wey a £ eh 4 Drof. Mecking DIE PHYSISCHE GEOGRAPHIE DES MEERES VON pets -\..¢ x's M. F’ MAURY, L. Le Dey MARINELIEUTENANT DER VER. STAATEN. DEUTSCHBEARKEITET ~~we Hei VON D* €. BOETTGER, PROFESSOR AM GYMNASIUM ZU DESSAU. MIT 5 HOLZSCHNITTEN UND 6 GRÖSSEREN LITHOGRAPHIRTEN KARTEN. LEIPZIG, VERLAG VON GUSTAV MAYER. 1856. * nr FRI A ORs pe WN RL En: Pi] Vorwort. Obgleich eine grosse Menge von Werken über den Ocean von den verschiedensten Standpunkten aus, besonders in den letzten Jahrzehnten, abgefasst worden ist, so bleibt es doch immer noch eine sehr schwierige Aufgabe, den von denselben gebotenen Stoff zu einem so grossartigen, wissenschaftlichen Ganzen zusammen zu gruppiren, wie man dasselbe unter dem diesem Werke — einer Idee Alexanders von Humboldt gemäss — gegebenen Titel zu er- warten berechtigt ist. Es gehört zu einer genügenden Lösung die- ses Problems nicht nur ein mit dem gesammten tellurischen Leben wohlvertrauter Gelehrter, sondern auch zugleich ein praktischer Seemann, welcher, indem er den Ocean, wo möglich, viele Jahre hindurch unter den verschiedensten Breiten und Meridianen scharf ins Auge fasst, manche Lücke auszufüllen und vermöge seiner le- bendigen Anschauungen dem ganzen Werke das richtige Colorit zu geben vermag. Gerade diesen unabweislichen Vorbedingungen entspricht aber das ächt wissenschaftliche Streben des amerikani- schen Flottenlieutenants M. F. Maury, dessen mannigfache Ver- dienste, namentlich auch um die Vervollkommnung der Wind- und Strömungskarten, jetzt auch bereits über die Gränzen der Ver. Staaten hinaus rühmlichst anerkannt werden. Die Hauptrichtung, Iv i Vorwort. welche dieser rastlos thätige Sammler und Forscher auf dem Felde der angewandten Physik verfolgt, liegt übrigens in der diesem Werke vorangestellten Einleitung und in dem Schlussworte so unverhüllt vor unsern Augen, der Verfasser selbst erzählt die Entstehungsgeschichte desselben so klar und umständlich, dass mir, der das englische Originalwerk dem deutschen wissenschaft- lichen Publikum allgemein zugänglich zu machen versucht hat, nur noch eine kurze Andeutung der Principien, welche ich bei diesem Versuche befolgt habe, an diesem Orte nöthig erscheint. Ohne stets wörtlich zu übersetzen, habe ich mich doch eifrigst bemüht, den Sinn und zugleich die charakteristischen Züge des Originals bei der Umprägung in andere sprachliche Formen treu und unverfälscht zu erhalten. Eine wörtliche Uebersetzung würde öfters an Weitschweifigkeit gelitten haben, besonders weil der englische Ausdruck oft ohne Umschreibung nicht wiederzu- geben war und ich hoffe daher, dass einige Kürzungen, nament- lich auch die Weglassung der Paragraphen (das ganze Original zerfällt nämlich in 586 fortlaufende Nummern) geneigte Billigung finden werden. Dagegen konnte ich mich zu einer Unterdrückung der nicht seltenen Bibelcitate um so weniger entschliessen , weil dieselben wirklich ein schönes Zeugniss der wahren Religiosität des Verfassers ablegen und namentlich an jenen nach meiner Meinung besonders gelungenen Stellen sehr passend eingefloch- ten sind, wo der Verf. gleichsam das Pulsiren des tellurischen Lebens in den grossartigen Bewegungen des Luft- und Wasser- oceans nachzuweisen sucht und unsere schöne Erde wie einen belebten, aus der Hand des allweisen Schöpfers hervorgegangenen Organismus auffasst. Kleine, gewöhnlich erläuternde und den Ausdruck des Gedankens zuspitzende Zusätze habe ich mir hier und da, im Ganzen jedoch nur selten, dem Texte zuzufügen er- laubt. Dagegen rühren die unter demselben stehenden Anmer- kungen grdésstentheils von mir her. Einige Stellen, wo der Verf. Metaphern und Gleichnisse, die dem deutschen Publikum au sich schon etwas abgenutzt erscheinen dürften, gar zu weit aus- Vorwort. Vv spinnt, habe ich ganz umgearbeitet, mich aber schliesslich ent- schlossen, einige Nachträge — z. B. über die kaum erwähnte Ebbe und Fluth — lieber ganz wegzulassen; denn, obgleich ich wohl einsehe, dass Maury, so vortrefflich und originell seine Arbeit in vielen Beziehungen ist, noch auf mehrere die physi- sche Geographie des Meeres betreffende Nebenfragen keine Ant- wort ertheilt, so hätte jeder Versuch, mit vornehmlicher Be- nutzung deutscher und französischer Forschungen diese Bearbei- tung noch weiter zu vervollständigen , doch sehr leicht die Ein- heit und Harmonie des Originals gefährdet. Auch hat sich ja dieser Zweig der physischen Geographie erst vor Kurzem ange- setzt und es wäre daher fast unbillig zu verlangen, dass er sich sofort eben so reich gliedere und eben so dicht belaube, wie an- dere Aeste, die sich seit langen Jahren am Baume der Wissen- schaft entwickelten. Von den dem Origmale beigegebenen Holzschnitten und Ta- feln ist nur eine (nämlich die Veranschaulichung der von Pilo- ten anzulegenden Windtabelle), da «dieselbe leicht genau be- schrieben werden konnte, weggeblieben; auch sind die Tafeln ganz neu, und wie ich zu behaupten wage, deutlicher, als die des Originals, gezeichnet worden. Da Maury eigentlich auf die Tafeln (namentlich auf die den Orkan vom August und Sep- tember 1848 darstellende VIII. Tafel) etwas wenig Rücksicht nimmt, so habe ich es für zweckmässig gehalten, am Schluss des Werkes noch einige Erläuterungen zu denselben beizu- fügen. Möchte es der Uebersetzung gelingen, dieselbe günstige Aufnahme bei dem deutschen Publikum zu finden, mit welcher das Original in England und Amerika, wo der Verfasser schon allgemein bekannt ist, begrüsst wurde! Wenn ich nicht zweifle, dass dies Werk dem jüngern Forscher in seinen Studien auf dem Gebiete der physischen Geographie von wesentlichem Nutzen sein werde, so hoffe ich zugleich, dass auch die gelehrte Welt und besonders auch der wissenschaftlich gebildete Seemann VI Vorwort. manches an sich Neue und Interessante in demselben finden und dass man anerkennen werde, dass auch das Bekannte und von Andern vielleicht sogar vollständiger Behandelte hier von einem freien Standpunkte aus dargestellt und zu einem harmo- nischen Ganzen abgerundet ist. Dessau, am 22. November 1855. DER UEBERSETZER. Inhaltsverzeichniss. Pei DRRRNRE eet: Sele, PIRI. ASS a OVER Len. TS dd Die physische Geographie des Neeres. Erstes Kapitel. Der Golfstrom. Der Golfstrom. — Seine Farbe. — Seine Entstehung. — Dr. Franklin’s Theorie. — Die Sargasso-See. — Keine Wirkung des Passats. — Galva- nische Eigenschaften der Gewässer des Golfstroms — Anfängliche Ge- schwindigkeit. — Warum ist das Wasser in dem einen Theile des Meeres specifisch schwerer als in dem andern. — Temperatur des Golfstroms. — Er hat die Gestalt eines flachen Daches. — Warum die im Golfstrom treibenden Gegenstände sich von seinem Lauf nach der rechten Seite hin ablösen. — Lauf des Golfstroms. — Die Strömungen bewegen sich längs der Bogen grösster Kreise. — Lauf der dem Golfstrom conträren Strö- mungen. — Ihre Stärke wird aus dem Wechsel der Temperatur hergelei- tet. — Gränzen des Golfstroms für den März und September. — Streifen warmen und kalten Wassers in demselben. — Ein Kissen kalten Wassers zwischen dem Meeresgrunde und den Wassern des Golfstroms. — Er strömt bergauf sr: en wi) 0 0 re) Mel rey, 08) Py ee GR TEHREL RB ee Mie BL DE SR Zweites Kapitel. Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. Ein erläuterndes Beispiel. — Die besten Fische in kaltem Wasser. — Das Meer als Theil einer grossen Maschine. — Einfluss des Golfstroms auf die Meteorologie der See. Er ist ein ,, Wettererzeuger.‘‘ — England hat ihm sein feuchtnebliges Klima zu verdanken. — Der Pol der grössten Kälte. — Stürme auf dem Golfstrom. — Der Schiffbruch des San Fran- cisco. — Einfluss des Golfstroms auf Handel und Schiffahrt. Sein Ge- brauch als Landmarke. — Die erste Beschreibung desselben. — Thermal- SCHINANELEE ER. 2 DNS era eier ei, ie ie rad rn Drittes Kapitel. Die Atmosphäre. Relation, in der die Winde zur physischen Geographie des Meeres stehen. — Jede Aeusserung von Naturkräften hat ihre tiefe Bedeutung. — Die Cir- eulation der Atmosphäre (nebst Figur). — Die Südost-Passat-Region ist > VIII Inhaltsverzeichniss. Seile die breitere. — Wie sich die Winde den Polen nähern. — Die Werk- stätten der Atmosphäre. — Sie ist eine gewaltige Maschine. — Woher kommen die Regenmassen, welche die grossen Flüsse speisen? — Wie die Dünste aus einer Hemisphäre in die andere übergehen. — Maximum der Verdunstung in der Breite von 17° — 20°. — Erklärung. — Die Re- genzeit; ihre Ursachen. — Warum giebt es nur eine Regenzeit in Cali- fornien ? — Eine in Panama? — Zwei in Bogota? — Erklärung der regen- losen Regionen. — Warum ist Australien ein trockenes, regenarmes Land? — Warum haben die Gebirge eine dürre und eine regnerische Seite? — Die ungeheuren Regenmengen auf den westlichen Ghats in In- dien und Ursache derselben. — Der Dunst zur Regenbildung in Patago- nien kommt vom nördlichen Theil des stillen Meeres. — Die mittlere jährliche Regenmenge. — Ausdunstung aus dem indischen Ocean. — Offenbarungen eines höhern Planes . .. 2... 2 2 2... 220.008 Viertes Kapitel. Rothe Nebel und Seestaub. Wo werden sie gefunden ? — Sie signalisiren den Wind. — Wo werden sie in die Atmosphäre aufgenommen ? — Schlüsse, die sich aus dem Vor- kommen des Seestaubs ziehen lassen. — In wiefern steht er mit der Theorie der atmosphärischen Circulation in engstem Zusammenhang. — Er deutet auf ein Wirken magnetischer Kräftehin .........8 Fünftes Kapitel. Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Mag- netismus und der Circulation der Atmosphäre. Gründe für die Annahme, dass die Luft der Nordost- und Südost-Passate sich in den Gürteln der Windstillen kreuzt. — Was die Beobachtungen gezeigt haben. — Physische Wirkungen sind nie dem Zufall überlas- sen. — Conjecturen. — Gründe für die Annahme, dass eine Kreuzung der Luft der Passatwinde am Aequator stattfindet. — Inwiefern lassen sich die aussertropischen Gegenden der nördlichen Hemisphäre mit dem Condensator eines im Süden licht arbeitenden Dampfkessels vergleichen ? — Erläuterung. — Ein Zusammentreffen. — Beweis. — Die Natur bietet nichts dem angenommenen Circulationssysteme Widersprechendes dar. — Beantwortung einiger Einwürfe. — Warum die durch die Nordost-Pas- sate dem Aequator zugeführte Luft sich mit der, welche die Südost-Pas- sate bringen, nicht vermischt. — Noch ein Zeugniss. — Die Regen- massen für den Missisippi werden nicht vom atlantischen Ocean gelie- fert. — Ihr Zusammenhang mit dem südlichen stillen Meere. — Ein Licht fällt vorläufig von den Polar-Regionen aus darauf. — Durch das Mikroskop Ehrenbergs und die Experimente Faradays. — Mehr Licht. — Warum in der Nähe jeden Pols eine windstille Region liegen dürfte. — Warum die Wirbelwinde des Nordens sich gegen die Sonne drehen. — Warum gewisse Länder sehr regenarm sein müssen. — Der Magnetismus bewirkt die atmosphärischen Kreuzungen an den Calmen ....... 9 Sechstes Kapitel. Meeresströmungen. Die Meeresströmungen sind von Gesetzen beherrscht. — Die Meeresbe- wohner sind an ein gewisses Klima gebunden. — Die Strömungen zeigen die Klimate der See an. — Erste Principien. — Einige Strömungen be- wegen sich bergauf. — Strömungen des rothen Meeres. — Das obere Ende jenes Meeres ist eine geneigte Ebene. — Wie ein Strom erzeugt wird, der unten aus demselben herausgeht. — Specifische Schwere der Meeresgewässer. — Warum der Salzgehalt des rothen Meeres nicht Inhaltsverzeichniss. IX Seile grösser wird? — Strömungen im Mittelmeere. Woraus wir er- sehen, dass auch aus diesem Meere ein unterseeischer Strom heraus- geht. Das untergesunkene und hinaustreibende Wrack. — Beide Strö- mungen von dem Salzgehalt des Meeres verursacht. — Strömun- gen im indischen Ocean. Warum ungeheure Volumina warmen Wassers aus demselben hinausfliessen. — Ein Golfstrom längs der Küste von China. — Punkte, in welchen derselbe dem Atlantischen ähnelt. — Eine Strömung in die Behringsstrasse hinein. — Geographische Gestal- tungen, die grossen Eisbergen im nördlichen stillen Ocean ungünstig sind. — Nothwendigkeit der Kälte, um das Wasser durch warme Strö- mungen und Verdunstung zu verbessern. — Argumente zu Gunsten der Gegenströmungen, wegen des Salzgehalts des Meerwassers. — Strö- mungenimstillen Meere. Die Sargasso-See in demselben. — Das Antreiben an die Aleutischen Inseln. — Die kalte chinesische Strömung. — Humboldt’s Strömung. — Auffindung einer ungeheuren Masse warmen südwärts treibenden Wassers. — Strömungen in der Gegend des Aequa- tors. — Unterseeische Strömungen. Versuche der Lieutenants Walsh und Lee. — Tiefe Seepeilungen als Beweis der untern Strömun- gen. — Strömungen, welche durch den Wechsel der specifischen Schwere des Meerwassers hervorgebracht werden. — Die Bestandtheile des Meer- wassers sind überall dieselben, woraus sich schon offenbar auf eine allge- meine oceanische Circulation schliessen lässt. -- Strömungen des atlantischen Meeres. Der grosse Aequatorial-Strom; sein Urquell. — Beweis, dass. die Cap St. Roque-Strömung keine constante ist. — Die Schwierigkeiten, welche das Verständniss aller Strömungen an den Kü- sten des atlantischen Oceans erschweren, lassen sich ohne die Annahme Yon unterm Dteomunfen NICHE laBen. |). u. ua ar nen en oat toh LL Siebentes Kapitel. Das offene Meer im arktischen Ocean. Wallfische, welche an der Ostseite Amerikas harpunirt wurden, sind an der Westküste gefangen worden. — Die eigentlichen Wallfische können den Aequator nicht überschreiten. — Wie das Vorhandensein einer nordwest- lichen Durchfahrt durch die Wallfische bewiesen wird. — Ein anderes Zeugniss für dieselbe. — Ein unterseeischer Strom läuft in das Eismeer. — Zeugnisse für ein milderes Klima nahe am Pole. — Der Wasserhim- mel des Lieutenant De Haven. — Die offene See befindet sich nicht fort- währent) an ein und derselben'Stelle'.;*... Bra eu > Sn. 9138 Achtes Kapitel. Das Salz des Meerwassers. Was das Salz im Meerwasser mit den Strömungen im Ocean zu thun hat.— Gründe für die Annahme, dass das Meer sein Circulationssystem hat. — Beweisgründe, welche von den Coralleninseln geliefert werden. — Was würde erfolgen, wenn im Meere kein System der Circulation wirksam wäre. — Die Composanten dieses Systems. — Die wichtigsten Quellen, aus denen die im Meere wirkenden Kräfte entspringen. — Ein Beispiel. — Meerwasser und Süsswasser folgen verschiedenen Gesetzen der Ex- pansion. — Der Golfstrom könnte in einem Meer mit süssem Wasser nicht bestehen. — Die Einwirkung der Verdampfung auf die Hervor- bringung der Strömungen. — Wie das Polarmeer mit Salz versehen wird. — Der Einfluss unterseeischer Strömungen auf die offenen Gewässer des Eismeeres. — Seemuscheln. Einwirkung derselben auf die Strömungen. — Regelmässige Vertheilung derselben. — Sie sind bei der Regelung der Klimate mit thätig. — Inwiefern Seemuscheln und Salztheile als compensirende Kräfte in dem Mechanismus der oceanischen Circulation thätig sind. — Woher kommt das Salz des Meeres? ........ . 142 Inhaltsverzeichniss. Neuntes Kapitel. Der äquatoriale Wolkenring. Beschreibung der äquatorialen Doldrums. — Erschlaffendes Wetter. — Die den Wolken im Haushalt der Erde zukommenden Verrichtungen. — Das Barometer und das Thermometer unter dem Wolkenring. — Verrich- tung desselben. — Wie demselben die Dünste von den Passaten zuge- führt werden. — Breite des Wolkenrings. — Wie er von einem Planeten aus gesehen erscheinen dürfte. — Interessante Beobachungen auf dem Meere Zehntes Kapitel. Ueber die geologische Einwirkung der Winde. Um die Funktionen der Winde und Wellen recht zu würdigen, muss man to) die Natur als ein Ganzes ansehen. — Niveau des todten Meeres. — Zeug- nisse fiir die Behauptung, dass in friihern geologischen Perioden mehr Regen als jetzt auf das todte Meer und andere binnenländische Becken niederfiel. — Woher der Dampf für den Regen im Becken der amerika- nischen Seen kommt. — Wirkungen, welche die Erhebung von Berg- ketten quer über die Bahn der dunstgesättigten Winde hervorbringt. — Wodurch das Gebiet hydrographischer Becken von der See abgeschnitten werden kann. — Utah ais Beispiel. — Einwirkung der Anden auf dunst- gesättigte Winde. — Vergleichung des geologischen Alters der Anden und des todten Meeres. — Gruppen von dürren Landstrichen mit wenig Regen. — Regen und Evaporation im Mittelmeer. — Evaporation und Niederschlag sind auf dem Caspi-See gleich. — Die Feuchtigkeitsmenge, welche die Atmosphäre iin Circulation erhält. — Woher der Dampf für den den Nil füllenden Regen kommt. — Der Titikaka-See Elftes Kapitel. Die Tiefen des Oceans. Die Tiefe des ,,blauen Wassers‘‘ ist unbekannt. — Die Resultate der frü- hern Methoden, bedeutende Meerestiefen zu messen, sind nicht zuver- lässig. — Versuche mit dem Loth und durch Messung des Drucks. — Die Mythen der See. — Gemeine Ansicht über ihre Tiefe. — Maxima der Tiefe nach bisher bekannten Sondirungen. — Der von der amerika- nischen Flotte befolgte Plan. — Die Sondirungen sind von einem Boote aus vorzunehmen. — Warum die Sondirungsleine, nachdem das Loth den Boden erreicht hat, sich noch immer abwickelt. — Anzeichen unter- seeischer Strömungen. — Geschwindigkeit des Sinkens. — Brooke’s Apparat zum Sondiren grosser Meerestiefen. — Die grössten Tiefen, in welchen man den Meeresgrund (sicher) gefunden hat Zwölftes Kapitel. Das Becken des atlantischen Oceans. Tafel IX. — Höhe des Chimborazo über den Meeresgrund. — Orographie oceanischer Becken. — Die tiefste Stelle im atlantischen Ocean. — Der Boden desselben. — Nutzen. der Peilungen tiefer Meeresbecken. -- Ein Telegraphen-Plateau streckt sich quer über den atlantischen Ocean. — Mikroskopische Untersuchung von Proben aus dem dortigen Meeres- grunde. — Brooke’s Apparat stellt den Ocean in ein ganz neues Licht. — Die am Meeresgrunde wirksamen Naturkräfte. — Wie die Zunahme des Salzgehalts im Meere verhütet wird. — Vom Meeresgrunde ist eine nä- here Kenntniss unseres Planeten herzuleiten Seite . 161 190 199 Inhaltsverzeichniss. XI : Wt: Seite Dreizehntes Kapitel. Die Winde. Tafel VII. — Monsune. — Warum der Gürtel der Siidostpassate breiter ist als der der Nordostpassate. — Einwirkung der Wiisten auf die Passate.— Die Gesetze der atmosphärischen Circulation kommen auf der See zu voll- ständigerer Entwicklung. — Regenwinde. Der Niederschlag ist auf dem Festlande grösser als die Verdunstung. — Wo kommen die Dämpfe her, welche dem Amazonenstrom den Regen zuführen? — Monsune. Wie bilden sie sich ? — Monsune des indischen Oceans. — Ihre Ursachen. — Wie man die Jahreszeit der Monsune bestimmen kann. — Tragweite des Einflusses der Wüsten auf die Winde auf dem Meere. — Warum es in der südlichen Hemisphäre keine Monsune giebt. — Warum die Passat- windzonen ihren Ort verändern. — Die Gürtel der Windstillen. Doldrums. — Eine Zone constanten Niederschlags. — Die ,, Rossbreiten‘‘ (Horse Latitudes.) — Die westlichen Winde . ... ...........208 Vierzehntes Kapitel. Die klimatischen Verhältnisse des Oceans. Vergleich des Golfstroms mit der Milchstrasse. — März und September, die wärmsten Monate auf der See. — Wie sich die Isothermen auf dem Ocean auf und niederbewegen. — Eine Linie unveränderlicher Tempe- ratur. — Wie die Westhälfte des atlantischen Oceans stark erwärmt wird. — Relation zwischen der Küstenlinie in einem Theile der Welt und dem Klima in einem andern. — Das Klima Patagoniens. — Der Sommer der nördlichen Hemisphäre ist, wie dies die See anzeigt, wärmer, als der in der südlichen. — Wie die kalten Gewässer von der Davis-Strasse aus auf den Golfstrom drücken. — Wie die verschiedenen Isothermen mit den Jahreszeiten von Norden nach Süden rücken. — Die polare und äquato- riale Driftströmung a ome Fünfzehntes Kapitel. Ueber die Driftströmungen der See. Gegenstand der VI. Tafel. — Der Ostrand des Golfstroms ist bisweilen er- kennbar. — Die polare Driftstrémung um das Cap Hoorn. — Wie die Polargewässer in den südlichen atlantischen Ocean hineintreiben und die äquatorialen zur Seite drängen. — Ein Streifen des Golfstroms, eine Herberge für Eisberge. — Warum im nördlichen stillen Ocean keine Eisberge angetroffen werden. — Der fruchtbare Schooss der See. — Drift- strömung warmer Gewässer aus dem indischen Ocean. — Eine Vermu- thung des Lieutenant Jansen, von der holländischen Flotte. — Eine 1600 Meilen lange Strömung warmen Wassers. — Der Pulsschlag des Meeres. — Wie der Golfstrom im Takte pulsirt. — Vergleich der Circula- tion des Meeres mit der des Blutes. — Die Fische. Zahl der auf der See mit Fischerei beschäftigten Schiffe. — Die Spermaceti-Wallfische lie- ben das warme Wasser. — Der gemeine Wallfisch überschreitet nie die Gränzen der kalten und gemässigten Zone . . . . 22.2 2 2222.23 4 Sechszehntes Kapitel. Stürme. Typhone (Tei-fune). — Cyclone. — Westindische Orkane. — Stürme ausserhalb der Tropen. — Der San-Francisco-Sturm. — Diese Stürme kommen in gewissen Jahreszeiten selten vor. — Die Region jenseits des Calmengürtels des Steinbocks ist der Bildung der Stürme besonders Punkte. — iris und. Regen .:.: SW. 2 en. 246 XII Inhaltsverzeichniss. 3 : Seile Siebzehntes Kapitel. Routen. Wie die Ueberfahrten abgekürzt worden sind. — Wie genau ein Schiff der Spur des andern folgt. — ,,Archer‘‘ und ,,Flying Cloud.‘‘ — Eine grosse Wettfahrt auf dem Ocean. — Die Kenntniss der Winde befähigt den See- fahrer den Umweg, den er macht; zu berechnen. .. 2.2.2.2... 251 Achtzehntes Kapitel. Ein Schlusswort. Die Brüsseler Conferenz. — Ueber Maury’s Wind- und Strömungskarten. — Die; Dogbügherti nn 52.205 SER ART Ae SER 260 EINLEITUNG. De Hauptzweck der ,,Wind- und Strémungskarten,‘‘ aus welchen sich diese Darstellung der physischen Geographie des Meeres entwickelt hat, bestand darin, dass die Erfahrungen aller Seefahrer in Bezug auf Winde und Meeresströmungen gesammelt, die von denselben darüber gemachten Bemerkungen erwogen und dann die Resultate in Karten zum Besten des Handels und der Schiffahrt veröffentlicht werden sollten. Als demgemäss dieser Zweck bekannt geworden und ein Auf- ruf an die Seeleute ergangen war, da ging’s an ein Studiren und Durchwühlen der bestaubten Repositorien aller maritimen Etablisse- ments unseres Landes; alte Logbücher und Schiffsjournale wurden aus Kisten, Koffern und Commoden zusammengesucht; denn man nahm an, dass die darin protokollirten Beobachtungen über Wind und Wetter, über das Meer und seine Strömungen die zu einem solchen Unternehmen nöthigen Belehrungen darbieten würden. Wenn man auf einer Karte die Bahnen vieler Schiffe, die die- selbe Reise zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Jahren und während jedweder Jahreszeit machten und längs jeder Bahn die Winde und Strömungen, denen sie täglich begegneten, aufzeichnet, so muss der Seefahrer offenbar später, indem er diese Karte zu Rathe zieht, das Resultat der combinirten Erfahrungen aller, deren Bahnen so angemerkt sind, wie einen Führer oder wenigstens wie einen erfahrenen Rathgeber benutzen können. Man nehme an, ein junger Seemann unternehme seine erste Reise nach einem bestimmten Hafen. Die Wind- und Strömungs- Maury, phys. Geogr. d. Meeres. 1 2 Einleitung. karte würde nun vor ihm die Bahnen von 1000 Schiffen ausbrei- ten, die früher und zwar in derselben Jahreszeit, dieselbe Reise ge- macht haben. Und nicht allein die Bahn, sondern auch die Erfah- rungen jedes Capitäns in Bezug auf Wind und Strömung, auf die Temperatur des Oceans und die Abweichung der Magnetnadel. Alles dies würde er mit einem Blick übersehen und anstatt halb- blind auf seinem Wege vorwärts zu tappen, bis ihm das Licht der Erfahrung durch die langsame Lehre der theuersten aller Schulen aufgeht, würde er hier auf einmal durch die Erfahrungen von tau- send Seeleuten auf seiner Reise geleitet werden. Er kann desshalb seine erste Reise mit so viel Vertrauen auf seine Kenntniss der Winde und Strömungen, denen zu begegnen er erwarten kann, antreten, als wenn er diese Strasse selbst schon hundertmal befah- ren hätte. Aber um die Spuren dieser Schiffe auf einer Karte darzustellen, müsste man für jedes einzelne eine besondere Linie ziehen; für so viele würde das auf demselben Blatte, in schwarz oder blau, eine unentwirrbare Linienmasse geben. Ueberdies würde, wenn auch alle diese Schiffsbahnen projicirt würden, kein Raum für den Na- men des Monats bleiben, um die Zeit jeder Fahrt anzuzeigen, viel weniger noch für irgend eine schriftliche Angabe der täglich von jedem Schiffe beobachteten Winde und Strömungen; kaum der Name des Schiffes würde noch ein Plätzchen finden. Man hat sich demzufolge entschlossen, an den empfänglich- sten der fünf Sinne zu appelliren und alle jene Schiffspuren, Winde und Strömungen, nebst ihrer Stärke, Reihenfolge und Richtung — kurz alle diese Erfahrungen, Kenntnisse und Belehrungen — dem Auge mit Hülfe von Farben und gewissen Symbolen darzustellen. Die in dieser Absicht ersonnenen Symbole waren ein Kome- tenschweif für den Wind, ein Pfeil für Strömungen, arabische Zif- fern für die Temperatur des Meeres, römische für die Abweichung der Magnetnadel, zusammenhängende, unterbrochene und punk- tirte Linien für den Monat und Farben für die vier Jahreszeiten. Eine zusammenhängende Linie sollte die Bahn, welche in dem ersten Monate zurückgelegt wurde, anzeigen; eine unterbrochene, die des zweiten, eine punktirte die des letzten in jeder Jahreszeit. Für den Winter wurde die schwarze, für den Frühling die grüne, für den Sommer die rothe und für den Herbst die blaue Farbe gewählt. Auch der Kometenschweif, der Pfeil und die Zahlen wurden Einleitung. 3 farbig eingezeichnet, der Jahreszeit der Beobachtung gemäss. Die Stärke und Richtung des ‚Windes wurden durch die Gestalt und Stellung dieses Schweifes angedeutet, während der Flug und die Länge der Pfeile die Geschwindigkeit und Aufeinanderfolge der Strömungen anzeigte. Durch einen blossen Blick auf die Karte konnte nun der See- fahrer in einem Augenblick erfahren, aus welcher Gegend der Wind, aller Wahrscheinlichkeit nach, in irgend einem Monate vorzugsweise wehen würde; nicht 'Theorien , Conjekturen oder die schwachen Lichtblitze der Erfahrung eines Einzelnen, sondern der helle Lichtstrom und Glanz, welchen die Beobachtungen aller Seefahrer vor ihm verbreiten, waren nun seine Führer auf dem un- wegsamen Ocean. Während also der junge Schiffsherr, wenn er diese Karten vor sich hatte, in dieser Beziehung fast auf den Standpunkt der ältesten Seecapitäne erhoben wurde, konnten die bejahrten Seefahrer in diesen Karten auch die Reisen vor sich ausgebreitet sehen, welche sie in ihren jungen Tagen gemacht hatten. Da fand sich der Schiffs- name, Bahn und Jahr, ja nach Farbe und Gestalt der Linie auch der Monat. Er sah den Punkt, wo ihn einst ein gewaltiger Sturm erschreckt hatte, wo er in gefährliche Windstillen gerathen war, die Länge und Breite, wo er zuerst den Passaten begegnet, wo er sie verloren und die langgestreckte Linie erinnerte an manche Woche schneller, glücklicher Fahrt. An jener Stelle war er auf eine ,,kliisende Strömung‘‘*) gestossen, dort war der Regen mit Böen vermischt, hier hatte es dichte Nebel, dort Gewitter gegeben. Alles dies fand er angedeutet und die vor vielen Jahren gemachte Fahrt trat wieder lebendig vor seine Seele. Solch eine Karte konnte nicht verfehlen, bei intelligenten See- leuten grossen Beifall zu finden und so wurde sie für sie ausge- führt. Sie nahmen sie mit zur See, sie prüften sie und fanden zu ihrer Ueberraschung und Freude, dass durch die hier gebotenen Belehrungen die entferntesten Winkel der Erde einander näher ge- rückt wurden, dass man in einigen Fällen die Fahrt um viele Tage *) A „hawsing current‘. Hawse ist eigentlich the situation of the cables before a vessel’s stem, when moored with two anchors from the bows, one on the star-board, the other on the lar-board (Backbord) bow, as the ship has a clear hawse or a foul hawse. A foul hawse is when the cables cross each other, or are twisted together. The word is also sometimes used to denote the little distance ahead of the vessel, as‘ to anchor in our hawse’. Webster. 1% 4 Einleitung. abkürzen konnte, so z. B. die Fahrt von London nach dem Aequa- tor um volle 10 Tage. Die Ueberfahrt nach Californien hatte früher durchschnittlich 183 Tage gedauert; aber mit diesen als Wegwei- ser benutzten Karten haben die Seefahrer diese Durchschnittszahl bedeutend vermindert und sie jetzt auf 135 Tage heruntergebracht. Zwischen England und Australien brauchte man bekanntlich ohne diese Karten durchschnittlich 124 Tage zur Hinreise und zur Herreise fast ebensoviel ; also im Ganzen in runder Zahl 250 Tage. Diese Karten und namentlich jene Forschungen, welche sie hervorgerufen haben, versprechen die Colonie und das Mutterland um viele Tage näher zu bringen. (Die Reise von England nach Australien nimmt seitdem nur noch durchschnittlich 97 Tage in Anspruch.) In der Jahresversammlung der British Association vom Jahre 1853 wurde von einem ausgezeichneten Mitgliede behauptet und — diese Behauptung wurde in der Versammlung 1854 wiederholt, — dass man in Bombay, woher jenes Mitglied eben gekommen war, glaube, dass dieses System der Forschung, wenn es auf den Indi- schen Ocean ausgedehnt und für denselben in eine Sammlung von Karten wie die oben beschriebenen vereinigt würde, in jenen Ge- wässern allein für den Britischen Handel eine jährliche Ersparniss von 1 bis 2 Millionen Dollars und in allen Meeren von 10 Millionen herbeiführen würde. *) Ein System wissenschaftlicher Forschung, welches schon so reich an Früchten ist und noch so viele verspricht, zog natürlich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich und empfahl sich der nähern Erwägung aller Seefahrer der civilisirten Welt. Es grün- dete sich auf Beobachtungen; es war das Resultat der von vielen Beobachtern gemachten Erfahrungen, die jetzt zuerst zusammenge- stellt und ruhig erörtert wurden. Die Resultate waren aber so ganz geeignet, die Kenntniss der See und ihrer Wunder zu erweitern, *) Vgl. die Inauguralrede des Earl von Harrowby, Präsidenten der Brit. Association bei ihrer 24. Versammlung. Liverpool 1854. — Genauere Berech- nungen der allerdings bedeutenden für den Handel der Ver. St. durch Maury’s Karten bewirkten Ersparnisse findet man in Hunt’s Merchant’s Magazine, Mai, 1854. Es wird dort der mittlere tägliche Frachtpreis für die Tonne auf wenig- stens 15 Cents angegeben; da sich aber der Tonnengehalt sämmtlicher Handels- schiffe sicher auf 1000000 Tonnen per annum beläuft, so werden, wenn nur 15 Tage auf den Reisen nach fernen überseeischen Häfen durchschnittlich ge- spart würden, 15. 15. 1000000 Cents oder 2250000 Dollars bloss auf den Reisen von den amerikanischen Häfen aus jährlich erspart. Einleitung. 5 dass sie auf alle strebsamen Seeleute bald eine grosse Anziehungs- kraft ausübten. Als wir mit unsern Arbeiten auf diesem Gebiete vorwärts dran- gen, fand sich bald, dass das Studiren allein und das Durchwühlen aller Marineetablissements nach alten Logbüchern keineswegs aus- reichte. Es zeigte sich, dass die durchforschten alten Protokolle nur die äussersten zu Tage liegenden Ausläufer*) der reichen Ader waren, auf die man gestossen war; aber die Anzeichen verborgener Schätze waren schon jetzt dem nautischen Sinne der Seewelt un- verkennbar. Man erkannte die Nothwendigkeit tiefer zu gehen und genauer zu beobachten, als dies unsere Vorfahren zur See gethan. Demgemäss hielt man es für rathsam das aus den alten See- archiven Gewonnene zur allgemeinen Kenntniss zu bringen. Dies geschah und zwar in der Form einer Sammlung von ,,Spurkarten“ (Track-Charts) für den nördlichen atlantischen Ocean. Auf diese Karten wurden alle Schiffsbahnen, die um diese Zeit aus alten Seejournalen gesammelt werden konnten, projicirt und man war erstaunt zu sehen, wie sie den Ocean zerschnitten und von ihm grosse chausseeartige Durchfahrten abtrennten. Da war die Strasse nach China; diese und die Strasse nach Süd-Amerika, nach dem stillen Meere um das Cap Hoorn, nach dem Osten um das Cap der guten Hoffnung und nach Australien waren eine und dieselbe, bis der Schiffer den Norden verlassen, die Linie passirt und den südlichen atlantischen Ocean erreicht hatte; hier stand auf dieser grossen Chaussee gleichsam ein Schlagbaum und ein Nebenweg führte zur Rechten ab nach den Häfen Brasiliens. Ein wenig wei- terhin kam man zu einem andern zur Linken: es war die Strasse, auf welcher das Cap der guten Hoffnung umsegelt wird. Kein Wegweiser, kein sichtbares Zeichen stand da für den Reisenden und doch wandten sie sich alle an derselben Stelle von der grossen Strasse ab. Keiner verfehlte sie. Dieser Weg nach Indien und den Goldbezirken Australiens war in seiner Bahn durch den süd-atlantischen Ocean sehr ge- krümmt, aber die Heimfahrt vom Cap war eine gerade Linie, denn die Winde waren längs derselben frisch**) und günstig. *) Outeroppings. Outcrop, in geology, denotes the coming out of a stratum to the surface of the ground. Webster. **) „„Frisch‘‘ bezeichnet in der Seemannssprache bekanntlich nicht die 6 Einleitung. Aber die Strasse durch den nord-atlantischen Ocean von den Vereinigten Staaten aus war sehr seltsam und stark gekrümmt. Sie schien auf der Karte so gut durchgehauen und so scharf be- gränzt, wie irgend ein Waldweg der Indianer. Zuerst durchstrich sie den atlantischen Ocean bis sie die Capverdischen Inseln er- reichte; dann machte sie eine Wendung und kehrte auf die andere Seite des Meeres zurück, indem sie die Küste Brasiliens in der Nähe des Cap St. Roque berührte. Hier machte sie nochmals eine Wendung, durchschnitt nochmals den breiten Ocean und strich nach dem Cap, wandte sich aber weit rechts, ehe dieser Wende- punkt erreicht war. *) So durchkreuzte, wie sich ergab, die grosse Strasse von den Vereinigten Staaten nach dem Cap, den atlantischen Ocean fast dreimal. Die andern Theile des Oceans zur Seite des Weges waren leere, nie befahrene Räume. Alle Schiffe segelten auf der einen Strasse hin und kehrten auf der andern zurück. Hier und da gab es noch eine Art von Querstrasse — einen Feldweg, — den Räuber und allerhand verdächtiges Gesindel auf ihrer Reise von Afrika nach Westindien und zurück benutzten. Aber der ganze übrige Ocean zu beiden Seiten des Weges war auf Hunderte von Meilen leer und schien so unbesucht und so abgelegen von allem Verkehr civilisirter Menschen, wie die Einöden der Wildniss, welche von den Wegesspuren, denen die Emigranten nach Oregon folgen, weit abliegen. Das war die alte Route. Welche Ingenieure hatten aber diese Fahrstrassen auf dem Ocean abgesteckt und warum versuchten die Kauffahrer nie durch nähere Wege quer durch die leeren Räume die Ecken abzuschnei- den? Weder ein Fels, noch eine Untiefe, noch sonst eine verbor- gene Gefahr hinderte sie daran; warum durchschnitten also die amerikanischen Schiffe, anstatt den atlantischen Ocean auf ihrem Wege zum Cap der guten Hoffnung dreimal zu durchkreuzen, den- selben nicht lieber einmal, wie auf ihrer Heimfahrt? — Wer, so frug man wieder, waren die hydrographischen Ingenieure, die sich bei der Absteckung dieses Zickzackweges betheiligt hatten ? Temperatur, sondern eine gewisse Stärke des Windes. Bei einer frischen Kühlte segelt ein Schiff (nach Röding) 6-—7 deutsche Meilen in einer Wache (4 Stund.). *) Ueber die Handelsstrassen, welche aus Europa nach den Ländern in der südlichen Hemisphäre durch den atlantischen Ocean führen, hat Hr. Meyen lehrreiche Nachrichten mitgetheilt. Vgl. auch Dr. Berghaus, Allg. Länder- und Völkerkunde, Bd. I. §. 620 und überhaupt das ganze 16. Kapitel. Einleitung. 7 Man stellte Nachforschungen an und nach sorgfältiger Unter- suchung spürte man aus, dass derselbe von frühern Seefahrern, die fast nur der Zufall geleitet hatte, durch Tradition überliefert wor- den war. Als sie von Europa aus segelten und eine Durchfahrt nach Osten über das Cap aufsuchten, fuhren sie längs den Capver- dischen Inseln hin und wann sie sich dann dem Aequator näherten, trieben sie die Winde nach der Küste Brasiliens hinüber. So ge-. wöhnte man sich an eine nicht aus freiem Willen gewählte Strasse und die Route nach dem Osten war abgesteckt. So wie ein Wanderer in der Wildniss der Fährte des andern nachgeht, so folgte, wie man entdeckte, der Kauffahrer auf der hohen See dem Kielwasser derer, welche ihm vorangegangen waren. Ein Vorläufer, gleichsam ein Pionier, bricht Bahn und kehrt zurück. ,, Welche Strasse fuhret ihr? Wo geht der Weg? Gebt uns die Richtung an, nach der ihr segeltet! ““ sagen dic Nachfolgenden. Der Befragte kann natürlich nur von den Routen sprechen, die er auf seiner Hin- und Rückreise eingeschlagen hat. Er kennt keine andern; und also empfiehlt er diese seinen Nachfolgern und sie wieder denen, die nach ihnen kommen. So wurde, in vielen Fällen, von Ort zu Ort quer über das Meer, die Route wie durch Tradition oder legendenartig überliefert, etwa so wie die Landroute der ersten Auswandrer nach Californien von Jahr zu Jahr von ihren Nachzüglern wieder verfolgt wurde. Unter Anderem erzählten diese Schiffersagen von reissenden Strö- mungen in nördlicher Richtung von St. Roque längs der brasiliani- schen Küste. Das Schiff, so sagten sie, das an diesem Cap und dieser Küste so weit vom Winde abkäme, um in den Bereich jener Strö- mungen zu gerathen, würde fast unfehlbar in die Enge getrieben und seine Mannschaft würde inmitten der Schrecken eines Schiff- bruchs an eine wie mit Eisenreifen umgürtete Küste geschleudert. Diese Untersuchungen haben nun bewiesen, dass kein der Rede werther Strom sich dort vorfindet und dass man keine Gefahr zu fürchten braucht, wenn man ihr nur muthig entgegentritt; und so spotten jetzt die Matrosen über jene Strömungen als den ‚‚Po- panz‘‘ von St. Roque. Nichtsdestoweniger war der Eindruck dieser Legenden und Tra- ditionen auf die ältesten nordamerikanischen Seefahrer so stark, dass sie, als sie das Cap auf Handelsreisen zu umsegeln begannen, es für sehr klug erachteten , den Haupttheil ihres Weges auf der von den europäischen Schiffern benutzten Route zurückzulegen, da diese oft S Einleitung. erprobt und daher gut bekannt war. Sie bestrebten sich, sie schon an den Capverdischen Inseln zu erreichen. Die Winde warfen sie von da auf die andere Seite des atlantischen Meeres, an die Küste von Brasilien zurück und so hatten sie den Ocean nochmals zu durchkreuzen. Aber jeder sagte, das sei der Weg und so war er in den Büchern aufgezeichnet. So entstand diese Strasse im Zickzack, so die vermeintliche Nothwendigkeit auf der Reise nach Indien den atlantischen Ocean statt einmal, dreimal zu durchkreuzen. Die Resultate der ersten Karte wurden indessen, so dürftig und ungenügend sie auch waren, zur Kenntniss der Seefahrer ge- bracht; ihre Aufmerksamkeit wurde auf die leeren Räume gerichtet und die Wichtigkeit häufigerer und besserer Beobachtungen, als sie die alten Schiffsbücher im Allgemeinen enthielten, drängte sich ihnen auf. Man theilte ihnen mit, dass, wenn Jeder sich bereit zeigen wolle, an einem allgemeinen Plane, nach welchem Beobach- tungen zur See angestellt werden sollten, mitzuwirken und nach Beendigung jeder Kreuzfahrt einen Auszug des Logbuches über die Seereise an das National-Observatorium in Washington regel- mässig einsenden wolle, er dafür, kostenfrei, ein Exemplar der Kar- ten und der Vorschriften für Seefahrer (sarlıng directions) erhalten solle, die man auf diese Beobachtungen fussend, ausarbeiten werde. Der rührige, praktische Sinn der amerikanischen Capitäne ergriff den Vorschlag mit Energie. Ihnen erschien dieses Feld lockend, denn es schien ihnen eine reiche Ernte und viele nützliche Resul- tate zu verheissen. So waren denn, nach kurzer Zeit, mehr als 1000 Seefahrer Tag und Nacht in allen Meeren damit beschäftigt, nach einem gleichförmigen Plane Beobachtungen anzustellen und aufzuzeichnen und so zugleich unsere Kenntniss der Winde und Strömungen der See und anderer Phänomene, die sich auf ein sicheres Beschiffen derselben und auf ihre physische Geographie beziehen, zu fördern und zu vermehren. Ein neuer Standpunkt war gewonnen, als man die Arbeiten emes solchen Heeres von Beobach- tern einregistriren konnte, als die Aufmerksamkeit vieler befähig- ter Männer auf denselben Punkt gelenkt worden war. So ward ein Riesenschritt gethan zur Hebung der Wissenschaft und zu ihrer Ausbreitung über die noch immer wenig bekannten Meere. Es ergaben sich bald wichtige Resultate und grosse Entdeckun- gen wurden gemacht. Diese zogen einerseits die Aufmerksamkeit der Handelswelt auf sich, wurden aber auch andererseits von den Physikern gebührend beachtet. Das Gebiet war gewaltig gross, die Einleitung. 9 Ernte reich und noch mehr Arbeiter waren nöthig und fanden Spielraum genug. Alles was die Schnitter sammelten, was bei der blossen Nachlese zusammengestoppelt wurde, sollte dem Handel und der Schiffahrt — der Vermehrung nützlicher Kenntnisse — der ganzen Menschheit zu Gute kommen. Alle, welche vom Meere Nutzen ziehen, waren desshalb auch auf gleiche Weise bei dem Unternehmen interessirt. Die Regierung der Ver. Staaten betrach- tete diese Angelegenheit von demselben Standpunkte, schlug ein gleichförmiges System von Beobachtungen auf der See vor nnd lud alle Seestaaten der Christenheit zu einer Conferenz über diesen Ge- genstand ein. Diese Conferenz , bei welcher Frankreich, England, Russland, Schweden, Norwegen, Holland, Dänemark, Belgien, Portugal und die Ver. Staaten vertreten waren, versammelte sich am 23. August 1853 in Brüssel und empfahl einen Plan für Beob- achtungen, der am Bord aller Schiffe der befreundeten Nationen, und besonders der bei der Conferenz wirklich vertretenen, befolgt werden sollte. Preussen, Spanien, die freien Städte Hamburg und Bremen, die Republik Chili, Oestreich und Brasilien haben seit- dem ihre Mitwirkung zu demselben Plane zugesagt. So ist die See regelmässig in den Bereich wissenschaftlicher Untersuchung gezo- gen und mit Beobachtern angefüllt worden. Im Kriege wie im Frieden können diese Beobachtungen fortgesetzt werden und im Fall, dass irgend eins der Schiffe, an deren Bord man sie vorge- nommen, als gute Prise erklärt werden sollte, wird doch der Aus- zug des ‚„‚„Logbuchs‘‘ (the abstract log) — wie das diese Beobach- tungen enthaltende Journal genannt wird — für unverletzlich er- klärt werden. Der Baron von Humboldt ist der Meinung, dass die durch dieses System der Forschung schon jetzt gewonnenen Resultate ein neues Fach der geographischen Wissenschaft, welches er die phy- sische Geographie des Meeres genannt hat, ins Leben zu rufen im Stande sind. Wenn schon von einer Nation so viel vollendet wor- den ist, was dürfen wir da im Verlaufe weniger Jahre von dem Zu- sammenwirken so vieler erwarten! Kaum je zuvor, hat sich vor den Augen des wissenschaftlichen Publikums ein so erhabenes Schauspiel entfaltet. Alle Nationen haben sich vereinigt und arbei- ten einträchtiglich zusammen, um an einem System physischer Forschung in Bezug auf das Meer mit zu bauen. Mögen sie in allen andern Dingen Feinde sein, hier bleiben sie Freunde. Jedes Schiff, das die hohe See mit diesen Karten und diesen noch leeren Log- 10 Einleitung. buchtabellen am Bord befährt, kann hinfort als ein schwimmendes Observatorium, als ein Tempel der Wissenschaft angesehen wer- den. Die von jedem mitwirkenden Schiffe gebrauchten Instru- mente sind Mustermaassen (Etalons) zu vergleichen, die allen ge- meinschaftlich sind; so dass eine irgend wo auf irgend einem Schiffe gemachte Beobachtung sofort mit allen ähnlichen Beobachtungen auf allen andern Schiffen, in allen Theilen der Welt, in die engste Beziehung gesetzt werden kann. (An sich gute Beobachtungen ge- ben, wenn sie in ganz verschieden angeordnete Tabellen eingetra- gen werden, sehr leicht zu Missverständnissen: Anlass.) Aber die meteorologischen Beobachtungen, welches dieses weit- ausgedehnte und bewundernswerthe System umfasst, beziehen sich — leider! — nur auf die See. Der Plan sollte auch das Land mit einschliessen, er sollte universell sein. Daher ist jetzt der Vorschlag gemacht worden, einen zweiten und allgemeinen meteorologischen Congress zu berufen und die einleitenden Schritte sind durch ein dringendes Anrathen sowohl in England als auf dem Continent bereits gemacht. Es steht zu hoffen, dass Amerika nicht verfehlen wird, bei einem so menschenfreundlichen, weisen und edeln Un- ternehmen mitzuwirken. Es involvirt ein Studium der Gesetze, welche die Atmosphäre beherrschen und eine sorgfältige Durch- forschung aller ihrer Phänomene. Eine sehr erfreuliche Seite dieses Systemes ist ausserdem noch die, dass es keine ausserordentlichen Kosten verursacht. Die zu die- sen Beobachtungen erforderlichen Instrumente sind der Art, wie sie sich bereits am Bord jedes gut ausgerüsteten Schiffes vorfinden und die verlangten Beobachtungen sind gerade diejenigen, welche zu einer sichern und wohlgeregelten Fahrt desselben unumgänglich nothwendig sind. Wenn aber diese Untersuchungen schon insofern einen grossen Werth haben, als sie die Seewege abkürzen und die Gefahren auf dem Meere verringern, so wird doch nach der Meinung vieler See- leute noch ein werthvollerer Gewinn wohl dadurch aus ihnen her- vorgehn, dass sie einen moralischen, erziehenden Einfluss auf die seefahrende Weltgemeinde ausüben. Ein sehr tüchtiger englischer Seemann bemerkt, indem er von den Vortheilen spricht, welche eine gute Vorbildung den jungen Leuten, die sich der Marine wid- men, gewährt, Folgendes: ‚‚Vor dem ausgebildeten Jüngling breitet sich eine neue Welt aus, wenn er seine erste Reise antritt. Wenn ihn seine Erziehung Einleitung. 11 dazu befähigt hat, so wird er Jahr aus Jahr ein bemerken, dass ihn sein Beruf mit manchem Neuen und Lehrreichen bekannt macht. Seine Einsicht wird es ihm möglich machen, die Gegensätze der verschiedenen Länder in ihrer Gesammterscheinung, ihren Gebräu- chen und Produkten und in den dem Charakter der Küsten, Kli- mate und Flüsse angepassten Arten der Schiffahrt zu würdigen. Er wird mit Interesse bei den Phasen des Oceans verweilen, bei dem Sturm, der Windstille und dem periodischen Winde und er wird nach den Spuren der Gesetze, denen sie sich unterordnen, ausschauen. Alles dies wird einen ruhigen Ernst in seine Arbeiten bringen und ihn lehren, gewisse dem Anfänger auferlegte Pflichten, die lästig, ja selbst anstössig erscheinen, für leichter zu halten und unbefangener anzusehen. ‘“*) Ansichten, welche gewiss bei allen Ehrenmännern, zu Lande und zur See, den herzlichsten Anklang finden. Nie zuvor ist ein solches Heer von Beobachtern für irgend ein Fach der physikalischen Wissenschaft angeworben worden, als die- ses, welches gegenwärtig damit beschäftigt ist, unsere Kenntniss der physischen Geographie der See zu fördern und nie zuvor hat man für diese Gattung von Kenntnissen ein solches Interesse ge- habt. Wir hoffen daher, dass auch unser kleines Werk einige Be- achtung finden wird. Unter seinem Titel wird begriffen: eine na- turwissenschaftliche Darstellung der Winde und der Meeresströ- mungen; der Circulation der Atmosphäre und des Oceans; der Tem- peratur und Tiefe der See; der Wunder, die in ihren Tiefen ver- borgen liegen, und der Phänomene, die sich an ihrer Oberfläche zeigen. Kurz, es wird von der gesammten Oeconomie der See und der Art, wie sie sich den verschiedenen Aeusserungen des telluri- schen Lebens anpasst — von ihrem Salzgehalt, ihren Gewässern, Klimaten und Bewohnern, und von Allem, was in ihren Beziehun- gen zum Handel und zu industriellen Unternehmungen von allge- meinem Interesse sein kann, gehandelt; denn Alles dies gehört zur physischen Geographie des Meeres. Der Zweck dieses kleinen Buches ist ausserdem, den gegen- wärtigen Zustand und von Zeit zu Zeit den Fortschritt dieses neuen *) Das Logbuch eines Seeofficiers auf einem Kauffahrer; mit Rücksicht auf die Ausbildung junger Officiere und der Jugend im Kauffahrteidienste. Von Robert Methren, Commandeur in der Peninsularischen und Oriental. Compag- nie und Verf. des Berichts vom Blenheim Orkan im Jahre 1851. London, John Weale etc. 1854. 12 Einleitung. und schönen Systemes wissenschaftlicher Forschung nachzuweisen — und zwar nach ihrer praktisch-observativen und ihrer theore- tisch-spekulativen Seite und es ist das Endziel des Verfassers, eine reiche Aehrenlese von diesem neuen Felde zu geben und zwar in einer Weise, die interessant und lehrreich sein soll für Alt und Jung, für den Landbewohner und Seemann, kurz für Jeden, der einen tie- fern Blick in die Wunder der grossen Tiefe zu thun oder sich eine genauere Kenntniss von ihren Winden und Strömungen, von der Zweckmässigkeit und Harmonie aller ihrer Funktionen, überhaupt von ihrer physischen Geographie zu verschaffen wünscht. *) *) Es existirt ein sehr altes und sehr seltenes Buch, welches über einige von den Gegenständen, die dieses Werk behandelt, sich verbreitet. Es ist vom Grafen L. F. Marsigli, einem Franzosen (?) verfasst und heisst ,,Natiirliche Be- schreibung der Meere.‘‘ Das Exemplar, worauf ich Bezug nehme, war von Boerhaave 1786 ins Holländische übertragen worden. Der französische Graf stellte seine Beobachtungen längs der Küste der Pro- vence und von Languedoc an. Die Beschreibung bezieht sich nur auf jenen Theil des Mittelmeeres. Das Buch zerfällt in 4 Kapitel. Das erste handelt von dem Grunde und der Gestalt der See; das zweite vom Seewasser; das dritte von den Bewegungen des Meerwassers und das vierte von den Seegewächsen. Er theilt das Meerwasser in Oberflächenwasser und Wasser der tiefen See; weil das Salz, welches er aus Oberflächenwasser (nicht tiefer als einen halben Fuss unter den obern Schichten) bereitet, das blaue Papier roth färbt, während das Salz von dem Wasser aus der Tiefe des Meeres die Farben des Papiers gar nicht ändert. Das blaue Papier kann seine Farbe nur durch die Einwirkung einer Säure ändern. Der Grund, warum diese Säure (Jodsäure) an der Ober- fläche und nicht in der Tiefe vorgefunden wird, kann aus der Luft hergeleitet werden; aber er nimmt an, dass der Salpeter, welcher im Meerwasser gefunden wird, durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen und die Bewegung der Wellen seine gröbern Bestandtheile verliert und durch Verdunstung der Luft beige- mischt wird, um den Thieren oder Pflanzen zu ihrem Lebensprocess zugeführt oder auf die Erdkruste niedergeschlagen zu werden, wie dies auf den Ebenen von Ungarn geschieht, wo die Erde so viel solcher Salpeterdünste verschluckt. Ein ähnliches Thema hat Hr. Peligot in der Sitzung der Pariser Academie der Wissenschaften vom 21. Mai 1855 behandelt. Er suchte namentlich nachzuwei- sen, dass das Meerwasser eine grosse Rolle bei der Regulirung unserer Atmo- sphäre spiele, indem es ein grosser Behälter der Kohlensäure sei, die ihrerseits wieder durch Absorption des Kohlenstoffes durch die Pflanzen zersetzt würde. Donati war auch ein schätzbarer Arbeiter auf diesem Felde. Seine Nach- forschungen machten es dem Herrn Trembley (Philosophical Transactions) möglich zu schliessen ,,dass sich auf dem Meeresgrunde Berge, Ebenen, Thäler und Höhlen just wie auf dem Festlande befinden.“ Aber bei weitem das interessanteste und werthvollste Buch, welches die phys. Geogr. des Mittelmeeres berührt, ist Admiral Smyth’s letztes Werk, be- titelt: ,,Das Mittelmeer. Eine physisch-historisch-nautische Denkschrift. Von dem Contreadmiral William Henry Smyth, K. 8. F., D. C. L. ete.‘“ London. Parker 1854. Wir bedauern, dass uns der Raum nicht gestattet, aus diesem Werke einige Excerpte aufzunehmen. © (D. Ueb.) Die physische Geographie des Meeres. Erstes Kapitel. Der Golfstrom. Der Golfstrom. — Seine Farbe. — Seine Entstehung. — Dr. Franklin’s Theorie. — Die Sargasso- See. — Reine Wirkung des Passats. — Galvanische Eigenschaften der Gewässer des Golfstroms. — Anfängliche Geschwindigkeit. — Warum ist das Wasser in dem einem Theile des Meeres specilisch schwerer als in dem andern. — Temperatur des Golfstroms. — Er hat die Gestalt eines flachen Daches. — Warum die im Golfstrom treibenden Gegenstände sich von seinem Lauf nach der rech- ten Seite hin ablösen. — Lauf des Golfstroms. — Die Strömungen bewegen sich längs der Bogen grössier Kreise. — Lauf der dem Golfstrom conträren Strömungen. — Ihre Stärke wird aus dem Wechsel der Temperatur hergeleitet. — Gränzen des Golfstroms für den März und September. — Streifen warmen und kalten Wassers in demselben. — Ein Rissen kalten Wassers zwischen dem Meeresgrunde und den Wassern des Golfstroms, — Er strömt bergauf. Ein Strom ist in dem Ocean. Er versiegt nie, wenn sonst Alles verdorrt, er tritt nicht aus seinen Ufern, wenn auch die mäch- tigsten Fluthen ihn schwellen. Seine Ufer und sein Grund be- stehen aus kaltem Wasser, während seine Strömung warm ist. Der Golf von Mexiko ist seine Quelle und seine Mündung liegt in den arktischen Meeren. Es ist der Golfstrom.*) Es giebt in der Welt keine zweite Wasserfluth, die ihm an majestätischer Grösse gleich käme. Seine Strömung ist reissender als die des Mississippi und des Amazonenstromes. Seine Gewässer zeigen vom Golf an bis an die Küste von Ca- rolina eine Indigofarbe. Sie gränzen sich so bestimmt ab, dass man die Linie, auf welcher sie sich mit dem gewöhnlichen Meer- wasser vereinigen, mit dem Auge verfolgen kann; ja man kann *) Vgl. v. Humboldt Kosmos I. 327. Dr. Berghaus, allg. Länder- und Völkerkunde, I. S. 529. Bobrik, Seefahrtskunde I. S. 217. 14 Die physische Geographie des Meeres. bemerken, wie die eine Hälfte des Schiffes in Golfstromwasser, die andere in gemeinem Seewasser schwimmt; so scharf ist die Gränz- linie und so gering die Affinität zwischen beiden Wasserarten, die sich lange gegen alle Vermischung sträuben. Die Frage, wie der Golfstrom entstehe, hat die Geographen schon lange in Verlegenheit gesetzt. Durch neuere Forschungen und Untersuchungen wird einiges Licht auf dieses Problem gewor- fen, obgleich keineswegs Alles durch sie erklärt ist. Es ist früher behauptet worden, dass der Mississippi der Vater des Golfstroms sei. Seine Fluthen sollten ihn hervorbringen und man behauptete, dass nach der Strömung des Flusses auch die Ge- schwindigkeit des Golfstromes berechnet werden könne, (dass letz- tere eine Funktion der erstern sei). Der Kapıtän Livingston stiess diese Hypothese um, indem er zeigte, dass das Volumen Wasser, welches der Mississippi in den Golf von Mexiko ausschüttet, noch nicht ein Tausendstel von dem ist, welches aus dem Golf durch diesen Meerestrom entweicht. Ueberdies ist das Wasser des Golfstroms salzig, das des Mississippi süss, und man vergass, dass gerade soviel Salz, als durch diesen Strom aus dem Golf von Mexiko entfernt wird, in denselben wieder durch einen andern Kanal aus dem Weltmeere eindringen muss; denn sonst müsste derselbe, wenn er nicht grosse Salzlager auf seinem Grunde hätte oder wenn nicht Salzquellen in der Tiefe ein- mündeten (was beides unwahrscheinlich ist) im Laufe der Zeit zu einem Süsswasserbecken werden. Den oben erwähnten Beweisgrund des Kapitän Livingston hielt man deshalb vorläufig für entscheidend, und auf den Trüm- mern der alten Mississippihypothese baute derselbe nun eine neue auf, welche ihrerseits auch bereits wieder verworfen ist. Er be- hauptete, die Geschwindigkeit des Golfstromes hänge ,,von der Bewegung der Sonne in der Ekliptik und von dem Einfluss ab, den sie auf die Gewässer des atlantischen Oceans ausübt. “° Aber die Ansicht, welche bald die allgemeinste Verbreitung bei den Seefahrern gewann und am tiefsten Wurzel fasste, war die, welche der Dr. Franklin entwickelte. Dieser hält den Golfstrom für den Abfluss der Wassermassen , welche durch die Passatwinde in das caribische Meer hineingetrieben worden sind und er behaup- tet, dass der Druck dieser Winde auf das Wasser in jenem Golfe gleichsam eine Quelle für diesen Strom erzeugt. Wir könnten wohl Fälle anführen, dass das Wasser auf der Der Golfstrom. 15 einen Seite eines Sees oder an dem einen Ende eines Kanals, auf Kosten des andern, angehäuft worden ist. Aber sie sind selten, treten nur plötzlich und partiell ein, und sind grösstentheils nur auf Flächen seichten Wassers beschränkt, wo sich verhältnissmässig viel Geriesel, viele kleine sich kräuselnde Wellen bilden. Der Druck der Passate mag, so weit sie reichen, mit dazu beitragen, dem Golf- strom seine anfängliche Geschwindigkeit zu geben, aber ist er wohl an sich selbst einer solchen Wirkung adäquat? Meiner Meinung nach, scheinen die Gesetze der Hydrostatik, wie sie jetzt aufge- stellt werden, keineswegs einen solchen Schluss sicher zu stellen, und es muss daher die thätige Mitwirkung noch anderer Kräfte vorausgesetzt werden. Admiral Smyth erwähnt in seiner werthvollen Denkschrift über das Mittelmeer (S. 162), dass eine ununterbrochene Reihe von Stürmen (,,gusty gales‘‘) aus Südwesten thatsächlich einmal‘ das Wasser im tuscischen Meere nicht weniger als 12° über das ge- wöhnliche Niveau emporgehoben habe. Dies, sagt er, veranlasst dann eine starke Strömung des obern Wassers durch die Bonifacio- Strasse. Aber darin haben wir nichts dem Golfstrom ähnliches; keine tiefe und enge Kanalstrasse, um diese Gewässer wie einen Strom en miniature in die See zu leiten, sondern ein blosses Flu- then an der Oberfläche, wie es gewöhnlich der Stauung des Was- sers in irgend einem Teiche oder Strudel folgt. Die Bonifacio-Strö- mung fliesst nicht wie ein Strom quer durch das Mittelmeer, son- dern sie breitet sich aus, sobald sie durch die Meerenge hindurch ist und verliert sich wie ein Kreis auf dem Wasser, indem sie sich, sobald sie in das offene Meer gelangt, weit ausdehnt. Wollte man annehmen, dass der Druck der von den Passaten in das caribische Meer gedrängten Gewässer die einzige Ursache des Golfstroms sei, so müsste jenes Meer und der Golf von Mexiko ein viel höheres Niveau haben als das atlantische Meer. Demge- mäss müssen die Vertheidiger dieser Theorie, um dieselbe zu stützen, eine bedeutende Erhebung (elevation) annehmen. Der Major Ren- nell vergleicht die Strömung mit ,,einem ungeheuren Fluss der von einem höhern Niveau in eine Ebene hinabströmt.‘“ Wir kennen nun ziemlich genau die mittlere Breite und Geschwindigkeit des Golfstroms in der Floridastrasse. Wir kennen ebenso annähernd genau die Geschwindigkeit und Breite derselben Gewässer in der See beim Cap Hatteras. Ihre Breite ist hier ungefähr 75 Meilen, während sie in der engen Durchfahrt (,,Narrows‘*) jener Strasse 16 Tie physische Geographie des Meeres. 32 beträgt und ihre mittlere Geschwindigkeit ist 3 Knoten*) bei Hatteras, in den ‚„„Narrows‘‘ aber 4. Unter diesen Umständen ist es leicht zu zeigen, dass die Tiefe des Golfstroms bei Hatteras fast nur 50 Procent geringer ist, als in den ,, Narrows‘* von Bemini und dass demzufolge sein Bett statt sich zu senken, vielmehr eine von Norden nach Süden geneigte Ebene darstellt, welche hinauf die ge- ringeren Tiefen des Stromes steigen müssen. Wenn wir annehmen, dass seine Tiefe von Bemini an 200 Faden ist, womit ein bestimm- ter Gränzwerth gegeben zu sein scheint, so geben die obigen Ver- anschlagungen der Breite und Geschwindigkeit 114 Faden für seine Tiefe bei Hatteras. Desshalb werden die Gewässer, welche in der Meerenge unter dem Niveau des tiefsten Punktes bei Hatteras liegen, weit entfernt, dass sie Fall haben, im Gegentheil genöthigt an einer schiefen Ebene hinaufzusteigen, deren unterseeische Stei- "gung nicht weniger als 10 Zoll auf die Meile beträgt. Der Niagara ist ein ungeheurer Fluss, der in eine Ebene hin- abstürzt. Aber anstatt im Ontario-See seinen Charakter als ein be- sonderer und wohlbegränzter Strom mehrere hundert Meilen beizu- behalten, breitet er sich aus und seine Wasser verlieren sich sofort in denen des Sees. Warum sollte der Golfstrom nicht dasselbe thun? Er wird zwar stufenweise breiter; aber anstatt sich durch weite Ausbreitung mit dem Ocean zu vermischen, wie die gewalti- gen in die nördlichen Seen einmündenden Ströme, bewahrt er wie ein Strom Oeles im Ocean weiter als 3000 Meilen einen ganz unter- schiedenen Charakter. Ueberdies kommt, während der Golfstrom, von seinem der Annahme nach höhern Niveau im Süden nordwärts läuft, ein kalter Strom vom Norden herunter ; den warmen Wassern des erstern mitten im Ocean begegnend, theilt er sich und strömt ihnen zur Seite in denselben Wasserbehälter im Süden, dem die Theorie eine Erhebung zutheilt, die hinreichen soll, um quer durch den atlantischen Ocean einen Strahl warmen Wassers zu senden, der den Mississippi an Volumen 3000 mal übertreffen soll. Dieser Strömung aus der Baffinsbai kommen keine Passatwinde zu Hiilfe, um ihr einen Quell zu verschaffen; die vorherrschenden Winde sind ihr im Gegentheil ungünstig und einen grossen Theil ihrer *) Die Knoten sind an der Loglinie bekanntlich in dem Abstande von Y,.o Seemeile oder */429, Grad angebracht. So viele Knoten in einer halben Minute über Bord gehen, so viele Seemeilen durchläuft das Schiff in einer Stunde; vgl. Allg. Wörterbuch der Marine von J. H. Röding 2. Bd. S. 66 fig. Der Golfstrom. “7 Bahn legt sie unter der Oberflaiche und fern von dem Bereich irgend eines vorwärts treibenden Windes zurück. Und doch ist die An- nahme vollkommen begründet, dass diese Polarströmung dem Golf- strom an Volumen ganz gleich kommt! Sind das nicht Wirkungen derselben Ursachen? Und wenn sie es sind, was haben die Passat- winde mit dem einen mehr zu schaffen, als mit dem andern? See- fahrer werfen bekanntlich, nach einem altherkömmlichen Brauche, öfters eine Flasche über Bord, in welcher sich ein die Zeit, wann, und den Ort, wo dies geschehen ist, angebender Zettel befindet. In Ermanglung anderer Belehrung über die Strömungen ist die von diesen kleinen, stummen Schwimmern gebotene von grossem Wer- the. Sie hinterlassen zwar keine Spuren und ihre Reiserouten lassen sich nicht sicher bestimmen; aber da man weiss, wo sie aus- geworfen, und da man sieht, wo sie gefunden wurden, so kann man sich über ihren Lauf immerhin eine Idee bilden. Man kann wenig- stens gerade Linien ziehen, die die kürzeste Entfernung vom An- fangs- bis zum Endpunkt ihrer Reise angeben, man kann die Zeit der Reise bestimmen. Der Kapitän Beechey, R.N. (von der königl. Flotte) hat eine Karte gezeichnet, welche auf diese Weise die Wege von mehr als 100 Flaschen angiebt.*) Aus dieser ergiebt sich, dass die Gewässer von jeder Gegend des atlantischen Oceans sich dem Golfe von Mexiko und seiner Strömung zubewegen. Flaschen, welche man mitten zwischen der Alten und Neuen Welt, nahe an den Küsten Europas, Afrikas und Amerikas, im äussersten Norden oder fernsten Süden in die See warf, sind entweder in Westindien oder in dem wohlbekannten Laufe der Golfstromgewässer wieder- gefunden worden. Von zweien, welche zusammen in südlicher Breite an der Küste Afrikas ausgeworfen wurden, fand man eine an der Insel Trinidad, die andere bei Guernsey im englischen Kanal. Da man sich über ihre Route nicht positiv belehren kann, so kann man den Umständen gemäss die Thatsache nur so erklären, dass die letztere die weite Reise im Golfstrome zurücklegte. Eine andere von einem amerikanischen Rheder bei Cap Hoorn 1837 ausgeworfene Flasche ist vor Kurzem an der Küste von Ir- land aufgefunden worden. Die Betrachtung der Karte und das Trei- ben der andern Flaschen scheint uns zu dem Schluss zu nöthigen, *) Vgl. Berghaus, allg. L.- u. Völkerkunde, I, S. 535, wo eine Tabelle den Lauf von 21 solchen Flaschen zusammenstellt. Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. 2 iS Die physische Geographie des Meeres. dass selbst diese Flasche von jener entfernten Gegend aus dem so- genannten héhern Niveau des Golfstrombeckens zuschwamm. Mitten im atlantischen Ocean in dem dreieckigen Raume zwi- schen den Azoren, den canarischen und capverdischen Inseln be- findet sich die Sargasso-See. Sie bedeckt eine dem Mississippi- Thale an Ausdehnung gleich kommende Fläche und ist so dicht mit Fueus natans (oft wie mit einer Matte) bedeckt, dass die Bewe- gung der sie passirenden Schiffe oft sehr verzögert wird.*) Als die Gefährten des Columbus sie sahen, glaubten sie, dass sie die Grän- zen des schiffbaren Meeres bezeichneten und geriethen in grosse Besorgniss. Dem Auge erscheint sie in einiger Entfernung fest genug um darauf zu gehen. Stücken dieses Seetangs sieht man immer längs des Golfstroms hintreiben. Wenn man nun Stückchen Kork oder Spreu oder irgend eine schwimmende Substanz in ein Wasserbecken wirft und das Wasser in eine rotirende Bewegung bringt, so wird man alle die leichten Körper sich in der Nähe des Mittelpunkts, wo das Wasser am wenigsten bewegt ist, ansammeln sehen. Solch ein Becken ist auch der atlantische Ocean für den Golfstrom und die Sargasso - See ist der Mittelpunkt des Wirbels. Columbus fand zuerst diese Tangwiesen, wie sie Oviedo nennt, auf seiner Entdeckungsreise und dort sind sie bis auf den heutigen Tag geblieben, und gewisse in Bezug auf ihre Gränzen angestellte Be- obachtungen, die sich bis auf 50 Jahre zurückerstrecken, geben uns die Gewissheit, dass ihre Stelle bis auf den heutigen Tag immer noch dieselbe ist. Diese Anzeichen einer Kreisbewegung durch den Golfstrom finden in der Flaschenkarte und andern Nachweisen ihre Bestätigung. Wenn sich dies aber so verhält, warum soll man dann noch der endlosen Strömung in einem Theile ihres Laufes ein höhe- res Niveau geben, als in irgend einem andern ? Noch mehr! Zu derselben Zeit des Jahres, wann der Golf- strom mit seinem grössten Volumen durch die Meerenge von Flo- rida rauscht und dem Norden mit der grössten Geschwindigkeit zu- eilt, fliesst ein kalter Strom aus der Baffinsbay, von Labrador und den nordischen Küsten, mit gleicher Geschwindigkeit nach Süden. Wo ist der Passat, der der Baffinsbay das hohe Niveau gäbe oder nur etwas auf die Wasser drückte und mit dazu beitrüge, die Strö- mung in Bewegung zu setzen? Winde vermögen im tiefen Meere *) Vergl. v. Humboldt Kosmos I, 328. und besonders Berghaus a. a. O. I, S. 418. Der Golfstrom. 19 nur sehr partielle Strömungen hervorzubringen. Jene zwei Strömun- gen begegnen sich seitab von den grossen Bänken (von Neufund- land), wo sich der letztere theilt. Ein Theil läuft unter dem Golf- strom hin, wie dies die Eisberge beweisen, welche quer durch die Richtung des Stroms fortgetrieben werden. Es ist sehr wahrschein- lich, dass diese ,,Gabel‘‘ sich nach Süden zu fortsetzt und in das caraibische Meer hineinströmt, denn die 'Temperatur des Wassers ist dort schon in geringer Tiefe weit unter der mittlern Erdwärme gefunden worden und ganz so kalt als in einer entsprechenden Tiefe an den arktischen Gestaden Spitzbergens. Es kann unmöglich mehr Wasser vom Aequator zum Pol (oder umgekehrt) laufen, als vom Pol zum Aequator zurückströmt. Lassen wir die Passatwinde die erstere Strömung hervorbringen , so muss irgend ein anderer Wind die Gegenströmung hervorrufen. Aber diese ist grösstentheils und auf grosse Strecken unterseeisch und desshalb jedem Einfluss der Winde entzogen. Es wird daher schon wahrscheinlich, dass die Winde mit dem allgemeinen System der Wasser-Circulation im Ocean wenig zu thun haben. Die andere ‚‚Gabel‘‘ strömt, wie gesagt, zwischen Amerika und dem Golfstrom nach Süden. Soweit man ihr nachgespürt hat, bestärkt sie uns in dem Glauben, dass auch sie nach oben strömt, um das sogenannte höhere Niveau des mexikanischen Golfes auf- zusuchen. Einer solchen Wassermasse, wie der des Golfstroms, der noch dazu mehrere tausend Meilen ohne irgend eine Erneuerung des Impulses von Gravitations- oder sonst bekannten Kräften hinströmt, setzt natürlich die ruhende See einen gewaltigen Widerstand ent- gegen. Wir kennen zufällig ein Argument, das uns die Grösse des diesen Gewässern in ihrer Bewegung gegen Osten entgegenwirken- den Widerstandes mit hinlänglicher Genauigkeit bestimmen lehrt. Der täglichen Erdrotation gemäss, werden sie bei ihrem Eintritt in den atlantischen Ocean um die Erdachse gegen Osten mit einer stündlichen Geschwindigkeit fortbewegt, die um 157 Meilen grösser ist als bei ihrer Ankunft an den Bänken von Neufundland. *) In Folge der Breitendifferenz zwischen den Parallelkreisen die- *) Bei dieser Berechnung ist die Erde als eine vollkommene Kugel mit einem Durchmesser yon 7925,56 Meilen angenommen. Setzt man 100 engl. Mei- len = 21,726 deutschen (geogr.), so giebt dies einen Erddiameter von 1721,07 deutschen Meilen, ein nur wenig zu grosses Resultat. (D. Ueb.) 2 * 20 Die physische Geographie des Meeres. ser beiden Punkte reducirt sich die Zahl, welche die Bewegung um die Erdachse ausdriickt, von 915,26 auf 758,60 Meilen in der Stunde. *) Diese ungeheure Wassermasse begegnet also, indem sie von den Bahama-Inseln nach den grossen Bänken strömt, einer gegen- wirkenden Kraft, die sie in ihrer Gesammtheit in einer Minute 2%, Meile und zwar nur in ihrem Curse gerade nach Osten zu retardiren vermag. Dieser Gegendruck als Widerstand den allgemein gülti- gen Gesetzen gemäss berechnet, stellt sich dem Drucke mehrerer Atmosphären gleich. Sollte nun der Druck der sanften Passatwinde einen solchen Widerstand bewältigen und diese ihnen zugeschrie- bene Wirkung hervorbringen können? Wenn wir also in der vor- liegenden Untersuchung nirgends als in dem höhern Niveau des Golfes nach einer vorwärts treibenden Kraft suchen, so müssen wir zugeben, dass in dem höhern Wasserstande dort eine Kraft existirt, die alle diese Gewässer in Bewegung zu setzen und mit der Ge- schwindigkeit von 4 Meilen die Stunde über eine Ebene zu treiben vermag d. h. so schnell wie sie von 3000 solchen Flüssen wie der Mississippi heruntergetrieben werden könnten — eine Kraft, die we- nigstens hinreichen muss den Widerstand zu überwinden, der dazu erforderlich ist, die Geschwindigkeit eines Stromes, der ein Viertel aller Gewässer des atlantischen Oceans in beständiger Bewegung erhält, von 2%, Meile auf wenige Fuss in der Minute herabzu- bringen. Die aus den Beobachtungen über diesen interessanten Gegen- stand hergeleiteten Thatsachen gewähren uns nur einen Licht- schimmer, der keineswegs hinreicht, uns über das höhere Niveau im Golfe oder über die Hinlänglichkeit irgend welcher andrer für diesen wunderbaren Strom aufgestellter Ursachen aufzuklären. Will man, um die Geschwindigkeit bei Hatteras zu erklären, seine Zuflucht zu jenem höhern Niveau nehmen, so sehe ich nicht ein, warum man nicht durch gleiche Schlüsse das Niveau bei Hatteras emporheben sollte, um die Geschwindigkeit bei den grossen Bänken zu erklären, warum man also nicht dem Golfstrom in seinem gan- zen Kreislauf ein Gefälle beilegen und durch eine reductio ad ab- *) Auf dem letztern Parallelkreis hat die Strömung eine Ostbewegung von ungefähr 1*/, Meilen in der Stunde, was für die Bank von Neufundland als wahre Geschwindigkeit nach Osten in Bezug auf die Erdachse ungefähr 760 (758,6+1,5) Meilen giebt. en a Der Golfstrom. 31 surdum zeigen sollte, dass die Passate der ihnen beigemessenen Wirkung nicht gewachsen sind. Wenn die Thatsachen fehlen, so ist statt derselben nicht selten eine glückliche Hypothese zufällig zur weitern Aufhellung dienlich. Wir wollen desshalb einmal annehmen, eine Kugel von der Grösse der Erde habe einen festen Kern und sei durchaus mit 200 Faden tiefem Wasser bedeckt; jede Quelle der Wärme, jede Ursache der Wärmestrahlung sei von ihr entfernt, so dass die Temperatur des Fluidums durchaus constant und gleichförmig wird. Das Gleich- gewicht würde auf solch einer Kugel ungestört bleiben, es würde weder Winde noch Strömungen geben. Wir wollen ferner annehmen, dass alles Wasser innerhalb der Wendekreise bis auf eine Tiefe von 100 Faden plötzlich in Oel verwandelt würde. Das Gleichgewicht des Wassers wird dadurch auf dem Planeten gestört und ein allgemeines System von Strömungen und Gegenströmun- gen tritt sogleich in Wirksamkeit — indem das Oel in einer unge- theilten Fläche auf der Oberfläche nach den Polen zuströmt, wäh- rend das Wasser darunter weg dem Aequator zueilt. Man nehme nun an, dass das Oel, sobald es das Polarbecken erreicht, wieder in Wasser und das Wasser, wenn es den Krebs- und Steinbockkreis überschreitet, wieder in Oel verwandelt werde, dass es zur Ober- fläche emporsteige und zurückkehre wie zuvor. So würden wir ohne Wind ein beständiges und gleichförmiges System von tropi- schen und Polarströmungen sich bilden sehen. In Folge der täg- lichen Rotation des Planeten um seine Achse würde jedes Theil- chen Oel, wenn der Widerstand gering wäre, sich den Polen in einer nach Osten gewandten Spirale mit immer grösser werdender relativer Geschwindigkeit nähern, bis es schliesslich den Pol er- reichen und um denselben mit einer Geschwindigkeit von fast 1000 Meilen in der Stunde kreisen würde. Wenn es dann zu Wasser wird und seine Geschwindigkeit verliert, so würde es sich den Wendekreisen durch eine ähnliche, aber nach entgegengesetzter Richtung, gen Westen gewandte Spirale nähern. In Folge des hier angedeuteten Princips sollten alle Strömungen vom Aequator nach den Polen zu eine Richtung gen Osten und alle von den Po- len nach dem Aequator zu eine westliche haben. Wir wollen nun annehmen, dass der feste Kern dieser hypo- thetischen Kugel genau die Form und Gestalt des Grundes unserer Meere annehme und dass er in jeder Beziehung in Figur und Grösse die Inseln und Untiefen der See, die Küstenlinien und Continente 22 Die physische Geographie des Meeres. der Erde darstelle. Das eben entwickelte gleichförmige Strömungs- system würde nun durch mancherlei Hindernisse und lokale Stö- rungen mancherlei Art, wie z. B. ungleiche Tiefe des Wassers, Contouren der Küsten u. s. w. unterbrochen werden und wir würden an gewissen Orten Strömungen haben, welche andere an Volumen und Geschwindigkeit überträfen. Aber trotzdem würde ein System von Strömungen und Gegenströmungen vom Pol zum Aequator noch fortbestehen. Zeigen aber nun die kalten Wasser des Nordens und die warmen des Golfes, die durch die tropische Hitze specifisch leichter werden, nicht wenigstens annähernd ein Verhältniss wie jenes Oel und Wasser, welches wir eben annahmen? Den hier an- gedeuteten Gesetzen gemäss, neigen aber auch die Polargewässer immer zu Strömungen nach den Tropen und umgekehrt. Der Ca- pitän Wilkes, Mitglied der Entdeckungsexpedition (Exploring Ex- pedition) der Ver. Staaten, durchkreuzte eine dieser hyperboreischen, unterseeischen Strömungen, die 200 Meilen breit war, am Aequator. Nimmt man das Maximum der Geschwindigkeit des Golf- stroms zu 5 Knoten und seine Tiefe und Breite in der Meerenge von Bemini wie oben an, so würde ein vertikaler Querschnitt eine Fläche von 200000000 DO’ darstellen, die sich in der Sekunde 7’ 3” fortbewegt. Der Unterschied der specifischen Schwere zwischen dem Volumen Golfwassers, das diesen Durchschnitt in einer Se- kunde passirt und einem gleichen Volumen Wassers bei der Ocean- temperatur jener Breite, beträgt 15000000 Pfd. Wenn diese nur geschätzten Dimensionen (die nur der Erläuterung wegen ungefähr angenommen wurden) sich innerhalb gewisser Gränzwerthe befin- den, so ist diese hier in der Sekunde die Wasser des Golfes dem Pole zutreibende Kraft gleich derjenigen , welche 15000000 Pfunde Wassers in der Breite von Bemini in das Gleichgewicht zu brin- gen strebt. Bei der Untersuchung der Meeresströmungen sollten solche wirkende Kräfte in Anschlag gebracht werden. Dennoch zweifle ich daran, ob diese eine Ursache an sich einen Strom von so gros- sem mechanischen Momente hervorzubringen vermag; denn nimmt man seinen geschätzten Abfluss für richtig an, so ist die Behaup- tung fast mathematisch zu beweisen, dass der in Folge seiner Ge- schwindigkeit zu überwältigende Widerstand eine Kraft erfordern würde, die wenigtens hinreichte, 90000 Millionen Tonnen mit einer Schnelligkeit von 3 Meilen in der Stunde eine schiefe Ebene hin- aufzutreiben, welche auf die Meile 3 Zoll steigt (vorausgesetzt, dass Der Golfstrom. 93 kein Widerstand durch Friktion entsteht.) Gerade das Princip, aus welchem diese wirkende Kraft hergeleitet wird, muss aber als eine Hauptursache jener Winde angenommen werden, welche die ein- zige Ursache dieser Strémung sein sollten. Die chemischen Eigenschaften, oder wenn der Ausdruck zu- lässig ist, die galvanischen Eigenschaften der Golfstromge- wässer sind, indem jene aus ihren Quellen hervorströmen, andere oder vielmehr intensivere, als die des Seewassers im Allgemeinen. Der Sekretär der Flotte der Ver. St. traf 1843 Massregeln, um sich eine Reihe von Beobachtungen und Versuchen in Bezug auf die ätzenden und zerfressenden Einwirkungen des Meerwassers auf den Kupferbeschlag der Schiffe zu verschaffen. Diese Untersuchun- gen wurden mit Geduld, Sorgfalt und Anstrengung zehn Jahre hindurch fortgeführt und man sagt, dass die Thatsache festgestellt ist, dass das Kupfer an dem Boden der in der caraibischen See und in dem Golfe ven Mexiko kreuzenden Schiffe mehr unter der Ein- wirkung des Meerwassers leidet, als in irgend einem andern Theile des Oceans. Mit andern Worten, das Salz dieser Gewässer erzeugt die stärkste galvanische Batterie, welche auf dem Ocean angetroffen wird. Es kann nun — unter sonst gleichen Umständen — ange- nommen werden, dass die Stärke dieser galvanischen Batterie im Meere gewissermassen von dem Verhältnisse der Salztheile abhängt, die das Wasser aufgelöst in sich enthält. Nimmt man also, in Ermanglung genauerer Belehrung, diese Vermuthung als wahrscheinlich an, so kann man auch noch einen Schritt weiter zu der Folgerung vorschreiten, dass die Gewässer des Golfstroms, da sie in solcher Masse und mit solcher Geschwindigkeit in das Weltmeer hinausströmen, nicht allein ihnen eigenthümliche che- mische Affinitäten besitzen, sondern wegen ihres grössern Salzge- halts auch specifisch schwerer sind als das Meerwasser, durch wel- ches sie in einen so klaren und wohlabgegränzten Kanal hindurch- fliessen. Die Affinitäten, von denen ich spreche und welche sich in dem Widerstreben der Gewässer des Golfstroms, sich mit denen des Oceans zu vermischen, offenbaren, können gemeinschaftliche Re- sultate seiner galvanischen Eigenschaften , seiner höhern Tempera- tur und seines grössern Salzgehaltes sein. Wenn das oben von den Kupferbeschlägen Erzählte wirklich einen höhern Punkt der Salz- sättigung und demzufolge eine grössere specifische Schwere für die Wasser des Golfs und der caraibischen See als für die des offnen 24 Die physische Geographie des Meeres. Weltmeers bei derselben 'Temperatur andeutet, dann dürfte man als eine Quelle für die Anfangsgeschwindigkeit des Golfstroms in der That nicht das höhere Niveau des Golfes, sondern die grössere Dichtigkeit angeben. Allerdings würde eine grössere Dichtigkeit, aus der natürlich eine grössere specifische Schwere folgt, ebenso gut wie ein höheres Niveau, eine Anfangsgeschwindigkeit mitzu- theilen vermögen, aber mit diesem Unterschiede: die schwerern Wasser würden vermöge ihres grössern Druckes durch irgend eine passend gelegene Oeffnung in den Ocean leichtern Wassers durch eine Art spritzender Kraft hinausgeschleudert werden. Aber hier entsteht wieder die Frage, was die Gewässer des mexikanischen Golfes und caraibischen Meeres salziger machen kann, als die Ge- wässer von gleicher Temperatur in den Theilen des Oceans, durch welche der Golfstrom fliesst. Es sind bekanntlich physische Kräfte in verschiedenen Thei- len des Oceans in solcher Weise in Thätigkeit, dass sie die Gewäs- ser in einem Theile des Oceans salziger und schwerer, in andern weniger salzig und leichter zu machen streben, als das Wasser im Mittel ist. Diese Naturkräfte sind dieselben, welche die Seemu- schel benutzt, um feste Materie zu ihrem Bau auszuscheiden, es sind die Wirkungen der Wärme, *) der Strahlung, Verdunstung und Niederschlagung. In den Passatregionen des Oceans (Tafel VII) übersteigt die Verdunstung im Allgemeinen den Niederschlag, während in den aussertropischep Gegenden das Gegentheil stattfindet, d. h. die Wolken entsenden mehr Wasser als die Winde wieder durch Ver- dunstung aufnehmen, und dies sind die Regionen, in welchen der Golfstrom in das atlantische Meer eintritt. Längs den indischen Gestaden, wo man sorgfältige Beobachtungen angestellt hat, be- läuft sich die Verdunstung täglich auf %, Zoll. Angenommen, dass sie in der Passatregion des atlantischen Oceans sich nur auf einen halben Zoll belaufe, so würde das eine jährliche Verdunstung von 15, sage funfzehn Fuss geben. Bei diesem Process verdunstet aber bekanntlich nur süsses Wasser, das Salz bleibt zurück. Man denke sich nun eine Schicht Meerwasser, funfzehn Fuss tief, so breit als der Passatgürtel des atlantischen Meeres und von Continent zu *) Nach Dr. Marcet’s Angaben erreicht das Seewasser das Maximum seiner Contraktion bei 28° Fahrenheit (= — 17/,° R.) Der Golfstrom. 25 Continent über das Meer reichend ; welche gewaltigen Salzmassen muss derselbe enthalten ! Die grosse Aequatorialströmung (Tafel VI), welche von den Küsten Afrikas quer über den Ocean in das caraibische Meer eilt, ist eine Oberflächenströmung, und sollte sie jenem Meere nicht eine gewaltige Masse jenes Wassers zuführen, das den Durst der Passate mit salzfreien Dünsten gelöscht hat? -Wenn dem so ist — und höchst wahrscheinlich ist dem so — haben wir nicht hier die Spuren einer Naturthätigkeit entdeckt, welche die Wasser der carai- bischen See salziger und schwerer zu machen strebt, als das Meer- wasser im Durchschnitt ist? Insofern nur die Richtigkeit des Prin- cips, wovon dieses Raisonnement abhängt, in Betracht kommt, ist es ganz unwesentlich, ob die jährliche Verdunstung in den Passat- regionen des atlantischen Meeres funfzehn, zehn oder fünf Fuss be- trägt. Mag die Wasserschicht, die aus diesen Theilen des Oceans verdampft, selbst noch dünner sein, sie wird doch keinesfalls von den Wolken an derselben Stelle, woher sie kam, wieder ausge- schüttet. Sie nehmen sie auf und giessen sie in Regenschauern auf das Land und Meer aussertropischer Gegenden nieder, wo mehr Wasser niederschlägt, als in den Wolken wieder aufgenommen wird. Nehmen wir nun an, der Ueberschuss der Präcipitation in diesen aussertropischen Gegenden der See belaufe sich nur auf 12 Zoll oder selbst nur auf 2, so sind dies 12 oder 2 Zoll süssen Wassers, die der See in jenen Theilen zugefügt werden und die also die specifi- sche Schwere des Seewassers insoweit zu verringern streben und zwar umsomehr aus dem einfachen Grunde, weil die Differenz sich verdoppelt, wenn man das der einen Wagschaale entnommene Ge- wicht in die andere thut. Eine partielle Berechnung mag nun von dem Einfluss des durch die von den Nordost- und Südostpassaten bewirkte Verdunstung er- höhten Salzgehalts auf die Erzeugung von Strömungen eine Idee geben. Wir zeigen zu dem Ende, wie viel Salz dieser Dunst, ehe er aufstieg, also in seinem Aggregatzustande als Seewasser enthielt. Die Nordostpassat-Regionen des atlantischen Oceans dehnen sich über ein Areal von wenigstens 30000000) Meilen aus und die jähr- liche Ausdunstung aus demselben soll nach obiger Annahme 15° betragen. Das Salz, welches in einer Wasserschicht von 3 Millionen OMeilen Grundfläche und 15° Höhe enthalten ist*), würde hinrei- *) Die gesetzmässige engl. DMeile enthält 27,878,400 engl. D’; die Masse 26 Die physische Geographie des Meeres. chen die britischen Inseln 14’ hoch zu bedecken. Indem also dieses Wasser als Dunst in die Passatwinde aufsteigt, wird der Ocean selbst sehr merklich salziger, und die Partikeln dieses salzi- gen Wassers hängen mit vermehrter Cohäsionskraft aneinander, wie wir aus der bereits erwähnten Thatsache schliessen können, dass die Gewässer des Golfstroms einer Vermischung mit dem des Oceans widerstreben. Was aber nun auch der Grund sein mag, wesshalb diese Wasser auf der Oberfläche bleiben, mag er in der eben angegebenen Thatsache liegen, derzufolge die Wasser des Golfstroms in ihrem Kanal zusammengehalten werden oder in dem Umstand, dass die Expansion durch die Wärme der heissen Zone die durch reich- lichern Salzgehalt vergrösserte Schwere wieder zu compensiren ver- mag, oder mag er ın beiden Thatsachen liegen, wir wissen jeden- falls, dass sie als eine Oberflächenströmung in die caraibische See eintreten. Möglich auch, dass die Passate durch ihre constante Einwirkung ihnen aus dem atlantischen Ocean wenigstens ober- flächlich eine Richtung und einen Zug in das caraibische Meer ge- ben *), woraus sie denn aus noch nicht aufgehellten Gründen in den Golfstromkanal, dem sie vor allen Oeffnungen und Wegen den Vorzug geben, entweichen. Auf dem gegenwärtigen Standpunkte unserer Kenntnisse in 3ezug auf dieses wunderbare Phänomen — denn der Golfstrom ist eines der grössten Wunder im Ocean — können wir wenig mehr thun als Hypothesen aufstellen. Aber zwei Ursachen sehen wir wirken, welche, wie wir wohl sicher annehmen können, bei der Hervorbringung des Golfstroms mitbetheiligt sind. Eine derselben ist der vermehrte Salzgehalt des Wassers nach der Verdunstung durch die Passate, und der andere das verminderte Salzquantum in der Ost- und Nordsee. Die Gewässer der Ostsee sind fast süss; sie enthalten nur halb soviel Salz als die See im Allgemeinen. Wir haben nun auf der einen Seite das caraibische Meer und den Golf von Mexiko mit ihrem Salzwasser; auf der andern die Ostsee mit einem Brackwasser von sehr mässiger Stärke. In der einen Gruppe dieser Meeresbecken ist das Wasser schwer, in der andern leicht. Zwischen ihnen liegt der Ocean; aber das Wasser will nothwendi- des verdunstenden Wassers würde also mehr als 418 Millionen engl. Kubikfuss betragen. *) Vgl. L. F. Kämtz, Vorlesungen über Meteorologie. Halle 1840. S. 217. Der Golfstrom. 27 gerweise sein Niveau und Gleichgewicht suchen und behaupten. Hier fördern wir also eine der den Golfstrom erzeugenden Kräfte zu Tage. Was der Einfluss dieser Triebkraft sei — d. h. wie gross er sei und wie weit sie sich erstreckt — können wir nicht sagen; dass sie aber mitwirkt, ist gewiss. Jedenfalls muss sich das gleich- sam übersalzige Wasser der Tropen mit den übrigen Seegewässern — mit Einschluss der Ostsee — wieder in gehöriger Proportion mischen und die durch den Golfstrom fliessenden erfüllen unter Anderm diesen Zweck. Es ist dies eine der Verrichtungen, welche in der Oekonomie des Oceans ihnen übertragen ist. Was die Temperatur des Golfstroms anbetrifft, so zeigt sich an einem Wintertage seitwärts von Cap Hatteras und selbst bis zu den grossen Bänken hinauf inmitten des Oceans eine Wärmediffe- renz von 20°, ja sogar von 30° zwischen seinen Gewässern und dem Ocean nahebei. *) Das Wasser dehnt sich bekanntlich durch die Wärme aus und hier mag die Wärmedifferenz den Unterschied an Salzgehalt überflüssig compensiren und daher die Gewässer des Golfes vermöge ihrer Wärme sogar specifisch leichter machen. Bei ihrer Leichtigkeit und starken Adhäsion müssten sie also ein höhe- res Niveau haben als die, durch welche sie fliessen. Nimmt man die Tiefe bei Hatteras zu 114 Faden an und wendet man die gewöhn- lichen Skalen der Expansionsrechnung auf das Meerwasser an, so ergiebt sich, dass die Mitte der Golfstromachse fast 2 Fuss höher liegen müsste, als die daranstossenden Gewässer des atlantischen Oceans. Demnach müsste die Oberfläche des Stromes die Form *) Obgleich die Temperaturverhältnisse der Meere weiter unten genauer betrachtet werden, dürfte es doch nicht unzweckmässig sein, schon hier eine Uebersicht der Jahrestemperatur des atlantischen Oceans zu geben: | Breite Meer | Luft | Breite Meer Luft EN dl 2500. 1 290 41° 3) BO WER KB bare 50. 8) 52 47 Co) a OR POR S| 45. | 58 51 @ | 40, 01.220.020 er ei 40 | GS 64 Bh 35 ROS)? Veer 95 (ie Aaa aa PCB. > |: MD Ask ee: 30 En na Br! a | 25 Sk Maer eee. | 25 si su 20)" 85 CET OR EEE Bee} 8a ir |) 86 a8 eds. 87 1) 88 2 10 90 |. 91 | 2 10 | 89 | 90 2 5 32’ 92 Preeti’ | 90 90 0 Bk) |: 92h rae gl 92 Ueber die Temperatur des Golfstroms vgl. man Berghaus I, 8. 555. (D. Ueb.) 28 Die physische Geographie des Meeres. einer doppelten geneigten Ebene annehmen, von welcher die Wasser zu beiden Seiten herabströmen würden, wie von den Dachflächen eines Hauses. Während aber das Wasser am Giebel oder Scheitel herabrinnt, strömt dasselbe Gewicht kältern Wassers auf der untern Kante der schiefen Ebene hinein, hebt so das Kaltwasserbett des Golfstroms und lässt es auf seinem Wege nach Norden immer seich- ter und seichter werden. Dass aber der Golfstrom dachförmig ist und dass desshalb die Gewässer auf seiner Oberfläche nach beiden Seiten von der Mitte aus hinabströmen, können wir nicht allein aus den Umständen a priori herleiten, sondern durch Beobachtun- gen beweisen. Seefahrer haben, während sie sich vom Golfstrom forttreiben liessen, ein Boot in das Meer hinabgelassen, um die Oberflächen- strömung zu untersuchen. In solchen Fällen pflegte das Boot ent- weder nach Osten oder nach Westen zu treiben, je nachdem es zu- fällig auf der einen oder andern Seite der Stromachse war, während das Schiff selbst in der allgemeinen Richtung der Strömung dahin- trieb. Daraus erkannte man das Vorhandensein zweier seichten ‚„Dachströmungen‘‘ von der Mitte nach jedem Rande zu, welche wohl das Boot mit sich führten, aber da sie nicht tief in das Meer hineindrangen, das viel tiefer gehende Schiff von der allgemeinen Bahn des Golfstroms nicht abzulenken vermochten. Mit der Annahme solch einer für sich beweglichen dünnen Stromdecke auf der ihre Hauptrichtung darunter verfolgenden Golf- strömung stimmt auch der Umstand überein, dass der Seetang und das Treibholz, welche in bedeutender Menge längs des äussern Randes des Golfstroms gefunden werden, niemals, selbst nicht bei vorherr- schend östlichen Winden, an seinem innern Rande vorkommen, aus dem einfachen Grunde, weil sie, um über den Golfstrom von Rand zu Rand zugelangen, gleichsam stromauf treiben müssten, d.h. sie hätten gegen diese Dachströmung anzukämpfen, bis sie die Mitte der Strömung erreichten. Wir haben nie davon gehört, dass Bret- ter oder Schiffstrümmer oder sonstige schwimmende Substanzen, welche an der andern Seite der Strömung in die See geworfen wur- den, irgendwo längs den Küsten der Ver. St. aufgefunden wurden. Man erzählt wohl, dass Treibholz, Bäume und Samen von den westindischen Inseln an den Küsten Europas ausgeworfen wurden, aber nie, so viel ich gehört habe, an den atlantischen Gestaden Amerikas. Wir handeln nun von den Wirkungen physischer Ursachen. Der Golfstrom. 29 Die Frage, welche ich wohl zu beachten bitte, lautet: Warum mag der Golfstrom Seetang, Treibholz und andere feste Körper, die man auf ihm schwimmend antrifft, an seinem äussern Rande absetzen und auswerfen ? Eine Ursache liegt, wie gezeigt wurde, in seiner dachähn- lichen Strömung; aber es giebt noch eine andere, welche dieselbe Wirkung hervorzubringen strebt, und da es eine physische Kraft ist, so darf sie in einer Abhandlung wie die vorliegende, wenn auch ihre Aktion noch so gering ist, nicht unbeachtet bleiben. Ich fasse nämlich die Wirkungen ins Auge, welche von der täglichen Ro- tation der Erde auf alles in der Strömung Treibende ausgeübt werden. Man betrachte z. B. eine von Nord nach Süd laufende Eisen- bahn. Es ist den Ingenieuren bekannt, dass, wenn die Wagen auf einer solchen Bahn nach Norden fahren, sie eine Neigung haben, nach Osten zu aus den Schienen zu springen; fährt aber der Zug nach Süden, so drücken sie vielmehr nach Westen gegen die Schie- nen, also immer nach der rechten Seite zu. Mag nun die Bahn eine oder 100 Meilen lang sein, sowohl die Wirkung der täglichen Erdumdrehung, als der einseitige Druck nach einer Seite zu, wäh- rend man einen gegebenen Parallelkreis mit einer bestimmten Ge- schwindigkeit durchkreuzt, bleiben dieselben, und zwar steht das Bestreben aus den Schienen zu springen in Proportion mit der Schnelligkeit der Züge und durchaus nicht mit der Länge der Bahn. Zieht man nun die vis mertiae und die Geschwindigkeit in Rech- nung, so ist das Bestreben der Kraft der täglichen Rotation zu fol- gen und der Rechten zuzusteuern bei einem Haufen treibenden Seetangs oder ‚‚Golfkrauts‘‘ relativ ebenso gross, als bei einem Eisenbahnzuge, der auf der Hudson- oder der grossen Westbahn von England nach Norden dahinbraust. Die Schienen halten die Wagen zurück und lassen sie nicht seitwärts abweichen; aber den Seetang hält keine Schiene zurück und nichts hindert das Treib- holz im Golfstrom dieser Kraft zu folgen. Wenn Körper sich frei im Wasser bewegen, fühlen sie vielmehr den geringsten Impuls, der sie in einer Seitenrichtung forttreibt, sogleich und gehorchen dem- selben blindlings. Aus dieser täglichen Rotation folgt es auch, dass das den Mississippi herabkommende Treibholz so sehr dazu hinneigt, an dem westlichen oder rechten Ufer angeschwemmt zu werden. Das Gegentheil findet beim Golfstrom statt; denn dieser fliesst nach Norden und setzt daher gern nach Osten zu ab. 30 Die physische Geographie des Meeres. Die Einwirkung der täglichen Achsendrehung der Erde auf die Winde und Strömungen der See wird allgemein zugegeben — die Passatwinde leiten ja ihre östliche Richtung von derselben ab —-; sie muss sich also auch auf alle Stoffe erstrecken, welche diese Strömungen mit sich führen, auf den grössten Eisberg wie auf ein blosses Stängelchen Grases, das auf dem Wasser schwimmt oder auf den feinsten Organismus, den nur ein mächtiges Mikro- skop zwischen den zartesten Theilchen des Passatstaubes entdeckt. Auf diese Einwirkung der täglichen Rotation wird auf den Seiten dieses Werkes noch häufig angespielt werden. *) In seinem Laufe nach dem Norden richtet sich der Golfstrom allmählig mehr und mehr ostwärts, bis er bei den Bänken von Neu- fundland anlangt, wo sein Lauf geradezu östlich wird. Man hat geglaubt, dass ihn diese Bänke von seinem eigentlichen Curs ab- lenken und ihn diese Wendung machen lassen. Bei näherer Unter- suchung wird sich zeigen, dass sie hier mitwirken, aber dies gewiss nicht geradezu verursachen. Hier begegnet der Golfstrom dem schon erwähnten kalten Strome (S. 27) mit seinen Eisbergen aus dem Norden; hier schmelzen diese in den warmen Wassern des Golfstroms. Natürlich werden die von den Eisbergen mitgebrach- ten Stein-, Kies- und Erdmassen hier gleichsam abgeladen. Der Kapitän Scoresby zählte weit oben im Norden 500 Eisberge, die von derselben Gegend aus auf dieser Strömung dem Süden zutrie- ben. Viele von diesen mit Erde belasteten Kolossen sind an den Bänken auf dem Grunde gesehn worden. Dieser Naturprocess, vermöge dessen jenen Untiefen mannigfacher fester Niederschlag zugeführt wird, dauert schon Jahrtausende hindurch und erscheint, wenn man die Zeit beachtet, der geschilderten Wirkung ganz adäquat. Die tiefen Seepeilungen, welche von Flottenschiffen vorgenom- meu worden sind (Tafel IX), dienen nur dazu, diese Ansicht in Bezug auf die Formation der Bänke zu bestätigen. Die grössten Contraste in dem Bodenniveau des atlantischen Meeres zeigen sich gerade südlich von diesen Bänken. Nirgends hat man in dem offe- nen Meere Stellen gefunden, wo der Meeresgrund sich so urplötz- lich und so gewaltig senkte, wie hier. Kommt man vom Norden, *) Die Ansicht Blunt’s, dass auch der Mond auf den Golfstrom einen Ein- fluss ausübt, darf meiner Meinung nach nicht ganz unbeachtet bleiben. Man vgl. Berghaus, a. a. O. 1. 8. 553. (D. Uebers.) ! Der Golfstrom. 31 so ist er abschüssig; aber nachdem man bei den Bänken vorüber ist, vermehrt sich seine Tiefe durch einen förmlichen Absturz so- gleich um mehrere tausend Fuss und deutet so an, dass die Trüm- mer, welche die grosse Bank bilden, aus dem Norden stammen. Von der Meerenge von Bemini an beschreibt die Bahn des Golfstroms (Tafel VI) (soweit man sie nach den britischen Inseln, die mitten in seinen Gewässern liegen, verfolgen kann) ziemlich genau den Bogen eines grössten Kreises, nur geht die Mittellinie oder Achse desselben im Allgemeinen nicht ganz so weit nach Nor- den, wie dies ein grösster Kreis thun würde. Die Bahn ähnelt der, welche eine Kanonenkugel beschreiben würde, wenn man sie aus dieser Meerenge nach jenen Inseln abschiessen könnte. Wenn es möglich wäre, Irland von Bemini aus zu sehen und eine so weit- tragende Kanone zu construiren, so würde die auf Bemini stehende und von da auf Irland, wie auf eine Scheibe zielende Person, wenn die Erde stillstände, längs der Ebene eines grossen Kreises hinvi- siren, denn die Bahn der Kugel würde in einer solchen Ebene lie- gen. Aber es giebt eine tägliche Rotation; die Erde dreht sich um ihre Achse und da Bemini dem Aequator näher liegt als Irland, so würde sich das Geschütz vermöge der Rotation schneller bewegen als die Schiessscheibe und desshalb würde der genau nach der Mitte seiner Scheibe zielende Artillerist fehl schiessen. Er würde, bei näherer Untersuchung finden, dass er zu weit nach Süden bei sei- nem Ziele vorbeigeschossen habe; in andern Worten, dass die von der Kugel wirklich beschriebene Bahn nicht der Bogen eines grös- sten Kreises sein würde und dass der von der Kugel in ihrem Fluge erreichte höchste Parallelkreis nicht so weit nach Norden liegen würde als der von dem grössten Kreis berührte höchste Parallel- kreis und dass demgemäss die Bahn der Kugel sich eher entschie- den nach Osten wenden würde, als dies die Curve des grössten Kreises thäte. Derselbe Fall tritt ein, wenn ein Passagier aus ei- nem schnellfahrenden Eisenbahnzuge einem zur Seite des Weges stehenden Knaben einen Apfel zuwirft. Wirft er gerade nach dem Knaben, so trifft er ihn nicht; denn der an der Bewegung der Wa- gen Theil nehmende Apfel wird weiter nach vorn bei dem Knaben vorbeifliegen und zwar aus demselben Grunde, aus welchem der Schuss vor der Scheibe vorbeigeht, denn beide, der Schütze und der Passagier, bewegen sich schneller als dasObjekt, nach dem sie zielen. Hiernach können wir als ein Gesetz hinstellen, dass das na- türliche Bestreben aller Meeresströmungen, wie aller durch die Luft 32 Die physische Geographie des Meeres. geschleuderten Geschosse dahin geht, bei der Bewegung durch Wasser oder Luft ihre Curven in den Ebenen grösster Kreise zu beschreiben und dass sie davon — es sei denn, dass zufällige Hin- dernisse ihren Weg gewaltsam unterbrächen — nur in so weit ab- weichen , als sie von den Kräften der täglichen Rotation getrieben werden. Der Bogen eines grössten Kreises ist bekanntlich auf der Ku- geloberfläche die kürzeste Distanz zwischen zwei Punkten. Licht, Wärme, Elektricität, fliessendes Wasser, überhaupt alle wägbaren und unwägbaren Substanzen suchen, wenn sie in Bewegung sind, von einem Punkt zum andern auf der kürzesten Bahn, die ihnen offen steht, zu gelangen. Die Elektricität mag zur Seite abgelenkt werden, ebenso die Kanonenkugel, das strömende Wasser — aber man beseitige jedes Hinderniss und lasse die Strömung oder den Schuss in der Richtung des ersten Impulses sich frei fortbewegen oder sich nur, wie man sagt, nach eigenem Willen, zur Seite wen- den, und sie werden sich geradeaus bewegen, und zwar auf einer Ebene fortwährend in einer geraden Linie, auf einer Kugel in dem Bogen eines grössten Kreises; sie werden so zeigen, dass jede Willensäusserung ihnen fern liegt, sie gehorchen nur dem Impulse und der physischen Anforderung, den kürzesten Weg nach ihrem Zielpunkte zu wählen. Die Wasser des Golfstroms wollen, (Tafel VI) sobald sie aus dem Golfe heraus sind, hinüber nach den britischen Inseln, der Nordsee und dem Eismeere. Demgemäss nehmen sie, dem erwähn- ten physischen Gesetze folgend, den geradesten Curs, den ihnen die Natur erlaubt, um ihr Ziel zu erreichen. Dieser ist aber, wie schon bemerkt, fast der eines grössten Kreises und genau die Bahn einer Kanonenkugel unter den oben erwähnten Voraussetzungen. Viele Physiker haben die Meinung ausgesprochen — und die Seeleute schenken ihr in der That gewöhnlich Glauben — dass die Küsten der Ver. St. und die Sandbänke von Nantucket den Golf- strom nach Osten ablenken ; wenn aber die Ansicht, welche ich zu begründen suchte, richtig ist, so erhellt, dass der Lauf des Golf- stroms durch dieselben Gesetze festgestellt und vorgeschrieben ist, welche die Planeten in Bahnen kreisen lassen, deren Ebenen durch das Centrum der Sonne gehen; ferner, dass der Lauf des Golf- stroms, wenn auch die Nantucket- Untiefen nicht existirten, in allen wesentlichen Punkten und Verhältnissen ganz derselbe sein würde. Der Strom hat höchst wahrscheinlich seine Richtung nach Der Golfstrom. 38 der Nordsee und der Bai von Biscaya, weil die dortigen Gewässer leichter sind, als die des Golfes von Mexiko *) und wenn auch die Bänke von Nantucket nicht existirten, es könnte keinen direktern Curs nehmen. Die grossen Bänke rücken indessen in den Ocean vor und vom Norden kommen kalte Strömungen hierher; dann und wann mögen sie daher zur Ablenkung auch etwas beitragen. Wenn nun diese Erklärung in Bezug auf den Lauf des Golf- stroms und dessen östliche Ablenkung stichhaltig ist, so müsste eine Strömung von Norden nach Süden eine Neigung nach Westen zu haben. Sie müsste sich auch in einem grössten Kugelkreise be- wegen oder vielmehr in jenem Bogen. den ein Wurfgeschoss, das sich ohne Widerstand der Luft und auf weite Entfernungen hin über das Meer in immer gleicher Distanz vom Erdcentrum fortbewegte, beschreiben würde.**) Demgemäss und durchaus übereinstimmend mit den treibenden Kräften, die man aus der Berechnung der Ro- tationsgeschwindigkeit in verschiedenen Parallelkreisen herleitet, finden wir, dass die von Norden kommende Strömung, die dem Golfstrome an den grossen Bänken begegnet, (Tafel VI) eine süd- westliche Richtung verfolgt. Sie läuft zur Seite des Golfstroms den Tropen zu und erstreckt sich so weit nach Westen als dies nur die Küsten Amerikas erlauben. Dennoch lassen diesen Thatsachen gegenüber und trotz dieser Kraft sowohl der Major Rennell als M. Arago die Küsten Nordamerikas und die Sandbänke Nautuckets den Golfstrom nach Osten ablenken. Aber es wirken auch noch andere Kräfte auf den Golfstrom ein. Sie sind von der Wirkung herzuleiten, welcher der zeitwei- lige Temperaturwechsel in Bezug auf die Beschaffenheit der Meeres- gewässer hervorbringt. Wenn der Golfstrom die Küsten der Ver. St. verlässt, fängt er an seinen Weg durch den Ocean den Jahres- zeiten gemäss abzuändern. Die Gränze seines Nordrandes liegt bei seinem Durchgange durch den Meridian des Cap Race (Tafel VI) im Winter zwischen 40 und 41° N.B. und im September, wenn die See am wärmsten ist, zwischen 45 und 46° N.B. Man muss da- her annehmen, dass die Mulde des Golfstroms im Ocean hin- und herschwankt wie ein Wimpel im Winde. Sein Anfang ist fest an die Gegend zwischen den Untiefen von Bahama und der beiden Carolina gebunden, aber der Theil, welcher sich gegen die grossen *) Das Wasser des atlantischen Oceans enthält im Allgemeinen 5'%, %, mehr Salztheile als das des Kanals. — M. Bouillon la Grange. **) Der Verf. nennt jene Curve den Trajektionszirkel. (SS) Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. 34 Die physische Geographie des Meeres. Bänke von Neufundland hinstreckt, wird je nach dem Wechsel der Temperatur des Meerwassers zuerst nach Süden herabgedrängt und dann wieder hinauf nach Norden, der Jahreszeit gemäss. Um die Tragweite der Kraft, durch welche er so hin und hergeschoben wird, zu schätzen, wollen wir uns einmal vorstellen, die Wasser des Golfstroms erstreckten sich bis auf den Meeresgrund hinab, so dass sie gleichsam durch eine undurchdringliche flüssige Mauer die Gewässer der See zu ihrer Linken und Rechten trenn- ten. Es sei Hochsommer; die Gewässer der See sind zu beiden Seiten grösstentheils in flüssigem Zustande und der Golfstrom hat, wie wir annehmen wollen, eine normale Stellung zwischen den beiden Abtheilungen angenommen, indem er sich dem beidersei- tigen Drucke anpasst und also beide im Gleichgewicht gleichsam balancirt. Jetzt sei aber wieder Winter; die Temperatur der Ge- wässer hat sich auf einem Areale von Millionen Quadratmeilen im Norden des atlantischen Meeres um viele Grade geändert und die- sem Temperaturwechsel ist eine wesentliche Aenderung der specifi- schen Schwere jener Gewässer gefolgt, eine Aenderung, die sich in ihrer Gesammtheit für den ganzen Ocean ohne Zweifel auf viele 100 Millionen Tonnen *) beläuft; denn das Seewasser zieht sich, abweichend von dem süssen, wenn es sich dem Frieren nähert, zu- sammen. Ist es nun wahrscheinlich, dass beim Uebergang von der Sommer- zur Wintertemperatur, die Gewässer zur Rechten des Golfstroms ihre specifische Schwere in ihrer Gesammtheit genau um dieselbe Grösse ändern sollten, als der ganze Ocean zu seiner Linken? Geschieht das aber nicht, so muss die Differenz irgend- wie ausgeglichen werden. Der Sperling fliegt nicht leichter empor, das Wasser stellt sich nicht schneller ins Niveau, als die Natur im Meer und in der Luft das Gleichgewicht, wenn und wodurch es auch zerstört sein mag, herstellt. Obgleich daher das Wasser des Golfstroms nicht bis auf den Meeresgrund hinabreicht, obgleich es für die Gewässer zu seinen Seiten keine undurchdringliche Mauer ist, so vermögen wir doch in Anbetracht dessen, dass sich Wasser- wiisten links und rechts ausstrecken,, für die sie keineswegs leicht durchgänglich sind, zu begreifen, wie die Gewässer auf beiden Sei- ten, indem sich ihre specifische Schwere vermehrt oder vermindert, die Mulde dieses Stromes in eine vibrirende Bewegung versetzen *) Die Tonne ist im Allgemeinen = 20 Cwts (Centner — 2240 Pfd. = 2172'/, preuss. Pfd. = 2032'/,, deutsche Zoll od. sachs. Pfd.) Der Golfstrom. 35 können, indem sie dieselbe gemäss den Jahreszeiten und dem dar- aus folgenden Wechsel in der Temperatur des Meeres bald rechts, bald links drängen. Die 6. Tafel giebt die Grenzen des Golfstroms für den März und September an. Der Grund dieser veränderten Richtung liegt auf der Hand. Der Golfstrom ist von kaltem Wasser umsäumt. Im Winter nimmt das Volumen kalten Wassers auf der amerikani- schen oder linken Seite gewaltig zu. Es will Raum haben und ge- winnt ihn, indem es die wärmern Wasser des Stroms weiter rechts oder südwärts drückt. Im September hat sich die Temperatur die- ser kalten Gewässer sehr geändert; sie dehnen sich nicht so weit aus und die wärmern Gewässer drängen sie dann ihrerseits wieder zurück und so tritt eine pendelartige Bewegung ein. Entfernung v.C. HenryinSeem, ASL Ome -apn.chauspy 75° 70° 55° Tafel V. Thermal-Section des Golfstroms. (Vgl. die Bemerkungen zu den Tafeln.) 3* 36 Die physische Geographie des Meeres. Die Küstenvermessungs - Commission der Ver. St. (the United States Coast Survey) hat Beobachtungen angestellt, welche zeigen, dass im Golfstrom sich Striche wärmern Wassers hinziehn, die durch Streifen kältern Wassers getrennt sind. Auf Tafel 5 und 6 ist dies dargestellt. Die Figur 5 soll nämlich einen thermometrischen Querdurchschnitt des Stroms z. B. den Caps von Virginien gegen- über geben. Die Scheitel der Curve stellen den Thermometerstand in den Streifen wärmern Wassers und die Senkungen dazwischen die Höhe desselben Instruments in den dazwischen liegenden Stri- chen kühlern Wassers dar und zeigen so, während man von Ame- rika quer über den Golfstrom segelt, eine merkwürdige Reihe ther- mometrischer Steigungen und Senkungen in der Oberflächentem- peratur dieses mächtigen Meerstroms. Der Regel nach ist das wärmste Wasser des Golfstroms an oder doch nahe bei der Oberfläche und wenn man das Tiefwasser- thermometer hinablässt, zeigt es, dass diese Gewässer, obgleich immer noch weit wärmer als das Wasser auf jeder Seite, in corre- spondirenden Tiefen, allmahlig kälter werden, bis man den Boden der Strömung erreicht. Man scheint zu der Annahme wohl berech- tigt, dass die warmen Gewässer des Golfstroms, dem Organismus des Oceans nach, den Grund der See nirgends erreichen dürfen. Ueberall liegt ein Kissen kalten Wassers zwischen ihnen und den festen Theilen der Erdrinde. Diese Einrichtung ist be- deutungsvoll und überraschend schön. Einer der wohlthätigsten Dienste des Golfstroms besteht darin, Wärme aus dem Golf von Mexiko fortzuschaffen, wo sie sonst übermässig wachsen würde, und sie in den Regionen jenseits des atlantischen Meeres zur Verbes- serung des Klimas der britischen Inseln und des gesammten West- europas zu zerstreuen. Kaltes Wasser ist aber bekanntlich einer der besten Nichtleiter der Wärme und wenn das warme Wasser des Golfstroms auf seiner Bahn quer durch den atlantischen Ocean mit der festen Erdrinde — einen verhältnissmässig guten Wärmeleiter — in Berührung käme, anstatt durch die schlechtleitende Schicht kalten Wassers gleichsam isolirt zu sein, so würde alle Wärme schon auf dem ersten Theile des Weges verloren gehen und die milden Himmelsstriche sowohl Frankreichs als Englands würden in dem äusserst strengen und eisigen Klima Labradors erstarren. *) Doch wir wollen zu den Streifen und den darunter liegenden *) Vgl. Berghaus a. a. O. I. 565. Der Golfstrom. 37 Behältern warmen Wassers zurückkehren. Je wärmer das Wasser, desto leichter ist es; steigt es empor, so wird es, da es verdunstet und überhaupt der Luft ausgesetzt ist, abgekühlt und neuer Zufluss warmen Wassers strömt von unten zum Ersatz nach. So zeigen z. B. bei Cap Hatteras an einem Wintertage die Gewässer an der Oberfläche des Golfstroms vielleicht 80° F. (= + 21%’ R.) und in der Tiefe von 500 Faden (= 3000 Fuss) steht das Thermometer, wie wirkliche Beobachtungen gezeigt haben, auf 57°F. (= 1144°R.) Folgt man der Strömung von da bis an die Vorgebirge von Virgi- nien 120 Meilen, so findet man (nachdem die Wassertemperatur den ganzen Weg hindurch sorgfältig notirt worden ist) dass es nun an der Oberfläche 1 oder 2° tiefer steht, während Alles unten weit kühler ist. In andern Worten, das Stratum Wasser von 57°, wel- ches bei Hatteras sich 3000 unter der Oberfläche befand, ist in einem Laufe von 120—130 Meilen horizontaler Entfernung vertikal etwa 600’ emporgestiegen, d. h. das Stratum ist bergan geströmt mit einer Steigung von 5-—6 Fuss auf die Meile. Bei siedenden Quellen bemerken wir, dass alles steigende Wasser in einer Säule emporkommt; ferner, dass durch das em- porkochende kein Oberflächenwasser hinabfällt, sondern zur Seite des Sprudels. Ueberdies ist das Wasser an einem Wintertage, in- dem es emporwallt, relativ warm. Es dampft, kühlt sich ab und das Oberflächenthermometer wird da am höchsten stehen, wo das Wasser wallt, am tiefsten etwas seitab gegen den Rand der Quelle. Ebenso verhält es sich mit diesen wärmern und kältern Strichen im Golfstrom. Dieses warme Wasser stellt in seinem Aufsteigen von 5 Fuss für die Meile (man nehme an, dass wir den wärmsten und auch der amerikanischen Küste nächsten Streifen betrachten) das Aufwallen einer Quelle dar; das warme Wasser steigt in einem Körper auf und das kältere und schwerere verschwindet zur Seite ebenfalls in einem Körper, indem es sinkt und seine Stelle da bei den andern Wassern einnimmt, wo es seiner Schwere und Tempe- ratur nach hinpasst. Siehe die Striche z, y und z auf Tafel VI. Wenn nun diese Wasser in die Höhe kommen und sich ab- kühlen, so ziehen sie mit dem Strom nach Norden und die Wir- kung der täglichen Rotation äussert sich ebenso wie bei irgend einer andern treibenden Masse nach Osten. Sie folgen dieser Einwir- kung bis zu einer gewissen Ausdehnung, indem sie in Folge ihres grössern specifischen Gewichts während dessen wieder hinabsinken ; jenseits dieser Senkungsstelle — d. i. weiter ab von der Küste -- 38 Die physische Geographie des Meeres. ist wieder eine Stelle, wo sie aufsteigen, doch so, dass jeder Faden warmen Wassers immer geringere Temperatur zeigt und dass jeder Strom kalten Wassers kühler und kühler wird. Die Kräfte der täglichen Erdrotation, die auf die Wasser einwirken, indem diese der Reihe nach in ihrem Auf- und Niederwallen von einem Faden zu dem nächsten Strich übergehen, reichen vollkommen aus, ihnen eine bestimmte Neigung nach Osten zu geben. Wenn man einen Stab auf dem einen Ende balancirt, so hat er nicht mehr Nei- gung nach Osten, als nach Westen hin zu fallen; aber die ge- ringste Kraft, der leiseste Hauch wird ihm sogleich eine Be- wegung nach einer bestimmten Seite hin mittheilen. So ist es auch mit diesen Kräften der täglichen Rotation und diesen Stri- chen warmen und kalten Wassers; das Wasser auf dem Gipfel muss, wenn es sich abgekühlt hat, dem von unten nachdrängenden wärmern weichen, es muss nach Ost oder West strömen und die tägliche Achsendrehung der Erde entscheidet über die einzuschla- gende Richtung. Wenn es sinkt und die seiner Schwere angemes- sene Stelle erreicht, so muss es wieder nach Ost oder West, um in die aufsteigende Säule zu gelangen und wieder, wenn die Reihe an ihm ist, zur Oberfläche zu steigen. Wieder entscheidet bei diesem Schwanken die tägliche Rotation — schon das Uebergewicht einer Feder würde ja entscheiden. Die Rotation entwickelt wieder ihre Kräfte und ihnen muss gehorcht werden. Ziehen wir nun alle diese Thatsachen und Theorien in Erwä- gung, so werden wir zu dem Schluss hingeleitet, von dem wir auch ausgingen, dass nicht die Untiefen Nantuckets, sondern das hydro- dynamische Gesetz der Bewegung den Golfstrom in seiner Bahn beherrscht, wir finden endlich, dass er ausser seiner grossen Fort- bewegung im Ganzen die dachförmige Oberflächenströmung und jenes sein Inneres in fast vertikale Schichten zerlegende Auf- und Niederwallen zeigt. Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 39 Zweites Kapitel. Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. Ein erläuterndes Beispiel. — Die besten Fische im kalten Wasser. — Das Meer als Theil einer grossen Maschine. — Einfluss des Golfstroms auf die Meteorologie der See. Er ist ein „„Wet- tererzeuger.** — England hat ihm sein feuchtnebliges Klima zu verdanken. — Der Pol der grössten Kälte. — Stürme auf dem Golfstrom. — Der Schiffbruch des San Franciseo. — Einfluss des Golfstroms auf Handel und Schiffahrt. Sein Gebrauch als Landmarke. — Die erste Beschrei- bung desselben. — Thermal-Schiffahrt. Erfinderische Köpfe haben in neuerer Zeit eine hübsche Me- thode der Stubenheizung angegeben,nämlich durch warmes Wasser. Der Ofen und Kessel werden bisweilen in einiger Entfernung von den zu erwärmenden Zimmern aufgestellt. So ist es z. B. in der Sternwarte zuWashington. In diesem Fall werden Röhren gebraucht, um das erwärmte Wasser vom Kessel aus unter der Wohnung des Inspektors hin in eins der Zimmer in den Souterrains der Stern- warte, etwa 100° weit, zu leiten. Diese Röhren erweitern sich dann, so dass sie eine grosse Oberfläche zur Abkühlung darbieten ; darauf vereinigen sie sich wieder zu einer, durch welche das nun abgekühlte Wasser von selbst in den Kessel zurückkehrt. So fliesst das zurücklaufende Wasser fortwährend unten in den Kessel ein, während das heisse von seinem obersten Theile ausströmt. Die Ventilation der Sternwarte ist so eingerichtet, dass die er- wärmte Luft von jenem untern Zimmer aus in alle andere Theile des Gebäudes circulirt ; die Luft nimmt die durch das Wasser je- nen Zimmern zugeführte Wärme auf und vertheilt sie durch alle Räume. Um nun das Grosse mit dem Kleinen zu vergleichen, so haben wir in den warmen im Golf von Mexiko eingeschlossenen Gewässern grade solch einen Heizungsapparat für den Norden des . atlantischen Meeres, für Grossbritannien und für das westliche Europa. Der Ofen ist die heisse Zone; der mexikanische Golf und das caribische Meer sind die Kessel und der Golfstrom ist das Leitungs- rohr. Von den grossen Bänken Neufundlands nach den Küsten Europas liegt jenes Zimmer voll heisser Luft, in welchem sich das Rohr erweitert, so dass es eine grosse Abkühlungsoberfläche hat. Hier wird die Circulation der atmosphärischen Luft von der Natur besorgt und zwar in der Weise, dass die so in dieses Zimmer voll heisser Luft inmitten des Oceans geleitete Wärme von angenehmen "i 40 Die physische Geographie des Meeres. Westwinden fortgeführt und auf das Wohlthätigste über ganz Grossbritannien und den Westen Europas ausgegossen wird. Das Maximum der Temperatur in dem mit Wasser geheizten Luftzimmer des Observatoriums beläuft sich ungefähr auf 90° (fast = 26"R.) Die höchste Temperatur des Golfstroms ist $6° (249 R.) *) oder ungefähr 9° (= 4°R.) mehr als dem Ocean in derselben Breite eigentlich zukommt. 10 Breitengrade nördlicher hat er nur 2° seiner Wärme verloren und nachdem er 3000 Meilen gegen Nor- den geflossen ist, bewahrt er, selbst im Winter, immer noch seine sommerliche Wärme. Mit dieser Temperatur durchkreuzt er den 40. Grad nördlicher Breite, breitet sich da, seine flüssigen Ufer überströmend, viele tausende von Quadratmeilen weit über die kal- ten Gewässer aus und bedeckt den Ocean ringsum mit einem war- men Mantel, der auch dazu dient, in Europa die Strenge des Win- ters zu mildern. Indem er sich jetzt langsamer fortbewegt, aber seinen belebenden Einfluss freier ausübt, begegnet er endlich den britischen Inseln (Tafel VI). Durch diese wird er getheilt, indem ein Theil in das Polarbecken von Spitzbergen, der andere in die Bai von Biscaya eintritt, aber jeder mit beträchtlich höherer Tempera- tur, als der Ocean. Solch ein ungeheures Volumen erwärmten Wassers muss natürlich eine milde und feuchte Atmosphäre mit sich über die See tragen, und so erklärt es sich, ‘dass das dortige physische Klima bedeutend milder ist als das mathematische. Wir wissen nur an ein paar Stellen und da auch nur annä- hernd, was die Tiefe und untere Temperatur des Golfstroms sein mag; nimmt man aber an, dass die Temperatur und Geschwindig- keit in einer Tiefe von 200 Faden der an der Oberfläche gleich kommt und benutzt man die bekannte Differenz zwischen der Ca- pacität der Luft und des Wassers für specifische Wärme als Beweis- mittel, so wird eine einfache Berechnung zeigen, dass die Quanti- tät frei werdender Wärme, welche an einem Wintertage durch die Gewässer des Golfstroms über das atlantische Meer verbreitet wird, hinreichen würde, die ganze Säule der auf Frankreich und den briti- schen Inseln ruhenden Atmosphäre vom Gefrierpunkt fast bis zur Sommerhitze hinauf zu erwärmen. Jeder Westwind, der sich erhebt, muss auf seinem Wege nach Europa den Strom kreuzen; er führt also ein Theilchen jener *) Sollte diese Angabe nicht etwas zu niedrig sein? Für den Unterschied beider Temperaturen fand schon Franklin (1776) ähnliche Werthe. (D, Ueb.) Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 41 Wärme mit sich, um die nördlichen Winterstürme zu mildern. Der Einfluss dieses Stroms auf das Klima macht ,,Erin‘‘ zur ,,Smaragd- insel des Meeres‘‘ und kleidet Albions Küsten in ein immergrünes Gewand, während in derselben Breite auf der Westseite des Oceans die Küsten Labradors in Eisbanden gefesselt liegen. Herr Redfield giebt in einer werthvollen Schrift über Strömungen *) an, dass 1831 der Hafen von St. John’s in Neufundland bis zum Monat Juni vom Eise gesperrt war; wer aber hat je vernommen, dass der auf der andern Seite volle 2° nördlicher liegende Liverpooler Hafen selbst mitten im Winter durch das Eis geschlossen worden wäre? Die Thermal-Charte (Tafel TV) giebt das Nähere an. Die Iso- thermen von 60°, 50° ete. (Fahr.) gehen vom Parallelkreis von 40° an den Küsten der Ver. Staaten aus, laufen dann in nordöstlicher Richtung weiter und zeigen an der europäischen Seite des atlant. Meeres dieselbe oceanische Temperatur in einer Breite von 55 — 60°, die bei Amerika unter dem 40° gefunden wird. Scott erzählt uns in einem seiner schönen Romane, dass die Teiche auf den Orkney- Inseln (unter 59° N.B.) im Winter nicht fest zufrieren. Die Be- wohner verdanken ihr mildes Klima diesem grossen Heizapparate, denn das Treibholz wird von den westindischen Inseln aus gele- gentlich dort durch den Golfstrom an das Ufer geworfen. Und hier endet der wohlthätige Einfluss dieser Strömung noch nicht. Der westindische Archipel ist auf der einen Seite von seiner Insel- kette, auf der andern von den Cordilleras der Anden, die sich mit dem Isthmus von Darien zusammenziehen und über die Ebenen Centralamerikas und Mexikos ausbreiten, umschlossen. Steigen wir von den Gipfeln dieser Gebirgskette, den Regionen ewigen Schnees, herab, so treten wir zuerst in die terra templada und dann in die terra caliente, das brennend heisse Land, ein. Steigen wir noch tiefer, so erreichen wir das Niveau und die Oberfläche der mexikanischen Meere, wo wir, wenn dieses schöne und wohlthä- tige System des Wasserkreislaufs nicht bestände, der eigenthiiml- chen Gestaltung der umliegenden Gegend nach das heisseste , viel- leicht auch das pestilenzialischste Klima der Welt antreffen würden. Wenn die Gewässer in diesen beiden Kesseln erwärmt worden sind, so werden sie von dem Golfstrom fortgeführt und durch kältere Strömungen durch das caribische Meer ersetzt. Das Oberflächen- wasser ist hier beim Eintritt 3--4° und in der Tiefe 40° (— beinahe *) American Journal of Science, vol. XIV., p. 293. 42 Die physische Geographie des Meeres. 18° R.) kälter als bei seinem Ausströmen aus dem Golf.*) Benutzt man nur diese Oberflächentemperatur als einen Anzeiger der dort angehäuften Wärme, so wird eine einfache Berechnung zeigen, dass die Quantität der täglich vom Golfstrom diesen Gegenden entführ- ten und über das atlantische Meer verbreiteten specifischen Wärme hinreicht, ganze Berge Eisens von Null bis zum Schmelzpunkt zu erhitzen und einen Strom dieses geschmolzenen Metalls im Fluss zu erhalten, der die täglich vom Mississippi fortgewälzten Wasser- massen an Volumen übertrifft. Wer mag also den heilsamen Einfluss dieses wunderbaren Stroms auf das Klima des Südens berechnen ? Verfolgt man solch einen Gegenstand weiter, so wird unser Geist von der Natur ab zu dem grossen Weltenerbauer emporgeführt! Und welchen Geist erfüllt das Studium dieses Gegenstandes nicht mit frommen Regungen? Unverändert, nimmer wechselnd, ist von allem Erschaffenen der Ocean allein das grosse Sinnbild seines ewi- gen Schöpfers. ‚‚Er tritt einher auf den Wogen des Meeres‘‘ und ihn schaut man in den Wundern der Tiefe. Ja, er ruft hervor die Wasser und schüttet sie aus über die Fläche der Erde.‘‘**) Diesem Rufe gehorsam bewahrt die wässerige Hülle unseres Planeten ihr schönes System der Circulation. Hitze und Wärme werden da- durch den aussertropischen Gegenden zugeführt; Wolken und Re- gen werden entsandt, das dürre Land zu erfrischen. Abkühlende Ströme dringen aus den Polarmeeren in die heisse Zone. (Vergl. die bedeutenden Temperaturdifferenzen im caribischen Meere). Die Orkane wühlen gerade die westindischen Meere bis zu grosser Tiefe auf; der von 1780 riss in 7 Faden Tiefe Felsstücke vom Grunde los und schleuderte sie auf die Küste. Natürlich bringen sie also auch Partien des untern kühlen Wassers an die Ober- fläche. An der untern Fläche des Golfstroms (keineswegs am Meeres- grunde) hat bei einer Oberflächentemperatur von 80° das Seetiefen- thermometer des Coast- Survey, ***) bis zu 38° Fahr. hinab angege- ben, also noch nicht + 3° Re. Diese kalten Gewässer kommen ohne Zweifel von den Polarmeeren ; denn über den Polarkreis hinaus in *) Temperatur der caribischen See (aus den Schiffsjournalen des Herrn Dunsterville): Oberflächentemperatur, $3° im September; 54° im Juli; 83—- 86/,° an der Mosquito-Kiiste. — Temperatur in der Tiefe von 240 Faden: 45°; von 386 Faden: 43°; von 450 Faden: 42°; von 500 Faden 43°, **) Vgl. Psalm’ 33, 7. ***) Der Küstenvermessungscommission. Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 43 der Nähe der Küste von Spitzbergen ist in gleicher Tiefe die See nur um 1° kälter als in der caribischen See, während an den Kü- sten Labradors die Temperatur in der Tiefe 25°, (= — 34," Ré.) sein soll. Der Kapitän Scoresby erzählt, dass an der grönländischen Küste unter dem 72°NR., die Lufttemperatur 42°, die des Wassers, 34° betrug; und 29° (— 1%," Re.) in einer Tiefe von 118 Faden. Er fand dort eine südwärts ziehende und ausserordentlich kaltes Wasser mit sich führende Strömung, mit einer ungeheuren Menge von Eisbergen, deren Mittelpunkte wahrscheinlich tief unter Null (d.h. unter — 14° Re.) abgekühlt waren. Es wäre höchst interes- sant, die Bahnen dieser untern Strömungen auf ihrem Wege nach den Tropen, denen sie Kühlung bringen sollen, zu verfolgen und fest zu stellen. Eine ist am Aequator aufgefunden worden, sie zeigte 200 Meilen Breite und eine um 23° unter dem Oberflächen- wasser stehende Temperatur. Wenn nicht Land oder Untiefen da- zwischen liegen, geht sie höchst wahrscheinlich in einer dem grös- sten Kreise naheliegenden Spirale nach Süden. Nichts scheint das Vorhandensein kalter Strömungen so sicher anzuzeigen, als die Fische des Meeres. Die Wallfische haben ei- gentlich zuerst den Golfstrom und seine Gränzen angegeben, in- dem sie seine warmen Gewässer stets vermeiden. Längs der ame- rikanischen Küste fehlen alle jene weichlichern Thiere und See- produkte, welche das warme Wasser lieben und sie beweisen so durch ihre Abwesenheit, dass dort kalte Strömungen vom Norden her vorbei ziehn, die jetzt wohl bekannt sind. In der belebenden Wärme des Meeres an den Bermudas Inseln auf der einen und an Afrika auf der andern Seite, findet man in grossem Ueberfluss jene delikaten Schalthiere und jene feinen Corallenformationen, welche längs der Küsten Südcarolinas unter denselben Breiten gänzlich fehlen. Dasselbe findet an der Westküste Südamerikas statt; denn dort erreicht die kalte Strömung fast die Linie, ehe man auf die ersten kleinen Aeste eines Corallenbaumes stösst. Vor einigen Jahren drangen grosse Schaaren von Boniten und Albikoren *), dem Golfstrom folgend, in den englischen Kanal und alarmirten die Fischer von Cornwall und Devonshire durch die Ver- heerungen, die sie dort unter den Pilschern anrichteten. *) Fische der tropischen See; beides sind Makrelenarten; der Bonit ist der scomber pelamys; die letztern nennt Maury Albercores. Die Pilscher sind eine Art Heringe. 44 Die physische Geographie des Meeres. Man kann mit vollem Recht die Frage aufwerfen, ob nicht unsere (d. h. Amerikas) atlantischen Städte ihre ausgezeichneten Fischmärkte, unsere Badeörter ihre im Sommer so erfrischenden Seebäder diesem Strome kalten Wassers verdanken. Die Tempe- ratur des Mittelmeeres übertrifft die desOceans unter gleichen Brei- ten um 4—5° (etwa 2° Re.) und die Fische sind dort nicht sonder- lich. Andererseits steht die Temperatur an unserer Küste mehrere Grade unter der des Oceans und von Maine bis Florida sind un- sere Tafeln mit den trefflichsten Fischen reichlich versehen. Der ‚‚Schafkopf‘‘ der in Virginien und in den Carolinas so sehr ge- schätzt wird, verliert, wenn er an den warmen Corallenbänken der Bahamas gefangen wird, seinen Wohlgeschmack und wird gar nicht geachtet. Dasselbe ist mit andern Fischen der Fall; werden sie im kalten Wasser an der Küste gefangen, so sind sie von ausgezeich- netem Geschmack, während ihr Fleisch, wenn sie am andern Rande des Golfstroms nur mehrere Meilen weiterhin im warmen Wasser gefangen werden, weichlich und unschmackhaft ist. Die Tempera- tur erreicht bei Balize (in der Honduras-Bai) 90," (beinahe+ 26° Ré.). Die dortigen Fische sind mit den unter derselben Breite im kalten Strome gefangenen gar nicht zu vergleichen. New-Orleans bezieht daher seine auserlesensten Fische aus den kalten Gewässern an den Küsten Florida’s. Eben so verhält es sich im grossen Ocean. Ein von Süden kommender Strom kühlen Wassers streift die Küsten von Chili, Peru und Columbien und erreicht die Galopagos Inseln unter der Linie. Auf dieser ganzen Strecke giebt es die köstlichsten Fische der Welt. Aber seitwärts 1m stillen Meere an den Gesell- schaftsinseln, wo die Corallen gedeihen und das Wasser wärmer ist, werden die Fische, wenn gleich sie in der Pracht und dem Glanz der Farben mit den Vögeln, Pflanzen und Insekten der Tro- pen wetteifern, als Nahrungsmittel sehr gering geachtet. Ich weiss, dass Seeleute, selbst nach langen Reisen, ein Stück gepöckelten Rind- und Schweinefleisches einem Gerichte dort gefangener Fische noch vorgezogen haben. Obgleich uns noch Thatsachen fehlen und weitere Untersuchungen nöthig sind, so scheint doch schon so viel festzustehen , dass die eigentliche Heimath mancher Fische zu- gleich die Temperatur des Wassers anzeigt und dass vielleicht auch diese kalten und warmen Ströme die grossen Strassen sind, auf wel- chen, den Zugvögeln gleich, manche Fischarten von einer Gegend zur andern ziehen. Seefahrer sind oft bedeutenden Schaaren junger Meernesseln —— Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 45 (Quallen, medusinae) begegnet, die mit dem Golfstrome forttrieben. Sie bieten bekanntlich dem Wallfisch ein Hauptnahrungsmittel ; wohin sie aber auf dieser Route gelangen mögen, darüber ist viel spekulirt worden, denn man weiss recht gut, dass der gemeine Wallfisch sich nie an die warmen Gewässer dieser Strömung ge- wöhnt. Ein erfahrener Seekapitän hat mir mitgetheilt, dass er vor einigen Jahren im Golfstrom an der Küste von Florida in eine An- sammlung junger Meernesseln (a school of young sea-nettles) von bisher unerhörter Ausdehnung hineingerieth. Die See war von ih- nen meilenweit bedeckt. Er verglich sie, ihrem Aussehen auf dem Wasser nach, mit Eicheln, die auf einem Flusse schwimmen ; aber sie waren so zusammengedrängt, dass sie die See vollständig be- deckten. Er fuhr nach England und segelte 5 oder 6 Tage durch sie hindurch. Etwa 60 Tage später begegnete er auf seiner Rück- reise demselben Haufen an den westlichen Inseln und fuhr hier wieder 3 bis 4 Tage durch sie hindurch. Er erkannte sie als die- selben wieder, denn er hatte nie zuvor etwas ihnen ähnliches be- merkt und bei beiden Gelegenheiten liess er häufig ganze Eimer voll heraufziehen, um sie zu untersuchen. An den westlichen In- seln ist aber der grosse Tummelplatz der Wallfische; und es liegt uns etwas Sinnreiches ın der Idee, dass der Golf von Mexiko das Erntefeld und der Golfstrom der Schnitter ist, der die dort gepflanz- ten Früchte sammelt und sie Tausende von Meilen weit den hun- grigen Wallfischen zuführt. Aber wie vollkommen stimmt dies mit der allgütigen und allweisen Sorge jenes grossen Vaters zusammen, der die jungen Raben füttert, wenn sie schreien und dem Sperling sein Futter giebt! Das Meer hat seine Klimate wie das Land. Beide wechseln mit der Breite; aber das eine richtet sich nach der Höhe über, das andere nach der Tiefe unter dem Meeresspiegel. Beide, das Land- und Seeklima, werden durch Circulation geregelt; aber die Regu- latoren sind hier Winde, dort Strömungen. Die Bewohner des Oceans sind eben so sehr an ihren Klima- gürtel gebunden, wie die des trocknen Landes; denn dieselbe Hand des Allmächtigen, welche die Lilien kleidet und für den Sperling sorgt, formt auch die Perle und füttert den grossen Wallfisch. Ob auf dem Land, ob in der See, alle sind sie seine Geschöpfe, seinen Gesetzen unterthan und Mitarbeiter in seinem grossen Haushalt. Auch die See, so folgern wir, hat ihren Dienst, ihre Pflichten zu erfüllen; ebenso ihre Strömungen und so auch ihre Bewohner; 46 Die physische Geographie des Meeres. wer demzufolge an das Studium ihrer Phänomene geht, darf sie nicht länger wie eine Wasserwüste ansehen. Er muss sie als einen Theil des herrlichen Mechanismus betrachten, durch den die Har- monie der gesammten Natur bewahrt wird und er wird dann jene weise, planmiissige Ordnung sich vor seinen Augen enthüllen sehen, welche der geistigen Anschauung den schönsten und interes- santesten Stoff bietet. Wer nie den Mechanismus einer Uhr studirte, gafft eine Anzahl blosser Metallstücke an; wenn er aber das kleine Kunstwerk zer- legt, die Theile wieder zusammenfügt und sie in Bewegung setzt, so bemerkt er, dass bei aller Verschiedenheit der Formen und Ver- richtungen, jede Feder, jedes Rädchen, jeder Zahn zu dem Aus- druck einer Idee gehört, dass alle dem Willen einer Intelligenz gehorchen müssen. So mögen wir auch, wenn wir dieser schönen Welt ins Antlitz schauen, den Reiz der Scene anstaunen, aber un- ser Staunen verwandelt sich erst dann in Anbetung, wenn wir tie- fer blicken und wenigstens in einigen Einzelnheiten, jenen wun- derbaren Mechanismus zu studiren suchen, durch den so herrliche Resultate erreicht werden. Dem, der dies thut, wird die See mit ihrer physischen Geographie zu der Hauptfeder einer Uhr; ihre Gewässer und Bewohner, ihre Salztheile und Ströme und das Stre- ben nach Uebereinstimmung und Anpassung selbst des Kleinsten gleichen ihm den Steigrädern, Zähnen, den Getrieben und Juwelen der Uhr. So gewahrt er, dass auch jene zu einem Plane stimmen, dass sie der Ausdruck eines Gedankens sind, eine harmonische Einheit, wie sie nur ein Geist zur Erscheinung zu bringen ver- mochte. Wenn er sich aber auf diesen Standpunkt erhoben hat, so wird er finden, dass das Studium der See, in ihrer physischen Er- scheinung, wahrhaft erhaben ist. Es erhebt unsern Geist und ver- edelt den Menschen. Der Golfstrom erscheint nun dem denkenden Forscher nicht mehr als eine ungeheure Strömung warmen Wassers, sondern als ein Theil jenes grossen Mechanismus, durch welchen Luft und Wasser mit einander in Harmonie gebracht und diese Erde selbst dem Wohlergehen ihrer Bewohner angepasst wird — der Flora, die ihre Oberfläche ziert und der Fauna, die sie belebt. Betrachten wir daher zunächst den Einfluss des Golfstroms auf die Meteorologie des Oceans. Um einen Matrosenausdruck zu gebrauchen, der Golfstrom ist der grosse ‚‚Wettererzeuger‘‘ des nord-atlantischen Oceans. Die wüthendsten Winde stürmen auf seiner Bahn dahin und die dich- Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 47 ten Nebel Neufundlands, welche der Schiffahrt im Winter so grosse Gefahr bereiten, verdanken ohne Zweifel ihre Entstehung dem un- geheuren Volumen warmer Gewässer, die der Strom in die kalten Meere leitet. Sir Philipp Brooke beobachtete zu beiden Seiten des Stroms eine Luftwärme von 0° während die Stromgewässer 80° hatten (=+21%," Ré.). Die schwere feuchtwarme Luft über dem Strome brachte grosse Störungen im Gange seiner Chronometer her- vor. ***) Der täglich durch den Golfstrom einer solchen Region zu- geführte Ueberschuss an Wärme würde, wenn er plötzlich dem Wasser entzogen und den untern Schichten der darauf ruhenden Luftsäule mitgetheilt werden könnte, dieselbe über den Schmelz- punkt des Eisens hinaus erhitzen. Da der Golfstrom ein solches Element atmosphärischer Stö- rung in seinem Innern birgt, so können wir von ihm nur erwarten, dass ihn Stürme der heftigsten Art auf seiner Bahn begleiten. Alle Nachrichten stimmen auch darin überein, dass die schrecklichsten Orkane in und an seinen Schranken wüthen. Unsere nautischen Werke erzählen uns von einem Sturm, welcher diese Strömung in seine Quelle zurückdrängte und das Wasser im Golf bis zu einer Höhe von 30 Fuss aufstaute. Das Schiff Ledbury Snow versuchte ihn vor Anker liegend auszuhalten. **) Als er nachliess, fand es, dass es hoch auf dem Trocknen lag und seinen Anker zwischen den Baumgipfeln an Elliot’s Key ***) ausgeworfen hatte. Die Florida- Riffe werden viele Fuss hoch überschwemmt. Der Anblick, den damals der Golfstrom bot, soll alle Scenen auf der hohen See durch seine Erhabenheit überboten haben. Das so gleichsam abgedämmte Wasser stürzte nachher mit unglaublicher Geschwindigkeit, der Wuth des Sturmes trotzend, heraus und brachte eine Seescene her- vor, die alle Beschreibung überstieg. Der grosse Orkan vom Jahre 1780 fing in Barbados an. Die Rinde wurde dort von den Bäumen abgerissen und alle Früchte der Erde zerstört; selbst die Tiefen, ja der Grund der See wurde auf- gewühlt und die Wogen stiegen zu solcher Höhe, dass Forts und Castelle weggespült und ihre grössten Geschütze durch die Luft fortgeschleudert wurden. Häuser wurden niedergeworfen , Schiffe *) Dieselbe Notiz giebt Berghaus a. a. O. I. S. 566. (D. Uebs.) **) „To ride it out“, as a gale, signifies that a ship does not drive during a storm. (D. Uebs.) ***) Key ist soviel wie Felsenriff. Das Elliot-Riff liegt in der Florida-Strasse. 48 Die physische Geographie des Meeres. zerschellt und die Körper von Menschen und Thieren in die Luft gehoben und im Sturme zerschmettert. Auf den verschiedenen In- seln verloren nicht weniger als 20,000 Menschen an der Küste ihr Leben, während weiter nach Norden die Kriegsschiffe ‚Sterling Castle‘‘ und ‚‚Dover Castle‘“ Schiffbruch litten und 50 Segel auf den Bermudas ans Land getrieben wurden. Vor einigen Jahren hat die Britische Admiralität Untersuchun- gen in Schwung gebracht, welche über die Ursache der der Schiff- fahrt oft so äusserst gefährlichen Stürme in gewissen Theilen des atlantischen Meeres Licht verbreiten sollen. Das Resultat kann in dem Schlusssatz zusammengefasst werden, zu dem die Untersu- chung führte: ,,dass die Stürme durch die grossen und regellosen Temperaturabweichungen des Golfstroms und der benachbarten Meeresstriche sowohl im Wasser als in der Luft, veranlasst wer- den.‘* Dass die gewöhnliche Feuchtigkeit des englischen Klimas mit dem Golfstrom zusammenhängt, wurde schon erwähnt; eben so erklärt es sich, dass die Ostwinde mit Dünsten von dem warmen und dampfenden Wasser dieser Strömung beladen an die atlanti- schen Gestade der Ver. Staaten gelangen. Sie bringt selbst mitten im Winter eine fast sommerliche Temperatur bis zu den Bänken Neufundlands. Einer der Pole der grössten Kälte liegt der Theorie gemäss ın 80°NB. und 100° westl. Länge. Er ist nur wenig mehr als 2000 Mei- len in nordwestlicher Richtung von den sommerwarmen Wassern dieses Stroms entfernt. Diese Nähe der Extreme der grössten Kälte und Sommerwärme steht, wie sich aus der Vervielfältigung und ge- nauern Discussion der Beobachtungen wohl ergeben wird, in naher Beziehung zu den Stürmen, welche zur Linken des Golfstroms wü- then. Ich bin zwar vorläufig noch nicht so kühn zu behaupten, dass der Golfstrom wirklich der ,,Sturmkénig‘‘ des atlantischen Meeres sei, der die Bahn jedes dort sich erhebenden Lüftchens zu. controli- ren vermöge, aber jedenfalls hat man den Curs vieler Winde von der Stelle ihres Ursprungs direkt bis zum Golfstrom verfolgt. Stürme, welche sich an der Küste Afrikas selbst bis zu den Parallelen von 15 bis 10° NB. hinab, erheben, haben, wie sich aus Untersuchungen der Logbücher ergeben hat, in gerader Richtung nach dem Golf- strom hingeweht; nachdem sie ihn erreicht, haben sie sich, wie man bestimmt weiss, gewandt und haben ihm folgend nochmals das Meer passirt und so die Küsten Europas erreicht. Auf diese Weise hat man die Bahnen der Winde aufgespürt und hat sie eine Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 49 Woche bis 10 Tage lang verfolgt. Ihr Pfad ist durch Schiffbrüche und Unglücksfälle bezeichnet. In der Versammlung der amerika- nischen ‚‚Association‘‘ zur Förderung der Wissenschaft, 1854, that Herr Redfield eines Sturmes Erwähnung, dessen Spuren er verfolgt hatte und durch welchen nicht weniger als einige 70 Schiffe ent- mastet, beschädigt oder ganz vernichtet wurden. Die Tafel VIII ist vom Lieutenant B. S. Porter nach Daten, welche die Logbücher im Observatorium geliefert haben, zusam- mengestellt. Sie stellt einen dieser Stürme dar, welcher im August 1848 sich erhob. Er fing mehr als 1000 Meilen weit vom Golfstrom an, fuhr in gerader Linie auf denselben zu und folgte ihm dann viele Tage lang. Der dunkle Schatten zeigt den von dem Sturm ge- troffenen Raum und die weisse Linie in der Mitte die Achse dessel- ben oder die Linie des kleinsten barometrischen Druckes an.*) Es giebt viele andere Beispiele ähnlicher Stürme. Was dürfte aber diese schrecklichen Stürme nach dem Golf- strom hinziehen ? Die Seeleute fürchten die Stürme auf dem Golf- strome mehr als auf irgend einer andern Stelle des Oceans. Nicht die Wuth des Sturms allein fürchten sie, sondern mehr noch die „‚garstige See‘‘ (ugly sea), welche diese Stürme erzeugen. Wenn der Wind der Strömung gerade entgegen weht, so entsteht ein Wellenschlag, der oft ganz schrecklich und höchst gefährlich ist. Im December 1853 segelte das schöne, neue Dampfschiff San Francisco mit einem Regiment Truppen der Ver. St. am Bord von New York ab; sein Curs ging um das Cap Hoorn nach Californien. Während es den Golfstrom durchkreuzte, wurde es von einem Sturmwind ereilt, der es arg beschädigte. Alles was sich auf dem Decke befand, wurde weggerissen und durch einen einzigen Wo- genschwall dieser empörten See wurden 179 Menschen über Bord geschleudert und ertränkt. Am nächsten Tage nach diesem Un- glück wurde das Schiff von einem andern bemerkt und am folgen- den (26. December) nochmals von einem dritten; aber keines von beiden konnte ihm irgend Hülfe leisten. Als sie zu Hause kamen und berichteten, was sie gesehen, so war man wegen der Mann- schaft am Bord in der grössten Besorgniss; Schiffe wurden ausge- sandt, um das Wrack zu suchen und ihm Hülfe zu bringen. Aber welchen Weg sollten sie einschlagen? Man erliess einen Aufruf, *) Wir geben weiter unten in den Erläuterungen zu den Tafeln auch zu dieser noch einige Notizen. (D. Ueb.) Maury, phys. Geogr. d. Meeres. 4 50 Die physische Geographie des Meeres. um zu erfahren, welches Licht das auf dem National-Observatorium befolgte System der Wind- und Stromforschungen wohl auf diesen Gegenstand werfen könnte. Die schon zurechtgelegten Materialien wurden geprüft und eine Karte entworfen um den Lauf des Golf- stroms in jener Jahreszeit zu zeigen. (Man sehe die Gränzen des Golfstroms für den März, Tafel VI). Unter der Voraussetzung, dass das Dampfschiff vollständig reedelos war, wurden die Linien « b gezogen um die Gränzen der Bahn zu bezeichnen, auf der es, wenn es weder Maschine noch Segel benutzen konnte, höchst wahr- scheinlich hingetrieben war. Auf mein Gesuch wurden zwei Zoll- kutter nach ihm ausgesandt; ich setzte die Instructionen für die- selben auf. Einer der sich in New-London befand, sollte auf der punktirten Linie nach e zu fahren. Ich erwartete so, dass er sich innerhalb der Linie halten würde, auf welcher das Dampfschiff ge- trieben war und hatte die Aussicht, dass er heimwärts fahrenden Schiffen, die das Wrack gesehen haben mochten, begegnen werde. Der Kutter sollte bis ¢ vordringen, wo er erwarten konnte ungefähr in die Spur des fortgetriebenen Dampfers zu gerathen. Man hatte das unglückliche Schiff zuletzt in o gesehen. So hatte der Kutter Instruktionen, welche ihm, wenn er nur zeitig genug ausgefahren wäre, gewiss das gesuchte Objekt in Sicht gebracht hätten. Der Kilby, die Three Bells und der Antarctic trafen nun allerdings, ehe noch der Kutter absegelte, ohne Wissen besorgter Freunde in der Heimath, mit dem Wrack zusammen und standen ıhm bei; aber dieser Zufall thut dem System von Beobachtungen, von deren Re- sultaten und von deren praktischer Anwendung dieses Werk han- deln soll, durchaus keinen. Abbruch. Eine schöne Illustration der Zweckmässigkeit dieses Systems ist die Thatsache, dass, obgleich | die Barke Kilby das Wrack in der Nacht aus dem Gesicht verlor und es nicht wiederfinden konnte, wir doch selbst auf dem Lande durch eine Art logischer Beweisführung den Ort des seeunfähigen Dampfboots innerhalb so enger Schranken angeben konnten, dass man Schiffe aussenden konnte, welche gerade dort nach ihm ge- sucht haben würden, wo man es wirklich gesehen hatte. Diese Stürme, welche der Golfstrom so stark anzieht und über welche er so grosse Gewalt auszuüben scheint, sollen grösstentheils Wirbelwinde sein. Jeder Knabe kennt zu Lande Wirbelwinde im Kleinen. Man sieht sie besonders im Herbst über Wege und Stras- sen hinfegen und Säulen von Staub, Blättern u. s. w. emporheben, welche wie umgekehrte Kegel aufsteigen und sich um das Centrum Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 51 oder die Achse des Sturms drehen. Während also die Achse, der Staub und die Blätter und Alles, was die Bahn des Wirbelwinds bezeichnet, in einer Richtung fortzieht, kann man wahrnehmen, dass der Wind um diese Achse in allen Richtungen weht. Gerade so verhält es sich mit einigen dieser Golfstromstürme. Der auf Tafel VIII. darge- stellte ist ein solcher. Es war ein kreisender Wind. Hr. Piddington, ein ausgezeichneter Meteorolog in Calcutta, nennt sie ,, Oycloinen““. Was lässt aber diese Stürme dem Golfstrom zueilen und dann, wenn sie ihn erreicht haben, seiner Strömung folgen?! Es ist die hohe Temperatur dieser Gewässer, sagen die Seeleute. Aber warum die Geister des Sturms auf diese Weise dem Einfluss hoher 'Tem- peraturen gehorchen müssen, haben die Naturforscher bis jetzt noch nicht genügend erklären können. Der Einfluss des Golfstroms auf Handel und Schiffahrt. Früher schränkte der Golfstrom den Handel über den atlantischen Ocean insofern ein, als er die Schiffe an bestimmte Bahnen fesselte ; jetzt hat diese Herrschaft um so mehr aufgehört, je schneller die Schiffe, je besser die Instrumente und je geschickter die Seefahrer geworden sind. Bis gegen das Ende des vorigen Jahr- hunderts beruhen die Ortsbestimmungen der Schiffe fast mehr auf Muthmassungen, als auf genauen Berechnungen. Man glaubte ganz geschickt gefahren zu sein, wenn man nach der Fahrt von Europa statt Bostons die Küste bei New York zuerst entdeckte. Die jetzt so genauen Chronometer waren damals blosse Versuche. Selbst die Schiffsephemeriden waren fehlerhaft, so dass sogar Ver- sehen von 30 Meilen in der Länge vorkamen. Die Schiffsinstru- mente gaben Messungen (st venia verbo), die um eben so viel Grade falsch waren, als die jetzigen um Minuten; denn der plumpe ,,Ja- cobsstab ‘* und ‚‚Quadrant‘‘, der ,, Seering ‘* und ,, Gradbogen ‘ hatten dem feinern Sextanten und Spiegelkreise noch nicht Platz gemacht. Beispiele von Schiffen, welche in jener Zeit auf dem atlantischen Ocean ihre Länge um 6°, 8°, ja selbst um 10° in eben so viel Tagen nach ihrer Abfahrt falsch berechneten, sind zahlreich genug. Fast täglich kreuzten sie Jahrhunderte hindurch den Golf- strom und doch fiel es ihnen nie em, ihn als ein Mittel zur Län- genbestimmung zu benutzen und sich von ihm wegen der Nähe der amerikanischen Küste warnen zu lassen. Dr. Franklin gab zu- erst eine solche Benutzung an die Hand. Nun erst beobachtete man die Temperatur-Differenzen genauer und namentlich die Gränz- linie an der Westseite des Stroms, die ihre Stellung in der Länge A * 52 Die physische Geographie des Meeres. nie so stark änderte, als die Seeleute in ihren Berechnungen fehl- ten. Als er 1770 in London war, wurde er zufällig über ein von dem Bostoner Zollamt an die Lords der Schatzkammer eingesand- tes Memorial befragt, welches angab, dass die Packetboote von Falmouth im Allgemeinen bis Boston 14 Tage mehr brauchten, als gewöhnliche Kauffahrer von London bis Providence auf Rhode Island. Sie verlangten daher, dass die Packetboote nach Providence, statt nach Boston gesandt werden sollten. Dies erschien dem Doc- tor sonderbar; London lag viel weiter als Falmouth, von da war die Route dieselbe und die Zeit der Differenz hätte sich also gerade umkehren müssen. Er befragte den Kapitän Folger, einen Wall- fischfahrer, der gerade in London anwesend war. Dieser erklärte das Paradoxon einfach dadurch, dass die Kapitäne von Rhode Is- land den Golfstrom kannten, die der englischen Packetboote aber nicht. Letztere fuhren in ihn ein und wurden täglich 60 bis 70 Meilen zurückgetrieben, während die erstern ihn ganz und gar ver- mieden. Er war durch die Wallfische mit ihm bekannt geworden, die er auf beiden Seiten desselben, aber nie darin antraf. Auf An- suchen des Doktors zeichnete er dann den Lauf des Stroms von der Meerenge von Florida aus auf eine Karte. Franklin liess diese auf Tower-Hill (in London) stechen und sandte den Kapitänen von Falmouth Exemplare zu, welche diese unbeachtet liessen; und doch stimmt das, was jener Fischer aus dem Gedächtniss skizzirte, selbst heutigen Tages noch mit den besten Seekarten im Allgemeinen überein! Doch wir wollen weiter untersuchen, in wiefern neuere Forschungen auf diesen Gegenstand und auf viele andere hervor- _ stechende Partien der physischen Geographie des Meeres ein helle- res Licht geworfen haben. Keine Gegend der Welt setzt vielleicht der Schiffahrt mehr Gefahren und Schwierigkeiten entgegen, als die Zugänge zu der Nordost- Küste Amerikas im Winter. Ehe man die Wärme des Golfstroms kannte, war in dieser Jahreszeit eine Fahrt nach Neu England, New-York und selbst noch dem Delaware- oder Chesa- peake-Cap weit schwieriger und gefährlicher als jetzt. Ehe die Schiffe an diesen Theil der Küste gelangen, werden sie oft von Schneestürmen und Windstössen überfallen, die der Kraft des See- manns spotten und seine Geschicklichkeit zu nichte machen. In kurzer Zeit verwandelt sich seine Barke in eine Eismasse; mit ihrer erstarrten, hülflosen Mannschaft gehorcht sie nur noch ihrem Steuer und wird dem Golfstrom zugetrieben. Nach wenigen Stun- Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 53 den erreicht sie seinen äussern Rand und geht fast durch ihren nächsten Aufsprung aus dem Winter in eine sommerlich warme See über. Das Eis verschwindet von ihrem Geräth; der Matrose badet seine vor Kälte steifen Glieder in lauem Wasser; neu belebt und gekräftigt verwirklicht er, draussen auf der See, gleichsam die Fabel vom Antaeus und seiner Mutter Erde. Er erhebt sich und ver- sucht seinen Hafen wieder anzusegeln, doch ebenso rauh trifft ihn abermals der Nordwest und schlägt ihn zurück ; aber so oft er nur vom Kampfplatze weg in den Strom zurückgetrieben wird, er tritt stets neu gekräftigt aus demselben hervor, um endlich zu siegen und den Hafen zu gewinnen, oder auch im zu harten Kampfe zu unterliegen. Denn viele Schiffe gehen alljährlich in diesen Stürmen zu Grunde. Ich könnte Beispiele von Schiffen anführen, welche auf ihrer Fahrt nach Norfolk oder Baltimore mit ihrer in einem wahrhaft tropischen Klima entnervten Mannschaft bis an die Vor- gebirge Virginiens Schneestürmen begegneten, welche sie immer wieder in den Golfstrom zurücktrieben und sie, während nutzloser Versuche einen Ankergrund zu finden, 40, 50, ja selbst 60 Tage lang auf hoher See hielten. Dessenungeachtet ist es eine.grosse Wohlthat für die Schiff- fahrt, dass die Grund-Gewässer des Golfstroms mit ihrer Sommer- wärme mitten im Winter in der Nähe der Küsten Neu Englands vorhanden sind. Im Winter namentlich ist die Zahl der Schiff- brüche und der Verlust an Menschenleben längs der atlantischen Gestade ganz erschrecklich. Die Haverei hat sich schon durch- schnittlich auf 3 Schiffe täglich belaufen. Wie viele dadurch ent- kommen, dass sie eine Zuflucht in den warmen Wassern des Golf- stroms suchen, lässt sich nur vermuthen. Es genüge zu sagen, dass die so bedrängten Schiffe, ehe man jenen warmen Strich kannte, keinen nähern Zufluchtsort als Westindien kannten; die Zeitun- gen aus Franklin’s Zeit — darunter seine ,, Pensylvanische Gazette‘ — melden uns, dass es bei Schiffen, deren Curs nach den Vorge- birgen Delaware’s ging, im Winter nicht selten vorkam, dass sie vom Sturm bis nach Westindien verschlagen wurden und dort des Frühlings harrten, um erst dann von Neuem den Versuch zu wa- gen, sich diesem Theil der Küste zu nähern. So kam es, dass man der Entdeckung Dr. Franklin’s in Bezug auf die Golfstrom-Tem- peratur die grösste Wichtigkeit beilegte und zwar nicht allein, weil so dem erstarrten Seemann im Winter ein passender Zufluchtsort vor dem Schneesturm geboten war, sondern auch weil er so in jedem 54 Die physische Geographie des Meeres. Wetter eine treffliche Landmark oder Baake für die amerikanische Kiiste gefunden hatte. Von diesem Gesichtspunkte aus verheim- lichte Franklin seine Entdeckung; denn Amerika lag damals mit England im Krieg. Wir bemerkten schon, dass sich die Kapitäne damals wohl um 10° L. verrechneten. Er selbst verrechnete sich auf seiner Rückfahrt um 5°. Selbst im schlechtesten Wetter gab nun das Thermometer, sobald man den warmen Strom beobachtete, dem Schiffer in Bezug auf den Ort seines Schiffes, genauere Resul- tate an. (Der Oberst) Jonathan Williams warf später, indem er von der Bedeutung dieser Entdeckung für die Schiffahrt sprach, sehr treffend die Frage auf: ,,Kénnten diese Wasserstreifen, wenn sie durch rothe, weisse und blaue Farben unterschieden wären, wohl deutlicher wahrgenommen werden, als durch den fortwährenden Gebrauch des Thermometers? ““ Er hätte hinzufügen können, wür- den sie dann zugleich die Position des Schiffes besser bezeichnen ?*) Franklin machte seine Entdeckung 1775; sie wurde aber aus politischen Gründen erst 1790 zur allgemeinen Kenntniss gebracht. Der unmittelbare Erfolg war, dass die Häfen des Nordens im Win- ter ebenso zugänglich wurden als im Sommer. Es würde, wenig- stens für die politische Oekonomie, ein sehr interessantes Thema sein, zu untersuchen, in wieweit dieser Umstand auf den nach die- ser Entdeckung erfolgenden Verfall des direkten südlichen Handels einwirkte. Mit Bezugnahme auf die damaligen Handelstabellen habe ich den Handel Charleston’s mit dem der nördlichen Städte *) Als Williams’ Werk über die thermometrische Schiffahrt (1799? Vgl. Berghaus a. a. O. 8. 1. 557) erschien, schrieb der Commodor Truxton: ‚Ihre Schrift wird der Schiffahrt von Nutzen sein, indem sie die Seereisen noch weit sicherer macht, als dies bisher durch unmittelbare Ausrechnungen zu ermög- lichen war; denn ich habe die Brauchbarkeit des Thermometers sehr oft be- währt gefunden, seitdem wir zusammen segelten. Es wird besonders in den Händen solcher Seeleute, welche mit astronomischen Beobachtungen unbekannt sind, ein sehr werthvolles Instrument sein. .... Diese besonders haben eine einfache Methode, sich ihrer Annäherung an oder ihrer Entfernung von der Küste, vorzüglich im Winter zu versichern, höchst nöthig; denn gerade dann zieht sich die Ueberfahrt oft in die Länge, die Schiffe werden durch starke Westwinde von der Küste weggetrieben und gerathen ohne ihr Wissen in den Golfstrom; desshalb suchen die Kapitäne in solchen Fällen ihr Schiff zum Stehen zu bringen*), da sie sich der Küste nahe glauben, während sie weit ab verschlagen sind. Andererseits werden die Schiffe oft an die Küste geworfen, indem sie in der Springfluth des Stromes segeln, die sie den berechneten Curs überschreiten lässt. Jedes Jahr führt uns neue Belege zu diesen Thatsachen und damit verknüpfte Unglücksfälle vor.‘ *) To heave to, schreibt Maury, d. h. eigentlich: to bring the ship’s head to the wind and stop her motion. Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhiltnisse. 55 durch mehrere Jahrgänge, vor und nach der Veröffentlichung der Franklinschen Entdeckung, verglichen. Die Vergleichung zeigt einen unverzüglichen Verfall im Handel des Südens und einen er- staunlichen Zuwachs im nördlichen Handel. Mögen andere darüber urtheilen, ob diese Entdeckung im Seewesen und diese Revolution im Handel in einem Causalnexus stehen oder nur zufällig zusam- mentreffen ; ich wollte nicht unterlassen, darauf hinzuweisen. 1769 kam der Handel der beiden Carolinas dem der gesamm- ten Neu-England-Staaten gleich; er übertraf den von New-York um mehr als das Doppelte und den von Pensylvanien um ein Drit- tel*). 1792 belief sich die Ausfuhr von New-York dem Werth nach auf 2% Millionen; von Pennsylvanien, auf 3820000, und von Charleston allein auf 3834000 Dollars. Aber 1795, wo die Seefahrer den Golfstrom so genau, wie heutzutage, kennen zu lernen begannen und wo die Ueberfahrt von Europa nach dem Norden durchschnittlich um die Hälfte abgekürzt wurde, während die nach dem Süden sich ungefähr gleich blieb, be- liefen sich die Zölle in Philadelphia allein auf 2941000 Dollars oder auf mehr als die Hälfte der Zölle in allen Staaten zusammen. **) *) Aus M‘ Pherson’s Handelsannalen. — Ausfuhr und Einfuhr im J. 1769. Ausfuhr Nach Gross: Süden a Westindien. Afrika. Gesaumiz | Britannien. Europa. summe. Luise ro £ FIR oa de Neu England ee evo aD Sl. 308421 | 17713 550089 Weuw York ose ..... 113382 50885 | 66324 | 1313 231906 Pennsylvanien N | 28112 203762 178331 560 410756 Nord- u. Süd-Carolina | 405014 76119 S775S8 691 569584 Finftuhyr Neu England... . | 223695 | 25408 | 314749 | 180 | 564034 Neu York. ..... „15930 | 14927 91420 | 697 | 188976 Pennsylvanien ... 204979 14249 180591 — 399820 Nord- u. Siid-Carolina | 327084 | 7099 76269 137620 535714 rs) Werth der Ausfuhr in Dollars.*) | 1791 | 1792 | 1793 | 1794 | 1795 | 1796 | RB —— nn nn — ——— ~~ — = x # Massachusetts 1!2519651/2888104.3755347 5292441 7117907 9949345 Neu York... 2505465 2535790 2932370 5442000|10304000|12208027 Pennsylvanien 3436000 2520000 6958000 6643000 11318000 17513866 Süd-Carolina . 12693000 2128000 3191000|3868000| 5998000) 7620000 *) Doc. No. 330, H. R., 2. Session, 25, Congress. Einige dieser Angaben stimmen nicht mit den aus M’, Pherson’s Werke entlehnten. 56 Die physische Geographie des Meeres. Die Wirkungen der Franklinschen Entdeckung reichten aber noch weiter. Bevor sie gemacht wurde, war der Golfstrom als ein tiickisches Wasser beriichtigt. Oft hatte es die Schiffe, ohne dass sie es merkten, viele Meilen von ihrem Curse weggetrieben, und wenn in schlechtem, bewölkten Wetter viele Tage von einer Beob- achtung bis zur andern vergingen, konnte die ganze Folge seiner Strömungen, obgleich man sie vielleicht nur einige Stunden wäh- rend der Zwischenzeit bemerkt hatte, nur unter die ganze Zahl der Tage gleichmässig vertheilt werden. Desshalb konnten die See- fahrer nur sehr unbestimmte Ideen über die Stärke und die wirk- lichen Gränzen des Golfstroms haben, bis sie den Nautucket- Fischern von den Wallfischen angezeigt und dem Dr. Franklin vom Kapitän Folger mitgetheilt wurden. Als man aber den warmen und schnell strömenden Kanal kannte und genau in Rechnung bringen konnte, so konnte er von nun an die Seereisen ebenso be- schleunigen, wie er sie bisher verzögert hatte. Die nautischen Tafeln und Instrumente sind gegenwärtig bis zu dem Grade vervollkomnet worden, dass der Schiffer jetzt jede Strömung, welche seinen Weg durchkreuzt, mit grosser Gewissheit angeben kann. Auch weiss er sie trefflich zu benutzen. Der Oberst Sabine wurde vor einigen Jahren bei seiner Ueberfahrt von Sierra Leone nach New-York durch Strömungen allein 1600 Meilen von seinem Wege verschlagen; dagegen hat sich, seitdem man das Thermometer auf den Golfstrom anwendet, die durchschnittlich 8 Wochen und noch länger dauernde Ueberfahrt von England auf wenig mehr als 4 Wochen reducirt. Einige Staatsökonomen Amerikas haben den grossen Verfall, in welchen der Handel der südlichen Staaten nach der Annahme der Constitution der Ver. St. gerieth, dem Schutze zugeschrieben, den die Gesetzgebung den nordischen Interessen angedeihen liess. Ich glaube aber, dass diese Angaben und Ziffern zeigen, dass dieser Verfall in nicht geringem Grade dem Golfstrom und dem Wasser- Einfuhrzöllein Dollars. | 1791 | 1792 | 1793 | 1794 | 1795 | 1796 | 1833 Massachusetts 1006000) 723000 1044000 1121000 1520000 1460000) 3055000 Neu York. . . (1334000 1175000 1204000 1878000 2028000 2187000 10713000 Pennsylvanien |1466000 1100000 1823000 1498000 2300000) 2050000, 2207000 Süd-Carolina . | 523000 359000 360000! 661000) 722000) 66000 389000 Einfluss des Golfstroms auf klimatische Verhältnisse. 57 thermometer beizumessen ist; denn dadurch wurden die Handels- verhältnisse Charlestons — des grössten südlichen Handelsplatzes der damaligen Zeit — verändert; es wurde aus seiner Stellung wie ein auf halbem Wege liegendes Haus entfernt und in die Kategorie einer Aussenstation gerückt. — Der Plan unseres Werkes führt uns nun nothwendigerweise in die Atmosphäre hinauf; denn die See leitet von den Winden einige der hervorstechendsten Züge in ihrer physischen Geographie ab. Ohne Kenntniss der Winde verstehen wir weder die Schiffahrt auf dem Ocean, noch können wir uns ohne sie mit den Hauptfahrstras- sen, die ihn durchkreuzen, bekannt machen. Wie auf dem Land, so verhält es sich auch auf dem Meere; einige Theile sind so we- nig bereist, ja so völlig unbekannt, wie die grosse Amazonenwild- niss Brasiliens oder das Binnenland Afrikas. Südlich von einer vom Cap Hoorn nach dem Cap der guten Hoffnung gezogenen Li- nie (Tafel VIL) breitet sich eine ungeheure Wassermasse aus. Keine der Handelspassagen des Oceans führt durch dieselbe; nur ein ver- wegener Wallfischfänger verfolgt bisweilen bis dahin seine Beute; aber für alle Zwecke der Wissenschaft und Seekunde ist dies noch eine weite, unbekannte Region. Wenn nun im südatlantischen Meere Nord- und Südwinde statt der Ost- und Westwinde vor- herrschten, so würde diese undurchfurchte See oft zur Durchfahrt benutzt werden. Noch mehr! Die See versieht die Winde mit Nah- rung für den Regen, den diese vielgeschäftigen Boten vom Meere den ,,Quellen in den Thalern, die zwischen den Hügeln rinnen“ zuführen. Dem Physiker sind die Oerter, welche Wasserdunst dar- bieten, ebenso bedeutsam und sie interessiren ihn der von ihnen ge- botenen Belehrung wegen ebenso sehr als jene Plätze, wo die Dünste als Regen niederfallen. So wie sich also jeder, der die phy- sische Geographie des Landes studirt, mit den Regionen des Nieder- schlags bekannt machen muss, so muss auch der Forscher auf dem Gebiete der physischen Geographie des Meeres nach den Regionen der Verdunstung ausschauen und nach jenen Quellen im Ocean, welche die Wasserbehälter in den Gebirgen speisen; und um diese Untersuchung in gehöriger Weise anzustellen, muss er zunächst die Winde befragen und sich mit ihrem Kreislauf bekannt machen. Desshalb handeln wir in einem Werke über die physische Geogra- phie des Meeres auch von der Atmosphäre. 58 Die physische Geographie des Meeres. Drittes Kapitel. Die Atmosphire. Relation, in der die Winde zur physischen Geographie des Meeres stehen. — Jede Aeusserung von Naturkräften hat ihre tiefe Bedeutung. — Die Circulation der Atmosphäre (nebst Figur). — Die Südost-Passat-Region ist die breitere. — Wie sich die Winde den Polen nähern. — Die Werkstätten der Atmosphäre. — Sie ist eine gewaltige Maschine. — Woher kommen die Regen- massen, welche die grossen Flüsse speisen? — Wie die Dünste aus einer Hemisphäre in die andere übergehen. — Maximum der Verdunstung in der Breite von 17°—20°. — Erklärung. — Die Regenzeit; ihre Ursachen. — Warum giebt es nur eine Regenzeit in Californien? — Eine in Panamä. — Zwei in Bogolä. — Erklärung der regenlosen Regionen. — Warum ist Austra- lien ein trockenes, regenarmes Land? — Warum haben die Gebirge eine dürre und eine regne- rische Seite? — Die ungeheuren Regenmengen auf den westlichen Ghats in Indien und Ursache derselben. — Der Dunst zur Regenbildung in Patagonien kommt vom nördlichen Theil des stillen Meeres. — Die mittlere jährliche Regenmenge. — Ausdunstung aus dem indischen Ocean. — Offenbarungen eines höhern Planes. Ein Physiker im Orient *) beschreibt mit einem wahrhaft orientalischen Reichthum der Phantasie die Atmosphäre als ,,eine Kugelschale, welche unsern Planeten bis auf eine Höhe umgiebt, die wir, da sie vom Druck der darauf ruhenden Masse befreit, im- mer dünner wird, nicht genau kennen. Ihre äusserste Gränze kann uns nicht näher sein als 50 Meilen, aber auch schwerlich entfernter als 500 Meilen **). Sie umgiebt uns auf allen Seiten, doch sehen wir sie nicht; sie drückt auf jeden Quadratzoll der Oberfläche un- serer Körper mit einem Gewicht von 15 Pfd. oder im Ganzen 70 bis 100 Tonnen und doch fühlen wir nicht einmal ihre Wucht. Zarter als der zarteste Pflaum — noch nicht so fühlbar wie die feinsten Sommerfäden — lässt sie die Spinnweben regungslos und bringt kaum das leichteste Blümchen in Bewegung, das sich von ihrem Thaue nährt; und doch trägt sie wieder die Flotten der Na- tionen auf ihren Fittigen um die Welt und zermalmt mit ihrer Wucht die härtesten Substanzen. Stürmt sie daher, so vermag sie die stattlichsten Wälder, die festesten Gebäude dem Boden gleich zu machen — die Wasser des Oceans zu bergähnlichen Wogen auf- zuthürmen und die stärksten Schiffe wie Spielzeug zu zerschel- len. Sie erwärmt und kühlt in ewigem Wechsel die Erde und ihre Bewohner. Sie zieht Dünste aus Meer und Land empor, hält sie aufgelöst in sich zurück und schüttet sie als Thau und Regen herab, wo sie nöthig sind. Sie lenkt die Sonnenstrahlen von ihrer Bahn *) Dr. Buist in Bombay. **) Der Berechnung G. G. Schmidts nach beträgt die Höhe der Atmosphäre am Aequator 27,5, an den Polen 27,1 deutsche Meilen. Vgl. noch Kamtz S. 498. Die Atmosphäre. 59 ab, um uns die Dämmerung zu schenken; sie zerstreut und bricht ihre verschiedenen Farbentöne, um das Kommen und Scheiden des Tagesgestirns zu verherrlichen. Wäre die Atmosphäre nicht, so bräche der Sonnenschein plötzlich über uns herein und verschwände plötzlich ; aus mitternächtlichem Dunkel würde er uns auf einmal in das Flammenlicht des Mittags versetzen. Wir würden kein Zwie- licht die Landschaft mit seinem milden Zauber umhüllen sehen; keine Wolken schützten uns vor der sengenden Glut, sondern die kahle Erde, während sie sich um ihre Achse wälzt, würde ihre ge- bräunte Stirn den vollen, ungemilderten Strahlen der Tagesleuchte darbieten. Sie bietet uns das Gas, welches unsere Leiber belebt und erwärmt und nimmt jenes in sich auf, das als abgenutzt und schädlich weggeworfen wird. Sie speist die Flamme des Lebens wie die des Feuers — in beiden Fällen wird sie mit Kohle verbun- den, die sie zur Verbrennung verlangt und wird von der Kohle ent- fernt, wenn die Verbrennung vollendet ist. << „Die Atmosphäre, sagt Mann (s. d. Nord-Brit. Review), nach- dem er den beständigen Kreislauf der Kohlensäure und des Oxy- gens, der Dünste und der wässrigen Meteore mit glühenden Farben ausgemalt hat, ist ein weiter Behälter, in welchen der für die le- benden Geschöpfe bestimmte Vorrath an Nahrung geschüttet wird, oder sie ist vielmehr selbst ihre tägliche Nahrung in der einfachsten Form. Das Thier zermalmt die Fasern und das Gewebe der Pflanze, es geniesst den Nahrungsstoff, der in ihren Zellen aufgespeichert lag und verwandelt ihn in die Substanzen, aus denen seine eigenen Organe zusammengesetzt sind. Die Pflanze verschafft sich Organe und Nahrungsstoff, der so dem 'Thier zur Speise überlassen wird, aus der unverletzbaren Luft, die sie umgiebt. ‚Aber die animalische Welt hat Organe, sich frei zu bewegen und um sich zu greifen; die Pflanze muss warten, bisihr Nahrung zugeführt wird. Keine festen Theilchen finden Zugang zu ihrem Organismus; die nie rastende Luft, welche mit Kohlenstoff, Was- serstoff, Sauerstoff, Wasser beladen vor ihr vorbeirauscht — Alles was sie braucht, ist m Form von Nahrung immerfort zur Hand, um ihr nicht bloss zur gehörigen Zeit, sondern auch in der Form und Gestalt, in der es ihr allein nützen kann, ihr Futter zu bringen.“ Es giebt keine Beschäftigung, welche des menschlichen Gei- stets würdiger und ihm angemessener wäre, als den Offenbarungen der Pläne und Absichten des Schöpfers nachzuforschen, welche in 60 Die physische Geographie des Meeres. dem kleinsten Theile der Schöpfung sichtbar werden. Desshalb ist dem ächten Seemann und dem, welcher die physischen Beziehun- gen zwischen Erde, Meer und Luft studirt, die Atmosphäre etwas mehr als ein uferloser Ocean, auf dessen Grunde seine Barke schwimmt. Sie ist ihm eine Hülle zur Zerstreuung des Lichts und der Wärme über die Erdoberfläche; sie ist ein Abzugskanal, in wel- chen wir mit jedem Athemzuge grosse Quantitäten animalischen Stof- fes werfen ; sie ist eine Werkstätte der Reinigung, in welcher jener Stoff von Neuem gemischt und wieder in heilsame Formen gebracht wird; sie ist eine Maschine, um alle Flüsse aus der See emporzu- pumpen und die Gewässer von ihren Quellen auf dem Ocean zu ihren Quellen in den Gebirgen hinzuleiten. Von dem regelrechten Gange dieser Maschine hängt das Wohlbefinden jeder Pflanze und jedes Thieres auf Erden ab; desshalb kann die Handhabung der- selben, ihre Bewegung oder die Erfüllung ihrer Pflichten nicht dem Zufall überlassen bleiben. Sie werden — darauf können wir uns verlassen — von Gesetzen geleitet, welche alle Theile, Funk- tionen und Bewegungen der Maschinerie ebenso einer gewissen Ordnung unterwerfen, wie die Planeten in ihren Bahnen. Die Untersuchung des Haushalts unseres gesammten Erdstaa- tes bietet gewiss jedem regen Forschergeiste die höchste Befriedi- gung; sie zeigt ihm all die Gesetze der Ordnung, welche der Schö- pfer sich selbst gab, indem er die Grundfesten unserer Erde auf- baute. Warum sollte sonst der Golfstrom z. B. immer an seiner Stelle verharren? Warum sollte eine fortwährende Dürre in einem Theile der Welt herrschen und fortwährende Regenschauer in einem andern? Oder warum sollten Wind und Meer der sie bedräuenden Stimme gehorchen? (Vgl. Matth. VIII. 26.) Für den sinnigen Beobachter aller auf unserem Planeten wir- kenden Naturkräfte ist keine ihrer Ausdrucksformen und Hand- lungen ohne Bedeutung. Von ihm wird Wind und Regen, Dunst und Gewölk, Fluth, Strömung, Salzgehalt, Tiefe, Wärme und Farbe der See, der Schatten des Wolkenhimmels, die Temperatur der Luft, die Färbung und Gestalt der Wolken, die Höhe des Bau- mes an der Küste, die Form seiner Blätter, der Glanz seiner Blü- then — Alles und Jedes wird von ihm wie der Exponent gewisser physikalischer Combinationen und desshalb als der Ausdruck be- trachtet, durch den die Natur ihr Leben und Weben anzukündigen pflegt oder gewissermassen als die Sprache, in der sie ihre Gesetze niederschreibt. Diese Sprache zu verstehen, diese Gesetze richtig Die Atmosphäre. 61 zu erklären, ist das Objekt des Unternehmens, welches wir jetzt vorhaben. Jede auf einem solchen Felde wie das vorliegende ge- sammelte Thatsache muss daher denen, die auf den Pfaden der in- ductiven Wissenschaft einherschreiten, gelegen kommen; denn in dem Elementarbuche der Natur ist jede solche Thatsache eine Silbe und dadurch, dass wir geduldig eine zur andern sammeln und Silbe zu Silbe fügen, suchen wir endlich richtig und fliessend in dem grossen Buche zu lesen, das der Matrose zur See wie der Naturfor- scher auf dem Bergesgipfel vor sich aufgeschlagen sieht. Ueber den Kreislaufder Atmosphäre. Wir haben ge- sehen, dass beständige Strömungen im Ocean sind; wir werden nun sehen, dass es auch in der Atmosphäre regelmässige Strömun- gen giebt. Von dem Parallelkreis von ungefähr 30° N. und SB. fast bis zum Aequator bemerken wir zwei sich um die ganze Erde ausdehnende Gürtel perpetuirlicher Winde, nämlich, die Zone der Nordost-Passate auf der diesseitigen und die der südöstlichen auf der jenseitigen Hemisphäre. Vgl. Tafel I. Sie wehen beständig, und so stetig und constant wie die Strömung des Mississippi, bewegen sie sich stets in derselben Richtung. Da diese zwei Luftströme be- ständig von den Polen dem Aequator zufliessen, so müssen wir si- cherlich annehmen, dass die Luft, welche sie in Bewegung halten, durch irgend einen Kanal zu den Regionen in der Nähe der Pole zurückkehren muss. Wäre dies nicht so, so müssten die Passate nothwendigerweise endlich die Atmosphäre der Polargegenden völ- lig erschöpfen und sie um den Aequator aufhäufen, endlich müssten sie aber wegen Mangel an Luft gänzlich zu wehen aufhören. Die rückläufigen Strömungen müssen daher in den obern Ge- genden der Atmosphäre zu finden sein, wenigstens so lange, bis jene Parallelen überschritten sind, zwischen welchen die Passate fortwäh- rend an der Oberfläche wehen. Die Rückströmung muss sich also in einer dem Winde, dessen Platz sie zu ergänzen hat, entgegenge- setzten Richtung bewegen. Diese direkten und Gegenströmungen sind auch so beschaffen, dass sie sich in einer Art Spirale oder Lo- xodrome bewegen, indem sie sich auf ihrem Wege von den Polen nach dem Aequator nach Westen, und umgekehrt nach Osten zu wenden, wenn sie sich vom Aequator gegen die Pole bewegen. Diese Ablenkung vom Meridian wird durch die Achsendrehung der Erde verursacht. Die Erde dreht sich bekanntlich von West nach Ost. Denken 62 Die physische Geographie des Meeres. - wir uns nun ein Theilchen der Atmosphäre am Nordpol, wo es in Ruhe ist, in einer geraden Linie dem Aequator zu bewegt, so kön- nen wir leicht einsehen, dass dieses Theilchen, das von der Achse des Pols, wo es an der täglichen Bewegung der Erde nicht Theil nahm, herkommt, in Folge seiner Trägheit während seines Zuges gen Süden die Erde gleichsam unter sich hingleiten lässt. Es scheint also von Nordosten zu kommen und sich nach Südwesten zu bewe- gen; es ist mit andern Worten ein Nordostwind. Um einenoch prak- tischere Erklärung zu geben, wollen wir einen gewöhnlichen Erd- globus zur Hand nehmen. Man bringe die Insel Madeira oder ir- gend einen andern Oıt derselben Breite unter den messingenen Me- ridian, halte darauf einen Finger an diesen Punkt und bewege denselben, während man den Globus dreht, am Meridiane seitwärts fort, bis er den Aequator erreicht. *) Man wird nun bemerken, dass der Finger auf dem Globus eine nach Südwesten gerichtete 3ahn beschrieben hat. Das Umgekehrte findet natürlich statt, wenn ein Lufttheilchen vom Aequator aus nach Norden zieht. Am Aequator ist ihm eine schnelle Bewegung gen Osten mitgetheilt worden und vermöge seiner Trägheit eilt es nun, je weiter es nach Norden kommt, dem rotirenden Punkte der Erdoberfläche immer mehr nach Osten voraus. So scheint es nach Nordost zu eilen; es entsteht also ein Südwestwind. Dasselbe findet natürlich auch, wenn man Süd für Nord schreibt, zwischen dem Südpole und dem Aequator statt. Ein solcher Process geht wirklich in der Natur vor sich. Be- trachten wir die Bewegungen dieser zwei Luftpartikeln als den Typus der Bewegung aller, so haben wir eine Erläuterung der grossen Ströme in der Luft. Dabei ist der Aequator so ziemlich einer der Knoten und zwischen diesen und den beiden Polen giebt es je zwei Systeme von Strömungen, eine obere und eine untere. Halley gab in seiner Theorie der Passate bis zu -diesen Punkt den Schlüssel zur Erklärung der atmosphärischen Circulation ; sollte aber die Erklärung hierbei stehen bleiben, so würde ihr ein vom Pol bis zum Aequator wehender Nordostpassat genügen und wenn dem *) Eigentlich müsste man den Finger nicht im Meridian bewegen, sondern ihm zugleich mit der südlichen Richtung von Madeira aus eine östliche Bewe- gung geben, die der Geschwindigkeit im Parallel von Madeira gleichkommt, also gegen die Rotationsgeschwindigkeit der Erde nach Süden zu immer mehr zurückbleibt. (D. Uebers.) Die Atmosphäre: 63 so wäre, so würden wir auf der Erdoberfläche nur Nordostpassate diesseits, nur Südostpassate jenseits des Aequators haben. Wir wollen nun zu unserem nördlichen Lufttheilchen zurück- kehren und ihm in seinem Kreislauf vom Pol über den Aequator nach dem Südpol, und wieder zurück, folgen. Indem es seine Be- wegung in den Polargegenden beginnt, zieht es aus noch nicht vollkommen erklärten Gründen, anstatt an der Erdoberfläche zu bleiben, in den obern Regionen der Atmosphäre weiter, bis es sich dem Parallel von 30° N.B. nähert. Hier begegnet es, gleichfalls in den Wolken, jenem hypothetischen Atom, das von Süden kommend nach Norden zieht, um seine Stelle einzunehmen. Sie drücken hier mit ihren ganzen Bewegungsmomenten auf einander und bringen unter dem 30° eine Windstille und eine Anhäufung der Atmosphäre hervor. Diese genügt, um den Druck der beiden Winde von Nor- den und Süden ins Gleichgewicht zu bringen. Ausdem untern Theil dieses Walls von Calmen, den die Seeleute die ,, Rossbreiten‘‘ (JZorse latitudes) nennen (ich habe ihn die Calmen des Krebses genannt), werden zwei Oberflächenströmungen ausgeworfen; der eine Wind- strom zieht als Nordostpassat dem Aequator, der andere als Süd- westpassat dem Pole zu. Diese Winde treten aus dem untern Theil der Calmenatmosphäre hervor und die auf diese Weise fort- ziehende Luft muss demgemäss, wie wir folgern müssen, durch nie- derwärts gehende Strömungen aus der darüberliegenden Luft der Calmengegend ersetzt werden. Es verhält sich ganz wie mit einem Wassergefässe, in das oben von entgegengesetzten Seiten zwei Strö- me einfliessen und aus dem sich zwei aus einander gegenüber lie- genden gleich grossen Oeffnungen am Boden ergiessen. Die Be- wegung des Wassers wird natürlich, wie die der Luft in der Cal- menzone, abwärts gehen. Das Barometer soll in dieser Calmengegend höher stehen, als nördlich und südlich davon; darin liegt ein zweiter Beweis dafür, dass die Atmosphäre sich hier gleichsam aufdämmt. Folgen wir nun unserem imaginären Lufttheilchen von Norden aus quer durch diesen Calmengürtel, so selin wir zuerst, wie es sich als Nordpassat an der Oberfläche der Erde hinbewegt, und als solcher gelangt er bis in die Nähe des Aequators, wo er unserer Hypothese nach einem ähnlichen Luftatom begegnet, welches vom Südpol kommend als Südostpassat geweht hat. Hier auf diesem Sammelplatz an der Linie findet ein zweiter Kampf der Winde statt und da ein Nordost- und Südostwind nicht zu gleicher Zeit an derselben Stelle wehen 64 Die physische Geographie des Meeres. kann, so kommen wir abermals in eine Region der Windstillen. Die beiden Lufttheilchen sind von derselben Kraft in Bewegung ge- setzt; sie stossen mit gleicher Gewalt auf einander und werden also an der Stelle der Begegnung in ihrem Laufe gehemmt. Hier ist also ein Calmengürtel. Da sie nun von der tropischen Sonne erwärmt und auf beiden Seiten durch die Gesammtkraft der Nordost- und Südostpassate ge- drückt werden, so hört alle Seitenbewegung dieser hypothetischen Luftatome, die wir als Typus der ganzen Aequatorial- Atmosphäre betrachten, auf *) und sie beginnen zu steigen. Diese Wirkung ist das Gegentheil der beim Zusammenstoss in der Nähe des 30. Gra- des stattfindenden. Unser angenommenes Luftatom zieht nun, nachdem es wieder zu den obern Regionen der Atmosphäre emporgestiegen ist, den Südostpassaten entgegen, bis es in der Nähe des Calmgürtels des Steinbocks einer andern vom Südpol kommenden Partikel begeg- net. Hier fällt es, wie früher, abermals herab und zieht dann als ein Wind von Nordwest an der Oberfläche dem Südpole zu. Indem es in die Polargegenden eintritt, drücken ähnliche Par- tikeln, die in schiefen Strömen durch jeden Meridian fliessen, auf dasselbe; hier ist also wieder ein Knotenpunkt, ein Ort der Windstille; denn da sich unser imaginäres Theilchen den Parallel- kreisen nahe an den Polarcalmen unter immer schiefern Winkeln nähert, so wird es mit allen übrigen in einem beständig kreisenden Winde gedreht und indem es endlich den Scheitelpunkt **) oder die Calmgegend erreicht, wird es in die obern Gegenden der Atmo- sphäre emporgetragen, von wo aus es seinen Kreislauf nach Norden als eine obere Strömung bis zum Gürtel des Steinbocks abermals beginnt; hier begegnet es seinem Genossen von Norden; sie blei- ben stehen, senken sich nach unten und ergiessen sich unten als Oberflächenströmungen, die eine, mit der unser Luftatom zieht, den Aequatorialcalmen zu als Südostpassat; hier steigt es und wogt als ein oberer Strom den Nordostpassaten entgegen nach dem Cal- mengürtel des Krebses, hört dann auf, in der obern Atmosphäre zu *) Eigentlich doch wohl nicht. Nach dem Gesetz des Parallelogramms der Kräfte müsste sich die ganze Luftschicht als Gelmeghitel genau nach Westen bewegen (?) Anm. d. Ueb. **) Im Original steht vortex, Wirbel (?), was wahrscheinlich vertex heissen soll. Die Atmosphäre. 65 strömen, sondern fällt wieder und zieht mit den Südwestpassaten dem Pole zu. G f N % 7 EEE EN EEE g jum Acyadtor nach dem Lol. N / Ga a akong a A des; Calmen des Krebses. RN | Oo inet ae 7 Ne N Voerherrschemde Windri ehlung eg fo ne SEHR Acynator nach dem Fol, N SA BF 0 Tafel I. Circulation der Winde. Der Lauf, den ein Luftatom unserer Hypothese nach verfolgt, ist also der folgende: Es steigt in P, am Nordpol; fliesst von dort als oberer Luftstrom, bis es einem andern obern Strome (von G) uber den Windstillen des Krebses, begegnet. Hier nehmen wir ein Herabsinken an, wie es die Pfeile andeuten. Dieser obere Strom vom Pole her wird jetzt zum Nordostpassat B an der Oberfläche, bis er wieder steigt und als C mit dem obern Strome nach den Cal- men des Steinbocks zieht, dann als D mit dem vorherrschenden Nordweststrom an der Erdoberfläche hin dem Südpol zueilt, end- lich sich, wie der Pfeil bei P angiebt, erhebt. Er dreht sich wie Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. iy 66 Die physische Geographie des Meeres. der Zeiger einer Uhr und geht zurück, wie die Pfeile bei E, F, G und H andeuten. Die Bibel macht häufige Anspielungen auf die Naturgesetze und ihre Wirkungen. Solche Anspielungen sind aber in der bilder- reichen Sprache, welche sie gelegentlich benutzt, oft so umschleiert, dass die Bedeutung, obschon sie durch die Hülle durchschimmert, doch in gewissem Sinne versteckt liegt, bis die Wissenschaft ihr Licht auf sie wirft; dann tritt sie mit um so grösserer Kraft und Schönheit vor unsere erstaunten Blicke. Sowie unsere Kenntniss der Natur und ihrer Gesetze zugenommen hat, so haben viele Bibel- stellen eine bessere Deutung erhalten. Die Bibel nannte die Erde „‚das Weltenrund‘‘ *) und doch war es Jahrhunderte hindurch für Christen eine Ketzerei, die Welt rund zu nennen. Zuletzt um- schifften aber die Seeleute den Erdball, und bewiesen, dass die Bibel Recht hatte. ‚‚Kannst du die milden Einflüsse der Pleiaden aufzählen ? *) Die heutigen Astronomen haben, wenn sie auch diese Frage nicht beantworteten, doch so viel Licht über dieselbe verbreitet, dass sie zeigten, man müsse sich bei der Astronomie Raths erholen, wenn solch eine Frage je von Menschen beantwor- tet werden soll. Es ist in neuerer Zeit so gut wie bewiesen, dass sich die Erde und Sonne und ihr glänzendes Gefolge von Planeten, Satelliten und Kometen um einen Mittelpunkt der Anziehung, der undenkbar entfernt liegt, bewegen und dass jener Punkt in der Richtung des Alcyon, eines Sternes der Pleiaden, liegt! Wer anders also, als der Astronom, könnte von ihren milden Ein- fliissen berichten ?— Was aber dasallgemeine System des atmosphä- rischen Kreislaufs anbetrifft, das ich darzustellen versuchte, so sagt die Bibel Alles in dem einfachen Ausspruch: ,, Der Wind gehet ge- gen Mittag, und kommt herum zur Mitternacht, und wieder herum an den Ort, da er anfing. ‘‘ ***) *) Bei Luther findet sich ,,der Weltkreis‘‘. Vgl. Sirach. XLIII. 13. Er hat den Himmel fein rund gemacht. (D. Uebers.) **) ,,Canst thou tell the sweet influences of the Pleiades?‘ schreibt Maury. Hiob XXXVIII, 31. heisst es in der engl. Bibel: Canst thou bind the sweet influences of Pleiades? Luther: Kannst du die Bande der sieben Sterne zusam- menbinden? — Svrqxas 02 dsouor Ilimiaduw; — Conjecisti autem vinculum Pleiadis? —; Podräs acaso juntar las brillantes estrellas de las Plefadas? — Ente ***) Pred. Sal. 1, 6. Wörtlich: er (oder sie) geht nach Süden und wendet sich nach Norden — wendend und wendend geht der Wind und in seinen Wendun- gen kehrt der Wind zurück. Die Worte bis zum Strich dürften noch zum 5. Vers Die Atmosphäre. 67 Natürlich muss, während sich die Winde H und D, an der Erdoberfläche hinwehend, den Polen nähern, eine Loslösung *) der Luft — wenn ich so sagen darf — von den Oberflächenwinden bei ihrer Annäherung an die Pole stattfinden. Denn indem sie sich den Polen nähern, werden die Parallelkreise kleiner und kleiner und der Oberflichenstrom muss entweder sich viel höher hinauf ausdehnen und mit grösserer Rapidität wehen, wenn er sich den Polen nähert oder es muss ein Theil sich nach oben zu loslösen und so ehe er noch die Pole erreicht, schon den Rückweg antreten. Das Letztere ist wahrscheinlich der Fall. Unsere Forschungen zeigen, dass die Region der Südpassate viel breiter ist als die der nordöstlichen, (ich spreche jetzt nur von ihrer Ausdehnung über den atlantischen Ocean), ferner, dass die Südost- passate kühler sind und oft bis zu 10, ja 15° nördl. Br. vordringen, während der Nordostpassat selten den Aequator überschreitet. Die den Passaten eigenthümlichen Wolkenformen entstehen zwischen den höhern und tiefern Luftströmungen. Sie bilden sich wahrscheinlich aus Dunst, der von der obern Strömung condensirt niederfällt und im Niedersinken von dem niedrigern und trockenen Polarstrom zu Wolken gestaltet wird. Es tritt dort in der Höhe dieselbe Erscheinung ein, welche man an der Erdfläche so oft be- obachtet; wenn ein kalter und trockener Luftstrom einem feucht- warmen begegnet, so erfolgt eine Dunst- oder Nebelentwick- fang. **) Wir überblicken nun den allgemeinen Lauf des Windes in sei- nen Kreisbewegungen, ebenso wie wir den Lauf des Wassers in einem Flusse beobachten. Viele Unregelmässigkeiten des Fluss- bettes bringen dort die mannigfachsten Wirbel, Reibungen und Be- schleunigungen hervor; aber die allgemeine Richtung des Haupt- stroms wird doch von diesen Gegenströmungen durchaus nicht affi- cirt. Ebenso verhält es sich mit der Atmosphäre und den veränder- lichen Winden, welche wir in den Breiten der Passate finden. Ist demnach die Meinung nicht wohlbegründet, dass der Wind in sei- nem Kreislauf, so launisch und wetterwendisch er uns auch er- gehören, wo vön der Sonne die Rede ist. In der ganzen Stelle wird der Kreis- lauf der Geschlechter, der Sonne, des Windes und der Gewässer verglichen. *) A sloughing off. To slough off — to separate from the living parts as dead parts in mortification. **) Ueber den Einfluss der Winde auf die Dampfverhältnisse der Atmosphäre ist vor Allem zu vergleichen Käntz a. a. O. S. 119. n* J 68 Die physische Geographie des Meeres. scheint, dem Gesetze und der Ordnung sich doch so unbedingt fügt, wie die ,, Morgensterne, da sie mit einander sangen ?‘“ *) Wenigstens zwei Kräfte wirken dabei mit, den Wind in sei- ner Kreisbahn fortzutreiben. Wir haben gesehen, aus welcher Quelle jene Kraft herzuleiten ist, welche die Winde bei ihrer An- näherung an den Aequator nach Osten ablenkt und nach Westen nach den Polen zu, und jene Quelle, welcher sie ihre südliche und nördliche Richtung verdanken, ist, wenn auch noch nicht erklärt, so doch angedeutet. Die Passate werden, wie man sagt, durch die Sonnenhitze zwischen den Wendekreisen veranlasst; diese dehnt die Luft aus und lässt sie nahe am Aequator emporsteigen; sie fliesst dann in obern Strömungen nach Nord und Süd und an der Erdfläche strömt unten von Nord und Süd Luft nach, um das Gleichgewicht herzustellen — daher die Passate. Aber nördlich von dem Passatwindgürtel geht in der nördlichen und südlich davon in der südlichen Hemisphäre die vorherrschende Windrichtung nicht nach der Wärmequelle am Aequator, sondern gerade nach der ent- gegengesetzten Seite. In der aussertropischen Gegend jeder He- misphäre wehen die vorherrschenden Winde vom Aequator gegen die Pole. Es scheint daher auf den ersten Blick paradox zu be- haupten, dass die Hitze die östlichen Winde der heissen Zone gegen den Aequator und die westlichen Winde der gemässigten Zonen gegen die Pole zu wehen lässt. Wir geben ein Beispiel. Das primum mobile**) der aussertropischen Winde gegen den Aequator wird, wie wir eben erwähnten, allgemein der Wärme zugeschrieben und zwar in folgender Weise: Man nehme einen Augenblick an, die Erde habe keine tägliche Bewegung, sie stehe still; kein Sonnenstrahl erreiche sie; die Atmosphäre habe eine mittlere, gleichförmige Temperatur angenommen, das "Thermometer zeige an Pol und Aequator denselben Stand; die Winde seien still und ebenso der ganze im vollkommensten Gleichgewicht ruhende Luftocean. Man nehme nun an, dass der Schirm, welcher allen Einfluss der Sonne abschloss, entfernt werde und die ganze Atmo- sphäre nehme in den verschiedenen Theilen der Erde die verschie- denen Temperaturen an, welche sie gegenwärtig hat, was würde *) Hiob XXXVIII, 7. Luther: ,,da mich die Morgensterne mit einander lobeten.‘‘ **) Primum mobile war in der alten Astronomie der neunte Himmel; hier ist es die erste Bewegung. Die Atmosphäre. 69 wohl stattfinden, wenn wir noch voraussetzen, dass die erste gleich- förmige Temperatur das Mittel der Temperaturen am Aequator und an den Polen gewesen war? — Es würde sich Folgendes er- eignen: die Atmosphäre würde um den Aequator durch die Expan- sivkraft der Hitze zwischen den Wendekreisen aufschwellen und um die Pole vermöge der Kälte zusammengezogen werden. Diese beiden Kräfte würden also, wenn man nur ihre augenscheinlich- sten Wirkungen betrachtet, das angenommene atmosphärische Gleichgewicht dadurch stören, dass sie das Niveau des grossen Luftoceans veränderten, indem es durch Expansivkraft am Aequa- tor eine Elevation, durch die Contraktionskraft an den Polen eine Depression erlitte. Alsobald würden zwei Windsystemezu wehen be- ginnen, nämlich je eines in den obern Regionen vom Aequator nach den Polen zu und indem diese warme und expandirte Luft nach jedem Pole hinströmte und das Niveau herzustellen suchte, würde ein Wind von jedem Pol an der Oberfläche hinwehen, um die Luft zu ersetzen, welche der obere Strom vom Aequator weggeführt hatte. Diese beiden Winde würden genau nach Norden und Süden wehen, denn die Wirkungen der Hitze und Kälte zwängen sie in diese Bahnen. Nun lasse man die Erde ihre tägliche Achsendre- hung beginnen; die Winde werden jetzt aus oben erläuterten Grün- den dem Aequator mit einer Hinneigung nach Osten und den Po- len mit einer Neigung nach Westen zu sich nähern. Der Umfang der Erde auf dem Parallel von 60° Br. ist nur die Hälfte des Umfangs am Aequator.*) Desshalb kann, wenn man die Geschwindigkeit gleich gross annimmt, nur das halbe Volumen der vom Aequator her dem Pole als oberer Strom zufliessenden At- mosphäre den Parallel von 60° N. oder S. Br. überschreiten. Die andere Hälfte wird nach und nach von dem in entgegengesetzter Richtung kommenden Strom angezogen und zurückgeführt. Auf solche Weise und nur so würde die Sonne einen polaren und äquatorialen Luftstrom erzeugen, wenn ihre Kraft einfach auf eine Modification des gleichen Niveaus beschränkt wäre. Aber der Atmosphäre ist noch eine andere Eigenschaft zuertheilt worden, welche ihre Beweglichkeit vermehrt und der Sonnenwärme noch mehr Kraft verleiht, sie in Bewegung zu setzen. Indem nämlich die Wärme das Niveau der Atmosphäre abändert, verändert sie *) Die Erde als Kugel vorausgesetzt. Der Radius jenes Parallelkreises ist, den Erdradius = 1 gesetzt, 1. cos 60° = '/. 70 Die physische Geographie des Meeres. auch die specifische Schwere der Luft, auf die sie einwirkt. Würde demnach das Niveau des grossen Luftoceans von den Sonnenstrah- len nicht gestért und ware die Luft nur zu einem Wechsel. der spe- cifischen Schwere geeignet, ohne dass sich ihr Volumen änderte, so würde diese Eigenschaft gleichfalls die Quelle von wenigstens zwei Systemen von Luftstrémungen sein, nämlich eines obern und eines untern. Diebeiden Kräfte d.h. die das Volumen oder Niveau, und die die specifische Schwere verändernde, geben uns die Strö- mungen, welche wir betrachten und wir sagen desshalb, dass das primum mobile der Luft von einem Wechsel der specifischen Schwere, wie ihn die Kälte der Polarzonen herbeiführt und von einem Wechsel derselben vermöge der Expansionskraft der Son- nenstrahlen in den Tropen herzuleiten ist. Um aber die Gränzen des Einflusses der Sonnenwärme auf die Hervorbringung der Winde genau abzustecken, sollte man nicht vergessen, dass man der Sonnenhitze zwischen den Wendekreisen die Nordwestwinde, welche in den aussertropischen Gegenden der südlichen Hemisphäre vorherrschen oder die Südwestwinde, welche in den aussertropischen Gegenden der nördlichen Hemisphäre vor- herrschen, mit ebenso gutem Grunde zuschreiben könnte, wie die in entgegengesetzten Richtungen wehenden Passate. So paradox es desshalb auch scheinen mag, zu sagen, dass die Sonnenhitze die Winde zwischen dem 25 und 30° nördl. und südl. Breite veranlasst, nach dem Aequator und dass sie auch die vorherrschenden Winde auf den polaren Seiten derselben Parallelen veranlasst, nach den Polen hin zu wehen, so erklärt sich doch Alles ganz gut, wenn wir bedenken, dass durch den in der Atmosphäre vorgehenden Process der Erhitzung am Gleicher und der Abkühlung an den Polen, die specifische Schwere der Luft ebenso gut wie ihr Niveau verändert wird. Dessenungeachtet ist es, wie Halley schon 1686 vor der königl. Societät zu London erklärte und wie wir schon oben be- merkten, ,,gleichfalls sehr schwer einzusehen, warum die Gren- zen des Passatwindes in der Gegend des Parallelkreises von 30° um die ganze Erde festliegen sollten und warum sie diese Schranken der Regel nach weder überschreiten, noch hinter ihnen zurückbleiben. ‘‘ Indem die nach dem Gleichgewicht strebende Atmosphäre und die tägliche Rotation auf den Wind einwirkt, nähert er sich z. B. dem Nordpol in einer Reihe von Südwest ausgehender Spiraten. Wenn man auf einem gewöhnlichen Erdglobus einen Kreis um die- sen Pol zieht und ihn mit Spiralen, welche die Richtung des Win- Die Atmosphire. at des darstellen sollen, durchschneidet, so wird man bemerken, dass der Wind in alle Theile dieses Zirkels von Siidwesten aus eintritt und dass demzufolge dadurch eine wirbelnde Bewegung erzeugt werden müsste, in welcher die aufsteigende Luftsäule sich von der Rechten zur Linken oder den Zeigern einer Uhr entgegengesetzt bewegt. Am Südpol kommen die Winde von Nordwest und sie wälzen sich daher um den Pol wie die Zeiger einer Uhr. Dass dies sich so verhalten muss, wird jedem, der die Pfeile auf den unter den Calmen des Krebses und Steinbocks nach den Polen zu liegenden Seiten auf Tafel I. betrachtet, einleuchten. Diese Pfeile sollen die an der Erdoberfläche auf der Polarseite die- ser Calmen vorwiegende Windrichtung anzeigen. Zwischen den erwähnten beiden Thatsachen und zwischen an- dern, welche beobachtet und von Redfield, Reid, Piddington u. a. bekannt gemacht wurden, zeigt sich die merkwürdige Ueberein- stimmung, dass alle rotirenden Winde in der nördlichen Hemi- sphäre wie jene Wirbel um den Nordpol sich von der Rechten zur Linken und alle Stürme mit Kreisbewegung auf der südlichen Halb- kugel sich in der entgegengesetzten Richtung, wie der Wirbelwind um den Südpol, drehen. Wie kann aber zwischen der rotirenden Bewegung des Windes um den Pol und der eines von rein lokalen Ursachen hervorgerufe- nen Sturmes irgend eine Beziehung Statt finden? Andere Thatsachen und Umstände haben uns Winke gegeben, dass ein solcher Zusammenhang doch wohl anzunehmen ist und wir werden uns deutlicher darüber aussprechen können, wenn wir die Relationen zwischen dem Magnetismus und der Circulation der Atmosphäre untersuchen werden; denn obschon die Wärmetheorie vielen Bedingungen des Problemes genügt und obschon die Wärme eine der Haupttriebfedern ist, welche die Kreisbewegung der At- mosphäre unterhalten, so wird man sie doch nie als das einzige hier wirkende Kraft hinstellen wollen und können. Ueber einige meteorologische Wirkungen der At- mosphäre. — Bis hieher sprachen wir von der Bewegung der Atmosphäre; aber sie hat auch, wie jede Abtheilung im Haushalt der Natur, ihre Dienste — und zwar viele — zu leisten. Ich habe auf einige derselben bereits angespielt; hier will ich nur einige je- ner meteorologischen Wirkungen auf dem Meere betrachten, welche in dem grossen Schöpfungsplane wahrscheinlich dieser wunderbaren Maschine übertragen worden sind. 72 Die physische Geographie des Meeres. Feuchtigkeit über die Oberfläche der Erde zu vertheilen und die schroffen Gegensätze des Klimas in den ‘verschiedenen Breiten zu mildern, dies sind, so scheint es, zwei grosse dem Ocean und der Luft von ihrem Schöpfer gestellte Aufgaben. Wenn sich die Nordost- und Südost-Passate begegnen und die Calmen am Aequator erzeugen, so ist die Luft mittlerweile mit Feuchtigkeit schwer beladen, denn sie ist in jeder Hemisphäre schief über einen grossen Raum des Oceans hingezogen. Sie kann nur in der Richtung nach oben entweichen. Sie dehnt sich aus, indem sie aufsteigt und wird kälter; ein Theil ihres Dunstes wird so condensirt und fällt in Regenform nieder. So kommt es, dass man in diesen Calmen eine Region beständigen Niederschlags an- trifft. Alte Seeleute erzählen uns von so massenhaften und bestän- digen Regengüssen in solchen Gegenden mit langandauernder Windstille, dass sie süsses Wasser von der Oberfläche der See abge- schöpft haben. Die Bedingungen, denen diese Luft hier unter dem Aequator unterworfen ist, lassen wahrscheinlich keine vollständige Präcipi- tation aller bei dem Dahinstreifen über weitgestreckte Wasser- flächen aufgenommenen Feuchtigkeit zu. Was wird nun aus dem Rest? Denn die Natur lässt ihrer Einrichtung nach nichts von der Erde hinwegnehmen, sie giebt ihr Alles in irgend einer Gestalt zu irgend einer Zeit redlich zurück. Der Amazonenstrom und Missi- sippi wälzen Jahr aus Jahr ein ein ungeheures Wasservolumen in den Ocean. ‚Alle Wasser laufen ins Meer, noch wird das Meer nicht vol- ler.‘* (Pred. Sal. I, 7.) Woher kommen sie? — Von ihren Quel- len. Aber was ersetzt die den Quellen entströmenden Gewässer, dass sie nicht versiegen ? Wir erkennen in den durch die Flüsse dem Ocean zugeführten Gewässern einfach die Masse, um welche der Niederschlag die Ver- dunstung in dem ganzen Stromgebiete übertrifft und unter Nieder- schlag wird der Gesammtbelauf des aus der Atmosphäre herabfal- lenden oder von derselben abgegebenen Wassers verstanden, mag es nun Thau, Regen, Hagel oder Schnee sein. Die Quellen der Flüsse werden von dem Regen des Himmels gefüllt und dieser Regen bildet sich aus den Dünsten, die dem Meer entsteigen, dass es ,,nicht voller‘ werde und die durch die Luft zu den Gebirgen emporsteigen. ,,An den Ort, da die Wasser herfliessen, fliessen sie wiederhin.‘* Die Atmosphäre. 73 So sehen wir nun die Gewässer des Amazonenstroms, des Mis- sisippi, des Lorenz- und aller grossen Ströme der Welt in die At- mosphäre emporgehoben werden, wir sehen sie in unsichtbaren Strömen durch die Luft zu ihren Quellen in den Bergen zurück- fliessen und zwar durch so regelmässige, bestimmte und gut be- gränzte Kanäle, dass die so fortgeführte Menge Jahr für Jahr nahe- bei dieselbe ist; denn das ist eben jene Wassermasse, welche wir in den Strombetten dem Meere zufliessen sehen und die Quantität, welche jeder einzelne Strom in das Meer ergiesst, ist, so weit wir darüber urtheilen können, jährlich eine fast constante. Wir fangen nun an zu begreifen, was für eine mächtige Ma- schine die Atmosphäre sein muss und, so launisch und regellos sie auch in ihren Bewegungen erscheinen mag, dennoch offenbart sich hier eine Ordnung, die wir zugeben müssen, dennoch tritt uns ein nicht zu läugnender Beweis entgegen, dass sie ihr gewaltiges Amt regelmässig und sicher versieht und dass sie also einem Gesetze ge- horcht, wie die Dampfmaschine ihrem Erbauer. Auch sie ist eine Maschine. Die weiten Meere zwischen den Wendekreisen sind ihr Kessel und die Polarzonen sind ihre Condensatoren. Woher kommt der Dunst, welcher den die Flüsse der nördlı- chen Halbkugel füllenden Regen erzeugt? Das Verhältniss zwischen Land und Wasser ist in der nérdli- chen Hemisphäre sehr verschieden von dem in der südlichen. In der nördlichen nehmen Land und Wasser fast gleiche Theile ein. In der südlichen überwiegt das Wasser in auffallender Weise. Alle grossen Ströme der Welt befinden sich auf der nördlichen Hemi- sphäre, wo weniger Meere da sind, sie zu füllen. Woher erhalten also ihre Quellen ihre Nahrung? Die des Amazonenstromes wer- den durch den Regen der Calmen und atlantischen Passate am Aequator angefüllt. Jener Strom fliesst nach Osten; seine Neben- flüsse kommen von Norden und Süden; auf einer Seite desselben ist stets Regenzeit; es ist folglich auf eine sehr charakteristische Weise ein Strom ohne bedeutende periodische Anschwellung. Er steht immer seiner Hochwasserlinie nahe; denn in der einen Jah- reshälfte haben seine nördlichen Zuflüsse Hochwasser und in der anderen seine südlichen. Er mündet unter der Linie und da seine Nebenflüsse aus beiden Hemisphären kommen, so kann man nicht sagen, dass er einer von beiden ausschliesslich angehöre. Sein Was- ser liefert ihm der atlantische Ocean. Sieht man also vom Ama- 74 Die physische Geographie des Meeres. zonenstrom ab, so ist der Rio de la Plata der einzige grosse Strom auf der siidlichen Halbkugel. In Neu-Holland giebt es keinen grossen Strom. Die Siidsee- Inseln können keinen hervorbringen und in Siid-Afrika ist uns auch keiner bekannt. Die grossen Ströme Nordamerikas, Nordafrikas und natürlich alle Ströme Europas und Asiens befinden sich auf der nördlichen Hemisphäre. Erwägt man nun, dass die ausdünstende Oberfläche hauptsächlich auf der südlichen liegt, wie kommt es, dass die Eva- poration in der einen, die Condensation in der andern stattfindet? Der Gesammtbetrag des Regens, der auf der nördlichen Hemisphäre fällt, ist, wie die Meteorologen versichern, viel grösser, als der auf der südlichen. Die jährliche Regenmenge ist in der nördlichen ge- mässigten Zone anderthalb mal so gross als in der südlichen ge- mässigten. Wie kommen nun diese Dünste aus der südlichen in die nörd- liche Hemisphäre und zwar mit solcher Regelmässigkeit, dass un- sere Flüsse nicht austrocknen, unsere Quellen nicht versiegen ? Nur die wohlthätige Mitwirkung, die treffliche Compensation der Atmosphäre, dieser grossen Maschine, kann dies leisten. Wie wunderbar ist sie in Gleichgewicht gestellt! Spät im Herbst, im Winter und im ersten Frühling des Nordens entsendet die Sonne mit der grössten Intensität ihre Strahlen auf die Meere der südli- chen Halbkugel und diese mächtige Maschine, welche wir betrach- ten, pumpt das Wasser für unsere Flüsse mit unausgesetzter Thä- tigkeit empor. Um diese Zeit soll die mittlere Temperatur der ge- sammten südlichen Halbkugel die der nördlichen um ungefähr 10° F. (4—5° Re.) übertreffen. Die Wärme, welche diese massenhafte Verdünstung absorbirt, wird latent und sie wird zugleich mit der Feuchtigkeit durch die obern Regionen der Atmosphäre bis in unsere Klimate fortgeführt. Hier gestaltet sich der Dunst zu Wolken, wird condensirt und schlägt nieder. Die Wärme, welche dieses Wasser im gasförmigen Aggregatzustand erhielt, wird frei, sie verwandelt sich in fühlbare Wärme und diese trägt so viel dazu bei, unser Winterklima zu mil- dern. Der Himmel umwölkt sich im Winter, und wir sagen, wenn die Kälte noch etwas nachlässt, werden wir Schnee oder Regen bekommen. *) Das kommt daher, weil der Process der Condensa- *) We are going to have falling weather. Die Atmosphäre. 75 tion schon angefangen hat, obgleich noch kein Regen oder Schnee gefallen sein mag; so fühlen wir diese südliche Wärme, die durch die Sonnenstrahlen an der Meeresfläche gesammelt, im Gewölk eines südlichen Sommers gleichsam wie in Flaschen verschlossen und durch die Winde unserem nordischen Winter zugeführt wurde, wo sie während des Processes der Condensation frei wird. Wenn die Figur I den Lauf der Winde richtig darstellt, so ge- langen die Südostpassate in die nördliche Hemisphäre und führen ihr als eine obere Strömung alle ihre Feuchtigkeit, mit Ausnahme der in der Region der Aequatorialcalmen pracipitirten , zu. Die südlichen Meere würden demnach hauptsächlich das Was- ser für diese Maschine liefern, während die nördliche Hemisphäre es condensirt und wir müssen also mehr Regen nördlich vom Aequa- tor haben. Die Flüsse bezeugen es, dass wir mehr haben — we- nigstens auf dem Lande; denn die grossen Strombetten der Erd- kugel und die Hälfte alles süssen Wassers in der Welt, ist diesseits des Aequators zu finden. Diese Thatsache allein bestätigt unsere Hypothese schon bedeutend. Die Regenmesser berichten uns aber auch dasselbe. Die Regenmenge beträgt im Jahresdurchschnitt in der nördlichen gemässigten Zone nach Johnston 37 Zoll. Er giebt aber für die südliche nur 26 Zoll an. *) Die Feuchtigkeit wird nie durch eine Erhöhung der Tempera- tur aus der Luft gezogen, sondern umgekehrt. Alle die Luft, welche mit feuchten Dünsten geschwängert, von der andern Hemisphäre kommt und der nördlichen durch die Südostpassate zugeführt wird, zieht in den obern Regionen der Atmosphäre fort, bis sie die Cal- men des Krebses erreicht; hier wird sie zu dem Oberflächenwinde, der vorzugsweise von Süden und Osten her weht. Indem sie weiter nach Norden geht, wird sie kälter und der Condensationsprocess beginnt. Man könnte sie mit einem nassen Schwamme verglei- chen und die Abnahme der Temperatur mit der Hand, die ihn aus- drückt. Wenn sie endlich die Breiten der kalten Zone erreicht, so ist alle Feuchtigkeit, welche ein auf 0° und noch weit tiefer stehen- der Thaupunkt ihr entziehen kann, ausgepresst, und diese Luft fängt dann an, als eine trockene Atmosphäre ihrem Kreislaufe ge- *) Die Regenmenge, welche jährlich in der heissen Zone fällt, beträgt nach A. v. Humboldt über 70 Zoll Par. M. Ueber die Vertheilung des Regens ausser den Wendekreisen hat Kämtz sehr sorgfältige Untersuchungen angestellt, welche freilich die nördliche Hemisphäre vorzugsweise ins Auge fassen. Vgl. noch Berghaus a. a. O. I. 8. 276. 76 Die physische Geographie des Meeres. mäss umzukehren. Hier kann man wieder jene Stelle der heiligen Schrift eitiren: ,,der Nordwind treibt den Regen weg.‘‘*) Dies ist eine meteorologische Thatsache von höchstem Ansehen und grosser Wichtigkeit bei dem Studium der Circulation der Atmosphäre. Durch solche Betrachtungen kommen wir zu dem Schluss, dass unsere Flüsse hauptsächlich aus den Passatregionen ihre Wasser- vorräthe beziehen — die aussertropischen nördlichen Flüsse von den südlichen und die aussertropischen südlichen von den nördli- chen Passaten her, denn die Passate sind dunsterzeugende Winde. Nehmen wir das schwache Licht, das uns aus diesen That- sachen entgegenschimmert, zu unserem Führer und halten wir diese Ansichten für richtig, dann müsste die salzigste Partie des Meeres in der Passatregion anzutreffen sein, da das Wasser für alle Flüsse dort als Dunst emporsteigt. Und wirklich findet man dort die salzigsten Stellen. Dr. Ruschenberger, in Diensten der ameri- kanischen Flotte, war auf seiner letzten Reise nach Indien so gütig, eine Reihe von Beobachtungen über die specifische Schwere des Meerwassers anzustellen. Ungefähr unter dem 17° nördl. und süd- licher Breite — in der Mitte der Passatregionen — fand er das schwerste Wasser. Trotz seiner Wärme war das Wasser hier schwe- rer, als das kalte Wasser südlich vom Cap der guten Hoffnung. Lieutenant D. D. Porter, auf dem Dampfschiff ,,Golden Age“, fand das schwerste Wasser um die Parallelen von 20° nördl. und 17° südlicher Breite. Summirt man alle Beweise zu Gunsten dieser Ansicht von ei- nem allgemeinen System atmosphärischer Circulation, so bleibt noch zu zeigen, woher es, die Ansicht selbst als richtig vorausge- setzt, kommt, dass kleinere Flüsse und weniger Regen in der süd- lichen Hemisphäre vorkommen. Erläuterung. — Die Winde, welche später als Nordost- passate wehen, indem sie von den Polargegenden, wo ihnen alle Feuchtigkeit entzogen wurde, zurückkehren, bleiben, wie wir ge- sehen haben, trockene Winde, bis sie die Calmenzone des Krebses durchkreuzt haben und auf der Oberfläche als Nordostpassate wahr- genommen werden. Nur ungefähr zwei Drittheile von ihnen kön- nen über den Ocean wehen; der Rest weht über die Continente Asien, Afrika und Nordamerika, wo nur ein verhältnissmässig klei- nes Areal dunsterzeugender Oberfläche ihnen als Feld ihrer Thätigkeit (* D. Sprüche Sal. XXV, 23. Luther: der Nordwind bringet Ungewitter. Die Atmosphiire. 77 dargeboten wird. Die Zone der Nordostpassate erstreckt sich durch- schnittlich ungefähr vom 29 bis zum 7° nördl. Breite. Untersuchen wir nun, wie viel yon diesem Giirtel Land und wie viel Wasser ist, so finden wir, bei China beginnend und iiber Asien, den breiten Theil Afrikas und sofort quer über den Continent Amerikas bis zum stillen Ocean fortschreitend, Land genug, um ziemlich genau ein Drittel dieses Gürtels auszufüllen. Wenn man dieses Land zwi- schen diesen Parallelen zu einer Masse zusammenwerfen wollte, so würde es einen durch 120° Längengrade und 22 Breitengrade rei- chenden Gürtel bilden. Zutolge der auf der 1. Tafel versinnlichten Hypothese über die atmosphärische Circulation , nehmen diese Nordostpassate, ehe sie in dem Calmengürtel um den Aequator aufsteigen, die Dünste auf und führen sie mit sich fort, und sie erzeugen nun den Regen in den aussertropischen Gegenden der südlichen Hemisphäre und fül- len mit ihm die Flüsse an. Nach dieser Annahme werden also nur zwei Drittel der Nordostpassate völlig mit Feuchtigkeit gesättigt und nur etwa *4 der Regenmenge, welche auf der nördlichen Halbkugel fällt, sollte danach in der südlichen fallen. Dies ist aber eben das durch die Beobachtungen gegebene Verhältniss. In gleicher Weise nehmen die Südostpassate die Dünste auf, welche unsere Flüsse erzeugen und da sie in weit grösserer Ausdeh- nung auf der See vorherrschen, da ihrer Thätigkeit fast dreimal so viel Ocean, als den Nordost- Passaten ein weites Feld bietet, so können wir dieser Hypothese nach, mehr Regen und also auch mehr und grössere Flüsse in Norden des Gleichers erwarten. Ein Blick auf Tafel VI wird zeigen, wie bedeutend breiter jener Theil des Oceans ist, über dem die Südost-Passate die Oberhand haben, als der der Nordostpassate. Freilich ist diese Schätzung der Re- genmenge in den beiden Hemisphären nur eine sehr rohe Annähe- rung an eine wirkliche Messung; denn die grössere Ausdehnung der Südost-Passate auf der einen Seite und der hohen Berge auf der andern müssen natürlich, unabhängig von andern mitwirkenden Kräften, ihren Einfluss ausüben. Dennoch giebt diese Schätzung jedenfalls einen Näherungswerth, wie wir ihn aus irgend welchen andern Daten auch nicht anders finden können. Wie entsteht die nasse Jahreszeit? — Die Calmen- und Passatregionen oder Gürtel rücken auf der Erde jährlich 1000 Meilen in der Breite hin und her. Im Juli und August findet man die Zone der Aequator-Calmen zwischen dem 7. und 12. Gr. NB.; 78 Die physische Geographie des Meeres. bisweilen in noch höherer Breite; im März und April liegt sie zwi- schen 5° südlicher und 2° nördl. Br. Von dieser Thatsache und diesen Gesichtspunkten aus begreift man leicht, warum Oregon eine Regenzeit, Californien eine nasse und trockene Jahreszeit, ebenso Panama eine, Bogota zwei, Peru keine und Chili eine hat. In Oregon regnet es in jedem Monat, aber mehr in den Win- termonaten. Der dortige Winter ist zugleich der Sommer der süd- lichen Hemisphäre, wenn die Dampfmaschine dort mit dem gröss- ten Druck arbeitet. Der von den Südost-Moussons aufgenommene Dunst wird über die Region der Nordostpassate bis zum 35., ja so- gar 40. Grad NB. fortgeführt, wo er sich senkt und mit den Süd- westwinden jener Breiten auf der Oberfläche erscheint. Wenn die- ser Dunst an den Hochebenen des Continents hinstreift, wird er condensirt und schlägt während dieses Theils des Jahres in fast be- ständigen Regengüssen nieder. Im Winter nähert sich der Calmengürtel des Krebses dem Aequator. Dieses ganze System von Zonen, d. h. von Moussons, Windstillen und Westwinden folgt der Sonne. Auf unserer Hemi- sphäre liegt es aber dem Aequator in den Winter- und Frühlings- monaten näher, als in irgend einer andern Jahreszeit. Die Südwestwinde fangen in dieser Jahreszeit an bis zu den Niederungen Californiens herab vorzuherrschen. Im Winter und Frühjahr ist das Land in Californien kälter, als die Seeluft und hinlänglich kalt, um ihr Feuchtigkeit zu entziehen. Im Sommer und Herbst ist aber das Land wärmer und kann die in der Luft enthaltenen Wasserdämpfe nicht condensiren. So regnet es aus derselben Ursache in Californien, wie in Oregon. Indem die Sonne sich wieder nach Norden wendet, bringt sie den Calmengürtel des Krebses und die Nordostpassate mit sich und man findet nun, dass an Orten, wo sechs Monate zuvor die Südwestwinde vorherrsch- ten, die Nordost-Passate wehen. Dies ist in der Breite von Calı- fornien der Fall. Die überwiegenden Winde gehn also nicht von einem wärmern Klima in ein kälteres, wie zuvor, über, sondern schlagen den entgegengesetzten Weg ein. Sie können demnach unter solchen Umständen die regenbildende Feuchtigkeit, die sie etwa enthalten, nicht niederschlagen. Panama ist die Gegend der Aequator-Calmen. Dieser Gürtel von Windstillen zieht während des Jahres über ungefähr 17° der 3reite auf und ab, indem er im Sommer weiter nach Norden rückt und dort mehrere Monate stehen bleibt und dann rückwärts geht, Die Atmosphire. 79 so dass er seine äusserste südliche Breite um die Zeit des Marz oder April erreicht. Wo diese Windstillen sind, regnet es immer- fort und die Karte zeigt, dass sie in der Breite von Panama vom Ju- ni bis zum November verweilen; so lange dauert also die Regenzeit in Panama. Den übrigen Theil des Jahres befindet sich jener Platz in der Region der Nordost-Passate, welche, ehe sie dorthin gelan- gen, die Berge des Isthmus übersteigen müssen. Auf den kalten Gipfeln derselben lassen sie ihre Feuchtigkeit zurück und so be- hält Panamä ein regenfreies, angenehmes Wetter, bis die Sonne mit dem hinter ihr herziehenden Gürtel der Aequatorial -Calmen nach Norden zurückkehrt. Sie treiben dann den Gürtel der Nord- ost-Passate weiter nach Norden, nehmen einen Theil der Winter- zone ein und erfrischen jenen Theil der Erde mit Sommerregen. Dieser Calmengürtel bewegt sich um mehr als das Doppelte sei- ner Breite und fast die ganze Bewegung von Süden nach Norden erfolgt im Allgemeinen in den 2 Monaten Mai und Juni. Man wähle den Parallelkreis von 4° NB. zu einem Beispiel. Während dieser beiden Monate durchkreuzt der ganze Calmen- gürtel diesen Parallelkreis und lässt ihn in der Region der Südost- Moussons. Während dieser zwei Monate hat es dort stark gereg- net. Nachdem die Calmenzone darüber hinausgerückt ist, hört der Regen auf und feuchtes Wetter tritt erst wieder ein, wenn der Calmengürtel auf seinem Wege nach Süden abermals durch die- sen Parallelkreis zieht. Auf jeder guten ,, Passat- Karte‘“ kann man so die Breiten, welche zwei Regenzeiten haben, aufsuchen, und wird z. B. Bogota innerhalb derselben finden. Regenlose Gegenden. — Die Küste von Peru liegt in der Region beständiger Südost-Passate. Obgleich sich diese Ge- stade an dem Rande des grossen Südseekessels befindet, so regnet es doch dort niemals. Der Grund ist einleuchtend. Die Südost- Passate im atlantischen Ocean bestreichen zuerst die Gewässer an der afrikanischen Küste. Nach Nordwesten ziehend, wehen sie quer über den Ocean, bis sie die brasilianische Küste erreichen. Unterdessen haben sie sich ganz mit Wasserdampf angefüllt, den sie quer über den Continent hinwegführen und auf ihrem Wege ab- setzen, so dass davon die Quellen des Rio de la Plata und die süd- lichen Nebenflüsse des Amazonenflusses gefüllt werden. Endlich erreichen sie die schneebedeckten Gipfel der Anden und der letzte Rest von Feuchtigkeit, den nur die dortige tiefe Temperatur ihnen auspressen kann, wird ihnen nun entzogen. Nachdem sie den SO Die physische Geographie des Meeres. Kamm jener Kette erreicht haben, wälzen sie sich nun als trockne, kalte Winde an den dem Stillen Ocean zuliegenden Bergabhängen hinunter. Da sie keine Dampf erzeugende Oberfläche und keine Temperatur, welche die, der sie auf den Berggipfeln ausgesetzt waren, an Kälte überträfe, vorfinden, so erreichen sie den Ocean, ehe sie von Neuem mit Wasserdampf beladen sind und ehe also das Clima Perus ihnen irgend welche Feuchtigkeit entziehen kann. So sehen wir die Andesgipfel zu einem Wasserbehälter werden, der die Flüsse Chilis und Perus füllt. Die andern regenlosen oder fast regenlosen Gegenden sind die westlichen Küsten Mexikos, und die Wüsten Afrikas, Asiens, Nord-Amerikas und Australiens. Man studire nun die geographi- sche Gestaltung des jene Regionen umgebenden Landes ; man sehe, wie die Gebirgszüge laufen; danach betrachte man Tafel VII und XI um zu sehen, wie die Winde wehen und wo die Quellen sind, die sie mit Dämpfen füllen. Die Tafel VII zeigt die vorwiegende Richtung des Windes nur auf dem Meere an; kennt man ihn aber da, so kann man Schlüsse auf die Continentalwinde machen. Setzt man voraus, dass er auf dem Lande wie in den entsprechenden Breiten auf der See vorherrsche , so wird die Tafel ohne Mühe an- geben, wie die Winde, die über diese Wüsten wehen, ihrer Feuch- tigkeit beraubt wurden oder wie ihnen wenigstens soviel davon ent- zogen wurde, dass ihr Thaupunkt unter die Temperatur der Wüste herabsank; denn die Luft kann ihre Feuchtigkeit nie abgeben, wenn ihre Temperatur höher ist als ihr Thaupunkt. Wir haben eine regenlose Gegend um das rothe Meer, weil dasselbe grösstentheils innerhalb der Nordost-Passat Gegend liegt und weil diese Winde, wenn sie diese Gegend erreichen, noch trocken sind, da sie in ihrem Laufe über keine weiten Wasser- becken, aus denen sie Dämpfe hätten schöpfen können, hinweg- gezogen sind. Der grösste Theil Neu-Hollands liegt in der Südost - Passat Gegend; ebenso der grössere Theil des zwischen den Wendekreisen liegenden Süd-Amerika. Das letztere ist aber das Land der Regen- güsse. Dort sind die grössten Ströme, die am reichsten bewässerten Gegenden der Welt zu finden, während in Australien fast genau das Gegentheil stattfindet. Woher dieser Unterschied? Man unter- suche die Richtung der Winde mit Bezug auf die Küstenlinie die- ser zwei Gegenden und die Erklärung wird auf einmal einleuchten. Die Ostküste Australiens streckt sich in der Richtung der Passate Die Atmosphäre. 81 aus; die Ostküste Süd-Amerikas steht auf der Richtung derselben senkrecht. In Australien befransen sie gleichsam diese Küste mit ihren Dämpfen und kargen so sehr mit ihren Regengüssen gegen das dürstende Land, dass die Bäume nicht einmal im Stande sind, ihre Blätter vor der Sonne auszubreiten, denn sie dampft ihnen alle Feuchtigkeit ab. Wie durch Instinkt kehren sie daher ihre scharfe Kante der Sonne zu. In Amerika, wo sie senkrecht auf die Küste wehen, durchdringen sie den innersten Kern des Landes mit ihrer Feuchtigkeit. Hier kehren die Blätter — z. B. des Pisang — ihre breite Seite der Sonne zu und bewerben sich um ihre Strahlen. Warum fällt auf der einen Seite eines Berges mehr Regen, als auf derandern? Wir können nun aus dem Gesagten ersehen, warum die Anden und alle andern Berge, welche von Norden nach Süden laufen , eine trockene und eine Regenseite haben und wie die in jeder Breite vorherrschenden Winde be- stimmen, welches die trockene und welches die feuchte Seite ist. Wahlen wir die Südküste Chili’s zu einem Beispiel. Wenn in unserer Sommerzeit die Sonne nach Norden kommt und ihre Gür- tel von beständigen Winden und Calmen mit sich zieht, so bleibt die Küste innerhalb der Region der den Südostpassaten entgegen- strömenden Nordwest Winde. Diese, von der Wintertemperatur des Hochlands von Chili erkältet, geben ihre Feuchtigkeit reichlich ab. Während des übrigen Jahres befindet sich der grösste Theil von Chili in der Region der Südostpassate und dieselben Ursachen, welche in Californien den Regen verhindern und vertreiben, wirken auch in Chili; es ist nur die trockene Jahreszeit an dem einen Ort die Regenzeit eines andern. So sehen wir, dass die Wetterseite aller solcher Berge, wie die Anden zugleich die feuchte und die Leeseite die trockene ist. Dieselbe Erscheinung wiederholt sich aus gleicher Ursache in dem tropischen Indien, nur dass in jenem Lande jede Seite des Gebirges durch einen Wechsel in der vorherrschenden Richtung des Windes, abwechselnd zur feuchten oder trockenen wird. Die Tafel VII zeigt, dass Indien sich innerhalb der Mousson-Regionen befindet: ja Indien ist die merkwürdigste von allen. Vom Oktober bis April herrschen die Nordostpassate vor. Sie sammeln aus dem Busen von Bengalen eine hinreichende Menge von Wasserdämpfen, um während dieser Jahreszeit die westlichen Ufer dieser Bai und die Ghatsgebirge mit Regen zu versorgen. Diese Bergkette steht zu diesen Winden in demselben Verhältniss, wie die Anden von Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. 6 82 Die physische Geographie des Meeres. Peru zu den Südostpassaten ; sie kühlt sie zunächst ab, entledigt sie dann ihrer Feuchtigkeit und sie wälzen sich nun an den West- abhängen des Gahtsgebirges, wie in Peru, kalt, regenlos und dürr herab. Desshalb würde jener schmale Streifen Landes zwischen den Ghatsbergen und dem arabischen Meere, gleich dem in Peru zwi- schen den Anden und dem stillen Ocean, niemals Regen haben, wenn nicht noch andere Umstände in Indien mitwirkten, die in Peru fehlen. Die Wirkung dieser Kräfte, auf welche ich anspiele, zeigt sich in den Moussons; diese herrschen nämlich in Indien vor, aber nicht in Peru. Nachdem die Nordost-Passate ihre Periode, welche in Indien im April abschliesst, hindurch geweht haben, werden die grossen dürren Hochebenen Centralasiens, der Tartarei, Thibets und der Mongolei erhitzt, wirken auf diese Nordostpassate zurück, drehen sie herum und verwandeln sie während des Sommers und zu An- fang des Herbstes in Südwest-Passate. Diese kommen dann vom indischen Ocean und dem arabischen Meer mit Feuchtigkeit gesät- tigt, stossen damit senkrecht auf die Ghatsgebirge und schlagen auf jenem schmalen Streifen Landes zwischen dieser Gebirgskette und dem arabischen Meere eine ganz erstaunliche Masse Wassers nieder. Nicht bloss alle Bedingungen zur Regenerzeugung finden sich also hier bald westlich, bald östlich von der Gebirgskette vor, sondern auch alle einen äusserst reichlichen Niederschlag begünstigende Umstände. Wenn wir demgemäss Regenmesser und meteorologische Beobachter in Indien über die Menge des fallenden Regens befra- gen, so berichten sie, dass derselbe an den Westabhängen der Ghats- berge bisweilen binnen 24 Stunden die ausserordentliche Höhe von 12, ja von 15 Zoll erreicht. *) Diese Winde setzen dann ihren Lauf nach dem Himalaya als trockene Winde fort. Indem sie dieses Gebirge übersteigen, sind sie einer tiefern Temperatur als der auf den Ghatsbergen ausgesetzt. Sie setzen also noch mehr Feuchtigkeit in Regen oder Schneeform ab und treten dann in das dahinter liegende Land mit so wenig Dunstgehalt ein, dass sie kaum eine Wolke zu bilden vermögen. Von da steigen sie in die obere Luft empor, um in dem allgemei- nen System des atmosphärischen Kreislaufs zu Gegenströmungen *) Keith Johnston. Vgl. andere Beispiele bei Kämtz, Vorl. über Meteor. S. 165. In Genua sollen einmal 30 Zoll in derselben Zeit gefallen sein. Vel. noch Berghaus a. a. O. I. 276. Die Atmosphäre. 53 zu werden. Aus einer nähern Ansicht der VII. Tafel, wo die Re- sionen ohne Regen und die innern Continental-Becken und zu- gleich die Bahnen der vorherrschenden Winde angegeben sind, werden diese Thatsachen erhellen. Die Gegenden des grössten Niederschlags. — Wenn die Ansichten, welche ich zu entwickeln suchte, richtig sind, so wird man auch bestimmen können , in welchen Gegenden des Erd- balls die grössten Regenmassen niederfallen. Sie müssten sich an den Abhängen derjenigen Gebirge zeigen, wo die Passate nach einem Wege über eine weite Meerestrecke, zuerst anprallen. Je steiler die Erhebung und je kürzer die Distanz zwischen Gebirgs- kamm und Ocean, desto grösser der Belauf des Niederschlags. Fangen wir daher auf dem Parallel vom 30° NB. im stillen Meere da an, wo die Passate dieses Meer zuerst treffen und verfol- gen wir ihren Kreislauf bis zu der Stelle, wo sie zuerst auf hohe Berge stossen, so müssen wir eine solche Region mit emem Regen- maximum finden. Wir gelangen aber auf der bezeichneten Bahn in die Gegend der Aequatorcalmen in der Nähe der Karolinen. Hier steigen die Passate empor; aber anstatt in den obern Wind- schichten durch die südliche Hemisphäre denselben Curs zu ver- folgen, schlagen sie in Folge der Erdrotation einen südöstlichen Weg ein. Sie bleiben in dieser obern Schicht bis sie die Calmen des Steinbocks zwischen dem 30. und 40. Grad erreichen, wonach sie die vorherrschenden Nordwestwinde der südlichen Breiten werden, welche dem Südwest der nördlichen entsprechen. Immer weiter nach Südosten wehend, werden sie nun Oberflächenwinde; sie gelangen in kältere Regionen und plötzlich wird ihnen der Weg von der Andeskette Patagoniens gesperrt. Diese kalten Gipfel comprimiren die Feuchtigkeit und der tiefliegende Thaupunkt drückt ihnen, gleichsam wie einem Schwamme, das Wasser aus. Der Kapitän King fand hier den erstaunlichen Niederschlag von beinahe 13 Fuss (151 Zoll) innerhalb 41 Tagen (also täglich 3,683" !) und Darwin berichtet, dass das Meerwasser längs diesen Gestaden Südamerikas bisweilen ganz süss ist, so ungeheure Massen Regens sind auf dasselbe niedergestürzt. Wir sollten eine entsprechende Regengegend im Norden von Oregon erwarten; aber hier sind die Berge nicht so hoch, der den Südwest Winden entgegenstehende Bergwall ist nicht so steil, die Hochebenen liegen weiter von der Küste ab und die Luft, welche diese Winde in ihrem Kreislauf jenem Theil der Küste zuführen, 6* S4 Die physische Geographie des Meeres. wenn sie auch wie in Patagonien mit Feuchtigkeit schwer beladen sind, finden ein weiter ausgedehntes Land, auf das sie ihre Regen- menge vertheilen können, desshalb beträgt auch der Regenfall auf den Quadratzoll nicht soviel. *) Auf gleiche Weise vermögen wir anzugeben, wo die gleichför- migsten Klimaten auf der Erde zu finden sind. Sie liegen in den Aequatorialcalmen, wo die Nordost- und Südostpassate frisch vom Ocean her sich begegnen und die Temperatur unter einem Bal- dachin perpetuirlicher Wolken gleichförmig erhalten. Menge der Verdunstung. — Der auf der ganzen Erd- oberfläche fallende Regen wird jährlich auf ungefähr 5 Fuss ge- schätzt. Eine Wassermasse, welche hinreicht, die Erde jährlich mit ungefähr 5 Fuss hohem Regen zu bedecken, in Dampf zu verwan- deln, diese Dämpfe von einer Zone zur andern zu führen und sie an den rechten Stellen, zu passenden Zeiten und in den gehörigen Verhältnissen niederzuschlagen, das Alles hat die grosse Maschine des Luftkreises zu leisten. Dieses Wasser verdunstet vorzugsweise in der heissen Zone. Nehmen wir an, dass aller Dampf von da komme, so haben wir einen 3000 Meilen breiten Meeresgürtel um die Erde, von welchem die Atmosphäre jährlich eine 16 Fuss tiefe Wasserschicht abzudampfen hätte. **) Und wahrlich, es ist keine kleine Arbeit jener unsichtbaren Maschine, alljährlich alles Wasser eines 16 Fuss tiefen, 3000 Meilen breiten und 24000 Meilen langen Sees ***) in die Wolken empor zu heben und wieder nieder zu schlagen ! > Der Sekretär Dr. Buist giebt in seinem, der Gesellschaft vor- gelegten Jahresbericht +), der Autorität des Herrn Laidly folgend, die jährliche Verdunstung zu Calcutta auf ungefähr 15 Fuss an; *) Ich habe durch die Güte des Hrn. A. Holbrook, Anwalt der Ver. St. für Oregon, die Nummer des ,,Oregon Spectator‘‘ (vom 13. Febr. 1851) erhalten, welche G. H. Atkinson’s Meteorologisches Journal für den Monat Januar 1851, das er in der Stadt Oregon geführt hat, enthält. Die Quantität Regen und Schnee beträgt in diesem Monat 13,63 Zoll oder ungefähr “, der Menge, welche in Washington durchschnittlich während eines ganzen Jahres fällt. **) Der Erdgürtel zwischen den Wendekreisen ist ungefähr 46° 50, d. h., den Grad = 69,042 engl. Meilen gerechnet, 3241,2. engl. Meilen breit. Da nun diese Zone etwa *”/,., der Erdoberfläche einnimmt, so erseheint mir obige An- gabe von 16’ noch etwas zu niedrig. (D. Ueb.). ***) Wenigstens 1152 Millionen Kubikfuss. +) Transactions of the Bombay Geographical Society, vom Mai 1849 bis August 1850, 9. Band. YY —— — Die Atmosphäre. 85 die zwischen dem Cap und Calcutta beträgt nach ihm im Oktober und November fast %, Zoll täglich; in der Bai von Bengalen zwi- schen dem 10. und 20. Grad fand man, dass sie täglich mehr als einen Zoll betrug. Wenn wir annehmen, — fährt Dr. Buist fort — dass dies das Doppelte der für das ganze Jahr berechneten mittlern Verdunstung sei, so ergeben sich dafür ungefähr 1S Fuss. Wenn man in Hinblick auf die in Indien direkt beobachtete tägliche Verdunstungsmenge sich daran erinnert, dass die Jahres- zeiten sich dort in nasse und trockene theilen, dass in der trockenen die Evaporation auf dem indischen Ocean wegen seiner hohen Tem- peratur und auch wegen der Wärme und Trockenheit des Windes vielleicht ebenso schnell vor sich geht, als sonst irgend wo auf der Erde; wenn wir überdiess erwägen, dass die gewöhnlichen Passat- regionen auf dem Meere grösstentheils wenig Regen haben, dass die Verdunstung in ihnen ferner das ganze Jahr hindurch erfolgt, so glauben wir die Schätzung hinlänglich begründet zu haben, wo- nach in den Passatregionen des Oceans jährlich 16 Fuss verdunsten. Die vorstehenden Bemerkungen werfen aber zugleich einiges Licht auf einen ganz andern Gegenstand; wir ahnen nämlich, warum das Verhältniss zwischen Land und Wasser auf Erden so ist, wie wir es finden, warum die Meereswüste gerade Gegenden bedeckt, wo Millionen sich eines herrlichen Klimas erfreuen könn- ten. Wäre mehr Wasser vorhanden, so gäbe es mehr Regen und umgekehrt; die gesanımten Klimate der Erde würden gewaltig modifieirt werden und die animalische und vegetabilische Welt würde sich ganz anders gestalten. Doch wie sie sind, so schuf sie der Allweise, der mit seiner allgütigen Vorsehung alle Dinge dieser Welt überwacht, so dass er auf den Sperling achtet, der vom Dache fällt und die Haare zählt auf unserm Haupte. Es entzückt unsern Geist und bezaubert unsere Phantasie die physische Weltordnung von solchen Gesichtspunkten, wie der vor- liegende, zu betrachten, und Alles, Land, Luft und Meer auf die Idee des Einen Allwissenden zurückzuführen, so dass ein Jegliches in der grossen Weltenmaschine ebenso an seine Stelle passt, wie jedes Theilchen eines Chronometers sich Einem menschlichen Plane fügt. In einigen Theilen der Erde ist der Niederschlag grösser, als die Verdunstung; man kann demnach die von jedem Strome dem Meere zugeführte Wassermasse als den in dem Stromgebiete dessel- ben stattfindenden Ueberschuss des Niederschlags über die Evapo- S6 Die physische Geographie des Meeres. ration ansehen. Dieser Ueberschuss kommt vom Meere; die Winde führen ihn in das Innere der Continente und die Schwerkraft, die ihn in Bergtorrenten fortwälzt oder als friedlichen Fluss sanft in weiten Thälern fortgeleitet, bringt endlich Alles in das Meer zurück. In andern Theilen der Erde ist die Verdunstung dem Nieder- schlage vollkommen gleich, wie z. B. in jenen Binnenländern , wo die Stadt Mexico, der Titicaca See, der Caspi See u. s. w. liegen. Diese Becken haben keinen Abfluss nach dem Ocean. Fiele im Stromgebiete des Caspi Sees mehr Regen, als an Wasser dort ver- dunstet, so müsste er steigen und zuletzt über den Rand seines Beckens fliessen. Im umgekehrten Falle müsste er austrocknen und Pflanzen und Thiere würden verdürsten. Wir erblicken daher in den Wasserflächen, welche wir über dies und jenes bewohnbare Binnenland verbreitet sehen, ebenso viele Dunstbehälter oder eva- porirende Flächen, die den Grad von Feuchtigkeit hervorzubringen vermögen, welche dem Wohlergehen seiner organischen Welt an- gemessen ist. In noch andern Theilen der Erde wie z. B. in der Wüste Za- hara, finden wir Stellen, wo weder eine Verdunstung noch ein Nie- derschlag Statt findet; mit ihnen fehlt dann auch die Pflanzen- und Thierwelt. *) Harmonie der physischen Welt. — Wenn man diese Angemessenheit der irdischen Schöpfung betrachtet, so lernt man die Gebirge und Wüsten der Erde anschauen, wie der Astronom das Gegengewicht seines Teleskops anschaut — es mag immerhin eine todte Masse sein, dennoch ist es zur Herstellung des Gleich- gewichts, zur vollkommenen Einrichtung seimes Mechanismus noth- wendig. Dieses Gleichgewicht macht die Bewegung leicht, giebt dem ganzen Instrument Stabilität und befördert die Genauigkeit der Messung. Es ist eine Ausgleichung. Wohin ich aber blicke in der grossen Schöpfung da erstaune ich über dasselbe System der Ausgleichung, tiber die Genauigkeit und Schönheit, mit der jedes Gebiet gegen alle andern abgegränzt ist. Die Dinge und ihre Prin- cipien sind in den verschiedensten Richtungen ausgemessen , aber in so genau balancirten, so haarscharf angepassten Verhältnissen, dass wundervoll harmonische Resultate sich ergeben. Durch die Thätigkeit entgegengesetzter und sich compensirender Kräfte bleibt *) Merkwürdige Beispiele grosser Trockenheit findet man im Kosmos I, 360. Vgl. Ansichten der Natur I, 26 etc. (D. Ueb.) Die Atmosphiire. 87 die Erde in ihrer Bahn, wie wenn sie in festgelegten Schienen liefe ; durch sie kommen nach Jahrtausenden Sonne, Mond und jeder Stern am Firmamente in einer bestimmten Zeitsekunde an ihre passende Stelle. Ja die Naturgeschichte lehrt uns, dass, ais das Schneeglöck- chen, welches wir auf unsern Gartenbeeten sein schönes Köpfchen erheben sehen, um uns des Frühlings Ankunft zu verkünden, ge- schaffen wurde, dass da die ganze Masse der Erde von Pol zu Pol, vom Umfang bis zum Mittelpunkt abgewogen und ausgemessen wurde, damit selbst den Fasern dieses Pflänzchens die wohlange- messene Stärke gegeben werden möge. Die Botaniker erzählen, dass diese Pflanze so eingerichtet ist, dass in einem gewissen Sta- dium ihres Wachsthums der Stengel sich krümmen und die Blume ihr Haupt niederbeugen muss, damit die Befruchtung vor sich gehen kann, und dass danach ihr vegetabilisches Leben wieder eine aufrechte Stellung verlangt. Wäre nun die Masse der Erde grösser oder kleiner, so änderte sich zugleich die Schwerkraft; die Kraft der Faser im Schneeglöckchen würde nun zu schwach oder zu gross werden; die Pflanze könnte ihren Kopf nicht zur rechten Zeit senken oder heben, die Befruchtung fände nicht statt und das erste Pflänzchen wäre auch das letzte, weil sein Samen nicht in ihm wäre und es sich also auch nicht fortpflanzen könnte. Sehen wir nun eine so vollkommene Zweckmässigkeit in einer der kleinsten Blumen des Feldes, um wie viel mehr müssen wir dann eine ‚„‚Compensation‘‘ in der Atmosphäre und dem Ocean er- warten, von deren rechter Anpassung und zweckgemässer Zusam- menwirkung nicht blos das Leben dieses Pflänzchens, sondern das Wohlergehen jedes Wesens in der gesammten Pflanzen- und Thier- welt der Erde abhängt! — Wenn die Ostwinde eine Weile an der atlantischen Küste hin- wehen, bringen sie den nordamerikanischen Gestaden eine mit Dunst gesättigte Luft vom Golfstrom her und man klagt dort über die schwüle und drückende Atmosphäre; der Kränkelnde siecht um so mehr und der Gesunde fühlt sich unwohl, weil die Luft, die er einathmet schon so mit Feuchtigkeit gesättigt ist, dass sie die seinen Lungen zugeführte und dieselben belästigende Feuchtigkeit nicht in sich aufnehmen und mit sich fortführen kann. Zu andern Zeiten ist die Luft trocken und heiss; er fühlt, dass sie die seiner Lunge vom Blute zugeführten Stoffe zu schnell entführt; es er- Ss Die physische Geographie des Meeres. wacht der Gedanke in ihm, dass die Luft ihn auszehre und er hat eine Empfindung des Brennens. Betrachten wir also die gesammte Anordnung und Anpassung der physischen Kräfte, nehmen wir nur einen Augenblick an, dass die Dunstcapacität der Luft, das Verhältniss zwischen Land und Wasser, ja nur zwischen Hochland und Tiefland sich ändere, so beten wir um so mehr die Weisheit Gottes an, welche Alles, Land, Wasser und Wüste, in das genaueste Gleichgewicht zu setzen wusste. Wäre es nicht so, warum ward den Winden die Kraft ge- geben, die Feuchtigkeit empor und davon zu tragen oder dem Meere die Eigenschaft, dass seine Gewässer erst Dampf und dann frucht- barer Regen oder milder Thau werden? Wenn die Verhältnisse und Eigenschaften des Landes, der See und der Luft, nicht den wech- selseitigen Befähigungen aller zur Ausführung ihrer Funktionen angepasst worden wären, warum würde uns denn gesagt, dass er „die Wasser mit der Faust misset und fasset den Himmel mit der Spanne und begreift die Erde mit einem Dreiling und wiegt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Wage? << *) Umspannt er nicht die Himmel, um der Atmosphäre ihr genaues Verhältniss zu dem ganzen Erdball zuzumessen und ihr die Eigen- schaften und Kräfte zu ertheilen, die sie zur Verrichtung ihrer Dienste, zur Erfüllung ihrer Pflichten nothwendig brauchte? Harmonisch zusammenwirkend, sind Erde und Luft dem Ge- setz gehorsam und fügen sich der Ordnung in allen ihren Bewe- gungen; befragen wir sie über die Erfüllung ihrer Pflichten, so geben sie uns manche lehrreiche Antwort über die Wunder der Tiefe, die Geheimnisse des Himmels, über die Grösse, Allweisheit und Allgüte unseres Schöpfers. Die Durchforschung des sich weit dehnenden Zirkels der Wind- und Wellenerscheinungen steht an heilsamen und lehrreichen Resultaten keiner andern nach. Man sagt, der Astronom sehe von seiner Warte die Hand Gottes am Himmel, aber hört nicht der rechtschaffene Seemann, welcher über diese Phänomene auf seinem Borde nachsinnt, Gottes Stimme in jeder Welle, die in ihre Hände klatscht, fühlt er nicht seine Ge- genwart in jedem Lüftchen, das ihn anhaucht? *) Jesaia, 40, 12. Who has measured the waters in the hollow of his hand, and metedout heaven with the span and comprehended the dust of the earth in a measure, and weighed the mountains in scales and the hills in a balance ? — Rothe Nebel und Seestaub. 89 Viertes Kapitel. Rothe Nebel und Seestaub. Wo werden sie gefunden? — Sie signalisiren den Wind. — Wo werden sie in die Almosphäre aufgenommen ?— Schlüsse die sich aus dem Vorkommen des Seestaubs ziehen lassen. — In wie- fern steht er mit der Theorie der atmosphärischen Circulation in engstem Zusammenhang. — Er deutet auf ein Wirken magnelischer Krifle hin. Die Seeleute erzählen von ,,rothen Nebeln‘‘, denen sie biswei- len, besonders in der Nachbarschaft der Capverdischen Inseln, be- gegnen. An andern Stellen des Meeres treffen sie auch Staub- meteore. Was diese Regengüsse auf dem Mittelmeere nieder- schlagen wird ,, Siroccostaub‘* und anderwärts ,, Afrikanischer Staub “* genannt, weil die das Phänomen begleitenden Winde von der Siroccowüste oder irgend einem andern versengten Land- strich des afrıkanischen Continents herkommen sollen. Der Staub selbst ist ziegelroth oder zimmtfarben und fällt zuweilen in solcher Menge, dass er die Segel und Taue förmlich bedeckt, obschon das Schiff vielleicht mehrere hundert Meilen vom Lande entfernt ist. Der geneigte Leser, der in den vorhergehenden Kapiteln mit mir dem Winde in seinen Kreisbahnen zu folgen suchte, wird nun bemerken, dass noch ein Beweis fehlt, um die vorläufige Conjektur als eine Thatsache hinstellen zu können, dass die Nordost- und Südost-Passate, nachdem sie sich in den Windstillen am Aequator begegnet und emporgestiegen sind, sich kreuzen und die auf der ersten Tafel mit C und @ bezeichneten Bahnen einschlagen. Man hat nach vielen Gründen, Beweisformen und Darlegun- gen sich umgesehen, um es nach menschlichem Urtheil höchst wahrscheinlich zu machen, dass es sich so verhält; doch so trefflich auch die theoretischen Beweisführungen für eine Hypothese sein mögen, so wird ein positiver, sich auf Fakta stützender Beweis doch stets mit Freuden und grosser Befriedigung aufgenommen. Wenn es möglich wäre ein Theilchen der Luft, die in den Süd- ost-Passaten weht, als Repräsentanten der atmosphärischen Circu- lation herauszugreifen und irgend ein Signal der Luftströmung so beizugeben, dass wir sie an demselben immer wieder erkennen könnten, so könnten wir geradezu durch den Augenschein die Ca- näle bezeichnen, durch welche die Luft der Passate, nachdem sie am Aequator emporgestiegen ist, dahin, woher sie gekommen ist, zurückkehrt. Aber die Luft ist unsichtbar und es ist schwer zu 90 Die physische Geographie des Meeres. begreifen, wie Marken oder Kerbhölzer in ihr angebracht werden können, damit man an ihnen die Bahn des Windes verfolgen könne. Der Zweifler, dem es schwer ankommt, an die auf Tafel I dargestellte Circulation zu glauben, wird dies vor Allem für un- möglich halten und vielleicht erklären, von seinem Unglauben zu lassen, wenn wirklich solche Zeichen in die Luft gebracht und an andern Punkten der Erdoberfläche gefunden würden. Dies aber — so schwierig es zu sein scheint — geschieht dennoch. *) Ehrenberg hat es mit seinem Mikroskop fast ausser allen Zweifel gestellt, dass die von den Südost-Winden dem Aequator zugeführte Luft dort aufsteigt und in die nördliche Hemisphäre übergeht. Die Sirocco- oder afrikanischen Staubatome, die er so sorgfältig beobachtet hat, haben sich als solche dem Winde in der andern Hemisphäre beigesellte Merkzeichen erwiesen und sein schönes Instrument befähigt uns, die Marken an diesen kleinen Kerbhöl- zern ebenso deutlich aufzufinden, als wenn sie auf Holztäfelchen geschrieben und diese dem Winde angebunden worden wären. Aus mikroskopischen Untersuchungen ergiebt sich nämlich, dass dieser Passatstaub aus Infusorien und Organismen besteht, deren Hei- math nicht Afrıka, sondern Südamerika und zwar die Südost- Passat-Region Südamerikas ist. Prof. Ehrenberg hat Proben des Seestaubs von den capverdischen Inseln und aus ihrer Nähe, von Malta, Genua, Lyon und Tirol untersucht und eine solche Aehn- lichkeit zwischen allen gefunden, als wenn diese Proben unmittel- bar von ein und demselben Haufen weggenommen worden wären. Südamerikanische Formen erkennt er in allen wieder; diese herr- schen thatsächlich in jedem von ihm untersuchten Exemplare vor. Man kann es daher jetzt, wie ich glaube, als eine feststehende That- sache ansehen, dass eine obere Luftströmung ununterbrochen von Südamerika nach Nordafrika geht; dass aber das in diesen Strö- men nordwärts fliessende Luftvolumen dem mit den Nordostpassa- ten südwärts strömenden nahebei gleich ist, dürfte wohl nicht zu bezweifeln sein. Man hat bemerkt, dass der ,,Regenstaub‘‘ am häufigsten im Frühling und Herbst fällt, d. h. nach den Aequinoktien, aber nicht in ganz gleichen Perioden, denn bald zeigt er sich schon 30, bald erst 60 Tage nach denselben. Um diese Art periodischen Erschei- nens dieser ‚‚Staubregen‘, im eigentlichsten Sinne, zu erklären, *) Vgl. auch Kämtz, a. a. O. 8. 52. Rothe Nebel und Seestaub. 91 hält es Ehrenberg fiir nothwendig, ein Staubgewölk anzunehmen, dass durch continuirliche Luftstréme in der Atmosphäre schwim- mend erhalten wird und zwar in der Region der Passate, doch so, dass es partiell und periodisch etwas von seiner Stelle abgelenkt wird. Die Regenzeit selbst zieht zugleich mit dem zwischen den Passaten liegenden Calmengiirtel auf und nieder. Von den Ursachen dieser Erscheinung wird noch gesprochen werden. Der Staub wird wahrscheinlich in der trockenen und nicht in der Regenperiode aufgenommen. Anstatt daher in Gewölken, doch so, dass er partiell und periodisch abgelenkt wird, schwebend erhalten zu werden, wie Ehrenberg will, kommt er wohl vielmehr von einer Stelle um die Frühlings- und von einer andern um die Herbst-Aequinoktien; denn Plätze, wo in der einen Tag- und Nachtgleiche die Regenzeit ein- tritt, haben in der andern ihre trockene Zeit. | Zur Zeit der Frühlingsäquinoktien hat das Thal des untern Orinoco seine trockene Jahreszeit; alles verdorrt in der tropischen Glut; alle Teiche sind ausgetrocknet, die Marschen und Ebenen sind dürre Wüsten. Alle Vegetation hat aufgehört; ,,wie im Nor- den die Thiere durch Kälte erstarren, so schlummert hier unbe- weglich das Crocodil und die Boaschlange, tief vergraben in trocke- nen Letten;‘‘ das Summen der Insekten ist erstorben, überall herrscht im Thale die Stille des Todes. In solcher Gluthitze wirbelt der leichteste Luftzug den Staub aus den ausgetrockneten Lachen und Teichen auf; heisse staubige Erde schwebt über der braunen Savanne und der Wind hebt Beides wie Wolken in die Luft empor. Wirbelwinde, Stürme und Torna- dors von entsetzlicher Gewalt tosen in dieser Jahreszeit in diesen Regionen über die Erdoberfläche hin, die mit feinen, federleichten Ueberresten animalischer und vegetabilischer Organismen über- streut ist. Dies ist die Periode der allgemeinen atmosphärischen Störungen, welche die Aequinoktien charakterisiren. Sollten solche Bedingungen nicht hinreichend erscheinen, um jenen ‚‚Staub‘‘ für die Frühlingregen zu liefern. In der Periode der Herbsnachtgleichen ist eine andere Partie des Amazonenbeckens vertrocknet und Winden ausgesetzt , welche die Luft mit Staub und Resten todten Thier- und Pflanzenstoffes erfüllen ; diese überaus feinen Organismen, welche jede Regenzeit ins Leben ruft, und die wieder in der darauf folgenden Periode der Dürre zerfallen, werden vielleicht durch die bei der während der 92 Die physische Geographie des Meeres. - Trockenheit vor sich gehenden Zersetzung erzeugten Gase noch aus- gedehnt und leichter gemacht. Könnten also nicht solche Wirbelwinde Regenstaub empor- führen, welcher im April und Mai in der nördlichen Hemisphäre niederfällt? Und sollten die atmosphärischen Störungen, welche die Herbstnachtgleichen begleiten, nicht mikroskopische Organis- men aus dem obern Orinoko und dem grossen Amazonenbecken für die Regenschauer des Octobers fortführen. *) Die Farbe des Passatstaubes, so wie er in Päckchen gesam- melt Herrn Ehrenberg zugesandt wurde, war ‚‚ziegelroth‘‘ oder „‚ockergelb‘‘; als ihn v. Humboldt in der Luft beobachtete, zeigte er einen hellern Farbenton und theilte, wie H. sagt, der Atmosphäre eine Strohfarbe mit. Als ich Spinnefäden für das Fadenkreuz mei- nes Fernrohrs suchte, fand ich die feinsten und besten in einem Gewebe von schmutzigrother Farbe, aber einzeln im Fernrohr an- gesehen erschienen die Fäden dieses Kokons goldfarben ; es dürfte daher wohl nicht schwer fallen , diese Widersprüche in den Farben des Regenstaubs, je nachdem er in kleinen Haufen durch das Mi- kroskop oder in dünnen Schichten frei in der Luft schwimmend von Reisenden beobachtet wird, zu lösen und zu vereinigen. Ein Faden scheint uns also hier in die Hand gegeben, der so dünn und unhaltbar er auch den ersten Augenblick erscheint, doch greifbar und stark genug ist, um uns längs der ,, Wendungen des Windes“ fortzugeleiten, bis wir in ,,die Kammern des Südens‘‘ gelangen. Das häufige Niederfallen des ,,Regenstaubes‘‘ zwischen den Parallelen von 17 und 25° NB. und in der Nähe der capverdischen Inseln ist für die mikroskopischen Untersuchungen, in Verbindung mit denen auf der Sternwarte, von ganz besonderer Bedeutung. Die Gränzen des Nordrandes der Nordost-Passatwinde sind ihrer geogr. Breitenach variabel. Im Frühling liegen sie dem Aequator am nächsten, indem sie in dieser Jahreszeit bisweilen nicht über den 15. Grad nördl. Breite hinausgehen. Die Breite der Calmen des Krebses ist auch veränderlich, wie ihre Gränzen; diese Zone vi- brirt, der Jahreszeit nach, zwischen den Parallelen des 17. und 38. Grades nördl. Breite. Nach meiner auf Untersuchungen be- gründeten Hypothese ist dies die Zone, in welcher die obern atmo- *) Zur Charakteristik des Gegensatzes der trockenen Jahreszeit in jenen tro- pischen Gegenden übersetzt Maury die herrliche Schilderung aus Humboldt’s Ansichten der Natur Bd. I, S. 26—29 (3. Ausg. 1849). Rothe Nebel und Seestaub. 93 sphärischen Ströme, die in den Aequatorialcalmen aufsteigen und nordwärts und ostwärts flossen, sich wieder senken. In diesem Gürtel sehen wir also die Luftschichten, die den Passatstaub oder afrikanischen Staub mit sich führen, zur Erdoberfläche herabsin- ken und hier kann man natürlich ein Niederfallen dieses Staubes am Ersten erwarten. Im dieser Zone liegen aber die capverdischen Inseln und zwar in der Richtung, welche die Theorie dem obern Luft- strome mit seinem Staube vom Orinoko und Amazonenstrome aus beimisst, und hier zeigen sich auch in Uebereinstimmung mit der Theorie die häufigsten Niederschläge dieses ,, Regenstaubes. “ Wir können zwar dem gegenwärtigen Stande unserer Kennt- nisse nach nicht sagen, warum dieser Staub aus dem obern Strome nicht nach und nach niederschlägt und in die Schicht der Passate herabsinkt, während er vom Aequator aus in höhere nördliche Brei- ten übergeht; auch können wir nicht sagen, warum der Dampf, den dieselben Winde mit sich führen, nicht auf ähnliche Weise schon unterwegs präcipitirt wird. Wissen wir denn aber, warum sich ein Gewitter, ein Orkan oder sonst eine atmosphärische Er- scheinung morgen und nicht heute entfaltet? Alles was wir sagen können ist, dass heute alle zum Eintritt des Phänomens nothwen- digen Bedingungen sich noch nicht vorfanden. Wir können aber annehmen, dass der Passatstaub sich nicht immer in der Atmo- sphäre vorfindet ; denn die Stürme, die ihn emporführen, treten nur gelegentlich ein; ferner, dass er einmal emporgehoben und diesel- ben Parallelkreise passirend, nicht immer denselben Bedingungen — elektrischen und andern — begegnet, die seinen Niederfall begün- stigen. Obgleich also diese günstigen Bedingungen bald hier, bald dort eintreten können, obgleich er demnach keineswegs immer an derselben Stelle niederfällt, so erfolgen diese Niederschläge meinen Untersuchungen und den Ehrenberg’schen Beweisen nach doch im- mer aus ein und derselben atmosphärischen Ader, und in einer Hauptrichtung. Aus dem Fallen des See- oder Passatstaubes können wir übri- gens auf eine grosse Regelmassigkeit der Strömungen in den obern Regionen der Atmosphäre, sowohl in Bezug auf Hauptrichtung, als auf Schärfe der Gränzlinien, schliessen. Wir können muthmassen, dass gewisse elektrische Bedingungen zu einem Passatstaubfall ebenso nothwendig sein dürften, wie zu einem Gewitter und dass die Zwischenzeit zwischen den Aequinoktialstörungen in der Atmo- sphäre und dem Eintreten dieser Regenschauer, wenn schon sie 94 Die physische Geographie des Meeres. uns die Bewegung in dem allgemeinen System des atmosphärischen Kreislaufs nicht berechnen lässt, uns doch in ihrer Durchschnitts- dauer einen sehr brauchbaren Näherungswerth giebt. Ich stelle diese Bemerkungen nicht als eine Erklärung hin, bei der wir uns beruhigen müssten, vorausgesetzt, dass noch an- dere Beweisgründe aufgefunden würden; ich biete sie vielmehr mit dem ächt wissenschaftlichen Geiste jenes ausgezeichneten Mikro- skopbeobachters als eine Erklärung, welche mit den uns vorliegen- den Thatsachen am Besten in Einklang steht und die durch die Resultate eines neuen und schönen Systems naturwissenschaftlicher Forschung an die Hand gegeben wird. Obgleich wir also der Luft Merkzeichen und dem Winde Zettel mitgeben konnten, die uns verkündeten, ,,woher der ‘Wind kommt und wohin er geht‘‘, so hat doch offenbar noch eine andere Kraft ihren Antheil an der Circulation der Atmosphäre; man sieht ihre Wirkungen, aber ihr Wesen ist noch nicht klar erkannt. Wenn die von den Nordostpassaten hergebrachte Luft in den Aequatorial- calmen auf die stösst, welche die Südostpassate herbeiführen und wenn dann beide zusammen aufsteigen, was bewirkt, dass sie sich durchkreuzen ? wo waltet jene Kraft, welche die einen vom Nor- den nach Süden und die andere von Süden nach Norden hinüber- leitet ? Die im nächsten Kapitel hingestellten Hypothesen werden, in- dem sie über die Beziehungen zwischen dem Magnetismus und der Circulation der Atmosphäre einiges Licht zu verbreiten suchen, vielleicht auch eine Antwort auf diese Frage geben. | Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus ete. 95 Fünftes Kapitel. Veber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus und der Cireulation der Atmosphäre. Gründe für die Annahme, dass die Luft der Nordost- und Stidost-Passate sich in den Giirteln der Windstillen kreuzt. — Was die Beobachtungen gezeigt haben. — Physische Wirkungen sind nie dem Zufall überlassen. — Conjecturen. — Gründe für die Annahme, dass eine Kreu- zung der Luft der Passatwinde am Aequater stattfindet. — Inwiefern lassen sich die aussertro- pischen Gegenden der nördlichen Hemisphäre mit dem Condensator eines südlich arbeitenden Dampfkessels vergleichen ? — Erläuterung. — Ein Zusammentreffen. — Beweis. — Die Natur bietet nichts dem angenommenen Cireulationssysteme Widersprechendes dar. — Beantwortung einiger Einwürfe. — Warum die durch die Nordost-Passate dem Aequator zugefiihrte Luft sich mit. der, welche die Südost-Passate bringen, nicht leicht vermischt. — Noch ein Zeugniss. — Die Regenmassen für den Missisippi werden nicht vom atlantischen Ocean geliefert. — Ihr Zu- sammenhang mit dem südlichen stillen Meere. — Ein Licht fällt vorläufig von den Polar-Regio- nen aus darauf. — Durch das Mikroskop Ehrenbergs und die Experimente Faradays. — Mehr Licht. — Warum in der Nähe jeden Pols eine windstille Region liegen dürfte. — Warum die Wirbelwinde des Nordens sich gegen die Sonne drehen. — Warum gewisse Länder sehr regen- arm sein müssen. — Der Magnetismus bewirkt die atmosphärischen Kreuzungen an den Calmen. Der Sauerstoff — sagen die Chemiker -— macht ein Fünftel unserer Atmosphäre aus*) und Faraday hat entdeckt, dass er mag- netisch ist. Diese Entdeckung tritt vor unsern Geist wie ein grosses physikalisches Faktum, dass möglicherweise einigen jener Pracht- bauten, welche die Naturphilosophie als Monumente der Neuzeit aufführt, zum Schlussstein dienen wird. Wir haben selbst schon im Laufe dieser Untersuchungen auf die Wirkungen einer Kraft in der Atmosphäre mehrfach hingewiesen, deren Wesen und Charakter sich noch in Dunkel hüllt. Die Wärme und die tägliche Umdre- hung der Erde um ihre Achse geben für alle die Luft- und Wasser- ströme, die wir durch Beobachtungen mehr und mehr kennen ler- nen, noch keine genügende Erklärung. So war z. B. Grund vor- handen, eine Kreuzung der Winde in den drei Calmengürteln an- zunehmen, d. h. dass die Südost-Passate, wenn sie den Gürtel der Aequatorialcalmen erreichen und aufsteigen, die entgegenkommen- den Winde durchkreuzend, als ein oberer Strom ihren Lauf nach den Calmen des Krebses fortsetzen, während die Luft, welche die *) „Die trockene Luft enthält im Volum 20,3 Sauerstoff und 79,2 Stick- stoff; dazu 2 bis 5 Zehntausendtheile Kohlensäure, eine noch kleinere Quanti- tät von gekohltem Wasserstoff und nach den wichtigen Versuchen von Saus- sure und Liebig Spuren von Ammoniakal-Dämpfen, die den Pflanzen ihre stickstoffhaltigen Bestandtheile liefern.‘‘ v. Humboldt, Kosmos I, 333. 96 Die physische Geographie des Meeres. Nordost-Passate in den Aequatorialcalmengiirtel ergiessen, süd- wiirts weiter geht, als ein oberer den Calmen des Steinbocks zu- fliessender Strom. Was veranlasst aber diese Kreuzung der Winde? Warum sollte sich die von den beiden Passaten diesem Calmen- gürtel zugeführte Luft nicht nach Belieben mischen, warum sollte die, welche die Südostwinde dorthin bringen, nicht nach ihrem Aufsteigen da zurückbleiben, um später, wie es der Zufall will, nach Norden oder Süden abzufliessen ? Dass aber die Operationen einer so grossen Maschine, wie die Atmosphäre ist, auch nur einen Augenblick dem Zufall überlassen blieben, konnte ich bei meinem festen Glauben an einen gross- artigen Weltenplan nimmermehr annehmen. Dennoch kannte ich kein Agens, welches die Luft quer durch diesen Calmengürtel leiten und an der ihrem Eintritt gerade entgegengesetzen Stelle wieder hinausführen könnte. Dessenungeachtet schienen einige Umstände darauf hinzudeuten, dass eine solche Kreuzung statt- findet. Ein Beweis zu Gunsten unserer Hypothese schien durch fol- genden Umstand dargeboten zu werden; unsere Nachforschungen machten es uns nämlich möglich, vom Calmengürtel in der Nähe des Wendekreises des Steinbocks, welcher sich vollständig über die Meere hinstreckt, einem Luftausfluss, sowohl nach Norden als nach Süden, auf die Spur zu kommen; von der Südseite dieses Gürtels fliesst die Luft in einer unaufhörlichen Brise, Nordostpassat ge- nannt, dem Aequator zu. An der Nordseite kommen die vorherr- schenden Winde auch von dem Gürtel her, aber sie wenden sich nach Nordost. Es sind dies die wohlbekannten südwestlichen Winde, welche längs der Route von Amerika nach England im Verhältniss von zwei zu eins vorherrschen. Aber warum sollen wir hier eine Durchkreuzung der Luftströme annehmen ? Wir nehmen dies an, weil die letztgenannten Winde aus einem wärmern in ein kälteres Klima übergehen und weil man demnach schliessen kann, dass die Natur dasselbe von ihnen fordert, was sie, wie wir wissen, unter ähnlichen Umständen vor unsern Augen, wenn auch in kleinern Maasstab von der Luft fordert, nämlich mehr Niederschlag als Verdunstung. Man könnte aber fragen: Wo kommt der Dampf her, den diese Winde für die aussertropischen Gegenden mit sich führen? Sie konnten ihn, während sie in den obern Gegenden den Nordost-Passaten entgegenströmten, doch ge- wiss nicht sammeln. Sie zogen ihn auch nicht an sich, während Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 97 sie in dem Calmengiirtel des Krebses an der Meeresoberfläche hin- strichen, denn sie verweilten dort nicht lange genug, um sich mit Feuchtigkeit sättigen zu können. So wiesen die Umstände wieder auf die Südost-Passatgegenden als auf den Ort hin, wo sie ihre Dämpfe aufnahmen. Ueberdies haben diese Untersuchungen Gründe für die An- nahme geliefert, dass die Luft, aus welcher die Nordost-Passate bestehen und die aus derselben Calmenzone, wie diese südwest- lichen Winde, herkommt, bei ihrem Austritt keineswegs mit Dampf gesättigt, sondern vielmehr trocken ist; denn in der Nähe ihres polaren Randes sind die Nordost- Passate grösstentheils trockene Winde. Die Wissenschaft, ja schon einfache Schlüsse der Ver- nunft lehren uns, dass, bei einer Steigerung von niedrigerer zu hö- herer Temperatur die abdampfenden Kräfte dieser Winde zuneh- men; dass sie in ihrem schrägen Laufe gegen den Aequator etwa 3000 Meilen zu durchmessen haben; dass sie endlich, der Regel nach, die ganze Zeit über auf ihrem Wege Dämpfe aufnehmen und so gut wie gar nichts niederschlagen. Es hat sich aus Beobach- tungen ergeben, dass sie, erst nachdem sie in den Gegenden der _ Aequatorialcalmen, einer Zone beständigen Niederschlags, ange- langt sind, ganz mit Dämpfen gesättigt sind. Die Calmenzone des Krebses gränzt auch, wie bereits bemerkt wurde, an eine Re- gengegend. Woher kommt nun der an dem Nordrande der Zone des Kreb- ses zu Regen condensirte Dampf? Und woher — so ist wiederholt gefragt worden — kommt im Allgemeinen der Dampf, welcher für die aussertropischen Gegenden des Nordens in Regen verwandelt wird? Durch welche Kraftentwicklung wird er quer durch diesen Calmengürtel von seiner tropischen Heimath aus fortgeführt? Ich kenne kein Naturgesetz, keinen Lehrsatz der Physik, wel- cher die Annahme bestritte, dass die von den Nordost-Passaten den Aequatorialcalmen zugeführte Luft nach ihrem Aufsteigen durch obere Gegenströmungen zur Zone des Krebses zurückkehren, hier niedersinken und an der Oberfläche als Nordost-Passat wieder zum Vorschein kommen könnte. Ich kenne keine Naturkraft, welche einen solchen Kreislauf hindern könnte, aber auch keine, welche ihn nothwendig herbeiführte; dagegen sind mir andrerseits Um- stände bekannt, welche es wahrscheinlich machen, dass im Allge- meinen die atmosphärische Circulation einen solchen Weg nicht verfolgt. Ich spreche von der Regel, nicht von den Ausnahmen ; Maury, phys. Geogr. d. Meeres. 7 98 Die physische Geographie des Meeres. diese sind höchst mannigfaltig und werden grösstentheils durch das Festland veranlasst. Ueberdies kenne ich Thatsachen, welche die Annahme bekräf- tigen können, dass die Winde, welche vom Aequator aus in die obern Regionen der Atmosphäre gelangt sind, nachdem sie in den Calmen des Krebses angekommen sind und niedersinken, nicht nach dem Aequator zu an der Oberfläche hin zurückkehren, son- dern an derselben gegen den Pol zu hinstreichen. Aber welche Na- turkräfte können ihnen eine solche Bahn vorschreiben ? In Folgendem stelle ich einige Facta und Umstände zusam- men, welche die Annahme bekräftigen, dass diese Winde vom Cal- mengürtel des Krebses aus gegen den Pol hin als die vorherr- schenden südwestlichen Winde des aussertropischen Nordens er- scheinen. Wir haben (Tafel I) gesehen, dass nördlich von diesem Gürtel des Krebses die an der Oberfläche vorherrschenden Winde dem Pole zuwehen und als A oben zurückkehren; dass dieser Strom 4 nachher den obern Strom G, der vom Aequator herkommt, trifft, dass sie dann einander neutralisiren, eine Calme erzeugen, sich senken und als Oberflächenwinde, nämlich A als B, als Passat- winde; oder G als H, als variabler Wind, wieder hervortreten. Die mit H bezeichneten Winde sind nun den Beobachtungen nach Re- genwinde; die unter B dargestellten, trockene Winde, und es ist klar, dass A keine Dämpfe in diese Calmen bringen konnte, um dem H Stoff zum Regen zuzuführen; denn die mit A bezeichneten Winde haben schon den Kreislauf der Oberflächenwinde bis zum Pole durchgemacht und dabei alle Feuchtigkeit abgesetzt, so dass sie in den obern Regionen zum Gürtel des Krebses zurückkehrend, als trockene Winde dort ankommen. Die mit B bezeichneten Winde sind trockene; desshalb wurden sie eben für eine Fortsetzung von A gehalten. Wenn auf der andern Seite die Winde A nach ihrem Herabsteigen sich umwendeten und zu den Oberflächenwinden 7 würden, so würden sie zuerst lange Zeit mit der See in Berührung bleiben müssen, um genügenden Zufluss an Dämpfen zu erhalten, so dass sie die grossen Flüsse mit Wasser und überhaupt die ganze Erde zwischen dem Wendekreis des Krebses und dem Nordpol mit Regen versehen könnten. In diesem Fall müssten wir im Norden der Krebszone ebenso gut als im Süden derselben eine Dampf er- zeugende Gegend haben; aber wir suchen eine solche Gegend ver- gebens — ich spreche ausschliesslich vom Ocean. Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 99 Desshalb wurde gefolgert, A und @ träten, wie Tafel I. zeigt, an der Oberfläche hervor. Was leitet sie aber auf so entgegenge- setzte Pfade? Dieser Schlussreihe gemäss würden die Dämpfe, welche dem H den Regen liefern in der Südost-Passatregion von F aufgenom- men, von da nach @ gebracht und an JZ abgeliefert. Lässt man diese Schlüsse gelten, ist es wahr, dass @ den Dampf enthält, wel- cher durch Verdichtung die Regenschauer für die aussertropischen Regionen des Nordens erzeugt, so hat auch die Natur sicherlich einen Wegweiser aufgestellt, der dem @ quer über diesen Gürtel der Windstillen den rechten Weg zeigt. Hier, bei dieser Kreuzung der Winde, glaubte ich nun zuerst die Spuren einer Kraft wahrzu- nehmen, deren Wesen mir noch unbegreiflich schien. Sollte es der Magnetismus sein, derindem Oxygen der Luft sei- nen Sitz hat? Wärme und Kälte, frühzeitiger und später Regen, bewölkter und heiterer Himmel, sind nicht zufällig, sondern nach ebenso be- stimmten Gesetzen, wie sie den Wechsel der Jahreszeiten anord- nen, über die Erde vertheilt. Wenn es nur vom Zufall abhinge, ob die trockene Luft an dieser oder jener Seite des Calmengürtels hervorträte, ob vielleicht die feuchte dahin, woher sie kam, zurück- kehrte, wo bliebe dann die Regelmässigkeit der Jahreszeiten, müssten oder könnten wir nicht wenigstens ausserordentlich tro- ckene Jahre und dann wieder höchst verderbliche Regenzeiten ha- ben? aber wir finden im Gegentheil eine mittlere jährliche Propor- tion zwischen nasser und trockener Zeit, die Jahr für Jahr für jeden einzelnen Ort eine bemerkenswerthe Regelmässigkeit, einen fast constanten Werth zeigt. Nachdem wir nun gezeigt haben, dass die obern Luftströme, wenn sie in den Calmen des Krebses und Steinbocks auf einander gestossen sind, aller Wahrscheinlichkeit nach in ihren respektiven Richtungen auch nach ihrer Verwandlung in Oberflächenströmun- gen verharren, können wir auch noch weiter gehen und durch eine ähnliche Kette von Beweisgründen, die sich aus diesen Untersu- chungen und manchen Nebenumständen ergeben, zeigen, dass die an der Oberfläche durch die beiden Passatsysteme in Bewegung er- haltene Luft, wenn sie in dem Gürtel der Aequatorialcalmen an- langt und aufsteigt, von da aus in ihrer Strömung nach dem Pol hin beharrt, dem sie sich schon als Wind ‘an der Oberfläche ge- nähert hat. 7 * 100 Die physische Geographie des Meeres. jei einem Probleme wie dies ist ein positiver Beweis schwer, wenn nicht unmöglich. Wir müssen zu einer philosophischen, vom Lichte der Vernunft geleiteten Deduktion unsere Zuflucht nehmen. In allen Fällen, wo ein positiver Beweis nicht beigebracht werden kann, ist es aber gestattet, mit Benutzung aller aus Nebenumstän- den sich ergebenden Beweisstücken einen indirekten Beweis zu füh- ren. Ich will demnach mich bemühen, solche Beweisstücke für meine Conjectur beizuschaffen, dass der Magnetismus des Oxygens der Atmosphäre dabei betheiligt ist, Luftströme bei ihrem Durch- gang durch die Aequatorialcalmen von einer Hemisphäre in die an- dere überzuleiten. Um aber Vernunftgründe für diese Hypothese aufzustellen, muss ich zuerst durch indirekte von meinen Unter- suchungen dargebotene Beweismomente darthun, dass der Curs des Windes in ,,seinen Wendungen‘‘ so beschaffen ist und dass die Winde F wirklich der Reihe nach zu den mit G, H, A, Bund C bezeichneten werden. Unter F denken wir uns zunächst die Südost-Passate, d.h. alle Winde der südlichen .Hemisphäre bei ihrer Annäherung an den Aequator. Steht nun irgend ein vernünftiger Grund der Annahme entgegen, dass der Wind nicht frei aus einer Hemisphäre in die andere übergehen sollte? Im Gegentheil sprechen viele Gründe für dieselbe. Fände dieser Uebergang nicht statt, so würden wir, da das Verhältniss zwischen Land und Wasser und also auch der Pflanzen und warmblütigen Thiere auf den beiden Hemisphären so grund- verschieden ist, uns vorstellen können, dass die Bestandtheile der nördlichen und südlichen Atmosphäre im Laufe der Jahrhunderte wahrscheinlich verschieden werden würden und dass der Mensch in diesem Falle nicht aus einer Hemisphäre in die andere übergehen könnte, ohne Schaden an seiner Gesundheit zu nehmen. Wir haben aber schon mehrfach von dem wunderbaren Gleichgewicht, von den regelmässigen Compensationen unserer Atmosphäre ge- sprochen; wir wissen, dass sie vollkommen ist und dass sie nicht einen Augenblick bei ihren verschiedenartigen Verrichtungen vom Zufalle abhängt. Wenn es somit wahrscheinlich wird, dass die Luft der Südostpassate den Aequator überschreitet, wo und durch welche Kräfte wird ihr dieser Curs vorgeschrieben ? Hier fand ich wieder Umstände, welche es mir wahrscheinlich erscheinen liessen, dass die Luft weder nach Süden zurückkehrt, noch sich mit der Luft, welche aus den Regionen der Nordostpassate Er é Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 101 herabkommt, vermischt, dass sie wohl aufsteigt, aber nicht beliebig nach Norden oder Süden abfliesst. Die Hauptgründe, auf die ich aber die Hypothese einer Kreu- zung der Luft der Südost- und Nordostpassate, so dass der untere Strom der einen Hemisphäre jedesmal als oberer in der andern wei- ter zieht, stütze, sind folgende: In den Jahreszeiten, in welchen in der südlichen Hemisphäre durch die Sonne die schnellste Dampferzeugung bewirkt wird, fällt in der nördlichen der meiste Regen. Die Vermuthung erscheint daher nicht allzukühn, dass eine Menge des jenseits des Aequators erzeugten Dampfes diesseits desselben niederschlägt. Die Evapora- tionsfläche ist in der südlichen Hemisphäre viel grösser als in der nördlichen und doch sind alle grossen Flüsse, wenn man den Ama- zonenstrom zu beiden rechnet, in der nördlichen. Das spricht offen- bar für eine Kreuzung der Passate. Abgesehen von andern Nachweisen, belehrten mich auch meine eigenen Untersuchungen, dass die mittlere Temperatur der nördli- chen heissen Zone die der südlichen übertrifft. Sie zeigten mir eine so erhebliche Differenz, dass man den Aequatorialrand der Süd- ostpassate weit diesseits des Aequators ziehen und ihnen eine Kraft beimessen muss, welche die Nordostpassate fast ganz von der süd- lichen Hemisphäre abhält. Da demgemäss, wie schon angegeben wurde, die Südostpassate mit einer ausgedehntern Evaporations- fläche in Berührung sind und längere Zeit hindurch und auf wei- tere Strecken in Berührung bleiben, so langen sie wahrscheinlich auf dem Sammelplatze der Passatluft schwerer mit Feuchtigkeit be- laden an, als die andern. Zieht man die Gesetze und Zahlangaben der Dampfbildung in Betracht, so kann man keinen Theil der nörd- lichen Meere angeben, der den Quellen des Missisippi, des Lorenz und der andern grossen Ströme unserer Hemisphire einen genügen- den Zufluss darböte. So habe ich denn schon oben unsere aussertro- pischen Gegenden wie einen grossen Condensator angesehen, dessen Kessel in der Region der Südostpassate liegt, und den Passaten der diesseitigen Hemisphäre ähnliche Funktionen für die Gegenden jenseits des Steinbocks zuertheilt. Die Calmenzone des Steinbocks ist der des Krebses ganz ana- log und die Winde wehen aus jener wie aus dieser, nach Norden und Süden, aber mit dem Unterschiede, dass sie auf der polaren Seite des Steinbockgürtels vorherrschend aus Nordwest, statt aus 102 Die physische Geographie des Meeres. -_ Südwest wehen und auf der äquatorialen Seite aus Südost statt aus Nordost. Wenn es sich nun wirklich so verhält, dass der Dampfgehalt der Nordost-Passate in der südlichen gemässigten und kalten Zone condensirt wird, so würde die folgende Figur, mit Berücksichti- gung der Einwirkung der täglichen Erdumwälzung auf den Curs der Winde, den mittleren Umlauf eines Theilchens der Atmosphäre darstellen, das sich dem allgemeinen Circulationssystem gemäss über den stillen Ocean bewegt, d. h. vom Norden als eine obere Strömung herabkommt und an der Erdoberfläche ungefähr unter dem 120° westlicher Länge und in der Nähe des Wendekreises des Krebses erscheinend, hier als Nordostpassat in jener Gegend zu wehen beginnt. Auf Tafel XI ist die Bahn solcher dampfgesättigten Winde bezeichnet. A stellt eine Gruppe (swath) solcher Winde in der Nordost-Passat-Gegend dar. BD denselben Wind als die obere Gegenströmung in der Südost-Passat-Gegend und C denselben Wind, nachdem er in dem Calmgürtel des Steinbocks sich herabge- senkt hat und auf der polaren Seite als Regenwind und vorherrschen- der Nordwestwind der südlichen Regionen jenseits des Steinbocks zum Vorschein gekommen ist. Dieser ist als Nordost-Passat der dampf- erzeugende Wind. Als solcher streicht er über eine ungeheure Was- serfläche zwischen dem Wendekreis des Krebses und dem Aequator hin. Da er auf dieser schrägen Bahn über die lauen Gewässer einer tropischen See kein Land antrifft, würde er, wenn dies seine Route wäre, in der Gegend des Meridians von 140 — 150° westl. Länge auf den Gürtel der Aequatorialcalmen stossen, welcher stets die Nordost- von den Südost-Passaten trennt. Indem er hier beim Aufsteigen einen Theil seines Dampfes abgiebt, würde er mit dem Reste, wegen der täglichen Rotation, eine südöstliche Bahn durch die obere Gegend der Atmosphäre bis zu den Calmen des Stein- bocks hin verfolgen. Hier sinkt er wieder herab und geht in der- selben Richtung als Nordwestwind gegen die Küste Südamerikas weiter. Da er an der Oberfläche aus wärmern in kältere Gegenden übergeht, so muss er in diesem Theile seiner Bahn mehr Nieder- schlag geben, als er Dampf erzeugt. Es ist nun zum wenigsten ein eigenthümliches Zusammen- treffen, dass dies gerade die Route ist, auf welcher die Nordost- Passate wegen des Landes auf der nördlichen Hemisphäre am be- quemsten jenen Ocean bestreichen können. Auf dieser Bahn blei- ben sie am längsten mit einer Evaporationsfläche in Berührung, Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 103 alle Umstände begünstigen hier eine vollständige Dunstsättigung und auf dieser Strasse können sie zugleich in die südliche Halb- kugel mit Dämpfen erfüllt übergehen. Dies also ist die muthmass- liche Bahn der Nordostpassate des stillen Oceans nach dem Aequa- tor zu und über denselben hinweg. Sind nun diese Schlüsse richtig, so müsste jener Theil Süd- amerikas zwischen den Windstillen des Steinbocks und Cap Hoorn, auf dessen Bergketten diese zum Beispiel gewählten Ströme der Atmosphäre zuerst stossen, einen sehr reichlichen Niederschlag zei- gen. Was sagen aber die Werke über physische Geographie über diesen Gegenstand ? — In Berghaus und Johnston — hyetographi- sch Abtheilung — ist durch Capitän King, von der königl. Flotte, wie schon oben gesagt wurde, constatirt, dass an jenem Theil der patagonischen Küste in 41 Tagen 153 Zoll Regen gefallen sind und dass das Wasser dort auf der Oberfläche, wie Seefahrer berichten, bisweilen ganz süss ist. Nachdem der Wind über die Andesgipfel und ihre Schneemassen hinweg ist, wälzt er sich ganz ausgetrock- net am Ostabhang der Gebirgskette herunter und weht so durch die regenlosen und unfruchtbaren Gegenden des diesseits der Anden liegenden Patagoniens und von Süd-Buenos-Ayres. Diese Bedingungen, die Richtung der vorherrschenden Winde und die Quantität des Niederschlags können als cin von der Natur dargebotener Beleg, wenn auch nicht geradezu für, so doch gewiss nicht gegen unsere Hypothese angesehen werden. Jedenfalls ist soviel bewiesen, dass diese Winde der aussertropischen Hemisphä- ren eine ungeheure Menge Wasserdampfs gegen die Pole hin mit sich führen; an welcher andern Stelle, als der oben angegebenen, die Winde so viel Dampf aufnehmen konnten, sehe ich aber nicht ein. Ich bin mit der Theorie und der derselben beigelegten Wich- tigkeit wohl bekannt, nach welcher der Niederschlag in den obern Gegenden der Atmosphäre wegen der dort herrschenden Kälte ohne Rücksicht auf die Nähe der Berggipfel und schneebedeckten Berge erfolgen muss. Aber die Fakta und Zustände, die nach diesem Systeme der Forschung auf der hohen See enthüllt wurden, lassen sich in man- chen Beziehungen mit jener Theorie nicht vereinigen. Mit einer neuen Gruppe von Thatsachen vor mir, habe ich mir vorgenommen, unabhängig von allen vorgefassten Begriffen und Meinungen nach 104 Die physische Geographie des Meeres. Erklärungen und Vereinbarungen zu suchen. Diese mögen nicht Jedem in allen genügen; denn so viel auch schon zu Gunsten des auf Tafel I. veranschaulichten Windumlaufs vorgebracht, so wahr- scheinlich derselbe gemacht worden ist, der Skeptiker wird immer noch fragen: ,, Wie sollen zwei solche Ströme durch einander hin- durchgehen? Erst wenn dieser Punkt aufgehellt ist, will ich diese Raisonnements, diese subjectiv aufgefassten Thatsachen und De- ductionen nicht mehr in Frage stellen ! «‘ Zur Entgegnung mag hier zunächst gesagt sein, dass der Gür- tel der Aequatorialcalmen oft mehrere 100, selten weniger als 60 Meilen breit ist, während die Tiefe des Luftvolumens, welches die Passate in denselben ergiessen, nur ungefähr 3 Meilen beträgt; denn das ist die Höhe, über welche die Passate wahrscheinlich nicht hinausgehen. Wir sehen also die Luft durch eine Oeffnung auf der Nordseite für die Nordostpassate und durch eine andere süd- liche für die Südostpassate, die je 3 Meilen im vertikalen Durch- schnitt haben, in diese Calmen eintreten. Sie entweicht dann durch eine Oeffnung nach oben, deren Querschnitt wenigstens 60, oft aber 200, ja selbst 300 Meilen beträgt. Eine sehr langsame Bewegung wird nun die Luft so schnell, wie sie die beiden Passatsysteme mit ihrer Geschwindigkeit von ungefähr 20 Meilen in der Stunde hin- einergiessen, nach oben hinausführen ; dass aber Luftsäulen (curds of air) *) einander durchkreuzen und in verschiednen Richtungen bei einander vorbei gehen können, ohne einander — wenigstens nicht in dem Grade, dass sie ihre Bewegung geradezu hindern und unter- brechen — zu stören, ist allbekannt. Man öffne z. B. das Fenster eines warmen Zimmers im Winter; sogleich bilden sich zwei Luft- ströme, ein warmer, der oben hinausfliesst und ein kalter, der un-. ten hereinkommt. Einen noch deutlichern Beleg dafür, dass Säu- len, kleine Ströme oder Bänder der Luft sich in der Natur leicht neben einander hinbewegen, bietet uns jene zitternde Bewegung, welche wir im Sommer so oft über Stoppelfeldern, an kahlen und wüsten, überhaupt an stark erhitzten Flächen — besonders deutlich bei Beobachtungen mit dem Fernrohr — bemerken. Diese wird durch das gleichzeitige Auf- und Niedersteigen der Luftsäulen von verschiedener Temperatur veranlasst, indem die kalte Luft nieder- sinkt, die warme emporsteigt. Sie vermischen sich nur schwer, denn noch lange nach dem Einbrechen der Nacht bemerkt sie der *) Eigentlich atmosphärische Schichten, ohne begränzende Seitenebenen. Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 105 Astronom, wenn er sein Teleskop nach dem Himmel richtet und beklagt das Zittern seiner Objekte. *) Wenn die von den Nordost-Passaten dem Aequator zugeführte Luft von der der Südost-Passate ihrer Temperatur nach verschieden ist (was leicht möglich ist), so haben wir die Autorität der Natur selbst für die Behauptung, dass die beiden Ströme sich nicht so leicht vermengen. Der Beweis dafür bietet sich täglich dar und es ist Grund vorhanden zu glauben, dass die Luft jeder Strömung in Streifen oder Flecken oder ‚‚Kräuselungen‘“ durch die der an- dern ihre Bahn ohne Schwierigkeit verfolgt. Wenn nun beide Strömungen eine Verschiedenheit in ihrem magnetischen Verhalten zeigen, sollte das nicht noch ausserdem ein Grund dafür sein, dass sie sich nicht vermischen und nach ihrem Aufsteigen die Richtung entgegengesetzter Pole einschlagen? Wir können daher diese ohne Mischung erfolgende Kreuzung der strömenden Luftschichten als ein von der Natur zugestandenes Postulat betrachten. Nachdem ich so gezeigt zu haben glaube, dass eine solche Durchkreuzung der Luft in diesen Calmengürteln durch nichts ge- radezu verhindert wird, kehre ich zu einem induktiven Process des Schliessens zurück und suche aus mancherlei Nebenumständen zu beweisen, dass sie wirklich statt hat. Wir wollen über diesen Punkt die Gewässer, welche der Missisippi in die See ergiesst, be- fragen ; sie mögen uns die Kanäle zwischen den Wolken angeben, durch welche sie aus dem Ocean den Quellen jenes mächtigen Stro- mes zugeführt wurden. Wir bemerkten bereits, dass im Stromge- biet des Missisippi viel mehr Regen fällt, als Dampf erzeugt wird. Zu der Zeit und an dem Orte, wo der diese ungeheuren Volumina Wassers darbietende Dampf von der Atmosphäre aus dem Meere emporgehoben wurde, stand das Thermometer, wie wir wohl schlies- sen können, höher als an dem Orte und zu der Zeit, wo dieser Dampf condensirt als Regen im Missisippi-Thale niederfiel. Ich habe mich nach Süden hinab nach Quellen im atlantischen Ocean umgesehen, welche durch Regenbildung diesem Flusse hin- reichenden Zufluss gewähren könnten. Aber ich konnte erstlich kaum eine hinlänglich grosse dampferzeugende Oberfläche dafür *) Wir möchten dies gerade aus den durch die Nacht herbeigeführten, käl- tern Luftströmungen erklären; die kalte Luft sinkt dabei durch die wärmern Schichten an der Erdoberfläche wahrscheinlich in unendlich vielen sehr feinen Streifen nieder und lässt durch die Intervalle die wärmern aufsteigen. Besonders deutlich sah ich diese Erscheinung in Thüringen bei Beobachtungen nach He- 6 106 Die physische Geographie des Meeres. finden und wenn auch der Dampf, doch nicht die Winde, welche ihn an die rechte Stelle beförderten. Auf der caribischen See und in den siidlichen Theilen des Golfs von Mexiko herrschen die Nordost- Passate vor. Sie haben ihre Funktionen in den Strombecken des tro- pischen Amerika; aber die Regenmassen, die sie dann und wann in das Missisippi-Thal entladen, bilden Ausnahmen und nicht die Regel. Die Winde vom Norden können keine Dünste von den gros- sen Seen bringen, und so Regen für den Missisippi erzeugen; denn 1) empfängt das Becken der grossen Seen mehr Wasser in Regen- gestalt, als es in Dampfform zurückerstatten kann. (Der Lorenz- strom führt den Ueberschuss hinweg). 2) steht dort die mittlere Temperatur niedriger als im Missisippi- Thale und die grössere Wärme des letztern ist daher der allgemeinen Regel nach der Con- densation des etwa vom Norden kommenden Dampfes höchst un- günstig. Vom atlantischen Ocean kann jener Dampf nicht herkom- men, weil der grössere Theil des Missisippi-Thales auf der Lufseite jenes Meeres liegt. *) Die über dasselbe hinwehenden Winde brin- gen ihren Dampfgehalt nach Europa; und im stillen Meere ist von den Parallelen Californiens bis zum Aequator hin die Richtung der Oberflächenwinde keineswegs jenem Strombecken zugekehrt, sondern kommt im Gegentheile von ihm her. Es scheint daher mit einem gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit oder doch mit einem Anschein von Glaubwürdigkeit festzustehen, dass die Regenwinde des Missisippi-Thales der Regel nach ihren Dampf weder aus dem atlantischen Ocean, noch aus dem Golf von Mexiko, weder von den grossen amerikanischen Binnenseen, noch aus dem Theil des stillen Oceans, in dem die Nordostpassate vorherrschen, erhalten. Dieselbe Schlussfolge, durch welche wir, als wir den Quellen der patagonischen Regenmassen nachspürten, in die Passatregion der nördlichen Hemisphäre geriethen, ladet uns jetzt nach der Passat- region des südlichen stillen Oceans ein, um uns dort nach den Dampfquellen für den Missisippi umzuschauen. Kämen die Regenwinde dieses Stromthales von Osten, so könnten sie ihre Dämpfe im atlantischen Ocean und im Golfstrom aufgesammelt haben, kämen sie von Süden, vielleicht im Golf von Mexiko, wehten sie aus Norden, vielleicht in der Region der nord- liotropenlicht hervortreten, wo namentlich in den Morgen- und Abendstun- den sich mitunter auch eine sehr störende seitliche Refraction zeigte. D. Ueb. *) d. h. weil im Allgemeinen der Wind von dort jenem Meere zu weht. Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 107 amerikanischen Seen; kämen sie aber aus Westen, wo sollten wir denn ihre Evaporationsstelle anders suchen, als im grossen stillen Ocean? Da ich auf nähere Angaben gespannt war, so schickte ich ein Rundschreiben an die Farmer und Pflanzer des Missisippi-Thales und erhielt aus Virginien, Missisippi, Tennessee, Missouri, In- diana und Ohio — eine einzige Person in Missouri ausgenommen — die übereinstimmende Antwort: ,,Die Südwestwinde bringen uns unsern Regen. “ Diese Winde können gewiss ihren Wasserdampf weder von den Felsenbergen, noch von dem Salzsee erhalten, denn wenn auf jenem Becken sich ein Ueberschuss der Evaporation über den Nie- derschlag zeigte, so müsste im Laufe der Zeit das Wasser verdampft und der See trocken gelegt sein, Die Winde, welche die Quellen des Missisippi mit Regen versehen, gehen, wie die unter denselben Parallelen auf dem Ocean, aus höhern in niedrigere Temperaturen über und da diese Winde im Missisippi-Thale weder mit dem Ocean noch mit sonst einer dampfbildenden Fläche in Berührung sind, so müssen sie von irgend einem See das, was sie an Feuchtigkeit ab- geben, mitbringen. Obgleich man also geltend machen kann, dass jene patagonischen Winde, insofern als sie direkt vom Meere her- kommen, ihren Dampf erst zuletzt auf ihrem Wege aufnehmen, so kann das doch in diesem Fall nicht urgirt werden ; und wenn diese Winde mit ihrem Dampfgehalt von den Aequatorialcalmen aus durch die obern Regionen der Atmosphäre in die Calmen des Kreb- ses und dann als Oberflächenwinde in das Missisippi-Thal über- gehen könnten, so wüssten wir nicht, warum die patagonischen Regenwinde ihre Feuchtigkeit nicht auf einer ähnlichen Route sollen herbeiführen können. Diese letztern kommen von Nordwest aus wärmern in kältere Breiten; sind sie also einmal mit Däm- pfen gesättigt, so müssen sie auf ihrem Wege Feuchtigkeit nieder- schlagen und gewiss weniger aufnehmen, als abgeben. Alles dies sind Belege aus Nebenumständen. Kein Faktum wurde bis jetzt ans Licht gezogen, welches den Beweis geführt hätte, dass die durch meine Untersuchungen vorgezeichnete Bahn der atmosphärischen Circulation von der Natur auch thatsächlich benutzt und gleichsam befahren wird. Ich konnte auch in diesem Fall auf nichts Direkteres als auf solche Schlüsse hoffen , wie sie sich regelrecht aus zufälligen Umständen ergeben möchten. Mein Freund, der Lieutenant De Haven, segelte um die Zeit, 108 Die physische Geographie des Meeres. wo mich diese Untersuchungen beschiftigten, an der Spitze der amerikanischen Nordpolexpedition ab, welche Sir John Franklin aufsuchen sollte. Man findet bisweilen Infusorien im Passatstaub, in Regentropfen, Hagelkérnern oder Schneeflocken. Wenn es sich nun durch irgend einen Zufall herausstellte, dass die Identität des Erzeugungsortes irgend eines dieser mikroskopischen Infusorien, welches in den arktischen Regionen präcipitirt gefunden würde, mit den Regionen der Südostpassate bewiesen werden könnte, so gelänge es uns vielleicht, einen der vielen, aber schwachen Fäden, von denen geleitet wir in die Kammern der Winde einzudringen suchten, fester anzuknüpfen und zu sagen, ,,woher die Winde kom- men und wohin sie gehen.‘‘ Es ist den Menschen bei dem jetzigen Zustande der Aeronau- tik nicht gestattet, dem Winde in seinen Kreisbahnen zu folgen ; es blieb also nichts übrig, als alle Umstände, welche namentlich die Untersuchungen auf der See mir zu Gebote stellten, genau zu prüfen und den Curs, der am Besten mit allen übereinstimmte, zu bezeichnen. Da dieser nun als möglich und wahrscheinlich festge- stellt ist, so mache ich ihn bekannt und überlasse es künftigen For- schungen, ihn zu bestätigen oder als unhaltbar zu verwerfen. Diese Angelegenheit stand auf diesem Stadium ihrer Entwick- g, als mein Freund, der preussische Minister Baron von Gerolt, so freundlich war, mir Ehrenbergs Werk über Passatstaub und Blut- Regen zu übersenden. Hier fand ich wider Erwarten jenen leiten- den Faden, welchen De Haven, wie ich hoffte, mir in die Hand geben sollte. Jener berühmte Naturforscher berichtet, dass er süd- amerikanische Infusorien in dem Blutregen und Passatstaub der capverdischen Inseln, Lyons, Genuas und anderer Oerter aufge- funden hat. Es ist somit wenigstens soviel erwiesen, dass Luft aus den Passatregionen der südlichen Hemisphäre bis nach Europa ge- langen kann und die Wahrscheinlichkeit, dass das in Figur I dar- gestellte Circulationssystem auf dem ganzen Erdball die allgemeine Regel sei, und dass die Winde meistentheils ihre Feuchtigkeit der einen Hemisphäre aus den Passatregionen der entgegengesetzten zuführen, wurde immer grösser. Ich habe auf Tafel XI die muthmassliche Bahn des Passat- staubs angegeben. PP bezeichnet die Punkte, wo er in Südamerika emporgehoben und SS, wo er gefunden wurde. Die Linien geben, wo sie punktirt sind, die obere Strömung an; die ausgezogene Li- nie zeigt, wo der Staub an der Oberfläche hinstrich. Auf derselben lung Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 109 Tafel ist auch der Theil des stillen Oceans näher bezeichnet, wo sich unserer Annahme nach die Dampfquellen fiir die Missisippi- regen befinden. Die Hände deuten die Richtung des Windes an. Wo die Schattirung hell ist, nehmen wir an, dass der Dampf in einer obern Strömung fortziehe. Solche Umstände, wie ich sie bisher zu charakterisiren ver- suchte, riefen in mir die Vermuthung hervor, dass eine Kraft, deren Verrichtungen in dem grossen Systeme der atmosphärischen Circu- lation bisher unerkannt und unverstanden blieben, in diesen Cal- mengürteln wirksam war. Dr. Faraday hat gezeigt, dass die paramagnetische Kraft des Sauerstofts bei erhöhter Temperatur abnimmt, aber wenn die Tem- peratur wieder fällt, auch wieder steigt. Diese Eigenschaften trägt er auf die Atmosphäre über, so dass die letztere wirklich ein magne- tisches Medium ist, das dem Einfluss natürlicher Umstände gemäss, in seiner magnetischen Kraft immerfort wechselt. Wenn eine Luft- masse abgekühlt wird, so wird sie stärker paramagnetisch; wird sie erwärmt, so wird sie weniger paramagnetisch (oder diamagne- tisch) als die Luft im mittleren oder Normalzustande. *) Ist es nun nicht mehr als wahrscheinlich, dass wir hier in dem Magnetismus der Atmosphäre jene Naturkraft entdeckt haben, welche die Luft von Süden her durch die Calmen des Steinbocks, des Aequators und des Krebses hindurch dem Norden zuführt: jenes Agens, welches die Atmosphäre mit ihren Dämpfen und In- fusorien über die Wolken hin aus einer Hemisphäre in die andere in Strömungen überfliessen lässt, deren Spuren uns schon so viel- fach sichtbar geworden sind? Wenn wir die Theorie Ampere’s in Bezug auf die von einem elektrischem Strom, je nachdem derselbe durch einen mit der Sonne oder gegen die Sonne aufgewickelten Draht hindurchgeht, indu- cirte magnetische Polarität als richtig annehmen und sie den Ent- deckungen Faradays und den Experimenten eines preussischen Physikern **) gemäss noch verallgemeinern, so sehen wir eine Reihe von Thatsachen und Theoremen vor uns, welche, wenn wir sie auf die Circulation der Atmosphäre anwenden, die Folgerungen, zu *) Philosophical Magazine and Journal of Science, 4th. series, No. I, Ja- nuary, 1851, page 73. ™) v. Feilitzsch, Prof. an der Universität Greifswalde, naturwissenschaftl. Magazin. Januar 1851. 110 Jie physische Geographie des Meeres. welchen ich in Bezug auf die Durchkreuzungen in der Luft und auf den beständigen ‚‚Wirbel‘‘ des Windes, der in den arktischen Regionen dem Zeiger einer Uhr entgegenläuft und in den antark- tischen demselben folgt, gekommen bin, höchst bedeutsam erschei- nen lassen. Aus verschiedenen Quellen strömt nun, wenn wir diesen Standpunkt einnehmen, ein so helles Licht auf diesen Gegenstand, dass wir schon jetzt eine glänzende Bestätigung wenigstens ahnen. Eine solche Lichtquelle strömt aus den Beobachtungen meines treff- lichen Freundes Quetelet in Brüssel; diese zeigen nämlich, dass sich der grosse Elektricitäts-Behälter der Luft in den obern Regio- nen derselben befindet. Er ist mit positiver Elektricität gefüllt, welche um so stärker wird, je tiefer die Temperatur herabsinkt. Sollten wir desshalb jene atmosphärischen Knoten und Calm- regionen, die schon theoretisch festgestellt wurden, nicht in der Gegend der magnetischen Nord- und Südpole aufsuchen? Mit andern Worten, stehen nicht die magnetischen Pole der Erde in jenen atmosphärischen Knoten zu einander in einem causalen Ver- hältniss? Diese Frage wurde vor mehrern Jahren zuerst aufgewor- fen und ich wurde damals angeregt, sie in den Schlussreihen eines theoretischen Raisonnements vorzulegen. *) Vielleicht werden die Beobachter nie in jene unwirthlichen Gegenden mit ihren Instru- menten vordringen, um über diesen Gegenstand Licht zu verbrei- ten, aber Parry und Barrow sind durch Gründe dazu vermocht worden, an eine den Nordpol umgebende Region beständiger Wind- stille zu glauben. Prof. J. H. Coffin gelangt in seiner sorgfältig ausgearbeiteten, werthvollen Schrift über die ,,Winde der nörd- lichen Hemisphäre “ zu demselben Schlusse. **) Er hat in dieser Schrift die Aufzeichnungen an nicht weniger als 579 meteorologi- schen Stationen durchforscht und so eine Gesammtheit von Beobach- tungen umfasst, die sich auf 2829 Jahre erstrecken. Er verlegt sei- nen ,,meteorologischen Pol‘‘ — den Pol der Winde — in die Nähe eines Punktes von 84° NB. und 105° westl. Länge (von Greenwich). Der Pol der grössten Kälte liegt nach der Angabe einer andern Schule von Physikern, zu der Sir David Brewster***) gehört, unter *) Vgl. Maury’s Sazling Directions. **) Vgl. Smithsonian Contributions to Knowledge, vol. VI., 1554. ***) Brewster behauptete zuerst, dass wir zwei nördliche Kältepole unter- scheiden müssten. Sie lägen etwa unter 80° N. Br. u. 95° östl.u. 100° westl. von Greenwich. Kämtz zeigte in seinem Lehrbuche der Meteorologie, wie einer der Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 111 80° NB. und 100° WL. und der magnetische Pol, nach Gruss und seiner Schule, unter 73° 35’ NB. und 95° 39’ WL. Keiner dieser Pole ist wohl einer ganz genauen Ortsbestim- mung fähig. Die Polarcalmen sind eben so wenig ein Punkt, als die Aequatorialcalmen eine Linie sind. Erwägt man aber, dass diese Pole Flächen, nicht Punkte sind, so ist es gewiss merkwürdig genug, dass Physiker auf den verschiedensten Theilen des Erdballs, beim Gebrauch verschiedener Angaben und bei Anwendung beson- derer und von einander unabhängiger Systeme der Forschung, die die Lösung verschiedener Probleme anstrebten, dessenungeachtet in der Angabe aller dieser Oerter fast übereinstimmten. Sind hier drei Pole zufällig oder aus einem physischen Grunde zusammen- gruppirt? Ohne Zweifel eines solchen Grundes wegen. Hier haben wir also wieder einmal einen jener feinen Fäden, die der Geist in glücklicher Stimmung erfassen und an denen er bis zu den verbor- genen Pforten der Wissenschaft gelangen kann. Er klopft an und verlangt, dass die geheimsten Kammern weit geöffnet werden, dass er die Mysterien der Winde, der Kälte und der zitternden Nadel verstehe. In den Polarcalmen findet ein Aufsteigen der Luft statt; also eine Verminderung des Druckes und eine Ausdehnung; folglich auch eine Abnahme der Temperatur. Man hat hier also deutlich genug ein Verbindungsglied zwischen den Polarcalmen und dem Ort der grössten polarischen Kälte. Wir stellen so eine Beziehung zwischen dem Wind- und Kältepol auf, mit augenscheinlichen An- zeichen, dass zwischen dem magnetischen Pole und diesen auch ein physikalischer Zusammenhang besteht. Man erkennt hier wie- der die Spuren einer Relation zwischen dem Magnetismus und der Circulation der Atmosphäre. Die einzelnen, feinen Fäden, welche uns bisher den rechten Weg nur andeuteten, verschlingen sich zu einer festern Schnur. Sollte nicht die Entdeckung dieser drei Pole, dieses Zusammen- treffen der im Norden sich gegen die Zeiger einer Uhr, im Süden Pole nördlich von der Barrowstrasse, ein anderer nahe am Vorgebirge Taimura in Sibirien liege. Berghaus verlegt in seinem physikalischen Atlas den amerika- nischen Kältepol nach etwa 78° nördl. Br. und 90° westl. Länge und giebt ihm eine Temperatur von — i9,7°. Den asiatischen verlegt er nach 79° 30’ nördl. Br. und 120° östl. Länge und giebt ihm eine Temperatur von — 17,2°, wogegen sich Kämtz in den meteorol. Vorlesungen (S. 230) erklärt. Ueber die Magnetpole vgl. dasselbe Werk S. 513. 112 Die physische Geographie des Meeres. mit demselben drehenden Winde mit andern ans Licht gebrachten Umständen uns ermuthigen, den Magnetismus der Luft als den Schlüssel dieser geheimnissvollen, aber auffälligen Coincidenzen anzusehen. Das durch diese Entdeckung der Forschung eröffnete Feld ist in der That so gross, dass man in gewisser Beziehung die- sen grossen Erdball selbst mit seinen Becherapparaten und Spiral- drähten von Luft, Erde und Wasser als eine grosse Batterie mit unendlichen Schraubenwindungen ansehen kann, welche durch die Naturkräfte der tropischen See und Atmosphäre geladen, ihrer- seits ihren Sauerstoff erregt und den atmosphärischen Stoffen mag- netische Eigenschaft ertheilt. Mit dem Licht dieser Entdeckungen kann man nun gewahren, warum die Luft, welche auf ihrer Kreisbahn bis zu dem Wirbel *) um die antarktischen Gegenden gelangt ist, dann den Gesetzen des Magnetismus gemäss, vom Südpol zurückgestossen und von dem entgegengesetzten Pol angezogen wird. Wenn aber die Südost- und Nordost-Passate sich in den Aequatorialcalmen des stillen Oceans begegnen, dürften diese magnetischen Kräfte nicht hinreichen, jeder Strömung ihre Bahn vorzuschreiben und die erstere mit ihren Dämpfen aus der südlichen Hemisphäre auf den schon angegebenen Strassen herüberzuleiten? Diese Kraft und die Wärme der Sonne treibt nach Norden; die tägliche Rotation der Erde nach Osten; desshalb haben die Winde, nachdem sie zuerst die obern Theile der Atmosphäre und dann die Luftschichten an der Erdoberfläche passirt und die Cal- men des Krebses vermöge dieser neuentdeckten Kraft durchkreuzt haben, eine Richtung von Süd und West nach Nord und Ost. Dieses sind die Winde, welche auf ihrem Wege vom stillen Ocean nach dem Missisippithale das letztere überschreiten und dort Regenwinde zu sein scheinen. Woher sollten auch jene Dämpfe für die gewaltigen Regenmassen des Missisippithales kommen, als aus den Passatregionen des südlichen stillen Oceans. Dieser Ansicht gemäss und ohne Rücksicht auf die exceptio- nelle Einwirkung des Festlandes und anderer Umstände auf die allgemeine Circulation der Atmosphäre über den Ocean, müssten die Südostpassate, welche die brasilischen Küsten nahe am Parallel von Rio erreichen und von da grösstentheils über Land wehen, die- jenigen Winde sein, welche dem allgemeinen Kreislaufe gemäss, *) ,,Er dreht sich fortwährend.‘‘ — Bibel. Ueber die wahrscheinliche Beziehung zwischen dem Magnetismus etc. 113 nachdem sie die Anden überschritten haben und im Gürtel der Ae- quatorialcalmen emporgestiegen sind, dem nördlichen Afrika , Spa- nien und dem Süden Europas zuströmten. Sie konnten die von Ehrenberg beobachteten Infusorien mit sich führen, aber dieser Theorie nach würden sie nicht reich an Feuchtigkeit sein. Sind aber diese Partien der alten Welt nicht grösstentheils regenarme Länder, in denen der Niederschlag unbedeutend ist? Daher die allgemeine Regel: Den Gegenden im Norden der Calmen des Krebses, welche grosse Länderstrecken nach Süden oder Westen zu unter sich in der Südost - Passat- Region liegen haben, werden nur mässige Regenmengen zugeführt, und umge- kehrt. Prüfen wir diese Regel. Neu-Holland liegt mit seiner grössern Hälfte unter dem südlichen Wendekreise. Das tropische Indien liegt nördlich und westlich davon; da es sich dabei in der Nordost- Passat-Region befindet, so sollte es dem aussertropischen Neu-Hol- land nur spärlichen Regen zuführen. Inwiefern aber die Monsune des indischen Oceans diese Regel modificiren oder wie sie auf die hyetographischen Verhältnisse Neu-Hollands einwirken mögen, darüber kann ich meinen bisherigen über jenen Theil des Oceans angestellten Untersuchungen nach, noch kein Endurtheil aus- sprechen. Dagegen könnte aus dem bereits oben über die meteoro- logischen Kräfte der Atmosphäre Gesagten manches treffende Bei- spiel ausgewählt werden. Ist es daher auch nicht mit mathematischer Gewissheit erwie- sen, dass der Magnetismus die Kraft ist, welche den Sturm von der Rechten zur Linken oder von der Linken zur Rechten, welche die feuchte und die trockene Luft auf ihre festbestimmten Pfade und den Wind in seinem Kreislaufe leitet, so wird dies doch höchst wahrscheinlich; und wenn wir Kreuzungen der Luft in den fünf Calmengegenden, wie sie die erste Figur zeigt, annehmen, können wir eine grössere Menge von Thatsachen und Phänomenen erklä- ren, als durch jede andere Hypothese. Sobald man aber das Feld der Conjekturen betritt, muss man die Hypothese aufsuchen, unter welcher sich die grösste Anzahl bekannter Thatsachen und gut be- obachteter Phänomene vereinigen lässt. Und so halten wir an un- serer Theorie fest, bis man uns durch Gründe von ihren Mängeln und Gebrechen überzeugt haben wird. Wir erkennen also in dem Magnetismus der Atmosphäre die Kraft, welche die Luft nicht bloss durch die Calmengürtel leitet, Maury, Die plıys. Geogr. d. Meeres. 3 114 Die physische Geographie des Meeres. sondern auch namentlich verhindert, dass sie auf der Seite, wo sie hineinströmte, wieder austritt. Wir kennen kein andres Agens, welches so wie diese Eigenschaft des Sauerstoffs der Luft die von der Hypothese geforderten Funktionen verrichten könnte. Daher die Vermuthung, dass der Magnetismus und die Elektricität zu den Kräften gehören, welche bei der Circulation der Atmosphäre mitwirken. Sechstes Kapitel. Meeresströmungen. Die Meeresströmungen sind von Gesetzen beherrscht. — Die Meeresbewohner sind an ein ge- wisses Klima gebunden. — Die Strömungen zeigen die Klimate der See an. — Erste Prineipien. — Einige Strömungen bewegen sich bergauf. — Strömungen des rothen Meeres. — Das obere Ende jenes Meeres ist eine geneigte Ebene. — Wie ein Strom erzeugt wird, der unten aus dem- selben herausgeht. — Specifische Schwere der Meeresgewässer. — Warum der Salzgehalt des rothen Meeres nicht grösser wird ?— Strömungenim Mittelmeere. Woraus wir ersehen, dass auch aus diesem Meere ein unterseeischer Strom herausgeht. — Das untergesunkene und hinaustreibende Wrack. — Beide Strömungen von dem Salzgehalt des Meeres verursacht. — Strömungen imindischen Ocean. Warum ungeheure Volumina warmen Wassers aus demselben hinausfliessen. — Ein Golfstrom längs der Küste von China. — Punkte, in welchen derselbe dem Atlantischen ähnelt. — Eine Strömung iu die Behringsstrasse hinein. — Geogra- phische Gestaltungen, die grossen Eisbergen im nördlichen stillen Meere ungünstig sind. — Noth- wendigkeit der Kälte, um das Wasser durch warme Strömungen und Verdunstung zu verbessern. — Argumente zu Gunsten der Gegenströmungen, wegen des Salzgehalts des Meerwassers. — Strömungenim stillen Meere. Die Sargasso-See in demselben. — Das Antreiben an die Aleutischen Inseln. — Die kalte chinesische Strömung. — Humboldt’s Strömung. — Auffindung einer ungeheuren Masse warmen südwärts treibenden Wassers. — Strömungen in der Gegend des Aequators. — Unterseeische Strömungen. Versuche der Lieutenants Walsh und Lee. — Tiefe Seepeilungen als Beweis der untern Strömungen. — Strömungen, welche durch den Wechsel der specifischen Schwere des Meerwassers hervorgebracht werden. — Die Bestand- theile des Meerwassers sind überall dieselben, woraus sich offenbar auf eine allgemeine oceani- sche Circulation schliessen lässt. — Strömungen des athantischen Meeres. Der grosse Aequatorial- Strom; sein Urquell. — Beweis, dass die Cap St. Roque-Strömung keine constante ist. — Die Schwierigkeiten, welche das Verstäudniss aller Strömungen an den Küsten des atlantischen Oceans erschweren, lassen sich ohne die Annahme von untern Strömungen nicht lösen. Wir stellen diesem Kapitel das Postulat voran, dass das Meer ebensogut wie die Luft sein System des Kreislaufs hat und dass dies System, wie es auch beschaffen sein mag und wo auch seine Kanäle liegen mögen, sei es in den Wassern an oder unter der Oberfläche, physikalischen Gesetzen unterworfen ist. Die See zeigt der Anordnung des gesammten Erdballs nach in den Strömungen ihrer Gewässer einen Ausdruck ihrer Lebens- thätigkeit. Wenn wir sie hin und her fluthen sehen, so merken wir wohl, dass sie nicht zwecklos in Bewegung gesetzt wurden. Unsere Meeresstrémungen. 115 Vernunft giebt uns im Gegentheil die Versicherung, dass sie einem Naturgesetz gehorchen, das, wenn es sich auch in unergründliche Meerestiefen bergen wollte, doch endlich in den sich stets erwei- ternden Gesichtskreis der Menschen kommen wird; und wenn es ein Naturgesetz ist, so wissen wir, wer es gab und dass der Zufall mit seinen Verordnungen nichts zu thun hat. Die Natur gewährt uns alles, was dieses Postulat fordert und wiederholt dasselbe in den mannigfaltigsten Formen des Ausdrucks, in dem Grashalm, den ein Luftstrom aus dem fernen Tropenland warm und feucht anweht und in der kühlenden Strömung des Nor- dens. Der Wallfisch und alle Völker der See verkünden es. Die Fauna und Flora des Meeres ist ebenso vom Klima abhän- gig, als die des trockenen Landes. Wenn dies nicht der Fall wäre, so würden wir die Fische und Meergräser, die Insekten und Ko- rallen über alle Theile des Oceans gleich vertheilt sehn. Der Wall- fisch der Polarzone würde sich in den lauen Wassern des Südens tummeln und die Perlmuschel unter Eisbergen oder in den bis unter die Temperatur des schmelzenden Eises erkälteten Gewässern wohnen. Während nun die Wärmecapacität des Wassers fast von der keiner andern Substanz übertroffen wird, ist dasselbe doch zugleich einer der vollkommensten Nichtleiter. Die Wärme durchdringt das Wasser nicht so wie z. B. das Eisen oder andere gute Leiter. Man erhitze das obere Ende einer Eisenplatte, das untere wird alsbald auch warm werden; man erwärme aber die obersten Theile einer Wasserschicht z. B. in einem Becken oder Teiche und das Wasser am Boden wird kalt bleiben. Die Wärme wird durch das Eisen hindurch ohne weiteres fortgeleitet, aber durch das Wasser muss sie durch Bewegung weitergeführt d. h. durch Strömungen ver- breitet werden. Deshalb involvirt das Studium der Seeklimate zugleich die Kenntniss der Seeströmungen, sowohl der kalten als der warmen. Durch sie circuliren die Gewässer wie durch Kanäle, durch sie wird die Harmonie des alten Oceans vor jeder längern Störung bewahrt. Wenn wir daher das System der oceanischen Circulation studiren, so beginnen wir mit der höchst einfachen Annahme, dass jeder Strö- mung, die von irgend einem Theile des Oceans herkommt, eine zweite von gleichem Volumen entgegenströmen muss, denn auf diesem Grundsatz ist das ganze System der gesammten Luft- und Wasserströmungen basirt. 8 * 116 Die physische Geographie des Meeres. Es ist nicht nothwendig, mit den oceanischen Strömungen, wie mit denen auf dem Festland, die Idee zu verbinden, dass sie von einem höhern Niveau stets einem tiefern zuströmen müssten. Einige Meeresströmungen laufen sogar bergan, andre genau horizontal. Der Golfstrom gehört, wie wir gesehen haben, unter die erste Klasse. Die Strömungen, welche aus dem atlantischen Ocean in das Mittelmeer und aus dem indischen Ocean in das rothe Meer einlaufen , sind Beispiele für den umgekehrten Fall. Hier ist die Grundfläche der Strömung wahrscheinlich wasserrecht und der obere Theil eine bergab fliessende schiefe Ebene. Wir wählen die rothe Meer Strömung zum Beispiel. Dieses Meer liegt grössten- theils in einem Distrikt ohne Regen und ohne Flüsse. Man könnte es mit einem langen, schmalen Troge vergleichen. Da es in einem regenlosen Gebiete liegt, so bildet sich aus demselben eine grosse Menge Wasserdampfs. Weder Regen, noch Flüsse führen demsel- ben das ihm so entzogene Wasser wieder zu. Es streckt sich 1000 Meilen weit fast von Nord nach Süd vom 30. bis zum 13. Grad nördl. Br. aus. Vom Mai bis Oktober soll das Wasser im obern Theile dieses Meeres zwei Fuss tiefer als an der Mündung stehen. *) Dieser Niveauunterschied wird der Einwirkung des Windes zuge- schrieben, der in jener Zeit vorwiegend aus Norden kommt und so- mit das Wasser hinaus weht. Von Mai bis Oktober geht auch, da in dieser Zeit die grösste Hitze eintritt, die Dampfbildung am schnellsten vor sich; und wenn wir bedenken, wie trockene und heisse Winde dann über diesen Meerespiegel wehen, so müssen wir die tägliche Evaporation gewiss sehr hoch anschlagen, sicher nicht auf weniger als einen halben Zoll und wahrscheinlich auf doppelt so viel. Bekanntlich ist die Wasserverdunstung in Kanälen zur Sommerzeit ein Element, auf welches der Ingenieur bei der Berech- nung der zufliessenden Wassermengen sehr wohl zu achten hat. Wie viel grösser muss aber der Wasserverlust sein, den dieses Meer durch Evaporation erleidet, wenn wir die physischen Umstände, unter denen es sich befindet, betrachten. Die arabische See, gleich- sam sein Speiserohr, ist an 1000 Meilen weit von seinem obern Theil entfernt; seine Gestade sind brennende Sandwüsten; die Dampfbildung geht unaufhörlich vor sich und von den Dämpfen, welche die Gluthwinde ihm entführen , wird ihm nichts m Regen- form zurückgegeben. Diese Dämpfe werden vielmehr anderswo *) Vgl. Johnston’s physikalischen Atlas. Meeresströmungen. 47 niedergeschlagen. Wenn also der Wasserspiegel im nördlichen Theile dieses Meeres während der Sommerzeit etwas sinkt, so scheint dies wenigstens eben so sehr durch die Dampfbildung als durch die das Wasser zurückstauenden Winde bewirkt zu werden. Die Dampfbildung beträgt in gewissen Theilen des indischen Oceans Y, bis 1 Zoll täglich. Wir wollen sie aber für das rothe Meer nur auf ', Zoll ansetzen. Geben wir nun der Strömung, welche von der Mündung desselben dem Meerbusen von Suez zu- fliesst, im Mittel eine tägliche Geschwindigkeit von 20 Meilen, so würde dasselbe seinen ganzen Weg erst in 50 Tagen zurücklegen und dabei, ehe es den Isthmus von Suez erreicht, 25 Zoll an seiner Oberfläche verlieren. Es müsste demnach 'das Niveau des rothen Meeres am Isthmus tiefer stehen, als an der Strasse Bab-el-Mandeb. Abgesehen von der Einwirkung des Windes und der Verdampfung, hat aber die Temperatur auch noch ihren Einfluss; denn sie steht bei Suez unter dem 30. Grad natürlich tiefer als in der 17° südli- cher liegenden Mündungsgegend. Sollte diese Neigung der Oberfläche des rothen Meeres gegen den Horizont noch nicht einleuchten, so denke man sich einmal das Bett desselben vollkommen glatt und horizontal und ohne Wasser. Eine 10 Fuss hohe Welle ströme jetzt durch die Strasse von Bab-el-Mandeb ein und lege 50 Tage lang täglich 20 Meilen zurück. Verliert sie nun täglich % Zoll durch Evaporation, so ist leicht einzusehen, dass sie am letzten Tage ein etwa zwei Fuss tie- feres Niveau haben muss. Die Seeoberfläche ist daher als eine schiefe Ebene anzusehen. Aber das Salzwasser, das so viele Süsswassertheile durch Ver- dampfung verloren hat, wird noch salzreicher und also schwerer. Das leichtere Wasser an der Meerenge kann dem schwerern am Isthmus nicht das Gleichgewicht halten und das kältere und salzi- gere, mithin schwerere Wasser muss entweder als eine untere Strö- mung hinausfliessen oder seinen Ueberschuss an Salz in Form von Krystallen absetzen und so den Boden des rothen Meeres allmählig mit Salz incrustiren oder dem Ocean immerfort Salz entziehen, um dem rothen Meere die Sole zuzuführen. Da nun die beiden letztern Processe, wie wir wissen, nicht vor sich gehen, so schliessen wir, dass, wie in der Strasse von Gibraltar, ebenso in den Mündungs- "kanal des rothen Meeres eine obere Strömung vom Ocean aus hin- 118 Die physische Geographie des Meeres. ein und eine untere hinausgehen wird*) und dass das Wasser an der Oberfläche bei Suez salziger sein muss, als das in dem Bahr Jemen nahe der Miindung. Die in das Mittelmeer einmiindenden Ströme können den Ver- lust an verdampften Wasser nicht ganz ersetzen und durch einen dem obigen ähnlichen Process wird das von dem Ocean hineinge- führte Salz diesem zurückgegeben; sonst müsste das Bett jenes Meeres schon längst eine feste Salzmasse sein. Jene wunderbaren Harmonien, welche die Alten bereits in der Musik der Sphären symbolisirten, zeigen sich auch in dem Compensationssystem, wel- ches alle Meere im Gleichgewicht erhält. Nach diesen theoretischen Bemerkungen über untere Strömun- gen wollen wir die Resultate wirklicher Beobachtungen, welche über die Dichtigkeit des Wassers im rothen und Mittelmeer und über die aus diesen Meeren sich ergiessenden Unterströmungen angestellt worden sind, näher ansehen. Vor vier oder fünf Jahren sammelte Herr Morris, erster Inge- nieur auf der Ajdaha, einem Dampfschiffe der orientalischen Com- pagnie, Proben von Wasser aus dem rothen Meere auf dem ganzen Wege von Suez bis zur Strasse von Bab-el-Mandeb. Dr. Giraud untersuchte dieselben später und erstattete über die Resultate fol- genden Bericht ab **): Breiten-Grade. | Längengrade. | Be Be No. 1. Bei Suez 1027 41,0 - 2. Im Golfv. Suez 27.49 33. 44 1026 40,0 - 3. Im rothen Meere 24. 29 36. 00 1024 39,2 RAR Ebend. 20. 55 38. 18 1026 40,5 B 20. 43 40. 03 |. 1024 39,8 Be - 14. 34 42. 43 |. 1024 39,9 anid: - 12. 39 A Ta ORs 39/2 Diese Beobachtungen stimmen im Allgemeinen mit den obigen *) Um den Eintritt dieser Doppelstrémung recht anschaulich zu machen, giebt Maury das bekannte Beispiel eines länglichen Gefässes, das durch eine Scheidewand in der Mitte in 2 Abtheilungen getheilt wird. Man denke sich nun in die eine etwa Wasser, in die andere eine specifisch leichtere Flüssigkeit, etwa Oel, gegossen und danach die Scheidewand plötzlich entfernt; natürlich treten sofort in beiden Flüssigkeiten Bewegungen ein, welche keines Commen- tars bedürfen. **) Verhandlungen der geogr. Gesellschaft zu Bombay. Vol.IX, Mai 1849, bis August 1850. Meeresströmungen. 119 theoretischen Deductionen und zeigen, dass die Gewässer an der Oberfläche immer salziger und specifisch schwerer werden, je weiter sie von der Mündung entfernt sind. An demselben Orte wird erzählt, dass die Luftwärme zwischen Suez undAden oft auf 90° (etwa 26° Re.) steigt ,,und im Mittel (aus Tag- und Nachtbeobachtungen) für das ganze Jahr wahrscheinlich nicht unter 75° (19° Re.) sinkt. Die Temperatur der Meeresober- fläche schwankt zwischen 65 und 85° (14% bis 234° Re.) und der Unterschied zwischen dem trockenen und hygrometrischen Ther- mometer (the wet and dry bulb thermometers) beläuft sich oft auf 25°, in den Chamsin- oder Wüstenwinden auf 30 — 40°; die Atmo- meter zeigen in Aden eine mittlere jährliche Verdunstung von etwa 8 Fuss.‘* ,,Angenommen, ‘‘ sagt Dr. Buist, ,,dass die Verdunstung im rothen Meere die zu Aden nicht übersteigt, so würde eine Was- serschicht von 8 Fuss Höhe und einer dem Areal des rothen Mee- res gleichen Grundfläche jährlich in Dampfform übergehen. Setzen wir ferner die mittlere Tiefe des rothen Meeres auf 500 Fuss — was höchst wahrscheinlich das Doppelte der wirklichen "Tiefe ist — so würde das ganze Binnenmeer, wenn kein Wasser vom Ocean nachflösse, in 100 Jahren austrocknen. Die Gewässer des rothen Meeres enthalten durchweg dem Gewichte nach etwa 4%, Salz — oder da Salz schwerer ist als Wasser, etwa 2,7%, an Masse, oder in runder Zahl etwa 3%. Nach der eben ausgesprochenen Annahme müsste dieses Meer in 3000 Jahren zu einer festen Salzmasse ge- worden sein, wenn keine Strömung aus demselben hinausflösse. ‘ Das rothe Meer ist aber bekanntlich über 3000 Jahre alt und kei- neswegs mit Salz angefüllt; der Grund besteht darin, dass die un- tern Strömungen alles Salz, welches durch die obern in das Meer gelangt, ebenso schnell wieder aus demselben entfernen. *) *) Vielleicht werden noch einige Bemerkungen über das rothe Meer an die- ser Stelle willkommen sein. — Die französischen Ingenieure, welche die ägyp- tische Expedition begleitet hatten, wollten 1799 gefunden haben, dass der Golf vor. Suez 30’ höher liege, als das Mittelmeer. Man entdeckte endlich einen Rechnungsfehler und setzte den Höhenwerth auf 9 Fuss herab. — Auf dem rothen Meere wehen die Winde im Sinne der grossen Achse und zwar 8 Monate von Nordwest und 4 Monate von Südost. Der Nordostmusson, der vom Okto- ber bis Anfang Juni im indischen Ocean herrscht, dreht sich bei Bab-el-Mandeb beinahe in einen rechtem Winkel und bläst in südöstlicher Richtung in das ery- thräische Thal hinauf. In der Regel bringt er die Schiffe nur bis Dschidda. Von Suez bis Dschidda herrschen fast immer nördliche, mitunter sehr heftige Winde. Nur von December bis April lassen sich zeitweise Südwinde verspüren. Nach 120 Die physische Geographie des Meeres. Strömungen im Mittelmeer. — Mit Bezug auf cine untere Strömung aus dem Mittelmeer, fangen wir mit der Bemer- kung an, dass ein Oberflächenstrom, wie wir wissen, fortwährend von dem atlantischen Ocean aus dem Mittelmeere zuströmt und zwar ein Salzwasserstrom, der diesem Meer eine ungeheure Masse Salz zuführt. Wir wissen ferner, dass das Mittelmeer nicht salziger wird und können desshalb, abgesehen von dem Postulat und den Beobachtungen (s. S. 115 u. 121.), auf das Vorhandensein einer untern Strömung schliessen, durch welche dieses Salz wieder sei- nen Weg in den offenen Ocean findet. *) den Versicherungen des französischen Consuls Fontanier gelangen europäische Schiffe im günstigsten Falle in 30 Tagen von Bab-el-Mandeb nach Suez, wäh- rend sie zur Rückfahrt 7 bis$ Tage brauchen. Die Bitterseen zeigen eine De- pression von 16 Fuss unter dem Meeresspiegel. Der Regen ist so selten, dass man schon 4 Jahre lang in Mocha keinen ein- zigen Regentag gehabt hat. Bisweilen hält aber der Regen auch wochenlang an. Durch Verdampfung verliert das Meer, wenn man täglich nur '/, Zoll rechnet, jährlich 8 Fuss oder ein Volumen von wenigstens 165 englischen oder etwa 1'/, deutschen Kubikmeilen. Da nun dieser Verlust nicht durch Flüsse oder Nieder- schlag ersetzt wird, so erfolgen Strömungen im Sinne der Längenachse vom Ocean her. Aber es treten an der Oberfläche des rothen Meeres auch sehr starke, von Maury nicht erwähnte, Gegenströmungen auf, deren Ursache bisher noch immer problematisch geblieben ist. Die beste Erklärung scheint die folgende zu sein. Das verdampfende Seewasser lässt bekanntlich alle Salztheile zurück. Diese das in Folge der Verdampfung rückständige Salz aufnehmenden Wasser- theile sinken, bevor sie völlig gesättigt sind, nach unten, bis sie eine Wasser- schicht von gleichem Salzgehalt und gleicher specifischer Schwere erreichen. Diese Wasserschicht steigt so lange bis sie die Höhe der unterseeischen Schwelle bei Mocha erreicht, wo sie dann vermöge ihrer grössern specifischen Schwere in den Ocean hinaus fliesst. Diese starke submarine Strömung von Nord nach Süd geräth aber bisweilen in Kampf mit der obern nördlichen. Es ist sehr wahr- scheinlich, dass dieses Gegenströmen durch die Formation des Meeresboden, namentlich durch die grössere Seichtigkeit nach der südlichen Schwelle zu be- fördert wird, ja wir möchten es selbst für möglich halten, dass ein zeitweiliges Vorherrschen der anomalen Strömung in Verbindung mit starken, trockenen Nordwinden bei hohen Hitzegraden den Spiegel der nördlichen Theile des ery- thräischen Beckens um mehrere Fuss zu deprimiren vermag, wobei man unwill- kührlich an die mosaischen Ueberlieferungen denkt. Jedenfalls scheint das rothe Meer in Folge der Abdampfung jährlich mindestens einmal frisch aufgefüllt zu werden, so bedeutend ist die obere Einströmung des oceanischen Wassers und der unterseeische Abfluss der Gewässer des rothen Meeres. (D. Ueb.) *) Dr. Smith scheint diese Erklärung im Jahre 1683 zuerst als Conjectur gegeben zu haben (s. Philosophical Transactions). Dieses beständige Einströ- men in das Mittelmeer erscheint als eine vielbesprochene Streitfrage selbst un- ter den Seefahrern und Physikern der Gegenwart. Dr. Smith spielt auf mehrere Hypothesen an, welche zur Erklärung dieser Phänomene erfunden wurden, z. B. unterirdische Winde, Höhlungen, Verflüchtigung durch die Sonnenstrah- Meeresströmungen. 121 In Bezug auf diesen obern und untern Strom gehen zuverläs- sige Beobachtungen bis auf das Jahr 1712 zurück. „Im Jahre 1712°, sagt Dr. Hudson in einem der Philosophical Society 1724 mitgetheilten Aufsatze, ,,kam Monsieur du L’Aigle, jener edle und glückliche Commandeur des Kaperschiffes ,,der Phönix‘‘ aus Marseille, indem er nahe bei der Landspitze von Ceuta auf ein nach Holland fahrendes holländisches Schiff Jagd machte, mitten in der Meerenge zwischen Tarifa und Tanger mit demselben zusammen, gab ihm eine volle Lage und bohrte dasselbe sofort in den Grund. Die Mannschaft wurde von Monsieur du L’Aigle ge- rettet. Einige Tage darauf kam das holländische Schiff mit seiner Ladung von Branntwein und Oel an der Küste bei Tanger wieder zum Vorschein, d. h. wenigstens 4 Leagues (also 12 engl. Meilen) westlich von der Stelle, wo es gesunken war und gerade gegen den Andrang der Strömung. Dies hat viele davon überzeugt, dass in der Mitte der Enge im tiefen Wasser eine Rückströmung ist, welche nach dem grossen Weltnieer hinausgeht, wie dies ein solcher Vor- fall bewies, und möglicherweise kehrt ein grosser Theil des Was- sers, das in die Meerenge einströmt, auf diesem Wege längs der beiden obenerwähnten Küsten zurück; sonst hätte dieses Schiff natürlich Ceuta zu und dann nach oben getrieben werden müssen. Das Wasser muss in der Enge sehr tief sein; mehrere Comman- deure unserer Kriegsschiffe haben versucht, es mit den längsten Leinen, die sie auftreiben konnten, zu sondiren, konnten aber durch- aus keinen Grund finden.‘‘ 1828 legte Dr. Wollaston der Philosophical Society in einem len u. s. w. und stellt dann seine Conjectur auf, welche wörtlich lautet: ,,eine untere Strömung existirt, durch welche eine ebenso grosse Menge Wassers hinausgeschafft wird, als oben einfliesst. Um dies zu bekräftigen, will ich ausser dem oben über die Differenz der Ebbe und Fluth auf der hohen See und an der Küste der Dünen Gesagten — was eine untere Strömung nothwendig voraussetzen lässt — ein Beispiel ähnlicher Art aus dem Sunde beibringen, wie es mir von einem tüchtigen Seemann, der bei dem Versuche gegenwärtig war, mitgetheilt worden ist. Er erzählte mir, dass sie, während sie sich dort auf einer königlichen Fregatte befanden, mit ihrer Pinasse mitten in die Strömung hinausgefahren seien, die sie schnell mit sich fortriss. Danach hätten sie einen Schiffseimer mit einer schweren Kanonenkugel bis zu einer gewissen Tiefe in das Wasser hinabgelassen, was der Bewegung des Bootes Einhalt gethan hätte; und da sie ihn immer tiefer und tiefer gesenkt hätten, sei das Boot gerade auf- wärts gegen den obern Strom fortgetrieben worden. Der obere Strom sei da- bei — wie er hinzufügte — nicht über 4 bis 5 Faden tief gewesen und je tiefer man den Eimer habe fallen lassen, desto stärker habe man den untern Strom gefunden.“ 122 Die physische Geographie des Meeres. Aufsatze dar, dass er die specifische Schwere einer Probe von Meer- wasser aus einer Tiefe von 670 Faden, 50 Meilen innerhalb der Meerenge so bedeutend gefunden habe, dass es die Dichtigkeit des destillirten Wassers um mehr als das Vierfache des gewöhnlichen Excesses überschritt und also bei der Verdunstung auch mehr als das Vierfache der gewöhnlichen Menge an Salzresiduum zurück- liess. Es erhellt hieraus, dass eine untere, nach aussen gerichtete Strömung solchen dichtern Wassers, wenn sie mit der obern gleiche Breite und Tiefe hätte, soviel Salz, als die obere zubrachte, wieder hinausführen würde, wenn sie sich auch mehr als viermal langsa- mer bewegte und dass sie so eine fortwährende Zunahme des Salz- gehalts im Mittelmeer, der bald den atlantischen übertreffen dürfte, verhindern würde. Der Doctor erhielt diese Probe Seewasser vom Kapitän, jetzt Admiral Smyth von der engl. Flotte, der sie für den Dr. Marcet bestimmt hatte. Dr. Marcet starb aber, ehe er sie erhielt und sie war einige Zeit in den Händen des Admirals geblieben, ehe sie in die Wollaston’s gelangte. Es mag desshalb etwas durch Evaporation verloren haben; denn es ist schwer zu begreifen, dass alles Flusswasser und drei Viertel des in das Mittelmeer einfliessenden Seewassers in Dampf verwandelt würde, um für den Unterstrom ein Wasser von viermal so grossem Salzgehalt, als ihn das Meer an der Oberfläche gewöhn- lich zeigt, zu hinterlassen. Ganz vor Kurzem soll Monsieur Coup- vent des Bois durch wirkliche Beobachtung das Vorhandensein der beiden Strömungen an der Mündung des Mittelmeeres nachgewie- sen haben. Diese Thatsachen und die Angaben des Secretärs der geogra- phischen Gesellschaft in Bombay lassen unter allen Umständen die Existenz eines untern Stroms aus dem Rothen und Mittelmeere nicht mehr bezweifeln und erklären zugleich, warum ein Ober- flächenstrom in dieselben einfliesst. Der Beweisgrund liegt in dem Salzgehalt des Wassers. Schriftsteller, deren Urtheil die höchste Achtung verdient, sind in Bezug auf diese Beweisführung anderer Ansicht als ich. Zu diesen gehört Admiral Smyth von der königl. Flotte und Sir Charles Lyell, die selbst wieder verschiedener Meinung sind. Da Dr. Marcet 1820 Untersuchungen über die chemischen Bestand- theile des Seewassers anstellte, so unternahm es der Admiral, nach seiner Art, sich gegen Freunde höchst artig zu zeigen, für den Doctor Meeresströmungen. 123 Proben von Wasser des Mittelmeers aus verschiedenen Tiefen, be- sonders in und bei der Strasse von Gibraltar zu sammeln. Unter diesen befand sich die erwähnte, welche 50 Meilen von der Strasse in das Meer hinein, aus der Tiefe von 670 Faden (4020 Fuss) ge- schöpft wurde und, da sie viermal salziger war, als gewöhnliches Meerwasser, dem Dr. Wollaston jeden Zweifel an dieser salzigen untern Strömung benahm. Aber der unermüdliche Admiral entdeckte im Verlauf seiner berühmten Aufnahme und Durchforschung des Mittelmeeres, dass die Tiefe, während sie östlich von der Strasse mehr als 900 Faden betrug, doch in der Strasse selbst im seichtesten Querschnitt der- selben 160 Faden nicht übersteigt. *) ;, Wenn dies der Fall ist, so kann man beweisen ‚‘“ ruft Sir Charles Lyell aus, ‚‚dass die ungeheure in das mittelländische Meer gebrachte Salzmenge nicht wieder durch die Strasse in den Ocean gelangt; denn es erhellt aus den Sondirungen des Kapitän Smyth, die Dr. Wollaston nicht zu Gesicht gekommen waren, dass zwi- schen dem Kap Trafalgar und Spartel (in Afrika), welche 22 Mei- len entfernt liegen, und wo die Strasse am seichtesten ist, die tiefste Partie nach dem Kap Spartel zu, nur 220 Faden zeigt. *) Es leuchtet also ein, dass, wenn in gewissen Theilen des Mittelmeeres Wasser in Folge der Zunahme seiner specifischen Schwere bis zu grösseren Tiefen als 220 Faden (1320 Fuss) niedersinkt, es nimmer- mehr wieder in den atlantischen Ocean ausfliessen kann, da die unterseeische Vormauer der Schwelle, welche sich quer über die seichtesten Theile der Strasse von Gibraltar erhebt, dasselbe auf- halten muss. ***) Einem solchen Schlusse zufolge, müssten alle die Vertiefun- gen, die Aushöhlungen und Thäler am Boden der See, besonders in der Passatregion, wo die Verdunstung so stark und so gleich- mässig ist, sich mit immer salziger werdendem Wasser, mit Sole fül- len. Ist es wahrscheinlich, dass ein solcher Process vor sich geht ? Keineswegs. Einem solchen Schlusse zufolge müsste das Wasser am Grunde der grossen amerikanischen Seen stark salzig sein, denn die Ströme und Regengüsse bringen, wie zugegeben wird, Salztheile vom Lande *) „Admiral Smyth, the Mediterranean.‘ **) 160 nach Smyth. ***) Lyell’s Principles of Geology, p. 334—5, 9. Ausgabe. London 1853. 124 Die physische Geographie des Meeres. mit und leeren diese salzhaltigen Gewässer in dieSeen aus. Es wird auch zugegeben, dass die grossen Seen dieser Ursache wegen salzig sein würden, wenn sie keinen Abfluss ın das Meer hätten. Der Niagara-Strom giebt diese Salztheile im Flusswasser von den obern Seen an den Ontario ab und der St. Lorenz bringt sie von da in das Meer. Nun liegen aber die Becken und Bodenflächen aller dieser obern Seen viel tiefer als die Gipfel jenes Felsen, über wel- chen die Fluth des Niagara herabstiirzt. Wäre der von diesem Schriftsteller aufgestellte Satz richtig, dass nämlich Wasser, wenn es einmal in irgend einem dieser Seen vermöge seiner specifischen Schwere unter das Niveau seichter Stellen in den Flüssen und der sie verbindenden Engen herabgesunken wäre, nie wieder heraus- fliessen könnte und also in Ewigkeit dort bleiben müsste, — wäre solch ein Princip physisch begründet, würde da das Wasser am Boden der Seen die unzähligen Jahrhunderte hindurch, in denen sie ihr oberes Wasser dem Meere zusandten, nicht allmählig Salz genug erhalten haben, um dieses für immer dort eingeschlossene Wasser zu Sole zu machen, oder wenigstens seine Bestandtheile im Ver- gleich mit dem Wasser an der Oberfläche wesentlich zu modificiren ? Man kann voraussetzen, dass das Wasser am Grunde jeder ausge- dehnten und ruhigen Wasserfläche, mag es salzig oder süss sein, sich vermöge seiner specifischen Schwere dort befindet; aber dass es nicht für immer dort bleibt, dafür fehlt es nicht an Beweisen. Bliebe das Wasser unten, so würde der Niagara-Strom vom Erie- See aus nur mit der Wasserschicht gespeist werden, welche sich oberhalb des Niveaus des Felsenrands, über welchen der Niagara herabfällt, befindet. Wir würden demnach überall, wo die Breite dieses Stromes die an dem Wasserfall nicht überschreitet, eine ebenso reissend schnelle Strömung beobachten, wie die des Stro- mes im Augenblick, wo er zu seinem gewaltigen Sprunge ansetzt. Um uns zu überzeugen, dass dies in der Natur nicht so ist, brau- chen wir nur irgend einen gewöhnlichen Mühlteich zu beobachten, wenn das Wasser über den Damm läuft. Die Strömung im Teiche, welche das überfliessende Wasser liefert, ist kaum bemerkbar, denn „‚stilles Wasser läuft tief.‘ *) Ueberdies wissen wir, dass ein sol- cher an der Oberfläche hinstreifender Strom, wie ihn die Geologen nach ihren Theorien construiren möchten, nicht von einem See *) Wir übersetzen wörtlich, da das deutsche Sprichwort hier nicht recht anwendbar ist. Oe ee : Eee ‚Meeresströmungen. 125 zum andern hinfliesst ; denn wo nur das Wasser oberhalb der Nia- garafälle tief ist, da finden wir gewiss auch eine im Verhältniss zu der Geschwindigkeit, die das Wasser in der Nähe der Fälle an- nimmt, träge und langsame Strömung, und es bewegt sich an tie- fen Stellen stets langsamer, als an seichten, weil auch von unten Wasser abfliesst. Die gewöhnlichen ,, Auswaschungen‘‘ an Kanälen lehren uns dieselbe Thatsache. Der Schluss jenes berühmten Geologen scheint auf der An- nahme zu beruhen, dass, wenn Wasser in Folge seiner specifischen Schwere, einmal in einer Strömung, wo diese am seichtesten ist, zu Boden gesunken ist, es keine Zug- oder sonst eine Kraft in Flüs- sigkeiten giebt, welche dieses schwere Wasser wieder emportreiben könnte. Wenn sich dies so verhielte, so könnten wir kein tiefes Wasser unmittelbar innerhalb der Bänke haben, welche die Aus- mündung grosser Flüsse in die See gewöhnlich versperren. So rückt die Barre an der Mündung des Missisippi, welche nur 15 Fuss hoch mit Wasser bedeckt ist, nach guten Schätzungen, jahr- lich um eine zwischen 100 und 20 Ellen *) schwankende Strecke in das Meer vor. An der Stelle, wo sich jene Barre befand, als sie New-Orleans um 1000 Ellen näher lag, mag sie vor 15 Jahren oder vor einem Jahrhundert mit ihrer Wassertiefe von 15 bis 16 Fuss dort gewesen sein, beläuft sich jetzt die Tiefe auf das 4- bis 5fache. Wenn sich nun nach emander neue Barren seewärts von der alten bildeten, was wühlte denn den angeschwemmten Bodenniederschlag der alten auf, hob ihn von der Stelle, wo ihn die specifische Schwere abgesetzt hatte empor und über eine nur wenige Fusse von der Oberfläche abstehende Barre hinweg? Lässt doch Sir Charles selbst diesen majestätischen Strom seinen Grund bis zu Tiefen, die weit unter dem obersten Punkt der Barre an der Mündung liegen, aufreissen. Er beschreibt den Missisippi als einen Fluss mit fast gleichförmiger Breite bis auf die Entfernung von 2000 Meilen von der Mündung. **) Er lässt ihn sich einBett aus dem Boden ausschneiden, welcher doch schwerer ist als Admiral Smyth’s Meerwasser aus der Tiefe, und dies Bett liegt bis auf 200 Fuss unter dem höchsten Punkte der *) Yards; wenigstens 60, höchstens 300 Fuss. **) „„From near its mouth at the Balize, a steam -boat may ascend for two thousand miles with scarcely any perceptible difference in the width of the river.‘* — Lyell, p. 263. 126 Die physische Geographie des Meeres. die Miindung versperrenden Barre.*) Sollte nicht dieselbe Ge- walt, welche diese festen Massen aushöhlt und wegschaufelt, auch das Salzwasser aus dem Pfuhl des Mittelmeeres heraufziehn und über die unterseeische Schwelle in der Strasse von Gibraltar weg- schaffen können ? Das Ziehen der Lokomotiven auf Eisenbahnen und die Zug- kraft derselben wird wohl verstanden. Leiten nun die Strömungen in der Tiefe des Meeres ihre Gewalt nicht von einer ähnlichen Kraft her? Man nehme an, dieser aus dem Mittelmeer kommende untere Strom erstrecke sich bis in eine Tiefe von 160 Faden, so dass er an dem quer über die Meerenge auf dem Meeresgrunde sich erhe- benden Wall sich reibt. Auf die Unterfläche dieser Strömung wirkt somit ein Druck von mehr als 50 Atmosphären ein. Haben wir hier nicht eine Kraftquelle, welche Wasser durch eine unmerkbar langsame Bewegung fast aus jeder beliebigen Tiefe emporzuziehen vermöchte? Jedenfalls scheint sich die Wirkung der Strömungen, mag sie eine Kraft des Ziehens, der Reibung, oder irgend eine andere enthalten, weit unter das Niveau, welches ihr Bett an seichten Stellen hat, zu erstrecken. Wäre dem nicht so — würde das Salzwasser nicht wieder fortgeschafft — so könnte man leicht beweisen, dass dieses in das Mittelmeer einströmende Wasser, selbst schon während der von Sir Charles für die Bildung des Mis- sisippi-Deltas (einer der neuesten Formationen) angesetzten Zeit, Salz genug enthält, um das ganze Becken jenes Meeres mit Kry- stallen zu füllen. Admiral Smyth brachte feste Theile des Meeres- grundes mit seiner salzigen Wasserprobe aus der Tiefe (670 Faden) herauf, aber keine Salzkrystalle. Der wackere Admiral scheint weder den Folgerungen Dr. Wollaston’s in Bezug auf eine untere Strömung, noch dem Geolo- gen in seinen Schlüssen in Bezug auf die Wirkung der die Meerenge durchkreuzenden Schwelle seine Zustimmung geben zu wollen, sondern deutet auf die Möglichkeit hin, dass er beim Sondiren nach dieser Probe schweren Meerwassers gerade auf eine Salzquelle ge- stossen sein könne. Die Probe bestand aber, der chemischen Ana- lyse nach, aus Meerwasser und wie könnte ein Quell salzigen Mecr- wassers anders unter das Meer gelangen, als durch den Process der *) „The Mississippi is continually shifting its course in the great alluvial plain, cutting frequently to the depth of one hundred, and even sometimes to the depth of two hundred and fifty feet.‘‘ — Lyell, p. 273. Meeresströmungen. FAT Evaporation an der Oberfläche oder indem er einen Theil seines süssen Wassers auf irgend eine andere Art abgabe? Lassen wir den von Sir Charles Lyell aufgestellten Grundsatz gelten, dass Wasser von den grossen Becken und Kesseln der See niemals aufsteigen kann, um die diese Becken und Kessel umkrän- zenden Erdrücken zu überschreiten, dann sind alle die oben ge- schilderten Harmonien im Organismus des Oceans dahin und ha- ben nie existirt. Jedes Wassertheilchen, das unter einen unterseei- schen Erdrücken hinabsinkt, ist nach seinen Schlüssen, ?pso facto von den Circulationskanälen ausgeschlossen, um fortan auf ewige Zeiten zu bewegungsloser Materie zu werden. Die Folge wäre eine starre Anhäufung (,,cold obstruction‘‘) in der Tiefe des Meeres und ein Circulationssystem zwischen den verschiedenen Meeren, das sich nur auf die Gewässer über den seichtesten Riffen und Erd- dämmen erstrecken würde. Ich kann an einen so unvollkommenen tellurischen Mechanismus und an solche Planlosigkeit nicht glau- ben. Mir erscheinen die Beweise — die theoretischen, nur aus vernünftigen Schlüssen und Analogien hergeleiteten Beweise zu Gunsten dieser unteren Strömung aus dem Mittelmeer ebenso klar, als jene Beweise für die Existenz des Leverrier’schen Planeten, ehe er durch das Teleskop in Berlin gesehen wurde. Man nehme endlich an — wie dies Sir Charles Lyell behaup- tet, — dass von den ungeheuren, dem Mittelmeer durch den obern Strom zugeführten Salzmassen nichts wieder seinen Weg in den Ocean finde. Es würde nicht schwer fallen zu zeigen — selbst so, dass dieser ausgezeichnete Geolog überzeugt werden dürfte — dass dieses Einströmen das Salz aus dem atlantischen Ocean schneller entfernt, als alle Süsswasserströme dem Ocean zuführen können. Ferner wäre ausser diesem Abzug, eine bedeutende Menge von Salz- theilen dem Seewasser bei der Bildung von Madreporen, Korallen- riffen, Muschelbänken und Mergelbetten entzogen. Durch solche — vollkommen gesunde und gute Schlüsse — stellen wir demnach die Existenz einer untern Strömung fest oder sehen uns sonst zu der der Physik des Erdballs gewiss nicht angemessenen Conclusion ge- nöthigt, dass die See im Lauf der Zeit mehr und mehr von ihrem Salzgehalt verlieren müsse. *) Die Strömungen des indischen Oceans. — Wenn *) Ueber die Strömungen im Mittelmeer vgl. noch Berghaus Allg. Länder- und Völkerkunde I. S. 570 u. f. Bobrik a. a. O. S. 221. 128 Die physische Geographie des Meeres. wir die physische Gestaltung dieses Meeres sorgfältig prüfen und Lage und Verhältnisse desselben studiren, so werden wir veran- lasst, uns nach warmen Strömungen umzusehen, die dieser Ocean erzeugt; wir werden vermuthen, dass dieselben Volumina über- warmen Wassers aus demselben fortführen, die vielleicht an Grösse die Wassermassen, welche der Golfstrom seinen Quellen entströ- men lässt, noch vielmal übertreffen. Der atlantische Ocean ist im Norden offen, den indischen be- gränzen in jener Richtung tropische Gegenden. Die Gewässer die- ses Oceans sind wärmer als die des caribischen Meeres und auch die Kraft der Evaporation ist dort grösser. Dass sie dies ist, möch- ten wir, selbst ohne Beobachtung aus der Thatsache einer höhern Temperatur und aus der bedeutend grössern Menge des Nieder- schlags auf den benachbarten Küsten schliessen. Diese zwei That- sachen dienen, wie es scheint, zum Beweis, dass grosse Ströme warmen Wassers im indischen Ocean entstehen. Einer von dem- selben ist der wohlbekannte Mozambique-Strom, der am Kap der guten Hoffnung die Lagullas-Strömung genannt wird. *) Eine andere dieser Strömungen entweicht durch die Strasse von Malacca und fliesst, nachdem sich andere warme Ströme aus den Meeren von Java und China mit ihr vereinigt haben, wie ein zweiter Golfstrom, zwischen den Philippinen und den asiatischen Küsten hindurch in den stillen Ocean. Dann tritt sie den grossen Kreislauf nach den aleutischen Inseln an, das Klima mildernd und sich in dem Meere gegen die Nordwestküste Amerikas hin ver- lierend. Zwischen der physischen Erscheinung dieser Strömung und dem Golfstrom des atlantischen Oceans zeigen sich mehrere Ana- logien. Sumatra und Malacca correspondiren mit Florida und Cuba; Borneo mit den Bahamas, mit dem alten Providence-Kanal nach Süden und der Florida - Strasse nach Westen. Die chinesi- schen Küstenstriche entsprechen den Ver. Staaten, die Philippinen den Bermudas-Inseln, Japan der Insel Neufundland. So wie am Golfstrom, so ist auch hier neben dieser chinesischen Strömung ein Gegenstrom kalten Wassers zwischen ihr und der Küste. Das Klima der asiatischen Küste entspricht dem Amerikas längs des *) Vgl. über die Strömungen im indischen Meere Berghaus a, a. ©. I. 600 —610 und vorzüglich James Rennell’s Forschungen, der dem Kapstrom den Namen Lagullas Current giebt. (Bergh. 1. 521). Meeresstrémungen. 129 atlantischen Oceans und in dem von Columbia, Washington und Vancouvers wiederholt sich das des westlichen Europa und der bri- tischen Inseln; das Klima Californiens (des Staates) ähnelt dem Spaniens; die sandigen Ebenen und regenlosen Gegenden von Un- terkalifornien erinnern an Afrika mit seinen Wüsten zwischen den- selben Parallelen, u. s. w. Dazu kommt noch, dass der nördliche grosse Ocean, wie der nordatlantische, da, wo diese warmen Gewässer fliessen, in Nebel und Dunst gehüllt ist, der von häufigen Blitzen durchzuckt wird. Die Aleuten sind ihrer nebeligen und dunstigen Atmosphäre we- gen ebenso berüchtigt, als die grossen Bänke von Neufundland. Eine Oberflächenströmung fliesst nördlich durch die Behrings- strasse in das Eismeer; aber in dem atlantischen kommt die Strömung daher und fliesst nicht dorthin; sie fliesst nach Süden zu auf der Oberfläche, nach Norden unterhalb derselben, da die Behringsstrasse zu seicht ist, um starke Unterströmungen zuzu- lassen oder irgend welchen grossen Eisbergen den Eintritt in den stillen Ocean zu gestatten. | Die Behringsstrasse entspricht in ihrer geographischen Lage der Davis-Strasse im atlantischen Ocean und Grönland der Halb- insel Alaschka, mit der Inselkette der Aleuten. Aber anstatt dass östlich von Alaschka, sowie östlich von Grönland sich für diese warmen Gewässer ein Ausweg in das Polarbecken öffnet, tritt hier die Küstenlinie des stillen Oceans dazwischen und lässt sie durch eine Art von Nordsee die Westküste des Continents entlang sich Mexiko zu umwenden. Diese Zusammenstellung giebt die Hauptpunkte der Aehnlich- keit und Verschiedenheit zwischen den Strömungen und der Wasser- circulation in den ‘beiden Oceanen an. Die eistragenden Strö- mungen des nordatlantischen Meeres wiederholen sich nicht im nördlichen grossen Ocean, denn dort finden sich keine solche Er- zeugungs- und Sammelstätten (nurseries) für Eisberge vor, wie hier im Eismeer und seinen Armen. Nur die Meere von Ochotsk und Kamschatka und nicht das nördliche Eismeer hegen und beherber- gen die Eisberge für den nördlichen stillen Ocean. Noch ein anderer Strom warmen Wassers geht, wenigstens zu Zeiten, von dem indischen Ocean aus. Er findet seinen Weg südlich mitten zwischen Afrika und Australien hindurch. Die Wallfische (Taf. VI.) zeigen ihn an. Wir würden über einen so bedeutenden Abfluss warmen Wassers aus dem indischen Ocean, wie ihn diese Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. 9 130 Die physische Geographie des Meeres. drei Strömungen andeuten, erstaunen, wenn wir nicht daran däch- ten, dass dieses Meer im Norden vom Lande eingeschlossen ist und dass sich die Temperatur seiner Gewässer häufig bis auf 90° Fahr. (fast 26° Ré.) erhebt. Es miissen demnach ungeheure Volumina Wassers in den in- dischen Ocean einstrémen, um diese durch die warmen Strémungen fortgeführten Wassermassen und die 15 bis 20 Fuss, welche diesem Ocean, wie die Beobachtungen lehren, jährlich durch Verdunstung entzogen werden, zu ersetzen. Man bemerkt auf beiden Seiten der warmen Strömung, welche mitten zwischen Afrika und Australien aus den Tropengegenden des indischen Oceans entweicht, einen eistragenden Strom, der aus den antarktischen Regionen herkommend mit seinem kühlen Wasser die klimatischen Verhältnisse abändert und das oceanische Gleichgewicht m jenem Theile der Welt herstellt. Diese kalten Ströme erreichen mit ihren Eisbergen bisweilen den 40. Grad SB. Der Golfstrom lässt sie selten im nordatlantischen Meere so nahe an den Aequator heran, aber ich habe beobachtet, dass der Eis mit sich führende Strom, welcher östlich bei dem Kap Hoorn vorbei in das südatlantische Meer fliesst, seine Berge bis an den Parallel- kreis von 37° SB. vorschiebt. Dies wird wohl die grösste Annähe- rung der Eisberge an den Aequator sein. ‘ Die aus dem Tropenbecken des indischen Oceans ausfliessen- den Ströme sind gleichsam aktiv; sie führen ungeheure Volumina warmen und salzigen Wassers in aussertropische Gegenden und machen Gegenströmungen nothwendig, von deren Vorhandensein wir überzeugt sind, ehe noch eine Beobachtung uns über die Zahl und Lage derselben näher belehrt hat. Die Strömungen des stillen Oceans. — Es wurde zwi- schen der chinesischen Strömung und dem ,,Golfstrom‘‘ des nördli- chen stillen Oceans und dem Golfstrom des nördlichen atlantischen Meeres ein Vergleich angestellt. Der Lauf des chinesischen Stro- mes ist noch nicht genügend erforscht. Langs der Küste Califor- niens und Mexikos bemerkt man eine südwärts gehende Bewegung des Wassers, ebenso wie an der Westküste Afrikas nach den cap- verdischen Inseln zu. Wir haben oben westlich von jener Strömung die Sargasso-See als einen Sammelplatz des Treibholzes und Seetangs bezeichnet. So liegt auch westlich von einem andern Südstrom bis Californien Meeresströmungen. 131 der weite Behälter, in welchen sich das Treibholz und die Seege- wächse des stillen Meeres im Allgemeinen sammeln. Die Bewohner der Aleuten, auf denen kein Baum wächst, sind bei dem Bau ihrer Boote, bei der Verfertigung ihres Fischer- und Hausgeräths ganz allein auf das an ihre Küsten geworfene Treib- holz hingewiesen. Unter diesen Stämmen soll man den Kampfer- baum und andere Hölzer Chinas und Japans oft wiedererkannt haben. So wenig auch dieser chinesische Strom bekannt ist, so würde doch schon diese Thatsache beweisen, dass er von den Kü- sten Chinas und Japans den Aleuten zuströmt. Die kalteasiatische Strömung. — Zwischen dem chi- nesischen Strom und dem Festland, aber dem erstern entgegenströ- mend, findet man längs der östlichen Küsten Asiens einen Streifen oder eine Schicht oder eine Strömung kalten Wassers, wie zwi- schen der amerikanischen Küste und dem Golfstrom. Diese Strö- mung ist, wie jene atlantische nicht stark genug, um zu jeder Zeit auf den Curs der Schiffer einwirken zu können; aber wie jene im atlantischen Ocean ist sie der Sammelplatz der köstlichsten Fische. Die Fischerei wird in Japan in derselben Ausdehnung betrieben, wie in Neufundland und alle diese Schaaren der trefüichsten Fische verdanken die Küstenbewohner beider Länder nur dem kalten Wasser, welches diese Meeresströmungen an ihre Gestade bringen. Humboldt’s Strömung. *) — Die Strömungen des stillen Meeres kennt man noch immer zu wenig. Zu denen, von welchen man noch das Meiste zu wissen glaubt, gehört jene Strömung bei Peru, welche ihren Namen von ihrem grossen Entdecker, v. Hum- boldt, führt. Man bemerkt sie von den Parallelen Perus an bis ın die Gegend des Aequators. Ich habe, wie ıch glaube, eine warme Strömung in den Tro- pengegenden des stillen Oceans mitten zwischen der amerikanischen Küste und den Küstenlinien Australiens entdeckt. Diese Gegend bietet der Verdunstung eine ungeheure Fläche dar. Keine Flüsse münden hier aus; die jährlich fallende Regenmenge ist, ausser in den ‚‚Aequator-Moldrums‘‘ **), nur gering und die Evaporation ist *) Vgl. Berghaus, a. a. O. I. S. 591 u. 584. *) Der Ausdruck Doldrums ist zu Anfang des IX. Kapitels näher er- klärt. (D. Uebers.) 9* 132 Die physische Geographie des Meeres. Alles, was sowohl die Nordost- als die Südostpassate aufnehmen und mit sich fortführen können. Ich habe auf der VI. Tafel die Rich- tung dieses angenommenen warmen Stroms angegeben, der diese überwarmen und salzigen Wasser aus den mittlern Theilen des Oceans unter den Tropen in die (südliche?) gemässigte Zone führt, wo der Niederschlag vorwiegt. Wenn er sich hier abgekühlt und mit Wassern von geringerem Salzgehalt gemischt hat, so mögen diese übermässig warmen und salzigen Tropengewässer wieder durch andere Ströme ergänzt werden und dann ihren Rundlauf in dem wunderbaren System oceanischer Circulation wieder antreten. Um den Aequator findet man in diesem Ocean noch einige sonderbare Strömungen, welche ich nicht verstehe und zu deren genauerer Beschreibung und Erklärung die Beobachtungen noch nicht ganz ausreichen. Ihre Zahl ist bedeutend und einige von ihnen strömen zu Zeiten mit grosser Gewalt. Auf einer Reise von den Gesellschafts- nach den Sandwich-Inseln begegnete ich einem, der eine Geschwindigkeit von täglich 96 Meilen (etwa 21 geogr.) zeigte. Und was sollten wir auch in diesem Ocean anderes erwar- ten, als ein scheinbar sehr complicirtes System von Strömungen und Gegenströmungen? Der stille und der indische Ocean kann von unserem Gesichtspunkte aus als eine einzige Wasserfläche be- trachtet werden. Diese bedeckt aber nicht weniger als die halbe Oberfläche der Erde. Nach den Angaben des Prof. Alexander Keith Johnston in der neuen Ausgabe seines vortrefllichen physikalischen Atlas beläuft sich die Gesammtmasse des auf die Erdoberfläche nie- derfallenden Regens auf 186240 Kubikmeilen. *) Nicht weniger als drei Viertheile des diesen Regen bildenden Dampfes kommen von diesem Wasserareal; aber selbst angenommen, dass nur die Hälfte dieser Quantität, also 93120 Kubikmeilen Regens auf dieses Meer niederfällt und dass so viel wenigstens aus ihm wieder als Dampf aufgenommen wird, so gäbe dies 255 Kubikmeilen als die Wassermenge, welche täglich auf diesem weiten Raume emporge- hoben und wieder niedergeschlagen wird. Sie wird an einer Stelle aufgenommen und*an einer andern fällt sie wieder als Regen nieder und wir haben demnach in diesem Process wirkende Kräfte für eine Menge partieller und sich bekämpfender Strömungen, welche *) Johnston rechnet nach Imperial- Miles, englischen Meilen nach dem teichsmaasse. 156240 engl. Kubikmeilen sind ungefähr — 1909,88 geogr. Ku- bikmeilen. (D. Ueb.) ee ee a Meeresströmungen. 133 alle in ihrer Gruppirung und Stärke, wie es scheint, so schwan- kend sind, wie die Winde. *) Um das Wirken solcher Kräfte bei der Hervorbringung par- tieller, bald hier, bald dort entstehender Meeresströmungen, besser abschätzen zu können, wollen wir uns z. B. einmal vorstellen, dass mitten im stillen Ocean eine Fläche von 255 Quadratmeilen, als ein Schauplatz dieser Operationen auf einen Tag vollkommen abgeson- dert werden könnte. Wir müssen uns nun eine Maschine denken, welche binnen 24 Stunden eine Wasserschicht von einer Meile Tiefe aus diesem ganzen Flachenraum emporzupumpen vermöchte; und sie müsste nicht allein diese ungeheure Wassermasse empor- heben und wegführen, sondern sie auch an demselben Tage, aber an irgend ‘einer andern Stelle wieder, in das Meer entladen. Die durch eine solche Kraftentwicklung unserer riesigen Maschine er- zeugten Strömungen würden (etwa wie der ‚‚Surf‘“ bei Sumatra, vgl. Berghaus a. a. O. I, 464) alle Schiffe unter ihren Wellen be- graben und das Meer würde veröden. Zum Glück für das Men- schengeschlecht beschränkt aber jene gewaltige atmosphärische Maschine ihre grossartigen Operationen des Hebens, Fortbewegens und Niederschüttens nicht auf ein Areal von 255 OMeilen, son- dern breitet dieselben über eine fast 300000mal grössere Fläche aus; trotzdem wird dieselbe Wassermenge in Bewegung erhalten und die Strömungen schaffen in ihrer Gesammtheit eben soviel Wasser zur Herstellung des Gleichgewichts von einer Gegend zur andern, wie in jenes um eine Meilenschicht beraubte Areal von 255 OMei- len — freilich mit bedeutend potenzirter Gewalt — sich ergiessen würde. Wenn wir nun bedenken, dass die Verdunstung in der That jeden Tag einen solchen Wasserkörper emporhebt, dass die Winde ihn fortbewegen und die Wolken ihn in Regenform wieder der Erde zurückgeben, aber dass dies an einer Stelle nach und nach geschieht und auf einmal kaum in haarbreiten Schichten, nicht in meilendicken -Parallelepipeden — dass die Evaporation ebenso wenig immer an derselben Stelle reissend schnell vor sich geht, wie der reichliche Regen nicht an derselben niederfällt, son- dern bald hier, bald dort; so gewahren wir thatsächlich in der Na- tur eine Kraft, die gerade solch ein System von Strömungen zu *) Auch der — bisweilen schnelle und bedeutende — Wechsel des baro- metrischen Druckes übt jedenfalls auf die Meeresströmungen seinen Einfluss. (D. Ueb.) 134 Die physische Geographie des Meeres. erzeugen vermag, wie wir sie im stillen Ocean beobachten — Strö- mungen, welche mitten im Ocean zu entstehen scheinen, mit un- gleichen Geschwindigkeiten sich bewegen, bald nach Ost, bald nach West, sich aber immer nicht weit von dem Orte, wo sie ent- standen sind, nämlich mitten auf dem Ocean wieder verlieren. Unterseeische Strömungen. — Lieutenant J.C. Walsh aufdem Ver. St. Schooner ,,Taney‘* und Lieutenant S. P. Lee auf der Ver. St. Brigg ‚‚Dolphin‘‘ haben beide, indem sie systematische Beobachtungen in Bezug auf Wind- und Stromkarten anstellten, ihre Aufmerksamkeit auf den obigen Gegenstand gerichtet und in Bezug darauf einige interessante Versuche angestellt. Ein Holz- block wurde bis zum Untersinken befrachtet und vermittelst einer Fischerleine oder an einem Takelgarn bis zur Tiefe von 100 oder 500 Faden (600 oder 3000 Fuss) ins Meer hinabgelassen. Ein klei- ner Schwimmer, nur gerade hinreichend, um den Block am tiefern Einsinken zu verhindern, wurde dann an die Leine befestigt und das Ganze vom Boote losgelassen. Um ihre eigenen Ausdrücke zu gebrauchen — ,,es war wun- derbar, diese Barrega sich gegen Wind und See und Oberflächen- strömung und zwar im Allgemeinen stündlich einen Knoten, in einem Falle sogar 1%, Knoten fortbewegen zu sehen. Die Leute im Boot konnten einen Ausruf des Erstaunens nicht zurückhalten, denn es erschien wirklich so als ob ein Seeungeheuer der Tiefe das Gewicht unten ergriffen hätte und mit demselben davon eilte.‘* So- wohl die Officiere als die Mannschaft waren über diesen Anblick erstaunt. Die bei den Sondirungen grosser Seetiefen angestellten Expe- rimente haben auch viel Licht auf das Thema der unterseeischen Strömungen geworfen. Dass sie in allen oder fast in allen Theilen des tiefen Meeres existiren, dürfte eine begründete Annahme sein ; denn noch in keinem einzigen Falle hat die Schnur des Senkbleis in grössern Tiefen abzulaufen aufgehört, selbst nachdem das Loth den Grund erreicht hatte. Wenn die Leine im Boot festgehalten wird, so zerreisst sie jedesmal und zeigt so an, dass, wenn 2 bis 3 Meilen *) der- selben sich abgewickelt haben, die untern Strömungen gegen die schlaffe Leine dergestalt mit der Schwigtkraft **) anstreifen, dass *) Also 10560 bis 15840 engl. Fuss. **) Swigging force. Swigging nennen die Seeleute das Anziehen der Mitte eines steifen Taues, um es vollends zu spannen, zu schwigten. Meeresströmungen. 135 bis jetzt noch keine Senkschnur diesen Einwirkungen. widerste- hen konnte. Der Lieutenant J. P. Parker, von der Ver. St. Fregatte ,, Con- gress‘‘ versuchte 1852 eine Sondirung des tiefen Meeres an der Küste Südamerikas. Er war schon § bis 9 Stunden mit dem Ver- such beschäftigt gewesen und hatte während dieser Zeit eine Linie von fast 10 Meilen Länge (52500 Fuss!) ausgestochen. Da die Nacht hereinbrach, musste er die Leine fahren lassen (als er nur versuchte sie in das Boot einzuholen, zerriss sie) und an Bord zu- rückkehren. Nähere Untersuchungen bewiesen, dass der Ocean dort statt 10, nicht mehr als 3 Meilen Tiefe hatte und dass die Leine durch die Kraft einer oder mehrerer unterseeischen Strömun- gen weit von der lothrechten Richtung abgezogen worden war. Aber in welcher Richtung diese Strömungen flossen, blieb unbekannt. Man kann daher, ohne gegen die Regeln naturwissenschaft- licher Forschung irgend zu verstossen, die Conjektur hinstellen, dass das Gleichgewicht aller Meere in grösserer oder kleinerer Aus- dehnung durch dieses System von Strömungen und Gegenströmun- gen an und unter der Oberfläche bewahrt und wieder herge- stellt wird. Nimmt man die Ebbe und Fluth und die partiellen Meeres- strömungen, z. B. die durch Winde erzeugten, aus, so kann man es als Regel hinstellen, dass alle Strömungen des Oceans ihren Ur- sprung dem Unterschiede der specifischen Schwere des Meerwassers an dem einen oder dem andern Orte verdanken; denn, solche Unterschiede, mögen sie aus verschiedener Temperatur, verschie- denem Salzgehalt etc. hervorgehen, stören jedesmal das Gleichge- wicht und es erfolgen Strömungen. Das schwerere Wasser fliesst dem leichtern zu und das leichtere will wieder an seine Stelle tre- ten; denn zwei neben einander im Niveau stehende Flüssigkeiten von verschiedenem specifischen Gewichte, können nie im Gleich- gewicht sein. Wodurch dieser Unterschied der specifischen Ge- wichte verursacht wird, ist unwesentlich; die Wirkung — nämlich eine Strömung — bleibt dieselbe. Dass das Meer in allen seinen Theilen dieselben Arten fester Stoffe aufgelöst enthält, dass sein Wasser da, wo es nie regnet, nicht salzhaltiger ist, als starke Sole und an andern Stellen, wo der Regen fast unaufhörlich fällt, keineswegs ganz ohne Salz ist, mag für einen augenscheinlichen Beweis für ein System von Strömun- gen und für die Circulation des Meeres angesehen werden, durch 136 Die physische Geographie des Meeres. welche seine Gewässer durch einander geschüttelt und wie in einer Phiole, in der rechten Mischung erhalten werden. Ferner möchten wir es als ein Gesetz für das oceanische Cireulationssystem hin- stellen, dass jede Strömung in der See ihre Gegenströmung hat; in andern Worten, dass die Meeresströmungen den paarweise com- binirten Nerven des menschlichen Organismus ähneln. Strömungen des atlantischen Meeres. — Die Haupt- strömungen des atlantischen Meeres sind in dem Kapitel vom Golf- strom beschrieben worden. Ausser diesem, seinen Strudeln und ge- neigten Ebenen sind der Aequatorialstrom und der St. Roque- oder brasilianische Strom zu erwähnen. Die Region der Entstehung ‚liegt bei beiden in den warmen Gewässern um den Aequator zwi- schen Afrika und Amerika. Der erstere, der beiläufig den Amazo- nen- und Orinocostrom als Zuflüsse aufnimmt, fliesst ın das cari- bische Meer und wird mit den Gewässern, welche an die Passate ihre Dämpfe, aber nicht ihr Salz abgeben, eine Quelle für den Golf- strom. Der von derselben Quelle herkommende brasilianische Strom theilt sich, wie man annimmt, am Cap St. Roque, indem ein Arm unter diesen Namen südwärts, der andere westwärts geht. Dieser letztere ist für die Seeleute ein wahrer Popanz gewesen, beson- ders wegen der Schwierigkeiten, welche einige unbehülfliche lee- wärts von St. Roque verschlagene Schiffe beim Ankämpfen gegen denselben zu überwinden suchten. Er soll den Verlust mehrerer englischen Transportschiffe im letzten Jahrhundert veranlasst haben, welche auf einer Fahrt nach der andern Hemisphäre am Cap unter den Wind geriethen ; man rieth desshalb den Seefahrern, ihn als höchst gefährlich zu vermeiden. Diese Strömung ist während meiner mit den Wind- und Strom- karten verknüpften Untersuchungen der Gegenstand ganz specieller Nachforschungen gewesen und das Resultat ist höchst befriedigend ausgefallen; sie ist, trotz der ältern Berichte, weder eine gefähr- liche, noch eine constante Strömung. Horsburgh warnt in seinem East India Directory die Schiffer vor ihr und Keith Johnston spricht in seinem 1848 publicirten grossen physikalischen Atlas also von ihr: ‘ ,,Diese Strömung ist den die Linie westlich vom 23° WL. pas- sirenden Schiffen überaus hinderlich, indem sie sie über das Cap St. Roque hinaustreibt, wonach sie gegen die nördlichen Küsten Brasiliens verschlagen werden, so dass sie ihren Curs erst nach Meeresströmungen. 137 wochen- oder monatelanger Verzögerung und Anstrengung wieder- gewinnen können.” Dies ist nicht nur nicht der Fall, sondern meine Nachfor- schungen haben sogar vollkommen bewiesen, dass Schiffe, welche die Linie 500 Meilen westlich vom 23. Grad WL. passiren, von diesem Strome beim Umfahren des Caps gar nicht behindert wer- den. Ich erhalte fast täglich Logbuch-Extrakte von Schiffen, die westlich vom 30. Grad WL. kreuzen und binnen 3 Tagen nach dieser Durchfahrt sind sie im Allgemeinen von Cap los in offener See. Einige von ihnen erklären, dass die Strömung ihnen nur gün- stig gewesen sei, die meisten wollen gar keine bemerkt haben ; aber dann und wann findet einmal ein Schiff eine nord- und westwärts gehende Strömung, welche ihm mit einer Geschwindigkeit von 20 Meilen den Tag*) entgegenarbeitet. Die tropischen Gegenden des atlantischen Oceans haben wie die andrer Meere Ueberfluss an ent- gegengesetzten Strömungen, welche der Seemann aller Unter- suchungen ungeachtet bisher noch nicht in der Weise in ein System zu bringen vermochte, dass er jederzeit angeben könnte, wo und wie sie laufen, um sie benutzen, oder wenn sie ihm widrig sind, ihnen ausweichen zu können. Schliesslich bemerke ich noch, dass eine reichlichere Menge polarischer Gewässer dem atlantischen Meere zuzufliessen scheint, als aus demselben herausströmt und ich kann mir das trotzdem fort- bestehende Gleichgewicht nur durch die Hypothese bedeutender unterseeischer Strömungen erklären. Sie spielen im Systeme des oceanischen Kreislaufs ohne Zweifel eine bedeutende Rolle. Der Admiral Sir Francis Beaufort, der würdige Hydrograph Englands, machte, als er die Fregatte ihrer Britischen Majestät ‚„‚Frederiksteen‘‘ im Mittelmeere commandirte, in Bezug auf solche Strömungen einige interessante Experimente, von denen ich nur wünschte, dass sie in andern Theilen des Oceans, besonders zwi- schen den Tropen, im atlantischen, stillen und indischen Ocean und wo irgend das Wasser auffallend durchsichtig ist, wiederholt würden. Jener Officier sagt: „‚Die Gegenströmungen oder die, welche unter der Oberfläche des Wassers zurückfliessen, sind auch sehr merkwürdig; in eini- gen Theilen des Archipels sind sie bisweilen so stark, dass sie der Steurung der Schiffe hinderlich werden, in einem Falle, als ich bei *) Nur 1°% engl. Fuss in der Sekunde. 138 Die physische Geographie des Meeres. ruhiger und klarer See, das Loth einsenkte, zeigten die Lappen bunten Flaggentuchs, welche ich von 3 Fuss zu 3 Fuss an die Leine befestigt hatte, ringsum nach allen Gegenden der Windrose. “‘ Siebentes Kapitel. Das offene Meer im arktischen Ocean. Walltische, welche an der Ostseite Amerikas harpunirt wurden, sind an der Westkiiste gefangen worden. — Die eigentlichen Wallfische können den Aequator nicht überschreiten. — Wie das Vorhandensein einer nordwestlichen Durchfahrt durch die Wallfische bewiesen wird. — Ein anderes Zeugniss für dieselbe. — Ein unterseeischer Strom läuft in das Eismeer. — Zeugnisse für ein milderes Klima nahe am Pole. — Der Wasserhimmel des Lieutenant De Haven. — Die offene See befindet sich nicht fortwährend an ein und derselben Stelle. Es besteht der Gebrauch bei den Wallfischfahrern auf ihren Harpunen die Zeit und den Schiffsnamen anzugeben. Dr. Scoresby erwähnt in seinem Werke über Polarreisen verschiedene Beispiele von Wallfischen, welche in der Nähe der Behringsstrasse gefangen wurden und Harpunen in sich stecken hatten, welche den Stempel von Schiffen trugen, die, wie man wusste, an der der Baflinsbai zuliegenden Seite des amerikanischen Continents gekreuzt hatten; und da in ein paar Fällen ein sehr kurzer Zeitraum zwischen dem Datum des Fanges im stillen Ocean und dem Tage, an welchem der Fisch auf der atlantischen Seite des Continents verwundet wor- den sein musste, verflossen war, so folgerte man hieraus, dass es eine nordwestliche Passage geben müsse, durch welche die Fische von der einen Seite zur andern gelangen könnten, ohne den Umweg um das Cap Iloorn oder das Cap der guten Hoffnung zu machen, wozu sie der Datumangabe der Harpune nach überdies gar keine genügende Zeit gehabt hätten. Der Wallfischfang ist unter den industriellen Seeunterneh- mungen von nicht geringer Wichtigkeit, und als man jene For- schungen, aus denen ,,die Wind- und Stromkarten‘“ hervorwuch- sen, systematisch anzustellen begann, entgingen die von diesen Thieren häufig besuchten Plätze keineswegs einer besondern Auf- merksamkeit und Untersuchung. Die Logbücher der Wallfisch- fahrer wurden in grosser Zahl gesammelt, sorgfältig geprüft, ordent- lich zusammengestellt und untersucht, um die Theile des Oceans Das offene Meer im arktischen Ocean. 139 ausfindig zu machen, welche die eine oder andre Wallfischart — oder vielleicht keine von Beiden — vorzugsweise aufsucht. Logbücher, welche die in verschiedenen Schiffen auf Hundert- tausende von Tagen aufgezeichneten Protokolle enthielten, wurden durchstöbert und die Beobachtungen aller für diese Karte zusam- mengeordnet. Diese Forschungen führten zu der Entdeckung, dass die tropischen Gegenden des Oceans dem eigentlichen Wallfisch gleichsam ein Feuermeer sind, durch welches er nicht hindurch kann und in welches er nie eindringt. Auch die Thatsache wurde an den Tag gebracht, dass dieselbe Art Wallfische, welche längs der Küsten Grönlands, in der Baffinsbai etc. gefunden wird , auch im nördlichen stillen Ocean und um die Behringsstrasse vorkommt und dass der Wallfisch der nördlichen Hemisphäre von dem der südlichen sich wesentlich unterscheidet. So wurde die Thatsache festgestellt, dass jene harpunirten Wallfische weder um das Cap Hoorn, noch um das Cap der guten Hoffnung herumschwimmen konnten, denn sie gehörten zu der Klasse, die nie den Aequator überschreiten kann. Zugleich erhiel- ten wir durch diese Umstände den unumstösslichen Beweis, dass wenigstens in gewissen Zeiten eine Wassercommunication durch das Polarmeer von einer Seite Amerikas zu der andern offen steht; denn auf so grosse Strecken , wie die obige, können die Wallfische nicht unter dem Eise fortziehen. Dies bewies aber noch nicht, dass dort offene See zu finden war; es setzte nur das Vorhandensein — vielleicht nur ein zeit- weiliges Vorhandensein — eines Kanals fest, durch welchen die Wallfische schwimmen konnten. Desshalb hielten wir uns für ver- pflichtet, andere Zeugnisse herbeizuschaffen, ehe wir erwarten konnten, dass der Leser unsern Beweis werde gelten lassen und mit uns an das Vorhandensein einer offenen See in diesem Theil des Eismeeres glauben werde. *) Eine unterseeische Strömung fliesst vom atlantischen Meere aus durch die Davis-Strasse in das arktische Meer und ebenso eine obere aus demselben. Die unterseeische ist durch Beobachtungen festgestellt; denn die Seefahrer erzählen von ungeheuren Eisber- gen, welche sie reissend schnell haben nach Norden treiben sehen und zwar gegen einen starken Oberflächenstrom. Diese Eisberge *) Im Sommer 1550 hat bekanntlich der englische Kapitän M’Clure die Nordwest-Passage wirklich aufgefunden. (D. Ueb.) 140 Die physische Geographie des Meeres. ragten hoch aus dem Wasser empor und ihr Tiefgang betrug sieben- mal so viel als ihre Höhe über dem Wasser. Ohne Zweifel wurden sie von einer mächtigen unterseeischen Strömung fortgetrieben. Dieser untere Strom kommt nun von Süden und die Temperatur seiner Gewässer ist vielleicht nicht unter 32°; jedenfalls sind sie im Vergleich mit den obern warm. Es muss irgendwo einen Ort in den arktischen Meeren geben, wo diese untere Strömung aufhört nach Norden zu fliessen und als obere südlich zu strömen beginnt; denn obgleich die Wasser dieses Oberflächenstroms mit den süssen Gewässern der Flüsse und dem Niederschlag im Polarbecken ver- mischt sind, so führen sie doch bedeutende Salzmengen mit sich, die weder von den Flüssen, noch von dem Regen geliefert werden. Dieses Salz wird von dem unterseeischen Strom zugeführt; denn eben so viel Salz als der eine Strom zubringt, müssen andere wieder mit sich fortnehmen, sonst würde das Polarmeer zu einem Salz- bassin werden. Da wo der untere Strom seine Wasser zur Ober- tläche emporhebt, ist aber wahrscheinlich ein Becken, in welchem das Wasser, indem es zur Oberfläche emporsteigt, 30° oder über- haupt die Temperatur des untern Stroms hat, die, wie man weiss, über den Gefrierpunkt stehen muss; denn der Strom besteht aus Wasser im flüssigen und nicht im festen Aggregatzustande. Eine Einrichtung in der Natur, durch die ein Becken von be- deutender Fläche im Eismeere mit Wasser versehen werden könnte, das am Boden hineinströmt und mit einer Temperatur von 30°, ja selbst nur von 28°*) — dem Gefrierpunkt des Seewassers — an die Oberfläche tritt, würde bedeutend zur Milderung der Kälte in den umliegenden Gegenden beitragen. Dass aber irgendwo in jenem unwirthlichen Meere ein wärme- res Klima ist, zeigen die Beobachtungen vieler Naturforscher , die es besucht haben, an. Auf sein Vorhandensein kann man auch aus der wohlbekannten Thatsache schliessen, dass man Vögel und an- dere Thiere zu gewissen Zeiten nach Norden wandern sieht, offen- bar, um ein milderes Klima aufzusuchen. Der Instinkt dieser stummen Geschöpfe ist unfehlbar und wir können uns keine Mil- derung des Klimas in jener Richtung vorstellen, es sei denn dass sie durch die Nähe oder Gegenwart einer grössern Masse offenen Wassers hervorgebracht würde. Es ist ein zweiter Ofen in dem treff- lichen Haushalt der Natur, um die dortigen Klimate zu mildern. _p/oRE — Das offene Meer im arktischen Ocean. 141 Im Vertrauen auf eine solche Schlussreihe und auf die aus der- selben sich ergebenden Folgerungen, wurde dem Lieutenant De Haven, als er an der Spitze einer amerikanischen Expedition auf- brach, um Sir John Franklin und seine Gefährten aufzusuchen , in seinen Instruktionsbriefen aufgegeben, sich, wenn er in den Wel- lington-Kanal weit vordringen könnte, nach Norden oder Westen nach einer offenen See umzusehen. Er that es und sah in jener Richtung einen ,, Wasserhimmel‘‘. *) Der Kapitän Penny fuhr spä- ter dorthin, fand offenes Wasser und segelte auf demselben. Diese offene See im arktischen Ocean befindet sich wahrschein- lich ebensowenig, wie der Golfstrom, immer an derselben Stelle. Sie ist wahrscheinlich stets da, wo das Wasser der unterseeischen Strömung an die Oberfläche steigt; dies aber dürfte, wie wir uns denken, davon abhängen, ob der untere Strom freien Zutritt hat. Sein Lauf mag wohl mehr oder weniger, von dem Eis an der Ober- fläche modificirt werden, ferner von irgend wodurch veranlassten Aenderungen des Laufes und der Geschwindigkeit des obern Stro- mes; denn offenbar kann die unterseeische Strömung nicht mehr Wasser in das Eismeer hineinbringen, als die Oberflächenströmung wieder als Eis oder Wasser hinausführt. Jeden Winter giebt uns der Golfstrom und das labradorartige Klima Neu-Englands, Neu-Schottlands und Neufundlands ein tref- fendes Beispiel, wie nahe warmes Wasser im Meere und ein sehr strenges Klıma auf dem Lande oder Eise aneinander gränzen kön- nen. In diesen Gegenden sinkt das Thermometer im Winter häufig unter 0 (— 14%," Re.), ungeachtet der grossen Nähe der sommer- lich lauen Wasser des Golfstroms, den man von diesen strengkalten Gegenden aus bei günstigem Winde binnen einem Tage erreichen kann. *) Es ist also auch sehr wohl möglich, dass ein solches offenes Bassin län- gere Zeit rings von festen Eismassen eingeschlossen ist, bis die obere Strömung Oo 5 5 ’ 0} nachdem sie eine Zeitlang unter dem Eise fortgegangen, dieses durchbricht. (D. Ueb.) 142 Die physische Geographie des Meeres. Achtes Kapitel. Das Salz des Meerwassers. Was das Salz im Meerwasser mit den Strömungen im Ocean zu thun hat. — Gründe für die Annah- me, dass das Meer sein Cireulationssystem hat. — Beweisgründe, welche von den Coralleninseln geliefert werden. — Was würde erfolgen, wenn im Meere gar kein System der Cireulation wirksam wäre. — Die Composanten dieses Systems. — Die wichtigsten Quellen, aus denen die im Meere wirkenden Kräfte entspriugen. — Ein Beispiel. — Meerwasser und Süsswasser folzen verschie- denen Gesetzen der Expansion. — Der Golfstrom könnte in einem Meer mit süssem Wasser nicht bestehen. — Die Einwirkung der Verdampfung auf die Hervorbringung der Strömungen. — Wie das Polarmeer mit Salz versehen wird. — Der Einfluss unterseeischer Strömungen auf die offe- nen Gewässer des Eismeeres. — Seemuscheln. Einwirkung derselben auf die Strömungen. — Regelmässige Vertheilung derselben. — Sie sind bei der Regelung der Rlimate mit thätig. — Inwiefern Seemuscheln und Salztheile als compensirende Kräfte in dem Mechanismus der oceanischen Circulation thätig sind. — Woher kommt das Salz des Meeres? Um die Meeresströmungen recht zu begreifen, und um ihre physische Bedeutung für das tellurische Leben zu studiren, muss man die Wirkungen verstehen, welche das Salz der See auf das Gleichgewicht ihrer Gewässer ausübt; denn wo immer, sei es in der Luft oder im Wasser, das Gleichgewicht zerstört wird, da wird es auch durch Bewegung wieder hergestellt und jede Bewegung lässt in Flüssigkeiten Strömungen entstehen, welche ihrerseits wie- der die Circulation hervorbringen. Dies Kapitel ist daher als eine Art Supplement zugefügt, wel- ches die in Bezug auf Meeresströmungen aufgestellten Sätze noch weiter erläutern und aufhellen soll. Man hat oft gefragt: ,, Warum ist die See salziıg?‘‘ Es kann, wie ich denke, gezeigt werden, dass die Circulation des Oceans zum grossen Theil von dem Salzgehalt des Meerwassers abhängt; jeden- falls gewinnt sein Einfluss auf das Klima vermöge seiner Salztheile sehr an Ausdehnung. Der allgemeinen Regel nach zeigt die See fast gleichförmige Procente des Salzgehalts und die Bestandtheile des Seewassers sind so constant in ihren Verhältnissen, wie die der Atmosphäre. Wir kommen zwar bisweilen durch Meeresarme oder Stellen im Ocean, wo die See mehr oder weniger Salz enthält als gewöhnlich; aber dieser Umstand lässt sich aus lokalen Ursachen leicht erklären. Fährt man z. B. in einen Meeresarm, wie das rothe Meer, ein, auf welchen es fast nie regnet und aus welchem die Atmosphäre fort- während Wasserdampf, aber kein Salz, aufnimmt, so dürfen wir natürlich erwarten einen grössern Bruchtheil Salzes in dem zurück- Das Salz des Meerwassers. - 143 bleibenden Seewasser zu finden, als an der Mündung eines grossen Stromes, wie des Amazonenstromes oder in den Regionen bestän- digen Niederschlags oder in andern Meerestheilen, wo mehr Wasser in Regenform niederfällt, als durch Verdunstung verloren geht. Wir finden desshalb das Wasser aus allen Theilen des Oceans that- sächlich nicht von gleichen Salzgraden, — wir finden, wie in dem Beispiel des rothen Meeres, Meerwasser, welches fortwährend durch Verdampfung bedeutende Quantitäten süssen Wassers abgiebt; trotzdem giebt es für solches Wasser einen Grad und einen sehr mässigen Grad von Salzgehalt, der ein Maximum bildet und wir finden überdiess, dass, wenngleich die Bestandtheile des Seewassers gleich denen der Atmosphäre ihren Proportionen nach nicht über- all unabänderlich dieselben bleiben, sie doch ihrem Charakter nach dieselben, oder fast dieselben sınd. Wenn wir demnach die Thatsache in Erwägung ziehn, dass der allgemeinen Regel nach das Meerwasser, mit den oben ange- gebenen Ausnahmen, sich überall und jederzeit gleich bleibt und dass es nur durch ein tüchtiges Zusammenschütteln so gleichartig werden kann, so halten wir die Conjektur für begründet, dass der gesammte Ocean sein Circulationssystem hat, welches wahrschein- lich ebenso vollkommen und wunderbar ist, als der Kreislauf des Blutes durch den menschlichen Körper. Will man die Strömungen der See erforschen und wenigstens ein Streiflicht auf die Gesetze werfen, welche den Kreislauf ihrer Gewässer regeln, so scheint eine Hypothese, bei dem gegenwärtig noch dürftigen Zustande der absoluten über diesen Gegenstand ge- sammelten Kenntnisse für den Fortschritt so nothwendig, wie ein Eckstein für ein Gebäude. Um mit solchen Forschungen vorwärts zu kommen, bedürfen wir eines Grundes, um darauf zu bauen. In Ermanglung von Fakten, greifen wir zu Hypothesen; doch sollten wir bei solehen angenommenen Thatsachen nicht allein das Mög- liche, sondern das Wahrscheinliche wählen und aus den verschie- denen Hypothesen stets der den Vorzug geben, mit der sich die grösste Anzahl von Phänomenen vereinbaren lässt. Diese muss dann so lange einiger Anerkennung theilhaftig werden, bis sie in ihren Folgerungen zu einer offenbaren Absurdität führt oder bis eine andere, durch die sich eine noch grössere Menge von Phäno- menen erklären lässt, sie verdrängt. In diesem Sinne wage ich meine Hypothese in Bezug auf die Wirkungen der Salz- oder überhaupt festen Theile des Seewassers 144 Die physische Geographie des Meeres. dahin auszusprechen, dass diese den Gewässern des Oceans eine dynamische Kraft ertheilen und dass es im grossen Schöpfungs- plane lag, den Ocean auf diese Weise die zu einer vollkommenen Circulation nothwendigen Kräfte zu verleihen. Den ersten Augenblick sprechen wir nur eine Vermuthung aus, indem wir sagen, dass es im Ocean Systeme von Strömungen geben dürfte, welche seine Gewässer mit Regelmässigkeit, Sicherheit und Ordnung von einem Ort zum andern überführen. Aber diese Con- jektur erscheint vernunftgemäss, wenn wir zwei Wasserproben, welche die Bestandtheile des stillen und atlantischen Meerwassers in mittlerer Qualität enthalten chemisch untersuchen und sie so vollkommen gleich finden, als wären sie aus derselben Flasche, nachdem man dieselbe wohl umgeschüttelt, entnommen. Es schei- nen uns nun Kräfte thätig zu sein, welche jeden Theil des Oceans im Laufe der Zeit mit jedem andern in Berührung bringen und so vollkommen vermischen, wie Flüssigkeiten in einem von Menschen- hand geformten Gefässe. Diese Thatsache — die Gleichförmigkeit der Bestandtheile — scheint uns zu der Annahme zu berechtigen, dass dasselbe See- wasser, welches sich heute an einem Punkte des Oceans befindet, im Lauf der Zeit sich an einem sehr weit entfernten Punkte befin- den mag. Es muss also durch Strömungen fortgeführt worden sein, durch Strömungen, die in dem Erdorganismus ihre Dienste zu ver- richten haben und wahrscheinlich nicht zufällig, sondern physi- schen Gesetzen gemäss fliessen ; sie also erhalten ohne Zweifel jene Ordnung und Harmonie, die jedes Theilchen an den Bauwerken Gottes charakterisirt, an deren Schwelle der Mensch stehen darf, wo er beobachtet, staunt und zu begreifen sucht. Haben wir aber einmal diese Schwelle erreicht und den uns umgebenden Ocean überblickt, so sind wir auch bereit mit Zuversicht, wie wenn wir Alles wirklich vollständig erkannt hätten, zu behaupten, dass die See ein solches System der Circulation hat, und wir gründen diese Behauptung auf die hohe Zweckmässigkeit, mit welcher alle Ver- hältnisse des Meeres geregelt sind. Man nehme z. B. die Corallen- inseln, Riffe, Betten und Atolls*), mit denen der stille Ocean be- setzt ist. Sie wurden aus Stoffen aufgebaut, welche eine bestimmte Art von Polypen aus dem Seewasser in sich aufnimmt. Die Strö- *) Atolls sind Lagunen-Inseln, Corallenmauern, die eine Lagune ein- schliessen. (D. Ueb.) Das Salz des Meerwassers. 145 mungen des Meeres waren diesen kleinen Thieren dienstbar — sie trugen ihnen den Mörtel zu; wenn sie neue Zufuhr festen Stoffes zu den Corallenfelsen brauchten, auf denen die Fundamente Poly- nesiens gegründet sind, so brachten sie dieselbe herbei, führten im- merfort Gewässer zu, aus denen die festen Ingredienzien nicht ab- gesondert waren und schafften die ihrer Kalktheile beraubten hin- weg. Wären die Strömungen nicht gewesen, so würde die junge Brut in demselben Wassertropfen, dem sie bald seine Nahrungs- theile entzog, aus Mangel an Nahrung verkommen sein; das Tröpf- chen würde nicht nur zum Grabe des kleinen Architekten, sondern auch zu einem Denkmal eines auffallenden, widernatiirlichen Ver- fahrens in dem erhabenen System des tellurischen Lebens geworden sein. — Der Schöpfer würde hier für das Wohlergehen seines irdi- schen Geschöpfes nicht gesorgt haben! Daher können wir sagen, wir wissen, dass die See ihr Circulationssystem hat, denn sie schafft Material für den Corallenfelsen aus einem Theile der Welt in den andern; ihre Strömungen empfangen dasselbe aus den Flüs- sen und händigen es an den kleinen Maurer aus zum Aufbau des erstaunlichsten Mauerwerks, das je errichtet worden ist — der Co- ralleninseln. So werden wir durch vollkommen logische Schlussreihen un- widerstehlich zu der Conjektur hingeleitet, dass es regelmässige und bestimmte — vielleicht sogar festbestimmte — Kanäle giebt, durch welche das Wasser aus einem Theil des Oceans in den an- dern strömt und dass diese zu einer grossartigern Einrichtung ge- hören, in welcher die oceanische Circulation ebenso geregelt her- vortritt, als die des Luftkreises oder des Blutes. Jeder Tropfen Wassers im Meere ist dem Gesetz und der Ordnung unterthan, so wie die Schaaren des himmlischen Heeres in den fernsten Welten- räumen. Denn als die Morgensterne in dem allmächtigen Lobliede zusammen sangen, da ,,erhoben auch die Wellen ihre Stimme*) ‘‘; und ohne Zweifel stimmt desshalb die Harmonie in den Tiefen des Oceans zu der, die droben von den Sphären kommt. Verhielte sich dies nicht so, gäbe es also auch keine Kanäle für den Kreislauf der Gewässer von Ocean zu Ocean, so würden die Bestandtheile der einzel- nen Meere und Meeresarme im Lauf der Zeit sehr verschieden wer: den und ihre Bewohner würden aus Mangel an Wasser von richti- gem Salzgehalt und richtiger Temperatur grossentheils aussterben. *) Vgl. Ps. 42, 8. Maury, phys. Geogr. d. Meeres. 10 146 Die physische Geographie des Meeres. Man nehme das rothe und das Mittelmeer als erläuterndes Beispiel. Auf dem erstern findet kein Niederschlag statt; es ist eine regenlose Gegend; kein Fluss strömt zu ihm herab, kein Bach ergiesst sich in dasselbe; es findet dort also kein Naturprocess statt, durch welchen die Salztheile und überhaupt die fortgeschwemmten Erdtheile, welche vom Regen oder Flusswasser aufgenommen und aufgelöst erhalten werden, in das rothe Meer hinabgeführt werden könnten. Sein Salz kommt aus dem Ocean und die Luft nimmt durch den Dampfbildungsprocess aus ihm süsses Wasser auf und lässt alle die festen Stoffe, welche dieses Meer aufgelöst enthält, zurück. Andererseits entleeren sich zahlreiche Flüsse in das Mittel- meer; einige von ihnen sickern durch Erdschichten und Mineralien hindurch, welche verschiedene Salze oder lösliche Stoffe enthalten; ein anderer Fluss läuft durch eine vulkanische oder eine Kalkstein- region und führt feste Stoffe aufgelöst mit sich — sei es gemeines Salz, schwefelsaurer oder kohlensaurer Kalk, Magnesia, Soda, Pot- asche oder Eisen — eines von diesen oder alle können in seinem Wasser enthalten sein. Und doch sind die Bestandtheile des Was- sers im Mittelmeer und im rothen Meere ganz dieselben. Aber die Gewässer des todten Meeres haben mit denen des Oceans keinen Zusammenhang; sie sind von allen Circeulationskanälen abgeschnit- ten und desshalb von dem weiten Ocean und allen seinen Armen, Engen und Golfen ihren Bestandtheilen nach durchaus unterschie- den. Auch seine Bewohner sind von denen der hohen See ver- schieden. „Die festen Bestandtheile des Meerwassers belaufen sich auf ungefähr 3%, % seines Gewichts oder nahebei auf eine halbe Unze für das Pfund. Sein Salzgehalt kann als ein nothwendiges Resul- tat der gegenwärtigen Ordnung der Dinge angesehen werden. Flüsse, welche fortwährend dem Ocean zustrémen, enthalten Salz- theile und zwar auf das Gallon 10 —50, ja sogar 100 Grän*). Sie bestehen hauptsächlich aus gemeinem Salz, schwefelsaurem oder kohlensaurem Kalk, Magnesia, Soda, Potasche und Eisen; diese *) Das engl. Imperial Gallon ist = 3,96798 (also beinahe 4) preuss. Quart, = 4,85624 Dresdner Kannen. Das englische Troy-Pfund zerfällt in 5760 Gran und dabei ist 1 Troy-Pfd. = 1,06402 preuss. und sächsischen mediz. Pfd. Der preuss. Grän ist demnach nur wenig kleiner und es ergeben eben sich nach obi- ger Angabe auf 1 preuss. Quart wenigstens 3 und höchstens 26 preuss. und sächs. Grän. (D. Ueb.) Das Salz des Meerwassers. 147 machen die charakteristischen Restandtheile des Seewassers aus. Das aus der See verdunstende Wasser ist fast rein und enthält nur sehr unbedeutende Spuren von Salzen. Indem es als Regen auf das Land fällt, wäscht es den Boden weg, sickert durch Felsenlager hindurch und wird so mit Salzbestandtheilen geschwängert, welche von den rückfliessenden Strömen der See zugeführt werden. Der Ocean ist desshalb das grosse Magazin für alles, was das Wasser nur auflösen und von der Oberfläche der Continente mit sich herab- führen kann; und da kein Kanal diese Substanzen wieder aus dem Ocean entfernt, so häufen sie sich demnach natürlich dort an.*) ‚Das was wir am Meere bemerken, sagt Fowner, ist nur eine grossartigere Wiederholung dessen, was bei jedem Landsee vor- kommt, in welchen Flüsse einmiinden, der aber keinen Ausfluss hat und nur durch Verdampfung Wasser verliert. Solche Seen sind ohne Ausnahme Salzseen. Es kann auch unmöglich anders sein und es ist interessant zu beobachten, dass diese Eigenschaft weg- fällt, sobald man den Wassern einen künstlichen Abzugskanal er- öffnet hat.‘ Wie sollen wir also diese Gleichartigkeit der Zusammensetzung, diese Bauwerke der Corallenthiere, diese Stabilität des anımalischen Lebens im Ocean anders erklären, als durch die Annahme eines allgemeinen Circulationssystems, durch welches, im Laufe der Zeit, die Gewässer von einem Punkte in weit entfernte Gegenden ver- setzt und im ganzen Ocean ausgetauscht und vermischt werden? Auf gleiche Weise sind die Bestandtheile der Atmosphäre, mag man sie am Pol oder unter dem Aequator analysiren, stets diesel- ben. Schneidet und schliesst man von den allgemeinen Circulations- kanälen irgend eine Partie Seewassers (wie im todten Meere) oder atmosphärischer Luft (wie in Minen oder Brunnen) ab, so können wir sie leicht mit Gasen oder andern Stoffen anfüllen, die ihren Charakter modificiren , das Verhältniss ihrer Bestandtheile verän- *) Yeomans’s Chemistry. — Man hat Berechnungen angestellt, dass die Gesammtmasse der auf diese Weise im Lauf eines Jahrhunderts dem Meere zu- geführten Stoffe bedeutend genug ist, um den Spiegel desselben um mehrere Zolle zu erhöhen, wonach man nach Jahrtausenden ein bedenkliches Steigen des Meeres erwarten müsste. Indessen auch hierfür dürften Compensationen (s. u.) nicht schwer zu finden sein ; denn obgleich für einige Gegenden Hebun- gen des Meeresbodens allerdings durch Beobachtungen constatirt sind, so lässt sich doch eine allgemeine Erhöhung des Meerspiegels nicht nachweisen. (D. Ueb.) So 148 Die physische Geographie des Meeres. dern und auf die Gesundheit der in ihnen lebenden Geschöpfe stark und entschieden einwirken. Die Hauptkräfte, welche bei der Hervorbringung Circulation der Atmosphiire und bei der Erhaltung des zwischen ihren In- gredienzien bestehenden Verhältnisses in Betracht kommen, sind Licht, Wärme, Elektrieität und Magnetismus. Aber in Bezug auf das Meer weiss man noch nicht, welche Rolle die Elektricität und der Magnetismus bei der Erzeugung dynamischer, bei dem Circu- lationssystem des Oceans wirksamer, Kräfte zu spielen haben. Die wichtigste treibende Kraft, aus der die Seeströmungen ihre Ge- schwindigkeit herleiten, hat man der Wärme zugeschrieben; aber ein genaueres Studium dieser Triebkräfte hat nachgewiesen, dass ein wichtiges — ja sogar ein sehr gewaltiges — Agens des oceani- schen Kreislaufs aus dem Salzgehalt unter der Mitwirkung der Winde, Seepflanzen und Thiere herzuleiten ist. Seine Salztheile geben dem Ocean eine grosse dynamische Gewalt. Um uns diese Kraft anschaulich zu machen, wollen wir einmal annehmen, die See sei in allen ihren Theilen von gleichmässiger Temperatur und enthalte süsses Wasser; ferner gebe es weder Winde, um ihre Oberfläche in Bewegung zu setzen, noch Fluthen oder Regen, welche ihr Niveau irgendwo emporheben oder her- abdrücken könnten. Es wäre somit keine Wärme vorhanden, welche ihr Gleichgewicht stören könnte, kein Unterschied des Ni- veaus oder der specifischen Schwere bei verschiedener Dichtigkeit und Temperatur könnte das Wasser in Bewegung setzen oder Strö- mungen erzeugen. Man stelle sich nun ferner vor, die Winde fingen, zum ersten Male seit Erschaffung der Welt, an, auf dieses ruhende Meer zu blasen, und seine Oberfläche zu kräuseln; sie würden durch ihre Kraft partielle Oberflächenströmungen (Driftströmungen) erzeugen und so, die Wasser bis zu einer gewissen Tiefe aufregend, eine schwache Circulation in einzelnen Theilen dieser Süsswassersee erzeugen. Dies ist also eine der Quellen, aus denen Kräfte für das Sy- stem des oceanischen Kreislaufes entspringen; man kann wohl an ihrer Intensität, aber gewiss nicht an ihrer Existenz zweifeln ; sie braucht desshalb nicht für hypothetisch gehalten zu werden. Wir wollen zunächst die Verdampfung und den Niederschlag nebst Wärme und Kälte herbeirufen — wahrlich mächtiger wir- kende Kräfte. Man lasse die Evaporation aus diesem imaginären Das Salz des Meerwassers. 149 Süsswasser-Ocean beginnen und so vor sich gehen wie auf der wirk- lichen See. In den Passatregionen wird sie sofort den Niederschlag übersteigen undsowohl von Norden als Süden wird also Wasser zu- strömen, um das sinkende Wasserniveau wieder auf seine ursprüng- liche Höhe zu bringen. Andererseits haben die Winde die Dämpfe in aussertropische Gegenden geführt; sie schlagen dert in grösseren Mengen wässerige Meteore nieder, als von der Wasserfläche ver- dampfen; das Niveau steigt und wir erkennen darin eine zweite Quelle von Oberflächenströmungen , welche das zurückliefern, was der Ueberschuss der Evaporation in den Passatregionen wegnahm. Theilte man endlich dieser See mit dem unsichtbaren Zauber- stabe der Wärme und Kälte plötzlich alle die verschiedenen Tem- peraturen mit, welche sie gegenwärtig zeigt, so würde sich die spe- cifische Schwere der Gewässer zugleich mit ändern und dadurch das Gleichgewicht des ganzen Oceans zerstört werden. Ein Strom kalten und schweren Wassers würde nach dem warmen und ein warmer Strom leichteren Wassers würde nach dem kalten zufliessen. Die bewegende Kraft beider wäre die Differenz der specifischen Schwere, wie sie aus dem Unterschiede der Temperatur in frischem Wasser hervorgeht. Das eben aus zwei verschiedenen Kräften hergeleitete System der Wassercirculation muss sich aber in der salzigen See ganz anders gestalten. Der Einfluss der Winde könnte wohl für beide Annahmen — eines Meeres voll süssen oder salzigen Wassers — als sich gleich bleibend angesehen werden. Süsses Wasser fängt, wenn es sich abkühlt, ungefähr von der Temperatur von 40° (+ 3%," Re.) an, sich auszudehnen, und dehnt sich bis zum Gefrierpunkte mehr und mehr aus, bis es zu Eis erstarrt. Dieses Gesetz der Ausdeh- nung durch Abkühlen würde die oceanische Circulation — wenn der Ocean nur reines Wasser enthielte — in ein ganz eigenthüm- liches System umgiessen. Er ist aber durchweg salzig und Salzwas- ser zieht sich, wenn seine Temperatur abnimmt, bis zum Gefrier- punkt stetig zusammen. So erhalten in Folge des Salzgehalts alle Temperaturwechsel einen um so grössern Einfluss auf die Störung des oceanischen Gleichgewichts. Wenn diese Schlussreihe richtig ist, so können wir behaupten, dass die aus der Differenz der Temperaturen herzuleitende dynami- sche Kraft in einem oceanischen Circulationssysteme, wenn alles Meerwasser süss wäre, nur ganz schwach sein würde und dass wir, wenn die See nicht salzig wäre, wahrscheinlich keine Strömung, 150 Die physische Geographie des Meeres. wie den Golfstrom, in ihr finden würden. Um nun über die Ein- wirkung der Salztheile auf Meeresbewegung recht klar zu werden, wollen wir annehmen, dass der obige imaginäre Ocean voll süssen Wassers plötzlich so salzhaltig würde, als er durchschnittlich ge- genwärtig ist, wobei wir nicht vergessen, dass Salzwasser sich, wenn seine Temperatur abnimmt, stetig zusammenzieht, bis letztere auf ungefähr 28° F. (— 17," Re.) gesunken ist. Insofern sie das Meerniveau in der Passatregion etwas tiefer stellt, wirkt nun zunächst die Evaporation wie zuvor. Aber da der Dampf des Salzwassers keine oder fast keine Salztheile enthält, so wird das zurückbleibende Meerwasser salzhaltiger. Während also der Wasserspiegel in dem zugleich salziger werdenden Meere sinkt, wird das Gleichgewicht auch vermöge des verschiedenen Salzge- halts des Wassers gestört; denn das zurückbleibende Wasser hat, nachdem die Verdampfung stattgefunden, wegen der in ihm aufge- lösten festen Stoffe ein grösseres specifisches Gewicht als vor der- selben. Der Dampf steigt aus dem Wasser an der Oberfläche auf; das Wasser an der Oberfläche wird also salziger und unter gewissen jedingungen schwerer; wenn es schwerer wird, so sinkt es, und es entsteht also vermöge des Salzgehalts eine vertikale Circulation, ein Hinabsinken schwerern — weil salzigern und kältern — Was- sers von der Oberfläche und ein Aufsteigen leichtern — weil nicht so salzigen — Wassers aus der Tiefe. Jener Dampf wird nun von den Winden in die Gegenden des Niederschlags (eigentlich der die Evaporation überwiegenden Prä- cipitation) entführt; der Ocean erhält dort ein Uebermaass an fri- schem Wasser, sein Spiegel hebt sich, und wenn er sich nur um einige Linien hebt, es entstehen Oberflächenströmungen, die ver- möge der Schwerkraft sich von den Polen aus nach den Aequator in Bewegung setzen. Aber wir wollen nun bei der Untersuchung der durch die Verdampfung und den Niederschlag hervorgebrach- ten Wirkungen auf den Salzgehalt des Oceans Rücksicht nehmen. Das frische, süsse Wasser, welches in Dampfform aufsteigt, wird, wie wir sagten, in die Gegenden des Niederschlags entführt. Nehmen wir an, dass es im Nordpolbecken niederfalle. Nicht bloss auf diese Weise wird aber diesem Becken frisches Wasser zugeführt, auch die grossen Stromgebiete des arktischen Europas, Asiens und Amerikas giessen ein grosses Volumen süssen Wassers in dasselbe. Dieses in das Polarmeer ausgeleerte süsse Wasser wird von a Das Salz des Meerwassers. 151 den Winden bewegt und vermischt sich mit dem salzigen; da aber der Wind die See nur bis in unbedeutende "Tiefen aufregt, so ver- mischt sich nur in der oberen Wasserschicht von mässiger Tiefe das Salzwasser mit dem süssen. Die specifische Schwere dieser obern Schicht wird also um eben so viel vermindert, um wie viel die specifische Schwere des Seewassers in den Gegenden der stärk- sten Verdampfung vermehrt wurde. Und so haben wir einen Ober- flächenstrom salzichten (salitsh) Wassers von den Polen nach dem Aequator zu und einen darunter hinfliessenden Strom salzigern und schwerern Wassers von dem Aequator nach den Polen. Dieser letztere ergänzt in reichem Maasse das Salz, welches der obere theilweise mit süssem Wasser aus den Wolken und Flüssen, aber auch mit Salztheilen erfüllte, zurückführt. So verdanken wir es den Salztheilen des Oceans, dass eine unterseeische Strömung aus dem Mittelmeer in das Atlantische und eine andere aus dem rothen Meere in den indischen Ocean fliesst, und da die See nicht salziger wird, so müssen wir zu dem Schluss gelangen, dass die untern Strömungen genau so viel Salztheile aus den Meeren entfernen, als die obern ihnen wieder zuführen. Wir fangen nun an einzusehen, in wiefern der Salzgehalt des Meeres der Circulation seiner Gewässer einen mächtigen und wirk- samen Impuls zu geben vermag. Wir schliessen, dass gerade vermöge ihres Salzgehalts die See- strömungen ihr Maximum von Volumen und Geschwindigkeit er- reichen. Wir schliessen zugleich, dass so der Austausch des war- men und kalten Wassers vom Aequator nach den Polen und umge- kehrt erleichtert wird. Wir erkennen in dem Salzgehalt der See ein Agens, durch welches die Klimate gemildert und der Gesund- heit zuträglicher gemacht werden, und zwar in weit höherem Gra- de, als dies von Gewässern ohne Salztheile bewirkt werden könnte. Diese Eigenschaft ertheilt dem Wasser des Oceans eine andere Eigenthümlichkeit, vermöge deren das Meer sich noch besser zur Regulirung der klimatischen Verhältnisse eignet, nämlich diese: indem süsses Wasser aus dem salzigen in den Tropengegenden ab- dampft, wird das Wasser an der Oberfläche specifisch schwerer, als das Meerwasser im Durchschnitt ist. Dieses schwere Wasser ist auch warm, es sinkt und da es als schlechter Wärmeleiter zugleich die Wärme nicht leicht entweichen lässt, so ist es ganz besonders geeignet die Wärme durch unterseeische Strömungen zur Milde- rung des Klimas in weit entfernte Gegenden zu bringen, sie mitten 152 Die physische Geographie des Meeres. in starrenden Massen des Polareises emporwallen und ein offenes Becken bilden zu lassen. Auch dies ist eine Eigenschaft, welche ein Meer mit siissem Wasser nicht haben kénnte. Man lasse die Winde die Dämpfe von einer Fläche süssen Wassers entwickeln und das am Boden wird ohne Regung bleiben, denn die specifische Schwere des Wassers an der Oberfläche ändert sich nicht, so dass das Bodenwasser emporgehoben werden könnte; erfolgt aber die Evaporation, und zwar noch so langsam, aus Salzwasser, so wird die specifische Schwere sich in den obersten Schichten bald ändern und Wasser aus den tiefsten Abgründen der See wird neben dem hinabsinkenden schnell emporsteigen. Das Salz der See verursacht also vor Allem vertikale Strömungen. Sind diese Schlüsse in Bezug auf den Einfluss der Salztheile des Oceans auf seine Strömungen richtig, so bringt auch dieselbe Ur- sache, die bei Gibraltar und Bab-el-Mandeb wirkt, eine unterseei- sche Strömung aus dem Ocean in das nördliche Polarbecken her- vor. In jedem Falle verlangt die Hypothese in Bezug auf die von dem Salz bei der Kraftentwicklung oceanischer Strömungen ge- spielte Rolle, dass dem weniger salzigen Oberflächenstrom entgegen eine untere Strömung salzreichern Wassers vorhanden sein muss. Beobachtungen haben dies an den Pforten des Mittel- und rothen Meeres gezeigt. Dass ferner eine constante Strömung aus dem arktischen Ocean durch die Davisstrasse und andere Strassen in der Nähe, welche jenen mit dem atlantischen Meere verbinden, ausfliesst, wird allgemein zugegeben. Als der Lieutenant De Ha- ven, von der Ver. St. Flotte, als Befehlshaber der amerikanischen zur Aufsuchung Sir John Franklins ausgesandten Expedition mit seinen Schiffen in dem Hauptkanal der Wellingtonstrasse einfror, so wurden seine Schiffe zugleich mit den Eismassen, in denen sie feststaken, mehr als 1000 Meilen nach Süden fortgetrieben. Das Eis, das sie umschloss, war im Seewasser entstanden und die Strö- mung, die Alles zusammen fortbewegte, bestand aus Seewasser — nur mochte das letztere nicht ganz so salzig, als gewöhnlich sein. Dasselbe Phänomen wiederholt sich im Sunde, wo eine untere Strömung Salzwassers hinein und oben Brackwasser *) hinaus- strömt. Da nun aus dem nördlichen Polarbecken immerfort Salzwasser ausströmt, so schliessen wir, dass ihm auch Salztheile wieder zu- *) d.h. Wasser, welches in einem sehr mässigen Grade salzig ist. b) er Das Salz des Meerwassers. 153 geführt werden müssen, sonst würde es entweder endlich süsses Wasser enthalten oder der ganze atlantische Ocean würde endlich sich mit Salzschlamm füllen. Man könnte, wenn es keine Zeugnisse für das Gegentheil gäbe, annehmen, dass dieses Salz dem Polarmeer aus dem atlanti- schen Ocean um das Nord-Cap herum und aus dem stillen Meere durch die Behringsstrasse und durch keine andern Kanäle zuge- führt würde. Aber glücklicherweise haben uns arktische Seefahrer, welche in der Richtung der Davisstrasse kreuzten, durch ihre Be- obachtungen den positiven Beweis der Thatsache geliefert, dass jener andere Quell die Polarmeere mit Salz versieht. Sie erzählen uns von einer unterseeischen Strömung, welche aus dem atlanti- schen Meere gegen das Polarbecken hin gerichtet ist. Sie machen Beschreibungen von ungeheuren Eisbergen, deren Gipfel hoch in die Lüfte ragen, deren Basis sich also natürlich weit in die Tiefen des Oceans erstrecken muss, und die ihren Weg mit furchtbarer Ge- walt mitten durch das Oberflächeneis und gegen Oberflächenströme in das Becken des Polarmeers durchschneiden und reissen. Der Seekadet S. P. Griffin, der die Brigg Rescue in der ame- rikanischen Expedition zur Aufsuchung Sir John Franklins com- mandirte, hat mir mitgetheilt, dass die beiden Schiffe bei einer Gelegenheit im Wellington-Kanal oder in dessen Nähe nordwärts gegen eine starke natürlich nach Süden zu fliessende Strömung der obern See zu werpen suchten ; während sie damit beschäftigt waren, kam ein Eisberg, dessen Gipfel viele Fusse aus dem Wasser her- vorragte, von Süden her herangetrieben und schoss vor ihnen vorbei. Obgleich sie mit dem Vorsteven gerade gegen die Ober- flächenströmung lagen, die auch gegen den Eisberg gerichtet war, so war doch die Kraft und Geschwindigkeit der unterseeischen Strömung so gross, dass sie den Berg weit schneller nach Norden fortriss, als die Matrosen gegen jene Gegenströmung an der Ober- fläche vorzudringen vermochten. Der Kapitän Duncan, Eigenthümer des englischen Wallfisch- fahrers Dundee, sagt auf Seite 76 seiner interessanten kleinen Rei- sebeschreibung: *) ‚December 18. (1826). Einen grossartigen Anblick gewährten die ungeheuren Eisberge, welche sich nordöstlich von uns, wäh- *) Arctic Regions; Voyage to Davis’s Strait, by Dorea Duncan, Master of 8 JO the Ship Dundee, 1826, 1827. 154 Die physische Geographie des Meeres. rend kein Tropfen Wassers zu sehen war, ihren Weg bahnten; sie arbeiteten sich mitten durch das Eis hindurch.“ Ferner, auf Seite 92, und den folgenden : „Februar 23. 68° 37’ N. B., ungefähr 63° W. L. „Unsere gestrigen Befürchtungen wegen der Annäherung des Eisberges gingen auf eine schreckliche Weise in Erfüllung. Um 3 Uhr Nachmittags kam der Eisberg mit unserem Eisfeld (#oe) in Berührung und in weniger als einer Minute zerbrach er das Eis; wir waren ganz nahe an der Küste eingefroren; das Eisfeld (floe) wurde mehrere Meilen weit in Stücke zermalmt, was eine Explo- sion wie bei einem Erdbeben oder bei dem gleichzeitigen Abfeuern von hundert schweren Geschützen bewirkte. Der Eisberg (an Höhe und Dimension einem wirklichen Berge gleich) kam mit, furcht- barer, aber majestätischer Erhabenheit fast dicht an unsern Spiegel heran und jeder erwartete, dass er das Schiff in den Grund bohren werda,.ik: Der Eisberg kam, wie bemerkt, sehr nahe an den Spiegel unseres Schiffs heran; der Raum unmittelbar zwischen dem Berg und dem Schiff war mit schweren Eismassen angefüllt, welche sich durch den Druck des Eisberges, obgleich das ungeheure Gewicht desselben sie vorher zerbrochen hatte, wieder zu einer compakten Masse verbanden. Der Berg trieb mit einer Schnelligkeit von unge- fähr 4 Knoten und wuchtete so gewaltig auf der Eismasse, dass das Schiff dem unvermeidlichen Untergang entgegen zu treiben schien. Februar 24. Der Eisberg noch immer in Sicht, aber schnell nach Nordost wegtreibend. Februar 25. Der Eisberg, der noch vor Kurzem uns zu ver- nichten drohte, war, nach Nordost treibend, ganz ausser Sicht.‘“‘ Wodurch sonst, als durch den Unterschied der specifischen Schwere, die dem Seewasser bei verschiedenen Graden des Salz- gehalts zukommt, kann nun eine bewegende Kraft erzeugt werden, die stark genug wäre, solchen furchtbaren Eismassen eine solche Geschwindigkeit mitzutheilen ? Welche Temperatur zeigt dieser unterseeische Strom? Möge sie sein, wie sie will, sie liegt höchst wahrscheinlich über den Ge- frierpunkt des Wassers. Bricht man in den nördlichen Meeren durch das Eis, so findet man an der Wasseroberfläche stets eine Temperatur von 28°, wenigstens wurde sie vom Lieutenant De Ha- ven während seiner langen Einschliessung stets so beobachtet. Nimmt man nun an, dass die Oberflächenströmung wirklich im Das Salz des Meerwassers. 155 Allgemeinen 28° (— 1%," Ré.) zeigt, so wird man vernünftigerweise folgern können, dass das Wasser der unterseeischen Strömung, in- sofern es von Siiden und also von wirmern Breiten kommt, nicht so kalt ist, und wenn es nicht so kalt ist, so wird seine Tempera- tur, bevor es wieder zum Vorschein kommt, auf 28° oder, was sonst die mittlere Temperatur des äussern oder obern Stromes ist, reducirt werden müssen. Wenn es ferner wahr ist, was einige Naturforscher angedeutet haben, dass in den Tiefen des Oceans eine Linie vom Aequator nach den Polen zu geht, an der das Wasser durchweg gleiche Tem- peratur zeigt, dann kann man fragen: Sollte sich nicht durch die Tiefen des Oceans eine Art von isothermer Fläche legen, oberhalb derer aller Wechsel der Temperatur von Kräftenabhängt, dievonoben wirken und unter- halb derer solcher Wechsel, wenn er überhaupt ein- tritt, von Kräften abhängt, die von unten wirken? Das Wasser jenes unterseeischen Polarstroms giebt also, in- dem es emporsteigt und durch die Bewegung der See in den arkti- schen Gegenden an die Oberfläche gebracht wird, seinen Ueber- schuss an Wärme ab und erwärmt die dortige Atmosphäre, bis die Temperatur dieses warmen untern Stromes bis zu dem Grad ernie- drigt ist, dass es nun als Oberflächenstrom wieder abfliessen kann. Hieraus erklärt sich auch der ,, Wasserhimmel‘‘*) jener Regionen. Die Wärme aber, welche dieses Wasser verliert, indem es von seiner Normal-Temperatur — möge diese sein, welche sie wolle — bis auf 28° herabfällt, ist ebenso viel in den Polargegenden frei ge- wordener Wärmestoff, der also das dortige Klima ermässigen und mildern muss. Also der Salzgehalt des Meeres, welcher der Circu- lation desselben erst die gehörige Kraft verleiht, bewirkt auf solche Weise wieder mittelbar jene Modification des Klimas. Wenn ferner sich tiefe Stellen im Polarbecken befinden, welche gleichsam Behälter für die durch unterseeische Strömungen aus den Aequatormeeren zugeführten warmen Gewässer bilden, so können wir uns leicht denken, warum es in den Polargegenden *) Water-sky ist sonst ein gewisses Dunkel an Himmel, das helles Wetter verkündet; hier soll es wohl in den Polargegenden den eigenthümlichen Him- mel bezeichnen, der schon aus der Ferne im Eismeere die offenen Wasserbecken erkennen lässt und bereits S. 141 erwähnt wurde. — Uebrigens scheint uns die Verwandlung grosser Wasservolumina in feste Eismassen ebenfalls Bewegungen im Wasser veranlassen zu können. (D. Ueb.) 156 Die physische Geographie des Meeres. eine offene See geben kann, warum dem Lieutenant De Haven in seinen Instruktionen aufgegeben wurde, sich nach einer solchen umzusehen und warum er sowohl als der Kapitän Penny (von einem Schiffe der englischen Aufsuchungsexpedition) sie dort vor- fanden. Wir haben somit erkannt, welche Verrichtungen im Haushalt der Natur dem Meere vermöge seiner Salztheile obliegen , Verrich- tungen, welche das frische, süsse Wasser nicht ausführen könnte. Wenn aber die vollständige Antwort auf die Frage: warum ist die See salzig? noch manchen andern Grund enthüllen würde, so ist doch den Physikern in dem Obigen bereits ein leitender Faden zur Beantwortung in die Hand gegeben. Die Seemuscheln. — Man findet im Seewasser ausser dem gemeinen Salz noch andere Stoffe. Von dem Regen und den Flüs- sen wird Kalk in ungeheuren Mengen aufgelöst und dies Kalk- wasser in den Ocean ausgeleert. Aus demselben sind Korallen- inseln und Riffe von grosser Ausdehnung — Mergelbetten, Mu- schelbänke und Infusorien-Ablagerungen von ungeheurer Grösse von den Bewohnern der Tiefe gebildet worden. Diese Geschöpfe sind mit dem Vermögen begabt, scheinbar nur zu ihrem Nutzen, feste Stoffe, welche das Seewasser aufgelöst enthält, aus demselben auszuscheiden. Dieses Vermögen ward ihnen aber ertheilt, damit sie noch ganz andre Zwecke im Gesammtorganismus der Erde er- füllen. Denn wahrscheinlich ist ihnen das wichtige Amt zugewie- sen, bei der Hervorbringung der oceanischen Circulation mitzu- wirken, bei der Regulirung der Erdklimate zu helfen und das See- wasser rein zu erhalten. Um den Einfluss solcher Geschöpfe auf Strömungen und Kli- mate besser zu verstehen, wollen wir annehmen, der Ocean sei vollkommen in Ruhe, also durchweg im vollkommensten Gleichge- wicht, und mit Ausnahme dieser Bewohner der Tiefe, welche feste Stoffe ausscheiden, sei kein Agens in der Natur fähig, dieses Gleichgewicht zu stören — wir wollen endlich annehmen, dass alle diese Mollusken etc. diese Absonderungsarbeit vorläufig einge- stellt haben, damit dieser Zustand des vollkommensten Gleichge- wichts aller Gewässer des Meeres fortbestehe. Wir setzen nun voraus, dass bei diesem Zustande der Dinge eine einzige Molluske oder Koralline ihre Sekretionen beginnt und dem Meerwasser festen Stoff ftir seine Zelle entzieht. Durch jenen Akt hat das Thier das Gleichgewicht des gesammten Oceans ge- Das Salz des Meerwassers. 157 stört; denn das specifische Gewicht jener Wassertheile, aus denen der feste Stoff abgesondert wurde, ist verändert. Sie werden natür- lich specifisch leichter und müssen dem Drucke, mit welchen die schwerern Wassertheile sie bei Seite zu schieben streben, weichen; eine Bewegung entsteht und zugleich fängt das leichtere Wasser an sich mit andern Wassertheilen des Oceans zu vermischen, bis es die frühern Procente festen Stoffes wieder aufgenommen und ge- nau den Grad specifischer Schwere erlangt hat, welche dem Meer- wasser im Allgemeinen zukommt. Wie vielen festen Stoff mögen die unzählbaren Seepflanzen und Thiere täglich dem Meerwasser entziehen? Sind es Tausende von Pfunden oder Myriaden von Tonnen? Niemand wird dies je genau berechnen können; mag aber dies Gewicht sein, welches es will, jedenfalls sind sieim Stande, durch Abänderung des specifischen Gewichtes den Ocean vom Aequator bis zu den Polen, von der Oberfläche bis in die gewaltigsten Tiefen‘, in Bewegung zu setzen. Wir haben oben nachgewiesen, dass die kräftigen und dabei seltsamen Strömungen im stillen Meere bis zu einem gewissen Grade von der Verdampfung und dem Niederschlag , sowie von der Wärme und dem Salzgehalt bewirkt werden. Wir haben aber noch zu un- tersuchen, inwiefern sie aus der Abänderung des specifischen Ge- wichts hervorgehen dürften, welche durch die Stoffabsonderungen der Myriaden von Seethieren, die besonders in jenen Theilen des Weltmeers fortwährend in Thätigkeit sind, bewirkt wird. Sie ent- ziehen dem Seewasser nach und nach so viel festen Stoff, dass Kon- tinente damit aufgebaut werden könnten. Wir haben dabei auch noch zu fragen, in welcher Ausdehnung das Gleichgewicht der See durch die Salztheile gestört wird, welche die Verdampfung zurücklässt. Betrachten wir das Salz der See von einem gewissen Stand- punkte aus, so sieht man die Winde und Seethiere auf ihre Gewäs- ser einwirken und in einzelnen Theilen des Oceans kann man von den festen Stoffen jene Principien entgegenwirkender Kräfte her- leiten, welche die Erde in ihrer Bahn erhalten und die Harmonie der Welt bewahren. Wir sehen von einem andern Gesichtspunkte aus, wie der Seewind und die Muschel eine gegenseitige Bewegung in den Gewässern hervorruft und so dem Ocean auch Kräfte zu seiner Circulation verleiht. Der Seewind spielt mit den Wellen der Oberfläche; nur süsses Wasser verwandelt er in Dämpfe und lässt die festen Theile des Seewassers zurück. Dieses wird schwerer und sinkt. Andererseits 158 Die physische Geographie des Meeres. entzieht der kleine Architekt, der am Boden des Meeres an seinem Korallenbau arbeitet, dem Wasser einen festen Theil seiner Bestand- theile; es wird specifisch leichter und steigt mit zunehmender Ge- schwindigkeit nach oben, um den Platz der niedersinkenden Was- sersäule einzunehmen, die durch die Thätigkeit der Winde mit neuer Nahrung und neuen Baustoffen für die kleinen Maurer in die Tiefe hinabgesendet wird. Sieht man also, dass die Bewohner der See mit ihren Sekre- tionsvermögen wenigstens einigen Einfluss auf das Gleichgewicht des Meeres, resp. auf dessen Störung, auszuüben befähigt sind, sind sie da nicht auch als wirksame Kräfte im System der oceanischen Circulation zu betrachten ? Gehören sie nicht auch in die physische Geographie desselben ? Auf die Grösse dieses Einflusses kommt es gar nicht an; wir können uns versichert halten, dass es keine zu- fällige Einwirkung ist, sondern dass sie planmässig von Ihm ange- ordnet wurde, dessen ,,Stimme die Winde und die See gehorchen.‘* So spricht Gott durch die Seemuschel zum Ocean. Man kann daher annehmen, dass die verschiedenen Anord- nungen im Haushalte der Natur auch hier eine strenge Ordnung erheischen, nach der jene Seethiere durch ihre Sekretionen die spe- cifische Schwere des Seewassers ändern, das Gleichgewicht des Meeres stören, Strömungen erzeugen und selbst den Kreislauf des Oceans mit regeln helfen. Ist dies aber der Fall, so können diese Seethiere sogar den physischen Verhältnissen zuletzt einen ganz andern Charakter verleihen, indem sie zugleich bei der Regulirung der Klimate und der Temperatur in gewissen Breiten mitwirken. Man nehme z. B. an, die Wasser hätten irgendwo in der heissen Zone 70°, aber vermöge des abdampfenden süssen Wassers und des verhältnissmässig vermehrten Salzgehalts seien sie doch schwerer, als Gewässer, die kälter, aber nicht so salzig sind. Dieses warme, aber salzige und schwere Wasser würde also ein Bestreben zeigen, als unterseeische Strömung nach einer Polargegend oder überhaupt in leichteres Wasser abzufliessen. Wäre nun der Ocean nicht salzig, so gäbe es keine Korallen- inseln, um seine Landschaften zu verschönern und seine Erschei- nung mannigfaltiger zu machen; Seemuscheln, Mollusken u. s. w. könnten nicht auf das specifische Gewicht seiner Gewässer einwir- ken und seinen Klimaten Abwechslung verschaffen ; die Verdam- pfung könnte keine Kräfte zu einer regelmässigen Circulation er- zeugen; das Wasser würde, wenn seine Temperatur unter 40° Das Salz des Meerwassers. 159 fiele, aufhören, sich zusammenzuziehen und somit den Strömungen nur wenig Impuls geben; die Circulation würde stocken und mit ihr das Leben in den Meerestiefen erstarren. Diese unterseeische Strömung übt vor Allem die oft erwähnte Einwirkung auf die aussertropischen namentlich hyperboreischen Klimate aus. Beim Anfang ihrer Bewegung ist sie vielleicht mit festen materiellen Theilchen so beschwert gewesen, dass selbst bei einer Temperatur von 70° (+17° Ré.), vermöge der im Wasser auf- gelösten Stoffe, ihr specifisches Gewicht sogar das dem Scewasser ausserhalb der Tropen bei 28° gewöhnlich zukommende übertraf. Auf seinem Wege kam aber dieses Wasser mit jenen Arten und Mengen von oceanischen Organismen in Berührung, welche viele feste Stoffe an sich ziehen, sein specifisches Gewicht so verringern, und anstatt es grösser als das des Seewassers bei 28° zu lassen, dasselbe sogar unter das specifische Gewicht des Seewassers bei 40° herabsinken lassen; in solchem Fall muss natürlich dieses warme Meerwasser, nachdem es in hohe Breiten vorgedrungen, durch die Vermittlung der Schalthiere und verschiedener anderer muschelkalkhaltiger, in den Meerestiefen wohnender Thiere, zur Oberfläche emporgehoben werden. So bemerken wir, dass diese Geschöpfe , obgleich sie so tief auf der Leiter der Schöpfung zu stehen scheinen, doch als wichtige und thätige Coefficienten in der Formel des gesammten Erdorganismus anzusehen sind; denn man sieht, dass sie über gewisse Theile des Oceans jene wohlthuenden, wärmenden Hüllen auszubreiten vermögen, welche die Winde mäs- sigen und mehr oder weniger alle Seeklimate der Welt modi- ficiren. Die Verfertiger feiner astronomischer Instrumente, z. B. der Chronometer, bringen bekanntlich Einrichtungen an denselben an, welche die durch den Einfluss des Temperaturwechsels bewirkten Unregelmässigkeiten im Gange oder überhaupt in der Bewegung der bei verschiedenen Temperaturgraden ungleich ausgedehnten Theile ausgleichen sollen. Man nennt diese Einrichtung die Com- pensation und ein gut regulirter Chronometer wird durch keinen Wechsel der Hitze und Kälte, dem er ausgesetzt ist, in seinem gleichmässigen Gange gestört. Auch in dem Mechanismus des Weltalls wird die Ordnung und Regelmässigkeit durch ein System von Compensationen aufrecht erhalten. Den Planeten führen sie nach mannigfachen Störungen in seine elliptische Bahn zurück; und so verhält es sich auch mit den Salzen und Schalthieren im 160 Die physische Geographie des Meeres. Mechanismus des Oceans. Durch sie werden die feinsten Compen- sationen realisirt; durch ihre Einwirkung werden viele Störungen des oceanischen Gleichgewichts — mögen sie durch Hitze oder Kälte, durch Sturm oder Regen veranlasst sein — compensirt und geregelt. Thau, Regen und Flüsse lösen fortwährend gewisse Mineralien der Erde auf und führen sie der See zu. Dies ist ein Process der Anhäufung und wenn er nicht ausgeglichen würde, so würde der Ocean nach Jahrtausenden dem todten Meere gleichen; er würde mit Salz und andern Stoffen gesättigt und somit für viele Fische des Meeres nicht mehr zu bewohnen sein. Die kalk- und salzhaltigen Thiere und Pflanzen des Oceans gewähren die nöthige Compensation. Sie sind die Erhalter des Meeres. Diese Geschöpfe scheiden die dem Ocean zugeführten Salz- und Erdtheile wieder aus und thürmen sie zu festen Massen auf, um Inseln, ja Continenten zur Basis zu dienen, um im Laufe der Jahrhunderte zu trockenem Lande aufgehäuft, dann wieder durch Thau und Regen aufgelöst und von den Flüssen in die See gespült zu werden. Darwin*) hat vor langen Jahren in einem jener begeisterten Momente, die ihn auch das Dampfboot und die Lokomotive ahnen liessen, den Naturforschern vorgesungen, woher das Salz der See gekommen sei. ‚Da lehrtet, Gnomen! ihr des Thaues Nass Durch Steingerüll, und Moor, und modernd Gras Durchtröpfeln und von Schwefel, Salz und Erden Auf labyrinth’scher Bahn gesättigt werden. So löst die Meerfluth feinster Salze Grau In dem Smaragdgrün und im Sapphirblau. ‘““ Wir erblicken nach alledem die Seemuscheln und das kleinste Seegewürm in einem neuen Lichte. Wir werden sie nicht mehr als Wesen ansehen, welche wenig oder nichts mit der Bewahrung der Schöpfungsharmonie zu thun haben. Erkennen wir nicht im Gegentheil in ihnen die Principien der wunderbarsten Compensa- tion im oceanischen Kreislauf? Ja wir können sie sogar in gewisser Beziehung als die Regulatoren des Klimas von Gegenden, die weit *) Der Naturforscher Charles Darwin, vgl. unter And. v. Humboldt An- sicht. d. N. II. 79 folg. Der äquatoriale Wolkenring. 161 von ihnen abliegen, ansehen. Es liegt etwas Erhabenes und Schö- nes in der Idee, dass die Korallen, während sie ihre Eilande in dem ewigen Sommer der Tropen aufbauen, zugleich dazu mitwir- ken *), die Wärme in weite Fernen zu verbreiten und die über- mässige Kälte des Polarwinters zu ermässigen. Solch eine Hypo- these, die in ihren letzten Consequenzen so viel planmässige Ord- nung, so viele Wunder und Schönheiten für den Beobachter ent- faltet, solch eine Hypothese, wenn sie auch nicht ganz auf den Resultaten wirklicher Beobachtung aufgebaut ist, kann unmöglich für ganz leer und nutzlos angesehen werden ! Neuntes Kapitel. Der äquatoriale Wolkenring. Beschreibung der äquatorialen Doldrums. — Erschlaffendes Wetter. — Die den Wolken im Haushalt der Erde zukommenden Verrichtungen. — Das Barometer und das Thermometer unter dem Wolkenring. — Verrichtungen desselben. — Wie demselben die Dünste von den Passaten zugeführt werden. — Breite des Wolkenrings. — Wie er von einem Planeten aus gesehen erscheinen dürfte. — Interessante Beobachtungen auf dem Meere. Die Seefahrer haben, wie wenn sie darüber einen gemein- schaftlichen Beschluss gefasst hätten, den Ocean in Regionen ein- getheilt und diese nach den in jeder vorherrschenden Winden be- zeichnet; sogiebt es z.B. ‚,Passatregionen“, ,, Variabeln‘‘**) ,, Ross- breiten‘‘, ‚„„Doldrums‘‘ u. s. w. ,,Rossbreiten‘* nennen die Schiffer jene Gürtel von Windstillen und leichten Winden, welche den Polarrand der Nordostpassate umsäumen. Sie wurden wegen des Umstandes so genannt, dass Schiffe, welche von New- England nach West-Indien fuhren und Pferde auf ihrem Deck hatten, frü- *) Die Korallen, sagt v. Humboldt in den ,,Ansichten der Natur‘‘, spielen, als kleine gesellig lebende Organismen, eine wichtige Rolle in der allgemeinen Oekonomie der Natur. (II, 77 flgg.) In den Annales des sciences naturelles T. VI. 1825. p. 277. wird den Korallen ein Hang zum unbewegten Wasser zu- geschrieben; dieser darf aber nicht als eine Eigenschaft der ganzen Thierklasse betrachtet werden. Ueber die chemische Analyse der Korallenthiere, vgl. v. Humboldt, a. a. O. S. 92. **) Gegenden, wo veränderliche Winde herrschen. Horse latitudes über- setzen wir ,, Rossbreiten. ‘‘ Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. 11 162 Die physische Geographie des Meeres. her in diesem Calmengiirtel des Krebses so lange aufgehalten wur- den, dass sie aus Mangel an Wasser fiir ihre Thiere einen Theil derselben über Bord werfen mussten. Eine andere unter diesen Calmengegenden heisst: Die „äqua- torialen Doldrums‘‘. Nicht bloss durch die Windstillen und durch widerwärtige Winde, sondern auch wegen des Regens und Ge- wölks, die diese Gegend zu einer höchst unangenehmen und ge- fährlichen machen, ist dieselbe übelberüchtigt. Die von Eu- ropa nach Australien segelnden Emigrantenschiffe haben sie zu passiren. Sie müssen in ihr oft zwei bis drei Wochen lang herum- laviren; Kinder und schwächliche Passagiere leiden dann am mei- sten. Ein schrecklicher Leichenacker liegt hier an der Strasse zu jenem goldenen Lande. Ein von Europa oder Amerika aus den südlichen Breiten zu- steuerndes Schiff durchkreuzt, nachdem es über die Gegend der variabeln Winde hinaus ist, die ,,Rossbreiten‘‘ und kommt dann in den Bereich der Nordost-Passate. Hier findet man bisweilen vereinzeltes Gewölk am Himmel, aber meistentheils ist der Him- mel klar. Ferner bemerkt man, dass das Barometer vermöge einer atmosphärischen Ebbe und Fluth fällt und steigt, und zwar täglich mit solcher Regelmässigkeit, dass man die Zeit fast bis auf Minu- ten danach berechnen kann. Dieses am Barometer gemessene Stei- gen und Fallen beläuft sich auf 0,1 Zoll und kommt täglich und überall zwischen den Wendekreisen vor; *) das Maximum tritt ungefähr um 10%, Uhr Vormittags, das Minimum zwischen 4 und 5 Uhr Nachmittags ein, danach ein zweites Maximum um 10 Uhr Abends und wieder ein Minimum früh um 5. **) Die tägliche Ab- weichung der Magnetnadel richtet sich auch nach dieser unsicht- baren Ebbe und Fluth. Je mehr der Seefahrer sich der Linie nä- hert, desto höher sieht er sein Thermometer steigen; wenn er zu- letzt in die Gegend der Aequatorialcalmen und tropischen Regen eintritt, so fühlt er, dass das Wetter ganz besonders drückend und schwül wird, jene Elasticität seines Körpers, jenes freie Athmen im frischen Passat ist, wie er zu seinem Bedauern bemerkt, ver- schwunden; er ist in der Region der ‚‚Doldrums‘‘, unter dem ,, Wolkenring.‘“ *) Vgl. Kämtz, Meteorol. Vorl. S. 286. **) Vgl. des Obersten Sykes Schrift über Meteorologische Beobachtungen in Indien, Philosophical Transactions for 1850, part. 2., p. 297. Der äquatoriale Wolkenring. 163 Hat der Seefahrer endlich diese düstere, traurige Region hin- ter sich und ist er in der der Südost-Passate angelangt, so athmet er freier auf und prüft mit gesteigertem Interesse die Angaben sei- nes Logbuches. Er ist erstaunt zu finden, dass ungeachtet der drückenden und beängstigenden Luft in jenen regnerischen Brei- ten Thermometer und Barometer, während er in ihnen kreuzte, tiefer gestanden haben, als in dem klaren Wetter auf beiden Seiten jenes Gürtels, besonders tiefer, als an den Rändern desselben. Indem er durch die äquatorialen Doldrums fuhr, hat er einen Wol- kenring passirt, der die ganze Erde umgiebt. Ich finde in dem Journal, das der Commodor Arthur Sinclair am Bord der Ver. St. Fregatte ‚‚Congress‘‘ während einer Kreuz- fahrt nach Siid-Amerika in den Jahren 1817 — 1818 gehalten hat, ein besonders treffendes und anschauliches Gemälde von dem Wet- ter unter diesem ,,Wolkenring.‘‘ Er stiess im Januar 1818 zwi- schen 4° N. B. und dem Aequator und zwischen den Meridianen von 19 und 23 Grad W. L. auf denselben. Er schreibt dar- über : „Dies ist sicherlich eine der unangenehmsten Gegenden auf unserem Erdball. Eine dicke, schwüle Atmosphäre lastet auf dem Ocean und kühlt sich nur auf wenige Stunden nach einem Gewit- ter, während welcher Ströme von Regen fallen, etwas ab; aber eine glühend heisse Sonne erhitzt die Luft bald wieder, die fast unerträglich sein würde, wenn das Sonnendeck und das fortwäh- rende Wallen der Segel nicht einige Kühlung brächte. Wer diese Region nicht durchkreuzt hat, kann sich von ihren höchst lästigen Einwirkungen auf den menschlichen Organismus gar keine Idee machen. Man fühlt eine ganz unwiderstehliche Mattigkeit, welche selbst durch Seebäder, welche sich doch sonst immer so heilsam und erfrischend erweisen, nicht überwunden wird. Ich habe — die Stunden wirklicher Gefahr des Schiffbruchs abgerechnet — nie zwölf unangenehmere Tage während meiner im Dienst verlebten Zeit zugebracht, als in diesen Breiten der Windstille. „Ich passirte die Linie am 17. Januar, um 8 Uhr Morgens, unter 21°20° W. L. und hatte bald alle die übeln Folgen jener Periode überwunden ; eine immer frischer wehende Seebrise kühlte uns ab, zog sich nach Süd-Südost herum und brachte einen klaren Himmel und eine himmlische Temperatur, die uns über alle Be- schreibung stärkte und erfrischte. Man sah nichts als fröhliche Gesichter, die wie durch einen Zauberschlag an die Stelle jener eis 164 Die physische Geographie des Meeres. schläfrigen Trägheit traten, welche uns alle während der letzten beiden Wochen niedergedrückt hatte. ‘‘ Man braucht nicht zur See zu gehen, um jenes grossartige Werk wahrzunehmen, das die Wolken verrichten, indem sie aus den Krystallgewölben des Himmels Feuchtigkeit sammeln, sie auf die Felder sprengen und die Berge umher mit Regen erfrischen, dass sie uns lustig anlachen; ,,Winter und Sommer, träufeln die Wolken Feuchtigkeit auf die Erde.‘ Diesen Theil ihres Wirkens kennt jeder. Aber der Seefahrer bemerkt Erscheinungen auf dem Meere und ist Zeuge von Operationen in der Oekonomie der Erde, welche ihm anzeigen, dass die Wolken in dem schön und fein durchgebildeten Mechanismus der Atmosphäre noch andere wich- tige Verrichtungen haben ausser diesem Erzeugen und Ergiessen des. Regens, diesem Weben von Schneemänteln zum Schutz der Felder im Winter. Der naturkundige Seemann wird, indem er sei- nen Himmel wechselt, noch an andere diesen Wolken aufgelegte Funktionen erinnert, welche zwar weniger offen zu Tage liegen, aber darum nicht weniger segensreich und bemerkenswerth sind. Er sieht, wie sie daran arbeiten, die Extreme der Wärme und Kälte zu mässigen und so das Klima zu mildern. Zu der einen Zeit breiten sie sich aus; sie bedecken die Erde wie mit einem Mantel; sie verhindern die Ausstrahlung von.der Rinde derselben und halten sie warm. Zu einer andern Zeit stellen sie sich zwi- schen Sonne und Erde; sie schirmen sie vor den sengenden Strah- len, schützen die zarten Pflanzen vor der Sonnenglut, und bewah- ren das Land vor Dürre; oder sie umhüllen wie mit einem weiten Gewande das Meer und verhüten die Einwirkung allzu starker Ver- dampfungskraft. Haben sie aber solche Dienste an der einen Stelle geleistet, so werden sie in Dampfform wieder ein Spiel der Sonnen- strahlen und der Winde, welche sie auf ihren Schwingen andern ähnlicher Dienste bedürftigen Oertern zuführen. “ Wohlvertraut mit Gewölk und Sonnenschein, Sturm und Windstille und mit allen Phänomenen, welche in der physischen Geographie der See näher. beschrieben werden, sieht der denkende Seemann in der ,, Wolke ohne Regen‘‘ nicht mehr etwas Bedeu- tungsloses. Er betrachtet sie als einen grossen Regulator der Hitze und Kälte, als einen wichtigen Compensationsapparat in der atmo- sphärischen Maschine. Von allen Theilen der grossen physischen Weltordnung erscheint mir die Atmosphäre mit ihren mannigfa- chenVerrichtungen und in ihrer Stellung zum gesammten Erdorga- Der äquatoriale Wolkenring. 165 nismus als der wunderbarste und erhabenste. Eine tiefe Allweis- heit liegt in ihrem Bau verborgen. Der gottesfürchtige Mann im Lande Uz frägt in einem Momente der Begeisterung seine Tröster also: ,, Wo will man aber Weisheit finden? Und wo ist die Stätte des Verstandes? Der Abgrund spricht: Sie ist in mir nicht; und das Meer spricht: Sie ist nicht bei mir. Man kann nicht Gold um sie geben, noch Silber darwägen, sie zu bezahlen. Gold und De- mant mag ihr nicht gleichen, noch um sie golden Kleinod wech- seln. Die Weisheit ist höher zu wägen, denn Perlen. “Woher kommt denn die Weisheit? Und wo ist die Stätte des Verstandes ? Die Verdammniss und der Tod sprechen: Wir haben mit unsern Ohren ihr Gerücht gehöret. Gott weiss den Weg dazu und kennet ihre Stätte. Denn Er siehet die Enden der Erde, und schauet alles, was unter dem Himmel ist. Daer dem Winde sein Gewicht machte, und setzte dem Wasser seine gewisse Maasse; da er dem Regen ein Ziel machte, und dem Blitz und Donner den Weg: da sahe er sie und erzählete sie, bereitete sie und erfand sie. ‘‘*) Als der Pumpenverfertiger zu Galileo kam, um ihn zu fragen, wie es komme, dass die Pumpe das Wasser nicht höher als 32 Fuss heben wolle, da dachte jener Naturforscher — scheute sich aber es auszusprechen — es käme vom ,,Gewicht der Winde‘‘; und ob- gleich die Thatsache, dass die Luft ein Gewicht hat, hier so klar ausgesprochen ist, so erkannte sie die Wissenschaft doch erst in einer vergleichungsweise sehr späten Periode und sie wurde dann von ihr als eine grosse Entdeckung verkündet. Und doch wurde die Thatsache im Buche der Natur eben so klar und bestimmt, wie im Buche der Offenbarung aufgezeichnet; schon das Kind, indem es mit Hülfe des atmosphärischen Druckes die Milch aus der Brust seiner Mutter saugt, verkündigt sie unbewusst. Doch wir kehren zu dem Wolkenring zurück, wo 'Thermome- ter und Barometer tiefer standen, als zu beiden Seiten desselben. Der aufmerksame Schiffer wird bemerken, 1) wie dieser Wolken- gürtel in den Parallelen, über welche er sich, vor den Sonnenstrah- len schützend, hängt, den zu gewissen Perioden dort eintretenden Niederschlag beschleunigt, 2) wie der Regen immerfort die Plätze, an denen er niederfällt, wechselt, 3) wie dieser Wolkenring, in- dem er zugleich mit dem Calmengürtel des Aequators sich am Erd- ball auf und niederschiebt, abwechselnd von immer neuen Theilen *) Hiob, Kap. 28. 166 Die physische Geographie des Meeres. der Meeresfläche die Gluthstrahlen der Sonne ausschliesst und wie endlich 4) durch diese Operation der Circulation der ganzen Erd- atmosphiire erst das rechte Gleichgewicht und der Erdvegetation die gehörige Kraft verliehen wird. Wenn der Wolkenring*) zugleich mit dem Calmengürtel nach Norden oder Süden vorgerückt ist, so lässt er den Himmel um den Aequator klar; die Strahlen einer brennend heissen Sonne schies- sen dann auf die dortige Erdkruste nieder und steigern ihre Tem- peratur bis zu einer sengenden Hitze. Die Atmosphäre ,,tanzt‘‘ und man sieht die Luft zitternd in schmalen Streifen auf und nie- dersteigen ; sie ist eifrig beschäftigt, die Hitze bis in die höchsten Regionen zu entführen, um der Luft in ihren Circulationskanälen ihr mechanisches Moment mitzutheilen. Die Zeit der Trockenheit hält an; die Sonne steht scheitelrecht; die Erde wird endlich aus- gedörrt und versengt; die Hitze häuft sich schneller an, als die Luft sie fortführen kann; die Pflanzen fangen an zu welken und die Thiere verschmachten und sterben. Da nahet der mildernde Wolkenring. Er fängt die brennenden Sonnenstrahlen auf. Die Stelle wechselt, wo die Sonnenhitze absorbirt, reflektirt und an die Atmosphäre abgegeben wird. Dieser gesammte Process geht nicht mehr an der Oberfläche der Erde, sondern an der obern Fläche der Wolkenschichten vor sich. Die Wärmestrahlung aus Land und Meer wird so unter diesem Wolkengürtel unterbrochen, die Erde giebt ihren Ueberschuss an Wärme an die Luft ab, durch Absorption wird er den Wolken zu- geführt und dort in die Wasserdämpfe derselben hinübergeleitet, um ein Uebermaass des Niederschlags zu verhüten. Mittlerweile schütten die Passate von Nord und Süd in diesen wolkenbedeckten Recipienten, wie man den Aequatorial-Calmen und Regengürtel nennen kann, unaufhörlich grosse Volumina erwärm- ter und bis zur Sättigung mit Dampf angefüllter Luft aus, welche emporsteigen und sich aus den Wolken frei machen muss, ehe sie den Process der Abkühlung durch Strahlung beginnen kann. *) So verschieden diese Erscheinung in mancher Beziehung auch sein mag, so kann ich doch nicht umhin, hier auf die in der Aequatorialzone des Jupiter liegenden zwei Hauptstreifen hinzuweisen. ‚Diese Erscheinun- gen“, sagt Arago, ‚erklären sich.am leichtesten, wenn man eine durch Wol- kenschichten theilweise verdichtete Atmosphäre annimmt, in welcher jedoch die über dem Aequator ruhende Region, wahrscheinlich als Folge der Passat- winde, dunstleer und diaphan ist.“ Vgl. Kosmos III, 521. (D. Ueb.) Der äquatoriale Wolkenring. 167 Mittlerweile werden auch die Dämpfe, welche die Passate von Nor- den und Siiden herbeischaffen, indem sie sich beim Aufsteigen aus- dehnen und abkühlen, an der untern Seite der Wolkenschicht con- densirt, ihre latente Wärme wird frei, setzt dadurch dem Nieder- schlage Gränzen und verhütet Ueberschwemmungen. Während dieser Naturprocess an der untern Seite des Wolken- ringes vor sich geht, beginnen nicht weniger wichtige Operationen an der obern. Auf diese fallen die Sonnenstrahlen ohne Unterbre- chung vom Aufgang bis zum Untergang der Sonne; täßlich und den ganzen Tag wirken sie auf diese obere Fläche der Wolken- schicht. Wenn sie zu mächtig werden und den Wolkendünsten mehr Wärme zuführen, als diese reflektiren und an die Luft über ihnen abgeben können, dann absorbirt dieses mit merkwürdiger Elasticität begabte Gewölk diesen Ueberschuss an Wärme. Es schmilzt weg, wird unsichtbar und hält die ihm so mitgetheilte Wärme in einem latenten, unschädlichen Zustande so lange fest, bis sie irgendwo anders oder bei irgend einer andern Gelegenheit wieder gebraucht wird. Wir haben somit einen Blick in die Operationen thun können, welche in dem Aequatorialgürtel des Niederschlags vor sich gehen und können nun einsehen, durch wie vorzügliche Einrichtungen die Natur diesen Calmengürtel mit Wärmestoff versieht und die Schneelinie hoch über die Wolken hinaushebt, so dass die Atmo- sphäre Raum hat, sich auszudehnen, zu steigen, überzufliessen und in die Kanäle ihres wohlthätigen Kreislaufes zurückzuströmen. Indem der Dampf sich condensirt und zu Regentropfen gestaltet, wird ein zwiefacher Zweck erfüllt: von den kältern Regionen der Wolken kommend, sind die Regentropfen kühler als die Luft und Erde unter ihnen; sie fallen nieder und nehmen durch Absorption die Hitze auf, welche sich während der trockenen Jahreszeit in der Erdrinde angehäuft hat und welche jetzt durch Strahlung nicht entweichen kann. So modificirt dieser Wolkenring das Klima der ganzen unter ihm befindlichen schmalen Erdzone, indem er zu ver- schiedenen Zeiten des Jahres alle Parallelen vom 5. Grad südl. bis zum 15. Grad nördl. Breite überschattet. Bei dem Condensationsprocess haben diese Regentropfen an- dererseits eine ungeheure Menge latenter Wärme frei gemacht, welche zugleich mit dem Wasserdampf an der Meeresfläche von den Passaten aufgesammelt und hieher gebracht wurde. Die Luft 168 Die physische Geographie des Meeres. nimmt den so freigewordenen Wärmestoff in sich auf und führt ihn zu noch grössern Höhen empor, um die Linie, über der die Tempe- ratur nie über den Gefrierpunkt steigt, in der gehörigen Entfer- nung von der Erde zu erhalten. Wenn wir in den obern Luftre- gionen diese Schneelinie als eine thermale Curve construiren könn- ten, so würden wir sie ohne Zweifel am Aequator, und zwar bald diesseits, bald jenseits, bisweilen stark emporsteigen, immer aber sich über diesen Wolkenring hinwegschwingen sehn. Diese Linie würde nicht immer über denselben Parallelkreisen eine solche Krümmung nach oben machen. So wie sich die Entfernung jenes Ringes vom Aequator nach den Jahreszeiten richtet, so würde sich das Aufsteigen der Schneelinie wieder nach dem Orte, wo der Ring sich befindet, richten. Denken wir uns den atmosphärischen Aequator immer da, *) wo der Calmengürtel die Nordost- und Südost-Passate scheidet, so würde man finden, dass die die Schneelinie repräsentirende ther- male Curve sich immer in einer Ausbiegung nach oben über jenen Aequator hinwegkrümmt. Man kann auch annehmen, dass ein fortwährend in der Mitte dieses Regengürtels an der Erdoberfläche hin und herstreifendes Thermometer Jahr aus Jahr ein eine fast constante Temperatur, ein Barometer ebenfalls einen fast constan- ten Druck anzeigen würde. Fragen wir uns nach allen diesen Betrachtungen nochmals, welche Dienste der die Erde umschliessende Wolkenring im System des oceanischen Lebens zu verrichten hat, so möchten wir sa- gen, er ist die linke Kammer und das Ohr des atmosphärischen Herzens, wo die Wärme und die Kräfte, welche dem System Le- bensfähigkeit und Macht verleihen, zu spielen beginnen, wo die dynamische Stärke gesammelt und der Luft der Impuls gegeben wird, dass sie durch ihre langen und vielfach gekrümmten Circula- tionskanäle zu strömen vermöge. So streckt sich denn dieser Ring, dieses Band oder. dieser Gürtel von Wolken um unsern Planeten, um die Menge des Nie- derschlags in dem darunterliegenden Regengürtel zu regeln; um das richtige Wärmequantum auf der Erdoberfläche zu bewahren; um die Winde richtig zu ordnen und nach den vier Weltgegenden Dämpfe in gehörigen Quantitäten zu entsenden, um jedem Fluss- becken, jedem Klima und jeder Jahreszeit ihren verhältnissmässi- *) Vgl. d. vor. Anmerkung. Der äquatoriale Wolkenring. 169 gen Antheil an Sonnenschein, Gewölk und Feuchtigkeit zuzu- messen. Der Wolkenring ist die von selbst wirkende Compensa- tion der atmosphärischen Maschine. Erzeugt einmal die Sonne selbst in dieser Region nicht Wärme genug, so condensiren sich mehr Dämpfe und die latente Wärme, welche dadurch frei wird, gleicht jenes Deficit wieder aus. Wenn dagegen die Sonnenstrah- len zu intensiv auf den obern Umfang dieses Gürtels auffallen soll- ten, so ist sogleich wieder eine Compensation in anderer Form zur Hand. Von den obersten Wolkenschichten löst sich soviel als nö- thig ist, in unsichtbaren Dampf auf — die Wärme wird dabei la- tent und bleibt dies, bis sie dem grossen Weltenplane nach zur rechten Zeit wieder frei und zur thätigen Kraft wird. Dass das Thermometer unter diesem Wolkengürtel unab- änderlich tiefer steht, als auf beiden Seiten desselben, hat sich aus meinen eigenen und den fremden von mir untersuchten Beob- achtungen noch nicht bestimmt ergeben. Dass aber die Tempera- tur hier der Regel nach niedriger sein müsse, lässt sich theore- tisch eben so sicher beweisen, als die Rotation der Erde um ihre Achse. Die Natur selbst hat ein Thermometer unter diesen Wol- kengurt gehängt, das vollkommener ist, als alle von Menschen- hand gefertigten und seine Angaben sind nicht misszuverstehen. Die Dämpfe des Wolkenrings kommen, wie schon gesagt wurde, aus den Passatregionen; sie steigen unter diesem Ringe auf; indem sie aufsteigen, dehnen sie sich aus, kühlen sich dabei ab, bilden Gewölk und werden dann zu Regen condensirt. Wir bedürfen ferner keines von Menschen ersonnenen Quecksilber- instruments, um uns zu überzeugen, dass die Luft, welche den Dampf für diese Wolken herbeiführt, ihn nicht bei gleicher Tem- peratur aufnehmen und wieder freigeben kann; Niederschlag und Abdampfung stehen einander gegenüber und beide sind in dersel- ben Luft und bei derselben Temperatur nicht denkbar. Je höher die Temperatur der Luft steigt, desto grösser wird die Capacität der- selben, Wasser in Dampfform aufzunehmen und bei sich zu behalten und umgekehrt. Dies sind physikalische Gesetze und wenn wir also Wasser aus der Luft niederträufeln sehen, so haben wir kein Instrument nöthig, das uns erst anzeigen müsste, dass die Elasti- eität des so condensirten und in Tropfen niederfallenden Dampfes jetzt geringer ist als damals, wo er, der Meeresoberfläche entnom- men, als Dampf sich in die Wolken hob. Wir schliessen daher, dass, sobald die Dämpfe des Seewassers 170 Die physische Geographie des Meeres. condensirt werden, die dem Ocean entliehene Wärme, welche er- forderlich war, um sie im gasförmigen Zustande zu erhalten, aus- geschieden ist und dass sie also im Condensationsakt einer nie- drigern Temperatur ausgesetzt waren, als bei der Verdampfung. Unaufhörlich geht der Niederschlag unter diesem Wolkenring vor sich. Die Verdampfung hält unter ihm fast ganz inne. Wir wis- sen, dass es rings um die Erde Passate giebt, dass sie beständig wehen, von Norden und Süden kommen, und einander am Aequa- tor wieder begegnen. Wir schliessen daraus, dass die Linie, wo sie zusammentreffen, sich um den ganzen Erdball schlingt. An den Regenzeiten der heissen Zone können wir die Declination die- ses Wolkenringes, der die Erde wie ein Gürtel umschliesst und sich von Norden nach Süden, und zurück, bewegt, nachweisen. Er ist breiter als der Calmengürtel, aus welchem er entsteht. Indem die Luft mit ihren Dämpfen in diesem Calmengürtel em- porsteigt, werden diese Dämpfe zu Wolken condensirt und dieser Condensation folgt ein Aufschwellen, welches die Wolken nach Norden und Süden gleichsam aus dem Bett des Calmengürtels hin- ausfluthen lässt. Die in derselben Richtung abfliessende Luft nimmt den Charakter von Winden an, welche als obere Ströme den Passaten entgegengesetzt sind. Diese Luftströmungen ent- führen die Wolken noch weiter nach Norden und Süden und ma- chen so den Wolkenring noch breiter. Wenigstens müssen wir dies schon daraus folgern, dass sich der Regen in die Passatgegend hinein erstreckt und zwar öfters bis zu bedeutenden Abständen nördlich und südlich vom Calmengürtel. Wenn dieser Wolkenring leuchtete und von einem Beobachter auf irgend einem Planeten gesehen werden könnte, so würde er ihm nicht viel anders erscheinen, als uns die Ringe des Saturn (? d. Ueb.). Ein solcher Beobachter würde bemerken, dass dieser Wolkenring eine der Rotation des Planeten entgegengesetzte Be- wegung hat — dass er sich, während die Erde sich schnell von Westen nach Osten dreht, langsam und nur relativ, von Ost nach West bewegt. Indem die Winde den Wolkendunst dieser Gegend der Calmen zuführen und mit den Dünsten emporsteigen, gleitet die Erde unter ihnen hin und so geht der Wolkenring, obgleich er sich mit der Erde von West nach Ost bewegt, relativ langsamer als die Erde, und würde demnach eine längere Zeit zu einer Um- wälzung zu brauchen scheinen. Aber die äussere — d. h. für uns die obere — Fläche dieses Wolkengürtels würde ausserordentlich Der äquatoriale Wolkenring. 171 ausgezackt und uneben erscheinen und insofern den durch das Teleskop betrachteten Saturnringen nicht gleichen. Indem die Sonnenstrahlen auf diese und jene Spitze der obern Wolkenoberfläche einwirken, schmelzen sie die eine Reihe von Er- hebungen hinweg und erzeugen eine neue Gruppe von Senkungen. Die ganze Schicht ist, wie man sich wohl denken kann, in einem Zustande der Aufschwellung; sie befindet sich, von oben gesehen, in einem fortwährenden Kampfe. Die Wärme, welche von unten bei dem Condensationsprocess frei wird, die von der Erde ‘aufstei- genden Ströme warmer Luft und die von oben hinabsinkenden kal- ten Luftsäulen, alles dies erhält die obere Fläche in einem fortwäh- renden Zustande der Aufregung, des Aufwallens und Nieder- sinkens. Man denke sich nun, dass eine elektrische Entladung in einer solchen Wolkenschicht stattfindet; der Schall, von den Wolken- furchen oben aufgefangen, hallt von Gipfel zu Gipfel, wiederholt sich von Thal zu Thal bis das letzte Echo in dem dumpfen Dröhnen des fernen Donners erstirbt. Solche und ähnliche Schlussreihen mahnen die:Seefahrer daran, dass kein Ausdruck der Naturthätigkeit seiner aufmerksamsten Un- tersuchung unwerth, dass kein physisches Factum zur Beobachtung zu werthlos ist. Indem er in sein Journal einregistrirt, wie ihm der Blitz erschien, ob er den ganzen Himmei momentan erhellte, oder sekundenlang wie eine Feuerkugel sich fortbewegte, ob der Donner rollte, dumpf dröhnte oder scharf und hell klang, kann er Thatsachen liefern, welche dereinst vielleicht ein helles Licht auf die Gestaltung und den Charakter der Wolken in verschiedenen Breiten und zu verschiedenen Zeiten werfen. Die Natur redet in physischen Thatsachen und jeder Laut, mit dem sie ihre feierliche Stille unterbricht, ist unserer gespanntesten Aufmerksamkeit werth. 172 Die physische Geographie des Meeres. Zehntes Kapitel. Ueber die geologische Einwirkung der Winde. Um die Funktionen der Winde und Wellen recht zu würdigen, muss man die Natur als ein Gan- zes ansehen. — Niveau des todten Meeres. — Zeugnisse für die Behauptung, dass in frü- hern geologischen Perioden mehr Regen als jetzt auf das todte Meer und andere binuenländische Becken niederfiel. — Woher der Dampf für den Regen im Becken der amerikanischen Seen kommt. — Wirkungen, welche die Erhebung von Bergketten quer über die Bahn der. dunstge- sättigten Winde hervorbringt. — Wodurch das Gebiet hydrographischer Becken yon der See abgeschnitten werden kann. — Utah als Beispiel. — Einwirkung der Anden auf dunstgesittigte Winde. — Vergleichung des geologischen Alters der Anden und des todien Meeres. — Gruppen von dürren Landstrichen mit wenig Regen. — Regen und Evaporation im Mittelmeer. — Evapo- ration und Niederschlag sind sich auf dem Caspi-See gleich. — Die Feuchtigkeitsmenge, welche die Atmosphäre in Circulation erhält. — Woher der Dampf für den den Nil fiillenden Regen kommt. — Der Titikaka- See. Um die verschiedenen Verrichtungen, welche die Winde und Wellen auszuführen haben, gehörig zu würdigen, muss man die Natur als ein Ganzes betrachten; denn alle ihre einzelne Be- zirke hängen auf das Engste zusammen. Wenn wir einen beson- dern Theil zu durchforschen suchen, so spüren wir oft Fäden auf, welche uns, ohne dass wir es selbst bemerken, in andere hinüber- leiten und wir untersuchen auf einmal die Kammern eines ganz andern Flügels im Pallaste der Natur. Wenn das Studium jener Strömungen, welche auf dem Ocean die verschiedensten Stoffe treiben lassen, den Geologen auf die. hohe See hinausführt, so erkennt er bald, dass die Kenntniss der Wellen, Winde, ja der gesammten Schiffahrt und Hydrographie zu seinem Lieblingsthema in engster Beziehung stehe. | Der Astronom richtet sein Teleskop auf den fernsten Stern oder den nächsten Planeten am Himmel und stellt seine Beobach- tungen über beide an. Er kann diese aber nicht reduciren oder irgendwie benutzen, wenn er sich nicht gewisse Principien der Optik zu Nutze zu machen versteht, wenn er nicht das Thermome- ter befragt, die Atmosphäre abwägt und die Einwirkung der Wärme auf den Refraktionscoefficienten in Betracht zieht. Um dem Pendel seiner Uhr die rechte Länge zu geben, hat er das Wasser des Mec- res auszumessen und das Gewicht der Erde zu bestimmen. Auch der Astronom muss also die Ebbe und Fluth studiren; auch er muss die Erdrinde und den Stoff untersuchen, aus welchem der Erdball von Pol zu Pol, vom Umfang bis zum Centrum, besteht, und indem er dies thut, findet er sich in seinen Untersuchungen Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 173 Seite an Seite mit dem Seemann, dem Geologen, dem Meteorologen und mit einem ganzen Heere strebsamer Leute, welche alle an pa- rallelen Fäden in dasselbe Labyrinth einzudringen suchen — alle wohl mit verschiedenen Absichten, aber alle an den Fäden der Wissenschaft zu reichen Schätzen hingeleitet, welche jedem Ein- zelnen Belehrung darbieten. So habe ich in meinen Forschungen über die physische Geographie des Oceans bald gefunden, dass ich mit dem Geologen auf dem Festlande Hand in Hand ging, dass ich zugleich mit ihm, dem vom Meeresgestade weit entfernten, einige von den Phänomenen betrachtete, welche die weiten Becken der Continente — ich meine jene gewaltigen Einschnitte auf der Erd- oberfläche, welche keinen Abfluss in das Meer haben, dem wissen- schaftlichen Studium darbieten. Eine der interessantesten Erscheinungen ist hier das todte Meer. Der Lieutenant Lynch, von der Ver. St. Flotte, hat ein Ni- vellement von jenem Meer aus nach dem Mittelmeer ausgeführt und gefunden, dass das erstere ungefähr 1300 Fuss unter dem all- gemeinen Niveau des Weltmeers liegt. Um für diesen grossen Un- terschied der Wasserhöhen eine Erklärung zu finden, untersucht dieser Geolog die umliegende Gegend und ruft die Kräfte der He- bung und Senkung zur Hülfe, welche der Annahme nach in der Umgebung ihren Sitz gehabt haben; er weist dann auf sie als die Ursachen der ganzen Erscheinung hin. Sie sind gewiss von mäch- tiger Wirkung und haben die Oberfläche der Erde durch die hoch- gethürmten und tief eingegrabenen Denkmale ihrer Gewalt man- nigfach verändert. Ist aber die Annahme, dass sie in der Nachbar- schaft dieser Gegend ihren Sitz aufgeschlagen haben, nothwendig? Können sie nicht eben so gut von der See herrühren und wenn auch nicht in diesem Fall, doch bei vielen andern binnenländischen Becken ebenso weit entfernt gewesen sein, wie die andere Hemi- sphäre? Ich bin nicht so dreist, auf diese Fragen bestimmt zu ant- worten. Meine Untersuchungen haben mich aber schon lange da- hin geleitet, die geologische Einwirkung der Winde in solchen Fäl- len näher zu prüfen. Ihren Sitz und Ursprung hat auch sie im Meere und desshalb stelle ich sie als eine bei der Erklärung dieses oder jenes Binnensees wenigstens sehr beachtenswerthe hin. Giebt es irgend ein Zeugniss dafür, dass das jährliche Quan- tum des Niederschlags auf die Wasserfläche des todten Meeres in irgend einer frühern Periode grösser war, als die Menge der Ver- dampfung während eines Jahres jetztist? Wenn es aber grösser war, 174 Die physische Geographie des Meeres. von welchem Theil des Meeres kam dann der Dampf, der den Ue- berschuss des Niederschlags lieferte und was hat jetzt diesen Zu- fluss abgeschnitten? Die Elevation oder Depression des Beckens allein gewiss nicht. Wenn wir die Thatsache fest halten, dass das todte Meer in einer früheren Periode einen Abfluss in den Ocean hatte*), so müssen wir zugleich zu geben, dass damals, wo noch das Meer in einen Fluss überfliessen konnte, das Quantum des aus den Wolken im Gebiet des todten Meeres niederschlagenden Wassers grösser war, als was die Winde in Dampf verwandeln und wegführen konn- tens der Fluss führt den Ueberschuss wieder dem Ocean zu, woher derselbe gekommen ist. Im Bassin des todten Meeres, des Caspi- und Aralsees sowie in den andern Becken Asiens sind, wie wir zu schliessen wohl be- rechtigt sind, Niederschlag und Verdampfung gegenwärtig einander gleich. Im entgegengesetzten Falle müsste der Wasserspiegel dieser Seen steigen oder sinken, was weder Beobachtungen zeigen, noch die Geschichte berichtet. Das Niveau dieser Seen bleibt, so viel wir wissen, stets so unverändert, wie das des Meeres selbst; auch kann man sich kaum unterirdische Kanäle zwischen ihnen und dem Meere denken. Verbände ein solcher den Ocean mit dem tod- ten Meere, so müsste dasselbe Wasser aus dem erstern aufnehmen und sich jedenfalls zuletzt bis zu dessen Niveau erheben. Möglich, dass die durch meine Untersuchungen angeregte Frage mit dem todten Meere zunächst nichts zu thun hat; dass lokale Erhebungen und Senkungen allein das Niveau seiner Gewässer bis zu der ge- genwärtigen Tiefe herabdrückten. Ist es aber wahrscheinlich, dass durch alle geologischen Perioden, während aller der Veränderun- gen, welche in der Vertheilung von Wasser und Land über die Erdoberfläche stattgefunden haben, die Winde, welche in den Ka- nälen ihrer allgemeinen Circulation über das todte Meer hinstrei- chen, allein unverändert geblieben sind? Sollten diese Winde wäh- rend aller Jahrhunderte, Perioden und Erdformationen jenem Meere genau soviel Feuchtigkeit zugeführt, ihm stets genau soviel Wasser entzogen haben, wie jetzt? Das wäre schwer zu begreifen. Die , *) „Am Südrande, sagt Daniel S. 72 , kommt der Jordan nicht wieder her- vor, aber das Ghor, nun eine wiiste Felsenschlucht, setzt sich bis zum rothen Meere fort.‘* Wahrscheinlich ist das Becken dieses Meeres durch einen gross- artigen Erdfall entstanden. Ehe dieser eintrat, floss der Jordan bis ins rothe Meer: Vgl. Ps. 114, 3. (D. Ueb.) Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 175 Salzbetten , die Pegel (water-marks), die geologische Formationen und andere Thatsachen, wie sie die Natur mit eigener Hand auf Felsentafeln schreibt, — Alles zeigt klar genug an, dass nicht nur das todte Meer, sondern auch der Caspi-See in frühern Perioden reichlichere Regen hatten, als jetzt. Woher kam die Dampfmenge für diesen Regen? Was hat diese Quellen versiegen lassen? Gewiss nicht die Erhebung oder Senkung des Beckens des todten Meeres. Meine Untersuchungen über die Winde haben es als’ wahr- scheinlich hingestellt, dass der zu Regen für das Seethal*) conden- sirte Dampf, den der St. Lorenz dem atlantischen Meere zuführt, von den Südostpassaten des stillen Meeres aufgenommen wird. Man nehme an, dass sich dies so verhalte und dass die diesen Dampf mit sich führenden Winde mit ihm in der Umgebung des Sees bei einem mittlern Thaupunkt von 50° (S’Re.) anlangten. Dies würde die Südwestwinde im Allgemeinen für die Seeregion zu Regenwin- den machen, wie sie es auch für das Missisippithal sind; sie sind aber auch, einzelne Fälle abgerechnet, die Regenwinde für Europa, und ohne Zweifel auch für das über dem Wendekreis liegende Asien. Man setze nun ferner den Fall, dass sich irgend eine Berg- kette, Hunderte von Meilen südwestlich von den Seen, und die Bahn jener Winde durchkreuzend, plötzlich so gehoben hätte, dass ihre Gipfel bis über die Schneelinie hinausragten und also etwa eine mittlere Temperatur von 30° (etwa — 1° Re.) hätten. Die Winde würden beim Uebergange über jene Bergreihe einem mitt- lern Thaupunkt von 30° unterworfen sein, und da sie zwischen dem Gebirge und den Seen auf keine Evaporationsfläche mehr stossen, so würden sie bei der angenommenen Seetemperatur von 50° keine Feuchtigkeit mehr abgeben können, denn was irgend über 30° er- wärmt wäre, würde keine Feuchtigkeit mehr von ihnen erhalten können. Demgemäss würde das ganze Niederschlagsyuantum in der Seeregion wegfallen ; die Winde, welche jetzt indirekt die Seen füllen, würden ihnen nicht mehr soviel Wasser zuführen, als sie jetzt an den St. Lorenz abgeben. In einem solchen Falle würden jener Fluss und der Niagara das Seeniveau bis auf das ihrer Fluss- betten herabbringen ; die Verdampfung würde vermöge der Trocken- heit der Atmosphäre und des Mangels an Regen vermehrt werden und die Seen würden endlich bis auf den Punkt hinabsınken, für *) Maury meint die nordamerikanischen Seen. (D. Ueb.) 176 Die physische Geographie des Meeres. welchen, wie beim Caspi-See, Niederschlag und Verdampfung sich schliesslich gleichstellen. Es giebt ¢in Princip der Selbstregulirung, welches diese Gleich- heit zu Stande bringt; indem das Wasser in den Seen sinkt, wird die Oberfläche ihrer räumlichen Ausdehnung nach vermindert und zugleich wird die Menge des an ihr entwickelten Dampfes geringer, bis sie sich endlich der im Regen wieder niederschlagenden Was- sermenge gleichstellt, ganz auf dieselbe Weise wie die aus dem Meere de Wasserquantität der im Regen, feuchten Nebel und Thau*) der Erde zurückgegebenen genau gleich ist. Auf diese Weise würden also die grossen nordamerikanischen Seen Binnen- seen mit unveränderlichem Niveau bleiben; die durch die Flüsse und den Regen vom Erdboden abgespülten und ihnen zugeführten Salztheile würden nicht mehr in den Ocean gelangen und über- haupt das Seebecken nie wieder verlassen; im Laufe der Zeit wür- den also auch die amerikanischen Seen Brackwasser, endlich sogar Sole enthalten. Wir wissen, dass diese Seen nicht über 420 Fuss tief sind, wollen aber einmal annehmen, sie wären 6000 Fuss tief. Der Ab- dampfungsprocess würde, nachdem der St. Lorenz ausgetrocknet wäre, so lange vorschreiten‘, bis das Wasserniveau etwa um 2000 Fuss gesunken wäre, und wir würden dann ein anderes Beispiel eines Wasserbeckens haben, das. wie das todte Meer, viel tiefer steht als der Ocean selbst. Sollten aber die Seen ganz austrocknen, so würde ein Distrikt ohne Regen sich bilden. Ein zweites Beispiel mag noch zur weitern Veranschaulichung dienen. Corallenthiere arbeiten an den Rändern des Golfstroms. Sie haben an der einen Seite die Floridariffe und auf der andern die Bahamabänke aufge- baut. Man nehme nun an, sie hätten quer über die Floridastrasse einen Damm gebaut, der dem Golfstrom den Weg versperrte; fer- ner hätten sie auf gleiche Weise Cuba mit Yucatan verbunden, so dass die See nicht mehr durch den Yucatan-Pass aus dem atlanti- schen Meere in den Golf von Mexiko einströmen könnte. Was würde erfolgen? — Die Tiefe des Seebeckens, das die Wasser des Golfes enthält, beträgt an der tiefsten Stelle ungefähr eine Meile (5000 Fuss). Die Officiere des Ver. St. Schiffs Albany haben quer über den Golf von Westen nach Osten Peilungen der tiefen See *) Die Menge des Thaues in England beläuft sich jährlich auf ungefähr 5 Zoll. — Glaisher. Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 177 vorgenommen und 6000 Fuss als grösste Tiefe gefunden; spätere Messungen machen aber selbst dies Resultat zweifelhaft und stellen das Maximum noch etwas niedriger. *) Indem wir die Verbindungskanäle zwischen dem Golf und dem Ocean verstopften, würden wir nicht mehr das gewöhnliche Mee- resniveau im Golf bemerken, sondern ein mittleres Niveau, für welches Präcipitation und Evaporation sich das Gleichgewicht halten würden. Wäre die letztere überwiegend so würde der Golf- spiegel sinken, bis die verkleinerte Wasserfläche desselben der Luft gerade so viel Wasser in Dampfgestalt zurückgäbe,, als die grossen Ströme — der Missisippi u. s. w. — dem Golf zuführen. Jeden- falls würde das Niveau des Golfs bald weit unter dem des atlanti- schen Meeres und wahrscheinlich sogar bedeutend unter dem des todten Meeres stehen. Noch ein anderer Naturprocess mag ausser den zwei bereits erwähnten den Abfluss solcher Binnenseen vermöge der Einwir- kung der Winde unterbrochen haben, nämlich die Erhebung des Festlands über den Spiegel der See, wodurch den darüberhinwehen- den Winden trockene Flächen statt der des Wassers dargeboten werden. Man denke sich, dass ein nur mässig grosser Continent aus den Meerestheilen emporstiege, über welche die nach der amerika- nischen Seeregion hinwehenden Winde vorzugsweise hinstreichen. Sie brächten sofort weniger Gewölk und Regen, die Abdampfung nähme zu, um so mehr als sich seltener ein Wolkenschirm vor die Wasser ziehenden Sonnenstrahlen lagern würde, kurz ihr Niveau würde mehr und mehr sich senken. Das alles sind nun wohl blosse Hypothesen ; aber wir wissen, dass wirkliche Hebungen einzelner Theile der Erdrinde stattfinden, dass Küsten ihre Umrisse verän- dern, Inseln aus dem Ocean aufsteigen, aber auch Länderstrecken von ihm zurück erobert werden, und wir sind überzeugt, dass jede Abänderung dieser Art selbst in den fernen Gegenden vermöge der Winde ihre Folgen hat. Der Salzsee von Utah bietet uns ein solches Beispiel eines ab- geschnittenen Abflusses und des von der Natur vorgenommenen Ausgleichungsprocesses zwischen Abdampfung und Niederschlag dar. Da die Verbindung mit dem Ocean unterbrochen ist, wird dieser See von Jahrhundert zu Jahrhundert salziger. Der alte Ka- *) Vgl. Berghaus a. a. O. S. 411. Dreissig deutsche Meilen nördlich vom Nordrande der Halbinsel Yucatan fand man eine Tiefe von nur 624 Fuss. Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. 12 178 Die physische Geographie des Meeres. nal, durch den dieser See ehedem den Ueberschuss seiner Wasser- menge an das Meer abgab, ist, wie mir erzählt wird, noch heute zu erkennen. Bei diesem durch eine verhältnissmässige Abnahme des Niederschlags bewirkten Wechsel sind höchst wahrscheinlich die Winde betheiligt gewesen. Sie waren die unvermeidlichen Agen- ten, welche diesem Wassergebiet einst mehr Feuchtigkeit von der See her zuführten, sie entführen dieselbe jetzt und machen aus Gegenden, welche früher mit Wasser bedeckt waren , ein Salzbett. Auf gleiche Weise sprechen Anzeichen dafür, dass die grossen ame- rikanischen Seen früher einen Abfluss in den mexikanischen Meer- busen hatten. Man weiss, dass Dampfboote in frühern Jahren und während grosser Ueberschwemmungen aus dem Missisippi in die Seen gelangt sind und bei niedrigem Wasserstand kann man das 3ett eines ausgetrockneten Flusses zwischen ihnen ausfindig machen. Nun liegt bekanntlich der Utahsee südlich und westlich von dem grossen nordamerikanischen Seebassin, d. h. in der Rich- tung, aus der, wie wir bereits sagten, hier die Regenwinde kom- men. Kann nicht dieselbe Ursache, die den Niederschlag am Salz- seebecken verminderte oder die Abdampfung vermehrte, dasselbe für das Wassergebiet des grossen Binnenseensystems bewirkt haben! Wenn z. B. die nach Westen vorliegende Gebirgswand der Sierra Nevada sich nur etwas gehoben hätte und die Winde, die dem Salzseegebiet seinen feuchten Niederschlag zubrachten, gerade dieses Gebirge zu passiren hätten, so erhellt augenblicklich , dass sie auf den kältern Berghöhen mehr Dämpfe zurücklassen und also trockener in die Seeregion gelangen müssen, als früher. Die Andeskette in der südamerikanischen Passatregion ragt so hoch empor dass sie den darüber hinstreichenden Winden alle Feuchtigkeit entzieht und an ihrem Westabhang eine Region ohne allen Regen erzeugt. Stiegen die nordamerikanischen Andes bis zu derselben Höhe, so würde natürlich auch an ihrem Ostabhang aller Regen verschwinden. Ich habe diese hypothetischen Fälle angeführt, um die Be- hauptung zu illustriren, dass das Sinken eines nach vielen Anzei- chen und Beobachtungen früher höher stehenden Binnensee - Ni- veaus nicht nothwendigerweise aus dem Einsinken seines Bettes oder der Erhebung seines Gebietes folgen muss, sondern dass der Naturforscher in solchen Fällen vor Allem die geologische Einwir- kung der Winde zu untersuchen hat. Die Ursache, welche ein solches Sinken bewirkt, ist meist nicht lokal und liegt nicht in der Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 179 nächsten Nähe, sondern oft in weiter Ferne. Sie kann ihren Sitz in den Hindernissen haben, welche den ,,Winden in ihren Win- dungen‘‘ irgendwo entgegengestellt werden, Hindernisse , welche die Fähigkeit Dämpfe aufzunehmen oder die Menge der von ihnen fortgeführten Feuchtigkeit bei diesen Winden modificiren. Nachdem ich hoffentlich die Bedeutung der vorliegenden Frage dadurch klar gemacht habe, dass ich zeigte, in welcher Weise die Winde zu wichtigen geologischen Kräften werden können und nach- dem ich gezeigt habe, wie das Emporsteigen einer Bergreihe in ei- nem Theile der Erde vermöge der Winde seinen Einfluss auf die physische Geographie des Meeres ausübt, das Klima afficirt und geologische Phänomene in einem ganz andern Theile hervorbringt, kehre ich zum todten Meere und den grossen Wasserbecken im innern Asien zurück und frage: In wie fern ist es möglich , dass eine Erhebung des südamerikanischen Continents und ein Em por- steigen seiner Gebirge irgend einen Einfluss auf das Wasserniveau jener Seen gehabt hat? Ueberall zeigen sich Spuren und Zeichen ehemals höhern Wasserstandes (also eines reichlichern Nieder- schlags?) Was ist also aus diesen Dämpfen geworden? Sind trockene Länderstrecken an die Stelle der Theile des Oceans getreten, welche ehedem die Dämpfe lieferten? Oder haben sich schneebedeckte Berggipfel quer über die Bahn jener Winde gelegt, dass sie sie nicht überspringen können, ohne ihre Dämpfe, welche sonst dem Gebiete der Seen als Wasser zuflossen , schon hier nieder zu schlagen? Wir haben schon oben den Beweis zu führen versucht, dass die Dämpfe, welche die nördlich gemässigte und kalte Zone mit Regen versehen, höchst wahrscheinlich aus den Passatregionen der südlichen Hemisphäre herrühren. Wenn sich dies wirklich so ver- hält, so muss die den Südost - Passaten Afrikas und Amerikas zu- gehörende Bahn, nachdem aus denselben die vorherrschenden Süd- westwinde der nördlichen Hemisphäre geworden sind, über eine Region von geringerem Niederschlag hinwegführen, als in dem Falle, dass sie, ihrer Funktion als Südost- Passate nachkommend, über Wasser statt über Land gewehet hätten. Die Südost-Passate nehmen mit ihrer Ladung Dampfes, sei dieselbe bedeutend oder gering, nachdem sie in den Aequatorialcalmen emporgestiegen sind, eine nordöstliche Richtung; sie fliessen in den obern Luftregionen in jener Richtung fort, bis sie den Wendekreis des Krebses über- schreiten. Die Plätze, welche ein Minimum von Regen zeigen, müssten daher zwischen diesem Kreise und dem Pole genau die- 12* 180 Die physische Geographie des Meeres. jenigen sein, welche in Bezug auf ihren Regen von den Dämpfen abhängen, welche die über die Südost-Passatregionen Afrikas und Amerikas wehenden Winde mit sich führen. Wäre es nun möglich, die Bahn der Winde über die nördliche Erdkugel hin zu verfolgen, so könnten wir auch den Weg dieser Andeswinde an den feuchten Spuren der Wolken nachweisen: die Bahn solcher Winde, denen alle Feuchtigkeit von den trockenen Gegenden des centralen Südamerika und von Afrika geliefert wird, kann nicht durch wohl bewässerte Länder gehen. Es ist ein immerhin bemerkenswerthes Zusammentreffen , dass die Gegenden nördlich von den Tropen, welche nordöstlich von den Südost- Passaten Süd - Afrikas und Amerikas liegen, über welche also der Theorie nach jene Winde wehen müssen, alle grossen Wüsten Asiens und die Bezirke Europas in sich schliessen, welche den geringsten Niederschlag zeigen. Eine Linie von den Galopagos Inseln durch Florenz in Italien, eine zweite von der Mündung des Amazonenflusses durch Haleb in Syrien würde, nachdem sie den Wendekreis des Krebses überschritten hat, auf der Erdoberfläche die Bahn dieser Winde angeben; dieses ist jenes Land unter dem Winde (lee country), welches, wenn das System der atmosphäri- schen Circulation sich wirklich bewähren soll, nur spärlich mit Regen versorgt werden darf. Die hyetographische Karte Europa’s in Johnston’s physikalischem Atlas verlegt aber die Region des ge- ringsten Niederschlags in den von jenen zwei Linien begränzten Streifen. (Vgl. Berghaus physik. Atlas, I, 9.) Es könnte scheinen, als ob die Natur, dies Land unter dem Winde gleichsam von der Wüste zurückfordernd, auf die Bahn die- ser Winde eine Reihe von Binnenseen vertheilt hätte, die ihnen gewissermassen zu Rastplätzen dienen, um diese durstige Luft mit Feuchtigkeit anzufüllen. Da ist vor allen das Mittelmeer; dann der Caspi-See, der Aralsee, die alle genau in dieser Richtung liegen, als wenn diese Wasserflächen, in dem grossen System der Wasser- vertheilung, dazu bestimmt wären, Winde, aus deren Regen sich schon ein Amazonenstrom und ein Orinoko bilden konnte, mit neuen Dämpfen zu versehen. Dass aber einmal eine solche Landerhebung aus dem Wasser stattgefunden hat, folgern wir aus der Thatsache, dass die Anden einst von der See bedeckt waren; denn selbst über ihre Gipfel sind noch Ueberreste von Seethieren ausgestreut. Als sie und ihr Con- tinent noch unter dem Meeresspiegel standen, so musste für den Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 181 Theil der alten Welt unter dem Winde jener Gegenden — voraus- gesetzt, dass Europa im Allgemeinen schon die jetzigen Umrisse zeigte, —- eine ganz andere Dampfcirculation stattfinden, er konnte unmöglich so spärlich mit Feuchtigkeit versehen werden, wie jetzt. Und wenn das Meer auch nur einen Theil Südamerikas bedeckte, wenn selbst nur einige Gebirgsketten, welche jetzt über die Schnee- linie hinausragen, sie damals noch nicht erreicht hatten, diese Winde würden unter allen Umständen weit mehr Dampf mit sich geführt haben. Wenn der Caspi-See der Verdampfung einst eine grössere Ober- fläche geboten hat — was kaum zu bezweifeln ist —; wenn der Niederschlag in jenem Thale jemals die Verdampfung aus demsel- ben überstieg, wie dies bei allen Thälern mit Abfluss in den Ocean der Fall ist, so muss ein Wechsel der hygrometrischen Verhältnisse dort stattgefunden haben. Giebt man aber zu, dass die Dampf- quellen für jenes Thal in der angenommenen Richtung liegen, so war auch das Emporsteigen eines Continents aus dem Grunde des Meeres oder die Hebung einer Bergkette in gewissen Theilen Ame- rikas, Afrikas oder Spaniens auf dem Wege dieser dem Caspi-Becken Regen spendenden Winde hinreichend, die letzteren aller Feuchtig- keit zu berauben. Man beachte, wie die Andes Atacama zu einer Wüste und West-Peru zu einem Lande ohne Regen gemacht haben ; der Regen ist diesen Landstrichen einfach dadurch entzogen wor- den, weil sich eine Bergkette zwischen ihnen und den Dampfquel- len in dem Ocean, welcher die darüber hinwehenden Winde mit Dämpfen speist, emporgehoben hat. Der Theil Asiens also, der nördlich vom Wendekreis des Kreb- ses und in der Windrichtung der afrikanischen Süd-Passate liegt, ist vonzwei Linien begränzt, von denen eine durch Cap Palmas und Medina, die andere durch Aden und Delhi geht. Indem sie sich bis an den Aequator erstrecken, dürften sie den Theil desselben ein- schliessen, welcher von den continentalen Südost-Passaten Afrikas, nachdem diese über die weitesten Länderstrecken hingeweht haben, durchkreuzt wird. Der Streifen, welcher zwischen den je zwei Linien liegt, welche die Bahn der amerikanischen und der afrikanischen Winde mit ihren Wasserdämpfen vorstellen, liegt unter Winden, welche grös- stentheils in ihrem Kreislauf als Südost-Passate über Wasserflächen oder über den Ocean hingefahren sind. Doch zeigt schon ein Blick auf die Karte, dass die Südost-Passate, welche den Aequator zwi- 182 Die physische Geographie des Meeres. schen dem 15, und 50. Grad WL. *) durchkreuzend, unserer Annah- me nach zwischen jenen beiden Streifen in die nördliche Hemisphäre hineinwehen, eben so gut über Land als über Wasser hinstreifen, und die Passat-Karte**) zeigt, dass es gerade dieselben Winde sind, welche im Sommer während der Regenzeit sich in Südwest-Mon- sune verwandeln, um ganz Guinea mit flussbildendem Regen zu versehen. Diese Winde lassen also, wie es scheint, viel von ihrer Feuchtigkeit hinter sich und treten in ihre Kanäle der allgemeinen Circulation gemäss meistens als trockene Winde ein. Freilich muss bemerkt werden, dass die Kanäle, in welchen die den Aequator an den verschiedenen erwähnten Punkten kreuzenden Winde wehen, in der Natur sich hin und herbewegen, nicht so scharf begränzt und durchweg so parallel sind, wie dies die Karten angeben. Die ganze Region der aussertropischen alten Welt, welche zwi- schen den beiden angegebenen Streifen liegt, hat in der südlichen Hemisphäre gegen den Wind zu besonders viel Land. Es ist aber, um nicht gleich mehr zu sagen, wenigstens ein eigenthümliches Zusammentreffen, dass alle die grossen Wüsten und zugleich die Länder mit dem Minimum des Niederschlags in Europa und Asien in diesem Striche liegen. Dass sie unter dem Winde der südlichen Continente liegen und nur wenig Regen haben, mag, wie ich zu- gebe, ein zufälliges Zusammentreffen sein; nicht aber der Umstand, dass sie gerade da sich gebildet haben, wo sie sind; darin offenbart sich ein höherer Plan, kein Zufall — sie sollten einem grossen Zwecke in der Oekonomie der Erde dienen. Wir wollen desshalb weitern Merkzeichen jenes Planes nachspüren und irgendwie einen Zusammenhang zwischen jener Einrichtung und der von mir auf- gestellten Hypothese in Bezug auf den Ort, woher die über jene Gegenden wehenden Winde ihren Dampfgehalt entlehnen, nach- zuweisen versuchen. Man wird auf einmal überblicken, dass alle Binnenseen Asiens und die Europas mit Ausnahme der mit halbsüssem Wasser gefüll- ten nordischen Meerbusen sich in jenem Erdstreifen befinden. Der persische Meerbusen, das rothe, mittelländische, schwarze Meer und der Caspi-See liegen darin. Und warum sind sie so vertheilt? Erscheint es nicht als ganz klar und natürlich, anzunehmen, dass die göttliche Vorsehung Winde, die ganz ausgetrocknet in jene *) Zwischen 2° 40’ östl. und 32° 20’ westl. von Ferro. **) Vgl. Maury’s Wind- und Strömungs-Karten. u S| Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 183 Regionen gelangen, wieder mit einem, wenn auch nur mässigen, Quantum von Dampf versehen wollte ? Auf dem Mittelmeere ist die Verdampfung grösser als der Nie- derschlag. Auf das rothe Meer fällt höchst selten ein Tropfen Regen. Könnte man daher nicht vermuthen, dass es das rechte Verhältniss zwischen Gewölk und Sonnenschein herstellen, den Regen gewissen Theilen der Erde zu rechter Zeit und in geeigneter Menge zutheilen solle? Die in ihren Cireulationskanälen über das Mittelmeer hinstreichenden Winde sind so arm an Dämpfen, dass der aus ihnen erfolgende Niederschlag gegen die Evaporation gar nicht in Betracht kommt. Das umgekehrte Verhältniss findet in dem Wassergebiet, das in jenes Meer seinen Abfluss hat, sofern es diese Winde berühren, statt. Der Ueberschuss des Niederschlags fliesst dem Mittelmeer in manchem Strome zu; aber so ausgetrock- net sind die Winde, welche über den Spiegel dieses Meeres hin- wehen, dass sie nicht allein alles Wasser wieder aufnehmen, was diese Flüsse hinein ergiessen, sondern auch, wie die Naturforscher behaupten, eine starke aus dem atlantischen Ocean kommende Strömung veranlassen. Nach einer Schätzung verdampft dreimal so viel Wasser von der Oberfläche des Mittelmeeres, als dasselbe aus seinem gesamm- ten Stromgebiete erhält. Das mag etwas zu hoch gegriffen sein, aber eine reichliche und dabei den Niederschlag quantitativ über- treffende Dampf bildung dürfte kaum zu bezweifeln sein; dieser Ue- berschuss — mag er gross oder klein sein — wird dann fortgeführt, um das Klıma irgend eines andern Landes zu modificiren, es mit Regenschauern zu erfrischen, überhaupt irgend einen andern Theil der Erde fruchtbar zu machen. Das grosse Becken im Innern Asiens, wo sich der Aral- und der Caspi-See befinden, liegt auf dem Wege, welchen dieser Hy- pothese nach jene trockenen afrikanischen und amerikanischen Süd- ost-Passate nehmen müssen; und so gering ist die Dampfmenge, welche sie enthalten, dass sie, wenn sie in dieses Becken gelangen, keine Feuchtigkeit mehr zurücklassen können; gerade soviel als sie als wässriges Meteor niederschlagen, nehmen sie wieder auf und führen sie hinweg. Bekanntlich ist das Volumen Wassers, welches durch die Flüsse, den Regen, ‘Thau etc. dem ganzen Ocean zurück- gegeben wird, dem Volumen genau gleich, welches der Ocean an die Atmosphäre abgiebt. So weit unser Wissen hier reicht, ist der Spiegel dieser beiden Seen sich stets gleich geblieben, also muss 184 Die physische Geographie des Meeres. auch hier eine solche Gleichheit der verdampften und im Gebiete dieser Binnenseen niedergeschlagenen Massen statt haben. Die bezeichneten Winde fangen also nicht eher an, sich ihrer feuchten Ladung, mag sie gross oder klein sein, anhaltend zu ent- ledigen, als bis sie das Uralgebirge überschreiten. Auf den Steppen von Issam setzen sie, nachdem sie den Amazonenstrom und die an- dern grossen Aequatorialfliisse des Südens gefüllt haben, zuerst mehr Feuchtigkeit ab, als sie wieder aufnehmen. Im Obi, Jenisey und Lena ist das Volumen zu finden, welches der von diesen Win- den aus der südlichen Hemisphäre, dem Mittel- und rothen Meere mitgebrachten Wasserladung entspricht; hier in diese fast hyper- boreischen Wasserbecken schlagen sie alle ihre Feuchtigkeit nieder ; was ihnen die kalten und hohen Berggipfel und die gewaltigen Flüsse des Südens an Dampf noch gelassen, das raubt ihnen die niedrige Temperatur des siberischen Asiens. Man erlaube mir, in diesen Betrachtungen einhaltend, die Aufmerksamkeit auf einen andern merkwürdigen Coincidenzfall hinzulenken, der mir wieder als eine Spur jenes göttlichen Wal- tens erscheint, das eine vollkommene Thätigkeit der grossen ocea- nischen und atmosphärischen Maschine hervorruft. Dieses Zusam- mentreffen — man möchte es fast Ursache und Wirkung nennen — zeigt sich an den hygrometrischen Verhältnissen aller Gegenden innerhalb und ausserhalb jenes Erdstreifens zwischen den beiden Linien, welche die Bahn der Südost - Passate auf der nördlichen Halbkugel bezeichnen sollten. Zur Rechten und Linken dieser Län- derreihe befinden sich unter denselben Parallelen Gegenden, welche alle mehr Wasser aus der Atmosphäre erhalten, als sie an dieselbe zurückgeben. Auf der einen Seite finden wir in Europa den Rhein, die Elbe und alle grossen, sich in das atlantische Meer ergiessenden Flüsse; auf der andern, in Asien, den Ganges und alle die grossen Flüsse Chinas und in Nordamerika befindet sich unter der Breite des Caspi-Sees das grosse System von Süsswasserseen ; alle erhalten aus der Atmosphäre immense Wasservolumina und ergiessen diesel- ben in den grossartigsten Strömen wieder in den Ocean. Es ist merkwürdig, dass keines dieser reichgefüllten Strom- gebiete in den Passatregionen der südlichen Hemisphäre nach Süd- westen zu irgend eine bedeutende Ländermasse vor sich liegen hat; sie befinden sich alle unter dem Winde von Verdampfungsflächen, von oceanischen Gewässern in den Passatregionen des Südens. Nur die Gegenden im aussertropischen Norden , welche ich als lee- Ze en 3 A ee re. 9 Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 185 warts von den siid-amerikanischen und afrikanischen Passaten lie- gend beschrieben habe, sind arm an Regen. Man untersuche in die- ser Beziehung Tafel VII und XI, und wird die im fünften Kapitel (S. 106 u. folg.) ausgesprochenen Ansichten von Neuem bestätigt finden. Der Caspi-See ist an Oberfläche ungefähr den nordamerikani- schen Seen gleich; Dampfbildung und Niederschlag halten sich dort das Gleichgewicht. Die letztern liegen zwischen denselben Parallelen und ungefähr ebenso weit von der westlichen Küste Amerikas als der Caspi-See von der Westküste Europas; aber die Gewässer, welche der Lorenzstrom ins Meer wälzt, geben uns einen Begriff von dem grossen hier stattfindenden Uebergewicht des Nie- derschlags in seinem Gebiete. Von den Seen aus gegen den Wind und in den darunter liegenden Passatregionen der südlichen Halb- kugel ist fast kein Land; wohl aber ist dies für das Caspi-Meer der Fall. Wenn also die Winde die Wasserdämpfe so vertheilen, wie ich annahm, so müssen sie natürlich den amerikanischen Seen weit mehr Wasser zuführen. Auf ähnliche Weise hat das aussertropische Neu-Holland und Süd-Afrika in den gegen den Wind zu liegenden Regionen der nörd- lichen Hemisphäre, wo der Hypothese nach die Dämpfe entwickelt und aufgenommen werden, nur Land und wenig Wasser; beide zeigen geringe Regenmengen; aber das jenseits des Wendekreises liegende Süd-Amerika hat ebenfalls gegen den Wind zu im Norden gewaltige Seeflächen vor sich liegen — und die Menge des Nieder- schlags ist hier unglaublich gross. Nachdem wir auf dieses Zusam- mentreffen aufmerksam gemacht haben, wollen wir zu den Merk- malen eines höhern Planes zurückkehren und die herrliche Har- monie betrachten, welche sich in der Anordnung von Land und Wasser, wie wir sie längs dieser hypothetischen ‚,‚Windstrasse‘‘ finden, entfaltet. Wer irgend eine Planmässigkeit in der Einrichtung des Erd- balls zugiebt oder irgend den Kosmos studirt hat, wird ohne Wei- teres zugeben, dass die Atmosphäre einem höhern Plane gemäss stets eine gewisse Menge von Feuchtigkeit in Circulation erhält; dass das Wasser, woraus diese sich gebildet hat, dem Ocean oder den grossen Seeflächen entnommen ist und dass es durch Flüsse und Niederschlag dahin zurückkehrt; dass eine permanente Ab- oder Zunahme der so von den Winden in Circulation gesetzten und erhaltenen Wassermenge sogleich einen entsprechenden Wechsel 186 Die physische Geographie des Meeres. der hygrometrischen Bedingungen und dieser wieder constante kli- matische Veränderungen nach sich ziehen würde; von letzteren hängt aber zuletzt das Wohlergehen von Myriaden organischer Wesen, in dem Pflanzen- und Thierreich, ab. Diesem Wohlergehen sowohl als der gehörigen Entwicklung scheint die in der Atmo- sphäre befindliche Feuchtigkeitsmenge angepasst zu sein, welche natürlich wieder von der Vertheilung des Landes und des Meeres, der Berge und der Wüsten, der Flüsse und Seen abhängt. Wenn die Meere oder Verdampfungsflächen ihre Grösse oder nur ihren Ort veränderten, so würden sich die Hauptplätze des Niederschlags zugleich mit verändern: ganze Pflanzenfamilien würden verdorren oder verfaulen und mit ihnen ganze Thiergeschlechter zu Grunde gehen. Bei einer so von Zufällen diktirten Einrichtung könnte der Mensch nicht mehr auf Regen während der Saatzeit oder im Herbste rechnen. Dass aber der Regen zur rechten Zeit gesendet wird, das ist uns vom Höchsten zugesichert; und Er, der ihn sendet, hat die Winde zu seinen Boten erwählt und damit sie sein Geheiss erfül- len, wurden die Lande und Meere geordnet und vertheilt, wie und wo sie sind. Man wird sich erinnern, dass die Südost-Passate, nachdem sie am Aequator emporgestiegen sind, (Tafel I) über die Nordost-Pas- sate wegspringen müssen. Demgemäss berühren sie die Erde erst in der Nähe des Wendekreises des Krebses (man sehe die Pfeile mit Widerhaken auf Tafel VII), und zwar häufiger nördlich als südlich davon ; aber einige Zeit liegt in jedem Jahre die Stelle, wo diese im Bogen sich herabschwingenden Südost-Passate, nachdem sie die andere Hemisphäre verlassen haben, zuerst wieder die Erd- oberfläche berühren, sehr nahe an diesem Wendekreise. Nach dem Aequator zu wehen die Nordost-Passate, auf derpolaren Seite gewin- nen die Südwestwinde die Oberhand. Ein Blick auf Tafel VII u. XI wird nun zeigen, dass die obere Hälfte des rothen Meeres sich nörd- lich vom Wendekreis des Krebses und also innerhalb der Südwest- Passat-Region befindet, während in dem südlich vom Wendekreis liegenden Theile die Nordost-Winde vorherrschen. Das Wasser für den Tigris wird wahrscheinlich von dem obern Theile des Meeres durch jene Winde abgedampft, während die Nordost-Passate von der untern Hälfte die Dämpfe wegführen , die den Nil mit Regen versehen und die die Wolken den kalten Höhen der Mondberge als Tribut zollen müssen. Es giebt also zwei dieses Meer kreuzende Windstrassen; gegen den Wind läuft jede durch np Mt tht re ee ee ee ee + od’ Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 187 eine Gegend ohne Regen und in der Lee liegt jedesmal ein Fluss. Der persische Golf liegt grösstentheils in der Bahn der Süd- westwinde; gehen wir von diesem Busen aus dem Winde ent- gegen, so gerathen wir in eine Wiiste, unter dem Winde liegt aber der Fluss Indus, d. h. auf der Route, welche die Theorie den aus dem rothen Meere und dem persischen Meerbusen kommenden Dampfen vorschreibt. Fliisse sind stets Anzeichen emer die Eva- poration übertreffenden Niederschlagsmenge und so finden wir, dass sich die Theorie wieder bewahrheitet. Ist es nicht ein seltsamer Umstand, dass die Winde, welche die angegebene Strasse von der südlichen Hemisphäre her einschla- gen, dann, wenn sie die Erde nördlich vom Wendezirkel des Kreb- ses berühren, eben so, ja noch viel mehr ausgedorrt sind, als die auf beiden Seiten ihres Pfades wehenden, welche der Annahme nach von südlichen Meeren, nicht vom Festlande, herkommen? Das Mittelmeer giebt den erstern wohl dreimal soviel Dampf als es in Wassergestalt wieder erhält; das rothe Meer giebt soviel, als sie nur aufnehmen können und empfängt dafür ein wenig Thau; auch der persische Meerbusen giebt mehr als er empfängt. Was wird aus dem übrigen Dampf? Ohne Zweifel tragen ihn die Winde in ferne Gegenden, die sie befruchten. Diese Seen und Meeresarme stellen sich nun dem nachden- kenden Physiker als Gegengewichte in der grossen hygrometrischen Maschine unseres Planeten dar. Sie sind Wasserbecken, die dem Lande in den Passatregionen Süd-Amerikas und Süd-Afrikas ver- möge ihrer Stellung das Gleichgewicht halten sollen. Als dieGrund- festen der Erde aufgebaut wurden, da wissen wir, wer es war, der „‚die Wasser misset mit der Faust und den Himmel fasset mit der Spanne und die Erde begreift mit einem Dreiling und wiegt die Berge mit einem Gewicht, und die Hügel mit einer Wage.‘“*) Hier sehen wir also Harmonie in den Winden, Plan in den Bergen, Ordnurg im Meere und selbst im Staube der Wüste; hier sind Spuren von Schönheit und erhabene Werke, und wir können fast der Phantasie Raum geben, dass das Rothe und das Mittelmeer jene Wasser in der hohlen Hand des Allmächtigen waren, als er die Anden abmass und die Berge Afrikas in seinen riesigen Wag- schalen abwog. Wohl anderthalb Millionen geographischer Qua- *) Jesaias 40, 12. Vgl. auch Ps. 95, 4, 5. 188 Die physische Geographie des Meeres. dratmeilen bedeckt das Becken und Gebiet des Caspi-Sees und doch ist diese Ausgleichung der entführten Gase und zugeführten Dämpfe so genau, wie wenn man einen Cubikzoll Flüssigkeit in einer Vor- lage abdampfte nnd dann wieder in die Retorte gösse ? So können wir das Mittelmeer, das rothe Meer und den persi- schen Busen als eben so viele auf der Bahn dieser trockenen Winde zwischen den Welttheilen liegende Rastplätze ansehen, wo sie fri- schen Vorspann an Dämpfen erhalten, die sie vorher schon zur Füllung des Amazonenflusses, des Niger und Congo verbraucht haben. Wenn wir nunmehr nochmals die geologische Thätigkeit der Winde zur Erklärung des Tiefstandes des todten Meeres in Erwä- gung ziehen, so tritt uns die Thatsache auf das Entschiedenste entgegen, dass, wenn die Strasse von Gibraltar wasserdicht ver- schlossen würde, der Spiegel des Mittelmeers bald sehr merklich sinken würde; denn die Evaporation würde den Niederschlag ge- wiss an Menge übertreffen. Während es sinkt würde die der Ver- dampfung sich darbietende Fläche sich verkleinern, mit ihr würden die Flüsse immer seichter werden, bis endlich, wie im todten Meer und Caspi-See das Gleichgewicht zwischen Dampfbildung und Niederschlag hergestellt wäre; wahrscheinlich würde aber dann das Niveau des Mittelmeers noch weit unter dem des Todten liegen. Der Todjurasee ist jetzt im Begriff ein solches Gleichgewicht zu erhalten. Es hängen mit ihm die Ueberreste eines Kanals zu- sammen, der das Wasser ehemals dem Meere zuführte; aber die Oberfläche des Sees ist jetzt 500 Fuss unter dem Meeresspiegel und das Wasser wird immer salziger. Sehn wir im Thale dieses Sees nicht wieder die Frage, wie die äussersten Schichten eines Minerals, zu Tage treten: Was haben die Winde mit den vor unsern Augen vorgehenden Phänomenen zu thun? Der Wind ist in diesem Sinne ein geologisches Agens von grosser Macht. Es ist nicht unmöglich, dass er uns ein Mittel darbietet, geologische Ereignisse der einen Hemisphäre mit denen der andern zu vergleichen, z. B. die Gipfel der Anden waren einst Meeresgrund. Welche Formation ist die ältere, die des todten Mee- res oder der Anden? Wenn die erstere älter ist, so muss das Klima des todten Meeres einst von dem jetzigen in hygrometrischer Hin- sicht sehr verschieden gewesen sein. *) *) Maury hat den geologischen Einfluss der grossen atmosphärischen Strö- Ueber die geologische Einwirkung der Winde. 189 Wenn man aber den Wind als ein geologisches Agens ansieht, so kann man ihn nicht länger als einen Typus der Unbeständigkeit betrachten. Wir sollten ihn vielmehr im Lichte alter, gläubiger Chronisten behandeln, welche, wenn man sie nur recht befrägt, uns Wahrheiten enthüllen, die die Natur auf ihre luftigen Schwin- gen in eben so lesbaren und dauernden Charakteren aufgezeichnet, wie sie sie je brauchte, um geologische Ereignisse in eine Felsen- tafel einzugraben. : Die Gewässer des Titikakasees, welcher den Abfluss des grossen innern Beckens der Anden in sich aufnehmen, sind nur brack, nicht salzig. Hieraus können wir schliessen, dass sie noch nicht lange genug isolirt gewesen sind, um so stark salzig zu wer- den, wie das Wasser im todten Meere; der Titikakasee gehört also einer neuern Periode an. Andererseits wird auch eine Mittheilung meines Freundes, des Kapitän Lynch, von Interesse sein. Er berich- tet nämlich, dass er bei der nähern Untersuchung seiner Umgegend etwas bemerkte, was wie das längst ausgetrocknete Bett eines Flusses aussah. So können wir dann noch zwei derbe und starke Glieder der Kette von Anzeichen zufügen, in welchen die Ge- schichte der Natur sich offenbart und ihre Zeugnisse ablegt; wir können aus ihnen ahnen, was älter ist — die sturmumbrausten Anden, die mit ihren eisigen Kuppen zu den Sternen aufsteigen, oder das todte Meer, das in der Tiefe auf seinem Bett von Salzkry- stallen schlummert. mungen an deren normalem Auftreten zu zeigen versucht. Abnorme Erschei- nungen werfen aber öfters gerade ein recht helles Licht auf solche Untersuchun- gen. So verstärken z. B. heftige vulkanische Eruptionen in den Tropen den obern Passat und bewirken häufig an den Wendekreisen heftige Stürme, wäh- rend noch in hohen Breiten die erkaltenden Luftmassen sich ihres Wassers ent- ledigen und heftige Regengüsse mit Ueberschwemmungen zur Folge haben. Es sind in den Annalen der Meteorologie bereits mehrere Beispiele bekannt, wo nach heftigen Stürmen in den Wendekreisen und nach bedeutenden vulkani- schen Eruptionen einige Wochen später Regengüsse und Ueberschwemmungen von ganz ungewöhnlicher Art in Deutschland und Frankreich beobachtet wur- den. (D. Uebers.) 190 Die physische Geographie des Meeres. Elftes Kapitel. Die Tiefen des Oceans. Die Tiefe des ,,blauen Wassers“ ist unbekannt. — Die Resultate der frühern Methoden, bedeu- tende Meerestiefen zu messen, sind nicht zuverlässig. — Versuche mit dem Loth und ‘durch Messung des Drucks. — Die Mythen der See. — Gemeine Ansicht über ihre Tiefe. — Maxima der Tiefe nach bisher bekannten Sondirungen. — Der von der amerikanischen Flotte befolgte Plan. — Die Sondirungen sind von einem Boote aus vorzunehmen. — Warum die Sondirungs- leine, nachdem das Loth den Boden erreicht hat, sich noch immer abwickelt. — Anzeichen un- terseeischer Strömungen. — Geschwindigkeit des Sinkens. — Brooke’s Apparat zur Soudirung grosser Meerestliefen. — Die grössten Tiefen, in welchen man den Meeresgrund (sicher) gefunden hat. Bis in die neueste Zeit, wo von der amerikanischen Flotte planmässige Peilungen der tiefen See vorgenommen werden, war der Seeboden des von den Schiffern so genannten ,,blauen Was- sers‘‘ uns fast so unbekannt, wie das Innere eines Planeten unseres Systems. Ross und Dupetit Thouars nebst andern Officie- ren der englischen, französischen und holländischen Flotte hatten versucht die Seetiefe zu messen, die einen mit seidenen Schnüren, andere mit Schiemannsgarn (groben zusammengedrehten Hanffä- den), andere wieder mit dem gewöhnlichen Senkblei und der Loth- leine. Alle diese Versuche wurden unter der Voraussetzung ange- stellt, dass man, wenn das Bleiloth den Grund erreichte, entweder das Anstossen bemerken werde oder dass die schlaff werdende Leine nicht mehr abliefe. Die Reihen systematischer Versuche, welche in der neuesten Zeit in dieser Beziehung angestellt worden sind, zeigen, dass eine derartige Voraussetzung nicht zulässig ist; denn der durch das Aufstossen auf den Boden veranlasste Ruck kann bei sehr grossen "Tiefen unmöglich den obersten Theilen des Apparates mitgetheilt werden und ebensowenig braucht für bedeu- tende Tiefen die Leine schlaff zu werden und nicht mehr abzulau- fen, wenn der Bleiwurf den Grund erreicht. Ferner hat man die Erfahrung gemacht, dass der Regel nach die unterseeischen Strö- mungen des tiefen Meeres Kraft genug haben, die Leine noch lange nachdem das Loth schon ruhig am Boden liegt, weiter abzuwickeln. Desshalb kann man sich fast gar nicht auf Peilungen der tiefen See, welche nach früher gebräuchlichen Methoden vorgenommen sind, verlassen, sobald die angegebenen Tiefen über 8 bis 10000 Fuss hinausgehen. Ka DT ee S 2 bj 4 . Die Tiefen des Oceans. 191 Immer neue Versuche wurden angestellt, den Ocean sowohl durch Sondiren, als durch Beobachten des Druckes auszumessen, aber an jedem neuen Experimente hafteten die alten Fehler. Man ersann die sinnreichsten und feinsten Apparate, um endlich auf die oft aufgeworfene Frage aus der unergründlichen, schweigenden Tiefe eine Antwort zu erhalten. Man liess starke Pulverladungen in dem tiefen Meere bei gänzlicher Windstille explodiren und lauschte auf einen Wiederhall vom Grunde; hätte man ein solches Echo gehört, so war aus der indess verflossenen Zeit und der Ge- schwindigkeit im Wasser die Tiefe leicht zu berechnen.*) Aber obgleich die Explosion viele Fusse unter der Oberfläche stattfand, schwieg doch das Echo und der Meeresboden gab keine Antwort. Ericsson und andere construirten Tieflothe, welche eine Luftsäule in sich enthielten, die vermöge der Compression den Wasserdruck anzeigen sollte, dem sie ausgesetzt gewesen war. Der Apparat entsprach den gewöhnlichen Anforderungen recht gut, aber für die Tiefen im ,,blauen Wasser‘, wo der Druck bis auf Hunderte von Atmosphären steigt, erwies sich auch dieses Instrument als nicht ausreichend und unsicher. Baur, ein geschickter New - Yorker Mechanikus, hat nach einem von mir angegebenen Entwurfe einen Apparat zum Sondiren der tiefen See construirt. An dem Loth war eine Schraube nach dem Princip der bei Schraubendampfern gebrauchten angebracht und daran zugleich ein kleines Uhrwerk befestigt, welches die Zahl der von der kleinen Schraube während des Hinabsinkens vollbrach- ten Umdrehungen angab. Nachdem man sich nun durch wieder- holte Experimente in seichtem Wasser überzeugt hatte, dass für jeden Faden der senkrechten Bewegung nach unten die Schraube genau eine Umdrehung machte, so wurden sich selbst registrirende Zeiger an einem Zifferblatt angebracht und das Instrument war vollendet. Es arbeitete ganz trefflich in mässigen Tiefen, war aber für ,,blaues Wasser‘‘ unbrauchbar, einmal wegen der Schwierig- keit, es anzuholen, wenn die dabei gebrauchte Leine schwach war, *) Solche Experimente könnten, auf grosse Meerestiefen angewandt, fast thöricht erscheinen; aber man wusste, dass der Schall an Stärke im Wasser viel weniger verliert, als in der Luft, und dass seine Geschwindigkeit (nach Col- ladon’s und Sturm’s Messungen im Genfer See) etwa 4400 par. Fuss beträgt, also mehr als viermal grösser ist als die Geschwindigkeit in der Luft (bei 28” Bar. und 0° Re. 1058,3 par.’) Beide Umstände machten es aber wahrschein- jich, dass man ein Echo wahrnehmen werde. (D. Ueb.) 192 Die physische Geographie des Meeres. und dann, weil im Falle, dass man eine recht dicke, das Heraufzie- hen ermöglichende Leine anwandte, das Herablassen wieder grosse Schwierigkeiten bot. Aber ungeachtet dieser fehlgeschlagenen Versuche zweifelte man nicht an einem endlichen Gelingen, denn schon grössere Schwierigkeiten waren auf andern Gebieten physikalischer For- schung überwunden worden. Die Astronomen hatten die Volu- mina der entferntesten Planeten gemessen und ihre Massen abge- wogen; sollte in solch einer Zeit die Tiefe des Meeres ein unlös- bares Räthsel bleiben? Sie glich noch einem versiegelten Buche, das an mannigfacher für den Menschen nützlicher Kenntniss über- reich sein mochte. Wie sollte man aber ein Siegel brechen, das aus rollenden Wogen bestand und noch dazu viele tausend Fuss dick war? Die Neugierde war immer grösser geworden, aber we- der der Unternehmungs-, noch der Erfindungsgeist des Menschen hatte sich bis jetzt als ein der Aufgabe gewachsener bewährt. Es war keinem gelungen, aus einer grössern Tiefe, als 300 Faden, ir- gend welche feste Stoffe für das Studium der Naturforscher empor- zubringen, ja überhaupt nur wesentlich tiefer in die Wasserhülle unseres Planeten einzudringen. *) Das Meer mit seinen Mythen und Mysterien hat alle Völker zu allen Zeiten zu interessanten Untersuchungen angeregt. Wie der Himmel, bietet es fast zahllose, verschiedenartige Probleme zur angenehmen und nützlichen Betrachtung und Lösung dar und immer noch sehnt sich der menschliche Geist mehr von seinen Wundern zu erfahren und seine Geheimnisse zu verstehen. Die Bibel spielt oft auf sie an. Ist keines mehr zu enträthseln? Wie tief ist das Meer? Wie ist sein Grund beschaffen? Könnten nicht der Scharfsinn und die Hülfsmittel unserer Zeit ein helleres Licht auf diese Fragen werfen ? Unsere Regierung war freigebig und erleuchtet; die Zeiten schienen günstig; aber wann, wie und womit sollte man nach die- sen fehlgeschlagenen Versuchen beginnen, um der Lösung dieses Problems wenigstens näher zu kommen ? *) Man vergl. zu diesen Untersuchungen über die Meerestiefe Berghaus, erste Elemente der Erdbeschr. S. 53 folg., Linder. u. Völkerkunde I, S. 407 folg. und über Hooks Bathometer, Baumgartner, Naturlehre S. 658 (d. 6. Aufl.) und Bobrik a. a. O. S. 113., welcher ausserdem die Tiefenmesser Bacialli’s und Desaguilliers’ beschreibt. Die Tiefen des Oceans. 193 Es ist eine gewöhnliche, hauptsächlich aus einer angenomme- nen physischen Beziehung hergeleitete Ansicht gewesen, dass die Tiefen der See den Höhen der Berge ungefähr gleich seien. Aber diese Conjektur entbehrte noch jeder festen Grundlage. Sie ge- nügte nicht, obgleich sie manchem glaubwürdig schien. In den Tiefen des Meeres waren noch unverkündete Wunder, unerklär- liche Mysterien. Den sinnenden Seemann überkamen daber, wenn er mitten auf dem Weltmeere in den stillen Busen der See hinabblickte, immer noch Gefühle, welche denen ähnelten, die das Gemüth des andächtigen Astronomen erfüllen, wenn er in der Stille der Nacht die Sterne anschaut und bewundert. Dessenungeachtet blieben die Tiefen des Meeres so unergründet, wie die Fernen des Firmaments. Fernröhre von grossartigen Verhältnissen und mit gewaltiger raumdurchdringender Kraft wurden hier und da von freigebigen Gönnern der Wissenschaft aufgestellt und Versuche ge- macht, mit ihnen den Himmel zu eichen und den unendlichen Raum zu sondiren. Sollte es schwieriger sein, die Tiefen der See zu peilen, als den blauen Aether zu eichen und die Gewölbe des Himmels auszumessen ? Das Resultat der astronomischen Beob- achtungen war die Entdeckung, dass sich, je kräftiger die Instru- mente wurden, desto mehr nebelartige Sternhaufen in Sterngrup- pen auflösten, dass andere Nebelflecke in den schwarzen Abgrün- den des Himmels auftauchten, welche dereinst vielleicht wieder in einzelne Sterne aufgelöst werden, dass man endlich in Fernen sah, über welche hinaus die Strahlen der glänzendsten Sonne vermöge ihrer Intensität kaum und gewiss erst nach vielen Jahrtausenden reichen würden. Aehnlich stand es mit dem Grund des Meeres und dem wissbegierigen Seemann. So wenig Licht auch auf den Gegenstand bisher gefallen war, die Versuche und Forschungen hatten das Interesse für denselben nur erhöht. Als die Angelegen- heit auf diesem Stadium angelangt war, verfiel man auf die Idee, einen Bindfaden als Senkschnur und eine Kanonenkugel als Bela- stung zu benutzen. Es war ein glücklicher Einfall; ausser der grossen Einfachheit sprach besonders ein Umstand zu Gunsten der neuen Erfindung — man konnte sofort praktische Versuche an- stellen. Man fing nun an gut angeordnete Versuche oceanischer Messungen zu machen und das wissenschaftliche Publikum er- staunte über die ungeheuren Tiefen, von welchen zuerst berichtet wurde. Der Lieutenant Walsh, von dem Ver. St. Schoner ‚‚Taney‘‘, Maury, phys. Geogr. d. Meeres. 13 194 Die physische Geographie des Meeres. berichtet von einer Messung mit dem Tiefloth, welche bei 34000 Fuss noch keinen Grund gab. Seine Sondirlinie war ein Eisen- draht von mehr als 11 Meilen Länge. Der Lieutenant Berryman, von der Ver. St. Brigg ,,Dolphin‘* macht von einem andern ver- geblichen Versuch Mittheilung, mit einer 39000 Fuss langen Linie mitten auf dem Ocean Grund zu finden. Der Kapitän Denham, von dem Schiffe ihrer britischen Majestät ,, Herald‘‘, fand nach sei- ner Angabe Grund in einer Tiefe von 46000 Fuss und der Lieute- nant J. P. Parker, von der Ver. St. Fregatte ‚‚Congress‘‘, versuchte später fast an derselben Stelle zu sondiren; er senkte sein Loth ein und sah sich eine 50000 Fuss lange Linie so nach demselben ab- wickeln, als wenn noch kein Grund erreicht worden wäre. Die drei zuletzt genannten Versuche wurden mit dem Tiefloth der amerikanischen Flotte, welches nach einem sehr einfachen Plane construirt und allgemein eingeführt ist, angestellt. Für jede Messung braucht man hierbei eine Kanonenkugel und einen Faden, der lang genug ist, um den Grund zu erreichen. Diese Methode wurde als ein Theil der vom National-Observatorium geleiteten Un- tersuchungen, die sich in Bezug auf Winde, Strömungen und an- dere Phänomene des Oceans bereits als ergiebig und wohlthätig er- wiesen haben, eingeführt. Sie haben seitdem auch von Seiten des Congresses der Ver. Staaten die höchste Genehmigung erhalten; denn in einem der Vertreter eines freien und aufgeklärten Volkes würdigen Geiste hat er den Sekretär der Flotte autorisirt, drei Schiffe zur Vervollständigung der Entdeckungen und zur Anstel- lung der dahin einschlagenden Forschungen anzuwenden. Der schliesslich für die Sondirungen der tiefen See angenom- mene und jetzt in Ausübung gebrachte Plan ist folgender: Jedes Schiff der Flotte wird, wenn es der Kapitän verlangt, mit einer hinreichenden Quantität Sondirleine versehen ; diese ist genau von 100 zu 100 Faden (600 Fuss) mit Marken versehen und je 10000 Faden (60000 Fuss) sind auf eine Rolle gewunden. Dem Comman- deur wird es dabei zur Pflicht gemacht, keine günstige Gelegen- heit, die Tiefe des Oceans zu ergründen, zu versäumen, so oft er sich nur auf dem ,,blauen Wasser‘‘ befindet. Bei jeder Sondirung hat er eine 32pfündige Kanonenkugel als Senkloth zu benutzen. Das Ende der Schnur wird daran befestigt; darauf wirft man die Kanonenkugel von einem Boote aus über Bord und lässt die Schnur sich so lange von der Rolle abwickeln, wie sie will. Die Rolle muss sich sehr leicht drehen. Was die Linie betrifft, so Die Tiefen des Oceans. 195 glaubte man, dass eine Seidenschnur oder selbst ein gewöhnlicher Bindfaden stark genug sein würde; denn man nahm an, die Leine würde nicht sehr straff gezogen werden, da ihr speeifisches Gewicht nur wenig grösser sei, als das des Seewassers und nur dieser Ueber- schuss sie anspanne. Ferner dachte man, die Leine würde, wenn die Kanonenkugel den Meeresgrund erreichte, nicht mehr ablau- fen; man könne sie dann abschneiden, nachsehen, wie viel noch auf der Rolle zurückgeblieben sei und so die Tiefe des Oceans an jeder Stelle und zu jeder Zeit mit dem unbedeutenden Aufwand einer Kanonenkugel und einiger Pfunde Bindfadens bestimmen. Es stellten sich jedoch in der Praxis ganz unerwartete Schwierig- keiten ein und zeigten sich später bei jedem Sondirungsversuche ; noch ehe diese Schwierigkeiten glücklich überwunden waren, wur- den jene oben erwähnten ungeheuren Meerestiefen als Sondirungs- resultate angegeben. Zuerst beobachtete man, dass die Schnur, wenn sie einmal losgelassen und in die Tiefen des Oceans nieder- gezogen war, in einem fort ablief und dass man also an keinem Zeichen wahrnehmen konnte, wenn die Kugel den Grund erreicht hatte. Ferner gewann man bald die Ueberzeugung, dass der ge- wöhnliche Bindfaden sich nicht bewährte; dass die Sondirleine beim Einsinken eine bedeutende Spannung auszuhalten hatte und dass daher sehr starke Schnuren angewandt werden mussten ; sie musste einer Probe unterworfen werden, indem man in der Luft wenigstens 60 Pfund frei an ihr aufhing. So mussten wir von Neuem ans Werk gehen und mehrere 100000 Faden Sondirungs- leine besonders zu diesem Zwecke anfertigen lassen. Sie war dünn, hielt aber die nothwendige Probe aus. Je 600 Fuss derselben wo- gen etwa ein Pfund. Ferner überzeugten sich die mit solchen Mes- sungen beauftragten Officiere, dass vom Schiffbord aus keine zu- verlässige Messung möglich war. Ein Boot musste jedesmal her- abgelassen und die Versuche mussten von diesem aus angestellt werden. Die Bemannung hatte es mit den Rudern vor dem Trei- ben zu sichern und in einer solchen Stellung zu erhalten, dass die Leine immerfort ,,auf und nieder‘‘ (up and down) ging, d. h. ver- tikal blieb. Dass die Schnur sich noch abrollte, nachdem die Kugel den Grund erreicht hatte, wurde durch die Vermuthung erklärt, dass es im Ocean, wie in der Luft, Systeme von Strömungen und Gegen- strömungen und zwar nicht bloss neben, sondern auch über einan- der giebt; mehrere dieser Strömungen mochten nun auf den Bogen Sr 196 Die physische Geographie des Meeres. der schlaffen Schnur einwirken und sie immer noch, ja vielleicht noch mehr anspannen, nachdem die Kugel schon den Grund er- reicht hatte. Diese Vermuthung, dass mehrere — wenigstens wohl zwei Strömungen — die Leine in grossen Bogen von der loth- rechten Richtung abbiegen und dabei spannen dürften, fand darin eine fast jeden Zweifel beseitigende Bestätigung, dass, sobald man die Rolle anhielt und die Schnur am Boote stoppte, dieselbe jedes- mal zerriss. Wahrlich ein klares und bei einem solchen Versuch kaum erwartetes Zeugniss für jenes System oceanischer Circulation, dessen Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit wir theoretisch zu beweisen suchten und wovon uns die Bewohner des Oceans, wenn sie auch stumm sind, doch so verständlich berichten. Dies System trat am dritten Schöpfungstage ins Leben, zugleich mit dem Sam- meln des Wassers, das Er Meer nannte und es wird sicherlich fort- bestehen, solange nur Seewasser salzig und flüssig bleibt. Bei diesen Sondirungen der Tiefen des Oceans wurde auch bei dem successiven Untertauchen der einzelnen Hundertfaden-Marken während des Abrollens die Zeit mittelst einer Sekundenuhr gemes- sen; indem man immerfort Schnuren von derselben Stärke und Arbeit (‚‚make‘‘) und einen schweren Körper (sinker) von dersel- ben Gestalt und demselben Gewichte anwandte, wurde endlich ein Gesetz für den Fall desselben im Wasser festgestellt. Als Mittel- werthe aus unsern Experimenten ergaben sich für unsere Schnur und unsern ‚‚Sinker‘‘ folgende: 2™ 21° als mittlere Fallzeit von 400 bis 500 Faden 3” 26° 3°) 3°) > 39 1000 33 1100 „> 4m 29° 3) BE} 33 913: 1500 39 1900 33 nr Mit Hülfe des hier angedeuteten Gesetzes kann man nun wohl genau angeben, wann die Kugel die Schnur nach sich zu ziehen aufhörte und von welchem Moment an die letztere natürlich nur in Folge der Strömung und des Treibens weiter abgewickelt wurde; denn Strömungen können sie von 100 zu 100 Faden nur gleichmäs- *) Aus diesen etwas fragmentarischen Angaben ergiebt sich, dass der hier in das Wasser einsinkende Körper die ersten 100 Faden am schnellsten (etwa in 1*/, Minuten) zurücklegt und danach von 100 zu 100 Faden längere Zeitperioden zu seinem Falle braucht; ferner, dass diese Zeiten nicht gleichmässig zuneh- men, sondern nach und nach immer kleinere Differenzen bilden; für das Intervall von 400 bis 1100 Faden beträgt diese Zunahme etwa 11°, für das Intervall von 1000 bis 1900 nur noch etwa 8°. Die mittlere Fallzeit von 1400—1500 Faden würde danach etwa 4”, die von 1900—2000 Faden 4™ 36° sein. (D. Ueb.) Die Tiefen des Oceans. 197 sig (und eher noch durch das zunehmende Gewicht der abgewickel- ten Schnur mit etwas beschleunigter Geschwindigkeit) abwickeln, während sie die im Falle fortwährend verzögerte Kugel umgekehrt immer langsamer nach sich zieht. Die Entwicklung dieses Gesetzes war eine wissenschaftliche Errungenschaft; denn sie machte es uns möglich, zu zeigen, dass die Tiefe der See an den obenerwähnten Plätzen nicht so bedeutend war, wie jene Berichte sie angaben. Diese Untersuchungen waren interessant; das vorliegende Problem war wichtig und jeder Anstren- gung des Scharfsinns, um es befriedigend zu lösen, wohl würdig. Bis dahin waren noch keine Stoffe vom Grunde der tiefen See emporgebracht worden. Die Leine war zu dünn, die Kugel zu ‘ schwer; sie konnte nicht in die Höhe gezogen werden. Als diese Angelegenheit so weit gediehen war, schlug der Scekadett (Passed Midshipman) J. M. Brooke, von der Ver. St. Flotte, welcher mir damals zum Dienst auf dem Observatorium beigesellt war, eine Ein- Tafel I. Tafel III. Brooke’s Apparat zum Sondiren grosser Meerestiefen. 198 Die physische Geographie des Meeres. richtung vor, durch welche die Kugel, sobald der Apparat den Grund beriihrte, sich von der Schnur losmachen und eine Probe des See- bodens emporsenden musste. Diese sinnreiche Erfindung, Brooke’s Deep- Sea Sounding Apparatus (Brooke’s Apparat zum Sondiren grosser Meerestiefen) genannt, ist auf Tafel II u. III dargestellt. A ist eine Kanonenkugel, die mitten durchgebohrt ist, so dass der Stab B hindurchgesteckt werden kann; auf Tafel II ist dieser Stab und der ganze Apparat, vor der Berührung des Grundes, dar- gestellt. Die III. Tafel zeigt den Apparat in dem Augenblick, wo er auf den Grund aufstösst und veranschaulicht zugleich, wie sich die Kugel loslöst und wie Stoffe als Proben des Grundes empörge- bracht werden, indem sie an ein wenig Seife oder Talg in der Höh- lung C am untern Ende der Stange B ankleben. Mittelst dieses Apparates sind schon Proben des Meeresgrundes aus einer "Tiefe von mehr als 2 Meilen an das Tageslicht gekommen. Die grössten Tiefen, in welchen der Seegrund mit dem Senk- loth erreicht worden ist, befinden sich im atlantischen Ocean und gehen nicht über 25000 Fuss hinaus. Die tiefste Region scheint zwischen dem 35. und 40. Grad NB. und zwar unmittelbar südlich von den grossen Bänken von Neufundland zu liegen. Von denen, welche an diesem für die physische Geographie so wichtigen Plane der Forschung mitarbeiten, sind weder im stillen Meere, noch im Indischen Ocean, bis jetzt vollkommen genügende Sondirungen der tiefen See ausgeführt worden. *) Einige bessere sind im südlichen atlantischen Ocean gemacht, aber auch sie reichen noch nicht aus, um allgemeine Schlüsse in Bezug auf seine Tiefe oder gar eine Topographie des unterseeischen Terrains daraus herzuleiten. *) Seitdem Obiges geschrieben wurde, habe ich einen Brief vom Kapitän Ringgold, der an der Spitze der ,, Surveying Expedition‘ im stillen Meere steht, erhalten, worin er mir mittheilt, dass er auf seiner Hinfahrt in der südlichen Hemisphäre bei der Sondirung einer tiefen Seestelle bei 3000 Faden Grund ge- funden habe. Die weitern Details der Messung sind mir noch nicht zugekom- men. (Maury) — Es steht zu erwarten, dass bei dem Einsenken der Telegraphen- drähte sich die Kenntniss des Seebodens bedeutend erweitern werde. An der des Telegraphendrahtes, der mit der Zeit den atlantischen Ocean durchschnei- den soll, wird in Amerika rüstig gearbeitet. Noch im Herbste 1855 sollte die Leitung bis St. Johns in Neufundland vollendet sein; der Draht ist aber dem mit der Legung beschäftigten Schiffe im September 1855 40 Meilen von Neu- fundland verloren gegangen. Ein ähnliches Unglück betraf den Telegraphen- draht, der Sardinien mit der afrikanischen Küste verbinden sollte; der Ingenieur Brett sah sich während eines Sturmes genöthigt, denselben zu durchschneiden. Das Becken des atlantischen Oceans. 199 Zwölftes Kapitel. Das Becken des atlantischen Oceans. Tafel IX. — Höhe des Chimborazo über den Meeresgrund. — Orographie oceanischer Becken. — Die tiefste Stelle im atlantischen Ocean. — Der Boden desselben. — Nutzen der Peilungen tiefer Meeresbecken. — Ein Telegraphen- Plateau streckt sich quer über den atlantischen Ocean. — Mikroskopische Untersuchung von Proben aus dem dortigen Meeresgrunde. — Brooke’s Appa- rat stellt den Ocean in ein ganz neues Licht. — Die am Meeresgrunde wirksamen Naturkrälter— Wie die Zunahme des Salzgehalts im Meere verhiitet wird. — Vom Meeresgrunde ist eine nähere Renntniss unseres Planeten herzuleiten. Das Becken des atlantischen Oceans ist den von der amerika- nischen Flotte nach der im vor. Kapitel beschriebenen Methode vorgenommenen Peilungen nach auf den Tafeln IX u. X darge- stellt, welche sich vorzugsweise auf den Theil nördlich vom Aequa- tor beziehen. In seiner ganzen Länge ist dasselbe gleichsam ein Trog, der, die alte und neue Welt trennend, sich von Pol zu Pol erstreckt. Diese Oceansfurche wurde in die feste Rinde unseres Planeten von der Hand des Allmächtigen eingekerbt, dass sich da die Wasser sammeln möchten, die Er ‚‚Meer‘‘ nannte, dass man das Trockene sehe und dass die Erde sich zur Wohnung der Men- schen eigne. Vom Gipfel des Chimborazo bis hinab auf die tiefste Stelle des atlantischen Meeres, welche bis jetzt vom Lothe erreicht wurde, beträgt der Abstand in der Vertikalen 9 Meilen (47520 engl. Fuss). Könnten die Gewässer dieses Meeres abgelassen werden, so dass man in diese grosse Kluft *), welche Continente trennt und von der arktischen bis zur antarktischen See sich streckt, hineinblicken könnte, so würde sich uns ein furchtbar grossartiges Schauspiel darbieten. Die Rippen der festen Erde, mit den Grundfesten des Oceans würden ans Licht treten und mit einem Blick würden wir in dieser leeren Wiege des Oceans ganze Haufen von Schiffstrüm- mern und darum Gruppen von Gerippen, grossen Ankern und ver- faultem Schiffsgeräth als ein grässliches Bild aus dem Reich des Todes erblicken, aus dem vielleicht auch manche Perle, mancher Edelstein hervorblicken würde, wie sie in des Dichters Phantasie auf dem Meeresgrunde glänzen. Die Messungen der Bergeshöhen und die Projektionen ganzer *) Sea-gash ,,Seeschmarre‘‘, sagt Maury. 200 Die physische Geographie des Meeres. Gebirge, kurz, die ganze Orographie der Erde ist bekanntlich ein wichtiger Theil der Geographie; aber ebenso wichtig ist die Oro- graphie des Seebodens für die physische Geographie des Meeres und es sind daher schon viele Versuche gemacht worden, den Mee- resboden — besonders für einzelne Häfen und Meeresarme — zu chartiren. Die IX. Tafel stellt einen solchen Versuch (den zweiten grössern) dar. Sie bezieht sich ausschliesslich auf den Grund des vom 10° SB. nördlich liegenden Theiles des atlantischen Oceans. Sie ist in vierfachen Schattirungen getüpfelt; die dunkelste (den Küstenlinien am nächsten liegende) zeigt an, wo das Wasser weni- ger als 6000 Fuss Tiefe hat; die nächste, wo es weniger als 12000 Fuss, die dritte, wo es weniget als 18000 Fuss, die lichteste, wo es nicht über 24000 Fuss tief ist. Der ganze weisse Raum südlich von Neu-Schottland und den grossen Bänken umfasst einen Distrikt, innerhalb dessen man sehr grosse Meerestiefen gefunden haben will, aber aus Tieflothwürfen, welche bei näherer Untersuchung noch nicht genügend erscheinen. *) Dass die relativ tiefsten Stellen sich zwischen den Bermudas-Inseln und den grossen Bänken befinden, ist wahrscheinlich, aber ihre absolute Tiefe ist gleichfalls noch nicht genau anzugeben. Die Gewässer des mexikanischen Meerbussens sind in einem höchstens eine Meile (5280 Fuss) tiefen Becken **) enthalten. Der Boden des atlantischen Meeres oder seine Depressionen unter den Meeresspiegel sind auf der IX. ‘Tafel vielleicht genauer angegeben, als die Elevationen über denselben auf den besten Kar- ten, welche das Innere Afrikas und Australiens darzustellen ver- suchen. », Wozu dienen diese Peilungen grosser Meerestiefen ?‘* lautet eine oft wiederholte Frage; eine kategorische Antwort dürfte auf dieselbe ebenso schwer zu geben sein, als auf Franklin’s Frage: »; Wozu dient ein neugeborenes Kind ?‘“ Jede physische Thatsache, jeder Ausdruck des Naturlebens, jeder Zug in der Erdformation, die Arbeit einer jeden von den Kräften, die die Welt so gestalten, wie sie erscheint, ist interessant und lehrreich. Bevor wir uns einer ganzen Gruppe physischer Thatsachen vergewissern, wissen wir noch gar nicht, welches ihre Tragweite sein mag. Manchen köst- *) Gerade dort mag die starke Strömung leicht Fehler veranlasst haben, welche natürlich stets zur Angabe zu grosser Resultate verleiten. **) Die Karte giebt allerdings ein Paar über 880 Faden hinausgehende Tiefen an. Y A N x Put Das Becken des atlantischen Oceans. 201 lichen Juwel mögen sie enthalten, es gilt nur, dass die Wissen- schaft ihn zu Tage fördere und polire, dass er für den Menschen und seine Bestrebungen Werth erhalte. So liess auch eine Ant- wort auf die Frage nach der practischen Bedeutung dieser Peilun- gen grosser Meerestiefen nicht lange auf sich warten. Kaum wur- den einige Resultate dem Publikum bekannt, als man eine neue Frage aufwarf, ob und wie ein unterseeischer Telegraph durch den atlantischen Ocean gelegt werden könne. Es befindet sich auf dem Meeresgrunde zwischen Kap Race in Neufundland und Kap Clear in Irland eine bemerkenswerthe Fläche, welche schon als das Telegraphen -Plateau bekannt ist. Eine Compagnie ist gegenwärtig zusammengetreten, um dieses grossartige Projekt eines submarinen, die alte und neue Welt ver- bindenden, Telegraphen zu realisiren. Man hat den Vorschlag ge- macht, die Drähte auf diesem Plateau fortzuleiten. Die Distanz im Bogen eines grössten Kreises von der Westküste Irlands bis zur Ostküste Neufundlands beträgt 1600 Meilen und die See ist auf dieser ganzen Linie wahrscheinlich nirgends tiefer als 10000 Fuss. Diese Compagnie besteht dem Vernehmen nach aus reichen und unternehmenden Männern, welche, insofern die jetzt angestellten Untersuchungen und Beobachtungen nur einigermassen befriedigend ausfallen sollten, sofort Hand ans Werk legen werden. (Vgl. 8.198.) Auf diesem Plateau brachte auch der Apparat Brooke’s zuerst seine Trophäen von dem Meeresboden herauf. Diese Proben be- standen nach dem Urtheil des Lieutenant Berryman und seiner Officiere aus ‘Thon (clay); sie waren jedoch so vorsichtig, sie sorg- sam aufzubewahren und mit Etiquetten versehen nach ihrer Rück- kehr in die Ver. Staaten, an das gehörige Büreau einzusenden. Sie wurden getheilt; eine Partie kam zur Untersuchung an den Professor Ehrenberg in Berlin, eine andere an den Professor Bailey in West-point — beide berühmt durch ihre mikroskopischen Beob- achtungen. Von dem erstern erhielt ich keine Antwort, aber der letztere schrieb im November 1853 Folgendes: „Ich bin Ihnen für die Proben des Meeresgrundes aus bedeu- tender Tiefe, welche Sie mir in der letzten Woche zusandten, sehr verbunden und habe sie mit grossem Interesse näher angesehen. Es sind gerade die Stoffe, deren habhaft zu werden schon lange mein Wunsch war. Dass mir ein glückliches Ungefähr jemals Meeresgrund aus einer Tiefe von mehr als zwei Meilen zur Untersuchung darbieten würde, wagte ich kaum zu hoffen; und 202 Die physische Geographie des Meeres. dennoch haben wir ihn, Dank der Erfindung Brooke’s, rein und ohne Fetttheile , so dass man ihn sofort unter das Mikroskop brin- gen konnte. Ich war ganz entzückt zu finden, dass alle diese Grundproben mit mikroskopischen Muschelschalen angefüllt sind; nicht eine Spur von Sand oder Kies war in ihnen zu finden. Sie sind vorzugsweise aus vollkommenen, kleinen, kalkhaltigen Mu- scheln (Foraminiferae) zusammengesetzt und enthalten auch eine kleine Anzahl kieselhaltiger Muscheln (Diatomaceae). Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Thiere in den Tiefen gelebt haben, wo sich ihre Schalen vorfinden, sondern ich bin im Gegentheil der Ansicht, dass sie die Gewässer nahe an der Ober- fläche bewohnen. Wenn sie absterben, lagern sich dann ihre Scha- len auf dem Grunde. In Bezug auf diesen Punkt wird es mir sehr lieb sein, Wasser aus verschiedenen Tiefen untersuchen zu kön- nen, das der Dolphin in Flaschen mitgebracht hat, ferner auch irgendwelche ähnliche Stoffe, sei es ,,Grund‘‘ oder Wasser aus an- dern Lokalitäten. Ich werde Alles sorgfältig studiren.... Die schon erzielten Resultate sind von grossem Interesse und für die Geologie und Zoologie in vielen Beziehungen von Wichtig- keikil.t.s Ich hoffe, Sie werden möglichst viele Seefahrer veranlassen, mit Brooke’s Apparat ‚‚Seeboden‘‘ aus allen Theilen der Welt her- beizuschaffen, so dass wir die kleinsten Thierchen endlich ebenso gut auf der Karte angeben können, wie die Wallfische. Bringen sie die Wallfischjäger auch dahin, Schlamm von ‚Pfannkuchen- Eis‘ *) u. s. w. in den Polarregionen zu sammeln; dieser ist im- mer mit interessanten mikroskopischen Formen angefüllt.” Diese kleinen Geschöpfe in ihren Schalen bieten uns so einen Schlüssel, der noch manche Kammer der Tiefe aufschliessen mag, dass uns die Geheimnisse des Oceans offenbar werden. Solche Re- sultate enthalten stets neue Winke. In den rechten Händen und für die rechten Geister werden sie Führer zum Lichte und zur Er- kenntniss. Die erste höchst bemerkenswerthe Thatsache, welche das Mikroskop aus diesen Meeresgrundproben entwickelt, ist mit- hin, dass dieselben dem Thier- und nicht dem Mineralreiche ange- hören. Der Ocean enthält, wie wir wissen, eine Fülle von Leben. *) Pancake ice ist neu gebildetes, aus unzähligen Scheiben bestehen- des Eis. | Das Becken des atlantischen Oceans. 903 Von den vier Elementen der alten Philosophen ist vielleicht das Wasser — und vor allen das Seewasser — am reichsten an leben- den Geschöpfen. Die auf der Oberfläche unseres Planeten von ver- schiedenen Thierfamilien und ihren Ueberresten eingenommenen Räume verhalten sich umgekehrt wie die Grössen der Individuen. Je kleiner das Thier, desto grösser der mit seinen Ueberresten er- füllte Raum — diese Regel gilt bis zu einer gewissen Ausdehnung — man vergleiche die Elephantenskelette mit den Resten dieser mikroskopischen Thiere, ein Korallenriff oder eine Koralleninsel mit den Dimensionen des Wallfisches. Mag die Zahl der letztern noch so gross sein, ihre Gesammtmasse kommt gegen die Bauten der Korallenthiere kaum in Betracht. Noch eine andere praktische Bedeutung gewinnt aber diese Gruppe von Mineralien, welche Brooke’s Apparat aus den Tiefen der See dem wissenschaftlichen Studium übergab. Bailey konnte mit seinem Mikroskop unter diesen kleinen vom grossen Tele- graphen-Plateau herrührenden Schaalthieren nicht ein Körnchen von Sand oder Kies entdecken. Man kann daraus schliessen, dass dort, wenn überhaupt irgendwo, die Gewässer der See in Ruhe — wenigstens in relativer Ruhe — sind. Es war nicht Bewegung ge- nug vorhanden, diese überaus zarten Organismen vom Grunde zu trennen und nicht Strömung genug, sie wegzufegen und mit einem Körnchen Sandes oder mit Gries, wie er sich sonst von hier und da auf dem Meeresgrund zerstreuten Steintrümmern losreissen müsste, zu vermischen. Dieses Plateau ist nicht so tief, dass sich der Draht nicht darauf niedersenken und festlegen liesse und doch wieder nicht so seicht, dass Strömungen oder Eisberge oder sonst eine reibende Kraft ihn, nachdem er einmal festgelegt ist, verletzen oder zerreissen könnte. Wie Professor Bailey bemerkt, lebten und starben diese mikro- skopischen Thiere wahrscheinlich nicht da, wo sie Brooke’s Senk- loth auffand. Sie hätten dort kein Licht gehabt und ihr gebrech- liches, feines Gewebe wäre bei ihrem Wachsthum dem Druck einer 12000 Fuss hohen Wassersäule, d. h. einem Gewicht von etwa 400 Atmosphären, ausgesetzt gewesen. Sie lebten und starben wahrscheinlich nahe an der Oberfläche, wo sie sich des beleben- den Einflusses des Lichtes und der Wärme erfreuten und wurden nach ihrem Tode in den grossen Leichenhöhlen in der Tiefe be- graben. Brooke’s Sondirapparat und das Mikroskop lassen uns danach, 204 Die physische Geographie des Meeres. wie es scheint, den Ocean in einem neuen Lichte ansehen. Sein Schooss, der von animalischem Leben strotzt, sein Antlitz, auf das die Zeit keine bleibende Runzel gräbt — sind ebenso gut, wie die ganze Thier- und Pflanzenwelt dem grossen, allgemeinen Gesetz des Wechsels unterworfen. Wir erhalten so einen Wink, die Oberfläche der See hinfort als eine von entstehenden Organismen strotzende Pflanzschule, seine Tiefen als die Begräbnissstätte für Familien le- bender Geschöpfe anzusehen, welche zahlloser sind, wie der Sand am Meer. Dicht an das Leben gränzt der Tod — neben der Kinderstube der Kirchhof — solchen Contrast zeigt einmal die animalische Welt. Es ist uns aber noch nie zuvor so nahegelegt worden, die Seeober- fläche wie eine weite Stätte der Erzeugung für unzählige Wesen, jedes kleine Wellenthal wie ihre Wiege und den Meeresgrund wie ihren ungeheuren Begräbnissplatz anzusehen. An den Theilen der festen Erdrinde, welche sich am Boden der Atmosphäre befinden, arbeiten verschiedene Kräfte, welche so- wohl von oben nach unten, als in umgekehrter Richtung nivelliren. Wärme und Kälte, Regen und Sonnenschein, Winde und Ströme, alle von der Gravitationskraft unterstützt, sind unaufhörlich thä- die Höhen der Erde wegzuwaschen oder zu verkleinern und tig , die Tiefen auszufüllen. Betrachtet man aber die Einwirkung dieser nivellirenden Kräfte auf den Grund der tiefen See, so ist man dem ersten An- schein nach geneigt, sie dort für ganz wirkungslos zu halten. Welche Naturprocesse sollten dort den Boden abreiben? Weder Frost noch Regen können dort einwirken, und die Gravitations- kraft ist so paralysirt, dass sie kaum halb so stark wirkt, als auf dem trockenen Lande, um z. B. den überhängenden Fels vom Berg- hang loszureisen und in das Thal hinabzustürzen. Wir könnten uns die Wasser des Oceans wie ein grosses Kissen denken, das auf das Bettgestell des Oceans gelegt ist, um es vor den mancherlei Einflüssen der Atmosphäre zu bewahren. An der geologischen Uhr mag die Glocke immer neue Perioden verkünden, der Zeiger auf eine Aera nach der andern weisen; aber so lange der Ocean in sei- nem Becken bleibt, so lange seine Tiefen mit ‚blauem Wasser‘ bedeckt sind, so lange müssen die tiefgeschnittenen Furchen, die schroffen Niveauunterschiede an der Erdrinde da unten rauh, ge- zackt und grossartig fortbestehen. Nichts kann dort die Höhlen EL VE | ; Das Becken des atlantischen Oceans. 205 füllen, keine jetzt thätige Kraft kann, soviel wir wissen, in die Meerestiefen hinabsteigen und den Flur der See ebenen. *) Doch — wir scheinen jene Milliarden von Thierchen vergessen zu haben, welche die Oberfläche der See funkeln und von Leben erglühen lassen. Sie scheiden aus dem Wasser feste Stoffe aus, um damit jene untern Höhlungen zu füllen. Diese kleinen See- geschöpfe bauen sich Wohnungen an der Oberfläche und, wenn sie sterben, sinken ihre Reste in ungeheuren Mengen nieder und la- gern sich auf dem Boden. Sie sind die Atome, aus denen sich Berge bilden — Ebenen breiten. Unsere Mergelbetten, der Thon in unsern Flussbetten, bedeutende Theile vieler grossen Thalbecken der Erde sind aus eben solchen Ueberresten kleiner Creaturen zusammengeschichtet, welche wir durch Brooke’s Scharfsinn und Berryman’s emsige Beobachtungen aus Tiefen von mehr als 12000 Fuss unter dem Meeresspiegel heraufholen können. Diese Foraminiferen mögen also während ihres Lebens die Be- standtheile für den fruchtbaren Boden eines Landes vorbereitet ha- ben, das vielleicht ein Erdbeben oder eine Hebung des Bodens in spätester Zukunft noch dem Menschen zur Bebauung darbietet. Das Studium dieser ,,sonnenlosen Schätze‘, die mit so vielem Scharfsinn dem reichen Grunde des Meeres entrungen werden, führt uns auf diese Weise zu immer neuen Ansichten in Beziehung auf die physische Oekonomie des Oceans hin. Wir suchten oben (im 8. Kapitel) zu zeigen, inwiefern See- muscheln und andere Schaalthiere in dem physischen Mechanis- mus, der die Harmonie der Natur bewahrt, als Compensationen angesehen werden können, aber die von dem Senkblei gebotenen und vom Mikroskop geoffenbarten Schätze stellen das kleine See- gethier in ein neues und noch auffallenderes Licht. Es erscheint nicht bloss als Compensator und Regulator der Seestrémungen, sondern auch als ein bedeutsames Moment in der Bewahrung des Gleichgewichts zwischen der festen und flüssigen Materie unseres Erdballs. *) Da schon die Strömungen der Atmosphäre bedeutende barometrische Schwankungen verursachen, so dürfte der barometrische Druck am Boden des Meeres auf analoge Weise durch den Wechsel der über demselben hinfliessen- den Strömungen kalten und warmen Wassers ebenfalls stark variiren, wozu noch kommt, dass der atmosphärische Druck diese Schwankungen verstärken kann. Diese in die Tiefe hinabwirkende Kraft scheint doch einige Beachtung zu verdienen. (D. Ueb.) 206 ‘ . Die physische Geographie des Meeres. Sollte es ausser Zweifel gesetzt werden, dass diese Geschöpfe an der Meeresoberfläche leben und auf dem Meeresgrunde zu ihrer letzten Ruhe eingehen, so erscheinen sie ferner als Conservatoren des Oceans; denn es gehört dann mit zu ihren Funktionen den Status quo der oceanischen Gewässer zu erhalten, indem sie fort- während für die Reinheit derselben Sorge tragen. Es wurde bereits oben zugegeben, dass die Salztheile des Meeres vom Lande kommen, dass sie aus den lösbaren Stoffen be- stehen, welche der Regen von den Feldern wäscht und welche die Flüsse in die See hinabführen. Die Gewässer des Missisippi und Amazonenflusses und ebenso alle Flüsse der Welt enthalten in auf- gelöstem Zustande grosse Quantitäten von Kalk, Soda, Eisen und andern Stoffen. Sie schaffen Jahr für Jahr eine solche Masse die- ser löslichen Materien in die See, dass dieselbe, als Niederschlag und zu einem Körper vereinigt, ohne Zweifel selbst den kühn- sten, an die Wunder der Natur schon gewöhnten Forscher in gros- ses Erstaunen versetzen würde. Dieser lösliche Stoff kann nicht verdampfen; ist er einmal im Ocean, so muss er dort bleiben und da die Flüsse unaufhörlich neue Zufuhr bringen, so müsste die See immer salziger werden. Nun führen die Flüsse der See diese festen Stoffe in Massen süssen Wassers zu, welches, als das leichtere, län- gere Zeit an oder nahe an der Oberfläche bleibt. Hier sind nun jene mikroskopischen Organismen in ununterbrochener Thatigkeit ; sie scheiden jenen Kalk, Soda u. s. w. aus, entziehen so der See alle jene festen Stoffe ebenso schnell, wie sie die Flüsse hinein- spülen und lagern dieselben in feinen Schichten auf den Meeres- grund. Die aus den Tiefen des Meeres emporgezogenen todten Körper erinnern uns also daran, dass diese Thiere während ihres Lebens der physischen Oekonomie des Weltalls grosse Dienste geleistet haben, indem sie den Salzgehalt des Meeres regelten. Wir erblicken so im Ocean ein ungeheures chemisches Bad, in welchem die festen Stoffe der Erde gewaschen, filtrirt und wieder als feste Materie, aber in neuer Form und mit neuen Eigenschaften niedergeschlagen werden. Alte und scheinbar abgenützte Materie wird in einer verbesserten Auf- lage den Bedürfnissen der Menschheit wieder angepasst. Es sind dies Speculationen, möglicherweise selbst unbegründete Phanta- sien, aber sie sind nicht leer und eitel; denn wenn wir die wunder- bare Oekonomie unserer Erde in ihren grossartigsten Umrissen be- De ee Das Becken des atlantischen Oceans. 207 trachten, immer richtet sich unser Blick wieder auf diesen Mikro- kosmus, auf diese rastlos thätigen Thierchen *) im Ocean. Woher kommen aber'die kleinen kalkhaltigenMuscheln, welche Brooke aus einer Tiefe von 2'/, Meile emporbrachte! Haben sie unmittelbar darüber an der Oberfläche des Meeres gelebt? Lag ihr Wohnplatz an einem fernen Punkte der See, woher die Strömun- gen sie in langem Leichenzuge fortführten, um sie endlich da, wo das Senkblei sie fand, zu bestatten ? In dieser Hinsicht werden diese kleinen Organismen doppelt‘ interessant. Wenn das Thierchen gestorben ist, so dürfte das Niederfallen der Schaale zu ihrem Ruheplatze nicht eben schnell vor sich gehen. Sie mag wohl an der Bewegung des Wassers Theil nehmen, in welchem sie lebte und starb und wahrscheinlich wird sie in seinen Circulationskanilen viele Meilen weit mit fortgeführt. Wenn uns Ehrenberg zeigte, dass das Mikroskop Signale in den kreisenden Winden aufzufinden vermag, welche uns über seineBahnen aufklären, könnten nicht auch diese Muscheln, welche so fein und zart waren, dass sie die Officiere des Dolphin für eine Masse fettigen Lehmes hielten, — könnten sie nicht auch, nebst andern Proben, welche künftige Sondirungen bringen dürften, durch das Mikroskop in Merkzeichen für die verschiedenen Theile des Oceans verwandelt werden, an denen man die Kanäle, in welchen der Ocean circulirt, erkennt? Nehmen wir z. B. an, dass als Wohn- platz gewisser Organismen, die man irgendwo im Norden gefunden hat, sich der Golf von Mexiko herausstellt, wodurch anders, als durch Strömungen können da diese kleinen Geschöpfe, ohne Fähig- keit ihren Ort zu verändern, von ihrer Geburts- zu ihrer Grabes- stätte gelangt sein? Alles, was das Senkblei vom Boden des tiefen Oceans, den der Mensch wohl nie mit Augen schauen wird, heraufbringt, muss dem Naturforscher vom grössten Interesse sein; wenige Kubiklinien scheinbar unbedeutenden Stoffes können seine Naturkenntniss ganz unerwartet erweitern, und es kann ihm vielleicht gelingen, die Wasserdecke, welche einen Theil der tellurischen Oberfläche dicht umhüllt, auf Augenblicke zu lüften und auf den Grund des Oceans zu schauen, wie der Geolog die feste Rinde loszulösen sucht, um zu dem flüssigen, glühenden Kerne zu gelangen. * Maury braucht sehr oft das ganz barbarische Wort: animalculae. 208 Die physische Geographie des Meeres. Dreizehntes Kapitel. Die Winde. Tafel VII, — Monsune. — Warum der Gürtel der Siidostpassate breiter ist als der der Nordost- Passate. — Einwirkung der Wüsten auf die Passate. — Die Gesetze der atmosphärischen Cireu- lation kommen auf der See zu vollständigerer Entwicklung. — Regenwinde. Der Nieder- schlag ist auf dem Festlande grösser als die Verdunstung. — Wo kommen die Dämpfe her, welche dem Amazonenstrom den Regen zuführen? — Monsune. Wie bilden sie sich ® — Mon- sune des Indischen Oceans. — Ihre Ursachen. — Wie mau die Jahreszeit der Monsune bestimmen kann. — Tragweite des Einflusses der Wüsten auf die Winde auf dem Meere. — Warum es in der südlichen Hemisphäre keine Monsune giebt. — Warum die Passatwiudzonen ihren Ort ver- ändern. — Die Gürtelder Windstillen. Doldrums. — Eine Zone constanten Nieder- schlags, — Die „Rossbreiten‘ (Horse Latitudes.) — Die westlichen Winde. Die VII. Tafel giebt eine Uebersicht der in jedem Theile des Oceans vorherrschenden Winde und ist aus den Untersuchungen geschöpft, welche der Verfasser bei der Entwerfung seiner Piloten- karten, einer Abtheilung seiner Wind- und Strömungskarten ange- stellt hat. Die Pfeile hat man sich mit dem Winde fliegend zu denken; die einzackigen und nur halbbefiederten geben die Mon- suns oder periodischen Winde an, die punktirten Streifen endlich die Gegenden der Calmen und der plötzlich losbrechenden Winde. Monsune*) sind eigentlich Winde, welche ein Halbjahr aus der einen und das andre Halbjahr aus der entgegengesetzten oder doch nahebei entgegengesetzten Richtung wehen. Wir wollen zu dem Ende zuerst die Passatregion auf Tafel VII näher betrachten, denn in ihr treffen wir zugleich die Monsune am häufigsten an. Der Gürtel der Südost-Passate ist, wie man bemerken wird, breiter als der der Nordost-Passate. Diese Erscheinung findet ihre Erklärung in der Thatsache, dass auf der nördlichen Hemisphäre mehr Land ist und dass die meisten Wüsten der Erde — z. B. die grossen Wüsten Asiens und Afrikas — im Rücken der Nordost- Passate oder hinter denselben liegen, so dass, wenn diese Wüsten sich mehr oder weniger erwärmen, diese Winde gleichsam rück- wärts gezogen und herumgedreht werden, um das von den Wüsten gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen. Da keine oder doch *) Engl. Monsoons , Französ. Moussons, ein Wort, welches eine Verstüm- melung des Arabischen oder Malaiischen Wortes Musim, Mussin, oder des Per- sischen Monzum sein soll, beides ‚‚Jahreszeit‘‘ bedeutend. Berghaus a. a. O. I. 300. Die Winde. 209 nur wenige solche Regionen in dem Rücken der Südost - Passate liegen , so folgen diese weit entschiedener dem ersten Impulse und drängen und treiben in die nördliche Halbkugel hinein. Wenn wir die Kräfte, welche der allgemeinen Annahme nach die Winde vorzugsweise in Bewegung setzen , also die Einwirkung der Sonnenwärme und die tägliche Rotation der Erde auflösen , so kommen wir zu dem Schluss, dass die letztere sich in der nörd- lichen Hemisphäre in Bezug auf die Winde viel wirksamer zeigt, aber in der südlichen nicht in derselben Ausdehnung grösser ist, als die erstere. Wir ersehen aus der Tafel, dass jene beiden entge- gengesetzten Windströmungen so ungleichmässig balancirt sind, dass die eine vor der andern zurückweicht und dass der Strom von der südlichen Halbkugel her ein grösseres Volumen hat, d. h. eine bedeutendere Zone oder einen breitern Gürtel von Luft in Bewe- gung setzt. Die Südost-Passate münden über dem Aequator — d. h. quer durch einen grössern Kreis — in die Region der Aequa- torialealmen, während die Nordost-Passate in dieselbe Region über einen Breitenkreis — d. h. einen kleinern Kreis — einströmen. Wenn wir also die auf dem atlantischen Meere in Bezug auf die Passate Statt habenden Erscheinungen als einen Typus aller rings um den Erdball sattfindenden betrachten, so sehen wir, dass die Südost - Passate mehr Luft in Bewegung erhalten als die nordöstli- chen, nämlich wenigstens um so viel mehr als der Aequator selbst grösser ist als ein Parallelkreis von ungefähr 9° Breite; denn ange- nommen, dass jene beiden perpetuirlichen Luftstrémungen sich bis auf dieselbe Entfernung von der Erde erstrecken und sich mit der- selben Geschwindigkeit fortbewegen, so würde ein grösseres Volu- men von Süden her in einer gegebenen Zeit durch den Aequator hindurchströmen , als von Norden her durch den Parallel von 9° in derselben Zeit passirt; die beiden Quantitäten würden sich verhal- ten wie der Halbmesser zur Secante von 9° [wie 1:1,0124651 oder ungefähr 80:81. D. Ueb.] Ausserdem ist die innerhalb und gegen Norden der Nordost-Passate liegende Landmasse viel grösser, als die innerhalb und gegen Süden der Südostpassat- Region liegende. Demzufolge liegt das mittlere Niveau der Erdoberfläche in der Re- gion der Nordost - Passate, wie man vernünftigerweise annehmen kann, etwas über dem mittlern Niveau des innerhalb einer andern Region befindlichen. Da aber die Nordost- Passate unter dem Ein- fluss einer weiter ausgedehnten Landfläche wehen, so werden sie auch in ihrem Laufe viel mehr, als die Südost-Passate, durch man- Maury, Die nlıys. Geogr. d. Meeres. 14 . 210 Die physische Geographie des Meeres. cherlei Hindernisse erwärmte Oberflächen, Unebenheiten im Allgemeinen u. s. w. — aufgehalten und gestört. Die Untersuchungen zeigen, wie schon gesagt, dass das Bewe- gungsmoment der Südost- Passate ausreicht, um die Aequatorial- gränzen ihrer nördlichen Genossen nach Norden hinaufzuschieben und sie im Mittel in der Nähe des 9. Grades N. Br. zu erhalten. Ausser dieser Thatsache ergiebt sich ferner noch, dass, während die sogenannten Nordost-Passate mit ihrer allgemeinen Bahn einen Winkel von ungefähr 23° (ONO) mit dem Aequator bilden, die südöstlichen den Aequator unter einem Winkel von wenigstens 30° (Südost gen Ost) schneiden. Ich spreche von den Atlantischen und deute so an, dass sich die letztern dem Aequator in ihrem Laufe direkter als die andern nähern und dass demnach, da die Wirkung der täglichen Erdumdrehung für gleiche Parallelkreise nach Norden und Süden dieselbe ist, der Wärmeeinfluss der Sonne eine bedeu- tendere bewegende Kraft in dem südlichen System der atlantischen Passate entwickelt, als in dem nördlichen. Dass sich dies wirklich so verhält, wird durch folgende Erwä- gung noch wahrscheinlicher gemacht: Alle grossen Wüsten liegen auf der nördlichen Hemisphäre und auch die Landoberfläche ist diesseits des Aequators grösser. Die Einwirkung der Sonne auf diese ungleich absorbirenden und strahlenden Oberflächen in und hinter, so wie nördlich von den Nordost-Passaten sucht diese Winde aufzuhalten und grosse Volumina, welche sonst von ihnen fortbe- wegt werden würden, zurück zu halten, um das von der Sonne auf heissen Sand-, überhaupt ungleich erwärmten Bodenflächen er- zeugte Vacuum wieder auszufüllen. Die Nordwestwinde der süd- lichen Hemisphäre sind auch in Folge davon stärker als die Süd- westwinde der nördlichen. Der Einfluss des Landes auf die normale Richtung der See- winde ist überhaupt unverkennbar. Er lässt sich häufig auf 1000 und mehr Meilen Entfernung nachweisen. So kann man z. B. die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf die grossen Wüsten und dürren Flächen Afrikas in den Sommer- und Herbstmonaten fast über den ganzen Atlantischen Ocean zwischen dem Aequator und dem 13. Grad N. Br. wahrnehmen. Die Passate werden in diesen Parallelen von den erhitzten Ebenen Afrikas angezogen und wehen nun fast in entgegengesetzter Richtung mehrere Monate lang südwärts als ein regelmässiger Monsun. Sie bringen die Regengüsse, welche in z. B. Wälder, Bergketten, ungleichmässig‘ Die Winde. 911 diesen Theilen der Afrikanischen Küste die Jahreszeiten abtheilen. Die von diesen Monsunen eingenommene Gegend des Oceans ist keilförmig, so dass ihre Basis sich an Afrika anlegt und ihre Spitze sich bis auf 10 bis 15° der Mündung des Amazonenflusses nähert. Wenn man die Einwirkungen der Continente Südamerikas und Afrikas auf die Winde zur See (wie die Wind- und Stromkar- ten dieselben entwickeln) studirt, so dürfte man in der That zu dem Schlusse hingeleitet werden, dass — wenn auch nie der Fuss eines civilisirten Menschen jene Continente betreten hätte und sie also nie genauer bekannt geworden wären — das Klima des einen feucht sein müsse, dass seine Thäler grossentheils mit einer Vegetation bedeckt sein müssen, welche ihre Oberfläche vor den Sonnenstrah- len schützt, während die Ebenen des andern dürr und kahl sind und grösstentheils wie Glühöfen wirken, indem sie die Winde von der See her anziehen, um die von den überheissen Ebenen aufstei- genden Luftsäulen zu ersetzen. Verfolgen wir diese 'Thatsachen und Argumente noch weiter, so erscheint uns die Behauptung fast gerechtfertigt, dass nur wegen der grossen Wüste Sahara und anderer trockenen Ebenen Afrikas die Westküsten jenes Continents innerhalb der Passatregion nicht ganz so arm an Regen und so unfruchtbar sind, wie die Wüste selbst. Wenn man in die offene See hinausfährt und aus der Wir- kungssphäre des Landes herauskommt, so hat man einen zum Stu- dium der allgemeinen Gesetze der atmosphärischen Circulation be- sonders günstigen Standpunkt erreicht. Befindet man sich hier ausserhalb des Bereiches der grossen Aequatorial- und Polarströ- mungen der See, so hat man keine übermässig erwärmten Flächen, keine Gebirgsysteme oder andere Hemmnisse der atmosphärischen Cireulation zu fürchten — nichts stört wesentlich ihren naturge- mässen Lauf. Die See ist daher das rechte Beobachtungsfeld für die Auffindung der allgemeinen Gesetze, denen die Bewegungen im grossen Luftocean gehorchen. Landbeobachtungen führen uns vor- zugsweise zur Entdeckung der Ausnahmen. Man kann behaupten, dass jedes Thal, jede Bergkette, jeder Distrikt sein eigenes System von Calmen, Wind, Regen und Trockenheit hat; die Fläche des grossen Oceans kennt solchen Partikularismus nicht; auf ihr wir- ken die Kräfte im Grossen und mit gleichförmigem Charakter. Regenwinde heissen die, welche die Dünste von der See, wo sie dieselbe aufnehmen, nach andern Theilen der Erde bringen und sie dort als Regen, Hagel oder Schnee niederschlagen. Der allge- {4* 912 Die physische Geographie des Meeres. meinen Regel nach sind die Passate dampfbildende Winde, und wenn sie auf ihrer Bahn zu Monsunen oder auch zu veränderlichen Winden in beiden Hemisphären werden, so bilden sich aus ihnen im Allgemeinen auch die Regenwinde — speciell die Monsune — für gewisse Oertlichkeiten. So sind die Südwest - Monsune des In- dischen Oceans die Regenwinde für die Westküste der Indischen Halbinsel. In gleicher Weise sind die Afrikanischen Monsune des Atlantischen Meeres die Winde, welche die Quellen des Niger und Senegal*) mit Regen versehen. Der Abfluss aus jedem Flussgebiet in das Meer giebt zugleich ein Maass für den Ueberschuss der niedergeschlagenen über die verdunstete Masse an. In dieser Hinsicht können alle Flüsse als ungeheure Eichmaasse des Regens angesehen werden und das von irgend einem derselben jährlich dem Meer zugeführte Wasservolu- men als ein Ausdruck der jährlich aus dem Ocean verdunstenden Masse, die die Winde dem Flussthal zugeführt und sonst als Was- ser abgesetzt haben. Wenn man nun in irgend einem Stromgebiete für jede Lokalität und Jahreszeit die Regenwinde von den trocke- nen zu unterscheiden gelernt hat, so sollte man doch auch wenig- stens mit einiger Wahrscheinlichkeit den Theil des Oceans zu be- stimmen im Stande sein, aus welchem sich der Dampf zu solchem Regen entwickelt hat. So können wir, ungeachtet aller durch Bergketten und andere unebene Flächen verursachten Schwankun- gen und Wirbel, den allgemeinen Verlauf der atmosphärischen Cir- culation auf dem Lande wie auf der See in dem kleinsten Seiten- thale endlich so sicher auffinden, wie den offenbaren Lauf des Missisippi oder irgend eines andern Stromes in seinem leicht zu verfolgenden Bette. Diese Forschungen in Bezug auf die Regenwinde zur See zei- gen an, dass die die Quellen des Amazonenstroms mit Regen ver- sehenden Dünste von den Nordost- und Südost- Passaten aus dem Atlantischen Ocean entwickelt werden; von den dem Missisippi sein gewaltiges Bett füllenden Winden war bereits oben die Rede. Ferner wurde auch bereits gesagt, dass die Passatregionen auf der offenen See grossentheils regenarme, im hyetographischen Sinne evaporirende Gegenden sind. Auch ergiebt sich die allgemeine Re- gel, dass, wenn man die polaren Gränzen der beiden Passatsysteme *) Ebenso wahrscheinlich auch die Seeregion Centralafrikas, mit welcher genauer bekannt zu werden wir jetzt hoffen dürfen. Die Winde. 213 verlässt und sich dem nächsten Pole nähert, der Niederschlag grösser ist, als die Verdünstung, bis man den Punkt des Kälte- maximums erreicht hat. Endlich ist es als eine allgemeine Regel bekannt, dass beide Passatsysteme, so lange sie von niedrigern Temperaturen in höhere übergehen mehr Dunst, als Niederschlag, bilden und dass sie also im umgekehrten Falle als Regenwinde auftreten. Solche Ansichten veranlassen die Untersuchung, ob der Atlantische Ocean, nachdem er die Quellen des Amazonenstromes und seiner Nebenflüsse gefüllt hat, auch noch ausreiche, um allen den andern grossen und kleinen Flüssen Nordamerikas und Europas ihre Gewässer zuzuführen. Ein sorgfältiges Studium der Regenwinde in Verbindung mit den Wind- und Stromkarten wird uns aber wahrscheinlich jene Quellen im Ocean anzeigen, aus welchen indirekt diese gewaltigen Ströme her- vorgehen. ,,Alle Wasser laufen ins Meer, noch wird das Meer nicht voller; an den Ort, da sie herfliessen, fliessen sie wieder hin.“*‘ (Pred. Sal. 1, 7.) Die Monsune gehen, wie schon gesagt, meistentheils aus den Passaten hervor. Wenn ein Passatwind von seinem regelmässigen Laufe in gewissen Zeiten des Jahres abgelenkt oder geradezu rück- wärts gewandt wird, so wird er für einen Monsun angesehen. So entstehen die Monsune des atlantischen Meeres, des Meerbusens von Mexiko und die centralamerikanischen Monsune des stillen Oceans grossentheils aus den Nordostpassaten, welche sich umwen- den, um das von den überheissen Ebenen Afrikas, Utahs, Texas und Neu-Mexikos gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen. Wenn die Monsune 5 Monate hinter einander vorherrschend blei- ben (wobei zu bemerken ist, dass fast ein Monat vergeht, ehe sie sich legen und ihre Richtung ändern), so heissen sie selbst und die Passate, aus denen sie sich bilden, Monsune (moussons. S. 208.) Die Nordost- und Südwest-Monsune des indischen Oceans bieten ein ähnliches Beispiel dar. Auf die Nordost- Passate jenes Meeres wirkt die im Sommer über den Ebenen des innern Asiens erzeugte Hitze störend ein; dieselbe ist mehr als hinreichend, um die Kräfte, welche jene Winde zu Passaten machen, zu neutralisi- ren. Sie treibt sie rückwärts und geschähe es nicht wegen der be- sondern Verhältnisse des Landes um jenen Ocean, so würde, was jetzt Nordost-Monsun heisst, das ganze Jahr hindurch wehen; Südwest-Monsune würden gar nicht existiren und die Nordostwinde — als die perpetuirlichen — würden das ganze Jahr hindurch zu 214 Die physische Geographie des Meeres. dem werden, was sie in Wirklichkeit fünf Monate lang sind, näm- lich zu Nordost-Passaten (trode winds). Die Kräfte, welche Monsune erzeugen, haben ihren Sitz auf dem Lande. Sie werden durch die Verdünnung der Luft über gros- sen an oder nahe dem Polarrande der Passate liegenden Länder- massen veranlasst, so z. B. durch die intensive Wärme, welche die Strahlen einer nie von Wolken umhüllten Sonne während des Som- mers auf der Wüste Cobi und den glühenden Ebenen Central-Asiens erzeugen. Wenn die Sonne nördlich vom Aequator steht, so dehnt sie die Luft über diesen Ebenen aus und lässt sie emporsteigen. Andere Luft, namentlich vom Aequator aus, strömt nach, um das Gleichgewicht wieder herzustellen und die Kraft, welche den Nord- ostpassaten entgegenwirkt, wird grösser als die sie vorwärtstrei- bende. Sie gehorchen der grössern Gewalt, wenden sich um und werden zu den allbekannten Südwest-Monsunen des indischen Oceans, die vom Mai bis zum September (incl.) wehen. Natürlich erhitzen sich die weiten Ebenen Asiens bis zur Mon- sunerzeugung nicht per saltum oder in einem Tag. Ihre Erwär- mung bis zu diesem Punkt und ihre Abkühlung erfordert Zeit. So entsteht einige Wochen lang um die Zeit des Monsunwechsels ein Conflict, während dessen die Kräfte des Passats und Monsuns mit wechselndem Erfolge einander messen. Diese Kampfperiode dauert bei jedem Wechsel ungefähr einen Monat. So kommt es, dass die Monsune des indischen Oceans jedesmal 5 Monate, näm- lich vom Mai bis September, fortwährend aus Südwest (wegen des Einflusses jener überheissen Ebenen) und vom November bis März aus Nordost (vermöge der Passat erzeugenden Kraft) wehen. Man könnte die Periode der Monsune immer aus den diese Winde erzeugenden Ursachen berechnen. Weiss man, welche Ebenen, wenn sie heiss und dürr sind, diese regelmässigen indi- schen Winde erzeugen, so weiss man zugleich, dass jene Winde zu der Zeit, wo auf jenen Flächen die grösste Hitze entwickelt wird, am stärksten wehen. Der Einfluss dieser erhitzten Ebenen auf die Seewinde erstreckt sich auf Entfernungen von mehr als 1000 Meilen. Obgleich sich z. B. die Wüste Cobi und die sonnverbrannten Steppen Asiens grösstentheils über dem 30. Grad NB. vorfinden, vermögen sie doch noch südlich vom Aequator Monsune zu erzeugen. Ebenso verhält es sich mit der Sahara und den afrikanischen Monsunen des atlantischen Oceans; ebenso mit der Gegend des Salzsees und Bu u u Aes, | ee Die Winde. 215 den mexikanischen Monsunen einerseits und andrerseits mit dem centralamerikanischen im stillen Ocean. Der Einfluss der arabi- schen Wiisten auf die Winde wird in Oestreich und andern Thei- len Europas wahrgenommen, wie die Beobachtungen Kriel’s, La- mont’s u. Anderer gezeigt haben. Diese Wüsten und Steppen scheinen also auf die Ablenkung oder Schwächung der Passate einen bedeutenden Einfluss auszu- üben. Den Südost-Passaten wirken in dieser Ausdehnung keine Kräfte entgegen. Ihre Bewegung wird im Gegentheil nur noch. beschleunigt; denn dieselben Kräfte, welche den Nordost-Passaten eine entgegengesetzte Richtung geben oder sie verzögern, treiben die Südost-Passate nur um so schneller vorwärts. So erklärt sich die Fähigkeit dieser Südostwinde, bis in die nördliche Hemisphäre vorzudringen. Hieraus können wir auch schliessen, dass innerhalb gewisser 3reitenkreise im Norden des Aequators sich überhaupt weit mehr Hitze bildet, als innerhalb der entsprechenden südlichen, und dass also die mittlere Sommertemperatur an der Küste dort höher steht, als hier; so enthüllen uns die Winde eine physikalische Thatsache, welche die meteorologischen Beobachtungen nachher bestätigt haben. Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass die auf das Land, nicht auf das Wasser einwirkenden Sonnenstrahlen die Monsune eızeu- gen. Wir wollen uns nun nochmals zur VII. u. XI. Tafel wenden und diese Ansicht prüfen. Die Monsunregionen sind mit einzacki- gen und halbbefiederten Pfeilen bezeichnet und wir bemerken, wenn wir die nördliche Hemisphäre ansehen, dass ganz Europa, ein Theil von Afrika, der grösste Theil Asiens und fast ganz Nord- amerika sich nördlich von der Nordost-}’assatzone befinden, wäh- rend nur ein kleiner Theil von Australien, weniger von Südamerika und noch weniger von Südafrika auf der polaren Seite des Südost- passatgürtels liegt. Hier giebt es keine grossen Ebenen, welche die Sonne im Sommer der südlichen Hemisphäre erhitzen, über denen sie die Luft verdünnen, durch welche sie den Curs jener Passate wesentlich verändern oder unterbrechen könnte. Aber auf der nördlichen Hemisphäre giebt es ausser jenen Flächen von gros- ser Wirkung (s. 0.) noch zahlreiche andere Distrikte ausserhalb des Wendekreises, deren Sommerhitze, wenn auch zurErzeugung eigent- licher Monsuns nicht ausreichend, doch ihre Kraft zu vermindern und dadurch, dass sie ihre Geschwindigkeit verringert, die Süd- ost-Passate in die nördliche Halbkugel herüberzuziehen vermag. 216 Die physische Geographie des Meeres. Da nun diese Einmischung des Landes nur im Sommer stattfindet, so kommen wir, noch ehe Beobachtungen angestellt sind, zu dem Schlusse, dass die Stellung dieser Passatzonen variabel ist, d. h., dass der Aequatorialrand der Südost-Passatzonen in unserem Som- mer, wenn die Nordostpassate sehr schwach wehen, weiter nach Norden zu liegt, als im Winter, wenn sie am stärksten sind. Diese Gränzen, zwischen welchen sich die Passatzonen hin und her be- wegen, sind auf der VII. Tafel für den Frühling und Herbst an- gegeben. Während der letztern Jahreszeit erreichen diese Zonen ihre äusserste nördliche Declination und im Frühjahr dringen sie am weitesten nach Süden vor. *) Die Calmengiirtel. Dass es zwischen den beiden Passat- systemen eine Region der sogenannten Aequatorialcalmen gebe, wurde bereits gesagt. Sie hat eine mittlere Breite von ungefähr 6 Breiten-Graden; der Gürtel trennt stets die beiden Passatzonen und rückt also mit ihnen hin und her. Vergleichen wir diese Zonen mit einem ungeheuren atmosphärischen Troge, der den ganzen Erdball umschliesst und vergleichen wir die Nordost- und Südost- Passate mit zweien sich quer hinein ergiessenden Strömen, so sehen wir, dass, wenn die beiden Strömungen fortwährend am Boden zu- fliessen, ebenso viel Luft oben wieder hinausfliessen muss. Obere Strömungen, welche gegen die Passate gerichtet sind, bringen also die emporsteigende Luft aus den Calmen nach Norden und Süden. Die Aequatorialcalmen sind ein Gürtel fortwährenden Niederschlags. Als der Kapitän Wilkes, von der ,,Exploring Expedition‘, ihn 1838 **) durchkreuzte, fand er, dass sich derselbe vom 4. bis 12. Gr. NB. erstreckte. Er brachte 10 Tage darin zu und während der- selben fielen 6,15 Zoll Regen, was für das Jahr mehr als 18 Fuss geben würde. In den Sommermonaten findet man diesen Calmen- gürtel zwischen den Parallelkreisen von 8° und 14° NB. und im Frühjahr zwischen dem 5. Grad südl. und dem 4. nördl. Breite. (Vel. Tafel VII.) Dieser Calmengürtel bringt, indem er von Norden nach Süden *) Ueber die Aequatorial- und Polargränze der Passate findet man noch genauere Angaben bei Berghaus a. a. O. I. 325 u. 346 und namentlich auch in dem Werke: Sechs Reisen um die Erde der königl. preuss. Seehandlungsschiffe Mentor und Princess Louise. Auszug aus den Schiffs-Journalen ete. Breslau, Grass, Barth u. Comp. 1842. **) Die Angabe des Monats wäre viel wünschenswerther. Die Winde. air. auf und nieder rückt, den einzelnen Parallelkreisen der heissen Zone ihre Regenzeit. Man kann daher schon aus der Darstellung auf Tafel VII ersehen, welche Gegenden zwei, welche nur eine Re- genzeit haben und welches für jeden Ort die Regenmonate sind. Wenn die Gegenden der beiden Passate und Calmen verschie- den gefärbt und einem Astronomen auf einem andern Planeten sicht- bar wären, so könnte derselbe schon an der Bewegung dieser Gür- tel unsere Jahreszeiten erkennen. Aber obgleich er beobachten würde, dass sie der Sonne in ihrem Jahreslauf folgen, würde er doch bemerken, dass sie ihre geographische Breite nicht so stark verändern, wie die Sonne ihre Declination, dass also auch ihre De- clinationsgränzen nicht so weit auseinander liegen wie die beiden Wendekreise, wenn schon in gewissen Jahreszeiten das Vorschrei- ten von Tag zu Tag sehr bedeutend ist. Er würde bemerken, dass diese Zonen der Winde und Calmen ebenfalls ihre Wendekreise haben, in deren Nähe sie fast drei Monate hinter einander verwei- len, und dass sie von einem ihrer Knotenpunkte zu dem andern ebenfalls in 3 Monaten oder in noch etwas weniger Zeit übergehen. Er sähe das ganze System der Gürtel vom letzten Theil des Mai bis in den August hinein nördlich vorrücken, dann bis zum Winter (December) still stehen und danach sich ziemlich schnell über den Ocean bis Ende Februar oder Anfang März zurückbewegen; nun sähe er sie wieder auf ihrem südlichen Wendekreise still stehen, bis im Mai die Bewegung von Neuem beginnen würde. Die ‚„‚Rossbreiten‘‘ (horse latitudes). Wir haben bereits oben gesehen, dass die Zonen der Nordost- und Südost-Passate nach dem Pole zu nochmals von Calmengürteln umsäumt werden. Auch diese nehmen an der allgemeinen Zonenbewegung Theil und folgen in ihren Bewegungen der Declination der Sonne. Auf der dem Pol zugewandten Seite finden wir neben diesen Calmengürteln jedesmal einen breiten Streifen, für welchen die herrschenden Winde den Passaten gerade entgegengesetzt sind, also Südwestwinde in der nördlichen und Nordwestwinde in der südlichen Hemisphäre. Der nach dem Aequator zu liegende Saum dieser Calmengür- tel liegt nahe den Wendekreisen und ihre mittlere Breite ist 10 — 12 Grad. Auf der einen Seite derselben wehen die Winde fast beständig dem Aequator, auf der andern vorzugsweise dem Pole zu. Die Seeleute nennen den ganzen Gürtel die ,, Rossbreiten. Längs der polaren Gränzen dieser zwei Calmengürtel haben wir noch eine Region des Niederschlags, obgleich der Regen hier 18 Die physische Geographie des Meeres. m LO im Allgemeinen nicht so constant ist, als in den Aequatorialcalmen. Der Niederschlag in der Nähe der tropischen Calmen reicht dessen- ungeachtet aus, die Jahreszeiten zu bezeichnen; denn sobald nur diese Calmenzonen während ihres mit der Sonne Schritt haltenden Vorrückens von Norden nach Süden einen gegebenen Parallelkreis verlassen, soll auch, wenn derselbe Winter hat, für denselben die Regenzeit beginnen. Hieraus können wir die Regenzeit in Chili im Süden und in Californien im Norden erklären. Die Westwinde. Vom 40. Grad NB. bis zum Nordpol hin sind, wie schon bemerkt wurde, die vorherrschenden Winde die Südwest - Passate, oder, wie sie die Seefahrer allgemeiner nennen, die westlichen Winde; diese verhalten sich auf dem atlantischen Ocean zu den östlichen Winden ungefähr wie zwei zu eins. Wenn wir nun annehmen — und eine solche Annahme ist wenigstens sehr wahrscheinlich — dass diese Westwinde in zwei Tagen ein grösseres Volumen atmosphärischer Luft gegen den Polarkreis hin bewegen, als die östlichen in einem zurückbringen können, so se- hen wir uns zugleich gezwungen, eine obere Strömung vorauszu- setzen, durch welche dieser Ueberschuss den tropischen Calmen unserer Hemisphäre wieder zugeführt wird. Es muss daher ir- gendwo in den Polarregionen eine Stelle geben, wo diese Südwest- winde in ihrem Zuge nach Norden innehalten und ihren Rück- weg nach Süden antreten. Diese Stelle muss aber in einer eben- falls von den Calmen abhängigen Region liegen. Es ist dies noch ein atmosphärischer Knotenpunkt, an welchem die Bewegung der Luft mit einer Abnahme des barometrischen Druckes nach oben geht. Er ist auf Tafel I mit P bezeichnet. Wenn wir nun zu dem Calmengürtel des nördlichen Wende- kreises zurückkehren und theoretisch einen Theil der Luft zu pro- jieiren suchen, der in seinem Kreislauf den mittleren Weg dieser Südwest-Passate veranschaulichen soll, so werden wir bemerken, dass er sich dem Pole in einer loxodromischen Curve nähert; ferner, dass er bei der Annäherung an den Pol von den Spiralwindungen dieser seine Bahn vorstellenden Curve eine wirbelnde Bewegung erhält und zwar in einer dem Zeiger einer Uhr entgegengesetzten Richtung; endlich, dass der Theil der Atmosphäre, dessen Pfad wir verfolgen, nach und nach seiner Kreisbewegung immer kleinere Radien giebt, bis die Luft endlich, gegen die Richtung eines Uhr- zeigers sich drehend , emporsteigt. In der südlichen Halbkugel geht ein ähnlicher Process vor Die Winde, 219 sich; nur dürfte dort der Nordost-Passat, wenn er in die Gegend der antarktischen Calmen gelangt, eine Bewegung, die der Sonne folgt, sich also mit dem Zeiger einer Uhr dreht, erhalten. des ATLANTISCHEN OCEANS FÜR MANZ TND SEPTEMBER. i ‘heed | | ! | ~----~ September. 7s 70 6560 55 _ 5 45 A Se ols tp IS tos Tafel LV. Isothermenkarte fiir den atlantischen Ocean. 220 Die physische Geographie des Meeres. Vierzehntes Kapitel. Die klimatischen Verhältnisse des Geeans. Vergleich des Golfstroms mit der Milchstrasse. — März und September, die wärmsten Mo- nate auf der See. — Wie sich die Isothermen auf dem Ocean auf- und niederbewegen. — Eine Linie unveränderlicher Temperatur. — Wie die Westhälfte des atlantischen Oceans stark er- wärmt wird. — Relation zwischen der Rüstenlinie in einem Theile der Welt und dem Klima in einem andern. — Das Klima Patagoniens. — Der Sommer der nördlichen Hemisphäre ist, wie dies die See anzeigt, wärmer, als der in der südlichen. — Wie die kalten Gewässer von der Davis-Strasse aus auf den Golfstrom drücken. — Wie die verschiedenen Isothermen mit den Jahreszeiten von Norden nach Süden rücken. — Die polare und äquatoriale Driftströmung, Das National-Observatorium hat Thermal. Karten veröffent- licht, welche die Temperatur der Oberfläche des atlantischen Oceans nach wirklichen, ohne Unterschied in allen Gegenden desselben und zu allen Zeiten des Jahres angestellten, Beobachtungen angeben. Die Isothermen, welche wir mit Hülfe dieser Beobachtungen ziehen können, und welche zum Theil auf der Tafel IV verzeichnet sind, gewähren dem Seemann und Physiker manche werthvolle und in- teressante Belehrungen in Bezug auf die Circulation der oceanischen Gewässer, mit Einschluss der Phänomene der warmen und kalten Meeresströmungen. Sie werfen auch Licht auf die Klimatologie des Meeres, auf seine hyetographischen Eigenthümlichkeiten und auf die klimatischen Verhältnisse einzelner Gegenden der Erde; sie zeigen, dass die Umrisse der Küsten Amerikas zwischen den Wende- kreisen das milde Klima Süd-Europas erklären helfen ; sie vermeh- ren auch unsere Kenntnisse in Bezug auf den Golfstrom, und wir vermögen so dem Seemann zu seiner Leitung jene ‚‚Milchstrasse‘“ im Ocean abzustecken, deren Gewässer von Leben und werdenden Organismen strotzen und funkeln und glühen, während sie das Weltmeer durchströmen. In ihnen findet man die Sternhaufen und Nebelflecken der See, welche die grosse Hochstrasse der Schiffe auf ihrem Zuge von der alten in die neue Welt verzieren, und an ihnen mag der Schiffer die Gränzen der Strasse und seinen Weg erkennen. Sie zeigen, dass diese via Jactea sich hin- und herbewegt, wie ein in sanftem Winde wallender Wimpel. Denken wir uns den Kopf des Golfstroms in die Strasse von Bemini eingezwängt und verglei- chen wir den Schweif mit einer ungeheuren, im Strome langsam hin und her wallenden Fahne, so haben wir das Bild einer Bewe- gung, wie sie nach meinen Untersuchungen dem Golfstrome zu- é ‘ N Die klimatischen Verhaltnisse des Oceans. 391 kommt. Zwischen Rändern kalten Wassers hinströmend, wird er bald von Norden, bald von Süden her vorwärts gedrängt, je nach- dem die grossen Massen des Meerwassers auf einer oder der andern Seite in ihrer Temperatur sich verändern oder schwanken. Im Sep- tember, wenn die Gewässer im Norden durch die Sommerhitze wärmer und leichter geworden sind, hat er die auf der Tafel VI links durch Pfeile bezeichnete Gränze; diesen Bogen nach Norden beschreibt er aber nicht lang, sondern seine Bahn springt wie ein Pendel langsam zurück. Er wird so gewissermassen zum Zeitmesser der See, er misst ihren Bewohnern die Zeit zu und bezeichnet den’ Wallfischen die Jahreszeiten, und so ist er, ein sich selbst com- pensirendes Pendel, Jahrtausende lang von Nord nach Süd, von Süd nach Norden hin und hergeschwungen. Wenn man sich über die Klimate des Oceans zu belehren sucht, so darf man nicht vergessen, dass seine und die continentale Klima- tologie in einem merkwürdigen Contraste stehen. Auf dem Fest- lande sieht man den Februar als den kältesten, den August als den heissesten Monat an; im Ocean zeigen sich diese Extreme der Kälte und Hitze im März und September. Auf dem trockenen Lande erhalten, nachdem der Winter vorüber ist, die festen Theile der Erde fortwährend am Tage mehr Wärme von der Sonne, als sie Nachts ausstrahlen; es findet also eine bis in den August zu- nehmende Anhäufung von Wärmestoff statt. Doch ehe dieser Mo- nat zu Ende geht, fangen die festen Theile der Erdrinde und die Atmosphäre darüber an, ihre Wärme schneller abzugeben , als die schräger auffallenden Sonnenstrahlen sie zu ersetzen vermögen, und so geht die Temperatur allmählig in die Winterkälte über. Aber zur See scheint eine andere Regel vorzuherrschen. Der Ocean ist die Vorrathskammer, in welcher die überflüssige Hitze des Som- mers aufbewahrt wird, um gegen die Winterstrenge anzukämpfen, und das Meerwasser nimmt noch einen ganzen Monat an Wärme zu, nachdem das Wetter an der Küste bereits kühler zu werden be- gonnen hat. So entsteht ein Wärmemaximum im September, ein Minimum im März. Die IV. Tafel soll diese Extreme angeben, denen das Wasser — nicht das Eis — des Meeres jährlich unter- worfen ist, und desshalb sind die Isothermen von 40, 50, 60, 70 und 80° für den März und September, d. h. für den kältesten und wärmsten Monat in der oceanischen Hälfte unserer Erdoberfläche gezogen. Correspondirende Isothermen für irgend einen andern Monat fallen natürlich zwischen je zwei der angegebenen. So fällt 1597 222 Die physische Geographie des Meeres. z. B. die Isotherme von 70° für den Juli nahebei zwischen dieselben Isothermen von 70° für Marz und September. . Ein sorgfältiges Studium dieser Tafel und die Betrachtung des wohlthätigen Einflusses der See auf das Klima des Festlands er- weckt in uns noch manche Idee; wir vermögen tiefere Blicke in das oceanische Leben und seinen wunderbar zweckmässigen Organismus zuthun. Man frage z. B., wie die Isotherme von 80° von ihrer Marzstellung aus in die Septemberstellung übergeht. Wird sie durch Strömungen derartig abgelenkt, d.h. durch Wasser, welches, nach- dem es am Aequator bis zu 80° erwärmt worden, mit dieser ‘Tem- peratur nach Norden fliesst? Oder wird sie einfach durch die Son- nenstrahlen dorthin geführt, so wie die Schneelinie im Sommer an den Bergen emporgehoben wird? Die letztere Erklärung erscheint als die naturgemässere, und doch haben wir gute Gründe, die Fort- bewegung der Isothermen vorzugsweise den Strömungen zuzuschrei- ben; denn Strömungen sind die wichtigsten Kräfte bei der Ver- theilung der Wärme über die verschiedenen Theile des Oceans. Die Sonne würde, wenn keine Strömungen vorhanden wären , die Temperatur der Gewässer in der heissen Zone mit ihren Strahlen bis zur Blutwärme steigern ; aber ehe dies geschieht , fliessen sie polwärts ab und mildern die Strenge anderer Himmelsstriche. Wenn nur die Strahlen der Sonne die Isothermen in Bewegung setzten, so würden sie gleich ebenso vielen Parallelkreisen sich über die Fläche des Weltmeers auf und nieder bewegen — wenigstens würde es keine solche Lücken in ihnen geben, wie man sie an der Isotherme von 80° (+21, ° Re.) für den September bemerkt. Es scheint dieser Linie nach, als ob es einen Theil des Oceans nahe am Aequator und ungefähr in der Mitte des atlantischen Meeres gäbe, dessen Gewässer diese Temperatur im September niemals er- reichen. Ueberdies pflegt diese Isotherme von 80° im nördlichen atlantischen Oceane von ihrer weitesten Abweichung nach Süden zu der nördlichsten — beide Extreme sind aber ungefähr 2000 Mei- len von einander entfernt — in ungefähr 3 Monaten überzugehen. Sie legt also in einem Tage ungefähr 22 Meilen zurück. Ohne Bei- hülfe der Strömungen könnten sie die Sonnenstrahlen doch gewiss nicht so schnell vorwärts treiben. Indem sie nun dem allmähligen Prozess der Abkühlung durch Verdünstung, atmosphärische Be- rührung und Strahlung überlassen ist, verbraucht sie die andern acht oder neun Monate des Jahres, um langsam südwärts zu dem Parallel zurückzukehren , von welchem sie nach Norden zu laufen Die klimatischen Verhältnisse des Oceans. 223 anfıng. Da sie sich nicht so schnell abkühlt, wie sie erhitzt wurde, so findet auch nicht eine so plötzliche und gewaltsame Störung des Gleichgewichts durch Aenderung der specifischen Schwere statt; die Strömung, welche das Gleichgewicht herzustellen sucht, ist also auch bedeutend langsamer. So erklärt es sich, warum sich diese Linie so auffallend langsam nach Süden zurückbewegt. Zwischen den Meridianen von 25 und 30° W. L. steigt die Isotherme von 60° (+ 12", Re.) im September bis zu 56° N. Br. empor. Im October erreicht sie den 50. Grad N. Br. Im November begegnet man ihr zwischen den Parallelkreisen von 45 und 47°, und um die Zeit des Decembers hat sie zwischen diesen Meridianen fast schon ihren südlichsten Punkt, nämlich in der Gegend des 40. Grades, erreicht, wo sie im Januar anlangt. Den ganzen übri- gen Theil des Jahres steigt sie langsam nordwärts zu dem Parallel (56°) zurück, von dem aus sie im September nach Süden umbog. Man wird nun bemerken, dass dies -——- vom September bis De- cember — die Jahreszeit ist, welche unmittelbar auf die Zeit folgt, in welcher die Sonnenhitze mit grosser Intensität auf das Polareis eingewirkt hat. Die durch Schmelzung aus demselben entstande- nen Wasser, welche so im Juni, Juli und August in Bewegung ge- setzt werden, dürften wohl diese ganzen Monate brauchen, um die bezeichneten Parallelkreise zu erreichen. Diese Gewässer, obschon anfangs kalt und nur nach und nach, während sie nach Süden fliessen, sich erwärmend, sind wahrscheinlich süsser und in dem Fall auch leichter als Seewasser, und so kann es leicht geschehen, dass die Systeme sowohl der kältern als der wärmern Isothermen vermöge einer langsamen Oberflächenströmung während der Zeit ihrer schnellen allgemeinen Fortbewegung auf dem Ocean hin und her.schwanken und dass sie in der Zeit der langsamen Bewegung ebenfalls durch einen allmähligen Process von Wärmeabsorption einerseits und von Abkühlung andererseits hin und her schwingen. Gerade solche Phänomene zeigen die Gewässer der Chesapeake- Bai, während sie sich im Winter über die See verbreiten. Die Kar- ten zeigen, dass in dieser Jahreszeit Ströme Wassers von sehr nie- driger Temperatur die gewöhnlichen Schranken des Golfstroms zu überschreiten pflegen. Der äussere Rand dieser kalten Wasser- massen ist zwar ausgezackt, aber doch im Allgemeinen ein grosser Kreisbogen, dessen Mittelpunkt in der Nähe der Mündung der Bai liegt. Die Gewässer der Bai, welche reiner sind, als die des Meeres, mögen daher, obgleich sie kälter, also dichter , sind, den- 224 Die physische Geographie des Meeres. noch etwas leichter sein als das wärmere Salzwasser des Oceans. So wiederholt sich hier in kleinerem Massstab die Erscheinung, dass kälteres Wasser von Norden her strémend die Oberflächen- isotherme von 60° Fahr. vom 56° N. Br. drei bis vier Monate hindurch sich bis zum 40° N. Br. nach Süden umbiegen lässt. Veränderungen in der Farbe oder Tiefe des Oceans, in der Gestaltung seines Grundes u. s. w., würden auch Temperaturwechsel für einzelne Theile herbeiführen, indem dadurch ihre Capacität der Wärmeabsorption oder Ausstrahlung vermehrt oder vermindert würde, und dies würde bis zu einer gewissen Ausdehnung Krüm- mungen oder ganz irreguläre Curven in den Isothermen erzeugen. Nach einer genauern Betrachtung dieser Tafel und der Ther- menkarten des atlantischen Oceans, aus denen die Materialien für diese Tafel geschöpft wurden, komme ich zu dem Schlusse, dass z. B. die mittlere Temperatur der Atmosphäre zwischen den Paral- lelen von 56 und 40° N. Br. in dem Theil des Oceans, in welchem wir eben die Schwankungen der Isotherme von 60° näher betrach- teten, wenigstens 60° Fahrenh. und eher noch mehr in der Zeit vom Januar bis August ist und dass die Wärme, welche die Ge- wässer des Oceans aus dieser Quelle herleiten — atmosphärische Berührung und Strahlung — eine der Ursachen ist, welche die Isotherme von 60° von ihrer Januarparallele zu der September- parallele fortbewegt. Noch eine der Ursachen, welche auf die Strömungen in diesem Theile des Oceans einwirken und der Isotherme von 60° die schnelle Bewegung gen Süden zu geben suchen, wird wohl einer nähern Betrachtung werth sein. Wir wissen, dass der mittlere Thaupunkt für irgend einen Ort immer unter der mittlern Temperatur dessel- ben liegen muss, und dass demnach, der allgemeinen Regel nach, auf der See der mittlere, zur Isotherme von 60° gehörende Thau- punkt höher liegt, als der zur Isotherme von 50° gehörende, und dieser höher als der der Isotherme von 40° und so fort. Man nehme nun, nur zur vorläufigen Veranschaulichung, einmal an, dass der mittlere Thaupunkt für jede Isotherme 5° unter der mittlern Tem- peratur liegt; wir würden dann die die Isotherme von 60 ° durch- ziehende atmosphärische Luft mit ihrem mittlern Thaupunkt von 55° (ca. + 10° Ré.) nach und nach ihre Dämpfe niederschlagen sehen, bis sie die Isotherme von 50° erreicht, deren Thaupunkt sich auf 45° stellt; vermöge dieser Differenz der Thaupunkte hat aber die Gesammtmasse des Niederschlags auf der ganzen Zone Die klimatischen Verhältnisse des Oceans. 335 zwischen den Isothermen von 60 und 50° den Gesammtbetrag der Verdunstung von derselben Oberfläche überschritten. Die vorherr- schende Windrichtung nördlich vom 40° N. Br. ist von Süden oder Westen her; mit andern Worten, sie geht von den höhern zu den niedrigern Isothermen. Indem also die Luft über den Ocean aus höhern Temperaturen in niedrigere eintritt, gibt irgend ein Volu- men derselben, indem es aus der Nachbarschaft der Tropen gegen die Polargegenden hinweht, mehr Dampf ab, als es wieder in sich aufnimmt. Der zwischen den Isothermen von 40 und 50° Fahrenheit lie- gende Flächenraum ist kleiner, als der zwischen den Isothermen von 50 und 60°, und dieser wieder als die von den Curven für 60 und 70° Fahrenheit umschlossene Fläche, und zwar aus demselben Grunde, weshalb die Kugelzone zwischen den Parallelen von 50 und 60° kleiner ist als die zwischen denen von 40 und 50°*) u.s. w.; desshalb muss mehr Regen auf den Quadratzoll in dem zwischen den kältern Isothermen von 10° Differenz liegenden Theile des Oceans niederfallen, als zwischen den wärmern Isothermen, die die- selbe Differenz an Wärmegraden zeigen. Dies ist eine ebenso in- teressante als wichtige Ansicht, die wir desshalb noch etwas klarer entwickeln wollen. Die Wasserisotherme von 50° berührt in ihrer äussersten nördlichen Deklination den 60. nördlichen Parallelkreis. Zwischen diesem und dem Aequator befinden sich nun nur 3 Iso- thermen (60, 70 und 80°) mit der gewöhnlichen Differenz von 10°. Aber zwischen der Isotherme von 50° und dem Pol sind wenigstens noch 5 andere, nämlich von 40, 30, 20, 10 und 0° mit derselben Differenz. Also wird nördlich von der 50° Isotherme der Dampf, welcher die Atmosphäre von 0 (und vielleicht von noch viel tiefern Graden) an bis 40° sättigen würde, niedergeschlagen, während südlich von der 50° Isotherme nur der Dampf, welcher sie von etwa 50° an bis zu einer Temperatur von 80° sättigen würde, niederge- schlagen werden kann. Wenigstens würde sich dies so verhalten, wenn es keine Unregelmässigkeiten — wie z. B. erhitzte Flächen, Bergketten , trockenes Land u. dergl. — gabe, welche die Gesetze der atmosphärischen Circulation in ihrer Anwendung auf den Ocean störten. Haben wir demnach der Theorie nach auf der See in höhern Breiten mehr Regen, so müssen auch mehr Wolken da sein, und *) Beide Zonen verhalten sich ungefähr wie; 499905 : 616284. (D. Ueb.) Maury, Die phys. Geogr. d. Meeres. 15 226 Die physische Geographie des Meeres. die Sonne braucht deshalb auch mit ihren ohnedies hier schwachern Strahlen eine längere Zeit, um die Temperatur des kalten Wassers zu erhöhen, welches vom September bis zum Januar die 60° Iso- therme vom 56." N. Br. bis zum 40.° hinabgerückt hat, als eben diese kalten Oberflächenströmungen zu jenem Hinabrücken brauch- ten. Nachdem dieser südlichen Bewegung der Isotherme von 60° ım December durch die Kälte Einhalt gethan worden ist, und nach- dem die Quellen der Strömung, welche sie hinabzutreiben nöthigten, in Banden von Eis gefesselt worden sind, bleibt siein den Nächten des nordischen Winters unbeweglich, und tritt kaum dann ihren Rück- weg an, wenn die Sonne wieder durch den Aequator geht und so- wohl der Intensität als der Zeit nach mächtiger zu wirken beginnt. Wir erkennen nun immer deutlicher die Einwirkung des Son- nenscheins und der Wolken, des Tages und der Nacht auf die Strö- mungen und auf die Klimate der See. Gewisse Kräfte, die auf dem Land ihren Sitz haben, vermögen diese Operationen zu modificiren. Ihr Zusammenwirken möge man in den Linien der IV. Tafel zu erkennen suchen. Wir gehen nun zu dem Süden über. Wir sind andererseits zu dem Schlusse berechtigt, dass die mittlere atmo- sphärische Temperatur für die Parallelen, zwischen welchen die Isotherme von 80° hin und herschwankt, wenigstens während der 9 Monate ihrer langsamen Bewegung, niedriger ist als 80°. Diese vibratorische Bewegung bringt uns auf den Gedanken, dass wahr- scheinlich irgendwo zwischen der Isotherme von 80° im August und der von 60° im Januar eine Linie oder ein Gürtel von unver- änderlicher, oder fast unveränderlicher, Temperatur existirt, welcher sich quer über die ganze Oberfläche des atlantischen Oceans aus- breitet. Diese Linie oder dieses Band mag auch seine Curven ha- ben, sie folgen aber wahrscheinlich langen und unbestimmten Pe- rioden. Durch die von den Wind- und Strémungskarten veranlassten Entdeckungen ist die Thatsache ziemlich klar hingestellt , dass die westliche Hälfte des atlantischen Oceans nicht allein von dem Golf- strom, wie man allgemein annimmt, sondern auch durch den gros- sen äquatorialen Kessel westlich vom 35° der Länge und nördlich vom Cap St. Roque in Brasilien, erwärmt wird. Der niedrigste Punkt, den die Isotherme von 80° während des Septembers westlich vom Meridian des Cap Roque erreicht, liegt — wenn wir die merk- würdige Aequatorialbiegung (Tafel IV), welche sich thatsächlich vom 40, Grad N. Br. bis zur Linie erstreckt, ausnehmen — immer we ee ae Die klimatischen Verhältnisse des Oceans. 997, Dr noch höher als der höchste im Osten jenes Meridians. Nun, da wir die Thatsache kennen, istihr Grund ebenso interessant, als auffällig. Das Cap St. Roque hat eine südliche Breite von 5°. Man stu- dire nun die Gestaltung und Gliederung des südamerikanischen Continents von diesem Cap bis zu dem Gouvernement von Barba- does (den Windward Islands), und ziehe auch gewisse physische Verhältnisse dieser Gegenden in Betracht; so z. B. ergiesst der Amazonenstrom, der schon wegen seines Laufes von West nach Ost immer eine hohe Temperatur zeigt, ein ungeheures Volumen war- men Wassers in diesen Theil des Oceans. Nachdem dies Wasser und die Sonnenhitze die Temperatur des Oceans längs der äquato- rialen Seefronte dieser Küste bedeutend erhöht hat, kann das wär- mer und zugleich leichter gewordene flüssige Element in keiner andern Richtung als nach Norden entweichen. Das nach Süden vorliegende Land hält die lauen Gewässer ab, sich in jener Rich- tung auszubreiten, wie sie es vom 35.° westl. Länge aus gen Osten thun, denn hier giebt es einen ungefähr 18 Längengrade breiten Raum, in welchem die See nach Süden und Norden offen ist. Sie müssen demgemäss nach Norden abfliessen. Eine blosse Ansicht der Tafel reicht hin, um die Thatsache in die Augen springen zu lassen, dass die warmen Gewässer, welche man östlich vor den dem Golfstrom gewöhnlich vorgezeichneten Schranken und zwischen den Parallelen von 30 und 40° N. Br. antrifft, nicht von jenem Strome herrühren, sondern aus diesem grossen äquatorialen Kessel hervor- gehen, welchen das Cap Roque nach Süden zu versperrt und wel- cher seine überwarmen Wasser bis zum 40. Grad N. Br. hinauf- treibt, und zwar nicht durch das carıbische Meer — und also auch den Golfstrom — sondern über die breite Fläche der linken Seite des atlantischen Oceans. Das Klima Westeuropas und das Profil der Küsten Südame- rikas scheinen auf den ersten Blick sich in ihren physischen Bezie- hungen so fremd zu sein, dass man jeden Zusammenhang zwischen beiden zu läugnen geneigt ist. Wer aber ,,durch die Natur hinauf- zublicken sucht zu dem Gotte der Natur“, wird es uns vergeben, dass wir eine Abhängigkeit beider von einander nicht nur erkennen, sondern auch als eine Offenbarung der Allgüte des Weltordners be- wundern. i Jene Gewässer erhalten also durch die ‚nach Süden vorgebaute Schranke ihre nördliche Strömungsrichtung, und sie erwärmen im September, wenn der Winter herannaht, die westliche Hälfte des 15° . 228 Die physische Geographie des Meeres. —— atlantischen Oceans und bedecken ihn bis weit über den 40. Grad N. Br. hinaus mit einer sonnenwarmen Hülle. Hier wird Wärme, wie in einer Heizungskammer für die Zimmer eines Gebäudes, auf- gehäuft, um das Winterklima des westlichen Europas zu mildern, und. wenn im Winter das Feuer der Sonnenstrahlen erlischt, dann werden Westwinde und östlich strömende Gewässer ausgesandt als Wohlthäter der erstarrenden Natur. So unbeständig und launen- haft sie uns zu sein scheinen, sie ‚‚vollführen doch Seine Gebote‘ mit Regelmässigkeit und erfüllen treu ihre Pflichten. Um die Zeit des März, wenn ,,der Winter seinen Abschied nimmt‘‘, ist jener riesige Ofen, den die Sonnenstrahlen im vorher- gehenden Sommer aufbauten und erhitzten, dass er gegen den Herbst hin, wie durch eine kolossale Wasserheizung grosse Partien des Oceans auf unserer Halbkugel erwärme, ausgebrannt. Dem Kessel bei St. Roque geht sein Material aus, seine Thätigkeit er- lahmt, die Gränzen der vom Wasser erwärmten Räume auf den nördlichen Meeren ziehen sich enger und enger zusammen. Das warme Oberflächenwasser, welches sich im September über die Westhälfte des atlantischen Meeres vom Aequator bis zum Parallel- kreis von 40° N. Br. ausbreitete und dieses ungeheure Areal bis auf eine Temperatur von 80°, und selbst noch höher, brachte, ist zu Anfang des Frühlings diesseits des Breitenkreises von 8° N. Br. nicht zu finden. Die Isotherme von 80° läuft im März, nachdem sie das cari- bische Meer verlassen hat, parallel mit der südamerikanischen Küste gegen das Cap St. Roque hin und bleibt 8 bis 10° von demselben entfernt. Desshalb fällt die aus dieser Quelle Europa zu Gute kom- mende Wärme im März weg. Aber um diese Zeit naht die Sonne, um neuen Vorrath zu bringen; sie überschreitet die Linie und be- ginnt ihren Process der Wassererwärmung, um dadurch die Winter- temperatur Westeuropas zu erhöhen. Mittlerweile — so wohlwol- lend sind diese kosmischen Anordnungen getroffen! — wird durch einen zweiten Process dasselbe bewirkt. Das Land wird von den Sonnenstrahlen schneller afficirt, als das Wasser; um diese Zeit wird demnach das diesen transatlantischen Breiten zukom- mende Sommerklima durch die direkt auf das Land einwirkende Thätigkeit der Sonnenstrahlen modificirt. Das Land empfängt von ihnen Wärme, aber seine Wärmecapacität ist bei weitem nicht so gross, als die des Wassers; es giebt also die Wärme sofort an die Luft ab, und so wird das Klima, so wie es der allweise Schöpfer BRD ee) ee ee Die klimatischen Verhältnisse des Oceans. 229 diesem Theile der Erde zugetheilt hat, erhalten, bis sich der Mee- reskessel bei dem Kap St. Roque wieder erwärmt, dass er, wäh- rend die Sonne in den südlichen Breiten weilt, die dem westlichen Europa zweckmässige und wohlthätige Temperatur erzeuge. In ähnlicher Weise kann man den Meerbusen von Guinea einen Wasserheizungs-Kessel für die aussertropischen Gegenden Süd- amerikas nennen. Jedem Reisenden ist das warme Klima Pata- goniens und der Falklands- Inseln aufgefallen. ,‚,In den hohen südlichen Breiten‘‘, sagt ein aufmerksamer Beobachter, der mir ein Mitarbeiter beim Sammeln des Materials gewesen ist, ‚weicht, die Temperatur bedeutend von der in den nördlichen Breiten ab. Alle Extreme von Hitze und Kälte scheinen dort zu verschwinden. Man vergleiche z. B. Newport auf Rhode-Island (41° NB. 71° WL.) mit Rio Negro (41° NB. und 63° WL.); dort macht sich den gan- zen Winter hindurch für das Vieh die Stallfütterung nöthig, da dasselbe auf dem freien Felde des Schnees und Eises wegen durch- aus nicht fortkommen kann. Auf den Falklandsinseln aber (unter dem 51—52° SB.) laufen Tausende von Rindern, Schafen und Pferden den ganzen Winter hindurch wild herum und finden im Freien ihre Nahrung. ‘‘ Das Wasser kann aus dem Aequatorialkessel von Guinea nicht nach Norden entweichen — die Uferlinie erlaubt dies nicht. Es muss also nach Süden abströmen, so wie das vom Kap St. Roque nach Norden und es bringt auf diese Weise nach Patagonien und den Falklandsinseln über den 50. Grad südlicher Breite hinaus das Winterklima von Charleston in Süd-Carolina auf der amerikani- schen Seite des nördlichen atlantischen Oceans oder das der ,,Sma- ragdinsel‘‘ auf der andern. Alle Geographen und Naturforscher haben die Uebereinstim- mung in den Contouren der amerikanischen und afrikanischen Küsten unter dem Aequator bemerkt. Zwar können wir den Grund nicht angeben, warum bei St. Roque und im Busen von Guinea die gegenüberliegenden Küsten des atlantischen Meeres so eigen- thümlich hervor und zurückspringen, wir können nur durch Hypo- thesen diese Gestaltung zu erklären suchen; wozu sie aber unter Anderem gewiss dienen soll, ist im Vorstehenden ausser allen Zwei- fel gestellt. Wir sehen, dass durch diese Küstenformation zwei Cisternen im Ocean gebildet sind, welche, die Wärme nach ent- gegengesetzten Richtungen verbreitend, West- Europa und Ost- Patagonien unter einen sehr gemässigten Himmelsstrich versetzen. 230 Die physische Geographie des Meeres. Wir erkennen voll Bewunderung und Verehrung des weisen Wel- tenordners, dass das Klima der einen Hemisphäre von der Curve abhängt, gegen welche in der andern die Wogen des Oceans an- spülen. Es giebt durchaus nichts im kosmischen Leben, was nicht seine Bedeutung und seine Beziehung zum Weltganzen hätte; so hat denn auch keine Küstenlinie eine zufällige, sondern stets eine gewissen Zwecken angepasste Formation. Der März ist auf der südlichen Halbkugel bekanntlich der erste Herbstmonat; demgemiiss sollten wir erwarten, im südatlan- tischen Meere ein ebenso grosses Wasserareal von 80 und mehr Graden im März zu finden, wie wir ihm im nordatlantischen Ocean im September begegnen. Was finden wir aber? Die Fläche, die dieses warme Wasser einnimmt, ist diesseits des Aequators fast noch einmal so gross als die jenseitige. So sehen wir auch die See eine Thatsache bezeugen, welche die Winde schon verkündigt hat- ten, nämlich, dass der Sommer nördlich vom Aequator wärmer ist, als im Süden, denn die Strahlen der Sonne erwärmen auf dieser Seite des Aequators ein doppelt so grosses Stück der Meeresober- fläche bis zu einer bestimmten Temperatur, als auf jener; wenig- stens auf dem atlantischen Ocean ist dies der Fall. Vielleicht macht die Breite des stillen Oceans, der Mangel an grossen Inseln in den Gegenden der nördlichen gemässigten Zone, die Lage Neu- Hol- lands und Polynesiens dort einen Unterschied; doch davon kann ich für jetzt noch nicht sprechen, denn zu Thermenkarten jenes Oceans liegt bis jetzt nur einiges Material vor, was der Vervollstän- digung und systematischen Ordnung bedarf. Indem wir in unsern Untersuchungen über die Klimate der See fortfahren, wenden wir uns zur VI. Tafel. Hier sehen wir auf einen Blick, wie die kalten Gewässer, indem sie durch die Davis- Strasse von dem arktischen Meere herabkommen, auf die warmen Wasser des Golfstroms drücken und ihren Kanal zu einem Huf- eisen krtimmen. Die Seefahrer haben sich oft über den bedeuten- den und plötzlichen Wechsel in der Temperatur des Wassers in diesen Gegenden verwundert. Man hat während der Fahrt eines einzigen Tages in diesem Theile des Oceans im Wasser öfters Tem- peraturwechsel von 15 und 20, ja sogar von 30 Graden (Fahr.) (etwa 7—13° Re.) bemerkt. Die Erscheinung kam den Seefahrern lange seltsam und unerklärlich vor; jetzt liegt die Ursache klar zu Tage. Diese ,, Biegung‘‘ ist der Sammelplatz für die von Norden her treibenden Eisberge; oft bedeckt sie eine Fläche, die sich Hunderte vu ze ee een Die klimatischen Verhältnisse des Oceans. 931 von Meilen hinstreckt, und ihre Wasser zeigen die erwähnte be- deutende Temperaturabnahme. Die Gestalt und der Platz dieser Biegung sind veränderlich. Bisweilen gleicht sie einer Halbinsel oder Landzunge kalten Wassers, die weit in die Gewässer des Golf- stroms hinabragt. Bisweilen liegt der Meridian, unter welchem sie sich in jenen Strom einfügt, östlich vom 40., bisweilen westlich vom 50. Grad der Länge. Durch die Entdeckung dieser kalten Stelle im Ocean haben wir zugleich die Naturkraft ihrem Wesen nach enthüllt, welche die dichten neufundländischen Nebel erzeugt. Wenigstens von 3 Seiten ist diese sich oft über Tausende von OMeilen hinstreckende Schicht kalten Wassers von einer unge- heuren Masse warmen Wassers umschlossen. Sollte nicht die grosse Nähe dieser z. B. ungleich erwärmten Wasserflächen ähn- liche atmosphärische Phänomene erzeugen, wie die Land- und See- winde? Jede warme Meeresströmung ist ein mächtiges meteorolo- gisches Agens. Ich habe Gelegenheit gefunden, den Einfluss des Golfstroms in der östlichen Hälfte des atlantischen Meeres bis zum 55° NB. zu verfolgen, und zwar unter Blitz und Donner; denn Gewitter sind selbst mitten im Winter dort nichts Ungewöhn- liches. Diese Isothermen von 50°, 60°, 70°, 80° u. s. w. mögen uns über die Art und Weise, wie die Klimate des Oceans geregelt sind, belehren. Wie bei der Sonne in der Ekliptik wechselt ihre Decli- nation fortwährend und nach ihnen bestimmen sich die Jahreszei- ten für die Bewohner der Tiefe. Es bedarf wohl kaum einer besondern Erwähnung, dass die Gränzlinien zwischen den kalten und warmen Gewässern oder, um einen noch eigentlichern Ausdruck zu wählen, zwischen den Ka- nälen, welche die grosse polare und äquatoriale Fluth und Gegen- fluth bezeichnen, von der Natur nicht so scharf und bestimmt ge- zogen werden, wie auf Tafel VI. Erstens stellt die Tafel die mitt- lern Schranken dieser constanten Fluthungen dar, während sich mit jedem Winde, welcher weht, bei jedem Wechsel der Jahres- zeit die Linie, wo diese verschiedenen Gewässer zusammenstossen, ändert. Ferner ist diese Gränzlinie aus freier Hand auf der Tafel gezogen, um dadurch ihre Umrisse im Mittel anzugeben. Wir haben aber allen Grund zu glauben, dass diese Linie in der Natur variabel und unbeständig ist und dass sie oft sehr ausgezackte und vielfach gegliederte Formen zeigt. Auf der See ist die Linie, in der sich Gewässer von verschiedenen Temperaturen und Dichtig- 232 Die physische Geographie des Meeres. keiten begegnen, im Grossen dasselbe, was die Naht an einem Schädel im Kleinen ist; aber auf der Karte ist es eine viel einfa- cher gekriimmte Linie, welche die allgemeine Richtung und Stel- lung der Seekanäle angiebt, durch welche die polare und äqua- toriale Circulation vor sich geht. Wir ersehen endlich aus Tafel IV., dass die dort gezogenen thermalen Linien von der westlichen Seite des atlantischen Oceans nach Osten zu in einer nordéstlichen Richtung laufen und dass sie bei ihrer Annäherung an die Küsten dieses Oceans nach Osten zu sich wieder zu niedrigern Breitengraden und wärmern Himmels- strichen umwenden. Diese Eigenthümlichkeiten ihrer Umrisse zeigt noch bestimmter als irgend eine direkte Beobachtung der Strö- mungen an, dass längs der afrikanischen Gestade im nördlichen atlantischen Ocean kältere Gewässer vorhanden sind. Es ist das- selbe Wasser, welches im Kessel bei St. Roque, im caribischen Meere und Golf von Mexiko erhitzt nach Norden lief, um mit sei-. ner Wärme und Electricität das dortige Klima zu mildern und zu regeln, und welches, nachdem es bei Verrichtung dieses Dienstes sich abgekühlt, noch immer gehorsam der allmächtigen' Stimme, welcher die Winde und Wogen folgen, jetzt durch diesen Kanal längs der afrikanischen Küste zurückströmt, um sich von neuem mit Wärme zu füllen und seinen wohlthätigen Kreislauf wieder zu beginnen. Ueber die Driftströmungen der See. 233 Fünfzehntes Kapitel. Ueber die Driftströmungen der See. *) Gegenstand der VI. Tafel. — Der Ostrand des Golfstroms ist bisweilen erkennbar. — Die po- lare Driftstrémung um das Kap Hoorn. — Wie die Polargewässer in den südlichen atlantischen Ocean hineintreiben und die äquatorialen zur Seite drängen. — Ein Streifen des Golfstroms, eine Herberge für Eisberge. — Warum im nördlichen stillen Ocean keine Eisberge angetroffen werden. — Der fruchtbare Schooss der See. — Driftstrémung warmer Gewässer aus dem indi- schen Ocean. — Eine Vermuthung des Lieutenant Jansen, von der holländischen Flotte. — Eine 1600 Meilen lange Strömung warmen Wassers. — Der Pulsschlag des Meeres. — Wie der Golfstrom im Takte pulsirt. — Vergleich der Circulation des Meeres mit der des Blutes. — Die Fische. Zahl der auf der See mit Fischerei beschäftigten Schiffe. — Die Spermaceti- Wallfische lieben das warme Wasser. — Der gemeine Wallfisch überschreitet nie die Gränzen der kalten und gemiissigten Zone. Es giebt eine Bewegung in den Gewässern des Oceans, welche dieselben zwar von der Stelle bringt, die sich aber doch nicht zu so merklicher Geschwindigkeit erhebt, wie die von dem Seemann eigentlich so genannten Strömungen (currents). Die nautischen In- strumente und die Schiffkunde überhaupt ist noch nicht zu dem Grade der Vollkommenheit gelangt, dass die Seefahrer jenes Flu- then, welches das Treiben des Eises, Holzes u. s. w. veranlasst, als eine Strömung bemerken und anerkennen können. Denkt man sich irgend ein Object den Wellen am Aequator zum Spiel überlassen, und nimmt man an, dass dasselbe nur dem Einfluss des Seewassers und nicht dem der Winde gehorche, so würde es im Laufe der Zeit wohl seinen Weg bis an die Eismauern des Poles fortsetzen und endlich zu den lauwarmen Gewässern der Linie zurückkehren. Durch die Bewegung eines solchen Objectes würden wir aber über die Driftströmungen der See und zugleich über die Strasse aufgeklärt werden, welcher die Gewässer der Ober- fläche in ihren grossen zwischen dem Aequator und Polen hin- und hergehenden Circulationskanälen folgen. Ich habe mir daher bei der Entwerfung der VI. Tafel die Auf- gabe gestellt, die Circulation des Oceans, so weit es meine Unter- *) Drift wird von Maury, wie schon von Rennell u. And. durchaus von Current unterschieden. Eine Driftströmung ist nach Rennell blos der Effect des Windes auf die Wasseroberfläche, während ein Current meist ganz unabhängig yon Wind, wie ein ungeheurer Fluss, seinen Weg durch den Ocean fortsetzt. Man wird bemerken, dass Maury die Driftsrömung noch etwas anders auffasst, indem er besonders auf die Geschwindigkeit Rücksicht nimmt. (D. Ueb). 234 Die physische Geographie des Meeres. suchungen gegenwärtig gestatten, in ihrer Abhängigkeit von der Wärme und Kälte darzustellen, die Strassen anzugeben, auf wel- chen die übermässig erwärmten Gewässer der heissen Zone auf der einen oder der andern Seite nach kältern Regionen ziehen und die grossen Kanäle aufzufinden, durch welche dieselben Gewässer, nachdem sie ihrer Wärme in den gemässigten oder Polarzonen be- raubt worden sind, wieder nach dem Aequator zurückkehren; da- bei wurde angenommen, dass das Seewasser von den Polen her treibt oder fluthet, wenn die Temperatur der Oberfläche unter, und von den Aequatorialgegenden her, wenn dieselbe über derjenigen steht, welche den entsprechenden Breiten zukommt. Desshalb blieben auch in einer Zeichnung, wie diese, die zahlreichen lokalen Strö- mungen, Springfluthen u. s. w. unbeachtet. Von allen Meeresströmungen ist der Golfstrom die am besten begränzte; seine Gränzen, besonders die des linken Ufers, sind stets scharf gezeichnet und der Regel nach sind die des rechten bis zu dem Parallel des 53. Breitengrades auch wohl zu bestimmen, indem sie sogar oft sich mit dem Auge erkennen lassen. Während ich dies schreibe, kommt mir das Logbuch des Schiffes ,, Herculean ‘‘ (William M. Chamberlain), das im Mai 1854 von Callao (in Peru) nach Hampton Roads segelte, zu. Zu dem 11. jenes Monats, da es sich unter 33° 39° NBr. und 74° 56° WL. (ungefähr 130 Meilen östlich vom Cap Fear) befand, bemerkt der Capitan : ‚‚Mässige Briesen, die See glatt, das Wetter schön. Um 10" 50” fuhren wir in den südlichen (rechten) Rand des Stromes ein; die Wassertemperatur stieg in S" um 6°; der Rand des Stromes war, so weit das Auge reichte, an den sich kräuselnden Wellen und grossen Massen von Golftang — mehr als ich je zuvor beisam- men sah, obgleich ich in den letzten 20 Jahren dieselbe Strasse viel- mals befahren habe — kenntlich.“ In meiner Zeichnung habe ich es für unnütz gehalten eine Darstellung irgend welcher Strömungen zu versuchen, die bald hier- hin, bald dorthin fliessen und oft von Seefahrern gar nicht bemerkt werden; zu diesen gehören z. B. die Rennell-Strémung im nörd- lichen, die ,,verkniipfende (connecting) Strömung‘ im südlichen atlantischen Ocean, ,,Mentor’s Gegendrift‘‘ (Counter Drift), Ros- sel’s Driftströmung im südlichen stillen Ocean, u. s. w. Indem ich aus den Logbüchern Daten für diese Karte zusam- mensuchte, bin ich den Schiffen mit ihren Wasserthermometeran- gaben quer über den Ocean gefolgt und habe nur diese zu meinem | oe Ueber die Driftstromungen der See. 935 Führer gewählt, ohne auf die Berichte über Strömungsrichtungen Rücksicht zu nehmen. Wenn in irgend einer Breite die Temperatur des Wassers für dieselbe zu hoch oder zu niedrig erschien, so wurde daraus geschlossen, dass solches Wasser unter anderen Breiten sich erwärmt oder abgekühlt hatte und dass es zu der Stelle, wo man es fand, durch die grossen Circulationskanäle des Oceans gelangt war. War es zu warm, so musste es seine Temperatur in niedri- gern Breiten erhalten haben und durch eine Strömung aus Aequa- torialgegenden gekommen sein, und umgekehrt; die Pfeilzacken zei- gen nach der Richtung hin, in welcher die Gewässer, der Annahme. nach, fliessen. Die Geschwindigkeit ist nach den besten Quellen, welche ich benutzen konnte, im Mittel ungefähr vier Knoten täg- lich — eher weniger, als mehr. Nachdem sich die ungeheure Wassermasse in den antarkti- schen Gegenden abgekühlt hat, fängt sie an, nach Norden zu fliessen. Wie dies die Pfeilspitzen angeben, strömt sie auf das Cap Hoorn los und wird hier von dem Continent getheilt, so dass eine Strömung sich als v. Humboldt’s Strömung an der Westküste hin- zieht und die andere, in den südlichen atlantischen Ocean ein- tretend, im den Meerbusen von Guinea an der afrikanischen Küste fliesst. Während sich nun die Gewässer dieser Polarfluth der heissen Zone nähern, werden sie wärmer uud wärmer und nehmen zuletzt selbst eine tropische Temperatur an. Sie bleiben aber, wie man wohl annehmen kann, dann nicht plötzlich still stehen , sondern setzen im Gegentheil ihre Bewegung fort; denn dieselbe Ursache, welche sie aus den Regionen der südlichen gemässigten und kalten Zone hierher führte, wirkt nun dahin, dass sie wieder zurück strömen. Diese Ursache liegt in der Differenz der specifischen Schwere an den zwei Stellen. Wenn sie beim Beginn ihrer Strömung aus den hyperboreischen Gegenden z. B. eine Temperatur von 30° hatten, so entspricht auch ihre specifische Schwere diesen 30 Graden ; eben- so, wenn sie nach ihrer Ankunft im Golf von Guinea oder der Bai von Panama vielleicht bis zu 80 oder selbst 85° (c. 231," Re.) er- wärmt worden sind, und natürlich muss nun das gestörte Gleich- gewicht durch eine Gegenströmung wieder hergestellt werden. Hieraus wird man ersehen, dass die Wassermassen , welche man als kalte bezeichnet, nicht immer wirklich kalte sind ; sie wer- den allmählig erwärmt; denn indem sie langsam von den Polen dem Aequator zuströmen , nehmen sie an der Temperatur der Brei- ten Theil, durch welche sie fliessen. 236° Die physische Geographie des Meeres. Die Tafel VI soll also nur zu allgemeinen Ideen anregen; sie ist aber dennoch lehrreich. Man bemerke, wie das Einströmen kal- ten Wassers in den südlichen atlantischen Ocean das warme Was- ser zu spalten und längs der Küsten Südafrikas und Brasiliens seitwärts hinaus zu drängen scheint. Ebenso nöthigt auch im nörd- lichen indischen Ocean das kalte Wasser das warme, seitwärts am Lande hin und gelegentlich auch mitten hindurch zu entweichen. Im nördlichen atlantischen und nördlichen stillen Meere scheint im Gegentheil das warme Wasser das kalte zu spalten und seitwärts längs des Landes hinauszudrängen. Die Einwirkung der aus der Baffinsbai hervorbrechenden kalten Strömung auf den Golfstrom ist wirklich überraschend. Wie kommt es aber, dass diese polaren und äquatorialen Ge- wässer bald zu spalten, bald von andern gespaltet zu werden schei- nen? Der Golfstrom hat uns eine Thatsache enthüllt, in welcher die Antwort involvirt ist. Wir lernen an demselben, dass sich kal- tes und warmes Seewasser gewissermassen wie Oel und Weinessig verhält; dass zwischen den Partikeln stark erwärmten und sehr kalten Seewassers sich eine gewisse Repulsionskraft entwickelt, die der freien Vermischung entgegenwirkt. Jedenfalls ist es be- kannt, dass Salzwasser von verschiedener Temperatur sich nicht leicht vermischt. Derselbe Widerstand dürfte, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, in den Massen warmen und kalten Wassers, wie sie die Tafel zeigt, wirksam sein. Das Volumen warmen Was- sers im nördlichen atlantischen Ocean ist grösser als das des kal- ten Wassers, welches ihm entgegentritt; demzufolge wirft das warme das kalte bei Seite, indem es dasselbe zertheilt, und nöthigt dasselbe auszuweichen. Dasselbe wiederholt sich im nördlichen stillen Ocean, während das Gegentheil im südlichen atlantischen Meere stattfindet. Hier tritt die grosse Polarfluth, nachdem sie von dem amerikanischen Continent zertheilt worden, in den atlan- tischen Ocean ein und scheint, nachdem sie fast den gesammten Raum zwischen Südamerika und Afrika erfüllt hat, die warmen Gewässer der Wendekreise auf die Seite zu drängen und sie zu nöthigen, an beiden Seiten längs der Küste hinzutreiben. Eine andere Eigenthümlichkeit der See, die in dieser Tafel einen Ausdruck. findet, ist eine Art zurückwerfender oder beugen- der Kraft, welche die Küstenlinien, in Bezug auf die Temperatur des Meeres zeigen. Dies tritt besonders stark im nördlichen stillen Meere und im indischen Ocean hervor. Das merkwürdige Ein- N Ueber die Driftströmungen der See. 237 dringen kalten Wassers in die Massen des warmen, wie man es südlich von den Aleuten beobachtet, ist dem der kalten, von der Davisstrasse aus in den atlantischen Ocean einfliessenden und ge- gen den Golfstrom andringenden, Strömungen nicht unähnlich. Während ich dies schreibe, erhalte ich von Kapitän N. B. Grant den Logbuchauszug des amerikanischen Schiffes Lady Arbella (Ara- bella’), das im Mai 1854 von Hamburg nach New-York gefahren war. In dem es durch dieses ,,Hufeisen‘‘ oder diese Biegung des Stromes kam, fuhr es von Tagesanbruch bis Mittag bei 24 grossen Eisbergen — die kleinern nicht mitgerechnet — vorbei, ,,indem der ganze Ocean, so weit das Auge reichen konnte, buchstäblich mit ihnen besäet war.‘‘ ,,Die Höhe derselben über dem Meeresspiegel, fährt er fort, möchte ich durchschnittlich auf 60 Fuss schätzen; 5 bis 6 von ihnen waren wenigstens zweimal so hoch und boten mit ihren in phantastischen Zacken emporragenden Eisgipfeln einen wahrhaft erhabenen Anblick dar.‘‘ Dieses ,, Hufeisen‘‘ kalten Wassers, das sich in die warme Fluth des nördlichen stillen Meeres hineinschiebt, kann, obschon es sich noch 5° weiter nach Süden erstreckt, unmöglich die eigent- liche Heimath solcher Eisberge sein. Die des atlantischen Meeres mögen im nördlichen Eismeere entstanden und von dort durch die Baffinsbai hindurchgeschwommen sein. Aber für den stillen Ocean giebt es keine solche Erzeugungsstätte. Das Wasser in der Beh- ringsstrasse ist zu seicht, als dass sie aus dem Eismeere gleichsam über diese Schwelle in den stillen Ocean gelangen könnten und das Klima des russischen Amerika ist der Bildung grosser Eisberge kei- neswegs günstig. Aber obgleich wir im Norden des stillen Oceans die physischen Bedingungen, unter welchen Eisberge wie die des atlantischen entstehen können, nicht antrafen, fanden wir doch häufige Nebel. Die Linie, welche die kalten Gewässer vun den warmen scheidet, erfüllt bekanntlich alle zur Entstehung dieser dichten Nebel nothwendigen Bedingungen. Welche grossartigen Gedanken der allgütigen Vorsehung sahen wir in den ungeheuren Massen warmen Wassers, das in der Mitte des stillen und indischen Oceans angesammelt ist, verkörpert. Hier dehnt sich der fruchtbare Schooss der See. In ihm wurden unzäh- lige Coralleninseln gebildet und Perlen ,,in grossen Haufen‘“ ge- formt. Schaaren lebender Wesen, an Menge zahllos, in ihrer Man- nigfaltigkeit unendlich, werden dort stündlich empfangen. Seine lauen Gewässer, die vier Continente zu umfassen vermögen und « 238 Die physische Geographie des Meeres. noch Raum iibrig behalten, strotzen von werdenden Organismen.*) Sie schwärmen dort bisweilen so dicht, dass sie die Farbe des Mee- res verändern, indem sie dieselbe nach ihrer eigenen Färbung in Hochroth, Braun, Schwarz oder Weiss verwandeln. Diese Striche gefärbten Wassers dehnen sich, besonders im indischen Ocean, bis- weilen so weit aus, als das Auge reichen kann. Die Frage nach ihrer Entstehung hat in den wissenschaftlichen Kreisen der See- fahrer schon viele Debatten verursacht. Auch die Brüsseler Con- ferenz erklärte sie für einen beachtenswerthen Gegenstand und rieth dringend zu speciellen Beobachtungen an. **) Die besprochenen Färbungen werden ohne Zweifel von orga- nischen Wesen im Meere veranlasst; ob diese aber animalischer oder vegetabilischer Natur oder bisweilen das eine und das andere, ob sie eine Art von Pflanzenthieren sind, — Alles dies ist noch nicht genügend aufgehellt. Eine Menge schlammigen, rothfärbenden Stoffes wird in gewissen Zeiten des Jahres an die Küsten des rothen Meeres angespült. Dr. Ehrenberg hat denselben unter dem Mi- kroskop untersucht und erklärt ihn für eine äusserst feine Art See- gras. Nach ihm erhielt das ganze Meer seinen Namen. Ebenso ver- hältes sich mit dem gelben Meere. Längs der chinesischen Küsten sollen gelblich gefärbte Flecken nicht ungewöhnlich sein. Ich kenne jedoch noch keine Untersuchung dieses Färbestoffes. Im stillen Ocean habe ich diese Färbungen der Seeoberfläche oft beobachtet. Man trifft dort sehr häufig rothe Flecken Wassers, aber ich habe auch weissliche und milchige Entfärbungen beobachtet, welche in der Nacht die Schiffer sehr zu alarmiren pflegen, da sie dieselben für Sandbänke halten. Diese dichtbevölkerten Gewässer führen durch verschiedene *) „„Hier ist das Reich der Riffe bildenden Korallen und der wunderbar prächtigen Versammlung von Thieren, mit oder ohne Wirbelbein, die unter oder von ihnen leben, die glänzendsten Farbencontraste entfalten sich hier in scharfbegränzten Gruppen. Hier ist der Sitz der ausgedehntesten Entwicklung der Thiergeschlechter des Meeres, der überdies mit allen anderen Regionen nur wenige Beziehungen der Identität zeigt. Das rothe Meer und der persi- sche Golf sind seine Sprésslinge.‘‘ Aus Prof. Forbes’ Abhandlung über die Ver- theilung des oceanischen Lebens. 31. Tafel in Johnston’s physikalischem Atlas, 2. Ausg. Wm Blackwood & Sons, Edinb. and London, 1854. **) Ueber die Färbung des Meerwassers vergleiche man noch Berghaus a.a. O. Kap. 11. 8. 428. Besonders merkwürdig ist z. B. auch das Mar de Bermejo (Purpurmeer) im Meerbusen von Californien, ferner die schmutzig olivengrü- nen, gegen das sie umgebende blaue Wasser abstechenden Streifen, die Scoresby zwischen 74 und 80° NB, im grönländischen Meere beobachtet hat. —— ee Ueber die Driftströmungen der See. 239 Kanäle ihre übermässige Wärme dem Norden zu und verstreuen sie unter die antarktischen Eisberge. Man beachte in dieser Bezie- hung die ungeheure Aequatorialfluth östlich von Neu-Holland. Sie geht auf die Eisfelder jenes unbekannten Meeres zu, um das dortige Klima zu mildern, sich abzukühlen und bei ihrer Rückkehr, ent- weder als Humboldt’s Strömung oder als der eistragende Strom, welcher um Cap Hoorn herum in das atlantische Meer eintritt und wieder zu warmem Wasser wird, wenn er in den Golf von Mexiko eingedrungen, Menschen und Thiere zu erfrischen. Dieser grossen, von den Korallengegenden herströmenden Südfluth hatte es der Kapitän Ross zu verdanken, dass er auf seiner Fahrt in das antark- tische Meer so bedeutend weiter, als Kapitän Wilkes, nach Süden vordringen konnte, und wenn man je einmal dieses Meer durch- kreuzen sollte, so wird dies nur auf dieser warmen Strömung mög- lich sein. Der nördliche stille Ocean gestattet, die enge Passage zwischen Asien und Amerika abgerechnet, diesen warmen Gewäs- sern keinen Ausweg in das arktische Meer; desto leichter können sie nach Süden abfliessen. Sie gelangen in die antarktischen Re- gionen, um dort ihre Wärme abzusetzen und sich abzukühlen ; die Kälte des antarktischen Meeres mag, wie man daraus schliessen kann, nicht durchweg so streng sein, wie das Kältemaximum des nördlichen Eismeeres. Die warme, aus der Mitte des indischen Oceans nach Süden fluthende Strömung ist ebenfallsmerkwürdig. In den mir übersandten Logbüchern finde ich Meergras erwähnt, das bis zum 45.° S. Br. durch diese Strömung hinabgeführt worden sein mag. Dort ist sie im Allgemeinen, aber nicht immer, ungefähr 5° wärmer als der Ocean unter demselben Parallelkreise zu ihren beiden Seiten. Die unerwartetste Entdeckung aber ist die der warmen Flu- thung längs der Westküste Südafrikas, ihrer Vereinigung mit der Lagullas - Strömung, die höher hinauf die Mozambique - Strömung heisst, und danach des gemeinschaftlichen Laufes beider nach Süden. Die vorherrschende Meinung pflegte die zu sein, dass der Lagullas- Strom, welcher sich im erythräischen Meere bildet, das Cap der Guten Hoffnung umfliesst und sich dann mit dem grossen Aequa- torialstrom des atlantischen Meeres vereint, um den Golfstrom mit Wasser zu versorgen. Aber mein trefflicher Freund, der holländi- sche Flottenlieutenant Marin Jansen, hat mir vor einigen Monaten Mittheilungen gemacht, die diese Annahme unwahrscheinlich er- scheinen lassen. Dies veranlasste eine specielle Untersuchung, und 240 Die physische Geographie des Meeres. ich fand seine Andeutungen bestätigt und habe diese Resultate auf Tafel VI zusammengestellt. Der Kapitän N. B. Grant fand, dem ausgezeichnet gut gehaltenen Logbuch seiner Reise von New-York nach Australien gemäss, diese Strömung sehr merklich entwickelt. Er war über die Temperatur ihrer Gewässer erstaunt und wusste für eine solche Masse warmen Wassers keine Erklärung zu geben. Unter 14° östl. Länge und 39° S. Br. schreibt er in seiner Log- buchtabelle: ,,Dass eine Strömung quer durch den südatlantischen und den indischen Ocean gen Osten geht, geben, wie ich glaube, alle See- fahrer zu. In den vorherrschend westlichen Winden scheint für das Dasein einer solchen Strömung eine genügende Ursache zu lie- gen, und der fast constante Wellengang aus Südwest pflegt ihr na- türlich eine etwas nördliche Richtung zu geben. Warum aber das Wasser hier (38° 40° 8. Br.) wärmer sein sollte als zwischen den Parallelen von 35 und 37° südlicher Breite, das ist ein Problem, welches meiner Meinung nach keine so leichte Lösung zulässt, be- sonders wenn meine Vermuthungen in Bezug auf eine nördliche Richtung sich bestätigen sollten. Ich bin auf eine Beschreibung der ,,Strémungen“ in diesem Theile des Oceans sehr gespannt.“ Unter 38° S. Br. und 6° östl. Länge fand er die Wassertem- peratur — 56° (+ 10%’ Re.). Sein Curs ging von da fast östlich, nur ein wenig nach Süden, nach dem Meridian von 41° östl. Länge, wo derselbe vom 42. Grad S. Br. geschnitten wird. Hier stand das Wasserthermometer auf 50° (+ 8° Ré.); aber zwischen diesen bei- den Punkten war es bis auf 60° und darüber gestiegen, ja unter dem 39. Grad S. Br. stand es sogar auf 73° (über 18° Ré.). Hier also war ein Strom, ein mächtiger ,,luss im Ocean‘“ — 1600 Mei- len im Querschnitt von Ost gen West — dessen Wasser in der Mitte 23° (über 10° Ré.) wärmer war, als an den Seiten. Das ist in der That ein an den Golfstrom erinnernder Contrast. Welche ungeheure Menge von Wärme wird so dem indischen Meere entführt ! Welche Massen warmen Wassers fliessen in die Eisregionen des Südens! Dieser Strom ist übrigens nicht immer so warm und so breit, wie ihn Kapitän Grant beobachtete. Seine Contouren dürf- ten sich im Mittel so zeichnen, wie sie auf der Tafel VI darge- stellt sind. Wir erkennen in dem Volumen erwärmten Wassers, nach dem, was Kapitän Grant, ein genauer und sorgfältiger Beobachter, darüber berichtet, ein Beispiel jener Art krampf- und fieberhafter Anstren- Ueber die Driftströmungen der See. 241 ¥ gungen, zu welchen die See, indem sie ohne Rast und Ruhe ihre Aufgabe erfüllt, zuweilen ihre Thätigkeit potenzirt. Durch irgend welche Umstände scheint das Gleichgewicht dieser oceanischen Ge- wässer, während sie Kapitän Grant im December — dem südlichen Sommer — 1852 durchschiffte, in ungewöhnlicher Ausdehnung ge- stört worden zu sein; daher rührte dann dieses gewaltige Drängen der überwarmen Gewässer aus dem grossen Kessel der beiden tro- pischen Meere gegen den Süden. Solche Beispiele von grossen, in unbestimmten Perioden erfol- genden Erschütterungen — die durch plötzliche Anstrengungen und auffallende Bewegungen in der Vollführung der verschiedensten Verrichtungen gleichsam die versäumte Zeit einzuholen suchen, sind nicht selten, und man hat sie nicht unpassend mit Krämpfen verglichen. Das plötzliche Zerreissen des Eises, wovon die Polar- reisenden erzählen, die ungeheuren Eisberge, welche gelegentlich in der Nähe gewisser Breiten in ganzen Gruppen erscheinen , der veränderliche Charakter aller Meeresströmungen — sowohl ihren Bahnen als ihrer Geschwindigkeit nach — können als ebenso viele Symptome jener Erderschütterungen angesehen werden, welche im Schoosse des Oceans vor sich gehen. Bisweilen weicht die See von den Gestaden zurück, als wolle sie Kräfte sammeln zu einem ge- waltigen Stoss gegen ihre Schranken. So trat sie zurück, verband ihre Schrecken mit denen des Erdbebens und überschwemmte Callao 1746 und auf ähnliche Weise 9 Jahr später Lissabon. Die Fluth- wellen (fide-rips) mitten im Ocean, die Brandung an den Küsten, die Ebbe und Fluth selbst können in gewisser Beziehung das Po- chen des grossen Meerespulses genannt werden. Der Golfstrom erscheint so als eine grosse Pulsader des Oceans und dies Pulsiren hört man auch in dem Heulen des Sturms und in dem Pfeifen des Windes; die Nadel zittert unaufhörlich dabei und erzählt uns von magnetischen Stürmen, die sich zu Zeiten über grosse Theile der Erdoberfläche erstrecken; befragen wir dann jene äusserst empfind- lichen Anemometer, welche der Erfindungsgeist der Neuzeit den Meteorologen in die Hand gegeben hat, so finden wir, dass der Puls der Atmosphäre niemals still steht; wo wir vollkommene Ruhe wahrzunehmen glauben, auch da ist lebhafter Pulsschlag und un- sere Feder vermag ihn aufzuzeichnen. Wenn es nun erlaubt ist, auf den Golfstrom und die warmen, aus dem indischen Ocean hervorbrechenden Wasserfluthen ein den Funktionen des Herzens als Blutbewegers entlehntes Bild anzu- Maury, phys. Geogr. d. Meeres. 16 242 Die physische Geographie des Meeres. wenden, so kommen wir zu der Vermuthung, dass die Pulsschläge solcher grossen ,,Meeresherzen‘‘ die Circulation der oceanischen Gewässer durch alle die unzähligen Venen und Arterien, die sich zwischen dem Aequator und Pol ausbreiten, befördern mögen. Die Gewässer des Golfstroms, welche sich als eine einzige Masse durch so weite Strecken des Oceans fortbewegen und für das kalte Wasser auf beiden Seiten — das die Ufer dieses mächtigen Stromes bildet — fast undurchdringlich sind, können mit einem muldenförmigen Kissen verglichen werden, das zwischen zwei Wasserböschungen liegt. Wird nun das Gleichgewicht der See durch Abkühlung oder Erwärmung des Wassers auf einer Seite des Stroms gestört, so kön- nen wir es uns wohl möglich denken, wie der ganze Wasserkörper des Stroms bald nach Süd und bald wieder nach Nord gedrängt werden kann. Könnte nicht die Geschwindigkeit des Golfstroms selbst mit ein Resultat dieses Hin- und Herdrängens und Drehens, dieser peristaltischen Kraft der See sein? Indem wir jene Idee eines Pulsirens der See und der Einwir- kung dieser Pulsschläge auf die Circulation des Wassers weiter verfolgen, richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die zwei Flächen (lobes) polarischer Gewässer, welche sich von Süden her in den in- dischen Ocean hmeinstrecken und durch eine schwache Fluth tro- pischer Gewässer getrennt sind. Man begegnet in diesen Polarge- wässern bisweilen schon unter dem 40. Grad 8. Br. Eisbergen. Beachtet man nun, dass diese tropische Fluth mitten im Ocean nicht constant ist — dass viele Seefahrer die auf den Karten für dieselbe angegebene Bahn durchkreuzen, ohne dass ihr Thermometer eine Wärmezunahme um nur einen Grad anzeigt, und erwägt man, dass irgend ein ungewöhnliches Fluthen der polarischen Gewässer , ir- gend ein plötzliches und umfangreiches Aufbrechen des dortigen Eises, das ein Hervorströmen kalten Wassers veranlasst, eine solche Wirkung haben kann, dass sich dieser mitten durch den Ocean aus den Tropengegenden führende Kanal zeitweilig schliesst, so ist man wohl zu der Folgerung berechtigt, dass zu Zeiten in diesem Ocean eine Art von Kampf zwischen seinen polaren und äquatorialen Wasserfluthen stattfindet. Es drängen z. B. grosse Wassermassen von den Polargegenden gegen den Acquator zu. Die beiden er- wähnten Flächen vereinigen sich und schneiden der sonst zwischen ihnen hinströmenden äquatorialen Fluth den Weg ab. So wird der indische Ocean mit Polarwasser überfüllt und die starkerwärmten Gewässer, welche er enthält, werden hinausgedrängt; so entsteht Ueber die Driftströmungen der See. 243 die Aequatorialfluth, welcher der Kapitän Grant begegnete. Dem- nach verhält sich diese Oeffnung zwischen den beiden Kaltwasser- seen in ihrer Verbindung mit den warmen Strömen des indischen Oceans etwa wie die Klappen und Kammern am menschlichen Herzen, die den Blutumlauf erzeugen. Wenn sich die beiden Kalt- wasserflächen bisweilen vereinigen, so wird dadurch das Wieder- ausströmen der warmen Gewässer verhindert und dieselben werden durch die ihnen bestimmten Kanäle getrieben. Wie viele neue Schönheiten entdecken wir von diesem Ge- sichtspunkte aus im Mechanismus des Oceans! Sein grosses Herz schlägt und nach seinen Pulsschlägen richten sich nicht nur die Jahreszeiten, sondern auch Wind und Regen, Gewölk und Sonnen- schein. Wenige haben sich je die Mühe genommen auszurechnen, in wie weit der Niederschlag einer Regenmenge von nur einem Zoll oder eine Abänderung der Temperatur um wenigeGrade, wenn beides auf einem Areal von einigen tausend Quadratmeilen der See- oberfläche stattfindet, das oceanische Gleichgewicht zu stören und also gleichsam ein Klopfen der Pulse in der See hervorzubringen vermöchte. Nur ein Beispiel zur Erläuterung! Der atlantische Ocean hat eine Oberfläche von ungefähr 25 Millionen Quadratmei- len. Man nehme ein Fünftel dieses Areals und lasse auf diese Fläche einen Zoll hoch Regen fallen. Diese Wassermasse würde 360000 Millionen Tonnen oder etwa zweimal soviel wiegen, als alle Schiffe der Welt an Fracht tragen könnten. Mag nun diese Regenmenge in einer Stunde oder in einem Tage fallen, jedenfalls bringt sie eine gewaltig grosse Wirkung hervor. Könnte man alles Wasser, wel- ches der Missisippi ein ganzes Jahr hindurch dem Ocean zuführt, auf einmal in denselben ausschütten, es würde das Gleichgewicht der oceanischen Gewässer bei weitem nicht so bedeutend stören. Dies gilt nun bloss von einem Fünftel des atlantischen Oceans, dieser selbst ist aber wieder etwa ein Fünftel der von allen Meeren eingenommenen Fläche; ferner nahmen wir nur einen Regenfall von einem Zollan, während das Jahresmittel desselben etwa auf 60 Zoll steigt. Betrüge es aber für den Ocean auch nur 30 Zoll, so käme eine solche Gleichgewichtsstörung, wie die erwähnte, jahr- lich 750 mal vor, oder etwa alle 12 Stunden einmal. Endlich wird ein solches ‚‚Pulsiren‘‘ noch durch den ewigen Wechsel des Ortes, wo solche Niederschläge stattfinden und auch dadurch verstärkt, dass auch die stärksten Verdunstungen nicht immer an denselben Stellen vor sich gehen. 16* 244 Die physische Geographie des Meeres. Die Meerestemperatur sinkt von der wärmsten Tagesstunde bis zu der kältesten Nachtstunde häufig 4° herunter. *) Wie ge- waltig müssen sich die Wirkungen dieses Temperaturwechsels im Grossen offenbaren, wenn man namentlich auch die lokalen Ver- hältnisse, welche die Erhitzung oder Wärmestrahlung hier und da befördern und hemmen, mit in Betracht zieht. Man denke sich, um dies an einem Beispiel zu zeigen, wieder ein Fünftel des atlan- tischen Oceans als Schauplatz dieser Naturthätigkeit. Ein heller Tag leuchtet über der ganzen Fläche, die Sonne sendet ihre heis- sesten Strahlen nieder und erhöht die Wassertemperatur um 2 Grad. Zur Nachtzeit sammelt sich Gewölk und verhindert die Strahlung von diesem Fünftel, während die andern vier Fünftel, welche der Annahme nach am Tage einen bewölkten Himmel hatten, jetzt zu einem hell strahlenden Sternenhimmel aufschauen und so die Tem- peratur des Wassers an der Oberfläche durch Strahlung um 2 Grad vermindern. Es findet also hier ein T'emperaturunterschied von 4° statt, der sich aber nicht tiefer als 10 Fuss unter die Wasserober- fläche erstrecken mag. Der totale und absolute Wechsel, der in einer Masse von Seewasser durch eine Temperaturänderung von 4° hervorgerufen wird, ist seinem Werthe nach gleich einer Volumen- änderung von 390000 Millionen Kubikfuss. Wer sollte nun nicht einsehen, dass die Wolken am Tage und in der Nacht noch eine ganz andere und viel wichtigere Rolle spielen, als die, welche ih- nen ästhetisirende Romantiker beilegen, dass von ihnen in gewisser Hinsicht die Harmonie des ganzen oceanischen Lebens abhängt! Es erscheint als ein Naturgesetz, dass die im kalten Wasser lebenden Fische geniessbarer-sind, als die im warmen Wasser. Ein Blick auf Tafel VI belehrt uns nun über die Lage der besten Fisch- märkte. Beide Küstenlinien Nordamerikas, die Ostküste Chinas mit den Westküsten Europas und Südamerikas werden von kaltem Wasser bespült, und hieraus schon folgern wir, dass ihre Fischereien trefflich sind. Die Fischereien Neufundlands und Neu - Englands, um welche Nationen Jahrhunderte lang gekämpft haben, befinden sich in dem kalten Wasser der Davis-Strasse. Die Fischereien Ja- *) Vgl. Admiral Smyth’s Abhandlung über das Mittelmeer, S. 125. — Dass übrigens ein solcher Temperaturwechsel häufig sei, dürfte doch bezwei- felt werden. Berghaus findet den Unterschied zwischen der Wärme zur Zeit des Durchgangs der Sonne durch den Meridian und der Mittelwärme des gan- zen Tages (von 24 Stunden) = 1,1° (Cels.) = 0,58 (Re.) oder 2° (F.); vgl. Länder- und Völkerkunde, S. 466 etc. (D. Ueb.) Ueber die Driftströmungen der See. 245 pans und des éstlichen Chinas, welche jenen beinahe, wenn auch nicht ganz gleichkommen, befinden sich auch im kalten Wasser. Weder Indien, noch die Ostgestade Afrikas und Südamerikas, an denen sich warme Strömungen vorfinden, werden ihrer Fischarten wegen gerühmt. Dreitausend amerikanische Schiffe sollen sich mit dem Fisch- fang beschäftigen. Zählen wir zu diesen die holländischen, franzö- sischen und englischen hinzu, so erhalten wir eine Totalsumme von vielleicht $000 Schiffen von allen Grössen und Flaggen, die sich bloss mit der Fischerei abgeben. Von allen industriellen See- unternehmungen ist aber der Wallfischfang die gewinnreichste, desshalb muss auch in einer Abhandlung über die physische Geo- graphie des Meeres eine die Wallfische berücksichtigende Karte sehr nützlich sein. Der Spermaceti-Wallfisch (Pottfisch) ist ein Warmwasserfisch. Der eigentliche Wallfisch findet nur an kaltem Wasser Gefallen. Eine grosse Zahl von Logbüchern ist auf dem National- Observa- torium durchblättert worden, um die Orte des Oceans anzugeben, wo die Wallfische in den verschiedenen Jahreszeiten anzutreffen sind. Man hat Karten, die die Ergebnisse solcher Forschungen zu- sammenstellen, veröffentlicht; sie bilden eine Abtheilung der Mau- ryschen Wind- und Strömungskarten. *) Während des Verlaufes dieser Untersuchungen wurde die Ent- deckung gemacht, dass die heisse Zone dem eigentlichen Wallfisch gleichsam ein Feuermeer ist, durch das er nicht passiren kann; dass der Wallfisch der nördlichen Hemisphäre von dem der süd- lichen ganz verschieden ist, und dass, soviel man weiss, der Sper- maceti-Wallfisch nie um das Cap der guten Hoffnung herumgekom- men ist — er geht um das Cap Hoorn. Ein einziger Blick auf die Tafel VI wird die Bezirke erkennen lassen, in welchen beide Arten von Wallfischen gefunden werden. *) Vgl. auch Berghaus physikal. Atlas. VI. Abth. 3. 246 Die physische Geographie des Meeres. Sechszehntes Kapitel. Stürme. Typhone (Tei-fune). — Cyclone. — Westindische Orkane. — Stürme ausserhalb der Tropen. — Der San-Franeiseo-Sturm. — Diese Stürme kommen in gewissen Jahreszeiten selten vor. — Die Region jenseits des Calmengürtels des Steinbocks ist der Bildung der Stürme besonders günstig. — Sturm und Regen. Die Tafel V *) ist nach Angaben construirt, welche die Piloten- karten geliefert haben; solche Tafeln werden gegenwärtig auf dem National-Observatorium fortwährend zusammengestellt. Für diese Pilotenkarten wird die ganze Oberfläche des Oceans in Rechtecke (eigentlich Trapeze) getheilt, welche 5 Längengrade breit und 5 Breitengrade hoch sind. Indem man nun aus den Logbüchern Ma- terialien sammelt, welche die Windrichtung, wie sie irgend ein Schiffer in irgend einem Monat in einem dieser Districte beobach- tet hat, angeben, nimmt man sich nur die Freiheit, anzunehmen, dass die Logbuchangabe für irgend einen Punkt des Oceans im Allgemeinen für das ganze Rechteck (oder nahebei Quadrat, insofern dasselbe nahe am Aequator liegt) von 5° Länge und Breite stichhaltig sei. Wenn sich nun der Seefahrer für jede solche Region des Oceans 12 Vertikaleolumnen (für die 12 Monate) bildet und 16 Horizontallinien hindurchzieht (für die 16 Punkte der Windrose, N, NNO, NO, ONO, u. s. w., so dass alle mit ,,zu‘‘ umschriebe- nen Winde, z. B. O zu N u. s. w. wegbleiben), so hat er ein Bild einer ,, Untersuchungskarte‘‘ vor sich; mit Hülfe solcher Karten werden aber nachher die Pilotenkarten construirt. Er nimmt also aus der Windrose nur einen Punkt um den andern, da die Neben- punkte N zu OÖ, W zu S, beim freien Segeln überhaupt zur Bezeich- *) Nämlich des Originals. Diese Tafel ist hier nicht besonders abgezeich- net worden, da sie auch ohne direkte Anschauung sehr leicht reproducirt wer- den kann. Durch horizontale Parallelen sind 16 Rubriken gebildet, vor denen die 16 Hauptwinde stehen. Vertikale Parallelen bilden darauf 12 Spalten, für die 12 Monate. Auf diese Weise entstehen 192 kleine Quadrate. Von 5 zu 5 Graden der Länge und Breite hat denn der Pilot sich solch ein Schema zu bil- den, in das er die beobachteten Winde einträgt. Maury giebt die zwischen 15 u. 20 NB. und dabei zwischen 110 u. 115, 115 u. 120° östl. L., ferner die zwi- schen 5° u. 10° NB. und zwischen 105 und 115° der Länge liegenden Distrikte. Stiirme. 247 nung der Windrichtung nicht eben häufig benutzt werden. Ueber- dies würde für den Augenblick jeder Versuch, noch genauere Au- gaben zu machen, nur auf eine Künstelei hinauslaufen ; denn die Seefahrer bringen so schon die Aberration des Windes nicht immer in Rechnung; mit andern Worten, sie beachten die Richtungs- änderung nicht gehörig, welche der Wind je nach der Geschwin- digkeit, mit der das Schiff sich fortbewegt, und je nach dem Winkel, den sein Curs mit der wahren Windrichtung bildet, scheinbar er- leidet. Hiernach ist auch der Werth abzuschätzen, welchen man Karten, welche vorherrschende Windrichtungen angeben, beilegen kann. Der Compilator durchsucht nun ein Logbuch nach dem an- dern und macht in den einzelnen Columnen für jeden Monat seine Striche in die Spalten der betreffenden Winde. Mit dem fünften Striche werden jedesmal die vier bereits angemerkten abgeschlossen. (+) Windstillen werden tief unten in der Spalte jedes einzelnen Monats mit kleinen Nullen bezeichnet. Für den Meeresdistrikt zwischen dem 5. und 10. Grad nördi. Br. und dem 105. und 110. Gr. östl. Länge wurden aus den Log- büchern, welche die Windrichtung von 8 zu 8 Stunden anzugeben pflegen, 2144 Striche und Nullen in die einzelnen Monate vertheilt. Für den September fanden sich hier z. B. 285 Striche vor, welche die Richtung bezeichnen, aus der der Wind jedesmal8 Stunden lang vorzugsweise geweht hat. Sie vertheilen sich folgendermassen : N 3, NNO 1, O vacat, OSO 1, SO 4, SSO 2, S 24, SSW 45, SW 93, WSW 24, W 47, WNW 17, NW 15, NNW 1. Endlich sind noch 5 Calmen notirt. Der Südwest ist also in dieser Region im August vorherrschend und die Winde zwischen S und W verhalten sich ihrer Zahl nach zu den andern wie 233 : 52 oder etwa wie 2 a Fiir die Region zwischen 5 und 10° NB. und 110 und 115° OL. kommt der Wind im Mai ein Drittel der ganzen Zeit — und eher noch länger — aus Westen; aber schon in der anliegenden Region zwischen denselben Parallelen und 105—110° OL. ändert sich dies bedeutend. Von 221 Strichen im Mai kommen auf $, SSW und SW 80 und auf W nur 10, so dass der Wind durch- schnittlich in diesem Monat dort nur etwa 1Y, Tag aus Westen weht. Zwischen 15 und 20° ist es besonders interessant, die schnelle 7 + N 248 Die physische Geographie des Meeres. Drehung der Winde beim Uebergang vom Sommer zum Winter zu beobachten, während hier vom Winter zum Sommer ein allmähliger und stufenweiser Wechsel stattfindet. *) Für manche Theile des Oceans sind mehr als 1000 Beobach- tungen für einen einzelnen Monat aufgezeichnet, während man für andere in den grossen Massen der im National-Observatorium auf- gehäuften Logbücher nicht eine einzige Angabe auffindet. Typhone. — Die chinesischen Meere sind wegen ihrer wü- thenden Stürme berüchtigt, welche den Schiffern unter dem Namen „‚Typhone oder weisse Böen (white squalls)‘* **) bekannt sind. Diese Meere liegen innerhalb der Region der Monsune des indischen Oceans; aber die Monsune dieser chinesischen Gewässer sind nicht Fünfmonat-Monsune; sie herrschen aus der Gegend von West bis Süd nicht länger als 2 bis 3 Monate vor. Der grosse Störer des atmosphärischen Gleichgewichts liegt in den dürren Hochebenen Asiens; sein Einfluss erstreckt sich bis auf die chinesischen Meere und um die Zeit, wo jene Monsune ihre Richtung ändern, pflegen jene schrecklichen mit Donner und Blitz begleiteten Stürme loszu- brechen. ***) Auf ähnliche Weise stellen sich die Mauritius-Orkane oder die ‚„‚Cyelonen‘‘ des indischen Oceans während jener Periode des noch nicht wieder geregelten Gleichgewichts ein, wenn die Passate und Monsune mit einander ringen und wenn es beim Wechsel des Mon- suns zweifelhaft bleibt, welches Windes Kraft nun das Uebergewicht *) Wir geben zur Erläuterung noch ein Paar Auszüge. Zwischen 110 und 115° OL., 15 u. 20° NB. im December von 102 53mal NO, im Januar von 126 66 Striche auf — NNO -- NO, im Febr. von 72%Strichen 66 auf NNO, NO, ONO, O u. OSO; im März von 117 86 auf NO, ONO u. O; im April von 83 55 auf NO, ONO u. O; im Mai von 195 156 auf ONO bis S; im Juni von 118 107 auf SO bis SW; im Juli von 168 133 auf SO bis SW; im August von 175 115 auf S bis WSW;; im Sept. auffallendes Schwanken der Winde, dagegen im October von 128 66 mal NO und im Noybr. von 78 Beobachtungen sogar 67 NNO, NO u. ONO. Man bemerke, dass die Windrichtungen von W bis N fast gar nicht vorkommen. **) Das Wort ist chinesischen Ursprungs, Tei-fun = grosser Wind. Vgl. Berghaus a. a. O. I, 317. ***) Vgl. Kämtz $8. 418. Aus den von Maury zusammengestellten Piloten- tafeln erkennt man die Monsune in jenem Theile des Meeres sehr deutlich. In dem Rechteck zwischen 15 u. 20° NB. u. 110 u. 115° OL. scheint ein System von 3 Monsunen nachweisbar zu sein, nämlich von NO im October bis Januar ; von O im März und April, aber bereits im Mai wechselnd; von Süden im Juni, Juli und August und im September wechselnd. (D. Ueb.) Stiirme. 349 behalten wird. Wie wenn alle natürlichen Schranken jetzt gefal- len wären, brechen in dieser Zeit des Jahres die Stürme mit einer Wuth los, die das Meer tief aufwühlt und Schiffstriimmer oft weit auf das Land schleudert. Ebenso verhält es sich mit den westindischen Orkanen des atlantischen Meeres. Diese Stürme kommen am gewöhnlichsten in den Monaten August und September vor. Es findet demnach der folgende merkwürdige Unterschied zwischen diesen Stürmen und denen Ostindiens statt, dass die letztern um die Zeit des Monsun- wechsels, die erstern während der Höhezeit der Monsune eintreten. Im August und September haben sich die Südwestmonsune Afrikas und die Südostmonsune Westindiens am vollständigsten entwickelt; die Einwirkung der einen zieht die Nordost-Passate aus dem atlan- tischen Meere in das Innere von Neu-Mexiko und Texas, die der andern in das Innere von Afrika. Beide Kräfte ziehen also in ent- gegengesetzten Richtungen und vermögen bisweilen das atmosphä- rische Gleichgewicht in solcher Ausdehnung zu stören, dass die gewaltsamsten und jähsten Luftbewegungen eintreten müssen, um dasselbe wieder herzustellen. Stürme ausserhalb der Tropen. — Auch ausserhalb der Wendekreise wüthen bisweilen in beiden Hemisphären furcht- bare Stürme. In einem derselben, der seiner gewaltigen Wirkun- gen wegen höchst merkwürdig ist, gerieth das Dampfschiff San Francisco am 24. December 1853 ungefähr 300 Meilen von Sandy Hook, unter dem 39. Grad NB. und dem 70. Grad WL. Jenes Schiff wurde in wenigen Augenblicken zum vollständigen Wrack und die, welche die Schrecknisse dieses Orkans überlebten, ver- liessen dasselbe nach unglaublichen Anstrengungen und Leiden. Einige Monate nach diesem Unglücksfall erhielt ich durch die cali- fornische Post die Logtabellen des schönen Klipperschiffs ,, Eagle Wing‘‘ (Adlerschwinge), das von Ebenezer H. Linnell von Boston nach San Francisco gesteuert worden war. Dies Schiff begegnete auch dem Sturm, der jenes Dampfboot zerstörte und beschreibt ihn wie folgt: „24. December 1853. Breite 39° 15’ N., Länge 62° 32’ W. Zuerst drohendes Wetter; wir bergen etliche Segel; um 4 Uhr Nachm. Marssegel eingerefft, die untern Segel völlig eingezogen. Um 8 Uhr Nachm., die Vormars- und Besansegel eingenommen ; das Schiff stampft bei enggerefftem grossen Marssegel; es liegt mit dem ganzen Leegeländer unter Wasser , die Balkenlage fast verti- 250 Die physische Geographie des Meeres. kal. Um 1" 30" Vorm. gingen der Fockmast und die grosse Bram- stange über Bord; ein vollkommener Orkan ist losgebrochen. Um 8" Vorm. mässiger werdend. Die hohen Wellen nehmen den Klü- verbaum und Bugspriet mit fort. 31 Jahre lang habe ich die See nach allen Richtungen befahren, aber nie einen so schweren Typhon oder Orkan erlebt. Zwei Leute über Bord — einer gerettet. Sto- venfenster, Barometer zerbrochen u. s. w.‘“*) Heftige Stürme kommen in diesem Theile des atlantischen Oceans — d. h. nördlich vom Calmengürtel des Krebses — wäh- rend der Monate Juni bis September selten vor. Dies scheint die Zeit zu sein, in welcher die bösen Geister des Orkans besonders in Westindien ihre Tücke üben. Während des übrigen Jahres wehen diese aussertropischen Stürme grösstentheils aus Nordwesten. Aber der Winter ist seiner Stürme wegen berüchtigt. Es ist dies die Zeit, wenn der Golfstrom seine Sommerwärme herbeigeführt und sie un- mittelbar neben die starke Kälte des Nordens hingestellt hat. Diese Extreme scheinen in Kampf zu gerathen und das atmosphärische Gleichgewicht wird zugleich gewaltig gestört. Auf gleiche Weise kommen die südlich von den Wendekreisen vorherrschenden Stürme vom Pol und Westen, d. h. aus Süd- westen. **) *) Ueber einen Cyclon oder kreisenden Orkan theilt der „Calcutta Eng- lishman‘‘ vom 2. Juni 1855 Folgendes mit: Das amerikanische Schiff Rockall, Capt. Martin, hat auf seiner Reise von Calcutta einen fürchterlichen Cyclon ausgehalten, der am 30. April vom Morgen an bis 6 Uhr Nachmittags aus den Strichen SO zu S bis SSO u. S wehte, während das Wetterglas von 29. 60 auf 28. 45 fiel. Darauf trat bis 8 Uhr Abends Stille ein, von diesem Zeitpunkt an stürmte es aber wieder furchtbar stark aus der gerade entgegengesetzten Rich- tung NW bis NNW. — Barom. 28,60. Nachts um 1 Uhr ward es gelinder und bis um Mitternacht war das Barometer auf 29,30 gestiegen. Am 1. Mai kam der Wind aus der nördlichen und östlichen Gegend. Von 33° südl. Breite und 65° östl. L. bis 28° südl. Br. u. 68° östl. L. hatte das Schiff labbere Kühlten und Windstillen gehabt, am 21. und 22. April 24 Stunden fortwährend Todtenstille bei sehr warmer Witterung. Am 25. April begann ganz plötzlich der Südostpassat, und wehte sehr hart bis zum 30. April, als der cyclonische Orkan eintrat, der den „‚Rockall‘‘ zwang, bei dem furcht- bar hohen Seegang, und während die See aus allen Richtungen des Compasses lief, einen ihrer Masten zu kappen. In diesem Orkan kamen eine Menge Vögel ganz erschöpft an Bord. Die Atmosphäre war in dem Passat ausserordentlich drückend und schwül gewesen. Am Abend des 29. April gewahrte man an Bord des Rockall heftiges Blitzen in der nördlicher und östlichen Gegend. (D. Ueb.) **) Es ist in neuester Zeit nachgewiesen worden, dass einzelne Sturmwinde zu gleicher Zeit über den ganzen Erdball gewüthet haben. Zu diesen gehört Routen. 951 Wind und Strömungskarten sind für den atlantischen Ocean schon vom Natiönal- Observatorium publicirt und andere zur Her- ausgabe vorbereitet worden. Die Aufgabe solcher Karten ist die Richtung und das relative Vorkommen der Stiirme auf allen Thei- len der See anzugeben. Eben desshalb enthalten sie aber eine Masse lehrreichen Materials. der Orkan, welcher das Jahr 1555 wie mit einem furchtbaren Omen um Mitter- nacht einzuführen und der ganzen Erde unheilvolle Tage zu verkünden schien. Zu derselbigen Stunde begann er Californien, Oregon, das Coloradoland, Nie- der-Californien und die Sandwichsinseln heimzusuchen, als er mitten durch ganz Europa~von NW nach SO, von den grönländischen Küsten bis nach der europäischen Türkei, über die ganze Nordsee und die grössere Westhälfte der Ostsee wüthete, dagegen im südwestl. Europa kaum bemerkt wurde. Gerade zu derselben Zeit wehte der schwere Sturmwind in Centralamerika und in dem grossen Salzseethal. Er wehte zu derselben Zeit ungemein verheerend zu Bom- bay, an der Malabarküste, als er mit furchtbarer Gewalt über die amerikanische Küste am nördlichen stillen Ocean hinfuhr, zu Bombay 75° östl. und zu San Franeisco 123° westl. von Greenwich. Die beiden Orte liegen also ungefähr 187 Längengrade aus einander, Bombay auf 20° NB. und San Francisco 37° NB. Der Cyclon brach zu Bombay wie zu Francisco und überhaupt in Califor- nien, am Salzsee und zu Honolulu um Mitternacht am 1. Jan. aus. In allen diesen letztgenannten Oertlichkeiten begann der Sturm mit ,,Aufwehen‘‘ aus SO und Morgens um 7 Uhr war er in Bombay bereits bis zur entgegengesetzten Seite des Compasses umgelaufen, nämlich bis auf den Strich WNW. Densel- ben Charakter zeigte er an der Südsee. In unsern Nord- und Ostseeländern wehte er aus WNW bis WSW. (Vgl. Allg. Augsb. Ztg. 1855 No. 237.) Siebzehntes Kapitel. Routen. Wie die Ueberfahrten abgekürzt worden sind. — Wie genau ein Schiff der Spur des andern folgt. — „Archer* und „Flying Cloud.“ — Eine grosse Wettfahrt auf dem Ocean. — Die Kenntniss der Winde befähigt den Seefahrer den Umweg, den er macht, zu berechnen. Die hauptsächlichsten Fahrstrassen über den Ocean sind auf der VII. Tafel dargestellt. In ihnen concentriren sich alle diese Untersuchungen, sie sind ihr Ziel und Abschluss. In der Abkür- zung der Fahrt besteht der Hauptfortschritt der Schiffahrt. Mögen andere Interessen und Gegenstände durch letztere gefördert wer- den, diese Beschleunigung, durch welche die fernen Inseln und 252 Die physische Geographie des Meeres. Handelsmärkte für die Kauffahrer um viele Fahrtage näher an ein- ander rücken, ist und bleibt doch der wichtigste tind grossartigste Fortschritt für ein Volk mit praktischem Sinne, das in seiner Ge- dankenrichtung und Handlungsweise die Gegenwart vom utilitari- schen Standpunkte ansieht und ausbeutet. Wir haben darzustellen versucht, wie die Winde in allen Theilen des Oceans wehen und wie die Strömungen fliessen. Von beiden ist der Curs des Seefahrers abhängig und nur, wer genau weiss, wie er auf jedem Punkte des Oceans sein Schiff zu steuern hat, um seine Reise in einem Minimum von Zeit und auf der kür- zesten Route zu vollenden, ist ein vollkommener Seefahrer. Die die Schiffe darstellenden Figuren sind so bezeichnet, dass man an ihnen erkennt, ob die vorherrschende Windrichtung günstig oder widrig war. Wenn man von der Küste aus auf den Ocean blickt und ein Schiff, indem dasselbe die hohe See gewinnt, am Horizont ver- schwinden sieht, wenn man dann vollends weiss, dass das Reise- ziel desselben in weiter Ferne, vielleicht bei den Antipoden, liegt, so meint man wohl anfangs, dasselbe fahre über eine pfadlose Wüste; folgt ihm dann einige Tage später ein schneller segelndes Schiff nach demselben Reiseziel, oder kommt ihm nach Wochen vom letztern ein anderes entgegen, so hält man wohl ein Zusam- mentreffen oder nur in Sicht kommen derselben auf der weiten Wasserwüste für unwahrscheinlich, ja für einen blossen Zufall. In der Wirklichkeit verhält es sich aber anders; die Winde und Strömungen werden jetzt so allgemein bekannt, dass der erfahrene Schiffer, wie der Hinterwäldler im tiefen Walde durch Marken an der Rinde der Bäume, seinen Weg an gewissen Zeichen sicher er- kennt und diese Zeichen findet er gerade an dem, was auf den ersten Blick so überaus veränderlich erscheint, an dem Winde. Die Resultate der wissenschaftlichen Forschung haben ihn gelehrt, wie er diese unsichtbaren Boten zu benutzen hat, wie sie ihm, im Verein mit den Calmen, als Wegweiser auf den Kreuzungen, Gab- lungen und Windungen seines Weges dienen können. _ Man lasse ein Schiff von New York nach Californien segeln und ein schnelleres ihm folgen. Es ist fast als gewiss anzunehmen, dass sie auf ihrer Fahrt einander sehen. Ein Beispiel statt vieler. Der ‚‚Archer‘‘ und der ,,Flying Cloud‘‘, beides treffliche und gut geführte Klipperschiffe, fahren vor Kurzem beide nach Californien ab, aber der Flying Cloud verlässt New York volle acht Tage | N SE OO Routen. 953 später. Beide hatten keine günstige Zeit zu ihrer Fahrt. Der „„Archer‘‘ ging, die Wind- und Strömungskarten in der Hand, voran und suchte sich seinen Weg, der neuen Route folgend, quer durch die Calmen des Krebses, dann durch die Gegend der Nord- ost-Passate bis zum Aequator; der ‚‚Cloud‘‘ folgte, wie auf der Fährte seines Vorläufers. Am Kap Hoorn kam er an ihn heran, sprach mit ihm, händigte ihm die letzten New Yorker Zeitungen ein und lud die Mannschaft ein, am Bord des ‚‚Cloud‘‘ zu speisen, was wie der ,,Archer‘‘ sich ausdrückt, ,,nur mit Widerstreben ab- gelehnt wurde. “ Der Flying Cloud fuhr endlich voraus, rief dem Archer sein Lebewohl zu und verschwand in den dichten Nebeln, die auf dem westlichen Horizonte lagerten; denn er sollte seiner Instruction nach seinen Hafen wenigstens eine Woche früher erreichen, als sein Kamerad vom Kap Hoorn. Beide bekamen kein Land in Sicht, bis sie die hohe See vor San Francisco erreichten — und doch würden die etwa 7000 Meilen langen Wege beider Schiffe, wenn man sie den Logbüchern nach auf die VII. Tafel projiciren wollte, fast durchweg wie eine einzige Linie aussehen. Dies ist die grosse 15000 Meilen lange Rennbahn auf dem Ocean; sie ist Zeuge gewesen von der ruhmwiirdigsten Entwick- lung von ausserordentlicher Geschwindigkeit, von Beweisen fast tollkühner Unerschrockenheit, wie sie die Welt früher nicht ge- kannt hat. Aufihr ist das moderne Klipperschiff, vom Lichte der Wissenschaft geleitet, ausgezogen, es hat alle Dampfschiffe über- segelt, allen Elementen in stolzer Sicherheit getrotzt und zum Stau- nen der Welt Schwierigkeiten überwunden, die man bisher für un- besiegbar hielt. Die berühmteste aller Wettfahrten, von der ich je gehört, kam auf dieser Route vor; im Herbst 1852 fingen die Seefahrer an, die Früchte jener sorgfältigen Forschungen über Winde und Strömun- gen und anderer auf die physische Geographie des Meeres Bezug habender. Thatsachen einzuernten. Vier neue prächtige Klipper- schiffe traten um diese Zeit ihre Reise von New York nach Cali- fornien an. Sie hatten tüchtige Capitäne und, indem sie zu ver- schiedenen Zeiten einzeln Sandy Hook passirten, boten sie wirk- lich ein grossartiges Schauspiel dar. Die Namen der Schiffe waren: », Wild Pigeon‘‘, Capt. Putnam; ,,John Gilpin‘‘, Capt: Doane — leider seitdem verstorben! — ,,Flying Fish‘‘, Capt. Nickels und »,lrade Wind‘‘, Capt. Webber. Wie Renner, die ihre Reiter 254 Die physische Geographie des Meeres. kennen, jagten sie unter der umsichtigsten Leitung über die ‚„‚fröh- lichen‘‘ Wasser hin. Die ,, Wilde 'Taube‘‘ segelte den 12. October ab, der ,,John Gilpin‘ den 29. October, der ,,fliegende Fisch‘‘ den 1. Noy. und der ,, Handelswind‘* (Passatwind) den 14. Nov. Es war die zur Ueberfahrt geeignetste Jahreszeit. Jedes einzelne Schiff hatte sich mit den ,, Wind- und Strömungskarten‘‘ versehen ; und nicht bloss dies, man hatte sie auch gründlich studirt und war entschlossen, den grösstmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. Alle fuhren um die Wette; aber der ,,John Gilpin‘‘ und der ,,F lying Fish‘ liefen den ganzen Weg und die ,, Wilde Taube‘ eine Strecke ,, Hals an Hals‘‘, das eine Schiff gegen das andere und jedes gegen alle. Es war ein lustiges Wettrennen der Schiffe um das Cap Hoorn und durch beide Hemisphären. Die ‚‚Wilde Taube‘‘ war von New York aus dem ersten der beiden andern Schiffe um 17, dem zweiten um 20 Tage voraus. Aber das Glück und die Chancen des Windes waren von ihrer Ab- fahrt an ihr ungünstig. Sie gerieth alsbald in einen Streifen necken- der Winde und dann in einen Sturm, gegen den sie eine ganze Woche, ohne dabei wesentlich vorwärts zu kommen, ankämpfte. Dann brauchte sie wieder geraume Zeit beim Kreuzen in den „„Horse-Latitudes‘‘. Nachdem sie 19 Tage unterwegs gewesen war, hatte sie nicht weniger als 13 mit Windstillen und conträren Winden in ihrem Logbuche; sie war eben desshalb auf dem atlan- tischen Meere nicht weiter als bis zum 26° N. Br. vorgedrungen. Von da an hatte sie aber eine glückliche Fahrt bis zum Aequator, und überschritt ihn zwischen dem 33. und 34. Grad W. L. am 32. Tage ihrer Fahrt. Es war ihr unumgänglich nöthig gewesen, dass sie ihn so weit nach Westen durchkreuzte, denn nur zwei Tage vorher hatte sie unter 5° N. Br. im 30. Grad W. Länge gekreuzt — eine treffliche Position. Zum Beweise, dass die ‚‚Taube‘‘ alles, was durch blosse Ge- schicklichkeit zu erreichen war und was die ihr entgegenstehenden widrigen Umstände irgend erlaubten, geleistet hat, können wir das Zeugniss der Barke Hazard, Kapt. Pollard, anführen. Dieses Schiff, welches zu derselben Zeit nach Rio fuhr, folgte dicht hinter der Taube her. Der ,,Hazard‘‘ war mit den Karten bereits wohl bekannt; er hatte sie bereits auf 6 Reisen nach Rio als Führer be- nutzt. Diese dauerte von allen am längsten; im Durchschnitt war er 26', Tag gefahren. Er durchschnitt die Linie diesmal unter N Routen. 955 ~ 34° 30’, ebenfalls gezwungen, da er noch den 5. Breitengrad unter 31° Länge gekreuzt hatte. Aber den vierten Tag, nachdem er die Linie passirt hatte, kam er vom Cap St. Roque los, während die »,aube‘* schon in 3 Tagen herum war (nach der früher angenom- menen Meinung eine Unmöglichkeit). Bis hieher hatten sich also die Umstände gegen die Taube verschworen, und trotz aller von Putnam als Seefahrer entwickelten Geschicklichkeit kamen der Gilpin und der Fliegende Fisch mit vollen Segeln herangefahren ; denn, wenn auch nicht besser geführt, waren beide Schiffe doch vorzugsweise vom Glück begünstigt gewesen und hatten die gün- stigste Fahrt gehabt. Sie gewannen ihr bald einen Vorsprung ab —- der Gilpin von 7, der Fisch sogar von 10 Tagen, so dass nun die Logregister angeben , dass die Taube im Ganzen nur noch 10 Tage voraus hat. Offenbar baute der Fisch darauf, dass er seinen Mit- bewerbern auf den Fersen war; er fühlte seine Kraft und war stolz darauf; er setzte Alles an eine möglichst schnelle Fahrt und suchte das Aeusserste zu leisten. Er schoss von Sandy-Hook nach Süden vorwärts; aber da er sich in seinem beschwingten Fluge stark fühlte, und fest auf das erfahrene Urtheil seines Führers vertraute, so hielt er sich im Mittel an 200 Meilen leewärts von der gewöhnlichen Strasse. Auf alle seine vortrefflichen Eigenschaften stolz, spannte er alle nur denkbaren Segel auf und sich ebenso sehr auf seine aus- serordentliche Schnelligkeit (welche ihn bald durch die gefährliche Region hindurchführen sollte), als auf die Windkarten verlassend, vollbrachte er die merkwürdige Thatsache, dass er von New-York aus schon am 16. Tage den Parallel des 5. Grades nördlicher Breite durchkreuzte. Schon am nächsten Tage war er weit südlich vom 4. Grad N. Br. und unter 34° W. L. in den ‚‚Doldrums‘‘. Jetzt aber war er plötzlich wie gelähmt in seinem Wettjagen, das Glück schien ihn eine Weile zu verlassen -— wenigstens be- fürchtete dies sein Kapitän, da die Winde ganz fehlten ; sie wurden unbeständig und er wurde auf eine hoffnungslose Weise von ihnen chikanirt. Das Schreckensgespenst einer Nordwestströmung vom Cap St. Roque stieg in der Phantasie des Kapitäns empor und blickte ihn drohend an; eine Angst kam über ihn, dass er, vom Winde abkommend, dem Ufer zutreiben werde; alle Umstände schienen sich gegen ihn zu verschwören, und die blosse Möglichkeit, sein schönes Schiff wider den Strich laufen (back-strapped) zu sehen, erfüllte den Geist des Kapitän Nickels mit den schlimmsten Ah- nungen und erschütterte seinen Glauben an seinen Führer. Er 256 % Die physische Geographie des Meeres. hegte Zweifel gegen die Karten und beging den Fehler, von der Fahrstrasse abzuweichen. Die Sailing Directions (Vorschriften für Seefahrer) hatten die Seefahrer wiederholt davor gewarnt, in den äquatorialen Doldrums ein Hin- und Herfahren gen Osten zu versuchen; denn durch ein solches Unternehmen würden sie sich nur in einen nutzlosen Kampf mit neckenden Winden einlassen, die, wenngleich schwach, mit- unter durch den Beistand nach Westen gehender Strömungen be- deutend an Kraft gewönnen. Aber die erwarteten Winde waren nicht gekommen, mithin — so schloss der schlaue Kapitän des flie- genden Fisches — werden auch die Sailing Directions Unrecht ha- ben. Die letztern rathen dem Seefahrer, in allen solchen Fällen unter rechtem Winkel diesen Calmenstreifen zu durchschneiden, muthig den Curs einzuhalten, die schrägen Richtungen des Windes bestens zu benutzen und sich stets so weit nach Osten zu halten, um vom Lande abzukommen. So vergass Nickels, dass die Karten sich auf die Erfahrungen einer grossen Menge von Seeleuten , die vor ihm dieselbe Route hatten, stützen, gerieth in Versuchung, war taub gegen alle Warnungen und vergeudete mehr als drei ganze Tage seiner kostbaren Zeit durch unkluge Manöver in den Dol- drums. Er brachte allein 4 Tage in der Nähe des 3. Grades N. Br. zu und sein Schiff verliess dennoch nach dieser Zeitverschwendung die Doldrums fast unter demselben Meridian, unter welchem es ın dieselben eingetreten war. Es war noch immer auf dem 34. Grad, indem es die Strömung gerade so weit rückwärts brachte, als es nach Osten vordringen konnte. Nach einem so grossen Zeitverluste fing der verständige Kapitän selbst an, die Richtigkeit seines Ur- theils zu bezweifeln und seinen Irrthum wahrzunehmen. Indem er. die verzauberten Calmen, in denen er so hart geprüft wurde, hinter sich liess, schrieb er Folgendes in sein Logbuch: ,,Jetzt bedaure ich es, dass ich nach einer so schönen Fahrt bis zum 5. GradN. Br. nicht gerade vorwärts steuerte und meinen Weg lufwärts und nörd- lich vom Kap St. Roque einschlug, da ich, seitdem ich die Linie passirt habe, nur wenig oder gar keine Strömung nach Westen be- merkt habe, während so drei bis vier Tage mit dem Laviren nach Osten zu verloren gingen, das zwischen den 5. und 3. Grad N. Br. durch eine starke westliche Strömungsgruppe erschwert wurde‘‘, und er hätte zusetzen können ,,um so mehr, als wir wenig oder gar keinen Wind hatten.‘ Drei Tage später war er vom Cap St. Roque los. Gerade 5 Routen. ee DENT Tage vorher hatte der Hazard genau dieselbe Stelle passirt und dem Fisch 2 ganze ‘Tage abgewonnen, indem er die Doldrums, dem Rathe der Sailing Directions gemäss, rechtwinkelig durchschnitten hatte. Die Wilde Taube war, nachdem sie den Aequator auch unter dem 33. Grad durchkreuzt hatte, 10 Tage zuvor an derselben Stelle vorbeigefahren, so wie dies der Trade Wind 12 Tage später that. Der letztere durchschnitt die Linie auch westlich vom 34. Grad und war 4 Tage später um das Cap St. Roque herum. Aber obgleich der Fisch zu seinem grossen Bedauern so 3 Tage verloren hatte, so verstand er es doch, seine Versäumniss bald wie- der einzubringen. Schon am 24. November fuhr er mit dem Gilpin, seinem Mitbewerber, Seite an Seite. Sie befanden sich dabeı beide auf dem Parallel des 5. Grads S. Br., der Gilpin war aber 37 Mei- len weiter nach Osten und natürlich also in einem bessern Curse, da der Fisch noch öfters schräg von seiner Bahn abfahren musste, um weiter von der Küste ab- und um das Land herumzukommen. Sie kamen einander nicht in Sicht. Die Karten zeigten dem Gilpin nun, dass er sich auf dem besten Curse befand, und die folgenden Ereignisse bewiesen, dass die Karten Recht hatten, denn von da bis zum 53° 8. Br. gewann der Gilpin der ‘Taube zwei Tage ab und diese dem Fisch einen. Dadurch, dass er gerade aus durch die Strasse Le Maire*) fuhr, kam der Fisch dem Gilpin 3 Tage voraus; aber da verliess das Glück die Taube abermals, oder vielmehr die Winde wandten sich gegen sie; denn als sie auf dem Parallel des Cap Hoorn er- schien und im Begriffe stand, dasselbe zu doubliren, traf sie ein Sturm aus Westen und hielt sie 10 Tage lang in Schach, so dass sie fast gar nicht vorwärts kam, sondern wechselsweise mit einer Windstille, dann wieder mit Böen zu kämpfen hatte, während ihre Verfolger ,,ohne abzusetzen‘* bei schönem Winde und mit wallen- ' den Segeln herankamen. Sie überholten sie schliesslich, indem sie günstige Winde mit sich brachten, und alle drei fuhren nun um das Cap und durchkreuzten den 51. Grad S. Br. auf der andern Seite des Cap Hoorn; sowohl der Fisch als die Taube waren dabei dem Gilpin um einen Tag voraus. Jetzt war den Karten nach die Taube in der besten Stellung, danach kam der Gilpin und zuletzt der Fisch ; aber alle hatten eine *) Bekanntlich zwischen Feuerland und der Staaten-Insel unter 55° 8S. Br. Maury, phys. Geogr. d. Meeres. 17 258 ° Die physische Geographie des Meeres. glückliche Fahrt. Von diesem Parallelkreis bis zu der Südost- Passat - Region des stillen Meeres kommen die vorherrschenden Winde aus Nordwesten. Desshalb schien die Stellung des Fisches nicht so günstig zu sein, als die der andern, weil er im Fall eines hartnäckigen Nordweststurmes nicht soviel Seeräumte hatte. Aber die Winde waren ihm günstig. Am 30. December durchkreuzten die 3 Schiffe den Parallelkreis des 35. Grads 8. Br. und der Fisch erkannte die Taube; die Taube sah nur ein ‚‚Klipperschiff“‘, denn sie konnte sich nicht denken, dass das Schiff in Sicht möglicher- weise der Fliegende Fisch sein könnte, da jenes Schiff New York erstetwa 3 Wochen nach ihr verlassen sollte ; der Gilpin war zu derselben Zeit nur 30 bis 40 Meilen weit entfernt. Jetzt fing ein leidenschaftliches Wettrennen, Seite an Seite, an. Bei günstigen Winden und einer offenen See hatten die Ren- ner eine freie Fläche bis zum Aequator vor sich, die sich vor ihnen 2500 Meilen weit ausstreckte. Der Fliegende Fisch jagte voran, die Wilde Taube ihm dicht nach, beide aber liessen den Gilpin schnell hinter sich, welcher westwärts abhielt. Die beiden vordersten erreichten den Aequator am 13. Januar, indem der Fisch der Breite nach just 25 Meilen voranfuhr und die Linie unter 112° 17’ passirte,*) die Taube aber 40 Meilen weiter nach Osten. Um diese Zeit war der John Gilpm 260 Meilen zu- rückgeblieben und war leewärts mehrere Grade nach Westen abge- trieben. Hier entwickelte Putnam auf der Taube wieder seinen feinen Takt als Seefahrer und wiederum machten ihm die schwankenden Winde einen Strich durch die Rechnung; der Gürtel der Nordost- Passate war noch zu passiren; es war Winter; er berechnete, dass eine Durchkreuzung an der Stelle, wo er sie darauf ausführte, einen günstigen Wind aus diesen Passaten machen würde, ohne dass die Taube, im Fall dass sie dieselben verlöre, weit nach Westen von ihrem Hafen abkommen würde. Ueberdies war es genau ein Jahr her, dass sie dieselbe Strasse befahren hatte, sie hatte damals im 109. Grad gekreuzt und war nach einer ausgezeichneten Fahrt in 17 Tagen in San Francisco angelangt. Warum sollte die Taube nicht dieselbe Durchfahrt wieder ver- suchen? Sie sah, dass die vierte Ausgabe der Sarling Directions, *) 25 Tage später kam der Trade-Wind nach, kreuzte den Aequator unter 112° und fuhr von da in 16 Tagen nach San Francisco hinauf. Routen. 259 welche sie an Bord hatte, eine solche nicht missbilligte und die eigene Erfahrung rieth sie ihr an. Konnte sie sich denken, dass sie in Folge dieser Differenz von nur 40 Meilen beim Durchkreuzen der Linie und weil sie nur zwei Stunden hinter ihren Mitwerbern zurück war, in einen Windstrich gerathen würde, der sie so auf- hielt, dass der Fisch eine volle Woche früher im Hafen anzukommen vermochte? Es war wahrlich nichts anderes als ein ihr gespielter übler Streich (der Seemann sagt: a streak of ill luck), der einen solchen Unterschied bewirken konnte. Aber mittlerweile hatte der Gilpin seine erste Energie wieder gewonnen. Er kreuzte die Linie unter dem 116. Meridian — genau zwei Tage nach den beiden andern Schiffen — und vollbrachte eine ruhmvolle Fahrt von nur 15 Tagen von da bis zu den Pilotenge- wässern von San Francisco. So enden die Loglisten dieses spannenden Wettjagens und so die merkwürdigen Fahrten selbst. Der Fliegende Fisch siegte; er vollendete die Ueberfahrt in 92 Tagen und 4 Stunden vom Hafen bis zum Auswerfen des Ankers; der Gilpin in 93 Tagen 20 Stunden vom Hafen bis zum Aufnehmen des Piloten; *) die Wilde Taube brauchte 118. Der Trade- Wind folgte nach einer Fahrt von 102 Tagen; es war auf dem Wege Feuer auf ihm ausgebrochen, das erst nach 8 Stunden gelöscht werden konnte. Der Erfolg dieser Wettfahrten kann als ein Beleg dafür angesehen werden, wie gut die Seefahrer sich jetzt auf die Winde und Strömungen des Meeres verstehen und wie sie dieselben benutzen. Hier sind drei Schiffe, die an verschiedenen Tagen absegeln, von ihrem Ziele durch eine pfadlose und mehr als 15000 Meilen sich dehnende Oceanswüste getrennt, allein von dem wankelmüthi- gen Winde des Himmels abhängend — und doch fahren sie, wie Posten auf Chausseen, vor einander vorüber und werden während aller Wechselfälle der Winde, Strömungen und des Klimas so ge- führt, dass man auch jetzt, wo man die weitern Erfolge vor sich sieht und nachträglich leicht guten Rath ertheilen kann, kaum et- was an ihrer Leitung zu corrigiren findet. Noch einen andern be- merkenswerthen Umstand giebt es, der in dieser Combination die Genauigkeit der Kenntnisse in das hellste Licht stellt, welche diese *) Das Logbuch des Gilpin schliesst mit dem Moment ab, wo der Pilot an Bord kam. ii 60 - Die physische Geographie des Meeres. Forschungen über die Kraft, Reihenfolge und Richtung der Winde und Strömungen gesammelt haben; es ist der folgende: Ich habe den Umweg berechnet, welchen diese Schiffe widriger Winde wegen zwischen New York und der Stelle, wo sie die Linie durchkreuzen , zu machen haben würden. Die ganze Entfernung würde mit Einschluss des Umwegs, der zu dieser Zeit des Jahres gemacht werden musste, im Ganzen 4115 Meilen betragen. Nur der Gilpin und der Hazard führten Rechnung über die wirklich durchsegelten Strecken; der erstere erreichte den Aequator nach einer Fahrt von 4099 Meilen, der letztere nach 4077 Meilen; sie legten also jenen Theil ihrer Reise nur mit Hülfe der Segel so zu- rück, dass das eine hinter der durch ganz conträre Winde veran- lassten und von mir für den ungünstigsten Fall berechneten Rou- tenlänge um 16, das andere um 38 Meilen zurückblieb. Der erfah- renste Hinterwäldler würde seinen Weg nicht besser durch die Waldwildniss finden können! Habe ich also Unrecht, wenn ich zu behaupten wage, dass schon auf der jetzigen Entwickelungs- stufe seiner Wissenschaft der Seemann namentlich durch die ge- nauere Kenntniss der Wind- und Strömungsgesetze des Oceans, doch auch mit Benutzung der frühern Seekarten, insofern sie Kü- sten, Inseln, Klippen etc. verzeichnen, befähigt ist, seinen Pfad für jede Jahreszeit so sicher und bestimmt nach jedem Reiseziel zu bezeichnen , dass jede Abweichung von der einzigen, allen Combi- nationen nach brauchbarsten , Route nur thöricht sein würde. Achtzehntes Kapitel. Ein Schlusswort. Die Brüsseler Conferenz. — Ueber Maury’s Wind- und Strömungskarten. — Die Logbücher. Ich habe, wie ich mir wohl bewusst bin, in diesem kleinen Werke nur einige wenige Blätter aus dem interessanten Buche zu geben vermocht, welches die physische Geographie des Oceans der- einst vor uns aufzuschlagen bestimmt ist. Der Gegenstand ist viel umfassend; es ist Raum da für viele Werkleute und Hülfe ist von Nöthen. Nationen nicht weniger, als Individuen, ,,daheimsitzende Reisende‘‘ ebenso gut als die, welche über die Meere fahren, sind bei der Förderung der vorliegenden Arbeit betheiligt. Rin Schlusswort. 261 Wir sind jetzt in Begriff ein neues Blatt aufzuschlagen, auf - dem, wie wir vertrauensvoll erwarten, manche gute Belehrung fiir den Seemann zu lesen sein wird, welche die Gefahren der See ver- mindert und die Ueberfahrten der Schiffe abkürzt. Wir sind im Begriff, im Buche der Natur ein neues Kapitel unter der Titelzeile ‚‚Oceanische Meteorologie‘ zu eröffnen. In ihm werden die Gesetze beschrieben, welchen die die Winde und die See beherrschenden Kräfte selbst wieder gehorchen. Jeder Mensch muss für diese Gesetze das regste Interesse haben; denn die hygrometrischen Verhältnisse der Atmosphäre schliessen zu- gleich das Wohlbefinden der gesammten Pflanzen- und Thierwelt in sich. Die Genesung eines Kränkelnden hängt oft von einer trockenen oder feuchten Atmosphäre, von einem kalten Luftstrom oder einem warmen Winde ab. Die Thätigkeit der riesigen atmo- sphärischen Maschine setzt alle Wassersysteme des Festlands in Bewegung, von ihr hängt das Gedeihen ganzer Ländermassen ab. Die ersten Seemächte haben daher sehr wohl daran gethan, sich über einen Plan der Beobachtung zu einigen und mit ihren Schiffen auf der hohen See dahin zusammenzuwirken, dass Alles, was nur geduldiges, unverdrossenes Beobachten, systematisches, mühvolles Forschen erreichen kann, baldigst gesammelt werde, um uns über Winde und Wellen näher zu belehren. Der Naturforscher, der schlichte Passagier und jeder Seemann, der ein Schiff unter seinen Füssen hat, thäte wohl daran, sich diesem Systeme der Untersuchung anzuschliessen. Durch die Brüsseler Conferenz ist jedem, der mit der See in näherer Berührung lebt, der Befehl oder die Einladung geworden, gewisse Beobachtungen anzustellen, oder, mit andern Worten, der Natur gewisse Fragen vorzulegen und uns treulichst von den Ant- worten, die dieselbe giebt, zu berichten. Es ist aber offenbar, dass man nur dann, wenn man genaue Werkzeuge, Instrumente, die selber die Wahrheit sagen, benutzt, die wahre Bedeutung der von der Natur gegebenen, oft vorläufig räthselhaften Antworten heraus- finden kann. Eine incorrekte Beobachtung ist stets vom Uebel; läuft sie unbemerkt unter sichern Beobachtungen mit unter, so ist sie nicht allein unnütz, sondern sogar verderblich’, da sie die Re- sultate fälscht und selbst die besten Beobachtungsreihen durch Ein- fügung falscher Prämissen fast werthlos macht. Diejenigen Schiffscapitäne, welche der von der Brüsseler Con- ferenz anempfohlenen Methode gemäss an diesem grossen Werke 262 Die physische Geographie des Meeres. mitwirken wollen, werden nun darauf aufmerksam gemacht, dass sie ein Journal der Beobachtungen und Resultate nach einer vor- geschriebenen Form halten mégen, wie sie unter dem Titel eines Logbuches (Abstract Log) am Ende des Kapitels näher angegeben ist, Senden sie dasselbe nach Beendigung der Reise an den Auf- seher des National-Observatoriums, so erhalten sie dafür ein Exem- plar der Sazling Directions und solche Sektionen der Karten, die sich auf die dem Mitarbeiter zur Kreuzung angewiesene Seefläche beziehen. Es giebt zwei Formen solcher Log-Tabellen; die mehr um- fassende und sorgfältiger ausgearbeitete gilt für Kriegsschiffe, die andere für Kauffahrer; die auch von den Letztern gewünschten Be- obachtungen sind das Minimum, welches dem Mitarbeiter ein Recht verleiht, das erwähnte Geschenk zu beanspruchen. Er muss wenig- stens täglich die Länge und Breite des Schiffs angeben; ferner den Stand des Barometers, die Ablesungen sowohl des Luft-, als des Wasserthermometers und zwar allerwenigstens einmal des Tages; ferner die Richtung und Kraft des Windes dreimal täglich, um 8 Uhr Abends, um 4 Uhr Morgens und um Mittag; endlich die Strömungen, sobald das Schiff ihnen begegnet. Diese Beobachtun- gen verlohnen aber nur der Mühe, wenn sie genau angestellt werden. Jeder Mitarbeiter sollte daher zuvor seine Instrumente mit gewissen Normalinstrumenten vergleichen, deren Fehlergränze genau bestimmt worden ist.*) Die Instrumente sollten eben dess- halb stets numerirt und die constanten Fehler jedes Einzelnen zu- gleich mit der Nummer angegeben sein. Die nähern Angaben hier- über gehören dann in die Rubrik ,,Bemerkungen.‘‘ Stets muss aber die Originalbeobachtung ohne alle Correktur und Reduction selbst mit angeführt werden; Alles weitere bleibt spätern Unter- suchungen überlassen. Das Logbuch esthält somit gleichsam Rei- seskizzen, welche erst nachher zu dem grossen wissenschaftlichen Gemälde zurecht gelegt und benutzt werden. *) Man findet selten ein fehlerfreies Barometer oder Thermometer, ebenso wenig wie ganz vollkommen gehende Chronometer. Ein gutes Thermometer, dessen Fehlergränze in der ganzen Skale unter einem Grad Fahrenheit liegt, kostet in den Ver. Staaten 2, ja sogar 2'/, Dollars. Das ungleiche Kaliber der Röhre oder eine ungenaue Theilung der Skale pflegt solche Fehler zu veran- lassen. Ebendesshalb sollte jedes Thermometer wenigstens für das Intervall vom schmelzenden Eise bis zur Blutwärme mit Musterinstrumenten genau und, wo möglich, öfters verglichen werden. ‘i ; ; i ! 263 “Gr “OT « IITA "999 saUYOY apunjg aqfey aula ‘uasey epunyg JT a feof [2 [3 . ‘TaqeN uapunyg Z :39mapaq sem = a8 UB UOSSEULTOPUAZTOF "099 suaSoy ‘spoqoN’ sap uapunyg arp gary (,, ee — ‘SYSIM stapuoseq) _ ea er puis uapunyg uasaıp nz uasunjyoeqoog Ally — — ',ET X „IT Sag top assorg — ' "e/g usdunyrwag — */9/() “soo I * sop pugysnz (ez) — 8/0 ‘ajary, tap ur mmyeroduiay, (77) — eo ‘etamyog ayosyradg (17) — ',8/0 ‘eyoRpreqGO Jop ue ınyel | -aduay, (07) — ‘tosseyy (6) — +] ‘purr 19f — *, 9°09 919] sop puegsnz (67) — 8/0 ‘7 SIPFeH sop ‘QQ soouyog ap‘q| 7 suaSaxy sop („„!F S[oqeN sep uapunyg (I) — ',8’0 ‘suap nz spowwrpg Uatepy sop *YtaA (LT) — "8/0 “uoyroM Jop Sunyyary ——— pun uoreunog (97) — go ‘Tony aoJyonaF A (er) — *,,2/0 ‘osny rouyoor yyy (FI) — TOpwouayL (f) — ° »’o “worl, “TTX SCHIN eg we sojomouoyy, (£1) — *,,¢/0 “oun (21) — ‘tajomoreg (2) — ',s’0 oysıpurnyosan (FT) — +60 ‘Sunqyory (01) — | ‘apur (p) — *,,9/0 ‘JepeujouSeyy top uoyere,) (6) — +279 “toy Stputayoser (8) — ',s’0 “Sunqyory (2) — ‘uesunuteayg (2) “Or — +80 7 “@ (9) — *,8/0 ‘Sunzyoeqoog (¢) — -oSuyT (9) — ,8’0 "ra (mM) — +810 ‘Bunqyoeqoog (¢) — ‘onorg (v) TR FA * 8/0 ‘opungg (z) — ',g’0 “wungecg (J) — ‘saT[ozZ soute uaprayypewmmolr pun us]fozZ ur uouwngo,) pun uoyzpLıyasaogqan] Jop o}torg “XI Er ‘uasuniaynejlig "8 ae ae as | = | Tu dapulg ‘| y - mio a a Te = = | 2 ! err ae co Leona a eh aide | os | poe val Babe > | 7 uap any == = == fom | = en | | | pury | | | | | | | | G G — —— a — = ] a —— nn ——_——— — ah = = m = - 1 m sme can cs | 61 | er | ar | on nm | er | ex | m | or Py 8.4.) 9 |S re | b | | | | a p | | q | » CE aed ee 3 OR re FEN 2. oe" + + sopryassdouyy sop yonqso'y "Y1[94899ue UdSunyyoeqoog sseiyiuyoeNy g wn pun sory Uno 6 un yone uopaom ‚LT “OT “0G OEE SET {ZT uauumfoj) stp ang "uapıam uode1jodur uarurT u9uadoz -HIsne A9YIBIS 9IP Iaqn siopuoseq ssnw Sem stg ep UOA PUN suasAOP AY F SIG TYQ g UOA {AYA g sıq Sey -JI UOA saputA, Sop Sungyorny, spuayosi1oyIOA AL] “osse (10) f4gn'T ast (1) £ 8/1 ‘( OJ) uoypeyao Uasasep !oyanqsoT uesiqo wr uauep Aaah = Cesare Ces 8 Lt ees ft ere jn-aert -unjog arp uaypaadsyua osuaqa Sp Yf ‘a ‘9 uoyuuqny uodunyıowuag | ‘TIX | Sew | ri | Ae ‘TITIA °§ “ITX | 3enım | a an . 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(Drittes Kapitel, S. 65) soll die Circulation der Atmosphäre ver- anschaulichen. Die Pfeile zwischen den Calmengiirteln zeigen die vorherrschende Richtung des Windes in jeder Zone an. Der äussere Kreis soll irgend einen Meridian vorstellen, so dass bei P der Pol liegt. Die ausserhalb der Kreisperi- pherie liegenden Pfeile zeigen die Richtungen der obern und untern Luftschich- ten an; zugleich ist über den Calmengürteln die Art und Weise veranschaulicht, wie der Wind hier aus den obern Theilen der Atmosphäre in die untern, und umgekehrt, gelangt und wie sich bei dieser Gelegenheit die verschiedenen Luft- schichten durchkreuzen. Tafel IL und III (Elftes Kapitel, S. 197) stellen den Apparat Brooke’s dar, vermöge dessen sowohl bedeutende Meerestiefen gemessen, als auch Stoffe vom Meeresgrund emporgebracht werden können. Tafel IV. (Dreizehntes Kapitel, S. 219) soll die Gränzen angeben, zwi- schen welchen sich die Isothermen von 50°, 60°, 70° u. s. w. während des Jahres über den atlantischen Ocean hin- und herbewegen. Zwischen dem Gesetze die- ser Bewegung und den Zonen der Meeresklimate besteht ein interessanter Zu- sammenhang. Tafel V. (Erstes Kapitel, S. 35) verbindet durch stetige Curven die ver- schiedenen Temperaturen, welche man in den zugehörigen Distanzen vom Cap Henry (in Seemeilen) in den verschiedenen Tiefen des Golfstroms beobachtet hat. Die erste krumme Linie x... giebt die mittlere Temperatur für Tiefen von 0, 5, 10, 20 und 30 Faden; o...o die von 50, 70, 100 und 150 Faden; s...s die von 200, 300 und 400 und endlich 2... die Meerestemperatur in einer Tiefe von 500 Faden. Die Grade sind, wie gewöhnlich, nach Fahrenheit notirt. Die Elemente zu dieser Zeichnung erhielt Maury von dem Dirigenten der hydrographischen Partie des Coast Survey der Ver. Staaten. Sie sind einer Abhandlung über den Golfstrom entlehnt, welche derselbe der amerikanischen Association zur Förderung der Wissenschaften bei ihrer Versammlung in Wash- ington 1854 vorgelesen hat. Tafel Vlist zum Theilschon durch die beigeschriebenen Erklärungen er- läutert. Zunächst treten aufderselben die Gränzen des Golfstroms für den Som- mer und Winter hervor. Danach erkennen wir in den Linien x, y, z die Bahnen, welche die schon auf Tafel V construirten Fäden oder Bänder wärmern Wassers beschreiben. Man nehme an, ein Schiff segele von den virginischen Vorgebirgen aus in die offene See, durchschneide den Golfstrom rechtwinklig und beobachte nun die Temperatur des Wassers an der Oberfläche und in verschiedenen Tiefen, wie dies auf Tafel V bereits angegeben wurde. — Die Linien a 5 sollen die be- rechnete Driftstrasse angeben, auf welcher der San Francisco nach der Ka- DEREN = 2 Erläuterungen zu den Tafeln. 267 tastrophe, die ihn im December 1853 betraf, hintreiben mochte. Sie sind auf der Tafel selbst als die Gränzen der Strömung bezeichnet, welche von Punkt a ausgehen kann. Ausserdem ist es beabsichtigt, die gegenwärtig den Geographen bekannten Driftströmungen des Oceans oder, noch eigentlicher, die grossen Fluthungen der äquatorialen und polaren Gewässer und ihre Circulationscanäle, wie sie das Thermometer anzeigt, anzugeben. Auch die Gegenden, in welchen sich die Wallfische — die eigentlichen in kaltem, die Spermaceti- oder Pottfische in wärmerem Wasser — vorzugsweise aufhalten, wird man angedeutet finden. — Eine Karte, wie die vorliegende kann und muss natürlich durch weitere For- schungen immer mehr vervollkommnet werden; die Resultate sind eben hier nicht so leicht zu gewinnen und mancher frühere Versuch eine ähnliche Karte zu construiren dürfte trotz dem, dass er auf den ersten Blick mehr zu geben scheint, sobald man viele der als sicher angegebenen Strömungen nach Schiffs- berichten ete. genauer untersucht, noch sehr unzuverlässig erscheinen. Die Tafel VI ist übrigens aus den Tafeln VI und IX des Originalwerks zusammen- gestellt. (D. Ueb.) Tafel VII kann nur, wenn man sie mit Tafel XI zusammenhält, recht ver- standen werden. Man überblickt hier auf einmal die vorherrschenden Wind- richtungen für jeden Punkt der Erdoberfläche. Zugleich sind die allerwichtig- sten der grossen Seestrassen angegeben. Die Querlinien an den Schiffen sollen die Raaen vorstellen; je mehr sich der Winkel, den diese Linie mit dem Kiele des Schiffes bildet, einem rechten nähert, desto günstiger ist der Wind zu den- ken. — Die Pfeile sind natürlich so gezeichnet, dass sie gleichsam mit dem Winde fliegen. Die halbbefiederten Pfeile mit einem Widerhaken stellen Monsune vor. Die eingezeichneten Calmengürtel sind alle drei beweglich zu denken und es ist daher auf der Karte nur die mittlere Stellung derselben an- gegeben. Von den Calmen des Krebses nach dem Nordpol und von denen des Steinbocks nach dem Südpol zu wird man nach Nordwest und Südwest fliegende Pfeile bemerken. Diese sollen andeuten, dass der Wind zwischen beiden Rich- tungen schwankt, aber für jedes Rechteck auf der Karte mehr zu der Richtung hinneigt, in welcher mehr Pfeile eingezeichnet sind. Man wählez. B. das Recht- eck zwischen 45 und 60 SB. und zwischen 150 und 165° OL. In demselben flie- gen 6 Pfeile nach NO., 8 nach SO., der Wind hat also im Verhältniss von 3:4 mehr Neigung sich von Ost nach Südost zu wenden. Tafel VIII (vgl. S. 51) stellt die Bahn eines grossen Sturmes dar, der als Typus der westindischen Orkane angesehen werden kann. Herr Redfield, Oberst Reid und andere, namentlich auch mehrere deutsche Meteorologen, haben in derselben Weise die Wirkungssphären vieler ähnlichen Stürme darzustellen ver- sucht. Alle scheinen vom Golfstrom angezogen zu werden und, wenn sie den- selben erreicht haben, sich zu wenden und im Allgemeinen der Richtung des- selben zu folgen. Herr Piddington in Calcutta hat die ostindischen Orkane, welche diesen ähneln, zum Gegenstand seiner speciellen, mühsamen und ge- nauen Forschungen gemacht. Er nennt sie ,,Cycloins‘* und theilt über sie viele interessante Bemerkungen namentlich in seinen Werken ,,Satlor’s Horn-book‘* (des Seemanns ABC Buch), ,, Conversations about Hurricanes‘‘ und in vielen Aufsätzen mit, die er von Zeit zu Zeit in dem Journal der asiatischen Gesell- schaft veröffentlichte. Weitere Erklärungen des Orkans von 1848, den die Tafel darstellt, wird man auf dieser selbst finden. Derselben Tafel ist ausser einer Darstellung des Wirbelwindes noch eine leicht verständliche Veranschaulichung der atmosphärischen Circulation in den Tropen beigefügt. Durch nähere An- sicht der kleinen Karte wird man sich hoffentlich überzeugen, dass auf derselben 968 Erläuterungen zu den Tafeln. eine bedeutende Masse oft interessanten Materials nicht nur vereinigt, sondern auch durch klare Schrift dem Beschauer zugänglich und verständlich gemacht ist, was man der Originalkarte nicht nachrühmen kann. TafelIX (Kap. 12) bedarf keiner weitern Erläuterungen. Die weisse Li- nie von Tampico, durch Yucatan, Cuba u. s. w. nach den capverdischen Inseln und der Küste Afrikas, wo Fig. A steht, bezeichnet die Richtung der Vertikal- ebene, in welcher der Durchschnitt auf Tafel X gemacht ist. Alle bis jetzt ge- machten Beobachtungen der Elevation über und der Depression unter dem Mee- resspiegel sind auf diesen Karten zusammengestellt. Tafel X ist nur deshalb unter die XI. Tafel gestellt worden, weil sonst das Format der vereinigten IX. und X. zu hoch geworden wäre. Wir bitten, an der bereits erwähnten weissen Linie auf Tafel IX statt der citirten Tafel XI, Tafel X zu lesen. Tafel XI ist, in sofern sie die geologische Wirkung der Winde zeigen soll, schon im 10. Kapitel genügend besprochen. Die Schattirung J zeigt die Region an, wo, der Annahme nach, der Dampf, welcher den Missisipi mit Wasser versieht, in die Luft aufgenommen wird. Die Hände (4%) deuten die Rich- tung an, in welcher derselbe fortgeführt wird. Die lichtere Schattirung 4 giebt an, wo er, der Hypothese nach, als obere Strömung weiter geht und die Schat- tirung bei C, wo er jenseits des Calmengürtels niederschlägt. Die Pfeile im nördlichen stillen Ocean zeigen an, wo die Dämpfe, welche das südliche Chili und Patagonien mit Regen versehen, der Annahme nach, in die Atmosphäre aufgenommen werden, und die Pfeile im südlichen stillen Ocean geben die Richtung der Oberflächenwinde an, welche diese Dämpfe, nachdem sie über die Schattirung B als oberer Strom hinweggegangen sind, weiter fortführen. Der in der südlichen Hemisphäre durch Pfeile als Monsun oder Passat (trades) bezeichnete Wind steigt, wenn er den NO Passaten begegnet, der An- nahme nach, empor und weht als obere Strömung nach Nordosten zu, bis er die NO Passat-Region überschritten hat. Dann erscheint er als der vorherrschende SW Wind der aussertropischen Gegenden des Nordens an der Oberfläche (Vgl. die Pfeile in Europa und Asien über dem Wendekreis des Krebses.) Die befie- derten Pfeile stellen in der nördlichen Hemisphäre die Bahn dar, welche die Luft, wie man anzunehmen berechtigt ist, in jenen Regionen (als SW Passat) einschlagt', nachdem sie als SO Passat (trade-wind) und Monsun Südamerika bestrichen hat. Die unbefiederten Pfeile sollen in derselben Region den Weg der SO Passate und Monsune Afrikas (die mit ähnlichen kleinern Pfeilen be- zeichnet sind) veranschaulichen. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig. oe HOLLAND i Wy > Sport yinlip N An NA Feste Eiem accom Antarctischer Continent Sayin Port ah 4 ith AretvL Clemenein Dessau NORD AMDRICA nv DRONS nay Ze € ‚Frankreich a} —~ Ten H f “ef: Canarische She sso V4 Tang la che- meat * In dex grinenVargeb., a so 4 ee: Zz 4 2 Fe AR ER : ee Segntrkadto ERS N Guinea —™ en?" 7 yi 7% of tet Lan TOF se” ERKLARUNG a. Die Stelle, we der San Francisce am 28. Dee, scheiterte. o.Noer am 4 Jan. verlassen wurde. ab. Berechnete Örünzen der Strömung. Nach dieser Stelle ying der Curs des zur Auffindung andten Schi ties. >, Fi" = da \TÜRKEN > & 3 cys. Die warmen. Streifen der Tafel W. — — Zilargränsen der Ibttfischregien. Aeguatorialgränsen der Region des eigent!. Wallfisches. Richtung der Strömung Huthen ohne bestimmte Hichtung. = a en. um un ner \ a ER a m5 90 taut i ee ee ee: ee a a oe) re ann ee oft 5 aqzZyunz v» 3 ae tal ial) Tafel VII ERKLÄRUNG. # » % © Nord Ost Ferssate (trades). ur Sy Std Ost Keessacte trades) Y HUDSONS | Bar ) Francisco [X Wüste RER falmeii Pen a xX XK MANY SHA as N = — eae “N N. IS, x . LY . > “! NAS N N RR 4 a eo & EAN, ” 2 m ’ a!) z+) = Pe 9® ies i . etl ~~ ’ pester bie den ge it Autaretischer (Continent 7 | = 7 D> Seestrassen u.durchschnittl.Daugr der Uber filer 7 Wüste | —— fürtelder De drums Tür dan Marz. Sd frünstige Winde, | =a Dabei des een gerad entgegengeselkte Winde, Vinnenlündisches Prot n 1. Septbr: au Aue, r fii u 9 ee ae mca PER. % . > P . 43% ~~ , = Shwe RS Gis > k & 5 ‘ : . >». N \ & J a * > ee wur to x ‘ « . R «3 \ . 3 ‘ ‘ en \ = 4 angeles rer na, P = + Pr ' > a Ps % 5 4 f 4 - ir 4 f 6 Zn Wa 4 # er aa | P - ‘ Jan: ‘ x - ‘ f dé hd a phe DV . t ö * — u Br Zr ; = n. A " a woalral Sell - iy 2 } as, ; Ee an un es ethane pe Ant nahen inne . - B ; 7 ‘ w a .% 7 nl rte 4b . eth » ve ; hi be Eee ; A ™ i « re ‘<> des a. . “ — . - Ps ~ = a “3 ya Zug vergare, ” - * a - r i u ’ a Fr Are. h 30 pm. RE B28.03 ™ x9 Ss we 24 Marion 2. Sept. 1549. ff 1 Mitlag ‘fam SIW bis SO. x 2 Marcella” ys opr ingt plötzlich zu Nm a 92 SM zu S. Mary Any Wittag = SW2u Wa.m- 7% Q Se AZOREN 8 Mary Wee ir Derkauf des Sturmes von dem yBraxeillero "nach dem , Marion.” ist Ozu N. Von dem Marion N0.%0. In dem ersten Course hätte H der Wind von Su Onack Westen umlauten sollen. In dem letz- = oe SO.zu Sum mit dem Wirbelwind- Diagram übercinzustim- nanzına a Ve ‚gellederten nordwärts sielende ungeliederte Pfeil B. tir Barometer deutet an, dass der Wind hätte nach der linken Seite umlau- am. Vormittags, in fen miissen-w pan Nachmittags. CANANISCHE r DBR. sind Abkürzungen für Donner, Blitz und Regen. „deutet die Übereinstimmung mit dem Wirbelwind - Diagram an. jee d a m Die weisse Linie in der Bahn des Orhans bercichnet die Region des GOLF W MEXICO >: 5 BR | 4 Druckminimums. Numern an der Spitze eines Philes geben die Stärke 2 RL en Regen les Windes an, u.swar 1.Sturm 2. eal Nind Imassigen 4.schwachen. SS osephine N.W. Obere Strömung - N.O. Passat. AS 27 | | | 0 o.°°C.vernısche n o.2N8- N 4 oO oi FDB.von Snach SW DCN) 7 Dict lee „ker : | GH s >> Hs Hale Boe SSM 4am tt 7 | | 7 S.W. Obere Strömung. ——— S.0.Passat ind SS.0. mass. Die at Be ; " ues n Tropen. yt | 40 30 20 10 Dae’ eM “lh “% ee WAKO & Er f t al - 2 WE Aven? Be Tr am ‘ Wed views at, Becken 100 les Nord Athantischen Oceans. 2 . ER is 10 iss) mehr als ie E rklärun $: weniger als 1000 Faden. von 1000 bis 2000 - 2000 „ 3000 3000 „ #00 4000 « Otharles | of ” 8. 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