TIQERSTEDT PHYSIOLOGIE DES ^^^ DIE PHYSIOLOGIE DES KREISLAUFES VON Dr. ROBERT TIGERSTEDT HELSINGFORS (FINNLAND) ZWEITE, STARK VERMEHRTE UND VERBESSERTE AUFLAGE ZWEITER BAND MIT 169 ABBILDUNGEN IM TEXT BERLIN und LEIPZIG 1921 VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUyTER ® CO. VORMALS G. T. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG ° J. GUTTENTAG, VERLAGS- BUCHHANDLUNG o GEORG REIMER o KARL J. TRÜBNER VEIT & COMP. Herausgegeben mit Unterstützung von der Kordelin-Stiftung und Herrn Björn Wasastjerna in Helsingfors. Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechts, vorbehalten. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhalt Seite Viertes Buch. Die Innervation des Herzens i Fünfzehntes Kapitel. Die künstliche Reizung des Herzens 3 §42. Mechanische Reizung 3 a) Wirbellose 3 b) Wirbeltiere 4 §43. Chemische Reizung 8 §44. Thermische Reizung 10 a) Temperatur und Pulsfrequenz 10 b) Temperatur und Arbeitsleistung 12 c) Temperatur und Erregbarkeit 10 d) Die Temperaturgrenzen des Herzens 10 §45. Elektrische Reizung mit dem konstanten Strom .... 21 §40. Reizung mit einzelnen Induk tionss trömen 20 a) Die refraktäre Periode 2(3 b) Die Erregbarkeitsveränderungen des Herzens während der er- regbaren Periode 33 c) Die Größe der Extrakontraktion 34 d) Der Ablauf der Extrakontraktion 41 e) Die Pause nach der Extrakontraktion 42 f) Die Nachwirkung der Reizung 48 §47. Te tanisierende Reizung des Herzens 50 a) Wirbellose 50 b) Wirbeltiere 51 § 48. Das Herzflimmern 00 a) Die Erscheinungen beim Flimmern 00 b) Erholung des Herzens nach dem Flimmern . 04 c) Zur Theorie des Flimmerns 08 % Sechzehntes Kapitel. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen 71 §40. Das embryonale Herz bei den Wirbeltieren 71 a) Warmblütige Wirbeltiere 7I b) Kaltblütige Wirbeltiere 77 §50. Das Herz bei den Wirbellosen 80 a) Würmer 8() b) Arthropoden 81 c) Mollusken 8Ö d) Tunikaten 92 r>3 IV Inhalt. Seife §51. Das Herz bei den kaltblütigen Wirbeltieren 94 a) Das Froschherz 94 a) Ganglien und Nervenfasern 94 ß) Der Versuch von Stannius 97 y) Die zentralen Venen 97 <)) Der Venensinus 100 s) Die Vorhöfe 101 c) Die Kammer 102 //) Die Herzspitze 110 ii) Der Bulbus Aortae 110 b) Das Herz bei anderen kaltblütigen Wirbeltieren 111 §52. Das Vogelherz 115 §53. Das Säugetierherz 117 a) Ganglienzellen und Nervenfasern im Säugetierherzen 117 b) Der , .Venensinus" 118 c) Die Vorhöfe 124 d) Die Kammern 125 §54. Die Reizbildung im Herzen 131 §55. Das anatomische Substrat der Herzautomatie 133 §56. Anhang. Der Tonus des Herzens und dessen Variationen 150 Siebzehntes Kapitel. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz 154 §57. Die wirbellosen Tiere 154 §58. Die kaltblütigen Wirbeltiere ' 156 a) Anatomische Erfahrungen über die muskuläre Verbindung der Vorhöfe und der Kammer 156 b) Physiologische Versuche über die Fortpflanzung der Erregung 160 c) Die Aufhebung der Reizübertragung von den Vorhöfen auf die Kammer (Herzblock) 171 d) Das zeitliche Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammer- systole 177 § 59. Die Vögel 178 §60. Die Säugetiere 180 a) Anatomische Erfahrungen über die muskuläre Verbindung der Vorhöfe und der Kammern 181 b) Physiologische Versuche über die Fortpflanzung der Erregung. 189 c) Die Aufhebung der Reizübertragung von den Vorhöfen auf die Kammern (Herzblock) 197 d) Die zeitliche Folge der Ausbreitung der Erregung auf die einzelnen Herzabteilungen 199 e) Das zeitliche Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammer- systole . 204 Achtzehntes Kapitel. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen 206 §61. Beschreibung der elektrischen Erscheinungen am tätigen Herzen 206 a) Durch künstliche Reize hervorgerufene Herzkontraktionen. . . 206 h) Die bei den spontanen Kontraktionen des freigelegten Herzens stattfindenden elektrischen Schwankungen, mittels des Kapillar- elektrometers aufgenommen 208 Inhalt. V Seite c) Das Elektrokardiogramm im allgemeinen 209 d) Das Elektrokardiogramm beim Menschen 211 e) Der Aktionsstrom des Herzens bei den wirbellosen Tieren . . 222 f) Der Aktionsstrom des Herzens bei den kaltblütigen Wirbeltieren 225 g) Der Aktionsstrom des Herzens und das Elektrokardiogramm bei den warmblütigen Wirbeltieren 232 §62. Die zeitlichen Beziehungen der elektrischen Schwankun- gen im Herzen zu den anderen Äußerungen der Herztätig- keit 238 a) Elektrokardiogramm und Herztöne 238 b) Elektrokardiogramm und Formveränderungen des Herzens . . 239 c) Elektrokardiogramm und intrakardialer Druck 240 §03. Zur Theorie der elektrischen Erscheinungen am tatigen Herzen 241 a) Der Aktionsstrom bei den kaltblütigen Wirbeltieren 242 b) Der Aktionsstrom bei den warmblütigen Wirbeltieren .... 249 §64. Folgerungen aus den elektrischen Schwankungen des tätigenHerzens 266 a) Die Natur der Herzkontraktion 266 b) Die Leistungsfähigkeit des Herzens 267 c) Die künstliche Reizung des Herzens 269 d) Der Ort der Ursprungsreize im Herzen 272 e) Die Ausbreitung der Erregung im Herzen 275 f) Die Lageveränderungen des Herzens 278 Neunzehntes Kapitel. Allgemeines über die zentrifugalen Herznerven 287 §65. Die Entdeckung der zentrifugalen Herznerven 287 a) Die hemmenden Herznerven 287 b) Die beschleunigenden Herznerven 292 §66. Die totale Ausschaltung der zentrifugalen Herznerven . 293 Zwanzigstes Kapitel. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren 294 §67. Kurze anatomische Übersicht 294 a) Arthropoden 294 b) Mollusken 296 c) Tunikaten • 302 §68. Physiologische Erfahrungen über die Herznerven bei den wirbellosen Tieren 302 a) Würmer 302 b) Arthropoden 303 c) Mollusken 305 d) Tunikaten 310 § 69. Hemmungserscheinungen bei direkter Reizung des Heizens von wirbellosen Tieren 311 Einundzwanzigstes Kapitel. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren . . 313 §70. Kurze anatomische Übersieh t 313 a) Der periphere Verlauf der Herznerven 313 b) Die Kopfmarkwurzeln der hemmenden Nerven bei den Säuge- tieren 317 VI Inhalt. Seite § 71 . Das Vor kom m e n d e r h e m m enden Nerven bei verschiede n e n Wirbeltieren 319 § 72. Die Veränderungen der Pulsfrequenz unter dem Einfluß der hemmenden Nerven 323 a) Die tonische Erregung der hemmenden Nerven . . • 323 b) Die Reizung der hemmenden Nerven 327 1. Die Veränderung der Herzperiode 327 2. Die Latenzdauer 327 3. Die Wirkung einer prolongierten Reizung der hemmenden Nerven 329 4. Der Einfluß der Frequenz, Stärke und Art der Reizung auf die hemmende Wirkung 331 5. Die Einwirkung der Temperatur auf den Erfolg der Reizung . der hemmenden Nerven 333 0. Unterschiede zwischen den beiden Vagi 335 § 73. Die Veränderungen des Kontraktionsumf anges bei den verschiedenen Abteilungen des Herzens 339 a) Kaltblütige Wirbeltiere 339 b) Warmblütige Wirbeltiere 345 1. Die Vögel 345 2. Die Säugetiere 345 §74. Die Veränderungen des Lei tun gs Vermögens durch die hemmenden Nerven ' 351 a) Kaltblütige Wirbeltiere 351 b) Warmblütige Wirbeltiere 353 §75. Die Veränderungen der Erregbarkeit des Herzens durch die hemmenden Nerven 354 § 7(3. Verschiedene Arten von hemmenden Nerven 355 § 77. Die Einwirkung der hemmenden Nerven auf das Flim- mern, den Tonus und die Totenstarre des Herzens . . . 361 a) Das Flimmern 361 b) Der Tonus 363 c) Die Totenstarre 364 §78. Der Einfluß gewisser mineralischer Bestandteile auf die Wirkung der hemmenden Nerven 365 §79. Der intrakardiale Verlauf der hemmenden Nerven . . . 368 a) Die im Verlauf der hemmenden Nerven eingeschalteten Ganglien- zellen 368 b) Der Angriffspunkt der hemmenden Nerven 371 §80. Die elektrischen Erscheinungen bei der Reizung der hemmenden Nerven 372 a) Bei Tonusschwankungen 372 b) Bei den einzelnen Kontraktionen 374 §81. Die Natur der Hemmungswirkung auf das Herz .... 379 Zweiundzwanzigstes Kapitel. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren 384 § 82. Das Vorkommen und der Verlauf der fördernden Nerven bei den Wirbeltieren 384 a) Kaltblütige Wirbeltiere . 384 b) Warmblütige Wirbeltiere •-%•"• 385 Inhalt. Vli Seite §83. Die Tätigkeil der fördernden Nerven 388 a) Die tonische Erregung der beschleunigenden Nerven 38K h) Die Veränderungen der Frequenz der Herzschläge bei der Reizung der fördernden Nerven 390 c) Die Veränderungen des Kontraktionsumfanges bei den ver- schiedenen Abteilungen des Herzens 392 d) Die Veränderungen des Leitungsvermögens durch die fördernden Nerven 395 e) Verschiedene Arten von fordernden Nerven 396 §84. Die Einwirkung der fördernden Nerven am das Flim- mern des Herzens 397 §85. Der Einfluß gewisser mineralischer Bestandteile auf die Wirkung der fördernden Nerven 398 §86. Die elektrischen Erscheinungen bei der Tätigkeit der fördernden Nerven 398 §87. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den hemmen- den und den fördernden Nerven 400 a) Interferenzerscheinungen zwischen Vagus und Accelerans . . . 400 b) Veränderungen bei der Dauer der Systole und Diastole nach Ausschaltung der Vagi und bei Reizung der Accelerantes . . . 404 §88. Der Angriffspunkt der fördernden Nerven 405 a) Herzkontraktionen, durch die Reizung der fördernden Nerven ausgelöst 405 b) Der Angriffspunkt des Accelerans 406 Dreiundzwanzigstes Kapitel. Die Herzreflexe 409 §89. Herzreflexe bei den wirbellosen Tieren 409 §90. Herzreflexe bei den kaltblütigen Wirbel tieren 410 a) Fische 41l) b) Amphibien und Reptilien 410 §91. Herzreflexe bei den warmblütigen Wirbel tieren .... 413 a) Vögel 413 b) Säugetiere 413 1. Reflexe vom Herzen selbst 413 2. Herzreflexe durch übrige zentripetale Nerven 415 Vierundzwanzigstes Kapitel. Die Zentren der Herznerven 423 §92. Die Lage der Zentren der Herznerven 423 §93. Die tonische Erregung der Herznerven 428 Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die Zahl der Herzschläge 429 §94. Allgemeines 429 §95. Der Einfluß äußerer Faktoren auf die Pulsfrequenz ... 432 a) Die Temperatur 432 b) Das Essen 433 c) Atmosphärische Einflüsse 435 VIII Inhalt. Seite §96. Der Einfluß des Blutdruckes auf die Pulsfrequenz. . . 440 §07. Der Einfluß von Vorstellungen und Gefühlen auf die Pulsfrequenz 440 §08. Der Einfluß der Muskeltätigkeit auf die Pulsfrequenz 451 a) Die Veränderungen der Pulsfrequenz infolge körperlicher Arbeit 451 b) Die Ursachen der Zunahme der Pulsfrequenz bei der Muskelarbeit 450 c) Der Anteil der verschiedenen Herznerven an der Herzbeschleuni- gung bei der Muskelarbeit 463 § 99. Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit von dem Lebens- alter, der Körperlänge und dem Geschlecht" 466 a) Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit vom Lebensalter . . . 466 b) Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit von der Körperlänge . 469 c) Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit vom Geschlecht . . . 469 §100. Die Pulsfrequenz bei verschiedenen Tieren 471 a) Wirbellose 471 b) Kaltblütige Wirbeltiere 473 c) Vögel 475 d) Säugetiere 476 VIERTES BUCH Die Innervation des Herzens Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. Fünfzehntes Kapitel. Die künstliche Reizung des Herzens. § 42. Mechanische Reizung. a) Wirbellose. Das Herz zahlreicher, vielleicht aller wirbellosen Tiere ist für die mechani- sche Reizung — eine Dehnung oder eine durch den Binnendruck ausgeübte Spannung — ungemein empfindlich. Als Beispiele davon seien folgende Er- fahrungen hier mitgeteilt. Beim ausgeschnittenen Herzen von Helix pomatia genügt selbst eine geringe Dehnung, um nicht nur die Schlagfolge beträchtlich zu beschleunigen, sondern auch die Stärke der einzelnen Kontraktionen wesentlich zu steigern, und beim stillstehenden Herzen werden in gleicher Weise rhythmische Zusammenziehungen sofort ausgelöst, welche je nach dem Grade der Dehnung rascher oder langsamer aufeinander folgen (Biedermann1). Ein ausgeschnittenes Herz von Aplysia limacina wurde unter konstantem Druck aus einer Mariotteschen Flasche mit dem eigenen Blut des Tieres gespeist. Wurde die Druckhöhe vermehrt, so vermehrte sich sofort die Frequenz und Hub- höhe des Herzens. — Wenn nur der untere Abschnitt des Herzens gefüllt war, so begann die Kontraktion des Herzens daselbst und pflanzte sich davon allmäh- lich auf die höheren Abschnitte fort (W. Straub2). Das Herz der Nudibranchier Montereina und Triopha zieht sich bei der Be- rührung mit einer Pinzette oder wenn es sonst mechanisch gereizt wird, sofort maximal zusammen und kann in diesem Zustande bis zu fünf Minuten lang bleiben (Carlson3). Während die leere Kammer des Herzens von Octopus vulgaris dauernd still steht, wenn sie nicht gereizt wird, fängt sie, sobald sie mit Meereswasser unter einem gewissen Druck gefüllt wird, mit rhythmischen Zusammenziehungen an (H. Fredericq*). Diese und viele andere Erfahrungen machen es sehr wahrscheinlich, daß bei diesen Tieren die normale Reizung des Herzens gerade durch die innere Span- nung desselben ausgelöst wird. 1 Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.- naturw. Kl. 89 (3), S. 24; 1884. 2 W. Straub, Aren. f. d. ges. Physiol., 86, S. 509, 518; 1901; — vgl. auch Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 105; 1906. 3 Carlson, Amer. journ. of physiol., 13, S. 423; 1905. 1 H. Fredericq, Arch. intern, de physiol., 14, S. 129; 1914. 4 Die Innervation des Herzens. b) Wirbeltiere. Wenn man die Kammerspitze des Froschherzens abschneidet, kann man sich davon überzeugen, daß diese ohne eine Extrareizung keine Kontraktionen aus- führt. Man braucht sie aber nur mit der Spitze eines dünnen Stäbchens ganz leicht zu berühren, um bei ihr eine Kontraktion auszulösen. In der Regel bewirkt eine einzelne Reizung nur eine einzelne Systole. Dennoch kann unter Umständen dabei eine ziemlich lange Reihe von Pulsationen erscheinen.1 Desgleichen wird ein z. B. durch die Reizung der hemmenden Herznerven stillstehendes Säugetierherz, bzw. ein Herz, dessen Pulsationen aus anderen Grün- den soeben aufgehört haben, durch leichte mechanische Reizung erregt. Die also hervorgerufenen Kontraktionen stimmen wenigstens in mechanischer Hin- sicht mit den normalen Kontraktionen des Herzens vollkommen überein. Nach Heuler'1 handelt es sich hier um eine Reizung des Perikards, denn die Wirkung blieb aus, wenn die gereizte Stelle vorher mit lOprozentiger Kokain- lösung bepinselt worden war. Für diese Deutung spricht auch die Beobachtung, daß ein mit der Pinzette gefaßtes Herz nur im Moment des Anlegens Arythmie zeigte, während des weiteren Festhaltens mit der Pinzette aber vollkommen regel- mäßig schlug. Wurde nun die betreffende Stelle des Herzens kokainisiert, konnte dasselbe mit der Pinzette wieder gedrückt werden, ohne daß irgendwelche Reiz- wirkung zum Vorschein kam. Auch die Reizung der inneren Wand der linken oder rechten Herzkammer mittels eines von dem entsprechenden Vorhof her hineingeführten Stäbchens verursachte leicht arythmische Störungen der Herztätigkeit und übte also eine erregende Wirkung aus (Heitier3). Dagegen war in diesen Versuchen das Myokard ganz unempfindlich für den mechanischen Reiz; wenigstens ergab beim Einstechen von Nadeln in die Herz- wand nur die Berührung des nicht-kokainisierten Perikards eine Störung des Rhythmus. Eine gewisse Stütze gewinnt diese Auffassung durch entsprechende Ver- suche mit elektrischer Reizung, welche deshalb schon hier erwähnt werden müssen. Bei Bepinselung des Froschherzens mit Kokain wurde nämlich die Erregbar- keit des Perikards für Induktionsschläge für eine Zeit von 20 — 40 Minuten mehr oder weniger herabgesetzt, was nicht verhinderte, daß die Teile der Kammer, die sich unter der kokainisierten Stelle befanden, fortwährend ganz normal an der rhythmischen Zusammenziehung der Kammer teilnahmen. Zu gleicher Zeit war indessen auch die direkte Erregbarkeit der Muskulatur in einem gewissen Grade vermindert. Die elektrische Reizung scheint also in erster Linie auf das Perikard einzuwirken (A. Fröhlich*). Im Anschluß an diese Versuche fand Kochmann5 am ausgeschnittenen Kaninchen- und Hundeherzen, daß bei Reizung des Myokards stärkere Ströme als bei der des Perikards oder Endokards notwendig sind, um Extrakontraktionen auszulösen, sowie daß eine auf Fließpapier angebrachte 2 — 5 prozentige Kokain- 1 Vgl. Langendorf f, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt. 1884, Suppl., S. 7. 2 Heitier, Wiener klin. Wochenschrift, 1898, Nr. 3. 3 Heitier, ebenda, 1898, Nr 8. 4 A. Fröhlich, Zentralbl. f. Physiol... 18, S. 693; 1905. & Kochmann, Arch. intern, de physiol., 4, S. 94; 1906. Die künstliche Reizung des Herzens. 5 lösung nach 2 — 3 Minuten die entsprechende Stelle des Perikards unerregbar macht, während die ringsum liegenden Stellen noch vollständig erregbar sind. In diesem Zusammenhang muß auch an die schon vorher (I, S. 312) erwähnten tiefgehenden Störungen, welche besonders beim Hundeherzen unter dem Einfluß einer mechanischen Reizung sehr leicht entstehen, erinnert werden: es kann die Berührung der Herzwand mit einer spitzen Nadel, das Gleiten des Herzens gegen eine durchschnittene Rippe1, das Kneifen des Vorhofes mit einer Pinzette2 genügen, um die Koordination der Muskelfasern des entsprechenden Herzteiles vollständig aufzuheben und ihn in den Zustand des Flimmerns zu bringen. Durch eine einzelne, lokalisierte mechanische Reizung der Herzwand tritt, wie Bichat3 und Schiff* zuerst zeigten, während mehrerer Systolen an der be- treffenden Stelle eine Hervorwölbung auf, die sich als ein mit Blut strotzend ge- fülltes Bläschen erkenntlich macht. Wenigstens während eines gewissen Ab- schnittes der Kontraktion der übrigen Herzwand befindet sich also diese Stelle in der Diastole (lokale Diastole, Auberf). Nach Schiff0 bleibt die Reizung, welche diese Erscheinung hervorruft, im Anfang der Diastole wirkungslos, wird schwach und dann stärker wirksam noch vor dem Anfang der Systole. Während der Systole selbst vermag die betreffende Reizung nur im Beginn, also insofern noch ein Teil der Kammermuskulatur nicht zusammengezogen ist, die genannte Wirkung zu erzeugen. Aubert6 begrenzt die wirksame Periode noch mehr, indem er angibt, daß die Reizung nur dann den betreffenden Erfolg hat, wenn sie gerade im Beginn der Kammersystole oder unmittelbar nachher stattfindet, wogegen Rossbach7 als wirksame Periode die ganze Dauer des Herzschlages angibt. Schiff8 deutete die lokale Diastole als die sekundäre Folge einer primär durch den Reiz bewirkten, äußerst raschen und energischen Zusammenziehung, die eine Erschöpfung der lokalen Erregbarkeit zurückläßt und also bewirkt, daß die getroffene Stelle schneller als das übrige Herz in die Diastole übergeht und sich deshalb während des späteren Abschnittes der Systole hervorwölben muß. Nach Aubert9 stellt das Phänomen nur eine Erschlaffung des kontrahierten Herzmuskels dar, und zwar würde hier eine direkte Reizwirkung vorliegen, denn eine Einwirkung, welche diese Folge hat, muß mit gleichem Rechte als Reiz an- gesehen werden, wie eine Einwirkung, welche Kontraktion des erschlafften Herz- muskels hervorbringt. Seinerseits faßt Rossbach10 seine Anschauung über die lokale Diastole und damit zusammenhängende Erscheinungen in der folgenden Weise zusammen. Der quergestreifte Froschherzmuskel antwortet im auf- wie im absteigenden Teil 1 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 304; 1887. 2 Philips, Arch. intern, de physiol., 2, S. 273; 1905. 3 Bichat, Anat. generale, 1801; zit. nach Ebstein, Ergebn. d. Physiol. 3 (1), S. 168. 4 Schiff, Arch. f. physiol. Heilk., 9, S. 22; 1849; — Ges. Beitr. zur Physiol., 2. Lau- sanne 1894, S. 318. 5 Schiff, Arch. f. d. ges. Physiol., 28, S. 209; 1882. ,! Aubert, ebenda, 24, S. 358; 1881; — 25, S. 189; 1881. 7 Rcssbach, Verh. d. physik.-med. Ges. in Würzburg, n. F., 5, S. 183; 1873; — Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 181, 183; 1881. 8 Schiff, Arch. f. d. ges. Physiol., 28, S. 206; 1882. 9 Aubert, ebenda, 24, S. 360. 10 Rossbach, ebenda, 25, S. 187. 6 Die Innervation des Herzens. seiner Zuckungskurve auf örtliche, mechanische und andere Reize sogleich mit Erschlaffung der gereizten Fasern. Als unmittelbare Nachwirkung einer solchen Reizung tritt, sich scharf auf den Ort der Reizung beschränkend, bleibende Schrumpfung des gereizten Teils der Muskelfaser ein. Die geschrumpfte Partie übt keine Tätigkeit mehr aus und ist ihrer lebendigen Eigenschaften bleibend beraubt. — Wenn der Froschherzmuskel während seiner diastolischen Erschlaf- fung in gleicher Weise gereizt wird, antwortet er mit zeitlicher Verkürzung der nachfolgenden systolischen Kontraktionen an der gereizten Stelle. In einer späteren Mitteilung gibt Rossbach1 an, daß die lokale Diastole nicht beim atropinisierten Herzen auftritt und entwickelt, auf diese Beobachtung gestützt, weitgehende, im Original nachzulesende, theoretische Anschauungen. Rossbach gegenüber bemerkt Schiff2t daß die geschrumpfte Partie keines- wegs ihrer kontraktilen Eigenschaften beraubt ist; daß man auch an atropini- sierten Herzen die lokale Diastole auslösen kann3, daß die gereizte Stelle bei der Systole zuerst und sehr rasch zusammengezogen wird, aber nach kurzer Zeit wieder in die Diastole übergeht. Soviel sich die Frage zurzeit übersehen läßt, dürfte die Auffassung von Schiff im großen und ganzen als die wahrscheinlichste bezeichnet werden. Dafür spricht seine, von Luchsinger bestätigte Beobachtung, daß, wenn man während der Diastole einen Punkt der Kammer berührt, man mit Beginn der Systole die betupfte Stelle der übrigen Kammer in der Kontraktion vorauseilen sieht, und so zuerst eine blasse Vertiefung bilden, um erst hernach gegen Ende der Systole des übrigen Herzens in rotem Wulste sich vorzuwölben.4 Dafür spricht auch das Verhalten des Herzens bei lokaler Erwärmung. Wird ein erhitztes Glasstäbchen einem Froschherzen vorsichtig genähert, so beginnt sich alsbald an dieser Stelle gegen Ende der Systole des übrigen Herzens ein lo- kaler Blutwulst zu bilden, der auch nach Entfernung des Stäbchens noch für einige Pulsschläge in gleicher Weise wiederkehrt. Durch die lokale Erwärmung ist offenbar die Erregbarkeit des Herzmuskels lokal gestiegen und deshalb auch hier wie bei jedem anderen Muskel die Zuckung viel schneller abgeklungen; dann aber werden eben die noch kontrahierten Fasern des übrigen Herzens Blut in die durch die Erwärmung vorzeitig erschlafften Stellen hineintreiben müssen (Luchsingerb). Daß auch das Wirbeltierherz durch einen zweckmäßig gewählten Binnen- druck erregt werden kann, geht aus folgenden Beobachtungen hervor. An einem Frosch mit unversehrtem Kreislauf wurde (Bernstein6, Bowditch7, Gaskell8, Aubert9, Langendorff10) der untere Teil der Herzkammer mittels einer Pinzette mit abgerundeten Branchen bei einem genügend starken Druck ab- 1 Rossbach, Aren. f. d. ges. Physiol., 27, S. 198; 1882. 2 Schiff, ebenda, 28. S. 204, 206, 208, 221. 3 Dies wurde am Krötenherzen wie auch am Froschherzen von Luchsinger (ebenda, 28, S. 558; 1882) bestätigt. . 4 Schiff, ebenda, 28, S. 208; — Luchsinger; ebenda, 28, S. 560. 5 Luchsinger, ebenda, 28, S. 559. 8 Bernstein, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1876, S. 385, 435. 7 Bowditch, Journ. of physiol., 1, S. 104; 1878. 8 Gaskell, ebenda, 3, S. 51; 1880. 9 Aubert, Arch. f. d. ges. Physiol., 24, S. 361; 1881. 10 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, Suppl., S. 6. Die künstliche Reizung des Herzens. 7 geklemmt, so daß allerdings der physikalische Zusammenhang zwischen dem oberen und dem unteren Teil der Herzkammer unversehrt blieb, die physio- logische Verbindung aber zwischen beiden aufgehoben wurde. Die abgeklemmte Spitze blieb dann ruhend in der Diastole. Aubert wie Clark und W. Abel1 konnten ein solches Tier wochenlang am Leben erhalten, ohne daß die Herzspitze irgend- welche Bewegungen machte, und letztere zeigten, daß nach dieser Zeit die Muskulatur der Spitze größtenteils in Bindegewebe verwandelt worden war. Wenn man aber an einem solchen Präparat den Aortenbulbus mit einer kleinen Pinzette schließt, so daß sich das Blut in der Kammer staut und der Druck daselbst infolgedessen erhöht wird, so fängt der abgeklemmte Herzteil, wie Foster und Gaskell2, Aubertz, J. M. Ludwig und Luchsinger'1 fanden, nach einer kurzen Zeit an zu schlagen. Nachdem die Aortensperre gelöst wird, dauern die Pulsa- tionen noch eine Zeitlang fort, hören aber allmählich auf und die Spitze geht in die diastolische Ruhe über. Bei der im eigenen Blute des Tieres nicht spontan pulsierenden Herzspitze ruft also ein konstanter innerer Druck von genügender Größe rhythmische Kon- traktionen hervor. Dieser Auffassung gegenüber sucht Kaiser* nachzuweisen, daß die betreffenden Pulsationen nicht die Folge eines stetig wirkenden Reizes darstellen, sondern vielmehr durch die rhythmische Tätigkeit der Vorhöfe ausgelöst werden. Die Herzspitze würde nämlich von diesen aus immer mehr mit Blut gefüllt und also ausgedehnt werden; dadurch würde die Erregbarkeit des Herzmuskels allmählich zunehmen, bis ein weiterer Druckzuwachs, bzw. die geringe mechanische Erschütterung, welche mit der Systole oder Diastole des Kammerrestes verbunden ist, zu einem genügenden Reiz wird und eine Kontraktion auslöst. Die Herzspitze erschlafft und das Spiel wiederholt sich, bis der immer stärker werdende Druck die Erregbarkeit des Muskels wieder beein- trächtigt oder Kammerrest und Vorhöfe zum diastolischen Stillstand zwingt. Daß diese Erklärung wenig wahrscheinlich ist, folgt aus der Nachprüfung von Kaisers entsprechender Deutung der rhythmischen Kontraktionen der Herzspitze bei chemischer Reizung und bei der Reizung mit dem konstanten Strom. Ähnliche Erscheinungen sind auch bei Säugetieren beobachtet worden: durch einen genügend hohen intraventrikularen Druck kann das stillstehende Herz zum Schlagen gebracht werden, und ein schwach pulsierendes Herz wird in gleicher Weise durch einen erhöhten Binnendruck oft zu kräftigen Kontrak- tionen angespornt (Hyde6). Desgleichen können sowohl bei der linken als bei der rechten Kammer vor- zeitige Kontraktionen ausgelöst werden, wenn der Widerstand für die Entleerung des betreffenden H.rzabschnittes in geeigneter Weise gesteigert wird (H. E. He- ring7). Daß hier keine Folge einer stärkeren Blutströmung in den Kranzgefäßen vorliegt, folgt daraus, daß die vorzeitige Kontraktion der rechten Kammer durch Abklemmung der Lungenarterie — also bei stark herabgesetztem Blutstrom in den Kranzgefäßen — ausgelöst wird. 1 Clark und W. Abel, Heart, 4, S. 231; 1913. 2 Gaskell, Journ. of physiol., 3, S. 51; 1880. 3 Aubert, Arch. f. d. ges. Physiol., 24, S. 366; 1881. 4 J. M. Ludwig und Luchsinger, ebenda, 25, S. 231; 1881. 5 Kaiser, Zeitschr. f. Biol., 30, S. 291; 1894. 6 Hyde, Amer. journ. of physiol., 1, S. 219; 1898. ' H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 82, S. 4; 1900. g Die Innervation des Herzens. Indessen wirkt auch eine Drucksteigerung in den Kranzgtfäßen als direkter Reiz auf das Säugetierherz, und zwar selbst wenn diese nicht durch Blut, sondern durch Gase oder ganz indifferente Flüssigkeiten hervorgerufen wird. Bei einem Versuch am ausgeschnittenen Katzenherzen wurde durch ein Versehen die rechtzeitige Erneuerung des Blutes in der Durchleitungsflasche unterlassen, und durch die Kammergefäße strömte nun aus der Sauerstoffbombe reiner Sauerstoff. Das Herz schlug aber trotzdem ruhig weiter. Bei der näheren Verfolgung dieser Erscheinung konnte Magnus nachweisen, daß das isolierte Katzenherz, wenn gasförmiger Sauerstoff unter einem Druck von etwa 150 mm Hg durch die Koronararterien hindurchgeleitet wird, noch über eine Stunde seine rhythmischen Kontraktionen fortsetzen kann. Es zeigte sich ferner, daß auch bei Durchströmung mit Wasserstoff das Herz längere Zeit regelmäßige Kon- traktionen ausführen kann. Die Wirkung der Gasdurchströmung kann daher nicht ausschließlich durch die Zufuhr von Sauerstoff erklärt werden, sondern muß, zum Teil wenigstens, auf die Fortschaffung schädlicher gasförmiger Produkte bezogen werden.1 Unabhängig von Magnus hatte Thunberg Versuche über das Treiben von Gasen durch das Gefäßsystem begonnen und dabei unter anderem bemerkt, daß das Froschherz unter der Einwirkung eines dadurch geleiteten Luftstromes kräftig schlagen kann.2 Um den Einfluß zu untersuchen, den der Druck der durchströmenden Substanz auf das Herz ausübte, stellte Sollmann neue Versuche an, indem er durch den Koronarkreislauf des ausgeschnittenen Kaninchenherzens Öl unter einem Druck von 1,2 bis 2 m (Öl) und bei einer Temperatur von 30 — 42° C hindurchleitete, und zwar erst nachdem die spontanen Herzkontraktionen schon aufgehört hatten. Und in der Tat konnten in dieser Weise Kontraktionen während einer Zeit von 1/2 Stunde und länger erzielt werden, indessen nur an Herzen, die nicht zu lange vorher vom Körper herausgeschnitten gewesen waren. Man konnte sich denken, daß auch hier eine Ausspülung schädlich wirkender Substanzen vorlag: es ergab sich aber, daß das unter Druck in den Koronar- arterien eingetriebene Öl auch bei gebundenen Koronarvenen die gleiche Wirkung ausübte. Hier konnte also nur der Druck an und für sich, d. h. aller Wahrschein- lichkeit nach eine mechanische Reizung vom Inneren der Koronargefäße her3, tätig gewesen sein.4 § 43. Chemische Reizung. Wo eine mit dem unveränderten Blute desselben Tieres ernährte Herz- abteilung nicht spontan schlägt, unter der Einwirkung irgendeiner anderen Nähr- flüssigkeit aber zu pulsieren beginnt, ist es ohne weiteres klar, daß diese Flüssig- keit in irgendeiner Weise auf die betreffende Herzabteilung einen (chemischen) Reiz hat ausüben müssen. Wir haben daher allen Grund, die im Kap. XII studier- 1 Magnus, Arch. f. exp. Pathol., 47, S. 200; 1902. 2 Thunberg, Verh. d. Sektion für Anat. usw. bei der Naturforscher- Vers, in Helsingfors 1902, S. 56. 3 Sollmann, Amer. journ. of physiol., 15, S. 121; 1906; — vgl. auch Guthrie und Pike, ebenda, 18, S. 21; 1907. 4 Weiteres über den Einfluß von Druckschwankungen auf die Schlagfrequenz des Herzens in Kap. XXV, § 96. Die künstliche Reizung des Herzens. 9 ten Nährflüssigkeiten zum Teil als chemische Reize zu bezeichnen, indem diese entweder an und für sich oder durch Veränderungen, welche sie im Herzen selbst verursachen, auch Herzabteilungen erregen, die unter normalen Verhältnissen und bei Speisung mit normalem Blut nur unter dem Einfluß höherer Herzteile tätig werden. Betreffend die Hypothesen, welche man zur Erklärung der erregenden Wirkungen dieser Flüssigkeiten aufgestellt hat, verweise ich auf das oben Angeführte. Hier bleibt also nur noch übrig, die Einwirkung anderer chemischer Reiz- mittel auf das Herz zu erörtern. Wie die erwähnten Lösungen vermögen auch diese Reize, wenn sie kontinuier- lich auf nicht selbständig schlagende Herzteile, wie die Spitze des Froschherzens, einwirken, längere oder kürzere Reihen von rhythmischen Kontraktionen hervor- zurufen. Bowditch fand, daß bei einer mit 0,1 mg Delphinin vergifteten Herzspitze eine Anzahl Pulsationen sehr verschiedener Größe ohne jede äußere Reizung auftraten.1 Als Langendor ff an der äußeren Oberfläche der Herzspitze verdünnte Mineral- säuren oder kaustische Alkalien, Ammoniakdämpfe, Kalkwasser, Silbernitrat, Kochsalz in Substanz oder in konzentrierter Lösung, Galle, konzentrierte Milch- säure, Alkohol oder Kreosot anbrachte, erhielt er Reihen von Pulsationen, die je nach der angewendeten Substanz länger oder kürzer waren.2 Schon früher hatten andere Autoren gefunden, daß verschiedene Alkaloide, wie Chinin3, Muskarin +Atropin4, Atropin5 allein, die gleiche Wirkung hervor- brachten. Dasselbe gilt, nach Langendorf f, auch von Akonitin, Veratrin, Digi- talin, Helleborein und Morphin.6 In Übereinstimmung mit seiner oben (II, S. 7) erörterten Auffassung von der Art und Weise, wie ein stetiger Druck die rhythmischen Pulsationen hervorrufen kann, stellt sich Kaiser vor, daß auch die durch chemische Reize ausgelösten rhythmischen Kontraktionen der Herzspitze nicht die Folge der stetigen Reizung darstellen, sondern tatsächlich durch rhythmische Reizung hervorgerufen werden. Die durch konzentrierte Kochsalzlösung in Kontraktion versetzte, nach Bernstein abgeklemmte Spitze wird durch jede oder jede zweite oder dritte Kontraktion des Kammerrestes passiv gedehnt; bei der Erschlaffung des Kammerrestes zieht sich die immer in Kontraktion befindliche, durch die unter bestimmtem Druck eingetriebene Blutmenge aber gedehnte Spitze wieder zusammen. — Dementsprechend treten bei Reizung der abgeklemmten Spitze eines zuvor blutleer gemachten Herzens mit konzentrierter Kochsalzlösung niemals rhyth- mische Kontraktionen auf, sondern die Spitze zieht sich infolge des Reizes zusammen und stirbt in diesem Zustande ab.7 Bei der Nachprüfung dieser Angaben fand indessen Langendorff9 unter anderem, daß bei chemischer Reizung der abgeklemmten Herzspitze in der Regel keine Überein- stimmung zwischen den Pulsationen derselben und des Herzrestes sich vorfindet. So machte z. B. die Spitze nach Betupfen mit Natriumhydrat auf 24 Kammerpulse 15 eigene Pulse, und etwas später auf 23 Kammerkontraktionen 7 eigene Kontraktionen. Hier kann doch von einer Abhängigkeit der Spitzenpulse von denen des übrigen Herzens keine Rede sein. Auch findet man bei Reizung der Spitze mit einem Kochsalzkristall, 1 Bowditch, Ber. der sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. Kl., 1871, S. 682. 2 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, Suppl., S. 8 f., 17. 3 Schtschepotjew, Arch. f. d. ges. Physiol., 19, S 62; 1879. 4 v. Bosch, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl., 79 (3), S. 72; 1879. 5 Loewit, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 447: 1881. s Langendorff. Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt. 1884, Suppl., S. 21. 7 Kaiser, Zeitschr. f. Biol., 30, S. 292; 1894. 8 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 57, S. 413; 1894. 10 Die Innervation des Herzens. oder mit Natriumhydrat, daß deren Pulsationen frequenter als die des Kammerrestes sein können, wenn die Zahl der letzteren während des Versuches künstlich vermindert wird. Wie die mechanische kann auch die chemische Reizung des Herzens Stö- rungen in dessen normalem Rhythmus hervorrufen. Als Beispiel davon seien die Er- fahrungen Heitiers über die Einwirkung des Krotonöls erwähnt. Sowohl das Be- streichen des Perikardiums mit dem Öl als auch die Injektion desselben in den Herzmuskel erzeugte Pulsverlangsamung und Arythmie; diese Veränderungen waren in letztem Falle intensiver. Durch mehrere kombinierte Versuche über- zeugte sich Heitier1 davon, daß die Erscheinungen bloß auf die Reizung des Herz- muskels zurückzuführen waren. Ein weiteres Beispiel stellt die Tatsache dar, daß die Injektion einer starken Bromkaliumlösung im Blut beim Säugetierherzen Flimmern hervorruft, oft schon binnen einer Minute (Mac William2). § 44. Thermische Reizung. Langendorff3 hat gewisse, von ihm am Froschherzen beobachtete Erschei- nungen als Ausdruck einer direkten Erregung durch die Wärme gedeutet. Da in- dessen Erscheinungen, welche darauf hindeuten, nur äußerst selten vorkommen, und da wir andererseits wissen, wie leicht die Herzspitze durch andere Reizmittel zum Pulsieren gebracht werden kann, sowie daß die Erwärmung die Empfänglich- keit des Herzens für diese Reize erhöht, können wir es noch nicht als völlig ent- schieden ansehen, daß Erwärmung an und für sich den Herzmuskel zu reizen vermag. Andererseits üben verschiedene Temperaturen einen sehr starken Einfluß auf die Herztätigkeit und die Erregbarkeit des Herzens aus. a) Temperatur und Pulsfrequenz. Schon Budget und die Gebrüder Weber5 erwähnen, daß Erhöhung der Tem- peratur eine Frequenzzunahme bei dem Herzen des Hühnerembryos wie beim ausgeschnittenen Froschherzen hervorruft. Der Einfluß verschiedener Tempe- raturen wurde dann beim Froschherzen oder bei verschiedenen Teilen desselben von Schelske6, Cyon7, Bowditch8, Kronecker9, J. M. Ludwig und Luchsinger10, v. Basen11, Langendorff12, Engelmann13, R. Tigerstedt und Strömbergu, Flatow15, 1 Heitier, Arch. f. d. ges. Physiol., 75, S. 430; 1899. 2 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 306; 1887. 3 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, Suppi., S. 38. 4 Budge, Handwörterb. d. Physiol., 3 (2), S. 439; 1846. . 6 Ed. Weber, ebenda, 3 (2), S. 35; 1846. 6 Schelske, Über die Veränderungen der Erregbarkeit der Nerven durch die Wärme. Heidelberg 1860; zit. nach dem Jahresbericht 1860, S. 527. 7 Cyon, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. KL, 1866, S. 271. 8 Bowditch, ebenda, 1871, S. 684. 9 Kronecker, Festschrift für Ludwig 1874, S. 183. 10 ./. M. Ludwig und Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 244; 1881. 11 v. Basen, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl., 79 (3), S. 69; 1879. 12 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, Suppl., S. 33. 13 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 29, S. 454; 1882. 14 R. Tigerstedt und Strömberg, Mitt. aus d. physiol. Laborat. in Stockholm, Heft 5, S. 12; 1888. 15 Flatow, Arch. f. exp. Path., 30,. S. 363; 1892. Die künstliche Reizung des Herzens. 1 1 /de1, Fr. N. Schultz2 und Snyder3, bei dem Schildkrötenherzen von E. G. Martin*, Snyder3, sowie von Galeotti und Piccinini6, bei dem Krokodilherzen von Fr. H. Schultz7, bei dem Herzen von Fischembryonen von Rogers8, Polimanti9, Loeb und W. F. Ewald10, Laurens11, bei Herzen wirbelloser Tiere von Brandt (Krebs12), Plateau (Krustazeen13), Knoll (Krustazeen, Heteropoden, Tunikaten14), Schönlein15 und W. Straub16 (Aplysia), Biedermann17 und Beyne18 (Helix pomatia), W.Koch (Anondontitis19), Robertson (Krustazeen20), Snyder (Phyllirrhoe, Maja21), Polimanti (Maja22), Carlson2Z und Nukada'-* (Limulus), Willem und Basiert23 (Spinnen), Nicolai (Salpen26), H. Fredericq (Octopus27), Rogers (Würmer8) und Rywosch (Pterotracheen28), bei dem Herzen von Vogelembryonen (Cesana2*) wie bei dem vom Körper isolierten Säugetierherzen von N. Martin und Applegarth™, Langendorff*1, Herlitzka*2, Knowlton und Starlingzz, Snyder™ und Clark33 untersucht. Alle diese Autoren stimmen darin überein, daß die Frequenz des Herz- schlages bei zunehmender Temperatur zunimmt. 1 Ide, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1892, Suppl., S. 248. 2 Fr.' N. Schultz, Arch. f. d. ges. Physiol., 115, S. 397; 1906. 3 Snyder, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1907, S. 118. 4 E. G. Martin, Amer. journ. of physiol., 11, S. 382; 1904. 5 Snyder, University of California publications. Physiology, 2, S. 125; 1905. 6 Galeoiti und Piccinini, Archivio di fisiol., 8, S. 337; 1910. ' Fr. N. Schultz, Arch. f. d. ges. Physiol., 115, S. 398. 8 Rogers, Amer. journ. of physiol., 28, S. 81 ; 1911. 9 Polimanti, Journ. de physiol., 1911, S. 806. 10 Loeb und W. F. Ewald, Biochem. Zeitschr., 58, S. 177; 1913; — vgl. auch Mary Moore, Amer. journ. of physiol., 45, S. 190; 1918. 11 Laurens, Amer. journ. of physiol., 35, S. 199; 1914. 12 Brandt, Bull, de l'Acad. des sciences de St. Petersbourg, 8, S. 422; 1865. 13 Plateau, Arch. de biol., 1, S. 637; 1880. 14 Knoll, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl., 102 (3), S. 387; 1893; — vgl. auch Hecht, Amer. journ. of physiol., 45, S. 181; 1918. 15 Schönlein, Zeitschr. f. Biol., 30, S. 202; 1893. 16 W. Straub, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 524; 1901. 17 Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad., math.-naturw. KL, 89 (3), S. 32; 1884. 18 Bevne, Journal de physiol.. 1905, S. 974. 19 W. Koch, Arch. f. d. ges. Physiol., 166, S. 295; 1917. 20 Robertson, Biolog. bull., 10, S. 242; 1906; zit. nach dem Jahresber. 1906. 21 Snyder, Amer. journ. of physiol., 17, S. 350; 1906. 22 Polimanti, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1913, S. 191. 23 Carlson, Amer. journ. of physiol., 15, S. 219; 1906. 24 Nukada, Mitt. d. mediz. Fakultät d. kaiserl. Univ. zu Tokyo, 19, S. 12; 1917. 25 Willem und Basiert, Arch. neerl. de physiol., 2, S. 287; 1917. 26 Nicolai, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1908, Suppl., S. 104. 27 H. Fredericq, Arch. int. de physiol., 14, S. 333; 1914. 28 Rywosch, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 361 ; 1905. 29 Cesana, Arch. di fisiol., 10, S. 193; 1912. 30 N. Martin, Philosophical transact., 174, S. 663; 1883 (Martins Physiological papers. Baltimore, 1895, S. 40); — Martin und Applegarth, Studies from the biolog. laborat. of the Johns Hopkins University, 4, S. 275; 1890 (Martins Physiol. papers, S. 97). 31 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 388; 1897. 32 Herlitzka, Zeitschr. f. allg. Physiol., 5, S. 265; 1905. 33 Knowlton und Starling, Journ. of physiol., 44, S. 214; 1912. 34 Snyder, Zeitschr. f. allg. Physiol., 15, S. 72; 1913. 85 Clark, Journ. of physiol., 54, S. 279; 1920 (Vorhof des Kaninchenherzens). 12 Die Innervation des Herzens. In der letzten Zeit haben Snyder1, Kanitz2, Galeotti und Piccinini3, Cesana*, Loeb und W. F. Ewald5, H. Fredericq6 und Clark1 aus den zugänglichen Zahlen für die Pulsfrequenz bei verschiedenen Temperaturen berechnet, um wie viel sich diese für eine Temperaturdifferenz von 10° C verändert. Für fast alle in dieser Hinsicht bearbeiteten Versuchsreihen an Herzen der verschiedensten Tierklassen, inkl. des Menschenherzens, geht nun hervor, daß die Pulsfrequenz, entsprechend der van't Hofß'chen Regel bei chemischen Reaktionen, für eine Temperaturzunahme um 10° C 2 bis 3mal vermehrt wird; nur bei sehr niedrigen und bei sehr hohen Temperaturen finden sich Abweichungen vor, indem im ersten Falle die Puls- frequenz viel mehr, und im zweiten Falle viel weniger zunimmt, als dieser Regel entsprechen würde. In einigen Versuchsreihen fand sich indessen diese Zahl wesentlich niedriger als 2 — 3; so bei verschiedenen Krustazeen (Maja, Astacus, Carcinus), wo sie nach Polimanti8 1,3 — 1,6 betrug; ferner bei Hühnerembryonen vor dem 6. Tage (1,2 — 1,8, Cesana9), bei Fischembryonen (1,4, Polimanti10) und Schildkröten (1,4, Polimanti10). Knowlton und Starling11 sind im Gegensatz zu den anderen Autoren, welche diese Frage bearbeitet haben, an der Hand von Versuchen an ausgeschnittenen Hunde- und Katzenherzen zu dem Resultat gekommen, daß innerhalb der physiologischen Grenzen der Temperatur die Pulsfrequenz in direkter Proportion }^mu der Temperatur ansteigt. Demgegenüber vertreten Kanitz1'2 und Snyder13 die Auffassung, daß hier *y/eine logarithmische Funktion von dem Aussehen „ IK- wo Q10 die Zunahme der Pulsfrequenz für einen Temperaturunterschied von 10° C, Kx und K0 die bei den Temperaturen 7\ und T0 beobachteten Pulsfrequenzen bezeichnen, in der Tat vorliegt. Damit sie in voller Deutlichkeit hervortritt, müssen sich die Beobachtungen auf ein genügend weites Intervall erstrecken. Clark7 bemerkt, daß auch nicht dieser Ausdruck die Abhängigkeit der Puls- frequenz von der Temperatur richtig angibt. b) Temperatur und Arbeitsleistung. Bei der Erwärmung des Herzens steigt der Sauerstoffverbrauch in die Höhe, auch wenn die Arbeit des Herzens dabei nicht vermehrt wird; bei gesteigerter 1 Snyder, University of California publications. Physiol., 2, S. 135; 1905; — Amer. journ. of physiol., 17, S. 351; 1906; — Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1907, S. 118; — Amer. journ. of physiol., 22, S. 330; 1908; — Zeitschr. f. allg. Physiol., 14, S. 263; 1912; — 15, S. 72; 1913; — vgl. auch Rogers, Amer. journ. of physiol., 28, S. 81; 1911. 2 Kanitz, Arch. f. d. ges. Physio!., 118, S. 601; 1907; — Biochem. Zeitschr., 4e, S. 181; 1913. 3 Galeotti und Piccinini, Archivio di fisiol., 8, S. 338; 1910. 4 Cesana, Arch. di fisiologia, 10, S. 193; 1912. 5 Loeb und W. F. Ewald, Biochemische Zeitschr., 58, S. 177; 1913. 6 H. Fredericq, Arch. intern, de physiol., 14, S. 133; 1914. 7 Clark, Journ. of physiol., 54, S. 280; 1920. 8 Polimanti, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1913, S. 192. 9 Cesana, Arch. di fisiologia, 10, S. 198, 212. 10 Polimanti, Journ. de physiol., 1911, S. 807. 11 Knowlton und Starling, Journ. of physiol., 44, S. 217; 1912. 12 Kanitz, Biochem. Zeitschr., 48, S. 183; 1913. Ja Snyder, Zeitschr. f. allg. Physiol., 14, S. 273; 1912. Die künstliche Reizung: des Herzens. 13 Arbeitsgröße wird der Sauerstoffverbrauch in einer noch größeren Proportion gesteigert (v. Weizsäcker1). Die Form der Herzkontraktion erleidet bei Temperaturvariationen eine charakteristische Veränderung, indem mit abnehmender Temperatur die auf- und absteigenden Kurvenschenkel mehr und mehr in die Länge gezogen werden, wie dies u. a. von Cyon2 am Frosch-, Langendorff3 am Säugetier-, Beyne1 am Helix- und Galeotti und Piccinini5 am Schildkrötenherzen nachgewiesen worden ist. Als Beispiel sei auf Fig. 178 verwiesen, welche Kontraktionskurven eines Schildkrötenherzens bei verschiedener Temperatur darstellt. Durch Bestimmung der Zeit, die das Froschherz bei verschiedenen Tempe- raturen darauf verwendet, um das Maximum der Kontraktion zu erreichen, und durch Multiplikation dieser Zahl mit der Pulsfrequenz in der Minute suchte Cyon* Fig. 178. Kontraktionskurven von Schildkrötenherzen bei verschiedenen Temperaturen. Nach Galeotti und Piccinini. Die untere Linie gibt die Zeit in Sekunden an. Von links nach rechts zu lesen. festzustellen, wie sich die Gesamtdauer der Systole unter der Einwirkung der Temperatur verändert. Er fand, daß diese zwischen 0 und 18° C annähernd gleich blieb, daß also die zu einer Systole erforderliche Zeit in umgekehrter Pro- portion zu der Pulsfrequenz variiert. Zwischen 18 und 34° C nahm die Summe der Systolendauer mit Ausnahme eines einzigen Falle? ab, d. h. die Dauer der Systole wurde verhältnismäßig stärker vermindert als die Pulsfrequenz zunahm. Auch beim Herzen von Helix pomatia war die Summe der Dauer aller Systolen in der Zeiteinheit zwischen 9 und 26° C konstant (Beyne"7). In einem von Galeotti und Piccinini8 mitgeteilten Versuch an der Schild- kröte ist dagegen die Gesamtdauer der Systolen in der Zeiteinheit bei der Tempe- ratur zwischen 5 und 15° C etwas niedriger als bei der Temperatur 21 — 35° C. Über den Einfluß der Temperaturveränderungen auf den Kontraktions- umfang gab Cyon9 an, daß dieser von 0°C an bis zu einer gewissen Temperatur- grenze beim Froschherzen sich unverändert erhält; daß aber bei weiterer Steige- rung der Temperatur der Umfang der Systole abnimmt, und zwar so lange, bis das Maximum der Pulsfrequenz erreicht ist. 1 v. Weizsäcker, Arch. f. d. ges. Physiol., 148, S. 554; 1912. 2 Cyon, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl., 1866, S. 280. 3 Langendorf f, Arch. f. d. ges. Physiol., 61, S. 313; 1895; — 66, S. 355; 1897. 4 Beyne, Jcurn. de physiol., 1905, S. 978. 5 Galeotti und Piccinini, Arch. di fisiol., 8, S. 348; 1910. 6 Cyon, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. KL, 1866, S. 289. 7 Beyne, Journ. de physiol., 1905, S. 980. 8 Galeotti und Piccinini, Arch. di fisiol., 8, S. 348; 1910. 9 Cyon, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. KL, 1866, S. 278. 14 Die Innervation des Herzens. • Flatow1 bemerkte, daß zwischen 0 und 32° C das Pulsvolumen des Frosch- herzens mit steigender Frequenz etwa in gleichem Grade abnimmt, und nach Beyne2 ist dasselbe bei Helix pomatia der Fall. Dementsprechend beobachtete Dois, daß das Froschherz bis zu einer gewissen oberen Grenze seiner Füllung bei isometrischem Regime einen größeren Maximaldruck bei 5° als bei 15° C ausübte. Dagegen fand Ide* ebenfalls am Froschherzen, daß bei großen Variationen der Häufigkeit das Herz bei jeder Systole das Quecksilber im Manometer auf die gleiche Höhe erhob und also die Größe der Herzkontraktion innerhalb weiter Grenzen ziemlich unabhängig von der Temperatur war. Hier kam indessen noch in Betracht, daß sich die Nachgiebigkeit der Herzwand mit der Temperatur änderte und also eine unerwünschte Komplikation bei den Versuchen herbei- führte. Auch sind die von Ide mitgeteilten Zahlenangaben sehr variierend, indem bei einigen Versuchen die Hubhöhe bei höherer Temperatur abnimmt, bei anderer aber im Gegenteil zunimmt. In den Versuchen von Fr. N. Schultz5 am Frosch war das Herz innerhalb weiter Temperaturgrenzen oft imstande, trotz außerordentlichen Schwankungen der Pulsfrequenz, den Blutdruck in der Aorta einigermaßen konstant zu erhalten, d. h. der Kontraktionsumfang bei der einzelnen Systole war hier um so größer, je kleiner die Zahl der Herzschläge. Bei schwachen, wenig leistungsfähigen Herzen war dies dagegen nicht der Fall, und der Umfang der Systole nahm bei ihnen par- allel der Temperaturabnahme ab. Endlich teilen Galeotti und Piccinini6 Versuche am Frosch- und Schild- krötenherzen mit, bei denen der Umfang der Kontraktion zuerst bis zu einer Temperatur von etwa 22 — 25° C langsam zunimmt, um bei noch höherer Tempe- ratur wieder schwach abzunehmen. Wir finden also eine sehr bedeutende Verschiedenheit in den Angaben der verschiedenen Autoren. Es ist möglich, daß sie zum Teil wenigstens davon be- dingt ist, daß die bei den verschiedenen Temperaturen stattfindende Pulsfrequenz nicht immer die zum Erzielen der größten Wirkung günstigste gewesen ist. Es hat nämlich Bornstein1 bei künstlicher Reizung der ausgeschnittenen Kammer oder Spitze des Froschherzens gefunden, daß bei niedrigeren Tempe- raturen, von +3° C anfangend, die höchsten Zuckungen bei einem Intervall von 15 — 20 Sekunden erhalten werden; von dieser Höhe sinken sie nur langsam herab, wenn man den Rhythmus verlangsamt oder beschleunigt. Erwärmt man, so wird der optimale Rhythmus allmählich schneller, bei 10° ist das Intervall meist 8 bis 10 Sek., bei 20 meist 2 — 4 Sek. Erwärmt man noch weiter, so sind bei etwa 27° die höchsten Zuckungen in Intervallen von 0,5 Sek., bei noch höheren Tempe- raturen (35 — 40°) gar in Intervallen bis zu 0,1 Sek. zu erhalten. Hierbei ist die Zeit des optimalen Rhythmus im Gegensatz zur Kälte sehr distinkt, d. h. 1 Flatow, Arch. f. exp. Pathol., 30, S. 377; 1892; — vgl. auch Clark, Journ. of physiol., 54, S. 281. 2 Beyne, Journ. de physiol., 1905, S. 981. 3 Doi, Journ. of physiol., 54, S. 224; 1920. 4 lde, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1892, Suppl., S. 248. 5 Fr. N. Schultz, Arch. f. d. ges. Physiol., 115, S. 415; 1906. 6 Galeotti und Piccinini, Arch. di fisiol., 8, S. 345; 1910. 7 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 362. Die künstliche Reizung des Herzens. 15 schon geringe Veränderung des Rhythmus bewirkt verhältnismäßig beträcht- liche Unterschiede in den Zuckungshöhen. In einem gegebenen Falle ist also die Größe der Kontraktion teils von der Temperatur, teils von der Frequenz der Schlagfolge abhängig und dann ist es nicht schwer zu verstehen, wie beim spontan pulsierenden Herzen die oben er- wähnten Verschiedenheiten entstehen können. Um die Zuckungshöhen bei ver- schiedenen Temperaturen untereinander exakt vergleichen zu können, muß man also bei künstlicher Reizung den für die betreffende Temperatur optimalen Rhyth- mus wählen; unter solchen Umständen fand Bornstein1, daß die Höhe der opti- malen Kontraktionen von +3° C an langsam bis zu einem bei 18 — 20° gelegenen Maximum ansteigt, um von da aus wieder zu sinken. Zu einem entsprechenden Resultat ist Clark2 gelangt. Bei der von den Vor- höfen getrennten Kammer des Froschherzens war bei gleicher Frequenz der künst- lichen Reizung der Umfang der Kontraktionen bei einer höheren Temperatur etwas größer als bei einer niedrigeren. Was insbesondere das Warmblüterherz betrifft, hat Langendorff3 am aus- geschnittenen, künstlich gespeisten Katzenherzen gefunden, daß bei sehr tiefen, wie bei sehr hohen Temperaturen die Pulse kleiner, oft sehr viel kleiner sind, als bei mittleren Wärmegraden. Ein Optimum für die Kontraktionsstärke besteht also zweifellos, und dasselbe fällt nach Langendorff nicht etwa in die dem Warm- blüterherzen adäquaten Temperaturen, sondern ist tiefer als diese gelegen. Hierbei kann indessen neben der Temperatur möglicherweise auch die Stärke des Blut- stroms in den Kranzgefäßen eine gewisse Rolle spielen, da wärmeres Blut schneller strömt als kaltes.4 In wesentlicher Übereinstimmung damit fand Bock5 am isolierten Kaninchen- herzen, daß das Schlagvolumen bei 31° C wesentlich größer als bei einer höheren Temperatur war; Starling und Knowlton6 beobachteten beim isolierten Hunde- und Katzenherzen das Maximum des Schlagvolumens etwa bei 27 — 28° C, und beim isolierten Vorhof des Kaninchenherzens wies Clark7 nach, daß der Umfang der Zusammenziehung bei niedrigerer Temperatur größer war als bei einer höheren (25—40° C). Die Arbeitsgröße bei der einzelnen Systole verändert sich natürlich pro- portionell dem Umfang derselben. Die minutliche Arbeit stellt das Produkt dieser Arbeitsgröße durch die Pulsfrequenz dar. Bei den Versuchen von Cyon8 am Frosch leistete jedes Herz seine größte Arbeit nur bei einer bestimmten Temperatur, welche etwa zwischen 18 und 26° C lag. Flatow9, wie Beyne10 finden, daß die minutliche Arbeitsleistung unabhängig von der Temperatur ist, indessen mit der Ausnahme, daß bei Flatow bei 20—22° C 1 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 364. - Clark, Journ. of physiol., 54, S. 283. 3 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 385; 1897. 4 Langendorff, ebenda, 66, S. 387. 5 Bock, Arch. f. exp. Pathol., Schmiedeberg- Festschrift, S. 90; 1908. 6 Starling und Knowlton, Journ. of physich, 44, S. 215; 1912. 7 Clark, ebenda, 54, S. 281; 1920. 8 Cyon, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., mäth.-phys. KL, 1866, S. 290. 9 Flatow, Arch. f. exp. Path., 30, S. 377; 1892. 10 Beyne, Journ. de physiol., 1905, S. 981. 16 Die Innervation des Herzens. ein geringes Optimum erschien. Dagegen gelangte Ide1 zu dem Resultat, daß die Arbeit zwischen 8 und 33° C mit der Temperatur zunimmt, unabhängig davon, wie sich der Umfang des Hubes und die ihn bestimmende Nachgiebigkeit der Herzwand darstellt. Bei den soeben erwähnten Versuchen von Bock wie von Starling und Knowlton war die minutliche Arbeitsgröße bei Temperaturen zwischen 34 und 46° (Kanin- chen) bzw. 36 und 44° C (Hund), 34 und 42° C (Katze), trotz großer Variationen der Schlagfrequenz und des Schlagvolumens, völlig unverändert. c) Temperatur und Erregbarkeit. Wie bei anderen Organen, nimmt auch beim Herzen die Empfänglichkeit für künstliche Reizung, wie Bowditch2, Kronecker3, J. M. Ludwig und Luchsinger*, v. Basen5 und Langendorf f6 nachwiesen, mit der Temperatur zu und ab, d. h. Erwärmung steigert die Erregbarkeit des Herzmuskels und Abkühlung ver- mindert sie. Ein Induktionsstrom, der bei Zimmertemperatur 'keine Zuckung hervor- rief, vermochte dies, wenn die Herzspitze erwärmt wurde (v. Basen). Ebenso wurden vorher unwirksame chemische Reize bei der Erwärmung der Herzspitze wirksam. Nach Kronecker scheint die Herzspitze des Frosches etwa bei 25° C ihre größte Erregbarkeit erreicht zu haben. Bei einer noch höheren Temperatur wird sie weniger erregbar, kann aber durch Abkühlung ihre frühere Erregbarkeit wieder bekommen. d) Die Temperaturgrenzen des Herzens. Um die mit dem Leben des Herzens vereinbare höchste und niedrigste Tem- peratur festzustellen, muß man beachten, daß die Temperatur des umgebenden Bades nicht ohne weiteres als Temperatur des darin gesenkten Herzens aufgefaßt werden darf, denn wenn nicht eine genügend lange Zeit verflossen ist, können sehr bedeutende Unterschiede vorhanden sein. So fand Ide1 die Temperatur im Inneren des Froschherzens nach 60 Sek. langem Aufenthalt in einem Bade von 50 — 49° C nur 45,5°, und nach 30 Sek. langem Aufenthalt in einem Bad von 60 bis 56° C nur 40°. Die untere Grenze für die Leistungsfähigkeit des Kaltblüterherzens dürfte etwa bei 0° C liegen. Daß aber auch niedrigere Temperaturen nicht unbedingt tödlich sind, geht aus den Erfahrungen über den Einfluß der Abkühlung und Wieder- erwärmung auf verschiedene niedere Tiere sehr deutlich hervor.8 Beim stark abgekühlten Froschherzen beobachtete Stewart9 eine bedeutende Zunahme des Herzmuskeltonus, indem die Erschlaffung wesentlich geringer als bei höherer Temperatur war. 1 Ide, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1892, Suppl., S. 249. 2 Bowditch, Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1871, S. 684. 3 Kronecker, Festschr. f. Ludwig, 1874, S. 183. 4 J. M. Ludwig und Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 244; 1881. 5 v. Basch, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 79 (3), S.69; 1879. 6 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, S. 33. 7 Ide, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1892, Suppl., S. 247. 8 Vgl. Tigerstedt, in Handbuch der vergl. Physiologie, 3 (2), S. 83. Jena 1910. 9 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 137; 1892. Die künstliche Reizung des Herzens. 17 Das isolierte Säugetierherz führt noch bei 6 — 7° C spontane Kontraktionen aus; indessen hörten in den Versuchen von Langendorf fl mehrere Präparate schon bei 11 — 15° C auf zu pulsieren, waren aber bei einer niedrigeren Temperatur noch für künstliche Reize erregbar. Ja, selbst ein hartgefrorenes Katzenherz kann mit seiner spontanen Tätigkeit wieder beginnen, wenn es in Wasser von 42° C gebracht wird (Waller und Reid2). Über die obere Temperaturgrenze für das Herz liegen betreffend die wirbel- losen Tiere u. a. folgende Angaben vor. Bei 46° C führt das Herz des Hummers, des Krebses und des Carcinus noch regelmäßige Pulsationen aus (Plateau3). Bei einer höheren Temperatur werden die Herzschläge äußerst schwach. Indessen konnten sie bei 50° C immer noch gezählt werden. Die wirkliche Temperatur des Herzens war indessen wesentlich niedriger, denn bei den betreffenden Versuchen wurde nur die Temperatur des Wassers bestimmt und das Tier befand sich zum Teil außerhalb des Wassers. Einer Temperatur von 46 — 47° C ausgesetzt, pulsiert das Herz von Helix pomatia regelmäßig noch während längerer Zeit, wenngleich mit allmählich ab- nehmender Frequenz und Stärke und selbst bei 49° C konnte Biedermann* rhyth- mische Zusammenziehungen bei demselben beobachten. Das Herz von Aplysia findet bei größerer Erwärmung keine Zeit, um sich vollständig zu erschlaffen und die tiefsten Punkte dessen Kontraktionskurve bilden daher eine ansteigende Linie. Bei fortgesetzter Erwärmung nimmt aber dieser Tonus wieder ab und schließlich steht das Herz bei einer Temperatur von etwa 33 — 38° C still. Dabei schwindet der noch übrig gebliebene Rest des Tonus und das Herz dehnt sich etwa bei 44 — 45° C weit über seine Länge in kaltem Zu- stande aus. Setzt man die Erwärmung jetzt weiter fort, so folgt eine stetig zu- nehmende Verkürzung und bei etwas über 50° befindet sich das Herz in maxi- maler Wärmestarre. Bei 46° C ist der Muskel für künstliche Reize noch empfind- lich, und nach einer zum völligen, lange dauernden Stillstande führenden Er- wärmung kann das Herz durch Abkühlung wiederholt zu neuer Tätigkeit erweckt werden (Schönlein5, W. Straub*). Beim Herzen von Octopus hören die spontanen Kontraktionen bei 33° C definitiv auf und das Herz wird auch für künstliche Reizung unerregbar (H. Fredericq1). Nach Rywoschs) treten beim Herzen der Pterotrachea nach Überschreiten der Temperatur der maximalen Pulsfrequenz zunächst Unregelmäßigkeiten in der Schlagfolge auf, und bei einer Temperatur von etwa 35—36° C erscheint dann ein Stillstand in der Diastole, aus welchem das Herz durch Abkühlen wieder zu rhythmischer Tätigkeit erweckt werden kann. Bei etwa 38—40° C kontrahiert 1 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 397; 1897; — vgl. auch N. Martin und Applegarth, Stud. from the biol. laborat. of the Johns Hopkins Univ., 4, S. 275; 1890, abgedr. in N. Martins Physiol. papers, S. 97. 2 Waller und Reid, Philosophical trans., 1887, B, S. 223; — vgl. auch oben I, S. 319 ■die Versuche über Wiederbelebung des Herzens. 3 Plateau, Arch. de biol., 1, S. 636; 1880. 4 Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 89 (3), S. 33; 1884. 5 Schönlein, Zeitschr. f. Biol., 30, S. 203; 1893. 6 W. Straub, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 524; 1901. ' H. Fredericq, Arch. intern, de physiol., 14, S. 135; 1914. s Rywosch, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 362; 1905. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 2 J8 Die Innervation des Herzens. sich das Herz mit einem Ruck zur vollständigen Systole und stirbt, wenn diese länger als 3 — 4 Minuten dauert; bei 42 — 43° C tritt der Tod schon innerhalb einer halben Minute ein. Der Herzmuskel beim Limulus vermag bei einer Temperatur, die das Gan- glion und die Nervenfasern noch ganz unberührt läßt, nicht mehr auf die vom Ganglion ausgehenden Reize zu reagieren. Das Herz steht daher bei etwa 32° C in der Diastole still, und dessen Tonus verschwindet. Die direkte Reizung des Muskels kann indessen noch Kontraktionen auslösen. Erst bei 47 — 50° C tritt die Wärmestarre ein (Carlson1). Durch isolierte Erwärmung des Ganglions kann man sich davon überzeugen, daß es bis zu 42° C tätig bleibt. Bei 50—55° C stirbt es innerhalb 1—2 Minuten und bei 47° C innerhalb 5 — 10 Minuten.2 Übrigens ist seine Ausdauer von seinem Zustande abhängig: bei schlechtem Zustand liegt die obere Temperatur etwa bei 38 — 40°, und die untere steigt von 0° auf etwa +4° an.3 Bei der Tunikaten Ascidia atra sind nach Hecht* die Temperaturgrenzen der spontanen Schläge +13 bezw. +36° C. Nach Mary Moore5 hört die Kammer beim Fundulusembryo bei einer Temperatur von 42°. der Vorhof bei einer von 44 — 46° C auf zu schlagen. Kronecker6 findet die obere Temperaturgrenze für das Froschherz bei etwa 42° C. Bei dieser Temperatur wird das Herz wärmestarr und hat seine Er- regbarkeit für immer verloren. Aristow7 fand ein auf 41° C erwärmtes, stillstehendes Herz noch erregbar und es konnte sogar während einer kurzen Zeit eine noch höhere Temperatur ertragen, ohne zu sterben. Wenn es aber 15 Sek. lang einer Temperatur von 63° C ausgesetzt wurde, ging es zugrunde. Nach Ide8 hörte die Schlagfähigkeit des Froschherzens bei einem längeren Aufenthalt in einem Bad von 40, ja sogar 35° C auf; in einem Bad von 50° C schon nach 25 — 30 Sek. Dabei war das Herz indessen nicht tot, denn nach wieder statt- gefundener Abkühlung führte es ebenso kräftige Kontraktionen wie vorher aus. Nach einem länger als 1 Minute dauernden Verweilen in einem Bad von 48 — 49° C konnte das Herz in der Regel erst nach Wechseln der Nährflüssigkeit seine frühere Leistungsfähigkeit erlangen. Bei einer Temperatur über 50° C erfolgte Gerinnung und Tod. Bei den Versuchen von Unger9 stand der Vorhof des von Ringerlösung umgebenen Herzens bei Erwärmung auf 36 — 40° C still. Nach stattgefundener Abkühlung auf Zimmertemperatur erwies es sich für wiederholte Erwärmung wesentlich mehr empfindlich und der Wärmestillstand trat nun bei einer viel 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 15, S. 209, 215; 1906. 2 Carlson . ebenda, 15, S. 220. 3 Carlson, ebenda, 15, S. 234. 4 Hecht, ebenda, 45, S. 181; 1918. 5 Mary Moore, ebenda, 45, S. 195; 1918. 6 Kronecker, Festschr. f. Ludwig. Leipzig 1874, S. 179; — vgl. auch Galeotti und Pic- cinini, Aren, di fisiol., 8, S. 351; 1910. 7 Aristow, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1879, S. 202. 8 Ide, ebenda, 1892, Suppl., S. 253. 9 Vnger, Arch. f. d. ges. Physiol, 149, S. 364; 1912; — vgl. auch Clark, Journ. of physiol., 54, S. 279. Die künstliche Reizung des Herzens. 19 niedrigeren Temperatur auf. Fand aber die Abkühlung bei 0° statt, stieg das Maximum der Stillstandstemperatur auf 44° C an. Durchspülung des Herzens mit Ringerlösung oder Blut erhöhte die Tempe- ratur, nach welcher noch eine Wiederbelebung möglich war, entschieden, bis auf 47,5, ja sogar 51° C. Die maximale Frequenz des Vorhofes war in dieser Versuchsreihe 195 in der Minute. In allen Versuchen trat der Stillstand bei der Kammer bei einer niedrigeren Temperatur als beim Vorhof auf. Die Ursache davon liegt indessen nicht darin, daß jene für hohe Temperaturen empfindlicher als dieser wäre, denn wenn man bei stillstehendem Herzen durch künstliche Reizung der Kammer einen in um- gekehrter Richtung verlaufenden Herzschlag auslöst, so hören mit zunehmender Temperatur die Kontraktionen des Vorhofes stets früher als die der Kammer auf. Es muß also die Übertragung der Erregung von dem einen Herzabschnitt zum anderen früher als die Erregbarkeit durch die Erwärmung beeinträchtigt werden. Bevor die Erregbarkeit des Herzens definitiv verloren geht, stellen sich ver- schiedene merkwürdige, von Stewart eingehend untersuchte Erscheinungen ein. Wenn die Spitze des Froschherzens durch eine physiologische Kochsalz- lösung bei einem genügend hohen Druck in Pulsationen versetzt ist und dann erwärmt wird, entsteht, ebenso wie bei dem ganzen Herzen, eine Art tonische Kontraktion, auf welcher eine Reihe von frequenten, aber kleinen Zuckungen superponiert ist; darauf folgt dann Stillstand in der Diastole. — Der einzige Unter- schied zwischen dem Herzen und der Herzspitze ist der, daß diese bei niedrigerer Temperatur als jenes in den diastolischen Stillstand übergeht.1 Bei leerem oder wenig gefülltem Herz (bzw. Herzspitze) entsteht durch die Erwärmung, gleichviel, ob sie schnell oder langsam stattfindet, keine derartige Kontraktion, sondern das Herz geht ohne weiteres in den diastolischen Still- stand über. Der intrakardiale Druck spielt also hier eine wesentliche Rolle.2 Die Ursache des Wärmestillstandes ist von verschiedenen Autoren in ver- schiedener Weise aufgefaßt worden. Für die Deutung desselben ist es wichtig, daß das in diastolischem Wärmestillstand befindliche Herz durch direkte Reizung zur Kontraktion gebracht werden kann. Das Herz oder die (infolge eines genügend großen intrakardialen Druckes) „spontan" pulsierende Herzspitze hat also nicht die Erregbarkeit, sondern nur die Fähigkeit, spontan zu pulsieren, eingebüßt.3 Ide* hebt die grundsätzliche Übereinstimmung im Verhalten des über- wärmten und des erstickten Herzens hervor und bemerkt u. a., wie in beiden Fällen eine gruppenweise Schlagfolge erscheint. Diese Schlagfolge, während welcher die Vorhöfe in einem regelmäßigen und schnelleren, aber allmählich immer langsameren Rhythmus pulsieren, wird von Ide auf eine herabgesetzte Erregbar- keit der Kammer zurückgeführt, indem erst nach einer Reihe von summierten Reizen die Systole ausgelöst wird.5 Einmal angeregt, führt dann die Kammer einige Kontraktionen aus, ehe sie wieder eine Zeitlang stillsteht. 1 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 124; 1892. 2 Stewart, ebenda, 13, S. 128. 3 Stewart, ebenda, 13, S. 130. 4 Ide, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1892, Suppl., S. 257. 5 Auf Grund von Ungers Versuchen würde man wohl hier statt herabgesetzter Erregbar- keit herabgesetztes Überleitungsvermögen sagen müssen. 2* 20 Die Innervation des Herzens. Zwischen dem überwärmten und dem erstickten Herzen findet sich nur der Unterschied, daß der Übergang in den trägen Zustand bei jenem ungemein viel rascher als bei diesem erfolgt. Gegen den Vergleich der Erscheinungen bei hoher Temperatur mit den Erstickungserscheinungen würde indessen bemerkt werden können, daß Sätti- gung der Ringerlösung mit Sauerstoff nach Unger1 auf die Stillstandstemperatur des Vorhofes nur einen geringen Einfluß und auf die der Kammer gar keinen ausübt, weshalb dieser Autor auch hervorhebt, daß kein irgendwie sicherer An- halt für den Zusammenhang der Wärmeschädigung mit dem Sauerstoffmangel vorliegt. Indessen hat Unger selber gefunden, daß die Temperaturgrade, bei welchen der Wärmestillstand eintritt, für Blut durchschnittlich höher als für Ringer- lösung liegen (Blut: 30—47,5, du/chschnittlich 40,2° C; Ringerlösung: 22,5—51, durchschnittlich 36° C). Es ist ja möglich, daß hier andere Blutbestandteile als das Hämoglobin wirksam sind. Für den Einfluß des Hämoglobins, d. h. des Sauerstoffes spricht aber jedenfalls die Beobachtung Ides2, daß das Hämoglobin den Eintritt des Wärmestillstandes auch einer Temperatur von 49° C gegenüber zu verhindern und den dem Herzen aufgezwungenen Stillstand zu heben vermag. Als obere Temperaturgrenze für die spontanen Kontraktionen des Säuge- tierherzens geben N. Martin und Applegarth3, sowie Langendorff4 etwa 45° C an. Guthrie und Pike5 teilen eine wesentlich niedrigere Zahl, 38,5 — 40° C, mit, die unbedingt als zu niedrig zu bezeichnen ist. N. Martin und Applegarth bemerken aber, daß das Maximum durch vor- sichtige Behandlung des Herzens bis auf 48° C erhöht werden kann, und unter Langendorffs Versuchen finden sich Fälle, wo das ausgeschnittene Herz noch bei 47° C pulsierte. Natürlich spielt hierbei auch die Dauer der Erwärmung eine wesent- liche Rolle. Nach Langendorff würde die obere Temperaturgrenze für das Herz mit dem Eintritt der Starre zusammenfallen; als Stütze dieser Auffassung wird speziell hervorgehoben, daß es nie gelang, das durch Überhitzung getötete Herz wieder zu beleben. Beim Hindurchströmen von heißer Kochsalzlösung (90 — 92° C) durch die Perikardialhöhle während 10 — 15 Minuten kann die Temperatur innerhalb der rechten Kammer bis auf 60 — 62° C ansteigen, ohne daß der Tod sofort erfolgt (Winogradow6). Auch wiederholtes intravenöses Eingießen von heißem Wasser (65 — 92° C) in Mengen von 4 — 5 g pro kg Körpergewicht beim Hunde und 2 — 3 g bei dem Kaninchen und der Katze bei einer maximalen Geschwindigkeit von 10 g in der Sekunde wurde gut ertragen, obgleich dabei die Temperatur in der rechten Kammer auf 55° C, in der Lungenarterie auf 60° C und in der linken Kammer 1 Unger, a. a: O., 149, S. 370. 2 Ide, a. a. O., 1902, Suppl., S. 258. 3 N. Martin und Applegarth, Martins Physiol. papers, S. 104. 4 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 391, 398; 1897. 5 Guthrie und Pike, Amer/journ. of physiol., 18, S. 26; 1907. 6 Winogradow, Zeitschr. f. Bio!., 60, S. 1; 1913. Die künstliche Reizung des Herzens. 21 (bei Injektion in einer Lungenvene) auf 55° C ansteigen kann (Athanasiu und Carvallo 1 ; Winogradow2). § 45. Elektrische Reizung mit dem konstanten Strom. Beim spontan schlagenden Herzen, bzw. Herzabteilungen ruft der konstante Strom eine Beschleunigung der Pulsationen und von einer gewissen Stärke an — etwa 200 MA. — ein Herzflimmern hervor (Heidenhain3, Einbrodt4, Brandt'0, S. Mayer6, Jellinek7). Der Erfolg ist aber nicht ganz konstant und übrigens auch von der Richtung des reizenden Stromes abhängig (Bernstein8). Deutlich ist in vielen Fällen die beschleunigende Wirkung des absteigenden Stromes von der Basis zur Spitze, aber sehr oft werden die Pulsationen unregelmäßig und scheinen gehemmt zu sein. Der aufsteigende Strom verursacht dagegen oft eine Verminderung der Pulszahl, kann aber auch eine deutliche Beschleunigung bewirken. Daß hier eine sehr komplizierte Erscheinung, bei welcher nicht allein die Muskulatur, sondern auch die Nervenelemente im Herzen teilnehmen, vorliegt, dürfte ziemlich einleuchtend sein. Um mehr eindeutige Resultate zu erhalten, empfiehlt es sich daher, das Verhalten des möglichst einfach gebauten Herz- abschnittes, der Kammerspitze, zu erforschen. An diesem Präparat hatte Eckhard9 schon früher unter dem Einfluß des kon- stanten Stromes eine rhythmische Tätigkeit beobachtet. Bei längerer Schließungs- dauer fuhren die Pulsationen nicht so lange, als der Strom geschlossen war, fort, sondern hörten nach einer gewissen Anzahl von Schlägen auf. Indessen beobachtete Eckhard nicht selten Reihen von 22 — 30 Schlägen. War die Spitze zur Ruhe ge- kommen, genügte eine Berührung derselben mit der Nadelspitze, um wieder eine, wenn auch kleinere Reihe von Pulsationen auszulösen. Die Öffnung des Stromes löste nur eine einzige Pulsation aus. Durch besondere Versuche wies Eckhard nach, daß die rhythmischen Pulsationen nicht durch Schwankungen des kon- stanten Stromes ausgelöst wurden, sondern von einer spezifischen Eigenschaft des Herzmuskels, kontinuierliche Reize in rhythmische Tätigkeit umzusetzen, herrührten. Die Ergebnisse Eckhards wurden von Foster und Dew-Smith10 wie von v. Basch11 bestätigt, die außerdem noch, wie später Trendelenburg1'2, fanden, daß beim Frosch bei genügend starkem Strom der eigentlichen Öffnungszuckung eine 1 Athanasiu und Carvallo, Aren, de physiol., 1897, S. 789. 2 Winogradow, Zeitschr. f. Biol., 60, S. 25; 1913. 3 Heidenhain, Aren. f. Anat. u. Physiol., 1858, S. 494, 479;. — vgl. auch Scherhey, ebenda, physiol. Abt., 1880, S. 263 (Froschherz); — Neumann, Arch. f. d. ges. Physiol., 39, S. 404 (Kanin- chen-, Katzen- und Froschherz). 4 Einbrodt, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl., 38, S. 356; 1859. 5 Brandt, Bull, de l'Academie des scienc. de St. Petersbourg, 8, S. 424; 1865 (Krebsherz). 6 S. Mayer, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 68 (3), S. 81; 1873. 7 Jellinek, Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 44. 8 Bernstein, Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsysteme. Heidelberg 1871, S. 209. 9 Eckhard, Beiträge zur Anat. u. Physiol., 1, S. 153; 1858. 10 Foster und Dew-Smith, Journ. of anat. and physiol., 10, S. 737; 1876. 11 v. Basch, Sitz.-Ber. d.' Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl., 79 (3), S. 62; 1879. 13 Trendelenburg, Arch. f. d. ges. Physiol., 82, S. 282; 1900. 22 Die Innervation des Herzens. oder zwei oder selbst mehrere (E. Koch1) Kontraktionen nachfolgen konnten. Bei einem Versuch an der Herzspitze einer kleinen Ringelnatter traten nach der Öffnung des 9 Minuten lang geschlossenen Stromes nicht weniger als 70 Kontrak- tionen auf.2 Eine schon von Eckhard ausgesprochene, aber von ihm verworfene Erklärungs- möglichkeit aufnehmend, suchte Kaiser3 darzutun, daß die unter der Einwirkung des konstanten Stromes auftretenden rhythmischen Kontraktionen tatsächlich dadurch zu- stande kommen, daß jede Pulsation eine geringe Intensitätsschwankung im Stromkreis verursacht, welche, obgleich sie nicht vermag ein Nerv-Muskelpräparat zu erregen, dennoch genügt, um die Herzspitze zur Kontraktion zu bringen. Neue Versuche von Langendorff und Eonrobert* wie von Trendelenburg5 ergaben indessen mit aller Bestimmtheit, daß dies nicht der Fall war, und die Unzulänglichkeit der Kaiserschen Auffassung, daß der Herzmuskel überhaupt nur durch diskontinuier- liche Reize zur rhythmischen Tätigkeit gebracht werden kann, folgt übrigens direkt aus den oben erwähnten Erfahrungen über die nach Öffnen des Stromes unter Umständen auftretenden Reihen von Pulsationen. Bei Reizung des wegen Ausschaltung des Venensinus nicht spontan schlagen- den Froschherzens beobachtete Bernstein*, daß die Kontraktionen bei absteigen- dem Strom (vom Vorhof zur Kammer) am Vorhof begannen, dagegen bei auf- steigendem Strom an der Kammer anfingen.7 Bernstein, dem sich Bethe8 anschließt, zieht aus diesem Verhalten des Her- zens den Schluß, daß die Erregung offenbar vom positiven Pol ausgeht und sucht diese Abweichung vom polaren Zuckungsgesetz in der Weise zu erklären, daß die von den Atrioventrikularganglien nach den Vorhöfen und den Kammern gehenden Nervenfasern je nach der Richtung des Stromes verschieden beeinflußt werden. Beim absteigenden Strom geraten die Ursprünge der Vorhofnerven in den Zu- stand des Katelektrotonus, die Vorhöfe werden zuerst erregt und hieran schließt sich auf dem Wege der Leitung die Kammersystole. Ist der Strom aufsteigend, so werden in gleicher Weise die Ursprünge der Kammernerven in Katelektrotonus versetzt und die Systole beginnt in der Kammer.9 Zu den Beobachtungen Bernsteins fügt Scherhey10 hinzu, daß bei schwachen Strömen die Stromrichtung keinen Einfluß auf den Verlauf der Kontraktion hat, indem hier auch beim aufsteigenden Strom die Vorhöfe zuerst pulsieren, sowie daß beim absteigenden starken Strom die Kammer sich anfangs vor dem Vorhof kontrahiert und dann erst, nach einer Pause, die bei dieser Stromrichtung regel- mäßige Reihenfolge Vorhof -> Kammer erscheint. 1 E. Koch, Arch. f. d. ges. Physiol., 183, S. 185; 1920. 2 Scherhey (Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1880, S. 259), wie Neumann (Arch. f. d. ges. Physiol., 39, S. 409, 412; 1886) sahen nach der Öffnung nie mehr als eine einzelne Öffnungszuckung. Dagegen beobachtete Ransom (Journ. of physiol., 5, S. 316; 1884) am Octopus- herzen nach dem Öffnen eines starken absteigenden Stromes zuweilen eine Reihe von Kontrak- tionen. 3 Kaiser, Zeitschr. f. Biol., 30, S. 286; 1894; — 32, S. 464; 1895. 4 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 61, S. 336; 1895. 5 Trendelenburg, ebenda, 82, S. 270; 1900. 6 Bernstein, Untersuchungen usw., S. 213. ' Vor dem Eintritt der rhythmischen Kontraktionen fand im Moment des Stromschlusses eine gleichzeitige Kontraktion des ganzen Herzens statt; danach stand das Herz gewöhnlich einige Sekunden still und dann erst fingen die rhythmischen Pulsationen an {Bernstein, ebenda, S.217). s Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. des Nervensystems. Leipzig 1903, S. 417. 9 Bernstein, Untersuchungen usw., S. 229. ln Scherhey, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1880, S. 261. Die künstliche Reizung des Herzens. 23 Nach Versuchen an der abgeklemmten Herzspitze des Frosches konsta- tierten Scherhey1 und Neumann2 außerdem, daß bei dieser der absteigende Strom eine kräftigere Wirkung als der aufsteigende ausübt, während nach dem letzteren beim Säugetierherzen der aufsteigende Strom der kräftigere ist.3 Da der Unterschied in der Wirkung der verschiedenen Stromrichtung mög- licherweise von der Blutfülle und dem Demarkationsstrom abhängig war, machte Neumann an der nach Bernstein abgeklemmten in situ befindlichen Herzspitze Versuche, sowohl bei liegenbleibender Ligatur als nach Entfernung der Ligatur, wobei im letzten Falle das Blut sich in größerer Menge in der Kammerhöhle ansammeln konnte. Per Erfolg dieser Variation der Versuchsanordnung war, daß im ersten Falle der aufsteigende Strom die stärkere Wirkung hatte. Da nach bekannten Gesetzen die an der Basis abgebundene Kammer von einem in absteigender Richtung verlaufenden Strom mit der Kathode an der Spitze durchströmt ist, hatte man von vornherein das entgegengesetzte Resultat erwartet. Nun findet aber Biedermann'1 unter Anwendung der unipolaren Methode, daß bei Reizung der abgeklemmten Herzspitze mit nicht übermäßig starken Strömen stets nur eine Kontraktion bei Berührung mit der Kathode, niemals im umgekehrten Falle erscheint. Wenn auch das Verhalten des Froschherzens bei galvanischer Durchströmung noch nicht in allen Einzelheiten als vollständig aufgeklärt erachtet werden kann, dürfte indessen festgestellt sein, daß das polare Erregungsgesetz auch bei ihm gültig ist. Dies wird auch durch die Erscheinungen, welche bei Reizung der örtlich verletzten Kammer des Froschherzens mit dem konstanten Strome hervor- treten, bestätigt. Bleibt der Strom während der Systole geschlossen, so tritt bei abterminaler Richtung (Anode an der verletzten Stelle) eine verstärkte, bei atterminaler (Kathode an der verletzten Stelle) eine abgeschwächte Zuckung auf. Bei länger dauerndem Stromschluß treten im ersten Falle verstärkte rhythmische Kontraktionen auf, im zweiten sind die Kontraktionen sowohl schwächer als seltener; zuweilen kann es dabei auch zu einer Dauerkontraktion an der verletzten Stelle kommen. Öffnen des abterminalen Stromes hat keine oder nur eine abgeschwächte Zuckung zur Folge; öffnen des atterminalen aber eine verstärkte (E. Koch5). Die Erfahrungen am Herzen der Wirbellosen gehen in derselben Richtung. So bietet, nach Ransom6, das Octopusherz eine vollständige Übereinstimmung mit dem polaren Erregungsgesetz dar, wenn wir nämlich voraussetzen, daß das Vorhofende der Kammer erregbarer ist als das Aortaende. Man erhält nämlich bei schwachen aufsteigenden (Aorta -> Vorhof) Strömen nur Schließungszuckungen und bei schwachen absteigenden Strömen (Vorhof -> Aorta) nur Öffnungszuckungen. Bei stärkeren Strömen erscheinen unabhängig von der Stromrichtung sowohl Schließungs- als Öffnungszuckungen. 1 Scherhey, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1880, S. 259. 2 Neumann, Arch. f. d. ges. Physiol., 39, S. 409; 1886. 3 Neumann, ebenda, 39, S. 407. 4 Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 89 (3), S.47; 1834. 5 E. Koch, Arch. f. d. ges. Physiol., 183, S. 132; 1920. * Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 316; 1884. 24 Die Innervation des Herzens. Auch beim Herzen von Helix pomatia kann man, nach Biedermann1, be- obachten, daß beim Schluß eines konstanten Stromes der Kontraktionsvorgang von der Kathode ausgeht und sich von daher über das Herz fortpflanzt. Je stärker die tonische Zusammenziehung des Herzens ist, um so weniger kann sich diese Kontraktionswelle geltend machen. Desgleichen geht die Erregung bei der Öff- nung des Stromes von der Anode aus. Ebenso fand Schönlein2 bei der Aplysia, daß die Schließung schwächster Ströme eine Zuckung hervorruft, welche deutlich von der Kathode ausgeht. Bei stärkeren Strömen erschien daselbst eine Dauerkontraktion, welche die Eintritts- stelle des Stromes in den Muskel kugelförmig anschwellen. ließ. Für die Öffnung schien zu gelten, daß gleichzeitig mit der Erschlaffung an der Kathode eine schwä- chere Kontraktionswelle von der Anode ausging und sich eine Strecke in den Muskel hinein fortsetzte. Demgegenüber gibt indessen Cardot3 an, daß der konstante Strom beim Herzen von Helix aspera und pomatia, Limax maximus und Arion rufus beim Schluß an der Anode und bei der Öffnung an der Kathode seine erregende Wirkung ausübt, wie daß dementsprechend eine Hemmung während des Strom- schlusses an der Kathode und nach der Öffnung des Stromes an der Anode stattfindet. Am Herzen von Helix pomatia prägen sich die durch die polaren Wirkungen des Stromes hervorgerufenen Hemmungserscheinungen sehr schön aus (Biedermann*). Wenn man den vollen Strom von 1 — 2 Daniell dem in tonischer Zusammen- ziehung begriffenen Herzen von diesem Tiere zuführt, so beobachtet man bei Schließung des Stromkreises in allen Fällen eine sofortige Erschlaffung der Kam- mer, die ausnahmslos an der Anode beginnt und wellenförmig zur Kathode fort- schreitet. Nach der Öffnung des Stromes kehrt in allen Fällen, wo der Tonus von vornherein stärker entwickelt war, die Kammer in ihren ursprünglichen, andauernden Kontraktionszustand zurück. Nur dann, wenn bereits bei Beginn des Versuches ein wenig ausgeprägter Tonus herrschte, schließt sich an eine einmalige kurzdauernde Schließung des Stromes eine ununterbrochene Reihe regelmäßiger Kontraktionen an, wobei diese entweder unbegrenzt fortdauern oder nach einiger Zeit einer abermaligen tonischen Kontraktion weichen. Bei schwächeren Strömen bleibt die Erschlaffung auf die nächste Umgebung der Eintrittsstelle des Stromes beschränkt. Nach Öffnen des Stromes geht, entsprechend der kathodischen Öffnungs- hemmung, von dem negativen Pol eine Erschlaffungswelle aus. Gleichartige Beobachtungen hat Bandler5 am Daphniaherzen gemacht: die Schließung des konstanten Stromes ruft eine dauernde und bedeutende Diastole hervor; nach Öffnen des Stromes erscheint eine jähe Zusammenziehung, auf welche eine auffallend starke Diastole folgt, worauf die normale Schlagfolge wieder eintritt. 1 Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 89 (3), S. 22; 1884. 2 Schönlein, Zeitschr. f. Biol., 30,'S. 209; 1894. 3 Cardot, Journ. de physiol., 1909, S. 787. 4 Biedermann, a. a. O., 89 (3), S. 18. 5 Bandler, Aren. f. exp. Pathol., 34, S. 394; 1894. Die künstliche Reizung des Herzens. 25 Wie Fiscliel1 nachwies, äußert sich die Erschlaffung bei Anwendung schwacher Ströme in einer blassen, den ganzen betreffenden Herzteil auf einmal ergreifenden Ausbauchung des der Anode entsprechenden Endes, ohne daß sich eine sichtbare Störung in der Schlagfolge geltend machen würde. Verstärkung des Stromes bringt diastolischen Stillstand des Herzens mit Ausbauchung des nach der Anode hin liegenden Herzabschnittes hervor. Bei länger dauerndem Stromschluß treten noch vor der Öffnung anfänglich seltene, jähe Pulsationen mit großen Volumen- schwankungen auf, denen dann normale beschleunigte Pulsationen folgen. Sehr starke Ströme bedingen selbst bei kurzer Dauer lang andauernde diastolische Stillstände mit lokaler Ausbauchung. Bei der Öffnung erscheint nach mittelstarken Strömen eine Erschlaffung an der Kathode. Eine Kontraktion an der Kathode beim Stromschluß und eine Anoden- kontraktion bei der Öffnung des Stromes kamen dagegen nicht deutlich zum Vorschein. Auch beim Froschherzen ist die durch die Anode bewirkte Erschlaffung nachgewiesen worden. Bei schwacher Reizung tritt als erste Wirkung regelmäßig Fig. 179. Anodische Erschlaffung des Froschherzens. Nach Palladin. Der Strom (8 Volt) ist zwischen Rx und Ra geschlossen. A— V, Vorhof- systole; V— F, Kammersystole. Die anodische Erschlaffung macht sich im Laufe jeder Systole durch die Erhebung vor dem diastolischen Abfall erkenntlich. eine Erschlaffung in der nächsten Umgebung der Berührungsstelle ein, die sich bei jeder neuen systolischen Zusammenziehung wiederholt, solange der Strom geschlossen ist. Nach Öffnung des Stromes erscheinen entsprechende Verände- rungen an der Kathode {Biedermann'2). Unter Anwendung der photographischen Registrierung hat Palladin3 diese anodische Erschlaffung näher untersucht und dabei nachgewiesen, daß die Dauer derselben um so länger ist, je stärker der reizende Strom; daß sie, wenn der Strom im Anfang der Vorhofsystole geschlossen wird, in der nächsten Kammersystole sogar schon an den Gipfel der Kurve oder kurz nachher erscheint; daß sie beim Stromschluß während der Kammersystole erst in deren absteigendem Teil hinter dem Gipfel auftritt, usw. (vgl. Fig. 179). 1 Fischet, ebenda, 36, S. 326; 1895. 2 Biedermann. Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 89 (3), S. 30; 1884. 3 Palladin, Zeitschr. f. Biol., 62, S. 427; 1913. 26 Die Innervation des Herzens. Die Latenzdauer der Erschlaffung variiert also je nach dem Augenblick der Reizung nicht unerheblich und beträgt mindestens etwa 0,1 Sek.; die Latenz- dauer einer Extrakontraktion war in Palladins Versuchen 0,05 Sek. Die anodische Erschlaffung erscheint auch dann sehr deutlich, wenn die Schlagfrequenz des Herzens unter dem Einfluß seiner hemmenden Nerven ver- mindert ist, wird aber beim diastolisch stillstehenden Herzen vermindert, was eigentlich selbstverständlich ist, denn ein vollständig erschlafftes Herz kann ja nicht mehr erschlaffen. Von diesen Hemmungserscheinungen, welche von den polaren Wirkungen des konstanten Stromes herrühren, sind diejenigen zu unterscheiden, welche durch die Erregung der hemmenden Herznerven während deren intrakardialen Ver- laufes hervorgerufen werden (vgl. Kap. XXI). Daß alle beide zusammenwirken können, ist selbstverständlich.1 § 46. Reizung mit einzelnen Induktionsströmen. Wegen der leichten Abstufbarkeit ihrer Stärke und wegen der Möglichkeit, durch sie das Herz in jedem Augenblick seiner Periode momentan zu beeinflussen, sind die Induktionsströme jn höherem Grade als alle anderen künstlichen Reiz- mittel geeignet, Aufschlüsse über die Reaktionsweise des Herzens und dessen ver- schiedener Teile bei künstlicher Reizung zu geben. Daher sind auch die meisten hierher gehörigen Untersuchungen mit Hilfe von Induktionsströmen ausgeführt worden. a) Die refraktäre Periode. Schon im Jahre 1850 wies Schiff nach, daß das Herz während eines gewissen Abschnittes seiner Pulsperiode für mechanische Reizung nicht reagierte.2 Erst etwa 25 Jahre später wurde diese Erscheinung näher untersucht, und zwar jetzt unter Anwendung von Induktionsströmen. Wenn das Herz mit Induktionsströmen von genügender und konstanter Stärke gereizt wird, so kontrahiert es sich bei jeder Reizung nur in dem Falle, daß die Reizungen nicht zu schnell aufeinander folgen. Geschieht dies, so er- scheint eine Kontraktion, wie Kronecker zuerst an abgekühlten Präparaten nach- wies, nur bei jeder zweiten oder jeder dritten Reizung. Daraus leitete Kronecker den Satz ab, daß eine Reizung, welche das Herz vor Beendigung seiner Puls- periode trifft, keine Wirkung ausübt. Für ein abgekühltes Herz, dessen Puls- periode länger ist als 5 Sekunden, ist es also einerlei, ob es in Intervallen von 5 oder 10 Sekunden gereizt wird; es kontrahiert sich jedenfalls nur alle 10 Sekunden.3 Vgl. Fig. 190, S. 52. Nähere Aufschlüsse über den Abschnitt der Herzbewegung, in welchem das Herz für eine ihm zugeführte Reizung empfänglich ist, wurden zunächst durch Marey* erhalten, und danach haben sich zahlreiche Autoren mit den sich daran anschließenden Aufgaben beschäftigt. 1 Vgl. Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 320. 2 Schiff, Arch. f. physiol. Heilk., 9, S. 50; 1850; — Ges. Beitr. z. Physiol., 3, S. 265; — vgl. Arch. f. d. ges. Physiol., 28, S. 212; 1882. 3 Kronecker, Festschrift für Ludwig, 1, S. 181. Leipzig 1875. 4 Marey, Travaux du laboratoire, 2, S. 78; 1876. Die künstliche Reizung des Herzens. 27 An der spontan nicht schlagenden Spitze des Froschherzens unterhielt Dastre1 durch gerade genügende, schnell nacheinander folgende Induktionsströme rhythmische Bewegungen. In einem gewissen Augenblick verstärkte er für eine kurze Zeit den Strom und fand dabei, daß die Extrareizung, wenn sie während Fig. 180. Schematische Darstellung der refraktären Periode. Nach Marey. Die Erhebung e des Reizsignals gibt den Augenblick der Reizung und der schraffierte Teil der unmittelbar nach der vertikalen Linie o—o folgenden Kurven den Abschnitt zwischen der Reizung und der Extrasystole. Bei 1, 2, 3 fällt die Reizung innerhalb der Systole und ist ohne Wirkung; bei 4— 8 trifft sie das Herz später und ruft eine Extrakontraktion hervor. Systole nach oben. Von links nach rechts zu lesen. des aufsteigenden Teils der Kontraktion erfolgte, keine Wirkung hatte, daß sie aber, wenn sie nach dem Kontraktionsmaximum oder während der Diastole dem Herzen zugeführt wurde, eine Extrazuckung zuwege brachte, nach welcher dann in gewöhnlicher Ordnung die rhythmischen Kontraktionen folgten. 1 Dastre, Journ. de l'anat. et de la physiol., 1882, S. 433. 28 Die Innervation des Herzens. Schon früher hatte Marey am spontan schlagenden Froschherzen gefunden, daß die Kammer während der ganzen Dauer ihrer Systole für Reize mäßiger Stärke ganz unempfindlich ist (Fig. 180).1 Bei stärkeren Reizen und bei erwärmten Herzen konnte Marey in jedem beliebigen Augenblick eine Extrasystole auslösen.2 Die refraktäre Periode würde also nur eine Phase von herabgesetzter, nicht von aufgehobener Erregbarkeit darstellen. Daß letzteres doch nicht richtig war, folgte zunächst aus einer Arbeit von Hildebrand. Wenn die Reizung genau auf die Kammer lokalisiert wurde — was bei der Anwendung der von Marey benutzten Pince cardiographique nicht mög- lich war — , war sie während der ganzen Systole immer wirkungslos; sobald die Diastole eingetreten war, und während des größten Teiles der Pause löste jede Reizung eine Extrakontraktion der Kammer aus. Die Ursache der von Marey bei Anwendung starker Ströme auch bei Reizung während der Systole auftretenden Kammerkontraktionen lag daher, wie Hildebrand ausführt, darin, daß hier die Vorhöfe primär gereizt worden waren und ihrerseits in gewöhnlicher Weise die Kammersystole erweckt hatten.3 Hierher gehört auch Engelmanns Angabe, daß bei der Reizung an der Atrio- ventrikulargrenze des Froschherzens im Anfang der Kammersystole Extrakontrak- tionen bei der Kammer erscheinen. Die nähere Untersuchung hat nämlich er- geben, daß diese durch eine primäre Reizung des in der Diastole sich befindenden Vorhofes ausgelöst waren.4 Fortgesetzte Untersuchungen über diesen Gegenstand lehrten, daß die refrak- täre Periode auch bei den Vorhöfen {Hildebrand, Loven5), dem Venensinus6 und den zentralen Venen des Froschherzens7 vorkommt. Die bei der Reizung an der Atrioventrikulargrenze oder an der Sinusgrenze während der Vorhofsystole aus- gelösten Extrakontraktionen der Vorhöfe zeigten sich bei der näheren Analyse als Folgen einer primären Reizung der Kammer oder des Sinus (Engelmann8). Auch bei dem Herzen bzw. einzelnen Herzabschnitten, insofern sie in dieser Richtung untersucht sind, vom Kaninchen (Hildebrand9, Gley10), von der Katze (Mac William11) wie vom Hunde (Gley10, Meyer12, Cushny und Matthews13, Woodworth14, Hirschfelder und Eyster15) ist die refraktäre Periode festgestellt worden. 1 Marey, Travaux du laboratoire, 2, S. 72; 1876. 2 Marey, ebenda, 2, S. 75. 3 Hildebrand, Nordiskt medicinskt arkiv, 9, Nr. 5; 1877. 4 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 319; 1894. — Vgl. auch Meyer, Archives de physiol., 1893, S. 189 (Hund). 5 Loven, Mitt. aus dem physiol. Laborat. in Stockholm, Heft 4, S. 16; 1886; — auch in Lovens Anat. u. physiol. Arbeiten. Leipzig 1906, S. 323. 6 Strömberg u. R. Tigerstedt, Mitt. aus dem physiol. Laborat. in Stockholm, Heft 5, S. 27; 1888. J Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 125. 8 Engelmann, ebenda, 59, S. 325; 1894. 9 Hildebrand, Nordiskt medicinskt arkiv, 9, Nr. 5; 1877. 10 Gley, Arch. de physiol., 1889, S. 499; — 1890, S. 436. 11 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 170; 1888. 12 E. Meyer, Arch. de physiol., 1893, S. 185. 13 Cushny und Matthews, Journ. of physiol. 21, S. 213, 224; 1897. 11 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 219; 1902. 15 Hirschfelder und Eyster, Amer. journ. of physiol., 18, S. 247; 1907. Die künstliche Reizung des Herzens. 29 Daß auch beim Menschenherzen eine refraktäre Periode vorkommen soll, ist von vornherein sehr wahrscheinlich; H. E. Hering hat ihr Vorhandensein in folgender Weise erweisen wollen. Man registriert den Puls graphisch, berechnet aus der Pulsfrequenz die mittlere Dauer eines Herzschlages und bestimmt nach der Kurve die Länge der einzelnen Pulse. Dabei ergibt sich, daß die Länge der kürzesten abnormen Pulsperieden eines unregelmäßig schlagenden Herzens sich ■mit der Schlagfrequenz ändert, aber im Verhältnis zur mittleren Dauer des Herz- schlages konstant bleibt und durchschnittlich 0,60 des Mittels beträgt. Die kürzeste Periode entspricht nun, wie leicht ersichtlich, dem Herzschlage, wo sich die Extra- reizung am frühesten geltend gemacht hat. Sie umfaßt also die refraktäre Periode dieser Systole und die Latenzdauer der Extrasystole. Unter Annahme einer Puls- frequenz von 72 in der Minute, gleich einer Pulsdauer von 0,83 Sekunde, würde die refraktäre Periode nebst der Latenzdauer 0,83 x 0,60 == 0,498 Sek. betragen, was etwas mehr als die mittlere Länge der Systole beträgt.1 An der Hand von Fällen von aurikularer Extrasystole hat Rautenberg2 die refraktäre Periode des menschlichen Herzens zu 0,35 Sek. berechnet. Bei Veränderungen der Frequenz und der Dauer des Herzschlages erleidet die refraktäre Periode entsprechende Veränderungen, so daß, wenn 5 die Dauer der Systole und R die der refraktären Periode bedeutet, der Quotient RjS kon- stant bleibt (Schultz3). Gegen die Lehre von einer absoluten refraktären Phase während des Herz- schlages sind, außer den schon oben besprochenen Einwendungen, von einigen Autoren Anmerkungen gemacht worden, welche darauf hinausgehen, daß diese Phase nur relativ wäre, und daß also das Herz bei genügend starker Reizung in jedem Augenblick seiner Periode erregbar ist. Als Grund dafür führt Carlson an, daß insbesondere bei der Herzkammer des Myxinoiden Bdellostoma Dombeyi4 wie bei dem Herzen zweier Arten von Schildkröten5 die Reizung im Anfang der Systole eine Abnahme der Größe der Kammerkontraktion hervorruft. Es dürfte indessen nicht richtig sein, diese Hemmungserscheinungen als Ausdruck einer Erregung der Herzmuskulatur aufzufassen. Auch Versuche an Herzen, die mit Chloral stark vergiftet waren, sind als Gründe gegen das Vorhandensein einer absoluten refraktären Periode herbei- gezogen worden. Nach Rohde6 wird nämlich an solchen Herzen die refraktäre Periode in einem späten Stadium der Vergiftung vermißt und schon in der Systole rufen Extrareize Kontraktionen hervor. Demgegenüber hat indessen Schultz7 bemerkt, daß die refraktäre Periode hier allerdings etwas verkürzt, aber keineswegs vollständig aufgehoben ist. Dasselbe ist bei Vergiftung mit Kohlenoxyd bzw. Kaliumzyanid der Fall: die refraktäre Periode wird verkürzt, verschwindet aber nicht. Wenn außerdem 1 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 89, S. 283; 1902. 2 Rautenberg, München, med. Wochenschr. 1907, S. 2467. 3 Schultz, Amer. journ. of physiol., 22, S. 158; 1908. 4 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 4, S. 274; 1904. 5 Carlson, Amer. journ. of physiol., 18, S. 82; 1907. 6 Rohde, Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 503; 1905; —Arch. f. exp. Path., 54, S. 108; 1905. — Vgl. auch Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 83; 1906. 7 Schultz, Amer. journ. of physiol., 16, S. 483; 1906. 30 Die Innervation des Herzens. Äther der Blutlösung hinzugefügt wird, so nimmt ihre Dauer noch mehr ab, und in extremen Fällen läßt sich sogar keine refraktäre Periode mehr nach- weisen (Boesch1). Wie es scheint, war indessen der Herzmuskel in den Versuchen, wo schließlich die refraktäre Periode vollständig vermißt wurde, so stark beschädigt, daß die betreffenden Resultate doch nicht auf den normalen Herzmuskel übertragen werden können. Insbesondere ist an die Möglichkeit zu denken, daß einige der Herzmuskelfasern beim Eintreffen der Reizung noch nicht erregt waren und daher der allgemeinen Regel entsprechend auf den Reiz mit einer Kontraktion reagierten.2 Kaiser3 will die Frage nach der refraktären Periode der normalen Herz- kammer einfach dadurch erledigen, daß die Kontraktion derselben stets maximal ist, weshalb ein zur Zeit der Systole die Kammer treffender Reiz keine Wirkung ausüben kann: systolischer als systolisch kann das Herz eben nicht werden. Dieser Einwendung kann indessen keine Bedeutung zuerkannt werden, da ja die refraktäre Periode auch bei Herzen und Herzteilen vorkommt, die sich nicht, wie es mit der kräftig arbeitenden Kammer des Froschherzens der Fall ist, vollständig entleeren. Es findet sich indessen bei den Wirbeltieren wenigstens eine Ausnahme von dem Lehrsatz von der absoluten refraktären Periode. Beim Aortenbulbus des Froschherzens fand nämlich Engelmann*, daß allerdings Reize mäßiger Stärke nur wenn sie während der Pause oder im Stadium der sinkenden Energie appliziert werden, Erfolg haben. Noch stärkere Reize waren aber wirksam, auch wenn sie im Stadium der steigenden Energie, selbst ganz zu Anfang, den Bulbus trafen. Bei den Herzen der Wirbellosen scheint es die Regel zu sein, daß die refrak- täre Periode nur relativ, nicht absolut ist, und, soviel ich weiß, hat nur Scfiön- lein5 die Ansicht vertreten, daß auch hier (beim Aplysiaherzen) eine absolute refraktäre Periode vorhanden wäre. Nach Carlson6 bieten alle von ihm untersuchten Mollusken, Arthropoden und Tunikaten, sowie auch der Wurm Arenicola7 während der Systole eine herab- gesetzte Erregbarkeit des Herzens dar, welche ihr Maximum gerade am Anfang der Systole erreicht; andererseits ist aber ihr Herz bei genügend starker Reizung in jeder Phase seiner Tätigkeit erregbar. Bei verschiedenen Arten kommen indessen nicht geringe Verschiedenheiten bei der systolischen Erregbarkeit vor; besonders leicht läßt sie sich bei den Crusta- ceen, den Gastropoden und der Loligo demonstrieren8; bei Octopus und den 1 Boesch, Zeitschr. f. Biol., 70, S. 376; 1919. 2 Vgl. auch unten (S. 31) die entsprechenden Versuche am Herzen von Limulus, sowie die Erörterung des Alles- oder -Nichts-Gesetzes S. 34. 3 Kaiser, Zeitschr. f. Biol., 29, S. 218; 1892. 4 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 29, S. 451 ; 1882. 5 Schönlein, Zeitschr. f. Biol. 30, S. 218; 1894. 6 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 66; 1904; — 16, S. 74; 1906; — 18, S. 71; 1907. — Vgl. auch Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 310; 1884 (Octopus); — Cardot, Journ. de physiol., 1909, S. 796 (Helix, Arion); — H.Fredericq, Arch. intern, de physiol., 14, S. 142; 1914 (Octopus); — Polimanti, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1913, S. 160 (Maja). 7 Carlson, Amer. journ. of physiol., 22, S. 355; 1908. * Carlson, ebenda, 16, S. 78. Die künstliche Reizung des Herzens. 31 Tunikaten (Ciona, Salpa) ist die Erregbarkeit im Beginn der Systole dagegen sehr gering, bzw. ganz aufgehoben (L. S. Schultze1, Carlson2). Beim amerikanischen Hummer beobachteten Hunt, Bookman und Tierney3 bei Zimmertemperatur überhaupt keine refraktäre Periode, und das Herz antwortete selbst bei schwacher Reizung direkt und augenscheinlich mit unveränderter Kraft auf elek- trische Reize während aller Phasen der Kontraktion. Bei 5°C war indessen die Erreg- barkeit während der Systole kleiner als während der Diastole. Bei dem so eingehend untersuchten Herzen von Limulus polyphemus kann man, was bei keinem anderen Tiere möglich ist (vgl. unten S. 82), das Herz- ganglion und den Herzmuskel besonders für sich reizen. Nach Carlson* hat jenes keine absolute refraktäre Periode, seine Erregbarkeit ist aber während seiner Tätigkeit herabgesetzt. Der Herzmuskel ist an und für sich weniger erregbar als das Ganglion, zeigt aber in bezug auf die Erregbarkeit ähnliche Variationen wie dasselbe. In einer Kochsalzlösung pulsiert der vom Ganglion abgetrennte Herzmuskel des Limulus spontan, und zwar ohne irgendwelche Einwirkung der in ihm vor- handenen Nervenendigungen.5 Er bietet hier nicht selten die merkwürdige Erscheinung dar, daß seine Erregbarkeit gerade im Beginn der Systole größer ist als im weiteren Verlauf derselben oder im Anfang der Diastole. Dies erklärt sich daraus, daß sich die hier ausgelöste Kontraktionswelle, von der Ostia an- fangend, nur langsam über das ganze Herz ausbreitet; infolgedessen trifft eine Reizung im Anfang der Systole am distalen Ende des Herzens Elemente, die sich noch in der Diastole befinden und also stark erregbar sind.6 Daher sind auch die durch Reizung in dieser Phase ausgelösten Zuckungen übermaximal. Aus diesem allen folgt, daß bei der Herztätigkeit aller Tiere sich eine Periode vorfindet, die sich durch eine mehr oder minder bedeutende Herabsetzung der Erregbarkeit charakterisiert. Ob diese Herabsetzung, wie bei dem Wirbeltier- herzen, eine absolute oder, wie bei dem Herzen der Wirbellosen, nur eine relative ist, scheint mir von keiner größeren Bedeutung zu sein, da auch eine bedeutende Abnahme der Erregbarkeit während der Systole jedenfalls genügt zur theore- tischen Deutung der Tatsache, daß das Herz nur bis zu einer gewissen Grenze frequenten Reizen folgen kann. Eine sehr aufklärende Illustration hierzu bieten uns einige Versuche von Trendelenburg7 dar, bei welchen durch zweckmäßige Veränderung der Reizung bestimmte Rhythmen dem Herzen aufgezwungen werden konnten. Reizt man nämlich die Herzspitze mit wirksamen Reizen in einem Intervall, welches gerade jedem Reiz den Erfolg ermöglicht, und verkleinert dann allmählich und langsam dasselbe, so folgen die Herzschläge bis zu einer gewissen Frequenz dem immer schnelleren Rhythmus der Reizung. Läßt man aber das Reizinter- vall, welches nach ganz allmählicher Intervallverkürzung noch im Ganzrhythmus 1 L. S. Schultze, Jenaische Zeitschr. f. Naturwiss., 35, S. 310; 1901. 2 Carlson, a.a.O., 18, S. 71. 3 Hunt, Bookman und Tierney, Zentralbl. f. Physiol., 11, S. 274; 1897. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 492; 1904; — 18, S. 73; 1907. — Vgl. auch Nukada, a.a.O., 19, S. 123. 5 Carlson, Amer. journ. of physiol., 17, S. 478; 1907. 6 Carlson, ebenda, 21, S.21; 1908. 7 Trendelenburg, Arch. f. Anat. u. Physiol.. physiol. Abt., 1903, S. 285. — Vgl. auch Mines, Journ. of physiol., 46, S. 363; 1914. 32 Die Innervation des Herzens. beantwortet wurde, von vornherein auf den Herzmuskel einwirken, so findet man, daß es unter diesen Umständen zu kurz ist, um Ganzrhythmus hervorzurufen. Bei einem gewissen Minimum des Intervalls wird es dem Herzen indessen nicht möglich, auf jeden Reiz zu reagieren, und statt dessen tritt nun ein Halb- rhythmus auf, bei welchem das Herz nur auf jede zweite Reizung reagiert. Dies findet dann statt, wenn das Reizintervall gerade kürzer wird als die jeweilige refraktäre Periode. Bei allmählicher Verkleinerung des Reizintervalls werden die Kontraktionen an und für sich und damit auch die refraktäre Periode (vgl. oben II, S. 29) verkürzt. Dies kann indessen nur bis zu einer gewissen, von dem Zustand des Herzens, der Temperatur usw. abhängigen Grenze geschehen, und wenn das Reizintervall noch mehr verkürzt wird, kann immer jeder zweite Reiz innerhalb der refraktären Periode fallen und der Halbrhythmus ist etabliert. Bevor der Halbrhythmus in den Ganzrhythmus übergeht, stellt sich ein be- sonderes Übergangsstadium ein, das durch gewisse Unregelmäßigkeiten, Aus- fall von Kontraktionen, Gruppenbildung usw., ausgezeichnet ist. Auch erscheinen Kontraktionen von abwechselnder Höhe, der Form des Pulsus alternans ent- fprechend. Wie Trendelenburg durch direkte Versuche nachwies, waren diese durch partielle Kontraktionen der Herzmuskelfasern bedingt, indem sich an den höheren Kontraktionen mehr Muskelfasern beteiligten als an den niedrigeren. Hierher gehört auch die Beobachtung von de Boer1, daß beim veratrin- vergifteten Froschherzen, wo die Kammer nur bei jeder zweiten Kontraktion der Vorhöfe schlägt und dabei langdauernde Zusammenziehungen mit längerem Refraktärstadium ausführt, eine künstliche Reizung der Kammer in einem ge- wissen Moment ihrer Diastole den normalen Rhythmus plötzlich wiederherstellt. Dies erklärt sich, nach de Boer, dadurch, daß dank dem kurzen Refraktärstadium der kleineren Extrasystole (vgl. oben II, S. 29) der zweite von den Vorhöfen kom- mende Impuls nun von der Kammer beantwortet wird; die hierbei erscheinende Systole ist aber auf Grund der kurzen vorhergehenden Pause wieder verhält- nismäßig klein und deren refraktäre Periode also verhältnismäßig kurz. ■ — Anderer- seits kann der Ganzrhythmus durch eine Extrareizung in den Halbrhytmus ver- wandelt werden, indem die nach der Extrakontraktion auftretende Verlänge- rung der Pause das Auftreten einer kräftigen Systole mit langer refraktärer Periode begünstigt. Auch beim Säugetier- (Katzen-) Herzen in situ kommt die gleiche Halbierung des Herzrhythmus, wie z. B. in folgendem Versuch von A. G. Levy2, zum Vorschein. Nr. Zahl der Reize in der Minute Zahl der Kammer- kontraktionen in einer Minute 1 340 340 2 420 210 3 570 285 4 720 360 5 360 360 6 510 510 7 720 360 1 de Boer, Zentralbl. f. Physiol., 30, S. 265, 503; 1915; — Quarterly journ. of physiol., 10, S. 394; 1917; — Arch. neerl. de physiol., 1, S. 271, 502; 1917. 2 A.G. Levy, Journ. of physiol., 49, S. 56; 1914. Die künstliche Reizung des Herzens. 33 b) Die Erregbarkeitsveränderungen des Herzens während der erreg- baren Periode. Nach Ende der refraktären Periode gewinnen die einzelnen Abschnitte des Herzens nicht sogleich die maximale Erregbarkeit wieder, sondern ihre Empfäng- lichkeit für Reize nimmt nur allmählich zu, wie man durch Aufnahme der Schwellenwerte des in verschiedenen Abschnitten der erregbaren Periode wir- kenden Reizes nachgewiesen hat. In den Versuchen von Engelmann1 am blutdurchströmten, normal klopfenden Froschherzen dauerte die Zunahme wenigstens 0,2 Sek. nach Ende der Er- schlaffung. Wäre die Dauer der spontanen Perioden und speziell der Pause 1*. - . — ♦ i i . — -—■»* » — zy ; \ ' \ ? - J- ,— — \— - Fig. 181. Die Erregbarkeitsveränderungen bei dem Vorhof ( ) und der Kammer ( — ) des Frosch herzens. Nach Trendelenburg. Die stark gezogenen Linien bedeuten die Kontraktionskurve, die schwachen die Erregbarkeit (= reziproke Zahlen der Schellenwerte). noch länger gewesen, so würde vielleicht ein noch längeres Wachsen der Er- regbarkeit sich mittels noch schwächerer Reize haben nachweisen lassen. Beim blutleeren Herzen konnte bei gewöhnlicher Temperatur 5 und mehr Sekunden zur Erreichung des Erregbarkeitsmaximums erforderlich sein. Trendelenburg2 hat die Erregbarkeitsveränderungen während der erreg- baren Periode am Vorhof wie an der Kammer des Froschherzens näher ver- folgt. Dabei stellte es sich heraus, daß die Erregbarkeit des ersteren ihr Maximum während der Pause erreicht, während die Kammer ihre maximale Erregbarkeit schon in der Mitte des absteigenden Kurvenschenkels erlangen kann. Dies hängt, zum Teil wenigstens, wohl damit zusammen, daß die Dauer der Vorhofsystole wesentlich kürzer als die der Kammersystole ist (vgl. Fig. 181). Um die Herzspitze durch Induktionsreize in eine rhythmische Tätigkeit zu bringen, muß man also um so stärkere Reize benutzen, je kürzer das Inter- 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 59, S. 315; 1805. 111, S. 335; 1906. 2 Trendelenburg, ebenda, 141, S. 378; 1011. Tlgerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. Vgl. H. E. Hering, ebenda, 34 Die Innervation des Herzens. vall gewählt wird (Bowditcli1, Engelmann2). Desgleichen ist nach einer sehr langen Pause die Erregbarkeit der Herzspitze herabgesetzt (Bornstein z). Auch beim Hundeherzen ist von Cushny*, Woodworth5 und Erlanger6, wie beim Herzen von Octopus von Ransom7 nachgewiesen, daß die Erregbarkeit im Anfang der erregbaren Periode am geringsten ist und während der ganzen Er- schlaffung zunimmt. c) Die Größe der Extrakontraktion. Die Kontraktionen, welche also durch die künstliche Reizung des Herzens ausgelöst werden, sind, wie Bowditch6 an der Hand von Versuchen an der Kammer- spitze des Froschherzens zuerst nachwies, hinsichtlich ihres Umfanges unter sonst gleichen Umständen von der Stärke des Reizes ganz unabhängig. Ent- weder zieht sich der Herzmuskel maximal zusammen oder er führt gar keine Zuckung aus; das Herz gibt, wie Ranvier9 sagt, alles oder nichts. Diese Angabe ist von allen folgenden Autoren bestätigt worden. Daß das betreffende Gesetz auch für das Säugetierherz gültig ist, wies Alac William10 am Katzenherzen nach, indem er dasselbe entweder nach Heraus- schneiden aus dem Körper, oder in situ bei Vagusstillstand, oder auch nachdem es wegen Abkühlung sehr langsam schlug, reizte. Zu dem gleichen Resultat kamen Woodworth u an der künstlich blutdurchströmten Spitze des Hunde- herzens und Weekers12 an ausgeschnittenen Streifen aus der Herzkammer des Hundes. Nach W. Straub13 ist auch beim Herzen der Selachier die Kontraktion un- abhängig von der Stärke des Reizes, und selbst die von ihm zuweilen beobachteten übermaximalen Kontraktionen fielen, unabhängig von der Reizstärke, stets gleich hoch aus. Sie bilden daher keine wirkliche Ausnahme und werden von Straub darauf zurückgeführt, daß bei seiner Versuchsanordnung nur ein kleiner Teil von Muskelfasern den Schreibhebel beeinflußte.14 Eine Konsequenz dieses Gesetzes ist die, daß der Umfang der Kontraktion der Kammer von dem Umfang der Vorhofsystole unabhängig sein muß, denn wenn die von diesem nach jener fortgepflanzte Erregung überhaupt genügt, um daselbst eine Systole hervorzurufen, so wird diese Systole immer maximal, wie klein auch die entsprechende Vorhofkontraktion sein mag. 1 Bowditch, Ber. der Sachs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1871, S. 662. 2 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 312. 3 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1909, S. 104. 4 Cushny und Matthews, Journ. of physiol., 21, S. 215; 1897. 5 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 220; 1902. 6 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 16, S. 174; 1906. 7 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 313; 1884. s Bowditch, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl., 1871, S. 687. 9 Ranvier, Legons d'anat. gen. annee 1877 — 1878: App. nerv. term. des muscles de Ia vie organique. Paris 1880, S. 175. 10 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 168.; 1888. 11 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 214; 1902. 12 Weekers, Arch. intern, de physiol., 4, S. 83; 1906. 13 W. Straub, Zeitschr. f. Biol., 42, S. 366; 1901. 14 Queen, ebenda, 62, S. 48; 1913, hat bei einem Versuche an Raja clavata gleichfalls ge- funden, daß die Extrazuckung größer war als der normale Herzschlag. Die künstliche Reizung des Herzens. 35 Dieser Satz ist besonders für das Säugetierherz von H. E. Hering1 auf Grund von Versuchen über die verstärkende Wirkung des N. accelerans auf die Vorhöfe und die Kaminern aufgestellt worden und hat von ihm folgende Formulierung erhalten: Änderungen der Kontraktionsstärke eines Herzabschnittes werden beim Säugetier nicht durch Leitung, sondern durch unmittelbare Einwirkung der jeweiligen Ursache auf den betreffenden Herzabschnitt hervorgerufen. Das Gesetz von Bowditch schließt nicht aus, daß die Erregbarkeit eines und desselben Präparates von dem einen Augenblick zum anderen variieren, auch nicht, daß die Größe der Kontraktionen unter verschiedenen Umständen bei ein und demselben Präparat verschieden groß sein kann. Diese Variationen sind aber nicht von der Reizstärke, sondern nur von dem augenblicklichen Zu- stand des Herzens selbst abhängig. So ist nach Marey2 (vgl. das Schema Fig. 180) der Umfang der Extra- zuckung beim Froschherzen im allgemeinen um so größer, je später sie nach der letzten spontanen Systole erscheint, d. h. je später die Reizung in der erreg- baren Periode erfolgt. Dasselbe Verhalten ist später bei den einzelnen Abteilungen des Froschherzens von Engelmann (Bulbus aortae)3, R. Tigerstedt und Strömberg (Venensinus4), sowie auch bei dem Säugetierherzen von Gley (Hundeherzen)5, Cushny und Matthews (Hundeherzen)6, Hirschfelder und Eyster (Hunde- und Katzenherzen7) und anderen nachgewiesen worden. Die letzteren geben noch an, daß die Extrazuckung, selbst wenn sie am größten ist, dennoch immer kleiner ist als die normale Systole. Ferner findet man bei der Reizung der Herzspitze des Frosches nicht selten, daß die Kontraktionen bei unveränderter Stärke des Reizes bis zu einem ge- wissen Maximum ununterbrochen zunehmen — die Treppe von Bowditch.8 Diese Erscheinung ist auch am Säugetierherzen (Woodworth9, Weekers10), sowie am Herzen der Raja clavata (Queen11) und unter den Wirbellosen wenig- stens am Herzen des Cancer (Carlson12) nachgewiesen worden. Dagegen wurde sie von Mac William1* am Aalherzen in der Regel vermißt. Wenn die Herzspitze nach längerer Ruhepause wieder gereizt wird, steigen die Zuckungen in zahlreichen Fällen nicht sofort treppenförmig an, sondern die ersten ,, einleitenden" Kontraktionen zeigen eine Tendenz, abzufallen und erst nach der 3. bis 5. Kontraktion beginnt die Treppe (Bornstein1*). Hierin verhält sich das Herz ganz wie der Skelettmuskel, denn auch dieser zeigt bei Reizung mit maximalen Induktionsströmen in nicht zu langsamem 1 H.E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 108, S. 290; 1905. 2 Marey, Travaux du laborat., 2, S. 73; 1876. :i Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 29, S. 452; 1882. 4 R. Tigerstedt und' Strömberg, Mitt. aus d. physiol. Laborat. in Stockholm. Heft 5; 1888. 5 Gley, Arch. de physiol., 1889, S. 502. 6 Cushny und Matthews, Journ. of physiol., 21, S. 216; 1897, 7 Hirschfelder und Eyster, Amer. journ. of physiol., 18, S. 243; 1907. 8 Bowditch, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. Kl. 1871, S. 669. 9 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 214; 1902. 10 Weekers, Arch. intern, de physiol., 4, S. 81 ; 1906. 11 Queen, Zeitschr. f. Biol., 62, S. 42; 1913. 12 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 98; 1906. 13 Mac William, Journ. of physiol., 6, S. 210; 1885. 14 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt. 1909, S. 101. 36 Die Innervation des Herzens. Rhythmus zuerst eine Abnahme und dann ein treppenförmiges Ansteigen seiner Kontraktionen (Buckmaster1). Die Treppe ist vor allem dadurch bedingt, daß ein vorhergehender Reiz die Leistungsfähigkeit des Herzens für einen folgenden erhöht, vorausgesetzt daß die Reizungen genügend schnell nacheinander folgen. Hierbei macht sich ein bedeutender Unterschied zwischen dem Kaltbluter- und dem Säugetier- herzen geltend, was aufs nächste mit der großen Verschiedenheit der normalen Schlagfolge dieser Herzen zusammenhängen dürfte. Nach Bowditch* wird beim Froschherzen die größte Höhe der Kontraktionen bei einem Rhythmus von 1 Reizung jede 4. bis 5. Sek. erzielt, während das optimale Intervall bei der Herzspitze des Hundes etwa 1 Sek. oder etwas weniger beträgt (Woodworth*). Wenn also eine Reizung die Wirkung der folgenden erleichtert, wird anderer- seits durch eine längere Pause dem Herzmuskel eine vollständigere Erholung gestattet, und von dem gegenseitigen Verhältnis dieser beiden Einflüsse wird die Art und Weise abhängig sein, in welcher die Treppe tatsächlich erscheint.4 Daraus folgt, daß das normale Herz bei einer und derselben Temperatur nur dann, wenn es in einem gewissen bestimmten Rhythmus schlägt, die größten Kontraktionen ausführen kann, und daß die Kontraktionen bei schnelleren oder langsameren Rhythmen kleiner sein müssen (Bornstein5). Ferner wird eine besonders starke Kontraktion erhalten, wenn man nach zwei oder mehreren in schneller Folge stattfindenden Reizungen eine Pause ge- wisser Länge einschaltet. Eine besonders kleine Kontraktion bekommt man wiederum, wenn man einer Reihe von wenig frequenten Kontraktionen mittels einer so plötzlich wie möglich einsetzenden Reizung unterbricht (Woodworth6). Aus den Veränderungen der Leistungsfähigkeit, welche durch Reizung und Pause bewirkt werden, läßt sich nach F. B. Hofmann7 auch die von ihm beim Froschherzen und später von Woodworth8 am Hundeherzen nachgewiesene, bei konstanter Reizung erscheinende, regelmäßige Abwechslung größerer und kleinerer Pulsationen erklären. Wenn man nämlich von verhältnismäßig großen Reizintervallen plötzlich zu so viel kleineren übergeht, daß die erste Reizung der frequenteren Reihe noch in den abfallenden Teil der langgezogenen, von dem letzten seltenen Reiz erzeugten Kontraktion hineinfällt, so löst diese Reizung nur eine niedrige Kontraktion aus, die sehr rasch abläuft, so daß nun wieder eine etwas längere Pause folgt. Infolgedessen ist die nächste Kontraktion nicht bloß höher, sondern auch etwas mehr in die Länge gezogen, die dritte Kontraktion der frequenteren Reihe nähert sich daher wieder etwas dem Charakter der ersten, die vierte dem der zweiten, bis sich die Unterschiede allmählich verwischen (Fig. 182). 1 Buckmaster, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1886, S. 463. 2 Bowditch, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1871, S. 673. 8 Woodworth, Amer. .journ. of pysiol., 8, S. 214; 1902. 4 Carlson (Amer. journ. of physiol. 16, S. 98; 1906) sucht die Treppe dadurch zu erklären, daß das elektrische Lei tungs vermögen des Herzens durch eine vorhergehende Reizung erhöht wird. Die folgende Reizung wäre also tatsächlich stärker. Gegen diese Deutung spricht aber das Alles- oder -Nichts-Gesetz entschieden. '•> Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1909, S. 100. — Vgl. oben II, S. 12. 6 Woodworth, a. a. O., 8, S. 216. 7 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 84, S. 145; 1901. * Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 217; 1902. Die künstliche Reizung des Herzens. 37 Die während der längeren Pause stattfindende Erholung wird also hier als Grund der größeren Kontraktionen bezeichnet. Auch Woodworth schließt sich dieser Auffassung an, betont aber, insbesondere in bezug auf die Herzspitze des Hundes, speziell die Bedeutung der erregbarkeit- steigernden Nachwirkung der Extrakontraktion.1 Wenn die Leistungsfähigkeit des Herzens von Anfang an maximal ist, kann natürlich keine Treppe erscheinen. Je schwächer aber das Herz zu Beginn der Reizung ist, einen um so bedeutenderen Einfluß üben die in einem genügend frequenten Rhythmus erfolgenden Reizungen auf dessen Leistungsvermögen aus, und man kann daher, wo es sich um ein Herz in geschwächtem Zustande J. , , , 1 f»^'»Aii..t.itiAiiiiA Fig. 182. Reizung der isolierten Kammer des Froschherzens. Nach F. B. Hofmann. Übergang von einer seltenen zur frequenten Reizung. Von links nach rechts zu lesen. handelt, mit mehreren Autoren von einem Herz ,, unter Treppenbedingungen" sprechen, und es eröffnet sich hierdurch eine Möglichkeit, gewisse Beobachtungen, welche beim ersten Anblick dem Alles- oder -Nichts-Gesetze zu widersprechen scheinen, mit demselben in Übereinstimmung zu bringen. Bei Herzen in sehr schlechtem Zustande, wie der mit altem Serum im Öl- bad gehaltenen Kammer des Froschherzens (Kronecker und Mays2), den ab- sterbenden oder sonstwie beschädigten Herzvenenstämmen (Engelmannz) oder dem stark chloralvergifteten Froschherzen (Runde9) vermag ein stärkerer Reiz umfangreichere Kontraktionen als ein schwächerer hervorzurufen. Wie speziell Bornstein5 und E. Koch6 ausgeführt haben, lassen sich diese und andere analoge Ausnahmefälle unter Berücksichtigung der Fortpflanzungszeit der Erregung mit dem vorliegenden Gesetz unschwer vereinbaren. Damit überhaupt eine merkliche Erhebung der Zuckungskurve eines Muskels von der Abszisse stattfinden soll, muß bereits eine große Zahl von Muskel- elementen tätig sein. Infolgedessen muß die Latenzdauer bei starker Reizung, wo durch Stromschleifen im ganzen Herzen zahlreiche Nebenkathoden geschaffen und solcherart eine Menge Elemente des Herzmuskels direkt gereizt werden, 1 Vgl. auch oben II, S. 35. - Kronecker und Mays, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1883, S. 265. 3 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 125; 1897. 4 Rohde, Arch. f. exp. Pathol., 64, S. 110; 1905. 5 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl. S. 381. 6 E. Koch, Arch. f. d. ges. Physiol., 181, S. 106; 1920. 38 Die Innervation des Herzens. kürzer sein als bei schwacher Reizung, bei welcher primär nur diejenige Stelle gereizt wird, wo der Strom austritt, so daß von dort aus die Erregung sich erst auf viele Elemente fortpflanzen muß, bevor die Kurve ansteigen kann. Infolge- dessen kann bei Reizung während der gleichen Phase der Herzperiode die Latenz- dauer der Extrasystole bei dem stärkeren Reize kürzer als bei einem schwächeren sein (E. Koch1). Wenn nun durch irgendwelche Schädlichkeit (Absterben, Gifte usw.) die Fortpflanzung der Erregung im Herzen genügend stark herabgesetzt wird, so muß es schließlich eintreffen, daß sich nur einzelne Teile des Muskels auf einen schwachen Reiz kontrahieren, während bei starker Reizung wegen der Strom- schleifen der ganze Herzmuskel arbeitet. Als experimentelle Beweisgründe für diese Auffassung haben wir die An- gabe von Kronecker und Mays über das tatsächliche Vorhandensein von par- tiellen Kontraktionen bei schwacher Reizung des stark heruntergekommenen Froschherzens, sowie Bornsteins Beobachtung, daß man an einem Streifen aus der rechten Kammer eines Katzenherzens mit bloßem Auge sehen konnte, wie sich bei schwachen Reizen nur einzelne Fibrillen, bei stärkeren aber das ganze Muskelstück kontrahierte.2 Nach Dogiel und Archangelsk)?* würde sich die seiner Ganglien beraubte Spitze des Froschherzens bei verschieden starker Reizung ganz wie die Skelettmuskeln ver- halten und also innerhalb gewisser Grenzen je nach der Reizstärke Kontraktionen ver- schiedenen Umfanges ausführen. Demgegenüber hat Bornstein* nachgewiesen, daß hier wesentliche Versuchsfehler vorliegen, und durch direkte Versuche noch einmal fest- gestellt, daß das Alles- oder -Nichts-Gesetz, welches von Bowditch gerade an der Herz- spitze gefunden wurde, auch wenn nur die untere Hälfte der Kammer zum Versuch be- nutzt wird, vollkommen gültig ist. Beim Vorhof von Bdellostoma5, sowie bei der leeren, in gutem Zustande befindlichen Kammer von dem Frosch, der Kröte und dem Salamander6 hat Carlson bei Reizung gerade im Anfang der Systole übermaximale Kontraktionen erhalten. Der Unterschied zwischen ihnen und den normalen Zusammenziehungen ist indessen beim Bdellostoma äußerst gering, und Carlson gibt selber zu, daß hier die Wirkung einer durch den Reiz verursachten Tonusschwankung vorliegen kann. Die an der Frosch- usw. -kammer gewonnenen Kurven zeigen wiederum nach der ersten übermaximalen Kontraktion außerdem noch eine längere oder kürzere Reihe nacheinander folgender Kontraktionen, welche, selbst wenn sie, wie Carlson bemerkt, vermißt werden können, dennoch dartun, daß hier irgendein fremder Faktor unterlaufen ist, denn alle sonstige Erfahrung hat so deutlich wie möglich ergeben, daß die Herzkammer, der genannten Tiere bei einem Einzel- reize nur eine einzige Extrasystole und keine Reihe von solchen ausführt. Alles in allem können wir wohl sagen, daß das Alles- oder -Nichts-Gesetz beim normalen Herzen der Wirbeltiere vollständig gültig ist und daß die Ab- weichungen davon, welche vor allem bei geschwächtem Herzen beobachtet worden sind, unter Bezugnahme auf die sonstige Reaktionsweise des Herzens 1 E. Koch, a. a. O., 181, S. 113; 1920. 2 Vgl. auch W. H. Schultz, Amer. journ. of physiol., 16, S. 492; 1906. 3 Dogiel und Archangelsk}', Aren. f. d. ges. Physiol., 113. S. 14; 1906. 4 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 377. 5 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 4, S. 277; 1904. 6 Carlson, Amer. journ. of physiol., 18, S. 82; 1907. Die künstliche Reizung des Herzens. , 39 bei künstlicher Reizung, in Übereinstimmung mit demselben gebracht werden können. Von vornherein läßt sich voraussetzen, daß diese Eigenschaft des Herzens nicht allein für künstliche, sondern auch für die natürlichen Herzreize gilt, daß also das Herz immer die zurzeit mögliche maximale Arbeit leistet. Indessen hat Cyon1 dies in Abrede gestellt und kategorisch behauptet, daß für das normal funktionierende Herz, im Vollbesitz seines extra- und intrakardialen Nerven- und Gangliensystems, das Alles- oder -Nichts-Gesetz keineswegs als absolut gültig betrachtet werden kann. Demgegenüber muß vor allem bemerkt werden, daß die Veränderungen im Leistungsvermögen des Herzens, welche durch die zentrifugalen Herz- nerven hervorgerufen werden, mit dem betreffenden Gesetz gar nichts zu tun haben, denn dasselbe bezieht sich ja auf den augenblicklichen Zustand des Herzens, unabhängig wie dieser in der einen oder anderen Richtung verändert werden mag. Übrigens liegen direkte Beweise dafür vor, daß die Größe der Herzkontrak- tionen unabhängig von der Stärke der natürlichen Reizung ist. Durch eine partielle Zuklemmung eines Froschherzens in der Atrioventrikularfurche kann man es so weit bringen, daß jede geringste Steigerung des Klemmendrucks die Leitung vom Vorhof zur Kammer völlig aufhebt. Hierbei müssen natürlich die nach der Kammer gelangenden Reize sehr geschwächt sein; dessenungeachtet zeigen die Kammerkontraktionen in dem betreffenden Falle nicht die geringste Abnahme ihrer Größe und Kraft (Engelmann2). W~~ü lT~ll 16 9 "8 7 6 -Ll_JJ,_U lAjjlJ^lJjuuUu xN ifr ifr*«a Fig. 183. Herz von Cancer mit einzelnen Induktionsströmen gereizt. Nach Carlson. Der Rollenabstand ist an der unteren Linie angegeben. A, von einem stillstehenden, B, von einem spontan pulsierenden Herzen. Von links nach rechts zu lesen. Bei den Wirbellosen ist das Alles- oder -Nichts-Gesetz nur bedingt gültig. Nach Carlson* reagiert das spontan pulsierende sowie auch das ruhende, aber in gutem Zustande befindliche Herz von Mollusken und Krustazeen inner- halb weiter Grenzen der Reizstärke mit Kontraktionen gleichen Umfanges; bei Steigerung der Reizstärke über einer gewissen Grenze erscheinen aber bei den meisten Tieren übermaximale Zuckungen; die Pulsfrequenz wird größer und der Tonus des Herzmuskels für eine kürzere oder längere Zeit erhöht. Beim Herzen von Cancer und Palinurus in gutem Zustande gibt ein ein- zelner Induktionsschlag innerhalb weiter Grenzen der Reizstärke eine Zuckung 1 Cyon, Arch. f. d. ges. Physiol., 88, S. 260; 1902. - Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 446; vgl. daselbst weitere Beweisgründe derselben Art. 3 Carlson, Amer. journ. of physiol. 12, S. 66; 1905; — 16, S. 80, 86; 1906. 40 Die Innervation des Herzens. normaler Größe. Bei stärkerem Strom erscheinen übermaximale Zuckungen. Jetzt gibt eine geringe Verstärkung des Reizes eine Reihe von schnell nach- einander folgenden Zuckungen mit bedeutender Zunahme des Tonus, also einen einige Sekunden dauernden tetanusähnlichen Zustand (Carlson1; vgl. Fig. 183). Das Herz von Octopus scheint sich im großen und ganzen in derselben Weise zu verhalten. Innerhalb weiter Grenzen folgt es dem Alles- oder -Nichts-Gesetz; bei größerer Stärke des Induktionsstroms tritt nach einer einzelnen Reizung eine Reihe von Kontraktionen auf (Ransom2). H. Fredericq9 gibt noch an, daß der Schließungsinduktionsstrom größere Zuckungen als der Öffnungsinduktions- strom auslöst. Beim ermüdeten Herzen von Cancer und Octopus beobachtete Carlson4, daß der Umfang der Kontraktionen bei mäßiger Stärke der Reizung unabhängig von derselben war, daß aber, wenn die Reizintensität eine gewisse Grenze über- schritt, die ausgelösten Pulsationen immer kleiner wurden, um bei Abnahme der Intensität wieder zuzunehmen (Fig. 184). 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Fig. 184. Reizung des ruhenden Herzens von Octopus mit einzelnen Induk- tionsströmen. Nach Carlson. Die Zahlen an der unteren Linie geben den Rollenabstand an. Von links nach rechts zu lesen. Für den Herzmuskel des Limulus gilt das Gesetz von Bowditch nicht; bei beibehaltenem Ganglion stimmt das Verhalten des Limulusherzens dagegen ziemlich gut mit diesem Gesetz überein (Carlson5). Wenn der Muskel mit einzelnen Induktionsschlägen direkt gereizt wird, gibt es für jede Reizung immer nur eine einzelne Zuckung, trifft aber ein Einzel- reiz das Ganglion, so kann eine ganze Reihe von Kontraktionen erscheinen (Carlson6). Beim Herzen von Ciona sind die Kontraktionen innerhalb gewisser Grenzen von der Reizstärke unabhängig; bei stärkerem Reiz erscheinen übermaximale Kontraktionen und ein Dauertonus (Carlson1). Gleichwie bei den soeben erwähnten Fällen bei den Wirbeltieren hat man auch bei Wirbellosen gefunden, daß bei Herzen im schlechten Zustande, die nahe am Sterben sind, schon vom Anfang an der Umfang der Kontraktionen mit der Stärke der Reizung zunimmt (Carlson8). Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß auch diese Ausnahme nur scheinbar ist und daß sie in derselben Weise wie die entsprechenden Erscheinungen bei den Wirbeltieren sich erklären läßt. 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 92; 1906. 2 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 310, 313; 1884. 3 H. Freder icq, Arch. intern, de physiol., 14, S. 140; 1914. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 96; — Science, N. S., 17, S. 548; 1903. 5 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 493; — vgl. auch Nukada, a. a. O., 19, S. 124. 6 Carlson, ebenda, 12, S. 492. 7 Carlson, ebenda, 16, S. 94. s Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 86, 95; 1906; — vgl. auch Hunt, Bookman und Tierney, Zentralbl. f. Physiol., 11, S. 278; 1897. Die künstliche Reizung des Herzens. 41 d) Der Ablauf der Extrakontraktion. Wie Marey1, Brunton und Cash2 sowie F. B. Hofmann3 für die intakte Herzkammer, Engelmann4, für den Bulbus arteriosus, Strömberg und ich5 für den isolierten Venensinus — alles beim Frosch — sowie Gleye und Laulanie7 für das Hundeherz nachgewiesen haben, variiert die Latenzdauer der Extra- zuckung, d. h. die Zeit zwischen dem Augenblick der Reizung und dem Beginn der Extrazuckung, in der Weise, daß sie ihr Maximum hat, wenn die Reizung gerade im Beginn der erregbaren Periode stattfindet, und dann allmählich ab- nimmt, bis sie am Ende der Diastole ihr Minimum erreicht. Bei weiterer Ver- längerung des Reizintervalls am nicht spontan schlagenden Herzen nimmt die Dauer der Latenz wieder deutlich zu (F. B. Hofmann8). Aus den wenigen von Dastre9 mitgeteilten Kurven scheint hervorzugehen, daß auch bei der Spitze des Froschherzens die Latenzdauer im Verlauf der erregbaren Periode abnimmt. Seinerseits hat indessen Engelmann10 gefunden, daß bei der Spitze des Froschherzens die Latenzdauer, gleichviel in welcher Phase der Periode der Reiz eintrifft, immer gleich groß — durchschnittlich 0,1 Sekunde — war. Im allgemeinen wuchs die Dauer der Latenz mit Abnahme der Reizstärke; sie über- schritt dennoch nicht merkbar die größten absoluten Werte, wie sie erhalten werden, falls der Reiz in die Phase höchster Reizbarkeit fiel. Beim Vorhofe betrug die Latenzdauer höchstens etwa 0,2 Sekunde, bei stärkeren Reizen nur 0,1 Sekunde und weniger, auch wenn dieselben am Ende einer Systole einfielen.11 Im Zusammenhang hiermit bemerkt Engelmann12, daß die Latenzdauer bei früh stattfindender Reizung oft länger erscheint als sie tatsächlich ist, denn hier liegt das Ende derselben nicht da, wo die Kurve wieder anzusteigen beginnt, sondern da, wo sie anfängt, weniger steil zu sinken als sie dies ohne die Extra- systole getan hätte. Die genauere Bestimmung der Lage dieses Punktes ist kaum möglich. Es ist daher denkbar, daß die oben erwähnte Abhängigkeit der Latenzdauer vom Moment der Reizung nur eine scheinbare ist. Betreffend den zeitlichen Verlauf der in verschiedenen Phasen der Herz- periode bei der stillstehenden Kammer, bzw. dem Vorhof des Froschherzens durch künstliche Reize ausgelösten Zuckungen hat F. B. Hof mann19 gefunden, daß der Anstieg der Kontraktion anfangs eine Zeitlang der gleiche ist und daß erst später die Kurven bei den früher in der Diastole stattfindenden Reizungen 1 Marey, Travaux du Iaboratoire, 2, S. 73; 1876. 2 Brunton und Cash, Proceed. of the Royal Society, 35, S. 457; 1883. 3 F. B. Hof mann, Arch. f. d. ges. Physiol. 84, S. 142; 1901. 4 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 29, S. 451; 1882. '" Strömberg und Tigerstedt, Mitt. aus dem physiol. Laborat. in Stockholm, 5, S. 56; 1888. H Gley, Arch. de physiol., 1889, S. 505. Beim Pferde beobachtete Laulanie (Memoires de la Societe de biologie, 1886, S. 29) zwei refraktäre Perioden: die eine während der Systole die zweite gerade am Ende der Diastole. Beim Hunde war das Herz während des ganzen Herz- schlages reizbar. 7 Laulanie, Memoires de la Societe de biologie, 1886, S. 29. 8 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 84, S. 142; 1901. 9 Dastre, Journ. de l'anat. et de la physiol., 1882, S. 433. 10 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 317; 1895. 11 Engelmann, ebenda, 59, S. 325. 12 Engelmann, ebenda, 65, S. 123; 1897. 13 F. B. Hof mann, ebenda, 84, S. 143; 1901. 42 Die Innervation des Herzens. etwas hinter denen der später erfolgenden zurückbleiben und um so früher den Gipfel erreichen, je niedriger sie sind. Das Absinken der Kurven erfolgt im ersten Falle früher als im zweiten, ist aber ungefähr gleich steil (vgl. Fig. 185). Wenn die Reizpausen zu lang sind, werden die Kontraktionen niedriger, ihre Anstiegszeit und Gesamtdauer trotzdem länger, ihr Anstieg und Abfall immer weniger steil. Während der bei andauernder frequenter Reizung immer weiter fortschreitenden Ermüdung ändert sich die Kontraktionsform haupt- sächlich in der Weise, daß Anstieg und Abfall der Kurven gleichmäßig flacher werden (vgl. Fig. 186). 1 Fig. 185. Kammerreizung bei verschiedenen Reiz- intervallen. Nach F. B. Mo/mann. Die Kurven sind so übereinander kopiert, daß die Reizmomente zu- sammenfallen und alle von einer und derselben Null- linie ausgehen. 1 Reizintervall 172 Sek.; 2 Reizinter- vall 2 Sek.; 3 Reizintervall 4 Sek. e) Die Pause nach der Extrakontraktion. Wie Marey zuerst nachwies, ist die Pause nach der durch eine Extrareizung ausgelösten Extrakontraktion verlängert, und zwar gerade um so viel, daß die folgende normale Systole zu einer Zeit eintrifft, zu welcher sie auch ohne die eingeschal- tete Kontraktion erschienen wäre. Der Gesamtrhythmus des Herzens wird also nicht gestört, weshalb Marey die verlängerte Pause als kom- pensatorische bezeichnete.2 Bei der Fortsetzung dieser Untersuchungen ergab sich, daß die betreffende Pause bei verschiedenen Herzabtei- lungen und bei verschieden- artiger Reizung in sehr ver- schiedener Weise auftreten konnte: entweder war sie, wie in den Versuchen von Marey an der Kammer und in denjenigen von Engelmann* am Vorhof des unversehrten Froschherzens, wirklich kompensatorisch, so daß die Gesamtdauer der vorhergehenden Systole + der Extrakontraktion bis zum Beginn der folgenden Zusammenziehung genau gleich der Dauer zweier normalen Kontraktionen war, oder auch war, wie beim Venensinus (R. Tigerstedt und Strömberg*) und den Hohlvenen (Engelmann5) des Fig. 186. Ermüdungsreihe. Nach F. B. Hof mann. Wie in Fig. 185 konstruiert. / und 2 die 6. und 7. Kontraktion; 3 die 27. und 4 die 47. Kontraktion der Reihe. Reiz- intervall l1/2 Sek. 1 F. B. Hofmann, Aren. f. d. ges. Fhysiol., 84, S. 151. - Marey, Travaux du laboratoire, 2, S. 74; 1876. 3 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 337; 1894. 4 R. Tigerstedt und Strömberg, Mitt. aus d. physiol. Laborat. in Stockholm, 5, S. 37; 1888. 5 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 137; 1897. Die künstliche Reizung des Herzens. 43 Frosches die nach der Extrasystole folgende Pause von gleicher Länge wie die der normalen Pulse, bzw. kürzer oder selbst länger, ohne indessen die Dauer der kompensatorischen Pause zu erreichen. Da Dastre1 bei der Spitze des Froschherzens, welche unter dem Einfluß von schnell nacheinander folgenden Induktionsströmen zu einem künstlichen Rhythmus gebracht worden war, nach einer eingeschalteten Extrareizung die verlängerte Pause vermißte, wurde dies als Ausdruck dafür aufgefaßt, daß nur ganglienhaltige Herzteile die Erscheinung der kompensatorischen Pause dar- bieten. Gegen diese Ansicht sprechen indessen die von R. Tigerstedt und Strömberg am isolierten Venensinus wie die von Engelmann an den Hohlvenen des Frosch- herzens ausgeführten Bestimmungen ganz entschieden. Beim ersteren war nämlich die Pause nach der Extrakontraktion im allgemeinen verkürzt, wenn die Reizung im Beginn der erregbaren Periode stattfand. Sie war nicht selten von normaler Dauer, und eigentlich nur bei Reizung am Ende der erregbaren Periode konnte eine Verlängerung der Pause in der Regel nachgewiesen werden. Von einer „kompensatorischen" Pause war hier also keine Rede. Die Hohlvenen verhielten sich etwa in derselben Weise. Nach der künstlich hervorgerufenen Extrasystole war die Pause in der Regel von normaler Dauer, es kamen aber auch Fälle vor, wo die Pause verlängert war, ohne indessen kom- pensatorisch zu sein. Auch bei der Herzkammer des Frosches, wenn sie spontan in eigenem Rhyth- mus schlägt (Langendorf j'2), wie bei den unabhängig von den Vorhöfen pul- sierenden Kammern des Säugetierherzens (Woodwortli3, Erlanger*) wird die kompensatorische Pause vermißt. Engelmann5 gebührt das Verdienst, die betreffenden Erscheinungen unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zusammengefaßt zu haben. Eine kom- pensatorische Pause im Sinne Mareys findet sich nicht bei selbständig schlagenden Herzabschnitten vor, sondern nur bei solchen, welche unter der Einwirkung einer von anderen Herzabschnitten her ihnen zugeführten periodischen Reizung pulsieren. Die Erklärung dieses Verhaltens liegt im folgenden. Es wird angenommen, daß die vom Venensinus oder einem entsprechenden Abschnitt am Herzen der Warmblüter ausgehende normale Erregung nicht kontinuierlich, sondern perio- disch stattfindet. Damit die distaleren Herzabschnitte zur Kontraktion ge- bracht werden sollen, darf die ihnen zugeführte Reizung natürlich nicht während der refraktären Periode sie treffen, und dies ist ja auch nicht bei der natürlichen Schlagfolge des Herzens der Fall. Wird aber beim unversehrten spontan pul- sierenden Herzen durch direkte Reizung, z. B. der Kammer, dort eine Extra- systole ausgelöst, so wird es gar zu leicht stattfinden, daß die nächstfolgende, vom Venensinus ausgehende spontane Reizung noch während der refraktären 1 Dastre, Journ. de l'anat. et de la physiol., 1882, S. 463; — vgl. auch Kaiser, Zeitschr. f. Biol. 29, S. 220; 1893; — 30, S. 281; 1894. 2 Langendorf f, Arch. f. d. ges. Physiol., 121, S. 67; 1907. 3 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 220; 1903. 4 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 16, S. 163; 1906. 5 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 326; 1894. 44 Die Innervation des Herzens. Periode der Extrasystole zur Kammer ankommt und daher keine Wirkung ausüben kann. Und nun bleibt die Kammer ruhend, bis sie von dem folgenden vom Venensinus gelangenden Reiz getroffen wird; die Pause nach der Extra- systole muß daher streng kompensatorisch sein. Wenn eine Reihe von Extrakontraktionen an der unter dem Einfluß des Venensinus schlagenden Kammer ausgelöst wird, so wird auch sie von einer kompensatorischen Pause gewöhnlicher Dauer gefolgt, und die Zahl der Extra- systolen in dieser Reihe hat an und für sich keinen Einfluß auf das Resultat. D. h. das Ergebnis ist genau dasselbe, ob statt der normalen Kammersystole während einer bestimmten Zeit n oder 2 n oder 3 n usw. Extrasystolen hervor- gerufen werden. In jedem Falle ist der Moment, in welchem die erste spontane Kammersystole wieder einsetzt, um ein ganzes Vielfaches von der Dauer der normalen Periode von dem Anfang der letztvorhergehenden spontanen Kammer- systole entfernt {Engelmann1). Wenn die Reizung, welche die spontan pulsierenden Abschnitte des Herzens anregt, aus einzelnen, äquidistanten, den einzelnen Induktionsströmen analogen Reizen bestehen würde, so würde natürlich dieselbe Überlegung auch für diese Abschnitte gültig sein müssen, und wir hätten also auch hier die Erscheinung der kompensatorischen Pause zu erwarten. Da dies indessen nicht zutrifft, müssen wir uns vorstellen, daß die auto- matische Tätigkeit der betreffenden Herzabschnitte von einer kontinuierlichen, der künstlichen chemischen Reizung gleichartigen Reizursache hervorgerufen wird. Dann kann man sich denken entweder, daß diese Reizursache nach statt- gefundener Systole eine gewisse Zeit braucht, um den Schwellenwert des Reizes zu überschreiten, oder auch daß, wenn der Reiz an und für sich stetig ist, das Herz selbst eine gewisse Zeit braucht, um für den Reiz empfänglich zu sein. In beiden Fällen muß hierzu eine Pause von normaler Dauer genügen. Ja, selbst nach einer kürzeren Pause kann die neue spontane Systole anfangen, wenn die Erregbarkeit des Herzens durch die Extrasystole etwas vermehrt worden ist. Es kann aber auch der Fall sein, daß das zurzeit disponible Material durch die Extrasystole in einem zu großen Umfange verbraucht worden ist, und daß es also etwas länger als normal dauert, bis solches in genügender Menge wieder zur Verfügung steht. In diesem Falle wird die Pause nach der Extrasystole im Vergleich mit der normalen mehr oder weniger verlängert erscheinen. Der von Engelmann entwickelten Anschauung von der Natur der kom- pensatorischen Pause schlössen sich die meisten Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigten, wie Cushny und Matthews (Hund2), Langendorf f (Katze, Mensch3), H. E. Hering (Kaninchen, Hund, Katze4), Woodworth (Frosch, Hund5), an. Vor allem durch Wenckebach* und Lewis7 wurde sie innerhalb der mensch- 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 59, S. 333; — vgl. auch de Boer. Quarterly journ. of physiol., 10, S. 384; 1917. 2 Cushny und Matthews, Journ. of physiol., 21, S. 221; 1897. 3 Langendorf f, Arch. f. d. ges. Physiol., 70, S. 480; 1898. 4 H. E. Hering, ebenda, 82, S. 14; 1900; — 107, S. 108; 1905. 5 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 220, 236; 1902. 6 Wenckebach, Zeitschr. f. klin. Med. 36; 1899; — Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 57; — Die unregelmäßige Herztätigkeit und ihre klinische Bedeutung. Leipzig 1914. 7 Lewis, Der Mechanismus der Herzaktion und seine klinische Pathologie. Wien 1912. Die künstliche Reizung des Herzens. 45 liehen Pathologie mit Erfolg verwandt, um-den Ursprung der Extrakontraktionen bei Störungen des Herzrhythmus festzustellen. An der Hand von Versuchen an Hunde- und Katzenherzen vertreten in- dessen Hirschfelder und Eyster1 die Ansicht, daß die Regel Engelmanns keine Möglichkeit gibt, um beim Säugetierherzen den Ort zu bestimmen, von welchem her eine Erregung ausgeht, denn die Pause nach der durch Reizung der oberen Hohlvene oder des rechten Vorhofes erhaltenen Extrasystole ist kompensatorisch, wenn die Reizung am Ende der Diastole stattfindet, während sie bei früherer Reizung verkürzt ist. Demgegenüber findet indessen Sansum2, der mit denselben Vorrichtungen wie die soeben genannten Autoren arbeitete, daß bei Reizung des sino-auri- kularen Knotens, von woher aller Wahrscheinlichkeit nach die normale Erregung des Säugetierherzens ausgeht (s. folgendes Kapitel), ebenso wie bei Reizung des rechten Vorhofes keine kompensatorische Pause erscheint, sowie daß bei Reizung der Kammer die kompensatorische Pause vollkommen deutlich auftritt. Fig. 187. Reizung des Vorhofes des Froschherzens. Nach Loven. Die oberste Linie Sekunden. Von rechts nach links zu lesen. Übrigens läßt es sich von vornherein erwarten, daß von der Regel Engel- manns Ausnahmen unter gewissen Umständen vorkommen sollen. Wenn die Pulsfrequenz genügend langsam ist und die Extrareizung, welche den nicht spontan pulsierenden Herzabschnitt trifft, genügend früh in der er- regbaren Periode stattfindet, so kann die davon ausgelöste Zuckung schon vor- über sein, wenn der folgende normale Reiz zu dem betreffenden Abschnitt gelangt. Dies war bei einigen Versuchen von Loven3 am Vorhof des Froschherzens der Fall. In der Regel erschien hier eine kompensatorische Pause; bei einigen Kontraktionen, wo die Erregung gerade im Beginn der erregbaren Periode aus- gelöst wurde, kam indessen eine kürzere Pause zum Vorschein und die Extra- kontraktion schob sich zwischen zwei spontanen, in etwa normaler Entfernung voneinander auftretenden Kontraktionen ein (Fig. 187). Bei neugeborenen Hunden mit langsamer Herzfrequenz konnte E. Meyer* durch künstliche Reizung der Kammer eine Extrasystole ohne kompensatorische Pause zwischen zwei normalen Kontraktionen interpolieren. 1 Hirschfelder und Eyster, Amer. journ. of physiol., 18, S. 231, 247; 1907; — vgl. auch Kaiser, Zeitschr. f. Biol., 32, S. 448; 1895. 2 Sansum, Amer. journ. of physiol., 30, S. 421; 1912. 3 Loven, Mitt. aus d. physiol. Laborat. in Stockholm, 4, S. 1 1 ; 1886; — Anatom, und physiol. Arbeiten. Leipzig 1906, S. 319. 4 E. Mever, Arch. de physiol., 1893, S. 483; — vgl. auch Busquet, Comptes rend. de la Soc. de biol.,' 1911 (2), S. 394. 46 Die Innervation des Herzens. Ebenso gelang es Erlanger1 am Hundeherzen, bei dem auf zwei oder drei Vorhofkontraktionen nur eine Kammersystole entfiel und wo also die Kammer- pause sehr lang war, durch interkurrente Reizung der Kammern Extrakontrak- tionen hervorzurufen, die nicht von der kompensatorischen Pause begleitet waren. Hierher gehört auch die oben (II, S. 43) erwähnte Beobachtung von Dastre an der Herzspitze des Frosches. Wenn aber dieser durch frequentere Reizung eine schnellere Schlagfolge aufgezwungen wird, so zeigt eine nun ausgelöste Extrakontraktion die kompensatorische Pause in ihrer typischen Form, wie im folgenden Versuch von Engelmann.2 Der Moment der Reizung (Fig. 188) wird durch die aufsteigenden Linien an der Kurve angegeben; bei x kommt eine Extrareizung, welche eine Extrakontraktion aus- löst. Der nächste darauf folgende, dem normalen Rhythmus zugehörigen Reiz trifft nun den Muskel während dessen Systole, d. h. während der refraktären Periode und bleibt also ohne Wirkung, und die Herzspitze wird zu der folgenden Kontraktion erst durch die zweitnächste Reizung gebracht: die Pause ist hier verlängert und kompensa- torisch. J/WVNAAA/WVVWWVV^/VWWWVVWW^ Fig. 188. Rhythmische Reizung der isolierten Spitze des Froschherzens. Nach Engelmann. Von links nach rechts zu lesen. Erklärung im Text. Wenn der Venensinus des Froschherzens lokal abgekühlt wird, verlangsamt sich der Rhythmus des ganzen Herzens, auch der der Kammer, obgleich diese von der Abkühlung gar nicht getroffen wird. Wegen des jetzt stattfindenden verhältnismäßig langsamen Verlaufs der Kammerkontraktionen läßt sich nun durch direkte Reizung der Kammer eine Extrasystole ohne kompensatorische Pause zwischen zwei normalen Kontraktionen einschalten (Trendelenburgz). Dasselbe ist am veratrinvergifteten Froschherzen im Stadium, wo sich die Kammer nur bei jeder zweiten Vorhofkontraktion zusammenzieht, der Fall; auch hier bewirkt eine eingeschaltete Reizung der Kammer eine Extrakontraktion ohne nachfolgende kompensatorische Pause (de Boer4). Unter Umständen erscheint beim Froschherzen eine verlängerte Pause auch nach Reizung während der Systole und ohne daß eine Extrakontraktion auftritt. 1 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 16, S. 164; 1906. 2 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 59, S. 327. 3 Trendelenburg, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 317; Busquet, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1911 (2), S. 612, 648. 4 de Boer, Akad. van wetenschappen te Amsterdam, proeeedings, 17, S. 1078; 1915 vel. auch Die künstliche Reizung des Herzens. 47 Nach Langendorff1 liege hier irgendeine Hemmungswirkung vor, obgleich, wie er selber bemerkt, die betreffende Verlängerung der Pause auch nach Vergiftung mit Atropin erschien. Nach Trendelenburg2 kann es sich hier um mehrere verschiedene Vorgänge handeln. Wird der Vorhof gerade im Beginn der erregbaren Periode gereizt, so wird die Extrasystole des Vorhofs an der Kammer ohne Wirkung, da die Erregung nach der Kammer vor dem Ende ihrer refraktären Periode gelangt. Es ent- steht also keine Extrasystole; da aber die normale, vom Vorhof kommende Erregung jetzt ausbleibt, macht sich die kompensatorische Pause nichtsdesto- weniger bemerkbar. Dieselbe Erscheinung tritt auch bei direkter Reizung der Kammer ein, wenn die Vorhöfe dabei von Stromschleifen getroffen werden und in diesem Augenblick schon wieder erregbar sind, während dies mit den Kammern nicht der Fall ist. Einer aber nur scheinbaren kompensatorischen Pause ohne Extrasystole begegnen wir schließlich, wenn die Reizung gerade im Beginn der erregbaren Periode stattfindet und die dabei ausgelöste Kontraktion wegen ihres geringen Umfanges sich an der regelrechten Kurve nicht deutlich geltend macht, aber durch eine Veränderung der Lichtreflexe am gereizten Herzteil selbst kundgibt.3 In einzelnen Fällen kommt bei Reizung im allerersten Beginn der erregbaren Periode die verlängerte Pause erst nach der zweiten oder dritten spontanen Systole zum Vorschein. Dies erklärt sich, nach Trendelenburg4, in folgender Weise. Der spontane Antrieb, welcher der Extrasystole folgt, kann eben noch be- antwortet werden; die ihm folgende refraktäre Periode fällt aber relativ zu lang aus, wodurch der nächste spontane Antrieb unbeantwortet bleibt. Durch die Pause werden die normalen Verhältnisse wieder hergestellt. Die an der Grenze der Kontraktionsmöglichkeit auftretende Extrasystole hinterläßt einen Zustand verminderter Leistungsfähigkeit, durch welchen die nächste spontane Kontraktion verzögert wird, und zwar so stark, daß die über- nächste Systole ausfallen muß, weil ihr Antrieb noch in die refraktäre Periode der vorigen fällt, usw. Nach diesem allen scheint sich also die Auffassung Engelmanns betreffend die kompensatorische Pause gut bewährt zu haben. Nur der von Marey. her- rührende Name kompensatorisch dürfte nicht ganz glücklich gewählt sein, denn hier ist doch keine Rede von irgendeiner Kompensation, da ja die distalen Teile des Herzens nach der Extrasystole nur deswegen stillstehen, weil sie keinen Reiz bekommen. Daher empfiehlt sich auch sehr die von Woodworth5 formu- 1 Langendorff, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1885, S. 285; — vgl. auch die ganz ähnlichen Beobachtungen am Vorhof des Hundes von E. Meyer, Arch. de physiol., 1893, S. 185. 2 Trendelenburg, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt. 1909, S. 138; — vgl. auch Bethe, ebenda, 1909, S. 388. 3 Vgl. E. Koch,' Arch. f. d. ges. Physiol., 181, S. 119. 4 Trendelenburg, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1909, S. 148, 406; — Bethe, ebenda, 1909, S. 397. 5 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 239; 1902. 48 Die Innervation des Herzens. lierte Definition: die kompensatorische Pause ist nicht eine Periode von Hem- mung, sondern eine des Erwartens (a period of waiting). Über die Pause nach der Extrakontraktion liegen betreffend das Herz der Wirbel- losen nur wenige Angaben vor. Nach Polimanti1 tritt sie in voller Schärfe bei der Maja verrucosa auf; beim Octopusherzen war die Pause nach der Extrasystole allerdings ver- längert, aber nicht kompensatorisch (Ransom2); bei Helix und Arion wurde die Extra- systole nur von einer Pause normaler Dauer nachgefolgt (Cardot3). Bei Reizung des Ganglions und des Herzmuskels von Limulus erscheint nach den von Carlson* mitgeteilten Kurven in der Regel keine verlängerte Pause nach der Extrasystole. f) Die Nachwirkung der Reizung. Wenn ein stillstehendes Herz von einer an und für sich unwirksamen Reizung getroffen, diese aber in mäßigen Intervallen wiederholt wird, kann es durch diese Reizung, wie v. Basch zuerst nachwies, zum Schlagen gebracht werden. Diese Erscheinung, wie auch die Tatsache, daß zur Erhaltung einer niederen Pulsfrequenz durch isolierte Reize größere Stromstärken erforderlich sind, als wenn die Reize rasch aufeinander folgen, wurde von v. Basch als Wirkung einer Reizsummation aufgefaßt.5 — Später hat er6, im Anschluß an Kronecker'7, diese Erscheinung als Folge der durch die wirkungslosen Reize bedingten Erhöhung der Erregbarkeit aufgefaßt, und sein Schüler Ehrmann6 hebt hervor, daß durch minimale Reize im Herzen allmählich Zustände geschaffen werden, die, ohne eine Summation darzustellen, den Erfolg der Reizung fördern. An der ganglienhaltigen Herzkammer haben Ranvier9 und Gaskell10 in ver- schiedener Weise eine ähnliche Erregbarkeitssteigerung durch wiederholte Rei- zungen erzielt. Andererseits hat Trendelenburg11 beobachtet, daß eine vorhergehende stärkere Reizung die Erregbarkeit des Herzens für eine kurze Zeit herabsetzen kann, so daß vorher wirksame minimale Reize nun unwirksam werden. Kurze Zeit nach Aufhören der stärkeren Reizung konnte die frühere Erregbarkeit wieder hergestellt sein. Dementsprechend fand W.H.Schultz12, daß bei einer sehr intensiven, während der Systole stattfindenden Reizung eines spontan pulsierenden Herzmuskel- streifens die nächstfolgende Systole stark vermindert war, wonach die Zuckungen allmählich treppenförmig wieder anstiegen. Hierher gehören auch folgende Beobachtungen von F. B. Hofmann und Holzingerlz Schaltet man in die spontane Schlagfolge einer vom Venensinus isolierten, nicht durchströmten Froschherzkammer Extrasystolen ein, so ist I Polimanti, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1913, S. 159. - Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 312. 3 Cardot, Journ. de physiol., 1909, S. 796. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 18, S. 73—76; 1907. 5 v. Basch, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 79 (3), S. 53; 1879. 6 v. Basch, Arch. f. Anat. u. physiol., physiol. Abt., 1880, S. 283. 7 Kronecker, ebenda, 1879, S. 379; — 1880, S. 285. 8 Ehrmann, Mediz. Jahrbücher, Wien, 1883, S. 141. 9 Ranvier, Lecons d'anat. gen. App. nerv. term. des muscles de la vie organique. Paris 1880, S. 158. 10 Gaskell, Philos. trans., 1882 (3„ S. 997. II Trendelenburg, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 285. 12 W. H. Schultz, Amer. journ. of physiol., 22, S. 138; 1908. 13 F. B. Hofmann und Holzinger, Zeitschr. f. Biol., 57, S. 309; 1911. Die künstliche Reizung des Herzens. 49 in den allermeisten Fällen die Extraperiode gegenüber der Normalperiode um so mehr verlängert, je früher die Extrasystole der letzten spontanen Systole nachfolgte. Besonders hochgradig kann die Verzögerung der auf die Reizung folgenden Spontanerregung werden, wenn mehrere Extrasystolen in kurzen Intervallen aufeinander folgen, und es kann dabei zu recht beträchtlichen Still- ständen der Kammer kommen. Diese Verzögerung der Spontanerregung hängt ausschließlich vom Auf- treten einer Extrasystole ab; die Reizung der Kammer innerhalb der refraktären Periode ist gänzlich erfolglos und die Verzögerung kann also nicht als eine Wirkung hemmender Nerven aufgefaßt werden. Es scheint daher, als ob die Extrasystole einen direkten hemmenden Einfluß auf die Kammer ausübt. Der hemmende Einfluß der Extrasystole ist am stärksten an der Herz- kammer des Frosches, viel schwächer an der Kammer des Schildkrötenherzens und nur spurenweise vorhanden an der isolierten Herzkammer des Hundes. Merkwürdigerweise findet diese Hemmung gar nicht statt, wenn das Herz mit einer Kochsalzlösung von 0,1 Proz. gespeist wird, während sie bei einer Kochsalzlösung von 0,4 — 0,6 Proz. deutlich erscheint (Sakai1). Betreffend die Hemmungswirkung der Systole heben noch Rothberger und Winterberg2 nach Versuchen am Hundherzen hervor, daß dieselbe nur dann auf- tritt, wenn die Pulsfrequenz in rascherem Absinken begriffen ist, und daß sie sich kurz vor dem spontanen Erlöschen der Schläge bei sehr niedriger Frequenz am stärksten erweist. Auf Grund dieser und anderer Erscheinungen kommen sie daher zu der Auffassung, daß die Hemmungswirkung der Extrasystole von einer Herabsetzung der Reaktionsfähigkeit des Herzens verursacht ist.3 Die Pause nach der Extrakontraktion wird, wie Langendorff* zuerst am Froschherzen nachwies, in sehr vielen Fällen von einer verstärkten Systole, die um so größer ist, je kleiner die Extrakontraktion war, unter- brochen („Postextrasystole" Bornstein); die darauf folgende Systole ist in der Regel kleiner und erst die dritte hat die normale Höhe wieder erlangt Fig. 189. Froschherz, Reizung mit einzelnen Induktions- ,_. «__. ^. , . , _ö strömen. Nach Langendorff. (Fig. 189). Die gleiche Er- & J scheinung beobachteten dann Mae William3 am Herzen mehrerer Säugetiere, Gley6 an den Kammern und E. Meyer7 an den Vorhöfen des Hundeherzens, Cushny und Matthews8 wie Woodworth9 am Hundeherzen, Langendorff10 am Ka- 1 Sakai, ebenda, 62, S. 312; 1913. 2 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol. 146, S. 424; 1912. 3 Vgl. Rihl, Zeitschr. f. exp. Pathol.,' 13, S. 5; 1913, woselbst der Autor nachweisen will, daß die Hemmung nach der Extrasystole auf Störungen der Reizbildung zurückzuführen ist. 4 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1885, S. 284. — Vgl. auch de Boer, Akad. van wetenschappen te Amsterdam, proceedings, 17, S. 1076. 5 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 171; 1888. 6 Gley, Archives de physiol. 1889, S. 499; — 1890, S. 438. ' E. Meyer, ebenda, 1893, S. 185. 8 Cushny und Matthews, Journ. of physiol., 21, S. 216; 1897. 9 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 223; 1902. 10 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 61, S. 317; 1895; — 70, S. 473; 1898. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 4 50 Die Innervation des Herzens. ninchenherzen, Bottazzi am Herzen der Kröte1 und des Hühnerembryo2, sowie Langendorff3 am Menschenherzen. Die Vergrößeiung der Postextrasystole wurde auch am Herzen der Maja verrucosa von Polimanti* nachgewiesen. Zur Deutung der Vergrößerung der Postextrasystole weist Langendorff'0, nachdem er mehrere andere Erklärungsmöglichkeiten erörtert und verworfen hat, darauf hin, daß bei der Extrazuckung, die kleiner als die normale ist, der Energievorrat nicht in demselben Maße wie bei einer normalen Systole ver- braucht wird, und daß deshalb der Postextrasystole eine größere Energiemenge zur Verfügung steht. Langendorff verneint also den Einfluß der längeren Pause. Daß diese in- dessen auch hierbei eine Rolle spielt, geht aus Woodworths6 und Bornsteins'' Er- fahrung hervor, daß bei der spontan schlagenden oder rhythmisch gereizten Kam- mer des Froschherzens keine verstärkte Postextrasystole auftritt, wenn die Pause nicht verlängert ist. Auch bemerkt Woodworth8, daß beim Froschherzen wenigstens die nor- male Länge der Pause wahrscheinlich kürzer ist als diejenige Ruhezeit, welche die möglichst große Leistung bei der Einzelkontraktion gestattet. Demgegenüber hebt Rihl9 hervor, daß (beim Hundeherzen) eine Vergröße- rung der Postextrasystole auch dann auftritt, wenn die Extrasystole die Länge einer Normalperiode besitzt, ja, selbst wenn sie erheblich kürzer ist. Daher muß außer der etwaigen Verlängerung der Pause noch ein anderer Umstand in Be- tracht gezogen werden. Diesen findet Rihl wie früher Woodworth10 für das Hunde- herz darin, daß die Extrasystole eine die Kontraktilität steigernde Wirkung aus- übt, und zwar hat auch eine vorzeitige normale, nicht künstlich hervorgerufene Systole diese Wirkung (Rihl). Daß die Durchblutung der Koronararterien hierbei keine wesentliche Rolle spielen kann, folgt daraus, daß die Vergrößerung der Postextrasystole auch nach Abstellen der Speisung des Herzens erscheinen kann.11 Es ist also nicht unmöglich, daß die Verstärkung der Postextrasystole bei dem Säugetierherzen mehr auf den erregenden Einfluß der vorhergehenden Extra- kontraktion, beim Froschherzen aber auf der Verlängerung der Pause beruht. § 47. Tetanisierende Reizung des Herzens. a) Wirbellose. Bei den Wirbellosen fehlt, wie schon erwähnt, in der Regel die absolute refraktäre Periode, und da also das Herz auch während der Systole erregbar ist, läßt es sich von vornherein erwarten, daß hier bei genügend starken Reizen auch Summation und Tetanus erhalten werden sollen. 1 Bottazzi, Zentralbl. f. Physiol. 10, S. 401 ; 1896. 2 Bottazzi, Sullo sviluppo embrionale della funzione motoria negli organi a cellule mus- colari. Florenz 1897, S. 120. 3 Langendorff, Aren. f. d. ges. Physiol., 70, S. 483; 1898. 4 Polimanti, Aren. f. Anat. u. Physiol., 1913, S. 168. h Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 70, S. 481. 6 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 245; 1902. ' Bornstein, Zentralbl. f. Physiol., 20, S. 588; 1906. 8 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 245; 1902. 9 Rihl, Zeitschr. f. exp. Path., 3, S. 1 ; 1906. 10 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 215; 1902. 11 Rihl, Zentralbl. f. Physiol., 20, S. 659; 1906; — vgl. auch Bornstein, ebenda, 20, S. 588. Die künstliche Reizung des Herzens. 51 Dies wird auch von der Erfahrung bezeugt. Ed. Weber1 erwähnt, daß das Herz des Krebses, solange es gereizt wurde, zusammengezogen blieb, und daß es sogleich nach dem Aufhören der Reizung wieder anfing, zu schlagen. Daß hier ein Tetanus vorlag, geht aus den viel später veröffentlichten Mitteilungen von Brandt2, Dogiel3, sowie vor allem aus den Versuchen von Hunt, Bookman und Tierney* am Herzen des amerikanischen Hummers hervor. Bei diesem wurden Tetani registriert, die vielmal stärker waren als die ein- zelne maximale Kontraktion und ebenso leicht bei einer niedrigen (372° C) als bei einer höheren Temperatur auftraten. Bei frischem, kräftigem Präparat waren zum glatten Tetanus 6 und mehr Reizungen in der Sekunde notwendig; bei einem schwachen Herzen genügten 2 Reizungen in drei Sekunden. Auch subminimale Induktionsschläge ergaben bei genügend rascher Aufeinanderfolge einen Tetanus. Durch Tetanisierung mit Induktionsströmen bekam W. Straub5 beim leeren Herzen von Aphysia Superposition und Tetanus. Nach Carlson6 gibt das Herz fast aller von ihm untersuchten Mollusken, Arthropoden und Tunikaten sowohl Summation als Tetanus. Nur bei Crypto- chiton und einigen Gastropoden wurde wie die Superposition auch ein wirklicher Tetanus vermißt. Über die Hemmungserscheinungen bei direkter tetanisierender Reizung des Herzens von Wirbellosen, vgl. § 67. b) Wirbeltiere. Bei direkter Reizung des bloßgelegten Wirbeltierherzens mit schnell nach- einander folgenden Induktionsströmen werden die Herzschläge zunächst immer mehr beschleunigt. Dabei können nach Battelli7 die Vorhöfe in höherem Grade als die Kammern beeinflußt werden, wie aus folgender Tabelle hervorgeht. Tierart Schlagfrequenz in der Minute Vorhöfe Kammern Hund Kaninchen Ratte Meerschweinchen . . 600 540 240 300 360 384 In entsprechenden Versuchen erhielten P. Hoff mann und Magnus- Aisleben* folgende Resultate: 1 Vgl. E. H. Weber, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1846, S. 504. 2 Brandt, Bull, de l'Acad. des sciences de St. Petersbourg, 8, S. 422; 1865. 3 Dogiel, Archives de physiol., 1877, S. 404. 4 Hunt, Bookman und Tierney, Zentralbl. f. Physiol., 11, S. 274; 1897. 5 W. Straub, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 514; 1901. 6 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 66; 1904; — Science, N.S., 17, S. 548; 1903. — Vgl. auch Bandler, Arch. f. exp. Pathol., 34, S. 394; 1894; — Nukada, a. a. O., 19, S. 123. 7 Battelli, Journ. de physiol., 1900, S. 425; — vgl. auch Hoven, Arch. intern, de physiol., 8, S. 109; 1909. 3 P. Hoff mann und Magnus- Alsleben, Zeitschr. f. Biol., 65, S. 145; 1914. 4* 52 Die Innervation des Herzens. Tierart Schlagfrequenz in der Minute Vorhöfe Kammern Kaninchen Katze Hund 750—800 650-700 500—600 550 550 550 Bei der direkten Reizung der Kammern kam noch eine Art von periodischer Tätigkeit vor, indem die durch den künstlichen Reiz ausgelösten Kontraktionen mit Kontraktionen interferierten, welche durch die von dem Vorhof kommenden Erregungen ausgelöst wurden. Wenn die Stärke oder die Frequenz der Reize noch mehr erhöht werden, so hören die normalen Zusammenziehungen auf und es erscheint jetzt die ab- normale- Kontraktionsform, welche als Herzflimmern bezeichnet wird und in folgenden Paragraphen besprochen werden soll. Vor demselben treten immer einige wenige normale Kammersystolen auf (A.G. Levy1). In bezug auf eine durch frequente Reize eventuell ausgelöste Summation der Kontraktionen scheinen die Tatsachen, daß die einzelnen Abteilungen des Wirbeltierherzens jedenfalls während des größten Teils ihrer Systole unerregbar sind und daß die Latenzdauer der gerade am Anfang der erregbaren Periode ausgelösten Extrazuckung ziemlich lang, deren Umfang aber sehr gering ist, von vornherein in einem gewissen Grade gegen das Vorhandensein einer solchen beim Herzmuskel der Wirbeltiere zu sprechen. Auch konnten weder Ludwig und Hoffa2, noch Schiff* und Eckhard* selbst bei Anwendung der stärksten Ströme einen wirklichen Herztetanus hervorrufen. iW 1 liWW Ijo 13» Fig. 190. Reizung der Herzspitze des Frosches mit frequenten, mäßig starken Induktions- strömen. Nach Kronecker. Die untersten Striche geben die Sekunden an. Die mittlere Linie zeigt durch ihre Erhebung den Beginn, durch ihre Senkung das Ende einer Reizperiode an. Die Temperatur des Serumbades betrug während der ersten Periode 29°, während der zweiten 13— 11 °C. Von rechts nach links zu lesen. Eine nicht zu starke Reizung der Kammer und des Vorhofes vom Bdello- stomaherzen mit schnell nacheinander folgenden Induktionsschlägen ruft zu- nächst eine Beschleunigung der Schlagfolge hervor. Bei zunehmender Stärke des Stromes wird die Beschleunigung größer, die Schläge werden aber gleich- zeitig kleiner und die diastolische Erschlaffung unvollständiger. Eine noch stärkere Reizung ist von Hemmungserscheinungen begleitet, worüber näheres in § 67 (Carlson5). 1 A. G. Levy, Journ. of physiol., 49, S. 60, 63; 1914. 2 Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 128; 1850. 3 Schiff, Arch. f. physiologische Heilk., 9; 1850; — Ges. Beitr. z. Physiol., 2, S. 268. 4 Eckhard, Beiträge zur Anat. u. Physiol., 1, S. 155; 1858; — 2, S. 151; 1860. 5 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 4, S. 278; 1904. Die künstliche Reizung des Herzens. 53 Bei Reizung der Spitze des Froschherzens mit tetanisierenden Induktions- strömen mäßiger Stärke erhielt Kronecker1 frequente Pulsationen, welche in- dessen lange nicht so häufig waren, wie die Reizungen, und nur unvollständig untereinander zusammenschmolzen, wie dies aus Fig. 190 ersichtlich ist. Bei größerer Intensität der Reizung traten diese einzelnen Kontraktionen nicht zutage, sondern das Herz gelangte in eine Art von tonischer Zusammenziehung, deren Umfang wesentlich kleiner war, als der der einzelnen Kontraktionen.1 Die Reizung mit schnell nacheinander folgenden Induktionsströmen ergab also entweder isolierte Kontraktionen in einem gewissen Rhythmus oder auch eine zitternde, tonische Zusammenziehung, aber keinen Tetanus, wie er beim Skelettmuskel vorkommt, und vor allem durch die Superposition mehrerer ein- zelnen Zuckungen zu einer Kontraktion, die höher ist als die bei einer Einzel- reizung derselben Stärke auftretende, sowie durch den stetigen äußeren Verlauf und den diskontinuierlichen Verlauf des Aktionsstromes charakterisiert ist. Fig. 191. Reizung des Froschherzens. Nach Marey. 1. schwache Reizung, Beschleunigung; 2. starke Reizung, „Tetanus". Von links nach rechts zu lesen. Auf genügend frequente tetanisierende Induktionsströme antwortet das Froschherz nur mit einer Anfangszuckung. Die hierzu notwendige Frequenz muß um so größer sein, je stärker die Ströme (Lahousse2). Indessen sind sowohl vor als nach dem Erscheinen der Arbeit von Kronecker Mitteilungen über einen Herztetanus beim Wirbeltierherzen veröffentlicht worden. Eine nicht geringe Zahl der Angaben über einen Herztetanus stützen sich auf Kurven, bei welchen, wie z. B. in der Fig. 191 abgebildeten, gar keine Super- position von Zuckungen vorliegt, indem die Höhe des „Tetanus" den Umfang der vorhergehenden Einzelkontraktion nicht übertrifft, sondern höchstens deren Höhe erreicht. Hierher gehören die in den Arbeiten von Marey3, Ringer und Sainsbury*, Arloing5, Rouget* und Klug7 mitgeteilten Kurven. Unter Einwirkung der tetanisierenden Reizung bleibt das Herz während der ganzen Dauer der- selben etwa auf der Höhe der Einzelkontraktion zusammengezogen, und auf 1 Kronecker, Festschrift für Ludwig, 1874, S. 183. 2 Lahousse, Bull, de l'Acad. de med. deBelgique, 1895, S.477; zit. nach dem Jahresbericht. 3 Marey, Circulation du sang. Paris 1880, S. 45. 4 Ringer und Sainsbury, Journ. of physiol., 4, S. 352; 1883. 5 Arloing, Archives de physiol., 1893, S. 106. 6 Rouget, ebenda, 1894, S. 398. 7 Klug, Arch. f. d. ges. Physiol., 99, S. 616; 1903. 54 Die Innervation des Herzens. diesem Plateau sind in der Regel wenigstens kleine Diskontinuitäten, die zu- weilen ganz unbedeutend höher sind als die normalen Kontraktionen, sichtbar. Diese Form der Zusammenziehung, welche von Ranvier1 als tonischer Tetanus bezeichnet wurde, dürfte, wie mir scheint, unschwer aus dem allgemeinen Verhalten des Herzmuskels bei der Reizung hergeleitet werden können. An- genommen, daß in Fig. 192 a den normalen Verlauf einer Herzkontraktion darstellt; bei x fängt nun eine tetani- sierende Reizung an; diese bleibt wirkungslos, bis die er- regbare Periode des Herzens wieder beginnt, d. h. am Ende der Systole, also etwa bei y. Dadurch wird eine Kontraktion mit langer Latenzdauer und von kleinem Umfang, a', ausgelöst; die ununterbrochen weiter stattfindende Reizung bleibt wieder ohne Wirkung bis gegen Ende der Systole dieser Kontraktion, etwa bei y', und die neue Kontraktion hat dann das bei a" dargestellte Aussehen. Und so geht es, solange die Reizung fortdauert, immer weiter. Es kommt keine Superposition zum Vorschein, sondern das Herz bleibt etwa auf der Höhe einer Einzelkontraktion zusammengezogen, weil es gerade im Beginn der erreg- baren Periode sofort gereizt wird und daher keine Zeit zur Erschlaffung findet. i y Fig. 192. Schema. Fig. 193. Abgeklemmte Herzspitze, tetanisierende Reizung. Nach Bornstein. Die Kontraktur senkt sich im Laufe von etwa 5 Minuten wieder zur Abszisse. Hier liegt also kein Tetanus im gewöhnlichen Sinn vor. Nach Bassin2 würden die tonischen Herzkontraktionen überhaupt niemals größer als maximale einfache Pulse sein. Dies ist indessen nicht richtig, denn Bornstein3 hat an der Spitze des Froschherzens bei Reizung mit frequenten In- duktionsströmen Kontrakturen erhalten, welche im Maximum allerdings meist etwa die Höhe der optimalen Zuckung erreichten, unter Umständen aber dieselbe bedeutend überragten (Fig. 193). Auch Muenich* erwähnt, daß bei starker Reizung die diastolische Linie, wegen Zunahme des Tonus, allmählich sehr hoch ansteigt und schließlich eine 1 Ranvier, Lecons d'anat. gen. annee 1877 — 1878. Paris 1880, S. 154. 2 Bassin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1907, S. 450. 3 Bornstein, ebenda, 1906, Suppl., S. 367. 4 Mnenich, Inaug.-Diss. Gießen 1909, S. 16, 44—46. Die künstliche Reizung des Herzens. 55 Höhe erreicht, die bei der abgeschnittenen Herzspitze durchschnittlich um 25% größer sein kann als der Umfang der normalen Systole. Bei Herzen in physio- logischer Kochsalzlösung, deren Kontraktionsgröße stark vermindert worden war, konnte die Höhe der tonischen Zusammenziehung sogar 14mal größer sein als die der einzelnen Systole. Dabei war die Schnelligkeit des Ansteigens etwa ebenso steil wie bei Einzelzuckungen.1 Beim Froschherzen kann die tonische Verkürzung am leichtesten bei der Spitze und dem Mittebtück der Kammer, schwieriger bei der Kammerbasis und am schwierigsten bei den Vorhöfen hervorgerufen werden (Muenich2). Ein Beispiel von starker tonischer Erregung bei dem Säugetierherzen finden wir in Danilewskys3 Versuchen an dem vom Körper ausgeschnittenen, mit Koch- salzlösung gespeisten Kaninchenherzen, bei welchem unter günstigen Umständen die tonische Kontraktion ununterbrochen während 2V2 Minuten dauern konnte. Wie diese tonischen Verkürzungen, über deren wirkliche Natur wir noch keinen sicheren Aufschluß haben, nicht als Tetani in dem gewöhnlichen Sinne angesprochen werden können, ist es auch nicht gestattet, die Herzkontrakturen, welche unter dem Einfluß von Alkohol, Kochsalz (Bomstein*), Chlorkalzium5, Strophantin, Chlorbarium, Ammoniak, Sapotoxin, zweiprozentiger Kochsalz- Ringerlösung, Optochin (A Fröhlich und Pick6) erscheinen, als wirkliche Tetani zu bezeichnen, denn während des Bestehens der voll ausgebildeten Kontraktur lassen sich bei Ableitung zum Galvanometer auch nicht die allergeringsten Aktions- ströme nachweisen (de Boer und A Fröhlich1). Indessen kommen beim Wirbeltierherzen unter der Einwirkung spezieller Umstände noch andere Kontraktionsformen vor, welche man aus mehr oder weniger guten Gründen an die Seite des Tetanus der Skeletmuskeln hat stellen wollen. ■ Hierher gehört in erster Linie der von Cyon8 beschriebene Tetanus, der durch lokalisierte Reizung des Venensinus oder des Vagus bei der auf 40° C erwärmten stillstehenden Kammer des Froschherzens erschien. Die von ihm9 mitgeteilten Kurven scheinen indessen nicht ganz beweisend zu sein, indem aus ihnen die Größe der Einzelkontraktion im betreffenden Versuch nicht hervorgeht. An Fröschen, die mit Allylsulfid vergiftet waren, gab das Herz bei tetani- sierender Reizung einen wirklichen Tetanus (Gley10). Bei gleichzeitiger Reizung des Venensinus und des Vagus am Frosch bekam 0. Frank11 eine unverkennbare Superposition von Herzkontraktionen, indessen nur in dem Falle, wenn das Herz nach isotonischem Regime arbeitete, der innere Druck in der Herzkammer niedrig war und, insbesondere, wenn die Zuckung 1 Vgl. auch Aristow, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1879, S. 203. 2 Muenich, a. a. O., S. 20. 3 Danilewsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 596; 1905. 4 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 350; — vgl. auch Roy, Journ. of physiol., 1, S. 486; 1879. 5 S. oben I, S. 263; sowie Burridge, Journ. of physiol., proceed., 47, S. 31; 1913. « A. Fröhlich und Pick, Zentralbl. f. Physiol., 33, S. 225; 1918. < de Boer und A. Fröhlich, ebenda, 33, S. 228; 1918. 8 Cyon, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phy^. Kl-, 1866, S. 303. 9 Cyon, Journ. de physiol., 1900, S. 395, 644. 10 Gley, Compt. rend. de la Soc. de biol., 1890, S. 438. 11 O. Frank, Zeitschr. f. Biol., 38, S. 300; 1899. 56 Die Innervation des Herzens. nicht vollständig war, was zuweilen bei frischen, mit Sicherheit aber bei er- müdeten Herzen vorkam. In der Kurve waren die einzelnen Zuckungen noch immer als solche zu erkennen (vgl. Fig. 194). Auch durch gleichzeitige Reizung des Vagus und der Herzkammer des Frosches kann man einen Tetanus beim durch die Vagusreizung geschwächten Herzen erzielen {Walther1). Am muskarinvergifteten Froschherzen erschien bei den Versuchen von Walther2 bei elektrischer oder mechanischer Reizung fast konstant eine Super- position, bzw. bei Anwendung genügend starker frequenter Reize ein Tetanus, der sich weit über die Höhe der Einzelzuckung des vergifteten, nicht aber über diejenige des unvergifteten Herzens erhob. Der betreffende Tetanus war in- dessen in der Regel unvollständig, indem sich die einzelnen Kontraktionen auch hier an der Kurve deutlich markierten. Sie verschmolzen aber fast vollkommen in Fällen, wo die Kontrak- tionen beim stark vergifteten Herzen sehr niedrig geworden waren. Dabei wurde die refraktäre Periode bei der T T^a 7"^ ~> c ZI ' Z~~TTTZ 7~ wiederholten Reizung oft Fig. 194. Tetanus des rroschherzens. Nach O.Frank. ö verkürzt.3 Dieser Tetanus konnte auch an der isolierten Herzspitze nachgewiesen werden, trat aber andererseits bei lokaler Muskarinvergiftung des Venensinus bei der Kammer nicht auf; auch übte der Vagus auf das Erscheinen des Tetanus keine sichtbare Wirkung aus.4 An und für sich setzt das Muskarin die Höhe und Dauer der Einzelzuckung des Herzens stark herab und verkürzt die refraktäre Periode auch im Vergleich zum Verlauf der Kontraktion, so daß die Reizung schon vor dem Gipfel in dem aufsteigenden Teil der Kurve wirksam wird (Kaiser5). Erst wenn sich dieser Zustand entwickelt hat, erscheint die Verschmelzung der Zuckungen zum Te- tanus.6 Ferner kommen Summation und Tetanus bei starker Chloralvergiftung am Frosch- bzw. Schildkrötenherzen, wie Rohde7 zuerst nachwies und Schultz8 und Bornstein9 später bestätigten, zum Vorschein. Auch hier tritt die Summation usw. nur dann auf, wenn der Umfang der normalen Kontraktionen stark ab- genommen hat. Dasselbe war in Versuchen von Burridge10, wo das Froschherz zuerst mit einer öprozentigen Lösung von Chlorkalium behandelt worden war, der Fall. 1 Walther, Aren. f. d. ges. Physiol., 78, S. 627; 1900. 2 Walther, ebenda 78, S. 603. 3 Walther, ebenda, 78, S. 608. 4 Walther, ebenda, 78, S. 614. 5 Kaiser, Zeitschr. f. Biol., 29, S. 219; 1892. 6 Walther, Arch. f. d. ges. Physiol., 78, S. 617. — Rhodius und W. Straub, ebenda, 110, S. 500; 1905, zeigten noch, daß die absolute Erregbarkeit unter dem Einfluß des Muskarins ansteigt. 7 Rohde, Arch. f. exp. Path., 54, S. 111; 1905. 8 Schultz, Amer. journ. of physiol., 16, S. 493; 1906. 9 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 346. J0 Burridge, Journ. of physiol., 54, S. 248; 1920. Die künstliche Reizung des Herzens. 57 Hierher gehört auch die Beobachtung von Rihl1, daß am mit Ringerlösimg gespeisten Hundeherzen durch Reizung gerade im Beginn der erregbaren Periode die Extrasystole einfach an der vorhergehenden Kontraktion superponiert wird. Bei Herzen, die mit Blut ernährt waren, sowie bei Herzen in situ trat diese Er- scheinung nur bei einer etwas minder vorzeitigen Reizung auf, und es konnte auch die Extrasystole an und für sich vergrößert werden.2 Genau entsprechende Erfahrungen machte Mines3 am Elasmobranchier- herzen, wie dies aus Fig. 195 sehr schön hervorgeht. Der Augenblick der Reizung 1 Rihl, Zeitschr. f. exp. Pathol., 4, S. 257; 1907. 2 Busquet und Pachon, Compt. rend. de la Soc. de Biol., 1907 (1), S. 943, haben am aus- geschnittenen, veratrinvergifteten Kaninchenherzen ein stufenförmiges Ansteigen der ein- zelnen Kontraktionen beobachtet, welche sie als eine Art von Tetanus deuten. 3 Mines, Journ. of physio!., 46, S. 22; 1913. 58 Die Innervation des Herzens. ist überall durch einen kleinen weißen Punkt angegeben. Wir sehen, wie die Reizung während der Systole (des aufsteigenden Schenkels) unwirksam ist, wie sie beim Eintritt der erregbaren Periode zuerst nur ganz kleine Extrakon- traktionen hervorruft; allmählich erreichen diese aber eine bedeutendere Größe, so daß ihr Gipfel denjenigen der vorhergehenden Kontraktion immer mehr über- ragt. Schließlich treten die Extrazuckungen isoliert auf und werden bei Reizung im späteren Abschnitt der Pause wieder von normaler Höhe. In diesen Versuchen wie in den Versuchen mit tetanisierender Reizung war das Herz immer mehr oder weniger beschädigt, erschöpft oder hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit in irgendeiner anderen Weise herabgesetzt (Wärme- stillstand, Cyon, Aristow; Vagusreizung, Frank; verhältnismäßig starke Ver- giftung durch Muskarin, Walther, Rhodius und Straub; durch Chloral, Rhode, Schultz, Bornstein; durch Alkohol, Bornstein; durch Veratrin, Busquet und Pachon; durch Chlorkalium, Burridge; schlechter Nutritionszustand, Rihl, Mines). Dementsprechend ist die Kontraktionshöhe beim Herztetanus in der Regel nie größer als die der Einzelzuckung des unter optimalen Bedingungen arbeitenden Froschherzens {Walther1, Schultz2). Eine frische Kammer des Froschherzens zieht sich bei jeder Einzelreizung so stark zusammen, daß die Kammerhöhle verschwindet. Hier kann also über- haupt keine Summationswirkung erscheinen. Zur Erklärung der vorliegenden Erscheinung hat Schultz3 auf die Möglich- keit hingewiesen, daß sich ein Herz, bei welchem Summation und Tetanus er- scheinen können, in einem Zustande befindet, wo einzelne Induktionsschläge verminderte oder partielle Kontraktionen hervorrufen. Bei einem solchen Herzen würde also die Summation eigentlich nur den Ausdruck einer vollständigeren Beteiligung des Herzmuskels darstellen. Es gibt allerdings Erfahrungen aus der Physiologie der Skeletmuskeln und des Herzens (vgl. oben II, S. 38), welche Ana- logien hierzu bilden; direkte Beweise für diese Auffassung von der Ursache des Herztetanus liegen aber, meines Wissens, nicht vor. Übrigens bieten die Summationserscheinungen beim Herzen, wie mehrere Autoren (Walther\ Rhodius und W. Straub5, Schultz«, Bornstein7, Rihl8, Mines9) hervorgehoben haben, eine große Ähnlichkeit mit der unter dem Namen Treppe bekannten, bei einzelnen, nicht zu langsam nacheinander folgenden Reizen auf- tretenden Zunahme der Herzkontraktionen dar. Auch diese erscheint eigent- lich nur bei Herzen, die vor der Reizung nicht sehr kräftig waren; sie tritt be- sonders leicht beim muskarinvergifteten Herzen auf und die einzelnen Kontrak- tionen eines unter Treppenbedingungen stehenden Herzens haben den gleichen zeitlichen Verlauf wie bei einem Herzen, wo der Tetanus leicht erhalten werden kann. 1 Walther, Arch. f. d. ges. Physiol., 78, S. 611. - Schultz, Amer. journ. of physiol., 16, S. 496; 1906. 3 Schultz, ebenda, 16, S. 496. 4 Walther, Arch. f. d. ges. Physiol., 78, S. 623. 5 Rhodius und W. Straub, ebenda, 110, S. 507. 6 Schultz, Amer. journ. of physiol., 16, S. 496. 7 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 368. 8 Rihl, Zeitschr. f. exp. Pathol., 4, S. 263; 1907. 9 Mines, Journ. of physiol., 46, S. 17; 1913. Die künstliche Reizung des Herzens. 59 Man würde sich daher, im Anschluß an die genannten Autoren, das Zu- standekommen des Tetanus etwa in folgender Weise klarlegen können. Wenn der Umfang der einzelnen Herzkontraktionen aus irgendeinem Grunde stark abgenommen hat, und das Herz dann mittelst äquidistanter, in nicht zu seltener Folge nacheinander stattfindender Reize erregt wird, so nimmt die Höhe seiner Kontraktionen von der einen zur anderen immer mehr, bis zu einem Maximum, zu — dies ist die Treppe. Folgen die Reize so schnell nacheinander, daß das Herz sogleich im Beginn der erregbaren Periode gereizt wird, so muß auch in diesem Falle die Höhe der Kontraktionen ununterbrochen zunehmen; es ist aber dem Muskel jetzt nicht mehr möglich, nach einmal erreichtem Maximum der Zusammenziehung während der Diastole bis auf die Abszisse zu erschlaffen, bevor die folgende Zusammenziehung eintrifft, infolgedessen wird sich hier eine Art von Superposition entwickeln müssen, die unter dem Bilde eines in der Regel unvollständigen Tetanus erscheint. Fig. 196. Tetanisierende Reizung der Kammer des Frosch herzens. Nach Walther. Von links nach rechts zu lesen. Als Belege sei auf Fig. 196 verwiesen.1 Bei der ersten tetanisierenden Reizung steigt die Kontraktion des Herzens allmählich auf ein Maximum an und die ganze Kurve ist einem unvollständigen Tetanus sehr ähnlich. Aus der Kurve ist ferner ersichtlich, wie klein die allererste Systole ist. Durch diese Reizung ist die Leistungs- fähigkeit des Herzens indessen in hohem Grade gesteigert worden, so daß bei der zweiten, gleichstarken tetanisierenden Reizung die erste Systole das überhaupt er- reichbare Maximum und der folgende Teil der Kurve nur einen „tonischen Tetanus" darbietet. Als weitere Wahrscheinlichkeitsgründe für diese Auffassung können noch erwähnt werden, daß das isolierte Herz des Hechtes, bei dem die Treppe nicht erhalten werden kann, durch frequente Reizung nie in Tetanus verfällt (Walther-); daß ein mit Chloral vergiftetes Herz nach Entgiftung stärkere Kontraktionen als vorher, aber keinen Tetanus gibt (Schultz3), sowie daß sowohl die Treppe als der Tetanus am atropinvergifteten Herzen nicht erhalten werden können (Bornstein4). Nach einer kurzen Notiz von Muenich5 hat indessen 0. Frank an durchbluteten Herzen eine Superposition erzielt, ohne daß die Erscheinung der Treppe dabei beobachtet wurde. 1 Walther, Arch. f. d. ges. Physiol., 78, Taf. 25, Fig. 20. - Walther, ebenda, 78, S. 626. 3 Schultz, Amer. journ. of physiol., 16, S. 496. 4 Bornstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 349, 355. — Dem gegenüber gibt Queen (Zeitschr. f. Biol., 62, S. 42; 1913) an, daß er beim atropinvergifteten Herzen von Raja clavata die Treppe beobachtet hat. 5 Muenich, Inaug.-Diss. Gießen 1909, S. 12. 60 Die Innervation des Herzens. § 48. Das Herzflimmern.1) a) Die Erscheinungen beim Flimmern. Durch jede im Verhältnis zur Erregbarkeit des Herzens zu starke Reizung kann die normale Koordination der einzelnen Herzmuskelfasern tief gestört werden und die betreffende Herzabteilung führt nun wogende, fibrilläre Zuckungen aus, welche kein Blut aus dem Herzen heraustreiben können.2 Diese Kontraktionsform, welche im vorhergehenden schon mehrfach er- wähnt wurde, kann durch jede Art von Reizung, wie auch durch Störungen der Blutzufuhr zu dem Herzen hervorgerufen werden. Da sie aber besonders leicht durch die Reizung mit Induktionsströmen ausgelöst wird, und das Studium derselben sich vor allem auf das durch Induktionsströme zustande gebrachte Flimmern bezieht, ist es angezeigt, dasselbe in diesem Zusammenhange etwas näher zu erörtern. Ludwig und Hoffa3, welche zuerst das Herzflimmern eingehender berück- sichtigten, heben als das für dasselbe Charakteristischste hervor, daß ,,die ein- zelnen anatomischen Elemente sich aus ihren Beziehungen zueinander lösen und die Gleichzeitigkeit ihrer Kontraktion aufgeben". Da also das eine Muskel- element erschlafft, während das andere sich kontrahiert, bleibt die Kammer- wand trotz der wildesten Bewegung weich wie in der Diastole, das Herz treibt kein Blut mehr heraus und in den Arterien sinkt der Blutdruck ganz wie beim vollständigen Herzstillstande sehr tief herab. Die Bewegungen der flimmernden Kammern verlaufen entweder vertikal von oben nach unten oder horizontal von der einen Seite zur anderen. Jene sind anfangs klein, unregelmäßig und schnell; nach einigen Sekunden werden sie langsamer, regel- mäßiger und größer; ihre Anzahl ist nicht größer als die Zahl der Herzschläge bei starker Beschleunigung. Die horizontalen Bewegungen sind anfangs klein, sehr schnell und nach den einzelnen Faserbündeln lokalisiert — ihre Frequenz ist wesentlich größer als die Herzschläge bei starker Beschleunigung. Nach Battelli*, welcher diese Ver- schiedenheit der Bewegungen beschrieben hat, sind die horizontalen von größerer Be- deutung und kommen besonders bei solchen Herzen vor, die dem Flimmern leichter erliegen (Hund, Meerschweinchen). Beim Kaninchen gehen die flimmernden Bewegungen bald in peristaltische über. Das Herzflimmern ist bei allen darauf untersuchten Warmblütern — Affen5, Hunden, Katzen, Kaninchen, Ratten, Igeln, Hühnern, Tauben — nachgewiesen worden6 und kommt nicht allein bei den Kammern, sondern, wie Vulpian7 zuerst erkannte, auch bei den Vorhöfen vor. 1 Vgl. Haberlandt, Das Herzflimmern. Jena 1914. 2 Am Herzen der warmblütigen Tiere wies Fredericq (Arch. int. de physiol., 3, S. 170; 1906; — Zentralbl. f. Physiol., 27, Erg.-Heft, S. 283; 1914) mit der Lupe eine besondere Form von Fibrillation der kleinsten myokardischen Elemente nach. Diese Mikrofibrillation kann allein für sich vorkommen oder sich auf das 'allgemeine Herzflimmern, welches von derselben immer begleitet ist, superponieren. Bei neugeborenen, sowie bei den kaltblütigen Tieren wird sie vermißt. Vgl. auch Delava, Arch. int. de physiol., 15, S. 99; 1918. 3 Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 128; 1849. 4 Battelli, Journ. de physiol., 1900, S. 425. 6 Kronecker, Zeitschr. f. Biol., 34, S. 550; 1897. 6 Vgl. Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 296; 1887. 7 Vulpian, Arch. de physiol., 1874; S. 976. — Vgl. Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 117, S. 229; 1907. Die. künstliche Reizung des Herzens. 61 Das Flimmern der Vorhöfe des Hundeherzens besteht nach Robinson1 aus sehr schnellen, koordinierten Bewegungen (Tachykardie) und einem feinschlägigen Flimmern. Dem wird indessen von Rothberger und Winterberg2 auf Grund des Verhaltens der elektrischen Schwankungen widersprochen, denn diese zeigen, daß vom Beginn bis zum Erlöschen des Flimmerns ein einziger, qualitativ gleich- bleibender und nur quantitativ allmählich abklingender Vorgang abläuft. Die Frequenz der einzelnen Kontraktionen der Muskulatur kann dabei anfangs auf 3000 und mehr in der Minute ansteigen, um im weiteren Verlauf des Flimmerns allmählich wieder abzunehmen.3 Es wurde von Fonrobert* behauptet, daß bei der Spitze des Kaninchen- und Taubenherzens weder durch galvanische Durchströmung, noch durch tetanisierende Induktionsströme der Zustand echten Flimmerns hervorgerufen werden könnte. Bei sehr starken Strömen trat indessen anfangs eine so hohe Pulsfrequenz unter gleichzeitiger Ausbildung eines tetanoiden Zustandes auf, daß man zuweilen in Zweifel darüber sein konnte, ob der Muskel nicht wirklich wogte. Jedoch ging dieser Zustand bei weiterer Fortdauer der Durchströmung stets in rhythmisches Pulsieren über. Indessen hatte schon vorher Mac William5 mit aller Bestimmtheit an- gegeben, daß das Flimmern bei allen von ihm untersuchten Säugetieren auch bei der abgeschnittenen Herzspitze in typischer Form erscheint. Dasselbe fand Porter6 bei der Spitze des Hundeherzens. Nach Langendorff7 ist es indessen bei der Herzspitze schwerer als bei dem ganzen Herzen oder den basalen Teilen der Herzkammern das Flimmern herbei- zuführen, und er bestätigt Fonroberts Angabe, daß das Flimmern hier trotz fortdauernder Reizung nur kurze Zeit andauert, wie daß es niemals gelingt, länger das Wogen zu sehen als die Reizung dauert. Zu entsprechenden Resultaten ist auch Haberlandts gekommen, indem er nachgewiesen hat, daß beim unversehrten Kreislauf die Kammerbasis die Prä- dilektionsstelle für die Auslösung des überdauernden Herzkammerflimmerns durch faradische Reizung darstellt. Dagegen gibt das Herz des Säugetierembryos wie des Küchleins kein wirk- liches Flimmern (Mac William9). Ferner bemerkt Langendorf fin, daß eine unipolare Induktionsreizung der äußeren Herzoberfläche nie Flimmern erzeugte, an welcher Stelle derselben sie auch angebracht wurde. Statt dessen erschien dabei nur eine mehr oder minder ausgesprochene, bald vorübergehende Arythmie. Auch waren, wie Mac William11 früher nachgewiesen hatte, einzelne Induktionsschläge nie imstande, etwas anderes als eine Extrakontraktion aus zulösen. 1 Robinson, Journ. of exp. med., 17, S. 429; 1913. 2 Rothberger und Winterberg, Aren. f. d. ges. Physiol., 160, S. 67; 1915. 3 Rothberger und Winterberg, ebenda, 160, S. 79; — Wiener med. Wochenschr., 1914, S.651. 4 Fonrobert, Inaug.-Diss. Rostock 1891, S. 31. 6 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 300; 1887. 6 Porter, Amer. journ. of physiol., 1, S. 78; 1898. 7 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 70, S. 283; 1898. 8 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 327; 1916. 9 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 302. 10 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 70, S. 285. 11 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 305; 1887. 52 Die Innervation des Herzens. Obgleich Ludwig und Hoffa1 bemerkt hatten, daß am Fisch- und Frosch- herzen die Erscheinungen des Flimmerns sich auf das vortrefflichste zeigen, stellte man sich eine Zeitlang ziemlich allgemein vor, daß das Froschherz nicht durch elektrische Reizung zum Flimmern gebracht werden konnte, indem dort selbst bei der stärksten Reizung (mit dem konstanten Strom) entweder eine einfache Zuckung oder die oben beschriebene tonische Zusammenziehung er- scheinen würde, oder es entstanden peristaltische Wellen, welche in der Richtung des Stromes abliefen. Die Sukzession dieser Wellen war oft so regelmäßig, daß das Herz schwache, zierliche Pulsationen aufzuzeichnen schien (Neumann2). Die Beobachtung Langendorffs, daß das Wogen des künstlich gespeisten Katzenherzens bei starker Abkühlung in eine Art von Peristaltik überging, die an das elektrisch durchströmte Froschherz erinnerte3, veranlaßte Bätke* zu untersuchen, ob nicht andererseits das Kaltbluterherz durch Erwärmung zu wirk- lichem Flimmern gebracht werden könnte. In der Tat gelang es ihm, an er* wärmten Fröschen bereits bei einer Temperatur von 30° C oder etwas darüber durch tetanisierende als auch durch Kettenströme wogende Bewegungen her- vorzurufen, die sich in ihrem Auftreten von denen des Säugetierherzens nicht unterschieden. Nach Aufhören der Reizung dauerte das Flimmern nicht an, sondern es trat ein kurzer Herzstillstand ein, dem sofort regelmäßige Pulsationen folgten. Dasselbe Ergebnis bekam Bätke auch an der erwärmten Spitze des Frosch- herzens. Bei der Sumpfschildkröte konnte er selbst bei gewöhnlicher Zimmer- temperatur durch tetanisierende Reizung ein Flimmern auslösen, das die Rei- zung um etwa 1 Minute überdauerte. Wenn die Reizung im ersten Augenblick der erregbaren Periode stattfindet, kann die Kammer des seit einer gewissen Zeit (mindestens 15 Minuten) ent- bluteten und genügend geschwächten Froschherzens sogar durch einen einzelnen Induktionsschlag zu länger oder kürzer dauerndem Flimmern gebracht werden (de Boer5). Bei Reizung des Herzens von Anodonta fluviatilis mit schwachen Induk- tionsströmen trat eine sehr bedeutende Beschleunigung auf. Etwas stärkere Ströme gaben den Kontraktionen einen bestimmt wogenden Charakter, während die Kammer in toto einen leichtsystolischen Zustand zeigte. Bei noch weiter verstärkter Reizung erschien ein Tonus der Kammer, aus welchem sich das Herz nur langsam, bisweilen erst nach einigen Stunden erholte (Gewin6). Wenn die eine Kammer ins Flimmern gebracht wird, so geht dies auch auf die andere Kammer über. Desgleichen pflanzt sich das Flimmern von dem einen Vorhof zum anderen fort (Fredericq7). 1 Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 129; 1849. ■ Neumann, Arch. f. d. ges. Physiol., 39, S. 407; 1886. — Vgl. auch Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 302. 3 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 395; 1897. 4 Bätke, ebenda, 71, S. 414; 1898; — vgl. auch Gewin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 248. 5 de Boer, Arch. f. d. ges. Physiol., 178, S. 1 ; 1920; — Akad. van wetenschappen te Am- sterdam, proc, 23, S. 319, 533; 1921. 6 Gewin, a. a. O., 1906, Suppl., S. 254. 7 Fredericq, Travaux du laborat., 2, S. 35; 1887. Die künstliche Reizung des Herzens. 63 Das Flimmern der Vorhöfe kann auf die Kammern übergehen. Es wäre möglich, daß hier nur die Wirkung von Stromschleifen vorliegt und es ist sehr wahrscheinlich, daß dies in vielen Fällen tatsächlich der Fall ist. Es trifft aber auch zu, daß das Flimmern der Kammern erst nach Ende der Reizung der weiter flimmernden Vorhöfe beginnt (Winterberg; Katzenherzen1). Es kommt auch vor, daß die Kammern trotz dem Vorhofflimmern mit ihren rhythmischen Pulsationen fortfahren. Diese sind dabei stark beschleunigt und unregelmäßig. Als Ursache dieser Erscheinung heben Rothberger und Winterberg2 den Umstand hervor, daß die Leitungsreize zu schwach, aber gleichzeitig zu zahlreich sind und daher zu verschiedenen Überleitungs- störungen führen, während Fredericq3 bemerkt, daß in diesem Falle die Kammer- kontraktionen zum Teil durch die automatische Fähigkeit der Kammern selbst, zum Teil durch eine von den Vorhöfen aus auf sie fortgepflanzte Reizung aus- gelöst werden (Rhytme affole, Fredericq). Ein Beweis für diese letztere Auf- fassung liegt darin, daß die Kammern nach Durchschneidung des Übergangs- bündels bei flimmernden Vorhöfen vollkommen regelmäßig pulsieren.4 Seinerseits deutet Lewis5 die Tatsache, daß das Flimmern oft auf die Vor- höfe beschränkt bleibt, als Folge davon, daß das Übergangsbündel zu dünn ist, um die schnellen Kontraktionen fortzupflanzen, und findet einen Beweis dafür in der Erfahrung, daß das Flimmern des Herzohres nicht auf den Vorhof über- geht, wenn dieser nur durch eine sehr enge Muskelbrücke mit jenem zusammenhängt. Nach Philips* hat das Flimmern der Kammern beim Hunde höchstens eine geringe Beschleunigung der Vorhöfe zur Folge. Dagegen gibt Winterberg7 an, daß beim Katzenherzen das Flimmern in der Regel von den Kammern auf die Vorhöfe übergehen kann, obgleich die von der flimmernden Kammer aus- gehenden Wellen nicht immer oder doch nicht frühzeitig genug bis zu dem phy- siologischen Entstehungsorte der Herzreize gelangen. ■ — Auch Hoven8 findet, daß beim Hundeherzen das Flimmern zuweilen von den Kammern auf die Vor- höfe übergehen kann. Bei verschiedenen Tieren ist die. Gefahr des Herzflimmerns sehr verschieden, indem bei einigen normale Pulsationen in der Regel ohne irgendwelche besondere Maßnahmen wieder auftreten, während bei anderen das Flimmern fast unbedingt zum Tode führt, wenn nicht äußere Hilfe dazwischen kommt. Nach Prevost9 ist unter allen von ihm untersuchten Herzen das Hunde- herz das empfindlichste. Wenn das Flimmern hier einmal erschienen ist, bleibt 1 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 117, S. 230; 1907. - Rothberger und Winterberg, ebenda, 160, S. 68; 1914. 3 Fredericq, Arch. intern, de physiol., 2, S. 282; 1905. — Vgl. auch Philips, ebenda, 2, S. 272; — Hoven, ebenda, 8, S. 118; 1909. 4 Über entsprechende Beobachtungen aus der menschlichen Pathologie vgl. Jolly, Heart, 2, S. 193; 1911. 5 Lewis, Heart, 4, S. 273; 1913. ,J Philips, Arch. intern, de physiol., 2, S. 279; 1905. 7 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 503; 1909. 8 Hoven, Arch. intern, de physiol., 8, S. 117. 9 Prevost, Revue med. de la Suisse romande 1898; — Trav. du laborat., 1, S. 58; 1900. 64 Die Innervation des Herzens. es bis zum Tode bestehen, kann indessen in vielen Fällen durch zweckmäßige Behandlung aufgehoben werden (vgl. unten S. 66). Eine Ausnahme bilden junge Hunde im Alter bis zu einem Monat, ja einem Jahre, deren Herzen sich spontan erholen können (Mac William1, Heinricius2, Gley3, Prevost*). In seltenen Ausnahmefällen ist auch bei älteren Hunden eine spontane Erholung beobachtet worden (Mac William1). Weniger empfindlich war das Katzenherz, das nach Schluß der Reizung nicht selten ohne weiteres seine normalen Pulsationen wieder aufnahm.5 Auch ältere Meerschweinchen erholten sich in der Regel nicht nach dem Flimmern; bei jüngeren Meerschweinchen war dagegen die Erholung, wie es scheint, eine ganz konstante Erscheinung. Das Affen- (Macacus; Kronecker6), Kaninchen- und Rattenherz7 fangen nach Schluß der Reizung fast augenblicklich an, wieder normal zu pulsieren, ja, beim letzteren treten normale Herzschläge schon während einer etwas länger dauernden Reizung auf. An Tauben findet nach einmal eingetretenem Herzflimmern im allgemeinen keine spontane Erholung mehr statt (Prevost). Dagegen gibt Mac William an, daß er bei Vögeln sehr oft eine Wiederherstellung der normalen Herztätigkeit beobachtet hat.8 Bei Flimmern durch Wechselströme von 10 bis 120 Volt Stärke stirbt das Herz des Hundes immer, das des Meerschweinchens fast immer, das Kaninchen- herz fast nimmer und das Rattenherz nimmer (Prevost und Battelli9). Auch am Menschenherzen hat man Versuche mit Induktionsströmen ge- macht, aus denen hervorzugehen scheint, daß dasselbe für diese nicht be- besonders stark empfindlich ist.10 Die physiologischen Erfahrungen über die Einwirkung der Induktions- ströme auf das Herz sprechen indessen stark gegen ihre Anwendung am Menschen, und sie dürfen daher nur als ultimum refugium in verzweifelten Fällen in Be- tracht kommen. Über die Einwirkung der Herznerven auf das Flimmern vgl. § 84. b) Erholung des Herzens nach dem Flimmern. Beim Aufhören des Flimmerns steht das Herz, wie schon Ludwig und Hoffa bemerkten11, einen Augenblick still, ehe die koordinierten Pulsationen wieder erscheinen. Die Dauer dieser Pause ist von der Dauer und Stärke der Reizung 1 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 299; 1887. 2 Heinricius, Zeitschr. f. Biol., 26, S. 195; 1889. 3 Gley, Compt. rend. de la Soc. de biol., 1890, S. 412; — 1892, S. 684. 4 Siehe Fußnote 9 auf Seite 63. 5 Kronecker, zit. bei Prevost. 8 Kronecker, Zeitschr. f. Biol., 34, S. 550; 1897. 7 Haberlandt, ebenda, 66, S. 327; 1916. 8 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 299. 9 Prevost und Battelli, Journ. de physiol., 1899, S. 399. 10 Vgl. v. Ziemssen, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 30, S. 292; 1882; — Aptekmann, ebenda, 45, S. 160; 1889; — Dixon Mann, Medical chronicle, 2, S. 1 ; 1885; — Herbst, Arch. f. exp. Pathol., 18, S. 430; 1884; — Mac William, Brit. med. journ., 1889 (1), S. 348. 11 Ludwig und Hoffa. Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 129; 1849. Die künstliche Reizung des Herzens. 65 im großen und ganzen unabhängig (Gewin1, Turretini'2, Winterberg3) und steht also in keiner Proportion zu der eventuellen Ermüdung des Herzens. Dagegen hat sie eine gewisse Beziehung zu der Dauer des Herzschlages vor der Reizung, indem sie sich unter sonst gleichen Umständen parallel damit verändert (Ge- win*, Winterberg5). Wenn der Vagus nicht (durch Atropin) ausgeschaltet ist, kann bisweilen unter der Einwirkung eines starken Reizes eine erhebliche Verlängerung der Pause erscheinen (Winterberg*); diese ist aber gerade durch eine Vaguserregung bedingt, wie daraus hervorgeht, daß diese Verlängerung am atropinvergifteten Herzen ausbleibt, während eine Pause von normaler Dauer immer noch da ist (Gewin7, Winterberg6). Obgleich die Pause, wie Ludwig und Hoffa bemerkten, mit dem durch Vagusreizung bewirkten Stillstand manche Analogien zeigt8, kann sie also nicht auf eine Vagusreizung bezogen werden. Von der nach dem Flimmern normal auftretenden, nur kurze Zeit dauernden Pause ist der zuweilen sehr lange dauernde Stillstand zu unterscheiden, welcher nach Reizung des Herzens mit starken Strömen (30 bis 110 Volt) erscheint (Turre- tini9). Dieser Stillstand stellt aller Wahrscheinlichkeit nach eine temporäre Läh- mung des Herzmuskels dar und hat also mit der hier studierten Pause nichts zu tun (Winterberg10). Während derselben kann die elektrische Reizung kein Flimmern mehr hervorrufen. Nach Geuwi11 würde die Erregbarkeit des Herzens während der Pause herab- gesetzt sein.- Dem gegenüber hat Winterberg indessen bemerkt, daß die Pause beim Vorhofe im allgemeinen kürzer ist als die Dauer einer Systole12, und führt weiter aus, daß die Pause beim Vorhofe (der Katze) in vielen Fällen, wie schon Fonrobertlz als eine Möglichkeit hervorhob (Frosch), ihrer Dauer nach mit der der kompensatorischen Pause übereinstimmt, indem die Summe der letzten Vorhofsystole vor der Reizung plus der Zeitdauer des Flimmerns plus der Dauer der Pause in einer nicht geringen Anzahl von Fällen ein ganzes Vielfaches der normalen Periodendauer ausmacht. In anderen Fällen war diese Summe kleiner oder größer, und eine bestimmte Regelmäßigkeit in dieser Hinsicht trat nicht zum Vorschein. Winterberg deutet dies variierende Verhalten unter der An- nahme, daß die Erhaltung der normalen Pulsperiode dann stattfindet, wenn keine antiperistaltischen Wellen von dem Vorhof nach den Ursprungsstellen der Herzreize gehen und diese also ihre Reize im normalen Rhythmus den di- staleren Herzabschnitten entsenden.14 1 Gewin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 271. 2 Turretini, Travaux du laboratoire de physiol. de Geneve, 8. S. 183; 1909. 3 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 477; 1909. 4 Gewin, a. a. 0., 1906, Suppl., S. 272. 5 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 477; 1909. 6 Winterberg, ebenda, 128, S. 479; 1909. • Gewin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 270. 8 Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 130; 1849. 9 Turretini, Travaux du laborat. de physiol. de Geneve, 8, S. 183; 1909. 10 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 515. 11 Gewin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 274. 12 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 480; 1909. 13 Fonrobert, Inaug.-Diss. Rostock 1895, S. 24. 14 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 482— 495; 1909. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 5 66 Die Innervation des Herzens. Bei den Herzkammern (der Katze) zeigen sich im allgemeinen größere Schwankungen der Pausendauer als bei den Vorhöfen und nur ausnahms- weise, wenn keine antiperlstaltischen Kontraktionen auf die Vorhöfe über- gehen und mit der normalen Auslösung der Herzreize interferieren, wird die normale Pulsperiode beibehalten. Auch kommt es vor, daß sie nach lang- dauerndem Flimmern selbst nach Atropinisierung wesentlich verlängert ist. Letzteres würde sich durch die während des Flimmerns unterbrochene Zirku- lation in den Kranzarterien erklären und also eine Ernährungsstörung darstellen (Winterberg1). Die Amplitude der nach der Pause folgenden Systole und häufig auch der ihr zunächst folgenden Kontraktionen ist im allgemeinen vergrößert (Winter berg2). Bei einem nach länger dauernder, wiederholter Reizung oder aus irgend- einem anderen Grunde (Anämie usw.) flimmernden Kaninchenherzen gelingt es häufig, durch rhythmische Massage der Herzwand normale Pulsationen wieder hervorzurufen. Die Wirkung der Massage wird durch örtliche, tetanisierende Reizung des „Venensinus" wesentlich unterstützt, und wenn jene an und für sich ohne Er- folg geblieben ist, kann sie im Verein mit der elektrischen Reizung das Herz wieder leistungsfähig machen und die Zirkulation wieder in Gang bringen (Er- langer3). Porter* fand, daß, wenn das flimmernde Hundeherz zuerst auf etwa 22° abgekühlt und dann mit defibriniertem Hundeblut gespeist wurde, dasselbe zu vollkommen regelmäßigen Pulsationen gebracht werden konnte. Ferner ist, wie schon oben erwähnt (I, S.319), die künstliche Zirkulation durch das Herz ein vorzügliches Mittel, um ein flimmerndes Herz zu restaurieren.5 Dabei scheint es, daß die Wiederherstellung der koordinierten Pulsationen bei Anwendung verdünnten oder fremden Blutes oder einer Salzlösung (Ringer- Lockes-Lösung) leichter erfolgt, als bei Zufuhr von normalem Blut der betref- fenden Tierart (Busch6). Auch gewisse Gifte vermögen das Flimmern des Hundeherzens zu verhindern oder aufzuheben. Kaliumsalze, welche bei intravenöser Injektion das Säuge- tierherz zum Flimmern bringen (Aubert und Dehn7), verhindern, wenn sie auf das freigelegte Herz gepinselt werden, das Auftreten des Flimmerns (Langen- dorff8). Desgleichen vermag die intravenöse Injektion von Bromkonizin in vielen Fällen das Flimmern des Hundeherzens aufzuheben (Prevost9). Dasselbe gilt vom Kampfer (Gottlieb10, Turretini, Meerschweinchen11). Durch Injektion von 1 Winterberg, Aren. f. d. ges. Physiol., 128, S. 497. 2 Winterberg, ebenda, 117, S. 232; 1907; — 128, S. 513. 3 Erlanger, Journ. of exp. med., 16, S. 452; 1912. 4 Porter, Amer. journ. of physiol., 1, S. 81 ; 1898. — Vgl. auch Porter, ebenda, 2, S. 129; 1899; — Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 395; 1897. 5 Porter, Amer. journ. of physiol., 1, S. 78. 6 Busch, Arch. intern, d. physiol., 2, S. 236; 1905. 7 Aubert und Dehn, Arch. f. d. ges. Physiol., 9, S. 122; 1874. 8 Langendorff, ebenda, 70, S. 287; 1898. 9 Prevost, Travaux du laboratoire, 1, S. 64; 1900. 10 Gottlieb, Zeitschr. f. exp. Pathol., 3, S. 588; 1906. 11 Turretini, Travaux du laborat. de physiol. de Geneve, 8, S. 165; 1909. Die künstliche Reizung des Herzens. 67 Chloralhydrat vor der Tetanisierung gelang es in einem Fall Barbera1, das Hunde- herz zu retten, so daß es sogleich nach Ende der Reizung wieder normal schlug. Sehr bemerkenswert sind die Ergebnisse bei Reizung des flimmernden Herzens mit starken Strömen: während schwächere Ströme das Herz zum Flim- mern bringen, vermögen Wechselströme von etwa 1200 bis 4800 Volt, durch den Körper geleitet, bzw. von 240 Volt dem Herzen direkt zugeführt, sowie Kon- densatorentladungen von zweckmäßiger Stärke die regelmäßigen Pulsationen des Hundeherzens wiederherzustellen (Prevost und Battelli2). Wenn diese Ströme, weil zu spät angebracht, nicht vermögen, das Herz zu restituieren, so werden ihre günstigen Wirkungen durch vorhergehende Massage wesentlich unter- stützt (Prevost und Battelli3). Induktionsströme, welche an Stellen des Herzens appliziert werden, die einem stärkeren Strom vorher ausgesetzt waren, rufen nunmehr kein Flimmern hervor, während angrenzende Stellen in gewöhnlicher Weise auf die Reizung reagieren (Prevost und Battelli*). In derselben Weise dem Herzen zugeführte Wechselströme von 240 Volt bringen das Herz in diastolischen Stillstand; wenn der Stromschluß nicht zu lange dauert, stellen sich nach Öffnen des Stromes die normalen Kontraktionen sogleich wieder ein (Battelli5). Nach Jellinek6 kann man das durch Chloroform oder Starkstrom (85 Volt) zum Stillstand gebrachte Herz durch denselben tödlichen Starkstrom wieder beleben, und zwar gelingt dies ohne künstliche Atmung und ohne Massage des Herzens. In manchen Fällen war indessen keine regelmäßige Herztätigkeit mehr zu erzielen, sondern es trat nur ein Wogen und Flimmern der Herzmuskulatur auf. Hundeherzen, welche nach dem Tode durch Äther oder Erstickung seit 15 bis 40 Minuten keine außen sichtbaren Pulsationen mehr machen, können durch Reizung ihrer äußeren oder inneren Oberfläche mit Kondensatorent- ladungen vollständig leistungsfähig werden, besonders wenn gleichzeitig die künstliche Atmung unterhalten wird (Floresco7). Ebenso konnten 5. A. Matthews und Jackson8 durch etwa 2 Minuten lange dauernde elektrische Reizung mit Induktionsströmen Hundeherzen wieder be- leben, die infolge von Vergiftung mit Magnesiumsulfat still standen. Über die sonstigen Einwirkungen von starken elektrischen Strömen auf das Herz und den Körper überhaupt, vgl. die unten zitierte Literatur.9 1 Barbera, Zeitschr. f. Biol., 36, S. 265; 1898. 2 Prevost und Battelli, Journ. de physiol., 1899, S. 432; — 1900, S. 42; -- Battelli, ebenda, 1900, S. 453. 3 Prevost und Battelli, ebenda, 1900, S. 45. 4 Prevost und Battelli, ebenda, 1900, S. 47. 5 Battelli, Compt. rend. de la Soc. de biol., 55, S. 343; 1903. 6 Jellinek, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 115 (3), S. 221 ; 1906. ' Floresco, Journ.de physiol., 1905, S. 799. 8 S.A. Matthews und Jackson, Amer. journ. of physiol., 19, S. 9; 1907. '•' Prevost und Battelli, Journ. de physiol., 1899, S. 399 (Wechselströme von einer Spannung bis zu 120 Volt);— 1899, S. 427 (Wechselströme von Spannung 1200 bis 4800 Volt); — 1899, S. 689 (Gleichstrom); — 1899, S. 1085, 1114 (Kondensatorentladung); — 1900, S. 40 (Konden- satorentladung); — 1900, S. 755 (Wechselströme); — Battelli, Travaux du laborat. de physiol. de Geneve, 1, S. 215; 1900 (Mensch); — Prevost und Battelli, ebenda, 3, S. 1 ; 1903 (Einfluß der Nahrung); — Battelli, ebenda, 3, S.44; — Journ. de physiol., 1902, S. 12 (Induktionsströme); — Jellinek, Elektropathologie. Stuttgart 1903; — Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.- naturw. KL, 115 (3), S. 211; 1906; — Wiener klin. Wochenschr., 1913, Nr. 44 (Gleichstrom). 68 Die Innervation des Herzens. c) Zur Theorie des Flimmerns. Das Charakteristische für das Flimmern, gleichgültig in welcher Weise es erzeugt wird, ist die Aufhebung der normalen Zusammenwirkung der Muskel- fasern in der betreffenden Herzabteilung. Zur Erklärung derselben stellten Kronecker und Schmey1 sich vor, daß ein an der unteren Grenze des oberen Drittels der Kammerscheidewand liegendes koordinatorisches Herzzentrum zerstört worden wäre. Als Beweis dafür führten sie an, daß bei 8 Hunden und nicht selten auch beim Kaninchen ein Nadelstich an dieser Stelle das Herz lähmte und Flimmern hervorrief, wonach das Tier starb, ohne daß die Kammern einen einzigen Schlag getan hatten. Gegen diese Annahme eines scharf lokalisierten Herzzentrums bemerkte Mac William2, daß wenigstens nicht jedes Herzflimmern von dessen Zerstörung bedingt sein kann, denn sowohl er selbst als auch mehrere Autoren vor ihm hatten gefunden, daß die Herzschläge nach einiger Zeit wieder normal werden können, und dann kann ein derartiges Zentrum, wenn es überhaupt existiert, nicht zer- stört sein. Ferner erscheint das Flimmern oft bei Eingriffen, welches dieses tiefliegende Zentrum gar nicht erreichen können, wie z. B. bei mechanischer, thermischer oder elektrischer Reizung der Kammeroberfläche an der Herz- spitze. Auch kann man bei der abgeschnittenen Herzspitze eines warmblütigen Tieres ein ähnliches Flimmern erzeugen, obgleich der Schnitt tief unterhalb des betreffenden Zentrums gelegen ist. Schließlich pflanzt sich das Flimmern durch die in Zickzack zerschnittenen Kammern fort (was indessen auch durch Nervenleitung stattfinden kann) und erscheint nie bei der Reizung der Nerven der Herzkammern. Ferner zeigten Porters in einem anderen Zusammenhang schon erwähnte Unterbindungen der einzelnen Äste der Kranzarterien beim Hunde, daß die ganze Kammerscheidewand vom Kreislauf ausgeschaltet und von Infarkten gefüllt werden kann, ohne daß die von Kronecker und Schmey erwähnten Stö- rungen auftreten.3 In der Folge präzisierte Kronecker, der sein Herzzentrum bis dahin nur als einen Kreuzungspunkt der Innervationswege bezeichnet hatte, seine Auffassung dahin, daß es das Zentrum der Gefäßnerven des Herzens darstellen sollte. Durch deren heftige Erregung würde ein Gefäßkrampf im Herzen entstehen, und die hierdurch erfolgende Anämie würde ihrerseits die Koordination der Herzpulse vernichten.4 Nach Kronecker $>■ Auffassung würde nämlich das Netz feinster Nerven- fäden, welches die Herzmuskelfasern umspinnt, den Charakter vom nervösen Zentralorgan für das Herz haben. Dort werden die auf die Kammer über- tragenen Impulse mit großer Geschwindigkeit allen Teilen des Muskelnetzes zu- geführt, so daß sich dieses ziemlich gleichzeitig zusammenzieht. Ein Teil der Nerven, welche von einem einfachen (Hund) oder mehrfachen (Kaninchen) Gefäßnervenzentrum ausstrahlen, versorgt die Kranzgefäße. Wenn dieses Zentrum stark erregt wird, können die Kranzarterien so stark erregt werden, daß die 1 Kronecker und Schmey, Sitz.-Ber. d. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1884, S. 87. 2 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 298; 1887. 3 Vgl. I, S. 311, sowie Porter, Aren. f. d. ges. Physiol., 55, S. 366; 1894. 4 Kronecker, Zeitschr. f. Biol., 34, S. 558; 1896. Die künstliche Reizung des Herzens. 69 Muskelneurone anämisch gelähmt werden: die Muskelelemente werden frei und geraten in „ungeordnete wilde Bewegung".1 Und zwar brauchte diese Kon- traktion der Kranzarterien nur 1 — 2 Sekunden zu wirken, um das Herz dauernd im Zustande fibrillärer Zuckung zu lähmen.2 Diese Auffassung wird durch die oben erwähnten Einwendungen von Mac William und Porter nicht entkräftet, denn jetzt ist es ja die Erregung dieses Zentrums, nicht dessen Zerstörung, welche die schweren Störungen zur Folge hat, und man könnte ja sogar sagen, daß, wo dasselbe zerstört ist, die Blut- bewegung im Koronarkreislauf erleichtert und damit auch die Ernährung der ,, Muskelneurone" verbessert werden kann. Gegen diese neue Hypothese von Kronecker kann aber bemerkt werden, daß auch das ausgeschnittene Säugetierherz, selbst wenn es in kleine Stücke zerschnitten wird (Langendorf f, Prevost*, Fredericq5), wie auch die gefäßlose Kammer des Froschherzens zum Flimmern gebracht werden können, und hier ist doch keine Rede von irgendwelchen Veränderungen der Zirkulationsverhältnisse beim Herzen. Auch die schon oben (I, S. 317) erwähnte Tatsache, daß der Blut- strom in den Gefäßen des künstlich ernährten flimmernden Herzens gar nicht herabgesetzt, sondern vielleicht sogar erhöht ist, stellt einen direkten Beweis gegen die betreffende Hypothese dar. Gewin sucht nachzuweisen, daß die Ursache des Herzflimmerns in der Stromwärme des Induktionsstromes zu suchen ist und führt weiter aus, eine wie große Übereinstimmung sich zwischen dem Einfluß der Erwärmung eines Herzens und dem, welchen der Induktionsreiz ausübt, vorfindet.6 Dagegen läßt sich jedenfalls einwenden, daß das Flimmern auch unter ganz anderen Umständen als bei elektrischer Reizung bzw. Erwärmung auftritt und dabei indessen in allen Einzelheiten mit dem bei elektrischer Reizung auftretenden Flimmern übereinstimmt. Und übrigens gibt die Hypothese von Gewin keine Erklärung des Hauptproblems, der Störungen in der normalen Koordination der Herzmuskelfasern. Trendelenburg'' hat das Flimmern folgendermaßen zu deuten versucht. Durch das starke Tetanisieren wird die refraktäre Periode der Muskelzellen maximal verkürzt; sie vermögen daher den sehr frequenten Reizen mit sehr frequenten Kontraktionen zu folgen, die einen mehr, die anderen weniger, was um so leichter verständlich ist, als die tiefer gelegenen Elemente sowie die von der Reizstelle an der Oberfläche entfernteren von schwächeren Reizen getroffen werden, als die nahe gelegenen. Überdauert das Flimmern die Reizung, so ist dies vielleicht dadurch bedingt, daß Stromschleifen die venösen Ostien erreichten und von diesen nun dauernd Reize von so hoher Frequenz ausgehen, usw. Schließlich hat Winterberg8 folgende theoretische Deutung des Flimmer- phänomens entwickelt. 1 Kronecker, ebenda, 34, S. 601. 2 Kronecker, ebenda, 34, S. 597; — Barbera, ebenda, 36, S. 261 ; 1898. 3 Langendorff, Arch. f. d. ges. Physiol., 70, S. 295; 1898. 4 Prevost, Trav. du laboratoire de physiol. de Geneve, 1, S. 87; 1900. 6 Fredericq, Arch. intern, de physiol., 2, S. 330; 1905. 6 Gewin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 260. 7 Trendelenburg, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 304. 8 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 117, S. 246; 1907. 70 Die Innervation des Herzens. Das Wogen und Flimmern des Herzens wäre verständlich, wenn man an- nimmt, daß durch einen entsprechenden Reiz zuerst einzelne, dann immer zahl- reichere Herde automatischer Tätigkeit entstehen, bis schließlich die systolische Gesamtkontraktion durch die Entstehung multipler örtlicher Reizstellen irf ge- sonderte Zusammenziehung der einzelnen Muskelbündel aufgelöst wird. Später hat er indessen diese Hypothese wieder verlassen, nachdem er im Verein mit Rothberger1 beobachtet hatte, daß das Flimmern auch bei der Tätig- keit einer einzigen Reizbildungsstelle erscheinen kann, daß die Oszillationen während des Flim.merns oft vollkommen regelmäßig sind, sowie daß bei gleich- zeitiger Reizung des Herzmuskels an vielen Stellen stets eine kräftige Systole und kein Flimmern auftrat, wie ja auch die natürliche Systole der Kammern dadurch zustande kommt, daß ihre Muskulatur gleichzeitig an vielen Punkten gereizt wird (vgl. Kap. XVII). Winterberg und Rothberger schließen sich daher der Erklärung Trendelen- burgs an. Dadurch wird aber das Flimmern aus anderen Ursachen als der elektrischen Reizung nicht erklärt, und bei dieser Theorie ist außerdem das Zustande- kommen der normalen Koordination der Herzmuskelfasern nicht in genügen- dem Grade berücksichtigt. Dasselbe gilt auch von Haberlandts2 Auffassung, daß das Herzflimmern seine Entstehung im atrio-ventrikularen Verbindungssystem findet, denn sie bezeichnet nur den Ort, wo sich der abnorme Vorgang abspielt, sagt aber nichts von diesem an und für sich. Auf Grund seiner oben (II, S. 62) erwähnten Versuche ist de Boer3 zu folgender Deutung des Flimmerns gelangt. Nach der Reizung tritt nur ein Teil der Kammer in Funktion und darauf folgt erst nach einem längeren latenten Stadium ein weiterer Teil und dann wieder ein dritter Teil der Kammer usw. So durchläuft die Erregung die Kammer in Etappen, und wegen der verlängerten Latenzdauer der einzelnen Etappen dauert es lange Zeit, bis die Erregung einmal die Runde durchlaufen hat. Wenn dies aber geschehen ist, ist das refraktäre Stadium im Ausgangspunkt beendet, und dieses Kammergebiet tritt wiederum in Tätigkeit. Dies wiederholt sich, bis die Erregung auf ein Gebiet stößt, das noch refraktär ist, dann nimmt das Flimmern ein Ende. Die einzelnen Kon- traktionen bestehen also beim Wühlen aus partiellen Zusammenziehungen, indem die Erregung den Kammermuskel ruckweise durchläuft. Auch diese Erklärung kann nicht genügen, da sie sich nur auf den von de Boer untersuchten speziellen Fall bezieht und unbedingt voraussetzt, daß das Herz in einem ganz schlechten Zustande sein soll, was aber lange nicht immer beim Auftreten des Flimmerns der Fall ist. Die Erscheinung des Flimmerns harrt also noch auf ihre Erklärung. 1 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 160. S. 79; 1914; — Wiener klin. Wochenschr., 1914, S. 651. 2 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 337; 1916. 3 de Boer, Arch. f. d. ges. Physiol., 178, S. 7; 1920; — Akad. van wetenschappen te Amsterdam, proc, 23, S. 324; 1920. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 71 Sechzehntes Kapitel. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. Wie aus der vorhergehenden Darstellung folgt, vermag nicht allein das ganze Herz, sondern auch seine einzelnen Abteilungen, wenn sie isoliert werden, unter dem Einfluß der verschiedensten Einwirkungen eine mehr oder weniger intensive rhythmische Tätigkeit zu entfalten. Inwiefern diese selbständige rhythmische Tätigkeit der einzelnen Herz- abteilungen auch unter völlig normalen Umständen stattfindet, ist dadurch nicht erwiesen, und wir besitzen vielmehr (vgl. z. B. I, S. 305) Erfahrungen, die so deutlich wie möglich dartun, daß die im lebenden Herzen vorkommenden natürlichen Reize in vielerlei Hinsicht nicht so kräftig wirksam sind, wie die von uns benutzten künstlichen. Wenn es daher gilt, die Ursache der normalen rhythmischen Tätigkeit des Herzens näher kennen zu lernen, müssen wir vor allem berücksichtigen, wie die einzelnen Herzteile auf die normalen Herzreize reagieren. Welcher Art diese Reize sind, darüber können wir zurzeit uns nur sehr un- bestimmt ausdrücken. Wir können nur sagen, daß sie entweder Substanzen sind, welche unter normalen Verhältnissen bei den eigenen Lebensäußerungen des Herzens entstehen oder in anderen Körperteilen gebildet und mit dem Blute dem Herzen zugeführt werden, oder auch Druckschwankungen darstellen, welche normal im Herzen oder Gefäßsystem vorkommen. Ein Herzabschnitt, der durch derartige Einwirkungen erregt wird, hat die Eigenschaft der Automatie. Herzabschnitte, welche durch allerhand künst- liche Reize zu rhythmischer Tätigkeit angeregt werden können, aber nicht bei den natürlichen Reizen ansprechen, besitzen allerdings eine mehr oder weniger ausgebildete rhythmische Fähigkeit, sind aber nicht automatisch erregbar.1 Die folgende Erörterung hat also in erster Linie zu entscheiden, welche Herzabteilungen automatisch erregbar sind. Da aber das Herz sowohl aus Muskelfasern, als aus Nervenzellen und Nerven- fasern besteht, liegt uns noch die weitere Aufgabe vor, wenn möglich, zu ent- scheiden, welches unter diesen Gewebselementen als Träger der automatischen Eigenschaften der betreffenden Herzabteilungen zu erachten ist. Bei der Erörterung dieser Frage werde ich in verschiedenen Abschnitten das embryonale Herz, das Herz der Wirbellosen, das Herz der kaltblütigen Wirbel- tiere und das Herz der warmblütigen Wirbeltiere behandeln. § 49. Das embryonale Herz bei den Wirbeltieren. a) Warmblütige Wirbeltiere. Seit der Beobachtung von Aristoteles2 über den pulsierenden Punkt in dem befruchteten Hühnerei sind die Erscheinungen beim embryonalen Herzen immer wieder studiert worden. 1 Vgl. Langendorff, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, Suppl., S. 44; 2 Aristoteles, Tierkunde. Herausgegeben von Aubert und Wimmer. Leipzig 1868, 1, S. 279; zit. nach Prever. 72 Die Innervation des Herzens. Betreffend das allgemeine Verhalten desselben bemerkt Harvey, daß man, allerdings mit Schwierigkeit, gegen das Ende des dritten Tages, sehr leicht aber am vierten Tage die Kontraktionen des Herzens beobachten kann. Diese sind, wie Aristoteles sagt, ähnlich denjenigen eines Tieres, das sich in einer durch- sichtigen Flüssigkeit bewegt. Von dem betreffenden Punctum sanguineum saliens gehen zwei blutgefüllte Gefäße in einem windungförmigen Verlauf zu dem Circulus purpurissatus und zu der umgebenden Membran. Dabei ent- senden sie zahlreiche Ausläufer, welche alle aus einem Orte entstammen. Hier findet sich der rote, pulsierende Punkt, „quod in pulso suo rhythmum et or- dinem, ex Systole et diastole compositum servat. In diastole quidem, quasi majorem sanguinis quantitatem imbiberet, ampliatum apparet atque emicat; in Systole vero confestim subsidens, tanquam ictu illo convelleretur, et san- guinem dimitteret, delitescit."1 Ferner erwähnt Harvey, daß am Ende des vierten Tages die pulsierende Blase verdoppelt ist, und daß die beiden Abteilungen abwechselnd pulsieren in der Weise, daß bei der Kontraktion der einen die andere vom Blut erweitert wird, und umgekehrt.2 Diese Beobachtung wurde dann von Langley3, Maltre Jean* und Lancisi5 bestätigt. Schon vorher hatte Aldrovandus6 beim Hühnerembryo am vierten Tage zwei pulsierende Punkte beobachtet; er deutete sie indessen als Herz und Leber. In bezug auf die Zeit nach dem Beginn der Bebrütung, wo die Pulsationen beim Herzen des Hühnerembryo anfangen, liegen außer den schon erwähnten unter anderem folgende Angaben vor. Zeit der Autor Erscheinung des Quelle ersten Pulses Haller • 45. Stunde Sur la formation du coeur. Lausanne 1758, S. 61; — Mem. sur la nature sensible et irritable des parts du corps animal, 1. Lausanne 1756, S. 87, 92; zit. nach Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 385. Prevost und Dumas 36.-39. Stunde Frorieps Notizen, 6, 1824, S. 209; zit. nach Pickering, a. a. O., 14, S. 385. v. Baer Gegen Ende des 2. Tages Entwicklungsgeschichte, 1. Königsberg 1828, S. 32. Carpenter 38.— 40. Stunde Zit. nach Preyer, Spez. Physiol. d. Embryo, S. 24. Wernicke 46. Stunde Zur Physiol. d. embryonalen Herzens. Jena 1876, S. 3. Gaz. med. de Paris 1878, 16. Nov.; — 1879, 26. März; Laborde und Laveran 26. Stunde — Lancet 1878 (2), S. 896. Preyer 36. Stunde Spezielle Physiol. des Embryo. Leipzig 1885, S. 23. 1 Harvey, Exercitationes de generatione animalium. London 1651, S. 49, Exercitatio XVI. 8 Harvey, ebenda, S. 53. 3 Langley, Ovi fecundi singulis ab incubatione diebus factae inspectiones. Amsterdam 1674; zit. nach Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 385. 4 Maiire jean, Observations sur la formation du poulet. Paris 1722; zit. nach Pickering. 5 Lancisi, De corde et aneurysmatibus. Rom 1745; zit. nach Pickering. 6 Aldrovandus, Ornithologia, üb. XIV; zit. nach Harvey, De generat. anim., S. 53. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 73 Nach His jun.1 findet sich beim Hühnerembryo die erste Anlage der Herz- ganglien am sechsten Tage der Bebrütung. Zu dieser Zeit hat das Herz bereits seine fertige Gestaltung empfangen; es besteht aus zwei, durch eine Längsfurche auch äußerlich angedeuteten Kammern, der Vorhof besitzt seine Scheidewand usw. Beim Kaninchen beobachtete Bischoff2 am neunten Tage nach der Be- fruchtung, wo auch der Herzkanal auftrat, Herzkontraktionen. Nach diesem Autor war vor dem Ablauf des achten Tages von dem Herzkanal keine Spur vorhanden, am zehnten wurde der erste Kreislauf gebildet. Pflüger3 konnte bei einem menschlichen Embryo, das seiner Größe nach etwa 18 — 20 Tage alt sein möchte, mehrere Stunden nach dessen Abgang bei gewöhnlicher Zimmertemperatur Pulsationen wahrnehmen, die sich in Pausen von 20 — 30 Sekunden wiederholten und, allmählich an Frequenz abnehmend, länger als eine Stunde währten. Der Beginn der Herznervenentwicklung beim menschlichen Embryo fällt ins Ende der vierten oder Anfang der fünften Woche (His4). Die Kontraktion des embryonalen Hühnerherzens besteht aus einer peri- staltischen Welle, die am venösen Ende des Herzens anfängt, sich von dort aus über das ganze Herz ausbreitet und am Ende des Aortenbulbus aufhört. Es kommt nie vor, daß sich die einzelnen Abteilungen des Herzens (Vorhof, Kammer) gleichzeitig kontrahieren sollten. Vielmehr findet sich bei dem Übergang der Kontraktion vom Vorhofe auf die Kammer immer eine kleine Pause (Fano und Badano5), die bei langsam schlagendem Herzen sehr deutlich hervortritt (Picke- ring6). Auch beim Rattenembryo (17 — 21 Tage) stellen die Herzkontraktionen peristaltisch ablaufende Wellen dar (Pickering7). Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Kontraktionswelle beträgt im em- bryonalen Hühnerherzen etwa 11,5 — 3,6 mm in der Sekunde (Fano und Ba- dano8). Je jünger das Embryo ist, um so geringer ist die Erregbarkeit und die Wider- standsfähigkeit des Herzens (Fano9). Daß auch das ganz junge, nach unseren jetzigen Erfahrungen noch nicht ganglienhaltige Herz für mechanische Reize empfindlich ist, wurde schon von Harvey10 beobachtet, welcher erwähnt, daß die Pulsfrequenz desselben durch Berührung vorübergehend beschleunigt wird. Desgleichen wies Harvey nach, daß die Wärme eine sehr starke Einwirkung auf die Schlagfrequenz des embryonalen Herzens ausübt, indem diese bei niedriger Temperatur geringer und bei höherer Temperatur größer ist. 1 His jun., Abh. d. math.-phys. Kl. d. Sachs. Ges. d. Wiss., 18, S. 31; 1891. 2 Bischof}, Entwicklungsgeschichte des Kanincheneies. 1842, S. 120, 122, 132. 3 Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol., 14, S. 628; 1877. 4 His jun., Abhandl. d. math.-phys. Kl. d. sächs. Ges. d. Wiss., 18, S. 36. 5 Fano und Badano, Arch. per le scienze mediche, 14, S. 129; 1890. 6 Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 391 ; 1893. 7 Pickering, ebenda, 20, S. 169; 1896. 8 Fano und Badano, Arch. per le scienze mediche, 14, S. 132. 9 Fano, Lo sperimentale, 55, S. 142; 1885; — Art. Coeur in Richets Dictionnaire de physiol., 4, S. 258; 1900. 10 Harvey, De generatione animalium, S. 52. 74 Die Innervation des Herzens. Die Erfahrungen der neueren Autoren (Schenk1, Cleland2, Wernicke3, Bot- tazzi4) haben dies vollständig bestätigt. Als Beispiel davon sei folgende Versuchs- reihe von Pickering5 hier mitgeteilt; sie bezieht sich auf einem Hühnerembryo von -72 Stunden. Temp. im Brutofen Pulsfrequenz Anmerkungen 0°C in der Minute 34 85 41 91 50 129 Herzschläge schwach wegen vermehrten Tonus 26 115 18 34 Herzschläge schwach; das Herz abnorm erweitert 46 117 29 56 Im Anschluß hieran bemerkt Pickering, daß kleine Temperaturva'riationen von 1 — 2° C während 2 — 3 Stunden keinen Einfluß auf die Pulsfrequenz ausüben. Die ersten beim Hühnerembryo erscheinenden Pulsationen sind im all- gemeinen unregelmäßig, was His* als Folge der leichten Abkühlung jüngerer Embryonen deutete; sie stellten also den Ausdruck der Kälteeinwirkung auf die Herztätigkeit dar. Demgegenüber hob Preyer7 indessen hervor, daß auch bei konstanter Temperatur des Eies sogar am Anfang des dritten Tages die Regel- mäßigkeit nicht so ausgesprochen ist wie später. Daher könnten die Kontrak- tionen arhythmisch sein, auch ohne daß dies von Temperaturveränderungen bedingt werden sollte. Jedenfalls ist die Energie der Kontraktionen bei jungen Embryonen viel geringer als später. Die allerersten Kontraktionen des embryo- nalen Herzens können unmerklich schwach sein, und was man bisher als den ersten Herzschlag bezeichnete, wäre daher nach Preyer schon der tausendste oder wenigstens der hundertste. Die niedrigste Temperatur, welche das embryonale Hühnerherz ertragen kann, ohne zugrunde zu gehen, beträgt nach Schenk8 am ausgeschnittenen Herzen von 3 Tagen 8° C, nach Wernicke9 beim eröffneten Ei 10° C. Nach Preyer10 kann das unversehrte Ei noch etwas tiefer abgekühlt werden, ohne seine Kon- traktilität zu verlieren. ! Die oberste Temperaturgrenze für das embryonale Hühnerherz beträgt nach Schenk (ausgeschnittenes Herz von 3 Tagen) 45°, nach Wernicke und Preyer 49° C. Dabei tritt, nach Pickering11, in einigen Fällen Stillstand in der Systole ein, während das Herz nichtsdestoweniger im Zustand der Diastole stirbt. 1 Schenk, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 56, S. 113; 1867. 2 Cleland, Journ. of anat. and physiol., 11, S. 752; 1877. 3 Wernicke, Zur Physiologie des embryonalen Herzens. Jena 1876, S. 14. 4 Boüazzi, Sullo sviluppo embrionale della funzione motoria negli organi a cellule mus- colari. Florenz 1897, S. 96. 5 Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 394; 1893. 6 His, Unters, über die erste Anlage des Wirbeltierleibes. Leipzig 1868, S. 100. 7 Preyer, Spez. Physiol. des Embryo, S. 26. 8 Schenk, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 56, S. 113; 1867. [•.,, , 9 Wernicke, Zur Physiol. des embr. Herzens, S. 14._ io Preyer, Spez. PhysioL des Embryo, S. 31. 11 Pickering, Journ. of physiol., 14,' S. 395; 1893. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 75 Bei der Reizung mit dem konstanten Strom erzielten Wer nicke1 und Preyer2 am Herzen von Embryonen während der ersten Tage keine Wirkung. Im Gegen- satz dazu fand Pickering3, daß die Frequenz und Stärke der Herzschläge durch den konstanten Strom gesteigert wird, was Preyer2 wie auch Pickering* noch am Säugetierembryo nachwiesen. — Wenn die Kathode des konstanten Stromes an das Kammerende des Herzens angelegt wird, kann noch vor dem Auftreten der Herznerven die Fortpflanzungsrichtung der Erregung umgekehrt werden. Durch einzelne Induktionsschläge erhielt Pickering5 bei Hühnerembryonen von 60 — 120 Stunden eine Extrakontraktion. Dasselbe war auch bei den Em- bryonen von der Ratte, dem Hunde und dem Kaninchen der Fall; bei diesen Tieren bewirkte die während der Systole zugeführte Reizung zuweilen eine Extrakontraktion, andere Male aber nur eine Verstärkung der zu normaler Zeit auftretenden Systole.6 Bei Hühnerembryonen von 11 — 20 Tagen wies Bottazzi" bei Reizung mit einzelnen Induktionsströmen das Vorhandensein der refraktären Periode, der kompensatorischen Pause, der Verstärkung der Postextrasystole und der Treppe nach. Außerdem konnte er an diesem Objekt bei sehr langsamer Frequenz der Herzschläge die später am Herzen von Torpedo von Mines (s. oben II, S. 57) beschriebene Superposition der Extrazuckung bei Reizung im Anfang der erreg- baren Periode beobachten. Die tetanische Reizung mit Induktionsströmen mäßiger Stärke bewirkt beim Hühnerembryo immer eine mehr oder weniger bedeutende Beschleunigung (Wernicke8, Preyer9, Pickering10, Bottazzi11). Bei stärkeren Strömen tritt nach Preyer ein während der Reizungdauer anhaltender systolischer Stillstand oder Herztetanus auf. Pickering bekam dieses Resultat nur bei jüngeren, bis zu etwa 150 Stunden alten Embryonen und deutete den Stillstand als einen vermehrten Tonus bzw. Herzflimmern. Bei älteren Embryonen (150 — 250 Stunden und mehr) erschien bei allmählicher Steigerung der Reizstärke vor dem Flimmern eine wirkliche Hemmung. Bottazzi12 bildet Kurven ab, bei welchen unter dem Einfluß des tetanisierenden Reizes die tonische Kontraktion des Herzens sehr stark ausgebildet ist, und andere, welche aller Wahrscheinlichkeit nach auf ein stattgefundenes Herzflimmern zu beziehen sind. Beim Herzen vom Säugetierembryo bekam Pickering1* je nach dem Alter Flimmern oder Hemmung des Herzens. 1 Wernicke, Zur Physiol. des embryon. Herzens, S. 18. 2 Preyer, Spez. Physiol. d. Embryo, S. 32. 3 Pickering, Journ. of physiol., 20, S. 204; 1896. 4 Pickering, ebenda, 20, S. 216. 5 Pickering, ebenda, 20, S. 210. 6 Pickering, ebenda, 20, S. 215. 7 Bottazzi, a. a. O., S. 120. 8 Wernicke, a. a. O., S. 18. 9 Preyer, a. a. O., S. 32. 10 Pickering, Journ. of physiol., 20, S. 185. 11 Bottazzi, a. a. O., S. 118. 12 Bottazzi, a. a. O., S. 116. 13 Pickering, Journ. of physiol., 20, S. 216. 76 Die Innervation des Herzens. Am Hühnerembryo beobachtete Pickering1 bei wiederholter Reizung mit tetanisierenden Induktionsströmen, daß die Empfindlichkeit des Herzens durch eine vorhergehende Reizung, je nach der Dauer und Stärke derselben, entweder gesteigert oder vermindert werden konnte. So erschien bei einem 75 Stunden alten Embryo das Herzflimmern bei der ersten, 3Minuten dauernden Reizung beim Rollenabstande 16,4 cm, bei der nach einer Ruhepause von 1 Minute stattfindenden zweiten Reizung schon beim Rollenabstande 27,3 cm. Wurde nun eine Ruhezeit von 8 Minuten dem Herzen gewährt, so erschien das Flimmern beim Rollenabstand 16,7 cm. Wenn andererseits eine Reizung, die an und für sich kein Herzflimmern hervor- rief, eine längere Zeit (30 Minuten) hindurch dem Herzen zugeführt, und dann eine Ruhepause von einer Minute eingeschalten wurde, so mußte der zum Hervorbringen von Herzflimmern genügende Strom wesentlich stärker sein als dies vor der Applikation des ersten Stromes der Fall war. Wenn die Kammern des Hühnerembryo von den Vorhöfen abgetrennt werden, so fahren letztere fort zu schlagen, während die Kammern eine Zeit- lang stillstehen (Eckhard2, Fano und Badano3, Pickering*, Bottazzi5). Bei Er- wärmung auf 37 — 40° C bzw. durch künstliche Reizung oder auch spontan nach 5 — 7 Minuten Stillstand können die Kammern wieder tätig werden. Dabei ist, wie aus folgender Tabelle ersichtlich, die Pulsfrequenz der Kammer viel kleiner als die des Vorhofes (Fano und Badano). Pulsfrequenz in einer Minute beim Vorhof bei der Kammer 59 21 30 18 108 50 140 44 118 32 46 8 * 52 39 88 50 Auch kann man durch Abbindung der Kammer die Leitung vom Vorhof partiell unterbrechen, wobei die Kammer nunmehr nur bei jeder zweiten oder dritten Kontraktion des Vorhofes pulsiert (Pickering6). Bei der Abkühlung des Herzens stellt sowohl beim Hühner- als beim Ratten- embryo die Kammer früher als der Vorhof die pulsatorischen Bewegungen ein (Pickering7). Aus diesem allen folgt, daß das venöse Ende des embryonalen Herzens sowohl widerstandsfähiger als das arterielle ist als auch in höherem Grade als dieses die Eigenschaft der Automatie besitzt.8 Bei mechanischer oder elektrischer Reizung des ventrikulären Endes des Herzens fängt die Kontraktion beim Hühnerembryo am Vorhof an und geht von dort auf die Kammer über (Pickering9). 1 Pickering, Journ. of physiol., 20, S. 189. 2 Eckhard, Zeitschr. f. rat. Med., 3. Reihe, 29, S. 72; 1867. 3 Fano und Badano, Arch. per le scienze med., 14, S. 146; 1890. 4 Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 391 ; 1893. 5 Bottazzi, a. a. O., S. 61. 6 Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 391. 7 Pickering, ebenda, 14, S. 391; 1893; — 20, S. 169; 1896. 8 Vgl. Fano, Arch. per le scienze med., 14, S. 148. 9 Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 392. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 77 Betreffend die nächste Ursache der Herzkontraktionen beim Embryo wird angegeben, daß diese erst dann anfangen, wenn die Hämolymphe im Herzen erscheint, und daß also beim leeren Herzen keine Kontraktionen auftreten können. Als Beweis dafür führen Wemicke1 und Preyer2 an, daß beim Herzen von Hühner- embryonen von 3 — 4 Tagen die Kontraktionen nach Aufhören der Blutzufuhr sofort seltener wurden und nach höchstens einigen Minuten aufhörten. Da- gegen gibt indessen Fanoz an, daß das vom Körper isolierte, leere Herz auf jeder Stufe seiner Entwicklung ziemlich lange pulsiert. Aus diesen Erfahrungen folgt also, daß das Herz der warmblütigen Tiere, wie W agner * zuerst hervorhob, rhythmische Pulsationen zu einer Zeit ausführt, wo noch keine Ganglienzellen oder sonstige nervöse Elemente, soviel bis jetzt bekannt, aufgetreten sind. Das Gewebe des embryonalen Herzens besitzt also ohne Beteiligung von Ganglienzellen das Vermögen spontaner rhythmischer Tätigkeit. Daraus dürfen wir indessen nicht ohne weiteres folgern, daß auch beim vollständig entwickelten Herzen die Kontraktionen ohne Beteiligung von Ganglien- zellen zustande kommen, denn zu der Zeit, wo die Pulsationen beim Hühner- embryo beginnen, ist noch keine differenzierte Muskulatur erschienen5, und man könnte sich daher vorstellen, daß gleichzeitig mit der Einwanderung der nervösen Elemente und der Ausbildung der Muskulatur auch die automatische Fähigkeit des embryonalen Herzgewebes auf die nervösen Elemente übertragen werden sollte. Das Verhalten des embryonalen Herzens bei künstlicher Reizung stimmt aufs Allernächste mit dem des vollständig ausgebildeten Herzens überein. Auch nicht daraus lassen sich weitere Ausblicke gewinnen, denn die in dieser Hinsicht wichtigsten Versuche, die von Bottazzi, sind ja am Herzen ausgeführt worden, wo sowohl die Nerven als die muskuläre Substanz des Herzens schon gut aus- gebildet worden waren. b) Kaltblütige Wirbeltiere. In bezug auf die kaltblütigen Wirbeltiere fand His jun.6, daß die Herz- pulsationen schon bei 5 mm langen Embryonen von Scyllium canicula auftreten, während die Herzganglien erst bei Embryonen von 13 mm Länge erscheinen. Marceau7 konstatierte bei dem Frosch und der Blindschleiche den Beginn rhyth- mischer Herzkontraktionen vor Anfang der Querstreifung und St. Paton* wies nach, daß die Herzpulsationen bei Selachiern, speziell bei Scyllium und Pristiurus, früher einsetzen als die Fibrillation im zentralen Nervensystem überhaupt be- ginnt, bzw. der Vagus das Herz erreicht. 1 Wernicke, Zur Physiol. des embr. Herzens, S. 6. 2 Preyer, Spez. Physiol. d. Embryo, S. 27. 3 Fano, Arch. per le scienze mediche, 14, S. 135; 1890. 4 Wagner, Nachr. d. Ges. d. Wiss. in Göttingen, 1850, S. 220. 5 Vgl. Ciarugi, Atti Acad. fisioc. Siena, 3. Reihe, 4, 1887; zit. — Assaky , Compt. rend. de PAcademie des sciences, 97, S. 185; 1883. 6 His jun., Abh. d. math.-phys. Kl. d. sächs. Ges. d. Wiss., 18, S. 15; 1891. 7 Marceau, Ann. des sciences nat. Zoologie, 19, S. 320; 1904; zit. nach v. Tschermak, s. unten. 8 St. Paton, Mitt. aus d. zool. Station zu Neapel, 18, S. 554, 573; 1908. 78 Die Innervation des Herzens. In Übereinstimmung damit hat v. Tscher mak1 bei den Embryonen von Scyilium canicula und Gobbius capito das Auftreten von Pulsationen vor dem Erscheinen von nervösen Elementen in der Herzwand beobachtet. An Embryonen der zuletzt erwähnten Fische wie des Petromyzon fluviatilis hat v. Tschermak2 auch eingehende Studien über die fortschreitende Entwick- lung der Herzleistungen sowie über das Verhalten des embryonalen Herzens bei elektrischer Reizung ausgeführt. Das Herz wurde unter dem Mikroskop beobachtet und dessen Kontraktionen wurden durch elektrische Signalisierung registriert. Bei Gobbius capito3 fangen die Pulsationen bei Embryonen von 2,2 bis 2,4 mm Länge an. Die Herztätigkeit besteht hier aus nicht ganz regulär-rhyth- mischen, wurmförmig-peristaltischen Kontraktionen. Diese Stufe dauert etwa zwei Wochen lang, bis zum Eintritt der Knickung des Herzschlauches, und kann folgenderweise eingeteilt werden. a) Länge der Embryonen 2 — 2,9 mm. Das Herz stellt einen dünnen Schlauch ohne Querstreifung der Wand dar, über den zunächst ohne sichtbare Schnür- furche und ohne lokale Verzögerung peristaltische Kon- traktionswellen ablaufen. Sehr bald bildet sich jedoch als Grenze zwischen Vorhof und Kammer eine zunächst seichte Schnürfurche, an welcher die am Venenende vor dem Vorhof beginnende und über die beiden Herz- abschnitte, besonders aber über den Vorhof deutlich peristaltisch fortschreitende Welle eine gewisse Ver- zögerung erfährt, die am absterbenden Herzen sehr deutlich ist. Nach Auftreten dieser Atrioventrikularfurche be- steht die Pulsation wesentlich in einer tangentialen Ver- schiebung derselben längs der Dotterperipherie und in einer am Vorhof deutlicher wie an der Kammer merk- Fig 197. Herzschlauch des ]jchen peristaltischen Volumen- bzw. Querschnitts- Embryo von Gobbius capito. , r Früheres Stadium. änderung. Nach v. Tschermak. b) Bej Embryonen von 2,5—4,1 mm Länge hat der Herzschlauch beträchtlich an Querdurchmesser ge- wonnen, die Schnürfurche erscheint bedeutend tiefer (Fig. 197), der Vorhof zeigt gegen diese zu eine Anschwellung und wird bald dreikantig. Vom Vorhof trennt sich das Venenende durch eine sehr seichte, sich bei der Herzaktion nicht verschiebende Furche aus. Während bis dahin Herzschlauch und Perikardialspalt dottergelb erschienen, ist am Ende dieser Entwicklungsstufe in der Umgebung des Herzens, und zwar zentral gegen den Dottersackinhalt zu, dann am venösen Herzende und endlich auch am arteriellen Herzende Rötung zu bemerken; an der Herzkammer 1 v. Tschermak, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 118 (3), S. 55, 87; 1909. 2 v. Tschermak, a. a. O., 118, S. 17. 3 v. Tschermak, a. a. O., 118, S. 43. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 79 lassen sich jetzt die ersten Spuren von Querstreifung erkennen. Der Herz- schlauch läßt auch noch den Sinus vom Vorhof unterscheiden. Die folgende Entwicklungsstufe erstreckt sich vom Beginn der Knickung des Herzschlauches bis zum spontanen Ausschlüpfen des Tieres. Sie wird unter anderem dadurch charakterisiert, daß der Herzschlauch rotes Blut führt. Die Herzaktion beginnt nun mit einer Einschnürung der Sinusbasis, dann läuft ein Kontraktionsring rasch über den Sinus und Vorhof hinweg; weiter erfolgt nun nicht mehr die oben erwähnte tangentiale Verschiebung der Atrioventri- kulargrenze längs der Dottersackperipherie, sondern sie schwingt hin und her in radiärer Richtung (vgl. die Pfeile in Fig. 198). Die Volumenveränderungen der Herzabschnitte, besonders des Vorhofes, sind sehr beträchtlich. Am Sinus wie am Vorhof schreitet die Kontraktion noch deutlich peristaltisch fort und die Kammer pendelt etwas um den Conus arteriosus als festen Punkt. Während der hier besprochenen Stadien lassen sich am normal pulsierenden Herzen bei künstlicher Reizung überhaupt keine Extrakontraktionen her- vorrufen. Wenn aber infolge von Erstickung oder Sauer- stoffmangel und Kohlensäureanhäufung usw. die Schlagfolge des Herzens verlangsamt wird und das Herz also nicht mehr ganz normal ist, so zeigt sich das Herz während der Pause erregbar, und zwar verkürzt sich dann die refraktäre Phase im Laufe des Absterbens mehr und mehr. Schon im ersten Stadium der Entwicklung konnte bei einigen Versuchen unter günstigen Ver- suchsbedingungen eine kompensatorische Pause nach- gewiesen werden; in anderen Versuchen war die Pause nach der Extrasystole zu lang oder zu kurz. Nicht selten rief eine einzelne Reizung eine länger oder kürzer dauernde Beschleunigung der Schlagfolge hervor, was von v. Tschermak als Folge einer Sinusreizung aufgefaßt und mit dem Namen Weckung bezeichnet wird. Für das embryonale Herz des Gobbius capito gilt endlich auch das Alles- oder -Nichts-Gesetz.1 Bei Embryonen von Scyllium canicula von 5 bis 9 mm Länge zeigt das Herz noch keine Sonderung in einzelne Abschnitte. Die Kontraktionswelle verläuft einfach peristaltisch von dem venösen nach dem arteriellen Ende. Bei größeren Embryonen schreitet die peristaltische Welle noch anschei- nend ganz gleichmäßig, ziemlich langsam und ohne lokale Verzögerung über den ganzen Schlauch fort. Schon im allerersten Stadium der Herztätigkeit läßt sich beim Scyllium das Vorhandensein einer refraktären Periode nachweisen; in vielen Fällen tritt auch die kompensatorische Pause auf. Die refraktäre Periode umfaßt die Sy- stole, die Erschlaffung und einen erheblichen Teil der Pause. 1 v. Tschermak, a. a. O., 118, S. 52. Fig. 198. Herzschlauch des Em- bryo von Gobbius capito. Späteres Stadium. Nach v. Tschermak. Si, Venensinus; VH, Vorhof; K, Kammer; Ca., Conus arteriosus. 80 Die Innervation des Herzens. Auch das Alles- oder -Nichts-Gesetz ist hier giltig. Ebenso kommt die Er- scheinung der „Weckung" nach einer einzelnen Reizung hier vor.1 Schließlich konnte v. Tschermak auch beim Petromyzon fluviatilis, dessen embryonales Herz sich als eine schwache pulsierende Vorwölbung zwischen dem ersten und dem zweiten Längendrittel an der konkaven Seite des Tieres kenn- zeichnet, die refraktäre Periode, die kompensatorische Pause und die Weckung nachweisen.2 Da also die charakteristischen Merkmale der Bewegung des vollständig ent- wickelten Herzens auch beim embryonalen Herzen vor dem Auftritt der Gan- glienzellen erscheinen, können jene nicht auf die Tätigkeit der Ganglienzellen bezogen werden, sondern müssen als Ausdruck einer Eigenschaft der Herz- muskulatur selbst aufgefaßt werden. Dagegen konnte die kürzere Dauer der refraktären Periode bei dem aus- gebildeten Herzen möglicherweise von den nervösen Elementen herrühren, wie es auch nicht ausgeschlossen ist, daß diese einen nervösen Tonus unterhalten und also die Äußerung der dem Herzmuskel selber eigentümlichen Eigenschaften in charakteristischer Weise und dauernd modifizieren.3 Diese Auffassung scheint indessen nicht ganz überzeugend zu sein, denn das Herzgewebe der Embryos stellt wohl keine völlig differenzierte Muskulatur dar, und die Eigentümlichkeiten des embryonalen Herzens könnten daher gerade darauf bezogen werden. Ferner ist ja die refraktäre Periode nicht allein für das Herz charakteristisch, sondern sie kommt bei vielen anderen Geweben (Skelett- muskel, Nerven, Nervenzellen) vor und stellt daher, obgleich verschieden stark ausgebildet, eine ziemlich allgemeine Erscheinung dar. Die Pause nach der Extrakontraktion variierte in v. Tschermaks Versuchen in hohem Grade, so daß auch aus deren Verhalten nichts Bestimmtes gefolgert werden kann. Schließ- lich läßt sich das Alles- oder -Nichts-Gesetz wohl kaum bestimmt an einem win- zigen pulsierenden Punkte ohne graphische Registrierung nachweisen. Alles in allem scheint mir auch nicht die Untersuchung von Tschermak den entscheidenden Beweis dafür erbracht zu haben, daß die Vorgänge beim embryonalen Herzen bei den ersten Stufen der Entwicklung prinzipiell derselben Art sind, wie die beim vollständig entwickelten Herzen. § 50. Das Herz bei den Wirbellosen. a) Würmer. Bei den Würmern Nereis und Arenicola kontrahieren sich die isolierten Dorsalgefäße wie das Oesophagealherz rhythmisch und treiben das Blut immer in einer bestimmten Richtung. Sie sind aber imstande die Kontraktionswellen in beiden Richtungen fortzupflanzen und durch eine Extrareizung kann die Richtung des Schlages umgekehrt werden. In der Wand des Oesophageal- herzens wie in der der Gefäße finden sich sowohl Nervenfasern als auch Ganglien- zellen (Carlson4). 1 v. Tschermak, a. a. O., 118, S. 81. 2 v. Tschermak, a. a. O., 118, S. 94. 3 v. Tschermak, a. a. O., 118, S. 108. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 22, S. 353; 1908. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 81 b) Arthropoden. Das Herz der Krustazeen steht in Verbindung mit Arterien, welche ihr Blut in die in den verschiedenen Körperteilen zerstreuten Lakunen ergießen. Aus diesen gelangt das Blut schließlich in die große Lakune des Perikardiums, von wo aus es das Herz durch die in der Wand derselben stehenden Mündungen erreicht. Wie überhaupt das Herz der Wirbellosen ist auch das Krustazeenherz für das Bloßlegen sehr empfindlich. Bei Cancer sinkt dabei die Pulsfrequenz be- trächtlich herab von 90 — 120 auf 15 — 30 in der Minute und das Herz kann nun in diesem Rhythmus ganz regelmäßig 72 — 1 Stunde lang pulsieren. Die Ursache des Herabsinkens der Pulsfrequenz liegt hier offenbar im Blutmangel und dem davon bedingten niedrigen intrakardialen Druck.1 Auch wird die Leistungsfähigkeit des leeren Herzens verbessert, wenn es mittelst eines Hakens mit einem Hebel verbunden und also in einem zweckmäßigen Grade gedehnt wird (Carlson2). Das Herz von Palinurus ist für Blutmangel und herabgesetzten inneren Druck weniger empfindlich und pulsiert leer mehr wie zwei Stunden lang (Carlson3). Näheres hierüber hat P. Hoff mann* an der Hand von Beobachtungen am Flußkrebs, Astacus fluviatilis, mitgeteilt. Bloßgelegt, schlägt das Herz bei nicht zu hoher Temperatur 24 Stunden lang regelmäßig, wenn es mit einer Ringerlösung gespeist wird, die alle Bestandteile in doppelter Menge enthält, wie die für das Froschherz übliche. Wenn die La- kunen entleert werden, nimmt die Frequenz der Herzschläge beträchtlich ab, z. B. von 60 auf 10 pro Minute. Dabei ist die chemische Beschaffenheit der Flüssigkeit ziemlich belanglos, das wichtigste scheint eine genügend starke Füllung des Herzens zu sein. Ein vom Körper ausgeschnittenes Herz schlägt nur etwa eine Stunde lang regelmäßig und steht nach etwa 3 Stunden in der Systole still. Wahrscheinlich stellt dieser Stillstand eine Wirkung der angehäuften Kohlensäure dar; beim Herzen in situ findet man nämlich bei einem genügenden Gehalt (20 Proz.) der Kohlensäure in der Lakunenflüssigkeit ganz dasselbe. Daß das Herz der hier erwähnten Krustazeen Ganglienzellen enthält, ist mit aller Bestimmtheit von Berger5, Dogiel* und Deszö7 angegeben. Wir können daher nicht entscheiden, inwiefern die automatischen Bewegungen desselben durch eine Eigenschaft der Muskulatur an und für sich oder durch die Einwirkung der Ganglienzellen ausgelöst werden. Eine ganz besondere Besprechung erfordert das Herz von Limulus poly- phemus, welches von Carlson in der eingehendsten Weise untersucht worden ist. 1 Nach Willem, Arch. neerl. de physiol., 1. S. 240; 1917. sinkt auch bei den Spinnen die Pulsfrequenz nach Blutentziehung herab. 2 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 56, 60; 1906. 3 Carlson, ebenda, 16, S. 56. 4 P. Hoffmann, Zeitschr. f. Biol., 59, S. 296; 1912. 5 Berger, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 74 (1), S. 422; 1876. ,; Dogiel, Arch. f. mikrosk. Anat., 43, S. 231; 1894. ' Deszö, Zool. Anzeiger, 1, S. 126; 1878. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 6 82 Die Innervation des Herzens. Bei großen Individuen dieses Tieres ist das Herz1 15 bis 20 cm lang und mißt in leerem und zusammengefallenem Zustande an der breitesten Stelle etwa 21/2cm- Es ist deutlich segmentiert (Fig. 199) und trägt auf seiner dorsalen Fläche jederseits acht Mündungen, welche zu der Herzhöhle führen (os). Die vier lateralen Arterienpaare (la) entstehen aus den vier vorderen Segmenten; die drei Hauptarterien (zwei laterale und eine mediane, a ä) entspringen aus dem vorderen Ende des Herzens. Die quergestreiften Herzmuskelfasern verlaufen zirkulär und bestehen aus verästelten, anastomosierenden Trabekeln, welche von Bindegewebsscheiden umgeben sind und innerhalb dieser ein kontinuierliches Netzwerk, Syncythium, kontraktilen Gewebes bilden (Meek2). Auf den dorsalen und lateralen Oberflächen finden sich die Nerven des Herzens. Diese bestehen aus drei in der Längsrichtung verlaufenden Nerven- stämmen, einem in der dorsalen Mittellinie und je einem an jeder Seite des Herzens, sowie aus Nervenfasern, welche den dorsalen Nervenstamm mit den lateralen verbinden. OS mnc In fa Fig. 199. Das Herz von Limulus polyphemus von oben. Nach Qaiison. aa, Hauptarterien; la, laterale Arterien; ///, laterale Nerven; mnc, medialer Nervenstrang (Ganglion); os, Ostia. Der mediale Nervenstrang stellt eigentlich ein längliches schmales Ganglion dar und ist von Ganglienzellen und längslaufenden Nervenfasern zusammen- gesetzt. In den seitlichen Nerven finden sich dagegen keine Ganglienzellen. Sowohl das mediale Ganglion als die seitlichen Nervenstämme sind durch das Ektokardium von dem Herzmuskel getrennt und können daher ohne die geringste Verletzung des Herzens vollständig exstirpiert werden. Seinerseits steht das mediale Ganglion reichlich mit dem zentralen Ganglion in Verbindung. Da das Gefäßsystem zum Teil lakunär ist, wird das Herz bei der Eröffnung der Leibeshöhle blutleer, fällt aber, wegen der Ligamenta suspensoria, die es an der Wand des perikardialen Sinus befestigen, dennoch nicht zusammen. Wie Nukada3 am Limulus longispina nachgewiesen hat, stellt das Herz, so wie es hier beschrieben worden ist, eigentlich nur die Herzkammer dar, in- dem bei Individuen, welche gerade im Begriff sind ihren Panzer zu wechseln, noch eine Art von Vorhof nachgewiesen werden kann. Dieser Vorhof wird von der Rückseite des Herzens und einem die hintere Herzhälfte bedeckenden und ihr anhaftenden Gewebe gebildet, und kommt sonst nicht zum Vorschein, weif er beim Eröffnen des Panzers zusammenfällt. Die Herzkontraktion fängt am Vorhof an und gibt sich bei ihm als eine eigenartige wühlende Bewegung zu erkennen, welche das Blut in den Binnen- raum der Kammer treibt. Ihr schließt sich dann die Kammerkontraktion an. 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 67; 1904. 2 Meek, Journ. of morphol., 20, S. 403; 1909. 3 Nukada, Mitt. d. med. Fakultät der kaiserl. Univ. zu Tokyo, 19, S. 34; 1917. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 83 Das ohne Verletzung seiner nervösen Verbindungen bloßgelegte Herz1 schlägt anfangs unregelmäßig und verhältnismäßig langsam — bei Zimmer- temperaturin der Regel etwa 12 bis 16mal in der Minute. Nach Durchschneidung der nervösen Verbindungen zwischen dem Gehirnganglion und den kardialen Nerven verschwinden die Unregelmäßigkeiten der Schlagfolge, welche also nicht vom Blutmangel in der Herzhöhle verursacht sind. Die Pulsfrequenz ist nun etwa 18 bis 28 in der Minute. Während der Systole zieht sich das Herz durch Kontraktion der Ringmuskelfasern in seiner ganzen Länge, wie es scheint, gleich- zeitig zusammen. Beim fast völlig erschöpften, nunmehr nur langsam pulsierenden Limulus- herzen kann man indessen ohne weiteres wahrnehmen, wie die Kontraktionen am hinteren Drittel des Herzens anfangen und sich nach dem vorderen Ende fortpflanzen. Dasselbe muß aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei dem frischen Herzen der Fall sein, und die scheinbare Gleichzeitigkeit der Kontraktion des ganzen Herzens ist daher darauf zurückzuführen, daß sich die Erregung sehr schnell durch das Herz fortpflanzt.2 Dies findet unter der Beteiligung der Herznerven statt, denn eine Läsion des medialen Ganglions und der beiden lateralen Nerven an einem beliebigen Herzsegment hebt, trotz der Unversehrtheit der Herzmuskulatur, die Koordi- nation der beiden durch die Läsion getrennten Herzabschnitte auf, während andererseits eine quere Durchschneidung des Herzens bei Schonung der Nerven keine Störung des normalen Ablaufs der Herzkontraktion verursacht. Die Aufhebung der Koordination nach Durchschneidung des medialen Gan- glions tritt augenblicklich ein und geht nicht zurück. Die beiden Enden des Herzens schlagen jedes in seinem eigenen Rhythmus und die Kontraktion pflanzt sich nicht durch das der Läsion entsprechende Segment fort. Bei der normalen Koordination im Limulusherzen sind die Seitennerven nicht unbedingt notwendig: das ganze Herz und die Seitennerven können voll- ständig durchschnitten werden, ohne daß die Koordination 'verloren geht, wenn nur das mediale Ganglion unversehrt bleibt. Wenn das mediale Ganglion und die Seitennerven vollständig entfernt werden, bleibt das Herz in der Diastole still stehen. Es ist allerdings durch me- chanische oder elektrische Reizung erregbar, macht aber niemals eine spontane Zusammenziehung. Dasselbe ist auch der Fall, wenn das mediale Ganglion allein exstirpiert wird. Bei alleiniger Entfernung der Seitennerven werden allerdings die Kraft und Regelmäßigkeit der Herzbewegungen vermindert, der Rhythmus und die Koordination bleiben aber bestehen. Auch die Kontraktionen des ,, Vorhofes" hören nach Ausschaltung des Ganglions auf, und man muß annehmen, daß ge- wisse Zellen daselbst den Reiz für den Vorhof, gewisse andere dagegen den für die Kammern bilden (Nukada3). 1 In Übereinstimmung mit dem bisherigen Gebrauch werde ich trotz dem Vorhanden- sein des Vorhofes die Kammer des Limulusherzens einfach als Herz bezeichnen. 2 Auch das Herz von der Spinne Pholcus phalangoides zieht sich, scheinbar wenigstens, auf einmal in seiner ganzen Länge zusammen (Willem, Arch. neeri. de physiol., 1, S. 241). 3 Nukada, a. a. O., 19, S. 37, 40. 6* 84 Die Innervation des Herzens. Die Zusammenziehung des Limulusherzens ist also von rhythmischen Im- pulsen abhängig, welche von dem medialen Ganglion ihm entsendet werden. Seinerseits geht dagegen die rhythmische Tätigkeit dieses Ganglions unbeirrt weiter fort, auch wenn dessen Verbindungen mit dem zentralen Ganglion aus- geschaltet werden. Sobald die Verbindung eines Segmentes mit dem Medialganglion nur un- versehrt ist, macht dieses Segment auch nach Isolierung vom übrigen Herzen spontane Pulsationen (Carlson1). Bei den verschiedenen Segmenten mit dazu gehörigen Teilen des medialen Ganglions ist indessen der Grad der Automatie verschieden, indem derselbe in den hinteren zwei Dritteln oder meistens im mittleren Drittel, also am venösen Ende, am größten ist. Bei Limulus longispina findet sich das Maximum der Automatie im 5. Seg- ment. Die übrigen Abschnitte des Ganglions sind diesem untergeordnet. Werden das mediale Ganglion und die lateralen Nerven im 5. Segment durchschnitten, so steht der distale Herzteil wenigstens eine Zeitlang still, gleichwie der proxi- male Herzabschnitt still steht, wenn das Herz in derselben. Weise zwischen dem 4. und 5. Segment durchschnitten wird (Nukada2). Die betreffenden mit der stärksten Automatie ausgerüsteten Portionen des Ganglions besitzen auch die meisten Ganglienzellen, wie schon äußerlich dadurch angedeutet wird, daß das mediale Ganglion beim 5. bis 7. Segment am dicksten ist. Am vorderen Ende des Ganglions finden sich nur wenige Ganglien- zellen, auch ist die Automatie der entsprechenden Segmente ziemlich gering, bzw. in den meisten Fällen gar nicht vorhanden. Übrigens werden von der Mitte des Ganglions Nervenfasern sowohl zu dem vorderen als dem hinteren Ende des Herzens entsendet.3 Daß die Bewegungen des Herzens durch Impulsen vom Ganglion her aus- gelöst werden, folgt ferner daraus, daß, wenn das mediale Ganglion unter Bei- behalten der Seitennerven exstirpiert wird und infolgedessen das vordere Ende des Herzens stillsteht, die Reizung der entsprechenden Nerven mit einzelnen Induktionsschlägen Kontraktionen hervorruft. Diese sind größer, wenn die beiden lateralen Nerven gereizt werden, was zeigt, daß jede Seite des Herzens wesentlich von ihrem besonderen Nerv versorgt wird.4 Dabei reagiert der Herzmuskel ganz wie die übrigen Muskeln. Wenn zwei oder mehrere Reize schnell aufeinander folgen, summieren sich ihre Wirkungen bis zum vollständigen Tetanus; die tetanisierende Reizung gibt einen wirk- lichen Tetanus, dessen Höhe indessen schon während stattfindender Reizung ab- nimmt, usw. Wenn das Ganglion allein für sich einer höheren Temperatur ausgesetzt wird, nimmt die Frequenz der Herzschläge in entsprechendem Grade zu. Die isolierte Erwärmung des Herzmuskels hat dagegen auf die Schlagfolge keinen Einfluß (Carlson5). 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 471 ; 1904. 2 Nukada, a. a. O., 19, S. 41 f. 3 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 472. 4 Carlson, ebenda, 12, S. 478. 5 Carlson, ebenda, 15, S. 217, 219, 1906. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 85 Auch kann man zeigen, daß das mediale Ganglion als ein Reflexzentruni wirkt. Denn wenn der eine der seitlichen Nerven durchschnitten und dessen zentraler Stumpf gereizt wird, so nimmt die Stärke der Herzschläge zu, die Pulsfrequenz steigt an oder bleibt unverändert; wenn das Herz vor der Reizung still stand, kann es infolge der Reizung wieder pulsieren. Die gleiche Wirkung übt auch die zentrale Reizung eines der Äste, durch welche die lateralen Nerven mit dem medialen Ganglion verbunden sind, und tatsächlich laufen von jedem Segment des Herzens zentripetale Nerven zum medialen Ganglion. Durch diese reflektorische Tätigkeit wird von einem einzelnen Nervenast aus das ganze Herz beeinflußt.1 Eine einzelne Reizung des medialen Ganglions kann eine lange Reihe von Kontraktionen auslösen.2 Andererseits gibt die Reizung des Ganglions auch eine Hemmung der Herztätigkeit3; darüber näher bei der Darstellung der hem- menden Herznerven. Bei vermehrtem inneren Druck kann das stillstehende Herz zur Kontraktion gebracht werden; ist der Druck zu hoch, so erscheinen Unregelmäßigkeiten in der Herzbewegung. Diese Erscheinungen sind reflektorischer Art, denn sie treten nur bei unversehrtem Ganglion auf4 und kommen nach Exstirpation des Ganglions überhaupt nicht zum Vorschein. — Außerdem steigert die vermehrte Füllung die Erregbarkeit und die Kontraktilität des ganglienfreien Herzmuskels, vermag aber nicht bei diesem Kontraktionen hervorzurufen.5 Aus diesen Tatsachen folgt, daß das Limulusherz bei seinen normalen Be- wegungen vom medialen Ganglion durchaus abhängig ist. Daß der Herzmuskel unter ganz besonderen, völlig abnormen Umständen vermag, rhythmische Pulsationen auszuführen, ist schon oben erwähnt (II, S. 31), aber gerade diese Erfahrungen scheinen mir noch mehr zu bestätigen, daß das Ganglion hier die absolute Führerrolle hat. In den früheren Stadien der embryonalen Entwicklung fangen auch beim Limulus die Kontraktionen des Herzens früher an, als die Ganglienzellen oder die seitlichen Nerven nachgewiesen werden können. Jene erscheinen nämlich am 22. bis 23. Tage, während der Nervenstrang erst am 28. bis 29. Tage auf- tritt. Das Gewebe, aus welchem die erste Anlage des Herzens beim Limulus besteht und welches ein Syncythium ohne Fibrillen und Querstreifung bildet, hat also ganz andere Eigenschaften als der fertig ausgebildete Herzmuskel — ein Umstand, der für die theoretische Verwertung der entsprechenden Erfahrungen am Herzen der warmblütigen Tiere sehr bedeutungsvoll ist (Carlson und Meek6). Das Herz der iMyriapoden hat denselben Bau mit einem medio-dorsalen Ganglienstrang, wie das Limulusherz (Carlson7); nähere Untersuchungen über das physiologische Verhalten desselben liegen meines Wissens nicht vor. 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 483. 2 Carlson, ebenda,' 16, S. 93; 1906. 3 Carlson, ebenda, 12, S. 485. * Carlson, ebenda, 12, S. 489. 5 Carlson, ebenda, 16, S. 65. 6 Carlson und Meek, ebenda, 21, S. 1: 1908. 7 Carlson, ebenda, 12. S. 74; 1904. 86 Die Innervation des Herzens. Betreffend das Herz bei den Insekten gibt Carlson1 an, daß es sich bei Dictyphorus reticulatus (einer Heuschrecke) fast durch die ganze Länge des Tieres erstreckt und also 4 — 5 cm lang ist. Soviel es sich nach direkter Beob- achtung beurteilen läßt, schlägt es gleichzeitig in allen seinen Teilen, die hinteren zwei' Drittel besitzen indessen einen höheren Grad von Automatie als das vordere Drittel. Wenn nämlich der Brustteil des Herzens von dem Bauchteil desselben abgeschnitten wird, so bleibt jener in der Regel ruhend, während dieser immer weiter pulsiert. Ex analogia mit dem Limulusherzen findet Carlson die Ursache dieser Verschiedenheit in der verschiedenen Verteilung der Ganglienzellen. Das Herz der Larve von der Mücke Corethra plumicornis ist Gegenstand einer ausführlichen anatomischen und physiologischen Untersuchung von Do- giel2 gewesen. Das röhrenförmige Herz dieses Tieres zieht sich fast durch den ganzen Körper, indem es, vor dem vorletzten Körpergliede beginnend, sich bis zu den vorderen Respirationsorganen erstreckt und hier in die Aorta übergeht. Es besteht aus acht Abteilungen oder Kammern, welche an beiden Seiten mittelst Muskelfasern mit je zwei zuerst von R. Wagner beschriebenen birnenförmigen Körpern verbunden sind. Nach Dogiel enthalten diese eine bis fünf und mehr apolare Nervenzellen. Bei seiner Tätigkeit zieht sich das Herz 12 bis 14, ausnahmsweise 25 mal in der Minute energisch zusammen. Dabei beginnt die Kontraktion an der hinteren Kammer und pflanzt sich in der Form einer peristaltischen Bewegung nach dem Aortaende fort. Das hintere (venöse) Ende des Herzens bleibt im allgemeinen länger leistungsfähig als die übrigen Abteilungen und scheint überhaupt einen höheren Grad von Automatie als diese, die indessen an und für sich automatisch erregbar sind, zu besitzen. Dagegen erscheinen in der Aorta Kontraktionen nur dann, wenn sie in un- versehrter Verbindung mit dem Herzen steht. Da sie nicht mit den Wagnerschen birnenförmigen Körpern versehen ist, liegt die von Dogiel vertretene Auffassung, daß gerade diese Körper Sitz der automatischen Erregbarkeit des Herzens sind, sehr nahe, d. h. der Ursprung der normalen Herzreize würde in den Ganglien- zellen und nicht in der Muskulatur selber liegen. c) Mollusken. Nach Freilegung bietet das Herz von Mollusken im allgemeinen mehr oder minder große Störungen dar und gerät sehr leicht in eine lange dauernde tonische Zusammenziehung. Wenn einigermaßen normale Herzschläge endlich auftreten, hören sie dann öfters nach einer kurzen Zeit wieder auf und das Herz stirbt. Ein anderer Übelstand liegt darin, daß das Molluskenherz nach Eröffnung der lakunären Räume, aus denen der Kreislaufsapparat wesentlich besteht, keine Blutzufuhr mehr bekommt und daher zusammenfällt. Jetzt steht die Herz- wand nicht mehr unter dem normalen Binnendruck; infolgedessen wird die Herztätigkeit in einem höheren oder geringeren Grade beeinträchtigt. Wie bei den Krustazeen vermag, wie zahlreiche Beobachtungen erwiesen haben, nicht allein die unter genügendem Druck stattfindende innere Spannung, 1 Carlson, Amer. jourrt. of physiol., 15, S. 134; 1906. 2 Dogiel, Mem. de l'Acad. des sciences de St. Peters bourg, 7e Serie, 24, Nr. 10; 1877. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 87 sondern auch die Dehnung, welche die Suspension des Herzens an einem zweck- mäßig belasteten Hebel hervorruft, auch bei vielen Mollusken — Ischnochiton Haliotis, Bulla, Aplysia, Montereina, Pleurobranchea, Helix, Ariolimax, Mytilus, Mya, Cardium, Hennites, Octopus — mehr oder weniger lange dauernde, regel- mäßige rhythmische Pulsationen auszulösen.1 Andere Herzen — Cryptochiton, Natica und Loligo • konnten durch die Suspension nicht zu regelmäßiger rhythmischer Tätigkeit gebracht werden. - Die Pulsfrequenz des suspendierten Herzens ist allerdings in der Mehrzahl der Fälle geringer, als die des normalen Herzens im unversehrten Tiere, anderer- seits aber im Vergleich mit dem Verhalten des blutleeren Herzens in situ wesent- lich erhöht, wie auch der Umfang der Kontraktionen vergrößert ist. So betrug z. B. die Pulsfrequenz der zusammengefallenen Herzkammer von Helix in situ 10 — 15 in der Minute, nach Suspension dagegen 35 — 40.3 Noch wirksamer als die Suspension scheint der durch eine Flüssigkeit von innen her ausgeübte Druck zu sein. Dabei wird auch eine etwa vorhandene Unregelmäßigkeit beseitigt (W. Straub*, Carlson*). Obgleich das Herz bei einigen Mollusken — Cryptochiton, Natica, Loligo — weder bei Suspension noch unter dem Einfluß eines künstlichen Binnendruckes pulsiert, und bei anderen — Montereina, Ariolimax — die Schläge der iso- lierten leeren Kammer an und für sich sehr regelmäßig sind (Carlson6), scheint indessen die Pulsfrequenz des Herzens im großen und ganzen direkt proportional dem inneren Druck zu sein (Carlson7). Nähere Angaben hierüber liefern uns vor allem die Versuche am Herzen von Aplysia, Helix und Octopus. Bei der Aplysia zeigte W. Straub8, daß der unregelmäßige Rhythmus eines vom Körper ausgeschnittenen Herzens nach Füllung mit einer beliebigen Menge Aplysienblut momentan beseitigt wurde; daß bei regelmäßig schlagendem Herzen die Schlagfolge beträchtlich beschleunigt und die Hubhöhen oft auf das Doppelte vermehrt wurden; daß das Herz in eine tonische Zusammenziehung, auf welche die einzelnen Kontraktionen sich superponierten, verfiel; sowie daß bei Vermehrung der Druckhöhe Frequenz und Hubhöhe des Herzens zunahmen und in der Folge konstant blieben. Daß hier keine Nährwirkung vorlag, folgte daraus, daß ein Herz, welches unter einem konstanten Füllungsdruck stand, bis zu 28 Stunden tätig war, ohne daß die Flüssigkeit gewechselt wurde. Nach Abstellen der Flüssigkeit trat Herzstillstand nach einem längeren Stadium zunehmender Verminderung der Tätigkeit nur ganz allmählich ein. Eine am schließlich genügend lange untätigen Organ erfolgende neue Füllung rief dann die soeben erwähnten Tätigkeitsäußerungen, rhythmische Pulsationen und Tonüszunahme, wieder hervor. Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 57. Carlson, ebenda, 16, S. 59, 61. Carlson, ebenda, 16, S. 61. W. Straub, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 507; 1901. Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 63. Carlson, ebenda, 16, S. 54. Carlson, ebenda, 12, S. 488. W. Straub, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 507. gß Die Innervation des Herzens. Wenn das Herz von Helix pomatia durch Verblutung entleert wird, fällt es in einen oft lange andauernden Stillstand oder seine Bewegungen werden doch sehr beträchtlich verlangsamt. Das ausgeschnittene leere Herz kon- trahiert sich, wenigstens zeitweise. Durch eine nicht zu starke Spannung werden ausnahmslos rhythmische Kontraktionen der beiden Herzabteilungen ausgelöst, wobei indessen jede Abteilung in ihrem selbständigen Rhythmus pulsiert (Bieder- mann1). Die Frequenz und die Stärke der Kontraktionen des ausgeschnittenen Herzens nehmen durch Vermehrung der Spannung in hohem Grade zu. Nach einer nicht allzu schwachen und zu kurzdauernden Dehnung erscheint regel- mäßig eine Nachwirkung, indem die rhythmischen Kontraktionen auch nach Erschlaffung des Herzens noch einige Zeit fortdauern. Den gleichen Einfluß wie die einfache Dehnung übt ein innerer Druck ge- eigneter Größe aus. Dabei steigt und sinkt die Pulsfrequenz parallel dem inneren Druck, wie z. B. Druckhöhe 30 15 8 5 2 30 mm Wasser Pulsfrequenz 50 36 21 11 0 50 in der Minute. Infolge einer plötzlichen Drucksteigerung erscheint noch eine oft sehr lange anhaltende, gleichmäßige, tonische Zusammenziehung. Während die Kammer sich anfangs ad maximum ausdehnt und bei jeder Systole vollständig entleert, wird die diastolische Erschlaffung allmählich unvollständig, es bleibt ein immer mehr wachsender Kontraktionsrest zurück, bis endlich das Herz gar nicht mehr erschlafft und dauernd systolisch kontrahiert bleibt. Im Verlauf der Entwicklung dieses Zustandes erfolgen die Kontraktionen bis zum Ende noch genau in gleichem Rhythmus wie die ersten kräftigen Zusammenziehungen. Früher oder später, oft erst nach einer halben Stunde, erschlafft die systolisch kontrahierte Kammer und es beginnen nun wieder regelmäßige, rhythmische Zusammenziehungen. Durch längere Aufhebung des Binnendruckes und plötz- liche Steigerung desselben bis zu seiner früheren Höhe gelingt es nicht mehr, ein zweites Mal den hier beschriebenen, eigentümlichen Kontraktionszustand des Herzens herbeizuführen (Biedermann2). Beim systemischen Herzen von Octopus stoßen wir auf ganz ähnliche Er- scheinungen. Wenn die Blutmenge des Tieres durch den einen oder 'anderen Eingriff vermindert und das Herz also nicht gehörig ausgedehnt wird, nimmt die Pulsfrequenz in hohem Grade ab und steigt mit zunehmendem inneren Druck an (Ransom3). Auch die Einspritzung von Luft in das leere Herz ruft Kontraktionen hervor; der Umfang der Kontraktionen ist vom inneren Druck unabhängig (H. Fredericq*). Ob das Herz von Octopus in dem oben beim Helixherzen beschriebenen Zustand starken Tonus gebracht werden kann, darüber liegen, meines Wissens, 1 Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 89 (3), S. 21; 1884; — vgl. auch Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 328. 2 Biedermann, a. a. O., 89 (3), S. 26. 3 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 271 ; 1884. 4 H. Fredericq, Arch. intern, de physiol., 14, S. 129; 1914. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 89 keine ganz bestimmten Angaben vor. Für das Herz von Loligo gibt aber Carlson1 an, daß er einen solchen nie beobachtet hat. Zu diesen Angaben über das allgemeine Verhalten des Molluskenherzens sind noch folgende Einzelheiten betreffend die Erscheinungen bei einzelnen Ordnungen und Arten hinzuzufügen. Bei den Chitonen ist allerdings das Herz nach dem Freilegen zusammen- gefallen, es steht indessen dennoch unter einer gewissen Spannung, weil die Basis des Vorhofes mit dem Rücken des Tieres zusammengewachsen ist. Wird der Vorhof bei Cryptochiton an seiner Basis beschädigt, so hören Vorhof und Kammer auf zu pulsieren; beim Ischnochiton wird der Rhythmus dabei nur langsamer und weniger regelmäßig (Carlson2). So lange das Perikard unversehrt ist, findet sich beim Herzen von der Prosobranchiaten Haliotis eine vollständige Koordination zwischen Vorhöfen und Kammer immer vor. Nach Entfernung des dorsalen Perikardiums erscheint erst eine vorübergehende Beschleunigung, dann wird aber der Rhythmus un- regelmäßig, die Vorhöfe schlagen schneller als die Kammer, und endlich steht diese still, während die unregelmäßigen Kontraktionen der Vorhöfe immer noch weiter fortgehen (Carlson*). Auch bei anderen Prosobranchiaten, wie Natica und Sycotypus, kann das Herz nicht ohne starke Beschädigung freigelegt werden, obgleich es, wegen der Dicke seiner Wand, dabei nicht zusammenfällt. In den meisten Fällen schlägt es danach gar nicht mehr, in anderen führt es während einer kurzen Zeit einige schwache und seltene (5—7 in der Minute) Pulsationen aus, ist aber noch lange für künstliche Reize erregbar (Carlson*). Bei der Pterotrachea kann die Kammer beim stillstehenden Vorhof regel- mäßige Pulsationen ausführen, und umgekehrt kommt es auch, obgleich nur bei geschwächten Tieren, vor, daß sich bloß die Vorkammer kontrahiert, was indessen niemals bei gesunden Individuen vorkommen soll. Die Pulsfrequenz beträgt bei 13—14° C durchschnittlich etwa 48 in der Minute (Rywosch5). Nach der Präparation ist der Herzrhythmus bei der Opistobranchiaten Bulla unregelmäßig und die Koordination zwischen Vorhof und Kammer wesent- lich gestört6; in der Regel hören die spontanen Herzkontraktionen dann nach 50—60 Minuten auf.7 Bei der intakten Triopha ist die Herztätigkeit ganz regelmäßig und dabei dauert die Systole der Kammer etwa doppelt so lange als die Diastole. Nach der Eröffnung der Leibeshöhle schlägt das Herz allerdings noch ein paar Stunden, seine Kontraktionen sind aber langsam und unregelmäßig, die des Vorhofes sind indessen dabei frequ enter als die der Kammer.8 Das freigelegte, leere Herz von Montereina kontrahiert sich einige Minuten 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 105. 2 Carlson, ebenda, 16, S. 52. 3 Carlson, ebenda, 16, S. 52. 4 Carlson, ebenda, 16, S. 53. 5 Rywosch, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 359; 1905. 6 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 53. 7 Carlson, ebenda, 12, S. 61. s Carlson, ebenda, 16, S. 54. 90 Die Innervation des Herzens. vollkommen regelmäßig, bald hört indessen die Koordination zwischen Vorhof und Kammer auf, und jener schlägt jetzt schneller als diese.1 Auch wenn das vom Körper ausgeschnittene Aplysiaherz im eigenen Blute des Tieres aufbewahrt wurde, bewegte es sich spontan gar nicht und verlor nach 5 — 6 Stunden seine Erregbarkeit. Diese Erscheinung war ohne Zweifel von Sauerstoffmangel verursacht, denn das betreffende Herz kann manchmal noch am 5. Tage und selbst später weiterschlagen, wenn es in einer feuchten Kammer aufbewahrt wird (Schönlein2). Unter günstigen Umständen, wenn auch selten, gelingt es, am ausgeschnittenen Aplysiaherzen einen lange Zeit gleichbleibenden Rhythmus und Kontraktionsumfang zu beobachten (W. Straub'6). Nach Carlson4 stellt das Aplysiaherz dagegen in der Regel seine Kontraktionen innerhalb 50 bis 60 Minuten ein. Das für mechanische Reizung nur wenig empfindliche, bloßgelegte Herz vom Pulmonaten Ariolimax schlägt allerdings mehrere Stunden lang nur wenig langsamer als beim unversehrten Tiere. Die Koordination zwischen Vorhof und Kammer hört aber bald auf. Nach Durchschneidung des Herzens in der Atrioventrikulargrenze pulsiert jede Abteilung in ihrem eigenen Rhythmus, wobei gewöhnlich die Kontraktionen des Vorhofes früher aufhören als die der Kammer (Carlson'0). Empfindlicher ist das Herz von Limax. Nach Freilegung schlägt dasselbe frequenter als vorher, die Kammer stirbt aber gewöhnlich nach einer Stunde (Carlson6). Bei Helix pulsiert der Vorhof in der Regel, wenn auch nicht immer, schneller als die Kammer (Biedermann7). Ohne Aufhebung ihrer rhythmischen Tätigkeit können Vorhof und Kammer des Helixherzens voneinander getrennt werden (Foster8); unter Umständen können selbst verschiedene Teile der Kammer in einem verschiedenen Rhythmus pul- sieren, ja, es ist Biedermann9 gelungen, spontane rhythmische Zusammenziehungen sogar an einzelnen in Blut aufbewahrten Stückchen der Kammerwand wahr- zunehmen. Bei den Lamellibranchiaten (Mytilus) hat Carlson10 ein deutliches Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammersystole beobachtet. Oft schlug indessen jede Abteilung des Herzens in ihrem eigenen Rhythmus, wobei die Frequenz beim Vorhof in der Regel größer als bei der Kammer war. Nach Herausnahme des Herzens von Anodonta mutabilis aus dem Körper hört dessen Pulsation vollständig auf (Nevinkoff11). Dasselbe ist auch mit dem Herzen von Anodontites cygnea der Fall (W. Koch12). 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 54. - Schönlein, Zeitschr. f. Biol., 30, S. 196; 1893. 3 W. Straub, Aren. f. d. ges. Physiol., 86, S. 506; 1901. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 61 ; 1904. 5 Carlson, ebenda, 12, S. 61 ; — 16, S. 55. fi Carlson, ebenda, 16, S. 55. '■ Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 89(3), S. 23; 1884. 8 Foster, Arch. f. d. ges. Physiol., 5, S. 192; 1872. 9 Biedermann, a. a. O., 89 (3), S. 24. 10 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 51. 11 Nevinkoff, Physiologiste russe, 5, S. 15; 1907. '- W. Koch, Arch. f. d. ges. Physiol., 166, S. 288; 1917. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 91 Dagegen setzt das Herz von Mya arenaria nach Ausschneiden aus dem Körper eine Viertelstunde und länger seine Pulsationen fort (Yung1). Beim Herzen von Anodontites cygnea fängt der Schlag am hinteren Ende an und verläuft als Welle über die ganze Kammer. Die Bewegungen der letzteren können auch dann erfolgen, wenn der Vorhof absolut stillsteht, meist in der Systole. Die Pulsationen des Herzens bieten große Unregelmäßigkeiten dar. Ihre Frequenz verändert sich bei den Bewegungen des Tieres nicht merkbar. Dagegen ist sie im hohen Grade davon abhängig, ob die Schalen offen oder geschlossen sind, indem das Herz bei gleicher Temperatur im ersten Falle etwa vier- bis fünfmal so schnell schlägt wie im zweiten. Dies scheint von dem Zurückhalten gewisser Abbauprodukte bei geschlossenen Schalen bedingt zu sein. Obwohl die Pulsfrequenz eine weitgehende Unabhängigkeit von dem im Wasser gelösten Sauerstoff zeigt, wird sie andererseits durch reichliche Zufuhr von Sauerstoff stark in die Höhe getrieben. Die absolute Zahl der Herzschläge ist bei der Anodontitis sehr niedrig und beträgt bei geschlossenen Schalen und Zimmertemperatur nur etwa 1,4 in der Minute; bei niedrigerer Temperatur nimmt sie noch weiter ab, so daß die bei 0° auf etwa 0,4 herabsinken kann (IV. Koch2). Die Freilegung des Herzens beim Cephalopoden Loligo macht die Herz- schläge völlig unregelmäßig. Dabei pulsiert das Kiemenherz etwa 70- bis 80 mal, das systemische Herz aber nur 8- bis 12 mal in der Minute. Die Pulsationen des ersteren hören nach 20 bis 40 Minuten auf. Die Vorhöfe schlagen regelmäßiger und schneller als die systemische Kammer (Carlson*). Beim systemischen Herzen von Octopus erwähnt Ransom1 keinen deutlichen Unterschied in bezug auf den Grad der Automatie bei den Vorhöfen und der Kammer. Beide pulsieren ebenso gut, wenn getrennt, als wenn sie in physio- logischer Verbindung miteinander stehen. Dennoch scheint die automatische Fähigkeit bei den Vorhöfen größer als bei der systemischen Kammer zu sein, denn es kommt vor, daß die Schlagfolge der Vorhöfe wesentlich frequenter ist als die der Kammer. Auch kleine Stückchen von der Kammer pulsieren automatisch (Ransom'°). Aus diesen Erfahrungen, zu welchen noch die Angabe Carlsons6, daß bei allen von ihm untersuchten Gastropoden und Lamellibranchiaten die Kammer unabhängig vom Vorhofe pulsieren kann, hinzuzufügen ist, folgt, daß bei den Mollusken die einzelnen Abteilungen des Herzens eine eigene automatische Fähig- keit besitzen, die sie auch dann entfalten können, wenn sie voneinander voll- kommen getrennt sind, sowie daß die Automatie, wenn sie nach der Schlag- frequenz der einzelnen isolierten Herzabteilungen beurteilt wird, beim Vorlief in den allermeisten, vielleicht allen Fällen etwas größer ist als bei der Kammer. 1 Yung, Aren. de. zool. expirim., 9, S. 425; 1881. - W. Koch, Arch. f. d. ges. Physiol., 166, S. 281; 1917; — vgl. auch Willem und Minne Mem. cour. par l'Acad. roy. de la Belgique, 57. 3 Carlson, Amer. journ. of physiol., 14, S. 37; 1905; — 16, S. 56. 4 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 275; 1884. 0 Ransom, a. a. O., 5, S. 273. 6 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 61; 1904. 92 Die Innervation des Herzens. Die Angaben über das Vorhandensein von Ganglienzellen in dem Mollusken- herzen sind sehr schwankend. Während z. B. Dogiel1, Haller (Prosobranchiaten)2, Pompilian (Helix3) und Carlson (Sycotypus4) solche bei verschiedenen Mollusken- arten beschrieben haben, geben andere, auch neuere Autoren, wie Foster und Dew Smith5, F. Darwin6 und Ransom7 an, daß sie sich nicht von der Gegenwart von Ganglienzellen bei den von ihnen untersuchten Arten (Octopus, Aplysia, Helix) haben überzeugen können. Angesichts dieser einander widerstreitenden Resultate ist es zurzeit wohl kaum möglich, etwa Sicheres über die eventuelle Bedeutung der Ganglienzellen bei der rhythmischen Tätigkeit des Mollusken- herzens zu sagen. Gegen die Beteiligung derselben spricht indesseh zu einem gewissen Grade wenigstens die Angabe, daß auch kleinste, ganglienzellenfreie Stückchen der Nierenvene beim Octopus spontan pulsieren (Ransom8). Die äußerst nahe Abhängigkeit, in welcher die Tätigkeit des Mollusken- herzehs von der Wandspannung steht, könnte ihrerseits möglicherweise dafür sprechen, daß die Herzmuskel wirklich den Sitz der Automatie bilden würde, denn es erscheint von vornherein wahrscheinlicher, daß die Muskulatur von dem betreffenden mechanischen Reize in höherem Grade als die Ganglienzellen be- einflußt wird. Man kann indessen in diese Hinsicht von verschiedener Meinung sein, und auch die grundwesentliche Differenz zwischen dem Limulus- und dem Mollusken- herzen in bezug auf die Einwirkung der Dehnung (vgl. II, S. 82, 86) läßt sich nicht unbedingt für die eine oder andere Auffassung verwerten. Hier muß auch die Möglichkeit irgendwelcher intrakardialer Reflexe in Betracht gezogen werden. Wicheis9 hat nämlich an herausgeschnittenen Streifen aus dem Froschherzen gefunden, daß diese, wenn ihre Empfindlichkeit mittels Digitalis genügend vermehrt wird, durch eine plötzliche Dehnung in einen Zustand hochgradigsten Tonus gebracht werden, indessen nur, wenn sie noch mit Teilen der Vorhöfe zusammenhängen, ohne daß es nötig wäre, daß der betreffende Vorhof teil vom Dehnungsreiz im mindesten betroffen wird. Es würde daher ein durch gewisse Gebilde der Vorhöfe zustande gebrachter Reflex hier vorliegen. d) Tunika tejn. Bei den Tunikaten kommt allein im Tierreich die Eigentümlichkeit vor, daß das anatomisch wohl gesonderte Herz abwechselnd bald in der einen, bald in der anderen Richtung das Blut durch den Körper treibt. Dies findet in der Weise statt, daß nach einer längeren oder kürzeren Reihe von Kontraktionen in einer Richtung eine ihrer Dauer nach variable Wechselpause erscheint, wonach 1 Dogiel, Arch. f. mikr. Anat , 14, S. 59; 1877. - Haller, Morphol. Jahrb., 9, S. 68; 1883. 3 Pompilian, Compt. rend. de la Soc. de biol., 1900, S. 185. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 496; 1904; — vgl. auch 14, S. 37; 1905. 5 Foster und Dew Smith, Proc. of the Royal Society, 23, S. 320; 1875. 6 F. Darwin, Journ. of anat. and physiol., 10, S. 506; 1876. 7 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 268, 273, 322, 324, 327. 8 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 272. 9 Wicheis, Arch. f. d. ges. Physiol., 179, S. 223; 1920; -- vgl. auch Pietrkowski, Arch. f. exp. Pathol., 81, S. 35; 1917. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 93 das Herz sich aufs neue, aber in umgekehrter Richtung kontrahiert. Dann stellt sich wieder die Wechselpause ein, die Kontraktionen erfolgen jetzt in der ersten Richtung usw.1 Auch das vorsichtig vom Körper des Tieres herausgeschnittene Herz vermag regelmäßige Pulsationen auszuführen, und diese stellen sich dar, sobald die erste, von der Präparation herrührende Reizwirkung vorübergegangen ist. Diese Pulsationen könnten indessen durch die Tätigkeit anderer Gewebs- elemente, welche am herausgeschnittenen Herzen hängen geblieben waren, hervorgerufen worden sein. Dem ist aber nicht so, denn sogar kleine Stückchen des Herzens, bei denen die Isolierung vollständig war, besaßen immer noch das Vermögen spontaner Pulsation. Auch konnte die histologische Untersuchung im betreffenden Nachbargewebe keine Ganglienzellen nachweisen. Sowohl die Pulsationen des Herzens an und für sich, als auch der regelmäßige Wechsel ihrer Richtung sind also vom Herzen selbst abhängig (Schultze2). Nach Entblutung bleibt das Herz zunächst still stehen. Allmählich treten aber sowohl ab- als adviszerale, stundenlang anhaltende Pulsationen auf, die bald rein voneinander getrennt sind, bald einzeln eingeschaltete antiperistaltische Wellen aufweisen.3 Wenn die Gefäße an ihrer Einmündungssteile in das Herz abgeklemmt werden, hören die davon ausgehenden, über das Herz sich fortpflanzenden peri- staltischen Wellen auf. Bei Abklemmung des korporalen Endes folgen die von der anderen Seite des Herzens ausgehenden, also adviszeralen Schläge sich in ziemlich regelmäßigem Rhythmus, bis das Herz nach mehr oder weniger langer Zeit stirbt. Findet aber die Abklemmung am viszeralen Ende statt, tritt eine Gruppenbildung der Herzkontraktionen ein. Die Pulsationen beginnen langsam, werden dann schneller und schneller und brechen plötzlich ganz ab. Es liegt also nach Nicolai* nahe, anzunehmen, daß am Salpenherzen zwei Zentren vorhanden sind, von denen das eine, auf der viszeralen Seite gelegene, dauernd Erregungen von annähernd gleichmäßigem und verhältnismäßig lang- samem Rhythmus aussendet, während das andere, auf der korporalen Seite gelegene automatische Zentrum periodenweise sehr langsame und dann wieder schnelle Reize erzeugt. Dadurch, daß das Herz immer auf den frequenteren Rhythmus reagiert, würde der Pulswechsel zustande kommen. Ähnliche Beobachtungen sind von Hunter5 am Herzen von Molgula man- hattensis gemacht worden. Wenn dieses Herz in zwei Teile getrennt wird, fahren beide fort zu pulsieren; dabei fängt die Kontraktion von den freien, nicht durch- schnittenen Enden an. Nach Lingle6 würde bei einem in drei Teile zerschnittenen Herzen der mittlere Teil ruhend bleiben. Hunter findet indessen, in Überein- stimmung mit Schultzes Erfahrung an den Salpen, daß dies nicht immer zutrifft und daß sogar ganz kleine Stückchen des Herzens noch pulsieren können. Die Frequenz dieser abgetrennten Portionen war aber geringer als die des normalen Herzens und auch geringer als die der abgeschnittenen Endpartien. 1 Vgl. L. S. Schultze, Jenaische Zeitschr. f. Naturw., 35, S. 222; 1901. - Schultze, ebenda, 35, S. 266. 3 Schultze, ebenda, 35, S. 277. 4 Nicolai, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1908, Suppl., S. 112. 5 Hunter, Amer. journ. of physiol., 10, S. 1; 1903. 6 Zit. nach Hunter, ebenda, 10, S. 6. 94 Die Innervation des Herzens. Nach Zerstörung des hinteren Teiles des Zentralganglions oder des vorderen Endes des viszeralen Nervenstranges trat unmittelbar ein Stillstand auf, der aber nur ausnahmsweise länger als 5 Sekunden dauerte. Dann fingen die Herz- kontraktionen wieder an, ihre Frequenz war aber kleiner als normal; im weiteren Verlauf des Versuches nahm diese allmählich zu, erreichte jedoch nie den nor- malen Betrag. Die Kontraktionen waren dabei sehr unregelmäßig und das Herz konnte gleichzeitig in beiden Richtungen schlagen. Nach Carlson1 pulsiert das mit dem Pericardium ausgeschnittene Herz von Ciona stundenlang; es kommen aber von Zeit zu Zeit Unregelmäßigkeiten vor, indem die Herzschläge von der Mitte statt von dem einen Ende des Schlauches ausgehen oder gleichzeitig von beiden Enden des Herzens ausgelöst werden. Die meisten Autoren — Ransom2, van Beneden und Julin3, Knoll*, Schultze5 — welche dieser Frage näher getreten sind, haben vergeblich nach Ganglien- zellen und Nervenfasern im Tunikatenherzen gesucht. Später hat indessen H unter 6 angegeben, daß er an jedem Ende des Herzens von Molgula deutliche Nervenzellen gefunden hat. Es ist daher möglich, daß auch bei den Tunikaten die Automatie des Herzens nervösen Ursprungs wäre. Bewiesen ist dies indessen nicht, denn die Gegenwart von Ganglienzellen im Herzen bildet keinen zwingenden Grund dafür, daß diese tatsächlich die Führerrolle haben, und sie könnten ja bei der Herztätigkeit in irgendeiner anderen Weise beteiligt sein. Aus den Erfahrungen an dem Herzen der Wirbellosen geht also hervor, daß beim Herzen von Limulus die Automatie von den im medialen Ganglion enthaltenen Ganglienzellen herrührt; daß bei vielen, vielleicht allen übrigen Wirbellosen Ganglienzellen im Herzen vorkommen und daß also auch bei ihnen eine nervöse Automatie möglich ist; daß aber für kein einziges Herz — mit Ausnahme von dem des Limulus — dies wirklich bewiesen ist, denn unsere Kenntnisse über die Herztätigkeit bei den Wirbellosen ist noch viel zu gering, um in dieser Hinsicht bestimmte Folgerungen zu gestatten. § 51. Das Herz bei den kaltblütigen Wirbeltieren. a) Das Froschherz. Die Untersuchungen über die Bedeutung der einzelnen Herzabschnitte für die normale Herztätigkeit haben sich vor allem auf das Froschherz bezogen, weshalb es angezeigt ist, dieselben hier in erster Linie zu berücksichtigen. a) Ganglien und Nervenfasern. Den Bau des Froschherzens in seinen allgemeinen Zügen habe ich bereits im vorhergehenden dargestellt (I, S. 19); und bleibt mir hier nur übrig die Ver- 1 Carlson, ebenda, 16, S. 57. 2 Ransom, Journ. oi-physio!., 5, S. 325. « 3 v. Beneden und Julin, Recherches sur la morphologie des tuniciers. Gand 1886, S. 321; zit. nach Schultze. 4 Knoll, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 102 (3), S. 403; 1893. 5 Schultze, a. a. O., 35, S. 283. 6 Hunter, Anat. Anzeiger, 21, S. 244; 1902. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 95 teilung der Nerven und die Anordnung der Nervenzellen bei demselben zu be- sprechen. Dabei folge ich der Darstellung, welche Ranvier*, Dogiel mit Tumän- zow2 und Archangelsk)'3 sowie F. B. Hof mann* davon gegeben haben. Der aus dem verlängerten Mark entspringende Vagus tritt durch das For. condyloideum ossis occip. und bildet ein gelb pigmentiertes Ganglion, welches zahlreiche Bündel aus dem Sympathicus erhält und seinerseits zwei Äste abgibt. Aus dem hinteren dieser Äste entsteht der Rani, intestinalis, welcher einen Ast zum Schlund, einen nach den Lungen und einen nach der Speiseröhre und dem Magen sendet. Aus dem Rani, pulmonalis ent- springen der Rani, cardiacus und einige dünne Ästchen nach dem Venensinus. Weiter erhält die obere Hohlvene kleine Zweige von dem Rani, car- diacus. An der Seitenwand der Pulmonalvene an- gelangt, geht der Rani, cardiacus längs derselben bis zu ihrer Mündung. Hierauf treten die Haupt- äste der Herznerven in die Vorhöfe und verlaufen hier längs der Scheidewand, in welcher sie sich bis zu den Atrioventrikularklappen hinziehen (vgl. Fig. 200). Anatomisch stellt sich also das gesamte intrakardiale Nervensystem als die direkte Fort- setzung und Aufteilung der beiden Herzäste des Vagus dar (F. B. Hofmann). Die beiden Vorhofnerven stehen durch zwei größere Anastomosen, die eine im Venensinus, die andere im unteren Teil der Vorhöfe, miteinander in Verbindung. Während ihres Verlaufes besitzen diese Nerven Fig. 200. Froschherz, durch einen von der Herzspitze bis zum Sinus venosus verlaufenden Schnitt er- öffnet und ausgebreitet. Nach eine große Zahl Nervenzellen, welche teils in der Dogiel und Archangelsk}', l, l, ,.,,,., . , , . , ,, , . ~ , Nn. cardfaci; 2,2, die Remak Vorhofscheidewand eingestreut sind (Ludwigs Gan sehen Ganglien; 8,3, die Lud- u'/g-schen Ganglien; 4, 4, die Bidderschtn Ganglien ; 5,5, Linie, die man sich unterhalb der Klappen und des Sitzes der Ganglia intraventricularia zu denken hat. glion5), teils zu kompakteren Massen an der Sinus- Vorhofgrenze (Remaks Ganglion5) und am untersten Teil der Vorhofscheidewand, wo die beiden Scheide- wandnerven in je ein Ganglion (Bidders Ganglion6) enden, vereinigt sind (Fig. 201). Auch in den von der Scheidewand auf die Vorhofswände übergetretenen Nervenstämmchen finden sich vereinzelte Ganglienzellen (Ludwig, F. B. Hofmann). Dogiel hat Gruppen von Nervenzellen unterhalb der Atrioventrikularklappen beschrieben.7 In der Kammer findet man im oberen Drittel die meisten Nerven- 1 Ranvier, Le^ons d'anat. gen. annee 1877—1878. Paris 1880, S. 78. - Dogiel und Tumänzow, Arch. f. mikr. Anat., 36, S. 491 — 499; 1890; — Dogiel, ebenda, 70, S. 780; 1907; — Arch f. d. ges. Physiol., 135, S. 28, 40; 1910. 3 Dogiel und Archangelsk)?, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 15; 1906. 4 F. B. Hofmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 1902, S. 61 ; — Zeitschr. f. Biol., 67, S. 375; 1917. 5 Ludwig, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1848, S. 139—143. 6 Bidder und Rosenberger, Arch. f. Anat. u. Phvsiol., 1852, S. 172. 7 Dogiel, Arch. f. mikr. Anat., 21, S. 24; 1882;'— Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 30; 1910; — 142, S. 126; 1911; — Glaser, Deutsches Arch. f. klin. Med.. 117. S. 27; 1914; - Dogiel und Tumänzow, Arch. f. mikr. Anat., 36, S. 491. 96 Die Innervation des Herzens. zellen, vereinzelt oder zu Gruppen an den von den Bidder sehen Ganglien ab- gehenden Nervenästen angeordnet. An den feineren Ästen und im Grundplexus der unteren zwei Drittel sind bloß noch äußerst wenige Ganglienzellen enthalten; im intramuskulären Plexus fehlen sie ganz (F. B. Hofmann1). Nach Michailow2 kommen Ganglien in der Kammer selten vor; da, wo sie vorhanden sind, stellen sie bald einzelne, isoliert liegende, bald auch Gruppen von 2—4 Zellen dar. Auch an der Grenze zwischen dem Bulbus und den Vorhöfen wie der Kammer sieht man einzelne oder paarige Nervenzellen. Diese liegen an der Oberfläche und sind teilweise von Bindegewebs- strängen, welche den Bulbus mit den Vorhöfen verbinden, und dann auch von dem Muskelstreifen bedeckt, welcher die Bulbusbasis von den Vorhöfen scheidet. Von diesen nervösen Bil- dungen gehen Nervenfasern nach dem Venensinus, nach den äußeren Wänden und der Scheidewand der Vorhöfe, nach der Kammer und dem Aortenbulbus aus. Die Nervenbündel, welche unterhalb der Atrioventrikular- klappen an die Kammer treten, anastomosieren miteinander, nach- dem sie die Trabekel erreicht haben. Einige dieser Bündel um- spinnen die Trabekeln wie ein f;,y om c u a a a o m XI i feines Netz, andere senken sich r ig. 201. Scheidewandnerven des Froschherzens. Nach Dogiel c, Larynxknorpel ; v.s., Ramus cardiacus des aber tiefer in die Muskulatur der linken Vagus; v. rf Ramus cardiacus des rechten Vagus; Kammerwand, bilden um den a.a., Aste zum Pharynx; v.p.s., Vena pulmonahs sinistra; v.p.d., Vena pulmonalis dextra; v.p.c, Vena tieferen Teil der Trabekeln und pulmonalis communis;/?,^, die ^oÄschen Ganglien; um einzelne Muskelbündel der L, die Ludwigschtn Ganglien ; B. a., B. p., die Bidder- schen Ganglien ; as, Anastomose; ra, Fasern zur Vorhof- Kammer ein Nervennetz, welches Kammergrenze. sich bis zur äußersten Spitze des Herzens verfolgen läßt3 und nach 1 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 380. 2 Michailow, Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., 25, S. 353; 1908. 3 In bezug auf Einzelheiten verweise ich auf die zitierte Abhandlung von Dogiel und Tumänzow, sowie auf Heymans, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1893, S. 391 ; — Hey- mans und Demoor, Arch. de biol., 13, S. 631; 1895. £.*. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 97 Piotrowski1 auch nach der Bernstein sehen Abklemmung der Herzspitze nicht degeneriert. Nach Bethe'2 sollten in diesem Netz hier und da bis zu der äußersten Spitze der Kammer kleine Ganglienzellen eingestreut sein, welche meist an der Ober- fläche der Trabekeln liegen. Sie hätten zwei bis vier Ausläufer, welche in die Muskeltrabekel hineindringen und sich in eine große Anzahl Fäserchen auf- splittern. Indessen gelang es Piotrowski nicht, in der Herzspitze Ganglienzellen nach- zuweisen, und nach F. B. Hofmann3 sind die von Bethe beschriebenen Zellen nichts anderes, als die Kerne der Nervenscheiden, welche den marklosen Nerven- bündelchen zerstreut anliegen. ß) Der Versuch von Stannius. Im Jahre 1852 veröffentlichte Stannius eine ganz kurze Notiz über die verschiedene Einwirkung, welche die Trennung einzelner Herzteile auf die rhyth- mische Tätigkeit des Froschherzens ausübt, je nachdem sie an verschiedenen Stellen stattfindet. Unter den Tatsachen, die er hier mitteilt, sind folgende die wichtigsten.4 7. ,,Wird genau diejenige Stelle unterbunden, wo der Hohlvenensinus in den rechten Vorhof mündet, so steht das ganze Herz im Zustande der Diastole anhaltend still. Nur die drei Hohlvenen und der Sinus ziehen sich selbständig zusammen."5 10. „Legt man, nach Anstellung des unter 7. beschriebenen Versuches, dessen Resultat Stillstand des ganzen Herzens ist, eine Ligatur um die Grenze zwischen der Kammer und den Vorhöfen, welche zugleich den Bulbus art. mit umschnürt, so zieht sich der Ventrikel rhythmisch lange Zeit hindurch zusammen, während die Vorhöfe in Ruhe verharren." Diese beiden Versuche, welche ich im folgenden als die erste und die zweite Stanniussche Ligatur bezeichnen werde, stellen den Ausgangspunkt einer großen Anzahl von Untersuchungen dar, die sich bis in die neueste Zeit erstrecken und eine überaus große Menge von Tatsachen über das Verhalten der einzelnen Abteilungen des Froschherzens gezeitigt haben. Um die Bedeutung derselben gebührend berücksichtigen zu können, emp- fiehlt es sich, in erster Linie die Eigenschaften der einzelnen, voneinander iso- lierten Herzabschnitte zu besprechen. y) Die zentralen Venen. Unter normalen Verhältnissen pulsieren alle drei Hohlvenen isochron. Wenn eine Hohlvene durch einen scharfen Schnitt in etwa 1 mm Entfernung vom Sinus abgetrennt wird, so pulsiert sie weiter, und zwar sehr häufig in etwa demselben Rhythmus wie das übrige Herz. Es kann indessen auch der Fall 1 Piotrowski, Inaug.-Diss. Rostock 1906, S. 28. 2 Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. des Nervensystems. Leipzig 1903, S. 93. 3 F. B. Hofmann, Aren. f. mikr. Anat., 70, S. 395; 1907; — Aren. f. d. ges. Physiol., 132, S. 77; 1910; — Zeitschr. f. Biol., 67, S. 380; 1917. 4 Stannius, Aren. f. Anat. u. Physiol., 1852, S. 85—92. 5 Diese Erscheinung wurde schon im Jahre 1844 von Volkmann beschrieben (Arch. f. Anat. u. Physiol., 1844, S. 426). Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 7 98 Die Innervation des Herzens. sein, daß sogleich oder nach einigen rascheren Schlägen eine vorübergehende Verlangsamung auftritt, nach welcher allmählich oder mit einem Male die größere Frequenz wieder erscheint (Engelmann1). Der vom Venensinus isolierte kardiale Abschnitt der unteren Hohlvene der Kröte pulsiert stundenlang vollkommen regelmäßig ohne jede Störung seines Rhythmus (Duccheschi2). Auch beliebig gelegene, sehr kleine Teile der Hohlvenen besitzen das gleiche Vermögen spontaner rhythmischer Pulsationen. Selbst von sehr entfernten Stellen der Hohlvenen können sich daselbst erweckte Extrasystolen nach dem Sinus und von diesem aus weiter über die Vorhöfe nach der Kammer fortpflanzen. Bei dem sterbenden Herzen, wo die Leitungsgeschwindigkeit im Herzen und die Frequenz der spontanen Bewegungen genügend gesunken sind, kann man nachweisen, daß eine z. B. am distalen Ende der V. cava superior sin. aus- gelöste Reizung durch den Sinus nach der unteren Hohlvene und der V. cava superior dextra hinschleicht. Dabei ist eine kleine Verzögerung der Kontraktions- welle an der Sinusgrenze sehr deutlich. Die Tatsache, daß am frischen Herzen die Bewegungen der drei Hohlvenen scheinbar denen des Sinus synchron sind, darf daher nicht in absoluter Meinung gelten.3 Die streng lokalisierte Erwärmung einer Hohlvene bewirkte eine bedeutende Beschleunigung der Pulsfrequenz nicht allein bei ihr selber, sondern auch bei dem ganzen Herzen, wenn dasselbe noch mit der Vene zusammenhing. Kurz, von jeder beliebigen Stelle der großen Venen aus kann eine Revolution des ganzen Herzens ausgelöst und somit die Frequenz der Herzbewegung be- einflußt werden.4 Andererseits wird die Abtrennung der Venen häufig ohne jede Veränderung der Pulsfrequenz des übrigen Herzens ertragen. In einigen Fällen erschienen Störungen des Herzrhythmus, indem nach Abtrennung der V. cava inferior eine sofortige dauernde Verlangsamung des Herzens eintrat, wobei die abgetrennte Vene in gleichem oder selbst etwas beschleunigtem Tempo weiterschlug. Auch nach Durchschneidung der V. pulmonalis und des unmittelbar an- grenzenden Gewebes erschien ein lange anhaltender Stillstand, der jedoch auf mechanischer Reizung der zu beiden Seiten der Pulmonalvene an den Sinus tretenden Vagusstämme zurückgeführt werden konnte, usw. Jedenfalls ließ sich in keiner Weise eine beschränkte Stelle nachweisen, deren Zerstörung mit Sicherheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit einen Still- stand des Herzens zur Folge gehabt hätte, in der Art, wie dies beim Stannius- schen Versuch der Fall ist. Also ist keine bestimmte, scharf umschriebene Stelle in der Wand der venösen Ostien als ausschließliche und regelmäßige Quelle der normalen Herzreize zu betrachten, sondern jeder oder doch die meisten Teile der großen Venen und des Sinus können als solche im Leben tätig sein.5 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 65, S. 115; 1876. 2 Duccheschi, Arch. ital. de biol., 37, S. 140; 1902. 3 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 128. 4 Engelmann, ebenda, 65, S. 133. 5 Engelmann, ebenda, 65, S. 135. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 99 Dies wird durch v. Skramliks1 Erfahrung, daß selbst die allerwinzigsten Teile der Hohlvenen und des Venensinus in demselben Rhythmus wie das un- verletzte Organ pulsieren, nur noch bestätigt. Ohne der Auffassung von Engelmann direkt widersprechen zu wollen, hebt Muskens2 auf Grund von Beobachtungen an Herzen, in denen die Fort- pflanzung der Erregung auf Grund einer Reizung der hemmenden Herznerven etwas verzögert war, hervor, daß bei der großen Rana Catesbeiana die Mündung der Vena cava superior, bei Pseudemys rugosa und P. elegans die Vena cava inferior den Ausgangspunkt der Kontraktion darstellt und also als Ort der am stärksten entwickelten Automatie zu bezeichnen ist. Auch er gibt indessen zu, daß mehrere Stellen des Venensinus eine solche besonders große Automatie besitzen können. Wie oben bemerkt (II, S.43), hat Engelmann den Satz entwickelt und näher begründet, daß man bei konstanter Dauer der auf eine beliebig einfallende Extra- systole folgenden Pause auf eine kontinuierliche Erzeugung von Erregungsursachen schließen kann.3 Auch nach diesem Kriterium schlagen die Hohlvenen spontan, denn nach einer bei ihnen ausgelösten Extrasystole wird niemals eine kompen- satorische Pause beobachtet.4 Es kann wohl der Fall sein, daß die Pause nach der Extrasystole, wenn diese sehr früh nach der spontanen folgt, etwas ver- längert ist, diese Verlängerung ist aber niemals eine wirklich kompensatorische; sonst ist die betreffende Pause um so kürzer, je später die Reizung einsetzt.5 Eine während der refraktären Periode stattfindende Reizung bleibt dagegen ganz ohne Wirkung, was bezeugt, daß diejenigen Vorgänge, von denen die Erzeugung der automatischen Reize in den Muskelfasern abhängt, während des refraktären Stadiums durch die elektrische Reizung nicht merkbar modifiziert werden.6 Aus diesen Erfahrungen folgert Engelmann, daß in jeder oder den meisten Muskelfasern der großen Venen (und des Sinus) kontinuierlich Reizursache erzeugt wird, welche, sobald sie zu einer gewissen Höhe gediehen, eine Kon- traktionswelle auslöst. Durch diese wird die Muskelsubstanz vorübergehend ihrer Kontraktilität und ihres Leitungsvermögens beraubt und die automatische Entwicklung der Reizursachen vorübergehend eingeschränkt. Alsbald aber hebt letztere wieder an, Kontraktilität und Leitungsvermögen kehren zurück, und es wird nach einiger Zeit zu einer neuen Entladung in Form einer Kontrak- tionswelle kommen können.7 Nach dieser Auffassung wäre also die Reizabgabe nicht ununterbrochen, sondern periodisch.8 Diese Überlegung scheint indessen nicht vollkommen bindend zu sein, denn auch wenn die Reize stetig abgegeben werden, müssen die Hohlvenen und der Venensinus nach einer eingeschalteten künstlichen Reizung eine Pause von etwa normaler Länge zeigen. Bewirkt ja die refraktäre Periode und die im Anfang der erregbaren Periode 1 v. Skramlik, Aren. f. d. ges. Physiol., 183, S. 113; 1920. In einem Präparat betrug die Zahl der vorhandenen Muskelzellen nur 10. 2 Muskens, Journ. de physiol., 1900, S. 79, 80. 3 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, 111. 4 Vgl. auch Duccheschi, Arch. ital. de biol., 37, S. 142; 1902. 5 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 145. 6 Engelmann, ebenda, 65, S. 139. 7 Engelmann, ebenda, 65, S. 143. 8 Engelmann, ebenda, 59, S. 347; 1894. 100 Die Innervation des Herzens. herabgesetzte Erregbarkeit, daß auch eine kontinuierliche Reizung rhythmische Kon- traktionen auslöst, wie wir es ja bei dem ununterbrochen wirkenden künstlichen che- mischen Reiz schon gesehen haben. Unter Umständen kann eine einzelne Reizung am Ende der Diastole eine Reihe von zwei, drei oder noch mehr, bis über 50 stark beschleunigten Pulsen, bei welchen die Frequenz genau oder fast genau die doppelte der vorherigen war, hervorrufen. Diese Beschleunigung schlägt in den anfänglichen Rhythmus nicht durch allmähliche Übergänge, sondern plötzlich wieder um.1 Sie tritt nur bei etwas herabgekommenen Präparaten mit bereits ziemlich lang gewordener Pulsdauer auf und wird von Engelmann in folgender Weise gedeutet. Das registrierende Stück erzeugt in diesen Fällen nicht mehr selbst die wirksamen Reize, sondern wird von einem angrenzenden, noch mit größerer Energie automatisch tätigen Muskelfragment aus durch Vermittlung einer Muskel- brücke erregt. Diese Brücke läßt aber, da ihr Leitungsvermögen herabgekommen, nur jede zweite Reizwelle passieren. Durch den wirksamen Extrareiz wird ihr Leitungsvermögen verbessert, vielleicht auch die Reizbarkeit des registrierenden Stückes selbst erhöht, so daß nun jede einzelne Welle das letztere erreichen und erregen kann.2 de Boer3 hat diese Erscheinung in der oben (II, S. 32) dargestellten Weise erklären wollen. Es kann nach Anlegen der ersten Stannius sehen Ligatur vorkommen, daß die Kontraktionen der Kammer nicht aufhören, sondern wie früher fortfahren. Dabei sind aber auch immer Teile des Sinus, event. der beiden oberen Hohl- venen noch im Zusammenhang mit dem rechten Vorhof und dadurch mit dem übrigen Herzen geblieben.4 Die betreffenden Erscheinungen bilden also keine Ausnahme von der von Stannius aufgestellten Regel. S) Der Venensinus. Der gemeinsame Venensinus bietet in seinem physiologischen Verhalten die allergrößten Ähnlichkeiten mit den Hohlvenen dar. Ebenso wie dort verändert sich die Pulsfrequenz des Sinus nicht nach seiner Abtrennung von dem übrigen Herzen, und zwar auch wenn die zentralen Venen dabei abgebunden werden. Auch hier wird die kompensatorische Pause nach einer Extrasystole vermißt, indem die Pause zwischen dieser und der folgenden Systole in der Regel von normaler Größe oder sogar kürzer ist; nur wenn die Reizung am Ende der reizbaren Periode stattfindet ist die postextrasystolische Pause verlängert, aber doch nicht kompensatorisch; usw. Wenn die Reizung im Beginn der erregbaren Periode, etwa während des ersten und zweiten Drittels der Erschlaffung stattfindet, erscheinen nach einem einzelnen Induktionsschlag genügender Stärke zwei oder mehrere Extrasystolen, sonst aber nur eine einzige. Trifft die Reizung die Stelle, wo die Lungenvene in den Sinus mündet, so kann eine lange, bis 2 Minuten lang dauernde Reihe beschleunigter Pulse entstehen. 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 65, S. 148. - Engelmann, ebenda, 65, S. 149. 3 de Boer, Quarterly journ. of physiol., 10, S. 397; 1917; — vgl. auch de Boer, Akad. van wetenschappen te Amsterdam, proeeedings, 23, S. 335, 539, 552; 1920, 1921. 4 Engelmann, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 507. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 101 Da in diesem Falle der Sinus seine Kontraktionen unter Anwendung des Hg-Manometers registrierte, und also die ganze Wand des Sinus auf die in ihm eingeschlossene Flüssigkeit einwirkte, ist die Erklärung, welche Engelmann der entsprechenden Erscheinung an den Hohlvenen gegeben hat (s. oben II, S. 100), hier hinfällig. Dies folgt außerdem noch daraus, daß hier auch eine Beschleunigung im Verhältnis 50:70 erscheinen konnte, was seinerseits, wie mir scheint, auch die Anwendung der von de Boer entwickelten Deutung einer analogen Erscheinung bei der Herzkammer des Frosches auf die vorliegende Tatsache vereitelt (vgl. oben II, S. 32). Wenn der Sinus mit tetanisierenden Induktionsströmen gereizt wird, tritt eine sehr bedeutende Zunahme der Schlagfrequenz auf, und zwar kann sie dabei bei gewöhnlicher Zimmertemperatur von 35 bis auf 178 pro Minute ansteigen.1 Ähnliche Erscheinungen erwähnt auch Heinemann bei mechanischer Reizung des Sinus.2 Eine am Venensinus lokalisierte Erwärmung beschleunigt die Schlagfolge des Herzens, während die isolierte Erwärmung der Kammer beim unversehrten Herzen gar keinen Einfluß auf ihre Schlagzahl ausübt. Überhaupt beeinflußt jeder Eingriff, welcher den Venensinus allein trifft und eine Veränderung seiner Schlagfolge verursacht, zu gleicher Zeit und in gleichem Sinne auch den Kammer- rhythmus, der seinerseits von direkten Einwirkungen auf die Kammer keine Veränderungen erleidet (Gaskell3). Wenn aber aus irgendeiner Ursache die Kammer sich nur bei jeder zweiten Sinuskontraktion zusammenzieht, so kann sie durch örtliche Erwärmung und dadurch bewirkte Erhöhung ihrer Erregbarkeit dazu gebracht werden, daß sie im gleichen Rhythmus mit dem Sinus schlägt (de Boer*). Nimmt bei örtlicher Erwärmung des Sinus die Pulsfrequenz desselben sehr stark zu, so kann es eintreffen, daß die Kammer zu träge ist, um dem neuen Rhythmus zu folgen; sie macht dann nur eine Kontraktion auf je zwei Kon- traktionen des Sinus (Mathieu5). «) Die Vorhöfe. Wenn die Vorhöfe in der Weise isoliert werden, daß sie noch mit einem sehr kleinen Teil des Sinus im Zusammenhang stehen, so pulsieren sie weiter, indessen in einem wesentlich langsameren Rhythmus als der Sinus selbst (Loven6). Unter noch nicht näher ermittelten Umständen kann die Pulsfrequenz der noch in unversehrtem Zusammenhang mit dem übrigen Herzen stehenden Vor- höfe der Schildkröte und des Frosches größer sein als die des Sinus (Lohmann1). 1 R. Tigersteät und Strömberg, Mitt. aus dem physiol. Inst, in Stockholm, Heft 5; 1888 — Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 341 ; 1894. 2 Heinemann, Arch. f. d. ges. Physiol., 34, S. 279; 1884. 3 Gaskell, Philosophical transactions, 1882 <3), S. 997; — vgl. auch v. Vintscligau, Arch. f. d. ges. Physiol., 102, S. 185; 1904; -- 110, S. 255; 1905; — Polimanti, Journ. de physiol., 1907, S. 768. 4 de Boer, Akad. van wetenschappen te Amsterdam, proceedings, 17, S. 1079; 1915. 5 Mathieu, Comp. rend. de la Societe de biol., 1904 (1), S. 733. 0 Loven, Mitt. aus dem physiol. Laborat. in Stockholm, 4; 1886; — Anat. u. phvsiol. Arb. Leipzig 1906, S. 315. 7 Lohmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 120, S. 421 ; 1907. 102 Die Innervation des Herzens. Wenn der Vorhof in einem gewissen engumgrenzten Abschnitt nach Anfang der Erschlaffung gereizt wird, können nach einer einzelnen Reizung zwei Kon- traktionen erscheinen; trifft der Reiz etwa die Vorhof-Sinus-Grenze, so kann eine ganz bedeutende Beschleunigung entstehen. Da diese auch bei Reizung während der Vorhofsystole beobachtet wurde, ist es nicht unmöglich, daß hier der Sinus primär gereizt worden war. Die betreffende Beschleunigung würde dann genau dasselbe Phänomen wie die soeben bei dem Sinus beschriebene Akzeleration darstellen (Loven1). Lokale Erwärmung des Vorhofes, gleichviel an welcher Stelle seiner Ober- fläche, ist wie die der Kammer ganz ohne Wirkung auf die Frequenz des Herzens und äußert sich höchstens in geringer Zunahme der Schnelligkeit der Verkürzung und Erschlaffung, zuweilen auch in Änderungen der Kontraktionsgröße (Engel- mann2). £) Die Kammer. Wie oben bemerkt, ist der Stillstand, in welchen die Kammer nebst dem Vorhofrest nach der ersten Stannius sehen Ligatur gerät, nicht definitiv, denn früher oder später fängt der abgeklemmte Teil wieder an, rhythmisch zu pul- sieren, und zwar würde dies, wie Stannius3 und Heidenhain1 angeben, nach der Trennung mit einer scharfen Schere früher als nach einer Ligatur eintreffen. Zur Erklärung des betreffenden Stillstandes und seines Verschwindens stehen zwei Möglichkeiten offen. Entweder ist die automatische Fähigkeit der Kammer an und für sich zu gering, um sogleich nach der Ligatur Kontraktionen hervorrufen zu können; es muß daher eine gewisse Zeit verfließen, bis sich in ihr diejenigen Veränderungen ausgebildet haben, welche zur Entfaltung einer rhythmischen Schlagfolge notwendig sind. Oder auch stellt der Stillstand die Folge einer durch die Ligatur bzw. den Schnitt bewirkten Reizung gewisser in der Herzwand befindlicher hemmender Gebilde dar; nach Abklingen derselben macht sich die bis dahin verdeckte automatische Fähigkeit der Kammer ohne weiteres geltend. Daß hemmende Gebilde in der Herzwand vorhanden sind, haben Ludwig und Hoffa*, sowie später Eckhard6, Dogiel7 und F. B. Hof mann8 durch direkte Reizung der Scheidewandnerven nachgewiesen. Außerdem haben andere Autoren bei elektrischer oder mechanischer Reizung des Herzens oder verschiedener Herzabteilungen nicht selten gefunden, daß die Herzschläge entweder während oder nach der Reizung eine Zeitlang aufhören.9 Im letztgenannten Falle war der Stillstand nach Aufhören der Reizung von einer Nachwirkung der hemmenden 1 Loven, Anat. u. physiol. Arb., S. 324; — vgl. Engelmann, Aren. f. d. ges. Phvsiol., 59, S. 325; 1894. 2 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 65, S. 133; 1896. 3 Stannius, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1852, S. 87. 4 Heidenhain, ebenda, 1858, S. 482, 502. 5 Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 127; 1849. 6 Eckhard, Beitr. zur Anatomie u. Physiol., 7, S. 193; 1876. 7 Dogiel, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1890, S. 260. 8 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 167; 1895. 9 Vgl. Ranvier, Lecons d'anat. gen., annee 1877—1878, S. 151; — Stromberg u. R. Tiger- stedt, Mitt. aus dem physiol. Laborat. in Stockholm, 5, S. 23,60; 1888; — Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 344; 1895. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 103 Nerven bedingt. Daß Stillstand während der Reizung nicht immer stattfindet, hat seinen Grund darin, daß der Herzmuskel hier direkt erregt worden ist. Es kann also kein Zweifel darüber walten, daß hemmende Gebilde durch die erste Stanniussche Ligatur gereizt werden können. Die Frage ist nur die, ob dieses Verhalten alle im Zusammenhang damit stehenden Erscheinungen vollständig erklärt, und ob es also anzunehmen ist, daß ohne diese Reizung die Herzkammer sofort nach der Trennung vom Sinus ihre Pulsationen fortgesetzt hätte. Eine derartige Ansicht wurde zuerst von Heidenhain1 ausgesprochen und später schlössen sich derselben mehrere Autoren, wie z. B. v. Wittich2 und, ob- gleich mit einem gewissen Zögern, Langendorff3 an. Als Gründe für diese Auffassung werden angeführt, daß der Stanniussche Stillstand nicht definitiv ist, sondern daß das Herz nach demselben früher oder später wieder zu schlagen beginnt; daß er länger nach einer Ligatur als nach einem Schnitt dauert: im ersten Falle ist die Reizung, wie es scheint, stärker als im zweiten (Heidenhain*). — Der Stillstand dauert um so länger, je näher der Sinusgrenze der Schnitt gelegt wird, was darauf zurückgeführt wird, daß sich im oberen Teil des Vorhofes die hypothetischen hemmenden Gebilde in reichlicherer Menge vorfinden sollen (Heidenhain5, Nawrocki6, Ranvier1). Wenn der Venensinus vorsichtig und in kleinen Abteilungen abgetrennt wird, tritt überhaupt kein Stillstand ein (Pagliani8). Ist der von der Abtrennung bewirkte Stillstand vorübergegangen, so erfolgt nach einer neuen, tiefer ge- legenen Abtrennung, welche indessen nicht die Atrioventrikulargrenze treffen darf, ein neuer Stillstand (Langendorff9), was aber von F. B. Hofmann10 bestritten wird. Andererseits hat man bemerkt, daß der nach einer Ligatur erscheinende Stillstand oft viel länger, bis zu 3/4 Stunde, dauert, als dies von einer mechanischen Reizung der hemmenden Gebilde erwartet werden dürfte. Und im Gegensatz zu Heidenhain und mehreren anderen Autoren geben Eckhard11, Goltz1'2 und Löwit13 an, daß der Stillstand am längsten dauert, wenn die Abtrennung nahe der unteren Grenze des Vorhofes erfolgt, und am kürzesten ist. wenn dies nahe der Sinus- Vorhofgrenze stattfindet. Goltz ging von dem Gedanken aus, daß die Ursache der nach dem Still- stande auftretenden Pulsationen möglicherweise in einer durch die Luft aus- geübten Reizung zu suchen sei. Um das Herz davor zu schützen, wurde es in 1 Heidenhain, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1858, S. 502. 2 v. Wittich, Königsberger med. Jahrbücher, 1; 1859; zit. nach Langendorff (s. unten S. 81). 3 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt.. 1884, Suppl.. S. 84. 4 Heidenhain, ebenda, 1858, S. 482. 5 Heidenhain, ebenda, 1858, S. 483. 6 Nawrocki, Studien des physiol. Inst, zu Breslau, 1, S. 114; 1861. 7 Ranvier, Lec,ons d'anat. gen., annee 1877—1878, S. 169. 8 Pagliani, Unters, zur Naturlehre, 11, S. 380; 1876. 9 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, Suppi., S. 99. 11 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Bio!., 72, S. 230; 1920. 11 Eckhard, Beitr. zur Anat. u. Physiol., 2, S. 130; 1860; — 3, S. 108; 1863. 12 Goltz, Arch. f. pathol. Anat., 21, S. 199; 1861. 13 Löwit, Arch. f. d. ges. Phvsiol., 23, S. 328; 1886; — vgl. auch Vignal, Archive- de physiol., 1881. S. 723. ]Q4 Die Innervation des Herzens. allen Versuchen unter Öl aufbewahrt. Als er jetzt die erste Stanniussche Ligatur anlegte und sie dann löste, fand er, daß die Kammer dennoch fortwährend still- stand, mit Ausnahme einiger weniger Kontraktionen, welche durch die mecha- nische Reizung beim Lösen der Ligatur entstanden waren. Jetzt legte Goltz die zweite Stanniussche Ligatur um die Vorhof-Kammergrenze. Die Folge davon war die gewöhnliche, nämlich eine Reihe von Kontraktionen. Als 'diese Ligatur gelöst wurde, hörten die Kontraktionen auf. Sie müssen also auf eine durch die Ligatur hervorgerufene Reizung bezogen werden. Da aber bei der Lösung der ersten Ligatur die Herzkammer sich nicht aufs neue zusammen- zog, schließt Goltz, daß diese nicht durch Reizung, sondern durch eine wirkliche Trennung den Stillstand der distal liegenden Teile des Herzens her- vorbringt.1 Ganz in derselben Richtung geht auch folgende Beobachtung von Klug.2 Er schnitt die beiden Vagi durch und ließ die Tiere am Leben. Nach einiger Zeit war die Degeneration der durchgetrennten Nerven so weit fortgeschritten, daß sie bei Reizung nunmehr keine Hemmungserscheinungen hervorriefen. Dasselbe war auch bei Reizung des Venensinus der Fall. Dessen ungeachtet bewirkte die erste Stanniussche Ligatur den gewöhnlichen Stillstand. Dementsprechend tritt auch am atropinisierten Herzen, wo die Vaguswirkung ja aufgehoben ist, der Stillstand ebenso sicher wie am unvergifteten Herzen ein (Engelmann3). Gegen das Vorhandensein einer Vaguswirkung als alleinige Ursache des Stillstandes spricht noch Engelmanns* Erfahrung, daß während desselben die direkte Erregbarkeit und die Leistungsfähigkeit des Kammermuskels nicht, wie dies bei der Vagushemmung der Fall ist, vermindert sind; vielmehr ist die erstere im Beginn des Stillstandes sogar gesteigert. In derselben Richtung spricht noch die Tatsache, daß die künstliche Reizung der Scheidewandnerven überhaupt keinerlei Einfluß auf die Frequenz ausübt, sondern nur die Stärke der Kammerkontraktionen vermindert (F. B. Hofmann5). Die Anatomie lehrt uns, daß, obgleich die Muskelfasern des Froschherzens von Nerven dicht umsponnen sind, die Hauptmasse der Ganglienzellen wie die großen Nervenstämme in der Scheidewand sich vorfinden. Wenn also der Stan- niussche Stillstand durch Reizung der Hemmungsapparate zustande kommen sollte, müßte die Durchschneidung sämtlicher Verbindungen zwischen Sinus und Kammer, wenn nur die Scheidewandnerven unversehrt bleiben, für die regelmäßige Schlagfolge ziemlich belanglos sein. Dem ist indessen nicht so, denn diese Operation ruft im Gegenteil ganz dieselben Erscheinungen wie die erste Ligatur von Stannius hervor, also einen Stillstand, der nach einer kürzeren oder längeren Zeit aufhört. Andererseits kann die Scheidewand mit ihren Nerven und Ganglienzellen ohne jede Störung der normalen Herztätigkeit vollständig exstirpiert werden. 1 Goltz, Aren. f. pathol. Anat., 21, S. 201; 1861. - Klug, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1881, S. 945; — vgl. auch Polumordwinow, Aren. f. d. ges. Physiol., 140, S. 462; 1911. 3 Engelmann, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 511. 4 Engelmann, ebenda, 1903, S. 510. 5 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Bio!., 67, S. 387, 394; nähe"r in Kap. XVII. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 105 Dasselbe ist auch bei alleiniger Durchschneidung der Scheidewandnerven der Fall (F. B. Hof mann'). Wird der Versuch so ausgeführt, daß man außer den Scheidewandnerven noch eine breite Verbindungsbrücke, einmal aus der äußeren Wand des rechten Vorhofs, ein andermal aus der äußeren Wand des linken übrig läßt, so folgt nach der Operation ohne Unterbrechung auf jede (oder wenigstens jede zweite) Sinuskontraktion eine Vorhof- und Kammersystole. Durchschneidet man jetzt diese Verbindungsbrücke, so tritt Stillstand des distalen Stückes in ähnlicher Weise, wie bei Durchschneidung der ganzen Vorhofwand auf einmal, ein.2 Wenn endlich an einem spontan schlagenden Präparat, wo der gesamte Grund- stock des intrakardialen Nervensystems (das Remaksche Ganglion, die Ganglien der Scheidewand und die Bidderschen Ganglien) entfernt wurden, der Sinus vom übrigen Herzen abgetrennt wird, so tritt bei den distalen Herzteilen Stillstand sofort ein (F. B. Hofmann3). Schon aus diesen Versuchen folgt, daß die Scheidewandnerven bei dem Zustandekommen der Herzperistaltik nicht beteiligt sind. Man könnte indessen gegen dieselben anmerken, daß sie bei den Operationen dennoch in irgendeiner Weise beschädigt worden waren. Um dieser Einwendung zu entgehen spaltete Hofmann* das Herz in zwei ungleiche Abschnitte, welche nur durch die Scheidewandnerven miteinander in Verbindung standen. Der obere Abschnitt bestand aus den beiden oberen Hohl- venen, dem angrenzenden Teil des Sinus und einem Stück Vorhofmuskulatur. Der untere Abschnitt setzte sich aus der unteren Hohlvene, einem Teil des Sinus und Vorhofes und der Kammer zusammen. Beide Abschnitte schlugen nach dem Schnitte meist ohne jeden Stillstand, und zwar ganz unabhängig vonein- ander fort. Durchschneidet oder unterbindet man an diesem Präparat die Scheide- wandnerven, so kontrahiert sich der untere Herzabschnitt ohne jede Veränderung weiter. Läßt man aber die Scheidewandnerven unberührt, und trennt von dem unteren Herzabschnitt den Sinus vollständig ab, so steht die Kammer gewöhnlich sofort still und erst nach längerer Zeit fangen ihre Kontraktionen wieder an. Übrigens läßt sich der Venensinus ohne jede Reizung durch Bepinselung mit 1 prozentiger KCl -Lösung am ausgeschnittenen Herzen ausschalten, und dabei tritt regelmäßig ein mehr oder weniger langer Stillstand auf (F. B. Hof- mann5). Aus diesem allen scheint nun hervorzugehen, daß der Stillstand der Herz- kammer nach der ersten Stannius sehen Ligatur nicht auf die Wirkung hemmender Nerven zurückgeführt werden kann, sondern wesentlich darauf beruht, daß die automatische Fähigkeit der abgetrennten Herzteile geringer als die des Venen- sinus ist und daher eine gewisse Zeit, d. h. eine stärkere innere Reizung, braucht, um sich geltend zu machen. 1 F. B. Hofmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 60, S. 142; 1895; — vgl. auch Eckhard, Beitr. z. Anat. u. Physiol., 7, S. 192; 1876; — sowie H. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1878, S. 569. 2 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 146. 3 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Bio!., 67, S. 385; 1917. 4 F. B. Hof mann, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 150. 5 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 72, S. 232, 238; 1920. 106 Die Innervation des Herzens. Damit hängt gewissermaßen zusammen, daß die Kammer jede zeitweilige Unterbrechung ihrer selbständigen Tätigkeit mit einem vorübergehenden Nach- lassen ihrer eigenen Automatie beantwortet. Wenn nämlich einer automatisch pulsierenden Kammer ein schnellerer Rhythmus aufgezwungen wird, so bleibt die Kammer bei der Unterbrechung der Reizung eine Zeitlang stillstehen, bis sie ihre frühere eigene Schlagfolge wieder aufnimmt (Lohmann1, Schildkröten- herz; F. B. Hoffmann2, Froschherz), und dies ist auch bei der natürlichen, vom Sinus her ausgelösten Kammertätigkeit der Fall. Der Stanniussche Stillstand wäre daher eine Folge der Unterdrückung der Kammerautomatie durch eine vorhergehende dauernde Zuleitung von Sinuserregungen (F. B. Hofmann2). Einen Ausdruck für die geringere Automatie der Kammer finden wir noch in der kleineren Pulsfrequenz, die der selbständig pulsierenden Kammer eigen ist. So betrug z. B. in einem Versuch von Langendorff* die Zahl der nach dem Stillstand erscheinenden Kammerpulsationen 52 in einer halben Stunde, während die Pulsfrequenz des Froschherzens normal etwa 30—40 in der Minute beträgt. Gegen die hier entwickelte Anschauung ist von Raaflaub' ausgeführt worden, daß man durch lokale Bepinselung des Venensinus mit Novokain diesen Herzteil aus- schalten kann, ohne daß danach irgendwelcher Herzstillstand erscheint. Vielmehr fährt die Kammer mit ihren Pulsationen ununterbrochen weiter fort, nur sind diese jetzt in hohem Grade verlangsamt. Wie bei der Atropinvergiftung tritt auch hier nach der Anlegung der ersten Stannius sehen Ligatur Kammerstillstand ein. Hieraus würde sich also ergeben, daß die Automatie der Kammer nach ihrer Iso- lierung vom Sinus sofort in voller Intensität erscheinen kann; indirekt würde daraus folgen, daß das Resultat der ersten Stanniusschen Ligatur allein von einer langdauernden Vaguswirkung bedingt ist. r Dem gegenüber hat F. B. Hofmann6 indessen gezeigt; daß nach der Vergiftung des Sinus mit Novokain die Anlegung der ersten Stanniusschen Ligatur bei normaler Zirkulation in der Regel keinen Stillstand bei der schon schlagenden Kammer hervor- ruft, sowie daß am ausgeschnittenen Herzen nach der völligen Vergiftung des Sinus ein minutenlang dauernder Stillstand auftritt. Die nach Ende des Stillstandes spontan erscheinenden Kammerkontrak- tionen können nach Engelmann7 entweder im Vorhof beginnen und davon auf die Kammer übergehen, oder auch umgekehrt zuerst in der Kammer und dann in den Vorhöfen erscheinen; auch können Kammer und Vorhöfe gleich- zeitig ihre Kontraktionen beginnen. Die zu der ersten Gruppe gehörigen Kontraktionen fangen immer nur wenige Sekunden bis Minuten nach Beginn des Stillstandes an und sind, nach Engel- mann, aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Tätigkeit eines kleinen Sinus- restes, der bei der Ligatur im Zusammenhang mit dem Vorhof geblieben ist, her- vorgerufen. In einigen Fällen ist die Frequenz der betreffenden Pulsationen genau dieselbe oder um ein ganzes Vielfaches kleiner als die des oberhalb der Ligatur klopfenden 1 Lohmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, S. 442. 2 F. B. Hof mann, Schriften d. physik.-ökon. Ges. zu Königsberg, 54, Heft 2; 1913; Sitz.-Ber. d. Ges. zur Beförd. der Naturwiss. zu Marburg, 1916, S. 100. 3 F. B. Hofmann, Zeitschr. f . Biol., 72, S. 245. 4 Langendorff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt.. 1884, Suppl., S. 62. 5 Raaflaub, Zeitschr. f. Biol., 62, S. 480; 1914. 6 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 72, S. 233. 7 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 512. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 107 Sinus, und ihr Ursprung scheint daher ganz klar zu sein. In anderen Fällen findet sich aber gar keine feste zeitliche Beziehung zwischen ihnen und den Schlägen des Sinus vor. Nichtsdestoweniger glaubt Engelmann, daß auch hier ein ganz kleiner Rest vom Sinusgebiet mit dem Vorhof in Zusammenhang geblieben ist.1 Durch die Quetschung vorübergehend beschädigt, löst dieser anfangs keine Herzpulse aus. Allmählich erholt er sich und vermag nun Kontraktionen aus- zulösen, deren Unabhängigkeit von den Sinusperioden oberhalb der Ligatur selbstverständlich ist. Diejenigen Kontraktionen, welche in der Kammer beginnen, fangen in der Regel erst nach einem langen Stillstande, gelegentlich aber schon nach einer Minute und weniger an. Sie werden, wie Engelmann2 durch genaue Messungen feststellte, durch die Erregung von verschiedenen, bald näher dem Vorhof, bald näher der Kammer gelegenen Punkten des atrioventrikulären Grenz- gebietes ausgelöst. Dieselbe Umkehr der Schlagfolge hat Lohmann beim Schildkrötenherzen auch bei den während einer Vagusreizung auftretenden Kontraktionen3 sowie als Nachwirkung bei frequenter direkter elektrischer Reizung der Herzkammer4 nachgewiesen. Daß sich das Grenzgebiet zwischen Vorhöfen und Kammer in der Tat durch einen hohen Grad von Erregbarkeit auszeichnet, folgt schon aus der zweiten Stanniusschen Ligatur, denn die Wirkung derselben besteht gerade in einer Reizung derselben, wie aus den oben (II, S. 103) angeführten Versuch von Goltz ohne weiteres hervorgeht. Nicht allein ein Dauerreiz, wie die Ligatur, sondern auch eine einzige me- chanische Reizung, eine kurze Berührung dieser Gegend ruft eine Reihe von mehreren rhythmischen Kontraktionen hervor (H. Munk'"). Dasselbe findet auch bei Reizung mit einzelnen Induktionsströmen statt, während die ab- geschnittene Spitze der Herzkammer auf die gleiche Reizung nur mit einer Kontraktion antwortet {Marchand6). Ein konstanter Strom verursacht bei diesem Präparat viel leichter eine rhythmische Tätigkeit als bei der Herzspitze (Foster und Dew-Smith7), und bei Reizung mit tetanisierenden Induktionsströmen gibt die Kammer schnellere und zahlreichere Pulsationen als die Herzspitze (v. Basch8). Erwärmung oder chemische Reize, welche auf die Herzspitze gar keine oder nur eine sehr schwache Wirkung ausüben, rufen an der Kammer Reihen von Pul- sationen hervor (Marchand9). Muskelstreifen aus den tieferen Kammerteilen erholen sich langsamer zur Schlagtätigkeit als höher gelegene, die sich über die Atrioventrikulargrenze hinaus erstrecken und zeigen auch eine geringere Pulfrequenz als diese (Loewe10; Abderhalden und Gellhom11). 1 Vgl. auch Langendorff, ebenda, 1884, Suppig S. 90. 2 Engelmann, ebenda, 1903, S. 516. 3 Lohmann, ebenda, 1904, Suppl. S. 265. 4 Lohmann, ebenda, 1904, S. 442. 3 H. Munk, Beilage z. Tagebl. d. Naturforscher-Vers, zu Speier, 1861, S. 46. 6 Marchand, Arch. f. d. ges. Physiol., 18, S. 513; 1878. 7 Foster und Dew-Smith, Journ. of anat. u. physiol., 10, S. 746; 1876. 8 v. Basch, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 79 (3), S. 61; 1879. 9 Marchand, Arch. f. d. ges. Physiol., 18, S. 513. 10 Loewe, Zeitschr. f. exper. Medizin, 6, S. 292; 1918. 11 Abderhalden und Gellhorn, Arch. f. d. ges. Physiol., S. 312; 1920. 108 Die Innervation des Herzens. Aus diesen Erfahrungen folgt also unbedingt, daß etwa an der Grenze zwischen Vorhof und Kammer ein Gewebe sich findet, das mit einem verhältnis- mäßig großen Grade von Automatie ausgerüstet ist. In früheren Zeiten bezog man allgemein diese Eigenschaft auf das Biddersche Ganglion, und H. Munk1 glaubte dafür einen Beweis erbracht zu haben, als er fand, daß eine ,, einfache mechanische Reizung", welche an der Mitte des oberen Kammerrandes angebracht wurde, eine ganze Reihe von Pulsationen hervorbrachte. Bc --MT K Fig. 202. Der Atrioventrikulartrichter {MT) des Froschherzens. Nach W. Ewald. VH, Vorhöfe; BG, Bidders Ganglion; SchW, Scheidewand; Bc, Bulbus cordis; K, Klappen; F, Faden im Stich- kanal; MT, Atrioventrikulartrichter. Indessen wies W. Ewald2 durch systematisch ausgeführte Nadelstiche mit nachfolgender mikroskopischer Untersuchung — der Ort des Stiches wurde durch einen in die Nadel eingefädelten und im Herzen verbleibenden Kokonfaden ge- kennzeichnet — , daß die betreffende Reihe von Pulsationen nicht durch die Erregung des Bidderschen Ganglions hervorgerufen wurde, denn unter sämt- lichen 29 Präparaten zeigten nur zwei eine Verletzung von Ganglienzellen. In den anderen Fällen lagen die Ganglienzellen hoch über dem Faden, so daß auch an eine Reizung derselben durch Zerrung u. dgl. kaum zu denken war (Fig. 202). 1 H. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1878, S. 569. 2 W. Ewald, Arch. f. d. ges. Physiol., 91, S. 21 ; 1902. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 109 Der Ort, von woher in diesen Versuchen die Reihen von Kontraktionen ausgelöst werden konnten, zeigte einen besonderen Bau, indem hier die Muskel- wand des Vorhofes in der Nähe der Atrioventrikularfurche dicker wurde und einen ..nach der Herzhöhle vorspringenden, kompakten Muskelwulst bildete, welcher der trabekulär geflochtenen Kammer aufsaß. Nach hinten ging dieser Wulst in ein sich rasch keilförmig verschmälerndes Muskelbündel über, welches eine ziemliche Strecke weit noch gesondert zu verfolgen und den Trabekeln der Kammerwand zunächst innen aufgelagert war, dann weiter sich zwischen die- selben einsenkte und in kontinuierlichem Übergange verschwand (der Atrio- ventrikulartrichter; vgl. Kap. XVII). Zu dem gleichen Resultat wie Ewald kam auch Haberlandt1 bei Reizung der betreffenden Stelle mit doppelten Induktionsschlägen. Dabei wurden Reihen von Kontraktionen erhalten, deren Anzahl mit Zunahme der Reizstärke zunahm. Am spontan schlagenden Froschherzen gelang es, wenn auch nur selten, durch einen Doppelschlag in der Trichtergegend den normalen Sinusrhythmus durch eine von der Kammer ausgehende umgekehrte Schlagfolge zu ersetzen. Bei starker Doppelreizung trat zuerst eine tetaniforme Kontraktion und dann eine lange Reihe von stark beschleunigten Kammerkontraktionen auf. Derselbe automatische Kammerrhythmus kam auch durch tetanisierende Reizung in der Atrioventrikulargegend zum Vorschein.2 Nach vollständiger Ausspülung des Herzens mit Ringerlösung beginnt die Kammer nach Anlegung der ersten Stanniusschen Ligatur nie mehr spontan zu pulsieren, ist aber künstlich erregbar. Bei einfacher Berührung des frei- gelegten Atrioventrikulartrichters erscheinen sofort rhythmische Pulsationen, welche nach Aussetzen des Reizes fortdauern (v. Skramlik*). Wenn die Vorhöfe durch tetanisierende Induktionsströme in Wühlen ver- setzt werden, so tritt eine völlige Dissoziation zwischen der Sinus- und der Kammer- tätigkeit auf, d. h. in der Kammer entstehen dabei Kontraktionen, welche vom atrioventrikulären Trichter her ausgelöst werden. In anderen Fällen bleibt aber dabei die Kammer stillstehen, und erst nach dem Wiedererscheinen der Vorhofkontraktionen fängt sie mit ihren Zusammenziehungen wieder an (Haber- landt*). Um den Ort der Kammerautomatie näher festzustellen, trennte Haberlandt-' den Basisteil der Kammer von oben nach unten allmählich ab, bis die spontan oder durch künstliche Reizung erscheinenden Kontraktionsreihen völlig verloren gingen. Es stellte sich dabei heraus, daß dies erst dann eintraf, wenn der Schnitt an der Grenze zwischen dem oberen und mittleren Kammerdrittel, wo auch die letzten Ausläufer des Atrioventrikulartrichters aufhörten, gelegt worden war. Durch Spaltung der Kammer in frontaler und sagittaler Richtung erwies Haberlandt6 endlich, daß sich keine merkbare Differenz in bezug auf die auto- 1 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 61, S. 1; 1913; -- Aren. f. Anat. u. Physio!., physiol. Abt., 1916, S. 389. 2 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 65, S. 229; 1915. 3 v. Skramlik, Aren. f. d. ges. Physiol., 183, S. 120; 1920. 4 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 65, S. 226. — Beim Schildkrötenherzen hat Haberlandt ganz ähnliche Erscheinungen nachgewiesen. 5 Haberlandt, ebenda, 67, S. 83; 1916. c Haberlandt, a. a. ()., 67, S. 92. HO Die Innervation des Herzens. matischen Eigenschaften bei den verschiedenen Segmenten des Trichters vor- findet. Die rhythmische Tätigkeit scheint vorwiegend an die untere Trichter- hälfte, die eben die Klappenansatzstelle ist, geknüpft zu sein. Alle spontanen Kontraktionen des Atrioventrikulartrichters beginnen zumeist mit einer Zu- sammenziehung der Klappengegend (v. Skramlik1). Aus diesen Beobachtungen, zu denen noch hinzuzufügen ist, daß die be- treffende Gegend eine höhere Erregbarkeit als die benachbarten Partien der Kammerbasis besitzt (Haberlandt2), folgt, daß die Kammerautomatie zunächst ihren Sitz im Atrioventrikulartrichter hat. Hierbei kann nicht allein der Kammer- teil des Trichters, sondern auch, allerdings nur in sehr seltenen Ausnahmefällen, dessen Vorhofteil als automatisch tätiger Erreger von Pulsationen dienen, wie Engelmann9 durch Versuche nachgewiesen hat, bei denen nach der ersten Stan- musschen Ligatur die Systole des Vorhofes vor der Kammersystole begann. Der Stillstand der Herzkammer, den Dogiel und Archangelsk)?* nach Ex- stirpation der Bidderschm Ganglien samt den Ganglien im oberen Teil der Kammerwand beobachteten, ist daher möglicherweise nicht auf die Ausschaltung der betreffenden nervösen Gebilde zu beziehen, sondern kann seinen Grund in der Verletzung anderer Gewebe haben. y) Die Herzspitze. Der unterhalb des Atrioventrikulartrichters liegende Teil der Kammer des Froschherzens, die Herzspitze, kann allerdings, wie schon oben (II, S. 6,9) dar- gestellt, unter dem Einfluß eines konstant wirkenden Reizes, wie eines erhöhten inneren Druckes, eines konstanten elektrischen Stromes, einer künstlichen Nähr- flüssigkeit, in eine rhythmische Tätigkeit versetzt werden: im eigenen Blut des Tieres und bei normaler Wandspannung fängt sie aber (vgl. II, S. 7) nie an zu pulsieren, und bei Reizung mit Einzelreizen, einem Induktionsschlag, einem Nadelstich oder einer momentanen Berührung, macht sie nur eine einzige Kontraktion und bleibt dann wieder ruhend. Der Herzspitze kann also keine Automatie im oben definierten Sinn zu- erkannt werden. #) Der Bulbus aortae. Merkwürdigerweise scheint dies aber mit dem Bulbus des Froschherzens der Fall zu sein. Wenn der ausgeschnittene Bulbus aortae unter einem Druck von 5 bis 20 mm Hg gefüllt wird, zieht er sich in der Regel noch einige Zeit rythmisch zusammen. Die Dauer der Pause wächst dabei allmählich und nach etwa einer Viertelstunde ist Ruhe eingetreten. Es kann aber auch eintreffen, daß gar kein Stillstand erscheint und daß also der Bulbus immer weiter pulsiert. Der stillstehende Bulbus reagiert auf jeden mäßig starken Einzelreiz, gleich- gültig welcher Art, nicht wie die Herzspitze mit einer einzigen Zusammenziehung, sondern mit einer Reihe von Kontraktionen, beginnt aber auch ohne vorher- 1 v. Skramlik, a. a. O., 183, S. 122. 2 Haberlandt, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1916, S.,393. 3 Engelmann, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 519; — vgl. auch Langen- dorff, ebenda, 1884, Suppl., S. 91 und Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 61, S. 56; 1913. 4 Dogiel und Archangelsk}', Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 12; 1906. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. ] j 1 gehende Reizung nach einiger Zeit wieder zu klopfen. Diese Kontraktionen er- reichen meist innerhalb einer kurzen Zeit eine ziemlich konstante Frequenz, welche sie dann stundenlang beibehalten können. Diese Frequenz ist aber immer viel geringer als wenn der Bulbus noch in normaler Weise mit dem übrigen Herzen zusammengehangen hätte; so war bei einer Temperatur zwischen 13 und 20° C die Frequenz durchschnittlich mehr als lOmal kleiner als vorher (Engelmann1). Nach v. Skramlik2 hat die Auto- matie ihren Sitz im Ursprung des Bulbus, also seiner Klappengegend. Aus diesen Erfahrungen scheint also hervorzugehen, daß beim Froschherzen sowohl die zentralen Venen, wie der Venensinus, der Atrioventrikulartrichter und der Bulbus aortae die Eigenschaft der Automatie besitzen, d. h. sie können ohne künstliche Reizung unter dem Einfluß der normal im Blute oder im Herzen selbst entstandenen chemischen Reize, bzw. der im Herzen normal stattfindenden Druckschwankungen in Tätigkeit versetzt werden. Dagegen scheint die Haupt- masse der Kammer wie möglicherweise auch die der Vorhöfe eine Automatie in diesem Sinne nicht zu besitzen. Der Grad der Automatie ist aber bei den einzelnen Herzabteilungen sehr verschieden, und zwar ist er am größten bei den zentralen Venen und dem Venen- sinus, geringer beim Atrioventrikulartrichter und am geringsten beim Aorten- bulbus, wie aus dem Vergleich der bei spontaner Tätigkeit der betreffenden Herzteile in der Zeiteinheit ausgeführten Kontraktionen ersichtlich ist. Unter normalen Verhältnissen wird sich also die Automatie des Atrioven- trikulartrichters wie des Bulbus derjenigen des Venensinus gegenüber nie geltend machen können, und die betreffenden Herzabschnitte müssen in dem vom Venensinus bestimmten und ihnen aufgezwungenen Rhythmus pulsieren. Man kann sich also gut denken, daß im wirklichen Leben die Automatie der distaleren Abschnitte des Herzens nie in Anspruch genommen werden sollte, und daß sie also nur potentiell vorhanden wäre. Unter Umständen, vor allem in Fällen, wo die Reizübertragung von dem einen Herzabschnitt zum anderen aufgehoben ist, ist aber diese Automatie, wie aus den Erfahrungen an den Warm- blütern und insbesondere an kranken Menschen hervorgeht, von einer außer- ordentlich großen Bedeutung und kann nicht zu hoch geschätzt werden. b) Das Herz bei anderen kaltblütigen Wirbeltieren. Die Auffassung, zu welcher wir auf Grund der eingehenden Untersuchungen am Froschherz gekommen sind, läßt sich ohne Schwierigkeit auch am Herzen der übrigen Wirbeltiere und zunächst der kaltblütigen durchführen. Beim Bdellostoma Dombeyi ist der peristaltische Charakter des Herz- schlages leicht erkenntlich, weil die einzelnen Herzabschnitte weniger stark, als dies bei dem Herzen der höheren Wirbeltiere der Fall ist, untereinander zu- sammenhängen und weil sich die Kontraktionswelle verhältnismäßig langsam über das Herz ausbreitet. Wenn der Sinus von dem Vorhofe abgetrennt wird, steht das Herz des Bdello- stoma auch nicht einen Augenblick still, und desgleichen ruft die Trennung des 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 29, S. 442, 455; 1882. 2 v. Skramlik, ebenda, 183, S. 125; 1920. 112 Die Innervation des Herzens. Vorhofes von der Kammer keinen Stillstand bei dieser hervor, ja, sogar isolierte Stückchen der Kammer pulsieren stundenlang ohne jede äußere Reizung. Dagegen wird der Rhythmus der Kammer nach der Isolierung vom Vorhof wesentlich langsamer als vorher und bleibt, so lange die Kammer noch schlägt, auf diesem niedrigen Stand stehen (Carlson1). Nach Dogiel und Kazem-Beck- teilt sich beim Hecht der Vagus kurz vor der Sinus-Vorhofgrenze in 4 bis 7 Zweige, welche sich an der Umgebung der Vereinigungsstelle des Venensinus mit dem Vorhof verbreiten. Während ihres Verlaufes an der inneren Venensinusfläche tauschen die Nerven der linken und der rechten Seite gegenseitig Fasern aus. Außer diesen Nerven gehen zu der Kammer noch solche mit den Koronar- arterien und verbreiten sich an der ganzen Herzoberfläche. Vignal3 gibt an, daß beim Fischherzen (Roche, Karpfen) Ganglienzellen teils am Vorhof, teils an der Kammer vorkommen. Am ersten Orte bilden sie einen Ring um die Atrioventrikularöffnung und erstrecken sich auch etwas auf den Vorhof zwischen der Kammer und dem Venensinus. An der Kammer finden sich bei den Knorpelfischen Ganglienzellen nur längs einem großen Nervenstamm, der vom Vorhof auf den Aortenbulbus übergeht, während bei den Knochen^ fischen Ganglienzellen sich über die ganze Kammeroberfläche erstrecken. Ihrerseits beschreiben Dogiel und Kazem-Beck beim Hecht vereinzelte Ganglienzellen im Venensinus; ferner an der Sinus-Vorhof- und der Atrio- ventrikulargrenze, wie im oberen Teil der Kammerbasis. An der Kammerober- fläche fanden sie keine Ganglienzellen.4 In bezug auf das Fischherz ist zu bemerken, daß einige Fische, wie der Aal, Herzen haben, welche die beim Versuch entstehenden größeren oder kleineren Schädlichkeiten lange vertragen; andere dagegen sind so empfindlich, daß eine eingehende Untersuchung ihrer Herzen fast unmöglich erscheint. Hoff mann5 fand bei Querteilung des Fischherzens dicht an der Atrioventri- kulargrenze entweder sogleich oder nach einer geringen Anzahl von Pulsationen Stillstand der Kammer, der entweder andauerte oder nach kürzerer Dauer durch wiederauftretende Pulsationen unterbrochen wurde. Nach Hoffmann ist die Übergangsstelle des Venensinus in den Vorhof Sitz der automatischen Erregung für den Vorhof und die Kammer, und der Stillstand nach Querteilung an der Atrioventrikulargrenze sei nicht die Folge der Reizung hemmender Nerven, sondern der Aufhebung der Einwirkung von dem Vorhof. Bei gewissen Selachiern fand Mills6, daß auf eine Ligatur um den Vorhof freilich ein Stillstand des abgetrennten Herzabschnittes folgte, der aber, obgleich nach einer verhältnismäßig langen Zeit, aufhörte und neuen Pulsationen Platz gab. Bei Batrachus Tau trat der unabhängige Rhythmus der abgetrennten Kammer dagegen sehr schnell nach der Abtrennung auf. 1 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 4, S. 269; 1904. 2 Dogiel und Kazem-Beck, Zeitschr. f. wiss. Zool., 37, S. 255; 1882. 3 Vignal, Aren. d. physiol., 1881, S. 699. 4 Vgl. auch Kazem-Beck, Arch. f. mikr. Anat., 24, S. 14, 1885. 5 C. E. Hoffmann, Beiträge zur Anat. u. Physiol. des N. vagus bei den Fischen. Gießen 1860, S. 28. K Mills, Journ. of physiol., 7, S. 91; 1886. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 113 Das Aalherz bietet uns, nach Mac William1, ähnliche Erscheinungen dar. Wenn man die verschiedenen Herzabteilungen voneinander trennt, so pulsiert jede ohne eine Extrareizung rhythmisch; der Venensinus pulsiert aber ebenso schnell wie das unversehrte Herz, während der Vorhof und die Kammer erst nach einiger Zeit zu pulsieren beginnen und nie dieselbe Pulsfrequenz wie der Sinus erreichen. Und zwar gilt dies von der Kammer in einem noch höheren Grade als von dem Vorhof. Mac William2 hält es für ganz entschieden, daß der Venensinus der Leiter der Herzkontraktionen ist. Alles was die Erregbarkeit des Sinus erhöht, auch wenn es genau am Sinus abgegrenzt ist, erhöht die Frequenz der Herzschläge. Ebenso wie beim Froschherzen eine einzelne Reizung des Sinus während einer verhältnismäßig langen Zeit die Pulsfrequenz steigert, so ist dies auch beim Aalherzen bei einer einzelnen Reizung dessen Venensinus der Fall usw. — Ent- gegen einer Angabe von Mac William fügt Deiche/3 auf Grund von Beobachtungen an Aalherzen, die wegen allmählich eintretender Erschöpfung oder auf Grund von Abkühlung langsamer schlugen, noch hinzu, daß der Herzschlag am linken Venensinus beginnt und daß sich der rechte Venensinus erst etwas später kontrahiert. Indessen ist auch diese Angabe nicht ganz richtig, denn es kommt auch vor, daß die Kontraktion im rechten Venensinus beginnt, und es ist Roskam* gelungen, durch Veränderungen des inneren Druckes den An- fang der Kontraktion nach Belieben zum rechten oder linken Venensinus zu verlegen. Für die Knochenfische gilt nach Kazem-Beck und Dogiel, daß nach Ab- trennung der Kammer und des Vorhofes von dem Venensinus ein Stillstand erscheint, der nach einiger Zeit vorübergeht.5 Wenn die Vorhöfe oder die Kammer oder der Conus arteriosus des Meno- branchus mit einer scharfen Schere abgeschnitten und mit Salzlösung feucht gehalten werden, so bildet sich bei ihnen eine selbständige rhythmische Tätigkeit aus. Unter den günstigsten Umständen ist indessen die Pulsfrequenz der ab- geschnittenen Teile nie höher als etwa drei bis vier Schläge in der Minute. Hier genügt aber eine ganz schwache äußere Reizung, um sowohl die Frequenz zu steigern als den Umfang der Kontraktionen zu vergrößern (Mills6). Bei der Trennung der Kammer und der Vorhöfe vom Venensinus der Land- schildkröte pulsiert letzterer in demselben Rhythmus wie früher. Die Kammer und die Vorhöfe machen zuerst eine kürzere Reihe Kontraktionen, welche von der durch den mechanischen Eingriff hervorgebrachten Reizung herrühren; dann bleiben sie eine Zeitlang in der Ruhe, beginnen aber später wieder zu schlagen. Anfangs pulsieren sie nur langsam; allmählich nimmt ihre Frequenz indessen immer mehr zu und endlich pulsieren sie ebenso schnell wie der Venensinus. 1 Mac William, ebenda, 6, S. 197; 1885. - Mac William, ebenda, 6, S. 198. 3 Deichet, Arch. intern, de physiol., 2, S. 123; 1905. 4 Roskam, ebenda, 15, S. 125; 1919. 5 Kazem-Beck und Dogiel, Zeitschr. f. wiss. Zool., 37, S. 259; 1882; in bezug auf das Fischherz vgl. auch Vignal, Archives de physiol., 1881, S. 694. 6 Mills, Journ. of physiol., 7, S. 93; 1886. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 8 114 Die Innervation des Herzens. Die Vorhöfe erreichen diese schnelle Kontraktionsfolge leichter und früher als die Kammer (Gaskell1). Wenn man durch die Kranzgefäße Blut leitet und die Kranzvenen durch- schneidet, so daß kein Blut in die Kammerhöhle gelangt, so hört die vom Sinus allein oder zusammen mit dem Vorhof isolierte Kammer gar nicht auf zu pul- sieren, sondern schlägt fortwährend, und zwar in demselben Rhythmus wie der Sinus (Gaskell2). Dies alles scheint indessen noch nicht zu beweisen, daß der Vorhof und die Kammer des Schildkrötenherzens unter normalen Verhältnissen in derselben Art und ebenso leicht wie der Sinus automatisch erregt werden. Im Gegenteil spricht der Umstand dagegen, daß es bei isolierter Kammer notwendig ist, Blut unter einem genügend hohen Druck durch die Kranzgefäße zu leiten, damit nach der Abtrennung vom Sinus kein Stillstand entstehen soll, während die Kammer bei unversehrtem Zusammenhang mit dem Sinus, trotz der Blutleere ihrer Wände, dennoch pulsiert. Bei der Wasserschildkröte (Pseudoemys rugosa) beobachtete Mills3 im Gegensatz zu den Ergebnissen Gaskells an der Landschildkröte, daß Vorhöfe und Kammer, wenn sie vom Sinus abgetrennt waren, keineswegs in einem ebenso schnellen Rhythmus wie der Sinus pulsierten, wie lange auch der Versuch fort- gesetzt wurde. Die isolierten Vorhöfe pulsieren langsamer als der Venensinus. Die abgetrennte Kammer pulsiert nur äußerst selten spontan. Gleichviel, ob Mills sie in Blut oder Salzwasser legte, immer blieb sie in der Ruhe. Mills kommt deshalb zu dem Schluß, daß die Kammer der Wasserschildkröte an und für sich keine größere automatische Fähigkeit als die des Frosches besitzt. Bei der Meeresschildkröte (Chelonia) zeigte dagegen die Kammer eine größere Fähigkeit spontaner Kontraktionen, obgleich ihr Rhythmus niemals den des unversehrten Herzens erreichte und oft sogar sehr langsam blieb (Mills*). Das aus diesen Erfahrungen ziemlich deutlich hervorgehende Ergebnis, daß der Venensinus auch beim Schildkrötenherzen den Führer des Herzschlages darstellt, wird durch die Untersuchungen von Meek und Eyster5 wie von Schlomovitz und Chase6 völlig sichergestellt. Erstere fanden, daß der den Herzschlag begleitende Aktionsstrom an der Sinus- Vorhofgrenze anfängt, und letztere wiesen an demselben Orte einen ziemlich scharf umgrenzten Bezirk nach, von woher durch mäßige Erwärmung bzw. Abkühlung die Frequenz der Herzschläge beschleunigt oder verlangsamt werden konnte. Dieser Bezirk ist durch ein besonders differenziertes Gewebe ausgezeichnet. Betreffend die Kammerautomatie hat Haberlandf u. a. gefunden, daß die Herzkammer im allgemeinen das Vermögen zu automatischer Tätigkeit verliert, wenn ungefähr ihr oberes Drittel abgetrennt wird, daß also die Befähigung zu automatischer Reizbildung an das Vorhandensein der kammerwärtigen Anteile 1 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 50; 1883. - Gaskell, ebenda, 4, S. 60. ;! Mills, ebenda, 6, S. 278; 1885. 4 Mills, Journ. of anat. and physiol., 21, S. 2; 1885. 5 Meek und Eyster, Amer. journ. of physiol., 39, S. 291 ; 1916. 6 Schlomovitz und Chase, ebenda, 41, S. 112; 1916. ' Haberlandt, Zeitschr. f. Bio!., 68, S. 259, 264; 1918. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 115 der atrioventrikulären Verbindung gebunden ist, sowie daß die beiden seitlichen Teilstücke der Schildkrötenkammer meist mit stärkerer Automatie begabt sind als die dorsalen und vor allem die ventralen Anteile der Kammerbasis.1 In wesentlicher Übereinstimmung damit gibt Laurens2 an, daß bei der Malacoclemmys geographica die Erregbarkeit des atrioventrikulären Trichters größer ist als die der übrigen Teile der Kammerwand, sowie daß die seitlichen Abschnitte des Trichters erregbarer als die ventralen und dorsalen sind. Durch künstliche Reizung des Trichters konnten beim Herzen verschiedene Rhythmen ausgelöst werden. Beim spontan pulsierenden Herzen erschienen nach einem Doppelinduktions- schlage nur ein einziges Mal automatische Kontraktionen der Kammer. Da- gegen rief eine Reihe von solchen als Nachwirkung eine starke Beschleunigung der Herzschläge oder Herzflimmern usw. hervor. Auch konnte eine Umkehr der Schlagfolge, so daß sich die Vorhöfe nach der Kammer kontrahierten, erscheinen. Beim stillstehenden Herzen ergab die tetanisierende Reizung mehr oder weniger frequente Pulsationen, die an der Kammer begannen und auf die Vor- höfe übergingen, sowie Flimmern usw. Über das Schlangenherz berichtet Kupelwieser3 nach Versuchen an Tropi- donotus, daß beim natürlichen Kreislauf die V. cava inferior und der Venen- sinus ihre Kontraktionen nicht gleichzeitig beginnen, indem entweder jene oder dieser in unregelmäßigem Wechsel zuerst in die Erscheinung tritt. Es ist möglich, daß die führende Stelle zwischen den beiden Punkten, von woher die Registrierung stattfand, jedoch um ein oder mehrere Millimeter schwankend, liegt, oder auch daß die Erregung an mehreren Stellen nicht vollkommen gleichzeitig beginnt und eine von diesen durch Interferenz zur Herrschaft gelangt. Sonst liegt meines Wissens über das Schlangenherz nur die Angabe von Mills* an Tropidonotus vor, daß nach einer Ligatur um die Vorhöfe niemals eine spontane Kontraktion der Kammer erscheint. § 52. Das Vogelherz. Nach Vignal5 bilden die Herznerven der Vögel, speziell der Taube, an der Konkavität der Aorta einen sehr komplizierten Plexus, welcher zahlreiche Äste nach der Oberfläche der Vorhöfe entsendet. Diese Äste anastomosieren vielfach untereinander und bilden einen dichten Plexus, von welchem feine Nervenfasern ausgehen und sich in den Muskelfibrillen der Vorhöfe verlieren. An den Ver- ästelungen dieses Plexus finden sich zahlreiche kleine Ganglien, insbesondere in der Gegend der Lungenvenen. Die Kammerbasis ist von einem ähnlichen Plexus umgeben, dessen Fasern aus den Plexen an der Aortabasis und den Vorhöfen stammen. Er befindet 1 Haberlandt, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1916, S. 426. 2 Laurens, Amer. journ. of physiol., 42, S. 513; 1917. 3 Kupelwieser, Aren. f. d. ges. Physiol., 182, S. 57; 1920. 4 Mills, Journ. of anat. and physiol., 22, S. 7; 1888. 5 Vignal, Arch. de physiol., 1881, S. 917; — vgl. auch Dogiel und Archangelsk)', Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 31; 1906. S* 116 Die Innervation des Herzens. sich in der Nähe der Kranzgefäße und begleitet ihre Äste nach der Kamnierspitze hin. In der Atrioventrikularfurche sowie etwas unterhalb derselben finden sich zahlreiche kleine Ganglien. In Erweiterung dieser Angaben teilt Pisskunoff1 mit, daß nicht nur die der Kammerbasis zunächst gelegenen Teile, sondern die ganze Oberfläche der Kammern, die Spitze nicht ausgenommen, eine Unmenge von Nervenzellen enthält. Daß die Endstücke der zentralen Venen das Vermögen der Automatie be- sitzen, folgt daraus, daß die Venen und der rechte Vorhof dissoziiert pulsieren können (Mangold und Kato2). Die normale Systole des Vogelherzens (Huhn, Gans) beginnt indessen nicht in den großen Venen vor ihrer Mündung, sondern im Sinusgebiet des rechten Vorhofes und verbreitet sich von da über den linken Vorhof und dann auf die Kammern (Firket3, Mangold und Kato). Die mechanische oder elektrische Reizung der Einmündungssteile der oberen rechten Hohlvene übt keine Einwirkung auf die Schlagfolge des Herzens aus (Flack*). Durch Abkühlung des rechten Vorhofes wird die Frequenz der Herzschläge sofort herabgesetzt. Nach Flack5 würde dies von jeder beliebigen Stelle des Vorhofes erzielt werden können. Dem gegenüber haben indessen Mangold und Kato6 gefunden, daß bei lokaler Abkühlung des Herzens bei der Gans, der Ente und dem Huhn die Herzfrequenz nur dann beeinflußt wird, wenn der Eingriff einen Ort an der rechten Vorhofwand trifft, der dem Venensinus entspricht. Beim Huhn erwies sich diese Stelle als mehr zirkumskript der V. cava inferior gegenüber gelegen, während bei der Gans und der Ente auch von weiter nach der V. cava superior dextra hin gelegenen Punkten eine Wirkung zu er- halten war. Diese Stelle wäre also der Ursprungsort der Herzautomatie im Vogelherzen. Im Säugetierherzen ist die entsprechende Stelle, der sino-aurikulare Knoten, durch ihren besonderen Bau charakterisiert. Bei dem Vogelherzen (Taube, Sperling) würde sich nach Keith und Mackenzie"7 wie nach Mackenzie und Robert- son8 kein ähnliches Gewebe vorfinden. Später ist es indessen Mackenzie9 bei anderen Vögeln gelungen, ein Gewebe von der Beschaffenheit des sino-auri- kularen Knotens nachzuweisen. Die Tatsache, daß bei der Abkühlung des rechten Vorhofes die Kontrak- tionen der Kammern vor denen der Vorhöfe einsetzen , zeigt, daß auch die Kammern die Eigenschaft der Automatie besitzen; die Frequenzabnahme dieser Kontraktionen lehrt, daß die Automatie der Kammer geringeren Grades als die des Venensinus ist. 1 Pisskunoff, Anat. Anzeiger, 38, S. 394; 1911. 2 Mangold und Kato, Arch. f. d. ges. Physiol., 157, S. 6; 1914. 3 Firket, Arch. intern, de physiol., 12, S. 22; 1912. 4 Flack, ebenda, 11, S. 121; 1912. 5 Flack, ebenda, 11, S. 122. 6 Mangold und Kato, Arch. f. d. ges. Physiol., 157, S. 4; 7 Keith und Mackenzie, Lancet, 1910 (1), S. 102. 8 Mackenzie und Robertson, British med. journ., 1910 (2), S. 1161. 9 S. bei Mangold und Kato, Arch. f. d. ges. Physiol., 157, S. 12. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 117 § 53. Das Säugetierherz. a) Ganglienzellen und Nervenfasern im Säugetierherzen. Bei den warmblütigen Tieren entwickeln sich die von den beiden Abteilungen des aus den Herzästen des Vagus und des Sympathicus gebildeten Plexus car- diacus unter anderen direkte Zweige nach der Wand der Vorhöfe, sowie die Plexus coronarius dexter und sinister. Die Nervenfasern dieser Geflechte sind mit zahlreichen Ganglienzellen versehen, und auch die aus denselben auf die Vorhöfe und Kammern ausstrahlenden Äste sind von kleinen Ganglien durchsetzt. Über die Verteilung dieser Ganglien im Säugetierherzen liegen unter anderen folgende Angaben vor. Nachdem zuerst Retnak1 aus dem rechten Vorhof des Kalbsherzens ein Ganglion beschrieben und abgebildet hatte, machten Lee2, Schklarewski3, Dogiel*, Vignal5, Szentkinälyi6, Eisenlohr ', Kazem-Beck8, Ott9, Romberg10, His jun.11, Berkley12, Jacques13, Schwartzu, A. S. Dogiel15, Waledinsky16, Lissauer17, Wilson18, L. R. Müller19, Engel20, Tandler21, Glaser22 und Eversbusch23 an verschiedenen Säugetieren und am Menschen genauere Untersuchungen über diesen Gegenstand. Darin stimmen alle Autoren überein, daß die Vorhöfe mit Ganglienzellen reichlich versehen sind. Sie kommen dort teils um die Öffnungen der großen Venen herum {Dogiel, Szentkinälyi, Vignal, Ott, L. R. Müller), teils in der Scheide- wand (Eisenlohr, Schklarewski, Szentkinälyi, Ott, Jacques und Müller) und in der hinteren Längsfurche zwischen den Vorhöfen (Jacques, Lissauer, Müller), sowie in dem Verbindungsbündel zwischen den Vorhöfen und den Kammern (Wilson) vor. Nach Ott nimmt die Zahl der Ganglienzellen mit der Entfernung von der Scheidewand immer ab, so daß an der äußeren Peripherie der Vorhöfe keine Ganglienzellen mehr zu finden sind. 1 Remak, Aren. f. Anat. u. Physiol., 1844, S. 463. - Lee, Philosophical transactions, 1849, S. 43, 47; zit. nach Aubert, in Hermanns, Handb. d. Physiol., 4 (1), S. 346. 3 Schklarewski, Nachr. v. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, 1872, S. 426. 4 Dogiel, Arch. f. mikr. Anat, 14, S. 477; 1877; — Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 26; 1910. 5 Vignal, Arch. de physiol., 1881, S. 918. 6 Szentkinälyi, Orvosi Hetilap, 1880, Nr. 23; zit. nach Jahresber. d. Anat. u. Physiol., 1882 (2), S. 56. 7 Eisenlohr, Arb. aus d. pathol. Inst, zu München, 1886, S. 383. 8 Kazem-Beck, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1887, S. 785. 9 Ott, Zeitschr. f. Heilk. (Prag), 9, S. 273; 1888. 10 Romberg, Verh. d. Kongr. f. inn. Med., 9, S. 359; 1890. 11 His jun., ebenda, 9, S.369; — Abh. d. Sachs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 18, S. 1; 1891. 12 Berkley, Anat. Anzeiger, 9, S. 33; 1894. 13 Jacques, Journ. de l'anat. et de la physiol., 1894, S. 622. 14 Schwartz, Arch. f. mikr. Anat., 53, S. 63; 1899. 15 A. S. Dogiel, ebenda, 53, S. 237. 16 Waledinsky, Inaug.-Diss. Tomsk 1908;— Anat. Anzeiger, 27, S. 287.; zit. nach Leonto- witsch, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 113. 17 Lissauer, Arch. f. mikr. Anat., 74, S. 217; 1909. 18 Wilson, Proc. of the Royal Soc, 81, B, S. 151; 1909. 19 L. R. Müller, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 101, S. 462; 1910. 20 Engel, Beitr. z. pathol. Anat., 48, S. 499; 1912. 21 Tandler, Anatomie des Herzens, S. 244. 22 Glaser, Deutsches Arch. f. klin. Med., 117, S. 27; 1914. 23 Eversbusch, ebenda, 120, S. 367; 1916. 118 Die Innervation des Herzens. Im Herzen der Ratte würden, nach Schwarte, Ganglienzellen nur auf einem seitlich von den hinteren Enden der Herzohren und nach unten von dem Sulcus coronarius transversus begrenzten Gebiete der hinteren Vorhofwand, mehr links als rechts von dem Septum atriorum vorkommen. Tandler faßt seine Erfahrungen hierüber derart zusammen, daß sich Ganglien- zellen in reichlicher Menge an der Hinterwand des rechten Vorhofes, im Sulcus terminalis und im Septum atriorum vorfinden. Ferner sind Ganglienzellen im Atrioventrikularbündel (s. Kap. XVII), an der Atrioventrikulargrenze, insbesondere an der Umrandung der Aorta und Pul- monalis im Niveau der Semilunarklappen (Ott; Mensch) von den meisten Autoren beobachtet worden. Von mehreren Autoren wird angegeben, daß die Herzkammern keine Ganglien besitzen. So konnte His jun. bei einem 6 monatigen menschlichen Foetus keine Ganglien wahrnehmen, und auch Kazem-Beck gelang es nicht bei einem 2 Monate alten Kinde irgendeine Nervenzelle auf der Kammeroberfläche zu finden. Dagegen erwähnen Schklarewski (Kaninchen, Hund, Maulwurf, Fledermaus, Ratte), Vignal (Affe, Mensch), Jacques (Hund), Berkley (Maus), Waledinsky, Dogiel (mehrere Säugetiere) Ganglienzellen an der Kammerwand. Über deren Verbreitung daselbst gehen aber die Angaben stark auseinander. Nach Jacques und Vignal sind nämlich Ganglienzellen nur im oberen Drittel oder in der oberen Hälfte der Kammerwand vorhanden, während Schklarewski sie sogar nur im Bereiche des Sulcus longitudinalis gefunden hat. A. S. Dogiel gibt an, daß man im subperikardialen Geflecht der Kammern selten kleine Gruppen von Zellen findet, während nur einzelne Zellen in nächster Nähe der Atrioventrikularfurche getroffen werden; nach Berkley, Waledinsky, J. Dogiel würden dagegen Ganglien- zellen bei allen untersuchten Säugetieren bis in das äußerste Ende der Herz- spitze in großer Menge vorhanden sein. Andererseits sind Schwartz und Lissauer zu dem Resultat gelangt, daß die bei den Kammern der Säugetiere von mehreren Autoren beschriebenen Ganglien- zellen keine solchen sind, sondern nur Gebilde darstellen, welche den Mastzellen Ehrlichs ähnlich sind. Von diesen Zellen und direkt von den zum Herzen tretenden extrakardialen Nerven gehen außerordentlich zahlreiche Nervenfasern aus, welche schließlich die einzelnen Muskelbündel und -fasern umspinnen.1 Auch wenn die Verbreitung der Ganglienzellen zum Teil noch als unentschieden erachtet werden muß, scheint es außer jedem Zweifel zu sein, daß jedes Stückchen des Myokards in der intimsten Verbindung mit Nervenfasern steht. b) Der „Venensinus". Inwiefern die Hohlvenen bei den Säugetieren, wie dies beim Frosch der Fall ist und von Haller2 als allgemeingültig angenommen wurde, an der Aus- lösung des Herzschlages direkt beteiligt sind, kann wohl noch nicht als entschieden erachtet werden. Daß sie aber unter Umständen den Herzschlag beeinflussen können, folgt daraus, daß durch Reizung der oberen Hohlvene bis zu einer Ent- fernung von 4 cm vom Vorhof und der unteren Hohlvene innerhalb der Peri- 1 Vgl. Heymans und Demoor, Arch. de biol., 13, S. 651; 1895. 2 Haller, Elementa physiologiae corporis humani, 1, S. 399. Lausanne 1757. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 1 f9 kardialhöhle Extrakontraktionen des ganzen Herzens ausgelöst werden können (Cushny und Matthews1). Nach H. E. Herings2 Beobachtungen am sterbenden Herzen würden (beim Kaninchen) den Pulsationen der Venen jene der Vorhöfe folgen, ja man konnte sogar beobachten, daß erst auf mehrere Pulsationen der Vene eine Vorhofkon- traktion erfolgt, sowie daß schließlich nur noch die Venen, bei stillstehenden Vorhöfen, ganz schwach pulsierten. Dagegen kann die Hohlvene abgeschnürt (Fredericqz), abgekühlt oder erwärmt werden {Ganter und Zahn9), ohne daß dies die geringste Wirkung auf die Schlag- folge des Herzens ausübt. Jedenfalls gehen die normalen Herzschläge von einem Orte in der Nähe der Mündungen der Hohlvenen aus. Daraus folgt als unmittelbare Konsequenz, daß dieser Ort die Stelle der höchsten automa- tischen Fähigkeit des Herzens darstellen muß, denn im umgekehrten Falle müßte ja der Herzschlag an einem anderen Orte beginnen. Eine anatomische Unterlage bekam diese Auf- fassung durch eine Untersuchung von Keith und Flack5, bei welcher ein Rest vom Sinus des primi- tiven Herzens bei allen von ihnen untersuchten Säugetieren nachgewiesen wurde. Dieser Rest bildet in dem Sulcus terminalis gerade unterhalb der Verbindung der oberen Fläche des rechten Herz- ohres mit der oberen Hohlvene einen aus zahl- reichen, eigentümlichen, mit der Muskulatur der ?}&■ 203- Der sino - aurikulare . ¥T i i j j -.r i * , Knoten. Nach Flack. a, V. cava oberen Hohlvene und des Vorhofes verbundenen sup ; b, rechtes Herzohr; c, linker Muskelfasern zusammengesetzten Knoten, den sino- Vorhof;/, Anastomose in Sulcus ... ... /r,. ___. „ ., terminalis zwischen zwei Asten aurikularen Knoten (Flg. 203). Zuweilen er- der A. cor. dextra; g, ein anderer streck^ sich das betreffende Gewebe mit immer Ast derselben Arterie; /, V. cava ._ . ... , , ... ¥¥ , , inferior; /', Aorta; SA, der sino- dunneren Auslaufern der hinteren Hohlvene ent- aurikulare Knoten. gegen.6 Beim Menschen besitzt der Sinusknoten eine ausgesprochen spindelförmige Gestalt. Seine Spitze endet ungefähr am oberen Rande des Herzohres oder übergreift denselben nur um ein Weniges nach hinten und medial in der Grenz- furche des Kavatrichters und Vorhofes. An der vorderen und lateralen Grenz- furche entlang laufend erreicht der Knoten eine ungefähre Dicke von 2 mm, um sich dann, nach unten außen spitz zulaufend, allmählich wieder zu verjüngen. Nach oben geht die Muskulatur dieses Knotens in die der V. cava und nach unten in die Vorhofmuskulatur über (W. Koch7). 1 Cushny und Matthews, Journ. of physiol., 21, S. 230; 1897. 2 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 82, S. 22; 1900. 3 Fredericq, Bull, de l'Acad. des sciences de Belgique, 1910, S. 126. 4 Ganter und Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 145, S. 380; 1912. 5 Keith und Flack, Journ of anat. and physiol., 41, S. 172; 1907; — Flack, Journ. of physiol., 41, S. 64; 1910. 6 Vgl. W. Koch, Zeitschr. f. exp. Pathol., 16, S. 1; 1914. 7 W. Koch, Münch. med. Wochenschr., 1909, S. 2363; — Zentralb!, f. allg. Pathol. u. pathol. Anat., 20, Erg.-Heft, S.85; 1909; — vgl. auch Kochs Beschreibung des sino-aurikularen Knotens beim Kaninchen, Mediz. Klinik, 1912, S. 108. ]20 Die Innervation des Herzens. A. und B. S. Oppenheimer1 haben auf Grund von Befunden bei zwei mensch- lichen Föten und einem 3 Wochen alten Kinde die nahe Verbindung des sino- aurikularen Knotens mit den dort vorhandenen sino-aurikularen Klappen (vgl. I, S. 33) nachgewiesen. • Außer den Muskelfasern enthält der Knoten auch zahlreiche vom Sub- epicardium eintretende Nervenfasern sowie mit diesen zusammenhängende Ganglienzellen (W. Koch2, A. und B. S. Oppenheimer3). Thorel* hat beim Herzen des erwachsenen Menschen zwischen dem sino- aurikularen und dem sogleich näher zu beschreibenden atrioventrikulären Knoten eine aus eigenartigen Muskelfasern bestehende Verbindung erwähnt. Diese würde schräg über die hintere seitliche Vorhoffläche zum oberen vorderen Rande der unteren Hohlvene und dann nach Umbiegung um den vorderen Ansatzrand derselben nach einwärts zur Koronarvene verlaufen, um sich hier mit den Ausläufern des atrioventrikulären Knotens im Koronarvenentrichter zu vereinigen. Außerdem hat Thorel entsprechende Muskelzüge an der vorderen Seite des rechten Vorhofes, die ebenso wie einige das Foramen ovale überbrückende Fasern schräg zum Atrioventrikularknoten herunterliefen, gefunden. Demgegenüber hebt indessen W. Koch5 hervor, daß es beim kindlichen Herzen ihm nicht gelungen ist, ein besonderes System von Fasern zwischen dem sino-aurikularen und dem atrioventrikulären Knoten zu finden. Ebensowenig konnte er geschlossene Verbindungsfasern, ähnlich dem Reizleitungssystem zwischen Vorhöfen und Kammern, zwischen dem sino-aurikularen und dem atrioventrikulären Knoten nachweisen, vielmehr standen alle Faserzüge des Vorhofes untereinander in ausgedehnter Verbindung. Andererseits hatten aber schon Keith und Flack bemerkt, daß deutlich aus- geprägte Muskelzüge zwischen dem oberen und unteren Hohlvenentrichter einer- seits und dem Koronarvenentrichter andererseits vorkommen, sowie daß eine direkte Muskelverbindung zwischen dem oberen Kavatrichter und dem Beginn des atrioventrikulären Leitungssystems besteht. Sie gaben aber ausdrücklich an, daß diese Verbindungen keine besondere an das Knotengewebe erinnernde Struktur besitzen. Bei mäßiger lokaler Erwärmung dieser Stelle wird, wie Mac William6 im Anschluß an einen Versuch von Gaskell am Froschherzen (vgl. II, S. 101) zuerst nachwies, die Schlagfolge des ganzen Herzens beschleunigt, während eine entsprechende Erwärmung der Kammern keine Veränderung in der Pulsfrequenz hervorbringt. Dieses Resultat wurde dann von Praetorius und Adam"7 am künstlich er- nährten, herausgeschnittenen Katzen- und Kaninchenherzen wie von Ganter 1 A. und B. S. Oppenheimer, Anatomical record, 6, S. 487; 1912. 2 W. Koch, Zentralbl. f. allg. Pathol., 20, Erg.-Heft, S. 90; 1909. 3 A. und B. S. Oppenheimer, Journ. of exp. med., 16, S. 613; 1912; zit. nach dem Zentralbl. f. Bioch. u. Biophysik, 14. 4 Thorel, Münch. med. Wochenschr., 1909, S. 2159. 5 W. Koch, ebenda, 1909, S. 2363. 6 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 182; 1888; ,,locally to the terminal part of the vena cava superior". 7 Adam, Arch. f. d. ges. Physiol., 111, S. 607; 1906. Die Automatic des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. ]21 und Zahn1 an Herzen von Affen, Hunden, Katzen, Kaninchen und Ziegen in situ bestätigt. Durch Abkühlung derselben Stelle wurden in den Versuchen von den soeben genannten Autoren die Herzschläge verlangsamt. Dasselbe war auch nach Flack2 beim Herzen in situ wie nach Brandenburg und P. Hoff mann3 beim aus- geschnittenen Herzen der Fall. Bei der Reizung des Herzens mit schwachen konstanten oder induzierten Strömen erzielte Mac William* nur in dem Falle eine Beschleunigung, wenn die betreffende Stelle vom Reiz getroffen wurde, und Flack* bekam bei sehr schwacher Reizung derselben eine Verlangsamung, bei etwas stärkerer eine Beschleunigung der Schlagfolge. Auch die mechanische Reizung des Knotens durch mäßigen Druck ergab in der Regel eine Beschleunigung, zuweilen aber statt dessen eine Verlangsamung des ganzen Herzens.6 Die meisten von diesen Erfahrungen zeigen also, daß die Schlagfolge von dieser Stelle aus leichter als von irgendeinem anderen Orte des Herzens künstlich beeinflußt werden kann. Auch stellt sie nach Krehl und Romberg1, sowie H. E. Hering9, das Ultimum moriens beim sterbenden Herzen dar. Nach W. Koch9 lassen sich am absterben- den menschlichen und Kaninchenherzen rhythmische Bewegungen am längsten im Gebiet des Koronarvenentrichters und des unteren Teils des Septums nach- weisen; diese Teile würden also als die Erzeugungsstellen rhythmischer Reize beim Säugetierherzen aufzufassen sein. Wenn diese Stelle am Herzen in situ durch Abschnürung (Krehl und Rom- berg10), durch Formalin (Lohmann11), durch Verschorfung (Zahn12), oder durch Abklemmung (Fredericq13, Eyster und Meek1*), bzw. am ausgeschnittenen, mit Blut gespeisten Herzen durch Exstirpation (Langendorff und Lehmann1'0) oder Verschorfung (H. E. Hering16) ausgeschaltet wurde, trat eine Verminderung der Schlagfrequenz des distalen Herzabschnittes in der Regel, aber nach Langen- dorff und Lehmann nicht ausnahmslos ein. Beim Hundeherzen beträgt die Abnahme der Frequenz dabei durchschnittlich 33% (Eyster und Meek11). 1 Ganter und Zahn, ebenda, 145, S. 338, 374; 1912. 2 Flack, Journ. of physiol., 41, S. 65; 1910. 3 Brandenburg und P. Hoffmann, Zentralbl. f. Physiol., 25, S. 916; 1911 ; — Med. Klinik, 1912, S. 16. * MacWilliam, Journ. of physiol., 9, S. 182. 5 Flack, ebenda, 41, S. 67. 6 Flack, ebenda, 41, S. 68. ' Krehl und Romberg, Arb. aus d. med. Klinik zu Leipzig, S. 75; 1893. 8 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 82, S. 22; 1900: „eine Stelle der einmünden- den Hohlvenen". 9 W. Koch, Beitr. z. pathol. Anat., 42, S. 217; 1907. 10 Krehl und Romberg, a. a. O., S. 68. 11 Lohmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 123, S. 628; 1908. 12 Zahn, ebenda, 151, S. 254; 1913. 13 Fredericq, Arch. intern, de physiol., 12, S. 109; 1912. 14 Eyster und Meek, Arch. of int. med., 18, S. 775; 1916; in den Versuchen dieser Autoren wurde die betreffende Stelle auch exstirpiert. 15 Langendorff und Lehmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 112, S. 355; 1906. 16 H. E. Hering, ebenda, 135, S. 466; 1910; — vgl. auch Hering, ebenda, 145, S. 229; 1912; — 147, S. 279; 1912; — sowie Winterstein, ebenda, 146, S. 155; 1912. 17 Eyster und Meek, a. a. O., 18, S. 796. 122 Die Innervation des Herzens. Findet die Exstirpation aber an einem ausgeschnittenen, mit der Ringer- lösung ernährten Herzen statt, so bleibt das Herz zuerst eine Zeitlang (während Sekunden bis Minuten) stillstehen; die dann auftretenden Herzschläge sind immer verlangsamt und die Abnahme beträgt nie weniger als 25 — 30°/0 der ursprüng- lichen Frequenz; zuweilen sind sie außerdem recht lange irregulär usw. (Langen- dorf f und Lehmann1, Erlanger und Blackman2, Cohn, Kessel und Mason3). Ein weiterer Grund, die betreffende Stelle als Ort der Ursprungsreize beim normalen Herzschlage anzusehen, liegt darin, daß Extrasystolen, welche von diesem Gebiet her ausgelöst werden, nicht von einer kompensatorischen Pause begleitet sind (H. E. Hering*, obere Hohlvene; Rehfisch5, desgleichen; Samsum, sino-aurikularen Knoten6). Hierher gehört auch die von Cohn und Mason7 ermittelte Tatsache, daß die rhythmischen Bewegungen der Vorhöfe bei flimmernden Kammern ruhig fort- fahren, so lange der sino-aurikulare Knoten unversehrt ist, aber nach dessen Aus- schaltung sofort unregelmäßig werden. Aus der eingehenden Analyse der Schlagfolge, welcher Wenckebach8 ent- sprechende Krankheitsfälle am Menschen unterworfen hat, folgt mit großer Wahrscheinlichkeit, daß dasselbe Gebiet des rechten Vorhofes auch heim Menschen den Ursprungsort der Herzreize darstellt. Bei genügend langsam schlagendem Herzen (Vagusreizung) scheint die Kontraktion des „Sinusteils" sogar registriert werden zu können, indem am Fuße der Suspensionskurve des Vorhofes eine kleine kurzdauernde Welle er- scheint, die der Kontraktion des Vorhofes um etwa 0,04 Sekunde vorausgeht und möglicherweise den Ausdruck der selbständigen Sinusbewegung darstellt (Rehfisch9; vgl. Fig. 204). Da die nach der Entdeckung des sino-aurikularen Knotens ausgeführten Versuche über die künstliche Reizung bzw. Erregbarkeitsveränderung der Herz- wand sowie über die Einwirkung der Ausschaltung des Knotens (vgl. oben die Arbeiten von Flack, Hering, Ganter und Zahn, Cohn, Kessel und Mason) stets von einer genauen Untersuchung des Präparates begleitet wurden, wobei es sich immer herausstellte, daß der Knoten tatsächlich gereizt, bzw. exstirpiert worden war, scheint aus diesen Erfahrungen mit immer größerer Bestimmtheit zu folgen, daß der sino-aurikulare Knoten, so wie er hier beschrieben ist, tat- sächlich den Ort der größten Automatie des Herzens darstellt. Es gibt aber andererseits mehrere, wie es scheint, völlig einwandfreie Beob- achtungen, laut welchen die Schlagfolge des Herzens nach Ausschaltung des Knotens nur äußerst wenig oder gar nicht verändert wird. 1 Langendorff und Lehmann, a.a.O., 112, S. 353; 1906. Dasselbe hatte H. E. Hering schon 1903 nach Exstirpation der Vorhöfe an mit Ringerlösung durchströmten Herzen beobachtet (Zentralbl. f. Physiol., 17, S. 1; 1903). 2 Erlanger und Blackman, Amer. journ. of physiol., 19, S. 131; 1907. 3 Cohn und Kessel, Arch. of int. med. 7, S. 226; 1911 ; — Cohn, Kessel und Mason, Heart, 3, S. 311; 1912. 4 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 82, S. 18; 1900. 5 Rehfisch, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 167. * Samsum, Amer. journ. of physiol., 30, S. 423; 1912. 7 Cohn und Mason, Heart, 3, S. 341 ; 1912. 8 Wenckebach, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1907, S. 4; — Die unregelmäßige Herztätigkeit. Leipzig 1914, S. 39. 9 Rehfisch, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906,' Suppl., S. 165. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 123 Dies wird beim Herzen in situ in erster Linie von Erlanger und Blackman1, ferner auch von Jäger'2 und Flack3, sowie bei ausgeschnittenen Herzen von Magnus- Aisleben* angegeben. Moorhouse3 verglich an künstlich ernährten Hundeherzen das Resultat nach Exstirpation des sino-aurikularen Knotens mit dem eines anderen Teiles der Vorhofwand und konnte dabei keine ausgeprägten Differenzen wahrnehmen. Auch machte er Versuche, wo er vom Vorhof Stück für Stück in verschiedener Reihenfolge wegschnitt, und fand dabei, daß im supraventrikulären Teil des Herzens kein Ort vorhanden ist, der in bezug auf die Fähigkeit der Reizbildung den übrigen Teilen erheblich überlegen wäre. Fig. 204. Kontraktionen des Vorhofes (die obere Linie) und der Kammer (die untere Linie) vom Kaninchenherzen. Nach Rehfisch. Von links nach rechts zu lesen. Die kleine Erhebung vor der Vorhofsystole ist von der Zusammenziehung des „Sinus" hervorgerufen; die nach der Vor- hofsystole folgende, ziemlich große Welle rührt von Schleuderung des Hebels her. An isolierten Streifen aus der Vorhofwand des Katzenherzens in Ringer- lösung machten Erlanger6 und Moorhouse7 vergleichende Versuche über die Erregbarkeit usw. und konnten dabei keinen Unterschied beobachten je nachdem sie von der Gegend des sino-aurikularen Knotens oder von der des Koronarvenen- sinus oder von der Vorhofscheidewand herausgeschnitten waren. Alle zogen sie sich in demselben Rhythmus zusammen, wurden in demselben Maße durch Erwärmung zu schnellerer Schlagfolge angeregt und von Giften in derselben Weise beeinflußt. Dagegen erwiesen sich Streifen von der Außenwand des rechten Vorhofes entschieden geringer in bezug auf Rhythmizität und Reak- tivität. Da die Knotenfasern durch längere Ausläufer allmählich in die histologisch nicht als spezifisch erkennbaren Fasern übergehen, konnte man sich denken daß in den hier erwähnten Ausnahmefällen die Exstirpation nicht vollständig gewesen war, bzw. daß ein größerer oder kleinerer Teil des Knotengewebes in dem angeblich davon freien Stück vorhanden gewesen wäre. 1 Erlanger und Blackman, Amer. journ. of physiol., 19, S. 128; 1907. 8 Jäger, Deutsch. Aren. f. klin. Med., 100, S. 1; 1910. 3 Flack, Journ. of physiol., 41, S. 68; 1910; — Arch. intern, de physiol., 11, S. 115; 1912. • 4 Magnus-Alsleben, Arch. f. exp. Pathol., 64, S. 228; 1911. 5 Moorhouse, Amer. journ. of physiol., 30, S. 358; 1912. Hier waren, wie W. Koch (Med. Klinik, 1912, S. 108) nachwies, Vorhofteile des atrioventrikulären Knotens noch vorhanden. 6 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 27, S. 87; 1910. 7 Moorhouse, ebenda, 31, S. 421 ; 1913. 124 Die Innervation des Herzens. Diese Möglichkeit läßt sich wenigstens nicht in allen Fällen mit Bestimmt- heit ausschließen. Außerdem hat Koch1 an der Hand von den Präparaten Zahns dargetan, daß sich auch im Kranzvenensinus typisches Knotengewebe vorfindet, welches einem Vorhofsabschnitt des unten zu beschreibenden atrioventrikulären Knotens entspricht. Dieser spezifische Reizbildungsort dürfte indessen kaum denselben Grad von Automatie besitzen, wie der sino-aurikulare Knoten, denn obgleich er voll- ständig vermögend ist, rhythmische Reize zu bilden (Erlanger und Blackman2) und obgleich dessen Erwärmung nach Ausschaltung des sino-aurikularen Knotens die Frequenz des ganzen Herzens in die Höhe treibt (Zahn3), so bleibt dennoch seine Automatie normalerweise hinter der des Sinusknotens zurück, wie daraus folgt, daß in der Regel wenigstens die Zerstörung des letzteren von einer deut- lichen Abnahme der Pulsfrequenz begleitet ist. Inwiefern diese Auffassung, nach welcher also nur spezifisches Knoten- gewebe automatisch erregbar wäre4, in allen Einzelheiten richtig ist, kann wohl kaum noch als entschieden erachtet werden, und es läßt sich, wie ich glaube, die von Hering hervorgehobene Möglichkeit, daß normale Ursprungsreize auch von Orten ausgehen können, wo keine differenzierte Muskulatur vorhanden ist, nicht ganz bestimmt abweisen.5 Für diese Auffassung spricht gewisser- maßen die von Schlomovitz und Chase* hervorgehobene Tatsache, daß eine Beschleunigung der Herzschläge bei stärkerem Wärmereiz auch von nicht differen- zierten Teilen des ,, Sinus" erhalten wird, während bei mäßiger Erwärmung eine Akzeleration nur vom Kopf des Sinusknotens aus erzielt wird, und zwar tritt die Veränderung der Schlagfolge hier augenblicklich, dort nach einer meßbaren Zeit auf. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß das nicht differenzierte Sinus- gewebe unter dem Einfluß der Wärme vermag Kontraktionen auszulösen, ohne daß es unter normalen Verhältnissen dies tut. Jedenfalls kommt aber der Knotengegend und, wie Magnus- Alsleben1 bemerkt, anscheinend einer Stelle unten außen am rechten Vorhof eine entschiedene Überlegenheit zu. Im großen und ganzen würde man also die Gegend des sino-aurikularen Knotens, bzw. die Einmündungsstellen der großen Venen und der Koronarvenen als einen physiologischen ,, Venensinus" betrachten können. c) Die Vorhöfe. Als die Tätigkeit des isolierten Herzens in den Versuchen von Langendorff und Lehmann8 nach Ausschaltung des ,, Venensinus" wieder anfing, blieben die Herzohren ruhend, und die genannten Autoren ließen es unentschieden, ob die Vorhöfe des Säugetierherzens überhaupt automatisch tätig sein können. 1 Koch, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 279; 1913. 2 Erlanger und Blackman, Amer. journ. of physiol., 19, S. 164. 3 Zahn, Zentralbl. f. Physiol., 26, S. 495; 1912; — Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 247; 1913. 4 Vgl. W. Koch, Mediz. KHn., 1912, S. 109, 112. 5 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 148, S. 187; 1912; — vgl. Koch, ebenda, 151, S. 307; 1913; — sowie Hering, ebenda, 116, S. 145; 1907. 6 Schlomovitz und Chase, Arch. of int. med., 20, S. 628; 1917. 7 Magnus- Alsleben, Arch. f. exp. Pathol., 64, S. 243; 1911. 8 Langendorff und Lehmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 112, S. 355; 1906. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 125 Bei thermischer Reizung des eigentlichen Vorhofgewebes konnten Schlomo- vitz und Chase1 keine Wirkung auf die Schlagfolge des Herzens nachweisen. Für die ausgeschnittenen, von innen her mit einer Blutmischung künstlich ernährten Herzohren von Kaninchen und Katzen gibt Langendorf f2 auf Grund von Versuchen von Lehmann an, daß sie gar keine spontanen Kontraktionen ausführten. Auf leichte mechanische Reizung reagierten sie dagegen mit einem, zuweilen auch mehreren Pulsen. Ebenso lösten einzelne Induktionsschläge schon von mäßiger Stärke Einzelpulse aus. Chemische und insbesondere gal- vanische Reize riefen oft lange Pulsreihen hervor; desgleichen auch ein erhöhter Füllungsdruck. Die Wirksamkeit aller Reize wurde durch einige Tropfen ver- dünnter Adrenalinlösung erheblich verstärkt.3 Erlanger und Blackman* sind in bezug auf die automatischen Eigenschaften der Vorhöfe zu wesentlich anderen Resultaten gekommen. Abgesehen von der Gegend des sino-aurikularen Knotens sowie des Koronarvenensinus, deren physio- logische Eigenschaften schon besprochen sind, besitzen nach ihnen alle Teile des rechten Vorhofes einschließlich der Vorhofscheidewand einen hohen Grad von Automatie, der indessen niedriger ist als der der soeben erwähnten Ab- schnitte. In Übereinstimmung damit steht auch Samsumsr° Angabe, daß die bei der Reizung des rechten Vorhofes ausgelöste Extrasystole nicht von der kompensatorischen Pause nachgefolgt wird. Dagegen pulsiert der von der Scheidewand und dem rechten Vorhof isolierte linke Vorhof selten oder nie spontan.6 Auch H. E. Hering gibt an, daß sich der linke Vorhof nie automatisch kontrahiert.7 d) Die Kammern. Am Kaninchenherzen kann man bei normaler Zirkulation durch eine tem- poräre Umschnürung des Vorhofes nahe an der Atrioventrikulargrenze den physiologischen Zusammenhang zwischen den Kammern und den proximalen Abschnitten des Herzens aufheben, ohne die mechanische Verbindung derselben zu stören. Dabei fahren die Kammern fort, zu schlagen, nur ist ihre Frequenz geringer als vorher (Wooldridges). Sicherer läßt sich dies mit dem in Fig. 205 abgebildeten kleinen Apparat dartun.9 Der mit einem ovalen Loch versehene Stab wird in einer Weise, die hier nicht näher beschrieben werden kann, von dem linken Vorhof, aus durch die Scheidewand in den rechten Vorhof geführt, und zwar so, daß die Öffnung zwischen a und b in die Vorhöfe zu liegen kommt. Außerhalb der Vorhofwand wird an jeder Seite des Stabes je eine der in derselben Figur dargestellten, genau nach dem Stabe gekrümmten Schienen angebracht und fest an den Stab angeschraubt. Wenn dies mit genügen- dem Druck geschieht, so wird die Vorhofwand zwischen den Schienen und dem Stab so gründlich zusammengepreßt, daß jeder physiologische Zusammenhang zwischen Vorhoi 1 Schlomovitz und Chase, a. a. O., 20, S. 621. 2 Langendorff, Aren. f. d. ges. Physiol., 112, S. 522; 1906. 3 Vgl. auch E. Meyer, Arch. de physiol., 1893, S. 184. 4 Erlanger und Blackman, Amer. journ. of physiol., 19, S. 150. 5 Samsum, ebenda, 30, S. 426; 1912. 6 Erlanger und Blackman, ebenda, 19, S. 145. ' H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 116, S. 146; 1907. 8 Wooldridge, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1883, S. 527. 9 R. Tigerstedt, ebenda, 1884, S. 497. 126 Die Innervation des Herzens. und Kammer ganz sicher aufgehoben ist. Um aber auch die letzte Möglichkeit eines solchen außer Frage zu stellen, sind die beiden Schienen in ihrer Mitte mit einer longitudinalen Spalte versehen, in welche man ein scharfes und dünnes Messer hinein- führen kann, um die Vorhofwand vollständig durchzuschneiden. Die Wand wird durch die starke Pressung der Schienen gegen den Stab in ihrer Lage zurückgehalten. Die Blutzirkulation geht durch ein so zugerichtetes Herz ganz gut fort, und man kann den Blutdruck mittelst eines in die Art. carotis eingesetzten Manometers in gewöhnlicher Weise aufschreiben. Das wichtigste Ergebnis dieser Versuche habe ich schon angedeutet: die Kammern fahren fort, trotz der Abklemmung und Durchschneidung, zu pulsieren. Ihre Pulsfrequenz ist aber geringer als kurz vorher. Man könnte sich vorstellen, daß dies von der abnormen Blutverteilung, welche das Durchbohren der Vorhof- scheidewand verursacht, bedingt sei. Dies ist jedoch nicht der Fall. Fig. 205. Das Atriotom. 1 der Stab; 2 eine Schiene von der Seite; 3 eine Schiene von unten; 4 und 5 die Schrauben; 6 Schienen für die teilweise Abklemmung. Es zeigt sich nämlich, daß die Pulsfrequenz nach Einführung des Stabes, bevor die Schienen angeschraubt sind, nur sehr wenig verändert wird: z. B. bei einem Versuch von 19 — 19,5 in 5 Sekunden zu 18 — 18,5, und bei einem anderen von 21,5 zu 19 in 5 Sekunden. Sobald aber die Schienen festgeschraubt werden, nimmt die Pulsfrequenz merklich ab; in dem ersteren der eben angeführten Versuche war sie nach einer nur partiellen Abklemmung der Vorhöfe auf 9,5 in 5 Sekunden gesunken. Wenn ich noch hinzufüge, daß die Abklemmung bei diesen Versuchen ganz nahe der Vorhof-Kammergrenze angebracht war, sowie daß nach Wooldridge1 alle die Nerven, welche längs der großen Arterien zum Herzen laufen, zentri- petal sind, geht aus diesen Versuchen unzweifelhaft hervor, daß der abgetrennte Teil des Herzens, d. h. die Kammern -j- ein ganz kleiner Teil der Vorhöfe, in sich selbst alle Bedingungen einer rhythmischen Tätigkeit besitzen. Dabei er- reicht indessen die isolierte Herzabteilung niemals dieselbe Pulsfrequenz wie das ganze unversehrte Herz, ihre automatischen Eigenschaften sind also nicht so stark wie beim ganzen Herzen ausgebildet. Auch nach Quetschung der Vorhöfe in der Atrioventrikularfurche fahren die Kammern fort zu schlagen, anfangs unregelmäßig, nach wenigen Minuten aber regelmäßig (Krehl und Romberg2). Ja, selbst die unterhalb der Atrio- 1 Wooldridge, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1883, S. 532. 2 Krehl und Romberg, Arbeiten a. d. med. Klinik in Leipzig, 1893, S. 58. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 127 ventrikularfurche abgeschnittenen Kammern können eine, wenn auch nur kurze Zeit rhythmische Kontraktionen ausführen (Krehl und Romberg1). Noch weiter ist Porter2 gegangen. Bei erhaltener Zirkulation wurde von der vorderen Wand der linken Herzkammer ein 25 mm langes, 15 mm breites und 4 mm dickes Stück der Muskulatur ohne Eröffnung der Kammer abgetrennt und zwar so, daß es mit dem entsprechenden Arterienaste noch zusammenhing. Durch Vagusreizung konnte man sich davon überzeugen, daß sich dieses Stück in einem eigenen, von dem des übrigen Herzens verschiedenen Rhythmus kon- trahierte. Seine Zusammenziehungen waren also nicht von denen der zurück- gebliebenen linken Kammer verursacht. Auch fand Porter3, daß beim Hundeherzen jeder Teil der Kammer, auch Streifen aus der Spitze, im Blute des Tieres spontan rhythmisch pulsiert. Diese Fähigkeit scheint indessen bei verschiedenen Teilen der Kammern verschieden zu sein, denn wenn die von den Vorhöfen getrennten Kammern eines Hundeherzens durch Querschnitte in drei Portionen geteilt und sie im Serum des Tieres gehalten werden, so schlagen das basale und mittlere Drittel spontan weiter, das Spitzendrittel aber nur auf künstliche Anregung (Carlson*). Nach diesen Erfahrungen steht es außer jedem Zweifel, daß die Kammer nebst einem kleinen angrenzenden Abschnitt der Vorhöfe (Wooldridge, R. Tiger- stedt), oder die Kammern allein (Krehl und Romberg, Porter) die Eigenschaft der Automatie besitzen, daß aber diese, durch die Schlagfrequenz gemessen, geringer ist als die des Sinusknotens. Es kommt indessen unter Umständen vor, daß vor dem Erscheinen des selbständigen Kammerrhythmus beim Hunde eine Pause von sogar mehreren Minuten Dauer auftreten kann (Erlanger und Hirsclifelder5). Ob diese die direkte Folge der Abtrennung der Kammern darstellt oder ob sie in irgendeiner anderen Weise zu erklären ist, mag dahingestellt bleiben. Ferner hat Cushny6 an den isolierten, künstlich ernährten Kammern des Säugetierherzens nachgewiesen, daß dieselben nach einer durch künstliche Reizung hervorgerufenen Acceleration während einiger — höchstens 20 — Sekunden stillstehen, bevor ihre Kontrak- tionen wieder anfangen, sowie daß diese Pause bei hypodynamem Zustand des Herzens leichter als sonst auftritt. Erst allmählich erreichen die Kammern ihren früheren Rhythmus wieder. Nach Cushnys Auffassung würde hier eine Ermüdung der Reizbildungsstellen der Kammern vorliegen. Die neueren Untersuchungen über die Anatomie und Physiologie des Herzens sind in hohem Grade darauf gerichtet gewesen, den Ursprungsort dieser Kon- traktionen wie derjenigen Kontraktionen, welche nach der Ausschaltung des sino-aurikularen Knotens erscheinen, festzustellen. Wie näher im folgenden Kapitel dargestellt werden soll, findet sich zwischen den Vorhöfen und den Kammern ein kompliziert gebautes Verbindungssystem, das sich durch seinen spezifischen Bau von der übrigen Herzmuskulatur wesent- lich unterscheidet. Insbesondere ist zu bemerken, daß dieses System, zu welchem 1 Krehl und Romberg, Arb. aus d. med. Klinik in Leipzig, 1893, S. 64. 2 Porter, Journ. of exp. med., 2, S. 401; 1897. 3 Porter, ebenda, 2, S. 393. 4 Carlson, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 61; 1905. 5 Erlanger und Hirschfelder, Amer. journ. of physiol., 15, S. 153; 1906. 6 Cushny, Heart, 3, S. 257; 1912. ' 128 Die Innervation des Herzens. auch das an dem Kranzvenensinus befindliche, schon erwähnte Gewebe gehört, einen Knoten — den atrioventrikulären Knoten — von einem verhältnis- mäßig starken Umfange enthält. Dieser Knoten, wie auch das Verbindungssystem überhaupt, stellt, in Ana- logie mit dem Atrioventrikulartrichter des Froschherzens, mit großer Wahr- scheinlichkeit den Sitz der automatischen Erregung der vom Venensinus ge- trennten Kammern dar. Um zu entscheiden, inwiefern die Reizung, welche die Tätigkeit eines ge- gebenen Herzabschnittes verursacht, in demselben entsteht oder zu ihm von einem anderen Abschnitt zugeleitet wird, bildet die nach einer Extrakontraktion auftretende kompensatorische Pause, wie schon oben bemerkt, ein sehr wert- volles Kriterium, indem diese nur im letzten Falle erscheint. Auch das zeitliche Intervall zwischen Vorhof- und Kammerkontraktion ist in dieser Hinsicht von großem Wert, denn die Verkürzung bzw. die Umkehr desselben gestatten, wie unten näher ausgeführt werden soll, ganz bestimmte Aufschlüsse über den Ursprungsort der Erregung. Die Versuche von Woodworth1 zeigen, daß die von der übrigen Kammer isolierte, von der zugehörigen Arterie aus mit Hundeblut künstlich gespeiste und automatisch pulsierende Herzspitze vom Hunde bei einer Extrasystole keine kompensatorische Pause aufweist. Ebensowenig läßt die ganze mit Ringer- lösung pulsierende Herzkammer nach einer Extrasystole eine kompensatorische Pause erkennen (Hering2), und dasselbe ist auch mit dem nach Exstirpation des ,, Venensinus" mit Ringerlösung pulsierenden Herzen (Langendorff und Leh- mann3) der Fall. Hierin liegt der Beweis dafür, daß in allen diesen Herzteilen bei den statt- gefundenen Versuchsbedingungen spontane Reize erweckt werden können. Beim abgekühlten Hundeherzen in situ fand H. E. Hering*, daß sich die Vorhöfe und die Kammern etwa gleichzeitig zusammenzogen; es mußte also eine für alle beide gemeinsame Reizbildungsstelle vorhanden gewesen sein. Hierher gehört auch folgender Versuch von H. E. Hering* an Hunde- und Katzenherzen in situ, denen der sino-aurikulare Knoten durch Verschorfung zer- stört war. Bei dem dann erscheinenden Herzschlagen erwies sich, daß das zeit- liche Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammersystole immer kleiner wurde, bis sie verschwand und schließlich negativ werden konnte, indem jetzt die Kammersystole früher als die Systole der Vorhöfe erfolgte. Hier war unzweifel- haft der Ort der primären Reizung allmählich immer näher der Kammer gerückt. Desgleichen schlugen bei einem von Bönniger6 beobachteten Krankheits- fall Vorhöfe und Kammern synchron. Nach Zerstörung des „Venensinus" durch Bepinselung des Herzens in situ mit Formol pulsierten in Versuchen von Lohmann1 Vorhöfe und Kammern gleich- 1 Woodworth, Amer. journ. of physiol., 8, S. 220; 1903. 2 H. E. Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 107, S. 110; 1905. 3 Langendorff und Lehmann, ebenda, 112, S. 358; 1906. 4 H. E. Hering, ebenda, 107, S. 117; 1905. 5 H. E. Hering, ebenda, 135, S. 467; 1910. 6 Bönniger, Deutsche med. Wochenschr., 1907, S. 332. 7 Lohmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 123, S. 628; 1908; — vgl. auch Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, S. 445, sowie H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 107, S. 117; 1905. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 129 zeitig; bei künstlicher Reizung der Kammer trat aber die diese begleitende Vorhofkontraktion viel später auf (Fig. 206). Hier müssen also die spontanen Kontraktionen der Kammern und der Vor- höfe von einem gemeinsamen Reizort ausgegangen sein, der sich etwa in gleicher Entfernung von beiden befand; erst bei der künstlichen Reizung der Kammern wurden diese primär erregt, und die Erregung pflanzte sich nun mit einem deut- lichen Intervall auf die Vorhöfe fort. Der in den soeben erwähnten und anderen gleichartigen Versuchen für die Kammern und die Vorhöfe gemeinsame Ort des Reizursprungs ist aller Wahr- scheinlichkeit nach gerade der schon erwähnte atrioventrikuläre Knoten des Verbindungsbündels. Einen ziemlich direkten Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung hat Zahn1 geliefert. Fig. 206. Gleichzeitiges Pulsieren der Kammern (die obere Linie) und der Vorhöfe (die untere Linie) des Kaninchenherzens nach Vergiftung des „Venensinus" mit Formol. Nach Lokmann. Die dritte Systole ist eine durch einen Induktionsschlag herbeigeführte Extrasystole der Kammer. Von links nach rechts zu lesen. Am ausgeschnittenen Herzen wie auch am Herzen in situ, bei denen der sino-aurikulare Knoten zerstört war, hatte die lokalisierte Erwärmung irgend- welcher Stelle im Bereich des Atrioventrikularknotens stets eine Beschleunigung der Frequenz zur Folge. Wenn die Erwärmung im oberen Abschnitt des Knotens, in unmittelbarer Nähe des Sinus coronarius stattfand, ging die Kontraktion des Vorhofes stets der der Kammer voraus; bei Erwärmung im unteren Ab- schnitt, etwas vor dem oberen Ende des medialen Trikuspidalissegels, schlugen die Kammern in etwa gleichem zeitlichen Intervall wie vorher vor den Vorhöfen. Innerhalb der durch diese Punkte angegebenen Grenzen führte die Erwärmung zu einer Frequenzsteigerung mit einem Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammersystole, das kleiner war als das normale. Das Intervall konnte positiv, Null oder negativ sein, und zwar kam es den oben fixierten Grenzwerten um so näher, je kleiner die Entfernung zwischen der erwärmten Stelle und dem Kranzvenensinus, bzw. dem oberen Ende des medialen Trikuspidalissegels war. In der gleichen Weise untersuchten Ganter und Zahnz am ausgeschnittenen und mit verdünntem Blut gespeistem Herzen die Einwirkung der Erwärmung anderer Teile der inneren Herzwand auf die Pulsfrequenz. 1 Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 247; 1913; — vgl. auch Erster und Meek, Arch. of int. med., 18, S. 796; 1916. 2 Ganter und Zahn, Zentralbl. f. Physiol., 27, S. 211; 1913. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 9 130 Die Innervation des Herzens. Dabei trat eine Beschleunigung auf, wenn ein Band erwärmt wurde, das, am Kranzvenensinus beginnend, sich längs des Ansatzes des medialen Trikus- pidalissegels in der rechten Kammer bis in die Pars membranacea erstreckte, hier umbog und in einem nach vorn konvexen Bogen nach abwärts bis in die Umgebung des vorderen Papillarmuskels hinzog. In der linken Kammer begann das wirksame Gebiet dicht unter der rechten Acrtaklappe, verlief zunächst vorwiegend senkrecht nach unten und ließ sich meistens bis zur Basis des hinteren Papillarmuskels verfolgen. Diese Lokalisation derjenigen Punkte, deren Erwärmung die Pulsfrequenz des Herzens beschleunigt, entspricht genau dem Verlauf des Verbindungssystems. Daraus läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, daß hier eine Reizbildungsstelle vorliegt, sowie daß die Automatie der isolierten Kammer bzw. einzelner Abschnitte der Kammer gerade von dem spezifischen Gewebe des Verbindungssystems herrührt.1 Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist auch, daß sich in allen Fällen, wo die Kammern vor den Vorhöfen schlugen, die Frequenz des Herzens durch Abkühlung einer Stelle vermindern ließ, die stets im Verlaufe eines Schenkels des Verbindungs- systems lag (Ganter und Zahn2). Die Bedeutung des atrioventrikulären Knotens für die Auslösung der auto- matischen atrioventrikulären bzw. rein ventrikulären Kontraktionen geht noch aus folgendem sehr deutlich hervor. An Hundeherzen, welche unter dem Einfluß zweckmäßiger Eingriffe ent- weder eine atrioventrikuläre Automatie, bei welcher Vorhöfe und Kammern gleichzeitig oder in einem höchstens 0,04 Sekunden betragenden Intervall nach- einander schlugen (Acceleransreizung; vgl. unten Kap. XX II), oder auch einereine Kammerautomatie, bei welcher die Erregung von der einen oder anderen Kammer direkt ausging (Vergiftung mit Strophantin), darboten, lösten Rothberger und Winterberg* durch Reizung an verschiedenen Orten der Vorhof- oder Kammer- wand Extrasystolen aus und beobachteten dabei in vielen Fällen nach der Extra- systole eine wirkliche kompensatorische Pause. Wenn in der automatisch schlagen- den Herzabteilung eine diffuse Reizbildung stattgefunden hätte, wäre indessen, wie aus den oben erwähnten Versuchen von Woodworth und anderen hervor- geht, keine kompensatorische Pause aufgetreten. Im vorliegenden Falle muß also die Bildung des automatischen Reizes innerhalb der betreffenden Herz- abteilung an einem zirkumskripten Orte lokalisiert gewesen sein; von diesem sind die Reize in bestimmten Intervallen abgegeben worden und die durch den Extrareiz ausgelöste Systole muß daher von einer kompensatorischen Pause nachgefolgt werden, ganz wie dies der Fall ist, wenn der Ort der automatischen Reizbildung außerhalb der betreffenden Herzabteilung liegt. Als solche zirkumskripte Reizbildungsstellen können, soviel uns bis jetzt bekannt, nur der atrioventrikuläre Knoten und dessen Fortsetzungen hier in Betracht kommen. Also besitzen bei den Säugetieren sämtliche Abschnitte des Herzens, mit alleiniger Ausnahme des linken Vorhofes, die Eigenschaft der Automatie. Bei 1 Vgl. indessen Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 141, S. 511; 1911. - Ganter und Zahn, Zentralbl. f. Physiol., 27, S. 213. 3 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 146, S. 385; 1912. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 131 den verschiedenen Abschnitten ist indessen diese Eigenschaft in verschieden hohem Grade ausgebildet, und zwar ist sie am größten dort, von woher die Systole des Herzens normal anfängt. Unter normalen Verhältnissen kommt daher die eigene Automatie der distaleren Herzabschnitte hier ebensowenig wie beim Frosch zur Verwendung, sondern ist nur als völlig potentiell zu betrachten. Wie die klinische Erfahrung in der ausgedehntesten Weise bestätigt hat, kommt indessen unter Umständen diese eigene Automatie zum deutlichen Ausdruck, wenn die Reizleitung vom Venensinus aufgehoben ist, oder wenn dieser keine Reize abgibt, usw.1 In gewissen Fällen können aber, wie es scheint, auch bei normaler Reiz- bildung und -Übertragung infolge der Automatie der distaleren Herzabschnitte Extrakontraktionen auftreten, und dann entstehen sehr verwickelte Herzrhythmen, über welche unter anderem Wenckebach und Mackenzie2 berichtet haben. Eine sehr schöne Illustration der Art und Weise, wie die Tätigkeit des „Venen- sinus" von der der distaleren Herzteile übernommen wird, finden wir bei der allmählich stattfindenden Abkühlung des sino-aurikularen Knotens. Dabei sinkt die Automatie des abgekühlten Knotens langsam unter die des atrioventrikulären Knotens herab. Eine Zeitlang können beide diese Knoten in Tätigkeit sein, was sich darin ausprägt, daß das Intervall zwischen Vorhof- und Kammer- systole allmählich kleiner wird. In dem Augenblick aber, wo die Reizbildungs- fähigkeit des Sinusknotens um ein geringes unter diejenige des Atrioventrikular- knotens heruntergeht, wird dieser nicht mehr wie sonst auf den vom Sinus kom- menden Reiz warten, sondern selbst einen Reiz entwickeln. Dieser Reiz wird zunächst nur in der Kammer wirksam, da unterdessen der vom Sinus zur Kon- traktion gebrachte Vorhof sich gegen den Atrioventrikularreiz refraktär verhält. Da die Frequenz des Vorhofes weiter abnimmt, die der Kammer nicht, weil sie abhängig von einem unbeeinflußten Zentrum schlägt, so rücken die Vorhof - und Kammerschläge sukzessiv einander näher. Ist die Verzögerung der Reiz- bildung im Sinusknoten so weit fortgeschritten, daß der Reiz in ihm einen Moment nach dem Reiz im Atrioventrikularknoten erfolgt, so wird der Vorhof auf den Atrioventrikularreiz ansprechen und sich gegen den Sinusreiz refraktär ver- halten. Vorhof und Kammer schlagen jetzt synchron (Ganter und Zahn3). § 54. Die Reizbildung im Herzen. Welcher Natur die normalen Herzreize sind, darüber können wir nichts Sicheres sagen, obgleich es ja sehr nahe liegt, dieselben als eine Art chemischer Reize aufzufassen, wo nicht der Druck und die Spannung des Herzens in erster Linie maßgebend sind (vgl. I, S. 296; II, S. 1). Wenn dem so ist, würde man zunächst daran denken, daß diese gleichwie die künstlichen chemischen Reize und der konstante Strom eine kontinuierliche, obgleich ihrer Intensität nach unter verschiedenen Umständen variierende Wirkung ausüben, und daß diese wegen der refraktären Periode in die normale rhythmische Herztätigkeit umgesetzt werden sollte. 1 Vgl. Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 136, S. 475; 1910. 2 Wenckebach und Mackenzie, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1905, S. 237. 3 Ganter und Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 145, S. 384; 1912. 132 Die Innervation des Herzens. Nun finden sich im Herzen mehrere verschiedene Reizbildungsstellen von sehr verschiedener Leistungsfähigkeit, so daß unter normalen Verhältnissen nur der mit dem höchsten Grade von Automatie ausgerüstete Herzteil A sich bei der Herztätigkeit geltend macht, während die Automatie der anderen Herz- teile B, C usw. einfach ausgeschaltet wird. Zur Erklärung dieser Tatsache genügt die Erfahrung, daß die Erregbarkeit des Herzens und der einzelnen Herzteile nach Ende der Systole allmählich immer mehr ansteigt. Nachdem dieser Anstieg so weit erfolgt ist, daß die betreffende Herzabteilung für den von A her entstammenden Reiz gerade empfindlich ist, wird bei ihr eine neue Systole ausgelöst und die in B, C usw. gebildeten Reize bleiben daher unter normalen Verhältnissen dauernd unterschwellig. Nur wenn aus dem einen oder anderen Grunde der Reiz von A ausbleibt, kann der Reiz von B sich geltend machen. Damit das Herz aber für diesen schwächeren Reiz empfänglich sein mag, muß die Diastole weiter als vorher fortschreiten, und die jetzt ausgelösten Kontraktionen sind deshalb weniger frequent als die unter dem Einfluß der A-Reize hervorgerufenen. Hierbei wird, wie ersichtlich, in bezug auf das anatomische Substrat der Reizbildung nichts ausgesagt; auch wird die Frage, ob Reizbildung und Erreg- barkeit unabhängig voneinander sind oder nicht, ganz offen gelassen. Unter spezieller Annahme, daß die Reizbildung in der Muskelsubstanz des Herzens erfolgt, hat Engelmann1 gegen die Hypothese einer stetigen Reizbildung hervorgehoben, daß schon eine so gewaltige Molekularexplosion, wie sie bei der Systole in den Muskelelementen statthat, auf die Tätigkeit der jedenfalls in unmittelbarster Nähe der kontraktilen Teilchen befindlichen, mit diesen innigst verbundenen Herde der Reizbildung schwerlich ohne Einfluß bleiben wird. Seinerseits stellt er sich daher vor, daß der in jeder oder doch in weitaus den meisten Muskelfasern der Hohlvenen und des Venensinus kontinuierlich er- zeugte Reiz durch die ausgelöste Systole vorübergehend in ihrer Entwicklung eingeschränkt wird, um nach beendigter Systole aufs neue gebildet zu werden. Nur wenn der Reiz dann genügende Stärke erreicht hat, wird eine neue Systole ausgelöst. Trotz dem ununterbrochen stattfindenden Vorgang der Reizbildung erfolgt also die Reizabgabe selber rhythmisch, und zur theoretischen Erklärung der Schlagfolge braucht die refraktäre Periode gar nicht in Betracht kommen. Auch H. E. Hering2 vertritt die Anschauung von der rhythmischen Reiz- bildung, denn die Frequenzsteigerung des Herzens läßt sich nicht lediglich durch die Verkürzung der refraktären Phase erklären, sondern es muß dazu auch eine raschere Reizbildung angenommen werden. Die also rhythmisch und unabhängig von der Reaktionsfähigkeit des Herzens gebildeten Ursprungsreize können verschieden rasch entstehen und sind immer Schwellenwerte von ungefähr gleicher Stärke. Die Geschwindigkeit, mit welcher diese Reize gebildet werden, wird teils durch die Beschaffenheit des Blutes, teils durch die zentrifugalen Herznerven reguliert. Es scheint mir, daß die Frequenzänderungen des Herzens, z. B. bei lokaler Erwärmung oder Abkühlung des Sinus, auch dadurch zustande gebracht werden könnten, daß die im Orte der Reizbildung kontinuierlich gebildeten Reize unter 1 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 142; 1897; — vgl. oben II, S. 99. 2 H. E. Hering, ebenda, 141, S. 511; 1911; — 143, S. 370; 1912; -. 148, S. 608; 1912. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 133 dem Einfluß des frequenzändernden Eingriffes ihre Intensität veränderten, wodurch auch der Moment der Herzrevolution, in welchem sie tätig werden, in der einen oder anderen Richtung verschoben werden sollte. Es bleibt aber noch eine Schwierigkeit für die Annahme einer rhythmisch erfolgenden Bildung oder Abgabe der Herzreize bestehen. Diese liegt darin, daß sich die Automatie der distaleren Herzteile unter normalen Verhältnissen nie geltend macht. Bei rhythmisch stattfindender Reizabgabe sollte doch ab und zu, auch bei einem vollkommen normalen Herzen, ein Moment eintreffen, wo die im atrioventrikulären Knoten stattfindende Erregung genügend hoch gestiegen wäre, um eine Kammersystole auszulösen, d. h. es wäre zu erwarten, daß sich atrioventrikuläre oder rein ventrikuläre Extrasystolen nicht gar selten einstellen würden, was indessen nicht der Fall ist. Ich gebe zu, daß auch diese Schwierigkeit durch eine Hilfshypothese ver- mieden werden konnte, indem man z. B. annimmt, daß die Automatie der distalen Herzabschnitte durch die andauernde Zuleitung der Erregungen vom Sinus her zugedrängt wird; diese Abschnitte würden also erst nach Isolierung von den proximalen genügend erregbar werden, um durch die in ihnen selber entwickelten, früher unwirksamen inneren Reize in Tätigkeit versetzt zu werden (F. B. Hof- mann1). Indessen ist das zur Lösung der Frage nach der Natur und Bildung der Herzreize vorhandene Tatsachenmaterial im großen und ganzen so gering, daß eine wirklich befriedigende Antwort noch lange nicht gegeben werden kann. § 55. Das anatomische Substrat der Herzautomatie. Nachdem die Gegenwart von Ganglienzellen im Herzen in erster Linie durch Remak nachgewiesen worden war, wurde das später nach diesem Autor benannte Ganglion von Volkmann als Zentralorgan der Herzbewegung des Frosches be- trachtet, „teils weil diese Ganglien im System der Herznerven die einzigen Teile sind, welche den überall vorhandenen Fasern als ein Besonderes gegenüberstehen, teils weil sie die Kugelmassen enthalten, welche für die Funktionen der Zentral- organe unerläßlich scheinen".2 Die Störungen, welche Einschnitte in die Herzsubstanz verursachen, be- weisen nach Volkmann, daß die Ganglien nebst den sie verbindenden Nerven- fäden ein zusammengehöriges System bilden und die materielle Unterlage für die Koordination der Herzmuskelfasern ausmachen. Denn diese Störungen sind „offenbar Folgen zerstörter Nervenverbindungen, nicht aber Folgen der getrennten Muskulatur, denn auf letztere kann nur die veränderte Form der Bewegungen, nicht die Disharmonie im Rhythmus bezogen werden". Diese Überlegung genügte, um für vier Jahrzehnte die Lehre von den Herz- ganglien als Träger der automatischen Funktionen des Herzens fast als un- erschütterliche Wahrheit zu begründen. Nachdem Rossbach3 im Jahre 1882 als eine Möglichkeit ausgesprochen hatte, daß die Herztätigkeit myogen en Ursprunges wäre, trat Gaskell im folgenden Jahre ganz bestimmt gegen die ganglionäre Hypothese auf und suchte zu zeigen, daß den Ganglienzellen gar kein Anteil bei der Auslösung der normalen Kon- 1 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 72, S. 240, 257; 1Ö20; _ vgl. oben II, S. 106. 2 Volkmann, Aren. f. Anat. u. Physiol., 1844, S. 428. 3 Rossbach, Aren. f. d. ges. Physiol., 27, S. 201 ; 1882. 134 - Die Innervation des Herzens. traktionen des Herzens zukäme, indem die Herzmuskulatur selber automatische Eigenschaften besäße.1 Unter seinen Argumenten sind besonders folgende zu erwähnen. Ein aus der Kammer der Landschildkröte herausgeschnittener, ganglien- freier (?) Muskelstreifen, welcher in einer feuchten Kammer aufgehängt ist, beginnt nach etwa 3 Stunden spontan zu pulsieren.2 — Es ist ja allerdings nicht unmöglich, daß die automatische Fähigkeit infolge der Präparation eine Zeit- lang unterdrückt gewesen ist, und daß es eine Weile dauert, bevor sie wieder erscheint. Andererseits ist es aber gar nicht bewiesen, daß nicht in diesem Muskel- streifen während der Aufbewahrung allmählich irgendwelche deletären Ver- änderungen aufgetreten sind, welche wie ein Reiz eingewirkt haben können. Auch wenn es richtig wäre, daß der Muskelstreifen ganglienzellenfrei gewesen war, liefert dieser Versuch keineswegs einen Beweis für die Automatie des Herz- muskels. Auch die Erfahrung, daß ein solcher Muskelstreifen schließlich in etwa demselben Rhythmus wie das ganze Herz pulsiert3, beweist im großen und ganzen nichts, da wir ja wissen, eine wie große Fähigkeit die Herzspitze hat, eine kon- tinuierlich wirkende, künstliche Reizung in eine rhythmisch, zunächst von ihr selbst abhängige Tätigkeit umzuwandeln.4 Auf Grund dieser und anderer Versuche nahm Gaskell an, daß der Herz- muskel selber das Vermögen der Automatie besitze, sowie daß dieses in den verschiedenen Herzabteilungen, quantitativ, aber nicht qualitativ, verschieden ist. Wo diese Eigenschaft am höchsten entwickelt ist — also am venösen Ende des Herzens — , würde der betreffende Herzabschnitt dem Embryonalstadium näher stehen und also weniger differenziert sein, als die übrigen Abschnitte, bei denen diese Eigenschaft in einem geringeren Grade vorhanden ist.5 Auch findet er, daß sich histologische Unterschiede zwischen den verschiedenen Herz- abschnitten nachweisen lassen.6 Die Gedanken Gaskeils wurden zunächst von Krehl und Romberg auf das Säugetierherz angewendet, wobei sie von der Beobachtung ausgingen, daß die Kammern des Kaninchenherzens, obgleich sie, abgesehen von vereinzelten Zellen am oberen Rande des Conus arteriosus, nach ihren Erfahrungen keine Ganglien- zellen besitzen, selbst nach Abklemmung der Aorta und der A. pulmonalis rhyth- mische Kontraktionen ausführen.7 Bei den betreffenden Versuchen war indessen wie bei denjenigen von Woold- ridge und mir (vgl. II, S. 125) ein Stück der Vorhofwand zurückgeblieben; nun zeigten Krehl und Romberg ferner, daß die dicht unterhalb der Atrioventrikular- furche abgeschnittenen Kammern eine Zeitlang, die indessen nur äußerst kurz war, mit ihren Pulsationen fortfuhren.8 1 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 43; 1883. 2 Gaskell, ebenda, 4, S. 54. 3 Gaskell, ebenda, 4, S. 60. 4 Vgl. Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 68, S. 263; 1918. 5 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 59. 6 Gaskell, ebenda, 4, S. 72. Eine gedrängte Übersicht der Arbeiten Gaskells über die Innervation des Herzens findet sich in Archives de physiol., 1888, S. 56. 7 Krehl und Romberg, Arb. aus d. med. Klinik zu Leipzig, 1893, S. 59. s Krehl und Romberg, ebenda, 1893, S. 64. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 135 Auch wiesen sie nach, daß nach Abtrennung des Ganglienfeldes der Vorhof- wand1 allein oder im Verein mit der Durchtrennung der Bulbusganglien2 von den übrigen Teilen der Vorhöfe und den Kammern die rhythmische Tätigkeit der zurückgebliebenen Herzabteilungen nicht aufgehoben wird; sie schlagen aber beträchtlich langsamer als vorher. Im übrigen ließ aber die Art, in der sich Vorhöfe und Kammern zusammenzogen nicht den geringsten Unterschied gegen das normale Verhalten erkennen, solange der direkte Zusammenhang zwischen ihnen gewahrt war. Daraus folgt, daß die Überleitung der Erregung nicht durch die Ganglien, sondern auf einer direkten Bahn erfolgt.3 Ihrerseits wird wiederum die in verschiedenem Grade auftretende Verlang- samung der abgetrennten Herzteile von ihren verschieden stark entwickelten automatischen Eigenschaften, welche in der Richtung gegen die großen Venen immer stärker werden, verursacht.4 Daß dies nicht von den anwesenden Ganglienzellen herrührt, wird dann unter speziellem Hinweis auf das Schlagen des embryonalen Herzens vor dem Auftreten der Ganglienzellen hervorgehoben.5 Der bedeutendste Vertreter der Lehre vom muskulären Ursprung der Herz- automatie wurde indessen Engelmann, dem sich unter anderen H. E. Hering6 und F. B. Hofmann7 anschlössen, wogegen die ältere Auffassung besonders in Kronecker8, Cyon9, Dogiel10 und Nicolai11 eifrige Anhänger behielt. Auch Langen- dorf f12 sprach sich, obgleich mit einem gewissen Zögern, zugunsten der neuro- genen Hypothese aus. Bei seiner Begründung der myogenen Hypothese führte Engelmann13 in erster Linie die schon oben (II, S. 71) erwähnten Erfahrungen am embryonalen Herzen an14 und hob hervor, wie die kontraktilen Zellen der Herzwand von Hühner- embryonen, sobald die ersten Pulsationen auftreten, auch sogleich Doppelbrechung und am 3. Tage der Bebrütung deutliche Querstreifung, somit die charakteri- 1 Dies Feld erstreckt sich nach rechts bis zur Einmündung der Hohlvenen, welche von ihm fast völlig umfaßt wird, nach links bis an die Einmündung der linken Lungenvenen, nach vorn bis zu dem den Sinus transversus cordis überbrückenden Perikard, nach hinten fast bis zu der Atrioventrikularfurche (Krehl und Romberg, Arb. aus d. med. Klinik zu Leipzig, 1833, S. 54). 2 Unter Bulbusganglien verstehen Krehl und Romberg die Ganglienzellen im Bulbus- geflecht, sowie eine Anzahl der oberhalb der Teilungsstelle der Pulmonalis liegenden Zellen (a. a. O., S. 54). 3 Krehl und Romberg, ebenda, S. 71. 4 Krehl und Romberg, ebenda, S. 75. 5 Krehl und Romberg, ebenda, S. 76, 77; eine Kritik dieser Arbeit findet sich bei Kaiser, Zeitschr. f. BioL, 30, S. 294; 1894. 6 H. E. Hering, Arch. f. d. g?s. Physiol., 82, S. 25; 1900; — 86, S. 567; 1901; — 141, S. 499; 1911. Gewisse Bedenklichkeiten, die er später aufg?geben hat, veranlaßten Hering eine Zeit, die neurogene Hypothese zu umfasssen (ebenda, 116, S. 157; 1907). 7 F. B. Hofmann, Schmidts Jahrb. d. ges. Medizin, 281, S. 113; 1904. 8 Kronecker, Zeitschr. f. Biol., 34, S. 529; 1896. 9 Cyon, Arch. f. d. ges. Physiol., 88, S. 225; 1901; — 113, S. 111; 1906; — 116, S. 157; 1907; — La presse medicale, 1907, Nr. 39. 10 Dogiel, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 1; 1906; — 135, S. 1; 1910;— 142, S. 109; 1911. 11 Nicolai, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1910, S. 1. 12 Langendorff, Ergeb. d. Physiol., 1 (2), S. 344; 1902. 13 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 109; 1896; — 65, S. 535; 1897; — Die deutsche Klinik am Eingang? des zwanzigsten Jahrhunderts. Berlin u. Wien 1903, 4 (2), S. 215. 14 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 537. ]36 Die Innervation des Herzens. stischen Merkmale von Muskelzellen, darbieten1, sowie daß nach His und Rom- berg die Ganglien und Nerven des Herzens nicht an Ort und Stelle aus Zellen des Herzschlauches entstehen, sondern von außen, vom zerebrospinalen, bzw. sympathischen Gangliensystem in das Herz einwandern. Die Ganglienzellen kämen daher höchstens für die späteren Entwicklungs- stadien des Wirbeltierherzens noch in Betracht. Dabei wäre aber die Hilfs- annahme unvermeidlich, daß die Funktion der automatischen Erregung, die anfangs den Muskelzellen zukommt, im Laufe der späteren Entwicklung von den eingewanderten und durch ihre Nervenausläufer mit den Muskelfasern in Verbindung getretenen Nervenzellen oder Nervenfasern übernommen werde. Indessen bleibt es, nach Engelmann, offenbar viel natürlicher und einfacher, sich vorzustellen, daß das den Herzmuskelzellen ursprünglich eigene Vermögen der Automatie ihnen im Verlauf der späteren Entwicklung einfach erhalten bleibt und nur an einigen Stellen (venöse Ostien des Herzens) höher ausgebildet wird, an anderen (Herzspitze) zurückbleibt oder auch zurückgeht. > Als weitere Stützen dieser Auffassung führt Engelmann an, daß noch im entwickelten Herzen von Vertebraten normale spontane Kontraktionen von Stellen der Muskelwand ausgehen, welche keine Ganglienzellen enthalten, und hebt hierbei besonders den Bulbus arteriosus des Froschherzens hervor, der, obgleich ganglienfrei, dennoch sich selbst überlassen nach etwa 1l2 Stunde mit spontanen, rhythmischen Pulsationen anfängt2; daß beim Ureter von er- wachsenen Säugetieren sowie bei den Venen in der Flughaut der Fledermäuse rhythmische Kontraktionen vorkommen, ohne daß dorthin eine Beteiligung von Ganglienzellen mikroskopisch nachgewiesen worden wäre; daß auch bei den Arterien rhythmische Kontraktionen vorkommen, obgleich bei ihnen keine Ganglienzellen aufgefunden worden sind; daß beim erwachsenen Herzen von verschiedenen Mollusken und Arthropoden keine Ganglienzellen nachgewiesen worden sind; sowie daß 1 cmm große Stückchen der Hohlvenen des Frosches stundenlang im normalen Rhythmus pulsieren können, wobei Ganglienzellen nur in zwei unter mehr als 30 untersuchten Fällen dort nachgewiesen wurden.3 Aber auch beim erwachsenen Säugetier haben zahlreiche Autoren spontane Pulsationen der Hohlvenen beobachtet; daß diese an die Gegenwart von Ganglien- zellen gebunden sein sollten, ist indessen höchst unwahrscheinlich. Übrigens finden sich viele Beobachtungen über regelmäßig periodische, vom zentralen Nervensystem unabhängige Bewegungen der Skelettmuskeln, sowie über Pulsationen bei den ganglienfreien Abschnitten des Herzens, wie z. B. der Spitze des Froschherzens. Schließlich werden auch Biedermanns Versuche über rhythmische Kontraktionen der Skeletmuskeln in gewissen Salz- lösungen herbeigezogen.4 Die Tatsache, daß diejenigen Herzteile, welche sich durch eine besonders hohe automatische Erregbarkeit auszeichnen, auch besonders reich an Ganglien- zellen sind, stellt höchstens einen Fingerzeig dar, daß die Ganglien irgendwelche physiologische Bedeutung für diese oder benachbarte Stellen haben mögen. 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 11, S. 457; 1875; — 65, S. 537. 2 Engelmann, ebenda, 29, S. 443; 1882. 3 Engelmann, ebenda, 65, S. 539; 1896. 4 Engelmann, ebenda, 65, S. 541. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 137 Diese Bedeutung kann aber ebensogut in einer anderen Aufgabe als einer direkten motorischen Funktion bestehen, da die Herzwand ja für außerordentlich zahl- reiche und verschiedenartige Nerven Wirkungen den Schauplatz darstellt.1 Aus diesen Gründen hält Engelmann die Lehre von den intrakardialen Ganglien als Quelle der spontanen Herzreize für widerlegt. Es konnte nun der Fall sein, daß die Automatie nicht eine Eigenschaft der Herzmuskulatur darstellt, sondern den Nervennetzen, welche überall bis an die Spitze der Kammer die Herzmuskelfasern umspinnen, eigen wäre. In dieser Hinsicht hatte Schiff2 angenommen, daß die Herznerven durch das Blut normalerweise und anhaltend erregt würden. Durch die eingetretene Erregung sollten die Nerven in dem Grade abgestumpft werden, daß es eine gewisse Zeit dauert, bis sie wieder durch den anhaltenden Reiz des Blutes zur Erzeugung einer neuen Kontraktion angeregt werden können. Dagegen bemerkt indessen Engelmann3, daß das Herz bei völliger Abwesenheit von Blut dennoch sehr lange pulsieren kann, sowie daß „von allen bekannten Organen die Nervenfasern am wenigsten erschöpfbar" sind. Dadurch ist es nicht ausgeschlossen, daß die Nerven nicht in irgendeiner anderen Weise als normale Erreger auftreten können. Auf anatomischem Wege läßt sich eine solche Möglichkeit für das nicht mehr jungembryonale Herz der Wirbeltiere nicht widerlegen, denn die Gegenwart von Nervenfasern ist in allen, auch den kleinsten Stückchen der entwickelten Herzwand nachweisbar, und dasselbe gilt, wie es scheint, für andere periodisch-peristaltisch sich bewegende Organe erwachsener Wirbeltiere. Auch liegen mehrere, von Engelmannx an- geführte Erfahrungen vor, welche als Beweise für die automatische Erregbarkeit als normale Eigenschaft von peripheren Nervenfasern gelten können. Somit wäre es nicht mehr so ganz unerhört, wenn es im entwickelten Herzen der Wirbeltiere die intrakardialen Nervenfasern wären, welche in der Norm die spontanen motorischen Herzreize erzeugen und damit als die automatischen Zentren der Herzbewegung funktionierten. Nichtsdestoweniger hält Engelmann es für unerlaubt, dieser Auffassung den Vorzug vor der Annahme eines in allen Fällen rein myogenen Ursprungs der Herzbewegungen zu geben, denn für diese spricht vor allem die Bewegung des embryonalen Herzens und überhaupt solcher Herzen, die wohl Muskelzellen, aber sicher keine Nervenfasern haben, sowie die Tatsache, daß eine manifeste typische Automatie in normalen peripheren Nervenfasern nicht ganz sicher festgestellt oder doch eine Ausnahme zu bilden scheint, während sie bei kontraktilen Zellen im ganzen Tierreich sehr häufig und vollkommen er- wiesen ist.5 Gegen diese theoretische Ansicht wurde dann im Laufe der Jahre von mehreren Autoren eine sehr scharfe Kritik ausgeübt. Hierbei ging man, wie am deutlichsten von Nicolai6 hervorgehoben wurde, vielfach davon aus, daß 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 65, S. 545. 2 Schiff, Arch. f. physiol. Heilkunde, 9, S. 33; 1849; — Ges. Beitr. z. Physiol., 2, S. 247. 3 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 65, S. 547. 1 Engelmann, ebenda, 65, S. 551. 5 Engelmann, ebenda, 65, S. 562. 6 Nicolai, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1910, S. 5. 138 Die Innervation des Herzens. die Anhänger der Ganglienzellenhypothese „keiner Theorie bedürfen; sie sagen, daß die Ganglienzellen die Träger autonomer Eigenschaften, bzw. Reflexzentren sind, daß Nervenfibrillen die Erregung leiten und daß Muskelzellen sich kon- trahieren. So habe man es überall gefunden, und so wäre es auch wohl im Herzen. Die Beweislast liegt also den Myogenikern auf." Dieser Darlegung kann ich meinerseits gar nicht beitreten, denn sie scheint die neurogene Hypothese der Herztätigkeit fast als eine axiomatische Wahrheit aufzufassen; Dies ist aber keineswegs berechtigt, und jede theoretische An- schauung, welcher Art sie auch ist, muß positive Beweisgründe bringen können und darf sich nicht mit dem Nachweis begnügen, daß eine andere Ansicht nicht haltbar ist. Ich werde also versuchen, die Frage „myogen oder neurogen" möglichst objektiv zu erörtern, und gehe davon aus, daß im Herzen Muskeln, Nerven und Ganglienzellen vorhanden sind; daß die Tätigkeit des Herzens durch die extra- kardialen Nerven in der einen oder anderen Richtung beeinflußt wird, sowie daß diese Nerven nicht allein während ihres extrakardialen Verlaufes und inner- halb der Herzplexen, sondern auch in der Herzwand selbst von Ganglienzellen unterbrochen werden können. Es ist also möglich, daß die Nervenfasern, welche überall im Herzen in der intimsten Beziehung zu den Herzmuskelfasern stehen, entweder Fortsetzungen der extrakardialen Nerven oder Ausläufer der in deren intrakardialen Verlauf eventuell eingeschalteten Ganglienzellen darstellen. Aus dem Vorhandensein von Nerven und Ganglienzellen im Herzen lassen sich demnach keine Schlüsse ohne weiteres ziehen. Mit anderen Worten, wir dürfen nichts als von vornherein bewiesen annehmen, und haben dann folgende Frage zu erörtern: Welche unter den im Herzen vorhandenen nervösen und muskulären Gebilden stellen den Sitz der automatischen Erregung des Herzens dar? Die Beweisgründe Engelmanns für die myogene Lehre sind in einigen Gruppen zusammengefaßt kurz folgende: 1. Die bei chemischer Reizung auftretenden rhythmischen Kontraktionen der Skelettmuskeln; 2. die Pulsationen bei den Ureteren, den Venen der Flughaut der Fleder- mäuse usw.; 3. die Pulsationen bei ganglienfreien Herzen der Wirbellosen; 4. die Pulsationen bei ganglienzellenfreien Teilen des Wirbeltierherzens; 5. die Pulsationen des embryonalen Herzens vor dem Auftreten der Ganglien- zellen. Es muß zugegeben werden, daß unter diesen Beweisgründen mehrere ihre Bedeutung vollständig eingebüßt haben. Die so viel zitierten, von Biedermann entdeckten, rhythmischen Kontrak- tionen der Skelettmuskeln scheinen mir in gar keinem Zusammenhang mit den normalen Herzkontraktionen gebracht werden zu können, denn sie stellen ja partielle, nicht koordinierte Bewegungen der einzelnen Muskelfasern dar, die so wenig kräftig sind, daß es noch niemandem gelungen ist, sie unter Anwendung eines nicht massenlosen Hebels zu registrieren.1 Tatsächlich bieten sie, ihrer Vgl. Samojloff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1907, S. 145. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 139 ganzen Erscheinungsweise nach, eine viel größere Ähnlichkeit mit dem Herz- flimmern als mit der koordinierten Herztätigkeit dar. Die rhythmischen Bewegungen der Ureteren, der Flughautvenen usw., von denen einige ihrer Zeit ex analogia als Stütze für die Auffassung vom muskulären Ursprung der Herzbewegung dienen konnten1, haben ihre Bedeutung in dieser Hinsicht gänzlich verloren, seitdem es der fortgesetzten Forschung gelungen ist, in den betreffenden Organen Ganglienzellen nachzuweisen, welche, wie es scheint, wenigstens bei einigen derselben für das Zustandekommen der rhythmischen Bewegungen unerläßlich sind.2 Hierher gehören auch die Bewegungen der Venen der Flughaut der Fleder- mäuse, von welchen Dogiel nachgewiesen hat, daß sie nach Durchschneidung der entsprechenden Nerven aufhören.3 Nach Karfunkel11 treten indessen am ersten bis dritten Tage nach dem Eingriff Venenpulsationen wieder auf, die aber viel seltener sind als bei der normalen Innervation. Ob diese Pulsationen eine Eigenschaft der Gefäßmuskulatur darstellen, ist dennoch nicht sicher, denn Karfunkel bemerkt, daß in dem Nervennetz, das die Gefäßwände umspinnt, auch Gebilde vorkommen, die er als Ganglienzellen auffaßt. Gegen die myogene Theorie konnte als Analogiebeweis auch die Angabe von R. Magnus5 über die durchgreifende Bedeutung der Ganglienzellen des Plexus myentericus für die Darmbewegungen herbeigezogen werden, wenn nicht die späteren Erfahrungen von Gunn und Underhill6 gezeigt hätten, daß die Darm- muskulatur in der Lockeschen Lösung auch unabhängig von diesen Zellen rhyth- mische Bewegungen ausführt. Verzar7 hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß bei dem nach Peterfi8 an Ganglienzellen und Nervenfasern vollständig freien, aus glatten Muskelzellen bestehenden Amnion des Huhnes regelmäßige Kontraktionen in einem Rhythmus von etwa 16 in der Minute auftreten. Hierin kann indessen kein Beweisgrund für die Annahme eines myogenen Ursprunges der Herzbewegungen gefunden werden. Auch ist ein Vergleich zweier Organe von ganz verschiedener physio- logischer Aufgabe nur unter Beobachtung der strengsten Kritik zu verwerten, denn es kann ja ganz gut der Fall sein, daß eine analoge Aufgabe bei verschiedenen Organen in verschiedener Weise gelöst wird. Zu der Zeit des ersten Auftretens der myogenen Theorie waren die Kenntnisse von dem Bau und den Verrichtungen der Herzen der Wirbellosen nur sehr wenig entwickelt, und da der Nachweis von Ganglienzellen in mehreren Fällen nicht gelang, konnte man auf gutem Grunde diese Herzen als Belege dafür auffassen, daß die rhythmische Herztätigkeit ohne Beteiligung von Ganglienzellen erfolgte. Die Sachlage ist nunmehr eine wesentlich andere geworden. Bei sehr vielen Herzen der Wirbellosen hat man in der Tat, wie aus der Darstellung II, S. 80 1 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physjol., 2, S. 243; 1869. 2 Vgl. in bezug auf die Innervation der von Engelmann insbesondere berücksichtigten Ureteren Dogiel, Arch. f. mikr. Anat., 15, S. 64; 1878; — Protopopow, Arch. f. d. ges. Phvsiol., 66, S. 1, 95; 1897. 3 J. Dogiel und Archangelsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 7; 1906. 4 Karfunkel, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1905, S. 544. 5 R. Magnus, Arch. f. d. ges. Physiol., 102, S. 349; 1904. 6 Gunn und Underhlll, Quarterly journ. of physiol., 8, S. 285; 1915. 7 Verzar, Arch. f. d. ges. Physiol., 158, S. 419; 1914. 8 Peterfi, Anat. Anzeiger, 45, S. 165; 1913. ]40 Die Innervation des Herzens. hervorgeht, Ganglienzellen nachweisen können, und es ist ja gar nicht aus- geschlossen, daß auch bei Herzen, wo dies der Fall bisher nicht gewesen ist, dennoch Ganglienzellen vorkommen könnten. Übrigens gibt ja das Limulusherz ein so entscheidendes Beispiel, wie man es sich nur wünschen kann, davon, daß bei gewissen Tieren wenigstens die Herztätigkeit durch Ganglienzellen ausgelöst und unterhalten wird. Von sehr zahlreichen Autoren ist auf Grund des Verhaltens des Limulus- herzens der Schluß gezogen worden, daß überhaupt bei allen Tieren der Ursprung der Herzbewegung rein nervös wäre. Die beiden bei der Herztätigkeit in erster Linie tätigen Elemente, die Ganglienzellen nebst den von ihnen ausgehenden Nervenfasern einerseits und der Herzmuskel an und für sich andererseits, sind beim Limulusherzen getrennt, so daß Ganglion und Muskel nur durch die Nerven- fasern verbunden sind. Bei den Herzen aller übrigen Tiere findet sich, nach der Ansicht der betreffenden Autoren, nur der Unterschied vor, daß Ganglion und Herzmuskel aufs innigste miteinander zusammenhängen. Es muß unbedingt zugegeben werden, daß diese Überlegung sehr bestechend ist. Indessen kann gegen dieselbe dennoch geltend gemacht werden, daß eine Anordnung, die sich bei einem niedrigstehenden Tiere, das übrigens zu den alter- tümlichsten Tierformen gehört, nicht unbedingt auch bei den höheren Tieren vorkommen muß.1 Es gilt hier, wie auch sonst innerhalb der Physiologie, daß eine Frage nur dann als beantwortet angesehen werden kann, wenn sie an dem betreffenden Objekt selber gelöst worden ist. Auch von der Angabe, daß es mehrere Herzabteilungen gibt, die, ohne Ganglienzellen zu enthalten, rhythmisch pulsieren, gilt, daß sie ihrerzeit gut begründet war, jetzt aber zum größten Teil ihre Beweiskraft verloren hat. So scheint es jetzt ganz bestimmt festgestellt zu sein, daß der Aortenbulbus, der beim Frosch von Engelmann2 im Gegensatz zu Loewit3 als ganglienfrei be- zeichnet wurde, beim Salamander wenigstens reichlich Ganglienzellen enthält (Carlson*). Und wenn die Auffassung Bethes5, laut welcher selbst in der Herz- spitze des Frosches zahlreiche Ganglienzellen in den Knoten der Nervennetz- werke vorkommen, richtig ist, so könnte man sogar sagen, daß es beim Wirbel- tierherzen keine einzige spontan oder bei kontinuierlicher Reizung rhythmisch pulsierende Abteilung gibt, die nicht auch Ganglienzellen enthalten sollte. Gegen die Angabe Engelmanns vom spontanen Pulsieren sehr kleiner Stück- chen der Venenwand, bei welchen er keine Nervenzellen auffinden konnte, kann, angesichts des sonstigen Vorkommens von Ganglienzellen in den Hohlvenen, bemerkt werden, daß die in den betreffenden Präparaten etwa vorhandenen Ganglienzellen möglicherweise der Aufmerksamkeit Engelmanns entgangen waren. Ich glaube also — immer unter Voraussetzung der Richtigkeit der obigen Angabe von Bethe — , daß die Verfilzung von Ganglienzellen, Nervenfasern und Muskelfasern im Herzen der Wirbeltiere zu innig ist, um die Isolierung eines wirklich ganglienfreien Stückes mit Sicherheit zu gestatten. 1 Vgl. H. E. Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 141, S. 502, Fußnote 3; 1911. 2 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 29, S. 434; 1882. 3 Loewit, ebenda, 25, S. 399; 1881. 4 Carlson, ebenda, 109, S. 56; 1905. 5 Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. des Nervensystems. Leipzig 1903, S. 93. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 141 Der wichtigste unter den von Engelmann herbeigezogenen Beweisen ist und bleibt daher die Tatsache, daß das embryonale Herz vor dem Erscheinen der Ganglienzellen pulsiert. Solange die Unrichtigkeit dieser Angabe nicht bestimmt erwiesen ist, muß man mit derselben rechnen, und sie wird übrigens durch den Befund von His jun.1, daß im späteren embryonalen Stadium die Abtragung des Aortenbulbus mit seinen Ganglien auf den Ablauf der Herz- kontraktionen nicht den geringsten Einfluß hat, nicht unwesentlich erhärtet. Andererseits verliert sie indessen in hohem Grade ihre Bedeutung dadurch, daß, nach Carlson und Meek2, das Herz von Limulus seine rhythmische Tätigkeit zu einer Zeit beginnt, wo noch kein Herzganglion nachgewiesen werden kann, und dennoch ist die rhythmische Tätigkeit des erwachsenen Herzens bei diesem Tiere entschieden nervösen Ursprungs. Carlson und Meek bemerken aber, daß das embryonale, ganglienfreie Limulusherz auf allen Seiten seiner äußeren Ober- fläche mit zahlreichen Zellen zusammenhängt, und daß sich unter diesen mög- licherweise auch Ganglienzellen vorfinden konnten, denn die betreffenden Zellen weichen weder in ihrer Form noch in ihren Färbungsreaktionen von gewissen embryonalen Ganglienzellen im ventralen Nervenstrang ab. Auf Grund dessen konnten die erwähnten Autoren nicht bestimmt entscheiden, ob beim schlagenden Herzen des Limulusembryos Ganglienzellen tätig sind oder nicht. Wenn die Pulsationen des embryonalen Limulusherzens wirklich ohne Be- teiligung von Ganglienzellen stattfindet und die Automatie des vollständig ent- wickelten Herzens allein auf das Ganglion beschränkt ist, liegt es ja äußerst nahe, auch beim Wirbeltierherzen eine ähnliche Funktionsübertragung anzu- nehmen. Da indessen die Frage in bezug auf das Limulusherz noch nicht ganz klar liegt, lassen sich in dieser Beziehung keine bestimmten Schlüsse ziehen. Die einfache rhythmische Tätigkeit könnte daher ebensogut ganglionaren als muskulären Ursprunges sein. Es sind indessen mit diesen Tatsachen noch nicht alle Erscheinungen auf- gezählt worden, die bei der Erörterung der vorliegenden Frage besprochen werden müssen. Kronecker hat folgende Eigenschaften des Herzens hervorgehoben, welche seiner Meinung nach nicht aus dem Gesichtspunkte der myogenen Auffassung gedeutet werden können:3 1. Das Herz zuckt nur maximal; 2. es ist, während es sich zusammenzieht und, wenn abgekühlt, auch längere Zeit nach dem Pulse nicht erregbar;4 3. es kann nicht in Tetanus versetzt werden; 4. es summiert latent Erregungen wie ein Reflexorganismus; 5. es ruht normalerweise niemals längere Zeit; 6. es bewegt sich normalerweise nur rhythmisch; 7. es bewegt sich automatisch; 8. der embryonale Vorhofmuskel besitzt vorzugsweise Automatie, der Kammermuskel wesentlich Irritabilität; 1 His jun., Arb. aus d. med. Klinik in Leipzig, 1893, S. 19. 2 Carlson und Meek, Amer. journ. of physiol., 21, S. 6; 1908; — vgl. oben II , S. 85. 3 Kronecker, Zeitschr. f. Biol., 34, S. 602; 1897. 4 Vgl. auch Kronecker, Zentralbl. f. Physiol., 28, S. 252; 1914. 142 Die Innervation des Herzens. 9. es kontrahiert sich nach Abtrennung von zentralen Teilen periodisch; 10. es leitet die Erregungen normalerweise nur in einer Richtung; 11. es wird auch durch schwache Muskarindosen gelähmt; 12. es wird durch Erregung eines seiner Nerven gehemmt; 13. es empfindet; 14. es gerät in fibrilläre Zuckungen, beim Hundeherzen dauernd, durch mehrere verschiedene Eingriffe (Tetanisierung, einen Nadelstich, sekundenlange Anämie, Abkühlung auf 25°, Chloroform und einige andere Gifte). Betreffend die Bedeutung dieser Tatsachen für die theoretische Vorstellung von der Ursache des Herzschlages ist zu bemerken, daß 6. die einfache Folge von 2. und 3. ist; daß 5. mit der Grundfrage absolut nichts zu tun hat, und dies um so weniger, da doch der Herzmuskel selbst, gleichgültig ob durch eigene Automatie oder von Ganglienzellen aus erregt, schließlich die Kontraktionen ausführt; daß 7. gerade die zu erklärende Erscheinung darstellt und daher an und für sich keinen Grund für oder wider darstellt; daß 8. schon oben erledigt ist und nach der Anschauung der meisten Vertreter der neurogenen Hypothese für die Frage nach der Ursache der normalen Pulsationen des vollständig aus- gebildeten Herzens keine Bedeutung hat. Ich habe also nur die übrigen Punkte hier zu erörtern. Daß der Herzmuskel normalerweise nur maximal zuckt, könnte vielleicht als Ausdruck dafür gelten, daß die Kontraktionen des Herzmuskels bei künst- licher Reizung nur unter Vermittlung von den Ganglienzellen stattfinden würden, wenn es der Fall wäre, daß die Ganglienzellen überhaupt nur mit maximaler Energieentwicklung auf eine ihnen zugeführte Reizung reagieren. Dies ist in- dessen nicht der Fall, denn wir besitzen ja überaus zahlreiche Erfahrungen, die da zeigen, daß die Erregung der Ganglienzellen je nach der Reizstärke verschieden groß ist, wie aus unseren willkürlichen Muskelbewegungen, bei deren Auslösung ja immer eine Menge von Ganglienzellen beteiligt sind, ohne weiteres hervor- gehen dürfte. Das Alles- oder -Nichts-Gesetz scheint also ebensogut oder ebensoschlecht aus dem Standpunkte beider Hypothesen erklärt werden zu können. Die refraktäre Periode ist kein ausschließliches Eigentum des Nervensystems, denn auch bei den Skelettmuskeln ist ja eine un erregbare Periode nachgewiesen worden. Diese ist bei ihnen allerdings sehr kurz; angesichts des Vorhandenseins einer solchen Periode beim Skelettmuskel kann man aber nicht sagen, daß hier eine Eigenschaft vorliegt, die dem Herzmuskel an und für sich nicht zukommen kann. Daß der Herzmuskel nicht in Tetanus versetzt werden kann, ist, wie aus dem oben Angeführten hervorgeht, nur mit einer gewissen Reserve aufzufassen, denn unter bestimmten Umständen kann man ja einen Herztetanus nachweisen. Übrigens läßt sich das Nichtvorkommen des Tetanus bei kräftigem, ausgeschnitte- nem Froschherzen schon dadurch erklären, daß die Herzmuskelfasern bei der Einzelkontraktion sich maximal zusammenziehen und also keine stärkere Zu- sammenziehung ausführen können, ganz wie dies, nach v. Frey1, beim nicht- belasteten Skelettmuskel des Frosches der Fall ist. 1 v. Frey, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1887, S. 195. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 143 Die periodische Kontraktion ist, wie wir schon gesehen haben, eine Er- stickungserscheinung, und kann wohl ebensogut aus dem einen als aus dem anderen Gesichtspunkte gedeutet werden (vgl. oben I, S. 291). Daß das Herz normalerweise die Erregung nur in einer Richtung leitet, stellt die einfache Folge der Tatsache dar, daß die Kontraktion unter normalen Umständen immer an dem mit dem höchsten Grade der Automatie ausgerüsteten venösen Ende des Herzens beginnt. Die Wirkungen von Giften sind sehr kompliziert und scheinen ebensogut nach der einen wie nach der anderen Hypothese gedeutet werden zu können. Der immer noch so rätselhafte Vorgang bei der Hemmung wird dem Ver- ständnis nicht näher gerückt, wenn wir sagen, daß die Hemmung durch Ganglien- zellen vermittelt wird, denn es läßt sich doch unschwer denken, daß die Hemmungs- wirkung auf diejenigen Abschnitte des Herzmuskels ausgeübt würde, welche die kräftigste Automatie besitzen. Mit der Frage nach der Ursache des Herzschlages hat die sensible Emp- findlichkeit des Herzens überhaupt nichts zu tun. Eine befriedigende Erklärung des Flimmerns ist bis jetzt weder von der einen noch von der anderen Hypothese gegeben worden. Noch kräftiger als Kronecker hebt v. Basch die Summation subminimaler Reize als Grund für die Annahme der Ganglienzellen als Träger der automatischen Eigenschaften des Herzens hervor, und bemerkt außerdem noch, daß auch den rhythmischen Herzkontraktionen summierende Reize zugrunde liegen.1 Dagegen läßt sich indessen bemerken, daß die Eigenschaft, an und für sich unwirksame Einzelreize zu summieren, keineswegs als etwas die Ganglienzellen Charakterisierendes aufgefaßt werden darf, da wir ja durch die Untersuchungen von Steinach2' wissen, daß hier eine allgemeine Lebenserscheinung vorliegt, von welcher zahlreiche Beispiele bei den verschiedenartigsten lebendigen Geweben, auch bei den kuraresierten quergestreiften Skelettmuskeln des Frosches, der Taube und des Hundes, bekannt sind.3 Aus pharmakodynamischem Standpunkte hat Harnack* im Anschluß an seine Erfahrungen über die Wirkungsweise des Jodais (Monojodaldehyd = C2H3JO + 2 H20) auf das Froschherz die myogene und die neurogene Hypo- these vergleichend besprochen. Das Jodal ruft zuerst eine Beschleunigung der Herzkontraktionen hervor; dann folgt ein Stadium, bei welchem die Kammerkontraktionen an Umfang abnehmen, während die Vorhöfe anscheinend ungeschwächt pulsieren; im weiteren Ablauf der Vergiftung fallen zeitweilig die Kammerkontraktionen aus oder es treten kurzdauernde diastolische Stillstände der Kammer ein, zu gleicher Zeit schlagen die Vorhöfe regelmäßig fort; schließlich steht die Kammer in der Diastole still, und später gehen auch die Vorhöfe in die Ruhe über. Bei direkter mecha- nischer Reizung kann dann das zum Stillstand gebrachte Herz zu einer, oft sogar mehreren kräftigen Kontraktionen gezwungen werden, und zwar ist auch die Sinusmuskulatur dabei beteiligt. 1 v. Basch, Aren. f. d. ges. Physiol., 101, S. 591, 603; 1904. 2 Steinach, ebenda, 125, S. 239, 290; 1908. 3 Steinach, ebenda, 125, S. 305. 4 Harnack, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, S. 415; — vgl. auch Böhme, Arch. f. exp. Pathol., 52, S. 361; 1905. 144 Die Innervation des Herzens. Hier liegt also, nach Harnack, vor allem eine Lähmung derjenigen Vor- richtungen vor, von denen der Herzmuskel normalerweise seine Reize empfängt, also nach der neurogenen Hypothese die Ganglienzellen, nach der myogenen gewisse Muskelfasern. Um näher in diese Frage zu dringen, machte Harnack an der Kammer bzw. an den Vorhöfen einen Schnitt, so daß der obere und der untere Teil derselben nur durch eine schmale Muskelbrücke vereinigt waren, welche indessen eine vollkommen normale Aufeinanderfolge der Kontraktionen der einzelnen Ab- teilungen gestattete. Wenn die Spitze der Kammer in Jodal getaucht wird, ruft dies keine Veränderung hervor; dagegen bleibt das ganze Herz in der Diastole stillstehen, wenn die Vorhöfe in das Jodal getaucht werden. Diese und andere gleichlautende Erfahrungen zeigen nach Harnack noch- mals, daß das Jodal die Automatie des Herzens mit beibehaltener Erregbarkeit aufhebt, daß es also nach der neurogenen Hypothese die Ganglien lähmt und den Muskel unberührt läßt. Aus dem Gesichtspunkte der myogenen Lehre würden diese Erscheinungen, wie auch Harnack hervorhebt, durch die Annahme gedeutet werden können, daß diejenigen Teile des Herzens, welche mit der größten Automatie ausgerüstet sind, in erster Linie durch das Jodal gelähmt werden. Indessen stellt sich hier nach Harnack für die myogene Anschauung die Schwierigkeit dar, daß die ge- lähmten Sinusfasern ihre Erregbarkeit und Kontraktilität behalten haben. Hierzu ist indessen zu bemerken, daß das Jodal die Leistungsfähigkeit und die Erregbarkeit des Herzmuskels herabsetzt, so deutlich wie möglich aus der Tatsache folgt, daß unter dem Einfluß des Jodais der Umfang der Kammer- kontraktionen abnimmt und die Schlagfolge der Kammer in einem erheblichen Grade gestört wird. Unter solchen Umständen kann der diastolische Stillstand der Kammer einfach auf eine Abnahme ihrer Erregbarkeit und Kontraktilität zurückgeführt werden. Auch der schließliche Stillstand des Venensinus läßt sich in derselben Weise deuten, d. h. die Erregbarkeit des Sinus ist so tief herab- gesunken, daß die in ihm gebildeten Reize nicht mehr vermögen, Kontraktionen bei ihm, noch bei den Vorhöfen und der Kammer, hervorzurufen. Bei einer stärkeren Reizung kann indessen das Herz, einschließlich des Sinus, noch zu Kontraktionen gebracht werden, und als eine solche muß wohl diejenige mecha- nische Reizung bezeichnet werden, durch welche beim stillstehenden jodal- vergifteten Herzen Kontraktionen erzielt werden. Ich will keineswegs behaupten, daß diese Deutung der Jodalwirkung das Richtige getroffen hat, denn ich habe mit dieser Überlegung nur nachweisen wollen, daß die betreffenden Erscheinungen aus dem Standpunkte der myo- genen Hypothese ohne besondere Schwierigkeit gedeutet werden können, und daß also die Beobachtungen Harnacks nicht als ein Experimentum crucis zu- gunsten der neurogenen Hypothese betrachtet werden dürfen.1 Als Gründe für die neurogene Hypothese führte ferner H. E. Hering2 an, daß die Gleichzeitigkeit der Pulsationen der Hohl- und Lungenvenen das Vor- handensein eines speziellen Koordinationszentrums für die Herztätigkeit er- 1 Vgl. auch Böhme, Arch. f. exp. Pathol., 52, S. 367. 2 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 72, S. 172; 1898. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 145 forderte, da es sich sonst nur schwierig erklären ließe, wie die örtlich so getrennten Hohl- und Lungenvenen zu einer gleichzeitigen Tätigkeit erregt werden. Da inzwischen Engelmann1 darauf hingewiesen hatte, daß keine bestimmte scharf umschreibbare Stelle in der Wand der venösen Ostien als ausschließliche und regelmäßige Quelle der motorischen Herzreize zu betrachten ist, sondern daß, zunächst beim Froschherzen, jeder oder doch die meisten Teile der großen Venen und des Venensinus als solche im Leben funktionieren können, und nachdem Hering2 sich durch eigene Versuche am Säugetierherzen überzeugt hatte, daß die Muskelfasern eines Herzabschnittes gar nicht gleichzeitig in allen ihren Ab- schnitten, sondern nacheinander erregt werden, schloß er sich der Engelmann- schen Ansicht an und vertrat nun ausdrücklich die Ansicht, daß die Vorstellung von einem nervösen Koordinationszentrum nicht für die Herzmuskulatur paßt. Eine weitere Stütze für die myogene Hypothese findet Hering* in dem Um- stände, daß eine Extrasystole unmittelbar durch Nervenreizung nicht hervor- gerufen werden kann. (Die durch Acceleransreizung am stillstehenden Herzen hervorgerufenen Kontraktionen gehören nicht hierher, da sie ganz anderer Art sind, als die wirklichen Extrasystolen.) Bei der Fortsetzung seiner Untersuchungen über das Herz stieß Hering indessen auf gewisse Erscheinungen, die seiner Ansicht nach mehr für die neuro- gene Auffassung sprachen.4 Diese Tatsachen waren folgende: 1. Es gibt supraventrikuläre kontraktile Teile des erwachsenen Säugetier- herzens, welche keine Automatie zeigen; 2. es besteht eine weitgehende Unabhängigkeit der Reizbildung von der Reaktionsfähigkeit des Säugetierherzens; 3. ein kleiner Schnitt in der Gegend der Hohlveneneinmündung oder ein Einzelinduktionsschlag von geringerer Stärke auf den Vorhof ist imstande, die Automatie der supraventrikulären Herzabschnitte aufzuheben; 4. das schlaglose Säugetierherz kann durch Acceleransreizung zum Schlagen gebracht werden. Die erste dieser Tatsachen läßt sich ja vom neurogenen Standpunkte aus sehr leicht deuten: Die betreffenden Herzteile enthalten keine Nervenzellen. Vom myogen en Standpunkte .aus würde man aber immer sagen können, daß die hier befindlichen Muskelfasern örtlich ihre Automatie verloren haben. Die Tatsache der weitgehenden Unabhängigkeit der Reizbildimg von der Reaktionsfähigkeit des Säugetierherzens setzt voraus, daß die reizerzeugenden und die erregbaren Teile des Herzens verschieden wären. Hier findet Hering die natürlichste Erklärung in der Annahme von Ganglienzellen als Träger der ersteren Eigenschaft. Es ist aber auch nicht unmöglich, daß die mit der größten Automatie ausgerüsteten Muskelfasern das Vermögen der Reizbildung, die anderen das der Erregbarkeit in höherem Grade besäßen. Übrigens hat Hering später gefunden, daß die Reizbildung doch nicht völlig unabhängig von der Reaktions- fähigkeit ist. Gegen eine solche Annahme spricht nämlich die Tatsache, daß 1 Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 65, S. 143. 2 H. E. Hering, ebenda, 86, S. 567; 1901. 3 H. E. Hering, ebenda, 86, S. 578; 1901. 4 H. E. Hering, ebenda, 116, S. 152; 1907. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 10 t 146 Die Innervation des Herzens. die Extraperiode an einem automatisch schlagenden Herzabschnitt der Länge der Normalperiode zu entsprechen pflegt, oder etwas länger, bzw. auch etwas kürzer ist, aber nie so lang wird, daß wirklich eine kompensatorische Pause auftritt.1 Die sub 3. erwähnte Hemmung stellt nach Hering eine Art von vorüber- gehender Shockwirkung dar, welche, wie es schien, nach der neurogenen Hypo- these leichter als nach- der myogenen zu erklären ist, da wir ähnliche Wirkungen auf das Nervensystem kennen, bei den Muskeln aber keine Analogien dazu be- sitzen. Als in dieser Hinsicht besonders beweiskräftig führt Hering folgenden Versuch an. Die supraventrikulären Herzabschnitte eines Hundeherzens hatten schon sechsmal auf einen Induktionsschlag aufgehört zu schlagen. Als dies nun zum siebenten Male wiederholt wurde, fingen sie nach einiger Zeit auf den von den Kammern zugeleiteten Leitungsreiz hin an zu pulsieren. Die Muskulatur der supraventrikulären Teile war also reaktionsfähig, und zwar auch auf den natür- lichen Leitungsreiz; trotzdem schlugen diese Teile nicht spontan; d. h. die Mus- kulatur reagierte, aber die Funktion der automatisch tätigen Gebilde blieb ge- hemmt. Dabei war noch zu bemerken, daß die Induktionsschläge, bevor sie zum Stillstande führten, öfters Verlängerung der Perioden wie bei einer Vagus- reizung bewirkten. Um diesen Versuch vom myogenen Standpunkte aus zu deuten, müssen wir annehmen, daß die „embryonale" Muskulatur des Herzens auch die Eigenschaft besitzt, unter Umständen durch eine Reizung in ihrer Tätigkeit gehemmt zu werden, wenn nicht das Resultat einfach darauf beruht, daß der Schnitt bzw. die Induktionsreizung die Vagusfasern erregt hätten — eine An- nahme, die durch den Umstand, daß Hering ab und zu sehr viele Schnitte machen konnte, ohne die shockartige Wirkung zu bekommen, wenigstens nicht an Wahr- scheinlichkeit verliert.2 Die Tatsache, daß Acceleransreizung das schlaglose Säugetierherz zum automatischen Schlagen veranlassen kann, würde, nach Herings ursprünglicher Auffassung, insofern für die nervöse Automatie sprechen, weil es hier sicher Nervenkraft ist, welche das Herz zum Schlagen bringt. In einer späteren Mitteilung ist Hering indessen zu einer anderen Deutung dieses Versuches gekommen. Unter Hinweis darauf, daß die intrakardialen accelerierenden Herznerven postganglionäre Fasern darstellen (vgl. Kap. XXII), in deren Verlauf keine Ganglienzellen eingeschaltet sind, und daß sie also ihre Wirkung direkt auf die Herzmuskulatur ausüben müssen, folgert er3 nämlich, daß die Ursprungsreize des Herzens nicht in Ganglienzellen entstehen können. Die betreffende Ac- celeranswirkung würde also nicht nur keinen Grund gegen die myogene Hypo- these, sondern vielmehr einen direkten Beweis für dieselbe darstellen. Gegen die Ganglienzellenhypothese spricht ferner nach Hering die Tat- sache, daß das Adrenalin sogar das schlaglose Herz wieder zum Schlagen bringen kann, denn nach allen vorliegenden Erfahrungen hat diese Substanz ihren 1 H. E. Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 141, S. 511; 1911. 2 H. E. Hering, ebenda, 116, S. 155, 157. 3 H. E. Hering, ebenda, 141, S. 500; 1911. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 147 Angriffspunkt nicht in etwaigen Ganglienzellen, sondern in den sympathischen Nervenendigungen. Wenn nun das Adrenalin die Reizbildung im Herzen fördert bzw. neu hervorruft, ist dies wieder ein Grund gegen die Annahme der Ganglien- zellen als Träger der ursprünglichen Herzreize.1 Indessen ist weder die Accelerans-, noch die Adrenalinwirkung in dieser Hinsicht eindeutig, da man sich ja denken kann, daß durch dieselben allerdings der Herzmuskel direkt angegriffen wird, aber dennoch die normale, natürliche Anregung zu den Herzkontraktionen von den Ganglienzellen ausgeht. Als Hauptort der Reizbildung im Herzen wird von zahlreichen Autoren das aus spezifischer Muskulatur gebildete Übergangsbündel (vgl. II, S. 127 und unten, Kap. XVII) bezeichnet. Wenn dem so ist, so liegt darin, nach Hering2 noch eine wichtige Stütze für die myogene Hypothese. „Wer nun die Reiz- bildungsfunktion dieser spezifischen Muskelsysteme dem jene Systeme inner- vierenden Nervengewebe zuzuschreiben geneigt wäre, der ist vor die schwierige Aufgabe gestellt, eine plausible Erklärung dafür zu geben, warum diese Mus- kulatur eine spezifische ist, und was für eine besondere Funktion diese spezi- fische Muskulatur besitzt; denn mit der besonderen Struktur pflegt auch eine besondere Funktion vorhanden zu sein. So müßte er auch erklären, was für eine Bedeutung die Muskelfasern des Übergangsbündels besitzen, wozu sie da sind, wenn es nur ihre Nerven sein sollten, welche die Überleitung ver- mitteln." Gegen diese Auffassung kann doch bemerkt werden, daß sie eigentlich eine Hypothese ad hoc darstellt und keineswegs einen Beweis für die myogene Hypo- these abgeben kann. Cyon3, der sehr entschieden gegen die myogene Hypothese aufgetreten ist, hat deren Falschheit unter anderem durch einen Versuch beweisen wollen, wo ein angeblich stillstehendes Kaninchenherz in situ durch Einspritzung von ver- dünntem Kalbsblut in die Hirngefäße — bei gebundenen Aa. carotides und Vv. jugulares ext. — wieder für eine kurze Zeit erweckt wurde. Dieser Versuch beweist indessen sehr wenig, denn hier könnten nicht allein die Herznerven, sondern auch die Gefäßnerven, sowie rein mechanische Einwirkungen durch die vermehrte Blutmenge beteiligt gewesen sein — das in die Hirngefäße ein- gespritzte Blut gelangte nämlich durch die nicht unterbundenen Vv. jugulares int. in den allgemeinen Kreislauf. Und selbst wenn das Resultat auf die Erregung' der Herznervenzentren beruhte, so lehrt es nicht mehr als H. E. Herings schon besprochene Versuche mit Acceleransreizung. Nach den Erfahrungen von Langley ist in den peripheren Verlauf jeder autonomen Nervenfaser eine Ganglienzelle, aber nur eine, eingeschaltet. Die den beschleunigenden Nerven gehörigen Ganglienzellen liegen außerhalb des Herzens; dagegen sind die den hemmenden Herznerven zugeordneten Ganglien- zellen, wie in Kap. XXI näher ausgeführt werden soll, in der Herzwand selber zu finden, und wir könnten uns daher vorstellen, daß die Ganglienzellen des Herzens sämtlich nur den Übergang der Hemmungswirkung auf die Herzmuskulatur vermitteln. 1 H. E. Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 141, S. 503. - H. E. Hering, ebenda, 141, S. 506. 3 Cyon, ebenda, 88, S. 263; 1901. 10' 148 Die Innervation des Herzens. Es läßt sich indessen auch denken, daß gerade diese in die Vagusbahn ein- geschalteten Ganglienzellen die wahren Träger der Automatie des Herzens und der einzelnen Herzabteilungen darstellen. Dann würden die hemmenden Nerven ihre Wirkung auf diese im Grunde motorischen Zellen ausüben. Eine gewisse Analogie hierzu haben wir bei den gefäßerweiternden Nerven. Nach Durchschneidung der gefäßverengenden Nerven bleibt der Gefäßtonus zu einem gewissen, gar nicht geringen Grade bestehen. Dieser Tonus wird nun durch die gefäßerweiternden Nerven aufgehoben. Hier müssen also irgend- welche Gebilde — möglicherweise die in den Verlauf der Erweiterer eingeschalteten Ganglienzellen — vorhanden sein, welche unabhängig von dem zentralen Nerven- system den Gefäßtonus unterhalten. Durch die gefäßerweiternden Nerven wird die Tätigkeit dieser Gebilde gehemmt. Diese Ähnlichkeit schien mir beim ersten Anblicke sehr bestechend zu sein. Sie bedeutet indessen nichts, denn die Erfahrungen von F. B. Hofmann über die Folgen der Exstirpation der in der Vorhofscheidewand des Frosches vor- kommenden Nerven und Ganglienzellen (vgl. oben II, S. 105) zeigen ja so deut- lich wie möglich, daß die betreffenden Ganglienzellen keine motorischen Eigen- schaften besitzen. Dagegen bieten die Erfahrungen über die Wiederbelebung des heraus- geschnittenen Säugetierherzens der neurogenen Hypothese eine anscheinend überaus große Schwierigkeit dar, denn damit die dabei auftretenden Herz- kontraktionen neurogenen Ursprunges sein sollen, müssen die Ganglienzellen des Herzens tagelang nach dem Tode des Tieres und nach der Herausschneidung des Herzens noch leistungsfähig bleiben, bzw. die Eigenschaft besitzen, durch künstliche Nahrung aus einem Zustande von Scheintod wieder erweckt zu werden.1 Zur Entscheidung dieser Frage untersuchte H. E. Hering2, inwiefern eine Salzlösung imstande war, überhaupt die Funktionen der Sympathicusganglien zu erhalten. In das Kopfende beider Karotiden ließ er bei einem spontan atmenden Kaninchen eine auf 38° erwärmte Ringerlösung unter einem Druck von 70 mm Hg einfließen und aus einer in das Kopfende der Vena jugularis eingebundenen Kanüle das verwässerte Blut abfließen. Nach 21/2 Minuten starb das Tier. Die Durchströmung mit der Ringerlösung wurde jedoch fortgesetzt und der präganglionäre Halssympathicus gereizt. 10 Minuten nach dem Tode wurde diese Reizung wirkungslos. Dagegen waren noch l1/* Stunde nach dem Tode die postganglionären Ziliarnerven wie der Accelerans erregbar. Daraus folgt, daß wenigstens die Zellen des obersten Halsganglions nicht durch die Ringerlösung nutriiert werden können. Durch diese Versuche ist außerdem nachgewiesen, daß die Ringerlösung die Tätigkeit der nervösen Zentralorgane nicht zu unterhalten vermag, ein Ergebnis, das durch die Untersuchungen von Guthrie, Pike und Stewart? voll- kommen bestätigt worden ist. Wir müssen also für das mit Salzlösung ernährte, bzw. wiedererweckte Herz die neurogene Hypothese aufgeben, wenn wir nicht den Ganglienzellen des 1 Vgl. auch die analogen Erfahrungen Friedenthals, Zentralbl. f. Physiol., 15, S. 624; 1902. 2 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 99, S. 259; 1903. 3 Guthrie, Pike und Stewart, Amer. journ. of physiol., 17, S. 344; 1906. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 149 Herzens ganz andere Eigenschaften als den übrigen Ganglienzellen des Körpers zuschreiben wollen. Eine weitere Möglichkeit liegt aber hier vor, nämlich, daß der Ursprungs- ort der Reizung bei dem mit der Salzlösung ernährten Herzen ein anderer als bei dem unter normalen Verhältnissen schlagenden Herzen wäre. Die Möglichkeit einer derartigen Annahme wird durch die Erfahrungen Carlsons1 über die selbständigen Pulsationen des von seinem Ganglion ab- getrennten Limulusherzens erwiesen. Unter normalen Verhältnissen ist die Tätig- keit dieses Herzens völlig neurogen und der Herzmuskel vermag sogar nicht eine örtliche Erregung fortzupflanzen. In einer isotonischen Kochsalzlösung kann aber der isolierte Herzmuskel rhythmische Kontraktionen ausführen. Diese sind indessen nur in sehr wenigen Fällen vollkommen regelmäßig. Bei den meisten Fällen sind die rhythmischen Zuckungen sehr unregelmäßig, und selbst bei den Präparaten, welche die größte Regelmäßigkeit darbieten, kommen jedenfalls Inkoordination und Unregelmäßigkeiten vor dem Aufhören der Tätigkeit vor. Es dürfte daher kaum gestattet sein, die rhythmische Tätigkeit des mit einer Salzlösung gespeisten Säugetierherzens ohne weiteres als Beweis für den myogenen Ursprung der normalen Herztätigkeit aufzufassen. Endlich hat Haberlandt zur Aufklärung dieser Frage folgende Versuche mit- geteilt. Wenn ein Froschherz mittels Chloräthylspray starr gefroren und dann in lauwarmer Ringerlösung aufgetaut wird, so fängt es wieder an zu schlagen, und zwar geht die Erregung wie beim normalen Herzen auch hier vom Venen- sinus aus. Jetzt ist aber, eine genügend starke Vereisung des Herzens voraus- gesetzt, das Herz für die Vagusreizung nicht mehr empfindlich.2 Dasselbe findet auch nach Einwirkung von konzentrierten NaCl- und NH4C1-Lösungen wie von 5proz. Lösungen von Kaliumchlorid usw. statt; das unter ihrer Einwirkung starre Herz wird nach ausgiebiger Durchspülung mit oder ohne Zusatz von Blut wiederhergestellt und dabei erweist sich der Vagus, wenn die Lösungen genügend lange eingewirkt haben, wie im vorigen Falle wirkungslos.3 Auch bei der Wärmestarre und Wasserstarre werden ähnliche Erscheinungen beobachtet.4 Wie Haberlandt ausführt, liegt hier eine Trennung der vom Vagus abhängigen Wirkungen von den Mechanismen, welche den Herzschlag auslösen, vor.5 Da wir nun (vgl. Kap. XXI) wissen, daß die Vagusfasern im Herzen durch Ganglien- zellen unterbrochen sind, liegt die Annahme natürlich sehr nahe, daß gerade diese durch das Gefrieren bzw. die konzentrierten Salzlösungen außer Funktion gesetzt worden sind, woraus die weitere Folgerung wäre, daß das widerstands- fähigere Gewebe, durch dessen Tätigkeit die Herzkonktrationen ausgelöst werden, gerade den Herzmuskel darstellt. Hier würde also ein direkter Beweis für die myogene Theorie vorliegen. Überblicken wir das hier zusammengestellte Material, so finden wir, daß die meisten Erscheinungen beim Herzen, unter Herbeiziehung gewisser Hilfs- 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 17, S. 485; 1907. 2 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 71, S. 35; 1920. 3 Haberlandt, ebenda, 72, S. 1; 1920. 4 Haberlandt, ebenda, 72, S. 163. 5 Haberlandt, ebenda, 71, S. 44. 150 Die Innervation des Herzens. hypothesen, durch die eine oder andere der folgenden Annahmen etwa ebensogut erklärbar sind: A. Die Ganglienzellen des Herzens sind Träger der Automatie desselben; sie besitzen an verschiedenen Orten des Herzens eine verschieden stark ent- wickelte automatische Fähigkeit, und zwar ist diese bei denjenigen Ganglien- zellen, welche sich am venösen Ende des Herzens vorfinden, am größten. B. Eine auf embryonaler Stufe stehende oder sonst funktionell verschiedene Muskulatur ist Sitz der automatischen Erregbarkeit des Herzens; diese Mus- kulatur besitzt an verschiedenen Orten des Herzens eine verschieden stark ent- wickelte automatische Fähigkeit, und zwar ist diese bei der Muskulatur am venösen Ende des Herzens am größten. Nach der neurogenen Anschauung erklärt sich die Koordination der Herz- tätigkeit in der Weise, daß die Impulse von den ursprünglich gereizten Ganglien- zellen unter Vermittlung der von ihnen ausgehenden Nerven in gesetzmäßiger Weise auf die Herzmuskulatur übertragen wird. Nach der myogenen Anschauung wird aber die Koordination rein muskulär durch das Herz fortgepflanzt. Das Studium der Art und Weise, wie die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz stattfindet, ist also geeignet, auch die Frage nach dem Ursprung der Herzreize aufzuklären. Ich werde daher auf die vorliegende Frage im Zusammen- hang mit der Darstellung der Erregungsfortpflanzung im Herzen noch zurück- kommen müssen.1 § 56. Anhang. Der Tonus des Herzens und dessen Variationen.2 Wie schon oben erwähnt, geraten die Herzen der Wirbellosen sehr leicht in einen Zustand langedauernder Zusammenziehung, die sich nur sehr langsam löst. Wir haben hier ein Beispiel von den auch sonst bei diesen Tieren vor- kommenden tonischen Kontraktionen. Bei dem Wirbeltierherzen verhält sich die Sache wesentlich anders, indem tonische Zustände, bei welchen die Einzelkontraktionen nicht superponiert werden können, bei ihnen nur unter ganz abnormen Umständen vorkommen (vgl. II, S. 55). Dagegen kann man bei ihnen von einem Tonus in der Meinung sprechen, daß das Herz während der Pause bis zum folgenden Herzschlag nicht vollständig erschlafft. Dieser Tonus ist indessen in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, von der Dauer der Pause abhängig; je länger die Pause ist, um so weiter schreitet die Erschlaffung fort, und bei genügend langer Pause, wie sie sich unter dem Einfluß der Vagusreizung darstellt, hört der Herzmuskel- tonus ziemlich vollständig auf. An den von der Kammer mittelst eines auf die Vorhof-Kammer-Grenze ausgeübten Druckes abgetrennten Vorhöfen des Schildkrötenherzens beobachtete Fano3, daß die Pulsationen derselben sich auf einer rhythmisch oszillierenden 1 Über die neurogene und myogene Theorie der Herztätigkeit vgl. auch Nukacla, Mitt. d. mediz. Fakultät der kaiserl. Univ. zu Tokyo, 19, S. 145; 1917 (Vertreter der neurogenen Theorie) und Haberlandt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1916, S. 435. 2 Vgl. auch II, S. 51. 3 Fano, Fe&tschr. f. Ludwig. Leipzig 1887, S. 287; — Arch. ital. de biol., 9, S. 61 ; 1888; — Fano und Fayod, ebenda, 9, S. 143; 1888. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 151 Tonizitätslinie befanden (vgl. Fig. 207). Diese Tonusvariationen traten in beiden Vorhöfen gänzlich unabhängig voneinander ein, und es war gar nicht selten, daß die beiden Vorhöfe sich in entgegengesetzter Phase befanden; auch kam es vor, daß der eine Vorhof keine Tonusschwankungen darbot, während der andere starke solche zeigte, oder auch, daß die Tonusschwankungen der beiden Vorhöfe in verschiedenem Rhythmus stattfanden. Die Tonusschwankungen sind gewöhnlich in den ersten Momenten nach der Trennung unregelmäßig, später gehen die Unregelmäßigkeiten allmählich vorbei, um endlich meist einen genau rhythmischen Verlauf einzuhalten. Im Verlauf des Versuches werden sie niedriger, um schließlich gänzlich zu verschwinden. In gewissen Fällen lassen sie sich oft noch recht lange beobachten, und sie können sogar in dem Falle vorkommen, wenn die eigentlichen Pulsationen vollständig verschwunden sind. Häufiger ist indessen das Umgekehrte der Fall, indem die Tonusschwankungen zuerst und erst später die Pulsationen verschwinden. Ad. lftP*iMUU^^ ii mww iui i iiii Pillplii """ iumiuimmi.Mu.iN,. , knUMtataM, Fig. 207. Tonusvariationen bei den Vorholen der Schildkröte. Nach Fano. A.d., rechter Vorhof; A.s., linker Vorhof; V, die Kammer. Von links nach rechts zu lesen. Für das Zustandekommen der Tonusschwankungen der Vorhöfe ist es un- bedingt erforderlich, daß ein dauernder Druck auf die Atrioventrikulargrenze oder auf andere Vorhofpunkte ausgeübt wird. In der Kammer kommen sie nach Fano nur äußerst selten vor; demgegen- über gibt Rosenzweig1 an, daß er in neun Fällen unter zehn solche Variationen bei der Kammer des absterbenden Schildkrötenherzens beobachtet hat. Andererseits treten sie in den Vorhöfen auch dann auf, wenn diese durch einen Druck vom Venensinus getrennt werden; auch nun erscheinen in der Kammer keine Tonusvariationen. In der Regel beobachtet man die Tonusvariationen nur einige Zeit, mit- unter erst mehrere Tage nach der Präparation des Herzens. Unter Umständen können sie sich aber schon beim ganz frischen Herzen zeigen. Entsprechende Variationen wies dann Bottazzi2 auch bei den Vorhöfen von Bufo vulgaris und viridis, sowie von Rana esculenta nach, obgleich sie bei den Amphibien schwächer waren als bei der Schildkröte. Dagegen gelang es ihm 1 Rosenzweig, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, Suppl., S. 201. - Bottazzi, Journ. of physiol., 21, S. 4; 1897. 152 Die Innervation des Herzens. n icht, derartige Veränderungen bei den Vorhöfen von Lacerta viridis, Tropido- notus, Anguilla vulgaris und dem Hühnerembryo zu beobachten.1 Die Tonusschwankungen treten sowohl an blutgefüllten wie an blutleeren Vorhöfen auf (Bottazzi2). Als Ursache der Tonusschwankungen geben Fano und Badano Ermüdung und Absterben an; auch an frischen Herzen erzielten sie3 durch Injektion des Extraktes von ermüdeten Herzen Tonusvariationen. In Übereinstimmung damit gibt Rosenzweig* an, daß sich die Tonusvariationen erst zu der Zeit entwickeln, wo der ganze Apparat des Herzens durch den Vor- gang des Absterbens stark beschädigt ist, wie z. B. unter der Einwirkung von Chloroform, bei schlechter Zirkulation und nach akuter Verblutung. Auf Grund dieser Erscheinungen nimmt Rosenzweig5 an, daß die Tonus- variationen wahrscheinlich nie bei einem völlig normalen Herzen auftreten und also immer als Ausdruck eines abnormen Zustandes aufgefaßt werden müssen. Demgegenüber sind indessen gewisse schon oben zitierte Erfahrungen wie auch Gesells6 Angabe, daß die stärksten Tonusvariationen gerade bei kräftig pulsierenden Herzen erscheinen, in Betracht zu ziehen. Die Tonusvariationen wurden bei den Versuchen von Fano durch Druck auf die Atrioventrikulargrenze ausgelöst, und auch Rosenzweig7 hebt ganz be- sonders hervor, daß sie in vielen Fällen bei künstlicher Reizung an diesem Orte entstehen. Auch übt ein genügender Binnendruck in dieser Hinsicht einen wesentlichen Einfluß aus, und nach Gesell kommen die umfangreichsten Variationen bei einer ganz bestimmten inneren Spannung zum Vorschein. Aus den Untersuchungen von Porter scheint noch hervorzugehen, daß Tonusvariationen außerdem durch eine nicht bestimmt lokalisierte elektrische Reizung der Vorhöfe hervorgerufen werden können.8 Wie Fano bemerkte, verliefen die Kontraktionen der beiden Vorhöfe in der Regel nicht synchron. Indessen fand er in vielen Fällen einen Synchronismus und Rosenzweig erwähnt Fälle, wo die tonischen Schwankungen in allen Herz- abteilungen isochron stattfanden.9 Betreffend die Erscheinungsweise des Tonus hat Porter10 noch gefunden, daß in den Vorhöfen des Schildkrötenherzens die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung um so langsamer ist, je stärker die tonische Zusammenziehung ist; daß der Umfang dieser Zusammenziehung proportional der Stärke der Reizung ist, daß sie also dem Alles- oder -Nichts-Gesetz nicht folgt; daß bei ihm keine refraktäre Periode existiert und daß daher bei einer genügend schnell wieder- holten Reizung eine Summation erscheint. 1 Bottazzi, Journ. of physich, 21, S. 8; über ähnliche Erscheinungen beim Oesophagus vgl. Bottazzi, Journ. of physiol., 21, S. 9. Die Tonusveränderungen unter dem Einfluß des Veratrins sind u. a. von Kuliabko, Arch. f. d. ges. Physiol., 107, S. 238; 1905; — Seemann, Zeitschr. f. Biol., 57, S. 413; 1912; — Seemann und Kretzer, ebenda, 57, S. 419; 1912 studiert worden. 2 Bottazzi, Journ. of physiol., 21, S. 7. 3 Fano und Badano, Arch. ital. de biol., 34, S. 322; 1900. 4 Rosenzweig, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, Suppl., S. 199 f. 5 Rosenzweig, a. a. 0., 1903, Suppl., S. 202. 6 Gesell, Amer. journ. of physiol., 39, S. 263; 1916. 7 Rosenzweig, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, Suppl., S. 204. 8 Porter, Amer. journ. of physiol., 15, S. 7; 1905. 9 Rosenzweig, a. a. O., 1903, Suppl., S. 205. 10 Porter, Amer. journ. of physiol., 15, S. 3; 1905. Die Automatie des Herzens und dessen einzelner Abteilungen. 153 Da nun außerdem die tonischen Variationen auch in dem Falle auftreten, wenn die eigentlichen Pulsationen des Herzens aus dem einen oder anderen Grunde aufgehört haben, folgern Bottazzi1 und Rosenzweig2, daß sie wie der Herztonus überhaupt nicht von der Tätigkeit derselben Substanz, welche die eigentlichen Kontraktionen des Herzens hervorruft, herrühren. Bottazzi3 hat deswegen versucht, nachzuweisen, daß das Sarkoplasma hier das tätige Element darstellt. Demgegenüber vertritt Rosenzweig'1 die Ansicht, daß die Tonus- schwankungen der Vorhöfe des Schildkrötenherzens Kontraktionen der von ihm darin nachgewiesenen, dicht unter dem Endokard verlaufenden glatten Muskelfasern darstellen. Bottazzi5 hat dann die Angaben von Rosenzweig be- stätigt und ist auch seiner Ansicht von der Natur der Tonusschwankungen bei- getreten, während Muenich* hervorhebt, daß sich die Tonusschwankungen und die Einzelkontraktionen in denselben Elementen abspielen. Die physiologische Bedeutung der Tonusvariationen in den Vorhöfen des Schildkrötenherzens liegt nach Fano7 darin, daß die verschiedene Weite der Vorhöfe das Verhältnis zwischen der aus dem rechten und der aus dem linken Vorhof in die gemeinsame Kammer abfließenden Blutmenge regelt und hierdurch indirekt auf die Erhaltung des Gleichgewichts zwischen dem großen und kleinen Kreislauf einwirkt. Bottazzi8 ist der Meinung, daß die Tonusvariationen zur Unterstützung der Vorhofsystolen, insbesondere bei dem Winterschlaf, wo die Herzkontraktionen äußerst wenig frequent sind, dienen. Schließlich stellt sich Oinuma9 vor, daß den Tonusschwankungen die Auf- gabe zufallen dürfte, den Fassungsraum der Vorhöfe in einer der jeweiligen Leistungsfähigkeit der Kammer und dem Durchblutungsbedürfnis der übrigen Organe entsprechenden Weise zu regulieren. Das Schlagvolumen der tonisch tätigen Vorhöfe muß nämlich immer wesentlich kleiner sein als das der tonus- freien. Bei der geringen Schlagfrequenz des Schildkrötenherzens dürfte der Druck in den großen Venenstämmen minimal sein, so daß die Kammer während der Vorhofsystole sicher nur jene Blutmenge aufnimmt, die eben dem Schlag- volumen beider Vorhöfe entspricht. Nehmen diese Schlagvolumina ab, so wird hierdurch auch die Aufnahme der Kammer in gleichem Maße verringert. Betreffend den Tonus und dessen Variationen bei den Herzkammern stellte sich 5. R. Benedict10 vor, daß das Vermögen des Herzmuskels, spontane Kontrak- tionen auszuführen, mit einem gewissen tonischen Zustand nahe verbunden war. Demgegenüber hat indessen E. G. Martin11 nachgewiesen, daß sich ein Streifen aus der Kammer des Schildkrötenherzens in geeigneten Nährlösungen unter stetiger Tonusabnahme kontrahiert, sowie daß mehrere von Benedict als 1 Bottazzi, Journ. of physiol., 21, S. 7. 2 Rosenzweig, a.a.O., 1903, Suppl., S. 202. 3 Bottazzi, a. a. O., 21, S. 9. 4 Rosenzweig, a. a. O., 1903, Suppl., S. 206. 5 Bottazzi, Zeitschr. f. allg. Physiol., 6, S. 171; 1907. 6 Muenich, Inaug.-Diss. Gießen 1909, S. 43. ' Fano und Badano, Aren. ital. de biol., 34, S. 320; 1900. 8 Bottazzi, Zeitschr. f. allg. Physiol., 6, S. 150; 1907. 9 Oinuma, Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 516; 1910. lu S. R. Benedict, Amer. journ. of physiol., 13, S. 192; 1905; — 17, S. 16; 1908. 11 E. G. Martin, ebenda, 30, S. 184; 1912. 154 Die Innervation des Herzens. tonuserhöhende bezeichnete Substanzen, wie Sauerstoff, Chlorkalzium, Natrium- bikarbonat gar nicht oder wenigstens nicht immer den Tonus steigern. Der Tonus ist also keineswegs eine Voraussetzung für die Erregbarkeit des Herz- muskels. Dagegen scheint er eine große Rolle bei gewissen Formen von Herztetanus zu spielen, indem eine positive Tonusvariation leicht eine supermaximale Kon- traktion vortäuschen kann. In dieser Beziehung ist es sehr bemerkenswert, daß der sogen. Herztetanus im allgemeinen unter solchen Umständen auftritt, die mit denjenigen, welche für das Zustandekommen der Tonusvariationen günstig sind, nahe zusammen- fallen. Bei der linken Kammer des isolierten, mit Salzlösung gespeisten Kaninchen- herzens beobachteten Busquet und Tiffeneau1 in äußerst seltenen Fällen Tonus- schwankungen zweier Art, nämlich 1. flüchtige, bei welchen der Umfang der einzelnen Kontraktionen unverändert war, und 2. länger, 5 — 15 Minuten lang, dauernde, wo auch die Größe der systolischen Zusammenziehungen zu- und abnahm. Siebzehntes Kapitel. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. Aus den im vorigen Kapitel erörterten Erfahrungen geht hervor, daß bei allen Tieren der Grad der Automatie bei demjenigen Herzabschnitt, wo die Kontraktion des Herzens beginnt, größer ist als bei den distalen Herzteilen, und daß also die beim normalen Herzschlage stattfindende Erregung der letzteren durch eine von jenem fortgepflanzte Reizung ausgelöst wird. Es erübrigt, zu untersuchen, auf welchem Wege — durch die Muskulatur oder unter Vermittlung von Nerven — diese Erregungsfortpflanzung statt- findet und inwiefern sie in genau bestimmten oder in diffusen Bahnen vor sich geht. Im Zusammenhang damit werden wir auch die Gelegenheit haben, 'die Frage nach dem Sitz der Herzautomatie noch weiter zu besprechen. § 57. Die wirbellosen Tiere. Über die Fortpflanzung der Erregung im Herzen der wirbellosen Tiere sind unsere Kenntnisse noch sehr beschränkt und gestatten keine allgemeinen Schlußfolgerungen. Die Tatsache, daß Nervenelemente im Herzen dieser Tiere vielfach nach- gewiesen sind, ist an und für sich nicht entscheidend, denn diese könnten ja einfach Glieder in der intrakardialen Bahn der äußeren Herznerven sein und stellen daher keinen sicheren Beweis für eine nervöse Fortpflanzung der Er- regung im Herzen dar. 1 Busquet und Tiffeneau, Journ. de physiol., 17, S. 5; 1917. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 155 Nur für das Herz von Limulus polyphemus besitzen wir eingehende Unter- suchungen, welche eine bestimmte Auffassung von der Art und Weise gestatten, wie die Erregung im Herzen fortgepflanzt wird. Nach transversaler Durchschneidung des Herzmuskels pflanzt sich die Er- regung in normaler Weise durch das ganze Herz fort, wenn nur das mediale Ganglion in unversehrter Verbindung mit dem Herzen geblieben ist. Anderer- seits wird aber nach Durchschneidung der Nerven in einem Segment die Ko- ordination des Herzmuskels aufgehoben und die beiden Abschnitte desselben schlagen ganz unabhängig voneinander. Und bei elektrischer Reizung des Herz- muskels allein bleibt die Kontraktion auf die gereizte Stelle beschränkt (Carlson1). Hier geschieht also die Fortpflanzung der Erregung unzweifelhaft aus- schließlich auf nervösem Wege. Wenn aber das Herz, nach Exstirpation des Ganglions und der seitlichen Nervenstränge, eine Zeitlang in einer isotonischen Kochsalzlösung gehalten wird, so entwickelt sich, innerhalb etwa 35 — 45 Minuten, im Muskel gleich- zeitig mit der myogenen Automatie (II, S. 31) auch das Vermögen, die Erregung fortzupflanzen. Daß dies ohne Beteiligung etwaiger nervöser Elemente im Herzen stattfindet, folgt daraus, daß sich die Nervenfasern von den großen Nervenplexen direkt zum Myokardium begeben, ohne mit irgendwelchem, nahe den Muskelzellen befindlichen Nervennetz in Verbindung zu treten (Carlson2). Hierbei ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung sehr gering, nämlich 1 — 2 cm in der Sekunde, während sie beim normalen Herzen 40 cm3 und in den motorischen Nerven des Limulus 325 — 350 cm in der Sekunde beträgt (Carlson*). Garrey5 hat das Verhalten des Limulusherzens untersucht, wenn die Er- regungsfortpflanzung durch einen stärkeren oder schwächeren lokalen Druck auf den Nerven mehr oder minder beeinträchtigt worden ist. Bei allmählicher Steigerung des Druckes werden die Kontraktionen des distalen Herzteils all- mählich kleiner; nach Aufheben des Druckes stellt sich der normale Umfang der Zusammenziehung wieder dar. Die wirkende Ursache bei der Nervenkompression ist im vorliegenden Falle wohl wesentlich darin zu suchen, daß unter der Einwirkung des Druckes eine immer größere Anzahl von Nerven ausgeschaltet werden. Eine Stütze findet diese Auffassung in den Folgen partieller Durchschneidung der Nerven, denn auch hierbei wird die Größe der Kontraktionen immer mehr vermindert. Daß außerdem die noch funktionstauglichen Nerven hierbei in einem ge- wissen Grade angegriffen sind, folgt daraus, daß die komprimierte Stelle für schwache Impulse undurchdringlich sein kann, während sie stärkere Impulse unbehindert passieren läßt. In derselben Richtung spricht noch die Beobachtung, daß die Passage einer oder mehrerer Erregungen die Leistungsfähigkeit der kom- primierten Strecke für eine Zeitlang aufheben kann. 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 70; 1904; — 21, S. 11; 1908; — Nukada, Mitt. der mediz. Fakult. d. kaiserl. Universität zu Tokyo, 19, S. 37, 122; 1917. 2 Carlson, Amer. journ. of physiol., 21, S. 13. 3 Carlson, ebenda, 21, S. 18. 4 Carlson, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1905 (2), S. 558. 5 Garrey, Amer. journ. of physiol., 30, S. 283; 1912. 156 Die Innervation des Herzens. Wenn dabei die Frequenz der Impulse durch Abkühlung des Ganglions herabgesetzt wird, so gewinnen die abgeklemmten Nerven das Vermögen, jeden Impuls fortzupflanzen, wieder. Eine nun folgende Erwärmung des Ganglions ruft den Block aufs neue hervor. Schließlich übt auch der Zustand des Herzmuskels einen wesentlichen Einfluß auf die Wirkung der Nervenkompression aus, indem, wie wir schon gesehen haben, die Erregbarkeit des Muskels nach Ende der absoluten oder relativen refraktären Periode Variationen darbietet und es also eintreffen kann, daß die vom Ganglion herkommenden Impulse den Muskel in einem Stadium treffen, wo er nicht vermag, auf diesen Reiz zu reagieren. § 58. Die kaltblütigen Wirbeltiere. a) Anatomische Erfahrungen über die muskuläre. Verbindung der Vorhöfe und der Kammer. Die Möglichkeit einer muskulären Fortpflanzung der Erregung durch das Herz der Wirbeltiere ist natürlich nur dann vorhanden, wenn muskuläre Ver- bindungen zwischen den einzelnen Abschnitten des Herzens anatomisch nach- gewiesen werden können. Dies stellt indessen keinen Beweis dafür dar, daß die Erregung von dem einen Herzabschnitt zum anderen durch diese Verbindungen übertragen wird, denn diese Übertragung könnte dennoch auf nervösem Wege erfolgen. Hier, wie in bezug auf die Frage nach den Ganglienzellen als Träger der automatischen Eigenschaften des Herzens, ist der anatomische Nachweis allein für sich nicht genügend, um bestimmte, physiologische Schlußfolgerungen zu begründen. Betreffend die eventuelle muskuläre Verbindung fand Gaskell1 beim Herzen der Schildkröte, daß die Muskulatur des Venensinus an der Grenze gegen den Vorhof einen Ring von parallelen, dicht aneinander liegenden Fasern bildete, von welchem die Vorhofmuskulatur entsprang. Desgleichen bildeten die Muskel- fasern des Vorhofes an der atrioventrikulären Grenze einen Ring, mit welchem die Kammermuskulatur teilweise zusammenhing. Das Vorhandensein der von Gaskell beschriebenen Verbindungen konnte von späteren Autoren zunächst nicht bestätigt werden. Dagegen wurde auch von ihnen eine Verbindung der Vorhof- und der Kammermuskulatur nach- gewiesen, wenn auch diese sich wesentlich anders verhielt, als dies nach Gaskell der Fall war, und es stellte sich schließlich heraus, daß sich bei allen Wirbel- tieren ein durch seine besondere Lage von der übrigen Herzmuskulatur ge- trenntes Muskelbündel die einzelnen Herzabschnitte untereinander verbindet. Auch sind, wie es scheint, die von Gaskell erwähnten zirkulär angeordneten Muskel- fasern von v. Skramlik2 am Frosche wiedergefunden worden. Bei den Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln, wo ein deutlicher Venen- sinus vorhanden ist, hängt die Sinusmuskulatur an dem freien Rande der Sinus- Vorhofklappe mit der Vorhofmuskulatur direkt zusammen3, und zwar vermitteln, bei Raja clavata, zwei feine Streifen quergestreifter Muskulatur an der Vorder- 1 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 69; 1883. 2 v. Skramlik, Arch. f. d. ges. Physiol., 184, S. 4; 1920. 3 Vgl. Külbs, Das Reizleitungssystem im Herzen. Berlin 1913, S.U. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 157 seite des Sinustrichters die Verbindung zwischen dieser und der Vorhofwand (Willer1). Die muskuläre Verbindung zwischen dem Vorhof und der Kammer be- steht bei dem Neunauge (Entosphenus japonicus) aus spärlichen Muskelfasern, welche die Fortsetzung der Vorhofmuskelfasern bilden und sich nicht ins Kammer- innere hineinsenken (Nukada2). Bei den übrigen Fischen stellt die Verbindung nach Mac William3, Keith und Flack*, Külbs5 und Nukada6 einen trichterförmigen, in der ganzen Umrandung der atrioventrikulären Mündung in die Kammer eingeschobenen Fortsatz dar, welcher zum großen Teil durch Bindegewebe von der eigentlichen Kammermuskulatur getrennt ist (vgl. Fig. 208). Fig. 208. Schnitt durch Vorhof und Kammer des Fischherzens. Nach Külbs. Beim Frosch sind, nach Keith und Mackenzie7, Vorhöfe und Kammer durch einen vollständigen muskulären Ring, der in die Kammer sich trichterförmig einstülpt und unterhalb der atrioventrikulären Klappen in die Kammermuskulatur übergeht, anatomisch verbunden. Dabei ist der Ring an einigen Stellen mehr entwickelt als an anderen. Wie bei den Fischen und bei allen anderen Wirbel- 1 Willer, Zool. Anz., 51, S. 36; 1920; zit. nach Berichte, 1, S. 130. 2 Nukada, a. a. O., 19, S. 134. 3 Mac William, Journ. of physiol., 6, S. 195; 1885. 4 Keith und Flack, Journ. of anat. and physiol., 41, S. 185; 1907. 5 Kalbs, Charite-Annalen, 37, S. 24; 1913. 6 Nukada, a. a. O., 19, S. 135. 7 Keith und Mackenzie, Lancet, 1910(1), S. 102. — In bezug auf das Reizleitungssystem im Herzen von Wassermolch, Frosch und Ringelnatter vgl. Bräunig, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, Suppl., S. 5. 158 Die Innervation des Herzens. tieren ist der obere Teil dieses Trichters durch Bindegewebe von der Kammer getrennt und das Bündel geht erst unter der Basis auf die innere Schicht der Kammermuskulatur über. Hier ist die Verbindung in allen Teilen des Kanals gleichmäßig und zeigt eine Differenzierung nur insofern, als sie an der Basis des Vorhof septums am stärksten ist. Demgegenüber findet Külbs1, daß der atrioventrikuläre Kanal nicht in sich vollständig abgeschlossen ist, indem sowohl vorn wie hinten sich bald ein Binde- gewebsstreifen einschiebt, wodurch zwei muskuläre Halbrinnen entstehen. Das vordere Ende derselben zeigt am Niveau, wo sich die Aorta in die Kammer ein- senkt, feine Verbindungsfasern mit der muskulären Aortawand. Hier wird das elliptische Kammeraortalumen vorn durch Bulbusmuskulatur, seitlich durch Atrioventrfcular-i Mappe - /Itrioi/entricular- ~~ Trichter Fig. 209. Schematischer Frontalschnitt durch das Eidechsenherz. Nach Külbs und Lange. die muskulären Halbrinnen begrenzt. Die Bulbusmuskulatur läßt sich nach oben bis zur Höhe des Venensinus verfolgen und tritt auf diesem Wege noch mehrfach mit der Kammermuskulatur in direkte Verbindung.2 Am Eidechsenherzen geht dort, wo Vorhöfe und Kammer sich berühren, die Vorhofwand unmittelbar in eine breite Lage quergestreifter Muskulatur über; diese Lage verschmilzt aber erst in der Höhe des mittleren Drittels des Kammerraumes allmählich mit dessen Muskulatur (Fig. 209). Der so gebildete Atrioventrikulartrichter schlägt sich dann an seiner vorderen Wand auf die untere Seite der großen Gefäße und schmilzt in derselben Höhe hinten lateral von der Anheftung der Klappen an das Endokard bereits mit der Kammermuskulatur zusammen. Auch hier hat man nicht mehr mit einem eigentlichen Trichter, sondern mit zwei vorn durch die arteriellen Gefäße, hinten durch die Kammer- muskulatur getrennten Halbrinnen zu tun (Külbs und Lange3). 1 Külbs, Zeitschr. f. exp. Pathol., 11, S. 51; 1912. 2 Vgl. auch Bond, Heart, 4, S. 1 ; 1913. 3 Külbs und Lange, Zeitschr. f. exp. Pathol., 8, S. 314; 1911 ; — vgl. auch Laurens, Anat. record, 7, S. 273; 1913. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 159 Bei den Schildkröten verhält sich das Verbindungsbündel im großen und ganzen wie bei der Eidechse (vgl. Fig. 21 01). Bei seiner Darstellung vom Bau des Verbindungsbündels gab Gaskell2 an, daß dasselbe aus einem muskulären Gewebe zusammengesetzt war, das in der Mitte zwischen den zarten und nur undeutlich gestreiften Elementen der Sinus- muskulatur und den größeren und deutlicher gestreiften Elementen der Vorhof- muskulatur stand. Spätere Arbeiten haben darüber folgendes ergeben. Bei den Fischen lassen sich nach Külbs3 und Nukada* keine ausgesprochenen Unterschiede der Verbindungsfasern gegenüber der übrigen Muskulatur nach- weisen. Nur an der andersartigen Rich- tung und der Isolierung durch Binde- gewebe erkennt man sowohl bei Quer- schnitten, wie bei Längsschnitten leicht, daß es sich um einen Ring handelt, der auf der einen Seite in die Vorhofmus- kulatur sich verfolgen läßt. Bei der Eidechse sind die Elemente des Verbindungsbündels dagegen von denen der übrigen Herzmuskulatur ver- schieden, indem sie reichliches Sarko- plasma und auffallend wenig Fibrillen enthalten; außerdem sind sie durch reich- liches Bindegewebe voneinander getrennt (Külbs und Lange5). Das Verbindungsbündel im Schild- krötenherzen zeichnet sich auf Schnitten in van-Gieson- und Heidenhain-PräpavaUn durch eine hellere Protoplasmafärbung aus und stimmt hinsichtlich seiner Struktur aufs nächste mit dem des Eidechsen- herzens überein (Külbs6). Im Gegensatz zu diesen Angaben, welche eine wichtige Unterstützung durch den Nachweis des Verbindungsbündels im Säugetierherzen gewonnen haben, ver- treten Bethe7 und Dogiel8 die Auffassung, daß keine muskuläre Verbindung zwischen Vorhof und Kammer bei dem Frosch- und Schildkrötenherzen existiert, und Imchanitzky9 schließt sich betreffend das Eidechsenherz derselben Meinung an. Den vielen positiven Angaben gegenüber dürften indessen diese kaum als beweisend angesehen werden können, und wir können also sagen, daß bei den kaltblütigen Wirbeltieren eine muskuläre Verbindung zwischen den Vorhöfen und der Kammer tatsächlich vorhanden ist. 1 Külbs, a. a. O., 11, S. 52; 1912; — Laurens, a. a. O., 7, S. 273. 2 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 70, 73. 3 Külbs, Das Reizleitungssystem, S. 3. 4 Nukada, a. a. O., 19, S. 134, 135. 5 Külbs und Lange, Zeitschr. f. exp. Pathol., 8, S. 316. 6 Külbs, Zeitschr. f. exp. Pathol., 11, S. 56; — vgl. auch Laurens, Anatomical record, 7, S. 277; 1913. 7 Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. des Nervensystems. Leipzig 1903, S. 93. 8 Dogiel, Arch. f. mikr. Anat., 70, S. 781, 790; 1907. 9 Imchanitzky, Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 1909, S. 117, 132. Fig. 210. Schematischer Schnitt durch das Schildkrötenherz. Nach Külbs. 160 Die Innervation des Herzens. b) Physiologische Versuche über die Fortpflanzung der Erregung. Wenn die Fortpflanzung der Erregung unter Mitwirkung des Verbindungs- bündels stattfindet, muß diese bei beibehaltenem Bündel, auch wenn andere Teile des Vorhofs durchschnitten werden, unverändert bleiben, und anderer- seits muß sie nach Durchschneidung des Bündels aufgehoben werden. Entsprechend der anatomischen Anordnung der Verbindungsfasern zwischen dem Vorhof und der Kammer bei den Fischen fanden Nakano1 und Roskam2, daß die erregungsleitende Funktion an der Atrioventrikulargrenze ringsherum gleichmäßig verteilt ist. Man konnte an beliebiger Stelle die Verbindung zwischen Vorhof und Kammer durchschneiden, ohne daß eine Dissoziation ihrer Kon- traktionen entstand. Nur durfte die zurückgebliebene Brücke nicht zu eng sein. Ein beim Aalherzen an der Hinterwand des Vorhofes verlaufender, mit Ganglienzellen durchsetzter Nerv konnte ohne Beeinträchtigung der atrio- ventrikulären Koordination durchschnitten werden und hatte also keinen Anteil bei der Reizübertragung (Roskam3). Am eingehendsten sind in dieser Beziehung das Frosch- und das Schild- krötenherz, teilweise auch das Eidechsenherz, untersucht worden. Angesichts der Tatsache, daß sich die meisten Nervenverbindungen des Froschherzens in der Vorhofscheidewand vorfinden, könnte man von vorn- herein zu der Auffassung geneigt sein, daß, wenn die Erregungsfortpflanzung auf nervösem Wege erfolgte, die Zerstörung der Scheidewand, bzw. deren Nerven eine bedeutende Störung in der normalen Aufeinanderfolge der Kontraktionen der einzelnen Herzabschnitte hervorrufen würde. Dem ist indessen nicht so. Allerdings gaben Marchand1 und Loewit5 an, daß die Kammer nach Ex- stirpation des Bidderschen Ganglions stillstehen sollte. Dagegen hatte aber Bidder6 schon lange vorher ausgeführt, daß diese Operation die Teilnahme der Kammer an der rhythmischen Wirksamkeit des Herzens weder aufhob, noch in merklicher Weise abschwächte. Eckhard7 fand, daß die betreffende Ex- stirpation nur einen vorübergehenden Stillstand hervorrief, indem die Kammer bald wieder normal pulsierte, und zwar bisweilen so, daß nahezu auf einen Vorhof- schlag ein Kammerschlag folgte. Und Gaskell8 beobachtete, daß die vollständige Ausrottung dieses Ganglions keinerlei Veränderung der Kammerpulsationen bewirkte. Das Biddersche Ganglion scheint also für die Fortpflanzung der normalen Erregung von den Vorhöfen auf die Kammer ganz belanglos zu sein. Bei der Durchtrennung der Vorhofscheidewand mit ihren Nerven trat an dem Schildkrötenherzen keine Veränderung in der Kammertätigkeit zum Vorschein, wenn nur die Außenwände der Vorhöfe beibehalten waren, und zwar genügte zur vollständig normalen Reizübertragung schon eine verhältnismäßig schmale Verbindungsbrücke. Andererseits erschien nach völliger Durchschneidung 1 S. bei Mangold, Die Erregungsleitung im Wirbeltierherzen. Jena 1914, S. 6. 2 Roskam, Bull, de l'Acad. des sciences de Belgique, 1913, S. 1109. 3 Roskam, Arch. intern, de physiol., 15, S. 130; 1919. 4 Marchand, Arch. f. d. ges. Physiol., 17, S. 148, 1878. 5 Loewit, ebenda, 23, S. 334; 1880. 6 Bidder, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1852, S. 175. ■ Eckhard, Beitr. z. Anat. u. Physiol., 7, S. 192; 1876. 8 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 76; 1883. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 161 der Seitenwände bei beibehaltener Scheidewand und unversehrten Scheidewand- nerven erst ein langer Stillstand der Kammer, nach welchem sie langsam in ihrem eigenen Rhythmus unabhängig von den Vorhöfen zu schlagen begann (Gaskell1). Dieselbe Erscheinung hat F. B. Hofmann2 am Froschherzen kennen gelernt; seine hierher gehörigen Beobachtungen sind schon oben (II, S. 104) im Zu- sammenhang mit der Frage nach der Automatie der Kammer des Froschherzens besprochen worden. Hier mag nur wiederholt werden, daß die Fortpflanzung der Erregung vom Venensinus zur Kammer in normaler Weise vor sich geht, sobald nur eine genügend breite Brücke von der Herzmuskulatur sie untereinander verbindet, sowie daß die Scheidewandnerven hierbei ganz belanglos sind. Wenn die betreffende Verbindungsbrücke zwischen Vorhof und Kammer allmählich immer tiefer eingeschnitten wird, so macht die vom Venensinus zur Schnittstelle gelangte Erregung, wie zuerst Gaskell3 am Frosch- und Schild- krötenherzen und Mac William* am Aalherzen nachwiesen5, dort einen deutlichen Aufenthalt, ehe sie die Brücke passiert und auf den unteren Teil des Vorhofs und die Kammer übergeht. Bei noch tieferem Einschnitt passiert nicht mehr jede, sondern nur jede zweite Erregung die Brücke, und auf zwei oder vier usw. Sinuspulsationen kommt also nur eine Kammerkontraktion. Endlich, wenn die Brücke allzu klein wird, geht keine Erregung mehr durch sie hinüber und die Kammer steht in der Diastole still. Die dann nach einer kürzeren oder längeren Zeit wieder auf- tretenden Kammerkontraktionen stellen den Ausdruck der eigenen Automatie der Kammer dar. Aus diesen Erfahrungen folgt also, daß die normale Aufeinanderfolge der Kontraktionen der einzelnen Herzabschnitte vollständig sichergestellt ist, wenn nur diese durch eine genügend breite Muskelbrücke verbunden sind. Daß hier keine präformierte, eng begrenzte Bahn ins Spiel kommt, können wir mit großer Wahrscheinlichkeit daraus folgern, daß es nach den bis jetzt be- sprochenen Untersuchungen völlig gleichgültig ist, welche Teile der Vorhof- wand durch den Schnitt abgetrennt werden. Und es kommt noch hinzu, daß die Vorhofwand die Erregung auch dann leitet, wenn sie zickzackförmig zer- schnitten wird (F. B. Hofmann6). Da endlich die Durchschneidung der Vorhofscheidewand keinerlei Ver- änderung des Herzschlags herbeiführt, ist es deutlich, daß die Erregung bei ihrem Übergang von den Vorhöfen auf die Kammer notwendig den atrioventri- kulären Ring passieren muß. Eine schöne Illustration zu dieser Tatsache liegt in der Beobachtung v. Vintschgaus7 und Porters8, daß, wenn die Kammer des Frosches oder der 1 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 74. 2 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 151; 1895. 3 Gaskell, Philos. trans., 1882 (3), S. 997; — Journ. of physiol., 4, S. 64; 1883. 4 Mac William, Journ. of physiol., 6, S. 202; 1885. 5 Vgl. auch Laurens, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 186; 1913 (Eidechsen und Schild- kröten). 6 F. B. Hof mann, Arch. f. d. ges. Physiol., 72, S. 449; 1898. 7 v. Vintschgau, ebenda, 76, S. 68; 1899. 8 Porter, Amer. journ. of physiol., 10, proc, S. 16; 1904. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 11 152 Die Innervation des Herzens. Schildkröte durch longitudinale Schnitte, welche die atrioventrikuläre Grenze überschreiten, in mehreren Portionen geteilt wird, diese genau synchron schlagen, obgleich sie nur durch die Vorhöfe miteinander zusammenhängen. Um aber ganz bestimmt behaupten zu können, daß ein Übergang am ganzen Umfang der atrioventrikulären Grenze wirklich stattfindet, genügen die bis jetzt besprochenen Versuche indessen nicht, sondern hierzu brauchen wir Ver- suche, wo das Verhalten der Kammer nach partieller Zerstörung in der atrio- ventrikulären Grenze untersucht wird. Zu diesem Zwecke machte Nakano1 systematische partielle Durchschneidungen an der Atrioventrikulargrenze, indem er den Ring in acht Bündel einteilte (vgl. Fig. 211), von diesen eines nach dem anderen durchschnitt und jedesmal die dadurch hervorgerufene Leitungsstörung prüfte. Dabei ließ er immer eines der Bündel allein zurück, um solcherart festzustellen, ob und in welchem Grade die Leitung erhalten geblieben war, und wieweit das betreffende Bündel durch weitere Schnitte noch reduziert werden konnte. Das Resultat war folgendes.2 Jedes Bündel des atrioventrikulären Ringes ist allerdings im- stande, die Erregung zwischen Vorhof und Kammer fortzupflanzen. Es gibt aber dennoch eine quantitativ verschiedene Wertigkeit der einzelnen Bündel und also eine gewisse Differen- zierung, die nicht bei Schnitten durch die Vor- Fig. 211. Topographisches Schema , . , . , , des Atrioventrikularringes. hofwand an sich zutage kommt. Nach Nakano. Dje drej ventralen Bündel (i, 2, 8) besitzen in funktioneller Hinsicht den geringsten Wert, denn wenn sie als atrioventrikuläre Verbindung allein übrig bleiben, ist die Koordination entweder ganz aufgehoben oder es tritt ein dauernder Ausfall der Kammerkontraktionen oder Kammerstillstand ein; die Überleitungszeit zwischen Vorhof und Kammer ist dabei immer stark verzögert. Im Gegensatz hierzu lassen sich besonders das dorsale (5) wie auch die lateralen Bündel (3, 7) auf einen minimalen Querschnitt reduzieren, ohne daß andere Störungen als höchstens Verzögerung der Überleitungszeit zwischen Vorhöfe und Kammer und ein vorübergehender Ausfall der Kammerkontraktionen beob- achtet werden. Die beiden dorsolateralen Bündel (4, 6) stehen in ihrer Funktionstüchtigkeit etwas hinter den soeben genannten zurück. Nach Amsler und Pick3 verläuft die Leitungsbahn vom rechten Vorhof zu der rechten Hälfte der Kammer nicht durch die rechts-lateralen Teile des Trichters, sondern nur durch die der linken Hälfte der Atrioventrikularfurche anliegenden. Dabei spaltet sich das für die rechte Kammerhälfte bestimmte Bündel etwa in der Ebene der genannten Furche von demjenigen ab, welches die linke Kammerhälfte versorgt. 1 Nakano, Aren. f. d. ges. Physiol., 154, S. 373; 1913. 2 Nakano, ebenda, 154, S. 392. 3 Amsler und Pick, ebenda, 184, S. 77; 1920. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 163 Bei dem Salamanderherzen konnte Nakano im großen und ganzen dieselben Verhältnisse wie beim Froschherzen feststellen.1 Weder beim Frosch- noch bei dem Salamanderherzen spielt die Vorhof- scheidewand bei der Erregungsleitung eine Rolle2, denn bei alleinigem Übrig- bleiben derselben tritt entweder ein dauernder Stillstand bei der Kammer auf, oder es stellen sich nach 5 — 15 Minuten Kammerkontraktionen ein, welche völlig * dissoziiert von den Vorhöfen verlaufen und bald wieder aufhören. Analoge Resultate sind von Laurens3 am Herzen von Eidechsen und Schild- kröten erhalten. Dem anatomischen Bau des Verbindungsbündels entsprechend, tritt aber die physiologische Lokalisation der Verbindungswege hier deutlicher zutage. Wir finden nämlich, daß bei der Eidechse und der Schildkröte Emys lutaria eine physiologische Verbindung zwischen den Vorhöfen und der Kammer allein durch ein rechts und ein links verlaufendes Bündel zustande kommt. Eine dünne Brücke des einen oder des anderen Bündels kann zur Aufrecht- erhaltung der normalen Koordination zwischen den Vorhöfen und der Kammer noch völlig ausreichen. Verletzung oder völlige Durchtrennung des einen ganzen Bündels hat nur vorübergehende Überleitungsstörungen, aber keinen Ausfall der Koordination zur Folge. Dabei scheint indessen der linksseitig und ventral gelegene Anteil des Bündels für die atrioventrikuläre Erregungsleitung am wichtigsten zu sein. Nach völliger Durchschneidung der beiden lateralen Bündel kommt da- gegen keine Koordination zwischen Vorhöfen und Kammer mehr zustande. Nur für den an die Lateralbündel unmittelbar angrenzenden Teil des Ventral- bündels blieb in einigen Versuchen noch die eventuelle Möglichkeit einer Be- teiligung an der atrioventrikulären Koordination zurück. Auch hier spielt die Vorhofscheidewand für die Erregungsleitung keine nachweisbare Rolle. Bei der Malacoclemmys geographica ist die Leitung zwischen den Vorhöfen und der Kammer allerdings in wesentlichstem Grade von den beiden lateralen Bündeln abhängig; nach deren Durchschneidung vermögen aber auch die breiten ventralen und dorsalen Abschnitte des Verbindungssystems die Erregung fort- zupflanzen, so daß die Kammer nach einer kürzeren oder längeren Zeit im gleichen Rhythmus wie die Vorhöfe schlägt (Laurens*). Durch diese Untersuchungen ist die Leistung des Verbindungsbündels bei der Fortpflanzung der Reizung von den Vorhöfen auf die Kammer bei den Sala- mandern, Fröschen, Schildkröten und Eidechsen nachgewiesen worden, und es dürfte nicht zu kühn sein, anzunehmen, daß der betreffende Vorgang überhaupt bei allen kaltblütigen Wirbeltieren in derselben Weise erfolgt. Indessen hat Imchanitzky5 nicht allein das Vorhandensein des Verbindungs- bündels verneint, sondern noch nachweisen wollen, daß der Übergang der Er- 1 Nakano, Aren. f. d. ges. Physiol., 154, S. 398. 2 Nakano, ebenda, 154, S. 390, 399. 3 Laurens, ebenda, 150, S. 139; 1913; — vgl. auch H.Fredericq, Bull, de la classe des sciences de l'Acad. roy. de Belgique, 1913, S. 391. 4 Laurens, Amer. journ. of physiol., 42, S. 91; 1916. 5 Imchanitzky, Proceedings of the Soc. f. exp. biol. and med., 5, S. 77; 1908; — Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 1909, S. 126. 11* 164 Die Innervation des Herzens. regung durch einen besonderen Nervenplexus mit eingelagerten, sehr großen und kleineren Ganglienzellenhaufen, welcher auf der dorsalen Seite des Eidechsen- herzens die Vorhöfe mit der Kammer verbindet, vermittelt wird, sowie daß die Umschnürung dieses Plexus die Koordination der Herzschläge dauernd stört. Dieser Nervenplexus stellt den schon früher von Gaskell1 beschriebenen Koronarnerven dar und läuft auf der Rückenseite des Herzens von dem Sinus nach der Kammer.2 Nach Durchtrennung dieses Nerven haben aber weder Gaskell3 noch Külbs und Lange4, Laurens5, H.Fredericqe oder Haberlandt7 irgendwelche Veränderungen des Kammerrhythmus oder der Herzkoordination wahrnehmen können. Dagegen wurde die Erregungsleitung von den Vorhöfen zur Kammer sofort aufgehoben, wenn diese Herzabschnitte ausschließlich durch den genannten Nerven in Ver- bindung blieben (Haberlandt8). Es muß also gefolgert werden, daß die Fortpflanzung der Reizung von den Vorhöfen auf die Kammer tatsächlich durch das Verbindungsbündel erfolgt. Dieses enthält indessen nicht allein Muskelfasern, sondern auch reichlich Nerven sowie, wenn auch spärlich, Ganglienzellen (vgl. z. B. His jun.9, Frosch- herz; Laurens10, Eidechse, Schildkröte). Wir müssen daher noch die Frage erörtern, ob die Koordination der Be- wegungen der Vorhöfe und der Kammer durch die Muskelfasern oder die Nerven- fasern des Bündels zuwege gebracht wird. Als Beweis für die Annahme einer muskulären Verbindung hat man seit Gaskell11 darauf hingewiesen, daß bei künstlicher Reizung der Kammer die Kon- traktion sich rückwärts über das ganze Herz ausbreitet. Diese schon viel früher von Ludwig und Hoffa12 am Froschherzen beschriebene Erscheinung, welche im Laufe der Zeit von v. Bezold13, Bernstein1*, Foster und Dew -Smith15, H. Munk16 beobachtet und von Mac William17, Mills18, Queen19 und Roskam20 am Fischherzen bestätigt wurde, wurde dann von Engelmann21 zum Gegenstande einer sehr eingehenden Untersuchung gemacht. 1 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 63. 2 Vgl. Külbs und Lange, Zeitschr. f. exp. Pathol., 8, S. 318; — Laurens, Anat. record, 7, S. 278; 1913. 3 Gaskell, a. a. O., 4, S. 64. 4 Külbs und Lange, a. a. O., 8, S. 321. 5 Laurens, Arch. f. d. ges. Physiol. 150, S. 159. 6 H.Frederlcq, Arch. intern, de physiol., 13, S. 427; 1913. 7 Haberlandt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1916, S. 428. 8 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 455; 1917. 9 His jun., Arb. aus d. med. Klinik zu Leipzig, 1893, S. 45. 10 Laurens, Anat. record, 7, S. 280; 1913. 11 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 69; 1883. 12 Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 139; 1849. 13 v. Bezold, Arch. f. path. Anat., 14, S. 292; 1858. 14 Bernstein, Unters, über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem. Heidel- berg 1871, S. 213. 15 Foster und Dew-Smith, Journ. of anat. and physiol., 10, S. 753; 1876. 16 H. Munk, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1878, S. 569. 17 Mac William, Journ. of physiol., 6, S. 199; 1885. 18 Mills, ebenda, 7, S. 84; 1886. 19 Queen, Zeitschr. f. Biol., 62, S. 48; 1913. 20 Roskam, Arch. intern, de physiol., 15, S. 143. 21 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 56, S. 162; 1894. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 165 Unter normalen Verhältnissen schritt allerdings der die Systole auslösende Reizvorgang anscheinend ebenso sicher und ebenso schnell von der Kammer auf die Vorhöfe als in umgekehrter Richtung fort. In späteren Stadien des Ab- sterbens war die Erregungsleitung nur in der einen oder nur in der anderen Richtung möglich oder doch die Geschwindigkeit der Leitung in der einen Richtung sehr viel größer als in der anderen. Und zwar war die bevorzugte dann einmal die normale, dann wieder die entgegengesetzte. Ähnliches wurde unter der Einwirkung von .Giften beobachtet. In näherer Verfolgung dieser Erscheinung hat v.Skramlik1 am ausgespülten Froschherzen, welches nach Anlegen der ersten Stanniusschen Ligatur spontan nicht mehr pulsiert, das Verhalten einzelner Abschnitte des Verbindungsbündels bei der Fortpflanzung der rechtläufigen und der rückläufigen Erregung unter- sucht. Dabei stellte es sich heraus, daß, wenn das einzige Verbindungsstück ein ventrales Bündel ist, dieses allerdings vermag, in beiden Richtungen zu leiten, aber rückläufig rascher; daß die lateralen Bündel, rechts oder links, etwa ebenso schnell in beiden Richtungen leiten; daß der dorsale Anteil des Verbindungs- bündels nur rechtläufig aber nicht rückläufig leitet; sowie daß, wenn die Scheide- wand die einzige Verbindungsbrücke darstellt, die Leitung nur in rückläufiger Richtung erfolgt. Wird das ventrale Bündel etwa auf 40° C. erwärmt, während das übrige Herz bei Zimmertemperatur erhalten wird, so pflanzt sich eine Reizung der Kammer nicht mehr auf die Vorhöfe fort. Unter dem Einfluß einiger von den letzteren aus hervorgerufenen Kammerkontraktionen wird indessen die Fähigkeit der rückläufigen Reizung wieder hergestellt (v. Skramlik2). Unter Hinweis darauf, daß eine unter allen Umständen reziproke Leitungs- fähigkeit im allgemeinen nur da erwartet werden darf, wo die reizleitende Sub- stanz an allen Punkten der Bahn völlig gleiche Eigenschaften besitzt, und daß dies bei den reizleitenden Teilchen im Herzen nicht der Fall ist, sucht Engel- mann die Erscheinung der irreziproken Leitung der theoretischen Deutung näherzubringen; in bezug auf seine Ausführungen muß ich indessen auf das Original verweisen.3 Bei der umgekehrten Schlagfolge sind im Froschherzen die Scheidewand- nerven ebensowenig wie bei. der rechtläufigen notwendig, denn die Durchschneidung derselben ändert dabei nichts. Die Fortpflanzung des umgekehrten Schlages muß also durch die Vorhofwand, d. h. das Verbindungsbündel, erfolgen (F. B. Hof- mann*). Trotzdem scheinen diese Beobachtungen keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die Übertragung der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammer auf muskulärem oder nervösem Wege stattfindet, zu geben, denn die rückläufige Leitung könnte ja möglicherweise durch die Nervennetze in der Herzwand ver- mittelt werden.5 Übrigens zeigen die von v. Skramlik ermittelten Tatsachen, 1 v. Skramlik, Arch. f. d. ges. Physiol., 184, S. 35; 1920. 2 v. Skramlik, ebenda, 180, S. 30; 1920. 3 Engelmann, ebenda, 61, S. 275; 1895. 4 F. B. Hof mann, ebenda, 72, S. 450; 1898. 5 Über andere, meines Erachtens völlig unhaltbare Versuche, die umgekehrte Schlag- folge aus dem Gesichtspunkte der neurogenen Hypothese zu deuten, vgl. die kritische Dar- stellung von F. B. Hofmann, ebenda, 72, S. 449. 166 Die Innervation des Heizens. daß hier sehr verwickelte Umstände vorliegen, welche der theoretischen Deutung noch sehr große Schwierigkeiten bereiten. Auch die von Haberlandt1 nachgewiesene Tatsache, daß die Kammer des Froschherzens in eigenem, vom Sinus unabhängigem Rhythmus schlägt oder stillsteht, wenn die Vorhöfe wegen einer elektrischen Reizung in den Zustand des Wühlens gebracht worden sind, kann in dieser Hinsicht keinen bestimmten Aufschluß geben, indem sowohl die muskuläre als die nervöse Leitung hier gestört sein können. Als eine sehr wichtige Stütze für die Lehre von einer muskulären Fort- pflanzung der Erregung durch das Herz hebt Engelmann2 die geringe Geschwindig- keit hervor, mit welcher sich die Erregung im Vorhof des ausgeschnittenen, blutleeren Herzens — 0,0064 — 0,177 m in der Sekunde — fortpflanzt, denn diese ist mehrere hundertmal geringer als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in den motorischen Nerven des Frosches. Gegen die Verwertung dieser Tatsache für die vorliegende theoretische Anschauung läßt sich indessen bemerken, teils daß die von Engelmann ermittelten Zahlen nicht für das blutdurchströmte Herz gültig sind, denn bei diesem war, wie er selber bemerkt, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung so groß, daß sie mit den zu seiner Verfügung stehenden Mitteln nicht scharf bestimmt werden konnte3; teils daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei den marklosen Nerven der kaltblütigen Wirbeltiere von derselben Größenordnung wie die von Engelmann am Froschherzen ermittelte ist. So war in den Versuchen von Garten* und Nicolai5 die Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei dem N. olfactorius des Hechtes bei einer Temperatur von 20° C 0,14 — 0,24 m in der Sekunde, und Carlson6 hat für die lateralen Nerven des Limulusherzens bei 18 — 22° C diese Zeit gleich 0,21 — 0,55, durchschnittlich 0,40 m in der Sekunde gefunden. Die Zeitbestimmungen Engelmanns können also nicht als ein wirklicher Beweis für eine muskuläre Fortpflanzung der Erregung durch das Herz gelten. Gegen die Annahme einer muskulären Fortpflanzung der Erregung durch das Herz schien auch der Befund Engelmanns'7, daß bei Reizung des Vorhofes eines nicht mehr spontan schlagenden Froschherzens in der Nähe des Sinus die Kammer- kontraktionen nach der gesetzmäßig langen Zeit einsetzen, ohne daß auch nur eine Spur von Zusammenziehung des Vorhofes zuvor merklich wäre, zu sprechen. 1 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol. 65, S. 225; 1914. 2 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 56, S. 188, 193. — Bei früheren Versuchen an der in vier bis sechs nur durch dünne Brücken von Muskelsubstanz miteinander zusammenhängenden Stückchen gespaltenen Herzkammer des Frosches hatte Engelmann, wenn die Kontraktionen schon etwas langsamer wurden, eine Fortpflanzungszeit von im Maximum 0,030 m in der Sekunde gefunden (Arch. f. d. ges. Physiol., 11, S. 465; 1875). Vgl. auch Engelmann, ebenda, 17, S. 88; 1878. Waller und Reid, Philos. transact., 1887, B, S. 230, geben die Fortpflanzungs- geschwindigkeit bei dem spontan schlagenden Froschherzen bei 9° C zu etwa 0,100 m in der Sekunde an; nach Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 4, S. 268, ist sie in der Kammer beim Bdellostoma 0,025 m in der Sekunde und nach Roskam, Arch. int. de physiol., 15, S. 141, bei der Kammer des Aalherzens 0,129 m. 3 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 56, S. 187. 4 Garten, ebenda, 77, S. 497; 1899. 5 Nicolai, ebenda, 85, S. 75; 1901. 6 Carlson, Amer. journ. of physiol., 15, S. 104; 1906; bei demselben Tiere betrug die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den ambulakralen Nerven 3,5 — 3,25 m in der Sekunde. 7 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 56, S. 161; 1894. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 167 Die gleiche Erscheinung wurde auch bei künstlicher Reizung des durch Vagus stillstehenden Froschherzens (Engelmann1, O.Frank2, F. B. Hofmann3), wie in gewissen Stadien der Muskarinvergiftung (Bethe4, Rlwdius und W. Straub5, lshizaka und Loewi6) beobachtet. Auch wenn die Vorhöfe und der Sinus des Froschherzens durch Eintauchen in destilliertes Wasser ihre Kontraktilität vollständig verloren haben, sind sie dennoch, wie dies nach Biedermann1 bei den in derselben Weise be- handelten Skelettmuskeln der Fall ist, befähigt, die Erregung fortzupflanzen (Engelmann8). In allen diesen Fällen kommt also eine Erregungsleitung ohne Kontraktion zum Vorschein, und es liegt unbedingt am nächsten, hier eine nervöse Leitung anzunehmen. Indessen gibt Engelmann9 dieser Erscheinung eine ganz andere Deutung. Entweder haben sich die leitenden Muskelbündel dennoch, obgleich nicht äußer- lich bemerkbar, kontrahiert, oder auch pflanzen sie durch einen unsichtbaren Vorgang, der mit den elektrischen Erscheinungen ohne Zweifel identisch ist, die Erregung fort. Für diese Erklärung spricht nach Engelmann10 die Tatsache, daß die Ge- schwindigkeit der Erregungsfortpflanzung bei den wasserstarren Vorhöfen etwa von derselben Größenordnung ist, wie wenn das Kontraktionsvermögen der Vorhöfe erhalten wäre. Daß hierin kein Beweis vorliegt, folgt aus dem schon Ausgeführten. Andererseits ist es von vornherein sehr gut möglich, daß hier die intra- muskulären Nerven den wirksamen Faktor darstellen. Am Limulusherzen bleiben tatsächlich die Nerven nach Behandlung mit destilliertem Wasser noch eine Zeitlang (15 — 20 Minuten) leistungsfähig, nachdem die Muskulatur schon ihre Erregbarkeit verloren hat (Carlson11). Die Sache verhält sich indessen noch mehr verwickelt, denn tatsächlich kann eine, der Einwirkung des destillierten Wassers bis zu einer gewissen Zeit- grenze unterworfene Muskelstrecke noch Leitungsvermögen besitzen, wenn sich bereits keine Formveränderung mehr an ihr bemerken läßt. Dies beruht in erster Linie darauf, daß die enorme Aufquellung der Muskelsubstanz das Auftreten einer sichtbaren mechanischen Änderung verhindert. Bei länger dauernder Einwirkung wird auch das Leitungsvermögen schließlich aufgehoben. Kurz, beim wasserstarren Muskel verschwindet dieses scheinbar etwas später als die Kontraktilität (E. Hering12). 1 Engelmann, ebenda, 56, S. 196. 2 O. Frank, Sitz.-Ber. d. Ges. f. Morph, u. Physiol. in München, 1897, S.-A. S. 26. 3 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 72, S. 438; 1898. 4 Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. d. Nervensystems. 1903, S. 443. 5 Rhodius und W. Straub, Arch. f. d. ges. Physiol., 110, S. 498; 1905. 6 lshizaka und Loewi, Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 593; 1905. 7 Biedermann, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 97 (3), S. 101 ; 1888. s Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 56, S. 198. 9 Engelmann, ebenda, 56, S. 195. ia Engelmann, ebenda, 56, S. 202. 11 Carlson, Amer. journ. of physiol., 15, S. 118; 1906; — Comptes rend. de laSoc. de biol., 1905 (2), S. 414. 12 S. bei H.E.Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 549; 1901; — vgl. auch Kaiser, Zeitschr. f. Biol., 31, S. 244; 1895. 158 Die Innervation des Herzens. Es kann nun auch der Fall sein, daß beim wasserstarren Muskel die innersten Teile noch unangegriffen sind, während dessen äußere Teile dem Einfluß des Wassers schon erlegen sind. Dies war bei den Versuchen von Brooks1 der Fall. Wenn die Wasserstarre aber vollständig war, verschwanden bei kuraresierten Muskeln Kontraktilität und Leitungsfähigkeit gleichzeitig. Dagegen erwies sich der motorische Nerv, wie in den entsprechenden Versuchen Carlsons am Limulush erzen, viel wider- standsfähiger als der Muskel selbst gegen die Einwirkung des destillierten Wassers. Zu den gleichen Ergebnissen ist auch Schwarz2 gekommen, indem bei seinen Versuchen an kuraresierten Muskeln die Kontraktilität und das Leitungsvermögen unter der Einwirkung von isotonischen Lösungen von Natriumsulfat, neutralem Natriumtartrat und Natriumazetat gleichzeitig verschwanden. Entsprechende Versuche an dem nach der Sinusligatur vollkommen still- stehenden, künstlich gereizten, wie auch am spontan schlagenden Froschherzen ergaben, daß bereits ganz kurze Zeit nach dem Eintauchen der Vorhöfe in die Lösung ihre Kontraktionen begannen kleiner zu werden, bis sie endlich aus- blieben, während die Kammer nach der normalen Latenzdauer auf jeden Reiz weiterhin noch ganz regelmäßig reagierte (Schwarz*). Nach dem vollständigen Aussetzen der Vorhofkontraktionen war fast ausnahmslos ein ganz erhebliches Wachsen des Intervalls zwischen der Reizung und dem Beginn der Kammersystole zu erkennen, während sich die Latenz- dauer der Kammer bei direkter Reizung noch innerhalb der normalen Grenzen bewegte. Aus diesen Beobachtungen folgt, daß beim Vorhofe des Herzens Kontrak- tilität und Leitungsvermögen voneinander getrennt werden können. Das Herz verhält sich also den genannten Salzlösungen gegenüber wie der nervenhaltige Skelettmuskel, und wenn diese Versuche in bezug auf die Art der Fortpflanzung die Erregung durch das Herz etwas aussagen können, so sprechen sie, wie es scheint, zunächst zugunsten der nervösen Leitung, wenn nicht hier, wie bei den Versuchen von Brooks am Skelettmuskel, gewisse Muskelbündel auch bei ziemlich weit fortgeschrittenen Veränderungen noch erregbar und kontraktil geblieben sind. Eine bestimmte Entscheidung gestatten also auch diese Erfahrungen nicht. Für die muskuläre Fortpflanzung der Erregung spricht nach Engelmann* wiederum die Tatsache, daß die Leitung des motorischen Reizes von den Vor- höfen nach der Kammer durch die Kontraktion erschwert wird, indem jede wirksame Vorhofreizung, selbst wenn darauf keine Kammersystole aufgetreten ist, eine Vergrößerung des bei dem folgenden Herzschlag auftretenden Inter- valls zwischen Vorhof- und Kammersystole hervorruft. Diese Vergrößerung des Intervalls ist größer, wenn auch eine Kammerkontraktion infolge der Reizung aufgetreten ist, bleibt aber aus, wenn die Reizung keine nachweisbare Wirkung auf den Vorhof ausgeübt hat. 1 Brooks, Amer. journ. of physiol., 17, S. 218; 1906. 2 Schwarz, Aren. f. d. ges. Physiol., 119, S. 77; 1907. 3 Schwarz, ebenda, 120, S. 353; 1907. 4 Engelmann, ebenda, 56, S. 170; 1894. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 169 Das betreffende Intervall nimmt ferner mit abnehmender Dauer des Reiz- intervalls zu, bis unterhalb einer gewissen Dauer der auf einen wirksamen Reiz folgenden Pause die zweite Kontraktion sich überhaupt nicht mehr nach der anderen Herzabteilung fortpflanzt. Erst der dritte, vierte oder ein noch späterer Reiz findet das Leitungsvermögen wieder genügend hergestellt, um die Atrio- ventrikulargrenze überschreiten zu können.1 Ähnliche Versuche wurden von Engelmann an der durch einen Längsschnitt aufgeschlitzten Spitze des Froschherzens ausgeführt. Dabei zeigte es sich, daß auch hier im längeren Verlauf eines Versuches die Fortpflanzungsgeschwindigkeit regelmäßig, und schließlich sehr bedeutend, abnahm.2 Unmittelbar nach jeder Systole war an diesem Präparat die indirekte Er- regung überhaupt nicht möglich; umgekehrt trat die künstlich hervorgerufene Kontraktion um so früher auf, eine je längere Zeit, bis zu einer gewissen Grenze — beim frischen Präparat 2 Sekunden, bei weiter abgestorbenem oft erst 10 und mehr Sekunden — nach der früheren Reizung verstrichen war.3 Daß durch Veränderungen des Leitungsvermögens unter abnormen Ver- hältnissen Störungen der Herzbewegung hervorgerufen werden müssen, ist leicht ersichtlich. Wird z. B. das Herz nach einem ersten wirksamen Reiz von einem zweiten Reiz in einem Augenblick, wo das Leitungsvermögen in irgendwelchem Herzabschnitt noch nicht oder nicht völlig hergestellt ist, getroffen, so wird derselbe an der Kontraktion nicht teilnehmen können, usw.4 Wie Engelmann5 hervorhebt, lassen sich diese Erscheinungen nur schwer deuten, wenn die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz rein nervös er- folgte, denn wir besitzen gar keine Erfahrungen, laut welchen Nervenfasern des Frosches durch eine einzelne Reizwelle auch nur für eine Zehntelsekunde, geschweige denn für eine ganze Sekunde und länger ihres Leitungsvermögens beraubt werden könnten, wie ja beim Herzen geschehen müßte, wenn sich die Erregung nervös fortpflanzte. Dagegen können dieselben mit den Eigenschaften des Herzmuskels in Zusammenhang gebracht werden, da ja die temporäre Ab- nahme der Leitungsfähigkeit ihrerseits in irgendeiner Weise von der refraktären Periode des Herzens abhängig sein könnte. Hier kommt aber das Verhalten der in der betreffenden Richtung noch nicht untersuchten marklosen Nerven auch in Betracht. Hierher gehört noch die von Eckstein6 nachgewiesene Tatsache, daß die- jenigen Gebilde, welche die Erregungsleitung zwischen Vorhöfen und Kammer des Froschherzens vermitteln, sozusagen weniger flink sind als die Vorhöfe und die Kammer an und für sich. Wenn man nämlich bei allmählich gesteigerter Frequenz die Vorhöfe oder die Kammer reizt, so kommt man schließlich zu einer Frequenz, bei welcher der direkt gereizte Herzteil allerdings in Vollrhythmus reagiert, der durch die Leitung erregte aber nur in Halbrhythmus sich zusammen- zieht. Bei der Reizung der Vorhöfe kommt man also zu einer Frequenz, bei welcher die Kammer nur bei jeder zweiten Reizung erregt wird, während die 1 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 56, S. 178. 2 Engelmann, ebenda, 62, S. 549; 1896. 3 Engelmann, ebenda, 62, S. 550. 4 Vgl. die Ausführungen Engelmanns, ebenda, 62, S. 552. 5 Engelmann, ebenda, 62, S. 558. 6 Eckstein, ebenda, 157, S. 541 ; 1914. 170 Die Innervation des Herzens. Vorhöfe im Vollrhythmus schlagen. Macht man den umgekehrten Versuch und reizt also die Kammer direkt, so gelangt man gleichfalls zu einer Frequenz, wo die Kammer im Rhythmus der Reizung pulsiert, die Vorhöfe sich aber nur bei jeder zweiten Kammersystole kontrahieren. Die wesentliche Ursache dieser Erscheinung muß darin liegen, daß die Verbindungsbahn träger ist als die Vorhöfe und die Kammer. Wenn sie eine nervöse Leitung darstellte, hätte man indessen von vornherein das Entgegen- gesetzte erwartet. Diese Versuche sprechen also ziemlich bestimmt für eine muskuläre Fortpflanzung der Erregung durch das Herz, auch wenn wir berück- sichtigen, daß die Differenzen in der betreffenden Hinsicht zwischen den Übergangs- gebilden einerseits und den Vorhöfen und der Kammer andererseits nicht be- sonders groß sind (vgl. die entsprechenden Erscheinungen beim Säugetierherzen, § 60, S. 195). Als eine wichtige Stütze für die Lehre von der muskulären Reizübertragung ist auch folgender Versuch von F. B. Hofmann1 zu erwähnen. Wenn man ein Froschherz durch leichtes Quetschen des Vorhofs etwas geschädigt hat, so pflanzt sich dennoch die vom Sinus ausgehende Erregung über das ganze Herz fort. Reizt man aber dann den Vagus, so geht die Erregung, während der Dauer der Hemmungswirkung, nur noch vom Sinus bis zu der gequetschten Stelle und über diese nicht mehr hinaus. Wenn die Erregungsleitung durch ein Nervennetz erfolgte, müßte die Leit- fähigkeit desselben unter dem Einfluß der Hemmungsnerven just an der ge- schädigten Stelle temporär vernichtet worden sein, d. h. die Hemmungsfasern würden an den marklosen Nerven des Herzens endigen und sie in ihrer Leit- fähigkeit beeinflussen. Solche Nervenverbindungen sind aber nicht bekannt und daraus würde dann per exclusionem folgen, daß die Fortpflanzung der Er- regung muskulär stattfinden sollte. Auch diese Beweisführung ist aber nicht bindend, denn es liegt noch die Möglichkeit vor, daß durch die Reizung der Hemmungsnerven die Erregbarkeit des Herzmuskels am beschädigten Herzen so weit herabgesunken wäre, daß die normalen Herzreize nunmehr erfolglos geworden sind. Wenn das Schildkrötenherz an der Grenze zwischen Venensinus und Vorhof genügend stark abgeklemmt wird, so schlagen die abgetrennten Vorhöfe in einem eigenen, unabhängigen Rhythmus. Wird nun der Vagus gereizt, so kann es eintreffen, daß auch die Pulsationen der Vorhöfe ^langsamer werden. Trotz der Abklemmung ist also der Vagus der Zerstörung entgangen und kann seine Wirkung auf die Vorhöfe entfalten, während gleichzeitig der Einfluß derjenigen Gebilde, welche den Reiz vom Sinus auf den Vorhof übertragen, ausgeschaltet worden ist. Würden diese, die Fortpflanzung der Erregung besorgenden Ge- bilde in der Tat Nerven darstellen, so ist es nicht leicht zu verstehen, weshalb nicht auch sie bei der Abklemmung unversehrt geblieben wären. Es muß also die Erregung vom Sinus auf den Vorhof durch Muskelfasern übertragen werden (Garrey2). 1 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 72, S. 443; 1898; — Schmidts Jahrb. der ges. Medizin, 281, S. 118; 1904. 2 Garrey, Amer. journ. of physiol., 28, S. 249; 1911. Am Aalherzen hat Roskarn, Arch. intern, de physiol., 15, S. 136, entsprechende Beobachtungen gemacht. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 171 Für die muskuläre Fortpflanzung der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammer spricht endlich die Angabe Bonds1, daß man beim eröffneten, langsam schlagenden Froschherzen die Kontraktionen des Übergangsbündels, zwischen denen der Vorhöfe und der Kammer eingeschaltet, beobachten kann. v. Skramlik2 ist es sogar gelungen, dieselben mechanisch zu registrieren. Für die Beurteilung der Art und Weise, wie die Erregung von dem einen Abschnitt des Herzens zum anderen übertragen wird, bietet es auch ein gewisses Interesse, wie sich der Reiz innerhalb eines und desselben Abschnittes ausbreitet. Bei der durch künstliche Reizung des Vorhofes oder des Trichters hervor- gerufenen Kammersystole kontrahiert sich die Spitze der Kammer vor der Basis, und es ist daher gut möglich, daß dies auch unter normalen Bedingungen der Fall ist (v. Skramlik21). Durch kreuz und quer gelegte Schnitte zerteilte Engelmann* die Kammer des Froschherzens in Stückchen, welche nur mittels schmaler Brücken unter- einander zusammenhingen. Gleichgültig, wo er auch eine Reizung anbrachte, pflanzte sich diese auf alle übrigen Stückchen fort. Dieser Versuch ist aber nicht eindeutig, dehn da die Muskelfasern so reichlich mit Nerven übersponnen sind, können diese ebensogut wie jene trotz aller Durch- schneidungen den Übergang von dem einen Teilchen auf das andere vermitteln. Unter den zahlreichen Beobachtungen und Versuchen, deren Resultate ich hier zusammengestellt habe, finden sich nur wenige, welche nicht ebensogut nach der einen wie nach der anderen Auffassung sich erklären ließen. Die soeben erwähnte, von Garrey gefundene Tatsache, daß die Abklemmung der Vorhofwand die Reizübertragung vom Sinus auf den Vorhof aufhebt, gleich- zeitig aber die Vaguswirkung bestehen läßt, kann indessen, wie es scheint, nur in einer Weise und zwar als Ausdruck einer muskulären Fortpflanzung der Erregung gedeutet werden. Auch die scheinbar für die nervöse Hypothese sprechenden Erfahrungen über Erregungsfortpflanzung durch die stillstehenden Vorhöfe können mit der muskulären vereinbart werden, denn es ist doch nicht ausgeschlossen, daß das Verbindungsbündel zwischen den Vorhöfen und der Kammer trotz allerhand Eingriffen unversehrt und leistungsfähig geblieben ist, ohne daß dessen Kon- traktion sich außen kundgibt. Es muß indessen zugegeben werden, daß keine tatsächliche Beobachtung als Stütze für diese Annahme zitiert werden kann. c) Die Aufhebung der Reizübertragung von den Vorhöfen auf die Kammer (Herzblock). Es erübrigt, die oben nur kurz gestreiften Koordinationsstörungen, welche bei allmählicher Verengerung der Verbindungsbrücke zwischen den Vorhöfen und der Kammer erscheinen, etwas näher zu besprechen. Das Charakteristische für diese Überleitungsstörungen liegt darin, daß entweder bei sonst stattfindender Isochrome eine Kammerpulsation ausfällt 1 Bond, Heart, 4, S. 1 ; 1912. 2 v. Skramlik, Arch. f. d. ges. Physiol., 184, S. 47; 1920. 3 v. Skramlik, ebenda, 184, S. 50. 4 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 11, S. 466; 1875. 172 Die Innervation des Herzens. oder daß die Kammer nur auf jede zweite oder dritte oder vierte Sinuskontraktion mit einer Systole reagiert (partieller Block). Wird die Reizübertragung noch mehr gestört, so schlagen Sinus und Kammer ganz unabhängig voneinander: Der Block ist vollständig. H s G 7 S 9 ?v w IM i tu (II Fig. 212. Herzblock beim Schildkrötenherzen. Nach Laurens. Die oberste Kurve stellt die Kontraktionen des Vorhofes, die mittlere die der Kammer dar. Die unterste Linie gibt die Zeit (Sekunden) an. Von links nach rechts zu lesen. Vom ersten Typus des partiellen Blockes gibt Fig. 212 ein Beispiel. Hier ist wegen der Verengerung der Verbindungsbrücke die Übertragungszeit immer länger geworden, bis schließlich eine Kammersystole (in 4, 8, 13, 18) ausbleibt. Während der Pause erholt sich die Kammer bzw. die Verbindungs- brücke, und nun wird eine Zeit- lang jede Kontraktion der Vorhöfe von einer der Kammer gefolgt, bis eine Kammersystole wieder wegfällt. Allmählich verbessert sich der Zustand immer mehr, und nach der 18. Vorhofsystole ist die Isochrome zwischen den Vorhöfen und der Kammer aufs neue hergestellt (Laurens1). Dieselbe Erscheinung wurde bei künstlicher Reizung des un- versehrten Froschherzens von Engelmann2 beobachtet und von ihm auf die schon oben (II, S. 169) erwähnte Tatsache, daß die Reizübertragung vom Vorhof auf die Kammer nach jeder Systole eine Zeitlang erschwert und verlangsamt ist, bezogen. Falls die Dauer der Reizperiode nicht länger ist als zur völligen Wiederherstellung des Leitungsvermögens nötig, wächst die Dauer des Intervalls zwischen der Vorhof- und der Kammersystole mit der Zahl der Fig. 213. Partieller Block beim Schildkrötenherzen. Nach Laurens. 1 Laurens, Amer. journ. of physiol., 42, S. 96; 1916. - Engelmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 59, S. 178; 1894. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 173 Reize, bis schließlich einmal gar keine Leitung mehr erfolgt und eine Kammer- pulsation ausbleibt. Wegen der längeren Ruhezeit erholt sich dann das Über- tragungsvermögen und die Isochronie zwischen Vorhof und Kammer kommt wieder eine Zeitlang zum Vorschein. Als Beispiel eines partiellen Blockes vom zweiten Typus sei auf Fig. 213 verwiesen. Hier macht die Kammer anfangs eine Pulsation auf je vier (Nr. 1 bis 8) und dann eine (Nr. 9 — 19) auf je zwei Vorhofpulsationen.1 Bei diesem Typus stellt die Zahl der Vorhofkontraktionen immer ein Mul- tipel der gleichzeitig ausgeführten Kammerkontraktionen dar. Nach Gaskell2, dem sich mehrere andere Autoren angeschlossen haben, hängt dies damit zusammen, daß die durch die Verbindungsbrücke fortgepflanzte, nach der Kammer gelangte Reizung an und für sich zu schwach ist, um jedesmal eine Kontraktion daselbst auszulösen. Da aber (vgl. oben II, S. 48) schon eine erfolglose Reizung die Erregbarkeit der Kammer erhöhen kann, wird sie durch je zwei, drei oder mehrere vom Sinus ausgehende Reizungen schließlich so ge- steigert, daß der ankommende Reiz eine Kammersystole auslöst. Nach dieser ist die Erregbarkeit wieder herabgesunken, und der hier geschilderte Vorgang wiederholt sich, bis eine neue Systole erscheint, usw. Es kann aber auch der Fall eintreffen, daß die Erregbarkeitssteigerung so groß wird, daß sich die Kammer schon nach jeder zweiten und schließlich nach jeder Sinussystole kontrahiert, daß also die ursprüngliche Koordination der verschiedenen Herzabschnitte wieder hergestellt ist. Eine neue Verengerung der verbindenden Brücke ruft dann den Block wieder hervor, indem die Kammer nunmehr nur bei jeder zweiten oder dritten usw. Vorhofsystole sich kontrahiert.3 Wie v. Kries4 durch eine eingehende Analyse gezeigt hat, bietet diese Er- klärungsweise indessen vielerlei Schwierigkeiten dar, und er selber weist zur Deutung der Blockerscheinungen auf die bei den Überleitungsstörungen auf- tretenden Änderungen des Kontraktionsablaufs in dem distalwärts von der blockierten Stelle gelegenen Herzteile hin. Die Art und Weise dieser Änderungen sind aus Fig. 214 ersichtlich, a stellt die normalen Kammerkontraktionen dar, b und c dieselben nach Kompression in der Atrioventrikularfurche; b sind zwei spontane Systolen, c zwei durch mecha- nische Reizung ausgelöste Kontraktionen.5 Die Kontraktionen verlaufen in b erheblich gestreckter als in a, und es findet hier eine Art von Plateaubildung statt, die auf eine Verzögerung derjenigen Vorgänge hinweist, die für den Rück- gang in den diastolischen Zustand erforderlich sind. Da die künstlich hervor- gerufenen Kontraktionen c mit den spontanen b genau übereinstimmen, kann die Kompression in der Atrioventrikulargrenze an und für sich nicht die Ursache der Veränderung darstellen. Hieraus folgt, daß die Erscheinung des partiellen Blockes nicht ausschließlich wenigstens in der Einengung der Leitungsbahn ihren Grund haben kann, sondern 1 Laurens, Amer. journ. of physiol., 42, S. 103. 2 Gaskell, Philos. transact., 1882 (3), S. 999. 3 Vgl. auch Erlanger, Amer. journ. of physiol., 16, S. 182; 1906. 4 v. Kries, Skand. Arch. f. Physiol., 29, S. 84; 1913. 5 Die der Systole vorausgehende Zacke entspricht der durch den mechanischen Reiz ausgelösten Hebelbewegung. 174 Die Innervation des Herzens. daß jedenfalls auch eine funktionelle^Vlodifikation der noch vorhandenen leitenden Elemente, der geschädigten selbst und der ihnen benachbarten, vorhanden ist. In gewissem Anschluß an diese Auffassung drückt Laurens1 diese in der Weise aus, daß die Beschädigung der zurückgebliebenen Verbindungsfasern ihre Fähigkeit, Reize zu empfangen und fortzupflanzen, vermindert und daß infolgedessen die Stärke der Reizung herabgesetzt wird, bis endlich keine Im- pulse auf die Kammer übertragen werden. Die Kammer steht dann still, nicht weil die Impulse zu schwach sind, sondern weil sie dieselbe überhaupt nicht mehr erreichen. Über die Ausbreitung der Erregung im Herzen stellt sich v. Kries als wahr- scheinlich vor, daß dieselbe, selbst wenn sie von einem einzelnen kleinsten Element ausgeht, sich im Herzen in unbegrenzter Weise auf größere und größere Faser- zahlen ausbreiten kann (unbeschränkte Auxomerie). Wenn dem so ist, Fig. 214. Kompressionsversuch am Frosehherzen. Nach v. Kries. Erklärung im Texte. Von links nach rechts zu lesen. würde die Breite der noch vorhandenen Leitungsbahn für die Auslösung der Kontraktionen im distalen Herzteil überhaupt belanglos sein. Es könnte aber auch der Fall sein, daß keine unbeschränkte Auxomerie vorhanden wäre und also ein einzelnes Element zur Erregung eines Fasergebietes nicht genügte, sondern daß hierzu eine nicht zu kleine Anzahl von Elementen notwendig wäre und bei der Kontraktion einer Herzabteilung eine größere Zahl von leitenden Elementen zusammenwirken müßte (örtliche Summation). Die Erscheinungen des par- tiellen Blockes würden dann zum Teil darauf zurückzuführen sein, daß bei der Einengung des Verbindungsbündels sowohl eine örtliche Summation als auch eine Summation zeitlich weit auseinander liegender Anstöße stattfinden würde — was v. Kries als sehr unwahrscheinlich bezeichnet. 1 Laurens, a. a. O., 42, S. 108; 1916. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 175 Die vollständige Deutung des partiellen Blockes nach Einengung der Leitungs- bahn bietet daher noch ganz erhebliche Schwierigkeiten dar. Einen partiellen Block anderer Art hat Gaskell1 durch isolierte Erwärmung des Venensinus hergestellt, indem dabei dessen Frequenz zwei- vier-, usw. -mal größer als die der Kammer war. Die Ursache des Blockes liegt hier ganz klar: Die träger bewegliche, kältere Kammer bzw. das Verbindungsbündel vermochte, wegen der längeren refraktären Periode, den Bewegungen des schnell pulsierenden, wärmeren Sinus nicht zu folgen. Die nähere Untersuchung dieser Erscheinung, wo außerdem noch die Kammer künstlich abgekühlt und also eine noch größere Differenz zwischen dem zeit- lichen Ablauf der Sinus- und der Kammerkontraktionen hergestellt wurde, hat ergeben, daß es hierbei sehr leicht gelingt, der Kammer die halbe, oder ein Viertel oder selbst ein Achtel der Vorhoffrequenz zu erteilen, während dagegen die Einstellung auf ein Drittel, ein Fünftel, ein Sechstel, ein Siebentel niemals in befriedigender Weise erzielt werden kann (Fleischer2). Fig. 215. Untere Kurve Vorhof-, obere Kammerschläge. Nach v. Kries. Aufeinander- folgend Gleich-, Halb-, Viertel- und Achtelfrequenz. Von links nach rechts zu lesen. Um dieses eigentümliche Verhalten näher aufzuklären, wiederholte v. Kries3 die Versuche in der Weise, daß bei erwärmtem Vorhof die Abkühlung auf eine schmale Zone an der Atrioventrikulargrenze beschränkt wurde. Hierbei zeigte es sich, daß bei einer ganz allmählichen Variierung der Tem- peratur die Frequenz der Kammerkontraktionen plötzlich und sprungweise, d. h. ohne Vermittlung von Zwischenstufen, höchstens etwa mit Einschiebung eines oder zweier überhaupt aus der Reihe fallender Schläge, auf ein Halbes, ein Viertel, ein Achtel der Vorhoffrequenz überging (Fig. 215). Bei aufgehobener Abkühlung in der Atrioventrikularfurche verdoppelten sich die Kammerschläge sprungweise, bis sie die Frequenz der Vorhofpulsationen erreicht hatten. Zur Deutung dieser Erscheinung hat v. Kries folgende Anschauung ent- wickelt. Nehmen wir an, es sei der wärmste Teil des Herzens derjenige, von dem die Erregungsanstöße ausgehen, etwa in der Zahl n pro Minute. Indem wir uns nun von ihm in der Richtung der normalen Erregungsleitung entfernen, werden wir zunächst auf benachbarte Teile stoßen, deren Temperatur etwas, 1 Gaskell, Philos. transact., 1882 (3), S. 993. 2 Vgl. v. Kries, Aren. d. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 478. 3 v. Kries, ebenda, 1902, S. 479. 176 Die Innervation des Herzens. aber noch nicht sehr viel tiefer liegt, und die daher n/2 Kontraktionen in der Minute ausführen werden. Gehen wir nun weiter, so stoßen wir natürlich auf Teile, die ihrer eigenen Temperatur nach imstande wären, n/3 Systolen pro Minute auszuführen. Sie stehen aber nicht mit denjenigen Teilen, die die n Reiz- anstöße aussenden, in direkter Verbindung, sondern nur durch Vermittlung solcher, die auf die Schlagzahl n/2 eingestellt sind. Geht diese Frequenz über ihre Leistungsfähigkeit hinaus, so können sie sich nur auf die Hälfte derselben, d. h. auf n/4, einstellen. Zwischen benachbarten Teilen kann also kein anderes Verhältnis als das der Gleich- oder der Halbfrequenz bestehen; Viertel- und Achtelfrequenz werden danach aufzufassen sein als eine Reihe hintereinander geschalteter Halbierungen.1 Auch an der Kammer an und für sich hat v. Kries die ähnliche Erscheinung nachweisen können, indem er die Abkühlung einige Millimeter unterhalb der Atrioventrikulargrenze legte. Er fand dabei, daß die Frequenz des oberen, dem Vorhof näheren Teiles zwei- oder viermal so groß wie die des unteren Teiles war.2 Fig. 216. Periodenbildung. Nach v. Kries. Die Kammer läßt anfangs jeden dritten, dann jeden vierten, fünften usw. Schlag ausfallen. Bei dem Schildkrötenherzen hat indessen Polimanti bei gleichzeitiger Erwärmung des Sinus und des Vorhofes und Abkühlung der ganzen Kammer, nicht nur der Atrio- ventrikulargrenze, ebenso leicht einen Rhythmus 1 : 3 als einen Rhythmus 1 : 2 usw. erhalten können.3 Es kann auch vorkommen, daß die Kammer wegen der Abkühlung in der Atrioventrikulargrenze nicht imstande ist, auf jeden Vorhofschlag zu antworten, sich aber dabei nicht sogleich auf Halbfrequenz einstellt; er schlägt vielmehr anscheinend isorhythmisch, läßt aber jeden dritten oder vierten usw. Schlag ausfallen (vgl. Fig. 216). Dies dürfte, nach v. Kries, in folgender Weise erklärt werden können. Wenn z. B. nach der vierten Systole einer Periode die folgende ausfällt, während nach der ersten, zweiten und dritten jeweils die folgende ausgeführt wird, so muß, in jenem vierten Schlage der Reizanstoß in ein etwas früheres Stadium der Systole 1 v. Kries, ebenda, 1902, S. 483; — Arch. f. d. ges. Physiol., 159, S. 27; 1914; ferner Samojloff, Arch. f. Anat. u. Physiol, physiol. Abt., 1907, Suppl., S. 29. 2 v. Kries, ebenda, 1902, S. 485. 3 Polimanti, Journal de Physiologie, 1906, S. 777. vgl. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Her/. 177 lallen, als in den vorangehenden, wie dies in Fig. 217 unter der Annahme, dal.» der Antrieb von dem Vorhofe aus nicht vollständig momentan ist, sondern eine gewisse Dauer hat, schematisch dargestellt ist; hier bezeichnet a den Punkt, in welchem die Kammer wieder für die vom Vorhof kommende Reizung emp- fänglich ist und ß die Dauer des Reizanstoßes. Wie ersichtlich, führt diese Erklärung auf die Annahme, daß nicht allein die sich kontrahierenden Teile, sondern auch die reizleitenden Teile des Herzens eine refraktäre Periode haben. Wenn die Reizleitimg muskulär erfolgte, ist das Resultat ohne weiteres verständlich, denn wie der Herzmuskel auch sonst bei der Abkühlung und dem davon bedingten ausgedehnten Kontraktionsverlauf eine länger dauernde Systole und also auch eine länger dauernde refraktäre Periode hat, muß dies ja auch mit denjenigen Muskelbündeln der Fall sein, welche die Erregung vom Vorhof auf Fig. 217. Schema zur Erklärung des Ausfalles einzelner Kainmersystoleii beim spontan schlagenden Froschherzen. Nacli v. Kn'es. et, Beginn der erregbaren Periode; ß, Dauer des Reizanstoßees. #■ die Kammer übertragen. Wenn dagegen diese Übertragung durch Nervenelemente stattfinden würde, muß man diesen die gleichen Eigenschaften zuschreiben. Diese Erfahrungen sprechen also gewissermaßen dafür, daß die Erregung durch das Herz muskulär fortgepflanzt wird.1 d) Das zeitliche Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammersystole. Da die Kammersystole erst dann beginnt, wenn die Systole der Vorhole wenigstens das Maximum überschritten hat, muß die Erregung während ihrer Fortpflanzung durch das Herz beim Übergang von den Vorhöfen auf die Kammer eine Verzögerung erleiden. Wenn die Fortpflanzung der Erregung auf nervösem Wege erfolgt, erklärt sich diese Verzögerung dadurch, daß die Erregung die Ganglienzellen an der Atrioventrikulargrenze, bzw. im obersten Teile der Kammer zu passieren hat, denn die Ganglienzellen haben ja im allgemeinen die Eigenschaft, die Fort- pflanzung der Erregung in einem gewissen Grade zu verzögern. Ohne Auf- stellung spezieller Hilfshypothesen kann also das betreffende Intervall im An- schluß an die neurogene Lehre vom Ursprung des Herzschlages gedeutet werden. Vom Standpunkte seiner myogenen Auffassung sucht Gaskell2 das betreffende Intervall in der Weise zu deuten, daß die von ihm angenommenen zirkulär ver- 1 Über die Erklärung der in einzelnen Fällen, insbesondere bei den Säugetieren auftretenden Reaktion der Herzkammern auf unpaarige Anstöße vom Sinus her, vgl. v. Krics, Arch. f. d. ges. Physiol., 159, S. 27; 1914. 2 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 72; 1883; — vgl. v. Skramlik, Arch. f. d. ges. Physiol., 184, S. 4. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 12 178 Die Innervation des Heizens. laufenden Muskelfasern, welche die Grenze zwischen Vorhof und Kammer bilden, weniger differenziert sind als die, welche die Wände der Vorhöfe und der Kammer bilden; sie leiten die Erregung langsamer als die übrigen Herzmuskelfasern fort und rufen also eine Verzögerung beim Übergang der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammer hervor. Selbst wenn solche Fasern zirkulär um das Ostium herum laufen, ist doch die Annahme, daß sie die Erregung langsamer als die übrige Herzmuskulatur leiten, eine ganz willkürliche Hypothese. Die myogene Hypothese stößt also hier auf eine wesentliche Schwierigkeit, die noch nicht gelöst ist. Es wäre in- dessen nicht unmöglich, daß das Verbindungsbündel sich weiter, als dies nach den vorhandenen Beschreibungen erscheint, in die Kammer erstreckte, und daß die Erregung dasselbe in dessen ganzer Länge durchlaufen müßte, bevor sie auf die eigentliche Kammermuskulatur überginge. Durch diese Annahme würde die Verspätung der Kammersystole unschwer gedeutet werden können und das Verhalten des Kaltblüterherzens in dieser Hinsicht mit dem des Warm- blüterherzens eine nahe Übereinstimmung darbieten.1 a—~ ■M § 59. Die Vögel. Als Verbindungsbündel im Vogelherzen erwähnen Keith und Flack2 ein ver- hältnismäßig breites Muskelbündel an der Basis der Vorhofscheidewand (Sper- ling, Goldfink). Bei der Taube fand Mackenzie3 zwischen dem rechten Vorhof und der rechten Kammer spärliche Muskel- verbindungen gewöhnlicher Art, und As/20//4 faßt seine Erfahrungen über diesen Gegenstand darin zusammen , daß die Verbindungen, welche keine spezifische Struktur zeigen, auf wenige Stränge an der lateralen und medialen Seite des rechten Vorhofs beschränkt sind. Durch eingehende Untersuchungen an Hühner- und Taubenherzen ist Külbs5 zu dem Resultat gekommen (vgl. Fig. 218), daß das Überleitungssystem dadurch dar- gestellt wird, daß an der Hinterseite des Herzens die Vorhöfe in Form zweier Halb- rinnen a in die Kammern sich hineinsenken und bald direkt in die Muskulatur über- gehen. Dort, wo die beiden Halbrinnen oben aufeinanderstoßen, entspringt aus ihnen ein besonderer Zapfen b, der das Bindegewebe, welches Vorhof- vom Fig. 218. Schematischer Frontalschnitt durch das Vogelherz. Nach Kalbs. 1 Vgl. Lewis, Philos. transact., 207, B, S. 236; 1916; — Laurens, Amer. journ. of physiol,, 42, S. 95; 1916. 2 Keith und Flack, Journ. of anat. and physiol., 41, S. 188; 1907. 3 Mackenzie, British med. journ., 1910 (2), S. 1162; — Zentralbl. f. allg. Pathol., 21, Erg.-Heft, S. 94; 1910. 4 Ashoff, Zentralbl. f. allg. Pathol., 21, S. 6; 1910. 5 Külbs, Zeitschr. f. exp. Pathol., 11, S. 61; 1912; — Das Reizleitungssystem, S. 5. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Her/.. 179 Kammerseptum trennt, durchbricht und, schräg von hinten nach vorn und unten verlaufend, in die Muskulatur des Kanimerseptums sich einsenkt. Nach Mackenzie1 würde dagegen (beim Herzen der Gans) das Verbindungs- bündel einfach vom rechten Vorhof zur rechten Kammer laufen. Histologisch unterscheidet sich das Verbindungsbündel in dem Anfangs- teil nicht nennenswert von der übrigen Muskulatur. Der Übergang in der Tiefe der Kammern gestaltet sich besonders kompliziert dadurch, daß die Ausläufer oft eine eigentümliche Struktur annehmen, die der Struktur der im folgenden Paragraphen (II, 186) näher zu besprechenden Purkinjeschen Fäden sehr ähn- lich ist. Daß solche Fasern im Taubenherzen vorkommen, wurde von Obermeier2, H. K. Hofmann3 und Tawara* angegeben. Nach Külbs5 breiten sie sich im Hülmerherzen subendokardial über beide Kammern aus und lassen sich bis etwa über die Mitte der Kammern hinaus verfolgen. Hier und da sieht man eine Zellenreihe, sich umbiegend, in der Kammermuskulatur verschwinden, hier und da begleitet eine Zellenreihe ein großes Gefäß auf eine kurze Strecke. — Beim Taubenherzen scheinen die Purkinje sehen Fäden reichlicher vorhanden zu sein als beim Hühnerherzen und sind bis in das mittlere Drittel der Kammern nachweisbar. Demgegenüber haben Mackenzie und Robertson6 im Vogelherzen nur regel- los zerstreute, die Blutgefäße begleitende Purkinjesche Fasern, welche nicht vom Vorhofe auf die Kammer übergehen, gesehen, und Lelinert7 wie Frisch* haben daselbst vergeblich nach solchen gesucht. Die Abbindung des Verbindungsbündels durch eine Ligatur um den hinteren Teil der Herzwand in der Atrioventrikularfurche bewirkt nach Flack9 eine Dis- soziation des Rhythmus der Vorhöfe und der Kammern. Dieses Resultat stellt um so mehr einen Beweis dafür dar, daß diese Stelle für die Reizübertragung notwendig ist, als eine an anderen Stellen der Atrioventrikularfurche angelegte Ligatur keine Allorhythmie verursacht. Entsprechende Versuche von Mangold und Kato10 am Hühnerherzen ergaben, daß eine andauernde Dissoziation zwischen den Vorhöfen und den Kammern nur erzielt wurde, wenn die Ligatur neben dem oberen Teile der Kammerscheide- wand auch einen ziemlich großen Teil der Basis der Muskelklappe am rechten atrioventrikulären Ostium umfaßte. Dagegen traten bei der Abbindimg zwischen dem linken Vorhof und der linken Kammer keine Störungen im Herzrhythmus auf. Bei den unterhalb der atrioventrikulären Grenze fallenden Durchschneidungen genügten zur vollkommenen Dissoziation Verletzungen rechts im dorsalen Teile der Kammerscheidewand und links unterhalb der Aortaklappe. 1 Mackenzie, 17. intern, med. Kongreß 1913. 2 Obermeier, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1867, S. 254, 358. 3 H. K. Hofmann, Zeitschr. f. wiss. Zool., 71, S. 486; 1902. 4 Tawara, Das Reizleitungssystem des Säugetierherzens. Jena 1906, S. 157. 5 Külbs, Zeitschr. f. exper. Pathol., 11, S. 64, 65; 1912. 6 Mackenzie und Robertson, British med. journ., 1910 (2), S. 1162. 7 Lehnen, Arch. f. mikr. Anat., 4, S. 29; 1868. 8 Frisch, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 60 (2), S. 347; 1869. 9 Flack, Arch. intern, de physiol., 11, S. 123; 1912. 10 Mangold, Die Erregungsleitung im Wirbeltierherzen. Jena 1914, S. 27; — Mangold und Kato, Arch. f. d. ges. Physiol., 160, S. 91; 1914. 12* 180 Die Innervation des Herzens. Nach diesen Versuchen würden sich also die Leitiingsbahnen in der Höhe der Atrioventrikulargrenze zu einem Bündel sammeln, dessen Hauptschcnkel in der rechten Kammer am Septum hinabzieht, während ein zweiter nach links perforiert und hier die Erregungsleitung vermittelt. Wie die Autoren selber hervorheben, stimmen ihre Resultate besser mit den anatomischen Befunden von Mackenzie als mit denen von Külbs überein. Die im rechten Vorhof an der Mündung der Hohlvenen beginnende Kon- traktion des Herzens verbreitet sich von dort in etwa 0,01 — 0,02 Sekunde auf den linken Vorhof. Nach etwa 0,07 — 0,15 Sekunde fängt dann die Systole der linken Kammer und etwas später die der rechten Kammer an. In jeder Kammer kontrahiert sich die Spitze vor der Basis (FirkeO). § 60. Die Säugetiere. Lange Zeit hindurch war die Angabe von Donders2, daß bei den Säugetieren die Muskulatur der Vorhöfe von der der Kammern vollständig getrennt war, unbedingt herrschend. Die Fortpflanzung der Erregung von jenen auf diese mußte daher entweder auf nervösem Wege oder auch durch gewisse mechanische Veränderungen in den Kammern, welche von den Vorhofkontraktionen hervor- gerufen wurden, stattfinden. Unter den hier in Betracht kommenden mechanischen Einwirkungen er- örterte Mac William3 das Füllen der Kammern mit Blut durch die Zusammen- ziehung der Vorhöfe, sowie die Spannung der Sehnenfäden bei dem Aufheben der Atrioventrikularklappen durch die Muskeln, welche von den Vorhöfen auf sie übergehen. Er kam indessen zu der Erkenntnis, daß keine von diesen eine befriedigende Erklärung geben konnte. Auch lagen schon damals Erfahrungen vor, welche zeigten, daß die normale Aufeinanderfolge der Kontraktionen in den einzelnen Herzabteilungen nicht auf solche mechanischen Vorgänge zurückgeführt werden konnte. Im Institut von Ludwig hatten nämlich Wooldridge1 und R. TigerstedV' nachgewiesen, daß bei der vollständigen Abtrennung des physiologischen Zu- sammenhanges zwischen den Vorhöfen und den Kammern diese allerdings ohne jede Unterbrechung ihre Tätigkeit fortsetzten, dabei aber in einem von den Vorhofkontraktionen völlig unabhängigen, selbständigen Rhythmus schlugen. Dann konnten ja die durch die Bewegungen der Vorhöfe hergestellten, mecha- nischen Veränderungen nicht die Ursache der Kammerkontraktionen darstellen, und es mußte daher unter normalen Verhältnissen muskuläre oder nervöse Kontinuität zwischen beiden bestehen.6 Den damals herrschenden Ansichten gemäß konnte diese Kontinuität nur durch Nerven stattfinden. 1 Firket, Aren, intern, de physiol., 12, S. 22; 1912. 2 Donders, Onderzoekingen ged. in het physiol. Laborat. d. Utrechtsche Hoogeschool, III— IV (1), S. 249; 1852. 3 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 188; 1888. 4 Wooldridge, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1883, S. 522. 5 R. Tigerstedt, ebenda, 1884, S. 497. 6 Vgl. Lewis, Der Mechanismus der Herzaktion. Wien 1912, S. 3. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Her/. 181 Allerdings hatte Paladino1 behauptet, daß die Vorhof muskiilatur nicht bei den fibrokartilaginösen Ringen endet, sondern größtenteils in die Kannner- wand und die Papillarniuskeln weitergeht. Diese Angaben hatten indessen keine weitere Berücksichtigung gefunden. Dann erschienen im Jahre 1893 zwei Arbeiten, die eine von Kent, die andere von His jun., wo das Vorhandensein von Muskelbrücken zwischen den Vorhöfen und den Kammern entschieden vertreten wurde. Seitdem ist die Frage nach der muskulären Verbindung der einzelnen Herzabteiltmgcn mit großem Erfolg immer wieder bearbeitet worden. a) Anatomische Erfahrungen über die muskuläre Verbindung der Vorhöfe und der Kammern. Kent2 beobachtete beim Herzen neugeborener Ratten reichliche muskuläre Verbindungen zwischen den Vorhöfen und den Kammern. Bei der weiteren Entwicklung des Tieres wurden diese durch Bindegewebe in großem Umfange verdrängt, aber selbst beim erwachsenen Tiere blieb ein scharf markiertes Muskel- band zurück, welches sowohl rechts als links und in der Scheidewand von den Vorhöfen auf die Kammern überging. Im Septum ventriculorum dringt das Bindegewebe von den atrioventrikulären Klappen verhältnismäßig wenig tief in die Muskulatur hinein, und in deren tieferen Schichten verlaufen daher die Muskelfasern ununterbrochen vom Vorhof zur Kammer. Dasselbe ist auch der Fall dort, wo der rechte Vorhof in die rechte Kammer übergeht. Auch bei den übrigen von ihm untersuchten Tierarten — Kaninchen, Meer- schweinchen, Katze, Hund und Affe — konnte Kent entsprechende Muskel- brücken nachweisen, es fanden sich aber große Differenzen in bezug auf die Zahl der Muskelfasern, die von der einen Herzabteilung auf die andere über- gingen, sowie hinsichtlich der Art und Weise, wie die Verbindung tatsächlich stattfand. Außerdem beschrieb Kent insbesondere beim Affenherzen ein zwischen dem eigentlichen Muskel und dem Bindegewebe liegendes, aus spindelförmigen, kernhaltigen, granulierten, oft quergestreiften Zellen bestehendes Verbindungs- system, das ein gut entwickeltes Netzwerk bildete und seiner histologischen Beschaffenheit nach etwa zwischen dem gewöhnlichen Herzmuskelgewebe und der glatten Muskulatur stand. Später ist Kent* auf diese Frage wieder zurückgekommen und hebt nochmals heRvor, daß die laterale Wand des rechten Vorhofs mit der lateralen Wand der 1 Paladino, Contribuzione all' anatomia, istologia e fisiologia del cuore. Napoli 1870; zit. nach Jahresber. d. Anat. u. Physiol., 5(1), S. 251. Nach Paladinus eigener Angabe (Arch. ital. de biol. 53, S. 47; 1910) bestand sein damaliger Befund im folgenden. Das Myokard der Vorhöfe erstreckt sich bis auf Va oder Va der Kuspidalklappen und bis auf den freien Rand der kleinen Klappenzipfel. Seinerseits entsendet das Kammermyokard an seiner Basis Muskel- bündel, welche sich umbiegen und an der peripheren oder inneren Oberfläche der Atrioventri- kularklappen inserieren, usw. - Kent, Journ. of physiol., 14, S. 233; 1893; — vorl. Mitt., ebenda, 14, proc. of the Physiol. soc. 12. Nov. 1892. 3 Kent, Journ. of physiol., 47, proc, S. 17; 1913; — 48, proc, S. 22, 57, 03; 1914; - Quart, journ. of physiol., 7, S. 193; 1914; — vgl. auch Tawara, Das Reizleitungssyslein, S. 0. 182 Die Innervation des Herzens. rechten Kammer durch spezifisches Muskelgewebe verbunden ist, und daß das- selbe beim Menschen eine von Bindegewebe begrenzte Säule von 3 mm Länge und 0,5 mm Durchmesser bildet.1 Die Arbeiten Kents sind nur wenig beachtet worden, weil die kurz nachher von His jun. gegebene Darstellung des Verbindungsbündels wesentlich richtiger erschien. Bei seiner Darstellung des Verbindungsbündels geht His von den ursprüng- lichen, phylogenetischen und ontogenetischen Zuständen des Herzens aus, wie sie das Froschherz und die Herzen junger Embryonen darbieten.2 Durch die bekannte schleifenförmige Krümmung des ursprünglichen Herz- schlauches, durch das Auswachsen der Herzohren aus dem hinteren Schenkel der Schleife und durch die Ausbildung des Canalis auricularis zwischen dem ersten und zweiten Bogen der schleifenförmigen Anlage ist die Sonderimg des Vorhofteiles vom Kammeranteil gegeben. Eine Scheidewand fehlt im Herzen noch ganz. Für die weitere Entwicklung gewinnt nun die Einstülpung des Canalis auricularis in die Kammer und seine in der letzteren hineinragende trichter- förmige Umschlagsfalte eine hervorragende Bedeutung. Zwischen die beiden Blätter der Falte wächst vom Epikard her Bindegewebe ein, das indessen in dem frühesten Stadium die Kontinuität der Muskulatur an ihrer Umschlagsstelle nicht alteriert. Weiterhin aber trennt das Bindegewebe völlig die beiden Schichten der Muskulatur, von denen die äußere nun mit der Wand der Kammer verschmilzt und später nicht mehr nachweisbar ist, während die innere sich der Innenfläche der Kammer anlegt, wo sie in die Trabekel übergeht und so eine sekundäre Muskelverbindung zwischen Vorhof und Kammer herstellt. Dieser Zustand der Atrioventrikulargrenze erhält sich dauernd bei Amphibien und Reptilien, während er bei Säugetieren nicht zur Ausbildung kommt, da bei letzteren der eingestülpte Canalis auricularis frühzeitig eine anderweitige Umbildung erfährt. Für das Säugetierherz beschreibt His dann ein konstantes Muskelbündel von folgendem Verlauf. Es entspringt an der Hinterwand des rechten Vorhofs, nahe der Vorhofscheidewand, in der Atrioventrikularfurche, legt sich der oberen Kante des Kammerscheidewandmuskels unter mehrfachem Faseraustausch an, zieht auf demselben nach vorn, bis es, nahe der Aorta, sich in einen rechten und linken Schenkel gabelt, welch letzterer in der Basis des Aortenzipfels der Mi- tralis endigt. Trotz dem regen Interesse, das die Fragen nach der Ursache des Herzschlages und nach der Art der Erregungsfortpflanzung im Herzen gerade zu dieser Zeit erweckten, dauerte es merkwürdigerweise noch 10 Jahre, bis die muskuläre Verbindung zwischen Vorhof und Kammer beim Säugetierherzen Gegenstand einer weiteren Bearbeitung wurde. Dann erschienen im Jahre 1904 die Arbeiten von Retzer*, Braeunig4 und Humblet5, denen sich während der folgenden Jahre zahlreiche andere Unter- 1 Vgl. auch Kent, Proc. of the Royal Soc, 87, B, S. 198; 1914. 2 His jun., Arb. aus der med. Klinik zu Leipzig. Leipzig 1893, S. 17; — vgl. Braeunig, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, S. 3. 3 Hetzer, Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 1904, S. 1 ; — Anat. record, 2, S. 149; 1908. 4 Braeunig, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, Suppl., S. 1. •r> Humblet, Arch. intern, de physiol., 1, S. 279; 1904. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 183 suchungen von Tawara1, Keitli und Flack-, Fahr3, Firket*, Gerard5, Mönckeberg6, Colin7, Curran8, Thorel9, Engel10, Dietrich11, Holl1'2, Knower13, Wilson u, Tandler15, Lange1(i, Lewis und Rothschild11, Eversbusch18 anschlössen. Es kann nicht die Rede davon sein, über die aus diesen Untersuchungen hervorgehenden anatomischen Tatsachen liier eingehend zu berichten, da dies ja unzweifelhaft in eine Darstellung der Anatomie des Herzens gehört. Ich kann mich daher darauf beschränken, das aus physiologischem Gesichtspunkte Allerwichtigste hier zusammenzustellen. Nur in aller Kürze sei erwähnt, daß einzelne Autoren, wie vor allem DogicT", fortfahrend das Vorhandensein muskulärer Verbindungen zwischen den Vorhöfen und den Kammern gänzlich leugnen. Betreffend den makroskopischen Verlauf des Bündels hat Holl auf Grund direkter Dissektion folgende Beschreibung desselben mitgeteilt.20 Bei allen darauf untersuchten Säugetierherzen ist das Verhalten des Ver- bindungsbündels, was Anordnung, Lagerung und Verlauf anbelangt, ein gleiches; auffällige Unterschiede ergeben sich nur bei Vergleichung der Stärke des Ver- bindungsbündels. Vgl. Figg. 219 u. 220 (S. 184 und 185), welche das Bündel im menschlichen Herzen darstellen. Das Verbindungsbündel beginnt mit einem Faserwerk a n, das in der Wand des Sinus coronarius s c und den angrenzenden Teilen des rechten Vorhofs (und in den in der Nähe liegenden Teilen der Wandungen des linken Vorhofs? Holl) wurzelt. Dies Faserwerk geht stets in ein rundliches oder ovales, größeres oder kleineres Gebilde, den sog. Tauwaschen Knoten K, über. Aus diesem entwickelt sich der Stamm des Verbindungsbündels st, welcher in einer modifizierten Fort- setzung der Aortawand eingebettet ist; seine Lagerung ist stets auf der rechten Seite des oberen Randabschnittes des Septum ventriculorum. Dieser Stamm kann nun länger oder kürzer sein und geht in eine verhältnis- mäßig große, dreieckige Platte über, aus welcher der rechte und linke Schenkel des Verbindungsbündels t h abzweigen. 1 Tawara, Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 70; 1905; — Das Reizleitungssystem des Säuge- tierherzens. Jena 1906; — vgl. auch Aschoff, Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 298; 1905. 2 Keith und Flack, Lancet, 1906 (2), Nr. 6; — Journ. of anat. and physiol., 41, S. 172; 1907. 3 Fahr, Arch. f. pathol. Anat. 188, S. 562; 1907; — Zentralbl. f. allg. Pathol., 19, Erg.- Heft, S. 153; 1908. 4 Firket, Comptes rend. de l'Assoc. anatom., 10. reunion, Marseille 1908. 5 Gerard, ebenda, 1908. 6 Mönckeberg, Untersuchungen über das Atrioventrikularbündel im menschlichen Herzen. Jena 1908. 7 Cohn, Heart, 1, S. 167; 1909; — 4, S. 225; 1913. 8 Curran, Anat. record, 3, Nr. 12; 1909; auch in Anat. Anzeiger, 35, S. 89; 1910. 9 Thorel, Münch. med. Wochenschr., 1909, S. 2159; — 1910, S. 183. 10 Engel, Beitr. z. pathol. Anat., 48, S. 499; 1912. 11 Dietrich, Die Elemente des Herzmuskels. Jena 1910. 12 Holl, Denkschr. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-natrtiw. KL, 87, S. 267; 191 1. 13 Knower, Anat. record, 2, Nr. 5. 14 Wilson, Proceed. of the Royal Society of London, 81, B, S. 151; 1909. 18 Tandler, Anatomie des Herzens. Jena 1913, S. 183. 16 Lange, Arch. f. mikr. Anat., 84, S. 215; 1914. 17 Lewis und Rothschild, Philos. transact., 206, B, S. 183; 1915. ls Eversbusch, Deutsch. Arch. f. kiin. Med., 120, S. 367; 1916. 19 Dogiel, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 7, 99; 1910. -° Holl, Denkschriften der Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 87, S. 290; 1911. 184 Die Innervation des Herzens. Der rechte Schenkel r nimmt seine Richtung gegen den hinteren Rand der sog. Pars membranacea septi ventriculorum und steigt an der Septumwand bald mehr, bald weniger subendokardial gelagert in einem mäßigen Bogen (mit nach vorwärts gerichteter Konvexität) hinter dem medialen Papillarmuskel abwärts zur Wurzel des trabekulären Hilfsschenkels L d V des vorderen Papillar- muskels p a und tritt in diesen Muskelbalken ein. Hier liegt er stets exzentrisch und oft subendokardial. Mit dem Hilfsschenkel erreicht er die Basis des vorderen Papillarmuskels und tritt in diesen ein, bzw. er geht in ein den Papillarmuskel umstrickendes subendokardiales Geflechtwerk über. An einigen Tierarten ge- sc an K st th rv sc rV ms tili /xic PP PP Fig. 219. Das Verbindungsbündel in der rechten Kammer des menschlichen Herzens. Nach Holt, a, Aorta; ah, al, ar, Valvulae semiliinares; an, Anfang des Verbindungsbündels; ap, A. pulmo- nalis; az, Valvula bicuspidalis; bip, hinteres Segel der Valvula bicuspidalis; ca, Conus arteriosus; fo, Fovea ovalis; hb, hinterer Muskelbalken; K, Knoten des Verbindungsbündels; /, linker Schenkel des Verbindungsbündels; Ih, Iv, hinterer und vorderer Teilungsast des Bündels; IV, linker Vorhof; LdV, trabekulärer Hilfsschenkel des vorderen Papillarmuskels der rechten Kammer; ms, Pars membranacea septi ventriculorum; pa, pm, pp, pac, Papillarmuskeln; r, rechter Schenkel des Ver- bindungsbündels; rV, rechter Vorhof ; sc, Sinus coronarius; sp, Spatium intervalvulare; st, Stamm des Verbindungsbündels; th, Teilungsstelle des Verbindungsbündels; tra, trh, trm, Valvula tricus- pidalis; vb, vorderer Muskelbalken. langen Zweige des rechten Schenkels auf dem Wege vom intraventrikularen Muskelbalken zum hinteren Papillarmuskel. Ebenso konnte in einigen Fällen eine Zweigabgabe des rechten Schenkels zum medialen Papillarmuskel festgestellt werden, was nach Holl wahrscheinlich an allen Herzen der Fall sein dürfte. Der linke Schenkel / gelangt zwischen dem oberen Rande der Kammer- scheidewand und dem unteren Aortenrand auf die linke Wand des Kammer- septums. Linkerseits ist die Übertrittsstelle unter dem Endokardium des Spatium intervalvulare gelegen. Im Gegensatz zum rechten Schenkel r, welcher auf dem Querschnitt mehr oder weniger rundlich ist, stellt der linke Schenkel, gleich von seinem Beginn an, ein zartes, dünnes, fein gefasertes, bandartiges Gebilde Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 185 dar. In einem nach abwärts zu sich immer mehr verbreiternden Flusse ziehen die immer feiner werdenden Fasern des linken Schenkels subendokardial an der linken Septumwand herzspitzenwärts, und beiläufig oberhalb der Höhenmitte der Kammerscheidewand teilt sich die fließende Fasermasse, die wie ein Schleier die Septumwand überzieht, in drei Massen, eine vordere Iv, eine mittlere und eine hintere / //. Die mittlere Fasermasse zieht herzspitzenwärts und entzieht sich bald der Beobachtung mit freiem Auge. Die vordere und hintere Faser- masse schiebt sich mehr oder weniger zusammen und jede geht in je einen von der Septumwand entspringenden Muskel- (Selmen-)Balken über, von weichen Iv vb pa />" Fig. 220. Das Verbindungsbündel in der linken Kammer des menschlichen Herzens. Nach //<>//. Buchstabenbezeichnung wie in Fig. 219. der eine zur Basis des vorderen p a, der andere zur Basis des hinteren Papillar- muskels p p hintritt. Auf diesem Wege gelangen die vorderen und hinteren Fasermassen des linken Schenkels zum vorderen, bzw. zum hinteren Papillar- muskel, um in ein diese Muskeln umstrickendes subendokardiales Geflechtwerk überzugehen. Wenn die zwei Muskelbalken mittels eines gemeinsamen Stammes von der Septumwand abgehen, tritt auch der linke Schenkel in diesen ein und teilt sich dann mit den Muskelbalken. Beobachtet wurde auch, daß, wenn jeder der genannten Muskelbalken in zwei oder mehrere zerspalten ist, dann auch eine entsprechende Zerspaltung der Fasermassen des linken Schenkels statt- findet. Ob sich außer diesem in der Scheidewand verlaufenden Bündel auch andere Verbindungsbrücken vorfinden, konnte Reizer nicht ganz bestimmt entscheiden. J86 Die Innervation des Herzens. Allerdings glaubte er, das Vorhandensein größerer, wohl abgegrenzter Ver- bindungsbündel in der Atrioventrikularfurche ausschließen zu können, nicht aber die Möglichkeit, daß einzelne Fasern oder kleine, unbestimmte Faserzüge doch eine entsprechende Verbindung herstellen.1 Zu etwa demselben Resultat ist auch Braeunig gekommen.2 Wie schon oben kurz bemerkt wurde, bietet das Verbindungsbündel einen eigentümlichen histologischen Bau dar, welcher es gestattet, dasselbe von dem eigentlichen Herzmuskel zu unterscheiden. Im Jahre 1845 beschrieb Purkinje3 an den inneren Wänden der Kammern des Schafherzens unter der serösen Haut ein Netz von grauen, platten, gallertigen Fäden, welche sich teils in die Papillarmuskeln und um andere faserige Bündel fortsetzten, teils brückenartig über einzelne Falten und Spalten der Herzwand herübersetzten. Bei der mikroskopischen Untersuchung fand er diese Fäden aus zahlreichen kernhaltigen, eng aneinander gedrängten Körnern zusammen- gesetzt. „Im Inneren jedes Kornes finden sich ein oder zwei Kerne ohne sphä- rische Umschließung, dergleichen sich in den wahren Ganglienkörnern zeigt. Von diesen Körnern fanden sich in querer Richtung 5 — 10 beisammen, die der Länge nach reihenweise in Bündel geordnet jene grauen Fäden bildeten. Zwischen den Körnern der Interstitien ihrer Wände findet sich ein elastisches Gewebe von Doppelfasern, welches bei Behandlung mit Essig ähnliche Querstreifen zeigt, wie die Muskelfasern des Herzens." Purkinje konnte aber nicht sicher entscheiden, ob diese Fäden wirkliche Muskelfasern waren oder bloß Umrisse membranöser Wände, welche wie bei den Pflanzen zellen den körnigen Inhalt umgaben. . Purkinje nahm es als wahrscheinlich an, daß es sich hier um einen eigenen Bewegungsapparat handelte; dieser Auffassung in einer mehr oder weniger modifizierten Form schlössen sich dann Kölliker4, v. Hessüng5, Reichert6, Remak7, Aeby8, Eberth9, Obermeier10, Lehnert11, Schweigger-Seidel12, Ranvier13, Gegenbauru, Minervini15, Hoyern, Marceau11, H. K. Hof mann18 und Moriyas19 an. Dagegen stellte sich Schmalz20 vor, daß die Purkinjeschen Fasern ganz selbständige, nicht muskuläre Gebilde seien, sondern vielleicht muskulo-moto- 1 Hetzer, Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 1904, S. 10; — vgl. oben den Befund von Kent (11, S. 181). 2 Braeunig, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., Suppl., 1904, S. 9. :1 Purkinje, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1845, S. 294. 4 Kölliker, Handb. d. Gewebelehre. Leipzig 1852, S. 67. 5 v. Hessling, Zeitschr. f. wiss. Zool., 5, S. 189; 1853. 6 Reichert, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1855, Ber. über die Fortschr. d. mikr. Anat., S. 52. 7 Remak, ebenda, 1862, S. 231. 8 Aeby, Zeitschr. f. rat. Med. (3), 17, S. 195; 1863. 9 Eberth, Arch. f. pathol. Anat., 37, S. 100; 1866. 10 Obermeier, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1867, S. 385. 11 Lehnert, Arch. f. mikr. Anat., 4, S. 43; 1868. 12 Schweigger-Seidel, in Strickers Handb. der Lehre v. d. Geweben. Leipzig 1871, 1, S. 183. 13 Ranvier, Traite technique d'histologie. Paris 1875, S. 538. 14 Gegenbaur, Morphol. Jahrbuch, 3, S. 633; 1877. 15 Minervini, Anat. Anzeiger, 15, S. 9; 1899. 18 Hoyer, Anz. d. Krakauer Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 1901, S. 205. 17 Marceau, Comptes rend. de la Societe de biol., 1901, S. 653. 18 H. K. Hofmann, Zeitschr. f. wiss. Zool., 71, S. 486; 1902. 19 Moriya, Anat. Anzeiger, 24, S. 523; 1904. -n Schmalz, Arch. f. wiss. u. prakt. Tierheilk., 12, S. 161; 1886; zit. nach Tawara, a. a. O. S. 168. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 187 Tische Endapparate darstellten; und auch v. Ebner'1 ist der Ansicht, daß diese Fäden nicht in den Entwicklungskreis typischer Herzmuskelfasern gehören. Betreffend die spezielle physiologische Aufgabe dieser Fasern sprechen mehrere der Autoren nur die Ansicht aus, daß sie Keimlager für neue Herz- muskelzellen, oder in der Entwicklung zurückgebliebene Elemente, oder Muskel- zellen von embryonaler Beschaffenheit usw. darstellen, kurz, daß ihnen keine besondere Funktion obliege. Reichert, dem sich Marceau2 anschließt, betrachtete sie als einen netzartig ausgebreiteten Spann muskel des Endokards, und Obermeier bezeichnete sie als einen zum besseren Zusammenschnüren des Endokardiums bei der Kammer- kontraktion bestimmten Muskelapparat.3 In seiner Arbeit über das Reizleitungssystem hat Tawara* eine Kritik der verschiedenen Ansichten geliefert, auf welche ich verweise, da diese Ansichten nunmehr kein aktuelles Interesse darbieten. Selber hat Tawara5 mit großem Geschick versucht, nachzuweisen, daß die Pur kin jeschen Fäden nichts anderes darstellen, als die Endausbreitungen des muskulären Verbindungsbündels zwischen den Vorhöfen und den Kammern. Als Stütze dieser Auffassung führt er an, daß sowohl bei dem Hauptstamm des Systems, dem Atrioventrikularbündel in engerem Sinne, als auch bei den Endausbreitungen des Systems die Purkinjeschen Fäden bei allen darauf unter- suchten Säugetierherzen und Vögeln6 nachgewiesen worden sind. Dieses System bildet7 dicht oberhalb des Septum fibrocartilagineum atrioventriculare ein sehr kompliziertes, muskuläres Netzwerk von einem verhältnismäßig starken Um- fange (atrioventrikulärer Knoten, später vielfach als Tawaras Knoten bezeichnet). Von diesem Knoten verläuft einerseits nach hinten ein mehr oder weniger parallel angeordnetes kurzes Faserbündel ungefähr bis zur vorderen Umgebung des Sinus coronarius und verbindet sich hier mit den gewöhnlichen Vorhof- muskelfasern (vgl. oben II, S. 119). Andererseits geht der Knoten nach vorn unter starker Verschmälerung in den Kammerabschnitt über und tritt nach Durchbrechung des Septum fibro- cartilagineum in die Kammerscheidewand ein. Nachdem es in diese eingetreten ist, teilt sich dieses Bündel des Verbindungs- systems bald in zwei Schenkel. Der linke Schenkel erreicht rasch linksseitig subendokardiale Lage und verläuft als ein geschlossenes, von einer Bindegewebs- scheide umhülltes Bündel senkrecht abwärts. Erst weit unten teilt es sich in mehrere Gruppen, von denen die stärksten in die frei in den linken Kammer- raum verlaufenden sehnenfadenartigen Stränge eintreten und zum vorderen und hinteren Papillarmuskel ziehen, um sich hier subendokardial baumwurzelartig nach allen Richtungen zu verzweigen. Zum Teil ziehen diese subendokardialen 1 v. Ebner, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl., 109(3), S. 700; 1900. 2 Marceau, Ann. des sciences nat., zool., 8. serie, 19, S. 275; 1904. 3 Über den Bau der Purkinjeschen Fäden vgl. noch Lewis und Rothschild, Philos. trans- act., 206, B, S. 185; 1915; — Atkinson, Journ. of physiol., 52, proc, S. 3; 1917; — van der Stricht und Todd, Johns Hopkins hosp. rep., 19, S. 1 ; 1920. 4 Tawara, Das Reizleitungssystem, S. 175. 5 Tawara, ebenda, S. 182. « In bezug auf die Vögel vgl. oben II, S. 179. 7 Tawara benutzt hier das Schafherz als Prototyp. ]i Die Innervation des Heizens. Äste von den Papillannuskeln noch weiter an der Kammerwand entlang, um sich sowohl nach der Kammerbasis wie nach der Herzspitze zu weiter zu verbreiten. Das gleiche geschieht mit dem Reste des linken Schenkels, welcher nicht in die sehnenfadenartigen Stränge übergetreten ist. Die feinsten Ausläufer des Systems treten teilweise subendokardial, teilweise intramyo- kardial mit den gewöhnlichen Kamnier- muskelfasern in Verbindung. Fig. 221. Linke Kammer des mensch- lichen Herzens. Nach Tawara. Das Verbindunesbündel rot. Rechter Schenkel Knoten Linker Schenkel Fig. 222. Rechte Kammer des mensch- lichen Herzens. Nach Tawara. Ein Teil der Parietalwand ist stark nach oben geklappt, während die übrige Parietalwand nach hinten gezogen ist. Ein Teil der geöffneten linken Kammer ist sichtbar. Das Verbindnngs- bündel rot. Der rechte Schenkel nähert sich auch allmählich der rechten subendo- kardialen Gegend, erreicht aber gewöhn- lich das Endokard nicht, sondern zieht von Bindegewebe streng umhüllt inner- halb der Scheidewandmuskulatiir ab- wärts, um nach einem etwa 2 cm langen Verlauf in einen verhältnismäßig großen Muskelbalken überzutreten, welcher den Schenkel zum vorderen Papillarmuskel oder doch zu dessen benachbartem Teil der Parietalwand überleitet. Erst hier erfolgt plötzlich die weitere Auf- splitterung der Faserinasse des rechten Schenkels, die sich nun basalwärts wie auch spitzenwärts über die ganze Innen- fläche des Endokards verbreitet, um mit seinen zahllosen feinsten Ausläufern mit den gewöhnlichen Kammermuskel- fasern, besonders in subendokardialen Schichten, in direkte Verbindung zu treten. In Fig. 221 und 222 ist der Verlauf des Verbindungssystems beim menschlichen Herzen nach Tawara dargestellt. Fig. 223 gibt eine von de Witt* ausgeführte Modellrekonstruktion desselben beim Kalbsherzen wieder. Fig. 223. Das Verbindnngsbündel im Kalbs heizen. Modellrekonstruktion von de Witt. 1 de Win, Anat. record, 3, S. 475; 1909. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Her/. |S9 Während dieses laugen Verlaufs ist das Bündel durch Bindegewebe völlig isoliert und tritt mit der gewöhnlichen Kammermuskulatur nirgends in Ver- bindung. Hier liegt also ein in sich geschlossenes System vor, welches einem Baume vergleichbar ist, der in der Vorhofscheidewand wurzelt, als Stamm und Hauptäste das Septum fibrocartilagineum und die Scheidewand durchzieht, durch die falschen Seimenfäden als Seitenäste zu der Parietalwand der Kammern und den Papillarmuskeln übertritt, um dann erst in seine Endzweige sich auf- zulösen. Auf Grund seines Verlaufs und seiner Anordnung überhaupt ist das Ver« bindungssystem, wie Tawara hervorhebt, in hohem Grade geeignet, die Reiz- leitimg im Herzen zu übernehmen. An und für sich vollkommen plausibel, kann diese Ansicht indessen nicht ohne weiteres als erwiesen erachtet werden, denn hier wie auch sonst lassen sich doch keine bindenden Schlüsse aus rein anatomischen Tatsachen ziehen. Wir haben also die hierher gehörigen physiologischen Erfahrungen zu be- sprechen. b) Physiologische Versuche über die Fortpflanzung der Erregung.1 Vom sino-aurikularen Knoten aus pflanzt sich die Erregung nach Versuchen am Hundeherzen diffus auf den rechten Vorhof fort. Auch die Verbindung dieses Knotens mit dem atrio-ventrikularen Knoten erfolgt nicht durch eine scharf abgegrenzte Bahn, obgleich es nicht ausgeschlossen ist, daß die Leitung auf gewissen Wegen am leichtesten stattfindet. Wenn diese durchtrennt werden, kann die Erregung vom sino-aurikularen Knoten unter Vermittlung des rechten Vorhofes den atrioventrikulären Knoten erreichen (Eyster und Meek~). In R. Tigerstedts Arbeit über die Bedeutung der Vorhöfe für die Tätigkeit der Kammern beim Kaninchenherzen finden sich auch einige Versuche mit- geteilt, bei denen die Abklemmung des Vorhofs nur partiell war und also einen Teil der Vorhofwand frei ließ. Es stellte sich dabei heraus, daß, wenn die Vorhöfe hinten vollständig ab- geklemmt, vorn aber die Mitte in einer Ausdehnung von 6 mm frei war, sowie umgekehrt, wenn die Vorhöfe vorn vollständig abgeklemmt, hinten dagegen die Mitte in einer Ausdehnung von 6 mm frei war, das Resultat ganz dasselbe war, wie wenn die physiologische Verbindung zwischen Vorhöfen und Kammern vollständig aufgehoben worden war.3 Da andererseits die Frequenz der Kammerkontraktionen durch Zerstörung der Scheidewand bei der Einführung des Atriotoms nur ganz wenig herabsank', folgt, daß die Verbindungsfasern nicht etwa in der Mitte der Scheidewand, die durch das Atriotom zerstört wurde, verlaufen, andererseits aber bei den darauf folgenden partiellen Abklemmungen immer getroffen wurden. Da diese Untersuchung indessen lange Zeit vor der Entdeckung des Vcr- bindungsbündels ausgeführt wurde, war sie nicht darauf gerichtet, die Bedeutung desselben zu erforschen. 1 Vgl. auch die auf Grund des Aktionsstromes gewonnenen Ergebnisse, in § 64, c. - Eyster und Meek, Arch. of int. med., 18, S. 787, 793; 1916. 3 R. Tigerstedt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1884, S. 513. 4 R. Tigerstedt, ebenda, 1884, S. 511. 190 Die Innervation des Herzens. Im Anschluß an seine anatomischen Untersuchungen machte His jun.1 am Kaninchen Versuche, das Bündel durchzuschneiden, indem er im Verein mit Graupner ein schmales Messerchen in das linke Herzohr des Kaninchens führte und mit diesem die Scheidewand durchstieß. Nach der Verletzung pul- sierten Kammer und Vorhöfe weiter, aber jeder Abschnitt in seinem besonderen Tempo, z. B. so, daß auf je 30 regelmäßige Vorhofpulse 20 ebenso regelmäßige Kammerpulse kamen, und zwar blieb diese Allorhythmie bestehen, wie lange der Versuch auch dauerte. Nur anfangs, unmittelbar nach der Durchschneidung, erschien infolge der durch die Verletzung hervorgerufenen Reizung eine vor- übergehende Arhythmie. Obgleich man bei der Erörterung der Frage, wie sich die Erregung durch das Herz fortpflanzt, die Existenz des Verbindungsbündels vielfach als Beweisgrund für die Annahme einer muskulären Leitung anführte, dauerte es dennoch mehrere Jahre, bis das Bündel Gegenstand eingehender physiologischer Versuche wurde. Im Jahre 1903 gab H. E. Hering an2, daß beim ausgeschnittenen, künstlich gespeisten Hundeherzen eine 1 cm breite Brücke der äußeren Wand des rechten Vorhofes (alles übrige, die Vorhofscheidewand inkl., war durchschnitten) ge- nügte, um die von den abgetrennten Vorhöfen spontan ausgehenden Erregungen der Kammer mitzuteilen. Wenn diese Angabe zutreffend gewesen wäre, hätte natürlich das Übergangs- bündel, wie es oben beschrieben ist, unmöglich den einzigen Verbindungsweg zwischen Vorhöfen und Kammern darstellen können. Es ist zu bemerken, daß sie später von Kentz ganz bestimmt bestätigt worden ist. Nach einer von Fredericq* angegebenen Methode versuchte dann Humblet5, am lebenden Hunde das Übergangsbündel vom rechten Vorhof aus zu durch- trennen. In einem Versuche gelang es ihm in der Tat beim zweiten Schnitt, die Kammern von den Vorhöfen funktionell zu isolieren. Es wurde aber hier keine Sektion gemacht, so daß man nicht sicher sein konnte, was eigentlich durchschnitten worden war. Die großen Schwierigkeiten, die mit der erwähnten Methode verbunden waren, veranlaßten Humblet, Versuche am ausgeschnittenen, mit der Lockeschm Flüssigkeit ernährten Herzen zu machen. Dabei ergab es sich, daß bei einem Schnitt durch das Bündel (Sektion wurde nicht gemacht) Kammern und Vor- höfe unabhängig voneinander schlugen.6 Ebenfalls an ausgeschnittenen, mit der Salzlösung gespeisten Hundeherzen machte dann H. E. Hering eine ausführliche Versuchsreihe, aus welcher hervor- ging, daß der mit der Scheidewand und dem linken Vorhof nicht mehr in mus- kulärer Verbindung stehende rechte Vorhof seine spontan oder künstlich aus- gelösten Erregungen nicht auf das übrige Herz überträgt, daß also, im Gegen- 1 His jun., Wiener med. Blätter, 1894, Nr. 44; — Zentralbl. f. Physiol., 9, S. 469; 1895. 2 H. E. Hering, Zentralbl. f. Physiol., 17, S. 2; 1903. 3 Kent, Journ. of physiol., 48, proc, S. 57; 1914. 4 Freder icq, Arch. intern, de physiol., 1, S. 83; 1904. 5 Humblet, ebenda, 1, S. 283. 6 Die völlig unverständliche Kurve, die Humblet, a. a. O., 1, S. 284, mitteilt, ist mit un- richtigen Bezeichnungen versehen. Nach der Berichtigung von Fredericq (Arch. intern, de physiol., 11, S. 481; 1912) ist sie aber leicht zu deuten; auf fünf Vorhofkontraktionen fallen hier drei Kontraktionen der Kammern. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 191 satz zu der früheren Angabe von demselben Autor der rechte Vorhof an und für sich keinen Reiz den Kammern abgibt.1 Ferner wies Hering nach, daß die normale Folge der Kammerkontraktioneu auf die Kontraktionen der Vorhöfe durch Abtrennung des Verbindungsbündels aufgehoben wurde; dabei schlugen die Kammern weniger frequent als die Vor- höfe, aber völlig regelmäßig. Das Resultat der Durchschneidung wurde immer durch nachfolgende Sektion geprüft. Nach diesen Versuchen würde also das Verbindungsbündel den einzigen Weg darstellen, auf welchem die Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern fortgepflanzt wird.8 Da unter Umständen die Speisung mit der Lockeschen Flüssigkeit an und für sich Allorhythmie verursachen kann3, nutrierte Humbiet in neuen, nunmehr von Sektion begleiteten Versuchen das isolierte Hundeherz mit Blut von einem anderen Hunde, und fand nach Abbindung des Übergangsbündels wiederum, daß Vorhöfe und Kammern unabhängig voneinander schlugen.4 Neue Versuche von Hering an künstlich ernährten Hundeherzen, bei welchen der Erfolg des Schnittes von Tawara5 mikroskopisch untersucht wurde, er- gaben desgleichen, daß das Bündel für die Reizübertragung unerläßlich ist.6 Kurz nachher veröffentlichte Erlanger die Resultate einer langen Versuchs- reihe am Hundeherzen in situ, bei welcher das Verbindungsbündel mittels einer zu diesem Zwecke eigens konstruierten Klammer mit nach Belieben wechselndem Druck abgeklemmt wurde.7 Die Resultate wurden durch Sektion und in einigen Fällen mikroskopische Untersuchung von Hetzer kontrolliert.8 Als Beispiel der Resultate einer vollständigen Leitungsunterbrechung sei folgende Tabelle hier mitgeteilt.9 Nr. Pulsfrequenz in der Minute Vorhöfe Kammern Kammern Vorhöfe 1 35 130 3,7 2 70 216 3,1 Lu 3 56 177 3,2 V 4 68 160 2,4 V£ *tAS« 5 48 158 3,3 6 45 118 2,6 7 58 176 3,0 Auch wenn die Tiere (Hunde) nach Zerstörung des Übergangsbündels am Leben blieben, trat keine Restitution auf; daraus folgt, daß keine andere Bildung die Aufgabe des Bündels übernehmen kann (Erlanger und Blackman1"). 1 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Fhysiol., 107, S. 99; 1905. 2 H. E. Hering, ebenda, 108, S. 267; 1905. 3 Humblet, Arch. intern, de physiol., 2, S. 257; 1905. 4 Humblet, Arch. intern, de physiol., 3, S. 333; 1906. 5 Tawara, Arch. f. d. ges. Physiol., 111, S. 300; 1906. ,; H. E. Hering, ebenda, 111, S. 298; 1906. 7 Erlanger, Journ. of exp. med., 8; 1906, S. 57 des S.-A. 8 Erlanger, ebenda, 8, S. 66. 9 Erlanger, ebenda, 8, S. 60; — vgl. auch Freikrieg, Arch. intern, de physiol., 2, S. 282; 1905; — 4, S. 68; 1906. 10 Erlanger und Blackman, Heart, 1, S. 177; 1910. \Q2 Die Innervation des Herzens. Endlich haben Colin und Trendelenbwg* an mehreren Tierarten die Folgen der Bündeldurchschneidung bei ausgeschnittenen Herzen sowohl experimentell als histologisch untersucht. Betreffend das Hundeherz wurden hierbei die Ergebnisse früherer Autoren nur noch bestätigt. Am Katzen- und Kaninchenherzen machten aber Colin und Trendelenburg Beobachtungen, welche in hohem Grade geeignet waren, die abweichenden Resultate zu erklären, welche einige andere Untersuchungen gezeitigt hatten. Bei scheinbar vollkommen regelrechter Schnittführung erwies sich nämlich an den Herzen dieser Tiere sehr oft, daß keine Allorhythmie nach Durchschneidung des Bündels auftrat. Es war also möglich, daß das Bündel nicht hier, wie bei dem Hundeherzen, den alleinigen Übertrager der Erregung darstellte. Eine nähere Untersuchung ergab indessen, daß in den betreffenden Fällen die Durchtrennung des Bündels dennoch unvollständig war. Bei dem Hunde, dem Affen und der Ziege verläuft nämlich das Verbindungsbündel bis zu seiner Teilungsstelle als ein ziemlich kompakter Stamm und gibt dabei keine vereinzelten Fasern vorzeitig ab; d. h. die Bündelfaserung breitet sich erst dann mehr oder weniger stark aus, wenn die beiden Schenkel sich schon abwärts gewendet und unter das Endokard begeben haben. Bei der Katze werden dagegen schon aus dem annähernd parallel zum Ansatzrand der Aortaklappen verlaufenden Hauptstamm vor der Teilung mehr oder weniger zahlreiche und voneinander getrennte Fasern (atypische Fasern) abgegeben, die sogleich senkrecht abwärts in der Richtung zur Herzspitze abbiegen und zum Teil so weit dorsalwärts gegen den Ursprung des Bündels hin liegen, daß sie mit dem Schnitt nur sehr schwer zu erreichen sind. Wo aber die Durchtrennung vollständig gelang, trat beim Katzenherzen die Allorhythmie auf.2 Die atypischen Fasern boten auch beim Kaninchenherzen eine große Schwierig- keit dar. Wenn aber wirklich alle Fasern des Übergangsbündels ausgeschaltet waren, war das Resultat in jedem Falle die typische Allorhythmie.3 Unter den Versuchen von Cohn und Trendelenburg ist folgender, an einem Affen- herzen ausgeführter, besonders zu erwähnen.4 Durch die Verletzung wurde die Ko- ordination der Vorhof- und Kamnierschläge vollständig aufgehoben. Die Sektion ergab, daß der Schnitt genau das Bündel getroffen hatte, so daß er nach oben und unten nur wenig (oben 0,2, unten 0,3 mm) die Bündelgegend überschritt. Nach Cialis und Dixon5 würde die vollständige Durchtrennung des atrioventri- kulären Bündels am ausgeschnittenen, mit Ringerlösung gespeisten Kaninchenherzen noch nachdrücklicher wirken, indem nach derselben die Kammern 3 Minuten bis 3 Stunden stillstehen sollten. Eine Nachprüfung von Flack6 am Herzen in situ ergab indessen eine Bestätigung der früheren Resultate. Ohne mechanische Verletzung kann die physiologische Leistung des Ver- bindungsbündels durch Erstickung aufgehoben werden. Dies findet indessen nur nach Durchschneidung der Vagi oder deren Ausschaltung durch Atropin 1 Cohn und Trendelenburg, Aren. f. d. ges. Physiol., 131, S. 1, 1910; — vorläufige Mit- teilung im Zentralbl. f. Physiol., 23, S. 213; 1909. 2 Cohn und Trendelcnburg, Arch. f. d. ges. Physiol., 131, S. 74; 1910. 3 Cohn und Trendelenburg, ebenda, 131, S. 79. 4 Cohn und Trendelenburg, ebenda, 131, S. 82. 5 Cullis und Dixon, Journ. of physiol., 42, S. 161; 1911. 6 Flach, Arch. intern, de physiol., 11, S. 117; 1912. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 193 statt, denn bei unversehrten Vagi wird das Auftreten eines Herzblockes durch die starke Verlangsamung der Herztätigkeit verhindert. Bei wieder aufgenom- mener Atmung stellen sich die normalen Verhältnisse unmittelbar ein (Lewis und Mathison1). Aus diesen Erfahrungen scheint mit großer Bestimmtheit hervorzugehen, daß bei allen bisher in dieser Hinsicht untersuchten Säugetieren die Fortpflanzung der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern durch das Verbindungsbündel besorgt wird. In derselben Richtung sprechen auch zahlreiche Fälle von Über- leitungsstörungen beim Menschen, auf welche indessen hier nicht näher ein- gegangen werden kann.2 Die in der letzten Zeit von Kent vertretene Ansicht von der Teilnahme der rechten Seitenwand des Herzens an der Übertragung der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammer (vgl. oben II, S. 181) macht indessen dieser Auffassung noch Schwierigkeiten. Mit großer Bestimmtheit haben Kronecker und seine Schüler die Ansicht verfochten, daß das Verbindungsbündel mit der Erregungsleitung von den Vor- höfen zu den Kammern überhaupt gar nichts zu tun habe. Als Beweis dafür bringen Busch und Kronecker3 Versuche dar, wo sie mittels eines um das Bündel herumgeführten Fadens beabsichtigten, das Bündel zu zerstören. Nach der Operation setzte das Herz tatsächlich seine Schläge ohne jede Allorhythmie fort. Hier liegt aber keine Sektion vor, und wir wissen also nicht, was eigentlich bei diesen Versuchen abgebunden wurde. Bei den von Imchanitzky* und Paukul5 an Kaninchen ausgeführten Ver- suchen wurde auch der Sektionsbefund mitgeteilt. Hier entstand keine Allo- rhythmie nach Bindung des Bündels, wenn nicht das umgebende Gewebe gleich- zeitig beschädigt wurde. Andererseits erschien Allorhythmie bei Beschädigung des Herzens in der Nähe des Bündels, ohne Berührung desselben. Also würden in der Nähe des Bündels, aber auch an anderen Orten (nervöse) Bahnen verlaufen, welche die normale Koordination zwischen den Vorhöfen und den Kammern unterhalten. An und für sich geben diese Resultate, die denjenigen aller übrigen Autoren gegenüber ziemlich unvermittelt stehen, zu manchem Bedenken Anlaß. Und dies Bedenken wird angesichts der eingehenden Untersuchungen von Cohn und Trendelenburg und der von diesen Autoren nachgewiesenen atypischen Verbindungs- fasern noch ernsthafter, denn bei der von Imchanitzky und Paukul geübten Methode entgingen diese der Zerstörung. Es muß indessen noch erwähnt werden, daß Kronecker6 bei einem, aber nur einem, Hundeherzen eine Nervenbrücke dicht unter dem absteigenden Stamme 1 Lewis und Mathison, Heart, 2, S. 47; 1910; — nähere Einzelheiten bei Mathison, ebenda, 2, S. 54; 1910. 2 Vgl. Lewis, Der Mechanismus der Herzaktion und seine klinische Pathologie. Deutsche Übersetzung von Hecht. Wien 1912, sowie Wenckebach, Die unregelmäßige Herztätigkeit und ihre klinische Bedeutung. Leipzig 1914. 3 Kronecker und Busch, Reports of the British Assoc, 1899, S. 895. 4 Imchanitzky, Arch. intern, de physiol., 4, S. 14; 1906. 5 Paukul, Zentralbl. f. Physiol., 21, S. 480; 1907; — Zeitschr. f. Biol., 51, S. 191; 1908. 6 Kronecker, Zeitschr. f. Biol., 34, S. 598; 1897; — vgl. auch Kronecker, Compt. rend. de l'Acad. des sciences, 140, S. 529; 1905; — Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 328; 1905; — 24, S. 388; 1910. Tlgerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 13 194 Die Innervation des Herzens. der linken Kranzarterie nachwies, nach deren Unterbindung die Pulsfrequenz der Kammern von 160 auf 40 in der Minute herabsank, sowie daß, nach Lomakin1, die meisten der an der Oberfläche des Herzens verlaufenden Nervenplexe Ver- bindungszweige zwischen den Vorhöfen und den Kammern enthalten. Bei der isolierten Unterbindung solcher Fasern erscheinen Koordinationsstörungen zwischen den Vorhöfen und den Kammern, zwischen beiden Vorhöfen, wie zuweilen auch zwischen beiden Kammern. Außerdem wird der funktionelle Zusammenhang durch Umbindungen von oberen Teilen der Vorhöfe und sogar durch Umschnürungen um die großen Herzgefäße oberhalb des Herzens unterbrochen. Diese in die hohen Geflechte der Herznerven gelagerten Nervennetze stellen das Zentral- organ für die Koordination des Herzens dar. Auch diese Angaben dürften durch die späteren Untersuchungen als voll- ständig widerlegt zu bezeichnen sein.2 Wenn es also als festgestellt erachtet werden kann, daß bei den Säugetieren wie bei den übrigen Wirbeltieren die Fortpflanzung der Erregung durch das Verbindungsbündel erfolgt, ist es indessen nicht nachgewiesen, daß sie muskulär stattfinden muß, denn auch im Säugetierherzen ist das Bündel mit Ganglien- zellen, Nervenfasern und Nervennetzen reichlich versehen (Wilson3, Aschoff*, Engel5, Meiklejohn6). Wir haben also noch die Gründe zu erörtern, welche für die eine oder andere Auffassung sprechen. Als Stütze für die Annahme einer muskulären Fortpflanzung der Erregung könnte man auch beim Säugetierherzen anführen wollen, daß nach Mac William7, Bayliss und Starling8, Kent9, Stassen10 u. a. eine Reizung der Kammern sich rückwärts auf die Vorhöfe fortpflanzt, daß also die Richtung des Herzschlages umgekehrt werden kann, sowie daß diese Umkehr bei vollständigem Herzblock nie auftritt (H. E. Hering11, Erlanger12). Hier gilt indessen, was schon in bezug auf die entsprechende Erscheinung beim Froschherzen ausgeführt wurde, daß sie keinen unanfechtbaren Beweis für die eine oder andere Auffassung abgibt oder abgeben kann. Für eine muskuläre Fortpflanzung spricht deutlicher Fredericqs1* Angabe, daß beim Druck auf das Bündel die Erregungsleitung früher als die Wirkung des Vagus auf die Herzkammern aufhört; wenn nämlich die Leitung unter Mit- 1 Lomakin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1898, S. 531; — Zeitschr. f. Biol., 39, S. 377; 1900. 2 Vgl. auch Lewis, Der Mechanismus der Herzaktion, S. 86. 3 Wilson, Proc. of the Royal Society, 81, B, S. 151; 1909 (Kalb, Schaf, Schwein). 4 Aschoff, Deutsche med. Wochenschr., 1910, S. 104. 5 Engel, Beitr. z. pathol. Anat., 48, S. 499; 1912. 6 Meiklejohn, Journ. of anat. and physiol., 48, S. 1; 1913. 7 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 185; 1888. 8 Bayliss und Starling, ebenda, 13, S. 409; 1892. 9 Kent, ebenda, 14, S. 247; 1893. 10 Stassen, Arch. intern, de physiol., 2, S. 266; 1905. 11 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 108, S. 275; 1905. 12 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 16, S. 163; 1906. — Cullis und Dixon erwähnen (Journ. of physiol., 42, S. 163, 178; 1911) allerdings, daß sie bei vollständigem Block einen Übergang der Kammerkontraktion auf die Vorhöfe gesehen haben. Sie geben aber zu, daß hier eine direkte Wirkung des von der kontrahierten Kammer ausgeübten Stoßes möglicher- weise vorliegen kann. 13 Fredericq, Arch. intern, de physiol., 11, S. 409, 416. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 195 Wirkung von Nerven stattfinden würde, sollten doch die motorischen Herznerven ebensogut wie die hemmenden den Druck ertragen (vgl. oben II, S. 170). Auch die Angabe von Cullis und Dixon1, daß das Verbindungsbündel gerade für spezifische Muskelgifte sehr empfindlich ist, spricht dafür, daß die von ihm bewirkte Reizübertragung muskulär erfolgt. Erlanger2 hat einen Hund mit abgeklemmtem Verbindungsbündel 268 Tage lang am Leben erhalten; die vor dem Tode ausgeführte Prüfung ergab, daß hier keine Rückbildung des Bündels stattgefunden hatte. Da auch keine Neubildung von Muskelsubstanz nachgewiesen werden konnte und da man aus anderen Er- fahrungen weiß, wie leicht die Nerven sich regenerieren, findet Erlanger in diesen Resultaten eine gewisse Stütze für die Annahme einer muskulären Reizübertragung. Er gibt indessen zu, daß unsere Kenntnisse über die Regeneration von Nerven- netzen zurzeit noch zu unvollständig sind, um sichere Folgerungen aus diesem Versuche zu gestatten. Für die muskuläre Fortpflanzung der Erregung scheint auch die von P. Hoff- mann und Magnus- Aisleben3 beobachtete Tatsache zu sprechen, daß das Ver- bindungsbündel bei der Katze, dem Hunde und Kaninchen nicht vermag, so viel Reize zu leiten, wie die Kammer beantworten kann, wie daraus folgt, daß man bei direkter Reizung der Kammer eine höhere Schlagfrequenz erzielt als bei Vorhofreizung.4 Würde sich die Erregung von dem einen Herzteil zum anderen durch Nerven fortpflanzen, so hätte doch die Frequenz der durch sie übertragenen Impulse nicht gut kleiner sein können, als die der Reize, auf welche die Kammer direkt reagiert. Demgegenüber läßt sich indessen anführen, daß bei Reizung des Vagus die Hohlvenen und die rechte Kammer synchron pulsieren, während der rechte Vorhof stillstehen kann (Knollb). Hier würde also durch den Vorhof eine Reiz- übertragung ohne Kontraktion stattfinden (vgl. oben II, S. 167). Die Beobachtung ist indessen nicht eindeutig, denn die Venenpulsationen können, wie Knoll be- merkt, die direkte Folge der Kammersystole darstellen, da eine Insuffizienz der Trikuspidalisklappe nicht sicher ausgeschlossen war; auch läßt es sich denken, daß sich das Verbindungsbündel kontrahierte, ohne daß dies äußerlich wahr- genommen werden konnte. Die physiologischen Eigenschaften der Purkinjeschen Fäden sind von Erlanger6 am Kalbsherzen eingehend untersucht worden. Durch künstliche Reizung derselben können Kontraktionen der Kammermuskulatur erhalten werden, in gewissen Versuchen sogar bei einer Reizstärke, die bei direkter Reizung der Herzwand vollkommen wirkungslos ist. In einem, aber auch nur in einem, Falle gelang es, an den von Herzmuskelsubstanz freien Purkinjeschen Fasern selber Kontraktionen zu beobachten. Die Fortpflanzung der Erregung in den Purkinjeschen Fasern geschieht in beiden Richtungen ebenso leicht; die Geschwindigkeit derselben betrug durch- schnittlich etwa 0,75 m in der Sekunde. 1 Cullis und Dixon, Journ. of physiol., 42, S. 173; 1911. 2 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 24, S. 375; 1909. 3 P. Hoffmann und Magnus- Aisleben, Zeitschr. f. Bio!., 65, S. 153; 1915. 4 Über die gleiche Erscheinung bei den Kaltblütern, vgl. oben II, S. 169. 5 Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 609; 1897. 6 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 30, S. 401; 1912. 13* ]9ß Die Innervation des Herzens. Das Verbindungsbündel würde also mit einer verhältnismäßig sehr kleinen Geschwindigkeit die Erregung leiten. Dazu ist aber zu bemerken, daß sich ein von der Herzwand mehr oder weniger abgetrenntes, künstlich ernährtes Bündel in quantitativer Hinsicht wesentlich verschieden als unter völlig normalen Ver- hältnissen verhalten muß, und daß also aus den betreffenden Zeitbestimmungen keine bestimmten Schlüsse in bezug auf die Frage nach der Art der Erregungs- fortpflanzung gezogen werden können. Übrigens besitzen wir zurzeit keine zum Vergleich mit den oben angeführten Zahlen benutzbaren Angaben über die Leitungsgeschwindigkeit in den marklosen Nerven der Säugetiere. Auch die zeitlichen Bestimmungen über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Herzmuskel selber sind nicht eindeutig. Wir finden in dieser Hinsicht unter anderem folgende Angaben. Eine künstliche Reizung durch- läuft die Kammer mit einer Geschwindigkeit von 1 — 1,2 m in der Sekunde. Beim ausgeschnittenen, spontan pulsierenden Schafsherzen war die maximale Geschwindigkeit nicht geringer als 8 m in der Sekunde (Waller und Reid.1) Am Hundeherzen in situ und bei normalem Kreislauf fanden Bayliss und Starling2 wie Schlüter5 die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung gleich 2 — 4 m in der Sekunde und in Bethes* Versuchen an frisch ausgeschnittenen Streifen des Hundeherzens betrug die Fortpflanzungsgeschwindigkeit etwa 1,3 — 2,25 m in der Sekunde. Selbst wenn diese Angaben sonst vollständig einwandfrei wären, dürfen sie angesichts des verwickelten Verlaufs der Muskelfasern in der Herzkammer nur auf eine ziemlich geringe Genauigkeit Anspruch machen. Jedenfalls können sie ebensogut oder ebenso schlecht auf eine nervöse wie auf eine muskuläre Leitung bezogen werden. Als Grund für die Annahme einer muskulären Fortpflanzung der Erregung hebt H. E. Hering* noch folgendes hervor. Wenn wir die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der Kontraktionswelle bestimmen, benutzen wir den Ortswechsel einer Formveränderung des Muskels als Anhaltspunkt. Wollten wir nun annehmen, daß diese Fortpflanzung an die nervöse Leitung gebunden sei, indem die auf- einander folgenden Teile der Muskulatur immer indirekt von dem leitenden Nervennetz aus erregt würden, so würde das doch so viel heißen, als daß die Fortpflanzung der Kontraktionswelie ebenso rasch erfolgt als die Erregung im Nervennetz. Dann ist aber die Annahme des muskulären Leitungsvermögens die einfachere. Gegen die Annahme einer muskulären Fortpflanzung der Erregung führt Nicolai* an, daß in Analogie mit dem Verhalten des Limulusherzens auch bei dem Herzen der Säugetiere eine muskuläre Leitung überhaupt nicht möglich wäre, und findet eine Stütze für diese Auffassung darin, daß die besten deutschen Kenner dieser Frage nunmehr allgemein der Ansicht zugeneigt wären, daß den Kittlinien im Herzmuskel eine reale Existenz intra vitam zukommt und daß sie also wirkliche Zellgrenzen darstellen würden. Dies wird indessen von anderen 1 Waller und Reid, Philosoph, transact., 1887, B, S. 230, 240, 249. 2 Bayliss und Starling, Proceed. of the Royal Society, 50, S. 213; 1891. 3 Schlüter, Arch. f. d. ges. Physiol., 89, S. 98; 1902. 4 Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. des Nervensystems. Leipzig 1903, S. 439. 5 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 570; 1901. 6 Nicolai, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1910, S. 47. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 197 Autoren ganz entschieden bestritten.1 Marceau2 bemerkt ausdrücklich, daß die Muskulatur des Herzens bei den Vögeln und den Säugetieren aus Zellen besteht, welche durch sukzessive Teilungen und Anastomosen in mehreren Ebenen das ununterbrochene muskuläre Netzwerk des Herzens bilden, und Lange3 hebt hervor, daß die Kittlinien, selbst wenn sie die Zellen begrenzen würden, dennoch nicht dieselben voneinander isolieren, denn die Fibrillen gehen ungehindert durch sie hindurch. Die Kittlinien stellen also keinen zwingenden Beweis für das Vorhandensein einer nervösen Erregungsfortpflanzung im Herzen dar.4 Im Grunde hängt die Frage nach der Art und Weise, wie sich die Erregung innerhalb einer einzelnen Herzabteilung fortpflanzt, mit der, wie die Erregung von der einen Abteilung des Herzens auf die folgende übergeht, äußerst nahe zusammen, und es scheint von vornherein, als ob sich die Erregung in einer und derselben Weise, sei es nervös oder muskulär, durch das ganze Herz fort- pflanzen müßte. Indessen hat Fredericq5, wesentlich auf Grund des Herzflimmems, welches nach ihm einer momentanen Lähmung der Nervennetze sein Entstehen verdankt, eine andere Anschauung entwickelt, nach welcher die Leitung von den Vorhöfen zu den Kammern muskulär, innerhalb jeder einzelnen Herzabteilung aber nervös erfolge. Gegen diese Auffassung läßt sich indessen einwenden, daß, wenn wir von den zentripetalen Muskelnerven mit ihren spezifischen Endapparaten absehen, keine Erscheinungen im Körper vorliegen, die da zeigen würden, daß ein Nerv von einem Muskel aus erregt worden wäre. Und wenn wirklich, wie es sich auch Fredericq vorstellt, die muskulären Elemente des Übergangsbündels die Reizleitung von den Vorhöfen nach den Kammern besorgen, so scheint es noch schwieriger, anzunehmen, daß die äußersten Endverästelungen derselben, weitverbreitet, wie sie sind, nicht auf Muskelelemente, sondern auf Nerven einwirken würden. c) Die Aufhebung der Reizübertragung von den Vorhöfen auf die Kammern (Herzblock). Durch partielle Abklemmung der Verbindungen zwischen dem sino-auri- kularen Knoten und dem rechten Vorhof ist es Eyster und Meek6 beim Hunde in einem Falle gelungen, einen partiellen sino-aurikularen Block hervorzurufen.7 Wie bei den Herzen der kaltblütigen Tiere tritt auch bei denen der Säuge- tiere nach unvollständiger Ausschaltung des atrioventrikulären Verbindungs- bündels ein partieller Block zwischen den Vorhöfen und den Kammern auf. 1 Vgl. Eiger, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 9; 1913. 2 Marceau, Ann. des sciences nat, zool., 8. serie, 19, S. 253; 1904. 3 Lange, Arch. f. mikr. Anat., 84, S. 221 ; 1914. 4 Vgl. auch H.E.Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 571. — Nukada (Mitt. d. mediz. Fakultät d. kaiserl. Universität zu Tokio, 19, S. 151), der die Ansicht einer nervösen Fortpflanzung der Erregung durch das Herz vertritt, stellt sich vor, daß die Purkinj eschzn Fasern zum Schutz der reizleitenden nervösen Elemente bei den kräftigen Bewegungen der Herzkammer dienen. 5 Fredericq, Arch. intern, de physiol., 4, S. 72; 1906. ,; Eyster und Meek, Arch. of int. med., 19, S. 123; 1917. 7 Über Störungen in der Reizübertragung von dem „Venensinus" auf den rechten Vorhof, vgl. auch H. E. Hering, Zeitschr. f. exp. Pathol., 3, S. 511; 1906. 198 Die Innervation des Herzens. Nach seinen Beobachtungen am Hundeherzen gibt Erlanger1 folgende Dar- stellung der Erscheinungen, welche auftreten, wenn das Bündel mittels einer dazu konstruierten Klammer allmählich zusammengedrückt wird. An und für sich bewirkt das Einführen der Klammer keine Veränderung der Schlagfolge. Wenn sie aber geschlossen wird, tritt zuerst eine allmählich immer größere Verlängerung des zeitlichen Intervalls zwischen dem Beginn der Vorhof- und dem der Kammersystole auf, bis schließlich eine Kammer- kontraktion ganz ausfällt. Sogleich darauf wird das betreffende Intervall wieder kurz, nimmt aber allmählich aufs neue zu, bis eine zweite Kammersystole aus- fällt. Anfangs fallen die Kammerkontraktionen ziemlich unregelmäßig aus; bald tritt hier aber insofern eine Regelmäßigkeit auf, daß zwischen den aus- gefallenen Herzschlägen eine und dieselbe Zahl von Herzschlägen (10, 9, 8, 7 usw.) erscheint. In der Regel ruft aber die Abklemmung des Bündels einen partiellen Block hervor, bei welchem nur noch jede zweite Vorhofkontraktion von einer Kammer- systole beantwortet wird. Bei stärkerem Zuziehen der Klammer wird ein Rhythmus von 3:1, 4:1 ausgelöst, bis schließlich .der vollständige Block her- gestellt ist. Wenn das Herz bei diesen Manipulationen nicht zu stark beschädigt wird, gehen die Herzschläge nach Lösen der Klammer in umgekehrter Ordnung in den normalen Rhythmus wieder über.2 Wenn die Schlagfolge der Vorhöfe bei partiellem Block beschleunigt wird, so verwandelt sich der Block von z. B. 1:2 auf 1:3; bei genügend starker Be- schleunigung kann sogar ein kurzdauernder Stillstand der Kammern auftreten; z. B. bei einer Schlagfrequenz von 20 pro 10 Sekunden schlugen die Kammern isochron mit den Vorhöfen; bei Vermehrung der Schlagfrequenz der letzteren auf 38 standen die Kammern 10 Sekunden lang still.3 Die Ursache dieser Erscheinung findet Erlanger11 darin, daß bei der größeren Frequenz der Vorhofkontraktionen die von diesen nach den Kammern aus- gehenden Erregungen zu schwach sind, um eine Kammerkontraktion hervor- zurufen. Daher stehen die Kammern eine Zeitlang still, während deren ihre Erregbarkeit allmählich immer mehr ansteigt, bis sie endlich eine solche Höhe erreicht hat, daß die Vorhofimpulse genügen, um eine Kontraktion aus- zulösen. Daß eine verminderte Erregbarkeit der Kammern die Ursache des Blockes darstellen könnte, verneint Erlanger* unter Hinweis darauf, daß diese vielmehr beim Block ein klein wenig gesteigert ist. Betreffend den beim partiellen Herzblock stattfindenden Mechanismus verweise ich übrigens auf die Erörterung der gleichen Erscheinung bei den kalt- blütigen Wirbeltieren (II, S. 173). 1 Erlanger, Journ. of exp. med., 8, S. 57 des S.-A.; 1906. 2 Über den Herzblock beim Menschen vgl. die Literatur der Herzkrankheiten. Die Wirkung einiger Arzneimittel beim Herzblock ist von v. Egmond, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 39; 1913; — 180, S. 149; 1920, am überlebenden Kaninchenherzen experimentell unter- sucht worden. 3 Erlanger und Hirschfelder, Amer. journ. of physiol., 15, S. 181; 1906. 4 Erlanger, ebenda, 16, S. 171, 182; 1906. 5 Erlanger, ebenda, 16, S. 172; 1906. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 199 d) Die zeitliche Folge der Ausbreitung der Erregung auf die einzelnen Herzabteilungen (vgl. § 62, e). Nach den Versuchen von Fredericq1, Schmidt-Nielsen2 und Stassen3 wird die in der Gegend der Einmündung der großen Venen in den rechten Vorhof ausgelöste Erregung mit einer meßbaren Geschwindigkeit von dem rechten nach dem linken Vorhof übertragen.4 Bei mittelgroßen Hunden betrug die hierzu notwendige Zeit etwa 0,01 — 0,03 Sekunde. Durch Erschwerung der Leitung mittels eines mäßigen Druckes auf den rechten Vorhof kann diese Zeit auf 0,08 Sekunde ansteigen (Fredericq^). Dabei findet sich kein bestimmter Weg vor, auf welchem die Erregung von dem einen Vorhof zum anderen übertragen wird, denn die normale Schlagfolge bleibt bestehen, sobald an irgendwelcher Stelle auch nur eine etwa zentimeterbreite Brücke unversehrt ist (Fredericq6). Andererseits konnten Hirschfelder und Eyster7 bei dem Hunde- und Katzen- herzen in situ keinen zeitlichen Unterschied in bezug auf die Kontraktion des rechten und linken Vorhofes wahrnehmen. Zu etwa demselben Resultat ist auch Leontowitsch8 gekommen. In seinen Versuchen zeigte die Übertragungszeit große Variationen; dabei schritt die Zusammenziehung am ausgeschnittenen Kaninchenherzen am häufigsten in folgender Reihenfolge über die Vorhöfe: rechter Vorhof (hinterer Teil), rechtes Herzohr und ferner linkes Herzohr, linker Vorhof (hinterer Teil) oder linker Vorhof, linkes Herzohr. Von einer streng bestimmten Folge der Kontraktionen konnte keine Rede sein und verschiedene Vorhofteile können sich gleichzeitig oder in beliebiger Reihenfolge hintereinander zusammenziehen. Auf Grund dieser Erfahrungen und der sehr großen Variationen der Ge- schwindigkeit der Kontraktionswelle nimmt Leontowitsch als sehr wahrscheinlich an, daß sich bei den normalen Herzkontraktionen alle Vorhofteile gleichzeitig kontrahieren. Dagegen sind die Resultate Fredericqs und seiner Schüler von Bachmann'* am Hundeherzen bestätigt worden. In seinen Versuchen fingen die Kontraktionen des rechten Herzohres regelmäßig vor denjenigen des linken Herzohres an. Die Erregung wird hier wesentlich durch ein etwa 20 mm langes Muskelbündel, das sich von dem sino-aurikularen Knoten zur Basis des linken Herzohres erstreckt, übertragen. Nach Durchschneidung desselben verlängert sich das zeitliche 1 Fredericq, Arch. intern, de physiol., 4, S. 60; 1906. 2 Schmidt-Nielsen, ebenda, 4, S. 421; 1907. 3 Stassen, ebenda, 5, S. 65; 1907. 4 Am sterbenden Herzen sieht man, nach Stillstand der Lungenvenenpulsation und der Kontraktion des linken Vorhofes, wie sich peristaltische Wellen am rechten Herzohr von links nach rechts, d. h. von der Gegend der Einmündungssteile der linken oberen Hohlvene gegen das rechte Herzohr, oder von rechts nach links, d. h. von der Einmündungssteile der rechten oberen Hohlvene über das rechte Herzohr ablaufen usw.; H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 82, S. 22; 1900. — Schon früher hatte Chauveau bei Vagusreizung am Pf erde herzen eine funktionelle Dissoziation der Vorhof kontraktionen beobachtet (Arloing, Arch. de physiol., 1894, S. 167). 5 Fredericq, Arch. intern, de physiol., 13, S. 253; 1913. 6 Fredericq, ebenda, 4, S. 57; — Bull, de l'Acad. des sciences de Belgique, 1901, S. 226. 7 Hirschfelder und Eyster, Amer. journ. of physiol., 18, S. 228; 1907. 8 Leontowitsch, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 115; 1909. 9 Bachmann, Amer. journ. of physiol., 41, S. 309; 1916. 200 Die Innervation des Herzens. Intervall zwischen dem Anfang der Vorhofkontraktionen, das normal durch- schnittlich etwa 0,013 Sekunde beträgt, auf das Drei- bis Fünffache. Das betreffende Bündel scheint also den wichtigsten, aber nicht den einzigen Weg der Reizübertragung darzustellen. Die Übertragungszeit der Erregung vom sino-aurikularen Knoten auf den atrioventrikulären beträgt nach den Messungen von Eyster und Meek1 beim Hunde durchschnittlich 0,023 (0,007—0,048) Sekunde. Der Synchronismus der beiden Kammern darf keineswegs als ein absoluter aufgefaßt werden, denn nach Fauconnier2 beginnt beim Hunde die Systole der linken Kammer nicht selten vor der der rechten. Er wird aufgehoben, wenn die Kammern voneinander isoliert werden, aber fortwährend mit den Vorhöfen in ununterbrochenem Zusammenhang stehen. Jede Kammer schlägt nun in ihrem eigenen Rhythmus (Porter3). Hier liegt wahrscheinlich die Folge einer Spaltung des Verbindungsbündels vor. Allein für sich vermag auch die Durchtrennung des einen Schenkels vom Verbindungsbündel den Synchronismus bei unversehrten Kammern aufzuheben, indem die Erregung in diesem Falle von der zuerst gereizten Kammer auf die andere übergeht (Cohn und Trendelenburg*, Cullis und Dixonb). Wenn die isolierte Spitze des ausgeschnittenen Hundeherzens künstlich ernährt wird, schlagen beide Kammern in einem und demselben Rhythmus. Dasselbe ist auch der Fall, wenn das Herz in mehrere Stücke zerlegt wird, wenn nur diese mit den Koronargefäßen zusammenhängen. Und im allgemeinen schlägt ein von der Kammer isolierter Teil in demselben Rhythmus wie die Kammer selbst, solange er mit dieser durch eine verbindende Brücke zusammenhängt. Wird diese aber durchschnitten, pulsieren die nun getrennten Stücke ganz un- abhängig voneinander (Porter*). Daß es nicht die Gefäße sind, welche diese Isorhythmie verursachen, folgt daraus, daß sie nach Durchschneidung der Verbindungsbrücke mit beibehaltener Gefäßverbindung sogleich verschwindet (Porter1). Daraus läßt sich indessen nicht schließen, daß die Fortpflanzung der Er- regung durch die Kammer muskulär stattfindet, denn die betreffende Verbindung hat ja durch die Nervennetze, welche die Muskelbündel umspinnen, erfolgen können. Angesichts des anatomischen Baues der Herzkammern erscheint es von vornherein nur wenig wahrscheinlich, daß die Kammern beim unversehrten Herzen in verschiedenem Rhythmus schlagen sollten. Es finden sich indessen Angaben, nach welchen eine wirkliche Dissoziation zwischen den beiden Kammern ohne jeden operativen Eingriff aufgetreten ist. So erwähnt Gley8, daß er bei sechs Meerschweinchen, einem Kaninchen und einem Hunde Pulsationen bei 1 Eyster und Meek, Aren, of int. med., 18, S. 789; 1916. 2 Fauconnier, Arch. intern, de physiol., 7, S. 467; 1909. 3 Porter, Amer. journ. of physiol., 2, S. 134; 1899. 4 Cohn und Trendelenburg, Arch. f. d. ges. Physiol., 131, S. 86; 1910. 5 Cullis und Dixon, Journ. of physiol., 42, S. 160; 1911. 6 Porter, Amer. journ. of physiol., 2, S. 129; 1899; — vgl. auch Fredericq, Arch. intern, de physiol., 4, S. 62; 1906. 7 Porter, Amer. journ. of physiol., 2, S. 131. s Gley, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1893, S. 1053. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 201 der rechten Kammer allein gesehen hat; Arloing1 beschreibt beim Pferde einen Asynchronismus der Kammern, der im Verlauf einer lange dauernden Vagus- reizung erschien; Knoll2 fand bei starken Drucksteigerungen im großen Kreis- lauf infolge von Erstickung oder Vergiftung mit Helleborein bei durchschnittenen Vagi nicht selten Unregelmäßigkeiten in der Weise, daß in der Lungenarterie die Pulse unverändert blieben, in der Carotis aber sehr kräftige Systolen mit sehr schwachen abwechselten. Auch traf es ein, daß die Pulsfrequenz in der Carotis nur die Hälfte von der in der Pulmonalis war, oder daß am rechten Herzen Unregelmäßigkeiten auftraten, welche noch bestehen konnten, wenn das linke Herz seine regelmäßige Tätigkeit wieder aufgenommen hatte. Ob es sich bei der Halbierung der Pulsfrequenz in der Carotis wirklich um ein vollständiges Ausbleiben von Systolen am linken Herzen handelte, oder ob die Systolen immer nur so abgeschwächt waren, daß sie keine durch das Mano- meter wiedergebbare Blutbewegung mehr erzeugten, vermochte Knollz nicht zu entscheiden. Demgegenüber bemerken 0. Frank und F. Voit*, daß in ihren über eine halbe Stunde sich erstreckenden Versuchen am Kaninchen und Hunde bei der Erstickung bzw. Helleboreinvergiftung eine als Hemisystolie zu bezeichnende Unregelmäßigkeit niemals erschien. Fast ausnahmslos folgten sich hier die Pulse der beiden Kammern von Anfang an bis zu Ende vollkommen gleich- mäßig, indem jeder Schwankung der Druckkurve in der rechten auch eine solche in der linken Kammer entsprach. Dies blieb bis zum Aufhören der Herztätigkeit bestehen, so daß auch in der Agonie keine Inkongruenz auftrat. Über die Richtung, in welcher die Erregung durch die Kammern fortgepflanzt wird, liegen mehrere Versuchsreihen vor. Die dadurch erzielten Resultate sind indessen noch lange nicht als genügend zu bezeichnen, denn bei diesen Unter- suchungen macht sich der Übelstand überaus leicht geltend, daß sich die Fort- pflanzungsrichtung der Erregung gar zu leicht umkehrt, was nicht unwahr- scheinlich mit der Leichtigkeit zusammenhängt, mit welcher beim Säugetier- herzen neue Reizbildungsstellen entstehen. Bei ausgeschnittenen, spontan pulsierenden, aber nicht künstlich ernährten Herzen begann in den Versuchen von Waller und Reid5 die Kontraktion in der Regel an der Spitze; in einigen Fällen konnte keine zeitliche Differenz zwischen der Basis und der Spitze wahrgenommen werden, und nur in zwei Fällen von 25 zog sich die Basis zuerst zusammen. Bayliss und Starling6 machten entsprechende Versuche am bloßgelegten Herzen in situ, wobei die künstliche Atmung mit erwärmter Luft besorgt wurde. 1 Arloing, Travaux du laboratoire de Fredericq, 4, S. 220; 1892; — Aren, de physiol., 1894, S. 168. 2 Knoll, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 99 (3), S. 31 ; 1890. 3 Knoll, ebenda, 99 (3), S. 41. 4 O. Frank und F. Voit, Deutsches Arch. f. klin. Med., 65, S. 583. — Weitere Angaben s. bei Kraus und Nicolai, Deutsche med. Wochenschr., 1908, S. 1 ; — H. E. Hering, ebenda, 1 908, S. 638. 5 Waller und Reid, Philosoph, transact., 1887, B, S. 230. 6 Bayliss und Starling, Proceed. of the Royal Society, 50, S. 21 1 ; 1891 ; — Intern. Monats- schr. f. Anat. u. Physiol., 9, S. 260; 1892. 202 Die Innervation des Herzens. Dabei begann die Kontraktion an der Basis. Wenn dagegen das Tier mit künstlich erkalteter Luft ventiliert wurde, fing die Kammersystole bei der Spitze an. Die folgenden Versuche von Schlüter1 am künstlich ernährten ausgeschnittenen Herzen ergaben, daß anfangs die Basis in der Regel vor der Spitze kam; später traten alle beide gleichzeitig in Tätigkeit und schließlich begann die Zusammen- ziehung an der Herzspitze. An einem Kaninchenherzen in situ fing die Kontraktion früher an der Spitze an; das Tier war aber tief betäubt und das Herz pulsierte nur wenig kräftig. Beim Hundeherzen in situ fand Fauconnier2, daß bei der linken. Kammer die Basis sich 0,025 — 0,012 Sekunde vor der Spitze kontrahierte, sowie daß bei der rechten Kammer die Kontraktion in umgekehrter Richtung, also von der Spitze nach der Basis in einer Zeit von 0,017 — 0,036 Sekunde erfolgte.3 Nach Zerstörung des Verbindungsbündels konnte sich die spontane Systole der linken Kammer in beiden Richtungen fortpflanzen.4 Wenn die beiden Kammern eines ausgeschnittenen Herzens in der Weise voneinander und der Scheidewand getrennt werden, daß sie nur durch je eine 2 — 3 cm breite Brücke mit letzterer zusammenhängen, so sieht man, wie die Kontraktion in der Scheidewand beginnt, und von dort erst auf die linke, dann auf die rechte Kammer übergeht (Stassen5). Über den Augenblick, wo die Papillarmuskeln in Tätigkeit geraten, sind die Angaben ziemlich wechselnd. Mittels eines durch den Vorhof in die Kammer eingeführten Drahtes, welcher in ein Segel der Atrioventrikularklappe festgesetzt wurde, gelang es Roy und Adami6, die Bewegungen der Papillarmuskeln des in situ schlagenden Hunde- herzens aufzuzeichnen; gleichzeitig wurden auch die Bewegungen der Kammer- wand registriert. Es ergab sich, daß die Kontraktion der Papillarmuskeln später begann und früher aufhörte als die der Herzwand; sie verlief zuerst schnell, dann langsam bis zum Maximum. Dieses dauerte indessen nur eine kurze Zeit und wurde bald durch einen plötzlichen Abfall unterbrochen. Am ausgeschnittenen, aber nicht künstlich ernährten Kaninchenherzen fanden Fenwick und Owerend gleichfalls, daß sich die Papillarmuskeln (Y20 Sekunde) später als die Herzspitze kontrahierten.7 Allmählich wurde das Intervall immer länger, und 8 Minuten nach dem Tode des Tieres konnte keine Kontraktions- kurve mehr von den Papillarmuskeln erhalten werden. Fenwick und Owerend stellen sich daher als sehr wahrscheinlich vor, daß die Zusammenziehung der Papillarmuskeln und der Kammerwand etwa gleichzeitig beginnt und daß die in ihren Versuchen erschienene zeitliche Differenz nur von prämortalen Ver- änderungen bedingt war. 1 Schlüter, Arch. f. d. ges. Physiol., 89, S. 87; 1902; — vgl. Langendorf f, Arch.ital.de biol., 36, S. 51; 1901. 2 Fauconnier, Arch. intern, de physiol., 5, S. 124; 1907; — 6, S. 109; 1908. 3 Fauconnier, ebenda, 7, S. 462; 1909; — 9, S. 129; 1910. 4 Fauconnier, ebenda, 6, S. 111; 1908. 5 Stassen, ebenda, 5, S. 74; 1907. G Roy und Adami, The practitioner, 1890 (1), S. 88. 7 Fenwick und Owerend, British med. journ., 1891 (1), S. 1117. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 203 Nach der gleichen Methode wie Fenwick und Owerend machten auch Hay- craft und Paterson1 ihre Versuche, nur mit dem Unterschied, daß hier die Be- wegungen der Scheidewand von einem Orte gleich neben dem Papillarmuskel registriert wurden. Die Registrierung konnte schon l1/, Minuten nach dem Tode des Tieres (Kaninchen) beginnen. Dabei zogen sich Papillarmuskel und Scheide- wand gleichzeitig zusammen. Schon eine Minute später stellte sich aber eine zeitliche Differenz dar, indem entweder der Papillarmuskel oder die Scheide- wand später kam. Auf Grund dessen schlössen sich diese Autoren der Auf- fassung von Fenwick und Owerend an. Am mit der Lockeschen Lösung künstlich ernährten Kaninchenherzen registrierte Saltzman2 gleichzeitig die Bewegungen eines Papillarmuskels der rechten Kammer und die der Scheidewand bzw. der Außenwand der rechten Kammer. Auch hier trat der Übelstand auf, daß die Resultate nicht in allen Versuchen übereinstimmten. Aus den als typisch zu bezeichnenden Versuchen scheint indessen zu folgen, daß die Papillarmuskeln ihre Zusammenziehung nach der Basis und vor der Spitze der Scheidewand beginnen. Dies würde zeigen, daß sich die Kontraktion von dem oberen Ende der Scheidewand nach der Spitze hin fortpflanzt, und daß die Papillarmuskeln erregt werden, wenn sich die Kon- traktionswelle bis zu ihnen fortgepflanzt hat. In anderen Versuchen trat indessen eine vollständige Umkehr der Leitungs- richtung auf, während in wieder anderen die umgekehrte Leitung im Verlauf des Versuches in die typische überging. Dem typischen Verhältnis entsprechend zeigte sich bei gleichzeitiger Regi- strierung der Kontraktion der Scheidewand an der Basis und an der Spitze, daß die Erregung in der Scheidewand absteigend verlief. Ferner ergab sich, daß die Erregungswelle in der vorderen äußeren Wand der rechten Kammer sich in aufsteigender Richtung fortpflanzte. Nach den Ermittlungen von Saltzman würde also, in der Mehrzahl der Fälle, beim ausgeschnittenen, künstlich ernährten Kaninchenherzen die Erregung in der rechten Kammer längs der Scheidewand von oben nach unten verlaufen, dann bei der Spitze auf die Außenwand übergehen und in dieser sich von unten nach oben fortpflanzen. In letzterer Hinsicht stimmen die Ergebnisse mit denen von Fauconnier (II, S. 202) genau überein. Bei entsprechenden Versuchen am ausgeschnittenen, mit Salzlösung er- nährten Hundeherzen fand Heringz, daß in der Regel der vordere Papillarmuskel sich vor dem Conus — also der Außenwand an der Basis — kontrahierte. Das- selbe war auch beim natürlich durchströmten Hundeherzen der Fall. Es scheint mir, daß sich diese Erfahrungen — insofern sie sich auf die rechte Herzhälfte beziehen — mit dem anatomischen Befund über den Verlauf des Übergangsbündels im Herzen ganz gut vereinbaren lassen. Dagegen sind die wenigen Angaben über die Fortpflanzungsrichtung der Erregung in der linken 1 Haycraft und Paterson, Journ. of physiol., 19, S. 262; 1896. 2 Saltzman, Skand. Arch. f. Physiol., 20, S. 233; 1907. 3 H. E. Hering, Zentralbl. f. Physiol., 21, S. 719; 1908; — Arch. f. d. ges. Physiol., 126, S. 225; 1909. 204 Die Innervation des Herzens. Kammer nicht ohne weiteres mit den anatomischen Resultaten in Übereinstimmung zu bringen. Angesichts der vielfachen Unsicherheit, die noch waltet, und der großen Lücken, die sich noch vorfinden, dürfte es sich zurzeit nicht lohnen, die anatomischen und die physiologischen Daten näher zu vergleichen. Aus allen diesen Erfahrungen geht indessen mit großer Bestimmtheit ein allgemeines Resultat von bedeutender Tragweite hervor. Obgleich es beim bloßen Anblick erscheint, als ob die beiden Kammern in ihrer ganzen Aus- dehnung mit einem Male in Tätigkeit versetzt werden sollten, ist dies dennoch nicht der Fall, vielmehr findet die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz mit einer meßbaren Geschwindigkeit statt. Näheres über diese Frage bei der Erörterung der elektrischen Erscheinungen am tätigen Herzen. e) Das zeitliche Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammersystole. Wie bei den kaltblütigen Tieren begegnet die Lehre von der myogenen Fortpflanzung der Erregung auch bei den warmblütigen einer Schwierigkeit in der Deutung des zeitlichen Intervalls zwischen der Vcrhof- und der Kammer- kontraktion. Kent1 suchte durch den Hinweis darauf, daß die Fasern des Verbindungs- bündels dünner und von anderer Beschaffenheit als die übrigen Muskelfasern waren, dieser Schwierigkeit zu entgehen. Nach Engelmann2 würde das Verbindungsbündel einen embryonalen Charakter haben und die Pause dadurch zustande kommen, daß die embryonalen Muskel- fasern eine Erregung langsamer als andere Muskelfasern leiten. Im Anschluß an Gaskells Deutung der atrioventrikulären Pause bei den kaltblütigen Wirbeltieren deutete Erlanger9 die Pause im Säugetierherzen in der Weise, daß das Verbindungsbündel in großer Ausdehnung in der Ebene der atrioventrikulären Verbindung läuft und also nicht auf dem kürzesten Wege Vorhöfe und Kammern verbindet. Auf Grund des eigenartigen und weitverzweigten Verlaufes des Verbindungs- bündels ist Tawara* seinerseits zu folgender Auffassung über die Ursachen der atrioventrikulären Pause gekommen. Da das Bündel erst auf weiten Bahnen die Papillarmuskeln und Parietal- wände erreicht und es sich also um eine erhebliche Strecke handelt, welche die Reizwelle durchschreiten muß, ehe sie von der Vorhofmuskulatur zur Kammer- muskulatur gelangt, besteht die Aufgabe des Bündels darin, den Erregungsreiz möglichst gleichzeitig an allen Punkten der Kammerwand zur Einwirkung kommen zu lassen. Bis die Erregung ausgelöst wird, hat sie also einen langen Weg zurückzulegen, was das Intervall zwischen Vorhof- und Kammersystole genügend erklärt. An und für sich läuft, nach Tawara, die Reizwelle in den Fasern des Verbindungsbündels schneller als in den übrigen Kammermuskel- fasern; bei einem umgekehrten Verhalten würden der eigentümliche Verlauf des Bündels und die weit verbreiteten Endausbreitungen ganz zwecklose Einrichtungen 1 Kent, Journ. of physiol., 14, S. 249; 1893. 2 Engelmann, Deutsche Klinik im 20. Jahrhundert, 4. Wien 1903, S. 231. 3 Erlanger, Journ. of exp. med., 8, 1906; S. 70 des S.-A. 4 Tawara, Das Reizleitungssystem des Säugetierherzens. Jena 1906, S. 187. Die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz. 205 sein und eine einzige Verbindung des Bündels mit irgendeiner Stelle der Kammer- wand vollständig genügen. Demgegenüber findet Hering, der früher der Ansicht war, daß das Ver- bindungsbündel an und für sich eine geringere Leitungsfähigkeit als der übrige Herzmuskel besitzt1, nach neuen Versuchen am ausgeschnittenen Hundeherzen2, daß die betreffende Verzögerung nicht in den langen Bahnen des Leitungs- bündels zustande kommt, sondern ihre Ursache in dem physiologischen Ver- halten des atrioventrikulären Knotens hat. Wenn man nämlich das Bündel unterhalb des Knotens durchschneidet und die untere Schnittfläche elektrisch oder mechanisch reizt, so ist die Latenzdauer der solcherart ausgelösten Kammer- systole vier- bis fünfmal kürzer als bei der Reizung des Vorhofes vor der Durchschneidung des Bündels. Andererseits ist die Latenzdauer einer Vorhof- systole, die durch Reizung der oberen Schnittfläche ausgelöst wird und bei welcher also die Erregung den Knoten zu passieren hat, viel länger als bei der durch direkte Reizung des Vorhofs ausgelösten Systole. Der atrioventrikuläre Knoten verzögert also die Überleitung der Erregung zwischen Vorhof und Kammer des Säugetierherzens. Endlich hat Erlanger3 im Zusammenhang mit seinen schon besprochenen Versuchen über die Eigenschaften der Purkinje sehen Fäden die Ursache der Pause aufs neue erörtert. Angenommen, daß im ganzen Reizleitungssystem die Erregung mit der ge- fundenen Geschwindigkeit von 0,75 m in der Sekunde fortgepflanzt wird, sowie daß die Impulse durch das betreffende System in erster Linie auf die Papillar- muskeln übertragen werden, was bei dem Kalbsherzen einer Distanz von etwa 5 cm entspricht, würde das Intervall zwischen Vorhof- und Kammersystole, wenn dasselbe nur durch die Fortpflanzungszeit im Verbindungsbündel bedingt wäre, etwa 0,066 Sekunde betragen. In Erlangers Versuchen war indessen diese Zeit viel länger, in der Regel etwa 0,14 Sekunde. Der Unterschied, 0,074 Sekunde, muß daher auf die Latenzdauer bei dem Übergang von dem einen Gewebe in das andere bezogen werden. Die Möglichkeit, daß diese Ver- spätung, in Übereinstimmung mit Frings Ansicht, zum Teil im atrioventrikulären Knoten stattfindet, will Erlanger nicht verneinen. Er hebt aber hervor, daß dies nicht einwandfrei nachgewiesen ist. In bezug auf die Frage, ob die Reizleitung durch das Herz auf nervösem oder muskulärem Wege erfolgt, haben auch nicht die Erfahrungen am Säuge- tierherzen eindeutige Resultate gezeitigt. Die allermeisten hierher gehörigen Tatsachen lassen sich ohne größere Schwierigkeit sowohl mit der einen als mit der anderen Anschauung in Übereinstimmung bringen, und wir müssen wohl bis auf weiteres zugeben, daß eine bestimmte Entscheidung noch nicht möglich ist. Und damit ist uns zurzeit auch die Möglichkeit ausgeschlossen, eine be- stimmte Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Herzautomatie zu erhalten. 1 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 107, S. 107; 1903. 2 H. E. Hering, ebenda, 131, S. 575; 1910. 3 Erlanger, Amer. journ. of physiol., 30, S. 416; 1912. 206 Die Innervation des Herzens. Achtzehntes Kapitel. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. Unter Anwendung der Methode der sekundären Zuckung wiesen Kölliker und H. Müller1 zum erstenmal nach, daß die Tätigkeit des spontan schlagenden Frosch- herzens von elektrischen Strömen begleitet war, und zwar wurde vom sekundären Muskel bei jeder Systole nur eine einzelne Zuckung und kein Tetanus ausgeführt. Die natürliche Systole des Herzens war also der einfachen Zuckung eines Skelettmuskels gleichzustellen — ein Resultat, das einige Jahre später von Marey2 vollständig bestätigt wurde. § 61. Beschreibung der elektrischen Erscheinungen am tätigen Herzen. a) Durch künstliche Reize hervorgerufene Herzkontraktionen. Genauere Untersuchungen über den Aktionsstrom des Froschherzens wurden dann zunächst von Marchand3, Engelmann*, sowie von Burdon-Sanderson und Page5 ausgeführt. Dieselben fanden unter Anwendung des Rheotomes von Bernstein statt und beziehen sich also nur auf Herzkontrak- tionen, welche durch Reizung der Kammer oder der Vorhöfe künst- lich hervorgerufen wurden. Als Beispiel dieser Versuche teile ich den folgenden von Burdon- Sanderson und Page hier mit.6 Die zufolge Abschneidung unterhalb des Sinus stillstehende Herzkammer wurde mittels zweier in 3 mm Entfernung voneinander angelegten Elektroden x und y nach dem Galvanometer abgeleitet. Die Kammer wurde an der Basis (oberhalb x, Fig. 224) gereizt und der Galvano- meterausschlag in bestimmten Zeitabschnitten nach der Reizung beobachtet. Das Ergebnis ist in folgender Tabelle enthalten; dort bedeutet — , daß die der Basis nähere Stelle x in bezug auf die von der Basis aus entferntere y negativ elektrisch war, + dagegen, daß y im Verhältnis zu x negativ war. * Fig. 224. Zeit nach der Reizung; Größe und Richtung Zeit nach der Reizung; Größe und Richtung Sekunden des Ausschlages Sekunden des Ausschlages 0,04 0 0,20 - 8 0,06 - 7 0,22 - 2 0,08 - 28 0,24—1,40 ± o 0,10 - 40 1,60 -f- 6 0,12 -48 1,70 + 15 0,14 - 45 1,80 + 10 0,16 - 31 1,90 ± o 0,18 -20 1 Kölliker und H. Müller, Verh. d. physik.-med. Ges. in Würzburg, 6, S. 530; 1856. — Einmal sahen die Autoren den Froschschenkel bei jeder Systole sich tetanisch strecken. 2 Marey, Comptes rend. de l'Acad. des sciences, 63, S. 41; 1866. 3 Marchand, Arch. f. d. ges. Physiol., 15, S. 520; 1877; — 17, S. 137; 1878. 4 Engelmann, ebenda, 17, S. 68; 1878. 5 Burdon-Sanderson und Page, Journ. of physiol., 2, S. 384; 1880; — 4, S. 327; 1884. 6 Vgl. auch die entsprechenden Beobachtungen am Schildkrötenherzen von Galeotti, Archivio di fisiologia, 1, S. 264; 1904. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 207 0,04 Sek. nach der Reizung ist noch kein Aktionsstrom erschienen. Erst bei 0,06 Sek. wird ein schwacher Ausschlag beobachtet, welcher bei 0,12 Sek. sein Maximum erreicht; m. a. W. 0,12 Sek. nach der Reizung ist die Negativität der näher der Basis liegenden Stelle am größten. Danach nimmt sie ab, und bei 0,24 Sek. findet sich keine Potentialdifferehz mehr zwischen den beiden Stellen vor. Dieser Zustand dauert mehr als eine Sekunde, bis zu 1,40 Sek. Dann zeigt sich die näher der Spitze gelegene Stelle im Verhältnis zu der der Basis näher liegenden negativ elektrisch. Das Maximum tritt bei 1,70 Sek. auf, und bei 1,90 Sek. nach der Reizung ist die Potentialdifferenz wieder verschwunden.1 Diese Zahlenangaben gestatten eine nähere Analyse der Kontraktion des Herzens. Die Negativität der Stelle x bezeichnet natürlich, daß diese Stelle vor der Stelle y in Erregung versetzt wird. Ihre Negativität sinkt aber nach einmal Fig. 225. Schematische Darstellung der elektrischen Schwankung bei einer künstlich hervor- gerufenen Herzkontraktion. Nach Burdon-Sanderson und Page. erreichtem Maximum bald bis auf Null. Dies bedeutet, daß die Erregung bis zu y fortgepflanzt worden ist. Zuerst ist diese Stelle nur schwach erregt, und daher finden wir x eine Zeitlang negativ elektrisch, obgleich mit abnehmender Intensität. Dann aber wird y ebensostark erregt wie x, und solange dies der Fall ist, findet keine Potentialdifferenz zwischen x und y statt: das Galvanometer macht keinen Ausschlag. Die Stelle x aber, die früher tätig war, geht auch früher wieder in die Ruhe zurück. Daher wird y gegen Ende der Beobachtungsreihe eine Zeitlang negativ im Verhältnis zu x, bis endlich auch y in die Ruhe übergeht und jegliche Potentialdifferenz zwischen den beiden Stellen wieder verschwindet. Durch direkte Versuche überzeugten sich Burdon-Sanderson und Page davon, daß die dem Auge sichtbare Kontraktion der Kammer etwa ebensolange dauerte, als eine Potentialdifferenz zwischen den beiden abgeleiteten Stellen existierte. Fig. 225 stellt das Ergebnis schematisch dar; in derselben bedeutet die erste vertikale Linie den Reizungsaugenblick, die zweite das Ende der ersten Sekunde und die dritte das Ende der zweiten.2 Die weißen Felder bezeichnen die Galvano- 1 Burdon-Sanderson und Page, Journal of physiol., 2, S. 399. 2 Burdon-Sanderson und Page, ebenda, 2, S. 428. 208 Die Innervation des Herzens. meterausschläge. Die Kurven m und / repräsentieren die elektromotorischen Veränderungen bei den abgeleiteten Stellen, m bei x, / bei y. Die Negativität be- ginnt und erreicht ihr Maximum bei x früher als bei y. Dagegen fängt das Sinken bei y später an, und die Linie trifft hier die Abszisse später. Diese Kurven stellen also den Erregungszustand und dessen Veränderungen bei der Kammersystole an den beiden abgeleiteten Punkten dar. Bei Reizung der Kammer vom Vorhof aus wurden ganz gleichlautende Re- sultate erhalten (Marchand1). Die Einführung des Kapillarelektrometers in der Physiologie gab der For- schung über die elektrischen Erscheinungen am Herzen einen neuen Aufschwung. Nachdem Marey2 zuerst die Anwendbarkeit dieses Instrumentes bei Unter- suchungen über die Aktionsströme des Herzens nachgewiesen, und Loven3 dem- selben eine für physiologische Zwecke sehr praktische Form gegeben hatte, teilten Burdon-Sanderson und Page* eine Anzahl Photographien von den mittels des Kapillarelektrometers aufgenommenen Aktionsströmen der künstlich erregten Herzkammer mit, welche die mit dem Rheotom gewonnenen Ergebnisse vollständig bestätigten. b) Die bei den spontanen Kontraktionen des freigelegten Herzens stattfindenden elektrischen Schwankungen, mittels des Kapillar- elektrometers aufgenommen. Am spontan schlagenden, freigelegten Herzen wurden die ersten Photo- graphien des Aktionsstromes im Jahre 1887 von Waller aufgenommen.5 Fig. 226 Fig. 226. Zuckungskurve (h) und Aktionsstrom (e) des spontan schlagenden Froschherzens. Nach Waller. stellt die Kopie einer solchen Photographie dar; daselbst bezeichnet t die Zeit in 1/20 Sek., h die Kontraktionskurve des Herzens und e den Ausschlag des Kapillar- elektrometers. Das Kapillarelektrometer war mit der Basis und der Spitze der Herzkammer in der Weise verbunden, daß sein Ausschlag bei Negativität der Basis nach unten gerichtet war. Wir sehen, daß auch beim spontan schlagenden 1 Marchand, Arch. f. d. ges. Physiol., 17, S. 137; 1878. 2 Marey, Comptes rend. de l'Acad. des sciences, 82, S. 975; 1876. 3 Loven, Nordiskt medicinskt arkiv, 11, 1879; — Anat. u. physiol. Arbeiten. 1906, S. 239. 4 Burdon-Sanderson und Page, Journal of physiol., 4, S. 327; 1884. 5 Waller, Journ. of physiol., 8, S. 231; 1887. Leipzig Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 209 Froschherzen der Aktionsstrom einfach ist und die beiden Phasen darbietet, welche für die einfache Muskelzuckung charakteristisch sind. Bei genauerer Prüfung der Abbildung in Fig. 226 finden wir eine vollständige Übereinstimmung mit den Ergebnissen, welche aus den unter Anwendung des Rheotomes an der künstlich gereizten Herzkammer gewonnen wurden. Auch sehen wir, daß der Aktionsstrom etwas früher als die sichtbare Kontraktion des Herzens beginnt, daß die Basis innerhalb einer sehr kurzen Zeit das Maximum der Negativität erreicht, daß nachher die Spitze negativ-elektrisch gegen die Basis wird, aber erst nachdem das Maximum der Kontraktion schon überschritten worden ist. c) Das Elektrokardiogramm im allgemeinen. Im Anschluß an diese Untersuchungen wies Waller1 auch nach, daß man an Tieren wie am Menschen die Aktionsströme von verschiedenen Stellen des unversehrten Körpers ableiten kann, und eröffnete dadurch ein weites Feld für neue Forschungen. Unter der Annahme, daß die Erregung von der Basis zur Spitze, oder von der Spitze zur Basis verläuft, sowie daß das Herz im übrigen wie ein parallelfaseriger Muskel behan- delt werden kann, konstruierte Waller die in Fig. 227 wieder- gegebene schematische Darstel- lung der durch die Aktionsströme des menschlichen Herzens be- dingten Spannungsverteilung im Körper. Eine reichliche Erfahrung hat seitdem ergeben, daß man durch Verbindung verschiedener Körperstellen mit dem Galvano- meter bei allen Tieren deutliche Ausschläge für die Aktionsströme des Herzens bekommt. Indessen ist das Wallersche Schema nicht unbedingt gültig, denn es kommen auch Potentialdifferenzen bei Ableitungen vor, welche nach diesem unwirksam sein sollten, wie vor allem aus Einthovens2 Beobachtung folgt, daß bei Ableitung von der linken Hand und einem der Füße deutliche Aktionsströme im Galvanometer er- scheinen. Hier spielt natürlich die Lage der Potentialachse des Herzens eine maß- gebende Rolle, und aus der Berechnung der Spannungskurven bei verschiedener Fig. 227. Schema der durch die Aktionsströme des menschlichen Herzens bedingten Spannungsverteilung. Nach Waller. - — , Niveaulinien von gleichem positiven Potential; , Niveaulinien von gleichem nega- tiven Potential; , Stromlinien, welche die Niveau- linien senkrecht schneiden. 1 Waller, Philos. transact, 180, B, S. 178; 1889. 2 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 552; 1908. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. U 210 D'e Innervation des Herzens. Richtung derselben hat Waller1 selber unter anderem gefunden, daß im soeben berücksichtigten Falle, d. h. bei Ableitung von linker Hand und linkem Fuß, nur dann, wenn die Neigung etwa 60° beträgt, keine Stromzweige in die Galvano- meterleitung hineinkommen. Wenn also die Wallersche Darstellung nicht unbedingt gültig ist, hat sie nichtsdestoweniger für unsere Kenntnis von den Stromschwankungen des Herzens eine grundlegende Bedeutung, und es liegt meines Erachtens kein Grund vor, sein Schema durch irgendein anderes zu ersetzen, denn jedes Schema kann sich ja nur auf eine ganz bestimmte Neigung der Potentialachse beziehen. Selber hat Waller2 eine Tafel entworfen, mit deren Hilfe er anschaulich zeigt, wie sich der Ausschlag bei unwirksamer und wirksamer Anordnung mit höherem oder niedrigerem Werte des Neigungswinkels der Potentialachse in der Brust- höhle theoretisch ändert. Die vom unversehrten Körper nach dem Elektrometer abgeleiteten Aktions- ströme wurden schon von Waller3 photographisch aufgenommen. Für diese so erhaltenen Kurven hat Einthoven den Ausdruck Elektrokardiogramm ein- geführt. Unter derselben Bezeichnung hat man indessen vielfach die Aktions- ströme des Herzens im allgemeinen, so wie sie bei direkter Ableitung von der Herz- oberfläche erscheinen, verstanden. Da beide indessen nicht ein und dasselbe sind, werde ich im folgenden das Wort Elektrokardiogramm in dem oben er- wähnten beschränkteren Sinn benutzen, und die bei direkter Ableitung des tätigen Herzens auftretenden Stromschwankungen als Aktionsströme des Herzens be- zeichnen.4 Wenn man bei geöffnetem Brustkasten das bloßgelegte Herz an zwei Punkten mit dem Galvanometer verbindet, so stellt der dabei eventuell auf- tretende Ausschlag die Potentialdifferenz zwischen den beiden abgeleiteten Punkten dar. Bei der Anlegung von Elektroden an der Körperoberfläche findet die Ab- leitung gewissermaßen von dem gesamten Herzen, d. h. von sämtlichen Punkten der Herzoberfläche statt, und die resultierende Kurve muß daher, wie Samojloff5, dem sich auch Einthoven6 angeschlossen hat, bemerkt, eine Durchschnittskurve sein, auf deren Form unzählige Punkte des Herzens während seiner Tätigkeit einen Einfluß ausüben, oder kurz die algebraische Summe der von den verschiedenen Herzabteilungen ausgehenden Ströme darstellen (Selenin7). Am künstlich durchströmten Säugetierherzen haben Boden und Neukirchs das Elektrokardiogramm in der Weise aufgenommen, daß sie das Herz in der Salz- 1 Waller, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1917, S. 110. — Vgl. auch Waller, Proc. of the Royal Society, 86, B, S. 509; 1913; — 88, B, S. 49; 1914; — Journ. of physiol., 49, Proc, S. 33; 1915. 2 W.aller, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1917, S. 104. 3 Waller, Philos. transact., 180, B, S. 189. 4 Samojloff hat (Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 422; 1910) für den direkt abgeleiteten Aktionsstrom des Herzens den Namen Elektrogramm vorgeschlagen. Wegen der leichten Verwechslung dieses Namens mit dem Worte Elektrokardiogramm glaube ich, daß es zweck- mäßiger ist, beim Worte Aktionsstrom zu bleiben. 5 Samojloff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 210. 6 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 525; 1908. 7 Selenin, ebenda, 146, S. 328; 1912. 8 Boden und Neukirch, Arch. f. d. ges. Physiol., 171, S. 159; 1918. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 211 lösung hineintauchten und die ableitenden Elektroden gegen den rechten und linken Rand desselben orientierten, ohne daß diese das Herz berührten. Das solcherart abgeleitete Herz lieferte ein absolut konstantes Kurvenbild und unter gleichen Versuchsbedingungen konnte man stundenlang genau dieselben Schwan- kungen erhalten. Diese Methode scheint sich also vorzüglich zu Versuchen über die Einwirkungen von verschiedenen Variabein auf das Elektrokardiogramm zu eignen, denn wie beim vom Körper abgeleiteten Elektrokardiogramm stellt der Ausschlag auch hier eine Durchschnittskurve dar. Man ist vielfach geneigt gewesen, solche Durchschnittskurven als besonders vorteilhaft aufzufassen, und hat unter anderem hervorgehoben, daß während die durch direkte Ableitung von zwei bestimmten Punkten erhaltenen Kurven der Aktionsströme vielfach variieren, das Elektrokardiogramm des unversehrten Tieres wesentlich beständiger bleibt, indem der bei Ableitung von zwei Punkten gerügte Übelstand, daß jeder Einfluß, der in irgendeiner Richtung den Zustand des einen von den abgeleiteten Punkten ändert, auch die Form der Aktionsstromkurve ändern kann, jetzt wegfällt; sowie daß das Elektrokardiogramm auch deshalb einen besseren Ausdruck der Gesamttätigkeit des Herzens abgibt, weil hier auch die Ströme der tieferliegenden Abschnitte des Herzens einen verhältnismäßig größeren Anteil an der Gesamtsumme haben (Kraus und Nicolai1). Gerade hierin sehe ich meinesteils einen großen Mangel beim Elektrokardio- gramm. Denn bei der Analyse der Herztätigkeit können die elektrischen Er- scheinungen des Herzens viel mehr leisten, wenn sie in ihren Einzelheiten studiert werden, als wenn wir eine Gesamtresultante vor uns haben, die wir zuerst in ihre einzelnen Bestandteile zerlegen müssen. Mutatis mutandis und unter Berücksichtigung der vielen durchgreifenden Unähnlichkeiten entspricht das Elektrokardiogramm in bezug auf seine Zu- verlässigkeit und seiner Kompli- kation dem Kardiogramm. Wie dieses beim Menschen als Ersatz der direkten Bestimmung des Druckablaufes in den Herzhöhlen dient, so dient uns auch das Elektrokardiogramm als Ersatz für direkt am Herzen gewonnene Aufnahmen der Aktionsströme. d) Das Elektrokardiogramm beim Menschen. Ein von Waller'2 veröffent- lichtes, mittels des Kapillarelek- trometers gewonnenes mensch- liches Elektrokardiogramm ist in Fig. 228 wiedergegeben. Dabei Fig. 228. Elektrokardiogramm vom Menschen. Nach Waller, e, Kapillarelektrometerausschlag; c, Kardio- gramm. Von links nach rechts zu lesen. 1 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm. Leipzig 1910, S. 49; und Neukirch, a. a. O., 171, S. 153. 2 Waller, Philos. transact, 180, B, S. 189; 1889. vgl. auch Boden W 212 Die Innervation des Herzens. Fig. 229. Elektrokardiogramm vom Menschen. Nach Einthoven. Von links nach rechts zu lesen. wurde vom Munde und dem linken Fuß abgeleitet. Es stellt einen zwei- phasischen Strom dar, bei dessen erster Phase Negativität der Spitze und bei der zweiten Negativität der Basis auftritt. Um die wirkliche Dauer und die wirkliche Größe der elektrischen Schwan- kungen richtig anzuzeigen, muß die Kapillarelektrometerkurve nachkonstruiert werden. Der erste, der dies durchgeführt hat, ist Einthoven1. Bei Ableitung von den beiden Händen hatte das Elektrokardiogramm nach stattgefundener Umkon- struktion die aus Fig. 229 ersichtliche Form. Es ent- hält für jede Herzperiode 5 Zacken, welche von Ein- thoven mit den Buchstaben P, Q, R, S, T bezeichnet werden. Unter denselben sind Q und R scharf, P, S und T stumpfer. Die höchste Spitze ist R. Der Körper war mit dem Elektro- meter in der Weise verbunden, daß ein Ausschlag nach oben Negativität des durch die rechte Hand abgeleiteten Herzteils bedeutet. Bei einem Fall von Myo- degeneration des Herzens be- obachtete Einthoven2 nach der Zacke T noch eine Zacke (U), welche später sowohl von ihm3 als von Lewis und Gilder* wie von H. E. Hering5 auch bei Gesunden in der Regel nachgewiesen worden ist. Sie kommt nur bei langsamer Frequenz der Herzschläge zum Vorschein, weil sie sonst zum _. , t . ,. Teil von der vorhergehenden Fig. 230. Schema der Zacken im Elektrokardiogramm. ° Nach Kraus und Nicolai. A, Atrium zacke (= Einthovens P); Zacke T, zum Teil von der /, Initialzacke der Kammern (= Einthovens R); E, Final- nachfolgenden Zacke P Über- zacke (= Einthovens T); Ap, die der Atriumzacke folgende fe. (negative) Zacke; Ip, die der Initialzacke folgende (negative) deckt Wird. Zacke (= Einthovens S); Ep, die der Finalschwankung Auf Grundlage einer näheren folgende negative Zacke; Ja, die der Initialzacke voran- npnfim„ rfpc Flektrokardio- gehende (negative) Zacke (= Einthovens H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 112; 1913. 6 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 99. r i i — | — r—t — rri — 1 — i • i t -X 41 4\ 11 44 jz tt tl t M I t Zu t t F 4 I j,fc jik ^ i ^ LiüJ 3k ^ <4&k llflr ^| fll jfllkfe^Pi ik. .d|||||r itf'k ■ 1 / (.P~ ^HP^^ 5 -iE J— J": J— : Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 213 es doch am nützlichsten erscheint, eine Nomenklatur zu benutzen, die nichts prä- judiziert.1 Waller beschränkt sich darauf, im Elektrokardiogramm nur drei Zacken zu be- zeichnen, nämlich die Vorhofzacke A (Atrium), die erste Kammerzacke V, (= QR S; Ventrikel) und die zweite Kammerzacke Vn (= T). In der Fortsetzung seiner Studien über das Elektrokardiogramm untersuchte Einthoven* im Verein mit de Lini den Einfluß der verschiedenen Stellen, von denen aus der Aktionsstrom abgeleitet werden konnte, und fand hierbei, daß, obgleich günstige und ungünstige Kombinationen, wie schon Waller angegeben hatte, vorhanden waren, bei jeder Ableitungsweise die Form des Elektrokardiogramms im großen und ganzen unverändert blieb. Indessen hatte Einthoven das Saitengalvanometer gebaut und damit der Wissenschaft ein Instrument zur Verfügung gestellt, welches die hier in Betracht kommenden Schwankungen ihrer Dauer und Größe nach direkt wiedergab.1 Fig. 231. Elektrokardiogramm vom Menschen. Nach Einthoven. Ableitung II. E, Elektro- kardiogramm; C, Carotispuls. 1 Skalenteil der Abszisse 0,01 Sek.; 1 Skalenteil der Ordinate 10-4 Volt. Die mit dem neuen Galvanometer aufgenommenen neuen Elektrokardiogramme (Fig. 231) zeigten eine sehr weitgehende Übereinstimmung mit den nach der Kapillarelektrometerkurve konstruierten.5 Zur Verbindung mit dem Galvanometer wählte Einthoven6 drei Ableitungs- weisen, nämlich I, in querer Richtung von den beiden Händen; II, in schräger Richtung von der rechten Hand und dem linken Fuß; III, in der Längsrichtung von der linken Hand und dem linken Fuß (vgl. Figg. 232 — 234).7 1 Vgl. Kraus, Nicolai und F. Meyer, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 100; 1913. 2 Waller, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1917, S. 92. 3 Einthoven und de Lint, Arch. f. d. ges. Physiol., 80, S. 149; 1900. 4 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 99, S. 472; 1903; — 130, S. 287; 1909; — Ann. der Physik, 4. Folge, 12, S. 1059; 1903; — 14, S. 182; 1904; — 16, S. 20; 1905; — 21, S. 483, 665; 1906; — Arch. intern, de physiol., 4, S. 132; 1906; — Einthoven, Bergansius und Bijtel, Arch. f. d. ges. Physiol., 164, S. 167; 1916. 5 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 149, S. 68; 1912. 8 Einthoven, ebenda, 122, S. 552; 1908. 7 Die am Elektrokardiogramm nicht selten auftretenden kleinen Zitterungen sind, wenn sie nicht die Folge von Erschütterungen des Galvanometers darstellen, der Ausdruck der Aktionsströme, welche die oft unvermeidlichen kleinen Zuckungen der Skelettmuskeln be- gleiten; Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 550; 1908; — Kahn und Pribram, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 99, S. 482; 1910. — Wie Schrumpf und Zöllich nachgewiesen haben, können sie vollständig vermieden werden, wenn das Elektrokardiogramm von der Brustwand auf- genommen wird, indem die eine Elektrode auf die Herzbasis, die andere auf die Herzspitze durch Gurte festgeschnallt wird. Auf diese Weise erhaltene Elektrokardiogramme sind immer 214 Die Innervation des Herzens. Andere Kombinationen wurden von Kraus und Nicolai1 geprüft, wie von der rechten Hand und dem rechten Fuß (Ableitung IV), von der linken Hand und dem rechten Fuß (Ableitung V) und von den beiden Füßen (Ableitung VI) (vgl. Fig. 235). Es hat sich indessen, wie es scheint, herausgestellt, daß die Ab- leitungen IV — VI von keinem besonderen Nutzen sind, und sie sind auch später nicht benutzt worden. «lüy\«wi^ Fig. 232. Elektrokardiogramm vom Menschen. Nach Einthoven. Ableitung I. Fig. 233. Elektrokardiogramm vom Menschen. Nach Einthoven. Ableitung II. Fig. 234. Elektrokardiogramm vom Menschen. Nach Einthoven. Ableitung III. Waller2 hat folgende Ableitungsstellen empfohlen: 1. rechte Hand — linke Hand; 2. rechte Hand — rechter Fuß oder linker Fuß; 3. linke Hand — linker Fuß oder rechter Fuß; 4. Mund — rechte Hand; 5. Mund — linke Hand; glatt, auch bei dem stärksten Zittern. Leider ist dabei aber der Ausschlag sehr klein (Aren, f. d. ges. Physiol., 170, S. 583; 1918). 1 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 138; — vgl. auch Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 303; 1909. 2 Waller, Proc. of the Royal Society, 86, B, S. 510; 1913; — Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1917, S. 94. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 215 unter welchen 1., 2., 3. mit den entsprechenden Ableitungsstellen bei Einthoven identisch sind, 2. (rechte Hand — rechter Fuß) mit Ableitung IV und 3. (linke Hand — rechter Fuß) mit Ableitung V bei Kraus und Nicolai übereinstimmt. Hierzu kommt noch als eine sechste Ableitung die vom Mund zum rechten oder linken Fuß. Zwischen den bei den Ableitungsweisen I, II und III erhaltenen Elektro- kardiogrammen besteht bei einer und derselben Person ein enger Zusammenhang, indem der zwischen Ableitung II und Ableitung I sich zeigende Unterschied der elektrischen Spannungen gleich der elektrischen Spannung bei Ableitung III ist, d. h. Ableitung II — Ableitung I = Ableitung III {Einthoven1). In der Wirklichkeit ist die Überein- stimmung indessen nicht immer so groß, wie sie theoretisch sein müßte, denn beim Wechsel der Ableitungsstellen werden die einzelnen Spitzen des Elektrokardiogramms nicht immer gleichmäßig verkleinert oder vergrößert und außerdem fallen noch die Abstände zwischen den Gipfeln der Hauptspitzen P, R, T ver- schieden groß aus, so daß sie bei ver- •~-@-^ Fig. 235. Verschiedene Ableitungsweisen des Elektrokardiogramms. Nach Kraus und Nicolai. Fig. 236. Schematische Darstellung des menschlichen Elektrokardiogramms bei verschiedener Ableitungs- weise. Nach Kahn. , Ableitung I; , Ableitung II; , Ableitung III. schiedenen Ableitungsweisen nicht in identische Phasen der Herzperioden ein- treffen. Kahn2, der diese Angaben von Einthoven bestätigt, teilt unter anderem drei übereinander gepauste Elektrokardiogramme von genau gleich langer Dauer mit, welche bei den genannten Ableitungsweisen an einer und derselben Versuchs- person unmittelbar nacheinander aufgenommen wurden (Fig. 236) und gibt dem Satz Einthovens folgende noch präzisere Formulierung. Bei verschiedenen Ab- leitungen fallen nicht nur die einzelnen Spitzen des Elektrokardiogramms in verschiedene Zeiten der Herzrevolution, sondern es sind auch die zwischen den einzelnen Zacken liegenden Pausen sehr verschieden lang. Es haben also identische Phasen einer Herzrevolution je nach der Ableitung sehr verschiedene Ordinaten- werte im Elektrokardiogramme.3 Deshalb sollen auch die Bezeichnungen mit gleichen Buchstaben für die einzelnen Zacken des Elektrokardiogramms nur die Bedeutung haben, daß damit 1912. 1 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 558; — vgl. Selenin, ebenda, 146, S. 323; 2 Kahn, ebenda, 129, S. 295; 1909. 3 Kahn, ebenda, 129, S. 327. 216 Die Innervation des Herzens. ausgesprochen erscheint, es handle sich dabei um approximativ einander ent- sprechende Ausschläge, welche diesem oder jenem der grob unterscheidbaren Teile einer Herzrevolution angehören.1 Wenn die Elektrokardiogramme unter Anwendung zweier oder dreier Galvanometer gleichzeitig registriert werden, so daß also die untereinander zu vergleichenden Aufnahmen einer und derselben Herzrevolution entsprechen, so zeigt sich bei gebührender Berücksichtigung der zeitlichen Unterschiede eine fast absolut genaue Übereinstimmung mit der Regel von Einthoven: Abi. III = Abi. II — Abi. I, wie z. B. in folgendem Falle (vgl. Fig. 237).2 Fig. 237. Gleichzeitig aufgenommene menschliche Elektrokardiogramme. Nach Einthoven, Bergansius und Bijtel. Von links nach rechts zu lesen. Zacke ; p QRS T Ableitung Ausschlag; mm Zeit; mm Ausschlag ; mm Zeit ; mm Ausschlag; mm Zeit; mm I 11 III II— I 1,0 1 1 *"» 1,3 0,3 0,3 4,4 4,4 4,4 16,1 10,2 -6,0 -5,9 7,55 7,55 7,55 3,0 2,0 - 1,0 - 1,0 13,0 13,0 13,0 Auch beim Hunde wechselt bei Ableitung von verschiedenen Stellen das geger- seitige Verhältnis der Höhen der einzelnen Spitzen. Bei Ableitung II (rechte Vorder- und linke Hinterpfote) ist die Spitze R groß im Vergleich mit den meisten übrigen Spitzen, während bei Ableitung I (rechte und linke Vorderpfote) die Spitzen R, S, T wenig voneinander verschieden sind (Einthoven*). 1 Vgl. auch Fahr, Heart, 4, S. 161; 1912; — H. B. Williams, Amer. journ. of physiol., 35, S. 292; 1914. 2 Einthoven, Bergansius und Bijtel, Ar eh. f. d. ges. Physiol., 164, S. 185; 1916. 3 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 529; 1908. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 217 Auf Grund dieser Umstände finden auch Pfibram und Kahn1 es notwendig, bei Verwendung des Elektrokardiogramms als Untersuchungsmethode bei Kranken jedesmal alle drei Ableitungen vorzunehmen, insbesondere da bei Kranken, an denen zu verschiedenen Zeiten des Ablaufes ihrer Erkrankung Elektrokardiogramme auf- genommen werden, oft eingreifende Unterschiede in der Kurvenform gerade bei den Ableitungen II und III vorkommen, während die Elektrokardiogramme bei Ableitung I in der Regel gleiche Verhältnisse aufweisen, und Waller2 hebt es als unerläßlich hervor, bei der Untersuchung eines klinischen Falles von allen seinen fünf Ableitungen Kurven aufzunehmen.3 Andererseits bemerken Kraus und Nicolai, daß es vom klinischen Gesichts- punkte vorteilhaft ist, nur eine einzige bestimmte Ableitungsweise zu benutzen. Denn aus der verwirrenden Fülle der Erscheinungen ist es schwer genug, das für pathologische Zustände Charakteristische herauszufinden, und noch schwerer wird dies dann, wenn mehrere Ableitungsweisen benutzt werden. „Das, was bei der einen Ableitung pathologisch ist, könnte bei der anderen Ableitung normal erscheinen. Es gehört eine unendlich viel größere Übersicht dazu, um bei drei Ableitungen vorwärts zu kommen, als wenn man sich nur einer Ab- leitung bedient" usw. Auch stellen sich die genannten Autoren vor, daß es an sich völlig gleich- gültig ist, welche Ableitung man wählt.4 Aus Bequemlichkeitsrücksicht ist indessen die Ableitung I (beide Hände) vorzuziehen. Da es aber immer interessiert zu wissen, wie sich das rechte Herz gegenüber dem linken verhält und da zu diesem Zwecke die Ableitung I einzig und allein brauchbar ist, kommen Kraus und Nicolai in einer späteren Mitteilung zu dem Resultat, daß es ein Kunstfehler ist, die Ableitung I nicht zu benutzen5; sie be- merken aber fortfahrend, daß eins sicher ist, nämlich daß, wenn ein Elektro- kardiogramm bei einer Ableitungsweise abgeändert erscheint, so sind auch die bei den übrigen Ableitungsweisen gewonnenen in gesetzmäßiger Weise abgeändert. Für den rein semiotischen Zusammenhang zwischen dem Elektrokardiogramm und der zugrunde liegenden Krankheit genügt also vollkommen eine Ableitung.0 Dadurch wird indessen von vornherein auf eine genauere Analyse der im Elektrokardiogramm ausgedrückten Erscheinungen verzichtet. Wie nützlich und unter Umständen notwendig eine solche sein kann, geht aus den später zu besprechenden Erfahrungen über den Einfluß der Atembewegungen auf das Elektrokardiogramm sowie aus folgenden Beobachtungen von Samojloff sehr deutlich hervor.7 1 Pfibram und Kahn, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 99, S. 481; 1910; -- vgl. auch H.E.Hering, Deutsche med. Wochenschr., 1912, S. 2158. 2 Waller, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1917, S. 94. 3 Aus den bei den drei typischen Ableitungen aufgenommenen Elektrokardiogrammen hat Mann (Arch. of int. med., 25, S. 283; 1920; zit. nach Berichte 2, S. 423) ein „Monokardio- gramm" konstruiert, welches die Richtung des Erregungsverlaufes für einen Herzschlag angibt. 4 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 140, 141; 1910; — vgl. auch die in derselben Richtung gehenden Ausführungen von Strubell, Berlin, klin. Wochenschr., 1909, S. 738. 5 Kraus, Nicolai und F. Meyer, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 118; 1913. 6 Kraus und Nicolai, ebenda, 155, S. 114. 7 Samojloff, ebenda, 153, S. 196; 1913. 218 Die Innervation des Herzens. Es wurde an einem Kranken mit Situs inversus viscerum das Elektrokardio- gramm aufgenommen. Bei Ableitung I stellte sich die erwartete und schon von früheren Autoren beobachtete Umkehr der Zacken tatsächlich dar; bei den Ab- leitungen II und III hatten aber alle Zacken die gewöhnliche Richtung. Wenn also das Elektrokardiogramm nur bei diesen Ableitungen aufgenommen worden wäre, hätte man die vorhandene Abnormität ganz übersehen können. Bei einem Fall von regelmäßig wiederkommenden Extrasystolen hätte man bei Beschränkung auf die Ableitung I allein unter Umständen eine linksseitige Extrasystole für eine rechtsseitige halten können. Dasselbe geht auch aus entsprechenden Versuchen von Rothberger und Winter- berg1 am Hunde hervor. Wenn die beiden Vorderfüße mit dem Galvanometer ver- bunden waren, bekam man bei Reizung der linken Kammer Elektrokardiogramme, wo die Spitze R nach unten gerichtet war. Fand dagegen die Ableitung vom Ösophagus und Anus, also etwa senkrecht gegen die Ebene der Vorderfüße statt, so war diese Spitze bei Reizung der linken Kammer am linken Herzohr nach oben gekehrt. In seiner ersten Mitteilung über das Elektrokardiogramm gab Einthoven2 als wahrscheinlich an, daß die Zacken P, Q den Vorhöfen und die Zacken R, S, T den Kammern entsprachen. ' ; ; -■ . i .:; :: ; i i LiSgp i i CL* | i : "muain | milllllll Fig. 259. Elektrokardiogramm von einem Hühnerenibryo'am 12. Tage. Nach Wertheitn-Salomonson. etwa 30 Stunden pulsiert, treten elektrische Schwankungen erst nach der 60. Stunde der Bebrütung auf. Anfangs ist das Elektrokardiogramm sehr einfach; es besteht aus einer ziemlich regelmäßigen Wellenlinie mit nur seichten Erhebungen. Erst nach einer Brutzeit von 6 Tagen zeigt die Kurve eine deutliche und konstante Differenzierung, indem bei jedem Herzschlage nun zwei Gipfel erscheinen. Nach dem achten Tage wurden ausnahmslos drei Gipfel gefunden, zwei kleine, ziemlich scharfe in einer Richtung, gefolgt von einem länger dauernden stumpfen, anderwärts gerichteten Gipfel, welche ohne Zweifel den Zacken P, R und T im Elektrokardiogramm des Menschen entsprechen. 1 Fano und Spadolini, Arch. di fisiol., 11, S. 479; 1913. 2 Jolly, Quart, journ. of physiol., 9, S. 17; 1915. 3 Mines, Journ. of physiol., 46, S. 210; 1913. 4 Eiger, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 24; 1913. 5 Nicolai, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 130; 1913. 6 Wertheitn-Salomonson, Arch. f. d. ges. Physiol., 153, S. 558; 1913; — vgl. auch Cluzet und Sarvonat, Journ. de physiol., 16, S. 802; 1916. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 233 Etwa vom 12. Bruttage hat das Elektrokardiogramm annähernd seine definitive Form angenommen (vgl. Fig. 259). Wir finden hier zuerst die zwei- phasische P-Zacke, dann die P-Zacke und endlich die T-Zacke, die hier einen zwei- phasischen Verlauf hat. Nach Külbs1 zeigt das Herz des Hühnerembryo schon am dritten Tage einen aus drei Zacken bestehenden, mit dem postnatalen der Wirbeltiere im wesentlichen übereinstimmenden Aktionsstrom (Ableitung direkt vom isolierten Herzen). Die T-Zacke ist den gleichsinnigen Zacken P und R entgegengerichtet, anfangs in der ganzen Schwankung, später in ihrer ersten Phase. Eine gut ausgebildete Q-Zacke ist selten, die 5-Zacke dagegen oft stark ausgeprägt. Fig. 260. Elektrokardiogramm von der Taube. Nach Kahn. Ableitung vom Nacken und Bauch. Pulsfrequenz 360 in der Minute. Von links nach rechts zu lesen. Bei der Taube fand Kahn2 bei Ableitung vom Nacken, knapp über den beiden Enden der Furcula, und dem Bauch, knapp unterhalb des unteren Sternalrandes, im allgemeinen eine einphasische, aufwärts gerichtete Zacke P, der eine abwärts gerichtete, starke, einphasische Zacke R sich anschließt; die Zacke T ist aufwärts gerichtet und steigt steil in die Höhe (Fig. 260). \ ~2* \, -^ *r* -\ W % **s *r" % r p 1 { § w V Fig. 261. Elektrokardiogramm von dem Huhn. Nach Kahn. Ableitung vom Nacken und Bauch. Von links nach rechts zu lesen. Wenn die Ableitung von beiden Seiten der Brust unterhalb der Flügelansätze erfolgt, tritt im Elektrokardiogramm eine starke P-Zacke auf, während die nach unten gerichtete P-Zacke ziemlich schwach und die T-Zacke kaum angedeutet ist {Kahn2). Bei langsamer Herztätigkeit, und zwar auch bei der Vagusreizung erscheint etwa 0,06 Sekunde vor der P-Zacke eine kleine, scharf ausgeprägte, nach unten 1 Külbs, Beitr. z. Physiol., 1, S. 439; 1920; zit. nach Berichte 2, S. 554. 2 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 162, S. 72; 1915; — vgl. auch Mangold und Kato (Hühnerherz), ebenda, 157, S. 1; 1914; — Buchanan, Journ.of physiol., 38, proc, S.62; 1909; — 47, proc., S. 4; 1913. 3 Kahn, a. a. O., 162, S. 82. 234 Die Innervation des Herzens. gerichtete Zacke, welche von Kahn auf die Sinustätigkeit bezogen wird, indem diese jetzt, wegen der Verlängerung der sino-aurikularen Überleitungszeit, isoliert von der Vorhof kontraktion erscheint.1 Beim Huhn ist das Elektrokardiogramm recht niedrig; die P-Zacke ist klein, die nach unten gerichtete /?-Zacke niedrig und die T-Zacke breit und niedrig (Fig. 261). Der wesentliche Unterschied zwischen dem Elektrokardiogramm der Taube und des Huhns ist möglicherweise davon bedingt, daß das Herz der Taube im Verhältnis zur Körpergröße größer ist als das des Huhns (Kahn2). Das vom Körper ausgeschnittene, noch spontan schlagende, obgleich nicht künstlich gespeiste Säugetierherz gab bei den Versuchen von Waller und Reidz im Anfang oft nur eine einphasische Stromschwankung mit der Spitze negativ gegen die Basis, oder umgekehrt. Im späteren Verlauf des Versuches stellte sich eine zweiphasische Stromschwankung dar, bei deren erster Phase die Spitze negativ gegen die Basis oder auch die Basis negativ gegen die Spitze war. Später fand Waller, als er das spontan schlagende Herz eines eben getöteten Tieres in situ untersuchte, in 11 Fällen unter 17 die Stromschwankung zwei- phasisch, und zwar die Spitze bei der ersten Phase negativ gegen die Basis.4 An lebenden Hunden zeigte sich in den Versuchen von Fredericq bei der Kammertätigkeit im allgemeinen nur ein einphasischer Aktionsstrom mit der Spitze negativ gegen die Basis. In vielen Fällen ging aber der Negativität der Spitze eine sehr kurze Phase voraus, während welcher die Basis negativ gegen die Spitze war. Auch zeigte sich zuweilen gegen Ende der Pulsperiode die Basis wieder negativ gegen die Spitze.5 Demgegenüber erwähnen Bayliss und Starling6, daß bei lebenden Hunden dann, wenn der Brustkasten geöffnet ist und die künstliche Atmung mit erwärmter Luft besorgt wird, der Aktionsstrom (Kapillarelektrometer) zweiphasisch ist, und daß bei dessen erster Phase die Basis negativ gegen die Spitze ist.7 Wenn aber die künstliche Atmung mit abgekühlter Luft stattfand, so zeigte sich zuerst ein dreiphasischer Aktionsstrom (1. Basis negativ, 2. Spitze negativ, 3. Basis wieder negativ), auf welchen dann bei weiter fortgesetztem Versuch ein zweiphasischer Aktionsstrom mit erster Phase: Spitze negativ gegen die Basis folgte. In ihren an unversehrten Säugetieren wie am Menschen aufgenommenen Elektrokardiogrammen beobachteten sie bei jedem Herzschlag einen dreiphasi- schen Aktionsstrom von demselben Verlauf wie bei dem soeben erwähnten. Die erste Phase war nur schwach. Bayliss und Starling stellten sich vor, daß die zum zweitenmal erscheinende Negativität der Herzbasis davon bedingt war, daß durch die künstlich in die Lungen eingeblasene Luft speziell die Basis abgekühlt wurde, und daß infolge 1 Kahn, a. a. 0., 162, S. 89. 2 Kahn, a. a. O., 162, S. 76. 3 Waller und Reld, Philos. transact., 178, B, S. 238. 4 Waller, ebenda, 180, B, S. 174; 1889. 5 Fredericq, Travaux du laboratoire, 2, S. 153—156; 1888. 6 Bayliss und Starling, Proceedings of the Royal Society, 50, S. 211; 1891; — Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., 9, S. 258, 276; 1892. 7 Zu dem gleichen Resultat ist auch Riviere gekommen; Journ. de physiol., 1900, S. 278. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 235 dessen die Negativität, d.h. die Erregung an der Basis länger als an der Spitze dauerte. Dies wurde später von Mines und von Ganler (s. unten) vollständig bestätigt. Die ersten von Einthoven1 veröffentlichten Elektrokardiogramme vom Hunde (Ableitung von der rechten Vorderpfote und der linken Hinterpfote) zeigten eine große Übereinstimmung mit dem Elektrokardiogramm des Menschen, nur hatte die Kammerzacke T nicht gleiche Richtung wie die Zacke R. Bei seinen späteren Versuchen am Hunde bekam Einthoven2 Elektrokardio- gramme, wo die Zacke T gleich gerichtet war wie R (s. Fig. 262); hier wie früher fand die Verbindung des Tieres mit dem Galvanometer wie beim Menschen in der Weise statt, daß beim Negativwerden des proximalen Teils oder des rechten Teils des Herzens das Saitenbild nach oben schlug. *aMi**afr-tw»»#J «mm Fig. 262. Elektrokardiogramm vom Hund. Nach Einthoven. Ableitung von rechter Vorder- pfote und linker Hinterpfote. Auch beim Säugetierherzen kann der Aktionsstrom des Vorhofes zweiphasisch sein, wie aus den Mitteilungen von Einthoven3, Kraus und Nicolai4 über die Wirkung der Vagusreizung beim Hunde (vgl. oben II, S. 221), sowie aus den Erfahrungen von Kahn über die Wirkung starker Adrenalingaben5 und den Ein- fluß der Durchschneidung des atrioventrikulären Verbindungsbündels6 deutlich hervorgeht. Daß die zweite Phase besonders im Elektrokardiogramm nicht immer deut- lich hervortritt, hängt damit zusammen, daß bei der hier geübten Ableitungsweise die flache zweite Phase zuerst verschwindet (Kraus und Nicolai7). Auch am Vorhof des Säugetierherzens können dreiphasische Aktionsströme entstehen, wie H. Fredericq8 an ausgeschnittenen, spontan pulsierenden Streifen aus dem Vorhof des Hundeherzens nachgewiesen hat. Bei Vagusreizung hat H. E. Hering9 am Hunde etwa 0,02 Sekunde vor der Vorhofzacke P einen kleinen Vorschlag dazu registrieren können. Anfangs unsicher, ob derselbe vom ,, Venensinus" herrührte oder ob er der Ausdruck einer sukzessiven Kontraktion des rechten und linken Vorhofes darstellte, kommt 1 Einthoven, Arch. intern, de physiol., 4, S. 160; 1906. 2 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 525; 1908. 3 Einthoven, Arch. intern, de physiol., 4, S. 160; 1906. 4 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 147. 5 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 393; 1909. 6 Kahn, ebenda, 140, S. 629; 1911. 7 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 148. 8 H. Fredericq, Arch. intern, de physiol., 12, S. 72, Fig. 4; 1912. 9 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 127, S. 158; 1909. 236 Die Innervation des Herzens. er später zu dem Resultat, daß die letztere Annahme wahrscheinlicher war.1 Noch später bemerkt er indessen, daß diese Zacke, die er bei dem Hunde, der Katze und dem Kaninchen beobachtet hat, dennoch wahrscheinlich auf den „Venen- sinus" zu beziehen ist, da sie auch dann erscheint, wenn der linke Vorhof still- steht.2 Die Richtigkeit dieser Deutung geht aus den bei Vagusreizung von Meek und Eyster3 vom Herzen selbst aufgenommenen Kurven des Aktionsstromes hervor. Am Kaninchenherzen fand Gotch* mit dem Kapillarelektrometer bei der Ableitung von der rechten Seite der Basis und der Spitze einen vierphasischen Aktionsstrom, nämlich 1. Basis negativ, 2. Spitze negativ, 3. Basis negativ, 4. Spitze negativ. Die Phasen 1, 2 und 4 verliefen schnell, die Phase 3 dagegen sehr langsam. Dasselbe Resultat wurde auch bei Ableitung von der linken Seite der Basis und der Spitze erhalten. Nur war hier die zweite Phase im allgemeinen stärker ausgeprägt als bei Ableitung von der Basis der rechten Kammer. Wenn dagegen das Herz von der Spitze und dem rechten oder linken Seiten- rand abgeleitet wurde, war der Verlauf des Aktionsstromes wesentlich zwei- phasisch. Eine dreiphasische Schwankung erschien bei Ableitung von der Spitze (links) und der Basis an der Aortawurzel, nämlich 1. Basis negativ; 2. Spitze negativ; 3. Basis stark negativ. Wir finden hier eine volle Übereinstimmung mit den Be- funden von Bayliss und Starling. Ähnliche Kurven, wenn auch nicht so stark ausgeprägt, wurden auch bei Ableitung von der Spitze und der Pulmonaliswurzel erhalten. Bei Ableitung von der Gegend der Aortawurzel und dem Seitenrand des Herzens wurde zuerst dieser, dann jener negativ. Wenn das ganze Herz des Kaninchens von der Einmündungsstelle der V. cava inferior und der Spitze der rechten Kammer abgeleitet wurde, traten in der Kurve die Aktionsströme sowohl der Vorhöfe als auch der Kammern auf. Der Aktions- strom der Vorhöfe ist vierphasisch und wird, obgleich mit aller Reserve, von Gotch in der Weise gedeutet, daß die Erregung am Eintritt der großen Venen beginnt, sich dann nach der atrioventrikulären Grenze ausbreitet und schließlich auf die Herzohren übergeht. Nörr5, Kahn6 und Waller7 haben Aufnahmen vom Elektrokardiogramm des Pferdes veröffentlicht. Tastet man mit den Elektroden den ganzen Pferdekörper ab, so erhält man Kurven von der verschiedensten Gestalt, welche sich vom menschlichen Elektro- kardiogramm vor allem dadurch unterscheiden, daß vor der Vorhofzacke eine Zacke 0 erscheint, die von Nörr auf die Hohlvene '(Venensinus) bezogen wird, 1 H. E. Hering, Zeitschr. f. exp. PathoL, 7, S. 377; 1909; — vgl. auch Kahn und PHbram, Deutsch. Aren. f. klin. Med., 99, S. 506; 1910. 2 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 144, S. 1; 1912. 3 Meek und Eyster, Amer. journ. of physiol., 34, S. 372; 1914. 4 Gotch, Heart, 1, S. 244; 1910. 5 Nörr, Zeitschr. f. Biol., 61, S. 207; 1913. 6 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 1; 1913. 7 Waller, Journ. of physiol., 47, proc, S. 32; 1913. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 237 sowie dadurch, daß vor der T-Zacke eine nach unten gerichtete Schwankung auftritt (vgl. Fig. 263). Beim Pferde ist im Elektrokardiogramm des Vorhofes die T-Zacke deutlich ausgeprägt (Nörr1). Im Elektrokardiogramm beim Schaf und Rind besteht P nur aus einer aufwärts gerichteten Zacke. Der Anfang der Kammertätigkeit wird bei diesem bloß durch eine abwärts gerichtete R-Zacke charakterisiert, beim Schafe kommt vor derselben noch ein ganz kleines, aufwärts gerichtetes Zäckchen zum Vor- schein (Kahn2). Nach Nörr3 ist die Vorhofschwankung beim Rinde meist doppelgipflig. Bei der Ableitung rechtes Vorderbein — linkes Hinterbein hat das Kammer- elektrokardiogramm eine dem des Menschen ähnliche Form mit der /y-Zacke nach oben; dagegen ist bei Ableitung Regio praescapularis — Regio apicis diese Zacke nach unten gerichtet. Fig. 263. Elektrokardiogramm vorn Pferd. Nach Kahn. Ableitung von der rechten und linken Seite der Brust. Beim schlafenden Murmeltier (Körpertemperatur 11° C, Pulsfrequenz 38 bis 43 in der Minute) ist die 7?-Zacke des Elektrokardiogrammes besonders beim Männchen sehr breit und niedrig, die Zacke T ist schwach, die 5-Zacke aber stark und die P-Zacke sehr niedrig. Da nun die zeitliche Verschiebung dieser Zacken der allgemeinen Verlangsamung der Herzfrequenz vollkommen entspricht und nichts Abnormes darstellt, muß sich hier die Reizleitungsfähigkeit parallel der Verminderung der Reizbildung verändert haben, so daß einer beiläufig fünfmal so langen Pulsperiode auch eine etwa fünfmal längere Überleitungszeit entspricht (Hecht*). ■ Schließlich bietet das Elektrokardiogramm des Affen (Cynomolgus) im großen und ganzen dieselben Eigentümlichkeiten wie das des Menschen dar (Bo- ruttau5). 1 Nörr, a.a.O., 61, S. 214. Über fötale Elektrokardiogramme beim Pferd vgl. Nörr, ebenda, 73, S. 123; 1921. 2 Kahn, Arch. f. d. ges; Physiol., 162, S. 73; 1915. 3 Nörr, Zeitschr. f. Biol., 73, S. 129; 1921. 4 Hecht, Zeitschr. f. exp. Med., 4, S. 259; 1915. 5 Boruttau, Zentralbl. f. Physiol., 32, S. 1; 1917. 238 Die Innervation des Herzens. § 62. Die zeitlichen Beziehungen der elektrischen Schwankungen im Herzen zu den anderen Äußerungen der Herztätigkeit. Um weitere Gründe für die Deutung der Aktionsströme des Herzens bzw. des Elektrokardiogrammes zu erhalten, ist es notwendig, die zeitlichen Beziehungen desselben zu den anderen Äußerungen der Herztätigkeit festzustellen. a) Elektrokardiogramm und Herztöne. Unter Anwendung der Einthovenschen Methode zur Registrierung der Herz- töne fand Kahn1 beim Menschen, daß die Zacke R etwa 0,03 Sekunde vor dem 1. Ton an der Herzspitze beginnt. Da diese Zacke R eine Dauer von etwa 0,04 Sekunde hat, würde also der Anfang des ersten Herztones am Ende der- selben eintreffen. Der II. Ton an der Spitze begann etwa 0,03 Sekunde nach Ende der Zacke T. Nach der gleichen Methode gelangten A. Hoffmann und Selenin2 zu dem Resultat, daß der Anfang des I. Tones genau mit dem Ende des absteigenden Schenkels der Zacke R koinzidiert, sowie daß der II. Ton sogleich nach dem Ende der T-Zacke beginnt. Einthoven8 findet, daß der wahrscheinlich von dem Muskelgeräusch bedingte erste Teil des I. Tones 0,03 Sekunde und die Hauptschwingungen derselben 0,06 Sekunde nach Beginn der elektrischen Schwankung in den Herzkammern auftritt. Der II. Herzton erscheint 0,02 Sekunde nach dem Ende der T-Zacke. Mittels seines Phonoskopes fand 0. Weiss* an gesunden Menschen, daß der I. Herzton 0,05 bis 0,07 Sekunde nach dem Beginn der /?-Zacke anfängt, und daß der II. Herzton etwa 0,02 Sekunde nach dem Ende der Zacke T erscheint. Unter Anwendung desselben Instrumentes beobachtete Bull5, daß die zeit- liche Entfernung zwischen dem Beginn der #-Zacke und dem Anfang des I. Herz- tones etwa 0,04 Sekunde beträgt, sowie daß eine Zeit von etwa derselben Größe zwischen dem Ende der T-Zacke und dem Beginn des II. Tones verstreicht. Nach diesen Ermittelungen würde also die /?-Zacke zum größten Teil ver- strichen sein, wenn der I. Herzton anfängt, und der II. Herzton erst nach Ende der T-Zacke tönen. Indessen ist Battaerd6, der in bezug auf das Zusammenfallen des II. Tones mit dem Ende der T-Zacke mit den früheren Autoren vollständig übereinstimmt, unter Anwendung des Instrumentariums von Einthoven und unter Berücksich- tigung der allerersten Schwingungen des I. Herztones zu dem Resultat gekommen, daß dieser an der Herzspitze gleichzeitig oder fast gleichzeitig mit dem Beginn der Zacke R anfängt, daß also derjenige mechanische Vorgang im Herzmuskel, welcher dem Muskelgeräusch im I. Herzton entspricht, höchstens ein paar Tau- sendstel Sekunde nach dem durch die elektrische Schwankung charakterisierten Beginn der Kammererregung einsetzt (vgl. I, S. 70, Fig. 36). 1 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 323; 1909; — 133, S. 597; 1910; — vgl. auch Brugsch und Blumenfelt, Berl. klin. Wochenschr., 1920, S. 995. 2 A. Hoffmann und Selenin, ebenda, 146, S. 307; 1912. 3 Einthoven, ebenda, 149, S. 79, 83; 1912; — vgl. auch Fahr, Heart, 4, S. 147; 1913. 4 0. Weiss, Zeitschr. f. klin. Med., 73, S. 243; 1911. 5 Bull, Quart, journ. of physiol., 4, S. 289; 1911. 6 Battaerd, Verdere graphische onderzoekingen over de acustische verschijnselen van het Hart. Inaug.-Diss. Leiden 1913, S. 31. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 239 Die Dauer der Kammersystole ist also im Elektrokardiogramm durch das zeitliche Intervall zwischen dem Beginn der /?-(Q)-Zacke und dem Ende der 7- Zacke ausgedrückt (vgl. indessen unten S. 240). Nach Bazett1 würde dies Intervall beim Menschen gleich der Quadratwurzel aus der Herzperiode mal 0,37 beim Manne bzw. 0,40 bei der Frau sein. b) Elektrokardiogramm und Formveränderungen des Herzens. Th. und F. Groedel2 haben das Elektrokardiogramm gleichzeitig mit dem Röntgenbild des Herzens aufgenommen. Das Resultat ihrer Versuche ist in Fig. 264 wiedergegeben. Hier stellen die Linien Ao-Pu-Au- Ve den linken Rand des Herzens von hinten gesehen dar; die unterbrochenen vertikalen Linien i — 16 geben den zeitlichen Zu- sammenhang der Herzsilhouette mit dem Elektrokardiogramm an. Nach Groedels ist der Vor- hof während der Vorhofzacke (i — 2) deutlich von der Kammer getrennt und seine Begrenzungs- linie stellt sich dem Kammer- bogen gegenüber als eine gerade Linie dar. Bei 3, also am Ende von P (nach Einthovens Bezeich- nung), verschwindet diese Diffe- renzierung, indem Kammer- und Vorhofbogen fast unmerk- lich ineinander übergehen. Vom Beginn der /v-Zacke bis zum Ende der T- Zacke (4 — 12) ist wieder eine deut- liche Differenzierung zwischen Vorhof- und Kammerbogen er- kenntlich. Der Vorhof stellt sich als gerade Strecke dar, die von 4 bis 12 immer mehr an Länge zunimmt, was von einer Anspannung der muskelschwachen Vorhofwand durch die sich kontrahierende Kammer verursacht wird. Der Kammerbogen selber wird immer stärker gewölbt, verkürzt sich immer mehr und die Spitze rückt medianwärts. Am Ende der T-Zacke (12) hat die Kammer ihre maximale Kontraktion und der Vorhof seine stärkste Dehnung erreicht. Mit Beginn der Pause (13) läßt die Wölbung der Kammer nach, die Strecke der Vorhofbogen wird wieder kleiner, bis bald beide sich nicht mehr voneinander trennen lassen. Die Füllung der er- schlafften Kammer nimmt zu und die Herzspitze rückt wieder nach außen. In ähnlichen Versuchen ist Becker3 zu folgenden Resultaten gelangt. Der Beginn der Vorhofkontraktion fällt am normalen Herzen zeitlich mit dem Beginn derP-Zacke zusammen. Das Ende der i?-Zacke geht gewöhnlich um 0,04 — 0,08 Se- 1 Bazett, Heart, 7, S. 353; 1920; zit. nach Berichte 5, S. 67. 2 Th. und F. Groedel, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 109, S. 52; 1912. 3 Becker, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 113, S. 216; 1914. Fig. 264. Der linke Herzrand, von hinten gesehen, und das gleichzeitig aufgenommene Elektrokardiogramm. Schema nach Th. und F. Groedel. Ao, Aorta; Pu, Pul- monalis; Au, linker Vorhof; Ve, linke Kammer. Die Bezeichnungen am Elektrokardiogramm sind nach der Nomenklatur von Kraus und Nicolai. 240 Die Innervation des Herzens. künde dem Beginn der linken Kammerkontraktion voraus und die 7-Zacke setzt erst dann ein, wenn die mechanische Kammerkontraktion ihr Ende er- reicht hat. c) Elektrokardiogramm und intrakardialer Druck. Im Vorhofe des Hundes und der Katze beginnt der Druckanstieg etwa 0,013 bis 0,022 Sekunde nach dem Anfang der P-Zacke (Garten und A. Weber1-, Wiggers2). Da sich die Erregung daselbst nur verhältnismäßig langsam verbreitet, sind die Vorhöfe erst etwa 0,06 Sekunde nach dem Beginn dieser Zacke, d. h. nach- dem diese schon abgeklungen ist, vollständig kontrahiert (Wiggers*). Die Systole des Vorhofes endet gerade vor oder nach der Zacke R (Wiggers). Beim Menschen gibt Weitz11 die Zeit zwischen dem Beginn der P-Zacke und dem Anfang der Vorhoferhebung in der Herzstoßkurve zu 0,03 — 0,04 Se- kunde an. In der linken Kammer fängt die systolische Druckschwankung nach Kahn5 erst dann an, wenn die P-Zacke eben ihr Ende erreicht hat. Desgleichen beginnt die Kontraktion an der vorderen Wand der rechten Kammer sofort nach dem völligen Ablauf derselben Zacke (Kahn6). Nach Piper"7 beginnt dagegen bei der linken Kammer der Katze die Druck- steigerung schon in der Mitte des aufsteigenden Schenkels der P-Zacke oder sogar etwas früher. Auch seinerseits fand Garten8, daß der Druckbeginn in der Kammer kurz vor der Spitze der P-Zacke oder durchschnittlich 0,021 Sekunde nach dem An- fang der Q-Zacke stattfindet. Beim Menschen fanden Einthoven und de Lint9, daß der Herzstoß etwa 0,03 Se- kunde nach dem Beginn der Zacke P, d. h. am Ende dieser Zacke anfängt, während A. Hoffmann und Selenin10 den Anfang des Herzstoßes im Beginn des absteigenden Teils der P-Zacke beobachteten, und Weitz11 ihn im aufsteigenden Ast dieser Zacke verlegt. Die Kontraktion des suspendierten Froschherzens beginnt etwa 0,2 bis 0,3 Sekunde nach dem Beginn des Aktionsstromes, also gegen das Ende des absteigenden Schenkels der P-Zacke (A. Hoffmann12). Die Zacke T fällt bei dem Hunde vollständig innerhalb der Austreibungs- zeit der Kammer (Kahn1*); nach Piper1* erstreckt sie sich (bei der Katze) weit in 1 Garten und A. Weber, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 90; 1915. 2 Wiggers, Amer. journ. of physiol., 42, S. 147; 1917. 3 Wiggers, Arch. of int. med., 20, S. 96; 1917. 4 Weitz, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 125, S. 219; 1918. 5 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 126, S. 209; 1909; — vgl. auch Wiggers, Arch. of int. med., 20, S. 100; 1917; — Brugsch und Blumenfell, Berl. klin. Wochenschr., 1920, S. 995. 6 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 132, S. 231; 1910. 7 Piper, Zentralbl. f. Physiol., 27, S. 392; 1913. 8 Garten, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 59; 1915. 9 Einthoven und de Lint, Arch. f. d. ges. Physiol., 80, S. 151; 1900. 10 A. Hoff mann und Selenin, ebenda, 146, S. 307; 1912. 11 Weitz, a. a. O. 125, S. 211. i2 A. Hoffmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 562; 1910. 13 Kahn, ebenda, 126, S. 209; 1909. 14 Piper, Zentralbl. f. Physiol., 27, S. 392; 1913. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 241 den diastolischen Teil der Kamrnerdruckschwankung; nach Garten1 kann die Inzisur des Aortendruckes mehrere Hundertstel Sekunden vor oder auch hinter dem Ende der T-Zacke liegen. Auch Wiggers2 findet, daß die 7-Zacke (Ab- leitung II) in keiner ganz festen Beziehung zum Ende der Kammersystole ge- bracht werden kann. Nach Weitz3 fällt das Ende der T-Zacke in den meisten Fällen kurz vor dem Klappenschluß, in zahlreichen anderen Fällen aber mehr oder weniger weit in die Entspannungszeit. Beim Froschherzen überdauert im allgemeinen die mechanische Äußerung der Herztätigkeit das Ende der elektrischen Schwankung (Seemann*). Es wird indessen von Trendelenburg5 angegeben, daß in gewissen Fällen die elektrischen Schwankungen gleich lange und zuweilen sogar länger als die mechanische Kon- traktion dauern.6 Aus diesen Tatsachen geht also ganz bestimmt hervor, daß die im Aktions- strom bzw. Elektrokardiogramm ausgedrückten Vorgänge in einer sehr nahen Beziehung zu der muskulären Tätigkeit des Herzens stehen. § 63. Zur Theorie der elektrischen Erscheinungen am tätigen Herzen. Aus den oben mitgeteilten Tatsachen geht hervor, daß man an den einzelnen Abteilungen des Herzens sowohl einphasische, als zwei- und mehrphasische Aktionsströme erhalten kann. Die Deutung der einphasischen Ströme, welche bei Ableitung von einer un- versehrten und einer zerstörten Stelle der Herzwand erscheinen, bietet keine größeren Schwierigkeiten, als die der negativen Schwankung beim Skelettmuskel dar, denn jene stimmen ja mit dieser vollständig überein. Auch die zweiphasischen Aktionsströme sind den entsprechenden Strömen am Skelettmuskel vollständig analog und lassen sich also in derselben Weise wie diese theoretisch deuten. Um so größere Schwierigkeiten bietet dagegen die Deutung der mehrphasischen Aktionsströme dar, welche ja nicht allein bei dem so kompliziert gebauten Kammern des Säugetierherzens vorkommen, sondern auch bei den Vorhöfen desselben, sowie bei den einzelnen Abschnitten — Kammer, Vorhöfen, Venensinus und Aortenbulbus — des Froschherzens und sogar bei ausgeschnittenen Streifen aus dem Schildkrötenherzen und dem Froschherzen auftreten.7 Die äußere Ähnlichkeit im Verlauf des Aktionsstromes bei den warmblütigen und den kaltblütigen Wirbeltieren stellt an und für sich keinen Beweis dafür dar, daß eine ebenso genaue Übereinstimmung auch in bezug auf die Ursachen des Aktionsstromes bei diesen beiden Tiergruppen stattfindet. 1 Garten, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 80. 2 Wiggers, a. a. O. 20, S. 99. 3 Weitz, a. a. O., 125, S. 217. 4 Seemann, Zeitschr. f. Biol., 59, S. 130; 1912. 5 Trendelenburg, Arch. f. d. ges. Physiol., 144, S. 47; 1912. 6 Über das Elektrokardiogramm und die intrakardiale Druckkurve beim Pferde vgl. die Konstruktionen von Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 8; 1913; und Waller, Jourr. of physiol., 47, proc, S. 34; 1914. 7 Vgl. Eiger, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 24; 1913; — Woronzow, ebenda, 160, S. 602; 1915; — Jolly, Quart, journ. of physiol., 9, S. 23; 1915; — Rümke, Arch. neerl. de physiol., 1, S. 161; 1917. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. !6 242 Die Innervation des Herzens. Auch sind bei der theoretischen Deutung des Aktionsstromes im Säugetier- herzen der komplizierte Bau der Herzkammern und die komplizierte Art der Erregungsleitung in gebührendem Maße zu berücksichtigen. Es ist daher angezeigt, die Aktionsströme besonders bei den kaltblütigen und den warmblütigen Wirbeltieren zu besprechen. a) Der Aktionsstrom bei den kaltblütigen Wirbeltieren. Nach den bekannten Regeln für den Aktionsstrom verhält sich jede augen- blicklich gereizte Stelle negativ elektrisch gegen jede andere Stelle, welche sich gleichzeitig in (relativer) Ruhe befindet. Diese Regel gilt selbstverständlich auch für das Herz. Wenn also in einer Herzabteilung die Erregung an einer Stelle A beginnt und sich von dieser mit einer gewissen Geschwindigkeit nach einer anderen Stelle B fortpflanzt, so wird zuerst A negativ elektrisch. Es kann nun eintreffen, daß diese Stelle sich bei der Ankunft der Erregung nach B fortfahrend in voller Tätigkeit befindet; die Po- A. A. /S ,„ / \ , /\ Fig. 265. Schema. Fig. 266. Schema. tentialdifferenz sinkt dann auf Null, bis die stattfindende Erregung an der einen Stelle abnimmt. Geschieht dies an der Stelle A, erhalten wir einen diphasischen Aktionsstrom vom Typus I (Fig. 265); überdauert die Erregung an der Stelle A, bekommen wir einen diphasischen Aktionsstrom vom Typus II (Fig. 265). Es kann indessen auch der Fall sein, daß die Erregung der Stelle A bei der Ankunft der Erregung an die Stelle B etwas abgenommen hat; hier stellt sich eine Umkehr des Stromes zuerst dar; auf dieser folgt dann, wenn die beiden Stellen eine Zeitlang gleich stark erregt sind, eine Strecke, wo keine Po tential- differenz vorhanden ist, und endlich tritt die letzte Schwankung auf, die dann dem einen oder anderen Typus in Fig. 265 entspricht (vgl. Fig. 266, III, IV). Endlich läßt sich ein Aktionsstrom vom Typus II oder IV auch in dem Falle denken, wenn die leitenden Fasern schleifenförmig verlaufen, so daß sie z. B. an der Basis der Kammer beginnen und endigen. Hier würde also die Kammer tat- sächlich an drei verschiedenen Punkten A, B und C abgeleitet werden, unter welchen A und C nahe nebeneinander an der Herzbasis liegen sollten. Bei der ersten Phase ist A negativ elektrisch in bezug auf B} bei der zweiten ist entweder keine Potentialdifferenz (Typus II) vorhanden oder auch ist B negativ elektrisch gegen A (Typus IV); schließlich wird C negativ elektrisch in bezug auf B und simuliert, wegen ihrer Nachbarschaft zu A, eine Negativität dieser Stelle. Anläßlich seiner Beobachtungen über den Verlauf des Aktionsstromes bei ver- schiedener Ableitung des Schildkrötenherzens (vgl. Fig. 254—255) stellte sich Gotch1 1 Gotch, Proc. of the Royal Soc, 79, B, S. 327; — Heart, 1, S. 242; 1910. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 243 vor, daß die Erregung von der Atrioventrikulargrenze (Basis negativ) ausgeht, sich davon bis zu der Spitze fortpflanzt und dann endlich wieder nach der Aortawurzel aufsteigt (Basis zum zweitenmal negativ). Der Aktionsstrom würde also der zuletzt erwähnten Möglichkeit entsprechen. Gegen diese Auffassung läßt sich aber bemerken, daß die zugrunde derselben liegenden Tatsachen, wieMeekund Eyster sowie Mines (vgl. oben II, S. 229) nach- wiesen, keineswegs konstante Erscheinungen darstellen, indem sie einmal auf- treten, ein anderes Mal aber ausbleiben. Der eigentümliche Ablauf des Aktionsstromes muß sich also in Überein- stimmung mit den in Fig. 265 und 266 dargestellten Schemata deuten lassen. Daß in denjenigen Aktionsströmen der Herzkammer, wo bei der Ableitung von Basis und Spitze die Zacke T gleichgerichtet wie die Zacke R ist, jene tat- sächlich davon bedingt ist, daß die Erregung an der Basis diejenige an der Spitze überdauert und nicht dadurch her- vorgerufen wird, daß die Erregung zu der Basis wiederkehrt, geht aus folgenden Er- fahrungen hervor. Boruttau1 tötete an der Kammer des Froschherzens eine mittlere Stelle und leitete diese und die Basis bzw. die Spitze zum Galvanometer ab. Dabei zeigte sich ein einphasischer Aktionsstrom, der etwa ebenso lange dauerte, wie der vollständige Aktionsstrom mit der T-Zacke, der bei der Ableitung der beiden unversehrten Stellen zum Vorschein kam. Die genauere Ausmessung der Kurven ergab für den einphasischen Strom der Basis eine Dauer von 0,78 Sekunde, für den der Spitze eine Dauer von 0,73 Sekunde. Bei gleich- zeitigem Beginn muß also die Nega- tivität an der Basis 0,05 Sekunde länger dauern als an der Spitze, und wenn sie auch an der letzteren etwas später be- gonnen hätte, so wird sie hier doch immer- hin auch früher aufhören als an der Basis. Ferner wiesen Samojloff2 und Nicolai3 nach, daß bei künstlich hervorgerufenen Kontraktionen der Kammer des Schildkröten- und des Froschherzens die T-Zacke nicht allein beibehalten wird, sondern auch ihr Vorzeichen nicht ändert, gleichgültig, an welcher Stelle des Herzens die Reizung erfolgt ist; d. h. wo auch die Kammer gereizt wurde, ist ihre Basis länger als ihre übrigen Abschnitte tätig gewesen. Fig. 267 a— c. Aktionsströme des ungleich temperierten Froschherzens (Kapillarelektm- meter). Nach v. Kries. Ableitung von Basis und Spitze der Kammer. Bei a ist die Basis kälter; bei b absichtliche Erwärmung der Spitze; bei c Abkühlung der Spitze. Von links nach rechts zu lesen. 1 Boruttau, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1913, S. 525; Festschrift für Hermann, 1908, S. 181. 2 Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 441 ; 1910. 3 Nicolai, Zentralbl. f. Physiol., 26, S. 108; 1913. vgl. auch Samojloff, 16* 244 Die Innervation des Herzens. Wenn also die T-Zacke auf die Persistenz der Erregung an einer bestimmten Stelle beruht, muß diese durch zweckmäßige Eingriffe an der Basis oder an der Spitze in beliebiger Weise verändert — verlängert oder verkürzt — und also auch die Richtung der T-Zacke verändert werden können. Dies ist tatsächlich v. Kries und Mines gelungen. v. Kries1 leitete ein ausgeschnittenes Froschherz von der Kammerbasis und der Spitze zum Kapillarelektrometer ab und bekam dabei die in Fig. 267 a dar- Fig. 268. Aktionsstrom des Froschherzens, Erwärmung der Spitze. Nach Mines. Zeit in 1/5 Sek. Die Kurve rechts von der weißen vertikalen Linie stellt den Aktionsstrom eine Minute nach Schluß der Erwärmung dar. Von links nach rechts zu lesen. gestellte Kurve des Aktionsstromes, in welcher für jede Herzrevolution ein zwei- maliges Negativwerden der Basis erscheint. Dann wurde die Spitze erwärmt: infolgedessen wurde, wie aus Fig. 267 b ersichtlich, die zweimalige Negativität der Basis noch deutlicher akzentuiert. Bei nun (Fig. 267 c) stattfindender Ab- kühlung der Spitze tritt am Schlüsse des Aktionsstromes eine Negativität der Spitze deutlich zum Vorschein. In den Versuchen von Mines*, wo Basis oder Spitze erwärmt oder abgekühlt wurde, nahm ebenfalls die Zacke T durch Erwärmung der Spitze an Umfang zu, wenn sie früher positiv war (Fig. 268). War sie vorher negativ, so wurde sie jetzt ' K/""~"~^ «»■»■■■■Wlll»BMtKP«»tMHl«li>«»ll»IWM»l| 12 3 4 Fig. 269. Aktionsstrom des Froschherzens, Erwärmung der Spitze. Nach Mines. Zeit in 1j5 Sek. Abt. 1 und 4 normal; während Abt. 2 und 3 wurde die Spitze erwärmt. positiv (Fig. 269). Durch Erwärmung der Basis veränderte eine positive T-Zacke ihr Vorzeichen und wurde negativ (Fig. 270). Die Erklärung dieser Veränderungen liegt im folgenden. Bei der Erwärmung der Kammerspitze bleibt der Verlauf der Erregung bei der Basis unverändert, bei der Spitze aber beschleunigt: infolgedessen übergeht letztere auch früher in die Ruhe und die Basis ist daher am Ende der Systole noch erregt, was die Zunahme der Negativität bei ihr erklärt. Ebenso wird eine im Verhältnis zur Basis bei der Spitze persistierende Negativität erzielt, wenn die Erregung der ersteren infolge lokaler Erwärmung schneller als sonst abklingt.3 1 v. Kries, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1895, S. 137. 2 Mines, Journ. of physiol., 46, S. 199; 1913. 3 Vgl. auch de Boers Erfahrungen bei künstlich hervorgerufenen Extrakontraktionen am Froschherzen (Zeitschr. f. Biol., 65, S. 428; 1915). % Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 245 Was also nach dieser Auffassung bei der ganzen Herzkammer vor sich geht, findet nach Clement1 auch beim Element des Herzmuskels statt. Um dies nachzuweisen, d. h. um den Aktionsstrom eines möglichst kleinen Abschnittes der Herzwand abzuleiten, wurden nach Garten2 zwei unpolarisierbare Elektroden durch einen mit Ringerlösung getränkten Baumwollfaden verbunden, der in der Mitte scharf geknickt war und an der Knickungsstelle der Oberfläche des Herzens anlag. Die Stromschleifen von anderen Teilen des Herzens waren hier nur äußerst geringfügig, wie außer anderem daraus hervorgeht, daß bei künst- licher Reizung und doppelter Ableitung mittels der „Differentialelektroden" eine sehr große zeitliche Differenz der Ausschläge zum Vorschein kam, was ja nicht Fig. 270. Aktionsstrom des Froschherzens, Erwärmung der Kammer- basis. Nach Mines. a und c normal; bei b wurde die Basis, bei d die Spitze erwärmt. Von rechts nach links zu lesen. der Fall gewesen wäre, wenn Stromschleifen von der einen Ableitungsstelle in die andere übergegangen wären.3 Form und Größe des so abgeleiteten Aktionsstromes stellten daher den reinen Ausdruck der am betreffenden Orte stattfindenden elektrischen Vorgänge dar. Bei der spontan pulsierenden Herzkammer des Frosches und der Schild- kröte1 trat nun, gleichgültig wo die Differentialelektroden an der Oberfläche an- gelegt wurden, die Erregung nahezu gleichzeitig auf, und zwar erschien dabei ein Aktionsstrom, in welchem auch die T-Zacke zum Vorschein kam.5 Die Richtung dieser Zacke, deren Größe ziemlich viel variierte, war in einigen Fällen positiv, in anderen negativ. Auch bei künstlich hervorgerufenen Kammerkontraktionen zeigte sich die T-Zacke. 1 Clement, Zeitschr. f. Bio!., 58, S. 110; 1912. - Garten, Skand. Arch. f. Physiol., 29, S. 114; 1913. 8 Garten, ebenda, 29, S. 117; — Clement, a. a. ()., 58. S. 132. 4 Clement, a. a. O., 58, S. 124. 5 Clement, a. a. O., 58, S. 133; — Jolly, Quart, journ. of physiol., 9, S. 21; 1915. 246 Die Innervation des Herzens. Nach diesen Versuchen findet also auch bei den einzelnen Elementen des Herzmuskels ein Aktionsstrom desselben Verlaufes wie bei der ganzen Herz- kammer statt. Derselbe würde den Ausdruck davon darstellen, daß die Er- regung selbst in einem sehr kleinen Abschnitt des Herzmuskels nicht immer in allen Teilen im selben Augenblick beginnt und aufhört, sondern daß auch hier eine zeitliche Verschiebung erscheinen kann, indem der eine oder andere Teil etwas länger erregt bleibt. Und da dies nicht notwendig in einer einmal für alle bestimmten Richtung stattfinden muß, kann daher die T-Zacke sowohl positiv als negativ werden. Sie kann auch gänzlich verschwinden, wenn nämlich die Erregung im betreffenden Muskelelement gleichzeitig aufhört: dann erscheint nur die erste, zweiphasische Zacke RS. Anläßlich dieser Versuche hebt Nicolai1 hervor, daß, wenn der Aktionsstrom des Herzmuskelelements dreiphasisch wäre, so müßte dieser dreiphasische Strom immer und unter allen Umständen auftreten. Diese Folgerung ist indessen nicht begründet, Tmwni'n-rinjmnHntinifMiUffr Fig. 271. Kurve der Bewegungen (die obere Linie) und des Aktionsstromes (Vorhof- Kammerspitze, die untere Linie) des suspendierten Froschherzens. Nach de Boer. Von links nach rechts zu lesen. denn beim Herzmuskelelement tritt unter geeigneten Umständen ein zweiphasischer Aktionsstrom auf, ganz wie der Aktionsstrom des Skeletmuskels je nach dem Zu- stand desselben ein- oder zweiphasisch ist. In naher Übereinstimmung mit den soeben besprochenen Erfahrungen stehen noch einige von de Boer untersuchte Eigentümlichkeiten. Bei einer Herztätigkeit, wo kleine und große Kammerkontraktionen regel- mäßig wechseln, bleibt die Negativität der Kammerbasis während der ganzen Dauer der kleinen Kontraktionen bestehen und zeigt nur einen ziemlich un- bedeutenden Abfall, wo der Strom sonst auf die Abszisse herabsinkt, während die großen Kontraktionen von einem Aktionsstrom normaler Art begleitet werden (Fig. 271). Im ersten Falle kontrahiert sich die Kammerspitze gar nicht oder nur in geringem Maße (vgl. oben II, S. 38, 58); ihre Negativität macht sich daher auf die Gesamterscheinung des Aktionsstromes nur wenig geltend: die Basisnegativität beherrscht demnach die Erscheinungsweise der Stromschwankung.2 Der Aktionsstrom der einzelnen Abteilungen des Herzens der kaltblütigen Wirbeltiere (und der wirbellosen) würde daher in folgender Weise zu erklären sein. Von dem durch die natürliche (spontane) oder künstliche Reizung primär 1 Nicolai, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 130; 1913. 2 de Boer, Arch. neerl. de physiol., 1, S. 37; 1916; — Arch. f. d. ges. Physiol., 173, S. 79; 1918. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 247 erregten Ort breitet sich die Erregung schnell über die betreffende Herzabteilung aus, so daß binnen einer sehr kurzen Zeit diese Abteilung in ihrer ganzen Aus- dehnung erregt ist. Der elektrische Ausdruck dieses Vorganges ist ein sehr schnell verlaufender ein- oder zwei phasischer Aktionsstrom, der so gerichtet ist, daß die erste Phase die Negativität der zuerst erregten Stelle, die zweite, wo sie vorkommt, die Negativität der davon distaleren Stelle angibt. Von dem Moment an, wo alle Herzmuskelfasern gleichstark erregt sind, findet zwischen ihnen keine Potential- differenz statt und kein Strom läßt sich also nach außen ableiten. Wenn die Er- regung nun gleichzeitig allerorts aufhört, tritt keine neue Stromschwankung auf und das Galvanometer bleibt bis zum nächsten Herzschlag ruhend. In der Mehr- zahl der Fälle findet dies indessen nicht statt, sondern der eine Teil des betreffenden Herzabschnittes geht etwas schneller, der andere etwas langsamer in die Ruhe über. Der zuletzt tätige Teil der untersuchten Herzabteilung zeigt sich dann negativ elektrisch im Verhältnis zu den anderen schon untätigen Abschnitten, und die davon herrührende Zacke T kann also nach oben oder unten gerichtet sein. Findet sich bei der Herzkammer der zuletzt erregten Stelle an der Basis, so ist T bei der gewöhnlichen Ableitungsweise nach oben gerichtet; liegt sie dagegen in der Nähe der Spitze, so wird T negativ, d. h. nach unten ge- richtet.1 Zur theoretischen Erklärung der Variationen in der Richtung der 7-Zacke hat de Boer2 noch die Aufmerksamkeit auf den Einfluß der Veränderungen bei der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregungsvorgänge in der Herzkammer gelenkt. Bei Abnahme derselben verändert sich nämlich die 7-Zacke in negativer Richtung und die Verbindungslinie zwischen den Zacken R und T sinkt herab, während umgekehrt bei zunehmender Fortpflanzungsgeschwindigkeit die 7-Zacke in positiver Richtung zunimmt und die Verbindungslinie R T ansteigt. Dies wird auf folgendes zurückgeführt. Wenn die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Erregung abnimmt, tritt die Herzspitze später als sonst in Tätigkeit und bleibt daher auch länger als sonst tätig. Infolgedessen wird es schließlich zu- treffen, daß die an und für sich länger andauernde Erregung an der Basis zu einer Zeit, wo sich die Spitze noch in reger Tätigkeit befindet, stark abnimmt: die Zacke T, die sonst positiv ist, wird nun negativ. Aus demselben Grunde muß dabei auch die Verbindungslinie R T herab- sinken, denn die Erregung an der Basis sinkt, wegen der langen Dauer der Reiz- übertragung, tiefer als sonst herab und wird daher von der Erregung an der Spitze überkompensiert. Es erübrigt, einige andere Versuche, die T-Zacke im Aktionsstrom des Herzens der kaltblütigen Wirbeltiere zu deuten, kurz zu besprechen. Nach H. Straub3 würde diese Zacke speziell mit den assimilatorischen Stoff- wechselvorgängen des Herzens im Zusammenhang stehen. Für diese Auffassung liegen indessen .keine direkten Beweisgründe vor, und sie wird schon dadurch ziemlich unwahrscheinlich, daß die Systole zur Zeit der T-Zacke noch fortdauert (vgl. oben II, S. 240). 1 Vgl. auch de Boer, Journ. of physiol., 49, p. 328; 1915. 2 de Boer, Arch. f. d. ges. Physiol., 173, S. 110;- 1918. 3 H. Straub, Zeitschr. f. Biol., 53, S. 519; 1910. 248 Die Innervation des Herzens. Eigers1 Auffassung von der T-Zacke als Ausdruck der ,, biochemischen" Periode der Herztätigkeit im Gegensatz zu der durch die Zacke R ausgedrückten Ausbreitung der Erregung scheint mehr eine Umschreibung des tatsächlichen Befundes als eine theoretische Erklärung desselben darzustellen. Unter Hinweis darauf, daß die Kammermuskelfasern an der Kammerbasis sowohl entspringen als endigen, und durch den vom Vorhofe kommenden Reiz an ihren beiden Enden erregt werden, entwickelt Eiger2 später die Ansicht, daß die T-Zacke den elektrischen Ausdruck der zu der abgeleiteten Stelle später anlangenden Erregung darstellt. Durch die Erfahrungen über die negative Schwan- kung nach Zerstörung der Kammerspitze scheint indessen diese Auffassung wider- legt zu sein, denn sie haben ja ergeben, daß die Dauer derselben ebensolang ist wie die des ganzen normalen Aktionsstromes vom Beginn der /?-Zacke bis Ende der T-Zacke. Eigers Annahme würde nämlich erfordern, daß die Dauer des Aktions- stromes, wegen des von der Zerstörung der Spitze verursachten Ausfalles des der T-Zacke entsprechenden Erregungsvorganges, jetzt wesentlich kürzer wäre. Seinerseits stellt sich Seemann3 vor, daß die Zacke T eine Begleiterscheinung des Kontraktionsvorganges ist. In dieser Hinsicht stützt er sich wesentlich darauf, daß die betreffende Zacke bei Schädigung des Herzens verändert wird; daß in Fällen, wo in dem Ablauf der Kontraktion eine Abweichung gegenüber der Norm wahrscheinlich ist, die Form dieser Zacke meistens in ausgeprägter Weise ver- ändert wird, z. B. bei Änderungen der Arbeitsleistung, bei Druckerhöhung an Herzen, die mit nichtleitender Flüssigkeit durchspült sind, am abgekühlten und erwärmten Herzen, infolge der dadurch bedingten Störung im Ablauf der Kon- traktion der einzelnen Herzabschnitte usw. Demgegenüber ließen sich aber, wie Seemann selber angab, solche Fälle in Betracht ziehen, wo ohne mechanische Kontraktion Aktionsströme vom Herzen erhalten werden, wie bei Vergiftungen mit Veratrin und Muskarin, bei Wasser- starre, in seltenen Fällen bei künstlicher Reizung am Herzen,' die mit Flüssigkeit gefüllt sind, sowie bei stillstehender Kammer nach Abbindung der Vorhöfe. Auch nach Vergiftung des Herzens von Anodonta fluviatilis mit Chlorkalium, sowie des Herzens von Tropidonotus und Frosch mit Digitoxin (Noyons und Zwaar- demaker*), bei der chloroformvergifteten Herzkammer der Schildkröte (Noyons5), sowie in Fällen von Kalziummangel beim Frosch (Mines6) sind Aktionsströme bei stillstehendem Herzen beobachtet worden.7) 1 Eiger, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 47; 1913. — Dieser Auffassung hat sich Rümke der Hauptsache nach angeschlossen (Arch. neerl. de physiol., 1, S. 698; 1917). 2 Eiger, Zentralbl. f. Physiol., 28, S. 715; 1914; — Arch. f. d. ges. Phvsiol., 162, S. 433, 465; 1915. Vgl. auch oben II, S. 242. 3 Seemann, Zeitschr. f. Biol., 59, S. 128; 1913. 4 Noyons und Zwaardemaker, Arch. di fisiol., 7, S. 371; 1909; — Noyons, Onderzoek. ged. in het physiol. Laborat. d. Utrechtsche Hoogeschool., 5. Reeks, 10, S. 208; 1909. 5 Noyons, ebenda, 11, S. 219; 1910. 6 Mines, Journ. of physiol., 46, S. 231; 1913. 7 Bei den von A. Hoffmann (Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 563; 1910) und Trendelen- burg (ebenda, 144, S. 47; 1912) am stillstehenden, muskarinvergifteten Herzen erhaltenen Kurven der elektrischen Schwankungen kommt allerdings die /?-Zacke vor, die T-Zacke wird aber dort vermißt. Indessen hat Klewitz (Ztschr. f. Biol., 67, S. 279; 1917) sowohl am mus- karinvergifteten Herzen wie bei Kalziummangel die T-Zacke beobachtet und durch lokale Temperaturänderung eine deutliche Veränderung derselben in Fällen erzielt, wo gar keine Bewegung am Herzen mehr wahrnehmbar war. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 249 Indessen waren, wie Einthoven hervorhebt, die bei der Registrierung der mechanischen Erscheinungen der Herztätigkeit in diesen Versuchen benutzten Vorrichtungen viel weniger empfindlich als die zur Aufnahme der elektrischen Schwankungen angewandten. Mit Hilfe einer leistungsfähigeren Methode wies er im Verein mit Hugenholtz1) am Chlorkalium-vergifteten Froschherzen nach, daß sich der Herzmuskel in der Tat so lange kontrahierte, als ein Aktionsstrom vom Galvanometer angezeigt wurde, wie daß überhaupt ein ausgeprägter Parallelismus zwischen mechanischer Leistung und Aktionsstrom stattfand. Zu demselben Resultat kam Arbeiter2) in Versuchen, wo das Froschherz wegen Mangel an Chlor- kalzium und Natriumbikarbonat scheinbar stillstand. Wie es sich mit den übrigen Fällen, wo beim ,, stillstehenden" Herzen ein Aktionsstrom auftritt, verhalten mag, ist ja durch diese Erfahrungen nicht ent- schieden, obgleich es nicht unwahrscheinlich ist, daß auch hier die schwachen Herzkontraktionen der Aufmerksamkeit entgangen sind. Gegen einen vollständigen Parallelismus zwischen den beiden wichtigsten äußeren Erscheinungen der Herztätigkeit spricht aber A. Hoffmanns3 und F. B. Hofmanns4) Beobachtung, daß bei der am Froschherzen beobachteten, als „Treppe" (vgl. II, S. 35) bezeichneten Erscheinung, wo die Kontraktionen stetig an Höhe zunehmen, der Aktionsstrom dessen ungeachtet die ganze Zeit gleich groß bleibt, sowie daß bei allmählich eintretender Wasserstarre und davon bedingter Abnahme der Kontraktionsgröße dennoch elektrische Schwankungen auftreten, bei welchen möglicherweise auch die T- Zacke sich vorfindet, was indessen nicht unbedingt aus den Kurven hervorgeht. Hierher gehört ferner F. B. Hof mann s5) von mehreren Autoren bestätigte Erfahrung, daß nach der Muskarinvergiftung des Froschherzens die Kontraktions- größe viel rascher als die Stärke des Aktionsstromes abnimmt. Bei künstlicher Reizung der Herzkammer der Schildkröte oder eines daraus ausgeschnittenen Muskelstreifens beobachtete Jolly6, daß die zuerst auftretende, durch dieQ-Zacke ausgedrückte elektrische Schwankung im allgemeinen eine Nega- tivität an der vom Reizort entfernteren Ableitungsstelle angab. Da es nun sehr schwierig ist, zu erklären, warum die Erregung nicht am Reizort, sondern entfernt davon beginnt, bemerkt Jolly, obgleich mit al'er Reserve, daß die Negativität der distaleren Stelle vielleicht durch eine vermehrte Positivität der proximalen Ableitungsstelle verursacht wäre, indem die Reizung als erster Effekt daselbst einen assimilatorischen Vorgang hervorrufen sollte. Die betreffende Erscheinung ist indessen noch nicht genügend untersucht worden, um so weit gehende Folge- rungen zu gestatten. b) Der Aktionsstrom bei den warmblütigen Wirbeltieren. Wenn wir nicht annehmen wollen, daß sich ein prinzipieller Unterschied zwischen den kaltblütigen und den warmblütigen Wirbeltieren vorfindet, so ist es selbstverständlich, daß die Schlußfolgerungen, welche wir aus den Erfahrungen 1 Einthoven und Hugenholtz, Arch. neerl. de physiol., 5, S. 178; 1921. 2 Arbeiter, ebenda, 5, S. 185; 1921. 3 A. Hoff mann, Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 564, 566; 1910. 4 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. d. exper. Med., 11, S. 158; 1920. 5 F. B. Hofmann, Ber. d. naturw. med. Vereins zu Innsbruck, 30, 5, 131; 1907. c Jolly, Quart, journ. of physiol., 9, S. 31. 250 Die Innervation des Herzens. über den Aktionsstrom bei jenen gezogen haben, auch bei diesen im großen und ganzen gültig sein müssen. Auch ergeben, wie mir scheint, die direkten Aufnahmen des Aktionsstromes beim Hunde- und Kaninchenherzen, daß diese Voraussetzung richtig ist. Allerdings suchte Gotch1 die bei der Ableitung des bloßgelegten Kaninchen- herzens von der Kammerbasis und -Spitze auftretenden vierphasischen Aktions- ströme dadurch zu erklären, daß sich die Erregung hier, wie es, seiner Auffassung nach, beim Frosch- und Schildkrötenherzen der Fall war, durch schleifenförmige Bahnen von der Basis zur Spitze und von der Spitze wieder zur Basis fortpflanzte. Gegen diese Deutung läßt sich indessen dasselbe geltend machen, was schon in bezug auf das Kaltblüterherz ausgeführt worden ist. Direkt spricht der Befund Clements2 und Erjmannsz, daß bei Differential- ableitung von verschiedenen Stellen der Kammeroberfläche beim Hunde und Kaninchen die Zacke T auftritt, obgleich sie meistens nur klein, manchmal eben noch angedeutet ist, für eine große Übereinstimmung zwischen dem Säugetier- und dem Kaltblüterherzen. Die Zacke R — ich sehe vorläufig von der Komplikation Q R S ab — würde also mit der Ausbreitung der Erregung innerhalb des betreffenden Herzabschnittes zusammenhängen, und die Zacke T der Ausdruck dafür sein, daß der Herzmuskel nicht in allen seinen Teilen gleichzeitig in die Diastole übergeht, indem gewisse Fasern länger als die übrigen tätig bleiben. Je nachdem sich diese an dem einen oder anderen Ort vorfinden, wird diese Zacke nach oben oder nach unten gerichtet sein. Ich stelle mir vor, daß der Aktionsstrom des „Venensinus" sowie der des rechten und des linken Vorhofes des Säugetierherzens von diesem Gesichtspunkt aus unschwer gedeutet werden kann, und daß derselbe also in allem Wesentlichen mit dem Aktionsstrom beim Herzen der kaltblütigen Wirbeltiere übereinstimmt. Von vornherein läßt es sich indessen nicht erwarten, daß auch der Aktions- strom der Kammern in der gleichen einfachen Weise theoretisch erklärt werden konnte, denn es muß ja hier die Trennung der Herzkammern durch die dicke Scheidewand sowie die komplizierte Anordnung des Verbindungsbündels und der davon abhängigen Erscheinungen am Herzen auch auf die Gestaltung und den Verlauf des Aktionsstromes einen nicht unwesentlichen Einfluß ausüben.4 Bei der Erörterung dieser Frage werde rch die Zackengruppe Q R S und die Zacke T jede für sich besprechen. In bezug auf die Zackengruppe Q R $ haben wir in erster Linie den Einfluß zu untersuchen, welchen die Trennung der Herzkammer in zwei Abteilungen auf das Gesamtelektrokardiogramm ausübt. Wie Selenin5 durch das in Fig. 272 reproduzierte Schema dargetan hat, muß die Richtung der Zacken Q R S im Anfange des Elektrokardiogrammes 1 Gotch, Heart, 1, S. 244; 1910. 2 Clement, Zeitschr. f. Biol., 58, S. 135. 3 Erfmann, ebenda, 61, S. 167; 1913. 4 Vgl. auch die Ausführungen von Eiger, a. a. O., 162, S. 466. 5 Selenin, Arch. f. d. ges. Physiol., 146, S. 336; 1912; — vgl. Einthoven, ebenda, 149, S. 82; 1912, sowie Eiger, Naturforscherkongreß in Krakau, Juli 1911; zit. nach Arch. f. d. ges. Physiol., 162, S. 478; 1912; — Ganter, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 129, S. 143; 1919. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 251 aus rein physikalischen Ursachen verschieden sein, je nachdem die Erregung an der rechten oder an der linken Kammer die stärkere ist. Nehmen wir an, daß die linke Kammer (L V) sich isoliert zusammenzieht, daß die Welle von der Basis zur Spitze läuft und daß die Ableitung durch die beiden Hände (L A, R A) erfolgt. Durch die Saite des Galvanometers (G) geht h.a. Fig. 272. Schema der Stromverteilung bei der Ableitung des Elektrokardiogramms beim Menschen. Nach Selenin. dann der Strom (die unterbrochene Linie) von oben nach unten und strebt durch neue Leiter und die rechte Hand dem negativen Pol zu. — Im entgegengesetzten Falle, wenn sich die rechte Kammer isoliert zusammenzieht, hat die Strom- verzweigung etwa den durch die ununterbrochene Linie angegebenen Verlauf Fig. 273. Aktionsströme der Herzkammern des Hundes. Nach Nicolai. A, Reizung der rechten Kammer; B, Reizung der linken Kammer. und muß also durch die Saite in der Richtung von unten nach oben strömen. Je nachdem die Erregung in der rechten oder linken Kammer beginnt, wird also die erste Kammerzacke verschieden gerichtet sein. Und auch wenn beide Kammern gleichzeitig erregt werden, behält der stärkere dabei entstehende Strom die Ober- hand und das Galvanometer gibt nun die Differenz in der Stärke der zwei Ströme an. Diese Überlegung bestätigt die schon viel früher durch direkte Versuche festgestellte Tatsache, daß sich die überwiegende Tätigkeit der einen oder anderen Kammer durch verschiedene Richtung des ersten Ausschlages im Elektrokardio- gramm erkenntlich macht. 252 Die Innervation des Herzens. Durch künstliche Reizung löste Nicolai1 am Hundeherzen beim Vagusstill- stande Extrakontrakticnen aus und leitete dabei den Aktionsstrom entweder vom Ösophagus und Rectum oder von den beiden Vorderpfoten oder auch direkt von dem Herzen selbst ab. Je nachdem die Reizung die rechte oder die linke Kammer traf, hatte der Aktionsstrom ein ganz verschiedenes Aussehen (vgl. Fig. 273). Nach Nicolai und Rehfisch2 trat der größte Unterschied des Aktionsstromes bei Reizung in der Nähe der Spitze möglichst weit nach links bzw. bei Reizung an der Basis möglichst weit nach rechts auf, während die Reizung der Basis links und der Spitze rechts fast identische Ausschläge gab. A. Vorder/lache. RHütierfläxhe. Fig. 274. Schema nach Rothberger und Winterberg. Erklärung im Text. Später formuliert Nicolai3 sein Ergebnis in der Weise, daß die Differenz , im Aussehen des Aktionsstromes bei künstlicher Reizung der Herzkammern wesentlich darauf beruht, ob Basis oder Spitze gereizt worden ist, und daß es von geringerer Bedeutung ist, inwiefern die rechte oder linke Kammer Ort der Reizung gewesen ist. Demgegenüber hat Kahn* wiederholt bemerkt, daß das Aussehen der Aktions- ströme bei künstlich hervorzurufenen Kontraktionen der Herzkammer davon abhängt, welche Kammer primär gereizt worden ist, und daß bei der Reizung einer und derselben Kammer der Aktionsstrom ganz denselben Charakter hat, gleichgültig, ob deren Basis oder Spitze gereizt wurde. In keinem Fall blieb aber die Erregung auf die direkt gereizte Kammer beschränkt, sondern verbreitete sich immer auf beide Kammern. 1 Nicolai, Berlin, klin. Wochenschr., 1907, Nr. 25. 2 Nicolai und Rehfisch, Zentralbl. f. Physiol., 22, S. 57; 1908; — Rehfisch, Deutsche med. Wochenschr., 1910, S. 980. 3 Nicolai, in Nagels Handbuch d. Physiol., 1, S. 818; 1909; — vgl. auch Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 162. 4 Kahn, Zentralbl. f. Physiol., 23, S. 447; 1909; — 24, S. 728, 737; 1910; — vgl. auch Rothberger und Winterberg, ebenda, 24, S. 959; 1910; sowie Lohmann, Sitz.-Ber. d. Gesellsch. zur Beförd. d. Naturwiss. in Marburg, 8. Mai 1912; ferner Fauconniers Resultate bei isolierter Ableitung der linken und der rechten Kammer (Arch. intern, de physiol., 7, S. 470; 1909). Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 253 Fortgesetzte Untersuchungen von Rothberger und Winterberg1 haben in- dessen ergeben, daß sich die Sache nicht so einfach verhält. Bei der Ableitung von den beiden Vorderfüßen schließt sich die Grenzlinie an der Vorderfläche des Herzens (Fig. 274 A) im großen un,d ganzen eng an die großen Koronargefäße an; alle Punkte, die rechts liegen, geben Extrasystolen mit der Zacke R im Elektro- kardiogramm nach oben, alle links davon gelegenen solche mit dieser Zacke nach unten. Von einem etwa in der Mitte der Längsachse des Herzens gelegenen Punkte an verläßt indessen die Grenzlinie die Koronargefäße und zieht fast senkrecht zur Herzspitze, so daß das Elektrokardiogramm bei Reizung des rechten Anteils der Spitze der linken Kammer den Typus der rechtsseitigen Extrasystolen mit der Zacke R nach oben gibt. A. Vorderfläche B. llinterflächc . Fig. 275. Schema nach Rothberger und Winterberg. Erklärung im Text. An der Hinterfläche des Herzens (Fig. 274 B) fällt die entsprechende Grenz- linie in den meisten Fällen mit dem Verlauf der Koronargefäße zusammen und entspricht also ungefähr der Scheidewand. Bei der Ableitung vom Anus und Ösophagus ist die Grenzzone durch einen breiten Rand gebildet, der auf der Vorderfläche den in Fig. 275 A dargestellten Verlauf hat. Extrakontraktionen, welche durch Reizung eines oberhalb dieses Bandes gelegenen Ortes hervorgerufen werden, haben alle ein Elektrokardio- gramm mit der Zacke R nach oben; bei den unterhalb des Bandes ausgelösten Kontraktionen ist diese Zacke im Elektrokardiogramm nach unten gekehrt. Bei Reizung innerhalb des Bandes werden atypische Elektrokardiogramme mit kleinen Ausschlägen erhalten. Dagegen stellt fast die ganze Hinterfläche des Herzens, unterhalb der hori- zontalen Linie (Fig. 275 B) ein Gebiet dar, von welchem aus Extrasystolen mit der Zacke R nach unten erhalten werden. Nur an der Basis der rechten Kammer gibt es ein mehr oder weniger ausgedehntes Gebiet, von welchem sich Extra- systolen mit der Zacke R nach oben auslösen lassen. Aus diesem allen folgt, daß die erste Zacke am Elektrokardiogramm bzw. Aktionsstrom des Säugetierherzens bei konstanter Verbindungsweise mit dem 1 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 594; 1913. 254 Die Innervation des Herzens. Galvanometer eine verschiedene Richtung haben muß, je nachdem die Erregung bei dem einen oder anderen Abschnitt der Kammern stärker ist. Diese Resultate wurden durch Versuche von Eppinger und Rothberger1 er- härtet, bei denen durch Injektion von Sublimat oder Silbernitrat in die Herz- wand die tieferen Schichten derselben zerstört wurden. Die Ableitung fand vom Rectum und Ösophagus statt. Traf die Zerstörung die linke Kammer, so wurde der Abstieg der /?-Zacke erschwert oder ganz verhindert und T wurde auf R superponiert (Fig. 276). Diese Wirkung wurde sowohl von der Basis, als auch von der Spitze der linken Kammer aus erhalten; sie blieb aber aus, wenn nur d:e oberflächlichen Schichten der Kammermuskulatur oder die Papillarmuskeln zerstört wurden. Bei entsprechender Zerstörung der rechten Kammer wird in vielen Fällen die /?-Zacke kleiner bis zum Verschwinden, während die S-Zacke und die T-Zacke an Umfang stark zunehmen (vgl. Fig. 277, Eppinger und Rothberger1). Desgleichen erschien nach der Exstirpation der Außenwand der linken Kammer ein mächtiges monophasisches Elektrokardiogramm mit der Spitze R nach oben ; nach der Exstirpation der Außenwand der rechten Kammer wurde die /?-Zacke sehr klein und von einer nach unten gerichteten starken Schwankung nachgefolgt (Zacke S2). Bei Schädigung der Kammerscheidewand stellten sich Veränderungen im Elektrokardiogramm dar, welche, je nach der Lage der Zerstörung, denen bei der Zerstörung der rechten oder der linken Kammer ähnlich waren. Die ausgebreitete Zerstörung der einen oder anderen Kammer hatte also Veränderungen des Elektrokardiogrammes zur Folge, welche das Spiegelbild der Erscheinungen bei künstlicher Reizung verschiedener Abschnitte der Kammern darstellten. Um diese Ergebnisse noch weiter zu prüfen, studierten Eppinger und Rothberger3 in der schon erwähnten Weise die Veränderungen des Elektro- kardiogrammes nach Durchschneidung des Reizleitungssystems an verschiedenen Stellen. Selbst ausgiebige Schnitt- und Stichwunden in Septum oder Endokard riefen keine Veränderungen im Elektrokardiogramm hervor, wenn dabei die Schenkel des Reizleitungssystems nicht getroffen wurden. Wenn aber das Verbindungsbündel links durchschnitten wurde, nahm die 7?-Zacke in hohem Grade zu und ging unmittelbar in eine tiefe 5-Zacke über: die Kammerschwankungen im Elektrokardiogramm hatten jetzt die Form rechts- seitiger Extrasystolen (vgl. Fig. 278). Dementsprechend bekam das Elektrokardiogramm nach Durchschneidung des rechten Schenkels vom Verbindungsbündel den Typus des bei Extrasystolen der linken Kammer auftretenden (vgl. Fig. 279). Dieses Resultat wurde von Nicolai* wie von Lewis und Rotschild5 und Fahr6) 1 Eppinger und Rothberger, Wiener klin. Wochenschr., 1909, Nr. 31. 2 Eppinger und Rothberger, Zentralbl. f. Physiol., 24, S. 1053; 1911. 3 Eppinger und Rothberger, Zeitschr. f klin. Med., 70, S. 1; 1910. 4 Nicolai, Zentralbl. f. Physiol., 26, S. 104; 1912. 5 Lewis und Rothschild, Philos. trans., 206, B, S. 199; 1914. 6 Fahr, Aren, of int. med., 25, S. 146; 1920; zit. nach Berichte, 4, S. 526. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 255 [i n Hl - > ■ I i ^ 3 r & L Uli tu 5 CM 256 Die Innervation des Herzens. vollständig bestätigt. Auch gelangten Boden und Neukirch1 bei ihren Versuchen am isolierten Herzen mit flüssiger Ableitung (vgl. II, S. 210) zu genau demselben Ergebnis. Der vom Vorhof kommende Reiz läuft also einerseits zur linken, andererseits zur rechten Kammer ab, ohne zunächst mit der Kammermuskulatur in Verbin- W/yrwy *HMBK<*MIMHi^Ü^^M; 1 t ^mg^^^^^g^^p^^m^j Fig. 278. Elektrokardiogramm vom Hund. Nach Eppinger und Rothberger. a, vor, b, nach der Durchschneidung des linken Schenkels vom Reizleitungssystem. PR T Fig. 279. Elektrokardiogramm vom Hund. Nach Eppinger und Rothberger. a, vor, b nach der Durchschneidung des rechten Schenkels vom Reizleitungssystem. dung zu treten.2 Ist der linke Schenkel durchschnitten, so wird die linke Kammer nicht direkt zur Kontraktion gebracht, die rechte Kammer kontrahiert sich zuerst und die linke wird den Reiz erst auf dem Umwege über die rechte Kammer erhalten. Es treten also die gleichen Erscheinungen wie bei Reizung der rechten Kammer während eines Vagusstillstandes auf (vgl. oben II, S. 252). 1 Boden und Neukirch, Arch. f. d. ges. Physiol., 171, S. 173; 1918; — vgl. F. M. Smith, Arch. of int. med., 26, S. 205; 1920. 2 Vgl. Eppinger und Rothberger, Zeitschr. f. klin. Med., 70, S. 17; 1910. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 257 Wenn wir noch berücksichtigen, daß der Aktionsstrom zuerst an der inneren Oberfläche der Kammern auftritt und daß eine meßbare, von der Dicke der Kammerwand abhängige Zeit vergeht, bis die Erregung die äußere Herzwand trifft (Lewis und Rothschild1, Schneiders2), so ist es im höchsten Grade wahr- scheinlich, daß die Zackengruppe Q RS die algebraische Summe der Elektro- kardiogramme der rechten und linken Kammer darstellt und daß sie in nächster Beziehung zu dem Beginn und der Ausbreitung der Erregung in den Kammern stehen muß. Durch die hier zusammengestellten Erfahrungen wird also die Richtigkeit von Einthovens3 Deutung dieser Gruppe erwiesen. Wenn die Erregung zuerst an einer nahe der Spitze oder der linken Kammer liegenden Stelle gelangt, so erscheint die Zacke Q, während sie fehlen muß, wenn die entgegengesetzten Stellen der Kammern zuerst erregt werden. Die Zacke R bezieht sich auf die rechte Kammer und die Kammerbasis, und die Zacke 5 zeigt ihrerseits, daß bald darauf die Kontraktion derjenigen Herzteile, die der linken Kammer und der Spitze näher liegen, wieder die Oberhand gewonnen haben. Speziell für das Hundeherz bei axialer Ableitung hat Lewis'1 folgende in Einzelheiten durchgeführte Deutung der betreffenden Zackengruppe entwickelt. Die Q-Zacke ist von der Erregung des Septums vom linken Ast des Ver- bindungsbündels aus bedingt. Dies wird dadurch dargetan, daß der Ausschlag bei Ableitung von der Scheidewand unterhalb der Aortaklappen am frühesten erscheint, daß Q zum größten Teil von dem Aktionsstrom der linken Kammer herrührt, und daß sich diese Zacke nicht bei entsprechender Ableitung im Elektro- kardiogramm der Kröte und Schildkröte, welche keine Kammerscheidewand haben, vorkommt. Die /?-Zacke gehört größtenteils der rechten Kammer und nur zu einem kleineren Teil der linken und ist der Hauptsache nach von der Ausbreitung der Erregung von oben nach unten in der Scheidewand und der nahe derselben liegenden Gebilde verursacht. Die S-Zacke bezieht sich auf die Fortpflanzung der Erregungswelle durch die basale und laterale Wand der linken Kammer, was u. a. daraus folgt, daß sie nur im Aktionsstrom dieser Kammer auftritt. In guter Übereinstimmung mit dieser Deutung steht die Angabe von Fräser5], daß beim Kaninchen die nach oben (Ableitung II) gerichteten Zacken der QRS- Gruppe bei linksseitiger Hypertrophie des Herzens kleiner, die nach unten größtr werden und umgekehrt bei rechtsseitiger Hypertrophie. Schon die kurze Zeitdifferenz zwischen Q und 5 zeigt, daß die Kontraktion der Kammern auf vielen Stellen gleichzeitig oder fast gleichzeitig anfängt. Dies wird durch die unter Anwendung der Differentialelektroden von Garten gemachte Beobachtung Clements6, nach welcher sowohl am Hunde- wie am Kaninchen- 1 Lewis und Rothschild, a. a. O., 206, B, S. 217. 2 Schneiders, Zeitschr. f. Biol., 65, S. 465; 1915. 3 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 576; 1908; — 149, S. 81 ; 1912; — vgl. auch die frühere Darstellung Einthovens, ebenda, 80, S. 154; 1900. 4 Lewis, Journ. of physiol., 49, proc, S. 20, 49; 1915. 5 Fräser, Journ. of exp. med., 22, S. 292; 1915. Nach Fahr (a. a. 0., 25; Berichte, 4, S. 526) würde bei linksseitiger Herzhypertrophie, wegen der Verlängerung der Leitungswege, die rechte Kammer zuerst negativ werden, und umgekehrt. 6 Clement, Zeitschr. f. Biol., 58, S. 135. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 17 258 Die Innervation des Herzens. herzen die verschiedensten Stellen der Kammer beim natürlichen Herzschlage fast mathematisch gleichzeitig von der Erregung getroffen werden, nur noch bestätigt. Die Pause zwischen der Vorhof- und der Kammerkontraktion ist im Elektro- kardiogramm durch den stromlosen Abschnitt P bis Q angegeben. Während dieser Zeit pflanzt sich die Erregung durch das Verbindungsbündel bis zu den End- verzweigungen dessen Äste fort. Daß dieser Vorgang ohne allen nach außen ab- leitbaren Aktionsstrom verläuft, ist ohne Zweifel von der geschützten Lage und der geringen Dicke des Bündels verursacht {Einthoven1, Kraus und Nicolai2, Eppinger und Rothberger3). Einthoven hat es nicht versucht, die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Muskelbündel der Herzkammern erregt werden, an der Hand des Elektrokardio- grammes näher festzustellen, sondern hat sich mit der oben referierten, ganz allgemein gehaltenen Darstellung genügt. Eine nähere Entwicklung dieser Auf- fassung haben dann Boruttau wie A. Hoff mann versucht, durchzuführen. Nach Boruttau* ist das Ansteigen der Zacke R durch den allerersten Beginn des Erregungsvorganges oben im Septum bedingt; das Absinken bis zur Zacke 5 ist durch die Ankunft der Erregung in Papillarmuskeln und Herzspitze verursacht und das erneute Wiederansteigen stellt den Ausdruck des gleichzeitigen Ergriffen- werdens der ganzen Kammerwand dar, d. h. durch das Verbindungsbündel werden zuerst die Basis und dann die Papillarmuskeln und die Spitze erregt. In derselben Richtung äußert sich auch A. Hoffmann5 in seiner letzten Dar- stellung der Theorie des Elektrokardiogramms.6 Er nimmt an, daß die rechte Kammer durch die Endausbreitungen des Verbindungsbündels ein kleines Zeit- teilchen früher in Erregung gerät als die linke, und daß die Erregung von den zahlreichen Enden jedes Leitungsschenkels an den verschiedensten Stellen der einzelnen Kammer nahezu gleichzeitig auf deren Muskulatur übertragen wird. Wenn somit die rechte Kammer in ihrer Totalität einen Moment früher erregt wird als die linke, so muß die erste Zacke des Elektrokardiogramms vom resul- tierenden Aktionsstrom der rechten Kammer vorzugsweise ihre Gestalt erhalten: es ist das die Zacke R. Die Spitze Q ist nicht konstant. Sobald die linke Kammer tätig wird, entsteht ein anders gerichteter Strom. Das zeitliche Verhältnis der Erregungen beider Kammern zusammen bringt es mit sich, daß die der linken Kammer entstammende Zacke 5 dadurch, daß sie zu einer Zeit entsteht, wo die Saite aus ihrer Nprmallage in entgegengesetzter Richtung weit verschoben war, normalerweise sich nur rudimentär ausbildet.7 Eppinger und Rothberger8 bemerken gleichfalls, daß der Kammerteil des Elektrokardiogrammes zu einer Zeit, wo die Erregung schon an den verschiedenen Stellen der Innenwand der Herzhöhle angreift, mit dem jähen Anstieg der 7?-Zacke 1 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 576; 1908. 2 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, 1910, S. 174. 3 Eppinger und Rothberger, Wiener klin. Wochenschr., 1909, Nr. 31. 4 Boruttau, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1913, S. 537. 5 A. Hoffmann, Die Elektrographie als Untersuchungsmethode des Herzens. Wiesbaden 1914, S. 53. — Vgl. die Kritik von Garten, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 437; 1916. 6 Über seinen früheren Standpunkt vgl. unten S. 261. 7 Vgl. auch Eiger, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 29, 35; 1913. 8 Eppinger und Rothberger, Wiener klin. Wochenschr., 1909, Nr. 31. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 259 beginnt. In bezug auf die Deutung der folgenden Zacken weichen sie aber von den soeben erwähnten Autoren in hohem Grade ab. Vom Augenblick des Anstiegs der R-Zacke oder, wenn eineQ-Zacke vorhanden ist, schon etwas früher, bis zum Ende der T-Zacke stellt das Elektrokardiogramm die Resultierende zweier antagonistischer Kräfte dar, von welchen die bei der gewöhnlichen Ableitungsweise das Saitenbild hinaufbewegende die länger dauernde ist, während man annehmen kann, daß unter normalen Verhältnissen beide un- gefähr gleichstark sind. Diese antagonistischen Kräfte sind 1. die longitudinal verlaufenden Muskel- fasern und 2. das größtenteils aus zirkulären Fasern bestehende Triebwerk im Sinne Krehls. Bei ihrer Erregung würden jene einen Anstieg der Kurve verur- sachen, während dieses einen Abstieg derselben bedingen würde. Zwischen R und T erfolgt die allseitige Kontraktion der Herzkammern; dabei sind die beiden antagonistischen Kräfte ungefähr gleichstark, und deshalb läßt sich am Galvanometer keine Potentialdifferenz nachweisen. Diese beiden Muskelschichten können nicht gleichzeitig einsetzen, denn dann wäre die Zacke R unmöglich. Die in der Regel nach oben gekehrte Richtung von R zeigt, daß sich die Längsmuskelfasern vor dem Triebwerke kontrahieren. Kurze Zeit nachher fängt plötzlich die Systole des Triebwerkes an; dadurch wird der Aufstieg der R-Zacke unterbrochen, und die Kurve kehrt auf die Abszisse zurück. Der aufsteigende Schenkel dieser Zacke wäre daher der Ausdruck der ungeschmä- lerten Wirkung der Kontraktion der Längsfasern, der absteigende hingegen eine Resultierende aus beiden Kräften. Gegen diese Anschauung macht Einthoven1 in erster Linie geltend, daß ein monophasischer Aktionsstrom, wie die Deutung von Eppinger und Rothberger voraussetzt, im allgemeinen nicht wahrscheinlich ist, denn an einem unversehrten Muskel läßt sich, wenn kein asymmetrischer Einfluß einwirkt, entweder keine oder eine diphasische Stromschwankung beobachten, gleichviel wo der Muskel seinen Reiz erhalten haben mag. Wir dürfen daher nicht ohne weiteres annehmen, daß die longitudinalen oder die zirkularen Fasern des Herzens bei ihrer Kontraktion einen monophasischen Aktionsstrom veranlassen, und also auch nicht voraussetzen, daß die Richtung des Potentialunterschiedes im Körper ausschließlich durch die Beschaffenheit des sich kontrahierenden Muskels bedingt werde, sondern müssen vielmehr immer dem Umstände Rechnung tragen, daß diese Richtung von den Stellen, wo im Muskel die Welle beginnt und endet, und ferner von der Art und Weise wie von dem Wege, worauf sie sich im Muskel fortpflanzt, abhängig ist. Mir scheint, daß die Ansicht von Eppinger und Rothberger durch diese Ein- wendungen sehr viel an ihrer Wahrscheinlichkeit verloren hat. Einer sehr günstigen Aufnahme hat sich eine von Kraus und Nicolai ent- wickelte Anschauung zu freuen gehabt. Nach ihrer ersten Darstellung2 gelangt die durch das Verbindungssystem fortgepflanzte Reizung zuerst zum basalen Teil der inneren Muskelschicht der Kammern (des Papillarsystems Albrechts; vgl. I, S. 82), welcher also negativ- elektrisch wird; als Ausdruck davon steigt das Elektrokardiogramm rasch in die 1 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 149, S. 69; 1912. 2 Nicolai und Kraus, Zentralbl. f. Physio!., 21, S. 681; 1907. 17* 260 Die Innervation des Herzens. Höhe (Zacke R). Die Erregung pflanzt sich dann bis zur Spitze fort; wenn sie dort ankommt, ist die Kurve bereits wieder abgesunken. Darauf folgt eine Periode, wo das Herz sich im großen und ganzen nur wie ein einfacher Hohlmuskel ohne bevorzugte Faserrichtungen allseitig kontrahiert; während dieser Periode sinkt die Kurve auf Null, weil keine Potentialdifferenz vorhanden ist. In der weiteren Entwicklung ihrer theoretischen Ansichten bemerken Kraus und Nicolai1, daß, wenn eine Q-Zacke im Elektrokardiogramm erscheint, dies ein Beweis dafür ist, daß die Erregung im Reizleitungssystem ziemlich weit gegen die Spitze herabgestiegen ist, ehe sie das eigentliche Papillarsystem ergriff. Hier werden die freien Papillarmuskeln von ihrer Basis aus zuerst ergriffen und die Erregung schreitet in ihnen zur Papillarmuskelspitze fort. Wo diese Zacke fehlt, beginnt die Erregung näher an der Basis und pflanzt sich nach der Spitze fort, wo dann zuweilen, aber lange nicht immer, die Zacke 5 erscheint. Wenn sie fehlt bedeutet dies, daß die Erregungswelle nicht das ganze Papillarsystem einheitlich und ungeteilt bis zur Spitze durchläuft, sondern im ^erlauf der ganzen Kammer nach der mittleren Muskelschicht (dem Triebwerkzeuge Krelüs) querverlaufende Muskelbündel abgibt.2 Dieser Deutung haben sich unter anderen H. E. Hering, Kahn, A. Hoffmann mehr oder minder nahe angeschlossen. Hering3 hebt hervor, daß die erste Kammerzacke mit dem Papillarsystem etwas zu tun haben wird, wenn die Kammern auf dem Wege des Verbindungs- bündels in Erregung versetzt werden. Letzteres trifft für die Zacke R zu, wenn bei Ableitung I R die erste Zacke ist; ist Q die erste Zacke, dann muß man diese Zacke mit der Tätigkeit des Papillarsystems in Beziehung setzen. Übrigens würde das Kammerelektrokardiogramm an sich nach Hering keinen Aufschluß über die Wirkung der Papillarmuskeln geben können, wenn wir sonst nichts über den Aktionsbeginn der Papillarmuskeln wüßten. Bei seiner Erörterung der betreffenden Zacken geht Kahnx von der Voraus- setzung aus, daß der Druckanstieg in den Herzkammern, der erste Herzton und die mechanische Aktion der rechten Herzwand zu einer Zeit beginnen,, zu welcher die Zacke R ihr Ende schon erreicht hat. Da also die Tätigkeit des Triebwerkes erst nach völligem Ablauf dieser Zacke einsetzt, ist die Zugehörigkeit der /?-Zacke zur Tätigkeit des Papillarsystems erwiesen.5 Bei der Entstehung derselben spielt wohl auch die Kontraktion der Papillarmuskeln eine Rolle. Aus der Form der Zacke bzw. aus dem Vorhandensein oder «Fehlen von Q und 5 kann nichts Be- stimmtes geschlossen werden, denn man ist über die Ausbreitungsgeschwindigkeit 1 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 175; — vgl. auch Rehfisch, Deutsche med.Wochenschr., 1910, S.977, 1035; sowie Kraus, Nicolai und E.Meyer, Arch.f.d. ges. Physiol. 155, S. 118; 1913. 2 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 174. 3 H. E. Hering, Zeitschr. f. exp. Pathol., 7, S. 373; 1909. 4 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 132, S. 227; 1910. 5 Bei direkter Reizung der Herzwand verstreicht zwischen dem elektrischen Vorgang und der mechanischen Wirkung eine Zeit von nur 0,002 Sekunde. Andererseits ist der zeit- liche Unterschied zwischen dem Beginn der Q 7?S-Gruppe und der Kammersystole beim Hunde gleich 0,03 Sekunde. Der in dieser Gruppe ausgedrückte Vorgang kann daher nicht dem Aktionsstrom der Kammersystole entsprechen, sondern muß mit einer früheren Muskelaktion zusammenhängen, und als solche kann nur das Papillarsystem in Betracht kommen; Arch. f. d. ges. Physiol., 132, S. 224; 1910. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 261 und die Verteilung der Erregungsgröße in den einzelnen Abschnitten des Systems zurzeit sehr im unklaren.1 Auch A. Hoffmann2 stellt in einer früheren Abhandlung die ersten Zacken des Elektrokardiogrammes mit der Erregung der Papillarmuskeln in Zusammen- hang. Die erste Erregung trifft die Basis der Papillarmuskeln und schreitet von hier nach dem Ende derselben aufwärts fort. Es sind also zunächst der Herzspitze näher liegende Teile in Erregung und damit diese der Herzbasis gegenüber elektro- negativ. Diesem Verhalten würde die initiale Zacke Q entsprechen, die wegen des kurzen Verlaufes der Papillarmuskeln meistens klein ausfällt. Die Erregung schreitet dann rasch zur Basis fort, und zwar zu einer Zeit, in der die Kontraktion noch nicht eingesetzt hat. Dadurch entsteht die ausgesprochene Negativität an der Herz- basis, welche in der Zacke R sich kundgibt. Dann verbreitet sich die Erregungs- welle von der Basis wieder zur Spitze und ruft die Zacke 5 hervor. In diesem Moment setzt die Kontraktion ein und die gesamte Herzkammermuskulatur ist dadurch nach und nach in einem eine Zeitlang andauernden gleichmäßigen elek- trischen Zustand versetzt. Soviel ich die Auffassung von Kraus und Nicolai richtig verstanden habe, stellen sich diese Autoren vor, daß sich die Erregung zur Zeit der Zackengruppe Q R S wesentlich durch die eigentliche Muskulatur des Herzens von der einen Stelle zur anderen fortpflanzt. Demgegenüber ist zu bemerken, daß das Wichtigste hierbei jedenfalls der durch die Endverästelung des Verbindungsbündels hervor- gerufenen Erregungsvorgang sein dürfte. Wie dies von Boruttau und von A. Hoff- mann in seiner letzten hierhergehörigen Arbeit vielleicht am deutlichsten hervor- gehoben worden ist, wird der vom Bündel ausgehende Reiz alle Teile der Herz- kammer nicht genau gleichzeitig treffen können (vgl. die Rekonstruktion von de Witt, II, S. 188, Fig. 223). Unter der Einwirkung des Bündelreizes tritt aber in schneller Folge die eine Stelle der Herzkammern nach der anderen in Tätigkeit, und dabei müssen Potentialdifferenzen entstehen, die zunächst nur wenig von der Fortpflanzung der Erregung in der eigentlichen Herzmuskulatur abhängig sind und deshalb den direkten Ausdruck der beginnenden Erregung dieser ver- schiedenen Stellen abgeben. Inwiefern die Papillarmuskeln hierbei besonders bevorzugt sind, läßt sich zurzeit wohl kaum entscheiden. Gegenüber der von H. E. Hering beobachteten Tatsache, daß die Kontraktion dieser Muskeln früher beginnt als die des Konus der rechten Kammer, steht die Erfahrung, daß bei der rechten Kammer die Scheide- wand an der Basis in der Mehrzahl der Fälle sich vor den Papillarmuskeln zu- sammenzieht (Saltzman, vgl. oben II, S. 203), und man kann also nicht aus jener Beobachtung folgern, daß die Zacke Q oder R der Tätigkeit dieser Muskeln notwendig entsprechen muß. Bei dem ersten Anblick erscheint die Beweisführung Kahns dafür, daß die Zacke R die Tätigkeit des Papillarsystems repräsentiert, sehr ansprechend. Die neueren Ermittelungen von Battaerd haben indessen gezeigt, daß der erste Herz- ton und der Druckanstieg in der linken Kammer fast genau gleichzeitig mit dem Beginn der Zacke R anfangen, und daß also jene Vorgänge nicht, wie es sich Kahn dachte, nur nach dem Ende dieser Zacke erscheinen (vgl. oben, S. 238). 1 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 132, S. 230. 2 A. Hoffmann, ebenda, 133, S. 575; 1910. 262 Die Innervation des Herzens. Es scheint mir daher, daß die Zackengruppe Q R S in nächster Überein- stimmung mit den von Einthoven, Boruttau und A. Hoffmann entwickelten An- sichten zu deuten ist, daß sie also die Ausbreitung der Erregung durch das Herz ausdrückt, und zwar wesentlich von den Potentialdifferenzen bedingt ist, welche dadurch entstehen, daß die einzelnen Abschnitte der Kammern zu etwas ver- schiedener Zeit von dem ihnen durch das Verbindungsbündel zugeführten Reiz ge- troffen werden. Es ist aber selbstverständlich, daß hier der Einfluß der Fort- pflanzung der Erregung in der eigentlichen Kammermuskulatur noch hinzukommt. Die direkten Versuche von Nicolai, Eppinger und Rothberger und anderen haben, wie mir scheint, sehr deutlich erwiesen, daß die in erster Linie von Eint- hoven entworfene Erklärung der einzelnen Zacken Q, R und 5 in ihrer topischen Bedeutung der Hauptsache nach das richtige getroffen hat. Alle Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, sind darin ein- verstanden, daß die Stromlosigkeit zwischen den Zacken S und T dadurch be- dingt ist, daß sich alle Teile der Herzkammern dabei in gleichmäßiger Tätigkeit befinden. Um so größere Schwierigkeiten hat die Zacke T der theoretischen Deutung bereitet. Wenn wir einerseits aus dem gesamten Verhalten der Q/?«S-Gruppe mit großer Bestimmtheit behaupten können, daß sich die bei deren Entstehung statt- findenden Vorgänge in den inneren Muskelschichten der Herzkammern abspielen müssen, ist es uns auch andererseits möglich darzulegen, daß im Elektrokardio- gramm wie im Aktionsstrom des Säugetierherzens die oberflächlichen Schichten bei der T-Zacke von großer Bedeutung sind. Wenn die linke Herzkammer an der Basis oder Spitze, oder die rechte Kammer an der Spitze durch Chloräthyl lokal abgekühlt wird, so wird die Richtung der T-Zacke umgekehrt; findet die örtliche Abkühlung an der Basis der rechten Kammer statt, so nimmt diese Zacke dagegen an Höhe zu. Bei allen diesen Ein- griffen blieb die R-Zacke unverändert. Da das Chloräthyl wegen der starken Durchblutung der Herzwand nur eine geringe Tiefwirkung hat, müssen die Ver- änderungen der T-Zacke auf Vorgänge in den äußeren Schichten des Herzens zurückgeführt werden (Eppinger und Rothberger1). Desgleichen fand Ganter2 am Katzenherzen bei Ableitung vom Ösophagus und Rectum, daß die T-Zacke bei Abkühlung der hinteren Kammeroberfläche abnimmt, um schließlich negativ zu werden, und bei Erwärmung derselben zu- nimmt; daß sie bei Abkühlung der Basis zu- und bei Erwärmung der Basis ab- nimmt, sowie daß sie überhaupt bei jeder durch lokale Abkühlung hervorgebrachte Verlängerung der Kontraktion vergrößert erscheint, wenn die Ableitung von der abgekühlten Stelle erfolgt. Dabei erlitt die Gruppe Q R S keine entsprechen- den Veränderungen. Ferner wiesen Garten und Sülze3 am Hundeherzen nach, daß wenn zwei Stellen der Kammeroberfläche unter Anwendung der Differentialelektroden ab- geleitet werden, die T-Zacke früher bzw. später im Aktionsstrom derjenigen Stelle 1 Eppinger und Rothberger, Wiener klin. Wochenschr., 1909, Nr. 31. 2 Ganter, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 112, S. 559; 1913. — Vgl. oben II, S. 244 die damit vollständig übereinstimmenden Ergebnftse von Mines am Frosch. 3 Garten und Sülze, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 447; 1916. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 263 auftritt, welche erwärmt oder abgekühlt wurde. Dabei konnte sich auch die Rich- tung der T-Zacke verändern. K. Henles1 Beobachtungen über den Einfluß eines konstanten, durch das Hundeherz geleiteten Stromes auf den Aktionsstrom führen zu einem entsprechen- den Resultat. Das Herz wurde mit der Basis und der Spitze mit dem Galvano- meter verbunden und der konstante Strom durch die Unterkiefermuskulatur und die Spitze oder die Basis dem Herzen zugeführt. Es wurde also hier die Basis s- V^Jy,, I 1 1 I ^-^■^■^■^^i Fig. 280. Aktionsströme des Hundeherzens. Nach K- Henle. Mit 36 Volt etwa 10" polarisiert. Anode auf Herzspitze. oder die Spitze einzeln beeinflußt und die Veränderung des Aktionsstromes nach Öffnung des polarisierenden Stromes untersucht. Wenn die Anode an der Basis gelegen hatte und also die Erregbarkeit der Basis nach Öffnung des Stromes erhöht war, war die Zacke T entschieden größer, ebenso wenn als Nachwirkung der auf der Spitze angebrachten Kathode die Er- regbarkeit der Spitze herabgesetzt war. R ! 1 , * \A .1 x A pL A . \ A i 1 KÄ ^L-JJ ^ U~J\j ^ L—JU ^L^'^u----^ ^V— - — — ^ ^L .%" Fig. 281. Aktionsströme des Hundeherzens. Nach K Henle. Normalkurve, unmittelbar nach Fig. 280 aufgenommen. In den umgekehrten Fällen, also wenn die Anode an der Herzspitze oder die Kathode an der Herzbasis während des Stromschlusses lag, wurde die Zacke T umgekehrt und zeigte also, daß bei der letzten Phase der Systole die Herzspitze negativ elektrisch gegen die Basis war (vgl. Fig. 280 — 282). Da bei diesen Versuchen die Zacke R nicht verändert wurde, läßt sich auch aus denselben schließen, daß diese Zacke den tieferen und die Zacke T den oberflächlicheren Bündeln der Kammermuskulatur gehört. Und da diese Zacke ebensogut durch Polarisation der Herzbasis als durch entgegengesetzte Polarisation 1 K. Henle, Zeitschr. f. Biol., 55, S. 304; 1910. 264 Die Innervation des Herzens. der Herzspitze verändert wird, ist endlich die Annahme nicht unberechtigt, daß auch bei der normalen Kontraktion zur Zeit der T-Zacke nicht nur an der Herz- basis, sondern auch nahe der Herzspitze ein Strukturelement sich noch mehr oder weniger in Erregung befindet. Nach Bindung der Arteria septi beim Hunde wird die T-Zacke negativ. Wie Kahn1, der diese Beobachtung gemacht hat, hervorhebt, wäre es unrichtig, aus dieser Tatsache bestimmte Schlüsse auf die Genese der T-Zacke zu ziehen, in dem Sinne, daß ihre Entstehung direkt an das geschädigte Territorium geknüpft sei. Vielmehr zeigen diese wie die soeben besprochenen früheren Versuche nur, daß die T-Zacke eine Erscheinung ist, welche durch direkte Eingriffe an verschiedenen Stellen des Herzens sehr leicht wesentlich verändert werden kann. Sie ist durch eine große Labilität ausgezeichnet und die kleinste irgendwo gesetzte Läsion des Herzens ist daher imstande, ihr Aussehen in wesentlichem Grade zu verändern. s- kA***»-*^ *M\ d»^— L Fig. 282. Aktionsströme des Hundeherzens. Nach K Henle. Mit 36 Volt etwa 15" polarisiert. Anode auf Herzbasis. Kraus und Nicolai2 erklären die T-Zacke im Kammerelektrokardiogramm als Ausdruck davon, daß die Erregung wieder zu der Herzbasis aufgestiegen ist, und nicht, wie die Autoren ausdrücklich bemerken, deswegen, weil dieser Teil dauernd negativ geblieben ist. Daß sich diese Fasern, die nachweislich in der Nähe des Bulbus aortae, bzw. der A. pulmonalis gelegen sind, zuletzt kontrahieren, bezeichnen die Autoren als „ungemein zweckmäßig, weil dadurch der peristal- tische Charakter gewahrt bleibt, der das Blut in einer einheitlichen Bewegung von den venösen Ostien bis zu den arteriellen treibt." Schon aus den über das Kaltblüterherz ausgeführten, wie aus den oben mit- geteilten Erfahrungen von Clement und Erfmann über das Vorhandensein von der Zacke T bei Differentialableitung des Säugetierherzens, folgt, daß diese, ur- sprünglich auf Goten5 zurückzuführende Auffassung nicht als begründet angesehen werden kann». Gegen dieselbe ist noch mit Einthoven* zu bemerken, daß die Zacke T bei Ableitung III beim Menschen sehr variabel ist, indem sie bei einer Person positiv, 1 Kahn, Aren. f. d. ges. Physiol., 140, S. 641; 1911; — vgl. de Boer, ebenda, 173, S. 120; 1918; — F. M. Smith, Arch. of int. med., 25, S. 673; 1920. 2 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 177. 3 Gotch, Heart, 1, S. 244; 1910. 4 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 149, S. 74; 1912; — vgl. daselbst auch die ent- sprechenden Erfahrungen am Hunde. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 265 bei einer anderen negativ ist und bei einer dritten sogar fehlen kann. Dies kann doch schwerlich in Übereinstimmung mit der betreffenden Ansicht gebracht werden, denn diese setzt ja feste Bahnen für die Fortpflanzung der Erregung voraus, und es läßt sich nicht leicht denken, daß die individuellen Variationen im Verlauf der Herzmuskelfasern so groß wären, wie hier angenommen werden mußte. Veen1) und de Meyer2) vertreten die Ansicht, daß die T-Zacke aus der Tätig- keit des Sarkoplasmas herrührt, während die Q R 5-Gruppe mit der wirklichen, an der Arbeit der Muskelfibrillen des Herzens geknüpften Zusammenziehung verbunden ist. Irgendwelche überzeugende Beweisgründe für diese Auffassung sind indessen nicht erbracht worden. Dasselbe dürfte auch von der jüngst von Kraus3) vertretenen Theorie, daß die QRS-Gruppe von der Tätigkeit des flinken Papillarsystems und die T-Zacke von dem als Sperrmuskel wirkenden träger reagierenden Triebwerkzeug Krehls herrührt, gesagt werden können. Es scheint daher, daß die von Einthoven* vertretene Auffassung, nach welcher die Zacke T davon beruht, daß ein gewisser Teil des Herzens etwas länger kon- trahiert bleibt als die übrigen, die richtige Deutung dieser Zacke enthält. Bleibt die rechte Kammer länger zusammengezogen als die linke, so ist T bei Ableitung I und II nach oben gerichtet; desgleichen bei Ableitung III, wenn die Kontraktion der Basis länger dauert als die der Spitze. Überdauert aber die Kontraktion der Spitze die der Basis, so ist T bei Ableitung III nach unten gerichtet usw. Hören beide Kammern genau gleichzeitig in allen ihren Teile'n mit der Zusammenziehung auf, so bleibt die Zacke T aus. Dies trifft aber nur ganz ausnahmsweise, bei De- generationen und Insuffizienz des Herzens, zu. Dieser Auffassung haben sich auch H. E. Hering5, A. Hoffmann6, Boruttau1, Ganter8, Piper9, Weitz10 und Garten11 angeschlossen, wobei letzterer noch betont, daß jeder Teil der Kammern ebenso wie die ganzen Kammern eine echte T-Zacke erzeugen kann. Aus diesem Gesichtspunkte ist die zeitliche Verschiebung und die Umkehr der T-Zacke bei verschiedenen Ableitungsweisen leicht zu verstehen. Je nach der Ableitungsweise werden verschiedene Orte der Kammern mit dem Galvano- meter verbunden, und diese können ja in bezug auf die in ihnen augenblicklich stattfindende Erregung vielfach variieren. Schließlich ist zu erwähnen, daß Fahr und A. Weber12 durch Kombination des Röntgenbildes des Herzens und des Elektrokardiogramms die Topographie der erregten Gebiete in der frontalen Projektion des Herzens berechnet und dabei in wesentlicher Bestätigung des oben Ausgeführten gefunden haben, daß die beiden 1 Veen, Arch. neerl. des sciences exactes, sene B., 2, S. 284; 1915. 2 de Meyer, Arch. int. de physiol., 15, S. 157; 1919. 3 Kraus, Berlin, klin. Wochenschr., 1920, S. 917. 4 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 578; 1908. 5 H. E. Hering, Zeitschr. f. exp. Pathol., 7, S. 379; 1909. 6 A. Hoffmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 573; 1910. — Die Elektrographie, S. 56. 7 Boruttau, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1913, S. 538. 8 Ganter, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 112, S. 575; 1913. 9 Piper, Zentralbl. f. Physiol., 27, S. 394; 1913. 10 Weitz, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 125, S. 218; 1918. 11 Garten und Sülze, Zeitschr. f. Biol., 66, S. 463. 12 Fahr und A. Weber, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 117, S. 396; 1915. 266 ' Die Innervation des Herzens. Schenkel des Reizleitungssystems den Reiz nach der Mitte der beiden Kammern, entsprechend den Papillarmuskeln und ihrer Nachbarschaft bringen. Von hier gelangt der Reiz in den oberen Ausläufern des Reizleitungssystems nach der Basis, entsprechend der Spitze der /?-Zacke. Kurz danach gelangt er aus den unteren Ausläufern des Reizleitungssystems an die Spitze, und die Q R 5-Gruppe erreicht ihr Ende mit vollständiger Ausbreitung der Erregung über das ganze Herz. Das Abklingen der Erregung, welches durch die T-Zacke angegeben wird, findet viel schneller an der Spitze als an der Basis statt. Die bisher nur verhältnismäßig wenig diskutierte Zacke U (vgl. II, S. 212) sucht Einthoven1 unter Hinweis darauf, daß sie ganz oder teilweise in die auf dem Schluß der Semilunarklappen folgende Herzperiode fällt, in folgender Weise zu erklären. Nach dem Schluß der Semilunarklappen befindet sich das Herz in Diastole; der Herzmuskel ist aber dabei nicht überall gleichmäßig erschlafft, indem noch einige Fasern sich im Kontraktionszustande befinden. Ihre Erregung würde die Ursache der U-Zacke darstellen, und erst wenn sie vollständig erschlafft sind, hat diese Zacke ihr Ende erreicht. Dagegen stellt H. E. Hering2 die betreffende Zacke mit den von Hürthle und C. Tigerstedt an den Gefäßen beobachteten elektrischen Strömen (vgl. Bd. III) in direktem Zusammenhang. Eine einwandfreie Deutung der £/-Zacke dürfte indessen noch nicht gegeben worden sein. » § 64. Folgerungen aus den elektrischen Schwankungen des tätigen Herzens. a) Die Natur der Herzkontraktion. Wie bekannt, sind die Kontraktionen der Skelettmuskeln entweder einfache, von einem einzelnen Reize hervorgerufene Zuckungen oder summierte Zuckun- gen, welche durch mehrere, so schnell nacheinander folgenden Reize hervorgerufen werden, daß der Muskel keine Zeit hat, zwischen je zwei Reizungen in die Ruhe- lage zu übergehen. Wenn das spontan schlagende Wirbeltierherz durch ein Manometer oder einen Hebel seine Bewegungen selbst registriert, so sind die auf diese Weise er- haltenen Kurven hinsichtlich ihrer Zeitdauer und ihres Verlaufes mit demjenigen vollständig übereinstimmend, welche bei künstlicher Herzreizung mit einzelnen Reizen ausgelöst werden. Schon dies macht es wahrscheinlich, daß die Herzkontraktion als eine ein- fache Muskelwirkung aufgefaßt werden muß, liefert aber dafür keinen zwingenden Beweis. An der Hand der Untersuchungen über den Aktionsstrom ist indessen diese Frage endgültig erledigt worden. Beim Skelettmuskel ist die einfache Zuckung durch eine in ganz bestimmter Weise verlaufende Stromschwankung charakterisiert; bei der summierten Zuckung tritt die gleiche Schwankung bei jedem einzelnen Reiz auf, und die Kontraktion ist also auch in dem Falle, wenn sie äußerlich vollkommen kontinuierlich ver- läuft, im Grunde dennoch diskontinuierlich. 1 Einthoven, Aren. f. d. ges. Physiol., 149, S. 80; 1912. 2 H. E. Hering, ebenda, 151, S. 112; 1913. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 267 Aus den überaus zahlreichen Untersuchungen über den Aktionsstrom und das Elektrokardiogramm bei den verschiedensten Tieren, welche oben besprochen worden sind, folgt nun ohne weiteres, daß bei allen Wirbeltieren sowie bei den meisten bisher untersuchten Wirbellosen der Aktionsstrom der einzelnen Herz- abschnitte keiner summierten Zuckung entspricht; die Systole der einzelnen Herzabteilungen muß also als eine einfache Muskelkontraktion aufgefaßt werden. Dabei kann nichts destoweniger bei einem und demselben Herzabschnitt die Zusammenziehung bei den einen Muskelfasern früher, bei den anderen später beginnen; die eine Muskelfaser hält sich eine längere Zeit als die andere zusammen- gezogen — hierdurch bekommt der Aktionsstrom des Herzens die oben erörterten Eigentümlichkeiten, durch welche er sich beim ersten Anblick so wesentlich von dem Aktionsstrom der einfachen Zuckung beim Skelettmuskel unterscheidet. Ob das Herz von Limulus, Maja, Astacus, wie dies aus den Untersuchungen von P. Hoff mann scheint, eine wirkliche Ausnahme von dieser Regel bildet, dürfte angesichts der Beobachtungen von Nukada fraglich sein (vgl. II, S. 223.) Lange Zeit hindurch faßte L. Fredericq1 die Systole der Kammern des Säuge- tierherzens als eine aus 3 — 4 einzelnen Zuckungen zusammengesetzte Kontrak- tion auf und stützte sich dabei teils auf die Oszillationen, welche sich am Plateau der intrakardialen Druckkurven von Chauveau und Marey (vgl. I, S. 123) vorfinden, teils darauf, daß der Aktionsstrom sterbender, nicht aber normaler Herzen ähn- liche Oszillationen zeigte. Spätere Arbeiten aus seinem Institut vertreten indessen eine wesentlich andere Anschauung, indem sowohl die Systole der Kammern wie die der Vorhöfe jetzt auf dieselbe Stufe wie die langausgezogene, einfache Muskelzuckung, wie sie z. B. bei Veratrin Vergiftung erscheint, gestellt wird.2 Es scheint also, daß in bezug auf die Natur der Systole des Herzens und seiner einzelnen Abteilungen im großen und ganzen eine vollständige Übereinstimmung erzielt worden ist. b) Die Leistungsfähigkeit des Herzens. Im Beginn der Studien über da? Elektrokardiogramm beim Menschen hegte man die Hoffnung, durch dasselbe Aufschlüsse über die Kraft und Leistungs- fähigkeit des Herzens zu erhalten. Daß dies nicht möglich ist, geht ohne weiteres daraus hervor, daß die im Elektrokardiogramm ausgedrückten elektrischen Schwankungen nur die im Anfang und Ende der Herztätigkeit stattfindenden Potentialdifferenzen angeben, während die Tätigkeit der Gesamtmuskulatur des Herzens während des größten Abschnittes der Systole sich in keinerlei Weise dort kundgibt. In Übereinstimmung damit können wir Inkongruenzen zwischen der mecha- nischen Wirkung und den zugehörigen elektrischen Erscheinungen vielfach beob- achten. Als Beispiel davon seien außer den oben (II, S. 248) zusammengestellten Beobachtungen an kaltblütigen Tieren, H. Straubs* am Katzen- und Kaninchen- herzen ausgeführten Versuche über den Einfluß der Vergiftung mit Strophantin, 1 L. Fredericq, Travaux du laborat., 2, S. 98, 157; 1888. 2 L. Fredericq, Arch. intern, de physiol., 3, S. 395; 1906; — H. Fredericq, ebenda, 11, S. 253; 1912; — 12, S. 66; 1913. 3 H. Straub, Zeitschr. f. Biol., 53, S. 106; 1910. 268 Die Innervation des Herzens. Adrenalin und Muskarin auf die Form des Elektrokardiogramms und die Größe des Blutdruckes hier erwähnt. Als allgemeines Resultat ging hervor, daß bei anscheinend durchaus gleichartigem Pulse das elektrische Verhalten von Schlag zu Schlag wechselte, und umgekehrt, daß bei hochgradiger Irregularität des Pulses völlige Gleichartigkeit der wesentlichsten Zacken erscheinen konnte. Ja selbst bei vollständig stillstehendem Herzen wurde ein charakteristisches Elektrokardio- gramm mit hoher tf-Zacke und breiter, negativer T-Zacke erhalten (Fig. 283). Hierher gehört auch die Beobachtung von Robinson1, daß am Menschen bis zu 35 Minuten nach dem Tode elektrische Erscheinungen von Seiten des Herzens nachgewiesen werden können. Auch zwei von Seemann und Victoroff2 am veratrinvergifteten Froschherzen gemachten Beobachtungen sind in dieser Beziehung sehr lehrreich. Bei der einen summierten sich die von der Spitze und Basis ausgehenden Erregungen mechanisch, während sie sich in elektrischer Hinsicht zum Teil aufhoben. Im zweiten Falle war der Aktionsstrom bei fast vollständigem Stillstand des Herzens sehr kräftig. Dies wird von den Autoren darauf bezogen, daß sich bloß ein kleiner Teil der Herzmuskulatur an der Basis immer neu kontrahierte, wobei die übrige Mus- kulatur ruhend blieb und also keine Potentialdifferenzen entwickelte. Da der T-Zacke als Ausdruck für die Leistungsfähig- keit des Herzens eine sehr große Bedeutung zuerkannt worden ist3, ist es angezeigt/die hierher gehörigen Beob- Fig. 283. Elektrokar- . , ' • ... , u diogramm beim wegen achtungen etwas naher zu besprechen. Muskarinvergiftung Bei Blutentziehung wird eine vorher nach unten ge- stillstehenden Säugetier- ... _, „ , , ,. - ,_,. ,. .v J. herzen. NachH.Straub. richtete 7- Zacke noch tiefer (Einthoven*); wenn diese Zacke ursprünglich nach oben gerichtet war, gewinnt sie durch starke Blutung nach der positiven Seite an Höhe und Breite (Kahn5). Nach Nicolai und Funaro6 ist die Zacke T bei Säuglingen klein und nimmt bei dem Zuwachs allmählich zu. Die Zacke T sinkt (Ableitung II) bei beeinträchtigter Herztätigkeit und Degeneration der Herzmuskulatur herab (Einthoven7); es kann aber auch ein- treffen, daß sie bei diesen Zuständen gut ausgebildet ist (A. Hoffmann8), während es andererseits vorkommt, daß sie bei klinisch nicht als krank zu bezeichnenden Menschen sehr klein ausfällt (Nicolai und Simons9). Bei vermehrter Kontraktionskraft und verminderter Füllung des Herzens (Weitz10), sowie nach körperlicher Arbeit steigt die T-Zacke (Einthoven11, F. Müller 1 Robinson, Journ. of exp. med., 16, S. 291 ; 1912. 2 Seemann und Victoroff, Zeitschr. f . Biol., 56, S. 96, 98; 1911. 3 Vgl. Kraus und Nicolai, Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 25 u. 26, S. 23 des S.-A. 4 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 544; 1908. 5 Kahn, ebenda, 126, S. 213; 1909. 6 Nicolai und Funaro, Zentralbl. f. Physiol., 22, S. 59; 1908. 7 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 574. 8 A. Hoffmann, ebenda, 133, S. 556; 1910. 9 Nicolai und Simons, Med. Klinik, 1909, S. 164. 10 Weitz, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 111, S. 530; 1913. 11 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 574. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 269 und Nicolai1, A. Hoff mann2) in die Höhe. Andererseits hat Grau3 bei einem Tuberkulösen mit geringem Kraftzustand eine ungewöhnlich große T-Zacke beobachtet.4 Aus diesen Erfahrungen scheint keine bestimmte Folgerung in bezug auf die Bedeutung der T-Zacke als Ausdruck für die Leistungsfähigkeit des Herzens gezogen werden zu können. Auch hebt H. E. Hering5 hervor, daß wir aus der Größe der Zacke T im allgemeinen nicht ersehen können, ob die ganze Mus- kulatur oder, wenn dies der Fall ist, wie stark sie in Aktion tritt. Und soviel ich die Sachlage zu überblicken vermag, läßt keine der zur theoretischen Deutung des T-Zacke aufgestellten Hypothesen uns erwarten, daß die Größe und Richtung derselben irgendetwas bestimmtes über die Leistungsfähigkeit des Herzens aus- sagen soll.6 Es ist also, wie insbesondere Kahn und Pribram7 an der Hand einer großen Zahl von Beobachtungen an Kranken hervorgehoben haben, ganz klar, daß wir durch das Elektrokardiogramm keine auch nur einigermaßen sichere Diagnose mechanischer Störungen der Herztätigkeit erhalten können. Über weitere Einzelheiten in bezug auf die T-Zacke vgl. Kraus, Nicolai und E. Meyer.9, Betreffend die unter verschiedenen Umständen auftretenden Veränderungen im Umfang der Zacken P, R und S verweise ich auf die unten zitierten Arbeiten.9 c) Die künstliche Reizung des Herzens. Da die elektrischen Erscheinungen in der allernächsten Beziehung zu der mechanischen Wirksamkeit des Herzens stehen, läßt es sich erwarten, daß man auch an denselben die Eigentümlichkeiten beobachten soll, welche bei künst- licher Reizung die Zusammenziehung des Herzens charakterisieren. Dies ist nun auch in der Tat der Fall. Bei direkter Reizung des Froschherzens erscheint ein Aktionsstrom nur, wenn die Reizung außerhalb der mechanischen refraktären Periode fällt (Samoj- iofn. Eine genauere Abgrenzung der refraktären Periode im Verhältnis zu dem Aktionsstrom ist dann von Samojloff, Trendelenburg und Seemann am Frosch- herzen versucht worden. 1 F. Müller und Nicolai, Zentralbl. f. Physiol., 22, S. 58; 1908. 2 A. Hoffmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 558. 3 Grau, Zeitschr. f. klin. Med., 69, S. 7 des S.-A. 4 Vgl. auch Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 554; 1910. 5 H. E. Hering, Zeitschr. f. exp. Pathol., 7, S. 376; 1909. 6 Vgl. Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 287; — A. Hoff mann, Die Elektro- graphie, S. 83; — Lewis, Der Mechanismus der Herzaktion, S. 77. 7 Kahn und Pribram, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 99, S. 517; 1910. 8 Kraus, Nicolai und E. Meyer, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 166; 1913. 9 Die P-Zacke: Nicolai und F. Müller, Zentralbl. f. Physiol., 22, Nr. 2; — Kraus, Nicolai und E. Meyer, a. a. O., 155, S. 164; — Weitz, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 111, S. 530; 1913; — Eiger, Arch. f. d. ges. Physiol., 151, S. 33; 1913. Die /?-Zacke: Nicolai und Müller, a. a. O., 22, Nr. 2; — Kraus, Nicolai und E. Meyer, a. a. O., 155, S. 165; — Eiger, a. a. O., 151, S. 34. Die S-Zacke: Nicolai und Funaro, Zentralbl. f. Physiol., 22, Nr. 2; — Grau, Zeitschr. f. klin. Med., 69, S.-A.; — Eiger, a. a. O., 151, S. 35; 1913; — Weitz, a. a. O., 111, S. 530; 1913; — Kraus, Nicolai und E. Meyer, a. a. O., 155, S. 157, 165. , 10 Samojloff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 218. 270 Die Innervation des Herzens. Nach Samojloff1 beginnt die refraktäre Periode schon ein klein wenig vor der 7?-Zacke, d. h. im latenten Stadium der mechanischen Aktion des Herzens, auch wenn die R-Zacke nicht, wie es sich Samojloff vorstellt, vollständig im Bereich der latenten mechanischen Periode sich befindet (vgl. oben II, S. 240). Das Ende der refraktären Periode fällt nach demselben Autor2 bei Schwellen- reizen etwa mit dem Ende des Aktionsstromes der vorhergehenden Systole zu- sammen. Bei stärkerer Reizung kann indessen eine Extrakontraktion auch während des abfallenden Teils der T-Zacke erhalten werden, und bei sehr starker Reizung spricht das Herz sogar am Gipfel dieser Zacke oder schon früher an. Mit diesen Resultaten stimmen die von Seemann3 gut überein. Bei Reizstärken in der Nähe der Schwelle endigt die refraktäre Periode genau mit dem Ende des Aktionsstromes, was an der Kurve der mechanischen Aktion etwa dem Anfang des absteigenden Schenkels entspricht. Zum Teil von diesen Autoren abweichend findet Trendelenburg*, daß bei Schwellenreizen der Aktionsstrom eine kürzere Dauer als die refraktäre Periode hat. Indessen gibt auch er zu, daß man schon bei Zimmertemperatur Fällen begegnet, wo die Dauer des Aktionsstromes mit der der refraktären Periode übereinstimmt, und bei höherer Temperatur (30° C) ist die Differenz zugunsten der refraktären Periode nur noch gering. Wie oben erwähnt, sind einige Autoren zu dem Resultat gekommen, daß die Latenzdauer der künstlich hervorgerufenen Extrakontraktionen länger ist, wenn diese gerade im Anfang der erregbaren Periode ausgelöst worden sind. Seinerseits versuchte indessen Engelmann nachzuweisen, daß hier nur ein Messungs- fehler vorlag und daß die Latenzdauer im großen und ganzen vom Reizungs- augenblick unabhängig war (II, S. 41). Bei der Registrierung der Verkürzung eines Muskels ist es sehr schwer, den Augenblick genau anzugeben, wo sich die Kurve von der Abszisse ablöst. Das schnell reagierende Saitengalvanometer läßt dagegen den tatsächlichen Beginn der durch den Aktionsstrom gekennzeichneten Tätigkeit des Muskels scharf erkennen. Die Versuche, welche von Lucas5, Trendelenburg6 und Samojloff7 in dieser Richtung ausgeführt wurden, haben nun mit voller Bestimmtheit gezeigt, daß die Latenzdauer einer Extrasystole um so länger ist, je früher sie nach Ende der erregbaren Periode ausgelöst worden ist. Der hier stattfindende Unterschied kann sehr bedeutend sein; so betrug in einem Versuch von Samojloff das Maximum 0,36 und das Minimum der Latenzdauer 0,08 Sekunde. Außerdem ist, in Übereinstimmung mit dem Verhalten des Skelettmuskels, die Latenzdauer bei stärkerer Reizung kürzer als bei schwächerer (Samojloff8). Bemerkenswert ist auch, daß die Gesamtdauer des Aktionsstromes um so kürzer ist, je früher die Reizung während der erregbaren Periode erfolgt ist (Samojloff9). • 1 Samojloff, Aren. f. d. ges. Physiol., 135, S. 448; 1910. 2 Samojloff, ebenda, 147, S. 255; 1912. 3 Seemann, Zeitschr. f. Biol., 50, S. 130, 134; 1912. 4 Trendelenburg, Arch. f. d. ges. Physiol., 144, S. 43; 1912. 5 Lucas, Journ. of physiol., 41, S. 381; 1910. 6 Trendelenburg, Arch. f. d. ges. Physiol., 144, S. 49; 1912. 7 Samojloff, ebenda, 147, S. 257; 1912. 8 Samojloff, ebenda, 147, S. 256. 9 Samojloff, ebenda, 147, S. 259. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 271 Auch bei dem Aktionsstrom kann nach einer Extrareizung die verlängerte Pause sowie die Zunahme der Postextrasystole beobachtet werden (Samojloff1). Ferner folgt aus der Registrierung des Aktionsstromes (beim Froschherzen), daß das Intervall zwischen den Vorhof- und Kammerkontraktionen im Vergleich mit dem normalen Verhalten des Herzens bei der Extrasystole verlängert, bei der nach der Pause folgenden Systole aber verkürzt ist (de Boer2). Desgleichen findet de Boer3, unter der Voraussetzung, daß die Breite der /?-Zacke ein Maß für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit innerhalb der Kammer abgibt, daß diese um so geringer ist, je früher eine durch künstliche Reizung ausgelöste Extrasystole erscheint. Das Flimmern, welches durch Reizung der Vorhöfe mit Induktionsströmen bei diesen erscheint, macht sich durch Unruhe der Saite, Verschwinden der Vorhof- zacke und Unregelmäßigkeit der Ausschläge im Elektrokardiogramm ersichtlich (Rothberger und Winterberg*). Fig. 284. Elektrokardiogramm beim flimmernden Hundeherzen. Nach Kahn. Später haben dieselben Autoren5 unter Anwendung der Differentialelektrode Gartens beim Flimmern frequente, in dem ersten und in den letzten Stadien desselben häufig auffallend rhythmische Oszillationen beobachtet, die den normalen Ausschlägen bald gleich, bald entgegengesetzt gerichtet sind und allmählich von einer maximalen Frequenz von 3000 — 3500 in der Minute auf ein Minimum von etwa 500 — 400 abnehmen. Dabei bestand zwischen der Frequenz der Oszil- lationen und der Art der Flimmerbewegung ein inniger Zusammenhang, indem jene beim feinschlägigen Flimmern am größten, beim grobschlägigen am kleinsten war. Letzteres war aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem sog. Vorhofflattern des Menschen identisch, indem alle für dieses charakteristische Merkmale sich auch beim grobschlägigen Flimmern des Hundeherzens vorfanden. Bei flimmernden Kammern stellen sich im Elektrokardiogramm langsam verlaufende, aber sehr ausgiebige, unregelmäßige Schwankungen dar, welche unter Umständen viel kräftiger sein können als bei dem normalen Herzschlage (Fig. 284; Kahn6, A. Hoffmann7). In anderen Fällen erscheinen als Ausduck 1 Samojloff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 218; — de Boer, Zeitschr. f. Biol., 65, S. 431; 1915; — Arch. neerl. de physiol., 1, S. 79; 1916. 2 de Boer, Akad. van wetenschappen te Amsterdam, proceedings, 17, S. 1085; 1915; — Zeitschr. f. Biol., 65, S. 439; — vgl. F. B. Hofmann, Zeitschr. f. d. exp. Med., 11, S. 160; 1920. 3 de Boer, Arch. f. d. ges. Physiol., 173, S. 101; 1908. 4 Rothberger und Winterberg, ebenda, 131, S. 389; 1910. 5 Rothberger und Winterberg, ebenda, 160, S. 42; 1914. B Kahn ebenda, 126, S. 219; 1909. 7 A. Hoffmann, ebenda, 133, S. 563; 1910. 272 Die Innervation des Herzens. des Kammerflimmerns ziemlich regelmäßige, langsame Oszillationen im Elektro- kardiogramm (Kahn1, Rothberger und Winterberg2, Jolly und Ritchie*, A. Q. Levy*). Diese Erfahrungen zeigen, daß bei dem ganz unkoordiniert arbeitenden Herzen, das nicht vermag, auch nur einen Tropfen Blut herauszutreiben, sondern sich kraftlos um seinen Inhalt abmüht, bedeutende Potentialdifferenzen vor- kommen, indem die Muskelfasern an dem einen Orte stark erregt sind, an dem anderen aber sich in Ruhe befinden. Daraus folgt noch weiter, wie wenig das Elektrokardiogramm geeignet ist, um Aufschlüsse über die Leistungsfähigkeit des Herzens zu geben. Über die elektrischen Erscheinungen bei den Tonusschwankungen in den Vorhöfen des Schildkrötenherzens teilen Fano und Spadolini6 unter anderem mit, daß trotz vorhandenen Tonusschwankungen keine Veränderungen des Aktionsstromes auftreten, solange nur die Schlagfolge der Vorhöfe unverändert bleibt; dagegen treten bei Retardation der Herzschläge im Aktionsstrom die für eine schwache Vagusreizung charakteristischen Veränderungen zum Vor- schein (vgl. Kap. XXI). Daraus schließen die Autoren, daß die Tonus- schwankungen eine Folge der Wirkung des Vagus auf die in den Vorhöfen vor- handenen glatten Muskelzellen darstellen. d) Der Ort der Ursprungsreize im Herzen. Mehrere Erscheinungen, die oben (II, S. 119) besprochen worden sind, haben mit großer Wahrscheinlichkeit ergeben, daß der sino-aurikulare Knoten und dessen nächste Umgebung den Ursprungsort der normalen Herzreize darstellen. Eine Bestätigung dieser Auffassung liefert uns das Elektrokardiogramm. Lewis6 verband bei einem Hunde die beiden vorderen Extremitäten mit dem Galvanometer und rief durch eingeschaltete Reizungen verschiedener Herz- abschnitte Extrasystolen hervor. Die Form der diesen entsprechenden Elektro- kardiogramme zeigte große Variationen. Wenn indessen eine Stelle, die etwa ein oder zwei Drittel des Sulcus terminalis sowie eine kleine denselben umgebende Fläche umfaßte und also den sino-aurikularen Knoten enthielt, von dem Reiz getroffen wurde, hatte das Elektrokardiogramm genau dasselbe Aussehen wie die gewöhnlichen, bei spontaner Herztätigkeit erhaltenen. Um den Ausgangspunkt der normalen Erregung des Herzens noch schärfer zu umgrenzen, leitete Wybauw7 (bei Hunden) den Aktionsstrom von verschiedenen Teilen des rechten Vorhofes und der Hohlvenen zum Galvanometer ab und be- stimmte, bei welcher der abgeleiteten Stellen die Negativität zuerst begann. Dabei stellte es sich heraus, daß bei Ableitung von der oberen Hohlvene und dem Vorhof die Negativitätswelle an der oberen Hohlvene anfängt; daß die Mitte der Grenze zwischen den Venen und dem Vorhof negativ elektrisch in bezug auf den Außenrand der oberen Hohlvene war, usw. Durch allmähliche 1 Kahn, Aren. f. d. ges. Physiol., 140, S. 637; 1911. 2 Rothberger und Winterberg, ebenda, 131, S. 398; 1910. 3 Jolly und Ritchie, Heart, 2, S. 189; 1911 ; daselbst eine Zusammenstellung der klinischen Beobachtungen über Vorhofflimmern beim Menschen. 4 A. G. Levy, Journ. of physiol., 49, S. 57; 1914. 5 Fano und Spadolini, Arch. di fisiologia, 11, S. 467; 1913. 6 Lewis, Heart, 2, S. 23; 1910. 7 Wybauw, Arch. intern, de physiol., 10, S. 78; 1910. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 273 Abtastung einzelner Punkte gelangte Wybauw schließlich zu dem sehr spezia- lisierten Resultat, daß der Ort, welcher bei jeder Systole des rechten Vorhofes zuerst negativ elektrisch wird, in der Grenze zwischen dem Vorhof und der oberen Hohlvene etwas nach innen von der Mitte derselben sich vorfindet. Nach der gleichen Methode machte Lewis mit B. S. und A. Oppenheimer1 gleichzeitig entsprechende Versuche und konnten an der Hand derselben den Ursprungsort der normalen Herzreize in der Nähe des oberen Randes vom Sulcus terminalis am Kopfende des sino-aurikularen Knotens lokalisieren.2 Zu demselben Resultat gelangten auch Eyster und Meek.z In wesentlicher Übereinstimmung mit diesen Befunden wiesen schließlich Garten* und Sülze5 nach, daß der Aktionsstrom zuerst am sino-aurikularen Knoten auftritt und sich davon teils auf die Vorhofmuskulatur, teils auf die Hohl- venen, kurz nach allen Seiten hin ausbreitet. Unter Umständen scheint in- dessen die zuerst erregte Stelle mehr nach der oberen Hohlvene zu gelegen zu sein. Lagen beide Elektroden innerhalb eines Gebietes, das mit dem Ausbreitungs- bereich des sino-aurikularen Knotens zusammenfiel und dieses vielleicht etwas nach der oberen Hohlvene zu noch ein wenig überragte, so waren die zeitlichen Differenzen bei allen Kombinationen der Ableitungsstellen nur sehr gering. Infolgedessen ließ es sich nicht mit voller Sicherheit entscheiden, welche Stelle innerhalb dieses engen Bezirkes zu allererst erregt wird. Jedenfalls muß dieselbe dem Winkel zwischen dem Herzohr und der oberen Hohlvene sehr nahe liegen. In entsprechenden Versuchen konnten nun Lewis, Meakins und White6 nachweisen, daß der erste Ausschlag des Galvanometers bei keiner anderen Ableitung so früh eintritt, wie bei der Ableitung von der unmittelbaren Nähe des oberen Endes des Sulcus, und daß dieser eine Negativität am Kopf des Knotens angibt, woraus wie bei den früher erwähnten Versuchen folgt, daß die Erregung des Herzens hier primär ausgelöst wird. Wenn der Ursprungsort der Herzkontraktionen vom ,, Venensinus" auf irgendeinen anderen Teil des Herzens übergeht (vgl. II, S. 128), sowie auch bei künstlich oder spontan entstandenen Extrasystolen, kann die Form des Aktions- stromes je nach dem Ursprungsort der Erregung in hohem Grade variieren, und aus diesen Veränderungen können andererseits Schlüsse in bezug auf den Ursprungsort vorhandener Extrakontraktionen gezogen werden. Hierher gehören die oben (II, S. 251) dargestellten Erfahrungen über die Erscheinungsweise des Aktionsstromes bei Reizung der einen oder der anderen Herzkammer; durch die abnorme Richtung der Zacken in einem vorhandenen Elektrokardiogramm läßt sich dementsprechend eine abnorme Lage des Herzens (Situs inversus) diagnostizieren.7 1 Lewis, B. S. und A. Oppenheimer, Journ. of physiol., 41, proc., S. 9; 1910; — Heart, S. 147; 1910. 2 Vgl. auch Lewis, Meakens und White, Philos. transact., 205, B, S. 380; 1914. 3 Eyster und Meek, Heart, 5, S. 119; 1914. 4 Garten, Skand. Arch. f. Physiol., 29, S. 128; 1913. 5 Sülze, Zeitschr. f. Biol., 60, S. 495; 1913. 6 Lewis, Meakins und White, Philos. transact., 205, B, S. 381; 1914. 7 Vgl. Nicolai, Berl. klin. Wochenschr., 1911, Nr. 2. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. '18 274 Die Innervation des Herzens. Ein weiteres Beispiel finden wir bei der atrioventrikulären Automatie, wie sie durch Applikation von einer lOprozentigen Formalinlösung an den „Venen- sinus" des Säugetierherzens hervorgerufen werden kann (Lohmann1). Hierbei zeigt sich als die einzige im Elektrokardiogramm in Betracht kommende Ver- änderung der Wegfall der Zacke P. Bei der von irgendeiner Stelle an der Atrio- ventrikulargrenze den Vorhöfen und den Kammern zugeführten Reizung treten beide etwa gleichzeitig in Aktion und die Vorhofzacke P wird von der Kammer- zacke R verdeckt. Daß hier eine atrioventrikuläre, im Verbindungsbündel lokalisierte Auto- matie wirklich vorliegt, wird dadurch erwiesen, daß an einem solchen, formalin- behandelten Herzen durch Reizung des einen oder anderen Vorhofes Elektro- kardiogramme erhalten werden, welche sich von den soeben erwähnten nur durch das Vorhandensein der Vorhofzacke P unterscheiden (Eschenbrenner2). Bei dem durch Abkühlung des sino-aurikularen Knotens hervorgerufenen atrioventrikulären Rhythmus wird die Erregung durch eine Reizung des atrio- ventrikulären Knotens etwas oberhalb der Teilung des Verbindungsbündels aus- gelöst (Meakins3). Unter dem Einfluß einer allmählich fortschreitenden Erstickung wird das Intervall P — R immer kürzer; nach einiger Zeit ist es verschwunden, so daß P mit R zusammenfällt; und schließlich erscheint R vor P, d.h. der Ort, von woher die Erregung ausgelöst wird, ist allmählich nach den Kammern hin ge- wandert, so daß endlich die Fortpflanzung der Erregung von der Reizbildungs- stelle nach den Kammern eine kürzere Zeit als nach den Vorhöfen erfordert (Lewis, White und Meakins*). Wenn die Erregung der Vorhöfe vom sino-aurikularen Knoten ausgeht, ist die P-Zacke immer nach oben gerichtet. Sie ist nach unten gerichtet oder bietet einen zweiphasischen Aktionsstrom dar, wenn die Vorhöfe vom atrioventrikulären Knoten her erregt werden. Wenn die P-Zacke nach unten gerichtet ist und regel- mäßig vor der Q/?S-Gruppe auftritt, so wird die Vorhofkontraktion durch die Tätigkeit des Koronarausläufers des atrioventrikulären Systems ausgelöst (Ganter5). Die nähere Untersuchung dieser Fragen gehört vor allem der Klinik und die einschlägige Literatur kann nicht hier besprochen werden.6 Als eine weitere Illustration von der Art und Weise, wie der Aktionsstrom die Vorgänge im Herzen aufklären kann, seien noch die elektrischen Erscheinungen bei den Stannius sehen Ligaturen am Froschherzen erwähnt. Wie bekannt, erscheinen nach der ersten Stannius sehen Ligatur früher oder später aufs neue Kontraktionen im distalen Herzteil. Bei Ableitung des Herzens von dem Sinus und der Kammerspitze stellte es sich nun heraus, daß die Zacken des Aktionsstromes der Kammer etwas größer waren und daß der Aktionsstrom selber, der längeren Dauer der Perioden entsprechend, auch 1 Lohmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 123, S. 628. 2 Eschenbrenner, Zeitschr. f. Biol., 61, S. 539; 1913; — vgl. auch H.E.Hering, Verh. d. Kongr. f. inn. Med., 28, S. 211; 1911. 3 Meakens, Heart, 5, S. 281 ; 1914. 4 Lewis, White und Meakins, Heart, 5, S. 289; 1914; — vgl. Ganter, Deutsch. Arch. f, klin. Med., 129, S. 147; 1919. 5 Ganter, a. a. O., 129, S. 163. 6 Vgl. Nicolai, Ergebn. d. wiss. Med., 2, Heft 7—8. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 275 verlängert war. Sonst erschien keine Veränderung im charakteristischen Aus- sehen des Aktionsstromes, was nach Samojloff1 einen Beweis dafür darstellt, daß die Erregung in präformierten Bahnen fortgepflanzt wird. Nähere Angaben über die hier stattfindenden Vorgänge hat Seemann2 ge- liefert. Bei dem Anziehen der ersten Ligatur erfolgen in der Regel noch ein bis drei Elektrokardiogramme ungefähr von normaler Form, und zwar selbst wenn keine Kammerkontraktionen dabei erscheinen. Dann macht die Saite meistens nur ganz kleine Schwingungen im Rhythmus des vorherigen Herz- schlages, die höchst wahrscheinlich auf die mit den Kontraktionen des Sinus verbundenen elektrischen Schwankungen zurückzuführen sind. Wird nun die zweite Stanniussche Ligatur zugezogen, so stellt sich der selbständige Rhythmus der distalen Herzteile sofort ein, und es tritt ein Typus des Elektrokardiogramms auf, der in seiner Form fast immer von dem Elektro- kardiogramm des normal schlagenden Herzens abweicht, vor allem dadurch, daß, obgleich die Vorhöfe stillstehen, die Zacke P, wenn vorhanden, immer der Zacke R nachfolgt. Es wird hierdurch die von Engelmann3 auf Grund seiner Messungen der zeitlichen Intervalle zwischen den Vorhof- und den Kammerkontraktionen ge- stützte Angabe, daß die nach der ersten Stanniusschen Ligatur auftretenden Kontraktionen ihren Ursprung in der Kammer nehmen, vollständig bestätigt. Im Anfang des nach der ersten Stanniusschen Ligatur stattfindenden Still- standes stößt man unter Umständen auf sehr kleine Elektrokardiogramme von der Form der Kammerelektrokardiogramme, aber ohne begleitende Kontraktionen. Sie müssen daher als unterschwellig bezeichnet werden und stellen den sicht- baren Ausdruck einer schon im Anfang des Sta«m'«sstillstandes vorfindbaren Neigung zur Automatie dar, die nach Seemann möglicherweise durch die Ein- wirkung hemmender Nerven unterdrückt wird. Die Erscheinung konnte aber auch darin ihren Grund haben, daß am Orte, wo der selbständige Rhythmus der Kammer ausgelöst wird, die Stärke der Reizbildung nur allmählich zunimmt. Wenn ein ausgeschnittenes Froschherz gedehnt wird, so bleibt die erste Stanniussche Ligatur ohne Erfolg. Hier handelt es sich indessen nicht um fort- geleitete Sinuserregungen, denn allermeistens ist sowohl Rhythmus der Herz- schläge als auch die Form des Elektrokardiogramms hierbei verändert, und außerdem verschwinden die Tätigkeitsäußerungen der distalen Herzteile nach Aufhören der Dehnung sehr rasch. Vielmehr dürfte hier ein selbständiger Vorhof- rhythmus vorliegen, denn nun geht die Zacke P der Zacke R voran.4 e) Die Ausbreitung der Erregung im Herzen. Die obige Darstellung zeigt, daß, auch wenn die Deutung des Aktionsstromes des Herzens nicht in allen Einzelheiten noch durchgeführt worden ist, der zeit- liche Verlauf desselben dennoch in wesentlicher Übereinstimmung mit unseren übrigen Kenntnissen von der Ausbreitung der Erregung im Herzen gebracht 1 Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 435; 1910. 2 Seemann, Zeitschr. f. Biol., 57, S. 545; 1912. 3 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 516; — vgl. II, S. 107. 4 Seemann, a. a. O., 57, S. 554; — über Aktionsströme des Schildkrötenherzens nach Durchschneidung des Verbindungsbündels vgl. Laurens, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 204; 1913. 18* 276 Die Innervation des Herzens. werden kann, oder richtiger, der Aktionsstrom gestattet uns besser und zu- verlässiger als irgendeine andere Äußerung der Herztätigkeit, die Fortpflanzung der Erregung durch das Herz in Einzelheiten zu verfolgen. Zu dem, was schon oben in dieser Hinsicht ausgeführt worden ist, ist noch folgendes hinzuzufügen. Nach den Untersuchungen von Garten1 und Erfmann2 erscheint beim spontan schlagenden Hunde- und Katzenherzen der Aktionsstrom im rechten Vorhof 0,013 Sekunde früher als im linken, wodurch also die aus der Registrierung der mechanischen Aktion der Vorhöfe gezogenen Schlußfolgerungen (vgl. II, S. 199) vollständig bestätigt werden. Im großen und ganzen folgt dies auch aus den Bestimmungen von Lewis, Meakins und White3 über die zur Fortpflanzung der Erregung vom sino-aurikulären Knoten nach verschiedenen Orten der Vorhöfe nötige Zeit, wie aus folgender Zusammenstellung ihrer Mittelzahlen am Hundeherzen hervorgeht. Region Mittlere Distanz Die Erregung tritt Fortpflanzungs- geschwindigkeit der mm nach Sekunden auf Erregung; mm/Sek. Zwischen den Hohlvenen . . 15,2 0,0139 1232 Das intraaurikuläre Band 12,9 0,0126 1252 Vena cava sup. . . . 8,2 0,0136 588 Sept. atriorum . . 31,5 0,0305 947 4) Rechtes Herzohr . 28,0 0,0314 955 Rechter Vorhof 16,0 0,0206 859 Rechte Lungenvenen 24,0 0,0254 1121 Vena cava inf. . . 31,5 0,0325 998 Sinus coronarius . 43,9 0,0412 1096 Linke Lungenvenen 45,2 0,0412 1118 Linkes Herzohr 44,6 0,0446 996 Aus dieser Tabelle ist aber noch ersichtlich, daß z. B. die rechten Lungen- venen sich vor dem rechten Herzohr kontrahieren. Daraus, wie übrigens aus der ganzen Tabelle, folgt, daß die Erregung die einzelnen Teile des linken oder rechten Vorhofes in einer Reihenfolge trifft, welche von ihrer Entfernung vom sino-aurikularen Knoten abhängig ist. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung ist (vgl. den letzten Stab der obigen Tabelle) im großen und ganzen dieselbe nach allen Richtungen und beträgt durchschnittlich etwa 1 m in der Sekunde.5 Die kleine Zahl für die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit in der Bahn Knoten — Vena cava sup. ist wahrscheinlich nur scheinbar und zum Teil wenigstens von dem schiefen Verlauf der betreffenden Fasern bedingt. Nach Eyster und Meek* würde die Erregung vom sino-aurikularen Knoten früher zum atrioventrikulären Knoten als zum rechten Vorhof gelangen, woraus sie folgern, daß die Reizübertragung dort durch eine spezielle Bahn vermittelt wird. Dem ist indessen von Lewis, Meakins und White7 widersprochen worden, 1 Garten, Skand. Arch. f. Physiol., 29, S. 125; 1913. 2 Erfmann, Zeitschr. f. Biol., 61, S. 155; 1913. 3 Lewis, Meakins und White, Philos. transact, 205, B, S. 387, 394. 4 Mitte der Scheidewand. 5 Lewis, Meakins und White, a. a. O., 205, B, S. 393. 6 Eyster und Meek, Heart, 5, S. 127; 1914. 7 Lewis, Meakins und White, a. a. O., 205, B, S. 401. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 277 indem nach ihren Erfahrungen die Erregung in der betreffenden Bahn mit der- selben Geschwindigkeit wie in den übrigen Bahnen fortgepflanzt wird. Die Differentialelektroden Gartens ermöglichen, selbst bei einem sehr kleinen Abschnitte der Herzwand die Richtung zu bestimmen, in welcher sich die Er- regung fortpflanzt, und geben uns außerdem noch die Möglichkeit, die zeitliche Aufeinanderfolge der Tätigkeit der einzelnen Herzelemente festzustellen. Nach dieser Methode hat es sich erwiesen , daß die Erregung in der Außenwand der Kammerbasis wenigstens eine kurze Strecke weit in der Richtung von der Basis zur Spitze läuft, sowie daß sie in der Muskulatur der Spitze von der Spitze nach oben sich fortpflanzt; in den Papillarmuskeln geschieht die Erregungsfortpflanzung von unten nach aufwärts. Im Anschluß daran hat Schneiders1 am ausgeschnittenen, mit Ringerlösung gespeisten Hunde- und Katzenherzen nachgewiesen, daß die Erregung an der Herzoberfläche sowohl an der Basis wie an der Spitze in der Regel, wenn auch nicht immer, von unten nach oben verläuft; sowie daß auch am Septum wie in den Papillarmuskeln (rechts) die Erregung in der Regel von unten nach oben fortschreitet. Betreffend die zeitlichen Verhältnisse der Erregung der einzelnen Herzteile findet Schneiders, daß die Spitze früher als die Basis, die inneren Schichten des Herzens früher als die äußeren, der Papillarmuskel (rechts) in der Regel früher als der Conus der rechten Kammer und früher als die Spitze in Erregung geraten (vgl. oben II, S. 201). Lewis2 Befunde weichen wesentlich von diesen ab. Nach ihm verläuft bei der linken Kammer des Hundeherzens die Erregungswelle zuerst von links nach rechts und vielleicht nach oben im oberen Teile der Scheidewand; dann von links nach rechts und nach unten im unteren Teile der Scheidewand; ferner von oben nach unten und links an der Spitze und in den unteren Teilen der Seitenwand und schließlich von unten nach aufwärts in den oberen Teilen der Seitenwand. An der ventralen Wand der rechten Kammer beginnt die Negativität an einer Stelle, wo diese am Septum befestigt ist und nahe der Mitte dieser Ver- bindungslinie (Lewis und Rothschild*). Beim Krötenherzen pflanzt sich die am Atrioventrikularring auftretende Erregung durch die Teile der Muskulatur, welche sich in radiärer Richtung im Inneren der Kammer ausbreiten, nach der Spitze und Mitte sowie auch nach oben gegen die Basis fort. Obgleich die Erregung im allgemeinen von der Basis nach der Spitze verläuft, wird nichtsdestoweniger an der Herzoberfläche die Basis später als die Spitze erregt (Lewis4). Als besonders wichtig ist aber zu bemerken, daß nach den Erfahrungen Gartens und seiner Mitarbeiter die Erregung an der Außenwand des spontan schlagenden Herzens im großen und ganzen nahezu gleichzeitig, d. h. mit einer zeitlichen Differenz von nur etwa 0,003 — 0,007 Sekunde an der Basis und der Spitze auftritt, während sie in der Kammerscheidewand (Innenfläche der rechten 1 Schneiders, Zeitschr. f. Biol., 65, S. 465; 1915. 2 Lewis, Journ. of physiol., 49, proc, S. 26; 1915. 3 Lewis und Rothschild, Philos. transact., 206, B, S. 191; 1915. 4 Lewis, Journ. of physiol., 49, proc, S. 36; 1915. 278 Die Innervation des Herzens. Kammer) wesentlich früher als an der äußeren Herzwand (Spitze) einsetzt, so daß zwischen dem Auftreten des Aktionsstromes der ganzen Kammer und des an der Außenwand eine Zeit von 0,02 — 0,03 Sekunde verstreicht. Bei künstlich hervorgerufenen Extrasystolen stellen sich die Verhältnisse ganz anders dar, denn bei Reizung der Spitze erreicht die Erregung erst nach etwa 0,125 Sekunde die Basis. Zu ganz ähnlichen Resultaten sind auch Lewis und Rothschild1 gekommen. Sie bemerken, daß an der Außenwand sowohl der linken als der rechten Kammer mehrere Stellen vorhanden sind, welche gleichzeitig erregt werden, und daß sogar gewisse Orte der beiden Kammern zu gleicher Zeit in Tätigkeit treten. Auch in bezug auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung bei natürlichen und künstlichen Herzkontraktionen stimmen Lewis und Rothschild2 mit Garten sehr nahe überein. Hieraus folgt, daß die Ausbreitung der Erregung bei künstlich hervorgerufenen und bei spontanen Systolen in einer prinzipiell verschiedenen Weise erfolgen muß. Im ersten Falle findet eine wirkliche — muskuläre oder nervöse — Fortpflanzung der Erregung durch das Herz statt; im zweiten Falle breitet sich die Erregung auf die Kammermuskulatur zunächst dadurch aus, daß dieselbe auf zahlreichen Punkten gleichzeitig oder fast gleichzeitig durch die Endverästelungen des Ver- bindungsbündels in Tätigkeit versetzt wird. Von diesen an der inneren Kammer- wand befindlichen primär gereizten Punkten pflanzt sich dann die Erregung mit einer meßbaren Geschwindigkeit auf die übrige Kammermuskulatur fort, wie daraus folgt, daß sich eine deutliche zeitliche Differenz zwischen dem Beginn des Aktionsstromes der ganzen Kammer und dem der Stromschwankung an der Außenwand vorfindet. Durch eine nähere Analyse der hier auftretenden Erscheinungen haben Lewis und Rothschild die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in den Purkinje- schen Fäden zu 3 — 5 und in den Muskelfasern der Herzkammern zu 0,3 — 0,5 m in der Sekunde berechnet.3 Dabei bemerken sie, daß die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in denjenigen Gebilden , welche das meiste Glykogen enthalten, am größten ist.4 Bei künstlicher Reizung der Kammeroberfläche stehen der Erregung zwei Wege offen, nämlich 1. längs der oberflächlichen Muskulatur und 2. noch durch die Purkinjeschen Fäden. Wenn sich die abgeleitete Stelle nahe der gereizten befindet, so geschieht die Fortpflanzung nur auf dem ersten Wege, während bei längeren Distanzen die Erregung bald auf die Purkinjeschen Fäden übergeht und also schneller fortgepflanzt wird.5 t) Die Lageveränderungen des Herzens. Daß sich das Elektrokardiogramm bei einer und derselben Art der Ableitung bei einer und derselben Versuchsperson je nach der verschiedenen Lage des Herzens in bezug auf die abgeleiteten Stellen verschieden gestalten muß, ist von vornherein selbstverständlich und wird auch durch die Erfahrung vollständig bestätigt. 1 Lewis und Rothschild, a. a. O., 206, B, S. 197. 2 Lewis und Rothschild, ebenda, 206, B, S. 204. 3 Lewis und Rothschild, a. a. O., 206, B, S. 211; vgl. II, S. 195. 4 Lewis und Rothschild, a. a. O., 206, B, S. 222. 5 Lewis und Rothschild, a. a. O., 206, B, S. 207. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 279 Ein sehr auffallendes Beispiel bietet die von Boden und Neukirch1 nach der oben (II, S. 210) angegebenen Methode beim künstlich gespeisten Herzen ge- wonnenen Elektrokardiogramme dar, wie dies aus der Fig. 285 ersichtlich ist. In Fig. 285A ist das Elektrokardiogramm bei normaler Ausgangsstellung dar- gestellt; Fig. 285 B ist bei einer Drehung der rechten Kammer um 60° ventral- wärts und Fig. 285 C bei einer Drehung der linken Kammer um 45° ventralwärts aufgenommen. Bei B ist die P-Zacke flacher, die Zackengruppe Q R S ist ihrer Richtung nach vollständig umgekehrt, die T-Zacke hoch positiv und einphasisch. Bei C ist insbesondere die /?-Zacke stark vergrößert. A tSffcn(iftiOq. flcr fc Kt»tr- co GO*»«->\frt»Lq«.T)rchf B gA^ ^m^J^ßmm M. SfA.me ni ftjiAjLa JiiLafllEtt3£jaai!aL}£fefe! Fig. 285. Elektrokardiogramme vom künstlich gespeisten Hundeherzen bei fluider Ableitung. Nach Boden und Neukirch. A, Ausgangslage; B, die rechte Kammer um 60° ventral gedreht; C, die linke Kammer um 45° ventral gedreht. Dank diesem Umstände kann man, wie H. E. Hering2 bemerkt, nie von einem normalen menschlichen Elektrokardiogramm, sondern nur von einem Individualelektrokardiogramm sprechen, denn die Lage des Herzens ist ja bei verschiedenen Individuen mehr oder weniger verschieden. Unter den Bedingungen, welche bei einem und demselben Individuum durch Lageveränderungen des Herzens das Aussehen des Elektrokardiogramms 1 Boden und Neukirch, Arch. f. d. ges. Physiol., 171, S. 168; 1918. 2 H.E.Hering, Deutsche med. Wochenschr., 1912, S. 2155, 2160. 280 Die Innervation des Herzens. verändern können, sind insbesondere die Atembewegungen berücksichtigt worden. Es tritt zuweilen ein, daß das Elektrokardiogramm selbst bei starker Dys- pnoe nichts von einem Einfluß der Atembewegungen anzeigt; in anderen Fällen weist es dagegen sehr deutliche, mit diesen unzweifelhaft zusammenhängende Veränderungen insbesondere der Zacken Q, R und S auf, welche bei allen Ab- leitungen in der Phase der tiefsten Inspiration gleichsam abgeplattet und in der Regel nach unten gedrückt werden (Einthoven1). Bei vielen Individuen nimmt man kaum etwas anderes als eine Verkleinerung der Spitze R wahr, bei anderen sieht man, namentlich bei Ableitung III, daß das System der genannten drei Spitzen auf zwei aufwärts gerichtete, direkt nebeneinander liegende kleine Spitzen reduziert wird, während bei wieder anderen nur die Spitze S tiefer wird. A.D. W. //ffAs /afera/. *z 4 ' S *¥ *? »Hr ^f \ mX j. c. w. ///7A5 lateral. 1MTT Fig. 286. Elektrokardiogramm und Atemkurve. Nach Waller. Ableitung III. Von links nach rechts zu lesen. Später gibt Einthoven im Verein mit Fahr und de Waart2 an, daß die be- treffenden Spitzen bei Ableitung III bei der Ausatmung kleiner und bei der Einatmung größer werden. Bei der Ableitung II sind die Veränderungen meistens gering, bisweilen treten aber auch hier die gleichen Änderungen wie bei der Ab- leitung III auf.3 Ein weiteres, hierher gehöriges Beispiel liefert Fig. 286; wir sehen dort, wie bei der Ableitung III die Hauptzacke der Gruppe QRS bei tiefer Inspiration positiv und bei tiefer Exspiration negativ ist (Waller4). Bei starker Steigerung des intrathorakalen Druckes in der Inspirations- stellung bei geschlossenen Luftwegen (Valsalvas Versuch) hat Kahn gefunden, daß bei einer und derselben Ableitungsweise die Veränderungen sich nicht in gleich starkem Maße an den einzelnen Spitzen vollziehen, sondern daß die eine 1 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 562; 1908; — vgl. auch Grau, Zentralbl. f. Physiol., 23, S. 440; 1909, sowie Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 103. 2 Einthoven, Fahr und de Waart, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 282; 1913. 3 Vgl. auch Waller, Journ. of physiol., 46, proc, S. 57; 1913; — Proc. of the Royal Soc, 86, B, S. 518; 1913; — 88, B, S. 49; 1914. 4 Waller, Journ. of phvsiol., 48, proc, S. 40; 1914; — Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1917, S. 98. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 281 wachsen, die andere wiederum an Höhe abnehmen kann, sowie daß die einzelnen Spitzen bei verschiedenen Ableitungen sich nicht in gleichem Umfange und gleichsinnig ändern, indem eine und dieselbe Spitze bei einer Ableitung wächst, bei einer anderen an Höhe abnimmt, und bei der einen Ableitung eine bestimmte Spitze erscheint, um bei einer anderen wieder zu verschwinden.1 Zur Erklärung dieser Erscheinungen erörterte Einthoven2 in erster Linie drei Möglichkeiten: 1. daß durch die Atembewegungen selbst Potentialunter- schiede hervorgerufen werden; dies wird aber dadurch ausgeschlossen, daß die Kurve nicht in ihrer Gesamtheit rhythmisch auf und nieder geht; letzteres findet indessen bei einer von Samojloff mitgeteilten Kurve statt3; 2. eine durch die Senkung des Diaphragmas oder die Ausdehnung des Thorax verursachte Lage- veränderung des Herzens; darüber vgl. unten; 3. einen rhythmisch wirkenden Einfluß, der durch die zentrifugalen Herznerven die Kontraktionsweise des Herzens modifizieren könnte. Dagegen führt Einthoven unter anderem eine Beobachtung an, welche zeigt, daß selbst sehr bedeutende rhythmische Funktions- störungen des Kopfmarkes noch keine rhythmischen Veränderungen in der Herztätigkeit hervorrufen. Vorläufig bleibt er daher bei der Ansicht, daß die betreffenden Veränderungen mit den Veränderungen des intrapleuralen Druckes zusammenhängen. Seinerseits hebt Samojloff* als Ursache der Atmungsschwankungen des Elektrokardiogramms den während der Respiration veränderten elektrischen Widerstand des Brustkastens und dessen Organe hervor. Da aber nicht allein die Größe der Ausschläge, sondern auch die relative Stärke der einzelnen Zacken hier verändert wird, müssen noch andere Umstände hierbei tätig sein. Als solche kommen nach Kahn5 Änderungen der Ableitungsverhältnisse durch die Lageveränderungen des Herzens, bzw. Änderungen der elektromotorischen Kräfte des Herzens, welche von Änderungen der jeweiligen Stärke der Erregung herrühren könnten, noch in Betracht. Indessen findet Kahn, daß jene schon deshalb nicht wahrscheinlich sind, weil es schwer einzusehen ist, wie es bei den der intrathorakalen Druckerhöhung im Valsalvaschen Versuch dienenden Maßnahmen zu einer solchen Verlagerung kommen sollte; übrigens wird diese Annahme dadurch direkt widerlegt, daß sich die betreffenden Erscheinungen nur allmählich zu voller Höhe entwickeln, während die Veränderung am Thorax in ganz kurzer Zeit hergestellt wird. Die Ursache der respiratorischen Veränderungen des Elektrokardiogramms wird daher von Kahn in geänderter Tätigkeit der einzelnen Herzabschnitte gesucht. In seiner letzten hierher gehörigen Arbeit hat indessen Einthoven, auf gute Gründe gestützt, hervorgehoben, daß der Einfluß der Respirationsbewegungen auf das Elektrokardiogramm durch die dabei stattfindenden Veränderungen in der Lage des Herzens ungezwungen erklärt werden kann.6 Bei einer gewöhn- lichen, nicht zu umfangreichen Atembewegung handelt es sich in vielen Fällen 1 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 307; 1909. 2 Einthoven, ebenda, 122, S. 563; 1908. 3 Samojloff, Festschrift für Hermann, Taf. IV; 1908. 4 Samojloff, ebenda, S. 182. 5 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 317; 1909. 6 Einthoven, Fahr und de Waart, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 301; 1913. 282 Die Innervation des Herzens. hauptsächlich um eine sich selbst parallele Verschiebung des Herzens und dabei können keine nennenswerten Veränderungen im Elektrokardiogramm entstehen.1 Dagegen genügt schon eine kleine Drehung des Herzens um die sagittale Achse, so wie sie durch eine tiefere Atembewegung erzielt wird, vollkommen, um die Form und Höhe der verschiedenen Zacken zu modifizieren, und zwar müssen diese dabei oft ganz unregelmäßig ver- kleinert oder vergrößert werden (vgl. obem II, S. 280). Ein Satz, auf Grund dessen die Lage der elektrischen Achse des Herzens bei jeder Körperlage bestimmt werden kann, wird von Einthoven2 in folgender Weise abgeleitet. Angenommen (Fig. 287), daß im gleichseitigen Dreieck R L F R der rechten, L der linken Hand und F den beiden Füßen entspricht, sowie daß das Herz H sich im Mittelpunkt befindet. Im Dreieck ist durch H ein Pfeil gezogen der die Richtung des Potentialunter- schiedes angibt und einen willkürlichen Winkel a mit der Seite R L macht. Auf diesem Pfeil ist ein Stück p q von will- kürlicher Länge abgetragen worden. Die Projektionen von p q = E auf die Fig. 287. Schema nach Einthoven. Seiten des Dreiecks seien px q1 Dann ist *i> PzQt = ez> PbQ3 = ez- ex — E cos a ez = E cos (a - 60°) ez = E cos (120° - a) e3 == e2 ei Wir nehmen an, daß das Dreieck eine homogene flache Platte vorstellt, daß in zwei sehr nahe beieinander liegenden Punkten in der unmittelbaren Nähe von H ein Potentialunterschied angebracht wird, und daß eine die beiden Punkte miteinander verbindende Linie mit dem in der Figur gezeichneten Pfeil zusammen- fällt. Unter diesen Umständen verhalten sich die zwischen den Ecken des Drei- ecks vorhandenen Potentialunterschiede wie e± : e2 : e3. Wenn a unbekannt ist, kann dieser Winkel aus dem Verhältnis von zwei dieser drei Potentialunterschiede berechnet werden. Man findet nämlich aus e-, und e0 sowie aus e-, und e„ und aus e9 und e.. tg« = tg« = tg« 2e0 2 e3 +ex exp ^2 ~T g3 (e2-e3)p 1 Dasselbe beobachteten auch Boden und Neukirch beim isolierten, fluid abgeleiteten Herzen (ebenda, 171, S. 167). 2 Einthoven, ebenda, 150, S. 308. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 283 Der Winkel a stellt die Richtung des resultierenden Potentialunterschiedes im Körper dar. Durch Aufnahme der drei typischen Ableitungen bekommt man also Kenntnis von der Richtung des Potentialunterschiedes im Herzen und deren unter ver- schiedenen Umständen stattfindenden Variationen. Durch Versuche an der Leiche haben Fahr und A. Weber1 die Richtigkeit der Einthovenschen Ausführungen bestätigt. Es wurde in der Gegend des sino- aurikularen Knotens und der Herzspitze je eine Zinknadel senkrecht eingeführt und zwischen beiden eine Potentialdifferenz von y5 Volt hergestellt. Dann wurde der Reihe nach das Galvanometer in Ableitung 1, II und III mit der Leiche verbunden und dabei ein Ausschlag von bzw. 10, 46 und 36 mm erhalten. Nach I und II betrug also der Winkel a 77°, nach I und III, sowie nach II und III 78°, während der direkt gemessene durch die Verbindungslinie der Schulterhöhe links und rechts und der Verbindungslinie der beiden Zinknadeln bestimmte Winkel 75° betrug. In einem von Einthoven mitgeteilten Beispiele war der Winkel a in der Inspirationslage 76° und in der Exspirationslage 40°. Die Größe der Herz- drehung betrug also hier 36°. Bei drei anderen Individuen war der Winkel a in Inspirationslage 73, 77 und 73°, in Exspirationslage 53, 65 und 500.2 Hier können indessen sehr große Verschiedenheiten vorkommen; so fand Wallerz bei einem Individuum in naher Übereinstimmung mit den Befunden von Einthoven den Winkel a gleich 68° bei der Inspiration und 43° bei der Ex- spiration , bei einem anderen aber 12° bei der Inspiration und — 10° bei der Exspiration. Zur Bestimmung der elek- trischen Achse des Herzens be- nutzt Waller'1 die Ableitung O vom Munde zur linken und n zur rechten Hand, von denen erstere die stärkere ist. Im rechtwinkligen Dreieck M R L (Fig. 288), wo die vertikale Linie M V = R L/2 = R V ist, bedeutet M den Mund, R die rechte und L die linke Hand. Die Entfernungen M R und M L stellen die Potentialdifferenzen von R und L in bezug auf M dar; die Entfernung R L ist dann gleich der Potential- differenz zwischen R und L. Ist nun 0 R gleich der Potentialdifferenz zwischen dem Munde und der rechten Hand, so wird die Gerade 0 M parallel dem Äquator des Herzens sein; die gegen diese senkrecht durch den Mittelpunkt des Herzens gezogene Linie V P repräsentiert dann die elektrische Achse des Herzens. Fig. 288. Schema nach Waller. 1 Fahr und A. Weber, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 117, S. 373; 1915. 2 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 294; — vgl. Egan, Zeitschr. f. klin. Med., 79, S. 544; 1914. 3 Waller, Journ. of physiol., 46, proc, S. 59; 1913; in bezug auf die Lage der elektrischen Achse des Pferde- und Hundeherzens vgl. Waller, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1890, S. 186; — Journ. of physiol., 47, proc, S. 32; 1914. 4 Waller, Proc. of the Royal Soc, 86, B, S. 507; 1913; — 88, ß, S. 49; 1914; — Journ. of physiol., 49, proc, S. 33; 1915; — Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1917, S. 103. 284 Die Innervation des Herzens. Der Winkel dieser Achse a mit der Vertikallinie M V ist gleich dem Winkel bei 0, dessen Tangente gleich M V/O V ist.1 Nun ist M V = R LJ2 = der halben Potentialdifferenz zwischen R und L, also (R — L)/2. Und 0 V ist, wie leicht ersichtlich, gleich der halben Summe von R und L, d. h. (R + L)/2. Wir erhalten also . , L-R ^a=TTR • In entsprechender Weise erhält man bei Anwendung der Ableitungen von einem Fuß und der rechten oder der linken Hand unter Berücksichtigung, daß der Ausschlag bei Ableitung vom rechten Fuß stärker als bei der vom linken Fuß ist, te«' = 2W • Nach dieser Methode hat Waller für den Winkel a z. B. folgende Zahlen gefunden: Nr. Winkel «' bei Ableitung Mund-Hand bei Ableitung Fuß-Hand 1 22° 22° 2 61° 34° 3 60° 86° 4 45° 45° 5 66° 47° 6 8° - 10° 7 45° 70° 8 61° 34° 9 76° 102° 10 11° 0° In bezug auf die Vorhofzacke P im Elektrokardiogramm gab Einthoven in seiner ersten Mitteilung an, daß sie von den Respirationsbewegungen gar keinen Einfluß litt.2 Später teilt er indessen mit, daß auch diese Zacke sehr große Veränderungen darbieten kann. Diese scheinen aber insbesondere durch die bei den verschiedenen Atmungsphasen vorkommenden Veränderungen der Puls- frequenz verursacht zu werden, denn sie sind nicht synchron mit den respira- torischen Veränderungen in der Form des Kammerelektrokardiogramms und auch nicht mit den Zuständen der äußersten In- und Exspiration. Dagegen ist diese Zacke, in Übereinstimmung mit der Erfahrung über den Einfluß der Vagusreizung auf das Elektrokardiogramm, nach langen Herzpausen klein, bis- weilen diphasisch, bisweilen ganz negativ, während sie nach kurzen Pausen ihre normale Form und Größe wieder erreicht.3 Beim ruhig atmenden Hunde konnte Kahn* keine respiratorischen Verände- rungen des Elektrokardiogramms wahrnehmen; demgegenüber fanden indessen Blumenfeldt und Putzig5, daß bei der Inspiration bzw. dem Aufblasen der Lungen 1 Ich bemerke, daß sich Wallers Winkel a auf die vertikale, Einthovens auf die horizontale Achse bezieht. Jener ist also der Komplementwinkel zu diesem. Ich bezeichne ihn daher als a'. 2 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 562; 1908. 8 Einthoven, ebenda, 150, S. 280; 1913. 4 Kahn, ebenda, 126, S. 216; 1909. 5 Blumenfeldt und Putzig, ebenda, 155, S. 446; 1914. Die elektrischen Erscheinungen am Herzen. 285 (Ableitung vom Anus und Ösophagus) alle Zacken kleiner, und bei der Exspiration bzw. dem Zusammenfallen der Lungen größer wurden. Dabei erlitt die Zacke R die stärkste Veränderung. Hier scheint indessen keine Folge irgendwelcher Lageveränderung des Herzens vorzuliegen, indem die erwähnten Variationen im nächsten Zusammenhang mit den Variationen der Pulsfrequenz standen und also von einer Vagusreizung abhängig waren (vgl. Kap. XXI). i&a<%tr&. ^/fv Fig. 289. Menschliches Elektrokardiogramm. Nach Einthoven. Die Versuchsperson liegt auf der linken Seite. Schon im Anfang seiner Studien über das Elektrokardiogramm hatte Eint- hoven im Verein mit de Lint1 gefunden, daß die Spitzen P und Q beinahe ganz verschwanden, wenn die Versuchsperson auf der linken Seite lag, während die Spitze 5 an Größe zunahm. Auch die Zacken R und T wurden vermindert, aber verhältnismäßig weniger als P und Q. Später2 gab er an, daß bei linker Fig. 290. Menschliches Elektrokardiogramm. Nach Einthoven. Die Versuchsperson liegt auf der rechten Seite. Seitenlage auch die Zacke 5 so klein ist, daß sie fast vernachlässigt werden darf, bei rechter Seitenlage aber sehr stark hervortritt (vgl. Figg. 289 und 290). Von Kraus und Nicolai3 wurde allerdings in ihrer ersten Mitteilung bemerkt, daß die „Lage der Versuchsperson bei der Aufnahme und die Phasen selbst forcierter Respiration ohne einschneidenderen Einfluß auf die Formeinzelheiten" 1 Einthoven und de Lint, Arch. f. d. ges. Physiol., 80, S. 148, 154; 1900. — Auch Grau fand in einem Falle von beweglichem Herzen, daß in linker Seitenlage bei Ableitung I die Zacke R kleiner, die Zacke S aber größer wurde (Zeitschr. f. klin. Med., 69). 2 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 302; 1913. 3 Kraus und Nicolai, Berliner klin. Wochenschr., 1907, Nr. 25 u. 26; S. 16 des S.-A. 286 Die Innervation des Herzens. des normalen Elektrokardiogramms war. Später gaben indessen auch diese Autoren zu, daß die Verschiebungen des Herzens bei verschiedenen Körper- stellungen die Form des Elektrokardiogramms verändern1, und Nicolai hat in einer besonderen Abhandlung die durch verschiedene Lage bedingten Ver- änderungen des Elektrokardiogramms eingehend erörtert.2 Die Erklärung der von ihm bei Wendung des Körpers von der linken auf die rechte Seite beobachteten Veränderungen im Elektrokardiogramm findet Einthoven in einer Drehung des Herzens um die Längsachse des Körpers. Wenn im Herzen ein Potentialunterschied vorhanden ist, der eine sagittale Richtung hat, so kann schon eine geringe Drehung des Herzens um die Längs- achse des Körpers eine bedeutende Veränderung in der Größe der zugehörigen Zacke verursachen, und dies wird namentlich bei Ableitung I stark hervor- treten. Falls der Potentialunterschied genau sagittal gerichtet ist, verschwindet die Zacke auch vollständig. Es ist wohl wahrscheinlich, daß durch diesen Um- stand sowohl die großen Unterschiede der 5-Zacke bei verschiedenen Menschen als im allgemeinen ihre Inkonstanz erklärt werden müssen. In den Figg. 289 und 290 bemerken wir, daß die Zacken P, R, T nahezu keine Veränderung erfahren. Wenn wir aus der enormen Veränderung der 5-Zacke schließen, daß eine Drehung des Herzens um die Längsachse des Körpers stattgefunden hat, so müssen wir auch annehmen, daß die Zacken P, R, T in ungefähr frontalen Flächen oder besser in solchen Flächen, die mit der sagittalen Fläche relativ große Winkel bilden, erzeugt werden, denn nur auf diese Weise kann ihre geringe Veränderlichkeit unter diesen Umständen am einfachsten erklärt werden.3 Von Lohmann und E. Müller* wurde der Einfluß der Achsendrehung des Herzens auf das Elektrokardiogramm beim Kaninchen direkt nachgewiesen: Nach künstlicher Verlagerung des Herzens, so daß die rechte Kammer mehr nach vorn und links, die linke ganz nach hinten und rechts verschoben wurde, wurde die /?-Zacke negativ. , In bezug auf die Veränderungen des Elektrokardiogramms, welche durch Hochstand des Zwerchfells entstehen, hat Grau (Magenblähung5) nachgewiesen, daß die R-Zacke bei Ableitung I stark vergrößert, bei Ableitung III aber stark vermindert wird, sowie daß die 7-Zacke bei Ableitung I beträchtlich an Größe zunimmt; in einem Falle veränderte diese Zacke ihre Richtung vollständig. Nach C. Rubner* steigt die /?-Zacke auch bei der Gravidität an, was viel- leicht auf die dabei eintretende Querlagerung des Herzens zu beziehen ist. Auch die bei Säuglingen vorkommende starke Ausbildung der S-Zacke wird von Nicolai und Funaro7 auf den Hochstand des Diaphragmas bezogen. Elektrokardiogramme, welche bei Rückenlage und Bauchlage der Versuchs- person erhalten werden, lehren, daß bei der Wendung auf den Bauch das Herz 1 Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, S. 102. 2 Nicolai, Berlin, klin. Wochenschr., 1911, Nr. 2. 3 Einthoven, Fahr und de Waart, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 302; 1913. 4 Lohmann und E. Müller, Sitz.-Ber. d. Ges. zur Beförd. d. Naturwiss. in Marburg, 1913, 9. Juli. 5 Grau, Zeitschr. f. klin. Med., 69. 6 C. Rubner, Zentralbl. f. Gynäkologie, 13, S. 449; 1913. 7 Nicolai und Funaro, Zentralbl. f. Physiol., 22, S. 58; 1908. Allgemeines über die zentrifugalen Herznerven. 287 sich um eine sagittale Achse im selben Sinne wie bei der Exspiration dreht. Beim Sitzen und Liegen auf dem Rücken ist das Elektrokardiogramm im all- gemeinen unverändert; bei einigen Individuen wurde indessen das Herz in der Rückenlage in ähnlicher Weise wie bei der Inspiration, beim Sitzen wie bei der Exspiration um die sagittale Achse gedreht.1 Nach Waller2 hatte bei einem und demselben Versuchsindividuum der Winkel d bei verschiedener Körperlage folgende Größe: Stehen 31°, Sitzen 43°, Liegen auf dem Rücken 40°, Liegen auf der rechten Seite 48°, Liegen auf der linken Seite 25°. Betreffend das Elektrokardiogramm des Menschen und der Tiere unter patho- logischen Verhältnissen verweise ich u. a. auf die unten zitierte Literatur.3 Neunzehntes Kapitel. - Allgemeines über die zentrifugalen Herznerven. § 65. Die Entdeckung der zentrifugalen Herznerven. a) Die hemmenden Herznerven. Auf der Versammlung der italienischen Naturforscher in Neapel im Sep- tember 1845 teilte Ernst Heinrich Weber die Ergebnisse mit, die er und sein Bruder Eduard Weber bei Reizung des peripheren Endes des N. vagus mit tetanisierenden Induktionsströmen erhalten hatten. Leider ist die Originalmitteilung der Gebrüder Weber in einer mir nicht zugänglichen italienischen Zeitschrift veröffentlicht worden.4 In Wagners Hand- wörterbuch der Physiologie findet sich dagegen ein von Eduard Weber ungefähr gleichzeitig erstatteter Bericht über diese Entdeckung5, auf den ich mich im nachfolgenden stütze. Ihre Reizungen der Nn. Vagi oder der Hirnteile, von denen sie entspringen, machten die Gebrüder Weber mittels des zuerst vcn ihnen zu Reizungsversuchen benutzten magneto-elektrischen Induktionsapparates. 1 Einthoven, Fahr und de Waart, Arch. f. d. ges. Physiol., 150, S. 304; 1913. 2 Waller, Proc. of the Royal Soc, 86, B, S. 517; 1913. 3 Gibson, Brit. med. journ., 1906, 2, S. 22. — Kraus und Nicolai, Berl. klin. Wochenschr., 1907, Nr. 25 — 26. — Samoiloff und Steshinsky, Münchener med. Wochenschrift, 1909, Nr. 38. — H.E. Hering, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 94, S. 205; 1908. — Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 568; 1908. — Strubell, Deutsche med. Wochenschr., 1908, Nr. 42/43; — Verh. d. Kongr. f. inn.Med., 26, S. 623; 1909. — Pick, Verh. d. Kongr. f. inn. Med., 26, 1909. — Nicolai und Simons, Med. Klinik, 1909, S. 160. — Steriopulo, Zeitschr. f. exp. Pathol., 7, S. 467; 1909. — Kraus und Nicolai, Das Elektrokardiogramm, Leipzig 1910, S. 183. — Kahn und Starkenstein, Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 579; 1910. — Rehfisch, Zeitschr. f. exp. Pathol., 9, S. 717; 1911. — Nicolai, Berl. klin. Wochenschr., 1911, Nr. 2. — Cluzet und Rebattu, Journ. de physiol., 1912, S. 81, 97. — Nicolai, Deutsche med. Wochenschr., 1912, S. 145, 211. — Münzer, Zentralbl. f. Herz- u. Gefäßkrankheiten, 5, S. 540; 1913. — Weil, Deutsches Arch. f. klin. Med., 116, S. 486; 1914. — Nicolai und Vögelmann, Zeitschr. f. exp. Pathol., 17, S. 1 ; 1914. — Aug. Hoffmann, Die Elektrographie als Untersuchungsmethode des Herzens. Wiesbaden 1914. — Kahn, Ergebnisse der Physiologie, 14, S. 165; 1914, woselbst auch ein ausführliches Verzeichnis der einschlägigen Literatur mitgeteilt ist. Die neuere Literatur hat hier nicht berücksichtigt werden können. 4 E. H. Weber, Annali universali di medicina, 116, S. 225. 5 Ed. Weber, Handwörterbuch der Physiol., 3 (2), S. 42; 1846. 288 Die Innervation des Herzens. Wurden die Ströme von diesem Apparat in der Weise durch einen Frosch geleitet, daß der eine Draht in die eine Nasenhöhle hineingeführt und der andere mit dem quer durchschnittenen Rückenmark am vierten oder sechsten Wirbel in Berührung gebracht wurde, so stand das Herz nach ein paar Pulsationen völlig still und blieb auch noch eine Anzahl Sekunden bewegungslos, nachdem der Strom unterbrochen worden war. Dann fing es an einer kleinen, beschränkten Stelle wieder an, erst äußerst schwach und in sehr langen Zwischenräumen, sich zu bewegen; die Bewegung breitete sich darauf mit jeder neuen Pulsation über einen größeren Teil des Herzens aus und wurde kräftiger; die Pulsationen folgten in immer kürzer werdenden Zwischenräumen, bis endlich das Herz das vorige Tempo der Schläge und seine volle Tätigkeit wieder erreicht hatte. Während des Stillstandes war das Herz nicht zusammengezogen, sondern erschlafft, denn es war platt zusammengefallen und vergrößert, wie in der Diastole, und füllte sich allmählich mit Blut. Um nun den Teil des Nervensystems, von dem dieser hemmende Einfluß auf das Herz ausgeübt wurde, zu finden, wurde bei einem Frosch der Kopf von dem Rückgrat zwischen dem Hinterhaupt und dem ersten Halswirbel so getrennt, daß das Herz, die Lungen und die Eingeweide mit dem Kopfe in Verbindung blieben, und darauf wurden beide Schließungsdrähte des Rotationsapparates nahe nebeneinander an die obere Schnittfläche des verlängerten Markes gebracht. Auch jetzt erfolgte die Hemmung der Herztätigkeit. Zur genaueren Bestimmung derjenigen Gehirnteile, welche diese Wirkung auf die Herztätigkeit ausübten, wurden die Enden der Leitungsdrähte einander so genähert, daß man nur eben noch zwischen ihnen durchsehen konnte, wonach verschiedene Stellen des Gehirns mit denselben gereizt wurden. Es fand sich, daß dieser Teil beim Frosch von den Vierhügeln bis zum unteren Ende des Calamus scriptorius an dem Kopf mark reichte. Die Nerven, durch welche dieser Hirnteil den hemmenden Einfluß auf die Pulsation des Herzens ausübte, waren die Nn. vagi. Jedoch fanden die Ge- brüder Weber die Mitwirkung beider Vagi notwendig, um beim Frosch Verlang- samung und Stillstand der Herzbewegungen bewirken zu können. Wenn nur der eine Vagus gereizt wurde, erfolgte keine Einwirkung auf das Herz. Daß diese Angabe nicht richtig war, ging aus den fortgesetzten Untersuchungen von Budge1, Schiff2, Ludwig und Hoffa3 am Frosch, Kaninchen und Hunde hervor. Unter den warmblütigen Tieren untersuchten die Gebrüder Weber die Katze, den Hund und das Kaninchen, außerdem noch Vögel, und beobachtete bei diesen, ebenso wie bei Fischen, dieselbe hemmende Einwirkung auf die Bewegungen des Herzens, wenn sie den Strom des Rotationsapparates auf beide Vagi oder auf das Kopf mark einwirken ließen. Im Anschluß an diese Versuche machte Ed. Weber, folgende allgemeinen Betrachtungen. „Die Tatsache, daß ein unwillkürlich in Tätigkeit befindliches Muskelorgan durch den Einfluß zu ihm gehender Nerven in seiner Tätigkeit gehemmt werde, ist neu und würde ganz ohne Beispiel dastehen, wenn wir die Nn. vagi als die 1 Budge, ebenda, 3 (1), S. 415; 1846; — Arch. f. physiol. Heilk., 5, S. 580; 1846. 2 Schiff, Arch. f. physiol. Heilk., 8, S. 181; 1849. 3 Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 116; 1849. Allgemeines über die zentrifugalen Herznerven. 289 eigentlichen zu den Muskelfasern gehenden Herznerven und die Hemmung als die Folge ihrer unmittelbaren Einwirkung auf dieselben betrachten wollten. Wir haben zwar Beispiele von ähnlichen Hemmungen der unwillkürlichen Tätig- keit animalischer Muskeln; aber diese entstehen vielmehr dadurch, daß die Nerven nicht in, sondern außer Tätigkeit versetzt werden, nämlich durch die Einwirkung auf das Rückenmark, welches ihre Tätigkeit unterhält. Hierher gehört das Beispiel der Sphinkteren des Afters und der Blase, welche durch ihre Tätigkeit die Öffnungen derselben verschlossen halten, und dadurch, daß ihre Tätigkeit suspendiert wird, den Durchgang der Auswurfsstoffe gestatten. Auch die Erfahrung, daß der Wille krampfhafte Zusammen Ziehungen, wenn sie nicht zu heftig eintreten, beschränken und die Entstehung mancher Reflex- bewegungen hemmen könne, welche daher viel leichter entstehen, wenn das Gehirn weggenommen oder betäubt worden ist, als bei gesunden und unver- letzten Tieren, beweist, daß vom Gehirn aus hemmend auf die Bewegungen eingewirkt werden könne. Sowie aber auf diese animalischen Muskeln der hemmende Einfluß nicht unmittelbar durch ihre motorischen Nerven, sondern zunächst auf das Rückenmark ausgeübt wird, von dem aus ihre Tätigkeit unter- halten wird, so scheint auch der hemmende Einfluß der Nn. vagi auf die Herz- bewegungen nicht unmittelbar auf die Muskelfasern, sondern zunächst auf die- jenigen Nerveneinrichtungen einzuwirken, von denen die Herzbewegungen aus- gehen, welche aber hier in der Substanz des Herzens selber befindlich sind; die durch Reizung der Nn. vagi unterbrochene Herztätigkeit kehrt daher von selbst zurück und trotz der Fortsetzung der Reizung dieser Nerven, wenn nämlich durch Erschöpfung derselben die motorischen Nerven des Herzens, von ihrem hemmenden Einfluß befreit, wieder frei zu wirken beginnen."1 Man fragt sich, wie es hat möglich sein können, daß eine so merkwürdige Erscheinung wie der Stillstand des Herzens bei der Vagusreizung so lange un- bekannt geblieben ist, und das Erstaunen, welches man darüber empfindet, kann nur zunehmen, wenn man bedenkt, daß der Herzvagus tonisch erregt ist, und daß.also seine Durchschneidung sehr oft eine Beschleunigung der Herzschläge bedingt. Schon seit Rufus von Ephesus und Galen hatten allerdings mehrere Forscher die Durchtrennung des Vagus ausgeführt. Zu Ende des 17. Jahr- hunderts hoben Willis und Lower hervor, daß das Herz nach diesem Eingriff stärker und heftiger pulsierte; sie hatten aber keine Ahnung von der wirklichen Bedeutung dieser Tatsache, sondern betrachteten die Beschleunigung der Herz- schläge nach Durchschneidung des Vagus als ein Zeichen von Schwäche und Verwirrung des seiner Nerven beraubten Organs.2 Die Durchtrennung der Vagi wird aber nicht immer von der betreffenden Beschleunigung der Herzschläge begleitet; im Gegenteil ereignet es sich sogar, daß diese statt dessen langsamer werden.3 Das Resultat der Vagusdurchschneidung ist also nicht konstant, was teilweise darauf beruht, daß die Durchtrennung der Vagi nicht allein den Zusammenhang dieser Nerven mit dem zentralen Nerven- 1 Ed. Weber, a. a. O., 3 (2), S. 46, 47. 2 Eine geschichtliche Darstellung der früheren Arbeiten über den Einfluß des Vagus auf das Herz findet sich bei v. Bezold, Innervation des Herzens, 1. Leipzig 1863, S. 4. 3 Vgl. Kohts und Tiegel, Arch. f. d. ges. Physiol., 13, S. 84; 1876. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 19 290 Die Innervation des Herzens. system aufhebt, sondern auch eine, zuweilen ziemlich lange dauernde Reizung hervorruft, teilweise darin seinen Grund hat, daß die tonische Erregung, in welcher sich der Vagus befindet, ihrer Stärke nach vielfach wechseln kann und bei gewissen Tieren, wie z. B. dem Kaninchen, nicht selten vollständig vermißt wird. Durch die Entdeckungen Galvanis und seiner Nachfolger wurde der physio- logischen Forschung ein neues Mittel zum Studium der physiologischen Auf- gaben der Nerven gegeben. Man war nunmehr nicht gezwungen, sich auf die Durchtrennung eines Nerven zu beschränken, um seine Verrichtungen zu er- mitteln, man war auch nicht auf die mechanische Reizung allein angewiesen, welche, wie sie zu jener Zeit ausgeübt wurde, den Nerven gar zu schnell zer- störte, sondern man konnte durch die dem Nerven weniger schädliche Reizung mit dem konstanten Strom den Einfluß der Nerven auf die Verrichtungen der Organe untersuchen. Und es dauerte nicht lange, bevor man dieses neue Mittel auf das Herz und seine Nerven prüfte. Nun sind aber die Wirkungen einer einzelnen Reizung des Vagus sehr schwach. Bevor die graphische Methode in der Physiologie eingeführt wurde — dies geschah durch Ludwig1 im Jahre 1847, also zwei Jahre nach der Entdeckung der Ge- brüder Weber — , war es kaum möglich, den Einfluß festzustellen, welchen die Schließung oder Öffnung eines durch den Vagus geleiteten Stromes auf das Herz ausübte. Um die hemmende Einwirkung des Vagus auf das Herz zu entdecken, waren also Reizungen in schnellem Rhythmus notwendig. Volkmann2 hatte schon im Jahre 1838 solche mit konstanten Strömen ausgeführt und dabei in der Tat Verlangsamung und Stillstand der Herzschläge beobachtet. Diese Erfahrungen wurden aber wenig beachtet. Es war also erst die Anwendung induzierter Ströme in schnellem Rhythmus, welche die Erscheinung deutlich hervortreten ließ. Jedenfalls darf es nicht unerwähnt gelassen 'werden, daß zu gleicher Zeit wie die Gebrüder Weber und unabhängig von ihnen auch Budget den elektro- magnetischen Rotationsapparat in die Physiologie einführte und bei Reizung des Vagus bzw. des Kopfmarkes einen Herzstillstand erzielte. Budge sagt aber ausdrücklich, daß er es nicht wagte, eine bestimmte Antwort auf die Frage zu geben, ob dieser Stillstand eine große Zahl so kleiner Bewegungen darstellte, daß sie nicht beobachtet werden konnten, oder ob das Herz gelähmt und un- fähig war, sich zu bewegen. Er wollte also nicht entscheiden, inwiefern der von ihm beobachtete Stillstand ein diastolischer oder ein systolischer war. Zum Schluß hebt er jedoch hervor, daß dieser Stillstand einem systolischen Herz- stillstand gleichzusetzen war. Nachdem aber die Untersuchungen der Gebrüder Weber ihm bekannt ge- worden waren, gab er diesen Standpunkt auf und schloß sich ihrer Ansicht von der Art des Stillstandes an. Betreffs der theoretischen Deutung desselben hatte 1 Ludwig, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1847, S. 257. 2 Volkmann, ebenda, 1838, S. 87. 3 Budge, Arch. f. physiol. Heilk., 5, S. 319, 540; 1846; vgl. besonders S. 581— 593; — Arch. f. Anat. u. Physiol., 1846, S. 295; — 1860, S. 257. Allgemeines über die zentrifugalen Herznerven. 291 er indessen eine ganz andere Auffassung. Nach ihm wäre nämlich der Stillstand die Folge einer momentanen, durch die elektrische Reizung hervorgerufenen Erschöpfung der Nerven. Kann es nicht möglich sein, fragte Budge, daß durch den elektrischen Reiz ein Stillstand entsteht, während durch die passenden normalen Erregungen der normale Herzschlag erhalten wird?1 Diese Auffassung wurde bald von Schiff2 geteilt; ihm schloß sich Mole- schott3 an, und die Erörterung über die Einwirkung des N. vagus auf das Herz bewegte sich lange um die Frage nach der Ursache des Stillstandes bei Reizung dieser Nerven. Es waren eigentlich drei Ansichten, welche hier einander gegenüberstanden: 1. die Auffassung der Gebrüder Weber, daß der Vagus einen wirklichen Hemmungs- nerven darstellte; 2. die soeben erwähnte Vorstellung Budges, daß der Vagus der Bewegungsnerv des Herzens sei, welcher bei elektrischer Reizung sehr schnell ermüde; 3. eine von Brown-Sequard aufgestellte Hypothese, laut welcher der Vagus der vasomotorische Herznerv sei, durch dessen Reizung die Kranzarterien verengt werden würden, so daß das Herz kein Blut bekomme und infolge davon in der Diastole stillstehe, weil eben das in den Herzwandungen eingeschlossene Blut Träger der Reizung sei.4 In bezug auf diese verschiedenen Ansichten ist zu bemerken, daß es sehr natürlich war, daß man zu der Zeit, als die so merkwürdige Tatsache der hem- menden Wirkung des Vagus auf das Herz zuerst bekannt wurde, nach einer Erklärung derselben fahnden sollte, welche besser als die Annahme einer ,, Hem- mung" mit dem damaligen Wissen von dem Einfluß der Nerven auf die Ver- richtungen der Organe übereinstimmte. Auf der anderen Seite konnte aber die Erschöpfungshypothese von Budge die vorliegenden Tatsachen nur in einer sehr gekünstelten Weise deuten. Nach Imamuras5 Erfahrungen muß allerdings beim Frosch der Induktionsstrom, der nötig ist, um durch Reizung des Vagus den Stillstand oder die Verlangsamung des Herzens hervorzurufen, etwa 75- bis lOOmal, bei Rheonomreizung 0,7- bis 7 mal stärker sein, als Ströme entsprechender Art, welche bei Anwendung auf die motorischen Nerven sie in Tätigkeit versetzen, ohne sie zu ermüden. Anderer- seits wissen wir aber, daß das Herz bei Durchschneidung des Vagus schneller als vorher pulsiert, daß ein vom Körper ausgeschnittenes Herz, insbesondere wenn es künstlich ernährt wird (vgl. oben I, S. 245) sehr lange pulsiert — alles Umstände, welche aus dem Gesichtspunkte der betreffenden Hypothese wenigstens sehr schwer zu erklären sind. Es liegt um so weniger Veranlassung vor, über die Art und Weise zu berichten, in welcher Schiff diese Tatsachen mit der be- treffenden Hypothese in Übereinstimmung bringen wollte, als Schiff selber später von seiner ursprünglichen Auffassung abgekommen ist.6 1 Budge, Handwörterbuch der Physiol., 3 (1), S. 417; 1846. 2 Schiff, Arch. f. physiol. Heilkunde, 8, S. 209, 442; 1849; — Untersuchungen zur Natur- lehre, 6, S. 201; 1859; — 10, S. 98; 1866. 3 Moleschott, Unters, zur Naturlehre, 7, S. 401 ; 1860; — Moleschott und Hufschmid, ebenda, 8, S. 52, 572; 1861, 1862; — Moleschott, ebenda, 8, S. 601; 1862. 4 Brown-Sequard, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1853, S. 40, 153. 5 Imamura, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 187. 6 Schiff, Unters, zur Naturlehre, 11, S. 188; 1873. — Über die wirklichen Ermüdungs- erscheinungen bei der Vagusreizung vgl. unten. 19* 292 Die Innervation des Herzens. Auch in bezug auf die vasomotorische Hypothese von Brown-Sequard, für welche, obgleich mit einem gewissen Zögern, eine Zeitlang Goltz1, ferner Bernstein2 und Bonsdorff3 eintraten, kann ich mich kurz fassen. Wäre diese Hypothese richtig, so müßte das Herz nach Bindung der Kranzarterien augenblicklich stillstehen, wie es bei der Vagusreizung der Fall ist. Wie schon oben erwähnt (I, S. 307), findet dies indessen nicht statt. Ferner haben Kammer und Vorhöfe des Froschherzens — abgesehen von den aus dem Bulbus kommenden Gefäßen, die eine gewisse Strecke in der Atrioventrikulargrenze zurücklegen — keine Blut- gefäße.4 Und dennoch unterliegen sie dem hemmenden Einfluß des Vagus. Man könnte dabei freilich an das Gefäß im Sinusganglion des Froschherzens denken. Daß der Stillstand bei Vagusreizung nicht durch dessen Verengerung bedingt ist, folgt unzweideutig daraus, daß auch ein vom Körper ausgeschnittenes Froschherz schlägt und dies selbst, wenn es mit Kochsalzlösung sehr gründlich ausgespült und viel blutleerer geworden ist, als es durch die postulierte Gefäß- verengerung bei Vagusreizung wohl je werden könnte. Es bleibt also nur die Annahme einer Hemmung übrig. Wie wir uns die dabei im Herzen stattfindenden Vorgänge vorstellen sollen, wollen wir näher erörtern, nachdem wir erst die wichtigsten Tatsachen kennen gelernt haben, welche über die Vaguswirkung am Herzen gesammelt worden sind. b) Die beschleunigenden Herznerven. Bei Reizung des Hals- oder Kopfmarkes an Kaninchen, denen die Vagi und Halssympathici durchschnitten waren, beobachtete v. Bezold5 im Jahre 1862 eine starke Beschleunigung der Herzschläge und eine Zunahme des Blut- druckes und wollte dadurch das Vorhandensein spezifischer, exzitierender Herz- nerven nachgewiesen haben. Nachdem indessen Ludwig und Thirye darauf aufmerksam gemacht hatten, daß die Steigerung des Blutdruckes durch die Reizung der im Rückenmark ver- laufenden gefäßverengenden Nerven bedingt war, und daß hierbei, selbst wenn sämtliche zum Herzen gehende Nerven zerstört waren, dennoch eine Beschleunigung der Schlagfolge erzielt wurde, wiederholte v. Bezold im Verein mit Bevev 1866 seine früheren Versuche in der Weise, daß er, um die Gefäßnerven zu erlahmen, das Rückenmark zwischen dem 1. und 2. Brustwirbel durchschnitt und dann das Halsmark reizte. Hierbei erschien eine Beschleunigung der Pulsfrequenz, nun aber ohne gleichzeitige Steigerung des Blutdrucks. Durch fortgesetzte Versuche fanden dieselben Autoren, daß die hierbei tätigen Fasern vom Rückenmark nach dem letzten Halsganglion und von dort nach dem Herzen verlaufen.8 1 Goltz, Aren. f. path. Anat, 23, S. 517; 1862; — 26, S. 23; 1863; — Arch. f. Anat. u. Physiol., 1863, S. 85. 2 Bernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1862, S. 530. 3 Bonsdorff, Zeitschr. f. rat. Med., 3. Reihe, 36, S. 15; 1868. 4 Vgl. Dogiel, Arch. f. mikr. Anat., 70, S. 795; 1907. 5 v. Bezold, Unters, über die Innervation des Herzens, 2. Leipzig 1863, S. 191. 6 Ludwig und Thiry, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KU, 49 (2), S. 429; 1864. 7 v. Bezold und Bever, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1866, S. 833; — Unters, aus dem physiol. Laborat. in Würzburg, 2, S. 226; 1867. 8 v. Bezold und Bever, Unters, aus dem physiol. Laborat. in Würzburg, 2, S. 235; 1867. Allgemeines über die zentrifugalen Herznerven. 293 Zu gleicher Zeit beobachteten die Gebrüder M. und E. Cyon1, unabhängig von den letzterwähnten Untersuchungen von v. Bezold, beim Kaninchen dieselbe Erscheinung, wenn eine Steigerung des Blutdruckes bei Reizung des Halsmarkes mittelst Durchtrennung der Splanchnici ausgeschlossen war. Sie hoben ferner hervor, daß nach Zerstörung des ersten Brustganglions diese Beschleunigung bei durchschnittenen Vagi, Halssympathici und Splanchnici nicht beobachtet werden konnte. Endlich wiesen sie durch Reizungsversuche nach, daß auch eine direkte Reizung der Herznerven eine Beschleunigung der Schlagzahl ver- anlassen kann. Es dauerte nicht lange, bis Schmiedeberg2 auch bei einem kaltblütigen Tiere, dem Frosch, die Anwesenheit beschleunigender Herznerven bestätigte und beim Hunde ähnliche Nerven beobachtete, welche letzteren hinsichtlich ihres Verlaufes mit den beschleunigenden Herznerven des Kaninchens wesentlich überein- stimmten.3 Diese, unabhängig vom Vagus und Halssympathicus vom Rückenmark nach dem Herzen gehenden Nerven werden als die beschleunigenden Herznerven, Nervi accelerantes, bezeichnet. § 66. Die totale Ausschaltung der zentrifugalen Herznerven. Schon seit Jahrhunderten ist es bekannt, daß auch ein vom Körper heraus- geschnittenes Herz regelmäßige rhythmische Bewegungen ausführen kann, und die neueren Erfahrungen, über welche oben berichtet worden ist, haben gezeigt, daß die Pulsationen desselben unter geeigneten Umständen sogar sehr lange fortdauern können. Andererseits wissen wir aber, daß die Herztätigkeit unter normalen Ver- hältnissen durch die zentrifugalen Herznerven in der mannigfaltigsten Weise verändert wird und also eine sehr ausgiebige Regulation erfährt. Um die Bedeutung dieser Regulation für die Leistungen und die Leistungs- fähigkeit des Herzens festzustellen, steht uns teils eine eingehende Analyse der Wirkungen der Herznerven, teils das Studium der Ausfallserscheinungen nach Ausschaltung sämtlicher Herznerven zur Verfügung. Jene werden in den folgenden Kapiteln in gebührendem Umfange besprochen werden. Hier werde ich, als Abschluß der allgemeinen Darstellung von den Herznerven, die Er- scheinungen darstellen, welche auftreten, wenn sämtliche nach dem Herzen verlaufende Nerven ausgerottet worden sind. Unsere hierher gehörigen Erfahrungen , die sich auf den Hund und das Kaninchen beziehen, verdanken wir Friedenthal*, welcher die vielfachen und bedeutenden Schwierigkeiten bei der Ausschaltung der Herznerven mit voll- ständigem Erfolg hat überwinden können. Kaninchen, an denen alle extrakardialen Nerven durchtrennt waren, unter- schieden sich drei Wochen nach der Operation anscheinend in nichts Wesent- 1 M. und E. Cyon, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1866, S. 801 ; — Aren. f. Anat. u. Physiol., 1867, S. 389. 2 Schmiedeberg, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. KL, 1870, S. 135. 3 Schmiedeberg, ebenda, 1871, S. 148. 4 Friedenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 135. 294 Die Innervation des Herzens. lichem von normalen Kaninchen. Ihr Tod erfolgte an Pneumonie auf Grund von Mitverletzungen der Lungenvagi.1 Ein Hund lebte 11 Monate nach der Durchschneidung der herzhemmenden Fasern und 8 Monate nach der Entfernung der beschleunigenden Nerven. Er starb im Anschluß an eine Vergiftung mit Strophantin.1 Diese Versuche zeigen also, daß die durch die Herznerven erfolgende Regu- lation der Herztätigkeit keineswegs eine absolute Bedingung für das Leben dar- stellt. Durch dieselben ist die Selbständigkeit der Herztätigkeit zu voller Evidenz dargetan. Eine nähere Prüfung ergab indessen, daß dennoch das Leistungsvermögen des Herzens durch die Ausschaltung der Herznerven in einem sehr hohen Grade gelitten hatte. Es war allerdings nicht möglich, irgendeine Methode aufzufinden, um die Kaninchen zu einer beträchtlicheren Arbeitsleistung zu zwingen. Beim Hunde konnte die Leistungsfähigkeit aber ohne Schwierigkeit mittels einer Tret- bahn geprüft werden. Schon nach der Entfernung der herzhemmenden Fasern war ein Teil der Leistungsfähigkeit des Tieres verloren gegangen, wenn es auch 3 Monate nach dieser Operation noch einige Kilometer im Laufe zurücklegen konnte. Nach Aus- schaltung aller Herznerven war aber das Tier nicht mehr imstande, auch nur einen Kilometer anhaltend im Laufe zurückzulegen, trotzdem es 2 Monate nach der letzten Nervendurchschneidung sein Anfangsgewicht wieder erreicht hatte und an keinerlei schädlichen Folgen des Eingriffes mehr zu leiden schien. Ver- sagte dem Hunde die Kraft zum Weiterlaufen, so ließ er sich entweder von der Tretbahn hinabschleudern oder er hing sich, falls er am Halsbande daran ver- hindert wurde, an diesem freiwillig auf, so daß die Bahn zu sofortigem Stillstand gebracht werden mußte. Dieses Verhalten bot wohl einen sicheren Beweis dafür dar, daß es sich nicht um freiwilligen Verzicht auf weitere Arbeitsleistung, sondern um wirkliches Versagen seiner Kräfte gehandelt hat. Eine durch die eigenen zentrifugalen und zentripetalen Nerven des Herzens zustande gekommene Regulation der Herztätigkeit (und des Gefäßwiderstandes) kann also bei körperlicher Ruhe bzw. kleinen Bewegungen ausbleiben, ohne daß deutliche Störungen hervortreten; sie ist aber von durchgreifender Be- deutung, sobald wegen stärkerer Arbeit größere Anforderungen auf die Kreis- laufsorgane gestellt werden. Zwanzigstes Kapitel. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. § 67. Kurze anatomische Übersicht.2 a) Arthropoden. Beim Krebs (Astacus fluviatilis) gibt nach Lemoine* der Magennerv, der mit dem stomato-gastrischen Ganglion, nicht aber mit den thorakalen Ganglien 1 Friedenthal, Zentralbl. f. Physiol., 15, S. 622; 1902. 2 Die folgende Darstellung stützt sich wesentlich auf die Monographie von Carlson, ßiol. bullet., 8, S. 125; 1905, und berücksichtigt nur solche Formen, an denen physiologische Versuche ausgeführt worden sind. 3 Lemoine, Ann. des sciences nat., Zoologie, 9, S. 216; 1868. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 295 verbunden ist, auch zum Herzen einen Ast, was von Yung1, Plateau2 und Mo- quart3 bestätigt wurde. Dogiel* beschreibt bei den dekapoden Krustazeen einen Nerven, der von einem zwischen dem 2. und 3. Paar der Gliedmaßen belegenen Ganglion nach dem Pericardium verläuft und sich mit dessen Muskelfasern verbindet, was aber von Plateau5 entschieden bestritten wird. Nach Jolyet und Viallanes6 entsendet beim Carcinus maenas ein kleines Ganglion am vorderen Ende des Herzens Äste sowohl zum Perikard als zum Herzen selbst; zentralwärts geht von diesem Ganglion ein Nervenast in der Richtung nach dem thorakalen Ganglion aus. Dagegen konnten sie den Nerven von Lemoine nicht finden. Zu dem gleichen Re- sultat gelangten Connant und Clarke7, welche bei Callinectes die anatomische Verbindung zwischen den Herznerven und dem Thora- kalganglion direkt nach- wiesen. Carlson beschreibt die Herznerven bei Palinurus (Fig. 291). Von der dor- salen Fläche des Thorakal- ganglions(7//G) entstehen jederseits sechs Nerven. Das vorderste Paar (j) wendet sich nach hinten und entsendet Fasern zu dem Perikard und dem Herzen (7); vom zweiten Paar (2) gehen Äste zu dem Arterienplexusam vorderen Ende der Perikardialhöhle Ml und können bis zu der dor- Fig. 292. salen Fläche des Herzens Das Nervensystem von Lnnnlus polyphemus. Nach Carlson. Fig. 291. Das Nervensystem von Palinurus. Nach Carlson. In dieser Figur, wie in den Figuren 292-310 bedeutet: //, Herz; verfolgt werden (8) AU, Vorhof; CVCO, Cerebroviszerale J , . .. , v , , Kommisur; VG, Viszeralganglion; OER, Bei LimulUS polyphe- Ösophagealer Nervenstrang; BG, Bran- mus8 steht das mediale Herzganglion in folgen- der Weise mit dem Gehirn in Verbindung 1 Yung, Arch. de zool. experiment, 7, S. 519; 1878. 2 Plateau, Arch. de biol., 1, S. 640; 1880. 3 Moquart, Bull, de la Soc. philom. de Paris, 7, S. 65; 1883; zit. nach Carlson. 4 Dogiel, Arch. de physiol., 1875, S. 403. 5 Plateau, a. a. O., 1, S. 641. 6 Jolyet und Viallanes, Ann. des sciences nat., zool., 8. serie, 14, S. 403; 1893. 7 Connant und Clarke, Journ. of exp. med., 1, S. 341 ; 1896; zit. nach Carlson. 8 Patten und Redenbaugh, Journ. of morphology, 16, S. 170; 1899; — Carlson, Biol. Bull., 8, S. 152. 296 Die Innervation des Herzens. (Fig. 292). Von beiden Seiten des Ösophagealganglions (0 E) treten Nerven aus, welche das Integument, die Eingeweide und die Rückenmuskeln ver- sorgen (2 — 8). Von diesen können die zwei letzten Paare (7,8) nach dem Herzen verfolgt werden, und zwar vereinigen sie sich jederseits zu einem gemeinsamen Stamme vor ihrem Eintritt in die Perikardialhöhle (Fig. 293, 7 — 8). Auch aus den Bauchganglien (Fig. 292, 9 — 13) dringen Fasern in die Peri- kardialhöhle und senden, nachdem sie mit dem perikardialen Nerven anastomosiert haben (Fig. 293, PN C), in der Gegend des 4. bis 8. Paares von Ostien je eine dünne Faser nach dem medialen Ganglion. b) Mollusken. 1. Chitonen. Nach Carlson1 gehen bei Cryptochiton Stellen von der lateralen und ventralen Fläche des ösophagealen Nervenringes (Fig. 294, 0 E R) zwei Paare von Nervensträngen aus. In der Gegend des Herzens entsenden die lateralen (pleuroviszeralen) Nerven je einen oder zwei dünne Zweige (j, 2) zu der Muskulatur des Vorhofes (A U). 2. Gastropoden.2 Bei Haliotis cracherodii (Fig. 295) können zwei Nerven (7, 8) vom Viszeralganglion bzw. den pleuro-viszeralen Kommissuren nach der Basis der Vorhöfe verfolgt werden. Außerdem gibt das Viszeralganglion zwei Nerven zum Pericardium (9, 10) ab, von denen wahrscheinlich der ventrale Fasern nach der Kammer entsendet. Die Vorhöfe3 und die Kammer von Lucapina crenulata (Fig. 296) be- kommen Fasern (5) von Nerven, die aus dem Viszeralganglion entstammen; desgleichen können bei diesem Tiere Fasern zum Pericardium (3, 4) verfolgt werden. Murex trunculus hat nach Haller drei Viszeralganglien; von dem mittleren Ganglion verläuft ein Nerv längs der Aorta nach der Herzkammer, während der Vorhof von dem Nervenplexus des Kiemensinus innerviert wird. Beim Cyclophorus tigrinus entsteht aus der viszeralen Kommissur ein Nerv, der die vordere Aorta begleitet und in die Kammermuskulatur eintritt. Triton variegatum hat zwei durch eine Kommissur verbundene Viszeralganglien; aus dieser Kommissur entstehen u. a. ein Nerv zum Vorhof und einer zur Kammer, worin er am Aortenende eintritt (Bouvier). Vom Branchialganglion geht bei Natica Lewissii (Fig. 297) ein kleiner Nerven- ast (5) aus, welcher mit einem kleinen Ganglion (7) verbunden ist: dieses ent- sendet einen Ast zu der Wand des Perikards (6). Die beiden Viszeralganglien sind durch eine Kommissur verbunden; von dem wesentlich stärkeren rechten Ganglion geht unter anderem ein Nervenast nach dem Perikard (9). Äste von den perikardialen Nerven (6 und 9) lassen sich bis zur Basis des Vorhofes und zu der Verbindungsstelle der Aorta mit der Kammer verfolgen, und zwar ent- sendet jeder dieser Nerven Fasern zu dem Vorhof und der Kammer vom Aorten- ende her. 1 Carlson, Biol. bull., 8, S. 129. 2 Haller, Denkschr. d. Wiener Akad. d. Wiss., 45, S. 87; 1882; — Morphol. Jahrb., 9, S. 1 ; 1883; — Hancock und Alder, Monograph. of British nudibranchiate mollusca. London 1845; — Bottazzi und Enriques, Arch.it. de biol., 34, S. 111; 1900; — Carlson, Biol. bull., 8, S. 131; Bouvier, Ann. des sciences nat., zool., 7, S. 73; 1889. 3 Carlson, Biol. bull., 8, S. 132; — Illingworth, Zool. Jahrb., 16, S. 471; 1902. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 297 [/) «! e 3 e-3 y u0 n in c .0 es •r o Q 298 Die Innervation des Herzens. Die Herznerven bei Sycotypus canaliculatus (Fig. 298) entstammen aus den Viszeralganglien (L VN, R V N); aus dem linken treten einige Fasern aus, welche sich in der Perikardialwand verzweigen. Ein Ast (2) kann bis zur Basis des Vorhofes ver- folgt werden, ein anderer (3) anastomosiert mit dem Ganglion (8) an der Grenze zwischen der Kammer und der Aorta. Das größere rechte Vis- zeralganglion entsendet einen Ast (5) zu dem so- eben erwähnten Ganglion. Auch von den Nerven (4) und (6) treten einige Äste in die Perikardialwand hinein. Vom Ganglion (8) können die Nervenfasern zur Herzkammer verfolgt werden (9). Fig. 297. Das Nervensystem von Natica Lewissii. Nach Carlson. Fig. 298. Das Nervensystem von Syco- typus canaliculatus. Nach Carlson. Fig. 299. Das Nervensystem von Aplysia californica. Nach Carlson. Bei Pterotrachea konnte Ransom1 Nervenfasern im Perciardium, aber nicht im Herzen selbst nachweisen. Bei der Aplysia beschreibt Dogiel2 einen Nerven, der vom Viszeralganglion geradenwegs nach dem Vorhof verläuft. Nach Ransom3 hat der Herznerv einen 1 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 323; 1884. 2 Dogiel, Arch. f. mikr. Anat., 14, S. 59; 1877. 3 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 325. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 299 Fig. 300. Das Nervensystem von Bulla globosa. Nach Carlson. wesentlich verwickeiteren Verlauf und tritt schließlich in das Perikard nahe dem Ursprung des Vorhofes ein. Bei demselben Tiere beschreiben Bottazzi und Enriques einen Nerven von der rechten Seite des Vis- zeralganglions zu der Aorta und einen anderen von der linken Seite des Ganglions nach Sem Herzen. Nach Carlson tritt bei der Aplysia californica (Fig. 299) von der linken Seite des Viszeralganglions (VO) u.a. ein Nerv aus (3), welcher Äste zum Sinus aorticus (12) entsendet; ein anderer Ast (6) gibt Nerven zum Pericardium (7) und Vorhof (9). Bei der Bulla globosa (Fig. 300) mit ihren vielen Ganglien gehen die Herznerven von einem kleinen, links von den Viszeralganglien befindlichen Ganglion aus (7), passieren ein zweites Ganglion (9) und können teils zum Aortensinus (11), teils zum Perikard verfolgt werden; einen Ast vom Nerven 8 hat Carlson bis zur Kammer folgen können. Die Herznerven bei Pleurobranchea californica (Fig. 301) entspringen von der linken Seite des Vis- zeralganglions (2), gehen dann durch ein kleines Gan- glion (3), von welchem sich ein Ast (10) zu dem Aorten- sinus begibt, ein anderer (9) zu der Grenze zwischen der Kammer und Aorta verläuft, ein dritter (5) sich in das Perikard, den Vorhof und die Kammer verästelt. Nach Hancock und Embleton1 entspringen bei Doris tuberculata von einem unpaarigen, an der unteren Seite des rechten Branchialganglions befindlichen Gan- glion (Viszeralganglion) vier viszerale Nerven. Der am meisten mediale von ihnen schickt unter anderem Äste nach zwei oder drei an der Aortenwurzel liegen- den Ganglien, von welchen Fasern nach dem Peri- cardium und dem Herzen abgehen. Außerdem ent- sendet der betreffende Hauptnerv in seinem weiteren Verlauf noch einen anderen Ast zum Herzen. Bei Montereina nobilis (Fig. 302) entsendet das supraösophageale Ganglion (0 C) rechts einen Nerven (VN), von welchem ein kleiner Ast (2) in ein kleines Ganglion am Sinus aortae eintritt. Von diesem Gan- glion können ein paar Äste zu der Aorta und ein Ast zu der Kammer verfolgt werden. Ferner gibt der Nerv einen Ast (3) zum Perikard und einige kleine Äste zum Vorhof ab (Carlson2). Bei der Triopha grandis (Fig. 303) treten die langen Nerven 1 und 2 hinten mit den kleinen durch 1 Hancock und Embleton, Philos. transact., 1852, S. 232. 2 Carlson, Biol. bull., 8, S. 140. Fig. 301. Das Nervensystem von Pleurobranchea californica. Nach Carlson. 300 Die Innervation des Herzens. eine Kommissur verbundenen Ganglien 9 in Verbindung; jedes derselben gibt Fasern nach dem Vorhof und dem Perikard. Vom Nerven 3, welcher oft durch ein kleines Ganglion (5) passiert, können Fasern zu der Grenze zwischen Aorta- sinus und Kammer und zu der letzteren selber (7) verfolgt werden. Nach Ransom1 gibt der mittlere Abschnitt des Ösophagealganglions von Helix pomatia zwei Viszeralnerven ab. Der linke folgt der Aorta, teilt sich und gibt einen Ast nach der Kammer, während ein anderer Ast nach der Niere verläuft, woselbst er sich verästelt und einige Fasern nach dem Vorhof sendet. Bei Limax maximus (Fig. 304) geht von der dorsalen Portion der großen Ganglienmasse unter anderem ein Nerv (VN) aus, der in ein kleines Ganglion (4) Fig. 302. Das Nerven- system von Monte- reina nobilis. Nach Carlson. Fig. 303. Das Nerven- system von Triopha grandis. Nach Carlson. Fig. 304. Das Nerven- system von Limax maximus. Nach Carlson. Fig. 305. Das Nerven- system von Ario- limax columbianus. Nach Carlson. mündet; von diesem entspringen drei dünne Fasern (7); eine derselben begleitet die hintere Arterie und entsendet zwei sehr dünne Äste zu der Aorta. Das Nervensystem von Ariolimax (Fig. 305) stimmt mit dem von Limax nahe überein. Der Viszeralnerv (VN) entspringt von dem medialen Teil des Ganglions, verläuft längs der Aorta eine Strecke weit und teilt sich dann in zwei Äste, von welchen der eine (5) sich dorsalwärts gegen die Niere wendet und einen außerordentlich feinen Ast nach der Grenze zwischen der Kammer und der Aorta entsendet. 3. Lamellibranchiaten. Bei der Terredo beschreibt de Quatrefages2 zwei feine Nervenäste, welche von dem Viszeralganglion ausgehen und in je zwei kleinen, im hinteren Teile der Perikardialhöhle befindlichen Ganglien endigen. Diese geben kleine Fäserchen nach der Basis des Vorhofes und dem Pericardium ab. 1 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 327; 1884. 2 de Quatrefages, Ann. des sciences nat., Zoologie, 3. serie, 11, S. 67; 1849. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 301 Nach Carlsons1 Beschreibung entsendet bei Mytilus californianus (Fig. 306) jedes Viszeralganglion (VG) einen dünnen Nerven (4), von welchem ein Seitenast (5) bis zur Basis, aber nicht in die Muskulatur des Herzvorhofes verfolgt werden kann. Ein zweiter Ast (6) verläuft nach dem Pericardium nahe der Mittellinie. Der Hauptast dieser Nerven teilt sich bei 8 und 9 in zwei mittlere Äste, und an den Teilungsstellen findet sich je ein kleines Ganglion. Die nach vorn verlaufenden Äste treten je in ein kleines Ganglion (10) hinein; beide Ganglien anastomosieren miteinander und entsenden einige kleine Nerven zum Pericardium. Es gelang Carlson nicht, sie bis zu der Muskulatur zu verfolgen. Fig. 306. Das Nerven- system von Mytilus cali- fornianus. Nach Carlson. Fig. 307. Das Nervensystem von Mya arenaria. Nach Carlson. Fig. 308. Das Nerven- system von Tapes staminea. Nach Carlson. Die viszeralen Ganglien haben sich bei Mya arenaria (Fig. 307) zu einem einzigen vereinigt; von jeder Kommissur geht ein kleiner Ast (4) nach dem Vorhof und kann bis zu dessen Basis verfolgt werden.2 Ferner gehen von der dorsalen Fläche des Viszeralganglions Nerven aus, welche u. a. Äste in die dorsale Wand der Perikardialhöhle abgeben (4). Von den Kommissuren geht bei der Tapes staminea (Fig. 308) jederseits ein kleiner Nerv (5) aus und entsendet Äste zum Herzen; wie physio- logische Versuche dargetan haben, gelangen diese Nerven ausschließlich durch die Vorhöfe nach der Kammer. Die Herznerven bei Platydon cancellatus (Fig. 309) stimmen mit denjenigen bei Tapes wesentlich überein; nur gehen sie direkt vom Viszeralganglion aus; kurz vor ihrem Eintritt in die Vorhofsbasis tragen sie je ein kleines Gan- glion (4). Bei diesen und möglicherweise allen anderen Lamellibranchiaten stellen Zellen in dem Viszeralganglion aller Wahrscheinlichkeit nach die Ursprungszellen der Herznerven dar. Fig. 309. Das Nervensystem von Platydon cancellatus. Nach Carlson. 1 Carlson, Biol. bull., 8, S. 125. 2 Vgl. auch Yung, Arch. de zool. exper., 9, S. 425; 1881. 302 Die Innervation des Herzens. 4. Cephalopoden. Bei Eledone und Octopus gehen vier Nerven vom Pleuroviszeralganglion ab; von diesen stehen die medialen, nach Ransom zwei- gespalteten Nerven in Verbindung mit je einem kleinen Ganglion (I. Herz- ganglion, Ransom), aus welchem Äste unter anderem auch nach dem Herzen gehen und dort eindringen. Nach außen von diesem Ganglion findet man ein etwa größeres (II. Herzganglion, Ransom), welches das Kiemenherz innerviert (Cheron1, Fredericq2, Ransom*). Bei Sepia und Loligo verbinden sich die medialen Nerven kurz vor der Herzkammer zu einer Kommissur, von welcher Nerven- fasern nach dem Herzen ausgehen. In ihrem weiteren Verlauf stehen die medialen Nerven in Verbindung mit je einem Ganglion, von welchem aus die Kiemenherzen innerviert werden (Chiron*, Fuchs5). Indem er in bezug auf Octopus die Be- schreibung Cherons vollständig bestätigt, be- merkt Carlson6 betreffend Loligo gewisse Unterschiede (Fig. 310). Die viszeralen Nerven (RVN, LVN) entsenden einen Ast (6) zu einem kleinen Ganglion (9), von welchem eine kleine Faser (7) nach dem Vorhofe geht. Diese Faser trägt auch ein Ganglion (10). c) Tunikaten. Nach Hunter7 kommen im Herzen von Molgula manhattensis sowohl Ganglienzellen als Nervenfasern vor. Erstere finden sich in zwei kleinen Ganglien an beiden Enden des Herzens vor, etwa dort, wo die Kontraktionen Fig. 310. Das Nervensystem von Loligo beginnen. Die Nervenfasern umspinnen das pealii. Nach Carlson. TI • 1X.. • , ,. • , , 1 Herz spiralförmig und hegen zwischen den Muskelfasern und dem Pericardium. Vom Herzen hat Hunter die Nerven eine Strecke weit verfolgen können. § 68. Physiologische Erfahrungen über die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. a) Würmer. Die Versuche, bei den Würmern nervöse Verbindungen zwischen den pul- sierenden Gefäßen und dem Nervenstrang auf anatomischem Wege nachzu- weisen, sind bis jetzt vollständig gescheitert. 1 Chiron, Ann. des sciences nat., Zoologie, 5, S. 25, 39; 1866. 2 Fredericq, Aren, de zool. exper., 7, S. 556; 1878. 3 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 267; 1884. 4 Cheron, a. a. 0., 5, S. 54, 71. 5 Fuchs, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, Taf. 7, Fig. 1; 1895. 6 Carlson, Biol. bull., 8, S. 146. 7 Hunter, Anat. Anzeiger, 21, S. 241 ; 1902. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 303 Dagegen bewirkte bei den Versuchen Carlsons1 die Reizung des ventralen Nervenstranges bei der Arenicola in der Regel Hemmung des ösophagealen Herzens sowie Beschleunigung und Verstärkung der Pulsationen des dorsalen Gefäßes. Bei Nereis wurden die Herzschläge nach Exstirpation des ventralen Nerven- stranges weniger unregelmäßig als vorher, was auch einen Einfluß der Nerven auf die Herztätigkeit andeutet. Gegen diese Beobachtungen läßt sich indessen bemerken, daß bei der Nerven- reizung Kontraktionen in den umgebenden Geweben ausgelöst wurden, und daß diese Kontraktionen ihrerseits die Tätigkeit des Herzens haben beeinflussen können. Von vornherein ist es indessen viel wahrscheinlicher, daß die Gefäße durch Nerven mit den zentralen Ganglien verbunden sind. b) Arthropoden. Daß das Herz der Krustazeen sowohl hemmende als beschleunigende Fasern bekommt, darüber sind alle Autoren einig. # Dagegen gehen sie in bezug auf den Ursprung und Verlauf dieser Nerven wesentlich auseinander. Während Plateau2 und Yung3 annehmen, daß beim Hummer, Krebs und Carcinus die beschleunigenden Nerven dem stomatogastrischen Ganglion und die hemmenden Nerven den Thorakal-(Subösophageal-)ganglien entstammen, geben Jolyet und Viallanes* (Carcinus), sowie Connant und Clarke5 (Callinectes) an, daß alle beiden vom Brustganglion entspringen, woselbst das Zentrum der hemmenden Nerven ganz nach vorn und das der beschleunigenden Nerven etwas mehr distalwärts liegt. Plateau gibt noch an, daß die beschleunigenden Nerven bei den genannten Tieren tonisch erregt sind, indem ihre Durchschneidung eine Verlangsamung der Herztätigkeit hervorruft. Nach Bottazzi6 befinden sich im Thorakalganglion der Maja squinado zwei Zentren für die Herzbewegung, ein vorderes, hemmendes, und ein hinteres, beschleunigendes. Die Beschleunigung tritt erst nach einer beträchtlichen Latenzperiode ein und überdauert einige Zeit die Reizung. Carlson* fand, daß die gewöhnliche Wirkung der Reizung des Gehirnganglions bei Cancer eine Hemmung der Herztätigkeit darstellt; ab und zu wurde indessen auch eine Beschleunigung beobachtet. Bei Palinurus bekam Carlson1 eine vollständige oder partielle Herzhemmung mit Tonusabnahme, wenn das vordere Ende des Brustganglions gereizt wurde; wurde die Reizung etwas weiter nach hinten angebracht, so erschien die Be- schleunigung. Wie direkte Versuche ergaben, laufen die hemmenden Nerven in dem Nervenzweig i und die beschleunigenden in dem Nervenzweig 2 in Fig. 291. 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 22, S. 353; 1908. 2 Plateau, Bull, de l'Acad. de Belgique, 46, 1878; — Aren, de biol., 1, S. 644, 653; 1880. 3 Yung, Aren, de zool. exp., 7, S. 520; 1878. 4 Jolyet und Viallanes, Ann. des sciences nat, zool., 14, S. 404; 1892. 5 Connant und Clarke, Journ. of exp. med., 1, S. 341; 1896. 6 Bottazzi, Zentralbl. f. Physiol., 14, S. 666; 1901. 7 Carlson, Amer. journ of physiol., 15, S. 128; 1906. 304 Die Innervation des Herzens. Bei den hier besprochenen Tieren bekommt das Herz also seine hemmenden und beschleunigenden Nerven in verschiedenen Bahnen. Dogiel1 gibt an, daß die Hemmung der Herztätigkeit nicht allein durch die Nerven- reizung, sondern auch durch Reizung des Perikards zustande kommt. In beiden Fällen würde es sich, nach ihm, nicht um eine wirkliche Hemmung handeln; vielmehr würde der Herzstillstand die Folge der Kontraktion der in radiärer Richtung auf das Herz wirkenden Perikardialmuskeln darstellen. Bei Daphnia kommen nach Dearborn2 hemmende, aber nicht beschleunigende Nerven vor. Carlson* reizte das Gehirnganglion bei Dictyphorus (Heuschrecke) mit schwachen tetanisierenden Strömen und beobachtete dabei eine Beschleunigung der Herzschläge. Die Bahn ging durch die Brust- und Bauchganglien. Es ist wahrscheinlich, daß auch hemmende Nerven bei diesem Tiere vor- handen sind, obgleich ihre Wirkung von der kräftigeren Wirkung der beschleunigen- den Nerven verdeckt wird.3 Auch in bezug auf die extrakardiale Innervation ist das Herz des Limulus von Carlson sehr eingehend untersucht worden.4 Hemmende Nerven gehen vom dem Zerebralganglion zum vorderen Ende des medialen Herzganglions und treten dort in Verbindung mit den daselbst befindlichen Ganglienzellen. Ihrerseits entsenden diese Zellen Fortsätze zu den lateralen Nerven. Die Reizung des Zerebralganglions oder der hemmenden Nerven oder des vorderen Endes vom medialen Ganglion setzt nicht allein die Pulsfrequenz herab, sondern vermindert außerdem noch den Umfang der Herzkontraktionen. Unter dem Einfluß dieser Nerven wird sowohl die direkte Erregbarkeit als auch das Leitungsvermögen des Herzmuskels herabgesetzt; infolgedessen bleibt eine Kontraktion der direkt gereizten Stelle dort stehen und der Umfang der künstlich hervorgerufenen Kontraktionen nimmt ab. Die Hemmungswirkung offenbart sich also am Limulusherzen durch eine größere oder kleinere Herabsetzung der Pulsfrequenz, des Kontraktionsumfanges, des Leitungsvermögens und der Erregbarkeit. Im Aktionsstrom macht sich bei langsam schlagendem (nicht stillstehendem) Herzen die Hemmung durch eine starke Verminderung der Frequenz und Zahl der einzelnen Oszillationen geltend (P. Hoffmann5; vgl. oben II, S. 223). Atropin und Nikotin lähmen bei direkter Applikation auf das Ganglion den hemmenden Apparat; dagegen üben sie auf den Muskel oder die lateralen Nerven des Herzens keine sichtbare Wirkung aus. Dementsprechend verursacht die Reizung der vom Ganglion zu dem Herz- muskel gehenden Nerven nie eine Hemmung. Hierin findet sich ein prinzipieller Unterschied in bezug auf das Herz der Wirbeltiere, denn bei diesem ruft auch die Reizung der postganglionären Fasern die gewöhnliche Herzhemmung hervor. Beim Limulus reagiert das Herz in ganz derselben Weise auf eine artifizielle direkte Reizung, wenn es einmal durch Reizung des Vagus, ein anderes Mal durch Exstirpation des medialen Ganglions stillsteht. 1 Dogiel, Arch. de physiol., 1877, S. 404. 2 Dearborn, Medical news, 1903; zit. nach Carlson. 3 Carlson, Amer. journ. of physiol., 15, S. 132f.; 1906. 4 Carlson, ebenda, 13, S. 226; 1905. 5 P. Hoffmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1911, S. 178. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 305 Aus diesem allen folgt, daß die Wirkung der hemmenden Nerven auf das Limulusherz gerade darin besteht, den vom Ganglion auf den Herzmuskel aus- geübten erregenden Einfluß mehr oder weniger vollständig aufzuheben. Infolgedessen nimmt auch die Kohlensäureproduktion des Ganglions bei der Reizung der hemmenden Nerven entschieden ab (Garrey1). Nach Durchschneidung der hemmenden Herznerven ruft die Reizung des zerebralen Ganglions eine Verstärkung der Herztätigkeit hervor. Dieselbe Wirkung wird auch durch Reizung der Kommissurfäden (AC, Fig. 292) wie der drei ersten Abdominalganglien erhalten. Die Latenzdauer und die Dauer der Nachwirkung ist bei den beschleunigenden Nerven länger als bei den hemmenden. Bei verhältnismäßig geringer Pulsfrequenz nimmt bei der Reizung der beschleunigenden Nerven diese erheblich zu; wenn aber die Schlagfolge des Herzens schon vor der Reizung frequent war, tritt keine weitere Zunahme der- selben ein, und die Wirkung der Nerven beschränkt sich dann auf eine Ver- größerung des Kontraktionsumfanges (Carlson2). c) Mollusken. 1. Chitonen. Durch Reizung der pallioviszeralen oder ösophagealen Nerven wurde bei Cryptochiton und Ischnochiton eine geringe Beschleunigung der Herz- frequenz hervorgerufen. Trotz immer weiter fortgesetzter Reizung dauerte diese Beschleunigung indessen nur 20 — 30 Sekunden. Beim stillstehenden Herzen gibt die Reizung einige Kontraktionen oder sogar eine lange Reihe von solchen, die noch nach Ende der Reizung fortdauert. Hemmungserscheinungen konnten dagegen nicht durch Nervenreizung er- halten werden (Carlson3). 2. Gastropoden. Obgleich bei der Pterotrachea Nerven nur bis zum Pericardium bzw. zur Umgebung des Aortenbulbus anatomisch nachgewiesen worden sind, zeigen dennoch verschiedene Eingriffe, daß das Herz dieser Tiere dem Einfluß von hemmenden Herznerven unterliegt. So steht das Herz bei Reizung des Ösophagealganglions in der Diastole still; die Exstirpation dieses Ganglions ruft eine Pulsverlangsamung hervor, die einige Zeit anhält und dann einer mehr oder weniger deutlichen Beschleunigung Platz gibt (Rywosch1). Bei Haliotis und Lucapina werden durch tetanisierende Reizung von pallio- viszeralen Bahnen oder von den Kommissuren die Pulsationen des Vorhofes und der Kammer beschleunigt (Carlson5). Die Beschleunigung dauert bei starker Reizung und kräftigem Herzen etwa 60 — 120 Sekunden, und zwar um so kürzer, je mehr ermüdet das Herz ist. Selbst bei stillstehendem Herzen ruft die Reizung eine Reihe von Schlägen hervor. Bei gut erhaltenen Präparaten können sogar einzelne Induktionsschläge einzelne Kontraktionen verursachen; dabei gilt aber, daß die künstliche Reizung 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 13, S. 225. 2 Garrey, Journ. of gen. physiol., 3, S. 163; 1920; zit. nach den Berichten, 6, S. 247. 3 Carlson, Amer. journ. of physiol., 13, S. 404; 1905; — 14, S. 51 ; 1905. 4 Rywosch, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 365; 1905. 5 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 58, 62; 1904; — 13, S. 406; 1905. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 20 306 Die Innervation des Herzens. während der Systole und im Beginn der Diastole unwirksam ist. Wenn die Reizung jede 8. bis 10. Sekunde stattfindet, antwortet das Herz auf jede Reizung mit einer Kontraktion; bei einer Reizung in jeder oder jeder zweiten Sekunde erscheint dabei nur ein dauernder diastolischer Stillstand, welcher indessen nicht als die Wirkung von hemmenden Nerven aufgefaßt werden darf, indem er lediglich auf einer reduzierten Erregbarkeit des Nerven, bzw. einer Ermüdung der Nerven- endigungen beruht. Das Herz dieser Mollusken empfängt also nur beschleunigende Nerven. Diese treten in die Kammer von der Aorta und in den Vorhof an dessen Basis ein.1 Die Herznerven von Natica und Sycotypus verhalten sich ganz wie die- jenigen von den soeben erwähnten Prosobranchiaten. Sie versorgen also sowohl den Vorhof wie die Kammer, rufen bei ihrer Reizung Beschleunigung und Ver- stärkung der Herzschläge hervor und lösen beim stillstehenden Herzen Kon- traktionen aus. Nach Läsion des Herzens in der atrioventrikulären Grenze bleiben die Nervenwirkungen sowohl am Vorhof als an der Kammer bestehen, woraus folgt, daß die Nerven von beiden Seiten her ins Herz eintreten. Auch diese Tiere besitzen keine hemmenden Nerven.2 Nach Schönlein3 vermag die Reizung der von dem Schlundring nach dem Viszeralganglion verlaufenden Nerven keinen bestimmten Erfolg beim häufiger oder regelmäßig schlagenden Herzen der Aplysia hervorzurufen. Dagegen treten bei der Reizung dieses Nerven am langsam schlagenden Herzen im Anschluß zu den Kiemenkontraktionen auch Herzkontraktionen auf, und das Viszeral- ganglion vermag sogar die in situ befindliche ruhende Herzkammer zum Schlagen zu bringen. Während W. Straub seinerseits jeden direkten Nerveneinfluß auf die Herz- tätigkeit der Aplysia verneint4, erwähnen Bottazzi und Enriques5, daß die Reizung der Herznerven oder des viszeralen Ganglions die Herzschläge beschleunigt, bzw. bei stillstehendem Herzen Herzkontraktionen hervorruft. Diese Resultate wurden von Carlson* bestätigt und auch auf Bulla und Pleurobranchea ausgedehnt. Bei Aplysia und Bulla bleiben die Kontraktionen zuweilen 1j2 — 2 Minuten nach dem Ende der Reizung bestehen. Die beschleunigende Wirkung erstreckt sich sowohl auf den Vorhof wie auf die Kammer.7 Bei frischen und kräftigen Präparaten gibt eine schwache tetanisierende Reizung der Nerven eine starke Beschleunigung, so daß eine wirkliche Sum- mation ohne deutliche Tonuszunahme erscheint.8 Eine einzelne Reizung ist nur wenig wirksam; dabei beträgt die Latenz- dauer gewöhnlich mehr wie eine Sekunde. 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 14, S. 51 ; 1905. 2 Carlson, ebenda, 12, S. 58; 1904; — 13, S. 414; 1905. :t Schönlein, Zeitschr. f. Biol., 30, S. 194f.; 1893. 4 W. Straub, Arch. f. d. ges. Physiol., 86, S. 527; 1901; — 103, S. 443; 1904. •r> Bottazzi und Enriques, Arch. ital. de biol., 34, S. 122; 1900. ti Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 58, 63; — 13, S. 416, 421; 1905. • Carlson, ebenda, 13, S. 416; 1905. 8 Carlson, ebenda, 13, S. 417; 1905. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 307 Selbst wenn die Nervenreizung während der Systole oder im Anfang der Diastole stattfindet, ruft sie eine Extrakontraktion hervor.1 Der konstante Strom bewirkt Schließungs- und Öffnungszuckungen; bei genügender Stärke des Stromes wird die Pulsfrequenz während der ganzen Schließungsdauer beschleunigt.2 Die betreffenden Nerven treten in die Kammer an der Aorta, in den Vorhof bei dessen Basis ein.3 Für das Vorhandensein von hemmenden Nerven konnte kein Beweis erbracht werden.4 Reizung der nach dem Herzen verlaufenden Nerven verursacht bei Archi- doris und Montereina nur eine Beschleunigung nebst verstärktem Tonus, bzw. bei stillstehendem Herzen eine Reihe von Pulsationen. Nach der Reizung tritt eine verlängerte Diastole auf, die indessen, nach Carlson5, eine reine Nachwirkung ist und keinen Ausdruck von hemmenden Nerven darstellt. Bei der Triopha kommen dagegen sowohl beschleunigende als auch hemmende Nerven vor (Carlson6). Bei Ariolimax gibt die Reizung der Viszeralnerven eine Beschleunigung der Kammer; wenn diese stillsteht, fängt sie an zu schlagen. Dabei können die Vorhöfe akzeleriert oder auch retardiert werden. Bei stärkeren Strömen wird die Beschleunigung von einer Retardation oder einem diastolischen Still- stand nachgefolgt. Diese Hemmung erscheint auch dann, wenn die primäre Beschleunigung sehr unbedeutend gewesen ist. Bei genügend lange fortgesetzter Reizung kann noch während derselben die normale Schlagfolge wieder erscheinen. In gewissen Fällen wird sogar eine primäre Hemmung der Kammer (Retar- dation und Abnahme der Schlaggröße) beobachtet. Einzelne rhythmisch wiederholte Reize geben zuerst Beschleunigung und dann Abnahme des Kontraktionsumfanges. Sowohl Kammer als Vorhöfe des Ariolimaxherzens dürften also von be- schleunigenden und hemmenden Nerven versorgt werden, obgleich die hemmen- den Nerven der Kammer verhältnismäßig schwach sind (Carlson"7). Auch bei Limax besitzen Vorhof und Kammer hemmende Nerven; der Vorhof außerdem noch beschleunigende Nerven. Es ist indessen wahrscheinlich, daß auch die Kammer von solchen Nerven versorgt wird (Carlson8). Die Reizung der Herznerven von Helix ergab bei den Versuchen von Ransom9 Herzstillstand mit nach der Reizung folgender Beschleunigung. Carlson gelang es auch, beschleunigende Nerven bei diesem Tiere nachzuweisen. Alle beide Arten von Nerven treten in die Kammer vom Aortenende hinein; einige hemmende Fasern kommen außerdem von dem Vorhofe her. Zum Vorhofe gelangen die 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 13, S. 418; 1905. 2 Carlson, ebenda, 13, S. 419; 1905. 3 Carlson, ebenda, 13, S. 416; — 14, S. 51; 1905. 4 Carlson, ebenda, 13, S. 416; 1905; — Bottazzi und Enriques, a. a. O., 34, S. 140; 1900. ö Carlson, ebenda, 12, S. 58; 1904; — 13, S. 422; 1905; — 14, S. 51 ; 1905. 6 Carlson, ebenda, 12, S. 58; 1904; — 13, S.425; 1905; — 14, S. 51; 1905. 7 Carlson, ebenda, 12, S. 59; 1904; -- 14, S. 17f.; 1905; — Zeitschr. f. allg. Physiol., 6, S. 293; 1907. 8 Carlson, ebenda, 14, S. 27; 1905. 9 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 328. 20* 308 Die Innervation des Herzens. Nerven von der Basis. Die hemmenden Nerven sind leichter erregbar und ihre Wirkung kräftiger als die der beschleunigenden Nerven (Carlson1). 3. Lamellibranchiaten. Bei der Reizung des viszeralen Ganglions der Mya, Anodonta und Solen mit tetanisierenden Induktionsströmen beobachtete Yung2 Stillstand des Herzens, welcher noch während der Reizung von einer starken Beschleunigung nachgefolgt wurde. Beim stillstehenden Herzen wurden Kontraktionen durch die Reizung des genannten Ganglions ausgelöst. Dagegen bekam Buddington3 bei der Reizung der viszeralen Nerven an Venus nur Hemmungswirkungen. Nach Carlsons* Versuchen an Mya und Tapes würden diese Tiere wahr- scheinlich nur hemmende Nerven besitzen, welche vom Viszeralganglion nach dem Herzen verlaufen, dort an der Basis der Vorhöfe eintreten und von diesen auf die Kammer übergehen. Die Reizung dieser Nerven bewirkt Stillstand in der Diastole. Nichtsdestoweniger rief die Reizung der Nerven beim stillstehenden Herzen eine Anfangszuckung und dann einen diastolischen Stillstand hervor; nach Ende der Reizung zeigte das Herz eine mehr oder weniger prolongierte rhythmische Tätigkeit.5 Auch beim schlagenden Herzen der Mya ist die Pulsfrequenz nach dem durch die Reizung des Viszeralganglions hervorgerufenen Stillstande etwas größer als vor der Reizung.6 Dies stellt indessen keine direkte Beschleunigung dar, und Carlson kann daher der Angabe von Yung nicht beipflichten. Aus technischen Gründen ist die Untersuchung über den Nerveneinfluß auf die Tätigkeit des Mytilusherzens mit großen Schwierigkeiten verbunden. Infolgedessen konnte Carlson7 an diesem Herzen keine bestimmten Resultate erzielen. Bei Reizung der Viszeralganglien wurden die Herzschläge in der' Regel beschleunigt. Zu gleicher Zeit erschienen aber Kontraktionen in den angrenzenden Organen, und die Beschleunigung konnte daher die Folge des durch diese Kon- traktionen auf das Herz ausgeübten Druckes darstellen. In keinem Falle wurde durch Reizung der Ganglien oder der von ihnen ausgehenden Nerven eine deutliche Hemmung beim Herzen wahrgenommen. Es ist indessen, wie Carlson hervor- hebt, wenig wahrscheinlich, daß diese Tiere keine hemmenden Nerven hätten, da die übrigen Lamellibranchiaten mit solchen ausgerüstet sind. 4. Cephalopoden. Nach Durchschneidung des viszeralen Nerven bei Octopus zeigt sich, sobald die auf die Durchschneidung folgende Hemmungs- wirkung vorüber ist, eine deutliche Beschleunigung der Herztätigkeit, woraus folgt, daß die betreffenden Nerven Hemmungsnerven darstellen, die eine stetige Erregung dem Herzen zuführen (Fredericq8, S. Fuchs*). 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 14, S. 29; 1905; — Comptes rend. de la Soc. de biol., 1906 (1), S. 283. 2 Yung, Aren, de zool. exp., 9, S. 425; 1881. 3 Buddington, Biol. bull., 6, S. 317; 1904; zit. nach Carlson. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 12, S. 58; 1904; — 13, S. 400; 1905. 5 Carlson, ebenda, 12, S. 58; 1904. 6 Carlson, ebenda, 13, S. 400; 1905. 7 Carlson, ebenda, 13, S. 403; 1905. 8 Fredericq, Arch. de zool. exp., 7, S. 556; 1878. 9 S. Fuchs, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 199; 1895. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 309 Dementsprechend erscheint bei Reizung der viszeralen Nerven an Eledone , Loligo und Octopus Hemmung und Tonusabnahme bei der Kammer (Frede- ricq1, Ransom2, S. Fuchs3, Bottazzi und Enriques*, Carlsonr°). Bei männlichen Individuen war, nach Fry*, der rechte Nerv immer un- wirksam; bei weiblichen wirkten dagegen beide Nerven auf das Herz ein, indessen nicht in gleicher Stärke, denn einmal war der rechte, ein anderes Mal der linke Nerv kräftiger. Nach Ende der Reizung nimmt der Tonus wieder zu und die Kontraktionen werden umfangreicher wie auch in der Regel frequenter als vor der Reizung. Wird die Reizung bei unveränderter Stärke wiederholt, so ist die Wirkung zunächst unverändert und als Nachwirkung erscheint die Tonuszunahme und die Beschleunigung. Allmählich treten aber schon während der Reizung Tonus- zunahme und Beschleunigung auf, und schließlich hat der immer unveränderte Reiz schon von Anfang an nur diese fördernden Wirkungen (Fry). Diese Erscheinungen konnten, wie Fry bemerkt, am einfachsten unter der Annahme von zwei Nervengattungen, hemmenden und beschleunigenden, erklärt werden; auch wäre es möglich, daß irgendeine Veränderung des neuromuskulären Mechanismus des Herzens hier vorliegt, und daß also die als Nachwirkung auf- tretende Beschleunigung sich früher geltend machte; oder könnte man mit Ransom annehmen, daß während der Reizung hemmender Nerven Neubildungs- prozesse im Herzmuskel stattfinden würden, durch die nach Ende der Reizung das Herz leistungsfähiger als vorher wäre. Zur Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten bringt Fry folgende Er- fahrungen dar. Reizung der Nerven mit einzelnen Induktionsschlägen gibt einen diastolischen Stillstand von 20—30 Sekunden Dauer; die erste Kontraktion nach dem Still- stande ist dann etwas größer als normal. Während dieses Stillstandes ist indessen die Erregbarkeit bei direkter Reizung des Herzmuskels gar nicht herabgesetzt. Daraus folgt, daß die Ansicht von Ransom nicht haltbar ist, denn sie fordert, daß der Herzmuskel während der Nervenreizung unerregbar sein soll.7 Bei Reizung der Vorhofnerven mit einzelnen Induktionsschlägen zieht sich der Vorhof stärker zusammen, je stärker die Reizung ist. Dabei treten keine Zunahme des Tonus und auch keine Vergrößerung der Kontraktionen nach der Reizung auf. Die Reizung mit schnell nacheinander folgenden Induktions- strömen gibt dagegen einen Tetanus, der von einer langdauernden tonischen Zusammenziehung gefolgt ist. Wird die Kammer währenddessen nahe dem Ursprung der Bauchaorta direkt gereizt, so nimmt der Tonus der Vorhöfe ab; desgleichen, wenn der Nerv schwächer gereizt wird. Beim schlagenden Herzen gibt die Reizung der Herznerven Hemmung der Kammer und tonische Zusammenziehung des gleichseitigen Vorhofes. Nach 1 F reder icq Aren, de zool. exp., 7, S. 556; 1878. 2 Ransom, Journ. of physiol., 5, S. 276; 1885. :> S. Fuchs, a. a. O., 60, S. 191. 4 Bottazzi und Enriques, Arch. ital. de biol., 34, S. 134; 1900. 5 Carlson, Amer. journ. of physiol., 14, S. 37; 1905. 6 Fry, Journ. of physiol., 39, S. 189; 1909. 7 Fry, ebenda, 39, S. 193; 1909. 310 Die Innervation des Herzens. der Reizung erscheinen vermehrter Tonus und Kontraktion bei der Kammer, herabgesetzter Tonus bei den Vorhöfen. Die Hemmung der Kammer ist also nicht die Folge eines Ausbleibens der vom Vorhof fortgeleiteten Reizung, sondern stellt eine direkte Wirkung der betreffenden Nerven auf die Kammer dar. Eine sehr schwache Reizung verursacht bei der Kammer Zunahme des Kontraktionsumfanges und Abnahme des Tonus, bei dem Vorhofe Tonusabnahme. Hieraus folgert Fry, daß ein und derselbe Nerv sowohl eine hemmende als eine fördernde (beschleunigende) Wirkung ausübt, und daß also das Resultat von dem Zustand des Endorgans abhängig ist.1 Dadurch scheint indessen das eventuelle Vorhandensein von zweierlei Nerven keineswegs ausgeschlossen zu sein (Carlson2), und dafür spricht gewissermaßen auch die Erfahrung von Fredericq3, daß beim Octopus eine Reizung der Hohl- vene immer eine primäre Beschleunigung der Herzschläge hervorruft, obgleich er die Möglichkeit zugibt, daß die Wirkung eine Folge der Erregung der genannten Vene sein konnte, sowie Bottazzis und Enriques'* Beobachtung, daß die Reizung des Magenganglions beim stillstehenden Herzen nach einer langen- Latenzdauer Kontraktionen des Arterienstammes hervorruft, welche sich auf die Herzkammer fortpflanzen; bei schlagendem Herzen wird die Frequenz vermehrt, z. B. von 26—28 auf 33—35. Bei den Mollusken gestaltet sich also die Innervation des Herzens in folgender Weise: Bei den niedrigsten Mollusken, den Chitonen, sowie den prosobranchiaten und gewissen opistobranchiaten Gastropoden finden sich nur beschleunigende Nerven. Bei den pulmonaten Gastropoden bekommt das Herz sowohl beschleunigende als auch hemmende Nerven. Bei den Lamellibranchiaten und bei den Cephalopoden sind die hemmen- den Nerven überwiegend; es scheinen aber bei den letzteren wenigstens auch beschleunigende Nerven vorzukommen.2 d) Tunikaten. Nach Zerstörung des hinteren Teiles vom Ganglion oder des vorderen Endes vom viszeralen Nervenstrang bei Molgula manhattensis steht das Herz einige Sekunden in der Diastole still; die danach erscheinenden Schläge sind in der Regel viel seltener als vorher. Allmählich nimmt die Pulsfrequenz zu und wird schließlich ziemlich konstant, ohne indessen die normale Frequenz zu erreichen. Außerdem ist die Herztätigkeit sehr unregelmäßig, indem lange und kurze Schläge, fibrilläre Zuckungen usw. in unregelmäßigem Wechsel mit mehr > oder minder langen Pausen auftreten; die Koordination zwischen den beiden Enden des Herzens ist verloren gegangen und es treten gleichzeitig Kontraktionen an beiden Enden in gleichem oder verschiedenem Rhythmus auf, usw. (Hunter5). . 1 Fry, Journ. of physiol., 39, S. 198; 1909. 2 Carlson, Amer. journ. of physiol., 14, S. 52; 1905. 3 Fredericq, Aren, de zool. exp., 7, S. 556; 1878. 4 Bottazzi und Enriques, a. a. O., 34, S. 135. 5 Hunter, Amer. journ. of physiol., 10, S. 8; 1904. Die Herznerven bei den wirbellosen Tieren. 31 1 Das Herz von Ciona schlägt nach Carbon1 isoliert oder im toten Körper des Tieres stundenlang. Wenn es schließlich aufgehört hat zu schlagen, ruft die tetanisierende Reizung des Gehirnganglions zuweilen eine Reihe von Kon- traktionen hervor. Diese können aber die Folge einer mechanischen Reizung des Herzens durch die Zusammenziehung der umgebenden Körperteile darstellen und beweisen also in bezug auf das Vorhandensein von beschleunigenden Nerven bei diesen Tieren nichts Sicheres. An Salpen bewirkt die mechanische Reizung des Körpers, woselbst sie auch angebracht werden mag, eine Verkürzung der Länge der Pulsationsreihen und also eine schnellere Umkehr der Pulsationen, welche von Nicolai2 als mögliche Folge einer reflektorischen Erregung beschleunigender Nerven aufgefaßt wird. § 69. Hemmungserscheinungen bei direkter Reizung des Herzens von wirbellosen Tieren.3 Bei direkter Reizung des Herzens von Helix pomatia mittels tetanisierender Induktionsströme beobachtete Foster* gewisse Hemmungserscheinungen, und Biedermann5 fand an demselben Objekt, daß, gleichgültig wo die Elektroden an- gelegt werden, bei genügender Stärke der Reizung die Kammer sofort erschlafft und sich mit Blut prall füllt. Dauert die Reizung in gleicher Stärke fort, so beginnen nach einiger Zeit regelmäßige, allmählich beschleunigte Pulsationen. Entsprechende Hemmungserscheinungen sind von Carlson6 an zahlreichen Vertretern der Wirbellosen nachgewiesen worden. Bei allen von ihm untersuchten Mollusken- und Arthropodenherzen fand er nämlich, daß ein einzelner Induktionsschlag, der das pulsierende Herz im Anfang der Systole trifft, den Umfang der schon angefangenen Kontraktion vermindert, ohne dabei notwendig auf den Herztonus oder die Stärke und Frequenz der folgenden Herzschläge einzuwirken. In der Regel treten hierbei aber eine Verkürzung der folgenden Diastole und eine tonische Kontraktion auf, seltener eine Verlängerung der Diastole mit Tonusabnahme (Mytilus, Ischnochiton, Ario- limax, Limax, Helix, Epialtus, Palinurus, Aplysia). Um diese Wirkung hervorzurufen, muß die Reizung ziemlich kräftig sein. Wenn die gleiche Reizung am Ende der Systole oder während der Diastole bzw. der Pause eintrifft, ruft sie eine Extrasystole hervor. Die betreffende Hemmungswirkung kommt auch dann zum Vorschein, wenn ein Extrareiz während einer künstlich hervorgerufenen Kontraktion das Herz trifft. Wenn das Herz von Lamellibranchiaten, Gastropoden und Octopus während eines prolongierten Tonus mit einem einzelnen Induktionsschlag direkt gereizt wird, so erschlafft der Muskel. Die Tonusabnahme geht indessen binnen kurzem wieder vorüber. Eine stärkere Reizung ruft dagegen eine weitere Zunahme des Tonus oder der Zusammenziehung hervor. 1 Carlson, Amer. journ of physiol., 12, S. 57; 1904. 2 Nicolai, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1908, Suppl., S. 109. 3 Über die Hemmungswirkungen des konstanten Stromes vgl. oben II, S. 23. 4 Foster, Arch. f. d. ges. Physiol., 5, S. 191; 1872; — Foster und Dew Smith, Proc. of the Royal Society, 23, S. 318; 1875. 5 Biedermann, Sitz.-Ber. der Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. Kl., 89 (3), S. 44; 1884 6 Carlson, Amer. journ of physiol., 16, S. 100; 1906. 312 Die Innervation des Herzens. Die Latenzdauer ist für die Relaxation größer als für die Kontraktion und beträgt bei Mya 0,5 — 1,0 Sekunde, bei Limax 0,1 Sekunde, bei Ariolimax 0,5 Sekunde, während die Latenzdauer der Herzkontraktion bei diesen Tieren nur 0,02 Sekunde ausmacht. Beim stark kontrahierten, gefüllten Aplysia- herzen war die Latenzdauer in beiden Fällen gleich groß. Vor der Relaxation erscheint zuweilen eine äußerst kleine Kontraktion — es ist nicht unmöglich, daß eine solche auch in anderen Fällen vorgekommen ist, obgleich sie nicht hat registriert werden können. Die hier beschriebene hemmende Wirkung eines einzelnen Induktions- schlages konnte nicht bei den Herzen von Loligo, den dekapoden Krustazeen und den Tunikaten nachgewiesen werden. Bei der Reizung mit schnell nacheinander folgenden Induktionsströmen sind ähnliche Hemmungserscheinungen bei allen in dieser Hinsicht untersuchten Krustazeen und Mollusken wie wahrscheinlich auch Tunikaten nachgewiesen worden. Die Hemmung gibt sich hier teils durch Abnahme der Frequenz und des Umfanges der Herzschläge bis zum vollständigen diastolischen Stillstand, teils durch Verminderung des zurzeit stattfindenden Tonus zu erkennen.1 Zur theoretischen Deutung dieser Erscheinungen kommt entweder die Reizung intrakardialer hemmender Nerven oder auch die direkte Wirkung des Stromes auf die Herzmuskulatur in Betracht. Für einen nervösen Ursprung der Hemmung spricht der Umstand, daß diese leichter bei der Kammer von Helix und Limax als bei der von Ariolimax er- halten wird, was in Übereinstimmung damit steht, daß die Hemmungsapparate der Herzkammer bei jenen stärker entwickelt sind als bei diesem. Dasselbe gilt von Mya im Vergleich mit Mytilus: erstere hat hemmende Nerven, beim Mytilus sind solche nicht nachgewiesen worden. Bei dem Krustazeenherzen tritt die Hemmung am leichtesten bei kräftigen Präparaten ein; dies könnte damit in Zusammenhang gebracht werden, daß die hemmenden Nerven nach der Freilegung bald sterben. Gegen den nervösen Ursprung spricht, daß die Hemmung auch bei Herzen erhalten wird, die, so viel man weiß, keine hemmenden Nerven besitzen (Chitonen, Tectibranchiaten); daß sie bei einer Reizungsstärke erscheint, welche den Muskel direkt affiziert, wie aus den bei der Reizung erscheinenden äußerst kleinen Kontraktionen folgt; daß bei einigen Herzen die Hemmung erst bei Strömen auftritt, die stärker sind als diejenigen, welche genügen, um einen beschleunigten Rhythmus hervorzurufen.2 Wenn hemmende Nerven hierbei tätig werden sollten, würden die Versuche also beweisen, daß ihre Reizbarkeit kleiner wäre als die des Herzmuskels und der motorischen Nerven. Nach weiteren Überlegungen und unter Hinweis darauf, daß die hemmenden Nerven beim Limulusherzen auf dessen Ganglienzellen einwirken, sowie daß die hier erörterten Hemmungserscheinungen auch bei Herzen, die keine hem- menden Nerven besitzen, vorkommen, gelangt Carlson3 schließlich zu dem 1 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 6, S. 287; 1907. 2 Carlson, ebenda, 6, S. 303; 1907; — Amer. journ. of physiol., 16, S. 108. 3 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 6, S. 310; 1907. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 313 Resultate, daß eine Lähmung derjenigen Ganglienzellen, welche die Träger der Herzautomatie sind, hier vorliegt. Daß dies indessen bei Herzen, wo keine Ganglienzellen bis jetzt nach- gewiesen worden sind, nicht zutreffen kann, ist selbstverständlich. Bei ihnen wenigstens muß man also bis auf weiteres eine direkte Hemmungswirkung auf die Muskulatur annehmen. Einundzwanzigstes Kapitel. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. § 70. Kurze anatomische Übersicht. a) Der periphere Verlauf der Herznerven. Die folgende Zusammenstellung beabsichtigt nur, den extrakardialen Verlauf der Herznerven bei den Tieren — dem Frosch und der Schildkröte, dem Kaninchen, der Katze und dem Hunde — , an welchen eingehendere physiologische Versuche über die Innervation des Herzens ausgeführt worden sind, in aller Kürze zu beschreiben. Beim Frosch werden Nervenfasern dem Herzen nur durch den Vagus zu- geführt. In dessen Bahn verlaufen jedoch, wie Gaskell und Gadow1 angeben, schon von Anfang an auch sympathische, den drei obersten Ganglien des Grenz- stranges entstammende Fasern, welche sich zwischen dem Vagusganglion und dem Rückgrat mit dem Vagus vereinigen. Nach Langley und Orbeli2 kommen Herznerven im 1. Rückenmarksnerven nicht vor, sind aber in vielen Fällen im 4. Nerven anwesend. An der Hinterwand des Sinus venosus angelangt, verlaufen die Nerven beider Seiten aufeinander zu, um in der Nachbarschaft der V. pulmonalis in die kraniale Wand des Sinus venosus selbst einzudringen. Hier bilden beide Nerven einen gangliösen Plexus, als dessen Fortsetzungen die beiden Scheidewandnerven sich darstellen (Gaupp3; weiteres s. oben II, S. 95). Das Herznervensystem der Schildkröte ist in neuerer Zeit von Gaskell und Gadow4, Mills und Kronecker5, Kazem-Beck6, Dogiel und Archangelsky1 näher untersucht worden. Nach den letzterwähnten Autoren bildet der Vagus der Emys caspica (Fig. 311) bei seinem Austritt aus der Schädelhöhle eine Anschwellung, von welcher u. a. der Depressor abgeht. In der Brusthöhle entsendet er ein oder zwei kleine Äste zum Herzen, welche längs den Lungenvenen zum Pericardium verlaufen, dasselbe durchsetzen und zu dem Hohlvenensinus gelangen. Über deren weiteren Verlauf vgl. die Arbeit von Dogiel und Archangelsky. Der N. sympathicus erscheint bei der Schildkröte in der Halsregion ent- weder mit dem Vagus eng verbunden, oder er hat einen fast ganz isolierten 1 Gaskell und Gadow, Journ. of physiol., 5, S. 368; 1884. 2 Langley und Orbeli, Journ. of physiol., 41, S. 458; 1911. 8 Gaupp, Anatomie des Frosches, 2. 2. Aufl. Braunschweig 1899, S. 269. 4 Gaskell und Gadow, Journ. of physiol., 5, S. 366; 1884. 5 Mills und Kronecker, ebenda, 5, S. 359. 6 Kazem-Beck, Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 1888, S. 338. 7 Dogiel und Archangelsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 21; 1906. 314 Die Innervation des Herzens. Fig. 31 1. Herznervensystem bei Emys caspica. [ Nach Dogiel und Archangelsk}/ •. Gs, Gangl. cerv. sup. ; G. V., Oangl. N. vagi ; V, N. vagus; S, N.sympathicus; Gcf, Qangl. cerv. inf. ; Gttn, Oangl. med. ; Gt, Gangl. thor. prim. und Plexus brach.; RrV, Rami N. vagi; a, das Herz; aC, Carotis. Verlauf, oder endlich er gesellt sich dem Vagus bei, um ihn dann aufs neue zu verlassen. In der Höhe des 5. oder 6. Halswirbels trennt er sich vom Vagus, indem er einen lateral und abwärts gerichteten Ver- lauf einschlägt. Von dessen Ganglien gehen in be- trächtlicher Anzahl sehr dünne Nervenfäden zum Herzen ab. Am konstantesten ist ein Ast vom ersten Brustganglion zum Herzen. Einige vom Sympathicus stammenden Nervenfäden dringen im Vagus bis unterhalb des unteren Halsganglions vor. Der N. vagus zieht bei den Vögeln1 nach seinem Austritt aus der Schä- delhöhle in der Rich- tung zumHerzen herab; in der Nähe des Herzens angelangt, sendet er zuerst den N.laryngeus recurrens ab, und dann einen Zweig zur Atrio- ventrikularfurche. Der linke Vagus liefert Nervenfäden zu der vorderen Herzober- fläche, der rechte zu der hinteren. Vom obersten sym- pathischen Halsgang- lion gehen u. a. Fort- sätze nach dem Herzen. Der Herzplexus wird nun durch diese Äste des Vagus und des Sympathicus gebildet. Diese gehen nahe der Spaltungsstelle der Trachea vorbei und verästeln sich von da aus größtenteils an den Vorhöfen , indem sie hierbei einen sehr an- sehnlichen, über die Fig.312. Die Herznerven des Hundes. Nach Dogiel. n. V., N. vagus; Are. R, Arcus N. recurrentis N. vagi; g. S, Gangl. cerv. inf. N. sympa- thici; a. S, A. subclavia; a. C, A. carotis; V.J., V. jug.; V. V. V., V. pulmonaljs; A, Aorta; Tr., Trachea; Oe., Ösophagus; s, N. sympathicus. Vorhöfe verbreiteten Plexus bilden, dessen Nervenfäden sich zwischen den Muskeln der Vorhöfe und der Herzohren verlieren. Die Kammerbasis wird gleichfalls von einem Plexus umringt, dessen Nervenfäden von den Nerven der Aortabasis und der 1 Dogiel und Archangelsk)!, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 31; 1906. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 315 Vorhöfe entstammen. Dieser Plexus verteilt sich hauptsächlich entsprechend dem Verlaufe der Kranzgefäße, welche bis an die Herzspitze von dem Plexus begleitet erscheinen. Von dem Plexus spalten sich in großer Menge Nerven- fäden ab, welche zum Teil längs des Verlaufes der Blutgefäße, teils aber auch unabhängig von diesen sich über die ganze Kammerober- fläche zerstreuen. Der Vagus verläuft beim Hunde1 zu- sammen mit dem Halssympathicus vom obersten bis zum untersten Halsganglion. Die Herzfasern des Vagus gehen teils von dessen Stamm, teils unter Vermittlung des N. laryngeus inferior zum Herzplexus. Zu diesem gelangen die sympathischen Fasern vom unteren Hals- und obersten Brust- ganglion, oder von der Verbindung derselben, welche die A. subclavia umschlingt (Ansa Vieussenii; vgl. Fig. 312). Das erste Brust- ganglion erhält aus den unteren Halsnerven zwei Wurzeln, von welchen die kürzere anfangs mit der A. vertebralis verläuft und daher als N. vertebralis bezeichnet wird. Ferner bekommt es Fasern aus den Rami communicantes der obersten Wurzeln des Brustmarkes. Auch bei der Katze2 (Fig. 313) verläuft der Vagus vom obersten Halsganglion, nahe verbunden mit dem Sympathicus, bis zur oberen Brustapertur, wo die beiden Nerven sich wieder trennen. An der Lungenwurzel teilt sich der Vagus in zahlreiche Äste, welche auch den Plexus cardiacus versorgen. Die sympathischen Herznerven gelangen zum Herzplexus teils vom untersten Abschnitt des Halssympathicus, kurz bevor dieser sich vom Vagus trennt, teils von dem mit dem ersten Brustganglion verschmolzenen Ganglion cervicale inferius. Beim Kaninchen3 sind Vagus und Hals- sympathicus voneinander vollständig getrennt und ersterer sendet teils durch den N. laryngeus inf., teils durch einen besonderen Ast, den N. depressor, Äste Fig. 313. Die Herznerven der Katze an der linken Seite. Nach Dogiel und Archangelsk}/ . vs, Vagosym- pathicus; ac, A. carotis; T, Trachea; S, N. sympathicus; G.c.inf., Ganglion cervicale infimum (medium); G.h.p., Ganglion thor. prim.; n. c, N. depres- sor; v, N. vagus; u.a., A. anonyma; ar. a., Arcus aortae; C, Herz. 1 Dogiel und Archangelsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 39; 1906; — Dogiel, ebenda, 142, S. 112; 1911; — 155, S. 351; 1914; — Schmiedeberg, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., 1871, S. 148; — Ellenberger und Baum, Anatomie des Hundes. Berlin 1891, S. 530; — Keng, Journ. of physiol., 14, S. 467; 1893. 2 Dogiel und Archangelsky, a. a. O., 113, S. 46; — Reighard und Jennings, Anatomy of the cat. New York 1901, S. 380, 405. 3 Krause, Anat. des Kaninchens. 2. Aufl. Leipzig 1884, S. 316. 316 Die Innervation des Herzens. zum Plexus cardiacus, welcher andererseits vom Ganglion cervicale inf. und Ganglion thoracicum I sympathische Nerven empfängt (vgl. Fig. 314). Über den Verlauf der Herznerven beim Menschen ist folgendes zu erwähnen. Die Herznerven des Vagus sind: 1. Die Rami cardiaci superiores, zwei bis drei an Zahl; sie entspringen in verschiedenen Höhen aus dem zwischen den beiden Nn. laryngei gelegenen Abschnitte des Vagus und ziehen sich längs der Carotis communis nach der oberen Brustapertur herab. Der oberste dieser Herznerven kommt häufig ganz oder zum Teil aus dem Anfange des N. laryngeus superior. Schon im unteren Halsgebiet verbinden sie sich mit Herzzweigen des Sympathicus. 2. Die Rami cardiaci in- feriores, von schwankender Zahl. Sie gehören ganz dem Brustteile des Vagus an und ent- springen teils aus dem Vagus selbst, teils aus dem Anfange des N. laryngeus inferior. Sie verbinden sich untereinander, sowie mit den Herzästen des Sympathicus und den oberen des Vagus. Die Herznerven des Sympathicus sind: 1. Der N. cardiacus superior, welcher vom distalen Teile des Ganglion cervicale supremum entsteht und sich öfter durch Fäden vom Stamme des Sympathicus selbst verstärkt. 2. N. cardiacus medius, welcher mit mehreren Wurzeln aus dem Ganglion cervicale medium oder, falls dies fehlt, direkt aus dem Stamme des Halssympathicus entspringt. 3. N. car- diacus inferior, welcher gewöhnlich mit mehreren Wurzeln vom untersten Hals- und ersten Brust- ganglion entspringt. Zuweilen verläuft der aus dem ersten Brustganglion entspringende Faden einige Zeit selbständig. Häufig verbindet sich der untere Herznerv bald nach seinem Ur- sprünge mit dem mittleren zu einem starken Stamme. Der aus diesen Nerven gebildete Plexus cardiacus setzt sich aus einem schwächeren oberflächlichen und einem stärkeren tieferen Teile zusammen. Ersterer liegt vor, letzterer hinter dem Aortabogen; beide treten aber am unteren Rande des letzteren miteinander in Verbindung. Das oberflächliche Herzgeflecht enthält das Ganglion cardiacum s. Wrisbergi. Von den beiden Abteilungen des Plexus cardiacus entwickeln sich unter anderen direkte Zweige nach der Wand der Vorhöfe, der Plexus coronarius dexter und sinister.1 Fig. 314. Die Herznerven des Kanin- chens. Nach Ludwig. Csd, V. cava sup. dextra; Css, V. cava sup. sinistra; Vsd, V. subclavia dextra ; Vss, V. sub- clavia sinistra; Vje, Vje' , V. jugularis ext. dextra und sinistra; Gci, Gan- glion cervicale inferius; 5,5', N. sym- pathicus dexter und sinister; Rc, Rami cardiaci N. vagi dextri und sinistri, mit den Nn. sympathici verlaufend; V„ V, N. vagus dexter und sinister. Vgl. Schwalbe, Lehrb. d. Neurol. Erlangen 1881, S. 879, 1003. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 317 Nach Perman1 innervieren die beiden Plexus coronarii die ventrale und laterale Wand der Kammern, aber von der dorsalen Wand nur den lateralsten Teil. Von denselben geht nur ausnahmsweise ein sehr schwacher Zweig längs einem der großen Äste der Kranzarterien nach dem mittleren Teile der dorsalen Wand der Kammern. In den allermeisten Fällen entsandten diese Plexe keine Äste nach den Vorhöfen. Die dorsale Wand der Vorhöfe erhält ihre Nerven durch das Mediastinum und diese bilden daselbst einen großen Plexus. Häufig können indessen ein oder ein paar Nerven beobachtet werden, die sich nicht in diesen Plexus zersplittern, sondern durch ihn an die dorsale Wand der Kammern hinunter laufen. Gewöhnlich ist der Plexus über dem Vorhofseptum am stärksten. Von den ihm zugehörigen Ganglien gehen Äste über den Sulcus coronarius auf die Dorsalwand der Kammern hinunter. Wahrscheinlich gehen von diesem Plexus auch die Nerven des atrioventrikulären Verbindungsbündels aus. Von den subperikardialen Nerven dringen nur feine Äste in den Herzmuskel hinein. b) Die Kopfmarkwurzeln der hemmenden Nerven bei den Säugetieren. Da der Vagus Fasern aus dem X. und XI. Paar der Gehirnnerven bekommt, suchte Waller unter Anwendung der Degenerationsmethode die Frage zu ent- scheiden, welcher Nervenwurzel die daselbst enthaltenen hemmenden Fasern ent- stammen. Zu diesem Zwecke riß er, hauptsächlich am Kaninchen, die Accessorius- wurzel im Foramen jugulare heraus und prüfte 10 — 12 Tage später die Erreg- barkeit des peripheren Endes vom entsprechenden Vagus. Dabei fand er, daß die Reizung jetzt keine Wirkung mehr auf die Herzfrequenz ausübte, weshalb er folgerte, daß die hemmenden Fasern dem Accessorius entstammen.2 Zu dem gleichen Resultate gelangten auch Schiff3, Heidenhain*, Fr.-Franckr> und Cadrnan6. Heidenhain bemerkt noch, daß die Frequenz der Herzschläge unmittelbar nach der Herausziehung des Accessorius in der Regel sehr beträchtlich zunimmt. Demgegenüber gab Gianuzzi an, daß beim Kaninchen die Vagusreizung 4 — 14 Tage nach der Ausrottung des Accessorius noch wirksam ist und daß also sowohl der Vagus als auch der Accessorius hemmende Fasern dem Herzen zuführen.7 Nähere Untersuchungen über diese Frage wurden dann von Grossmann ausgeführt.8 Da Glossopharyngeus, Vagus und Accessorius schon bei ihrem 1 Perman, Nordiskt medicinskt arkiv, inre medicin. 51, Nr. 17; 1919; — Anatomiska undersökningar öfver hjärtnerverna hos högre däggdjur. Stockholm 1920. 2 Waller, Gaz. med. de Paris, 1856, S. 420. 3 Schiff, Lehrb. d. Physiol., 1. Lahr 1858—1859, S. 420. 4 Heidenhain, Studien des physiol. Inst, zu Breslau, 3, S. 109; 1865. 5 Fr.-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 2, S. 264; 1876. 8 Cadman, Journ. of physiol., 26, S. 45; 1900. 7 Gianuzzi, Ricerche eseguite nel gabinetto di fisiologia di Siena 1871 — 1872. Siena- Roma, S. 3. 8 Grossmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 59, S. 1; 1894. 318 Die Innervation des Herzens. Austritt in innige anatomische Beziehungen zueinander treten und die Frage nach dem Anteil, den jeder dieser Nerven bei der Versorgung der zahlreichen von ihnen innervierten Organe nimmt, in sehr verschiedener Weise beantwortet worden ist, ist es am zweckmäßigsten, dieselben als ein Ganzes zusammenzufassen und bei ihnen nach der Lage der Bündel beim Austritt aus dem Kopfmark drei Bündel (oberes, mittleres und unteres) zu unterscheiden. Das obere läßt sich als N. glossopharyngeus beim Affen und Menschen leicht von den anderen trennen. Das untere Bündel ist der äußere Zweig des N. accessorius, welcher die Mm. cucullaris und sterno-cleido-mastoideus innerviert. Es bleibt also das aus den Nn. vagus und acces- sorius (R. internus) gebildete Bündel übrig, in welchem das voroberste (der Vagus der Anatomen) und das mittlere Bündel unterschieden werden. Nun zeigte Grossmann am Kaninchen, daß die hemmende Wirkung auf das Herz nur dann erhalten wurde, wenn die untersten Fasern des mitt- leren Bündels oder die obersten Fasern des unteren gereizt wurden (Fig. 315). Hier und da kam es aber vor, daß durch Reizung auch der höher gelegenen und zuweilen selbst im oberen Bündel ver- laufenden Fasern dieselben „ 01C n . iv v j vi r u- Erscheinungen hervorgerufen Fig. 315. Der Austritt des IX., X. und XI. Gehirnnerven ö . ö beim Kaninchen. Nach Grossmann, a, oberes; b, mittleres; wurden. Es war also im großen c, unteres Bündel; x, Herzhemmungsfasern. un(j ganzeri der „Vagus" der Hemmungsnerv des Herzens. Vas1 durchtrennte beim Hunde beide Accessoriuswurzeln in der Schädel- höhle und konnte dabei keinen Einfluß auf die Pulsfrequenz beobachten, während die nachfolgende Durchschneidung des Vagus bzw. der Vaguswurzeln die ge- wöhnliche Beschleunigung hervorrief. Der Hauptsache nach damit übereinstimmend, bemerken Schaternikoff und Friedenthal2, daß beim Kaninchen, Hunde und Affen weder das oberste Bündel Grossmanns noch der Accessorius in der Regel hemmende Nerven führt. Beim Affen entstammen die hemmenden Herznerven dem mittleren Wurzel- bündel (Kreidl3). Die abweichende Angabe von Vas ließe sich vielleicht dadurch erklären, daß dieser Autor nicht alle Fasern durchriß, um so mehr, als diese schon ganz nahe am Vagus liegen und möglicherweise von ihm bereits zum Vagus gerechnet wurden (Kreidl). 1 Vas, Ungar. Arch. f. Med., 3, S. 129; 1894. 2 Schaternikoff und Friedenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 53. 3 Kreidl, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 106 (3), S. 227; 1897. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 319 Bei den Fischen sind die hemmenden Fasern in dem 5. oder 6. Nerven- bündel, von dem distalen Ende des Gesamtbündels an gerechnet, enthalten (Kreidl1). §71. Das Vorkommen der hemmenden Nerven bei verschiedenen Wirbeltieren. Daß der Vagus hemmende Nerven für das Herz führt, und daß dessen Reizung eine Retardation der Herzschläge, bzw. einen Stillstand des Herzens hervorruft, ist bei fast allen darauf untersuchten Wirbeltieren festgestellt worden. Nur bei den Zyklostomen Bdellostoma Dombeyi und Entosphenus tri- dentatus (beim letzteren konnte nur das Larvalstadium untersucht werden) wird diese Wirkung vermißt, indem weder Greene2 noch Carlson3 bei Reizung des Gehirns, des Rückenmarkes oder der Vagi irgendwelche Hemmungserscheinun- gen am Herzen dieser Tiere wahrnehmen konnten. Dagegen ruft ein einzelner Induktionsschlag, der die Kammer des Bdello- stomaherzens im Anfang der Systole trifft, ganz wie dies bei dem Mollusken- und Arthropodenherzen (s. II, S.311) der Fall ist, eine Hemmung hervor, indem sowohl die schon begonnene Systole als auch die während 10 — 30 Sekunden danach folgenden Kontraktionen an Umfang vermindert werden. Dabei ist die Schlagfrequenz in der Regel unverändert, kann aber auch unbedeutend beschleunigt oder verlangsamt sein.4 Ein tetanisierender Strom von genügender Stärke gibt an der Kammer wie am Vorhof Hemmung der Herzschläge und Zunahme des Tonus; trotz fort- gesetzter Reizung nimmt indessen der Tonus schon innerhalb 20 — 30 Sekunden wieder ab.5 Die also stillstehende Kammer ist noch für eine vom Vorhofe aus kommende Reizung erregbar.6 Eine nähere Untersuchung der betreffenden Hemmungserscheinungen ergibt, daß dabei die Erregbarkeit, das Leitungsvermögen, die Kontraktilität und die Schlagfrequenz abnehmen. Daß hier eine direkte Einwirkung auf die Herzmuskulatur vorliegt, schließt Carlson auf Grund dessen, daß die zur Erzeugung der Herzhemmung notwendige Stärke des tetanisierenden Stromes an und für sich gut zur Auslösung von Herz- kontraktionen genügte, wenn diese nicht gerade wegen der Hemmung ausbleiben sollten7. Bei dem diesen Fischen so nahe stehenden Ichtymyzon (castaneus und concolor) ergab merkwürdigerweise die Reizung des Kopfmarkes am Niveau des Vagusursprunges einen 5 — 10 Sekunden, selten länger dauernden diastolischen Herzstillstand. Bei stärkerer Reizung wurden die Herzschläge beschleunigt (Carlson8). 1 Kreidl, Aren. f. d. ges. Physiol., 77, S. 199; 1899. 2 Greene, Amer. journ. of physiol., 6, S. 320; 1901. 3 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 4, S. 259, 263; 1904. 4 Carlson, Zeitschr. f. allg. Physiol., 4, S. 274; 1904. 5 Carlson, ebenda, 4, S. 278. 6 Carlson, ebenda, 4, S. 281. 7 Carlson, ebenda, 4, S. 285. 8 Carlson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 230; 1906. 320 Die Innervation des Herzens. Bei den Elasmobranchiern wurde die hemmende Wirkung des Vagus von Cadiat1, Schönlein und Willem2, Kreidl3, Bottazzi* und Queen5 nachgewiesen. Daß auch bei den Teleostiern das Herz hemmende Nerven durch den Vagus bekommt, wurde von C. E. Hoff mann* , Mac William7 , Thesen8 und Kolff* beobachtet. Die Hemmungswirkung des Vagus auf das Froschherz ist schon oben (II, S. 288) erwähnt worden. Babak und Boucek10 haben an Froschlarven die Entwicklung der hemmenden Nerven physiologisch untersucht und dabei gefunden, daß von 17 jungen Kaul- quappen von Rana esculenta, welche noch keine Beine besaßen, nur bei einem einzigen Individuum eine Verlangsamung der Herzschläge reflektorisch, dagegen dreimal vom Kopfmark aus ausgelöst werden konnte. Von 1 1 weiteren Ent- wicklungsstufen, bei denen die hinteren Extremitäten begannen hervorzusprossen oder bereits höher ausgebildet waren, konnte achtmal eine deutliche Vagus- wirkung vom Kopfmark aus erzielt werden, wogegen die reflektorische Hemmung nur einmal verzeichnet wurde. Bei weiter fortgeschrittener Metamorphose war die hemmende Tätigkeit des Vagus ganz regelmäßig vorhanden. Bei Rana fusca verlief die Entwicklung der Hemmungsfunktion viel langsamer. Bei den übrigen Amphibien wie bei den Reptilien sind die hemmenden Wirkungen des Vagus in zahlreichen Versuchen nachgewiesen worden. Bezüglich der Vögel lehrte R. Wagner11, daß die Vagusreizung in der Regel eine Verlangsamung und nur ausnahmsweise einen Stillstand hervorrief, und Claude Bernard12 erwähnt ausdrücklich, daß er bei diesen Tieren nie einen Herz- stillstand bei Vagusreizung bemerkt hat. Ebenso bemerken Couvreurlz, Knollli, Thebault15, daß sie bei Vögeln (Huhn, Ente) durch die Vagusreizung nur eine Retardation der Herzschläge, aber nie einen Herzstillstand erzielt haben. Demgegenüber hoben Einbrodt16 und später R. Wagner17 wie A. B. Meyer18 und Jürgens19 hervor, daß eine tetanisierende Vagusreizung bei den Vögeln ebenso wie bei den übrigen Wirbeltieren einen Herzstillstand hervorbringt, obgleich dieser in vielen Versuchen bei den Vögeln eine viel kürzere Zeit als bei den Säuge- tieren dauert. I Cadiat, Comptes rend. de l'Acad. des rciences, 88, S. 1136; 1879 (Scyllium canicula). - Schönlein und Willem, Zeitschr. f. Biol., 32, S. 538; 1895 (Scyllium, Torpedo). :i Kreidl, Arch. f. d. ges. Physiol., 77, S. 197; 1899 (Scyllium, Mustelus, Raja, Torpedo). 4 Bottazzi, Zentralbl. f. Physiol., 14, S. 665; 1901 (Scyllium). 5 Queen, Zeitschr. f. Biol., 62, S. 32; 1913 (Raja). H C. E. Hoffmann, Beitr. z. Anat. u. Physiol. d. Vagus bei Fischen. Gießen 1860, S. 17. 7 Mac Williarn, Journ. of physiol., 6, S. 217; 1885 (Aal). * Thesen, Arch. de zool. exp. (3), 4, S. 116; 1896. 9 Kolff, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 82; 1908 (Telestes, Barbus). 10 Babak und Boucek, Zentralbl. f. Physiol., 21, S. 513; 1907. II R. Wagner, Neurologische Untersuchungen. Göttingen 1854, S. 149. 12 Cl. Bernard, Lec/ms sur la Physiologie du Systeme nerveux, 2. Paris 1858, S. 394. 13 Couvreur, Ann. de l'Universite de Lyon, 2. 1892. 14 Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 591; 1897. 15 Thebault, Ann. des sciences nat., zool., (8) 6, S. 134, 142, 220; 1898. Bei einem Hahn bekam Thebault dennoch einen diastolischen Herzstillstand bei der Vagusreizung. 16 Einbrodt, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1859, S. 443. 17 R. Wagner, ebenda, 1860, S. 256. 18 A. B. Meyer, Das Hemmungsnervensystem des Herzens. Berlin 1869, S. 70. 19 Jürgens, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 512; 1909. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 321 Daß sich verschiedene Vogelarten hierbei sehr verschieden verhalten, zeigten dann Battelli und Stern1 durch Hinweis auf die außerordentlich große Leistungs- fähigkeit der hemmenden Nerven bei der Ente. Sie stellen diese Erscheinung in Zusammenhang mit der Lebensweise der Ente: beim Tauchen unter Wasser werden die Herzschläge auf reflektorischem Wege retardiert und infolgedessen der Sauerstoffverbrauch herabgesetzt. Neue Erfahrungen von Stübel2 ergaben indessen, daß diese Auffassung kaum haltbar ist. Allerdings konnte Stübel die außerordentlich große Wider- standsfähigkeit des Herzvagus bei der Hausente bestätigen; bei der wilden Stockente war aber der Vagus weniger aushaltend, und andererseits zeigte er sich bei mehreren Raubvögeln — Bussard, Habicht, Milan — und auch bei der Sturmmöve ebenso kräftig wie bei der Hausente. Ziemlich gering stellte sich auch in diesen Versuchen die Hemmungswirkung bei den Hühnern dar. Ganz unbedeutend war sie bei der Saatkrähe, der Nebelkrähe und der Dohle, bei denen nur eine unbedeutende Abnahme der Pulsfrequenz durch die Vagusreizung erzielt werden konnte. Beim Küchlein im Ei konnte Bottazzi3 am 18. — 20. Tage der Bebrütung keine hemmende Herzwirkung mit Sicherheit nachweisen; eine solche trat aber in voller Schärfe bei neugeborenen Küchlein von 7 — 8 Stunden Alter hervor. Indessen gibt Pickering1 an, daß er bei elektrischer Reizung des Hühner- herzens bei Embryonen von 200 Stunden Alter Hemmungserscheinungen wahr- genommen hat. Über das Vorkommen hemmender Nerven bei den Säugetieren ist nur zu bemerken, daß sie auch bei den Marsupialien (Didelphys virginiana) stark aus- gebildet vorkommen (Hunt und Harrington5). Beim Murmeltier (Marmotta monax) besteht der Halsvagus aus zwei bis drei verschiedenen Bündeln, die ohne Schwierigkeit voneinander isoliert werden können; eines von ihnen enthält die herzhemmenden Fasern, während die anderen an solchen vollständig frei sind (Simpson und Mayes*). Daß der Vagus beim Menschen dieselbe hemmende Einwirkung wie bei den anderen Säugetieren ausübt, können wir von vornherein annehmen, und dies wird auch durch direkte Beobachtungen dargetan. So erhielt Henle7 an einem Enthaupteten, dessen rechter Vorhof noch regelmäßige Kontraktionen ausführte, bei Vagusreizung einen typischen Stillstand. Am lebenden Menschen ist dasselbe von CzermakH, Thanfwffer9, Quincke10, Malerba11, Wasilewsky12, Car- 1 Battelli und Stern, Comptes rend. de la Soc. de biol., 65, S. 505; 1908. 2 Stübel, Aren. f. d. ges. Physiol., 135, S. 295; 1910. 3 Bottazzi, Sviluppo embrionale della funzione motoria negli organi a cellule muscolari. Florenz 1897, S. 113. 4 Pickering, Journ. of physiol., 20, S. 187; 1896. 5 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 712; 1897. 6 Simpson und Maves, Proc. of the Society of exp. biol. (New York), 8, S. 7; 1910. 7 Henle, Zeitschr. f.' rat. Med., N. F., 2, S. 299; 1852. 8 Czermak, Prager Vierteljahrsschrift, 100, S. 30; 1868. 9 Thanhofjer, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1875, S. 405. 10 Quincke, Berl. klin. Wochenschr., 1875. 11 Malerba, Archives de physiol., 1875, S. 765. 12 Wasilewskv, Krakauer med. Wochenschr., 1876, Nr. 31; zit. nach dem Jahresber. d. Anat. u. Physiol.', 1876 (2), S. 54;. Ti gei steiit, Kreislauf. II. 2. Aufl. 21 322 Die Innervation des Herzens. darelli1, Robinson und Draper2, Ritchie3, Rihl\ v. Hoesslin5, Weil6 durch mechanische Reizung des Vagus am Halse und von Masoin1 an einem Kranken, wo eine Geschwulst den rechten Vagus komprimierte, nachgewiesen worden. Czermak übte an der rechten Seite seines Halses, da, wo die A. carotis unter dem oberen Rande des M. sterno-cleido-mastoideus hervortritt, einen Druck aus. Infolge der Vagusreizung wurden die Herzschläge in einem erheblichen Grade verlangsamt. Diese Erscheinung war nicht von irgendeinem direkten Einfluß auf die A. carotis oder die V. jugularis bedingt, denn ein Druck, welcher auf diese Gefäße an anderen Stellen ihres Verlaufes am Halse ausgeübt wurde, rief keine ähnliche Veränderung in der Schlagfolge des Herzens hervor. Bei Thanhoffers Versuch wurde an einem jungen Manne eine Druckreizung der beiden Vagi am Halse ausgeführt. Die dabei erhaltene Pulskurve zeigt, daß vom Augenblick des Druckes der Hebel herabsank, 67 Sekunden später eine kleine Elevation machte, dann stillstand und somit auch das Herz zum Stillstand gebracht worden war. Plötzlich erschienen Bewußtlosigkeit und krampfartige Bewegungen bei der Versuchsperson; der Druck auf die Vagi wurde aufgehoben und das Bewußtsein kehrte allmählich wieder.8 Von Soltmannd und v. Anrep10 wurde angegeben, daß bei einige Stunden alten Tieren (Kätzchen) Stillstand des Herzens bei Vagusreizung gar nicht erzielt werden konnte. Bei 2 — 7 Tage alten Tieren fand v. Anrep Stillstand bei den Kammern, nicht aber bei den Vorhöfen; erst während der zweiten Woche des extrauterinen Lebens soll der Vagus seinen hemmenden Einfluß auf das Herz völlig entfalten. Demgegenüber berichten Tarchanoff11, Bochefontaine12, Langendorf fiz und E. Meyer1* über Versuche, wo sie bei neugeborenen Säugetieren infolge von Vagusreizimg einen deutlichen Herzstillstand gesehen haben. KehrerVo kom- primierte bei ganz jungen Kaninchen den Schädel und fand die Herzfrequenz vermindert, Engström1* machte dieselbe Beobachtung auch an neugeborenen Kindern und Heinricius17 zeigte, daß der Vagus, sogar bei beibehaltenem Plazentar- kreislauf, die Herzschläge hemmt. 1 Cardarelli, Aren. ital. de biol., 14, S. 205; 1891. 2 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 217; 1911; — 15, S. 14; 1912. 3 Ritchie, Quarterly journ. of med., 6, S. 47; 1912. 4 Rihl, Deutsch. Aren. f. klin. Med., 94, S. 295; 1908. 5 v. Hoesslin, ebenda, 113, S. 537; 1914; — 133, S. 377; 1920. ,; Weil, ebenda, 119, S. 39; 1916. 7 Masoin, Bull, de l'Acad. de med. de Belgique, 1901, S. 386; die Pulsfrequenz betrug hier 40 — 45 pro Minute. 8 Betreffend klinische Beobachtungen über den Einfluß des Vagus auf das Herz des Menschen vgl. v. Hoesslin, Deutsches Arch. f. klin. Med., 113, S. 536; 1914. s Soltmann, Jahrb. f. Kinderheilk., N. F., 11, S. 101; 1877. 10 v. Anrep, Arch. f. d. ges. Physiol., 21, S. 78. 11 Tarchanoff, Gaz. med. de Paris! 1878, S. 341 (neugeborenes Meerschweinchen). 12 Bochefontaine, ebenda, 1877, S. 273 (Hunde von 3 Tagen). 13 Langendorff, Breslauer ärztl. Zeitschr., 1879, S. 247. 14 E. Meyer, Arch. de physiol., 1893, S. 477 (Hunde von 7—48 Stunden). 15 Kehrer, Beiträge zur klin. u. experim. Geburtskunde, 1, S. 19; 1879. 13 Engström, Förlossningens inverkan pä fostrets respiration. Helsingfors 1889, S. 245. 17 Heinricius, Zeitschr. f. Biol., 26, S. 197; 1889. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 323 Die Hemmungswirkung, welche durch den Vagus ausgeübt wird, besteht nicht allein in einer Verminderung der Pulsfrequenz (d. h. Verlängerung der Pulsperiode), sondern es können auch als charakteristische Eigentümlichkeiten der Hemmung eine Abnahme der Kontraktionsgröße, eine Verminderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in den einzelnen Herzabteilungen und von der einen Abteilung zu der anderen, sowie endlich eine Abnahme der Erregbarkeit des Herzmuskels auftreten. In allen diesen Fällen kann als Schlußresultat ein vollständiger diastolischer Herzstillstand erscheinet, nämlich wenn die Pulsperiode unendlich groß oder der Umfang der Kontraktion unendlich klein wird oder die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Erregung auf Null herabsinkt oder die Reizschwelle des Herzens so hoch ansteigt, daß die natürlichen Herzreize keine Kontraktionen mehr hervorrufen können. Engelmann1, der diese verschiedenen Äußerungen der Hemmungswirkung besonders eingehend studiert hat, bezeichnet die Abnahme der Schlagfrequenz als negativ chronotrop, die Abnahme der Kontraktionsgröße als negativ inotrop, die Abnahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit als negativ dromo- trop und die Verminderung der Erregbarkeit als negativ bathmotrop. Bei der näheren Besprechung der hemmenden Nerven werde ich diese be- sonderen Wirkungen, jede für sich, erörtern und fange mit der chronotropen an. § 72. Die Veränderungen der Pulsfrequenz unter dem Einfluß der hemmenden Nerven. a) Die tonische Erregung der hemmenden Nerven. Die Durchschneidung der beiden Vagi ruft bei vielen Tieren eine mehr oder minder bedeutende Beschleunigung der Herzschläge hervor. Die hemmenden Fasern in den Vagi befinden sich also in einem Zustande stetiger Erregung, wodurch die Herzfrequenz in einem gewissen Grade herabgedrückt wird. Hier- durch entsteht der Vorteil, daß durch Abnahme dieser Erregung die Frequenz der Herzschläge dem augenblicklichen Bedarf entsprechend sofort vermehrt werden kann, während andererseits die normal etwas verlangsamte Herztätigkeit dem Herzen einen gewissen Schutz vor Überanstrengung darbietet. Dieser Vagustonus macht sich schon bei den Fischen geltend. So erwähnt C. E. Hoffmann2, daß beim Karpfen, und Cadiat3, daß beim Scyllium canicula die Frequenz der Herzschläge nach Durchschneidung eines oder beider Vagi zunimmt; Thesen* findet gleichfalls bei gewissen Teleostiern, daß die Durch- trennung der Vagi eine Beschleunigung der Herzfrequenz verursacht, und Kolff1 teilt einen Versuch an Telestes mit, wo nach Durchschneidung des Vagus die Zahl der Herzschläge pro Minute von 60 auf 84 anstieg. Wenn der eine Vagus durchschnitten war, verursachte die Ausschaltung des zweiten oft keine Be- schleunigung des Herzens mehr. 1 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1900, S. 320. 2 C. E. Hoffmann, Beitr. z. Anat. u. Physiol. d. Nerv, vagus bei Fischen. Gießen 18G0, 17. 3 Cadiat, Comptes rend. de l'Acad. des scienccs, 88, S. 1136; 1879. 4 Thesen, Arch. d. zool. exp. (3), 4, S. 116; 1896. 5 Kolff, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 85; 1908. 21* 324 Die Innervation des Herzens. Die Durchschneidung der beiden Vagi würde beim Frosch nach Budge1, Einbrodt2, v. Bezold3 und Moreau* und bei der Schildkröte nach Luigi und Vin- cenzo5 gar keine Veränderung der Pulsfrequenz hervorrufen, während nach anderen Autoren, wie Funke6, Bidder7 und Rosenthal8, die Pulsfrequenz beim Frosch und nach Guyenot9 bei der Schildkröte dabei zunehmen würde. Bei den Vögeln hat die Vagusdurchschneidung nach Einbrodt10 gewöhnlich dauernde Vermehrung der Herzschläge zur Folge. Diese war unter Umständen ganz beträchtlich und betrug in drei von Einbrodt mitgeteilten Versuchsbeispielen 13, 11 und 50%. Noch größere Zahlen sind von Knoll11 und Zander12 auf Grund von Versuchen an Tauben mitgeteilt. Ersterer fand nämlich nach der doppelseitigen Vago- tomie eine Beschleunigung, die in der Mehrzahl der Fälle zwischen 60 und 100% betrug, und in Zanders Versuchen stieg die Pulsfrequenz von 180—240 bis auf 420 — 540 in der Minute an. Aus Stübels13 zahlreichen Versuchen ist ersichtlich, daß bei gewissen Vogel- arten die Steigerung der Pulsfrequenz im allgemeinen größer ist als bei anderen, daß aber auch individuelle Unterschiede in hohem Grade auf das Resultat ein- wirken können. Andererseits konnten Couvreur1* und Jürgens15 bei Tauben wie N. Paton16 bei Enten keine Beschleunigung nachweisen, und Jürgens fügt noch hinzu, daß auch nicht die Größe der Kontraktionen sich infolge der Vagotomie änderte. Demgegenüber konnte Kahn17 nachweisen, daß bei der Taube die Durchschneidung der Vagi eine sehr bedeutende Beschleunigung — von 220 auf 360 in der Minute — hervorrufen konnte. Auch in bezug auf Säugetiere liegen Angaben vor, laut welchen die Durch- schneidung der Vagi keine Beschleunigung bewirken sollte. So verläuft nach Harrington18 diese Operation beim Meerschweinchen meistens symptomenlos. Bei anderen und vielleicht den allermeisten Säugetieren ruft dagegen die doppelseitige Vagusdurchschneidung eine sehr bedeutende Zunahme der Pulsfrequenz hervor. Nur muß man sich so viel wie möglich davor hüten, vor der Operation die Tiere zu exzitieren, denn bei einem starken Erregungszustande wird die Puls- frequenz gar zu leicht gesteigert und nimmt daher nach dann folgender Durch- schneidung der Vagi wenig oder gar nicht zu. 1 Budge, Wagners Handwörterb. d. Physiol., 3 (1), S. 418; 1846. - Einbrodt, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1859, S. 456. :! v. Bezold, Unters, über die Innerv. des Herzens, 1, S. 48; 1863. 4 Vgl. Bernard, Lecons sur le Systeme nerveux, 2, S. 395; 1858. 5 Luigi und Vincenzo, s. bei A. B. Meyer, Das Hemmungsnervensystem, S. 60. 6 Funke, Lehrbuch d. Physiol., 4. Aufl., 2, S. 647; 1864. : Bidder, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1865, S. 340. s Vgl. A. B. Meyer, Das Hemmungsnervensystem. Berlin 1869, S. 88. 8 Guyenot, Compt. rend. de la Soc. de biol., 1907 (1), S. 1032. 10 Einbrodt, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1859, S. 456. 11 Knoll, Zeitschr. f. Heilkunde, 1, S. 9 des S.-A.; 1880. 12 Zander, Arch. f. d. ges. Physiol., 19, S. 331 ; 1879. 13 Stübel, ebenda, 135, S. 303; 1910. 14 Couvreur, These de Paris. 1892. 15 Jürgens, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 511; 1907. 16 N. Paton, Journ. of physiol., 45, S. 108; 1912. 17 Kahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 162, S. 85; 1915. ls Harrington, Amer. journ. of physiol., 1, S. 385; 1898. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 325 Bei ruhig dasitzenden, nicht narkotisierten Kaninchen, welche von störenden Reizen unbeeinflußt waren und deren Herzschläge unter Vermittlung eines Schlauches in einem Nebenzimmer auskultiert und gezählt wurden, fand H. E. Hering nach Durchschneidung der Vagi konstant eine bedeutende Zu- nahme der Pulsfrequenz, sofern das Tier vor der Vagotomie noch normal war. Als Beispiel führe ich folgende Tabelle an.1 Nr. Vor der Vagotomie Nach der Vagotomie lrei aufgebunden aufgebunden frei 1 228 280 316 332 2 159 250 274 320 4 204 296 332 5 184 336 370 8 244 284 320 364 9 208 264 312 330 10 186 240 304 11 180 272 332 12 — 288 296 324 13 — 300 296 320 Unter diesen Versuchen finden sich einige, wo die Pulsfrequenz unmittelbar nach der Durchschneidung abgenommen hat. Aber auch bei diesen hält die Verlangsamung nur kurze Zeit hindurch an und geht dann in die Beschleunigung über. Diese Frequenzabnahme ist daher wohl wesentlich auf die mechanische Reizung der hemmenden Fasern durch den Schnitt zurückzuführen. Beim Hunde hat Stewart die in folgender Tabelle verzeichneten Resultate erhalten.2 Nr Pulsfrequenz vor der Vagotomie nach der Vagotomie 1 79 160 2 96 170 3 65 154 4 118 164 5 51 152 6 50 144 7 78 151 8 36 160 9 45 190 11 92 191 ' 12 69 165* 13 80 145 14 68 172 15 70 104 16 108 116 17 77 150 18 46 92 19 60 140 20 70 104 21 56 180 22 66 80 23 36 160 1 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 440; 1895. - Stewart, Amer. journ. of physiol., 20, S. 211; 1907, :i 3 Monate alt. 326 Die Innervation des Herzens. Für Nr. 1, 2, 18, 20 und 22 ist auch die am folgenden Tage stattgefundene Pulsfrequenz angegeben; diese betrug bzw. 188, 158, 156, 154, 120 und hatte also, mit Ausnahme von Nr. 2, noch weiter zugenommen.1 Einen besonders hohen Vagustonus hat, nach Mac William2, der Hase, indem bei ihm die Pulsfrequenz durch die Vagusdurchschneidung von 64 auf 264 in der Minute anstieg. Bei neugeborenen Tieren scheint der Vagustonus nach Soltmann3, Langen- dorf:/4, v. Anrep5 und E. Meyer6 zu fehlen ; weder Durchtrennung der Vagi noch Vergiftung mit.Atropin rief bei diesen eine Herzbeschleunigung hervor. Während des Zuwachses nimmt die Pulsfrequenz allmählich ab, wie aus der folgenden Tabelle hervorgeht, wo die mittlere Pulsfrequenz bei einem Hunde für je 10 Tage nach v. Lhota7 zusammengestellt ist. AI .er des Tieres ; Körpergewicht; Pulsfrequenz Alter des Tieres; Körpergewicht; Pulsfrequenz Tage kg in der Minute Tage kg in der Minute 40 2,3 180 120 5,1 158 50 2,5 176 130 5,2 143 60 3,0 175 140 5,4 135 70 3,6 177 150 5,7 131 80 3,6 174 160 5,8 129 90 4,2 176 170 5,7 127 100 4,4 169 180 5,9 123 110 4,6 156 . Daß die Ursache dieser Abnahme der Pulsfrequenz gerade in dem allmählich immer stärker ausgebildeten Vagustonus liegt, wies v. Lhota8 dadurch nach, daß er von Zeit zu Zeit durch Einspritzung von Atropin den Einfluß des Vagus auf das Herz des Tieres ausschaltete. Dabei stieg die Pulsfrequenz immer auf etwa dieselbe Höhe an oder während der späteren Monate sogar höher als anfangs. Bei einem l1^ Monate alten Hunde sank die Pulsfrequenz innerhalb 8 Monate von 178 auf 86 herab. Nach Atropininjektion stieg sie am ersten Versuchs- tage auf 272 und am letzten auf 308 Schläge in der Minute an, d. h. das dem Einfluß der hemmenden Nerven entzogene Herz hatte beim 9x/2 Monate alten Tiere tatsächlich eine um etwa 13% größere Pulsfrequenz als bei dem l1^ Monate alten. Übrigens können die Resultate der Vagusdurchschneidung auch bei Tieren, bei denen der Vagustonus sehr gut ausgebildet ist, vielfach variieren, was leicht zu verstehen ist, wenn wir bedenken, daß dieser Tonus, wie später näher ent- wickelt werden soll, zu einem wesentlichen Grade wenigstens, reflektorischer Natur ist und daher je nach der Stärke und der Beschaffenheit der in Betracht kommenden zentripetalen Erregungen geradezu variieren muß. 1 Vgl. auch Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 535; 1908. 2 Mac William, Proc. of the Royal Soc, 53, S. 477; 1893. 3 Soltmann, Jahrb. f. Kinderheilk., 1877, S. 101. 4 Langendorf f, Breslauer ärztl. Zeitschr., 1879, S. 247. 5 v. Anrep, Arch. f. d. ges. Physiol., 21, S. 78; 1880. 6 E. Meyer, Arch. de physiol., 1893, S. 479. 7 v. Lhota, Arch. f. d. ges. Physiol., 141, S. 515; 1911. 8 v. Lhota, ebenda, 141, S. 518. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 327 Selbst nach einseitiger Durchschneidung des Vagus kann, unter Umständen wenigstens, sowohl an höheren wie an niederen Wirbeltieren, eine beträchtliche Zunahme der Herzfrequenz erscheinen. Als Beispiel davon seien Petiokys1 Erfahrungen an Hunden und Katzen, denen der eine Vagus unter aseptischen Kautelen durchschnitten wurde, hier mitgeteilt. Bei Hunden war die Pulsfrequenz 24 Stunden nach der Operation durchschnittlich um etwa 50% und bei Katzen durchschnittlich um etwa 100% gestiegen, und eine vollständige Rückkehr zum Ausgangsniveau wurde bei jenen erst nach 32 — 42, bei diesen nach 40 — 47 Tagen erreicht. b) Die Reizung der hemmenden Nerven. 1. Die Veränderung der Herzperiode. Wenn bei der Vagusreizung kein Stillstand, sondern nur eine Abnahme der Pulsfrequenz erscheint, so ver- ändert sich die Dauer der Systole und Diastole in charakteristischer Weise (über die Art und Weise, die einzelnen Phasen des Herzschlages abzugrenzen, vgl. I, S. 213), indem sowohl die Systole als ganz besonders die Diastole länger werden (Klug2). Als Durchschnitt von 12 Bestimmungen bei normaler Schlagfolge fanden v. Frey und Kr etil3 bei der rechten Kammer (Hund) die Dauer des Druckanstieges zum Maximum gleich 0,142 Sekunde und den Abstand bis zum nächsten Puls- schlag gleich 0,37 Sekunde. Bei einer unmittelbar danach vorgenommenen Vagusreizung betrug erstere bei zwölf Bestimmungen durchschnittlich 0,163 Se- kunde, letztere aber 2,57 Sekunden. In einer anderen Versuchsreihe war die Dauer des Druckanstieges in der linken Kammer bis zum Maximum im Durchschnitt von 15 Bestimmungen 0,149 Sekunde, der Abstand bis zum nächsten Pulsschlag 0,373 Sekunde. Bei 15 folgenden Pulsationen, welche unter dem Einfluß der Vagusreizung ent- standen, war jene durchschnittlich auf 0,158 Sekunde, dieser durchschnittlich auf 0,635 Sekunde 'angestiegen.4 Beim Vorhofe des Pferdeherzens verhielt sich die Dauer der Systole zu der der Diastole vor der Vagusreizung wie 4 : 7, während der Vagusreizung wie 5 : 22 (Arloing5). Übrigens ist die Verlängerung der Diastole je nach dem Grade der Retardation der Herzschläge verschieden groß, und zwar wird sie um so mehr bedeutend, je mehr die Pulsfrequenz herabsinkt. Mit anderen Worten die Retardation ist in erster Linie durch eine Verlängerung der Diastole bedingt. 2. Die Latenzdauer. Die Untersuchungen von Schiff6, Pflüger"7, Czertnak* und Tarchanoff9 zeigen, daß bei Reizung des Vagus sowohl bei den kaltblütigen 1 Petioky, Aren. f. d. ges. Physiol., 152, S. 516; 1913. 2 Klug, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1881, S. 260. 3 v. Frey und Krehl, ebenda, 1890, S. 49. 4 v.,Frey, Untersuchung des Pulses. Berlin 1892, S. 86. 6 Arloing, Arch. de physiol., 1894, S. 87. 8 Schiff, Arch. f. physiol. Heilk., 8, S. 167; 1849. 1 Pflüger, Unters, aus dem physiol. Laborat. zu Bonn, 1865; S. 30. 8 Czermak, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 644; 1868; — Prager Vierteljahrsschrift, 100, S. 32; 1868. 9 Tarchanoff, Travaux du laborat. de Marey, 2, S. 299; 1876. 328 Die Innervation des Herzens. als bei den warmblütigen Wirbeltieren im allgemeinen ein Herzschlag völlig normal verläuft, bevor ein Resultat der Reizung erscheint. Es ist aber von dem Augenblick der Reizung bedingt, ob nicht sogar zwei ganz normale Herz- schläge stattfinden, bevor die Vagusreizung sich geltend macht, auch wenn dieselbe maximal ist.1 Donders2 hat versucht, die Latenzdauer bei der Vagusreizung genauer zu ermitteln. Gesetzt, die Reizung findet bei a statt (Fig. 316). Die Kontraktion Nr. 2 zeigt keine Verzögerung, dagegen trifft die Kontraktion 3 entschieden später als normal ein. Die Latenzdauer ist also kürzer als die Zeit a — c, und Fig. 316. Schema. länger als die Zeit a—b. Diese stellt die minimale, jene die maximale Grenze der Latenzdauer dar. Durch Kombination mehrerer Beob- achtungen findet Donders nun das Maximum des minimalen Grenzwertes und das Minimum des maximalen. Bei einer genügend großen Zahl von Beob- achtungen werden diese Maxima und Minima untereinander nur wenig differieren und es kann also dadurch die Latenzdauer in absolutem Maße bestimmt werden. Die von Donders für den Vagus des Kaninchens, Hundes und Pferdes ge- fundenen mittleren Werte sind folgende: Pulsperiode; Sekunden Latenzdauer ; Sekunden Latenzdauer Pulsperiode Kaninchen Hund Pferd . . 0,205 0,343 0,851 0,167 0,208 0,309 0,812 0,615 0,362 Bei allen diesen Tieren ist also die Latenzdauer bei Vagusreizung kürzer als eine Herzperiode, und im Verhältnis zu dieser um so kürzer, je länger die Herzperiode ist. Am Kaninchen hat Rehfisch3 als niedrigsten Wert für die Latenzdauer der Vaguswirkung auf den Vorhof 0,12 Sekunde gefunden. Hierbei wurde er indessen darauf aufmerksam, daß unter dem Einfluß der Vagusreizung die Leitung vom ,, Venensinus" zum Vorhof um etwa 0,04 Sekunde verzögert wird. Das wirkliche Minimum der Latenzdauer der Vaguswirkung betrug also 0,08 Sekunde. Am Froschherzen hat 0. Frank11 den Zusammenhang zwischen der. Latenz- dauer und der Phase der Herztätigkeit, in welcher die Reizung erfolgt, näher untersucht. Trifft die Reizung auf die Zeit der Zusammenziehung, so bleibt die begonnene Zuckung gänzlich unbeeinflußt. Die nächste Zuckung tritt dann bei genügender Stärke des Reizes verspätet ein. Fällt die Reizung kurz 1 Nähere Angaben über die Bedeutung einiger Variabein für die Latenzdauer bei Vagus- reizung finden sich bei Pruszynski, Zentralbl. f. Physiol., 1, S. 569; 1889. 2 Donders, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 338; 1868; — 5, S. 6; 1872; — Onderzoekingen ged. in het physiol. Laborat. d. Utrechtsche Hoogeschool, 3 R. 1, S. 272; 1872; — vgl. auch Nuel, Arch. f. d. ges. Physiol., 9, S. 90; 1874. 3 Rehfisch, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1906, Suppl., S. 164. 1 0. Frank, Sitz.-Ber. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol. in München, 1897, S. 23 des S.-A. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 329 vor Beginn der Zuckung, dann wird der Ablauf der Zusammenziehung zunächst gar nicht geändert, aber die Erschlaffung setzt früher ein und verläuft mit größerer Geschwindigkeit. Erfolgt die Reizung in einem noch früheren Augenblick, so wird die Zusammenziehung etwas langsamer und die Erschlaffung beginnt etwas früher und geht etwas schneller vonstatten als sonst. 3. Die Wirkung einer prolongierten Reizung der hemmenden Nerven. Als allgemeine Regel für jede länger fortgesetzte Reizung eines zentrifugalen Nerven gilt, daß das Endorgan früher oder später aufhört, auf den Reiz zu reagieren. So sinkt die Tetanuskurve des quergestreiften Muskels, trotz fortdauernder Reizung seines Nerven, auf die Abszisse herab, die Speicheldrüsen stellen noch während der Reizung ihrer Nerven ihre Ab- sonderung ein, usw. Da eine Ermüdung der Nerven selbst hier nicht in Betracht kommen kann, muß diese Erscheinung als Ausdruck der Ermüdung entweder des Nerven- endapparates oder des betreffenden peripheren Organes aufgefaßt werden. Auch bei der hemmenden Wirkung des Vagus zeigt sich diese Ermüdung, indem das Herz nach einem länger oder kürzer dauernden Stillstand trotz immer weiter fortgesetzter Vagusreizung anfängt wieder zu schlagen. Die Dauer des Stillstandes kann sich bei verschiedenen Tieren sehr ver- schieden gestalten, weshalb diese Frage eine etwas nähere Besprechung erfordert. Über die Zeitdauer, während welcher man bei zweckmäßig gewählter Reiz- stärke einen diastolischen Stillstand beim Fischherzen unterhalten kann, liegen meines Wissens keine näheren Angaben vor. In bezug auf das Froschherz erwähnt Friedenthal1 einen 2x/4 Stunden langen Stillstand; Hough2 sah bei der Schildkröte einen Stillstand von ]1/2 Stunden Dauer und Mills3 einen von 41/2 Stunden. Beim Tropidonotus unterhielt A. B. Meyer* durch Reizung des einen Vagus einen Herzstillstand während 21f2 Stunden. Dabei erschienen indessen im Laufe des Versuches insgesamt 15 spontane Pulsationen; sobald eine solche auftrat, wurde die Reizung verstärkt und das Herz stand wieder still. Ein so lange dauernder Stillstand bei den kaltblütigen Tieren darf indessen nicht als Regel aufgefaßt werden; denn auch bei A. B. Meyer finden wir zahl- reiche Angaben über einen Vagusstillstand, der nur einige Minuten gedauert hat, obgleich die Versuche an Individuen derselben Art ausgeführt wurden, bei welchen der lange dauernde Stillstand aufgetreten war.5 Wie schon oben (II, S. 320) bemerkt, stellte man sich lange ziemlich allgemein vor, daß die Wirkung der hemmenden Nerven auf das Herz der Vögel nur sehr schwach sei; auch lehrte man, daß der eventuelle Stillstand bei der Vagusreizung nur wenige Sekunden dauerte. Wenn dies auch bei mehreren Arten zutrifft, so finden sich dennoch Vögel, deren hemmende Nerven eine außerordentlich kräftige Wirkung ausüben. Bei der Ente blieb das Herz bei der Reizung des Vagus 5 — 6 Minuten und noch länger 1 Friedenthal, Zentralbl. f. Physiol., 15, S. 620; 1902. - Hough, Journ. of physiol., 18, S. 173; 1895. 3 Mills, ebenda, 6, S. 257; 1885. 1 A. B. Meyer, Das Hemmungsnervensystem des Herzens, S. 32. 5 A. B. Meyer, ebenda, S. 50. 330 Die Innervation des Herzens. stillstehen und man konnte auf solche Weise sogar den Tod des Tieres herbei- führen (Battelli und Stern1). Bei einem der niedersten Säugetiere (Didelphys virginiana) fanden Hunt und Harrington2, daß das Herz bei fortgesetzter Vagusreizung nach einem kurz- dauernden Stillstand wieder zu pulsieren anfängt. Die Frequenz der Herz- schläge hält sich aber dabei wie auch ziemlich lange nach Ende der Reizung auf einem ziemlich niedrigen Niveau. Was die Säugetiere sonst betrifft, läßt sich über die Vaguswirkung im all- gemeinen sagen, daß der Herzstillstand, wenn er überhaupt erscheint, in der Regel nicht länger als etwa 1/a — 1 Minute dauert. Trotz fortgesetzter Reizung des Vagus stellt sich nun der eine Herzschlag nach dem anderen, zuerst mit langen Intervallen, allmählich in immer schnellerem Rhythmus wieder ein. Durch eine noch so starke Reizung war es Hough3 fast unmöglich, ein kräftiges Katzenherz zum Stillstand zu bringen; wenn das Herz aber wegen der Narkose, auf Grund der Abkühlung beim Versuch oder auch, weil das Tier sich in schlechtem Zustande befand, herabgesetzt war, zeigte sich die Vagus- reizung viel wirksamer, so daß eine Reizung, die an einem kräftigen Tiere eine verhältnismäßig geringe und schnell vorübergehende Verlangsamung hervorruft, nun eine bedeutende Verlangsamung bzw. Stillstand bewirkte. Dasselbe gilt im großen und ganzen auch vom Hundeherzen, nur bestätigt Hough die Tatsache, daß selbst bei kräftigen Hundeherzen ein Stillstand von 20 Sekunden und mehr vorkommen kann, wenn auch solche Herzen im all- gemeinen gegen die Vagusreizung einen großen Widerstand leisten.4 Auch die Jahreszeit scheint, möglicherweise wegen ihrer Einwirkung auf den allgemeinen Zustand der Tiere, in bezug auf die Herzhemmung durch den Vagus einen Einfluß auszuüben. Wenigstens hat Harrington5 angegeben, daß am Meerschweinchen während Oktober bis Januar kein Herzstillstand durch Vagusreizung erzielt werden kann, während ein solcher während Februar bis April ohne Schwierigkeit erhalten wird. Wenn man den Vagus peripher von der Reizstelle auf ein Metallrohr legt, durch welches Wasser von 0° fließt, und dadurch das Leitungsvermögen des Nerven aufhebt, so kann man ihn zentral von der abgekühlten Stelle reizen, ohne irgendwelche Wirkung auf das Herz zu bekommen. Wird dann nach 5 bis 10 Minuten die Abkühlung aufgehoben, so zeigt sich die Reizung sofort wirksam. Daraus folgt, daß die Ursache, weshalb das Herz trotz fortgesetzter Vagusreizung wieder anfängt zu schlagen, nicht in einer Ermüdung des Vagusstammes liegen kann (Hough).6 Daß auch nicht eine Ermüdung der Endapparate des Nerven vorliegt, geht aus folgendem Versuch hervor. Die Frequenz der Herzschläge ist nach einer etwa 10 Minuten lang dauernden Reizung des Vagus wieder auf eine gewisse 1 Battelli und Stern, Comptes rend. de la Soc. de biol., 65, S. 505; 1908; — vgl. auch Stübel, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 295; 1910. 2 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 713; 1897. 3 Hough, Journ. of physiol., 18, S. 163; 1895. 4 Hough, ebenda, 18, S. 170. 5 Harrington, Amer. journ. of physiol., 1, S. 383; 1898. H Hough, Journ. of physiol., 18, S. 162. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 331 Höhe angestiegen. Wird nun die Reizung für 30 oder 40 Sekunden unterbrochen und dann fortgesetzt, so verhält sich der Nerv genau wie bei der ersten Reizung.1 Die Befreiung des Herzens von der Vaguswirkung muß also aufs nächste mit Vorgängen im Herzen selbst zusammenhängen; darüber näheres später. Wenn das Herz, trotz fortgesetzter Vagusreizung, allmählich anfängt schneller zu schlagen, so bleibt es indessen auf einer gewissen niedrigen Pulsfrequenz stehen, die von der Stärke der Reizung abhängig ist und lange unterhalten werden kann (Laulanie2, Hough3). Dasselbe geht übrigens unmittelbar aus der Tat- sache des Vagustonus hervor. Nach Ende der Vagusreizung erreicht das Herz nicht sofort die frühere Puls- frequenz wieder, sondern dieselbe ist eine Zeitlang mehr oder weniger verlangsamt, und zwar ist die Dauer dieser Nachwirkung innerhalb gewisser, übrigens ziemlich enger Grenzen von der Dauer der (maximalen) Vagusreizung abhängig. Beim Kaninchen tritt sie schon nach einer flüchtigen Reizung deutlich hervor. Die maximale Dauer der Nachwirkung wird nach einem etwa 12 Sekunden dauern- den Reizung erreicht; in diesem Falle beträgt die Pulsfrequenz nach 20 Sekunden nur etwa 3/4 oder 4/5 derjenigen vor der Vagusreizung.4 Die nach einem länger dauernden Herzstillstand erscheinenden Kontraktionen bieten eine auffällige Verlängerung der Systolendauer, welche bis zu 50% be- tragen kann, dar. Indessen ist die Zeit, während welcher diese Verlängerung auftritt, kürzer als diejenige, wo eine Verlängerung der ganzen Herzperiode nach- gewiesen werden kann. D. h. auch unter diesen Verhältnissen stellt sich die Einwirkung der hemmenden Nerven auf die Dauer der Diastole stärker als auf die der Systole dar.5 4. Der Einfluß der Frequenz, Stärke und Art der Reizung auf die hemmende Wirkung. Bei Reizung des Vagus mit einzelnen Induktions- strömen scheint kein Stillstand, sondern nur eine Abnahme der Herzfrequenz erhalten werden zu können. Die Retardation war in den Versuchen Tarclianoffs6 an kaltblütigen Tieren nur gering. Der bei diesen benutzte Ruhmkorff sehe Apparat ist indessen nach Donders7 weniger wirksam auf den Vagus als die gewöhnlichen Induktionsapparate. Bei zwei schnell nacheinander folgenden (Schließungs- und Öffnungs-) Induktionsschlägen erzielte Heidenhain* eine völlig unzweideutige Einwirkung auf das Froschherz. Beim Kaninchen erschien sowohl bei einzelnen Induktionsströmen wie bei Reizung mit dem konstanten Strom während 5 — 10 aufeinander folgender Herz- schläge eine Verlangsamung. Diese war anfangs am größten und nahm all- mählich immer mehr ab, wie z. B. im folgenden Versuch. Dauer einer Herz- periode vor der Reizung: 0,12, 0,12, 0,12, 0,12; nach der Reizung: 0,18, 0,16, 0,14, 0,12, 0,12 usw. (Donders9). 1 Hough, Journ. of physiol., 18, S. 186. - Laulanie, Compt. rend. de l'Acad. des sciences, 109, S. 378, 407; 1889. ;! Hough, journ. of physiol., 18, S. 179. 4 Vgl. R. Tigerstedt und Ryömä, Skand. Arch. f. Physiol., 38, S. 31, 43; 1918. 5 R. Tigerstedt und Ryömä, ebenda, 38, S. 44, 47. (i Tarchanoff, Trav. du laborat. de Marey, 2, S. 303; 1876. T Donders, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 356; 1868. 8 Heidenhain, ebenda, 27, S. 386; 1882. 9 Donders, ebenda, 1, S. 344; 1868; — 5, S. 5; 1872. 332 D'e Innervation des Herzens. Damit ein Herzstillstand erscheine, muß der Vagus also mit mehreren, schnell nacheinander folgenden Reizen (Induktionsströmen) gereizt werden. Dabei ist nach Legros und Onimus1 die Wirkung um so kräftiger, je schneller die Reiz- folge ist; außerdem übte in ihren Versuchen die Reizfrequenz einen größeren Einfluß als die Reizstärke aus. Demgegenüber finden Morat2 bei Induktionsströmen am Schildkröten- vagus und Imamura3 bei geradlinig verlaufenden Schwankungen eines konstanten Stromes am Froschvagus eine optimale Frequenz von etwa 7 in der Sekunde. Auch Busquet* gibt an, daß am selben Objekt die zum Hervorrufen des Vagus- stillstandes günstigste Reizfrequenz etwa 10 pro Sekunde beträgt; bei 6 Reizen bekam er noch keine Wirkung und 46 Reize pro Sekunde waren wiederum wirkungslos. Und Hunt5 hebt hervor, daß bei der Katze die Reizung weniger leicht versagt, wenn ihre Frequenz ziemlich gering ist. Im Gegensatz zu diesen Autoren gibt Woronzow6 an, daß bei der Anwendung von Strömen geringer Stärke die Hemmung am leichtesten bei einer mittleren Frequenz von etwa 30 in der Sekunde hervorgerufen wird. Induktionsströme von sehr niedriger (5 in der Sekunde) und sehr großer Frequenz (200 in der Se- kunde) üben bloß bei einer viel größeren Stärke eine Wirkung aus. Unter Anwendung von Kondensatorentladungen sind dagegen Lapicque und Meyerson7 zu dem Resultat gekommen, daß bei gleicher Stärke des Reizes der Rhythmus desselben — 6 — 250 im Sommer und 10 — 100 pro Sekunde im Winter — gar keinen Einfluß ausübt. Die Ursache dieses Unterschiedes den übrigen Untersuchungen gegenüber liegt, wie Lapicque und Meyerson hervorheben, wesentlich darin, daß bei den gewöhnlichen Induktionsapparaten mit schwingender Feder die Öffnungsinduktions- schläge wegen der dabei in der primären Leitung auftretenden Funken stark verändert werden. Und wenn" die Versuche in der Weise angeordnet werden, daß die Funkenbildung aufgehoben wird, findet man auch bei Anwendung der Induktionsapparate, daß die Wirkung der Vagusreizung vom Rhythmus der Reizung — 6 — 100 in der Minute — unabhängig ist. Ceteris paribus nimmt die Größe der Hemmungswirkung mit der Stärke des Reizes zu (v. Bezold8, Pflüger9, Donders10). Am Frosch beträgt indessen nach Busquet11 das Intervall zwischen dem Rollenabstand, der eine Verlangsamung gibt, und dem, bei welchem der Still- stand erscheint, nur etwa 1 cm.12 Bei den Säugetieren ist dieses Intervall viel größer. 1 Legros und Onimus, Journ. de l'anat. et de la physiol., 1872, S. 565. 2 Morat, Aren, de physiol., 1894, S. 10. 3 Imamura, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 193. 1 Busquet, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1908 (1), S. 1156; — Journ. de physiol., 1909, S. 222. 5 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 154; 1897. 6 Woronzow, Trav. de la Societe imp. des naturalistes de St. Petersbourg, 43, Heft 6; 1913. 7 Lapicque und Meyerson, Compt. rend. de la Soc. de biol., 1912 (1), S. 63; — Meyerson, Journ. de physiol., 1912, S. 273. 8 v. Bezold, Unters, über die Inn. des Herzens, 1, S. 50. 9 Pflüger, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1859, S. 15; — Unters, aus dem physiol. Laborat. zu Bonn, S. 1; 1865. 10 Donders, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 537; 1868. 11 Busquet, Journal de physiol., 1909, S. 224. 12 Vgl. auch Morat, Arch. de physiol., 1894, S. 12. Die hemmenden Her/.nerven bei den Wirbeltieren. 333 Übrigens ist bei einem und demselben Tiere, wie bei verschiedenen In- dividuen einer und derselben Art (Frosch) der Schwellenwert der Reizung sehr konstant (Busquet1). Durch Erstickung wird die Erregbarkeit der hemmenden Herznerven erhöht; wenn die Lungenventilation aufgehoben ist, braucht man also zum Hervorrufen eines Herzstillstandes bei der Reizung des durchschnittenen Vagus eine schwächere Reizung als sonst und bei einer und derselben untermaximalen Reizstärke wird die dabei erzielte Wirkung größer (Richet2, Danilewsky3, Njegotin*). 5. Die Einwirkung der Temperatur auf den Erfolg der Reizung der hemmenden Nerven. Nach Schelske5 würde die Reizung des Vagus an einem durch Erwärmen zum Stillstand gebrachten Froschherzen Kontraktionen hervorrufen können. Zu demselben Resultat kam auch C. E. Hoff mann6 am Frosch, er vermißte aber diese Wirkung beim Karpfen. Auch Stewart7 hat unter Umständen die Beobachtung Schelskes am Froschherzen bestätigen können; außer- dem fand er, daß die direkte Reizung des Venensinus beim überhitzten Herzen in der Regel keinen Stillstand, sondern statt dessen Beschleunigung hervorruft.8 Dagegen war es Eckhard9, A. B. Meyer10 und Heidenhain11 nicht möglich, den betreffenden Befund zu konstatieren, und Meyer faßt denselben als Folge von Stromschleifen oder unipolare Induktionswirkungen auf das Herz auf. Das Ergebnis von Schelske ist übrigens nicht auf die Tätigkeit der hemmenden Nerven zu beziehen, sondern stellt vielmehr, wenn es überhaupt eine Folge der Vagusreizung darstellt, die Wirkung der im Vagusstamme vorhandenen ak- zelerierenden Nerven dar.12 Über die Art und Weise, wie das Kaltblüterherz bei verschiedenen Tem- peratur auf die hemmenden Fasern im Vagus reagiert, lauten die Angaben sehr verschieden. Während Bassin13 angibt, daß die hemmende Wirkung des Vagus bei dem Frosch durch Erwärmen wenigstens nicht abnimmt, und J. M. Ludwig und Luchsingeru sowie Stewart15 zu dem Resultat gekommen sind, daß sie dabei sogar zunimmt, wozu letzterer noch ausdrücklich hinzufügt, daß eine Reizung, die bei Zimmertemperatur keinen Stillstand hervorruft, bei höherer Temperatur dies tut, und daß die Vagusreizung, selbst wenn das Herz bei einer sehr hohen Temperatur nur äußerst schwach schlägt, dennoch dasselbe zum Stillstand 1 Busquet, Journ. de physiol., 1909, S. 224. 2 Richet, Physiologie des muscles et des nerfs. Paris 1882, S. 623. :t Danilewsky, Le physiologiste russe, 2, S. 3; 1900. 4 Njegotin, Zentralbl. f. Physiol., 21, S. 481 ; 1907. "' Schelske, Inaug.-Diss. Heidelberg 1860. ,; C. E. Hoffmann, Beitr. t. Anat. u. Physiol. d. Nervus Vagus b. Fischen. Gießen 1860, S. 29. 7 Stewart, Zeitschr. f. Biol., 59, S. 545; 1912. 8 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 79; 1892. '•' Eckhard, Nervenphysiologie. Gießen 1865, S. 200; — Beitr. z. Anat. u. Physiol., 7, S. 4; 1873. 111 A. B. Meyer, Das Hemmungsnervensystem des Herzens, S. 15. 11 Heidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol., 27, S. 395; 1882. 12 Vgl. Stewart, Zeitschr. f. Biol., 59, S. 542, 552. 13 Bassin, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1907, S. 449. 14 J. M. Ludwig und Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 211; 1881. 15 Stewart, Journ. of physiol.', 13, S. 69; 1892. 334 Die Innervation des Herzens. bringen kann, finden dagegen Lepine und Tridon1, E. G. Martin2 und Clark (Reizung des Kopfmarkes3), daß die Leistungsfähigkeit der hemmenden Nerven am erwärmten Herzen mehr oder weniger, bis zur Unwirksamkeit, abnimmt. Auch Pretschistenskaia1 hat eine Abnahme der Wirksamkeit des Vagus bei Erwärmung beobachtet, indessen nur, wenn diese schnell erfolgt; sonst kann seine Erregbarkeit innerhalb eines großen Temperaturintervalls ziemlich un- verändert bleiben. Die Ursache dieser Differenz sucht Stewart5 teils in der Anwendung ver- schiedener Tierarten, teils in der Verschiedenheit der von den verschiedenen Autoren benutzten Methoden, bzw. den von ihnen zur Prüfung der Leistung der Hemmungsnerven angewendeten Kriterien, indem einige die Reizstärke, bei welcher der völlige Stillstand eintritt, andere die Zeitdauer des bei einer gewissen Reizstärke hervorgerufenen Stillstandes, wieder andere die Verlang- samung des Herzschlages als entscheidendes Merkmal benutzten, usw. Als Belege für seine Auffassung veröffentlichte er6 sodann einige Versuche am Kröten- und Froschherzen, welche die Richtigkeit derselben für die von ihm eingehaltenen Versuchsbedingungen dartun. Bei der Abkühlung des Herzens wird nach J. M. Ludwig und Luchsinger, Stewart, Pretschistenskaia die Wirksamkeit der Hemmungsnerven sowohl beim Frosch als bei der Schildkröte vermindert. Eine Reizstärke, die bei gewöhnlicher Temperatur zum Hervorrufen eines Stillstandes genügt, ist bei niedriger Tem- peratur nicht fähig, dies zu tun; eine Stromstärke, welche bei gewöhnlicher Temperatur Stillstand beim ganzen Herzen verursacht, vermag bei niedriger Temperatur nur den Umfang der Vorhofkontraktionen zu vermindern, die Kammerkontraktionen bleiben, vielleicht nur mit Ausnahme der allerersten, unverändert. Bei einer sehr niedrigen Temperatur (0° bis — 2° C) vermag selbst die stärkste Reizung des Vagus keine Wirkung mehr auszuüben, obgleich die direkte Reizung des Sinus oder der Vorhöfe eine deutliche hemmende Wirkung haben kann, usw. Die hemmenden Wirkungen bei der direkten Reizung des Venensinus ver- mögen dem Einfluß der Abkühlung noch länger zu trotzen, denn selbst bei 0° kann eine Retardation der Herzschläge, aber kein vollständiger Stillstand er- halten werden. Luchsinger und J. M. Ludwig1 stellten sich vor, daß die Ursache der geringeren Vaguswirkung bei der Abkühlung in dem dabei herabgesetzten Leitungsvermögen des Vagus selbst zu suchen wäre. Dies ist je bei Temperaturen von 0° ganz selbstverständlich. Da aber die Vaguswirkung schon bei einer wesentlich höheren Temperatur anfängt abzunehmen und auf Grund anderer Umstände kommt Stewart* zu dem Schlüsse, daß hier eine Wirkung auf das Herz vorliegt. 1 Lepine und Tridon, Mem. de la Soc. de biol., 1876, S. 38. 2 E.G.Martin, Amer. journ. of physiol., 11, S. 386; 1904. ;i Clark, Journ. of physiol., 42, proc. 39; 1911; — 44, S. 169; 1912. 4 Pretschistenskaia, Zeitschr. f. Biol., 47, S. 121; 1905. 5 Stewart, Amer. journ. of physiol., 24, S. 341 ; 1909. 6 Stewart, Zeitschr. f. Biol., 59, S. 531; 1912. 7 J. M. Ludwig und Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 220. 8 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 77. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 335 Bei «Jen warmblütigen Tieren (Hund) untersuchte Baxt1 als erster die Frage nach dem Einfluß der Herztemperatur auf die Folgen der Vagusreizung. Innerhalb der von ihm benutzten Temperaturgrenzen (27 — 43° C) erschienen in der Tat gewisse Variationen, welche darauf hindeuten, daß die Vaguswirkung bei einer Temperatur über 39° C abnimmt, sowie daß sie bis auf eine Temperatur von etwa 29° C zunimmt. Nach Horwath2 verliert der Vagus bei 23° C seine Einwirkung auf das Kaninchenherz, und andererseits verschwindet, nach Schiff3, die Vaguswirkung auch bei der Erwärmung des Tieres. Auch Hatschek^ Resultate gehen in derselben Richtung. Bei der Abkühlung war in der Mehrzahl der Fälle eine, zuweilen allerdings nur kleine Zunahme der Erregbarkeit vorhanden, und eine verminderte Erregbarkeit konnte dabei nie nachgewiesen werden. Bei der Erwärmung war die Vaguswirkung in drei Fällen vermehrt, in sechs aber vermindert. Nach Clark5 sinkt beim Kaninchen und bei der Katze die Vaguswirkung bei einer Steigerung der Körpertemperatur um 3 — 4° C; nach stattgefundener Abkühlung auf die normale Körpertemperatur ist die Leistungsfähigkeit des Vagus gesteigert. In den Versuchen von 0. Frank6 erwies sich der Vagus beim Kaninchen und Hunde bei abnehmender Temperatur etwas empfindlicher als bei einer höheren. Bei jenem erschien aber bei etwa 25° C eine plötzliche Abnahme des Erfolges und einige Grad niedriger war keine Vaguswirkung mehr vorhanden. Beim Hunde stellte sich der Vagus selbst bei 18° C noch als kräftig wirksam dar. Nach Lauder Brunton7 bleibt der Vagus bis zum Hitzetode noch leistungsfähig. Man kann sich fragen, ob die hier erwähnten Wirkungen von dem Einfluß der Temperatur auf den Nerven selbst oder auf dessen Endorgane bedingt sind. Die Antwort ist durch eine von Howell, Budgett und Leonard8 ausgeführte Unter- suchung über die Einwirkung von lokaler Erwärmung und Abkühlung des Vagus am Halse gegeben. Dabei trat bei Hunden eine deutliche Wirkung der Tem- peratur erst bei 5° C ein, während beim Kaninchen schon bei 15° C die Fort- pflanzung der Erregung durch die abgekühlte Stelle unterbrochen wurde. Die Temperaturgrenze, bei welcher keine Vaguswirkung mehr auf das Herz aus- geübt wird, liegt also bei der Abkühlung des Nervenstammes viel niedriger als bei der des entsprechenden Endorgans und die oben erwähnten Resultate müssen demnach auf das Endorgan bezogen werden. Beim winterschlafenden Murmeltier ist die Vagusreizung ohne Wirkung (Valentin*), was aus dem schon Ausgeführten leicht verständlich ist. 6. Unterschiede zwischen den beiden Vagi. A.B.Meyer10 lenkte zuerst die Aufmerksamkeit darauf, daß bei Emys lutaria der linke Vagus gar 1 Baxt, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. KL, 1875, S. 329, 349. 2 Horwath, Wiener med. Wochenschr., 1870, S. 722. 3 Schiff, Arch. des sciences phys. et nat., 63; 1878; — Ges. Beiträge zur Physiol., 1. Lausanne 1894, S. 659. 4 Hatschek, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 205; 1905. 5 Clark, Heart, 4, S. 379; 1913. (i 0. Frank, Zeitschr. f. Bio!., 49, S. 398. 7 Lauder Brunton, zit. nach Hatschek, a. a. O., 109, S. 201. s Howell, Budgett und Leonard, Journ. of physiol., 16, S. 303; 1894. 9 Valentin, Unters, zur Naturlehre, 11, S. 392; 1874. 10 A. B. Meyer, Das Hemmungsnervensystem des Herzens, S. 60. 336 Die Innervation des Herzens. keinen Einfluß auf die Herzfrequenz ausübte, während der rechte den gewöhn- lichen Stillstand erzeugte. Bei zwei Individuen war auch der linke Vagus, obgleich in einem sehr geringen Grade, tätig. Daß in der Regel der rechte Vagus eine stärkere Einwirkung als der linke auf die Pulsfrequenz ausübt, wurde dann für verschiedene Arten von Schild- kröten von Gaskell1, Mills2, Fanos, Stewart i, Kronecker5 und anderen bestätigt. Auch Guyenot* bemerkt, daß der rechte Vagus bei der Schildkröte einen dominierenden Einfluß auf die Pulsfrequenz ausübt, ohne den Umfang der Kon- traktionen zu verändern, wogegen der linke Vagus, der keine Einwirkung auf die Pulsfrequenz hat, den Umfang der Systole vermindert. Desgleichen fand Mac William1 bei Lacerta palustris, sowie Millss bei Schlangen den rechten Vagus in der Regel kräftiger wirksam als den linken. Dasselbe bemerkten Tarchanoff9 und F. B. Hofmann10 in bezug auf den Frosch. Nach dem letzteren wirkt der linke Vagus oft gar nicht auf die Frequenz, sondern nur auf die Stärke der Herzkontraktionen ein. Dagegen fand Busquet11 unter 20 Fröschen bei 12 gleiche Erregbarkeit der beiden Vagi; bei drei Individuen war der rechte und bei fünf der linke kräftiger wirksam. Auch A. B. Meyer1'2 erwähnt, daß bei gewissen Schildkröten die Er- regbarkeit der beiden Vagi gleich groß ist, und Hofmeister1* konnte bei der Kröte keinen Unterschied zwischen dem rechten und dem linken Vagus feststellen. Nähere Aufschlüsse über diese Frage, insofern sie sich auf die kaltblütigen Wirbeltiere bezieht, verdanken wir Garreylx, der am Herzen der Schildkröte die Einwirkung beider Vagi auf die einzelnen Abschnitte des Herzens genau unter- sucht hat. Der rechte Vagus übt hauptsächlich einen chronotropen Einfluß auf die rechten Hohlvenen aus, und ruft durch Erzeugung eines sino-aurikularen Blocks Stillstand bei den Vorhöfen und der Kammer hervor, obgleich hier auch die inotrope Wirkung der Vagusreizung in Betracht kommt. Der linke Vagus übt in der Regel gar keine Wirkung auf die rechten Venen aus und diese setzen also bei dessen Reizung ihre Kontraktionen in normaler Frequenz und mit normaler Stärke ruhig weiter fort. Nur bei sehr rtarker Reizung lassen sich auch diese vom linken Vagus beeinflussen. Dagegen ver- mindert der linke Vagus die Erregbarkeit, das Leistungsvermögen und die Kon- traktilität der Vorhöfe in einem so hohen Grade, daß keine vom Sinus ausgehende Erregung die Kammer erreichen kann. In diesem Falle steht das Herz also 1 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 82; 1882. 2 Mills, ebenda, 6, S. 259; 1885; — Journ. of anat. and physiol., 21, S. 10; 1887. :{ Fano, Festschr. f. Ludwig. Leipzig 1887, S. 298. 4 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 110; 1892. 5 Kronecker, Arch. intern, de physiol., 2, S. 215; 1905. 6 Guyenot, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1907 (1), S. 1025, 1032, 1190. 7 Mac William, Journ. of physiol., 6, proc., S. 16; 1885. 8 Mills, Journ. of anat. and physiol., 22, S. 2; 1888; vgl. ebenda 21, S. 11—12 Mills' Deutung der betreffenden Erscheinung. 9 Tarchanoff, Travaux du laborat. de Marey, 2, S. 292; 1876. 10 F. B. Hof mann, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 160; 1895. 11 Busquet, Journ. de physiol., 1909, S. 222. 12 A. B. Meyer, a. a. O., S. 65. 13 Hofmeister, Arch. f. d. ges. Physiol., 44, S. 414; 1889. 11 Garrey, Amer. journ. of physiol., 28, S. 341; 1911. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 337 bei normal stattfindender Kontraktion der rechten Venen still, weil die Vorhofmuskulatur durch die Vaguswirkung augenblicklich leistungsunfähig ge- worden ist. Unter Umständen vermag aber auch nicht die stärkste Reizung des linken Vagus das Herz zum Stillstand zu bringen. Wenn es jetzt aber in eine rechte und eine linke Hälfte gespalten wird, so vermag jeder Vagus die entsprechende Herzhälfte vollständig zu hemmen. Hieraus folgt, daß in denjenigen Fällen, wo der linke Vagus scheinbar ohne Wirkung auf das Herz ist, dennoch die Kontraktionen der linken Hälfte des Herzens, vor allem der linken Hohlvene, des linken Teiles des Venensinus und des linken Vorhofes, in der Tat an Umfang abnehmen. Die Pulsfrequenz wird aber hier nicht verändert, denn der linke Vagus beeinflußt ja überhaupt nicht den rechten Teil des Venensinus und wenigstens der rechte Vorhof kann ja die Übertragung der Erregung auf die Kammer vermitteln. Der linke Vagus kann also, auch wenn er allein tätig ist, das Herz mit Aus- nahme des Venensinus zum Stillstand bringen; er ist aber jedenfalls weniger effektiv als der rechte Vagus, weil dieser den Ort, von woher der Herzschlag ausgelöst wird, direkt angreift.1 Unter den warmblütigen Tieren sind das Kaninchen, das Pferd, der Hund und die Ziege in dieser Hinsicht näher untersucht worden. Arloing und Tripier2 beobachteten, daß beim Hunde und Pferde der linke Vagus weniger wirksam war als der rechte. Kurz nachher wurde dies von Masoin3 am Kaninchen bestätigt, und später haben Ganter und Zahn* wie Cohn5 bei allen von ihnen untersuchten Tieren in der Mehrzahl der Fälle die Richtigkeit dieser Angaben nachgewiesen. Auch beim Menschen übt der rechte Vagus einen größeren Einfluß als der linke auf die Frequenz der Herzschläge, wie Robinson und Draper6 und Ritchie1 durch Kompression der Nerven am Halse sowohl bei Erwachsenen als bei Kindern nachgewiesen haben. Nach den von den ersteren aufgenommenen Elektrokardiogrammen scheint dagegen der linke Vagus eine mehr ausgeprägte Wirkung auf die Fortpflanzung der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern zu besitzen. Nach Weil8 kann sowohl der rechte als der linke Vagus eine rein chronotrope Wirkung ausüben; in der Mehrzahl der von ihm beobachteten Fälle war diese indessen bei dem rechten Vagus kräftiger oder trat überhaupt nur bei der Reizung desselben auf. Dagegen schien die dromotrope Wirkung bei dem linken Vagus etwas stärker zu sein. 1 Vgl. auch Mac William, Journ. of physiol., 6, proc., S. 16; 1885. 2 Arloing und Tripier, Arch. de physiol., 1871—72, S. 420; — 1873, S. 164. 3 Masoin, Bull, de l'Acad. de med. de Belgique (3) 6, Nr. 4; 1872; — vgl. auch Lander Brnnton, Therapeutics of the circulation, ed. 2. London 1914, S. 67. 4 Ganter und Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 502; 1913. 5 Colin, Journ. of exp. med., 15, S. 49; 1912; — 16, S. 732; 1912; daselbst eine ausführ- liche Literaturübersicht. (i Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 217; 1911; — 15, S. 14; 1912. 7 Ritchie, Quarterly journ. of med., 6, S. 47; 1912. 8 Weil, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 119, S. 43; 1916; — vgl. auch Laslett, Heart, 7, S. 347; 1920. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 22 338 Die Innervation des Herzens. Bei der Ratte und dem Meerschweinchen wie bei dem Kaninchen konnten Legros und Onimus1, Langendorff2 und Harrington3 keine Differenz in beziig auf die Leistungsfähigkeit der beiden Vagi wahrnehmen. Es ist indessen zu bemerken, daß hier wie bei den kaltblütigen Tieren die Angriffspunkte des einen oder des anderen Vagus verschieden sein können. Obgleich, wegen der reichlicheren Plexusbildung, die Verhältnisse bei den Säuge- tieren wesentlich mehr kompliziert sind, läßt sich indessen aus den Versuchen von Ganter und Zahn* schließen, daß bei den Säugetieren der rechte Vagus in der Regel eine stärkere Wirkung auf die Reizbildung im Sinusknoten, der linke Vagus eine stärkere Wirkung auf den atrioventrikulären Knoten ausübt. Aus diesem allen scheint zu folgen, daß sich Unterschiede der Leistungs- fähigkeit bei den beiden Vagi sehr oft vorfinden und daß in bezug auf die rein chronotropen Wirkungen in der Regel der rechte Vagus dabei der kräftigere ist. Eine Konsequenz dieser Erkenntnis ist, daß die gleichzeitige Reizung der beiden Vagi eine Summationswirkung ergeben muß. Dies wurde schon von den Gebrüdern Weber5 nachgewiesen und ist dann vielfach bestätigt worden. Als Beispiel sei erwähnt, daß Dogiel und Grahe6 bei alleiniger Reizung des rechten Vagus am Hunde einen diastolischen Herzstillstand von 60 Sekunden Dauer erzielten; eine 10 Minuten später stattfindende Reizung beider Vagi mit der gleichen Stromstärke ergab einen 140 Sekunden dauernden Stillstand. Eine weitere Konsequenz der Tatsache von den verschiedenen Angriffs- punkten der beiden Vagi im Herzen ist die folgende. Wenn der eine Vagus oder richtiger seine intrakardialen Verbindungen durch fortgesetzte Reizung ermüdet sind und das Herz also wieder anfängt zu schlagen, kann man, wie Tarchanoff7, Eckhard8 und Mac William9 an den kalt- blütigen Tieren gezeigt haben, durch eine sofort folgende Reizung des zweiten Vagus den Stillstand wieder hervorrufen, d. h. der eine Vagus übt auf die Leistungs- fähigkeit des anderen gar keinen Einfluß aus. Bei den warmblütigen Tieren fanden Tarchanoff und Puelma10 dagegen, daß dann, wenn der eine Vagus ermüdet war, eine Ruhepause von etwa 1 bis 2 Minuten eingeschaltet werden mußte, bevor der zweite Vagus auf das Herz einwirken konnte. Diese Ruhepause ist, wie ersichtlich, von derselben Größen- ordnung wie die, welche nötig ist, um die Leistungsfähigkeit des gereizten Vagus wiederherzustellen. In Übereinstimmung damit steht Hüflers11 Erfahrung, daß nach dem Er- scheinen von deutlichen Ermüdungssymptomen bei der Reizung des einen Vagus 1 Legros und Onimus, Journ. de Panat. et de la physiol., 1872, S. 575 (Ratte, Meer- schweinchen). 2 Langendorff, Mitteil, aus dem Königsberger physiol. Inst., S. 68; 1875 (Kaninchen). 3 Harrington, Amer. journ. of physiol., 1, S. 383; 1898 (Meerschweinchen). 4 Ganter und Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 509; 1913. 5 Ed. Weber, Handwörterbuch d. Physiol., 3 (2), S. 45; 1846. 6 Dogiel und Grahe, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1895, S. 394. 7 Tarchanoff, Travaux du laborat. de Marey, 2, S. 297; 1876. 8 Eckhard, Beitr. zur Anat. u. Physiol., 8, S. 180; 1878. 9 Mac William, Journ. of physiol., 6, S. 217; 1885; — vgl. auch Mills, ebenda, 6, S. 259; 1885. 10 Tarchanoff und Puelma, Archives de physiol., 1875, S. 457. 11 Hüfler, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1889, S. 305. Die hemmenden Herznerven bei den Wirheitieren. 339 die sofort darauf stattfindende Reizung des zweiten Vagus ohne Erfolg ist, d. h. daß bei der Ermüdung des einen Vagus der andere nicht unmittelbar seine Wirkung in vollem Maße entfalten kann. Andererseits gibt Tscherepin1 an, daß die zur Erreichung der vollen Reaktions- fähigkeit bei der Reizung des zweiten Vagus notwendige Ruhepause auf 10 bis 13 Sekunden herabgedrückt werden kann, und Gamgee und Priestley2 teilen Ver- suche mit, welche ziemlich bestimmt dartun, daß eine Ruhepause überhaupt nicht nötig ist, sofern nur die beiden Vagi nicht zu lange angestrengt waren. Diese Erscheinungen hängen offenbar mit der Verteilung der Endverästelungen der Vagi im Herzen auf das nächste zusammen. Sind die negativ chronotropen Wirkungen in einer ziemlich gleichen Anzahl auf die beiden Vagi verteilt, so wird der von Gamgee und Priestley beschriebene Fall eintreffen. Ist aber die Verteilung der betreffenden Fasern ungleichmäßig, so daß der eine Vagus viel mehr solche enthält als der andere, und wird jener zuerst gereizt, so ist es dem zweiten Vagus nicht möglich, seine volle Wirkung früher zu entfalten, als die Ermüdung nach der Reizung des ersten Vagus etwas zurückgegangen ist. Außer- dem muß ja auch die Verteilung der negativ chronotropen und negativ inotropen Wirkungen auf den einen und den anderen Vagus hierbei eine wesentliche Rolle spielen. Eine detaillierte Darlegung der hierbei stattfindenden Vorgänge ist indessen, angesichts unserer noch sehr mangelhaften Kenntnisse, nicht möglich. Schließlich ist folgende, von Dogiel und Grahe3 beschriebene Erscheinung zu erwähnen. Beim Hunde wurde unter gewissen Bedingungen der Einfluß des einen Vagus durch die Tätigkeit des anderen nicht nur nicht verstärkt, sondern im Gegenteil geschwächt, indem die Wirkung einer Reizung des einen Vagus nach Durchschneidung des zweiten zunahm. In gleicher Weise nahm die Hemmungs^ Wirkung bei Reizung des Vagus nach Durchschneidung des Nerven zu. Dementsprechend fand v. Tschermak,i daß bei Hunden und Kaninchen mit deutlichem Vagustonus die Ausschaltung des einen Vagus die Empfänglichkeit des anderen für tetanisierende Reizung erhöht, so daß die Schwelle für eben merkliche Pulsverlangsamung und Drucksenkung abnimmt, ein überschwelliger Reiz an Wirkungsfähigkeit gewinnt und die Schwelle für den Herzstillstand tiefer sinkt. Bei Tieren ohne Vagustonus kam diese Wirkung der Vagusausschaltung in v. Tschermaks Versuchen nicht zum Vorschein. Die Frage nach dem direkten chronotropen Einfluß des Vagus auf die ein- zelnen Abteilungen des Herzens werde ich im Zusammenhang mit der Dar- stellung der inotropen Vaguswirkungen im folgenden Paragraphen besprechen. § 73. Die Veränderungen des Kontraktionsumfanges bei den verschiedenen Abteilungen des Herzens. a) Kaltblütige Wirbeltiere. Der erste, der genauere Untersuchungen über die Einwirkung des Vagus auf die Größe der Herzkontraktionen machte, war Coats.5 Unter Anwendung 1 Tscherepin, zit. nach dem Jahresber. d. Anat. u. Physiol., 1881 (2>, S. 58. 2 Gamgee und Priestley, Journ. of physiol., 1, S. 39; 1878. 3 Dogiel und Grahe, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1895, S. 392. 4 v. Tschermak, Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurol., 26, S. 320; 1909. 5 Coats, Ber. d. Sachs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. KL, 1869, S. 360. 22* 340 Die Innervation des Herzens. des Quecksilbermanometers fand er, daß bei der Herzkammer des Frosches jede Systole während der Vagusreizung schwächer war als vor derselben, daß sich nicht selten als erste Wirkung der Vagusreizung eine Abnahme des Kon- traktionsumfanges ohne Verlangsamung der Schlagfolge bemerkbar machte, sowie endlich, daß das Herz während der Diastole bei Vagusreizung mehr als sonst erschlafft war. Nähere Aufschlüsse über diesen Gegenstand waren nur durch die besondere Berücksichtigung der von den Vorhöfen und der Kammer an und für sich aus- geführten Bewegungen möglich. Am Aalherzen fand Mac William1, daß der Umfang der Vorhofkontraktionen durch die Vagusreizung erheblich herabgesetzt wird. Dagegen erfährt die Kammer keine direkte Einwirkung vom Vagus und alle bei ihr auftretenden Veränderungen sind nur die indirekte Folge des Vagus auf die proximalen Teile des Herzens. Demnach sind die Kammerkontraktionen bei schwacher Vagusreizung, wo kein Herzstillstand eintritt, der Retardation der Herzschläge entsprechend vergrößert. Dagegen scheint die Vagusreizung bei den Rochen unvermögend zu sein, den Umfang der Vorhofkontraktionen zu vermindern. Man findet nämlich, daß bis zum vollkommenen Stillstand irgendwie schwächere Schläge nicht zu beobachten sind, daß eine spontane Vorhofsystole, die während einer längeren Pause eintritt, keine Abschwächung in ihrer Intensität zeigt usw. Auch auf die Größe der Kammerkontraktionen übt der Vagus keine Wirkung aus (Queen2). Beim Frosch fand Nu'el3, daß der Umfang der Kontraktionen viel leichter und regelmäßiger bei dem Vorhof als bei der Kammer abnahm. Wurden alle beide gleichzeitig registriert, so traf man oft auf Fälle, wo nach einer unbedeutenden Verlängerung der Herzpause die Kammerkontraktionen gar nicht verändert waren, während eine größere Anzahl Vorhofkontraktionen kleiner wurden als vorher. Auch waren solche Fälle nicht selten, wo die Vorhofkontraktionen, ohne gleichzeitige Verlängerung der Pause und ohne irgendwelche Veränderung der Kammerkontraktionen, eine deutliche Größenabnahme zeigten. Die Verminderung der Kontraktionsgröße des Vorhofes trat früher als die Periodenverlängerung zum Vorschein. Wegen dieser Abnahme der Vorhofkontraktionen wird die Zufuhr von Blut zu der Kammer vermindert; infolgedessen ist es ihr nicht möglich, bei jeder Systole so viel Blut wie vorher herauszutreiben und der arterielle Blut- druck sinkt deshalb herab. Es beginnt indessen trotz der dauernden Vorhof- schwäche die Füllung der Kammer größer zu werden, weil durch die Stauung, die inzwischen oberhalb der Atrioventrikulargrenze entsteht, mehr Blut als gewöhnlich während der Zeit vor der Vorhofsystole in die Kammer hinein- strömt. Bei unveränderter Schlagfrequenz ist aber dennoch die betreffende Vermehrung zu klein, als daß die diastolische Füllung der Kammer ihren normalen Wert erreichen könnte (Tawaststjerna*). Es wäre indessen verfrüht, aus diesen Versuchen schließen zu wollen, daß der Vagus beim Froschherzen nur auf den Vorhof einwirken sollte. Bei Reizung 1 Mac William, Journ. of physiol., 6, S. 223, 225; 1885. 2 Queen, Zeitschr. f. Biol., 62, S. 33; 1913. 3 Nuel, Aren. f. d. ges. Physiol., 9, S. 83; 1874. 4 Tawaststjerna, Skand. Aren. f. Physiol., 36, S. 60; 1916. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 341 des Froschvagus mittels doppelter Iiiduktionsschläge in 2 — 5 Sekunden Intervall fand nämlich Heidenhain1, daß der Umfang der Kammerkontraktionen auf Null herabsinken konnte, ohne daß dabei irgendwelche Veränderung in der Schlag- folge erschien. Es gelang allerdings nicht immer, dasjenige Verhältnis zwischen Stromstärke und Rhythmus der Reizung zu treffen, bei welchem nur der Umfang der Kontraktion abnahm; am leichtesten fand dies bei etwas ermüdeten Herzen statt. In Übereinstimmung mit dem Alles- oder -Nichts-Gesetz kann diese Größen- abnahme der Kammerkontraktion, da sie bei unveränderter Kontraktionsfrequenz stattfindet, nicht die einfache Folge irgendeiner Einwirkung auf die Vorhöfe darstellen, sondern muß als Ausdruck einer direkten Vaguswirkung auf die Kammer selbst, d. h. einer Änderung im Leistungsvermögen der Kammer- muskulatur aufgefaßt werden (vgl. auch F. B. Hofmann2, Engelmann3, H. E. He- ring*). Diese Folgerung wird durch folgende Beobachtungen von F. B. Hofmann3 weiter bestätigt. Dabei wurde das Froschherz in zwei Teile, welche nur durch die Scheidewandnerven untereinander zusammenhingen, getrennt. Wie schon oben bemerkt (II, S. 105), bleibt dabei der distale Teil- eine Zeitlang stillstehen, fängt aber in der Regel früher oder später an, spontan zu schlagen. Um indessen von Zufälligkeiten in dessen Erregungszustande unabhängig zu sein, unterhielt Hofmann durch rhythmische Induktionsschläge bei den distalen Herzteilen Kontraktionen in einem etwas schnelleren Rhythmus als dem, in welchem sie spontan pulsiert hätten. Wurde nun der Vagus gereizt, so nahm der Umfang der Kontraktionen sowohl beim Vorhofrest als bei der Kammer, bei unveränderter Pulsfrequenz, fast bis zur Unmerklichkeit ab; bei den Vorhöfen ging die Abnahme in der Tat so weit, daß dort keine Bewegung mehr wahrgenommen werden konnte. Die gleiche Wirkung erschien bei einem durch Induktionsströme hervor- gerufenen künstlichen Rhythmus sowohl am Herzen in situ bei erhaltenem Kreislauf, wie am herausgeschnittenen unversehrten Herzen. Nach Durchschneidung der Scheidewandnerven übt die Vagusreizung keine Wirkung mehr auf den Umfang der Kammerkontraktionen aus. Eine sehr schöne Illustration zum Verhalten des Vorhofes des Froschherzens bei der Vagusreizung bietet folgender Versuch von Engelmann6 dar. Man unterhält beim Vorhofe durch elektrische Reizung einen künstlichen Rhythmus und reizt den Vagus mit einzelnen Induktionsschlägen. Die Schwächung der Kontraktion beschränkt sich dann auf eine einzige oder zwei Systolen und tritt nicht auf, wenn der Reiz nicht mindestens 0,5 Sekunde vor dem Anfang der Systole den Vagus trifft. Geht man dann stufenweise zu immer stärkeren Reizen über, so wird eine immer größere Zahl von Systolen geschwächt und die Abnahme der Hubhöhe 1 Heidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol., 27, S. 388; 1882. 2 F. B. Hof mann, ebenda, 72, S. 437; 1898. 3 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 444. 4 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 108, S. 291 ; 1905. 5 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 72, S. 416; 1898. ü Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 453. 342 Die Innervation des Herzens. wächst unter Umständen bis zu voller Unmerklichkeit einer längeren Reihe von Pulsationen. Die Latenzdauer nimmt dabei bis auf etwa 0,3 Sekunde ab. Das Maximum der Schwächung wird etwa 3 — 4 Sekunden nach dem Moment der Reizung erreicht; bei den allerstärksten wird schon die Hubhöhe der ersten Systole nach der Reizung auf Null reduziert. Die Gesamtdauer der Wirkung beträgt bei der schwächsten Reizung nicht viel über 2 Sekunden, bei den stärksten weit mehr als 30 Sekunden. Bei wiederholter Reizung, selbst wenn der zweite Reiz im Latenzstadium der hem- menden Wirkung folgt, wird die Wirkung gesteigert und man erhält eine wirkliche Superposition der Wirkungen. Die hemmende Wirkung ist von derjenigen Phase un- abhängig, in welche der Reiz fällt. Wenn man daher bei konstanter Umdrehungsge- schwindigkeit des Registrier- zylinders den Vagus immer an derselben Stelle des Zy- linderumfanges mit einzelnen Reizen oder kurzen Reizfolgen reizt, so wiederholen sich die Erscheinungen, wie aus der Fig. 317 ersichtlich, ganz regelmäßig. Bei der Reihe d hat eine etwa 20malige Wiederholung der Reizung an derselben Stelle stattgefunden. Diese Resultate werden von Trendelenburg1 in allem Wesentlichen bestätigt. Er fügt aber noch hinzu, daß auch wenn keine Veränderung der Kontraktions- höhe bei der Vagusreizung erscheint, dennoch die Dauer der Kontraktion dabei abnehmen kann. Beim völlig normalen, blutdurchströmten Herzen konnte Muskens2 gar keine inotrope Wirkung auf die Herzkammer des Frosches beobachten, ließ er aber das Tier verbluten, so trat diese deutlich zum Vorschein. Auch in Engel- manns3 Versuchen kamen negativ-inotrope Reflexe auf die Kammer bei normaler oder wenig behinderter Blutzufuhr in der Regel gar nicht oder nur in geringem Grade vor, konnten aber im entgegengesetzten Falle sehr stark werden. Des- gleichen fand Ruügers1 am Scheidewandnervenpräparat nach Hofmann, daß bei Durchspülung mit Blut die Vagusreizung ohne jeden inotropen Einfluß auf Fig. 317. Wirkung kurzdauernder Reize des Vagus auf das Froschherz. Nach Engelmann, a, b, c, einmalige Reizungen; d, 20 malige Wiederholung der Reizung an derselben Stelle des Zylinderumfanges. 1 Trendelenburg, ebenda, 1902, Suppl., S. 312. - Muskens, Amer. journ. of physiol., 1, S. 488; 1898. 3 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., phydol. Abt., 1900; S. 334. 1 Ruttgers, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 25; 1916. Die hemmenden Herznerven bei >.k\\ Wirbeltieren. 343 die Kammer sein kann, und kurz nachher veröffentlichte F. B. Hopnann1 Ver- suche, aus welchen hervorgeht, daß die abschwächende Vaguswirkung auf die Kammer am frischen, blutdurchströmten Herzen gering ist oder gelegentlich Fig. 318. Rhythmische Reizimg der Kammer des Froschherzens. Nach F. B. Hof mann, a, Reizung des linken Vagus am blutdurchströmten Herzen; b, dasselbe 5 Minuten nach dem Verbluten des Herzens; c, dasselbe 35 Minuten später. Von links nach rechts zu lesen. ganz fehlt, um bedeutend zuzunehmen, wenn sich der Zustand des Herzens verschlechtert (vgl. Fig. 318). In diesem Zusammenhange ist noch die Frage nach dem etwaigen direkten chronotropen Einfluß des Vagus auf die Herzkammer des Frosches zu erörtern. Wenn man am Froschherzen den zentralen Stumpf der freipräparierten Scheidewandnerven reizt, so tritt eine Abnahme der Schlagfrequenz auf. Es 1 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Bio1., 67, S. 440; 1917. 344 D'e Innervation des Herzens. handelt sich hier, wie F. B. Hofmann1 näher ausgeführt hat, um einen Axon- reflex im Sinne von Langley. Bei Reizung des peripheren Stumpfes des Scheidewandnerven bekommt man im allgemeinen keine Frequenzabnahme bei der Kammer und insbesondere F. B. Hofmann2 hat die Ansicht vertreten, daß beim Vagus eine chronotrope Wirkung auf die Kammer vollständig fehlt. Indessen hatte Haberlandt3 am Scheidewandnervenpräparat bei Vagus- reizung eine Abnahme der Schlagfrequenz der automatisch pulsierenden Kammer beobachtet, wenn auch statt dieser eine Beschleunigung zuweilen erschien. Auch Ruttgers* fand, daß der Vagus ohne jede inotrope Wirkung einen aus- gesprochen chronotropen Einfluß auf die Herzkammer des Frosches ausüben kann, welcher sich teils als ein Stillstand, teils als eine Retardation kundgibt und übrigens auch als eine Beschleunigung der Schlagfrequenz erscheint. Seinerseits ist schließlich F. B. Hofmann5 zu dem gleichen Resultat ge- kommen und erwähnt Versuche, wo die Scheidewandnerven auf die spontan schlagende Kammer eine Hemmung ausübten. Jedenfalls dürfte die chronotrope wie wahrscheinlich auch die inotrope Wirkung des Vagus auf die Kammer an und für sich, im Vergleich mit dessen Einfluß auf den Sinus und die Vorhöfe, nur ziemlich unbedeutend sein. Beim Menobranchus wird nach Mills* die Kammer stärker als Sinus und Vorhöfe vom Vagus beeinflußt. Im Laufe einer länger dauernden Reizung können diese ihre Kontraktionen wieder aufnehmen, während die Kammer noch minutenlang stillsteht. Das Herz der Lacerta palustris bietet wesentlich die gleiche Eigentümlich- keit dar. Bei schwacher Reizung des rechten Vagus nimmt die Kraft der Kammer- kontraktionen ab, während der Venensinus und die Vorhöfe immer weiter pul- sieren. Der linke Vagus übt dagegen seine Wirkung auf das ganze Herz aus (Mac William''). Nach Mills8 ist andererseits bei der Wasserschildkröte, den Schlangen und dem Alligator der Einfluß des Vagus auf die Vorhöfe viel größer als auf die Kammer. Es war Gaskell9 nicht möglich, irgendeine direkte Wirkung des Vagus auf die Kammer des Testudo graeca nachzuweisen. Wenn die Vorhöfe infolge der Vagusreizung bei unverändertem Rhythmus Kontraktionen kleineren Umfanges ausführten, blieb die Kammer davon vollständig unberührt und schlug ganz wie vor der Reizung. Schlugen die Vorhöfe langsamer, so pulsierte auch die Kammer langsamer; ihre Kontraktionen waren aber jetzt größer, was davon 1 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 398, 422; 1917. 2 F. B. Hofmann, ebenda, 67, S. 393. 3 Haberlandt, ebenda, 63, S. 325; 1914. 4 Ruttgers, ebenda, 67, S. 26; 1916. 5 F. B. Hofmann, ebenda, 67, S. 428. fi Mills, Journ. of physiol., 7, S. 94; 1886. 7 Mac William, Journ. of physiol., 6, proc., S. 16; 1885. 8 Mills, ebenda, 6, S. 251 (Pseudemys rugosa); — Journ. of anat. and physiol., 20, S. 550; 1886 (Alligator); — 22, S. 2; 1888 (Tropidonotus\ 9 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 89; 1883. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 345 abhing, daß bei der Schildkröte wie beim Frosch der normale Herzrhythmus schneller ist als derjenige, bei welchem die größten Zusammenziehungen auf- treten. Es findet sich also nach diesen Erfahrungen ein wesentlicher Unterschied zwischen der Kammer des Froschherzens und der des Schildkrötenherzens. Einen Ausdruck dafür gibt uns auch folgende Beobachtung von Gaskell.1 Wenn Muskelstreifen aus der Kammer dieser Tiere mittels nicht zu starker Induktionsströme direkt gereizt werden, so nimmt der Umfang der spontanen Kontraktionen des aus der Froschherzkammer ausgeschnittenen Streifens ab, während keine derartigen Hemmungserscheinungen bei dem Streifen aus der Kammer der Schildkröte auftreten. Hieraus wie aus der Tatsache, daß eine entsprechende Hemmung auch bei Streifen aus den Vorhöfen des Schildkröten- oder des Froschherzens nachgewiesen werden kann, würde folgen, daß die Kammer des Schildkrötenherzens tatsächlich keine hemmenden Nerven bekommt. Indessen haben Francois-Franck2 wie später Kronecker und Spalitta3 beob- achtet, daß bei der Schildkröte die Reizung des Vagus beim Flimmern der Vor- höfe die gewöhnlichen Hemmungserscheinungen bei der Kammer hervorruft, obgleich das Vorhofflimmern wie vorher bestehen bleibt. In diesem Falle hat doch der Vagus direkt auf die Herzkammer einwirken müssen. Auch bei Reizung des Koronarnerven kann die automatisch schlagende Kammer zum Stillstand gebracht werden (Haberlandt*). b) Warmblütige Wirbeltiere. 1. Die Vögel. Bei den Vorhöfen der Taube konnte Knoll5 wohl Ab- schwächung der Kontraktion bis auf ein Minimum, aber keine vollständige Ruhe eintreten sehen. Entsprechend der verlangsamten Schlagfolge nahmen die Kammerkontraktionen dabei an Stärke sogar zu. Nach Jürgens* sind die inotropen Vaguswirkungen beim Taubenherzen stärker auf die Vorhöfe als auf die Kammern; letztere sind zu selbständigen Kontraktionen stark geneigt, so daß sie während des Vorhofstillstandes sogar schneller als vor demselben schlagen können. Indessen kann man zeigen, daß sich der Umfang der Kammerkontraktionen unabhängig von den in den Vor- boten stattfindenden Vorgängen verändert, indem z. B. die Größe der Kammer- kontraktion bei unverändertem Umfang der Vorhofsystole erheblich abnehmen kann. 2. Die Säugetiere. Alle Autoren, die sich mit der Frage nach der Ein- wirkung des Vagus auf die Vorhöfe des Säugetierherzens beschäftigt haben, stimmen darin überein, daß dabei der Umfang der Kontraktionen abnimmt; daß diese Abnahme vom Rhythmus der Schlagfolge ganz unabhängig ist; und daß eine Frequenzabnahme ohne gleichzeitige Abnahme der Kontraktionsgröße 1 Gaskell, ebenda, 4, S. 106; 1833; — 7, S. 47; 1886. 2 Frcncois-Franck, Arch. de physiol., 1891, S. 583. :! Kronecker und Spalitta, Arch. intern, de physiol., 2, S. 223; 1905. 1 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 463; 1917. 5 Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 591, 595; 1897. 6 Jürgens, ebenda, 129, S. 516; 1909. 346 Die Innervation des Herzens. nie vorkommt (Nuel1, Mac William'2, Frangois-Franck3, Bayliss und Starling1, Roy und Adami5, RihlG, Stassen7). Diese Erscheinungen treten auch bei blutleeren Vorhöfen auf und sind also nicht von einer Blutstauung abhängig. Ebensowenig hängen sie mit der Druck- senkung in den Kranzarterien zusammen (Mac William8). Indessen gibt Fischet9 an, daß er bei der Vagusreizung in einigen Fällen eine deutliche Vergrößerung der durch direkte elektrische Reizung ausgelösten Vorhofkontraktionen des Kaninchenherzens beobachtet hat. Wiggers10 registrierte die Zusammenziehungen kleiner Abschnitte der Vorhof- wand und fand in Übereinstimmung mit dem hier schon Erwähnten, daß sich auch bei den Elementen des Herzmuskels die inotrope Wirkung des Vagus geltend macht. Er fügt aber noch hinzu, daß, wenn gleichzeitig die Schlagfrequenz bei der Vagusreizung abnimmt, die erste Kontraktion größer ist, die folgenden jedoch immer kleiner sind als vor der Reizung. In Übereinstimmung mit der Abnahme des Kontraktionsumfanges steht die Erfahrung von Drury, Lewis und Bulger11, daß die Dauer der refraktären Periode des Vorhofes beim Hunde unter dem Einfluß der Vagusreizung abnimmt, in einem Falle von 0,12 auf 0,02 Sekunde. Weniger intensiv als auf die Vorhöfe scheint die Wirkung der Vagusreizung auf die sich rhythmisch kontrahierenden Hohlvenen zu sein. Bei stillstehenden Vorhöfen pulsieren diese Venen weiter, und zwar isorhythmisch mit den Kammern ; ja, sie können selbst bei stillstehenden Vorhöfen und Kammern noch ganz deut- liche, wenn auch sehr schwache Kontraktionen ausführen (Knoll12). Auf die Kammern übt der Vagus eine entschieden schwächere Wirkung als auf die Vorhöfe aus. In einem von Nuel13 mitgeteilten Versuche (Kaninchen) trat überhaupt keine Veränderung in der Kontraktionsgröße der Kammern zum Vorschein, und im allgemeinen kann man wohl sagen, daß bei nicht zu starker Vagusreizung die dann ziemlich wenig frequenten Kammerkontraktionen, wie zuerst Mac William1* hervorhob und die folgenden Autoren, Johansson und R. Tigerstedt15, Roy und Adami16, Kiwll11, Henderson und Barringer18 u.a. bestätigten, bedeutend umfangreicher sind als bei normaler Herzfrequenz — ein Resultat, das auch 1 Nuel, Arch. f. d. ges. Physiol., 9, S. 105; 1874. 2 Mac William, Jonrn. of physiol., 9, S. 348; 1888. 3 Frangois-Franck, Arch. de physiol., 1891, S. 484. 4 Bayliss und Starling, Journ. of physiol., 13, S. 410; 1892. 5 Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 221; 1892. 6 Ri'hl, Arch. f. d. ges. Physiol., 114, S. 550; 1906. 7 Stassen, Arch. intern, de physiol., 5, S. 71; 1907. 8 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 349; 1888. 9 Fischet, Arch. f. exp. Pathol., 38, S. 240; 1897. 10 Wiggers, Amer. journ. of physiol., 42, S. 133; 1916. 11 Drury, Lewis und Bulger, Journ of physiol., 54, proc. S. 97; 1921. 12 Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 68, S. 342, 346; 1897. 13 Nuel, Arch. f. d. ges. Physiol., 9, S. 105; 1874. 14 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 363; 1888. 15 Johansson und R. Tigerstedt, Mitt. aus d. physiol. Laborat. in Stockholm, 6, Nr. 8; 1889. 16 Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 215; 1892. 17 Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 594; 1897. 18 Henderson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 350; 1906; — Henderson und Barringer, ebenda, 31, S. 295; 1913. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 347 daraus hervorgeht, daß die bei jeder Systole herausgetriebene Blutmenge, wie direkte Eichungsversuche beim natürlichen Kreislauf ergeben haben, sehr er- heblich zunimmt (Elving und v. Wendt1). Bayliss und Starling2 beobachteten allerdings eine geringe Abnahme des Kontraktionsumfanges der Kammern, welche sie indessen nicht als Ausdruck eines direkten Einflusses des Vagus auf die Kammern auffassen, sondern als Folge von allerhand Nebenumständen, wie der stetig zunehmenden Erstickung des Herzmuskels, der Ausdehnung der Herzwand usw., auffassen. Die Steigerung der Kontraktionsgröße der Kammern, die in den erwähnten und vielen anderen Versuchen aufgetreten ist, darf nicht so aufgefaßt werden, als ob der Vagus selber die Systole der Vorhöfe verminderte und gleichzeitig die der Kammer erhöhte. Sie findet vielmehr ihre einfache Erklärung darin, daß die Kammern während ihrer bei der Vagusreizung stattfindenden länger dauernden Diastole bessere Gelegenheit als sonst finden, ohne irgendwelche Zunahme ihrer Dehnbarkeit (O.Frank3), zu erschlaffen und sich mit Blut zu füllen, und daß sie sich daher auch stärker zusammenziehen sowie eine größere Blutmenge als sonst heraustreiben können, wobei auch zu berücksichtigen ist, daß die Gefäße, wegen der längeren Pause, mehr als normal erweitert sind und also einen geringeren Widerstand dem Blutstrome leisten. Daß hier tatsächlich keine direkte Wirkung des Vagus auf die Kammern vorliegt, folgt auch daraus, daß, wenn man durch Erstickung des Tieres bei durchschnittenen Vagi eine große Blutmenge in den zentralen Venen und im Herzen sich sammeln läßt, die ersten Herzschläge bei wieder eingeleiteter Atmung sehr umfangreich sind. Nach diesen Erfahrungen wäre man geneigt, anzunehmen, daß beim Säuge- tierherzen wie bei dem Herzen der Schildkröte der Vagus überhaupt keinen direkten Einfluß auf die Kammern ausübte und daß alle bei der Vagusreizung bei den Kammern auftretenden Veränderungen lediglich von Veränderungen in den Vorhöfen bzw. in der Leitung zwischen diesen und den Kammern ver- ursacht wären. Gegen diese Auffassung konnte man allerdings einwenden, daß die eigene Automatie der Kammern des Säugetierherzens an und für sich, wie aus dem II, S. 125 Ausgeführten hervorgeht, jedenfalls so groß ist, daß die Kammern, wenn sie durch die Wirkung des Vagus auf die Vorhöfe und das Leitungsbündel plötzlich von deren Einfluß frei gemacht werden, dennoch weiter pulsieren sollten, wie sie es ja nach völliger mechanischer Isolierung von den Vorhöfen tun. Es wäre aber möglich, daß der Angriffspunkt der leitungshemmenden Fasern etwas distal von dem Orte liege, wo die Trennung nach Wooldridge und mir stattfindet, und daß also die betreffenden Erfahrungen nicht beweiskräftig sind. Auch haben Erlanger und Hirschfelder4 mit besonderem Nachdruck die Auffassung vertreten, daß der Vagus überhaupt keine Wirkung auf die Herz- kammern der Säugetiere ausübt. 1 Elving und v. Wendt, Skand. Aren. f. Physiol., 19, S. 106; 1907; näher hierüber in Bd. III. 2 Bayliss und Starling, Journ. of physiol., 13, S. 411; 1892. :J 0. Frank, Sitz.-Ber. d. Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol. in München, 1897, S.-A., S. 25. 4 Erlanger und Hirschfelder, Amer. journ. of physiol., 15, S. 159; 1906. 348 Die Innervation des Herzens. Wenn man bei unversehrtem Kreislauf das Verbindungsbündel zwischen Vorhöfen und Kammern abklemmt, so kann es bei unveränderter Schlagfolge der Vorhöfe eintreffen, daß die Kammern eine Zeitlang stillstehen, vollkommen schlaff sind und erst nach einiger Zeit beginnen, in ihrem eigenen Rhythmus zu pulsieren. Dieser Stillstand dauert am längsten, wenn die Abklemmung ganz plötzlich stattfindet, erscheint indessen selbst dann nicht immer. Im günstigsten Falle kann der Stillstand bis zu 400 Sekunden dauern. Die Ursache dieses Stillstandes kann entweder darin liegen, daß es eine Zeitlang dauert, bis sich der eigene Rhythmus der Kammern bzw. die innere Reizung in ihnen ausbilden kann, oder auch darin, daß bei der Abklemmung des Bündels irgendwelche hemmenden Gebilde gereizt worden sind. Für die erste Annahme spricht, nach Erlanger und Hirschfelder, unter anderem das Verhalten, daß der Stillstand länger dauert, wenn Vorhöfe und Kammern vor der Abklemmung des Bündels isorhythmisch schlugen; daß die Dauer des Stillstandes wesentlich kürzer ist, wenn sich vor der letzten Abklemmung eine partielle Dissoziation zwischen den Vorhöfen und den Kammern schon vorfand, so daß z. B. auf zwei oder gar drei Vorhofkontraktionen nur eine Kammer- kontraktion fiel; sowie daß bei partieller Dissoziation, wenn die Vorhöfe arti- fiziell zu einem sehr schnellen Rhythmus angeregt werden, die Kammern still- stehen können. In derselben Richtung gehen auch die Erfahrungen von Cullis und Tribe1, laut welchen die Kammern des künstlich ernährten Katzen- und Kaninchen- herzens nach Durchschneidung des Verbindungsbündels weder von der Vagus- reizung noch von der Vergiftung mit Muskarin oder Atropin irgendeinen Einfluß erleiden, sowie Leethams2 Beobachtung, daß ausgeschnittene Streifen aus der Kammerwand sich ebenso refraktär gegen die genannten Gifte verhalten. Gegen die Annahme, daß bei dem betreffenden Stillstande die mechanische Reizung der Vagusäste durch die Abklemmung das wirksame wäre, führen Erlanger und Hirsch) 'eider speziell die Erfahrung an, daß nach einmal erschienenem selbständigem Kammerrhythmus die wiederholte Abklemmung keinen Stillstand mehr hervorbringt, sowie daß die elektrische Reizung des Übergangsbündeis nie einen Stillstand bewirkt. Auch die Tatsache, daß die Zeitdauer des längsten Kammerstillstandes bei der Vagusreizung von derselben Größenordnung ist wie der längste Still- stand der Kammern bei der Abklemmung des Übergangsbündels, kann für die Deutung Erlangers herbeigezogen werden. Es muß zugegeben werden, daß diese Tatsachen große Bedenklichkeiten gegen die Annahme der direkten Vaguswirkung auf die Kammer erwecken. Indes ist auf der anderen Seite zu berücksichtigen, daß das Hundeherz, an welchem die meisten Versuche von Erlanger und Hirschfelder ausgeführt wurden, für mechanische Beschädigungen außerordentlich empfindlich ist, und daß daher der betreffende Stillstand von solchen möglicherweise herrühren konnte; sowie daß der Stillstand, wie die Autoren selber ausdrücklich bemerken, nicht in allen Fällen erschien, was zeigt, daß die Bedingungen für die selbständige rhythmische 1 Cullis und Tribc, Journ. of physiol., 46, S. 141; 1913. - Leetliam, ebenda, 46, S. 151; 1913. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 349 Tätigkeit der Kammern in gewissen Fällen wenigstens sogleich von Anfang an vorhanden waren. Ferner sind in dieser Beziehung noch folgende Tatsachen zu berücksichtigen. Arloing und Tripier1 maßen den intrakardialen Druck in den Herzkammern des Pferdes und fanden, daß bei mäßiger Vagusreizung die Herzschläge seltener und gleichzeitig der Umfang der Druckschwankungen in den Kammern kleiner wurden. Über das Verhalten der Vorhöfe wird kein Aufschluß gegeben. Bei einer genügend starken Reizung stellen sich in den Kammern abwechselnd wenig frequente, starke und sehr schwache Kontraktionen ein (Johansson und R. Tigcrstedt2, Pletnew3), und bei noch stärkerer Reizung erscheinen, vor dem Stillstande, nur schwache, seltene Zusammenziehungen (Mac William'1, Johans- son und R. Tigcrstedt). Diese können nicht aus entsprechenden Veränderungen in den Vorhöfen hergeleitet werden, sondern sind als Folgen einer direkten Vagus- wirkung auf die Kammern aufzufassen. Mac William^ bemerkt noch, daß eine Vaguswirkung auf die Kammern nur bei ziemlich starken Reizen erzielt wird. Auch kommt es, wenn auch, wie es scheint, selten, vor, daß bei der Reizung des rechten Vagus am Hunde der Stillstand der Kammern durch einen eigenen Kammerrhythmus unterbrochen wird, während die Vorhöfe immer noch still- stehen (Cohif). Es liegt wohl am nächsten, anzunehmen, daß der Vagus hier tatsächlich auf die Kammern selbst eingewirkt hat, und daß also ihr Stillstand nicht die einfache Folge des Vorhofstillstandes hat darstellen können. Bei ausgeschnittenen Herzen von Kaninchen (H. E. Hering1) und Katzen (Howell und Dukes), sowie am Hundeherzen bei natürlicher Zirkulation (Rihl9, Lewis10), wo die Kammern in ihrem eigenen Rhythmus und also ganz unabhängig von den Vorhöfen pulsierten, bewirkte die Vagusreizung eine deutliche Abnahme der Schlagfrequenz der Kammer. Dasselbe war auch beim Hundeherzen in situ nach Abklemmung des Verbindungsbündels (Rillt) der Fall. Am Katzenherzen konnten Howell und Duke unter Umständen beobachten, wie die Kammern bei der Vagusreizung ihre Kontraktionen früher als die Vorhöfe einstellten. Bei den Versuchen von Lewis wurde die Dissoziation durch Bindung der Äste der Kranzarterien erzielt; in 40% aller Beobachtungen standen die Kammern bei der Vagusreizung still. Ein weiterer Beweis für die Einwirkung des Vagus auf die Kammern liegt scheinbar darin, daß bei einer vollständigen Dissoziation der Vorhöfe und der Kammern infolge von Erstickung die Vagusreizung immer noch eine Verlang- samung der Kammerschläge hervorruft (v. Angyän11). 1 Arloing und Tripier, Aren, de physiol., 1871—1872, S. 594. 2 Johansson und R. Tigcrstedt, Mitt. aus dem physiol. Laborat. in Stockholm, 6, Nr. 8; 1889. :s Pletnew, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1908, Suppl., S. 119; -- vgl. auch Weiland, Zeitschr. f. exp. Pathol., 9, S. 486; 1911. 4 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 355; 1888. 5 Mac William, British med. journ., 1904 (2), S. 739. 6 Cohn, Journ. of exp. med., 16, S. 744; 1912. 7 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 107, S. 129; 1905; — 108, S. 188; 1905. 8 Howell und Duke, Journ. of physiol., 35, S. 145; 1906. 9 Rihl, Arch. f. d. ges. Physiol., 114, S. 548; 1906. 10 Lewis, Heart, 1, S. 98; 1909. 11 v. Angyän, Arch. f. d. ges. Physiol., 149, S. 179; 1913. 350 Die Innervation des Herzens. Wie Lewis, White und Meakins1 aber ausgeführt haben, geht bei der betreffenden Dissoziation die Erregung von dem atrioventrikulären Knoten aus, und die Versuche v. Angydns sagen uns also nichts über eine eventuelle spezi- fische Vaguswirkung auf die Kammern. Gegen die Versuche Rihls bemerkt allerdings Erlanger2, daß hier wahrscheinlich nur eine partielle Dissoziation zwischen Vorhöfen und Kammern vorlag. Selber teilt er indessen Versuche mit, wo bei vollständig dissoziierten Kammern Un- regelmäßigkeiten infolge von spontanen Extrasystolen durch Vagusreizung ohne Veränderung der Grundperiode der Kammern verschwanden. Übrigens ist es ziemlich wahrscheinlich, daß die nach den Kammern ziehenden Vagusfasern im Verbindungsbündel oder dessen nächster Nähe verlaufen. Daß solche Fasern nicht die großen Gefäße begleiten, wies Wooldridge* durch Reizungsversuche nach. Dieses Resultat wurde dadurch noch bestätigt, daß der Vagus nach Trennung der Vorhöfe von den Kammern keine Wirkung mehr auf diese ausübte (R. Tigerstedt*). Wie aus den obigen Angaben von H. E. Hering erfolgt, dürfte indessen Vagus- und Acceleransfasern unter Umständen auch längs der großen Arterien nach den Kammern verlaufen. Pezzi und Clerc5 haben Versuche mitgeteilt, wo nach Durch- schneidung der Vorhöfe die Vergiftung mit Nikotin als erste Wirkung einen Stillstand der Kammern hervorruft. Dies würde nach den genannten Autoren die Folge einer Reizung der postganglionären Vagusfasern darstellen und also beweisen, daß hemmende Nerven auch längs den großen Gefäßen nach den Kammern verlaufen. Die Hauptmasse der hemmenden Nerven geht aber jedenfalls durch die Vorhofwand auf die Kammer über. Dieser Übergang erfolgt, wie aus folgenden Er- fahrungen ersichtlich, nicht diffus, sondern in einer bestimmten, umgrenzten Bahn. In Fällen, wo wegen der Zerstörung des Verbindungsbündels infolge einer Krankheit (beim Menschen) oder eines operativen Eingriffes (bei Tieren) eine vollständige Dissoziation zwischen den Vorhöfen und Kammern entstanden ist, ist nämlich die Vagusreizung ohne jede Wirkung auf die Kammer (Erlanger6, Erlanger und Hirschfelder7). Wenn dem so ist, müßten aber, wie Erlanger* ausführt, nach einmal statt- gefundener Zerstörung des Verbindungsbündels die zugrunde gegangenen Vagus- fasern sich wieder regenerieren und also nach geraumer Zeit trotz der Ausschaltung des Bündels die Herzkammern dem Einfluß des Vagus wieder unterworfen werden. Nun fand Erlanger bei Hunden mit chronischem Herzblock, daß die Vagus- reizung in der Tat eine Verlangsamung der Kammerkontraktionen zur Folge hatte. Diese war aber nicht besonders groß — im besten Falle eine Reduktion von 75 auf 60 pro Minute, weshalb Erlanger schließt, daß das Verbindungsbündel keine Hemmungsfasern enthält, die der Regeneration fähig sind.9 1 Lewis, White und Meakins, Heart, 5, S. 293; 1914. 2 Erlanger, Aren. f. d. ges. Physiol., 127, S. 81; 1909; — vgl. auch Gesell, Amer. journ. of physiol., 40, S. 310; 1916. :"< Wooldridge, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1883, S. 532. 4 R. Tigerstedt, ebenda, 1884, S. 507. 5 Pezzi und Clerc, Compt. rend. de la Soc. de biol., 1912 (1), S. 878, 1017; — 1912 (2), S. 610. e Erlanger, Journ. of exp. med., 8, S. 49, 61 des S.-A.; 1906. 7 Erlanger und Hirschfelder, Amer. journ. of physiol., 15, S. 167; 1906. 8 Erlanger, Arch. f. d. ges. Physiol., 127, S. 91. !' Vgl. Gesell, Amer. journ. of physiol., 40, S. 310; 1916. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 351 Hierin geht er ja zu weit, denn eine durch Vagusreizung bewirkte Abnahme der Schlagfrequenz um 20°/0 c'arf doch nicht gleich Null gesetzt werden. Viel- mehr scheint mir, daß dieser Versuch gerade den Beweis für eine nicht ganz unbedeutende Regeneration der intrakardialen Hemmungsfasern darbringt, und wir können es doch nicht erwarten, daß die Neubildung der marklosen Nerven in dem stark zerquetschten Muskelgewebe in einem sehr umfangreichen Grade stattfinden soll, insbesondere da schon die Regeneration des am Halse durch- schnittenen Vagus nur sehr langsam, wenn überhaupt stattfindet.1 Versuche von Fredericq2 zeigen, daß die Abklemmung des Verbiiulungs- bündels unter glücklichen Umständen in der Weise ausfällt, daß bei vollständiger Dissoziation der Vorhöfe und der Kammern der Vagus noch die letzteren be- einflussen kann. Die Vagusfasern sind also hier der Zerstörung entgangen und die bei deren Reizung auftretenden Veränderungen der Kamniertätigkeit müssen als eine direkte Wirkung des Vagus auf die Kammern gedeutet werden. Am künstlich ernährten Hundeherzen hat Colin3 in gewissen Fällen ge- funden, daß Reizung des rechten Vagus den gewöhnlichen, von den Vorhöfen her anfangenden Stillstand des Herzens hervorruft, während der linke Vagus Stillstand der Kammern bei gleichzeitig auftretenden arhythmischen und ver- langsamten Bewegungen der Vorhöfe bewirkt. Dies würde doch einen Beweis für die direkte Einwirkung des Vagus auf die Kammern darstellen. Demgegenüber steht indessen die Angabe desselben Autors4, daß beim natürlichen Kreislauf bei der Reizung des linken Vagus entweder Kammer- stillstand oder ein partieller Block oder auch eine Verzögerung der Leitung von den Vorhöfen zu den Kammern erschien; dabei war die Schlagfolge der Vorhöfe immer verlangsamt. Hier liegt ja keine Vaguswirkung auf die Kammern, sondern lediglich eine Beschränkung oder Vernichtung des Leitungsvermögens vor. Daß schließlich der Vagus auch beim Menschen die Kammerkontraktionen in negativ inotroper Richtung beeinflußt, dürfte aus zwei von RihV° mitgeteilten klinischen Fällen, wo bei einem Druck auf den Vagus der Umfang des Kubitalis- pulses abnahm, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hervorgehen. Es scheint mir daher, daß bei den Säugetieren, in erster Linie dem Hunde, der Katze und dem Kaninchen, der Vagus auch die Kammern direkt inotrop und wahrscheinlich auch chronotrop beeinflussen kann, daß aber dieser Einfluß viel schwächer ist als der, den der Vagus auf die Vorhöfe ausübt. § 74. Die Veränderungen des Leitungsvermögens durch die hemmenden Nerven. a) Kaltblütige Wirbeltiere. Bei seinen Versuchen am Schildkrötenherzen bemerkte Gaskellc', daß die Reizung des rechten Vagus bei den Vorhöfen und den Kammern einen voll- 1 Eine Regeneration der im Vagus verlaufenden Nervenfasern wird z. B. von Schäfer (Quarterly journ. of physiol., 12, S. 299; 1919) bei-der Katze gänzlich in Abrede gestellt. Seiner- seits erwähnt indessen Rogers (Amer. journ. of physiol., 53, S. 19; 1920) einen Versuch am Hunde, wo bei der Reizung des peripheren Endes des vor 20 Monaten durchschnittenen Vagus ein Herzstillstand von 5 — 10 Sekunden Dauer erschien. - Fredericq, Arch. intern, de physiol., 11, S. 410; 1912. 3 Colin, Journ. of exp. med., 15, S. 52; 1912. * Colin, Proc. of the Soc. for exp. biol. and med., New York, 10, S. 8; 1912. 5 Rihl, Zeitschr. f. exp. Pathol., 11, S. 341 ; 1912. 6 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 100; 1883. 352 Die Innervation des Herzens. ständigen Stillstand hervorrufen konnte, während der Venensinus wie vorher rhythmisch pulsierte. Dessen Kontraktionen waren gut ausgeprägt, und man konnte sich davon überzeugen, wie sie, bei der Sinus-Vorhofgrenze angelangt, aufhörten, und zwar sogar in Fällen, wo ihre Stärke gar nicht abgenommen hatte. Eine ähnliche Erscheinung beobachtete Gaskell bei demselben und anderen Tieren auch an der Atrioventrikulargrenze, jedoch nur in dem Falle, wenn die Fortpflanzung der Erregung dort auf ein Hindernis in Form einer in genügendem Grade zugeschraubten Klemme stieß.1 Gaskell deutete diese Erscheinung als eine durch die Vagusreizung bewirkte Abnahme des Leitungsvermögens des Herzmuskels. Diese Erscheinung wurde dann von Muskens2 sehr eingehend untersucht. Von einer gewissen Reizstärke an, die jedenfalls größer war als die, bei welcher die Vorhofkontraktionen kleiner wurden, wurde bei der Vagusreizung das Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammerkontraktion größer; bei noch stärkerer Reizung wurden die Kontraktionen der Vorhöfe zu klein, um registriert werden zu können, die Kammer konnte aber noch fortfahren zu pulsieren oder es hörten auch ihre Kontraktionen auf. Ebenso wurde durch Vagusreizung die Zeit der Fortleitung vom Sinus zum Vorhof verlängert, und es ließ sich sogar nachweisen, daß unter dem Einfluß derselben die einzelnen Teile des Sinus sich nicht gleichzeitig zusammenzogen. Bei blutgefülltem Herzen und normalem Kreislauf trat bei der Vagusreizung keine Veränderung in bezug auf den Umfang der Kammerkontraktion hervor. Der Kammerstillstand bei genügend starker Vagusreizung beruht ausschließlich auf der Leitungsunterbrechung, durch welche die vom Vorhof sonst kommenden Impulse von der Kammer abgehalten werden. Dagegen zeigen auch bei unversehrtem Kreislauf sowohl der Venensinus als die Vorhöfe unter dem Einfluß der Vagi eine Abnahme ihrer Kontraktionsgröße. Sehr deutlich kommt diese Wirkung des Vagus auf das Leitungsvermögen des Herzens in dem Falle zum Vorschein, wenn die Grenze zwischen den Vor- höfen und der Kammer so komprimiert wird (vgl. oben II, S. 171), daß die Erregung nur mit Schwierigkeit passieren kann und die Kammer erst nach jeder dritten oder vierten Sinuskontraktion erreicht. Wird nun der linke Vagus, der bei den Schildkröten an und für sich keine Wirkung auf die Pulsfrequenz ausübt, gereizt, so nimmt dennoch, wegen der Abnahme des Leitungsvermögens, die Schlagfolge der Kammer noch weiter, eventuell bis zum vollständigen Stillstand, ab (Garrey3). Ganz anders bei Reizung des rechten Vagus, der durch seine Einwirkung auf den Venensinus die Schlagfolge desselben und im Anschluß daran des ganzen Herzens verlangsamt. Wenn diese Verlangsamung einen geeigneten Grad er- reicht hat, vermag die vom Sinus ausgehende Reizung nunmehr jedesmal die Atrioventrikulargrenze zu überschreiten und die Kammer pulsiert nun im selben Rhythmus wie der Vorhof (Garrey*). 1 Vgl. auch F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 72, S. 441; 1898. 2 Muskens, Proc. of the Amer. acad. of science, 33, S. 185; 1898; — Amer. journ. of physiol., 1, S. 486; 1898; — vgl. F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 433; 1917. 3 Garrey, Amer. journ. of physiol., 30, S. 453; 1912. 4 Garrey, ebenda, 30, S. 455. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 353 Auch innerhalb der Vorhöfe und der Kammer kann der Vagus eine Ver- zögerung der Erregungsfortpflanzung hervorrufen. Dies läßt sich allerdings nicht beim unversehrten Herzen nachweisen, kommt aber sehr deutlich zum Vorschein, wenn die Erregungsleitung innerhalb der betreffenden Abteilung an irgendeiner Stelle entweder durch einen Einschnitt, der nur eine schmale Muskelbrücke stehen läßt, oder durch eine nicht zu schwach zugezogene Klemme sehr behindert ist (F. B. Hofmann1). Bei den kaltblütigen Tieren vermag der Vagus also die Fortpflanzung der Erregung von der einen Abteilung zur anderen wie innerhalb der einzelnen Ab- teilungen in einem größeren oder kleineren Grade zu verlangsamen. b) Warmblütige Wirbeltiere. Bei seinen Untersuchungen am Säugetierherzen fand Mac William2, daß die Fähigkeit der Vorhöfe eine Erregung fortzupflanzen, während des Vagus- stillstandes abnahm. Von einer primär gereizten Stelle aus verbreitete sich die Erregung nur über ein umgrenztes Feld des Vorhofes. Dies wird indessen von Lewis, Drury und Balger3 bestritten, welche bei der Vagusreizimg keine Abnahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Aktionsstromes im Vorhof des Hunde- herzens nachweisen konnten. Außerdem beobachtete Mac William*, daß die Vagusreizung auch die Fort- pflanzung der Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern aufheben kann. Durch direkte Reizung riefen Bayliss und Starling* am Vorhofe einen künst- lichen Rhythmus hervor. Bei einer Reizungsfrequenz von 3 — 4 in der Sekunde folgten die Kammern ganz regelmäßig den Vorhöfen. Wurde aber der Vagus jetzt gereizt, so fiel jede zweite Kammerkontraktion aus, oder es trat ein kurz- dauernder Stillstand ein. Am Kaninchen beobachteten Krehl und Romberg^ bei der Vagusreizung sowohl einen partiellen als einen vollständigen Block. Die Erscheinung des partiellen Blockes bei der Vagusreizung erwähnen Arloing7 am Pferde, Hunt und Harrington8 am Kalbe, und zwar kam in beiden Fällen nur eine Kammerkontraktion auf je zwei Kontraktionen der Vorhöfe. Muhmd und Rehfisch10 berichten über Versuche am Kaninchen, wo bei der Vagusreizung die Reizleitung von dem „Sinus" zum Vorhof verlangsamt und die von den Vorhöfen nach den Kammern gänzlich aufgehoben wurde. Dabei waren zuweilen die Vorhof-, zuweilen die Kammerkontraktionen an Umfang vermindert. Desgleichen hebt Henderson11 hervor, daß die Kammern nicht selten voll- ständig stillstehen, während die Vorhöfe entweder in altem Rhythmus oder mit geringer Retardation weiter pulsieren. 1 F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 434; 1917. 2 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 352; 1838. 3 Lewis, Drury und Bulger, ebenda, 54, proc, S. 99; 1921. 4 Mac William, ebenda, 9, S. 355. 5 Bayliss und Starling, ebenda, 13, S. 412; 1892. ß Krehl und Romberg, Arb. aus der med. Klinik zu Leipzig, 1893, S. 81. 7 Arloing,, Arch. de physiol., 1894, S. 166. :t Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 723; 1897. 9 Mulim, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 239. 10 Rehfisch, ebenda, 1906, Suppl., S. 166, 170. 11 Henderson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 350; 1906. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 23 354 Die Innervation des Herzens. Übrigens geht die leitungshemmende Wirkung des Vagus schon aus dem von Lohmann1., Colin2 wie Ganter und Zahn3 und anderen beobachtete Erscheinung, daß bei der Vagusreizung das zeitliche Intervall zwischen der Vorhof- und der Kamnierkontraktion allmählich zunimmt. Die gleiche Vergrößerung des betreffenden Intervalles wurde auch beim Menschen bei mechanischer Reizung des Vagus von Robinson und Draper4 nach- gewiesen. Ebensowenig wie die entsprechenden Erscheinungen bei den kaltblütigen Wirbeltieren können die hier zusammengestellten darauf bezogen werden, daß der Vagus eine stärkere Einwirkung auf die Kammern als auf die Vorhöfe aus- übt; sie müssen daher als Ausdruck der Tatsache, daß der Vagus auch das Leitungs- vermögen des Herzens herabsetzt, aufgefaßt werden. Nach Ganter und Zahn5, Colin und Lewis6 ist bei der Erzeugung des Blockes der linke Vagus viel wirksamer als der rechte, und man kann durch Reizung des linken Vagus alle Übergänge von einer einfachen Verlängerung des atrio- ventrikulären Intervalls bis zum vollständigen Herzblock bekommen.7 In bezug auf die Einwirkung des Vagus auf die Reizleitung im Herzen ist noch zu erwähnen, daß nach H. E. Hering8 und Lohmann9 die Vagusreizung auch darin resultieren kann, daß Vorhöfe und Kammern gleichzeitig schlagen, daß also der Ort der Erregung vom ,, Venensinus" auf das Verbindungsbündel übertragen wird (vgl. II, S. 129), sowie daß nach Stassen10 beim Hunde und Kaninchen nicht selten ein inverser Rhythmus spontan auftritt, indem sich zuerst die Kammern und dann die Vorhöfe zusammenziehen. Ihrerseits deuten auch diese Tatsachen darauf hin, daß der Vagus eine stärkere Wirkung auf die proximalen Herzteile ausübt. Durch die Vagusreizung würde die Erregbarkeit des Sinus bzw. des Vorhofes so weit herabsinken, daß nun das Verbindungsbündel, trotz seiner unter gewöhnlichen Umständen gerin- geren Automatie, die Führung des Herzschlages übernimmt. Hier würde also eher eine negativ motrope oder chronotrope, als eine dromotrope Wirkung vor- liegen. § 75. Die Veränderungen der Erregbarkeit des Herzens durch die hemmenden Nerven. Während des Vagusstillstandes sind der Vorhof des Aalherzens (Mac Wil- liam11), das Froschherz und das Schildkrötenherz (Schiff12, Eckhard13), die Vorhöfe 1 Lohmann, Aren. f. Anat. u. Physiol., 1904, S. 437. 2 Colin, Journ. of exp. med., 16, S. 732; 1912. :! Ganter und Zahn, Aren. f. d. ges. Physiol., 154, S. 504; 1913. 4 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 223; 1911. 5 Ganter und Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 504; 1913. e Cohn und Lewis, Journ. of exp. med., 18, S. 739; 1913. 7 Cohn, ebenda, 16, S. 732; 1912. s H. E. Hering, Prag. med. Wochenschr., 1902, S. 109; zit. nach Knie, Zeitschr. f. exp. Pathol., 12, S. 426. 9 Lohmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, S. 431. 11 Stassen, Arch. intern, de physiol., 2, S. 267; 1905. 11 Mac William, Journ. of physiol., 5, proc, S. 22; 1885. 12 Schiff, Arch. f. physiol. Heilk., 9, S. 64; 1850; — Arch. des sciences phys. et nat., nouv. sen'e, 60, S. 494; 1877. 13 Eckhard, Beiträge zur Anat. u. Physiol., 10, S. 24; 1883. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 355 des Schlangenherzens (Mills1) und alle Abteilungen des Eidechsenherzens (Mac William2) bei direkter Reizung unerregbar. Um diese Erscheinungen näher zu untersuchen, zwang Engelmann3 dem Froschherzen durch direkte Reizung einen künstlichen Rhythmus auf und reizte dann den Vagus auf reflektorischem Wege. Dabei konnte die Anspruchsfähigkeit des Sinus und der Vorhöfe vollständig aufgehoben sein. Da aber gleichzeitig auch die Kontraktilität und das Leitungsvermögen abnahmen, ließ sich das Resultat nicht unbedingt als Ausdruck einer Herabsetzung der direkten Er- regbarkeit der Herzmuskulatur auffassen, sondern mußte zum Teil wenigstens als Folge dieser Wirkungen gedeutet werden. In anderen Fällen erschein aber bei der reflektorischen Vaguserregung eine Zunahme der direkten Erregbarkeit des Herzens. Diese konnte aber auch von einer Sympathicuswirkung herrühren.4 Nach Kronecker5 ist die Kammer des Schildkrötenherzens während des Vagusstillstandes erregbar. Auch bei den Warmblütern ist die Abnahme der Erregbarkeit unter dem Einfluß des Vagus beobachtet worden. Nach Mac William6 ist sie bei den Vor- höfen indessen dabei nur herabgesetzt. Um eine Kontraktion auszulösen, ist nun ein beträchtlich stärkerer Strom als sonst notwendig. Bei den Kammern war der Unterschied der Stromstärke vor und während der Vagusreizung nur unbedeutend. Aber sowohl für diese wie für die Vorhöfe gilt, daß die während des Vagusstillstandes ausgelösten Kontraktionen kleiner sind als vor demselben. § 76. Verschiedene Arten von hemmenden Nerven. Die Wirkung der hemmenden Nerven auf das Herz charakterisiert sich also durch Abnahme der Schlagfrequenz, des Kontraktionsumfanges, der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der Erregung und der Erregbarkeit. Es stellt sich jetzt die Frage, ob diese verschiedenen Äußerungen der Hemmung von einer und derselben Nervengattung hervorgerufen werden, oder ob hierbei verschiedene Gattungen tätig sind. Muskens7 hat versucht, die gesamte Vaguswirkung aus der Verzögerung bzw. Vernichtung der Fortpflanzung der Erregung innerhalb der einzelnen Ab- teilungen des Herzens und von der einen Abteilung zur anderen herzuleiten. Die Abnahme des Kontraktionsumfanges kommt dadurch zustande, daß immer zahlreichere Muskelfasern von der Erregung entzogen werden, bzw. daß sich die einzelnen Muskelfasern nur partiell zusammenziehen. Was speziell der Venensinus betrifft, wäre die Abnahme der Kontraktionsgröße hier davon ab- hängig, daß wegen des herabgesetzten Leitungsvermögens die einzelnen Teile des Sinus sich nicht gleichzeitig, sondern nacheinander kontrahieren. 1 Mills, Journ. of anat. and physiol., 22, S. 3; 1883. 2 Mac William, Journ. of physiol., 6, proc., S. 17; 1885, :l Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, Suppl. S. 1. 4 Vgl. H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 92, S. 391 ; 1902. 5 Kronecker, Arch. intern, de physiol., 2, S. 221 ; 1905. 6 Mac William, Journ. of physiol., 9, S. 351 ; 1888. T Mnskens, Journ. de physiol., 1900, S. 76. 23* 356 Die Innervation des Herzens. Demgegenüber hebt Engelmann1 hervor, daß man während des Vagus- stillstandes durch künstliche Reizung des Venensinus am Froschherzen eine normal auf die Vorhöfe und die Kammer übergehende Pulsation hervorrufen kann; daß dabei die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung größer als sonst ist, was auf die längere Dauer der vorhergehenden Pause zurückgeführt wird. In diesem Falle bleiben also die Kontraktionen bei der Vagusreizung nicht deswegen aus, weil das Leitungsvermögen des Herzens aufgehoben ist, sondern weil sie, wegen der Unterschwelligkeit des Reizes, einfach nicht aus- gelöst werden. Auch innerhalb der Kammer ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung während des Vagusstillstandes gar nicht herabgesetzt (Mines2). Wenn sich die einzelnen Abschnitte eines und desselben Herzabschnittes, wie Muskens annimmt, unter dem Einfluß der Vagusreizung nicht gleichzeitig, sondern nacheinander kontrahieren würden und solcherart der Umfang der Kontraktionen abnehmen sollte, so müßte die Dauer der Kontraktion zu gleicher Zeit zunehmen. In der Wirklichkeit verhält sich die Sache ganz umgekehrt, denn die Dauer sowohl der Zusammenziehung wie der Erschlaffung ist beim Froschherzen während der negativ inotropen Wirkung des Vagus im allgemeinen sehr verkürzt (Engelmann3) oder (beim Hundeherzen) wenigstens nicht ver- längert (Wiggers*). Nach der Anschauung von Muskens hätte man ferner zu erwarten, daß, wenn irgendeine Herzabteilung soweit abgeklemmt wird, daß die Erregung noch gerade dadurch fortgepflanzt werden kann, die dann stattfindende Vagus- reizung auf den distalen Teil eine viel kräftigere Wirkung als auf den proximalen ausüben sollte, indem die durch den Vagus hervorgerufene Abnahme des Leitungs- vermögens sich zu der durch die Abklemmung an und für sich zuwege gebrachten addieren mußte. Diese Voraussetzung hielt indessen der experimentellen Prüfung nicht stand, denn bei einem gewissen Grade der Abklemmung trat geradezu das Gegenteil ein (Engelmann5). Die Gesamtwirkung der hemmenden Nerven läßt sich also nicht auf die Beschränkung des Leitungsvermögens zurückführen.6 Seinerseits hat auch Henderson7 versucht, die ganze Summe von hemmenden Erscheinungen als Wirkungen einer einzigen Nervengattung darzustellen. Nach seiner Auffassung wird nämlich im Herzen die Erregung erst dann entladen, wenn die hierbei tätigen Vorgänge bis zu einem gewissen Maximum angeschwollen sind und also den im Herzen vorhandenen Widerstand überwunden haben. Die Aufgabe des Vagus besteht nun einfach darin, diesen Widerstand zu steigern, bzw. auf einem gewissen höheren Niveau zu erhalten. Durch diese Auffassung kann ja nicht allein die chronotrope, sondern auch die bathmotrope und die dromotrope Wirkung der hemmenden Nerven unter 1 Engelmann, Vol. jubil. de la Soc. de biol., 1899, S. 86; — Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1900, S. 348; — vgl. auch Wiggers, Atner. journ. of physiol., 42, S. 137; 1916. 2 Mines, Journ. of physiol., 47, S. 428; 1914. 3 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 105. 4 Wiggers, Amer. journ. of physiol., 40, S. 136. 5 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 107. 6 Vgl. noch Mines, Journ. of physiol., 47, S. 429. 7 Henderson, Amer. journ. of physiol., 16, S. 360; 1906. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 357 einem gemeinsamen Gesichtspunkt zusammengefaßt werden, denn wenn die Entladung mehr oder weniger verhindert wird, so wird dadurch die Herzperiode länger, die Fortpflanzung der Erregung muß langsamer stattfinden und auch die Erregbarkeit des Herzens muß abnehmen. Zur Deutung der inotropen Wirkung des Vagus scheinen indessen gewisse Hilfshypothesen notwendig zu sein, und außerdem bleibt noch übrig, der Hauptsache, dem stetig wechselnden Widerstände eine festere theoretische Gestaltung zu geben. Auch H. E. Hering1 schließt sich der Annahme von nur einer Art hemmender Nerven an, indem er bemerkt, daß der Vagus immer gleichzeitig frequenz- und stärkeändernd wirkt. Es kann aber die stärkeändernde Wirkung an einem Herzabschnitt allein auftreten, ohne daß die Frequenz des Herzens sich ändert, wenn nämlich dieser Herzabschnitt nicht automatisch schlägt. In geradem Gegensatz zu diesen Autoren vertreten Hofmeister und Engel- mann die Ansicht, daß die verschiedenen Hemmungswirkungen von verschiedenen Nervengattungen abhängig sind. Hofmeister2 untersuchte die Einwirkungen der Vagusreizung bei verschiedenen Stufen von Erregbarkeit und fand dabei folgende Stufenleiter. Höchster Grad der Erregbarkeit. Vollständige Hemmungswirkung, d. h. bedeutende Frequenzabnahme oder sofortiger Herzstillstand bei stärkeren Reizen und Puls Verkleinerung bei schwächeren. Geringer Grad der Erregbarkeit. Herzstillstand durch allmähliche Ver- kleinerung der Systole bis zum Verschwinden derselben (bei starken Reizen) ohne große Frequenzabnahme. Noch geringerer Grad der Erregbarkeit. Lediglich Verkleinerung der Systole. Auf Grund einer eingehenden Analyse dieser Erscheinungen gelangt Hof- meister schließlich zu der Auffassung, daß die Hemmungswirkungen von zweierlei verschiedenen Nervenfasern ausgeübt werden, nämlich Schwächungsfasern und Verlangsamungsf asern . Engelmann3 hat sich ziemlich bestimmt für die Auffassung ausgesprochen, daß die verschiedenen Hemmungswirkungen von vier verschiedenen Nerven- fasern (negativ chronotropen, negativ inotropen, negativ dromotropen, negativ bathmotropen) abhängig sind. Er stützt diese Auffassung vor allem auf das Studium der Veränderungen, welche bei suspendiertem Herzen und unversehrtem Kreislauf bei reflektorischer Reizung der Herznerven erscheinen und welche nach seiner Auffassung primäre Wirkungen chronotroper, inotroper usw. Art bei den einzelnen Herzabteilungen erkennen lassen. Auf die von Engelmann beobachteten Veränderungen der Herztätigkeit konnten indessen nicht allein die zentrifugalen Herznerven eingewirkt haben, denn auch die Gefäßnerven und die durch sie veranlaßten Veränderungen in der Blutzufuhr zum Herzen, im Widerstände für den Blutstrom usw. mußten hierbei eine größere oder kleinere Rolle gespielt haben. Es scheint mir daher, daß die Lehre von vier Arten hemmender Nerven durch die Versuche und Erörterungen Engelmanns noch lange nicht sichergestellt ist. 1 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 108, S. 296; 1905. 2 Hofmeister, ebenda, 44, S. 418; 1889. 3 Engelmann, Die deutsche Klinik am Eingange des 20. Jahrhunderts, 4 (2), S. 263; 1903. 358 Die Innervation des Herzens. Wir können indessen von einer anderen Seite her dieser Frage näher treten. Wie schon erwähnt, hat Garrey gefunden, daß beim Schildkrötenherzen der linke Vagus gar keine Wirkung auf den rechten Teil des Venensinus und auch nicht auf die Schlagfolge des Herzens ausübt, während dagegen der rechte Vagus in dieser Hinsicht sehr kräftig sein kann. Der rechte Vagus enthält also reichlich chronotrope Fasern, während solche beim linken gar nicht vorhanden sind. Hier liegt also ein Beispiel davon vor, daß die verschiedenen Hemmungs- wirkungen zum Teil wenigstens durch verschiedene Nervenfasern bedingt werden, und hier, wie überall im Körper, kommt die Verbindung der betreffenden Nerven mit dem entsprechenden peripheren Erfolgsorgan vor allem in Betracht. Genauere Angaben hierüber finden wir in F. B. Hofmanns1 Untersuchung über die Nerven des Froschherzens. Diejenigen Nerven, welche im Venensinus endigen, üben den in erster Linie für den Vagus charakteristischen chronotropen Einfluß aus, und zwar durch ihre Wirkung auf diejenigen Teile des Venensinus, welche den Ursprungsort der normalen Erregung darstellen. Die Reizung der peripheren Stümpfe der Scheidewandnerven hat stets nur einen Einfluß auf die Stärke der Kammerkontraktionen und verändert gar nicht deren Frequenz. Bei stärkerer Reizung werden die Kammerkontraktionen immer kleiner und bei maximaler Reizung schließlich unmerklich. Nach Schluß der Reizung treten die Kammerkontraktionen wieder auf, niemals folgte aber bei dieser Form des Stillstandes anfangs einige seltene Herzschläge, wie dies nach dem typischen Herzstillstand nach Sinusreizung der Fall ist. Die Reizung der Scheidewandnerven beeinflußt also die Stärke der . Kammerkontraktionen, ändert hingegen ihre Frequenz nur scheinbar, insofern als einzelne oder eine Reihe von Kontraktionen bis zur Unmerklichkeit abgeschwächt werden. Trennt man die Kammer von den oberen Hohlvenen mit Schonung der Scheidewandnerven, so erhält man bei Reizung des Vagus auch mit den stärksten Strömen (im Sommer) nur noch eine Abschwächung der Kammerkontraktionen ohne Frequenzänderung. An einem Präparat aber, wo die Scheidewandnerven unter Beibehaltung der muskulären Verbindung zwischen Sinus und Kammer durchschnitten sind, ist die Wirkung der Vagusreizung auf die Stärke der Kammerkontraktion ganz minimal, während Seltenerwerden der Kontraktionen und Stillstand ganz so wie vor der Durchschneidung erzielt werden konnte. Eine starke elektrische Reizung des Sinus setzt bei unversehrten Scheide- wandnerven sowohl Frequenz als Stärke der Kammerkontraktion herab; nach dem Herausschneiden der betreffenden Nerven treten aber nur noch Frequenz- änderungen ein. Wenn an einem Herzpräparat mit quergeteiltem Sinus und Vorhof und erhaltenen Scheidewandnerven der obere Herzabschnitt gereizt wird, so erfolgt an der Kammer nur eine Abschwächung der Kontraktionen; reizt man dagegen den unteren Sinusabschnitt, der noch mit der Vorhofwand in Verbindung steht, so treten an der Kammer dieselben Frequenzveränderungen wie beim unversehrten Venen sinus ein. 1 F. B. Hofmann, Aren. f. d. ges. Physiol., 60, S. 156; 1895. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 359 Ganz entsprechende Resultate erhielt Polumordwinow1 bei Versuchen an Fröschen, denen er 5 — 6 Wochen früher die Vagi durchschnitten hatte. Bei Reizung des Remakschtti Ganglions hörten die Kontraktionen sämtlicher Herz- teile auf, bei Reizung der Scheidewandnerven blieb die Pulsfrequenz unverändert, der Umfang der Kontraktionen nahm dagegen stark ab (vgl. Fig. 319). A '(UUÜUOAJIAÜAA ß Fig. 319. Bewegungen der Kammer des Frosch herzens. Nach Polumordwinow. A, Reizung des Remakschen Ganglions; B, Reizung der Scheidewandnerven. Zeitmarkierung 10 Sekunden. Von links nach rechts zu lesen. Also lassen sich in den Scheidewandnerven des Frosches nur negativ inotrope Fasern nachweisen, während die negativ chronotropen Nerven dort vermißt werden, indem sie, sofern sie nicht in den Venensinus endigen, auf diffuse Bahnen sich in der Wand der Vorhöfe verbreiten. Auf Grund seiner Erfahrungen kommt indessen Hofmann2 zu der Auffassung, daß es nur eine Art von Hemmungsnerven für das Herz gibt. Die verschiedenen Wirkungen derselben wären nur Äußerungen eines und desselben Grundvorganges und hingen teils von dem Orte, an dem sie im Herzen endigen, teils von dem Zustande des Herzens ab. Die im Sinus endigenden Nervenfasern wirken chronotrop, weil sie am führenden Herzteil angreifen, von dem die Schlagfrequenz des ganzen Herzens abhängt. Aber auch die an den übrigen Stellen des Herzens mit automatischer Befähigung endigenden Herznerven können unter gewissen Bedingungen chrono- trop werden. Die dromotrope Hemmung in Form einer Aufhebung der Erregungsleitung kann, wo sie fehlt, durch eine örtliche Schädigung des Herzens zum Vorschein 1 Polumordwinow, Arch. f. d. ges. Physiol., 140, S. 463; 1911 - F. B. Hofmann, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 432, 452; 1917. 360 Die Innervation des Herzens. gebracht werden, und zwar sind die Veränderungen der Geschwindigkeit der Erregungsleitung bis zu einem gewissen Grade unabhängig von der gleichzeitigen inotropen Wirkung. Letztere ist wiederum auf die Kammer des frischen, gut mit Blut durchströmten Herzens äußerst gering und nimmt erst zu, wenn sich der Zustand des Herzens verändert, und überhaupt ist die dromotrope und inotrope Wirkung um so stärker ausgesprochen, in je schlechterem Zustande sich das Herz befindet. Meinerseits wäre ich gerade auf Grund der soeben erwähnten Tatsachen zu der Annahme von wenigstens zweierlei verschiedenen hemmenden Nerven bei den kaltblütigen Tieren stark geneigt. Die einen würden ihren Einfluß auf die reizbildenden Abschnitte des Herzens, die anderen auf die Herzmuskulatur an und für sich ausüben. Da sie also ganz verschiedene Angriffspunkte im Herzen hätten, könnten sie ja nicht als Nerven einerlei Art angesprochen werden, wenn man nämlich nicht alle hemmenden Herznerven den anderen zentrifugalen Herznerven gegenüber als eine besondere Gattung auffassen will. Dagegen scheint es auch mir noch lange nicht erwiesen, daß die dromotropen und bathmotropen Wirkungen von besonderen Nerven hervorgerufen werden, denn es wäre gut möglich, daß dieselben mit den inotropen und chronotropen Vaguswirkungen in irgendeinem Zusammenhange ständen. Eine Bestätigung der hier entwickelten Auffassung vom Vorhandensein von wenigstens zweierlei Arten hemmender Nerven bei den kaltblütigen Tieren bieten auch die zeitmessenden Versuche über die Latenzdauer der Hemmungs- wirkung bei den verschiedenen Herzabteilungen dar (Trendelenburg1). Diese ist nämlich, an einem und demselben Präparat, beim Sinus am kürzesten, bei den Vorhöfen länger und bei der Kammer am längsten. Die Differenz der be- treffenden Zeiten ist gleich der Zeit der Erregungsleitung vom Sinus zum be- treffenden Herzabschnitt, d. h. bei den Vorhöfen und der Kammer hat die Hemmungswirkung keine eigentliche Latenzdauer. Die primär negativ-chrono- tropen Wirkungen sind nur auf den Venensinus beschränkt. Hier scheint die spezifische Wirkung von Nerven, die im Sinus endigen, vorzuliegen. Für die Latenzdauer der inotropen Hemmung fand Trendelenburg wesentlich höhere Zahlen, welche indessen, wie dieser Autor selber bemerkt, aus gewissen Gründen nicht beweiskräftig sind. Dagegen besteht für die Anstiegszeit der beiden Wirkungen ein charak- teristischer Unterschied, indem diese für die inotrope Wirkung mindestens doppelt so groß ist wie für die chronotrope. Auch ist bei wiederholten gleichstarken und gleichvielen Reizen das Inter- vall, bei welchem die größte Wirkung erreicht wird, für die chronotrope Hemmung wesentlich kürzer als für die inotrope, und zwar betrug dasselbe für jene 0,07, für diese 0,15 Sekunde. In Übereinstimmung mit diesen Resultaten stehen die Erfahrungen Zwaar- demakers2, daß sowohl die Schwelle als das Maximum des Reizes für verschiedene Vaguswirkungen verschieden sind. 1 Trendelenburg, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, Suppl., S. 301. 2 Zwaardemaker, Akad. v. wetenschappen te Amsterdam, 1907, S. 590; zit. nach dem Jahresbericht. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 361 Die liier erörterten Erscheinungen beziehen sich ausschließlich auf das Herz der kaltblütigen Wirbeltiere. Wie sich die Sache beim Säugetier verhält, darüber sind unsere Kenntnisse noch sehr spärlich. Das wenige, was uns in dieser Hin- sicht bekannt ist, werde ich im Zusammenhang mit der Darstellung der fördernden Herznerven im folgenden Kapitel besprechen. § 77. Die Einwirkung der hemmenden Nerven auf das Flimmern, den Tonus und die Totenstarre des Herzens. a) Das Flimmern. Man hat nicht selten das Herzflimmern in Beziehung zum Vagus bringen wollen, indem man entweder sich dachte, daß das Flimmern durch die Vagus- reizung beseitigt werden könnte, oder auch umgekehrt annahm, daß der Vagus die Ursache des Flimmerns darstellte. Die erstere Annahme wurde in erster Linie von Einbrodt1 v. Bezold2 und Schiff3 vertreten. Dementsprechend fand Laffont*, daß die direkte Reizung der Herzkammern während gleichzeitiger Vagusreizung ihre sonstigen schäd- lichen Einwirkungen nicht ausübt. Vulpian5, Mac William6 und Philips'7 sahen ihrerseits nur bei den Vor- höfen diese günstige Wirkung der Vagusreizung. Letzterer fügt indessen hinzu, daß im Anschluß an die Hemmung des Vorhofflimmerns die bei den* Kammern auftretenden Unregelmäßigkeiten ausgeglichen werden. In Fischeis8 Versuchen wurde durch die Vagusreizung das Vorhofflimmern temporär aufgehoben; in zwei Versuchen war dasselbe auch mit der allein flimmernden linken Kammer der Fall. Dagegen konnte er keine Wirkung auf das Flimmern beider Kammern erzielen. Garrey'* hat eine hemmende Wirkung des Vagus auf das Flimmern beob- achtet, und es gelang ihm sogar, das flimmernde Hundeherz durch Vagusreizung zweimal zu geordneter Tätigkeit wieder zu bringen. Bei Kaninchen, die mit Chloral oder Urethan vergiftet waren, war es unter stattfindender Vagusreizung sowohl bei den Vorhöfen als bei den Kammern schwieriger als sonst, das Flimmern hervorzurufen. In gewissen Fällen, aber durchaus nicht immer, vermochte die Vagusreizung das Flimmern der Kammern zu modifizieren oder aufzuheben. Dagegen konnten S. Mayer™, See, Bochefontaine und Roussy11, Kronecker und Spalitta12 sowie Prevost13 gar keine Einwirkung des Vagus auf das Flimmern nachweisen. 1 Einbrodt, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 38, S. 353; 1859. 2 v. Bezold, Arb. aus d. physiol. Laborat. in Würzburg, 1, S. 286; 1867 (ein einziger Versuch). 3 Schiff, Arch. des sciences phys. et nat., nouv. ser., 63, S. 16; 1878. 4 Laffont, Comptes rend. de I'Acad. des sciences, 105, S. 1092; 1887. 5 Vulpian, Arch. de physiol., 1874, S. 978, 1092. 6 Mac William, Journ. of physiol., 8, S. 310; 1887. 7 Philips, Arch. intern, de physiol., 2, S. 275, 280; 1905. 8 Fischel, Arch. f. exp. Pathol., 38, S. 241 ; 1897. 9 Garrey, Amer. journ. of physiol., 21, S. 283; 1908. 10 S. Mayer, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 68 (3), S. 83; 1874. 11 See, Bochefontaine und Roussy, Comptes rend. de I'Acad. des sciences, 92, S. 81; 1881. 12 Kronecker und Spalitta, Arch. intern, de physiol., 2, S. 223; 1905. 13 Prevost, Trav. du laborat. de physiol. de Geneve, 1, S. 66; 1900. 362 ' ^'e Innervation des Herzens. Schließlich liegen auch Angaben vor, laut welchen die Vagusreizung in irgendeiner Weise das Hervortreten des Flimmerns begünstigen sollte. Nach Winterberg1 wird das durch elektrische Reizung des Vorhofes bei der Katze ausgelöste Flimmern durch eine gleichzeitige Vagusreizung immer heftiger und hält noch eine beträchtliche Zeit über die Reizung hinaus aus. Auch vermag die genügend starke Reizung des Vagus das grobschlägige Flattern der Vorhöfe, selbst wenn sie knapp vor dem zu erwartenden Übergang des Flatterns in die normale Herztätigkeit einfällt, in feinschlägiges Flimmern zu überführen (Roth- berger und Winterberg2). Auf Grund der soeben erwähnten und anderer gleichartiger Beobachtungen gelangt Winterberg3 zu der Auffassung, daß der Vagus den Schwellenwert des zur Erzeugung vom Vorhofflimmern notwendigen Reizes herabsetzt. Durch fortgesetzte Vagusreizung läßt sich auch nach Unterbrechung des auf den Vorhof direkt einwirkenden Reizes die Dauer des Vorhofflimmerns innerhalb weiter Grenzen beliebig verlängern, und zwar ist dies auch dann der Fall, wenn der unmittelbare Herzreiz nur sehr kurze Zeit eingewirkt hat und entsprechend seiner Stärke an und für sich kein Nachflimmern hervorgerufen hätte. Damit stehen die Erfahrungen Winterbergsi, daß eine tetanisierende Reizung der Vorhöfe, wenn sie unter dem Einfluß von Giften stehen, die den Vagus er- regen oder dessen Erregbarkeit erhöhen, zu lange anhaltendem Flimmern führt, während dagegen Gifte, die die kardialen Hemmungsapparate lähmen, das Zustandekommen von Nachflimmern nach Vorhofreizung verhindern, in guter Übereinstimmung. Durch sehr starke Erregung des Hemmungsapparates können die flim- mernden Bewegungen der Vorhöfe, aber nur vorübergehend, abgeschwächt und selbst vollständig aufgehoben werden. Bezüglich des Vorhofflimmerns beim Hunde hat noch Robinson5 mitgeteilt, daß dasselbe einerseits nach Vagusdurchschneidung zuweilen häufiger als sonst eintritt, andererseits aber, daß die Empfänglichkeit der Vorhöfe durch vorherige Vagusreizung erhöht wird, sowie daß in gewissen Fällen das Flimmern durch alleinige Reizung des (rechten) Vagus hervorgerufen werden kann. Die Reizung des rechten Vagus würde das Flimmern unbeeinflußt lassen, das grobschlägige Flattern aber in Flimmern verwandeln, was Robinson gemäß seiner Auffassung von letzterem in der Weise deutet, daß die schnellen, geordneten Kontraktionen der Vorhöfe dabei aufgehoben werden, so daß sich das ungeordnete Flimmern allein geltend macht6. Es kommt aber auch vor, daß der rechte und öfter noch der linke Vagus auf das Flimmern selbst hemmend einwirkt, indem dasselbe kurze Zeit nach Ende einer Vagusreizung aufhört. 1 Winterberg, Aren. f. d. ges. Physiol., 117, S. 233; 1907. 2 Rothberger und Winterberg, ebenda, 160, S. 63; 1915; — Wiener klin. Wochenschr., 1914, S. 651; — vgl. auch P. Hoffmann und Magnus- Aisleben , Zeitschr. f. Biol., 65, S. 146; 1915. 3 Winterberg, Aren. f. d. ges. Physiol., 117, S. 238; 1907. 4 Winterberg, ebenda, 122, S. 361; 1908; — vgl. auch Turretini, Trav. du laborat. de physiol. de Geneve, 8, S. 182; 1909. 5 Robinson, Journ. of exp. med., 17, S. 429; 1913; — 18, S. 704; 1913; die letztere Arbeit nach dem Zentralbl. f. Biochemie u. Biophysik, 15, Nr. 594; — 16, Nr. 1585 zitiert. 6 Vgl. Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 160, S. 66; 1915. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 363 Auch nicht bei den Kammern vermag der Vagus, nach Winterbergs1 Er- fahrungen, den Eintritt des Flimmerns zu verhindern, bzw. das bestehende Flimmern aufzuheben. Vielmehr erleichtert die Vagusreizung, wenn auch nur in geringem Grade, das Entstehen des Flimmerns. Das dem Flimmern des Warmblüterherzens vollkommen analoge Wühlen und Wogen des Frosch- und Schildkrötenherzens wird durch die Vagusreizung in oft weitgehendem Maße begünstigt, ja, mitunter ruft diese an und für sich an der Herzkammer nachträglich Wühlen hervor (Haberlandt2). Auch überdauert das durch Reizung des Atrioventrikulartrichters hervor- gerufene Flimmern viel länger die Reizung, wenn der Vagus, bzw. der Koronarnerv des Schildkrötenherzens gleichzeitig gereizt wird (Haberlandt3). Diese Wirkung bleibt nach Atropinisierung bestehen, und stellt also zum Teil wenigstens die Folge einer Reizung fördernder Herznerven dar (Haberlandt). Auf das ausgebildete Herzwühlen haben dagegen spätere Reizungen des Koronarnerven in der Regel keinen merklichen Einfluß (Haberlandt1). Ein nach Ende der Reizung noch zurückbleibendes Flimmern beim Herzen von Malacoclemmys geographica beobachtete Gault5 zuweilen, wenn gleich- zeitig mit dem atrioventrikulären Trichter der rechte Vagus gereizt wurde, während bei der Reizung des linken Vagus das Flimmern sogleich nach dem Ende desselben aufhörte. Zur Deutung dieser Erscheinung weist Gault darauf hin, daß der Vagus dank seiner hemmenden Wirkung auf die Reizbildung im Sinus und der von ihm bedingten Abnahme des Leitungsvermögens die Kammer von dem erregenden Einfluß des Sinus befreit und sie der künstlichen elektrischen Reizung leichter zugänglich macht, sowie daß der rechte Vagus in dieser Richtung stärker wirkt, weil seine Fasern in reichlicherer Menge nach dem Sinus verlaufen. b) Der Tonus. Es wurde von Fano6 bemerkt, daß die Tonusschwankungen, welche zuerst von ihm an den Vorhöfen des Schildkrötenherzens studiert wurden (vgl. 11, S. 150) durch Vagusreizung nicht gehemmt werden. In einer späteren Mitteilung vervollständigt er diese Angabe durch den Nachweis, daß diese Schwankungen durch Reizung des Vagus hervorgerufen werden können.7 Auch nach schwacher Atropinvergiftung erscheint bei der Vagusreizung eine einzelne, langsame Tonusvariation, die dem Verlauf der Kontraktionskurve eines glatten Muskels sehr ähnlich ist. Am nicht vergifteten Herzen, bei welchem der Tonus und dessen Schwankungen durch Sympathicusreizung aufgehoben 1 Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 117, S. 242. 2 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 63, S. 305; 1914; — 68, S. 280; 1918. 3 Haberlandt, ebenda, 65, S. 230; 1915; — 67, S. 457; 1917; — Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1916, S. 433. 4 Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 461. 5 Gault, Amer. journ. of physiol., 43, S. 34; 1917; — vgl. auch Haberlandt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1916, S. 434. 6 Fano, Festschr. f. Ludwig. Leipzig 1887, S. 299. 7 Fano und Sciolla, Arch. ital. de biol., 9, S. 62; 1888. 364 Die Innervation des Herzens. oder vermindert waren, löste die Vagusreizung eine Tonusschwankung mit* gleichzeitiger Hemmung der Systole aus (Bottazzi1). Vagus und Sympathicus wären demnach in bezug auf den Tonus Anta- gonisten, und zwar würden sie die quergestreifte und die glatte Muskulatur der Vorhöfe (vgl. II, S. 153) kreuzweise innervieren, indem der Vagus jene hemmt und diese erregt und umgekehrt. Im Gegensatz zu Fano und Bottazzi findet Rosenzweig2, daß der Vagus die Tonusvariationen der Schildkrötenvorhöfe hemmt. Diese Hemmung ist aber nicht gleicher Art wie die Vagushemmung der Systole und konnte übrigens auch sekundärer Natur sein, denn bei den meisten Versuchen fiel jede Wirkung des Vagus auf den Tonus aus. Diese Resultate wären nach Fano3 davon bedingt, daß Rosenzweig eine zu geringe Reizstärke angewendet hätte. Auch Fano gibt indessen zu, daß sich die tonotrope Wirkung des Vagus nicht immer nachweisen läßt. Endlich hebt Oinuma1 in wesentlicher Übereinstimmung mit Fano und Bottazzi hervor, daß, allerdings nur in der Hälfte der Fälle, der Vagus eine positiv tonotrope, der Sympathicus eine negativ tonotrope Wirkung auf die Vorhöfe ausübt. Der Einfluß des ersteren ist schwieriger festzustellen, weil er sich nur dann an den Vorhöfen geltend macht, wenn diese eine „Neigung" zu Tonus- variationen haben, und insbesondere wenn die potentiell vorhandenen Tonus- schwankungen durch Sympathicusreizung gehemmt worden sind. Irgendwelche elektrische Veränderungen begleiten die Tonusschwankungen nur in dem Falle, daß dabei gleichzeitig die eigentlichen Kontraktionen des Vorhofes gehemmt werden (Fano und Spadolinir°). c) Die Totenstarre. Beim Skelettmuskel tritt die Leichenstarre früher ein, wenn der zugehörige Nerv kurz vor dem Tode gereizt worden war. Um so mehr befremdend erscheint dann der Befund von Meltzer und Joseph6, daß die Totenstarre bei Tieren, deren Vagi eine halbe Stunde lang vor dem durch Verblutung erfolgten Tode gereizt worden waren, früher eintrat als bei den Kontrolltieren, und daß die Zeit zwischen Anfang der Starre und deren maxi- maler Entwicklung bei jenen wiederum kürzer war, als bei den Kontrolltieren. Die Erklärung dieser paradoxen Erscheinung suchen die Autoren darin, daß die Ernährung des Herzmuskels wegen der häufigen Verlangsamungen und Stillstände gelitten hat, wodurch die Entwicklung eines gewissen Grades von Asphyxie darin zustande kommt. Und diese Asphyxie würde dann den Faktor darstellen, welcher die Entwicklung der Starre im Herzmuskel beschleunigt. Eine Stütze für diese Auffassung finden Meltzer und Joseph darin, daß bei den Tieren, wo der Vagus gereizt worden war, und bei denen also, wegen 1 Bottazzi, Rivista di scienzi biologiche, 2, Nr. 1—2; 1900; S.-A. S. 6. 2 Rosenzweig, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, Suppl., S. 203. 3 Fano, Arch. di fisiol., 1, S. 247; 1904. 4 Oinuma, Arch. f. d. ges. Physiol., 133, S. 508; 1910; — vgl. auch Gault, Amer. journ. of physiol., 43, S. 32; 1917 (Malacoclemmys geographica). 5 Fano und Spadolini, Arch. di fisiol., 11, S. 467; 1913. 6 Meltzer und Joseph, Zentralbl. f. Physiol., 21, S. 707; 1908; — Journ. of exp. med., S. 314; 1909. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 365 des wiederholten Herzstillstandes, die Zirkulation in den Skelettmuskeln etwas beschränkt gewesen ist, die Totenstarre auch in diesen früher eintrat als bei den Skelettmuskeln der Kontrolltiere. In der Fortsetzung dieser Untersuchungen machten Meltzer und Joseph1 Versuche über die Wirkung subminimaler Reizungen der Vagi. Auch bei solchen Reizen hatte nämlich Meirowsky2 am Skelettmuskel eine Beschleunigung der Entwicklung der Totenstarre beobachtet. Im Durchschnitt ergaben diese Versuche die in folgender Tabelle zusammen- gestellten Zahlen. Kontrolltiere Vag us t i ere linke Kammer; Minuten rechte Kammer; Minuten linke Kammer; Minuten rechte Kammer; Minuten Beginn der Totenstarre. . Vollendung der Totenstarre Vom Beginn bis Vollendung der Totenstarre . . . 75 156 81 109 182 73 107 193 86 143 212 69 Die subminimale Vagusreizung hat also tatsächlich den Eintritt der Toten- starre verzögert; die Ausbildung derselben vom Beginn bis zum Maximum hat dagegen bei den Vagustieren und den Kontrolltieren fast genau dieselbe Zeit in Anspruch genommen (linke Kammer, Vagustiere 86 Minuten, Kontrolltiere 81 M nuten; rechte Kammer, Vagustiere 69 Minuten, Kontrolltiere 73 Minuten). In einer letzten Versuchsreihe vergleichen Meltzer und Joseph den Verlauf der Starre bei normalen Hunden und bei Hunden, denen die Vagi vor dem Tode durchschnitten waren. Die Starre erschien später bei jenen als bei diesen. Der Vagustonus verhindert also in einem gewissen Grade den Eintritt und die Ent- wicklung der Totenstarre des Herzens. Wir finden also, daß eine nicht übermäßige Reizung der hemmenden Herz- nerven das aus dem Verhalten des Skelettmuskels zu erwartende Resultat tat- sächlich ergibt. Wenn die Bewegungen des Herzens vor dem Tode in geeignetem Grade beschränkt gewesen sind, tritt die Totenstarre später ein, als wenn das Herz in der letzten Zeit des Lebens eine kräftigere Tätigkeit entfaltet hat. § 78. Der Einfluß gewisser mineralischer Bestandteile auf die Wirkung der hemmenden Nerven. Wenn das Froschherz genügend lange mit Kochsalzlösung ausgespült wird, verliert der Vagus, wie Schiff3 zeigte, seinen Einfluß auf dasselbe. Durch er- neuerte Zufuhr von Blut oder Ringerlösung können die hemmenden Nerven indessen ihre Leistungsfähigkeit wieder erlangen (Wybauw*, Asher5, Busquet und Pachon*). Für die normale Tätigkeit dieser Nerven genügt also eine aus- 1 Meltzer und Joseph, Amer. journ. of physiol., 25, S. 113; 1909. 2 Meirowsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 78, S. 77; 1899. 3 Schiff, Ges. Beitr. z. Physiol., 1, S. 653, 656; 1894 (die Originalabhandlung ist vom Jahre 1877); — vgl. auch Loewit, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 482; 1881. 4 Wybauw, Arch. intern, de physiol., 2, S. 198; 1904. 5 Asher, Verh. d. Kongr. f. inn. Med., 21, S. 298; 1904. 6 Busquet und Pachon, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1908 (2), S. 571, 599; — 1909 (1), S. 127, 247, 285, 779; — Journ. de physiol., 1909, S. 807. 366 Die Innervation des Herzens. schließlich aus anorganischen Salzen bestehende Lösung, aber nicht die Koch- salzlösung allein. Bottazzi1 lenkte dann die Aufmerksamkeit auf die Ähnlichkeit der Ein- wirkung des Chlorkaliums mit der der Vagusreizung auf das Herz. Dieser Ge- danke wurde dann von Howell2 und E. G. Martin3 aufgenommen und weiter entwickelt, wobei letzterer die Übereinstimmung der Symptome bei Chlor- kaliumvergiftung und Vagusreizung eingehend erörterte. Am künstlich ernährten Frosch- und Schildkrötenherzen untersuchte Howell den Einfluß der Veränderungen des Chlorkaliumgehaltes der normalen Ringer- lösung auf die Erregbarkeit der Vagi und fand, daß diese bis zu einem Gehalt von etwa 0,07% 'n der Regel zunahm, sowie daß das Chlorkalium bei einem Gehalt von 0,09 — 0,1% ur>d mehr die Empfänglichkeit des Herzens für die Vagusreizung verminderte.4 Bei einem noch höheren Gehalt an Chlorkalium wird der Vagus vollständig unwirksam (Burridge5). Bei der Speisung mit einer chlorkaliumfreien Ringerlösung wurde der Einfluß des Vagus auf die Vorhöfe des Schildkrötenherzens wie auf die Vorhöfe und die Kammer des Froschherzens mehr oder weniger herabgesetzt, obgleich auch Fälle vorkamen, wo der Vagus seine gewöhnliche Wirkung ausübte.6 Diese letztere Beobachtung streitet offenbar gegen die Annahme, daß das Chlorkalium eine durchgreifende Bedeutung für die Tätigkeit des Vagus hätte. Howell7 sucht sie in der Weise zu deuten, daß in den betreffenden Fällen neue, diffusible Chlorkaliumverbindungen in den Geweben so schnell gebildet werden, daß sie nicht durch Diffusion mit der Nährflüssigkeit entfernt werden können. Sonst ist aber in dieser das Vorhandensein von diffusiblen Kaliumverbindungen für die Hemmungswirkung des Vagus unbedingt notwendig. Ein weiterer Grund für die Annahme eines nahen Zusammenhanges zwischen den Kaliumverbindungen und der Hemmungswirkung des Vagus liegt in folgendem. Wenn eine Ringerlösung durch ein ausgeschnittenes Säugetierherz geleitet wird, so nimmt bei Vagusreizung der Gehalt der Flüssigkeit an Kalium um 11 — 29, durchschnittlich 20%, zu, während ohne Vagusreizung die Zunahme nur 0 — 6,2%, durchschnittlich 3%, beträgt. Die Reizung des Vagus veranlaßt also die Bildung von diffusiblen Kaliumverbindungen aus irgendwelchen in- diffusiblen Substanzen, die sich normal im Gewebe des Herzens vorfinden (Howell und Dukes). Bei jeder Vagusreizung wurde 0,4 — 0,5 mg Kalium freigemacht. Findet eine entsprechende Anreicherung der Flüssigkeit mit Kalium im Vorhofe statt, ist die Menge davon genügend, um das Herz zu hemmen.9 1 Bottazzi, Arch. de physiol., 1896, S. 890. 2 Howell, Amer. journ. of physiol., 6, S. 204; 1901. :! E.G.Martin, ebenda, 11, S. 370; 1904. 4 Howell, ebenda, 15, S. 281; 1906; — vgl. auch Burridge, Quarterly journ. of physiol., 5, S. 366; 1912; — Journ. of physiol., 49, proc. S. 11; 1915. 5 Burridge, Journ. of physiol., 51, S. 46; 1917. G Howell, a. a. O., 15, S. 283; 1906. — Als erste Wirkung einer chlorkaliumfreien Lösung bemerkten Zwaardemaker und Lely eine Erhöhung der Erregbarkeit des Vagus (Arch. neerl. de physiol., 1, S. 748; 1917). 7 Howell, a. a. O., 15, S. 288. s Howell und Duke, Amer. journ. of physiol., 21, S. 52; 1908. 8 Howell und Duke, ebenda, 21, S. 55. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 367 Zur Deutung der Chlorkaliumwirkung hebt Howell1 hervor, daß die Sub- stanz, deren Dissoziation und Oxydation die Kontraktionsenergie des Herzens liefert, mit Kaliumsalzen eine verhältnismäßig stabile Verbindung bildet oder wenigstens durch die Kaliumsalze bei ihrer Dissoziation beschränkt wird. Durch die Vagusreizung würde die Dissoziation gewisser Kaliumverbir.durgen in der Herzwand begünstigt werden, und die vermehrte Kaliummenge ihrerseits die Dissoziation der energieliefernden Substanz verhindern. Gegen diese Auffassung können indessen die von Hemmeter2 an Haien aus- geführten Versuche zitiert werden, denn bei diesen zeigte der prozentige Gehalt des Herzmuskels an Chlorkalium keine Veränderungen, je nachdem der Vagus vorher gereizt war oder nicht. Andere Versuche ergaben, daß von einem ge- hemmten Herzen in das durchfließende Blut nichts ausgeschieden wird, wodurch die Tätigkeit eines zweiten Herzens derselben Art verlangsamt werden könnte.3 Durch Kalium wird auch der aus zentralen Ursachen herrührende Tonus des Vagus gesteigert, denn bei intravenöser Injektion einer Chlorkaliumlösung tritt insbesondere am Hunde eine Abnahme der Pulsfrequenz wie des Kon- traktionsumfanges auf, welche nach Durchschneidung der Vagi einer Zunahme sowohl der Frequenz als des Umfanges der Herzkontraktionen Platz macht (H. E. Hering'). Zu dem gleichen Resultat ist Hookerr° bei künstlicher Durchströmung des Hundekopfmarkes mit einer Suspension von Blutkörperchen in einer Salzlösung gekommen. War der Gehalt der Flüssigkeit an Kalium im Verhältnis zu dem an Kalzium groß, so wurden die Herzschläge seltener; nach Durchschneidung der Vagi trat hier eine verhältnismäßig sehr geringe Retardation zum Vorschein. Da die chlorkaliumfreie Ringerlösung, d. h. eine Lösung von Chlornatrium und Chlorkalzium, wie schon bemerkt, in vielen Fällen vermag, die Leistungs- fähigkeit des Vagus zu unterhalten, muß das Chlorkalzium eine nicht zu unter- schätzende Bedeutung für die Hemmungswirkung haben. Dasselbe folgt vielleicht noch deutlicher daraus, daß der Zusatz von selbst sehr geringen Mengen Chlorkalzium zu diesem Zwecke genügt (Busquet und Pachon6, Mines7, Hagan und Ormond*), während andererseits, bei zu kleiner Kalziummenge, die Hemmungswirkung durch Zusatz von Chlorkalium wieder her- gestellt wird {Hagan und Ormond*). Der zum Erhalten der Vaguswirkung geringste Gehalt an Kalzium beträgt nach Hagan und Ormond* für das Schildkrötenherz etwa 0,003 — 0,006%- Dem- gegenüber gibt Brine10 indessen an, daß der Vagus seine Hemmungswirkung auch dann ausübt, wenn die Nährflüssigkeit sehr arm an Kalzium ist, bzw. wenn sie gar kein Kalzium enthält. Es ist aber, wie die Verfasserin selber bemerkt, 1 Howell, Amer. journ. of physiol., 15, S. 291 ; 1906. - Hemmeter, Biochem. Zeitschr., 63, S. 118; 1914. 3 Hemmeter, ebenda, 63, S. 140; — 66, S. 437; 1914. 4 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 161, S. 537; 1915. 5 Hooker, Amer. journ. of physiol., 38, S. 200; 1915. 6 Busquet und Pachon, Journ. de physiol., 1909, S. 812, 851. 7 Mines, Journ. of physiol., 42, S. 261 ; 1911. s Hagan und Ormond, Amer. journ. of physiol., 30, S. 105; 1912. !) Hagan und Ormond, Amer. journ. of physiol., 30, S. 109. 0 Brine, ebenda, 44, S. 171; 1917. 368 Die Innervation des Herzens. nicht unmöglich, daß die Ausspülung in ihren Versuchen nicht lange genug stattgefunden hat, und daß also aus der Herzwand selbst Kalzium der Nähr- flüssigkeit hat abgegeben werden können. Bei einem zu hohen Gehalt an Chlorkalium in der Nährflüssigkeit wird die Leistungsfähigkeit des Vagus durch einen entsprechenden Zusatz von Chlor- kalzium wieder hergestellt (Burridge1). Durch intravenöse Injektion von Chlorkalzium am Kaninchen fand Cazzola2, daß die Vaguswirkung durch kleine Gaben erhöht, durch größere vermindert und schließlich ganz aufgehoben wurde. Nach Ausfällung des Kalkes im Blute nimmt die Erregbarkeit des Vagus in einem mehr oder minder hohen Grade ab. Nach Busquet und Pachonz würde die günstige Wirkung des Kalziumchlorids und der Kalziumsalze überhaupt nicht durch die Salze anderer nahestehender Metalle (Strontium, Barium, Magnesium) ersetzt werden können. Bei stärkerer Konzentration (0,73% statt 0,6%) kann aber das Strontium die Aufgabe des Kalziums mit Erfolg übernehmen (Mines*). Das Chlorkalzium übt indessen keine hemmende Wirkung auf das Herz aus; vielmehr wissen wir ja, daß es den Herzmuskeltonus stark erhöht. Sein Vorhandensein in der Nährflüssigkeit scheint daher nur damit verbunden zu sein, daß jede Nährflüssigkeit für ihre normale Zusammensetzung eine gewisse Menge von diesem Salz nötig hat.5 Damit läßt sich die Angabe von Busquet und Pezzi6, daß die Wirkung des Chlorkalziums auf die peripheren Endigungen des Vagus ausgeübt wird , gut vereinigen. § 79. Der intrakardiale Verlauf der hemmenden Nerven. a) Die im Verlauf der hemmenden Nerven eingeschalteten Ganglienzellen. Wie Langley nachgewiesen hat, wird jede autonome Nervenfaser während ihres Verlaufes außerhalb des zentralen Nervensystems einmal durch eine Ganglien- zelle unterbrochen. Dank der Eigenschaft des Nikotins, diese Verbindung auf- zuheben, ist es möglich, im gegebenen Falle die Zugehörigkeit bestimmter Ganglien- zellen zu den entsprechenden Nerven zu untersuchen. Wenn ein Frosch-, Schildkröten- oder Katzenherz mit Nikotin vergiftet wird, verliert der Vagus seine Wirkung auf dasselbe. Also müssen die Vagus- fasern durch Ganglienzellen in die Herzwand passieren (Rosenthal7, Truhart8, Langley9, Noon10). 1 Burridge, Journ. of physiol., 51, S. 46. 2 Cazzola, Arch. di fisiol., 11, S. 89; 1913. 3 Busquet und Pachon, a. a. O., 1909, S. 815. 4 Mines, Journ. of physiol., 42, S. 262. 5 Vgl. Hagan und Ormond, Amer. journ. of physiol., 30, S. 113; 1912; — sowie Burridge, Quarterly journ. of physiol., 5, S. 364; 1912; — Hooker, Amer. journ. of physiol., 38, S. 200; 1915. 6 Busquet und Pezzi, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1912 (2), S. 382. ' Rosenthal, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1863, S. 737. 8 Truhart, Inang.-Diss. Dorpat, 1869, S. 26. 9 Langley, Journ. of physiol., 11, S. 277; 1890. 10 Noon, ebenda, 26, proc. S. 5; 1900. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 369 Nach solcherart erfolgter Ausschaltung der Ganglienzellen kann man durch Reizung der Scheidewandnerven eine unter Umständen sehr erhebliche Schwächung der Herzschläge bekommen (F. B. Hofmann1). Ein weiterer Beweis dafür, daß die Vagusfasern mit Ganglienzellen in der Herzwand zusammenhängen, finden wir in Degenerationsversuchen. Wenn die Vagi eines Frosches durchschnitten werden und das Tier genügend lange am Leben bleibt, degenerieren die Nervenfasern, welche ihren Ursprung in den Ganglienzellen des Kopfmarkes haben, während die Ganglienzellen im Herzen selber sowie ihre Ausläufer unversehrt bleiben (Nikolajew2, Polumord- winow2). Die Reizung der Scheidewandnerven gibt nun immer noch deutliche Hem- mungserscheinungen (F. B. Hofmann4, Polumordwinow). Beim Froschherzen stellen also die Ganglienzellen in der Herzwand die peripheren Unterbrechungen in der Leitung der hemmenden Nerven dar. Dasselbe scheint auch bei dem Säugetierherzen der Fall zu sein, und schon in Roscnthals5 Arbeit über das Nikotin wird erwähnt, daß dasselbe beim Säuge- tierherzen die Vaguswirkung aufhebt. Nach Flack6 enthält der sino-aurikulare Knoten außer zahlreichen eigen- tümlichen Muskelfasern auch Ganglienzellen, die mit dem Vagus und dem Sym- pathicus in Verbindung stehen. Bepinselung des Knotens mit Atropin macht den rechten Vagus vollständig unwirksam; der linke Vagus verliert dabei ent- weder seinen Einfluß auf die Vorhöfe und die Kammern, oder auch auf die ersteren allein. Anbringen von Nikotin auf andere Teile der Vorhöfe oder der Kammern hatte keine Wirkung auf den Vagus. Die Abklemmung des Knotens hob in sechs unter sieben Fällen die Leistungs- fähigkeit des rechten Vagus vollständig, die der linken jedenfalls auf die Vor- höfe auf. Am Kaninchenherzen applizierten Marchand und A. M. Meyer1 an Orten, wo sich nach der anatomischen Untersuchung Ganglienzellen in reichlicher Menge vorfanden, Nikotin und untersuchten dann die Wirkung der Vagus- reizung. Dabei zeigte sich, daß keine oder nur eine geringe Störung der Vaguswirkung erschien, wenn das Nikotin auf der Herzspitze oder auf der Vorderfläche der Kammern oder auf die Herzohren angebracht wurde. Dagegen war von der Hinterwand der Vorhöfe aus eine starke Nikotin- wirkung zu erzielen, und zwar lag die empfindlichste Stelle an der Hinterwand des rechten Vorhofes unterhalb der Einmündung der oberen Hohlvene und in dem Felde zwischen linker und rechter Hohlvene. Nach der von Marchand und Meyer mitgeteilten Abbildung fällt dieses Feld vollständig außerhalb der Region des sino-aurikularen Knotens. 1 F. B. Holmatm, Schmidts Jahrb. der gesamten Med., 281, S. 117; 1904; — Zeitschr. f. Biol., 67, S. 404; 1917. 2 Nikolajew, Arch. f . Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1893, Suppl., S. 67. 3 Polumordwinow, Arch. f. d. ges. Physiol., 140, S. 463; 1911. " F. B. Hofmann, a. a. O., 281, S. 118. 5 Rosenthal, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1863, S. 738. 6 Flack, Journ. of physiol., 41, S. 64; 1910; — Arch. intern, de physiol., 11, S. 127; 1912. 7 Marchand und A. M. Meyer, Arch. f. d. ges. Physiol., 145, S. 401; 1912. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 24 370 Die Innervation des Herzens. Beim Säugetierherzen können die postganglionären Fasern allerdings nicht direkt erregt werden; durch intravenöse Injektion von Muskarin gelang es in- dessen Marchand und Meyer, auch am nikotinvergifteten Herzen eine typische Verlangsamung zu erzielen. Im Kaninchenherzen würden also die Vagi hauptsächlich im betreffenden Felde von Ganglienzellen (vgl. oben II, S. 135) unterbrochen werden. Die Versuche mit lokaler Applikation von Nikotin sind indessen, wegen der dabei stattfindenden und durch das Erscheinen von allgemeinen Vergiftungs- symptomen nachgewiesenen Absorption des Giftes, nicht ganz einwandfrei, und in der Tat ergaben Versuche von Fredericq1, daß die Vagusreizung beim Hunde auch dann versagt, wenn das Nikotin an andere Stellen der ventralen Vorhof- wand als die soeben erwähnten angebracht wird. Ferner wies Fredericq nach, daß man alle Teile der Vorhofwand, die über- haupt erreicht werden können, mit einem Glasstabe verschorfen kann, ohne daß die Vaguswirkung deswegen aufhört, und schließt auf Grund dessen, daß die den Vagi zugeordneten Ganglienzellen in den tieferen Schichten der Herz- wand liegen. Ihrerseits fanden Ganter und Zahn2, daß eine lokale Erwärmung sowohl des sino-aurikularen als des atrioventrikulären Knotens die Vaguswirkung herab- setzt, und zwar wurden im ersten Falle die chronotropen, im zweiten die dromo- tropen Veränderungen in erster Linie beeinflußt. Aus diesen Erfahrungen geht also, trotz den Abweichungen in Einzelheiten, hervor, daß Ganglienzellen im intrakardialen Verlauf der hemmenden Herz- nerven eingeschaltet sind. Wahrscheinlich gehört nur ein Teil der Ganglien- zellen des Herzens hierher; die übrigen könnten mit den Gefäßnerven des Herzens in Verbindung stehen3, bzw. die hypothetischen Träger der Herzautomatie, wenn die neurogene Lehre richtig ist, darstellen. Nach H. E. Hering* kann man an künstlich mit der Ringerlösung nutriierten Affenherzen selbst 6 Stunden post mortem durch Vagusreizung einen, wenn auch nur kurze Zeit dauernden Herzstillstand erzielen. Wenn alle Vagusfasern durch Ganglienzellen im Herzen verlaufen, so würden also diese noch 6 Stunden nach dem Tode des Tieres leistungsfähig sein können. Dies erscheint um so mehr befremdend, da wir ja wissen, daß die Zellen in den Halsganglien des Sympathicus bei Speisung mit der Ringerflüssigkeit viel früher ihre Erregbarkeit verlieren5. Wenn die Vagusfasern tatsächlich in die betreffenden Ganglienzellen einmünden, müßten diese spezifische Eigenschaften, die nur ihnen eigen sind, besitzen. Es findet sich indessen vielleicht noch eine andere Erklärungsmöglichkeit, nämlich daß der Vagusstamm im betreffenden Versuch nur die Rolle eines physikalischen Leiters gespielt hat. So deutet wenigstens Danilewsky Versuche, wo er ein Kaninchenherz 24 Stunden nach dem Tode wiederbelebte und dann durch Vagusreizung zum Stillstand brachte. Dieses Resultat wäre daher auf die Tätigkeit der Nervenendigungen des Vagus zu beziehen.6 1 Fredericq, Aren, intern, de physiol., 14, S. 195; 1913. 2 Ganter und Zahn, Arch. f. d. ges. Physiol., 154, S. 509; 1913. 3 Marchand und Meyer, ebenda, 145, S. 414. 4 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 99, S. 251; 1903. 5 Vgl. H. E. Hering, ebenda, 99, S. 253; 1903. 6 Danilewsky, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1905, Suppl., S. 195. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 371 b) Der Angriffspunkt der hemmenden Nerven. Da die normale Schlagfolge des Herzens aller Wahrscheinlichkeit nach von der Tätigkeit des sino-aurikularen Knotens abhängt, können wir von vorn- herein voraussetzen, daß sich die chronotrope Vaguswirkung zunächst auf diesen geltend macht. Wenn das Herz dessen ungeachtet pulsiert, so müssen die Pul- sationen nun von einem anderen Orte, der die Führung des Herzschlages auf- genommen hat, ausgehen. Dies wurde zum erstenmal von H. E. Hering1 und Lohmann2 dargetan, indem sie nachwiesen, daß bei der Vagusreizung eine atrioventrikuläre Auto- matie entstand.3 Die fortgesetzten Untersuchungen über den Ursprungsort anomaler Herz- reize zeigten immer deutlicher, daß die atrioventrikuläre Automatie bei der Vagusreizung ihren Sitz im atrioventrikulären Knoten hatte, und daß über- haupt mit zunehmender Wirkung der hemmenden Nerven zunächst die mehr vorhofwärts gelegenen Reizbildungsstellen in stärkerem Maße beeinflußt werden als die kammerwärts gelegenen (Kure*). Dies wurde unter Anwendung des Elektrokardiogramms von Meek und Eyster* wie von Lewis, Meakins und White6 besonders schön demonstriert, und zwar gelang es ihnen sogar, zu zeigen, daß bei ganz schwacher Vagusreizung und einer infolgedessen nur unbedeutenden Verlängerung der Herzperiode der Ort der Ursprungsreize vom oberen nach dem unteren Teile des sino-aurikularen Knotens wegzog.7 Eine weitere Stütze für die Bedeutung des sino-aurikularen Knotens als Angriffspunkt für den Vagus lieferten Schlomovitz, Eyster und Meek8 durch den Nachweis, daß örtliche Abkühlung des oberen Endes des Knotens, welche an und für sich die Leistungsfähigkeit desselben vermindert, ihn für die Vagus- wirkung weniger empfindlich macht und also dieselbe mehr oder weniger herab- setzt; dabei war der Einfluß auf den linken Vagus größer als auf den rechten, so daß unter Umständen die Reizung des ersteren ganz erfolglos blieb. Wenn der ganze sino-aurikulare Knoten durch Abkühlung ausgeschaltet wurde und infolgedessen ein atrioventrikulärer Rhythmus erschien, war die Reizung des linken Vagus in einem Falle ohne jede Wirkung, in den übrigen wurde dagegen der normale sino-aurikulare Rhythmus temporär wiederhergestellt, indem die durch Kälte und Vagus zusammen ausgelöste Hemmung auf den atrioventrikulären Knoten größer war als die gleichzeitige Abnahme der Leistungs- fähigkeit des sino-aurikularen Knotens (Meek und Eyster9, Lewis™). Wenn noch 1 H. E. Hering, Prager med. Wochenschr., 1902; zit. nach Kure, Zeitschr. f. exp. Path., 12, S. 426. 2 Lohmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1904, S. 437. 3 Vgl. auch Kure, Zeitschr. f. exp. Pathol., 12, S. 400, 418, 426; 1913. 4 Kure, ebenda, 12, S. 435. 5 Meek und Eyster, Heart, 5, S. 227; 1914. 6 Lewis, Meakins und White, Philosophical transactions, 205, B, S. 407; 1914. 7 Meek und Eyster, Amer. journ. of physiol., 34, S. 368; 1914; — Lewis, Meakins und White, a. a. O. 8 Schlomovitz, Eyster und Meek, Amer. journ. of physiol., 38, S. 177; 1915. 9 Meek und Eyster, Heart, 5, S. 239; 1914. 10 Lewis, ebenda, 5, S. 247; 1914. 24* 372 Die Innervation des Herzens. der atrioventrikuläre Knoten exstirpiert wurde, konnte in einem Falle eine geringe negativ chronotrope Wirkung der Vagusreizung beobachtet werden. Endlich ergab die Exstirpation des ganzen Knotens entweder eine starke Herabsetzung der Vaguswirkung oder auch wurde diese dadurch vollständig aufgehoben. Die frequenzvermindernde Wirkung des Vagus würde also darin bestehen, daß die Ursprungsorte der Herzreize der Reihe nach ausgeschaltet werden, und zwar würde diese Wirkung, nach Meek und Eyster1, ausschließlich auf das sino- aurikulare und das atrioventrikuläre Knotengewebe beschränkt sein. Sowohl der rechte als der linke Vagus übt seinen stärksten chronotropen Einfluß auf den sino-aurikularen Knoten aus.2 Wie das Knotengewebe den Ort des Erregungsursprungs darstellt, ist es also auch der Ort, wo die Regulation der Frequenz der Herzschläge unter dem Einfluß der hemmenden Nerven erfolgt. Je stärker die Vagusreizung ist, in einem um so größeren Umfange werden die mit einem höheren Grade von Auto- matie ausgerüsteten Partien dieses Gewebes, von dem Kopfteil des sino-auri- kularen Knotens anfangend (Meek und Eyster, Lewis), ausgeschaltet, bis schließlich auch der niederste Teil desselben nicht mehr fähig ist, Reize abzugeben, und das Herz vollständig stillsteht. Über den Angriffspunkt der inotropen, postganglionären Hemmungsnerven können wir zurzeit nichts Bestimmtes sagen. Es dürfte aber sehr wahrscheinlich sein, daß diese mit der Muskulatur in direkter Verbindung treten. Über das davon vollkommen abweichende Verhalten des Limulusherzens vgl. oben 11, S.305. § 80. Die elektrischen Erscheinungen bei der Reizung der hemmenden Nerven. a) Bei Tonusschwankungen. Mittels des Telephons untersuchte Wedenskii3 den Muskelton bei Reizung des Vagus beim Frosche; als das Herz stillstand, wurde kein Ton gehört. Unter Anwendung des Kapillarelektrometers kam Taljanzeff zu demselben Ergebnis4 und auch Gotch5, Einthoven6, Kahn7 und Noyons8 konnten bei dem Vagusstillstand keine elektrischen Erscheinungen am Herzen beobachten. Positive Resultate erzielte dagegen Gaskell9, indem es ihm gelang, bei einem durch Vagusreizung stillstehenden Herzen eine für die Vaguswirkung charak- teristische Stromschwankung nachzuweisen. Er ging dabei von dem Gedanken 1 Meek und Eyster, Anier. journ. of physiol., 34, S. 382; 1914; — Schlomovitz, Meek und Eyster, ebenda, 37, S. 199; 1915. 2 Vgl. auch Lewis, Heart, 5, S. 260; 1914. 3 Wedenskii, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1884, S. 1. Bei einer Reizung, welche die Herz- schläge nur verlangsamte, ohne sie aufzuheben, hörte Wedenskii eine Reihe von kurzen, mit den Herzperioden zusammenfallenden Tönen, deren Höhe derjenigen des Induktoriums ent- sprach. Wedenskii faßt dieselben als Ausdruck der Wirkung motorischer Fasern im Vagus auf. 4 Taljanzeff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1886, Suppl., S. 31. 5 Gotch, Journ. of physiol., 8, proc, S. 26; 1887. 6 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 543; 1908. 7 Kahn, ebenda, 126, S. 214; 1909. 8 Noyons, Onderzoekingen ged. in het physiol. Laborat. d. Utrechtsche Hoogeschool, 5 Reeks, 11, S. 221; 1910. 9 Gaskell, Beiträge zur Physiologie, Carl Ludwig gewidmet. Leipzig 1887, S. 114; — Journ. of physiol., 8, S. 404; 1887. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 373 aus, daß eine derartige Untersuchung an einem schon vor der Vagusreizung stillstehenden Herzen ausgeführt werden müßte, denn nur dann könnte man eindeutige Ergebnisse erwarten. Ein zu diesem Zwecke anwendbares Präparat fand er im Schildkrötenherzen. Bei diesem verläuft der Koronarnerv vom Venensinus nach der Herzfurche und man kann ihn, ohne ihn zu beschädigen, mit dem Sinus zusammen von dan distalen Herzabteilungen trennen. Nach einer solchen Trennung stehen diese Abteilungen eine kürzere oder längere Zeit still und pulsieren auch nicht bei Reizung des Vagus, als dessen Fortsetzung dieser Nerv anzusehen ist (vgl. oben II, S. 164). Gaskell leitete den einen Vorhof von der Basis und Spitze, nachdem diese durch Eintauchen in heißes Wasser getötet worden war, zum Galvanometer ab. Bei einem solchen Präparat ist nach bekannten Gesetzen die beschädigte Stelle im Verhältnis zu jeder un- beschädigten negativ elektrisch. Wurde nun der Vagus gereizt, so erschien keine Kontraktion; statt dessen trat aber eine positive Schwankung auf, d. h. die Stärke des Ruhestromes nahm zu. Die Resultate Gaskeils wurden in allem Wesentlichen an dem von ihm be- nutzten Objekt von Boruttau1, Meek und Eyster2 bestätigt. Selbst wenn die Vagusreizung zu schwach war, um einen Stillstand hervor- zurufen, zeigte die Linie, welche die tiefsten Punkte der den einzelnen Kon- traktionen entsprechenden Aktionsströme verband, eine stetig zunehmende Positivität der Vorhof basis an (Meek und Eyster). Um diese Schwankungen anzugeben, mußte die Saite außerordentlich empfindlich sein, und zwar würde die hierbei zweckmäßige Saite von den Aktions- strömen des Säugetierherzens sofort zerbrochen werden. Auch beim Froschherzen sind von Symes3, Samojloff* und Schür lioltz* ähn- liche Erscheinungen beobachtet worden. Zur Deutung dieser Erscheinung hob Gaskell hervor, daß sie entweder durch eine vermehrte Negativität des Querschnitts oder durch eine vermehrte Posi- tivität der unversehrten Stelle verursacht werden könnte. Da die erste An- nahme nicht möglich war, würde also aus dem Versuch folgen, daß bei der Reizung des Vagus an einem stillstehenden Herzen eine molekulare Veränderung statt- findet, und daß diese Veränderung als eine elektrische Stromschwankung er- scheint, welche ihrem Zeichen nach derjenigen, welche bei der Arbeit des Herz- muskels auftritt, entgegengesetzt gerichtet ist. Kurz, sie wird von Gaskell als Ausdruck eines Neubildungsprozesses aufgefaßt. Daß diese Deutung nicht richtig sein kann, haben Einthoven und Rade- maker* am gleichen Präparat nachgewiesen. Nach ihren Ermittelungen tritt nämlich bei der Vagusreizung wegen der dabei stattfindenden Kontraktion der Lungen ein langsames Einsinken des Perikards ein und der mittels eines Fadens fixierte Vorhof wird gedehnt. Diese Dehnung stellt die wirkliche Ur- sache der positiven Schwankung des Demarkationsstromes dar, denn auch beim Skelettmuskel nimmt die Stärke des Demarkationsstromes bei der Dehnung zu. 1 Boruttau, Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 301 ; 1905. 2 Meek und Eyster, Amer. journ. of physiol., 30, S. 271; 1912. 3 Symes, Journ. of physiol., 32, proc., S. 71; 1905. « Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 500; 1914. 5 Schürholtz, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1914, S. 380. 6 Einthoven und Rademakcr, Arch. f. d. ges. Physiol., 166, S. 125; 1916. 374 Die Innervation des Herzens. Wo das Herz nicht so gelagert ist, daß diese Eventualität eintrifft, kann die positive Stromschwankung, wie Boruttau1 ausgeführt hat, auch darauf zurückgeführt werden, daß die Vagusreizung eine an der unverletzten Stelle vorhandene tonische Erregung vermindert oder aufhebt. Als Stütze dieser letzteren Auffassung wird von Samojloff'2 u. a. folgender Versuch angefühlt. Es wurde an einem infolge der ersten Stanniusschen Ligatur stillstehenden Froschherzen von dem Sinus und dem künstlichen Querschnitt der Kammerspitze zum Galvanometer abgeleitet und durch Einzelinduktions- schläge ein künstlicher Rhythmus bei der Kammer unterhalten. Während- dessen nahm der Demarkationsstrom als Ausdruck der stattfindenden Erregung ununterbrochen ab, d. h. im Kammermuskel entwickelte sich allmählich ein immer stärkerer Tonus. Wurde jetzt mit der Reizung aufgehört, zeigte der Demarkationsstrom eine der bei der Vagusreizung auftretenden ganz ähnliche positive Schwankung, die hier unbedingt als Ausdruck der Tonusabnahme auf- gefaßt werden muß. Beim Vorhof des Schildkrötenherzens konnte außerdem noch die durch den Vagus hervorgerufene Kontraktion der glatten Muskeln hier in Betracht kommen. b) Bei den einzelnen Kontraktionen. Wenn der Vagus so schwach gereizt wird, daß kein Stillstand, sondern nur eine Retardation der Herzschläge, bzw. Abnahme ihrer Größe auftritt, so erscheinen am Aktionsstrom bzw. Elektrokardiogramm Veränderungen, welche teils Aufschlüsse über die Veränderungen im zeitlichen Verlauf der Herzkontraktion geben, teils auch uns über die Art und Weise der Vaguswirkung auf das Herz in einem gewissen, wenn auch nur verhältnismäßig geringen Umfange aufklären. Fig. 320. Aktionsstrom des Vorhofes des Schildkrötenherzens. Nach Noyons. Zwischen x und y Vagusreizung, a, Aktionsstrom; b, linker Vorhof; c rechter Vorhof. Am Vorhof der Schildkröte geht die sattelförmige Kurve des Aktions- stromes unter dem Einfluß einer mäßigen Vagusreizung in die aus der Fig. 320 ersichtliche Form über (Noyons3), oder auch verändert die Zacke / ihre Richtung, so daß sie, wenn sie vorher mit der Zacke r gleichgerichtet war, jetzt eine ent- gegengesetzte Richtung bekommt (Samojloff4). 1 Boruttau, Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 301. 2 Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 506. a Noyons, Onderzoekingen ged. in het physiol. Laborat. d. Utrechtsche Hoogeschool, 5. Reek>, 11, S. 221; 1910. 4 Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 506; 1914. Die hemmenden Herznerven hei den Wirbeltieren. 375 Beim Hunde nimmt die Zacke P bei der Vagusreizung ab. Dabei tritt zuweilen keine andere Veränderung auf, oft wird aber auch die Form der Zacke verändert, indem statt einer einzigen Erhebung über die Nulllinie, der eine Senkung auf die ursprüngliche Höhe folgt, die Kurve unmittelbar nach der Erhebung bis unter die Nulllinie herabsinkt, um dann wieder bis zu ihrem ursprünglichen Niveau zu steigen (Einthoven1). Auch beim Menschen haben Robinson und Draper'2, wie Weil3 und v. Hösslin* in einigen Fällen bei mechanischer Reizung des Vagus am Halse eine zuweilen bis zum völligen Verschwinden gehende Abnahme der Zacke P beobachtet. Unter den für die Kammertätigkeit charakteristischen Zacken werden bei dem Hunde und der Katze die Zacken Q, R, S im allgemeinen nur wenig ver- ändert (Einthoven5, Samojlojf', Kahn"1). Indessen geben Rothberger und Winterberg* an, daß beim Hunde die Zacke R bei der Vagusreizung oft eine sehr ausgesprochene Vergrößerung darbietet, und Robinson und Draper9 haben dasselbe bei Reizung des rechten Vagus beim Menschen nachgewiesen, während die Reizung des linken Vagus diese Zacke im Gegenteil vermindert. Dagegen erleidet die Zacke T bei der Vagusreizung deutliche Veränderungen, welche ein großes Interesse darbieten. Beim Froschherzen verändert sie sich in negativer Richtung, d. h., wai sie vor der Reizung positiv, so nimmt sie zuerst an Größe ab und wird schließlich negativ; war sie aber vom Anfang an negativ, so wird sie unter dem Einfluß der Vagusreizung noch stärker negativ, und zwar gilt dies nicht allein vom natürlichen Herzschlag, sondern auch von einem durch Induktionsschläge unter- haltenen künstlichen Rhythmus (Samojloff10). Ganz ähnlich verhält sich nach Einthoven11 die T-Zacke beim Hunde. Bei der Katze wird sie, wenn sie bei direkter Ableitung vom Herzen anfangs negativ war, durch die Vagusreizung positiv (Samojloff12). Nach Einthoven13 ist die Zacke T bei der Ableitung III beim Menschen bei herabgesetztem Vagustonus größer als normal, und in Übereinstimmung damit geben Robinson und Draperli an, daß sie beim Druck auf den Halsvagus zuweilen ein klein wenig niedriger wird. 1 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 538; 1908; — 147, S. 49; 1913; -- 150, S. 305; 1913; — vgl. auch Samojloff, ebenda, 135, S.455; 1910; — Kraus, Nicolai und E. Meyer, ebenda, 155, S. 153; 1913. 2 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 225; 1911; — 15, S. 28; 1912. 3 Weil, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 119, S. 47; 1916. 4 v. Hösslin, ebenda, 133, S. 379; 1920. 5 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 537. e Samojloff, ebenda, 135, S. 454; 1910. 7 Kahn, ebenda, 140, S. 634; 1911. 8 Rothberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 546; 1910. 9 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 225, 227; — 15, S. 28. 10 Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 460, 466; 1910; — 155, S. 471 ; 1914; - vgl. auch Eiger, ebenda, 151, S. 43; 1913; — Mines, Proc. of the Cambridge philos. soc, 16, S. 615; 1912; — Journ. of physiol., 47, S. 4232; 1914. 11 Einthoven, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 542; 1908. 12 Samojloff, ebenda, 155, S. 518; 1914. 13 Einthoven, ebenda, 150, S. 306; 1913. 14 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 226; 1911; — 15, S. 14; 1912. 376 Die Innervation des Herzens. Unter Hinweisen darauf, daß bei normalen Verhältnissen die Kammer- basis länger kontrahiert bleibt als die Spitze, zeigt Samojloff1 zunächst durch Konstruktion der Erregungskurven der einzelnen Punkte der Herzkammer, daß die unter dem Einfluß des Vagus stattfindende Veränderung in der Höhe und Richtung der T-Zacke darauf zurückgeführt werden kann, daß die Kontraktions- dauer der Basis bei der Vagusreizung abnimmt. Daß sich die Sache wirklich so verhält, beweist er dann dadurch, daß der monophasische Aktionsstrom, der nach Beschädigung der Herzspitze bei Ableitung von Basis und Spitze er- halten wird, bei der Vagusreizung vor dem Stillstande deutlich verkürzt ist2, Fig. 321. Aktionsströme des Froschherzens. Nach Mincs. a, normal; /;, Vagusreizung; c, 2 Minuten später; d, eine Minute nach Applikation von Atropin an der Kammerbasis; e, Vagus- reizung; das Atropin hat noch nicht seine Wirkung entfaltet; / 3 Minuten später; g, unmittelbar nach /; h, Vagusreizung, 4 Minuten nach der Applikation des Atropins; Umkehr der Zacke T; i, eine Minute später; /, zwei Minuten später; k, Vagusreizung; /, eine Minute später. während dagegen die Dauer des Aktionsstromes bei den nach dem Stillstand erscheinenden Kontraktionen verlängert ist.3 Zu dem gleichen Resultat sind auch Mines und Dale* gekommen. Die Dauer der Stromschwankung ist verkürzt, wenn die Schlagfrequenz nur wenig herabgesetzt ist; bei starker Verlangsamung ist die Dauer des Aktionsstromes eher verlängert. Dies, sowie die Tatsache, daß unter Umständen die Zacke T in positiver Richtung verändert wird, wird von Mines5 darauf zurückgeführt, daß verschiedene Stellen der Kammerwand vom Vagus in verschiedenem Grade beeinflußt werden, wenn auch in der Regel dessen Einwirkung auf die Kammer- basis größer ist als auf die Kammerspitze. 1 Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 155, S. 481. 2 Samojloff, ebenda, 155, S. 492. 3 Samojloff, ebenda, 155, S. 495. 4 Mines und Dale, Journ. of physiol., 46, S. 324; 1913; 5 Mines, Journ. of physiol., 47, S. 423; 1914. Mines, ebenda, 47, S. 420; 1914. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 377 Einen direkten Beweis davon findet Mines in der Einwirkung von örtlicher Atropinvergiftung auf die Form des Aktionsstromes bei Vagusreizung. Wenn das Atropin auf die Kammerbasis angebracht und also die Einwirkung des Vagus daselbst aufgehoben wird, so nimmt die Zacke T in positiver Richtung zu (vgl. Fig. 321). Über die Veränderungen der Dauer der einzelnen Phasen der Herztätigkeit unter dem Einfluß des Vagus gibt der Aktionsstrom sehr klaren Aufschluß. Das zeitliche Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammerkontraktion, gemessen durch die Entfernung zwischen den Zacken P und Q, nimmt unter dem Einfluß des Vagus in der Regel zu (Mines und Dale, Frosch1; H. E. Hering, Hund2; Robinson und Draper, Mensch3). Beim erwachsenen Menschen betrug die Zeit P — Q vor der Reizung durch- schnittlich 0,138 Sekunde; auf der Höhe der Vaguswirkung 0,183 Sekunde. Bei vier Kindern im Alter von 7—15 Jahren wurden folgende Veränderungen des betreffenden Intervalls gefunden: Nr. P—Q, Ruhe; Sekunden P—Q, Maximum bei Vagusreizung; Sekunden linker Vagus rechter Vagus 1 2 3 4 0,152 0,174 0,163 0,167 0,264 0,178 0,208 0,196 0,217 0,184 0,215 0,203 Es kommt aber bei starker Verlangsamung der Pulsfrequenz beim Frosche auch vor, daß das betreffende Intervall verkürzt wird (Mines und Dale*), was natürlich insbesondere dann hervortritt, wenn die atrioventrikuläre Automatie wegen des Wanderns des Reizbildungsortes vom sino-aurikularen,f Knoten auf den atrioventri- kulären übertragen wird (vgl. oben II, S. 128). Die Dauer der Systole, durch die Entfernung zwischen der Zacke Q und dem Ende der Zacke T gemessen, ist beim Frosch etwas verkleinert (Samoj- loff5), bei dem Kaninchen, dem Hunde und der Katze ein klein wenig verlängert (Einthoven6, Samojloff7) und beim Menschen im großen und ganzen unverändert (Robinson und Draper8). Auch die Erscheinungen bei dem Aktionsstrom haben ergeben, daß der rechte und der linke Vagus verschiedene Teile des Herzens angreift. So finden Rothberger und Winterberg9, daß der rechte Vagus beim Hunde in höherem Grade die Reizbildung im Sinusknoten beeinflußt, während der linke Vagus in einzelnen Fällen seine Einwirkung speziell auf die Reizbildimg im Atrio- ventrikularknoten ausübt. In der Regel werden aber der linke Vorhof und die Atrioventrikulargrenze von den beiden Vagi beeinflußt. 1 Mines und Dale, Journ. of physiol., 46, S. 324; 1913. - H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 127, S. 169; 1909. 3 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 224; 1911. 4 Mines und Dale, journ. of physiol., 46, S. 327. 5 Samojloff, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 462. e Einthoven, ebenda, 122, S. 537; 1908; — 149, S. 49; 1913. 7 Samojloff, ebenda, 135, S. 456. 8 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 223; 1911. 9 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 604; 1910; 371; 1911. 141, S. 361, 378 Die Innervation des Herzens. In Übereinstimmung damit bemerken Robinson und Draper1, daß beim Menschen der rechte Vagus mehr auf die Pulsfrequenz, der linke mehr auf die Reizleitung von den Vorhöfen nach den Kammern einwirkt. Diese Unterschiede sind indessen keine absoluten, denn jeder Vagus besitzt die Eigenschaften, welche bei dem anderen vorherrschend sind. Eine noch feinere Differenzierung der Wirkungen des Vagus auf das Herz, als dies durch Reizung des Vagusstammes möglich ist, läßt sich mittels der Er- regung des Vaguszentrums durch Morphinvergiftung erzielen, indem dabei außer den chronotropen Veränderungen teils ein partieller, teils ein vollständiger Block mit neuen Reizbildungsstellen entsteht, teils auch Störungen in der Reizleitung durch den einen oder anderen Schenkel des Verbindungssystems auftreten (Einthoven und Wieringa2). Als Beispiele dafür verweise ich auf Figg. 322 und 323. • ( W 11 Fig. 322. Elektrokardiogramm vom Hunde nach Vergiftung mit Morphin. Nach Einthoven. Vollständige Dissoziation zwischen Vorhöfen und Kammern. Fig. 322 stellt das Elektrokardiogramm bei vollständigem Block dar, welcher durch eine Hemmung in der Leitung zwischen Vorhöfen und Kammern statt- gefunden hat. Die gegenseitige Verschiebung zwischen der Zacke P und dem Kammerelektrokardiogramm kommt sehr deutlich zum Vorschein. Bei P1 fallen die Vorhofzacke und die /?-Zacke der Kammer genau zusammen. In Fig. 323 ist ein vollständiger Block ohne veränderliche Phasenverschiebung zwischen Vorhof- und Kammersystole abgebildet. Die Zacke P fällt hier mit der ersten Zacke des Kammerelektrokardiogramms zusammen. Was letzteres betrifft, hat sie vollständig den Charakter rechtsseitiger Systolen und der Ur- sprung der Herzsystole ist dabei aller Wahrscheinlichkeit nach im rechten Schenkel oder im Stamme des Verbindungsbündels zu finden, während die Leitung im linken Schenkel des Bündels wegen der Vagusreizung unterbrochen gewesen ist. Daß diese und andere Formen des Elektrokardiogramms tatsächlich von einer Vagusreizung herrühren, geht ohne weiteres daraus hervor, daß bei den betreffenden Versuchen das Elektrokardiogramm nach Ausschaltung der Vagi sofort sein normales Aussehen wieder bekam. Die mannigfachen Formen, welche das Elektrokardiogramm unter der Einwirkung des durch Morphinvergiftung gereizten Vagus annehmen kann und von welchen nur ein paar Beispiele hier angeführt worden sind, zeigen, daß im Stamme des Vagus verschiedene Gruppen von zentrifugalen Fasern vorhanden 1 Robinson und Draper, Journ. of exp. med., 14, S. 227; — 15, S. 35; — vgl. auch oben II, S. 335. 2 Einthoven und Wieringa, Arch. f . d. ges. Physiol., 149, S. 55; 1913. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 379 sind, von denen einige mit den Vorhöfen, andere mit dem atrioventrikulären Knoten und wieder andere mit je einem Schenkel des atrioventrikulären Bündels in Verbindung stehen. Reagiert auf einen künstlichen Reiz eine Gruppe von Wl m i r fi! ; : ' . Fig. 323. Elektrokardiogramm vom Hunde. Nach Einthoven. Vollständiger Block ohne veränderliche Phasenverschiebung zwischen der Vorhof- und der Kammersystole. Fasern stärker als die anderen Gruppen, so wird die Fortpflanzung der Kon- traktionswelle im Herzen eine besondere Veränderung erfahren, wobei jede einzelne Gruppe natürlich ihren eigenen Effekt hervorbringen wird. § 81. Die Natur der Hemmungswirkung auf das Herz. Die Tatsachen, welche in diesem Kapitel zusammengestellt sind, können in bezug auf die Aufgabe der hemmenden Nerven kurz so zusammengefaßt werden, daß sie durch Verminderung der Schlagfrequenz, durch Verlängerung der Herzpausen, durch Herabsetzung des Kontraktionsumfanges und durch Verlangsamung der Reizleitung im Herzen einen Schutz desselben gegen even- tuelle Überanstrengung darbieten. Man hat sich indessen nicht mit dieser Erkenntnis begnügen wollen, sondern, angesichts des geheimnisvollen Vorganges der Hemmung, versucht, noch eine tiefere, mehr verborgene Aufgabe des Vagus zu entdecken, indem man die be- kannten Hemmungserscheinungen und den mechanischen Einfluß derselben mehr oder weniger als Nebensache im Vergleich mit der eigentlichen Rolle des Nerven im Haushalt des Herzens aufgefaßt hat. Und so kam man recht frühzeitig zu der Anschauung, daß der Vagus den spezifischen ernährenden Nerven des Herzens darstellen sollte. Als Belege dafür wurde von Eichhorst} in bezug auf die Vögel und von Was- siliejp betreffend das Kaninchen angegeben, daß die Vagusdurchschneidung eine fettige Degeneration des Herzmuskels verursacht. Da aber die Vagus- durchschneidung so viele und eingreifende Störungen bei sämtlichen vegetativen Verrichtungen des Körpers hervorruft, daß diese schon an und für sich die fettige Degeneration des Herzmuskels erklären können, ohne daß wir darum gezwungen S. 18. 1 Eichhorst, Die trophischen Beziehungen der Nervi vagi zum Herzmuskel. Berlin 1879, 2 Wassilieff, Zeitschr. f. klin. Med., 3, S. 316; 1881. 380 Die Innervation des Herzens. sind, einen trophischen Einfluß des Vagus anzunehmen, ist diesen Versuchen keine besonders große Beweiskraft beizumessen.1 Etwas mehr schienen die Versuche von Fantino2 und Timofeew darzubieten. Bei jenen wurde immer nur der eine Vagus durchschnitten. Die Tiere zeigten keine Störungen in ihrem Befinden, sie fraßen und ihr Körpergewicht nahm zu. Nach ihrer Tötung zeigten sich Milz, Leber und Lungen ganz normal. Dagegen war das Herz Sitz atrophischer und degenerativer Veränderungen, jedoch nie einer Fettdegeneration, und zwar waren diese Veränderungen, je nachdem der rechte oder der linke Vagus durchschnitten war, auf verschiedene Teile der Herzkammern lokalisiert. Nach Durchschneidung des rechten Vagus waren die zwei mittleren Drittel der Kammerscheidewand, die beiden großen Papillar- muskeln sowie die Mitte der vorderen äußeren Wand der linken Kammer von der Degeneration angegriffen. Nach Durchschneidung des linken Vagus er- schienen die Degenerationsprozesse hauptsächlich in der Gegend der Herzspitze. Timofeew3 durchschnitt den Vagus auf der rechten Seite unterhalb des Abganges des N. recurrens, sowie die Herzfasern desselben, und nach etwa 8 Tagen den linken Vagus am Halse. Die Tiere starben in 3 — 5 Tagen. Der Tod war indessen nicht durch Hunger, pathologische Vorgänge in den Lungen oder ungewöhnliche Beschleunigung in der Herztätigkeit, noch durch die Operation selbst verursacht, sondern durch die Schwächung der Herzkraft wegen degenera- tiver Vorgänge im Herzmuskel, die als Folge des Wegfallens des trophischen Einflusses der Vagi auftraten. Demgegenüber gab Knoll* an, daß er selbst nach doppelseitiger Durch- schneidung der Vagi beim Kaninchen keine Myocarditis hatte finden können. An zwei Hunden, denen, um der Schluckpneumonie vorzubeugen, eine Ösophagusfistel angelegt war und welche durch eine Magenfistel ernährt wurden, schnitt Pawlow5 die beiden Vagi am Halse durch. Der eine Hund überlebte fast 6 Monate, der andere 7 Monate die vollständige Ausschaltung der Vagi. Die Sektion ergab keine makroskopisch wahrnehmbaren Veränderungen im Herzen. Katschkowsky6 setzte in Pawlows Institut diese Untersuchungen fort und fand dabei, daß die Pulsfrequenz bei jungen Tieren um die Mitte des ersten Monats, bei älteren gegen das Ende des zweiten bis dritten Monats wieder normal wurde, obgleich das Herz leicht erregbar blieb. Die Untersuchung des Herzens post mortem zeigte keine makroskopisch nachweisbaren Veränderungen. Nicolaides machte bei Hunden die Durchtrennung der Vagi in zwei Seancen, indem der zweite Vagus mindestens 45 Tage nach der Resektion des ersten durchschnitten wurde. Nach der zweiten Operation stieg die Pulsfrequenz 1 Vgl. auch Zander, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1879, S. 113; — Arch. f. d. ges. Physiol., 19, S. 324; 1879; — Klug, Zeitschr. f. Heilkunde, Prag, 1, S. 290; 1880; — v. Anrep, Verhandl. d. physikal.-med. Gesellsch. in Würzburg, N. F., 14, S. 34; 1880; — A. Hofmann, Arch. f. pathol. Anat, 150, S. 161; 1897. 2 Fantino, Arch. ital. de biol., 10, S. 242; 1888. 3 Timofeew, Botkins klin. Wochenschr. (russisch), 1889, Nr. 28 — 30; zit. nach dem Jahres- bericht f. Anat. u. Physiol., 1889 (2), S. 58. 4 Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 608; 1897. 5 Pawlow, Sitz. -Ber. d. Gesellsch. russ. Ärzte, 1896 (russisch); zit. nach Katschkowsky, siehe unten. 6 Katschkowsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 84, S. 6; 1901. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 381 bedeutend an, sank aber wieder herab und erreichte unter großen Schwankungen etwa das Niveau vor der Vagusdurchschneidung. Zur Zeit der Veröffentlichung der Mitteilung von Nicolaides waren die Hunde noch am Leben, der eine 92 Tage, der andere 22 Tage nach der zweiten Operation ; ein drittes Tier starb an Pneu- monie am dritten Tage nach der Operation.1 Auch nicht nach der Ausschaltung sämtlicher extrakardialer Herznerven konnte Friedenthal2 irgendwelche Veränderungen in der Herzmuskulatur nach- weisen, und dennoch lebte ein Hund 1 1 Monate nach der Durchschneidung der herzhemmenden Fasern, wie auch Kaninchen mehrere Wochen lang am Leben blieben. Aus der Gesamtheit dieser Erfahrungen folgt, daß das Säugetierherz seinen normalen Nahrungszustand auch bei völligem Ausschluß der extrakardialen Nerven beibehalten kann. Dasselbe Resultat geht auch aus Versuchen am Kaltblüterherzen hervor. Nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung konnte Bidder Frösche mehrere Monate lang am Leben erhalten; er erwähnt nichts von anatomischen Ver- änderungen beim Herzmuskel dieser Tiere.3 Bei den Versuchen von Nikolajew4 blieben die Frösche 40 Tage, bei denen von Pirogoff5 wochenlang und bei denen von Polumordwinowr' bis zu 35 — 41 Tagen am Leben, ohne daß irgendwelche Veränderungen der Herz- muskulatur von den Autoren erwähnt sind. Die Veränderungen bei den Nerven- zellen beziehen sich auf die Synapsen mit den extrakardialen Nerven. Die Erscheinungen am Herzen nach Durchschneidung der Vagi bilden also keine Stütze für die Annahme, daß der Vagus nutritive Vorgänge im Herzen unterhalten würde. Zu einer anderen Gruppe von Beobachtungen, die als Beweisgründe für die betreffende Annahme angeführt worden sind, gehören folgende. Nach der Vagusreizung nehmen die Herzschläge an Stärke zu (Ludwig und Hoffa1), und überhaupt ist nach der Vagusreizung die Kraft und Leistungs- fähigkeit des Herzens sowie die Fähigkeit desselben, eine Erregung fortzupflanzen, größer als vor der Vagusreizung, und zwar auch dann, wenn der Vagus (beim Frosch) intrakranial gereizt wurde, so daß jede Reizung der beschleunigenden Herznerven ausgeschlossen war (Gaskell8). Hierher gehört auch Harringtons9 Beobachtung am Meerschweinchen, daß der Blutdruck nach Ende der Vagusreizung zuweilen sehr hoch ansteigt und dann wieder herabsinkt. Ebenso wird das Vermögen des Herzens, die Erregung von der einen nach der anderen Herzabteilung zu übertragen, nach der Vagusreizung erhöht. Wenn 1 Nicolaides, Zentralbl. f. Physiol., 14, S. 197; 1900. 2 Friedenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 143. 3 Bidder, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1868, S. 41. 4 Nikolajew, ebenda, physiol. Abt., 1893, Suppl., S. 70. 5 Pirogoff, Jihre;ber. der Physiol., 1910, S. 146; — vgl. auch Klug, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1881, S. 946; — Friedenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 144. e Polumordwinow, Arch. f. d. ge?. Physiol., 140, S. 466; 1911. ' Ludwig und Hoffa, Zeitschr. f. rat. Med., 9, S. 123; 1849. s Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 50; 1883. 9 Harrington, Amer. journ. of physiol., 1, S. 388; 1898. 382 Die Innervation des Herzens. infolge von Abklemmung oder partieller Durchtrennung der Vorhöfe die Kammer nur bei jeder zweiten oder dritten Sinuskontraktion pulsiert, so stellt sich als Nachwirkung einer Vagusreizung die normale Schlagfolge wieder her. Dies wurde von Gaskell sowohl beim Frosch1 als bei der Schildkröte2 beobachtet. Wenn das Herz sich vor der Vagusreizung in unregelmäßiger Folge kon- trahiert, werden diese Unregelmäßigkeiten nach der Vagusreizung aufgehoben (Mills, Alligator3). Beim Kaninchen wird nach Panum* und Gianuzzi5 eine schwache Herz- tätigkeit durch Vagusreizung wesentlich verbessert. Nach Traube6 schlägt das Herz eines kuraresierten Tieres nach Unterbrechung der künstlichen Atmung bei unversehrten Vagi länger als bei durchschnittenen Vagi, — ein Resultat, das von Konow und Stenbeck7 dahin erweitert wurde, daß das Kaninchenherz auch nach Zerstörung des Rückenmarkes länger schlägt, wenn noch die Vagi unversehrt sind. Wenn zwei Kaninchen durch Verblutung getötet werden und bei dem einen kurz vor dem Tode der Vagus gereizt worden ist, bei dem anderen nicht, so schlägt das Herz des ersteren länger und kräftiger (Brown-Sequard8). Aus diesen und anderen gleichlautenden Erfahrungen9 haben mehrere Autoren den Schluß gezogen, daß der Vagus eine günstige Einwirkung auf die chemischen Vorgänge im Herzen ausübte und, wie insbesondere Gaskell aus- geführt hat, die Aufgabe hätte, beim Herzmuskel Veränderungen konstruktiver, aufbauender Art hervorzubringen. Sowohl durch die handgreiflicheren, äußeren Erscheinungen ihrer Tätigkeit, wie durch die innere Natur derselben würden sie Antagonisten der Bewegungsnerven darstellen. Diese rufen bei jeder Kon- traktion, die durch sie ausgelöst wird, eine Destruktion, eine Zersetzung der Substanz hervor. Die hemmenden Nerven, welche den Muskel erschlaffen, bedingen eine Neubildung von Substanz. Also ist, sagt Gaskell, die Leistung eines hemmenden Nerven in keinem höheren Grade schwerer zu verstehen als die eines Bewegungsnerven. Diese Auffassung ist indessen, wie mir scheint, durch die vorliegenden Beobachtungen keineswegs dargetan. Vielmehr lassen sie sich sämtlich aus dem Gesichtspunkte deuten, daß unter dem Einfluß der Vagi die Ruhezeit nach jeder Herzkontraktion länger als sonst dauert, und daß das Herz sich also dabei vollständiger als sonst erholen und daher nach Ende der Reizung größere Leistungen entwickeln kann. Auch die Tatsache, daß nach doppelseitiger Vagusdurch- schneidung keine pathologisch-anatomischen Veränderungen im Herzen auf- treten, spricht ganz entschieden gegen die Annahme Gaskeils.10 1 Gaskell, Philosoph, transact., 1882 (3), S. 1014. 2 Gaskell, Journ. of physiol., 4, S. 94; 1883; — 7, S. 45; 1886. 3 Mills, Journ. of anat. and physiol., 20, S. 551 ; 1886. 4 Partum, Bibliothek for Läger, 10, S. 46; 1858; — Schmidts Jahrbücher d. ges. Med., 100, S. 153; 1858. 5 Gianuzzi, Ricerche nel gabin. di fisiologia di Siena 1871—1872. Siena-Roma 1872, S. 29. ß Traube, Ges. Beitr. z. Pathol. u. Physiol., 1, S. 382. (Die Originalabhandlung ist vom Jahre 1864.) 7 Konow und Stenbeck, Skand. Arch. f. Physiol., 1, S. 414; 1889; — vgl. auch Galante, Arch. di fisiologia, 6, S. 343; 1909. 8 Brown-Sequard, Compt. rend. de la Soc. de biol., 1880, S. 211. ,J Vgl. Stefani, Arch. ital. de biol., 23, S. 174; 1895. 10 Vgl. auch Howell, Amer. journ. of physiol., 15, S. 292; 1906. Die hemmenden Herznerven bei den Wirbeltieren. 383 Eine Tatsache, welche allerdings nicht an und für sich genügt, um den Vagus als nutritiven Herznerven zu charakterisieren, aber doch nicht aus dem soeben hervor- gehobenen Gesichtspunkte erklärt werden kann, ist Meltzers und Josephs1 an Hunden gemachte Beobachtung, daß die Schlagdauer des Herzens nach dem Tode bei sub- minimaler Vagusreizung länger ist als wenn die Vagi durchschnitten sind. Nach sub- minimaler Vagusreizung schlug nämlich durchschnittlich die linke Kammer 47 Minuten und die rechte 49 Minuten nach dem Tode, während die Kontraktionen bei jener 21 und bei dieser 22 Minuten nach dem Tode bei durchschnittenen Vagi aufhörten. Übrigens kennen wir bei keinem anderen Muskel und auch nicht bei den Organen der Brust- und Bauchhöhle irgendwelche spezifisch nutritiven Nerven. Der normale Ernährungszustand der Skelettmuskeln wird durch ihre Bewegungs- nerven unterhalten, und die Organe der Brust- und Bauchhöhle sind, wie die Arbeiten von Goltz und Ewald2 wie von Friedenthal3 erwiesen haben, hinsichtlich ihrer normalen Ernährung von dem zentralen Nervensystem vollkommen unabhängig. Nach diesem allen dürfte die Annahme vom Vagus als einem nutriierenden Nerven wohl kaum mehr aufrecht erhalten werden können. Übrige theoretische Anschauungen, welche ein tieferes Eindringen in die Frage nach der intimen Natur der Vaguswirkung bezwecken, sind im großen und ganzen nur mehr oder weniger durchsichtige Umschreibungen der zu erklärenden Tatsachen. So bemerkt Hough\ daß die Hemmung einen Widerstand gegen die katabolischen Vorgänge, welche die Energie des Herzschlages repräsentieren, darstellt. Bei einem mäßigen Grade von Hemmung genügt das gewöhnliche Intervall zwischen zwei Kon- traktionen nicht, um diesen Widerstand aufzuheben, daher die Verminderung der Puls- frequenz. Der Vagusstillstand erscheint, wenn der Widerstand so groß ist, daß eine lange Zeit verfließen muß, bis der Herzschlag ihn überwinden kann. Woltersorf deutet die chronotrope Vaguswirkung einfach als einen negativ kata- lytischen Einfluß auf einen chemischen Vorgang. KnoW unterscheidet bei der Vaguswirkung zwei voneinander unabhängige Vor- gänge, nämlich 1. die lähmende Wirkung, welche bei dem Vorhof stärker entwickelt ist als bei der Kammer und wahrscheinlich mit der Anhäufung von Dissimilations- produkten in der Herzmuskulatur zusammenhängt; diese Wirkung tritt langsam ein und hat eine lange Nachwirkung; und 2. eine den Rhythmus hemmende Wirkung, welche wegen der längeren Pausen restaurierend wirkt, wobei assimilatorische Vorgänge wahrscheinlich eine Rolle spielen; sie tritt schnell ein und hat eine kurze Nachwirkung.7 Soviel ich meinerseits die Sache zu beurteilen vermag, kann ich nicht finden, daß die vorliegenden Beobachtungen, so überaus zahlreich sie auch sind, irgend- welche Stütze für eine tiefer gehende theoretische Anschauung betreffend die bei der Hemmung im Herzen stattfindenden Vorgänge bilden können. Daß die Zersetzungsprozesse dabei beschränkt bzw. aufgehoben werden, steht ja außer jedem Zweifel. Wie dies aber stattfindet und was dabei im Herzen geschieht — darüber können wir zurzeit noch nichts Bestimmtes sagen. In bezug auf die Natur der Vaguswirkung auf das Herz sind wir also nicht weiter gekommen als die Gebrüder Weber: Die Vaguswirkung stellt eine Hemmung der Herztätigkeit dar. 1 Meltzer und Joseph, Amer. journ. of physiol., 25, S. 116; 1909. 2 Goltz und Ewald, Aren. f. d. ges. Physiol., 63, S. 362; 1896. 3 Friedenthal, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1905, S. 126. 4 Hough, Journ. of physiol., 18, S. 200; 1895. 5 Woltcrson, Onderzoek. ged. in het physiol. Labor, d. Utrechtsche Hoogeschool, 5. Reeks, 8, S. 323; 1907. « Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 608; 1897. 7 Vgl. auch die von Schmiedeberg (Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1910, S. 173) auf Grund pharmakologischer Tatsachen entwickelten theoretischen Vorstellungen über die Vaguswirkung. 384 Die Innervation des Herzens. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren.1) § 82. Das Vorkommen und der Verlauf der fördernden Nerven bei den Wirbeltieren. a) Kaltblütige Wirbeltiere. Soviel mir bekannt ist, liegen keine Angaben über das Vorhandensein von fördernden Nerven bei den Fischen vor. Bei Scyllium canicula bekam Bottazzi2 bei der Reizung des oberen sym- pathischen Ganglions keine Wirkung auf das Herz und der bei der Vagusreizung auftretende Herzstillstand wurde von keiner solchen Vergrößerung des Um- fanges der Herzkontraktionen gefolgt, die auf die Existenz von fördernden Herz- nerven hindeutete. Ebenso erfolglos suchte Queen3 beschleunigende Nerven bei der Roche nach- zuweisen. Beim Frosch wurden beschleunigende Nerven von Sclimiedeberg* dadurch nachgewiesen, daß er bei Tieren, die mit Atropin oder Nikotin vergiftet waren, den Vagus reizte. Hierbei erschien eine Beschleunigung der Herzschläge, welche, wegen der gleichzeitigen Erregung der stärker wirkenden hemmenden Nerven, unter gewöhnlichen Umständen ausblieb. Schon vor der Entdeckung der be- treffenden Nerven hatten übrigens Wundt und Schelske5 bei Reizung des Vagus am stark kuraresierten Tiere eine Beschleunigung beobachtet. Auch durch Reizung des einige Zeit vorher durchschnittenen Vagus kann eine Beschleunigung des Froschherzens erzielt werden (Klug*). Die Fasern, durch welche diese Beschleunigung und Verstärkung der Herz- schläge hervorgerufen werden, haben im zentralen Nervensystem nicht denselben Ursprung wie die hemmenden, sondern stellen sympathische Nerven dar, die sich gerade am Austritt des Vagus aus der Schädelhöhle mit ihm vereinigen (Heidenhain7, Gaskell8; vgl. oben II, S. 95). Durch direkte Reizung des Sympathicus erzielte Stewart9 eine bedeutende Zunahme der Frequenz und Stärke der Herzkontraktionen, und v. Skramlik10 gelang es durch vorsichtige Auflösung der nach dem Abgange des R. gastrici inf. 1 Im Anschluß an F. B. Hofmann (Schmidts Jahrb. d. ges. Med., 281, S. 113; 1904) bezeichne ich die beschleunigenden und verstärkenden Herznerven mit dem gemeinsamen Namen fördernde Nerven. 2 Bottazzi, Zentralbl. f. Physiol., 14, S. 665; 1900. 3 Queen, Zeitschr. f. Biol., 62, S. 39; 1912. 4 Schmiedeberg, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1870, S. 135; — vgl. auch Nuel, Arch. f. d. ges. Physiol., 9, S. 101 ; 1874; — Esslemont, Arch. f. exp. Pathol., 46, S. 202, 1901 ; — Dogiel und Archangelsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 20; 1906; — Tawaststjerna, Skand. Arch. f. Physiol., 36, S. 94; 1916. 5 Wundt und Sctuiske, Verh. d. naturhist.-med. Vereins zu Heidelberg, 1859; zit. nach Meissners Jahresber. 1859, S. 503. e Klug, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1881, S. 946. 7 Heidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol., 27, S. 401; 1882. 8 Gaskell, Journ. of physiol., 5, S. 46; 1884; — vgl. auch Mills, Journ. of anat. and physiol., 20, S. 553; 1886. 9 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 86; 1892. ' i° v. Skramlik, Zentralbl. f. Physiol., 34, S. 351; 1919. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 385 übrigbleibenden Faserbündel des Vagusstanimes einen feinen Zweig zu isolieren, dessen Reizung ausschließlich eine Acceleranswirkung zeitigte. Dabei nahm die Pulsfrequenz auf das zwei- bis dreifache und mehr zu und der Umfang der Kon- traktionen wurde auf das lij^ache gesteigert. Auch vermag die Reizung des Sympathicus einen durch partielle Trennung des atrioventrikulären Verbindungsbündels erzeugten Block zum Teil, aber nicht vollständig aufzuheben (Gault1; Malacoclemmys). Die betreffenden Fasern finden sich beim Frosch im 3. (Gaskell und Gadow2), bzw. im 2. und 3., zuweilen auch im 4. Rückenmarksnerven vor (Langley und Orbeli3); bei den Schildkröten sind sie im 1. und 2., bei den Krokodiliern im 2. oder 3. Brustnerven nachgewiesen worden (Gaskell und Gadow2). Die Ganglienzellen, welche ihnen zugeordnet sind, finden sich in einem Ganglion am Ursprung der A. vertebralis (Gaskell und Gadow2). Daß diese Ganglienzellen tatsächlich nicht im Herzen selbst vorkommen, wurde beim Frosch unter Anwendung der Nikotinmethode von Langley und Dickinson4 wie von F. B. Hofmannr' nachgewiesen. b) Warmblütige Wirbeltiere. 1. Bei den Vögeln haben Jürgens6 (Taube) wie N.Paton7 (Ente) bei der Vagusreizung in einigen Fällen Wirkungen beobachtet, die darauf hindeuten, daß im Vagus auch fördernde Fasern vorhanden sind, indem entweder im Anfang oder im späteren Verlauf der Reizung der Umfang der Vorhof- oder der Kammer- kontraktionen ohne Beschleunigung oder Verlangsamung der Pulsfrequenz zunahm. Desgleichen konnten Couvreur*, Rubbrecht* und Stübel™ bei Reizung des Vagus an atropinvergifteten Vögeln keine Beschleunigung nachweisen; inwiefern dabei eine Veränderung in der Stärke der Herzschläge auftrat, wird von den Autoren nicht angegeben. Indessen teilt Stübel10 mit, daß die Pulsfrequenz bei mehreren Vogelarten unmittelbar nach Schluß der peripheren Vagusreizung etwas beschleunigt war — eine Erscheinung, die möglicherweise als Ausdruck der Gegenwart beschleunigender Nerven im Vagusstamme gedeutet werden kann. Die Reizung des 2. oder 3. Brustnerven bei der Ente ergab eine Verstärkung der Vorhofkontraktionen, die in einigen Fällen auch von einer unbedeutenden Beschleunigung der Herzschläge begleitet war. In anderen Fällen trat, ins- besondere als Nachwirkung, eine Verlangsamung der Herzschläge auf. Nie wurden aber die Kammerkontraktionen dabei größer; vielmehr trat eine Ab- 1 Gault, Amer. journ. of physiol., 43, S. 32; 1917. 2 Gaskell und Gadow, Journ. of physiol., 5, S. 362; 1885; — vgl. Mills, Journ. of anat. and physiol., 21, S. 16; 1887. 3 Langley und Orbeli, Journ. of physiol., 41, S. 458; 1910. 4 Langley und Dickinson, ebenda, 11, S. 278; 1890. 5 F. B. Hof mann, Arch. f. Anat. u. Physiol., anat. Abt., 1902, S. 81 ; — Schmidts Jahrb. d. ges. Med., 281, S. 118; 1903; — Zeitschr. f. Biol., 67, S. 410; 1917. « Jürgens, Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 523; 1909. 7 N. Paton, Journ. of physiol., 45, S. 109; 1912. * Couvreur, Ann. de l'Universite de Lyon, 2; 1892. ,J Rubbrecht, Bull, de l'Acad. de Belgique, 3. ser., 35, S. 438; 1898. 10 Stübel, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 313; 1910. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 25 386 Die Innervation des Herzens. nähme ihres Unifanges fast konstant zum Vorschein. Zuweilen konnte aber nach Ende der Reizung eine Zunahme des Kontraktionsumfanges beobachtet werden (N. Paton1). 2. Säugetiere. Die Reizung der Rami communicantes zwischen dem letzten Hals- und dem 3. Brustnerven sowie der vom Sympathicus nach dem Herzplexus gehenden Fasern ergab beim Opossum eine Beschleunigung der Herzschläge. Hierbei erschien als erste Wirkung oft eine Abnahme der Frequenz der Kammerkontraktionen, nach welcher während oder nach der Reizung die Beschleunigung auftrat. Dabei war der Kammerrhythmus nicht selten un- regelmäßig. Dies alles wird von Hunt und Harrington2 auf die Schwierigkeit der Kammern, den frequenten Kontraktionen zu folgen, zurückgeführt. Nachdem diese Unregelmäßigkeiten eine Zeitlang gedauert hatten, hörten sie plötzlich auf und ein schneller, gleichmäßiger Rhythmus stellte sich ein. Beim Hunde findet Schmiedeberg3 die beschleunigenden Nerven in den Verbindungsästen des ersten Brustganglions zum unteren Halsganglion oder zum Vagus; sie werden nach dem Herzen zu von einem oder mehreren der von diesen Gebilden ausgehenden Nervenäste fortgesetzt. Es muß aber bemerkt werden, daß hierbei recht viele individuelle Variationen vorkommen (vgl. oben II, S. 315). Die Hauptmenge dieser Fasern entstammen dem Brustmarke. Nach Stricker und Wagner4 würden sie beim Hunde durch die Rami communicantes vom 1. bis 6. Brustnerven herab davon austreten und sich in dem sympathischen Grenz- strang sammeln, dessen Reizung eine um so stärkere Beschleunigung hervor- rufen würde, je näher am ersten Brustknoten sie angebracht wird. Wesentlich hiermit übereinstimmend geben Albertoni und Bufalini5 an, daß die beschleunigenden Nerven der 3. bis 5. Brustwurzel, unter denen die 3. die wichtigste ist, entstammen. Seinerseits findet Frangois-Franck6, daß der größte Teil dieser Nerven durch den 1. und 2. Brustnerven heraustritt, und Bradford1 hat sie in dem 2. und 3. Brustnerven nachgewiesen. Die beschleunigenden Nerven sind bei der Katze von Boehm*, Dogiel und Archangelsky^, beim Ferkel von Dogiel und Archangelsky10, beim Kaninchen von Bever11, beim Kalbe von Hunt und Harrington12 beschrieben worden und stimmen hinsichtlich ihres Verlaufes mit dem des Hundes im großen und ganzen überein. Da es nicht möglich ist, auf anatomische Einzelheiten hier einzugehen, verweise ich auf die unten zitierten Abhandlungen und bemerke nur, daß bei der Katze 1 N. Paton, Journ. of physiol., 45, S. 110. 2 Hunt und Hairington, Journ. of exp. med., 2, S. 719; 1897. 3 Schmiedeberg, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1871, S. 148. 4 Stricker und Wagner, Wiener med. Jahrb., 1878, S. 363. 5 Albertoni und Bufalini, Redicunto del gabin. di fisiol. di Siena, 2, S. 27; 1876; zit. nach dem Jahresber. d. Anat. u. Physiol., 1872 (2), S. 54. 6 Francois-Franck, Dict. encycl. des sciences med., 3. serie, 14, S. 26; 1884. 7 Bradford, Journ. of physiol., 10, S. 365; 1889; — Bradford und Dean, Proc. of the Royal Soc., 45, S. 375; 1889. 8 Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 256; 1875. 9 Dogiel und Archangelsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 46. 11 Dogiel und Archangelsky, ebenda, 113, S. 46. 11 Bever, Unters, aus dem physiol. Laborat. zu Würzburg, 2, S. 248; 1867. l- Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 725; 1897. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 387 nach Langley1 die beschleunigenden Nerven in dem 1. bis 4., zuweilen auch im 5. und 6. Brustnerven austreten und am reichlichsten in dem 2. oder 3. vor- handen sind. Außerdem enthält auch der N. vertebralis (s. oben II, S. 3l5)J:>eim Kaninchen (v. Bezold und Bever2) wie beim Hunde (Francois-Franck3) und Kalbe (Hunt und Harrington*) fördernde Nerven, welche beim Hunde, laut den Angaben von Frangois-Franck*, durch die Rami communicantes des 5., 6. und 7. Halsnerven mit dem Halsmark in Verbindung stehen. Der Ramus communicans des 8. Hals- nerven geht direkt zum 1. Brustganglion. Insbesondere bei Reizung der linken Ansa Vieussenii hat man ab und zu statt der Beschleunigung eine Retardation des Herzens beobachtet. Diese wurde von Roy und Adami6 als die Wirkung gefäßverengender Herznerven aufgefaßt. Da sie nach Durchschneidung der Vagi verschwindet, faßt Hunt7 sie als einen Vagusreflex auf, während H. Fredericq9, der diese Erscheinung bei Koffeinvergiftung beobachtete, sie als Folge einer Reizung hemmender Herznerven auffaßt. Bei den Säugetieren kommen aber auch vom Vagus her fördernde Nerven zum Herzen. Schifft faßte lange den Vagus als motorischen Nerven des Herzens auf, und sowohl er ah Moleschott10 und andere gaben an, daß sie bei einer äußerst schwachen Reizung des Vagus eine Beschleunigung der Herzschläge beobachtet hätten. Diese Angabe wurde aber heftig bestritten, bis Rutherford11 durch Reizung des Vagus an atropinisierten Tieren dieselbe zur vollen Evidenz bestätigte, ob- gleich er die betreffende Erscheinung /n einer ganz anderen Weise deutet. An der Katze zeigten Boehm12 bei Vergiftung mit Kurare, sowie später, bei Vergiftung mit Nikotin oder Tropin, Dale, Laidlaw und Symons13 dasselbe. Nach den letzteren Autoren entstammen die betreffenden Fasern bei der Katze, wie Degenerationsversuche ergaben, weder vom obersten noch vom untersten Halsganglion. Durch schwache Reizung des Vagus beim Kalbe bekamen Hunt und Harring- ton111 zuweilen eine geringe Beschleunigung. Dagegen ist es bis jetzt nicht ge- lungen, beim Kaninchen Beschleunigungsfasern im Vagus nachzuweisen. Nach Jaboulay15 würde beim Menschen der Halssympathicus beschleunigende Nerven enthalten, was indessen von Wertheimer und Gaudin16 bestritten wird.17 1 Langley, Philos. transact., 183, B, S. 107; 1892. 2 v. Bezold und Bever, Unters, aus d. physiol. Laborat. in Wiirzburg, 2, S. 235; 1887. 3 Francois-Franck, Gaz. hebdomad., 1879, S. 232. 1 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 725; 1897. 3 Francois-Franck, Gaz. hebdomad., 1879, S. 232; — Dictionnaire encyclopedique des sciences med., 3. serie, 14, S. 26; 1884. 6 Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 294; 1892. 7 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 161; 1897. * H. Fredericq, Arch. intern, de physiol., 13, S. 120; 1913. 9 Schiff, Arch. f. physiol. Heilk., 8, S. 209; 1849; — Unters, zur Naturlehre, 10, S.98; 1866. 10 Moleschott, s. II, S. 291, Fußnote 3. 11 Rutherford, Journ. of anat. and physiol., 3, S. 408; 1869. 12 Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 363; 1875. 13 Dale, Laidlaw und Symons, Journ. of physiol., 39, proc, S. 13; 1909; — 41, S. 1 ; 1-910. 14 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 725; 1897. 15 Jaboulay, Lyon medical, 1899, S. 548. 16 Wertheimer und Gaudin, Comptes rend. de la Societe de biol., 1901, S. 137. 17 Vgl. auch Weil, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 119, S. 52; 1916. 25* 388 Die Innervation des Herzens. Schiff1 wollte sogar behaupten, daß der Vagus und dessen Äste, insbesondere der N. laryngeus superior, den einzigen Weg darstellten, auf welchem das Herz seine beschleunigenden Nerven empfängt. Aus den oben angeführten Unter- suchungen wie aus direkten Kontrollversuchen von Frangois-Franck2 geht in- dessen hervor, daß diese Ansicht nicht haltbar ist. Nach v. Bezold* würde endlich auch der Halssympathicus beschleunigende Herznerven enthalten. Selber konnte er indessen die betreffende Beschleunigung nicht in allen Fällen nachweisen, und andere Autoren haben dieselbe nur in Aus- nahmefällen oder gar nicht finden können.4 Es ist nicht unmöglich, daß die Ursache dieser Differenz darin liegt, daß die betreffenden beschleunigenden Fasern solche sind, welche in der Regel im Vagus verlaufen, in diesen Fällen sich aber dem Sympathicus angeschlossen haben. Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, daß R. Wagner* und v. Bezold* bei Reizung des Halssympathicus sogar eine Hemmung des Herzens beobachtet haben, welche aller Wahrscheinlichkeit nach davon bedingt gewesen ist, daß einige dem Vagus entstammende Fasern zufälligerweise mit dem Sympathicus verliefen. Übrigens wissen wir, daß der Zusammenhang zwischen dem Vagus und dem Halssympathicus besonders bei gewissen Tierarten sehr intim ist; so verlaufen ja die beiden Nerven beim Hunde wie bei der Katze am Halse inner- halb derselben gemeinsamen Scheide. Auf dem jetzigen Standpunkte unseres Wissens können wir daher als mit den tatsächlichen Ergebnissen am meisten übereinstimmend annehmen, daß das Herz auf zwei verschiedene Wege, nämlich teils durch den Halsvagus, teils und vor allem in den oben erwähnten sympathischen Bahnen seine fördernden Nerven bekommt. Die Verbindung dieser Nerven mit peripheren Ganglienzellen findet wahr- scheinlich, wie Langley1 unter Anwendung der Nikotinmethode nachwies, teils im Ganglion thor. I, teils im unteren Halsganglion, also nicht in der Herzwand selbst statt. Bei der Reizung der fördernden Nerven treten entsprechend den Verhältnissen bei der Reizung der hemmenden Herznerven Veränderungen sowohl der Puls- frequenz als auch der Kontraktionsgröße und des Leitungsvermögens des Herzens auf. § 83. Die Tätigkeit der fördernden Nerven. a) Die tonische Erregung der beschleunigenden Nerven. Wie die hemmenden Herznerven befinden sich auch die beschleunigenden in einem Zustande stetiger Erregung. Bei vorher durchschnittenen Vagi setzt 1 Schiff, Unters, zur Naturlehre, 11, S. 236; 1873; — Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1873, S. 21; — Arch. f. d. ges. Physiol., 18, S. 172; 1878. 2 Francois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 4, S. 74; 1880. 3 v. Bezold, Unters, über die Innervation des Herzens, 1, S. 87; 1863; — vgl. auch Molc- scliott und Nauwerk, Unters, zur Naturlehre, 8, S. 36; 1862; — Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 369; 1875; — Arloing und Tripier, Arch. de physiol., 5, S. 164; 1873; — Frangois-Franck, Dict. encyclop., 3. serie, 14, S. 29; 1884. 4 Vgl. Ludwig, Lehrb. d. Physiol., 1, 2. Aufl., S. 217; 1858; — R.Wagner, Neurol. Unters. Göttingen 1854, S. 220. 5 R. Wagner, Neurol. Unters., S. 220. 6 v. Bezold, Unters, über die Innervation des Herzens, 1, S. 131; 1863. 7 Langley, Journ. of physiol., 11, S. 278; 1890; — Philos. transact., 183, B, S. 111; 1892. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 389 nämlich, wie Tschirjew1, Stricker und Wagner2, Hunt*, Nolf und Plumier4 nach- wiesen, die doppelte Ausrottung des untersten Hals- und des obersten Brust- ganglions, auch ohne nennenswerte Veränderung des Blutdruckes, die Puls- frequenz unzweideutig herab. Natürlich sinkt die Pulsfrequenz nach Ausschaltung der Accelerantes, auch wenn die Vagi beibehalten sind, herab. Dabei erfolgt die Abnahme zuerst sehr schnell, dann äußerst langsam. Die erstere Phase würde nach Gasser und Meek5 von der Ausschaltung der Accelerantes direkt bedingt sein, während die zweite eine Folge der allmählichen Zunahme des Vagustonus darstellen würde. Hunt3 erwähnt noch, daß die alleinige Durchschneidung des rechten Ac- celerans auf die Pulsfrequenz eine größere Wirkung als die des linken ausübt. Sustschinsky* fand, daß man bei durchschnittenen Accelerantes bzw. durch- schnittenem Rückenmark durch Vagusreizung einen Herzstillstand leichter als sonst erzwingt, und Hunt7 wies nach, daß die Vagusreizung nach Durchschneidung der Accelerantes später versagt und kräftiger wirksam ist. Wenn das Tier längere Zeit nach der Operation am Leben bleibt, läßt sich die Abnahme der Pulsfrequenz nach der Ausschaltung der Accelerantes immer noch beobachten (Timofeew8). Man konnte sich denken, daß im akuten Versuch die nach Durchschneidung der Accelerantes auftretende Retardation davon abhängig wäre, daß das be- nutzte Narkotikum das Acceleranszentrum künstlich erregt hätte. Dem wird indessen dadurch widersprochen, daß die Frequenzabnahme auch dann erscheint, wenn kein Narkotikum benutzt wird, sondern die Betäubung durch Durch- schneidung der Crura cerebri bei ausgeschalteten Vagi stattfindet (Hunt%). Auch zeigt sich die betreffende Folge der Acceleransdurchschneidung un- abhängig vom Blutdruck, wie z. B. Herzschläge in 10 Sekunden 37, Blutdruck 106 mm; Exstirpation der beiden obersten Brustganglien; Herzschläge in 10 Se- kunden 28, Blutdruck 109 mm Hg. Als weitere Illustration zur Bedeutung des Acceleranstonus seien nach Hunt10 noch folgende Zahlenangaben angeführt. Bei einem Hunde betrug die Pulsfrequenz mit allen Herznerven unversehrt 16 — 17 pro 10 Sekunden; nach Abfrieren der Vagi stieg sie auf 25 — 29 an; sie sank nach Durchschneidung der Accelerantes auf 16 — 17 herab, um nach wieder erfolgtem Abfrieren der Vagi auf 20V2 zu steigen; mit anderen Worten, die Pulsfrequenz betrug unter der Einwirkung der beiden Nerven 16 — 17, unter dem Einfluß des Vagus allein 16, unter der alleinigen Einwirkung der Accelerantes 29 und beim vollständig ent- nervten Herzen 2072 pro 10 Sekunden. In vielen Fällen erschien keine Zunahme der Pulsfrequenz, wenn die Vagi nach vorhergehender Durchschneidung der Accelerantes ausgeschaltet wurden. 1 Tschirjew, Arch; f . Anat. u. Physiol:, physiol. Abt., 1877, S. 1(34. 2 Stricker und Wagner, Wiener med. Jahrb., 1878, S. 370. 3 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 158; 1897. 4 Nolf und Plumier, Journ. de physiol., 1904, S. 247.. 5 Gasser und Meek, Amer. journ. of physiol., 34, S. 55; 1914. 6 Sustschinsky, Unters, aus d. physiol. Laborat. in Würzburg, 3, S. 164; 1868. 7 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 156; 1897. 8 Timofeew, zit. nach dem Zentralbl. f. Physiol., 1889, S. 235. 9 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 160; — Amer. journ. of physiol., 2, S. 398; 1899. 10 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 426; 1897. 390 Die Innervation des Herzens. b) Die Veränderungen der Frequenz der Herzschläge bei der Reizung der fördernden Nerven. Die bei der Acceleransreizung auftretende Beschleunigung hat, selbst im Vergleich mit der Vagushemmung, eine ziemlich lange Latenzdauer. Während der zwei ersten Sekunden nach Anfang der Reizung nimmt beim Hunde die Herzfrequenz, selbst bei maximaler Reizung, nur mit etwa einem halben Herz- schlag zu. Bis zur Erreichung des Maximums der Frequenz dauert es bei diesem Tiere gegen 10 Sekunden (Baxt1) und bei der Katze noch länger (Boehm2). Die Folge davon ist, daß bei einer kurzdauernden Reizung des N. accelerans sich nicht nur das Maximum der Wirkung, sondern sogar der Anfang derselben erst nach beendeter Reizung darstellt. Jedenfalls ist das Maximum der Frequenz, das durch eine maximale Acceleransreizung erreicht wird, im großen und ganzen von der Dauer der Reizung unabhängig, wenigstens wenn diese mehr als eine Sekunde beträgt (Baxt'A). Wie sich der Accelerans bei einer noch flüchtigeren Reizung verhält, darüber besitzen wir keine Angaben. Die Zeit, während welcher die Herzschläge infolge einer Acceleransreizung beschleunigt bleiben, ist von der Dauer der Reizung abhängig; der Accelerans ermüdet nämlich nicht leicht und kann zwei Minuten lang gereizt werden, ohne daß dabei die gesteigerte Pulsfrequenz abnimmt. Dabei wird aber die Frequenz pro Minute nicht größer, als sie bei einer kürzer dauernden Reizung ist (Baxt4, Boehm5, Schmiedeberg6). Im Verlaufe einer 10 Minuten lang dauernden Reizung nimmt aber die Pulsfrequenz ziemlich stark ab, bleibt aber dann auf einem einigermaßen kon- stanten Niveau stehen (Hunt7). Die Größe der Zunahme der Pulsfrequenz beträgt zwischen 7 und 70% der Frequenz vor der Reizung. Die Ursache der Verschiedenheit liegt zunächst in der Frequenz vor der Reizung; war diese hoch, so wird die prozentige Zunahme gering und umgekehrt. Jedenfalls ist das absolute Maximum der Frequenz, das durch die Acceleransreizung erzielt wird, von der Zahl der Herzschläge vor derselben unabhängig (BoehmH, Baxt9, Roy und Adami11). Das Maximum, das durch die Reizung des einen Accelerans auftritt, wird bei gleichzeitiger Reizung der beiden Akzeleranten nicht überschritten (Frangois- Franck11). Beim kräftigen Herzen ist die Beschleunigung um so größer, je stärker die Reizung ist. Ist das Herz aber schwach, tritt bald Ermüdung ein, indem das Herz nicht mehr vermag, dem Antrieb des Nerven zu folgen (Hunt12). 1 Baxt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1877, S. 526. 2 Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 273; 1875. 3 Baxt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol., Abt., 1877, S. 523. 4 Baxt, ebenda, 1877, S. 531. 5 Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 275. G Schmiedeberg, Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1871, S. 152. 7 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 407; 1899. x Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 272; 1875. 9 Baxt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1877, S. 525. 10 Roy und Adami, Philos. transact, 183, B, S. 240; 1892. 11 Francois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 4, S. 85; 1880. 12 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 409, 414; 1899. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 391 Die Beschleunigung der Herzschläge wird bei der Acceleransreizung haupt- sächlich durch Verkürzung der Pause erzielt; die Dauer der Systole erleidet nur eine verhältnismäßig geringe Verkürzung (Baxt1). Vgl. folgenden Versuch am Hunde. Nonnales Herz Reizung der beschleunigenden Nerven Nr. die Dauer der die Dauer der Kammersystole Kammerdiastole Kammersystole Kammerdiastole 1 2 3 4 0,253 0,255 0,247 0,259 0,299 0,292 0,265 0,338 0,210 0,203 0,188 0,188 0,044 0,051 0,068 0,078 Nach Schluß der Reizung bleibt eine positive Nachwirkung, welche je nach der Dauer der Reizung mehr oder weniger lange währt, zurück. Hat die Reizung nur eine kurze Zeit stattgefunden, so nehmen die Herzschläge ihre frühere Frequenz früher an, als bei länger fortgesetzter Reizung, vorausgesetzt, daß diese nicht länger als 30 — 40 Sekunden gedauert hat, denn bei einer noch länger dauernden Reizung nimmt die Dauer der Nachwirkung wieder ab. Bemerkenswert ist, daß die Zeit, während welcher nach Aufhören der Reizung die Herzschläge ihre höchste Frequenz haben, von der Dauer der Reizung (1 — 36 Sekunden) un- abhängig ist (Baxt2). In günstigen Fällen hält die Nachwirkung der Acceleransreizung verhältnis- mäßig lange, bis zu zwei Minuten und mehr, an (v. Bezold und Bever3, Schmiede- berg*, Boehm5). Es scheint von vornherein selbstverständlich, daß der Accelerans in erster Linie auf die führenden Herzteile, d. h. auf die Vorhöfe, einwirken soll. Daß er auch eine direkte Wirkung auf die Kammern ausübt, ist damit nicht dargetan, und es wäre ja gar nicht unmöglich, daß sich sein Einfluß nur auf die Vorhöfe erstreckte, und daß die Beschleunigung der Kammern nur die Folge der Be- schleunigung der Vorhöfe darstellen würde. In der Tat hat Pawlow6 Versuche mitgeteilt, wo bei der Reizung der rein beschleunigenden Nerven der Rhythmus der Vorhöfe allein zunahm, während die Kammern im früheren Rhythmus pulsierten. Einen ähnlichen Versuch finden wir bei Hunt und Harrington7. Bei der Reizung des N. vertebralis am Kalbe nahm die Fiequenz der Vorhöfe von 191/2 auf 26 pro Minute zu; gleichzeitig führten die Kammern nur 13 Schläge aus, d. h. auf je zwei Vorhofsystolen kam nur eine Kammersystole. Allmählich nahm die Frequenz der Kammerkontraktionen indessen zu, bis sie gleich groß wie die der Vorhöfe wurde. In derselben Richtung spricht gewissermaßen auch die Erfahrung Flacks8, daß der rechte Accelerans nach Ausschaltung des sino-aurikularen Knotens keine Wirkung ausübt, während der linke Accelerans fortwährend leistungsfähig bleibt. i Baxt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1878, S. 132. 2 Baxt, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1877, S. 531. 3 v. Bezold und Bever, Unters, aus dem physiol. Laborat. zu Würzburg, 2, S. 245; 1867. 4 Schmiedeberg, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1870, S. 136; — 1871, S. 157. 5 Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 273. e Pawlow, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1887, S. 540. 7 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 726; 1897. 8 Flack, Journ. of physiol., 41, S. 72; 1910. 392 Die Innervation des Herzens. Andererseits liegen indessen Erfahrungen vor, welche zeigen, daß der Ac- celerans die Kammern direkt anzugreifen vermag. Hierher gehört z. B. Hunts und Harringtons1 Angabe, daß die Reizung des 2. Brustnerven beim Kalbe sofort die Kammerkontraktionen in gleichem Maße wie die Vorhofkontraktionen beschleunigt, sowie die Erfahrung Routiers2, nach welcher bei vollständigem Herzblock durch Abklemmung an der atrio- ventrikulären Grenze die Reizung des Accelerans bei den Kammern eine Frequenz- zunahme bewirkte, die sogar größer als bei den Vorhöfen sein konnte (in einem Falle 205 Kammerkontraktionen auf 165 Vorhofkontraktionen). Nach Abtrennung der Vorhöfe an der Atrioventrikulargrenze wurden die Schläge der isolierten Kammern durch Acceleransreizung beschleunigt und verstärkt (H. E. Hering2). Hier war indessen ein kleiner Teil der Vorhöfe im Zusammenhang mit den Kammern stehen geblieben und es lag daher die Mög- lichkeit vor, daß die betreffende Beschleunigung durch diese Vorhofreste ver- mittelt worden war. Durch Versuche an den automatisch schlagenden, mit Ringerlösung gespeisten Kammern gelang es indessen Hering*, den Beweis zu bringen, daß der Accelerans sie direkt angreift, wie das überhaupt die voneinander unabhängig schlagenden Abschnitte des Säugetierherzens sowohl in bezug auf die Schlagfrequenz wie auf die Stärke der Kontraktionen durch die zentrifugalen Herznerven unmittelbar beeinflußt werden können.5 Die hierbei tätigen Nerven- fasern müssen längs den großen Arterienstämmen verlaufen. Auch die beschleunigenden Herznerven sind nicht immer an beiden Seiten gleich kräftig wirksam, und wenn dies der Fall ist, zeigt sich der rechte Accelerans immer als der stärkere. So finden wir in einem von Langley6 mitgeteilten Versuch an der Katze, daß bei der Reizung der Brustnerven rechts eine Beschleunigung von bis zu 12 in 10 Sekunden auftrat, während die Reizung der entsprechenden Nerven links höchstens eine Zunahme von 3 Schlägen in 10 Sekunden zeitigte. In einem Versuche von Hunt7 blieb die Pulsfrequenz bei Reizung der linken Ansa Vieussenii unverändert, stieg aber bei Reizung der rechten Ansa mit 58% an> usw. Damit stimmen auch die anatomischen Angaben von v. Schumacher s überein, daß bei dem Löwen, der Katze und dem Hunde der linke Accelerans hauptsächlich die linke Kammer, der rechte hauptsächlich die rechte Kammer versorgen würde. c) Die Veränderungen des Kontraktionsumfanges bei den verschiedenen Abteilungen des Herzens. Beim Frosch können die Kontraktionen bei direkter Reizung der fördernden Nerven gleichzeitig mit der Beschleunigung auch an Umfang zunehmen (Heiäen- 1 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 726; 1897. 2 Routier, Comptes rend. de la Societe de biol., 78, S. 371; 1915. 3 H. E. Hering, Zentralbl. f. Physiol., 17, S. 1; 1903. 4 H.E.Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 107, S. 126; 1905; — 108, S. 283; 1905; vgl. Cyon, ebenda, 113, S. 126; 1906. 5 H. E. Hering, ebenda, 108, S. 288; 1905. e Langley, Philos. transact., 183, B, S. 110; 1892. 7 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 161; 1897. s v. Schumacher, Anat. Anzeiger, 21, S. 6; 1902. y o\ Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 393 hain1, Gaskell2, Esslemont3). Nach Langley und Orbeli* würde diese Zunahme nicht selten die am meisten hervortretende Wirkung der Reizung darstellen. Auch bemerken sie, daß der Einfluß des Accelerans bei einem kräftigen Herzen wesentlich weniger ausgeprägt ist als bei einem etwas geschwächten. Desgleichen erscheinen bei reflektorischer Reizung Verstärkung der Kontraktionen, Zunahme der Frequenz usw. in buntem Wechsel unabhängig voneinander (Engelmannr°). Unterhält man durch Reizung mit einzelnen Induktionsströmen bei der Kammer eines atropinvergifteten Frosches einen künstlichen Rhythmus, so gibt die Vagus- reizung ohne jede Pulsveränderung eine Verstärkung der Kontraktionen (F. B. Hof- mann6). Es ist also zweifellos, daß die Zunahme des Kontraktionsumfanges eine charakteristische Eigenschaft der Wirkung der fördernden Nerven darstellt. Diejenigen Nervenfasern, welche die Verstärkung hervorrufen, verlaufen in der Vorhofscheidewand zusammen mit den hemmenden Vagusfasern, wie daraus hervorgeht, daß die verstärkende Wirkung der Vagusreizung nach Zer- störung der Scheidewandnerven aufhört, wobei die beschleunigende Wirkung noch zurückbleibt (F. B. Hofmann1), sowie daraus, daß die Reizung dieser Nerven am atropinvergifteten Frosch sowohl die spontanen Kontraktionen, wie auch die durch direkte rhythmische Reizung der Kammer hervorgerufenen Zusammen- ziehungen verstärkt (F. B. Hofmann*). Beim Alligator tritt die Zunahme der Kontraktionskraft bei der Reizung der fördernden Herznerven als besonders charakteristische Erscheinung hervor (Mills9). Nach Esslemont10 laufen beim Kaninchen verstärkende Nerven vom Ganglion cervicale infimum nach dem Herzen. Am Hunde beobachtete Frangois-Franck11, daß die Acceleransreizung die intraventrikulare Druckschwankung sowie die Kontraktionsgröße der Vorhöfe steigert. Auch konnte es eintreffen, daß jene merkbar zunahm ohne jegliche Veränderung der Kontraktionsgröße der Vorhöfe. In der Regel wurden die Kontraktionen aller beiden verstärkt. Im allgemeinen nimmt sowohl die Puls- frequenz als die Kontraktionsgröße gleichzeitig zu. Es war indessen nicht immer der Fall, denn die Beschleunigung konnte ohne Energiezunahme statt- finden, und umgekehrt. Auch in den Versuchen von Roy und Adami12 nahm der Umfang der Vorhof- und der Kammerkontraktionen bei der Acceleransreizung in den meisten Fällen zu. Diese Zunahme stand in keinem bestimmten Verhältnis zu der etwaigen Beschleunigung und trat auch dann ein, wenn die Herzfrequenz durch die Reizung 1 Heidenhain, Aren. f. d. ges. Physiol., 27, S. 396; 1882. 2 Gaskell, Journ. of physiol., 5, S. 48; 1884; — 7, S. 42; 1886. 3 Esslemont, Arch. f. exp. Pathol., 46, S. 202; 1901. 4 Langley und Orbeli, Journ. of physiol., 41, S. 459; 1910. 5 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1903, S. 109. 6 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 72, S. 436; 1898. 7 F. B. Hofmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 164; 1895. 8 F. B. Hof mann, ebenda, 72, S. 437. 11 Mills, Journ. of anat. and physiol., 20, S. 554; 1886. 10 Esslemont, Arch. f. exp. Pathol., 46, S. 228; 1901. 11 Francois-Franck, Arch. de physiol., 1890, S. 810. 12 Roy und Adami, Phil, transact., 183, B, S. 239; 1892. 394 Die Innervation des Herzens. fast gar nicht beeinflußt wurde. Die Kammern kontrahierten sich vollständiger und die nach der Systole darin zurückbleibende Blutmenge wurde geringer. Zu etwa demselben Ergebnis kommen auch Bayliss und Starling1 beim Hunde, sowie Muhm2 beim Kaninchen; letzterer bezeichnet die Zunahme der Kontraktionsgröße geradezu als die am meisten hervortretende Wirkung der fördernden Nerven. An der Katze beobachtete Eriksson5 bei der Reizung des obersten Teiles des Grenzstranges, der Ansa Vieussemi sowie des 1. Brustganglions eine mehr oder minder bedeutende Drucksteigerung in der Aorta, welche ihrerseits eine verstärkte Herzaktion dartut. Henderson und Barringer* bemerken, daß die Reizung des Ganglion stellatum nur bei einem niedrigen Blutdruck und einem schwachen Herzen den Umfang der Herzkontraktionen bei unveränderter oder sogar beschleunigter Frequenz in die Höhe treibt. Dagegen können indessen einige von den Versuchen Erikssons zitiert werden, wo trotz einem ziemlich hohen Anfangsdruck die Reizung der fördernden Nerven ohne Veränderung der Pulsfrequenz eine nicht unerhebliche Druckzunahme bewirkte. In bezug auf die Frage, ob diese verstärkenden Fasern direkt oder indirekt auf die Herzkammern einwirken, bringt Muhm5 Versuche, welche zeigen, daß die Verstärkung der Kontraktionen allein bei den Vorhöfen oder allein bei den Kammern auftreten kann, und daß also die betreffenden Nerven auch die Kammern direkt beeinflussen können. Auch Erlanger6 findet, daß die Acceleransreizung unter Umständen nur auf die Kammern einwirkt. Nähere Aufschlüsse über die positiv-inotrope, bzw. chronotrope Wirkung der fördernden Herznerven erhalten wir durch Versuche von Pawlow, bei denen er einzelne Äste des Plexus cardiacus beim Hunde reizte.7 Insbesondere bei der Reizung eines gewissen Astes, Nr. 5 (Fig. 324), erhielt er in der Regel eine Beschleunigung der Herzschläge ohne Drucksteigerung, d. h. ohne Verstärkung der einzelnen Kontraktionen. Bei der Reizung eines anderen Astes (Nr. 3) trat wiederum eine Drucksteigerung ein, ohne von einer Veränderung der Schlagfolge des Herzens begleitet zu sein. Wooldridges fand desgleichen, daß der Blutdruck ohne irgendeine Veränderung der Pulsfrequenz bei peripherer Reizung gewisser hinterer Kammernerven zu- nahm, was ja nur von einer Verstärkung der Herzkontraktionen herrühren konnte. Durch Messung der aus der linken Herzkammer beim vereinfachten Kreis- lauf herausgetriebenen Blutmenge zeigte Pawlow9 endlich, daß bei der Reizung des Astes Nr. 3 auch ohne jede Beschleunigung der Herzschläge die bei jeder Systole herausgetriebene Blutmenge zunahm. 1 Bayliss und Starling, Journ. of physiol., 13, S. 414; 1892. 2 Muhm, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 241. 3 Eriksson, Skand. Arch. f. Physiol., 19, S. 68; 1907. 4 Henderson und Barringer, Amer. journ. of physiol., 31, S. 297; 1913. 5 Muhm, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 244. « Erlanger, Journ. of exp. med., 8, S. 63 des S.-A. 7 Pawlow, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1887, S. 498. 8 Wooldridge, ebenda, 1883, S. 537. 9 Pawlow, ebenda, 1887, S. 452. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 395 Weitere Versuche lehrten Pawlow1, daß sowohl die verstärkenden als die reinen beschleunigenden Nerven in der Regel dem Rückenmark entstammen und durch die Ansa Vieussenii zum Plexus cardiacus verlaufen. Hierbei ist auch zu erwähnen, daß bei der Reizung der links- seitigen fördernden Nerven die Verstärkung der Herzschläge in erster Linie hervortritt (Hunt2, Howell und Dukes). Daß auch im Halsvagus (Vagosympathicus) Verstärkungs- fasern sich vorfinden, scheint aus E. Meyers4 Angabe, daß bei neu- geborenen Hunden die Reizung dieses Nerven den Umfang der Herzkontraktionen erhöht, zu folgen. In derselben Richtung gehen die Erfahrungen von Roy und Adami.5 Sie fanden nämlich, daß die Herzschläge bei Vagusreizung unter Umständen kräftiger und auch frequenter wurden. Als für die Acceleranswirkung besonders charakteristisch hob Cyon6 hervor, daß die echte Be- schleunigung immer von einer Abnahme des Umfanges der Herz- kontraktionen begleitet wurde. Im Anschluß daran geben auch Henderson und Barringer7 an, daß die Reizung des Ganglion stellatum oft mit einer Ab- nahme der Schlaggröße verbunden ist. Fig. 324. Schema nach Pawlow. 1, N. vago-sym- pathicus; 2, der obere innere Zweig; 3, der starke innere Zweig; 4, die unteren inneren Zweige; 5, die oberen und unteren inneren Zweige; 6, Ganglion stellatum; 7, Ansa Vieussenii; 8, Ganglion cerv. inf. ; 9, N. laryngeus inf. d) Die Veränderungen des Leitungsvermögens durch die fördernden Nerven. Die Reizung der fördernden Nerven bewirkt auch, wie Heidenliain* und GaskelP zuerst fanden, eine Zunahme der Fähigkeit des Frosch- und Schildkröten- 1 Pawlow, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1887, S. 543. 2 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 161; 1897. 3 Howell und Duke, Journ. of physiol., 35, S. 134; 1906. 4 E. Meyer, Arch. de physiol., 1893, S. 484. 5 Roy und Adami, Phil, transact, 183, B, S. 245, 268; 1892; — vgl. auch Bayliss und Shilling, Journ. of physiol., 13, S. 413; 1892. e Cyon, Arch. f. d. ges. Physiol., 113, S. 126; 1906; — Arch. f. Anat. u. Physiol., 1867, S. 407, 413. 7 Henderson und Barringer, Amer. journ. of physiol., 31, S. 297; 1913. 8 Heidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol., 27, S. 397; 1882. 9 Gaskell, Journ. of physiol., 7, S. 43; 1886. 396 Die Innervation des Herzens. Herzens, eine Erregung fortzupflanzen, und dem entsprechend wird auch das Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammerkontraktion unter dem Einfluß dieser Nerven verkürzt (Mines und Dale1). Auch beim Säugetierherzen wird die Erregung von den Vorhöfen nach den Kammern bei Reizung des Accelerans schneller fortgepflanzt (Bayliss und Starling2), und zwar kann hierbei das Intervall zwischen Vorhof- und Kammer- systole so kurz werden, daß die Vorhöfe keine Zeit haben, sich in gewöhnlicher Weise in die Kammern zu entleeren (H. E. Hering3). Als Ausdruck einer Verbesserung des Leitungsvermögens durch den Ac- celerans faßt Hunt* die Erscheinung auf, daß nach Durchschneidung desselben Unregelmäßigkeiten (Wegfall einzelner Herzschläge) auftreten, und daß diese bei der elektrischen Reizung dieses Nerven wieder aufhören. Hierher gehört auch die Angabe von Hunt und Harrington5 wie von Routier*, daß durch die Acceleransreizung ein partieller Block zwischen den Vorhöfen und den Kammern aufgehoben werden kann. e) Verschiedene Arten von fördernden Nerven. Wie bei den hemmenden Nerven stellt sich auch bei den fördernden die Frage, ob die verschiedenen Äußerungen ihrer Tätigkeit, die Beschleunigung der Herzschläge, die Zunahme der Kontraktionsgröße und die Verbesserung des Leitungsvermögens, von einer und derselben Nervengattung hervorgerufen werden oder ob sie auf mehrere verschiedene zu verteilen sind. Für die letztere Annahme spricht ja die Tatsache, daß wenigstens Be- schleunigung und Verstärkung der Herztätigkeit vielfach unabhängig voneinander vorkommen, indem eine starke Zunahme der Kontraktionsgröße ohne jede Steigerung der Frequenz nicht selten beobachtet wird. In dieser Hinsicht ist auch bemerkenswert, daß bei der Acceleransreizung die Zunahme des Kontraktionsumfangs bei einem schwächeren Reiz auftritt als die Zunahme der Frequenz (Howell und Duke''). Ferner hat Gaskell8 gezeigt, daß die Nachwirkung einer reinen Sympathicus- reizung in einer Abnahme des Kontraktionsumfanges und des Leitungsvermögens besteht, während die Nachwirkung der beschleunigenden Nerven sich als eine Fortdauer der Beschleunigung kundgibt. Beim Frosch kommt nach Stewart* bei niedriger Temperatur die Beschleunigung auch dann zum Vorschein, wenn die Verstärkung der Herztätigkeit nicht mehr nachgewiesen werden kann, und bei einer höheren Temperatur ist wiederum die Zunahme des Kontraktionsumfanges mehr ausgeprägt als die Beschleunigung. Letzteres ist indessen zum Teil wenigstens davon bedingt, daß das Herz bei einer höheren Temperatur schon ohne Acceleransreizung schneller schlägt. 1 Mines und Dale, Journ. of physiol., 46, S. 333; 1913. 2 Bavliss und Starling, ebenda, 13, S. 414; 1892. a H. E. Hering, Aren. f. d. ges. Physiol., 107, S. 105; 1905. 4 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 405; 1899. 5 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 724; 1897. 6 Routier, Comptes rend. de la Soc. de biol., 78, S. 371; 1915. 7 Howell und Duke, Journ. of physiol., 35, S. 134; 1906. 8 Gaskell, ebenda, 7, S. 45; 1886. 8 Stewart, ebenda, 13, S. 87, 90. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 397 Nach 0. Frank1 bleibt beim Hunde die verstärkende Wirkung der Reizung länger als die beschleunigende Wirkung erhalten. Auf Grund dieser und anderer Umstände, die oben besprochen worden sind, scheint hier, in Analogie mit dem Verhalten der hemmenden Nerven, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Annahme vorzuliegen, daß wenigstens zwei Arten fördernder Nerven — beschleunigende Nerven und verstärkende Nerven — anzunehmen sind. § 84. Die Einwirkung der fördernden Nerven auf das Flimmern des Herzens. Sowohl beim Frosch als auch bei der Schildkröte wird das Auftreten des Herzflimmerns durch die Reizung der fördernden Sympathicusfasern begünstigt (Haberlandt2). Durch Reizung des Accelerans gelang es Hunt3 bei den Kammern, nicht aber bei den Vorhöfen des Hundeherzens, fibrilläre Kontraktionen hervorzurufen. Die gleiche Wirkung übt der Accelerans auch bei entbluteten Herzen aus, wenn auch nicht immer und überhaupt nicht bei normalen Tieren, sondern im allgemeinen nur bei geschwächtem Herzen (Garrey4). Zur Erzeugung des Flimmerns ist bei der Katze in leichter Chloroform- narkose der rechte Accelerans mehr befähigt als der linke und kann schon inner- halb 7 Sekunden dasselbe hervorrufen (A. G. Levy5). Andererseits findet dagegen Winterberg6, daß der Accelerans keinen nachweis- baren Einfluß auf das Entstehen wie auf den Verlauf des Kammerflimmerns besitzt. Er vermag allerdings die Nachwirkung einer direkten Vorhofreizung abzukürzen, übt aber sonst auf die flimmernden Vorhöfe während der Dauer der Reizung keine deutliche Wirkung aus. Später ist indessen Winterberg im Verein mit Rothberger1 zu der Erkenntnis gekommen, daß das früher erhaltene negative Resultat dahin zu verstehen ist, daß der in der Regel nur geringfügige Zuwachs der unter Acceleranswirkung gebildeten anomalen Reize offenbar gegenüber dem viel mächtigeren Reizeffekt der direkten Herzreizung keine Rolle spielt. Durch gleichzeitige Reizung des Vagus und Accelerans wird die Entstehung des Kammerflimmerns erleichtert, so daß eine vorher noch vertragene Stromstärke nunmehr in der Mehrzahl der Fälle Flimmern der Kammern erzeugt. Hier machen sich teils das Vermögen des Accelerans, die Tätigkeit anomaler Reizbildungsstellen zu erwecken, teils die durch den Vagus hervorgerufene Erschwerung der Erregungsleitung und die dadurch verursachte Isolierung der einzelnen Herde der Kammermuskel- automatie geltend.8 In der Fortsetzung ihrer Untersuchungen gelangen Rothberger und Winter- berg9 zu der Auffassung, daß das Flimmern der Vorhöfe durch die Accelerans- 1 O. Frank, Zeitschr. f. Biol., 49, S. 412; 1907. - Haberlandt, Zeitschr. f. Biol., 68, S. 279; 1918. :i Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 421. 4 Garrey, Amer. journ. of physiol., 21, S. 297; 1908. 5 A.G.Levy, Journ. of physiol., 44, proc, S. 17; 1912. e Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 117, S. 239, 244; 1907. 7 Rothberger und Winterberg, ebenda, 141, S. 374; 1911. 8 Vgl. auch Hering, Verh. d. deutsch, pathol. Gesellsch., 14, S. 49; 1910. 9 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 160, S. 57, 89; 1915. 398 Die Innervation des Herzens. reizung keineswegs verlängert, wahrscheinlich aber verkürzt wird. Das grob- schlägige Flimmern (Flattern) der Vorhöfe wird durch schwache Accelerans- reizung nicht beeinflußt. Durch stärkere Erregungen werden die Flatter- bewegungen verstärkt und die Zahl der Oszillationen manchmal nicht un- beträchtlich, aber doch stets innerhalb enger Grenzen, gesteigert, wobei der rechte Accelerans häufig wirksamer ist als der linke. Die Zahl der Kammer- schläge wird durch beide Accelerantes erhöht. Die Wirkung auf die Vorhöfe besteht in einer direkten Beschleunigung ihrer Kontraktionen, jene auf die Kammern beruht auf Verbesserung der Leitungsbedingungen. § 85. Der Einfluß gewisser mineralischer Bestandteile auf die Wirkung der fördernden Nerven. Bei einem mit Ringerlösung ernährten Herzen variierten Howell und Duke1 den Gehalt der Flüssigkeit an CaCl2 und untersuchten die dabei erscheinenden Veränderungen der Erregbarkeit des Accelerans. Im allgemeinen war eine Steigerung von 0,006 auf 0,046% CaCl2 für die Acceleranswirkung günstig. Bei 0,069% nahm dieselbe dagegen ab, und wenn das Herz unter dem Einfluß einer noch stärkeren Chlorkalziumlösung abnorm kräftig schlug, hatte die Acceleransreizung gar keine Wirkung mehr. Auf Grund dieses und anderer Umstände stellen sich Howell und Duke vor, daß die Acceleranswirkung, insofern sie sich auf die Zunahme der Kontraktions- größe bezieht, wesentlich in dem Freimachen von Kalzium in diffusibler Form besteht. Das energieliefernde Material im Herzen bildet in Verbindung mit Kalium oder Kaliumsalzen eine stabile und wenig dissoziierbare Verbindung. Unter normalen Verhältnissen reagieren die Kalziumsalze in der Gewebslymphe mit der dissoziablen Portion dieses Materials und bilden eine unstabile Kalzium- verbindung, welche nach Verbindung mit einer größeren Menge Kalzium sich spaltet. Diese Spaltung wird durch den Accelerans begünstigt.2 Unter den zum Beweis dieser Anschauung angeführten Tatsachen sind folgende hier zu erwähnen. Ganz wie bei der Acceleransreizung bewirkt die Zufuhr einer größeren Menge von CaCl2 zur Ringerlösung eine bedeutende Zu- nahme der Kontraktionsgröße der Vorhöfe und der Kammern. Bei einem durch Chlorkalium im Überschuß stillstehenden Herzen gibt die Acceleransreizung, ganz wie die Zufuhr von CaCl2, eine kürzere oder längere Reihe von Kontrak- tionen. Zuerst treten Kontraktionen der Vorhöfe auf; diese nehmen allmählich an Stärke zu, bis endlich auch Kammerkontraktionen von immer mehr zu- nehmendem Umfang auftreten. § 86. Die elektrischen Erscheinungen bei der Tätigkeit der fördernden Nerven. Die eingehenden Untersuchungen von Rothberger und Winterberg haben zunächst folgende Veränderungen im Elektrokardiogramm des Hundes (Ab- leitung Ösophagus-Rectum) unter dem Einfluß der Ausschaltung und der Reizung des Accelerans kennen gelernt. 1 Howell und Duke, Journ. of physiol., 35, S. 137; 1906. 2 Howell und Duke, ebenda, 35, S. 147. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 399 Nach der doppelseitigen Durchschneidung der Accelerantes1 nehmen die Zacken P und T gleichzeitig mit einer starken Abnahme der Pulsfrequenz in hohem Grade ab; dagegen nimmt die Zacke R an Umfang zu. Dieser sehr ausgesprochenen Ausfallserscheinung gehen Stadien voraus, in welchen nur die Schlagfrequcnz abnimmt, die Form des Elektrokardiogramms aber vorläufig wenig verändert ist. Dabei kann die Zacke P zu einer Zeit, wo im Kammerelektrokardiogramm die Zeichen des Ausfalles schon deutlich sind, noch ziemlich groß sein.2 Bei der Reizung des rechten Accelerans wird die Zacke P größer, die Zacke R kleiner; die Zacke T nimmt an Umfang zu und wird dabei diphasisch, mit der ersten Phase negativ. Als die Schlagzahl nach Ende der Reizung allmählich zur Norm zurückgeht, verändert sich die Form des Elektrokardiogramms zunächst nicht, was möglicherweise einen Ausdruck der gegenseitigen Unabhängigkeit der chrono- und inotropen Wirkungen des Accelerans darstellt.3 Die Reizung des linken Accelerans gibt Resultate, die individuell ziemlich verschieden sind. Dabei ist die Zacke P teils in positiver, teils in negativer Richtung verändert; im letzten Falle würde die Erregung vom linken und nicht vom rechten Vorhofe ausgehen.4 Die zeitliche Entfernung P — R wird bei Reizung des linken Accelerans mehr verkürzt als bei der Reizung des rechten, und schließlich schlagen Vorhöfe und Kammern synchron, d. h. es entwickelt sich hier eine selb- ständige Automatie der Kammern. Dabei wird die Zacke R kleiner, während die Zacke 5 an Umfang bedeutend zunimmt. Die Zacke T wird doppelphasisch, mit der ersten Phase positiv, und erreicht während der Nachwirkung der Reizung eine bedeutende Höhe.5 Bei gleichzeitiger Reizung der beiden Accelerantes wird die Zacke P auf T superponiert, die Zacke R nimmt an Umfang ab und die Zacke T wird angesichts der verschiedenen Wirkung des rechten und des linken Accelerans mehr oder weniger kompensiert.6 Rothberger und Winterberg haben ferner die Wirkung einzelner Äste des Herzplexus untersucht und dabei folgendes gefunden. Bei Reizung des rechtsseitigen starken inneren Zweiges Pawlows (vgl. 11, S. 394) wurde die Zacke P größer und vielgipflig, die Zacke R blieb unverändert und die Zacke T veränderte sich in derselben Weise wie bei der Reizung des rechten Ganglions. Etwa in derselben Weise wirkte auch die Reizung eines hinteren Zweiges auf das Elektrokardiogramm ein. Ein anderer hinterer Zweig rief eine stärkere Beschleunigung als dieser hervor, und ein hinterer Ast ergab bei einer bedeutenden Beschleunigung eine Verminderung der Zacke R, während die Zacke T zuerst positiv und dann negativ wurde.7 Der linsseitige Herzplexus ergab bei Reizung eines unteren dicken Astes eine mäßige Beschleunigung, starke Verkürzung des Intervalls P — Q nebst atrio- ventrikuläre Automatie, starke Negativität der Zacke T; bei Reizung eines 1 Die Ausschaltung und Reizung der Accelerantes fand am Ganglion thor. prim. statt. 2 Rothberger und Winterberg, Aren. f. d. ges. Physiol., 135, S. 513; 1910. 3 Rothberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 516. 4 Rothberger und Winterberg, ebenda, 141, S. 343; 1911. 5 Rothberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 521. 0 Rothberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 528. 7 Rothberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 535. 400 Die Innervation des Herzens. tief unten am Lungenhilus laufenden Astes wurde die Zacke T zweiphasisch mit der ersten Phase negativ.1 Als Nachwirkung der Reizung des Halsvagus erschienen Veränderungen, welche von denen bei Reizung des Accelerans erinnern. Nach Vergiftung mit Atropin bewirkte die Reizung des rechten Vagus ähnliche Veränderungen wie die des rechten Ganglion stellatum, und die Reizung des linken Vagus Ver- änderungen, welche denen bei Reizung des linken Ganglion stellatum entsprachen.2 Eine schematische Darstellung dieser Veränderungen findet sich in Fig. 325. J ** Fig. 325. Schema der Veränderungen des Elektrokardiogrammes (Hund, Ableitung Ösophagus- Rectum) bei Nervenreizung. Nach Rotliberger und Winterberg, a, normal, hoher Vagustonus; /;, normal, guter Acceleranstonus; c, Ausfall des Acceleranstonus; d, Reizung des rechten Gangl. stellat.; e, Reizung des linken Gangl. stellat. § 87. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen den hemmenden und den fördernden Nerven. a) Interferenzerscheinungen zwischen Vagus und Accelerans. Bei den kaltblütigen Tieren (Frosch, Schildkröte) zeigt es sich, daß die im Vagusstamme verlaufenden hemmenden und beschleunigenden Fasern bei der elektrischen Reizung verschieden stark erregt werden und zwar so, daß in der Regel erstere gewinnen; es kommt aber unter Umständen auch vor, daß die primäre Wirkung hier eine Beschleunigung, bzw. eine Zunahme der Schlag- größe darstellt (Gaskell3, Heidenhain*, Metschnikow und Setschenowb, Gaglio«, Stewart7). Beim unvergifteten Säugetiere ruft die Vagusreizung selten oder nie eine Beschleunigung der Herzschläge hervor; daraus folgt, daß die im Vagus ver- laufenden beschleunigenden Herznerven bei einer gleich starken Reizung von den hemmenden überwunden werden. 1 Rotliberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 541. 2 Rotliberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 544. 3 Gaskell, Philos. transact., 1882, (3), S. 1009. 4 Heidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol., 27, S. 396; 1882. 5 Metschnikow und Setschenow, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1873, S. 163, 289. 6 Gaglio, Arch. ital. de biol., 13, S. 71; 1890. 7 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 114; 1892. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 401 Betreffend die in sympathischen Bahnen verlaufenden eigentlichen fördernden Nerven gaben Bowditch1, Baxt2 und Boehm3 an, daß sie immer von den hemmenden überwunden werden, und zwar selbst in dem Falle, wenn diese mit schwachen, die fördernden Nerven aber mit verhältnismäßig starken Strömen gereizt werden. Dies darf indessen nicht in der Weise aufgefaßt werden, daß bei gleich- zeitiger Reizung des Vagus und des Accelerans die Wirkung des ersteren in der- selben Stärke erscheinen sollte, als wenn er allein gereizt worden wäre. Vielmehr zeigen die Versuche von Baxt4, Boehm5, Stricker und Wagner*, Meltzer7, daß im ersten Falle die Vaguswirkung in einem gewissen Grade von der gleichzeitigen Reizung des Accelerans beeinträchtigt wird. Bayliss und Störung8 fanden, daß die Kammerkontraktionen bei einer Ac- celeransreizung auch dann beschleunigt werden können, wenn durch eine gleich- zeitige, nicht zu starke Vagusreizung die Vorhof kontraktionen aufgehoben sind. Und spätere Versuche von O.Frank9 haben gezeigt, daß bei einer durch Erstickung hervorgerufenen Vagusreizung die elektrische Reizung des Accelerans eine sehr deutliche Beschleunigung hervorruft, die zuweilen gleich stark ist als ohne die Vagusreizung. Auch ein durch Morphin hergestellter ziemlich hoher Vagustonus wird vom Accelerans überwunden (Bessmertny11'). Wertheimer und Lepage11 reizten den Accelerans beim Hunde und beobachteten während der Inspiration eine starke, während der Exspiration eine schwache Beschleunigung der Herzschläge. Da nun beim Hunde während der Exspiration die Vaguserregung sehr kräftig ist, folgt, daß die Acceleransreizung diese in einem gewissen Grade zu überwinden vermag. Durch Abkühlung geht die Erregbarkeit des Accelerans früher verloren als die der hemmenden Nerven, obgleich jener (beim Frosch) unter günstigen Umständen noch bei einer Temperatur von 3 bis l1/^ C. tätig sein kann. Bei höherer Temperatur wird die Wirkung der beschleunigenden Nerven stärker als die der hemmenden (Stewart12). Im großen und ganzen ist dasselbe auch bei den Säugetieren der Fall. Durch Erwärmung des Herzens wird die Erregbarkeit des Accelerans regelmäßig ge- steigert, durch Abkühlung aber herabgesetzt, während die Vaguswirkung bei niederen Temperaturen in ungefähr demselben Betrag erfolgreich ist wie bei normaler Temperatur (0. Frank13), bzw. sich in der Regel umgekehrt gegen die Acceleranswirkung verhält (Hatscliek1*). In Übereinstimmung damit findet man bei Säugetieren, daß, wenn Vagus und Accelerans bei niedriger Temperatur des Herzens gleichzeitig gereizt werden, 1 Bowditch, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1873, S. 195. 2 Baxt, ebenda, 1875, S. 323. 3 Boehrn, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 278. 4 Baxt, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss., math.-phys. KL, 1875, S. 348. 5 Boehm, Arch. f. exp. Pathol., 4, S. 278. 6 Stricker und Wagner, Wiener med. Jahrb., 1878, S. 373. 7 Meltzer, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1892, S. 376. . 8 Bayliss und Starling, Journ. of physiol., 13, S. 414; 1892. 9 O. Frank, Sitz.-Ber. d. morpholog. Ges. in München, 1897, S. 1. 10 Bessmertny, Zeitschr. f. Biol., 47, S. 407; 1906. 11 Wertheimer und Lepage, Journ. de physiol., 1899, S. 236. 12 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 87; 1892. 13 O. Frank, Zeitschr. f. Biol., 49, S. 408; 1907. 14 Hatschek, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 212; 1905. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 26 402 Die Innervation des Herzens. ersterer gewinnt. Bei einer höheren Temperatur wird die Acceleranswirkung in der Mehrzahl der Fälle begünstigt (Hatschek1). Nach Dogiel und Archangelsk)?2 wird bei dem Hunde und der Katze der Vagusstillstand durch gleichzeitige Reizung des Halssympathicus verkürzt. Baxt gegenüber hebt Huntz hervor, daß er eine zu kurze Zeit den Accelerans reizte, um sicher zu sein, daß dieser Nerv tatsächlich das Maximum seiner Wirkung ausübte. Seinerseits findet Hunt indessen, in voller Übereinstimmung mit seinen Vorgängern, daß eine Acceleransreizung während stattfindender Vagusreizung die Pulsfrequenz steigert, wenn auch nicht in einem so hohen Grade wie bei der alleinigen Reizung des Accelerans; daß eine während einer stattfindenden Ac- celeransreizung eingeschaltete Vagusreizung die Pulsfrequenz vermindert, aber in geringerem Grade als bei alleiniger Reizung des Vagus; daß bei gleichzeitiger, kurzdauernder Reizung der beiden Nerven die Pulsfrequenz von mittlerer Größe ist; sowie daß bei einer sehr lange dauernden Reizung der beiden Nerven die Pulsfrequenz anfangs während 8 — 10 Minuten, gewöhnlich kürzer, auf ein Maximum gehalten wird; darauf nimmt sie zuerst schnell, dann sehr langsam ab, mit anderen Worten, die Beschleunigung hört schneller als die Verzögerung auf4; usw. Nach Hunt5 steigt nach Durchschneidung der beiden Vagi die Pulsfrequenz bei der Acceleransreizung stärker als sonst an. Demgegenüber gibt indessen Bessmertny* an, daß die Erregbarkeit des Accelerans unabhängig davon ist, ob der Vagus durchschnitten ist oder nicht. Man könnte also ohne auf die Tatsachen irgendeinen Zwang auszuüben, sagen, daß, wo bei einer Reizung des einen Nerven der andere gereizt wird, ihre Wirkungen sich algebraisch addieren, so daß das endliche Resultat von der gegenseitigen Stärke der Erregung dieser Nerven abhängig ist. Diese Folgerung ist indessen nicht berechtigt, wenn man auch das Ver- halten des Herzens nach Ende der Reizung in gebührendem Maße berücksichtigt. Dabei zeigt es sich nämlich bei allen hierher gehörigen Versuchen — nur mit Ausnahme von denjenigen Versuchen Hunts, wo die Reizung der Nerven sehr lange (mehr als 12 Minuten) fortgesetzt wurde — , daß nach Ende der Reizung die für die beschleunigenden Nerven charakteristische Nachwirkung in aller Deutlichkeit hervortritt, wenn auch sie. etwas schwächer ist als bei alleiniger Reizung des Accelerans bzw. nach Vagusdurchschneidung (Hunt7). Zur Illustration dieses Verhaltens, auf welches in erster Linie Baxt8 die Auf- merksamkeit gelenkt hat, teile ich in Fig. 326 einen Versuch von diesem Autor mit. In der graphischen Darstellung desselben ist die Pulsfrequenz in Perioden von je zwei Sekunden bei Reizung 1. des Vagus, 2. des Accelerans, 3. aller beider angegeben. Die Reizungen wurden so bald nacheinander ausgeführt, daß die 1 Hatschek, Arch. f. d. ges. Physiol., 109, S. 209. 2 Dogiel und Archangelsky, Comptes rend. de l'Acad. des sciences, 139, S. 322; 1904. 3 Hunt, Journ. of exp. med., 2, S. 153; 1897; — vgl. auch Hunt und Hairington, ebenda, S. 727. 4 Hunt, ebenda, 2, S. 163. 5 Hunt, ebenda, 2, S. 162. 6 Bessmertny, Zeitschr. f. Biol., 47, S. 436; 1905. 7 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 423; 1899. s Baxt, Ber. d.'sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1875, S. 323. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 403 Fig. 326. Graphische Darstellung der Pulsfrequenz bei Reizung des Vagus ( ), des Accelerans ( ) und aller beiden Nerven ( ). Nach Baxt. Die Reizung des Vagus beginnt 12 Sek. später (bei d) als die des Accelerans (bei a). Nachwirkung der einen Reizung eben verschwunden war, als die folgende Reizung stattfand. Wir sehen die den beiden Nerven charakteristischen Eigentümlich- keiten in den denselben entsprechenden Kurven. Aus der Kurve, welche die Pulsfrequenz bei gleichzeitiger Reizung des Vagus und des Accelerans wieder- gibt, geht hervor, daß der Vagus während der Reizung siegt, auf der anderen Seite aber die Nachwirkung der Reizung ganz so auftritt, als wenn der Accelerans allein gereizt worden wäre. Genau dieselben Resultate finden wir in den von Hunt mitgeteilten Diagrammen, wie aus der Fig. 327 ersichtlich ist. Beiläufig sei noch bemerkt, daß auch die Kurve der Pulsfrequenz bei alleiniger Reizung des Vagus nach beendigter Reizung zuweilen eine in- dessen nur unbeträchtliche Steigerung zeigt. Diese ist wahrscheinlich die Folge der Reizung der beschleunigenden Fasern, die im Vagus verlaufen. Wir sehen, daß die Beschleunigung nicht groß ist, wenn wir sie mit der Nachwirkung bei der Reizung des eigentlichen Accelerans vergleichen. Dieser Vergleich liefert übrigens einen neuen Beweis gegen die Ansicht Schiffs, daß alle beschleunigenden Herznerven dem Vagus entstammen, denn dann sollte ja die Nachwirkung der Vagusreizung mit der- jenigen, wo die beiden Nerven gereizt wurden, ganz übereinstimmen. Beim abgekühlten Va- gus erscheint als Nach- wirkung der Reizung eine sekundäre Beschleunigung, bei einer Temperatur, wo die reine Sympathicus- reizung erfolglos ist. Auf Grund dessen folgert Stewart1, daß auch die hemmenden Nerven eine gewisse Förderung der Herztätigkeit als Nachwirkung hinterlassen. Andererseits ist bei hoher Temperatur die Acceleransnachwirkung stärker als gewöhnlich, selbst wenn während der Reizung eine Verzögerung der Herzschläge auf- trat (Hatschek2). Es ist also nicht statthaft, von einer einfachen algebraischen Addition der Wirkungen der beiden Nerven zu sprechen, denn bei einer solchen sollte doch der stärkere Nerv die Wirkung des schwächeren in dem Maße aufheben, daß dieser sich nicht in der Nachwirkung unverkürzt geltend machen kann. SchJäge 20 IS .'<> 16 AV "•-. * — ' ■ - -- ,- H __ ';S ' 16 \ r / 1 N / / 12 > / 14 s s \ 10 1 \ h See in 20 30 1,0 10 20 30 to Fig. 327. Graphische Darstellung der Pulsfrequenz bei Reizung des Vagus (v, ), des Accelerans (a, ) und beider Nerven (a v, ). Nach Hunt. Die Reizung dauerte immer 15 Sekunden lang (von 5 bis 5). 1 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 81. 2 Hatschek, Aren. f. d. ges. Physiol., 109, S. 209; 1905. 26* 404 Die Innervation des Herzens. 0.10 F^ ~d\ S X Die beiden Nerven sind also keine wirklichen Antagonisten und müssen also das Herz in verschiedenen Punkten angreifen. Dieses Resultat, dem sich auch Rothberger und Winterberg1 angeschlossen haben, bezieht sich zunächst nur auf die chronotropen Wirkungen der betreffenden Nerven. In bezug auf die inotropen Wirkungen sind Muhm wie Rothberger und Winterberg zu folgendem , Resultat gekommen. Wenn die Reizung des Vagus zu einer Zeit beginnt, wo der Accelerans seine volle Wirkung schon entfaltet hat, wird jener durch die bestehende Acceleransreizung daran behindert, seinen vollen Einfluß auf die Herz- schläge geltend zu machen, und es zeigt sich nur eine gewisse Verminderung der Vorhof- und Kammerkontraktionen {Muhm2). Nach Rothberger und Winterberg3 macht sich in allerdings seltenen Fällen die Vagus- wirkung bei erregten Accelerantes im wesent- lichen nur durch eine Abschwächung der Vorhof- oder Kammerkontraktion bemerkbar, und zwar kann dies auch ohne Änderung der Schlag- frequenz stattfinden. Hier liegt also eine ino- trope Interferenz vor. Ferner kann man zeigen, wie eine negativ inotrope Vaguswirkung den durch den linken Accelerans positiv inotrop beeinflußten Partien des Herzmuskels gegenüber weniger stark zur Geltung kommt, sowie daß bei gleichzeitiger Vagus- und Acceleransreizung einzelne Kontraktionen auftreten, die den Vagusstillstand unterbrechen. b) Veränderungen bei der Dauer der Systole und Diastole nach Ausschaltung der Vagi und bei Reizung der Accelerantes. Je nachdem die Beschleunigung der Herzfrequenz durch Ausschal- tung der Vagi oder Reizung der Ac- celerantes zustande kommt, stellten sich, wie Hunt* nachgewiesen hat, in bezug auf die gegenseitigen Ver- änderungen der Systole und der Dia- stole folgende Verschiedenheiten dar. Bei der Durchschneidung der Vagi (vgl. Fig. 328) nimmt binnen kurzem die Dauer der Diastole (D) sehr plötzlich und stark ab, während die Abnahme der Systole (S) viel lang- samer sich entwickelt und verhältnismäßig wenig ausgeprägt ist. 1 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 141, S. 346; 1911. 2 Muhm, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 244. 3 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 141, S. 347. 4 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 436. Fig. 328. Veränderung der Systolen- und Diastolendauer nach Ausschal- tung der Vagi. Nach Hunt. S, Systole; D, Diastole. Die Einheit der Ordi- nate bezeichnet 0,05 Sekunde; Ein- heit der Abszisse 5 Herzschläge. Jeder Punkt im Diagramm stellt also den Durchschnitt von 5 Herzschlägen dar. D SJ^ \ X~~~~ X Fig. 329. Veränderungen der Systolen- und Dia- stolendauer bei Reizung der beschleunigenden Nerven. Nach Hunt. S, Systole; D, Diastole. Bezeichnungen wie in Fig. 328. Die fördernden Herznertfen bei den Wirbeltieren. 405 Findet dagegen die Beschleunigung durch Reizung des Accelerans statt, so tritt die Veränderung langsam ein und die Dauer der Systole wie der Diastole wird in etwa gleichem Grade verkürzt (vgl. Fig. 3291). § 88. Der Angriffspunkt der fördernden Nerven. a) Herzkontraktionen, durch die Reizung der fördernden Nerven ausgelöst. Obgleich das Herz, selbst wenn es von allen Nerven isoliert ist, dennoch rhythmisch pulsiert und also die fördernden Nerven keineswegs als motorische Herznerven bezeichnet werden können, vermögen diese Nerven nichtsdesto- weniger ein stillstehendes Herz zu neuer Arbeit zu erwecken. Dies wurde zum erstenmal von Stewart2 am Froschherzen gezeigt. Wegen einer starken Überhitzung stand das Herz still. Es wurden dann die beschleunigen- den Nerven gereizt und dadurch eine Reihe von Pulsationen erhalten. Diese Wirkung trat um so leichter ein, je niedriger die Temperatur war, bei welcher der Stillstand erschien. Auch wenn die Kammer nach Durchschneidung der Vorhöfe mit beibehaltenen Nerven der Scheidewand stillsteht, beginnt sie bei der Acceleransreizung nach einer Latenzdauer von 5 — 30 Sekunden wieder zu pulsieren und fährt noch eine Zeitlang nach Ende der Reizung unter allmählich abnehmender Frequenz und Stärke damit fort. Nach Durchschneidung der Scheidewandnerven bleibt diese Wirkung der Acceleransreizung aus. Die hier beteiligten Nervenfasern finden sich also unter den Scheidewandnerven. Noch 11 Tage nach dem Ausschneiden aus dem Körper kann das stillstehende Herz durch Reizung der fördernden Nerven zu neuer Tätigkeit gezwungen werden (Polumordwinow3). Dieselben Erscheinungen sind von H. E. Hering* beim Säugetierherzen nachgewiesen worden. An einem soeben getöteten Hunde reizte er den Accelerans und sah, wie das schon stillstehende Herz wieder anfing zu schlagen. Vorhöfe und Kammern wurden hierbei direkt beobachtet; ob vielleicht an den zentralen Venen Pulsationen vor der Reizung vorkamen, vermochte der Autor nicht zu sagen. Jedenfalls wurde, soweit das Herz sichtbar war, an ihm vor der Acceleransreizung keine Bewegung mehr wahrgenommen. Diesem Versuch gegenüber machte Friedenthal5 indessen geltend, daß hier wahrscheinlich ein Vagusstillstand vorlag, und bemerkte, daß ein wirklich still- stehendes Herz nicht durch den Accelerans erweckt werden könnte. Durch neue Erfahrungen wurde indessen von H. E. Hering6 wie von Guthrie und Pike7 an Hunden und Katzen nachgewiesen, daß ein ohne jeden Zweifel schon stillstehendes Herz durch Acceleransreizung tatsächlich erregt werden 1 Vgl. auch Wiggers und Katz, Proc. of the Soc. f. exp. biol. and med. New York, 17, S. 94; 1920. 2 Stewart, Journ. of physiol., 13, S. 83, 93; 1892. 3 Polumordwinow, Aren. f. d. ges. Physiol., 140, S. 19; 1911. 4 H. E. Hering, ebenda, 86, S. 578; 1901; — Zentralbl. f. Physiol., 15, S. 684; 1902. 5 Friedenthal, Zentralbl. f. Physiol., 15, S. 621 ; 1902. 6 H.E.Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 115, S. 354; 1906; — vgl. Cyon, ebenda, 88, S. 263; 1902. 7 Guthrie und Pike, Amer. journ. of physiol., 18, S. 27; 1907. 406 Die Innervation des Herzens. kann, wie schon früher H. E. Hering1 an einem Affenherzen sogar 53 Stunden 44 Minuten nach dem Tode eine Wirkung der Acceleransreizung beobachtet hatte. Auch Sherrington und Sowton2 wiesen an einem durch Chloroform still- stehenden, isolierten Katzenherzen nach, daß Kontraktionen durch Accelerans- reizung hervorgerufen werden können. Unter Hinweis darauf, daß die wirksame Substanz der Nebennieren, das Adrenalin, durch Reizung der peripheren Endigungen sympathischer Nerven ihren Einfluß entfaltet, faßt Gunn3 die Tatsache, daß ein stillstehendes Kaninchen- herz durch Adrenalin wieder belebt werden kann, als Folge einer Erregung der fördernden Herznerven auf und findet also hierin einen weiteren Beweis für die Auffassung, daß diese Nerven die Herztätigkeit nicht allein beschleunigen und steigern, sondern auch anregen können. Bei dem Frosch und der Schildkröte ist die Reizung der fördernden Nerven von einer Zunahme des Herzmuskeltonus begleitet (Heidenhain*). Im Gegensatz dazu würde nach Roy und Adami5 der Accelerans beim Hundeherzen den Tonus der Vorhof- muskulatur, aber nicht den der Kammern herabsetzen. Diese Tonusabnahme erschien indessen nicht immer, auch dann nicht, wenn die übrigen Wirkungen der Accelerans- reizung deutlich ausgeprägt waren. b) Der Angriffspunkt des Accelerans. Da wir allen Grund haben, die Reizbildungsstellen des Herzens ganz be- sonders in dessen spezifischem Knotengewebe zu erblicken, ist es schon von vornherein sehr wahrscheinlich, daß die beschleunigenden Nerven ganz wie die verlangsamenden ihren Angriffspunkt in diesem Gewebe haben. Daß sich die Sache in der Tat so verhält, geht schon aus dem Vermögen des Accelerans, rhyth- mische Kontraktionen beim stillstehenden Herzen hervorzurufen, mit großer Wahrscheinlichkeit hervor. Durch folgende Erfahrungen wird dies noch weiter bewiesen. H. E. Hering6 lenkte die Aufmerksamkeit darauf, daß bei der Accelerans- reizung das Intervall zwischen der Vorhof- und der Kammersystole unter Um- ständen sehr klein werden kann, so daß sich die beiden Abteilungen des Herzens etwa gleichzeitig kontrahieren. Hier hat also der Ursprungsort der Erregung vom sino-aurikularen Knoten gegen die Atrioventrikulargrenze hin gewandert, d. h. der Accelerans vermag die Tätigkeit der distaleren Reizbildungsstellen zu fördern. Nähere Angaben hierüber teilten dann Rothberger und Winterberg, sowie Kure, der im Institut von H. E. Hering arbeitete, mit. Die ersteren benutzten das Elektrokardiogramm, letzterer die gleichzeitige Registrierung der Vorhof- und Kammerkontraktionen als Ausdruck der Herztätigkeit und deren Veränderungen. Bei der Reizung des linken Accelerans, seltener bei der des rechten, erscheint in etwa 30% der Fälle7 eine atrioventrikuläre Automatie. die sich meistens 1 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 99, S. 249; 1903. 2 Sherrington und Sowton, British med. journ., 1903, 18. july, Suppl., S. 156. 3 Gunn, Quarterl. journ. of physiol., 7, S. 83; 1914. 4 Heidenhain, Arch. f. d. ges. Physiol., 27, S. 398; 1882. 5 Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 240; 1892. 6 H. E. Hering, Zentralbl. f. Physiol., 19, S. 134; 1905. 7 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 141, S. 359; 191 1 ; — Kure, Zeitschr. f. exp. Path., 12, S. 394, 402, 421; 1913. Die fördernden Herznerven bei den Wirbeltieren. 407 nach einer ziemlich langen Latenzdauer (bis zu 0,5 Minute) entwickelt und etwa 1/2 bis 2 Minuten dauert. Da die Kontraktion gleichzeitig in den Vorhöfen und den Kammern anfängt, kann keine von R getrennte Zacke P im Elektro- kardiogramm erscheinen. Bei starker Beschleunigung fällt die Zacke P mit der T-Zacke zusammen (Rothberger und Winter berg1). Andererseits hört diese Automatie durch die Reizung des rechten Accelerans und infolge der dabei eintretenden stärkeren Beschleunigung des ganzen Herzens auf.2 Hier liegen ohne Zweifel Wirkungen der Beschleunigungsnerven auf die Reizbildungsstellen vor, und zwar gibt die atrioventrikuläre Automatie eine spezielle Einwirkung des (linken) Accelerans auf den atrioventrikulären Knoten zu erkennen, wie das Wiederherstellen der normalen Schlagfolge einen vom (rechten) Accelerans auf den sino-aurikularen Knoten ausgeübten Einfluß kenn- zeichnet. Die atrioventrikuläre Automatie kommt bei der Reizung des linken Ac- celerans wesentlich leichter zum Vorschein, wenn die nach dem sino-aurikularen Knoten laufenden Fasern, welche ja zum Teil auch dem linken Accelerans ent- stammen, durch örtliche Abkühlung des ,, Venensinus" ausgeschaltet werden.3 Dasselbe ist bei der Erstickung nach Ausschaltung der beiden Vagi und des auf den sino-aurikularen Knoten stark einwirkenden rechten Accelerans an morphinvergifteten Hunden der Fall. Hier wird die atrioventrikuläre Auto- matie durch die natürliche Reizung des linken Accelerans ausgelöst (Kure*). Noch schärfer tritt die betreffende Wirkung des Accelerans hervor, wenn gleichzeitig mit ihm auch der Vagus gereizt wird. Bei der Ausbildung der Kammer- automatie unterstützen sich nämlich diese Nerven, indem der Vagus die Tätigkeit der höheren Reizbildungsstellen beschränkt (vgl. II, S. 371) und der Accelerans die Erregung des atrioventrikulären Knotens steigert. Unter solchen Umständen kann man bei der kombinierten Reizung des rechten Accelerans und des rechten Vagus Kontraktionen, welche von der rechten Kammer ausgehen, und bei der kombinierten Reizung des linken Accelerans und des rechten Vagus Kontraktionen, die von der linken Kammer ausgehen, erhalten.5 Es finden sich indessen sehr zahlreiche Abweichungen von dieser Regel vor. Sehr konstant erscheint aber die anomale Automatie bei der kombinierten Vagus- und Acceleransreizung, wenn diejenigen Apparate, in denen die auto- matischen Kammerkontraktionen ausgelöst werden, durch Vergiftung mit kleinen Gaben von Chlorbarium oder Chlorkalzium dem Accelerans zugänglicher gemacht worden sind. Dabei erhält man regelmäßig nach einer kurzen Pause automatische Kammerschläge, die von der rechten oder linken Kammer ausgehen, je nachdem die Vagusreizung bei erregtem rechten oder linken Accelerans ausgeführt wurde.6 Kurz zusammengefaßt steht also die Reizbildung in allen Abteilungen des Herzens unter dem fördernden Einfluß der Accelerantes. Diese wirken in erster 1 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 563. 2 Rothberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 574. 3 Rothberger und Winterberg, ebenda, 135, S. 584. 4 Kure, Zeitschr. f. exp. Path., 12, S. 395; 1913. 5 Rothberger und Winterberg, Arch. f. d. ges. Physiol., 141, S. 353; — Kure, Zeitschr. f. exp. Path., 12, S. 396. 6 Rothberger und Winterberg, Arch. f d. ges. Physiol., 142, S. 464. 408 Die Innervation des Herzens. Linie und am kräftigsten auf die Bildungsstätte der normalen Ursprungsreize, doch besteht schon hier in den meisten Fällen eine sehr deutliche Differenz zwischen rechtem und linkem Accelerans, indem der rechte das Tempo der Reiz- bildung meist viel ausgiebiger erhöht als der linke.1 Die an Reizbildungsfähigkeit zunächst in Betracht kommenden Stellen, von denen eine, wie aus der Negativität der P-Zacke wahrscheinlich ist, im linken Vorhofe, die übrigen im Bereiche der Ausdehnung des atrioventrikulären Knotens gelegen sein dürften, werden von den beiden Accelerantes ebenfalls ungleichmäßig versorgt ; nunmehr tritt aber der linke Accelerans in den Vordergrund. Trotzdem wächst bei Reizung des linken Accelerans nur in einer Minder- zahl der Fälle die Reizerzeugung dieser sekundären Zentren bis zu der für die Beherrschung des Herzschlages notwendigen Höhe an. Es ist daher in den meisten Fällen nicht ohne weiteres möglich, den Einfluß des Accelerans auf die Atrio- ventrikulargrenze bzw. auf den linken Vorhof durch einfache Reizung sicher- zustellen, doch gelingt es regelmäßig, denselben nach Ausschaltung oder Schädigung der primären Reizbildungsstelle nachzuweisen. In manchen Fällen genügt schon die allmähliche Verlangsamung der primären Ursprungsreize infolge des aus- fallenden Acceleranstonus und der weiteren Herabsetzung der Schlagfrequenz durch die fortschreitende Abkühlung. Die Grade der Reizbildungsfähigkeit des beim Negativwerden von der Zacke P in Betracht kommenden Vorhofteiles und der Atrioventrikulargrenze scheinen nach Rothberger und Winterberg nicht weit auseinander zu liegen, indem nach Reizung des linken Accelerans bald die eine, bald die andere Stelle überwiegt. Die Wirkung der Accelerantes läßt sich noch über die Atrioventrikular- grenze hinaus bis in die Kammern hinein verfolgen. Doch erreichen die unter ihrem Einfluß gebildeten ventrikulären Reize fast nie die nötige Frequenz, um nicht durch die in rascherer Folge entstehenden supraventrikulären Reize unter- drückt zu werden. Deshalb können sie nicht durch einfache Acceleransreizung zur Darstellung gebracht werden, treten aber nicht selten hervor, wenn die supra- ventrikulären Reizbildungsstellen durch Vagusreizung ausgeschaltet werden. Je nachdem hierbei der rechte oder der linke Accelerans gereizt wird, erhält man in der Regel Kontraktionen, die von der rechten oder der linken Kammer ausgehen. Daraus folgt, daß die Herzkammern auch hinsichtlich ihrer auto- matischen Reizerzeugung vorzugsweise von dem Accelerans ihrer Seite beeinflußt werden. Ein weiterer Beweis für die direkte Einwirkung des Accelerans auf die Kammern liegt in der Erfahrung Fredericqs2, daß ein Hund, an dem das Ver- bindungsbündel vollständig zerstört war, bei körperlicher Bewegung nichts- destoweniger eine Beschleunigung der Herzschläge darbot; diese konnte nur unter dem Einfluß des Accelerans zustande gekommen sein, denn bei der Zer- störung des Bündels wurden ja auch die Vagusfasern ausgeschaltet. Auch beim Menschen mit vollständiger Leitungsunterbrechung zwischen den Vorhöfen und den Kammern konnte Fredericq bei Bewegungen eine, wenn auch nur schwache Beschleunigung nachweisen. 1 Rothberger und Winterberg, Aren. f. d. ges. Physiol., 141, S. 370; 1911 ; — Kure, Zeitschr. f. exp. Path., 12, S. 420; 1913. 2 Fredericq, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1912 (2), S. 811. Die Herzreflexe. 409 Aus dem hier Ausgeführten scheint also zu folgen, daß das Herz wenigstens vier verschiedene zentrifugale Nervengattungen, nämlich zwei hemmende und zwei fördernde, bekommt. Jene sind teils verlangsamende, teils schwächende; diese teils beschleunigende, teils verstärkende. Die hemmenden Nerven sind im Herzen selbst durch Ganglienzellen unter- brochen, die fördernden aber nicht, indem ihre Ganglienzellen außerhalb des Herzens liegen. Von diesen vier Nervengattungen greifen zwei, die verlangsamenden und die beschleunigenden, vor allem oder ausschließlich das Gewebe des sino-auri- kularen Knotens bzw. des Reizleitungssystems an. Die zwei anderen, die schwächenden und die verstärkenden, müssen dagegen, aller Wahrscheinlichkeit nach, mit den Herzmuskelfasern selber in direkter Verbindung stehen. Die im Herzen nachgewiesenen zahlreichen Nervenfibrillen stellen daher zum großen Teile die Endverästelungen dieser Nerven dar. Ein anderer Teil der Nerven- fibrillen des Herzmuskels gehören den zentripetalen Herznerven. Wo die eigentlichen Angriffspunkte der verschiedenen Nervengattungen liegen, darüber wissen wir nichts; auf Grund der soeben besprochenen Tatsachen über die Interferenzerscheinungen bei gleichzeitiger Reizung hemmender und fördernder Nerven können wir nur sagen, daß sie die Herzmuskulatur an ver- schiedenen Punkten angreifen müssen. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Die Herzreflexe. Die zentrifugalen Herznerven werden teils durch die zentripetalen Nerven des Herzens selbst, teils durch andere zentripetale Nerven reflektorisch in Tätig- keit versetzt. Nur dadurch kann eine erfolgreiche Regulation der Herztätigkeit erzielt werden und das Herz vor der Gefahr einer Überanstrengung in genügendem Grade geschützt werden. Ohne diese nervösen Schutzvorrichtungen würde das Herz, bei den höheren Tieren wenigstens, gar zu leicht eine unheilbare funk- tionelle Beschädigung erleiden können, wie so deutlich als möglich aus den II, S. 293 angeführten Beobachtungen Friedenthals hervorgeht. § 89. Herzreflexe bei den wirbellosen Tieren. Über reflektorische Erregung des Herzens der Wirbellosen liegen nur wenige zerstreute Angaben vor, die keine zusammenhängende Darstellung gestatten. Bei Mya konnte Carlson eine Reflexhemmung des Herzens bei Reizung der Siphonalnerven nachweisen.1 Auch beim Limulusherzen erzielte Carlson2 bei Reizung zentripetaler, mit dem Gehirnganglion zusammenhängender Nerven eine Herzhemmung. Ferner geben Jolyet und Viallanes3 an, daß die bei Carcinus maenas im subösophagealen Ganglion vorhandenen Zentren für die herzhemmenden und 1 Carlson, Amer. journ. of physiol., 13, S. 401 ; 1905. 2 Carlson, ebenda, 13, S. 224. 3 Jolyet und Viallanes, Ann. des sciences nat., zool., 8. serie, 14, S. 387; 1893. 410 Die Innervation des Herzens. -beschleunigenden Nerven vcn jeder Stelle der Körperoberfläche und des Nerven- systems aus reflektorisch erregbar sind. Im allgemeinen rufen starke Reizungen eine Verlangsamung, schwache eine Beschleunigung der Herztätigkeit hervor. Beim Hummer ließ sich fast konstant ein Herzstillstand durch Beklopfen des Cephalothorax erzielen (v. Brücke und Satake1). § 90. Herzreflexe bei den kaltblütigen Wirbeltieren. a) Fische. Nach Mac William2 gibt die Reizung der Kiemen beim Aal eine plötzliche und kräftige Hemmung der Herztätigkeit. Ebenso wird bei der Reizung eines branchialen Nerven sowie bei der Reizung der Haut, insbesondere des Kopfes und des Schwanzes, und des parietalen, nicht aber des viszeralen Peritoneums, ein reflektorischer Herzstillstand erzielt. Auch werden die hemmenden Nerven durch Reizung der zentripetalen Vagusfasern am Ösophagus, des ersten spinalen Nerven, der Mundhöhlen- und der Pharynxschleimhaut reflektorisch erregt. Dagegen gelang es Mac William nicht, durch Reizung der Bauchorgane irgend- welchen Einfluß auf die Herztätigkeit zu erzielen. Diese Resultate wurden im großen und ganzen von Mills* bestätigt, der indessen bei allen von ihm untersuchten Fischen bei Reizung der Baucheingeweide nie eine reflektorische Herzhemmung vermißte. Auch bei der Reizung der Schwimmblase bekam er eine Herzhemmung. Bei schwacher Reizung der sensiblen Oberflächen konnte bei Batrachus Tau statt der Hemmung eine Be- schleunigung erscheinen, die von einer Retardation nachgefolgt wurde. Durch elektrische, mechanische und thermische Reizung eines jeden Teils der Körperoberfläche, inkl. des Kopfes und des Schwanzes, gelang es Ko///4 bei Anguilla vulgaris, Barbus fluviatilis und Telestes multicellus fast ausnahms- los eine Einwirkung auf das Herz auszulösen. Dasselbe ergab auch die Reizung der Kiemen, der Membrana branchiostega usw. Ferner wurden Herzreflexe durch Reizung des Kiemenvagus und der Schwimmblase erhalten. Dagegen waren der Olfactonus und der laterale Nerv vollständig ohne Wirkung. Je nach der Stärke des Reizes ist die Veränderung in der Schlagfolge des Herzens verschieden. Bei schwacher Reizung entsteht nur eine schnell vorüber- gehende, geringe Verlangsamung; bei zunehmender Reizstärke nimmt diese immer mehr zu und führt schließlich zum Herzstillstand. Daß diese Reflexe durch den Vagus vermittelt werden, folgt daraus, daß sie nach Durchschneidung dieses Nerven verschwinden. b) Amphibien und Reptilien. Am Menobranchus konnte Mills5 äußerst leicht und sehr konstant Hemmungs- reflexe am Herzen auslösen. Hierbei waren vor allem die Kiemen, die Hals- muskeln und der Schwanz empfindlich, und in vielen Fällen genügte das aller- 1 v. Brücke und Satake, Zeitschr. f. allg. Physiol., 14, S. 35; 1912. 2 Mac William, Journ. of physiol., 6, S. 233; 1885. 3 Mills, Journ. of physiol., 7, S. 88; 1886; — vgl. Bethe, Allg. Anat. u. Physiol. des Nervensystems, S. 400. 4 Kolff, Arch. f. d. ges. Physiol., 122, S. 63; 1908. 5 Mills, Journ. of physiol., 7, S. 90. Die Herzreflexe. 41 1 schwächste Streichen der Kiemen mit einem Finder, um einen augenblicklichen Herzstillstand hervorzurufen. Auch die Bauchorgane, speziell der Magen und der proximale Teil des Darmes waren in dieser Hinsicht wirksam. Bei direkter Reizung der Spitze der Kammerwand des Froschherzens mit schnell nacheinander folgenden Induktionsschlägen beobachtete Muskens1 Reflexe sehr mannigfaltiger Art, welche sich auf die Vorhöfe, die venösen Ostien und gelegentlich auch auf die Herzkammer selbst erstreckten. Dabei wurde bei schwächerer Reizung auf die Vorhöfe nur oder doch wesentlich nur ein negativ- inotroper Einfluß ausgeübt, bei kräftigerer Reizung aber auch negativ chrono- trope und negativ dromotrope Wirkungen hervorgerufen. Auch ein isolierter chronotroper Einfluß wurde, aber selten, wahrgenommen; ausschließlich dromo- trope Wirkungen traten nie zum Vorschein. Bei der Kammer bestand der Reflex in Verstärkung oder Schwächung der Kontraktionen. Daß hier wirklich Reflexe und keine direkten Einflüsse der Reizung- auf die Vorhöfe vorliegen, wird durch die lange, 2 — 3 Sekunden betragende Zeit zwischen Anfang der Reizung und Anfang der ersten geschwächten Vorhof- systole bewiesen, denn die Latenzdauer für die Schwächung der Vorhofsystole bei direkter Reizung des Froschherzens beträgt nicht 1/2 Sekunde (Nuel2). Auch im Vergleich mit der Reflexzeit bei den Skelettmuskeln ist diese Latenzdauer sehr groß. Die Zentren dieser Reflexe finden sich nicht etwa in den intrakardialen Ganglien, denn die Reflexe bleiben nach Zerstörung des zentralen Nervensystems ausnahmslos aus. Ihr Zentrum muß daher im zentralen Nervensystem, wahr- scheinlich im Kopfmark, liegen.3 Nach Kronecker und SpaUtta* würde bei der Schildkröte auch das Ganglion jugulare nervi vagi die Rolle eines Reflexzentrums spielen können. Möglicherweise liegt hier ein Axonreflex im Sinne Langleys vor. Durch die Arbeit von Muskens erledigt sich, wie es scheint, die vielfach ver- tretene Annahme von intrakardialen Reflexen beim Frosch. Als Grund dieser Annahme wurde von Kürschner5 und Budgee angeführt, daß eine von der Kammer ausgelöste Extrakontraktion „immer und ewig" mit einer Systole der Vorhöfe beginnt; daß dies nicht richtig ist, geht u. a. aus den oben erwähnten Erfahrungen über die Ausbreitungsweise des Aktionsstromes im Herzen hervor. Auch Volk- manns'' Beobachtung, daß, nach unvollkommener Spaltung der Kammer von der Spitze nach der Basis zu, bei Reizung der einen Hälfte a zwar auch die andere b sich zusammenzieht, aber nicht umgekehrt, stellt keinen Beweis für einen even- tuellen intrakardialen Reflexbogen dar, denn später wurde von Engelmann8 gezeigt, daß auch bei den Skelettmuskeln die normale reziproke Leitung einer irreziproken Platz machen kann.9 1 Muskens, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 341; 1897. 2 Nuel, ebenda, 9, S. 83; 1874. 3 Muskens, ebenda, 66, S. 349. 4 Kronecker und Spalitta, Sitz.-Ber. d. Berliner Akad. d. Wiss., 1905, S. 613. 5 Kürschner, Wagners Handwörterbuch d. Physiol., 2, S. 78; 1844. 6 Budge, ebenda, 3 (1), S. 425; 1846. • Volkmann, ebenda, 2, S. 617; 1844. 8 Engelmann, Arch. f. d. ges. Physiol., 61, S. 275; 1895; — 62, S. 400; 1896. 9 Vgl. auch Kaiser, Zeitschr. f. Biol.,29, S. 203; 1893; — 30, S. 279; 1894; — 32, S. 1; 1895. 412 Die Innervation des Herzens. Als Stütze für die Annahme eines intrakardialen Reflexbogens hebt Gilbert1 indessen noch hervor, daß die Reizung des Epikards mit einer feinen Borsten- spitze Kontraktionen hervorruft, ohne daß dabei Muskelverletzungen entstehen, und daß diese Kontraktionen nach Bepinselung der Herzoberfläche mit 5proz. Kokainlösung ausbleiben. Ich kann indessen nicht finden, daß hier ein wirk- licher Beweis vorliegt. Endlich haben Budge2, Goltz3, Gurbokii, Sano5 und Gilbert6 beim Frosch durch Pinselung des Herzens mit Essigsäure Reflexe auf die Skelettmuskeln erhalten, welche nach der Durchtrennung der Vagi wegfielen. Diese Bewegungen stellen indessen keinen Beweis dafür dar, das von der Herz- oberfläche aus bewußte Empfindungen ausgelöst werden können (vgl. unten S. 415). Unter den Reflexen auf das Herz, welche von anderen zentripetalen Nerven als denen des Herzens selbst ausgelöst werden, ist der von den Baucheingeweiden ausgelöste am eingehendsten studiert worden. Übt man mittels schnell nacheinander folgender Schläge eine mechanische Reizung auf den Bauch aus (Klopfversuch), so steht das Herz in der Diastole still. Der Stillstand tritt bei durchschnittenen Vagi nicht hervor und ist also von einem Reflex auf diese Nerven bedingt (Goltz7). Als Nachwirkung des Klopfversuches erscheint nach Sabbatani8 eine Be- schleunigung der Herzschläge; also werden sowohl die hemmenden als die be- schleunigenden Herznerven bei diesem Versuch reflektorisch erregt. Bernstein9 setzte die Versuche von Goltz fort und zeigte, daß die Nerven, durch deren Reizung der Vagusreflex ausgelöst wurde, im Bauchsympathicus verlaufen. Durch vielfach variierte Versuche wies schließlich Engelmann10 nach, daß die elektrische und mechanische Reizung des Magens und Darmes auf reflek- torischem Wege die Herzschläge des Frosches beschleunigen und verlangsamen, verstärken und schwächen, sowie außerdem die Erregbarkeit und die Leitungs- fähigkeit des Herzens erhöhen und vermindern kann. Unter welchen Be- dingungen das eine oder andere eintrifft, darüber läßt sich zurzeit nichts Be- stimmtes sagen.11 Die mechanische Reizung der Baucheingeweide vermag nicht immer die Retardation und den Stillstand des Herzens hervorzurufen; konstant tritt dabei aber eine durch Gefäßerweiterung verursachte Drucksenkung zum Vorschein. Diese Drucksenkung erscheint auch nach Zerstörung des Gehirns und Rücken- marks und ist daher zum Teil wenigstens von der direkten Wirkung des Klopfens auf die Gefäße des Bauches abhängig (Tawaststjerna12). 1 Gilbert, Arch. f . d. ges. Physiol., 129, S. 329; 1909. — Vgl. auch oben II, S. 92. 2 Budge, Arch. f. physiol. Heilk., 5, S. 588; 1846. 3 Goltz, Arch. f. pathol. Anat., 26, S. 5; 1863. 4 Gurboki, Arch. f. d. ges. Physiol., 5, S. 289; 1872. 5 Sano, ebenda, 129, S. 224; 1909. 6 Gilbert, ebenda, 129, S. 349. 7 Goltz, Arch. f. pathol. Anat., 26, S. 10; 1863. 8 Sabbatani, Arch. ital. de biol., 15, S. 218; 1891. 9 Bernstein, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1863; S. 816; — Arch. f. Anat. u. Physiol., 1864, S. 616, 640. 10 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1900, S. 315. 11 Vgl. Stapfer, Comptes rend. de la Soc. de biol., 1895, S. 782. 12 Tawaststjerna, Skand. Arch. f. Physiol., 36, S. 56; 1916. Die Herzreflexe. 413 Auch durch Reizung der Haut können die Herznerven des Frosches reflek- torisch beeinflußt werden (Engelmann1). § 91. Herzreflexe bei den warmblütigen Wirbeltieren. a) Vögel. Nach Stiibel2 trat bei Reizung des zentralen Vagusstumpfes, wenn der zweite Vagus unversehrt war, eine mehr oder minder starke Verlangsamung der Herztätigkeit auf, welche nach der Durchschneidung der beiden Vagi verschwand. Statt dessen konnte dann eine reflektorische Beschleunigung des Herzens erscheinen. Diese Veränderungen der Herztätigkeit offenbaren sich mit verschiedener Intensität bei verschiedenen Vogelarten. Am gleichmäßigsten waren dieselben beim Huhn. Ebenso wie dieses verhielten sich der Truthahn und die Taube. Die Raubvögel, wie auch die Krähen, Dohlen und Möven, zeigten während der zentralen Vagusreizung nur eine ganz unbedeutende oder gar keine Ver- langsamung, usw. Auch vom Trigefninus werden die herzhemmenden Fasern reflektorisch erregt, wie daraus hervorgeht, daß beim Eintauchen des Schnabels einer Ente ins Wasser gleichzeitig mit dem Atemstillstand auch die Herztätigkeit stark verlangsamt wird. Daß hier keine Wirkung der eintretenden Asphyxie vorliegt, folgt daraus, daß der Herzrhythmus bei Verschluß der Luftröhre ziemlich lange Zeit hindurch unverändert bleibt (Lombroso3). b) Säugetiere. 1. Reflexe vom Herzen selbst. Bei Kompression des Herzens von Kaninchen und Hunden durch Einblasen von Luft in den Perikardialsack oder durch Drücken des Herzens mit den Fingern oder mittels aufgelegter Gewichte beobachtete Knoll1 eine Beschleunigung des Herzschlages. Durch spezielle Versuche überzeugte er sich davon, daß es sicli nicht um eine Einwirkung auf das parietale Perikard oder um eine direkte Herz- reizung usw. handelte, sowie daß hier auch nicht zerebrale Zirkulationsstörungen vorlagen. Bei ausgesprochenem Vagustonus wurde die Beschleunigung nach Durchschneidung des Halsmarkes zwischen dem'3. und 4. Halswirbel noch beob- achtet. Hier lag also eine reflektorische Herzbeschleunigung ohne Beteiligung der beschleunigenden Herznerven vor. Die Erklärung der Erscheinung liegt wohl darin, daß der Vagustonus durch die Kompression des Herzens herab- gesetzt wurde. Bei mechanischer Reizung des parietalen Perikards erzielten Bochefontaine und Bourceret5 eine Steigerung des arteriellen Blutdrucks. Vom Endocardium aus wurde von Frangois-Franck6 durch chemische Reizung der inneren Herzoberfläche ein reflektorischer Atmungsstillstand erhalten. 1 Engelmann, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1900, S. 323. 2 Stübel, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 316; 1910. 3 Lombroso, Zeitschr. f. Biol., 61, S. 529; 1913. 4 Knoll, Lotps, 2, S. 34; 1881 ; zit. nach Muskens, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 135; 1897. 5 Bochefontaine und Bourcerct, Comptes rend. de l'Acad. des sclences, 85, S. 1168; 1877; — vgl. auch oben II, S. 4, Heitiers Erfahrungen über Herzarythmie. 6 Frangois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 4, S. 382; 1880. 414 Die Innervation des Herzens. Desgleichen werden durch Reizung der äußeren Oberfläche des Herzens Bewegungen der Skelettmuskeln erhalten (Budge1, Gurboki2). In beiden Fällen bleibt der Reflex nach Durchschneidung der Vagi aus; diese Nerven stellen also das zentripetale Glied der Reflexbahn dar. Die vom Herzen selbst ausgehenden zentripetalen Nerven sind in bezug auf ihren reflektorischen Einfluß auf die Kreislaufsorgane von Wooldridge3 unter- sucht worden. Eine zentrale Reizung der an der vorderen Kammerwand oberflächlich verlaufenden Nerven bewirkte, je nachdem verschiedene Äste gereizt wurden: 1. Verlangsamung der Pulsfolge mit Erhöhung des Blutdrucks; 2. Verlangsamung der Pulsfolge bei unverändertem Blutdruck; als Nach- wirkung zeigte sich eine Beschleunigung der Herzschläge, der Druck ging dagegen unter den vor der Reizung vorhandenen Wert herab. Eine zentrale Reizung der an der hinteren Kammerwand oberflächlich verlaufenden Nerven rief hervor: 3. Beschleunigung der Pulsfolge ohne Veränderung des Blutdrucks; 4. Verlangsamung der Herzschläge mit Verminderung des Blutdrucks; 5. keine Änderung der Schlagfolge des Herzens, aber eine geringe Erhöhung des Blutdrucks; 6. keine Änderung der Schlagfolge des Herzens, aber eine Abnahme des Blutdrucks. Wie man sieht, können die zentripetalen Herznerven reflektorisch den Blutdruck erhöhen oder senken und die Schlagfolge des Herzens beschleunigen oder verlangsamen. Das Herz selbst kann also durch seine eigenen zentripetalen Nerven Mechanismen in Tätigkeit versetzen, durch welche, je nach dem augen- blicklichen Bedürfnis, der Zustand des Kreislaufsapparates in der einen oder anderen Hinsicht verändert wird. Es ist natürlich, daß die hierbei auftretenden Veränderungen der Pulsfolge durch die zentrifugalen Nerven des Herzens — Vagus, Accelerans — vermittelt werden müssen. Wie es sich aber mit den erwähnten Veränderungen des Blut- drucks verhält, ob sie von Veränderungen in der Stärke der Kammerkontraktionen oder von solchen in dem Gefäßwiderstand bedingt sind, darüber können wir nichts sagen, denn z. B. eine Drucksteigerung kann ja davon bedingt sein, daß das Herz in der Zeiteinheit eine größere Blutmenge als vorher he/austreibt, oder auch die Folge eines vermehrten Gefäßwiderstandes darstellen, wobei die aus dem Herzen herausgetriebene Blutmenge sogar abnehmen kann; endlich könnte es ja auch zutreffen, daß sowohl das herausgetriebene Blutvolumen als der Wider- stand vermehrt worden sind. Die Deutung einer reflektorischen Drucksteigerung, bzw. Drucksenkung ist also sehr schwer und erfordert eine genaue experimentelle Analyse; eine solche liegt indessen in bezug auf die hier berührten Reflexe nicht vor, weshalb wir bis auf weiteres mit dem Konstatieren der nackten Tatsachen uns begnügen müssen. 1 Budge, Aren. f. physiol. Heilk., 5, S. 588; 1846. 2 Gurboki, Aren. f. d. ges. Physiol., 5, S. 290; 1872. 3 Wooldridge, Aren. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1883, S. 539. Die Herzreflexe. 415 Auch über den Verlauf der betreffenden zentripetalen Nerven wissen wir nichts; wir können also nicht sagen, ob sie den Vagus oder die sympathischen Nerven begleiten.1 Die zentripetalen Herznerven können keine taktilen Empfindungen ver- mitteln, wie schon Harvey gelegentlich einer Beobachtung an einem jungen Viscount Montgomery angab. Dieser hatte infolge eines Unglücksfalles einen Teil der Brustwand verloren, so daß das Herz bloßgelegt lag. „Factumque est, ut Serenissimus rex, una mecum cor sensu tactus privatum esse agnosceret. Quippe adolescens, nos ipsum tangere (nisi visu, aut cutis exterioris sensatione) neutiquam intelligebat."2 Bei den ähnlichen Fällen, die in späterer Zeit näher untersucht wurden, hat man dieser Frage nach der taktilen Empfindlichkeit im allgemeinen keine eingehendere Aufmerksamkeit geschenkt. Indessen gibt v. Ziemssen3 an, daß eine von ihm beobachtete Patientin bei Druck auf das Herz und die Lungen- arterie nur eine unbedeutende Unannehmlichkeit verspürte, und daß sie bei Reizung des Herzens mit sehr starken Induktionsströmen hinter dem unteren Teil des Brustbeines ein stechendes Gefühl, aber keinen Schmerz empfand. Diese Erfahrungen widersprechen nicht der Angabe Harvey s, denn bei einer Kompression des Herzens können unangenehme Empfindungen entstehen, ohne von sensiblen Herznerven direkt hervorgerufen zu sein. Das stechende Gefühl bei elektrischer Reizung war wahrscheinlich von Stromschleifen auf die angrenzenden Teile der Brustwand bedingt.4 2. Herzreflexe durch übrige zentripetale Nerven. Auch andere zum Vagus gehörende, von dem Herzen, den Lungen, den Luftwegen usw. kommende zentripetale Nerven können die Herztätigkeit reflek- torisch beeinflussen. Bei Tieren, wo der Depressor, welcher an der Aortawand endigt und reflektorisch Drucksenkung und Hemmung der Herztätigkeit ver- ursacht, innig mit dem Vagusstamm verbunden ist, ist die Wirkung bei der Reizung des Vagusstammes natürlich zum Teil auf diesen Nerven zu beziehen. Aber auch beim Kaninchen, wo der Depressor am Halse vollkommen isoliert verläuft, übt die zentrale Vagusreizung auf die Kreislaufsorgane einen unverkenn- baren Einfluß aus. Die tatsächlichen Ergebnisse, welche v. Bezold5, Dreschfeld6, Aubert und Roever7, Frangois-FranckH, Roy und Adami9 in dieser Hinsicht mitgeteilt haben, zeigen etwa folgendes. Wenn der eine Vagus unversehrt ist, bewirkt die zentrale Reizung des anderen, durchschnittenen Vagus bei allen untersuchten Säugetieren (Hund, Katze, Ka- 1 Da der N. depressor (s. Band IV) nicht im Herzen, sondern in der Wand der Aortawurzel entspringt, gehört er nicht hierher. 2 Harvey, De generatione animalium, exe. LI, S. 156; 1653. 3 v. Ziemssen, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 30, S. 298; 1882. 4 Über schmerzhafte Empfindungen bei Herzkrankheiten vgl. Nothnagel, Zeitschr. f. klin. Med., 19, S. 209; 1891. 5 v. Bezold, Unters, über die Innerv. des Herzens, 2, S. 281; 1863. 6 Dreschfeld, Unters, aus dem physiol. Laborat. in Würzburg, 2, S. 326; 1867. 7 Aubert und Roever, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 211; 1868. 8 Francois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 4, S. 281 ; 1880. ■> Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 251. 416 Die Innervation des Herzens. ninchen, Schaf) eine Verlangsamung der Schlagfolge des Herzens. Nach Durch- schneidung des zweiten Vagus bleibt diese Verlangsamung aus; sie stellt also einen durch den Vagus vermittelten Reflex dar. (Über die gleichzeitig auf- tretenden Veränderungen des Blutdruckes vgl. die Darstellung der Gefäßreflexe.) Beim Menschen beobachteten Eulenburg und Schmidt1 bei Reizung mittels eines konstanten aufsteigenden Stromes, der vom Manubrium sterni nach der Gegend unter und hinter dem Ängulus mandibuli geleitet wurde, eine Verlang- samung der Herzschläge, welche sie als die Folge einer Reizung zentripetaler Fasern im Vagus auffaßten. Um die Entstammung der hierbei tätigen Äste festzustellen, haben Brodie und Rüssel2 die Äste, welche an dem Vagusstamm vereinigt sind, bei dem Hunde und der Katze einzeln untersucht. Die längs des Ösophagus verlaufenden Nerven gaben zuweilen eine geringe Abnahme der Herzfrequenz, welche in der Regel von einer Drucksenkung be- gleitet war. Bei zentraler Reizung gewisser Äste des Plexus cardiacus erschien eine stärkere Retardation mit Steigerung oder Senkung des Blutdruckes (vgl. II, S. 414). Am kräftigsten und schon bei einer ganz schwachen Reizung wirkten die Lungenäste des Vagus und riefen eine bedeutende Abnahme der Herzfrequenz wie eine starke Drucksenkung hervor. In den meisten Fällen wurde der betreffende Reflex leichter durch Reizung der Lungennerven als durch Reizung des Vagusstammes erhalten. In Übereinstimmung damit steht die schon lange vorher von Frangois- Franck3 gemachte Beobachtung, daß bei chemischer Reizung der Lungenschleim- haut, mit Ausschließung des Kehlkopfes, die Herzschläge verlangsamt werden und der Blutdruck abnimmt — eine Beobachtung, die von Brodie und Rüssel4 vollständig bestätigt wurde (Chloroform, Salzsäure, Ammoniak, Formaldehyd, Brom usw.). Andererseits hat Heringr° gefunden, daß eine nicht zu starke Aufblasung der Lunge, auch bei eröffnetem Brustkasten, die Herzschläge beschleunigt. Diese Wirkung verschwand nach Durchtrennung des Halsvagus. Ähnliche Erscheinungen treten nach Sommerbrodt6 unter entsprechenden Ver- hältnissen auch beim Menschen auf. Bei jeder intrabronchialen Drucksteigerung, lauter Rede, Gesang, beschleunigter und forzierter Atmung, Husten, Inhalation verdichteter Luft, sah er nämlich eine deutliche Beschleunigung der Herztätigkeit. Über die bei den Atembewegungen stattfindenden Veränderungen der Pulsfrequenz vgl. das Kapitel über die respiratorischen Variationen des Blutdrucks. Nach Francois-Franck1 übt die Reizung des N. laryngeus inferior und der Schleimhaut des Kehlkopfes unterhalb der Stimmbänder keine reflektorische Wirkung auf das Herz aus. Im Gegensatz dazu finden Brodie und Rüssel8, 1 Eulenburg und Schmidt, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1868, S. 323, 339. 2 Brodie und Rüssel, Journ. of physiol., 26, S. 92; 1900. 3 Francois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 4, S. 378; 1880. 4 Brodie und Rüssel, Journ. of physiol., 26, S. 102. 5 Hering, Sitz.-Ber. d. Wien. Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 64 (2), S. 333; 1871. 6 Sommerbrodt, Zeitschr. f. klin. Med., 2, S. 601 ; 1881; — Über eine bisher nicht be- kannte wichtige Einrichtung des menschlichen Organismus. Tübingen 1882. 7 Francois-Franck, a. a. 0., 2, S. 243; 1876; — 4, S. 365; 1880. 6 Brodie und Rüssel, Journ. of physiol., 26, S. 103. Die Herzreflexe. 417 daß Herzreflexe von der Trachea und den größeren Bronchien unschwer ausgelöst werden können, obgleich diese Teile der Luftwege allerdings weniger empfindlich sind, als die Larynx- und Nasenschleimhaut. In bezug auf den N. laryngeus superior fand Francois-Franck1, daß beim Hunde die zentrale Reizung dieses Nerven oder Reizung der Kehlkopfschleimhaut bis zur unteren Grenze der Stimmbänder Herzstillstand und Verlangsamung der Schlagfolge, beim Kaninchen nur Verlangsamung hervorbringt. In entsprechenden Versuchen von Aubert und Roever'2 am Hunde wurde nur eine Drucksteigerung bei unveränderter Pulsfrequenz beobachtet. Es muß indessen bemerkt werden, daß bei den betreffenden Versuchen Abnormitäten stattfanden, welche die Deutung der Versuchsergebnisse etwas unsicher machen. Wie gewisse Äste des Vagus immer oder wenigstens in der Regel einen hemmenden Reflex auf das Herz auslösen, so ist dies auch mit dem Trigeminus der Fall. Wenn man einem Kaninchen Chloroform zu riechen gibt, erscheint sofort Stillstand oder Verlangsamung beim Herzen. Dogiel, der diese Erscheinung zuerst beobachtete, glaubte anfangs, daß der betreffende Reflex durch den 01- factorius vermittelt war3, änderte aber infolge neuer Versuche seine Auffassung dahin, daß der Reflex durch die Lunge ausgelöst wurde.4 Kurz nachher wies indessen Holmgrenr° nach, daß der Laryngeus superior, hauptsächlich aber der Trigeminus den hierbei tätigen zentripetalen Nerven darstellte, und dies Er- gebnis ist dann von Kratschmer6, Frangois-Franck7 , Hunf, Lombroso9 und anderen bestätigt worden. Durch eine mittels eines Sondenknopfes ausgeübte mechanische Reizung hinten am Nasenseptum in der Gegend der Choanen gegenüber dem Ende der mittleren Muschel, sowie durch Wasserinjektionen in der Nase (Nasenblutung beim Menschen) werden die Herzschläge retardiert und unregelmäßig (Koblanck und Roeder10), und ein starker Druck auf die Augen ruft Pulsverlangsamung bzw. Herzstillstand hervor (Aschner11). In beiden Fällen stellt der Trigeminus den beim Reflex beteiligten zentripetalen Nerven dar. Es kann auch die Reizung des Trigeminus eine reflektorische Beschleunigung der Herzfrequenz hervorrufen; bei mechanischer oder chemischer (Chloroform) Reizung der Nasenschleimhaut bekam nämlich Kedroff1'2 eine Zunahme der Puls- schläge um 6 — 12 in der Minute. Beim ersten Anblick zeigen die Angaben über die reflektorischen Wirkungen der übrigen sensiblen Nerven beträchtliche Abweichungen voneinander. Nach Claude Bernard13 und Frangois-Franckli wird bei der Reizung dieser I Frangois-Franck, a. a. O., 4, S. 357. - Aubert und Roever, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 242; 1868. 3 Dogiel, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1866, S. 236. 4 Dogiel, ebenda, 1866, S. 415. 5 Holmgren, Upsala läkareförenings förh., 2, S. 139; 1867. K Kratschmer, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad., math.-naturw. KL, 62 (2), S. 147; 1870. 7 Frangois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 2, S. 227; 1876. s Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 452; 1899. 9 Lombroso, Zeitschr. f. Biol., 61, S. 527; 1913. 10 Koblanck und Roeder, Arch. f. d. ges. Physiol., 125, S. 377; 1908. II Aschner, Wiener klin. Wochenschr., 1908, Nr. 44. 12 Kedroff, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1915, S. 14. 18 Claude Bernard, Legons sur la physiol. du Systeme nerveux, 1. Paris 1858, S. 291. 14 Francois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 2, S. 246; 1876. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 27 418 Die Innervation des Herzens. Nerven wie der hinteren Riickenmarkswurzeln eine Verlangsamung des Herz- rhythmus erhalten. Bei mechanischer Reizung des Plexus ischiadicus erschien in den Versuchen von Asp1 eine Verlangsamung, bei elektrischer eine Be- schleunigung. Ihrerseits finden Roy und Adami2, daß die elektrische Reizung des Ischiadicus in der Regel eine Beschleunigung und Verstärkung der Herz- schläge hervorruft; nach dieser Wirkung trat indessen nicht selten, und zwar schon während der noch stattfindenden Reizung, eine Verlangsamung und Ab- nahme der Kontraktionsgröße zum Vorschein. Nach Jacob3 hat die Reizung des zentralen Ischiadicusendes nur eine Beschleunigung zur Folge. Auch Hunt4 ist zu dem Resultat gekommen, daß der Ischiadicus eine Beschleunigung allein oder mit nachfolgender Retardation der Herzschläge verursacht. Die Reizung des N. saphenus ergab in Hunts Versuchen öfter als die des Ischiadicus eine reine Beschleunigung, während nach Lovenr° die Reizung des N. dorsalis pedis und des N. auricularis beim Kaninchen eine Verlangsamung hervorruft. Bei der Reizung der zentripetalen Muskelnerven bekam Asp6 in der Regel eine Beschleunigung, zuweilen eine Verlangsamimg, wogegen TengwalP fand, daß die Pulsfrequenz hierbei nur in geringem Grade beeinflußt wurde, indem sie sich oft gar nicht veränderte, in anderen Fällen um ein bis zwei bis höchstens vier Schläge in 15 Sekunden abnahm. Von den spezifischen Sinnesnerven (Opticus, Acusticus, Olfactorius und Glossopharyngeus) aus bekamen Couty und Charpentier* sowohl eine Verlang- samung als eine Beschleunigung. Nach H. E. Hering9 erscheint bei akustischen und optischen Reizen beim Kaninchen nur eine Verlangsamung. Betreffend die in sympathischen Bahnen verlaufenden zentripetalen Nerven gab Bernstein1" an, daß die Reizung des proximalen Endes des Halssympathicus beim Kaninchen eine Verlangsamung der Herzschläge hervorbringt, welche nach Durchschneidung der Vagi verschwand. Es ist indessen nicht unmöglich, daß der damals noch nicht bekannte Depressor zu gleicher Zeit gereizt wurde. Aubert und Roever11 beobachteten bei demselben Tiere keine konstante Wirkung, beim Hunde aber, in einem besonderen Falle, wo der Sympathicus am Halse vom Vagus getrennt verlief, bei durchschnittenen Vagi eine Drucksteigerung und eine Beschleunigung der Herzschläge. Diese Beschleunigung erschien aber nicht immer, und wir können daher vorläufig annehmen, daß die Wirkung einer zentralen Reizung des Halssympathicus auf die Frequenz der Herzschläge von 1 Asp, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1867, S. 175. 2 Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 254, 258; 1892. 3 Jacob, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1893, S. 349. 4 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 452; 1899. 5 Loven, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1866, S. 85; — Anat. u. physiol. Arbeiten, S. 129. 6 Asp, a. a. 0., 1867, S. 174. 7 Tengwall, Skand. Arch. f. Physiol., 6, S. 225; 1895. 8 Couty und Charpentier, Arch. de physiol., 1877, S. 525. 9 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 57, S. 77; 1894. 10 Bernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1864, S. 630. 11 Aubert und Roever, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 240; 1868; — vgl. auch Roever, Krit. u. exp. Unters, d. Nerveneinflusses auf die Erweiterung u. Verengerung d. Blutgefäße. Rostock 1869, S. 38—56; — Bernstein, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 601, 602; 1868; — Aubert und Roever, ebenda, 2, S. 94; 1869. Die Herzreflexe. 41 9 keiner größeren Bedeutung ist und lange nicht mit derjenigen verglichen werden kann, welche wir bei einer großen Zahl anderer zentripetaler Nerven bemerken können. Im Anschluß an den Klopfversuch von Goltz machte Bernstein1 ferner Ver- suche am Kaninchen, wo er den zentralen Stumpf des Bauchsympathicus reizte und dabei einen Reflex auf den Herzvagus erzielte. Es gelang allerdings nicht Bernstein2, bei der Reizung des Splanchnicus irgendwelche reflektorische Wirkung auf das Herz nachzuweisen. Etwas später erzielte indessen Asp3 beim Hunde durch zentrale Reizung des Splanchnicus eine ziemlich starke Verlangsamung der Schlagfolge. Gewisse Umstände sprachen indessen dafür, daß auch eine Beschleunigung vom Splanchnicus aus reflek- torisch hervorgerufen werden konnte.4 Nach Roy und AdamP erscheint bei der Splanchnicusreizung öfters ein doppelter Reflex, indem erst eine Beschleunigung und Verstärkung und dann eine Hemmung auftritt. Bei Reizung der Baucheingeweide beobachteten Mayer und Pribram6 sowie Simanowsky7 eine Verlangsamung der Herzschläge, so lange die Vagi unversehrt waren. Erstere teilen auch Versuche mit8, welche dafür zu sprechen scheinen, daß dieser Reflex nicht durch die Magenschleimhaut, sondern wesentlich durch die Nerven der Muskelschichten oder der serösen Haut des Magens vermittelt wird. Unter den Reizen, welche diesen Reflex erzeugen, muß Aufblasen des Magens speziell erwähnt werden. Auch beim Erbrechen, am stärksten während der Brechbewegung selber, werden, beim Hunde wenigstens, die herzhemmenden Fasern des Vagus erregt (Brooks und Luckhardt9, Miller1"). Kedroff11 beobachtete indessen beim Erbrechen eine durch die Abnahme des Vagustonus hervorgerufene Erhöhung der Pulsfrequenz, welche wie die ent- sprechende Frequenzzunahme beim Schlucken, wie es scheint, durch die Spannung der hinteren Gaumenbogen ausgelöst wird. Bei den Hungerkontraktionen des leeren Magens beobachtete Carlson12 am Menschen eine Beschleunigung um etwa 8 — 10, bei sehr starken Kon- traktionen sogar 30 Herzschläge in der Minute. Die Reizung der Gallenblase ergab in den Versuchen von Simanowsky13 Verlangsamung; die des Nierenbeckens dagegen Beschleunigung, auf welche später eine Verlangsamung der Herzschläge folgte. 1 Bernstein, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1863, S. 816; — Arch. f. Anat. u. Physiol., 1864, S. 616. 2 Bernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1864, S. 628. :i Asp, Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1867, S. 153. 4 Asp, ebenda, 1867, S. 172; — v. Bezold, Unters, über die Inn. des Herzens, 2, S. 246; 1863. 5 Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 258. 6 Mayer und Pfibram, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad., math.-naturw. KL, 66 (3), S. 102; 1872. 7 Simanowsky, Inaug.-Diss. St. Petersburg 1881; zit. nach dem Jahresber. f . Anat. u. Physiol., 1881 (2), S. 62. 8 Mayer und Pfibram, a. a. O., 66 (3), S. 111. 9 Brooks und Luckhardt, Amer. journ. of physiol., 36, S. 104; 1015. 10 Miller, ebenda, 37, S. 240; 1915. 11 Kedroff, a. a. O., 1915, S. 11. 12 Carlson, Amer. journ. of physiol., 31, S. 318; 1913. 13 Simanowsky, a. a. O. 27* 420 Die Innervation des Herzens. An chloroformierten Tieren bekam Mac William1 bei der Reizung sym- pathischer Nerven sowohl Beschleunigung als Verlangsamung der Herztätigkeit. Es scheint, daß sich diese Angaben unter einem einzigen gemeinsamen Gesichtspunkte vereinigen lassen, wenn man annimmt, daß die Reizung der zentripetalen Nerven mit Ausnahme des Vagus und des Trigeminus sowohl eine Verlangsamung als eine Beschleunigung der Herzschläge hervorrufen kann. Auch haben Simanowsky2, Mac William1 und Hunt3 Versuche mitgeteilt, laut welchen ein und derselbe zentripetale Nervenstamm bei schwacher Reizung eine Beschleunigung, bei starker aber eine Verlangsamung der Herzschläge verursacht. Nach Mac William1 findet sich eine nicht unwesentliche Differenz in bezug auf die Beschleunigung der Herztätigkeit, je nachdem diese durch Reizung von spinalen oder sympathischen Nerven erzielt wurde, indem im ersten Falle gleich- zeitig mit der beschleunigten Herztätigkeit mehr oder weniger ausgebreitete Kontraktionen in den Skelettmuskeln auftreten, während die bei Reizung sym- pathischer Nerven erzielte Beschleunigung ohne jede Andeutung einer allgemeinen motorischen Erregung verläuft. Zur Deutung der verschiedenartigen Wirkung, welche bei der Reizung der zentripetalen Nerven auftritt, könnte man annehmen wollen, daß das zentrale Nervensystem, je nach der Stärke der durch diese Nerven ihm zugeführten Reizung, in verschiedener Weise reagieren würde. Andererseits ließe sich die Tatsache auch unter der Annahme zweierlei zentripetaler Nervengattungen, von welchen die eine eine Beschleunigung, die andere eine Verlangsamung der Schlagfolge hervorrufen sollte, erklären. Im letzteren Falle würde außerdem vorausgesetzt werden müssen, daß die Erregbarkeit dieser verschiedenartigen Nerven verschieden wäre.4 Die letztere Annahme wird indessen dadurch weniger wahrscheinlich, daß man dann logischer Weise gezwungen wäre, für alle möglichen Reflexerscheinungen besondere zentripetale Nervenfasern anzunehmen, wie es ja Hunt noch in bezug auf drucksteigernde und -senkende Nerven sich vorstellt. Die Zahl solcher Nerven würde also, wie Goltz in bezug auf die hemmenden Zentren bemerkt hat, eine gar erdrückende sein. Schon aus diesem Gesichtspunkte erscheint die erste Annahme als die wahr- scheinlichere. Gegen sie kann unter den soeben besprochenen Tatsachen keine einzige angeführt werden. Auch nicht die Angabe Hunts5, daß bei der Regene- ration eines durchschnittenen zentripetalen Nerven anfangs nur beschleunigende Reflexe auftreten, kann hier als Beweis für die Existenz besonderer reflektorisch- retardierender und -beschleunigender Nerven in Betracht kommen, denn es läßt sich ja denken, daß der regenerierende Nerv auf jede Reizung nur verhältnis- mäßig schwach reagiert und sich also wie ein normaler Nerv bei schwacher Reizung verhält. Beim Zustandekommen der Herzreflexe muß natürlich auch der Zustand der hierbei beteiligten nervösen Zentren eine durchgreifende Rolle spielen. So 1 Mac William, Proc. of the Royal Soc, 53, S. 471 ; 1893. 2 Simanowsky, a. a. O. 3 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 455; 1899. 4 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 429; 1898. 3 Hunt, ebenda", 2, S. 454. Die Herzreflexe. 421 hat Hunt1 z. B. nachgewiesen, daß bei geringer Schlagfrequenz schon zwei bis drei Reizungen eines zentripetalen Nerven genügen, um eine Beschleunigung von mehreren Stunden Dauer hervorzurufen; und umgekehrt, bei großer Herz- frequenz ist es leicht, eine dauernde reflektorische Verlangsamung der Herz- tätigkeit zu erzielen, usw. Wenn bei der reflektorischen Reizung eine Retardation der Herzschläge erscheint, kann dies entweder durch eine vermehrte Reizung des Vaguszentrums oder durch eine Tonusabnahme beim Zentrum der beschleunigenden Nerven zustande kommen. Das Auftreten einer solchen Tonusabnahme dürfte indessen ziemlich selten sein, denn da wo herzhemmende Reflexe erscheinen, bleiben sie nach Durchschneidung der Vagi in der Regel aus, und Bainbridge2 hat direkt nachgewiesen, daß beim Hunde, wo die beiden Vagi durchschnitten und die Accelerantes stark tonisch erregt waren, die Reizung des zentralen Vagusstumpfes auch nicht die geringste Verlangsamung des Herzrhythmus bewirkte. Der zentrifugale Teil der Reflexbahn bei den hemmenden Herzreflexen wird also wesentlich durch die Vagi dargestellt. Indessen liegen Beobachtungen von v. Brücke* vor, welche zeigen, daß auch nach der Vagusdurchschneidimg eine reflektorische Verlangsamung der Herz- schläge bei Reizung des Depressors sowie der Nasenschleimhaut erzielt werden kann, und daß diese Verlangsamung nach Ausschaltung der Accelerantes aus- bleibt. Eine Abnahme der Pulsfrequenz scheint also auch durch Abnahme des Tonus der beschleunigenden Herznerven zustande kommen zu können. Auch in bezug auf die reflektorische Beschleunigung des Herzens lassen sich zwei Möglichkeiten denken, nämlich entweder eine Reizung des Accelerans- zentrums oder eine Hemmung der tonischen Erregung im Zentrum der hemmenden Nerven. Die meisten Autoren, welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben, fassen die Beschleunigung wesentlich als Folge der in der einen oder anderen Weise stattfindenden Abnahme des Vagustonus auf. Hierher gehören Roy und Adanü1, Mac William'*, Knoll6, Hunt.7 Insbesondere der letztere hat in mehrfach variierten Versuchen den Beweis für die große Bedeutung der Abnahme des Vagustonus bei pulsbeschleunigenden Reflexen gebracht. Daß tatsächlich die Abnahme des Vagustonus eine wesentliche Rolle bei der reflektorischen Herzbeschleunigung spielt, folgt ohne weiteres aus Versuchen, wie dem in Fig. 330 abgebildeten, wo nach Durchschneidimg der beiden Accelerantes die Reizung des N. saphenus eine sehr bedeutende Beschleunigung auslöst. Hunt* geht sogar so weit, daß er eine reflektorische Erregung des Accelerans vollständig verneint. 1 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 451; 1899. 2 Bainbridge, Journ. of physiol., 48, S. 333; 1914. 3 v. Brücke, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 511, 522; 1917. 4 Roy und Adami, Philos. transact., 183, B, S. 267. 6 Mac William, Proc. of the Royal Soc, 53, S. 472; 1893; — British med. journ., 1904 (2 739. 6 Knoll, Arch. f. d. ges. Physiol., 67, S. 608; 1897. 7 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 435, 470; 1899. s Hunt, ebenda, 2, S. 445, 470. 422 Die Innervation des Herzens. Demgegenüber lassen sich aber Versuche wie der in Fig. 331 anführen, bei welchen eine vollkommen deutliche Beschleunigung des Herzrhythmus nach doppelseitiger Vagotomie auftritt; der hier gereizte zentripetale Nerv war der N. depressor, welcher nach Ausschaltung der Vagi in gewissen Fällen eine Ac- celeration hervorruft (Bayliss1). J\ Fig. 330. Blutdruck beim Hunde. Nach Munt. Die beiden Accelerantes durchschnitten. Reizung des N. saphenus zwischen 5 und S. Von links nach rechts zu lesen. wVv ^^^'w-V^/sATvV^^ A\A' .y^wuwv i '1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 M 1 1 1 Fig. 331. Blutdruck beim Kaninchen. Nach Bayliss. Die beiden Vagi durchschnitten; Reizung des N. depressor. Von links nach rechts zu lesen. Fig. 332. Blutdruck beim Hunde. Nach Hooker. Beide Vagi durchschnitten. Der Herzrhythmus durch Reizung des peripheren Vagusstumpfes verlangsamt. N. ischiadicus gereizt. Von links nach rechts zu lesen. Sehr deutlich geht die reflektorische Erregbarkeit des Accelerans aus Ver- suchen von Hooker2 hervor, wo nach doppelseitiger Vagotomie durch schwache Reizung des peripheren Stumpfes des einen Vagus ein künstlich verlangsamter Herzrhythmus unterhalten wurde. Bei Reizung der im N. vagus, ischiadicus, splanchnicus oder saphenus enthaltenen zentripetalen Fasern trat hier konstant eine nicht unbedeutende Beschleunigung (vgl. Fig. 332), und zwar auch wenn der arterielle Blutdruck dabei unverändert blieb, auf. Daß hier keine Wirkung einer vermehrten Adrenalinabgabe vorliegt, folgt daraus, daß die betreffende Be- 1 Bayliss, Journ. of physiol., 14, S. 313; 1893; — vgl. v. Brücke, Zeitschr. f. Biol., 67, S. 510; 1917. 2 Hooker, Amer. journ. of physiol., 19, S. 417; 1907. Die Zentren der Herznerven. 423 schleunigung auch dann erscheint, wenn die Nebennieren vom Kreislaufe aus- geschaltet sind (Bainbridge1). Wir müssen uns also denken, daß bei einer reflektorischen Beschleunigung der Pulsfrequenz sowohl der Tonus der hemmenden Nerven vermindert, als auch der Tonus der beschleunigenden Nerven erhöht wird. Die Zentren der beiden Nervengattungen unterstützen daher unter Umständen einander, wo- durch die Pulsfrequenz schließlich auf ein sehr hohes Niveau getrieben werden kann. Es ist endlich nach Ernst Weber2 nicht unmöglich, daß die Herznerven auch durch Axonreflexe beeinflußt werden können. Bei der Reizung des zentralen Stumpfes des Splanchnicus beobachtete er nämlich an Katzen und Hunden eine auf einer verstärkten Herztätigkeit beruhende Drucksteigerung auch in dem Falle, wenn das Rückenmark dicht unterhalb des Kopfmarkes durchschnitten und außerdem noch das Brustmark zwischen dem 2. und 7. Brustnerven ex- stirpiert worden war. Hier konnte also die Erregung nicht unter Mitwirkung des Rückenmarkes vom Splanchnicus auf die fördernden Herznerven übertragen werden, sondern ist wahrscheinlich durch einen Axonreflex auf diese übergegangen.3 Vierundzwanzigstes Kapitel. Die Zentren der Herznerven. § 92. Die Lage der Zentren der Herznerven. Über die Lage des Zentrums der beschleunigenden Herznerven wissen wir noch nichts Bestimmtes. Da ja eine im oberen Teile des Halsmarkes angebrachte Reizung Beschleunigung der Herzschläge hervorruft, so liegt es nahe, dies Zentrum wie die übrigen Zentren der vegetativen Verrichtungen des Körpers in das Kopf mark zu verlegen. Nähere Erfahrungen hierüber besitzen wir aber nicht. Es ist auch nicht unmöglich, daß die beschleunigenden Nerven ein Zentrum im Rückenmark haben, denn Konow. und Stenbeck4 haben in einigen Versuchen an Kaninchen mit hoch oben durchschnittenem Halsmark bei der Erstickung eine nicht unbedeutende Beschleunigung beobachtet; z. B. von 99 auf 126; von 126 auf 168 in der Minute. Schon die Gebrüder Weber hoben hervor, daß das Zentrum der hemmenden Herznerven im Kopf mark zu finden sei. Der Teil des Gehirns, von welchem aus sie bei elektrischer Reizung eine hemmende Wirkung auf das Herz erzielten, streckte sich beim Frosch von den Lobi optici bis zum unteren Ende des Calamus scriptorius am Kopfmark.5 Spätere Untersuchungen haben die Lage dieses Zentrums näher festgestellt. Beim Frosch fand Eckhard* durch Einstich mit feinen Nadeln, daß die Frequenz der Herzschläge am stärksten abnahm, wenn der Stich in das Kopf- 1 Bainbridge, Journ. of physiol., 48, S. 335; 1915. - Ernst Weber, Arch. f. Anat. U. Physiol., physiol. Abt., 1908, S. 258. :i Langley, Journ. of physiol., 25, S. 364; 1900. 4 Konow und Stenbeck, Skand. Arch. f. Physiol., 1, S. 434; 1889. 5 Eduard Weber, Handwörterbuch der Physiol., 3 (2), S. 45; 1846. 6 Eckhard, Beiträge z. Anat. u. Physiol., 8, S. 187; 1878. 424 Die Innervation des Herzens. mark in einer Ausdehnung von der Spitze des Calamus bis etwas unterhalb der Anheftung des Kleingehirns geschah. Es ist daher am wahrscheinlichsten, daß dieser Teil des Froschgehirnes das Zentrum der hemmenden Herznerven dieses Tieres enthält. Dagegen erhielt Klug nach derselben Methode die stärkste Wirkung bei Reizung der Lobi optici.1 Seinerseits suchte Pfeiffer2 die Lage des Herzhemmungszentrums beim Frosch dadurch festzustellen, daß er mittels Reizung der Eingeweidenerven (vgl. II, S. 412) Vagusreflexe auslöste und durch systematisch angelegte Querschnitte bestimmte, wie weit man von vorn nach hinten vorgehen konnte, ohne daß die reflektorischen Einwirkungen auf das Herz beschränkt wurden. Hierbei wie auch durch elektrische Reizung des Gehirns fand er, daß das Kopfmark vor dem makroskopischen Ursprung der Vagusgruppe keinen wesentlichen Be- standteil des Zentrums der herzhem- menden Nerven enthält. Über die hintere Grenze dieses Zentrums gelang ihm nur der Nachweis, daß sie jedenfalls nicht weiter rückwärts als bis etwa zum 3. Wirbel ragt. Beim Kaninchen beobachtete Fran- gois-Franck, daß die Durchtrennung des Halsmarkes unterhalb des Kopfmarkes die Reflexe aufhebt, welche von den unterhalb des Schnittes in das Rücken- mark eintretenden zentripetalen Nerven auf den Vagus vermittelt werden, da- gegen die reflektorische Reizung des Vagus durch den Trigeminus gar nicht be- einträchtigt.3 Das Vaguszentrum liegt also auch beim Kaninchen im Kopfmark. Durch Einstiche hat Laborde die Lage des Vaguszentrums bei der Katze näher abzugrenzen gesucht. Er fand, daß ein Stich in die Mitte des Kopfmarkes ziemlich weit nach der Seite hin (N C Fig. 333) Verlangsamung und sogar Still- stand der Herzschläge hervorrief.4 Mittels unipolarer Reizung der bloßgelegten vierten Herzkammer beim Hunde gelangten Miller und Bowman5 zu dem Resultat, daß das Zentrum der hemmenden Herznerven im dorsalen Vaguskern liegt. 1 Klug, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1880, S. 516. 2 Pfeiffer, Inaug.-Diss. Gießen 1894. :i Francois-Franck, Travaux du laburat. de Marey, 2, S. 255; 1876. 4 Laborde, Arch. de phys., 1888 (1), S. 397. Die anatomische Lage dieser Stelle präzisiert Laborde folgendermaßen: ,,11 est situe en dehors et au delä des colonnes de substance grisc, sur le trajet des fibres et du noyau restiformes, non Ioin de la couronne radiculaire du noyau sensitif (racine bulbaire on descendante) du trijumeau; exaetement un niveau des amas cel- lulaires que les recentes recherches histologiques nous ont si bien fait connaitre, sous le nom de noyaux accessoires de l'hypoglosse et des nerfs mixtes (pneumogastrique, spinal, glossopharyngien)." 5 Miller und Bowman, Amer. journ. of physiol., 39, S. 149; 1915; — vgl. die histologischen Untersuchungen von Kohnstamm, Neurolog. Zentralbl., 20, S. 767; 1901, sowie von van Ge- huckten und Molhant, Le nevraxe, 13, S. 55; 1912. Fig. 333. Das Vaguszentrum (NC) bei der Katze. Nach Laborde. Die Zentren der Her/nerven. |_!i> Die Berieselung der bloßgelegten vierten Hirnkanuner mit kalter oder warmer Kochsalzlösung ergab eine Beschleunigung bzw. eine Verlangsamung oder einen Stillstand der Herzschläge. Diese Veränderungen blieben nach Vagüsdurchschneidung aus und zeigen also, daß das Herzhenunungszentruni im Kopfmark durch Wärme erregt wird (Deganello1), oder daß seine Erregbarkeit durch Wärme erhöht und durch Kälte erniedrigt wird. Die vor dem Kopfmark liegenden Teile des Gehirns üben aber auch einen Einfluß auf die Zentren der Herznerven aus. Wissen wir ja, daß psychische Zustände, wie Freude, Furcht, Hoffnung usw., die Frequenz der Herzschläge entweder erhöhen oder vermindern können. Dessen ungeachtet können wir aber die Zentren der Herznerven durch den Willen nicht direkt beeinflussen. Es gibt jedoch Fälle, wo Menschen das Herz zur langsameren Schlagfolge haben bringen können, entweder dadurch, daß sie an etwas Trauriges gedacht, oder ganz einfach dadurch, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf das Herz kon- zentriert haben. So erwähnt Botkin eines an progressiver Muskelatrophie leidenden Kranken, dessen Herzschläge verlangsamt wurden, sobald er an seinen traurigen Zustand dachte.2 Und Morgagni zitiert einen Professor in Bologna, dessen Puls intermittent wurde, wenn er denselben zählte.3 Diese und andere gleich- artige Fälle bezeugen indessen kein Vermögen, durch den Willen das Herz direkt zu beeinflussen. Sie stellen nur Illustrationen zu der allgemein bekannten Tat- sache dar, daß die Frequenz der Herzschläge durch gewisse psychische Zustände leicht beeinflußt wird. Aus neuerer Zeit besitzen wir einige Angaben, laut welchen gewisse Individuen durch ihren freien Willen, ohne begleitende Störungen des Respirationsrhythmus und ohne irgendwelche spezielle psychische Vorstellungen hervorzurufen, ihre Herzfrequenz zu beschleunigen vermögen. Tarchanoff beobachtete dies an einem jungen Studierenden der Medizin und auch bei einigen anderen Leuten.4 Alle diese, welche also nach ihrem Belieben das Herz zur schnelleren Schlag- folge bringen konnten, zeichneten sich auch sonst durch eine merkwürdige Be- herrschung ihrer Muskeln aus; sie konnten die Finger im dritten Gelenke isoliert beugen, sie konnten das Plathysma isoliert kontrahieren usw., und besaßen also eine spezielle neuro-muskuläre Organisation. Demgegenüber ist van de Velde* der Ansicht, daß die betreffende Fähigkeit eine allgemein vorhandene ist, denn drei von fünf vollkommen willkürlich ge- wählten Versuchsindividuen konnten beim ersten Versuch durch die direkte Einwirkung des bewußten Willens die Zahl der Kontraktionen ihres Herzens beträchtlich vermehren. Um die willkürliche Beschleunigung der Herzschläge zustande zu bringen, genügt indessen, nach Köhler*, die bloße Konzentrierung auf die Tätigkeit des Herzens und der Wille, die Akzeleration hervorzurufen, nicht, sondern es ist noch eine Art Reiz, wie er zur Bewegung der quergestreiften Muskulatur 1 Deganellu, Aren. ital. de biol., 33, S. 186; 1900. - Botkin, Klin. Wochenschr., 1881, Nr. 10 (russisch); zit. nach Tarclwnoff (s. unten). :f Morgagni, s. Handwörterbuch d. Physiol., 2, S. 82; 1844. 4 Tarclwnoff, Arch. f. d. ges. Physiol., 35, S. 109, 198; 1884; vgl. auch Peasc, Boston med. and surgical journ., 1889, 30 may. 5 van de Velde, Arch. f. d. ges. Physiol., 66, S. 232; 1897. e Kollier, Arch. f. d. ges. Physiol., 158, S. 579; 1914. 426 Die Innervation des Herzens. erteilt wird, nötig, und die Empfindung der Erteilung dieses Reizes gleicht völlig derjenigen, die bei stark angestrengter Kontraktion beliebiger Muskelgruppen hervorgebracht wird. Auch kamen bei Köhler beträchtliche Änderungen in der Art und dem Rhythmus der Respiration, insbesondere ein oberflächlicheres Atmen, vor, welches indessen, wie spezielle Versuche ergaben, nicht die Ursache der gleichzeitigen Pulsbeschleunigung sein konnte. In Übereinstimmung mit seiner Auffassung von der Ursache einer reflek- torischen Herzbeschleunigung deutet Hunt1 auch die voluntäre Akzeleration des Herzens als die Folge einer Abnahme des Vagustonus. Nach Köhler würde wahrscheinlich sowohl eine primäre Reizung der Accelerantes als auch eine sich daran schließende Abnahme des Vagustonus hier vorliegen. Der unverkennbare Einfluß, den psychische Zustände auf die Herztätigkeit ausüben, beweist, daß die Zentren der Herznerven im Kopfmark in irgendeiner Weise mit den höheren Teilen des Gehirns im Zusammenhang stehen müssen, und sind deshalb Untersuchungen in dieser Richtung an Tieren vorgenommen worden. Man hat verschiedene Teile des Gehirns gereizt und je nach dem Orte der Reizung verschiedene Ergebnisse erhalten. Von Danilewsky2, Boche fontaine3, Eckhard4, Bechterew und Mislawsky5, Frangois-Franck6 und mehreren anderen sind Versuche an der Großhirnrinde, hauptsächlich bei Hunden und Kaninchen, ausgeführt worden. Elektrische Reizung der Großhirnrinde ruft bekanntlich sehr leicht epileptische Anfälle mit denselben begleitenden Tätigkeitsäußerungen der vegetativen Organe des Körpers, auch des Herzens, hervor. Diese Wirkungen dürfen aber nicht als Beweise für den eventuellen Einfluß der Großhirnrinde auf das Herz dienen, sondern können von verschiedenen anderen Umständen abhängig sein. Bei kuraresierten Tieren werden die Muskelkrämpfe beim epileptischen Anfall natürlich durch die Vergiftung maskiert. Frangois-Franck hat aber durch partielle Kurare - sierung nachgewiesen, daß die den Anfall begleitenden Erscheinungen bei den vegetativen Organen dessen ungeachtet auftreten.7 Unter solchen Umständen können wir zur Erörterung der vorliegenden Frage nur die Versuche verwenden, wo kein epileptischer Anfall stattgefunden hat, und müssen daher hauptsächlich solche Versuche benutzen, bei welchen das Tier nicht mit Kurare vergiftet ge- wesen, und wo man also aus dem Verhalten der Tieres beim Versuch bestimmt angeben kann, daß kein epileptischer Anfall die Ergebnisse hat trüben können. Durch Unterlassung dieser Vorsichtsmaßregel sind, nach Francois-Franck und Eckhard, die vielen, einander widersprechenden Angaben der verschiedenen Forscher aller Wahrscheinlichkeit nach zu erklären. Seine eigenen Ergebnisse bei Versuchen, wo bei Reizung der Großhirn- rinde keine Epilepsie, sondern nur Muskelzuckungen aufgetreten sind, faßt Frangois-Franck dahin zusammen, daß die Reizung entweder eine Verlangsamung 1 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 463; 1899. 2 Danilewsky, Aren. f. d. ges. Physiol., 11, S. 129; 1875. :i Bochefontaine, Aren, de physiol., 1876, S. 142; — 1883, S. 33. 1 Eckhard, Beitr. z. Anat. u. Physiol., 8, S. 190; 1878. 5 Bechterew und Mislawsky, Neurol. Zentralbl., 1886, S. 193, 416. 6 Francois-Franck, Lecons sur les fonetions motrices du cerveau. Paris 1887, S. 162. Daselbst auch eine eingehende Darstellung der einschlägigen Literatur. 7 Frangois-Franck, a. a. O., S. 189; — vgl. auch Eckhard, a. a. ü. Die Zentren der Herznervrii. 427 oder eine Beschleunigung der Herzschläge, aber keinen launenhaften Wechsel der beiden hervorruft. Der Ort der Rindenreizung ist belanglos, wenn er nur auf einen Punkt innerhalb der motorischen Zone fällt. Die Beschleunigung scheint bei schwacher, die Verlangsamung bei starker Reizung stattzufinden.1 Bei Reizung der Großhirnrinde bekommt man nach doppelseitiger Vagus- durchschneidung nach Hunt'1 keine Herzbeschleunigung mehr. In bezug auf die übrigen Teile des Gehirns erwähnt Danilewsky, daß die Reizung des vorderen Teiles vom Corpus striatum, Thalamus opticus, Cornu Ammonis und der oberen Teile der Corpora quadrigemina beim Hunde fast ohne jede Wirkung auf den Blutdruck bleibt. Dagegen ruft die Reizung der tieferen Teile der Vierhügel ein starkes Steigen des Blutdruckes mit Pulsverlangsamung hervor. Letztere verschwindet nach Durchschneidung der Vagosympathici. Reizung des Nucleus caudatus und lentiformis und der zunächst angrenzenden Teile der weißen Substanz steigert den Blutdruck, macht aber gleichzeitig den Puls langsamer.3 Dagegen erhielt Balogh1 bei demselben Tiere Verlangsamung der Herz- schläge bei Reizung des unteren Teiles des Sehhügels, des Ammonshorns und des Wurmes des Kleinhirns; Beschleunigung fand bei Reizung des Streifen- hügels, des oberen Teiles des Sehhügels und der Hemisphären des Kleinhirns (in der Regel) statt. Die Vierhügel ergaben eine Verlangsamung, wenn ihre große Erregbarkeit etwas abgenommen hatte, sonst Beschleunigung. Über das Verhalten des Kleinhirns zu der Herztätigkeit gibt Eckhard an, daß beim Hunde ein Stich durch den hinteren Teil des Wurmes oder neben demselben eine Verlangsamung der Herztätigkeit und Abnahme des Blutdrucks, mit Beschleunigung und Drucksteigerung umwechselnd, bewirkte oder auch eine ausgeprägte Verlangsamung hervorrief. Dieselben Erscheinungen machten sich auch bei elektrischer Reizung des Kleinhirns bemerkbar; sie verschwanden nach Durchschneidung der Vagi. Vorausgesetzt, daß alle diese Angaben richtig sind, fragt es sich, ob wir in diesen Orten des Gehirns ebenso viele neue Zentren der Herznerven sehen sollen? Ich glaube nicht. Es scheint mir richtiger, in Übereinstimmung mit Frangois-Franck, die Großhirnrinde und die übrigen vor dem Kopfmark liegenden Teile des Gehirns in bezug auf ihren Einfluß auf die Herzzentren und überhaupt auf alle vegetativen Zentren des Kopfmarkes letzteren gegenüber als peri- phere Organe aufzufassen, von welchen aus die Zentren des Kopfmarkes reflektorisch erregt werden, und zwar in derselben Weise, wie sie durch zentri- petale, aus den übrigen Teilen des Körpers kommende Fasern in Tätigkeit ver- setzt werden. Nach dieser Auffassung würde das wirkliche Zentrum der hem- menden Herznerven nur im Kopfmark liegen. Es kann von einer Menge in bezug auf dieses Zentrum zentripetaler Nerven, von der Haut, vom Herzen selbst, von den Baucheingeweiden, den Lungen, den Sinnesorganen und von verschiedenen Teilen des Gehirns beeinflußt werden. 1 Frangois-Franck, a. a. 0., S. 204, 205. 2 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 446; 1899. 3 Danilewsky, Arch. f. d. ges. Physiol., 11, S. 129, 130; 1875. 4 Balogh, Sitz.-Ber. d. ungar. Akad. d. Wiss., 7, 1876; zit. nach Jahresbericht d. Anat. n. Physiol., 1876 (2), S. 38. .J28 Oie Innervation des Herzens. § 93. Die tonische Erregung der Herznerven. Wie schon bemerkt, befinden sich sowohl die verlangsamenden als die be- schleunigenden Herznerven in einem Zustande stetiger Tätigkeit. Wovon ist diese bedingt? Daß hier zum Teil wenigstens eine automatische Erregung der Herznerven- zentren vorliegt, folgt, wie es scheint, ohne weiteres daraus, daß sowohl die verlangsamenden als auch die beschleunigenden Nerven durch Erstickung des Tieres in vermehrte Tätigkeit versetzt werden können. In bezug auf die hemmenden Nerven wurde dies zuerst von Traube1 an kuraresierten Hunden dargetan. Durch eine längere Suspension der künstlichen Atmung wurde eine beträchtliche Verminderung der Pulsfrequenz herbeigeführt und unter Umständen konnte sogar ein lange dauernder Stillstand des Herzens auftreten. Wenn die Vagi während noch stattfindender Erstickung durchschnitten wurden, erfolgte eine plötzliche und starke Zunahme der Pulsfrequenz. Dauert die Erstickung genügend lange, so beginnt das Herz wieder schneller zu schlagen. Dies stellt eine Folge der Ermüdung des Vaguszentrums dar, wie daraus hervorgeht, daß eine in diesem Stadium ausgeführte Reizung des Vagusstammes den gewöhnlichen Herzstillstand hervorruft (Konow und Stenbeck2). Andererseits nimmt die Pulsfrequenz bei sehr ausgiebiger Ventilation der Lungen in hohem Grade zu. So stieg sie in einem Versuch von Henderson3 am Hunde innerhalb 30 Minuten von 75 auf 230, in einem anderen innerhalb 7 Minuten von 84 auf 220, bzw. innerhalb 1 Minute von 60 auf 200, und in einem dritten Versuch innerhalb 20 Minuten von 90 auf 160 in der Minute. Daß die wirkende Ursache in dem verminderten Kohlensäuregehalt des Blutes lag, wies H ender so n durch direkte Analyse der Blutgase nach, denn im ersten Versuch sank derselbe von 39,1 auf 7,2, im zweiten von 45,0 auf 25,8% herab. Gleichzeitig veränderte sich der Sauerstoffgehalt nur wenig. Da also die Anreicherung des Blutes mit Produkten, die sonst durch die Atmung abgegeben werden, das Vaguszentrum sehr stark erregt, und Mangel an solchen den Vagustonus in höchstem Grade herabsetzt oder sogar aufhebt, muß es als sehr wahrscheinlich erachtet werden, daß die unter normalen Ver- hältnissen im Blute vorhandenen Stoffwechselprodukte, vor allem die Kohlen- säure, das Vaguszentrum erregen und daß also der Vagustonus zum großen Teil automatischer Natur ist. Wir wissen aber auch, daß das Zentrum der herzhemmenden Nerven von allen möglichen zentripetalen Nerven aus reflektorisch erregt werden kann, und auf Grund dieser Tatsache hat auch Bernstein* hervorgehoben, daß der Vagustonus reflektorischer Natur wäre. Als Stütze für diese Ansicht kann noch angeführt werden, daß eine Vagusdurchschneidimg nach Durchschneidung des Halsmarkes keine Zunahme der Schlagfolge verursacht (Bernstein), sowie daß Durchschneidung der Splanchnici die Pulsfrequenz erhöht (As/?5). 1 Traube, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1863, S. 19; *— Ges. Beiträge z. Pathol. u. Physich, 1, S. 299, 341. 2 Konow und Stenbeck, Skand. Arch. f. Physiol., 1, S. 438; 1889. :1 Henderson, Amer. journ. of physiol., 21, S. 142; 1908. 1 Bernstein, Arch. f. Anat. u. Physiol., 1864, S. 650. 5 Asp, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1867, S. 136. Die Zahl der Herzschläge. 429 Beide Versuche sind indessen vor allein dadurch nicht beweisend, daß eine Abnahme des arteriellen Blutdruckes, wie sie sich ja in den betreffenden Ver- suchen vorfand, an und für sich die Pulsfrequenz erhöht, d. h. den Vagustonus vermindert (vgl. II, S. 441). Die tonische Erregung des Vaguszentrums wird daher wahrscheinlich sowohl durch automatische als durch reflektorische Reizung zuwege gebracht. Da aber die automatische Erregung unter normalen Verhältnissen in der Regel keine scharfen Variationen von dem einen Augenblick zum anderen darbietet, muß der Anteil derselben am Vagustonus sich als eine Erregung konstanter Intensität geltend machen. Die schnell eintretenden und schnell vorübergehenden Veränderungen in der Erregung des betreffenden Zentrums müssen aber von den zentripetalen Nerven, zu denen auch die von den proximalen Stellen des Gehirns nach dem Kopf mark verlaufenden Fasern zu zählen sind, ausgelöst werden. Näheres hierüber kann zurzeit nicht angegeben werden. Über den Mechanismus der tonischen Erregung der beschleunigenden Nerven ist uns nichts anderes bekannt, als was aus den Angaben II, S. 388 und S. 422 unmittelbar hervorgeht. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die Zahl der Herzschläge. § 94. Allgemeines. Schon seit den ältesten Zeiten der physiologischen Forschung ist es bekannt, daß die Frequenz der Herzschläge unter dem Einfluß aller möglichen äußeren und inneren Faktoren sehr leicht in der einen oder anderen Richtung verändert wird, und die Erfahrungen, welche seit der Entdeckung der hemmenden Herz- nerven gesammelt worden sind, haben die hierbei stattfindenden Vorgänge in vielerlei Hinsicht aufgeklärt. In den früheren Kapiteln dieses Buches habe ich die hierher gehörigen Kennt- nisse, insofern sie sich auf die direkte physiologische Untersuchung der Leistungen der Herznerven und der Herzreflexe beziehen, besprochen. Es erübrigt, die Veränderungen der Herztätigkeit, so wie sie sich unter dem Einfluß der im täg- lichen Leben tätigen Faktoren gestalten, zu erörtern. Allen Verrichtungen des Körpers gemeinsam ist der Umstand, daß sie von dem einen Augenblick zum anderen fast nie mit vollkommener Konstanz ver- laufen, sondern, auch wenn alle störenden Einflüsse tunlichst ausgeschlossen sind, immer gewisse größere oder kleinere Schwankungen darbieten. Daß dies auch mit der Herzbewegung der Fall sein muß, läßt sich schon von vornherein daraus schließen, daß die zentrifugalen Herznerven von allen oder fast allen zentripetalen Nerven wie von den höheren Nervenzentren aus so äußerst leicht in Tätigkeit versetzt werden. Wenn man den Radialispuls eines möglichst vollständig ruhenden, liegenden Menschen ununterbrochen registriert, so erfährt man, daß die Dauer der ein- zelnen Pulse keineswegs konstant ist, sondern von dem einen Augenblick zum anderen nicht ganz unerhebliche Schwankungen darbietet. 430 Die Innervation des Herzens. 59, 91, So fand Vierordt1, daß die Dauer des kürzesten Pulses sich zur Dauer des längsten Pulses derselben Versuchsreihe beim gewöhnlichen Atmen im Mittel aus 43 Versuchen an herzgesunden Menschen wie 100: 137 verhielt. Bei den einzelnen Indi- viduen waren natürlich die Differenzen teilweise noch größer, und die individuellen Mittelwerte schwankten zwischen 100: 117 und 100: 162. Nach Hüsler2 kann die Differenz unter zwei benach- barten Pulsen bei herzgesunden, sitzenden Menschen im Alter von 17 — 35 Jahren bis auf 0,25 Sekunde ansteigen und die maximale Differenz in einem und demselben Versuch von 20 Sekunden Dauer sogar 0,42 Sekunde betragen. Die mittlere Differenz der Pulsdauer lag in 8 Fällen zwischen 0,2 und 0,3 Sekunde und in den übrigen von Hüsler unter- suchten Fällen zwischen 0,1 — 0,2 Sekunde. Auloz registrierte den Radialispuls ununterbrochen zwei bis drei Stunden lang und beobachtete dabei in zwei Ver- suchen die aus der Fig. 334 ersichtlichen Variationen der Frequenz. Von der einen Minute zur anderen können also Variationen um sogar 10 Pulsschläge erscheinen, was bei einer Pulsfrequenz von etwa 50 nicht weniger als 20°/0 beträgt. Aus der Fig. 334 geht noch deutlich hervor, daß die Puls- frequenz im Laufe des Versuches, trotz allen Schwankungen, im großen und ganzen stetig abnimmt (vgl. Fig. 335). Dies rührt davon her, daß die Versuchsperson zu Bette lag und eine möglichst ruhige Körperhaltung einnahm. Die Wirkung der vorhergehenden Muskelbewegungen auf die Pulsfrequenz klingt aber nur allmählich ab und es dauert daher geraume Zeit, bis die Frequenz einigermaßen konstant geworden ist. Aus anderen Versuchen von Aulo* geht hervor, daß im Schlaf die Abnahme der Pulsfrequenz viel schneller als im wachen Zustande erfolgt (vgl. Fig. 336). Nach einer stärkeren Körperbewegung ging die Versuchsperson zu Bette und schlief etwa bei' der 70. Minute ein. Bis dahin hatte die Pulsfrequenz nur verhältnismäßig langsam abgenommen. Beim Eintritt des Schlafes sinkt sie aber viel schneller auf ein Minimum herab, von welchem sie sich beim Er- wachen der Versuchsperson (95. Minute) wieder steil in die Höhe erhebt. Es kann aber auch vorkommen, daß die Pulsfrequenz eines und desselben Individuums viel geringere Schwankungen 1 Vierordt, Die Lehre vom Arterienpuls. Braunschweig 1855, S. 82. 2 Hüsler, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 54, S. 229; 1895; — vgl. auch Staehelin, ebenda, S. 86; 1897; — Grünbaum und Amson, ebenda, 71, S. 547; 1901; — Janowski, ebenda, S. 240; 1907. 3 Aulo, Skand. Arch. f. Physiol., 21, S. 266; 1908. f Aulo, ebenda, 21, S. 273; 1908. *-t; '" ^ " «,-T-* > l fe - -& ^u l L 5 v ^n Z m^ 7Q < r ÜJ * 8 * % J* \ ö --'" "v n' 5 <; — -y"-x- — 3 C 4 3 \_ ,- s s _ -r-^± ° - ,' ' J ■ 3 < -V o, ** t> e -^ \ ^T ^ ^ 2 \i* -° »i C-' n * g ' n "^i r j-Z n & ^ i x '-" ss 2 '- < *-- 2±-'{-— i-i ^. < ^* n * ^_ 1 _--'' 7 "^ *2" '- n ?| ( — * l < 0- • 5 Ü -o ,"S "- 2 h --' T» S % 5 2 ,5' r <: ^ =i " s 2 *<::^ z _,2> s 1 - 3- \ »7 ^ --* I .,-S - ? > s£ §s V 4 <£_ Ü ^! ä 7 ^ 7- — _ ^ -£ 1 2>5 Die Zahl der Herzschläge. 431 darbietet. Wenigstens geben Bleuler und Lehmann1 an, daß der von 8 Uhr 25 Minuten morgens bis 8 Uhr 12 Minuten a wobei der Puls fast alle 5 — 10 Minuten gezählt wurde, die Pulsfrequenz nur zwischen 49 — 54 variierte. Bei 'Kindern scheinen die Variationen der Pulsdauer noch größer als bei Erwachsenen zu sein. Friberger2, der aus diesem Gesichtspunkte 321 Kinder im Alter zwischen 5 und 14 Jahren untersucht hat, teilte seine Beobachtungen in drei Gruppen ein, je nachdem die größte Pulsdauer weniger als 150% der kürzesten, 150—200%, oder mehr als 200% betrug; zu der ersten Gruppe gehörten 37,4°/0, zu der zweiten 50,4°/0 und zu der dritten Gruppe 12,2°/0 der Fälle. Die geringste Variation der Pulsdauer war 0,1 Sekunde; bei langsamer Pulsfrequenz konnten sogar Differenzen von 0,4 — 0,6 Sekunde vorkommen. Die Variabilität der Pulsdauer war bei den jüngsten Kindern am größten und nahm bei den älteren in der Regel immer mehr ab. Da die Pulsfrequenz bei körperlichen Bewegungen so leicht ansteigt und dabei innerhalb sehr weiter Grenzen variieren kann, ist es leicht ersichtlich, daß man als Normal- zahl schließlich nur die minimale Pulsfrequenz bei körper- licher Ruhe anwenden kann. Nach dem schon Ausgeführten wird man indessen, insbesondere bei Versuchen am Menschen, nur selten in der Lage sein, solche Beobachtungen zu machen, und man muß sich daher vielfach damit genügen, die Be- stimmung der Normalwerte an Individuen auszuführen, welche nicht kurz vorher irgendwelche bedeutendere körperliche Be- wegungen ausgeführt haben. Daß dadurch die Zahlen etwas zu hoch werden müssen, ist leicht ersichtlich. Als Illustration hierzu mögen folgende Beobachtungen dienen. Im allgemeinen wird für die Pulsfrequenz des er- wachsenen Mannes die Zahl 70 pro Minute angegeben. Nun machte aber Körösyz Bestimmungen der Pulsfrequenz an Soldaten früh morgens, vor dem Aufstehen aus dem Bette. Der zu untersuchende Soldat wurde dabei einige Minuten vorher aufgeweckt; vor Beginn der Zählung wartete Körösy ab, bis sich die anfangs regelmäßig auftretende kleine Er- regung legte und der Puls vollkommen gleichmäßig wurde. Dabei wurde als Mittelwert für die Pulsfrequenz 64 pro Minute erhalten, d. h. etwa 9% weniger als die gewöhnlich angenommene Zahl. in ein bends em Versuch, dauerte und •*- ■-■ £ > iQ 1 "1 c ö Ü| c ■5 | ' 1 ! > ! ^ ja B i 1 „ ' - 4 "" 5< "' 1 Bleuler und Lehmann, Arch. f. Hygiene, 3, S. 228; 1885. 2 Friberger, Upsala Läkarefö-.enings förhandlingar, 17, S. 171; 1912; 1913; — Arch. f. Kinderheilk., 58, 1912. 3 Körösv, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 101, S. 267; 1910. 18. S. 148; 432 Die Innervation des Herzens. 1 11 vollständiger Übereinstimmung damit steht Klewitz'1 Beobachtung, daß die mittlere Pulsfrequenz bei 20 herzgesunden Individuen im Schlaf 59. im wachen Zustande 74 in der Minute betrug. Daß der Schlaf an und für sich hierbei keine Rolle spielte, geht daraus hervor, daß die gleichen niedrigen Zahlen auch bei wachen Individuen auftraten, wenn sie nur sehr ruhig im Bett lagen. Die im folgenden mitzuteilenden Beobachtungen und Resultate sind also unter Berücksichtigung der hier hervorgehobenen Tatsachen zu beurteilen, und wir können daher eine eventuelle Veränderung der Pulsfrequenz, ohne ein- gehende Besprechung aller in Betracht kommenden Umstände, nur dann als die Folge eines zu untersuchenden äußeren Faktors bezeichnen, wenn diese Veränderung entschieden größer ist als die an und für sich auftretenden Schwan- kungen der Pulsfrequenz sind. § 95. Der Einfluß äußerer Faktoren auf die Pulsfrequenz. a) Die Temperatur. Ich habe schon oben (II, S. 10) die mächtige Einwirkung, welche die Tem- peratur auf die Pulsfrequenz ausübt, erwähnt. Diese macht sich natürlich auch im täglichen Leben geltend. Bei Versuchen von Bleuler und Lehmann2 zeigte es sich, daß bei bettlägerigen Versuchsindividuen die Pulsfrequenz durch starke Bedeckung unter Vermehrung des Wärmegefühls beträchtlich zunahm. Wurde der nackte Körper einer niederen Lufttemperatur ausgesetzt, so wurde auch die Pulsfrequenz stark vermindert. Die Differenz der Pulsfrequenz konnte nach beiden Seiten zehn Schläge pro Minute betragen. Wenn die äußere Temperatur hoch ist, steigt die Pulsfrequenz in einem viel erheblicheren Grade. Nach einem einige Minuten dauernden Autenthalt in einer Luft von 65° C stieg die Pulsfrequenz in Selbstversuchen von Delaroche3 auf 160 pro Minute. Desgleichen steigt die Pulsfrequenz in warmem Bade. In einem Bade von 43 — 38° C wurde die Pulsfrequenz auf 160 in der Minute gesteigert (L.Hill und Flack4). Um so merkwürdiger ist es dann, daß Luftbewegung, welche ja den Körper abkühlt, wie auch die Bewegung des Wassers in einem Bade, wenn dieses kälter oder wärmer als die Haut selber ist, die Pulsfrequenz, wie aus folgender Tabelle hervorgeht, bedeutend in die Höhe treibt (Lythh). Körperlage Temperatur der Umgebung Pulsfrequenz Luvwärts i in Lee Anmerkung Stehend . . . . ff .... Sitzend .... w .... Sitzend im Waggon Bad 7"C 18° 3° 21" 6° 32° 38° 87 78 82 67 95 71 81 62 76*) 1 00 1) 64*) 124f) 65*) 124f) Nördlicher Wind Frische Brise Nordöstlicher Wind Kalte Seebrise *) im Wagen, f) Außenplatz *) Wasser ruhig, f) Wasser bewegt *) Wasser ruhig, t) Wasser bewegt 1 Klewitz, Deutsches Arch. f. klin. Med., 112, S. 38; 1913; die Herzschläge wurden unter Anwendung der Lufttransmission in einem anderen Zimmer vom Beobachter auskultiert. 2 Bleuler und Lehmann, Arch. f. Hygiene, 3, S. 224; 1885. :i Delaroche, vgl. Mi Ine- Edwards, Le?ons sur la physiol. comp., 4, S. 77. 4 L. Hill und Flack, Journ. of physiol., 38, proc. S. 57; 1909. 5 Lyth, Journ. of physiol., 43, proc. S. 30; 1911. Die Zahl der Herzschläge. 433 Es wird auch angegeben, daß in den tropischen Landern die Pulsfrequenz im allgemeinen größer ist als in der gemäßigten Zone, sowie daß sie in den Polar- gegenden noch abnimmt. Diese Beschleunigung der Pulsfrequenz unter dem Einfluß einer höheren Temperatur konnte durch eine Reizung des Accelerans oder durch eine Abnahme des Vagustonus oder endlich durch die Wirkung des erwärmten Blutes auf das Herz hervorgerufen werden. Nach Versuchen von Kuno1 an Kaninchen würde das letztere hierbei ein- treffen, denn die Zunahme der Pulsfrequenz zeigte sich in einem warmen Bade sowohl wenn die eine oder die andere Gattung von Herznerven, wie auch wenn sämtliche Herznerven ausgeschaltet waren. Wenn wir in den oben schon erwähnten Versuchen von Aulo2 das Mittel für Perioden von je 10 Minuten berechnen, finden wir, daß die mittlere Puls- frequenz in Versuch 1 bis zu der 100. Minute ganz regelmäßig auf 57 herabsinkt und dann bis Ende des Versuches um 57 und 58 oszilliert. Im zweiten Versuch dauert die ununterbrochen stattfindende Abnahme bis zu der 120. Minute, nach welcher die mittlere Pulsfrequenz während der dritten Versuchsstunde nur zwischen 49 und 5072 variiert. 1 90 80 10 3 ■X. IW 130 reo j H ►— i L t\ _\ V s s" r i A \> •f ~ ~~ \_ ^- l> w A 1 < ii 1 IJ — W ?!■ W „1 ** ■/' 1 i — k. ■) \ — . — i ■ l > i 0 3 0 '/ 0 . 0 6 ' 7 ) b i » 9 / 0 110 Fig. 336. Die minutliche Pulsfrequenz nach Laufen bei der Versuchsperson W. Nach Aulo. 70. Min., Einschlafen, 95. Min., Erwachen. Die unterbrochene Kurve gibt die mittlere Pulsfrequenz für je 5 Minuten an; die unterste Linie bezeichnet die Rektaltemperatur. Es ist sehr wahrscheinlich, daß hier eine Wirkung der Abnahme der Körper- temperatur vorliegt, denn bei vollständiger körperlicher Ruhe sinkt diese in ganz derselben Weise wie die Pulsfrequenz herab.3 Dies folgt auch aus Fig. 336, wo die unterste Linie die Rektaltemperatur angibt. Bis zum Eintritt des Schlafes verläuft diese Linie ziemlich parallel der unterbrochenen Linie, welche die mittlere Pulsfrequenz für Perioden von je 5 Minuten angibt. Beim Eintritt und Ende des Schlafes hört indessen dieser Parallelismus, wegen der dann auftretenden steilen Veränderung der Pulsfrequenz, auf. b) Das Essen. Es muß natürlich der Genuß von warmen oder kalten Getränken oder Speisen in derselben Richtung wie die äußere Temperatur auf die Pulsfrequenz einwirken. Auch geben Bleuler und Lehmann4' an, daß das Trinken von mäßigen Mengen heißen Wassers den Puls beschleunigt, das von größeren Mengen kalten Wassers ihn verlangsamt. 1 Kuno, Arch. f. d. ges. Physiol., 158, S. 558; 1914. 2 Aulo, Skand. Arch. f. Physiol., 21, S. 267, 272; 1908. 3 Rancken, ebenda, 21, S. 179; 1908. 4 Bleuler und Lehmann, Arch. f. Hygiene, 3, S. 219. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 28 434 Die Innervation des Herzens. Wenn die Mahlzeit nur aus kalten Speisen bestellt, das dabei getrunkene Wasser zimmerwarm ist und sonst alle Vorsichtsmaßregeln sorgfältig beobachtet werden, so erhöht in der Regel die Mahlzeit die Pulsfrequenz nicht merkbar.1 Anders, wenn warme Speisen genossen werden. Dann steigt die Pulsfrequenz nach jeder Mahlzeit, um darauf wieder abzunehmen. Die Differenzen betragen bis zu zehn Pulsschlägen und mehr in der Minute; sie sind die gleichen wie diejenigen, welche beim Trinken warmen Wassers allein hervortreten. Das Wesentliche hier scheint also jedenfalls die Zufuhr von Wärme zu sein. Als Beleg teile ich nach Lichtenfels und Fröhlich2 folgende tabellarische Zusammenstellung der Mittelwerte einer ziemlich großen Zahl an einer und derselben Person angestellten Beobachtungen hier mit. Zeit Pulsfrequenz Anmerkungen 7—8 Vorm. 69 8-81/, 79 87,-9 75 9—10 77 10—11 73 11—12 Mittag 73 12—1 Nachmittag 67 1—2 69 2-3 73 3-4 74 4—5 72 5-6 67 6—7 68 7—8 68 8—9 72 9-10 67 10—11 63 11—12 Mitternacht 70 Vor dem Morgenkaffee Morgenkaffee um 8 Uhr Mittagessen um 2 Uhr Abendkaffee um 7 Uhr Nachtessen mit Bier um 10 Uhr Zum Vergleich möge folgender, von denselben Autoren und nach derselben Methode an derselben Versuchsperson ausgeführter Versuch über die Pulsfrequenz bei Hunger dienen. Die Versuchsperson fastete von 10 Uhr abends bis 6 Uhr abends am folgenden Tage und beobachtete diese ganze Zeit hindurch Bettruhe. Zeit Pulsfrequenz Zeit Pulsfrequenz 7—8 Vormittag 77 1—2 Nachmittag 58 8-9 ? 2—3 59 9-10 V 3—4 59 10-11 76 4—5 60 11-12 Mittag 71 5-6 61 12—1 Nachmittag 62 Im Laufe des Tages nimmt die Pulsfrequenz bis etwa 2 Uhr nachmittags ab; danach beginnt sie, obgleich in einem ziemlich geringen Grade, zu steigen. Ein Vergleich dieser Reihe mit der früheren gibt den Einfluß der Nahrungs- aufnahme auf die Pulsfrequenz zu erkennen. 1 Bleuler und Lehmann, Arch. f. Hygiene, 3, S. 247. 2 Lichtenfels und Fröhlich, Denkschriften d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 3 (2), S. 121, 144; 1852. Die Zahl der Herzschläge. 435 c) Atmosphärische Einflüsse. Während fünf Jahren zählte Coste1 an sich selber den Puls, um die von der Jahreszeit bedingten Variationen dessen Frequenz festzustellen. Bei der Be- rechnung seiner Beobachtungen schloß er diejenigen aus, bei denen er sich in einem fieberischen Zustande befand oder wo er aufgeregt oder angestrengt war. Die so erhaltenen monatlichen Mittelwerte sind folgende: Monat Pulsfrequenz Monat Pulsfrequenz Januar 68,9 Juli 65,2 (? 64,6) Februar 68,6 August 64,0 März 66,9 September 66,0 April 66,9 Oktober 67,1 Mai 64,9 November 69,8 Juni 64,0 Dezember 69,8 Das Jahresmittel beträgt 66,8. Das Minimum der Pulsfrequenz fällt auf den Beginn des Sommers, das Maximum auf den Beginn des Winters. Es ist nicht möglich, näher anzugeben, welchen Faktoren diese Variationen ihr Entstehen verdanken. Die Einwirkung des Höhenklimas auf die Pulsfrequenz ist Gegenstand zahlreicher Beobachtungen gewesen.2 Aus diesen geht ganz unzweideutig hervor, daß der Puls bei Arbeitsleistung auf hohen Bergen sehr leicht in bedeutendem Grade beschleunigt wird. Hier liegt aber eine komplizierte Erscheinung vor, die uns nicht ohne weiteres die Abhängigkeit der Schlagfolge des Herzens vom Luftdruck erkennen läßt. Um dies zu erzielen, sind Versuche notwendig, wo bei möglichst vollständiger körperlicher Ruhe die Pulsfrequenz in der Ebene und auf dem Berge bestimmt worden ist. Hierbei stoßen wir indessen noch auf eine Schwierigkeit. Der Aufenthalt auf hohen Bergen ruft bei vielen Menschen ganz bedeutende krankhafte Er- scheinungen hervor (die Bergkrankheit), und wenn dabei auch die Pulsfrequenz Veränderungen erleidet, so brauchen ja diese nicht die direkte Folge des Höhen- klimas darzustellen, sondern können einfach ein Symptom der Krankheit sein, denn wir wissen ja, wie leicht die Pulsfrequenz unter dem Einfluß allerhand krankhafter Zustände verändert wird. Um also den Einfluß des Höhenklimas auf die Pulsfrequenz zu ermitteln, sind Beobachtungen an gesunden, ruhenden Menschen, wenn möglich morgens vor dem Aufsteigen, notwendig. Nach der eingehenden Erörterung von Durig und Kolmer3 scheint der Auf- enthalt in mittleren Höhen bis zu etwa 3000 m an und für sich bei gesunden Personen keine Veränderung der Pulsfrequenz herbeizuführen. Wir finden nämlich nach diesen Autoren folgende Mittelwerte der Morgenmessungen bei den Teil- nehmern der Zimteschen Expedition nach dem Monte Rosa4: Die 1 Coste, Nature, 14. Mai 1891; zit. nach Wiener klin. Wochenschr., 1891, S. 437. Berechnung der mittleren Werte ist von Hann ausgeführt. 2 Vgl. Mosso, Der Mensch auf den Hochalpen. Leipzig 1899; — Kronecker, Die Berg- krankheit. Berlin und Wien 1903. 3 Durig und Kolmer, Denkschr. der Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 86, S. 43, 44; 1909; — vgl. Schneider und Sisco, Amer. journ. of physiol., 34, S. 4; 1914. 4 Zuntz, Loewy, F. Müller und Caspari, Höhenklima und Bergwanderungen. Berlin 1 906, S. 34 . 28* 436 Die Innervation des Heizens. Brienz Rothorn Col d'Olen 571 m 2250 m 2900 m Kolmer . . 50 50 — F. Müller . 50 50 51 Loewy . . 70 70 — Waidenberg 65 65 63 Caspar i . . 67 69 — Zuntz . . . ' 68 68 — Kuhn1 teilt Versuche an vier Individuen mit, bei welchen während eines Auf- enthaltes auf 3277 m Höhe die Pulsfrequenz derjenigen auf der Ebene gegenüber um 12, 11, 3 und 10 zugenommen hatte. Das Interesse konzentriert sich daher auf Beobachtungen, die sich auf größere Höhen beziehen, und in dieser Hinsicht haben wir vor allem diejenigen zu berücksichtigen, welche auf Monte Rosa bei einer Höhe von 4560 m und auf Pikes peak in Colorado bei einer Höhe von 4300 m gemacht worden sind. Bei der Zuntzschen Monte-Rosa-Expedition wurden während der einzelnen Tage folgende Zahlen für die Pulsfrequenz frühmorgens gefunden: Tag: 1 2 3 4 5 6 Kolmer . . 76 66 61 56 57 54 Loewv ■ . 100 100 84 82 84 78 Caspari . . 88 76 66 75 80 — Zuntz . . . 102 SO 82 82 69 90 Durchschnittlich beträgt dies für Kolmer 62, für Loewy 88, für Caspari 80 und für Zuntz 86 Schläge in der Minute — also kam bei allen Teilnehmern eine wesentliche Zunahme der Pulsfrequenz zum Vorschein. Diese Versuche sind indessen nicht ganz beweiskräftig, denn sämtliche Teilnehmer an der Expedition litten an ausgesprochenen Symptomen der Berg- krankheit. Es wurde dann eine neue Expedition nach Monte Rosa unter der Leitung von Durig ausgerüstet. Dabei befanden sich zwei der Teilnehmer, Durig und Reichet, im großen und ganzen wohl und zeigten keine äußeren Zeichen der Bergkrankheit, obgleich Durig und Kolmer2 auf Grund gewisser Symptome schließen, daß sie dennoch nicht ganz frei von der Krankheit waren. Das Verhalten der Pulsfrequenz bei der liegenden, nüchternen Versuchs- person vor dem Aufstehen ist bei Durig und Reichet aus folgender Tabelle er- sichtlich. Tag: 1 |' 2 3 4 5 6 7 8 9 10— 15 | 16— 18 19—23 24-29 Durig . . . . Reichet .... 81 79 92 94 88 80 82 1 82 84 77 72 64 71 71 64 67 60 64—68 60-76 66-72 64-76 62-68 65-81 64—77 64-69 Während des 10. bis 15., sowie des 25. bis 29. Tages wurde körperliche Arbeit geleistet. 1 Kuhn, Zeitschr. f. exp. Pathol., 14, S. 39; 1913. 2 Durig und Kolmer, a. a. O., 86, S. 47. Die Zahl der Herzschläge. 437 Da die Pulsfrequenz bei Durig und Reichet in Wien etwa 62 in der Minute betrug, folgt, daß beim Aufenthalt auf einer Höhe von 4560 m die Pulsfrequenz entweder sogleich am ersten Tage (Reichet) oder allmählich während der drei ersten Tage auf ein Maximum ansteigt, von welchem sie wieder allmählich herab- sinkt, indessen ohne denselben niedrigen Wert zu erreichen, den sie auf der Ebene hat. Nach dem Abstieg vom Gipfel zeigte sich sofort eine starke Abnahme der Pulsfrequenz; noch am folgenden Tage nahm sie weiter ab und sank auf Werte, die ganz wesentlich unter der normalen Pulsfrequenz der Versuchs- personen in der Ebene lagen, wie bei Durig 54 und bei Reichet 52 in der Minute. Dann erhob sich die Pulsfrequenz wieder und blieb bei Durig etwa 60 und bei Reichet etwa 62. Die Beobachtungen von Douglas, Haidane, Henderson und Schneider1 auf Pikes peak (4300 m) weichen in gewissen Einzelheiten nicht unwesentlich von den soeben besprochenen ab. Tag: l2 3 10 16 21 31 Douglas . . 75 78 84 86 90 86 Haidane . . 90 81 78 68 63 72 Henderson . 78 78 90 84 72 80 Schneider 76 76 98 90 87 80 Die Pulsfrequenz der Versuchspersonen, welche immer in sitzender Stellung bestimmt wurde und also höher als das Minimum sein muß, war in Colorado Springs (1860 m) vor dem Versuch bzw. 64, 84, 72 und 72 in der Minute. Bei Douglas stieg also die Pulsfrequenz wenigstens bis zum 21. Tage des Versuches in die Höhe; bei Henderson und Schneider wurde das Maximum am 9. Tage erreicht. Dagegen sank die Pulsfrequenz bei Haidane, von der ersten Steigerung nach der Ankunft auf dem Gipfel abgesehen, bis zum 21. Tage ununterbrochen herab. Mit Ausnahme von Schneider scheinen die Versuchspersonen nur ziemlich wenig an der Bergkrankheit gelitten zu haben. Am 10. Tage nach dem Ende des Versuches betrug die Pulsfrequenz der Versuchspersonen bzw. 80, 85, 65 und 74; sie war also im Vergleich mit der Pulsfrequenz vor dem Versuch bei Douglas erhöht, bei Henderson verlangsamt und bei den beiden übrigen Teilnehmern etwa unverändert. Während eines erneuten, fünftägigen Aufenthalts auf demselben Berge untersuchte Schneider z wiederum den Einfluß des Höhenklimas auf die Puls- frequenz. Selber litt er an der Bergkrankheit, seine zwei Gefährten, Havens und Sisco, scheinen aber im großen und ganzen gesund gewesen zu sein. Die Resultate der Beobachtungen an diesen, die sich auf die Pulsfrequenz morgens vor dem Aufstehen beziehen, sind folgende: 1 Douglas, Haidane, Henderson und Schneider, Philos. transact., 203, B, S. 263; 1913. 2 Sechs Stunden nach der Ankunft auf dem Gipfel. 3 Schneider und Sisco, Amer. journ. of physiol., 34, S. 5; 1914. 438 Die Innervation des Herzens. Tag: 1 2 3 4 5 Sisco . 60 58 66 60 60 64 65 67 69 In Colorado Springs betrug die Pulsfrequenz bei Havens 56 und bei Sisco 55 in der Minute. Wir sehen, daß auch hier eine Zunahme der Pulsfrequenz unter dem Einfluß des Höhenklimas erscheint, sowie daß diese während des Aufenthaltes auf dem Gipfel immer größer wird. Die Versuchsdauer ist hier unzweifelhaft zu kurz gewesen, um den Einfluß der Gewöhnung, wie sie insbesondere in den Versuchen an Durig und Reichet erscheint, hervortreten zu lassen. Andererseits bemerken Haidane1 und seine Mitarbeiter, daß auch bei Menschen, die sich drei Monate lang auf dem Pikes peak aufgehalten hatten, die Pulsfrequenz immer etwas beschleunigt war; sie betrug nämlich bei drei solchen Personen in sitzender Stellung bzw. 76, 84, 102 in der Minute. Zwei von Schneider und Hedblom2 untersuchte Personen, welche sich monate- lang auf Pikes peak aufhielten, zeigten indessen dort eine Pulsfrequenz von 80 bzw. 82, während dieselbe in Colorado Springs (1860 m) 78 bzw. 79 war; die Differenz ist also nur 2 — 3 Schläge in der Minute. Hier kann also die Beschleunigung nur als angedeutet bezeichnet werden, was mit der früheren Angabe von Mosso* übereinstimmt, daß die Wächter der Capanna Regina Margherita auf dem Gipfel des Monte Rosa am Ende der Saisons die gleiche Pulsfrequenz wie in der Ebene vor der Fahrt nach der Capanna hatten. Weitere Beobachtungen von Schneider* ergaben, daß die anfängliche Zu- nahme der Pulsfrequenz sehr verschieden ausfällt, je nachdem die Versuchs- person mit der Bahn zum Gipfel transportiert wird oder selber den Berg besteigt. Im ersten Falle war bei drei Versuchspersonen die Zunahme am ersten Tage bzw. 4,5, 7,3 und 15,6%, im zweiten bei sechs Versuchspersonen 26 — 66%. Bei jenen nahm die Pulsfrequenz während der folgenden Tage zu, bei diesen zeigten nur zwei Individuen eine weitere Steigerung der Frequenz. Das Höhenklima scheint also eine größere oder kleinere Beschleunigung der Herztätigkeit hervorzurufen, die allmählich mehr oder minder und in günstigen Fällen ziemlich vollständig zurückgeht. Es ist nicht ganz unmöglich, daß bei der Beschleunigung der Herztätigkeit auf hohen Bergen (Pikes peak) der niedrige Partialdruck des Sauerstoffs eine wesentliche Rolle spielt. Es zeigt sich nämlich, nach Beobachtungen von Schneider und Sisco5, daß die Atmung von reinem Sauerstoff dabei, wie aus folgender Tabelle ersichtlich, die Pulsfrequenz in bedeutendem Grade vermindert. Während der Versuche saßen die Versuchsindividuen zehn Minuten oder länger still. 1 Douglas, Haidane, Henderson und Schneider, a. a. O., 203, B, S. 264. 2 Schneider und Hedblom, Amer. journ. of physiol., 23, S. 100; 1908. 3 Mosso, Der Mensch auf den Hochalpen. Leipzig, 1899. 4 Schneider, Amer. journ. of physiol., 40, S. 381 ; 1916. 5 Schneider und Sisco, Amer. journ. of physiol., 34, S. 40; 1914; — vgl. auch Schneider, ebenda, 28, S. 300; 1913. Die Zahl der Herzschläge. 439 Havens . Schneider Sisco . . Robinson Munro . Eager . . Pulsfrequenz bei Atmung in der Luft von Sauerstoff 68 79 92 90 92 108 102 72 70 88 80 82 88 96 106 63 70 82 79 80 96 88 62 63 78 64 70 70 76 In allen Fällen ist die Pulsfrequenz bei der Sauerstoffatmung vermindert, und wir finden im Durchschnitt bei der Atmung in der Luft 87,5 und bei der Atmung vom Sauerstoff 75,3, also eine Differenz von etwa 14%. Auch bei höherem Luftdruck hat man eine Verlangsamung der Herzschläge bei Atmung von reinem Sauerstoff nachweisen wollen. Die hierbei auftretende Wirkung ist aber nur ganz gering. So fanden Schneider und Sisco bei den in der obigen Tabelle aufgenommenen Individuen in Colorado Springs bei der Atmung in der Luft eine durchschnittliche Pulsfrequenz von 74 und bei der Atmung vom Sauerstoff 70 — d. h. eine Differenz von 5,4%. Bei den sechs Versuchsindividuen betrug die Verminderung der Pulsfrequenz bei der Sauerstoff- atmung bzw. 3, 3, 4, 6, 6, 3 Schläge in der Minute. An der Meeresoberfläche tritt etwa die gleiche Differenz zum Vorschein. Wir finden nämlich bei Versuchen, welche in Boston von Benedict und Higgins1 ausgeführt wurden, für die Versuchspersonen in liegender Stellung bei Atmung einer Luft mit 20% und emer mit 90% Sauerstoff folgende Mittelzahlen: 20% Sauerstoff 90°/0 Sauerstoff T. M. C. 71 (68—75) 69 (64-76) J. J. c. 61 (56—67) 59 (51—63) A. G. E. 68 (64—71) 62 (60-63) L. E. E. 56 (54—58) 51 (50—52) H. L. H. 66 (61—72) 60 (58-64) D. J. M. 61 57 Im Durchschnitt beträgt die Pulsfrequenz bei 20% Sauerstoff 64 und bei 90% 60 Schläge in der Minute. Auch Parkinson2 ist bei Versuchen in London an Individuen in liegender Stellung zu dem gleichen Resultat gekommen: Pulsfrequenz vor der Sauerstoff- atmung durchschnittlich 68, während der Sauerstoffatmung (aus einem Zylinder) 64 und nach der Sauerstoffatmung 66. 1 Benedict und Higgins, Amer. journ. of physiol., 28, S. 14; 1911. 2 Parkinson, Journ. of physiol., 44, S. 54; 1912, 440 Die Innervation des Herzens. Wie ersichtlich ist diese Wirkung der Atmung von reinem Sauerstoff bei normalem Luftdruck nur sehr geringfügig und fällt fast innerhalb der Grenzen der Versuchsfehler. Daß sie dennoch tatsächlich vorhanden sein dürfte, scheint aus Kontrollversuchen von Parkinson hervorzugehen, bei denen er die Versuchs- personen Luft (nicht Sauerstoff) aus dem Zylinder durch eine Gesichtsmaske atmen ließ. Dabei erschien nämlich gar keine Veränderung der Pulsfrequenz. Eine vollständige theoretische Deutung der Vermehrung der Pulsfrequenz unter dem Einfluß eines niedrigen Druckes1 ist indessen zurzeit mit großen Schwierigkeiten verbunden und wird dadurch nur noch mehr erschwert, daß nach zuverlässigen Beobachtungen, wie denen an Haidane2, auch schon am zweiten Tage eine Abnahme der Pulsfrequenz unter dem Einfluß des Höhenklimas ein- treten kann. § 96. Der Einfluß des Blutdruckes auf die Pulsfrequenz. Auch der Blutdruck übt auf die Schlagfolge des Herzens einen bedeutenden Einfluß aus. Daß dies bei einem unversehrten Tiere stattfindet, ist nichts Merk- würdiges, da wir ja speziell in dem N. depressor einen Nerven haben, der bei hohem Blutdruck unter anderem die Pulsfrequenz reflektorisch verringert. Die Erscheinungen, denen wir bei näherer Erörterung dieser Frage begegnen, sind aber so verwickelt und die Angaben der verschiedenen Forscher unter- einander so abweichend, daß es vorläufig notwendig ist, die Aufgabe möglichst zu vereinfachen. Wir werden also zuerst die Schlagfolge des vom Körper ganz isolierten Herzens in ihrer Abhängigkeit von dem Blutdruck erörtern. Um die Abhängigkeit der Schlagfolge von dem arteriellen Druck, d. h. von dem Widerstand in den Gefäßen an und für sich feststellen zu können, müssen wir den venösen Druck konstant erhalten. Unter solchen Bedingungen fanden Howell und Mactier Warfield am Frosch- und Schildkrötenherzen, daß der arterielle Druck innerhalb der weitesten Grenzen keinerlei Einfluß auf die Pulsfrequenz hatte.3 Dagegen gibt Marey für das isolierte Schildkrötenherz an, daß bei kon- stantem venösen Druck jede Steigerung des arteriellen Widerstandes eine Ver- langsamung, jede Abnahme im Gegenteil eine Beschleunigung der Pulsfrequenz erzeugt.4 Bei den Versuchen von Tschirjew zeigte es sich, daß der diastolische (venöse) Druck einen erheblichen Einfluß auf die Schlagfolge des Froschherzens ausübt, und zwar in der Weise, daß Steigerung des Druckes bis zu einer gewissen Grenze eine Beschleunigung der Herzschläge erzeugt. Wenn der arterielle Blutdruck bei konstantem venösen Druck gesteigert wurde, nahm die Pulsfrequenz ebenfalls zu. Diese Zunahme war aber eine verhältnismäßig unbedeutende.5 1 Vgl. Durig und Kolmer, a. a. O., 86, S. 48. 2 Da es außerhalb der Grenzen dieses Buches liegt, die physiologischen Wirkungen des er- niedrigten Luftdruckes näher zu besprechen, habe ich in bezug auf den Einfluß des Höhen- klimas auf die Pulsfrequenz nur das allerwichtigste mitgeteilt und verweise betreffend Einzel- heiten auf die oben zitierten Arbeiten und die darin angeführte Literatur. 3 Howell und Mactier Warfield, Studies from the physiological Iaboratory of the Johns Hopkins university, 2, S. 235—245; 1881 ; zit. nach Jahresber. d. Anat. u. Physiol., 1881 (2;, S. 63. 1 Marey, Comptes rendus de l'Acad. des sciences, 77, S. 367; 1873. 5 Tschirjew, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1877, S. 179—187. Die Zahl der Herzschläge. 441 Auch J. M. Ludwig und Luchsinger fanden, daß das mit physiologischer Kochsalzlösung gespeiste Froschherz eine um so höhere Pulsfrequenz zeigte, je höher der venöse Druck war. Dasselbe gilt übrigens auch für die isolierte Herzspitze.1 Für das vom zentralen Nervensystem isolierte, ausgeschnittene Herz der kaltblütigen Tiere nimmt also die Pulsfrequenz bis zu einer gewissen Grenze mit dein diastolischen (venösen) Druck zu, während sie dagegen von dem arteriellen Widerstand nur wenig oder gar nicht abhängig ist. Beim Froschherzen in situ bekam Leiters2 nach Bindung der Aorta eine flüchtige Verlangsamung der Schlagfolge, gleichgültig, ob das zentrale Nerven- system unversehrt oder zerstört war. Nach Vergiftung mit Atropin wie nach einem bedeutenderen Blutverlust rief der Aortaverschluß eine flüchtige Be- schleunigung hervor. In bezug auf die warmblütigen Tiere fand N. Martin bei Hundeherzen, durch welche in der später (Bd. III) zu beschreibenden Weise eine künstliche Zir- kulation hergestellt worden war, daß Variationen des arteriellen Blutdruckes, wenn der venöse Einströmungsdruck nicht mehr als 10 cm Blut betrug, durchaus keinen Einfluß auf die Pulsfrequenz hatten. Nur wenn der arterielle Druck längere Zeit auf weniger als 20 mm Hg herabgesetzt ist, tritt eine Verlangsamung ein, wahrscheinlich wegen ungenügender Speisung der Koronargefäße. Ist der venöse Druck sehr hoch (40 cm Blut) und gleichzeitig der arterielle Abfluß sehr gehemmt, so hat der hohe Arteriendruck anfangs keinen Einfluß; nach einiger Zeit werden die Pulse unregelmäßig und bei der Entlastung vorübergehend dikrotisch. Innerhalb der vitalen Druckgrenzen ist also der arterielle Blut- druck ohne Einfluß auf die Pulsfrequenz.3 Bei sehr großen Variationen des venösen Druckes (10 — 70 cm Blut) finden wir in den Tabellen Howells und Donaldsons* Schwankungen in der Pulsfrequenz, diese sind aber nicht sonder- lich groß und gehen bei verschiedenen Versuchen nicht in derselben Richtung. Bei dem Präparate von Martin ist also im großen ganzen die Pulsfrequenz auch von dem venösen Druck ziemlich unabhängig. Ebensowenig konnten Knowlton und Starting5 am Herzlungen präparat des letzteren irgendwelche konstanten Beziehungen der Pulsfrequenz zu der Höhe des arteriellen Druckes (20 — 200 mm Hg) nachweisen, was von Socin6 an dem- selben Präparat bestätigt wurde, indem in seinen Versuchen beim Übergang von niederen zu den höchsten Druckwerten die Frequenz 4 mal unverändert blieb, 14mal eine Abnahme und 23 mal eine Zunahme erlitt. Bei Druckschwankungen zwischen 50 und 90 mm Hg konnten Magratli und Kennedy1 wie auch Schirr wacher8 keine deutlichen Veränderungen der Pulsfrequenz am isolierten Katzenherzen nachweisen, und in einer Reihe von 1 J. M. Ludwig und Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 228—235; 1881; — vgl. auch Fodera, Arch. ital. de biologie, 14, S. 184; 1891. 2 Leiters, Quarterly journ. of physiol., 9, S. 189; 1915. :i N. Martin, Studies from the biological laboratory of the Johns Hopkins university, 2, S. 213 — 233; 1881; — Martins Physiological papers, S. 25. 4 Howell und Donaldson, Philosophical transactions, 1884, S. 152 — 154. 5 Knowlton und Starling, Journ. of physiol., 44, S. 208; 1912. ,! Socin, Arch. f. d. ges. Physiol., 160, S. 158; 1914. ' Magrath und Kennedy, Journ. of exp. med., 2, S. 13; 1897. s Schirrmacher, Inaug.-Diss. Rostock 1901. 442 Die Innervation des Herzens. 1 1 Versuchen nahm die Pulsfrequenz durchschnittlich nur um 7% zu> wenn der Druck um 41% anstieg, sowie in 13 Versuchen um 9°/0 ab bei einer Druck- senkung um 42%. Dagegen fanden Guthrie und Pike1 bei Speisung des ausgeschnittenen Herzens von der Aorta oder von den Koronarvenen her, daß die Pulsfrequenz etwa parallel dem Drucke anstieg: Speisung durch die Arterie Speisung durch die Vene Druck; mm Hg Pulsfrequenz Druck; mm Hg Pulsfrequenz in der Minute in der Minute 90 90 70 39 140 138 76 57 156 162 92 66 175 204 102 78 104 96 116 120 128 126 204 144 Zu dem gleichen Resultat ist auch Herlitzka2 gekommen. Bei hohem Druck wird der Umfang der Kontraktion niedriger, während die Pulsfrequenz immer noch zunimmt, die diastolische Erschlaffung wird immer unvollständiger und endlich treten flimmernde Bewegungen auf.3 Erfolgt eine große Drucksenkung genügend schnell, tritt entweder eine vorübergehende Beschleunigung (Schirrmacher) oder Retardation der Schlag- folge auf (Guthrie und Pike*). Beim entnervten Herzen in situ mit sonst unversehrter Zirkulation treten Erscheinungen auf, die von denen beim ausgeschnittenen Herzen etwas abweichen, was damit zusammenhängt, daß hierbei in der Regel wenigstens nicht allein der arterielle Blutdruck an und für sich, sondern auch andere Umstände auf das schließliche Resultat einwirken. Bei einer durch Reizung der Gefäßnerven bewirkten Drucksteigerung strömt eine große Menge venösen Blutes zum Herzen und erhöht also den dia- stolischen Druck. Bei einer durch Kompression der Bauchaorta erzielten Druck- steigerung werden die Nieren vom Kreislauf ausgeschlossen, und das Blut kommt also reicher an Zersetzungsprodukten als unter normalen Umständen zum Herzen zurück. Welche Bedeutung diese und andere Umstände für die Schlagfolge des Herzens haben, ist freilich noch nicht entschieden. Jedenfalls steht fest, daß sich das Herz unter derartigen Umständen anders verhalten kann, als bei den soeben besprochenen einfachen Versuchsbedingungen. Schon Ludwig und Thiry fanden, als sie das Halsmark durchschnitten und sämtliche Herznerven abgebrannt oder die Vagi bis zur Lungenwurzel abgetrennt hatten, bei Reizung des Rückenmarkes oder bei Kompression der A. anonyma und subclavia sinistra, sowie der Brustaorta unmittelbar über dem Zwerchfell, daß die Pulsfrequenz im allgemeinen zunahm, zuweilen sich aber 1 Guthrie und Pike, Science, N. S., 24, S. 52; 1906; S. 25; 1907. 2 Herlitzka, Arch. f. d. ges. Physiol., 107, S. 569; 1905. :! Guthrie und Pike, Amer. journ. of physiol., 18, S. 23; 1907 4 Guthrie und Pike, ebenda, 18, S. 24. Amer. journ. of physiol., 18, Die Zahl der Herzschläge. 443 auch verminderte oder konstant blieb.1 v. Bezold und Stezinsky beobachteten an Tieren mit durchschnittenen Halsnerven und Halsmark, wenn sie in ver- schiedener Weise (durch Hebung des Hinterkörpers, durch Verschließung der Aorta oder durch Bluttransfusion in die Karotis) den arteriellen Blutdruck erhöhten, eine Beschleunigung der Herzschläge. Nur wenn der Blutdruck über eine gewisse Grenze hinaus stieg, nahmen die früher beschleunigten Herzschläge wieder an Zahl ab.2 Auf der anderen Seite nahm in Versuchen von v. Bezold die Pulsfrequenz bei Verblutung ab, wenn vorher alle Herznerven galvanokaustisch abgebrannt waren.3 Demgegenüber hat Knoll, wenn Halsnerven und Halsmark durchschnitten waren, nach Verschluß der Bauchaorta keine gleichmäßige Veränderung des Herzschlages, sondern nur die später zu erwähnenden arythmischen Unregel- mäßigkeiten beobachtet.4 Und auch Nawrocki findet bei Druckschwankungen an derartig operierten Tieren keine Veränderung der Pulsfrequenz.5 Wenn die Halsnerven durchschnitten und außerdem entweder die Ganglia cervicalia inferiora und stellata beiderseits entfernt waren oder das Rückenmark oberhalb des Atlas durchtrennt wurde, machte sich in den Versuchen von Tschir- jew bei Drucksteigerung durch Zuklemmung der Aorta dicht unterhalb des Zwerchfells in den meisten Fällen eine Verlangsamung, zuweilen aber auch eine Beschleunigung der Herzschläge bemerkbar. Nach beendigter Zuklemmung, wenn der Druck wieder herabsank, trat in der Regel Beschleunigung ein; in gewissen Fällen erschien dagegen eine Verlangsamung.6 In wesentlicher Übereinstimmung damit geben Guthrie und Pike7 an, daß die Pulsfrequenz des entnervten Herzens nach Bindung der Aorta entweder unverändert bleibt oder zunimmt oder auch abnimmt. Nach Vergiftung des Tieres mit Atropin bewirkte die Drucksteigerung wie beim ausgeschnittenen Herzen immer nur eine Zunahme der Pulsfrequenz. Mac William8 faßt seine hierher gehörigen Erfahrungen an der Katze und dem Kaninchen in der Weise zusammen, daß die Pulsfrequenz bei sehr niedrigem Druck stark verlangsamt ist und daß eine dann folgende Drucksteigerung die Pulsfrequenz in die Höhe treibt. Ist der Druck aber sehr hoch, so nimmt die Pulsfrequenz ab. Wenn ein Druck mittlerer Größe für eine Zeit von 30 Sekunden erhöht oder erniedrigt wird, erscheint keine Veränderung der Pulsfrequenz, und selbst sehr umfangreiche Variationen des Blutdrucks (von 30 — 40 auf 150 bis 160 mm Hg) vermögen, wenn sie nur kurzdauernd sind, keinen wesentlichen oder bleibenden Einfluß auf die Pulsfrequenz auszuüben. 1 Ludwig und Thiry, Sitz.-Ber. d. Wiener. Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 49 (2). S. 433, 442—454; 1864. 2 v. Bezold und Stezinsky, Unters, aus dem physiol. Laborat. in Würzburg, 2, S. 194 bis 214; 1867. 3 v. Bezold, ebenda, 2, S. 221—222; 1867. 4 Knoll, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 66 (3;, S. 209, 210; 1872. 5 Nawrocki, Beiträge zur Anat. u. Physiol., Festgabe für Ludwig. Leipzig 1875, 1, S. 207—214. 6 Tschirjew, a. a. O., 1877, S. 157—179. 7 Guthrie und Pike, Amer. journ. of physiol., 18, S. 28. 8 Mac William, Proc. of the Royal Soc, 53, S. 469; 1893; — Brit. med. journ., 1904(2), S. 739, 444 Die Innervation des Herzens. Endlich hat Johansson an Hunden mit auf beiden Seiten durchschnittenen Accelerantes und Vagi durch Reizung des Halsmarkes oder des N. splanchnicus eine Beschleunigung des Herzschlages bei zunehmendem Druck gefunden. Dies traf jedoch nur in dem Falle ein, wenn sich die Geschwindigkeit der Druck- steigerung dem Werte von 1 mm in einer Sekunde näherte. Nach Ende der Drucksteigerung schlug das Herz nur während einer kurzen Zeit in dem be- schleunigten Rhythmus; die Pulsfrequenz nahm dann wieder ab, und die Puls- zahl ging zu ihrer früheren Norm zurück oder sank noch tiefer. Bei langsam stattfindender Drucksteigerung wurde keine Veränderung der Pulsfrequenz beobachtet.1 Da bei allen diesen Versuchen das Herz mit dem zentralen Nervensystem in keinem nervösen Zusammenhang stand, müssen die besprochenen Schwan- kungen der Pulsfrequenz von einer direkten Einwirkung eines bei der Druck- veränderung beteiligten Momentes auf das Herz selbst bedingt sein. Es ist kaum anzunehmen, daß der arterielle Druck an und für sich dieses Moment darstellt. Man könnte sich freilich vorstellen, daß die bei einem höheren Druck ausgiebigere Durchblutung der Kranzarterien die Ernährung und die Erregbarkeit des Herzens erhöht. Gegen diese Deutung sprechen aber teils die Erfahrungen N. Martins (vgl. oben II, S. 441), teils die von mehreren Forschern erwähnte Verlangsamung infolge einer Drucksteigerung, teils auch die Beob- achtung Johanssons, daß nicht der hohe Druck an und für sich, sondern die schnelle Druckzunahme die Beschleunigung hervorruft. Es scheint daher, daß, wenigstens bei der durch ausgiebige Gefäßkontraktion bedingten Drucksteigerung, die Hauptursache der Beschleunigung in der plötzlich vermehrten Blutzufuhr zum Herzen zu suchen ist. Dadurch werden die Ab- teilungen des Herzens, welche den ganzen Herzschlag einleiten, zu einer schnelleren Tätigkeit gebracht. Da wir aber gefunden haben, daß bei Drucksteigerung auch eine Verlang- samung der Herzschläge erfolgen kann, so ist die Annahme wohl kaum zu um- gehen, daß neben den motorisch wirkenden Mechanismen auch hemmende dabei in Tätigkeit versetzt werden. Dann ist es, wie Tschirjew2 bemerkt hat, von der gegenseitigen Erregbarkeit dieser Mechanismen abhängig, ob eine Beschleunigung oder eine Verlangsamung erscheint. Es kann aber auch der Fall sein, daß alle beide gleich stark erregt werden, und dann tritt keine Veränderung der Schlag- folge ein. Wenn die hemmenden Mechanismen gewinnen, so machen sich die be- schleunigenden in der Nachwirkung geltend: daher die Beschleunigung, die nach Aufhören der Drucksteigerung nicht selten erscheint. Die Differenz, welche in dieser Hinsicht zwischen dem ausgeschnittenen Herzen und dem entnervten Herzen in situ besteht, ist möglicherweise davon bedingt, daß im ersten Falle die in der Herzwand vorhandenen, in der Vagus- bahn eingeschalteten Ganglienzellen gelitten haben, so daß sie nicht so leicht wie beim Herzen in situ bei den Druckschwankungen ansprechen. Im Zusammenhang damit sind die Untersuchungen über die Einwirkung eines verschieden großen intrakardialen Druckes auf die Erregbarkeit des Vagus 1 Johansson, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1801, S. 111, 112, 142—151. a 'Tschirjew, a. a. Ü., 1877, S. 187. Die Zahl der Herzschläge. 445 zu beachten. Sustschinsky fand beim Kaninchen, daß dann, wenn der Blut- druck durch Schließung der Aorta oder der A. pulmonalis in einem sehr hohen Grade gesteigert wird, der Vagus seine Fähigkeit verliert, das Herz zum Still- stand zu bringen. Bei vermindertem intrakardialen Druck nimmt dagegen die Erregbarkeit des Vagus erst zu, um später, bei weitergehender Drucksenkung, wieder abzunehmen.1 Schiff bestätigte diese Tatsache, bemerkte aber, daß nicht der Druck, sondern vielmehr eine durch die Stauung veränderte chemische Beschaffenheit des Blutes die Unwirksamkeit des Vagus hervorriefe.2 Um diese Meinungsdifferenz zu entscheiden, machten J. M. Ludwig und Luchsinger ihre Beobachtungen am Froschherzen, dessen Leistungsfähigkeit viel weniger als die des Warmblüterherzens von der normalen Zirkulation ab- hängig ist. Sie fanden, daß, je höher die Spannung des Herzens steigt, es um so schwieriger gelingt, durch Vagusreizung einen Stillstand des Herzens zu er- halten. Sie deuten diese Erscheinung in der Weise, daß der hohe Druck die motorischen Elemente des Herzens in einem so hohen Grade reizt, daß die hem- menden Impulse dieser Reizung nicht mehr gewachsen sind.3 Dasselbe Er- gebnis erhielten auch Sewall und Donaldson4, Durdufi5, Gaglio6 und Stewart.' In dem Falle, daß die beschleunigenden Herznerven noch unversehrt und nur die Vagi durchschnitten sind, können die Herzschläge bei Drucksteigerungen sowohl beschleunigt als verlangsamt werden. Unter diesen Versuchsbedingungen sah Asp eine Verlangsamung bei Drucksteigerung infolge einer Reizung des peripheren Endes des abgeschnittenen Splanchnicus. Jedoch traf es öfter ein, daß der Puls häufiger wurde.8 Wenige Sekunden nach Eintritt einer durch Kompression der Bauchaorta erzielten Drucksteigerung trat bei Versuchen von Knoll eine mäßige, aber allmählich anwachsende Verlangsamung der Herzschläge ein, welche bis zur Lüftung der Aorta anhielt.9 Tschirjew beobachtete diese Verlangsamung ebenfalls; in einigen Fällen jedoch konstatierte er eine Be- schleunigung als Folge der Drucksteigerung.10 Aubert und Roever fanden bei Drucksteigerung und abgeschnittenen Halsnerven entweder fast gar keine Ver- änderung der Pulsfrequenz, oder sie war, wo sie vorkam, in der Regel sehr gering und in verschiedenem Sinne vorhanden. Bei einigen Versuchen, wo der Anfangs- druck aber sehr niedrig war, stellte sich jedoch eine sehr beträchtliche Zunahme der Frequenz dar.11 Mac William beobachtete bei durchschnittenen Vagi und Kompression der Brustaorta öfter eine geringe Beschleunigung der Herzschläge.12 Horsley und Spencer bemerkten, wenn sie bei durchschnittenen Vagi den intra- kranialen Druck steigerten, eine Steigerung des Blutdruckes, welche von einer 1 Sustschinsky, Unters, aus dem physiol. Laborat. in Würzburg, 3, S. 165 — 180; 1868. 2 Schiff, Arch. des scienc. phys. et natur., nouv. per., 63, S. 30; 1878. 3 J. M. Ludwig und Luchsinger, Arch. f. d. ges. Physiol., 25, S. 235; 1881. 4 Sewall und Donaldson, Journ. of physiol., 3, S. 357 — 368; 1882. B Durdufi, Arch. f. exp. Pathol., 25, S. 443; 1889. G Gaglio, Arch. ital. de biologie, 12, S. 384; 1889. 7 Stewart, Journ. of physiol., 12, proc, S. 30; 1891. 8 Asp, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss., math.-phys. KL, 1867, S. 152. 9 Knoll, Sitz.-Ber. d. Wiener Akad. d. Wiss., math.-naturw. KL, 66 (3>, S. 208; 1872. 10 Tschirjew, a. a. O., 1877, S. 131—151. 11 Aubert und Roever, Arch. f. d. ges. Physiol., 1, S. 246— 250; 1868. 12 Mac William, Proc. of the Royal Soc, 44, S. 287; 1888. 446 Die Innervation des Herzens. Zunahme der Herzfrequenz begleitet war.1 Dagegen fanden Bernstein2 und Nawrocki3 bei durchschnittenen Halsnerven keine Beschleunigung bei Druck- steigerung. Auf der anderen Seite nahm nach v. Bezold die Pulsfrequenz bei Verblutung entschieden zu, bis der Druck sehr tief herabsank, in welchem Falle er ein jähes Sinken der Pulsfrequenz beobachtete.4 Daß bei dieser Gruppe von Versuchen der bei der ersten Gruppe schon er- örterte Mechanismus sich geltend macht, ist ersichtlich. Es fragt sich nur, ob und in welcher Weise die hier beibehaltenen beschleunigenden Nerven bei den betreffenden Erscheinungen mitwirken. Dieser Frage wollen wir näher treten, sobald wir die bei unversehrtem Vagus hervortretenden Veränderungen geprüft haben. Bei unversehrten Herznerven ruft, nach Bainbridge5, die intravenöse Trans- fusion einer unschädlichen Flüssigkeit, unabhängig von jeder körperlichen Be- wegung wie von jeder Veränderung der Atmung und des Blutdruckes, beim Hunde eine Beschleunigung der Herzschläge hervor, wenn die Drucksteigerung in den zentralen Venen die Höhe von etwa 30 — 60 mm Wasser erreicht. Nach Ende der Transfusion sinken Pulsfrequenz und Venendruck parallel wieder herab. Nach Durchschneidung sämtlicher Herznerven bleibt die betreffende Be- schleunigung aus, tritt aber sowohl nach Atropinvergiftung als nach Ausschaltung der Accelerantes auf, und muß also teils auf eine Abnahme des Vagustonus, teils auf eine Verstärkung des Tonus der fördernden Nerven bezogen werden. Wie Sassa und Miyazaki6 nachwiesen, liegt die nächste Ursache der Er- scheinung in dem durch die Transfusion bedingten Erweiterung der zentralen Venen und der Vorhöfe des Herzens. Dadurch wird ein reflektorischer Vor- gang ausgelöst, bei dem die zentripetalen Fasern im Vagusstamme verlaufen, wie daraus hervorgeht, daß die nach Atropinvergiftung noch nachweisbare Be- schleunigung nach Durchschneidung der Vagi nicht mehr erscheint. Bei Tieren, wo der Tonus der hemmenden Nerven nur schwach ausgebildet ist, wie beim Frosch und Kaninchen, kommt die erwähnte Wirkung der Druck- steigerung in den zentralen Venen und den Vorhöfen nicht zum Vorschein (Sassa und Miyazaki7). Wenn die gesamten Herznerven beibehalten sind, so sinkt die Pulsfrequenz bei arterieller Drucksteigerung und steigt bei Drucksenkung. Diese speziell von Marey8 hervorgehobenen Tatsachen sind von allen Forschern, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, im allgemeinen bestätigt worden, gleichviel in welcher Weise die Druckschwankungen stattgefunden haben. Wie Filehne und Biber feld9 1 Horsley und Spencer, Philos. transact, 182, B, S. 235; 1891. 2 Bernstein, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1867, S. 1—4. 3 Nawrocki, a. a. 0., S. 214—220. 4 v. Bezold, Unters, aus dem physiol. Laborat. in Würzburg, 2, S. 215; 1867. 5 Bainbridge, Journ. of physiol., 49, proc, S. 45; 1915; — 50, S. 65; 1915. 6 Sassa und Miyazaki, journ. of physiol., 54, S. 209; 1920. 7 Sassa und Miyazaki, ebenda, 54, S. 204. 8 Marey, Memoires de la Societe de biologie, 1859, S. 301; — vgl. Comptes rendus de l'Academie des sciences, 53, S. 95— 98; 1861; — La circulation du sang. Paris 1881, S. 334 bis 340; — Heer, Arch. f. d. ges. Physiol., 148, S. 85; 1912. 9 Filehne und Biberfeld, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 469; 1909. Die Zahl der Herzschläge. 447 hervorgehoben haben, finden sich indessen sowohl beim Hunde wie beim Kaninchen Ausnahmen von dieser Regel. Da Verlangsamung der Herzschläge infolge einer Steigerung des Blutdruckes bei durchschnittenen Vagi lange nicht Regel ist, so leuchtet ein, daß sie im vor- liegenden Falle unter Mitwirkung des Vaguszentrums stattfinden muß. Ob aber dieses Zentrum reflektorisch (z. B. durch den N. depressor) oder direkt durch den erhöhten Blutdruck gereizt wird, ist damit nicht entschieden. Aus den vorliegenden Tatsachen scheint jedoch hervorzugehen, daß beide Möglich- keiten in der Tat mitwirken. Die Beteiligung des Depressors bei der Regulierung der Schlagfolge des Herzens soll später besprochen werden. Die direkte Wirkung des erhöhten Blutdruckes auf das Vaguszentrum geht ihrerseits aus folgendem Versuch von Frangois-Franck deutlich hervor. Er isolierte beim Hund und Kaninchen das Gehirn vom übrigen Körper in der Weise, daß es nur durch den Vagus mit demselben in Verbindung stand. Durch die beiden durchschnittenen Karotiden leitete er unter einem wechselnden Druck Blut nach dem Gehirn. Jedesmal, wenn der Blutdruck in den Gefäßen des Gehirns zunahm, wurden die Herzschläge langsamer. Hier konnte kein Reflex von den peripheren Organen des Körpers stattfinden, denn sie waren ja vom Gehirn isoliert und die Drucksteigerung fand nur im Gehirn selbst statt.1 Zu demselben Ergebnis kam Frangois-Franck2, wie vor ihm schon Leyden*, wenn der intrakraniale Druck von einem Trepanloch aus gesteigert wurde. Frangois-Franck nimmt an, daß dies auf der Einwirkung des Druckes auf die nervösen Elemente des Gehirns beruht, gibt jedoch zu, daß bei länger fort- gesetzter Kompression auch die Hirnanämie hierbei mitwirken kann. Damit die Drucksteigerung eine Abnahme der Pulsfrequenz hervorrufen soll, müssen also auch die Hirngefäße durch das zu ihnen strömende Blut stärker erweitert werden und der intrakranielle Druck ansteigen.4 Daher gibt weder die Bindung der Aorta ascendens (Eyster und Hooker5), noch die Vermehrung des Druckes in der linken Kammer, bzw. in den Koronar- arterien6 irgendwelche Retardation der Herzschläge. Auch bleibt diese während Drucksteigerungen bei genügend weit eröffnetem Schädel aus (Filehne und Biberfeld7), während sie sich in gewöhnlicher Weise darstellt, wenn allein die Membrana occipito-atlantoidea durchschnitten ist (Biedl und Reiner8). Eine besonders deutliche Illustration dazu ist die Erfahrung von Filehne und Biberfeld9, daß die Pulsfrequenz beim Hunde und Kaninchen nach Lösung der um die vier Gehirnarterien gelegten Ligaturen, trotz der nun stattfindenden Senkung des arteriellen Druckes, abnimmt. Die gewaltige Blutströmung in das 1 Frangois-Franck, Travaux du laboratoire de Marey, 3, S. 276; 1877. 2 Frangois-Franck, a. a. O., 3, S. 280f.; — vgl. auch die oben II, S. 322 angeführten Be- obachtungen an Neugeborenen; — ferner Landois, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1867, S. 146, und Bastgen, Verhandl. d. physikal.-med. Gesellsch. in Würzburg, N. F., 15, S. 220— 246; 1881. 3 Leyden, Arch. f. pathol. Anat., 37, S. 550; 1866. 4 Vgl. Stefani, Arch. ital. de biol., 26, S. 173; 1896. 5 Eyster und Hooker, Amer. journ. of physiol., 21, S. 381 ; 1908; -- vgl. Kochmann, Zentralbl. f. Physiol., 20, S. 419; 1907. 6 Eyster und Hooker, a.a.O., 21, S. 391. 7 Filehne und Biberfeld, Arch. f. d. ges. Physiol., 128, S. 461. 8 Biedl und Reiner, ebenda, 73, S. 385. 9 Filehne und Biberfeld, ebenda, 128, S. 469. 448 Die Innervation des Herzens. anämische Gehirn reizt wegen der bedeutenden Zunahme des intrakraniellen Druckes das Vaguszentruni. In der durch erhöhten intrakranialen Druck hervorgerufenen Vagusreizung sehen Roy und Adami eine Schutzvorrichtung des zentralen Nervensystems gegen eine zu starke Blutkongestion.1 Horsley und Spencer haben gefunden, daß bei künstlicher Respiration ein höherer intrakranialer Druck als sonst notwendig ist, um das Herz zum Still- stand zu bringen. Daraus scheint hervorzugehen, daß Menge und Beschaffen- heit des in den Hirngefäßen strömenden Blutes bei der betreffenden Erscheinung einen nicht unerheblichen Einfluß ausüben. Wenn die intrakraniale Druck- steigerung länger dauert, stellen sich allmählich immer häufigere Herzschläge ein, und endlich schlägt das Herz wieder in seinem normalen Rhythmus. Bei noch höherem intrakranialem Druck werden die Herzschläge schließlich ebenso häufig, als wenn die Vagi durchschnitten werden. Diese Paralyse des Vagus- zentrums geht bei jetzt erfolgender Aufhebung des Hirndruckes allmählich zurück, und das betreffende Zentrum erhält seine Erregbarkeit wieder.2 Auch eine reine Anämie des Gehirns vermag, ganz wie die Abnahme des arteriellen Blutdruckes, die Pulsfrequenz zu erhöhen, wie daraus hervor- geht, daß eine doppelseitige Kompression der Karotiden (A Cooper und Magen- die3) die Herzschläge beschleunigt. Hierbei nimmt also jedenfalls der Vagus- tonus ab, wie er bei erhöhtem Druck im Gehirn zunimmt. Wenn beim Kaninchen durch gleichzeitige Abklemmung der Karotiden und der Aa. subclaviae (vertebrales) eine plötzliche Gehirnanämie erzeugt wird, so tritt nach etwa 15 Sekunden unter Ansteigen des Blutdruckes und sofortigem Schwächerwerden der Schläge der linken Kammer ein Herzstillstand ein, der in dauernden Herztod übergeht, wenn die Abklemmung nicht genügend schnell entfernt wird. Bei durchschnittenen Vagi tritt statt des Herzstillstandes eine starke Be- schleunigung in Erscheinung. Daraus folgt, daß die beschleunigenden Nerven hierbei tätig sein müssen. Werden diese bei erhaltenen Vagi durchschnitten, so kann zwar nach Abklemmung der Gefäße ein dauernder Herzstillstand beob- achtet werden; dabei tritt aber die typische Vaguswirkung ein und der Herztod erfolgt erst nach einer Minute, gegenüber 15 Sekunden bei Erhaltung sämtlicher Herznerven. Bei dem hier besprochenen Herztod sind also beide Arten von Herznerven tätig und hierzu kommt noch die Einwirkung des wegen der gleichzeitigen Er- regung der Gefäßnerven stark gesteigerten Widerstandes in den Arterien, sowie der Sauerstoffmangel wegen des Atmungsstillstandes in Betracht. Dagegen erscheint dieser Herztod nicht, wenn durch künstliche Atmung für stete Sauerstofferneuerung im Herzen gesorgt wird, oder wenn an stark abgekühlten Tieren operiert wird, oder wenn Vagus und Accelerans einseitig durchtrennt worden sind. Das völlig entnervte Herz schlägt nach Überwindung der plötzlichen Drucksteigerung in völlig regelmäßigem, allmählich langsamer 1 Roy und Adami, Philosophical transact., 183, B, S. 264; 1892. 2 Horsley und Spencer, Philosoph, transact., 182, B, S. 201 ; 1891. 8 Vgl. Landois, Zentralbl. f. d. med. Wiss., 1865, S. 689; — Francois-Franck, Travaux du laborat. de Marey, 4, S. 74; 1880. Die Zahl der Herzschläge. 449 werdenden Rhythmus, bis zu dem oft erst nach 30 Minuten erfolgenden, durch Sauerstoffmangel bedingten Absterben (Friedenthal1). Bei starken Drucksteigerungen kann auch eine mehr oder minder ausgeprägte Arythmie bei der Herztätigkeit auftreten. Das Studium derselben wie anderer Formen der Herzarhythmie gehört indessen in die Pathologie und muß hier ausbleiben. § 97. Der Einfluß von Vorstellungen und Gefühlen auf die Pulsfrequenz. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß die Pulsfrequenz unter der Einwirkung von allerlei Vorstellungen und Sinneserregungen in der einen oder anderen Richtung verändert wird. Desgleichen beschleunigt, wie Bleuler und Lehmann2 bemerkten, jedes Gefühl von Brennen, Druck oder auch von leichter Übelkeit im Magen den Puls; ebenso spannende Gefühle im Darm, besonders im Rectum. Bei seiner 2 bis 3 Stunden lang dauernden Registrierung des Pulses fand Aulo3, wie schon bemerkt, daß auch beim Ausschluß aller willkürlichen Muskel- bewegungen die Zahl der Herzschläge sich von der einen Minute zur anderen in einem zuweilen sehr bedeutenden Grade veränderte. Die Ursache dieser Veränderungen sieht Aulo in unangenehmen sensiblen Erregungen. Wenn die Versuchsperson mit dem am Arme angebrachten Sphygmo- graphen ganz still liegt, kann sie kaum vermeiden, daß sie allerhand verschiedene Sensationen erfährt. Den einen Augenblick fühlt sie sich beklommen und leidet an unangenehmen, ja sogar schmerzhaften Empfindungen, einen anderen Augen- blick wird ihre Aufmerksamkeit von diesen abgelenkt und ein Gefühl von Wohl- befinden stellt sich ein. In Übereinstimmung mit den Befunden von Bleuler und Lehmann würde im ersten Falle eine Pulsbeschleunigung, im zweiten eine Pulsverlangsamung eintreten. Dies ist nun auch tatsächlich der Fall. Wenn Aulo, ohne sich zu bewegen oder seine Muskeln zu spannen, seine Aufmerksamkeit auf die Lage seines Armes richtete und sich diese als sehr unangenehm suggerierte, so stieg die Pulsfrequenz innerhalb 5 Minuten von 65 auf 76 Schläge an. Und auf der anderen Seite wurde innerhalb 4 Minuten eine Abnahme der Pulsfrequenz von 83 auf 75 bei einer geringen Lageveränderung, wodurch die unangenehmen Sensationen verschwanden, beobachtet. Aus etwa demselben Gesichtspunkte erklärt sich wahrscheinlich auch die Pulsbeschleunigung, welche bei den am Hungernden auftretenden Kontraktionen des Magens erscheinen. Die Zunahme der Pulsfrequenz beträgt durchschnittlich etwa 8 — 10 Schläge in der Minute, kann aber unter Umständen auf 30 in der Minute ansteigen (Carlson*). Wenn die Aufmerksamkeit auf einen in zweckmäßigem Rhythmus wieder- kehrenden Vorgang (Schritte und andere ähnliche Körperbewegungen, Schläge eines Metronoms usw.) gerichtet wird, kann sich die Frequenz der Herzschläge schnell in dem gleichen Rhythmus einstellen, vorausgesetzt, daß der Körper sich in einer bequemen, aufrechten Stellung befindet und daß keine emotionelle Er- 1 Friedenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1901, S. 31. 2 Bleuler und Lehmann, Arch. f. Hyg., 3, S. 239. 3 Aulo, Skand. Arch. f. Physiol., 21, S. 267; 1909. 4 Carlson, Amer. journ. of physiol., 31, S. 319; 1913. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. 29 450 Die Innervation des Herzens. regung störend einwirkt. Diese Erscheinung wird von Colemaii1 hauptsächlich auf die Einwirkung der gleichzeitig auftretenden Bewegungen der Stimmritze, der Bauchwand wie der Extremitäten und des Rumpfes zurückgeführt. In nahem Zusammenhang mit den jetzt erwähnten Erscheinungen stehen die Schwankungen der Pulsfrequenz, welche von Schwankungen im psychischen Zustande des Versuchsindividuums hervorgerufen werden. Da es indessen außerhalb des Rahmens dieses Buches liegt, die körperlichen Äußerungen der psychischen Zustände eingehender zu besprechen, werde ich nur in aller Kürze die Resultate der wichtigsten hierher gehörigen Untersuchungen mitteilen. Nach Mentz2 wird die Herztätigkeit bei der unwillkürlichen Aufmerksam- keit verlangsamt und bei der willkürlichen beschleunigt, während nach Meu- mann und Zoneff3 in beiden Fällen eine Retardation erscheint. In Übereinstimmung mit Mentz fand Lehmann*, daß ein unwillkürliches Fesseln der Aufmerksamkeit eine Verlangsamung der Schlagfolge hervorruft und eine willkürliche Kon- zentration von einer beschleunigten Herztätigkeit begleitet wird. Auch Goetz Martius5 ist zu dem Resultat gelangt, daß die geistige Tätigkeit der Schlagfolge des Herzens beschleunigt. Lehmann* hat versucht, diese teilweise einander widersprechenden An- gaben unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenzufassen. Die meisten unter den Versuchen von Meumann und Zoneff wurden mit einfachen Sinnes- reizen angestellt, welche die Versuchsperson nur verhältnismäßig kurze Zeit beachtete. Allerdings war hierbei die Aufmerksamkeit nicht durch und durch unwillkürlich gefesselt, aber andererseits wurde hier keine anstrengende psychische Arbeit geleistet. Es liegt also hier eine bedeutende Differenz in bezug auf die- jenige willkürliche Aufmerksamkeit vor, welche bei einer intensiven geistigen Arbeit erfordert wird. Auf Grund dessen glaubt Lehmann, den Tatsachen folgendermaßen einen richtigen Ausdruck geben zu können: jede sinnliche Wahrnehmung, die keine besondere Anspannung der Aufmerksamkeit erfordert, wird von einer Verlang- samung der Schlagfolge des Herzens begleitet.7 Im Gegensatz zu Mentz, Lehmann und G. Martins fanden aber Meumann und Zoneff selbst bei etwas mehr anstrengenden psychischen Aufgaben eine Pulsverlangsamung. Auch hier hat Lehmann8 nicht ohne Erfolg versucht, die einander widersprechenden Angaben zu vereinigen, und ist schließlich zu dem Resultat gelangt, daß jede psychische Arbeit ohne hervortretende Gefühls- betonung, ohne Rücksicht auf ihre Art, anfangs eine Retardation bewirkt, die 1 Coleman, Journ. of physiol., 54, S. 213; 1920; — vgl. auch Reys, Nederl. tijdschr. v. geneesk., 64 (2), S. 141; 1920. 2 Mentz, Philos. Studien, 11, S. 101, 110, 600; 1895. :i Meumann und Zoneff, ebenda, 18, S. 44; 1903. 4 Lehmann, Die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände, 1. Leipzig 1899, S. 68, 93; — 3, 1905, S. 373. 5 Goetz Martius, Beitr. z. Psychol. u. Philos., 1, S. 490; 1905. G Lehmann, a. a. O., 3, S. 373; 1905. 7 Über die von Martins entwickelte Deutung der abweichenden Resultate von Meumann und Zoneff vgl. Beitr. z. Psychol. u. Philos., 1, S. 507. 8 Lehmann, a. a. O., 3, S. 377. Die Zahl der Herzschläge. 451 von einer Acceleration abgelöst wird, wenn die Arbeit eine stärkere und an- haltendere Anspannung der Aufmerksamkeit erheischt.1 Ferner beobachtete Martius2 bei stärkeren körperlichen Schmerzen eine Beschleunigung, bei schwächeren aber in der Regel eine Verlangsamung der Herzschläge, obgleich auch eine Acceleration dabei ab und zu vorkam. Dagegen ergaben angenehm oder unangenehm schmeckende oder riechende Stoffe keine ausgesprochenen Differenzen; es ließ sich also in diesen Versuchen keine klare Abhängigkeit zwischen den Pulserscheinungen und den Gefühlen von Lust und Unlust nachweisen. Ebensowenig konnte eine durch Vorlesen heiterer oder trauriger Gedichte, bzw. durch vorgestellte Heiterkeit oder Traurigkeit usw. hervorgebrachte lust- oder unlustbetonte Stimmung irgendwelchen deutlichen Einfluß auf die Puls- frequenz ausüben.3 In bezug auf Affekte scheint nach Meumann* eine Akzeleration bei der Erwartung, dem Schreck (2. Stadium) und der Aufregung, meistens bei der Besorgnis und manchmal beim Ärger, außerdem beim Aufmerken, Sprechen und Lachen aufzutreten. Eine Verlangsamung der Herztätigkeit zeigte sich bei Freude, weniger bei Hoffnung, bei Enttäuschung, im ersten Augenblick des Schrecks, beim Mitleid, häufig beim Ärger, unter Umständen auch bei Be- sorgnis. Bei seinen entsprechenden Beobachtungen fand Aulo5 u. a., daß die Puls- frequenz unter dem Einfluß von Ärger erheblich, in einem Falle im Verlaufe von sieben Minuten von 51 auf 42 — 43 Schläge herabsank. Nach Mac William6 würden diese Veränderungen der Pulsfrequenz sämtlich durch Veränderungen in der Tätigkeit des Zentrums der hemmenden Herz- nerven verursacht werden; die hier auftretende Beschleunigung wäre also nicht die Folge einer stärkeren Erregung des- Acceleranszentrums, sondern stellte den Ausdruck eines verminderten Tonus im Vaguszentrum dar. Nähere Be- weise für diese Auffassung hat er indessen, meines Wissens, nicht veröffentlicht. § 98. Der Einfluß der Muskeltätigkeit auf die Pulsfrequenz. a) Die Veränderungen der Pulsfrequenz infolge körperlicher Arbeit. Im Jahre 1732 beobachtete Ery an Robinson, daß die Frequenz der Herz- schläge bei einer und derselben Person bzw. 64, 68 und 72 betrug, je nachdem sie lag, saß oder stand. Als Durchschnitt von 21 Beobachtungen fand Fal- coner, daß die Differenz der Häufigkeit des Pulses beim Stehen und Sitzen 673 Schläge betrug. Guy erhielt als Mittel seiner Beobachtungen an 100 Männern im Alter von etwa 27 Jahren, welche bei den Versuchen von Essen und von körperlicher Anstrengung unbeeinflußt waren, beim Stehen 78,9, beim Sitzen 70,1, beim Liegen 66,6 Herzschläge pro Minute. Ferner fand er, daß bei derselben Pulsfrequenz beim Stehen die Veränderung beim Übergang zum 1 Lehmann, a. a. 0., 3, S. 377. - G. Martius, a. a. 0., 1, S. 492. :! G. Martius, a. a. ()., 1, S. 503. * Meumann, a. a. O., 1, S. 546. - Aulo, Skand. Arch. f. Physiol., 21, S. 271 ; 1909. 6 Mac William, Proc. of the Royal Soc., 53, S. 477; 1893. 29* 452 Die Innervation des Herzens. Sitzen oder Liegen bei dem Manne größer ist als bei dem Weibe. Endlich stellte es sich bei Selbstversuchen von Guy heraus, daß die von der Lageveränderung bedingte Veränderung der Pulsfrequenz, ceteris paribus, vor dem Frühstück am größten (10 Herzschläge), kleiner des Nachmittags und Abends am kleinsten ist.1 Nach Geigel2 nimmt die Pulsfrequenz beim Stehen um durchschnittlich 12 Schläge in der Minute, der Frequenz beim Liegen gegenüber, zu. Die Ursache der Veränderung der Pulsfrequenz bei der Lageveränderung des Körpers liegt nach den Versuchen Guys nur zu einem geringen Grade in der dabei stattfindenden Muskelanstrengung, denn die Veränderung ist fast von derselben Größe, wenn die Lageveränderung passiv stattfindet. Dagegen zeigten andere Versuche desselben Verfassers, daß man die Ursache in der Muskelaktion zu suchen hat, welche notwendig ist, um den Körper in der neuen Lage zu erhalten. Noch größeren Veränderungen der Pulsfrequenz begegnen wir bei stärkeren Körperbewegungen. Bryan Robinson fand die Pulsfrequenz bei langsamem Gang 100, bei schnellerem Gang 140; wenn der Mann lief, so schnell es ihm möglich war, erreichte sie den hohen Wert von 150 und mehr.3 Lichtenfels und Fröhlich erwähnen, daß die Pulsfrequenz sich von 82 bis auf 156 Schläge erhob, wenn die Versuchsperson mit dem von zwei Pfund belasteten rechten Arm 30 Sekunden lang eine Pendelbewegung ausführte.4 Die Größe der Steigerung ist selbstverständlich von mehreren Ursachen, wie z. B. von der Geschwindigkeit und Dauer der Bewegung, abhängig. Fig. 337 stellt die minutlichen Veränderungen der Pulsfrequenz während einer etwa 5 Minuten lang dauernden angestrengten Arbeit an einem stationären Fahrrad dar. Die Frequenz nimmt zuerst schnell zu, erreicht dann nach etwa 21/i Minuten einen Gleichgewichtszustand, von welchem aus sie gegen Ende der Arbeitsdauer langsam wieder ansteigt (Bowen5). Während der Arbeit nimmt die Pulsfrequenz um so mehr zu, je größer die Arbeitsleistung ist. Indessen finden sich nicht selten Ausnahmen von dieser Regel, wie in der folgenden Versuchsreihe von Bowen6, wo die Arbeit (kg-m in der Minute) an einem stationären Fahrrad geleistet wurde. Arbeit: 71—142—150—177- 213-225—252-284—300- 315—354- 375—532—568—852 Pulsfrequenz: 82—102— 97— 84—123— 98—144— 97—123—144—115—142—159—147—180 Je nachdem die Größe der äußeren Arbeit 1,05, 1,5, 2,0, 2,25 Kai. pro Minute betrug, stieg die Pulsfrequenz in den Versuchen von Benedict und Cathcart7 etwa auf bzw. 125, 160, 163 und 180 in der Minute. 1 Guy, Art. Pulse in Toods Cyclopaedia of anatomy and physiology, 4, S. 185 — 189; 1852; — vgl. auch Langowoy, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 68, S. 268; 1900. 2 Geigel, Deutsch. Arch'. f. klin. Med., 99, S. 45; 1910. 3 Guy, a. a. 0., 4, S. 189. 4 Lichtenfels und Fröhlich, Denkschr. d. math.-naturw. KL d. Wiener Akad. d. Wiss., 3 (2), S. 149, 152; — Hartwell und Tweedy, Journ. of physiol., 46, proc, S. 9; 1913; — Lilje- strand und Stenström, Skand. Arch. f. Physiol., 39, S. 209; 1920. 5 Bowen, Contrib. to med. research, ded. to V. C. Vaughan, 1903, S. 483. Denselben Verlauf hat auch die Kurve der Pulsfrequenz bei viel länger (60 — 70 Minuten) dauernder Arbeit; vgl. Benedict und Cathcart, Muscular work. Washington 1913, S. 153; — sowie Grünbaum und Amson, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 71, S. 539; 1901, und Buchanan, Journ. of physiol., 47, S. 117; 1913. 6 Bowen, a. a. O., 1903, S. 484. 7 Benedict und Cathcart, Muscular work, S. 153. Die Zahl der Herzschläge. 453 Bei höherer Außentemperatur, 25 — 30° C, und feuchter Luft steigt die Puls- frequenz infolge der Arbeit wesentlich mehr als sonst in die Höhe und kann schon nach den ersten 15 Sekunden, pro Minute berechnet, 180 betragen (Young, Breinl, Harris und Osborne1). Nach Ende der Arbeit sinkt die Pulsfrequenz in den ersten Augenblicken sehr schnell herab, so daß sie z. B. innerhalb 20 Sekunden von 159 auf 138 und während der folgenden 20 Sekunden auf 120 abnimmt (vgl. Fig. 337). Dies Tulse Haie ^i-" f <,' -- \ «-•" «-•""' -•" -••' \ / \ /' \ s V / f S«-1 / j / 1 1 i— •»» M 60 t " Fig. 337. Die Veränderungen der Pulsfrequenz bei körperlicher Arbeit. Nach Bowen. Die Ordinaten stellen Werte für je 10 Sekunden dar. Die Arbeit fand in der durch die Pfeile angegebenen Zeit statt. primäre Herabsinken erfolgt um so schneller, je geringer die Arbeit gewesen ist. Innerhalb der ersten 10 Sekunden nach Schluß der Arbeit nahm z. B. die Puls- frequenz bei leichter Arbeit von 102 auf 69, bei mäßiger Arbeit von 150 auf 138 und bei angestrengter Arbeit von 180 auf 174 Schläge, pro Minute berechnet, ab (Bowen2). Wenn die Arbeit nicht gar zu gering gewesen ist, folgt auf das primäre Herabsinken eine viel langsamere Abnahme der Pulsfrequenz und es dauert unter Umständen sehr lange, bis die frühere Schlagfolge des Herzens wieder erreicht ist. Zwanzig Minuten nach einer Arbeitsleistung mit den Beinen von etwa 10000 kgm war die Pulsfrequenz bei fünf von Staehelin3 untersuchten Individuen noch um bzw. 2 — 15, 2 — 28, 5, 2 — 16 und 5 — 22 Schläge in der Minute erhöht. Bei den drei Versuchspersonen, an welchen die Pulsfrequenz auch 30 Minuten nach Ende der Arbeit bestimmt wurde, betrug die Zunahme bzw. — 3 bis + 14, -7 bis + 12, + 3 bis + 13 Schläge. Weitere AufschJüsse hierüber liefert folgende von Lowsley* entworfene Tabelle. 1 Young, Breinl, Harris und Osborne, Proc. of the Royal Soc, 91 B, S. 111; 1920. 2 Bowen, a.a.O., 1903, S. 483; — vgl. auch Christ, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 53, S. 102; 1894; — Staehelin, ebenda, 59, S. 84; 1897. 3 Staehelin, ebenda, 59, S. 91; 1897. 4 Lowsley, Amer. journ. of physiol., 27, S. 463; 1911; — vgl. auch H. E. Herings Beob- achtungen am Kaninchen, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 485; 1895. 454 Die Innervation des Herzens. Arbeit Zunahme der Pulsfrequenz pro Minute, unmittelbar nach der Arbeit Mäßige Schnelle . . Kräftige . . Ermüdende . Erschöpfende 26 34 44 45 54 Zahl der Individuen 19 22 Zeit bis zum Wiedereintritt dernormalenPulsfrequenz; Minuten 31 60 65 70 213 Zahl der Individuen Die Einwirkung einer anstrengenderen Arbeit auf die Pulsfrequenz kann also sehr lange, obgleich mit stetig abnehmender Intensität, dauern. Wenn die Arbeitsleistung von dem einen Tage zum anderen immer weiter wiederholt wird, läßt sich eine deutliche Wirkung der allmählich eintretenden Übung auf die Erholungsfähigkeit des Herzens nachweisen, indem die Zeit nach der Arbeit, während welcher die Herzfrequenz 'noch beschleunigt ist, durch die fortschreitende Übung allmählich abnimmt (Staehelin1). Bei den langen Versuchsreihen von Peder2, v. Gertten3 und Hedwall* über den Einfluß der Übung auf die Leistungsfähigkeit der Muskeln wurde auch die Veränderungen der Pulsfrequenz berücksichtigt. Bei diesen Versuchen wurde die zu hebende Belastung in Zweisekundentakt so lange gehoben, bis die Versuchs- person erschöpft war. Dann wurde eine Ruhepause von drei Minuten eingeschaltet und danach die Arbeit wie vorher wieder fortgesetzt. Ein vollständiger Versuch umfaßte 20 solche Perioden, » Die Arbeit wurde hei den Versuchen von Peder und Hedwall mit den beiden Armen, bei einer Belastung von 25 bzw. 30 kg ausgeführt; außerdem machte Hedwall eine 66 Tage umfassende Versuchsreihe mit den unteren Extremitäten, wobei in jedem Versuch zuerst das eine, dann das zweite Bein mit einer Be- lastung von 40 — 65 kg seine Bewegungen je 10 Perioden ausführte. Bei den Versuchen v. Oerttens wurde nach isometrischem Regim gearbeitet, indem dabei statt des belastenden Gewichtes eine sehr kräftige Federwage am Ergographen angebracht worden war. Die Pulsfrequenz wurde unmittelbar nach Schluß jeder Periode gezählt. Sie bezieht sich also etwa auf die Zeit von 1/2— \1/2 Minute nach Ende der Arbeit und gibt uns einen Maßstab darüber, wie schnell das Herabsinken der Puls- frequenz infolge der Übung allmählich erfolgt. In allen hierher gehörigen Versuchen stieg die Pulsfrequenz nach der ersten bis dritten Arbeitsperiode schnell in die Höhe und sank dann im weiteren Verlauf eines und desselben Versuches allmählich herab oder blieb ziemlich konstant. Bei Peders Versuchen betrug die Pulsfrequenz während des konstanten Stadiums am 50. Versuchstage durchschnittlich etwa 103 Schläge in der Minute, v. Gerttens spätere Versuche bieten etwa dieselbe Frequenz dar. Dagegen schwankt die Pulszahl während des stationären Stadiums in den Versuchen* Hedwalls zwischen etwa 75 und 95 und ist also wesentlich niedriger. 1 Staehelin, Deutsch. Arch. f. klin. Med., 57, S. 96. 2 Peder, Skand. Arch. f. Physiol., 27, S. 338; 1912. 3 v. Gertten, ebenda, 28, S. 29; 1912. 4 Hedwall, ebenda, 32, S. 188; 1914. Die Zahl der Herzschläge. 455 In Fig. 338 sind die durchschnittlichen Schwankungen der Pulsfrequenz in den Versuchen mit den unteren Extremitäten graphisch dargestellt. Wir sehen, wie die als Nachwirkung der Arbeit erscheinende Beschleunigung nach Pulsfrequenz 120 110 100 90 SO 70 — /^r- / n \ 1 / " ~ \ i i \ -- — V /\ / / i \ *■* \ \ / 1 / 1 \ ...-• ij y '*• ^ . •' _.-■ // 80 6 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Fig. 338. Pulsfrequenz nach Ende der Arbeit mit den unteren Extremitäten. Nach Hedwall. Die Abszisse bezeichnet die einzelnen Perioden (1 — 20) in jedem Versuch ; die Ordinaten stellen das Mittel der Pulsfrequenz nach der betreffenden Periode in allen 66 Versuchen ( — ), in den vier ersten Versuchen (---), sowie in den fünf letzten Versuchen (•••) dar. 0 bezeichnet das Mittel der Pulsfrequenz vor dem Versuch. Pulsfrequenz 100 90 80 70 60 «^ >« . s- s > X > "T-H "■" — ~~. '■/ / \ y *=£-£L. T. . ' »— ^, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Fig. 339. Pulsfrequenz nach Ende der Arbeit mit den oberen Extremitäten. Nach Hedwall. Vgl. die Erklärung zur Fig. 338. Pulsfrequenz 120 der ersten Periode sehr bedeutend ist und wie sie dann allmählich bis zur neunten Periode herabsinkt, um nach der zehnten Periode einen kleinen Anstieg zu zeigen. Dann folgt die Arbeit mit dem zweiten Beine; nach der elften Periode steigt die Pulsfrequenz wieder stark in die Höhe und sinkt dann ziemlich schnell wieder herab, so daß sie nach den Perioden 13 — 20 beim Gesamtmittel nur zwischen 77 und 82 variiert. Dasselbe geht aus der Fig. 339, die sich auf die Arbeit mit den oberen Ex- tremitäten bezieht, sehr deutlich hervor. Während des langsam abfallenden 110 100 90 80 70 60 I . 1 1 1 4 Fig. 340. Die Pulsfrequenz nach der ersten Periode in Arbeits- versuchen mit den Beinen. Nach Hedwall. Die Ordinaten stellen die mittlere Pulsfrequenz für je 4 bis 5 Tage dar. 456 Die Innervation des Herzens. Pulsfrequenz 90 8t) 70 60 X Fig. 341. Die Pulsfrequenz nach der ersten Periode in Arbeitsversuchen mit den Armen. Nach Hedwall. Die Ordinaten stellen die mittlere Pulsfrequenz für je 4 bis 5 Tage dar. Stadiums variiert die durchschnittliche Pulsfrequenz hier nur zwischen etwa 85 und 75 Schlägen pro Minute. Der Einfluß der allmählich fortschreitenden Übung ergibt sich aus Fig. 340, welche die Pulsfrequenz nach der ersten Arbeitsperiode in den Versuchen mit den unteren Extremitäten im Durchschnitt von je 4—5 Tagen darstellt, wie aus Fig. 341, welche sich in derselben Weise auf die Arbeit mit den Armen be- zieht. Im ersten Falle ist die Puls- frequenz nach der ersten Periode während der ersten Versuchstage etwa 120 und sinkt auf etwa 85 am letzten Versuchstage herab; im zweiten Falle sind die entsprechenden Zahlen 90 bzw. 81. Durch die Übung sinkt also in einem und demselben Versuch die Pulsfrequenz nach den einzelnen Perioden immer mehr herab, bis sie schließlich ein ziemlich stationäres Stadium erreicht; ebenso nimmt sie nach der ersten Periode von dem einen Tage zum anderen immer mehr ab. D. h. bei fortschreitender Übung sinkt die Pulsfrequenz nach dem während der Arbeit erreichten Maximum immer schneller auf ein verhältnismäßig niedriges Niveau herab. Eine genauere Durchmusterung der Zahlen von Hedwall ergibt noch, daß das Maximum der Pulsfrequenz nach der Arbeit höher ist bei Arbeit mit einer stärkeren Belastung als mit einer schwächeren und daß die Arbeit mit einer un- gewöhnlich hohen Belastung eine stärkere Steigerung der Pulsfrequenz un- mittelbar nach der Arbeit bedingt. Da die in Kilogrammetern gemessene Arbeits- menge bei der Arbeit mit einer hohen Belastung im allgemeinen kleiner ist als bei einer etwas niedrigeren, die Anstrengung aber im ersten Falle trotzdem wesentlich intensiver ist, folgt aus dem schon Ausgeführten, daß die Größe der Anstrengung für die Zunahme der Pulsfrequenz nach der Arbeit von eingreifenderer Bedeutung ist, als die Größe der geleisteten Arbeit. b) Die Ursachen der Zunahme der Pulsfrequenz bei der Muskelarbeit. Von vornherein kann man zur theoretischen Deutung der Pulsbeschleunigung bei der Muskelarbeit an mehrere verschiedene Umstände denken. Es konnten die bei der Muskelarbeit stattfindenden Veränderungen der Atmung und des Blutdruckes als sekundäre Folge die Beschleunigung der Herz- tätigkeit verursachen. Es wäre aber auch möglich, daß unter Vermittlung der zentripetalen Muskel-, Sehnen- und Hautnerven Reflexe von den bewegten Gliedern auf die zentrifugalen Herznerven ausgelöst wurden. Da der Stoff- wechsel in den tätigen Muskeln sehr bedeutend zunimmt, wäre es aber nicht unmöglich, daß Stoffwechselprodukte entweder die Zentren der Herznerven im Kopfmark beeinflußten oder auch durch direkte Einwirkung auf das Herz dasselbe zu beschleunigter Tätigkeit erregten. Schließlich läßt sich die An- nahme nicht ohne weiteres ausschließen, daß bei der Muskeltätigkeit die Herz- Die Zahl der Herzschläge. 457 nervenzentren vom Großhirn aus erregt werden sollten, da wir ja wissen, wie auch sonst das Großhirn auf diese Zentren einzuwirken vermag. Der erste, der die vorliegende Frage zum Gegenstand einer eingehenderen experimentellen Analyse machte, war Johansson.1 Ein großer Teil der Versuche dieses Autors ist nach demselben Plan, nach welchem Zuntz und Geppert* den Einfluß der Muskelbewegungen auf die Atmung untersuchten, ausgeführt. Es wurde also das Rückenmark zwischen den letzten Brustwirbeln oder in der Lendenregion durchschnitten und durch rhythmisch unterbrochene tetanisierende Reizung des distalen Rückenmarkstumpfes krampf- artige Zuckungen in den hinteren Extremitäten hervorgerufen. Dabei erschien nun in der Tat neben der Pulsbeschleunigung eine bedeutende Verstärkung der Atmungsgröße. Daß diese indessen für jene nicht maßgebend war, folgt ohne weiteres daraus, daß die gleiche Steigerung der Pulsfrequenz auch dann auftrat, wenn eine künstliche Atmung während des ganzen Versuchs unterhalten wurde, und also keine Veränderungen der Atmung im Anschluß an die Rückenmarksreizung erschienen.3 Zu dem gleichen Schluß kommt auch Aulo* bei Versuchen am Menschen. Wenn man nämlich, ohne andere Arbeit zu leisten, willkürlich die Frequenz der Atembewegungen auf das Vierfache bringt, so vermehrt sich die Pulsfrequenz nur um 20 — 25 Schläge in der Minute, während die Zunahme der Pulsfrequenz bei angestrengter Muskeltätigkeit doch viel größer ist. Und die erwähnte, ver- hältnismäßig geringe Akzeleration ist außerdem nicht von den Atembewegungen an sich, sondern davon herzuleiten, daß die verstärkte Atmung ja eine Mehr- leistung gewisser Muskeln darstellt und daher wie jede andere eine Erhöhung der Pulsfrequenz hervorrufen muß. Endlich tritt die Pulsbeschleunigung wie sonst auch beim Atemstillstand auf; dabei steigt die pro 30 Sekunden berechnete Pulsfrequenz durch starke Muskelspannung während einer halben Minute von etwa 33 auf 49 an (Aulo5). Ebensowenig kann die Pulsbeschleunigung bei der körperlichen Arbeit als die sekundäre Wirkung einer eventuellen Veränderung des Blutdruckes auf- gefaßt werden. Bei der Reizung des zwischen den letzten Brustwirbeln durch- schnittenen Rückenmarks bekommt man allerdings eine zuweilen sehr bedeutende Drucksteigerung, zu gleicher Zeit nimmt aber, und zwar selbst nach Ausschaltung der Vagi, die Pulsfrequenz ab. Wenn andererseits das Rückenmark im Lenden- teil durchschnitten war, bewirkte die Reizung seines distalen Stumpfes nur eine ganz geringe Veränderung des Blutdruckes in positiver oder negativer Richtung, und die Vermehrung der Pulsfrequenz schien davon ganz unabhängig zu sein.6 Um den Einfluß zentripetaler Erregungen auf die Veränderungen der Puls- frequenz bei der körperlichen Arbeit zu würdigen, untersuchte Johansson7, wie 1 Johansson, Skand. Arch. f. Physiol., 5, S. 20; 1893. - Zuntz und Geppert, Arch. f. d. ges. Physiol., 42, S. 189; 1888. :! Johansson, Skand. Arch. f. Physiol., 5, S. 55. 4 Aulo, ebenda, 21, S. 149; 1909. 5 Aulo, ebenda, 25, S. 353; 1911. 6 Johansson, ebenda, 5, S. 50. 7 Johansson, ebenda, 5, S. 39; — vgl. auch E. G. Martin und Gruber, Amer. journ. of physiol., 32, S. 319; 1913. 458 Die Innervation des Herzens. sich die Pulsfrequenz bei Verschiebungen der Haut bzw. bei passiven Bewegungen der Extremitäten verändert, konnte aber dabei nie eine erheblichere Einwirkung auf die Pulsfrequenz nachweisen. Dagegen bewirkten die im venösen Muskelblut enthaltenen Stoffwechsel- produkte immer eine gewisse Beschleunigung der Herztätigkeit, wie so deutlich wie möglich daraus hervorgeht, daß die nach der Reizung des distalen Rücken- markstumpfes sonst erscheinende Zunahme der Herzfrequenz solange ausblieb, als das mit den Stoffwechselprodukten geschwängerte Blut durch provisorische Bindung der Aorta und der V. cava inferior vom allgemeinen Kreislauf aus- geschaltet war, andererseits aber nach Lösen der Ligatur sogleich erschien.1 Die bei den Muskeln bei ihrer Tätigkeit gebildeten Substanzen haben also einen deutlichen pulsbeschleunigenden Einfluß. Die Zunahme der Pulsfrequenz, die bei der Reizung des distalen Stumpfes des durchschnittenen Rückenmarks erscheint, ist aber wesentlich geringer als diejenige, die bei aktiven Bewegungen des Tieres erzielt wird. Die durchschnittliche Steigerung betrug nämlich in jenem Falle nur 8,6, Maximum 26, Minimum — 2, Schläge in der Minute, d. h. durchschnittlich nur 3,6%2) während die Pulsfrequenz bei den willkürlichen Kontraktionen des Tieres durchschnittlich um 46, Maximum 70, Minimum 22, Schläge in der Minute, d. h. 17,6°/o zunahm.3 Zur Erklärung dieser Differenz gelangt Johansson* zu dem Resultat, daß bei der willkürlichen Muskelarbeit als neuer und sehr wichtiger Faktor die Mit- erregung des Zentrums der beschleunigenden Herznerven durch Impulse von den höheren, die willkürlichen Innervationen abgebenden Zentren hinzukommt (vgl. oben II, S. 425).5 Auf hohen Bergen nimmt die Pulsfrequenz schon bei geringen Anstrengungen in einem sehr erheblichen Grade zu und erreicht dabei sehr hohe Zahlen.6 Da keine Veranlassung zu der Annahme, vorliegt, daß die willkürlichen Impulse mehr energisch als in der Ebene sind, und auch die Veränderungen der Atmung und des Blutdruckes, wie die etwaigen Modifikationen der Reflextätigkeit, diese Erscheinung nicht erklären können, läßt sich nach Durig und Kolmer7 als wirkender Faktor nur die Reizwirkung der in den arbeitenden Muskeln unter dem Einfluß der Sauerstoffarmut in reichlicherer Menge als sonst gebildeten Zersetzungsprodukte herbeiziehen. Eine direkte Bestätigung dieser Auffassung finden sie in Backmans8 Beobachtungen, daß das vom Körper ausgeschnittene Kaninchenherz durch Zusatz von 0,25% Natriumlaktat zu schnellerer Schlagfolge angeregt wird.9 1 Johansson, Skand. Arch. f. Physiol., 5, S. 44. 2 Johansson, ebenda, 5, S. 37. 3 Johansson, ebenda, 5, S. 30. 4 Johansson, ebenda, 5, S. 65. 5 Vgl. auch Velich, Wiener klin. Wochenschr., 1906, S. 663 (über die Ursache der Steigerung des Pulsfrequenz beim Stehen). 6 Vgl. die oben II, S. 435 zitierten Arbeiten von Mosso; Kronecker; Zuntz, Loewy, Müller und Caspari; Durig und Kolmer; Douglas, Haidane, Henderson und Schneider. 7 Durig und Kolmer, Denkschr. d. math.-naturw. Kl. d. Wiener Akad. d. Wiss., 86, S. 59; 1909. 8 Backman, Skand. Arch. f. Physiol., 20, S. 162; 1907. 9 Ein niedriger Gehalt an Natriumlaktat (0,1 — 0,03%) verminderte aber in den Ver- suchen Backmans ausnahmslos die Pulsfrequenz. Nach der von Backman (a. a. ()., 20, S. 187) gegebenen Zusammenstellung enthält das Blut der Säugetiere 0,116 — 0,026°/0 Milchsäure. Die Zahl der Herzschläge. 459 Indessen lassen sie es unentschieden, ob diese Wirkung der Zersetzungs- produkte direkt auf das Herz oder auf die peripheren Endigungen zentripetaler Nerven oder auf die Zentren der zentrifugalen Herznerven ausgeübt wird. Außer- dem weisen sie auf die Abnahme der Kohlensäurespannung im Blute und die davon bedingte Abnahme der tonischen Erregung des Vaguszentrums hin. Es ist indessen zu berücksichtigen, daß beim unversehrten Kreislauf die Injektion von 300 cem n/4- Lösung von Milchsäure gar keinen Einfluß auf die Pulsfrequenz ausübt (Mansfeld1), sowie daß am ausgeschnittenen, künstlich ernährten Katzenherzen weder der Extrakt des ruhenden, noch der des tetani- sierten Katzenmuskels irgendwelche Beschleunigung der Pulsfrequenz hervor- rief (Petersen und Gasser2). Sehr bemerkenswert in dieser Hinsicht ist auch die Angabe Friedcnthals3, daß an Hunden, denen alle Herznerven ausgeschaltet waren, keine Beschleunigung, sondern vielmehr eine, wenn auch geringe Verlangsamung der Herzschläge bei der körperlichen Arbeit erschien. Bei diesen Versuchen sind also die Stoff- wechselprodukte ganz und gar wirkungslos gewesen. Auf Grund der Auffassung Johanssons von der wichtigsten Ursache der Zunahme der Pulsfrequenz bei der Arbeit folgern Athanasiu und Carvallo*, daß die Beschleunigung der Herzschläge bei willkürlichen Willensimpulsen auch dann erscheinen müßte, wenn diese, wegen Lähmung der betreffenden Muskeln, sonst erfolglos bleiben. Dies war indessen bei Versuchen an Paraplegikern nicht der Fall, weshalb die betreffende Auffassung, nach der Meinung von Athanasiu und Carvaüo, falsch ist. Demgegenüber läßt sich indessen bemerken, daß solche Versuche, wenn sie negativ ausfallen, nichts Bestimmtes aussagen können, denn wir haben keine Beweise dafür, daß die betreffenden Kranken die längst entwöhnten Willens- impulse wirklich ausführten.5 Athanasiu und Carvaüo6 geben allerdings zu, daß Produkte des Muskel- stoffwechsels eine Pulsbeschleunigung hervorrufen können, sie stellen sich in- dessen vor, daß dies nur bei einer lange dauernden und ermüdenden Arbeit der Fall ist, sowie daß hier nicht eine normale, sondern eine pathologische Erscheinung vorliegt. Im Zusammenhang damit teilen Athanasiu und Carvallo Versuche mit, laut welchen die Pulsfrequenz bei Reizung der motorischen Zone (beim Hunde) viel weniger ansteigt als bei Reizung des Lendenmarkes, und hier weniger als bei direkter Reizung der Muskeln der hinteren Extremitäten in die Höhe geht. Nach 10 Minuten dauernder Reizung war die Pulsfrequenz in diesen drei Fällen bzw. 131, 200 und 242; vor der Reizung betrug die Pulsfrequenz bzw. 96, 170, 165. Die genannten Autoren sind gewillt, diese Erscheinung in der Weise zu deuten, daß die Ermüdungsstoffe in kleinerer Menge bei der Reizung der Großhirnrinde 1 Mansfeld, Arch. f. d. ges. Physiol., 134, S. 610; 1911. 2 Petersen und Gosser, Amer. journ. of physiol., 33, S. 301; 1914. 3 Friedenthal, Arch. f. Anat. u. Physiol., physiol. Abt., 1902, S. 142. 4 Athanasiu und Carvallo, Arch. de physiol., 1898, S. 554. 5 Vgl. hierüber auch Bowen, Contribut. to medical research ded. to V. C. Vaughan, 1903, S. 479. 6 Athanasiu und Carvallo, a. a. Ü., 1898, S. 561. 460 Die Innervation des Herzens. als in den anderen Fällen gebildet werden. Dies ist indessen kaum wahrscheinlich; viel näher liegt die Annahme, daß die Tätigkeit der Muskeln bei der Gehirn- reizung weniger intensiv gewesen ist, und daß außerdem bei der Gehirnreizung möglicherweise die Zentren der hemmenden Nerven auch angesprochen worden sind und infolgedessen der Umfang der sonst eingetretenen Beschleunigung beschränkt worden ist. Als wirksamste Ursache der normalen Pulsbeschleunigung kommen daher nach Athanasiu und Carvallo1 Reflexe von den Bewegungsorganen in Betracht. Um diese Auffassung näher zu prüfen, führte Aulo2 Versuche am Menschen aus. Nachdem seine Versuchsperson während 5 — 10 Minuten gelaufen war, wurden ihre Muskeln einer kräftigen Massage ausgesetzt. Wie aus der Fig. 342 <)0 \ 85 SO / V / \ 1 / V r N 70 Min 2 >t i) t / (? / S '.' 0 2 ? 2 i 2 6 2 8 .? 0 9 .7 > \ > / t l h" ■—' ... • 4 f N / Min. 2 13 15 70 >1 23 25 27 29 31 Fig. 342.""- Veränderung der Pulsfrequenz durch Massage. Nach Aulo. Die dicken vertikalen Linien geben die Zeit "des Laufens an, bei — 10 Minuten, bei 5 Minuten. Zwischen a und b kräftige Massage der unteren Extremitäten. Zeit in Minuten. Die Ordinaten bezeichnen die Pulsfrequenz. ersichtlich, fiel der Versuch im großen und ganzen negativ aus; die kombinierte mechanische Reizung der Haut und der Muskeln vermochte nicht die Herz- tätigkeit in einem merkbaren Grade zu beschleunigen. Nebenbei gesagt, zeigt dieser Versuch noch, daß die Menge der nach dem Laufen in den Muskeln noch vorhandenen und durch die Massage in den allgemeinen Kreislauf getriebenen Verbrennungsprodukte keineswegs genügte, um eine Pulsbeschleunigung hervor- zurufen. Auch passive Bewegungen erhöhen nicht die Pulsfrequenz. Im Versuch, der in Fig. 343 graphisch wiedergegeben ist, wurden während zwei Minuten kräftige und umfangreiche passive Beugungs- und Streckungsbewegungen mit 1 Athanasiu und Carvallo, Arch. de physiol., 1898, S. 555. -Aulo, Skand. Arch. f. Physiol., 21, S. 152; 1909; -- vgl. E.G.Martin und Gruber, Amer. journ. of physiol., 32, S. 320; 1913. Die Zahl der Herzschläge. 461 90 80 65 i 1 1 / / / / / 1 -1 — ; i 1 7.7 1 1 1 1 1 1 1 1 — t / i — *- i i i l 1 » T 1 . 80 1 — \- l V- \ 1 1 k\ \ LV \ '"/ \ f / '' ** 1 / • \/ <: t > den Unterschenkeln ausgeführt. Dann hatte die Versuchsperson mit den unteren Extremitäten aktive Bewegungen, die in bezug auf Rhythmus, Dauer und Um- fang möglichst gleich den entsprechenden passiven Bewegungen waren, zu machen. Im ersten Falle erschien keine Veränderung der Pulsfrequenz, im zweiten nahm sie innerhalb zwei Minuten von 62 auf 91 zu. Wenn die nackte Haut der Versuchs- person mit einer harten Kleiderbürste ge- rieben wurde, wurde die Pulsfrequenz kleiner und auch nach dem Ende der Reizung trat keine Beschleunigung im Vergleich mit der Pulsfrequenz vor der Reizung auf (Fig. 344). Dasselbe Resultat ergab auch die Hautreizung mit dem elektrischen Pinsel. Es können daher alle möglichen Reizungen an den unteren Extremitäten ausgeführt werden, ohne daß dadurch die Pulsfrequenz ansteigt. Die Beschleunigung bei der körperlichen Arbeit kann also nicht auf die Wirkung zentripetaler Er- regungen von den Bewegungsorganen zurückgeführt werden. Bei künstlicher Reizung der Muskeln der hinteren Extremitäten bekamen dagegen Krogh und Lindhard1 eine Acceleration, welche sie als Ausdruck einer reflektorischen Erregung der Herznerven auffassen, obgleich sie in bezug auf die Deutung der bei den willkürlichen Muskelbewegungen auftretenden Beschleunigung wesentlich mit Johansson überein- stimmen. Es scheint mir indessen nicht ganz ausgeschlossen zu sein, daß irgendwelche vom Gehirn ausgelösten Muskelspannungen bei diesen Versuchen stattgefunden haben können. Bei Versuchen, deren Anordnung ganz dieselbe war wie bei den Ver- suchen von Johansson, beobachtete Mansfeld* bei Hunden und Katzen eine Pulsbeschleunigung von durchschnitt- lich 25 (14 — 38) Prozent. Auf Grund verschiedener Beobachtungen verwirft er indessen die Annahme, daß Stoffwechselprodukte hier das Wesentliche wären, und deutet seinerseits die betreffende Erscheinung in der Weise, daß die bei der Muskelarbeit gebildete Wärme einen Reiz für gewisse im Herzen vorhandene, temperaturempfindliche zentripetale Nerven bildet, durch welche die Zentren der beschleunigenden Nerven reflektorisch erregt werden. Min,. Fig. 343. Veränderung der Pulsfrequenz bei aktiven ( — ) und passiven ( — ) Bewegungen zwischen a und b. Nach Aulo. tiö > l 60 * s t \ // \\ \ f S S f \ \ 4 / f \ > 55 t ( > Mirv 2 V 6 8 10 12 Fig. 344. Veränderung der Pulsfrequenz bei starker Hautreizung, zwischen a und b. Nach Aulo. 1 Krogh und Lindhard, Journ. of physiol., 51, S. 187; 1917. 2 Mansfeld, Arch. f. d. ges. Physiol., 134, S. 598; 1910. 462 Die Innervation des Herzens. Dieser Reflex tritt indessen, nacli Mansfeld, nur in dem Falle auf, wenn die Steigerung der Temperatur verhältnismäßig rasch verläuft. Erfolgt sie nur sehr allmählich, so findet kaum eine Beschleunigung des Pulses statt, und wenn die Temperatur im Herzen nach vollendeter Muskelarbeit auf der erreichten Höhe stehen bleibt, so kehrt die Pulszahl trotz der höheren Temperatur zur Norm zurück. Die Beschleunigung der Herztätigkeit bei der Muskelarbeit wäre somit etwas Zufälliges, das mit der Arbeit an und für sich nur locker zusammenhängen würde und unter Umständen gänzlich ausbleiben könnte. Daß die Erklärung Mansfelds nicht zutreffend ist, folgt indessen aus Ver- suchen von Bowen1, die schon viel früher veröffentlicht worden waren. Bowen hatte nämlich gefunden, daß eine Verkürzung der Pulsdauer, d. h. eine Ak- zeleration der Herzschläge, schon zwischen dem ersten und dem zweiten Herz- schlag nach dem Beginn der Arbeit erfolgt, also zu einer Zeit, wo noch keine Rede davon sein kann, daß das in den arbeitenden Muskeln erwärmte Blut zum Herzen hat wiederkommen können. Zu dem gleichen Resultat ist auch Aulo2 bei entsprechenden Versuchen gelangt. Hier nahm die Pulsdauer innerhalb 2 — 3 Sekunden um 10 — 7°/0 ab. Nach einer nur 60 — 65 Sekunden dauernden Arbeit dauerte die Abnahme der Pulsdauer noch etwa 3 Sekunden und stieg dann sofort an, so daß sie schon 7 Sekunden später ihre ursprüngliche Länge wieder erreicht hatte. Auch diese schnell vorübergehende Nachwirkung spricht gegen Mansfelds Auffassung, denn nach dieser hätte man ja erwartet, daß nach dem Schluß der Bewegung wegen der immer noch stattfindenden Zufuhr von erwärmtem Blut aus den Muskeln eine weitere Zunahme der Bluttemperatur im rechten Herzen und also eine fortgesetzte Pulsbeschleu- nigung stattgefunden hätte. Direkte Versuche über die Ver- änderungen der Pulsfrequenz und der Körpertemperatur bei Muskelleistungen von 1 — 2 Minuten Dauer ergaben, daß trotz bedeutender Zunahme der Puls- frequenz — von 67 auf 107, von 95 auf 119, von 70 auf 98 — die Rektal- temperatur während der Arbeit nicht nur nicht anstieg, sondern sogar etwas schneller als bei der körperlichen Ruhe herabsank (vgl. Fig. 345). Auch E. G. Martin, Gruber und Lanpian3 sind zu dem Resultat gekommen, daß sich kein Parallelismus zwischen der in der Axille gemessenen Körper- temperatur und der Pulsbeschleunigung infolge körperlicher Arbeit vorfindet. Hierbei ist noch zu bemerken, daß, nach Glaus4, eine durch ein Lichtbad Pulsfrequenz f"sN- ~-s N \ \ \ k 'S a _b /\ GtüvanoTneter 90 = 0. 11 °C. * 8 12 16 20 2k Fig. 345. Pulsfrequenz und Temperatur. Nach Anlo. — , die mittlere Pulsfrequenz pro Minute; , die jede 4. Minute gemessene Rektal- temperatur. Die Zahlen an der Abszisse geben Minuten an. Zwischen a und b Arbeit. 1 Bowen, Contribut. to medical research ded. to V. C. Vaughan, 1903, S. 470. 2 Aulo, Skand. Arch. f. Physiol., 25, S. 347; 1911. :i E.G. Martin, Gruber und Lanman, Amer. journ. of physiol., 35, S. 211; 1914; - vgl. auch Krogh und Lindhard, Journ. of physiol., 51, S. 186; 1917. 4 Glaus, Arch. f. exp. Pathot., 87, S. 293; 1920. Die Zahl der Herzschläge. 463 statigefundene Erwärmung des Blutes keine so bedeutende Erhöhung der Puls- frequenz bewirkt, wie eine durch Muskelarbeit hervorgerufene entsprechende Steigerung der Körpertemperatur. Die beträchtliche Beschleunigung, welche Mansfeld bei der Reizung des durchschnittenen Rückenmarks erzielte, könnte dennoch gegen die Auffassung der Pulsbeschleunigung bei der Muskelarbeit als Folge der Miterregung der Herznervenzentren angeführt werden. Gegen diese Folgerung spricht indessen, wie es scheint, ganz bestimmt die lange Latenzdauer der Beschleunigung - 10 — 15 Sekunden bei der Katze und 20 — 25 Sekunden beim Hunde ■ in den Versuchen von Mansfeld.1 In derselben Richtung geht schließlich auch die Erfahrung von E. G. Martin und Graber'2, daß der Strychninkrampf bei der dezerebrierten Katze nur aus- nahmsweise von einer beschleunigten Herzfrequenz begleitet ist, sowie daß da, wo eine solche erscheint, sie erst nach etwa 10 Sekunden auftritt und höchstens 9% mehr als die Frequenz vor der Reizung beträgt. Ich komme also zu dem Schluß, daß die Zunahme der Pulsfrequenz bei der körperlichen Arbeit in erster Linie durch eine Miterregung der Herznerven- zentren beim Abgeben der willkürlichen Impulse bedingt ist, wie diese auch die einzige Einwirkung darstellt, die den schnellen Eintritt der Pulsbeschleunigung erklären kann (Bo\venz), und daß außerdem noch eine eventuelle Erhöhung der Körpertemperatur sowie möglicherweise gewisse Produkte des Stoffwechsels (vgl. indessen Friedenthal, IL S. 459) hierbei beteiligt sind. Unter Umständen (insbesondere nach Vagusdurchschneidung) ist es auch mög- lich, daß eine vermehrte Sekretion der Nebennieren zur Beschleunigung des Herzens beiträgt (Gasser und Meek*). c) Der Anteil der verschiedenen Herz nerven an der Herzbeschleunigung bei der Muskelarbeit. Wenn die Beschleunigung der Herztätigkeit bei der Muskelarbeit wesent- lich durch eine Miterregung der bulbären Herznervenzentren bedingt ist, stellt sich die Frage, ob eine Abnahme der tonischen Erregung des Vaguszentrums oder eine Zunahme der tonischen Erregung des Acceleranszentrums hierbei das Entscheidende ist, oder ob alle beiden Umstände an der Erscheinung be- teiligt sind. Ohne irgendwelche Beweise dafür zu bringen, nahm Johansson3 an, daß eine Acceleransreizung hier vorliegt. Näher wurde diese Frage an der Hand von Versuchen am Kaninchen von H. E. Hering6 erörtert. Bei unversehrten Tieren betrug die Pulsfrequenz in der Ruhe 205, bei der Bewegung 324, Zunahme 119 Schläge in der Minute. Wurden die beiden Vagi durchschnitten, so stieg die Ruhezahl im Maximal- stadium auf 321; sie wurde durch Körperbewegung um durchschnittlich 15, 1 Mansfeld, Arch. f. d. ges. Physiol., 134, S. 603; 1910. 2 E.G. Martin und Gräber, Amer. journ. of physiol., 32, S. 319; 1913. * Bowen, a. a. O., 1903, S. 475. 4 Gasser und Meek, Amer. journ. of physiol., 34, S. 67; 1914. 5 Johansson, Skand. Arch. f. Physiol., 5, S. 65; 1893. «H.E.Hering, Zentralbl. f. Physiol., 8, S. 75; 1894; — Arch. f. d. gcs. Physiol., 60, S. 429; 1895. 464 Die Innervation des Herzens. im Maximum 30 Schläge vermehrt, was mit der schon in der Ruhe vorhandenen sehr frequenten Herzrhythmus ohne Zweifel zusammenhängt. Nach Ausschaltung der beschleunigenden Herznerven betrug die Pulsfrequenz in der Ruhe durch- schnittlich etwa 260; bei körperlicher Bewegung nahm sie am Operationstage um 20 Schläge, am ersten Tage nach der Operation um 40 und am zweiten Tage um 50 Schläge zu. Nach gleichzeitiger Ausschaltung aller Herznerven betrug die Beschleunigung durch Bewegungen nur 4 — 20 Schläge in der Minute. Aus diesen Daten und wegen der lange anhaltenden Pulsbeschleunigung nach Schluß der Bewegung kommt Hering1 zu der Auffassung, daß die Steigerung der Herzfrequenz bei der Muskeltätigkeit hauptsächlich an die Integrität der Beschleunigungsnerven gebunden ist, und daß die beim normalen Tiere statt- findende Zunahme der Erregung herzbeschleunigender Nerven durch die gleich- zeitige Abnahme der Erregung herzhemmender Nerven unterstützt wird. Nach Hunt2 stellt dagegen die Tatsache, daß in den Versuchen Herings die Pulsfrequenz bei undurchschnittenen Herznerven im großen und ganzen nicht höher anstieg als nach alleiniger Ausschaltung der Vagi, einen guten Grund für die Auffassung dar, daß die Abnahme des Vagustonus bei der Pulsbeschleunigung infolge von Muskelarbeit den wesentlichen Faktor darstellt. Wenn indessen die Acceleratoren unversehrt sind und sich in tonischer Erregung befinden, kann die Pulsfrequenz noch mehr zunehmen, ohne daß man darum sagen kann, daß diese Nerven bei der körperlichen Tätigkeit stärker in Anspruch genommen werden sollten. Sehr deutlich kommt die Beschleunigung durch Abnahme des Vagustonus in den Versuchen von Gasser und Meekz an Hunden zum Vorschein. Nach Ex- stirpation der Accelerantes sank die Pulsfrequenz durchschnittlich auf 74 in der Minute herab. Wurde das Tier dann zur Muskelarbeit gezwungen, so stieg die Pulsfrequenz auf 116, also um 42 Schläge an. An denselben Tieren betrug vor der Ausschaltung der beschleunigenden Nerven die Pulsfrequenz in der Ruhe 109, und bei der Arbeit 153 Schläge. Die Zunahme der Pulsfrequenz war hier 44 Schläge. In beiden Fällen war also die absolute Beschleunigung gleich groß, was ja stark dafür spricht, daß auch der Mechanismus in beiden derselbe gewesen ist, d. h. daß in beiden Fällen die Zunahme der Pulsfrequenz durch Verminderung des Vagustonus zustande gekommen ist. Andererseits erschien in den Versuchen von Gasser und Meek* bei körper- licher Arbeit auch nach alleiniger Ausschaltung der Vagi eine beschleunigte Herztätigkeit, die noch nach der Exstirpation der Nebennieren auftrat. Das Maximum der Beschleunigung zeigte sich nach 30 — 45 Sekunden und entspricht also ziemlich gut dem Verhalten bei der Acceleransreizung. Durch seine Ermittlungen über die Veränderungen der Systolen- und Dia- stolendauer je nachdem die Herzbeschleunigung durch Erregung der beschleu- nigenden oder Abnahme des Tonus der hemmenden Nerven hervorgerufen wird (vgl. II, S. 404) hat Hunt eine neue Möglichkeit eröffnet, um die Natur der Herzbeschleunigung bei der Muskeltätigkeit näher aufzuklären. 1 H. E. Hering, Arch. f. d. ges. Physiol., 60, S. 491. 2 Hunt, Amer. journ. of physiol., 2, S. 465; 1899. 3 Gasser und Meek, Amer. journ. of physiol., 34, S. 55; 1914. 1 Gasser und Meek, ebenda, 34, S. 67. Die Zahl der Herzschläge. 465 ^ ' ) v 51 /- ""~\ /\ ~-\ /' a z. 700 7/0 «W Aus den von Bowen1 und Aulo2 mitgeteilten Versuchen, wo aus diesem Gesichtspunkt die Dauer der Systole und Diastole bei der Arbeit des Menschen bestimmt wurde, geht nun, wie es scheint, unbedingt hervor, daß die erste Be- schleunigung auf eine Abnahme des Vagustonus zurückzuführen ist, denn hier verändert sich die Dauer der Systole nur sehr wenig, während die der Diastole in hohem Grade abnimmt (vgl. Fig. 346). Im weiteren Verlauf der Arbeit nimmt auch die Dauer der Systole mehr oder weniger ab; hier machen sich wahrscheinlich noch Einwirkungen von den bei der Muskeltätigkeit gebildeten Spaltungsprodukten und der eventuell er- höhten Körpertemperatur -mm geltend; auch läßt sich eine Beteiligung der be- schleunigenden Herz- nerven hier nicht bestimmt ausschließen. Zur Aufklärung des Angriffspunkts der Stoff- wechselprodukte ergaben Johanssons* Versuche an Hunden, bei denen alle Herznerven ausgeschaltet waren, daß bei Reizung des durchschnittenen Lendenmarkes auch dann eine wenn auch geringe Zunahme der Pulsfrequenz hervorrief.4 Auch Gasser und Meek5 beobachteten nach Ausschaltung aller Herznerven eine Pulsbeschleunigung bei Körperbewegungen. Diese nahm aber nach Bindung der Nebennierengefäße in hohem Grade ab und war also zum Teil von einer vermehrten Adrenalinsekretion bedingt. Es blieb aber noch eine gewisse Be- schleunigung zurück. Die Stoffwechselprodukte scheinen also, zum Teil wenigstens, das Herz direkt zu beeinflussen. In welchem Umfange sie möglicherweise auch auf die Herznervenzentren einwirken, darüber läßt sich zurzeit nichts Sicheres sagen. Übrigens geht aus dem Verhalten der Pulsfrequenz nach Schluß der Arbeit hervor, daß die Einwirkung der Stoffwechselprodukte nicht sehr bedeutend sein kann, denn sonst ließe sich doch nicht das steile Herabfallen der Pulsfrequenz während der allerersten Augenblicke der Ruhe erklären. Die starke Steigerung der Pulsfrequenz während der Arbeit und der starke Abfall der Pulsfrequenz nach derselben sind daher mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Leistungen 1 Bowen, a. a. O., 1903, S. 489. 2 Aulo, Skand. Arch. f. Physiol., 25, S. 356; 1911. :! Johansson, ebenda, 5, S. 59; 1893. 4 Bei Katzen beobachtete Mansfeld nach Durchschneidung aller Herznerven in einem Falle keine Wirkung, in einem anderen eine Beschleunigung von einem Herzschlag in der Minute; in entsprechenden Versuchen an Hunden sank die Pulsfrequenz herab. 5 Gasser und Meek, Amer. journ. of physiol., 34, S. 60; 1914. Tigerstedt, Kreislauf. II. 2. Aufl. $0 Fig. 346. Die Dauer der Systole und Diastole bei körperlicher Arbeit (zwischen a und b). Nach Aulo. S, Dauer der Systole; D, Dauer der Diastole. Die Ordinaten stellen Mittelwerte von je 5 Pulsen dar. 466 Die Innervation des Herzens. der Herznerven zu beziehen. Dagegen scheint die mehr oder weniger lange andauernde, plateauähnliche Nachwirkung kaum in direkter Beziehung zu den Herznerven gebracht werden zu können, denn alles, was über diese uns bekannt ist, spricht gegen die Ansicht, daß lediglich eine Nachwirkung der Accelerans- reizung vorliege. Es liegt viel näher, anzunehmen, daß gerade hier die Stoff- wechselprodukte die wirkende Ursache darstellen, und aus diesem Gesichts- punkte läßt es sich leicht verstehen, wie die Nachwirkung nach einer anstrengenden Arbeit so lange dauert. § 99. Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit von dem Lebensalter, der Körperlänge und dem Geschlecht. Der oben (II, S. 429) gerügte Übelstand, daß sich die Pulsfrequenz so äußerst leicht verändert, bereitet insbesondere bei der Feststellung von Durchschnitts- zahlen für die Pulsfrequenz bei Individuen von verschiedenem Alter usw. wie bei verschiedenen Tierarten sehr große Schwierigkeiten und bewirkt, daß die solcherart erhaltenen Zahlen nur eine relative Gültigkeit beanspruchen können. a) Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit vom Lebensalter. Von der Zeit an, als Kergaradec zuerst die Herztöne der Frucht als dia- gnostisches Zeichen der Schwangerschaft anzuwenden lehrte, hat man die Puls- frequenz des Fötus mit großer Sorgfalt studiert. Als mittlerer Wert werden 135 — 140 Herzschläge pro Minute angegeben. Die Schwankungen sind indessen sehr erheblich; so gibt Naegele1 als Extreme aus einer Anzahl von 600 Beob- achtungen 90 bzw. 180 Schläge, bei einem Mittel von 135 Schlägen, an. Während der ersten Monate des extrauterinen Lebens beträgt die Puls- frequenz etwa 130 Schläge pro Minute. Hierbei kommen indessen sehr be- deutende Variationen vor, denn sobald das Kind schreit oder sich bewegt, steigt die Pulsfrequenz in die Höhe und kann dabei bis zu 174 Schläge betragen (Bene- dict und Talbot2). Vom 2. Lebensmonat an variiert die Pulsfrequenz beim ruhenden Kinde nur wenig und ist durchschnittlich etwa 110 in der Minute (Benedict und Talbot2'). Allmählich nimmt dann die Pulsfrequenz bis zum 21. Lebensjahre ab, erhält sich darauf bis zum 65. Jahre ziemlich unverändert und steigt alsdann wieder etwas an, wie aus folgender, von Volkmann* nach Beobachtungen von ihm selber, von Guyr° und Nitsch zusammengestellten Tabelle hervorgeht.6 Sämtliche Beobachtungen, mit alleiniger Ausnahme derjenigen an kleinen Kindern, sind kurz vor dem Mittagsessen an gesunden, körperlich nicht an- gestrengten Menschen in sitzender Stellung gemacht. Ich habe in der Tabelle 1 Naegele, Die geburtshilfliche Auskultation. Mainz 1838, S. 35; — Preyer, Die spezielle Physiologie des Embryo, 1885, S. 43. 2 Benedict und Talbot, The gaseous metabolism of infants. Washington 1914, S. 107. — Über die Pulsfrequenz bei den Embryonen verschiedener Tiere s. § 100. 3 Benedict und Talbot, ebenda, S. 142. 4 A. W. Volkmann, Die Hämodynamik nach Versuchen. Leipzig 1850, S. 425. 5 Gay, a. a. O., 4, S. 182. «Vgl. auch Tawaststjerna, Skand. Arch. f. Physiol., 21, S. 414; 1909; -- Friberger, Upsala Läkareförenings förhandlingar, N. F., 18, S. 148; 1913. Die Zahl der Herzschläge. 467 nicht allein die Mittelwerte, sondern auch die Maxinia und Minima, sowie die Zahl der Beobachtungen aufgenommen, um solcherart eine Vorstellung von den individuellen Variationen der Pulsfrequenz zu geben. Lebensjahr Pulsfrequenz Zahl der Maximum Minimum Mittel Beobachtungen 0-1 160 101 134 59 1—2 136 84 111 33 2-3 134 84 108 48 3-4 124 80 108 63 4-5 133 so 103 94 5—6 128 70 98 56 6-7 128 72 93 42 7-8 112 72 94 39 8-9 114 72 89 48 9-10 120 68 91 47 10—11 106 56 87 73 11—12 120 60 89 75 12—13 112 67 88 107 13-14 114 66 87 80 14-15 112 60 82 71 15-16 112 66 83 77 16-17 108 54 80 54 17—18 104 54 76 67 18-19 108 60 77 48 19—20 106 52 74 57 20-21 99 59 71 67 21—22 96 41 71 54 22—23 100 56 70 63 23—24 96 50 71 60 24—25 96 50 72 44 25—30 102 52 72 180 30—35 104 58 70 125 35—40 100 56 72 144 40-45 104 50 72 105 45—50 100 49 72 102 50-55 94 52 72 42 55-60 108 48 75 58 60-65 • 100 54 73 60 65—70 96 52 75 51 70-75 104 54 75 . 44 75-80 94 50 72 44 80 u. mehr 98 63 79 31 Aus schon angegebenen Gründen müssen diese Zahlen, als Mittelwerte für die Pulsfrequenz ruhender Menschen betrachtet, als etwas zu hoch bezeichnet werden. So bedeutend sie auch sind, stellen die in dieser Tabelle aufgenommenen Maxima und Minima indessen nicht die überhaupt zu beobachtenden Extreme der Pulsfrequenz dar. Die niedrigsten mir bekannten Zahlen für die Pulsfrequenz sind 26, 24, 20 in der Minute. Sie sind von Heberden, Fordyce und Falconer mitgeteilt1 und beziehen sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf Fälle von Über- leitungsstörungen im Herzen. Napoleon I. hatte eine Pulsfrequenz von 40. 2 1 Guy, a. a. O., 4, S. 185. - MUne-Edwards, a. a. O., 4, S. 89. 30' 468 Die Innervation des Herzens. Auf der anderen Seite sind auch Fälle bekannt, wo die Pulsfrequenz bei Gesunden einen sehr hohen Wert erreicht hat; so beobachtete W liest bei einer gesunden Frau 120 Herzschläge in der Minute.1 In ganz entsprechender Weise wie beim Menschen verändert sich im Laufe der Jahre die Pulsfrequenz auch bei anderen Tieren: Tierart Pferd Pferd Rind Rind Rind Alter Pulsfrequenz in der Minute Grenzwerte I Mittel Autor 1—2 Tage 100-120 14 Tage 80—96 3 Monate 64—76 6 „ 64—72 1 Jahr 48—56 2 Jahre 40—48 3 „ 38-48 4 „ 32-40 8—10 Wochen 60—79 6 Monate 60—71 10— 12 Monate 50-68 2 Jahre 44—65 3 „ 39-62 4 „ 36—59 5 • 36—57 5—10 Jahre 27—42 30-59 10—15 „ 30—60 20—25 „ 30-60 1-2 Tage 92—132 4-5 „ 100—120 4—6 Wochen 64 Vs— 1 Jahr 56—68 1—2 Jahre 64 4 Jahre 56 Neugeboren 120—130 3-5 Tage 100 -4 Wochen bis zum 2. Jahre 70-80 vom 2. Jahre ab 58—62 Fötus 154—175 Neugeboren 118—148 6— 12 Stunden 115—136 2— 4 Tage 110—125 8—14 „ 105—115 1 Monat 100—115 3 Monate 90—105 6 „ 85—103 1 Jahr 80—98 71 63 60 46 43 40 38 33 4 39 : 40 ■' 44 ■' 161 141 127 116 109 106 99 96 92 Eduard Hering* Ellinger ; Eduard Heriiw' Fürstenberg u. Leisering'' Ellinger 1 Milne-Edwards, a. a. O., 4, S. 89. 2 Zit. nach Knoll, Unters, über die norm. Pulsfrequenz der Rinder und Schweine. Dresden [911, S. 14. 3 Ellinger, Inaug.-Diss. Greifswald 1894, S. 37. 4 Edle Pferde. 5 Gemeine Pferde. 6 Zit. nach Knoll, a. a. O., S. 14. 7 Zit. nach Knoll, a. a. O., S. 15. 8 Ellinger, a, a. O., S. 45. Die Zahl der Herzschläge. 469 b) Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit von der Körperlänge. Wenn man innerhalb der verschiedenen Altersklassen die Individuen nach ihrer Körperlänge in zwei Abteilungen ordnet, deren eine die kleineren, die andere die größeren Individuen umfaßt, so findet man, daß bei gleichem Alter die größeren Individuen in der Regel die kleinere Pulsfrequenz haben. Für einige Altersklassen sind die Differenzen nur unbedeutend, für andere dagegen ziemlich beträchtlich und betragen bis zu 23 Pulsschlägen (im ersten Lebens- jahr). Dies darf aber nicht so aufgefaßt werden, als ob jedes größere Individuum eine geringere Pulsfrequenz als ein kleineres hätte — nur als Mittel von großen Beobachtungsreihen tritt eine derartige Regelmäßigkeit hervor.1 Rameaux2 glaubte das Verhältnis der Pulsfrequenz zur Körperlänge nach einer Formel berechnen zu können, und zwar sollten sich die Pulsfrequenzen verschiedener Individuen im Mittel umgekehrt wie die Quadratwurzeln der Körperlängen verhalten. Sein Material war jedoch ein sehr kleines. Volkmann erkennt dies Gesetz nicht an, denn nach seinen Erfahrungen haben alle Individuen, deren Körper unter der Mittelgröße der Erwachsenen bleibt, einen häufigeren Puls, als ihn die Formel ausweist. Der Wahrheit näher kommt Volkmann mit der Annahme, daß sich die Pulsfrequenzen umgekehrt wie die 5/9 Potenzen der Körperlänge verhalten. Die von dem genannten Autor zum Beleg entworfene Tabelle zeigt mehrfach eine gute Übereinstimmung zwischen den berechneten und den gefundenen Werten. Jedoch basiert sie, wie Vierordt bemerkt, auf zu wenig Einzelfällen, als daß man darauf die Abhängigkeit der Pulsfrequenz von der Körpergröße durch ein allgemeines Gesetz formulieren könne. Daher begnügt sich Vierordt mit dem approximativen Endresultate, daß mit Zunahme der Körperlänge um 0,1 m die Dauer eines Pulses um etwa 0,03 Sekunde, d. h. etwa um 1/20 einer mittleren Pulsdauer, zunimmt.3 Man könnte sich leicht vorstellen, daß die größere Pulsfrequenz bei dem früheren Lebensalter ausschließlich von der geringeren Körperlänge bedingt wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Volkmann hat eine Zusammenstellung der Pulsfrequenz bei Individuen verschiedenen Alters, aber derselben Körper- länge, gemacht und dabei gefunden, daß jüngere Individuen, trotz derselben Körperlänge, dennoch im Mittel eine größere Pulsfrequenz als ältere haben.4 c) Die Pulsfrequenz in ihrer Abhängigkeit vom Geschlecht. Guy hat eine Anzahl hierher gehöriger Beobachtungen an gesunden, nüchternen, ruhenden, sitzenden Individuen in der Mitte des Tages angestellt. Seine Mittel- werte, welche sich auf je 25 einzelne Beobachtungen stützen, sind in der um- stehenden Tabelle zusammengestellt5. In jedem Alter von dem zweiten Lebensjahre an ist also die Pulsfrequenz bei der Frau größer als beim Manne. Ferner lehrt die Tabelle, daß das II, S. 466 1 Volkmann, a. a. 0., S. 428—432. - Rameaux, Mem. couron. et mem. des savants ötrangers de l'Acad. de Belgique, 29, >. 17f.; 1858; — vgl. auch Landois, Die Lehre vom Arterienpuls. Berlin 1872, S. 231 f. :i Vierordt, Die Lehre vom Arterienpuls. Braunschweig 1855, S. 60, 61. * Volkmann, a. a. O., S. 432—434. 5 Guy, a. a. O., 4, S. 184. 470 Die Innervation des Herzens. Alter; Mittlere Pulsfrequenz Alter; Jahre Mittlere Pulsfrequenz Jahre Männer Frauen Männer Frauen 2-7 97 98 42- 49 70 77 8-14 84 94 49-56 67 76 14-21 76 82 56-63 68 77 21-28 73 86 63-70 70 78 28—35 70 78 70-77 67 81 35-42 68 78 77-84 71 82 hervorgehobene allgemeine Ergebnis hinsichtlich der Veränderung der Puls- frequenz im Laufe der Jahre auch dann gültig ist, wenn die beiden Geschlechter jedes für sich berücksichtigt werden. Unter neueren Bestimmungen der Pulsfrequenz teile ich nur die von Fri- berger1 an insgesamt 305 Knaben und Mädchen im Alter vom 6. — 14. Lebens- jahre hier mit. Alter; Pulsfrequenz Jahre Knaben • Mädchen 6-7 98 106 7-8 93 107 8-9 97 102 9—10 95 108 10—11 94 106 11 — 12 90 102 12-13 86 103 13-14 91 97 14-15 88 104 Wenn wir die Tabelle in der Weise aufstellen, daß männliche und weibliche Individuen von derselben Körperlänge miteinander verglichen werden, so finden wir, wie Volkmann2 gezeigt hat, allerdings dasselbe Ergebnis; die Differenzen sind aber nunmehr so gering, daß sie wohl vollständig innerhalb der Grenzen der unvermeidlichen Beobachtungsfehler fallen. Körperlänge; Mittlere Pulsfrequenz Körperlänge; mm Mittlere Pulsfrequenz mm Männer Frauen Männer Frauen 525 158 144 1275 88 95 875 110 107 1375 87 87 975 101 106 1475 85 84 1075 97 98 1575 75 77 1175 91 94 Beim Menschen ist also die Geschlechtsdifferenz bei der Zahl der Herz- schläge zum allergrößten Teil von der kleineren Körpergröße der Frau bedingt. Über den Einfluß des Geschlechtsunterschiedes beim Rinde haben Ellingers* Zählungen ergeben, daß männliche, erwachsene Kastraten in fünf verschiedenen Versuchsreihen an Individuen verschiedener Rassen eine durchschnittliche Puls- 1 Fribergcr, Upsala Läkareförenings förhandlingar, N. F., 18, S. 147; 1913. - Volkmann, a. a. O., S. 436. :! Ellinger, a. a. O., S. 47. Die Zahl der Herzschläge. 471 frequenz von bzw. 43, 47, 59, 51 und 55 mit den Gesamtextremen 36 — 60 hatten; daß bei Kühen das Mittel der Pulsfrequenz in sechs Versuchsreihen 87 (14 Tage nach dem Kalben), 74, 86, 88, 72, 69 war; die äußersten Grenzwerte betrugen 62 bzw. 104; daß bei drei Reihen an Bullen die Pulsfrequenz bzw. 51, 50, 47 mit den Extremen 40 bzw. 67 war. Zu dem gleichen Resultat ist auch A. P. Knoll1 gekommen. Unter Rindern, älter als 2 Jahre, betrug die Pulsfrequenz bei Bullen 58 (45 — 72) und bei Ochsen 42 (30—54), aber bei Kühen 75 (64— 86). 2 Die Pulsfrequenz der weiblichen Individuen ist also auch beim Rinde wesent- lich größer als die der männlichen, was wohl wiederum zum großen Teil auf die kleinere Körpergröße der ersteren zurückzuführen ist. § 100. Die Pulsfrequenz bei verschiedenen Tieren. a) Wirbellose. Wie wir schon gesehen haben, ist die Herztätigkeit bei den allermeisten wirbellosen Tieren in einem sehr hohen Grade von der normalen Füllung der Gefäßhöhle abhängig (vgl. II, S. 3, 81), und dementsprechend sinkt auch die Puls- frequenz nach der Freilegung des Herzens in der Regel mehr oder weniger be- trächtlich herab. Da die dabei beobachtete Pulsfrequenz unbedingt als abnorm niedrig, d. h. pathologisch, zu erachten ist, werde ich im folgenden immer an- geben, bei welchem Zustande des Herzens die Aufnahme der Pulsfrequenz erfolgt ist. Alle Angaben beziehen sich auf die sogen, gewöhnliche Zimmertemperatur. 1. Arthropoden. Betreffend die Insekten hat Newport3 unter anderem folgendes über die Pulsationen im dorsalen Gefäß mitgeteilt. Am Morgen, wenn das Tier (Anthophora retusa) ganz ruhig war, betrug die Pulsfrequenz etwa 80 in der Minute; um 10 Uhr vormittags war die Puls- frequenz auf 100 — 110 angestiegen. Im weiteren Verlauf des Tages nahm sie unter der Einwirkung der Muskelbewegungen und der Wärme auf 140 zu. In einer Versuchsreihe am Sphinx ligustri war die Pulsfrequenz der Larve vor dem ersten Abwerfen der Haut etwa 82 in der Minute und sank dann immer mehr herab, so daß sie kurz vor dem Puppenstadium nur noch 39 betrug. Im letzteren wurde sie noch kleiner und während des Winterschlafes konnten meistens keine Pulsationen beobachtet werden. Das vollständig entwickelte Tier zeigte dann in der Ruhe eine Pulsfrequenz von 40 — 50, bei Bewegung eine von 110—140. Die Larven des Seidenwurmes (Bombyx mori) haben bei gewöhnlicher Temperatur im allgemeinen eine Pulsfrequenz von 30 — 40 in der Minute (Poli- manti4). Bei den Spinnen Epeira diadema und Pholcus phalangoides beobachtete Willem5 bei Lufttemperatur eine Pulsfrequenz von 130 — 134 in der Minute; 1 A. P. Knoll, a. a. O., S. 44. 2 In bezug auf die Variationen der Pulsfrequenz bei den Schweinen vgl. die Arbeiten von Ellinger und Knoll. 3 Newport, Todds Cyclopaedia of anatomy and physiologv, 2, S. 981; 1839. 4 Polimanti, Zeitschr. f. Biol., 65, S. 398; 1915. 5 Willem, Arch. neerland. de physiol., 1, S. 228, 234; 1917. 472 Die Innervation des Herzens. bei etwas höherer Temperatur stieg die Frequenz beim letzteren auf 215 (Willem und Bastert1). Bei der Daphnia ist die Pulsfrequenz nach Pickering2 etwa 140 in der Minute. Cancer pagurus hat unter normalen Verhältnissen eine Pulsfrequenz von 90 bis 120 und nach Entleerung und Suspension eine von 35 — 50 (Carlson3), Astacus fluviatilis bei gefüllten Lakunen 60, nach Entleerung derselben 10 — 20 (P. Hoffmann*) , sowie Limulus polyphemus, normal, 18 — 28 in der Minute (Carlson*). Nach Eröffnung der Lakunen und Suspension zeigte das Herz von Palinurus eine Pulsfrequenz von 30 — 50 (Carlson6). Die Pulsfrequenz des Hummers war bei Zimmertemperatur durchschnittlich 50 (30 — 87) in der Minute (v. Brücke und Satake7). 2. Mollusken. Im leeren Zustande hatte das Herz beim Cryptochiton eine Frequenz von 5 — 7, das von Ischnochiton eine von 15 — 25 (Carlson8). Bei normaler Füllung der Gefäßhöhle betrug die Pulsfrequenz bei Pleuro- branchea 20—30, bei Bulla 10—18, bei Triopha 30—40, bei Ariolimax 35—40, sowie bei Helix 40 — 50 (Carlson*). Bei der unversehrten Pterotrachea betrug die Pulsfrequenz bei 13 — 14° C durchschnittlich 48 in der Minute; Maximum 57, Minimum 36 (Rywoscli1"). Das suspendierte, entleerte Herz von Helix zeigte eine Schlagfrequenz von 35 — 40, und das von Ariolimax eine von 20 — 30, bzw. 35 — 40 (Carlson11). Nach Eröffnung der Gefäßhöhle und Zusammenfallen des Herzens sank die Pulsfrequenz bei Lucapina auf 12 — 20, bei Natica und Sycotypus auf 5 — 7 und bei Montereina auf 20 — 30 herab (Carlson12). Bei der Aplysia betrug die Pulsfrequenz des entleerten Herzens 8 — 15; nach Suspension stieg sie auf 12 — 20 und nach künstlicher Füllung auf 15 — 35 an (Carlson13). Nach Entleerung schlug das Herz von Mytilus 10 — 15mal, von Mya 5 — lOmal und von Cardium etwas mehr als 15 mal in der Minute (Carlson1*). Das leere, suspendierte Herz von Anodonta mutabilis hatte eine Frequenz von 6 — 7 (Ne- vinkoff15). Die Pulsfrequenz des Herzens von Eledone beträgt nach Kolff, ebenda, 122, S. 48; 1908. ü Dogiel und Kazem-Beck, Zeitschr. f. wiss. Zool., 37, S. 258; 1882. 7 Hofmeister, Arch. f. d. ges. Physiol., 44, S. 366. s A. B.Meyer, Das Hemmungsnervensystem des Herzens. Berlin 1869, S. 61. ,J Mills, Journ. of physiol., 5, S. 359; 1884. 10 Mills, ebenda, 6, S. 253; 1885. 11 Gaskell, ebenda, 4, S. 56; 1883. 12 Preyer, Spez. Physiol. d. Embryo, S. 22. 13 A. B. Meyer, a. a. O., S. 46, 52. 14 Hofmeister, a. a. O., 44, S. 369. 15 A. B. Meyer, a. a. O., S. 59. u Buchanan, Journ. of physiol., 39, proc, S. 25; 1909. Die Zahl der Herzschläge. 475 169 g Körpergewicht eine Pulsfrequenz von 23 — 41 Schlägen in der Minute gefunden. Nach Versuchen von Soetbeer teilt Fr. N. Schultz1 für ein Krokodil eine Pulsfrequenz von 70 pro Minute mit; Temperatur 23,5° C. c) Vögel. Bei jungen Hühnerembryonen zählte Kölliker2 eine Pulsfrequenz von 40 — 60. Wernicke3 fand bei Embryonen zwischen der 46. und 99. Stunde folgende Zahlen für die Pulsfrequenz (die Zahlen gelten für die erste Minute nach der Eröffnung des Eies): Stunde Pulsfrequenz in der Minute 46 90 60- -69 122 (90- -176) 70- -79 142 (48- -180) 80- -89 140 (130 -156) 90- -99 150 (80- -180) Nach Preyer s* Zählungen betrug die Pulsfrequenz: Tag Pulsfrequenz in der Minute 4 123 (101—139) 5 130 6 128 (86—150) 7 154 (120-181) 8 148 (139-154) 9 161 (154-167) 11 167 Aus Pickerings5 Versuchen entnehmen wir folgendes: Stunde 60 70-79 80—100 Pulsfrequenz in der Minute 74-100 85-138 92—140 Es scheint also, daß die Pulsfrequenz des Hühnchens im Ei im Verlaufe seiner Entwicklung allmählich immer mehr zunimmt. Auch ist die Pulsfrequenz des Huhns noch wesentlich größer. Nach den Zählungen von Stübel beträgt sie nämlich durchschnittlich 312, mit den Grenzwerten (bei 29 Individuen) 178 und 458. Bemerkenswert ist, daß im Durchschnitt die Pulsfrequenz, ent- sprechend dem größeren Körpergewicht des Hahnes, bei diesem kleiner ist als bei der Henne. 1 Fr. N. Schultz, Arch. f. d. ges. Physiol., 115, S. 398; 1906. 2 Kölliker, zit. nach Preyer, Spez. Physiol. d. Embryo, S. 29. :: Wcrnickc, Zur Physiol. d. embryonalen Herzens. Jena 1876, S. 5. 1 Preyer, Spcz. Physiol. d. Embryo, S. 29. •; Pickering, Journ. of physiol., 14, S. 393; 1893. 476 Die Innervation des Herzens. Folgende Tabelle enthält eine Zusammenstellung der Beobachtungen Stübels1 über die Pulsfrequenz bei verschiedenen Vögeln. Pulsfrequenz Pulsfrequenz Tierart Körpergewicht; in der Minute in der Minute g Mittel Grenzwerte Truthahn . . 8750 93 — Geier . 8310 199 — Ente 2304 212 133—268 Huhn . 1980 312 178—458 Habicht 960 347 — Milan . 950 258 — Stockente 785 317 229—420 Bussard 658 301 206—351 Sturmmöve 388 401 360—483 Nebelkrähe 360 378 312—492 Saatkrähe . 341 380 352—440 Taube . . 237 244 ■ — Röthelfalke 159 367 — Dohle . 140 342 326-358 Im großen und ganzen nimmt also die Pulsfrequenz bei Abnahme des Körper- gewichtes zu. Dieses Resultat wird durch die Bestimmungen der Pulsfrequenz an kleineren Vögeln, welche Buchanan3 unter Anwendung des Elektrokardiogramms aus- führte, vollkommen bestätigt. Ihre hierher gehörigen Resultate sind in folgender Tabelle aufgenommen. Tierart Körpergewicht; Pulsfrequenz in der Minute Pulsfrequenz in der Minute g Mittel Grenzwerte Ente .... 2060 240 — Huhn . . . 1920—3120 346 304—390 Papagei . . . 430 320 — Taube . . . 240-370 185 141—225 Königsfischer. 42 440 — Grünfink . . 25—27 773 703—848 Sperling . . 21—27 804 745-850 Kanarienvogel 20 1000 » — Goldfink . . 16 920 914—925 d) Säugetiere. In folgender Tabelle sind einige Angaben über die Pulsfrequenz bei ver- schiedenen Säugetieren, nach der Körpergröße der betreffenden Tierarten ge- ordnet, zusammengestellt. 1 Stiibel, Arch. f. d. ges. Physiol., 135, S. 257; 1910. 2 Nach Beobachtungen von Jürgens (Arch. f. d. ges. Physiol., 129, S. 511) ist die Puls- frequenz der Taube etwa 300 (220—360); Keilson (Inaug.-Diss. Königsberg 1898) gibt als mittlere Pulsfrequenz der Taube nur 80 an, was entschieden zu niedrig ist. :i Buchanan, Journ. of physiol., 38, proc, S. 62; 1909; — Science progress, 1910, july, S. 67. Die Zahl der Herzschläge. 477 Tierart Körpergewicht ; kg Elefant Kamel Giraff Pferd Rind Esel Maulesel . . . . Tapir Löwe Tiger Schwein . . . . Schaf Ziege Panther . . . . Hyäne Hund Katze Opossum .... Kaninchen . . . Igel Meerschweinchen . Ratte Haselmaus . . . Plecotus auritus. . Nannugo pipistrella 2000 400 400 Pulsfrequenz in der Minute Autor 100 5—20 2-3 2—3 0,52 0,3—0,5 0,015-0,035 0,014 0,009 0,004 25—28 25—32 66 34—46 35— 40a), 45— 50 h) 45—50 46—50 44 40 64 60-80 60—80 60—80 60 55 100—200 120—140 120 120—150 300 132—288 520—780 570-700 600—900 230—972 Colin l Colin l Dubois d'Amiens* Colin1, Gurlt', Knoll { ') Gurlt*, b) Colin' Milne-Edwards', Gurlt ■ Colin ' Dubois d'Amiens* Dubois d'Amiens* Dubois d'Amiens* Colin1, Knoll* Colin1, Knoll*, Gurlt3 Colin1, Knoll* Dubois d'Amiens1 Dubois d'Amiens* Milne-Edwards5 Colin » Hunt und Harrington9 Colin l Buchanan '• ■ Harrington ' Buchanan ,J Buchanan 1U Buchanan11 Buchanan11 Beim Delphin beobachtete Eschricht5 eine Pulsfrequenz von 150. Nach den Zusammenstellungen von EUinger12 variiert die Pulsfrequenz beim Pferde zwischen 23 und 46, beim Esel zwischen 40 und 56, beim Rinde zwischen 30 und 120, beim Hunde zwischen 70 und 120 und beim Kaninchen zwischen 120 und 160. Bei den Winterschläfern, der Haselmaus, den Fledermäusen (Plecotus und Nannugo) und dem Igel, sinkt die Pulsfrequenz beim Schlaf sehr tief herab. So beobachtete Buchananlz bei einer tief schlafenden Haselmaus eine Pulsfrequenz von 12 — 30 in der Minute; bei Nannugo sank dieselbe auf 30 und beim Igel auf 48 herab. Eine nur wenig tief schlafende Haselmaus hatte eine Pulsfrequenz von 104; innerhalb 1 Stunde 25 Minuten stieg sie dann beim Erwachen auf 700 Schläge in der Minute. 1 Colin, Traite de physiol. comp, des animaux, 2, S. 476. Paris 1888. 2 Zit. nach Colin, ebenda, 2, S. 476. 3 Zit. nach Knoll, Unters, über die norm. Pulsfrequenz der Rinder und Schweine. Dresden 1911, S. 15. 4 Knoll, ebenda, S. 28. 5 Milne-Edwards, a. a. O., 4, S. 63. 6 Hunt und Harrington, Journ. of exp. med., 2, S. 712; 1897. 7 Buchanan, Journ. of physiol., 42, proc, S. 22; 1911. K Harrington, Amer. journ. of physiol., 1, S. 384; 1898; — Buchanan, Science progress, 1910, july, S. 68, gibt als Mittel 300 pro Minute an. 9 Buchanan, Journ. of physiol., 37, proc, S. 79; 1908. 10 Buchanan, ebenda, 40, proc, S. 42; 1910. 11 Buchanan, ebenda, 42, proc, S. 20; 1910. Alle Beobachtungen Buchanans sind unter Anwendung des Elektrokardiogramms gemacht. 12 EUinger, a. a. Ü., S. 23. 13 Buchanan, Journ. of physiol., 40, proc, S. 42; — 42, proc, S. 19. 478 Die Innervation des Herzens. Aus dieser Tabelle, wie aus der oben II, S. 476 über die Pulsfrequenz bei den Vögeln mitgeteilten, geht hervor, daß die Zahl der Herzschläge in der Minute bei kleineren warmblütigen Tieren erheblich größer ist als bei größeren Tieren. Diese Erscheinung steht mit dem bei kleineren Tieren im Verhältnis zu ihrer Körpergröße sehr starken Wärmeverlust in einem nahen Zusammenhang. Wenn die Temperatur des Körpers trotz der stärkeren Abkühlung dennoch unverändert bleiben soll, muß natürlich auch die Wärmebildung und der Stoffwechsel bei kleineren Tieren intensiver als bei größeren sein. Dies setzt aber wiederum eine entsprechend umfangreichere Durchblutung der Organe, d. h einen regeren Kreislauf voraus. Da dies nicht durch ein entsprechend größeres Schlagvolumen des Herzens erzielt werden kann, muß die Herztätigkeit um so frequenter werden, und diese schnellere Schlagfolge des Herzens stellt daher eines der Mittel dar, deren sich der kleine Körper bedient, um den an diesen gestellten Forderungen zu genügen.1 Ein Vergleich der Pulsfrequenz bei den warmblütigen Tieren mit derjenigen bei den kaltblütigen (vgl. II, S. 473) ergibt, daß sich die letzteren, wenn ihre geringe Körpergröße gebührend berücksichtigt wird, durch eine außerordentlich langsame Herztätigkeit auszeichnen. Ein Säugetier von 30 g Körpergewicht würde laut der Tabelle II, S. 477 eine Pulsfrequenz von wenigstens 400 in der Minute haben müssen, während ein Frosch von derselben Größe nur eine Pulsfrequenz von etwa 40 — 50 Schlägen hat. Hierbei ist natürlich zu berücksichtigen, daß die Temperatur des Frosches viel niedriger als die eines Säugetieres ist. Aber auch bei 37 — 38° C bleibt die Pulsfrequenz des Frosches weit hinter derjenigen eines entsprechenden Säugetieres zurück. Auch diese Erscheinung hängt mit den allgemeinen Lebensäußerungen der verschiedenen Tierarten zusammen, denn der Gesamtstoffwechsel und die ge- samte Wärmebildung ist bei einem warmblütigen Tiere viel größer als bei einem kaltblütigen von derselben Körpergröße und derselben Körpertemperatur.2 1 Vgl. Buchanan, Science progress, 1910, jiily, S. 60. 2 Vgl. R. Tigerstedt, in Wintersteins Handb. d. vergl. Physiol., 3 (2), S. 78. Jena 1910. Grundriss der Hygiene für Studierende und praktische Ärzte, Medizinal- und Verwaltungsbeamte von Dr. med. Karl Flügge Geh. Med. -Rat o. ö. Professor und Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Berlin Neunte, mit besonderer Berücksichtigung der Kriegs- u. Nachkriegszeit umgearb. Auflage Mit 219 Figuren im Text Groß-Oktav. XII, 863 Seiten. 1921. Geb. M. 70.— , geh. M. 80.— Die 9. Auflage des „Grundriß der Hygiene" von K. Flügge bedarf keiner Empfehlung. Der Inhalt der gesamten Hygiene kann für Stu- dierende, Ärzte und Medizinalbeamte nicht besser und eindrucksvoller behandelt werden, als dies in dem klassischen Lehrbuch des bewährten Lehrers und Altmeisters der Hygiene in so wunderbar einfacher, klarer und lichtvoller Weise geschieht. Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der Tuberkulose auf Grund experimenteller Untersuchungen im hygien. Institut der Universität Breslau von Dr. med. Karl Flügge Geh. Med. -Rat o. ö. Professor und Direktor des Hygienischen Instituts der Universität Berlin Mit 21 Figuren und einer Tafel Lexikon-Oktav. Geh. M. 20. — , geb. in Halbfranz M. 23. — Verlegerteuerungszuschlag 200 % Soziale Medizin und Hygiene: „Dieses Robert Koch gewidmete Werk gehört zu dem besten, was auf dem Gebiete der Tuberkuloseforschungen veröffentlicht ist. Fin- den Medizinalbeamten dürften sich die hier gesammelten Arbeiten als unentbehrlich erweisen." Münchener Medizinische Wochenschrift : „Für die Erkenntnis der Verbreitungsweise der Tuberkulose, für die bakteriologisch-hygienische, gewissermaßen äußere Seite der Tuberkulose- frage, hat Flügge ein Standardwerk geschaffen, das wohl nimmer um- gestoßen werden kann und das jedem Interessierten auf das wärmste zu genauerem Studium empfohlen sei." VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & CO. — VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGS- HANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP. — BERLIN W. 10 UND LEIPZIG Skandinavisches Archiv für Physiologie Unter Mitwirkung von Prof. Dr. S. Torup in Christiania, Prof. Dr. E. A. Homen und Prof. Dr. Carl Tigerst edt in Helsingfors, Prof. Dr. V. Henriques und Prof. Dr. Aug. Kmgh in Kopenhagen, Prof. Dr. T. Thunberg in Lund, Prof. Dr. J. E. Johannson und Prof. Dr. C. G. Santesson in Stockholm, Prof. Dr. Gustaf Göthlin, Prof. Dr. O. Hammarsten und Prof. Dr. Hj. Uhrwall in Upsala herausgegeben von Dr. Robert Tigerstedt Ehemal. Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors Das „Skandinavische Archiv für Physiologie" erscheint in Bänden von 5 — 6 Heften mit Abbildungen im Text und Tafeln. Der Preis des Bandes beträgt M. 50. — Bisher sind 41 Bände erschienen rloppe-Seyler's Zeitschrift für Physiologische Chemie Unter Mitwirkung von E. Abderhalden-Halle, Svante Arrhenius- Stockholm, A. Ellinger-Frankfurta.M., G. E m b d e n - Frankfurt a. M., H. Euler-Stockholm, H. Fi seh er- München, R. Gott- lieb-Heidelberg, W. v. Gulewitsch-Moskau, O. Hammarsten-Upsala, S. G. He- din-Upsala, V. Henriques-Kopenhagen, G. Hoppe-Seyler-Kiel, O. Kestner- Hamburg, F. K n o o p - Freiburg i. Br., L. Krehl- Heidelberg, Wm. K ü s t e r - Stuttgart, Carl Th. Mörner-Upsala, F. v. Müller-München, J. P. Pawlow-St. Petersburg, C. A. Pekelharing-Utrecht, F. Pregl-Graz, W. E. Ringer- Utrecht, E. Sal- kowsk i-Berlin, S. P. L. Sörensen -Kopenhagen, H. Steudel-Berlin, H. Thier- fe 1 d e r - Tübingen, K.Thomas- Leipzig, H.W i e 1 a n d - Freiburg i. Br., R.Willstätter- München, A. Wind aus -Göttingen, E. Winterstein-Zürich, R. v. Zeynek-Prag herausgegeben von A. Kossei Professor der Physiologie in Heidelberg „Hoppe-Seyler's Zeitschrift für physiologische Chemie" erscheint in Bänden von 6 Heften. Der Preis des Bandes beträgt M. 50. — Bisher sind 116 Bände erschienen VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & CO. — VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGS- HANDLUNG — J. 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