wie sie von mir gedacht wird, beseitigt noch eine Schwierigkeit, welche bei der geläufigen Vorstellung sich hervortut und worauf schon von mehreren Seiten, besonders auch von Adloff hingewiesen ist. Es betrifft nämlich die u. a. von Leche nachgewiesene Tatsache, daß bei den primi- tiven Säugetieren die beiden Dentitionen öfters gemischt funktionieren. Man sollte nach der alten Auffassung bei den priniitiveren Säugern gerade eine schärfere Sonderung der Dentitionen erwarten. Von meinem Standpunkte aus besehen, ist dagegen die Erscheinung sehr natürlich. Bei den Reptilien funktionieren alle Elemente beider Reihen gleichzeitig. Und daß die temporäre Unterdrückung der Entwicklung der inneren Reihe bei den niedrigsten Säugetieren noch nicht zur vollen Entfaltung gekommen ist, erscheint ganz natürlich. Es darf auf Grund des Obenstehenden wohl als feststehend be- trachtet werden, daß der Zahnwechsel der Säugetiere und jener der Reptilien zwei grundverschiedene Erscheinungen sind, der Diphyo- dontismus der ersteren ist nicht aus dem Polyphyodontismus der letzteren hervorgegangen. Um Zweideutigkeiten vorzubeugen empfiehlt es sich dann auch beide Erscheinungen mit besonderen Namen zu bezeichnen. Man braucht dazu keine neuen Bezeichnungen zu schaffen, am einfachsten und mit der Wirklichkeit am meisten über- einstimmend kommt es mir vor, wenn man die Bezeichnung Zahn- generationen für die Reptihen wählt, und bei den Säugern von Dentitionen spricht. Denn in Wirldichkeit sind Milchgebiß und permanentes Gebiß keine verschiedenen Generationen, ein Milchincisivus z. B. und der bleibende Schneidezahn, der an die Stelle des ersteren tritt, stehen in keiner genetischen Beziehung zueinander. Sie sind vom Hause aus gleich alte Nachbarn. Die Entwicklung des bleibenden Incisivus ist aber verzögert worden. Die Zahngenerationen, welche bei den Reptihen in öfters großer Anzahl aufeinander folgen, treten auch noch — sei es in sehr beschränkter Zahl und starker Konzentration — bei den Säugetieren auf. Wir haben sie bei den Primaten und mehreren anderen Säugern nachgewiesen in der Zweizahl, im von mir sogenannten Protomer und Deuteromer des Säugerzahues. Die Anhänger der Konkreszenztheorie haben immer die Ansicht verfochten, daß eine Beziehung bestehe zwischen dem Verlorengehen des Polyphyodontismus und einem Verwachsen mehrerer Einfachzähne zum zusammengesetzten Säugerzahn. Auch ich bin der Ansicht, aber in der Anwendung desselben nehme ich eine andere Stellung ein. über d. Bezieh, d. Scäugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 113 Denn meiner Meinung nach sind nur zwei Zahngenerationen der Eep- tilien im Säugerzahn enthalten, und hat diese Konkreszenz nur die Mehrhöckerigkeit in transversalem Sinne zur Folge gehabt. Und diese Ansicht ist nicht theoretisch konstruiert, sondern stützt sich auf embryo- logische Befunde. Ich habe versucht, die Beziehung zwischen den beiden Zahnreihen und dem Prozeß der Zahnung bei ReptiKen und Säugetieren in Fig. 73 in schematischer AVeise zur Darstellung zu bringen. Die linke Hälfte der Figur hat auf die Reptilien, die rechte auf die Säugetiere bezug. Die Zähne, welche dem Endostichos zugehörig sind, sind durch Punktierung kennbar gemacht, die Pfeilchen geben die Richtung an, worin der Zahnwechsel stattfindet. Es sind beim Rep- tilienschema jedesmal drei Zahngenerationen angedeutet, beim Säuger- schema sind zwei Generationen jedesmal zu einem einzigen Zahn zusammengewachsen gedacht. Es ist in diesem Schema ebenfalls Ausdruck gegeben von meiner Ansicht, daß die Primatenzähne nicht durch Verwachsungen von einfachen Kegelzähnchen entstanden sind, sondern durch eine solche von trikonodonten Zähnchen. Dieses Schema gibt den Grund- gedanken meiner Theorie über die Beziehung von Zäh- nen und Gebissen der Reptilien zu jenen der Säuger in einfachster Weise wieder. Es läßt hervortreten, wie der Primatenzahn durch Konkreszenz zweier trikonodon- ten Reptilienzäh- nen entstanden ist, und daß der Zahnwechsel bei den Reptilien ein Individualwechselist, bei den Säugern ein Reihenwechsel. An der Hand dieser Schemen kann man sich leicht von den in dieser Arbeit gemachten Schlußfolgerungen eine Vorstelluno- machen. Fiff. 73. Am Schluß meiner Auseinandersetzung angelangt, müssen noch einige Bemerkungen gemacht werden, welchen früher weniger gut eine Stelle eingeräumt werden konnte. In seiner bekannten grundlegenden Untersuchung über das Zahnsystem der Amphibien hat Hertwig auf das Vorkommen von einreihigen und mehrreihigen Gebissen bei dieser Vertebratengruppe hingewiesen, wobei allerdings die einreihige Stellung die vorherrschende ist. Bei einer zweireihigen Stellung, wie z. B. auf den Vomer, Palatum und Operkulare von Siredon pisciforme sind die Zähnchen derart ge- ordnet, daß jene der zweiten Reihe hinter die Interstitien der ersten Reihe zu liegen kommen, mit anderen Worten, sie stehen alternierend in einer Zickzackhnie. Wenn man die Zone, worin die Zähne im- plantiert sind, als das ,, Zahnfeld'' bezeichnet, dann finden sich somit auf dieses Feld die Zähne in ähnlicher Anordnung wie bei der enibryo- B 0 1 k , Die Ontogenie der Primatenzähne. 8 114 Viertes Hauptstück. nalen generellen Zahnleiste der Saurier. Der Autor hebt jedoch ausdrücklich hervor, daß die mit den Kiefern verwachsenen Zähne — mit Ausnahme von Siren lacertina, wo auch dieser Abschnitt des Gebisses vielreihig ist — nur in einer einzigen Reihe vorkommen. Haben wir es hier mit einem ursprünglichen Zustand zu tun? Wahr- scheinlich nicht, und es würde sich gewiß lohnen, die allererste Anlage des Kiefergebisses bei den Amphibien zu untersuchen, besonders in bezug auf die Frage, ob auch hier auf das zur Zahnleiste um- gebildete Zahnfeld die Spuren eines Distichismus sich noch auffinden lassen. Übrigens hat Hertwig selbst die Möglichkeit davon nicht außer acht gelassen. Denn S. 44 wirft er die Frage auf, in welcher Beziehung die einzeilige Stellung des Gebisses zur vielzelligen steht, und bemerkt dazu, daß letztere als die ursprüngliche angesehen werden muß, woraus erstere sich entwickelt hat. In welcher Weise das ge- schehen konnte, darüber äußert der Autor sich nicht. Ich möchte dazu folgendes bemerken. Bei den Amphibien erstreckt sich das ganze zahntragende Feld an den genannten Stellen an die Oberfläche, und es sind die Zähne in mehreren Reihen derart angeordnet, daß jedesmal die Elemente einer Reihe mit jenen der nächstfolgenden alternieren. Eine über- einstimmende topographische Erscheinung findet sich bei jenen Rep- tilien, bei den der Zahnwechsel ein äußerst intensiver ist, nämlich bei den Schlangen. Um sich davon zu überzeugen, empfehle ich die bukkale Seite der Zahnleiste einer Schlange zu betrachten. Es läßt sich hier mit geringer Mühe der ganze Zahnapparat herauspräparieren. Be- trachtet man nun die bukkale Seite dieses Apparates, dann hat man hier in Wirklichkeit die gleichen Verhältnisse wie bei einem vielreihigen Gebiß eines Perennibranchiaten. Der Unterschied ist nur dieser, daß bei den letzteren das ,, Zahnfeld" ganz an der Oberfläche liegt, bei den Schlangen dagegen ins Kiefermesenchym eingesunken erscheint und nur der ursprünglich bukkale Rand an die Oberfläche tritt, wobei nur die an diesem Rande gelagerten Zähne — ob zu einer oder zwei Reihen gehörig ist mir unbekannt — funktionieren. Fragt jnan somit, in welcher Weise kann ein vielzelliges Gebiß wie bei einem Perennibranchiaten in einem einzeiligen übergehen dann kann die Antwort lauten in einfachster Weise durch Einsenkung des Zahnfeldes in der Tiefe. Durch diese Antwort wird die Frage nach dem Ursprung der Zahnleiste gestreift und möchte ich darüber eine kurze Bemerkung einschalten. Die Zahnleiste wird gewöhnlich als durch Einfaltung der Schleimhaut entstanden vorgestellt. Diese Auffassung entspricht jedoch meiner Meinung nach nicht dem wirk- lichen Vorgang, den ich mir folgenderweise vorstelle. Man denke sich als Ausgangspunkt eine Form wie z. B. Siren lacertina wo ein wirkliches ,, Zahnfeld" besteht, mit mehreren Reihen von Zähnen, wovon die mediale die jüngste ist, besetzt. Nun wächst von der medialen Seite eine Schleimhautfalte über dieses ,, Zahnfeld" hin, bedeckt es zum Teil und läßt nur die Zone, wo die zwei meist lateralen Zeilen implantiert sind, frei. Mit anderen Worten, das Zahn- feld sinkt nicht in die Tiefe, sondern wird zum Teil operkulisiert. Durch diese Operkulisierung wird nun eine ins Kiefermesenchym ein- gedrungene Falte vorgetäuscht. Aber eine wahre Falte ist es nicht. über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 115 Für diese Entstehungsweise der Zahnleiste sprechen mehrere Erscheinungen. Es wird dadurch deutlich, warum die beiden La- mellen dieser Leiste, die äußere und innere, funktionell so ganz un- gleichwertig sind, und auch so ganz verschiedene histologische Cha- raktere zeigen, wie das bisweilen bei Sauriern und auch noch bei Säuge- tieren so recht schön zu sehen ist. Die linguale Lamelle der Leiste hat niemals an der Zahnbildung Anteil gehabt, es ist die untere epi- thehale Bekleidung des über das Zahnfeld ausgewachsenen Operculum, wie die bukkale Lamelle dieses von der Oberfläche abgedrungenen Zahnfeld selbst ist. Durch diese Entstehungsweise der Zahnleiste begreifen wir auch die Notwendigkeit der Erscheinung, worauf ich schon einmal hingedeutet habe, daß bei den Sauriern die auswachsenden Zähne zwischen den beiden Lamellen der Zahnleiste eindringen und die beiden Lamellen voneinander spalten. Die Zähne kommen dabei zu liegen zwischen das ursprünghche ,, Zahnfeld" und aie Unterfläche des Operculum. Schließlich wird uns durch diese Vorstellung der Enstehung der Zahnleiste die Beziehung zwischen einem vielreihigen und einem ein- reihigen Gebiß deutlich. Das Schlan- gengebiß ist ebensogut ein viel- reihiges als jenes von Fischen oder gewissen Perennibranchiaten, aber das Zahnfeld ist operkulisiert, und nur die ältesten, an dem bukkalen Rande des Feldes gelegenen Zähne funktionieren. Die Frage über die Herkunft der Zahnleiste und über die Be- ziehung des Gebisses der Saurier und Schlangen zu den mehr primi- tiven Formen habe ich im oben- stehenden nur kurz berührt, es ist nur der Hauptgedanke zur Äußerung gebracht, für nähere Details muß ich auf folgende Abhandlungen ver- weisen. Nur sei der Vollständigkeit wegen hier noch bemerkt, daß ich zu der oben gegebenen Ansicht gekommen bin auf Grund von Befunden bei def Entwicklung des Reptiliengebisses. Fig. 74. Triton taeniatus. Larve 19 mm. Doppelte Gebißanlage im Unterkiefer. An gewissen Stellen des Kiefergebisses (Unterkiefer) von Uro- delen findet sich ein doppeltes Gebiß. Hertwig hat (1. c. S. 95) darauf schon hingewiesen. Am Unterkiefer bemerkt man, sagt er, zwei Streifen von Zahnanlagen, einen äußeren und einen inneren; der äußere liegt in der Mitte und längs des oberen Randes des Meck eischen Knorpels, der innere liegt in geringer Entfernung einwärts von ihm auf der Innen- seite des Knorpels. Ich möchte dagegen warnen, diese Erscheinung mit dem Distichismus des Sauriergebisses zu identifizieren. Ich habe den Befund Hertwig s bestätigen können und gebe in Fig. 74 einen Querschnitt durch den Unterkiefer einer Tritonlarve von 19 mm. Die beiden Zahnstreifen sind sofort zu erkennen. Wir haben es hier 116 Viertes Hauptstück. jedoch nicht mit einem distichischen Gebiß zu tun, sondern mit einem doppelten Gebiß. Das laterale ist jenes Gebiß, das speziell mit dem Dentale in Beziehung steht, wie aus der Figur ersichtlich ist, das mediale ist jenes, das zum Operculare gehört. Dieses doppelte Gebiß kommt denn auch nur so weit vor, als Dentale und Operculare neben- einander liegen, mehr nach vorn findet sich ausschließlich das Dentale- gebiß, weiter nach hinten hört letzteres auf und es findet sich nur das Opercularegebiß. Es schien mir nicht unerwünscht, auf diese Erschei- nung, welche zu Mißverständnissen Anlaß geben konnte, hinzuweisen. Die von mir aufgestellte Dimer-Theorie über die Beziehung von Gebiß und Zahn der Mammalien zu jenen der Reptilien läßt im all- gemeinen die Gebißprobleme viel einfacher erscheinen und bringt von einigen eine natürhche und auf der Hand liegende Lösung. Andererseits gibt sie jedoch auch Anlaß zum Stellen neuer Fragen. Warum sind z. B. bei den Säugetieren nur zwei Zahngenerationen der Reptilien an dem Aufbau der Zähne beteiligt gewesen. Diese Erscheinung steht wohl im engsten Konnex mit den Momenten, welche die Konkreszenz überhaupt Ijedingten. Wir können anläßlich letzteren Problems wohl Betrachtungen a posteriori anstellen und darauf hinweisen, daß das Produkt der Verwachsung ein funktionell mehr vollkommenes Organ war, aber diese Wahrheit entledigt uns nicht der Aufgabe, das Kausal- moment zu erforschen, welches einerseits zwei ursprünglich getrennte Organe zwang, sich zu einem einzigen zu verbinden und andererseits die Produktivität der generellen Zahnleiste derart beschränkte, daß nur die zwei ersten Generationen zur Anlage gelangten und die Anlage aller anderen unterdrückt wurde. In das ätiologische Moment der Verwachsung fehlt es mir zurzeit an einer Einsicht, es dürfe in Beziehung zur Umbildung des Kiefergelenkes stehen, aber die Art dieser Relation ist mir ganz düster. Wir werden auf den zuerst genannten Punkt etwas näher eingehen. Daß die Zähne der Mammalien durch Verwachsung von nur zwei Generationen von Reptilienzähnen entstanden sind, kann in zweierlei Weise erklärt werden. Wir haben früher schon einmal daran erinnert, daß der Zahnwechsel bei den verschiedenen Sauriern nicht gleich lebhaft vor sich geht, es gibt Formen, bei denen eine Zahngeneration nur kurz dauert, bald durch eine folgende ersetzt wird, und andere, wo die Zahnung nur selten Platz greift. Und dieser Tatsache gegenüber scheint der Auffassung nichts im Wege zu stehen, daß bei den reptilienartigen Vorfahren der Mammalia nur zwei Zahn- generationen zur Anlage gelangten, und daß es diese zw^ei sein sollten, welche sich am Aufbau des Säugerzahnes beteiligten. Wie einfach diese Erklärung aussieht und wie natürlich sie das Problem zu lösen scheint, kommt sie mir jedoch nicht plausibel vor. Ich habe folgende Bedenken gegen sie. Wenn man Formen untersucht, welche nur einen beschränkten Zahnwechsel aufweisen, z. B. Calotes, Agama, dann kann man bisweilen die Zahnleiste im Ober- und Unterkiefer an lückenlosen Serien verfolgen, ohne auch nur die geringste Spur der Anlage eines Ersatzzahnes anzutreffen. Die Zahnleiste ist in beiden Kiefern dann ganz normal, aber über ihre ganze Länge findet sie sich in einer Periode von Latenz. Den Gegensatz hierzu bilden jene über d. Bezieh, d. Säugerzalines u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 117 Formen mit reichlichem Zahnwechsel, wo zwei, bisweilen sogar drei Ersatzgenerationen in verschiedenen Entwicklungsstadien anwesend sind und an der aboralen Fläche der meistenfalls horizontal hegenden Zahnleiste dicht gedrängt nebeneinander lagern. Hieraus geht hervor, daß bei den Reptilien mit wenig — sagen wir z. B. zwei — Zahn- generationen die zweite Generation erst zur Anlage gelangt, wenn der Zahn der ersten Generation schon längere Zeit funktioniert hat. Und nun ist es deutlich, daß eine Verwachsung der Anlagen zweier Generationen nur denkbar ist, wenn beide in unmittelbarer Nähe von- einander liegen und nahezu gleich weit in Entwicklung fortgeschritten sind, ein Zustand also, wie z. B. früher von Varanus geschildert worden ist. Eine solche Möglichkeit kommt jedoch nur bei jenen Formen vor, bei denen ein lebhafter Zahnwechsel stattfindet. Aus diesem Grunde kommt es mir nicht berechtigt vor — falls man nicht rein theoretische Hilfshypothesen heranziehen will — die Tatsache, daß nur zwei Zahn- generationen der Reptilien im Säugerzahn aufgenommen sind, zu er- klären mit einem Hinweis auf Reptihen mit nur beschränktem Zahn- wechsel. Ebensolche Formen kommen für diese Entstehungsweise gerade am wenigsten in Betracht. Ist diese Auffassung richtig und ist als Ausgangsform des Säuger- zahnes gerade ein lebhaft wechselndes Sauriergebiß eine notwendige Bedingung, dann wird der Vorgang dieser Entstehung etwas konipU- zierter. Denn dann muß gleichzeitig zweierlei stattgefunden haben, nämhch Konkreszenz von zwei bereits angelegten Generationen und Unterdrückung der Anlage aller folgenden. Das heißt der Zahnleisten- rand muß von einem Zustand hoher Aktivität in einen solchen voll- ständiger Latenz geraten. Nun zögere ich nicht, diese Ansicht als eine richtige zu betrachten. Und ich berühre hiermit gleichzeitig die Frage nach der Bedeutung des sogenannten freien Zahnleistenendes bei den Säugern. Bevor ich darauf eingehe, muß ich jedoch noch über einen anderen Punkt äußern. Es ist von der Seite der Konkreszenztheoretiker oftmals gegen die Differenzierungstheorie als Bedenken eine Gebißform angeführt, welche bei vorurteilsfreier Betracht ing in der Tat das Prinzip dieser Theorie auf lose Schranken stellt, nänüich jene der Multituberculaten. Osborn selber ist sich der Schwierigkeit, welche diese Formen seiner Theorie bieten, wohl bewußt. Denn in seinem Sammelwerk: Evolution of Mammahan Molar Teeth findet sich S. 105 folgende Fußnote: „One might advance another speculation, that Microlestes, Tritylodon and the Multituberculates appearing in the Triassic, were not closely related to trituberculat mammals (wich are first known in the upper jurassic or Basal Cretaceous) but were independent offshoots from the The- riodontia." Dadurch wird jedoch die Entstehung der multituber- kulaten Zahnform nicht erklärt. Es ist nun evident, daß die in der vorhegenden Arbeit aufgestellte Theorie der Entstehung des Säuger- zahnes durch Konkreszenz von zwei Reptilienzähnen ebenfalls nicht ausreicht, um die multituberkulate Zahnform zu erklären, besonders nicht in jenen sehr häufigen Fällen, worin dieser Zahn nicht zwei, sondern drei Reihen von Tuberkeln trägt. Daß diese Formen durch Konkreszenz ebenso vieler Kegelzähne entstanden sind als es Höcker gibt, kommt mir nicht wahrscheinHch vor. Auf zwei Möghchkeiten 118 Viertes Hauptstück. möchte ich hinweisen. Eine erste ist, daß der niiiltittiberkiilare Zahn entstanden ist dnreh Verwachstmg von zwei, oder, wenn drei Reihen von Höckern vorliegen von drei Generationen von Reptilienzähnen, deren Kanten nicht mit drei, sondern mit vielen Spitzen versehen waren. Diese Ansicht hat meiner Meinung nach am wenigsten für sich. Mehr Wahrscheinlichkeit kommt folgender Ansicht zu. Der voll- ständigste multituberkulare Zahn ist jener, wobei es drei Längs- reihen von Höckern gibt. Nun kann man sich die Entstehung eines solchen Zahnes in folgender Weise denken. Man nehme Ausgang von einem Vorfahr dessen Zähne trikonodont waren, und bei welchem die Konkreszenz der Elemente von auffolgenden Generationen schon zustande kam, ohne daß das Zahnleistenende schon jenes Stadium von Latenz erreicht hat wie bei den späteren Säugetieren. Es war somit noch nicht wie bei den höheren Säugern in seiner Produktivität unterdrückt und konnte eine größere Zahl von Generationen erzeugen, wovon jede folgende mit seinem Vorgänger verlötet war. Es war somit die Entstehungsweise des Zahnes der höheren Formen nur unvoll- ständig da: die Konkreszenz kam schon zustande, aber die zweite Notwendigkeit, worauf ich oben die Aufmerksandvcit lenkte: die Ein- schränkung der Produktivität der Zahnleiste, hat sich noch nicht geltend machen können. Nun hat jedoch ein mechanischer Einfluß eingegriffen. Wenn die ursprüngliche Lagerung der zu einem einheit- lichen Gebilde verbundenen vielen Zahngenerationen beibehalten würde, dann müßte der Zahn mit seiner Längsrichtung senkrecht zum Kiefer- rand zu liegen kommen. Der Zahn hat nun eine andere Richtung an- genommen, indem er durch eine Drehung um 90 Grad sich dem Kiefer- rand gleichlaufend steUte und in demselben aufgenommen wurde. Der ursprüngliche linguale Rand, der jüngsten Zahngeneration ent- sprechend, wurde dabei zum hinteren Rand, und die Zahngenerationen, welche den Zahn aufbauen, lagerten jetzt nicht mehr in einer frontalen Ebene neben-, sondern in einer sagittalen hintereinander. In dieser Weise betrachtet, bildet der multituberkulare Zahn gerade eine Zwischenstufe zwischen jenem der Reptilien und der höheren Säugetiere, was mit dem historischen Auftreten dieser Formen gut in Einklang steht. Denn ich habe oben dargetan, daß die reptilien- artigen Vorfahren der Säuger nicht pauciphyodont gedacht werden dürfen, es müssen Formen gewesen sein mit schnell aufeinander fol- gendem Zahnersatz, also mit sehr aktivem Zahnleistenende. Und das involviert wieder, daß die Aktivität durch irgendwelche Ursache unterdrückt wurde. Der Multituberkulatenzahn ist nun zu betrachten als eine Bildung, wobei die Verwachsung schon zustande kam, aber das Zahnleistenende noch nicht in jenen Zustand von Latenz geraten war, wie bei den höheren Säugern, es blieb eine größere Zahl von Generationen produzieren. Nach der hier gegebenen Vorstellung darf man somit den bukkalen Rand des multituberkularen Zahnes nicht mit der gleichnamigen der höheren Säuger identifizieren. Der vordere Rand des ersteren ist dem bukkalen der Säuger homolog, und die drei vorderen Tubercula jener stimmen mit den drei Höckern des Protomeres vom Säugerzahn überein. Diese Deutung der bezüglichen Zähne der ältesten Säugetiere über d. Bezieh, d. Säugerzaliiies u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 119 hat, wie ich meine, die meiste Wahrscheinlichkeit, ich gebe sie jedoch nur als einen Erklärungsversuch wieder. Ist jetzt, so darf man fragen, um auf unseren Ausgangs- punkt zurückzukommen, bei den Säugern, bei welchen der Zahn nur aus zwei Generationen aufgebaut ist, die so energische Ak- tivität, welche der Zahnleistenrand bei den Vorfahren besaß, völlig erlöscht ? Ich möchte diese Frage nicht unbedingt bejahend beant- worten. Es scheint mir doch nicht ganz ausgeschlossen, daß das Cin- gulum, das bisweilen so kräftig entwickelt, an der lingualen Seite des Zahnes erscheint, die letzte schwache Äußerung sei der fast gänzlich latente Potenz des Zahnleistenrandes zur Bildung weiterer Zahn- generationen. Ich bin geneigt, in diesem Cingulum die zu einem band- artigen Emailstreifen konzentrierte Anlage aller folgenden Zahn- generationen zu erblicken. Allerdings nicht in der Weise, daß das Cingulum als eine rudimentäre Zahngeneration gedeutet M^erden soll, es ist die nicht weiter differenzierte Manifestation der fast unbeschränkten Zahnbildungspotenz, welche dem freien Ende der Zahnleiste ehemals zukam. Bekanntlich gehen aus dem Cingulum bisweilen Nebenspitzen hervor. Ganz indifferente Bildungen sind diese Erscheinungen nicht, ich möchte dieselbe als Ausdruck einer teilweisen Reaktivierung, als Abortivanlage einer jüngeren Zahngeneration auffassen. In dieser Deutung findet gleichzeitig meine Meinung über die sogenannte dritte Dentition oder eines postpermanenten Gebisses ihren Ausdruck. Das Auftreten einer solchen Dentition ist mit meiner Theorie gänzlich unvereinbar. Die Annahme einer dritten Dentition geht von der Voraussetzung aus, daß der Zahnwechsel der Mammalia und jener der Keptilien identische Erscheinungen sind. Da ich zu einer ganz entgegengesetzten Überzeugung gelangt bin, ist für mich von selber die Möglichkeit einer dritten Dentition gänzlich ausge- schlossen. Wenn überhaupt das freie Zahnleistenende wieder einmal seine ursprüngliche Produktionsfähigkeit zurückerlangen sollte, dann würde sich diese Wiederbelebung nicht in dem Auftreten einer dritten und vierten Dentition äußern, sondern in Komplikation des schon bestehenden Zahnes. An der deuteromeren Seite desselben würde sich die neue Zahngeneration anschmiegen und an jener Stelle würden neue Höcker sich den schon vorhandenen zugesellen. Ist das Auftreten eines derartigen Falles denkbar? Wiewohl ein Eingehen auf diese Frage eigentlich außerhalb des Rahmens dieser Arbeit liegt, kann ich es doch nicht unterlassen, auf dieselbe hier kurz einzugehen, da dabei ein Fall zur Sprache gebracht werden kann, der, im Lichte meiner Gebißtheorie betrachtet, sehr interessant er- scheint. Auf die gestellte Frage möchte ich nicht nur eine zustimmende Antwort geben, was die Möglichkeit betrifft, sondern darauf hinweisen, daß sich diese Möglichkeit, meiner Meinung nach, sogar verwirklicht hat, und zwar bei den Elefantenmolaren. Die Entstehung der Gestalt dieser eigentümlichen Bildungen ist in der Literatur schon öfters diskutiert worden. Am eingehendsten ist dies von Röse^) geschehen, der die Molaren der Proboscidier als 1) Morphol. Arbeiten 1894, III. 120 Viertes Hauptstück. stark sprechende Beweise der Entstehung- von zusammengesetzten Zähnen durch Konkreszenz angeführt hat. Mit der von Rose ge- gebenen Deutung der Kntstehungsweise dieser Zähne kann ich mich jedoch nicht ganz einverstanden erklären, wiewohl der von mir unten gegebene Entstehungsvorgang mit jenem von Rose Übereinstimmung zeigt. Es ist sehr merkwürdig, daß die Hauptverteidiger der zwei Zahntheorien: Rose als Anhänger der Verwachsungstheorie und Osborn als jener der Konkreszenztheorie, wenn sie auf die Molaren des Elefanten zu sprechen kommen auf Übereinstimmendes dieser Zähne mit jenen der Multituberkulaten hinweisen. So sagt Rose 1. c. S. 187: ,,Der fertige Molar ist, wenn wir von der ganz sekun- dären Zementablagerung absehen, ungefähr homolog einem Multi- tuberkulatenzahne." Und Osborn sagt in seinem schon mehr- fach zitierten Sammelwerk auf S. 188: ,,The plates of the teeth of Elephas owe their origine to upgrowths of the posterior basal cingulum", nachdem er auf S. 115 die Entstehung der Multituberkulatenzähne ebenfalls durch Bildung von neuen Höckern aus dem Cingulum erklärt, um dann fortzufahren: ,,This law of successive cusp addition from the posterior basal cingulum (in Multituberculates) is entirely analogous to that wich recurs in the complicated niolars of Probosci- dea." Es stimmt nun meine Auffassung über die Formbeziehung vom Multituberkulatenzahn und Elefantenmolar vollständig mit jener von Osborn überein. Auch ich bin der Meinung, daß die Genese beider Zähne in übereinstimmender Weise verlaufen muß, nur mit dem Unter- schied, daß die Entstehungsweise bei den Multituberkulaten ein pri- mitiver Zustand gewesen sein muß, welcher sich sofort an jenen der Reptilien anschloß, beim Elefanten dagegen ein sekundär erworbener, gleichsam ein neues Aufblühen einer Eigenschaft, welche seit einer ganzen Periode der Erdgeschichte in latentem Zustand gebheben war. Es sei, um diesen Verband zwischen beiden Formen klarzulegen, daran erinnert, daß ich den Multituberkulatenzahn als ein polymeres Ge- bilde auffasse, entstanden durch sukzessive Verschmelzung einer größeren Anzahl von Zahngenerationen, im Gegensatz zum dinieren Zahn der Paucituberkulaten, worin nur zwei Generationen enthalten sind. Bei letzteren* geht der Zahnleistenrand, wenn die zwei Gene- rationen zur Anlage gelangt sind, in Latenz über, bildet noch als schwache Äußerung seiner unterdrückten Potenz das Cingulum. Bei den Multituberkulaten dagegen gelangen mehrere Generationen zur Anlage, aber da für ein daraus resultierendes Gebilde im Kieferrand kein Platz war, wenn es seine ursprünglich bukkolinguale Stellung behält (denn an der lingualen Seite kam der Zuwachs der neuen Generationen zustande), drehte es sich um 90 Grad mit der ursprüng- lich lingualen Seite nach hinten und stellte sich so mit seiner Längs- achse dem Kieferrand parallel. Es ist nun meine Meinung, daß bei den Proboscidien der gleiche Zustand von neuem erworben worden ist durch eine schwerlich aus- findig zu machende Ursache. Der Zahnleistenrand, der bei den ältesten Formen dieser Gruppe ebenfalls nur zwei Zahngenerationen entstehen ließ — welche auch je wohl einem dreihöckerigen Einzelzahn ent- sprachen — , die zu einem paucituberkulaten Zahn zusammengefügt waren, bekommt wieder die Fähigkeit, welche er bei den reptihen- über d. Bezieh, d. Säugerzahnes u. Säugergebisses z. Zahn u. Gebiß d. Reptilien. 121 artigen Vorfahren besaß, um eine größere Zahl von Generationen ent- stehen zu lassen. Die latente Eigenschaft wird reaktiviert. Der primitiven topographischen Lagerung nach sollten die Zahngenera- tionen in bukko-lingualer Richtung angeordnet sein, aber wie ehemals bei den Multituberkulaten, paßt sich auch bei Elephas das Gebilde der Gestalt des tragenden Kiefergerüstes an, und es findet eine Drehung statt, wobei die Prohferationsseite hinten zu liegen kommt. Der vordere Rand des Elefantenmolaren ist dann auch dem protomeren der übrigen Säuger gleich zu setzen. Es ist leicht einzusehen, daß eine derartige progressive Entwicklung der Molaren mit Verringerung der Zahl der Zähne verknüpft sein muß, nicht weil alles Material für den Aufbau eines einzigen Zahnes verbraucht wird, wie es in analogen Fällen wohl vorgestellt wird, aber weil eine derartige Entwicklung notwendig die Anlage sämtlicher ursprünglichen Zähne unmöghch macht. Es findet sich in der hier gegebenen Vorstellung der Entstehung des Elefantenmolaren somit Anklänge an die Ansichten sowohl von Rose wie von Osborn. Mit Rose bin ich darin einig, daß der Elefantenmolar ein schönes Beispiel darstellt von Konkreszenz. Aber nur von einer solchen aufeinander folgenden Generationen einer einzigen ,, Zahnfamilie ' und nicht von Elementen verschiedener Dentitionen (in der von mir an diesem Begriff gegebenen Bedeutung), oder von solchen, welche im Kiefer ursprünghch hintereinander gestellt gedacht werden müssen. Mit Osborns Erklärungsweise ist die meinige insoweit verwandt- schaftlich, als dieser Autor das Cingulum des Zahnes als die Bildungs- stätte der neuen Höcker ansieht, und von mir das Cingulum als die morphologische Manifestation der unterdrückten Bildungsfähigkeit weiterer Zahngenerationen vom Zahnleistenrande gedeutet wird. Ich homologisiere somit den Elefantenmolar mit einer ganzen Zahn- familie der Reptihen, jede Lamelle stellt eine Generation, ein Glied dieser FamiHe dar. Wenn man die jüngsten GHeder dieser Zahn- familie — welche sich am hinteren Rande finden — bei den mehr primitiven Elephas africanus untersucht, dann erweisen sich auch diese wieder im Besitze einer dreispitzigen Krone, eine größere Mittelspitze wird von zwei kleineren begleitet. Durch die Abkauung gehen jedoch die durch Zement angefüllten Zwischenräume zwischen denselben verloren und sie fließen zu einem einzigen Querjoch zu- sammen. Die Molaren von Elephas lehren uns was die Folge ist, wenn der Zahnleistenrand von neuem aktiviert wird. Das leitet nicht — wie vorher schon bemerkt — zu einer dritten und weiteren Dentition, sondern zur Komplizierung der Gestalt der Zähne. Zwei Punkte, welche in der odontologischen Literatur vielfach diskutiert worden sind, fanden in der vorhegenden Arbeit keine Er- wähnung, nämlich die Frage über die Bedeutung der Wurzelzahl in der Phylogenese des Gebisses der Säugetiere, und zweitens das Vor- kommen von Zähnen, welche nicht ersetzt werden: die permanenten Molaren. Beide sind Ausgangspunkte für mehrere Fragen, die in der Literatur gestellt und in verschiedenster Weise beantwortet worden 122 Viertes Hauptstück. sind. Auf keinen dieser beiden Punkte gehe ich in dieser Arbeit ein. Zu dieser Reserve sehe ich mich gezwungen, da ich zu einer abgeschlosse- nen Meinung über dieselben noch nicht habe kommen können. Zwar habe ich über beide meine Ansichten, aber es sind mir Tatsachen bekannt, welche mit diesen Ansichten sich weniger gut vereinigen lassen. Ich bevorzuge es also, über beide Punkte vorläufig zu schweigen, um nicht später eventuell gezwungen zu sein, eine Meinung zu widerrufen, wovon ich doch auch jetzt nicht einmal fest überzeugt bin, daß sie richtiff sei. Druck von Ant. Kämpfe, Jena. > Bolk, Die Ontogenic der Primatenzähne. y" Fig. 1. ■^ -.^ ^''Ä^i. \ Fiff. 2. Fiff. 3. Tafel I. <Ür' Fig. 4. N^ 1 Fig. 5. Bolk, Die Ontogenie der Primatenza'hiir. Fig. 6. V" / / 7 y 11 Fiff. Verlag vor Tafel IL '^::k rrA. '-^/: SS^r •-;■••:.■ .■■."<-' -AT ■•.•.'/ Fig. 8. ^.^»-^ ^AfCA»**''-'^ ,-.-i^-; f. ^ "^^-r^^. '"^^^. M^^ •^ Fig. 9. in Jena. i