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Reifebriefe über China, Japan und Siam.

Erſter Theil.

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Die prenssische Expedition nad

China, Japan und Siam

in den Jahren 1860, 1861 und 1862.

Reifebriefe

von

Reinhold Werner,

Lieutenant zur See I. Klaſſe.

——

Mil ſieben Abbildungen in Holzſchniti und einer fithograpfirten Rarie.

Erſter Theil.

Ceipzig: F. A. Brockhaus.

1863.

Seiner Königlichen Hoheit

dem

Prinzen Adalbert von Preußen,

Oberbefehlähnber der Königlich Preußiſchen Marine,

widmet diejes Buch

als Zeichen ſeiner tiefjten Ehrfurcht

der Berfafler.

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Borrede.

Als ich im Fruhjahre 1860 beordert wurde, mich als Com— mandant des Schiffes Elbe der Expedition nach Oſtaſien anzu⸗ ichließen, richtete die Verlagshandlung F. A. Brodhaus in Leipzig die Anfrage an mich, ob. ich geneigt wäre, für die „Deutſche Allgemeine Zeitung” eine Reihe von Berichten über meine Erlebniffe und Beobadjtungen in der djtlichen Welt zu fchreiben. Es mar mir dieſer ehrende Antrag willkom⸗ men, weil ich in. meiner langen Laufbahn als Seemann _ jtet3 einen hoben Genuß darin gefunden habe, fremde Länder und Völker mit kritiſchem Auge zu betrachten; ſodann jtand auch der Verſuch, das deutiche Bublifum über die Dinge im Oſten aufzullären, mit dem Zwecke der Expedition in voll- tem Einflange und Tonnte deren Tendenz nur förderlich jein. Ich ſchickte demnach, aus der Ferne regelmäßige Berichte, bie als ‚Briefe eines Mitglieds der preußifhen Expedition nah China und Japan“ während der Jahre 1861 und 1862 in der genannten Zeitung erichienen und von dem Publikum nicht ungünftig aufgenommen worden find.

"Rah meiner Rückkehr im Mai 1862 ſetzte mich die Ver: lagsbandlung in Kenntniß, wie von Vielen Seiten der

D VIII

Wunſch laut geworden, ich möchte meine Reiſebriefe in ein ſelbſtändiges Werk zuſammenfaſſen. Auf dieſen Wunſch ging ich um ſo bereitwilliger ein, als mein Reiſejournal noch eine Fülle von Erfahrungen enthielt, deren Veröffentlichung zum Theil wenigſtens den deutſchen Intereſſen von Nutzen fein konnte. Zudem empfand ich ſelbſt das Bebürf: niß, die oft unter den unrubigiten und feltiamften Um⸗ tänden entworfenen Reiſebriefe einer genauern Sichtung zu unterwerfen.

So. entjtand denn das Werk," welches ich hiermit dem deutfhen Publikum übergebe, und das mit fieben Ab- bildungen in Holzſchnitt und einer Drientirungsfarte aus⸗ geitattet worden if. Das Buch enthält, auf Grund jener Ihon veröffentlichten Reiſebriefe und eines reichlichen neuen Material3, die Schilderung meiner perfönlichen Erlebniffe auf dem Schiffe Elbe fowie die Erfahrungen und Beobachtungen, welche ich über die Länder, Völker und Zuftände der öftli- . ben Welt während der langen Reife zu machen Gelegenheit hatte. Namentlich aber find es die drei Hauptpunfte der Expedition: China, Japan und Siam, denen ih in Rückſicht auf das deutſche Handels- und Schiffahrtsintereffe meine- befondere Aufmerkſamkeit zugemwendet babe, und der Reilemeg, welcher der Elbe vorgezeichnet war, Fonnte Dies nur begünftigen,

Bemerken muß ich im voraus, dab ich ſowol in China wie in Japan vieles ganz anders gefunden habe, als ich nach den Schilderungen fremder Reiſebeſchreiber vorausſetzen durfte, und meine Urtheile über Menſchen und Verhältniſſe weichen darum nicht ſelten weſentlich von den Mittheilungen meiner Vorgänger ab.

IX

Den überraſchendſten Eindrud und bie freudigfte Vewe— gung bat mir die Wahrnehmung von der geräufchlofen und doch erfolgreichen Verkehrsthätigkeit meiner deutſchen Lands— lente in den öftlichen Meeren und Ländern gemacht. Von den Küften Indiens bis in den Norden Chinas hinauf haben, ohne Schub und Zuthun der deutihen Regierungen und gegenüber der mächtigen engliihen und amerifanifchen Con⸗ eurrenz, deutfcher Handel und insbefondere deutiche Schiffahrt in ungeahnter Weife feften Fuß gefaßt. Die Bedeutung der preußiihen Expedition ift durch diefe Thatſache in das glän- zendfte Licht geftellt worden, zumal es gelungen, in den wichtigften der .abgejchloffenen Verträge den Bertrag mit China zugleih auch den ganzen Deutfchen Zollverein, die Hanfeftädte und Medlenburg mit bineinzuzieben. |

Der Lefer wird nicht verfennen, wie ich mit Fleiß be: müht gewejen bin, die großen commerziellen Intereſſen, die Deutihland in Oſtaſien bat, zur Anfchauung zu bringen. Ich babe nicht nur zuverläffige Nachrichten über den gegen- wärtigen Verkehr Deutichlands im Dften zu erlangen gefudht, fondern auch die unermeßlichen Vortheile aufgezeigt, welche Induſtrie, Handel und Schiffahrt der Deutichen in Zukunft aus der öftlichen Welt ziehen können, wenn dabei planmäßig und im gemeinfamen vaterländifchen Intereſſe vorgegangen wird.

Freilich Tann ich dabei nicht verfchmweigen, daß mit dem Abſchluß der Verträge und der Reſidenz eines preußijchen Gejandten in Peking nur ein erſter Schritt gefcheben ift. Der zweite Schritt, der gethan werden muß, ift die Aufitellung eines preußiſchen oder deutihen Kriegsgeſchwa— ders in den öſtlichen Gewäſſern, das dem vaterländi- ſchen Verkebr nachdrücklichen Schub und dem beutichen

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Namen Reipect zu verleihen vermag. Zu diejem verhältniß- mäßig geringen Opfer werden ſich Preußen und Deutichland entjchließen müflen, wenn-fie in dem ihnen gebührenden Maße an den Bortheilen des öſtlichen Weltverkehrs theil- nehmen wollen. | . Wiewol e3 nicht meine Aufgabe fein Eonnte, eine Ge⸗ ſchichte der preußiſchen Erpedition zu jchreiben, jo habe ih doch im Intereſſe der Sache den Berlauf der legtern im allgemeinen mit zu zeichnen geſucht. Der VBollitändigfeit wegen jehide ich bier noch einen Furzen Bericht über den Bes ftand und den Beginn der Erpedition voraus.

Der Hauptzwed der preußiſchen Erpedition mar die Abſchließung von Handelsverträgen mit China, Japan und Siam, und diefer Zweck ift auch, menigitens was Preußen betrifft, vollftändig erreicht worden. Die Erpedi- tion umfaßte im ganzen folgende vier Schiffe: die Dampfcor: vette Arkona unter Befehl des Geſchwaderchefs Kapitän zur See Sundemwall, die Segelfregatte Thetis unter Kapitän zur See Jachmann, den Schooner Frauenlob unter Lieutenant zur See 1. Klafle Reetzke (dev leider in der Nähe der japa- niſchen Küfte mitſammt der Mannjchaft verloren ging) und. das Transportihiff Elbe unter meinem Befehl. Die Arkona hatte 27 Gefüge und 355 Mann Befakung,. die Thetis 38 Geſchütze und 376 Mann, der Srauenlob 1 ſchweres Bombengefhüg und 44 Mann, die Elbe 6 leichtere Geſchütze und 50 Mann; in Summa 72 Geſchütze und 825 Mann. Das. Offiziercorpa des Geſchwaders zählte 2 Kapitäns zur See, 7 Lieutenant? zur See I. Klafle, 10 Lieutenants zur See DI. Klafle, 10 Fähnriche zur See und 2 Lieutenants vom Seebataillon als Detachementsführer. Hußerdem waren

XI

auf den beiden großen Schiffen 20 Seecadetten eingeſchifft, welche im Laufe der Reife größtentheils zu Fähnrichen avan- cirten. Das Beamten: Perfongl wurde gebildet durch 2 Ber: waltungs⸗Commiſſare, 8 Aerzte, 1 Prediger, 1 Marine- Secretär und 4 Vermalter.

Bu der Befagung der Schiffe traten no die Gefandt- ſchaft, die Commiſſare und die Gelehrten und Künitler, welche die Erpebition begleiteten. Grftere beitand aus dem Geſandten Grafen zu Eulenburg, einem Legationsjecretär, drei Attaches, einem Arzt und zwei Dienern. Die Zahl der Commiſſare betrug fünf; davon waren vier für das fauf- männiſche Fach und einer für landwirthſchaftliche Angelegeit- heiten beitimmt. Bon den Gelehrten nahmen ein Zoologe, ein Botaniker und ein Geologe theil und außerdem noch ein Maler, ein Zeichner und ein Photograph, im ganzen. 19 Berfonen. Die Gefammtjunme der Srpeoitionmitglieber belief ſich auf 844 Köpfe.

Die Schiffe verließen nicht gleichzeitig die heimiſchen Küſten. Es war zwar die Abſicht, das Geſchwader ſchon im Herbſt 1859 zu entſenden, doch verzögerten unvorhergeſehene Umſtände die Abreiſe längere Zeit, und während Thetis und Frauenlob im October 1859 nach England abgingen, konnte ihnen bie Arkona erit im December folgen. Während der Fahrt durch die Nordfee erlitt das legtere Schiff in. einem ſchwe⸗ ven Sturme fo bedeutende Beihädigungen an ber Mafchine, daß die Reparaturen abermals mehrere Monate beantpruchten.

Anfang März 1860 ftieß die in Hamburg ausgerüftete Elbe in Southampton zum Geſchwader. Thetis und Frauen- lob wurden vierzehn Tage jpäter nad Rio-de-Janeiro vorausgeſchickt, die Elbe folgte am 5. April und wenige Tage

XIV

6.

Schönbeit der Tropennatur. Treiben auf der Rhede von Anjer. Die Banka- und die Riowftraße. Zufammentreffen des Geſchwa⸗ ders auf ber Rhede von Singapore. Infel und Stadt Singapore. Gemiſch und Charakter der Nationalitäten. Das gefchäftliche Treiben. Tempel der Hindu und Chinefen._ Die großartigen Berbältniffe des Platzes. Die deutſchen Handelshäuſer. Die Tigerplage. Die Familie des Maharadſcha von Djohore. Prinz Abulbakar. Abfahrt nah China und Sapan................

7.

Die Teufune, das Schrecken der öſtlichen Meere. Die Monſuns. Untergang bes Frauenlob. Charakter der Südküſte Chinas. Hongkong als englifhe Eolonie und Bankplatz. Die Kaufmanns- fürften. Entwidelung des deutſchen Handels und ber Rhederei in China. Die Stadt Victoria. Katbolifche und proteftantifche Miſſionare... ... . . . . . .. ........ . . . . . . . . . .. .... . .. . . ...

Die Bocca Tigris, ihre Forts und Kanonen. Die Uferlandſchaften am Perlfliuffe. Die Pagoden. Hafenflabt Whampoa. Kanton, die Capitale des Südens. Bebeutung und Geſchäfte der Stadt. Städtemauern in China. Bauart ber Chinefen. Innere Einrichtung ber Häufer. Hausgeräth. Gärten. Die Gefhmadsrichtung ber Aſiaten ... . . .. ... ..... ....... ... .......................

9.

Die Yamuns oder Gerichtshäuſer. Grauſamer Charakter der Chi⸗ neſen. Die Lage ber Gefangenen. Die Strafe des Halskragens. Die Tempel in Kanton. Die drei Religionen in China. Aber- glaube der Chinefem . ........ ...... ..... ..... ... . .. .....

10.

Das chineſiſche Theater. Der Stand der Schauſpieler. Die dra⸗ matiſche Literatur. Geſang und Muſik der Chineſen .........

11. Die Boote der Wafferftabt in Kanton und ihre Führerinnen. Fahr- zeuge und Schiffahrt ber Ehinefen. Der Kompaß. Zufland der Krtegsflotte. Der Flußverkehr ............. ..............

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12.

Eintheilung und Bevölkerung des chinefiihen Reichs. Stabilität und Srundprincip der Regierungsform. Volksbildung und Un- terricht. Der Kaifer, feine Stellung, feine Edicte. Das Reichs⸗ minifterium und ber Berwaltungsorganismus. Die Gtaats- prüfungen für die böhere Beamtenlaufbahn. Der chinefiiche Strafcoder. Graufamfeit und raffinirte Strafarten. Käufliche Bertreter in der Strafbüßung, felbft bei Kodesftrafe........

13,

Die chinefifche Armee, ihre Stärke, Bewaffnung, Eintheilung. Un- friegerifcher Geift ber Armee und des Volles. Bernadhläffigung der geſammten Kriegskunft int Reiche der Mitte. Veſchaffenheit der Rebellenarmee ..... . . . .. . .. .... .. ... ... .. ........ ......

14.

Die Chineſen als Gegenſatz zu den Europäern. Charakteriſtik des hinefifhen Bolkes in Sitten und Gebräuden. Die Fefttage ber Ehinefen. Das Neujahrsfeſt. Das Todtenfeft. Das katernenſeſ Bergnügungsfpiele ..... ... ....... .......... . . . . . . . . . . . ...

15.

Brautwerbung und Hochzeit. Das Concubinat bei den Chineſen. Verhältniß der Frau zum Ehemann, der Kinder zu den Aeltern. Die Eheſcheidungsgründe. Nachkommenſchaft ein Segen. Noth der niedern Klaſſen. Tod und Begräbniß eines Gemitienhaupten. Die Grabſtätten.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

16.

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237

Geſtalt und Körperbeſchaffenheit der chineſiſchen Raſſe. Die Mode

ber Fußverkrüppelung bei ben Frauen. Kleidung. Die Hutkuöpfe als Zeichen bürgerlicher Rangorbnung. Die Schmudfachen ber Reichen. Friedfertigkeit des Bollscharafters. Der Nationaldünkel. Die Moral der Chinefen. Der Kindermord. Das Häusliche Leben und die Etikette. Die Technik des Opiumraudens. Die Kochkunſt und die Bielfeitigkeit der Nahrungsmittel in Ehina .

17.

Die Landwirtbichaft der Ehinefen. Werth des Dünger. Der Reisban. Die Baumwollencultur. Die Seidenprobuctien,

. 252

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““ ©eite

Weberei und Stiderei in China. Die Porzellanfabrifation. Die Metallbereitung. Holz» und Elfenbeinfchniterei. Die Kunft- fertigfeit und ber Mangel an Kunftfinn. Die hinefifde Heilfunbe 272

18.

Das Pitſchen⸗Engliſch. Der Comprador ale Mittelsmann in Ger ſchäften. Die chinefiſche Dienerſchaft in europäilcen Familien. Munz⸗ und Geldweſen in China ..... . .. .................. 295

Abbilduugen zum erſten Theil.

Chineſiſcher Kaufmann mit ſeiner Tochter ................ zu S. 255 Chineſiſcher Bauerhof in ber Nähe von Schangehae ............ 273 .

Karte ber Oftküfte von Aften mit Iapan,

1.

Abreife. Beſuch auf Madeira. Die Naturbefchaffenheit der Infel. Die Bevölkerung. Die Bruftfranfen. Die fhöne Novize.

Am 5. März 1860 verließen wir den Hafen von Hamburg und fagten bamit dem deutſchen Vaterlande Lebewohl, und zwar für lange lange Zeit. ‘Der Norboftwind blies fcharf und Falt, die Thürme der alten Hanſeſtadt hüllten fich allmählich in einen Schleier,. ven Schneefloden immer bichter um fie webten, bie Ufer wurben öder und einförmiger, fie traten immer weiter zurüd, und als uns der Schleppbampfer wegen ber eintreten- den Flut bei Freiburg loswarf, der Anfer in ven Grund raffelte, zeichneten fie fich an dem trüben Himmel nur noch als dunkle Linien ab, über welche dann und wann eine Kirchthurmſpitze oder ein kahler Baumwipfel als einzige Abwechſelung emporragte. Die Möven flogen kreiſchend um unſer Schiff, die ſchmuzig gelbe Fläche des Stromes war eine trübſelige Umgebung, und wir wünſchten ſehnlichſt den folgenden Tag herbei, um mit ihm in die freie See zu kommen. Er erſchien ebenſo trüb und kalt, wie der geſtrige Abſchied genommen, aber er brachte einen ſtürmiſchen Nordoſt mit, der bald unſere Segel ſchwellte und uns mit Windeseile der Nordſee zuführte. Um Mittag flogen wir bei Cuxhaven vorbei, dann kam ber Thurm von Neuwerk,

Werner. J. 1

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dann das Feuerſchiff, die Umriffe von Helgoland tauchten ſchwach am Horizonte auf, um bald in der grauen Dämmerung wieder zu verſchwinden, und nun ſchwammen wir allein auf dem weiten Waſſer, deſſen ſchaumgekrönte Wellen der ſcharfe Bug unſers Schiffes durchſchnitt. Der Wind nahm beſtändig an Stärke zu, bald hatten wir den ſchönſten Sturm, aber er war uns günſtig, und wenn er uns auch empfindlich ſchaukelte, brachte er uns dafür ſchon nach 48 Stunden in den Kanal und am dritten Tage nach Portsmouth, wo wir das Ge— ſchwader trafen. Wir lagen hier vier Wochen, theils um unſere Ausrüſtung zu vervollſtändigen, theils um die Vorrath: gegenſtände für die übrigen Schiffe einzunehmen, und erſt am 5. April traten wir unſere Weiterreife an, Wir waren fehr froh, als wir der Kreidefüfte Englands Lebewohl fagen konnten. Das lange PVerbleiben dort, das in unvorhergefehenen und deshalb um fo unangenehmern Verzögerungen feinen Grumd hatte, wirkte vollſtändig niederdrückend auf uns, und jeber athmete hoch auf, als die „Nadeln“, die zadigen Klippen an der Weftfpige der Infel Wight, unfern Blicken entſchwanden, ſich unfer Schiff auf ven lichtgrünen Wellen des Kanals wiegte und mit fchneller Fahrt vor der frifchen Briſe dabinflog. Unfer nächftes Ziel war Madeira, jene Perle des norbatlan- tiſchen Oceans, die felten ein nach dem Süden gehendes Kriegs⸗ ſchiff unbeſucht Läßt. Unſere Reife verlief ohne alle Unfälle mit den gewöhnlichen Attributen von Seekrankheit für bie Neulinge, lächerlichen Intermezzos und traurigen Mienen ber barumter Leidenden. inftimmig warb aber das mwärmere Klima von uns begrüßt, deſſen fehneller Eintritt von uns täglich angenehmer empfunden wurde.

Nach zehntägiger Fahrt tauchte Borto Santo am Horizonte auf, eine den Portugiefen gehörige und 6 Meilen nörplich von Madeira gelegene Infel. Bei Annäherung zeigte jich eine fahle, röthliche, fteil aus dem Meere emporfteigende Felſen⸗

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maffe, reich an jchroffen Abhängen und Klippen, bie ihre .

ſcharfen Spiten in die Luft hinausftreden und nur ven Vögeln des Meeres zum Wohnorte dienen. Hier und dort fchnute jedoch auch die grüne Kuppe eines weiter im Innern liegen» den Hügels durch eine Felsfpalte und verrieth, daß nicht bie ganze Infel jo unwirtäbar fei, als e8 an ver Norpjeite, welche wir paffirten, ven Anfchein hatte. Porto Santo hat eine burch- Tchnittlihe Höhe von 12— 1400 Fuß und wird, da der Boden nicht fehr fruchtbar ift, nur fpärlich bewohnt. Die ganze Injel zählt auf 3 Duabratmeilen 1800 Einwohner und dient als Berbrechercolonie von Madeira.

Gegen Abend erblidten wir Madeira und gelangten bei bem fortdauernd guten Winde um Mitternacht auf die Rhede von Funchal, fonnten aber erft am andern Morgen anfern, da und Winpftille überfiel und uns etwa eine Meile von ver Stadt entfernt bielt.

Madeira, das politifch zu Europa, phyſikaliſch aber zu Afrika gehört, ift troß feiner Nähe zur Alten Welt nicht fo früh befannt gewejen wie die Kanarifchen Injeln. Seine Ent- bedung fällt um das Jahr 1344, und zwar gebt die Sage, daß ein Liebespaar, Robert Machim und Anna d'Arfel, das vor dem Zorne harter Verwandten aus England nah Frank⸗ reich fliehen wollte, von einem Sturme nach der damals un- befannten und unbemohnten Infel verfchlagen wurde. Sie landeten in einer Bucht, die noch heute die Bucht von Machico heißt und an ber ein Fleiner Flecken gleiches Namens liegt. Die Strapazen der Reife brachten jedoch beiden den Tod, und in der Kirche von Machico wird noch als Reliquie ein Stüd bes Kreuzes aufbewahrt, das einft auf ihrem gemeinjchaftlichen Grabe von ven fpätern Wiederentvedern Madeiras gefunden wurde. Ebenfo verewigt ein in dem Gouvernementsgebäude von Funchal befindliches jehr altes Gemälde das tragifche Ende bes Paares, Da nach ihrem Tode das Schiff, mit dem fie

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2 dann das" Feuerſchiff, die Umriffe von Helgoland tauchten ſchwach am Horizonte auf, um bald in der grauen Dämmerung wieder zu verjchwinden, und nun ſchwammen wir allein auf dem weiten Waſſer, deſſen fchaumgefrönte Wellen der fcharfe Bug unfers Schiffes durchfchnitt. Der Wind nahm beftändig an Stärke zu, bald hatten wir ven ſchönſten Sturm, aber er war ung günftig, und wenn er uns auch empfindlich fchaufelte, brachte er uns dafür fchon nach 48 Stunden in den Kanal und am britten Tage nad Portsmouth, wo wir das Ge- ſchwader trafen. Wir lagen bier vier Wochen, theils um unfere Ausrüftung zu vervollftändigen, theils um die Vorrath: gegenftände für die übrigen Schiffe einzunehmen, und erft am 5. April traten wir unfere Weiterreife an. Wir waren fehr froh, als wir der Kreidefüfte Englands Lebewohl fagen konnten. Das Tange Verbleiben dort, das in unvorbergefehenen und deshalb um fo unangenehmern Verzögerungen feinen Grund hatte, wirkte vollftändig niederdrückend auf uns, und jeber athmete hoch auf, als die „Nadeln“, die zadigen Klippen an ver Weftfpige der Infel Wight, unfern Blicken entichwanben, fich unfer Schiff auf ven lichtgrünen Wellen des Kanals wiegte und mit fchneller Fahrt vor der frifchen Briſe dahinflog. Unfer nächftes Ziel war Madeira, jene Perle des norbatlan- tifchen Oceans, die felten ein nach dem Süden gehendes Kriegs- ſchiff unbefucht läßt. Unſere Reife verlief ohne alle Unfälle mit den gewöhnlichen Attributen von Geefranfheit für bie Neulinge, Tächerlichen Intermezzos und traurigen Mienen ber barunter Leidenden. Kinftimmig warb aber das wärmere Klima von uns begrüßt, deffen fchneller Eintritt von uns täglich angenehmer empfunden wurde. | Nach zehntägiger Fahrt tauchte Borto Santo am Horizonte auf, eine den Portugiefen gehörige und 6 Meilen nördlich von Madeira gelegene Inſel. Bei Annäherung zeigte jich eine fahle, röthliche, fteil aus dem Meere emporſteigende Telfen-

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maffe, reich an fehroffen Abhängen und Klippen, bie ihre u

Icharfen Spiten in die Luft hinausftreden und nur ven Vögeln des Meeres zum Wohnorte dienen. Hier und dort ſchaute jedoch auch die grüne Kuppe eines weiter im Innern liegen- den Hügels durch eine Felsſpalte und verrieth, daß nicht bie ganze Inſel fo unwirthbar fei, als e8 an der Norbfeite, welche wir paffirten, ven Anfchein Hatte. Porto Santo hat eine durch- Tchnittliche Höhe von 12— 1400 Fuß und wird, da der Boden nicht fehr fruchtbar ift, nur fpärlich bewohnt. Die ganze Inſel zählt auf 3 Quadratmeilen 1800 Einwohner und bient als Verbrechercolonie von Madeira.

Gegen Abend erblidten wir Madeira und gelangten bei dem fortvauernd guten Winde um Mitternacht auf die Rhede von Funchal, fonnten aber erſt am andern Morgen anfern, da uns Windſtille überfiel und uns etwa eine Meile von der Stadt entfernt bielt.

Madeira, das politifch zu Europa, phyſikaliſch aber zu Afrika gehört, ift troß feiner Nähe zur Alten Welt nicht fo früh befannt gewejen wie die Canarifchen Infeln. Seine Ent: dedung fällt um das Jahr 1344, und zwar geht die Sage, daß ein Liebespaar, Robert Machim und Anna d'Arfel, das vor dem Zorne harter Verwandten aus England nach Frank⸗ reich fliehen wollte, von einem Sturme nach der damals un- befannten und unbewohnten Infel verfchlagen wurde. Gie landeten in einer Bucht, die noch heute die Bucht von Machico heißt und an der ein Feiner Flecken gleiches Namens liegt. Die Strapazen der Reife brachten jedoch beiden den Tod, und in ber Kirche von Machico wird noch als Reliquie ein Stüd bes Kreuzes aufbewahrt, das einft auf ihrem gemeinfchaftlichen Grabe von den fpätern Wiederentvedern Madeiras gefunden wurde. Ebenfo verewigt ein in dem Gouvernementsgebäube von Funchal befindliches jehr altes Gemälde das tragifche Ende des Paares. Da nach ihrem Tode das Schiff, mit dem fie

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gefommen, wieder abjegelte, verſchwand die Infel abermals über ein halbes Iahrhundert aus der Gefchichte. Zwiſchen 1417 und 1419 fällt ihre zweite Entdeckung durch fpanifche Anftepler auf Porto Santo, die zur Eroberung ver Canarifchen Injeln von Spanien ausgejegelt waren unb infolge einer beftändig in Südweſt fichtbaren dunkeln Wolfe dort Land ver- mutbeten.

Die erſte Erfcheinung Madeiras entfpricht nicht ven Er- wartungen, bie man fih nad ben Schilderungen berebter Reiſender von biefer fchönen Infel macht. Auf weitere Ent- fernungen zeigt es fih nur als eine kahle Felfenmaffe von gewaltigen Dimenfionen, veren breite Kuppen faft immer von einem trüben Wolfenfchleier verhüllt find, und die zwar groß- artig und impofant fi) aus ver blauen Tiefe erhebt, immer aber einen befonvers punfeln und triften Einprud macht. Die Infel befteht aus einer Dichtgebrängten Gruppe von fchroff auffteigenden und von jähen Abgründen burchichnittenen Bergen, deren beventendfter, ver Pico Ruino von 6056 Fuß Höhe, un- gefähr den Mittelpunkt bildet. Der Lomba Grande, ein Ge birgsfamm von etwa gleicher Erhebung und einer halben Meile Länge, fteigt an ihrem wejtlichen Ende auf und bildet ben Norbrand der gewaltigen Schlucht, die unter dem Namen - des Curral zu den Wundern Mabeiras zählt. Die weitliche Wand der Schlucht formt ein anderer Kamm, befjen höchſte Spike, der Pico Grande, 5391 Fuß emporfteigt. Süplich vom Ruivo zeigen fich noch drei Spiten: der Torinhas von 5980 Fuß Höhe, der Pico Sidrao und ber Pico Arriero von 5893 Fuß Höhe. Diefe Gipfel bilden mit dem Rnivo ge- wiffermaßen die Achje der Infel, von der aus das Land nach Süden bin allmählich ſich abflacht, während faft die ganze Nordküſte fteil und fchroff gegen das Meer abfällt.

So kahl und düſter aber die Inſel in der Ferne bem Auge erjcheint, fo vomantifch und zugleich Tieblich zeigt fie

B IlAE HMIEIBE fich in ver Nähe. Der gleichmäßig graue Ton ber Berge verſchwindet und macht den munnichfachften Schattirungen Platz. Auf den Bergen wechjelt das faftige Grün einer üppigen Begetation mit dem Dunfelroth des Baſalts, der bie Grundlage der Inſel bildet.

An den Abhängen ſchweben Häufer in ſchwindelnder Höhe, als ob fie dort angeflebt wären, und ihr weißer Anftrich läßt fte wie ſchimmernde Lichtpunfte aus dem fie umfchattenden Grün hervorftrahlen. Dazu tritt das umgebende Meer, befjen tiefes Dlau im Sonnenglanze mit dem Azur des Himmels wetteifert, deſſen Wogen ſich mit donnerähnlichem Toſen an ber zerriffenen Felfenfüfte brechen und ihren dampfenden Gijcht hoch in Die Lüfte peitfchen.

Bor allem bietet aber die Hauptſtadt der Infel, Funchal, ein Panorama einzig in feiner Art. und unübertroffen an Ans muth und Lieblichleit. Man fühlt fich unwiderftehlich ange- zogen von dieſem reizenden Bilde, das, von der Natur mit allen Schönheiten ausgeftattet, Die Vorzüge ber Tropen mit benen ver gemäßigten Zonen in reichem Maße in ſich vereint und namentlich auf den Norbländer einen unbefchreiblichen Zauber ausübt.

Funchal, an einer halbfreisförmigen Bucht der Süpfüfte Madeiras gelegen, ift in einem Thale erbaut, deſſen Hinter- grund ber Pico Arrtero mit ven beiden ihn begrenzenden Schluchten des Großen und Kleinen Curral bildet, und das fich nach dem Meere Hin öffnet. Die Straßen der Stabt laufen vom Strande ftrahlenförmig nach dem Gebirge hinauf, und fie nimmt dadurch fowie burch ihre weitläufige Bauart einen bedeutenden Flächenraum ein. Nur unten am Strande ftehen die Häufer näher aneinander, obwol auch hier ein jedes berjelben von einem Garten umgeben ift. Das weftliche Ende Funchals begrenzt eine runde circa 200 Schritt vom Strande fteil aus dem Meere emporfteigende Klippe, der Loo⸗Felſen,

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der ftarf befeftigt ift und mit feinen Batterien die Rhede be- herricht. Die Spite der fich wie eine Pyramide am Gebirge» abhange hinaufſtreckenden Stadt bildet Die über 2000 Fuß hoch liegende Bergkirche, deren blendend weiße Mauern mit ihren beiden Thürmen aus einem reichbelaubten Walde von Eichen, Walnuß- und Kaftanienbäumen bervorbliden. Diefe Kirche ift gewöhnlich das Ziel der Reiſenden, welche einen Spazierritt nach einem der beiden Currals unternehmen, und man genießt von ihr aus eine der fchönften Ausfichten, die man fi) denken Tann.

Der Meeresboden läuft bei Madeira ungemein fteil auf. Drei Zaufend Schritte von der Küfte beträgt die Tiefe ſchon über 1500 Fuß, und die Schiffe müſſen deshalb in unmittel- barer Nähe des Strandes ankern. Als wir uns dem Anter- plate näherten, wurben wir von einigen zwanzig Booten um- ringt, die nur auf die Anfunft des Quarantäneboots warteten, um fi auf uns wie Geier auf ihre Beute zu ftürzen. So- bald vaffelbe erjchienen war und uns freie Communication mit dem Lande gewährt hatte, wurden wir auch fofort geentert, und bald fonnte man vor Gefchrei fein eigenes Wort nicht verftehen. Jeder wollte zuerſt anlegen, jeder zuerjt jeine Dienfte anbieten. Lieferanten, Schlächter, Bäder, Wafch- frauen, Knaben, die nach Silbermünzen tauchen wollten, bie man in das Meer warf, alles fchrie, gefticulirte und Tärmte mit füblicher Lebendigkeit durcheinander, und e8 gehörten eben jo gute Nerven als Energie dazu, um in dieſes Getümmel etwas Ordnung zu bringen, das uns anfänglich zwar amuſirte, bald aber unausfiehlich wurde.

Bald jedoch Titt e8 uns nicht mehr an Bord. Die Dauer unfers Aufenthaltes auf der Infel war fehr befchränft, und wir beeilten uns, nachbem wir unfere fchmachtenden nordiſchen Leiber mit dem Safte und Fleifche golbiger Apfelfinen und Bananen erquidt, ſobald als möglich an das Land zu fommen.

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Das Landen in Madeira ift jehwierig und kann nur mit den eigens bazu erbauten Booten der Inſel gejcheben. Es eriftirt nämlich weder eine Mole noch ein Hafen, fonbern man läßt fih mit der Brandung an ben Strand ſetzen. Während dann bie erite Welle verläuft, fallen jechs bis acht Männer das Boot, unter deſſen Vorderende Walzen gejtedt werben, und ziehen es mit feinem ganzen Inhalte hoch auf ‚ven Strand, fobald bie nachfolgende Welle angerollt kommt und helfen nachjchiebt. Für den Laien fleht die Sache ziem- lich gefährlich aus, die Bootsleute find jedoch fo geichidt, daß man immer trodenen Fußes ans Land fteigt. Hier wiederholte fih die Scene, die bereit an Bord fpielte, und man Tonnte fih nur mit Gewalt einen Weg durch die uns beftürmenden Führer, Pferbeverleiber, Träger und Bettler bahnen.

Beim Eintritt in die Stabt wird man angenehm burch bie große Reinlichfeit ver Straßen und Häufer berührt, eine Wahrnehmung, die man fonft in portugiefiichen' Städten nicht zu machen gewohnt ift. Die,Häufer find fänmtlich weiß an- geftrichen und fauber; die Straßen zur Abhaltung der Sonmenfirahlen zwar fehr eng gebaut, aber gleichfalls aus⸗ nehmend reinlich und fehr ſorgſam gepflaftert, wenn auch auf eine Weife, die unjern verwöhnten Füßen durchaus nicht an⸗ genehm iſt. Die Steine haben nämlich Feine platte Ober⸗ fläche, fondern beftehen aus ovalen Kiefeln, deren Spitzen auseinander jteben, ſodaß man fehr bald durch fchmerzende Füße auf diefe Eigenthümlichkeit aufmerkfam gemacht wird. Der Grund viefer fonderbaren Art zu pflaftern liegt in den Bodenverbältniffen. Die fteilen Straßen erlauben feine Räder⸗ wagen als Transportmittel, und die Wagen beftehen nur aus Kntichfaften, die auf Schleifen ruhen und von Ochfen gezogen werden. Die Kiejelpflafterung bietet einerfeitS den Schlei- fen eine nur geringe Reibung und verjchafft andererfeits den Ochſen einen fichern Tritt, erfüllt alfo vollftändig ihren Zweck.

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Gleich unten am Strande befindet fich bie Terreiro da Se, eine höchft angenehme mit Bäumen bepflanzte, von einer Mauer eingefaßte und mit Siten reichlich ausgeftattete öffent- lihe Promenade, die fowol am Tage als namentlich abends ben Sammelplag der Einwohnerjchaft Funchals bildet. Die Baumpflanzung ſcheint abfichtlich aus den verfchiedeniten Arten zuſammengeſetzt zu fein, um dem Fremden fogleich beim Betreten der Infel vie Mannichfaltigkeit ihrer Vegetation vor⸗ zuführen, und wahrlib, man muß auf ein herrliches Klima jchließen, wenn die in den üppigſten Laubbüfcheln prangende Eiche, der Rhododendron, der Apfelfinen-, der Korallenbaum, die Platane und die Palme gleich kräftig nebeneinander ge- beihen.

In der That befikt auch die Infel ein herrliches Klima, das fchönfte in der Welt. "

Auf der Grenze der Tropen liegend und rings umgeben von den Fluten des-Dceans, berrfcht auf Madeira ein ewiger Frühling und bie Glut der Sonne wird durch das Meer ge- fühlt. Es gibt wol fein Land auf der Welt, wo ein geringerer Zemperaturwechjel ftattfindet als bier, und Dies fowie die warme feuchte Luft machen Madeira zum Eldorado ber Schwindfüchtigen, wo Heilung erfolgt, wenn fie noch mög⸗ ich, und wo bie Krankheit zum Stillſtand gebracht oder min- beftens aufgehalten wird, wenn vollftändige Genefung nicht mehr erwartet werben darf.

Nach achtzehnjährigen Beobachtungen wurbe die mittlere Monatstemperatur wie nachftehend gefunden: Januar 64°,18; Tebruar 64°,3; März 65°,8; April 65°,50; Mai 65°,53; Juni 69°,74; Suli 73°,45; Auguft 75°,2; September 75°,76; Dctober 72°,5; November 69°,8; December 65° Fahrenbeit, mithin während bes ganzen Jahres nur eine Differenz von faum 11° Fahrenheit oder Reaumur.

Schlechtes Wetter fommt während der neun Sommermonate

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gar nicht, während des Winters äußerſt felten vor und ber ſchränkt fich auf etwas Wind und Regen. Die Winterftürme find mäßig; nur zweimal in biefem Jahrhundert wurde bie Infel von einer Sturmflut heimgefucht, die allerpings großes Unglück anrichtete. Im Sabre 1803 wurben von der Flut 400 Berfonen verfchlungen, und ähnliche Berwüftungen richtete bie zweite am 24. Dctober 1842 an.

Am 15. Detober erſchien die Infel wie unter ainer einzigen großen Wolfe begraben, bie eine nächtliche Finſterniß ver- breitete. Ein wolfendbruchartiger Regen entlud fich aus ihr, ber fpäter an Stärfe zwar etwas nadhließ, aber ohne Unter⸗ brechung neun Tage lang anbauerte. Daffelbe wiederholte ih am 24. October, und um 1 Uhr erjchien plöglich eine furchtbare Flutwelle in der Bucht von Funchal, die, mit ge- waltiger Kraft gegen vie Küfte ſtürmend, bie niedrig gelegenen Theile der Stadt überſchwemmte, welche ſchon durch bie an- gefchwollenen Gebirgsjtröme bedroht waren, und bei ihrem Rücklauf 200 Gebäude mit fih fortrif. Am 26. October wehte ein Orkan aus Süden, ver ſechs in der Bucht ankernde Schiffe auf den Strand warf und fie total zertrünmerte, während fait ihre gefammten Mannfchaften in ven Wellen be- graben wurben.

Diefe Fälle find jedoch Abnormitäten, welche in bejondern Naturereigniffen ihren Grund haben und feinen Maßftab für gewöhnliche Zuftänbe abgeben können.

Madeira wird von Bruftfranfen aus allen Theilen ber Welt aufgefuht. Im Winter befinden fich durchſchnittlich 2000 Fremde auf der Inſel, die dort Genefung von ihren Leiden fuchen. Meiſtens find es Engländer, jeboch gehen jetzt auch viele Deutſche dahin.

Wenn man durch die Straßen Funchals wandert oder morgens einen Spazierritt in die höher gelegenen Partien des Landes macht, begegnet man ſehr häufig den Kranken,

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die je nad ihrem Zuftande zu Pferde oder zu Wagen die liebliche erfriſchende Morgenluft mit vollen Zügen einfchlürfen. Zangfam und geräufchlos gleiten bie mit Ochſen beipannten Schleifenkutfchen über das Straßenpflafter, und in unferer durch die reizenden Umgebungen und den prachtvollen Morgen froh und heiter geftimmten Seele erflingt ein fohmerzlicher Mis⸗ ton, wenn wir durch die Vorhänge des bicht verbüflten Wagens die bleichene Tetvenden Züge eines ſolchen Unglüdlichen er- bliefen, ver felbft am Rande des Grabes, vielleicht mit um jo größerer Luft, ſich an das ſproſſende blühende Leben Hammert, das ringeum in reicher Fülle ihn anlacht. Wer weiß, ob nicht fchon in wenigen Tagen ver fchwellende Raſen ihn deckt, deſſen buftiges Aroma ihn heute noch erquickt. Dort fommt ein anderer Trauerzug, der unfer freubevolles Herz mit wehmüthigem Mitleid erfüllt. Zwei Fräftige Männer ver Inſel, mit weißen Hemden und Beinkleidern und der Heinen ſonderbar gefhwänzten Kappe auf dem fohwarzen bichten Haupthaare, tragen an einem Bambusrohre eine Hängematte, deren Kopfende purch einen von der Stange herabhängenden Tep- pich gegen die Sonnenftrahlen gejchügt ift. Behutſam, gletch- mäßig fchreiten fie vorwärts, damit ihre Laſt vor jeber Er- Ichütterung bewahrt bleibe. Eine Kranke ruht in der Matte; ein junges Mädchen in ber Blüte ver Jahre, aber bereits ge- brochen in der Fülle ihrer Jugend und ven Tobesfeim in ber wunden Bruſt tragend, fchwebt an uns vorüber. Ihre großen blauen Augen, aus denen noch vor kurzer Zeit Luft und Leben ſtrahlte, fchweifen matt und glanzlos über bie prachtvolle Morgenlandfchaft; über ihre feinen Züge bat bereits der Todesengel feinen Schleier ausgebreitet und auf ihren Wangen blühen vie Kirchhofsrofen. Wird auch diefer Aermſten ie Infel ein Retter fein? Sie kam wol zu fpät hierher, und bald ſchläft auch fie in der Fühlen Erde, wo ſchon fo viel Hunderteihrer Leidensſchweſtern Erlöfung fanden. Möge die Erde ihr leicht fein!

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Wenn man als Fremder Madeira befucht, ift ein Ritt in die Berge, nach der erwähnten Kirche Noſſa Signora da Monte und nach der Schlucht des Großen Eurral der gewöhn⸗ Ihe Ausflug. In einem Morgen Tann man dieſe Tour ohne Anftrengung machen, und fie genügt vollftändig, um Madeira, fofern man nicht Tonrift par excellence ift, kennen zu lernen, ba das Leben auf ber Infel fich hauptſächlich in Funchal und dem Thale, in dem dieſe Stadt liegt, concentrirt. Kleine Ortſchaften und einzelne Hütten liegen zwar überall auf ber Inſel zerjtreut, aber außer Funchal exijtirt weiter feine Stabt, und jedenfalls bat auch die Natur dieſen Punkt vor allen andern verſchwenderiſch begünftigt. SHimmelanftrebende Ge- birge mit all den erhabenen romantischen Schönheiten, die der Menſch an ihnen bewundert, gähnende Schlünde, fchroffe Felſenwände, einzelne Klippen in feltfamer Form, wilde Sturz- bäche, dunkle Waldungen und bellleuchtenne Matten alles findet man bier vereint. Dazu das bimmlifche Klima, der blaue Aether, eine tropifche Vegetation in den mannichfachften Formen und endlich das Meer, das ruhelos wallende Meer mit den fchwimmenden Segeln darauf, die wie filberne Wölkchen am ferne verſchwimmenden Horizonte dahinſchweben wahrlich das ift ein Panorama, welches das Auge erfreut, das Herz erhebt und eine unauslöfchliche Erinnerung in unſerer Seele hinterlaffen muß.

Die Bevölkerung der in zehn Diltricte zerfallenven Inſel beträgt 120,000 Seelen, von denen 25,000 auf Funchal fommen. Die Übrigen Ortfchaften Tiegen ſämmtlich an der Küfte zer- jteeut, fie find jedoch faum des Nennens wert und fat in allem ber gerade Gegenfak der Hauptitabt, Hein, ärmlich, ſchmuzig. Die Häufer bejteben aus vier kahlen Wänden mit Strohdach; fie find kaum fünf Fuß Hoch und gleichen eher Ställen als menfchlichen Wohnungen. Der fie bewohnende Menſchenſchlag ift abftoßend häßlich, namentlich die Frauen,

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während den Männern bie ſtupiden Gefichtszüge, die über pie Stirn herabhängenden ſchwarzen firuppigen Daare, ber plumpe Körperbau und der gänzlihe Mangel an geiftigem Ausdruck einen tbhierifchen Anftrich verleiben. Wo ein gutgefleibeter Fremder unter fie tritt, wird er mit verbunmten Bliden an⸗ geglott, aber alsbald ftreden fich ihm hundert Arme entgegen, bie um ein Almofen bitten. Alles bettelt bier, und die Unver- Ihämtheit, mit der es betrieben wird, verfümmert einem zum Theil den Genuß des fehönen Landes. Es fcheint faft, als ob diejes Almofenfordern mehr Gewohnheit als Nothwendig- keit ſe. Haus⸗ und obdachloſe Menjchen gibt es eigentlich gar nicht, und man würde der Bevölkerung unrecht thun, wollte man ſie träge nennen. Im Gegentheil, die Leute ſind ungemein thätig, und man erſtaunt über die Ausdauer und den Fleiß, mit der ſie den ſpärlichen Boden in den Gebirgen cultiviren und ihm eine Ernte abringen. Die ſteilſten Berge ſind von ihnen terraſſirt, und wo nur ein Streifchen Ackerkrume von wenigen Fuß Breite an einem Abhange zu finden war, iſt es gewiß mit Mais, Yams oder Weizen, je nach feiner niedern oder höhern Lage, bebaut, und jede noch fo ärmliche Hütte Liegt zwijchen lachenden Feldern. Von eigentlichen Mangel kann daher nicht die Rede fein, und das zupringliche Betteln ift darum um fo auffallender. Freilich in ben letten Jahren, jeit der Weinfranfheit, ift viel Nothftand auf der Infel geweſen. Seit 1856 gibt es feinen Wein mehr, und nicht einmal Trauben zum Efjen kommen zur Reife. Unter 2 Thalern ift auf der Inſel feine Flafche Wein mehr zu haben, und bald wird der echte Madeira nur noch in der Erinnerung leben. Wenn man bevenft, daß im Sahre 1836 der Wein- ertrag fih auf 8435 Pinen im Werthe von 1Y, Million fpanifchen Thalern belief, fo wird man leicht ermeſſen können, welchen harten Schlag die Infel durch die Weinkrankheit er- litten hat.

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An Bodenproducten erzeugt Madeira eigentlich alles, was bie tropifchen und die gemäßigten Zonen hervorbringen. Früher war der Kornertrag gering und reichte nur für zwei’ Monate. Seitdem jedoch die Winzer gezwungen find, fich auf biefen Zweig der Bopencultur zu werfen, wird faft das ganze Jahres⸗ bedürfniß erzeugt.

Die Einkünfte der Infel betragen 210,000 fpanifche Thaler jährlich, deren Hälfte die Zölle abwerfen, währenn bie andere Hälfte aus ben birecten Steuern fließt. Die Ausgaben für die Infel, inclufive der Garnifon, belaufen fih auf circa 150,000 fpantfche Thaler, ſodaß dem Mutterlande 50 60,000 fpanifche Thaler übrig bleiben. Die Inpuftrie beſchränkt fich auf feine Holzwaaren, Stidereien und Häkeleien und auf bie Fabrikation von. Feberblumen. In allen drei Propuctionen haben e8 die Madeirenſer zur hohen Tertigfeit gebracht, und wenn man nur nicht nach Art der Englänver, bie überall vie Preife verderben, fogleich den geforderten Preis gibt, ſondern bis auf die Hälfte herunterhandelt, befommt man auf billige Art die reizenditen Sachen in dieſem Genre. Erportixt wird von jenen Gegenftänden nichts, wenigftens nichts in ber eigent- Iihen Bedeutung des Wortes, obwol faſt alle in das Ausland gehen. Die vielen Schiffe, welche die Infel befuchen, nehmen ſämmtlich dergleichen Andenken mit, und namentlich wurben die Federblumen von unfern drei Schiffen vollitändig ausgefauft. Dieje reizgenden Blumen werben aus den Federn ſchön ge- färbter Vögel, namentlich tropifcher, zufammengefekt. Sie werben in Nonnenflöftern gefertigt und zeichnen fich nicht allein durch das prachtvolle natürliche Colorit ihres Materials, fondern auch durch die feine faubere Arbeit, die kunſtvolle Nahahmung der Natur und das höchit geichmadvolle Arran- gement der Bouquets für Hut- und Haargarnirungen aus. Wie fehnjüchtig wol die armen Nonnen Hinter ihren engen triften Mauern nach jener großen fröhlichen Welt biiden

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mögen, wo der aus ihren fleißigen Häuden und vielleicht unter fchweren Seufzern und veritedten Thränen hervorge⸗ gangene Schmud getragen und bewundert wird! Wie traurig fie der Contraft ftimmen muß, wenn fie im Geijte ihren groben fchwarzen, alle Reize verhüllenden Anzug mit ver Toilette‘ vergleichen, zu der diefer Strauß oder jener Haar- ſchmuck paßt!

Das Klofter Incarnacao hat den Ruhm, die feinften und ſchönſten Blumen zu liefern; aber auch noch ein anderer Grund bewog uns, wie fchon vor einigen Jahren, jo auch diesmal feine dunfeln Mauern aufzufuchen Wir wollten fehen, ob noch das Tiebliche Weſen mit ben feurigen tiefſchwarzen Augen, ben feinen bezaubernden Gefichtszügen, dem blendenden Teint und der graziöfen Figur dort wäre, mit der wir jo manches Stündchen durch das doppelte Eifengitter des Sprechſaals ver⸗ plaudert, der wir beutjche Lieder vorgefungen, und bie bor zwei Jahren von einem unferer Kameraden, ber ihr zu tief in die dunfeln Augen gefchaut, porträtirt und als theures An- venfen im Album mitgenommen worden war. Unſere Hoffnung wurde nicht getäufcht. Schweiter Anunciata begrüßte uns an ber Hand der Aebtiffin, gleichfalls einer alten Belannten, durch das Sprachgitter mit der frühern harmloſen Heiterkeit und Freundlichkeit. Sie war etwas mehr erblübt und zur ausge- bildeten Jungfrau gereift, aber fie war noch fchöner geworben, und abermals fonnten wir eine Stunde ber liebenswürbigften Unterhaltung mit der reizenden Novize zu unfern angenehmen Reifeerinnerungen zählen.

Sie war noch immer Novize. Wie e8 feheint, will fie den Schleier nicht nehmen, wenn fie jemand finbet, der ihr Herz gewinnt. Und mie es uns vorfam, hat fie bereits biefen jemand gefunden. Sie war jo fehalkhaft, jo heiter und bezaubernd und lachte jo fröhlich hinaus in die Welt jenfeit des Sprachgitters, daß fie unmöglich mit biefer gebrochen

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haben konnte, und gewiß würde die fie begleitende Aebtiffin ihre Fröhlichkeit beſchränkt haben, wenn dieſe fie wirklich ale eine angehende Braut des Himmels betrachtet hätte. Die furze Dauer unfers Aufenthaltes nahte fih ihrem Ende: wir fahen von den Bergen hinter Funchal die blaue Flagge am Vortop unfers Schiffes wehen, welche die Umherſchweifen⸗ ben zufammenruft, wenn alles fegelfertig ift, und wir mußten eilen an Bord zu fommen.

Bald war der Anker gelichtet, der günftige Wind fchwellte bie Segel, unfer Schiff zog eine weiße Schaumfurche durch bie blauen Fluten, und dahin ging es nach dem Süden. Die auf den DBergipigen lagernde Wolfe ſenkte ſich allmählich tiefer; jie verhällte wie ein Schleier eine ber auf ber Höhe liegenden Quintas nach der andern. Bald Teuchteten nur noch die unten am Strande liegenden Gebäude wie ſchimmernde Punkte aus dem Wollennebel hervor, dann verjchiwanden auch fie. Der nahende Abend ſandte feine grauen Schatten herüber, und wir fagten ber lieblichen Infel Lebewohl, um einer andern Station der großen Tour zuzuftenern, die ung lange von unfern Lieben und dem Vaterlande fern haften folfte, aber auch des Intereffanten jo viel verſprach.

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von den alten Guanchen genannt wurde, das im Scheine der Morgenfonne wie ein Meteor ftraßlend hoch über einer dun⸗ fein Wolfenfchicht bervorglänzte, bie auf bes untern Inſel lagerte und dieſe noch einige Stunden-unfern Blicken verhüllte. Segen Mittag hob fich der Schleier, die zadigen Umriffe der jäh auffteigenden Nordküſte traten aus dem Nebel hervor, eine wirre chaotifhe Maſſe von jteilen Belfen, fchroffen Ab- gründen, unregelmäßigen Riffen und Spalten von dunkler, falt Ihwarzer Farbe und. ohne die geringfte Spur von Vegetation bot fih dem Auge var und verfündete, daß bie Inſel ihre Entftehung einer jener großartigen Convulflonen der Natur zu verdanken habe, die vor Tauſenden von Jahren unfern Erb- bau erfchütterten.

Die Norpfeite Teneriffas ift unzugängfich und unbewohnt. Nur nach Nordweſten am Fuße des Pic flacht ſich das Ufer etwas fanfter ab, und dort wurde das Auge durch weiß ſchim⸗ mernde Häufer, umgeben von frifchem Grün, erfreut. Es war Orotava, welches: wir erblicten, berühmt wegen feines Weins und feiner Gärten, die ſchon Humboldt's Entzüden erregten, und von deren Schönheit jeder die Inſel betretende Tourift bezaubert wird.

Bald war die DOftküfte, an. veren ſteilen Klippen die Brandung donnernd emporbrauſte, umſchifft, und die Südküſte trat uns in viel freundlicherer Weiſe entgegen. Hier waren die Abhänge wenigen ſteil, die Thäler eultivirt, die Berge mit üppiger Vegetation. bedeckt und Heine Dörfer lagen ma- leriih am Meeresſtrande zerſtreut. Gegen Mittag: hatten wir die Rhede von Santa⸗Cruz erreicht und anferten in geringer Entfernung von der Stadt, die, ungefähr in der Mitte ber Süpfüfte liegend, jet Hauptſtadt der Infel und Sit des Gou⸗ verneurs ift und etwa 8000 Einwohner zählt. Das Land macht bier eine Meine nördliche Eindiegung, fteigt nur allmählich an und bleibt nach Weften ziemlich „flach, während es nörd⸗

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Yich und öftli von Santa-Cruz ſich zu einer Bergkette von 1000—1200 Fuß Höhe emporhebt.

Das Aenkere der Stadt macht feinen angenehmen Ein- drud, und die Lieblichfeit, welche Funchal umgibt, fehlt hier gänzlih. Während in Madeira ſich alle Schönheiten der In- fel in und um Funchal vereinigen, muß man ſie in Teneriffa ine Innern auffuchen. |

Santa-Eruz ift nach demfelben Shfleme erbaut, Bas die

Spanier bei Anlage von Städten in allen ihren Colonien zu Grunde legten. Es bildet ein Parallelogramm mit recht- winfelig ſich fohmeidenden Straßen, die 150 Schritt (eine Cunadra) voneinander entfernt laufen, während in ver Mittellinie fich zwei bis brei große Pläte befinden, an denen bie Kirchen und fonftigen öffentlichen Gebände aufgeführt find. Die keiner fpanifchen Stadt fehlende Alameda erſtreckt fich wegen ber kühlern Luft unten am Meeresſtrande hin, tft jedoch nur eine Miniaturausgabe im Kleinften Format, in der fh kaum 20 Berfonen frei bewegen können. Nach ver Seefeite ift die Stabt ftarf befeftigt, und an ihren ‚Mauern holte ſich Nelſon im Jahre 1797 eine tüchtige Schlappe. Er verſuchte Santa⸗Cruz durch einen Handftreich zu nehmen, inbem er mit ven Booten feines Gefchwabers einen nächtlichen Angriff machte. Diefer mislang jedoch gänzlich, der umfprin- gende Wind ſchleuderte die Boote auf den Strand und fchnitt ven Engländern ven Seeweg ab. Sie wurden ſämmtlich ge- fangen genommen, und Nelfon büßte außervem noch feinen Arm dabei ein. Der fpanifche Gouverneur befaß bie unpo- litiſche Großmuth, den Admiral nebft feinen Gefährten unter der Bedingung frei zu geben, daß er feinen zweiten Angriff auf die Inſel unternähme Wäre er weniger großmäthig ge- wefen, hätte er feinem Baterlande vielleicht ben Tag non Tra⸗ falgar erfpart.

Die Gebäube von Santa⸗Cruz find vurchſchmitlich im

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untern Theile der Stabt, wo die wohlhabende und kaufmän⸗ nifche Bevölkerung ihren Wohnſitz aufgefchlagen, hoch und geräumig in maurifchem Stile aufgeführt, im obern Stabt- theile dagegen faft ſämmtlich einftöcdig und oft fo niebrig, daß man mit der Hand das Dach erreichen kann. ‘Der durch⸗ gängig weiße Anſtrich ertheilt jedoch allen Häufern ein freund- liches Ausſehen, und auch die zur Abhaltung der Sonnenhite eng angelegten Straßen ſehen reinlich aus, was man in Flei- nern fpanifchen Städten oft vermißt. Der vornehmfte öffent⸗ liche Plag iſt die Placa della Conftitucion, um den fich bie Gouvernementsgebäude gruppiren und der in der Nähe bes Landungsplates Tiegt. Er ijt mit breiten Fliefen gepflaftert und allabenplich der Verfammlungsort der beau monde, bie in der engen Alameda nicht Raum genug für die Anfnüpfung oder Befprechung ihrer Liebesaffairen hat, welche nun boch einmal im Leben jeder Spanierin, namentlich aber in den Eo- Ionien den erſten Platz einnehmen.

Die Hauptfirche von Santa-Eruz ift feine architeltoriſche Merkwürdigkeit, obwol im Innern mit reicher Pracht und all dem koſtbaren Luxus ausgeſtattet, den vor 2—300 Jahren die Conquiſtadoren zur bequemen Buße für ihre nicht immer gottſeligen Thaten den Kirchen widmeten. Als ich die zahl- loſe Menge der ſchweren, maſſiv ſilbernen Candelaber, die koſtbaren Altardecken, die vielen ſilbernen und vergoldeten Heiligenſtatuen anſah, die alle aus der Zeit der erſten Erobe⸗ rung der Canariſchen Inſeln ſtammen, mußte ich unwillkür⸗ lich daran denken, wie viel unſchuldig vergoſſenes Blut der armen Guanchen, die von ihren chriſtlichen Beſiegern auf die grauſamſte Weiſe zur Ehre Gottes und der Heiligen Jungfrau hingeſchlachtet wurden, damit geſühnt ſei. Dieſe Ausrottung der Ureinwohner Teneriffas bildet auch einen der vielen Flecken in der ſpaniſchen Geſchichte, den Jahrhunderte nicht verwiſchen können und der ein ewiges Brandmal Spaniens bleiben wird.

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Seit Iahrhunderten fchon exiftirt fein Guanche mehr auf ver Infel, und es ift ſchwer, über die erjten Bewohner ber insulae felices etwas Näheres zu jagen. Nur fo viel weiß man, daß fie ein harmloſes, friedliebendes Völkchen waren, bie bei Ankunft der Spanier auf der Inſel einen ziemlichen Grad von Eivilifation befaßen, Aderbau und Viehzucht trier ben und mit ven übrigen Infeln durch Schiffahrt, wenn auch nur in beſchränktem Maße, eine Verbindung aufrecht erbiel- ten. Auf mehreren fehr alten Gemälden, die ich auf dem Rathhaufe in Laguna, der frühern Hauptſtadt der Infel, ſah, waren alle Guanchen mit blondem lodigen Haar, blauen Augen und echt germanifchen Zügen abgebildet. Die Gemälde tragen das Gepräge eines zwei- bis breihundertjährigen Alters, und es it wahrfcheinlih, daß fie Porträts von wirklichen Guanchen geben, um fo mehr, als fie die Belehrung derſel⸗ ben zum Chriftenthume varftellen. Die Geftalten jind im allgemeinen fräftiger und höher als die der mit abgebilveten Spanier, und es ift leicht möglich, daß einft ein Haufe unferer fühnen norbifchen Vorfahren auf ihren Streifzügen zur See bie Inſel erreichte und fich dort anfiebelte. -

"Ich befuchte die Kathedrale bei Gelegenheit eines großen religiöſen Feftes, der Erhebung des Kreuzes. Die Hoftie wurde in feierlicher Procefjion in die Gefängniffe getragen und den Verbrechern pas Abenpmahl verabreiht. Der Bi⸗ ichof und die gefammte Geiftlichkeit fchritten voran, ihnen zur Seite Hunderte von Laienbrüdern mit brennenden Wachsferzen, hinter diefen die gefammte Garnifon mit entblößtem Haupte und umgefehrten Gewehren. Die Proceſſion bewegte fich durch alle Straßen der Stadt, die fingerhoh mit Blumen und grünen Blättern beftreut waren. Alle Tenfter waren vicht gedrängt mit Mädchen und Frauen bejegt, welche Körbe voll Blumen auf die Vorbeiziehenden herabftrenten. Die Sol- baten marjchirten nach dem Takte ihrer Regimentsmufll, ben

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Körper nach hinten gebogen und ihn bei jedem Schritte bin- und berwiegend. Es waren meiltens fchlanfe Geftalten von dunkler faft kupferbrauner Hautfärbung und dem Typus ber Nordafrilaner. Sie ftammen von den übrigen Canariſchen Inſeln, während die auf Teneriffa geborenen auf Gran⸗Ca⸗ naria garnifoniven. Nur die Offiziere finn wirkliche Spanier, . bie Soldaten ſämmtlich Infulaner.

Bei der Rüdfehr aus ven Gefängniffen zog die Proceffion zum Hochamte in die Kirche. Die Soldaten machten vor ber Thür halt, und wie ein Blitz ſchien ein anderer Geift über fie zu fommen. Die Läffige Haltung verfchwand, die Körper richteten fich gerabe, ihre Fronte bildete eine ſchnurgerade Linie, und fie marfchirten in vorzüglicher Orbnung unter klin⸗ gendem Spiele in ihre Duartiere.

Die Kirche war faft gebrängt voll Frauen, bie auf foft-

baren Teppichen und Züchern fnieten, welche jeve Dame auf

ihrem Kirchgange ſich nachtragen läßt, da es in ven Kirchen weber Stühle noch Bänfe gibt. Wol weniger Andacht als Neugier war ber Grund des zahlreichen Damenbeſuchs. Hin- ter den Fächern wurbe viel gefichert und gefchwaßt, und eigent- lich fchien mir die Kirche nur eine Art von Alameba zu fein.

Der Kathedrale gegenüber liegt das jeit einem Sahre er- öffnete neue Theater. Man muß gefteben, daß es alle Er- wartungen übertrifft, die man in biefer Beziehung an eine Stadt wie Santa-Crnz ftellen fannı. Es faßt 2000 Menfchen, ift ſehr zweckmäßig eingerichtet und fogar im Innern reich aus- geitattet. Nur die Eine Unbequemlichkeit iſt dabei, daß bie Logen feine Site haben, daß man fich die Stühle jelbft mit- bringen muß, auch nicht einen einzelnen Platz, fondern nur die ganze Loge miethen kann. ‘Die Leiftungen der gerade jpielen- den Truppe waren recht gut, unb gemug befam man auch für fein Geld. Bon 7%, bis 12 Uhr hatte man ununterbrochen Zuftjpiel, Oper und Ballet. Nur das Orcheiter war unter

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aller Würde. Es beftand aus 12 Inftrumenten, und darunter waren 5 Pofaunen und 3 Bäſſe. Ich kann nicht begrei- fen, wie die Befucher des Theaters eine ſolche Tortur zu er- tragen vermögen, da Doch auf der ganzen Infel ein reger und gebildeter mufifafifcher Sinn herrfcht und wir Belegen- beit genug fanden, uns davon zu überzeugen.

Wir fuchten unfere Ohren gegen biefes unheimliche Con⸗ cert zu verfchließen, indem wir befto mehr unfere Augen an⸗ ftrengten, um den Kranz von feltenen Schönheiten zu betrach⸗ ten , der die verjchievenen Logen zierte. So unangenehm wir in Madeira dur die mit wenigen Ausnahmen wirklich ab⸗ ichredende Häßlichleit des weiblichen Geſchlechts berührt wur⸗ ben, fo ſehr erfreute uns bier das Gegentheil, und nie haben wir eine größere Zahl von wirklichen Schönheiten beieinan- ver gefehen als im Theater von Santa⸗Cruz und auf einem Balle, den ver Alcalde uns zu Ehren gab. Wahrlich, dem Paris würde es fchwer geworben fein, bier eine vollgültige Entſcheidung zu treffen, und wir fonnten nur bewuntern, mit welcher Anmuth und Grazie hier die Natur ihre Geichöpfe ausgeftattet hat. Freilich find die Spanierinnen überhaupt in diefer Beziehung bevorzugt. Schwarze feurige Augen, rei- ches dunkles Haar, fchöne Zähne, Feine Hände und Füße find faft das Eigenthum einer jeden, und mit ſolchen Schä- gen ausgeftattet, kann wenigftens vie Jugend nicht häßlich oder unfchön fen. Man muß es ihnen jedoch auch laſſen, fie verftehen es meifterhaft, durch eine gefchmadvolle Toilette ihre natürlichen Reize zu erhöhen, und fie wiflen es wohl, daß die einfache ſchwarzſeidene Mantille, welche fie Eofett über ven Kopf geworfen tragen, viel beſſer Fleibet als das ausgeſuch⸗ tefte Mufter unferer hohen gefchmadlofen Damenbüte, mö- gen fie noch fo reich garnirt fein. Die kosmopolitiſche Erino- line hat auf ihrer Weltumfegelung auch Teneriffa erreicht und blüht in vollem Glanze bei der bafigen Damenwelt. Ja fo-

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gar der „letzte Verfuch”, der Amazonenhut, tauchte auf der Promenade einigemale vor meinen Augen auf, fcheint jedoch nur bei den Dienſtmädchen Gnade gefunden zu haben.

Die Frauen vom Lande tragen -ftatt ver fchwarzfeidenen Mantilfe ein weißes, mit breitem gleichfarbigen Seidenbanve eingefaßtes Kafimirtuch über den Kopf, das mit dem unab- änderlich ſchwarzen Kleive angenehm contraftirt, und unter dem bie Schwarzen Augen ftrahlend hervorbligen. Bei ven Aermern ift der Kleiderſtoff Wolle, wer es jedoch irgend erſchwingen fann, geht in Seide. Eine Bauerfrau von Teneriffa hun- gert lieber, als daß fie fich verfagte, mit ſchwarzſeidenem Rode zur Stadt zu fommen, während dagegen ihr Mann mit dem aus einer weißwollenen Pferdedecke Tunftlos her- gejtellten Mantel und dem breitfrämpigen braunen Filzhut einherftolzirt.

Das gefellichaftliche Leben in Santa-Cruz ift angenehm. Man ift allabendplih auf Bällen oder bei andern freund- Ichaftlihen Zufammenfünften, wo man ſich indeß bier nur um feiner ſelbſt willen fieht. In andern Ländern werden felbft reiche Leute an allabenplichen großen Geſellſchaften zu Grunde gehen, in Teneriffa vermag dies jedoch auch ber weniger Bemittelte wohl auszuhalten. Etwas Frugaleres als die Verpflegung bei dergleichen Anläffen Tann es faum geben. Wir wa: ren zu verjchiedenen Bällen und andern Feſtlichkeiten ein- geladen, aber wir nahmen jedesmal zuvor ein fubjtantielles Abendbrot zu uns, um nicht auf das Buffet angewiefen zu fein, das allerbings eriftirte, aber für etwa 40 Perſonen aus zwei Schüffelchen mit leichtem Biscuit, zwei Tläfchchen mit Teneriffawein ober, wie es befjer Klingt, Canarienfect, zwei Flaſchen Waffer und einer Anzahl von Gläſern beftand. So fanden wir es beim Gouverneur, beim Alcalven und bei Kaufleuten, die Teineswegs unbemittelt waren. Wir Nord- länder find dieſe Einfachheit nicht gewohnt und deshalb Fällt

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fie uns zuerft unwillfürlich auf, aber im Grunde genommen kann es nichts Vernünftigeres geben. Unfere Gefellfchaften würden viel von ihrer Steifheit und Langweiligfeit verlieren und aufhören, eine Qual fowol für Wirthe als Gäfte zu fein, wenn fie weniger Abfütterungen als gefellige Zufam- menfünfte wären. |

Ein Tänzchen befchließt regelmäßig die Unterhaltung, und namentlich ift der aus der Savannah eingeführte danza be- liebt. Diefer Tanz hat eine Aehnlichkeit mit unjerm Walzer; ber Takt ift jedoch viel langſamer, und es ift eigentlich nur ein Hin- und Herwiegen der Paare zu nennen, die fich faft nicht von der Stelle rühren. ‘Die Dame ruht dabei gänzlich im Arme des Herrn, und für Liebende gibt es gewiß. feinen Zanz, ber zu zärtlichen Unterhbaltungen fich beffer eignete. Nebenbei mag bei feiner Erfindung auch dem havannefifchen Klima etwas Rechnung getragen fein, da er nicht echauffirt; ich glaube aber ficher, daß eine liebeglühende Havanneferin ihn erdachte.

Die Muſik ift, wie man es nicht beſſer ausbrüden kann, ſüß, und ich bin feit überzeugt, daß diefe fowol wie der Tanz bei uns ungemeinen Anflang finden würbe.

Die jungen Mädchen entwideln fich bier erjtaunlich fchnell. Mit 12 bis 13 Iahren find fie vollftändig erblüht und häu⸗ fig ſchon verheirathet. Ich fah eine junge Frau von 14 Jah⸗ ren, bie bereit8 Mutter von zwei Kindern war. Ebenſo ſchnell verblühen fie jevoch auch, und gewöhnlich ſchwindet ihre Schönheit jchon nach der erften Niederfunft fehr, obwol ich auch einzelne Mütter fand, die mit ihren erwachlenen Töch— tern in jeder Beziehung wetteifern fonnten. Sie ließen ihnen jedoch völlig den Vorrang, und oft fonnte man fehen, wie bie Tochter in prachtooller Zoilette, aller Augen auf fich ziehend, im Bewußtfein ihrer Schönheit ftolz wie eine Königin durch bie Straßen fchritt, während einige Schritte hinter ihr in

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befcheidenem ſchwarzen Kleide die vielleicht noch ebenfo fchöne und kaum fünfundzwanzigiährige Mutter folgte.

Da unfer Aufenthalt auf der Infel längere Zeit dauerte, wurde auch ein Witt nad Orotava und feinen paradieſiſchen Gärten unternommen. Den Pic jahen wir uns nur aus ber Nähe an, beitiegen ihn aber wohlweislich nicht. Sch hatte bies verfucht, als ich Zeneriffa vor mehreren Sahren befuchte, habe mir feitbem aber vorgenommen, e8 nie wieder zu thun. Unter ſchrecklichen Anftrengungen, ſaſt erfroren und aus Nafe, Augen und Ohren blutend, war ich doch nicht hinaufgefom- men und mußte, noch 1000 Fuß von der Spite entfernt, mit meinen Gefährten wieder umfehren. Für Naturforjcher mag es Reiz genug haben, durch eigene Beobachtungen zu erfahren, ob ber Pic 13355 Fuß ober einige Zoll höher ift; ber Zourift wird meiner Anſicht nach nicht genug für die er- duldeten Strapazen dadurch entjchäbigt, daß er fagen Tann: „Ich war oben”.

Der Weg nach Orotava führt durch Laguna, die ehema- fige Hauptftabt der Infel, die etwa zwei Meilen von Santa- Cruz entfernt auf einer Hochebene, 1500 Fuß über dem Mee- resfpiegel liegt. Die beide Städte miteinander verbindende Straße ift breit und ſchön chaufjirt, troß ihrer vielen Win- dungen aber bisweilen fo fteil, daß man, wenn man zu Wagen, aussteigen muß, auch die Kameele, welche allgemein auf ver Infel zum Lafttragen verwandt werben, im jteten Zickzack die Steigung zu überwinden fuchen. Auf frühere Erfahrungen geftütt, hatten wir tags zuvor im erften Gafthofe von Laguna ein Mittagsmahl beftellt und verjchiedene Speijen- ſelbſt binge- ſchickt, um nicht bei unferer Ankunft vergebens auf Erquickung zu barren und ſchließlich nur in Del gefottene Fifche zu be- fommen, wie es uns vor Jahren einmal ergangen. Rad eingenommenem Mable ftreiften wie durch die Stadt, die in ihrer Dede und Stille an Herculanım und Pompejt erinnert.

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Einft zählte Laguna 20,000 Einwohner, jett deren Faum 2000. Das Gras mwuchert überall auf den Straßen, viele Hänfer find gänzlich verfallen, viele unbemohnt und vom Zahn ver Zeit benagt, und in den größten Gebäuden wohnen oft nur zwei bis drei Perfonen. Doc ift Laguna nicht allein auf Teneriffa, fondern auch in Europa wegen feines ſchönen Men- chenfchlages berühmt, und ſoviel wir Davon gejehen, können wir dies beftätigen. Obſchon wir zuerft feinem Menfchen auf ˖den Straßen begegneten und das Echo unferer Schritte laut an den Häufern wiberhallte, trieb boch vie liebe Reugier alte weiblichen Köpfe an die Fenſter. Jedes weibliche Geficht ift bier ſchön, "wenn e8 nicht gar zu alt ift; wahrjcheinlich rührt dies daher, daß bei der Ankunft der Spanier eine Kreu⸗ zung mit den Guanchen ftattfand, da man hier mehr blaue Augen und Iblonde Haare fieht als in irgendeinem ‘Theile Spaniens.

Später, ald man in der Stadt wußte, daß estrangeros, Fremde, angefommen feien, zeigte ſich uns allerdings auch Die Kehrfeite der Schönheit in einem Heere von Krüppeln und Beitlern von den verfommenften und abſchreckendſten Geftal- ten. Auf Schritt und Tritt wurden wir von ihnen verfolgt und mit einer Unverſchämtheit angeſprochen, die felbft ven Ruhigſten in Verzweiflung bringen konnte.

Im Sommer ift Yaguna etwas belebter und wirb wegen feines kühlern Klimas von den wohlhabenden Bewohnern von Santa-Eruz aufgefucht. Das Klima ift aber auch herrlich! Man athmet die fehöne reine Seeluft, die der Paſſatwind unver- fälfcht über die Berge führt, und die hohe Rage des Ortes läßt die Sonnenhige nie exceffiv werven. An Sehenswiürbig- keiten befigt Laguna wenig. Die Kathedrale ift innen fehr reich ausgeftattet, und die Pracht an edlen Metallen contra- ſtirt ſeltſam mit der fchredlichen Armuth, von der man fich bier überall umgeben fühlt und die den Reiſenden verfolgt,

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wohin er fich wendet, mag er in der Kirche, im Rathhauſe, Gafthaufe oder auf der Straße fein. Das Rathhaus als einziges bemerfenswerthes öffentliches Gebäude der Stadt zeichnet fich nur durch feine Größe vor ven übrigen Häufern aus. Sonft verfällt es ebenfo, ift ardhiteftonifch nicht anfpre- hend und wird nur durch bie alten Gemälde intereifant, vie feine öden und verftaubten Räumlichkeiten fchmüden.

Im allgemeinen waren wir froh, als wir ber unheimlichen Stadt den Rüden fehrten und unfere Weiterreife antraten. Der Weg hinter Laguna nad Orotava läßt manches zu wünfchen übrig, und ber vierftändige Ritt über ſcharfe Lava— felder und kahle Felfen war feine angenehme Partie. Süd⸗ lih von Laguna ift bie Gegend fehr gut cultivirt. Mais, Wein: und Weizenfelver wechjeln mit unabjehbaren Cactusan- pflanzungen (opuntia coccifera) ab, da bie Zucht der Eoche- nille den Hauptnahrungszweig ver Kanarifchen Infeln bildet. Auf den Höhen ftehen baumartige Ericeen und das Innere ZTeneriffas gewährt bier einen höchſt angenehmen Anblid. Senfeit Raguna ift die Umgebung jedoch tobt und öde, und erft in der Nähe von Orotava wird man durch reichprangenve Felder und Pflanzungen, die alle das Ausſehen von forgfam gepflegten Gärten haben, für den traurigen Ritt entjchäpigt.

Orotava liegt am norböftlichen Ufer der Infel und am Fuße bes Pie und kann mit Recht ver Garten ZTeneriffas genannt werben. Faſt jeder Einwohner bes etwa 2500 Seelen zählen- ben reizenden Stäbtchens ift Weinbauer ober Gärtner, und Oro- tava liefert den beiten Eanarienject, ver dem fehönften Ma- beira kaum nachfteht. Die Weinfrankheit ift zwar auch ſchon jeit 10 Jahren hierher gebrungen, hat aber nicht die Ver— beerungen angerichtet wie in Madeira, und die Infel Teneriffa probucirt gegenwärtig nur etwa ein Viertheil weniger als früher. Orotava liefert ferner auch, im Verein mit Gran- Canaria, die große Maſſe von Gemüfen und Früchten,

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welche nach Santa-Eruz ſtrömt, um an bie Schiffe verkauft zu werben. Jedes Haus des Stäbtchens ift mit einem mehr oder minder großen Frucht- und Gemüfegarten umgeben, deſſen Beete mit prachtvollen Blumen eingefaßt find. Soweit das Auge reicht, wird es durch Foftbare Blüten, durch herrliches Grün und prangende Früchte entzüdt. Dazu ber fchneege- frönte Gipfel des majeftätifchen Pic, das tiefe Blau des Meeres, die mit aromatischen Düften gefchwängerte Luft wahrlih, Orstava ift das Juwel der Canarien, und wenn bie Alten es Tannten, fo burften fie den Infeln mit Recht den Namen ver „Glücklichen Inſeln“ insulae felices beilegen.

Einen ganzen Tag brachten wir in biefem PBarabiefe zu, . bann mußten wir uns leider trennen. Die Abfahrt unfere Schiffes ftand nahe bevor, und wir durften nicht länger z0- gern. Wie fo oft im gewöhnlichen Leben müſſen fat immer die Seeleute dann ſcheiden, wenn jie anfangen fich wohl zu fühlen. Wir hatten freilich die angenehme Ausſicht, nach 8—14 Tagen, wenn auch nur auf kurze Zeit, zurüdzufehren, und daher wurbe uns ber Abfchien nicht fo fehr erjchwert. Indeſſen gerade als wir ben Hafen verlafjen wollten, kam die Dampffregatte Arkona an und bradte uns die nicht angenehme Weifung, anſtatt nach DBrafilien und ven La- Plata-Staaten, direct nach Singapore zu fegeln und bort mit dem Geſchwader zufammenzutreffen. Dies war zwar fehr ftörend für uns, mußte aber gefcheben, wenn die Schiffe noch vor dem im September eintretenden Monfunwechfel, d. b. in biefem Jahre Japan erreichen wollten. Die Arkona felbit folgte am nächſten Tage den nach Brafilien vorausgefegel- ten beiven Schiffen, während wir auf ber Elbe unfern Curs nah Lanzarote, einer andern ber Canariſchen Infeln, richteten. Einige Heine Befchädigungen an ver Bekupferung unſers Schiffes ließen nämlich eine Reparatur verfelben vor Antritt der großen Reife nöthig erfcheinen. Da bierzu ein

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zwifchen ven monotonen Steinmajfen der nach einem und dem- felben Schema gebauten Häuſer einen Ruhepunft. Kein Baum, fein Strauch, fein grünes Blatt war zu erbliden; innerhalb ber Stabt nur Steine, außerhalb vulkaniſche Afche und Lava, aber überall eine glühende Sonnenbige, die uns fehr bald wieder an Bord trieb, da es nicht einmal ein Gaſthaus gab, in dem man bie vertrodneten Rippen durch einen fühlen Trunk erlaben konnte.

Man ift hier lediglich auf die Gaftfreunpfchaft der Be⸗ wohner angewieſen; wir kannten aber am Tage unſerer An⸗ | funft niemand und durften deshalb Feine beanfpruchen. Spä- ter machte ftch die Sache befjer, und e8 wäre unrecht, wollten wir nicht der Freundlichkeit der Bewohner von Arecife dank— barlichjt gedenken; aber die Stadt felbft gewann dadurch nichts, fie blieb nach wie vor ein trauriger ſchauriger Ort, felbft als Exil ımerträglih. Der englifche Conſul, an den wir gewie- fen waren, that alles Mögliche, um uns ven Aufenthalt an⸗ Ä genehm zu machen, und feiner Güte verdankten wir auch eine Zour durch die Infel nach der Montagna del Fuego, auf der wir Lanzarote und das Leben und Treiben auf ihr näher kennen zu lernen Gelegenheit hatten. !

An einem fchönen Nachmittage brachen wir mit bem Con⸗ jul, vier an der Zahl, auf und zwar auf Kameelen. Letztere find die einzigen Transportmittel auf der Inſel, die faum ] drei ober vier Pferde zählt. Es war das erjte mal, daß ich ein Kameel ritt, aber die neue Art zu veifen gefiel mir ganz wohl. An jeder Seite des Höckers war ein gepolfterter Sitz angeſchnallt, auf denen wir Pla nahmen. Das gela- gerte Thier hob fich zunächft auf die hintern Knie, ſprang dann auf die Vorberfüße und ſchließlich auch auf die Hinter- füge. Dadurch entſtanden drei ziemlich Heftige Bewegungen, bie zwar infofern etwas Gewöhnliches für uns waren, als fie ung lebhaft an das Stampfen des Schiffes erinnerten, aber Doch

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uns leicht von unfern hohen Siten hätten berabfchleudern kön⸗ nen, wenn wir nicht vorher burch unfern Gaftfreund darauf aufmerffjam gemacht worden wären. Nachdem dies über- wunben, ritt e8 fich ganz angenehm. Die Bewegungen ver Thiere ind bequem und ihre Zritte infolge der großen elaftifchen Fußballen fanft, ſodaß man wie in einem langfam fahrenven Wagen fikt.

Unfer Weg führte uns einige Stunden lang am Meeres⸗ Strande entlang durch große Felder von Barilla, die viel auf Lanzarote gebaut wird. Die Barilla oder Eispflanze (Me- sembryanthemum crystallinum), fo benannt nach ven kry⸗ ftallifchen, Eisfugeln ähnlichen Körpern, mit denen ihre Blät⸗ ter bebedft find, wächft vorzugsweife auf vulkaniſchem Boden und gedeiht befonders auf den unfruchtbarften ver Ganarifchen Infeln, Fuerta Ventura, Lanzarote, Gomera und Hierro. Die Pflanze bevarf faft feiner Eultur, wirb reif ausgezogen, auf dem Acer getrodnet und in Haufen verbrannt. Die zu- rücfbleibende Afche wird zu Kuchen geformt, auf Kameelen nach Arecife gefchafft und von dort nach Europa verfchifft, um zur Sobabereitung verwandt zu werben.

Etwas weiter ftießen wir auf ein wahres Wunder. Der Steptifer, welcher nicht glauben will, daß Berge verjeßt wer- pen können, möge nach Lanzarote gehen; bort wird er fich mit eigenen Augen überzeugen, wie Berge verjegt werben und inner» halb ſechs Monaten eine Tour von drei deutichen Meilen quer über die Infel befchreiben. Dies mag unwahrjcheinlich klin⸗ gen‘, ift aber nichtspeftoweniger wahr. |

Der im Frühjahr einfegende und während acht Monaten des Jahres wehende Nordoſt⸗Paſſatwind, wegen feiner geſund⸗ heitlichen Eigenſchaften auf der Inſel allgemein der Doctor, el medico, genannt, bewirkt dieſes Wunder. Er führt von der nur 8 Meilen entfernten Küfte Nordafrikas den Sand, aus dem fich die wandernden Berge bauen, in ungemein gro»

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ihm aufzeichnete. Als er fah, wie viel Arbeit ihm das ein- fache Inftrument erfparte, war er. ganz außer fich, und als ich ihm aus einer langen Stange und einem Gänfeflügel noch einen Fittich zur Entfernung des Staubes conſtruirte, wußte feine Dankbarkeit feme Grenzen. Ich aber zerbrach mir ven Kopf, wie es möglich fei, daß bei civilifirten Landleuten ein Inftrument wie ein Rechen ein vollftändig unbefanntes Ding fein Fonnte.

Am andern Morgen brachen wir vor Sonnenaufgang mit unſern Rameelen auf, um möglichft noch in der fühlen Mor» genluft die 3 Stunden weit entfernte Montagna del Fuego, den höchften vulkaniſchen Kegel ver Infel Lanzarote, und das Ziel unferer Reife zu erreichen.

Kaum 200 Schritt Hinter der Meierei nahm die Gegend einen ganz andern Charakter an. Bisher war das Land ziem- lich flach und mit Aderfrume, wenn auch in geringer Höhe bedeckt. Man fah regelmäßige Felder und, wenn fie auch nicht üppig ftanden, waren fie doch in der bei uns gebräuchlichen Weile bebaut. Yet gelangten wir aber in bie Gegend, wo 1730 die Eruption eines der Vulkane einige Quadratmeilen Land und 20 Dörfer verfchüttete. Als wir jo am Rande eines Berges hinritten und fich nach! Norden hin das große, 4—5 Duapratmeilen haltende Thal vor uns öffnete, in welchem nur bunfelbraune zadige Spiten erftarrter Lavamaſſen die tieffehwarze Färbung enplofer, mit vulfanifcher Afche beved- ter Streden unterbrachen, bejchlich uns ein eigenes beflem- mendes Gefühl, als ſchieden wir bon ber belebenden Natur und jtünden an ber Grenze des Orcus. Die Unterhaltung wurde einfilbig, felbft unfere Kameele ſtöhnten, als fie lang— fam fih durch die loſe Afche ihren Weg bahnten, und ſchon ftanden wir auf dem Punkte wieder umzufehren, als’ bei einer Biegung des Weges plöglich ein Bild vor uns auftauchte, das wirklich einzig in feiner Art war und uns allen einen Ausruf des Erftaunens entlockte.

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Mitten in diefer troftlofen ſchwarzen Einöde, über der nur eine Schicht der von den Sonnenftrahlen erhitten Quft zitterte, lagen auf einmal Hunderte von Dafen Hingezaubert, beren üppiges frifches Grün um fo faftiger erfchien, als es ringsum von ber fehwarzen Ajche umgeben war. Es war ein eigener Anblid, der Eoutraft zwiſchen Tod und Erftar- rung und dem biühenven, jungen, frifchen Leben. Die einft verfchütteten Dörfer und Fluren fehienen Hier nach hundertjäh⸗ rigem Schlafe wieder zu erwacdhen und das auf ihnen liegende Leichentuch zu durchbrechen, denn bier und bort ſah man auch zwifchen dem lachenden Grün die rothen Ziegelpächer von Gebäuden hervorſchauen, während ihre Mauern fi noch un⸗ ter dem Niveau ber Afche befanden. -

Die Dafen beftanden aus Anpflanzungen von Feigen und an- bern Fruchtbäumen, die in Gruben von 15—20 Fuß Tiefe ange- legt waren, und deren oft 50—60 Fuß im Durdhmeffer bal- tende Kronen wir von unferm erhöhten Standpunfte aus er- blidten. Die Bewohner der Infel hatten die Afche aufgegraben, bis fie unter ihr den Humus auffanden. Die jungen Pflan- zen gebeihen üppig in ber tiefen Grube, welche unten ftete Feuchtigkeit bewahrt, während oben eine tropifche Sonne ihr Wachsthum befördert. Die betriebfamen Lanpleute fehen fo ihre Mühe jett reichlich belohnt. Wo die Afchenjchicht nicht mehr als 6 Fuß überfteigt, ift Wein gepflanzt, gewöhnlich von ejnem breiten Kreife von Erbfen und Bohnen umgeben, in ben tiefern Gruben aber wachjen Feigen, Aepfel und Birnen.

Etwa eine Stunbe Yang führte unfer Weg durch dieſe merkwürdigen Anlagen; dann gelangten wir an eine Fleine Anhöhe, auf ber eine Meierei ftand. Hier hörte mit einem Schlage wieder alles Leben auf. Die Montagna del Fuego mit ihren Schattirungen von hellem und dunkelm Roth lag etwa noch eine Stunde weit vor uns, aber ein bis zu ihrem Fuße reichendes Lavafeld trennte uns von ihr, und biefe Strede

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ihm aufzeichnete. Als er fah, wie viel Arbeit ihm das ein- fache Inftrument erfparte, war er. ganz außer fich, und als ih ihm aus einer langen Stange und einem Gänſeflügel noch einen Fittich zur Entfernung des Staubes conftenirte, wußte feine Dankbarkeit feine Grenzen. Ich aber zerbrach mir den Kopf, wie es möglich fei, daß bei civilifirten Landleuten ein Inftrument wie ein Rechen ein vollſtändig unbekanntes Ding fein Tonnte.

Am andern Morgen brachen wir vor Sonnenaufgang mit unfern Kameelen auf, um möglichft noch in ber Fühlen Mor⸗ genluft die 3 Stunden weit entfernte Montagna del Yuego, den höchften vulkaniſchen Kegel ver Infel Lanzarote, und das Ziel unferer Reife zu erreichen.

Kaum 200 Schritt hinter der Meierei nahm die Gegend einen ganz andern Charakter an. Bisher war das Land ziem- lich flach und mit Aderfrume, wenn auch in geringer Höhe bedeckt. Man fah regelmäßige Felder und, wenn fie auch nicht üppig ftanden, waren fie doch in ber bei uns gebräuchlichen Weife bebaut. Jetzt gelangten wir aber in die Gegend, wo 1730 die Eruption eines ver Vulkane einige Quadratmeilen Land und 20 Dörfer verjchüttete. Als wir fo am Rande eines Berges binritten und fich nach! Norden hin das große, 4—5 Duadratmeilen haltende Thal vor uns öffnete, in welchem nur bunfelbraune zudige Spitzen erjtarrter Lavamaſſen bie tieffehwarze Färbung enblojer, mit vulkaniſcher Afche bebed- ter Streden unterbrachen, befchlih uns ein eigenes beflem- mendes Gefühl, als fehienen wir von ber belebenden Natur und jtinden an der Grenze bes Orcus. Die Unterhaltung wurde einfilbig, felbft unfere Kameele ftöhnten, als fie lang- fam ſich durch die loſe Afche ihren Weg babnten, und fchen Itanden wir auf dem Punkte wieder umzufehren, als bet einer Biegung des Weges plöglich ein Bild vor uns auftauchte, das wirflich einzig in feiner Art war und uns allen einen Ausruf des Erjtaunens entlodte,

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Mitten in diefer troftlojen ſchwarzen Einöde, über ber aur eine Schicht der von den Sonnenftrahlen erbigten Luft zitterte, lagen auf einmal Hunderte von Dafen Hingezaubert, beren üppiges frifches Grün um fo faftiger erfchien, als es ringsum von der ſchwarzen Ajche umgeben war. Es war ein eigener Anblid, der Contraſt zwiſchen Tod und Erftar- rung und bem bfühenven, jungen, frifchen Leben. ‘Die einft verfehütteten Dörfer und Fluren fchienen bier nach hundertjäh⸗ rigem Schlafe wieder zu erwachen und das auf ihnen liegende Leichentuch zu durchbrechen, denn bier und bort ſah man auch zwifchen dem lachenden Grün bie rothen Ziegeldächer von Gebäuden hervorichauen, während ihre Mauern fich vo uns ter dem Niveau der Afche befanben.

Die Dafen beftanden aus Anpflanzumgen von Feigen und an- bern Sruchtbäumen, bie in Gruben von 15—20 Fuß Tiefe ange- legt waren, unb deren oft 50—60 Fuß im Durchmeſſer bal- tende Kronen wir von unferm erhöhten Standpunfte aus er- blickten. Die Bewohner der Infel Hatten die Aſche aufgegraben, bis fie unter ihr den Humus auffanden. Die jungen Pflan- zen gebeihen üppig in ber tiefen Grube, welche unten ftete Feuchtigkeit bewahrt, während oben eine tropifhe Sonne ihr Wachsthum beförvert. Die betriebfamen Landleute fehen fo ihre Mühe jest reichlich belohnt. Wo die Afchenjchicht nicht mehr als 6 Fuß überfteigt, ift Wein gepflanzt, gewöhnlich von ejnem breiten Kreife von Erbfen und Bohnen umgeben, in den tiefern Gruben aber wachfen Feigen, Aepfel und Birnen.

Etwa eine Stunde lang führte unfer Weg durch biefe mertwürbigen Anlagen; dann gelangten wir an eine Fleine Anhöhe, auf ver eine Meierei ftand. Hier hörte mit einem Schlage wieber alles Leben auf. Die Montagna del Fuego mit ihren Schattirungen von hellem und dunkelm Roth lag etwa noch eine Stunde weit vor uns, aber ein bis zu ihrem Fuße reichendes Lavafeld trennte ung von ihr, und dieſe Strede

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mußte zu Buß durchwandert werben. Tür Kameele und alle größern Thiere ift Diefe Mafje fpigiger und fcharfer Klippen nicht zu paffiren.

Wer im Frühjahr buch Sturm und Regen die Eisdecken eines großen Fluſſes anfbrechen und die wirr Durcheinander geſchobenen Schollen duch neuen Froft wieder zu einem Gans zen erjtarren fah, der nur kann ſich eine Vorjtellung von die⸗ ſem granfen Lavafelde machen, doch muß er fich diefes Bild noch mit einer granfchwarzen Färbung überzogen venfen. |

Der Meier, bei dem wir unfere Kameele ließen, biente als Führer. Ein jever von uns erhielt einen Springftod, und vorwärts ging es durch ven Kirchhof der Natur, auf dem bie oft zu wunderbaren Geftalten geformten Lavaklippen wie Grabfteine emporragten. Es war feine angenehme Four; troß der größten VBorficht brachen wir oft durch bie morſchen Schollen, und Schuhe wie Kleider wurben gehörig mitgenom-

men. Die Sonne brannte glühenb auf unfere Köpfe, aber bei aller Ermattung founten wir nicht einmal ruhen, weil bie glasartigen Spigen der Lava ſchmerzend ins Fleisch dran gen. Endlich war. das Feld überfchritten und der Fuß des Berges erreicht, bis zu deſſen Gipfel noch 1000 Fuß unter einem Winkel von 60 Grad erftiegen werben mußten, davon bie Hälfte loſe Aſche. Indeſſen blieben wir entfchloffen, unfer Beginnen burchzuführen, da wir reichliche Belohnung in den Schönen Petrefacten zu finden hofften, an denen bie Montagna del Fuego reich fein follte. Alſo weiter burch bie kniehohe Aſche, in der wir ebenjo tief verfanfen! Das Schlimmite war endlich überwunden, fefter Boden war unter ven Füßen, und nach kurzer Raft Eommen wir zur Spige hinauf. Wir hatten fie erreicht, und ein frifcher Wind kühlte unfern er- higten Körper und eine koſtbare Ausficht bot fich dem Blicke. Zu unfern Füßen lag das lanzenförmige (und deshalb fo be- nannte) Lanzarote, links eine Kette von Kratern, in deren

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unheimliche Ziefen wir hinabfehauten, rechts die weißfchinmern- ben Städte, Dörfer und Gehöfte mit ihren grünen Umgebun⸗ gen, im Often die Heine unbewohnte Injel Graziofa, tm Süben Fuerta Bentura, im Weiten fchimmerte ein welß- glänzendes Wölfchen, das wir für die Spite des Pic hielten, und ringeam das. blaue wallende leer, deſſen brandende Wo- gen die Küften mit einem Silberftreifen befränzten. Es war ein prachtuolles Panorama, aber Ieiver wurde uns ein län⸗ gerer Genuß nicht geftattet. Wir fühlten plöglich ein ſchmerz⸗ haftes Brennen in unfern Füßen, eine Folge der aus ber Berg⸗ oberfläche ſtrömenden Hite, und nach fünf Minnten wurde pas Gefühl fo. unerträgtich, daß wir unfern Rückweg antreten muß- ten. Vergebens ſchauten wir nach ven berühmten Petrefacten ans. Nur bier und da lag ein Stück rother Lava, in einigen Heinen Höhlen fanden wir Trhftallifirtes Glauberſalz und an verſchiedenen Stellen eine Menge reinen Schwefels, ver oft zollhoch lag. Um nicht mit ganz leeren Händen heimzukom⸗ men, nahmen- wir von jeder Art eine Probe mit.

Etwa 100 Fuß unter dem Gipfel zeigte und der Führer mehrere Deffnungen, bie wie Dachsbaue ausjaben, und aus denen das unterirdifche Feuer hervorquoll. Ein zu biefem Zwede mitgenommener junger Baumftamım wurde in mehrere berfelben hineingeftedt und nach einigen Minuten heil brennend wieder heransgezogen um unſere Eigarren daran anzuzün- ven. Das war alfo die Pointe ver befchwerlichen Tour! Bir waren 6 Stunden auf Kameelen gerüttelt, Hatten Hunger und Durft ertragen, waren ımten und oben halb ge- braten, hatten Stiefel und Kleider zerriffen und mindeſtens an zwanzig Stellen unfere Haut gefhunden um uns an einem Vulkane eine Cigarre anzuzünden!

Ih dachte au meine vergebliche Picfahrt, an das damals mir gegebene Verfprechen und nahm, mir zum zweiten inale feft vor, das Bergfteigen forten den Naturforfchern zu über-

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faffen. Dann aber benubte ich die Afche als Schnee und machte eine balsbrechende: Rutfchpartie nad) unten, wo ich in zwei Minuten arigelangt war und bie Anfunft meiner be- bächtigern Gefährten abwartete, die eine Biertelftunde bazu gebrauchten.

Der Rüdweg über das Lavafeld wurde uns unendlich lang und mir fpeciell ſehr thener, da ich einen unglüdlichen Fall that und mich nicht nur ftark verlegte, fondern auch einen guten Rod an den fcharfen Kanten der Lavablöde durch ben Fall vollftändig ruinirte In ber Meierei unſers Führers erquidte uns ein Glas Igftbare Ziegenmilch und drei Stunben ipäter in ber Wohnung unfers Wirthes ein prächtiges, wenn auch nach ſpaniſcher Weife ftarf mit Knoblauch gewürztes _ Mittagsmahl, das durch ein nachfolgendes Schläfchen erft feinen vollen Werth erhielt. und uns für den Rückweg neue . Kräfte verlieh.

Der Weg führte bergab, und unfere Kameele, denen wir unterwegs erlaubten, dann und wann einen Mund voll Feigen- blätter zu pflüden, bezeigten. ihre Dankbarkeit burch einen jchnellen Trab, der merkwürbigerweife und im Gegenfab zu Pferden für uns eine viel angenehmere Gangart als ber Schritt war. Nach zwei Stunden hatten wir die Meierei mit bem Duell: erreicht, an veffen fühlen Inhalt wir uns erlab- ten, während zugleich ein um ihn angelegtes Beet prachtvol⸗ fer Erdbeeren geplündert wurde. Noch vor Sonnenuntergang Iangten wir in Arecife an, wo wir natürlih Wunberbinge von den Annehmlichkeiten unferer Reife erzählten und ben Leuten nach ber Montagna del Fuego den Mund wällerig machten. Möge ver Berg noch tauſend Jahre brennen und Petrefacten ſpeien zum zweiten mal mache ich ihm feinen Beſuch mehr.

Unfere Reparatiren am Schiffe waren in wentgen Tagen vollendet, und am 5. Mai konnten wir fchon unfern Rückweg

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nah Teneriffa antreten. Wit ſchieden ohne Bedauern von Lanzarote, Das durchaus nicht unjere Sympathien erweckt hatte. Wenn bie Infel in andern als fpanifchen Händen wäre, fieße fich übrigens gewiß etwas aus ihr machen. Namentlich würbe fie fich heben, wenn etwas für ven Hafen geſchähe, der mit leichter Mühe und einem Koftenaufiwande von 50— 60000 Thalern fi in das. fchönfte Baſſin verwandeln tiefe. Er bedarf nur der Vertiefung, um allen größern Rauffahrteifchiffen, ja felbit Fregatten einen vollftändig geficher- ten Zufluchtsort zu gewähren. Nach Süden gehende Schiffe erleiden oft zwifchen Europa und Mabeira Beſchädigungen, welche fie zwingen, minbejtens nach Cabdir zurüdzufehren, weil weber an ber afrikaniſchen Küfte noch auf ben in ihrer Nähe liegenden Infeln die Havarie reparirt werben kann. Lanza⸗ rote dagegen liegt auf ihrem Wege und würbe einen prächtigen Nothhafen abgeben. Die Infel läßt fich noch beveutend mehr cul- tiviren und müßte um fo eber emporblühen, als fie fich mit Xeichtig- feit zum Mittelpunkte des afrifanifchen Küſtenhandels machen läßt.

Es ift ſoviel in Deutſchland von der Nothwendigkeit einer Berbrechercolonie die Nebe geweſen. Nun, man laufe ven Spaniern Lanzarote ab! Will man feinen einträglichen Ha- fen daraus machen, fo gibt es nicht leicht einen paſſendern Platz für Verbrecher als Lanzarote, Fuerta Ventura und nächſtdem bie gegenüberliegenpe Küfte von Marokko, von der fih wol auch ein Theil für Geld und gute Worte erftehen ließe. Die Koften eines einzigen Jahres für die Unterhaltung ver Verbrecher in unfern Gefängniffen würden ohne Zweifel bie Rauffumme deden. Dann laſſe man durch die Zwangs⸗ coloniften Cochenille züchten, richte Sopafabrifen ein und be- treibe. Fiſcherei, die bereits jett fchon von Lanzarote aus an der afrifanifchen Küfte in hoher Blüte fteht.

Lanzarote probucirt mit Fuerta Ventura jegt jährlich feine halbe Million Pfund Cochenille. Vor fünf Iahren erzeugte

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die Infel nur den vierten Theil, und der Ertrag läßt fich min- deftens verzehnfachen, wenn alte brach liegenden Ländereien mit Cactus bepflanzt werben.

Die Zucht des Wurmes felbft. macht weder Koften noch Schwierigkeiten. Wenn die Pflanze ein Jahr alt ift, werben auf einem Morgen Landes etwa 30—40 Blätter mit dem Wurm befäet, d. h. man ſteckt ein Fräftiges Weibchen in ein Säd- hen von Flor und heftet diefes mit einer Nabel an ein Blatt. Das Thier legt eine zahllofe Menge von Eiern, und bie aus- gefrochenen Jungen finden ihren Weg durch vie feinen Oeff- mungen des Flors auf die Pflanzen, die ihre Nahrung bilven, und auf benen fte fich mit- unglaublicher Geſchwindigkeit ver- breiten und vermehren. Im April werben die Weibchen aus- geſetzt, und 30 derfelben bevölkern, wie ſchon bemerkt, bis Ende November einen ganzen Morgen. Um biefe Zeit werden bie Würmer mit einem kleinen Spatel von den Blättern in die Töpfe geichafft, in Defen gebörrt und danach ala Cochenille in den Handel gebradt. Es iſt dies gewiß ein nicht nur humaneres, fondern auch beffer rentirendes Geſchäft, als Das Wollezupfen und Spinnen in unfern Zuchthänfern.

Der Erport der Eanarifchen Inſeln an Cochenille hat fich feit 1852 faft verbreifaht. Damals betrug die Ausfuhr 806,284%, 1856: 1,501,776& und 1859: 2,153,000%. Welcher Hebung würde aljo diefe Inpuftrie fähig fein, wenn fie von Leuten betrieben würde, bie arbeiten müßten, während ber ſpaniſche Bauer auf den Canarien nur fo viel Cochenille baut, um fein bürftiges Leben zu friften. Das Klima ift gefund, Die Temperatur fürSanuar 17°,70, für Auguft, ven heißeften Monat, 26°,5 Reaumur. Die Infeln Iaffen fi in 14 Tagen bie 3 Wochen von Deutichland aus erreichen, und wie leicht ließe fich überbies von ihnen aus eine Colontfation der maroffani- then Küſte bewerfitelligen!

Am 6. Mai früh morgens befanden wir uns ſchon wie-

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der bei Gran⸗Canaria, nach Teneriffa die größte und be- völfertfte Infel des Archipels. Sie hat einen Flächeningalt von 137. Duadratleguas mit 82,800 Einwohnern, währen» Teneriffa 151 Quadratleguas und 87,900 Einwohner zählt. Die Hauptſtadt von Gran⸗Canaria ift Las. Palmas mit 6000. Einwohnern und ziemlich beträchtlihem Handel, ver fi namentlich feit 1852, wo die Haupthäfen der Infeln zu Frei» bäfen erklärt wurden, jehr gehoben hat. Im Sabre 1859 liefen auf der Nheve von Las Palmas 705 Schiffe ein, da⸗ von 404 Küftenfahrer und 22 Dampfſchiffe. Gran⸗Canaria. ift die fruchtbarfte der Infeln und ‚erzeugt namentlich viel Korn, Gemüfe und Früchte, die größtentheils nach Teneriffa, aber auch in beveutenden Duantitäten nach Europa geben. Der Wein ift jeboch von geringerer Qualität als ber von Orotava, dagegen beläuft fich der Ertrag der Cochenille auf 800,000 % jährlich. Auch viel Fifcherei wird getrieben, doch bleibt dafür der Hauptitapelplag immer Lanzarote, und es gehen jährlich über 5 Millionen Pfund. gefolzener und ge- trockneter Fifche von Arecife nah Cuba und Weftinbien.

Man bat Kürzlich verfucht, in Grau⸗Canaria auch -bie Rameele einzuführen, bie auf Fuerta Ventura, Lanzarote und Zeneriffa. jo vortrefflich gebeigen und jo beveutend nüßen; jedoch fcheint die bergige Formation des. Landes. und der Mangel au weichem Boden ihnen nicht zuträglich zu fein, und bis jeßt gibt e8 ſehr wenige dieſer Thiere bort. |

‚Es dürfte aber wol des PVerfuches werth fein, dieſe Thiere in den flachen fandigen Gegenden des mittlern und füdlichen Deutfchland zu acclimatifiren. Nach dem was ich davon geſehen und an Drt und Stelle gehört. babe, fcheint mir biefer Verſuch durchaus nicht gewagt. Das Kameel ift im Stande, bedeutende Kälte zu ertragen, und nur weicher oder Sandboden fcheint eine Lebensbedingung für daſſelbe zu fein, während e8 andererſeits außer dem Efel faum ein Thier gibt,

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das fich mit fchlechterer und weniger Nahrung zufrieden ftellt. Ein erwachſenes Kameel macht mit einer Laſt von 6—8 Eent- nern einen Marſch von 12 deutfchen Meilen in 20—24 Stun- ben, obne einen Biſſen zu fich zu nehmen, ruht 4—6 Stuns ben und behält bei einem Bündel Strob und einem Eimer Waller feine vollftändigen Kräfte, um jahraus jahrein bie- felbe Tour zu laufen Es käme alfo nur auf eine Probe an und ich bin feft überzeugt, daß in Mittel und Süddeutſch⸗ land die Thiere fich fchnell einbürgern würden.

. Der Sciffahrtsverfehr in Santa⸗Cruz ift jeit 1852 auch beveutend gejtiegen. Im Jahre 1859 Tiefen nicht weniger als 1279 Fahrzeuge mit einem Gehalte von 139,940 Tonnen ben Hafen an, darımter 96 Dampffchiffe, für welche hier Kohlen⸗ depots errichtet find. Wenn auch: der größte Theil derſelben nur vorübergehend anlegte, um Kohlen, Waſſer oder Erfri⸗ ſchungen einzunehmen, bringt dieſe Paſſage doch einen regen Verkehr mit ſich und hebt die Stadt anſehnlich.

Ueber den Export der Inſeln habe ich mir keine ſichern Daten verichaffen können, jedoch foll er namentlih in ben letzten Jahren burch die vermehrte Zucht der Cochenille den Import überfteigen. Lebterer belief fi im Jahre 1857 für Teneriffa auf 1,512,900, für Gran-Canaria auf 925,800, für Lanzarote auf 155800 und für Palma auf 643000 fpanifche Thaler und beftand hauptfählih in Manufacturen, nament- lich in feivenen und wollenen Kleiverfteffen und in Luxusartikeln.

Am 6. Mat mittags Tiefen wir zum zweiten mal in Santa- Cruz ein, nahmen Waffer, befuchten wieder das Theater, machten in aller Geſchwindigkeit noch einen Ball mit: und verließen am 8. Mai mit großem Bedauern, einige ber jüngern Herren auch mit halb und ganz gebrochenen Her- zen, ſüßen und fchmerzlicden Erinnerungen die ſchöne Infel, um unfere Reife nach Singapore anzutreten und vielleicht brei Monate lang nur Waſſer und Himmel um uns zu feben.

4.

Das Meer in den Tropen. Charakter und Sitten des Seemanns. Leben an Bord.

Menn ein Landbewohner eine Reiſe wie bie des preußt- ſchen Geſchwaders im Geifte nach Japan verfolgt, bildet er gewöhnlich feinen Ideengang nach gewiffen Echlagmworten, bie er in jever Reifebefchreibung gefunden hat, und bie fein Ieb- hafteftes Intereffe erwecken. Soll ich dieſe Schlagworte näher bezeichnen, fo find die hanptfächlichften: Azurhimmel, tief- blauer Dcean, Silberfchaum ver hüpfenden Wellen, wunder- barer Glanz des Sternenheeres, feierliche Ruhe der Natur, Südliches Kreuz, tropiſche Natur, majeftätifcher Urwald, Tiger- und Clefantenjagb u. |. w. Werden dieſe Phrajen ſyſtematiſch geordnet und mit der erforberlihen Phantafie ausgemalt, fo Laßt fich ein fehr hübſches Bild daraus fchaffen, dem nur ein Hanptelement fehlt die Wahrheit.

Der Wirklichfeit würde fich dieſes Bild viel mehr nähern, wenn man noch folgende Verbindungsglieder einfchaltete: tage- langer Regen und Sturm, jchredfiches Arbeiten des Schiffes in himmelhoher See, mondloſe Nächte mit Eisbergen, Schnee und Hagelbden, Sturzfeen, vie alles von Ded fchlagen, und dergleichen mehr.

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Unfere Reife nach Singapore war beveutend reicher an biefen Attributen als an jenen und gehörte nicht zu dem an- genehmften. Was wäre das Leben aber ohne Abwechfelung? Es würbe all feinen Reiz verlieren, und auch wir Seeleute wüßten das Schöne und Intereffante, welches das Meer uns anbererjeits wieder in fp reichem Maße bietet, gar nicht nad) feinem wahren Werthe zu würbigen, wenn wir nicht durch den Contraft darauf aufmerffam gemacht würden.

Der Gürtel zwifchen 30° Nord- und 30° Süpbreite im Atlantiſchen Ocean ift, mit kurzer Unterbrechung bei der Linie, bie Lichtfeite des Seelebens. Hier, innerhalb der ewig wehen- den Paſſatwinde, hat das Meer alles concentrirt, was es an Schönheiten befißt; hier thürmt kein Sturm die kryſtallenen Wogen in chaotifchem Gewirr aufeinander, und der Sonne erwärmende Strahlen werben nicht. durch Schnee und, Eis erfältet. Das fubmarine Leben, welches Wind und Wetter jenfeit8 der Tropen mehr in bie Ziefen drängen und bem Auge entziehen, tritt bier zu Zage und bie Meeresoberfläche wimmelt von Millionen wunderbarer Geſchöpfe, die uns ebenſo durch ihre unendliche Formenverſchiedenheit in Erſtqunen ſetzen, als fie uns durch ihre Schönpeit erfreuen.

Namentlich bietet ein ftiller Tag ein Schaufpiel, das für den Reifenden ebenfo neu, als, anziehend ift. Oft ift dann das Meer buchjtäblich bevedt von Mollusten aller Formen und Farben. Bald find es Glodenquallen, bald geftrahlte Scheiben oder pyramidenförmige Phyfalianrten, von ‚den Sees leuten „Beim Winder“ genannt, welche, mit ihrer Luftblaſe in allen Regenbogenfarben glänzend, über die Waſſerfläche da⸗ hinſegeln und der Scenerie eine eigenthümliche Belebtheit verleihen. Zahllofe Heerden von fliegenden Fifchen,” äufge⸗ Ichredt durch das Geräufch, das der Bug des Schiffes beim Durchfchneiden ver Fluten erregt, ſchwirren über das Wafler, dann und wann die Spiten der Wellen Leicht berührend, um bie

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Flofſen zu benegen und dadurch neue Flugkraft zu gewinnen. ME gleicher Gefchmindigfeit folgt ihnen unter Waffer ver buntſchillernde ſchlanke Delphin oder der plumper gebaute räuberiſche Bonit, um fie im Augenblicke des Niederfallens zw verſchlingen. |

Schwerfällige Botfifche ziehen langjam vor dem Bug vor⸗ über und Scharen luſtiger Tümmler ſpielen um das Schiff und ſchwimmen mit ihm um die Wette. Weiter in der Ferne verkündet der wie eine Fontaine in die Lüfte ſteigende Waſſerſtrahl das Athmen des Walfiſches, des Rieſen der Tiefe. Sein ungeſchlachter Kopf und Rücken heben ſich lang⸗ - am nacheinander über die Oberfläche, wenn er Luft fchöpft, und bisweilen fommt er fo nahe, Daß man von Borb aus ben ganzen gigantifehen Körper in dem Maren Waſſer unter- ſcheiden kann, oder er ſteckt fpielend die koloſſale Seitenfloffe in die Höhe und peiſcht damit das Waſſer. Sie ragt dann wie eine ſchwarze Klippe aus dem Waſſer hervor, an der bie ſchämende Braydung emporſpritzt.

Was das unbewaffnete Auge im Waſſer nicht zu ſehen vermag, fördert das hinter dem Schiffe ſchleppende Gazenetz zu Tage. Dieſes ſchöpft Tauſende jener delicaten Organismen von der Oberfläche, die ſich unter dem Mikroſkop zu den wunderbarſten Thieren geſtalten, von denen der Ocean wimmelt und die vom Schöpfer beſtimmt ſind, das Meer in ſeiner Form und Zuſammenſetzung zu erhalten und das > ewige Gleich gewicht per Natur. zu bewahren.

Die norbifhen Möven, die frühern ſteten Begleiter des Schiffes, ſind zwar verſchwunden, doch die ſchwarz und weiß gezeichneten Seeſchwalben haben ſie erſetzt. „Mutter Carey's Küchlein“ nennt ſie der engliſche Seemann, der unſere „Sturm⸗ vögel“, aber mit Unrecht, denn ſie zeigen ſich ebenſo oft bei dem ſchönſten Wetter. Die Matroſen behaupten von ihnen, ſie ſetzten ſich nie hin und brüteten ſogar ihre Eier unter

Werner. J. 4

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ven Flügeln im liegen aus, eine Idee, die um fo. auffallen» ber erfcheint, als man biefe Vögel oft genug figen fehen kann. Nähert man ſich irgenbeiner Infelgruppe oder der Küſte, fo juchen oft andere ermattete See» und Landvögel Ruhe und Raft auf ven Raaen und Maſten der Schiffe, und biefe wird ihnen ungeftört gewährt. Ein Aberglaube der Seeleute be- wahrt fie vor dem Fangen oder Geſchoſſenwerden, da mit ihrer Verfolgung ftets das Eintreten von fchlechtem Wetter oder einem Unglüdsfalle als fejtitehend angenommen wird. Bisweilen erfcheint auch der vrangegelbe Tropikvogel mit breitem ſchwarzen Sammtjtreifen von einer Flügelſpitze zur anderen, rothem Schnabel, fchwarzen Füßen und einer einzelnen langen Feder, die bogenförmig den Schwanz ziert. Er fchwebt hoch über den Spigen ver Maften, und vie Matrofen baben ihn „Bootsmann“ genannt, der mit dem Marlpfriem, mit dem fie jene Feder vergleichen, nach der Takelage fieht. So herricht in diefen Gegenden überall reges Leben in ber Tiefe wie in ven Lüften. Jeder Tag bringt Abwechjelung, und wer nur das geringfte Interefje für Naturwifjenfchaften befigt, findet hier das reichjte Feld, das um fo mehr Reiz be- fitt, al8 e8 am wenigften ausgebeutet ift und fo ungemein viel Neues bietet. | _ | Auch das eigenthümliche Leben an Bord gewinnt infolge ber fchönen Witterung einen andern Anftrich), und eine Beob⸗ achtung deſſelben kann für ven Landbewohner nur von hohem. Sntereffe fein. Die Seeleute, namentlich aber die Matrofen find ein ganz befonvderer Schlag Menjchen, im Denken, Handeln und Charakter verfchieden von allen andern, und doch unter fih wieder einander fo gleih, daß e8 wol der Mühe lohnt, fie auf ihrem Elemente zu ftubiren. Ob dies auf einem beutfchen oder ausländiſchen Schiffe gefchieht, ift gleich, vie Grundzüge des feemännifchen Charafters find auf der ganzen Welt diefelben. Das gemeinfame Lebensintereffe, die gleiche

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Erziehung und dieſelben Umgebungen mildern bebeutend ven fcharfen Abſtand der Nationalitäten und nähern bie Seeleute jelbft in ihrer äußern Ericheinung einander fo, baß fie demfelben Stamme entiproffen und eine große Völker familie zu bilden jcheinen. Sie find bie Kinder des Oceans, an deſſen bewegtem Bufen genährt, in feinen ſtarken Armen aufgewachjen. Fern von den Fleinlichen Rüdfichten des All⸗ tagelebeng, bie in den Herzen ver Menſchen bie Leidenſchaften aufſtacheln, unberührt von Haß und Neid wiegen fie fich auf dem Nüden des Meeres, umgeben von ber Natur, beren ewige unwandelbare Geſetze über alle irbifchen Regungen er⸗ haben ſind. Gleiche Anſchauungen, gleiche Erinnerungen bilden ein Band, das alle Seeleute des Erdenrunds eng mitein⸗ ander verfnüpft, das fie unbewußt zueinander binzieht und eine Art geiftiger Freimaurerei unter ihnen errichtet, mit deren Hülfe fie fich in jeder Lebenslage, in jeder Schicht ber Geſellſchaft fogleich erkennen.

Es läßt fich ſchwer angeben, worin die Eigenthümlichkeit des Seemanns liegt, die ihn dem Standesgenoſſen augen⸗ blicklich verräth, ehe er noch ein Wort mit ihm gewechſelt hat. Es iſt nicht der ſchwankende Gang, nicht das wetter⸗ gebräunte Geſicht, nicht das eckige unbeholfene Weſen, ſondern ein gewiſſes Etwas in ſeiner ganzen Erſcheinung, das man nicht näher analyſiren und nur als ben Stempel bezeichnen fan, ven der Dcean feinen Kindern aufprüdt.

Selten wol findet das alte Sprichwort: „Gleich und gleich gefelit fich gern", eine treffendere Anwendung in gutem Sinne als bei ven Seeleuten des gewöhnlichen Schlags und befonders, wenn fie ſich am Lande befinden. Jan Maat, mit welchem ‚Namen man den Matrofen im allgemeinen bezeichnet, fürchtet fih vor der Unterhaltung mit Lanpbewohnern Kr fühlt feine Logif der ihrigen nicht gewachjen, weilt nur ungern in ihrer Gefellfchaft und ſehnt fich ftets nach einem richtigen

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Salzwafjer- Kameraden, der feine Anfichten theilt und nicht über Sachen fpricht, vie über den Meereshorizont hinaus- reichen. Findet er einen folchen, jo wird viefer ein wahrer ZTroft für ihn. Dann fann er feinen Ideen ihre natürliche Richtung geben, die Richtung nach dem blauen Waffer, nach jenem großen Theater, auf dem er fo oft aufgetreten ift und vielleicht eine hervorragende Rolle geſpielt Bat. Sieht man ihn in einem Seehafen, fo fteuert er beftimmt - ber Gegend zu, wo die Schiffe liegen, während er in einem Flußhafen die Schritte nach dem Kat richtet. Schon das Er- blidden von Maften und Raaen läßt feine Augen vor Vergnü—⸗ gen “funkeln. Dann unterwirft er die verſchiedenen Takelagen und namentlih die neneingeführten Verbefferungen einer technifchen Kritik. Nur wenige werben von ihm gebilligt, bie meiften begegnen einem geringfchäßigen Lächeln, denn Ian Maat ift ftreng confervativ. Hat er feinen Kameraden bei ſich, mit dem er feine Gedanken austaufchen Tann, fo beginnt er ein Geſpräch mit irgenbeiner- alten Blaujade und appel- firt ohne weiteres an deren Sympathieen. Sieht man ihn im Inlande, wohin ihn bisweilen das Schidfal, port geboren zu fein, verfchlägt, fo wandert er aus natürlichem Inſtinkt dem Fluffe zu. Es ift Waſſer, das er fucht; dies Element nimmt ſtets feine fpecielle Aufmerkſamkeit in Anſpruch und ob füß oder falzig, übt e8 einen magiſchen Einfluß auf ihn. Er gedenkt des Dceans mit ebenfo tiefem Gefühl wie ein Bräu— tigam der geltebten Braut. Dies Gefühl ift ein Ausfluf von Erinnerungen, die nie erfterben. Weder die Gefahren des Sturmes, noch der Schlacht, noch bie Leinen der Krank—⸗ heit, die Qualen des Hungers und Durftes, noch das äußerfte menschliche Weh Fönnen die Liebe zum Dcean in feiner Bruſt erjtiden. Ihm wendet er fich zu, wo er auch fein mag, wie die Magnetnadel dem Pole. Kann er von einem benachbarten Hügel die See erbliden, fo läßt er fein Auge darauf ruhen,

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als jet fie ein wunderbarer Gegenftann, von dem er früher nur eine vage Borftellung gehabt. Beſtändig fehnt ſich fein Herz ihr zu, und ſelbſt wenn er ben lodenden Tönen einer Sirene Gehör gefchenkt Hat und willig ihre Feffeln trägt: das Bergefjen feiner Meeresheimat iſt nicht in dem Sauber be- griffen. Fragt man ben Seemann, was ihn an das wunder» bare Element mit folder Macht feſſelt, jo weiß er feine Antwort darauf zu geben. Unmöglich kann es das Leben an Bord fein, das nur aus Miühfeligfeiten und Entbehrungen be fteht und der meiften Annehmlichkeiten beraubt ift, die unfer ir- diſches Dafein verjchönern. Ebenfo wenig ift es Neifeluft; fein Reifender fteht weniger von ven Ländern, die er befucht, als der gewöhnliche Seemann, da der Dienft am Bord feine Gegenwart faft ftetd in Anfpruch nimmt. Was kann es aljo anderes fein als das .Meer jelbft, pas ruhelos wallende Meer mit feinen Schreden, feinen Wundern, feinen Schön. beiten, deſſen Bild ſich ihm mit unauslöfchlichen Zügen in das Herz gräbt. Ja es iſt ſchön, groß, erhaben das Meer mit feinem tiefen Blau, dem Wiverfchein des Himmelsge- wölbes, das fich in feinen Fluten fpiegelt.e Es ift fchön das Meer, wenn e8 fich vor dem trunkenen Blicke aufrolit, ein Bild der Ewigkeit, an deſſen Azurftirn die Zeit fpurlos dahin⸗ zieht, ohne ihre Furchen darauf einzugraben. Es ift ſchön bei ver Sonne goldenem Licht, wenn ihre Strahlen in feinen weiten Schos fich fenfen, dort Kühlung zu fuchen vor ber eigenen Gut, wenn in linder Nacht ver fanfte Schimmer bes Mondes über feine Spiegelfläche zittert und der Sternen- himmel feine eigene Pracht in ihm bewundert, wenn es erglüht in feurigem Glanze und Millionen Funken in ihm ſprühen! Wie groß, wie erhaben zeigt es fich in feinem Zorne, wenn e8 im Kampfe mit dem Erbfeinde die Wogen aufthürmt zu mächtiger Höhe, wenn fochend in weißem Schaume und bonnernb fie zufammenbrechen, daß faft bie Natur davor

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erbangt. Ja fchön, groß, erhaben ift der Ocean in allen Seftalten. Ueberall bleibt er fich gleich von bes Nordens eifiger Küfte bis zu des Südens ewigen Lenze, die beive er ‚mit feinen Riefenarmen umfängt. Er ift Gottes Spiegel, ber Spiegel feiner Allmacht, feiner Güte, feines Zornes wie follte man ihn vergeffen können! Wer nur einmal ihn er- ſchaut, fehnt fich nach ihm zurüd, wie viel mehr ver Seemann, ber feit frühefter Jugend ſich auf ihm gewiegt.

Gibt es etwas auf der Welt, das fich mit dem Meere vergleichen Tieße, das Erſatz böte für alles, was man mit ihm verliert? Wohin das forfchende Auge fich wendet, Aehn⸗ liches findet e8 nie! Darum auch ftrebt ver Seemann ihm, jeiner Heimat, zu, deshalb fehnt er fich nach ihm, bis es fein Grab geworden, mit fühlen Armen ihn umfängt und ihn auf feuchtem Grunde zum ewigen Schlafe beitet.

In ſolchen Umgebungen aufwachfend und lebend, ift es natürlich, daß der Charakter des Seemanns fich auf andere Weile bildet als bei Bewohnern des Landes. Er gelangt zu chnellerer Reife, da der Ernft des Lebens ihn früher be-

rührt. Er fieht mit fühner Ruhe den Gefahren in das Auge, da er fie täglich befämpft und als Sieger über fie triumphirt. Er ift harmlos und vertrauend, da bie Faljchheit der Außen⸗ welt ihn nicht täufcht und anftedt. Ein Kind der Natur, fühlt er fi in ihrem Schofe am wohlften; muthig und un⸗ verbroffen erträgt er die Beſchwerden feines mühjeligen Lebens, und in feiner befcheivenen Anfpruchslofigfeit an das Leben vermißt er nicht die erfinftelten Reize deſſelben, bie über- jättigter Genuß hervorruft. Erinnerungen überftandener Ge- fahren, Leiden und Kummer, an denen fein Leben doch fo reich iſt, ſchwinden weit früher aus feinem Gepächtniffe als aus dem anderer Menfchen. 8 bebarf bei ihm micht einmal einer freudigen Anregung, die Sorgen der Vergangenheit zu verfcheuchen; e8. genügt fchon, daß das Zrübe nur für den

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Augenblid gewichen ift. Ein ſchöner Tag, ein paar außer- gewöhnliche Freiſtunden find für ihn die glüdklichften Ereigniffe und laffen ihn alle Mühen und Befchwerben vergeffen, vie er ‚wochenlang mit fteter Gefahr für fein Leben ertragen bat. An folhen ſchönen Tagen und Freiftunden find bie Tropengegenven reich, und namentlich find e8 dann die Sonn- tage, an denen fich der Matroſe in feiner eigenthümlichen Individualität zeigt. Der Sonntag gehört ihm, er weiß, daß nur die äußerfte Noihwendigfeit an dieſem Zage feine Freiheit beeinträchtigen kann, daß, mit Ausnahme des für die Sicherheit bes Schiffes erforderlichen Poftenftehens am Ruder oder auf Ausgud, ihn nach der Mufterung und dem Gottespienfte Fein Dienft oder Erercitium behelligen wird, unb überläßt fich auf einen halben Tag gänzlich dem behaglichen Gefühl, fein eigener Herr zu fein. Natürlich hat auch dies feine Grenzen; allein am Sonntage find dieje bedeutend weiter geftedt ale an Wochentagen. Es wird ihm viel mehr nachgefehen als fonft, und felbft wenn ein fchallendes Gelächter aus hundert Kehlen die Räume des Schiffes erfüllt, gebietet der Offizier ber Wache feine Ruhe. Dergleichen laute Scenen ereignen fich aber an folhen Tagen. Ian Maat ift ein gar großer Freund von Heiterkeit und in feiner Heinen Welt vor dem Großmaft troß deren Beichränftheit Iuftig und guter Dinge.

Es bedarf nur eines geringen Anlafies, feine Lachmuskeln in Thätigfeit zu ſetzen, und unter einer fo ftarfen Beſatzung, wie die eines Kriegsfchiffes ift, finden fich ſtets Perſönlich⸗ feiten, deren Humor Gelegenheit dazu gibt.

Ein Hauptvergnügen für ihn ift, im Kreife der Kamera⸗ den Geſchichten anzuhören, wobei er eine unermübdliche Aus- bauer entfaltet. Die Erzähler kennen dieſe Tugend ihres Auditoriums; gewöhnlich find ihre Gefchichten baranf einge- richtet und endlos fang. Eine bejondere Eigenthümlichkeit je— doch, durch die fich Matrofenerzählungen faft ftets auszeichnen,

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tft ihre Unverftändlichleit. Entweder haben fie gar feine Pointe, oder biefe wird burch bie Ausführlichfeit der Nebenumftände fo in den Hintergrund gebrängt, daß jeder anbere als ein Deatrofe nicht daraus Hug wird. Der feemännifche Ausdruck für erzählen ein Garn ſpinnen ift daher ungemein be- zeichnen. |

Nach dem Gefchichtenerzählen kommt zunächft das Lieder⸗ fingen. Wenn e8 wahr it, daß böſe Menfchen feine Lieder haben, fo gehören die Seeleute zu ven fehr guten. Sie be- figen beren genug, und wenn auch viele davon das Schidfal ber mteiften Opern tbeilen, bei denen ber Text Nebenfache ift, find einige wieder vecht gut. Den meiften Anklang finden jedoch die eigentlichen Seemannsliever, bejonders wenn fie humoriftiicher Natur find und recht viel technijche Ausdrücke entbalten.

Der Matroje ift fein Logiker, und dies äußert ſich aud

in feinen Poeften, von denen manche ohne Vorderſatz gleich

mit einem Nachſatze anfangen. As Brobe führe ich ben erften Vers eines Favoritliedes an: Denn, was ift wol des Seemanns Leben, Wie bald ift es um ihn geichehn! Ein Seemann muß in Aengften ſchweben, Wenn andere Leut’ zur Rube gehn. Der Berfaffer diefes rührenden Liedes foll ein poetifcher hel- goländer Fifcher fein. Jedenfalls ftedt der Kern des Pudels gleich im erften Verfe, und der Dichter fagt von vornherein, was ihm bei der Seefahrt am unangenehmften ift, ‚nämlich das Wachegeben. Darin ftimme ich nun vollftändig bei, namentlich hat aber die Hundewache (eine jehr treffende Be⸗ zeichnung) nachts von 12 —4 Uhr etwas Degoutirendes für mich. Auf diefer Wache gehen merkwürdigerweiſe alle Uhren zu langfam, und bie 4 Stunden find endlos. Ach, wie froh war ich fonft, wenn ich bei Beenbigung einer Reife jagen fonnte: Gottlob! Heute gehft du die legte Hundewache!

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Ein guter Liederſänger an Bord genießt ebenfo wie ein guter Erzähler bei feinen Kameraden ungefähr daſſelbe An- ſehen wie weiland Homer bei den alten Griechen. Sft er, wie häufig der Fall, ein Freund von Grog, fo beeilen fich zehn, ihm einen Schlud ihrer Nation zu überlaffen; viefer ſchenkt ihm eine Rolle Zabad, jener wähcht für ihn Zeug, und alle beftreben fich, ihm zu Gefallen zu leben.

Wenn die dienftlihen Einrichtungen dem Leben vor bem Mafte auch eine beftimmte Form geben, fo erinnert boch dieſes Leben ſehr an patriarchalifche Einrichtungen. Um ben Tenten ben Aufenthalt am Bord angenehm zu machen, ift ihnen vie Frei» heit gelaffen, ihre Zifehgenoffen, oder wie fte feemäunijch ge- nannt werben, ihre Badsmanten zu wählen. Infolge biefer Einrichtung bilden fich gewiffermaßen Familien, deren ein⸗ zelne Glieber in einem Bruberverhältniffe zueinander ftehen. Das oft mehrjährige Zufammenfein, gemeinjame Intereſſen, miteinander beitandene Gefahren und gleiche Erinnerungen fnüpfen das fie umfchlingende Band feiter, und nicht felten entfteht daraus eine treue Freundfchaft für das ganze Leben.

Der Aeltefte an der Bad ift der jebesmalige Familien⸗ vater. Er fpielt den Vermittler, fchlichtet die vorkommenden Streitigfeiten, und feinen Ausſprüchen wird willig Folge gege- ben, wie überhaupt wol nirgends dem an Jahren Aeltern mehr Achtung erwiejen wird als an Bord. Der Seemann refpectirt nichts höher als fachliche Tüchtigleit und Weberlegenheit. ‘Da biefe aber eine Sache ver Erfahrung, und Selbjtüberfchätung ein Fehler ift, den man felten bei Matrofen findet, fo ordnet er auch in andern Beziehungen feine Anfichten benen ber er- fahrenen ältern Kameraden unter.

Zwifchen den ältern und jüngern Seeleuten befteht des⸗ halb eine gewiſſe Schranke, die nur anf Augenblicke fällt, wenn ein gleiches Intereſſe ſie einander näher führt. Ge⸗ wöhnlich geſellen ſich die Leute von gleichem Alter zueinander

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und e8 bilden ſich verjchievene Clubs, die ihre befonvern Sonntagsnackhmittags » Nendezuous haben. Die Kammer bes Botteliers, des mit ver Berausgabung des Proviants betrauten " Unteroffiziers, ift das nobelfte dieſer Caſinos. Hier verfammeln fih nur Auserwählte, Unteroffiziere und einige alte Matrofen. Sie erquicken fih bei einem Glafe Grog, das der Bottelier als Wirth aus den Erjparnifien der vergangenen Wochen re- jervirt hat. Um einen Borwand zu haben, biefen Grog möglichft ftark zu machen, werben Sonntags fehr häufig Ge- burtstage gefeiert, und man muß über die Familienanhänglich- feit der Betreffenden gerührt werden, wenn nacheinander die entfernteften Vettern, Confinen und Tanten an bie Reihe fommen. Die übrigen Gruppen find theils oben auf dem Deck, theil® in der Batterie und dem Hängemattenbed zer⸗ ſtreut, und überall herrſcht ein reges Leben. Hier quält fich ein Matrofe, mit der Flöte den Gejang einiger Kameraden zu begleiten, wobei Ießtere jedoch einen halben Ton zu tief into- niren und dann dem Tlötenbläfer über fein unbarmonifches Spiel Vorwürfe machen; dert verfucht ſich ein anderer auf einem Accorbion, deſſen Wände von Salzwaſſer aufgeweicht find und Nebenluft haben. Born im Bug find fämmtliche Schiffsjungen verjammelt. Ein unternehmender Kopf hat vie Idee angeregt, ein Theater einzurichten, und biefelbe ift mit ungemeinem Beifall aufgenommen. Soeben wird Generalprobe gehalten, und das zur Aufführung fommenve Stüd führt ven Namen „Todtenkopf“. Es ift ein an Bord felbft compo⸗ nirte8 Zrauerfpiel, deſſen Held, ein Seeräuberfapitän, bie Tochter des Herzogs von Parma entführt und infolge deſſen gehängt wird. Einer der jüngern Knaben fpielt die Tochter, fein Kleid ift aus einem Matragenbezuge gefertigt, die Crino⸗ line duch Faßreifen bergeftellt, und ein Kranz von weißen Rofen aus Manillahanf fchmüdt ven Kopf. Auch Eouliffen find vorhanden, auf denen Tannen von unbeftimmter Farbe

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und Geftalt einen Wald barftellen. Der Vorhang ift durch zwei zufammengenähte Hängematten bergeftellt, und pie Luke zum Kabelgat bildet die Verfenfung. Das Orcheſter ift ziem- lich ſtark beſetzt. Es befteht aus einer Trommel, einem Aecordion, einer Flöte, einem Kamme und drei zu einem Triangel verbundenen Labeftöden. Die Offizierburjchen haben- die Requifiten geliefert, und fämmtliche Dolche ver Cadetten zieren bie Hüften von der „Zobtentopfs”-Bande. Die Probe fällt zur allgemeinen Befriedigung aus, und der Director beichließt, - am nächften Sontage die .erfte Borftellung zu geben und, bazı, auch das Offiziercorps einzuladen.

Mittfchiffs Hat das Muſikcorps des Schiffes feinen Sitz aufgefchlagen, das aus zwölf Mitgliedern befteht. Der Kapell- meifter übt eine von ihm felbft componirte Winpftillen - Polfa ein und ift fehr verprießlih, daß es der Baßtuba nicht ge- lingen will, das Schlagen der Segel gegen bie Maften natür- lich wiederzugeben.

Weiter nach Hinten fiten ein Dugend Matrojen und flechten Havannahſtroh zu Hüten, bie fie im warmen Klima ftatt der fchwarzen Wachstuchhüte tragen dürfen. Andere ftiden mit unenblicher Sorgfalt kunſtvolle Fußmatten mit bunter Baumwolle auf Segeltuch, bei denen fie monatelang be- tchäftigt find, um fie fpäter bem eriten beiten zu ſchenken, der fie darum bittet.

An einigen Tiſchen, bie am Sonntage zur Bequemlichkeit per Mannschaft aufgefchlagen bleiben, wird ein Solo um bie morgende Grogportion gejpielt. Die Karten wollen jeboch nicht recht voneinander Taffen, und zum Kummer einiger Mitfpielenden, die ein gutes Blatt in der Hand haben, wird häufig vergeben. Hier Tiegen einige Leute auf dem Deck ſchlafend ausgeftredt, doch find es meiftens Seejoldaten, „Tümmler“ von ben Matrofen getauft; der Matrofe hat am Sonntage viel Wichtigeres zu thun als zu fchlafen. Dort find

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anbere in bie Lectüre fchauriger Ritter⸗ und Geiftergefchichten vertieft, Die fie irgenpwo an Bord aufgetrieben haben.

Der größte Theil der Mannfchaft macht fich jedoch das unvermeidliche Matrofen: Sonntagsvergnügen, ben Zeugjad umzupaden. Diefe Beichäftigung hat für San Maat einen eigenen Reiz, obwol es fchwer zu fagen ift, worin berfelbe eigentlich Liegt. Es wird dabei jedes einzelne Stüd ausein- ander genommen, genau befehen und ebenfo forgfältig wieber zufammengelegt, al8 fei es ein werthuoller Schatz. Beſonders wirb aber mit den eigenen Sachen geliebäugelt, die fich außer den gelieferten Uniformgegenftänpen im Sade befinden. Be⸗ jigt der Inhaber ein baummollenes oder gar feivenes Tafchen- tuch, fo fchlägt er jene Sachen forgfam in dafjelbe und gibt ihnen einen Plab in der Mitte des Sades, damit fie ja vor Be- ſchädigung gefichert find.

So vergeht ver Nachmittag. Nach dem Abendeſſen fpielt die Mufif zum Tanz, und der Matrofentanz, der englifche Hornpipe, fest die Fußgelenke in Bewegung, bis die Eigen- thümer ermattet in eine Kanonenpforte finfen und fich bie erbigten Glieder in der frifch hereinftrömenven Brife Fühlen müſſen. Da fchlägt die Uhr acht, der Sonntag tft zu Ende, das Uhrwerf des täglichen ‘Dienftes wird von neuem aufge- zogen, um in gleihmäßigem Gange fortzulaufen. Die Wache bezieht das Ded, die Ronde wird vom erjten Offizier abge- halten, die Lichter gelöfcht, und niit dem fchrillenden Tone ver Bootsmannspfelfe und dem darauffolgenden Commando „Rube im Schiff” erftirbt das heitere Lachen und Schwaben zu einem leifen Gefumme Das Schiff wiegt fi Tangfam auf den gleichmäßigen Wogen, und nur ver halbftündige Auf ber Poſten „Alles wohl” unterbricht die nächtliche Ruhe.

5.

Die Reife zum Aequator. Der Weg bes Hydrographen Maury. Die Baffatwinde. Gewitter im Stiligürtel. Schreden bes Cap. Der Sturm in ber Johannisnacht. Ankunft in der Sunbaftraße.

Auch für uns war die Reife zum Aequator ganz angenehm. Schönes warmes Wetter, ruhige See, in der das Schiff kaum merkliche Bewegungen machte, gute Verpflegung, da die von Teneriffa mitgenommenen Früchte, Eier u. f. w. ausreichten, dann und wann auch ein unverhofftes Frühſtück von fetten fliegenden Fiſchen, die wir nachts in ausgeſpannten Netzen fingen kurz es war alles ſehr hübſch, die Zeit verging ſchnell und wir merkten kaum, daß wir auf See waren. Morgens nahm man ſein erfriſchendes Bad, ſaß nachher unter dem Sonnenſegel, las oder ſchrieb, hielt Nachmittags ein Schläfchen und ſchwatzte in der Abendkühle bei einer Cigarre von vergangenen und fommenben Zeiten, von der lieben Heimat, von Teneriffa und von Japan.

Bon Teneriffa bis zur Linie hatten wir 21 Tage. Der Nordoſt⸗Paſſat war fehr ſchwach, und unfere ſtille Hoffnung, zum 20, Juli in Singapore zu fein, wurde dadurch fehr her- abgeftimmt. Wir wählten den neuen, von dem berühmten amerikaniſchen Hydrographen Maurh empfohlenen Weg, ver

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zwifchen 29 und 30° weftl. Länge den Aequator fchneivet, während bie alte und von ben meilten Seeleuten noch be— folgte Route 150 Meilen öſtlicher zwifchen 18 und 21° führt.

Sch glaube, es gibt faum eine Kaffe von Menfchen, bie mit größerer Zähigkeit am Althergebrachten hängt und ſchwerer an vortbeilhafte Neuerungen zu gewöhnen ift, als die See- leute. Dies zeigt fich namentlich wieder bei ven Segeldirectorien und Karten des Amerifaners Maury, die berfelbe mit Genie und beivundernswürbigem Fleiße feit zehn Jahren herausgibt und bie für die Schiffahrt einen ungemeinen Nuten haben. Ob⸗ wol dieſe Karten und Bücher nur das Reſume vieler Laufende von Schiffahrtstagebüchern find und, mit ängjtlicher Fernhal⸗ tung jeder, wenn auch der wahrfcheinlichiten Hypotheſe, ledig⸗ lich auf Erfahrungen und Thatſachen bafiren; obwol Maury in jeder jährlich erfcheinenden neuen Ausgabe feiner Directorien ſchlagend beweift, wie ein Schiff, das nach Oftindien, Auftra- lien u. f. w. geht, die Reife um 20— 30 Tage abfürzen könne, wenn es ben von ihm empfohlenen Weg nimmt; obwol enblich bie amerifanifche Regierung mit feltener Liberalität jeven See- mann, der eine Abjchrift feiner nautischen Zagebücher an das National-Objervatorium fendet, mit den Karten und Büchern befchenft, Hält es doch unglaublich fchwer, der Neuerung Eingang zu verichaffen.

Weil im vorigen Jahrhundert einigemal fchwerfällige eng- liſche Transportfchiffe, welche die Linie weit weftlich fehnitten, Cap St. Rogue nicht abwettern fonnten und dort firandeten, ftebt das Cap in ver Einbildung aller alten Seeleute als ein Gefpenft da, welchem fie dadurch zu entfliehen fuchen, daß fie die Linie 150 Meilen söftlicher Freuzen und fomit, in- folge der dort vorherrjchenden Stillen, ihre Reifen um 10—15 Tage verlängern. Sie mögen nicht begreifen, daß die Ueber» windung des Stromes bei St.⸗Roque für ein englifches Trans- portfchiff von 1780 vielleicht eine Unmöglichkeit war, daß dies

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jedoch für unfere modernen Schiffe feine Schwierigkeit bat. Wir fürchteten uns. nicht vor dem Gefpenft, fehnitten die Linte auf 30° Weit und hatten nur 30 Stunden Stille, bis

wir. ven Scupoft- Baflat fanden.

Es ift befannt, daß von 30° nördl. Breite bis zur Linie der Norboft- Baffatwind und ebenfo durch denſelben Breite- gürtel füblich vom Aequator der Süpoft » Pafjatwind ununter- brochen und in derſelben Weife weht, ſodaß dieſe beftänpigen Luft- ftröme die Refultate gleicher Urfachen find. Das Beftreben ber Atmofphäre, fich überall im Gleichgewicht zu halten, treibt bie Talte verbichtete Luft von den Polen nach dem Wequator, wo bie Einwirkung der Sonnenftrahlen die Luftfchichten ver- bünnt und ausdehnt. Imfolge der Umdrehung der Erbe, die gewiffermaßen unter dem Winde fortläuft, wird ber ur- fprünglich direct nad) Sübden und Norden gehende Luftftrom abgelenft und erhält im Norden des Aequators eine norböft- liche, im Süden deſſelben aber eine füdöftliche Richtung. Beide Luftſtröme treffen bei der Linie zufammen, und es entfteht ein Stilfgürtel, ver mit der Declination der Sonne mehrere Grave jährlich auf- und niederſchwankt. Dieſer Gürtel bat nach den von Maury darüber angeftellten Beobachtungen eine Keilform, deren ftumpfes Ende der afrifanifchen Küſte, beren jpißes dem amerifantichen Eontinente zugekehrt ift.

Die von den beiden Luftftrömen mit bergeführten und in Auflöfung erhaltenen Wafferbänfte fteigen beim Zufammen- treffen mit ihren Trägern, ben Quftpartifeln, in bie Höhe, eondenfiren in ben obern und bemgemäß fältern Schichten und ftrömen als Regen nieder, um dem Meere wieder zuzu- führen, was die Paffatiwinde ihm mährend ihres Fluges ge- nommen. Der Stillgürtel trägt daher mit Recht ven ihm von Maury beigelegten Namen Wolten« over Negenring, und feine Paſſage ift eine ver Kehrfeiten der Seefahrt. Schwüle Luft, Wafferhofen und ununterbrochene Gewitter, die bisweilen

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von zwei bis drei Seiten zugleich am Horizonte auffteigen, find die fteten Begleiter dieſer Zone, und, abgefehen von allem anbern, iſt e8 ſchon deshalb jehr angenehm, ven Stillgürtel an feiner fchmalften Stelle, d. h. auf 30° Weft zu fchneiben.

Trotzdem wurden wir von jenen Attributen nicht verfchont. Auf dem dritten Grad nördlicher Breite jchlief der Paſſatwind allmählich ein; ber bis bahin wolfenlofe Himmel bezog fich und verfündete ung bie Nähe der Linie. Einzelne Regenfchauer zogen worüber, und das Schiff ſchlich 24 Stunden nur noch im Schnedengang durch das Waffer. Gegen Abend bes zweiten Tages, nachdem wir ben Paffatwind verloren, wurde e8 ganz windftil. Die Segel fehlugen gegen die Maften und das Schiff prehte fich, ohne weiter dem Steuerruder zu ge- horchen, willenlos bald hier bald dorthin. Dunkles Gewölk 309 fih am Horizonte zufammen, die Luft war ſchwül und brüdend; fie ruhte bleifchwer auf dem Menſchen und beengte die Bruſt. Selbſt vie Fifche fchienen ein gleiches Gefühl zu empfinden und fprangen hoch aus dem Waſſer, als fuchten fie Erleichterung. Die einzelnen Wolkengebilde vereinigten ſich zu compacten Maffen, deren untere Ränder ſchwarz und fchwer herabhingen und fich auf die Mleeresfläche zu ſenken ſchienen. Ihre Eontouren grenzten ſich fcharf auf dem weißlich grauen Hintergrunde des Himmels ab, und bie eigenthilmlichen Formationen der Wolfenberge machten einen unheimlichen Ein- brud. Langſam ftiegen fie zum Zenith empor und näberten fih dem Schiffe, als wollten fie e8 verfchlingen.

Jetzt beginnen bie ſchwarzen Ränder fich fehnell zu ver ändern, und die ftarren Maſſen fcheinen Iebendig zu werben. Bald find es Scharfe Zaden, bald runde Bäuche, zu denen fie fich geftalten hier trennen fie fich, Dort fließen fie in- einander. Eine tiefſchwarze trichterförmige Spitze ſchießt aus bem dunkelſten Theile des Gewölks. Bald mächtig anfchwelleun, bald zu einem fehmalen Streifen verfchwindend, zudt fie auf

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und nieder. Jetzt dehnt fie fich gleichmäßig aus und fenkt fid weiter herab, eine drehende Bewegung ift an ihr wahrzu⸗ nehmen, mit ber fie fich in vie Tiefe des Meeres bohrt. Immermehr nähert fich der ſchwarze Kegel unferm Schiffe, und feine Entfernung beträgt faum noch einige taufenb Schritte. Seine Form verändert fich zu einer am untern Ende zuge- fpisten Säule, die faft das Waſſer berührt.

Blöglich beginnt e8 auch im Meere fih zu regen. Es ſchwillt unter ver Säule zu einem Berge und kocht wallend auf! Angezogen von der Freifenden Maſſe erhebt es fich immer höher. Mit branfendem Ziſchen erfolgt jeßt die Vereinigung beiver Ele mente, und Waffer und Wolfe, zu einem Einzigen verbunden, . wandeln mit verberbenfchwangern Schritten ihren Weg über bie Fläche des Dieeres. Wehe dem Schiffe, das dieſen Weg Freuzt] Es würde von ber Gewalt ber tofenden Mafje Hinabgezogen tn ven Schlund des Oceans oder maſtlos als hülfloſes Wrad aus der Krife hervorgehen.

Wir hatten alle Vorbereitungen getroffen, um biefem Ger Ichie nicht zu verfallen; die Segel waren feſtgemacht und die Geſchütze geladen.

Kaum noch 1000 Schritt iſt die Säule von uns entfernt; ihr Dunſtkreis hat bereits das Schiff erreicht und ein feiner Regen wie der Staub eines Waſſerfalles hüllt es ein. Das brauſende Geziſch wird lauter und unheimlicher, und es ift bie höchſte Zeit, das Ungethüm in feinem Laufe aufzuhalten. Das Commando „Teuer“ ertönt, das Schiff erzittert von ber Dreitjeite in den innerften Fugen, und pfeifend fliegen vie Kugeln in den Körper der Wafferhofe. Einen Augenblid er- folgt eine Todtenſtille. Da ift es, als fpaltete fich ver Erd⸗ ball, ein Schlag, als entlüben fich taufend Gewitter, er- ſchüttert die Atmofphäre, ein gewaltiger Windftoß heult durch bie Lüfte und legt das Schiff auf die Seite. Die Schleufen bes Himmels öffnen fich und überfluten das Fahrzeug; mit

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bumpfem Braufen tritt der mit ber Säule vereinigte Waffer- berg in fein Bett zurüd, und feine Wellen vollen rauſchend unter dem Schiffe fort. | | Die Gefahr ift vorüber, die Wafferhofe gefprengt. Nach furzer Zeit hört der gewaltige Negen auf; auch ver Sturm ſchweigt, und es ruht tiefe Stille auf dem Meere wie vorber. Indeſſen haben bie finftern Schatten der Nacht fich anf das Waſſer geſenkt und ringsum herrfcht Dunkel, fo tief, fe ſchwarz wie Grabesnacht. Kein freundliches: Geftirn durch⸗ bringt das ftarre Gewölk, das hoch immer am ganzen Himmel lagert, und hin und wieder aufflammenbes Wetterleuchten trägt nur dazu bei, die Finfterniß noch ſchwärzer erfcheinen zu laſſen. Bald werben die Richtfcheine häufiger und anbaltender, bis- weilen ift der ganze Horizont erleuchtet, als ftände er in Slammen. Dur die Stille der Nacht fchlägt das bumpfe Rollen des Donners an das Obr, und an verfchlenenen Himmels⸗ gegenden theilen zudende Blitze die drohenden Wolkengebilde. Drei Gewitter ziehen gegeneinander herauf und rüden mit langfamen Schritten zum Zenith empor. Die Atmofphäre ift mit eleftrifchen Stoffen gefchwängert, bie fich auch dem Waſſer mittheilen und jene wunderbare Erfcheinung hervor- rufen, welche man unter dem Namen Meeresleuchten Tennt. Noch zwar ift es nur ſchwach und mehr ein matter Schimmer, da die Wellenbewegung gering ift und beshalb bie phosphorescirenden Theilchen des Waſſers nicht in Friction gerathen; doch wird das Leuchten allmählich intenſiver und läßt bereits die Schönheit feiner vollſtändigen Entwickelung ahnen. Jetzt tönt der Donner näher und ununterbrochen wie das Getöſe einer fernen Schlacht. In grellem Licht flammen die Blitze durch die Finſterniß, aber nicht mehr von oben nach unten. Aus der glühenden Baſis des Wetterleuchtens am Horizonte ſtrahlen ſie empor zum Zenith, ein merkwürdiges Phänomen ver tropiſchen Natur, vie ſich dieſen Abend in furcht⸗

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bar ſchöner Weife zeigt. Jetzt ftoßen die Gewitter gegen- einander; Schlag auf Schlag erfolgt mit betäubendem Krachen und der Kampf ver Elemente läßt bie Atmoſphaͤre erzittern. Die ganze Natur iſt in Aufruhr!

Sieh', welches wunderbare Leben gebiert die dunkle Tiefe! Der Ocean wallt, feine Wogen fchäumen, feine ſchwarze Fläche erglüht wie durch Zauber, Milfionen Sterne funfeln in ihm er ift zum Feuermeere geworden! Feurige Fifche

ſchießen durch die Fluten und Hinterlaffen lange Streifen grün-

lich ſchimmernden Lichtes, als ob endloſe Schlangen fich da⸗ hinwänden. Glühende Duallen wälzen fich träge unter ber Oberfläche, unbelanntes Gethier wogt durcheinander wie glänzende Meteore, und die am Schiffe fich brechenden Wellen zeritäuben in ftrahlendem Sprühregen. Soweit das Auge reicht, erblickt es nur Eine Glut, deren Widerfchein fich am bunfeln Himmel abfpiegelt.

Auch in den Lüften beginnt es zu leuchten. Die elektrifchen Stoffe concentriven fich, und auf den eifenbefchlagenen Spiten. ver Majten, Raaen und Gaffeln entzünven fich blaue Flämm- chen, die Elmsfeuer. Wie Irrlichter tanzen und fladern fie auf und nieder in unheimlichem Scheine und erfüllen mit Schreden die Gemüther ver abergläubifchen Matrofen, die in ihnen die Seelen im Meere verunglücter Kameraden er- bliden.

Noch immer dauert der Kampf der Gewitter mit unge- ſchwächter Wuth fort; die Blige flammen fprühend, der Donner kracht, als nahte das Jüngſte Gericht, und das Schiff ſchwankt bingegeben den Wogen, die fich immer mächtiger heben.

Da ſenkt fih das ſchwarze Gewölk und fchättet abermals in gewaltigen Strömen feinen Inhalt aus. Das von Süpen auffteigenve Gewitter hat gefiegt; mit dem helfenden Winve, der fich jegt erhebt und dem der Seegang voranlief, treibt e8 die übermwältigten Gegner vor fih her. In Süden aber

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zeigt fich eine Tichte Stelle am Firmamente, die fich ſchnell ausbreitet. Die blauen Flämmchen auf den Maſiſpitzen er- löſchen, der Schein des Meeres wirb matter und fein Ster- nenbeer erbleiht. Kine andere Sternenpracht entfaltet jich am bfauen Azur, der den Himmel wieder deckt, und ftrahlt in dem reinen Aether mit poppeltem Glanze. Nur im Norben lagert noch eine bunfle Bank, an deren Saum bisweilen ein bleiher Schein bHinzittert. Ein frifcher Wind ſchwellt bie Segel. Wir haben den Stiligärtel überwunden, und ber Süpoft-Paffat führt uns mit fehnellen Schritten nach Süden.

Am 29. Mai paffirten wir die Linie; e8 geſchah harm⸗ und geräufchlos. Die berühmte Taufe mit allen ihren oft befchriebenen Attributen fiel fort, obwol über die Hälfte ver Beſatzung reif für Neptun's NRafirmefler war. Die Weltlich- feit war aus guten Gründen unterfagt. Sie ft ein Ueber- bleibfel früherer feemännijcher Roheit und artet gar zu leicht aus. Das plögliche Lockern der ftrengen Disciplin wird felten von den Matroſen richtig verftanden; es folgen Exceffe, bie nicht ungeahndet bleiben können, und deren Confequenzen oft ſchwere Strafen find. Um dem vorzubeugen, wurde bie Taufe officiell verboten; damit war der Zwed erreicht. Wenn die Taufe nun auch im Heimen und insgeheim ftattfand, fo hielt fie fich boch innerhalb ber rechten Schranken, und ein Ertraglas Grog erheiterte die Mannfchaft gerade fo viel, als wünſchenswerth war.

Der Südoft- Bafjatwind bläft frifcher als der Norvoft und wie diefer und alle periobifhen Winde in einer Curve, zuerft füplicher, dann allmählich fich herumziehend durch Oft und Nord, bis man fünlih vom 30. Grade füblicher Breite in den Gegenftrom ber weftlichen Winde gelangt, mit denen man eine Strede von nahe 1500 deutſchen Meilen in öftlicher Richtung fegelt, um entweder Auftralien zu erreichen oder kurz vorher nörblich zu fteuern, wenn man, wie wir, nach Oſtindien

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ımd China will. Man befchreibt daher bis zum Meridian bes Cap ber guten Hoffnung einen bedeutenden Umweg und kommt der brafilianifchen Küfte ziemlich nahe.

Auf der Höhe von Bahia wurde der Wind etwas flauer. Die See war ziemlich ruhig, und wir konnten einem uns begegnen⸗ den engliſchen Schiffe Briefe mitgeben. Das Packet war ziemlich groß; ein jeder wollte die günſtige Gelegenheit be- nugen, um bie Seinen zu Haufe durch ein paar unverhoffte Zeilen zu erfreuen, und mandher ſah lange dem entſchwinden⸗ ven Schiffe nah. March tiefer Seufzer fprach heimlich: Ach fünnteft bu mit ihm gehen! Auch mein Gedanke war es.

Ein fehr hübſcher Zug im Charafter der Seeleute ift vie Gewiſſenhaftigkeit, mit der die ihnen anvertrauten Briefe un- entgeltlich bejorgt werben. Mögen fie noch fo lange Zeit won der Heimat entfernt gewejen fein, die Abgabe der Briefe zur Boft, die Üeberzeugung, daß fie wirklich in fichere Hände ge- langt find, betrachten fie vor allem andern als bie Erfüllung einer heiligen Pflicht und felten gehen Briefe verloren, wenn fie Schiffen mitgegeben werben, die ihren Beltimmungsort erreichen. In der Neuzeit find zwar faft auf der ganzen Erbe zwifchen ven belebteften Plägen regelmäßige Poftverbindungen durch Dampfichiffahrt eingerichtet; allein es ift zu verwundern, wie bisweilen troßbem Briefe jahrelang Hinter den Adreſſaten berlaufen und fie an Punkten erreichen, die von dem erften Aufenthaltsorte Laufende von Meilen entfernt find, und deren Adrefje nicht einen Hafen bezeichnet, fonvern ein ganzes Land umfaßt. So erhielten wir nah 13 Monaten Briefe aus der Heimat im Golf von Petſchili (Nordchina), die nach Montevideo gerichtet waren, wohin wir zuerft gehen follten. Dort war befannt, daß das Geſchwader nach China gegangeıt jet, und die Poftbehörve fchrieb varauf, China or elsewhere: China oder ſonſtwo. Da feine directe Verbindung zwifchen

Sütamerifa und China befteht, gingen die Briefe wieder nach

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England und von dort Über Singapore nach China von einem Plate zum andern, bis fie uns auf der Rhede von Zientfin trafen. - Während unferer ganzen 2%, jährigen Ab- weſenheit iſt auch nicht ein einziger an uns gerichteter Brief verloren gegangen!

Mit vem Paffiren des fühlichen Wenpefreifes nahm das gute Wetter von uns Abfchien, und jet kamen acht lange Wochen, um bie wir nicht zu beneiden waren. Bei einer Reife um das Cap der guten Hoffnung, namentlich im Winter, ift man ſtets ſchon von vornherein auf Feine angenehme Fahrt gefaßt, und man läßt fich gern einen, zwei, auch drei Stürme . gefallen. Mein Gott! ohne Stürme würde ja die Seefahrt allen Reiz, alles Pikante verlieren; aber ein ftebenwöchent- licher Sturm mit Pauſen von höchſtens fechs bis acht Stun- ben da bört alle Gemüthlichfeit auf.

Wir waren bereits in die Myſterien des Cap feit 14 Tagen eingeweiht, als der Johannistag allem vie Krone auffegte und uns mit einem Sturme beglüdte, gegen den bie Hunderte von Stürmen, welche ich in meiner feemännifchen Laufbahn erlebt, nur Kinderſpiel waren. Sekt, wo ich an jene Zeit zurüd- denke, hat fie viel won ihren Schreden verloren; manche tomifche Momente, die damals nicht beachtet wurden, treten nım deutlicher in der Erinnerung hervor und dienen als freundliche Staffage des Bildes; aber die Nacht vom 24. auf ven 25. Juni war bie fchredlichite, Die ich je erlebt, und der liebe Gott

möge mich vor einer zweiten folchen bewahren.

Schon am Morgen des 24. Juni verkündete graues bleis farbiges Gewölk, das mit feinen weißlichen Kuppen wie eine Mauer im Norden und Weiten lagerte, das Herannahen von ichlechtem Wetter. Die Captauben, Sturmtaudher, Albatroffe und andere Vögel jammelten fih in Scharen Hinter dem Schiffe und umfchwärmten es mit großem Gefchrei. Die See Tief in Immer höhern Wellen heran und brad

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troß des verhältnißmäßig geringen Windes mit bonnerndem Geräufch zufammen. Das Barometer, dieſer treue Führer bes Seemanns, fing an zu finfen, und die aufgehende Sonne zeichnete an der ftarren Wolkenmaſſe im Welten einen Regen- bogen mit ungewöhnlich lebhaften Farben. ‚Regenbogen am Morgen bringt dem Seemann Noth und Sorgen“, heißt bei uns ein altberühmtes Sprichwort, und wir fäumten denn auch nicht, Vorbereitungen für den fommenden Sturm zu treffen. Diefer ließ nicht lange auf fich warten. Morgens um 10 Uhr fuhren wir noch unter allen Segeln, und nachmittags um halb 3 Uhr war bis auf zwei Heine Sturm-Stagfegel bereits alles feft gemadt. Der Sturm beulte in der Takelage, und bie See rvollte Berge heran, als wollte fie das Niefengebirge plajtifch darſtellen. Bis jeßt war e8 eins der gewöhnlichen Unwetter, deren Heimat das Gap ift, aber das ftete Fallen bed Barometers deutete an, daß wir uns auf eine fchlimme Nacht gefaßt zu machen hatten. | |

Bon 10 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags war das Barometer nicht weniger als -einen Zoll gefallen, und noch immer wich es mit tief concaver Oberfläche ftündfich faft um einen Zehntelzoll. Der Himmel zeigte jene gleichförmige graue Dede, die weder Sonne noch Sterne burchläßt und in ihrer jtarren Ungebrochenheit fchwer auf den Gemüthern laſtet. Es war Neumond, und die Nacht begann fchon bald nach 4 Uhr mit feltener Dunfelheit. Der Sturm wuchs ſtündlich und wühlte eine See herauf, als wollte er ven Meeresgrund bloßlegen.

Um 8 Uhr abends trat der erjte Act des nächtlichen Dramas in Scene. Das Hintere Sturm-Stagjegel Tonnte, obwol es ganz neu war, ber Kraft des Windes nicht mehr widerſtehen. Es zerriß mit einem Knall, als würde eine Kanone abgefeuert, peitfchte mit zwei bis drei gewaltigen Schlägen in die Luft und flog dann, in Stüde zerfegt, in bie dunkle Nacht binaus. Das Barometer ftand auf 29”0 und

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fiel noch immer ſchnell. Es wurde uns unheimlich zu Muthe; einen folhen Sturm hatte noch Keiner von uns erlebt. „Es kann doch nicht härter wehen“, fagten wir uns, aber es heulte immer braufender durch die Zufelage und die Wafferberge fhürmten fi immer höher. Bis dahin war der Wind lang- fam von Norboft bi8 Nord gegangen, jetzt fprang er mit einemmale auf Norbweft, und es entftanden baburch Seen in verſchiedenen Richtungen, die das Schiff wie einen Feder⸗ ball Hin= und herwarfen und es bie furchtbarften Bewegungen machen Tiefen. Es war faum möglich, fich Feitzuhalten, und das Schiff holte oft 4„0 45 Grad nach beiden Seiten über. Ih ftand mit dem wachthabenden Offizier und Unteroffizier an der Windfeite auf dem Hinterded, als gegen 10 Uhr nachts plögli eine Sturzjee über das Schiff brach. Wir wurden alle brei von der gewaltigen Waffermaffe, die das ganze Deck überflutete, fortgeriffen und vollftändig in ihr be- graben. Durch weldyes Wunder es geſchah, daß wir nicht über Bord gefpült wurden, ift mir noch jegt ein Näthfel. Ich fand mich etwa 30 Schritt weiter in Lee unter ein paar Treppen wieder, und als ich mich, halb betäubt und erfticht, wieder an bie Winpfeite gearbeitet hatte, kamen auch meine Leivensgefährten zum Bor- ſchein. Der Offizier war fehs Fuß über Ded gehoben und von einer nach den Majten führenden Stricleiter wie in einem Netzwerk aufgefangen worden. Der Unteroffizier dagegen war burd) die Wand der auf dem Ded befindlichen Kajüte in die Kammer des erſten Offiziers geſchlagen, der auf die unan- genehmfte Weife gewedt wurde, ba das feine Kammer voll- ftändig erfüllende Waffer ihn beinahe erjticte. Merkwürbigerweife hatte niemand von uns außer einigen leichten Contuftonen Beſchädigungen erlitten. Die Sturzfee batte indeffen das Verdeck gründlich aufgeflart, das Backbord⸗ Seitenboot zerfehlagen, das Steuerborbboot ganz fortgenommen und die eifernen Krahne, an denen es. hing, abgebrochen, die -

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in dee Mitte ftehende Dampfbarkaffe gefüllt, deren Befeſti⸗ gungsbolzen aus dem Deck geriffen und diefe nach Lee gefchleu- dert, die zugenagelten Luken aufgebrochen, auch bei ihrer Rundreiſe eine fabelhafte Razzia unter ven auf Deck befind⸗ fihen Gegenftänven gehalten und das Meifte mit über Bord geriffen. Wenn ber Augenblick nicht fo furchtbar ernft gewefen wäre, hätte man über das Chaos, welches theilweiſe aufßen- bords, theilweife auf dem Verdeck mit dem nur langfam ab- fließenden Waffer Hin» und berflutete, lachen können. Die heterogenften Gegenftänte ſah man hier bei dem Wiberfchein der in grünlichem Lichte Schäumenden Wogen auf» und neben- einander ſchwimmen und bald hier» bald borthin gefchleubert, big fie entweder zerträmmert ober über Bord gefpült waren. Bier ſchwabberten ein paar Hühnerftälle, deren Infaffen ein furchtbares Gejchrei erhoben, dort Eimer, Wafchtonnen und Kochgeſchirr; bier ein aus ven Kafüten geſchwemmter Stuhl, dort Wafchbeden, Betten und Wäſche. Dazwilchen quielten vie aus ihren Ställen verſchwemmten Schweine und man hörte ihre burchbringenden Angftrufe bald vorn im Schiff, bald hinten in der Kafüte, je nachdem fie von dem hin⸗ und her- flutenden Waffer hier» oder dorthin getragen wurden.

In der Kajüte und in unfern Kammern jah es womöglich noch fchlimmer aus. Die See war in, alle gebrungen und hatte mit fich fortgeführt, was nicht niet» und nagelfeft war. An Retten war natürlich nicht zu denken. Dean Hatte genug zu thun, um fich felbit feitzuhalten. Alles, was vor ber Vernichtung geborgen wurde, waren zwei Schweine, bie fo in unfere Nähe trieben, daß wir ſie greifen und in eine Leer» ftehende Kammer fperren konnten. Alles andere mußten wir ruhig ſchwimmen lafjen, bis fich- das Waffer verlaufen hatte, Kaum war dies gefchehen, als an verfelben Stelle noch eine zweite Sturzſee überbrach, die zwar nicht fo heftig als die erfte war, jeboch noch Unheil genug anrichtete, da fte bereits Thür und

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Thor geöffnet fand und leichtes Spiel hatte Wir hatten ung biesmal feitgebunden und kamen daher mit dem Falten Bade davon. Dies Bad war übrigens keineswegs eine Annehmlichkeit, venn das Thermometer zeigte Reaumur. Trotz unſerer Regenmäntel und hohen Gummiftiefeln hatten wir feinen trodenen Faden am Körper und in jedem der Stiefel befand fich minbeftens ein halber Eimer Wafjer. An Umziehen war unter folchen Umftänden nicht zu venfen, und unfere Situation war ſchon darum nicht gerade beneivenswertb. Trotzdem fühlten wir uns warm! In zehn Minuten zwei Sturzfeen, die fo ziemlich Har Ded gemacht hatten, und troß des ſchweren Sturmes noch immer fallendes Barometer, das um 11 Uhr jchon auf 28”,7 ftand und noch eine concave Oberfläche zeigte das ‘war fein Spaß und konnte wol unheimliche Gefühle erregen. Indeſſen Hatte e8 bei den beiden Sturzfeen fein Bewenden, und das Schiff lag fortan prächtig bei.

Um 12 Uhr mitternachts ſtand endlich das Barometer ſtill und machte Miene zum Steigen. Wir fühlten uns ſehr er⸗ leichtert bei diefer Wahrnehmung, aber fo leichten SKaufes jollten wir nicht davontommen. Bon 12—2 Uhr erreichte ber Sturm feinen Höhepunkt; das war fein Sturm mehr, jondern ein Orkan. Mein Gott! Ich Habe nie geglaubt, daß e8 fo viel Wind in der Welt geben Fünnte. Das: Schiff lag ohne ein Stüd Segel fo ſchief, daß die Leeverfchanzung brei bis vier Fuß unter Waller ftand. Die ganze See war ein fochenver glühender Schaum, ver Cyklon brüllte in der Take⸗ Inge, daß wir jeven Augenblid erwarteten, er werbe die Maften abbrechen oder das Schiff Tentern, und wir ftanden Klar, um die Maften zu Tappen. Einer unferer Unteroffiziere äußerte: „Das weht nicht, das ſchmeißt ja heute Nacht Wind”. Der Ausprud war bezeichnend. Bei den einzelnen Stößen rudte das Schiff ein, als ob folide Maſſen vagegengeworfen würden.

Man follte faum glauben, daß ein Fahrzeug ein folches Un-

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wetter aushalten könnte, und bisweilen bezweifelte ich es felbft. Doch die Elbe bewährte ſich prächtig; die Pumpe zeigte nicht mehr Waſſer, als das Schiff gewöhnlich bei fchlechtem Wetter machte, und das war eine große Beruhigung. Aber vie beiden Stunden wurden uns troßpem erfchredlich Yang, wie überhaupt bie ganze Nacht. Um 2 Uhr morgens ftand das Barometer fchon wieder auf 290. Das Wetter mußte danach entjchieden beifer werben, und es fprach dafür auch ein anderes Wahr⸗ zeichen: die graue gleichmäßige Dede brach fi, auf fünf Minuten fam der blaue Himmel zum Vorfchein. „Wenn nur jo viel Blau am Himmel ift, daß man fich eine ade davon machen laffen fann, dann wird's auch befjeres Wetter”, fagten unfere Matroſen, und fie hatten recht. Die Venus fchaute fo heil wie eine Sonne durch ven Wolkenriß, als wollte fie uns fagen: „Verzagt nicht, bier oben wird .über euch gemacht!” und ihr freundlicher Blick verfehlte feine Wirkung auf die Semüther nit. „Da ift ein Stern”! rief aus aller Munde in frendigem Zone, und nach wenigen Minuten brad) fich auch die Gewalt des Orkans. Wenn auch nur langſam, ließ feine Wuth doch nach; es traten Paufen ein, die all mählich bis zum Morgen immer länger wurben.. Die Wolfen zerriffen immer mehr, ein Stern nach dem andern trat hinter ihnen hervor. Bald funfelte im lichten Glanze das ganze Heer am wolfenfreien Himmel, und endlich ſchimmerte auch bie Tangerfehnte Morgenröthe im Often. Gottlob! e8 wurbe Tag Tag nach einer langen Nacht, ber längften, die ich je erlebte.

Die Sonne ging ftrahlend aus dem Horizonte auf, aber erft jet jahen wir, in welch furchtbarem Kampfe mit ven Elementen. wir begriffen waren. Die von dem Orkane her- aufgewählte See war graufenerregend. Der Wind hatte fich mehr füplich gezogen, und das ihm folgenne Schiff lag jetzt mit dem Kopfe recht gegen die See, ſodaß wir ihre wirk-

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lihe Größe ermeifen konnten. Nach wifienfchaftlichen Beob⸗ achlungen follen vie fchwerften Wellen nur eine Höhe von 32 Fuß erreichen, aber an jenem Morgen bezweifelten wir biefe Angabe, fie waren minbeftens 45 Fuß hoch. Wenn bie foloffalen Wafferberge, von denen ftetS drei auf einmal folgen, ehe eine Paufe eintritt, auf uns ſich zumälgten, ber erfte unter dem Schiffe fortrolfte und letteres num unter einem Winkel von 45 Grab in das Thal hinunter ſchoß, war es uns, als - ob wir für immer in einen enblofen Abgrund hinabftürzten, bis wir plöglich wieder auf fchwindelnder Höhe ſchwebten, wenn bie zweite und dritte Welle uns auf ihrem gewaltigen Rüden emportrug.

Es war ein großartiges Naturfchaufpiel; aber dieſe Ma- jeftät des Meeres war grauſenerregend, und wir fühlten une herzlich froh, als im Laufe des Tages bie orfanähnlichen Hagel» und Schneebden endlich aufhörten und fich der Ocean etwas beruhigen Tonnte. Nachmittags Tonnten wir wieder fegeln und barangehen, unfer Schiff in Ordnung zu bringen, das fchredlich gelitten hatte. Am Morgen ſah es aus wie ein Schlachtfeld, auf dem ein Kampf auf Leben und Tod gefämpft worden. Alles war zerfchlagen, beſchädigt oder über Bord geſpült. Sämmtlihes Tauwerk fchleppte draußen im Waſſer, und in unfern Kajüten fah es nicht erfrenlicher aus. Hier fehlte dies, dort jenes; unſer ſchönes Fortepiano, das uns fo mandhe.Stunde erbeitert, lag in Trümmern. Spiegel, Bilder, Bücher, Betten, Wäſche alles war. zerbrochen, aufgeweicht oder ruinirt. In meiner Kammer war mein Xieb- ling, ein reizender Spaniolhund, der mir auf Lanzarote ge ſchenkt worden, ertrunfen. Nur die Schweine waren gerettet und lagen mit dem vor Angft halb toten Offiziersfelfner in der Kammer, in welche wir fie in ber Nacht gefperrt hatten.

So enbete der Iohannistag, der fich bei ung ein ewiges An⸗ denken gefichert bat und ben wir nie wieder auf ſolche Weiſe

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zu begeben wünjchen. Freilich trat damit noch lange fein gutes Wetter ein. Wir befanden uns im einer Gegend, welche, wie den Biscahiſchen Dieerbufen und Cap Hoorn, bie Seplente Sturmbrauerei. nennen. Die großen geölten Röcke, bie Süpwefter (Regenfappen) und die Bummiftiefeln famen faum nachts von unferm Körper. Wir ſchwammen fürmlich im Waller, das jeben Angenblid anf das Ded und in umnfere Wohnungen ftürzte. Run, wit Einem Worte, es war höchſt unerfrenlich und die Reife nach Japan feine Kleinigkeit. Ewig fann e8.doch nicht fo bleiben war unſer philo⸗ jophifcher Troft, und es blieb auch nicht fo. Eine Gewitter- bö, die fich von dem Orkan in ver Iohannisnacht nur durch fürzere Dauer unterfchieb, dagegen aber einen Wolfenbruch über uns ansfchüttete, der bie Sturzjeen faft erſetzte, ſchloß mit einem gewaltigen Knalleffect das Drama des Capivetters, das uns zwar unenblich viel Ungemach, aber, Gott ſei Dank! fein größeres Unglück gebracht hatte. Unfer Bootsmann, ven

die zweite Sturzjee der Johannisnacht gegen den Befahnbaum

gefchleubert und ihm beide Knie gebrochen hatte, war auch wie- der fo weit hergeitellt, daß nichts für ihn zu fürchten bfieb. D, wie wonnig fam e8 uns vor, endlich einmal wieder ein trodenes Ded zu haben, als wir jet, norbwärts ſteuernd, uns den Tropen näberten! Wie angenehm war e8, die Segel bon einem janften Winde gejchwellt zu fehen und bie ſchöne warme Luft mit vollen Zügen einzufchlürfen ! Alles vergangene Leid war vergeffen. Wol oft wurde ber leßtern Zeit und namentlich jener Johannisnacht gedacht, aber alle grellen Farben des Bildes waren verwifcht, und wir dachten jet nur an bie Annehmlichkeit unferer Zukunft. Acht Wochen lang waren wir einfam auf dem Waffer ge- ſchwommen, ohne etwas anderes zur Gefellichaft zu haben als bie Sturmvögel, die freifchend unfer Schiff umfchwärmten und mit gieriger Haft auf alle Abfälle hinabftießen, die über Bord

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geworfen wurben, und jich oft dutzendweis an einem Tage an den für fie ausgehängten Angeln fingen, um mit Pergament- zetteln, auf denen ver Tag ihres Fanges vermerft war, um Fuß oder Hals wieder freigelaffen zu werden. Da erblicten wir eines Morgens ein Segel binter uns, das ein Notbfignal gehißt hatte. Wir hielten fogleich auf daſſelbe ab und waren nicht wenig erfreut, in dem Schiffe einen Landsmann, einen Preußen zu finden, ver, gleichfalls nach Singapore beitimmt, um ärztliche Hülfe für einen fchweren Kranken bat. Sie wurbe ihm natürlich fofort gewährt, und bet biefer Gelegenheit erfuhren wir, daß es der „Johanna Wagner‘, jo hieß das Schiff, beim Cap nicht viel beffer ergangen war als uns felbft. Zwar hatte fie fi am 24. Suni circa 150 Meilen dftlich von uns befunden und von dem Cyhklon nur den fchweren Seegang, aber zu anderer Zeit Sturm genug gehabt und Raaen und Stengen verloren. Wir fegelten mehrere Tage zufammen und trafen nach vierzehn Tagen gleichzeitig in ber Sundaftraße ein, wo wir am 1. Auguft bei ver Kleinen Stabt Anjer auf Java anferten. Nach zwölfmöchentlichen Strapazen- fonnten wir uns endlich einen Zag Ruhe gönnen.

6.

Schönheit ber Tropennatur. Treiben auf ber Rhede von Anjer. Die Banka⸗ und die Riowftraße. Zufanmentreffen des Geſchwaders anf ber Rhede von Singapore. Infel und Stadt Singapore. Gemifh und Charakter der Nationalitäten. Das gefchäftliche Treiben. Tempel ber Hindu und Chinefen. Die großartigen Hanbelsverhältniffe "des Platzes. Die deutfhen Handelshäuferr. Die Tigerplage. Die Familie des Maharadſcha von Diohore. Prinz Abubalar. Abfahrt nah China und Japan.

Ehe wir nach Anjer kamen, mußten wir zwei Tage in der Sundaftraße freuzen. Wir konnten dabei bald die Schön- heit und Ueppigkeit ber tropifchen Vegetation auf ben fanft gewellten Hügeln Savas, bald die majeftätifchen Bergkegel und Vulkane des gegenüberliegenden Sumatra bewundern, und uns an ben Hunderten ver Heinen Tieblichen Inſeln ergögen, die, von Korallen aus der Tiefe emporgebaut und im Laufe der Jahrhunderte mit angeſchwemmtem Humus bevedt, jet in faftigem Grün prangen und wie ftrahlende Dafen auf ven lichtblauen Fluten ſchweben. Das fchönfte Wetter begleitete uns. ine feharfe Seebrife fühlte während des Tages bie Atmosphäre, und Abends trug der Landwind bie Foftbarften Blumendüfte zu uns berüber. Eine ſolche Seefahrt kann man ſich noch gefallen laſſen. Dieſe zwei Tage entfprachen unge⸗

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fähr dem Phantaſiebilde, das der Landbewohner ſich von einer Reiſe nach Oſtindien entwirft, da ſich für alle Sinne Schönes und Intereſſantes bot.

Die Gegend um Anjer ſelbſt ift ein wahres Paradies. Unten am Strande erftreden fich große Wälder von Kofos- palmen und Bananen. Die Häufer des Städtchens, theils euro⸗ päiſch, theils malaiiſch, verſtecken fich in dem dichten Grün der fie umgebenden Pflanzungen, und im Hintergrunde erhebt fich ein fteil anfteigender Höhenzug, deſſen einzelne Felſen in grotesfen Formen fich geftalten und von himmelanſtrebenden Bäumen eines undurchbringlichen Urwaldes gekrönt find. Es ift ein Punkt, wo jedem Befucher unwillfürlic der Gedanke auffteigt: Hier möchteft du bleiben, bier muß ber Himmel auf Erven fein!

Haft alle Schiffe, die von: Europa durch die Sundaſtraße nach Hinterindien oder China gehen oder von hier nach dort zurückkehren, legen in Anjer an, um ſich an ſeinen Erzeug⸗ niſſen zu erquicken und Erfriſchungen einzunehmen. Man ſieht daher faſt immer eine kleine Flotte auf der Rhede und dies gewährt meiſtens ein Bild von lebhafter und origineller Fär⸗ bung. Ein Schwarm malaüfcher Boote empfängt das an- ſegelnde Schiff und folgt wie ein langer Schweif im Kiel- waſſer des Fahrzeugs. Kaum ift der Anfer im Grunde, fo ftürmen pie Boote Tängfeit; ihre Infaffen klimmen wie bie Kagen an Bord, und in einem Moment iſt das ganze Deck in einen Markt verwandelt. Was nun Herz und Mund eines Seereifenden -fich wünfchen kann, findet er hier lockend bor fich ausgebreitet, und wie jenes befannte Thier zwilchen ben beiven Heubündeln fteht er zweifelhaft, was er zunächit wählen foll, während er von einem Dutzend der braunen Berfäufer zu gleicher Zeit mit Anpreifungen in allen möglichen Sprachbroden beftürmt wird. Dort Tiegen Büſchel gologelber Bananen, hier die grüne Kofosnuß, während ver unfchein-

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bare Mangoftin in feiner mohnlopfähnlichen ſchwarzen Hülle, die Eoftbarfte Frucht der Tropen, nur von ben Kennern aufe gefucht wird. Ananas, Guaven, Pampelmus riefige Apfel- finen von der Größe eines Kopfes Tamarinden, Apfel- finen winken bier in lockender Geftal. An einer andern Stelfe ruft ein Korb mit Eiern heimatliche Erinnerungen wach und leitet unfere Gedanken auf den Wohlgeſchmack eines Eier- fuchens. Auch Hühner, das ganze Dugend für einen Thaler (wie verführeriich für Hausfrauen!), fowie ſchnatternde Enten finden fih vor. Kinige Affen ſchneiden ihre wunderlichen Grimaffen, Kakadus und Papagaien kreifchen in wiverlichen Tönen, Turteltauben laffen ihr melancholifches Kufurr Hören, und in andern Käfigen erblict man Zibethlagen, Eichhörnchen, Zwerghirſche, Neisvögel und fonftiges zahmes und wildes Gethier, als ob man fich in einer Menagerie befände. Da- zwifchen bewegen fich bie dunkeln Geftalten der Malnien mit der fupferbraunen Hautfarbe und dem malerifchen Kopftuche, unter welchem das lange fehwarze Haar in dichten Maſſen hervorquillt. Sie find ſchlank und leicht gebaut, ihre Haut glänzt, als wäre fie mit Del gefalbt, ihre Gefichtsbildung ift nicht unangenehm, aber die ſchwarzen Zähne und der vom Siri- fauen blutroth gefärbte Mund machen einen widerlichen Ein- druck. Mit ungemeiner Zungenfertigfeit preifen fie in eng- liſchen und holländiſchen Broden ihre Wuaren an, und bie Concurrenz ermäßigt die Preife auffallend. Namentlich ſuchen die Verkäufer na Gold. Für eine Guinee befamen wir vier Dugend Hühner, 500 Eier und fo viel Früchte, als wir für at Tage bevurften. Der Verkäufer wollte feiner Ge- liebten einen Ring von dem Goldſtück machen laſſen und war überglüclich in deſſen Beſitze. Ich glaube, er hätte noch das ganze Boot in den Kauf gegeben, wenn wir es verlangt hätten.

Endlich war unfere Kaufluft erfehöpft. Zehn Dugend Hühner ftanden auf dem Verdeck, in ber Küche brobelte ber heiß

Berner. 1. 6

82 erfehnte und Tangentbehrte Eierkuchen, Bananen und Ananas waren zum Weberfluß geprobt, und bie Gelpbeutel waren leer. Die Verkäufer verloren fich nach und nach beim Anbruch ber Dunkelheit. Wir aber fuhren ans Land, um in ber foftbaren Abenpfühle einen Spaziergang zu machen und uns die An- nehmlichkeit zu verjchaffen, enplich einmal wieder feſten Boden unter unfern Füßen zu haben. Es gefiel uns in Anjer fo wohl, daß wir gern einige Tage verweilt hätten, allein zu unferm Bebauern erfuhren wir, daß das ganze ‚übrige Ge- ſchwader bereits im Laufe ver letzten Woche paffirt und nach kurzem Aufenthalte nach Singapore weiter geftenert je. Da burften wir denn nicht fäumen, den Unfern zu felgen, und | mit wehmiüthigem Herzen nahmen wir frih am andern | Morgen Abſchied von dem. lieblihen Orte und fteuerten nord⸗ wärts unferm gemeinfamen Rendezvous, Singapore, zu, dem Emporium des Bftlichen Handels,

Wir richteten unfern Curs nördlich durch Die Javaſee nach ver Bankaſtraße. Man wählt während des Südweſt⸗ monfung diefen Weg ald ben fürzern, und weil man dort bei den häufig eintretenden Windſtillen jeden Augenblid ankern und dem Zurücktreiben burch heftige Strömungen vorbeugen fann. Mit dem Nordweſtmonſun, ber vom October bis April weht, geht man jedoch öſtlich von Banka, um in offenem Waffer dem bejchwerlichen Kreuzen in den engen Straßen zu entgehen. Wir trafen es diesmal glüdlich. Der Wind war zwar ſehr ſchwach, aber jtetig, und wir ſahen ung nur einmal gendtbigt, in der Bankaſtraße zu Anker zu gehen. ‘Die Straße wird durch die Infeln Sumatra und Banka gebildet, hat eine Länge von 15 und eine burchichnittliche Breite von 24, Meilen, fodag man in ihr faft wie auf einem Fluſſe führt. Die Küfte von Sumatra macht feinen angenehmen Einprud. Es ift niebriges mit Dſchungeln dicht bewachjenes Moraftland ohne alfe Abwechfelung; nur bei Harem Wetter erblickt man bie

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Kuppen der hohen Gebirgszüge im Innern der Inſel. Biel freundlicher zeigt fich jedoch das gleichfalls den Hollänvern . gehörige Banfa mit feiner am Meeresufer gelegenen Hauptſtadt Mintof, von wo aus die Producte der Iufel, namentlich Das be- rühmte Banfazinn, verfchifft werden, und wo ein ziemlich veger Verkehr herricht.

Es ift ſchwer zu begreifen, daß bei ber großen Zahl von Schiffen, welche jährlich die Banfaftraße paffiren, jo außer- ordentlich wenig für bie Regulirung des Fahrwaſſers und Bezeichnung der Untiefen gefchieht, von denen bie Straße vol ift. Jeden Augenblick ſchwebt man in Gefahr, auf einer in den Karten nicht verzeichneten Sandbank zu jtranden, und bie vielen Wrade, die man fieht, zeugen von ber Menge ver Schiffe, welche bier verloren geben. In den Europäifchen Gewäffern, bie theilweife nicht ein Zehntel fo befucht und viel weniger gefährlich find, herrſcht Lootſenzwang. Hier, wo man gern ein paar Hundert Thaler gäbe, um einen Lootjen zu befommen, gibt e8 feinen. Am meiften ift zu verwundern, baß bie Privatfpeculation die Sache nicht in die Hand ge- nommen hat. Durch bie Bankaſtraße paffiren jährlich 4—5000 Schiffe, die durchſchnittlich ſechs bis fieben Tage gebrauchen, um durch die vielfach von Winpftillen heimgefuchte Straße zu fommen. Jedes berfelben würbe mit dem größten Vergnügen 400 Thaler zahlen, um mit Hülfe eines Schlepppampfers bie Strede in einem halben Tage zurüdzulegen. Cine Flotille von ſechs ſolchen Dampfern würde hinreichen, um allen Schiffen zu dienen. Das Anlagefapital für die ſechs Dampfer beträgt kaum 400,000 Thaler, das Marimum des Kohlenverbrauchs per Jahr 20000 Zonnen. Mit den Zinfen des Anlage fapitalö würde bie Unterhaltung mithin etwa 350,000 Thaler foften, während ber doppelte reine Gewinn in Ausficht fteht. Hier ift alfo noch ein reiches Feld der Speculation offen!

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Nachdem wir, vom Winde fehr begünftigt, die Banfe- ftraße in 2 Tagen paffirt hatten (vor mehreren Jahren gebrauchte ich dazu 13 Tage), fteuerten wir ber Riu— ftraße zu, indem wir das berüchtigte Seeräuberneft die Inſel Linga an unferer linfen Seite Liegen ließen. Die fortdauernde Eriftenz diefes Räubervolfs ift auch eine Unbegretflichkeit. Es ift erwiefen, daß die Bewohner von Linga mit ihrem Sultan an der Spike fich nur von Seeraub nähren. Jährlich werben eine Menge ihrer Fahrzeuge aufgebracht. In Singapore wurben im Jahre 1859 an 87 Berfonen aus Linga wegen Seeraub verurtheilt, und im Juni beffelben Jahres nahmen bie Holländer eine Flotte von fieben Prauen, die ebenfalls aus _ Linga waren. Trotzdem legt man weder von holländifcher noch englifcher Seite den Räubern das Handwerk gründlich, und man muß wirklich glauben, was allgemein behauptet wird, daß die einen e8 aus Trägheit verfäumen, die andern aber Beforgniß hegen, mit Vernichtung diefer Seeräuber eine portreffliche Abfatquelle für ihre alten Waffen zu verlieren!

Wir fegelten in unmittelbarer Nähe der ziemlich roman tiſchen Küfte hinauf, gelangten darauf in die von ben Infeln Bintang und Battam (beide unter niederländifcher Botmäßig⸗ feit) gebildete Riuftraße, die fo nach der Hauptſtadt von Bintang benannt tft, ımd trafen am 7. Auguft mittags glücklich und wohlbehalten auf ver Rhede von Singapore ein, wo wir bereits bie drei übrigen Schiffe vorfanden. Die Ar- fona war acht, bie Thetis ſechs und ber Frauenlob zwei ‘Tage früher angelangt, und wir hatten mithin alle vier jo ziemlich eine gleiche Reiſe gehabt. Die prei Schiffe hatten gegen Mitte Juni Rio-de-Ianeiro verlaffen, als wir ung noch einige Grabe nördlich Davon befanden. Alle drei hatten den Ehflon am 24. Juni gehabt und ebenfalls Beſchädigungen erlitten, obwol fie nördlicher als wir fegelten und dem Centrum nicht jo nahe gelommen waren.

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Merkwürdiger Weife befanden fich, wie bie Vergleichung ber Schiffstagebücher ergab, an jenem Tage alle vier Schiffe in einem Kreife von 40 Meilen Durchmeffer, ohne etwas von⸗ einander zu willen.

Das Geſchwader rüftete bereit8 wieder, um feine Weiter: reife nach Japan anzutreten, ba ber bevorftehende Monfun- wechfel Eile anbefahl. Am 12. Auguft ging die Thetis, am 14. die Arkona, auf der ſich die bis Singapore über Land gereifte Geſandtſchaft einfchiffte, und der Srauenlob nach Jeddo in See. Nur wir mit ver Elbe mußten noch längere Zeit in Singapore verweilen, weil fich herausftellte, daß bie beim Cap der guten Hoffnung erlittenen Schäden bebeutenderer Art waren. Namentlich hatte das Kupfer fehr gelitten, und es war nothwendig, das Schiff zu doden, bamit nicht der bier fehr verbreitete Wurın das Holz des Bodens angriffe. Dieſer Umftand verurfachte längern Aufenthalt, ald wir vorausge- fegt hatten, und erſt anfangs September konnten wir ben . Übrigen Schiffen folgen.

Obwol unfere Zeit durch die Zimmerei und die bamit . in Verbindung ftehenden Arbeiten ziemlich in Anfpruch ge-

nommen wurde, fand fich während unfers nahezu vierwöchent- lichen Aufenthalts in Singapore doch Gelegenheit, Stabt und Inſel näher kennen zu lernen, um ein Bild des interefjanten Platzes zu geben. |

Eine Gefchichte Hat die gegenwärtig für den Verkehr fo wichtige und fo belebte Stadt Singapore nicht; denn fie war noch vor vierzig Jahren ein öder, unter der Botmäßigkeit des Sultans von Diohore ſtehender Fleden, nur von einigen Fifchern be- wohnt. Selten hat aber eine Colonie in fo furzer Zeit glän- zenver profperirt. Im Jahre 1822 warfen die Engländer ihr Augenmerk auf die Infel, und es gelang ihnen, biejelbe für eine geringe Summe von ihren bisherigen Eigenthümern zu faufen. Die beiden Söhne des damals gerade verftorbenen

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Sultans der Malaiiſchen Halbinfel ftritten ſich um die Herr- ſchaft. Die Engländer nahmen bie Partei des einen, ihre Rivalen in jenen Gewäſſern, die Holländer, protegirten ben andern Bruder. Für dieſes Wohlwollen und die ge- währte moralifche Hülfe Tiefen fich die einen Singapore, bie andern Bintang abtreten; jedoch waren die Engländer bie Klügern gewejen. Um es mit feinem zu verberben, zahlten fie beiden Brüdern, fowol dem erften rechtmäßigen Erben als dem Prätenventen, eine Penſion, und um fich ihrer Treue zu verfichern, machten fie die Penſion von der Bedingung ab- hängig, daß beide auf Singapore wohnen mußten. Der eigent- liche Sultan von Diohore wurde von feinem jüngern Bruder gänzlich verbrängt und hat außer feiner Penfion nur noch feinen Titel behalten, während der Tumongong oder Statthalter, wie der andere genannt wird, fich ven Titel Sri Maharadſcha, d.h. Fürſt, beigelegt bat.

Die Infel Singapore iſt etwa zwölf Quadratmeilen groß, hügelig, von Kleinen Bächen burchjchnitten und von der Halb- infel Malaffa nur durch einen fchmalen Meeresarm getrennt. Sie zählt (1860) etwas über 100,000 Einwohner, von denen 81,790 auf die Stadt fommen und bie aus neun bis zehn verſchiedenen Bölferfchaften zufammengefebt find. Weiße und deren Mifchlinge, Teßtere mit dem englifchen Ausprud Eurafians (d.h. Abkömmlinge von Europäern und Aftaten) benannt, gibt e8 im ganzen 2445 auf der Inſel, unvermifchte Weiße jedoch nur 590, zum größten Theil Engländer, fonft aber aus Ver- tretern ſämmtlicher civilifieten Nationen beftehend. Deutfche find davon etwa hundert, die jedoch in gefchäftlicher Beziehung eine wichtige Nolle ſpielen. Das größte Contingent ber Be- pölferung liefern die Chinefen, jenes ameijenartige Wan⸗ dervolk, das die commerziellen Vortheile, welche Lage, Verfaffung und die fonftigen Verhältniffe der Colonie in fo reihen Maße bieten, ſehr bald begriffen hat und jährlich zu

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Laufenden von ben Küften feines Vaterlandes bier zuſammen⸗ ftrömt, um fich entweber dauernd anzuftebeln, ober im Vor⸗ übergehen fo viel wie möglich zu erwerben. Ihre Zahl be- läuft fich auf 50043, darunter nur 3248 Weiber, die jedoch nicht rein chinefifchen Urfprungs, fondern Töchter chineſiſcher Bäter und malaiifcher Mütter find.

An Zahl Stehen den Chinefen am nächtten die Malaien und die Kings. Erſtere find theils Eingeborene der Infel, theils Angehörige des benachbarten Malaffa, und repräfentiren eine Zahl von 10,888 Seelen, während die Klings, dv. b. die aus Indien eingewanberten Hintu und Mohammenaner, 11,735 Köpfe zählen. Javanen find 3408 auf Singapore, Bengalefen 1236, Burmefen und Siamefen, Araber von der Küſte Koro- mandel, Yugis von ven Sundainfeln und Parfen zufammen 1037. |

Faft jede ver erwähnten Nationen bewohnt ein eigenes Quar⸗ tier und bat eine beftimmte Beichäftigung Während ber Malaie fih faft nur mit Fiſchfang und dem Anbau von Früchten befchäftigt, weil died wenig Mühe macht und feiner trägen Natur zufagt, find die Klings größtentheils Bediente, Kutſcher oder Kalfaterer, während die übrigen Nationen aus- fchlieplich Handel treiben. Nur die Chinefen, deren einziges Dichten und Trachten auf Erwerb ausgeht, binden fih an feine bejtimmte Branche. Sie betreiben alles, was irgend Gewinn verfpricht, und fie hauptſächlich haben durch ihre un- gemeine hätigfeit, ihre Induftrie und ihren Unternehmungs- geift zu ber blühenden Entwidelung der Colonie beigetragen. Der Chinefe ift Kaufmann und Krämer, Handwerker und Tagelöhner, Landmann und Seemann, Koch und Bedienter. Wo es irgendetwas zu verdienen gibt, barf man ficher fein, Chinefen zu finden, und felbft wenn bereit8 andere Nationen ſich damit befaßt haben, wird der Ehinefe nicht nur glüdlicher Concurrent, fondern verſteht durch feine größere Schlaubelt,

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gejtidten Mütze, langem weißen Rod und gleichfarbigen weiten ‚Beinfleivern ver Araber von der Küfte Koromandel, An feinen feingeformten Fingern bligen koſtbare Brillantringe, und die ganze Erfcheinung verräth den reichen Kaufmann, deſſen Hände nur koſtbare Seidenftoffe und Iumelen geprüft haben. Während alles um ihn in gefchäftiger Eile pahin- ftrömt, fchreitet er langfam und bebächtig durch bie bunte Menge, nur Acht gebend, daß nicht ein fchmuziger Chinefe feinen jchneeweißen Zalar berühre An Daltung und Ge- fichtsform ihm fehr Ähnlich, nur von bedeutend weißerer Haut- farbe, erbliden wir dort den Barfen, mit ſchwarzem Zalar und dem eigenthümlich geformten hohen Hute, ver die hohe Geſtalt noch größer erfcheinen läßt. Er wandelt wo möglich noch majeftätifcher einber als ver Araber, aber beide wenden das Geſicht ab, wenn fie fich begegnen. Die leife Abweichung ihres Glaubens macht fie zu Todfeinden, und wenn fie fönnten, würden fie fich gegenfeitig mit ihren Biden ermorden.

In jener Vorhalle fit mit allem möglichen Schmud angethan ein Klingsmädchen und läßt fich von drei ober vier ihrer dünn⸗ beinigen Landsleute den Hof machen. Ihre Gefichtszüge find nicht ſchön, aber auch nicht abſtoßend, und jebenfalls machen zwei Reihen fchneeweißer Zähne und ein paar feurige ſchwarze Augen die Erjcheinung. pikant. Die Haut glänzt wie ſchwarzer Sammel, um Fuß und Arın find dicke Silberfpangen gewunven, ein ſchweres Halsband von gleichem Metall ziert ven Naden; im Haar ſtecken mehrere goldene Nadeln und Pfeile, in ven Ohren hängen handgroße Ringe und in dem rechten Nafenflügel figt der nie fehlende goldene Knopf.

Weiterhin fchlürft in feinen unförmlichen Schuhen ein reicher Chineſe einher. Aus den langen Aermeln der weißjeidenen ade blicken nur die langen Nägel feiner arbeitsjcheuen Finger hervor, und dann und wann fchwingt er nachläffig einen koſt⸗ baren Fächer, um fich Kühlung zuzuwehen, während ihm ein

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nachichreitender Bebiente den Sonnenfchirm über das glänzend gejhorene Haupt hält, von dem die ſtolze Zierde, der Zopf, mit ſchwarzſeidenem YBanpe reichlich durchflochten, herabhängt, fobaß er gerade den Erdboden berührt. Neben dem Chinefen paffirt ver hellbraune Javane mit der enganfchließenden Fade und bem biabemartig gewundenen Kopftuch. Seine ftarfen Beinmusfeln und ber elaftifche Gang verfünden den Bewohner der Berge, und der reiche Griff des Halb aus dem Gürtel- tuche berporfchauenden Kris den wohlhabenden Mann.

Hter zieht ein Trupp Iasfarifcher Matrofen mit wilden &e- fichtern und gelb und rothen Gürteln Durch ihr feeräuberähnfiches Ausfehen die Aufmerkſamkeit auf ſich. Wüſtes Geſchrei ſchlägt an unſer Ohr. Ein paar Chineſen haben ſich gegenſeitig be— trügen wollen, ſind darüber in Wortgefecht und Handgemenge gerathen, und ihre Freunde haben Partie genommen. Sie reißen ſich nach Herzensluſt an ihren Zöpfen, ſpucken ſich ins Geſicht, zerkratzen ſich mit den langen Nägeln und gießen in gellenden Tönen Fluten von Schimpfworten übereinander aus. Da erſcheint die Polizei. Arme Chineſen, die Poliziſten find Klings, eure erbittertften Feinde! Die Schläge ihrer kurzen Yeulenförmigen Amtsftäbe (clubs) fallen hageldicht auf die fahlen Schäbel, und der Haufe ftiebt heulend nach allen Richtungen auseinander. Hier läßt fich ein Chinefe ven Kopf, bort ein Kling den Leib rafiren, wobei beide Parteien mit untergeſchlagenen Beinen auf einem Tiſche einander gegenüber- figen und der Barbier fein dreiediges Raftrmeffer mit wun- berbarer Gejchieflichkeit handhabt. An jener Edle jteht der Tiſch eines Geldwechslers. Silber fieht man jedoch nicht bei ihm, ſo Hoch verfteigt fich dieſe Klafje ver Bankiers nicht. Sie wechfeln nur Kupfer gegen Meifing, Cents gegen chinefifche Caſh. Zehn Caſh von der Größe eines Dreiers mit einem viereckigen Loch in der Mitte zum Auffchnüren geben auf einen Eent, Taufend auf einen Dollar, und nun gibt es fogar noch Halbe Eafh.

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Priefter nur die Antwort, es fei ein Pferd. Als ich meiten in das Innere wollte, fagte mir derſelbe Priefter, es aſtimicht erlaubt. „Was wollt ihr überhaupt hier in unjern Teneln, ‚wir kommen ja nicht in euere!‘ fügte er binzu. Nun: ex. Mann Hatte nicht jo ganz unrecht, und ba ſelbſt eine Cigarre ihm nicht weicher ftimmen wollte, mußte ich mich fchon mit dem Gejehenen begnügen, wenn es auch herzlich wenig war.

In den chinefiichen Tempeln war man nicht fo ungefällig, Sondern ließ uns nach Belieben alles befehen, abzeichnen und anfaſſen. Es exijtiren in Singapore drei größere verjelben, zwei innerhalb und einer außerhalb der Stadt, ich befuchte fie alle brei und fanb fie im Aeußern und Innern ziemlich ähnlich. Von ſämmtlichen chinefifchen Gebäuden Singapores find fie bie einzigen, bei denen ver fogenannte chinefifche Bauitil beibehalten if. Zuerſt tritt man in einen Vorhof oder Garten, deſſen gewöhnliche Zierde der große rothe Hahnenkamm if. An ber Mauer zur Rechten und Linfen befindet fich ein Dfen. Das einzige Gejchäft der im Tem⸗ pel wohnenvden Priefter fcheint zu fein, in dieſen Oefen von Zeit zu Zeit bedruckte Zettel zu verbrennen, und ebenfo frheint ber ganze Eultus ber Zempelbewohner darin zu heitehen. ‘Die Chineſen find ein praftifches Voll, das in vieler Beziehung Aehnlichkeit mit den Norbamerifanern hat. Ihr Gott ift Geld, und auch bei ihnen gilt gleichfalls der Grundfaß: „, Zeit ift Geld.“ Wozu fol alſo der Chinefe feine werthvolle Zeit mit Herfagen von Gebeten vergenden? Er bat es viel bes quemer, von den Prieftern für einige Caſh bie wirkſamſten geprudten Gebete zu kaufen und fie gleichzeitig in einem ber Defen verbrennen zu laffen. So ijt allen Thellen geholfen. Der Gott hat feine Gebete, der Priejter fein Geld und ver Zempelbejucher das Bewußtſein, feine religiöfe Pflicht erfüllt zu haben. Bequemer Tann doch fein Cultus fein!

Es würde eine fchwierige Aufgabe fein, das Innere eines

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chinefifchen Tempels befchreiben zu wollen. Es ift nur eine Anhäufung von Schnurrpfeifereien, Sachen und Sächelchen, für die wir weder einen Namen haben, noch uns einen Zweck venfen fönnen. Eine Menge Tifche find damit angefüllt, und von der Dede hängen ebenfo viel bunte Bapierlaternen, Ampeln, Kronleuchter u. |. w. Kine Unzahl von Blumen- töpfen fteht umher, in denen Hunderte von bünnen wohlrie- chenden Stäbchen glimmen, d. b. für chinefifche Naſen wohl- riechend, denn für die unfern ift ver Qualm ſchrecklich. Im Hintergrunde des Tempels befindet fich das Allerheiligfte. Mit Hülfe einer den Prieftern offerirten Cigarre gelangten wir ' auch dahin. Der. Weg führte durch eine Lichtzieherei, in ber von den Bonzen die für beſondere Feierlichkeiten erforderlichen Kerzen angefertigt werden. Es roch ziemlich unangenehm und war ſehr ſchmuzig. Im Allerheiligiten thront unwandelbar das Bildniß des Confureius. Um daffelbe brennen eine Menge Lichter und glimmen unzählige Stäbe, die in China täglich milllonenweife verbrannt werden. Ebenfo find unter ven Hei- ligen allerlei wunderliche Götzenbilder, Drachen und fonftige unbegreifliche Figuren gruppirt. In ein paar Steintrögen wurben heilige Schilofröten gehalten, und an den Wänden ha⸗ ben fich chinefifche Künftler mit den wunderbarften Erzeugniſ⸗ fen der Phantafie verewigt, während die Priefter zur Ver⸗ fchönerung des Tempels an deſſen Wände eine Menge Bilder aus ben Ilustrated London News angeflebt haben, die nad) unfern Begriffen durchaus nicht in ein Gotteshaus gehören. Genug, ein chinefifcher Tempel in Singapore ift ein unbe- jchreibliches Ding, das mit allem andern Hehnlichkeit bat, nur nicht mit einem veligiöfen Gebäude,

Während unferer Anweſenheit im Auguft hatten wir auch Gelegenheit, eins der größten religiöfen Feſte ver Ehinefen, das Todtenfeſt, anzuſehen, deſſen Beſchreibung jedoch erſt fpäter bei der Schilderung Chinas erfolgen wird, und ebenſo verweiſe

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ich auf China ſelbſt in Bezug auf das Theater und die Kirch⸗ höfe, die ſonſt gleichfalls zu den Sehenswürdigkeiten Singapores gehören, von denen in China ſich aber nicht im geringſten unterſcheiden.

Der Handel von Singapore iſt bedeutend, jedoch beſteht er hauptſächlich im Tranſit. Im Jahre 1859 Tiefen 3522 Schiffe ein und 3812 aus. Die Importen betrugen 24 Mil lionen Dollars, der Export belief ſich auf 22,650,000 Dol- lars. Die Erzeugniffe ver Inſel ſelbſt, infofern fie für pie Aus- fuhr in Betracht fommen, find nur Pfeffer, Muskatnüſſe und Gambir, letteres ein Gerbitoff auch unter ven Namen Catechu und Zerra SIaponica befannt. Hinfichtlih aller übrigen Lebensbepürfniffe ift Singapore auf das Ausland angewiefen. Der für den Unterhalt der Bevölkerung nothwendige Reis kommt von Malaffa. Infolge einer bewunderungswerthen Liberalität der Engländer, die das Land im Innern jedem unentgeltlich überließen, der e8 haben wollte, ſiedelten fich außerorventfich fchnell Chinefen dort an, und die großen Mo- raſt⸗ und Dichungeln-Streden verwandelten fich ſehr bald in Eulturland, das ſich namentlich vortrefflich für den Anbau von Gambir eignet, während auf den Hügeln Pfeffer- uud Muskatanlagen gemacht wurden.

Die nächte Umgegend der Stadt ift höchſt augenehm. Auf den vielen umliegenden Hügeln ſind die Villas oder Bun⸗ galos, wie man ſie hier nennt, der europäiſchen Kaufleute angelegt und von reichen Gärten und Parks eingeſchloſſen. Die Wege ſind in vortrefflichem Zuſtande, und die Droſchken laſſen nichts zu wünſchen übrig, wenn man nicht gerade das Unglück hat, einen Kutſcher, der nicht Beſcheid weiß, oder einen ſtörriſchen Pony zu treffen. In erſterm Falle hat man das Schickſal, ſtundenlang auf ber Inſel in der Irre zu fahren, und kann froh fein, wenn das Pferd nicht ermüdet und man wenigftens die Stadt wieder erreicht. Im letztern Falle befindet

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man fich vielleicht :eine. Stunde von der, Sitabt mitten in ben Diebungeln und eine halbe Stunde nou jener menfchlichen Woh⸗ ‚nung entfernt, nah das Vergnügen wird noch dadurch srhäßt, daß es dunkel iſt, [weil man feine Beſuche bed Abende ab- ſtattet. Dem Bonn fällt es dann plöglich ein ftill zu ſtehen, und feine Macht der Erde kann ihn bewegen porwärts zu gehen, wenn man nicht ausſteigt. Damm geht er, ſobald man fich aber wieder hineinfett, fteht ex wie angenagelt. Man muß nothwendigerweife dann zu Fuße gehen. Trifft dies aber, wie uns, in der Regenzeit, wo der xöthliche Thon des Bodens aufgeweisht. wird, fo. ift natürlich an Das. Abftatten des Be⸗ ſuchs nieht zu denfen, und man: muß feob: fein, wenn man, zwar von oben bis unten beſchmuzt, aber wenigſtens ohne ſonſtige Unfälle fein Quartier in der Stadt wieder erreicht. So ging es uns einige male, und das einzige Mittel, ſich da⸗ vor zu behüten, ift für einen Fremden, ſich an einen Polizei- beamten zu werden und ſich von dieſem gegen eine. Erfennt- lichleit einen Wagen mit.einem guten Pferde beforden zu Eaffen. Allerdings wird bie Drojchle dadurch fo viel theurer, aber ben Maßſtab unferer Gelpnerhäftniffe darf man in Indien überhaupt nicht aulegen. ‘Der Dollar Ift vie gangbare Münze, die Drofchte Foftet einen Dollar, das Glas Wein einen Dollar, und man gibt einen Dollar Trinkgeld. Im Gafthofe Täßt ſich unter fünf Dollars pro Tag uicht Ieben, und ber Europäer gibt. dem Bettler nicht unter Y, Dollar (12%, Ngr.), weil er fich mit Feinern und. Rupfermünzen nicht befaßt.

Die deutſchen Hanvelshäufer Singapores gehören zu ben angeſehenſten der Stapt und ftehen nach den Engländern in erjter Reihe. Die Flaggen der verichlenenen deutſchen Ränder, namentlich‘ aber. die hamburger, find im Hafen fehr ftarf ver- treten, und der deutſche Handel entfaltet fi von Jahr zu Jahr mehr. Wir wurden von unfern Landsleuten mit ver größ- ten Zuvporkommenheit und Herzlichkeit aufgenommen, obwol

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gerade hier die preußiſche Expebition und ihre Zwecke mit den wenigft günftigen Augen angefehen waren. Weberhaupt aber find wir an allen Pläten, wo fich Deutfche befanven, von biefen mit außerordentlichem Wohlwollen empfangen worden, und es ift nicht mehr als Pflicht der gewöhnlichſten Dankbarkeit, wenn ich dies hier berühre und Hinzufüge, daß zu ben ange- nehmſten Erinnerungen unferer Reife der Gedanke an bie Freundlichkeit und Gaftfreundjchaft der Deutfchen in China ftet8 gehören wird.

Das Klima von Singapore it' verhältnißmäßig ſehr ge- ſund. Dysenterie, Sonnenſtich und die gefährlichen Fieber Indiens ſind viel ſeltener als in den übrigen europäiſchen Colonien, wozu freilich die Anlage der Häufer auf den frei- fiegenden Hügeln (in der Stadt befinden fich nur die Comptoirs ber Europäer) und der unbehinverte Zutritt der frifchen See-. luft ſehr viel beitragen mag. Die Hite wird bemgemäß nie jo exceſſiv, als man nach der Lage der Stadt unter nörb- licher Breite‘ ſchließen follte, und nur die Regenzeit ift bie unangenehme Saifon.

Die Injel wimmelt von Schlangen aller Art, meiftens find fie jedoch ungefährlich, wenngleich es dem Fremden ſonderbar vorkommt, folchen Reptilien fchon unmittelbar vor der Stadt und in bewohnten Straßen zu begegnen. Dean gewöhnt fich jedoch bald. daran und nimmt feine Notiz mehr davon. Nur die Chinefen vigiliren darauf, weil fie bie Schlangen als Lederbiffen verfpeifen.

Bei weitem unangenehmer find jedoch die Tiger, eine Plage, von denen bie Inſel mehr heimgejucht wird als irgenb- ein anderer befannter Ort der Welt. Man rechnet, daß im Durchfchnitt täglich ein Bewohner der Infel von dieſen Raub- thieren aufgefreifen wird, obfchon die englifche Regierung für jeben erlegten Tiger eine Prämie von 5 Pf. St. zahlt. Man würde fich gar nicht erflären können, wie biefe Thiere auf ver

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fo bevölkerten Infel fih zu halten vermögen, wenn nicht Erfah- rung fejtgeftelit Hätte, saß fie, vom Hunger getrieben, immer wie- der von Malakka herüberlommen und ſchwimmend den das Feft- land von der Infel trennenden Waiferftreifen überfchreiten. Da fie auf Singapore fein Wild oder Viehheerden finden, fo fal- len fie Menfchen an, und dies.ift allein der Grund ver zahl- loſen von ihnen geforberten Opfer. Namentlich find es Ehi- nejen, bie ihnen am beiten zu munden feinen, und felten. greifen fie einen Malaien over Kling an. Freilich mag auch wol dazu; beitragen, baß bie Chinefen das Innere bevölkern und oft allein von ben Zigern in den Dichungeln überrafcht werben. Während unferer Anweſenheit beunruhigten fie jedoch auch die nächjte Umgebung der Stadt, und von brei Chinefen, die fpazieren fuhren, wurde einer vom Wagen herunterge- holt. Ein anderer mächtiger Tiger wurbe fur; vor un- ſerm Abgange in einer Grube faum 2000 Schritte von dem Drte gefangen, wo wir uns täglich babeten. Faſt nie greifen fte jedoch die Menſchen am Tage an, fondern ſtets am Abend, und e8 ift daher rathfam, im Innern ver Inſel fich nad Dunkelwerden zu Haufe zu halten, wenn man nicht auf ihren Empfang vorbereitet ift.

In der Nähe des Dods, wo unfer Schiff reparirt wurde, und das ungefähr eine Meile weſtlich von der Stadt gelegen ift, befindet fih auch das Palais des Maharadſcha von Diohore, der, wie ich jchon erwähnte, durch feine Penfion verpflichtet ift, auf Singapore zu wohnen, und nur für fürzere Dauer einige male die Hauptſtadt feines Reichs, die wie biejes Diohore Heißt, während des Jahres befucht, um bort die Regierungsgefchäfte zu erledigen welche feine pers jönliche Gegenwart erfordern. Wir hatten Gelegenheit, fowo! mit dem alten Fürften als namentlich mit feinen beiden Söh⸗ nen Abubafar und Abbul - Rhaman näher bekannt zu werben, von benen ber erjtere nach dem im Sanuar 1862

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erfolgten Tode feines Baters die Herrſchaft angetreten hat. Diefe Belanntichaft verichaffte uns ebenſo viele Annehm⸗ lichleiten, als. fie uns Blide in. die Häuslichkeit malatijcher ‚Großen than ließ, bie nicht ohne Intereſſe für. uns iwa- ren. In den drei Perſonen des fürſtlichen Haufes reprä- fentirten ſich brei gauz verſchiedene Eharaltere, und. wenn man fie nebeneinander ſah, konnte man kaum glauben, daß fie Glieder derſelben Familie feien. Der Fürft gehörte in feinem ganzen Aeußern noch der alten Beit an. Earong, Kopftuch, eine Lofe, vorn offene Singham-Iade und Sandalen bifneten feine Kleiduug; das lange Haar war zu einem Schopfe auf dem Haupte gewunden, vie Zähne Schwarz und der Mund vom Sirifauen roth gefärbt. Unanſehnlich von. Geftalt und von unfchönen: Zügen, machte ihn nichts als Fürſten in ſeiner Umgebung Tenntlich, und wenn er abends in ver Mitte Jeiner Minifter vor feinem Garten auf einem Prellfteine ſaß, hätte man ihm ebenfo gut für einen gewöhnlichen Malaien Hal- ‚ten können. Er fprach nur malaiiſch und hatte überhaupt alle feine urjpränglicden Sitten und Gewohnheiten beibehalten, von beuen er nur abwich, wenn er hochgeftellte Europäer bei fich ſah, wie 3. B. unfern Gefanbten, der nebit mehreren Offi- zieren bes. Geſchwaders won ihm zum Frühſtück eingeladen wurbe.

Bei folchen Gelegenheiten ging in felnem Haufe alles europäiſch zu, und bie vollſtändig dazu eingerichteten Zimmer mit Teppichen, Fauteuils und Ajacon. over bengalifchen ge- ſchnitzten Möbeln, ſowie die ausgezeichnete Küche und auser⸗ leſenen Weine ließen nicht vermutben, daß man fich bei einem malgtifchen Fürften und im Haufe eines Mohammedaners zu Bafte befand, wenn man davon abjah, daß er felbft von ven Speiſen nur Reis mit Curry genoß und den Wein nicht berührte. Die Unterhaltung konnte natürlich nur mit Hülfe eines Dol- metſchers geführt werben, den gewöhnlich der Prinz Abubakar ‘maöhte,. welcher. fertig englifch ſprach. Diefer letztere war faft

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in allen ber Gegenfak feines Vaters. Groß, von majeftäti- ichen Aeußern, Halte er die Sitten feines’ Ranbes nur info: weit. beibehalten, als: er feinem Wolfe gegenüber es thun zu müffen glaubte. Er trug das Kopftuch, ven Sarong und bie ſeidene Jacke, abex fein Haar war kırrz gefchnitten, ein Schnurr⸗ bart zierte fein männlich Tchönes Geficht, die. Feinfte Wäfche, Tuchbeinkleider und Glanzftiefel feinen Körper, In. fernen Zügen ſprach fich viel Gutmüthigkeit aus, aber vas große bunfle Auge verrietb Muth und Energie, während in bem ves Baters fi) mehr die Lift und Schlauheit zeigfe, und mehr als einmal hat Abubakar ſchon bewiefen, bag ver Ausdruck feines Anges wicht täufcht. Auf Singapore heißt er allgemein ver Zigertöbter, und diefer Beiname fnüpft fich an eine bon ihm verübte Helventbat, ver man unter ben verweichlichten Stäm- men inbifcher Völker felten begegnet. Ex ging eines Tags in der Nähe von Diohore im Walde fpazleren, um mit einem Blaferohre Heine-Bögel zu fchießeny, eine Beſchäftignug, vie. unter den malaiifchen Großen fehr beliebt iſt. Als :einzige Waffe trug er nım den Kris, ein gewundenes belchartiges Schwert, das nie von ber Seite bed Malaien kommt und foft immer vergiftet ift. Plötzlich erblickte Abubakar einen mächtigen Ziger Taum 20 Schritte entfernt, fertig zum Sprunge liegend. Seine Geifteögegenwart gab ihm ein, Hinter einen Daum zu ſchlüpfen und daburch dem erften gefährlichiten An- pralle auszuweichen. Gleichzeitig Tieß er aber auch feinen Sarong fallen, „widelte ihn um ven linfen Arm, nahın ven zweifchneivigen Kris in die Rechte und trat damit beim Unge- heuer unerfchroden entgegen, dem er nicht Zeit ließ, fich abermals zum Sprunge anzuſchicken, das aber mit balbgedff- netem Rachen und blutgierigen Angen ihn erwartete Muthig ging er auf. den Tiger los, ftieß ihm bie umwickelte Linke im ven Rachen, bohrte ihm gleichzeltig ben Kris in Das rechte Auge, und ehe das Thier nur ein Schmerzensgebrüll erheben

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konnte, auch bligfchnell in die Bruft. Ob das Herz getroffen war ober das Gift des Dolches fo ſchnell wirkte, jedenfalls bra das Raubthier fofort zufammen, biß in feiner Todes⸗ angft aber noch einmal jo heftig zu, daß feine Zähne bie ſchützende Hülle des Armes burchbohrten und tief in das Tleifch drangen, ohne jeboch dem Tühnen Fürſtenſohne erheb- fihen Schaden zu thun. Ein dritter Stich in das Iinfe Auge bewog das Thier, ven Rachen wieder zu öffnen. Abubakar z0g chleunigft feinen Arm heraus, und es war ihm jegt ein Leichtes, bem geblendeten Thiere vollends’ ven Garaus zu machen unb deſ⸗ ‚fen Schwanz als Trophäe feines Sieges nach Haus zu ‚bringen.

Auf ähnliche muthige Weife hat er fich in Verbinduug mit den engliichen Behörden bei dem Angriffe und ver Verfolgung malaiifcher Seeräuber benommen, bie jene Gewäſſer beun⸗ ruhigen, und eine Empörung von Chinefen in Djohore auf eine Art unterdrückt, die lebhaft an Peliffier’s Kriegführung gegen ‚die Kabylen in Afrika erinnert. Der alte Fürſt hatte nämlich auf Betrieb Abubafar’s eine große Zahl Chinefen zur Anfievelung in Diohore beivogen, um nach dem Beifpiele Singapores das Land durch deren Inpuftrie zu heben, und e8 waren. in wenigen Jahren etiva 20000 dieſer Nation der Einladung gefolgt. Einige ehrgeizige Köpfe unter ihnen glaubten die Abwejenheit bes Fürften benugen zu können, um die Herrſchaft an fich zu reißen, und die Verſchwörung wäre ohne Zweifel geglüdt, wenn ſie nicht einige Tage vorher verrathen werden. Abubakar eilte mit 500 feiner Getreuen nach ‘Diohore, überrafchte pie Verſchwörer bei einer ihrer Verſammlungen, griff fie jofort an, bieb drei derfelben perfönlich nieder und jagte fie in wil- ber Flucht vor fich Her in ein vom Meere begrenztes Diehungeln- gebüfch. Dies umftellte er an ver Tanpfeite, und ließ e8 darauf anzünden. Die Eingejchloffenen hatten nur die Wahl, fih zu ergeben oder eines fchredlichen Todes zu fterben,. jenoch kaum noch die Hälfte konnte um Parbon bitten, die übrigen kamen

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in den Flammen oder im Meere. um. Diefes Beifpiel hat allen Berfchwörungsgelüften auf einmal ein Ziel gefebt, und da Abubalar, ver überhaupt kein Freund der Englänver ift, fich nach dem Tode feines Baters von biefen emancipirt und Die Penfion aufgegeben bat, auch wahrfcheinlich feine Reftvenz in Diohore aufichlägt, fo ift nicht zu bezweifeln, daß jein Träfti- ‚ger Arın feine Herrſchaft zu befeftigen willen wird. Abdul⸗ Rhaman, fein jüngerer Bruder, ift der fchönfte Malaie, ven ich je gejeben Habe, aber auch zugleich ver größte Dandy feines Stammes. Während Abubafar fich von jeher die Ent⸗ widelung feines Landes ſehr angelegen fein ließ, Säge- mühlen und Gambirpflanzungen anlegte, lebte Abbul-Rha- man in echt malaüifcher Welfe nur für den Augenblid in der Gefellichaft feiner Frauen, oder Tofettirte im Bewußtfein feines fchönen Aeußern, das aller Augen auf fich zieht, zu Pferde oder zu Wagen auf ven Promenaden Singapores. Seine Tracht ift Halb malaiiſch, Halb europätfch, und man kann nicht leugnen, daß er es meifterhaft verfteht, durch dieſe Combination fich ein malerifches Coftüm zu fchaffen, das eben fo geſchmackvoll als Toftbar iſt. Jedenfalls ift der Prinz Dialma in dem Sue'ſchen „Ewigen Juden“ fein Ipeal mehr, und der junge Fürſt Abbul-Rhaman von Diohore kann in je- der Beziehung mit ihm wetteifern.

Mit Abubafar wurden wir jehr befreundet und verbrach- ten höchft angenehme Stunden in feinem Haufe, bas, auf einem Hügel nahe am Waſſer gelegen, ganz unb gar auf europätfche Weiſe eingerichtet iſt. Wie es an aftatiichen Hö⸗ fen allgemeine Sitte ift, bedingt eine folche Freundſchaft einen Austaufh von Gefchenten. Wir erhielten manderlei fchöne und intereffante Sachen. Elefantenzähne, Malakkaſtöcke von befonvders langem Schuffe, ausgefuchten Thee, ſeidene Sa⸗ vongs, Kopftücher aus Borneo, die deshalb fo koſtbar find, ‚weil das reihe Mufter auf ihnen nicht gebrucdt, ſondern ge-

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Briefter nur die Antwort, es jei ein Pferd. As ich weittn in das Innere wollte, fagte mir berfelbe Priefter, es aſeimicht erlaubt. „Was wollt ihr überhaupt Hier in unfern Teyigeln, ‚wir fommen ja nicht in euere!’ fügte er hinzu Nun ne Mann hatte nicht fo ganz unrecht, und da felbft eine Cigarre ihm nicht weicher ftimmen wollte, mußte ich mich fchon mit dem Gefehenen begnügen, wenn es auch herzlich wenig war.

In den chinefiihen Tempeln war man nicht ſo ungefällig, fonvdern ließ uns nach Belieben alles bejehen, abzeichnen und anfefjen. Es eriftiren in Singapore brei größere derſelben, zwei innerhalb und einer außerhalb ver Stadt, ich befichte fie alle prei und fand fie im Aeußern und Iunern ziemlich ähnlich. Bon jämmtlichen chineftfchen Gebäuden Singapores find fie die einzigen, bei denen ver fogenannte chinefifche Bauitil beibehalten iſt. Zuerſt tritt man in einen Vorhof oder Garten, deſſen gewöhnliche Zierbe ber große rothe Hahnenkamm if. An ber Mauer zur Nechten und Linken befindet fich ein Dfen. Das einzige Gejchäft ber im Tem⸗ pel wohnenden Priefter fcheint zu fein, in dieſen Defen von Zeit zu Zeit bedruckte Zettel zu verbrennen, und ebenfo |cheint ber ganze Eultus der Tempelbewohner varin zu heftehen. Die Ehinejen find ein praftifches Volk, pas in vieler Beziehung Aehnlichkeit mit den Norvamerifanern hat. Ihr Gott ift Geld, und auch bei ihnen gilt gleichfalls ver Grundſatz: „, Zeit ift Geld.“ Wozu foll alfo der Chineſe feine werthvolle Zeit mit Herfagen von Gebeten vergenden? Er hat es viel be- quemer, von ben Prieftern für einige Caſh die wirkſamſten geprudten Gebete zu Laufen und fie gleichzeitig in einem ber Defen verbrennen zu laffen. So ijt allen Theilen geholfen. Der Gott hat feine Gebete, der Priejter fein Geld und der Tempelbeſucher das Bewußtfein, feine veligiöfe Pflicht erfüllt zu haben. Bequemer kann doch fein Cultus fein!

Es würde eine fchwierige Aufgabe fein, das Innere eines

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chmeſiſchen Tempels befchreiben zu wollen. Es ift nur eine Anhäufung von Schnurrpfeifereien, Sachen und Sächelchen, für die wir weber einen Namen haben, noch uns einen Zwed denken können. Eine Menge Tijche find damit angefüllt, und von der Dede hängen ebenfo viel bunte Bapierlaternen, Ampeln, Kronleuchter u. ſ. w. Eine Unzahl von Blumen töpfen ſteht umher, in denen Hunderte von dünnen wohlrie⸗ chenden Stäbchen glimmen, d. h. für chineſiſche Naſen wohl⸗ riechend, denn für die unſern iſt der Qualm ſchrecklich. Im Hintergrunde des Tempels befindet ſich das Allerheiligſte. Mit Hülfe einer den Prieſtern offerirten Cigarre gelangten wir auch dahin. Der Weg führte durch eine Lichtzieherei, in der von den Bonzeu bie für beſondere Feierlichkeiten erforderlichen Kerzen angefertigt werden. Es roch ziemlich unangenehm und war ſehr ſchmuzig. Im Allerheiligiten thront unwanbelbar das Bildniß des Confueius. Um daſſelbe brennen eine Menge Lichter und glimmen unzählige Stäbe, die in China täglich millionenweife verbrannt werden. Ebenſo find unter den Hei⸗ figen allerlei wunderliche Gößenbilder, Drachen und fonjtige unbegreifliche Figuren gruppirt. In ein paar Steintrögen wurden heilige Schilpfröten gehalten, und an den Wänden ha- ben fich chinefifche Künftler mit den wunderbarften Erzeugnif- fen der Phantafie verewigt, während vie Priefter zur Ver- fchönerung des Tempels an deſſen Wände eine Menge Bilder aus ben Ilustrated London News angeflebt haben, die nad) unfern Begriffen durchaus nicht in ein Gotteshaus gehören. Genug, ein chinefifher Tempel in Singapore ift ein unbe- ſchreibliches Ding, das mit allem andern Aehnlichfeit hat, nur nicht mit einem rveligiöfen Gebäude.

Während unferer Anwefenheit im Auguft hatten wir auch Gelegenheit, eins der größten religiöfen Fefte der Chinefen, das Todtenfeft, anzufehen, deſſen Befchreibung jedoch erft fpäter bei ver Schilderung Chinas erfolgen wird, und ebenfo verweiſe

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ih auf China ſelbſt in Bezug auf das Theater und die Kirche höfe, bie.fonjt gleichfalls zu ven Sehenswürbigleiten Singapores gehören, von denen in China ſich aber nicht im geringſten unterſcheiden.

Der Handel von Singapore iſt bedeutend, jedoch beſteht er hauptſächlich im Tranſit. Im Jahre 1859 liefen 3522 Schiffe ein und 3812 aus. Die Importen betrugen 24 Mil⸗ lionen Dollars, ver Erport belief ſich auf 22,650,000 Dol- lars. Die Erzeugniffe ver Infel felbft, infofern fie für die Aus- fuhr in Betracht kommen, find nur Pfeffer, Musfatnäffe und Gambir, letteres ein Gerbitoff auch unter ven Namen Catechu und Terra Saponica bekannt. Hinſichtlich aller übrigen Lebensbebürfnifje ift Singapore auf das Ausland angewiefen. Der für den Unterhalt der Benölferung nothwendige Reis kommt von Malgkka. Infolge einer bewunderungswerthen Liberalität der Engländer, die das Land im Innern jedem unentgeltlich überließen, der es haben wollte, ſiedelten ſich außerordentlich ſchnell Chineſen dort an, und bie großen Mo- raſt⸗ und Diehungeln-Streden verwanbelten fich fehr bald in Culturland, das fih namentlich vortrefflich für den Anbau von Gambir eignet, während auf ven Hügeln Pfeffer- uud Muskatanlagen gemacht wurden.

Die nächte Umgegend der Stadt iſt höchit angenehm. Auf den vielen umliegenden Hügeln find die Villas oder Bun- galos, wie man fie bier nennt, der europätfchen Kaufleute angelegt und von reichen Gärten und Parks eingefchloffen. Die Wege find in vortrefflichem Zuftande, und die Droſchken laſſen nichts zu wünjchen übrig, wenn man nicht gerabe das Unglüd bat, einen Kutfcher, der nicht Befcheid weiß, oder einen ftörrifchen Pony zu treffen. In eriterm Falle hat man das Schidfal, ftundenlang auf der Infel in der Irre zu fahren, und kann froh fein, wenn das Pferd nicht ermüdet und man wenigitens die Stadt wieder erreicht. Im letztern Falle befindet

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man fich vielleicht eine Stunde von der, Stabt mitten in ben Dſchungeln una eine halbe Stunde non jeder menfchlichen Woh- nung entfernt, unh das Vergnügen wird noch baburch: erhöht, daß es dunkel iſt, |meil man feine. Beſuche des Abends ab- ſtattet. Dem. Pony füllt es dann plötzlich ein ſtill zu ſtehen, und feine Macht der Erde kann ihn bewegen porwärts zu gehen, wenn man nicht ausſteigt. Daum geht er, ſobald man ſich aber wieder hineinfett, fteht ex wie angenagelt. Man muß nothmwendigerweife dann zu Fuße geben. Trifft dies aber, wie uns, in der Megenzeit, wo der röthliche Thon des Bodens aufgeweiht wird, fo. ift natürlich an das Abftatten des Be⸗ ſuchs night zu denfen, und man muß froh: fein, wenn man, zwar son eben big unten beſchmuzt, aber wenigitens ohne fonftige Unfälle fein Quartier in der Stabt wieder erreicht. So ging es uns einige male, und das einzige Meittel, fich da⸗ vor zu behüten, ift für einen Fremden, fich an einen Polizet- beamten zu wenden und fi) von biefem gegen eine Erfennt- lichkeit einen Wagen mit einem guten Pferde beforden zu Eaifen. Allerdings wird die Droſchke dadurch fo viel theurer, aber den Maßſtab unferer Geldverhältniſſe darf man in Indien überhaupt nicht aulegen. ‘Der Dollar Ift vie gangbare Münze, die Drofchke koſtet einen Dollar, das Glas Wein einen Dollar, und man gibt eisen Dollar Trinkgeld. Im Gafthofe Täßt ſich upter fünf Dollars pro Tag uicht Ieben, und ber Europäer ‚gibt dem Bettler nicht unter Y, Dollar (12Y, Ngr.), weil er fich mit Fleinern und. Kupfermünzen nicht befaßt.

Die deutſchen Hanvelshäufer Singapores gehören zu ben angeſeheuſten der Stadt und ftehen nach den Englänvern in erfter Reife, Die Flaggen der verſchiedenen deutſchen Ränder, namentlich aber die hamburger, find im Hafen ſehr ftarf ver⸗ treten, und der deutſche Handel entfaltet fich von Jahr zu Jahr mehr: Wir wurden von unfern Landsleuten mit der größ- ten Zuvorkommenheit und Herzlichkeit aufgenommen, obwol

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gerade hier bie preußifche Expebition und ihre Zwecke mit den wenigft günftigen Augen angeſehen waren. Ueberhaupt aber find wir an allen Pläten, wo fich Deutfche befanden, von biefen mit außerorbentlihem Wohlwollen empfangen worden, und e8 ift nicht mehr als Pflicht der gewöhnlichſten Dankbarkeit, wenn ich dies hier berühre und Hinzufüge, daß zu ben ange- nehmften Erinnerungen unferer Reife der Gedanfe an bie Freundlichkeit und Gaftfreundfchaft der Deutfchen in China ſtets gehören wird.

Das Klima von Singapore iſt verhältnißmäßig ſehr ge- ſund. Dysenterie, Sonnenſtich und die gefährlichen Fieber Indiens ſind viel ſeltener als in den übrigen europäiſchen Colonien, wozu freilich die Anlage der Häuſer auf ben frei- liegenden Hügeln (in ver Stabt befinden ſich nur die Comptoirs der Europäer) und ver unbehinderte Zutritt ver frifehen See-- fuft fehr viel beitragen mag. Die Hite wird bemgemäß nie fo .exceffin, ald man nach der Lage ber Stadt unter nörb- fiher Breite‘ Schließen follte, und nur die Regenzeit ift bie unangenehme Saifon. |

Die Injel winmelt von Schlangen aller Art, meiftene find fie jedoch ungefährlih, wenngleich es dem Fremden fonderbar vorkommt, jolchen Reptilien ſchon unmittelbar vor der Stadt und in bewohnten Straßen zu begegnen. Man gewöhnt fich jedoch bald. daran und nimmt Feine Notiz mehr davon. Nur die Chinefen vigiliren darauf, weil fie die Schlangen als Leckerbiſſen verfpeifen.

Bei weiten unangenehmer find jedoch die Ziger, eine Plage, von denen die Infel mehr heimgefucht wird als irgend- ein anderer befannter Ort der Welt. Man rechnet, daß im Durchſchnitt täglich ein Bewohner ber Infel von biefen Raub- thieren aufgefreffen wird, obfchon die englifche Regierung für jeden erlegten Tiger eine Prämie von 5 Pf. St. zahlt. Man würde fich gar nicht erklären können, wie biefe Thiere auf der

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fo bevölterten Infel fich zu halten vermögen, wenn nicht Erfah- rung fejtgeftelit Hätte, daß fie, vom Hunger getrieben, immer wie- der von Malaffa herüberlommen und ſchwimmend ben bas Feft- land von der Inſel trennenden Wajferftreifen überfchreiten. Da fie auf Singapore fein Wild oder Viehheerden finden, fo fal- fen fie Menfchen an, und dies iſt allein der Grund ber zahl- Iofen von ihnen geforderten Opfer. Namentlich find es Chi⸗ nefen, bie ihnen am beiten zu munden foheinen, und felten greifen fie einen Malaien ober Kling an. Freilich mag auch wol dazu, beitragen, daß bie Chinefen das Innere bevölfern und oft allein von ben Zigern in den Dſchungeln überrafcht werben. Während unferer Anwejenheit beunruhigten fie jedoch auch die nächite Umgebung der Stabt, und von drei Chinefen, bie fpazieren fuhren, wurde einer vom Wagen herunterge- holt. Ein anderer mächtiger Tiger wurbe fur; vor um- ſerm Abgange in einer Grube kaum 2000 Schritte von bem Orte gefangen, wo wir uns täglich babeten. Faſt nie greifen fie jepoch die Menfchen am Tage an, fonbern ftetS am Abend, und es ift daher rathſam, im Innern der Infel fi nad Dunkelwerden zu Haufe zu halten, wenn man nicht auf ihren Empfang vorbereitet ift.

In der Nähe des Dods, wo unfer Schiff reparirt wurde, und das ungefähr eine Meile weitlich von der Stadt gelegen ift, befindet fih auch das Palais des Maharadſcha von Diohore, der, wie ich fchon erwähnte, durch feine Penfion verpflichtet ift, auf Singapore zu wohnen, und nur für fürzere Dauer einige male bie Hauptftabt feines Reichs, vie wie dieſes Diohore heißt, während des Jahres bejucht, um bort die NRegierungsgefchäfte zu erlebigen welche feine per» fönliche Gegenwart erfordern. Wir Hatten Gelegenheit, ſowol mit dem alten Fürften als namentlich mit feinen beiden Söh- nen Abubakar und Abdul-Rhaman näher befannt zu werben, bon denen ber erjtere nad) dem im Sanuar 1862

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konnte, auch bligfchnell in die Bruft. Ob das Herz getroffen war oder das Gift des Dolches ſo ſchnell wirkte, jedenfalls brad das Raubthier ſofort zufammen, big in feiner Todes⸗ angjt aber noch einmal fo heftig zu, .baß feine Zähne bie ſchützende Hülle des Armes burchbohrten und tief in das Wleifch drangen, ohne jedoch dem Tühnen Fürftenfohne erheb- lichen Schaden zu thun. Ein dritter Stich in das linfe Auge beiwog das Thier, den Rachen wieder zu öffnen. Abubakar z0g chleunigft feinen Arm heraus, und es war ihm jegt ein Leichtes, bem geblendeten Thiere vollends den Garaus zu machen und bef- ‚fen Schwanz als Trophäe feines Steges nach Haus zu ‚bringen. Auf Ähnliche muthige Weife bat er fich in Verbinduug mit den engliichen Behörden bei dem Angriffe und ber Verfolgung malaitfcher Seeräuber benommen, die jene Gewäfler beun—⸗— ruhigen, und eine Empörung von Chinefen in Diohore auf eine Art unterdrückt, die lebhaft an Peliſſier's Kriegführung gegen ‚vie Kabylen in Afrika erinnert. Der alte Fürft hatte nämlich auf Betrieb Abubafar’s eine große Zahl Chineſen zur Anfievefung in Djohore bewogen, um nach dem Beifpiele Singapores das Land burch deren Induſtrie zu heben, und e8 waren.in wenigen Jahren etwa 20000 diejer Nation ver Einladung gefolgt. Einige ehrgeizige Köpfe unter ihnen glaubten die Abwefenheit bes Fürſten benugen zu können, um die Herrſchaft an fih zu reißen, und die Verſchwörung wäre ohne Zweifel geglüdt, wenn fie nicht einige Tage vorher verrathen werben. Abubafar eilte mit 500 feiner Getreuen nach Djohore, überrafchte pie Verſchwörer bei einer ihrer Verſammlungen, griff fie jofort an, bieb drei derſelben perſönlich nieder und jagte fie in wil- der Flucht vor fich her in ein vom Meere begrenztes Dſchungeln⸗ gebüfch. Dies umftellte er an der Yandfeite, und ließ es darauf anzünden. Die Eingefchloffenen hatten nur die Wahl, fich zu ergeben ober eines fchredlichen Todes zu fterben,. jedoch kaum noch die Hälfte konnte um Barbon bitten, bie übrigen famen

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in den Flammen oder im Meere um. Diefes Beiſpiel hat allen Berfchwörungsgelüften auf einmal ein Ziel gefegt, und da Abubalar, der überhaupt fein Freund ber Engländer iſt, fich nach dem Tode feines Baters von diefen emancipirt und Die Benfion aufgegeben bat, auch wahrfcheinlich feine Refivenz in Diobore auffchlägt, jo ift nicht zu bezweifeln, daß ſein kräfti⸗ ‚ger Arın feine Herrichaft zu befeftigen wilfen wird. Abdul⸗ Rhaman, fein jüngerer Bruder, ift der fchönfte Malaie, ven ich je gefehen habe, aber auch zugleich der größte Dany feines Stammes. . Während Abubakar fich von jeher die Ent: widelung feines Landes ſehr angelegen fein ließ, Säge- mühlen und Gambirpflanzungen anlegte, lebte Abdul⸗Rha⸗ man in echt malalifcher Welfe nur für den Augenblid in der Gefellfchaft feiner Frauen, oder folettirte im Bewußtfein feines jchönen Aeußern, pas aller Augen auf fich zieht, zu Pferde oder zu Wagen auf ben Promenaben Singapores. Seine Tracht ift halb malatifh, halb europätich, und man fann nicht leugnen, daß er es meifterhaft verfteht, durch dieſe Combination fich ein malerifches Coftüm zu fchaffen, pas eben fo geſchmackvoll als koſtbar iſt. Jedenfalls ift der Prinz Dialma in dem Sue'ſchen „Ewigen Juden“ fein Ideal mehr, und ber junge Fürft Abdul-Rhaman von Djohore kann in je- der Beziehung mit ihm wetteifern.

Mit Abubafar wurden wir fehr befreundet und verbrach- ten höchft angenehme Stunden in feinem Hanfe, das, auf einem Hügel nahe am Waffer gelegen, ganz und gar auf europäifche Weife eingerichtet if. Wie es an aftatiichen Hö- fen allgemeine Sitte ift, bebingt eine folche Freundſchaft einen Austaufh von Geſchenken. Wir erhielten mancherlei fchöne und interefiante Sachen. Elefantenzähne, Malaflaftöde von befonvders langem Schuffe, ausgefuchten Thee, ſeidene Sa- rongs, Kopftücher aus Borneo, die deshalb fo Foftbar find, ‚weil das reiche Mufter auf ihnen nicht gebrudt, ſondern ge-

malt'tirb n.h w Wir revaiidirten une mit &iereoffopen, bie ein großes Interefſe erregten, und namentlich machte. ein Eiſenbahnzug bei. Nacht dem. alten Fürften ungemein viel Freude. Er ſowol wie Abubakar erfanvigten fich ungelegent- lich nach deutſchen und preußiſchen Berhältniffen, nach ver Verwandtſchaft unfers Königshauſes mit.dem engliſchen Hofe, und beide verriethen eine große Wißbegierde.

Abubafar hattö zwar. drei Frauen, aber nm. Ein Kind, ein wunberhübjches Mädchen ven 7 Yahren hit Namen. Ka⸗ tidija, non fehr heller Hautfarbe, das fehr ‚bald gegen. uns zutraulich und imifer Liebling wurde... Er hegt, wie bereits bemerft, Die Abficht, ſich möglichft von Den Engländern zu emancipiren und aus feinem.Weiche etwas zu machen, Djo⸗ hore Legt on der Südoſtſpitze der Halbinſel Malalka, ift circa 110, Diüadratnieilen groß, aber unr. fehr ſpärlich bevölkert. Bor der Einwanderung. per Chinefen zählte &$ nur 60,000 Ein- wohner,. augenblicklich aber.fchen 100,000, unb.ver neue Fürſt ift bemübt,. immer nerte, Einwanberer heranzuziehen. Die Stadt Djohore, zu. Waffer etwa vier Meilen von Singapore entfernt,. ift "zugleich bie Hafenſtadt bes Landes, und bie Waſ⸗ fertiefe geftattet Schiffen. von. 10 Fuß Tiefgang heranzukom⸗ men. Der Hauptreichtifum bes Landes beiteht in Nutzhölzern, welche die reihen Waldungen liefern. Die neuerrichteten Sägemühlen geben eine. ungemein hohe Mevenu, und die An- pflanzungen bon Pfeffer. und Gambir wachfen beträchtlich von Jahr zu Bahr. Meis geneiht ausgezeichnet und wird bereits ausgeführt, während bie Verſuche mit Bucker ebenfolls ſehr günſtig ausgefallen ſind,

Dieſe Roſultate ermuthigen ben. jungen Furften zu andern neuen Unternehrkungen, und es iſt zu wüuſchen, daß feine Be⸗ ſtrebungen für die Civiliſation und Hebung des Landes ſtets von gleichem Erfolge gefrönt ſein mögen. Es iſt dieſe Politik zugleich das beſte Mittel, das Land vor der Annectirung an

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europäifche Kolonien zu bewahren, der die übrigen hin⸗ terindiſchen Staaten allmählich verfallen müſſen, weil fie fich nicht entfchließen Tönnen, ven Weg der Civilifation zu betreten, bie unaufhaltfam vorwärts brängt, bis fie früher oder fpäter bie ganze Erde umſpannt haben wirb.

Eine jehr ſchöne Photographie des Fürften Abubakar, welche er mir nebft einem Stereoflop feines Haufes bei meiner fpä- tern Rückkunft nach Singapore zum Andenken fchenkte, wirb mir ſtets eine angenehme Erinnerung an biefe intereffante Berfönlichfeit unb die Stunden fein, bie ich in feiner Gefell- ſchaft verlebte.

Am 27. Anguft war unſer Schiff; für Indien ganz auferorbentlich ſchnell, wieder fo weit reparirt, daß es feine Weiterreiſe antreten konnte. Leider war jedoch faſt die Hälfte unſerer Mannſchaft am Fieber erkrankt; / vas um dieſe Jahres⸗ zeit: auf Siugapure herrſcht, und wenn das Hebel auch burch⸗ aus keinen gefaͤhrlichen Charakter hatte, zwang ed uns doch, noch acht Tage auf der Rhede zu verbleiben, ehe wir unſere Welterreife. nach Japan antreten konnten. Erſt am 4. Sep- tember gingen wir zu dieſem Zwecke in See.

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NRichtung vorwärts kewegt..und je. mach ber Heftigfeit ſeiner Drehung mehr ober minder die mugebenven Luftſchichten in . feinen. Wirkungskreis zieht und ihnen Bewegung miltheilt. Danach wird der Durchmeſſer des ganzen Sturms größer ober. feiner, und zwar iſt ein Heiner Durchmeſſer gefährlicher, weil er unwermuthet die Schiffe überfällt. In ver nördlichen He⸗ miſphäre dreht ſich das Centrum gegen die Sonne, v. &- son Oſt beginnend durch Nord und Weſt nad Süben. Auf der ſüdlichen Halbkugel fiudet vas Gegentheiul ſtatt. Affe in ven Bereich des Centrums gezogenen Luftſchichten oder Winde wehen als Tangenten auf das Centrum und vleſe Thatſache ift für den Seemann am wichtigften, infofern fle ihn in den Stand jeßt, die Richtung des Centrums zu jenem Schiffe feftzu- ſtellen. Er befinde fich z. B. auf der -Morbfeite des Aequa⸗ tors mit Norboftwind und allen Anzeichen eines Teufun. Datın liegt pas Centrum des Wirbelfturms in ver Richtung der Tangente oder um einen Viertelkreis vechts von ihm, wenn er ſich mit dem Gefichte dem Winde zufehrt, mithin in Süvoſt, ober, wenn er auf ber füblichen Hemifphäre fegelt, um einen Vier⸗ telfreis Tinte, d. b. in Norbweit. Das Nächfte, über dag er fich jeßt vergewiffern muß, ift dev Weg des Gentrums fowie beffen Entfernung von ihm. Der Weg ergibt fi ans dem Wechfel des Windes. Stürme ber angegebenen Art beivegen fich mit einer Dürchſchnittsgeſchwindigkeit von 15—16 Knoten oder vier geographifchen Meilen in ver Stunde, während fel- ten ein Schiff, das ſich bereits in Ihrer Peripherie befindet, mehr als die Hälfte fegelt, es fei denn gerade vor dem inne. Mit Ausnahme des Einen Yalles, wo der Teufun dem Schiffe gerade entgegenfommt oder genau in feinem Eurfe folgt, wird fich daher bie relative Tage des Centrums zum Schiffe ſchnell verändern. Demgemäß wird auch ver Wind wechſeln, und zwar um fo fchmeller, je näher man fich dem Centrum be⸗ findet. Es fel z. B. ver Wind Norboft, das Centrum mit-

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hin Südoſt und cirea 100 Meilen entfernt. - Das Schiff ftenere Nordweſt, währenb ber Wind feit ſtehen bleibt und nur ſtündlich bei ftets fallendem Barometer an Wuth Junimmt. In diefem Falle ift es Mar; daß ver Teufun dem Curſe des Schiffes. folgt und eB in ſechs bis acht Stunden überholt haben wird. Das einzige Rettungsmittel ift jegt, bem Cen⸗ trum ans dem Wege zu.fegeln, und zwar im rechten Wiufel davonab, um fo ſchnell als möglich aus feinen Bereiche. zu kommen. Rach Dften kann man nicht wegen des Winves, mithin ift Südweſt ver rettende Curs. Iſt andererſeits ber Wind Nordoft und ſpringt nach und nach auf Oſt, Süboft, Süd n. ſ. w., jo gilt dies als Zeichen, daß man fich auf. der rech- ten Seite. des. Sturms befinde oder daß das Centrum Süpoft, Süd, Südweſt und Welt petlt, alfo ſüdlich nom Schiffe vor- beimarſchirt und dieſes fich mit dem Norbweftcurfe davon entfernt. Dann iſt es Aufgabe, ven Curs noch nörblicher zu ftellen, je nachbem ber drehende Winb es geftattet, und im rechten Winfel von der Bahn des Stuxms abzufegeln.

Es erſcheint kaum glaublih, daß nach zwanzigjährigem Bekanntwerden dieſes ſo überaus wichtigen Geſetzes und den aus ihm gefolgerten einfachen Regeln ea immer noch eine Menge Seeleute gibt, bie entweder zu nachläffig find, fich borum. zu kümmern, oder in ftarrer Ignoranz geradezu bie Sache verlachen. Wir ſelbſt haben einen ſchlagenden Beweis davon gehabt. An jenem 17. Sept. befanp ſich kurz vor dem Ausbruche des Tenfun ein englifches Transportfchiff bei uns, ‚usit dem wir gegenfeitig Flagge zeigten. Nachmittags webte es bereits fo Kart, daß die Marsfegel dicht gerefft werden mußten. Der Wind war Norboft, blieb hartnädig fo, und der Zeufun kam offenbar hinter uns her. Der Englänper brehte bei, ſodaß er den Wind von der Tinfen Geite hatte und unter Sturmfegeln langfom nach Süden trieb, ein Manöver, das total verfehrt war, weil er ſich bamit bem

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nördlich marjchirenden Centrum näherte. Wir hielten bage- gen ab und fegelten vor dem Sturme mit 11—12 Knoten Gefchwinnigfeit nach Südweſten. Nach ſechs Stunden fing das Barometer an zu fteigen, die See wurbe regelmäßiger und überhaupt das Wetter beffer. Zugleich begann ver Win fih rechts zu drehen. Wir wußten alfo, daß wir uns auf der rechten Seite des Teufun befanden und letterer nicht birect nach Norpweften gehe, ſondern fich jegt in einer Curve jünlich ziehe. Ein fernerer fünlicher Eurs würde uns ihm mithin wieder genähert haben, und wir brehten bemgemäß unter den Wind, ſodaß wir ven Wind von ber rechten Seite hatten und nach Norden trieben. Wir hatten die Nacht Hin- durch zwar noch fchweren Sturm, verloren aber nichts, wo⸗ gegen jener Engländer einen Monat fpäter, während wir ſchon drei Wochen ruhig in Hongkong lagen, dort ohne Ma- ften und faft als Wrad eingebracht wurde. In bemfelben Teufun waren noch drei andere Schiffe entmaftet worden und zwei gänzlich verloren gegangen. In dem gefchilderten Falle hatten wir genügenden Seeraum, um fortzulaufen. Es wer- den jedoch auch öfters Schiffe von Teufunen, namentlich von ſolchen mit kleinem Durchmeffer, die urplöglich erfcheinen, an Stellen überrafcht, wo Land oder Klippen ihnen das Fort⸗ laufen verbieten. Dann ift fretlich- nichts weiter zu machen, als das Schiff auf der richtigen Seite unter den Wind zu bringen, um wenigftens fich fo weit wie möglich vom Gentrum des Sturms zu entfernen. ‘Damit ift menfchlicher Macht vie Grenze gezogen und das Schiff der Gnade Gottes überlajjen.

Ein folcher Fall betraf, wie wir jpäter in Hongkong er- fuhren, die Dampffregatte Arkona und den Schooner Frauen {ob auf ihrem Wege nach Japan. Die Arkona hatte den Schooner im Schlepptau und befand fich bereit8 nahe vor dem Eingange der Bai von Jeddo, als plöglich ein ſchrecklicher Teufun mit Heinem Durchmeffer über die Schiffe hereinbrach,

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die wegen ver gefährlichen Nähe des Landes nicht entrinnen, fondern nur beibrehen fonnten. Der Sturm begann morgene vier Uhr, erreichte feinen Höhepunkt gegen Mittag und war nachmittags vier Uhr ganz vorbei. Die Arkona hatte ſehr ge- litten, fie batte mehrere Stunden auf der Seite gelegen und nur baburch ihre Maften behalten, daß es ihr enblich gelang, mit Hülfe der Mafchine über ven andern Bug zu kommen (den Wind von der andern Seite zu erhalten. Der arme Schooner Dagegen war verloren, und man hat nie wieber et- was von ihm gehört. Wahrfcheinlich Hat ihn eine ver furcht- baren Seen, die in den Teufunen vegellos von allen Seiten lanfen und 30-40 Fuß pyramidal in die Höhe fteigen, mit ihrem Zufammenbrechen erbrädt nnd in bie Tiefe gezogen, ein fehmerzliches Opfer, das bie Erpebition den Elementen zu bringen hatte. Zweiunbvierzig Menfchen, barunter fechs Offiziere und Beamte, kamen dabei um.

Die japanifche Regierung fehidte ein Dampfichiff aus, um Spuren bes verunglüdten Fahrzeuges aufzufuchen, aber weder vom Frauenlob noch von dem Dampffchiffe jelbft ward je etwas wieder entvedt. Ein zweiter Teufun am 9. Sept. begrub auch das abgeſchickte Dampfichiff im Meere, ebenfo wie bie eng- liſche Kriegsbrigg Camilla, die fih in jenen Gewäſſern befand. . Der September tft der ſchlimmſte Monat. Der Wechiel ber Monjuns, die Nequinoctien und bie Perigäen des Mondes jcheinen bei der Erzeugung von Teufunen neben den Higeaus- ftrömungen ver großen aftatifchen Ebenen eine bedeutende Rolle zu fpielen. Im Iahre 1860 kamen drei Zeufune im Monat Septentber vor, die nicht nur auf dem Meere, fondern auch an den Küften der von ihnen heimgefuchten Länder furchtbare Ver—⸗ heerungen anrichteten. Sie treten auch in andern Monaten auf; vom December bis Mat find fie jedoch noch nie beobach— tet worden.

Das einzige gewiſſe Anzeichen von ber Nähe dieſer ge=

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waltigen Phaͤnomene iſt das Barometer. Bieweilen fällt daſ⸗ ſelbe ſchon 24 Stunden vorher, faſt immer aber fo zeitig, um ben barfichtigen- Seemann. zu warnen, Langjährige Probarp- tungen haben aus dem Fallen anßeroypeutlich nützliche Regeln abgeleitet, nach deuen man ſeinen Abſtand vom Gentrum mit ziewlich ox Sicherheit ſchatzen und dangch ſeine Maßregeln tref- fen kaun. So zeigt ein durchſchnittlicher Fall von Q",02--0",06 Zoll in ver Stunde eine Entfernung von 70-40 geographi⸗ ſchen Meilen, von 00 0"08 40-28, von 0’08--0"12 25-20, bon 0"13—0"15 20-10. Meilen an. Wehe je- doch dem Sgiffe das ſich in diefer Mühe des Centrums he- findet, es iſt faſt ‚xegelmäßig verloren. Bisweilen fällt das Barometer | bis 27 Zoll, und wahrfcheinlich iſt Dipfe: ‚plögliche ‚Berändegung des amofphäriſchen Drudes bie Urſache, baß die Wellen in ſolchen Wirhelſtürmen eine ſo außergewöhnliche Höge erökhen und ‚eine. ppramibalifche Form mit faft ſenk⸗ rechten. Waͤuden ‚annehmen , wodurch fie den Schiffen fo ge- fährlich werden ‚Ebenfo erllaärt fich dadurch ber heftige See⸗ gang ,. ber. .al@ Borläufer eines Teufun ober Orkans big- weiten. ſchon 24 Stunden vor ſeinem Ausbhruche die Schiffe warnt, während. blauer Himmel und bas fchönfte Wetter keine Gefahr. ahnen - faffen.. 2

Der von ums. glück. permiedene Sturm bezeichnete ben Wechfel bes Doufun, . per.in dieſem Jahre ungewöhnlich friih und mit größerer. Heftigkeit als ſonſt einſetzte. Wir verſuch⸗ ten noch mehrere Tage gegen ihn anzukämpfen; allein ver ftür⸗ miſche Nordoſt erlgubte uns nicht, fo viel Segel zu führen, um durch Laviren die nach Südweſt laufende Strömung zubefämpfen. Wir fuchten deshalb unferer Ordre gemäß, bie dieſen Fall borgefehen Hatte, den Hafen von Hongkong anzufegeln. Dort wollten wir fo lange bleiben, bis der Monfun. feine vegelmä- Bige Stärke erreicht haben würde, und daunn unfere Kreuztour nach Japan fortſetzen.

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Wir nahten ver Küſte Chinas etwa 20 Meilen weſtlich von Honglong bei der St. Johns⸗Inſel, die vor dem Aus⸗ fluſſe des Tſchukiang oder Perlfluffes liegt, und an dem Kanton erbaut iſt. Hier fanden wir Schuß gegen ven nördlichen Wind und Freuzten dicht unter dem Lande, um die Gegen ftrömung zu vermeiden, oſtwärts.

Der Anblid ver chinefifchen Küfte ift nicht erfreulich. Ste erhebt fich als eine hohe Mauer, oder als eine von aller Vegetation entblößte Felfenkette fteil aus ver Tiefe, und die vielen vor ihr zerftreut Tiegenden Infeln bieten denſelben troſt— .Tofen Anblick. Keine Spur von Grün war zu entbeden. Die Sonne brannte glühend -auf die kahlen röthlichen Bafaltfelfen und Regel hernieder, die, in ven fonderbarften Zaden und Formen gejtaltet, ver Küfte einen Anſtrich von romantischer Wildheit geben, ohne daß dieſe Wildheit durch ein Anzeichen von Eultur gemilpert ober dem Auge angenehm wird. Erſt in der Nähe von Hongkong, das in der Mitte einer Inſel⸗ gruppe gelegen ift, änderte fich die Scenerie etwas und zeigte fich freundlicher. Als wir dann am 21. Sept. an der Norpfeite von Hongkong entlang nach Victoria, der Hauptftabt der Infel, fegelten, wurben wir durch den lieblichen Anblid der mit friſchem Grün beffeiveten Felſen, ver hochcultivirten Thäler und endlich der bedeutenden in europäiſchem Stil erbauten Stadt mit ihren palaſtähnlichen Häuſern, ihren Parks und umgebenden Gärten reichlich für die Oede der übrigen Küſten entſchädigt.

Hongkong oder mit der richtigen Ausſprache Hoong⸗Keang (d. h. der rothe Gebirgsſtrom) iſt eine ſechs Meilen öſtlich vom Ausfluſſe des Perlſtroms gelegene Inſel von circa 5 Quadratmeilen Umfang und nahe dreieckiger Form, deren etwas concave Baſis dem Feſtlande von China zugekehrt und von dieſem nur durch eine Meerenge von 4-5000 Schritt Dreite getrennt ift. Das Eiland ift wie bie ganze Südküſte

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und alle übrigen Infeln vulkaniſcher Formation, gebirgig, fteil aus dem Meere auffteigenb und hat feine chinefiiche Benen⸗ nung bon einem Sturzbache erhalten, ver fi in ber Nähe der Stabt Victoria über die mit einer röthlichen Thonſchicht bedeckten fenfrechten Felswände in das Meer ergießt. Die Meerenge, welche fich durch Vorſprünge des Feſtlandes an ber Nordoſt⸗ und Nordweſtſeite ver Infel zu einem engen Fahrwaſſer von Taum 600 Schritt Breite zufammenzieht, bil- bet bei ihrer gleichmäßigen Tiefe und ben umgebenden hohen Bergen einen der fchönften, geräumigften und gefchätteften Häfen von ganz China.

Bis 1841 war bie Infel ebenfo öde, kahl und unbemohnt wie die um fie zerftreut liegenden Gruppen. Die Engländer wurben zuerſt auf fie aufmerkſam, als beim Ausbruche des exiten Opiumfrieges im Jahre 1840 der Commiſſar Lin jeden Handel mit England unterjagte, und bie im Perlfluffe vor Kanton verfammelten englifchen Handelsſchiffe einen Play in ber Nähe fuchten, wo fie ven Verlauf der Dinge abwarten tonnten. Der Hafen von Honglong nahm fie auf. Die pracht- volle Lage veffelben, feine Vertheidigungsfähigkeit ſowie vie Meöglichkeit, von bier aus den Perlfluß zu überwachen und zu fchließen, ließen ven Beſitz der Infel ſowol als militärir chen Poften wie auch als Handelshafen fehr wünjchenswerth erfcheinen, ſodaß ihre Abtretung in die Friedensbedingungen aufgenommen ward. Der: erfte vorläufige Friedensſchluß er- folgte am 20. Ian. 1841, und fchon am 26. deffelben Monats wurde Hongkong in Befik genommen und zur englifchen Colonie erflärt.

Damals war bie Infel von 50-60 armieligen Fifcher- Familien bewohnt, deren gebrechliche Hütten am Rande zer- ftreut Tagen, heute nach 21 Jahren zählt Hongkong nicht ver niger al8 100,000 Einwohner. Hunderte von Schiffen aller Nationen beleben feinen Hafen. Dods, Werften, Tabrifen

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unb fürftlich gebaute und eingerichtete Häuſer befunden ben Reichthum und die Inbuftrie feiner Bewohner. Diefer ſchnelle Aufſchwung gibt Zeugniß von dem praltiichen Blid der Eng- länder, bie in dem Befite dieſes Punktes deſſen baldiges Auf⸗ blühen und große Zukunft vorherſahen.

Hongkong bat keinen directen Handel; es exportirt weder noch führt es nemmenswerth ein, ſondern es iſt ver Bankplatz für den geſammten chineſiſchen Handel und gewinnt dadurch ſo große Bedentung. Die großen Handelshäuſer haben hier ihren Wohnſitz aufgeſchlagen, ‚weil es bislang der einzige Platz in China war, der Sicherheit des Eigenthums bot. In den verſchiedenen chineſiſchen Küftenplägen, bie dem europäi⸗ ſchen Handel offen ſtehen, wie Kanten, Swata⸗u, Yustfchasu, Ningpo, Schang⸗hae und Tientfin, beſtehen nur Commanditen, während Hongkong als Geldplatz ber Kreuzpunkt des geſamm⸗ ten chineſiſchen Handels iſt, die Reſidenz der merchant prin- ces, Kaufmannsfürſten, wie hier die Chefs der großen Häu⸗ fer genannt werden. Und wahrlich, fie find die Fürften ver Kaufmannswelt, welche ſich die unbebingte Herrichaft über ben Handel erworben haben, welche die Preife machen, bie Geldeurſe regeln, und deren Unterneßmungsgeift mit Hülfe ber großartigen pecuniären Mittel, über bie fie gebieten, com- merzielle Zransactionen hervorruft, von benen wir auf bem Continent von Europa feine Vorftellung haben.

Das größte diefer Häufer ift Jardine & Eo., deren Grün- ber ein fohottifeher Kaufmann war; die Herren diefer Firma befrachten nicht ‘allein jährlich Hunderte von Schiffen, fondern befigen noch 30-40 eigene Fahrzeuge. Site Haben eigene Werften, Dods, Mafchinenfabrifen, ihnen gehört faft ein Biertbeil der Infel und fie laffen wie Fleine Souveräne ihr Eigenthum durch eine bewaffnete Macht beſchützen.

Ihre Schiffe, namentli die mit den chinefifchen Küften verfehrenden Opiumfahrzenge, find wie Kriegsſchiffe bewaffnet

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und bemannt. Den Hauptbeweis für die Großartigfeit ihrer Hanvelsbeziehungen bietet jeboch die Thatfache, daß ſie ſich zwei eigene fühnellfegelnde Dampffchiffe ver größten und fchön- ften Art einzig zu dem Zwecke babe bauen laffen, um die Poſtverbindung zwifchen Hongfong und Singapore, bisweilen auch Bombay, einerfeits und ben norbchinefilchen Häfen an- dererſeits für ihre eigenen Briefe. aufrecht zu erhalten. ‘Diefe Dampfjchiffe nehmen werner Fracht noch Briefe für andere Leute an, fondern befördern nur Paſſagiere. Letztere müſſen jedoch nach Ankunft des Schiffes noch 24 Stunven länger an Bord. bleiben, um die neuen Nachrichten nicht zum Nachtheile der Schiffseigenthümer zu früh zu verbreiten. . Wenn bie Ueberlanppoft in Singapore eintrifft, oder, wenn wichtige Nachrichten erwartet werben, ſchon in Bombay, Tiegt bafelbit eins dieſer Dampffchiffe bereit, um die Briefe der Firma Jardine & Co. nah Honglong zu ſchaffen. An Tebterin Drte befindet fich das zweite Dampffchiff, welches unverweilt bie Correfpondenz des Hauſes weiter nach den verjchiebenen Küftenplägen. befördert. Auf diefe Weife gejchieht es, daß bas erwähnte Haus rüdfichtlich ver Nachrichten der. regelmä- ßigen Poft um zwei bis drei Tage voraus if. Man Tann fich denken, von welcher Wichtigkeit für ein folches Handelshaus ber Vortheil fein muß, die politifchen Nachrichten und Han delsconjuncturen aus Europa um einige Tage früher zu er- fahren als die übrige commerzielle Welt. Es kommt z. ©. bie Nachricht, Thee oder Seide in England fei jo und fo viel geftiegen. Sofort wird von den Agenten des Hauſes von beiden Artikeln aufgefauft, was irgend zu haben ift, und bei Ankunft der Poft haben die übrigen Häufer das Nachjehen. Nur der unermeßliche und fichere Vortheil, der aus biefer bejchleunigten Benachrichtigung hervorgehen mag, Tann es erflären, daß das Haus im Stande ift, zwei Dampfichiffe, bie ein Kapital von 1 Mill, Thalern repräfentiren, beftän-

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dig unterhalten zu können, ohne damit birect einen Pfennig zu berbienen. .

Die Rivalen von Iarbine & Co. find die Engländer Dent & Eo. Diefe haben diefelbe Einrichtung mit den Dam- pfern getroffen, deren einer, wie ich zufällig weiß, 700,000 Tha⸗ Ier gefoftet hat, und deſſen Unterhalt monatlich, wenn er in der Fabrt tft, 25,000 Thaler beanfprucht. Soldde Summen mö- gen unglaublich erfcheinen, wenn ınan aber bedenkt, baß bie

. Schiffe darauf berechnet find, Taufende von Meilen mit einer

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Schnelligkeit von 15 Knoten (3%, deutſche Meilen per Stunde) gegen den ftärmifchen Norboftmonfun zu dampfen, wirb man es begreiflich finden. Es ift natürlich, daß niemand mit ben beiden Häufern concwriren Tann. Um einen Begriff zu ge ben, welch Rolle die merchant princes im gejellichaftlichen Leben fpielen, fei hier die Thatfache erwähnt, daß Dent & Eo. jährlich 50000 Pfd. St., mithin über 325,000 Thaler. einzig für ihren Haushalt in” Hongkong verausgaben, worin .aller- dings das Gehalt für das gefammite Perfonal einbegriffen ift.

Der englifche Handel ift in Hongkong wie an ber ganzen chinefifchen Küfte natürlich ver beveutendfte, da fich England burch die verſchiedenen Kriege zuerſt Vortheile gefichert und fie ansgebeutet bat. Nach ihm kommt der amerifanifche und dann zumächft ber deutſche. Sch betone dies, da es in Deutichland, wenigftens im Innern, durchaus nicht bekannt ift, daß unfer Handel und unfere. Rhederei fich in China eine jo große Bedeutung errungen haben, namentlich die lettere. Dies iſt um fo anerfennungswerther, als ber Ausbreitung unſers Verkehrs Feine militärische Schugmacht zur Seite‘ ftand und unfer Handel ſich nur durch eigene Kraft empor ſchwingen Tonnte. Namentlich hat fich verfelbe jeit- ven letzten fünf Jahren gehoben, und die Abſendung der deutfchen (preu- ßiſchen) Geſandtſchaft rechtfertigt fich gewiß, wenn man er- fährt, daß vom Januar bis Ende September 1860 allein

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93 hauſeatiſche Schiffe mit einem Gehalt von 43,776 Tonnen im Hafen von Hongkong einliefen, und bis zum Schluffe des Jahres noch einige zwanzig mit circa 11,200 Tonnen erwartet wurden. Von andern deutſchen Schiffen waren theils ange- tommen, theils bis 1861 noch -erwartet, 55 Schiffe mit 30,000 Tonnen (die Tonne = 2,000 E Zollgewicht); ferner deutiche Schiffe, die unter dänischer Flagge zu fahren haben (Holiteiner), etwa 45 mit 25,000 Tonnen. Dies gibt für ein Jahr über 200 Schiffe mit 110,000 Tonnen, eime Zahl, vie allein an Werth der Schiffe ein Kapital von minbeftens 6 Millionen Thalern repräfentirt. Nechnet man dazu die Ladung mit dem doppelten Werth, was gewiß nicht zu hoch gegriffen tft, jo curfirt in China deutſches Eigenthum im Werthe von 20 Millionen Thalern, ohne bis jet auch nur bie geringfte Ausficht auf Schub zu haben, der bei den un⸗ geregelten Zuſtänden des von Revolutionen erjchütterten und am Vorabend einer großen politifchen Umwälzung ſtehenden Landes dringend nöthig ſein dürfte.

Der Anwachs des deutſchen Verkehrs wird natürlich von Engländern und Amerifanern mit neidiſchen Augen betrachtet, da diefe nicht verfennen, daß wir uns allmählich einniften und fie auf frieblichem, aber defto fihererm Wege, wenn auch jehr langjam aus ihren Poſitionen, die fie als Monopol betrachten, zu verbrängen beginnen. Wie in Nord⸗ und Südamerika wird deutſche Concurrenz allen andern Nationen auch hier gefähr- ch, und wenn vorläufig auch nur die beutjche Aheberei babe; im Vordergrunde fteht, fo läßt fich Doch mit Gewißheit voraus⸗ jehen, daß ein Vertrag mit China und die Einfekung eines mit eigener Jurisdiction ausgeräfteten Diplomaten, dem in der Stationirung eines Geſchwaders in jenen Gewäſſern auch die Mittel zu Gebote ftehen, feinen Worten ven erforverli- hen Nachdruck zu geben, dem fo mächtig fich regenben Un⸗ ternehmungsgeift in Deutfchland einen neuen kräftigen Im⸗

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puls verleihen und bie beutfchen. Kaufleute veranlaſſen wird, ihre Aufmerffamfeit einem Lande zuzuwenden, deſſen geival- tige Bevöllerungszahl von 360 Millionen Einwohner für ven Abſatz unferer induſtriellen Propucte die beften Ausfichten bietet.

Namentlich feheint gerade fett der günftige Augenblid für bie Entfaltung des deutfchen Handels gelommen zu fein. Im Einflang mit den letzten Friedensbedingungen find drei neue Häfen: am Iang-tfe-fiang eröffnet, unter denen Hankan, etwa 120 veutjche Meilen ftromaufwärts Tiegend, ber nörb- fichfte und bedeutendſte ift. In allen drei Häfen find engli- Ihe Conſuln eingefett, und nach dem PVertrage, der und ven begünftigtften Nationen gleichftelit, Haben auch wir das Hecht, dort Eigenthum zu erwerben, und wir follten uns die Chancen nicht entgehen laſſen, ſogleich durch Anfnüpfung von Hanbels- verbindungen und Gründung beutfcher Häufer zu concurriren. Den gefammten chinefifhen Küftenhandel haben bereits bie Deutſchen in der Hand, und e8 war fehr erfreulich für mid, in einem DBlatte ver Hongkong Shipping Gazette eine Notiz zu Iefen, nach der in Einer Woche für elf Küftenfrachten zehn beutfehe und nur ein englifches Schiff gechartert waren. Die⸗ fer. Umftand macht befonders die Amerikaner uns fehr unge- neigt, da fie früher die ganze Cabotage hatten. Wie wir von Amerilanern und felbft. vom amerilanifchen Conjul in Hong. fong äußern hörten, bat diefe Nation ihr Möglichftes gethan, um ben Abſchluß unfers Vertrags mit Iapan zu hintertrei- ben. Wenngleich ihr dies glücklicherweiſe nicht gelungen ift, fo fcheint doch wenigſtens die lange Verzögerung der Ver⸗ handlungen und der nur einſeitig mit Preußen ſtatt mit dem Zollverein erfolgte Tractat durch Intriguen mit herbeigeführt zu ſein. Preußiſche Schiffe beſuchen nämlich am wenigſten die chineſiſchen Gewäſſer, und wenn die außerpreußiſchen von dem Bertrage ausgefchloffen wurden, fo hatten die Amert- -Taner in Iapan weniger Rivalen zu fürchten.

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pagen über das Pflafter; Gas verbräugt die bunfle Nacht. Das unvermeidliche Elubgebäube erhebt ſich in palaftähnlichem: Stil in der Nähe des Lanbungsplaßes, und vie werfchiebenen Wohnungen der Kaufleute reihen fich ihnen würbig an. Hoch oben von der Mitte des Berges ſchaut, romantifch gelegen, aus freundlichem Grün bie Reſidenz des Gouverneurs auf die zu ihren Füßen liegende Stabt und auf einen mit fchatti- gen Alleen umpflanzten freien Pla, der fich unmittelbar am Waſſer binftredt, und von dieſem eine erfrifchennde Kühle empfängt. Hier ift der Sammelplag ver Bewohner auf. ihten Abenpfpaziergängen, wo fie entweber ber wöchentlich einige mal fpielenden Militärmuſik lauſchen, oder auch ven gumnaftifchen Uebungen und Spielen’ zufchauen, welche von den Engländbern fo geliebt werben und ihre ebenfo gefunde wie interejlante Unterhaltung bilden. Den linken öftlichen Flügel ver Stadt nehmen die verfchiedenen Fabrikgebäude, Werften und Borratbshäufer ein. Bei der großen Menge Schiffe, die Honglong befuchen und feinen Hafen zu Hunder⸗ ten bevölfern, herrfcht hier in den Wochentagen ein ungemein reges Leben. Tauſende von chinefifchen Arbeitern und Kulis wogen durcheinander unb von einer terraffenförmig am Berge hingeführten Promenade genießt man eine Höchft belohnende Ausficht auf das. Gewähl in diefen auf einen engen Raum zufammengebrängten Gefchäftsiofalen, auf den von Schiffen und Tauſenden vou Booten belebten Hafen, die, nur von dhi- nefifhen rauen gerubert, unter beren gefchidten Händen pfeilfchnell über das Wafjer gleiten, und auf bie röthlichen Felſen des Feſtlandes, die. fich in fchroff gezadten Contouren ſcharf am Abendhimmel abzeichnen, währen weit im Hinter- grunde ein -bläulich gefärbter Höhenzug allmählich im Hori- zonte verfchwimmt.

Weſtlich ſchließt fih an Victoria der chineſiſche und bei weiten größte Theil der Stadt, in dem bie betriebfamen Söhne

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des Himmliſchen Reichs ihren Wohnſitz aufgefchlagen Haben und als echt confervative Nation in echt chinefifcher Weiſe ihren tauſendjährigen Ueberlieferungen gemäß haufen.

Der Europäer bat bier die befte Gelegenheit, vie Gegen- füße des aflatifchen und europäiſchen Lebens zu finpiren. Wenige Schritte bringen ihn hier aus einer mit allen natio- nalen Eigenthümlichkeiten ausgeftatteten englifchen in eine echt chineſiſche Stadt, vie fih von denen auf dem Continent nur durch die von englifcher Polizei erzwungene größere NReinlich- feit auszeichnet, auf die aber fonft die nahe Nachbarſchaft und ver tägliche Umgang mit den Fang⸗Kwei oder „auslän⸗ difchen Teufeln“, wie die Chinefen alle Europäer nennen, nicht den geringften Einfluß geübt hat. |

Ein Theater gibt es in Victoria noch nicht, ebenfo wenig fonftige öffentliche Vergnügungsörter, da jeder Punkt des ohnehin befchräntten Raumes zu Handelszwecken dienen muß. - Troßdem fehlt es nicht an Unterhaltung. Sänger und Sän- gerinnen, Birtuofen aller Art, Kunſtreiter und Afrobaten be fuchen auf ihren Reifen auch Hongkong, Pferberennen und Regattas werden abgehalten, und an Zweckeſſen fehlt es eben- falls nicht. Die Gefelligkeit ift jehr groß; man kommt abends zwanglos bei dem einen oder andern zufammen und findet ftetS offenes Haus. Die Deutfchen, deren es in Hongkong einige fechzig ven höhern Schichten ber Geſellſchaft angehö⸗ rige gibt, haben einen Club und halten brüderlich zufammen. Wir müffen ihnen das Zeugniß geben, daß wir felten ein fo freundliches Entgegenlommen und eine fo rüdhaltslofe Gaft- freundfchaft gefunden haben wie hier bei unfern Landsleuten, wofür viefelben hiermit noch einmal unfern berzlichften Danf annehmen mögen. .

Victoria tft durch Stranpbatterien genügend befeftigt, um jeven Angriff abzufchlagen; der Hafen wird ‚aber jedem Feinde volfftändig gefchloffen fein, wenn die am gegenfeitigen Ufer

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bereits in Angriff genommenen Werke vollendet find. Am äußerten öſtlichen Ende ver Stadt erheben fi) nahe am Waller zwei ziemlich hohe Hügel. Auf dem einen ift das Milttärhofpital erbaut, auf dem andern liegen vie Gebäube ber deutſchen Miffion. Letztere fteht hier eben nicht in gro- gem Anfehen, ebenfo wenig wie bie engliſche und amerikaniſche. Dan wirft diefen Anftalten Mangel an Eifer vor, und jeden⸗ falls dürfen fich alle drei Feiner großen Refultate rühmen. Die Iefuiten und andere katholiſche Meiffionare follen - beffere Erfolge erzielen, weil fie in das Innere geben, ſich dort nie- derlaffen, im Aeußern ganz Sitten und Gewohnheiten ver Chinefen annehmen, jahrelang unter ihnen und in ihren ärm- lichen Hütten wohnen und allem Verkehr mit ver Außenwelt und den früher gewohnten Kreifen entfagen. Sopiel ich den Charakter ver Chingjen kennen gelernt habe, ift dies jeboch nicht allein die Urfache, weshalb die Fatholifchen Miffionen mehr Convertiten machen; vielmehr, glaube ich, haben fie vor ben proteftantifchen ven Vorzug, weniger orthodox und abftract zu fein. Die Chineſen find ein fehr finnliches, zugleich aber ein fehr praftiiches Volf. Kommen Religionslehrer zu ihnen, bie mit brafonifcher Strenge von vornherein ihre Fehler ver- bammen, unnachfichtlich ihre finnlichen Neigungen verurtbeilen und dafür nur bie von jeber äußern Form entkleideten abjtrac- ten Lehren einer Religion bieten, die mit ihrem bisherigen Srrglauben in fo grellem Wiverfpruch fteht und für das Auf- gegebene feinen fichtlichen Erſatz bietet, der ihrer Lebensrich- tung annehmbar oder verftändlich erfcheint, jo darf es nicht wunder nehmen, wenn die Bemühungen folcher Belehrer von fo geringem Erfolge gekrönt find. Die Iefuiten verfahren nicht auf dieſe Weife.. Abgefehen Davon, daß die Yatholifche Religion ſich in ihren Formen dem faſt nur aus Ceremonien beftehenden Cultus der Chine- fen, mag diefer Buddhaismus oder Taoismus heißen, weit

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mehr ale die proteftantifche nähert und ſchon dadurch ben Chi⸗ nefen weniger fremd erfcheint, treten auch ihre Mifftonare ohne Schroffgeit und mit Hunger Nachfiht auf. Das Be- jtreben derſelben geht zugleich dahin, ihre Schüler praktifch von der größern Vollkommenheit der chriftlichen Religion dadurch zu überzeugen, daß fie den Beweis führen, wie Chriſtenthum und Civiliſation voneinander untrennbar find. Und das ift meiner Anficht nach der einzig richtige Weg, um dem Chriftentyume in China bie Wege zu bahnen, wenn es nicht mit Feuer und Schwert gefchehen foll, was dem Geiſte unferer Religion widerſpricht. Im 16. und 17. Jahr⸗ hundert waren überall in China Sefniten, und man rechnete die Zahl der durch fie befehrten Chriſten über eine halbe Million. Sie fchlugen genau denſelben Weg wie ihre jeßi- gen Nachfolger ein, indem fie die Chinefen zu überzeugen fuchten, daß ber Miffionare überlegene Kenntniffe, denen felbft der Raifer Anerkennung zollte, die Folge einer Civiliſation wären, welche nur unter dem Banner des Chriſtenthums ge- deihen könnte. Alle Erfindungen, alle Verbefferungen, pie fie in China einführten und deren Nütlichfeit das Volk lebhaft empfand und würdigte, ftammten aus chriftlichen Ländern, und das unausgefette Streben ber Jeſuiten in viefer Richtung nöthigte endlich den Ehinefen eine Achtung vor den Europäern ab, welche die Miffionare ſtets auf die Religion zurüdführten und fo zu deren Verbreitung benusten. Leider veranlaßten Greigniffe, deren Erörterung bier zu weit führen würbe, eine Berbanuung der Mifftonare aus China, die faft 200 Jahre gedauert hat, und damit fiel das fo mühfam von benfelben aufgerichtete Gebäude wieder zufammen.

Bor einigen Jahren verfuchte ein beutfcher proteftantifcher Miffionar venfelben Weg einzufchlagen, wurde aber von fei- nen ftarr orthodoxen Amtsbrüdern fo- verkegert, daß er aus ihrem Verein ſchied und in die Dienfte der englifchen Negie-

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ben Norden Chinas gejehen und mich an ben verfchievenen Pläten des Landes faft ein Jahr lang aufgehalten hatte. So glaubte ich meinen Urtbeilen vie Einfeitigfeit Benehmen und benfelben die möglichſte Objectivität fichern zu können.

Die Dampffchiffe, welche die Verbindung zwifchen Honglong und Kanton vermitteln, find amerifanifche. Die Tour Foftet erelufive Belöftigung 13%, Thaler oder 9 Dollars. Man legt die 25 deutfche Meilen betragende Strede in 79 Stun- ben zurüd, je nachdem man e8 mit der Flut oder Ebbe trifft.

Kanton, oder wie es auf hinefifhen Karten beißt: Kwang⸗ tung Sangtſchin, die Hauptſtadt der Provinz Kwangtung, liegt am linken Ufer des Tſchukiang ‘oder Perlfluffes und 15 geographifche Meilen von Hoomun (d. i. Tigermund) oder der Bocca Tigris entfernt, welche Mündung von den Ehinejen als die des Stromes betrachtet wird, während wir Europäer btefe noch zehn Meilen füplicher bis über Macao hinausverlegen. Die Bocca Zigris, bei welcher ſich der Fluß durch die Einbie- gung beider Ufer und durch einige Infeln bis auf 2—300 Schritt verengt, hat ihren Namen von den Portugiefen erhal- ten, welche in ben Umriſſen ber einen Inſel die Geſtalt eines Zigerfopfes mit geöffnetem Rachen erfennen wollten.

Bis zu diefem Punkte ift der Weg von Hongkong aus fehr traurig. "Der bereits gefchilderte Charakter ver chinefifchen Süpfüfte ſetzt fich bis hierher ohne Abwechfelung fort, und nur bier und dort erfreut ein Fleckchen Grün das durch fo viel Dede ermüdete Auge, wo am Ausfluffe eines Heinen von ven Ber⸗ gen riefelnden Baches Fifyer ein Dorf gebaut. und fo viel Humus gefunden baben, um ein paar Bäume zu pflanzen, bie Feine chinefifche Anfieblung entbehren zu können fcheint. Der einzige Troft für den Neifenden tft, daß er mit dem ſchnellen Dampffchiffe dieſe langweilige Strede von zehn Mei⸗ Ien in drei Stunden zurüdlegt. Mit dem Paffiren ver Bocca fieht er ſich ſodann von einer freundlichern Scenerie umgeben.

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Die Bocca felbft macht von weiten einen fehr impofanten und friegerifchen Eindruck. Die beiven vorfpringenden Land⸗ ſpitzen, welche fie bilden, und welche Die Ausläufer zweier Höhen züge find, die in ber Vorzeit die Ufer des Perlfluffes ein- bämmten, fallen von einer Höhe von einigen hundert Fuß ziemlich fteil gegen ven Fluß ab, und ebenfo kühn erheben fich die drei im Fahrwaſſer gelegenen Infeln. Anihrem Abhange find nicht weniger als acht verfchiedene Forts gebaut, deren einige über 80 Geſchütze zählen ober vielmehr zählten, und welche beftimmt waren, vie Deffuung des Tſchukiang ben Kriegsfahrzeugen ver „rothhaarigen Barbaren” zu ver- fchließen. Wenn man vie weißen Mauern biefer Feftungs- werfe und deren unzählige Schießfcharten, die das Feuer ihrer Geſchütze fämmtlich auf das enge Fahrwaffer concentriren, aus der Ferne steht, jo glaubt man, daß jedes Schiff dem un⸗ fehlbaren Untergange geweiht fein muß, welches verjuchen wollte, diefen Eingang zu foreiren. Bei näherm Heran- fommen erklärt e8 ftch jedoch leicht, wie die Engländer ſchon verſchiedene male dieſe furchtbaren Batterien zum Schweigen Bringen und fie mit verhältnigmäßig- geringem Verlufte ſchließ⸗ lich ganz zeritören konnten. |

Wie in allen andern: Dingen find die Chinefen auch in ber Kriegskunſt ftationär. In ihrer dünkelhaften Ueberhebung über alle Nationen, die namentlich unter der jetzigen Dynaſtie genährt und auf ihren Höhepunkt geſchraubt iſt, verſchmähen ſie hartnäckig die Annahme von Neuerungen und Verbeſſerun⸗ gen, und ihre Befeſtigungskunſt befindet ſich nahezu auf dem⸗ ſelben Standpunlie wie vor 1000 Jahren. Ihre Mauern und Feftungswerfe waren urfprünglich gegen Pfeile und Wurf. gefchoffe aftatifcher Nomadennölfer errichtet und find für bie moderne Artillerie nur infofern geänvert, als in ver Krone Schießſcharten für Geſchütze eingefchnitten wirven. Ebenſo tft Ihre. Artillerie felbft auf der Stufe. ftehen geblieben, auf

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welche fie, nach dev Eroberung des Landes durch bie Tata⸗ ren, ber berühmte jefuitifche Miſſionar Pater DVerbieft, ein Deutfoher, erhob, ber im Sabre 1681 für ben Tatarenkaiſer Kanghy mehrere hundert Kanonen go. Obwol es unziwei- felhaft feftfteht, daß ſchon 500 Jahre früher das Schießpulner in China befannt war, benutzte man es zu Kriegszwecken boch nicht eher als im Jahre 1621, und jene Geſchütze waren bie eriten, welche im Lande gefertigt wurden.

Außerdem find die Forts an der Bocoa ſämmtlich fo an- gelegt, daß jede über fie hinweggehende Kugel von ven un- mittelbar Hinter ihnen fteil auffteigenden Felswänden aufge- fangen wird und von hinten in die Batterieen bineinprallen muß, wodurch die Bedienungsmannſchaften, die ohnehin aus unfriegerifchen Leuten beſtanden, demoralifirt wurden. In Anbetracht dieſer Umſtände iſt es erklärlich, weshalb nur we- nige Lagen einiger engliſchen Fregatten dazu gehörten, um dieſe mittelalterlichen Befeſtigungen für immer zum Schweigen zu bringen. Beim Beginn des letzten Krieges wurden ſie durch die franzöſiſch⸗ engliſche Flotte gänzlich zerſtört, und fänmt- liche Geſchütze, 600 an der Zahl, genommen. Die eingeſtürzten Mauern liegen jetzt in ihren Ruinen harmlos da. Wie alles in China, ſind auch ſie bei dem erſten gewaltſamen Anſtoße morſch zuſammengebrochen, und die Erſchütterung hat die Zer⸗ ſtörung des kaiſerlichen Palaſtes in Peking nach ſich gezogen.

Jenſeits der Bocca Tigris nimmt die Gegend einen ganz veränderten Charakter an. Die Höhenzüge treten in weiten Bogen in dad Land zurüd, und eine reich cultinirte, im üppig- ften Grün prangende Alluvialebene dehnt fi) vor uns aus, jo weit das Auge reiht. Hunderte non Dörfern, von mäch— tigen Bäumen bejchattet und tbeilweife in ihrem Grün ver- ſteckt, liegen an den Ufern bes Fluffes oder zwiſchen ben üppig ſchwellenden Reisfeldern zerftreut, Tauſende von ſchwer⸗ fälligen Dſchonken und leichtern Booten bevölkern den Tſchu—

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fiang, der, in umınterbrochener Xinie zu beiden Seiten mit Truchtbäumen eingefaßt, fich durch die reiche Landſchaft win- vet. Ueberall erhält man ven Eindruck, daß man eins ber fruchtbarften und prachtuolfften Laͤnder der Welt betreten hat. Reich und mannichfaltig ift Die Scenerie, obwol te weder etwas Romantifches noch etwas Grofartiges bietet. Die nur ſpärlich von leifen Erbebungen unterbrochene Ebene ift das Bild des Friedens: ein wogendes Feld reiht ſich an das an⸗ dere, Laufende von gejchäftigen Menſchen heimfen die Früchte ihrer Arbeit ein, und vor den Dörfern thürmen fich die Korn- garben zu Bergen. Hochbeladen damit ziehen Schiffe und Boote zur Hauptjtadt, bie wir zwar felbjt noch nicht fehen, beven Nähe fich aber durch das immer regere Treiben auf ven Wegen, durch die immer zahlreicher fich ſammelnden Fahr⸗ zeuge fund gibt, und deren Hintergrund, ven ven Chinejen das Gebirge der Weißen Wolfe genannt, am Horizont emporfteigt. Mit Fliegender Eile trägt uns das Dampffchiff durch die üppige Landſchaft. Bald find wiederum 10 Meilen zurüd- gelegt, und wir erbliden jegt am rechten Ufer des Fluſſes eins jener merkwürdigen Gebäude, die, eine Eigenthümlichleit Chi- nas, in dem ganzen weiten Reiche verbreitet find. Kine der brei Pagoden, ‚welche vor Kanton das rechte Ufer des Perl⸗ flujjes jchmüden, erhebt fich vor unfern Bliden. Ihre ein. geftürzte Spike, die hohen Bäume, welche ihre Krone zieren und auch, aus den verſchiedenen Gaferien hervorfproffenn, wie Laubengänge das verwitterte Gemäner des mächtigen Thurms umgeben, zeugen von dem hoben Alter diefer Baudenkmaͤler, beren Bebentung und Urfprung wir vergeblich zu entziffern juchen und. die vielleicht nicht einmal ein Chinefe kennt. Die einen fehen in ihnen die Verewigung großer gefchichtlicher Thatjachen, die andern verfuüpfen damit die Einführung der Buddhareligion in Ehina. Sie follen urfprünglich als Thürme von Zempeln erbaut fein, und auch jest trifft man bei vielen 9%

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bupbhaiftifche Klöfter und Zempel an. Der Umitand, daß faft alle fieben Stockwerke haben, wird mit ben fieben VBer- wandlungen Buddha's, die nach chinefifchen Begriffen bis jetzt ftattgefunden haben, in Verbindung gebracht, während bie neunftödigen, deren e8 in Nanling, Beling und Kanten gibt, als eine müftifche Anfpielung auf vie neun Incarnationen Wiſchnu's gelten, als welcher Buddha in Indien betrachtet wird. Sei dem wie ihm wolle, immerbin bleiben dieſe Bau⸗ werte, die fich oft über 200 Fuß in chlindriſcher Form mit koniſcher Spite erheben, merkwürdige Reliquien ver alten Zeit, und es ift umverzeiblich von der jeßigen Dynaſtie, daß fie feit ihrer Thronbeſteigung nichts gethan bat, um biefe Denfmäler, die von den chineſiſchen Herrfchern mit befonderer Pietät in Stand gehalten wurden, vor dem Verfalle zu ſchützen. Allmählich beginnen fie den Einflüffen ver Zeit zu unterliegen. Stein für Stein brödelt ab, ver Regen bringt in die Spalten, manche kann man ohne Kebensgefahr nicht erftei- gen. Nach einem Jahrhundert werden nur noch wülte Stein- haufen die Stellen anzeigen, wo biefe mächtigen Säulen viele Sahrtaufende ven Stürmen ver Zeit Troß boten. Man fteigt im Innern der Pagode zu ihrer Spike hinauf. Die einzel- nen Stockwerke find durch Treppen verbunden; jedoch muß man merkwürbigermweife jedesmal auf die Galerien hinaus- treten und einen Halbkreis um bie Pagode bejchreiben, che man buch eine Art Thür in der Mauer zu ver nächiten Treppe und auf ihr zum folgenden Stodwerf gelangt.

Die zweite Pagode fteht in der Nähe von Whampoa, einer Fiſcherſtadt, pie jedoch für die Europäer infofern von Bedeu⸗ tung ift, als fich Hier der eigentliche Hafen von Kanton, we: nigftens für europätihe Schiffe befindet. Theilweiſe bietet von Bier bis Kanton die Schiffahrt wegen der vielen Wen- dungen des Stroms und feiner veißenden Schnelligkeit große Schwierigfeiten, theils auch haben die bedeutend geringern Ha⸗

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fenabgaben die Handelsſchiffe bewogen, hier zu anfern und ſich mit Booten ihre Ladung von Kanton berunterfommen zu laj- fen. Whampoa bildet ein fonderbares Gemiſch von enro- päiſcher und zugleich echt chinefifcher Stadt. Ein unorbentliches, wilffürlich nebeneinander gejettes Conglomerat von elenden Hütten erhebt ſich auf Pfählen aus dem Fluffe und macht bei der Ebbe den Einprud, als ob e8 auf Stelzen im Sumpfe watete. Diefe Hütten find oft fo Klein wie Käfige, und man befommt hier zuerft einen Begriff von ber Anfpruchslofigfeit der Ehinefen und ihrer öfonomtfchen Raumbenubung, wenn man fieht, daß in einem Vogelbauer von faum 200 Kubiffuß ©e- halt Familien von acht bis zehn Perfonen wohnen. Mitten bazwifchen ragen hohe eiferne oder gemauerte Schornfteine in die Lüfte empor, aus denen dichte ſchwarze Rauchwolken hervorſteigen, während das ächzende Pulſiren eines Heinen Rohrs Daneben in regelmäßigen Abſätzen weißen Wafjer- dampf ausjtößt und das Arbeiten einer europäiſchen Dampf- maschine verfünvdet. Sie pumpt das Waffer aus einem Trockendock, in das foeben ein reparaturbebürftiges Schiff eingelaufen. An dieſe Dods, veren fich brei in Whampoa befinden, reihen ſich die Iuftigen und leicht zufammengeichla- genen Godowns oder Woanrenlager fpeculativer Kaufleute, bie durch die Bebürfniffe der Schiffahrt ein Vermögen erwerben. Faſt auf Meilen Tieft man die gigantiichen Buchftaben ihrer Schilder. "Wie nirgends in ver Welt, fehlt auch Hier nicht der Dentfche, und ver Name Müller erwedt neben einem Lä⸗ cheln zugleich den Gedanken an bie Heimat, Auch die Chi- nefen jcheinen den Nuten von Schilvern begriffen zu haben und verfünden in englifcher Sprache, daß hier Tſchai Tſcheong, genannt „ver lahme Jack“, als most excellent tailor for gentlemen fein Atelier aufgefchlagen, und bort Ahoy, genannt „Sechsfinger“, bereit ift, alfe fremden Sifbermänzen on the most profitable terms, was natürlich nur auf ihn felbft

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Tſchukiang bei Kanton, wimmeln, und die von ihrer eiförmigen Geftalt den Namen. Zanfen oder Eierhäuschen führen, flogen mit Windeseile von allen Seiten auf dad Schiff zu, ſobald der Anker gefallen war. Jeden Augenblid erwartete man, das eine oder andere überfahren. over zerichmettert zu jehen, aber mit wunderbarer Gewandtheit wußten die rubern- den Frauen jeden Anftoß zu vermeiden und mit ihren langen Rudern den Booten jebe gewünſchte Nichtung zu geben, ohne deshalb ihr Ziel, die Treppe des Dampfichiffs, außer Augen zu laſſen, und fchon auf breißig, vierzig Schritt den Reiſenden ihr Fahrzeug zur Pafjage anzubieten. Ich babe felten eine jo Ichnelle Expedition von Keifenden gejehen. In Zeit von fünf Minuten waren fämmtliche Paffagiere, etwa 50 an der Zahl, mit ihrer Bagage ausgefchifft. Die beladenen Boote wanden fich wie die Schlangen durch die Scharen der übrigen, und and wir ſahen ung, ehe wir. e8 dachten, bei den Fac⸗ toreien ausgefegt, wo unfere deutſchen Freunde unferer harrten.

In Kanton gibt es Feine Gaſthäuſer; man ift lediglich auf die Gaftfreundfhaft der dort wohnenden Europäer an- gewiejen, und dieſe wurde uns bei ven dortigen beutfchen Kauf⸗ leuten auf die herzlichite Weife zu Theil. Aber nicht nur eine ungemeine Gaſtfreundſchaft erwieſen uns unfere Lands⸗ leute, ſondern fie führten uns auch mit ber unermäblichiten Aufopferung ganze Zage lang in der Stabt umber, zeigten uns alles nur irgend Interejfante und theilten uns ihre lang- jährigen Erfahrungen in der Gapitale des Südens über ven Charakter der Bewohner und deren Eigentbümlichfeiten mit. Auf diefe Weife jahen wir von Kanton fehr viel, wahrfchein- ih mehr als die meiſten Reifenden, und faßten manches auch mit einem andern und befjern Verftänbniß auf, indem unfer liebenswürbiger Begleiter, Herr Menke, uns ſtets bereitwillig

Aufjchlüffe gab. Kanton ift eine ver äfteften Städte im fühlichen China

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und bat feit feiner Erbauung ebenfo wie das ganze chinefiiche Reich die wechfelvoliften Schiefale erlebt. Seine Gründung fowie feine urfprüngliche Lage und Benennung reichen bis in die mythologiſche Zeit der chinefifchen Gefchichte und find deshalb ſchwer zu beſtimmen. Jedoch dürfte es nicht ohne Intereffe fein, einen kurzen Abriß ver Gefchichte ber Stabt zu vernehmen, wie fie die chineſiſche Chronik, die wenigſtens feit den letzten 2000 Jahren auf Glaubwürdigkeit Anſpruch machen barf, erzählt. Um das Jahr 2150 vor Ehrifto lebte der berühmte König Dai, der noch jeßt wegen feiner Weisheit. und großen Herr- ſchertugenden in China als das Mufter aller Könige gilt. Er war der vorlegte König ber zweiten Dynaſtie, welche ben "Thron Chinas innehatte und. unter dem Namen der „fünf Fürften‘ in ben Amalen verzeichnet fteht. Dem Anfchein nad hat er den bis dahin in Barbarei verjunfenen Süden Chinas mit den Segnungen ber Civilifation befannt gemacht und ihn mit bem Norben vereinigt. Er befahl einem feiner Minifter,. fih nah Nangkeai, das bamals die Stelle von Kanton einnahm, zu begeben und bies fo wie Das umliegende Land zu regieren. Faſt tauſend Jahre lang wirb dann der ſüdlichen Staaten in ver Geſchichte kaum erwähnt. Erſt 1123 v. Ehr., unter der vierten, der Schang⸗Dynaſtie, welcher die Heas vorangegangen waren, treten fie wieder im ben Borbergrund und werden als tributäre Staaten des Kaiſers von China aufgeführt. China beſtand damals aus einer Reihe kleinerer Bafallenreihe, vie oft miteinander Krieg führten, dem Kaifer viel Sorge machten, und namentlich war es der Süden, ber am wenigften geneigt fchien, feine Ober- herrichaft anzuerfennen, bis enblich im Jahre 630 v. Chr, unter der fünften, der Tſchan⸗Dynaſtie, der Süden gänzlich unterjocht und mit dem Norben zu Einem Reiche verfchmolzen wurde. Einen intereffanten Einblid in bie Eulturgefchichte jener Zeit

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Ihinden, auf Ranzen werfen und mit Zigern und Elefanten kämpfen“.

Der Nothſchrei des Volkes über dieſe Greuelthaten bewog den Gründer der Sung⸗Dynaſtie, 964 das Königreich Kan⸗ ton wieder zu erobern und durch den Sturz ſeiner Herrſcher das gequälte Volk zu befreien. Letzteres muß damals noch ziemlich in geiſtige Barbarei verſunken geweſen ſein, da Sung und ſeine Nachfolger die Hexerei abſchafften, die Zauberei verboten, die für die Ausübung abergläubiſcher Riten erbaus ten Tempel niebertiffen, dem Volfe unterfagten „den böfen Geiftern Menſchen zu opfern”, und Apothefen errichten ließen, um ben Epidemien zu fteuern, welche im Lande graffirten. Im Jahre 1067 wurde Kanton, das um dieſe Zeit zuerft unter feinem jegigen Namen Kwangtung erfcheint, mit einer Mauer von einer halben Meile Länge umgeben, die man zum Schuß gegen bie Einfälle ver Cochinchinefen, welche vie Stadt häufig geplündert hatten, erbaute.

Die Gründer ver Yuen-Dynaftie überzogen 1279 den Süden Chinas mit Krieg und wütheten dort wie Bluthunde. Die Chro- niken erzählen, daß fie Städte und Dörfer verwüſteten und fo viel Menfchen erjchlugen, daß „das Blut in raufchenden Strömen flog”. Aller fremde Handel in Kanton wurde unterbro- hen und erholte fich erft um das Jahr 1300, als auch die Häfen der Provinzen: Tſchekiang und Fukien ihm geöffnet” wurden. .

Der erjte Pionnier des europälfchen Handels mit China ſcheint Fernao Perez de Andrad, ein Bortugiefe, gewejen zu fein, der das Cap der guten Hoffnung umſegelte und Kanton im Sabre 1517, während ver frieblishen und glücklichen Zeit ber Ming - Dynaftie, erreichte. Ihm folgten bald fpanifche, englifche und hollänbifche Abenteurer, und bie Häfen von Kan- ton, Macao und Tingt in der Provinz Kwangtung, Ningpo und Tſchuſan in der Provinz Tſchekiang und Amoy in Zuften

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wurden jetzt große Märkte für den europäiſchen Verkehr, ob⸗ wol Kanton ſtets der wichtigfte Stapelplag blieb. Bis zur

Eroberung Chinas durch die Tataren, bie in ben Jahren 1646 und 1647 vollendet wurde, erfrente fi der Süden einer glücklichen Ruhe. Ein Patriot, Yunglai, erhob aber damals das Banner der Rebellion für die geftürzte Ming⸗ Dynaftie und wählte Kanton zum Hauptquartier. Eine von Beling gegen ihn ausgefandte und hauptſächlich aus Tataren beftehende Armee unterwarf bald bie Provinzen Yulien, Kwangſi und Kwangtung, wurde aber in ihrem Sieges- lauf durch Kanton aufgehalten, das ihm muthig Trotz bot. Elf Monate lang machten die Tataren die wüthenpiten An⸗ griffe, ſahen fich jedoch ebenſo oft auf das biutigfte zurückge⸗ Ichlagen, und hätten unzweifelhaft unverrichteter Sache zurüd- fehren müffen, wenn ihnen nicht durch Verrath die Thore ge- öffnet und die unglüdliche Stabt in ihre Hände gegeben wor- ben wäre. Ein Yefuit, Martin Martinio, der ſich zu jener Beit im Süden Chinas aufhielt, befchreibt in Mebereinftimmung mit den chinefifchen Chronijten die bei dem Falle der Stapt verübten Greuel als etwas über alle Begriffe Furchtbares. Am 24. November 1650 wurbe die Stadt übergeben, und am folgenden Tage begannen die durch ben muthigen und langen Widerftand erbitterten Tataren die Plünderung. Diefelbe dauerte faft vierzehn Tage lang bis zum 5. December. Weder Alter noch Gejchlecht wurde gefchont, fonvdern alles ohne Gnade gemorbet; nur einige Künftler und Handwerker wur⸗ den geſpart, um die nothwendigen Induſtriezweige fortzupflanzen, ſowie eine Anzahl ſtarker Männer, um die gemachte Beute fortzuſchleppen. Während der ganzen Zeit hörte man nichts als das brüllende Geſchrei der wilden Sieger, die ſich mit ven Worten: „Tödtet, tödtet dieſe barbariſchen Rebellen!“ zu weiterm Schlachten anfeuerten. Am 6. December endlich kam die Ordre, mit der Plünderung aufzuhören, nachdem

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während ber Belagerung und nach der Eroberung 700,000 Menfchen umgelommen waren,

Rachdem die Tataren ihr Todeswerk vollendet Hatten, ſchlugen fie ihre Quartiere in der alten Stadt auf, wo fie noch bis auf den heutigen Tag wohnen, während Civilbeamte und unter ihnen auch der Verrätber Fan⸗tſching⸗ soon in ber neuen Stabt ernannt wurden.

Bon diefem fchweren Schlage erholte fich Kanton nur laugſam, und es dauerte volle fünfzig Jahre, bis es aus fei- nen. Ruinen, auferftand. ‘Dann aber wuchs es fchnell empor und wurde bald der Mittelpunkt der Induſtrie, des Hanbels und Reichthums, den ſelbſt nicht die Land- und Seeräuber- banden, welche feit ven älteſten Zeiten ihr Weſen in China treiben und nie haben unterdrückt werben können, zu beein- trächtigen vermochten.

»Ebenfo haben die englifchen Kriege nur borübergehend hem⸗ mend auf die Entwickelung der Stadt eingewirkt, und ihre an⸗ dauernde Occupation von ſeiten der Weſtmächte hat durch die herbeigeführte größere Sicherheit des Eigenthums eher dazu beigetragen, den Wohlſtand zu heben, als ihm zu ſchaden, wenngleich die Bevölkerung durch Auswanderung in’ Maſſe ſeit dem letzten Bombardement beträchtlich abgenommen hat. Von jetzt ab wird jedoch Kanton wahrſcheinlich von ſeiner bisherigen Bedeutung verlieren. Es verdankte dieſelbe zum großen Theil dem Umſtande, daß die hauptſächlichſten Erportartikel des Landes, Thee und Seide, ihren Weg aus den nördlichen Provinzen, die ſie hervorbringen, nach Kanton nahmen. Schon im Jahr 705 v. Chr. ließ der Kaiſer Tſchan⸗ kin⸗ling, um bie Stadt zu heben, jenen berühmten Paß durch das Meilinggebirge brechen, der in Verbindung mit einem Kanalſyſtem die einzige große Verfehritraße zwifchen Norben und Süden biltet, und deren Ausgangspunft Kanton ift. Die Eröffnung der nördlichen Häfen Swata-u, Zustjcha-u, Ningpo

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und-Schangshae thaten dem Süden wol etwas Abbruch, allein empfinblichen Nachteil wird Kanton erft jet durch die Er- öffnung des Jang ⸗tſe⸗kiang erleiden, der die nördlichften Pro⸗ vinzen burchftrömt, eine Strede von dreihundert Meilen fchiff- bar ift und für die Probucte bes Innern eine viel bequemere und billigere Straße ale jener Landweg durch ben Meiling- paß bietet.

Kanton befteht aus drei Theilen, der alten, ber neuen und der Wafferftabt, bie ſowol in ihrer äußern als innern Erſcheinung fo verſchieden find, daß alfe brei eine fpecielle ‚Berädfichtigung verdienen.

Ein: charakteriftiicher Zug aller größern Stäbte in China find bie hohen fie umgebenden Mauern, vie, meiftens ein und derſelben Zeitperiode angehörend, faft ganz gleiche Größen⸗ verhältuiffe haben und theilweife zum Schuße gegen bie Ein- fälle, ver Tataren, theild gegen bie Angriffe ber chineſiſchen Rachbarftaaten erbaut wurben.

Die Höhe diefer Mauern, wie ich fie in Kanton, Schang⸗hae and Tientfin gefehen, und wie fie nach ver Beſchreibung auch Nanking und Peling befigen, beträgt 25—30 Fuß. Sie ber ftehen inwenbig aus feftgeftampfter Erde und find äußerlich mit ‚blauen Ziegelfieinen verlleivet. An der Bafis circa 20 Fuß breit, fteigen fie an der Außenſeite perpenpilulär, innen aber ſchräg auf und verjüngen fich bis zu einer Kronen⸗ breite von 10—12 Fuß. Eine Erenelirung ziert regelmäßig bie Krone, jeboch können weder deren Oeffnungen als Schieß- fcharten für Gefchüge dienen, noch habe ich je eins berjelben auf dem Parapet gefehen. Ebenfo wenig können bie Mauern einer Kanonade wiperftehen; ihre Höhe, Gewicht und perpendi⸗ fuläre Außenfeite würben das Brefchefchießen jehr erleichtern. Bei den verfchievenen Thoren ift bie Mauer durch einen halbfreisförmigen Borfprung, eine Art Baftion, verboppelt, deſſen Eingänge feitwärts auf das innere Thor ftoßen, und

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in dem jich Thürme von mehreren Stodiwerfen zur Aufnahme von Soldaten befinden, während ähnliche Baftionen in Zwifchen- räumen von 150 200 Fuß die Gourtinen ihret ganzen - Länge nach flanficen. Die. berühmte Ehinefliche Mauer, dies mächtige Bauwerf, das ſich vom Golf von Petſchili in un- unterbrochener Linie ‚über 400 geographiiche Meilen weit "His zur weftlichen Tatarei erftrectt, ift nach venfelden Prin- eipien conftruitt. Da ich jedoch fpäter darauf zurückkommen werbe, erwähne ich fie bier. nur beikäufig.

Die Kanton umgebende Mauer jchließt jewol die alte als die neue Stadt ein, bie jeboch beide wieder durch eine zweite Mauer voneinander getrennt werden. Der Flächenraum der Stadt. ift im Vergleich zu ver Einwohnerzahl nicht beveutend; der ganze Umfang kann nicht. 1Y/, Meile überfteigen, wenigftens find wir mit mäßig fohneffen Schritten in 2%, Stunden um. die ganze Stadt gewandert. Zwölf Thore, von denen einige fehr fonderbare Namen, wie Thor. der ewigen. Reinheit oder . der ewigen Glädeligfeit, haben, führen von außen in bie Stadt, und vier andere vermitteln. die. Communication zwifchen ihren beiden Haupttbeilen. Bei Nacht find. ſämmtliche Thore geichloffen und nur mit ſpecieller Erlaubniß eines hoben Be⸗ amten zu paffiren, obwol ein paar Aupfermünzen in ben Augen der Wächter denfelben Werth haben als jene Erlaub- niß. Bei unjerer Anweſenheit waren jenoch die Shore von Englänvern und Franzofen bejekt und während der Nacht für jeden Ehinefen ohne Ausnahme gefihlofien.

Die Zahl der Straßen in Kanton ift fehr groß, nicht geringer als 600,. pie, ohne beftimmten Plan angelegt, kreuz und quer durcheinander laufen, meiftens kurz, krumm . und ſchmuzig find. Die beiden legten Prävicate gelten überhaupt von allen chinefifchen Straßen, jelten trifft man fie breiter als 10 Fuß. In der Mitte find regelmäßig einen Fuß breite Bliefen der Länge nach gelegt, der übrige Theil jeboch unger

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pflaſtert. Da es weder Goflen noch fonftige Abzugslanãle gibt, auch die fo eng zuſammen ftehenben und oben nach vorn überbauten Häuſer ben Sommenftrahlen faft alien Zugang nerjchließen, fo fan man fich denken, daß bei dem Verkehr einer halb :auf ven Straßen lebenden Bevölferung von über eine Million, bie felbft bekanntlich nicht fehr für Neinlich- feit eingenommen ift, ein Gang durch Kanton waſſer⸗ dichte Hohe Stiefeln beanfprucht, um ben überall herrſchenden Schmuz zu überwinden. Namentlich ift die alte oder Tataren⸗ ſtadt in diefer Beziehung pas Nonplusultra aftatiicher Un⸗ reinlichleit, die um fo greller. in die Augen fällt, weil bie baufälfigen fchmuzigen Häufer ebenfo abftoßenb erfcheinen, während in - ber neuen Stabt doch wenigftens die Tauſende von chineſiſchen Läden mit ihren oft Toftbaren Stoffen und geſchmackvoll zur Schau geftellten Verkaufsgegenſtänden ben Blick fefleln.

Außer den Straßen durchziehen noch eine Menge größerer und Heinever Kanäle bie Stadt, welche ven Zransport der fchweren Güter vermitteln, da in Südchina fein Fuhrwerk exiftirt und alles, was nicht von Menfchen getragen werben kann, zu Waſſer fortgefchafft werden muß. |

Nirgends documentirt ſich die in China alle Verhältnifie des focialen Lebens beberrfchende Gleichmäßigleit auffallender ‚als in der Bauart, Form und Größe der Gebäude. Auf dem Lande find bie Häufer fait ohne Ausnahme, in ben. Städten der bei weiten größte Theil einitödig, nie aber mehr als zweiſtöckig. Unſer europätfches Bauen in die Höhe tft ben Ehinefen jo unerklärlich, daß der Kaifer zu dem englischen Geſandten Macartney äußerte, es könne doch wol nur bie große Beſchränkung des Landes Urfache fein, daß die Euros päer ihre Wohnungen fo nahe an die Wolfen thürmten.

- Ein Bauftil nach unfern gewohnten Anfchauungen tritt an ven Häufern nicht hervor; wenigſtens haben wir nichts, mit dem Werner I. 10

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fich die Banart vergleichen sehe. Der üherntifidg.geltenn muchende Grundzug iſt bie Zeltform, bie fich bei ‚allen. Gebänden im ber concaven Form bes Daches, ber Zierlichleit der Bfekter,. fowie in ber Leichtigleit des Materials deutlich ausſpricht. Defbentliche und Privatgebänbe, ver Palaſt des. Kaiſers und pie Hätten bes Hungeruben Kuli, bie. Tempel und die Pavlſlons in den Gärten ber Wohlhabenden alles zeigt dieſen Charalter, ber, ohne Anſpruch auf Schönheit ober Regelmaͤßigkeit machen zu lanunen, dennoch durch feine Zierlichkeit das Auge angenehm berährt. Es iſt nicht zu verkemnen, daß bis nomadifirenden Bolkerſchaften, weiche zuerſt in China ſich feſte Wohnfitze gründeten, in dieſen das gewohnte Zelt nachahmten, und ment auch im Laufe der Jahrtauſende das Innere ſich allmählich veränderte, warb doch bie äußere Form faft gar nicht medificirt. Sie tft jo alt wie bie Gefchichte des Reichs, durch bieltanſend⸗ jährige Weberlieferungen geheiligt, und eine Abweichung von ihr. erſcheint dem Chineſen eine Profanation. Der Grundplan ber chineſiſchen Hänfer im allgemeinen zeigt eine merlwürdige Aehnlichkeit mit dem der maurifihen ‚Gebäude. Cine Mauer. ohne andere als Thüröffnungen fohließt das. Haus Yon. Her Straße ab, wenn daſſelbe nicht ein Kaufladen ift, während alle Tenfter nach bem Hofe münden. Durch den ‚Haupteingang gelangt man zunäcdft in das größte Zimmer, das ſowol zum Empfange von Gäften als zum Speifen bient. An dieſes ſchließen ſich die übrigen Räumlichkeiten, bie von beim Haupt- zimmer gewöhnlich durch Wände non oft Toftbarem Schnitz⸗ wert getrennt find, unb beren Eingänge durch Portieren von Selde over Baumwolle, je nach her Lebenslage des Beſitzers, gefchloffen werben. | |

Das Anfehen und die. Großartigfeit ber Wohnungen richtet fich nach dem größern oder kleinern Flaäächenraum, ben fie bedecken, ſowie nach Größe und Zahl der immern Höfe mid der fie umgebeuden Baulichleiten, bie jedoch von außer

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nicht gefehen werben können, da bie Mauer ſie gegen bie Straße hin abſfchließt. Gewöhnlich bildet: das Ganze: ein Barallelogramm, und bie Mauer ftirst bie Firfte eines Daches, beffen untere Fläche auf einer innern mit jener parallel laufenden Mauer ruht und eine Meihe von Wohnlichfeiten für bag Gefinde abgibt. Man betritt das Innere einer chinefifchen Brivatwohnung durch eine ziemlich enge Pforte, bie fogar gewöhnlich in einer unfcheinbaren Seitenftraße mündet und durchaus nicht auf die Pracht des Innern fchließen läßt. Im ber ‘Mitte der verſchiedenen Höfe erheben fich die eigentlichen Wohngebäude, zunächſt das oder Pie für die männlichen In- ſaſſen beftimmten, ſodann das für die Frauen, und binter biefem folgt gewöhnlich ein Garten mit Parlanfagen, Zeichen und Pavillons, Wo trgenpwie an den Thüren, auf ven Dächern oder Fenftern ſich hat Schnitwerf anbringen Iaffen, ift es gewiß gefchegen, und es fällt biefe® dem Fremen eben- jowol durch bie Feinheit und Schönhelt feiner Ausführung als durch die Bizarrerie des darin vorwaltenden Geſchmacks auf. Der Drade, das Sinnbild alles Glücks und alles Guten in China, fehlt faft nie. Im allen möglichen Größen und aus dem verfchiebenartigften Material gefertigt, fchlingt er fich in ven Verzierungen mit geöffnetem Hachen, um bie Dämonen zu verſcheuchen, bie in dem Gehirn ber aberglän- bifchen Bevölferung ſpuken und auf jede Weiſe in das Hans zu bringen fuchen..

Der jonderbare und von dem unfern gänzlich abweichende Geſchmack ver Chineſen in Form und Einrichtung ihrer Um⸗ gebung änßert fich überall in ihren Wohnungen. Gerade und gleichmäßige Linien, wie fie unferm Auge behagen, fcheinen fie möglichft zu vermeiden. Faſt alle Thüren in ber Wei, mögen fie zum PBalafte des Fürften ober in bie Baumrinden⸗ hätte des Negers führen, find regelmäßige rechtwinkelige Deffs numgen, nur in China nicht. Waudert man im Innern einer

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chineſiſchen Wohnung umber, fo tritt man bald durch eine freisrunbe, bald durch eine onale oder elliptiſche Thür, oder fie hat die Form eines Blattes ober einer Vaſe, nie fieht man aber zwei gleiche. Daffelbe gilt von ihrem Mobiliar. Tiſche, Stühle, Bänke, Sofas, Bettitellen alles tft ver- ſchieden und in ihren Formen berrfcht eine vollftändige Con⸗ fufion. Sie find nicht gleich Hoch, nicht gleich breit, vie Tiſche haben bald einen, bald drei, vier» und ſechs Füße, bie Stühle haben theils Lehnen, theilg nicht, die Sitze find ent- weder Holz, Bambusgefleht, Marmor ober andere Stein- platten, bald rund, bald länglich, vier⸗ over fechsedig. Nur Eine Eigenfchaft Haben alle Möbel miteinander gemein, fie find maſſiv, für die Ewigkeit berecinet und plump. Was uns mit ihnen ausſöhnt, ift die Toftbare Schnigerei an ihren Lehnen und Füßen, und diefem Borzuge haben fie e8 zu banken, daß die erträglich fagomnirten Stüde nad) Europa ausgeführt und hochgefchägt werden. Der Reichthum umd die Pracht dieſer Schnitereien ift oft wirklich wunberbar, und ich habe ein zum Verſenden fertiges Mobiliar gejehen, das ein in Hongkong anfälfiger Deutfcher nach feiner Heimat fohidte, veffengleichen man bei uns vergebens fudhen würde. Jeder per Stühle Toftete beinahe 100 Thaler und eine Bettftelle 500 Thaler. Bedenkt man, daß Arbeitslohn nirgends. in ver Welt fo niedrig tft wie. in China, fo wird man ben Werth der Schnigereien ermefjen können. .

Die Chinefen find die einzigen Aftaten, welche von Stühlen Gebrauch machen, aber fie haben dafür deſto mehr, ihre Zimmer find damit vollftändig Überladen, und ebenfo ift man in ihren Gärten nie um Sitze verlegen, die dann ge- wöhnlich ver Kühle und Leichtigkeit wegen aus Porzellan ges fertigt find und die Geftalt von hohlen Cylindern mit nach innen gebogenen Seitenfläden haben. Oft find. es jedoch auch hölzerne Seffel mit Steinplatten, die aber nicht behauen

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find, fondern nur eine gerade Fläche haben. Diefe wird nad oben gelehrt und das Geftell ver Form des Steins angepaßt. Kühl figt man auf ſolchen Steinen, aber auf die Dauer würden wir felbft im heißen Klima ein weicheres Material vorziehen. Die Chineſen fcheinen jedoch in dieſer Beziehung weniger, verwöhnt zu fein, da ſie auch einen teten Gebrauch von Porzellankopfkiſſen machen. Diefelben mögen ebenfalls fühl fein, als eine wohlthuende Unterlage für den Kopf habe ich fie jeboch micht ſchätzen gelernt. Bei einer Picknickpartie nach einem chinefiichen Kloſter in der Umgegend von Kanton befam ich infolge eines Fieberanfalies fo heftige Kopf- fehmerzen, daß ich gezwungen war, mich nieberzulegen. Ein gutmüthiger Mönch brachte mir eine Strohmatte als’ Unterbeite und ein ſolches Porzellantopflifien. Obfchon es mir bei ber höhern Lage des Kopfes Erleichterung gewährte, beganıı nach zehn Minuten mein Hals fo zu fchmerzen, daß ih das Kiffen wieder entfernen mußte.

Die Gärten repräfentiven ein ebenfo unregelmäßiges Ge- wirr von DBizarrerien wie das Mobiliar, denn die auch in Europa befannte und nachgeahmte Verzwerguug der Bäume, die bier ganz allgemein ift, rechne ich ebenfalls dazu. Jeden⸗ falls kann ich nichts Schönes darin finden. Es tft Feine Nach⸗ ahmung, fondern eine Berfrüppelung der Ratur, gerabe fo wie die fngenannten Heinen Füße der Frauen, die jebem- andern als dem chinefifchen Auge ale Klumpfüße erfcheinen und Ekel erregen. Den Zwergbäumen fiebt man es immer an, daß fie Krüppel find, und ſchon darum Tann ein gebilveter Geſchmack fle nicht ſchön finden.

Die Gärten enthalten auch manches wirllich Schöne. Die Ehinefen find große Liebhaber von Tünftlichen Felspartien, bie man in allen Gärten unb, wo dieſe fehlen, fait auf jeden Hofe einer anfrändigen Wohnung findet. Biswellen gelingt ihnen Hierbei die Nachahmung ber Natur fehr gut, namentlich

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wenn fie fich dabei in kleinen Dimenſtonen Kalten, Ich. abe in Kanton einzelne folcher Anlagen geſehen, bie wiellich rei⸗ zeus waren. Man konnte fich bei ihrem Anblicke in eine wildrömantifche Gegend verjegt fühlen. . Dort. ftürgte fich durch die zadligen Klippen einer Felswaund ein Gießbach her⸗ Mieber, deſſen Waſſer eine verborgene Fontaine in bie Höhe ‚Mieb; bier belleideten feinhlätterige Schlingpeivfichfe. mit einem ‚dichten Teppich Tünftliche Grotten, wührenn Inorrige Zwerg⸗ eichen jenen Felsgrat zierten. Es Tag. ewwas Mezaubernbss ist biefer Umgebung, bie noch erhöhten Reiz buxch einen großen babinterkiegenden Teich erhielt, auf deſſen Spiegelfläche bie ‚Treisförmigen Wlätter der heilig gehaltenen Loptoepflanje ſchwammen, beren gigantifche, roth oder gelb gefleckte Tulpen⸗ ‚hlüten träumeriſch ſich über das Waſſer neigten, während Tauſende ver prachlvollen hinefifchen Gold⸗ und Stiberfifchchen, mit Floffen und Schwanz fo lang wie ber Körper ſelbſt, zwifchen ihnen durchſchiüpften und in beit. Sonnenftrahlen ſpielten.

Sobald die Chineſen jedoch die N iniaturfortn in biefem ‚Genre verlafien, werben ihre Schöpfungen gezwungen, un⸗ natürlich und häßlich. In einem der großen und öffentlichen Theegärten von Schaug⸗hae, ver damals in eine frauzöſiſche Kaſerne verwandelt war, befindet ſich eine ſolche künſtliche Felopartie in größerm Maßſtabe, auf deren Conſtruction offenbar große Sorgfalt verwendet iſt, ohne jedoch einen audern Eindruck als den eines Steinbruchs zu. mathen. Es ag fein, daß das ſehlende Grim viel dazu beitrug, ba. ich im Winter dort war, allein immerbin biieb es ein.. wirrer Steinhaufen, dem man es anſah, wie wiel Zwang erſorder⸗ lich war, um ihm ſeine auffallendan und unſchobuen dornien gu geben. | Man kbann fich denken, deß in dem Lande des Beigellans dies Material auch vielfältig zur Zierbe der Wohnungen ge

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‚braucht wird, und in ber That findet: man nirgends fo viel Vaſen und Töpfe wie hier. . Die Blumen in ven Guͤrten werben nicht wie bei uns in Beeten, ſondern ſtets in Toͤpfen ‚gezogen, wodurch bie Pflanzen viel von ihren: Reize verlieren. Es fehlt wieder die Natur. Topfblumen im Zimmer erfreuen das Auge; im. Garten müſſen fie - meiner Anſicht nach ftei ‚blühen, wenn ſich ver Menſch an ihnen ergoötzen ſoll. Der Chineſe muß aber vor allem künſteln, er kann nichts ſo Taflen, wie Die Natur es gefchaffen, und dieſe Küufteleieu hleiben unmer mittelmäßig, weil nie Kunſt darin iſt. Der Kunftimn ‚geht ihm gänzlich ab, und darin unterſcheiden ſich die Aflaten ‚mit wenigen Anusnahmen von ver Faukafifchen Nafle. Der Chineſe fowol wie der Japaneſe überragen. pen Europäer an Zmitationsgabe, beine übertreffen ihn bei meltam au Fein⸗ heit und Genauigkeit. ver Arbeit, namentlich ver Dapımefe; ‚aber beiben iſt Runft fremd, und was fie aus eigener Nueft - ſchöpfen, ift entweder Garicatur -oper lleinlich und regelles. ‚Die Lebhaftigleit und Friſche Ihren Farben. iſt weitberühmt, ‚und feine Nation erreicht fie darin; ihren Genrhluen aber fehlt Licht, Schatten und Perſpeetipe. Ihre Plaftit beirpränft fih einzig auf Dafer und Töpfe von Porzellan und Bronge ‚in barocken formen; ſobald fie die Bildhauetei verfuchen, ſchaffen ſie Ungeheuer. Einen Yauftil: befigen fie nicht; ihre Muſit iſt ein laͤrmendes Getöfe von Trommeln und freiſchen⸗ den Inſtrumenten ohne Melodie und Harmonie. Ihr Theotar iſt ein Inftitut, von deſſen künſtleriſchem Werth ber Umſtand ‚hinläugfich Zeugniß gibt, daß Pie Schauſpieler einer Nıtfle angehören, die ähnlich ben indiſchen Parias Fein. Bürgerrecht befigt, und die feine andere Beichäftigung als noch bie eines Barbiers oder Laftträgers treiben barf.

Die Ehinefen haben eine beſondere Liebbaberei für Anti- quitäten, und bie Wohlhabenden befigen oft eine ganze Samm- lung echter oder nachgemachter, denn in biefem Inbuftriezweige

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in dem jich. Thürme von mehreren Stodiwerfen zur Aufnabıne von Soldaten befinden, währenn ähnliche Baftionen in Zwifchen- räumen von 150 200 Fuß die Gourtinen ‚ihrer ganzen - Länge nach flanfiren. Die. beräbmte Chinefliche Mauer, dies mächtige Bauwerk, das ſich vom Golf von Petſchili in un- unterbrochener Linie über 400 geographiſche Meilen weit "His zur weftlichen Tatarei erſtreckt, ift nach benfelden Brin- eipien conſtruirt. ‘Da ich jedoch fpäter darauf zurückommen werde, erwähne ich fie hier. nur beiläufig.

Die Kanton .umgebende Mauer ſchließt fowol bie alte als die neue Stadt ein, bie jedoch beide wieber durch eine zwelte. Mauer voneinander getrennt ‚werben. Der Flächenraum der Stadt.ift im Vergleich zu der Einwohnerzahl nicht beventend; ber ganze Umfang kann nicht. 1%, Meile überfteigen, wenigftens find wir mit mäßig fchnelfen Schritten in 2, Stunden um. bie ganze Stadt gewandert. Zwölf Thore, von denen einige fehr fonderbare Namen, wie Thor. ver ewigen. Reinheit oder . ber ewigen Gflüdfeligfeit, haben, führen von außen in bie Stadt, und vier andere vermitteln. Die. Communication zwiſchen ihren beiden Haupttheilen. Bei Nacht find ſämmtliche Thore geſchloſſen und nur mit ſpecieller Erlaubniß eines hohen Be⸗ amten zu paffiren, obwol ein paar Kupfermünzen in ben Augen der Wächter venfelben Werth Haben als jene Erlaub- niß. Bei unferer Anwelenbeit waren jedoch die Thore bon Englänvern.und Franzofen bejekt und während ver Nacht für jeden Chineſen ohne Ausnahme geſchloſſen.

Die Zahl der Straßen in Kanton iſt fehr groß, nicht geringer als 600,. pie, ohne beftimmten Plan angelegt, kreuz und quer durcheinander laufen, meiftens kurz, krumm und ihmuzig find. Die beiven. legten Prävicate gelten überhaupt von allen. chinefifchen Straßen, jelten trifft man fie breiter als 10 Fuß. In der Mitte find regelmäßig einen Fuß breite Flieſen der Länge nach gelegt, der übrige Theil jeborh unge⸗

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pflaſtert. Da es weder Goflen noch fonftige Abzugslanãle gibt, auch die jo eng zuſammen ftehenven und oben nach vorn überbauten Häuſer den Somnenftrahlen faft allen Zugang nerjchließen, ſo kam man fich venfen, daß bei dem Verkehr einer halb auf ven Straßen Lebenden Bevölkerung von über eine Million, bie felbft befanntlich nicht fehr für Neinlich- feit eingenommen ift, ein Gang buch Kanton wafler- dichte hohe Stiefeln beanfprucht, um ben überall herrſchenden Schmuz zu überwinden. Namentlich iſt die alte ober Tataren⸗ ftabt in biefer Beziehung das Nonplusultra aflatifcher Un⸗ reinlichteit, pie um fo greller in die Augen fällt, weil bie baufälligen ſchmuzigen Häuſer ebenfo abſtoßend erfcheinen, während in ber neuen Stadt doch wenigftens die Tauſende von chineſiſchen Läden mit ihren oft Toftbaren Stoffen und geſchmackvoll zur Schau geftellten BVerlaufsgegenftänden ben Blick fefieln.

Außer ven Straßen durchziehen noch eine Menge größerer und Heinerer Kanäle die Stadt, welche ven Transport ber ſchweren Güter vermitteln, da in Südchina Fein Fuhrwerk exiftirt und alles, was nicht won Menfchen getragen werben Kann, zu Waſſer fortgefchafft werden muß. |

Nirgends documentirt fich bie in China alle Verhältniffe bes focialen Lebens beherrſchende Gleichmäßigleit auffallenber als in der Bauart, Form und Größe der Gebäude. Auf bem Lande find bie Häufer faft ohne Ausnahme, in ven Städten ver bei weiten größte Theil einftödig, nie aber mehr als zweiſtöckig. Unſer europäiſches Bauen in die Höhe ift ben Chineſen jo unerflärlih, daß der Kaifer zu dem englifchen Gejandten Macartney äußerte, es könne doch wol nur bie geoße Beſchränkung des Landes Urfache fein, daß bie Euro⸗ päer ibre Wohnungen fo nahe an die Wollen thürmten.

Ein Bauftil nad unfern gewohnten Anfchanungen tritt an ven Hänfern nicht hervor; wenigften® haben wir nichts, mit Dem

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ſich die Banart vergleichen ließe. Der überallſich geltend muchende Grundgug:ift. bie Zeltform, bie ſich bei allen Gebänden im bee concaven Form des Daches, ber Zierlichleit der Pfeller, fowte in ber Leichtigkeit des Materials deutlich aueſpricht. Oefſentliche und Privatgebände, der Palaſt bes. Kaiſers und bie Hätten des huugeruden Kuli, bie Tempel und die Pavillons in den Gärten ber Wohlhabenden alles zeigt dieſen Charakter, ver, ohne Anſpruch auf Schönheit oder Regelmaͤßigkeit madgen: zu Können, dennoch durch feine Zierltchleit das. Auge angenehm berährt. Es ift nicht zu .verlemten, baß bis nommbifirenben Bolkerſchaften, welche zuerft in China fich. fefte Wohnfige: gränbeten, in biefen das gewohnte Zelt nachahmten, und went auch im Laufe ber Jahrtauſende das Innere fich allmählich veränderte, warb doch bie Äußere Form faft gar nicht medificirt. Sie tft jo alt wie bie Gefchichte des Reichs, durch bieltanſend⸗ jährige Meberlieferungen geheiligt, und eine Abweichung von ihr. erſcheint dem Chineſen eine Profanation. Der Grundplan ber chineſijchen Hänſer im allgemeinen zeigt eine merlwurdige Aehnlichkeit mit dem der maurifchen Gebäude. Cine Mauer ohne andere als Thüröffuungen ſchließt das Haus won. per Straße ab, wenn baffelte nicht ein Kaufladen ift, während alfe Tenfter nach dem Hofe münben. Durch den ‚Haupteingang gelangt man zunächit in bad größte Zimmer, das ſowol zum. Empfange von Gäften ald zum Speifen bient. An biefes ſchließen fich die übrigen Raäͤumlichleiten, bie von dem Haupt⸗ zimmer gewöhnlich durch Wände non oft Toftbarem Schnuitz⸗ wer! getrennt find, und deren Eingänge durch Portitren von Selde vder Baumwolle, je nach ver Lebenslage des Beſitzers, geſchloſſen werden.

Das Anfehen und die. Großartigkeit ber Wohnungen richtet fich nach dem größern oder Eleinern Flächenraum, den fie bedecken, fowie nach Größe und Zahl der Innern Höfe mi. der ſie umgebeuben Baulichkeiten, bie jedoch von außen

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nicht gejehen werben können, da die Mauer fis gegen bie Straße Hin abfchließt. Gewöhnlich bildet das Ganze ein Barallelogromm, und bie Dauer ftirkt bie Firfte eines Daches, beffen untere Fläche auf einer innern mit jener parallel laufenden Mauer ruht und eine Reihe von Wohnlichkeiten für bag Geſinde abgibt. Dan betritt das Innere einer chinefifchen Brivatwohnung durch eine ziemlih enge Pforte, bie fogar gewöhnlich in einer unfchembaren Seitenftraße mündet und durchaus nicht auf die Pracht des Innern fchließen läßt. Im ber Mitte der verſchiedenen Höfe erheben fich die eigentlichen Wohngebäude, zunächſt das oder vie für die männlichen In⸗ faffen beftimmten, ſodaun das für die Frauen, und binter biefem folgt gewöhnlich ein Garten mit Parlanfagen, Zeichen und Pavillons. Wo trgenpwie an ben Thüren, auf den Dächern oder Fenftern ſich bat Schnitzwerl anbringen laſſen, ift es gewiß gefchehen, und es fällt dieſes dem Fremen eben- fowol durch die Feinheit und Schönheit feiner Ausführung als durch die Bizarrerie des barin vorwaltenden Geſchmacks auf. Der Drake, das Sinnbilv alles Glücks und alles Guten in China, fehlt faft nie. In allen möglichen Größen unb aus dem verfohienenartigftien Material gefertigt, fchlingt er fich in den Verzierungen mit geöffnetem Rachen, um bie Dämonen zu verfchendhen, die in dem Gehirn ber aberglän- bifchen Bevölkerung ſpuken und anf jede Weife in das Hans zu dringen fuchen.. | Der fonderbare und von dem unfern gänzlich abiveichenbe Geſchmack der Ehinefen in Form und Einrichtung ihrer Um⸗ gebung änßert fich überall in ihren Wohnungen. Gerade und gleichmäßige Linien, wie fie unferm Auge behagen, ſcheinen fie möglichft zu vermeiden. Faſt alle Thüren in ber Wet, mögen fie zum Palaſte des Fürſten ober in bie Baumrinpen- hätte des Negers führen, find regelmäßige rechtwinfelige Oeff⸗ nungen, nur in China nicht. Wanbert man im Innern einer 10*

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chineſiſchen Wohnung umher, fo tritt man bald durch eine freisrunde, bald burch eine ovale oder elliptifche Thür, ober fie Hat die Form eines Blattes ober einer Vaſe, nie fieht man aber zwei gleiche. Daſſelbe gilt von ihrem Mobiliar. Tiſche, Stühle, Bänke, Sofas, Bettftellen alles ift ver- ſchieden und in ihren Formen herrſcht eine vollſtändige Con⸗ fuſion. Sie ſind nicht gleich hoch, nicht gleich breit, die Tiſche haben bald einen, bald drei, vier⸗ und ſechs Füße, bie Stühle haben theils Lehnen, theils nicht, Die Sitze find ent- weder Holz, Bambusgefleht, Marmor oder andere Stein- platten, bald rund, bald länglich, vier= oder fechsedig. Nur Eine Eigenfchaft Haben alle Möbel miteinanver gemein, fie find maſſiv, für die Ewigfeit berechnet und plump. Was uns mit ihnen ausfühnt, ift die koſtbare Schnigerei an ihren Lehnen und Füßen, und dieſem Vorzuge haben fie es zu danken, daß die erträglich facomnirten Stüde nad Europa ausgeführt und hochgefhäßt werden. Der Neichthum und die Pracht biefer Schnißereien tft oft wirklich wunderbar, und ich babe ein zum Verſenden fertiges Mobiliar geſehen, das ein in Hongkong anfäffiger Deutſcher nach feiner Heimat fchidte, beffengleichen man bei uns vergebens fuchen würde. Jeder ver Stühle Zoftete beinahe 100 Thaler und eine Bettſtelle 500 Thaler. Bedenkt man, daß Arbeitslohn nirgends. in der Welt fo niedrig ift wie in China, fo wird man ben Werth der Schnitereien ermeſſen können.

Die Ehinefen find die einzigen Afiaten, welche von Stühlen Gebraud machen, aber fie haben dafür vefto mehr, ihre Zimmer find damit volfftändig überladen, und ebenfo ift man in ihren Gärten nie um Site verlegen, die dann ge= wöhnlich ver Kühle und Leichtigkeit wegen aus Porzellan ges fertigt find und die Geftalt von hohlen Cylindern mit nach innen gebogenen Seitenflächen haben. Oft find es jeboch auch hölzerne Sefjel mit Steinplatten, die aber nicht behauen

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find, ſondern nur eine gerade Fläche haben. Diefe wird nach oben gelehrt und das Geftell ver Form des Steins angepaßt. Kühl fikt man auf folden Steinen, aber auf bie ‘Dauer würben wir felbft im heißen Klima ein weicheres Material vorziehen. Die Chineſen ſcheinen jedoch in dieſer Beziehung weniger, verwöhnt zu fein, ba fie auch einen fteten Gebrauch von Borzellantopftiffen machen. Diefelben mögen ebenfalls fühl fein, als eine wohlthuende Unterlage für ven Kopf habe ich fte jedoch nicht fchäßen gelernt. Bei einer Picknickpartie nach einem chinefifchen Slofter in ber Limgegend von Kanton befam ich infolge eines Fieberanfalles fo heftige Kopf. jchmerzen, daß ich gezwungen war, mich nieberzulegen. Ein gutmüthiger Mönd brachte mir eine Strohmatte als Unterbette und ein folches Porzellankopfliffen. Obſchon es mir bei der höhern Lage des Kopfes Erleichterung gewährte, begann nach zehn Minuten mein Hals fo zu ſchmerzen, daß ih das Kiffen wieder entfernen mußte.

Die Gärten repräfenticen ein ebenſo unregelmäßiges Ge⸗ wirr von Bizarrerien wie das Mobiliar, denn bie auch in Europa befannte und nachgeahmte Verzwergung ber Bäume, bie bier ganz allgemein ift, rechne ich ebenfalls dazu. Jeden⸗ falls kann ich nicht8 Schönes darin finden. Es ift feine Nach⸗ ahmung, fondern eine Berfrüppelung der Ratur, gerade fo wie bie fogenannten Heinen Füße der Frauen, die jebem- andern als dem chinefifchen Auge als Klumpfüße erfcheinen und Efel erregen. Den Zwergbäumen fiebt man es immer an, daß fie Krüppel find, und ſchon darum Tann ein gebilbeter Geſchmack fie nicht Schön finden.

Die Gärten enthalten auch manches wirklich Schöne. Die Ehinefen find große Liebhaber von Tünftlichen Felspartien, die man in allen Gärten und, wo dieſe fehlen, fait auf jedem Hofe einer anfrändigen Wohnung finde. Bisweilen gelingt ignen Hierbei die Nachahmung der Natur fehr gut, namentlich

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wenn fie fich babei in kleinen Dimenſionen halten, Sch. habe in Kanton einzelne folcher Anlagen geſehen, vie wirklich rei⸗ zend waren. Man Tonnte fich. bei ihrem Mnblide in eine ‚wiloromantifche Gegend verſetzt fühlen. Dort. ftüngte fich durch Die zadligen Klippen einer Felswand ein Gießbach her⸗ mieder, deſſen Waſſer eine verborgene Fontaine in pie Höhe twrieb; bier bekleideten feinblätterige Schlinggewüchſe mit einem dichten Teppich künſtliche Grotten, währen knorrige Zwerg⸗ eichen jenen Felsgrat zierten. Es lag etwas Bezauberndes in dieſer Umgebung, hie noch erhöhten Reiz durch einen großen dahiuterliegenden Teich erhielt, auf deſſen Spiegelfläche die kreisförmigen Blätter der heilig gehaltenen Lotoepflanze fſchwammen, deren gigantiſche, roth oder gelb gefledte Tulpen⸗ blüten träumeriſch ſich über das Waller neigten, während Tauſende ver prachtvollen chiueſiſchen Gold⸗ und Silberfifchchen, mit Floffen und Schwanz fo lang wie ber Körper ſelbſft, zwifchen ihnen durchſchlüpften und in den Sonnenſtrahlen fpielten.

Sobald die Chineſen jedoch die Miniaturform in dieſem Genre verlafſen, werben ihre Schöpfungen gezwungen, un⸗ natürlich und häßlich. In einem der großen und öffentlichen Theegärten von Schaugrhae, der damals in eine frauzöfiſche :Kaferne verwandelt war, befindet fich eine folche künſtliche Felspartie in größerm Maßſtabe, auf beren Conſtruction offenbar große Sorgfalt verwendet iſt, ohne jedoch einen andern Eindruck als den eines Steinbruchs zu. mathen. Es ag fein, daß pas fehlende Grün viel dazu beitrug, ba. ich im Winter dort war, allein immerbin biieb es ein wirder Steinhaufen, dem man es anſah, wie viel Zwang erforber- lich war, um ihm ſeine aufallenden und unſchobnen dornien gu geben.

Man. kaun fich denken, daß in dem Lande des Bergellans bie Material auch vielfältig zur Zierde der Wohnungen ge-

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‚braucht wird, und in ber That findet: man nirgends fo tel Vaſen und Töpfe wie Hier. . Die Blumen in ben Gaͤrten werben nicht wie bei uns in Beeten, ſondern ſtets in Toͤpfen ‚gezogen, wodurch bie Pflanzen viel von ihrem Reize verlieren. Es fehlt wieder die Natur. Topfblumen im Zimmer erfreuen das Auge; im Garten müſſen fie meiner Anſicht noch Tzei blühen, wenn ſich ver Menfch an ihnen ergäßen ;foll.. Der Chineſe muß aber vor alfem fünften, er kann nichts ſo laſſen, ‚wie die Natur es geſchaffen, und dieſe Künſteleien bleiben immer mittelmäßig, weil nie Kunſt darin iſt. Der Kunftfim ‚geht ihm gänzlich ab, und darin unterjcheiden ſirh bie Wilnten ‚mit wenigen Ansnahmen von ber kaulaſiſchen Rafle. Der Chinefe fowol wie der Japaneſe überragen. pen Euvropäur an Smitationsgabe, beine übertreffen ihn bei weitem au’ Fein⸗ heit und Genauigkeit. der Arbeit, namentlich ver Dapımele; ‚aber beiden iſt Runft fremd, und was fie aus eigener Ruaft - ſchöpfen, ift entweder Garicatur -oper. kleinlich und regellos. ‚Die Lebhaftigkeit und Friſche Ihrer Farben iſt weltberühmt, und feine Nation erreicht ſie darin; ‚ihren Gemälden aber fehlt Licht, Schatten und Perſpeetipe. Ihre Plafiik beſchränkt fih einzig auf Dafen und Töpfe von Porzellan und Dranje ‚in barocken Formen; fobald- fie die Bildhauetei verſuchen, ſchaffen ſie Ungeheuer. Einen Nauftil beßtzen fie wicht; ihre Muſtk iſt ein läͤrmendes Getäfe von Trommeln und freiſchen⸗ ‚ven Inftrumenten ohne Melodie und Harmonie. Ahr: Theäter iſt ein Inftitut, von define Tünftlerifchem Werth ber Uuſtand ‚hinläugfih Zeugniß gibt, daß die Schauſpieler einer Kuße angehören, die ähnlich ven indiſchen Parias Fein. Biwvgerdecht beſitzt, und die keine andere Beſchäftigung als noch die eines Barbiers oder Laftträgers treiben barf.

Die Ehinefen haben eine bejondere Liebhaberei für Anti⸗ quitäten, und die Wohlhabenden befigen oft eine ganze Samm- lung echter oder nachgemachter, denn in dieſem Induſtriezweige

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find die Söhne Han's Meifter. Am werthuolfften und ge- fuchtejten find die Vaſen, deren Material aus einer Zufammen- Ihmelzung von Toftbaren Metallen ftammt, die unter dem vierten Herrfcher der Ming⸗Dynaſtie, Hoonghy, infolge eines Palaftbrandes im Jahre 1440 ftattfand. Ein anderer Häuſerzierath find Laternen in allen Formen und Dimen- flonen von transparentem Papier, Glas oder Horn. Die Be handlung des letztern Materials muß eigenthämlich fein, ba ih Laternen fah, deren über 18 Zoll Durchmeffer Haltender Körper kugelförmig war und ohne Naht aus einem transpa= ventem Stüd Horn beftand. Diefe Laternen find gewöhnlich bemalt und zeigen in bunten Charakteren Namen und Titel ihres Beſitzers.

Im Sübden dienen entweder Bettftellen mit Bambusflecht- wert oder Matten als Schlafftätten; im Norden bagegen haben faft alle Zimmer eine breite gemauerte Bettſtelle, die von unten geheizt wirb und zugleich den Ofen vertritt, ben man fonft in China ebenfo wenig wie Kamine finde. Ein Kohlenbecken tft das ganze Präſervativ gegen die Kälte, bie oft fehr empfindlich auftritt und nur durch drei⸗ und vier⸗ fache Pelze oder wattirte Röcke erträglich wird.

Glasfenſter find felten, und man trifft fie überhaupt nur im den Plätzen, die direct mit Europäern in Verbindung ftehen. Sonft vertritt transparentes Papier, das in Korea und Japan fabrizirt wird, ihre Stelle, bisweilen jedoch in den Häufern ber Reihen Seivengaze mit fehr. hübſchen Gold⸗ und Silber⸗ Stickereien und Im Norden Heine dünngefchliffene Scheiben aus den Schalen ver falfchen Perlmuttermuſchel.

9.

Die Yamuns oder Gerichtshäuſer. Grauſamer Charakter ber Ehinefen. Die Lage ber Gefangenen. Die Strafe bes Halskragens. Die Tempel in Kanten. Die drei Religionen in China. Wberglaube ber, Ehinefen.

Bon ben Öffentlichen Gebäuden Kantons unb anderer hinefiiher Städte verdienen die Yamuns, vie Tempel und die Theater Erwähnung. Man mag hinkommen, wo man will, überall find ſie fich gleich, und überhaupt braucht man nur Eine größere Stadt gejehen zu haben, um alle zu kennen. Zwar weichen bie Menfchen in ben verfchiebenen Provinzen des weiten Reichs vielfach in Sprache und theilweiſe in Sitten und Gewohnheiten voneinander ab, ihre Wohnungen, Dörfer und Städte aber find alle aus Einem Guſſe.

Die Yamıms find bie Bureaur der Beamten oder Man⸗ barinen, der Befehlenden, wie fie anfänglich von den Bortu- giefen, fpäter von allen Europäern und jett auch ſchon von den Chinefen felbft genannt werben. In biefen Gebäuben, die zugleich Die Privatwohnungen ver Mandarinen einfchließen, lanfen pie geheimnißvollen Fäden des Netzes zuſammen, bas ber Kaiſer über ein Voll von 360 Millionen Seelen gezogen, und an denen er feine „„Kinber” mit Hälfe „‚väterlicher Ermaß- nungen“, wie in China die verſchiedenen Geſetzesſtrafen, ſeien

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es auch Folter, Hungertod oder fonftige Graufamfeiten, ge⸗ nannt werben, leitete, bis einige Millionen die in das Fleifch Ichneidenden Mafchen zerriffen und ihn im Verein mit ben. „rothhaarigen Barbaren” zwangen, vom „heiligen Stuhl bes Drachen” berabzufteigen und fich zur Rettung feines „bimmlifchen Lebens in feine Erblande, die Tatarei, zu flüchten. Die Yamuns zeichnen fich vor andern chinefifchen Woh⸗ nungen nur burch ihren Umfang und dadurch aus, daß ihre nach der Straße blickende Fronte einen großen und zwei kleinere Thorwege befitt, durch die man fie betritt, und daß in dem Haupthauſe das Beamtenperfonal des Mandarinen logixt, während ber letztere felbft mit feiner Familie in dem Gebäube des Hinterften Hofes wohnt, Gewöhnlich halten, in Waffer- ‚farben auf dem CEiugaugstbore. gemalt, zwei riefige. Tataren⸗ krieger mit gezüdten Schwertern und zolllangen Zähnen Wache, und man erſchrickt unwillkürlich, wenn man bie unge⸗ qᷣchlachten Leiber dieſer Wächter mit ihren grimmigen Ge⸗ ‚fichtern plötzlich ſich zur. Seite ſieht. Für das Bol find :diefe Schreckbilder jedoch kaum nöthig. Die Yamuns mi ihren Berhoͤrzimmern, Gefängniſſen, Bambushieben und Marterwerkzeugen find für ben Chineſen ohnehin. fen :Schreden genng. Wenn er es mader kann, weicht er ihnen schon von weitem aus, und wenn auch nicht über ben Thoren gefchrieben fteht: Lasciate ogni speranza! fo wiſſen Tauſende von Unſchuldigen, daß niemand ımgeftraft Binauskonnmt, der einmal :alß verbächtig vor das Forum bes dann Zribunale gezogen wurbe, :. On einem anbern Damm, von ben Franzoefen Pagode aux zupplides genannt, ſind zur heilſamen Furchterweckung bei den lieben „Kindern“ des „Sohnes der Soime‘ alle ‚väterlichen Ermahnungen bildlich nud ſehr naturgebsen zu beiden Seiten des. erften Hofes unter den Colonnaden Darge- ſtellt. Es ift kaum glaublich, welche Varietäten non. vaffl-

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nirten Grauſamkeiten Hier zu finden find, und wenn. wich ‚einige. humane Chineſenfreunde in Abrede ftellen wollen, baß ſolche Strafen wirklich erütiren, und fie diefe Darſtellungen ‚auf die buddhiſtiſche Hölle beziehen, fo bin ich doch nach allem, "was ich erfahren, jehr geneigt, Tas Gegentbeil zu glauben.

Tüpkloftigleit bei Leiden anderer Menſchen bilvet einen Grundzug im chineſiſchen Ehnralter, und damit ift ausge ſuchte Grauſamkeit ſehr verwandt. Wenn auch vielleicht Ber⸗ brecher nicht mehr auseinander geſägt over gefocht werden, fo ift es ebenſo gewiß, daß man Falſchmünzern die Augen⸗ über abſchneidet ober fie in einem Käfig verhungern läßt, und das ift wahrlich nicht viel beſſer. Man braucht nur ein chineſiſches Gefängniß zu bejuchen und die unglädlichen Ge⸗ ichbpfe anzufehen, die zu Hunderten in einem dunklen Loche “don kaum 200 Duabratfuß Fläche auf bloßen Verdacht Hin -Angefperrt. find und fünf, feche Monate ihres Urtheils⸗ Äpruche harren müfſen, um, zu willen, daß das Wort Huma⸗ nität im Wörterbuche des chinefifchen Geſetzes oder vielmehr im dem feiner Ausleger nicht enthalten ift.

Ich ſah in einem Gefängnißlokale auch ben berühmten Cangue over Halskragen in Anwendung gebracht, ber eine Hewößnliche Strafe für Heine Diebftähle if. Wenn bei ber guten Einrichtung umnferer Gefüngnifſe Verbrecher einzig darum rückfällig werben, um wieber hineinzukommen, nachdem fie freigelafſen waren, weil ſie ein warmes Zimmer, Kleidung mb Nahrung finden, fo. ift das nicht zu versundern. Wenn jedoch in China ein Dieb, ver ſechs bis acht Monate ven Halskragen gefchleppt, zum ziveiten male. ftiehlt, r ift dies wenigftens nicht Schulid der Strafe.

Daso Juſtrument beſteht aus einem zwei bie betigolligen Bretergerüſt von 214-3 Buß im Geviert, in deſſen Mitte fich ein Boch‘ gerade groß gemmg für ben Hals des Delinqtzen⸗ ‚ten "befindet. Diefer Kragen von minbeftens. 25 Pfund. Ge⸗

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wicht wirb ihm umgelegt, und er muß ihn ununterbrochen Zag und Nacht, je nach der Größe feines Vergehens, fechs bis acht Monate, ja ein Jahr lang ſchleppen. Man fagt, ber Menfch gewöhne fih an alles, aber die Unglüdlichen, welche ich mit dem Kragen fah, hatten fich in ſechs Monaten nicht daran gewöhnen können, und ich werde ſobald nicht ihre von Schmerz und Schlaflofigkeit abgezehrten Gefichter ver- geffen. Ste können nur fchlafen, wenn fie ſich auf ben etwa einen Fuß hohen Pritfchen ausftredten, ven Holzrahmen perpen- bifulär ftellen und dann mit dem Halfe in dem Ausfchnitte ruhen. Da legterer jedoch etwa einen halben Fuß höher als die Pritfche fteht und Hals und Naden von feinen fcharfen Kanten beftändig wund gefchenert find, fo kann man fich benfen, wie bie Nachtruhe der gequälten Gefchöpfe fein muß. Ueberdies find die alfo Beftraften nach ihrer Sreilaffung durch einen breiten Narbenring um ven Hals fir immer als Diebe Tenntlich, felbft wenn ihnen ber abgefchnittene Zopf im Laufe der Jahre wieder wachen follte.

In den Gefängniffen, zu denen uns ein franzöfifcher Poli- zeioffizier bereitwilligft Zutritt geftattete, fah ich auch zum erften male gefeljelte Frauen, die größere Verbrechen begangen hatten, unter andern eine Schweiter, die ihren Bruder ge- morbet. Einige hundert Weiber, Mütter und Schweftern von Rebellen waren gleichfalls eingeferfert, doch hatten fie Freiheit, in den Höfen umherzugehen. Die Mutter bes Nebellenhäupt- lings ober „jüngern Bruders Chriſti“, wie er fich nennt, Zai-Bing- Wang, befand fich fehon feit zehn Jahren Hier und erzähfte uns in Jammertönen ihre erlittenen Leiden. Die un⸗ glüdliche Greiſin war fogar gefefjelt, und es ift ein Wunder, wie ein fo gebrechliches fiebzigjähriges Mütterchen ſolche Qualen überleben kann. Die chinefifchen Behörden haben geglaubt, daß die im’ Bolfe fo tief eingewurzelte finbliche Liebe Tai⸗ Ping- Wang veranlafien werde, zur Befreiung jener Mutter

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von der Leitung der Rebellion abzuftehen, haben dadurch abe nur ihre geringe Menfchentenntnig bewieſen. Ein Dann, deſſen Ehrgeiz nach einem Kaiferthrone ftrebt, läßt fich nicht durch Familienbande zurüdhalten.

Die gefangenen Rebellen, welche ich hier ſah, machten keinen günſtigen Eindruck auf mich. Jedoch, glaube ich, waren es weniger die männlichen, puritaniſch ſtrengen und tapfern Krieger, von denen die Rebellion ausgegangen, und die kürzlich den Zatarengenerat Sankolinſin gefchlagen und bie Tatjerliche Armee faft aufgerieben Hatten, als bie ein jedes Heer um- ſchwärmenden Maroveure, alfo im Grunde Mörder und Diebe, welche als Rebellen bezeichnet wurden, weil fie ftatt bed Zopfes ungefhorenes Hauptbaar trugen. Die Anhänger Tai» Ping- Wang's tragen nämlich ftatt des tatarifchen Zopfes bie alte chineſiſche Haartracht. Die Gefangenen waren fänmtlich ge fefjelt; die meiften fchleppten an einer um ven Hals befeftigten Kette einen Stein, gingen aber fonft frei in ben Höfen umber. Die ihnen von Staats wegen verabreichte Nahrung be- fteht in ‚einem halben Pfunve Reis täglich. Außerdem erhalten fie 30 Caſh oder zehn Pfennige, um ihre fonftigen Be⸗ bürfniffe, zu denen auch die Kleidung gehört, zu beftreiten, jepoch ift es ihren Angehörigen freigeftellt, fie mit Nahrung und Kleidung zu verfeben.

Sch befuchte mehrere der größten Yamuns. Der eine war der Palaft des Zatarengenerals, ibm aber. feit einiger“ Zeit von den Franzoſen ‚‚abgeborgt”, wie ver belichte Ausdruck hieß, und in das Generalcommiffariat des franzöflichen Expe- bitiondcorps verwandelt. Dieſer Yamun ift noch injofern merkwürdig, al8 der berühmte Yeh, der vor fünf Jahren ven Englänvern fo viel Sorge machte, darin gefangen genommen wurde.

Yeh war jedenfalls ein Mann von Energie, namentlich den Rebellen gegenüber, und wenigſtens trägt er an ber Ver-

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breitung ber Rebelllon nit Schuld. Er ließ in drei Ichren: nicht: weniger ale 70,000 Rebellen allen in Kanton bi richten. Die Zahl der- Tempel in Kanton ſowie überhanpt in China iſt ſehr groß, und jebenfalls wirb änßerer Cultus ge⸗ nügend zur Schau getragen. Was ich von den Hänfern ger’ jagt, gilt auch von den Tempeln; fie find fich überall gleich, fammtlich einftöckig, und unterfcheiden fich nur vurch den von. ' ihnen bebedten Flächenraum und reichere oder geringere Ausstattung. Kanton zählt deren 124. Einer der älteſten ift ber Kwangheaitſe ober ber „Tempel bes Ruhms und der Kindespflichten“. Derfelbe wurde unter Sankow im Sahre 250 v. Chr. gebant, gehört zu den größten und reichiten von ganz China und zeichnet fi durch Die Mafje der in feinen Hallen aufgepflanzten Götzenbilder aus. Ein zweiter berühmter Tempel, ber faft won allen Fremden befucht wird, ift der von Honan. Honan ft, wie Ich beveits weiter oben bemerkte, eine vom Tſchnkiang und einem Kanale gebilvete Infel, die Kanton ges genäberfiegt, und auf ver feit dem Brande der Factoreien bie fremden Kaufleute wohnen. Die Gebäude und Gärten biefes Tempels, bie non einer Maner eingefchloffen find, umfaſſen einen Raum von 10— 13 Morgen. Urfprünglich em Privat⸗ garten, baute ein frommer BPriefter 1400 n. Chr. hier einen bem Buddha geweihten Tempel, den er den Tempel „ver 10000 Herbfte” namnte. Bis zum Sabre 1650 blieb er inbeffen ein obſeurer Platz, weicher feine jebige Berühmtheit erft durch biej Frommigleit eines Priefters mit Namen Ahtſe erlangte, der zugleich ein Wunder verrichtet. Die Provinz Kanton wiberftand befanntlih am längften ver Tatarenherrfchaft, und gegen das Ende des 17. Jahrhunderts ſchickte der Kaiſer feinen Sohn, um ben widerfpenftigen Süden gänzlich zu ums: terjochen. Diefer nahm fein Hauptquartier in dem QTemmpel von Honan und traf Vorbereitungen, um dreizehn auf ver

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gIuſel liggende Dörfer wegen ihres verzweifelten Widerſtandes nach. den Befehleu feines Vaters von Grund aus zu zerſtoͤren. Zufällig traf fein Auge auf Ahtſe, der jehe wohlbeleibt war. Bingnan, fo hieß der Ratferfohn, nannte ihn einen Heuchler, weil er bei der vorgeichriebenen buddhiſtiſchen Prieſterſpeiſe, bie nur aus Vegetabilien beſteht, unmöglich fo fett werben Kiıme, und zog fein Schwert, um. Ihn böchfteigenhändig zu’ beſtrafen. Plotzlich jedoch wurbe fein Arm fteif, nnd da ihm uch noch in der Nacht eine göttliche Perſon mit bem Be⸗ fehle erſchien, das Leben bes heiligen Ahtſe zu fchonen, fe gelobte er am andern Morgen dem Briefter ewigen Gehorſam, worauf augenblidlich die Lähmung des Arms aufhörte Durch bie Vermittelung Ahtſe's wurden nun auch Die preizehn Dörfer von ihrem Untergange gerettet, and die dankbaren Einwohner überichütteten ihren Wohlthäter mit fo viel Ländereien, Gelb nnd andern Gaben, baß der Tempel, zu dem Pingnan noch eine prachtvolle Halle „ver himmlischen Könige‘ erbaute, der veichfte in Kanton wurde und bis anf den bentigen Tag ges blieben ift. Ä

Dur das äußere Thor gelangt man auf einen großen mit Topfhlumen, namentlich mit dem heiligen Lotos und bem ia China fo beltebten Hahnenkamm, gezterten Vorhof und durch biefen zu einem zweiten Thore, über deſſen Eingang mit goldenen Charalteren der Name bes Tempels, Haretſchwang, geſchrie⸗ ben fteht. Diefes Thor wird durch die Toloffafen Holzſtatuen zwoler kriegeriſcher Halbgbtter beſchützt, wie im Aeußern viel Aehnlichkeit mit ven bei den Yamuns erwähnten Schildwachen haben. Durch einen dritten Hof gelangt man zum „Palaſt ber vier himmliſchen Könige”, Wilder alter Herven. Bor bier führt ein Breiter gepflajterter Weg zu dem eigentlichen Tempel, und man befindet fich jebt-in ber geheiligten Gegen- wart des „drei Toftbaren Buddhas“, des vergangenen, gegen« wärtigen und zukünftigen, ftattlicher Holzfiguren in veiche

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Seide gefleivet und mit braun angemalten Gefichtern. “Die Halle, in ber fie. aufgeftellt find, iſt fehr geräumig, cieca 100 Fuß im Gevierte, und enthält außerdem eine Menge Altöre, Gögenbilder u. ſ. w. Oben von der Dede hängen unzählige bemalte, mit Seidenbändern, Papierjchnigelchen und Troddeln verzierte Laternen herab. Ein mächtiger Gong von 3 Fuß Durchmeſſer ift beftimmt, mit feinem meilenweit ſchallenden Tone bie Priefter und Frommen zum Gebet zu rufen, und bie Säulen und Wände find mit Sinnſprüchen buddhiſtiſcher Weiſen in goldenen YBuchftaben auf großen fchwarzladirten Tafeln oder langen rothen Papierftreifen gefhmüdt. Auf ven Altären parabiren Hunderte von Götzenbildern in Miniatur, meiftens aus Speditein gefchnitten und zum Verkaufe beitimmt, und ein beftändiger Dampf ber zu Ehren ver Götter verbrannten Näucherftäbe erfüllt wie eine Wolle den Tempel. Diefe Stäbchen werden aus Sanbelholzpulver gemacht, und ihr Ver⸗ brauch tft in China unglaublich groß. Täglich werden Milli- onen davon verbrannt, nicht allein in den Tempeln, fondern vor allen Dausaltären, die keinem chinefifgen Haufe und feinem Boote fehlen, und bei jever Feftlichkeit, fie mag Namen ober Zwed haben, welchen fie will. Der Rauch foll wohl- riechend und den Göttern angenehm fein, Europäer vermögen ihn jedoch in gefchloffenen Zimmern nicht zu ertragen. |

An beiden Seiten biefer großen Halle laufen Reigen von Gemächern entlang. An der Linken Seite befindet ſich unter ihnen eine Druderei, aus der bie Briefe an die verſchiedenen Götter des Himmels und ber Unterwelt hervorgehen, aus beren Verkauf die Priefter bedeutende Sporteln ziehen. Die übrigen Räume find Zellen für bie Priefter oder Ställe für Schweine, Hühner und anderes Vieh, das fromme Gläubige den Infaffen des Tempels als Opfer bringen. Rechts findet fich zunächſt ein Pavillon für einen militärifchen Halbgott Kwang-furtfe, ſodann eine Empfangshalle für Gäſte, eine

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Schatzlammer, ein Woftelgkigrieikier fin Te⸗thiang⸗Wang, ven vielgefürchteten Konig der Niterwelt, ferner bie Wohnutig ve Oberprieſters, ein Speiſezuuimer und bie Küche.

Hinter dem Temwpel folgt ein großer Garten mit ber ge⸗ wöhnlichen chinefifchen Ausſtattung von künſtlichen Zeffen, Zwergbäumen, Goldfiſchteichen mit Lotosblumen und darüber fügrenden Brüden, vie aber nicht, wie bet audern veruänf- tigen Menſchen, in geraber Linie hinüßergeführt, fondern in rechtwinkeligem kurzen Zickzack erbaut find, wodurch die Vaſſage nieht allein unbequem, ſondern and fünf⸗ bis ſechsmal fo lang wird.

Am Ende des Gartens befindet ſich ein Mauſoleum, in dem die Aſche ver geſtorbenen und verbrantiten Prieſter ein⸗ mal jährlich ‚feierlich beigefetzt wird, und neben ihm der Ofen, in dem die Leichen verbrannt, ſowie eine kleine Niſche, in der die Gefäße mit der Aſche bis zu ihrer Beiſetzung im Mau⸗ ſoleum aufbewahrt werden. Gegenwärtig zählt ber Tempel 100 Prieſter, die theilweiſe ihren Unterhalt aus ven Fonds bei Tempelgüter, theils durch den Verkauf von Räucherſtäben, Briefen an die Götter u. ſ. w. beziehen und ein ſorgenloſes bequemes Leben führen. Meijtens find es Menſchen one Erziehung, und fehr wenige können Anſpruch auf Bildung machett.

Unter den übrigen Tempeln Kantons verbient noch der bereits erwähnte ver fünf Genten Beachtung, als ver ältefte ber Stabt, fobann ver Tempel der fünfhundert Götter, in dem dieſe ſaͤmmtlich in Lebensgröße, aus Holz gehauen, auf- geſtellt find, und enblich der mohammebamiiche Tempel, neben dem fich ein 160 Fuß hohes ſchlankes Minaret erhebt. Derſelbe wurde unter der Tang⸗Dynaſtie 715 n. Chr. von „Trefti- den” erbaut, und das Minaret heißt bei ten Chineſen wegen ver fehlenben Galerien die ungeſchinückke Pagode. Lnter ver Ming- Dynaſtie 1468 wurde die Pagode umgebaut, und

Berner. I. 11

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Ab⸗tu⸗lah (Abdullah), ein chineflfcher Beamter nebft 17 Fa⸗ milien, wahrfcheinlich fämmtlich Mohammedaner, wohnten in feiner Nähe. Augenblidlich beläuft fich bie Zahl feiner Nach⸗ fommenjchaft auf 3500, die von den Chineſen als Leute bes zeichnet werben „die weder Götzen in ihren Tempeln haben noch Schweinefleifch eſſen“. Das fcheint aber pas einzige Veberbleibfel ihres mohammedanifchen Cultus zu fein. Sie unterfcheiden fich weder in Sitten noch Sprache noch Klei⸗ bung von den Ehinejen, tragen wie diefe den Zopf und haben außerdem. jo viel buddhiſtiſche Ceremonien und abergläubifche- Riten aufgenommten, daß ſie vor den Chineſen kaum etwas voraus haben.

In China herrſcht vollftänbige Religionsfreiheit, d. h. es ift die Ausübung eines jeden Cultus und Proſelytenmacherei mit ſeltener Toleranz geſtattet, aber nur ſo lange, als beides ſich von. Einmiſchung in die Staatsverhältniſſe freihält und nicht an den herrſchenden ſocialen Verhältniſſen rüttelt. Die im 16. und 17. Jahrhundert durch ganz China zerſtreuten Jeſuitenmiſſionen wußten ſehr wohl dieſe Grenzen innezu⸗ halten und bekehrten nicht nur Hunderttauſende zum Chriften- thume, fondern wurden von den SHerrjchern wegen ihrer hervorragenden Kenntniffe mit hoben Ehrenjtellen und Ge halten belohnt. Ihre zelotifchen und ebrgeizigen Nachfolger verbarben alles, indem fie mit, Hülfe ihrer Convertiten in das Staatsleben eingreifen, mit ihren geiftlichen Waffen das ganze Reich für Rom erobern und es mit weltlichen beherr- chen wollten. Die Folge war ihre Vertreibung und bie Aus- rottung des Chriftenthums, das troß aller Miffionsberichte jet fo wenig Profelyten in China zählt wie kaum ‚irgenbein anderer nicht chriftlicher Staat.

Es exiſtiren in China drei Hauptſekten in friedlicher Ein⸗ tracht nebeneinander: die Confucianer, die Buddhiſten und die Taoiſten. Davon iſt der Cultus des Confucius die Staats⸗

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religion, weil anf ihren Principien bie ganze chinefifche Re⸗ gierungsform beruht. Diefe drei Weligionen beftehen nun. ſchon feit Tauſenden von Iahren, nie aber ward bie chinefi- ſche Geſchichte durch ſolche Sreuelthaten befledt, wie fie bie europäifchen Religionskriege zur Folge hatten. Dieſer ewige Frieden bat die drei Sekten einander fo genähert, baß, wie verſchieden auch ihre Principien anfangs waren, ihre äußern Formen faft übereinftimmen und mancher Chinefe in Verlegen⸗ heit fommen würde, wenn man ihn darauf fragen wollte, zu welchem Cultus er fich ſpeciell befenne. |

Es ift in wiflenfchaftlichen Werken über biefe drei Religio⸗ nen jo Vieles und Gründliches gefchrieben, daß ich mich einer nähern Erörterung füglich enthalten kann; nur einige wenige allgemeine Bemerkungen will ich über vie drei Religionen und ihre Belenner bier machen.

Confucius war weniger Religionslehrer als Philofopb und Bolitifer.” Alle feine Lehren und Marimen beziehen fich fchließlich auf den Staat. Sein Streben war bie Schaffung, einer Regierungsform, die ebenjo einfach als natürlich und darum bauernd fein ſollte. Er glaubte in der Familie und in ihren natürlichen Beziehungen das Vorbild eines folchen Staats zu erbliden, und ſtellte daher Abbängigfeit und Sub⸗ ordination, wie fie nach der Natur das Kind dem Bater ſchuldet, als die Grundprincipien feines Shftems auf. Un⸗ abhängigfeit und Gleichheit, abjtracte und in der Natur nicht vorhandene Begriffe, eriftiren auch für feine Staatskunft nicht: biefe kennt nur Gehorſam der Kinder gegen die Aeltern, ber- Süngern gegen bie eltern. Der Raifer ift der Sohn des Himmels und diefem allein Gehorfam und Ehrfurcht ſchuldig, aber er tft Vater des Volles, und wie der Bater einer Fami⸗ lie unumfchränfte Macht über dieſe ausübt, fo tft der Kaifer unumfchräntter Herr des Volle. Diefe Gefühle und Ideen werben ber Seele bes. Kindes von frühelter Jugend an ein

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geimpft, fie find die Grundlage feiner moralifchen Erziehung, ihre Entwickelung und Anwendung bildet das Studium des. Zünglings. und ihre ſtricte Ausuübung iſt Das erfte Erforder⸗ niß des Beamten oder Staatsmanns. Dem Einfluffe dieſer Brincipten auf den. Geift und die Gefühle des Volks ift es aller Wahrjcheinlichfeit nach zuzufchreiben, daß in China bie größte. Bevöllerung der: Welt unter einem einzigen Herrſcher zufammengehaften wird. Jedenfalls kann fich Fein Philofopk rühmen, einen fo großen Theil ber menjchlichen Raſſe feit faft 2500 Jahren beeinflußt zu haben, und ebenfo wenig hat jemand die ungefchmälerte Verehrung fo vieler Millionen er-

worben wie Confucius.

Die von ihm hinterlaffenen Schriften und: Bücher Bilden:

pie Grundlage einer jeden Erziehung, und eine vollftänbige und genaue Kenntniß derſelben fowie ihrer Commentare ift- unerlaßliche Bedingung für jeben- Bewerber um einen böbern Grad der wiffeniehaftlichen oder Beamtencarritre. . " Im jeder Stadt, bis zu den Ortfchaften dritten Ranges, befinvet ſich mindeſtens Em dem Confucius geweihter Tempel, deffen.-Priefter die Staatsbeamten find. Der Hohepriefter ver Staatsreligion ift der Sailer, die vornehmjten Gottheiten find Himmel und Erde. Erſterer ift ein höchſtes Weſen, welches das Univerfum erhält-und moralifch ftraft. und belohnt. Im biefer Beziehung wird der Kaiſer „Sohn des Himmels” genannt.

Wenn der Kaifer dem Himmel-feine Anbetung darbringt, trägt er eine azurblaue, wenn ber Erbe, eine gelbe, wenn ver Sonne, eine rothe und wenn dem Monde, eine weiße Robe, während die daran theilnehmenden Beamten in Hoffleivung erfefeinen. Der Altar des Himmels ift rund, der -ver Erbe vieredig, was auf ihre Geftalt Bezug haben foll. Bei dem geoßen Opferfefte der Natur werben weder Briefter noch Frauen zugelaffen; nur wenn ver Göttin des Seidenbaues

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Berehrung dargebracht wird, präſidirt bie Kaiſerin und, nimmt eine Zahl ihrer Hofdamen theil. Das Feſt bes Himmels findet im Winterfolftitiem ; das ver Erbe zur Sommerſonu⸗ nenwende flatt, aud für die übrigen find ebenfalls fefte Zeit- puntte gewählte. Bei Mangel an ber erforberlichen Vorbe⸗ veitung oder den Opfern ſelbft werden den betreffenden Beam: ten Gehaftsfärzungen oder Bambushiebe als Strafe erkunt. Leiztere Taffen Ach jedoch Durch Geld ablaufen. Der Dann aus dem Volle dagegen erhält ohne Gnade 80 Bambuehiebe uf die innern Flächen der Schenkel.

Der Buddhismus wurde im Jahre 65 v. Chr. in Shina eingefährt und hat fich feitbem über das ganze Reich verbrei- tet. Er ift imfofern dem indiſchen vorzuziehen, als er ſich frei von allem Fanatismus hält und nie zu der religiäfen Schwärmerei wie in Judien ausartet. Dies liegt jedoch hauptfächlich in Dem praftiichen Charalter der Chineſen, ver fih an das Reale hält und eine Geiſtesthätigkeit allein auf die Erlangung materieller Genüſſe concentrirt. Weberhaupt Gaben die drei chinefifchen Sekten durchaus nichts Fiuſteres, Bigotes und Fanatifches an fich; alles tft heiter, ruhig und friedlich. Das ift mit ein Hauptgrund, weshalb zefotlfche Mifftonen mit ihren Drohungen ewiger Berdammmiß und rem Dogma ber Erbſünde feine Erfolge exzielen. Der Cultus des Confuchus lehrt gerade das Gegentheil; nach ihm ift der Menſch nicht fündig gebsren, ſondern trägt ven Keim alles Edlen und Guten in ſich.

Die buddhiftiſchen Priefter find im allgemeinen unwiſſend, faul und ſchmuzig; vom Volle werden ſie verachtet. Sie führen ein Leben ohne irgendwelche Zweckthaͤtigkeit. Nach den Anfchauungen ihrer Religion iſt es bie Aufgabe des Menſchon, alle. Leidenſchaften, ſelbſt die Gedanken. zu unter- weücden nud von feinen menfchliiken Wunſchen verſucht zu werden. Die Folge eines ſolchen Strebens Tan nur Ver⸗

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nichtung aller Seelenthätigfeit fein, und in ber That machen bie meiften dieſer Priefter den Eindruck ftumpffinniger Men- fen, wozu der gefchorene Kopf noch beiträgt.

Auch buddhiſtiſche Nonnenklöfter gibt es in China. Ich habe zwar keins verfelben befucht, aber einige ihrer Infaffen gefehen, die mir eine hohe Meinung vou biefen geijtlichen Genofjenfchaften einflößten. Sie haben wie bie Priefter das Haupt gefchoren und tragen ein ben katholiſchen Nonnen ähn⸗ liches grobes Gewand, legen auch wie biefe das Gelübbe der Reufchheit ab, ftehen aber in diefer Beziehung in fehr fchlech- tem Ruf.

Der Buddhismus Tann, felbft wenn er nicht im Verfall begriffen wäre, in China nie Staatsreligion werden und immer nur tolerirt bleiben, weil viele ſeiner Lehren mit den politi⸗ ſchen Inſtitutionen des Landes in geradem Gegenſatze ſtehen. Ein beſchauliches und von allen Sorgen befreites Leben zu führen, wie e8 Buddha als Weg zur ewigen Seligfeit vor- fchrieb, und das feine Anhänger zur Trägheit verführte, Tann in China nie maßgebend werben, wo der Kaifer felbjt einmal jährlich den Pflug führt, und wo nur die angejftrengtefte Ar⸗ beit die Maſſe des Volks vor dem Hungertode bewahrt. Ebenſo wenig konnte der Cölibat dort Anflang finden, two feit undenklichen Zeiten Fortpflanzung und möglichfte Vermehrung bes menjchlichen Gejchlechts durch frühe Heirathen das Haupt- augenmer der Regierung wär. Diefe trug daher von jeher Sorge, daß die Buddhaprieſter Teinen Einfluß auf Das ge- meine Volk erhielten, während bie gebildeten Chineſen viel zu rationell find, um fih von den Fabeln dieſer unwiſſenden ſchmuzigen Raſſe beherrſchen zu laſſen oder ihre Hunderte von Götzen für Götter zu halten.

Uebrigens iſt der Buddhismus, wie bereits bemerkt, in China über ſeine Blütezeit lange hinaus, ſeine Klöſter und Pagoden zerfallen, und je mehr das Land den Europäern

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geöffnet wird, deſto mehr werben fich bie Anfchauungen bes Bolls ändern. Es ift nicht zu bezweifeln, daß bie Nebellen die gegenwärtige Dynaſtie entweder verdrängen ober, wie bie nenefte Zeit zu beftätigen feheint, fie zwingen werben, eine gänzlich veränderte Politif zu nehmen. Es kann dann nicht ausbleiben, daß damit auch die morfchen religiöfen Zuſtände des Landes zufammenbrechen mäffen und eine neue Religion ihren Einzug balten wird. Einige hriftliche Sanguinifer fehen ‚bereits in Tai⸗Ping⸗Wang, dem „jüngern Bruder Chriſti“, wie er fich nennt, den Bekehrer von 300 Millionen Men- ‚schen zum Chriſtenthume. Nach dem, was ich von den Nebellen gejeben und erfahren, Tonnte ich Teine beveutende Meinung von ihnen gewinnen, aber jedenfalls tft die Neligion des Re⸗ ‚beilenführers und feiner Anhänger beſſer ald irgendeine ber gegenwärtigen in China, weil moralifcher und geeignet, einen ‚Mebergang vom Heidenthum zum Chriftentbum zu bilden.

Die Taoiften over Rationaliften, nach ber Wurzel Tao, Bernumnft, befigen bie wenigſten Tempel und Anhänger. ‘Der ‚Stifter dieſer Religion Iebte ungefähr gleichzeitig mit Confucius, 560 v. Chr. Ihre Lehre, deren Kern eine Berachtung alles Reichthums und weltlicher Ehren tft, entbehrt trotz ihres Na⸗ ‚mens aller Vernunft und ihre Priefter befchäftigen fich haupt⸗ Jahlih mit Teufelsaustreibung und als Duadfalber, werben jedoch nur von den unwifſendſten und abergläubifchften Chi⸗ neſen zu Rathe gezogen. Wenn nämlich in einem ſolchen Falle Arzueien nicht mehr anfchlagen wollen, fo haben fich nach chinefiichen Anſchauungen böſe Geiſter des Kranken be- mädtigt, die fih von ihm nähren, und es wird ein Taoprie⸗ fter gerufen, um fie zu bannen. Dieſer läßt mit Songs und andern Inftenmenten einen fuwrchtbaren Lärm machen, der noch durch das Abbrennen von Tauſfenden Heiner Knallſchwär⸗ mer vermehrt wird, und glaubt dadurch / den böfen Geiſt zu erſchrecken und zu verjagen. Zugleich werden im ganzen

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Haue Lecerbiſſen anfgeftellt, um den Appetit der Dämanen :am migen, und ber egoxdfirenbe Taotſe murmelt. währeub ker „Zeit. Mehete aber Phraſen in einer ihm ſelbſt wiverſtaͤndlichen Eprache, beſchreibt miſtiſche Figuren und eutwickelt überhaupt Me jene. Trugmittel, wit denen liftige Pfaffen und Betrüger von jeher: Ihre unwiſſenden Mitmenſchen geblenbet haben.

Aherglaube if -üherhaupt bei bem ganzen chinefiſchen Bokfe mehr. als andarwärts zu Enden unb er wird durch ben in Peling erſcheinenden Hof⸗ und Stoatskalender, der für.bie verſchiedenen Ganblungen bes menſchlichen Lebens wie guten und bien. Tage feſtietzt, von oben herab nur noch heförbert. Wenn man durch die Strafen einer chineſiſchen Stabt wan⸗ begt, wird man durch nichts fo frappirt als durch die Menge der Wahrfagerbunen, die man alle Hundert Schritte antrifft, und bie ſtets von großen Scharen Volls aus allen Stänben umlagert, find. Der Glaube an ein Fatum, am.glüdtiche und unglückliche Tage und Stunden hexrſcht unumftöglich im Ge⸗ znüthe. des Chineſen. Dabei ift er jeboch fo vorſichtig, dem fatterlicden Kalender nicht unbedingt zu trauen, und bei jeber nur einigermaßen wichtigen Haublung befragt er noch Dutzende yon Wahrfggern fowie vie in jedem Tempel und an jebem Feldaltar zum umentgeltlichen Gebrauch aufgeftellten Werber wit Orafelftäben, die, ſchräg gegen ‚die Exde gehalten, fo lauge geichüttelt werben, bis einer heyausfällt, der Durch bie darauf geſchriehene Sentezz dem Frager eine Autwort gikt, Das Naipe dabei iſt, daß der Frageſteller ſich durch eine abſchlä⸗ gige Antwort nicht entmuthigen läßt, ſondern ven Proceß fo lauge fortiekt, ‚bis gr den gewiluichten Beſcheid erhält. Auch find die chingſiſchen Wahrjager von ven unſern durch Viel⸗ ſeitigkait nerichiehen. Während die unſern ſich anf Korten und die Linien dex Hand, hachſtens noch anf ben Kaffeeſatz ber ichränten, babe ih: in. China mindeſtens zwangig devariige Günftper geſehen, von denen jeder ein aouberes Shitem befolgte.

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Hier wirft eines zwei Kupfermünzen wie Würfel auf ben Tiſch und felgert die bevorſtehenden Schicffalsfügungen aus ihrer gegenfeitigen Lage und dem Umſtande, welche von beit beiven Münzen (deren eine mit tatartfcher, bie andere mit sthinefiicher Schrift bedeckt ift) nach oben gelehrt liegt. Dort verſucht ein anderer biefelben Reſultate aus den Stellungen zweier halber, ber Länge nach ‚gefpaltener Ziegenhörner abzu⸗ Jeiten. Ein dritter treibt Phyſiognomik nud ſchildert feinen Kunden aus ver Vergleigung ihrer fetten verſchwommenen Züge, ver Kloßform ihrer dicken Naſe und ber Länge igrer Ohren mit einem Normalgeficht, das auf einem weißen Brete feiner Bude Indie Aushängeſchild dient, ihre brillanten Aus⸗ fichten für bie Zukunft. Wie wir nämlich in China fo hän⸗ fig ven Gegenfag unserer Sitten und Anfchauungen finden, jo geht es auch mit ven Ohren. Ye mehr fich dieſe an Ge- $talt denen des Eſels nähern, deſto mehr Geiſt und Talent wird dem Beſitzer zugefchrieten. Ein anderer Wahrjeger wieder iambofiirt Worte. Die dhimefiichen Wortzeichen, deren jebos rinen Begriff bedeutet, eignen fich ganz befonders zu tiefer Art von Symbolik. Der Frager zieht aus einem Buche an Pupierröllchen, auf Dem eins der vieldeutigſten Worte - gefehrieben fteht. Der Wahrfager fucht nun Die urfpräng- liche Wurzel deſſelben auf, erklärt mit bemwunderungs- werther Zungenfertigkeit beren Sinn, ebenfo ihre fpätere Umformung, analyfirt die Hinzugefügten Zeichen und bildet aus ben einzelnen Zeichen ein Anagramm, das er natürlicher- weife für eine Reihe von Fällen in petto but und als Ant- wort der Trage anpaft. Ein fünfter legt Karte, ein jechster läßt durch Vermittelung abgerichteter Vögel aus einem Haufen mit vielfeitigen Sentenzen befchriebener Blätter eins ziehen und erflärt dieſes Blatt der an ihn gerichteten Frage gemäß. Im folder Weije betrügen dieſe Gauner, deren Zahl man in Ehina über eine Million ſchätzt, das unwilfende Volk und

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Ioden ihnen das Gelb aus der Taſche. Diefe Beſchuldigung ‘will freilich nicht viel fagen. Die chineftfchen Wahrfager find Menſchenkenner; fie willen, daß ihre Laudsleute wol ſehr abergläubifch find, aber ihr Geld noch lieber haben, und fegen beshalb ihre Preife ſehr niedrig, Die Taxe für einen Ora⸗ Yelipruch irgendeiner Art beträgt ſechs Cafh oder zwei Pfen- nige, und das ift gewiß billig. |

Ein anderer den Anhängern aller Religionsſekten gemein- famer Aberglaube ift der Gebrauch und der Glaube an Ta- lismane. Von diefen ift das Gelpfchwert, die Nachbilpung ‚eines Schwertes mit Krenzgriff aus einer Reihe alter Kupfer- münzen, bie unter verfchiebenen Herrſcherr geprägt wurben, ber gewöhnfichfte. Man hängt dieſe Zalismane über ven Betten oder in Stuben und Häufern namentlich dort auf, wo ein Selbjtmorb oder eine andere bintige That begangen ward: Site follen die wandernden Geifter, vor denen bie Chinefen fo große Furcht haben, abhalten. Zu bemfelben Zwecke werben am Neujahr Pfirfichzweige mit Blüten, und am fünften Tage bes fünften Monats Kalmusſtauden über ben Thüren aufgehängt. Auch wird um den Hals von Kin- bern eine Art Flaſchenkürbis befeftigt, ver das Symbol eines langen Lebens ift.

10.

Das chineſiſche Theater. Der Stand der Schaufpieler. Die bramatifche Literatur. Gefaug und Muſik ber Chineſen.

Unter ven übrigen Gebäuden einer chinefifchen Stadt find noch die Theater zu erwähnen. Das chinefifche Volk kennt nur zwei VBergnägungsorte. Die Theehäufer oder Theegärten und das Theater. Ohne diefe beiden Genüffe glaubt man in China nicht exiſtiren zu können. Selbft in jede Colonte, wenn fie einigermaßen profperirt, wirb neben allen anbern - Sitten und Gebränden regelmäßig das Theater mitgenommen, während die Theehäufer als Eigenthum eines einzelnen in jedem Dorfe zu finden find.

Wenngleich die Regierung nicht wie im alten Nom bem Bolfe auf öffentliche Koften Schaufpiele gibt, fo trägt fie doch inſofern der Vorliebe für Theater Rechnung, als fie erloubt, viefelben im jeder Straße zu erbauen und die Koften burch allgemeine Subfeription aufzubringen. Diefe. find num, was das. bloße Gebäude. betrifft, allerdings nicht bedeutend. ‘Die Theater zeichnen fich zwar durch ihre Größe vor den übrigen Däufern, aber keineswegs buch Stabilität und Toftbare Aus⸗ ftattung aus. Bambus und Matten find ihre Hauptbeftand-

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teile; erfterer bildet das Gebälk, lettere Die Wände und das Dad. Die innere Einrichtung ift gleich primitiv und befchei- ven. Ein erhöhtes Bretergerüft bilpet die Bühne, vor ber das Orchefter figt, und die Bühne wird durch eine angeftri- chene Papier⸗ oder Mattenwand, bie ben Hintergrund vorftellt, von der Garderobe getrennt. Für das Publikum find rohe Bänke amphitheatraliſch aufgeftellt, während bie Wohlhabenven ihre eigenen Stühle Halten. Rechnet man bazu noch ein paar Heine Holzbuden an den Eingängen für Kaffirer und Bille- teure, fo bat man das Innere und Aeußere eines chinefifchen Theaters vollftändig vor fih. Couliſſen und fonftige fcenifche Vorrichtungen gibt e8 nicht, wenn man nicht einige feſt auf zer Bühne ſtehende beisalte Papierſchirme dazu rechnen will, hinter welche bisweilen die außer Scene geſetzten Perſonen treten. Es bleibt dem Publitum überlaffen, ſich mit Hülfe der Ein- bildungẽetraft alle Scenerie Hinzugupenten, beren Anventiurgen ebenfo originell als na find.: Wird z. B. ein General zu einer Expedition nach einer entfernten Provinz geſchickt, fo ericheint er mit einem Zügel in ber einen und einer Peitſthe, die er Tnallen läßt, in ber andern Haud. Unter einem ber käubenden Särmen von Songs, Trompeten und Trommeln fchreitet er drei⸗ bis viermal auf. der Bühne umber, macht Kalt und theilt bem Publikum mit, daß er dort und bort au⸗ gelangt ſei. Soll andererfeits vie Reiſe über See geben, jo ‚nimmt der Betreffende das Modell einer Dſchonke unter ben Arm und. fopreitet Damit über Die Bühne. Pferde wer- ben durch einfache Befenftiele dargeſtellt, und wird die Scegerie geändert, fo gibt ein. Schaufpieler als Regiſſeur vem Publi⸗ kum die nöthigen Erklärungen.

In einer Sache dagegen übertreffen uns bie Chineſen, in ihrer Garderobe. Es Hingt unglaublich, iſt aber doch That ſache, daß man auf bem Heinften Theater Coſtume ſieht, die fo von ſchwerer Seide, Gold- und Silberſtickerei ſiarren,

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vaß ihr Werth fich nach unſern Preifen auf mehrere hundert Taler belaufen würde Faſt alle ernften Thenterftlide ſind biftoriichen Inhalts und fpielen in ben Zeiten ver der Ta- tarenherrſchaft. Die Eofiinte find Eopien der Trachten jener Zeiten, die für die rauen fat unverändert geblieben, aber bei ven Männern durch bie Tataren bepeutende Beränderun⸗ gen erlitten haben. Faſt alle in foldden Dramen auftzetenben Perfonen find im Geficht mehr ober minder weiß bemalt. Die metften Fremden halten dies für eine ebenfo entftellende als merkwürdige Schminke, aber biefe Malerei diente vor ber Tatarenzeit ale äußeres Zeichen des Nangunterfchieves. Je mehr Weis das Geficht zeigte, deſto höher fand ber Be⸗ treffende im Range. |

Die Schanfpieler gehören der unterften Klaſſe der Ge⸗ jellichaft an. Vor etwa 500 Jahren revoltirten die Einwoh- ner eines Diftrict® gegen den Kaiſer. Sie wurden bezwingen und bamit beftraft, daß ihnen und isren Nachlommen für ewige Zeiten der Weg zu allen Staatsämtern verjperrt wurde. Ebenſo warb ihnen verboten, an. den literarifchen Wettlämpfen, die zu Zeiten in China ftattfinden, theilzunch- men, und ihnen nicht einmal die Wahl eines Berufs ober einer Profeffion geftattet. Diefe chinefifchen Parias, die in eigen- thämlicher Uebereinftimmung mit einer der niebrigften Kaften in Indien Dobi heißen, haben nur die Erlaubniß, Sänften- träger, Haufirer, Barbiere oder Schaufpieler zu werben, während ihre Frauen das Gefchäft des Heirathitiftens betreis ben. Man kann ſich alfo denken, daß von Künftlern unter ven Schaufpielern nicht viel die Rede ift, obwol es immer einige darunter gibt, die vecht gut fpielen.

Stationäre Theater wie in Europa gibt es nit. Die Schauſpieler ziehen in Trupps im Yande umher und werden bald Hier bald dort von irgendeinem Unternehmer für eine beftimmte Summe auf eine Neihe von VBorftellungen gemie⸗

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thet, und biefer. nimmt dann Entree; oder reiche Beamte ober Privatleute engagiren fie für eine gewiſſe det, und dann hat jedermann unentgeltlich Zutritt.

Das chineſiſche Drama iſt nicht dazu angethan, große Künſtler zu bilden. Die dramatiſche Literatur iſt zwar in China ungemein ſtark vertreten, und einige der beſten Schau⸗ ſpiele ſind zu verſchiedenen Zeiten in das Engliſche oder Fran⸗ zöſiſche übertragen worden; allein die poetiſchen Schöpfungen erheben ſich nicht über das Niveau der Mittelmäßigkeit. We⸗ der in den ältern noch in den neuern dramatiſchen Erzeugniſſen ber Chineſen fiudet man tiefere Anſchanung oder ſchwung⸗ volles Pathos. Obſchon ihre Tragödien äußerlich viel Aehn⸗ lichkeit mit den Compoſitionen der alten Griechen haben, ſtehen fie doch im Werthe tief unter ben Leiſtungen eines Sophokles, Aeſchylus oder Euripides.

In ihren Bühnenftücden machen die Chinefen feinen be⸗ ſtimmten Unterfchted zwifchen Tragödie und Komödie, viel- mehr läßt fich dies nur aus dem Gegenjtande bed Stüds _ und dem Dialog abnehmen. Die Tragödie tft gewöhnlich an ihrem hiſtoriſchen oder. mythologiſchen Charakter zu erkennen.

Bei der großen Sinnlichkeit des Volles ift natürlich auch das Repertoire fehr reich an frivolen und unfittlichen Schau⸗ jpielen, doch werben, obwol es keine Theatercenſur gibt, biefe Stüde nicht fo häufig öffentlich als in ven Privatihen- tern reicher Lüftlinge aufgeführt. Bei folder Gelegenheit überreicht der Negiffeur dem vornehmen Gafte eine Lifte der feiner Geſellſchaft geläuftgen Piecen, und ver Gaft trifft dann feine Wahl. Souffleure gibt es nicht in China, jeder Tennt- feine Rollen auswendig, aber deswegen beſchränkt fich das Repertoire defjelben Theaters auch nur auf eine verhältniß- mäßig Heine Zahl von Stücken.

Das erjie chinefifhe Drama, „Die Waife von Tſchau“, wurbe burch den Jeſuiten Premare, einen ber erjten Sino⸗

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logen feiner Zeit, in das Franzöftiche überſetzt und von Vol⸗ taire als Grundlage einer feiner beften Tragäpien, „’Orphelin de la Chine’ benugt. Das Stück fpielt ungefähr 100 Jahre” vor der Geburt des Eonfucius, und fein Inhalt ift folgender: Ein militärtfcher Chef erobert Länder, die dem Haufe Tſchau gehören, und befchließt die Ausrottung des ganzen Gejchlechte.- Ein treuer Diener rettet das Leben. des letzten männlichen Erben, indem er ihn verbirgt und fein eigenes Kind ftatt befien opfern läßt. Die Waife wird in Unkenntniß ihrer wirklichen Abkunft erzogen, bis ihr in ihrem Mannesalter ihr Retter und Pflegevater das Geheimniß enthält. Die Waife rät nun das Schickſal ihrer Familie an tem Ufjurpator. Die Handlung im Stüde ift einfach und ohne Verwidelungen, der Dialog fließend, die Sprache gewählt, ohne jedoch fehr. poetifch zu fein.

Ein zweites Drama, „Der Erbe in hohem Alter‘, wurde ein Jahrhundert fpäter von dem Engländer Davis in das Englische überfegt. Dies Stüd ift infofern intereffant, ale es vielen Auffchluß über Charakter und Sitten der Chineſen gibt, Es ſchildert Die Conſequenzen, bie das Volf an bie Verrichtung gewiffer Ceremonien am Grabe ber Borältern jowie an das Hinterlaffen männlicher Erben knüpft, die allein dieſe Andacht verrichten können, deren Details genau beſchrie⸗ ben werben. Ebenfo wird darin das PVerhältniß des Kebs⸗ weibes zu der legitimen Frau gefchilbert und beutlich gezeigt, daß eritere nur. eine Hausſtklavin ift, die ebenfo wie. ihre. Kinder ver rechtmäßigen Gattin gehört.

Saft alle chinefifchen Dramen haben, einfchließlich eines ein» leitenden Vorſpiels, fünf Acte, bie jeboch weniger-auf ber Bühne als im Buche markirt werben. Die Anweifungen für bie Schaufpieler find wie bei uns in die Rollenbücher hinein» gebrudt. Frauen betreten nie die. Bühne, ihre Rollen werben ſtets durch junge Männer. gegeben. |

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Die Vorftellungen, namentlich diefenigen hiſtoriſcher Art, werden während ihrer Aufführung vurch das Orchefter auf eine Weiſe begkeitet, bie uns nicht bekaunt iſt. Die Mufil bient dabei als Berftärhngsmitiel, und jedesmal wenn einer Senten; oder Worten Nachbruck verliehen werben foll, fällt anf ein gegebenes Zeichen die Maflf ein und macht einen fchrediichen Lärm. Dies geichieht bisweilen fo oft, daß man mehr Lärm von Inſtrumenten ale Dialog hört und europkäi⸗ The Nerven ſelten die Anhörung eines ee "Dramas zu ertragen vermögen.

An muſikaliſchen Infterumenten befigen bie Chinefen eine große Auswahl, namentlich Lauten und Guitarren, die aber nur drei Saiten haben und nicht mit den Fingexfpigen, fonbern mit Bambusftäbchen in der Form eines Butterſtechers ges fpielt werden. Sodann verfchievene Geigen oder vielmehr Violoncellos mit zwei Saiten, zwilchen denen der Strang des Bogens fährt. Ihre Töne find ungemein fchneidend, machen ib am lanteften und greifen bie Nerven am meilten am, Ferner mehrere Arten von Flöten und Blechelarinetten, un endlich eine Menge von Trommeln, Gongs und Becken aus Metall oder hartem Holz. Die Saiten der Streichinſtrumente find nicht aus Darm, fondern aus Seide und Drabt gemacht.

Ueber die Töne, welche viefen Geräthen entlockt werben, läßt fich nicht viel fagen; Muſik nach unfern Begriffen: exiftirt in China nicht. Man hört freilich eine oft wiederkehrende Melodie durch, aber von Harmonte ift Feine Rebe. Die In« fteumente find unifono geftimmt, und höchſtens fpielt das eine bie betreffende Melodie eine Octave tiefer als das andere. Es gibt feine beſtimmte Tonart, fondern Moll und Dur wechfeln beftänpig während bes Spiels miteinander ab. Ebenfo wenig fennen bie Chinefen halbe Töne, Contrapunkt oder Abtheilungen in der Muſik, und ihre Melodien Haben für une durchaus nichts Anzichendes. Der Totaleinprud ihrer Muſil

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bleibt ftets nur ein wüſtes Zuſammenklingen möglichft ge- räuſchvoller Inftrumente. Ihr Geſang tft nicht beifer. “Die Frauen quieken oder fchreien in den höchften Falfetttönen und die Männer durch die Fiftel untjono mit den die Melodie an« gebenden und zugleich begleitenten Inftrumenten, und ich werbe fo leicht nicht die Tortur vergeffen, welche ich erlitt, als ich einft in Hongkong von einem Chinefen zu einem jolchen Sing- fang eingeladen und drei Stunden zur Anhörung eines ſolchen Inftrumental- und Vocalconcertes verurtbeilt war. Die einzelnen vorhandenen Noten werben durch beftimmte Charaktere ausgeprüdt und die Melodien in ihnen nieber- gefchrieben.

Nach dem Alter ver Muſik in China und den Aufmun-

terungen, die Confucius der Pflege dieſer Kunft bat zu Theil werden laſſen, follie man vorausjegen, daß fie fich im Laufe ver Zeit zu einer höhern Stufe hätte emporfchwingen müffen, allein wie alles andere ift auch fie feit TZaufenden von Jahren jtationär geblieben. Das ift um fo mehr zu verwundern, als der gebildete Ehinefe jehr wohl unfere befjere und harmo- niſche Muſik zu würdigen weiß, wie wir dies oft genug Ge- legenbeit hatten zu bemerken, wenn die Muſik der Arcona öffentlich in Schang-hae fpielte.

Berner. I. 12

11.

Die Boote ber Waſſerſtadt in Kanton und ihre Führerinnen. Fahr⸗ zeuge und Schiffahrt der Chineſen. Der Kompaß. Zuſtand der Krieger flotte. Der Flußverkehr.

China ift fo fehr ibervöftert, daß namentlich in der Nähe großer Städte, bie ftetS an Flüſſen erbaut find, ein Theil ver Bevölkerung feine Wohnfite auf dem Waſſer auffchlagen muß, weil ber für ihre Unterbringung nöthige Grund und Boden dem Aderbau, der hauptfächlichſten Nahrungsquelle des Volfes, nicht entzogen werden darf. Diefe Nothwendigkeit, pie Boden⸗ fläche für den Anbau zu veferviren, hat num in Kanton eine förmliche Waſſerſtadt in das Leben gerufen, bie nicht weniger als eine PViertelmilfion Einwohner zählt. Die Bendfferung von Kanton wird auf eine Million gefchätt, obwol ich fie für größer halte; die Wafferftadt bildet den vierten Theil.

Wenn man mit dem Dampfichiffe das ſüdweſtliche Ende Kantons paffirt, erblidt man, fo weit das Auge reicht, uns zählige Boote von ganz gleicher Form. Bord an Bord lie⸗ gend, bilden fie endloſe Straßen zu beiden Seiten des Fluffes, in denen fich wieder Hunderte und Zaufende von andern Booten hin- und herbewegen und ein fo buntes Gewimmel hervorrufen, daß der Fremde ftaunend fteht.

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Diefe Boote, die ich bereits früher als Tanken oder Eier- häuschen erwähnte, find die Häufer der Waſſerſtadt, von deren Bebentung man eine Borftellung erhält, wenn man bevenlt, daß im Polizei⸗Yamun von Kanton 90,000 biefer Tanken rvegiftrirt find. Zu allen diefen Fahrzeugen geſellen fi nun noch die Arbeits-, Fähr- und Frachtboote ſowie bie zahllofen größern Handelsdſchonken, bie, entweder aus dem Innern ober von ſeewärts kommend, ben Fluß be⸗ vöffern und von Whampoa bis eine Meile norbwärts von Kanton in Scharen von Hunberten neben- und hintereinander vor Anfer liegen, oder auf dem Berlfinuffe und ven Kanälen ſich jchwerfällig fortbeiwegen.

Ich muß geftehen, daß ih auf meinen Reifen nie etwas Aehnliches gefehen habe, und nichts lann meiner Anficht nach ben eommerziellen gejchäftigen Geift ber Chinefen und die große Lebhaftigfeit Ihres innern Verkehrs fchärfer charakteri⸗ firen als die im wahren Sinne des Wortes unzählbare Menge ihrer Fahrzeuge, die meift noch von Baffagieren voll- gepfropft find. Die Form, Bauart, Takelage u. ſ. w. ber größern Handels- und Fifcherdſchonken find faft in jeber Provinz verfchienen, unb zwar ift dieſer Unterfchiev an ver Seefüfte jo markirt, daß europätfche Seefahrer, welche bie chineſiſche Küfte öfter befuchen, tm Nebel genau bie Pofition ihres Schiffes Tennen, ſobald fie einer der chinefifchen Fifcher- flotten begegnen, bie zwei, brei Meilen von der Küfte ihr Handwerk betreiben und an ber Form und der Bejegelung ihrer Dfchonfen fofort als zu der oder der Seeftabt gehörig erfannt werben.

Mit ven Tanken ift dies jedoch nicht der Fall. Diefe fehen fih im ganzen Weiche fo ähnlih wie ein Ei dem andern, und ber einzige Unterfchieb ift, daß fie im Süden ausschließlich von Frauen, im Norden jedoch auch von Männern geführt werden. Sie find 12—14 Fuß lang, 4 Zuß breit,

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vielen Haufirer und Lebensmittelverfäufer, welche die Straßen der Stadt durchziehen und beren jeder an einem befonderen Gefchrei erfannt wird, fahren hier mit ihren Sachen von Boot zu Boot und verforgen deren Bewohner mit allen Be- bürfniffen. Von Zeit zu Zeit fällt dem Auge eine Gruppe größerer, mit heitern Farben bemalter und mit allen mög- lichen Flaggen und Flitterftaat gefchmücker Fahrzeuge auf. Dies Find die fogenannten Blumenboote, ſchwimmende Hotels, in denen Hochzeiten und andere Feftlichfeiten gefeiert werben. Bei folchen Gelegenheiten find die Ehinefen in ihren Freudenbezeigungen ebenfo lant als unermüdlich, und wehe ben armen Europäer, unter bejien Fenſtern em folches Bost feinen Anferplag wählt. Die ganze Nacht hindurch wird er won den fchredlichen Tönen disharmoniſcher Inſtru⸗ ‚mente und bem Abbrennen krachender Schwärmer wach gehalten,

Dan follte glauben, daß eine Nation, von der fo viele Millionen beitändig auf dem Waſſer leben, deren hervor⸗ ſtechendfter Charafterzug die Liebe zum Handel ift, und die an ‚ven langgeftredten Küften eine Zahl von Seeſchiffen beſitzt, gegen welche die Rhederei unferer größten Hanvelsftaaten wie England und Amerika verfchiwindend Klein erfcheint, auch in der Seeſchiffahrt bedeutende Fortichritte gemacht habe, aber e8 Scheint gerade das Gegentheil ftatigefunden zu haben. Um einen Begriff von der Menge der Fahrzeuge zu geben, will ih nur erwähnen, daß wir während einer Kreuztour von Hongkong nad Japan eine Strede von 60 deutſchen Meilen an ver chineſiſchen Küfte Hinauffuhren und während ber fünf Tage, welche wir bazu gebrauchten, beftändig von Tauſen⸗ ven großer Fifcherpfchonfen umgeben waren. Eines Tages zählte ih nur an einer Seite unfers Schiffes deren nahe an 400.

Man darf jedoch nur einen Blick auf dieſe Fahrzeuge werfen, um an ihnen fofort den niebrigen Stanbpunft chine- ſiſcher Schiffahrt zu erkennen. Ihre Formen find plump,

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ungefchiät und unpraftiich, das Vordertheil fat vieredig und das Hintertheil fo ſchwach, daß man nicht begreift, wie Menſchen in einem folchen Fahrzeuge zur See gehen können. Die Maſten find unverhältuißmäßig ſtark und werben durch . fein Tauwerk geftüßt; die Segel ſind aus Matten gefertigt und unhandlich. Ihre Anker find aus Holz gemacht, und bie mechanifchen Hülfsmittel, welche wir feit undenflichen Seiten zur Handhabung ber Segel und Raaen benuten, wie Flaſchen⸗ züge, loben u. ſ. w., fcheinen hier bis auf eine unpraltiiche Winde unbefannt zu fein.

Die Beinkung zählt viel Köpfe, aber auch viel Sinne, und . dies fehr oft zum Unglüd des Schiffes. Die Chinejen fahren nicht aus Neigung, fondern aus Zwang zur See. Nur wenn ihnen am Lande jede Subfiftenz. fehlt, verbingen fie fich als Matroſen auf eine Dſchonke, und gewöhnlich ift e8 ver Ab- ſchaum der Benölferung, ber fich bier zufammenfindet. Außer bem Eigenthümer ver Waaren oder deſſen Vertreter hat das Schiff noch einen Kapitän ober Steuermann. Er führt nominell ven Befehl über die Matrofen; jedoch gehorchen ihm biefe nur, wenn es ihnen convenirt und behandeln ihn oft Schlechter wie ihresgleichen. Ieder Mann der Beſatzung darf eine beftimmte Quantität Waaren mitnehmen, und jeder beatt- fprucht deshalb in der Führung des Fahrzeugs eine Stimme. Daber kommt es, daß Kapitän und Steuermann fich oft dem Willen der Bemannung fügen müffen, wodurch nicht felten das Schiff befchädigt wird oder verloren geht. Im Augen- bit der Gefahr Hört alle Ordnung und Disciplin auf, alles ſchreit durcheinander, und felten wird eine Dfchonfe aus einer gefährlichen Lage durch ihre Beſatzung befreit. Dies fo- wie die Gebrechlichkeit der Dſchonken und ibre Schwer- ‚fälligfeit im Mandvriren und Segeln macht e8 auch er- Härlich, daß in einem Zeufun oft Hunderte von, biefen Fahr⸗ zeugen auf einmal zu Grunde gaben ober an die Küfte

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feiner Anficht, ven Meeresgrund an bie Oberfläche bringen, Als der Müfionar dies als eine Unmöglichkeit exllärte, be- hauptete der Chinefe:, „dvann wären die Obferbationen voll⸗ ftändig nußlos und echt barbariſch“.

Der Zuftand der chinefiichen Kriegsflotte iſt um nichts befjer al8 pie Beſchaffenheit ner Handelsfahrzeuge. Die Kriegs- ‚oder Mandarinendſchonken find ebenjo plump gebaut, von ebenſo unwiſſenden Führern commanbirt, ebenfo ſchlecht ge- banbhabt wie jene, und der Zuftand ihrer Artillerie harmonirt mit der fonftigen Art des Schiffe. Alle möglichen Kaliber, Sahrgänge und Conftructionen, nur nicht bie ber Neuzeit, find Dabei vertreten, und ich habe Hunderte von Geſchützen gefeben, deren ehrwürbiges Alter und verroftete Außenſeite darauf ſchließen ließ, daß fie zum Glücke ihrer Bedienung nie gebraucht wurden, weil fie böchft wahrjcheinlich beim erften Schuffe gefprungen wären. Ä

Jedes Geſchütz zeichnete fich dadurch aus, daß ein Strei- fen rothes Zuch um die Mündung gebunden war. Obwol ih den Grund davon nicht erfahren konnte, ſchließe ich Doch, daß ben Kanonen eine ähnliche Werehrung gewidmet wird wie dem Kompaß, dem Steuerruber und dem Anlertau, bie ebenfalls an Borb per Hanbelöpfchonfen mit einem rothen Zucbftreifen geſchmückt find und benen. allerlei Opfer barge- bracht werben. Täglich brennen vor biefen drei Gegenſtänden, die allerdings für die Sicherheit des Schiffs fehr weientlich fine, Räucherftäbe und werben Heine Dichonfen aus Gold⸗ papier verbrannt. Ebenſo wird bei allen Wind- und Wetter- veränberungen ver „Königin des Himmels“, der Schugpatrenin ver Seeleute, auf, ähnliche billige Weile geopfert. Etwas mehr Ordnung und Disciplin herrſcht wol auf ven Mandarinen- pichonfen, aber von erropäiſcher Mannszucht tft Teine Rede. Es ift gewiß nicht zu boch gegriffen, wenn man bie Zahl der Kriegefahrzeuge auf 5—6000 anfchlägt, aber ihr Nuten tft

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geradezu Null. Alle Ylüffe und Küften des ganzen großen Reichs wimmeln von Piraten, bie. unter den Augen ber Kriegspfchonken ihr Handwerk betreiben, und wo die Manda⸗ rine ans Furcht vor dem kaiſerlichen Bambus es einmal gewagt haben, enropäiſchen SKriegsichiffen entgegenzutreten, baben ſie ftetS bie großartigften Wieverlagen erlitten. Bon einem einzigen kleinen europätfchen Kriegsdampfer ſind oft 60 80 Dſchonken in den Grund gebohrt, verbrannt ober in die Flucht gefchlagen worden. In ber Gegend von Schang⸗hae und Ningpo, wo die Seeräuber am häuflgften und frechiten find, bat eine Geſellſchaft chinefifcher Kaufleute fich einen von Europäern befehligten und bemannten Kriegebampfer bauen laffen, ber ihre Dichonfen escortint, weil fie bei ver Tatjer- lichen Flotte auf Schub gegen die Piraten nicht rechnen bürfen. Die Frechheit der Piraten überjteigt bisweilen alle Grenzen. So 5. B. würde im Jahre 1861 eines Abends in ver engliſchen Colonie Hongfeng mitten im Hafen und feine taufend Schritt von ber als Wachtſchiff fungirenden Dampf- corvette Esk eine amerifanifche Brigg von einigen Piraten⸗ pichonten überfallen, die gefammte Manufchaft ermordet und das Schiff ausgeraubt. Nur Ein Paffagier, ein beuticher Kaufmann, |prang über Borb, und es gelang ihm, ſich durch Schwimmen auf die am weitliden Hafeneingange gelegene feine Infel Green Island zu retten, die jedoch ganz unbe- wohnt ift. Nach einer Stunde hört er eine Dſchonke vorbei» rudern, ruft fie an und erfucht fie, ihn an das Feſtland zu bringen. Der Diehontenfährer fordert dafür den enormen Preis von 50 Dollars, die der Kaufmann auch verfpricht; wie erfchrict er jedoch, als er beim Betreten des Fahrzeuges alfe jene wilden Gefichter wieder erkennt, vor denen er frz vorher über Borb gefprungen. Glücklicherweiſe verläßt ihn je- doch feine Geiftesgegeniwart nicht, und er verräth fich nicht. Als bie Dſchouke in der Nähe des Wachtichiffes vorbeirubert, ver⸗

12.

Eintheilung und Bevblkerung bes chinefiichen Reiche. Stabilität und

Grundprincip bes Regierungsform. Vollsbildung und Unterricht.

Der Kaifer, feine Stellung, feine Edicte. Das Reihsminifterium und

ber Berwaltungsorganismus. Die Staatsprüfungen für die höhere

Beamtenlaufbahn. Der hinefiihe Strafeoder. Grauſamkeit und raffi-

nirte Strafarten. Käufliche Vertreter in ber Strafbüßung, felbft bei Todesftrafe.

Kanton it der Sig eines Gouverneurs oder Vicefönigs. Diefer hohe Beamte wird nämlich vom Kaifer mit Löntglicher Macht und durch das Symbol eines beſondern Foftbaren Schwertes mit Kreuzgriff, goldener Scheide, ſowie mit Brillan- ten bejegt, mit dem Rechte über Leben und Tod beliehen, das, wie ich bereit bemerkt, unter andern von bem berüchtigten Yeh in folcher Weife ausgeübt wurde, daß in drei Jahren feiner Herrſchaft allein in Kanton 70,000 Menfchen durch Henfers- band fielen.

Das ganze China ift in 18 Provinzen eingetheilt, deren Namen ich füglich übergehen kann, da fie in jedem gengras phifchen Handbuch zu finden find. Se zwei Provinzen find einem Vicekönig unterftellt, und der Vicekönig von Kanton beberricht Kwangſt und Kwangtung, die an Größe und Ein- wohnerzahl unfere bedeutendſten europäifchen Neiche übertref-

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fen. Die Angaben über die Geſammtbevölkerung des ganzen chineſiſchen Reich weichen bedeutend voneinander ab. Unter bem vorigen Kaiſer wurde eine Volkszählung vorgenommen, bie 310 Millionen ergab, Gegenwärtig fehäpt man Me Ein- wohnerzahl auf 360 Millionen, was wieleicht etwas zu Hoch genommen iſt, ba die Bürgerkriege, welche jeit den leiten 10 Sahren im Innern wüthen, und die in legter Zeit groß- artig gewachſene Auswanderung hierbei nicht gehörig beachtet zu fein ſcheinen. '

Wie dem uber auch fei, fo bleibt es Immer wunderbar, daß eine fo ungeheuere Bevöllerung fett Iahrtaufenden unter einem Oberhaupte ein eich gebildet und zufammengehalten bat, und es ift gewiß intereffant, nach den Urfachen zu for: ichen, die eine folde in der Weltgefchichte einzig daflehenbe Thatfache begründeten.

Zunächſt Hat wol das chinefifche Neich feine Stabilität ber Regierungsform zn danken, und dieſe muß wenigftens im Princip für das Volk gut und zwedmäßig fein, da intelligente Menſchen, wie die Chinefen unzweifelhaft find und feit Sahr- taufenden waren, eine fchlechte verderbliche Regierung auf bie Dauer nicht ertragen hätten. Sein Land der Welt hat aber eine fo ftetige gejchichtliche Vergangenheit aufzumeifen wie China, und wenn nach dem Ausipruche eines berühmten Staatsmamms das Volk glücklich ift, deſſen Gefchichte Tang- weilig tft, fo find die Chinefen beſtimmt glücklich. Ihre Annalen find das Bild eines ruhig bahingleitenden Stroms, ber nur in jahrhundertlangen Zwifcherräumen auf furze Zeit durch das Aufbraufen der Wogen feine Ufer überflutet, bald aber in fein altes Bett zurüdtritt, um abermals Jahrhun⸗ derte ruhig weiter zu fließen. Das Aufbraufen verurfachten tyrannifche Despoten, an deren Sturz ſich gewöhnlich ein Dy⸗ nnaftienwechfel fnüpfte, und auch die jeßigen Innern Kämpfe find nur Widerftand und Auflehnung des Bolks gegen einen

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von Hunderten von Millionen bewohnten Reiche bewährt und erhalten hat, ohne auszuarten.

Die chinefiiche Regierung geiteht den Vätern eine unbe- bingte Gewalt über die Kinder zu, fie beanfprucht ale Haupt des Staats aber daſſelbe von allen Unterthanen. Der Rai- fer ift der Vater des Reichs, der Gouverneur ber Vater der Provinz, der Mandarin .ver Vater der Stadt oder des Di- ftricts. Auf dieſe Weife wird der Untertban vom zartelten Kindesalter an bis zu feinem Tode als Kind des einen oder andern behandelt und faugt mit der Muttermilch die Grund- fäße der Ehrfurcht und des Gehorfams gegen Xeltern und Borgefegte ein. Wenn bei diefem Syſtem die individuelle Freiheit und Entwidelung auch ziemlih Null ift, fo bat es doch den Vortheil, ruhige Unterthanen zu erziehen, und es läßt fich nicht leugnen, daß dies in China der Fall ift,

In unfern europätfchen Staaten heißt ein Grundſatz: „Un- kenntniß des Geſetzes fchügt nicht vor Strafe.” Dies Prin- cip mag vieles für fich haben, ganz beitimmt liegt aber eine Härte darin, und es ift gewiß ein humaner Zug in der chi- neſiſchen Gefeßgebung, daß te dieſe Härte zu vermeiden ftrebt. Obwol in China von zehn Menfchen gewiß neun fo viel fefen und fchreiben können, um fich mit den Gejegen befannt zu machen, fest die Regierung dies doch keineswegs voraus. Vielmehr hat fie die Pflichten der Unterthanen in ein Buch zufammengefaßt und läßt bajfelbe im ganzen Reiche zweimal monatlih durch die Magiftratsperfonen öffentlich vorlefen. Der erfte Abfchnitt dieſes Buches lehrt die Pflichten der Kin— ber gegen die Xeltern, der Jugend gegen das Alter, nes Volks gegen die Regierung und wiederholt nur den Erwachfenen, was die Kinder von den Alten lernen, was die heiligen Bü⸗ her des Confucius als Fundament der Erziehung binftellen, und was bie Schulen lehren, erläutern und befeftigen.

Es fann freilich nicht geleugnet werden, daß bie väterliche

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Gewalt des Kaiſers oft gemisbraucht, daß das Volk dfter von feinen Herrfchern.oper deſſen Dienern tyrannifirt wird; und daß fich vieles an der Regierung ausfeten läßt; allein folche Zuftände find nur vorübergehend, und das Volk leidet fie auf die Dauer nicht. Jedenfalls aber muß man aner- fennen, daß die Regierung im großen Ganzen ihre Pflichten gegen das Volk jeither felten vernachläffigt bat. Davon gibt ber Reichthum des Landes, bie unermüdliche und fröhliche Thätigleit feiner Bewohner und deren rührende Anhänglich- feit und Liebe zu ihrem Vaterlande genügendes Zeugniß. Die Anhänglichkeit geht fo weit, daß Ehinefen nur auswandern, wenn ihnen alle Mittel fehlen, im eigenen Lande zu exiftiren, daß fie nie daran denken, im Auslande für immer zu ver- bleiben, ſondern einzig nach Geld und Gut ftreben, um ver einft in der Heimat ihre Lage zu beichließen. Sehr wenige fehren zwar zurüd, aber wer es vermag, ber trägt bafür Sorge, daß wenigftens feine Gebeine in heimatlicher Erde ruhen, und aus allen Welttbeilen fommen in den verfchiedenen Häfen des Landes Schiffe mit den Leichen ausgewanderter Chinefen an. | Ä | Zum großen Theil muß die allgemeine Profperität und Ruhe des Landes dem Kinflujfe zugefchrieben werden, ben Schulen und Erziehung auf die untern Klafjen üben. Wenn ber Zuſtand der Volksbildung in China früher auch vielfach überfchäßt und erſt durch den deutſchen Miſſionar Lobſcheid, gegenwärtigen Infpector aller Schulen in Hongfong, auf fein wahres Maß zurüdgeführt ift, jo gibt doch dieſer Miſſionar in einer den Gegenftand behandelnden Broſchüre ſelbſt zu, daß wenigſtens von ber männlichen Bevölkerung faft jever lefen und fchreiben kann. Diefe hohe Eulturftufe verdankt aber das Volk der Regierung, bie ſeit undenflichen Zeiten nicht nur beftrebt geweien, die Nothwendigfeit einer guten Erziehung und Verbreitung von Kenntniffen durch Bernunftgründe zu 13*

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beweifen und durch einfchlägige Vorſchriften einzufehärfen, ſon⸗ dern auch Kenntniſſe und Talente auf die ehrendſte Weite belogat. Dadurch, daß die Regierung vie Aeltern für die Ver- geben ihrer Kinder, mögen dieſe nech fo alt fein, verantwort⸗ (ich, fie anvererjeits aber auch zu Theilnehmern an beren Ehre und Ruhm macht, zwingt fie die erftern, alle Sorgfalt anf bie Erziehung der Kinder zu verwenven, und obwol ber Staat ſelbſt nichts für Schulen thut, hat doch jede Stadt, jedes Dorf eine öffentliche Schule und jeder Wohlhabende hält für feine Kinder Privatlehrer. Lobſcheid tavelt die Ober- flächlichleit des Unterrichts und bie Unmiffenheit ber Lehrer, weiche meiftens durchs Examen zefallene Candidaten für Staatsämter find; jedoch ſcheint mir fein Urtheil zu ftreng, da man an China nicht den pädagogiſchen Mafftab Deutfch- lands legen darf, auch e8 noch gar nicht fo Lange her ift, ja vielleicht jet noch der Fall vorfommt, daß ſelbſt bei ung Volkslehrer Schulmeijter und Schweinehirten zu gleicher Zeit waren. Immerhin iſt das in China erzielte Reſultat ein großes. Ich bin erftaunt geweien, auf einem Dorfe, zwei Meilen von Schang⸗hae, Kinder von fieben Bis acht Jahren die vier cleffifchen Bücher des Confucius mit Geläufigkeit fefen zu bören. Dies war freilich in einer Privatfchule, bie nur ſechs Zöglinge zählte, aber es ift immer fehr viel, ba befanntlih das Lefen und Schreiben ver chinefiichen Sprache für Kinder viel ſchwieriger als das irgendeiner anbern Sprade ift, weil die Worte nicht aus Buchſtaben zufammen- gefegt find, fondern jeder Begriff fein befonderes Zeichen hat. Wenngleich fich biefe Zeichen auf eine beftimmte Anzahl von Wurzeln zurüdführen laffen, welche die Stelle des Alphabets vertreten, und die Zahl der Wurzeln nicht, wie mehrfach be- bauptet wird, 6000, ſondern nad) Davis, einem ber beiten Sinologen, nur 214 beträgt, fo geht daraus doch fchon ber- vor, daß das chineftfche Kind 214 Wurzeln oder Yuchftaben-

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zeichen Tennen muß, während pas europäifche fich nur. bie Bilder von 25 einzuprägen bat. Dabei kommt noch in Be⸗ tracht, Daß in China nicht weniger als ſechs verſchiedene Schreib- unb Druckweiſen eriftiren, die einander viel ferner ftehen als 3. B. unfere deutſche Fractur der lateiniſchen Enrrentichrift.

An der Spike des Reichs fteht als abjolnter Herricher ber Raifer, „ver Sohn bes Himmels‘ ober ‚Zehn Taufend Jahre“, wie feine .offictellen Zitel find. Er wird als allge: genwärtig im ganzen Reiche gebacht, ift Hoher Priefter ver Staatsreligion, und man erweift ihm göttliche Ehre, In allen großen Provinzialftäbten befindet fich eine ihm geiweihte Halle, in der bie Staatsbenmten und vernehmften Einwohner ber Stadt an feinem und ver Raiferin Geburtstage ihre Huldi⸗ gungen darbringen. Diefe Halle ift mit gelbem Zuche, der faiferlihen Farbe, ausgefchlagen und mit einem Xhronfeffel verfehen, vor bem von jebem Befucher die neum Sniefälle vollzogen werben müſſen, welche vie Anweſenheit des Kaiſers felbft erfordert.

Ungleich andern afiatifchen Fürften, zeichnet ſich ber Kaifer vor feinem Hofftante nicht durch Pracht, fonbern durch Ein⸗ fachheit ver Kleidung aus, und während die Uniformen feiner Minifter und Beamten von Gold, Silber, Juwelen und Stidereien ftarren, erfcheint er bei Audtenzen in einfachem fei- denen Rode und mit einer Sammtmütze befleibet, bie nur burch eine große Perle geſchmückt wird.

Der Kaiſer hat das unumfchränkte und feit undenklichen Zeiten beſtehende Recht, ſich feinen Nachfolger zu wählen, und es ift öfter vorgelommen, daß von ihm tüchtige Mäuser mit Uebergehung der eigenen Söhne anf den Thron berufen wurden. Alle Edicte, welche bie Faiferliche Sanction erhalten, werben mit feinem Siegel verfehen, feine Bemerkungen mit rother Tuſche Hinzugefügt und alle Erlafſe in ver Staatszei⸗ tung, dem einzigen öffentlichen Blatte, das China befigt,

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publicirt. Auf Fälſchung irgendeines Artikels in dieſer .offt- ciellen Zeitung, die nur Berichte an dert Kaiſer oder deſſen Ant- worten barauf enthält, fteht ver Tod. Dies fchließt jenoch nicht aus, daß die Berichte felbft jehr häufig durchaus falſch find, na⸗ mentlich wenn e8 ſich um einen Aufftund, eine Schlacht orer dergleichen Handelt. Die fih auf Erhöhung oder Milderung von Strafen beziehenden Edicte gelten jeboch. feineswegs ſpä⸗ ter als Präcedenzfälle bei Anwendung des Strafgefetbuches, im Gegenfaß zu den Edicten ber römiſchen Kaiſer, die Ge⸗ fetzeskraft erhielten.

Das Miniſterium oder Nuiko beſteht aus vier Perſonen, zwei Tataren und zwei Chineſen, von denen bie erſtern je- doch ftets den Vorfig führen. Die Minifter bilden mit einer Anzahl anderer höherer Beamten den Staatsrath, und fie geben aus dem fFaiferlichen Collegium oder Hanlin hervor, das fih am beften mit ver ehemaligen pariſer Sorbonne vergleichen läßt, indem dieſes Injtitut als höchſte Inftanz in Religionsjachen, die in China zugleich Staatsgrundfäte find, entfcheibet.

Die ausführenden Organe des Minifteriums find ſechs Behörden, deren erſte alle Beamte anſtellt und controlirt. Ihr folgt das Finanzminiſterium, dann das des Cultus, das alle ſtaatlichen Ceremonien und Riten zu überwachen hat. Zunächft kommt das Militärdepartement, zu deſſen Räthen je- desmal die Gouverneure ber verichienenen Provinzen gehören, dann ber oberfte Eriminaljuftizhof und fchlieglih das Depar⸗ tement der Öffentlichen Arbeiten. Alle dieſe Behörden. refipiren in Peking und gelten für das ganze Neich.

In den Provinzen find bie höchiten Beamten folgende: 1) der Generalgouverneur oder Bicefönig, ber je zwei Pro⸗ vinzen beberricht, ziemlich ſelbſtändig regiert und das Recht über Leben und Tod beſitzt. Er ift Mandarin erfter Klaſſe, Präſident des Provinzial- Kriegspepartements und führt als

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folcher nominell den Oberbefehl über fämmtliche in feinen Landen ftehende Truppen. 2) Der Gouverneur, welcher nur Eine Provinz unter fih hat und ziemlich dieſelbe Autorität wie fein Vorgejetter bejigt, indem er das Recht übt, wie biefer über alfe Angelegenbeiten an ven Kaiſer perjünlich zu berichten. Gewiffermaßen ift er der Spion feines Vorge⸗ festen, fopaß es im Intereſſe des letztern liegt, fich mit dem Gouverneur möglichft gut zu ftellen. 3) Der Provinzial- Steuerdirector mit den Functionen, wie fie diefer Beamte in Deutſchland hat. Außerdem zahlt er den Sold für alle Beamte in der Provinz und befümmert fich wie Die Gouver- neure and um allgemeine. Augelegenheiten.. Er darf dreimal jährlich dem: Kaiſer direct Bericht erftatten und dient dadurch als Spion feiner Vorgefegten. Ihm folgt 4) der Provinzial. riehter, die höchfte Behörde ver Provinz für Yuftizfachen und zugleich Infpector der Faiferlichen Boften. 5) Der Salzcom- mifjar, der den Salz- und Eiſenhandel überwacht, bie beide Monopol der Regierung find. 6) Der Tſchutau, ein ſchwer zu überfeßender Ausprud. Während nämlich ver Provinzial- Steuerdirector alle Geldftenern einzieht, überwacht ver Tſchu⸗ tau bie Naturalabgaben und forgt zugleich für pie Verpfle- gung der Truppen. 7) Der Tautai. Jede Provinz ift in fünf oder ‚mehrere. Regierungsbezirfe getheilt und an ber Spige eines folchen fteht der Tautai. Mas der Gouverneur für die Provinz, ift er für ven Diſtrict, d. h. er hat feine be- ftimmte Branche zu vertreten, fondern fich um alles zu küm⸗ mern. 8) Der Zfchifu, welches Wort fich amt beften mit Landrath überfeßen läßt, pa er bie oberftie Kreisbehörde bil- det. Als Affiftent fteht diefem 9) der Tungtſchi oder Unter- präfect zur Seite, und den Schluß der obern Beamtenreihe bildet 10) ver Tſchitſchu, eine Art Polizeimeifter, der vie erſte Inftanz in allen Klagefachen ift und ziemlich die ſchwie⸗ rigfte Stellung von allen feinen Collegen hat, da er faft

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Wenn ver Staat der Wiſſenſchaft und dem Talent folche Auszeichnungen gewährt und jedem Untertban ver Weg zu den höchſten Ehren und Ehrenftellen offen fteht (der Handel mit Stoatsämtern unter der gegenwärtigen Dünaftie ift nur als Ausnahme zu betrachten), fo ift e8 leicht erflärlich, daß ber ganze Ehrgeiz per Chineſen ſich dahin concentrirt, durch hervor tragende Kenntniſſe die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich zu zieben. Es fann ſonach auch nicht mehr auffallen, daß das untere Volk, verhältnifmäßig nämlich, einen Bildungsgrad erreicht, wie ihn unſere civilifirteften Staaten faum aufzumeifen ver- mögen. Cbenfo natürlich ift es, daß Bildung und Wiljen- ſchaft überall den Vorrang haben, und jelbjt vie tatarijchen - Eroberer mußten fich in biefer Beziehung vor dem dem Bolfe innemohnenden Geifte beugen. Sie fönnen wol an unwifjende Menſchen Staatsämter und Ehrenftellen verlaufen, aber fie haben e8 nicht vermocht, dieſe Creaturen vor. allgemeiner Ver⸗ achtung des Volfes zu fchüßen, und ebenfo wenig ift e8 ihnen gelungen, ihrem Militär eine andere als ſecundäre Stellung zu verfchaffen, Die Offiziere oder Militärmandarinen avanciren nicht nach wiffenichaftliher Auszeichnung, auch nicht einmal nach Kühnheit und Tapferfeit als Führer der Truppen, ſon⸗ bern nur nach ihrer Gefchieflichleit in Handhabung der Waffen, fräftigem Gliederbau und vein perjönlicher Tapferkeit. Dieſe Eigenichaften fteben aber bei. dem Volke in ſo geringer Ach» tung, daß z. B. ein Militärmandarin, erfter Klaffe oft zu Fuß gehend gefehen wird, während ein Civilmanbarin vierter Klafje fchon als degradirt betrachtet werben würde, wenn man ihn nicht in einer Sänfte mit vier Trägern erblidte, .

Wie vortheilhaft dieſe literariſchen Inftitutionen aber auch auf die geiftige Entwidelung des Volks vor Zeiten gewirkt und wie frieblihe Unterthanen fie gefchaffen. haben mögen, haben fie ſich Doch feit langem überlebt und find ganz gewiß auch bie Urfache, daß China feit Sahrtaufenden auf verfelben

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Sulturfinfe ftehen geblieben tft. Die binterlaffenen Schriften des Gonfucius, die, infofern fie Staatskunſt und Moral be- handeln, unter dem Namen ber clafjifchen Bücher befannt find, mögen für die damalige Zeit paſſend gewefen fein, aber daß man ihr Studium und Verſtändniß ale alleiniges Beding— niß für die Belebung von allen Staatsftellen fordert, Tann unmöglich dem Aufblühen ver Eultur förderlich fein und muß namentlich in einem größern Staate nicht allein der Regierung große Schwierigfeiten bereiten, ſondern auch unfehlbar zu einem Stillſtande aller ſtaatlichen u und inbivibuellen Entwidelung führen.

Ich habe bereits bemerkt, daß die Regierung gar nichts für den Unterricht thut, es gibt weder Bürger- noch höhere Schulen, noch Univerfitäten oder Fachſchulen. Die erwähnten Examina find ftaatlich; fie ftellen ihre Forderungen, aber es bleibt jedem einzelnen überlaffen, wie er fich die nöthigen Renntniffe verfchaffen will. Die Forderungen find für jeden höhern Beamten, mag er für einen Verwaltungszweig irgend- einer Art ambitioniven, dieſelben, und zwar befchränfen fie ſich allein auf das Gebiet ver Morelphilofophie, die auf bie Staatsfunft angewandt wird, anf Schöngeifterei, indem ber betreffende Candidat ein Gedicht Tiefern muß, und auf fünf Fragen über die Gefchichte des Landes und Nationaldfonomie, freilich aber auf bie vorhundertjährige, ha die Politik der ge- genwärtigen Dynaſtie ausgefchloffen bleibt. Num denke man fih aber an ver Spite aller Verwaltungsbehörben in einem europätfchen Staatöwefen nur Moralphilojophen ohne irgend- welche fachliche Vorbildung. Man ftelle fich einen Regierungs⸗ baurafh ohne eine Idee von Mathematik oder Zeichnen, einen Hegierungspräfinenten oder Landrath ohne .irgenpwelche Kenntniß der Verwaltung vor oder gar einen Zribunalrath, ber abwechſelnd als General» Boftmeifter oder al8 Salzes commiffar fungirt. Wenn man auch nach. dem Verhältniß

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der Beftanbenen zu ben Examinanden darauf fchließen barf, daß in China nur eme Auswahl ver gefcheidteften Köpfe überhaupt zu ben höhern Stantsitellen gelangt, und ebenfo angenommen werten Tann, daß fie fich altmählich in ihr Fach hineinarbeiten, fo ift es ebenfo gewiß, daß fie bei vem Mangel aller einfchlägigen Bor⸗ und Fachſtudien im allgemeinen jtets nur mittelmäßige Beamte bleiben und zur Förderung ber ihren unterftellten Branche nichts leiften können. Sie werben ftets mehr ober minder von ihren Untergebenen abhängig fein, und jebe geiftige Entwidelung muß gehemmt werben. Unfer deutfches Sprichwort: „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Berftand”, ift nirgends angebrachter als in China, und es tft überhaupt zu verwundern, daß bei foldhen Einrich- tungen woch alles fo gut geht.

Ein äußerft wirkſames Inſtrument, mit deffen Hülfe die Beamten die zahliofen Millionen des Reichs der Mitte re- gieren und überwachen, tft das Strafgefehbuch. “Der Englän- ber Sir George Staunten, der es überjekt bat und zugleich ein befäbigter Kritiker chineftfcher Zuftänve tft, fagt Darüber: „Das Auffollendfte bei dieſem Coder ift feine Klarheit, Logik und vernunftgemäße Abfaffung, bie gefhäftsmäßige Kürze und Beſtimmtheit feines Inhalts und bie beutliche und maßvolle Sprache, wodurch es fich jo weientlich von ben Gefegbüchern anderer aſiatiſcher Nationen unterfcheidet und den europäifchen nahe tritt.’

Diejes Urtheil ift unzweifelhaft richtig, trotzdem leidet das chineſiſche Gefeß an bebeutenden Mängeln. In feiner väter« lichen Fürſorge geht es viel zu weit, mifcht fich in alle Ver- hältniffe der Familte und tes Lebens, die einen viel paffenbern Richter in dem Herzen und Gefühle der Menfchen finden, und ebenfo wie es Diebftahl und Mord beftraft, will e8 durch Strafen auch die Ausübung von Qugenden erzwingen. Wir haben zwar in einigen europälfchen Ländern und vor noch

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gar nicht langer Zeit m umjerm lieben Deutichlaunb etwas ganz Aehnliches gehabt, wen z. B. Angeſtellte aus Furcht vor Ent⸗ laſſung zu beftimmten Kirchen» ober Abendmahlsgängen ge zwungen wurben; aber ein folches Verfahren ift wenigſtens nie durch Geſetze fanctionirt worden und konnte übergaupt nur immer gegen einen Bruchtheil ver Bevölkerung in An⸗ wendung gebrackt werven. In China jedech ift bie religidfe Pflicht, die Gräber der Vorfahren zu beftinmten Zeiten: zu befuchen, gefeglich geboten und eine Unterlaffung derſelben mit harter Strafe bedroht. Ein anderer Fehler ift die Aengftlichkeit, mit ver das Geſetz beftrebt iſt, alle erdenk⸗ lichen Möglichkeiten zu begreifen und für alfe vorkommenden - Fälle, mögen fie auch noch jo fonderbarer Art fein, eine Be- ſtimmung zu erlafjen. So z. B. führt Davis ein Citat aus dem die Erbichaftsangelegenheiten betveffensen Theile bes Coder an, dad in biefer Beziehung ſehr charafteriftifch ift. Danach erhält ein Sohn einen Theil, eine Zochter einen halben Theil ver Hinterlaffenfchaft. Für uns wilrbe biefe Be- ftimmung allerfeitS ausreichen, für die Weisheit und Voraus⸗ ficht des chinefifchen Geſetzes nicht. Daſſelbe zieht auch den Fall in Betracht, daß ein Kind eim Zwitter fein könne, und verfügt, daß unter folchen Umftänben ver Zmitter bie Hälfte von ben Erbtheilen des einen und der andern, alſo drei Bier- theile erhalten foll!

Dieſe Aengftlichkeit führt aber andererſeits zu Gefegen, bie im birecten Widerfpruche mit dem Geifte der Klarheit und Präcifion ftehen, ber nach dem augenſcheinlichen Willen ber Geſetzgeber ven ganzen Eober burchwehen foll, und e8 entftehen Vorſchriften, die dem Richter die umbegrenztefte Willkür in der Auslegung der Geſetze geftatten. Als Beiſpiel diene hier⸗ für folgende Stelle: „Wer fich eines unpaſſenden Benehmens ſchuldig macht und gegen den Geiſt ver Geſetze verſtößt, fol, wenn er auch feine Vorfchrift dadurch übertreten, mit nicht

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unter 40 Bambushieben, ift das Ungehörige in feiner Hand⸗ (ungsweife aber ernfterer Art, mit nicht unter SB Hieben be- ftraft werden.” Man fteht, wie fehwer es ift, ven Klauen des chinefifchen Geſetzes zu entrinnen.

Die Strafen für Verbrecheu und Vergehen find, wie ich jchon bei den Yamuns erwähnte, hart und graufam. Ihre Glaffification lautet: Hiebe mit dem Bambus auf ven Rüden oder die innere Fläche des Schenfels; Gefängniß mit oder ohne Fellelung; der Halskragen; enblich der Tod des Ent- hauptens, des Verhungerns in einem Käfig ober durch lang- james Abfchneiden der verſchiedenen Körpertheile. Letztere Strafe fteht auf Hochverrath oder Vergehen gegen die Perjon bes Kaiſers oder der Xeltern, die ganz gleich geahndet wer- ven. Ein franzöfifcher Gelehrter, der bei Beginn des lekten chineſiſchen Krieges mit dem englifchen Conſul Parkes gefan- gen genommen wurde, ſaß in einen der bejchriebenen Gefäng- niffe mit einem Chinejen zufammen, ver bereit8 19 Jahre in der Höhle ſchmachtete, weil er als achtjähriger Knabe feinen Bater in den Daumen gebiffen hatte.

Zur Erpreffung von Geftänpniffen tft die Anwendung ver Folter geftattet, die meiſtens in Hieben auf die innern Schen- fel beiteht. Eide fennt das chinefiiche Geſetz nicht; eine be- wiefene Unwahrheit wirb aber fehr hart beftraft; daß noch andere Grauſamkeiten und raffinirte Strafarten in Anwendung kommen, ift unzweifelhaft. Ich jelbft war Zeuge, wie in Chefu ein Greiß mit weißem Haar, der in Verdacht ftanb, ein Rebell zu fein, auf die graufamfte Weile gefoltert wurde, um ein Geftänpniß zu erpreffen. Nachdem er vor unferer Anfunft bereits 300 Hiebe auf Die innern Schenkel erhalten, war er an einen Pfahl in der brennenden Sonne mit ven Daumen hinter dem Rüden zufammen und fo hoch gebunden, daß er nur auf den Fußſpitzen den Boden berührte. “Der Unglüdliche war dem Tode nahe, «ls unjere Dazwifchenfunft

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(bei der Belagerung der Stadt durch die Rebellen waren bie Europäer Hflbgötter) ihn rettete. Er wurde [osgebunden und fpäter als unſchuldig vom franzöfifchen Conſul auf freien Fuß gelegt

Diefe Strafen und Quälereien find zwar nicht gefegmäßig; ob aber ein Menſch verhungert ober burch Entziehung von Schlaf getöbtet wird, ob man ihn durch langſames Abfchnei- den ver Gliedmaßen umbringt oder ihm die Augenliver ab- ſchneidet und ihn mit glühenden Zangen zu Tode zwickt, bleibt fih am Ende gleih. Das eine ift nicht granfamer als das andere, und beides wirft einen unlöfchbaren Flecken auf Das Gefeß und feine ausführenden Organe.

Es gibt in China zehn privilegirte Klaſſen, die nur ver- urtheilt und beftraft werben können, nachdem vorher dem Kaiſer darüber Bericht erftattet if. Zu diefen gehören vie Anverwandten bes Faiferlichen Haufes und die höhern Beamten. Bei dem jeßigen AJuftande des Reichs vermag jeboch jeder fih dem Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, wenn er veich genug ift, nicht allein die Nichter zu beitechen, ſondern einen Stellvertreter zu Taufen, der für ihn die Strafe erleibet. Diefer leßtere Uſus ſteht in China einzig in feiner Art ba und liefert einen merkwürdigen Beitrag zur Culturgefchichte biefes Volle. Das Geſetz verlangt für jedes Vergehen eine Sühne, ihm muß unter allen Umftänden Genüge geleiftet werben; ob jeboch der Schulpige beftraft wirb, darauf fommt es weniger an, als daß überhaupt nur geftraft wird. Begeht mithin ein reicher Mann ein Verbrechen, deſſen er überführt ift, fo hat er nur einen Vertreier zu fchaffen, ver fich als Thäter befennt und dem Gefee verfällt. Bei uns mag bis- weilen wol etwas Nebnliches vorkommen, aber dann ganz bejtimmt ohne Wiffen des Richters, und in ſehr vereinzelten Fällen. In China dagegen ift e8 allgemein, und fo unglanb» lich e8 klingen mag, für eine verhältnißmäßig geringe Summe

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find fegar Leute zu kaufen, die al® Stellvertreter bie Todes⸗ fteafe erleiden! Ein Diftrict in per Nähe von Kanton Liefert viefelben. Für 300 Taels oder 600 Thaler nad) unferm Gelde laſſen fie fich hinrichten oder erleiven die ſchrecklichſten Todesqualen.

Man fragt unwillkürlich: wie ift es möglich, daß ein Menih um Geld für einen andern ftirbt? Aber dies kann nur in China ftattfinden. Ich habe fchen bemerkt, daß das Tamilien« und Stantsleben auf ven unbebingteften Gehorſam, Ehrfurcht und Hingebung gegen Aeltern und Staatsoberhaupt bafirt if. Der Vater bleibt bis zu feinem Tode unum⸗ Ichränfter Herr und Gebieter feiner Kinder, mögen dieſe ſelbſt Väter oder Großväter fein. Die Söhne find durch die beilig- ften Geſetze gebunden, für die Xeltern zu forgen, wenn Alter und Schwäche fie erwerbsunfähig machen. Wehe dem Finde, bas feine Aeltern vorſätzlich darben Tieße; nicht nur Die Strafe bes Geſetzes würde es ereilen, fondern das Volf es ausſtoßen und ächten. Bei der Meberböfferung des Landes geht unglaub- liher Reichthum neben der fchredlichiten Armuth einher. Der erwähnte Diftriet ift einer der ärmften des Weiche, er wird fat jägrlih von Hungersnoth heimgefucht, und Tauſende von Familien kämpfen mit dem unglaublichiten Elende. Da ift es denn nicht zu vermundern, wenn ein Sohn, um bie bor Hunger fterbenden Aeltern zu retten und ihnen eine forgenfofe Zukunft zu fichern, fich felbit Dem Tode weiht und in Finblicher Reſig⸗ nation feinen Naden dem Henkerbeile biete. Er ftirbt unter ben Segnungen des greifen Vaters, der geliebten Mutter in den Bemußtfein, das höchfte Maß der Rinvespflichten erfüllt und fich dadurch der himmlifchen Seligkeit theilbaftig gemacht zu haben.

Ein auffallendes Beispiel diefer Art trug ſich vor einigen Sahren in der Nähe von Kanton zu. Mehrere reiche Chineſen hatten, unzufrieden mit dem Mandarin ihrer Stabt, eine Verſchwörung gegen ihn angeftiftet und ihn ermorbet. Der

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Provinzialrichter wurde mit Truppen gegen fie ausgejandt, fand aber einen jo drohenden Widerſtand, Daß er es ger rathen fand, die Unruheftifter nicht mit Gewalt anzugreifen, jondern mit ihnen ein Compromiß einzugeben. Wenn er nicht. jelbft fein Amt und vielleicht feinen Kopf verlieren wollte, mußte er Schulvige finden und richten. Dies fahen bie Verſchwörer felbft ein, und da fie fih auch vor einem längern Widerftande fürchteten, Fauften fie 20 Stellvertreter, . bie fich als Rädelsführer bekannten und fofort hingerichtet wurden. Um das Stilffchweigen des Sohnes des Ermorbeten zu erfaufen, wurde ihm seine Summe von 100000 Taels angeboten, die biefer annahm. So war allen Theifen ge- holfen. Die Schulvigen gingen frei aus, fie waren von ihrem Verfolger befreit, der Richter behielt Amt und Kopf, die Ruhe war wieverhergeftellt und dem Geſetze Genüge ge- Ichehen.

Ein guter Zug in der chinefifchen Geſetzgebung ift bie Milde, wo es fih um Beitrafung Mitfchuldiger handelt, wenn diefe mit dem Verbrecher durch Familienbande verfnüpft find. Gemäß dem Ausfpruche des Confucius: „Der Vater mag die Vergehen feines Sohnes, der Sohn bie des Vaters verheimlichen, dies ift nur recht”, werben Verwandte und Diener, die unter bemfelben Dache Teben, nicht beftraft, wenn fie die Vergehen ihrer Mitbewohner verheimlichen, ja jogar, wenn fie zu deren Flucht behüfflich find. Sch Habe bereit8 bemerft, daß die Regierung ängftlich darauf bebacht iit, ihre Untertbanen durch öfteres Vorleſen der Gefeße mit biefen befannt zu machen. Um dies noch mehr zu förbern, find alle Individuen, welche die Geſetze nach ihrem wahren Sinne auszulegen vermögen, im erften Falle für alle folche Dergehen ftraffrei, die nur zufällig ober die_ Folge von Vers brechen anderer find, mit Ausnahme von Hochverrath oder Rebellion, deren Theilnehmern nie Gnade gewährt wird.

Werner. I. 14

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Sp ift der chineſiſche Strafeoder ein Gemifch von guten und fohlechten Gejeten, von Milde und Graufamket. In feiner Sorge, das Wohl der Unterthanen zu beförvern, be⸗ raubt er fie faft aller individuellen Freiheit, behandelt fie wie Heine Kinber und will fie nicht nur vor bem Abweichen vom Pfade des Rechts warnen, fondern fie zur Tugend zwingen. Seine Mängel find groß, aber immerhin behäft das Werk den Ruhm, das befte feiner Art in ganz Aſien zu fein und viel Gutes gefchaffen zu Haben.

13.

Die chineſiſche Armee, ihre Stärke, Bewaffnung, Cintheilung. Un-

friegerifcher Geift der Armee und bes Volkes. Vernachläſſigung ber

geſammten Kriegskunft im Neiche dev Mitte. Beichaffenheit ber Nebellen- armer,

Wenn man bie Rejultate der verfchiebenen Kriege, welche China feit 1840 mit ‚England und Frankreich führte, in Be⸗ tracht zieht, in benen bie gefammte militärifche Macht ver Weſtmächte faum 5—10000 Dann betrug und dennoch ftet8 bie numerisch zehnfach überlegenen chinefifhen Truppen ſchlug, fo fann man von vornherein feinen hoben Begriff von ber Tüchtigkeit und Tapferkeit ver legtern befommen. Wer bie Vertheidiger des Reichs der Mitte aber felbft gejehen, wird fih nicht mehr wundern, daß fie ftetS gefchlagen wurben. Ein unfriegerifcheres Inftitut als das chineſiſche Militär Tann e8 Taum geben, und fein Zuftand Fennzeichnet mehr als alles andere die vorwiegende Friedensliebe ver Söhne Han’s. Die gefammte ſoldatiſche Macht Chinas ift nach den Verhältniſſen der Gegenwart geradezu eine Xächerfichfeit und einzig und allein im Lande jelbft zu verwenden, aber felbft da noch jo unzulänglich, daß e8 3. B. den Hunderttaufenden ber Armee troß beftändiger Kämpfe feit dem Beginn ver Zatarenherr- ſchaft nicht gelungen ift, einen kriegeriſchen Volksſtamm im

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nebft fpecteller Angabe von ben Leiftungen und Verbienften eines jeden Offtziers und Soldaten. Die Regierung läßt bie Betreffenden avanciren und fchidt die nöthigen Fonds zum Unterhalt diefer Armee, an deren Vorhandenfein fie jo gut tit, nicht zu zweifeln, und bie Behörden von Shang-hae ſtecken ben Ueberfchuß in ihre Taſche.

Einige Reifende haben vie chinefifche Gavaferie als ſehr zahlreich gejchilvert, dies ift jevoch eine irrige Anficht. Zwar machten die Tataren in frähern Zeiten mit bebentenben Neitertrupps Einfälle in China, allein die Pferdezucht hat ſehr abgenommen und ift jet kaum der Schatten von früher.

Die factifche Eintheilung der Armee ift der unfern jehr ähnlich. Sie zerfällt in Divifionen, Brigaden, Negimenter, Bataillone und Compagnien, beren Iettere 100 Köpfe zählen. Die Generaloffiziere Haben ihren Wohnfig in der Nähe des Cantonnements ihrer Truppen. ‘Diefe werden fo wenig als möglich in Städten einquartiert, ſondern leben nach alttata- rifcher Weife unter Zelten, wenn fie zu einem Corps gehören. Ein militärifches Mebergewicht ift im China fo gefürchtet, daß ſtets ein Theil ver Truppen unter ven Befehl ver Gouverneure und Vicegouverneure geftellt wird, deren Dienft hauptjächlich ein abminiftrativer ift, pa man durch dieſe Maßregel bie Autorität der Militärmandarine und ihre factiiche Gewalt zu beſchränken hofft. Die Erziehung des chinefifchen Soldaten beſchränkt fich auf die Behandlung des Bogens, ver Pile und der Luntenflinte. Wenn bie Bogenfchügen eingeübt werben, ftellen fie fich im Kreife um ihre Offiziere auf, die gemüth- lich und ihre Pfeife rauchen unter einem Zelte fiten. Von Zeit zu Zeit nähert fich ein von feinem Hauptmann aufge rufener Soldat, um Befehle zu empfangen, wobei er nieber- knieet. Dann thut jeder Schüge drei Schuß nad einer

Scheibe auf ungefähr 75 Schritt Entfernung und kehrt zurüd, um ſich abermals vor feinem Offizier auf bie Knie zu werfen

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und Lob oder Zabel zu empfangen. Das Erereitium mit Säbel und Lanze bei ven Chinefen gleicht eher einer Spielerei als einer militärifchen Uebung. Nichts kann grotester fein als die Stellungen und Geften dieſer unglüclichen Krieger bei ihren Evolutionen..

Die jungen Manbarine, welche fich dem Militärfache widmen, müſſen ſich ebenfalls einer Prüfung unterwerfen, in der ſie ihre Geſchicklichkeit in der Behandlung der Waffen und Pferde nachzuweiſen haben. Nach dem Ausfalle dieſer Prüfung wird ihnen ein militäriſcher Rang zugewieſen.

Vom gemeinen Soldaten aufwärts bis zum Divifions- general over Tetu können alle Militärperfonen eine lörper- liche Züchtigung erhalten, und nicht felten werben höhere Offiziere auf Kaiferlichen Befehl auf offenem Markte mit bem Bambus beftraft. Yon militäriſchem Ehrgefühl ift natürlich bei den chineſiſchen Truppen keine Rede, und ich ſah bei einer Gelegenheit in Schang⸗hae, daß es ſowol den Soldaten als ihren Führern gänzlich abgeht.

Ein hoher Militärmandarin traf dort wit einer Escorte ein, als ich mich in Schang⸗hae befand. Zuerſt kamen zwei ſchäbig gefleivete Soldaten mit einer aus Bambus geflochtenen Kopfbebedung in Zuderhutform, kurzem blauen Rod mit dunkelblauem Kragen, vergleichen kurzen Beinkleivern und Schu- ben. Als Waffe trugen fie ein kurzes verroftetes Schwert von höchftens 1 Fuß Länge mit Holzſcheide und auf dem linken Arme einen mit einem Tigerkopfe bemalten Schilo aus Bambusgefledt. Dann folgten acht ungleich uniformirte Sahnenträger, jeber eine große preiedige Fahne aus buntem Sei- denzeuge tragend. Hinter ihnen marfjchirten ſechs Mandarine der untern Grade, und biefen auf vem Fuße folgte die Sänfte bes Generals von vier behelmten Soldaten getragen. Ihre Helme hatten Aebnlichfeit mit den Pidlelbauben bes Mittel- alters und waren hinten mit einem langen Anbängfel ver-

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feben, das den Naden gegen Hiebwunden fchügen foll, eine Borficht, die darauf fchließen läßt, daß die chinefiichen Sol⸗ daten ihren Feinden fehr oft den Rüden zeigen. Der Sänfte folgten dann etwa 60 Dann Infanterie Man kann bie Bürgerwehr von Krähwinfel unmöglich mehr als Caricatur betrachten, nachdem man folche Linientruppen gejehen. Ebenfo bunt wie Uniform und Tracht war die Bewaffnung, Der eine trug Bogen und Pfeile, der zweite Schilb und Schwert, der dritte eine Quntenflinte, der vierte ein Gewehr mit Steinſchloß, der fünfte eine Pike, dieſer die Waffe auf der linfen, jener auf ber rechten Schulter, das Schwert in einer beliebigen Hand ober in der Scheide Der Zug be- gegnete drei franzöſiſchen Soldaten vom 101. Regiment, das Schangshae zum Schutze gegen bie Rebellen bejegt bielt. -Diefelben waren ohne Waffen, aber etwas angetrunfen, und ber eine hielt einen Stod in der Hand. Er ftellte fich ganz nahe an die Truppe und machte fich ein Vergnügen Daraus, jedem einzelnen Soldaten mit feiner Gerte den Hut - von Kopfe zu fchlagen. Das feige und jeden Ehrgefühls bare Volk ließ fich das rubig gefallen, und felbft die Man⸗ barine machten nicht die geringfte Miene, ven Franzoſen Ein- halt zu gebieten.

Die wenigen intelligenten chinefifchen Staatsmänner, vie ſich in den letzten Jahren durch Umgang mit ven Europäern gebilpet haben, und unter ihnen ver jeßige Regent und Bru- dev bes verjtorbenen Kaiſers Hienfung, ber Prinz Kung, machen fich auch fein Geheimniß aus der betrübenben mili- täriſchen Infertorität ihres Vaterlandes und dem ſchlechten Zu⸗ ftand der nationalen Vertheidigungsmittel. Prinz Kung geht nach den neueften Nachrichten auch wirklich damit um, bie Armee zu reorganifiren, europäifch zu bewaffnen und zu bie- ' cipliniren. Amerifanifche, engliſche und franzöftfche Inftruc- teurs bilden einen Kern, der vielleicht zum Veſſern führt,

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namentlich ba der Mandfchu-Dynaftie das Meſſer an ver Kehle fist. Das Material dafür ift da, und gut, namentlich in Nordchina, wo ein außerorventlich Fräftiger und großer Men⸗ Iherfchlag wohnt. Es kommt nur darauf an, ben Chinefen einen kriegeriſchen Geijt einzuflößen, und bei unferer Anwefen- heit in Zientfin verfuchte Prinz Kung den erften Schritt, indem er das Ehrgefühl der Soldaten durch Vertheilung von Me- baillen an alle biejenigen, welche bie letzten Kämpfe gegen bie Alliixten mitgemacht, zu weden ſuchte. Das Experiment gelang vollſtändig. Zuerjt machten vie bamit Decorirten ihre Stoffen darüber, ſchon nach wenigen Wochen betrachteten fie es jedoch als eine Ehre, und damit iſt allerdings fchon viel gewonnen.

Das Studium der Kriegsfunft, Taktik und Strategie ift vollſtändig vernachläffigt, obwol Bücher darüber eriftiren. Bon diefen fiel im Opiumfriege ein chinefifches Werk mit dem Titel „Handbuch des Soldaten“ in die Hände ber Eng- länder, das einige elementare Regeln über den Marfch einer Armee, die Conftruction von Brüden, über Lager, Feldbe⸗ feftigung und über Recognofeirungen enthält. Ebenſo behandelt es den Gebrauch der verſchiedenen Waffen, die Art, eine Schlacht zu beginnen und einen Rüdzug zu leiten, empfiehlt die Nüslichfeit von Spionen und lobt die Vortrefflichleit der Soldaten, welche beim Beginne eines Gefechts nicht zittern eine Borforift, die mit wenigen Ausnahmen ein chinefifcher Soldat ebenfo fchwer befolgen lernt als ein Civilmandarin pie Morallehre des Confucius.

Ihre Tortification liegt ebenfalls noch in der Kindheit, und ih hatte Gelegenheit diefe bei dem Beſuche eines wegen ber Nähe der Rebellen auf SKriegsfuß befindlichen verfchanzten Lagers bei Wuſung aus nächfter Nähe zu beurtheilen. Schon auf einige Meilen war das Lager durch Hunderte von auf- gepflangten Fahnen fichtbar. ahnen fpielen überhaupt eine

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große Rolle in der chinefifhen Kriegführung, und es fcheint fih der als der mutbigere und jiegesgewifjere zu betrachten, der die meiften Fahnen Hat. Lebe Compagnie zählt beren wenigſtens 15, und bei ven Schantung Rebellen, welche Chefu während unferer Anweſenheit pafelbft. belagerten, hatte faft jeder dritte Mann eine Fahne.

Die Fahnen waren roth, grün, gelb, weiß, breiedig, aus Seide gefertigt und in dem Hauptfelde mit Charakteren be- fchrieben. Sieben verfchienene Banner bezeichneten ebenjo viel verſchiedene Lager, bie in dem Umfreife von ungefähr einer Meile zerftreut lagen und ziemlich gleich groß waren. Wir bejuchten das größte. In der Mitte deſſelben befand fich ein etwa 30 Fuß hohes Holzgerüft, oben mit einem Häuschen für eine Schildwache, die aus diefer Höhe das umliegende Flachland auf viele Meilen weit überfehen konnte und alles Trembartige fignalifirte. Die Wachſamkeit fchien jedoch nicht ſehr groß zu fein, da unſere Anweſenheit erft bemerft wurde, als wir bereits das Glacis befchritten und den erften Feftungs- graben pafiirt hatten. Ich fpreche bier in Ausdrücken, wie fie in unferer Fortiftcation gebräuchlich find, -jevoch darf man damit feineswegs genau die Begriffe verbinden. Jedes Lager ſchloß ungefähr einen Flächenraum von 2 Morgen ein, war freisförmig und zunächſt von einem 12 Fuß breiten Graben umgeben, über ven als Zugbrüde eine Bohle führte, auf ver ein Mann paffiren konnte. Diefer Graben war, da es kurz vorher geregnet, zufällig naß, doch ftand kaum 1 Fuß Waffer darin. Hinter ihm kam bie erfte Enceinte, eine Mauer von Schlamm aus dem Graben von 8 Fuß Höhe mit Bruftwehr und Schiekfeharten, aber ohne Kanonen. Hinter diefer erjchten ftett der Baliffaden ein Verhau von Dornengebüſch und Hinter biefem ein zweiter Graben mit einer zweiten Mauer, gerade wie bie erfte conftenirt. Danach be- trat man das eigentliche Lager, das circa 60 Zelte &

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10 Dann, alfo wahrſcheinlch ein Bataillon faßte. Der Ein- gang wurde durch ein auf der YBruftwehr der innern Mauer ſtehendes Poſitionsgeſchütz gebedt, mit ber unvermeiblichen Zierath von rothem Tuch um bie Mündung. Dies war aber das Schredlichite daran, fonft erfchien fie bei näherer Betrachtung gänzlih harmlos. Sie beſaß ein einpfünbiges Kaliber, ein ehrwürbiges Alter von minbeftens 200 Jahren, hatte wahrfcheinlich mehrere Decennien im Wafler gelegen, und das forgfam zugebedte Zündloch war fo zugeroftet, daß e8 als nicht vorhanden betrachtet werben konnte und ein Schießen unmöglich geweſen märe, jelbjt wenn Munition und Ladezeug da geweſen, vie aber beide fehlten. Ich fragte . ben commanbirenden Mandarin, ob er mir bie Antiquität nicht verlaufen wolle, und er ſchien auch gar nicht abgeneigt, jedoch durfte er e8 wol fo offen nicht thun und bis zum Abend hatte ich Feine Zeit.

Die Zelte waren fehr gut gemacht, viele mit boppelten Wänden aus Baummollenzeug, und ein Holzgerüft gab ihnen die nöthige Feſtigkeit. Die der Mandarine waren fehr ge- räumig, beftanden inwendig aus zwei Zimmern und hatten audh*eine ziemlich comfortable Einrichtung von Matten-Dedten, ja fogar von foliden Betten. In den Zelten ver Gemeinen fehlte oft das Stroh, und bie Soldaten lagen alle auf dem bloßen Erdboden.

Die hier ftationixten Truppen fchienen zur Elite des Hee- res zu gehören, ba fie fämmtlich mit Feuergewehren bewaff⸗ net waren. Allerdings darf man fich darunter Teine Minie⸗, Enfield⸗ oder Zündnadelbüchſen vorftellen; im Gegentheil bat- ten fie den Vorzug, weniger furchtbar als dieſe modernen Mordinftrumente, ja in ben meiften Fällen ganz unfchäplich zu fein. Bon eben fo ehrwürbigem Alter wie das erwähnte Po- fitionsgefchüg gehörten fie ſämmtlich dem Geſchlecht der Lunten⸗ flinten an, aus einer Zeit, wo fich dies noch in urfprünglichfter

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Kindheit befand. Dieſe Flinten geben einen weitern fchlagenden Beweis für die Friepfeligfeit des chineftfchen Volkes, da eine krie⸗ gerifche Nation unmöglich mit folhen Waffen gegen einen Feind, und fei er auch ver hafenherzigfte, ziehen kann. Wir bejahen uns einige funfzig dieſer Reliquien verfloffener Jahr⸗ hunderte, aber auch nicht zehn waren davon zu gebrauchen. Bei den meiften Flinten war das Zündloch ganz zugeroftet, bei andern fehlte ein Theil oder auch das ganze Luntenſchloß, und jedenfalls war feit vielen Iahren aus feinen geſchoſſen, obwol man jegt die Abficht zu haben ſchien, da in einem Zelte von ben Soldaten Pulver angefertigt wurde. Letztere liefen jeden Augenblid einige Schritte weit von ihrer Arbeit weg, um eine Pfeife zu vauchen, und wir zogen es darum vor, uns fo fchleunig als möglih aus ber gefährlichen Nachbar- Ihaft zu entfernen. In China gibt es feine Pulvermühlen; alles Pulver wird im Felde von ben Soldaten gemacht, und nur bie Ingredienzen nimmt man dazu mit. Die Zufammen- jegungsverhältniffe beflelben find den unjern faſt gleich, näm— lich 75,7 Salpeter, 14,8 Weidenkohle und 9,9 Schwefel, je= boch ift e8 bedeutend ſchwächer als das europäifche, und bie Rebellen find Hug genug, lieber 5 Thaler für das Pfund engliiches Pulver zu bezahlen, als es wie die Kaiferlichen ſelbſt zu bereiten.

Die Soldaten waren ziemlich fräftige und große Leute. Biele trugen auch Uniform, gelb mit blauen Auffchlägen und auf der Bruft wie auf dem Rüden ein fußgroßes kaiſer⸗ lihes Wappen gebrudt; doch waren auch viele Greife darun⸗ ter, und im ganzen machten fie durchaus keinen militäriſchen Eindruck.

Die Taku⸗Forts, welche ich ſpäter beſuchte, beſtanden aus einem Erdwalle, welcher der größern Haltbarkeit wegen mit ſchweren Teakholzbalken durchfuttert war. Ihr Hauptſchutz beſtand in ihrer Lage am Waſſer und dem ſie umgebenden

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Sumpfboden; in ver Kehle waren fie jedoch vollſtändig offen, und die Engländer würden die Werfe fofort genommen baben, wenn fie biefe beim erften Angriffe umgangen hätten, anjtatt birect durch den Schlamm zu waten und babet eine Nieber- lage zu erleiden.

Mit der chinefiichen Artillerie ftebt es nicht beſſer wie mit allem Mebrigen. Die im Lande gefertigten Geſchütze find fehr roh, nicht gebohrt, fondern blos in einer Form gegoffen, in deren Mitte ein chlinderförmiges Stüd Holz von ber Stärke des gewünfchten Kalibers aufgerichtet ift. Dieſes oft naſſe Holz verurfacht eine zu jchnelle Abkühlung bes innern flüffigen Eifens, und daraus entitehen Unebenheiten und nicht jelten Riſſe. Die aus dem Auslande bezogenen und mit theurem Gelde bezahlten Geſchütze find kaum beffer, nach feinem einheitlichen Syſtem beſchafft und faft alle ſehr fchlecht gehalten.

Diefe Thatfachen können auch "allein die wunderbaren Kriegserfolge der Weitmächte gegen bie‘ Chinejen erklären und auf ihr wahres Maß zurüdführen. Es tft feine Kunft, mit bisciplinirten Leuten und modernen Waffen gegen wehrloje Leute zu kämpfen. |

Die chinefifchen Rebellen find in dieſer Beziehung viel beffer daran; fte haben nur Feuergewehre neuerer Conftruc- tion, die fie wohl zu fhäßen und zu handhaben wifjen, und baburch ift es ihnen möglich geworden, mit ihrer verhältniß- mäßig fleinen Armee gegen bie Maſſen der Kaiferlichen Stand zu halten, dieſe zu fchlagen und oft aufzureiben. Trotz der überlegenen Taktik und Bewaffnung ber Europäer find die regulären Zatarentruppen ihnen gegenüber nicht feige zu nennen. In den Kämpfen ver legten Jahre ijt es häufig borgelommen, daß biefe Truppen im beftigften Kartätſchfeuer muthig Stand hielten und fich decimiren ließen, ohne zu wei⸗ hen, bis ein Bajonnetangriff auf fie geſchah. Dieſem wider⸗

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ftanden fie nie. Die moralifhe Wirkung einer ihnen entge- genftarrenden Eiſenmaſſe jagte fie wie Spreu auseinander. Auch die Rebellen haben ihre legten Vortheile hauptfächlich dem Umftande zu danken, daß fie den Kaiferlichen meh⸗ rere Regimenter mit Bajonnetflinten entgegenführen konn⸗ ten. Außerdem haben fie beffere Führer als ihre Gegner, bie fühnen, unternehmenden Muth durchaus nicht als eine gute Eigenfchaft bei Offizieren betrachten. Bei den Kaifer- lichen kann jeder General öffentlich ausgepeitfcht oder mit bem hölzernen Kragen gefchmüdt ausgeftellt werben, und fchon aus dieſem Umſtande gebt hervor, wie wenig moralifchen Einfluß folche Führer auf ihre Untergebenen haben müſſen. Bei ven Rebellen dagegen ift jeder Offizier zugleich Beamter oder umgefehrt, und er nimmt dem Volke gegenüber biefelbe exclufive und bevorzugte Stellung ein wie ver Civilmandarin dei den Saiferlichen.

14.

Die Chinefen als Gegenjat zu den Europäern. Charakteriſtik bee

chinefiſchen Volkes in Sitten und Gebräuden. Die Fefttage der Chi-

nefen. Das Nenjahrsfeft, Das Todtenfeſt. Das Laternenfefl. Ver⸗ gnügungsipiele.

Nachdem ih in den vorhergehenden Kapiteln eine Bes fchreibung von Kanton gegeben, die in ihren Hauptzügen auf alle größern Städte Chinas paßt, und die allgemeinen Ver⸗ hältniffe des Landes infoweit berührt habe, als ich es für ben Leſer von Intereffe erachtete, will ich jegt zur Charak⸗ teriftit des merfwürbigen Volles jelbft übergehen und das⸗ jenige mittheilen, was ich während eines elfmonatlichen Aufent- haltes im Reich ver Mitte in dieſer Beziehung zu beobachten Gelegenheit hatte. |

Ein Reiſender bat in einer Heinen Schrift folgende Schil« derung feines erften Eintritts in China gegeben: „Auf meine Frage an den Bootführer, in welcher Richtung Macao läge, wurbe mir die Antwort: im « Weſt⸗-Norden » und der Wind fei « Oft-Süb». Wir fagen nicht fo in Europa, dachte ich bei mir, ftaunte aber noch mehr, als er mir bei Gelegenheit des Kompaſſes erflärte, daß die Magnetnadel nach Süpen zeige. Um den Gegenftand des Gefpräches zu wechfeln, be» merkte ich hierauf, daß er wahrjcheinlich zu einer hoben Feſt⸗ lichfeit gebe, da er ganz weiß geffeidet fei. Er ahtwortete

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mir jeboch mit einem verächtlichen Blick, fein einziger Bruder fei vor acht Tagen geftorben,-und er befinde fich deshalb in tieffter Trauer, Bei meiner Landung wurde meine Aufmerf- ſamkeit zuerft durch einen Milttärmandarin angezogen, ber einen geftidten Unterrod, ein Perlenhalsband und einen Fächer, aber feine Waffen trug, und von ber rechten Seite fein Pferd beitieg. Ich ſah mich von Eingeborenen umgeben, die ihren Kopf gefchoren trugen, während ein Theil von ihnen das Haar im Geficht wachfen ließ. Auf dem Wege nach dem Haufe, wo ich abjteigen twollte, begegnete ich zwei hinefifchen Knaben, die mit großem Ernſte fich über den Be- fig einer Orange ftritten. Die ‘Debatte war von fehr lebhaf- ten Geften begleitet; fchließlich fetten jie fich jedoch rubig nieder und theilten die Frucht gleichmäßig unter fi. Kurz darauf bemerfte ich einige alte Chineſen mit grauen Bärten und außerorventlich großen Brillen, die Drachen fteigen ließen, während eine Gruppe von Kindern mit gejpannter und ernfter Aufmerkfamfeit den unfchuldigen Befchäftigungen der Greife zuſchaute ....

„Ich verharrte bei meinem Entſchluſſe, auszudauern, und er⸗ hielt am nächſten Morgen einen chineſiſchen Lehrer, ber glück— licherweife englifch verftand. Sch wußte, daß ich eine Sprache ohne Alphabet zu ftubiren Hatte, war jeboch nicht darauf worbereitet, daß mein Lehrer, als er das Buch dffnete, von hinten an zu leſen fing. Er begann mit dem Tage ber Publication nes Werks: «Fünftes Iahr, zehnter Monat, drei⸗ undzwanzigiter Tag!» Ich bemerkte ihm, daß wir unfer Datum auf andere Weife bezeichnen, und bat ihn, mir etwas über chi: nefifches Ceremoniell zu erzählen. «Wenn Sie», begann er, «in China einen hohen Gaft empfangen, fo vergeffen Sie it, ihn an Ihre linfe Seite zu feßen, denn bas ift ber Ehrenplag. Ebenfo hüten Sie fih, das Haupt zu entblößen, bies würde eine unpafjende Vertraulichkeit verkünden» Im

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Berlauf unfers Geſprächs kam auch die Rede auf chinefifche Philofophie, und indem er das Buch wieder zur Hand nahm, {a8 er mit dem größten Ernft: «Die gelehrteſten Leute find entfchieden der Anficht, daß der Sit der menfchlichen Ver« nunft im Magen zu fuchen if.» Nun wurde es mir aber zu arg, ich ergriff in Verzweiflung. mein Buch und ftürzte zur Thür hinaus.

Obwol der Verfaſſer des Schriftchens biefe Thatſachen wahrſcheinlich abſichtlich aneinander gereiht, hat er wenigſtens nichts übertrieben, und das Erzählte hat feine Nichtigkeit. Nur bie Eine Bemerkung, wonach die Chinefen den Sig des Ver⸗ ftandes in den Magen verlegen follen, ift wol umrichtig, da fie vielmehr das Herz als die Hülle der Vernunft bezeichnen. Abgeſehen hiervon veranfchaulicht jedoch jene Zufammenftellung jehr zutreffend, in wie vielen Beziehungen bie Chineſen gerade der Gegenfaß von uns Europäern find. 8 ift ſchwer, den Charakter der Chinefen richtig zu beurtbeilen. Sie zeigen fich dem Fremden felten jo, wie fie wirklich find, und nur wer ihre Sprache verfteht und lange Jahre mit ihnen umgegangeır oder unter ihnen gelebt hat, vermag fie getren zu fchilbern und die Gegenfäße zu erklären, die fich in ihrem Denken un Handeln offenbaren und dem Trempen oft räthjelhaft erfchei- nen. Ich werde daher nur infofern auf ihren Charakter ein- gehen, als er fich in ihren Sitten und Gebräuchen fund gibt und feine Mispeutung zuläßt. |

Ich beginne mit den Fefttagen der Shinefen, beren jeboch faum ein anderes Volk fo wenige zählt. Eigentlich gibt es nur zwei Feſte, die im ganzen Lande gefeiert werben, das Neujahrsfeit und das Todtenfeſt zur Erinnerung an bie Ver- jtorbenen, Lebteres ift jedoch mehr eine religiöſe Feier und beſchränkt fi auf einen Tag, während erſteres fait vierzehn Tage dauert, in’ alle Verhältniſſe des focialen Le— bens eingreift und alle Gefchäfte unterbricht, ein Umftand,

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ber in China mehr als alles andere für feine Bebeutung Ipricht.

E8 beginnt an dem Tage, wo bie Sonne den 15. Grab nördlicher Breite jchneibet, was ungefähr am 10. Februar stattfindet. Schon 10 Tage vorher Hören alle Geſchäfte auf, die alten werden abgewidelt, aber Feine neuen unternommen. Ein durch taufenvjähriges Beſtehen fanctionirter Gebrauch fegt nämlich” jevem Bewohner des Himmlifchen Reichs bie moralifche Verpflichtung auf, alle laufenden Rechnungen ab⸗ zufchließen, zu bezahlen und mit Einem Worte in feinem Ge— ſchäfte völlig reine Bahn zu machen. Dies Gefet ift fo ftreng, daß ber Chinefe, welcher ihm nicht ftrict nachläme, in ben Augen feiner Mitbürger als ehrlos daſtehen würde, und was Drohungen, gerichtliche Klagen und Schuldarreft im civilifir- ten Europa nicht zu: beiwirfen vermögen, erzwingt bier bie Öffentlide Meinung. Ja bie Kaufleute find fo penibel, baf fie, wie gefagt, wochenlang vor dem Termine gar feine neuen Gefchäfte eingehen, fondern nur nach Kräften bemüht find, bie laufenden abzumwideln. Ein folcher Abfchluß mag denn wol bei einzelnen brüdende ‚Gefühle hervorrufen, im allgemeinen wird aber jeder mit erleichtertem und frohem Herzen das neue Jahr beginnen, und feine Feier ift ein Felt ber Freude und ber Heiterkeit. |

Am Testen Abend des alten Jahres bleibt alles wach, und jowie die Gongs der Wachthäufer mit ihrem fonoren Klang Mitternacht verkünden, beginnt ein enblofes und über alle Beichreibung großartiges Abbrennen von Schwärmern, ſodaß nach furzer Zeit die ganze Atmofphäre mit Salpeter geſchwän⸗ gert it. Diefe Feuerwerkskörper, von Gejtalt und Größe eines Kleinen Fingers, find von chinefifchen Feftlichleiten unzer⸗ trennlich und werden in unglaublichen Duantitäten angefertigt und verbraucht. Man zieht fie zu Hunderten und Tauſenden auf Schnüre und ſteckt einen derfelben an, ber dann in fchneller

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Reihenfolge die übrigen entzündet, bis unter lautem Gefnatter die Schnur verbrannt if. Es follen jährlich über 600000 Centner Pulver zur Fabrikation dieſer Schwärmer in China verwandt werben, aber nach dem, was ich davon habe ver- brauchen fehen, namentlich am Neujahrsfefte, fcheint mir bie Angabe viel zu gering gegriffen, da außerdem auch ganze Schiffsladungen davon nach Nordamerika ausgeführt werben, mit denen bie ebenfo wie die Chinefen Geräufch liebenden Yankees ven Sahrestag ihrer Unabhängigkeitserflärung feiern. Der ideale Zweck diefer Schwärmer ift, durch ihr Knallen die Dä— monen zu erjchreden und gu vertreiben, won benen ber Chinefe die Erde bevölkert glaubt und vor Denen er eine ftete Angjt hegt. In Wirklichkeit ftiftet aber das Abbrennen biefer Schwärmer in fanitätifcher Beziehung nicht wenig Gutes, und ihrer quantitativen Verwendung iſt e8 wol mit zu banken, daß die von allen Berhältniffen in China begünftigte Erzeugung von Miasmen durch den vielen Pulverdampf paralhfirt wird und nicht verheerende Krankheiten bringt.

Bis Tagesanbruch ift jedermann in China befchäftigt, fein Haus für die Yeierlichkeit des Neujahrs vorzubereiten . oder heilige Ceremonien zu verrichten. Die ganze Wohnung wird von oben bis unten gereinigt und ausgepußt. Vor bem Altar der Hausgötter werden mächtige Porzellangefäße mit fetten Speifen, Oliven, Citronen, fünftlichen und natürlichen Blumen, namentlich Narciſſen aufgeftellt, die in feinem Haufe fehlen und die in Vaſen fo gezogen werben, daß fie gerade mit Neujahr in volliter Blüte ftehen,

Schon am frühen Morgen des Neujahrstages fieht man große Volfsmaffen nach den Tempeln ftrömen, um bort zu opfern. Alle haben ſich mit dem Beften gejhmüdt, was fie befigen, und der Herr erkennt oft feinen eigenen Diener nicht, wenn biefer im Feſtſtaate an ihm vorbeiftoßirt. Der ärmlichfte Ruli, ver das ganze Jahr in Lumpen und barfuß

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oder mit elenden Sanbalen umberläuft, ftolziet heute mit blauem ungeflidten Nanlingrod, weißen bis an die Knie reichen- den Strümpfen und den bidbejohlten Filzfchuhen einher, Das jtruppige Haupthaar ift gejtern unter dem kleinen dreiedigen Meſſer des Barbiers gefallen, ver Schädel erfreut fich eines jeltenen Glanzes und der forgfam mit falfchem Haar und Bändern verlängerte Zopf reicht mit feiner Spike gerabe bis auf den Fußboden. Alles, was nur einigermaßen An- ſpruch auf Wohlhabenheit macht, erjcheint in Seide und Belz und oft bebeden zwei, drei Foftbare Pelze übereinander im Werthe von 800 1000 Thalern den Körper eines reichen, froftigen Kaufmanns, während bie reiche, geftickte "und mit rother Seivenguafte verjehene Pelzmütze pas Haupt ziert. Die Andacht in den Tempeln bauert nicht Tange; in höchftens fünf Meinuten ift die Sache abgemacht. Ein Opfer von einigen Kupfermünzen in die Tempelkaſſe, bei ber ein kahlgeſchorener Bubphapriefter mit blöpfinnigem Geſichtsausdruck fitt und gedankenlos die Rauchwolfen feiner langen Zabads- pfeife aus BPfefferrohr mit kleinem Meſſingkopf in die Luft bläst, einige Verbeugungen und IKniefälle vor einem ver Hauptgögen und ein Opfer von Saiſis aus Silberpapier, bie an den Altar gehängt werden das ift das Ganze und wahrbaftig wenig genug. Beten koſtet zu viel Zeit, man überläßt es dem Priefter, dieſer wird dafür bezahlt. Die Hauptfache ift ja auch das Vergnügen, Muſik, Spiel, Eſſen, Trinken und PVifitenmachen. Saifis heißen die wie ein kleiner Kahn geformten Silberjtüde von gewöhnlich 20 Dollars Werth, welche als einzige einheimifche Silber- münze in China curfiren. Zum Neujahrsfefte werben Millionen diefer Kähnchen aus Silberpapier gefertigt und auf dem Altare den Göttern geopfert, um von dieſen, in Er- widerung des Geſchenks, im Laufe des neuen Jahrs ebenfo viele Stüde aus reellem Silber zurücdzuerhalten. Die Chinefen

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fpecultren jo gewiffermaßen auf die Dummheit ihrer Götter, während die Priefter ebenfalls ihre Rechnung dabei finden, in- bem fie bie geopferten Saifis wieber verfaufen, vie auf biefe Weiſe oft vier- bis fünfmal aus verjchtevenen Händen am Altare niedergelegt werben. Die Tempel in Schang-hae, bie ich bei Gelegenheit des Neujahrsfeſtes befuchte, find übrigens bie ſchmuzigſten, ſtinkendſten Rauchhöhlen, die ich je in China gefehen, bie Götzen rußig wie Schornfteinfeger, und wenn man die Räume betritt, möge man gut darauf achten, daß man jeine Kleider nicht beflede. "

In den Vorhöfen ver Tempel ſieht e8 wie ein Jahrmarkt aus. Bude für Bude, Tiſch neben Tiſch ift aufgefchlagen, Zuckerwerk, von dem bie Chinefen jo große Freunde find, religiöfe Opfergegenftände, Saiſis, Wäucherftäbe, bunte Opferkerzen werben. überall feil geboten und gefauft. Bor allem fällt aber vie Maſſe ver Spielbuden auf. Alle möglichen Hazardfpiele chinefifcher und eurspäifcher Erfindung find hier vertreten, und bie Maſſe ver umſtehenden Spieler von jedem Alter und Gefchlecht, jowie der gierige Eifer der Einjegenden zeugt von ber großen Spielmuth der Chinefen, die nach ihrem Götzendienſte fogleich praftifch erproben wollen, ob das Opfer ihnen geholfen hat. Die jchon erwähnten Wahrfager in allen Barietäten geben an Zahl den Spielbuben kaum nad, und auch ihre Tifche find von einem geprängten Publikum umgeben. Die Schlauheit beutet hier die Dummheit und den Aberglauben auf das gründlichite aus.

In den Theehäufern herricht ein ebenſo lebendiges Treiben und Gewoge wie anf den Straßen und in ven Tempeln; fie find fat Kopf an Kopf gefüllt. An einer Unzahl von Tiſchen figen Männer, Weiber und Kinder, fchlürfen ihren heißen Thee, efien Erdnüſſe, Badwerf oder geröftete Sonnenblumen- ferne Dazu, und eine dichte Wolfe von Tabads- und Opium⸗ dampf hüllt die ganze große Stube in einen trüben Nebel,

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während man vor dem enblofen Gefchnatter ter rvebjeligen Beſucher fein Wort verftehen kann.

Nach dem Tempelbefuche kommt das Bifitenmachen und Gratuliven, gegen das unfere Gratulationen gar nichts fagen wollen. Unfer Ceremoniell dieſer Art befchränft ſich doch wenigftens auf einen Tag und auf unvermeibliche Befuche bei den nächiten Berwandten und Vorgefegten. In China dauert die Sache dagegen imindeftens acht Tage. Es iſt faft wie am Diterfefte in Rußland. Leute, die fich nie gefehen haben, be= grüßen fich wie alte Belannte, arm und reich, niebrig und hochgeboren wünſcht fih Glück, doch begleitet hier nicht wie bei uns bie offene Hand die Öratulatien, fondern bie Wünfche find uneigennügig und aufrichtig gemeint.

Bor jedem Haufe halten Sänften, an denen dide Padete gebrudter rother PVifitenfarten hängen. Roth ift in China die Farbe der Freude und Höflichkeit; nur Trauerbriefe wer- ben auf weißes Papier gejchrieben. Die Neujahrspifitenfarten find ziemlich groß und enthalten einen Holzſchnitt, der die Symbole der höchften irdiſchen Glücjeligfeiten varftellt, bie nach chinefifchen Begriffen in männlicher Nachkommenſchaft, in einer Staatsanftellung oder Beförderung und in langem Leben beſtehen. Dieſe drei Wünfche werden durch die Figuren eines Knaben, eines Mandarin und eines Greifes mit einem Storche perjonificirt. In jedem Haufe empfängt man bie Bejucher mit Thee und Betel, und überall auf den Straßen und vor den Häufern fieht man das Verbeugen und Compli- mentiren mit den affectirten Verfuchen, es zu hindern, bie einen fo bedeutenden Theil der chinefifchen Höflichfeitsformen aus- macen. Ebenfo werden am Neujahrsfefte zwiſchen allen Be- kannten Gefchenfe ausgewechfelt, die aus feltenen Früchten, Eingemachten, feinem Thee, bisweilen auch aus ſeidenen Kleiverftoffen und Zierathen verfchievener Art beftehen und fofort in derſelben Weife erwidert werben. Der Ueber-

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bringer führt eine Lifte der Sachen auf. einem rothen Papier⸗ ftreifen mit fi, die der Empfänger mit dem Vermerk: ‚Mit Dank empfangen“, zurüditellt, während der Diener jedesmal - eine Belohnung erhält.

Das Todtenfeſt findet zweimal im Jahre ftatt; wir fahen es an zwei vexjchienenen Drten mit an, einmal im Anguft in Singapore, das andere mal im April in Schang-hae. Beide Feſtlichkeiten unterjchieden fich wenig voneinander und bie dabei beobachteten Riten ſcheinen im ganzen Reiche ungefähr biefelben zu fein. Die Ehrfurcht ver Chinefen für ihre Vor⸗ fahren ift ungemein groß, und das Todtenfeſt ift der Ausprud dieſes Gefühls, pas überdies, wie ich fchon bei Gelegenheit des Strafcoder bemerkte, durch das Geſetz ſtets wach erhalten wird. Diefes fchreibt jedoch nur das Ausfchmüden ver Gräber vor, und an biefem Tage ftrömt daher alles vor bie Thore, um die heilige Pflicht zu. erfüllen. Wer es irgehb vermag, nimmt dazu Blumen, und es ijt ein wunderhübicher Anblick, wenn plößlich der Kirchhof in einen Blumengarten verwandelt wird. Außerdem aber wird auf jedes Grab ein Büchel von bunten. oder weißen Papierftreifen geftedt, als Sontrole für die Polizei, daß jeder feine Obliegenheit er- füllt hat. 0

Hiermit ift der ernftere Theil der Ceremonie, bie übrigens das gefchäftliche Leben nicht weiter unterbricht, beendet, das eigentliche Feſt findet jeboch erft abends ftatt. Da fich aber ber chinefifche Eultus möglichſt von allem Abftracten frei und nur an das Sinnliche hält, fo ift auch das Todtenfeſt eigent- lich nur ein Zwedeffen, zu dem bie Verftorbenen durch ver- ſchiedene Ober- und Unterpriefter mit Gefang und Infirumen- talbegleitung eingeladen werden. ‘Der möglichite Skandal ift bei allen religiöfen Geremonien der Chinefen immer Haupt- fache, und fomit wurde auch diefes Feft durch das Abbrennen von vielen Zaufenden von Schwärmern, Illnmination von Hun⸗

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derten von Heinen Richtern vor jeder Thür mit obligater Beglei⸗ tung des Gong und anderer lärmmachender Injtrumente einge- weiht. Gegen Abend jtellte man in den verjchlevenen Straßen Tiſche auf- und aneinander, ſodaß biefe bisweilen eine Länge von 300 Fuß erreichen. Sämmtliche Ehinefen, die e8 vermochten, hatten dazu beigefteuert, diefe Tafeln mit Speifen zu bejeten, und ich muß geftehen, daß ich nie in meinem Leben eine folche Maſſe von Gerichten gefehen babe. Wahrlich, gegen chinefifche Kochkunſt find alle andern Nationen Stümper, und von dem ganzgebratenen vierbunvertpfündigen Schweine an bis zu den fricaffirten Frofchleulen, den farcirten Ratten und Salat von Regenwürmern war alles fo reizend und appetitlich arrangirt, daß einem das Waller im Munde zufammentief. Bon ſechs zu ſechs Fuß waren rings um die Zafeln 8-10 Fuß hohe Phramiden von verjchievenem Backwerk aufgefteltt, unter benen einige aus Nubeln jedenfall den Vorzug ber Originalität befaßen. Das Merkwürdigfte auf der ganzen Tafel war jedoch eine Gebirgslanpichaft, vie nur von Fett und Fleifch gefertigt war. Concave Rippenftüde von Schweinen und Hammeln ftellten Grotten, große Yleifchftüde mit der Nethaut überzogen Felſen, Berge und Gletſcher vor. Nur das Raub ver Bäume war natürlich, aber felbft ihre Stämme aus Knochen und alles fo täuſchend nachgeahmt, daß man nur ganz in der Nähe den fonberbaren Stoff unterfchied. In der Aufftelung der Speifen herrfchte große Ordnung. Zunächſt erjchienen Folofjale ganzgebratene Schweine mit Rofenfträußen in der Schnauze, denen ebenfo zugerichtete Hammel und Ziegen als vis-A-vis beigegeben waren; dann fam alles mögliche Wild, dann Geflügel in jeder möglichen Varietät und Zubereitung, dann Fifche, unzählbare Arten von Riefenpubdinge, Kuchen, Gemüfe, dann Schüffeln von undefinirbaren ſpecifiſch chinefiichen Speifen, für die wir weder Namen noch Gefchmad Haben, und den Beſchluß

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machten eine Legion Salate. Ich glaube, es gibt faum eine Pflanze, aus der die Chinefen nicht Salat bereiteten. Wir zähl- ten die Salate; es waren hundert und einige dreißig Arten. Das nenne ich doch Dielfeitigkeit! In fämmtliche Speifen waren eine Maffe der unvermeidlichen Räucherftäbe gejtedt, deren Dalm in einer bichten Wolfe über der von allen mög⸗ lichen bunten Laternen erleuchteten Tafel lagerte und auf 30—40 Schritte die Atmofphäre verpeftete.

Gegen 8 Uhr abends, nachdem alles aufgeftellt und Tunft- gerecht arrangirt war, erjchienen verfchiebene Bonzen in lang⸗ ärmeligen gelben Talaren, die jedoch, wie Geficht und Hände ihrer unfaubern Eigenthümer, in fehr langer Zeit nicht ges wachen waren. Es waren ihrer brei, und das Kleeblatt nahm mit einem Flötenbläfer am obern Ende ver Tafel Platz. Hier war für fie eine originelle Nifche gebildet. Dieſe bejtand aus zwei Tiſchen, auf deren einem ein gefchlachtetes Schwein, auf dem andern eine Siege paradirte. Beide waren blendend weiß rafirt, trugen Citronen im Maule und waren noch anderweitig mit Blumen gefhmüdt. Der Oberprieiter breitete eine Neihe Becher mit Reis, Mais und Erpnilffen gefüllt vor fich au8 und begann mit einer fchauerlichen Stimme Gebete abzufingen, die, wie wir erfuhren, eine Einladung an die Berftorbenen zu dem ihnen fervirten Mahle enthielten. Bon Zeit zu Zeit wurden einige der Körner aus den Büchfen auf die Erde geworfen. Der Flötenbläfer begleitete ven Ge- fang unifono, und die beiden Gehülfen des Bonzen accompag- nirten mit Becken und ein paar Caftagnetten. Diefe Einladung dauerte mit Zwifchenräumen bis gegen 10 Uhr. Als bis da- hin die Verftorbenen von ber ihnen zu Ehren veranitalteten Veitlichkeit feine Notiz genommen hatten, befchloß man, nicht länger auf fie zu warten. ‘Die Speifen wurden abgetragen und in den Häufern der Bezirfsporfteher an bie Armen ver- theilt. Gewiß ift an dieſem Abende fein Bepürftiger der

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ganzen Stadt ungefättigt zu Bett gegangen. Die Gaftgeber ſelbſt verſammelten fich aber gleichfalls zu Zwedellen, und wie jehr fie denjelben Ehre anzuthun wußten, ging aus dem Umſtande . hervor, daß am folgenden Tage faft ſämmtliche Läden ge- fchloffen waren,

Auf den. eriten Vollmond im neuen Jahre fallt das La⸗ ternenfeſt, das jedoch weder eine religiöſe noch eine ſociale Bedeutung hat, ſondern weiter nichts als eine öffentliche Schauſtellung von allen möglichen Arten Laternen iſt, die in der chineſiſchen Häuslichkeit eine große Rolle ſpielen. In jedem Zimmer, auf den Fluren, vor den Thüren, in den Gärten und Pavillons hängen Maffen von Laternen aus allen möglichen Stoffen und von den verfchiedenften Dimenfionen und Farben. Jeder Kuli trägt abends eine Laterne; jeder der Zaufende von ambulanten Köchen und Krämern zählt deren brei bis vier auf feinem Tiſche, und ven Sänften ber Wohlhabenden werven fie oft zu Dugenden, den Namen des, Beſitzers darauf gemalt, angehängt und vorgetragen. Am Laternenfefte, das Übrigens nur einen Abend dauert und weiter nicht das Volksleben berührt, bemüht fich ein jeder, die ſchönſten und Fünftlichiten Exemplare zum Vorfchein zu bringen, damit zu prunfen und fie von ver Menge bewundern zu lafien. Vor den Häufern ver Reichen werden 50 60 Fuß hohe Bambusftämme mit daran befeftigten langen Duerhölzern aufgerichtet, die, mit unendlich vielen buntfarbigen Papier- Internen geſchmückt, wie riefige Weihnachtsbäume fich in vie Lüfte emporftreden. Alle Formen, alle möglichen Arten von Thieren, die fo conftruirt find, daß fie fih Durch Die aus- ſtrömende Hite ober im Luftzuge bewegen, find babei ver- treten. Ein gigantifcher Drache, das Symbol alles Guten in China, von 60—80 Fuß Länge, deſſen Gliever durch hobe Bambusftangen unterftügt find, wird in Proceffion durch bie Straßen getragen und gewährt von weiten ein prachtoolles

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Schaufpiel. Wie eine glühende Schlange winbet er ſich langſam über die Stadt, und die Bewegungen feiner Träger fcheinen ihm Leben einzuhauchen.

Troß des Mondlichtes ift ber Anblick diefer vielen Tauſende

von Lichtern, die an ſchwankenden Bambusſtäben hoch über den Häuſern ſchweben, großartig und bezaubernd, und ich

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werde nie ben Eindrud vergeffen, den das auf dieſe Weife in Lichtern ſchwimmende Schang-hae auf mich machte.

Im Iuni findet in Kanton noch ein: Volfsfeit, eine Art Regatta ftatt, eins ber wenigen gymnaſtiſchen Spiele der Chinefen, die zwar ſehr thätig, aber feine Freunde von frei- willigen Leibesübungen find. Diefes Wettrudern gejchieht in fehr langen und fchmalen Booten, die von reichen Chinefen ausprüdlich für dieſe Zwede gebaut und mit 40 80 Ruderern befegt find, welche ihre Ruder nach dem Takt des Gongſchlags handhaben. Die Aufregung bei diefen Fahrten und das Streben, ven Preis zu gewinnen, ift jo groß, baß faft immer einige Boote dabei zu Grunde gehen.

Neben den erwähnten Feften und den Familienfeierlichkeiten bei Geburtstagen, Hochzeiten u. |. w. kennen die Chinefen weder Sonn» noch Feiertage. Die Vergnügungen und Zerjtreuungen, denen fie fich außer dem Haufe hingeben, fuchen fie im Theater, in ben Theehäufern oder in Spielen und Beſchäf— tigungen, die wir ben Kindern überlafien. Das jogenannte Murmelfpiel unferer Knabenwelt, das Anpiden mit Geldſtücken, bas Feverballfpiel, das hier jedoch ohne Schlägel nur mit Hand oder Fuß getrieben wird, namentlich aber das Steigen- Iaffen von Drachen find Amuſements von Erwachjenen und Greifen. Die chineſiſchen Drachen find freilich veizend, und ich glaube, daß auch bei uns Erwachjene ihr Vergnügen an diefer Spielerei finden würden. Alle möglichen Figuren, Männer, Frauen mit Kindern auf dem Arme, Schiffe unter Segel, Thiere, die Töne von fich geben, Raubvögel mit aus-

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gebreiteten Schwingen u. f. w. werden als Modelle genonimen und fo natürlich nachgebilvet, daß man, namentlich bei ven Vögeln, fehr häufig getäufcht wird und fie für wirffiche anfleht. Die größte Fabrif diefer Drachen iſt in Kanton und zwar

werben fie dort mit vielem Geſchick von den tatarifchen Sol»

daten der Garnifon gefertigt.

15.

Brautwerbung und Hochzeit. Das Eoncubinat bei den Chineſen. Ber- hältniß der Fran zum Ehemann, der Kinder zu ben Aeltern. Die Ehe⸗ ſcheidungsgründe. Naclommenfhaft ein Segen. Roth der niebern

Klaſſen. Tod und Begräbniß eines Familienhauptes. Die Grabftätte.

Mac den erwähnten öffentlichen Feſten nehmen vie häus— lichen eine nicht wenig bedeutende Stelle im Leben der Chinefen ein. Die drei großen Abjchnitte des Familienlebens: Geburt, Hochzeit und Tod, werben auch von ihnen hervorgehoben und mit entfprechenden Feierlichkeiten begleitet.

Das freudigfte und wichtigfte Treigniß iſt die Hochzeit, und Thon im frühelten Alter der Kinder befchäftigen fich bie Aeltern mit der Negelung viefer Angelegenheit. Nach ihrer Anficht vereinigt Yuelau, „ver alte Mann im Monde”, den fih auch unfere Volfspoefie aus den dunfeln Stellen des Ges ftirns conftruirt, mit einer feinenen Schnur alle füreinander beitimmten Paare ſchon vor ihrer Geburt, und nichts vermag viefelben je mehr zu trennen. Die Aufgabe ber Neltern und Verwandten ift e8 nur, für ihre Kinder die durch Yuelau er- wählten. Gatten ausfindig zu machen.

Diefes fchwierige Gefchäft beginnt daher fehr früh und wird hauptfächlich durch Freimerber geleitet, die entweber aus

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den Verwandten oder aus einer eigenen Klaſſe von Leuten, ben Frauen ber Schaufpieler, gewählt werben. Dieſe legtern Frauen betreiben die Sache gefchäftsmäßig, haben ihre be- jtimmten Diftricte und befigen innerhalb biefer Die nothwen⸗ dige Familien- und Perſonalkenntniß, um ihren Clienten die gewünfchte Auskunft über Vermögensverhältniffe u. |. m. zu geben, die eine Hauptrolfe dabei fpielen. Gleichheit an Rang und Lebensitellung ift das nothwendigſte Bedürfniß für das junge Paar, und ohne dieſe ift eine Verbindung nicht denkbar. Bei der großen Achtung jedoch, in der Gelehrfamfeit jteht, fann ein ſich auszeichnender junger Gelehrter, mag er auch aus der unterften Volksklaſſe entjproffen fein, breit fein Auge zu den angefehenjten Mädchen der Stadt erheben und wird ſtets willfommen fein. Glauben die Aeltern, den Auser⸗ wählten oder die Auserwählte ihres Kindes gefunden zu haben, fo werben zumächft verſchiedene Wahrfager befragt, und dieſe ftellen ven | jungen Leuten das Horoffop. Fällt diefes zur Zufrievenheit Ä aus. (dies hängt natürlich Tebiglich von der Bezahlung ab), fo ift alles in Orbnung; das Paar wird als verlobt betrach- tet und bie beiberfeitige Mannbarfeit abgewartet. Auf gegen- feitige Neigung wird babei feine Rüdjicht genommen; ja in vielen Fällen fieht ver Bräutigam die ihm beftimmte Gattin am Hochzeitstage zum erften. mal.

Die Feitfegung diefes Tages erfordert gleichfalls wieder eine Menge Vorbereitungen, und die Wahrfager werben dabei abermals zu Rathe gezogen. Ein glüdlicher Tag, vorzugsweife im erjten Monat des Jahres (Februar), wenn „die Pfirfich- blüte ihren Kelch öffnet“, iſt nothwendig erforverlich, und ob» wol der faiferliche Hoffalender genau die guten und fchlechten Eigenfchaften eines jeden Tags im Jahre für diefen oder jenen Zwed angibt, genügt bies den ferupuldfen Verwandten ber Brautleute keineswegs. Oft wird die Hochzeit Meonate, ja ein Jahr lang hinausgefchoben, weil die günftigen Zeichen

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dafür fehlen. Sind dieſe Zeichen endlich vorhanden, fo ſendet der Bräutigam der Braut Gejchenfe, was als officielle An- erfennung der Verlobung von feiner Seite betrachtet wird. Diefe Geſchenke find ebenfo wie ein Theil der Ceremonien nach den verſchiedenen Provinzen verfchieden. Im Norden beftehen fie in einer golvenen Haarnadel (e8 ifi bier die mittlere BDürgerflaffe angenommen), einem Baar filbernen oder golbenen Armbändern, einem Päckchen Thee, einem Stüd rothen und einem Stüd grünen Seidenzeugs, nebft vier Stangen Silber im Werthe von 10 Thalern und mehr. Die Braut erwibert dies im allgemeinen nicht, wie fie überhaupt feine Mitgift bringt, bisweilen ſendet fie jedoch Stickexeien eigener Arbeit, ein Fächerfutteral, das jeder Chinefe wie einen Dolch an ber Seite hängen hat, einen Zabadsbeutel und eine Geldbörſe. Ihre Aeltern ſchicken dagegen eine rothe Karte, auf der die Er- theilung ihrer Zuftimmung gejchrieben fteht. Von dieſem Tage an wird das Haar ber Braut anders frifirt; ftatt der bishe⸗ rigen jungfräulichen einfachen Flechte wird die Haartracht ber Frauen, wieich fie ſchon befchrieben, adoptirt. Der Bräutigam wird ebenfalls zum Zeichen ver bevorſtehenden Verheirathung mit einer Heinen runden Mütze befleivet, die er fortan im Haufe trägt. Am Hochzeitstage felbft ſchickt der Bräutigam größere Geſchenke, pie in 8—10 Pfund Thee, Kleidern, Juwelen und einer Summe zwifchen 50 4000 Thalern, je nach den Vers mögensumftänden, des Gebers beftehen. Die Brautältern fenden dafür Seidenzeuge und die acht Charaktere des Jahrs, Monats, Tags und der Geburtsjtunde der Braut mit Gold - auf rother Seide gebrudt zurüd. Der Bräutigam empfängt von feinen Freunden, die Braut von ihren Freundinnen eben falls Gefchenfe. Unter ven erftern befinden fich ftets ein Paar lebende Gänfe, die in China als das Symbol eines einträch- tigen ehelichen Lebens gelten und deswegen auch ber Hoch- zeitSproceffion vorangetragen werden. Die Gefchenfe der

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Mann nur Töchter gebiert, ift er dazu berechtigt. Wie bie öffentliche Meinung in ſolchem Falle urtheilt, geht aus folgendem Paffus einer Ermahnung hervor, die einer ber populärſten Schriftiteller Chinas an die unfruchtbaren Frauen über diejes Thema hält: „Es gibt in der Welt Frauen“, jo Sagt dieſer Weife des Mittelreichs, „die, obwol fie ſelbſt nie einen Knaben geboren oder ein Mädchen genährt. haben, ihren Mann verhindern, eine Concubine in das Haus zu bringen oder ein Mädchen zu unterhalten, um feine Nachfommenfchaft zu fichern, .felbft wenn er bis zum vierzigften Jahre gewartet hat. Sie fehen auf eine folche mit eiferfüchtigem Haß und Uebelwollen. O wißt ihr nicht, wie flüchtig die Zeit iſt? Dehnt eure Monate und Jahre fo lange aus wie ihr wollt, fie fliegen wie Pfeile, und wenn eures Gatten animalifche Lebenskraft und fräftiges Blut erfchöpft fein wird, dann wird er nie Kinder befommen, und ihr, feine Frauen, werdet ſchuld daran fein, daß die ben Ahnen fälligen Opfer nicht gebracht werben; ihr werdet feine Nachlommenfchaft zeritört haben. Dann wird die Reue, auf welche Weife ihr fie auch an ben Tag legt, zu fpät kommen. Sein jterblicher Körper wird fterben; fein Eigenthum, welches ihr und euer Gatte ge⸗ ſucht habt zufammenzuhalten, wird nicht auf feine Kinder übergehen, fondern bie Verwandten werden darum kämpfen. Ihr werdet nicht allein eine Berfon, euren Gatten, fondern euch felbjt beleidigt haben; denn wer wird Sorge tragen für euren Sarg und euer Grabmal? Wer wird euch begraben oder Opfer bringen? D! euer verwaifter Geift wird die Nächte mit Weinen durchwachen! Es ift traurig Daran zu denken! .... |

„Es gibt Frauen, welche ihre Eiferfucht zügeln und ihren Männern geftatten, eine Concubine zu fich zu nehmen; aber fie thun es auf eine Weife, als ob fie Eſſig tränfen und Säuren genöffen. Sie fchlagen auf die Diener der Concu⸗

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bine, um biefe zu treffen, und es ift fein Friede im Haufe. Aber ich ermahne euch, wie Huze und tugenphafte Frauen zu handeln. Wenn ihr feine Kinder habt, forgt mit Offenheit und Wohlwollen für eine Concubine eures Mannes. Wenn fte ihm Kinder gebiert, wird er es euch verbanfen, baß bie Adern feiner vorälterlichen Linie nicht vertrodnen. Seine Kinder werden euch als ihre Mütter ehren; und wird bies nicht ein Troſt für euch fein? Ueberlaßt euch nicht ver übel- wollenden Eiferfucht einer böfen Frau. Bereitet nicht eine Bitterfeit, die ihr felbft verfchluden müßt!’ .

Diefe Homilie läßt uns zugleich einen Blick in die chine- ſiſche Häustichkeit und die Stellung der Frauen thun. Sie zeigt, daß bie Frau in China nicht willenlofe Sklavin wie bet ven meiften Afiaten, ſondern fo ziemlich Herrin im Haufe ift, gegen beren Willen ver Mann nicht ungeftraft anfämpfen Tann, |

Mit jeder Concubine, die der Mann über eine hinaus nimmt, finkt er jedoch in der öffentlichen Achtung. Chine- fen, die auf ihren guten Ruf etwas geben, greifen darum nicht zu diefem Auswege, ſondern aboptiren, im Falle auch die erite Concubine Finderlos bleibt (Töchter zählen nicht), die Söhne eines jüngern Brubers oder anderer naher Verwandter. Der Kaifer befigt Hunderte von Concubinen aus den erjten Yamilien der Tataren, die fich gewöhnlich zu biefer Ehre drängen, obwol es auch häufig vorfommt, daß ehrbare Väter ihre Töchter dem Faiferlichen Harem verweigern. Nach dem Tode des Kaifers werben dieſe Unglücklichen alle in einen Palaft eingefperrt und dürfen fich weder verheirathen noch venfelben bis zu ihrem Tode wieder verlaffen.

Heiratben zwifchen Perfonen von gleichen Familiennamen find verboten, und da es in China faum 150 verjchiedene Familiennamen gibt, fo Tann man fich denken, welche Schwie=. rigfeiten ſich ſchon deshalb einer Verbindung in den Weg

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ſtellen. Ebenſo dürfen ſich nahe Blutsverwandte nicht hei⸗ rathen. Für Beamte beſtehen ſogar noch beſondere Verhin⸗ derungsgründe. So z. B. darf ein Mandarin nicht die Tochter eines Schauſpielers zur Gattin nehmen. Geſchieht es dennoch, ſo wird die Ehe für ungültig erklärt und jeder der ſchuldigen Theile mit 60 Hieben beſtraft.

Das Verhältniß einer Frau zu ihrem Manne iſt durch bie Thatſache ſcharf charakteriſirt, daß die Frau fein Ver⸗ brechen begehen Tann, ohne daß ihr Mann dafür verantwort⸗ lich gemacht und als Hauptfchuldiger betrachtet wird. Iſt fie buch ihren Dann dazu verleitet, jo geht fie ganz ftraflos aus. Rechtlich wird ihr daher eine ganz untergeorbnete Stellung angewiefen, und wenn fie, wie aus jemer ange— führten Ermahnung hervorgeht, fich trotzdem zur Herrin des Mannes macht, jo zeugt Dies von nicht geringer Energie ihres Charakters. Andererſeits räumt man der Frau als Mutter wieder merkwürdige Vorrechte ein. Stirbt 5. 9. der Mann, jo bleibt die Mutter das Haupt der Familie, und die Söhne find ihr bis zu ihrem Tode unbedingten Gehorſam und Ehr- furcht ſchuldig. Wie weit dies geht, hatte ich Gelegenheit in Ranton zu fehen. Wir machten dort die Belanntfchaft eines jungen Mannes Kinlin, aus ver Familie Hauqua, einer der reichften in China, und wurden von ihm zum Frühſtück eingeladen. Der junge Mann war 22 Jahre alt und felbft verheirathet, wobei ich beiläufig bemerfen will, daß feine Frau die hübſcheſte Chinefin war, die ich je gefehen, und daß ihre Schwiegermutter, obwol 40 Jahre alt, von mir für ihre Schwefter gehalten wurde und ihr an Schönheit wenig nach— gab. Es wurde und Wein vorgefegt, unfer Wirth felbft tranf aber feinen. Als wir ihn nach dem Grunde fragten, erhielten ‘wir die Antwort, feine Mutter habe es ihm ver- boten. Diefes naive Geſtändniß zeigt gewiß, wie unbebingt Kinder ihren Aeltern in China Gehorfam leiften.

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Eheſcheidungsgründe gibt es fieben in China: Unfrucht- barkeit der Frau, Ehebruch, Ungehorfam der Frau gegen bes Mannes Aeltern, Schwaßhaftigfeit, Diebftahl, böfe Laune, unheilbare Krankheit. Im drei Fällen kann jevoch Scheibung nicht ftattfinden: nämlich, wenn die Frau bereits für bie Ael⸗ tern ihres Mannes getrauert hat, wenn fie nach der Hochzeit Geld befommen bat, oder wenn fie Feine Aeltern mehr befikt, die fie wieder aufnehmen können.

Für Witwer ift es immer unpaffend, wieder zu bei- vatben, für Witwen von gemwiffen Range aber ungefeglich, und folche Heirathen finden daher Höchit felten ftatt. Ehe⸗ liche Verbindungen zwifchen Fremden und Eingeborenen find gänzlich unterfagt, ebenjo zwifchen Unterthanen des Kai⸗ fer8 und den Misaustfe, jenen ununterworfenen Bergvöl- fern, bie ich bei Gelegenheit des chinefifchen Militärwejens erwähnte.

„se mehr Kinder, defto mehr Segen’‘, iſt ein chinefifches Sprihwort, unter dem jedoch hauptfächlich nur Söhne ver- ftanden werben. Dies Berlangen nah Söhnen erflärt fich ans dem Umftande, daß der Vater während feines ganzen Lebens abfolute Macht über fie behält, einer gegen alle Sor⸗

* gen geficherten Zukunft entgegenfehen darf, und fie als wahr-

Icheinliche Duelle von Reichthum und Würben betrachtet, wenn fie etwas gelernt haben. Dies fowol als die Thatfache, daß ber Bater für alle Handlungen feiner Söhne verantwortlich bleibt, trägt ungemein viel. zur Verbreitung der Vollsbildung bei. Eine forgfame Erziehung und Aneignung von Kennt⸗ niffen bereitet nicht nur den Weg zu Ehren, die der Bater mitgenießt, ſondern ſchützt auch vor Strafen, die für Ver⸗ gehen, welche Roheit und Lafterhaftigfeit des Sohnes veran- laffen, ven Vater zunächſt treffen. Wenn die hinefifche Re- gierung dieſe Verantwortlichkeit in ihren Gefegbüchern aufge: jtellt Hat, um das Wolf geiftig zu heben, fo hat fie vollftändig

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ihren Zweck erreicht, und der Scharfblid des Geſetzgebers vervient alle Anerkennung.

Bor allen fehnt fich aber der Vater nah Söhnen, um feinen Namen fortzupflanzen und jemand zu binterlaffen, der an feinem Grabe die jährlichen Andachten verrichtet. Der Gedanke, niemand zu haben, ver diefe fromme Pflicht erfüllt, ift für einen Chinefen ebenfo drückend wie bei uns für ben gemeinen Mann die Furcht, einft Fein ehrliches Begräbniß zu erhalten. Tin Mann ohne Söhne lebt ohne Ehre und ftirbt unglüdlih. Die Geburt eines Sohnes iſt deshalb in China ftets ein freudiges Ereigniß, das von der ganzen Fa— milie Tebhaft begrüßt wird. Der Meine Weltbürger erhält gleich nach feiner Geburt einen Milch oder Zärtlichfeitsnamen beigelegt, den er neben feinem Familiennamen bis zum Ein- tritt in die Jünglingsjahre behält, um ihm erft dann mit einem andern zu vertaufchen. Wenn das Kine einen Monat alt ift, fehiden ihm die Verwandten und Freunde eine Silber: . platte, auf der die Worte: „Ranges Leben, Ehre, Glückſeligkeit“, eingrabirt find. Von frühefter Jugend an wird ber Knabe im Benehmen und in gejellichaftlicher Etikette, vie im Leben bes Chinefen eine jo große Rolle fpielt und für alle Verhält- niffe bemeffen ift, unterrichtet, und mit dem vierten und fünften Jahre beginnt er zu lefen. Seit wie langer Zeit ſchon man in China große Wichtigfeit auf allgemeine Erziehung legt, geht aus einem Werke hervor, das vor unferer Zeitrechnung gebrudt wurde, und das bereitd von „dem alten Unterrichts- ſyſteme“ fpricht, nach dem jede Stadt und jedes nioch fo Fleine Dorf eine gemeinfame Schule haben folt.

Körperlihe Züchtigung wird bei der Erziehung ver Kinder ſowol in Schule als Haus möglichft vermieden. Man erſchöpft erft alle andern Mittel, ehe man dazu greift. Ich habe nur einmal während meines elfmonatlichen Aufenthalts in China gejeben, daß ein Kind von ven eltern gefchlagen

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wurde, umd dies gehörte den untern Ständen an; Dagegen fiel es uns ftets auf, daß Kinder von 10—12 Jahren ſtets wie Erwachfene behandelt wurden und ihre ganze Erſcheinung auch den Eindruck ſolcher machte.

Lehrer gibt es in China in großer Zahl. Faſt alle Stu⸗ dirende, welche bei dem Staatsexamen durchfallen und mit⸗ bin von Staatsämtern ausgeſchloſſen find, werden Privat⸗ oder öffentliche Lehrer. Dean teifft in jedem Dorfe mehrere folcher verborbener Literaten, bie fich freilich oft nicht zu Pä- dagogen eignen mögen.

Die chinefiiche Tugend unterfcheidet fi) von der Yugend anderer Völker durch großen Ernſt. Die lärmende, übermü- thige Fröhlichkeit, welche fonft überall die Kinverwelt belebt, vermißt man bier gänzlich und, es macht ordentlich einen trau- rigen Eindrud, diefe ernften und bevächtigen Kinbergefichter zu Schauen, die fo gar nicht mit ihrem Alter harmoniren. Bel bem wohlhabenden Theile der Bevölkerung ift diefe Unnatur eine Folge des Formenweſens, in welches man bie Kinder von zarteſter Jugend an hineinzwängt, fowie der Erziehungs- marimen des Confucius, alle Leivenfchaften im Keime zu er» ftiden und Selbftbeherrichung als die höchfte Lebensaufgabe bes. Individuums zu betrachten.

Bei dem ärmern Theile erzeugt die Noth des Lebens den frühen Ernft der Kinder. Nur die angeftrengtefte Thätigfeit ver⸗ mag die Eriftenz des nievern Volks zu friften, und die Kräfte des Kindes, mögen fie noch fo ſchwach fein, müffen benußt wer⸗ den, ſei e8 auch nur, um Baummolle zu zupfen, oder Unfraut zu jäten, oder aus den KReisgarben bie tauben Achren auszu⸗ Iefen. Zum Spielen aber bleibt den armen Kindern feine Zeit. Frobfinn und Iugendluft lernen fie nicht fennen, und ihr ganzes Leben vom Erwachen des Bewußtjeins, bis bie falte Hand des Todes fie berührt, ift ein mühfeliger Kampf um ein elendes freudenlofes Daſein.

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Wenn ein Familienvater ftirbt, wird der Tod allen Fami⸗ lienmitgliedern formell angezeigt. Die Thürflügel des Hau- je8 werden weiß angeftrichen, und die birecten Nachlommen des Verſtorbenen fiten in groben weißen Kleidern, eben folde Tücher um den Kopf gewidelt und die Zöpfe mit weißem Band durchflochten, weinen neben ber Leiche auf dem

Fußboden, während die Weiber, ähnlich wie in mohammevani-

ſchen Ländern, lautes Klagegefchrei erheben. Die Freunde bes Todten hüllen den Körper in weiße baummwollene ober ſeidene Laken. Der ältefte Sohn ober directe Nachlomme begibt fich, an beiden Seiten von Verwandten unterftügt, mit einer Porzellanfchale, in der zwei KRupfermünzen liegen, zum nächften Fluffe oder Brunnen, um „Waſſer zu kaufen“, wie biefe Ceremonie genannt wird. Sollte der ältefte Sohn bes reits geftorben fein, fo hat deſſen Sohn vor dem. Bruder feines Vaters den Vorzug, diefe Ceremonie zu verrichten, bie ihm das Recht auf zwei Theile der Erbſchaft gibt, welche fonft gleichmäßig unter die Söhne vertheilt wird. Mit dem Waffer wird Geficht und Körper des Todten gewafchen, verfelbe dann wie im Leben angefleivet und in den aus 5—6 Zoll dicken Bohlen gefertigten Sarg gelegt, ver unten mit pulverifirtem und ungelöfchten Kalk angefüllt ift. Nachdem ber Sarg ver- fchloffen, wird er mit Cement luftdicht gemacht, überfirnißt und in die Gepächtnißhalle ver Verftorbenen, die fich in jedem wohlhabenden Haufe befindet, fonjt aber in ven Raum geftellt, der ihre Stelle vertritt. Eine Tafel mit Namen, Titel, Eh- ren u. |. w. des Todten, wie fie fpäter auf den Grabftein ge- jegt werben, liegt zu Häupten auf dem Sarge, ver 21 Tage im Haufe bleibt. Nach Ablauf diefer Zeit folgt das Begräb⸗ niß. Die Gebächtnißtafel wird in einer vergoldeten Sänfte porangetragen, rings mit brennenden NRäucherftäben umftedt; der Sänfte folgt Muſik, die fich von der Hochzeit: ober fon- jtigen fröhlichen Muſik nur durch das in Pauſen ftattfinvende

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breimalige Anfchlagen einer Trommel unterfcheidet, in ihrem Charakter aber durchaus feine Trauer verräth; dann folgen bie Kinder und Verwandten beiverlei Gefchlechts mit Aus- nahme ber verheiratheten Töchter, die vom Augenblide ber Heirath an als nicht mehr zu der Familie gehörig betrachtet werden. Sie gehen gewöhnlich zu zweien, aber ohne vorge- ſchriebene Ordnung, in weißen Kleidern, die Söhne mit unge- ſchorenem Kopfe, die Töchter mit einer weißen Kappe über dem Haar. Am Grabe beginnen die Ceremonien. Buddha⸗ prieſter lefen Todtenmeſſen, und damit der Verftorbene in jener Welt auch die nothwendigen Lebensbedürſniſſe vorfinde, wer⸗ den verfchiedene Kleivungsftüde und Hausrathsgegenftände auf bem Grabe verbrannt, aus öfonomifchen Gründen jedoch nur aus Papier gefertigte. Nach der Beendigung wird die Ge- pächtnißtafel unter denſelben Formalitäten wieder zurückgetra⸗ gen und in der Halle der PVerftorbenen aufgehängt.

Die Gräber find verfchienen geformt. Im Süden, Kanton, Hongkong und Singapore haben faft alle die Geftalt eines Hufeifens oder großen griehifhen &. In Schang-hae, Tient- fin und Chefu habe ich nur fehr wenige von dieſer Form gejehen, und dieſe gehörten allein reichen Familien an. , Hier hatten die Hügel faft alle eine regelmäßige Kegelform, und das Mauerwerk, das die Gräber im Süden auszeichnet, fehlte gänzlih. Die Kirchhöfe werden, um fein Eulturland zu ver- lieren, ſtets an unfruchtbaren Stellen und gewöhnlich an Abhängen von Hügeln und Bergen angelegt. Reiche Leute lafjen ſich bisweilen allein begraben, kaufen oft ven Platz nebft einigen umliegenden Morgen Land für viele Tauſende von Tha⸗ lern und wählen dann einen Punkt, wo das Grab recht weit fichtbar ift, eine Eitelkeit, welche die Chinefen wie auch wir häufig mit Pietät verwechfeln. Wenn man Hongkong von Often durch die Lyemoon-Paſſage anfegelt, fieht man fchon meilen- weit ein folched Hufeifenfärmiges Grab in fehr großen Di-

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menfionen. Es ift etwa 800 Fuß hoch über der Meeres- fläche gelegen, mit großem Koftenaufwande in bie ziemlich fteile Felfenwand gearbeitet und zieht mit feinem weißen Anftrich, ber fich gegen Tas umgebende Grün abhebt, jogleich die Blide auf fih. Aehnlihe Gräber liegen auf ven Bergen im In- nern der Inſel zerftreut, und auch in dem Gebirge bei Ning- hae, über das die chinefifhe Mauer fteigt, fand ich fie jo iſolirt und Hoch gelegen. _

Wo es, wie 3.9. in ber Umgegend von Schang-hae und Wufung, feine unfruchtbaren Streden oder Berge gibt, begräbt jeder feine Todten auf dem eigenen Ader. Die ganze Gegend, bie eine unabfehbare Alluvinlebene bilvet, hat baber das An⸗ jeben eines einzigen großen Kirchhofs. Soweit dus Auge veicht, erblidt es überall die hohen fpigen Grabhügel, die zu Hunderttaufenden fich aus dem FTlachlande emporheben. Alte diefe Gräber waren am Morgen des 5. April belebt, und am Nachmittage wehten von jedem weiße und rothe Papierjtreifen, als Zeugniß, daß die Angehörigen ihrer frommen Pflicht nach- gekommen und ihre Andacht verrichtet hatten.

Diele Arme beſitzen fein Stüdchen Land, um ihre Todten barauf zu begraben. Wenn nicht gutherzige Reiche ihnen bie nothwendige Erde fchenfen, jo bleiben vie Leichen unbegraben, und die Särge werden an die Seite eines Wegs oder an einen Platz gejtelit, ver niemandes Eigenthum iſt. In China gibt e8 aber viele Arme, und man fieht Daher auch eine Menge folder Särge auf dem Felde, ja häufig feine brei Schritte ‘von der Thür ber ärmlichen Hütte fteben, in die der Todte gehörte. Viele find mit Matten ummidelt, manche auch nicht, weil die Ueberlebenden nicht das Geld hatten, um bie wenigen Matten zu Kaufen. Ich werde nicht ven rührenden Anblid vergeffen, al8 zwei in armfelige Lumpen gehüllte Frauen einen ſolchen unbeffeiveten Sarg, ver vielleicht den Vater oder die Mutter barg, ſorgſam von allem Staube reinigten, in Er-

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mangelung von Blumen ein Stüdchen Rajen varauflegten und es mit einigen Streifen zerfnitterten Papiers fchmüdten. Es fpricht fih in dieſer Sitte eine fo tiefe Pietät und ein jo ſchöner Zug des Charakters aus, daß man dadurch mit vielem wieder ausgeſöhnt wird, was uns bei den Chinefen abftoßend und unmoralifch erfcheint.

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Geſtalt und Körperbefchaffenheit ber chinefiichen Raſſe. Die Mode der

Fußverkfrüppelung bei den Frauen. Kleidung. Die Hutknöpfe als

Zeichen bürgerlicher Rangordnung., Die Schmudjadhen der Reichen.

Hriedfertigleit des Volkscharakters. Der Nationaldünkel. Die Moral

ber Chinefen. Der Kindermord. Das häusliche Leben und bie Etikette,

Die Technik des Opiumrauchens. Die Kochkunſt und die Bielfeitigfeit ber Nahrungsmittel in China.

Ebenſo wie die Chineſen in geiſtiger Beziehung alle an- bern Völkerſchaften des afintifchen Feſtlandes weit überragen, find fie ihnen auch in körperlicher Hinficht überlegen. Im allgemeinen find die Männer ein fräftiger ftarfer Menſchen⸗ Ichlag mit proportionirten und naturgemäß ausgebilveten Glied» maßen, bie bei vielen ein fo fchönes Ebenmaß beſitzen, wie man fie bei Modellen nur wünfchen kann. Den Träftigen Gliederbau verdanken fie bauptfächlih dem gefunden Klima und der niebrigen Temperatur ihres Vaterlandes, das, an ber Ditfeite des Continents gelegen, viel gemäßigter als deſſen weftlicher Theil if. Die Frauen find in den mittlern und höbern Klaffen des Südoſten im allgemeinen fehr belicat ge- baut, was jedoch wol bauptfächlich ihren verfrüppelten Füßen und der dadurch fehr befchränkten Körperbewegung zugejchrieben werden muß. Die Frauen ver nievern Klaſſen und bie Tatarinnen, von denen die erftern, weil fie arbeiten müſſen,

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die Füge nicht verfrüppeln können, während es die lettern überhaupt nie thun, find jeboch vobuft, Fräftig und unterfekt.

Nach ihrer Schädelbildung halten die Chinefen die Mitte zwifchen Kaufafiern und Negern. In der Dide der Lippen nähern fie fich den Negern; auch die Nafe ift did und ziemlich platt, die Nafenflügel find ausgedehnt, jedoch nicht jo bedeu⸗ tend wie bei den Negern; die Geftalt ift von Mittelgröße, Füße und Hände Hein und feingeformt, namentlich beim weiblichen Geſchlechte. In vieler Beziehung ähneln fie ven nordameri—⸗ fanifchen Indianern; wir finden bier daffelbe ftarfe glänzend Ihwarze Kopfhaar, ven gleichen fchiefen Schnitt der Augen und Augenbrauen und den dünnen Bart. 'Ebenfo hat ber Shinefe faft auf dem ganzen Körper Fein Haar und die Haut- farbe ift der indianiſchen ähnlich, obwol die dunklere Färbung mehr ein Reſultat ver Witterung zu fein ſcheint. Wenigſtens iſt die vornehmere Klaffe, welche ſich der Sonne nicht ſo aus⸗ ſetzt, faſt weiß zu nennen. |

Unftreitig find die Chinefen mit der mongolischen Raſſe nahe verwandt, jeboch find Deren harte Gefichtszüge in ihnen ſehr gemilvert, und man fieht oft Jünglinge von wahrhaft überrafchenver, faft weiblicher Schönheit. Nachdem fte jedoch die Zwanzig paffirt, werben die Züge ſcharf, die Badenfno- chen treten hervor, und als alte Männer und Frauen find fie bisweilen über alle Begriffe häßlich. Frauen müffen nach chineſiſchen Schönbeitsbegriffen belicat und zart von Geftalt fein, bet Männern wünfcht man jedoch ein behäbiges Em- bonpoint, und wohlhabende Leute, bie nicht Förperlich zu ar- beiten brauchen, richten ihre ganze Lebensweife fo ein, um ein gewichtiges Aeußere zu befommen. “Die Frauen der mitt- lern und untern Klaſſen find im allgemeinen nicht hübfch zu nennen; bie platte Nafe und ver große Mund treten überall jtörend hervor; der gelblihe Teint ohne Anflug von Roth mildert nichts, und der unbeholfene Gang auf ben verkrüppel⸗

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ten Süßen beeinträchtigt die gunze Haltung des Körpers auf das unangenehmfte. Diefe unglückliche Move kam zuerft unter ver Tang-Dynaſtie auf, und ihr fowie den langen Fingernä- geln liegt die Idee des nicht Arbeitens zu Grunde Nicht zu arbeiten, ift ber Ehrgeiz ber Chinefen, und der Mann wird glücklich gefchätt, der durch Wachſen der Nägel feinen Mit- menſchen verkündet, daf er e8 foweit gebracht habe. Um bie Nägel zu fchonen, werden vielfach Futterale von Bambus barüber getragen, bisweilen aber auch von koſtbarerm Ma- terial. Bei der Plünverung des Faiferlichen Palaftes durch die Sranzofen wurden verfchievene folche Yutterale von Gold erbeutet, und ich Jah in Schang=hae eins derfelben, das dem Kaiſer felbit angehört haben foll und allerdings koſtbar ge- nug war, um’ biefen Glauben zu rechtfertigen.

Zwiſchen dem Aeußern ver Chinefen im Norden und Si- den des Reichs herrfcht ein bedeutender Unterfchied, und na⸗ mentlich gibt fich Dies beim weiblichen Gefchlechte fund. ‘Der Gliederbau und die Gefichtszüge find im Süpen viel feiner, die Hautfarbe aber nicht dunkler, obwol das Klima ber füb- lichen Provinzen faft tropiſch iſt. Wahricheinlich ijt die Ur- fache dieſer Verfchiedenheit die Kreuzung mit den Häßlichern Zataren, bie hauptfächlich im Norden geblieben find, während im Süden der chinefifche Typus reiner erhalten if. Die Küftenbevölferung im Norden zeichnet fich namentlich durch Häßlichkeit aus; fie fcheint einer andern Raſſe anzugehören. Vielleicht ftammt fie von den Esfimos, die bei der Aufſu⸗ Kung eines mildern Klimas vom Norden herunter gewandert find und ſich hier niedergelaffen haben. Daß jene Bevöl—⸗ ferung von ber chinefifchen Regierung felbit als ein frember und untergeorbneter Stamm betrachtet wird, feheint aus einem Verbote hervorzugehen, nach welchem fein Süftenbe- wohner fih mit Chinefen over Tataren verheirathen darf. Ih ſah fpäter in Nangafaki fechs bis acht Einwohner Koreas,

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Chinefifher Kaufmann mit feiner Tochter.

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die aus dem Norden der Halbinfel nach Japan gelommen waren; fie zeigten getreu den Typus ber chinefifchen Küften- beivohner, nur fchienen fie mir noch brauner zu fein, was jedoch eine Folge ihrer weißen. Kleidung fein mochte, welche die Hautfarbe mehr hervorhob.

Die Kleidung ver Chinefen ift wie alles Uebrige ftationär und nicht dem vielfachen Wechſel der Moden unterwerfen wie bei ung. Der Schnitt der Kleider wird durch jenes Tribunal in Peking vorgefchrieben, deſſen Aufgabe es ift, über die geheiligten Riten und Ceremonien der Staatsreligion zu wachen. Die Trachten unterfcheiden fich deshalb bei hoch und niedrig hauptfächlich nur durch die Wahl des Stoffes. Die neben- ſtehende Abbildung ftellt einen chinejifchen Kaufmann, deſſen Bekanntſchaft wir machten, mit feiner kleinen Tochter bar, und bringt zugleich die gewöhnliche Hauskleidung der wohls habenden Bürgerflaffe zu Veranſchaulichung.

Der beveutende Temperaturunterſchied zwiſchen chinefis fhem Sommer und Winter, der befonvers im Norden außerordentlich ift und 50° Reaumur beträgt, hat für dieſe Jahreszeiten auch abweichende Kleidung gefchaffen, zu beren Anlegung der Vicefönig oder Gouverneur der Provinz das Signal gibt. Die Sommerbefleivung befteht aus weiten Bein- kleidern, einem ebenfo Iofen Node, der bis auf die Knöchel reicht und einer bis auf die Hüften fallenden Jade. Alle drei find, wie ich ſchon früher bemerkte, bei dem ärmern Volke aus Baumwolle, bei den Reichen jedoch aus Seide gefertigt. Wolle wird in China nicht fabrizirt; das Wenige, was bisjegt davon verbraucht wird, fommt aus Rußland. Baumwollene oder feidene gewebte Strümpfe nebft Schuhen aus demfelben Material mit zolfpidem zufammengenähten Zeug oder Filzfohlen bilden pie ' Fußbekleidung, und die Strümpfe werden über ben Beinfleivern bis an die Knie veichend getragen. Der Kopf wird mit Tonifchen Hüten aus Bambusgeflecht bevedt, die bei den untern Klaſſen

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zum Schuße gegen die Sonne oft einen Rand von 2 Fuß Durchmeifer haben. Strümpfe und Schuhe trägt jeder, ver es ermöglichen kann. Der hungernde Kuli natürlich begnügt fich mit bloßen Strohfandalen, wie er bisauf Hut'und Bein- Heider im Sommer überhaupt nichts trägt. Im Winter werben über die weiten Beinkleider enge Beinlinge gezogen und an den Hüften befeftigt. Röcke und Iaden werben mit Watte oder Pelzwerf gefüttert, und ftatt des Tonifchen Bam- bushutes erfcheint ein pelz- oder fammtverbrämter Filzhut oder eine Feine geſtickte chlindrifhe Mütze. Das Kopftheil des Hutes ift fehr niedrig, fchließt fich eng an den Kopf an, und fein Rand iſt feharf nach oben gebogen. Von der Spiße deſſelben fällt bei den Wohlhabenden ber fchon erwähnte Büſchel von rother Seide herab, während die Kopfbedeckung bei Berfonen von Rang mit dem betreffenden unterfcheidenden Knopfe verziert if. Es gibt neun folcher Rangordnungen, und das entfprechende Ausfehen ver Knöpfe ift folgendes won oben an gerechnet: 1) Ein platter rother Knopf, 2) ein mit Blumen verzierter rother, 3) ein transparenter blauer, 4) ein unburchfichtiger blauer, 5) ein ungefärbter Glasknopf, 6) ein weißer Glasknopf, T) ein platter vergolpeter, 8) ein gol- dener Knopf mit Blumen in Hautrelief, 9) ein dito mit Blu- men in Basrelief. |

Die Röde und Jacken werben unveränberlich vorn über- einander gejchlagen und an ber rechten Seite zugelnöpft. ‘Die Tracht der Frauen ift faft ganz biefelbe, nur ziehen fie meh- rere lange Röcke übereinander, und diejenigen, welche ver- ftümmelte Füße haben, tragen biefe jtatt der Strümpfe in Bandagen von buntem Zeuge eingewidelt, was, twie ich glaube, nötbig ift, um dem Fuße Halt zu geben und zugleich bie Hade an die Ferſe zu fehnüren, da die Chinefinnen eigentlich nur den Ballen als Fuß gebrauchen. Wenn der Fuß bie faconmäßige Länge von nur 3 Zoll befigt, fo wird er von

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chineſiſchen Schöngeiftern „golvene Lilie“ betitelt und in Open befungen. - Schön ift diefe Berfrüppelung nach unfern Be- griffen nicht; mich hat der Anblick ftets mit Efel erfüllt, und eine folche „goldene Lilie“ gleicht auf ein-Haar einem Pferde: oder Eſelshufe. Die Zatarinnen find jo vernünftig, ihre Füße zu tragen, wie fie ihnen ber liebe Gott wachſen ließ, und die Chinefinnen würden wenigftens bei Fremden viel mehr Anerkennung finden, wenn fie es mit ihren von Na- tur äußerjt zierlichen und Tleinen Füßen ebenſo machten,

Der Werth, ven reiche Chinejen im Norden des Landes in Pelze fteden, überfteigt alle Begriffe, und man kann oft Kaufleute jehen, die minveftens für 4 -5000 Thaler Pelzwerk am Körper haben. Noch weit foftbarer ift der Anzug ihrer - Frauen, ber durch Hals- und Armbänder ſoviel theurer wird. Die Chinefen erhalten aus ber Zatarei eine bejondere Art von Erelftein, ben fie Yu und die Engländer jade stone nennen (Bitterftein, Nephrit). Die geringere Sorte ift blaß- grün und achatähnlich, die feinere Sorte bräunlic und fehr jelten. Bon Europäern wird diefer Stein wenig gefchäkt, in China jedoch ungemein hoch gehalten und theuer bezahlt. Es werden aus der letztern Art Arm⸗ und Halsbänver ver- fertigt, die unanfehnlich, aber bisweilen 1000—1800 Thaler werth find, und mit denen fich reiche chinefifche Damen dop⸗ pelt und dreifach behängen. |

Ein Freund von mir war zu einem chinefifchen Kaufmann m Schang⸗hae eingeladen, der allgemein nur als wohlhabend galt. Nach einem copidfen Mahle, an dem, fobalod Europäer zugegen find, vie weiblichen Mitglieder der Familie nicht theilnehmen, ftellte ver Wirth ihm feine Frau vor, bie, foeben von einem Gefchäftsgange zurücdgefehrt, in ihrer gewöhnlichen Hauskleidung erfchten. Dies war ein Zeichen von befonderer Aufmerkſamkeit, da chinefifhe Damen aus bejfern Ständen fih jelten Fremden zeigen. Trotzdem verriethb die Dame

Werner. I. 17

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durchaus Feine Verlegenheit und bewegte ſich jo natürlich, als ob fie fange mit dem Befuche befannt ſei. Sie war hübſch, Batte feine Züge und war fehr vortHeilhaft geſchmückt. Ihr glänzend fchwarzer Haarputz ftarrte von Goldſpangen, und bie Stirnbinde von Biber, welcher vielfach getragen wird, zeigte vier der Foftbarften Yufteine in Golpfaffung. Um Hals und Hand trug fie Doppelte Reiben von Perlen aus bemfelben Stein, und mindeftens fünf bis fechs feine Pelzröde und Jacken übereinander bildeten den Anzug: Das Geſpräch kam auf die Preiſe diefer Artikel, und mein Freund erfuhr, daß Die Dame für un- gefähr 8000 Taels oder 16000 Thaler auf ihrem Körper trage, wohlgemerkt, bei einem Hausanzuge. Dagegen erfcheinen bie Anſprüche unferer europäifchen Damen allerdings fehr be- fcheiden, wenn eine. chinefifche Kaufmannsfrau ſolche Summen für Häusliche Kleidung verwendet. |

Die Kinder werden in China gleichfalls ſehr herausgeputzt und ihr Anzug zeichnet fich nicht allein Durch Qualität, fon- bern auch durch Duantität aus, Auf der Straße fehen fie wie Heine unförmliche Ungeheuer aus, Sie werben fo in Röcke und Jacken gepackt, daß fie fich faum betvegen fönnen, bie Arme im rech- ten Winkel zum Körper halten müffen und ebenfo breit wie lang ſind.

Beim Ausgehen trägt jeder anftändige Chinefe außerdem noch verichiedene Sachen int Gürtel, die ihm ein Triegerifches Ausfehen geben, obwol fie in Wirflichleit außerorpentlich frieplicher Natur find. Die feivengeftidte Scheide, in der wir einen Dolch vermuthen, das Geſchenk einer Braut oder Frau, birgt einen harmloſen Fächer, den unzertrennlichen Begleiter bes Chinefen vom Kaiſer bis zum ärmlichiten Kuli. Die lederne ebenfalls oft geſtickte Taſche, welche viel Aehnlichfeit mit einer Patrontaſche hat und wie dieſe an einem Gürtel hängt, enthält bei näherer Befichtigung nur Stahl und Stein zum Anzünden der Pfeife, und der daneben placirte geſtickte Beu⸗ tel den Vorrath an Taback.

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Waffen trägt nur der Soldat im Dienft und felbft ver Militärmandarin nur bei befondern Gelegenheiten. Der Beſitz von Feuerwaffen ift dem Volke ftreng verboten. Das Verbot tft jedoch kaum nöthig bei einer Nation, bie von Natur fo friedfertig, und der ſchon der bloße Gedanfe an Anarchie ein Greuel if. Diefen ruhigen und vorfichtigen Charakter ver- banken die Chinejen hanptfächlich dem Einfluffe und der Au- torität des Alters. Da die Individunen der verjchiedenen Generationen ftets unter der Aufficht und Gewalt des älteften überlebenden Familienhaupts bleiben, fo wird bie unwiſſende und unerfahrene Jugend ftet8 von dem reifern Urxtheile des Alters geleitet, und alle Ausbrüche von Leidenſchaft und Un- klugheit werben zurüdgehalten. Eine volllommene Selbftbe- berrfchung, wie fie ſchon Eonfucius als unerlaßlich vorfchreibt, ift die Folge dieſes Erziehungsſyſtems, und fie erflärt auch bie geringe Zahl‘ von Gewaltthätigfeiten im Verhältniß zu andern Ländern. Diebftahl und Raub ift fehr Häufig, faft nie aber von Mord begleitet, denn bie jegigen Greuel ber Bürgerfriege können nicht mit in Betracht gezogen werben.

So oft Chinefen auch in Streit miteinander gerathen, .

enbigt biefer felten mit einer Schlägerei. Nach ihren Geften und dem gegenfeitigen Anfchreien erwartet man jeden Augenblid tödliche Schläge, aber das Schreien dient gewiffermaßen als moraliſches Sicherheitöventil, und gewöhnlich geben die Par- teten nach einem folchen Zungengefecht, bei dem fie fich höch- ſtens an. ven Zöpfen reißen und Tragen, beruhigt auseinander, wie die erwähnten Knaben, welche die beftrittene Orange zu⸗ legt friedlich theilten. |

Zwei Attribute werben an ihren Mitmenfchen von den Chinefen jehr hoch geachtet: eine durch perſönliches Verdienſt erworbene hohe Stellung und Hohes Alter. Bloßer Roich⸗ thum wird aber fo wenig geehrt al8 Armuth verachtet, und ein reicher Dummkopf würde vergeblich ftreben, durch Stel-

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lenfauf einen Armen zu verbunfeln, ver fich durch Talent und Fleiß einen Rang zu erwerben gewußt bat. Die Selbftüber: hebung und ber verlegende Nationalpünfel den Europäern gegenüber ift ;von mir bereits wiederholt berührt worden. Diefer Dünfel muß, tbeilweife wenigftens, als bie Duelle des treulojen und binterliftigen Betragens angefehen werben, deſſen fih die Chinefen bei Conflicten mit Fremden fchuldig machen und über das fich namentlich die Engländer in ihren Streitig- feiten mit China heftig beffagt haben. Wenn fich dieſer Zug nicht ableugnen läßt, ift er jeboch, was das Volt ſelbſt ber trifft, einigermaßen zu entſchuldigen. China ift viele Jahr⸗ hunderte von dem Verkehr mit Europäern oder, was baffelbe ſagen will, von Nationen, die den Chinefen geiftig Überlegen, ausgefchloffen gewejen. Bis 1840 war Kanton der einzige Be⸗ rührungspunft mit Europäern, und in biefer großen Stadt war es wiederum nur eine Corporation von Kaufleuten, bie mit den Fremden verkehrte. Dieſer Kaufleute gab es zwölf, die Hong- Kaufleute genannt wurden. Sie hatten das alte Privilegium, allein mit Europäern zu handeln und mußten da⸗ für an die Mandarinen enorme Summen bezahlen, bie fie natür- ih wieder aus den Fremben zu prefien fuchten. Diele Fremden waren ihrerfeits beftrebt, das Verlorene durch alle möglichen Betrügereien wieder einzubringen. Sie gingen lepiglich nach China, um Geld zu machen, und waren darum in ver Wahl der Mittel nicht ſehr ferupulds. Faſt täglich fam e8 zu Neibereien, ſowol mit ven Ehinefen als befonders zwifchen ben verfchienenen Nationalitäten der Ausländer, bie, aufeinander eiferfüchtig, einer den anbern zu verbrängen und zu übervortheilen bemübt waren. Wenn auch die wenigen „Hong⸗Leute“ die wahre Urſache dieſes Zuſtandes Tannten, ſah doch der große Haufe nur den ewigen Streit der Fremden, die ſchon dadurch ſich unbeliebt machten, weil dem friedfertigen Chineſen nichts widerwärtiger iſt, als Streit und Hader.

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Nohe Gewalt, wie ſie von den Fremden oft angewendet wurbe, zog ihnen die allgemeine Verachtung zu, und vie Abneigung des Volks wurde noch künſtlich durch die Mandarinen genährt, deren furchtfame und elende Politif in ber gegenfeitigen Un⸗ einigfeit ein Intereife zu erbliden glaubte.

Was die Chinefen fonft von den Fremden hörten und ſahen, konnte nicht dazu beitragen, ihre Meinung zu änbern. Ans Europa drangen nur dunkle Gerüchte von langen biutigen Kriegen nah China, das fich bis dahin eines zweihundert- jährigen Friedens erfreute, und was ihnen bie Fremden an Induſtrie und andern Gegenftänden brachten, erfchien ihnen im Verhältniß zu den eigenen Ergeugniffen fehr untergeordnet, weil es ihren burch pofitive Geſetze und geheiligtes Herkommen Beftimmten Bedürfnifſen nicht entſprach. Selbſt nach einem zwanzigjährigen bebeutenden Verkehr find bie Importen an europäifchen Producten mit Ausnahme von Shirtings für den Gebrauch des chineſiſchen Volfs außerordentlich gering, wäh⸗ rend die Erporten dagegen von Jahr zu Jahr jo bedeutend wachen.

Es ift daher ſehr natürlich, daß die Chinefen fih uns geiftig überlegen venfen und uns bieje Weberlegenheit fühlen Iaffen wo fie fönnen. Wir erjcheinen in ihren Augen als bie Nationen, welche China als den Mittel» und Glanzpunft der Erde umgeben, und welche das Wolf der Mitte, wie es fich nach dieſer Anfchauung nennt, an Cultur und geiſtiger Ausbildung unenplich überflügelt hat. Wir find nach ihrer Anficht Barbaren, und ver vom Volle gebrauchte Name Fan⸗ kwei, „ausländiſche Teufel“, bezeichnet genau pie Stellung, bie wir ihnen gegenüber einnehmen. Zeufeln braucht man weder Treue noch Glauben zu halten, kann fie auf jede Weiſe be- teügen, belügen und übervortbeilen, ohne damit das geringjte Unrecht zu begehen. Das Brechen von Verträgen u. |. w. iſt nur. eine natürliche Confequenz ihrer Meinung von uns. Wollte man daher ven Charakter der Chinefen lediglich danach

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beurtheilen, wie fie fich den Fremden gegenüber benehmen, fo würde man ſich Einſeitigkeit zu Schulden kommen Taffen. Dem ftrengen Moraliften erjcheint der Charakter immerbin noch ſchlimm genug, allein man darf an ein Volf, das ohne eigentliche Religion lebt, nicht ven Maßſtab .einer geläuterten hriftlichen Sittenlehre und Weltanſchauung legen. Vieles ift bei ihnen erlaubt und malellos, was unſere Moral als un- jittlich und verbrecherifch verurtheilt, und es Tann nicht Leicht ein Volk geben, das weniger von ber Wahrheit hält als das chineſiſche. Eine Lüge zu fagen, ift dem Chinefen nichts weniger als ehrenrührig. Im allgemeinen kann man an⸗ nehmen, daß er nie die Wahrheit redet, ſobald er ven ge- ringften Nachtheil dadurch befürchtet. Allein jedermann bält dies für fehr natürlich, und wir können uns deshalb nicht wundern, wenn wir von Chinefen nie bie Wahrheit hören, mögen unfere Fragen noch fo gleichgültiger Natur fein. Alles was wir dabei thun können ift, dem Chinefen zu zeigen, daß wir jeine Worte bezweifeln, weil er fich fonft noch auf unfere Koften Tuftig macht.

Ebenfo ift es mit dem berüchtigten Kindermorde, von dem manche Reiſende mit Webertreibung erzählen. Wenn fich bie Thatfache auch nicht wegleugnen läßt, ja fogar zugegeben werben muß, daß die Regierung das abfcheuliche Berfahren duldet, fo gefchieht e8 Doch nur aus abfoluter Noth und in dem Falle, wenn Aeltern ihre Kinder durchaus nicht mehr zu ernähren vermögen. Auf andere Weife ift das Verbrechen auch gar nicht erklärlich. Wenn man fih nur furze Zeit in China aufgehalten und ‚fich die Muͤhe genommen hat, mit dem Volke fich etwas genauer befannt zu machen, muß man wahr- nehmen, daß nicht nur bie Kinder mit größter Ehrfurcht und Liebe zu den Aeltern aufblielen, fondern daß auch umgekehrt bie Anhänglichkeit ver Aeltern an die Kinder jehr groß tft, und, was man fonft and) an ben Chineſen auszufegen haben mag,

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ihr Familienleben bildet gewiß eine ber jchönften Seiten ihres Charakters. Kinverlofigfeit ift, wie ich ſchon bemerkt habe, das größte Unglüd von Eheleuten. Dieſe berechtigt fogar den Dann, feine Frau zu verftoßen und eine andere zu nehmen oder neben ihr Kebsweiber zu halten. Zahlreiche Nachkommenſchaft, namentlich männliche, zu erzielen, ift ber ſehnlichſte Wunfch eines jeven Ehinefen, und bie ganze innere Politif der Regierung ift darauf berechnet, diefem Streben Vorſchub zu leiften. Wer feine Nachlommen bat, vie an feinem Grabe ihre Andacht verrichten, wird als der beflagens- werthefte Menſch angejeben. Wie reimt fich aljo diefe That- fache mit dem Beftchen eines Gebrauchs, der jener geradezu wiberfpricht? Nur Noth, die ſchrecklichſte Noth kann Aeltern bewegen, ihre Kinder zu töbten; und in einem fo überpölferten Lande, wo die Bewohner lediglich auf die Producte des Acker⸗ baues bezüglich ihrer Eriftenz angewieſen find, wie leicht Tann da eine folche Noth eintreten !

Sch felbft habe in der Nähe Kantons Kinderleichen ben Fluß hinabtreiben ſehen, bin aber weit entfernt, deswegen den Kindermord als eine regelmäßige und häufige Erfcheinung in China zu betrachten. Faſt alle Neifenpe, welche über dieſe Sache berichtet, befuchten nur Kanton und hielten das Ver⸗ brechen für eine Gewohnheit, weil fie häufig Kinderleichen in dem vor ihren Thüren vorbeifließenden und fchmalen Fluſſe ſchwimmen ſahen. Sie jcheinen jeboch gänzlich vergeffen zu haben, daß in und um Kanton circa 500,000 arme Menfchen auf dem Waffer leben, vaß in einem Fleinen Boote von 14 Fuß Länge und 4 Fuß Dreite oft Familien mit 4—6 kleinen Kindern haufen; wie leicht ift es daher möglich, daß biefe Kinder durch Zufall über Bord fallen und gerave die Kale- baffe, der ausgetrocknete Flafchenfürbis, der falt bei allen dieſen Leichen fich vorfindet, beweift pie Zufälligfeit Des Todes. Wo in einem Boote Kinder fahren, die noch nicht verftändig

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genug find, die fie umgebende Wafjergefahr zu beurtheilen, ſieht man fie regelmäßig mit dieſer Kalebaffe, die ihnen von ben eltern als Rettungsmittel gegen pas Ertrinfen umgebun- den wird.

Im allgemeinen leben die verheiratheten Chinefen fehr häuslich. Deffentliche Vergnägungsörter gibt e8 außer ben Theatern und Theehäufern nicht. Letztere befucht aber ein Mann aus der höhern Klaffe nicht. Bälle und Tanz fin fhon aus Rüdficht auf die Füße der Damen unzuläffig und daher unbefannt. ‘Die Frauen erſcheinen felten in Gegenwart von Fremden und eſſen auch nur bei Tiſche mit der eigenen Familie oder den nächiten Verwandten. Frauen ber höhern Klaſſe ficht man daher äuferft felten und auf den Straßen nie, da fie ftets ihre Beſuche in dicht verfchloffenen Sänften machen. Dagegen fpielen PVifiten und Zweckeſſen im gefell- fchaftlichen Leben eine Hauptrolle. Der Beſucher kommt in ber Sänfte und läßt durch einen Bedienten feine Karte ab- geben, auf der fein Name und Titel geprudt iſt. Diefe Karten find roth mit Goldrand, wenn der Betreffende trauert, weiß mit blau, aber nicht etwa in Form unferer Karten, fondern lange gefaltete Streifen, die man ebenfo gut als Zapeten verwenden könnte. Die Anftands- und Höflichkeitsformen unter gebildeten Chinefen find ftreng nach dem Range der Be- treffenden bemeffen und einem ganz bejtimmten Ceremonien- gejeg unterworfen, von dem nie abgewichen wird. Die Etikette bes frühern fpanifchen Hofes tft nichts Dagegen. Bei ben Befuchen fchreibt dieſes Gefek vor, die Freunde ftets einzuladen, biefe müſſen aber ebenfo ſtandhaft ausjchlagen, und lächerlich ift e8, das Complimentiren und bie Verſuche ver beiden Par- teien, es gegenfeitig zu verhindern, mit anzufehen.

Nah dem Range des Gaftes kommt der Hausherr ihm bis zur Sänfte oder zur Haus- oder BZimmerthür entgegen und ebenjo find die Verbengungen und Hinderungsnerfuche

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genau danach regulirf. Die gewöhnliche Begrüßung unter Gleichgeftellten befteht darin, bie gefchloffenen Hände zufammen- zulegen und fie einigemale mit den Worten „Haustfing-tfing“ Bis an die Stirn zu erheben. Hau heißt: Befinden fie Tich wohl? und tfing, tfing: Heil, Heil! In den Worten tfing, tfing, tichop, tſchop (ſchnell), masfi (es macht nichts) und tſchau, tichau (effen) bejteht gewöhnlich die gefammte Kennt- niß der chinefiihen Sprache bei Fremden, mit ber fie fich den Landeseinwohnern verftändlich zu machen fuchen, wenn biefe nicht bereit8 einige Fortſchritte in dem berühmten Pitjchen- Englifh gemacht haben, das die gewöhnliche Converfation zwifchen Europäern und Chinefen ermöglicht und auf das ich ſpäter zurückkommen werde.

Zunächſt wird der Beſuch in das Wohnzimmer geführt, wo ſich der für den Hausherrn und deſſen vornehmſten Gaſt beſtimmte Ehrenplatz befindet. Dies iſt bald eine Niſche, bald eine Art Bett mit Matten belegt, mit einem Porzellan⸗ filfen für den Kopf und zwei Fußſchemeln ausgerüſtet, auf benen beim Liegen bie Füße ruhen, während fich in ver Mitte ein Heiner Zifch erhebt, um Theetaſſen oder den Apparat zum Dpinmrauchen daraufzuſtellen. Diefer befteht zunächit aus Bfeifen von Bambusrohr mit Meffingkopf, die nach dem Stande des Beſitzers mehr oder minder koſtbar verziert find. Das Rohr hat feine Spige, fonbern ift einfach ſtumpf abge- ſchnitten, einen Zoll did ımd etwa 18 Zoll lang. Der Kopf ift Hein, gleicht einer Treisförnrigen Schale und hat im Boden nur eine ganz Heine Deffnung von der Größe eines Sted- nabelfopfes. Nebft der Pfeife fieht man eine Qampe, eine Büchfe mit dem Opium, eine fleine Schale und zwei ſtrick⸗ nabelähnliche Drabtftüde, deren eins an einem Ende mit einem Fleinen Knopf, am andern mit einer Schaufel auegeftattet iM Beim Gebrauch taucht man die Nadel mit dem Knopf in das Opium, das die Eonflftenz von dickem Syrup

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bat, nimmt eine Exrbfengröße davon auf und Hält es über bie Lampe. Hier wirb e8 unter beftändigem Drehen gekocht, wobei es blafenförmig auftreibt und zulegt fich wieder zu einer feiten Kugel zufammenzieht. Dann ift aller Schmuz entfernt und nur das Narkoticum zurücdgeblieben. Dieſes wird über bie Heine Deffnung des Pfeifenkopfes gefchmiert, bie Pfeife ange- ftedt und geraucht. - In vier bis fünf Zügen ift das Narkoticum verzehrt, worauf das Reſiduum mit ver Heinen Schaufel entfernt und auf bie erwähnte Schale gelegt wird. Die Operation wieberholt fich nun, bis die Wirkung des Stoffes ven gewünfchten Einfluß auf das Nervenſyſtem des Rauchers äußert und biejen in ben er- Ichlaffenden und trunfenen Zuftand verfegt, der fo viele An- nehmltchfeiten befigen joll, welche wir Europäer nicht zu würdigen wiffen, ver jedoch auch Körper und Geift ruinirt. An das Fußende des Ehrenplates fchließen ſich in rechten Winkeln zwei Reiben fchwerer maſſiver Armſeſſel für bie übrigen Gäfte an, die je nach ihrem Range dem erftern näher oder ferner placirt werden. Kurz nach dem Nieberjegen wirb ven Gäften Thee präfentirt, Bei längerm Bleiben werben auch eingemachte Früchte herumgereicht. Beim Vortgehen beobachtet man biefelben Formen wie bei ver Ankunft.

Die Gaftmähler der Ehinefen zeichnen fich durch ihre Kofte barkeit und bie unendliche Barietät ihrer Speifen aus, bie oft aus den wunderbarſten Ingrebienzien befteben, jehr gut bereitet, fauber fervirt und auf den Schüffeln und ber Tafel außerorbentlich geſchmackvoll arrangirt find. Trotzdem munben fie uns vielfach nicht, weil fie Dinge enthalten, bie uns durch⸗ ans nicht auf den Tiſch zu gehören ſcheinen. Dabin rechne ich verſchiedene Arten von Seeigeln, Zintenfifche, Haifiſch⸗ flofjen, bebrütete Xaubeneier und mehrere gallertartige Er- zeugniffe bed Dceans, deren Anblid unferer Natur Efel ein- flößt. Ich nahm mehrere male theil an chineftfchen Gaft- mäblern, und nahm mir dabei vor, alles durchzufoften, ein

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Vorſatz, ven ich beroifch durchführte. Daß irgendetwas geradezu ſchlecht geſchmeckt Hätte oder ungenießbar geivefen wäre, kann ich durchaus nicht behaupten; nur ber Gedanke: es ift pas und das, fehnürte bisweilen unwillkürlich vie Kehle zufammen.

Die Chineſen haben eine beſondere Vorliebe für alle gelatindfen Subftanzen, benen fie gewiſſe ftärfende Kräfte zus fchreiben und an denen ihr Speifezettel paher: fehr reich ift. Dahin gehören auch die indischen VBogelnefter, die auf Feiner anftändigen Tafel fehlen und ſehr theuer bezahlt werden. Ich theile bezüglich ihres Geſchmacks die Anficht aller übrigen Europäer, die fie gefoftet. Sie ſchmecken nad gar nichts, und wenn man mir es nicht gefagt hätte, würde ich fie für Nudeln gehalten haben. Ihre Subftanz ift Inorpliger Natur und wird im Magen ber Schwalben, von denen die Nefter ftammen, bereitet. Sie fommen vom Indiſchen Archipel, na⸗ mentlich von Java und Sumatra, wo bie Vögel in oft unzu⸗ gänglichen Höhlen niften, aber feineswegs, wie früher die An⸗ ſicht war, ihre Nefter aus den Ueberreſten von Fifchen fertigen. Die Schwalben find Landvögel und freffen nie Fiſche. Nach» dem bie Neſter fehr fleißig gereinigt, gekocht und wieder ge— wachen find, wonach fie, wenn fie gut fein follen, eine faft transparente weißliche Farbe annehmen müffen, ſchneidet man fte in nudelähnliche feine Streifen und kocht fie abermals mit ftarfer Fleiſchbrühe. Das Pfund von den fchönften Neſtern foftet durchſchnittlich 20 Thaler, die Suppen find daher ziem- [ich theuer.

Die chinefiiche Mahlzeit beginnt mit dem unumgänglichen Thee, der auch ebenfo regelmäßig den Schluß bildet. Bier- zig bis funfzig Gerichte find pas Minimum bei einem an- jtändigen chinefifchen Diner, was jeboch.nicht zu viel ijt, ba jede Schüffel nur fehr Hein und lediglich für jeden Gaft zwei bis drei Biſſen enthält. Mit fünf ober ſechs Schüffeln wird gewöhnlich angefangen. Sie werben in bie Mitte bes

268

Tiſches geftellt, der ftets nur fo groß ift, daß die Gäfte ohne weitere Unbequemlichkeiten vie Speifen erreichen körmen. lm jene erften Schüffeln gruppiren fich allmählich die folgenden Gerichte. Alles ſchwimmt in einer reichen und gewöhnlich mit Knoblauch gewürzten Sauce. Sämmtliche Fleiſchſpeiſen find in mundgerechte Stüde zerfchnitten, um fie ohne Hülfe von Meſſer und Gabel, vie ver Chinefe bei Tifche nicht ge- Braucht, mit den Efftäbchen faffen und fie in den Mund dringen zu fönnen. Die Stäbchen find von Elfenbein over Eben- holz, rund, fo did wie ein DBleiftift und etwa 6 Zoll lang. Auf den anftändigen Zifchen ftehen immer einige Becher da⸗ mit angefüllt zum Wechſeln für vie Gäfte Natürlich find diefe ganz neu und ungebraudht. So prädtig die Chinefen damit umzugehen wilfen, jo unbequem find fie für den nicht daran gewöhnten Europäer. Ihre ungefchicdte Handhabung verurjacht regelmäßig große Heiterkeit bei den übrigen Tiſch— genoffen. Wenn nicht der Hausherr den Gäften mitleivig zu Hürfe time und ihnen mit großer Geduld ftets etwas auf ihren Teller legte, würben dieſe häufig hungrig von ver Tafel aufftehen müſſen. Die Suppe wird aus Porzellanfchalen mit Heinen Porzellanlöffeln gegeffen. Neben jedem Couvert fteht eine Heine geſchmackvoll verzierte Theekanne mit Samtſchu, dem aus Reis bereiteten chinefifchen Branntwein, der aus feinen Porzellannäpfen, nicht viel größer als ein Fingerhut, getrunken wird, da er fehr ftarf ift und namentlich auf euro- Räiſche Naturen eine jehr nachtheilige Wirkung äußert. Es fommt häufig vor, daß europäifche Meatrofen, welche fich darin betrinfen, in vollftänpige Tollwuth verfallen und fich vie Schädel gegen Mauern einrennen. Die Chinefen find je- doch daran gewöhnt, fie trinfen fehr viel davon, und man kann fle durchaus nicht mäßig nennen. In den Küftenftäbten gibt es auch fehon europäifche Weine. Bei einem Gaftmahle erhielten wir Rothwein, Sherry und Champagner, obwol

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unfere Wirthe nur davon nippten. Es ift Sitte, einander zu- zutrinfen, und zwar fajt genau auf englifhe Weile. Der Hausherr beginnt damit, indem er fein Glas erhebt, dem vorher durch einen Bedienten aufmerkſam gemachten Gaſte zunickt und baranf fein Zrinkichälchen leert. . Dies geht dem Range nach herum, und bei großen Gaftmählern find jchon deshalb unfere Gläſer unzuläſſig. Trotzdem ift e8 faft regel- mäßig der Fall, daß die meilten Gäſte von ihren Dienern Abends im Schuße der Dunkelheit und unter dem fchirmenden Dache einer verfchloffenen Sänfte bewußtlos zu Haus gebracht werben müffen. Ein Trinkſpiel, ähnlich dem italientfchen Morra, bei dem ein Gaft Finger in die Höhe Hält, deren Zahl ein zweiter gleichzeitig jagen muß, trägt hierbei haupt⸗ jählih die Schuld, da jever Fehler mit dem Trinken eines Schälchens beitraft wird.

Sit der Tiſch von Speifen zu fehr angefüllt, fo tritt eine Pauſe ein, alles wird abgenommen, jedem Gaſte ein in heißes Waſſer getauchtes und ausgerungenes Handtuch zum Abwiſchen der Hände und des Mundes dargereicht, und ein Gang ift beendigt. Bald darauf beginnt die Arbeit von neuem, und gewöhnlich dauert eine folhe Tafel 4 5 Stunden. Den Schluß bildet regelmäßig eine Schüffel mit Reis, und nach ihr fommt das Dejert, aus Früchten, Eingemachten und Bad werk aller Art bejtehend. Große Diners werben gewöhnlich von muſikaliſchen und theatralifchen Darftellungen begleitet, bie jeboch die unangenehmfte Zugabe .von allem find und bie Europäer nervenfrant machen können. Sie werben weniger häufig im eigenen Haufe als in Reftaurationen gegeben, wahr- Theinlih, um die bamit verbundene Unruhe zu vermeiden. Für das niedere Volk beftehen vergleichen Reftaurationen in großer Zahl, und zu ihnen gejellen fi noch unzählige ambulante Küchen, in denen für wenige Rupfermünzen warme und kalte Speifen verabreicht werben.

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So wählerifch die Reichern in ihren Speifen, fo Tiberal find die Aermern. Wenn es nur den Hunger ftillt, Tommt es ihnen gar nicht darauf an, was fie genießen. Die Noth zwingt fie bazu, und die Noth macht die Chinefen fowol zu Kochkünftlern, als fie auch die unendlichiten Varietäten von Speifen ſchafft. Was in China irgend Nahrungsftoff hat, wird hervorgefucht, um mit Hülfe der Kochkunft fchmadhaft oder wenigftens geniekbar gemacht zu werben. Sch habe ſchon früher der vielen Arten von Salaten erwähnt; ich glaube, es gibt in China Feine Pflanze, deren Blätter nicht dazu ver- wanbt würden. Neis bildet den Danptnahrungsftoff des ge- ſammten Volles, und wie man bei ung Morgen- Mittag- und Abendbrot fagt, jo heißen die Mahlzeiten in China Morgen» und Abenbreis, da man nur zwei berfelben hält. Zu ben Fleifchipeifen, die jedoch nur auf den Tiſch der Wohl- habenden kommen, liefern Schweine das größte Contingent, beren Fleiſch, namentlich wenn es recht fett ift, ver Chinefe außerordentlich liebt. Schafe gibt es im Süden bes Landes gar nicht, und Rindvieh im ganzen Lande fo wenig, daß es felten auf den Markt fommt. Bon zahmem Geflügel find Enten ſehr bevorzugt, und man fieht fie zu Hunderten in den Läden gelocht, gebraten, geräuchert, frifch gejchlachtet und lebendig, Hunde, Raten und Ratten werben jeboch ebenfo wenig verjchont und namentlich fieht man bie Ratten, fein weiß rafirt und fehr appetitlich ausfchauend, in ven Schlächterläden hängen. Die mittlere und ärmere Sllaffe fieht jedoch fehr felten Fleiſch auf ihrem Tiſche, ſondern lebt ftatt deſſen von Fiſchen, an denen bie von einem Kaltwaſſerſtrome befpülten Küften des Landes und auch die Flüſſe außerordentlich reich find. Tifcherei wird des⸗ halb auch in ganz China in großartigfter Weiſe betrieben, und man bat berechnet, daß faft ein Zehntel der Bevöl⸗ ferung damit bejchäftigt if. Nach dem, was ih an ben

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Küften felbit gefehen, wo wir täglich von Tauſenden von Dſchonken umgeben waren, iſt dies auch faum zu bezweifeln. Es gibt Fein Inftrument, um Fiſche zu berüden, das hier nicht mit Erfolg angewendet würde. Alle möglichen Arten Netze und Hamen, Angeln, Harpımen u. f. w. find in Ge branch; bei Tag und Nacht wirbe gefifcht, bei Mond⸗ und Fackelſchein und in tieffter Dunkelheit mit 'abgerichteten See- raben und Zauchern, mit Körben, Reuſen und Pfahlwert. Jeder Fluß, jeder See, jeder Pfuhl iſt mit Fiſchern bedeckt, ein Stüdchen Waſſer ift ebenfo viel werth wie fruchtbares Land, und wo feine Fiſche darin find, bevölkert man es bald durch Laich, mit dem über das ganze Reich ein Tebhafter Handel getrieben wird. Ein chinefifcher Fiſchmarkt iſt der frequentefte, geräufchuollfte, interefjantefte, aber auch zur gleich ſchmuzigſte und übelriechenpfte Punkt der ganzen Stabt; denn obſchon die Flußfiſche von ihren Verkäufern ſorgſam in friſchem Waffer gehalten und die unverlauften abends wieder in Teiche zurädgefegt werben, fo äußert fich Doch bei den Seefifchen bald ver Einfluß ver Wärme, und wenn man fie auch einfalzt, 'gefchieht Dies, gewöhnlich nicht eher, als bie es die höchfte Zeit if. Die Seen und Teiche liefern indeß auch noch andere efbare Sachen, Krebfe, Krabben, mit einem Worte alle fiſchbaren ruftaceen, Holothurien, Seeigel fommen zu Markte, ebenfo auch Wafferfaftanien (scirpus tubero- sus), Lotus (nelumbium) und Segras. Letteres wirb in enormen Uuantitäten von ber ärmern Klaffe gegeffen. Es Tommt von Japan, Korea und der Lieufien- Gruppe, an deren Küften ed wächft und in vielen Hunderten von Schiffsladungen nad) China ausgeführt wird. Dieſes Gras Aft fchilfartig, die Blätter find aber dicker und ſchwammig. Es foll Nahrungs- ftoffe enthalten, ſchmeckt aber nur falzig und wirb zum Reis genoffen, den es mwürzt.

17.

Die Landwirthſchaft der Chineſen. Wertbh des Düngers. Der R

Die Baumwollencultur. Die Seidenproductien. Weberei und =

in China. Die Borzelanfabrilarien Die Meiallkereitung. Hol

Eifenbeinfchnigerei. Die Munftertigfeiz umr ber Mangel an Kır Die Ginekkbe Heiffeni

Die Hanptbeichäitigang bes Volles ift ber Aderbau, die große Leberpälferung tes Yanres Bat jene Bewohner jwungen, tiefen Zweig ter Zellswirthicdhait auf eine W ju veroelllommmen, tie idhem tie Bewunberung ver Trühei Beſucher Chinas erregte war noch immer Beachtung verdie ebwel fie, wie vieles anvere im Neich ter Mitte, eft überihü iſt. Es üht fi micht im Abrede ftellen, def die Chizei ung überiegen fiat, we es jidh varum hantelt, amf tragbaren Boden ten mözlicht arefen Gewiem zu jieben: ie kleiben jedoch hinter und zurüd, wenn tie Melieratien jenen Boten? in Betrocht Tommi. Das eriere boben fie fheilmeiie der beilern Vearkeitung tes Aders, theilä ber Düngum mt Dr hantiung tes Sxatrfeıns rer ver Seat zu tenfen.

Der Aderkun in Thina wirt ziel richtiger als Gartenbau bezeichnet; tie Felder made ale rem Cistead nen Garten⸗ deeten. amt nidt einmai ter Reis, ver te Stelle wie Korne vertritt, wirt zuiie, tezzure Safe für Zeiss mit der

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genug ſind, die ſie umgebende Waſſergefahr zu beurtheilen, ſieht man ſie regelmäßig mit dieſer Kalebaſſe, die ihnen von den Aeltern als Rettungsmittel gegen das Ertrinken umgebun— den wird.

Im allgemeinen leben die verheiratheten Chineſen ſehr häuslich. Oeffentliche Vergnügungsörter gibt es außer den Theatern und Theehäuſern nicht. Letztere beſucht aber ein Mann aus der höhern Klaſſe nicht. Bälle und Tanz ſind ſchon aus Rückſicht auf die Füße der Damen unzuläffig und daher unbekannt. Die Frauen erſcheinen ſelten in Gegenwart von Fremden und eſſen auch nur bei Tiſche mit der eigenen Familie oder den nächſten Verwandten. Frauen der höhern Klaſſe ſieht man daher äußerſt ſelten und auf den Straßen nie, da ſie ſtets ihre Beſuche in dicht verſchloſſenen Sänften machen. Dagegen ſpielen Viſiten und Zweckeſſen im gefell- fchaftlichen Leben eine Hauptrolle. Der Befucher kommt in ber Sänfte und läßt durch einen Bedienten feine Karte ab- geben, auf ber fein Name und Titel gebrudt ift. Dieſe Karten find roth mit Goldrand, wenn der Betreffende trauert, weiß mit blau, aber nicht etwa in Form unferer Karten, fondern lange gefaltete Streifen, die man ebenfo gut als Tapeten verwenden Tönnte. Die Anftands- und Höflichleitsformen unter gebildeten Chinefen find ftreng nach dem Range ver Be- treffenden bemeifen und einem ganz beſtimmten Ceremonien- gejeß unterworfen, von dem nie abgewichen wird. Die Etikette des frühern fpanifchen Hofes tft nichts Dagegen. Bei ven Befuchen Schreibt dieſes Gefeg vor, die Freunde ftets einzuladen, biefe müffen aber ebenfo ftandhaft ausichlagen, und lächerlich ift e8, das Complimentiren und bie Verfuche der beiden Par- teien, es gegenjeitig zu verhindern, mit anzujehen.

Nah dem Range des Gaftes kommt der Hausherr ihm bis zur Sänfte oder zur Haus- oder Zimmerthür entgegen und ebenjo find bie Verbeugungen und Hinderungsverſuche

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genau danach regulirt. Die gewöhnliche Begrüßung unter Gleichgeſtellten befteht darin, die gefchloffenen Hände zufammen- zulegen und fie einigemale mit den Worten „Hau⸗tſing⸗tſing“ bis an bie Stirn zu erheben. Hau heißt: Befinden fie fich wohl? und tfing, fing: Heil, Heil! In den Worten tfing, tfing, tichop, tichop (ſchnell), maski (e8 macht nichts) und tichau, tichau (effen) beiteht gewöhnlich die gefammte Kennt- niß der chineſiſchen Sprache bei Fremden, mit ber fie: fi) den Randeseinwohnern verftändlich zu machen fuchen, wenn dieſe nicht bereits einige Fortſchritte in dem berühmten Pitichen- Engliſch gemacht haben, pas die gewöhnliche Eonverfation zwiichen Europäern und Chinefen ermöglicht und auf das ich fpäter zurüdfommen werde.

Zunächſt wird ver Beſuch in das Wohnzimmer geführt, wo fich der für ven Hausherren und beffen vornehmften Gaft beitimmte Ehrenplatz befindet. Dies ift bald eine Nifche, bald eine Art Bett mit Matten belegt, mit einem Porzellan- filfen für den Kopf und zwei Fußſchemeln ausgerüftet, auf denen beim Liegen die Füße ruhen, während fich in der Mitte ein Heiner Tiich erhebt, um Theetaffen oder den Apparat zum Opiumrauchen baranfzuftellen. Diefer befteht zunächft aus Pfeifen von Bambusrohr mit Meffingkopf, die nach dem Stande des Beſitzers mehr oder minder foftbar verziert find. Das Rohr hat Feine Spige, ſondern ift einfach ſtumpf abge- fhnitten, einen Zoll did und etwa 18 Zoll lang. Der Kopf ift Hein, gleicht einer Freisförntigen Schale und hat im Boden nur eine ganz Heine Deffnung von der Größe eines Sted- nabelfopfes. Nebit ver Pfeife fieht man eine Lampe, eine Büchfe mit dem Opium, eine Fleine Schale und zwet ftrid- nabelähnliche Drahtftüde, deren eins an einem Ende mit einem Heinen Knopf, am andern mit einer Schaufel auggeftattet it. Beim Gebrauch taucht man die Navel mit dem Knopf in das Optum, das die Eonfiftenz von dickem Syrup

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hat, nimmt eine Exrbfengröße davon auf und Hält es über bie Lampe. Hier wird e8 unter beftändigem Diehen gefocht, wobei es blafenförmig auftreibt und zuletzt fich wieder zu einer feften Kugel zufammenzieht. Dann ift aller Schmuz entfernt und nur das Narkoticun zurücgeblieben. Dieſes wird über bie Kleine Deffnung des Pfeifenkopfes gefchmiert, vie Pfeife ange- ftedt und geraucht. - In vier bis fünf Zügen ift das Narkoticum verzehrt, worauf das Reſiduum mit der kleinen Schaufel entfernt und auf die erwähnte Schale gelegt wird. Die Operation wiederholt fich num, bis Die Wirfung des Stoffes ven gewünschten Einfluß auf das Nervenſyſtem des Rauchers äußert und biefen in den er- Ichlaffenden und trunkenen Zuftand verjegt, der fo viele An- nehmlichkeiten befigen foll, welche wir Europäer nicht zu würbigen wiffen, ber jedoch auch Körper und Geift ruinirt. An das Fußende des Ehrenplages ſchließen fich in vechten Winkeln zwei Reiben fehwerer maſſiver Armſeſſel für bie iibrigen Gäfte an, die je nach ihrem Nange dem erftern näher oder ferner placirt werden. Kurz nach dem Nieberfegen wird den Gäften Thee präfentirt. Bei längerm Bleiben werben auch eingemachte Früchte herumgereicht. Beim Fortgehen beobachtet man viefelben Formen wie bei der Ankunft.

Die Gaftmähler der Chinefen zeichnen fich durch ihre Kofte barkeit und bie unendliche Barietät ihrer Speifen aus, bie oft aus ben wunderbarſten Ingredienzien befteben, fehr gut bereitet, fauber fervirt und auf ven Schüffeln und ber Tafel außerordentlich geſchmackvoll arrangirt find. Trotzdem munden fie ung vielfach nicht, weil fie Dinge enthalten, die ung durch aus nicht auf den Tiſch zu gehören jcheinen. Dahin rechne ich verſchiedene Arten von Seeigeln, Tintenfiſche, Haifiſch⸗ floffen, bebrütete Taubeneier und mehrere gallertartige Er- zeugniffe des Dceans, deren Anblid unferer Natur Efel ein- flößt. Ich nahm mehrere male theil an chineſiſchen Gaft- mäblern, und nahm mir dabei vor, alles durchzufoften, ein

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Borjak, ven ich beroifch purchführte. Daß irgendetwas gerapezu fchlecht geſchmeckt Hätte oder ungenießbar geweſen wäre, kann ich durchaus nicht behaupten; nur ber Gedanke: es tft Das und das, fchnürte bisweilen unwillfürlich die Kehle zufammen.

Die Chinefen haben eine befondere Vorliebe für alle gelatindfen Subftanzen, denen fie gewiffe ftärfende Kräfte zu- ſchreiben und an benen ihr Speifezettel daher fehr reich ift. Dahin gehören auch die indiſchen VBogelnefter, die auf feiner anftändigen Tafel fehlen und jehr theuer bezahlt werden. Ich theile bezüglich ihres Geſchmacks die Anficht aller übrigen Europäer, bie fie gefoftet. Sie fchmeden nach gar nichts, und wenn man mir es nicht gefagt hätte, würde ich fie für Nudeln gehalten haben. Ihre Subftanz ift Inorpliger Natur und wird im Magen der Schwalben, von denen bie Nefter ſtammen, bereitet. Sie fommen vom Indiſchen Archipel, na⸗ mentlich von Java und Sumatra, wo bie Vögel in oft unzu- gänglichen Höhlen niften, aber feineswegs, wie früher bie An- ficht war, ihre Nefter aus den Ueberreftenvon Fischen fertigen. Die Schwalben find Landvögel und freffen nie Fifche. Nach» dem die Nefter fehr fleißig gereinigt, gekocht und wieder ge- waschen find, wonach fie, wenn fie gut fein follen, eine faft transparente mweißliche Farbe annehmen müffen, ſchneidet man fte in nudelähnliche feine Streifen und kocht fie abermals mit ſtarker Fleiſchbrühe. Das Pfund von den fchönften Nejtern foftet durchjchnittlih 20 Thaler, die Suppen find baher Biem- lich theuer.

Die chinefifche Mahlzeit beginnt mit dem unumgänglichen Thee, der auch ebenſo regelmäßig den Schluß bildet. Vier⸗ zig bis funfzig Gerichte find das Minimum bei einem ans jtändigen chinefifchen Diner, was jedoch nicht zu viel iſt, da jede Schüffel nur fehr Hein und lediglich für jeden Gaſt zwei bi8 drei Biſſen enthält, Mit fünf ober ſechs Schüffeln wird gewöhnlich angefangen. Ste werben in die Mitte bes

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Tiſches geftelit, der ftets. nur jo groß tft, daß die Gäfte ohne weitere Unbequemlichkeiten die Speifen erreichen fünnen. Um jene erften Schüffeln gruppiren fi allmählich die folgenden Gerichte. Alles ſchwimmt in einer reichen und gewöhnlich mit Knoblauch gewürzten Sauce. Sämmtliche Fleifchipeifen find in mundgerechte Stücke zerfchnitten, um fie ohne Hülfe von Meſſer und Gabel, die der Chinefe bei Tifche nicht ge- braucht, mit den Eßſtäbchen faffen und fie in den Mund bringen zu fönnen. Die Stäbchen find von Elfenbein oder Eben- holz, rund, fo did wie ein DBleiftift und etwa 6 Zoll Tang. Auf den anftändigen Zifchen ftehen immer einige Becher ba- mit angefüllt zum Wechfeln für die Gäſte. Natürlich find biefe ganz neu unb ungebraudht. So präctig die Chinefen damit umzugehen wilfen, fo unbequem find fie für den nicht baran gewöhnten Europäer. Ihre ungefchicdte Handhabung verurfacht regelmäßig große Heiterkeit bei den übrigen Zifch- genoffen. Wenn nicht der Hausherr ven Gäften mitleidig zu Hülfe käme und ihnen mit großer Geduld ftets etwas auf ihren Teller legte, würben viefe häufig hungrig von ber Tafel aufftehen müſſen. Die Suppe wird aus Porzellanfohalen mit Heinen Porzellanlöffeln gegeffen. Neben jebem Couvert fteht eine Heine geſchmackvoll verzierte Theefanne mit Samtfchu, bem aus Reis bereiteten chinefifchen Branntwein, der aus kleinen Porzellannäpfen, nicht viel größer als ein Fingerhut, getrunfen wird, da er fehr ftarf ift und namentlich auf euro- gäifche Naturen eine fehr nachtheilige Wirkung äußert. Es fommt häufig vor, daß europäifche Meatrofen, welche fich darin betrinfen, in vollftändige Tollwuth verfallen und fich die Schädel gegen Mauern einrennen. Die Chinefen find je- doch daran gewöhnt, fie trinken fehr viel davon, und man kann fte durchaus nicht mäßig nennen. In den Küftenftäpten gibt e8 auch fehon europäifche Weine. Bei einem Gaftmahle erhielten wir Rothwein, Sherry und Champagner, obwol

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unſere Wirthe nur davon nippten. Es ift Sitte, einander zu- zutsinfen, und zwar fajt genau auf engliihe Weile. Der Hausherr beginnt damit, indem er fein Glas erhebt, dem vorher durch einen Bedienten aufmerffam gemachten Gafte zunickt und baranf fein Trinkſchälchen leert. Dies geht dem Range nach herum, und bei großen Gaftmählern find fchon deshalb unfere Gläſer unzuläſſig. Trotzdem iſt es faft regel mäßig der Fall, dag die meilten Gäſte von ihren Dienern Abends im Schuße der Dunfelbeit und unter dem fchirmenben Dache einer verjchloffenen Sänfte bewußtlos zu Haus gebracht werden müſſen. Ein Zrinfipiel, ähnlich dem italienifchen Morra, bei dem ein Gaft Finger in die Höhe Hält, deren Zahl ein zweiter gleichzeitig jagen muß, trägt hierbei haupt⸗ ſächlich die Schuld, da jever Fehler mit dem Trinken eines Schälchens beſtraft wirb.

Iſt der Tiſch von Speiſen zu ſehr angefüllt, ſo tritt eine Pauſe ein, alles wird abgenommen, jedem Gaſte ein in heißes Waſſer getauchtes und ausgerungenes Handtuch zum Abwiſchen ber Hände und bes Mundes dargereicht, und ein Gang ift beendigt. Bald barauf beginnt bie Arbeit won neuem, und gewöhnlich dauert eine folche Tafel 4—5 Stunden. Den Schluß bildet regelmäßig eine Schüffel mit Reis, und nach ihr fommt das Defert, aus Früchten, Eingemachtem und Bad werk aller Art beftehend. Große Diners werben gewöhnlich von mufilalifhen und theatralifchen Darjtellungen begleitet, bie jedoch die unangenehmfte Zugabe .von allem find und bie Europäer nervenkrank machen können. Sie werben weniger häufig im eigenen Haufe als in Neftaurationen gegeben, wahr- ſcheinlich, um bie bamit verbundene Unruhe zu vermeiden. Tür das niebere Volk beftehen vergleichen Reitaurationen in großer Zahl, und zu ihnen gejellen ſich noch unzählige ambulante Küchen, in benen für wenige Kupfermünzen warme und kalte Speifen verabreicht werben. Ä

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genug ſind, die ſie umgebende Waſſergefahr zu beurtheilen, ſieht man ſie regelmäßig mit dieſer Kalebaſſe, die ihnen von den Aeltern als Rettungsmittel gegen das Ertrinken umgebun- den wird.

Im allgemeinen leben die verheiratheten Chineſen ſehr häuslich. Oeffentliche Vergnügungsörter gibt es außer den Theatern und Theehäuſern nicht. Letztere beſucht aber ein Dann aus der höhern Klaffe nicht. Bälle und Tanz ſind ſchon aus Rüdficht auf die Füße der Damen unzuläffig und baber unbekannt. Die Frauen -erjcheinen felten in Gegenwart von Fremden und effen auch nur bei Tiſche mit der eigenen Familie oder den nächiten Verwandten. rauen ber höhern Klaſſe fieht man daher äußerft felten und auf den Straßen nie, da fie ſtets ihre Beſuche in dicht verfchloffenen Sänften machen. Dagegen fpielen PVifiten und Zweckeſſen im gefell- fchaftlihen Leben eine Hauptrolle. Der Befucher kommt in ver Sänfte und läßt durch einen Bedienten feine Karte ab- geben, auf der fein Name und Zitel gedruckt ift. Diefe Karten find roth mit Goldrand, wenn der Betreffende trauert, weiß mit blau, aber nicht etwa in Form unferer Karten, fondern lange gefaltete Streifen, bie man ebenfo gut als Tapeten verwenden könnte. Die Anftande- und Höflichkeitsformen unter gebildeten Chinefen find ftreng nach dem Range ber Be- treffenden bemeffen und einem ganz bejtimmten Geremonien- gejeß unterworfen, von dem nie abgewichen wird. Die Etikette des frühern fpanifchen Hofes tft nichts Dagegen. Bei den Beſuchen jchreibt diefes Gefet vor, die Freunde ftets einzuladen, biefe müſſen aber ebenfo ftandhaft ausjchlagen, und lächerlich ift es, das Complimentiren und bie VBerfuche ber beiden Par- teien, e8 gegenjeitig zu verhindern, mit anzufehen.

Nach dem Range des Gaftes kommt der Hausherr ihm bis zur Sänfte oder zur Haus- oder Zimmerthür entgegen und ebenjo find die Verbeugungen und Hinderungsverſuche

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genau danach regulirt. Die gewöhnliche Begrüßung "unter Gleichgeſtellten befteht darin, die gefchloffenen Hände zufammen- zulegen und fie einigemale mit den Worten „Hau stfing-tfing” bis an die Stirn zu erheben. Hau heißt: Befinden fie Tich wohl? und tfing, tfing: Heil, Heil! In den Worten tfing, tfing, tichop, tichop (ſchnell), maski (es macht nichts) und tichau, tfchau (effen) beiteht gewöhnlich die gefammte Kennt- niß der chinefifchen Sprache bei Fremden, mit ver fie fich den Landeseinwohnern verftänplich zu machen fuchen, wenn dieſe nicht bereits einige Fortſchritte in dem berühmten Pitfchen- Engliſch gemacht haben, das die gewöhnliche Eonverfation zwilchen Europäern und Chinefen ermöglicht und auf das ich fpäter zurückkommen werbe.

Zunächſt wird ver Beſuch in das Wohnzimmer geführt, wo fich der für ven Hausherren und deffen vornehmften Gaft beftimmte Ehrenplat befindet. Dies ift bald eine Nifche, bald eine Art Bett mit Matten belegt, mit einem Porzellan- fiffen für den Kopf und zwei Tußfchemeln ausgerüftet, auf denen beim Liegen die Füße ruhen, während fich in der Mitte ein Feiner Tiſch erhebt, um Theetaſſen oder ven Apparat zum Opiumrauchen baranfzuftellen. SDiefer beſteht zunächft aus Pfeifen von Bambusrohr mit Meffingfopf, die nach dem Stande des Bejigers mehr oder minder foftbar verziert fin. Das Rohr hat Feine Spite, fondern ift einfach fiumpf abge- ſchnitten, einen Zoll did und etwa 18 Zoll lang. Der Kopf ift Hein, gleicht einer Freisförmigen Schale und hat im Boden nur eine ganz Heine Deffnung von der Größe eines Steck⸗ nabelfopfes. Nebſt ver Pfeife fieht man eine Lampe, eine Büchſe mit dem Opium, eine Fleine Schale und zwei ftrid- nadelähnliche Drahtftüde, deren eins an einem Ende mit einem Heinen Knopf, am andern mit einer Schaufel auggeftattet ft. Beim Gebrauch taucht man die Nabel mit dem Knopf in das Opium, das die Eonftftenz von dickem Syrup

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hat, nimmt eine Erbfengröße davon auf und hält es über bie Lampe. Hier wird e8 unter beftändigem Diehen gelocht, wobei es blafenförmig auftreibt und zuletzt fich wieder zu einer feften Kugel zufammenziebt. Dann ift aller Schmuz entfernt und nur das Narkoticum zurüdgeblieben. Dieſes wird über bie Feine Deffnung des Pfeifenfopfes geſchmiert, die Pfeife ange- jtedt und geraucht. - In vier bis fünf Zügen ift das Narkoticum verzehrt, worauf das Reſidnum mit der Heinen Schaufel entfernt und auf die erwähnte Schale gelegt wird. Die Operation wiederholt ſich nun, bis die Wirkung des Stoffes ven gewünfchten Einfluß auf das Nervenſyſtem des Rauchers äußert und biejen in ben er- Ichlaffenden und trunfenen Zuftand verfegt, ver jo viele An- nehmlichfeiten befigen fol, welche wir Europäer nicht zu würdigen wiſſen, ver jedoch auch Körper und Geift ruinirt. An das Fußende des Ehrenplages jchließen ſich in rechten Winkeln zwei Reihen jchwerer maffiver Armſeſſel für bie übrigen Gäfte an, die je nach ihrem Range dem erftern näher oder ferner placirt werden. Kurz nach dem Niederfegen wird den Gäſten Thee präfentirt. Bei längerm Bleiben werben auch eingemachte Früchte herumgereicht. Beim Vortgehen beobachtet man diefelben Formen wie bei der Ankunft.

Die Gaftmähler der Chinefen zeichnen fich durch ihre Kofte barfeit und die unendliche Varietät ihrer Speifen aus, Die oft aus den wunderbarſten Ingrebienzien beftehen, jehr gut bereitet, jauber fervirt und auf ven Schüffeln und ver Tafel außerorventlich geſchmackvoll arrangirt find. Trogdem munden fie uns vielfach nicht, weil fie Dinge enthalten, bie ung durch⸗ aus nicht auf den Tiſch zu gehören fcheinen. Dahin rechne ich verſchiedene Arten von Seeigeln, Zintenfifche, Haifiſch⸗ fioffen, bebrütete Taubeneier und mehrere gallertartige Er- zeugniffe des Dceans, deren Anblid unferer Natur Efel ein- flößt. Ich nahm mehrere male theil an chinefifchen Gaft- mäblern, und nahm mir dabei vor, alles purchzufoften, ein

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Borjat, ven ich beroifch purchführte. Daß irgendetwas gerapezu fchlecht geſchmeckt hätte oder ungenießbar geweſen wäre, kann ich durchaus nicht behaupten; nur ver Gedanke: es tft das und das, fchnürte bisweilen unwillfürlich vie Kehle zufammen,

Die Ehinefen haben eine beſondere Vorliebe für alle gelatindfen Subftanzen, denen fie gewiſſe ſtärkende Kräfte zu- fehreiben und an denen ihr Speifezettel daher jehr reich tit. Dahin gehören auch die inpifchen Vogelneſter, bie auf Feiner anftändigen Tafel fehlen und fehr teuer bezahlt werden. Ich theile bezüglich ihres Geſchmacks die Anficht aller übrigen Europäer, die fie gekoſtet. Sie ſchmecken nad gar nichts, und wenn man mir es nicht gefagt hätte, würde ich fie für Nudeln gehalten haben. Ihre Subitanz ift Inorpliger Natur und wird im Magen ver Schwalben, von denen bie Nefter ſtammen, bereitet. Sie fommen vom Indiſchen Archipel, na⸗ mentlich von Java und Sumatra, wo bie Vögel in oft unzu⸗ gänglichen Höhlen niften, aber Teineswegs, wie früher die An- fiht war, ihre Nefter aus den Ueberreften"von Fifchen fertigen. Die Schwalben find Landvögel und freffen nie Fiſche. Nach⸗ bem die Nefter fehr fleißig gereinigt, gekocht und wieder ge- waschen find, wonach fie, wenn fie gut fein follen, eine faft transparente weißliche Farbe annehmen müffen, ſchneidet man fie in nubelähnliche feine Streifen und Tocht fie abermals mit ftarfer Fleifchbrühe. Das Pfund von den jchönften Neftern foftet durchſchnittlich 20 Thaler, pie Suppen finb daher ziem- lich thener.

Die chinefifche Meahlzeit beginnt mit dem unumgänglichen Thee, der auch ebenfo regelmäßig den Schluß bildet. Vier⸗ zig bis funfzig Gerichte find das Minimum bei einem an- ſtändigen chinefifchen Diner, was jeboch.nicht zu viel iſt, da jede Schüffel nur fehr Hein und lediglich für jeden Gaft zwei bis drei Bilfen enthält. Mit fünf oder ſechs Schüffeln wird gewöhnlich angefangen. Ste werben in bie Mitte des

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Tiſches geftellt, der ſtets nur fo groß ift, daß die Gäſte ohne weitere Unbequemlichkeiten die Speifen erreichen fönnen. Um jene erſten Schüffeln gruppiren fich allmählich die folgenpen Gerichte. Alles ſchwimmt in einer reichen und gewöhnlich mit Knoblauch gewärzten Sauce. Sämmtliche Fleifchfpeifen find in mundgerechte Stücke zerfchnitten, um fie ohne Hüffe von Meffer und Gabel, vie ver Chinefe bei Tiſche nicht ge- braucht, mit den Eßſtäbchen faffen und fie in den Mund bringen zu können. Die Stäbchen find von Elfenbein over Eben- holz, rund, jo did wie ein Bleiftift und etwa 6 Zoll lang. Auf den anftändigen Zifchen ftehen immer einige Becher da⸗ mit angefüllt zum Wechfeln für die Gäſte. Natürlich find biefe ganz neu und ungebraudht. So prächtig die Chinefen bamit umzugehen wiffen, jo unbequem find fie für ven nicht daran gewöhnten Europäer. Ihre ungefchicdte Handhabung verurfacht regelmäßig große Heiterkeit bei den übrigen Xifch- genoffen. Wenn nicht der Hausherr ven Gäften mitleidig zu Hülfe käme und ihnen mit großer Gebuld ftets etwas auf ihren Zeller legte, würben vieje häufig hungrig von der Tafel aufftehen müffen. Die Suppe wird aus Borzellanfchalen mit Heinen Porzellanlöffeln gegefien. Neben jevem Couvert fteht eine Heine geichmadvolt verzierte Theelanne mit Samtjchu, dem aus Reis bereiteten chinefiichen Branntwein, der aus Heinen Porzelannäpfen, nicht viel größer als ein Fingerhut, getrunfen wirb, da er fehr ftarf ift und namentfich auf euro- "Gäifche Naturen eine ſehr nachtheilige Wirkung äußert. Es kommt häufig vor, daß europäifche Meatrofen, welche fich darin betrinfen, in vollftändige Zollwuth verfallen und fich vie Schädel gegen Mauern einrennen. Die Ehinefen find je- doch daran gewöhnt, fie trinken ſehr viel bavon, und man kann fie durchaus nicht mäßig nennen. In den Küftenftäbten gibt es auch ſchon europäifche Weine. Bei einem Gaftmahle erbielten wir Rothwein, Sherry und Champagner, obwol

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unſere Wirthe nur davon nippten. Es ift Sitte, einander zu- zutrinfen, und zwar faft genau auf englifhe Weiſe. Der Hausherr beginnt damit, indem er fein Glas erhebt, dem vorher durch einen Bedienten aufmerkffam gemachten Gafte zunickt und darauf fein Trinkſchälchen leerrt. Dies geht dem Range nach herum, und bei großen Gaftmählern find fchon deshalb unfere Gläfer unzuläſſig. Trotzdem ift es faft regel- mäßig der Fall, daß die meiften Gäfte von ihren Dienern Abends im Schuße der Dunkelheit und unter dem fchirmenden Dache einer verfchloffenen Sänfte bewußtlos zu Haus gebracht werden müſſen. Ein Trinkſpiel, ähnlih dem italienischen Morra, bei dem ein Gaft Finger in die Höhe Hält, deren Zahl ein zweiter gleichzeitig fagen muß, trägt hierbei haupt⸗ jählih bie. Schuld, da. jever Fehler mit dem Trinken eines Schälchens beftraft wird.

St der Tiſch von Speijen zu fehr angefüllt, fo tritt e eine Pauſe ein, alles wird abgenommen, jedem Gafte ein in heißes Waffer getauchtes und ausgerungenes Handtuch zum Abwifchen der Hände und des Mundes bargereicht, und ein Gang ift beendigt. Bald darauf beginnt bie Arbeit von neuem, und gewöhnlich dauert eine foldhe Tafel 4—5 Stunden. Den Schluß bildet regelmäßig eine Schüffel mit Reis, und nad ihr fommt das Defert, aus Früchten, Eingemachtem und Bade wert aller Art beſtehend. Große Diners werden gewöhnlich von mufilalifchen und theatralifchen Darſtellungen begleitet, bie jedoch die unangenehmfte Zugabe ‚von allem find und bie Europäer nervenfranl machen können. Sie werben weniger häufig im eigenen Haufe als in Reftaurationen gegeben, wahr: Tcheinlih, um die damit verbundene Unruhe zu vermeiden. Für das niebere Volk beftehen dergleichen WReftaurationen in großer Zahl, und zu ihnen gefellen fich noch unzählige ambulante Küchen, in denen für wenige Kupfermünzen warme und falte Speifen verabreicht werben.

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So wählerifch die Reichern in ihren Speifen, fo liberal find bie Aermern. Wenn e8 nur den Hunger ftilit, kommt es ihnen gar nicht darauf an, was fie genießen. Die Noth zwingt fie dazu, und bie Noth macht die Chinefen fowol zu Kochkünitlern, als fie auch die unendlichiten Varietäten von Speifen ſchafft. Was in China irgend Nahrungsftoff hat, wird bervorgefucht, um mit Hülfe der Kochkunft ſchmackhaft oder wenigjtend genießbar gemacht zu werben. Ich habe ſchon früher der vielen Arten von Salaten erwähnt; ich glaube, es gibt in China feine Pflanze, deren Blätter nicht dazu ver- wandt würben. Weis bilbet den Dauptnahrungsftoff des ge⸗ fammten Volles, und wie man bei und Morgen- Mittag- und Abendbrot jagt, jo heißen die Mahlzeiten in China Morgen» und Abendreis, da man nur zwei berfelben hält. Zu den Fleifchipeifen, die jedoch nur auf den Tiſch der Wohl- habenden kommen, liefern Schweine das größte Contingent, deren Fleiſch, namentlich wenn es vecht fett ift, ber Chinefe außerorbentlich liebt. Schafe gibt es im Süden bes Landes gar nicht, und Rindvieh im ganzen Lande jo wenig, daß es jelten auf den Markt kommt. Bon zahmem Geflügel find Enten ſehr bevorzugt, und man fieht fie zu Hunderten in ben Läden gelocht, gebraten, geräuchert, friſch gefchlachtet und lebendig, Hunde, Kaben und Ratten werben jedoch ebenfo wenig verjchont und namentlich fieht man die Ratten, fein weiß vafirt und fehr appetitlih ausſchauend, in ben Schlächterläden hängen. Die mittlere und ärmere Klaſſe fieht jedoch ſehr felten Fleiſch auf ihrem Zifche, fondern lebt ftatt deſſen von Zifchen, an benen bie von einem Kaltwafferftrome beſpülten Küften des Landes und auch die Flüffe außerorventlich reich find. Fiſcherei wird des⸗ bald auch in ganz China in großartigiter Weife betrieben, und man bat berechnet, daß faft ein Zehntel ver Bevöl⸗ kerung damit bejchäftigt ift. Nach bem, was id an ben

j

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Küften felbft gejeben, wo wir täglich von Zaufenden von Dſchonken umgeben waren, tft dies auch kaum zu bezweifeln. Es gibt Fein Imftrument, um Fiſche zu berüden, das hier nicht mit Erfolg angewendet würde. Alle möglidden Arten Nege und Hamen, Angeln, Harpımen u. f. w. find in Ge brauch; bei Zag und Nacht wirbe geftfcht, bei Mond⸗ und Fackelſchein und in tieffter Dunkelheit mit abgerichteten See-

raben und Tauchern, mit Körben, Reufen und Bfahlwerf.

Jeder Fluß, jeder See, jeder Pfuhl ift mit Fiſchern bevedt, ein Stüdchen Waffer ift ebenfo viel wertb wie fruchtbares Land, und wo feine Fifche darin find, bevölkert man es bald durch Laich, mit dem über das ganze Neich ein Lebhafter Handel getrieben wird. Ein chinefifcher Fiſchmarkt ift ber frequentefte, geräufchvollfte, intereffantefte, aber auch zu⸗ gleich fchmuzigfte und übelriechendfte Punkt der ganzen Stabt; denn obſchon bie Flußfiſche von ihren Verkäufern forgfam in friſchem Waffer gehalten und die unverkauften abends wieder in Teiche zurücdgefegt werben, jo Außert fich doch bei den Seefiichen bald ver Einfluß der Wärme, und wenn man fie auch einfalzt, geſchieht Dies, gewöhnlich nicht eher, als bis es die höchfte Zeit if. Die Seen und Teiche liefern indeß auch noch andere eßbare Sachen, Krebfe, Krabben, mit einem Worte alle fifchharen Cruſtaceen, Holothurien, Seeigel fommen zu Markte, ebenfo auch Wafferfaftanien (scirpus tubero- sus), Lotus (nelumbium) und Segras. Lebteres wird in enormen Duantitäten von der ärmern Klaffe gegefien. Es Tommt von Japan, Korea umd der Lieufien- Gruppe, an deren Küften es währt und in vielen Hunderten von Schiffslanungen nad China ausgeführt wird. Diefes Gras Aft fehilfartig, bie Blätter find aber dicker und ſchwammig. Es foll Nahrungs- ftoffe enthalten, ſchmeckt aber nur falzig und wird zum Reis genoffen, ven es würzt.

1.

Die Landiwirtbfchaft der Chineſen. Werth des Düngers. Der Reisbau.

Die Baummwollencultur. Die Seidenprobuction. Weberei und Stiderei

in China. Die Porzellanfabrifation. Die Metallbereitung. Holz» und

Eifenbeinfohnigerei. Die Kunftfertigkeit und ber Mangel an Kunftfinn. Die chinefiſche Heilkunde.

Die Hauptbeſchäftigung des Volkes ift der Aderbau, und die große Uebervölkerung des Landes bat feine Bewohner ge= zwungen, biefen Zweig der Volfswirthichaft auf eine Weiſe zu vervollfommmen, vie ſchon die Bewunderung ber früheiten Bejucher Chinas erregte und noch immer Beachtung verbient, obwol fie, wie vieles andere im Reich ver. Mitte, oft überfchätt iſt. Es läßt fich nicht in Abrede ftellen, daß bie Chinefen uns überlegen find, wo e8 fich darum handelt, aus tragbarem Boden den möglichft großen Gewinn zu ziehen; fie bleiben jedoch hinter ung zurüd, wenn die Melioration fterilen Bodens in Betracht kommt. Das erftere haben fie theilweile ber beffern Bearbeitung des Aders, theild der Düngung und Der handlung des Saatlorns vor der Saat zu danfen.

Der Aderbau in China wird viel richtiger als Gartenbau bezeichnet; die Felder machen alle den Eindrud von Garten- beeten, und nicht einmal der Neis, der die Stelle unſers Korns vertritt, wird gefäet, fondern Halm für Halm mit der

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Chineffcher Bauerhof in der Mähe von Schang- har.

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- Baumwolle oder Seide und Filz gefertigt wird. Außer Schweinfleifh und Geflügel wird faft fein Fleifch gegeffen. Biehzucht findet daher nur in fehr geringem Maßſtabe ftatt. Das Culturland fteht nicht im Verbältniß zu der ungehenern Bevölkerungszahl, ſodaß man anf Weideland verzichten muß. Ich Habe Dörfer von 1500-2000 Einwohnern gefehen, deren ganzer Viehbeftand drei bis vier Dchfen waren, bie fich außer⸗ dem in feinem befondern Zuftande befanden. Das Vieh wirp nur auf Streden getrieben, vie Feine Frucht bervorzubringen vermögen. Heu tft ein fo unbekannter Artikel, daß bie Fremden, welche fih in China Pferde Halten, daſſelbe aus Europa beziehen.

Schon aus biefem Grunde fehlt es an feften Dünger, und das Volk ift gezwungen, feine Zuflucht zu ben menſch⸗ lichen Auswürfen zu nehmen, die dann auch im ganzen Lande auf die forgfamfte Weile gefammelt werden. Da diefer Dün- ger aber nicht ausreicht, fo werben alle Subftanzen, bie. nur irgend Düngkraft befigen, hinzugefügt. Als ein Beiſpiel ver Sorgſamkeit in diefer Beziehung will ih nur anführen, daß eine Menge Mienfchen allein mit dem Sammeln ver abrafirten Haare in ven Barbierläden ihren Unterhalt erwerben, bie fie als Dünger verlaufen. - Im erflen Augenblid mag dies be- lächelt werben; wenn man aber bedenkt, daß in China durch» fchnittlich täglich 100 Millionen Menſchen der Kopf raſirt wird, erjcheint die Sache rationeller.

Der Werth des Düngers wird ben Europäern hier fo deutlich vor Augen geführt wie nirgends faft, und dabei freilich auf Auge und Nafe wenig Rücficht genommen. Die Latrinen für das Publikum find ſtets an den belebteften Plägen ange- legt, und je ängftlicher man beftrebt geweſen ift, durch fauber gemauerte Reſervoirs unter Ber Erbe dafür zu forgen, daß auch nicht das Fleinfte Quantum des Toftbaren Stoffes ver- geudet werbe, deſto forgkojer ift die Einrichtung über ber

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Erbe getroffen. Derartige Pläge liegen offen vor ben Blicken der Vorübergehenden da. Ebenfo wenig werben, wie bemerft, die Nafen verfchont, da man in allen Straßen und zu allen Tageszeiten Kulis begegnet, die mit zwei mächtigen Eimern ſolchen Düngers fich durch die dicht gevrängten Menfchenmaf- fen winden und ſich dem Fremden burch einen beleidigenven Geruch bemerflich machen, auch wol ganz harmlos im Vorüber⸗ gehen beffen Kleider ftreifen. Auf chinefiiche Nafen fcheint biefer Duft feinen unangenehmen Eindruck zu machen; über- haupt feheint ihr Geruchsorgan nicht fo zart conftruirt wie das unſere, da ſie ſonſt unmöglich ben ſchrecklichen Geſtank in ihren engen Häuſern und Straßen zu ertragen vermöchten.

Die Reisfelder werden gar nicht gedüngt, ſondern das Saatkorn wird einige Tage vor der Saat in flüſſigem gego- venen Dünger geweicht. Dieſes gejchieht übrigens mit alfer Saat, nnd dies beförbert nicht nur das Keimen, ſondern ſchützt das Korn auch in der Erbe gegen Infeltenfraß, ſodaß das Berfahres in beider Hmficht die Beachtung unferer Landwirthe verdient.

Unfer Korn wird in China faft gar nicht gebaut, dagegen, wo es irgend angeht, Reis, das hauptjächlichfte Nahrungs- mittel des Volle. Die Alluvialebenen, an denen das Land fo reich ift und die fich mit geringer Mühe bewäffern laffen, eignen fich befonders dazu, und namentlich find vie ſüdlichen Provinzen die Kornlammern des Reichs, obwol fie immer noch nicht den Bedarf deden und jährlih noch Millionen von Centnern aus Siam, Cochinchina und Iava eingeführt werben.

Sind im Frühjahr die Felder durch ben reichlich im März fallenden Regen bewäflert, jo werben fie noch naß gepflügt oder gehadt und für die Aufnahme ber jungen Reispflanzen vorbereitet, die vorher in andern bazu geigneten Heinen Fel« dern gefäet und gezogen werben. Sobald dieſe Pflänzchen 5—6 Zoll erlangt haben, werben fie auf die eigentlichen Sel-

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ver verpflanzt, und zivar field in Büfcheln, die zu 6 und 8 Zoll nach allen Richtungen voneinander abftehen. Danach wird ber Ader wierer einige Zoll unter Waffer geſetzt und fo ger halten, bis fich die Pflanzen gelb fürben und bie Zeit ber Reife naht. Nun läßt man das Waſſer allmählich ab, ſodaß mit dem Eintritt ber Ernte Ende Juli das Feld troden liegt. Die Büfchel werben mit einem fichelförmigen Meſſer nahe über ber Erbe abgeſchnitten und bie Garben fofort ge heimft. Unmittelbar danach beginnen bie Borbereitimgen für bie zweite Saat. Die Aecker werden gereinigt, bewäffert und gepflügt, und die zweite Ernte findet dann im November ftatt. Der Reis wird, ganz wie bei uns das Getreide, auf Tennen von feftgeitampfter Erde mit Flegeln gedroſchen und das Reiskorn buch Stampfen enthülſt. Bisweilen find dieſe Stampfen förmliche Mühlen, die von Ochſen getrieben werben; meiſtens geiieht das Enthülfen jedoch in Handſtampfen, halbkngel⸗ fürmigen Steinmörfern, in die das Korn gefchüttet und iu benen e8 mit einem fchweren Holzſtampfer in Ferm eines abgeitumpften Kegels bearbeitet wird. ‘Der Stiel des Stam- pfers ift an einer fich in Zapfen drehenden Welle befeftigt, an ber fich Längere Hebel befinden, vie abwechſelnd mit ben Süßen wieder getreten und losgelaffen werben.

Für die Bewäfferung ihrer Felder befiten vie Chinefen eine Menge einfacher aber fehr finnreicher und wirffamer Vor⸗ richtungen, die wahrjcheinfich ebenfo alt wie pie Geſchichte ihres Aderbaues find. Außer einer Meafchinerie, die nach dem Princip unferer Flußbaggermaſchinen conftruirt tft und als eine Art Kettenpumpe wirkt, werbient eine andere einfache Vorrichtung Erwähnung, vermittelft deren das Waffer an hoben Ufern 40—50 Fuß hoch emporgehoben wird. Dies gefchieht mit Hülfe eines Rades von großem Durchmeffer, das ganz ähnlich wie ein Unterwaflerrad, aber aus Bambus gebaut ift und dadurch, neben beveutender Feſtigkeit, große Leich⸗

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tigfeit und Beweglichkeit erhält, wie bei uns- gebränchliches Material fie nicht zu geben vermag. Statt der Schanfeln find an ber Peripherie des Rades etwas fehräg geftellte und am untern Ende werjchtoffene Bambusröhren von 3—4 Zoll Durchmeffer angebracht. Der Strom fest das Rab ohne weitere Hülfe in Bewegung, und eine Röhre fteigt nach der andern empor, um nachbem fie oben angekommen, ihren Inhalt in eine neben das Rad gelegte Rinne und durch dieſe auf das Feld zu ergießen. |

Unter andern Felofrüchten werben Bohnen und Erbſen ger wonnen. Lebtere läßt man vielfach nicht reifen, fondern nur feimen, und bringt fie fo zu Markt, wo fie als eine beliebte Speife viel gefauft werden. Im Norden wird eine Art Bohne gebant, aus der man Del preßt, das allgemein im Lande zum Betten der Speiſen fowie zum Brennen verwandt wird. “Die ansgepreßten Bohnenfuchen bilden einen ungemein bedeutenden Handelsartikel nach dem Süpen, wo fie fowol als Biehfutter iwie als Dünger verivandt werden. Sehr viele deutſche Schiffe find bei diefem Handel betheiligt.

Unfer europäiſches Obſt ift ſämmtlich im Norden Chinas zu Hanfe, während fi der Süden reich an tropifchen Früch- ten zeigt. Faſt alle Flußufer find in ununterbrochener Reihe mit Obftbänmen bepflanzt, die in dem fchönen Alluvium üppig gebeiben und jedenfalls nutzbringender als unfere Anpflanzungen von Weiden und Erlen find. So fchön jedoch bie tropifchen Früchte, fo geſchmacklos iſt das übrige Obſt. Birnen, Uepfel und Pflaumen haben ein prachtuolles Ausfehen, fchmeden aber ſämmtlich wie Kohlrüben. Nur Pfirfichen und Weintranden find Toftbar. Man ißt das Stein- und Kernobſt deshalb auch nie roh, ſondern ftetS ge ſchmort oder in Zucker eingemacht. Im Einmachen von Früchten find Die Chinefen Meifter, und die Fabrik des Tſchai⸗ fung in Kanton erfreut fich in dieſer Beziehung eines in ber

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ganzen Welt verbreiteten und wohlverdienten Rufes; nament- lich Liefert fie prachtoollen Ingwer.

Merkwürbig ift es, daß in China Leine Kartoffeln gebaut werben, obwol fich im Norden guter Boden bafür findet und fie ein vortreffliches Mittel fein. würden, den oft wieberfehren- ben Hungersnöthen zu begegnen, bie infolge von Ueberſchwem⸗ mungen ber niedrig gelegenen Reisdiſtricte eintreten. Seit einem Jahrhundert wird die Kartoffel in Macao für die Frem⸗ ben mit gutem Erfolge gebaut. Im ihrer unmotivirten Ab- neigung. gegen alle Neuernugen, überhaupt gegen die von außen fommenven, haben bie Ehinefen jedoch bisjetzt nicht be- wogen werben können, dem Beifpiele zu folgen. Der Bedarf ber Europäer in den, Häfen Chinas wird aus Japan und Californien bezogen und ber Scheffel mit 6—7 Thaler bezahlt.

Zu den Hauptzweigen des chinefifchen Lanpbaues gehört bie Baummollencultur. Ihr Ertrag reicht jedoch kaum für das eigene Bedürfniß aus. Der Anzug des nievern Volles befteht, wie ich fchon anführte, Tediglich aus Baumwolle, und zwar aus jenem feften dauerhaften Gewebe, welches bet uns unter dem Namen Nanfing befannt ift und feine gelbliche Farbe dem Umftande verdankt, daß es aus ungebleichter Baum- wolle gefertigt wird. Diefer Stoff tft ſämmtlich Handgefpinft und Hausweberei. Fabriken gibt es in China ebenfo wenig wie Dampfmafchinen. Auf dem Lande hat jedes Haus feinen Webituhl, auf dem die Hausfrau pas felbftgefponnene Garn zu dem für den Familtenbevarf nothwendigen Stoffe verar- beitet. Die Spinnräver find den unfern ähnlich, jedoch wer- ben von einer Perfon immer brei Fäden zu gleicher Zeit ge- ſponnen, was ich noch nie gefehen hatte. Die Baumwolle wurde von einem Finde auf 6 Zoll lange Bambusröhrchen gewunden, welche die Mutter nebeneinander mit den Fingern ver linken Hand hielt, während die vechte drei fehr feine und

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egale Fäden auszog. Allmählich beginnt das englifhe Ma⸗ fchinengefpinft fihb in China einzubürgern, namentlich im Norden, wo der Bedarf bedeutend größer ift als die Produc- tion, auch die Baumwolle vom Süden auf dem Landwege bezo- gen und baburch veribeuert wird. Im Süden ift bagegen ber Import von Shirtings noch jehr beſchränkt. Das dhinefifche Gewebe ift zwar tbeuer, aber voppelt und breifach jo ftarf und haltbar als das englifche, und auch deshalb ſchon läßt es fich bei den praftifchen Chinefen nicht fo Leicht durch das Fabrikat der rotbhanrigen Barbaren verbrängen, folange im Süden dem Bedarf im Lande genügt werben kann.

Ein weiteres, auch für Europa in ben legten Jahrhun⸗ derten jehr wichtig gewordenes Erzeugnig chineſiſcher Agricul- tur iſt der Thee. Für China felbft ift er indeſſen noch bei weiten wichtiger, da er das einzige Getränk der Bevölkerung bildet, wenn ich ben aus Weis bereiteten und jedenfalls nur befchränft genoffenen Samtſchu⸗Branntwein abrechne. Rohes Waffer wird faft nie von den Chinefen getrunfen, und ich mußte jedesmal über die erftaunten uud fragenden Blide lä⸗ cheln, wenn ich mir in einem chinefifchen Haufe eine Schale

Waſſer ausbat. Der Theekeſſel fteht vom. frühen Morgen - bis fpät in die Nacht fingend und brodelnd am Feuer, und fobald man ein Haus betritt, wird man, wie im Orient mit Kaffee, fo hier mit Thee vegalirt, der außerdem auch zu jeber Mahlzeit verabreicht wird. Man bereitet ven Thee nicht in einer Kanne, ſondern in ber Taſſe jelbft, deren jede einen Dedel, aber feinen Henkel hat. Beim Trinken fchiebt man den Dedel ein wenig zur Seite, faßt mit Daumen und Zeige finger die Taſſe oben und unten und fehlürft ven Thee- zwi- fhen Zaffenrand und Dedel heraus, welcher lebtere bie Blätter zurückhält. Zu jeder neuen Zaffe wird frifcher Thee genommen. Weberhaupt lernt man Thee bereiten nur in China, und man wird ſtets das eigentliche Aroma des Getränfs

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verlieren, wenn man es anders macht als die bort anjäfli- gen Europäer. Für 4—6 Perfonen wird ein gehäufter Eß⸗ löffel voll Thee genommen, Tochendes Waſſer darauf gegoſſen und die Miſchung eine Minute nur ſtehen gelaffen, che fie in die Zaffen gefchenft wird. Das fogenannte Ziehen ver- birbt das Getränf, es verliert feinen angenehmen Geſchmack und wirb berbe. Will man aljo guten Thee trinfen, jo be⸗ zeite man ihn auf bie angegebene Art.

Wie bekannt gibt-e8 hanptfächlich zwei Sorten Thee, den Schwarzen und ben grünen, von. benen ber erſtere gewöhnlich als der billigere und gefündere vorgezogen wird, während man dem feinern und theurern grünen eine aufregende und für vie Gefunpheit ſchädliche Wirkung zufchreibt. Obwol der ſchwarze Thee hauptfächlich in der Provinz Folien und ber grüne in Tichefiang gebaut wird, ſtammen doch beine von berjelben Pflanze ber und unterfcheiden fih nur durch Farbe und Zu⸗ bereitung. Dev ſchwarze Thee wird beim Röften Länger dem Teuer auägefett als ver grüne; davon ftammt der Unterjchien in der Färbung. Außerdem enthält der ſchwarze Thee mehr holzige Theile des Blattes, während bei bem grünen bie Fi⸗ bern entfernt find. Dieſer Umftand ſowie daß der grüne Thee, weil er weniger geröftet wird, viel eher durch Feuch⸗ tigfeit leidet und verbirbt, iſt die Urfache, daß er höher im Preiſe fteht. Daß er jenoch feine grüne Farbe durch Röſten auf Kupferplatten erhalte, ijt eine Zabel, wenngleich es che- miſch feſtſteht, daß ein Farbeſtoff bei ver Bereitung benutzt wird, dem vielleicht auch die aufregende Wirkung zugeſchrieben werden muß.

Die Theepflanze wächft innerhalb eines Gürtels, der ſich zwiſchen dem 27. und 33. Breitengrade von Oſten nach Welten durch ganz China erſtreckt. Die Pflanze liebt die Berg⸗ abhänge, woder Humus nicht zu hoch liegt, und wird an ſol⸗ chen Stellen hauptſächlich gezogen. Sobald die Staude Alätter

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treibt, beginnt die Ernte Die erjten Blütenknospen find mit einem weißen feidenartigen Flaum bedeckt; fie geben den Pellothee, eine Corruption des hinefifchen Wortes Balbo, Das „weißer Duft‘ bedeutet. Ein längeres Wachsthum ver Blätter von einigen Tagen gibt ven „‚Ichwarzblätterigen Bello“. Die fleiſchigen und ausgebildeten Blätter liefern den Suchong, bie noch gröbern ven Congo und die letzte Ernte enplich ben Boden. Der Bohen ift nad dem Diftricte genannt, aus bem er vorzugsweiſe kommt. Congo ift eine Verſtümmelung des chinefifchen Wortes Kungfu, ‚Arbeit oder Beharrlichkeit”, und Suchong tft auf dieſelbe Weife aus Seautſchung, „kleine oder ſeltene Sorte“, gebildet.

Die feinern Arten Suchong werben im ſüdlichen China oft mit wohlriechenden jasminartigen Bläten parfünirt. Im Norden wird er jedoch obne Verſatz und ganz rein getrunken, weshalb er und weniger fchmedt, da wir in Europa felten reinen Thee befommen. Die grünen Theeforten zerfallen in Twankai⸗Heiſon (Ausſchuß), Helfen (Geſchützpulver) und Jung⸗ Heiſon, von unten auf gerechnet. Heiſon bedentet im chineſiſchen „blühender Frühling“, und der ſo benannte Thee iſt der koſtbarſte, ven es gibt. Jedes Blatt wird einzeln zuſammen⸗ gerollt, und von feiner körnerähnlichen Geftalt hat diefer Thee wol au den Namen Geſchützpulver ober Kugelthee erhalten.

Das Röften des Thees gefchieht im eingemauerten eifernen Pfannen von Halblugelform. Wenn diefelben gehoͤrig erhikt find, wird eine Portion frifeher Blätter hineingefchüttet und fortwährend mit ver Hand umgerährt, um fie ſowol einer gleichmäßigen Hitze auszufegen als vor dem Berbrennen zu bewahren. Haben fie ſich durch dieſen Proceß etwas zuſäm⸗ mengelrämmt, fo werben fie herausgenommen, und es wird ihnen mit der Hand längere ober Türzere Zeit nadhgebolfen, je nach⸗ bem bie Qualität feiner ober geringer ift. Der Hauptunter⸗ ſchied zwifchen ſchwarzem und grünem Thee beruht alſo Darauf,

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baß bei erfterm das Feuer und bei leßterm bie Hand am meiften thut. Der Thee wird dann in Fiften verpackt, ver ſchwarze mit Füßen bineingetreten, der grüne dagegen nur bineingefchüttet, da er durch das Zreten brechen und zu ſehr leiven würbe,

Ein in botanifcher Beziehung ber Theepflanze jehr ähnliches und von ven Chinefen auch gleichnamig bezeichnetes Gewächs verbient wegen feiner Wichtigfeit für die Vollswirthichaft gleichfalls Erwähnung Dies ift Die Camellia oleifera, vie fi von der Theepflanze bauptfächlich nur durch die Form ihrer Samenfapfeln unterjcheivet, und ans deren Samen jenes feine Del bereitet wird, das in China die Stelle der Butter vertritt. Es wird auf ähnliche Weile wie vie- Fettjubftanz gewonnen, welche der Purgir⸗Kroton, Croton sebiferum, gibt, und bie, bort allgemein zur Fabrikation von Lichtern dient. Der Same biefer Pflanze ift von einer talgähnlichen weißen Maſſe umgeben. Diefelbe wird mit den Sapfeln in einem eifernen Keffel durch ein fchweres Rad zerbrüdt, in Säcke getban, Über dem euer erwärmt und unter bie Prefje ge- bracht. Da das Del jedoch ſchwer erftarrt, werben bie Daraus bereiteten Lichter mit einem Wachsüberzuge verjeben. Sie geben jedoch Fein gutes Licht, brennen ſchnell fort und machen viel Qualm. Talg oder thierifche Wette werben zu Lichtern in China nicht gebraucht.

Es bleibt mir nur noch übrig, einige Worte über bie Seide zu fagen, die allmählich für Europa eine ebenfo große Wichtigfeit wie für China felbft erlangt hat und neben dem Thee einen von Jahr zu Jahr mächtiger wachſenden Export- artitel des Landes bildet.

Es ift eine eigenthümliche Erſcheinung, daß ein faft nur Aderbau treibendes Boll wie die Chinefen, die doch wahr⸗ icheinfih als Hirten aus den Innern Aſiens ſüdoſtwärts zo⸗ gen, feine urfprünglichen Gewohnheiten fo gänzlich abgeftreift

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und von ben Thieren, auf die feine Vorältern in Bezug auf Nahrung und Kleidung allein angewiefen waren, jetzt für beive Zwede faft nichts mehr verwendet, fonbern ven Erſatz dafür in dem Reiche der Begetabilien ſucht. Ebenſo wie der Reis das Danptnahrungsmittel ausmacht, theilt fich vie Kleidung in Baumwolle und Seide, welche letztere wenigftens zur Häffte als Prodnet des Pflanzenreichs betrachtet werben kann, info- fern die Cultur eines beftimmten Baumes ihre Propuction alfein bevingt. Eine Erflärung für diefe Anomalte läßt fich wol nur in dem Umftande fuchen, daß China fchon in ven älteften Zeiten ungemein übervölfert war, daß das Vieh dem Drenfchen weichen mußte und der Nabrungsmangel nicht geftattete, dem Eulturlande bie für das Vieh nötbige Weide zu entziehen.

Die Erfindung der Seivenbereitung ift unftreitig in China einheimifh. Ste wanderte von hier über Perfien und Grie- henland nah Rom, und wird in den Annalen ihres Vater⸗ landes ebenfo wie der Aderbau in bie mythologiſchen Zeiten verſetzt. Beide Beichäftigungen bilden den Gegenftand einer der Belehrungen, bie zweimal monatlich dem Volke öffentlich vorgelefen werben, und in Bezug auf fie beißt es unter ans berm: „Seit den älteften Zeiten führte ver Sohn des Himmels den Pflug und pflanzte die Kaiferin den Maulbeerbaum. Indem. diefe erlauchten Perſonen felbft der Arbeit fich nicht ſchämten, wollten fie zugleich den Millionen ihrer Unterthanen ein edles Beiſpiel der Nacheiferung geben und fie anfpornen, ihre wefentlichften Intereffen nicht zu vernachläffigen.” ‘Der erste Paffus dieſer Sentenz bezieht ſich nämlich auf die That⸗ ſache, daß der Kaiſer alljährlih im Frühjahr unter Beglei- tung feines Hofftaates dem Aderbau durch eigenhändiges Ziehen einer Furche bie Weihe gibt, während bie Kaiferin als Beichüikerin des Seidenbaues einen Maulbeerbaum pflanzt.

Gute Seide wird nur in den vier Provinzen Tſcheliang,

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Kiangnan, Hoope und Szetfchuen producirt. Tſchekiang fiefert die weiße und beite, und Schang-hae ift der Hauptftapel- ort, von wo aus im Jahre 1861 allein 73,000 Ballen aus⸗ geführt wurden. Alle 4 Provinzen werben vom 30. Breiten- grade parallel durchſchnitten unb haben ungefähr das Klima des nördlichen Italien. Tſchekiang tft reih an Alluvinlebenen unb wird von einer Menge Flüffe und Kanäle durchſchnitten. Nach chinefifchen Anfichten ijt das Haupterforverniß- für Production von guter Seide die forgfältige Eultur des Maul⸗ beerbaums, um bie größtmögliche Menge junger und gefunder Blätter ohne Frucht zu erzielen. Zu biefem Zwecke läßt man die Bäume nur beftimmte Höhe und Yahre erreichen. Sie werben in paffender Entfernung voneinander gepflanzt, und der Boden wird gewöhnlich mit Flußſchlamm und Afche gedüngt. Zu Anfang des Jahres werben fie bejchnitten, an jedem Zweige nur etwa vier Knospen gelaffen, und man trägt Sorge, daß fie überall gutes Licht haben. Die Blätter wer- den mit einer freiftehenven Leiter vom Baume gepflüct, da⸗ mit leßterer nicht leidet. Nach dem Pflücden werben bie Zweige noch mehr abgeftugt, bamit ver Trieb nicht ausgeht, und nad drei Monaten Tann ſchon bie zweite Leſe gehalten werben. Sind die Bäume zu alt, d. h. die Blätter zu grob, jo erjett man fie durch junge. Die Hänfer für Züchtung der Raupen liegen gewöhnlich ganz einfam in ber Mitte ver Maufbeerpflanzungen, um möglichft gegen jede Art von Ge- räufch geichüßt zu fein, ba die Erfaßrung gelehrt hat, daß en plößlicher Schrei, ein Hundegebell ober vergleichen für die jungen Raupen fehr gefährlich ift; ja man Kat Beiſpiele, daß durch Donner eine ganze Brut zerftört wurde. “Die Brutzimmer find fo eingerichtet, daß fie bei Falter Witte rung auch künftlich erwärmt werben können. Beſondere Sorgfalt wird auf die Bapierftreifen verwendet, auf welche die Seldenmotten ihre Eier legen. Die Ausbrätung ber

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Eier wird duch Application von Wärme ober Kälte, je nad) Umftäupen geregelt, ſodaß die jungen Raupen gerade um diefelbe Zeit ausfrieden, wenn bie zarten Frühjahrsblätter ber Maulbeere für ihre Ernährung tauglich find. Die Blätter werden den jungen Thieren genau zugewogen, zuerit gefchnitten, fpäter aber, wenn die Raupen ftärler werben, im ganzen gegeben. Große Aufmerkſamleit wird auf die gleich“ mäßige Temperatur ber Brutzimmer verwendet, und ebenio werden fie reinlich, ruhig und frei von allen Gerüchen gebal- ten. Die Raupen werben anf Matten gefüttert und bieje ber Neinlichkeit wegen oft gewechjelt. Je mehr bie Thiere wach⸗ jen, defto mehr Futtermatten erhalten fie, bamit fie gemmg Raum zur Bewegung haben. Wenn fie ihre nerfchiedenen Häutungen vorgenommen haben und ausgewachfen find, was fich an ber gelblich transparenten Farbe zeigt, die fie bau aunehmen, wer- den fie in bie für das Einpuppen vorbereiteten Fachwerle ge- legt. Acht Zage nach Beginn des Puppeus ſind bie Cocons fertig und e8 wird Zeit, fie zu verwenden, ba bie Seibe fonft burch das Ausfriechen ver Motten zerjtört wird. Ein Theil der Cocons wird für fpätere Zucht verwahrt, nie Puppe in den übrigen dadurch getödtet, daß man fie fchichtenweife in irdenen Töpfen mit Salz und Blättern überbedt und bie Töpfe luftdicht verfchlieft. Später werben fie in lauwarmes Waffer geworfen, das die fchleimige Subftanz auflöft, welche bie einzelnen Fäden zujfammenhält, und danach bie Seide abgehaspelt. Diefe wird dann entweder in Bündel von be— jtimmter Größe und Form gejihlungen und fommt als Roh⸗ feide in den Handel, oder wird gefponnen und auf ben Web- ſtuhl gebracht und zu verfehienenen Stoffen verarbeitet. Trotz der großen Einfachheit ihrer Webftühle fertigen bie Chinefen nicht .allein die fehönften Zenge, fondern auch bie eleganteften und neneften englifchen. und franzöfifchen Mufter zum Export. Namentlich excelliren fie in Damaft und Satin

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nnd ihrem Erepe kann ſich nur der japanefifche an die Seite stellen. &benfo berühmt find die chinefifchen Stickereien, bie theilweife an den nach Europa verfandten Erepe-Shawls auch bei uns bewundert werben können. Das Schönfte in biefer Art bleibt jedoch im Lande und dem Auge bes Fremden für gewöhnlich verborgen, da es für den Taiferlichen Palaft gemacht wird. Bei Gelegenheit der Plünvderung beffelben durch. die Franzoſen find vergleichen Meifterftüce in großer Zahl nach Schangshae und in die Hände von Europäern ge- langt, bie fie anfänglich von den Soldaten für ein Spottgelp kauften. ever behielt was er hatte, und wir Tonnten nur bie Pracht der Sachen anftaunen und ihre Eigenthümer be- neiden. Einen ſolchen Reichthum von Stoff, Barben und Stiderei hatte von uns noch niemand gefehen, und folche Ar- beit würde auch bei uns weder Verfertiger noch Käufer finven.

Die ganze chinefifche Inpuftrie ift originell und dem Volke eigenthümlich. Dies beweift bie Form ihres Handwerkszeugs, von dem auch nicht ein einziges Stück mit dem unfern überein- ftimmt. Dan mag anfehen was man will, ein Beil, eine Säge, Ambos, Bohrer, Blafebalg, alles ift anders wie bei uns, ohne deshalb weniger praftifch zu fein. Im Gegentheil ift praftifche Einfachheit und möglichfte Wirkfamfeit bet billigfter Conftruc- tion ein herbortretender Zug an den Werkzeugen chinefifcher Technik. |

Ebenfo wie wir von den Chinefen die Seibenbereitung er- lernt, wie ihre Erfindung des Pulvers, der Buchoruderfunft unb des Kompaſſes der unfern viele Jahrhunderte voranging, wenn wir diefe Dinge nicht gar von ihnen annahmen, find fie auch unſere Lehrmeifter in ber Porzellanmanufactur ges weſen und barin bisjegt noch unerreicht geblieben,

Der früheften Porzellanfabrif wird in ben Annalen bes Landes zu Anfang des 7. Jahrhunderts unferer Zeitrechnung Erwähnung geihan. Sie befand fich in der Provinz Kiangfi,

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die noch gegenwärtig das meifte Porzellan liefert. Die be- rühmten Oefen von King⸗ta⸗tſchin, welche das fchönfte Fa- brifat erzeugen, wurden jeboch erft drei Yahrhunderte fpäter angelegt. Die Vorzüge des chinefifchen Porzellans vor dem unfern beftehen in feiner Härte, ver Feinheit feines Bruchs, in feiner Transparenz und in bem Wiberftande, ben es ber Hitze entgegenfett, ohne zu fpringen ober Riffe zu befommen. In diefen Punkten haben wir vergebens verfucht, dag chine- ſiſche Porzellan zu übertreffen. Was dagegen Form unb Malerei betrifft, fo find die Fabrikate von Stores, Meißen und Berlin bei weitem ſchöner als bie Toftbarften hinefifchen Saden. Es iſt bisjetzt nicht aufgeflärt, wie bie Bereitung bes Porzellans in China ftattfindet. Nach allem, was man darüber erfahren, fcheint zunächit die Porzellanerve feiner ge⸗ mahlen zu werben als bei uns; außerdem foll fie aber auch einen Zufag einer uns unbefannten Ouarzart erhalten.

Das fchönfte hinefifche Porzellan ift mehrere Hunderte von Jahren alt, fehr felten und fehr theuer. Es wird von den reichen Chinefen zu enormen Preifen gefauft und ihren Sammlungen bon Antiquitäten einverletbt, die fich in jenem wohlhabenden Haufe befinden. Was fih, aus frühern Zeiten ftammend, in Europa befindet und verfäuflich ift, wirb von fpeculativen Kaufleuten anfgefauft und nach China zurüdgeführt. Ich habe einzelne dieſer Suchen bier auf Auctionen veriteigern und von Chinefen zu ganz unerhörten Preiſen erfteben ſehen. Namentlich ift eine unter dem englifchen Namen cracker ware befannte Borzellanart fehr geſucht. Dies find gewöhnlich Vaſen von 12—16 Zoll Höhe und gelblich weißer Farbe, ohne alle Verzierungen und gefällige Formen. Ihre ganze Koftbarkeit befteht darin, daß die Glafur überall in kleine unvegelmäßige Quadrate oder rechtwinffige Figuren zerfprungen ift. Dies wurde früher bei der Bereitung künſtlich heroorge- bracht. Das Geheimniß iſt aber in China verloren gegangen

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und bie Waare deshalb fo gefucht. Einzelne dieſer Vaſen, bie fehr alt ausfahen, gingen zu 50 60 Taels pas Stüd fort. Ich bin indeffen überzeugt, daß bie engliſchen - Borzellanmanufacturen das Geheimmg entvedi haben und anwenben, ſodaß alle diefe theuern Stücke wahrfcheinlich erft friſch fahrizirt und kaum ein Jahr akt find. Im Fälfchen und Nachınachen erweiſen fich die Chinefen feibft ale große Meiſter. Doch erlaubt ihnen ihr Eigendünkel nicht, bie Meinung zu faflen, daß fie von den Barbaren betrogen wer⸗ den könnten, und biefer Umſtand begünftigt die Durchführung jenes Betrugs. Die Ausfuhr des Porzellans ift jegt faft auf Null reducirt. Das europäliche tft ſowol billiger als geſchmack⸗ voller und höchftens kauft ein Euriofitätenfammler hier und ba ein paar chinefifche Vafen. '

Ebenſo gebt e8 mit den Lackwaaren ber Chineſen, vie früher bei uns fehr gefchägt waren, birch- Die neuern euro⸗ päiſchen Erfindungen aber fehr verbrängt werben, obwol fich nicht leugnen läßt, daß wir ben Glanz der feinern Sachen nicht erreichen. Diefe find aber auch in China jehr theuer. Der gröbere Lad wird aus dem Samen ber Dryandra cordata, ber feinere aus einer Species des Rhus bereitet, und feine größere Koftbarfeit entfteht hauptfächlich ame ber großen Sorgfalt, die. beim Auftragen der verfchiebenen dünnen Lad- lagen angewendet werben muß. | * In der Verarbeitung des Eifens find die Chinefen ziemlich weit, obwol fie theurer arbeiten als wir. Ihr weißes Kupfer fieht Silber fehr ähnlich, ift fehr feinkörnig und nimmt ſchöne Politur an. Es befteht aus einer Legirung von Kupfer, Zink, Eifen und etwas Silber mit einer Beimifchung von Nidel. Die Erze werben fein gepulvert, mit Holzlohlenftanb ver- miſcht, in Schmelztiegeln über Tangfamem Feuer geglüht und bie aufjteigenden Metalldämpfe nienergefchlagen. Es werben aus biefem Metall alle möglichen Hausrathsgegenftände ge-

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fertigt. Seine merkwürdigſte Verwendung ift jedoch die Ueber- ziehung von irdenen Theetöpfen damit, eine Arbeit, die man wol auch nur in China antrifft. Die Glasfabrikation iſt uns befannt. Was von Glaswaaren fih im Lande befinvet, hat alles europäifchen Urſprung. Spiegel werben aus Metall, einer Mifchung von Kupfer und Zinn mit etwas Silberzufak, gefertigt, Laternen, wie ich fchon bemerkt, aus Papier, Horn ober Seide. Die Fenſter beftehen im Süden aus Papier, im Norden aus Horn oder transparenten Mufcheln, gewähn- ich aus den dünngeſchliffenen Perlmutterſchalen. Bisweilen verjuchen die Chinefen gebrochenes europäifches Glas umzu⸗ ſchmelzen; die Reſultate ergeben fich jedoch als ſehr mangel- bafte. Zrinfgläfer fennt man nur in den Küftenftäpten ; unfer gläfernes Tafelgeſchirr wird faft überall durch Porzellan erfeßt.

In Holz» und Elfenbeinfchnigereien find die Chinefen allen andern Nationen weit überlegen. Ihre berühmten Effenbein- bälfe, von denen oft fechs bis acht verſchiedene ineinander ruhen, haben von jeher vie Bewunderung der Europäer erregt, und man wollte nicht glauben, daß fie aus Einem Stüd geichnitten jeien. Ich habe ihre Verfertigung jedoch felbft gefeher und über ben ſchnellen Bortgang ber Arbeit geftaunt. Die maffive Kugel wirb zunächft in fechs bis acht Richtungen regelmäßig durch⸗ bohrt; dann wird mit einem hafenförmigen Meſſer die Sub tanz zwifchen ven Deffnungen innen herausgefchnitten und die äußere Halbkugel abgetrennt. Iſt die beftimmte Zahl ber Kugeln auf dieſe Weife berausgefchnitten, fo beginnt vie Ber arbeitung der äußern Fläche und man kann ſchon recht hübfche Kunftiwerke der Art für 2—3 Thaler haben. Ihre Möbel: ſchnitzereien find fehr gefucht, und ich habe ſchon erwähnt, daß bie gutfaconnirten Möbel von den Fremden ſehr theuer be- zahlt und nach Europa ausgeführt werben. In Kanton gibt

ed in biefer Art das Beſte. Ebenfo liefert Ehina fehr viel Werner, I. 19

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Schnigereien aus Stein, Perlmutter und Bergkryſtall. Die Figuren aus dem Yuftein find jehr gefucht, aber ungemein theuer, ohne daß wir ihnen Geſchmack abzugewinnen wußten. Die Riechfläſchchen aus Achat und Bergkryſtall find merfwärbig, kaum 2 Zoll lang und durch eine nicht über einen Viertel Zoll weite Halsäffnung nicht nur inwendig vollkommen aus⸗ gearbeitet, ſondern an der innern Fläche mit Heinen eingra- virten Eharafteren befchrieben, bie man durch die transparenten Wände Iefen kann. |

Es erijtirt in China eine Art weißlich grauer mit ſchwarzen over dunkeln Adern durchzogener Marmor. Diefe Adern nehmen oft merfwärbige Geftalten an und ähneln bisweilen Landſchaften, bisweilen Bäumen oder Thieren. Derartige Platten werben in größere ober Fleinere Quadrate gefchnitten und vielfach in den Zimmern wie Bilder als Zierrath auf- gehängt. Oft find die Figuren fehr täufchenn, aber man muß fih wohl hüten, fie für Natur zu halten. Der Chinefe ift ein geborener Fälfcher und hat es fehr bald bewerkſtelligt, die Figuren auf den Stein zu ätzen. Man thut daher wohl, in Kanton, wo bauptfächlich ſolche Platten feilgeboten werben, diefe nicht mit den geforberten horrenden Preifen zu bezahlen. Troß ihrer Geſchicklichkeit in Stein⸗ und Holzfchnigereien find die - Chinefen in der Bildhauerei weit zuräd. Alles was fie in biefem Genre liefern, ift ungefchidtt, plump und ohne Verhält- niffe. Es tft faum denkbar, daß einem fo früheivilifirten und geiftig vorgefchrittenen Wolfe der Sinn für Kunft ganz und gar abgehen follte. Man behauptet zwar, daß die Chinefen 3. B. die disharmoniſchen Laute ihrer ſchrecklichen muſikaliſchen Snftrumente als die höchfte Kunft bewundern, und dies mag bei den untern Vollsflafien auch der Fall fein. Ich habe aber Gelegenheit gehabt, bei gebilbeten Leuten das Gegen- theil wahrzunehmen. In Schang-bae fpielte die Muſik ver Arkona zweimal in der Woche öffentlich. Während bas nievere

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Bolt gleichgültig vorüberging, ſammelten ſich alle anftänbigern Chinefen, die ſich in der Nähe befanden, Iaufchten mit offen- barem Entzüden dem ungewohnten Concert und blieben bis zu Ende. In Kanton war der von mir früher erwähnte junge Rinlin gar nicht vom Fortepiano fortzubringen, wenn einer von uns fpielte, und fein Geſicht ftrahlte ſtets vor Freude und Aufregung. Dies ift der Beweis, daß der Sinn für Kunft im Volke nicht gänzlich fehlt, fondern nur fchlummert. Der Mangel an frembem Beiſpiel bei ver langen Abgefchloffen- heit des Reichs, fowie die fehlende Aufmunterung im eigenen Lande ift wol bie Haupturſache, daß es mit den fchönen Künften in China fo traurig beftelft ift. Diefe ſeltſame Ver⸗ nachläffigung in der Entwidelung des künſtleriſchen Geiftes hat aber ihren Grund in der Regierungspolitit, die alfen Luxus zu unterbrüden und nur diejenige Arbeit zu fchügen unb zu heben beftrebt ift, welche Nahrung für das Volk producirt. Sollte die jeßige Ummälzung, wie vorausſichtlich, eine unbefchränfte Deffnung des Reichs für die Fremden nach fih ziehen und in dem Wachsthum des Handels ſich eine neue mächtige Nahrungsquelle für das Volk aufthun, fo wird bie Regierung nicht mehr fo ftarr an ihren bisherigen Prin- cipten feitbalten, und mit dem zunehmenden Wohlſtande wird gewiß auch bie Liebe zur Kunft erwachen.

Zu den freien Künften in China, wenn man biefen Aus- druck gebrauchen darf, gehört auch noch die mediciniſche Wif- fenichaft, ba jeder Beliebige fie betreiben und ohne irgend- welche Staatscontrole als Arzt prakticiren kann. Die Heil kunde fteht daher natürlich noch auf einer fehr nieprigen Stufe, fie entbehrt jeder wiſſenſchaftlichen Begründung und ift. nichts weiter als Quackſalberei. Sie hat namentlich viel mit ber Zahl fünf zu thun. Die chinefifchen Aerzte unterfcheiden fünf auf das Körperfpitem Einfluß habende Planeten: Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Mercur; fünf Eingeweide: Ma⸗

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zufammengefegt ift, nehmen fie an, daß bei jever Innern Krankheit das Verhältniß des einen zum andern geftört ift. Ihre Diagnoje befteht demnach darin, daß fie zu beitimmen fuchen, wie viel der Körper von einem Elemente mehr oder weniger hat, als er befiten fol. Danach richten fie dann auch ihre Medicamente ein und verordnen 3. B. Holz, Erbe, Waffer u. f. w. Mediciniſche Schulen beftehen in China nicht. Die Aerzte bilden eine Gilde, bie ihre Kunft und Ge⸗ beimniffe forgfam bewahrt und nur zuverläffigen Schülern anvertraut. Webrigens läßt ſich nicht Teugnen, daß fie ne- ben allen Quadfalbereien -in- gewiffen Krankheiten überra- ſchend glüdliche Euren machen, und fie werben beshalb in ſolchen Fällen felbft von Europäern vielfach zu Rathe ge- zogen. .

Das Honorar für, einen Beſuch beträgt 1Y.—2 Grofchen, excluſive des Sänftenträgerlohnes, und es muß ſchon ein fehr berühmter Arzt fein, der 5 Grofchen fordert und erhält. In Kanton wohnt jest ein nach europälfcher Art gebildeter chine- fifcher Arzt, der erfte und einzige feiner Art. Er hat feine Stupien in England auf ber Univerfität Oxford gemacht, ift ein fehr aufgeflärter Mann und erfreit ſich des Zufpruchs feiner wohlhabenden Landsleute. Kürzlich bat er ein Fleines mebict- nifches Werk für feine Collegen herausgegeben und es fteht zu hoffen, daß fein Beiſpiel zur Nacheiferung ermuntert.

18.

Das Pitſchen⸗Engliſch. Der Comprador als Mittelsmann in Geſchäften. Die chineſiſche Dienerſchaft in europäiſchen Familien. Münz⸗ und Geldweſen in China.

Ich habe weiter oben das ſogenannte Pitſchen⸗-Engliſch erwähnt, oder das Kauderwelſch, das bie allgemeine Vermitte- Inng zwifchen Fremden und Chinefen bildet. Die chinefifche Sprache ift jo ſchwer, daß ein Europäer mindeſtens brei Sahre unausgefett ftubiren müßte, um fie zu lernen. ‘Die Leute, welche nach China gehen,. um dort zu handeln oder Inpuftrie zu treiben, haben aber weder Luft noch Zeit, fo viel Mühe auf ein Studium zu verwenden, das ihnen außerdem nicht einmal reelle Vortheile fichert, und von dem fie fpäter nach ihrer Rückkehr in Europa nicht den mindeften Gebrauch ma- hen können. Sie haben es daher von vornherein gar nicht verfucht, und unter ben vielen Tauſenden von Europäern, bie China jegt bevölfern, gibt es kaum zehn, die der Sprache wirklich mächtig find. Da jedoch irgenbein Idiom zur ge ſchäftlichen Verftändigung nöthig war, fo hat fih das Pit- Ichen-Englifch gebilvet, ein Engliſch, pas aber auch von ben Engländern erft erlernt werden muß, weil es vollſtändig cor- rumpirt, mit chineſiſchen Worten gemifcht und mit chinefifcher Satconftruction gefprochen wird. Das befte Beifpiel viefes

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Jargons gibt das Wort Pitfehen, die chinefifche Ausiprache bes englifchen Wortes business (Geſchäft), ſodaß Pitichen- Englifch in ver Ueberfegung Gefchäfts-Englifch Heißt. Geſchäft ift bei den Chinefen das Wichtigfte in ihrem focialen Xeben, und auf wie viele andere Beziehungen das Wort übertragen wird, iſt ebenfo merfwürbig, als es zur Charafteriftif des Bolfes einen Beitrag Tiefert. : Wollen ſie 3. B. fagen: „Du ſprichſt eine Unwahrheit“, jo prüden fie dies aus: „you makee ly pitchen“, „Du machſt ein Lügengeſchäft.“ Ebenſo ſpre⸗ chen fie von „love pitchen, chin chin joss pitchen“, „Lie⸗ besgefchäften, Götteranbetungsgejchäften‘ u. |. w. Noch un- verjtänplicher wird dieſe Sprache durch verfchienene Eigen- thümlichkeiten in den Sprachorganen der Chinejen, die 3. 9. fein r haben, ſondern ftets 1 dafür ſetzen, und an bie meilten Worte ein ioder o hängen. „My talkeeplopple” ift ein Beifpiel biefer Art, das fchwerlich jemand veritehen wird, wenn ex auch noch fo gut englifch |pricht, da e8 heißen foll: „I talk propre“, „ich rede, wie e8 fich gehört, oder die Wahrheit.” Dber man Tommmt in ein europäiſches Haus und fragt, ob ber Herr zu Haufe ift. Das richtige „Is Mr. N. at home?” würbe fein chinefifcher Bedienter verftehen. Man muß fragen „Mr. N.hab got?“ und der Diener wird dann antworten: „Hab got topside, down side oder inside”, „Ja, der Herr ift oben, unten oder drinnen“. Number one, Nummer eins, jpielt im Pitichen-Englifch ebenfalls eine große Rolle und wird auf alle moraliichen Eigenfchaften übertragen; alles, was als befon- ders gut und ausgezeichnet hervorgehoben werben foll, ift num- “ber one. Dex Chinefe fpricht von number one Thee, number ‘one Geld, womit die unbefchnittenen fpantichen Thaler bezeich- . net werben, ebenfo wie von numbel one mastel (r), einem guten Herrn, ober numbel one lial (r), einem pfiffigen Lügner. Ja und nein wird fehr felten gebraucht, ftatt veffen can und no can, fann und Tann nicht. Ebenſo dient das aus dem Spa-

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nifchen übernommene Wort sabee (von saber) für alle For- men ber Zeitwörter wiffen und verftehen. Die Häufige An- wendung des Wortes piece, Stüd, iſt aus dem chinefifchen Sprachgebrauche übertragen. Der Chineje fett nicht bie einfache Cardinalzahl vor das Hanptwort, ſondern fügt ftets Stüd dazwiſchen. Er fpricht daher ftetS von einem Städ Frau, vier Stüd Männern. Unfere preußifche Flagge be- zeichneten fie mit „one piecee white flag, with one largee- pieceeblack fowlo inside”, d.h. ein Stüd weiße Flagge mit einem großen Stüd fchwarzen Huhn darin, und als wir nach längerer Anwejenheit ihnen näher befannt wurben, machten fie aus dem englifchen Prussian für Preußen Blussum.

Seit den leßten Jahren, wo bie Franzofen im Süden und Norden Pofto gefaßt, hat fih auch ein Pltfchen- Franzd- fiſch gebilbet, da der Franzofe im Auslanpe ebenfo wie ber Engländer feine Mutterfprache felbit zur Geltung zu bringen fucht; jedoch ift es ſehr lokal und wird bisjekt nur im der Umgegend ber franzöftfchen Quartiere verftanden. Nur bie Deutfchen, die womöglich mit den eigenen Landslenten im Aus- ande eine fremde Sprache reden, bleiben bier, wie überall, troß ihrer großen Zahl nicht deutfch, und ungeachtet des Namens Germania, wie fie ihren Club getauft haben, hört man indemfelben mehr englifche wie germanifche Laute. Wenn nun auch dieſes Ge- Ichäfts - Englifch genügt, um fich mit dem Dienerperfonal und ben Kaufleuten In den Küftenftäpten zu verftändigen, fo reicht es für ven Enropäer doch durchaus nicht aus, um mit jedermann auszulommen ober mit Leuten aus bem Innern Taufmännifche Zransactionen abzuſchließen. Es Hat fich daher, ſeitdem Srembenverfehr in China geftattet ift, eine Art einheimifcher Zwiſchenhändler herausgebilvet, bie unter vem Namen Com⸗ prabor (vom ſpaniſchen comprar, Taufen) befannt find, und entiveber als Angeftelite in ven europäiſchen Kaufmannshäufern over unabhängig zmifchen Ausländern und Ehinefen alle Geld⸗

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gefchäfte geringerer ober größerer Art vermitteln. Durch Procente, die fie fich entweder nehmen, oder bie man ihnen ftilffchweigend zuerfennt, wird dieſe Klaſſe von Leuten, bie von Iugend auf dazu erzogen werben, beivogen, das Intereffe ihrer augenblidlichen Herren ben DBetrügereien ‚ihrer Lande» leute gegenüber wahrzunehmen. Der Europäer ift unter ben Chinefen mehr oder minder gänzlich von Ihnen abhängig, unb indem er feine Gefchäfte durch ven. Comprador abfchließen läßt, kommt er immer noch am beften weg. ‘Dem Comprador opfert er eine beftimmte Zahl Procente, von den übrigen Chinefen wird er aber doppelt und breifach betrogen. Jener nimmt 10 Procent von allen Anlänfen, das ift fo Stil Der Europäer weiß e8, fanctionirt den Betrug durch Stilffchweigen, und der bei dieſem Satze ftehen bleibende Comprabor gilt bei feinen Landsleuten für einen anftändigen, ehrenwerthen Dann, während er bei ihnen als Betrüger vaftehen unb ber allgemeinen Verachtung anbeimfallen würde, wenn er mehr nähme.

Das Gehalt dieſer Compradoren, die übrigens meiſtens ſehr gewandte Leute ſind, fertig engliſch leſen und ſprechen und nicht ſelten einen literariſchen Grad erworben haben, richtet ſich nach der Bedeutung des Handelshauſes, dem ſie angehören, aber in umgekehrtem Verhältniſſe. Je größer der Geſchäftskreis des Hauſes, deſto kleiner das Gehalt, weil eben die Procente dabei in Betracht gezogen werden. Im Ver⸗ hältniß zu den Summen, die in ihrer Eigenſchaft als Kaſſirer durch ihre Hände geben, müſſen fie Caution ſtellen, und in einigen ber erften Häuſer beläuft fich deren Summe auf 100000 Dollars. Solche Compradoren fangen gewöhnlich ohne alle Mittel an. Söhne chinefifcher unbemittelter Kaufleute be- ginnen fie die Carrière als Diener in ven Hänfern der Euro- päer, machen fich als folche mit .veren Sprache, Stiten und Gewohnheiten befannt, avanciren allmählich zum Haushof⸗

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meifter, und werben, wenn fie fich die nötbigen Kenntniffe an- geeignet und eine Kleine Kaution geſpart haben, Compraboren, nm dann gewöhnlich als reiche ober wenigſtens wohlhabende Männer zu enden.

In China darf man jedoch nicht Diener mit Bedienten verwechſeln. Ein chinefiſcher Diener oder Bob (Junge), wie er von den Europäern genannt wird, läßt ſich nie herab, Zeug zu reinigen, Stiefel zu pußen oder dergleichen niedere Dienfte zu verrichten, dafür find die Bedienten oder Kuli. Der Boy iſt der Kammerbiener, er macht Gänge, fteht bei Tiſche hinter dem Stuhle feine® Herrn und begleitet viefen, wenn er eingeladen ift, um ihm aufzuwarten, da man in China ftets feinen eigenen Diener mitbringen muß, wenn man in einem fremden Haufe etwas zu effe Haben will, Er erfcheint vom frühen Morgen bis zum fpäten Abend rein und adrett angezogen, und darf alfein vie Zimmer betreten, während ber Kult draußen bleibt.

Da e8 Europäern bei ihrer Unfenntniß der Sprache und in großen Stäbten unmöglih fein wiürbe, ihre zabl- reiche Dienerfchaft zu controliren und fich gegen beren Spitgbübereien zu fichern, fo wird nie ein Domeſtik ohne Barantie in das Haus genommen. Selbft der Comprador fludet troß feiner Kaution nur eine Anftellung, wenn er zwei fichere und zahlungsfähige Männer als. Bürgen für feine Sicherheit ftellt, und er ift wieder feinem Herrn Bürge für das gefammte Dienerperfonal für das Silberzeug verant- wortlich, und hat e8 zu erjeßen, wen etwas im Haufe fort» fommt. Daber find faft alle Bebienten eines Haufes Verwandte oder nahe Bekannte des Comprabor, ver fie fo gut als ftell- vertretender Vater zu jchulen weiß, daß es felten beffere, reinlichere, aufmerffamere, ruhigere Bedienten gibt als bie chineftfchen Boys in emropäifchen Häufern.

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Zum Schluffe mögen noch einige Bemerkungen über bie Geldverhältniſſe in China bier Play finden. Eourante Münze gibt es in dem großen Lande nur eine Art, bie Scheng ober, wie fie von den Fremden genannt werben, Caſh. Sie find aus einer Mifchung von Kupfer und Zinn gefertigt, von ber Form eines Zweigrofchenftüds, und in der Mitte mit einem viereckigen Loche verfeben, um auf Schnüre gezogen zu werben. 100 Scheng machten urfpränglich ein Mäs, 10 Mäs einen Tael aus; jeßt jedoch ift der Werth bes legtern auf 1500 Scheng geftiegen. Mäs und Zaels eriftiren in Wirklichkeit nicht mehr. Sie wurden fo viel gefälſcht, daß die Regierung alles Kupfer und Silbergeld einzog, und ſelbſt die Compe- fition der Scheng allmählich jo verjchledhterte, daß Diele Scheidemünze jett 50 Procent unter ihrem urfprünglichen Werthe ſteht. Trotzdem wird felbft dies fchlechte Geld noch gefälfcht und wer für einen Tael Scheng einwechfelt, ift als Europäer ftcher, mindeſtens 200 eiferne oder bleierne Stüde unter der Schnur von 1500 zu finden, wenn er fie beim Empfang nicht genau revibirt.

Es ift Har, daß bei ter mangelhaften Communication in dem mächtigen Reiche und feinem bebveutenden in- unb aus- ländifchen Handel eine Münze wie die Scheng unmöglich dem Bedürfniffe entfprechen Tann, da eine Summe von 100 Thalern über einen Gentner wiegt, und daß nothiwendiger- weife ein Surrogat gefchaffen werben mußte, um nicht allen Verkehr ins Stocken zu bringen. Edles Metall war dazu durchaus nothiwendig; da aber leins aus der Landesmünze hervorging, wurben ausländifche Silbermünzen die gangbaren Verkehrsmittel. China bezieht aus den übrigen Welttheilen im Verhältniß zu feinen Exporten faft nur Opium. Die . 500 Millionen Pfund Thee und 200,000 Ballen Seide, welche es jährlih an das Ausland abgibt, müſſen zur Hälfte baar und in Mingendem Silber bezahlt werben. Dies bleibt alles

301 im Lande und wird größtenteils in Saiſis umgefchmolzen, bie dann als Silbergeld curfiren. Aus biefem Umſtande er- klärt fich auch wol mit bie Abnahme des Silbers in Europa, bie fchon öfter die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen und bei ven Staatsökonomen Bedenken erregt bat.

Die von mir Schon bei Schilderung der Neujahrsfeitlichfeiten erwähnten Saifis find Heine ſchuh⸗- oder kahnförmige Barren von 10 50 Taels (20—100 Thaler) Werth, die jeber große Kaufmann felbft gießen läßt und als Garantie für bie Richtigfeit ihres Nominalwerthes mit feinem Namenszuge ftempelt. Ihr Silbergebalt wird Dadurch von der Regierung inbirect feftgejtellt, daß alle fisfalifchen Abgaben in biefen Barren bezahlt werben. und ihr Gehalt aus 28 Theilen rei- nen Silbers und 1 Theil Kupfer beftehen muß. An ver Küfte find überall mericanifche Thaler die gangbare Münze, und ſämmtliche Zahlungen werden in ihnen geleifiet, obwol man nominell im Norden nach Taels und im Süden nad Dollars rechnet. Das Eigenthümliche und Merkwürdige dabei ift aber, daß fich dies Nominelle auch allmählich auf das Neelle übertragen hat. Wenn es ſich auch aus der größern Entfernung von Europa erklären läßt, daß daher bezogene Gegenftände in Schang-hae 1 Tael koſten, die in Hongkong mir mit 1 Dollar bezahlt werben, fo bleibt es immer höchft merkwürdig, daß man 5.3. für vie Hinfahrt von Hongkong nach Schang-hae mit der Poſt 60 Dollars gibt, dagegen auf ber Rückfahrt von Schang-hae nach Hongkong auf demſelben Schiffe 60 Taels, alfo 25 Procent mehr bezahlen muß. Solche Ano- malien find aber auch nur in einem Lande wie China möglich, und fönnen nur von einem Publikum geduldet werben, das den Geldunterſchied von 30 Thalern als eine nicht nennens- werthe Bagatelfe betrachtet. Im Süden ſchlägt jeder Gefchäfte- mann, burch dejjen Hände Dollars gehen, ebenfalls feinen Stem- pel darauf, und man fieht faft nie eine foldhe Münze ohne

302

20 50 Stempel, ſodaß oft bie beiden Seiten gar nicht mehr voneinander zu unterfcheiden find. Dieſes Stempeln ſoll urſprünglich eine Garantie gegen Fälſchung fein; es wird jenoch häufig geradezu das Gegentheil. Theile werben mit dem Stempeln kleine Stüdchen Silber berausgefchlagen, theil8 die Ränder befchnitten. Oper man. nimmt etwas Metall aus der Mitte, das durch Blei erfegt wird, und fucht bie Stelle durch einige Stempel unfenntlich zu machen. Chinefen gegemüber gelingt viefer Betrug weniger, weil ein Gefchäftsmann einen falfhen Dollar entweder fofort am Gefühl oder am Klange ober auch am Gewicht erkennt, ba er jede Silbermünze wiegt, aber Europäer müſſen ſehr häufig darunter leiden. Neben den mericanifchen Thalern wird in China jedoch alles übrige Geld genommen, wenn. es nur Silber tft, und wir haben für unfere preußifchen Thaler ftetS den vollen Werth von 3 Shilling Sterling nach ihrem Gewichte erhalten. Im Norden wird fein Dollar angenommen, der einen Stempel bat, wenn man nicht Agio zahlen will. Hier iſt die Bedingung bei allen Zahlungen: clean mexican dollars, reine mertcanifche Thaler; jedoch ſchützt dies ebenfo wenig vor ber Fälſchung, und man muß jedes Stüd forgfältig unterjuchen, dad man von einem Chinejfen erhält Wie ich fchon früher bemerkte, gilt e8 in China durchaus nicht für unmoraliih, einen Fankwei zu belügen oder zu betrügen, und eine beherzigenswerthe Regel für Europäer ift es, in biefer Beziehung feinem Chinefen zu trauen, er mag fo hoch ober .niebrig ftehen wie er wolle. Wir haben während unfers Aufenthaltes dies fchwer empfunden, und ich fpreche aus Erfahrung Man braucht fich durchaus nicht zu ſcheuen, überall offenes Mistrauen zu zeigen. Läßt man fich täufchen, jo wird man für dumm gehalten, fteigt jedoch fofort in ber Achtung, wenn man fich nicht überliften läßt.

Ich glaube hiermit pasjenige berührt zu Haben, was

303

mir in China fowol in Betreff der Lanbesart wie bes Volkes als charakteriftifch erfchienen ift und meiner An- fiht nach für deutſche Leſer von Intereſſe fein Tann. Ich bin weit entfernt, meine Wahrnehmungen als maßgebend Hinftellen zu wollen. Um China und bie Chinejen richtig zu beurtheilen und fie wahr zu ſchildern, dazu gehört ein viel- jähriger Aufenthalt im Lande und vor allen Dingen bie Kenntniß der Sprache. Ich war nicht ein volles Jahr dort, und von ber Sprache verſtand ich nichts. Manches mag ich daher einfeitig und unrichtig aufgefaßt Haben, jeboch war meine Abſicht auch nur, die Eindrücke wiederzugeben, bie Land und Lente auf mich gemacht, nicht aber eine kritiſche Abhandlung zu fchreiben, zu der mir bie erwähnten Vorbepingungen fehlten. Was ich in meiner Schilderung nicht aus eigener Anfchauung babe, verdanke ich der Mittheilung von Leuten, bie lange Sahre im Lande waren und benen ich ein competentes Urtheil zutrauen durfte; aber was den Charakter des Volkes angeht, fo tappen fie ebenfo im Finftern wie faft jeder Europäer. Dem Europäer gegenüber zeigt fich der Chinefe nun einmal nicht, wie er wirklich ift, und in dieſem Umſtande allein haben wir die Erklärung der Gegenfäge zu fuchen, die im Volks— charakter uns fo fchroff entgegentreten, und die wir ſonſt nicht begreifen können. Die biftorifchen, ftatiftifchen und politifchen Notizen endlich habe ich Davis entnommen, der in China nicht nur für einen ber beften Sinologen, fondern auch für einen ber gebiegenften Kenner chinefijcher Zuftände gilt, und in feiner Iangjährigen Stellung als Regierungsbolmetfcher und Gouverneur von Hongfong Gelegenheit Hatte, bie zuverläſſigſten Nachrichten zu fammeln.

Drud von F. A, Brockhaus in Leipzig.

Reifebriefe über China, Japan und Siam.

Zweiter Theil.

302

20— 50 Stempel, ſodaß oft die beiden Seiten gar nicht mehr voneinander zu unterfcheiven find. ‘Diefes Stempeln ſoll urſprünglich eine. Garantie gegen Fälſchung fein; es wird jeboch häufig geradezu das Gegentheil. Theils werben mit dem Stempeln Fleine Stüädchen Silber herausgefchlagen, theils die Ränder befchnitten. Ober man. nimmt eiwas Metall aus ber Mitte, das durch Blei erjegt wird, und fucht bie Stelle durch einige Stempel unfenntlich zu machen. Chinefen gegemüber. gelingt biefer Betrug weniger,. weil ein Geſchäftsmann einen falfhen Dollar entweder fofort am Gefühl oder am Klange oder auch am Gewicht erfennt, ba er jebe Silbermünze wiegt, aber Europäer müſſen fehr häufig barunter leiden. Neben den mericanifchen Thalern wird in China jeboch alles übrige Geld genommen, wenn. es nur Silber ift, und wir haben für unfere preußifchen Thaler ftetS den vollen Werth von 3 Shilling Sterling nach ihrem Gewichte erhalten. Im Norden wird fein Dollar angenommen, der einen Stempel hat, wenn man nicht Agio zahlen will. Hier ift die Bedingung bei allen Zahlungen: clean mexican dollars, reine mericanifche Thaler; jedoch ſchützt dies ebenfo wenig vor der Fälſchung, und man muß jedes Stüd forgfältig unterfuchen, das man von einem Chinefen erhält. Wie ich fchon früher bemerkte, gilt es in China durchaus nicht für unmoraliih, einen Fankwei zu belügen oder zu betrügen, und eine beherzigenswerthe Negel für Europäer iſt es, in biefer Beziehung feinem Chinefen zu trauen, er mag jo hoch oder .niebrig ftehen wie er wolle. Wir haben während unfers Aufenthaltes dies ſchwer empfunden, und ich fpreche aus Erfahrung Man braucht fich durchaus nicht zu ſcheuen, überall offenes Mistrauen zu zeigen. Läßt man fich täufchen, jo wird man für dumm gehalten, fteigt jedoch fofort in ver Achtung, wenn man fich nicht überliften läßt.

Ich glaube hiermit pasjenige berührt zu haben, was

303

mir in China fowol in Betreff der Landesart wie des Volkes als charakteriftiich erfchienen ift und meiner An- fiht nah für deutſche Leſer von Intereſſe fein Tann. Ich bin weit entfernt, meine Wahrnehmungen als maßgebend binftellen zu wollen. Um China und die Chinejen richtig zu beurtheilen und fte wahr zu fchilvdern, dazu gehört ein viels jähriger Aufenthalt im Lande und vor allen Dingen bie Kenntnig der Sprache, Ich war nicht ein volles Jahr bort, und von ber Sprache verjtand ich nichts. Manches mag ich baber einfeitig und unrichtig aufgefaßt haben, jedoch war meine Abfiht auch nur, die Eindrüde wiederzugeben, bie Land und Leute auf mich gemacht, nicht aber eine kritiſche Abhandlung zu fohreiben, zu der mir die erwähnten Vorbedingungen fehlten. Was ich in meiner Schilderung nicht aus eigener Anfchauung babe, verbanfe ich der Mittheilung von Leuten, die lange Fahre im Lande waren und denen ich ein competentes Urtheil zutrauen durfte; aber was den Charakter des Volfes angeht, fo tappen ſie ebenfo im Finftern wie faft jever Europäer. Dem Europäer gegenüber zeigt fich der Chinefe nun einmal nicht, wie er wirklich ift, und in diefem Umſtande allein haben wir die Erklärung der Gegenfäge zu fuchen, bie im Volks— charakter uns fo fchroff entgegentreten, und die wir fonft nicht begreifen können. Die hiftorifchen, ftatiftifchen und politifchen Notizen endlich babe ich Davis entnommen, der in China nicht nur für einen ber beiten Sinologen, fondern auch für einen der gebiegenften Kenner chineflfcher Zuftände gilt, und in feiner langjährigen Stellung als Regierungsdolmetſcher und Gouverneur von Hongkong Gelegenheit hatte, bie zuverläffigiten Nachrichten zu fanmeln.

Drud von F. U, Brockhaus in Leipzig.

Reifebriefe Über China, Japan und Siam.

Zweiter Theil.

Die preussische Expedition nad

Ehina, Yapan und Siam

in den Jahren 1860, 1861 und 1862.

Reiſebriefe

von

Reinhoſd Werner,

Lieutenant zur See J. Klaſſe.

Mit ſieben Abbiſdungen in Holzfchnitt und einer lithographirten Rarte

——

Zweiter Theil.

Leipzig: TE A. Brockhaus.

1863.

nn

Inhalt des zweiten Theile.

19.

Nachricht vom Untergange des Frauenlob. Abreiſe von Hongkong nach Japan. Die Fahrt unter Nordoſtmonſun. Aufenthalt an der Südoſtſpitze der Inſel Formoſa. Beſuch der Küſte; Schar⸗ mützel mit den Eingeborenen. Lage, Beſchaffenheit und Bedeu⸗ “tung der Inſel. Geſchichte der holländiſchen Colonie auf Formoſa im 17. Jahrhundert ....................... ..............

20.

Ankunft der Elbe vor Nangaſaki. Die Naturſchönheit der Bai. Be⸗ nehmen und Verlegenheit der japaniſchen Behörden. Vereinigung der Elbe mit dem preußiſchen Geſchwader zu Jeddo. Die Ver⸗ handlungen des Grafen Eulenburg mit ber japaniſchen Regierung. Einzug des Geſandten in Jeddo und Aubienz beim Minifter bes Auswärtigen. Ungünftige Lage der Dinge. Die geograpbifchen und politiſchen Umriffe des Landes, Verkehr und Stellung ber Fremden in Japan im früherer Zeit........................

: 21.

Die Bai von Jeddo. Aeußerer Charakter, Feftungswerkfe, Umfang und Bevöllerung der Stadt. Die Yalonins als Beauffichtiger der Fremden. Bau und Eitrichkung der japanifchen Hänfer. Die Daimios und ihre Stellung als Feudalherren zum Bolfe, Die Vorbereitungen ber focialen Revolution burch bie Eröffnung

Seite

17

—— —— 2—

VI

S des Landes. Schwierige Lage der Regierung gegenüber der

Adelspartei. Feuersbrünſte nnd Feuerspolizei in Jeddo. Die Gärten und der Naturſinn der Japaneſen ...................

22.

Die Tempelgebäude. Der Buddhismus in Japan. Die Sinto- religion, ihre Götterlehre, ihr Eultus. Die Sekte der Siodoſie. Die Prieſterſchaft......... ......... ..................

23.

Die Abftammung der Sapanefen. Die Volkstracht. Die Frauen. Die Reinlichkeit des Volks. Die Bäder. Die japanefifchen Be- griffe von Schambhaftigfeit. Die Theehäufer als Bordelle. Die Geſchlechtsliebe und die Stellung ber Frauen. Höflichkeit und Anftandsformen. Eine japanefiihe Hochzeit. Das Koncubinat. ‚Kinder und Kindererziehung. Der Schulunterricht ...........

24.

Sapanefifche Bücher. Die Beamtenlaufbahn. Die wilfenfchaftliche Bildung. Die Heilfunde. Wißbegierde und Auffafjungstalent ber Iapanefen. Die japanefifhe Sprache, Die Literatur. Das Theater. Kunftreiterei und Ringkämpfe. Schauluftigfeit des Volks. Gefellfehaftliche Gelage und Unterhbaltungen. Guitarren- mädchen und Tänzerinnen. Die Iapanejen im Rauſch........

25, t

Strenger Charafter der japanifchen Strafpflege. Das Syſtem der .

Berantwortlichfeit und die geringe Zahl ber Verbrechen. Die Hinrihtungen. Das Banchaufichliten mit eigener Hand nis Strafmilderung und Ehrenreparation. Das Spionenſyſtem in der Landesregierung. Die Machtlofigfeit des Zaifın. Das Ge- folge der Datmios-Armee und Militärwefen. Die Einfehränfung bes Seeverfehrs vor Eröffnung des Landes. Die neue japanifche Marine . . . . . . ....... ..................................

26.

Japans Bedeutung in Handel und Induſtrie. Kohlen, Metalle und

Thee. Das Porzellan und feine Fabrikation. Lad und Lack⸗

waaren. Rapsöl und vegetabilifihes Wachs. Miako als Mittel--

punft japanifcher Induftrie. Bereitung und Verwendung des

eite

57

63

84

vi

Seit Papiers. Münzen und Münzwefen. Aderban und Viehzucht. *ite Die Yorfteultur und der reihe Baumwuchs des Landes ....... 118

27.

Die Bai und die Stadt Nangafafi. Infel und Eolonie Defima. Die Biftte beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Dra- chenfeſt. Die Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Ge⸗ felligfeit der Iapanefen. Das Dracenfpiel. Eine Kunftreiter- vorftelung in Nangafafi. Ausflüge in die Umgegend. Natur- romantik. Lieblichleit der Oartenanlagen. Bilb der japanifchen Hänslichkeit.. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängmiß. Das Klima und der Gefundheitszuftend in Japan ...................... 139

28.

Die Verhandlungen mit ber preußiſchen Geſandtſchaft. Anjchläge der japanifchen Adelöpartei gegen bie Fremden. Ermordung bes amerikaniſchen Gefandtichaftsfecretärs Heusken. Betragen und Intriguen der Regierung. Feſtes Auftreten des Grafen Eulen- burg. Beftattung Heusken's unter Afiitenz ber preußifchen Waf- fen. Abreiſe bes engliihen und franzöfiihen Gejchäftsträgers nah Yokuhama. Enpliher Abſchluß des Vertrags mit Preußen am 25. Sanuar 1861. Abgang der preußiihen Schiffe nad Schang-hae. Charakter des japanifhen Volks und Ausfichten auf feine freiere fociale und politifhe Entwidelung............ 167

29.

Schang-hae und fein Theegarten. Ankunft der preußifchen Gefanbt- haft daſelbſt. Ungünſtige Verhältniffe für die Abſchließung des Handelsvertrags mit China. Die Elbe im Sandwirkelfturme. Chefu und die „Verzweiflungsinſel“. Aufenthalt an ber Peihos mündung. Die Tafuforts. Tientfin und feine Bedeutung als Handelsplag. Das Städtchen Ning-bae. Beſuch der dinefifchen Mauer. Geſchäfte, Bauart, Zwed und gegenwärtige Beſchaffen— beit dieſes Wunderwerls. Die Ebene um Ning-hae. „Kieſelack“ in China. .............................................. 177

30. Hohe Landescultur jenfeit des Gebirges von Chefu. Amerifa- nische Miffionare als Kaufleute. Bolitifche Veränderungen in China im Sommer 1861. Der Tob des Kaifers Hienfung.

DEE re

VIII

Seite Der Prinzregent Kung, ſein Charakter, ſeine aufgeklärte Politik. Die Rebellion der Taipings. Verhalten ber Engländer zum hinefifden Bürgerkriege. Gefchichte der Schantung: Rebellen. Borrüden derſelben gegen Chefu. Bertheidigungsanftalten und Feigheit der Chinefen. Admiral Protet mit wenigen Franzojen übernimmt bie Bertheidigung des Platzes. Ueberraſchung und Flucht der Rebellen durch einen Bombenfhuß. Scheußliche Grau⸗ ſamkeiten der Nebellen wie der Kaiferlichen ................. 196

3l.

Unterzeichnung des Hanbeldvertrags zwijchen Preußen und China am 15. Auguft 1861. Ausdehnung befjelben auf ben Zollverein, Medlenburg und die Hanfeftädte. Große Bedeutung des Ber- trags für Deutfchlands Induftrie, Handel und Schiffahrt. Die Concurrenz mit England und Rußland. Der Begriff und bie politiiche Macht des Welthandels. Gründungsgefchichte der deutſchen Handelshäuſer in Oftafien. Ihr bisheriges VBerhältni zum Vater- lande. Der Zollverein in Bezug auf den öſtlichen Verkehr. Die deutſchen Schiffe in den chinefiihen Gewäſſern. Freude ber deut⸗ ſchen Kaufleute in China Über den Abſchluß des Vertrags. Noth- wenbdigfeit eines preußischen Kriegsgeſchwaders in ben öſtlichen Meeren. Der Koſtenpunkt und die Beſchaffenheit der Schiffe. Der Neid der Engländer. Abreiſe nah Siam. Bereinigung des preußifchen Gefchwaders im December 1861 auf der Rhede von Bangkok ........................ ......... ....... ....... 210

32.

Das Königreich Siam, ſeine Länder, ſein Waſſerſyſtem. Geſchichte bes Landes. Der Mainamfluß. Die ſiameſiſchen Feſtungen. Die Stadt Bangkok. Bauart der Häuſer und Aermlichkeit ihrer Einrichtung. Eine Dame von Stande. Die Buddhatempel, ihre Architektonik, ihre Pracht, ihre Götzen. Leben und Treiben der fiameſiſchen Prieſterſchaft. Der Todtendienſt und die Leichenver⸗ brennung. Das Todtenfeld der Armen. Unterricht und Volks⸗ bildung ...... . . . . . . .................................... 229

33.

Schlechte Beſchaffenheit der Straßen in Bangkok. Die Boote auf dem Mainam. Schwimmfertigkeit der Einheimiſchen. Nationa⸗ lität und Zahl der Bevölkerung von Bangkok. Körperbildung und Tracht des ſiameſiſchen Volks. Häßlichkeit der Frauen. Die

IX Seite Abſchließung ber Ehen. Die Bielweiberei. Das Verhältniß der Frau zum Manne. Das Eoncubinencorps und bie erfte Frau bes Königs. Die Sklaverei. Der Reisbau und die fiamefifche Faulheit. Betriebfamkeit der Chinefen in Siam. Mufil und muftfalifhe Inſtrumente. Ein nationales Concert. Ein fla- mefſiſches Feuerwert. Die Induftrie des Landes in den Händen ber Chinefen. Der König-ald® Kaufmann. Schiffahrt und Han- bel. Uebergewicht der Deutjchen im fiamefiichen Verkehr. Teaf- holz als Ausfuhrartifel. Die Landesmünzen ................ 257

34.

Das Zweildnigfyften in Siam. Die Thronfolge. Die Prinzeffinnen. König Mongkut. Die ftameflihen Aftrologen. Prinz Kroom Luang Wong-fa. Die Prinzen des Königlichen Haufes. Die Bolks⸗ Haffen. Die Einnahmen des Königs. Segnungen und Plagen bes Tropenklimas. Der weiße Elefant. Ueberfluß an Nahrungs- . mitteln. Siam ein Handelsftaat. Die franzöfliche Annectirungsluft in Hinberindien. Preußen und die Holländer. Hülflofigfeit Siams gegen franzöfifhe Eroberungspolitil. Die Reichthümer König

Mongkut’s. Der Bertrag zwifhen Siam und Preußen ...... 273

35.

Abreife der Elbe von Bangkok am Weihnachtsabende 1861. Ans kunft zu Anjer auf Java. Einladung und Reife nach Serang, dem Site der Regentſchaft. Ueppigkeit und hoher Eulturftand ber Landſchaft. Die blühenden BVerhältnifie der Eolonie Java. Die Holländer als Muftercoloniften, Die Agrarverhältniffe und die Behandlung der Eingeborenen. Der Ertrag Javas und bie Bortheile, welche Holland aus ber Kolonie zu ziehen weiß. Die Stadt Serang. Das Schachfpiel der japanifchen Großen. Riüd- reife nach Anjer ......................................... 287

36.

Ein neuer Weg durch den Indiſchen Ocean. Ankunft der Elbe am Cap der guten Hoffnung. DierTafelbai und der Tafelberg. Die Kapftabt, ihre Lage und Bevölkerung. Die „Afrifaner”. Die holländiſchen Eoloniften und die Engländer. Bernadläfftgung ber Communicationsmittel und ihre Folgen. Handel und Erzeugniffe ber Kapcolonie. Der Capwein. Das Dorf Eonftantia. Zwei große deutjche Firmen in der Capſtadt. Warnung an bie Deut-

VIII Seite Der Prinzregent Kung, ſein Charakter, ſeine aufgeklärte Politik. Die Rebellion der Taipings. Verhalten der Engländer zum chineſiſchen Bürgerkriege. Geſchichte der Schantung Rebellen. Vorrücken derſelben gegen Chefu. Vertheidigungsanſtalten und Feigheit der Chineſen. Admiral Protet mit wenigen Franzoſen übernimmt bie Vertheidigung bes Platzes. Ueberraſchung und Flucht der Rebellen durch einen Bombenſchuß. Scheußliche Grau⸗ ſamkeiten der Rebellen wie der Kaiſerlichen ................. 196

31.

Unterzeihnung des Handelsvertrags zwiſchen Preußen und China am 15. Auguft 1861. Ausdehnung beffelben auf den Zollverein, Medlenburg und bie Hanfeftädte. Große Bedeutung bes Ber- trags für Deutſchlands Induftrie, Handel und Schiffahrt. Die Eoncurrenz mit England und Rußland. Der Begriff und bie politifche Macht des Welthandels. Gründungsgefchichte der deutſchen Handelshäuſer in Oftafien. Ihr bisheriges Verhältniß zum Vater⸗ lande. Der Zollverein in Bezug auf ben öſtlichen Verkehr. Die deutſchen Schiffe in den chineſiſchen Gewäffern. Freude der deut⸗ ihen Kaufleute in China Über den Abichluß des Vertrags. Noth- wendigfeit eines preußifhen Kriegsgeſchwaders in ben öftlichen Meeren. Der Koftenpunft und bie Befchaffenheit ber Schiffe. Der Neid der Engländer. Abreife nah Siam. Vereinigung des preußifchen Geſchwaders im December 1861 auf der Rhede von Bangkok ............................................... 210

32.

Das Königreich Siam, ſeine Länder, ſein Waſſerſyſtem. Geſchichte bes Landes. Der Mainamfluß. Die ſiameſiſchen Feſtungen. Die Stadt Bangkok. Bauart der Häuſer und Aermlichkeit ihrer Einrichtung. Eine Dame von Stande. Die Buddhatempel, ihre‘ Architektonik, ihre Pracht, ihre Götzen. Leben und Treiben ber fiamefifhen Prieſterſchaft. Der Todtendienft und die Leichenver- brennung. Das Todtenfeld ber Armen. Unterridt und Volks⸗ bildung ... ... . . . . . . . . .. .. ... ..... ...................... 229

33.

Schlechte Beſchaffenheit der Straßen in Bangkok. Die Boote auf dem Mainam. Schwimmfertigkeit der Einheimiſchen. Nationa- lität und Zahl der Bevölkerung von Bangkok. Körperbildung und Tracht des ſtameſiſchen Volks. Häßlichkeit der Frauen. Die

IX

Abſchließung der Ehen. Die Bielweiberei. Das Verhältniß ber Frau zum Manne. Das Eoncubinencorps und bie erſte Fran des Königs. Die Sklaverei. Der Reisbau und die ſiameſiſche Faulheit. Betriebfamleit der Ehinefen in Siam. Muſik und muſikaliſche Inſtrumente. Ein nationales Concert. Ein fia- meſiſches Feuerwerk. Die Iubuftrie des Landes in ben Händen der Ehinefen. Der König-als Kaufmann. Schiffahrt und Han- bei. Uebergewicht ber Deutfchen im fiamefiichen Berfehr. Teak⸗ holz als Ausfuhrartifel. Die Landesmünzen ...............

34. Das Zmeildnigiyften in Stam. Die Thronfolge. Die Brinzeffinnen. König Mongkut. Die fiameflfhen Aftrologen. Prinz Kroom Luang Wong-fa. Die Prinzen des Föniglichen Haufes. Die Bolle- Haffen. Die Einnahmen des Königs. Seguungen und Plagen bes Tropenflimas. Der weiße Elefant. Ueberfluß an Rahrungs- mitteln. Siam ein Handelsftaat. Die franzöftfche Annectirungstuft in Hinderindien. Preußen und bie Holländer, Hülflofigleit Siams gegen franzöſiſche Eroberungspolitil. Die Reichthümer König Mongkut's. Der Bertrag zwilden Siam und Preufen .....

35.

Abreife der Elbe von Bangkok am Weihnachtsabende 1861. An⸗ funft zu Anjer auf Java. Einladung und Reife nad Serang, dem Site ber Regentſchaft. Ueppigkeit unb hoher Culturſtand ber Landſchaft. Die blühenden Berhältniffe ber Eolonie Sava. Die Holländer als Muftercoloniften. Die Agrarverhältniffe und die Behandlung ber Eingeborenen. Der Ertrag Iavas und bie Bortheile, welche Holland aus der Eolonie zu ziehen weiß. Die Stadt Serang. Das Schachfpiel der japanifchen Großen. Rüd- reife nach Anjer .........................................

36.

Ein neuer Weg durch den Indiſchen Ocean. Ankunft ber Elbe am Cap ber guten Hoffnung. Die Tafelbai und der Zafelberg. Die Capftadt, ihre Lage und Bevölkerung. Die „Afrilaner”. Die holländiſchen Eoloniften und bie Engländer. Bernadläffigung ber Communicationsmittel und ihre Folgen. Handel und Erzeugniffe ber Capcolonie. Der Eapwein. Das Dorf Eonflantia. Zwei große deutſche Firmen in ber Capſtadt. Warnung an bie Deut-

x

Seite

ſchen. Die Kaffernkriege. Gouverneur Sir George Grey. Das

Kafferncollegium. Die Kafferntruppen. Die Hottentotten ..... 296 37.

Die Heimreife. Naturbefchaffenheit, Bevölkerung und Verkehr der Inſel St.-Helena. Das englifche Geſchwader an ber weftafrifa- nifhen Küfte. Verwendung der mit den Sklavenſchiffen genom- menen Neger. Die Infel Ajcenfion. Ankunft der Elbe in Swi⸗ nemiünde am 29. Mai 1862. Die Opfer, welche bie oftaflatifche

Erpedition gekoſtet. Die Bortheile bes Unternehmens für Ge *

ſammtdeutſchland. Neellität, ein Haupterforberni im Berlehr

mit den Aſiaten. Abſchied vom Lefer ...................... 305 Abbildungen zum zweiten Theil,

Japaneſiſcher Jakonin........ .. .. ... . ....... ......... zu S. 41

Japaneſiſche Mädchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................. 67

Theegarten in Schangehae. ...............- .. . . . . .... ....... 178

Erſte Frau des Königs Mongkut von Siam......... .......... 262

Phra Somdet Mongkut, Erſter König von Siam ..........--- 274

——

19.

Nachricht vom Untergange des Frauenlob. Abreife von Hongkong nad Japan. Die Fahrt unter Norboflmonfun. Aufenthalt an der Süpof- fpige der Inſel Formoſa. Beſuch der Küſte; Scharmügel mit ben Eingeborenen. Lage, Beichaffenheit und Bebeutung ber Infel. Ge- fchichte der holländiſchen Colonie auf Formoſa im 17. Jahrhundert.

Mir hatten mit ber Elbe bereit einen Monat lang in Hongkong gelegen und vergeblich auf Nachrichten vom Ge⸗

ſchwader gewartet, das drei Wochen vor uns aus Singapore

nah Japan gefegelt war, als die mit den beginnenden Norb- oftmonfuns von Kanagava kommenden Schiffe die Ankunft ber Arkona und Thetis in der Bai von Jeddo berichteten, zugleich aber die Zrauerbotfchaft von dem mwahrjcheinlichen Verlufte des Schooners Frauenlob brachten, eine Runde, Die einen trüben Schatten auf die” Erpebition warf. Ein fchred- tiher Teufun hatte am 2. September mit Tagesanbruch ven Frauenlob von der Arkona, welche ihn im Schlepptau führte, getrennt. Es gejchah dies in einer Entfernung von Taum

noch 40 Meilen von der Iebbobai. Um 5 Uhr morgens

ward das Schiff zulekt geſehen, und feit jener Zeit hatte

man nichts wieder von ihm gehört. Ein gleihes Schiefal

theilte die englifche Kriegsbrigg Camilla, und nach dem fchred-

fihen Wetter, pas kaum eine fo große und ftarf gebaute

Fregatte wie die Arkona mit Hülfe der Dampffraft auszu-

halten vermochte, war nichts anderes anzunehmen, als daß Werner. II. 1

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das preußiſche wie das engliſche Schiff ver Wuth des Stur⸗ mes erlegen und beide total verunglückt ſeien. Mit dem Frauen⸗ lob gingen 4 Offiziere, 1 Arzt, 1 Verwalter und 38 Unter- offiziere und Matroſen verloren, ein Ereigniß, das nicht nur - auf dem Geſchwader, fondern auch in ganz Deutfchland tief. betrauert ward. Am 30. Detober erhielten wir nom Geſchwa⸗ derchef ven Befehl, mit unferm Schiffe nach Naugafafi zu geben, um die Schiffe dort zu erwarten und fie mit Vorräthen zu ver- fehen. Am 1. November verließen wir bemgemäß das uns durch bie außergewöhnliche Freundlichkeit unferer bortigen Landsleute fo lieb gewordene Hongfong, jegelten nach unferm Beftimmungs- orte ab und machten uns auf eine minbeftens vierwöchent⸗ liche und unangenehme Kreuztour gefaßt, da der Norboft- monfun fehr Träftig blies und wir die ganze Strede von 400 geographifchen Meilen ihm abzufämpfen hatten.

In frühern Zeiten hielt man es gar nicht für möglich, gegen diefe halbjährigen Winde einen längern Weg anzufreuzen, - und die Schiffe blieben oft 4—5 Monate in einem Hafen Tiegen, um den günftigen Monfun abzuwarten, wie es noch jet alle chinefifchen Dfchonfen machen, die im Detober von China nah dem Süden gehen und im Mat von dort nach Haufe zurüdfehren. Die Fortfchritte im Schiffbau und in den nautiſchen Wiffenichaften, ver Hydrographie und Meteorologie, haben e8 jedoch nicht nur ermöglicht, gegen die Monfuns an- zufämpfen, fondern bejtimmte Reifen auch in bejtimmter Zeit zurüdzulegen, und gegenwärtig bedenkt fich ſelbſt das ſchlech— tete Rauffahrteifchiff nicht, mit Ausnahme der Teufunmonate Auguft, September und October, im Sommer nad dem Süden und im Winter nach dem Norden zu Freuzen; ja, gute ftarfe Fahrzeuge, deren Kapitäne mit genügenber Fachfenntniß theoretifche Bildung vereinen und den neuen Entdeckungen auf dem Gebiete der Meteorologie gefolgt find, fcheuen fich nicht, felbft Teufunen die Spike zu bieten, wenngleih Muth

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und Geſchicklichkeit nicht immer fie vor dem Unterliegen in dem ungleichen Kampfe fichern können.

Wir befanden uns im November und hatten daher weniger von den Unholden zu fürchten, ſondern nur eine ftürmifche Reife mit allen ihr Gefolge bildenden Unbequemlichkeiten zu erwarten, eine Ausficht, die fih auch zur Genüge verwirffichte: Vom Süden Chinas nach dem Norven over nach Japan hat man bei ungänftigem Monfun zuvörderſt ganz nahe unter der Küfte bis zu den Namoa- Infeln auf 25° nördl. Breite aufzufreuzen, um ven durch den Bormofafanal fallenden fünmweftlichen Strom zu vermeiden. Dann bat man dftlich nach ver Süpfpige von Formoſa ‚hinüber zu ftechen und an ber Oſtküſte dieſer Infel nach Norden zu gehen, wo man ben äqua⸗ torialen bis zur Behringsftraße reichenden Warmwafferftrom, der in der Nähe von Japan faft vie Schnelligkeit und Tem⸗ peratur bes nordamerikaniſchen Golfftroms annimmt, findet und benugen Tann.

Die erften Tage ging e8 troß bes fcharfen Windes vor- trefflih. Unſer Schiff Freuzte bei der hohen See über Er- wartung gut, und ſchon am 6. November befamen wir bie Südſpitze von Formofa in Sieht. Zugleich aber wurbe bie Gegenftrömung, bie ſich von dem erwähnten Golfftrome hier weftlich abzweigt, jo heftig, daß wir faft nicht von der Stelle famen, und uns am 10. November noch auf vemfelben Fleck wie am 6. befanden, obwol: wir feitvem 150 Meilen durch das Waffer gefegelt waren und ohne den Strom hätten min- deſtens 50 Meilen oftwärts Freuzen müſſen. Ia, einmal hatten wir, als der Wind fich etwas legte, bie merfwürbige Er» ſcheinung, daß fämmtliche Segel rund voll ftanden, das Schiff aber, ſtatt vorwärts zu geben, mit ziemlicher Schnelligkeit rüdwärts ging, eine Thatfache, die auf ven erften Blick unerflärlich erjcheint, aber nur die Folge eines heftigen Unter⸗

wafferftroms ift. Dieſelbe Sache Hatte ich ſchon früher ein⸗ | *

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mal in der Straße von Florida im amerifanifchen Golfitrom beob» achtet, Dort war jepoch bie Strömung bei weiten nicht fo heftig.

Am 10. November zog fich der Wind enblich ein bischen nördlicher, und wir erreichten die Spite ber Inſel, deren Süpfeite von Weften nach Oſten ungefähr 4 Meilen weit ſich erftreckt. Im Schutze dverfelben ging es troß bes zunehmen- ben Windes nun beffer. Wir Freuzten ganz nahe unter ihr hin, bewunderten vie romantifchen Zandfchaften, welche die pracht- volle und terraffenförmig auffteigenpe Infel Dem Auge in reicher Fülle bot, und bebauerten, daß dieſe ſchöne und fruchtbare Strede Landes noch nicht von der Civiliſation beledt, nament- lich aber, daß fie nicht veutiche8 Eigenthum fei. Die zunehmen- ben heftigen Bewegungen des Schiffes gaben jeboch unfern Gedanken bald wieder eine andere Nichtung. Je mehr wir uns der Oftküfte näherten, befto mehr fühlten wir ben warh- jenden Wind, und faum traten wir ganz aus bem Bereiche der ſchützenden Küfte, als uns der fchönfte Nordoſtſturm ent- gegenblies, der nicht allein eine. himmelhohe See aufwühlte, fondern uns auch zwang, ſobald als möglich unfere Segel auf ein Minimum zu kürzen. Da wir unter folchen Um—⸗ ftänden nur die Ausficht hatten, zurüdzutreiben und ven müh⸗ fam erfämpften Boden wieder zu verlieren, zogen wir es vor, jhleunigft umzulehren und im einer ringsum won hohem Lande geſchützten Bucht, die uns ſchon vorher ſehr einladend erjchienen war, an der Süpoftfeite der Infel vor Anker zu gehen.

Die Karten von Formofa find fehr mangelhaft. Die er- wähnte Bucht war gar nicht einmal darauf angegeben, und wir mußten uns vorfichtig heranlothen, fanden aber einen jo ſchönen, bequemen Anferplag, wie wir nur wünſchen Tonnten, nicht zu tief, baltbaren Grund, faum tauſend Schritt von ber Küfte und gegen alle nördlichen und öſtlichen Winde, die wir allein in dieſer Jahreszeit zu fürchten hatten, ſo gefichert, wie in Abraham's Schos. Der Anfer raufchte vom Bug in bie

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Tiefe, die Segel wurden feftgemacht, und alsbald erwachte in uns auch ein jehnliches Verlangen, das mit einer fo reizenden Außenfeite geſchmückte, faſt gänzlich unbefannte, deshalb aber um fo intereffantere Land etwas näher zu betrachten. Die That folgte bald dem Entſchluſſe. Die Gig wurde in das Waſſer gelaffen, mit ſechs Träftigen Leuten bemannt, und ihre Ruderſchläge trugen uns in wenigen Minuten ans Land, das an einer Stelle einen prächtigen Sanbftrand zum Anlegen bot. Wit hatten vom Schiffe aus Hier einige Eingeborene bemerkt, wollten mit ihnen Verbindungen anknüpfen, um Früchte und Lebensmittel zu erhalten und einen kleinen Streif» und Jagdzug auf die nahe liegenden Platenus zu machen. Dort hatten wir mit unfern Fernröhren merfwürbige Thiere herum⸗ fpringen fehen, die wir bald für Bären, bald für Affen hielten, und allem Anfchein nach Tonnten wir uns ergiebige Beute verfprechen. Da wir jedoch bereits früher von der feindfeligen Unnahbarkfeit ver Formofaner gegen Fremde gehört, trugen wir Sorge, uns gehörig zu bewaffnen, und außer uns vier Theilnehmern an der Partie, die wir unfere eigenen Büchfen befaßen, erhielten auch umfere ſechs Bootsruderer jeder eine er vortrefflichen Zündnadelbüchſen, mit denen unfere Schiffe ausgeräüftet find.

Wir betraten den Strand, der bier 30 bis 40 Schritt breit fein mochte und von einem dichten, und wie es uns fchien, faum durchdringbaren Gehölz eingefaßt war. Wir theilten

uns in zwei Parteien von je 4 Mann, mwährenn 2 Mann

zur Bewachung des Bootes zurüdhlieben. Die Munition wurde ausgegeben und die Gewehre geladen, während vefjen wir am Strande nach Muſcheln fuchten und uns nach ver- ſchiedenen Seiten hin zerftreut hatten.

Auf einmal fiel eim Schuß; Teiner von uns achtete anfangs baranf, weil jever glaubte, irgendeiner habe etwas Jagdbares entdeckt, und wir blickten von unferer Beichäftigung kaum auf.

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Unmittelbar darauf knallte es jedoch prei=, viermal binterein- ander und einer unjerer Matrofen rief: „Wir werben ange- griffen, ich bin getroffen.” Zugleich ſahen wir an verſchiedenen Stellen den Pulverdampf aus dem Gebüfche aufiteigen und befanden uns in der gerade nicht erfreulichen Lage, kaum 30 Schritt vor den. Gewehrläufen eines unfichtbaren Feindes zu ftehen, ohne auf dem offenen Sanbftrande felbft die geringfte Dedung zu haben. Die Sache wor fritifch; die Feinde ans zugreifen und in das dichte Geftrüpp vorzudringen, wo man feine 3 Schritte weit fehen Tonnte, wäre ebenfo gewagt als unflug gewejen, da wir feine Ahnung hatten, wie viele uns gegenüberftan- ben. Ebenfo wenig konnten wir aber bleiben, und das einzige Ver⸗ nünftige war, uns in unfer Boot zurüdzuziehen und ven Rückzug fo gut wie möglich zu decken. Während deshalb zwei-Matrofen ben Befehl erhielten, das Boot zu unferer Aufnahme fertig zu balten, bildeten wir übrigen acht eine Tirailleurlinie und warteten mit geipanntem Hahn auf den nächſten Schuß, um auf den Punkt eine Salve zu geben, wo wir ben aufſteigen⸗ den Rauch bemerfen würden. Daß von den fünf, auf kaum 30 Schritt Entfernung auf uns abgefeuerten Schüffen nur einer getroffen, gab uns Feine hohe Meinung von ver Ge- ſchicklichkeit unſerer Feinde. Ueberdies war der getroffene Matroſe nicht einmal verwundet. Ein ſonderbarer Glücksfall hatte es gewollt, daß die ſonſt unfehlbar tödliche Kugel auf ein Meſſer traf, das er im Gürtel ſtecken hatte, daran ab⸗ prallte und weiter keinen Schaden that, als durch das Hemd zu gehen und den Hoſenbund durchzuſchneiden. Wir hatten kaum eine Minute geſtanden, als der erwartete Schuß fiel. Er war wiederum auf den erwähnten Matroſen gezielt; die Kugel ging hinten durch ſeinen Hemdenkragen, wunderbarer⸗ weiſe wieder ohne zu verwunden. Wir antworteten ſofort mit einer vollen Lage, hatten jedoch noch nicht wieder geladen, als uns noch zwei Kugeln um die Ohren pfiffen, aber harm⸗

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[08 hinter uns in das Waffer fielen. Wir blieben die Er- widerung nicht ſchuldig, und unfere acht Kugeln Inatterten in das Gebüſch, daß es eine wahre Freude war. Sekt hörte das feindliche Feuer auf, entweder hatten wir getroffen ober - eingefchüchtert, genug, wir nahmen ben günftigen Augenblick wahr, um unfer Boot zu befteigen und einige 100 Schritt vom Strande abzuruvdern. Wir mochten kaum 500 Schritt davon entfernt fein, als vier braunrothe hohe Geftalten, mit langem fchwarzen Haar und bis auf einen Schurz um bie Hüften vollftändig nadt, aus dem Gebüſch auf den Strand beraustraten und nad der Stelle hingingen, wo wir gelandet waren. Sie trugen jeder eine lange Zuntenflinte in der Hand, und ein großer Hund begleitete fi. Wir hielten inne mit Rudern und nahmen fie auf das Korn; da jedoch die ſchwan⸗ enden Bewegungen des Bootes Tein genaues Zielen erlaubten, trafen wir nicht, wenngleich die Kugeln in ihrer unmittel- baren Nähe einfchlugen und dem Hunde ein Bein zerfchmettert wurde. Diefe Wirkung erfchredite fie jedoch fo, daß fich fofort alle nieverwarfen und fo fchnell wie möglich auf allen Bieren in das Gebüfch zurüdeilten. Ein fünfter, ver Hinter ihnen bergefommen war und wahrjcheinlich fich als beſonders muthig zeigen wollte ober auch unfer jchnelles Wiederladen nicht vorausfeßte, blieb kühn ftehen. Wir nahmen viesmal genauer Ziel; e8 knallte, der Formoſaner ſprang hoch in bie Luft und ftürzte auf ven Sand nieder; er hatte feinen Vor⸗ wig mit dem Leben bezahlt.

Wir fuhren jest an Bord zurück, und da das Schiff mit feiner Breitfeite gerade nach dem Blake zugemwenbet lag, wo wir durch die Zweige der Bäume die Dächer von Hütten Ihimmern und Rauch anffteigen fahen, bejchloffen wir bie Hinterlift der Eingeborenen durch einige Kanonenkugeln zu beftrafen unb damit zugleich noch unfere rückſtändige Schieß- übung abzubalten. Schon nad bem dritten Schuffe be-

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merften wir, daß wir das richtige Ziel genommen hatten. Eine Prenge Menfchen, darunter viele Weiber und Kinder, die fich hinter den Leibern von Ochfen, welche fie fortführten, zu ſchützen fuchten, flohen auf vie höher und weiter im In⸗ nern gelegenen Plateaur, zu denen fie jeboch nur gelangen fonnten, wenn fie auf den Strand herausfamen unb einige taufend Schritt auf ihm entlang gingen. Sie befanven fich demnach gerabe in unferer Schußlinie, und wenn wir hätten unmenfchlich fein wollen, Tonnten wir mit Kartätichen ein ſchreckliches Blutbad anrichten. Dies lag uns jeboch fern; wir richteten noch ein halbes Dutzend Kugeln auf’ das Dorf und begnügten uns mit dieſer ausreichenn erjcheinenden Be— ‚fteafung, um fo mehr, als wir jelbft keine Verluſte erlitten hatten.

Nach Dunkelwerden wurden wir noch einmal in eine Fleine Aufregung verfegt; auf allen umliegenden Plateaur und Berg tuppen bis weit in das Innere flammten plöglich Signalfeuer auf. Da wir am Strande Boote bemerkt hatten, glaubten wir eine Zeit lang an einen beabfichtigten nächtlichen Angriff auf unfer Schiff und trafen alfe nöthigen Vorbereitungen, um ihn mit der gehörigen Kraft abzuweiſen. &8 blieb jedoch alles rubig, und obwol die Feuer die Nacht hindurch brannten, war während des ganzen nächften Tags kein Eingeborener in ber Nähe des Strandes zu ſehen. Dagegen bemerkten wir fie weit im Innern auf den Platenur, die wir vom Schiffe aus mit unfern Fernrohren recognofciren konnten,

So endigte dies Heine Abenteuer auf Formofa, das zwar ohne bintige Folgen für uns und beswegen Intereffant war, aber uns andererſeits die feltene Gelegenheit abſchnitt, die ſchöne, faſt gänzlich unbelaunte Infel näher in Augenfchein zu nehmen. Wir mußten uns begnügen, fie von außen zu betrachten und ihre üppige Vegetation, ihre palmengekrönten Hügel und die majeftätifchen Höhenzäge zu bewundern, bie weiter im Innern die Gipfel zu den Wolfen emporfandten

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und in jenen bläulichen Tinten ſchwammen, die den tropiſchen Gegenden allein eigenthümlich ſind. Das Land erhob ſich von der Kuſte an terraſſenförmig aufſteigend, und die einzelnen Hochebenen glichen Fünftlich angelegten Parts mit Nafen- plätzen, Boskets und Waldung. Auf einigen weidete Vieh der Eingeborenen, auf andern bemerkten wir Heerden ber erwähn⸗ ten Thiere, bie uns gänzlich unbelannt waren, und bie wir bafo für Bären, bald für Affen hielten. Sie hatten die Größe eines Schlächterhundes, waren lang geichwänzt und bewegten ſich Ichwerfällig auf ver Erde. Sobald ein ungewohntes

Geräuſch ihr Ohr erreichte, fprangen fie im fliegenden Galop-

über die Ebenen und in ein paar Sätzen in die höchiten Bänme Wie bevauerten wir, daß unfere fchöne Jagdpartie fo geftört worben war!

Formoſa liegt auf ber Grenze des nördlichen Wendekrei⸗ ſes; es erſtreckt fich in norböftlicher Richtung zwifchen 120 bis 122° öftlicher Länge von 21° 55’ bis 25° 19’ nörblicher Breite, alfo in einer Längenausbehnung von 51, bei einer Breite non 29 geographtichen Meilen. Sein Flächeninhalt beträgt ungefähr 1300 Ounpratmeilen, ift jeboch nie feftge- ftellt, ba das Lanb nur einmal ein halbes Jahrhundert hindurch den Holländern zugänglich war, feit der Mitte bes 17. Jahrhunderts aber allen Europäern verichloffen iſt. Was man vom Inmern ber Infel weiß, ift jehr wenig. Die Holländer hatten nur den nächften Umkreis ihrer Colonien an der Weftjeite im Auge, und ber einzige Europäer, welcher Formoſa befuchte und befchrieb, der polnifche Graf Benjomffi, der über Kamiſchatka aus Sibirien entfloh, hat in feinen Schilderungen offenbar mehr Dichtung als Wahrheit gefagt. Man kann jedoch die Infel faft ganz überfehen, wenn man ſie umfegelt, und: daß fie ein ſchönes und fruchtbares Land einfchließt, geht aus ben Toftbaren Artifeln hervor, bie fie teils nach China als Tribut, theils als Ausfuhr zum Han-

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del in das Ausland fendet. Reis, Reispapier, Kampher und Indigo nehmen unter ihnen die erfte Stelle ein und fie gehen über den Hafen Keelung an der Nordſpitze der Inſel theils nad Sapan, theils über China nach Europa.

Das fogenannte Neispapier, durch die auf ihm ausge- - führten koſtbaren chinefifchen Malereien auch in Europa befannt, wird lediglich auf Formoſa gewonnen, nicht aber aus Reis, wie der Name andentet, fordern aus dem Marke einer bambusähnlichen Staude gefertigt, das in feiner Structur viel Achnlichfeit mit dem Marke unfers Hollunder- baumes hat. Die Staude wird ganz jung in Töpfe ver- pflanzt und, nachdem fie eine gewiffe Stärfe erlangt, gefocht und von der äußern harten Rinde befreit. Das oft 2—3 Zoll im Durchmefjer haltenne Mark wird dann in eine Dreh- bank eingejpannt und, während e8 fich wie eine Walze dreht, vermittelt eines ſehr fcharfen, feinen und breiten Meſſers in Blätter gefchnitten, die fich der Länge nach abheben over vielmehr abrollen. Die größten Bogen, welche die Confiftenz des Stoffes erlaubt, find 18 Zoll lang und 9I—10 Zoll breit. Das fo gewonnene Papter iſt außerordentlich weiß, zart, ſpröde und fieht aus, als ob feine Beftandtheile zerftampfter Reis jeien, was wahrjcheinlih den Grund zu feiner Benennung gegeben Hat. Zum Schreiben ift e8 gänzlich unbrauchbar, dagegen eignet e8 fich vortrefffih zum Malen, und bie Neis- bilder find mit Recht durch ihre ungemeine Farbenpracht be- rühmt, bie wir in Europa vergebens zu erreichen trachten.

Alle Metalle und Kohlen follen überbies reichlich in dem Gebirgen vorhanden fein. Das Land ift durch einen Höhen- zug, ver fich an verſchiedenen Stellen bis 12,000 Fuß erhebt, in eine öſtliche und wejtliche Hälfte gefchieden. Die lettere ift flach, eben und mit China durch eine Menge Feiner Infelfetten verbunden, deren bebeutendfte die Pescadores bilden, die aber ebenfo wie die ganze weitliche Küfte faft gar nicht näher be-

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fannt und bejtimmt find. ‘Der öſtliche Theil ift durchaus gebirgig, reich bewaldet und fällt fehr fteil gegen das Meer ab. Bon dem mittiern Höhenzuge laufen im rechten Winkel zu biefem und parallel untereinander in ziemlich gleichen Zwifchenräumen Gebirgsrüden aus, in deren Thälern man überall reicheuftinirtes Land, Dörfer und Stäpte erblidt. Die nördliche Spite ift wieder ziemlich flach, ebenfo bie ſüd⸗ liche, und beide erheben fich erft drei bis vier Meilen von ber Küfte beveutender. Die ganze Oſtſeite befitt feinen einzigen Hafen; nur eine Fleine Bucht in der Mitte der Küfte gewährt

‚zweifelhaften Schub gegen die Südweſtmonſuns. Ebenſo

wenig haben wir vort ein Fahrzeug, fei es auch nur ein Tifcherboot, entdeckt, und es ift daher wahrfcheinlich, daß vie Bewohner dieſes Theils fich lediglich mit Ackerbau und PVich- zucht beichäftigen. Der erwähnte Hafen Keelung ift gegen alle Winde gefichert, doch macht e8 Schwierigkeiten, ihn wäh⸗ vend bes Norboftmonfuns, der eine ſchwere See vor ihm aufthürmt, mit Segelfchiffen zu verlaffen. An der Süd⸗ und Weftfeite follen nach nautifchen Angaben Teine Häfen fein. Ich bin jedoch anderer Anficht und überzeugt, daß bei näherer Unterfuchung fih nicht allein an der Weft-, ſondern auch an der Südſeite Häfen finden werden. “Die Bucht, in der wir lagen, gewährte während bes Nordoſtmonſuns vollftändigen

. Schuß, war jedoch nach Süden offen und mithin weber gegen

Südweſtwind noch gegen Teufun gefichert; dagegen bemerften wir zwei Meilen weftlicher einen tief in das Land gehenden Einſchnitt, ver ein trefflicher Hafen zu fein ſchien, und ben ich unter allen Umftänden zu erreichen trachten würbe, wenn mich einer der in dieſer Gegend fo häufigen Zeufune hier über- rafchen ſollte. An der Weftlüfte befaßen bie Holländer 50 Sabre lang eine Eolonie, die jährlich von vielen großen Schiffen bejucht wurde, und es ift faum benfbar, daß dies praftifche feefahrende Volk ſich dort angeſiedelt haben würde,

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ohne einen guten Hafen zu finden. ebenfalls hat aber bie Weftfeite ver Infel vor China, Iapan und allen umliegenven Ländern den großen Vortheil voraus, daß fie nicht von Teu⸗ funen beimgefucht wird; und bis jet noch feiner dort beob- achtet if. Im Chinefifchen Meere wandern vie Teufune faft immer von Südoſt nach Nordweſt, alfo im rechten Winkel zur Lage Formoſas. Wahrfcheinlih werden fie durch ben die Inſel theilenden Höhenzug aufgehalten und abgeleitet. Mithin könnten an diefer Küfte fchon bloße Rheden die Hä- fen erfegen, und es wäre wol der Mühe wertb, in dieſer Be- ziehung genauere Forſchungen anzuftellen, um ein fo reiches Land in ben Bereich des Weltverfehrs zu ziehen und feine Schätze auszubeuten.

Formoſa wird von zwei verfchievenen Raffen bewohnt, von Eingeborenen und Chinefen. Erſtere bevöffern bie äftliche Gebirgsgegend, letztere die weftliche ebene Hälfte. Die For- mofaner gehören zum großen malaiifchen Völkerſtamme, zeich- nen fich aber durch hohe Statur und fräftige Muskelbildung aus. DBenjowfli fchildert fie gerade im Gegenfak zu ben Erzählungen fpäterer Reifender, die der Zufall oder das Un⸗ glüd an ihre Küften verfchlug Sie follen jetzt ein durchaus ungaftliches, jedem Europäer feindlich gefinntes Volk fein, pas auf Feine Weife Verbindungen mit Fremden anknüpfen will und vorläufig durch bie Unzugänglichfeit feiner Küften gegen. jeden Zwang in biefer Beziehung gefhütt if. Man könnte _ nur von Keelung aus zu ihnen gelangen, denn der Höhenzug bildet gegen Weften eine unüberfteigliche Schranfe. Mit ven Ehinefen liegen fie ebenfalls beftändig im Kriege und über- fallen fie unvermuthet von den Bergen aus, ſodaß diefe nur in größerer Anzahl und bewaffnet ihre fern gelegenen Weder bebauen fünnen.

Die Chinefen find nämlich die Ufurpatoren der weftlichen Hälfte von Formofa, und an ihre Erfcheinung Tnüpft fich pie

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Vertreibung der Holländer. Zur Zeit als diefe noch bie Herrſchaft der Meere allen andern Nationen ftreitig machten und namentlich die Portugiefen aus ihren oftindifchen Beſi⸗ gungen zu vertreiben fuchten, zu Anfang bes 17. Jahrhun⸗ verts, wollten fie ihren Handelsverkehr auch auf China aus. dehnen und machten der Wegierung bed Kaifers darüber Eröffnungen; jedoch erft nach 10 Jahren, 1624, gelang es ihnen, ihren Zwed zu erreichen. Mit Hülfe von Batapia aus nahmen fie einen heil der formofanifchen Weſtküſte in Befig und gründeten eine Colonie, bie burch eine ſtarke Teftung, Zeeland, geſchützt wurde, Die neue Nieberlaffung gebieh ungemein und erwedte durch ihr jchnelles Emporblühen nicht allein den Neid der Portugiefen und Spanier auf Ma- cao und Manila, fondern auch der Ehinefen, die, von jenen angereizt, ven Holländern jett wieder die Handelsfreiheit ent- zogen. Letztere züchtigten indeſſen den Vertragsbruch durch ihre Flotten auf ſo energiſche Weiſe, daß China es gerathen fand, andere Saiten aufzuſpannen. Gegen Aufgabe ver Pes- cadores⸗Inſeln, welche vie Holländer beſetzt hatten, wurde biefen unbedingte Handelsfreiheit zugeftanden. Die Holländer be- gannen nun zunächſt die Eingeborenen der Injel Formofa zu civilifiven und fich unterthänig zu machen. Sie gründeten Nefivenzfchaften im Innern, wie auf Java, gingen mit ben einheimifchen Fürften Bündniſſe ein, und ohne die Unvernunft und die Starrföpfigfeit eines ihrer Admirale würde Formofa wahrjcheinlich heutigentags ein zweites Java fein.

Im SIahre 1644 fiel Peling und mit ihm alle nörblichen und am Theil der ſüdlichen Provinzen in bie Hände der Tas taren, die, von Norden her einpringend, mit einer Hand voll Leute China eroberten. Infolge defjen wanderten 25000 chi⸗ nefifhe Yamilien nah Formofa aus. Diefer Zuwachs an arbeitfamen und inpuftriellen frienlichen Menfchen war ven Holländern anfangs fehr erwänfcht, und fie ermuthigten ſogar

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die Einwanderung. Schließlich jedoch wurbe es ihnen zu viel, obwol jte, jet aber vergebens, dem Strome Einhalt zu thun verjuchten.

Ein hriftlicher Ehinefe aus Macao, Nikolaus mit Namen, und anfänglich ein bloßer Kuli, war burch Handel mit ven Europäern einer ber reichſten Leute in Ehina geworben. Als bie Manpfchu fein Baterland überſchwemmten, rüftete er in edlem Patriotismus eine eigene Flotte gegen fie aus und be- fümpfte ſie mit entfchievenem Erfolge. Bon allen Seiten ſtrömten ihm Schiffe zu, und bereit8 nach einem Jahre ſtand er als Admiral an der Spite einer 300 Fahrzenge ftarken Flotte. Nach verfchievenen geivonnenen Schlachten wurde er mit dem Anerbieten eines hohen Ranges nach Peking an ven Hof gerufen. Er fonnte der Verfuchung nicht wiberftehen, nahm e8 an und übergab das Commando feinem Sohne Kuaſching, von den Portugieſen Koſchinga genannt, welcher ber hineflihen Sache treu blieb. Nach drei bis vier Jahren wußten e8 indefjen bie Zataren durch Verrätherei jo weit zu bringen, daß er die chinefifchen Küften verlaffen mußte, unb er zog fih 1650 mit feinen Scharen nach dem großen und fruchtbaren Formoſa zurück.

Die Holländer machten ſich jetzt auf Krieg gefaßt und verſtärkten die Beſatzung von Zeeland. Solange Kuaſching ſeine Kämpfe gegen China fortſetzte, blieben ſie noch unbe— läͤſftigt, nachdem er jedoch 1660 vor Nanking eine totale Nieder⸗ lage erlitten, blieb er gänzlich auf Formoſa und gründete ein eigenes Königreih. Der Gouverneur hatte um Hülfe nach Ba⸗ tavia gefchrieben. Die Beſatzung von Zeeland warb varauf auf 1500 Mann gebracht, und bie erbetene Flotte von 12 Schife fen traf in der Colonie ein. Kuafching heuchelte die freund- Tchaftlichften Geſinnungen, und obwol der Gouverneur ihm durch⸗ aus nicht traute, ließ fich doch der holländiſche Admiral voll- ſtändig durch feine Sreundfchaftsnerficherungen täufchen. Ja,

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der Admiral verflagte jogar den Gounerneur wegen Feigheit und falfcher Rapporte, und biefer wurde deshalb 1661 zur Berant- wortung nach Batavia citirt. Der Admiral felbjt ging mit feinen Schiffen nah Amoy, um dort gegen die Portugiefen zu kämpfen. |

Kurz nach Abgang der Flotte indeffen erfchien Kuaſching mit 20000 Mann vor Zeeland, blokirte e8 und fchnitt Die Verbindung zwifchen ihm und einer anbern feiten Poſition ab, welche die Mündung des Fluſſes beherrichte, an dem die Hauptfeftung erbaut war. Die Holländer machten mit 400 Dann einen Ausfall, wurden jedoch zurüdgefchlagen. Auch zwei Kriegsichiffe, die noch im Hafen lagen, litten jehr; das eine wurde durch Brand zerftört, dem andern gelang es jedoch zu entfliehen und mit ben Nachrichten nach Batavia zu fegeln.

Unterhandlungen führten zu nichts; das Heine Fort mußte fih nach 8 Tagen ergeben, das große hielt tapfer aus, und Kuaſching mußte e8 regelrecht belagern. Die Holländer wa- ren jedoch furchtbare Feinde; ihr Geſchützfeuer richtete ent- fetliche Verlufte unter den Chinefen an. Kuaſching wurde infolge deffen zur Aufhebung der Belagerung gezwungen und mußte fich nur auf eine enge Blokade befchränfen. Er ver- wüftete jeßt die ganze Umgegend, machte alle Reſidenten und Beamte mit ihren Familien zu Gefangenen und behandelte fie ſehr grauſam. Einer der erjtern, deſſen Frau und Kinder fih gleichfalls in Feindesgewalt befanden, wurbe in das Fort gefehidt, um es zur Webergabe aufzufordern, wibrigenfalls mit der Ermordung fünmtlicher Gefangenen gedroht wurde. . Ein zweiter Regulus, mahnte jedoch der kühne und patriotifche Mann zur Ausdauer, fehrte zurüc und wurde mit allen Uebrigen niedergemacht. Indeſſen langte Succurs von Batavia an; 700 Soldaten kamen an, und die Belagerten gingen zur DOffenfive über. Weiber‘ und Kinder wurden nad Batavia geſchickt, und Kuaſching wäre wahrfcheinlich vernichtet worden,

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wenn nicht der neue Gouverneur im Einverftännnig mit dem Admiral Die Unklugheit begangen hätte, fünf ver Schiffe dem tatarifchen Vicekönig von Fukien gegen bie Chinefen zu Hülfe zu fchiden, wogegen biefer nach erfolgtem Siege feinerfeits Hülfe gegen Kuafching verſprach. Drei der Schiffe gingen in einem Teufun verloren, unb die beiden andern kehrten ſchwerbeſchädigt nach Batavia zurüd. Kuafching war zufrie- den, feine Feinde fo gejchwächt zu fehen; ein Deſerteur ver- vieth einen ſchwachen Punkt ver Feſtung, fie wurbe bort von drei Batterien angegriffen. Bald war Brefche gelegt und von feiten der Chinefen ber Sturm befchloffen. Der Friegsrath ver Holländer erflärte Zeeland für unhaltbar. Nach neun- monatlicher Belagerung und einem Verlufte von 1600 Mann wurde Formoſa aufgegeben, und 1662 fehrten die tapfern Vertheidiger nach Java zurüd.

Kuaſching wurde unabhängiger Fürſt von der Wejtfeite Tormofas. Im Jahre 1683 erkannte jedoch fein Enkel bie. Oberherrfchaft ver Zataren an, und feit jener Zeit tft die Wefthälfte ver Infel eine tributäre Provinz von China. Seit bem Abzuge der Holländer ift feine fremde Macht mit For⸗ moja in irgenpwelche Verbindung getreten. Bei dem Um⸗ ſchwunge der Verhältniffe in China und der bevorſtehenden Theilung des Reichs wird wol auch Formofa-in den Vor⸗ bergrund treten. Wie die Koblenlager von Japan ben Ameri- fanern den Vorwand für die Deffnung jenes Reichs gaben, werden auch wol bald wegen ber Kohlen fich Liebhaber für - das harmloſe Formofa finden. Rußland, England und Franf- reich werben nicht fäumen, feinerzeit Befchlag darauf zu legen. Verſäume Deutſchland nicht, gleichzeitig zuzugreifen. Eine Colonie von einigen hundert Quabratmeilen des fruchtbarjten Landes mit Kohlen und Metallſchätzen dürfte für uns nicht zu verachten fein, wenn wir fie umſonſt befommen können!

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Ankunft der Elbe vor Nangafali. Die Naturfchönheiten der Bai. Be- nehmen und Berlegenheit ber japanifchen Behörden. Bereinigimg ber Elbe mit dem prenßifchen Geſchwader zu Jeddo. Die Verhandlungen bes Grafen Eulenbnrg mit der japanijhen Regierung. Cinzug bes Gefandten in Iebbo und Aubdienz beim Minifter des Auswärtigen. Ungünftige Lage der Dinge. Die geographiſchen und politifchen Umriffe des Landes, Verkehr und Stellung ber Fremden in Japan in früherer Beit.

Nach zweitägigem Aufenthalt an unſerm Ankerplatze legte ſich endlich die Wuth des Sturmes und wir konnten unſere Reife fortſetzen. Der günſtige Golfſtrom half uns beveu- tend vorwärts, und am 16. November ſagten wir der Küſte von Formoſa, in deren unmittelbarer Nähe wir uns vier Tage aufgekreuzt hatten, Lebewohl. Je nördlicher wir kamen, deſto ſchwächer wurde der Monſun, und am 20. November erblickten wir Cap Gotto, die weſtlichſte Spitze Japans. Das Ziel war erreicht, wir hatten die Reiſe von Hongkong nach Japan in 20 Tagen zurückgelegt, drei Tage weniger als bisher irgendein Segelſchiff die Tour gegen den Nordoſt⸗ monſun gemacht hat. Von Cap Gotto erſtreckt ſich eine nach Norden gebogene Infelfette in Eurvenforn bis an das Feſt— land von Japan und bildet eine jchöne Bai, Die gegen bie faſt immer bier berrfchenden Nordwinde vortrefflihen Schuß gewährt. Sie ift ver TZummelplag für Tauſende von Fifcher- booten, die hier außerordentlich reiche Beute finden und Nanga-

Werner. I, 2

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ſaki, fowie alle weitlichen Theile Japans und auch China mit Nahrung verſorgen.

Wir ſteuerten ganz nahe unter Gotto hin, um das ſich einige kleine Inſeln gruppiren. Trotz der vorgerückten Jah— reszeit prangten bie Waldungen, welche alle Berge und Thä- fer überziehen, noch in vollem Blätterſchmuck, und dieſe herbft- liche Färbung des Laubes trug nur dazu bei, vie Reize ber Scenerie zu erhöhen. Einen eigenthämlichen Anblick gewährten bie Kuppen aller Hügel und Berge, die, foweit das Auge reichen Tonnte, überall mit einer Reihe hochſtämmiger Fichten bepflanzt waren. Anfangs glaubten wir, es führten Chaufjeen bort entlang; fpäter bemerften wir jedoch die Erfcheinung in ganz Sapan und brachten in Erfahrung, daß die Spiken ber Berge als Wohnfite des Waldgottes betrachtet und deshalb mit der im Lande heilig gehaltenen Fichte zur Ehre des Got- tes bepflanzt werben.

Ein günftiger Wind brachte uns bald vor bie 15 Meilen öftlicd von Gotto gelegene Bai von Nangafal. Um 4 Uhr fam ein Lootſe an Bord, eine Stunde fpäter befanden wir uns in ber Bai, und um 6 Uhr anferten wir bei einer von den Holländern PBapenberg genannten, zuderhutförmigen In- fel, bei der die Bai eine rechwinflige Biegung nach Norden macht, und von der aus man ihre innere Hälfte mit der Stadt Nangaſaki und ihren Umgebungen überfehen Tann.

Wir hatten bereitS viel von der Schönheit des Hafens gehört; unfere Erwartungen wurden aber bei weitem durch die Wirklichkeit übertroffen, und ſoviel ich auch in ber Welt umhergekommen bin, erinnere ich mich nie etwas Aehnliches gefeben zu haben. Rio⸗-de-Janeiro, Liffabon, Konftantinopel werben als bie drei ſchönſten Häfen ver Welt gerühmt, und ich habe bis jet auch diefe Anficht getheilt; aber die Einfahrt von Nangafaft übertrifft fie alfe bei weiten. Es feheint als ob die Natur bier alles concentrirt habe, was fie an roman

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tifcher Schönheit, Lieblichkett und Großartigleit hervorzubringen vermag, und menjchliche Kımft hat, wenn auch unbewußt, vie Harmonie des Ganzen vollenbet.

Die Bai ift 2 Meilen lang und erjtredit fich, wie bereits bemerkt, in einem rechten Winkel, deſſen Spite der Papenberg bildet. Von außen geht fie bis zu dieſem Punkte trichterför- mig zu und wird bei ber Infel nım etwa 1500 Schritt breit. Alsdann erweitert fie fi mieber zu einem freisförmigen Beden, an deſſen Bafis Nangafali erbaut if. Rechts vom Eingange Liegen verfchiedene kleine Infeln, das linke Ufer bildet das Feſtland, und ber ganze Hafen ift gleichfalls von dem letztern eingefchlofien. Die Ufer jelbft find hoch und erheben fich höher, je weiter man nad innen fommt, bis fie im Hintergrunde der Stadt zu 2—3000 Fuß emporfteigen und ihre Spigen fich in den Wolfen verlieren. Alle Berge und Hügel find reich bewaldet. Zwiſchen ihnen öffnen fich liebliche Thäler, welche bie reizendſten Fernſichten gewähren und durch ihre reiche Eultur, vie bis zu einer Höhe von 1000 Fuß die Ahhänge terraffirt und bepflanzt bat, ebenfo den Blick feffeln, wie die einladenden und veinlichen Dörfer, bie, zwifchen gefievertem Bambusgehölz, dem dunkelrothblätteri⸗ gen Zuderohre, vem faftgrünen Laube des Wachsbaumes mit feinen alazienähnlichen Blättern oder zwifchen Obftbäumen theilweiſe verftecdt, bald von einem Plateau auf uns herab⸗ ſchauten, bald in Heinen Buchten erbaut waren, welche ein goldgelber Sandftrand wie ein Gürtel umfpannte. Auf den Spiten der verfchiedenen Hügel fianden Heine Wachthäufer mit ihren Zelegrapbenftangen, die mit Signalen unſere An- funft der Hauptſtadt verfündeten. Bon einer der den Eingang beberrfchenden Batterien, die fo von Bäumen eingefchloffen waren, daß wir fie gar nicht bemerft hatten, bonnerign zwei Schüſſe; ihnen folgten bald darauf vier andere, deren Echo taufendfach in den Bergen und Schluchten widerhallte. Die

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erften beiden verfünbeten, dag ein Schiff in die Bat laufe, bie nier andern, daß das Fahrzeug einer fremden Nation an- gehöre, die noch feinen Vertrag abgefchloffen habe. Weiter nach Norven an der Baſis ver Bai wurden die Dörfer und Häufer gevrängter. Ganz hinten lag Nangaſaki mit feinem Häufermeere in einem Thale zwifchen zwei mächtigen Bergen, unmittelbar vor ihm bie Heine Inſel Defima, die Nieverlaf- fung der Holländer, die 200 Iahre lang ihr Gefängniß ge- weſen it. Rechts wehten vie Flaggen der Amerikaner, Engländer, Franzoſen und Portugiefen über ihren verfchiede- nen Anfievelungen, die ihnen vertragsmäßig zuerfannt find, und bie fih durch romantische Lage auszeichnen. Links von per Stadt befindet fich der innere Hafen mit den fremben Handels- und Kriegsichiffen und den Dichonten des Landes; weiterhin wehte die Flagge des ruffifchen Confuls, und an fie fchloffen fich die Dampfenden Schornfteine ver Meafchinen- fabrif, welche die japanefifche Regierung feit zwei Jahren hat erbauen laffen.

Was an der Bai das Auge fo befonvers feſſelt, ift bie Kieblichkeit ihrer Ufer und ihre verhältnißmäßig geringe Aus- dehnung. Ohne daß man fie Hein nennen könnte, überſchaut man auf einmal alle ihre Schönheiten und wohn man blick, eriftirt fein Punkt, den man ſich anders wünſchte. Alles ift jo zart, fo zierlich geformt, daß man fich verfucht fühlt, bie ganze Landſchaft für die plaftifche Nachbildung eines großar- tigen Modells zu halten und fie auf den Mipptifch zu ftellen. Es Tann nichts Schöneres geben als dieſe nahen Wernfichten, biefe Meiniaturhäufer mit ihren Feldern und Gärten, deren Fuß das tiefblaue Meer befpült, in deſſen jpiegelglatter Fläche bie Uferhöhen ihr Bild reflectiren.

Wir hatten bereits erfahren, daß Graf Eulenburg wäh— rend feines breimonatlichen Verweilens in Jeddo noch feinen Schritt hätte vorwärts thun Können, und daß es deshalb

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ſehr zweifelhaft erfchiene, ob überhaupt ein Vertrag zu Stande fommen würde. Bei der fchroffen Excluſivität des japanifchen Charafters war zu fürchten, daß der Gouverneur von Nanga⸗ ſaki unter ſolchen Umftänden wahrfcheinlich unfer Tängeres Blei⸗ ben nicht geitatten, befondere aber ein näheres Heranfommen an die Stabt verbieten würde.

Um dieſen Befürchtungen ein fait accompli entgegenzu- fegen, das, wie überall in ver Welt, fo auch in Japan ſich Geltung zu verichaffen weiß, fuhr ver Commandant, als er ein Boot mit Negierungsbeamten auf das Schiff zukommen fab, nah Nangaſaki, um für den nächlten Morgen einige drei- Big Yugfirboote zu beftellen, welche bie Efbe hinauffchleppen follten. Er ſelbſt aber bfieb während der Nacht am Lande, um jeder Collifion mit den Behörden aus dem Wege zu _ gehen. Die Beamten beftiegen indeſſen das Schiff, erfundigten ſich durch einen holländiſch redenden Dolmetfcher mit inquifi- toriicher Genauigkeit nach allen möglichen Sachen und hinter- Tießen vorläufig ein Hafenreglement, nach dem jede Commu⸗ nication mit dem Lande unterfagt und bie weitere Beftimmung über das Schiff von ber Entfcheivung des Gouverneurs ab- hängig gemacht wurde.

Am andern Morgen mit Tagesanbruch kamen inbefjen die Yugfirboote, und bie überrajchten Beamten, welche uns gegen 7 Uhr an unferm alten Plate aufjuchen wollten, fahen zu ihrem großen Schreden uns in unmittelbarer Nähe ber Stadt vor Anker. Sie kamen fehr entrüftet an Bord; wir begegneten ihnen jedoch mit einer fo ausgefuchten Höflichkeit, baß die von Haus aus fo wohlerzogenen Leute fich beſchämt anfahen und ihre zornigen Aufwallungen fofort unterbrüdten. Sie hatten vergeflen zu fagen, daß das Schiff feinen Ort nicht verlaffen dürfe und daher ihr anfänglicher Aerger. Seht kam eine Ordre vom Gouverneur, die Elbe habe den Hafen fofort zu verlafien, ba Preußen mit Iapan in feinem

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Bertrage ftehe. Der Commandant erwiberte, es thue ihm leid, dem Wunfche des Gouverneurs nicht nachkommen zu fünnen, da er nach der Ordre feines Gefchwaberchefs in Nan⸗ gafafi deſſen weitere Befehle abzuwarten habe und deshalb unter allen Umftänvden bis zu deren Eintreffen hier verweilen werde. Uebrigens fehe er feinen vernünftigen Grund für das Erfuchen bes Gouverneurs, da doch der preußifche Ge- fandte feit drei Monaten mitten in Jeddo wohne und das preußifche Gefchwaber ebenfo lange auf der Rhede der Haupt- ftabt vor Anfer liege. Nach dieſen Erörterungen, vie Übrigens bei einem Glafe Wein ung einer Cigarre freunbfchaftlicht abgehandelt wurden, Tießen die Beamten den Gegenftand fallen, brachten dafür aber andere Forderungen auf das Ta⸗ pet, die theils abgelehnt, theils bewilligt wırden. So z. 2. wurbe verlangt, daß niemand von der Bejakung mit bem Lande communiciren folle. Als dies entfchtenen verweigert wurde, beftanden die Beamten nicht weiter darauf; Dagegen wurbe unfererjeit3 zugegeben, daß außer dem Boote des Com- mandanten fein anderes Schiffsbont ans Land fahren dürfte, ſondern die Communication mit leßterm durch Regierungs- fahrzeuge vermittelt würde. Zuletzt ſchieden die Beamten in freundfchaftlichfter Weife, und alle Meinungspifferenzen waren zur beiverfeitigen Zufrtevenbeit ausgeglichen. Wir gin- gen an das Land, und der Kommandant war eben im Begriff, dem Gouverneur feine Aufwartung zu machen, als von Jeddo für die Elbe ver Befehl des Geſchwaderchefs eintraf, fofort borthin abzugeben. Die beabfichtigte Viſite wurde unter bie- ſen Umftänben aufgegeben und alles fertig gemacht, um an- dern Tags in See zu gehen. Niemand fchien inbefjen biefe Nachricht ungenehn zu fein als nen Beamten, bie in unferer Abreife die Löfung vieler Schwierigfeften erblickten, in welche fie die Ankunft des Schiffes und unjere Entfchievenheit, zu bleiben, zu verwideln drohten. Wol drei- bis viermal erfun-

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bigten fie fich angelegentlih, ob wir noch nicht fort wollten, und als fie am Abend fahen, daß wir noch immer feine An- ftalt zur Abreife trafen, wurde ein enger Gordon von Wachtbooten um die Elbe gezogen. Wir ignorirten dies jedoch vollftändig, hörten weder auf die Anrufe der Boote, noch ließen wir uns abhalten, ferner. mit dem Lande zu commumiciven, und hatten durch dieſe Hanblungsweife ven Bortbeil, daß uns niemand ernjtlich anzubalten oder zu be- heiligen wagte. Am andern Mittag verließen wir ben Hafen; wir Tonnten wegen unjers Turzen Anfentbalts die Stadt nur im Fluge betrachten und fie in ihren allgemeinften Um⸗ riffen Tennen lernen, Wir glaubten nicht, daß wir noch ein- mal zurückkehren würben und benugten die Zeit, um alle bie Sachen und Sächelchen einzufaufen, welche in Nangaſaki am beiten zu baben find. Porzellan und bie berühmten Lackwaa⸗ ven wurden ansgewählt, bis bie volljtändige Ebbe in ver Kaffe ein Veto .einlegte, und unfere Kammern füllten fich mit den faubern Kiftchen, in welche jeder wenn -auch noch fo geringfügige Artifel von den Japaneſen verpadt wird.

Es war gerade die Zeit der Apfelfinenernte, und auch verfchiedene. Tauſende biefer fchönen Frucht wurden an Bord gefchafft, um auf ver bevorftehenden Reife unfere Mahle zu würzen. Dei fchwachen: nörbliden Winde fagten wir am 25. November mit traurigen Mienen ver Tieblichen‘ Bai Lebewohl, von deren Umgegenb wir uns bei der Ankunft fo viele8 verfprachen, die wir aber nur von Bord hatten an⸗ ſchauen können.

Fünf Monate ſpäter, als alles im ſchönſten Frühjahrs⸗ ſchmuck prangte und blühte, kehrten wir nach dem paradieſi—⸗ ſchen Hafen noch einmal zurück, um vier Wochen dort zu verweilen und uns ſeiner Schönheiten im vollften Maße zu erfreuen. Ich übergehe deshalb vorläufig hier die nähere Schilderung der Stadt, um ſie ſpäter wiederaufzunehmen.

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Seit Hongkong fchien es ‘das Schickſal der Elbe zu fein, mit widrigen Winden zu kämpfen. Sobald wir bie Bat verlaffen hatten, begann das Kreuzen wieder und bie Tour nad) Jeddo war nur eine Fortfegung bes ſchwierigen Wegs von China nah Nangafafi, die durch die Unzuverläſſigkeit der Karten noch gefahrprohender wurde. Am 27. November paffirten wir die Südſpitze Japans, Cap Zichitfchafoff, Liefen durch bie Bandiemensftraße, ſahen zu unferer Rechten des Nachts eine prachtuolle Teuerfäule aus einem der Infeloulfane aufiteigen, und gelangten nach ftürmifcher Fahrt am 3. December vor die Bai von Uraga, die das äußere Beden ver Bucht von Jeddo bildet. Mit anbrechender Nacht anferten wir im Hafen von Yokuhama, einer feit wenigen Jahren mit californijcher Schnelfigfeit emporgewachjenen Stadt, die wegen ihrer für die Schiffahrt günftigern Lage ftatt des in ben Verträgen ftipufirten und zwei Meilen weiter nordweſtlich gelegenen Kanagava als Handeldhafen von Jeddo gewählt ift, bis das leßtere im Jahre 1863 eröffnet werden wird. Das Geſchwa⸗ ber befand fih auf der Rhede von Jeddo; unjern Befehlen gemäß gingen wir am nächſten Morgen dahin ab und trafen am zweiten Zage wohlbehalten bei ven Schiffen ein.

Die Arkona war mit der Geſandtſchaft am 4. September abends vor Jeddo eingetroffen, und die Thetis Tangte am 14. d. M, ebenvafelbft an, ohne irgenpwelche" Stürme gehabt zu haben. Kurz nach der Anfunft ver Arkona erfchien ein Boot mit japanischen Beamten, um fich nach ber Nationali- tät des Schiffes zu erkundigen, und am folgenden Tage ein zweites Boot mit einem Dolmeticher, um alle andern mögli- chen Erfundigungen über Gefandtfchaft, Schiff, Zwecke ver Erpebition u, |. w. einzuziehen und anzufragen, ob bie Ar⸗ fona Kohlen und Waffer bevürfe. Zugleich ftellten der ame- rifanifche Gefchäftsträger, Harris, und er franzöfifche, Duchesne be Bellecourt (der englifche Minifterrefipent Alcock war ver-

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veift), vem Grafen Eulenburg auf zuvorkommende Weife ihre Wohnungen zur Dispofition. Der Gefandte lehnte Dies Anerbieten jedoch ab und prüdte in einem Schreiben an den japanefifhen Minifter des Auswärtigen ben üblichen Wunſch ans, ihm eine paffende Wohnung anzuweifen. Noch am jelben Abend erfolgte durch einen Vicegouverneur ber Stadt bie mündliche Antwort, daß ein Haus zur Aufnahme des Geſandten und feines Gefolges eingerichtet und am nächiten Mittag in Dronung fein werde. Da der Gefandte jedoch auf einer Schriftlichen Benachrichtigung durch den Minifter ver auswär- tigen Angelegenheiten beſtand, fo erfolgte dieſe am nächiten Tage. Dem japanefifchen Driginal bed Brief war eine holländiſche Ueberfegung beigefügt, beides in einer Holzſchach⸗ tel befinplih. Der Einzug des Gefandten in Jeddo wurde auf den 8. September fejtgefegt, und am Morgen dieſes Tages erfchien ein höherer Beamter, um Graf Eulenburg ans Land zu geleiten. Sein Abgang vom Schiffe wurde durch 17 Sd: Intfchüffe der Arkona begleitet, die außerdem mit Flaggen becorirt war. Am Lanbungsplage, wo japanefifche Offiziere zum Empfange des Gejandten bereit ftanden, bildeten bie Seeſoldaten und Matrofen der ihn begleitenden Boote Spa- tier, und Graf Eulenburg beftieg eins ber Pferde, welche von ben fremben Diplomaten ber Geſandtſchaft zur Verfü. gung geftellt worben. Nachdem auch die übrigen Mitglie- der der Exrpebition beritten gemacht waren, ſetzte ſich ber Zug in Bewegung.

Voran ging die Muſik, dann folgte ein Detachement von 40 Seeſoldaten, hierauf der Geſandte mit dem Geſchwa⸗ derchef, Kapitän Sundewall, ſämmtliche Herren ber Beglei— tung und mehrere Offiziere der Arkona; den Schluß bildete ein Detachement Matroſen. Der Zug ging eine einzige gerade Straße entlang durch einen Stadttheil, der zu den weniger ſchönen Jeddos gehört. Aus allen Häuſern kamen Neugierige

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herbei, und augenjcheinlich machte auf bie gaffende Bevölkerung die militäriſche Haltung der preußifchen Seefoldaten mit

ihren Helmen und Gewehren ven lebhafteſten Eindruck.

Bei der Ankunft des Zugs vor Mabani, dem für bie Geſaudtſchaft eingerichteten Haufe, das fehr geräumig und reinlich gehalten war, marfchirten die Seeſoldaten und Ma⸗ trofen durch die geöffneten Thore in den Hof, wo unter mi⸗ litäriſchem Salut an einer Flaggenftange die preußtiche Flagge aufgehißt wurde.

Nach einem im Empfangsfaale eingenommenen Frühſtück, das aus Dbft, Thee und Kuchen beftand, erfchienen bie beiden Gouverneure Safai-ofisuoscami und Horlsoribe-no-cami mit einem officiellen Spien, dem Dolmetfcher Morijama Zafitrigo, und zahlreichem Gefolge. Beide beglückwünſchten ven Gefandten im Namen ber Regierung wegen ber glüdlichen Ankunft und überreichten demfelben einen ladirten, reichvergolbeten Kaften mit Confituren zum Geſchenke. Zugleih machten die Gou- verneure dem Geſandten nach einer Menge Höflichfeitsphrafen den Vorfchlag, mit ihnen fogleich wegen Abſchluß eines Hans belsvertrages in Unterhanblung zu treten, wozu fie bevoll- mächtigt fein. Der Gejandte erklärte jedoch, zuvor erft einem ber Meinifter vorgeftellt werden zu müſſen. Die ganze Unterhandlung wurde von japanefifhen Beamten, die hinter pen Gouverneuren jaßen, aufgezeichnet. Während bes Ab- fchievs der Gouverneure, denen von der im Hofe aufgeftellten Manufhaft die militärischen Honneurs zu ihrer großen Be— friebigung erwieſen wurden, zeigte man denſelben auf ihren Wunſch ein Zündnadelgewehr. Die Leichtigfeit und Einfach- heit bes Ladens fegte fie in nicht geringes Erftaunen. Uebri« gens hatten fie ein fohnelles Verſtändniß für die Wirkung ver durch Friction der Nabel hervorgebrachten Entzündung des Schuſſes; fie begriffen jogleich die Nehnlichkeit des Vorgangs mit dem Reiben und Entzünden eins Zündhölzchens. Nach

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ber Entfernung der Gounerneure Fehrten bie Matrofen und Seefolvaten, letztere bis auf eine Leibwache des Geſandten von 10 Mann, an Bord der Arkona zurüd.

Am 9. wurde der Geſandtſchaft ein japanefifches Bewill⸗ fommmungspiner ferbirt. Am 10. brachten die beiden erwähn⸗ ten Gouverneure Graf Eulenburg die Nachricht, daß er am 14. vom Miniſter des Auswärtigen werde empfangen werben, und am 13. waren beide Herren bei unferm Gejandbten zum Diner. Sie erfchienen mit ihrem Spion und dem Dolmetfcher. Der eine verjelben verriet eine ſeltſame Wißbegierve, notirte ſich mit großer Sorgfalt jeden auf dem Tiſche befinnlichen Gegenftand, die Reihenfolge ver Speifen, widelte fich außer⸗ dem eine Probe von jedem Gerichte in Papier und ftedte alles gravitätifch zu fi. Bei ihrer Ankunft hatten die Gou- verneure ein Geſchenk von Thee und Eiern mitgebracht. Zeßtere gelten als Geſchenk für glückbedentend und ſegen— bringend, während ein Geſchenk von’ Thee allein nur bei Todesfällen üblich tjt. Am 14. September nachmittags 2 Uhr fette fich vom Geſandſchaftshauſe aus der Zug in Bewegung, um fih nach der Wohnung bes Miniſters des Auswärtigen zu begeben. Der Weg dahin wurde dem Herkommen gemäß in Sänften (Norimons) zurückgelegt. Acht Träger trugen den Gefandten, dem der amerifanifche Minifterrefivent jeine Sänfte ftatt der unbequemen japaniſchen zur Dispofltion ge ftellt hatte. Vor dem Inge wurbe die Sänfte eines ben Weg zeigenden japaniichen Offizters getragen, dann folgten 2 Matrofen mit der preußifchen Flagge, von 2; Seefolbten begleitet. Hiernächſt kam die Sänfte des Gefandten, Hinter biefer 2 Diener, dann das von einem Diener geführte Pferd bed Gejandten. Den Schluß machte das aus 9 Berfonen beſtehende Gefolge des Grafen, theils in Sänften, tbeils zu Pferde. Zehn Jakonins (Boltzeioffiziere) begleiteten ven Zug und forgten für die Ordnung. Nachdem ber Zug an dem

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vornehmern, ven kaiſerlichen Palaft umgebenden Stadtviertel angelommen, paffirte er eine Brüde und gelangte durch ein bewachtes Thor unter einen mächtigen aus Riefenblöden ohne Mörtel gebildeten Wal. in zweiter breiter Graben wurde hierauf überfchritten, und hinter einem zweiten Wall und Thor zeigte fih ein britter Wall nebjt Graben. Diefer innerjte Raum, der die Schlöffer des Kaiſers einjchließt, durfte jedoch nicht betreten werden und ift jedem Europäer verfchloffen. Der Zug langte endlich vor einem maſſiven Thore an ber Weg bis dahin war etwa eine Stunde lang und bie Preußen wurden zu Fuß in einen Hof und über einige Stu- fen in ein Daus geleitet. In dem Vorzimmer befjelben empfin- gen die beiden Gouverneure den Gefandten und führten ihn nebft jeiner Begleitung in das Audienzzimmer. Hier empfing ihn der Minifter des Auswärtigen, Ando - Rufima-no-camt, von dem fogenannten jüngern Reichsrath umgeben. Nachdem das Gefolge vorgeftellt war und ſich dem Ceremoniell gemäß in das Nebenzimmer zurüdgezogen hatte, begann die Audienz. Auf der einen Seite nahm ver Gefandte, der Attache du jour der Legation und der Dolmetjcher des amerikanischen Reſi⸗ benten, auf ber andern der Minifter nebft dem Reichsrathe Platz. Bor jeder Perfon ftand ein Tiſchchen mit Thee, Ku⸗ ben und Obſt. Auf einem befonpern Stuhle nahm abwech- jelnd einer der Gouverneure Plab, einige andere Gouverneure (Jeddo zählt deren mit den Vicegouvernenren 10 und außer⸗ bem einen für jede kaiſerliche Stadt) befanden fich in ber *Entfernung; in der Mitte des Zimmers faß der japanifche Dolmetjcher, während hinter dem Minifter 2 Berfonen auf dem Boden Tauerten, anfcheinend ohne alle Beichäftigung. Während des Geſprächs, das fih anfangs um allgemeine Gegenftände bewegte, wurde von Dienern, die feierlich und leife einer hinter dem andern herfchritten, Thee in ladirten Taſſen fervirt, welche die Diener in der Höhe des Kinns

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trugen. Aus Rückſicht auf europäifche Gewohnheiten wurde auch Zuder gegeben. Der Anzug des Miniſters und ber . Reichsräthe war fehr geſchmackvoll. Weber einem fehr fchönen Dberkleive von Seide trugen fie eine Art Mantille von ſchwarzem ſtrepp. Das fichtbare Untergewand war gleichfalls in Stoff und Farbe fehr geſchmackvoll. Nach einigen fcherz- haften Wendungen des Geſprächs, worin bie im übrigen ernften unb würbevollen SIapanefen viel Gewanbtheit und Leichtigkeit des DBenehmens verrietben, kam man auf ven ei- gentlihen Zwed der Geſandtſchaft; die Unterhaltung dauerte etwa zwei Stunden, und man trat dann ben Rückweg zu Pferde an.

Am 19. überbrachten bie beiden. mehrerwähnten Gouver⸗ neure dem Gefandten ein volumindfes fapanifches Aetenftüd nebjt holländiſcher Ueberſetzung, welches eine Eröffnung bes Ministers des Auswärtigen enthielt.

Daranf befehräntte fich jedoch drei Monate lang ber ganze Fortſchritt, welchen Graf Eulendburg in Bezug auf den Ber- trag machte. Bei unjerer Ankunft waren die Verhältniſſe nicht fehr ermutbigend. Die zögernde und abwehrende Politik des Eniferlichen Hofes Tieß noch nicht im entfernteften ben Zeitpunkt des Vertragsabichluffes durchblicken, und vie Unter- hanblungen befanden fich genau auf vemfelben Punkte wie am 19. September, d. 5. es war durchaus nichts Pofitines erlangt. Auf alle Anträge des Gefandten wurde ausweichend geantwortet, und e8 war Har zu burchfchauen, daß man ihn durch beftänniges Hinhalten zu ermüden und auf dieſe Weife“ fich feiner zu entledigen hoffte. Graf Eulenburg fette indeſſen allen Winfelzügen und Machinationen, die vielleicht durch fremde Intrigue genährt werden mochten, eine unerfchütter- liche Ruhe entgegen. Gleich bei feiner Ankunft erflärte er ben japanischen Behörden, er habe gar Feine Eile, könne 8—10 Monate in Jeddo bleiben und erwarte ein Transport-

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Schiff, um das Gefchwaner für dieſe Zeit mit den nothwenbigen Bevürfniffen zu verjehen. Die Japaner bebarrten trotzdem in ihrer angenommenen Stellung, bis etwa 14 Tage nad unferer Ankunft ein Umſchwung ver Verhältniffe erfolgte und die Sache auf einmal mit aller Energie, die einem fo um- ftändlichen Wolfe wie den Japaneſen überhaupt möglich ift, in Angriff genommen wurde. Ob man aus ber Ankunft der Elbe entnehmen zu müffen glaubte, daß bie Geduld des Ge- jandten wirklich unerfchöpflich fei, oder ob ein Miniſterwechſel andern Anfichten Eingang verfchaffte, vermag ich nicht zu entjcheiden genug die Sache ging vorwärts, und wenngleich fih noch manche Schwierigleiten erhoben, war doch der Vertrag Mitte Januar 1861 fertig und am Ende vefjelben Monats von ben beiverfeitigen Contrahenten unterzeichnet. Leider konnte Straf Eulendburg nur einen Abſchluß für Preußen und nicht, wie er beauftragt war, für den Zollverein und bie Hanfeftäbte erlangen. Um bie Verhandlungen nicht ganz und gar jcheitern zu laffen, mußte er fein Programm mobiflciren, da die japa- neſiſche Regierung von einem Vertrage mit einem Staaten- verbande, ver fein fichtbares und machthabendes Oberhaupt aufzuweiſen vermochte, durchaus nichts willen wollte, _

Bon dem Perſonal des Gefchwabers wurde inbeffen ber fünfmonatliche Aufenthalt der Schiffe auf das befte benukt, um Land und Leute nach allen Richtungen bin zu erforfchen und über das feit 200 Jahren abgefchloflene Reich möglichit genauen Aufichluß zu erhalten. Wir waren bie erfte Nation,

® ver es geftattet wurde, Jeddo in fo großer Anzahl und auf jo lange Zeit täglich zu bejuchen. Die Amerifaner und bie übrigen Vertragsmächte waren nur bis Kanagava gefommen, die Preußen befanden fich oft wochenlang in der Hauptitabt. Die Offiziere der Arkona vermaßen die Bat von Jeddo und fertigten eine genaue Karte davon an. Die Naturforicher, Gelehrten und Civileommiſſare wohnten theils in Jeddo, theils

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in Yokuhama, und der Freundlichkeit des Gefandten verdankten e8 bie Offiziere des Geſchwaders, daß fie abwechfelnd vier bis fünf Tage in Akabani wohnen konnten. Dies war äußerft angenehm, da das flache Wafler in der Bat bie Schiffe faft eine Meile vom Ufer entfernt bielt und bie Communication mit dem Lande fehr weitläufig und beſchwer⸗ lich wurbe. |

Zugleich erhielten wir dadurch Gelegenheit, Iapan gründ- licher und befier als irgendjemand vor uns fennen zu lernen. Ein jeder von uns beobachtete, und die einzelnen Wahrneh- mungen wurden fpäterhin ausgetaufcht und befprocdhen. Es fiel dadurch die fubjective Auffaſſung weg, und das ſich unferm Geifte einprägende Bild wurde ein möglichft objectives und wahres. Daß wir nur Jeddo und feinen Umkreis von einigen Meilen kennen lernten, beeinträchtigte das Bild nicht. In Iapan ift alles fchematifirt; in der Hauptſtadt concentrirt ſich alles Eigenthümliche des Landes und feiner Bewohner, und e8 bleibt in dieſer Beziehung wenig Hinzuzufügen oder zu ändern, ob man auch das Reich feiner ganzen Ausbehnung nach durchreiſt. Davon Tann man fich hinlänglich Überzeugen, wenn man von Jeddo nach Nangafafi kommt. Was nicht zufällig durch territoriale Verbältniffe nuancirt wird, tft eine genaue Copie der Hanptftadt; Menfchen, Sitten, Gewohn- heiten, Tracht, Häufer alles ift genau baffelbe.

Ich will daher im Nachſtehenden verfuchen, dem Xefer unfere gemeinfchaftlichen Beobachtungen in möglichft fuftema- tifcher Weife vorzuführen, muß aber zugleich bevorworten, daß fie für denjenigen, ver Kämpfer gelefen, wenig Neues, wenn auch wielleicht manches von andern Gefichtspunfkten auf- gefaßt, bieten werben. Kämpfer, ein Deutſcher von Geburt, der 16% in Nangaſaki als Arzt der holländischen Factorei lebte, verweilte zwei Jahre in Japan und machte zweimal bie Gejanbtichaftsreife nach Jeddo mit. Ueber feine Er-

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fahrungen gab er nach feiner Rückkunft in feiner Heimat ein größeres Werk heraus, das zwar fehr felten geworben ift, aber jevenfall® bis zu dieſem Augenblide bie befte Arbeit über Japan bildet. Wir, die wir fo lange und unter fo günftigen Umftänden im Lande waren, können dies am beften beurtbeilen. Faſt alles, was der Autor in feinem Buche fagt, haben wir genau fo gefunden, und wenn biefer Umſtand einer- ſeits einen Beleg für die jahrhundertlange Stabilität der Berhältniffe Iapans gibt, Liefert er andererfeit8 einen Beweis für die fcharfe und unpartetifche Beobachtung des Verfaſſers, deſſen Werk mit der Gründlichkeit eines deutſchen Gelehrten gefchrieben if. Wollte man jest ein Werf über Japan Schreiben, fo könnte man nichts Geſcheidteres thun, als bie Sade in dem Kämpfer’fchen Buche unferm Geſchmacke noch etwas mundgerechter zu machen, font aber nur in Anmer- fungen basjenige hinzuzufügen, was die einer Gefangenjchaft ähnliche Freibeitsbefchränfung Kämpfer's fowie überhaupt ber Holländer auf Defima dieſen nicht zu ſehen oder genauer zu beobachten gejtattete.

Japan (im Lande felbft Nipon ausgefprochen und von dem dhinefifchen Jih-pun dftliches Land abftammend) ift ein Archipel von größern Injeln, deren drei bebeutenbte Jeſſo, Nipon und Kiuſiu zwifchen 45 und 31° nörbl. Breite und zwifchen 126 und 145° öftlicher Länge von Greenwich fich in einer perpendikulären Ausdehnung von über 200 Meilen erſtrecken. Alle drei Infeln find mit einer Menge hoher Vul- kane befeßt, und Nipon wirb feiner ganzen Länge nach von einer mächtigen Gebirgsfette purchfchnitten, welche die Waſſer⸗ ſcheide der Inſel bildet und deren Spiten von ewigem Schnee bededt find. Unter dieſen Gipfeln nimmt ver circa 25 Meilen von Jeddo gelegene Fufinsyama, ver Berg von Full, von 14,000 Fuß Höhe, ven erften Rang ein, da er, wie der Pic von Teneriffa, ven Seeleuten durch fein jchneegefröntes Haupt

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30 Meilen weit als vortreffliche Landmarke dient und ben Weg zum Hafen zeigt. Die Zlüffe, welche das Land durch⸗ ftrömen, find weber zahlreich noch für die Schiffahrt wichtig. Ich kann mich daher ihrer Aufzählung und nähern Befchreibung füglih enthalten und will nur den in die Bat von Jeddo fallenden Todagawa erwähnen, deſſen Kanäle die Hauptftant jpeifen. Ueber einen biefer Kanäle führt die berühmte Brüde von Japan, Niponbas, welche als Ausgangspunkt für alle Entfernungen im ganzen japanifchen Reich gift.

Japan zerfällt in acht größere Lanpftriche, die Do oder Wege heißen und zufammen 68 Provinzen enthalten, welche ihrerfeitS wieder 622 Diftricte bilden. Bon den erftern iſt Goknai⸗Do als Domäne des geiftlichen Kaifere mit ber Hauptitant Miako hervorzuheben.

Das Land befitt zwei Herrjcher, einen geiftlichen, ven Dairi oder Milano mit der fcheinbaren, und den Siogun, Zeufun oder Taiko, d. h. den weltlichen Kaiſer, mit ver wirk⸗ lichen Macht, die jedoch durch die Vafallenfürften oder Daimios jo befchräntt wird, daß er nur in einem Tleinen heil des Landes, zu denen bie Städte Jeddo, Hakodade, Simoda, Oſaka und Nangafaki gehören, wirklich als Herricher zu be fehlen hat.. Das Verhältniß der Daimios zum Teufun Täßt fihb am beften mit den feudalen Zuſtänden des mittelalter- lichen Deutfchland vergleichen. Die VBafallenfürften find dem Kaifer fcheinbar unterthan, thun aber was fie wollen, feßen ihn ab, ermorven ihn auch wol, wie dies während unferer Anwefenheit mit dem Negenten (der gegenwärtige Teufun ift minberjährig) auf offener Straße gefchab, und einzelne, wie 3. B. der Fürft von Satzuma, erfcheinen auf ihrer jährlichen Huldigungsreife in Jeddo mit einer Escorte von 40,000 Mann bei Hofe. |

Ueber die Gefchichte Japans will ich mit kurzen Worten hinweggehen, da viefelbe in ven betreffenden "Werfen viel

Werner. 11. N 3

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befjer nachgelefen werben kaun. Die erſten Nachrichten von ver Exiſtenz des Landes haben wir durch Marco Polo, einen italienischen Kaufmann, der zu Ende des 13. Jahrhunderts faft ganz Wien vurchreifte, von China auch nah Japan ge= gelangte und diejes in ‚feinem Reiſewerke mit dem Namen Zipangu belegte, eine Korruption des chinefischen Sih⸗bun⸗quo, Königreich des Oſtens. Der Mongolenherricher Kublai- Khan, an beffen Hofe Marco Polo 17 Jahre lebte, ein Enkel des berühmten Dfehingis-Khan, hatte ganz Alten mit feinem Heere überflutet und wollte auch Japan erobern, wurde aber mit feiner 600 Schiffe ftarfen Flotte, wie einft die ſpaniſche Ar- mada, durch einen Sturm zurüdgeichlagen. Dies geſchah 1275. Bis 1545 verfanf Iapan wieder in gänzliche Vergeſſenheit. Dann wurde es aufs neue durch Portugiefen entdeckt, und dieſe fnüpften mit Japan Handelsverbindungen an, an benen fich bald andere europäiſche Notionen betheiligten. Francis Aspilcota Xavier, ein Freund Loyola's und Mitbegründer des Jeſuiten⸗ ordens, ging von Goa als Miffionar nach Japan und fand gute Aufnahme. Der König von Satzuma erlaubte durch ein Edict allen feinen Untertbanen die Annahme des neuen Glaubens, und das Chriftenthbum faßte Schnell Wurzel. Der Prinz von Ximo räumte ven Chriften 1568 Nangaſaki ein, das damals noch ein Kleines Fiſcherdorf war, ſich aber in Fürzefter Zeit zu einer bebeutenden chriftlichen Stadt mit Kirchen, Klöftern und Schulen emporſchwang und zugleich ein blühendes Empo- rium des Handels mit China wurde.

Der übertriebene Glaubenseifer der Miffionare, die auch nach weltlicher Herrfchaft ftrebten, bie Intriguen der übrigen Mönchsorden, welche die Sefuiten verdrängen wollten, hatten jedoch in Japan biefelben Refultate wie in China. Zuerft wurben bie Chriften ausgewiefen, dann begann eine Priefterverfolgung und ſchließlich wurde das Chriftentbum auf die graufamfte Weiſe ausgerottet. Gleichzeitig verjchloß die Regierung das Land

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im Jahre 1638 gegen alle Ausländer mit Ausnahme ver Holländer, bie bei Belagerung der Feſtung Ximabara bei Nangafafi, dem legten Bollwerfe ver einheimifchen Chriſten, Hülfe geleiftet und zu beren Zerftörung ihre Gefchüge geliehen hatten. Aber auch fie wurden auf die Heine Infel Deſima verwiefen, wie Gefangene gehalten und den größten Demüthigungen ausge- jeßt, die nur die ſchnödeſte Gewinnfucht zu ertragen -ver- mochte. Dean bewachte und behandelte fie wie Verbrecher und zog mit der Zeit die Schranken immer enger. Anfäng- lich war ihnen geftattet, jährlich mit 4 Schiffen Handel zu treiben, zu Kämpfer's Zeit nur noch mit 2, und feit An- fang dieſes Jahrhunderts durfte nur 1 kommen. &benfo wurde die Gefandtfchaft, welche früher jährlich nach Jeddo ging, nur alle 4 Jahre befohlen, und wahrfcheinfich hätten bie Holkänder, deren Handelsgewinn fchließlich kaum die Koften ber Factorei vedte, alle Verbindungen felbft aufgegeben, wenn nicht die amerifanifche Expebition in ven Jahren 1853 und 1854 Japan ber Welt geöffnet und einen neuen Zuftand ber Dinge herbeigeführt hätte. Die Gefchichte dieſer Expedition ift bem gebildeten Publikum jo befannt, daß ich fie nicht weiter zu berühren brauche.

Ich führe die Lefer num nach Jeddo, der japanischen Kaiſer⸗ ftabt, pie wir durch einen monatelangen Aufenthalt daſelbſt genau fennen lernten, und an deren Befchreibung ich qlles das knüpfen werde, was bazu dienen Tann, ein getreues und möglichit vollſtändiges Bild des merkwürdigen Landes zu geben.

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21.

Die Baivon Jeddo. Aeußerer Charakter, Feftungswerfe, Umfang und Be-

völferung der Stadt. Die Jakonins als Beauffichtiger der Fremden. Bau

und Einrichtung der japanifchen Hänfer. Die Daimios und ihre Stellung

als Feudalberren zum Volke. Die Vorbereitungen ber focialen Revo⸗

Iution durch die Eröffnung des Landes. Schwierige Lage der Regierung

gegenüber der Adelspartei. Feuersbrünſte und Feuerspolizei in Jeddo. Die Gärten und der Naturfinn der Japaneſen.

Jeddo liegt an der Südküſte der Inſel Nipon, an der Baſis einer Meeresbucht, der Bai von Jeddo, die ihrerſeits

wieder der Einſchnitt einer größern Bucht, der Bai von

Uraga iſt. Die ſüdweſtliche Spitze dieſer letztern bildet das Cap Idzu, die ſüdöſtliche Cap Awa, und während von hier aus die Küfte fich in nörplicher Richtung und ziemlich gerad- Iinig bis Jeddo erftredt, biegt das gegenüberliegende Ufer fih ebenfalls erft nörblih, aber dann wieder ſüdöſtlich und bildet das Cap Sagami, eine Lanpfpite, die ben wweftlichen Eingang der Bucht von Jeddo bezeichnet. Die lettere hat am Eingange eine Breite von 14, geographlicher Meile, er- weitert ſich aber fpäter zu einer Kreisform von 3 Meilen Durchmeffer, und an der Bafis derfelben liegt Jebbo. Bis 2 Meilen von der Stadt ift das Fahrwaſſer für jede Art von Schiffen tief genug, e8 wechjelt zwifchen 8 und 10 Klaf⸗ tern. Weiter nördlich flacht es jedoch bedeutend ab, und größere Schiffe können ſich Jeddo nur bis auf 1 Meile nähern. Wahrzeuge von nicht mehr als 10—12 Fuß Tief- gang können zwar eine Viertelmeile weiter heranfommen, die Stadt

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felhft aber ift nur mit ganz flach gehenden Booten zu er- reichen. Die Deffnung Jeddos als Handelshafen ift für das Jahr 1863 ftipulirt, aber meiner Anficht nach bürfte, abge- fehen von andern Unbequemlichkeiten, das feichte Wafler fo- wie der Umſtand, daß bie Rhede nach Süden zu ganz offen und gegen Zeufune nicht gefchäßt ift, Jeddo nie zu einem bedeutenden Handelshafen werben laffen; vielmehr wird Yoku⸗ hama am weftlichen Ufer der Bai der Hafen der Hauptſtadt bleiben,

Das Aeußere der Stadt entfpricht durchaus nicht ven Borftellungen, die man fich von einer Metropole von 5 Milli- onen Einwohnern macht, und wie man fie aus den übertriebenen Schilderungen früherer NReifenden gewonnen hat. Jeddo Tiegt in einer Ebene, die nur durch niedrige Hügel unterbrochen wird und welcher ber Hintergrund fehlt. Im Nordweſten fieht man bei gutem Wetter in weiter Ferne ven Höhenzug fhimmern, der Nipon ber Länge nach durchſchneidet; aber feine Conturen find jo matt, daß ſie nichts“ zur Hebung ber Laudſchaft beitragen, und ber einzig fehöne Punkt ift der er- wähnte und weſtlich gelegene Fuſinohama, ber heilige Berg der Japaneſen, der in allen ihren Büchern, auf allen Lad- fachen und auf ihrem Porzellan abgebildet erfcheint. Der Berg bat die Form eines abgeftumpften Kegels, deſſen fchneebevedter Gipfel, troß der Entfernung von 25 Meilen, fich uns faft täglich unverfchleiert zeigte und, in ben Strahlen der Sonne leuchtend, einen überaus prachtvollen Anblid gewährte.

Jeddo befigt außer einer mehrftöcdigen Pagode, die ben fatjerlichen Balaft überragt, und einigen Tempeln, die auf Hügeln erbaut find, Teine hervorſpringenden Punkte. Sämmt⸗ liche Häufer find, wie ‚überall in Japan, wegen ber häufigen Erdbeben von Holz und einftödig aufgeführt. Eigentlich haben fie zwei Etagen, bie zweite tft aber unbewohnbar, weil jo niebrig, daß man nicht aufrecht barin fiehen Tann,

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Deshalb läßt ſich die Stadt trog ihrer angeblichen 5 Millionen Einwohner mit den größten Städten Europas nicht vergleichen. Bon unferm Ankerplatze aus wurbe uns ihr Anblid überhaupt burch eine Reihe von fünf Forts entzogen, bie auf aufgefchiltteten Inſeln in einer Oſt- und Weftlinie quer vor der Stadt liegen, jeven Angriff von feewärts abwehren follen und noch nahe genug an ber Stadt ftehen (3000 Schritt), um nöthigen- falls dieſe ſelbſt zu bombarbiren. Diefe Forts find zuſammen mit circa 300 Geſchützen armirt und decken ſich gegenſeitig. Sie beſtehen aus Mauerwerk mit einer Bruſtwehr von Erbe ohne Schießfcharten, d. h. die Geſchütze fchießen über Bank und alle fünf find Treisförmig und faft gleich groß. Nach ihrem Aeußern zu urtheilen find fie .nicht über 50 Jahre alt, jedoch habe ich nicht erfahren Tönen, wann fle erbaut wurden. Man jagt, die Iapanefen haben ruffifche Ingenieure pabei gehabt. Dies bezmweifle ich; aber wenn es wahr ift, fo haben die Ruſſen bei dem Bau daran gedacht, daß ſie über kurz oder lang felbft m ven Fall kommen Tönnten, bie Forts zu erobern und haben fte für biefen Zweck eingerichtet. Von außen fehen fie furchtbar genug aus; Hat man fie jedoch in der Nähe betrachtet, jo wird ein muthiger Mann ſich feinen Augenblick befinnen, fle mit ein paar Hundert Leuten anzugreifen und alle fünf in wenigen Stunden ‚zu nehmen. Die Eingänge zeigen ſämmtlich nach Norden, ein hölzernes Thor verfchließt fie, und fie führen ohne Zugbrücke oder Graben direct in daB Innere. Vom Thore leitet ein circa 50 Fuß langer und 12 Fuß breiter bequemer Steindamm in das Wafler, an dem 10. Boote zu geicher Zeit anlegen und mehrere 100 Mann nebft Artillerie ausfchiffen können. In dunkler Nacht Tann dies gefchehen, ohne daß es von ben Forts bemerkt wird, und follte e8 bemerkt werben, fo läßt es fih von feiten ver Befakung nicht hindern, da bie An- areifer bis unmittelbar unter die hohen Mauern rudern können

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und dann ſowol gegen Geſchütz- als Gewehrfeuer gejchüßt find, während eine ihrer zwoͤlfpfündigen Bootsfanonen fofort den ſchwachen Kehlverſchluß zu fprengen und ihnen ben bireeten Marſch ins Innere der Forts zu erzwingen vermag. AS während unferer Anweſenheit fich eine Zeit Tang die Verhält⸗ niffe für die Fremden fo drohend geftalteten, daß alle Ge⸗ fandten, mit Ausnahme des preußiſchen und amerikanischen, Jeddo verließen und man nach der Ermordung des amerika⸗ nifchen Legationsfecretärs Heusfen, unſers Dolmetfchers, eine alfgemeine Maffacre ver Europäer erwartete, lag e8 im Plane der auf ver Rhede liegenden Kriegsſchiffe, bei dem Kintritte eines folchen Ereigniſſes fofort auf dieſe Weife die Forts zu erftürmen und dadurch ganz Jeddo in die Hand zu befommen.

St man durch die Forts gerubert, fo befommt man zu- erit eine Zotalanfiht der Stadt, d. h. man fieht zwei, drei Meilen weit die ganze Bafis der Bucht mit einer ununter- brochenen Reihe von Häuſern befegt, und ebenfo zeigt ſich dem Blicke norvwärts ein unabfehbares Meer von grauen Dächern, das bier und Dort durch Hügel, welche mit Tentpeln gefrönt find, oder durch Gärten, Baumgruppen, terraffirte Felder eine Abwech⸗ felung erhält, welche das Auge angenehm berührt. Allein etwas Großartiges Tiegt in der Scenerie nit, und es fehlt, wie ich ſchon bemerkt, Jeddo ganz und gar ber Eindruck einer großen Stadt. Man glaubt einen Complex von großen wohlhabenden Dörfern vor fih zu haben, und das einzige, was ftäbtifch ausfieht, tft der auf einer Anhöhe gelegene, von Steinen aufgeführte und von heben Feftungswerfen umgebene Palaft des Teufun, aus deſſen Mitte eine Tuftige Pagode in die Ferne Schaut. Diefer Palaft hält mit allem Zubehör un- gefähr eine Meile im Umfange, und wer plötzlich unbewußt nad) Jeddo füme, würde ihn für eine Etabt, die verſchiedenen Theile von Jeddo aber fir Vorſtädte oder herumliegende Dörfer anfehen. Nach alten geographifchen Angaben foll Jeddo 3 Meilen

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lang, 2%, Meilen breit fein und, wie ſchon erwähnt, 5 Millionen Einwohner haben. Wir gebrauchten circa 3 Stunden, um im Trabe die ganze Stadt zu umreiten, ſodaß ihr ganzer Umfang höchſtens 3—4 Meilen beträgt, und obwol fie unge- mein bicht bevölfert ift, dürften 2%, Millionen Einwohner der Wahrbeit näher kommen ale 5.

Unfer Geſandtſchaftshotel befand ſich in Alabani, einem Haufe unweit ver „Brüde von Japan“ und etwa 3000 Schritte vom Landungsplage entfernt. Diefer letztere lag beim Zoll- baufe in einem Kleinen, durch Pfähle gebildeten Bootshafen, und man ftieg von biefem in einen geräumigen Hof, ver durch eine Mauer von der Stadt abgetrennt und für gewöhn- ih verfchloffen: gehalten war. Ueber dieſen Hof binauszu- gehen wurde unfern Matrofen nicht gejtattet; nur wenn ein Offizier etwas zu tragen hatte, Tonnte er einen oder mehrere von den Lenten mit in die Stadt nehmen. Bei außergewöhn- lichen Gelegenheiten, wie beim Cin- und Auszuge unfers Gejandten oder dem Begräbniffe des Dolmetjchers Heusken, wo unfere Leute zu Hunderten und beivaffnet erfchienen, machte man jedoch Feine Schwierigkeiten, fie in bie Stadt zu laſſen, und ich glaube, daß ſich auf dem Geſchwader Fein "einziger Mann befindet, der nicht Jeddo kennen gelernt

hätte. |

Wir Offiziere fonnten gehen, wo wir wollten, aber nie ohne Begleitung von zwei bis drei Beamten, die man vorgeblich uns zum Schuge octropirte. In Wirklichkeit jedoch waren biefe Leute nur Spione ber Regierung, die uns auf Schritt und Tritt überwachten, fich vollftändig an unfere Werfen hefteten und uns durch ihre Unverfchämtheit bisweilen fo in Wuth brachten, daß wenig daran fehlte, ihnen zu begegnen, wie bie Amerikaner es gemacht hatten, d. h. fie mit Fußtritten oder ber Keitpeitjche zu tractiren und von und fern zu halten.

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Dieſe läſtigen Menſchen waren für uns das einzige Störende in Japan oder vielmehr in Jeddo, da ſie in Yolu- hama und Nangafafi uns nicht behelligten, und ich kann mir lebhaft vorftellen, wie fie bie polizeifreien Yanfees zur Ver: ‚zweiflung gebracht haben. Gleich beim Zollhaufe war eine Station dieſer doppelt befchwerterten Jakonins, wie fie heißen, unb nicht eher wurde die Thür nach der Straße geöffnet, bis dieſe Herren ihre Pfeifen eingepadt, ihre Strobfandalen angezogen und Xoilette gemacht hatten. Anfänglich waren wir beſcheiden und warteten auf fie, fpäter fiel jeboch bie Kückficht fort; wir gingen direct und mit ſchnellen Schritten auf das Thor los, und die Jakonins ftürzten wie Habichte hinter uns ber. Bei fchlechtem Wetter fiel ihnen dies jehr fhwer, und wir konnten une bie Heine Rache nicht verfagen, mit unfern großen Stiefeln jo fehnell als möglich durch den Schmuz zu geben, wo dann die. armen Poliziften auf ihren jtelzenartigen Holz-Galofchen nur auf einige 100 Schritt Ent- fernung und in fteter Gefahr Hinzufallen uns zu folgen ver- mochten. Diejelben Jakonins geleiteten uns immer nur eine furze Strede bis zur nächſten Polizeiftation, und wir hatten damit Gelegenheit, die Vielfältigkeit diefer Inftitute zu be- wundern, deren e8 bis zu unferm Gefundtfchaftshotel, einer Strede von 3000 Schritt, nicht weniger als acht gab. Nach bem Syſtem bes Mistrauens und Spionirens, das die ganze ' japanifche Regierung von oben herab charalterifirt, begleiteten uns ſtets zwei, ja oft drei Jakonins pro Perfon, und wenn wir eine Partie machten, hatten wir bisweilen 20 30 biefer Herren in unferm Gefolge, die uns mit Argusaugen bewachten und alles Auffällige notirten, um es höhern Orts zu rapportiren. Das nebenftehende Bild ftellt nach einer Photographie einen der Jakonins dar, welche vom Gefandt- Ihaftshotel ans unfere täglichen Begleiter waren. Anfänglich höchft unliebenswürbig, zeigte berjelbe fpäter ein großes In-

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teveffe für die Preußen und hat ung während ber Ießten Monate unjerd Aufenthalts manchen freundſchaftlichen Dienft geleiftet. |

Als ich. zum erften mal die Straßen von Jeddo betrat, brängte fid mir unwillfürlich eine Vergleihung mit Kanton auf, und, wie ſchon in Nangafati, lehrte auch bier ein einziger Blid auf Straßen, Menfchen, Häufer, daß Japaneſen und Chinefen weder demſelben Menjchenftamm angehören, noch daß fie auf derſelben Culturftufe ſtehen. Iapan bat China bei weitem überflügelt, barüber Tann fein Zweifel befichen und es würde fich ebenbürtig ben civififirteften Staaten Eu⸗ ropas an bie Seite ftellen, wenn es während ber leßten 200 Jahre oder auch nur fo lange wie China mit biefen in Berührung gewefen wäre.

Jeddo ift nach einem beftimmten Plane angelegt und Hat faft nur gerabe, fich in gewiffen Zmifchenräumen und recht- winklig durchſchneidende Straßen. Was an ven Teßtert, namentlid wenn man von China kommt, frappirt, ift ihre Breite und bie in ihnen herrfihende Reinlichkeit. Ste find 30 40 Fuß breit, in der Mitte 3-10 Fuß mit Tiefen, zu beiten Seiten mit Trottoirs belegt und werben täglich zwei bis dreimal von den Hausbeſitzern gefegt. Das finbet man in feiner aftatifchen, ja nicht einmal in einer europäifchen Stadt, und biefer Umftand allein läßt ſchon auf eine vorge ſchrittene Eulturftufe des Volks und auf eine für das Wohl ihrer Unterthanen bebachte Regierung fchließen.

Die Häuſer befinden ſich in vollſtändiger Harmonte mit den Straßen, b. b. fie find geräumig, luftig, aufen und innen höchſt fauber und nett, Faſt alle find, wie ſchon erwähnt, ein- ftödig, genau nach demſelben Modell aufgeführt und auch ziem- lich von gleicher Größe. Ihre Form ift äußerlich die unferer Schweizerhäuschen mit weit überragendem und bisweilen durch Säulen geſtütztem Dache. Der circa 2—3 Fuß Über der Erbe

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gelegene Fußboden ift über die Seitenwände binausgeführt, ſo⸗ daß Dadurch eine 6— 8 Fuß breite Veranda entfteht, die, durch das Dach gegen Senne und Regen geſchützt, einen höchſt ange: nehmen und Fühlenden Aufenthalt abgibt. Die Curven⸗ und Zelt form des Daches, wie fie in China allgemein ift, fehlt bei japa⸗ nifchen Gebäuden gänzlich; alles ift hier geraplinig, und nur in den Tempeln ver aus China früher eingewanderten Buddhiſten bat fich der chineſiſche Bauſtil unverändert erhalten. “Die Gebäude find ungemein leicht conftruirt, aber mit einem ver- hältnißmäßig fchweren Dache verfehen. Ein Fachwerk von faum preizöfligen Planten wird mit Bambus ducchflochten und biefer mit Lehm oder Schlamm, der mit Pfervebünger purchinetet iſt, beworfen, außen mit Muſchelkalk geglättet und geweißt und innen, nach derſelben Procedur, mit Tapeten von reizendſtem Muſter überzogen, auf die ich fpäter bei Gelegenheit des Papiers näher zurückkommen werde. Kine folche Wand hat daher faum 3 Zoll Dide, tft aber ungentein zäh und elaftifch, was ich öfter bei Abbruch eines Hauſes bewundert habe. Die Ballen, welche das Dach tragen, find dagegen fehr ſchwer und letzteres bei allen beffern Häufern mit ftarten halbchlinder- förmigen Dachziegeln gevedt, deren Gewicht das des, ganzen Unterhaufes bei weiten überfteigt. Der Grund biefer ſonder⸗ baren Bauart find die Erpbeben, von denen Jeddo und bie mittlern Gegenden Japans jo häufig heimgeſucht werben. Das fhwere Dach foll die Teichten elaftiichen Wände durch fein Gewicht vor dem Zufammenbrechen bet heftigen Erbftößen ſchützen. Die ärmlichern Wohnungen find mit Holzfehindeln gebecdt und dieſe häufig durch Steine befchwert. Feſte Ab- theilungen im Innern ver Häufer gibt es nicht; alle Zwiſchen⸗ wände find beweglich, Tünnen ebenfo Leicht Hingefegt als fort- genommen werben unb beitehen aus Teichtem hölzernen Gitter- werk, das mit dem transparenten und ftarfen Papier über- zogen ift, welches die Sapanefen aus dem Baſt eines Maul⸗

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beerbaums bereiten, und das überall die Stelle des dort un- befannten Benfterglajes vertritt. Diefe gegitterten Rahmen laufen zwiſchen Leiften auf Porzellanrollen, und man kann mit ihrer Hülfe ebenfo fchnell Zimmer jchaffen, als das ganze Haus durch ihr Zurüdfchieben in einen einzigen Raum ver- wandeln. Vorder- und Hinterfronte haben eben ſolche Papier- gitter als Benfter, die nach dem Zuftande des Wetters ge- öffnet oder gefchloffen und nachts durch hölzerne Schiebläden erfegt werden. Diefe Vorrichtungen erlauben dem Zuge und ber frifchen Luft ftetS freien Zugang zu allen Theilen bes Gebäudes, ein Umftand, ver nur vortheilhaft für die Gefund- heit der Bewohner fein kann, bei uns jedoch wegen bes firengern Klimas nicht wohl zur Anwendung kommen Tönnte. Zugleich geftattet viefe Einrichtung aber auch dem Vorüber⸗ gehenden, das ganze Haus mit Einem Blicke zu überjehen, und bei der Ungenirtheit der Japaneſen, die dem Europäer anfangs ſehr befremdend erjcheint, wird man oft Augenzeuge - bon Tamilienfcenen, die man bei uns weniger öffentlich zu behandeln geneigt ift, wie Toilette machen, Baben, u. ſ. w. Der Fußboden eines jeden Haufes, er mag bem Reichſten oder Aermſten angehören, ift. unveränberlich mit Binfenmatten bebedt. Dieſe haben in ganz Japan genau biefelben Formen und Dimenfionen; fie find 6 Fuß lang, 3 Fuß breit und 2 Zoll did. Eine ſolche Matte heißt ein Kin, und alle Ver- hältniffe der Häufer find nach diefen Kin fixirt. Will ein Sapaneje ein Haus bauen, fo beftellt er beim Baumeifter ‚nur jo und fo viel Kin. Wünfcht er eins von 30 Matten, fo nimmt es einen Flächenraum von 30 x<6 x 3 = 540 Qua- bratfuß ein und demgemäß erhält das Gebäude jo und fo viel Stuben, wird fo und fo viel Matten breit, lang und hoch nach einer beftimmten und von ber Regierung vorgejchriebenen Regel. Das Flechtwerk diefer Matten ift jehr fauber, fein und weiß, und bie Sapanejen fuchen es forgfam zu erhalten.

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Sie werden bie Matten nicht anders als in Strümpfen be- treten; ihre Sanbalen legen fie regelmäßig auf der Veranda ab, und will man als Fremder gut empfangen fein, fo muß man ſich hüten, in das Innere eines Haufes mit ſchmuzigen Stiefeln zu treten. Mobiliar und Hausgeräth eriftirt in den Wohnungen faft gar nicht. Es gibt weder Tifche, noch Stühle, noch Schränfe oder Bettftellen, gerade im Gegenfag zu ben Chinefen, die dies alles in großer Anzahl befiten. Der Ja⸗ panefe fitzt, ißt und fchläft auf feinen Matten. Das Ef- gefehirr ift aus Holz gefertigt und mit dem berühmten Lad überzogen, ber weder durch Hitze noch Kälte leidet. Die Ge⸗ fäße find vieredig oder rund und fo conftruirt, daß fie alle ineinander paffen und dadurch ein Minimum von Plab ein- nehmen, wenn fie fortgeftellt werden. Die Betten beftehen lepiglich aus Baummollenmatragen zum Zudecken und aus Kopfkiffen, die uns ebenfo originell und unbequem erfcheinen wie die früher von mir erwähnten Porzellankopfliffen ver Chinefen. Als wir anfänglich diefe fonderbaren Dinger in ben Läden fahen, wußten wir gar nicht, was wir aus ihnen machen follten. Man nehme einen hölzernen: Stereoflopen- Taften und denke ſich oben einen halbkreisförmigen Ausfchnitt, jehr dünn und hart gepolftert, fo hat man ein japanefifches Kopfliffen, das bei uns gewiß fehr wenig Liebhaber finven würde. Die Familie wohnt, ift und fchläft in dem bintern Theile des Haufes. Born befindet fih gewöhnlich das Em- pfangszimmer oder bei Kaufleuten der Laden, den man von der Seite durch eine Thür betritt, die ebenfalls unverändert bie inform hat, d. h. 6 Fuß hoch und 3 Fuß breit ift. Schorniteine gibt es nicht; der Rauch muß feinen Weg ander- weitig finden, was ihm übrigens wegen der Bauart nicht ſchwer fällt. In beffern Häufern befindet fich jedoch gewöhn- . lich die Küche in einem eigenen Hinterbaufe, währenn fie in ben gewöhnlichern einen Theil des: Wohnzimmers einnimmt.

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Trotz Eis, Schnee und der oft empfindlichen Kälte gibt es in Japan weder Defen nach Kamine, was wir während des viermonatlichen Winters bitter empfunden haben. “Die ihre Stelle vertretenden Kohlenbeden erſchienen uns nur als eine jehr unzureichende Aushülfe bei den dünnen Papierwän- ben, wenn ein Nordſturm fie jchättelte und pfeifend durch alle Spalten der mangelhaft fchließenden Thüren und Yenfter fuhr oder der Schnee einige Zoll hoch auf ben Straßen lag Die Iapanefen Flapperten zwar auch mit ven Zähnen vor Froft, wußten fich inveffen durch fünf bis fechs übereinander gezogene dickwattirte Röcke beffer Dagegen zu ſchützen als wir.

Die Häufer per Daimios und hohen Beamten haben einen Unterbau von behauenen Ducaberjteinen, vie jeboch ohne Mörtel aufeinander gelegt find, um bei Erdbeben nachzugeben. Aus demjelben Grunde find fie an ber Baſis viel breiter als oben. Sie haben gewöhnlich eine Höhe von 15— 20 Zuß, und es führt eine breite fteinerne Freitreppe zu ihnen hinauf. Ein maflives hölzernes Thor verjchließt den Eingang zu bem Vorhofe, um den fich im Viered die Wohngebäude gruppiren. Diefe letztern unterfcheiden fich vor allen andern Häufern ber Stadt durch nichts, als daß fie eine größere Fläche beveden. Ich hatte Gelegenheit, bei einer Viſite, die wir dem Gouver⸗ neue von Nangaſaki ſpäter machten, das Iunere einer folchen Wohnung zu fehen; außer daß vielleicht der zweite Stod etwas böher war wie bei den Bürgerhäufern, konnte ich Teinen Unterfchied wahrnehmen. Diefelbe innere Einrich⸗ tung mit verfchiebbaren Gittern und Papierfenftern, dieſelben Matten von vergefchriebener Größe, viefelben Tapeten wie überall,

Das Gouvernementsgebäude in Nangafafi fowie einige Daimiowohnungen in Jeddo erhalten durch tie Maſſivität und Höhe ihrer Untermauern ein burgähnliches Anfehen, das noch durch ihre Lage auf Anhöhen vermehrt wird. Viele der⸗

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felben waren jedoch nicht fo imponirend. Die Höhe der Untermmmer hetrug nur einige Fuß, umd die fenfterlofen, oft 3—400 Fuß laugen Seitengebäune, welche den inneru Hof- raum umſchloſſen und bisweilen bie Fronte einer ganzen Straße bildeten, jahen eher Scheunen ober Schafftällen als den Wohnungen ber höchſten Landesariſtokratie ähnlich. Das Innere dieſer Gebäude hat noch Fein Europäer betreten, ebemio wenig wie feit 200 Jahren jemand das Innere bes Taifer-- lihen Palaſtes gejehen bat, außer dem Director ver hollän- diſchen Factorei auf Deſima auf feinen Geſandtſchaftsreiſen. Was daher über deſſen Großartigkeit uno beiſpiellsſe Pracht erzählt wird, kann man in das Reich der Fabel verweiſen, wenn es nicht mit Kämpfer's oder ſeiner Nachfolger Thun⸗ berg und von Siebold Beſchreibung übereinſtimmt, die, ſoweit wir es haben beurtheilen können, in ihren Schilderungen durchaus bei der Wahrheit geblieben ſind. Die Daimios ſind die Feudalen des Reichs, die Träger des bisherigen Ab⸗ Ichließungsfuftens und daher die Feinde ber Europäer. Es eriftiven mehrere Hunderte im Lande, und 362 von ihnen haben Balüfte oder Wohnungen in Jeddo, bie ihre Abfteige- quartiere bilden, wenn fie vem Teukun ihren jährlichen Er- gebenheitsbefuch machen und ihre Frauen und Kinber befuchen, bie der Kaifer als Unterpfond für die Treue ihrer Männer innerhalb feines Palaftes gefangen hält. Einzelne derſelben find fehr reich und befigen ein Einfommen von 6— 7 Millionen Thalern. Wie ich fchon früher erwähnte, erjcheint der Fürft von Sabuma und der von Kwanga, eriterer der kriegeriſchſte und leßterer ver mächtigfte Landesherr, mit einem Gefolge von 40,000 Dann in Jeddo. - Bis zur Eröffnung des Reiche waren bie Daimios faft allmächtig. Ihnen gehörte der Grund und Boden, te firirten bie Preife ver Lebensmittel wie aller Inouftrieerzengniffe, nahmen von allem ihre Rente und ließen dem Producenten gerade genug, um eine bürftige Eriftenz zu

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führen. Die Bevölkerung Japans (25 Millionen Einwohner) ift nicht fo Dicht wie in China; fie fteht in feinem Misver⸗ hältniffe zu dem von ihr bewohnten fruchtbaren Boden, und ba fein Erport ftattfand, waren alle Produete ſehr biffig. Die Landesherren konnten mit geringem Aufwande ein großes Heer von Bafallen und Dienern halten. Ein Jakonin 3.3. erhielt außer einem Duantum Reis einen jährlichen Ges halt von 40 Itebu ober nach unferm Gelde ungefähr von 20 Thalern. Für diefe Summe unterhielt er fich und feine Yamilte und mußte ſich außerdem in Seide Heiven.

Der eröffnete Berfehr mit ven Fremden bat inbeffen bie Berhältniffe bedeutend geändert. Soviel Schwierigkeiten auch von der Regierung dem Handel in den Weg gelegt werben, ftebt e8 doch außer ihrer Macht, die Ausbreitung des Handels zu hindern, und wenn auch die Ausfuhr bes Hauptnahrungs- mittel® für das Volt, des Reis, verboten ift, fo werben ba- für andere Sachen exportirt. Im Jahre 1860 wurden 5.8. von Yokuhama 6000 Ballen Seide nah Europa veriifft. Die Nachfrage ver Europäer nach diefer Seide, bie beffer als bie chinefifche fein foll, ift fo ſtark, daß fie feit 1856 um das Doppelte im Preife geftiegen iſt. Natürlich wirkt bies auf alle übrigen Verhältniſſe zurüd. Wenn auch dem Ya panefen das dem Chinefen angeborene Zalent für Tauf- männifche Transaetionen abgeht, fo ift er noch Hug genug, feinen eigenen Vortheil zu begreifen. Während früher bie Bauern ihre Aecker nur mit Reis bebauten und davon nicht mehr er⸗ zeugten, als nöthig war, um bie ihnen auferlegten Zehnten und ihren eigenen Unterhalt zu beftreiten, verloden die hoben Seivenpreife fie jebt, Seide zu bauen und allen möglichen Gewinn aus ihren Pändereien zu ziehen, Der Reisbau nimmt ab, und bie einfache Folge ift die Vertheuerung der Frucht und aller übrigen Lebensmittel. Das Wolf leidet hierunter wenig oder gar nicht; der erhöhte Gewinn feßt bie Produ⸗

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centen in den Stand, auch ihre Bedürfniſſe theuerer zu be- zahlen und dem gewöhnlichen Arbeiter mehr Lohn zu geben. Der nicht producirende Adel mit feinem nur confumtrenden Gefolge dagegen wird von dieſer Veränderung der Verhält—⸗ ·niſſe empfindlich betroffen. Nee Steuern. aufzulegen, dürfte bei den confervativen Inftitutionen des Landes ein fehr ge⸗ wagtes &rperiment fein unb leicht Wevolutionen herbei⸗ führen, deren Ausbruch unvermeidlich fcheint, aber fo gefürch- tet wird, daß man ihn wenigftens nicht durch eigene Anregung bei'hleunigen will. ‘Die von der japanefifchen Regierung nach Europa abgeſchickte Geſandtſchaft hat darum auch bei ben Ver⸗ tragsmächten alles aufgeboten, um die Deffnung ver Häfen von Jeddo und Oſaka noch einige Jahre binauszufchieben. So despotifch die Regierung ift, kann fie jich doch nicht ver- hehlen, daß ihr Herrſchſyſtem nicht länger bejtehen kann, wenn fich neue Ideen und Anfchauungen beim Volke Bahn brechen, die bei dem vegern Verkehr mit dem Auslande unfehlbar kom⸗ men müfjfen. Außerdem begegnen wir in Sapan berfelben merkwürdigen Erjcheinung wie in China. Es befteht nämlich auch hier eine Macht im Staate, die fowol der Kaifer als feine Bafallen fürchten, vie öffentliche Meinung, und das Individuum hat im abfolut vespotifch vegierten Japan bisweilen mehr Rechte als in conftitutionellen Staaten Europas. Dafür mag ein Beifpiel als Beleg dienen. Während unferer Anweſenheit in Nagaſaki beabfichtigte die Negierung ein Hospital zu bauen. Der in japanischen Dienſten ftehende holländiſche Oberarzt Dr. Bompe hatte einen geeigneten Pla dazu ausgefucht und der Gouverneur feine Zuftimmung ertheilt. Es war bie Spite eines Hügels, auf ver fich ein armer Bauer angefie- belt und etwa einen halben Morgen Feld befäet hatte. Der Gouverneur ließ ihn erjuchen, pas Land gegen den Werth bes Bodens und der Ernte an die. Regierung abzutreten. Er lehnte e8 ohne weiteres mit dem Bemerken ab, daß er erft Werner. II. 4

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ernten wolle, was er gejäet. Man bot ihm das ‘Doppelte und Dreifache; vergebens, er verharrte bei feinem Eigenfinn und erklärte fchlieflih, das Land unter feiner Bedingung . abzutreten. Der Gouverneur ſah ſich außer Stande, ben

Platz zu erzwingen. Ein Exrpropriationdgefeg eriftirt in Iapane

nicht, und bie Regierung war gendthigt, einen andern und viel weniger geeigneten Pla für das Hospital anzulanfen. Diefer Fall zeigt die Schwierigkeit, irgendeine Neuerung einzuführen, und die Daimios dürfen aljo nicht fo leicht wa⸗ gen, ihr Einfommen auf Koften ihrer Unterthanen zu erhöhen. Es bleibt ihnen daher nichts übrig, als die Zahl ihres Ge- fofges ſehr zu befchränfen. Dies ift bereits mehrfach ge- ſchehen. Während unferer Anwefenbeit entfieß z. B. der Fürſt von Mito 500 feiner Jakonins, die dadurch brotlos wurben und ſämmtlich nach Jeddo famen. Der Regierung erwuchſen auf dieſe Weile große Schwierigkeiten; ver Kaifer oder viel- mehr fein Miniſterium denn dieſes allein regiert befam baburch jo viel Feinde mehr, da die Daimios nicht verfehlten, ale Schuld auf die Oeffnung bes Landes und die Verträge zu wälzen, durch welche ihre Einkünfte befchränft ober viel- . mehr ihre Ausgaben vermehrt und fie gezwungen feien, ihren Hofhalt zu vermindern. Faſt wäre unfer Vertrag daran ges fcheitert, und nur einem Minifterwechjel, ver Männer an das Ruder brachte, die der Geſandtſchaft nach Amerila beige- wohnt und die Welt gefehen, außerbem Energie bejaßen, hat- ten wir wahrjcheinlich den Abfchluß der Verhandlungen zu banfen. Auch ver Mord des amerifanifchen Legationsfecretärs Heusken wurde biefen entlaffenen Safonins in die Schuhe ge- ſchoben, und die Beforgniß der Regierung war fo groß, daß bie Gouverneure den fremden Gefandten dringend abriethen, fih an der Leichenfeier zu betheiligen, weil fie einen Angriff ber Daimiopartei fürchteten. Die furchtlofe Haltung ber Geſandten und eine militärifche Escorte von 120 preußifchen

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Seefoldaten und Matrofen nebft 30 bollänbifchen Seefolvaten, erſtere ſämmtlich mit Zünpnadelbüchfen und Revolvern be- waffnet, beivog wahrjcheinlich die Daimios, ven Zug ungehin- dert paffiren zu laſſen und einen geeignetern Zeitpunft für die Ausführung ihrer Umfturzpläne abzuwarten.

Es iſt aber noch ein anderer Umftand infolge ber Ber: träge, ber die Daimios und Beamten auf das tieffte erbittert, ihren Stolz am empfindlichften verlegt und nothwendig zu einer Revolution führen muß. Bor Ankunft der Amerikaner hegte das gemeine Volf vor allen Höhern, vor den Daimios fowol wie vor den Jakonins, eine Ehrfurcht, die an tieffte Knechtſchaft ftreifte. Ja dieſe Unterthänigfeit hat fogar zwei verſchiedene Sprachweifen gefchaffen, vie man verſchiedene Sprachen nennen könnte, von benen bie eine, von Höhern zu Niebern gefprochen, hart, fcharf und rauh, die andere, von Niedern gegen Höhere oder zwifchen Gleichgeftellten gebraucht, fanft, angenehm und melopifch if. Wenn ein Untergebener einem Vorgeſetzten be- gegnete, ftand er auf der Straße ftill, hodte nieder, legte bie Hände auf ven Boden und beugte das Haupt, bis es faft die Erde berührte. Im diefer Stellung verharrte er fo lange, als ber Höhere mit ihm fprach oder bei ihm vorbeipaffirt war. Kam aber ein Daimio mit einem Zuge von Hunderten oder Tauſenden an, fo mußte fih alles auf die Erde werfen und mit dem Kopfe auf ven Boden gevrüdt bleiben, bis ver Zug vorüber war. Hätte jemand gewagt, biefen Tribut der Ehrfurcht zu verweigern, nicht auf die Seite zu treten ober wol gar burch den Zug zu gehen, er wäre unfehlbar fofort nieberge- hauen worden, und fein Körper hätte al8 Probe für vie Sä- belfchärfe aller Jakonins gedient. Die Europäer natürlich nab- men von den Zweibeſchwerterten, mochten fie auch dem höchſten Adel angehören, nicht bie geringfte Notiz. Ste grüßten weder noch traten’ fie auf die Seite, und einzelne begingen fogar abfichtlich die Ungezogenbeit, mitten burch einen folchen Zug

4.

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zu reiten. ‘Die Jakonins, welche, wie überall, als Heine Her- ren das gemeine Volt am meiften Tnechteten und für fich womöglich noch mehr Verehrung forberten als für bie Fürften

des Landes, wurden fogar verächtlich behandelt und womöglich.

mit Fußtritten regalirt. Sie rächten fich zwar durch einzelne Morde, und in Yokuhama fielen binnen furzem zwei hollänpifche und zwei ruffifche Offtziere durch ihre Hand, allein das Durch bie Drohungen der fremden Regierungen eingefchüchterte Gou⸗ vernement fette dieſen nächtlichen Weberfällen bald ein Ziel, und die Revolver der Fremden thaten das Ihrige, um die

Jakonins gleichfalls zurüdzufchreden. Sie wurden fortan nur

noch wegwerfenver behandelt. Dies verfehlte nicht, auf bie gemeinen Iapanejen Wirkung auszuüben. Das Voll gewöhnte fih allmählich daran, dies mit anzufehen, ohne, wie anfangs, in ein ftummes Entfegen zu gerathen; es begann das Ent- würdigende feiner eigenen Knechtfchaft zu fühlen, und das Einziehen eines neuen Geiftes machte ſich bald bemerkbar. Das Anfehen der Salonins ſank von Tag zu Tag, während das der bisher verachteten Kaufleute und Handwerker in glei- chem Verhältniffe ftieg. Waren doch faft alle in Japan anfäffige Europäer Kaufleute! Jene wurden ärmer, weil ihr Gehalt bei den wachſenden Preifen der Bedürfniſſe vaffelbe blieb, biefe von Tag zu Tag wohlbabender, und da Geld, wie

überall, auch in Japan, wenn auch bei dem SKajtengeifte

etwas weniger, feinen Einfluß übt, fühlten die Jakonins ihre Stellung täglih mehr zufammenjchrumpfen. Das einmal erwecdte Selbftgefühl des Volks blieb jedoch hierbei nicht ſtehen, und nicht allein in Yokuhama, ſondern auch in Jeddo faben wir in ven Ießten Monaten bie Leute nicht nur nicht ihr Haupt bis in den Staub beugen, wenn ein Daimio durch die Straßen zog, ſondern fich fehleuntgft in die Häufer bege- ben, um fich ganz und gar ver Verpflichtung zu entziehen. Die Ariftofratie müßte bfind fein, um nicht überall durch⸗

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zufühlen, daß ihre abfolute Herrjchaft fich ihrem Ende nähert. Es ift daher leicht erflärlih, daß fie mit verbiffener Wuth ‘auf bie Fremden als bie erfte und einzige Urfache ihres Ver: falls blickkt und alle Anftrengungen macht, um bie Regierung zu ftürzen und ben alten Zuftand der Dinge wieber herbeizu- führen. Sie hat jedoch bereits zu lange damit gezögert, und follte fie ven Kampf wagen, fo kann er nur mit einer Nieber- lage der feubalen Partei endigen, ba ſich bie Bertragsmächte auf Seite der Regierung ftellen werden und müffen. Aber, auch ohne daß fie die Initiative gibt, wird fie unterliegen. Dur den wachjenden Handel und ven beftänbigen Zuftrom von Fremden bereitet fich mit ſchnellen Schritten eine fociale Revolution vor, und felbft ohne äußern Anſtoß ift die Zeit nicht mehr fern, wo bie geiftig fo weit vorgefchrittenen Iapa- nefen bie Feſſeln ber Knechtichaft ganz abjchütteln und bie Freiheit beanfpruchen werden, welche fie nach Maßgabe ihres Eulturzuftandes ein Recht zu fordern haben.

Wie ich ſchon dargethan, find die Häufer in Iapan leichte, ſehr fenergefährliche Bauwerke von Hol; und Papier, ſodaß eine Feuersbrunft ungemeinen Schaden anrichten muß. Zu⸗ gleich aber bat die Beſorgniß vor ſolchem Unglüd zu fehr guten Löfchvorrichtungen geführt, die zwar meiftens privater Natur, aber nichtspeftoweniger wirffam find. Vor jedem Haufe oder auf deffen Flur ftehen ftets 10—12 große Kübel mit Waffer gefüllt, und in jeder Straße befindet fich ein 40 Fuß hohes Geruſt, zu dem eine Leiter hinauf führt und in dem eine Feuerglode hängt. Sobald es irgendwo zu brennen anfängt, Flettert ein Straßenwächter auf das Gerüft, Schlägt die Glocke an und verfündet, da er die ganze Umge- gend überjehen kann, dem Publikum, wo das Feuer iſt. Die nächtten Straßen find dann verpflichtet, fofort mit ihren ſämmt⸗ lichen Kübeln dorthin zu eilen und zu löſchen. Feuerſpritzen gibt es zwar nicht in Japan, dagegen ift an Waffer Fein

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Mangel; überall in den Straßen find Brunnen und fait jedes Hans hat eine Eifterne. Wie gefchidt bie Sapanefen als Feuerleute find, habe ich in unſerm Gefanbtichaftshotel zur bewundern Gelegenheit gehabt, in deſſen Küche Feuer aus- brach. Sobald der Ruf ertönte, waren die Kulis auch fchon mit Ratengejchwinbigfeit auf dem Dache, hatten es theilweife abgedeckt, eine Wand eingefchlagen, und das Teuer war bereis geldjcht, als wir anfamen. Bei ruhiger Luft beichränfen fich bie Brände daher meiftentheils auf ein ober zwei Häufer, bei Stürmen brennen jevoch häufig vier bis fünf Straßen nieder. Wir felbft erlebten am Neujahrsabend eine Feuersbrunſt, vie 600 Häufer in Afche legte, und vor 35 Jahren wurde fat ein Sechstheil von Jeddo ein Raub der Flammen, in denen nicht weniger als 1200 Menfchen umlamen. Indeſſen ift eine folhe Feuersbrunft in Japan nicht von fo nachtheiligen Fol- gen begleitet wie bei uns, und kommt man nach vier Wochen an eine folche Branpftelle, fo ift faum noch eine Spur von der Verwüftung übrig. Die häufige Wiederkehr biefer Ereig- niffe, fowie die Erdbeben, haben die Inbuftrie auf Abhülfe bebacht fein laſſen, und die Zimmerleute haben auf ihren Plägen dutzendweiſe Häufer fertig liegen. Da man ein Haus nur nach fo und fo viel Kin beftellt, kann man hier mit Hecht Tagen, fie werben nach ver Elle verkauft. Das bischen Schutt, welches von einer folchen nievergebrannten Wohnung übrig bleibt, ift bald weggeräumt, das leichte neue Gebäude aber faft ebenfo ſchnell Hingeftellt und mit feinen Matten ausftaffirt. In Yokuhama, das in einem Zeitraume von vier Sahren von einem Fifcherborfe zu einer Stadt von 20000 Eins wohnern gewachfen tft, haben wir oft Imit Staunen ganze Straßen erblidt, wo vor acht Tagen noch Sumpf war. Was den japanefifchen Häufern außer ihrer ungemeinen Sauberkeit und Zierlichleit noch einen weit höhern Reiz gibt, ift ber bei feinem fehlende Garten, und fei er auch nur fo

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groß wie ein Tiſch. Wo Raum ift, Liegt er hinter dem Haufe, wo biefer mangelt, ift irgenvein Plägchen auf dem Hofe dafür ausgewählt und mit bewunberungswerther Sorgfalt und Zier- lichkeit in Ordnung gehalten. Sierlichkeit ift überhaupt ein hervorftechender Charakterzug des Volks, der überall hervor⸗ tritt in feinen Gebäuden, feinen Gärten, dem Dausgeräth, wie auch in jeinen Manieren, unb ber ven Fremden höchſt angenehm berührt, Die Gärten find Miniaturfchöpfungen, plaftifche Modelle, aber mit fo unenplicher Kunft ber Natur nachgebilvet, daß man in eine Liliputwelt einzutreten glaubt, Alles ift verzwergt, aber auch bier tritt der Contraft mit China lebendig hervor. Die Chinejen verzwergen die Bäume, um eine Spielerei zu haben und um zu Fünfteln. Es liegt dabei purchaus Fein tieferes Gefühl zu Grunde. Ihr verbor- bener ober vielmehr noch ganz unentwidelter Geſchmack findet an allem Außergewöhnlichen und Unnatürlichen Gefallen, und je verzerrter die Formen, deſto höhern Werth beſitzt ber Gegenftand in ihren Augen. Das ift ber Grund, weshalb fie Bäume verzwergen, aber biefe Bäume find Krüppel, Kin⸗ ber mit einem Greifenantlig, und ihre Unnatur beleidigt unfern Schönheitsfinn. |

Der Iapaneje dagegen bezwect mit feinen Gärten ganz etwas anderes. Sein Tindlicher Sinn findet Freude an ber Natur, und weil feine Gefchäfte und andere Verhältniſſe ihm nicht geftatten, fie täglich zu genießen, fucht er auf dem fleinen ihm vergöunten Raume fich ihr Abbild zu verfchaffen. Er verzwergt die Bäume, um möglichft viel Plat zu gewin- nen und Abwechjelung in feine Schöpfungen zu bringen, aber er ift mit größter Aengitlichkeit beftrebt, der Natur ihre Schön- heiten abzulaufchen und fie in feinem Meinen Paradieſe nach- zuahmen. Seine angeborene Imitationsgabe kommt ihm dabei ungemein zu ftatten, und man weiß nicht, wad man in ben Gärten mehr bewundern fol, jenes Nachbildungstalent

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oder den Fünftleriichen Schönheitsfinn in der Zufammenitellung, oder bie feine Durch tiefes Gefühl bedingte Beobachtungsgabe. Die Tegtere ift wirklich ungemein groß und tritt nirgends frappanter hervor, als in den bilplihen Darftellungen von Thieren, namentlich Vögeln. Ich bin im Beſitze mehrerer Bilderbücher aus Jeddo, deren Zeichnungen anfänglich unge- mein roh erfcheinen und nur mit wenigen Strichen auf das Papier geworfen find. Bei näherer Betrachtung eritaunt man jedoch unwillfürlich über ihre außerordentliche Natur- treue. Im diefer Beziehung find es Kunftwerfe, wie kein Volk fie jo vielfältig probucirt, und alle, die wir in Japan gewejen, haben die Ueberzeugung gewonnen, daß dies Volf bei einiger Anregung und weiterer Entwidelung eine ungeahnte Vollkommenheit in der Malerei erlangen wird. Während unfers Aufenthaltes in Jeddo im Winter fonnten wir nur die Zierlichfeit und Tünftliche Anlage dieſer Miniaturgärten bewundern; in Nangafafi jevoh, im fjchönen Monat Mai, prangten fie im Frühjahrfchmude in ihrer ganzen bezaubern- den Lieblichkeit, und ich muß geftehen, daß mich fpäter ein ordentliches Heimweh nach diefen wonnigen Plätzen befchlich, in denen ich täglich ftundenlang zubrachte, um mich an ihrer Schönheit zu. erfreuen. |

22.

Die Tempelgebäube, Der Buddhismus in Japan. Die Sintoreligion, ihre Götterlehre, ihr Eultus. Die Selte der Siodoſie. Die Prie> fterfchaft.

Die Gebäude, welche in japanifchen Städten durch ihre romantifche Lage ftets die Aufmerffamfeit des Fremden auf fich ziehen, find die Tempel. Nach einer japanefifchen Karte des ganzen Reichs gibt es beren nicht weniger als 149280, von benen 27000 auf bie Sinto- oder urfprüngliche Landes⸗ Religion und die übrigen auf den aus China eingeführten Buddhacultus kommen. Jene werden Mias, biefe Tiras ge⸗ naunt und von letztern eriftiren vier verſchiedene Arten nach den vier buddhiſtiſchen Sekten. Alle haben das miteinander gemein, daß ihre Erbauer die ſchönſten Plätze ausſuchten, welche die Gegend bot und daß jedem Mangel in der Har⸗ monie der Umgebung durch Kunſt abgeholfen wurde. Was von den Gärten im kleinen geſagt iſt, gilt im großen von ven Umgebungen der Tempel; nur iſt bier nichts verzwergt, fondern alles in natürlicher Größe belaffen, weil feine Raum⸗ beſchränkung jenes nöthig machte. Kine Anhöhe mit einer Schönen Ausficht auf das niedriger liegende Land oder das Meer, Gebüfche und Alleen von prachtvollen und durch Kunft zur üppigften Blütenfülle gebrachten Zierfträuchern, Didichte

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von Bäumen mit verfchieven gefärbten Blättern, Bambus- gehölze, mächtige Fichten mit weit fich hinftredenden horizon- talen Zweigen, hoch emporjtrebenbe Cedern, ein riefelnder Bach, jauber mit einfarbigen Kiefeln belegte Pfade, fruchtbare Aeder, ländliche Einſamkeit und Stille das find die unerlaßlichen Eigenfchaften, welche die Tempel beanfpruchen. Die bubbhi- ftifchen zeichnen fich dabei bejonvders durch ihre ftattliche Bauart, ihre Höhe und Geräumigfeit, ihre Verzierungen mit funftuollen Schniereien und Vergoldungen vor allen anvern Gebäuden vortheilhaft aus.

Die japanefifchen Buddhatempel unterfcheiden fich wenig von den chinefifchen, und ich kann mich deshalb ihrer nähern Beſchrei⸗ bung enthalten; wur find fie viel freundlicher und fauberer. Die iapanifchen Buddhiſten haben wol den Eultus, aber nicht den Schmuz ihrer chinefifchen Nachbarn übernommen. Die Fuß- böven find mit weißen Binfenmatten belegt, Altäre, Götzen⸗ bilder auf das brillantefte gefehnitt und vergoldet, und wenn ſchon in China eine große Aehnlichkeit zwifchen katholiſchen und buddhiſtiſchen Obſervanzen aufflel, teitt fie in biefen Tempeln noch viel mehr zu Tage. Man venfe fich ſtatt der Götzen Heiligenbilver und ſetze ein Crucifix hinein, fo hat man das Innere einer katholiſchen Kirche.

Der Buddhismus wurde 552 n. Chr. in Japan eingeführt und verbreitete fich bald fo ftark, daß er in wenigen Jahr⸗ hunderten nicht allein ein tolerirter, ſondern ein anerkannter Cultus und Staatsreligion wurde. Das geiftliche Haupt des Buddhismus ift der Safta Halo. Er refibirt in Miafo und hat eine ähnliche Gewalt wie der Papſt, nur daß er feine Heiligen Tanonifirt. Der Halo ernennt die Tunbie oder Aebte der Klöfter, in denen -alle bubphiftifchen Priefter vereinigt find, jeboch müffen diefe Tundie von der Regierung beftätigt werben, bie beſondere Sorge trägt, daß fie fowol als ber Halo ihren Einfluß lediglich auf geiftlide Sachen befchränfen.

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Die Mias oder Sintotempel haben nur die fchönen Umge⸗ bungen mit ven bubohiftiichen Tempeln gemein; fonft find fte weit unanfehnlicher, Heiner und bebeutend weniger «ausge: fhmüct. Götzenbilder haben ſie gar nicht, fondern über oder vielmehr hinter vem Altare hängt nur ein Spiegel, das Sym⸗ bol des Kami oder Gottes, dem der Tempel geweiht ift. „Wer in biefen Spiegel ſehen Tann, ohne zu erröthen”, lehrt bie Sintoreligton, „der allein ift würbig, vor bie Gottheit binzutreten und ihr feine Verehrung barzubringen.”

Sinto beißt Götterlehre und ift fononym mit Kami. Sin und Kami find „Bewohner nes Himmels‘ und bezeichnen bie beiven mythologiſchen Götter- und Halbgötter - Dynaftien, welche dem erſten weltlichen Herrſcher und Civiliſator Japans, Sin Deu, vorbergingen, von dem die Dairi oder geiftlichen Kaifer abftammen. Sin Mus Vorgänger war Tenſio Daidſin, eine _Halbgöttin. Sie wırde in Isje, einer Provinz an ber mittlern Südküſte Nipons, geboren, verrichtete viele wunder⸗ bare heroiſche Thaten und ftarb auch dort. Man errichtete ihr in ihrer Vaterſtadt einen Tempel, der als genanes Modell für ſämmtliche Sintotempel in ganz Japan bient, die deshalb einer wie der andere ausfeben. Der Sintocultus ift in Bes zug auf die Greirung von Halbgdttern überhaupt durchaus nie engherzig geweſen. Alle Herven und Heiligen wurben als folche gaftfrei aufgenommen, und auch Buddha genoß dieſe Ehre; ja er wurde oft mit Tenſio Daidſin tbentificirt, und baher rührt bie allgemeine und kaum trennbare Der- mifhung der religiöfen Ideen in Japan, aber auch bie Thatjache, daß bis zur Ankunft der Portugiefen nie religiöfe Berfolgungen ftattgefimben hatten. Jeder Halbgott hat nach japanefifhen Ideen die Oberaufficht über ein be- ftimmtes Paradies. Sp refipirt einer in der Luft, ber andere auf dem Mleereögrunde, ver dritte in ber Sonne, andere im Monde, in den Sternen u. f. w., und jeber Gläubige fucht

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fih denjenigen aus, der ihm am beften zufagt. Daher rührt auch die große Menge der Tempel, bie fonft gar nicht er» Härlich wäre,

Der Gottespienft befteht in Gebeten und Niederwerfen mit dem Geficht auf die Erbe. Beides tft aber ſehr ſchnell ab» gethban. Der Gläubige hält eine Wafchung in einem großen Wafterbeden, das fich bei jedem Tempel befindet, tritt vor ven Tempel und fchlägt dreimal an eine Slode, um bie Aufmerkfamkeit des Gottes zu erregen. Dann Hlatfcht er brei- mal in die Hände, wirft fich auf das Geficht nieber, betet in diefer Stellung einige Secunven, fteht auf, wirft einige Rupfermünzen in ven Almofentaften, und tft fertig. Ueberhaupt ift die Sintoreligion heiterer und fröblicher Art und betrachtet alles von der Lichtſeite. Wahrfcheinlich ift dies auch ber Grund, daß der ernftere Buddhismus bald fo großen Anhang gefunden hat. Die Sintoreligion macht aus ihren religiöfen Feiertagen Freubenfefte und betrachtet Menfchen in Sorge und Noth als ungeeignet zur Verrichtung ihrer Andacht. Der Buddhacultus dagegen wenbet ſich mehr an bie befümmerten Seelen, deren e8 überwiegend viele gibt, und dieſe fliehen Troſt ſuchend zu ihm und feinen Tempeln.

Die Sintopriefter leben nicht wie die bubphiftifchen in Klöftern und im Cölibat. Sie find verbeirathet und wohnen mit ihren Familien neben ven Zempeln. Das Haar laffen fie lang wachfen und binden e8 zu einem Schopfe zufammen. Ihre Kleidung weicht von der ber übrigen Sapanefen nur bei Teftlichleiten ober religiöfen Handlungen ab; dann tragen fie eine Art Zalar mit geftidten Kragen und Aermeln und im

Haar verjchievene Zierathen. Sie leben theils von ven Als

mofen, welche die Andächtigen in ben Tempeln opfern, theils

von dem, was fie durch Wahrfagen over Bettelei gewinnen. Auf ihren Bettelzägen legen fie eine beſondere Tracht aus grobem weißen Baummollenzeug an und feßen einen Hut

—— ——

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von Bambusflechtwerf mit fehr breitem Rande auf. Auf bem Rüden tragen fte einen offenen Schranf, in dem ſich entweder das Modell eines Tempels oder das Bild eines Gottes befindet, und an einem um ben Leib gefchnallten Gurte führen fie eine Glocke, mit ver fie vor ven Thüren ihre An- weſenheit befunben, indem fie zugleich Gebete abfingen. Oft betteln fie fo familienweife, und an einem beflimmten Feſte, wo ihnen wahrfcheinlich befondere Erlaubniß dazu geftattet tft, wimmeln die Straßen vollftändig von ihnen.

Defter begegnet man auch Proceffionen, wobei Götter mit Muſik umbergetragen werben. Diefelben haben jedoch nicht das geringfte Feierliche an ſich, und wie e8 mir fchien, machten fie auch auf-die Iapanefen feinen feierlichen Eindrud. Die Muſik beſtand aus einer großen Trommel, die in regelmäßiger Pauſe vreimal hintereinander angefchlagen wurde, und brei Elarinetten, die in fehredlichfter Disharmonie eine unerfenn- bare Melodie fpielten. Jeder viefer Elarinettenbläfer Hatte einen chlinderförmigen Korb über den Kopf geftülpt, ver bis an das Kinn reichte und fein Geficht vervedte, während er felbft durch das Geflecht alles fehen Fonnte. Diefe Men- ſchen hatte ich ſchon mehrmals bemerkt, wie fie bettelnb umberzogen, und mir ihre fonverbare Tracht nicht erflären können. Auch gingen fie in Seide gefleivet, was durchaus nicht zu ihrer Befchäftigung paßte. Späterhin erfuhr ich, Daß es begrabirte Jakonins feien, die vom Dairi die Erlaubniß zum Betteln erhalten, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, und jenen Korb tragen, um nicht erfannt zu werben. Sie werben vorzugsweile zu folchen Proceffionen fowie zu Hoch- zeiten und Begräbniffen genommen, und ebenfo wie man bei uns verfchämten Armen gewöhnlich am reichlichften Almofen ſpendet, fcheint auch für diefe Bettler das Mitgefühl am - größten zu fein.

Außer den Bekennern des Sinto und Buddha gibt es

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in Japan noch eine dritte Sefte: die Siodoſin, Rationaliften, welchen faft alle hohe und gebildete Klafjen angehören und die auf ben Götzendienſt mit Verachtung herabbliden. Da fie jedoch gefegmäßig einer der beiden Staatsreligionen angehören müffen, beebachten fie äußerlich bie Form des Sintocultus.

Die Priefter des Buddha fowol wie die des Sinto ftehen beim Volke in Feiner höhern Achtung als in China und nehmen in Bezug auf wilfenfchaftliche Bildung auch feinen höhern Rang ein. Ihre ganze Beichäftigung beſteht in der Ablei- erung von Gebeten zu beftimmten Tageszeiten ober bei bes ftimmten Gelegenheiten, und derſelbe blöpfinnige Gefichtsaus- druck mit dem geiftlofen Auge ift mir bier wie dort aufge- fallen, bei den Buddhiſten jeboch weit mehr als bei ben Sintoprieftern, die wenigitens doch ein Familienleben kennen und fomit einen Lebenszwed haben, ber einigermaßen ihre Geiftesträfte wach Hält.

23.

Die Abflammung ber Japaneſen. Die Bollstradht. Die Frauen. Die

Reinlichkeit des Volks. Die Bäder. Die japaneflfhen Begriffe von

Schamhaftigkeit. Die Theehäufer als Bordelle. Die Gefchlechtsliebe

und die Stellung der Frauen. Höflichkeit und Anftandsformen. Eine

japaneſiſche Hochzeit. Das Concubinat. Kinder und Kindererziehung. Der Schulunterricht.

Auf den erſten Anblick ſcheinen die Japaneſen demſelben Volksſtamme anzugehören wie die Chineſen, bald überzeugt man ſich jedoch, daß man es mit einer ganz andern Raſſe zu thun hat, wenngleich viele aus China eingeführte Sitten fie ihren Nachbarn ſehr ähnlich machen. ‘Den ſicherſten Be⸗ weis für die gänzlich. verſchiedene Abkunft ver beiden Völker⸗ ſchaften gibt aber die vergleichende Philologie. Die Sprachen zeigen weder in ihrem Bau noch in ihren Wurzeln bie ge-. ringfte Aehnlichkeit miteinander, vielmehr ftehbt das japane- ftiche Idiom einzig in der Welt da, und man hat bisjet Feine Verwandtſchaft mit irgendeiner andern Sprache entpeden können. Dieſer Umftand läßt darauf ſchließen, daß der japa- niſche Archipel troß feiner Nähe am Teitlande Aſiens von biefem entweder nicht bewälfert wurde ober, wenn dies ber Ball war, daß ein fremdes Volk ihn fpäter eroberte und ben befiegten Landesbewohnern feine Sprache aufzwang. Diele legtere Annahme ift die wahrjcheinlichere, denn es ift nicht zu verfennen, baß die Bevölkerung aus zwei ganz verfchievenen

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Raſſen bejteht, veren eine der Abel und deren andere das Volk vertritt. Wol überall übt Beichäftigung, Nahrung und Bildung einen beveutenvden Einfluß auf den Körper, und fait in jedem Lande unterfcheidet fich die Ariftofratie von dem niebern Volle durch feinere Körperformen und edlere Gefichter; jedenfalls erftredt fich aber ver Einfluß einer höhern Bildung und günftigern Lebenslage nicht fo weit, daß er einem Gliede eine ganz bejtimmte und unveränverliche Form gäbe. Dieſer Erfcheinung begegnen wir bei ven Japaneſen, und man kann bier in der eigenften Bedeutung des Wortes fagen, man fieht es ihnen an ver Nafe an, zu welcher Klaſſe, ver höhern oder niedern, fie gehören. Die Nafe des Adels ift nämlich eine Art römiſche, die zwar etwas breit, aber eine ſcharf ausgejprochene und abwärts gebogene Spite hat, wogegen die des Volks ftumpf aufgeworfen und did ift. Die Baden- knochen treten bei beiden Klaſſen weit hervor, der Mund tft groß, dagegen find die Lippen bei dem Adel lange nicht fe wulftig, und fein Geficht gewinnt dadurch an Feinheit. Die Augen find bei ‚beiden gejchligt und fchräg liegend, aber nicht jo ſtark wie bei den Chinefen; die Hautfarbe ift jedoch Dunkler als bei dieſen, wahrfcheinlich durch den Einfluß der Sonne. Die Geftalt des Apelichen ift im allgemeinen fein geformt und überfteigt nicht die Mittelgröße, während man unter dem nie bern Volke jehr große und ungemein musfulds gebaute Körper findet, die an ein Athletengefchlecht erinnern. So zeigt fich in allem ein Unterſchied zwifchen ven beiden Volksklaſſen, welcher groß und zu ſtereothp ift, um zufällig ober das Nefultat einer verfchievenen Lebensjtellung zu fein. Vielmehr Tann man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß der Adel das Land erobert bat, indem er aus einem andern Welttheile, nicht aus Alten, einwanderte. Man fchwebt bisjegt im ‘Dunkeln über feinen Urfprung, aber wahrfcheinlich würde eine genauere Bergleichung mit den norpamerikanifchen Indianern weftlich vom

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Telfengebirge beransftellen, daß fegtere mit dem japa⸗ neftfchen Adel einerlei Stammes find. Bor der Abfchliekung des Landes waren bie Sapanefen als kühne und unternehmende Seeleute befannt. Ste beunrubigten als gefürchtete Freibenter ben ganzen Inbifchen Archipel, erfchienen auf Java und fegten Könige von Siam ein und ab, Wie leicht möglich ift es, daß bie Eroberer nes Landes auch von Amerika nad Japan berüberfamen. Jene Indianer find ebenjo kühne Seeleute, wenn fie fich jetzt auch nur auf Fiſcherei befchränfen. Ihr hohes Selbft- und feines Ehrgefühl finden wir auch bei ben Japaneſen. Die gebogene Nafe, vie gefchlisten Augen und die Hantfarbe ftimmen bei beiben überein, und ebenfo findet fich viele Uebereinftimmung in ihren Sitten und Gebräuchen jowie in ihrem ganzen Charakter. Bei jenen Inbianern wird die Schönheit ihrer Frauen im Vergleich zu denen ber anbern Stämme gerühmt, und ebenfo tft befannt, daß dieſe bei vor⸗ gerüdtem Alter eine Neigung zum Fettwerden haben. Ganz baffelbe findet-man in Japan, und es dürfte für bie Wiffen- Schaft wol von Intereſſe fein, auch die Sprachen zu ver- gleichen. j

Die Tracht der Iapanefen tft fehr einfach. Die ber Männer befteht aus einem bis auf die Knöchel reichenden Node, ver jich von unſern Schlafröden nur durch Kürzere, bis an bie Einbogen reichende Aermel unterfcheibet. Diefer " wird vorn übereinander, gefchlagen und mit einer Schnur zu⸗ fammengehalten. Er ift je nach ber Lebenslage des Beſitzers von Baumwolle oder Seide und fat immer dunkel und ein- farbig oder ganz fein carrirt. Ebenſo wird er der Jahres» zeit angemeſſen leichter ober dicker wattirt getragen. Die Beinfleiver find beim niedern Volke geſetzmäßig eng an⸗ fchließend und ftets von Baumwolle, bei dem Abel und allen Beamten von Seide und weit. Ueber dem Node wird von ven Wohlhabenven ftets eine auf die Hüften fallende Jacke

Berner, I 5

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getragen, deren ſehr weite Aermel mit Taſchen verſehen ſind, in denen die Heinen Bedürfniſſe, wie Papier zu Taſchen⸗ tüchern u. |. w., aufbewahrt werden. Hemden find unbefannt. Die Füße fteden in baummollenen weißen Strümpfen, über die jedoch das Beinkleid bis auf den Knöchel fällt, Diefe Strümpfe haben eine befonvdere Abtheilung für die große Zehe, um zwifchen diefer und den übrigen Zehen ven Bügel ver Strohfandalen feftzuhalten, die unveränverlich von jung and alt, reih und arm, Abel und Voll, Kaiſer und Bettler getragen werden. Sie find äußerft Funftlos und billig und werden unterwegs ohne weiteres weggeworfen und durch neue erfeßt, die man für einen Groſchen in verfchiedenen Läden jeder Straße Taufen kann. Bei fchmuzigem Wetter werben Statt der Sandalen Holzgaloſchen getragen. Diefe find ebenfo einfach, beſtehen aus einem horizontalen Fußbret und zwei daruntergenagelten perpendikulären Bretchen von 3—4 Zoll Höhe. Es gehört nicht wenig Geſchicklichkeit dazu, auf dieſen hoben Dingern zu gehen, immer aber bleiben fie unficher, und man muß ftet3 balanciren, was der Figur ein grotesfes Anfehen gibt. Da alles diefe Galofchen benukt, fo denfe man fih eine Compagnie Soldaten damit verfehen und militä- riſche Evolutionen machend.

Die Japaneſen tragen ebenfalls einen Zopf, aber dieſer iſt von dem chineſiſchen ſehr verſchieden. Sie ſcheren nur den Vorderkopf bis an den Scheitel, während ſie das übrige Haar lang wachſen laſſen. Dieſes wird von hinten nach dem Scheitel gekämmt und, zu einem Zöpfchen von der Form und Größe eines Fingers gebunden, mit Pommade fehr glatt ge— macht und nach vorn übergelegt. Hüte werben im allgemei- nen nur bei officiellen Gelegenheiten getragen, und dann find fie wie die chineflfchen von Bambusgeflecht und koniſcher Form.

Die Kleidung der japanischen Frauen unterfcheidet fich wenig von der der Männer. Ihr Hauptkleivungsftüd tft der

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erwähnte Schlafrod aus Seide ober Baummollenzeug und wattirt. Er wird übereinander gejchlagen und niit einem breiten Seidengürtel zufammengehalten. Um ven Oberkörper ziemlich loſe hängend, zieht man ihn unten ftraff um bie Glieder, ſodaß die freie Bewegung ber Füße gehemmt wird und die Schönen einen watfchelnden Gang annehmen. Statt ber Beinfleiver tragen die Frauen einen Rod over vielmehr ein dünnes Tuch, das um ben Unterförper gefchlagen wird und alle Unterröde vertritt. Während bie Männerröde ftets einfarbig und bunfel find, gefallen fich Frauen und Mäpchen in ven Iebhafteften Farben und Muftern, in deren Auswahl fie großen Gefchmad zeigen. Aermel und Kragen fin viel- fach geſtickt. Ebenjo koſtbar wie oft ver Rod ift auch ver über einen Buß breit getragene Gürtel, Bei jedem jungen Mädchen wird die Schleife diefer Schärpe hinten, bei Frauen - vorn getragen. Die nebenftehende Zeichnung, nach einer Pho- tographie gefertigt, zeigt brei japaneftfche Mäpchen des untern Bürgerftandes in gejellichaftlicher Kleidung.

Die Natur hat alle Iapanefinnen mit einem prachtnollen Haarſchmuck beſchenkt. Dies wird von ihnen auch danfend anerkannt, und der Aufpug bes Kopfes bildet ein Stubium und eine Kunft des fchönen Gefchlechts. Mag eine Iapanefin noch fo arm, mit Lumpen bebedt ober häßlich fein, begegue man ihr früh morgens oder fpät abends, in den Strafen ber Hauptftabt oder in ber ärmlichften einfamen Hütte am Dergabhange, ſtets wird fie ihr Haar fauber gefämmt, mit Blumen oder einem Stüdchen Krepp verziert und zu jenem eigenthümlichen Knoten gefchürzt haben, ver ebenfo hübſch als geeignet ift, die Schönheit und reiche Fülle des Haares auf das vortheilhaftefte zur Schau zu tragen.

Weder Männer noch Frauen machen fich das Haar felbft.

Bei jenen beforgt e8 ber Barbier, bei diefen entwever bie

Dienerin oder ein anderes weibliches Wefen. Da bie Her— 5 *

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ftellung der Eoiffüre jedoch ftets eine Arbeit von mehreren Stunden ift, fo wird fie nicht täglich erneuert, und um fie während ber Nacht feinen Fährlichfeiten auszufegen, hat man jene fonderbaren Kopffiffen erfunden, von denen ich weiter oben gefprochen und in denen nur ber Naden ruht.

Eine Unterfcheidung in der Haartracht wie in China zwifchen Frauen und Jungfrauen wird in Sapan- nicht gemacht. Die fünfjährige Enkelin trägt das Haar wie ihre Großmutter, die Gemahlin des Gouverneurs wie die Frau des Ruli, nur mit dem Unterfchieve, daß bie unendlich vielen Spangen, Nadeln, künftlichen Blumen u. f. w., von welchen das Haar ftarrt, dort von Gold, Silber und Schilppatt, hier von Raufchgold, Zinn und Kuochen gefertigt find.

Eine Kopfbedelung haben die Iapanefinnen nie; fie würde die zarte Structur des Haarſchmucks bedrohen. Bei ber Trauer follen die Frauen von Kopf bis zu Fuß in grobe Leinwand gehüllt, Überdies auch der Kopf mit einer Mütze bedeckt fein; biefe wird jedoch nur ganz leiſe aufgelegt.

Die verheiratheten Frauen erfennt man an zwei Merk- malen, durch melde fie fich nach ber Hochzeit auszeichnen und enfftellen: fie vafiren die Augenbrauen ab und färben ihre Zähne ſchwarz. Das Färben ver Zähne mag vielleicht in frühern Zeiten, als die Sapanefen noch mit andern Ländern verfehrten, aus dem Indiſchen Archipel Üüberfommen fein, je- doch iſt es wahrfeheinlicher, Daß es ebenfo wie das Raſiren ber Augenbrauen nur vorgenommen wird, um zu entftellen.

In Japan hat jeder Vorgefekte das Recht, fich die Frau jeines Untergebenen zu nehmen, wenn fie ihm gefällt, Um biefem Gefallen vorzubeugen, haben die armen Männer jene Moden erfunden. Einen Vorzug behalten die Iapanefinnen aber doch vor den malalifchen Weibern, fie kauen feinen ' Betel, und da laſſen fich die fehwarzen Zähne ſchon eher er- tengen. Dagegen find fle aber wie ihre Männer leidenſchaft⸗

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liche Raucher. Doch die eleganten Miniaturpfeifen mil Metalffpigen und Köpfen, nicht größer als der Nagel am Heinen Finger, haben nichts Widerliches. Die Tabads- tafche von gepreßtem leberartigen Papier und das Futteral aus gleihem Stoff find zierlih und elegant wie bie Pfeife ſelbft, und das Rauchen wird auch gerade nicht übertrieben. Zwei, drei Pfeifen und aus jeder nur zwei, drei Züge, bamit ift dem Drange Genüge geſchehen. Die Pfeife wird forgfältig in ihren Behälter zurücdgebracht und biefer an einen ebenfo fein als bizarr gefchnitten Knopf aus Elfenbein over hartem Holz an den Gürtel gehängt oder bis auf weiteres in biejen jelbft geſteckt.

Ich glaube, es gibt fein Land in der Welt, wo fich bie Frauen und Mädchen nicht fehminten ober bemalen, und Japan macht feine Ausnahme. Bei uns trägt man gemeinlich roth auf; in den tropifchen Colonien ift Bläffe anftänbig, und die Europäerinnen und Halbblutvamen ſchminken fich da weiß. Die Ehinefinnen malen ihre Lippen roth, die Iapanefiunen dagegen ſchminken ihr ganzes Gefiht, Hals und Naden bis über die Schulter weiß und bie Baden und Lippen roth. Bon weitem macht das einen fehr guten Effect, in ber Nähe ift e8 oft ftörend, weil die Farben gewöhnlich zu ftarf auf- getragen werben, Ein außergewöhnlicher Schmud bei jungen Mädchen ift noch das Vergolden ber Lippen, nach japaniichen Begriffen wahrfcheinlich bezaubernd, nach unfern häßlich und entjtellend. Da läßt man fich noch eber die goldenen Zähne gefallen, die malaiiſche Stuter fich einſetzen. Aber man denke fih einen fchwellenden Mädchenmund mit goldenen Lippen!

Sind ſchon die japaneflfchen Männer kein bäßlicherer Menſchenſchlag als die Chinefen, jo dürfen die Frauen fich breift mit ihren Nachbarinnen in die Schranken ftellen. Während man in China lauge nach einem hübjchen Geficht zu fuchen Hat, fieht man in Iapan wenig häßliche, und wir haben

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in Nangafafi zwei junge Mäpchen Fennen gelernt, bie felbft in europäiſchen Salons ale Schönheiten allgemeine Bewun- . berung erregt haben würben. Beide maren gewöhnliche Bürgerstöchter. Die eine wurde bei einer Spaziertour in

- eitem Fiſcherdorfe, Mogi, entvedt, hieß fortan „das fchöne

Mädchen von Mogi”, und alles wallfahrtete nach dem Dorfe, um bag veizende Rind zu fehen und zu bewundern, zu nicht geringer Freude der Mutter, bie nicht nachließ, jedem mit Stolz. zu erzählen, daß ſie die Mutter ſei. Daß es in ven höhern Kreifen nicht an Schönheiten fehlt, fahen wir an einer Photographie. von einer der Töchter des Gouverneurs von Nangafafi, die von einem Japaneſen aufgenommen mar und uns gezeigt. wurde. Gegen viefe frijchen, blühenden Ge— fichter kommen einem bie meiften Chinefinnen mit ihren ein- gefallenen farblofen Wangen wie Todtenköpfe vor. Sch habe bier nämlich noch zu bemerfen, daß die Sapanefinnen von Natur einen viel weißern Teint als jene und, ſelbſt unge ſchminkt, fchöne rothe Baden befigen, was man in China nie findet. Dabei ift alles jo ſauber, veinlich und appetitlich, d. b. im Durchfchnitt, daß man fich in das ganze Land ver- liebt. retlich gibt e8 auch Ausnahmen, und ein Filcherborf in der Nähe Nangafafis mobiftcirte meine Anfichten in etwas. Bis dahin war ich von der "allgemeinen Xeinlichkeit der Ja⸗ panefen aufs höchite entzüct; hier fand ich es jedoch tout comme chez nous unter ähnlichen Berhältniffen. Erbärm⸗ liche Hütten, wie ich fie kaum jchlechter in China gefehen, zerlumptes fchmuziged Voll, ungewafchen und ungekämmt, voll, von Ungeziefer. Ob vielleicht eine Calamität, Erbbeben oder Drand die Leute fo zurückgebracht hat? Jedenfalls war Dies aber das einzige Dorf, welches ich in einem folchen Zuftande jah, und ich muß im allgemeinen vabei jtehen bleiben, daß bie Sapanefen fo reinlich find wie fein zweites Volk der Erde. Allabendlich, Winter oder Sommer, wird ein warmes Bad

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genommen und ber ganze Körper gründlich abgefeift. Jedes einigermaßen anftändige Haus befigt eine Badeanſtalt mit falten, warmen und Dampfbäpern, und für Fremde und biejenigen, welche fein eigenes Hans haben, gibt es eine große Zahl öffentlicher Bäper. Die Privatbäper Liegen im Hofe, find 4 Fuß hohe gemauerte Ehlinder, von ungefähr 3 Fuß Durchmeffer, unter denen ein Herb fich befindet. Oft fit die ganze Familie darin, und das Waffer wird fo heiß ge nommen, baß fie roth wie gefochte Krebfe herausfommen. Da jedoch, wie fchon bemerkt, die Häufer mit ihrem ganzen Innern von der Straße überjehen werben, fo wird der Vor- übergehende unmwillfürlich Augenzeuge dieſer Familienſcenen, und zwar aus nächſter Nähe, ohne daß irgend Vorkehrungen dagegen getroffen wären. Ebenſo baden in den öffentlichen Bädern Männer, Frauen, Kinder, Greiſe, junge Mädchen und Jünglinge, alles ungenirt mit- und durcheinander. Die Frauen werden von männlichen Badewärtern bedient und abgewaſchen und es iſt weder von Schwimmhoſen noch Bade⸗ mänteln die Rede. Ueberhaupt zeigt ſich nach dieſer Richtung hin die Kehrſeite des japaneſiſchen Charakters. Es iſt das liebenswürdigſte, freundlichſte, wohlerzogenfte und höflichfte Volk; aber Scham und Sittſamkeit ſind Begriffe, die ſie nicht kennen und wofür wahrſcheinlich ihre Sprache nicht einmal einen Ausdruck beſitzt. |

Man jagt zwar, naturalia non sunt turpie, aber alles hat feine Grenzen. Obwol wir burch frühere Reifebefchreiber ſchon etwas vorbereitet waren, wurden unfere Vorftellungen von ber Wirklichkeit doch weit übertroffen. Oft waren wir ganz erjtarrt, und felbft wenn bie Delicateffe es erlaubte, einzelne Scenen, die wir erlebt, wiederzugeben, würde man mid) geradezu der Unwahrheit bezichtigen, ohne daß ich es jemand übel nehmen könnte. Ich felbft würde es nicht glau- ben, wenn ich es nicht gefeben hätte. Anfänglich waren wir

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wirklich in Zweifel, was wir davon denken follten, und fehr geneigt, bier eine paradiefifche Unſchuld zu ſuchen, aber freilidy überzeugten wir uns fpäter, daß e8 in Japan überhaupt feine Unfchuld in unferm Sinne gibt. Die Naturalia und ihr Studium fcheinen einen Theil der Schulbildung auszu- machen; die obfcönften Gegenftänve, bilolich und plaftifch dar⸗ geftellt, hängen als Spielzeug öffentlich in allen Läden. Der Bater bringt diefe Dinge feinen Töchtern, die Mutter ihren Söhnen, ber Bruber feinen Schweitern, und das Kind von 10 Jahren ift fchon mit allen Myfterien ver Liebe fo vertraut wie bei uns faum eine Matrone. Man müßte die Japaneſen als verworfenes Gefinvel bezeichnen, wenn man fie einfeitig nach dieſem Mafftabe beurtheilen wollte Das darf man jedoch nicht; die Japaneſen find ſchamlos, aber nur weil fie nicht wiffen, was Scham tft. In Iapan verftößt es z. B. nicht gegen die Sitte, wenn ein junges Mäpchen in bie nach der Straße mündende Thür eines Badehaufes tritt und fich mit einem Vorübergehenden unterhält, während. fie fich ab- trodnet oder Kühlung zufächelt. Niemand findet etwas barin, und ich glaube, man hat dabei nur aus der Noth. eine Tu- gend gemacht. Die ganze arbeitende Klaffe der Handwerker und Kuli geht bis auf einen fchmalen Gurt um die Hüften im Sommer vollftändig nackt, und ebenfo zwingt die Hitze bie Frauen, fih im Haufe oder bei der Arbeit des nationalen Rocks zu entlebigen, wo daun nicht viel übrig bleibt. Scham tft ein Begriff, der nicht nur durch. feineres Gefühl, fonvern ebenſowol durch das Klima modificirt wird; je wärmer das Klima, defto weniger genirt man fich und kann man fich in ber Kleidung geniren. Man würde in Deutfchland uud Eng- land ein jchönes Gejchrei erheben, wenn und bie Dame vom Haufe bei einer Morgenpifite nur mit einem Sarong und einer Kabaie beffeivet und barfuß in Pantoffeln empfinge, wie Dies in den tropifchen Eolonien bei allen Europäerinnen

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Sitte ift. Die Japaneſen haben fich daher wahrfcheinfich ge- fagt: „Wozu follen wir eine Sitte forciren, die nicht zum Klima paßt?” So denke ich e8 mir wenigfteus, unb bie Richtigkeit diefer Annahme geht mir eben aus ver fo ganz und gor ungenirten Behandlung der Naturalia bervor. Die Deffentlichleit, mit der man im allen viefen Sachen zu Werke geht, iſt der befte Beweis, daß hier Sitte ift, mas bei uns Unfitte. Ueberhaupt aber frappirt e8 uns nur darum fo fehr, weil die Iapanefen uns an Körper und Geift näher fteben als 3. B. Neger, Indianer, Malaien, deren Nacktheit und moralifche Zuftänbe wir von vornherein mit ganz andern ı Augen betrachten. Befinden wir uns jeboch in Gejellfchaft von Menſchen, deren Umgangsformen faft europäiich find, und bie jich überhaupt durch feines, taftuolles Benehmen nach unfern Begriffen auszeichnen, jo legen wir unwillfürlich unfern Bildungsmahftab in jeder Beziehung an, und e8 muß uns ebenfo fremb als unangenehm berühren, plötzlich auf etwas zu ftoßen, was ſich von unfern gewohnten Anſchauun⸗ gen fo weit entfernt.

Dean Tann fich aber darauf verlaffen, die Japaneſen find darnum nicht Tchlechter als andere Menſchen, weit fie andere Begriffe von Sittfamfeit und Schambaftigfeit haben. NRie- mand, ber das liebenswürbige Volk näher fennen gelernt, wirb ihm ein Verbrechen daraus machen, etwas Natitrliches öffent- lich zu behandeln, was bei uns bie Sitte zu verſchleiern trachtet.

Ganz im Einklange mit jenen Anfichten fteht die Einrich- tung der Theehäufer in Sapan. Die Theehäuſer find Re— jtaurationen und ftet8 Borbelle, in denen man 20—40 und mehr Mädchen findet. Nur ift zwifchen diefen und ähnlichen Anftalten bei uns der bedeutende Unterfchied, daß jene ſämmt—⸗ ih unter genauer Controle der Regierung ftehen, und vie Mädchen durch ihr Gewerbe burchaus nicht entehrt werben, während biejenigen Frauenzimmer, welche außerhalb ver

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Theehäuſer Proftitution treiben, bei den Japaneſen gerade fo verachtet find wie bei ung. Man fieht alfo, auch in Iapan gibt es Sittfamkeit und Scham, nur find die Grenzen biefer Begriffe fehr enge gezogen. Die Theehäufer darf man, fa paradox dies manchem auch klingen mag, als Penfions- und Erziehungsanftalten für junge Mäpchen aus unbemittelten Bür- gerfamilien betrachten. Arme eltern, die eine Menge Kin- ver haben und vorausfichtlich fie nicht gut ernähren können, geben ihre Töchter vom neunten oder zehnten Jahre an auf eine beftinmte Reihe von Iahren, gewöhnlich zehn oder zwölf, in ein Theehans. Dies gefchieht contractlich unter Aufftcht des Staats, der die ven Neltern zu gewährende Entſchädigung bejtimmt und gewiffermaßen die Vormundfchaft der Kinder übernimmt. Die Theehäufer find Reſtaurationen und bie Clubs der jungen Männer, die fie ver Mädchen wegen be- ſuchen. Es liegt deshalb im Intereſſe der Wirthe, nicht allein hübſche Mädchen zu halten, fondern fte auch fo gut als möglich zu erziehen, ihre etwaigen Zalente auszubilden und durch fie Säfte anzuloden. Es wird daher auf bie Erziehung der Mädchen alle Sorgfalt verwandt. Sie lernen nit nur alle weiblichen Fertigfeiten und werben zu guten Hausfrauen herangebildet, jondern man unterrichtet fie auch in Mufik, Tanz, Leſen, Schreiben, wie fie e8 im älterlichen Haufe nie würden erlangt haben. Mancher Bürger der Mittefflaffe holt fih Frauen aus dieſen Theehäuſern, und biefe ftehen unter ihres Mitmenſchen fortan ebenfo geachtet da, als ob fie al8 Iungfrauen das Haus ihres Bräutigams betreten Hätten.

In Yokuhama hat die Regierung allein für die Fremden ein Theehaus, das ſogenannte Gankyro, bauen laſſen, das, auf prachtvolle Weiſe eingerichtet, faſt an europäiſche Städte erinnert. Es enthält nicht weniger als 300 Zimmer und ebenſo viele Mädchen, die in drei verſchieden tarirte Klaſſen

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zerfallen. Wegierungsbeamte leiten die Verwaltung diefer Anftalt, und in ihren Händen rubt der gefchäftliche Theil des Stabliffements. Gewiß ftcht dieſe Sache auch einzig im ber Welt da, die Regierung als Bordellwirthl Was läßt fih darüber fagen? Es ift einmal fo Sitte, man findet nichts darin, und ihr Anfehen beim Volle Teidet nicht dar⸗ unter.

Trotz alledem zeichnen ſich die Iapanefinnen, mögen fie in einem Theehauſe oder in einer Familie erzogen fein, burch ein fittfames Aeußere und feines Benehmen aus. Ein Frauen- zimmer ohne Scham bei uns wird gemein, efelhaft und ver- räth ihren Charakter durch ihr Benehmen. Den Japaneſin⸗ nen ift Takt und Grazie angeboren, fie verleugnen fie nie und werben nie gemein. Ob bie Ehen, deren Bränte bie Theehäufer liefern, ſehr glücklich werden, laſſe ich dahinge⸗ ftellt fein; es iſt ſchwer, darüber richtig zu urtbeilen. Allein nach allem, was ich vom Gemütbsleben ver Japaneſen in Erfahrung habe bringen können, ift Liebe felten oder nie das Motiv einer Ehe, und oft machten die Frauen und Mädchen ben Einprud, als wäre Liebe ihnen ein unbefanntes Gefühl. Ih habe wol eltern ihre Kinder und dieſe umgekehrt ihre Aeltern Tieblofen jehen, aber nie vergleichen bei Eheleuten wahrgenommen, unb bie Europäer, bie in Kanagava unb Nangaſaki jahrelang mit Iapanefinnen wie Mann und Frau lebten, aljo wol ein Urtheil darüber haben konnten, waren auch der Anficht, dag Iapanefinnen Liebe in ber eblern Be» deutung des Wortes gar nicht kennen. Man Tann ihnen je boch feinen Vorwurf daraus machen. eltern» und Kindes⸗ liebe pflanzt die Natur auch den Thieren ein. Was aber bie Gefchlechtäfiebe an edlen Negungen und feinem Gefühl befigt, ift Refultat der Erziehung, der Bildungsſtufe, ber Sefeßgebung und der Religion. Wahre Liebe ift undenkbar ohne feines Schamgefühl; ein Mädchen, das aus irgendwel⸗

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chen Gründen dies nicht befitt, kann weder Liebe fühlen noch geben, und ein Chegefeß, das dem Mann geftattet, beliebig viel Frauen zu nehmen, Tann Liebe nicht weden. Die japa- nifhen Frauen nehmen in der Familie nicht die bebeutenpe Stellung ein wie in China, find jedoch keineswegs die Sfla- vinnen des Mannes, wie e8 im übrigen Orient der Tall ift, fondern ftehen ihm in der Häuslichkeit und bei der Erziehung ber Finder belfend zur Seite, und weım auch Liebe nicht bie Gatten bindet und Glüd in das Haus zieht, fcheint die Ehe doch beiderfeitig hoch genug geachtet zu werben, um fie nicht purch jene Ausbrüche von Roheit und Gemeinheit zu befleden, bie man in unfern civilifirten Staaten leider fo häufig findet. Daß ein Mann feine Frau mishandelt, fommt nie vor, ja nicht einmal Zank oder Schimpfworte verlegen bie Anſtands⸗ formen, die Erziehung und Herkommen zum Gefeße erhoben haben und bie im Äußerlichen Leben auf eine Weiſe beobach- tet werben, wie man es wol nirgends anders findet. Sie find allen Schichten der Gefellfchaft eigen, und zwei befannte Straßenfehrer oder Dienftmäpchen begrüßen jich auf biefelbe höfliche und originelle Art wie Perfonen aus den höhern Ständen. Begegnen fih z. B. ein paar Bekannte auf ber Straße, jo bleiben fie einige Schritte voneinander entfernt jtehen, bücken fich, Tegen bie Hände auf vie Knie und reiben, unter beftändigen Verbeugungen und dem japanifchen „Oheio anneta” und „Saginada“ (Guten Tag und Leben Sie wohl!), ihre Schienbeine auf und nieder. ‘Dabei ift ver Ton der Sprache leife, janft und von einem wiederholten Einziehen des Athens burch die Zähne begleitet, das ein zifchendes Geräufch macht und ſtets von GTleichgeftellten gegeneinander oder von Unter- gebenen gegen Höherftehende beobachtet wird. Wollen bie Betreffenden dagegen miteinander fprechen, fo boden fie beide nieder, ftüßen fich auf die flach auf den Boden gelegten Hände und halten in biefer Lage, mit dem Kopfe nieder- und

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etwas ſeitwärts gebogen, ihre Unterredung, ohne ſich jedoch anzuſehen. Die Männer halten die Hände dabei auswärts, die Frauen nach innen gelegt. Natürlich wird dieſe Ceremonie in gewiſſen Fällen, wenn es z. B. geregnet hat, beſchränkt, um ſich nicht die Hände zu beſchmuzen, aber bei trockenem Wetter kann man derartige Begrüßung in jever Straße häufig wahrnehmen.

Die Heirathen in Japan find unter ben hehern Ständen jtet8 Convenienzheirathen; bei ven Mittelflaffen waren fie es bis nor nicht langer Zeit ebenfalls, und der Bräutigam ſah feine Braut zum erjten male, wenn fie am Hochzeitsabend fein Haus betrat, e8 jei denn, daß er fie fich aus einem Thee⸗ haufe gewählt hätte. Jetzt fieht er fie zwar ſchon früher, aber die Heirath bleibt eigentlich immer noch das NRefultat fuger Berechnung, und Neigung fpielt babet nur eine unter- georpnete Rolle. .

Die meiſten Sitten der Iapanejen find auf die chinefifchen begründet und als folche reich. an Etikette. Je höher bie Perfon in gefellfchaftlicher Beziehung fteht, deſto weitläufiger ift das Ceremoniell, während man bei der bürgerlichen Klaſſe etwas weniger Umftände macht. Ich Habe Feine Gelegenheit gehabt, eine Hochzeit mit anzufehen; die nachſtehende Be- ſchreibung habe ich jevoch von Augenzeugen und gebe fie, wie fie mir erzählt ward, mit der Bemerkung, daß bier von der Mittelflafje die Rede ift, zu der Kaufleute und Handwerker gebören.

Wie in China, wird die ganze Verhandlung durch Meittels- perjonen eingeleitet, bie entweder die Sache geichäftsmäßig treiben ober aus dem Kreiſe ver Verwandten dazu gewählt werben. Jedoch fallen alle Wahrfagerförmlichleiten fort, denn bie Japaneſen find viel zu aufgeflärt, um fich von dieſen Gaunern das Geld aus der Tafche Inden zu laſſen. Iſt vie Sache abgemacht, fo fhidt der Vater des Bräutigams dem

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Bater der Braut Geſchenke, die der Vermittler überbringt und dafür Gegengefchenfe empfängt.

Alsdann wird die Ausftener der Braut bereitet, die genau vorgefchrieben ift, und aus folgenden Sachen bejteht: Ein weißes Hochzeitskleid mit gold- und filbergeftidten Kragen und Aermeln; vier andere Kleider, roth, ſchwarz, gelb und weiß; verichievene andere volljtändige Anzüge; ein bider mit Pelz gefütterter Rod, als Nachtfleiv; Matragen, Kopfkiffen, Handſchuhe, Teppiche, Handtücher, ein Mantel, ein Sänften- überzug; ein Sad mit getrodneten Kräutern, die in das Wafch- waſſer geftrent werben, ein Beutel mit SZahnftochern, ein Bund Haarſchnüre, ein Hanbfpiegel, eine kleine Kiſte mit Mediein, ein Käftchen beſte Schminke für die Lippen, mehrere Rollen Padpapier, ein Padet Briefpapier, eine Art Harfe, Rollo genannt, eine Öuitarre, ein Schreibzeug, ein Nabel- kiſſen mit verfchiedenen Arten Nadeln, ein Kaften mit Käm— men, eine Krufe mit Mixtur, um die Zähne ſchwarz zu fär- ben, Zangen zum Brennen der Haare, Scheren, ein Brief: faften, ein Kaften mit Rafirmefjern, ein Platteifen, einige Körbe und Gefäße, ein Heiner Dolch mit weißer Scheibe in einem Futteral (ein Talisman gegen böje Geifter und Aus- bünftungen), Höflichfeitsfarten von buntem Papier mit Gold oder Silber brocirt, die um Geſchenke gewidelt werben, Nofi oder eßbares Seegras, von dem ebenfalls jedem Ge— ſchenke ein Stüdchen angeheftet wird, Seivdenzwirn, Bambus- ftangen, um Zeug barauf zu trodnen, verſchiedene Sorten Fächer und eine Bank, um die Elnbogen darauf zu ftügen, wenn bie Hausfrau nichts zu thun bat. Dazu fommen noch verſchiedene Bücher, Erzählungen, Gebichte, ein Buch über bie Pflichten einer verbeiratheten Frau und ein anderes über bie Etifette bei der Dochzeitsfeierlichkeit.

Wenn dieſe Ausftener fertig ift, werben ver Vermittler und feine Frau in das Haus bes Brautvaterd geladen und

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ihnen: zu Ehren. ein Mahl angerichtet. Ein glücklicher Tag wird beftimmt und an ihm die Ausfteuer nebft einem Ber- zeichniß der Gegenftände gegen Quittung in das Haus bes Bräutigams gefchidt.

Am Hochzeitstage wird ein gewandtes Dienftmädchen zivei- ter Klaſſe zum Haufe ver Braut gefchiett, um biefe zu bedie⸗ nen. Es gibt nämlich in Japan brei Klaſſen von Dienit- mädchen: die Mäpchen erfter Kaffe, unfere Rammerjungfern, machen die Kleivung und das Haar ihrer Herrin und halten ihr Zimmer in Orbnung; die zweite Klaſſe bedient fie bei Tiſch, begleitet fie bei Ausgängen und forgt für die Kinder; bie dritte Klaſſe beforgt die Küche und fonftige ſchmuzige Arbeit. Alle drei Klaffen dürfen nur aus ben Theehãnſern genommen werden.

Bevor die Braut das älterliche Haus herlaßt, gibt ihr Vater allen ſeinen Verwandten ein Feſtmahl. Der Brautzug begibt ſich dann in Sänften zum Haufe des Bräutigams; zuerſt die Frau des Vermittlers, dann bie Braut, dann bie Brautmutter und zuletzt ihr Vater; der Vermittler ſelbſt iſt ſchon vorausgegangen. Die Braut iſt weiß (Trauerfarbe) ge⸗ kleidet, da ſie fortan als todt für ihre Aeltern betrachtet wird und wie in China als Tochter von ihres Mannes Aeltern gilt.

Im Haufe des Bräutigams ift an der rechten Seite ber - Thür eine alte Frau und links ein alter Mann aufgeftelit, deren jedes einen Mörſer mit etwas Reiskuchen darin hält. Wenn die Sänfte ver Braut vor der Thür anlangt, beginnen fie ven Inhalt des Mörjers zu zerftoßen, indem ver Mann fagt: „Tauſend Iahr” und die Frau „Zehn Tanfend” Anfpielungen auf die angenommene Lebensdauer der in as pan heiligen Kraniche und Schifpfröten, die zu Gunſten ber Braut angerufen werben. Die in den Mörfern geftoßenen Kuchen werden dann zu Einem verbaden und biejer auf dem Toko, dem Ehrenplag für Fremde, aufgeftelft.

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Beim Eingange in das Haus wird die Brautfänfte vom Bräutigam in Empfang genommen, während ihm gegenüber eine Fran mit einer Laterne ſitzt. Bei dem Lichte biefer La⸗ terne ſah früher der Bräutigam feine Zufünftige zum erften mal, und er hatte, wenn fie ihm nicht gefiel, das Recht, jetzt die Ceremonien abzubrechen und die Heirath rückgängig zu machen.

Die Braut reicht darauf ihr Marmori, eine Art Amnlet von Holz, Metall oder Stein, durch das Sänftenfenjter dem Verlobten zu, der e8 durch ein Dienftmädchen nach dem Hoch- zeitözgimmer bringen und dort aufhängen läßt. Ste jekbft wird son ihren Begleiterinnen dahin geführt und erwartet dort ven Bräutigam. Außer vier Brautjungfern, wenn man fie fo nennen will, wohnt niemand ber Trauungsceremonie bei al8 der -Bermittler und befjen Frau.

Die eheliche Verbindung wird dadurch vollzogen, daß bie Verlobten auf eine beſondere Weife Saft miteinander trin- Ten. Der Saki wird durch zwei der Brautjungfern ſervirt, von benen bie eine ver männliche, die andere der weibliche Schmetterling genannt wird, weil ihre Safiflafchen mit Schmetterfingen verziert find. Da dieſe Inſekten meiftens paarweife fliegen, follen fie das neuvermählte Paar baran erinnern, wie jene zufammenzuhalten.

Der männliche Schmetterling gieft Saft in die oberfte breier ineinander geftellter Schalen, aus welcher die Braut, indem fie biefelbe mit beiven Hänben anfaßt, preimal nippt, und die fie dann dem Bräutigam reicht. Diefer trinkt eben- falls breimal, ſtellt die erfte Schale unter die dritte, läßt bie zweite vom weiblicden Schmetterling füllen, trinkt wie vorher und überreicht der Braut die Schale. Diejelbe Ceremonie wird mit der noch übrigen britten Schale vorgenommen, und bamit ift bie Ehe gefchloffen. Die da⸗ von benachrichtigten Verwandten, die unterveffen in andern Zimmern verweilten, kommen jet herbei und fegen fich in

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fegen fih in einer beftimmten Neihenfolge, um von ben Schmeiterlingen nah Anwelfung des Vermittlers mit Sali bebient zu werben, wodurch die zwifchen Braut und Bräutis gam vollzogene Berbindung auch ihre Anerkennung erlangen ſoll.

Danach werben bie Gefchenfe der jungen Frau an ihren Mann, deffen Verwandte und Diener übergeben und diefer bejchenkt dagegen feine Verlobte mit einem rothen und einem ſchwarzen Kleide, beide mit Gold und Silber geftidt, vie fie in einem Nebenzimmer anzieht.

Nach einem Feſtmahle werden die jungen Leute von ihren Aeltern bis an bie Thür der Brautfammer geführt und allein im Haufe gelaffen. Am andern Morgen nehmen fie ein warmes Bad und frühftüden zufammen. Dann fommen von Freunden und Verwandten die Hochzeitögefchenfe und Viſiten, und nach drei Tagen macht vie junge Frau in Begleitung ihrer Schwiegermutter oder einer Ältern Anverwandten allen denen Befuche, die Gejchenfe gebracht haben, und gibt Gegen- geſchenke. Sieben Tage nach der Hochzeit wird ber junge Ehemann von feinen Schwiegerältern zu einem großen Feft- mahle eingeladen und einige Tage darauf revanchirt er fich gegen bie Verwandten feiner Frau auf ähnliche Weife, womit bie Hochzeitsfeierlichleiten gefchloffen find.

Ich habe bereits bemerkt, daß ein Mann fich fo viel Concubinen nehmen Tann, wie er will. Selbft die moralifchen Rückſichten, die ein folches Verfahren in China ſehr befchränfen, fallen bier fort. Die Kinder der Nebenfrauen werden von ber rechtmäßigen Frau aboptirt und legtere im Verhältnif zu - ber Zahl ihrer eigenen wie ihrer aboptirten Kinder reipectirt. Dies gilt jedoch nur von dem nicht abelichen Theile des Volt. Bei dem Adel haben bie Kinder ver Concubinen Teinen An- ſpruch auf Erbfchaft, und die rechtmäßige Frau kümmert fich nicht um fie; ja, oft laufen folche Gefchäpfe als Bettler auf ver

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Straße umher. Söhne find in Japan ebenjo wie in China bon ben eltern heiß erfehnt, und im Falle männliche Spröß- Iinge fehlen, werden wie dort bie jüngern Söhne der Brüder aboptirt.

Die Japaneſen fcheinen auch das Sprichwort zu kennen: „Biel Kinder, viel Segen!” Wo wir hinfamen, wimmelte e8 von Kindern, und ich habe faum in China mehr gejehen. In Jeddo hatten wir in ber erften Zeit oft einen Schwarm von Hunderten hinter uns, die uns wol ein Todſchi! Todſchi! Chinefen nachriefen, für bie fie uns hielten, fonft aber fih merkwürdig anftändig betrugen. Ueberhaupt wirb die Jugend trefflih erzogen, und fogenannte „Gaſſenjungen“ gibt es in Japan nicht. Wenn das ruhige, höfliche und fanfte Wefen der Iapanefen theilweife in ihrem Charakter begründet fein mag, fo ift e8 doch bejtimmt auch großentheils ein Reſultat der Erziehung. Der Bater hat wie in China un- beichränfte Gewalt über feine Familie, aber felten wendet ex fie in firengem Sinne an. Die Kinder werben mit großer Sorgfalt erzogen, aber faſt nie gezüchtigt und ebenfo wenig gefcholten. Mit bemwunderungswerther Geduld fuchen die Aeltern fie durch gütiges Zureden und Vernunftgründe von ihren Unarten abzubringen, und dies Shitem hat fo guten Erfolg, daß Kinder von 10—12 Jahren ſich Hug und gejegt wie erwachſene Menfchen benehmen.

Zur Schule werben. fie im fiebenten oder achten Jahre geſchickt, lernen dann aber defto ſchneller. Die Schulbildung des Volks ift noch allgemeiner als in China. Während fie ſich dort meiftens nur auf den männlichen Theil ver Bevöl⸗ ferung erftreckt, fchließt fie bier auch das weibliche Gefchlecht ein, obwol e8 ebenfalls nur Privatfchulen im Lande gibt. Die Dienſtmädchen in Iapan benugen ihre freie Zeit, um fih gegenfeitig freunpfchaftliche Briefe zu fchreiben, und der mit Lumpen bevedte Kuli überrafcht uns durch fein Ver⸗

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ftändniß des Lefens und Schreibens. Nach dem, was wir von ber Volksbildung gejehen, kann es kaum ein Procent ber Bevölkerung geben, das des Leſens und Schreibens unfun- dig wäre. Welches Land der Welt kann dies von fich be- haupten ?

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tbeil erfennen fie willig die Ueberlegenheit ver Europäer an, nehmen fie ungefcheut zu Lehrern und fuchen aus ihren Wer⸗ fen und Büchern das zu lernen, was fie felbft nicht willen. Dabei fommt ihnen ihr ungemeines Imitationsvermögen außerordentlich zu ftatten, aber biefes bejchränft fich nicht, wie in China, auf das Mechanifche und die Formen, fondern fchließt auch ein Verſtändniß der Ideen und des Geiftes ein.

Ihre Wißbegierve ift ungemein groß, und wo fie es un- belaufht von den Organen einer mistrauifchen Regierung thun können, fuchen fie durch Fragen ihren Schat von Kennt⸗ niffen auf jede Weiſe zu bereichern.

Nah welchen Richtungen bin und wie exrnftli man in Sapan beftrebt ift, fich andere Nationen zum Mufter zu neb- men und fich deren Kenntniffe anzueignen, mag aus folgender Thatſache erhellen. Bei der Uebergabe der Gefchenfe, welche der König von Preußen dem Taikun fandte, ftellte Graf Eulenburg ven Taiferlihen Commiffaren feine Attaches und unter ihnen ben Lieutenant von Brandt vor. Bei Nennung bes Namens fragte der eine der Commifjare, ob dies vielleicht ber Herr von Brandt fei, der die „Taktik ber brei Waffen‘ gefchrieben. Als ihm die Antwort wurbe, daß ber Vater ber Autor ſei, fchidte der Commiffar am andern Tage bem Sohne die japanefifche Ueberſetzung des Buches mit ber Bitte, dieſelbe als ein Zeichen ver Anerkennung für die Ver- bienfte feines Vaters anzunehmen.

In feinem Fache erfennen die Japaneſen aber bereitwilfi- ger die Veberlegenheit der Europäer an als in der Medicin. Bis vor kurzem ftand die japanefifche Heilkunde im allgemei- nen nicht auf viel höherer Stufe als vie chineſiſche. Wenn- gleich die Aerzte der holländiſchen Factorei auf Defima Ele- ven hatten, blieben diefelben doch ftetS vereinzelt. Seit ber Eröffnung des Landes hat aber die Negierung, welche trog ihres Abfperrungsfpftems ſchon die Inftruction ver bolländt-

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ſchen Aerzte duldete, jetzt ein förmliches ärztliches Lehrinſtitnt unter Leitung des holländiſchen Marine-Oberarztes Dr. Pompe in Nangaſaki eingerichtet, auf dem ſich zur Zeit unſerer An— weſenheit 18 Studenten befanden, und fie bat dadurch gezeigt, welchen Werth fie auf die wiffenfchaftliche Bildung europätfcher Aerzte legt. Um dem theoretifchen Unterrichte eine praftifche Ausbildung zur Seite zu ftellen, wird ein großes Hospital in Nangaſaki gebaut, und ba fich unter ben Zöglingen auch der Sohn des Faiferlichen Leibarztes Mas- motto, der präfumtive Nachfolger feines Waters, befindet, ein fehr anfgeklärter, wifjenfchaftlich gebildeter, und mie alle Studenten ver holländifchen Sprache purchaus mächtiger Mann, fo wird die mebicinifche Wiffenfchaft bald in Japan eine Stellung einnehmen wie in feinem andern Lande Aſiens.

Mora und Acupunktur find bisjegt die vorzüglichſten Heil mittel der Sapanefen, und namentlich wird bie erftere, wie in China, fehr häufig angewandt. Die innern Heilmittel find wie dort einfach, und ver Ginfeng fpielt ebenfalls eine große Rolle. Doch nimmt man davon feine jo gewaltigen Do- jen wie im Nachbarlande. Die meiften Arzneien werben in Pillen gegeben von der Größe der unferigen, bie man in den Apotbe- fen mit einer ſehr finnreichen Mafchine außerorventlich ſchnell und zu vielen Hunderten in wenigen Minuten verfertigt. Ein fehr beliebtes Mittel find auch ungeborene Hehe, getrocknet und pulverifirtt. Die Cholera, welche Japan vor mehreren Fahren [wer heimgefucht hat, wurde nach der Hufeland’fchen Makrobiotik behandelt, welches Wert ebenfalls in das Japa⸗ neftfche überfegt ift.

Für fremde Sprachen haben vie Sapanefen großes Talent; fie faffen fehr Yeicht deren Geift auf, eignen fih merkwürdig gut die Aussprache an, und von jenem Kanderwelſch der Chi⸗ nefen, das ich früher erwähnte, findet fich Yeine Spur. Bis jest find holländiſch und englifch, erfteres mehr in Nangafafi,

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leßteres mehr in Jeddo, die beiden Sprachen, in denen Dol⸗ metfcher ausgebildet werden. Seit unferer Ankunft wurde iedoch auch deutſch gelernt, und es mag als Beleg für die wunderbar fchnelle Auffaffungsgabe der Japaneſen dienen, daß ein Schüler des erwähnten Dr. Bompe, mit Namen Siva, der unferm Botanifer, Regierungsrath Wichura, jchä- tzenswerihe Ausfunft über die Flora des Landes gab, fich ein bejonderes Vergnügen daraus machte, alle japaneſiſchen Pflan- zennamen mit beutjchen Lettern, und zwar äußerjt fanber und correct zu fchreiben, obwol er vor Ankunft des Hrn. Wichura feinen veutfchen Buchſtaben Tannte, und dieſer überhaupt nur vier Wochen in Nangafafi verweilte.

Die Vorträge des Dr. Pompe werven holländijch ges halten, und feine Eleven jchreiben fie japanefifch nad. Wo findet man etwas Aehnliches? Wir waren vier Wochen in Sapan, als uns fchon aus den meilten Verkaufsläden in Yokuhama, fobald wir über die Straße gingen, ein: „Gu⸗ ten Tag, Preuß, wie geht's, wollen Sie nichts kaufen?“ ent- gegenfchallte. Nur r und 1 verwechſeln fie regelmäßig, und es ift ihnen nicht möglich, dieſe YBuchftaben richtig zu ge— brauchen.

- Die Erlernung der japanifchen Sprache ift für den Frem- den nicht jo leicht, obwol fie fehr in das Gehör fällt; jeboch prägt man ſich die Namen von einigen hundert alltäglichen Gegenjtänden und häufig vorkommenden Begriffen ſehr ſchnell ein, und mit ihrer fowie mit Hülfe der Mimik macht man fih bald verftändlih. Der Sprache aber vällig mächtig zu werben, dazu gehört ein vieljähriges Studium, ſchon weil es vier verſchiedene Schreib» und Drudweifen und zwei Sprech» weifen gibt, je nachdem man mit einem Höhergeſtellten over Untergebenen redet.

Man hat früher das Sapanifche vielfach für einen Dialekt des Chinefifchen oder wenigftens für fehr nahe verwandt ge-

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halten. Obwol dies, wie ich jchon früher bemerkte, durchaus unrichtig ift, erflärt fich dieſe Anficht leicht aus dem Umſtande, daß nicht nur bie gefchriebenen und gedruckten chinefifchen Charaktere in Japan vielfach in Gebrauch find und veritanden werben, ſondern daß auch die chinefiihe Sprache mit einem befonbern japanifchen Accent, der hauptfächlich die Nafallaute unterdrüdt und einzelne Confonanten weniger jcharf betont, als Gelehrtenfprache im allgemeinen Gebrauch ift und in Japan ungefähr die Stelle einnimmt wie das Lateiniiche zu Zeiten des Mittelalters in Europa. |

Außerdem Haben aber die Japaneſen ihre eigene Conver- fations- und Schriftiprache, durchaus verfchieven von jeder befannten und vielfilbig, während die chinefilche Sprache nur einjilbige Wörter aufzuweifen hat. Wahrſcheinlich eriftirte in Japan lange Zeit nur bie chinefifche Schreibweife, und noch jet gibt e8 eine Menge in jenen Charakteren gebrucdter Bü⸗ cher, allein man kann dieſe nicht als Ausprud ber japanifchen Sprache betrachten. Wer fie leſen kann, verfteht fowol bie chineſiſche Schrift als Converfationsfprache, oder follte dies nicht der Fall fein, fo muß er wenigitens die Bebeutung der für Begriffe ftehenden chinefifchen Charaktere Fennen. Im . Bezug auf das letztere haben wir in ven europälfchen - Sprachen etwas ganz Aehnliches in. unfern arabifchen Ziffern. Sagen wir zu einem Frangofen, der fein Deutſchk ennt: „Ein Hundert”, fo wird er e8 nicht verftehen, wol aber, wenn wir bie Zahl „100° fchreiben, indem er fofort das Bild oder ven Charakter für cent oder Hundert erfennt. Gerade fo ift es mit ben erwähnten beiden Sprachen. Chinejen und Ja— panefen haben z. B. für „Baum“ ganz verfchiedene Laute, aber denſelben Charafter für den fhriftlichen Ausdruck, und jo ift e8 erflärlich, wie jemand, der chinefifche Schriftfprache kennt, ein japanefifches Buch lefen und größtentheils verftehen fann, da außerdem die japanefifche Sprache diefelbe Eon-

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ftruction wie bie chinefiiche und die mteiften Sprachen bes djtlichen Aften bat. Es wird nämlich das Attribut vor Das Subject, das Apjectiv vor das Subftantiv, das Adverbium bor das Zeitwort u. |. w. gefett.

Immerhin bleibt das Verſtändniß aber noch fchwierig, weil die japanifhen Wörter vielfache Beugungen haben, welche die Ehinejen nicht fennen, und für welche ihre Schrift- ſprache Teine Zeichen befitt. Das Alphabet ber japanefifchen Sprache beiteht aus 47 Silben, bie burch drei angehängte Zeichen noch bis zu 144 vermehrt werden. Ebenfo wie wir unſer Alphabet mit den drei erften Buchftaben A BC be- zeichnen, jo nennt auch ver Japaneſe das feinige nach den drei erfien Silben das I-ro-fa. Da die Sprache nur eine jo bejchränfte Zahl von Silben befist und fo reich an Voca⸗

fen ift, follte man glauben, fie müßte jehr muſikaliſch fein

und fich Teicht mit .europäifchen Buchſtaben fchreiben laſſen, aber beides ift nicht der Fall. Sie enthält Laute, die uns fehlen, und gerade die Ausſprache macht die meiſten Schwie- rigkeiten. So gibt e8 Mittellaute zwifchen b und f, zwiſchen I und d, ſch und dich, g und ch, ch und 8, die wir gar nicht im Stande find wiederzugeben.

Für ihr Silbenalphabet feheinen die Japaneſen zuerft 47 vollkommen chineſiſche Charaktere, und ziwar die dem japa- nifchen Raute entjprechenden, gewählt zu haben. So z. 8. wurde für bie japanifche Silbe mi etwas Weibliches das chinefifche Wortzeichen für „weiblich genommen. Die- fem erften Alphabet fcheint ein zweites gefolgt zu fein, in dem die chineſiſchen Wortzeichen jehr abgekürzt ober zufammen- gezogen wurden.

Eine dritte und vierte Schreibweife iſt Chira-Kana und Kata-Kana, die Schreibweife der Frauen und die ver Män- ner, wie die Worte in der Ueberfegung lauten. Aus jener find die Formen der chinefiichen Schriftzeichen faft ganz ver-

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ſchwunden, in dieſer find 15 ber einfachften bebalten, bie übrigen 32 aber willlürlich genommen. Lebtere ift bie kür— zefte, eine Art Stenographie, und wird bauptfächlich zu Noten. und Erläuterungen angewandt. Kein einziges. japanijches Buch wird jeroh in einer und berjelben Schreibweife ge- druckt, und je gelehrier ein Autor fich dünkt, deſto mehr rein chineſiſche Worte fliht er in feine Werfe ein, ſodaß ſchon beshalb eine Kenntniß des Chinefifchen durchaus nothwenbig ift, um ein japanefiihes Buch zu verftehen. Dem renden wird natürlich hier das Verſtändniß um fo mehr erfchwert. Das Nomen hat im Iapanefifchen weder Gefchlecht noch Zahl; um den Plural auszuprüden, wird das Wort bisweilen wiederholt, und um das Gefchlecht von Thieren zu bezeichnen, fügt man die Worte wo (männlich) und mi (weiblich) hinzu, 3. B. wo-inu Hund, mi-inu Hündin. Die Declination und Bildung der einzelnen Cafus gefchieht durch Suffire, z. 8. fito - fitono - fitoni - fitowa - fitogori, der, des, dem, ben, mit dem Manne. Die Apjectiven haben gleichfalls weder Gefchlecht noch Zahl und werben ftets vor das zugehörige Subftantiv gefett. Präſens Indicativ und Infinitiv der Zeitwörter find gleichlautend und endigen ftetS auf u. Das Perfectum wird gebikvet durch Verwandlung des u in i nnd Anhängung von ta, 3.9. wird koku im Perfectum kokita; das Futurum ent- fteht nurch Verwandlung des u in o und Anhängung eines u, 3. B. koku, kokou. Der Imperativ verändert u ine, z. B. koku, koke, u. f. w. Flexion für Zahl und Berfon gibt es, wie fchon bemerkt, nicht. Um den Conjunctiv ver verfchledenen Zeiten auszubrüden, wendet man Partikeln on. Für die nega- tive Form bes Zeitworts befteht eine befondere Eonjugatton. Zeitwörter, Nennwörter und Fürwörter erleiden beſtimutte Veränderungen, je nachdem der Sprechende zu einem Höber: ftehenden oder Untergebenen redet. Dies gilt fogar von ab- wejenden Perfonen, und die Ehrfurcht vor einem höhern Range

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bifch ſprach, erflärte uns die einzelnen Scenen, aber uns war e8 unmöglich, fie auch nur im entferntejten aus den Be⸗ wegungen ber Actenre zu erkennen. Im Schaufpiel Dagegen ift die Mimik durchaus natürlich, gerade wie bei uns, und es bleibt mir ein Räthſel, weshalb man hier zwei jo ganz ver⸗ fchievene Arten des mimifchen Auspruds Hat. Als wir nah Japan kamen, fielen uns in allen Büchern, die zur Klaffe der Soft und Sagen gehören, die unnatürlichen und verbrehten Stellungen ver darin abgebildeten Perſonen auf; als wir jeboch das Theater befuchten, fanden wir ihre genaue Copie im Ballet wieber. Unjtreitig find bie SKörperverzerrungen Reiultate eines übertriebenen Pathos, das dadurch umnerträg- lich wird.

Driginell ift es, wenn in einem Drama plöglich eine komiſche Berfon auftritt, die mit dem Stüd gar nichts zu thun bat, fondern nur erfcheint, um eine Diverfion zu ver- anitalten, fobald der Gang der Handlung zu ernft oder wol gar tragifch zu werden beginnt und die Schaufpieler fürchten, baß bies dem Publikum unbehaglich fei. Jedenfalls ift biefe Naivetät ein gutes Kriterium für bie Eulturftufe ber brama- tiſchen Kunſt in Japan.

Die Garderobe iſt lange nicht fo ſchön wie in China, je⸗ doch immerhin fehr anſtändig. Die Scenirung liegt noch in der Kinpheit, ift aber boch weiter ausgebildet als in China. Es gibt Couliffen, und Gegenitände wie Brunnen u. ſ. w. werben wol auch auf die Bühne gebracht; im alfgemeinen fteht e8 jedoch um die Mafchinerie und Decorationen ſchwach. Das japanifche Theater befigt indeß einen bebeutenden Vor⸗ theil vor dem chinefiichen: es Hat auch weibliches Perfonal. Ich babe zwar nicht viel hübſche Gefichter darunter gefehen, allein es fagt ung doch mehr zu, eine Frauenrolle von einer Frau ſtatt von einem Mann mit Treifchender Fifteljtimmte ipielen zu fehen. Ä

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Bon andern bei den Sapanefen üblichen Kunftvorftellungen ift die Kunjtreiterei zu erwähnen, und wir hatten während unfers Aufenthaltes in Nangaſaki zulegt noch das jeltene Glück, ven Productionen einer einheimifchen Kunftreitergefell- Ihaft beiwohnen zu fönnen. Die Beſchreibung derſelben werde ich bei der Schilderung Nangaſakis fpäter geben; bier fei nur im allgemeinen bemerft, daß dieſe Art von Schaufpielen in Japan auffällig ift, da feine Bewohner durchaus fein Reitervalk find. Die wenigen Pferde im Befige des Volks werben zum Lafttragen benutzt, und nur Jakonins im Dienft reiten. Ich habe einmal die fünf Gouverneure von Jeddo zu Pferde ge- ſehen. Dies gefchah aber bei einer außerordentlichen Gelegenheit, und der Adel Hält fih nur Neitpferde, um fie den Sänften nachführen zu laffen, in denen man fich allgemein tragen läßt. Cavalerie habe ich nirgends gejehen, wenn man nicht bie Polizei» Iafonins eine Art berittener Gensdarmen bazır rechnen will. Japan ift ein fo gebirgiges Land, mit fo halsbrecheriichen Wegen, daß Cavalerie von geringem Nutzen fein dürfte und ich glaube faft, es gibt gar feine. Um fo mehr ift es deshalb zu bewundern, daß fich Kunftreiter unter ſolchen Verhältniſſen bilden und zeigen.

Die Ringlämpfer, von denen Berry in feinem Buche über bie amerifanijche Expedition nach Japan fo viel Aufheben macht, jahen wir in Yokuhama; ich kann jedoch nicht fagen, daß fie mich bejonders enthufiasmirten. Ihre ganze Kunſt war eben weiter gar nichts als ein Ringen, und derjenige blieb Sieger, ber den Gegner aus der Arena drängte. Die Truppe bejtand aus 16 Mann, die je zwei und zwei mitein- ander rangen. Bis auf einen Gürtel um ‚die Hüften gingen fie vollftändig nadt, und ich muß geſtehen, daß ich nie fo viele wirklich athletifch gebaute Geftalten beieinander geſehen habe. Keiner war unter 6 Fuß hoch, ihre koloſſalen Glieder und ihr gewaltiger Musfelbau verriethen Herculesfraft, und wie

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in China wurde auch bier der Beweis geliefert, daß Fleiſch⸗ nabrung fein nothwenbiges Bedürfniß einer fräftigen Ent- wicdelung des Körpers iſt. Die Japaneſen Ieben wie bie Chinefen von Reis, Gemüfen und Fifchen, aber unter ben Kulis findet man in Japan noch viel fräftigere Geftalten als in China. Berrh fchildert diefe Ringfämpfer als ſehr fett, und in feinem Buche find fie wie Fleiſchklumpen abgebilvet; davon haben wir jedoch nicht? gefehen, im Gegentheil waren fie fämmtlih von einem wunderfchönen Ebenmaß der Glieder und hätten bie beiten Modelle für einen Hercules abge⸗ geben. |

Die Vorbereitungen zu dem Ringfpiel waren fehr lang- weilig; ein ewiges Wafchen und Reiben der Hände mit Sand, Reden ver Glieder und Elafticitätsprobe ber Muskeln, Ab- wilchen des Körpers mit Papier und Ausfpülen des Mundes mit Waſſer. Was dies leßtere mit dem Ringen zu thun Hatte, Tonnten wir nicht enträthjeln. Im ganzen war das Schau— fpiel für uns fehr ermüdend; die Japaneſen find jepoch große Liebhaber von dieſen Ringkämpfen, die in größern Städten bei feiner feftlichen Gelegenheit fehlen und der Zufchauerraum iſt ſtets gedrängt voll. Eine ganz originelle Art der Beifalls- äußerungen muß ich bier noch erwähnen, bie unfern euro- päiſchen Gymnaſten und Actenren gewiß wilffommener wäre als Klatihen und Herausrufen. Als einige der Kämpfer einen ſchweren Sieg errungen hatten, flogen aus verfchievenen Logen, in benen dem Anfcheine nach reiche Kaufleute faßen, jeivene Röcke, wie fie die Iapanefen tragen, in bie Arena, und einer der gigantifchen Ringer erhielt deren nicht weniger als fünf, ein Gefchenf, das, ſelbſt nach japanischen Breifen berechnet, immer einen Werth von 20—25 Thalern Hatte. Das Eintrittsgeld war jedoch gar nicht nach japanischen Preifen berechnet, und wir mußten 1 Igebu (15 Silbergro- ſchen) pro Berfon bezahlen.

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Die Regierung ermunterrt die Heranbildung folcher Kämpfer dadurch, daß fie ihnen erlaubt, wie ber Abel und bie Soldaten zwei Schwerter zu tragen, obwol fie aus der unterften Volfsklaffe hervorgehen; eine Auszeichnung, auf bie fie nicht wenig ftolz find und nach der die Kaufleute z. B., mögen ſie noch fo reich fein, vergebens ftreben. Das Recht zum Tragen Eines Schwertes tft alles, was fie fich mit ſchwerem Gelbe erfaufen können.

Schauluſtig und neugierig find die Sapanefen in hohem Grade. Bald find es wilde und fremde Thiere, bald Mon⸗ jtra, die in den Stäbten gezeigt werben, ober e8 fpeculiren Zafchenjpieler und Akrobaten, Declamatoren und vagirenbe Schaufpieler auf die Liebhaberei ihrer Landsleute und machen dabei ſtets gute Gefchäfte.

Einer dieſer Künftler amufirte ung außerordentlich durch ein Spiel mit Schmetterlingen. Sein ganzer Apparat beſtand aus einem Blumentopf und einem Fächer. Bei Beginn der Vorſtellung nahm er zwei Stückchen buntes Papier und formte daraus mit ſeltener Naturtreue zwei allerliebſte Schmeiterlinge. Er warf fie dann in die Höhe und fette num feinen Fächer mit einer Gejchielichkeit in Bewegung, die uns vom Staunen zur Bewunderung hinriß. Die Schmetterlinge begannen gleich- fam zu leben, und wir trauten faum unjern Augen, als fie, durch ven Ruftzug bes Fächers gelenkt, ihren Flug bald hier- bald dorthin richteten, über den Blumen ſchwebten und Honig aus ihnen zu faugen. fchienen, dann im Zickzack in die Höhe flatterten, bald paarweife, bald getrennt, um fich ſchließlich auf die Hand ihres Schöpfers niederzu⸗ laffen und dort vor unfern Augen wieder zu todten Papier: ftreifen entfaltet zu werben. Ich erinnere mich nicht, jemals ein fo intereffantes, untexhaltendes und dabei fo kunſtvolles Spiel gefehen zu haben.

Die durch den gewinnfüchtigen Geift der Chinefen in fo

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in China wurde auch hier ber Beweis geliefert, daß Fleiſch⸗ nabhrung Fein nothwendiges Bedürfniß einer Fräftigen Ent- widelung des Körpers if. Die Japaneſen leben wie bie Chinefen von Reis, Gemüfen und Fiſchen, aber unter ben Kulis findet man in Japan noch viel fräftigere Geftalten als in China. Berrh fchilvert diefe Ringkämpfer als fehr fett, und in feinem Buche find fie wie Fletfchllumpen abgebilpet; davon haben wir jedoch nicht gefehen, im Gegentheil waren fie fämmtlich von einem wunderfchönen Ebenmaß ber Glieder und hätten bie beften Modelle für einen Hercules abges geben. | |

Die Vorbereitungen zu dem Ringſpiel waren jehr lang- weilig; ein ewiges Wafchen und Reiben ver Hände mit Sand, Reden ver Glieder und Elafticitätsprobe der Muskeln, Ab- wiſchen des Körpers mit Papier und Ausfpülen des Mundes mit Waſſer. Was dies leßtere mit dem Ringen zu thun hatte, konnten wir nicht enträtbfeln. Im ganzen war das Schau- fpiel für uns fehr ermüdend; die Japaneſen find jedoch große Liebhaber von dieſen Ringkämpfen, die in größern Städten bei Feiner feftlichen Gelegenheit fehlen und ver Zuſchauerraum ift ftet8 gedrängt voll. Eine ganz originelle Art der Beifalls- äußerungen muß ich bier noch erwähnen, bie unfern euro- päifchen Gymnaſten und Acteuren gewiß willfommener wäre als Klatſchen und Herausrufen. ALS einige der Kämpfer . einen ſchweren Sieg errungen hatten, flogen aus verſchiedenen Logen, in denen dem Anfcheine nach reiche Kaufleute faßen, jeivene Röcke, wie fie die Iapanefen tragen, in die Arena, und einer der gigantijchen Ringer erhielt deren nicht weniger als fünf; ein Gefchenf, das, felbft nach japaniſchen Preifen berechnet, immer einen Werth von 20—25 Thalern batte. Das Eintritisgeld war jedoch gar nicht nach japanifchen Preifen berechnet, und wir mußten 1 Igebu (15 Silbergro- ſchen) pro Berfon bezahlen.

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Die Regierung ermuntert die Heranbildung folcher Kämpfer dadurch, daß fie ihnen erlaubt, wie ber Abel und die Soldaten zwei Schwerter zu tragen, obwol fie aus ber unterften Volksklaſſe hervorgehen; eine Auszeichnung, auf bie jte nicht wenig ftolz find und nach der bie Kaufleute z. B., mögen fte noch fo reich fein, vergebens fireben. Das Recht zum Tragen Eines Schwertes ift alles, was fie fich mit ſchwerem Gelbe erfaufen können.

Schauluftig und neugierig find die Sapanefen in hohem Grave. Bald find es wilde und fremde Thiere, bald Mon⸗ ftra, die in den Städten gezeigt werben, ober e8 ſpeculiren Taſchenſpieler und Afrobaten, Declamatoren und vagirenbe Schaufpieler auf die Liebhaberei ihrer Landsleute und machen babei ftet8 gute Gefchäfte.

Einer diefer Künftler amufirte uns außerordentlich durch ein Spiel mit Schmetterlingen. Sein ganzer Apparat beſtand aus einem Blumentopf und einem Fächer. Bei Beginn der Vorſtellung nahm er zwei Stückchen buntes Papier und formte daraus mit ſeltener Naturtreue zwei allerliebſte Schmetterlinge. Er warf ſie dann in die Höhe und ſetzte nun ſeinen Fächer mit einer Geſchicklichkeit in Bewegung, die uns vom Staunen zur Bewunderung hinriß. ‘Die Schmetterlinge begannen gleich- fam zu leben, und wir trauten faum unjern Augen, als fie, duch den Luftzug des Fächers gelenft, ihren Flug bald hier- bald dorthin richteten, über den Blumen ſchwebten und Honig aus ihnen zu fangen. fchienen, dann tm Zidzad in die Höhe flatterten, bald paarweife, bald getrennt, um ſich fchlieglih auf die Hand ihres Schöpfers niederzu- laffen und dort vor unfern Augen wieder zu todten Bapter- jtreifen entfaltet zu werben. Ich erinnere mich nicht, jemals ein jo intereffantes, untexhaltendes und babei fo kunſtvolles Spiel gefehen zu haben.

Die durch den gewinnfüchtigen Geift der Chinefen in fo

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großer Anzahl in das Leben gerufenen Spielbuden aller Art findet man in Japan nicht. Der Iapunefe weiß mol ben Werth des Geldes zu fchäten, aber er macht es nie zu fei- nem ®otte, und das Streben nach Erwerb nimmt nicht bie oberfte Stelle in feinem Gemüthe ein. Wenn er fpielt, fo ift e8 die Luft an Aufregung, die ihn dazu fpornt, aber er wird es laffen, ſobald er Gelegenheit Hat, ein Schaufpiel zu jehen, das fein Intereſſe mehr in Anſpruch nimmt. Im früherer Zeit hatten die Portugiefen unfere Karten eingeführt, und die Japaneſen fpielten leidenſchaftlich; allein vie Regie— rung bat fich ins Mittel gelegt und mit prafonifcher Strenge das Rartenfpiel verboten. Statt deſſen ſpielt man eine Art Domino oder Schach. Lebteres ift von unferm jehr verſchie⸗ ben und viel complicirter. Mean bat dabei nicht weniger als 400 Figuren, die nach den verfchievenften Nichtungen fchlagen.

Gelage und Tafelfreuden find bei den Japaneſen fehr bes fiebt, und wollen fie fich etwas zugute thun, fo geben fie mit ihrer Familie und Freunden in ein Theehaus, um dort zu fpeifen und fi) von den Mädchen etwas vorjpielen ober vortragen zu Taffen. Faſt jedes junge Mäpchen lernt Guitarre jpielen und fingen; man mag zu irgendeiner Tageszeit in irgendein, Haus treten, in irgendeinem Zimmer hört man - gewiß klimpern. Die Guitarren haben einen mit ungegerbtem Kalbfell Überzogenen Reſonanzboden, find vierfaitig und wer- ben, wie in China, mit einem Stäbchen in Form eines But—⸗ terſtechers gefpielt. Der Gefang ift nicht fo kreiſchend wie bort, jagt unferm Ohr aber ebenfo wenig zu, wenngleich bie Melodien bisweilen burch ihre Eigenthümlichkeit etwas Anziebendes erhalten. Die Japaneſen find jedoch von ihrer Muſik fo eingenommen, daß fie felten ein Mahl halten ohne biefelbe, und Harfen- oder Guitarrenmäbchen find eine zahl« veich vertretene Klaffe. Nach Tiſche wird durch Safitrinfen und verfchiebene Spiele eine heitere Stimmung zu weden ge-

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fucht, namentlich durch Pfänberfpiele, bei denen ber Verlierer, ftatt ein Pfand zu geben, einen Trunk nehmen muß. In ben Theehänfern erjcheinen nach der Mahlzeit gewöhnlich Tän—⸗ zerinnen. Dieſe bilden wie die Öuitarrenmäbchen eine eigene Zunft, unterfcheiven fih aber von ben übrigen Mäbchen in ven Theehäufern dadurch, daß fie nicht wie dieſe zugänglich find. Man unterfcheidet zwei Arten Tänze. Die eine wirb von zwei, bie andere von einer Perſon ausgeführt. Bei ber eritern tragen die Mädchen eine Menge leichter ſeidener Röcke, bie fie während des Tanzes einen nach bem andern vom Oberkörper abftreifen, bis dieſer fchließlich ganz entblößt ift und die Kleider alle vom Gürtel herabbängen. Die Bes wegungen finb fehr einfach, und etwas beſonders Schönes läßt fih in ihnen nicht finden. Dagegen zeigt fich in der zweiten Tanzart, die ein Mädchen allein ausführt, vie ganze angeborene Grazie ver Iapanefinnen. Es iſt ein pramatifcher Tanz, infofern dadurch nicht allein Affecte, fondern der Ver- lauf einer längern Handlung, gewöhnlich einer Liebesaffaire, bargeftellt wird. Die Bewegungen find ungemein anmutbig und ausdrucksvoll, "dabei jedoch fehr ruhig, und eigentlich ift der Zanz nur ein Geben, bei dem Arme und Oberkörper pas Meijte zu thun haben. Die Tänzerin ftellt immer zwei Perfonen, einen Mann und eine Frau, abwechielnd var; erjtern bezeichnet fie außer dem mimijchen Ausbrud ber Gefichtszüge und einer energifchern Haltung bes Körpers, äußer- ih durch einen Stab, ver ein Schwert vorftellt, während das Kennzeichen der Frauenrolle ver Fächer ift. Die Trennung beiver Charaktere wirb fehr gut ausgeführt, und wenn mar, wie wir, jemand bei fich bat, ver die Handlung erklärt, fo findet man die Darftellung fehr treffend.

Dem Saft, dem aus Reis gewonnenen Branntwein, find bie Japaneſen ſehr ergeben, und er wirb faſt wie Bier bei und getrunfen. Er ift ziemlich ſchwach, hat eine bräunliche

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Farbe, füßlichen Geſchmack und wird meiſtens heiß genoffen. Sehr häufig thun darin die Japaneſen des Guten zu viel. Das Getränf Scheint jedoch nicht fo fchlimm zu wirken wie unfer Branntwein, vielmehr habe ich bei Beraufchten nur große Heiterfeit und Ausgelaffenheit wahrgenommen, nie aber Aus- brüche von Roheit und viehifcher Trunkenheit. Bei dem Drachenfefte in Nangafafi, deſſen Befchreibung noch folgen wird, und wo mindeftens 10000 Menfchen einen ganzen Tag lang fich ihres Lebens freuten, wurde ber fröhliche Verlauf bes Tages auch nicht Ein mal durch die Folgen der Trunfen- heit geftört. Das ift gewiß mehr, als man von unfern Volksfeſten fagen kann, mag aber wol theilweile auch eine Folge der jchweren Strafe fein, vie jevem Vergehen und Verbrechen auf dem Fuße folgt.

25.

Strenger Charakter der japanifchen Strafpflege. Das Syftem ber Ber-

antwortlichleit und bie geringe Zahl ver Verbrechen. Die Hinrichtungen.

Das Bauhauffchligen mit eigener Hand als Strafmilderung unb Ehren-

reparation. Das Spionenfyftem in ber Landesregierung. Die Macht⸗

Iofigfeit des Tailun. Das Gefolge der Daimios-Armee und Militär-

weſen. Die Einichräntung des Seeverkehrs vor Erdffuung bes Landes. Die neue japanische Marine.

Die japanifhe Geſetzgebung ift drakoniſch, obwol man eigentlich von Gefegen gar nicht fprechen Tann. Streng ge- nommen iſt in Japan alles verboten und nur einzelnes er- laubt. Die Strafen find Tod durch Enthauptung, Kreuzigung oder Gefängniß. Jene raffinirten Graufamfeiten, wie fie Ge⸗ feß oder Gewiffenlofigfeit ver Behörden in China anordnen oder dulden, find bier unbefannt; Folter kennt man nicht, un nicht einmal Förperliche Züchtigungen werben verhängt. Ich habe feine Gelegenheit gehabt, einen Einblid in die Verbre- Khenftatiftif des Landes zu thun, aber nach allem, was ich gefehen, kommen wol fehr wenig Verbrechen vor. In Nanga- faft, einer Stadt von 60000 Einwohnern, gibt es nur Ein Ge- fängniß mit faum 50 Zellen. Nach den bejtehenven geſetz⸗ lichen Einrichtungen und dem Shftem der in Sapan berrfchen- ben Berantwortlichfeit ift e8 auch kaum anzunehmen, daß viele Verbrechen begangen werben können. Der Familienvater hat, wie erwähnt, unbebingte Autorität über feine Familie, ift aber zugleich auch für deren Betragen verantwortlich. Fünf

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Hauseigenthümer einer Straße bilden immer eine Compagnie und wählen einen aus ihrer Mitte zum Vorgefetten, ver für die übrigen Vier verantwortlich tft. Die Compagnien wählen ‚wieder einen Ditona oder Straßenvorfteber, ver den Bezirks⸗ magiftraten für alles einzuftehen hat, was in ber Straße ‚gaffirt. Diefer Bezirfsmagiftrate gibt e8 in jeder Stabt vier bis ſechs, und fie ftehen in demſelben Verhältnig zum Gon- verneur wie die Ditona zu ihnen. Die Pflichten des Ottona find: bei Feuersbrünſten die nöthigen Befehle zu geben, bie Aufficht Über die Wachen zu führen, ein Regiſter von allen Geburten, Heirathen, Sterbefällen, von Ankunft und Abreife von Fremden u. f. w. zu halten, Verbrecher zu arrvetiren und leichtere Vergehen ſelbſt zu beitrafen, nach Möglichkeit alle Streitigfeiten zwilchen den Bewohnern feiner Straßen zu Ihlichten und im allgemeinen für das gute Betragen feiner Untergebenen zu baften.

Die Endpunkte einer jenen Straße find mit Thoren ver- jehen, bie verfchloffen werben, ſobald die Wächter Alarm geben, daß irgenbein Verbrechen begangen tft. Dadurch wirb ber Thäter gewöhnlich entbedt, und dies fowie die prommpte Juftiz, die in Criminalfällen meiftens ımmittelbar am Orte der That erfolgt, übt einen jehr wirffamen Einfluß auf die Be- völferung aus. Auf Diebftahl im zweiten Rüdfalle fteht der Tod, jedoch befolgen die Gouverneure gewöhnlich eine mildere Praxis, indem ſie die Sache des Definquenten nicht zur dffent- lichen Entſcheidung bringen, fondern ihn ohne 'richterlichen Urtheilsfpruch eine beftimmte Zeit in das Gefängniß ſetzen. Bei Hinrichtungen, mögen viefe auf dem Nichtplage oder am Drte des Verbrechens ftattfinden, bleibt der Leichnam mehrere Zage liegen, und die Vorübergehenden probiren die Schärfe ihrer Säbel an ihm, ſodaß er oft in Heine Stüde zerhadt wird. In Jeddo fahen wir eines Tages ein folches Opfer der Yuftiz in einer der belebteften Straßen liegen, an bem

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mindeftens 100 Säbel ihr Werf gethan hatten. Ein Todes⸗ urtheil ſoll eigentlich nie ohne Genehmigung des Staatsrathe in Jeddo vollführt werden, doch beichränfen fich die Gouver⸗ neure daranf, die Erecution zu melden, nachdem fie bereits geicheben. R

Im - allgemeinen zeigen die Iapanejen bei Hinrichtungen eine große PBeftigfeit und Todesverachtung. Mag biefe in ihrem Glauben an eine Seelenwanderung und ben enblichen Uebergang in das Nichts oder in ihrem Temperament be- gründet fein, jedenfalls warb das Factum von allen Euro- päern bemerkt. Vielleicht ift diefe Furchtlofigkeit auch ein Refultat des Stolzes, der Selbftachtung und des hohen Ehr- gefühls, die allen Japaneſen innewohnen, und burch bie fie fich jo vortheilhaft vor den übrigen aflatifchen Nationen aus⸗ zeichnen. Möglicherweife gründet fich folcher Vorzug darauf, daß das japanifche Volf fi rühmen kann, nie von fremben Eroberern unterjocht worben zu fein.

Mit diefem feinen Chrgefühl fteht auch der jo häufig vorkommende Selbftmord durch Bauchauffchligen im engiten Zufanmenbange. Alle Militärperfonen, der Adel und fänmt- liche Civilbeamte des Kaiſers haben die Vergünfiigung, ſich ber entehrenden öffentlichen Execution im alle eined von ihnen begangenen Verbrechens duch Selbjtmorb zu entziehen, und zwar indem fie fich den Bauch auffchligen. Durch dieſes Verfahren reiten fie ihre Familie vor Schande und Confis⸗ cation der Güter, und der Sohn tritt in einem folchen Falle in die Aemter und Würden des Vaters. Sie dürfen biefen Act jedoch nicht eher vollziehen, bis ihnen der betreffende Be⸗ fehl vom Kaifer zufommt.

Da das Vergeben, infolge deſſen fie gezwungen find, auf jo plögliche Weile vom Schauplate des Lebens abzutreten, jehr oft ein unbewußtes fein kann, infofern ein Beamter burch irgendeinen an und für fich ſchuldloſen Act fich die Ungnade des

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Kaifers zuziehen Tann, jo ift ein jeder berfelben ftets auf einen Befehl zum Bauchauffchligen vorbereitet. Außer feinem officiellen und dem Anzuge, welchen jever Beamte bei Feuers⸗ brünften anzulegen verbunden ift, befißt er noch einen dritten, in dem das Bauchauffchligen gefchieht, und nie tritt er eine Reife an, ohne den legtern mit fich zu führen. Derfelbe be- ſteht aus einem aus weißer Hanfleinwand gefertigten Rode und bergleichen Beinfleivern ohne das Wappenjchild, welches fonft jeder auf den Röcken und Iaden gebruct und geftict trägt, und das anzeigt, weſſen Unterthan oder Vaſall der Betreffende iſt.

Sobald die Ordre des Kaiſers eingetroffen, ladet der Be⸗ treffende ſeine vertrauten Freunde zu dem für die Execution beſtimmten Tage ein und bewirthet fie mit Saki. Nachdem ſie eine Zeit lang beiſammen geſeſſen, nimmt er von ihnen Abſchied und läßt ſich das Todesurtheil noch einmal vorleſen. Alsdann hält er noch eine Rede, beugt ſeinen Kopf zur Erde, zieht ſeinen Säbel und ſchneidet ſich damit den Bauch auf. Dies letztere iſt jedoch nicht immer buchſtäblich zu nehmen, ſondern der Delinquent ritzt ſich gewöhnlich nur kreuzweis die Bauchhaut, und ein hinter ihm ſtehender vertrauter Diener ſchlägt ihm den Kopf ab.

Außer als Strafe für ein wirkliches oder dafür erklärtes Verbrechen iſt das Bauchaufſchlitzen in Japan auch als Ehrenreparation ſehr gewöhnlich, und man könnte es in dieſem Falle ein einſeitiges Duell mit tödlichem Ausgange nennen. Wird z. B. ein Japaneſe beſchimpft, oder glaubt er durch irgendetwas ſeine Ehre verletzt, ſo bleibt ihm nichts anderes übrig, als ſich auf die erwähnte Weiſe umzubringen. Ein ſolcher Fall trug ſich während unſers Aufenthaltes in Nanga⸗ ſaki zu. Ein junger europäiſcher Kaufmann hörte eines Nachts Geräuſch an ſeinem Fenſterladen; im Glauben, daß es Diebe verurſachten, ſprang er auf und trat mit einem tüchtigen

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Stode bewaffnet vor die Thür. Er ſah drei augenfcheinlich angetrunfene Jakonins, die mit ihren Säbeln gegen: vie Raben ſchlugen. Zwei Tiefen bei feinem &rfcheinen fort, ber dritte fchimpfte und drang mit feinem Säbel auf ben Kaufmann ein, Diefer fchlug ihm mit feinem Stode die Waffe aus der Hand, zerbrach fie und prügelte ihn tüchtig durch. Die Sache wurbe befannt, und der durch die Schläge befchimpfte Jakonin fchuitt fi am andern Zage den Bauch auf.

Einer der Commiffare, welche mit Graf Eulenburg den Bertrag verhanvelien, der erwähnte Hori-noribe-no-camt, ein feiner liebenswärbiger Mann, unter beffen Leitung bie Sachen zum baldigen Abjchluß zu gebeihen verfprachen, wurbe plötzlich durch einen andern erſetzt. Auf die Frage, wo er geblieben, hieß es, er jet an einem Bflutfturz erkrankt und noch am felben Tage geftorben. Wahrfcheinlich aber hatte er die Sache zu ſchnell betrieben und dadurch fich die Ungnade des Kaiſers zugezogen, ſodaß er fich ven Bauch auffchligen mußte.

Doch nicht allein Beamte und ber Abel müſſen auf eine jolde Ordre gefaßt fein, fondern auch felbft der Kaifer. Wenngleich er wol nicht leicht in die Lage fommen Tann, durch biefen Act eine ibm angethane Beleidigung zu fühnen oder einen auf feiner Ehre haftenden Flecken auszumwajchen, fann er doch von den Daimios dazu gezivungen werben, auf dieſe etwas forcirte Weife abzudanfen. So war es mit beim vorigen Kaifer, der durch den Abfchluß des amerifanifchen . Bertrages fich den Unmwillen feiner fcheinbar bemüthigen, aber in Wirklichkeit ven Kaifertbron beherrfchenden Vaſallen zuge: zogen hatte. Man wirb zwar folche Fälle nie öffentlich be- Iprechen, und in Sapan ftirbt auch der Kaiſer nie, jeboch bie „pläglide Erkrankung an einem Blutſturz“, wie bie officielfe Phraſe lautet, läßt fich nicht leicht misverftehen. Der jeßige Taikun ift minderjährig, und an feiner Stelle herrfcht ein Regent. Im Falle der Kaiſer feinen Sohn hinterläßt, wird

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der Thron aus einem ver drei Fürſtenhäuſer bejett, welche die Anwartfchaft Haben, und deren bebeutenpites das von Mito tft. Der Prinz von Mito fehten die Regentſchaft nicht zu bilfigen, denn im Dectober 1860 wurde ver Regent plöglich auf offener Straße mitten in’ Jeddo in feiner Sänfte angegriffen und ihm der Kopf abgefchnitten. "Dies gejchah fo ſchnell und uner- wartet, daß die Begleitung nicht dazwifchentreten, ja nicht einmal des Mörders habhaft werden fonnte. Die allgemeine Stimme bezeichnete den Prinzen Mito als den Urheber biejer Gewalttbat, der feldft Regent werben wollte. Jedoch ift es ihm nicht gelungen. Er durfte die Faiferlichen Befitungen nicht mehr betreten, und im folgenden Jahre wurde er in feinem eigenen Lande von einem Verwandten des ermordeten Regenten erfchlagen.

Die Regierung befteht zunächft aus fünf Miniftern, unter welchen bie Gouverneure ftehen, von denen jede ber fünf faiferlichen Stübte drei, Jeddo aber fünf hat. Bon dieſen drei Gouverneuren befinden fich zwei in ber ihnen zur Regierung beftimmten Stabt, und der dritte wohnt in Jeddo. Letzterer löſt nach Jahresfriſt jedesmal den erften Gouverneur «ab, wenn dies nicht auf ben Bericht des nur als Spion fungiren- ven zweiten bereit8 früher nöthig fcheint. Dies Spionir- ſyſtem gebt von oben herunter durch die gefammte Verwaltung. Jeder Beamte hat einen officielen Spion neben fi, und beide werben wieder von einem britten überwacht, ver alles genau berichten muß.

Werben Sachen von irgenpwelcher Wichtigkeit für ben Staat verhandelt, fo tritt der Reichsrath zuſammen und ent- fcheidet. Auch von biefer Behörde beftehen zwei Körper, bie fih gegenfeitig controliven, ver Heine Neicheratb von 5 und der große von 17 Mitglievern, fämmtlich Daimios. Im Grunde 'genommen bat daher der Taikun wenig zu jagen, ſelbſt kaum in feinen eigenen Staaten. Wie wenig er bei

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feinen Bafallen in Anfehen ftebt, mag daraus erhellen, daß der Prinz von Satuma, welcher, wie mehrfach erwähnt, all- jährlich mit 40000 Mann Begleitung feine Huldigung ab⸗ ftattet, feinem Unterthan bes Taikun erlaubt, die Grenzen feines Gebiets zu überfchreiten. Diefer Vaſall hat um fein Gebiet einen Milttärcorbon gezogen, burch welchen im Jahre 1860 felbft Faiferliche Geſandte zurückgewieſen wurben, ſodaß biefelben unverrichteter Sache wieder umkehren mußten.

Wenn ein Daimio oder Adelicher einem Vorgeſetzten oder irgendjemand einen Beſuch abftattet, fei dieſer auch nur einige Straßen weit von feiner Wohnung entfernt, jo ift er ftet8 von einem nach feiner Stellung größern ober Tleinern Gefolge begleitet, das von 6 bis 200 oder 300 Perſonen fteigt. Er führt dann alles mit fih, Eſſen, Trinfen für fih und feine Begleiter, Betten, Sterbefleiv, Wäfche u. |. w., als ob er auf eine mehrmonatliche Reife in unwirtbbare Gegenden auszöge. Der Zug wird von einer Schar feiner mit Säbeln und Piken bewaffneten Bafallen eröffnet, und zwar bezeichnet die Zahl der vor ihm aufrecht einhergetragenen Piken ven Rang des Daimio. Dann kommt die Sänfte, welche feine Hoheit birgt, und der fein Pferd gefattelt nachgeführt wird. Dann folgen wieder Bewaffneit, und der Zug wird von einer Menge Höriger gefchloffen, die an Bambusſtäben vieredige ſchwarzlackirte und oft fehr Foftbare Kaften tragen, in benen alle jene erwähnten Gegenftände fortgefchafft werben. Ich habe zwar nicht hineingejehen, aber nad) ter Haltung ber Träger zu urtbeilen, fchienen mir die Kaften fehr leicht zu fein, und wahrfcheinlich find fie ganz leer und aus früherer Nothwendigkeit ift jet nur eine Sitte geworben.

Ueber die militärischen Verhältniffe des Landes habe ich feine nähern Data erlangen können. Sie gehören zu ben Dingen, bei deren Erfragen der Fremde ftetS ausweichende Antworten erhält, und dieſer hat bisjegt nicht genug Freiheit im

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Lande, um fich durch feine eigenen Augen von dem Zuftande bes Milttärwejens zu überzeugen. Wir haben nie große Truppen- körper gefehen, höchftens Abtheilungen von 50— 100 Mann In fanterie und auch einmal im Januar 1861, als bie fremden Gefandten während der drohenden Unruhen Jeddo verließen, etwas Artillerie, eine halbe Batterie von 3 Geſchützen, bie zum Schuße ver Gefandten in Yokuhama einrückte.

Nah dem Aeußern zu urtheilen, find die japanefilchen Soldaten den chinefifchen Truppen in jeder Beziehung überlegen; fie find befjer uniformirt und beffer bewaffnet, ebenfo zeigen fie einen Träftigern und jüngern Menſchenſchlag. Ob fie muthiger find und ſich beſſer fchlagen, Taffe ich dahingeſtellt fein. Ein faft zweihunbertjähriger äußerer und innerer Triebe mag vielleicht auch fie, wie bie einft Friegerifchen Tataren, vermweichlicht haben; jedoch glaube ich, daß das ftolze Bewußt⸗ fein, nie beftegt zu fein, das hohe Ehrgefühl und die Todes⸗ verachtung, welche jedem Japaneſen innewohnen, ihn nie feige fein Taffen werben. Es läßt fich nicht verfennen, daß troß der bespotifchen Mittel, durch welche die Regierung feit Jahr- hunderten jede Regung eines freiern Geiftes zu unterbrüden gefucht hat, überall noch ein Geift der Ritterlichfeit im Wolfe herricht, ven ver lange Frieden nicht zu ertöbten vermochte, wenn⸗ gleich er fich nur unmerflich äußert. Das große Gefallen des Volks an den Ningfämpfen, bie bei feiner feitlichen Gelegen- heit fehlen, fpricht dafür. Sie find die Turniere des Mittel- alters, die Proben hochgefchägter männlicher Kraft, aber ohne die Roheit des englifben Bauftlampfes, ohne die Blutgier römifcher Gladiatoren und die Graufamfeit fpanifcher Stier- gefechte.

Zu Zeiten der portugiefifchen Miſſionare beitand das Tatjerliche ftehende Heer aus 100000 Mann Infanterie und 20000 Mann Eavalerie. Dazu famen noch 368000 Dann Infantrie und 39000 Mann Eavalerie, welche die Vafallen-

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fürften in Kriegszeiten zu ftellen hatten. Für jede 5 Mann war ein Offizier, 5 ſolche Sectionen bilpeten einen Zug, 2 Züge eine Compagnie und 5 Compagnien von 50 Gemei- nen und 13 Offizieren ein Bataillon von 250 Gemeinen, 65 Offizieren und einem Oberoffizier. Zehn Bataillone end- lich formirten eine Divifion. Ob die taftifche Eintheilung noch jett Diefelbe ift, weiß ich nicht, jedoch habe ich die Zug- und Sectionentheilung noch ebenfo gefunden. Japan tft bie zu feiner Eröffnung ein ungemein confervatives Land gewefen, und es ift daher leicht möglich, daß ſowol Eintheilung als Zahl der Truppen jett noch dieſelben find wie damals, wenigitens bie Truppenzahl ver Vafallen, die fich von jeher darin gefallen haben, fo viel Militär zu Halten als möglich. Daß vie FTaiferliche Armee diefelbe Stärke hat wie damals, bezweifle ich jedoch; wenigſtens würden wir dann wol in der Hauptftadt und Reſidenz, die wir doch nach allen Richtungen täglich purchitreiften, mehr Soldaten gefehen haben; es müßte denn fein, daß das Gros ber Beſatzung im Innern des Palaſtes garnifonirte, der uns verfchloffen blieb. Hier⸗ von erwähnt jedoch Kämpfer in feinen bis ins Kleinfte ein- gehenden Berichten nichts, ebenfo wenig Thunberg und Titfingb, obwol fie, da ihnen der Zutritt zum Innern bes Palaftes ge- jtattet war, es jedenfalls gefehen Hätten.

Die Bewaffnung des Militärs ift noch ziemlich primitiv. Einige Regimenter find mit Percuffionsgewehren ausgerüftet, welche die holländifche Regierung gegen Kupfer austaufcht und dabei ihre vortreffliche Rechnung findet. Die Gewehre, welche den Holländern I—5 Thaler often, werben zu 10 Dollars (15 Thaler) gerechnet, und für drei wirb immer ein Pikul (120 Pfund Zollgewicht) Kupfer in Barren gegeben, ſodaß ben Hollänvdern das Pfund circa 4 Sgr. loſtet. Diefer Contract befteht erſt feit neuerer Zeit, und es find kaum 6—8000 Ge- wehre eingeführt worden. Andere Regimenter find mit Lunten-

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flinten bewaffnet, vie jedoch beffer in Stande find als vie chine- fiichen, wieder andere mit Pilen, die meilten aber mit Bogen und Pfeilen. In Jeddo haben wir oft die Schiegübungen mit letztern angefehen und uns ſowol über bie Tragweite als über bie Genauigkeit des Schuffes gewundert. Die Bo— gen find ſehr groß, 6 Buß lang, von hartem elaftifchen Holze gefertigt, fehr fauber gearbeitet. und von beveuten- ber Schnellfrafl. Der Mann Iniet mit dem Imfen Fuß beim Zielen und fchießt in biefer Stellung. Die Pfeile find von Bambusrohr, oben dreifach gefievert und mit eiferner Spike. Wir kauften verſchiedene Kleinere Bogen von 4 Fuß Länge und fchoffen damit auf 50 Schritt durch ein halbzölliges Hölzernes Breit. Die Solpaten fchoffen mit ben großen auf 150 Schritt. Die Piken find etwa 8 Fuß lang,- mit eiferner Spite von 6 Zoll, unter ber fich ein Querſtück befindet, und die für gewöhnlich in einem Futteral ſteckt. Alle Soldaten find außerdem mit zwei: Schwertern bewaffnet, bie vor dem Bauche im Gürtel getragen werden und den Bewe⸗ gungen jedenfalls ſehr hinvderlich fein müffen. ‘Das größere hat ein Blatt von 24, Fuß, das Kleinere eins von 20 Zoll Länge. Das Stirhblatt ift fehr Hein, ver Griff ſehr lang, circa 8—10 Zoll, mit Haiftfchhaut überzogen und mit Schnur. und Cifelirarbeit verziert. Mit einem ſeidenen Porteepee wird es um bie Handwurzel befeftigt. Das längere Schwert ift leicht gebogen, das Fleinere gerade. Das Blatt ift aufßer- orventlich ſchön gearbeitet und die Verftahlung wunberbar fein angelegt.

Die Schwerter ber höhern Beamten und bes Adels in Japan find überhaupt Kunſtwerke, die den beften Maßitab bafür abgeben, wie mweit es die Sapanefen in diefem Inpuftrie- zweige gebracht haben, und wie weit fie und barin voraus find. Verſchiedene Waffenfabrifanten hatten unferer Gefanbt- haft Säbel als Probeſtücke unferer Eifeninpuftrie mitge-

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geben, aber ſchon ein Blick auf die japaniſche Arbeit zeigte bie bedeutende Ueberlegenheit ver letern, die um fo mehr aner- fannt werben muß, weil alle Handarbeit ift. Nur Elaftichtät . verftehen bie Japaneſen ven Klingen nicht zu geben, und fie er- ftaunten jedesmal, wenn wir unjere Säbelklingen bis zum Halb- freis bogen und zurückſpringen ließen, während bie ihrigen brachen oder bei den fohlechten Sorten krumm blieben. Die Preiſe diefer Waffen find nicht hoch. Wir haben von ben fchöniten mit der feinften eingelegten und Ciſelirarbeit das Paar mit 30 Itzebu (15 Thaler) bezahlt. Ihre Schärfe ift außeror- ventlich groß, man könnte ſich faft damit rafiren, und ein mit Kraft geführter Hieb ver fehweren Klinge muß furchtbar fein. Einem der ruffiihen Offiziere, welche 1860 in Yokuhama ermordet wurden, waren mit einem Hiebe das Schulterblatt und ſämmtliche Rippen bis zum Nabel burchgehauen worden. Wenn wir dergleichen Schwerter kauften, probirten wir fie ftetS mit dem Durchhauen von eifernen Nägeln.

Cavalerie Habe ich, wie fehon erwähnt, auch nicht einen Mann geſehen und kann deshalb nicht darüber wrtheilen. Die berittenen Jakonins, welche man jedoch als Muſter der⸗ jelben betrachten kann, machten fich recht gut. ‘Die Pferbe find von der Ponyraffe, aber kräftig, muthig, fehnell und in gutem Stande gehalten. Der Sattel ift von Holz, ziemlich hoch und für Europäer fehr unbequem. ‘Die Inpanefen fiken barauf mit eingezogenen Knien und können wegen mangeln- ben Schlufjes nicht fo feit fiten wie wir. Trotzdem ritten fie im allgemeinen gut und bielten auf unfern Spaziertouren zu Pferte tapfer mit uns aus, fo oft wir ihmen auch das Leben jauer zu machen fuchten.

Bon Feldartillerie fah ich drei Gefchüge, alte eiferne Neunpfünder mit ebenfalls fehr alten Laffetten in nicht fehr . gutem Zuſtande. Was die Artillerie zu leiften vermag, weiß ih nicht, aber wenigftens Tiefen es, die Japaneſen nicht an

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Schiegübungen fehlen. Solange wir vor Jeddo lagen, hörten wir täglich viele Stunden lang mit Kanonen fchießen; es wurde uns jedoch nicht geftattet, die Schießpläte zu bejuchen, und ich weiß deshalb auch nicht, ob dort mit Feld» ober Feſtungs⸗ gefchügen gefchoffen wurde. An Iettern fcheint in Japan fein Deangel zu fein, denn bie ganze Bai von Nangafafı tft mit Batterien gefpidt, deren Gefchüge fehr forgfam durch Ueberbaue. gegen den Einfluß der Witterung gefchütt werben. Ob die Iapanefen das Bulver jelbit fabriziven oder aus China beziehen, ift mir ebenfalls nicht befannt geworben; ges wiß ift es, daß fie bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, zur Zeit des portugiefiichen Entveders Pinto, das Pulver nicht kannten und diefer das erfte Feuergewehr nach Japan brachte. - nn

In vielen Läden fahen wir Rüftungen von Stahlfchuppen oder Drabtgeflecht, fehr fauber und ftarf gearbeitet, Helm, Panzerrod, Arn- und Beinſchienen nebft Schild. In den alten Heldenbüchern find die Streiter auch ſtets gepanzert abgebilvet, jedoch habe ich Feine Solvaten fo gefehen, außer in einem Fechtſaale, wo der Schwertfampf geübt wurbe. Die Helme fehen brillant aus, haben die Form ber preußifchen Küraffierhelme, find aus filberähnlichen Metall gearbeitet, reich cifelirt und vergoldet, fowie mit einem Viſir verfehen.

Das Erereirreglement für die mit Perceuffionsgewehr be= waffneten Truppen ift das holländifche. Vor einigen Jahren wurben verfchievene holländische Unteroffiziere in Nangaſaki commanbirt, um die Iapanefen darin zu unterrichten.

Die Uniform ift unpraftifch, der weitärmelige, durch eine Schärpe zufammengehaltene Rod hindert fehnelle Bewegungen, und die Strohfandalen an den Füßen, bie nicht durch Schnüre, fondern nur durch einen Lederbügel zwifchen der großen und zweiten ehe feitgehalten werden, verurfachen ein ſchlürfendes Gehen und Fünnen feinen feiten Tritt geben. An Fahnen

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fehlt e8 in Japan ebenfo wenig wie in China, und jede Com⸗ pagnie hat deren mindeftens ſechs.

Wie es mir ſcheint, ift jedenfalls die Taiferliche Armee unſern modernen Truppen gegenüber noch von keiner großen Bedeutung, und ein Krieg mit europäiſchen Mächten würde jetzt wahr⸗ ſcheinlich noch zu ähnlichen Nefultaten führen wie kürzlich in China. Die Truppen einzelner Landesherren jollen befjer fein, und namentlich erzählte man fich in Nangafaft vom Prinzen von Satzuma, daß er feine ganze Armee von 80000 Mann . mit Miniebüchfen bewaffnet und in den von ihm angelegten Fabriken bereits 40000 Stüd folcher Gewehre habe anfertigen lafjen. Nach dem, was ich von dem Nahahmungstalent der Sapanefen, ihrer ſchönen und genauen Arbeit in Metall ge- tehen, zweifle ich nicht in geringften an der Möglichkeit.

Unfere Zünpnabelgewehre imponirten ihnen ungemein, und ber Gouverneur von Nangaſaki ftelite alles Mögliche an, um einige davon zu erhalten, obwol feine Wünfche nicht erfüllt werben Tonnten.

Mit ihrer. Marine find die Iapanefen noch weit zurüd, und bis zur Ankunft der Amerikaner beſaßen fie auch nicht ein einziges Kriegsſchiff. Es lag auch keine Nothwendigkeit dazu vor. Ihre Schiffe befuchten keine fremden Häfen, und bie Regierung ift immer Träftig genug gewefen, um allen feeräu« berifchen Gelüften ihrer Untertbanen dadurch ein Ziel zu jegen, daß ſie jenen, ver ſich aus Sicht der Küften entfernte, mit dem Tode beftrafte. In frühern Jahrhunderten und vor Abſchließung des Reichs waren die Sapanefen, wie ich ſchon beinerkte, kühne und in ven Inpifchen Meeren fehr gefürchtete Seefahrer und fo verzweifelt unternehmend, daß ihnen fehließ- lich unterfagt wurde, in irgendeinem indiſchen Hafen zu landen.

Mit der Abfchließung Japans hörte dies auf. Die Fahr⸗ zeuge durften nur die eigenen Küſten befahren, und ſelbſt wenn

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einzelne durch Stürme nach fremden Ländern verfchlagen wur- den oder dort Schiffbruch erlitten, durften ihre Bejakungen bei Todesſtrafe nicht in ihr Vaterland zurüdkehren. Um ven Seeleuten jede Möglichkeit zu nehmen, weitere Touren zu machen, ließ die Regierung fämmtliche Dſchonken nach einer beftimmten Borjehrift bauen, von der bei fchwerer Strafe nicht abgewichen werben durfte. Danach wurden bie Fahrzeuge fo Hein und an gewiffen Punkten fo ſchwach conftruirt, daß ein hoher Seegang ihren fofortigen Untergang herbeiführen mußte und bie Befagungen ſchon ihrer eigenen Sicherheit wegen gezwungen waren, fich ſtets in unmittelbarer Näbe ihrer Küfte zu halten.

Auf dieſem Standpunkt blieb die Schiffahrt ununterbrochen faft 200 Jahre ftehen. Die japanischen Dfehonfen find den hinefischen Flußfahrzeugen fehr ähnlich, alle nach demſelben Modell und von gleicher Größe mit einem außerorventlich ftarfen Mafte und einem Matten- oder Baumwollſegel. Wie in China find Anfer, Steuer und Takelage fehr primitio, aber wie in jeder andern Beziehung zeichnen fich die Dſchonken ber Sapanefen vor denen ihrer Nachbarn durch das fchöne Ma⸗ terial des Rumpfes, vie feine Bearbeitung und durch die größte Sauberkeit fehr vortheilhaft aus. Das Holz des Schiffsförpers ift nicht mit Farbe angeftrichen, wird aber durch häufiges Wafchen und Scheuern. jo rein gehalten, daß alle Fahrzeuge jtet8 wie neu ausfehen. Die Heinern Boote werden nach bemjelben Princip fortbewegt wie in China, nur arbeiten ftatt 1 Ruder deren 4—6, und unter einem rhythmiſchen Gejange der Fräftigen Bootsleute fliegen gleichfam bie Fahr⸗ zeuge burch "das Waller. Wir hatten 30 dieſer Boote vor unfer Schiff zum Bugfiren gefpannt, und fie gingen damit vorwärts, als würben wir von einem Dampfer gefchleppt.

Nach dem Abjchluffe des amerikanifchen Vertrags änderte fih der nautiſche Stanppunft Japans. Es war mit dem

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alten Syſtem nun einmal gebrochen, und bie leitenden Staats⸗ männer befaßen Klugheit genug, alles das über Bord zu werfen, was nur Conſequenz jenes Shftems war, aber jett vernunftgemäß nicht mehr aufrecht erhalten werben konnte. Der erfte Schritt war, daß den Japaneſen geftattet wurbe, Schiffe nach europäiſchem Modell zu bauen, und zwar ging die Regierung mit gutem’ Beifpiele voran. Ste begann ein- zufehen, baß der Vertrag mit Amerifa nur der Vorläufer. von vielen anbern fei, Daß Japan in die Reihe ver Hanpels- ftaaten eintreten müſſe und bald der Handel zur See ihren Schuß beanfpruchen werde, der nur burch eine Kriegsflotte gewährt werden kann. Man war barin weitfichtiger wie in unferm guten Deutfchland, das durch eine dänische Blokade Tieber noch einmal feinen blühenden Handel lähmen läßt, als einige Millionen für fo viel Schiffe aufwendet, um unfern. Namen zur See geachtet zu machen.

Schon 1856 begann man in Japan Fregatten zu bauen, zunächft drei. Es wurde nichts gefpart, das fehönfte Holz, das beite Metall warb dazu verwendet, die tüchtigften Yau- meijter ausgefucht, und nach zwei Jahren ſchwammen die neuen mächtigen Schiffe ſtolz auf dem Waſſer. Nur Ein Fehler war dabei. Da den Yaumeiftern Tein europätfches Modell zu Gebote ftand, fuchten fie Erfaß in Zeichnungen und fanden biefelben auch in einer der öffentlichen Bibliotheken in einem ruffifchen Werke über Schiffsbaufunft zu ihrer großen Freude fehr ausführlich und genau. Alle Schwierigkeiten waren ge- hoben, die Sregatten erftanden als getreue Abbilder der Zeich« nungen leider aber ftammten dieſe aus der Zeit Peter's des Großen, und jo fahen die Europäer zu ihrer großen Verwun- derung plöglich brei unerflärliche Fahrzeuge in der Bat non Nan- gaſaki erfcheinen, während die Japaneſen bemerfen mußten, daß fie Deonumente Tängftvergangener Jahrhunderte gefchaffen hat- ten. Die erfte Probe war demnach fohlecht ausgefallen, allein man

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ließ ſich dadurch nicht abſchrecken. Holland und England ſchenkten als Zugabe zum Vertrage jedes einen Kriegsdampfer. Jetzt hatte man Modelle und begann aufs neue. Es wurden Ma- ſchinen aus Europa verjchrieben, und nach abermals zwei Jah⸗ ren erichienen zwei ſehr fchöne Kriegsdampfſchiffe unter weißer Flagge mit vother Kugel (ver japanefifchen) mit japanefifchen

Difizieren, Mafchiniften und Matrofen auf der Rhede von

Jeddo. Die fchriffende Pfeife begleitete das Commando, und die Mannſchaft Eletterte fo flinf in der Takelage herum, als gehörte fie einer Gott weiß wie alten Marine an. Es waren

die neuerbauten Schiffe und ihre Beſatzung beftand aus dem

Kern der neuen Marine, ver von bollänpifchen Seeoffizieren und Mafchinijten ausgebildet war, die zwei Jahre in japane- ſiſchen Dienften geſtanden hatten.

Diefer Ausfall ermuthigte die Behörden, und es wurde eine energifche Vergrößerung ber Marine bejchloffen. Zugleich wollte man aber auch vom Auslande unabhängig fein und die Maſchinen ſelbſt bauen. Man erfuchte Holland um In- genieure zum Bau einer Maſchinenfabrik. Diefe famen, nnd nah 6 Monaten ftand in Hakanora, auf dem gegenüberliegen- ben Ufer von Nangafali, ein mächtiges Gebäude, mit vauchen- den Schorniteinen, ſprühenden Eſſen und fehallenden Hämmern . von Dampfmafchinen getrieben und mit allen Apparaten zum

Bau von Dampfmafchinen ausgerüfte. Als wir im Mai

1861 zulegt in Nangafafi waren, fanden wir die Anftalt bereit in vollem Betriebe, und eine Dampfmafchine von 250 Pferbefraft für eine Corvette, fowie eine andere bon 700 Bfervefraft für eine ſchwere Fregatte, deren Hölzer bereits behanen wurden, waren in Angriff genommen.

Jedenfalls ift es Iapan vorbehalten, jchon in nicht zu ferner Zeit in maritimer Beziehung eine große Rolle zu fpie- fen und für Alten das zu werben, was England für Europa ift, mag e8 nun ein unabhängiger Nationalftaat bleiben oder

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eine ruffifche Colonie werden. England und Japan haben eine ungemeine Aehnlichkeit miteinander, in ihrer injularen Lage, in ber Fruchtbarkeit, dem Mineral» und Kohlenreichthum bes Landes, in ber Arbeitfamleit, ver Inbuftrie und der praftifchen Gefchicklichteit des Volls; ja felbft in foctaler Beziehung, in der Stellung ber Ariftofratie zum Volle ift in gewiffen Maße Hehnlichleit vorhanden.

26.

Japans Bedeutung in Handel und Induftrie. Kohlen, Metalle und

Thee. Das Porzellan’ und feine Fabrifation. Lad und Ladiwaaren.

Rapsbl und vegetabilifches Wachs. Mialo als Mittelpunkt japauifcher

Induſtrie. Bereitung und Verwendung bes Papiers, Münzen und

Münzweſen. Aderbau und Biebzucht. Die Korftcultur und ber reiche Baumwuchs des Landes.

Manche Reiſende, die Japan beſucht, ſchöpften in Betreff ſeiner zukünftigen commerziellen Wichtigkeit ſehr geringe Be- griffe. Ich bin während meines Aufenthaltes dort zu einer entgegengeſetzten Anſicht gekommen und überzeugt, daß Preu⸗ ßen nichts Beſſeres thun konnte, als ſchon jetzt ſeinen Schiffen die Theilnahme an den bevorſtehenden Handelsvortheilen durch einen Vertrag zu ſichern. Wenn es auch vorläufig Graf Eulenburg mislungen iſt, den Vertrag auf ganz Deutſchland auszudehnen, jo erſcheint doch dieſe Beſchränkung von feiner großen Bedeutung. Selbſt wenn die deutſchen Schiffe keine preußiſche Flagge annehmen wollen und für die nächſten Jahre von der Verbindung mit Japan ausgeſchloſſen bleiben, ſo kann dies eben nur kurze Zeit währen. Schon zur Wahrung der materiellen Intereffen werden fich die deutfchen Regierungen gendthigt fehen, eine allen Deutſchen gemeinfame Flagge zu Ichaffen, und die japanifche Regierung wirb dann der urſprüng⸗ lien Faſſung des Vertrags ihre Zuftimmung nicht länger verjagen, wenn Preußen mit der deutſchen Flagge erfcheint.

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Der deutſche Handel und die deutjche Schiffahrt werben dann in Japan dieſelbe Bedeutung erlangen und legtere die Con— eurrenz anderer Nationen ebenfo verbrängen, wie dies bereits in China geſchehen ift.

Wie man aber noch an einer Fräftigen Hanvelsentwidelung Sapans nach den Ergebniffen ver letzten Jahre zweifeln fann, ift mir unerflärlih. ine einzige Thatſache, die ich hier an⸗ führen will, entjcheivet darüber Har und deutlich. Bis zum Sabre 1857, d.h. bis zu dem Jahre, wo die Holländer durch ihren Vertrag Hanvelsfreiheit erhielten, beftand ein Haupt⸗ theil der Waaren, welchen fie jährlich einführen durften, in Rohſeide, die fie aus China holten. Damals bauten bie Ja⸗ panefen nothoürftig fo viel Seide, um den Bedarf für bie Kleidung der höhern Stände zu beden. Die Regierung be- ftimmte die Preife, und der ärmliche Profit, ver dem Erzeuger blieb, Tonnte ihn zu feinen Anftvengungen verleiten. Jetzt nach der wenn auch nicht unbebingten Freigebung des Han⸗ dels fieht der japanefifche Lanpmann, daß ex ven fünf- bis zehn- fachen Betrag für feine Seide erhält, und das Reſultat ift, daß 1860 aus Yokuhama allein 6000 Ballen Robfeide nach Europa verſchifft wurden, außer der Manufacturfeide, bie namentlih aus Nangafafi in großen Duantitäten fortgebt. Vergleicht man dies mit dem Seidenexrport von China, befjen Hauptjtapelplag für diejen Artifel, Schangshae, in demſelben Jahre 80000 Ballen ausführte, fo muß man gewiß über ven raſchen Aufichwung des eben geöffneten‘ Japan, das bis dahin gar keinen Handel hatte, erftaunen. Hierbei iſt aber noch in Betracht zu ziehen, daß die Faiferliche Regierung troß der Verträge nur fehr widerwillig deu Handel gewähren läßt, daß die intereffirten Beamten ihn heimlich zurückzuhalten juchen und jevenfall® von ſeiten des Sfants nicht das Ge⸗ ringfte gejchiebt, um ihn zu fürdern. Ebenſo ift die Ausfuhr ver Seide bisher nur ein Product der Taiferlichen Staaten,

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die kaum ein Achtel des ganzen Neichs umfafjen; denn bie Landesherren halten ihre Landesgrenzen ans Haß gegen bie Fremden hermetifch verfchloffen. Diefer Zuftanb wirb und fann aber nach den von mir angeführten Thatſachen nicht lange mehr andauern. Es wird in Japan eine Revolution eintreten, welche bie Verhältniffe umkehrt, die Macht ver Ariſtokratie bricht, und ihr Ausbruch kann höchſtens nur noch einige Jahre auf fih warten laſſen. Es müßte denn fein, baß bie Regierung und bie Landesherren vorher freiwillig ge- währten, was ihnen fpäter mit Gewalt vom Volke oder wol gar durch die fremden Mächte genommen werben wirb.

Aber auch fchon unter den .jegigen DBefchränfungen Tann es nicht ausbleiben, daß fortan Seide auf Koſten des Reis gebaut werben wid. Java und Siam liefern fo viel Reis, daß der Japaneſe ihm von bort her wenig theurer bezieht, als er ihn im Lande felbit Fauft, während ihm ein Maulbeer- feld jet das Fünffache einträgt. Die japaneſiſche Rohſeide ift feiner wie bie chinefifche, und ebenfo ift die verarbeitete Seide ber chinefifchen überlegen. Der wundervolle Krepp fteht einzig in feiner Art da und wird wegen feiner Preiswürdig⸗ feit und außerorbentlichen Haltbarkeit fpäter ein fehr gefuchter. Artifel in Europa werden. Das Stüd vom jchweriten weißen Krepp, 33 Ellen lang und 1%, Elle breit, kauften wir in Jeddo im Laden zu 36 Itzebu, alfo die Elle etwa zu 17'/, Ser., ſchwarzen Atlas, 1%, Elle breit, ein ebenjo fchöner als un⸗ verwüftlicher Stoff, in Nangafali zu demfelben Preife. Die Muſter find japanifche, aber fo gefehmadvoll und zart, daß fie überall Beifall finden und auch in Europa außerordentlich gefallen.

Demgemäß wirb fich auch ganz von felbft in kurzer Zeit ein Importhandel bilden, der non Iahr zu Jahr wachien und fih auf immermehr Artikel erftreden muß, wenn bie Wohl- habenheit des Volkes erſt fo weit gebiehen ift, um fe bezah-

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Ien zu können. Diefen Umftand halte ich nämlich für ben

hauptfächlichften Grund, daß pas Importgeichäft verhältniß⸗ mäßig jet noch gering if. ‘Der Japaneſe Hält durchaus nicht fo ftreng an Uſus und Herkommen wie ber Chinefe; er fauft im Gegentheil gern europäifche Sachen, aber bisjekt ist die confumirende Maſſe des Volls noch zu arm und Tann fie nicht bezahlen. Allerdings wird vielen europäifchen In- buftrieerzeugniffen jehr bald in Japan felbft Concurrenz er- wachten. Die große Gefchieflichkeit des Volls und fein Nach- abmungstafent Iafjen dies mit Gewißheit vorausfeten, und man barf nicht glauben, den japaneſiſchen Markt mit allen möglichen europäifchen Erzeugniffen verſehen und überſchwemmen zu können; aber es gibt einzelne Artifel, welche im Lande nicht erzeugt werden können, und wofür fich dennoch ſehr be- deutende und namentlich fiir Deutſchland wichtige Abſatzquellen eröffnen werden. Dies ift Tuch, das man in Japan nicht zu machen verjteht und auch gar nicht fabriziren Tann, weil es im ganzen Lande feine Schafe gibt. Seide und Baum- wolle find gegen die Winterfälte, die Eis und Schnee mit ſich bringt, unzureichende Kleiberftoffe, Pelze gibt es im Lande aicht, fie find anch zu theuer. Dies wiffen Die Japaneſen wohl, und nichts von unferm Anzuge wurde mehr von ihnen be> trachtet, mehr bewundert und mit größerm Gefallen befühlt als die Tuchkleider. Das bisjegt von beutfchen Häufern ein- geführte Tuch, eine wegen ber erwähnten Umftände freilich nur geringe Quantität, bie jedoch von Jahr zu Jahr fteigen muß, wurde mit 100—150 Procent Ruten verkauft. Ebenfo wird Shirting und Caficot von beftimmten Mujtern mit der Zeit bedeutenden Abſatz finden, ba der Baummollenbanu nicht bedeutend ift; ferner Glas, Droguen, Teppiche und Deden. Droguen werben fchon jett in bedeutenden Mengen eingeführt. Teppiche und Decken erforbern glänzende und lebhafte Muſter, quadratiſche Form und dürfen nicht zu theuer fein. Plüfch-

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teppiche von 6 Fuß Breite und Länge liefert England zu 18 Schilling Facturapreis und macht gute Geſchäfte damit.

Ein Hauptproduct des Landes und die Quelle großen Reichthums bilden die Steinkohlenminen, die namentlich im Kiuſiu unerſchöpflich find. Bisjetzt erreichten zwar bie Kohlen nicht die Güte der englifchen, aber es wird dies in kurzer Zeit der Fall fein, wenn man tiefer fommt; bie, welche man jet gewinnt, find bereits 100 Procent beffer als die vor 2—3 Jahren gelieferten. Die Kohlen find Monopol der Re⸗ gierung, und biefe liefert bie beiten für 41, Dollars (7 Thaler Preußiſch) die Tonne frei an Bord. Dan bat früher geglaubt, daß fie die Züge und Röhren der Keffel angriffen, allein dies bat fich als ein Vorurtheil erwiefen. Ihr einziger Mangel tft, daß fie bisjetzt nicht eine fo intenfive und nachhaltige Hite geben wie die englifchen, und man gebraucht deshalb etwa ein Vier⸗ tel der Quantität mehr davon. Dagegen brennen fie vorzüg- lich, geben fchnelle Hite, fchmelzen förmlich wie Fett und laſſen wenig Schladen zurüd. Immerhin ift ber Preisunterfchied aber fo groß, daß bet rationeller Bearbeitung der Minen, wie. fie jeßt begonnen hat, des. Dften vom Aften jehr bald mit iapanefifchen ftatt mit englifchen Kohlen verfehen werben wird. Wir haben in Singapore, Honglong und Schang-hae 17 bis 20 Dollars für die Tonne Wales- Kohlen bezahlt, während wir die Quantität japanefifcher von bemfelben Nutzeffect (pie Regierung läßt fo liberal mefjen, daß man ſtets 25 Procent Ueberſchuß hat), in Nangafafi für 4%,, in Hongkong für. 10 11 Dollars kauſten. Es geben jetzt jährlich auch ſchon über 100 Schiffe nah Nangafati, um Kohlen für China zu holen, und alle Krtegsfchiffe, welche in ber Nähe paffiren, verfeben fih damit.

An Metallen ift Japan reich, namentlich an Kupfer, veffen Ausfuhr bisjetzt jedoch nur Holland, und zwar in fehr be- ſchränktem Maße geftattet tft, indem e8 gegen Gewehre, wie

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ich fchon erwähnte, ansgetaufcht wird. Mit dem freiern Geifte, der feit der Eröffnung fo mächtig in Iapan einzieht und von dem Volke fich nothwendig auch der Regierung mit- theilen muß, werben mit der Zeit aber folche Beſchränkungen, unter denen der Handel im allgemeinen noch ſehr viel lei⸗ det, fortfallen, obfchon die Beichränfung der Ausfuhr bes Kupfers gegenwärtig noch mit in ber geringen Ausbeutung der Rupferminen ihren Grund hat. Trotzdem ift dies Metall im Lande jehr billig, und nirgends in der Welt fieht man jo viele Kupfergeräthichaften als in Japan.

Ein anderes Product beginnt gleichfalls ein beveutenber Handelsartifel zu werben: der Thee. Diefer ift nicht jo gut oder vielmehr war bisher nicht fo gut wie ber chinefifche und wurde deshalb nicht verlangt. Es hat fich jedoch herausgeftelft, daß die fohlechtere Dualität nur eine Folge ver Behandlung if. Die Iapanefen dörren ihren Thee in der Sonne, und durch diefen langſamen Proceß verliert er den größten Theil bes Aromas, ſodaß japanefifher Thee gerade wie warmes Waſſer ſchmeckt. Nachdem fich aber ergeben, daß der chine- ſiſche und japanefifche Tcheeftrauch derſelbe ift, haben einige europäifche Hänfer mit der Theebereitung und. Röftung ver- traute Chinefen kommen laffen, und im Jahre 1861 find bereits 500000 Pfund verfchifft wurden. ‘Der gewöhnliche Thee ift jo ungemein billig, daß wir ihn kiſtenweis kauften, um unfere an Borb feucht gewordenen Cigarren darin zu trocknen, ein uns empfohlenes und probat gefundenes Mittel, das fich jedoch wol nur in Japan als praftifch erweiſt, wo man das Pfund Thee mit 3—4 Silbergroſchen bezahlt.

Das Porzellan ift vorzüglich, noch feiner und transparen- ter als das chinefifche, vabei aber ungemein ſtark. Nach ein- beimifchen Chronifen ift die Kunft feiner Bereitung feit 277 v. Chr. befannt und gelangte von Korea nah Japan, blieb jevoh bis zum 13. Jahrhundert jehr unvolllommen und

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erreichte erft dann feine jeßige Blüte. Die Hauptfabrifen liegen auf Kiuftu in dem Fürſtenthum Fifen, nicht weit von Nangaſaki bei dem Dorfe Urefino, wo ſich die Porzellanerde in Maffe findet. Dieſe befteht aus feinem verwitterten Feld⸗ path, der jedoch in fteinartigem Zuftanbe ift, mit Hämmern zerfchlagen und pulverifirt werben muß. Dies Pulverifiren gefchieht in Stampfen, die ebenfo wie die von mir befchrie= benen Reisftampfen zum Enthülſen des Korns conftruirt find, nur daß ber fugelförmige Klöpfel nicht aus Holz, ſondern aus Eifen beſteht. Es gibt zwei Arten von Erben, eine weiche und eine harte, die erftere muß jedoch für den-Gebrauch mit der harten gemifcht werben, weil fie fonft beim Brennen zer- fpringt. Die harte Erde allein gibt das befte, faft glasartige „SImari- Porzellan”, jo benannt nach einem Hafen von Fifen, wo zwar felbft fein Porzellan fabrizirt, aber von wo es aus⸗ geführt wird. |

Die gemahlene Erde wird in Steintrögen mit Waffer gemifcht und ver Brei durch feine Körbe filtrirt. Die obere Schichte des Niederfchlags gibt das feine Porzellan, die mitt⸗ lere die geringere Sorte, das Uebrige wird als unbrauchbar verworfen. Die meiften Formen werben auf der Drehfcheibe gegeben, Vaſen u. f. w. modellirt. Die fertigen Gefäße werben im Schatten getrodnet und dann in die Defen ge- bradt. Die Malerei e8 erxiftirt fein weißes Porzellan in Japan geichieht auf ver “Drebfcheibe, wird mit Glaſur überzogen und dann gebrannt. Die Glafur befteht aus einer Mifchung der obern Haut vom Niederfchlage des Porzellanbreieg, ber alfo die feinfte Maffe enthält, mit der Afche von den Scho- ten eines unter dem Namen Juſi befannten Baumes. Die Defen ähneln in ihrer innern Einrichtung unfern Malzparren. Die Deffnungen find 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Neben den Ofenthären jind runde, 3 Zoll im Durchmeffer haltenbe Löcher, durch Thonftöpfel verfchließbar, durch welche der Zu:

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itand des Brennens beobachtet wird. Die ganze Procebur erfordert ungemein viel Mübe, man rechnet, daß ein Gefchirr durch 72 Hände gebt, ehe es fertig wird, und bie Japaneſen fügen, daß Menfchentuochen ein Beiſatz des Porzeffans feien, was, figürlich gemeint, nicht fo unrichtig ift. ‘Dies erflärt anch die ziemlich theuern Preife, die trotz bes nienrigen Ar- beitslohnes, ver fich für ven Mann in Japan auf höchſtens 2 Silbergrofhen pro Tag ftellt, im Vergleich zu den unfern kaum 30-40 Procent niedriger find, wozu freilich noch ber höhere innere Werth des Borzellans tritt. ‘Die Malerei tft ſehr reich und originell, erreicht jeboch die unfere an Ge- Ihmad und Feinheit bei weiten nicht. Indeſſen find bie Fort⸗ ſchritte darin feit Eröffnung des Landes ungemein groß ge- wejen, und ebenjo hat man jeit vier Iahren enropäijche For⸗ men in den Tafel⸗ und Theeſervicen nachgeahmt. ‘Die erften Erzeugniffe diefer Art ließen manches zu wünfchen übrig und waren aus Mangel an Uebung ziemlich windſchief, pa alle runden Gejchirre an ber Drehſcheibe gefertigt werden. Die leßtern Service, welche wir faben, waren jedoch auch fchon recht gut und preiswürdig. Ein vollftännpiges Tafelſervice für 12 Berfonen, aus 145 Stüd beftehenp, Toftete 80 Thaler. Ebenfo fahen wir einige kürzlich angelommene Vafen, bie durch ihre originelle Schönheit, feine Malerei und gefälfige Formen von uns allgemein bewundert wurden. Sie waren circa 4 Fuß hoch, ſchwarz und mit Gold gemalt, letzteres jo geſchmackvoll, als wäre e8 aus einer europälfchen Fabrik hervorgegangen.

Ueberhaupt tft die japanefiſche Malerei weit geſchmack⸗ voller als die chineſiſche, wie auch alle japaneſiſchen Deffins fih unſerm Geſchmack mehr anpafſen als jene. Sie find durchaus originell, aber im allgemeinen veizend und auf den berühmten Ladfachen, in. venen Iapan unerreicht bafteht, mit wunderbarer Schönheit und Feinheit ausgeführt. Das mas

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überall wild wachſenden Wachsbaumes geprekt und an Yeitige feit, Weiße und Brennfäbigfeit unferm Bienenwachs kaum nachſtehend. Ebenſo alle Arten Nutz⸗ und Zierhölzer, Eiche, Eiche, Ceder, Kampherholz, fowie Kampher überhaupt. Dann Soya, aus einer beſondern Bohnenart. gewonnen, ohne ven ein; Sapaneje faum irgendeine Speife genießt. Der Preis veffelben ift fehr gering; ein Faß Soya von 10 Duart foftet 1 Itzebu (15 Silbergroſchen). Einen ſchon jett be- deutenden Ausfuhrartifel, der jedoch nur "für die Küften- fchiffahrt von Intereſſe ift, bildet das eßbare Seegras, das in Hunderttaufenden von Gentnern nah China verfchifft wird. Ä |

Mit vem Jahre 1863 ſoll nach den Verträgen ber neue Hafen von Oſaka geöffnet werben, und alle in Japan anfälligen Fremden erwarten damit ſchon einen ganz bebeutenven Auf- ſchwung des Handels. Oſaka iſt eine der bedeutendſten Stäbte bes Reiche von circa 100000 Einwohnern mit einem ausge⸗ zeichneten Hafen und namentlich durch feine vorzägliche com⸗ merzielle Lage zum Haupthandelsplatz von Japan geeignet. Es Tiegt in der Mitte von Nangafafi und Jeddo an bem Binnenmeere, das durch Kiuſiu, Sikokf und Nipon gebilvet wird, und nur drei Meilen von Miako, der Reſidenz bes Dairi entfernt. Von Miako aus hat fih in Japan bie Eivilifation verbreitet, und vie alte Metropole gilt noch immer als der Mittelpunft des Culturlebens. Alles was gut ift fommt von Miako; die beften Ladjachen ftammen vorther, bie fchönften Seivenmanufacturen, bie koftbarften Bronze vaſen alles wird in Miafo fabrizirt. Bisjetzt wurden biefe Sachen größtentheils über Land nad; Nangafafi und Jeddo gebracht und durch den Transport um mindeſtens 50 Procent verthenert. Mit der Eröffnung von Oſaka fällt dies alles fort: Nangaſaki wird nur ein Kohlenhafen bleiben, Yokuhama fehr viel einbüßen, obwol legteres immer noch ben Verkehr

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von ber nördlich gelegenen Hälfte Nipons behalten wird. Diefes nothwendige Emporblühen des Handels mit ber Deffnung Dfafas verbehlt fich auch die Regierung nicht, und weil fie daran Die von mir erwähnten Conſequenzen einer Revolution knüpft, hat ihre Gefanbtfchaft bei den europäifchen Bertragsmächten um eine Auffhiebung des Oeffnungsterming angehalten. Diefem Wunfche ift zwar auf zwei Sabre Folge gegeben worden, aber dann wird das Gefürchtete doch eintreten.

Noch ein japanefifches Product habe ich als ber Beach— tung werth zu erwähnen: das Papier, von dem wol in feinem Lande der Welt ein fo ausgevehnter Gebrauch gemacht wird wie bier. Es unterfcheidet fih von dem unfern bauptjächlich durch feine feidenartige Weichheit und merkwürdige Haltbars keit, infolge deren e8 zu vielen Zweden verwandt wird, zu benen wir das unfere gar nicht gebrauchen können. Es wirb aus der Rinde ber jungen Zweige des Papiermaulbeerbaums (Morus papyrifera) bereitet. Es ift mir nicht gelungen, bie Fabrikation felbft zu fehen. Auf alle Fragen nach einer Pa- pierfabrif erhielten wir ftets nur die eine Antwort: Miako! Miako!, ſodaß, wenn dort wirklich alles im Lande verbrauchte Papter gemacht wird, dafelbft Millionen von Centnern fabri- zirt werben müſſen. Die nachftehende Befchreibung gebe ich nah Kämpfer und Thunberg.

Wenn im December der Maulbeerbaum feine Blätter verliert, werben bie jungen Zweige etwa in ber Länge von 3 Buß abgefchnitten, in Bündel gepadt und in einer Afchen- lauge gekocht, bis die Rinde fo zufammengefehrumpft ift, daß fie fih an den Enden um einen halben Zoll zurüdzieht. Sind die Zweige getrodnet, ehe man fie fochen kann, fo läßt man fie vor dieſer Procetur erſt 24 Stunden im Waſſer weichen. Nach dem Kochen wird bie Rinde ab- geſchält und nach dreiſtündigem Ausziehen in reinem Waſſer

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die äußere fchwärzliche Haut und die barunterliegende grün⸗ fiche Faferfchichte mit einem Meſſer abgefchabt. Hierauf wird bie Rinde fortirt, die einjährige gibt bie befte, die minder alte eine geringere Duantität Bapier. Alsdann wird fie aber- mals in einer klaren Lauge gelocht, beſtändig umgerührt und jo viel frifche Lange zugejeßt als nöthig, um bie Verdampfung zu decken. Diefes Kochen wird fo lange fortgeſetzt, bis bie Borle fih in ihre Fibern auflöſt. Die Maffe wird dann gewafchen, ein Proceß, der befondere Sorgfalt erfordert, da zu wenig Wafler pas Bapier grob, zu vieles e8 aber dünn und jtreifig macht. Das Wafchen gefchieht in laufendem Waſſer in einem Siebe, und die Maffe wird dabei beftänpig und fo lange umgerührt, bis fie als ein zarter und weicher Brei er- fcheint. Für die feinern Sorten wird dieſes Wafchen noch einmal in einem Leinwandfiebe wiederholt. Nach dem Wachen wird die Maſſe auf einer hölzernen Zifchplatte fo lange mit Stöden von hartem Holz geichlagen, bis die Fafern jo Fein gemacht find, daß fie, in Waller geworfen, wie Mehl aus- einander fliegen. Der Stoff wird dann mit einer fchleimigen Infuſion gemifcht, die theilweife aus Faltem Waffer, in dem Reis geweicht, theilweife aus dem Aufguffe von Hibiscus mannihot geivonnen wird. Auch diefe Wafchung, deren Ver⸗ hältniffe von der Jahreszeit abhängig find, erforvert viel Sorgfalt und wird in einem engen Bottich unter beftändigem Umrübren bewerfitellig. Hiermit ift der Papierbrei fertig. Derfelbe wird in einen größern Bottih gethan und mit Drabinegen zu Bogen ausgefchöpft. Die Bogen werben zwifchen Matten von fehr zartem Grasitroh gelegt, anfangs leicht, fpäter aber immer ftärfer gepreßt, bis alle Feuchtigfeit entfernt if. Dann läßt man fie in ver Sonne trodnen und padt fie in Lagen von circa 1—200 Bogen zum Verkauf. Das Papier wird nicht geleimt und kann deshalb für unfere Schreibezwede nicht benugt werben, während es fich für bie

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Schrift der Iapanefen mit Pinſel oder Tuſche und für ven Drud vortrefflich eignet.

Ich bin jedoch der Anficht, daß „nicht allein die Rinde des Maulbeerbaums zur Papiermanufactur gebraucht wird. Es tft auch kaum denkbar, wo alle Rinde dazu herkommen follte, wenn man gefehen, in welchen unendlichen Ouantitäten ber Papierverbrauch ftattfindet. In Yokuhama habe ich oft Tauſende von Lumpenballen nach Miako verfchiffen fehen, bie feinen andern Zweck als Papierbereitung haben konnten, und wahrfcheinlich wird die Meaulbeerfafer mit den Lumpen vermifcht.

Sch habe bereits erwähnt, daß jämmtliche Fenſter Bapier- Icheiben haben. Ebenfo find fait alle Häufer tapezirt. Das Muſter der Tapeten tft außerordentlich zart und geſchmackvoll. Gewöhnlich find fie filbergrau, merfwürbigermweife werben fie aber alle aus Tleinen quabratifchen Stüden von einem Fuß Seitenflächhe zufammengefegt. Ebenfo find auch die übrigen Papierbogen circa 1 Fuß lang und 10 Zoll breit, obwol fie größer gemacht werden Tünnen, wie ich bei tapetenartigen Bildern gefeben, die oft 5—6 Fuß lang und 2 Fuß breit als Zierden in den Zimmern aufgehängt werden. Als Schnupf- tuch, zum Abtrodnen des Schweißes wird nur Papier ges braucht, und ſelbſt der ärmlichſte Kuli führt ein zu dieſen Zweden käufliches Buch bei fi, aus dem er bei Gelegenheit ein oder mehrere Blätter herausreißt. Sämmtlicher Bindfaden wird aus Papier gedreht und ift faft ebenfo feft und haltbar iwie ber unfere von Hanf. Im Winter bei Regen und Schnee tragen die Sapanefen Mäntel von gefirnißtem Papier. wir felbft haben uns fänmtlich ſolche Regenanzüge angefchafft, von denen das Stüd 3 Thaler Ffoftete, und bie vollftänbig wafjerbicht find. Aus wafferdichtem Papier beftehen auch bie ſehr künſtlich conftruirten Schirme, die zugleich außer⸗ orbentlih billig find und das Stück 3—4 GSilbergrofchen foften. Wird man von fchlechtem Wetter auf der Straße

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überrafcht, fo lauft man fich in einem ver vielen Läden einen Schirm, den man fortwirft, ſobald der Regen aufhört.

Eine Bapierforte, die ebenfalls in großen Maffen und zu allen möglichen Zwecken verbraucht wirb, verbient noch be= ſonders erwähnt zu werden, ba fte fpäter gewiß einen Handels⸗ artifel abgeben wird. Dies ift das fogenannte Bapierleder in allen Dimenfionen un® Farben, das man faum vom leder zu unterfcheiden vermag. Es tft faſt ebenfo dauerhaft wie dieſes und würde für unfere Buchbinder und Ga— lanteriearbeiter von großer Wichtigleit werben, da e8 jo billig iſt. Bon dem gewöhnlichen guten Schreibpapier haben wir für 1 Thaler 800 Bogen gefauft und von jenem Lederpapier für denſelben Preis 20—25 Quadratfuß in ben fchönften Farben und Muftern. Nur eine bei uns jehr gebräuchliche Verwendung des Bapiers Tennen die Japaneſen nicht: fie haben fein Papiergeld. Dies führt mich auf vie Münzver⸗ hältniffe, die in Japan ganz eigenthümlicher Art und für europäifche Kaufleute, wegen eines Verſehens in den Verträ- gen, leider nicht vortheilhaft find, indem fie den Handel be- einträchtigen.

Es gibt oder gab vielmehr in Japan Golo-, Silber-, Kupfer- und Eifenmünzen, den Kobang, den Itzebu, mit Halben und Bierteln, den Tempo und die Seni over Cafh, letztere den chinefifchen jehr ähnlich. Der Goldkobang iſt feit einigen Jahren vollſtändig verſchwunden. Derjelbe war eine oblonge Münze und hatte einen Curs von 4%, Thalern; fein wirklicher Goldwerth betrug jedoch 6 Thaler 17 Silbergrofchen, während dagegen Silber höher im Eurfe ftand, als nach dem allgemeinen Maßſtabe fein Meetallivertb betrug. Die Amerir

foner und alle die Fremden, welche zuerft mit biefen nad

Japan famen, hatten dies kaum bemerkt, als fie nichts Eili« geres‘thaten, als möglichft viele Dollars nach Iapan zu brin-

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gen, die vertragsmäßig zu einem beitimmten Eurfe in Itzebu genommen werben mußten, und fih Kobangs dafür einzu- taufchen. Dies Gejchäft warf ihnen natürlich enormen Nugen ab, wurde aber von ber Regierung durchſchaut. Diele taufchte ferner nicht nur Feine Kobangs mehr aus, ſondern erließ, um bie Goldausfuhr zu bindern, ein Edict an ihre Untertbanen, fämmtliche im Umlauf befindlichen Kobangs an bie Staatskaſſen gegen Erftattung des landesüblichen Eurfes in Silber oder Kupfer abzuliefern. Die Sapanefen hatten jedoch während ihres kurzen Verkehrs mit den Fremden ben Werth bes Goldes ſchätzen gelernt, und verfauften ihr Gold ftatt veffen an die Ausländer, die ihnen 20 Procent mehr gaben als die Negierung. Letztere hatte fich demnach verrechnet und würde beffer gefahren fein, wenn fie den Curs des Goldes erhöht hätte. Sp ging aber alles außer Landes; vie Fremden zogen allein Nuten davon, und gegenwärtig ift alles Gold aus dem Verkehr verſchwunden. Die Regierung fucht nun auf andere Weile ven Verluſt beim Silber wieder einzubringen, und dies ift e8 namentlich, was die fremden Kaufleute em— pfindlich trifft, und was die vertragfchließennen Mächte nicht genug berüdfichtigt haben.

Der amerilaniſche Commodore Berry ſetzte in feinem Ver⸗ trage feft, daß der mericanifche Dollar als gangbare Münze, und zwar zum Werthe von 1600 Seni over Caſh, angenommen werben folltee In Ehina find 1000 1200 Eafh, je nach dem Curſe, = 1 Dollar, und Commodore Perry. glaubte deshalb noch bejonders viel erreicht zu haben; aber in Japan find 1600 Caſh nur = 1 Itzebu, deſſen Silberwerthb 15 Silber: grojchen beträgt. Mithin war danach ver Dollar dem Itzebu gleichgeftellt, und die Amerilaner mußten alle Gegenftände breimal höher bezahlen, wenn fie ihre Dollars brachten. Dies war natärlich ein ungemeiner Hemmſchuh und machte ben Handel unmöglich. Die Geſandten machten Neclamationen,

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aber alles, was fie erreichten, war, daß e8 ihnen, den Con⸗ jularbeamten und dem Perſonal der Kriegsichiffe geftattet wurbe, fich bei ven Staatskaffen jo viel Igebu gegen Dollars

einzuwechfeln, als fie zu ihrem Bedarfe nöthig hätten, und zwar zu dem Eurfe von 3 Itzebu für 1 Dollar mit Abzug von 4 Procent für die Umprägung. Alle jene Perjonen er- hielten daher faft den ganzen Werth ihrer Dollars. Die Kaufleute blieben natürlich von dieſer Vergünftigung ausge- ſchloſſen, die Begünftigten pagegen legten den Paffus „als zu ihrem Bedarfe nöthig“ fehr weit aus, d. b. es kamen Un- fummen von Dollars aus China an, die von den Conſuln und den Kriegsſchiffbeſatzungen eingewechjelt und an vie Kaufleute gegen einen Profit von 20— 30 Brocent abgelaffen wurden, ſodaß dieſe jet für ihre Dollars 24, Itzebu befamen. Die indirecte Steuer, welche die Regierung durch den niebrigen Eurs des amerikaniſchen Silbers im Vergleich zu den Itzebu bon den Fremden zu erheben gedachte, war daher verfehlt, und fie hatte nur die Mühe, die Dollars umzumünzen, ohne Nuten davon zu haben. In einer fernern Verhandlung wurde deshalb wieder eine Abänderung getroffen, vie diesmal jedoch von den Iapanefen ausging Die Gefandten, Conjuln und Kriegsichiffe wurden im Wechſeln befchränft, letztere für ven Offizier auf drei, für jeden fonftigen Mann der Befatung auf einen Dollar pro Tag, als ein Quantum, deſſen fie wirklich bebärftig fein fonnten; dagegen wurde für die Kaufleute ber Eurs des Dollars auf 2 Itzebu erhöht, ſodaß fie jegt nur noch einen Berluft von 33 Procent hatten. Dies ift immer noch ſchlimm genug, allein mit vem Wachlen des Imports wirb fih das Misverhältnig immermehr ausgleichen und der Dollar Ichließlich einen feinem Silberwerthe angemefjenen Eurs er- halten. Schon jest ift das zu merken, und obwol ihn bie Regierung nur zu 2 Igebu nimmt, fteht er bereits im Handel und Wandel 21, Itzebu. Die japanifche Regierung war fo

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anftändig, die Vergänftigung des Wechjelns auch auf uns auszudehnen, obwol wir erft nach fünfmonatlichem Aufenthalte in Jeddo ben Vertrag abfchloffen, und vie fehr liberal ausge- worfene Summe von 30000 Dollars per Monat deckte unfere fämmtlichen Bedürfniſſe, ſodaß wir den angenehmen Vortheil hatten, diefelben 25 Procent billiger einzufaufen als frembe Kaufleute. |

Die Tempo find Kupfermünzen von ovaler Form und. fo groß wie die Fläche eines burchfchnittenen Eies. Sie haben in der Mitte ein vierediiges Loch, um fie wie die Caſh auf Schnüre zu ziehen. Sechszehn davon gehen auf einen Itzebu, ſodaß ihr Werth alfo 11%, Pfennig beträgt. Die Caſh wur⸗ ven früher ebenfalls aus Kupfer gemacht. Seitdem bie Chi- nefen aber viefelben förmlich ſchiffsladungsweiſe ausgeführt und damit in China treffliche Geſchäfte gemacht hatten, weil fie in Sapan für einen Itebu 1600 Caſh befamen, in China aber für 1000 einen Dollar, mithin faft den fünffachen Werth, wurde erftens die Ausfuhr jehr ftreng verboten, fodann aber, um jeben Verſuch zum Schmuggeln zu verhüten, auch bie Seni over Caſh von Eifen gefertigt, und man fieht daher nur noh wenig fupferne im Berfehr. Sämmtliche japaneftfche Münzen find nicht geprägt, fondern gegoffen; Kobang und Tempo oval, Itzebu Tänglich vieredig und Seni rund. Auf der einen Seite ift der Namenszug des Kaifers und die Jahres» zahl, auf der andern Seite der Name des Münzinfpectors erhaben ausgevrüdt. Die Formen müſſen jedoch fehr gut fein, da die Charaktere ſehr ſcharf herbortreten.

Ueber die Aderbauverhäftniffe des Landes habe ich wenig zu jagen; fie find den chinefifchen ſehr ähnlich, und ich würde mich daher nur wiederholen. Auch die hauptfächlichiten Boden⸗ probucte ſiad biefelben: Reis, Baumwolle, Thee und Korn. Bei Nangafafi wird viel jechszeilige Gerfte gebaut, außerdem weiße und braune Bohnen, Erbfen, Kohl und alle Arten von Ge-

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müjen, ſowie Obſt, Aepfel, Birnen, Pfirſiche, Aprikoſen, Pflaumen. Das Obſt iſt jedoch lange nicht ſo ſchön wie bei uns und ſchmeckt ähnlich wie in China, d. h. wäſſerig und fade; gekocht dagegen gibt es die ſchönſten Compots. Apfel⸗ ſinen in verſchiedenen Sorten, Walnüſſe und Wein find vor- trefflih. In Jeddo war es Winterzeit, und wir konnten des⸗ halb weder von Feld- noch Gartencultur etwas fehen, aber Erbfen, Bohnen und Gemüfe fcheinen auch dort in großen Dvantitäten probueirt zu werben, ebenjo Kartoffeln, von denen viele Schiffeladungen voll nach China gehen, und bie ſehr jchön find. In Nangaſaki werden europäiſche Kartoffeln nicht gebaut, nur füße.

Wegen ber gebirgigen Befchaffenheit des Landes find die Bewohner gezwungen, die Bergabhänge vielfach zu Eultur- zwecken zu terraffiren, und fie haben daher mehr Arbeit als ihre Nachbarn mit ihren enplofen Ebenen. Dagegen ijt bie Bewäſſerung viel leichter als in China, und auf ben Bergen find überall Wafferreferveirs angelegt, von Denen das Wafler durch Bambusrohre oft ftundenlang ohne alle Mühe geleitet wird. Sp fahen wir oft auf Terraſſen 500 Fuß und mehr über bem Meeresſpiegel Reisfelder angelegt und überſchwemmt. Wo es fih machen läßt, wird ver Ader mit Pferden ober Stieren gepflügt, deren e8 hier bedeutend mehr als in China, obwol immer noch lange nicht genug für den Bedarf der Landwirthſchaft gibt; auf ven Bergen verrichten jedoch Men⸗ ſchenhände alles, Da der PViehbünger nicht ausreicht, jo findet menfchlicder Dünger fehr vielfach Verwentung, jedoch wird das Saatkorn nicht darin geweicht, ſondern verfelbe flüſſig und gegoren auf die Pflanzen gegoffen. Ebenſo wirb aus allen möglichen Abfällen ein Compoſt bereitet und der Ader bamit befruchtet. Da alfo der Boden alles wisber zurüd- erhält, was ihm genommen wird, fo gehen. die Ernten ohne Unterbrechung jahraus jahrein fort, und non einem Brach⸗

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liegen ift nicht Die Rebe. Die Regierung ift fett ver Ab- ichließung des Landes beftrebt gewefen, durch Förderung bes Aderbaues den Preis der Nahrungsmittel jo ntebrig wie mögfich zu bringen, und fie ermuntert Die Bewohner auf fehr energifche Weiſe dazu, indem fie denjenigen, ver fein Feld nicht bebaut, durch Eonflöcation. des Aders beſtraft. Landwirth⸗ ſchaft im großen findet ebenfo wenig ftatt wie in China; aller culturfähige Boden wird in Heinen Parcellen von 6— 8 Morgen von den Landleuten bewirtbichaftet, und da der Arbeitswerth ebenfo gering wie in China tft, haben fich die Verbältniffe des Landbaues faft ebenfo geftaltet und vervoll⸗ fommnet wie dort. Von Pferden gibt es zweierlei Arten, die tatarifche und die Ponyraſſe; erftere wird jedoch nur zum Zafttragen, leßtere zum Reiten benugt. Der Preis ift zwifchen 15 und 20 Thalern. Stiere werben fowol als Zug⸗ wie als Laftthiere verwandt, und ſchon weil fie bei dem bergigen Terrain zum Fortſchaffen ber Laften nöthig find, muß in Sapan mehr Vieh als in China gehalten werden. Die Pferde find nicht befchlagen. Zur Schonung ber Hufe und wahrſcheinlich auch, um ihnen beim Klettern in ven Bergen beffern Halt zu geben, werben jowol Pferden als Stieren Strohſandalen übergezogen. Dies ift unter ähnlichen Verbältniffen überall zu empfehlen, ba unfere Pferde auf unfern vielfachen Spazierritten und auf ben ſchwierigſten und fteilften Gebirgspfaden nie einen Fehl⸗ tritt thaten oder ausglitten.

Schafe gibt e8 nicht, wie ich fchon erwähnt habe. Die Schweine find aus China eingeführt, werben aber nicht viel und bauptjächlich nur für die Fremden gezüchtet, weil der Ja⸗ panefe ſich faft ausfchließlich von DVegetabilien und Fiſchen ernährt. Dagegen ift die Hühmerzucht fehr groß, da bie Eier vielfach genoffen werben. Wild gibt es ziemlich viel, nament- (ich wildes Geflügel, Enten, Gänfe und Fafanen, und, wie im allgemeinen alle Lebensbedürfniſſe in Japan, auch fehr billig.

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Ein Fafan koſtet 4—5 Silbergroſchen. Alle diefe Thiere werden in Neben oder Schlingen gefangen, va der Gebrauch von Fenergewehren zur Jagd wol wegen ver Gefahr für Menſchen ftreng verboten ift.

Auf die Forfteultur wird viel Sorgfalt verwandt, und fein Baum darf abgehauen werden, ohne dafür einen jungen an- zupflanzen. Die Berge find überalf mit reichem Baumwuchs bejtanven, und die Umgegend von Jeddo wird namentlich durch die vielen und forgfältig gepflegten Schonungen und Gehölze ſo ſchön und parkähnlich.

Ueberhaupt erinnere ih mich nicht, auf meinen vielen Reifen je ein Land geſehen zu haben, das in jeder Beziehung einen ſo angenehmen” und wohltbuenden Eindrud gemacht, und indem ich mich fo heimifch gefühlt hätte, wie Iapan. Diefen Eindrud hat ein jeder von uns mit fich genommen. Die voman- tiihe Schönheit des Landes, die gaftfreunpliche Liebenswürbig- feit feiner Bewohner, die Sauberfeit ver Straßen und Häufer, ber poetifche Zauber der Gärten, Tobtenhöfe und Tempel - waren. jo anziehend und wirkten fo wohlthuend auf uns, daß wir ein orbentliches Heimweh fühlten, als wir endlich dem Ihönen Lande Lebewohl fagten, das uns außerdem foniel Neues und Imtereffantes geboten hatte. Namentlich aber werben wir Nangafali nicht vergeffen; e8 war der Lichtpunkt unferer Reife und wird e8 bleiben. Wir gingen von Jeddo nad Schang-hae und zwei Monate fpäter zum zweiten male nad Nangaſaki, und obwol ich dadurch der chronologifchen Reihen⸗ folge unferer Reife etwas vorgreife, will ich im nachfolgenden Kapitel zunächſt unfere Erlebniffe an viefem Plate erzählen, weil dadurch noch manche PVerhältniffe Sapans berührt wer- ben, die zur Ergänzung ber Schilderung des Landes und der Leute dienen.

27.

Die Bai und die Stadt Nangaſaki. Inſel und Colonie Deſima. Die

Viſite beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Drachenfeſt. Die

Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Geſelligkeit der Japaneſen.

Das Drachenſpiel. Eine Kunſtreitervorſtellung in Nangaſali. Ausflüge

in die Umgegend. Naturromantil, Lieblichkeit der Gartenanlagen. Bild

der japanifchen Häuslichkeit. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängniß. Das Klima und ber Gefundheitszuftend in Japan.

Mir kamen biesmal am 12, April vor bie Bai von Nangajafi; es war jegt Frühjahr, alles grünte und blübte in voller Pracht, und der Hafen erfchien in feinem jugendlichen Schmude uns. noch viel lieblicher .und bezaubernver als das erite mal. Stets glaubten wir eine neue ſchöne Scenerie zu entveden, bie wir früher noch nicht bemerkt. Hier fegelten wir faum 30 Schritt vor einer Kleinen Infel vorüber, veren kahle zadige Felſen nur Hierher gefegt fchienen, um den Eon- traſt mit der lebendig frifhen Umgebung zu erhöhen, bort er- ftredte fich eine Ttebliche Bucht weit in das Land, die mit einladenven Häufern und Gärten beſetzt war, während ſich ein paar Dſchonken auf ihrem tiefen Blau fchaufelten ober einige leichtere Boote, von den kraftvollen Ruderſchlägen halb» nadter brauner Fiſcher getrieben, pfeilfchnell ihre fpiegelglatte : Oberfläche durchfurchten. “Die wie eine Biſchofsmütze geformte und fteil aus dem Waller auffteigende Infel Bapenberg mit ihrer Krone von hunvertjährigen mächtigen Fichten wurde in

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Truppen, auch einige breißig jehr fauber gehaltene Percufſions⸗ gewehre aufgeftellt waren. "Wir wurben hier von einem eng-

liſch redenden Dolmeifcher empfangen und in einer Vorhalle mehreren Offizieren vorgeftellt, die uns mit ausgewählter Höflichkeit empfingen und uns durch einen Eorridor zu einem feinen Zimmer geleiteten, das der Gouverneur zu gleicher Zeit mit uns von der entgegengefeßten Seite aus betrat. Nach einer kurzen Begrüßung und Vorftellung richtete .er einige bei vergleichen Anläffen übliche Höflichkeitsfragen an uns und führte uns danach in den großen Empfangsfaal, wo der Vice- Gouverneur und acht andere höhere Beamte. ver- fammelt waren und bie gegenfeitigen Vorftellungen aufs neue begannen. ‘Die Räumlichkeiten des Palaſtes unterfcheiven fich in feiner Weiſe von ben Bürgerhäufern. Es herrichte im ihnen biefelbe reinliche Einfachheit und Schmudlofigkeit wie überall; die Wände verfchiebbar mit Gitterwerf und Papier- jcheiben, der Fußboden mit den weißen fein geflochtenen Matten belegt, auf denen es fich ebenfo angenehm als elaſtiſch, geht. Mit Höflicher Rüdfickt auf uns waren im Empfangs- ſaale Stühle und zwei lange Zifche, in Japan fonft unbe- befannte Dinge, aufgeftellt, auf welchen legtern ein Frühſtück fervirt war. Wir wurden an bem einen placirt, während an dem gegenüberftehbenden der Gouverneur und die übrigen Be⸗ amten ihrem Range nach fich niederließen und ver Dolmetjcher in der Mitte zwifchen beiden fauerte, Die Unterhaltung drehte fih um alle möglichen Gegenftände, japaneftfche und beutjche Berhältniffe, Inftitutionen und Erzeugniffe, um die Verwandt⸗ ſchaft unſers Königshanfes mit dem holländischen und engli- fen, und um die demnächſtige Abreife ber Geſandtſchaft der japaniſchen Regierung nach Europa. Der Gouverneur ſprach allein, und die ganze Converſation wurde, wie es ſchien wortgetren, von zwei Secretären niedergeſchrieben. An äußern Merkmalen in ber Kleidung war der Rang ber be-

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treffenden Beamten nicht zu unterfcheiden. Alle trugen ganz gleich den nationalen Rod von blau⸗ und weißgeftreifter Seide, über den nur als officielles Kleid eine Art Joppe getworfen war, bie fich durch einen befondern Schnitt des Rückentheils auszeichnet, ber oben am Halje wie ein Bret über beibe Schultern hinausragt. Der Kopf war, wie immer in Japan, unbebedt. j |

Das Frühſtück beftand aus verfchlevenen Gängen, Zuder- wert mit Thee, der ebenfo Nationalgetränt ift wie in China, Reis, Fiſche und Wild, fowie aus Saft. Alles war trefflich bereitet und mundete uns ſehr gut, ſogar der Tintenfiſch, ven ich bier zum erften male aß, und ber wie fogenanntes Milch- fleifh vom Kalbe fchmedte. Mean hatte uns neben den japa⸗ neſiſchen Eßſtäbchen, mit denen wir wahrfcheinlich jehr ſchlecht fertig geworben wären, Mefler, Gabel und Löffel fowie Porzellanteller gegeben, und auch die Sapanefen bemühten fich bamit zueffen, obwol ihnen vie Handhabung ziemlich ungewohnt ſchien. Alle Schüffeln beftanden aus Iadirtem Holz, da man Porzellan in Japan nur als Ornamente, Waffer- und Saki⸗ frufen und als Trinkſchalen flieht. Kurze Pfeifen, wie fie im Lande allgemein gebraucht werben, mit metallener Spite und Kopf, beides ſehr ſchön cifelirt und letzterer kaum fo groß wie ein &ichelbecher, fowie Taback nebft Kohlenbeden batte jeder neben fich ftehen, und nach dem Frübftüd wurde ein Pfeifchen geraucht. Der Taback ift jo fein gefchnitten wie ber türfifche, -Teicht und wohlfchmedend. Nach etwa 1?/, ftünbigem Aufenthalte wurde die Viſite von unferer Seite aufgehoben, da wir nicht genau wußten, wie bie japanefilche Sitte es er- heiſcht. Wir gingen mit demfelben Ceremoniell, wie wir ge- fommen, und ſehr befriedigt von dein intereffanten Befuche, an Bord, wo kurz darauf ein doppelt beſchwerteter Jakonin mit einem Dolmeticher und einem Kuli erfchien und uns mit höflihen Empfehlungen des Gouverneurs fünf fauber in

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Papier gefchlagene und mit bunten Seidenſchnüren zugebuntene Packete überbrachte. Sie enthielten den nicht verbrauchten Theil der uns reichlich vorgefetten Confecte, die jedem Gafte nach der Sitte des Landes zugefchidt wurden, und die ſich ebenfo durch Wohlgefhmad als künſtliche Anfertigung aus⸗ zeichneten. Als der Beamte fich wieder entfernen wollte, blieb er eine Zeit lang wie in Verlegenheit ftehen, und e8 fchien uns, al8 ob er noch etwas auf dem Herzen habe. Der Commanbant fam ihm mit ver Frage zu Häülfe, ob die Sitte von uns irgendetwas als Erwiderung erheifche, und fichtbar erleichtert, aber immer noch verlegen und mit fchlichterner Stimme tbeilte er jegt mit, daß es Sitte fei, den Kult, - welcher berartige Geſchenke bringe, mit ein paar leeren Flaſchen zu belohnen. Wir mußten innerlich über dies außer- gewöhnliche Trinkgeld lächeln, gaben ihm aber fo viel leere Weinflafhen, als er irgend zu tragen vermochte. Zur Er- klärung biene hierbei, daß Glas und namentlich Flaſchen, weiche bie Japaneſen nicht zu fabriziren vermögen, von ihnen ſehr gejucht und gejchägt werden. Vor 7 Iahren, zur Zeit ver amerikaniſchen Expedition, wurde oft eine Flaſche von ihnen mit einem Gegenjtande von 10 Thalern Werth eingetaufcht, und wenn fie auch jeßt vielfach eingefilhrt und im Breife jehr geſunken find, ja in Nangafafi bereits eine Glasbläferei einge- richtet ift, macht man doch einen Sapanefen immer noch damit glücklich. Wahrſcheinlich haben die Jakonins die Sitte für ihren eigenen Nuten eingeführt und ven Kuli nur vorgefcho- ben; wenigftens fchien mir dies aus dem leuchtenden Auge bes Beamten hervorzugeben, als dem Kuli mindeftens 15 leere Flaſchen aufgepadt wurden. |

Der Nachmittag bot in anderer Weile ebenfalls hohes öntereffe, um einen Blid in das fociale Leben der Iapanefen zu thun. Wir find in diefer Beziehung auf unferer Reife jehr glüclich gewefen. An allen -Bläten, bie wir bier im

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Dften berührten, traf es fich, daß irgenbein außergewöhnliches Ereigniß, wie Volfsfefte und vergleichen, ftattfand. In Sin- gapore war es das Topdtenfeft, in Kanton das Laternenfeft, in Schang-hae das Neujahr ver Chinefen; in Jeddo hatten wir eine Art Kirmeß mit angefehen, bei ber ein großer Markt gehalten wurde und alles fehr heiter zuging. Hier kamen wir gerade zur rechten Zeit, um einem großartigen Volksfeſte, dem Drachenfefte, beizuwohnen, das einzig in feiner Art in ver Welt bafteht, zugleich aber eins ber fchönften ift, bie ich je gefehen. In Japan beiuftigt fich nämlich, wie in China, groß und Hein, alt und jung, Dann und Weib täglich mit dem Steigenlaffen von Papterprachen, ja in China fehr häufig Greif. Der in Spielereien und Slleinigfeiten fo fruchtbare erfinderiſche Geift ver Chinefen hat, wie ish ſchon früher erwähnte, die unenblichften Formen und Varietäten geichaffen, und ich erinnere mich noch mit vielem Vergnügen, wie ich eines Abends ein vollftänbiges Drachenfchiff in ver Luft fegeln ſah, aus deſſen Kanonenpforten überall Heine Sprüh—⸗ teufel berausbligten, bis zulett das ganze Spielzeug in hellen Flammen ftand, mit einem Ranonenfchlage auselnanver flog und nach allen Seiten hin Feuerkugeln ausfandte.

In Japan iſt man in diefer Beziehung nicht fo weit vor- gefchritten.. Die Drachen find ſämmtlich wie die bei uns ge- bräuchlicden geformt und nur aus buntem Papier bergeftellt, um fie voneinander zu Tennen, aber bie Iapanefen entwideln eine außerordentliche Gefchieklichkeit in ihrer Leitung, und täglich finden Wettfämpfe darin ftatt. Einmal im Iahre am 18. April nehmen alle Drachenbefiger an dieſen Kämpfen tbeil; eine Unmaſſe von Menfchen ftrömt als Zuſchauer auf ten Sampfplak, und das Drachenfeft bietet in größern Städten ein Schaufpiel dar, das wirklich prachtvoll ift.

In Nangaſaki ift es der Kompiraberg, eine Meile binter

ber Stadt gelegen und 2000 Fuß hoch, wo die eierlichkeit Berner. II. 10

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müfen, fowie Obit, Aepfel, Birnen, Pfirfiche, Aprilofen, Pflaumen. Das Obft ift jedoch lange nicht fo ſchön wie bei uns und ſchmeckt ähnlich wie in China, d. h. wäſſerig und fade; gefocht dagegen gibt es die ſchönſten Compots. Apfel- finen in verſchiedenen Sorten, Walnüffe und Wein find vor- trefflih. In Jeddo war es Winterzeit, und wir fonnten des⸗ halb weder von Feld- noch Gartencultur etwas fehen, aber Erbfen, Bohnen und Gemüfe fcheinen auch dort in großen Duantitäten probucirt zu werben, ebenjo Kartoffeln, von benen viele Schiffeladungen voll nach China gehen, und bie jehr fchön find. In Nangafali werden europäifche Kartoffeln nicht gebaut, nur füße.

Wegen der gebirgigen Beſchaffenheit des Landes find die Bewohner gezwungen, die Bergabhänge vielfach zu Eultur- zwecken zu terraffiren, und fie haben daher mehr Arbeit als ihre Nachbarn mit ihren endlojen Ebenen. Dagegen iſt bie Bewäſſerung viel leichter als in China, und auf den Bergen find überall Wafferrefervoirs angelegt, von denen das Waller durch Bambusrohre oft ftundenlang ohne alle Mühe geleitet wird. So fahen wir oft auf Terraffen 500 Fuß und mehr über dem Meeeresipiegel Reisfelver angelegt und überſchwemmt. Wo es fih machen läßt, wirb der Ader mit Pferben oder Stieren gepflügt, deren e8 bier beveutend mehr als in China, obwol immer noch lange nicht genug für den Bedarf der Landwirthſchaft gibt; auf ven Bergen verrichten jedoch Men⸗ ſchenhände alles. Da der Viehdünger nicht ausreicht, fo findet menfchliher Dünger jehr vielfach Verwenbung, jeboch wird das Saatkorn nicht darin geweicht, fondern verjelbe flüfjig und gegoren auf die Pflanzen gegofjen. Ebenſo wird aus allen möglichen Abfällen ein Compoſt bereitet und ber Ader bamit befruchte. Da alfo der Boden alles wieder zurüd- erhält, was ihm genommen wird, fo gehen. pie Ernten ohne Interbrehung jahraus jahrein fort, und von einem Brach⸗

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liegen ift nicht die Rede. Die Regierung ift feit der Ab- ichließung des Landes beftrebt gewefen, durch Förderung bes Aderbaues den Preis der Nahrungsmittel fo niedrig wie möglich zu bringen, und fie ermuntert bie Bewohner auf fehr energiiche Weife dazu, indem fie benjenigen, der fein Feld nicht bebaut, durch Confiscation des Aders beitraft. Landwirth⸗ ſchaft im großen findet ebenfo wenig ftatt wie in China; aller culturfähige Boden wird in Kleinen Barcellen von 6— 83 Morgen von den Landleuten bewirthichaftet, und ba ber Arbeitswerth ebenfo gering wie in China iſt, haben fich bie Berhältniffe des Landbaues faft ebenfo geftaltet und vervoll⸗ kommnet wie dort. Von Pferden gibt es zweierlei Arten, bie tatarifche und die Ponyraſſe; erftere wird jedoch nur zum Rafttragen, lettere zum Reiten benutzt. Der Preis ift zwifchen 15 und 20 Thalern. Stiere werden fowol als Zug» wie als Laſtthiere verwandt, und fehon weil fie bei dem bergigen Terrain zum Fortfchaffen der Laften nöthig find, muß in Sapan mehr Vieh als in Ehina gehalten werden. Die Pferde find nicht befchlagen. Zur Schonung der Hufe und wahrfcheinfich auch, um ihnen beim Klettern in ven Bergen beffern Halt zu geben, werben ſowol Pferden als Stieren Strohfandalen übergezogen. Dies ift unter ähnlichen Verbältniffen überall zu empfehlen, da unfere Pferde auf unfern vielfachen Spazierritten und auf ben jchwierigften und fteilften Gebirgspfaden nie einen Fehl- tritt thaten ober ausglitten.

Schafe gibt es nicht, wie ich fchon erwähnt habe. Die Schweine find aus China eingeführt, werden aber nicht viel und hauptſächlich nur für die Fremden gezüchtet, weil ber Ja⸗ paneje fich faft ausſchließlich von Vegetabilien und Fiſchen ernährt. Dagegen ift die Hühnerzucht fehr groß, ba die Eier vielfach genoffen werden. Wild gibt e8 ziemlich viel, nament- lich wildes Geflügel, Enten, Gänfe und Fafanen, und, wie im allgemeinen alle Lebensberärfniffe in Iapan, auch fehr billig.

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müfen, fowie Obſt, Aepfel, Birnen, Pfirfiche, Aprikoſen, Pflaumen. Das Obft ift jedoch lange nicht fo ſchön wie bei

uns und jchmedt ähnlich wie in China, d. h. wäſſerig und

fade; gekocht dagegen gibt e8 bie fchönften Compots. Apfel⸗ finen in verfchiedenen Sorten, Walnüffe und Wein find vor- trefflih. In Jeddo war e8 Winterzeit, und wir fonnten des⸗ halb weder von Feld- noch Gartencultur etwas fehen, aber Erbfen, Bohnen und Gemüfe feheinen auch bort in großen Duantitäten probueirt zu werden, ebenjo KRurtoffeln, von benen viele Schiffeladungen voll nach China gehen, und bie

ſehr Schön find. In Nangaſaki werden europäifche Kartoffeln

nicht gebaut, nur füße.

Wegen ver gebirgigen Beichaffenheit des Landes find bie

Bewohner gezwungen, die Bergabhänge vielfach zu Eultur- zwecken zu terraffiren, und fie haben daher mehr Arbeit als ihre Nachbarn mit ihren endloſen Ebenen. Dagegen ijt bie Bewäſſerung viel Teichter als in China, und auf ven Bergen find überall Waſſerreſervoirs angelegt, von denen das Wafler durch Bambusrohre oft ftundenlang ohne alle Mühe geleitet wird. So jahen wir oft auf Terraſſen 500 Buß und mehr über dem Meeresjpiegel Reisfelder angelegt und überſchwemmt. Wo es ſich machen läßt, wird der Ader mit Pferden ober Stieren gepflügt, deren e8 bier bedeutend mehr als in China, obwol immer noch lange nicht genug für den Bedarf der Landwirthſchaft gibt; auf ven Bergen verrichten jedoch Dien- ſchenhände alles. Da der Viehdünger nicht ausreicht, fo findet menfchlicher Dünger fehr vielfach Verwentung, jeboch wird das Saatforn nicht darin geweicht, ſondern derſelbe flüſſig und gegoren auf bie Pflanzen gegoffen. Ebenjo wird aus allen möglichen Abfällen ein Compoſt bereitet und der Ader bamit befruchte. Da alfo der Boden alles wieder zurüd- erhält, was ihm genommen wird, fo gehen. die Ernten ohne Iinterbrechung jahraus jahrein fort, und von einem Brad

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liegen ift nicht die Rede. Die Regierung ift feit der Ab- fchliegung des Landes beftrebt gewefen, durch Förberung bes Aderbaues ven Preis der Nahrungsmittel fo niedrig wie möglich zu bringen, und fie ermuntert pie Bewohner auf fehr energiiche Weife dazu, indem fie denjenigen, ver fein Feld nicht bebaut, durch Confiscation des Aders beitraft. Landwirth⸗ Schaft im großen findet ebenfo wenig ftatt wie in China; aller cufturfähige Boden wird in kleinen Parcellen von 6—8 Morgen von den Landleuten bewirtbfchaftet, und da ber Arbeitswerth ebenfo gering wie in China tft, haben fich bie Verhältniſſe des Landbaues faft ebenfo geftaltet und vervoll- fommnet wie bort. Von Pferden gibt es zweierlei Arten, bie tatarifche und die Ponyhraſſe; exftere wird jedoch mur zum Rafttragen, leßtere zum Reiten benutzt. Der Preis ift zwifchen 15 und 20 Thalern. Stiere werden fowol als Zug⸗ wie als Laſtthiere verwandt, und ſchon weil fie bei dem bergigen Terrain zum Fortfchaffen ver Laften nöthig find, muß in Japan mehr Vieh als in China gehalten werden. Die Pferde find nicht beſchlagen. Zur Schonung der Hufe und wahrfcheinfich auch, um ihnen beim Klettern in ven Bergen beffern Halt zu geben, werben fowol Pferden als Stieren Strobfandalen Üübergezogen. Dies ift unter ähnlichen Verhältniffen überall zu empfehlen, da unjere Pferde auf unfern vielfachen Spazierritten und auf ben jchwierigften und fteilften Gebirgspfaden nie einen Yehl- tritt thaten oder ausglitten.

Schafe gibt es nicht, wie ich fchon erwähnt babe. Die Schweine find aus China eingeführt, werben aber nicht viel und bauptfächlich nur für die Fremden gezüchtet, weil ber Ja⸗ paneſe ſich faft ausschließlich von Vegetabilien und Fiſchen ernährt. Dagegen ift die Hühmerzucht ſehr groß, da bie Eier vielfach genofjen werben. Wild gibt es ziemlich viel, nament- lich wildes Geflügel, Enten, Gänfe und Fafanen, und, wie im allgemeinen alle Tebensberürfnifje in Iapan, auch fehr billig.

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Ein Faſan koſtet 4—5 Silbergrofchen. Alle dieſe Thiere werben in Neben oder Schlingen gefangen, da der Gebrauch von Feuergewehren zur Jagd mol wegen der Gefahr für Menſchen ftreng verboten ift.

Auf die Forfteultur wird viel Sorgfalt verwandt, und kein Baum darf abgehauen werben, ohne dafür einen jungen an- zupflanzen. Die Berge find überalf mit reihem Baumwuchs beftanden, und die Umgegend von Jeddo wird namentlich Durch bie vielen und forgfältig gepflegten Schonungen und Gehölze fo Schön und parkähnlich.

Ueberhaupt erinnere ich mich nicht, auf meinen vielen Reifen je ein Land gefehen zu haben, das in jever Beziehung einen fo angenehmen und wohlthuenden Eindrud gemacht, und in dem ich mich fo heimifch gefühlt hätte, wie Japan. Diefen Eindrud hat ein jeder von uns mit fich genommen. Die roman⸗ tiſche Schönheit des Landes, die gaftfreundliche Liebenswürdig— feit feiner Bewohner, die Sauberkeit ver Straßen und Häufer, der poetifche Zauber der Gärten, Tobtenhöfe und Tempel - waren fo anziehend und wirkten fo wohlthuend auf uns, daß wir ein orbentliches Heimweh fühlten, als wir endlich dem Ihönen Lande Lebewohl jagten, das uns außerdem ſoviel Neues und SImtereffantes geboten hatte. Namentlich aber werben wir Nangafati nicht vergeifen; es war der Lichtpunkt unferer Reife und wird es bleiben. Wir gingen von Jeddo nad) Schangshae und zwei Monate fpäter zum zweiten male nach Nangaſaki, und obwol ich dadurch der chronologifchen Reihen- folge unferer Reife etwas vorgreife, will ich im nachfolgenden Kapitel zunächſt unfere Erlebniffe an diefem Plate erzählen, weil dadurch noch manche Verhältniffe Sapans berührt wer- ven, bie zur Ergänzung der Schilderung des Landes und ber Leute bienen.

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Die Bai und die Stadt Nangaſaki. Inſel und Colonie Deſima. Die

Viſite beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Drachenfeſt. Die

Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Geſelligkeit der Japaneſen.

Das Drachenſpiel. Eine Kunſtreitervorſtellung in Nangaſaki. Ausflüge

in die Umgegend. Naturromantik. Lieblichkeit der Gartenanlagen. Bild

der japaniſchen Häuslichkeit. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängniß. Das Klima und der Geſundheitszuſtand in Japan.

Wir kamen diesmal am 12. April vor die Bai von Nangaſaki; es war jetzt Frühjahr, alles grünte und blühte in voller Pracht, und der Hafen erſchien in ſeinem jugendlichen Schmucke uns noch viel lieblicher und bezaubernder als das erſte mal. Stets glaubten wir eine neue ſchöne Scenerie zu entdecken, die wir früher noch nicht bemerkt. Hier ſegelten wir kaum 30 Schritt vor einer Heinen Inſel vorüber, deren Table zadige Felſen nur hierher gejegt fchienen, um ven Con⸗ teaft mit der lebendig frifehen Umgebung zu erhöhen, port er- ftredte fich eine liebliche Bucht weit in das Land, bie mit einladenven Häufern und Gärten befett war, während ſich ein paar Dſchonken auf ihrem tiefen Blau fchaufelten ober einige leichtere Boote, von den kraftvollen Ruderſchlägen halb» nadter brauner Fifcher getrieben, pfeilſchnell ihre Tpiegelglatte - Oberfläche burchfurchten. ‘Die wie eine Biſchofsmütze geformte und fteil aus dem Waller auffteigende Inſel Bapenberg mit ihrer Krone von hundertjährigen mächtigen Fichten wurbe in

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Truppen, auch einige breißig jehr fauber gehaltene Percufftons- gewehre aufgeftellt waren. "Wir wurben hier von einem eng-

liſch redenden Dolmetfcher empfangen und in einer Vorhalle mehreren Dffizieren vorgeftellt, die uns mit ausgewählter Höflichkeit empfingen und und burch einen Eorribor zu einem feinen Zimmer geleiteten, das der Gouverneur zu gleicher Zeit mit und von der entgegengefeßten Seite aus betrat. Nah einer kurzen Begrüßung und Vorftellung richtete er einige bei dergleichen Anläffen übliche Höflichkeitsfragen an uns und führte uns danach in den großen Empfangsfaal, wo der Vice- Gouverneur und acht andere höhere Beamte ver- fammelt waren und bie gegenfeitigen Vorftellungen aufs neue begannen. Die Räumlichleiten des Palaſtes unterfcheiven fich in feiner Weife von den Bürgerhäufern. Es herrfchte in ihnen biefelbe reinliche Einfachheit und Schmudlofigfeit wie überall; die Wände verfchiebbar mit Gitterwerf und Papier- jheiben, der Fußboden mit den weißen fein geflochtenen Matten belegt, auf denen es fich ebenfo angenehm als elaftifch, geht. Meit Höfliher Rüdfickt auf uns waren im Empfangs- ſaale Stühle und zwei lange Zifche, in Japan ſonſt unbe- befannte Dinge, aufgejtellt, auf welchen letztern ein Frühſtück fervirt war. Wir wurden an dem einen placirt, während an bem gegenüberftehenden der Gouberneur und die übrigen Be⸗ amten ihrem Range nach fich niederließen und der Dolmetfcher in der Mitte zwifchen beiden kauerte. Die Unterhaltung brebte fih um alle möglichen Gegenftände, japanefifche und beutjche Berhältniffe, Inftitutionen und Erzeugniffe, um bie Verwandt⸗ ſchaft unjers Königshaufes mit dem holländischen und engli- hen, und um bie bemmächftige Abreife der Geſandtſchaft ber japanifchen Regierung nach Europa. Der Gouverneur ſprach allein, und die ganze Converfation wurde, wie es ſchien wortgetreu, von zwei Secretüren niebergefchrieben. An äußern Merkmalen in der Kleidung war der Rang ber be-

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treffenden Beamten nicht zu unterfcheiden. Alle trugen ganz gleich den nationalen Rod von blau⸗ und weißgeftreifter Seide, über ben nur als offlcielles Kleid eine Art Ioppe geworfen war, bie fi) durch einen bejondern Schnitt des Rüdentheils auszeichnet, der oben am Halfe wie ein Bret über beibe Schultern binausragt. Der Kopf war, wie immer in Iapan, unbebedt. j |

Das Frühſtück beftand aus verfchlevenen Gängen, Zuder- wert mit Thee, der ebenfo Nationalgetränt ift wie in China, Reis, Fiſche und Wild, fowie aus Sali. Alles war trefflich bereitet und mundete uns jehr gut, fogar ver Tintenfiſch, den ich bier zum erften male aß, und ber wie fogenanntes Milch fleifch vom Kalbe fchmedte. Man hatte uns neben den japa- nefifchen Eßſtäbchen, mit denen wir wahrfcheinlich ſehr fchlecht fertig geworben wären, Mefler, Gabel und Löffel fowie Porzellanteller gegeben, und auch die Sapanefen bemühten fich damit zu eſſen, obwol ihnen vie Handhabung ziemlich ungewohnt ſchien. Alle Schüffeln beftanden aus ladirtem Holz, da man Porzellan in Japan nur als Ornamente, Waffer- und Sali- frufen und als ZTrinffchalen fieht. Kurze Pfeifen, wie fie im Lande allgemein gebraucht werben, mit metallener Spige und Kopf, beides fehr fchön ciſelirt und letzterer kaum fo groß wie ein ichelbecher, fowie Taback nebft Kohlenbeden hatte jeder neben fich ftehen, und nach dem Frühſtück wurde ein Pfeifchen geraucht. Der Taback ift fo fein gefchnitten wie ber türkifche, -Teicht und wohlfchmedend. Nach etwa 1°/, ftündigem Aufenthalte wurde bie Vifite von unferer Seite aufgehoben, da wir nicht genau wußten, wie bie japanefifche Sitte es er⸗ heifcht. Wir gingen mit demſelben Ceremoniell, wie wir ges fommen, und fehr befriedigt von dem intereffanten Befuche, an Bord, wo kurz darauf ein doppelt befchwerteter Jakonin mit einem Dolmeticher und einem Kuli erfchien und uns mit böflihen Empfehlungen des Gouverneurs fünf fauber in

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Papier gefchlagene und mit bunten Seivenfchnüren zugebuntene Padete überbrachte. Sie enthielten den nicht verbrauchten Theil der uns reichlich vorgejeßten Confecte, die jedem Gaſte nah der Sitte des Landes zugefchidt wurben, und bie fich ebenfo durch Wohlgefhmad als Tünftliche Anfertigung aus⸗ zeichneten. Als ver Beamte fich wieder entfernen wollte, blieb er eine Zeit lang wie in Verlegenheit ftehen, und es ſchien ung, al8 ob er noch etwas auf dem Herzen habe. ‘Der Commanbant kam ihm mit der Frage zu Hülfe, ob die Sitte bon uns irgendetwas als Erwiderung exheifche, und fichtber erleichtert, aber immer noch verlegen unb mit fchüchterner Stimme theilte er jet mit, daß es Sitte fei, den Kult, - welcher berartige Gefchenfe bringe, mit ein paar leeren Flaͤſchen zu belohnen. Wir mußten innerlich über dies außer⸗ gewöhnliche Trinkgeld Lächeln, gaben ihm aber fo viel leere Weinflajchen, als er irgend zu tragen vermochte. Zur Er- Härung diene hierbei, daß Glas und namentlich Flaſchen, weiche bie Sapanefen nicht zu fabriziren verindgen, won ihnen fehr gejucht und gefchätt werden. Vor 7 Jahren, zur Zeit ber amerifanifchen Expedition, wurde oft eine Flafche von ihnen mit einem Gegenftande von 10 Thalern Werth eingetaufcht, und wenn fie auch jegt vielfach eingefilhrt und tm Breife jehr geſunken find, ja in Nangaſaki bereits eine Glasbläferei einge- richtet ift, macht man doch einen Japaneſen immer noch damit glücklich. Wahrſcheinlich haben bie Jakonins die Sitte für ihren eigenen Nuten eingeführt und den Kult nur vorgefcho- ben; wenigſtens fchien mir dies aus dem leuchtenden Auge des Beamten hervorzugeben, als dem Kuli mindeftens 15 leere Flaſchen aufgepackt wurden. |

Der Nachmittag bot in anderer Weife ebenfalls hohes öntereffe, um einen Blick in das fociale Leben der Iapanefen zu thun. Wir find im diefer Beziehung auf unferer Reife jehr glücklich gewejen. An allen Plätzen, die wir hier im

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Dften berührten, traf e8 fih, daß irgendein außergewöhnliches Ereigniß, wie Volfsfefte und vergleichen, ftattfand. In Sin- gapore war e8 das Todtenfeft, in Kanton das Laternenfeft, in Schang-bae das Neujahr ver Chinefen; in Jeddo hatten wir eine Art Kirmeß mit angefehen, bei der ein großer Markt gehalten wurde und alles fehr Beiter zuging. Hier kamen wir gerade zur rechten Zeit, um einem großartigen Volfsfefte, dem ‘Drachenfefte, beizumohnen, das einzig in feiner Art in der Welt daſteht, zugleich aber eins ber fchönften ift, bie ich je gefehen. In Iapan beiuftigt ſich nämlich, wie in China, groß und Hein, alt und jung, Mann und Weib täglich mit dem Steigenlaffen von Papierdrachen, ja in China fehr häufig Greif. Der in Spielereien und Kleinigkeiten fo fruchtbare erfinverifehe Geift ver Chinefen hat, wie ish fchon früher erwähnte, die unenblichften Formen und Varietäten geichaffen, und ich erinnere mich noch mit vielem Vergnügen, wie ich eines Abends ein vollſtändiges Drachenfchiff in der Luft jegeln ſah, ans deſſen Kanonenpforten überall Heine Sprüh- teufel herausblikten, bis zuletzt das ganze Spielzeug in hellen Flammen ftand, mit einem Ranonenfchlage auseinander flog und nach allen Seiten bin Feuerkugeln ausſandte.

In Japan ift man in diefer Beziehung nicht jo weit vor⸗ geſchritten. Die Drachen find ſämmtlich wie die bei uns ges bräuchlicden geformt und nur aus buntem Papier hergeftellt, um fie voneinander zu Tennen, aber bie Japaneſen entwideln eine außerordentliche Geſchicklichkeit in ihrer Leitung, und täglich finden Wettfämpfe darin ftatt. Einmal im Iahre am 18. April nehmen alle Drachenbefiter an biefen Kämpfen theil; eine Unmaſſe von Menfchen ftrömt als Zufchauer auf ven Sampfplak, und das Drachenfeft bietet in größern Stäpten ein Schaufpiel var, das wirklich prachtvoll tft.

In Nangafaft ift es der Kompiraberg, eine Meile hinter

ber Stadt gelegen und 2000 Fuß hoch, wo bie Feterlichkeit Berner. I. 10

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ftattfindet, die wol eigentlich mit dieſem Ausdrucke bezeichnet wer- den muß, da fie religidfen Urfprungs ift und die Beluftigung ver Drachenfänpfe. wol nur nachträglich mit ihr verbunden wurde. Auf dem Berge ift nämlich der Sik und Tempel bes Rompirafama, des „gnädigen Heren Winpgottes’, wie das Wort deutſch lautet. Sama ift der Titel, der jedem ge- heiligten Gegenftande fowie dem Kaiſer und dem gefürchteten Adel des Landes beigelegt wird, während ber Japaneſe „San Herr allen übrigen Menfchen anhängt. So ipricht er nur vom Taikunſama, dem gnädigen Herrn Kaifer, Ookiſama, dem gnädigen Herren Kranich, aber von Okatſan, dem Herrn Manne, Musmeſan, dem Heren Mäpchen, ober Safoninfan, dem Herrn Beamten.

Der Kompiraſama wird nun an jenem Tage gefeiert, und alles was irgendwie mit ver Schiffahrt in Bezug fteht, ſtrömt hinaus, um dem Gotte feine Verehrung darzubringen, in einem unweit ber Bergipite gelegenen Sintotempel feine An- dacht zu verrichten und ven Schub bes Gottes für bie Schiffahrt zu erbitten. Da aber die Sintoreligion aus allen ihren religiöfen Feiertagen Yreubenfefte macht, fo jah man überali nur lachende fröhliche Geftchter, und jeder war beftrebt, bie Gegenwart in harmlofer Freude zu genießen und fich auf das beite zu ammufiren.

Der Weg zum Kompira führt in mammichfachen Bindungen von Nangaſaki ziemlich fteil auffteigend an reinlichen Dörfern, ünpig grünenden Gefilden, trotigen Abhängen und fanft ge= wellten Hügeln hinauf, pie mit. großer Kunft terxeffirt und eultivirt find. Gerfte, Raps, Bohnen, Tabad: bildeten hier den bauptfächlichften Theil bes Adlerbaues. Hier und bort erblickte man eine Gruppe Obftbäume, welche, abwechjelnd mit einem Bosquet des gefiederten ſchlanken Bambus die freund» lichen Häufer befchatteten, vie oft an ven Abhängen zu fchiweben fohlenen, und zu denen fich ein halsbrecherifcher Pfad. durch

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wildes Geftrüpp und Geftein fchlängeltee Die rothen und weißen Blüten ver baumartigen Camellie und Azalie leuchteten noch bier und bort aus dem Grün hervor, aber es waren nur noch Nachzügler. Die eigentliche Blütezeit, wo biefe Bäume und Sträucher wie mit einem rothen Teppich beffeivet icheinen, war fchon feit vierzehn Tagen vorüber.

Der Menſchenſtrom zu dem Feſte war außerorbentlidh; ber von unten faft.eine Meile überjehbare und faum 4 Fuß breite Weg bildete eine unumterbrochene bichtgebrängte Linie von Geſtalten, bie in ihren verfchiebenartigen heilfarbigen Coſtümen wie eine buntfchillernde Riefenfchlange erichten, welche in zitternder Bewegung fih langfam den Berg hinaufwand.

Die Sonne brannte heiß bernieder, und da das unge- wohnte Steigen uns fehr angriff, begrüßten wir mit Freude bie verſchiedenen Heinen Theehäuſer, melde, als Ruhepunkte Viertelſtunden weit auseinander gelegen, auf Heinen Plateaur am Wege erbaut find, und deren fchattige Verandas ung ein- luden, zu raften und einen Blick auf das reizende Panorama zu unfeen Füßen zu werfen. Ich habe fchon bemerft, daß in Japan wie in Ehina faft gar fein vohes Faltes Waſſer, ſondern nur Thee getrunfen wird, der jeboch jo ſchwach ift, daß er feinen Geſchmack befist, und aus biefer Sitte erflärt fich die große Zahl der Theehäufer, welche an allen Lanpftraßen liegen und wo ven Borbeipaffirenden Thee verabreicht wird. Man bezahlt für eine Tafſe Thee einen Seni, alfo circa Y, Pfennig. Bon uns wollte man jedoch fein Geld nehmen, und überhaupt wurven wir überall mit ber größten Zuvor⸗ fommenheit und Höflichkeit behandelt. Sobald wir ankamen, wurden uns ftets die beften Pläße eingeräumt, man begrüßte ung in vertranlicher, aber nie aufbringlicher Wetfe, bewunderte mit fehüchterner Zurücdhaltung unfere Tuchkleider, und es er- regte allgemeine Freude, wenn wir mit unjerm Vorrath von fapanefifchen Worten eine Unterhaltung begannen, bie ſchließlich

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ins Stoden gerietb und nur mit Hülfe ber ausprudsvoliiten Mimif fortgefegt werben konnte.

So wanderten wir von einem Theehaufe zum andern, bie fich ftet8 Dadurch auszeichnen, daß fie an den romantifchiten Punkten erbaut find, und nach drittehalbſtündigem befchwerlichen Marſche erreichten wir den erwähnten Sintotempel, wo bie Stäubigen, ehe fie zum Spielplate aufbrachen, ihre Andacht verrichteten. Sinto- und Bubphatempel in Japan find fchon von weiten an ihrem Aeußern zu erfennen. “Der zeltartig con- cave Dachfirſt mit ben aufwärts gefrümmten Giebelfpiken ber Buddhatempel verräth fogleich den fremden chinefifchen Urfprung, während die Sintotempel die gerablinigen Formen ber heimifchen Gebäude aufweifen. Im Allerheiligiten, das zwar von außen zu fehen, aber nur von den Prieftern zu betreten ift, hing als einziges Symbol ein großer Freisförmiger Metalffpiegel. „Wer in ihn fchauen kann, ohne zu erräthen, ber allein ift würbig vor die Gottheit zu treten, aber niemand nahe mit Kummer und Gram im Herzen; eine freudige Stimmung, eine heiteres Herz allein Tann bie Andacht ver- richten.” Das ift die Kernlehre der Sintoreligion, und wahr- lich, in bem einfachen Dogma des erjten Theils Liegt eine Ihöne Moral. Das eigene Gewilfen des Menſchen wird zum Richter über ihn und als einziger Vermittler zwifchen ihn und die Gottheit geftellt, ohne zu elendem menfchlichen Mach: wer! in Geitalt von Götzen und Heiligen feine Zuflucht zu nehmen. |

Bor dem Tempel befand fich ein großer fteinerner Brunnen, an dem einige zwanzig Handtücher aufgehängt waren. Jeder, ver feine Andacht verrichten wollte, trat zu diefem und wufch fich Geficht und Hände, um auch äußerlich rein vor ber Gott- heit zu erſcheinen. Alsdann begab er fich in ven Tempel, ſchlug an eine in deſſen Portal hängende Glode, warf einige eiferne Seni auf den Teppich, Hatjchte breimal in die Hände,”

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Iniete nieder und murmelte einige Gebetsworte. Vom Blake des Kniens aus konnte man einen Blid in den Spiegel werfen; von allen den Hunderten, bie ich beobachtete, erhob jedoch fein einziger das Haupt. Vielleicht konnte niemand es ohne Erröthen thun und wollte fich die Scham erfparen. Die ganze Ceremonie dauerte kaum eine halbe Minute. In fchweigender Ordnung folgte.einer nach dem andern; ber hohe Beamte, der verachtete Kuli jo weit da draußen in der Welt verfchieden hier fcheinen fie alle gleih. Der erjtere wartete, bis ber legtere fich erhoben, und kniete wie er mit geſenktem Haupte vor dem höchſten Wefen.

Einige 1000 Schritte hinter dem Tempel, nahe ber Spike des Kompira, gelangte man auf eine fanft gerunbete Berg- ebene, die das Endziel der Wanderung und der Tummelplatz des Feites war. Schon ehe wir dort hinfamen, fahen wir Tauſende und Abertaufende von buntgefärbten Drachen, viele 100 Fuß hoch, durcheinander fchwirren und kreuzen; bas Summen einer großen Menfchenmafjfe und jubelnde Töne ſchlugen an unfer Ohr. Als wir aber die Kuppe erreicht und das zwifchen ihr und der Spike des Kompira fich erſtreckende Plateau überfihauten, va war der Anblid ein überaus herr- licher. Mindeſtens 10000 Menſchen waren hier verfammelt, ganz Nangaſaki fchien zufammengeftrömt zu fein, und dieſe burcheinander wogende Menge bildete ein Tableau, deſſen lebendige Beweglichkeit und bunte Färbung feine Reize unend- lich erhöhte. Hier ſah man Hunderte von Wettftreitern, bie, mit von Luſt und Ehrgeiz geröthetem Gefichte, die Augen funfelnd auf ihren Drachen und bie ihrer Gegner gerichtet, bie dünne Leine mit gewandtem Nude leiteten und dem Drachen bald dieſe bald jene beliebige Richtung gaben. Es war eine wahre Luft, wie die leichten Papierdrachen in den Lüften da⸗ hinfchoffen, bald kerzengerade und pfeilfchnell in die Höhe ſtiegen, balb wie ein Blitz feitwärts entflohen, wenn ein

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Gegner fich ihnen nahte, oder wie eine Schlange unter ihnen fortfchlüpften und triumphirend ſich an ber andern Seite wieber auffehwangen. Ein folcher Moment bildete immer die Krifis bes Spiels, aller Augen wendeten fich einem ſolchen Einzel- fampfe zu, und die beiden Streitenven boten ihre ganze Energie auf, um den Sieg zu erringen und unbefiegt zu entjchlüpfen. Die Aufgabe befteht nämlich darin, die Leine des Gegners oben in der Luft zu burchfchneiven und veffen Drachen zu Tall zu bringen. Zu diefem Zwede find die aus. Papier ge- drehten Leinen mit pulverifirten Feuerſtein überzogen, ber wie eine feine Feile wirft, und ven Sieg erringt derjenige, welcher e8 verftcht, feinen Drachen unter dem’ des Gegners durchzuleiten, ihn fo abzufangen und durch fchnelles Hin- und Herziehen die feindliche Leine zu zerfchneiden. Gelingt dies, jo belohnt ein endloſer Jubel den Gewinner, der mit freude⸗ ftrahlenden Mieten ven feiner Geſchicklichkeit gezoliten Tribut aufnimmt, während ver Gegner befhämt von dannen zieht.

Ein blau und weiß carrirter Drache war ber Held des Tages, ſchon 6 Leinen hatte er durchfchnitten, und feinen Zriumphen wurbe die Krone aufgefeßt, ald er den’ leßten ftenerlos nieverfinfenden Drachen vollitändig zu jagen begann, ihn während feines Fallens hoch in ver Luft zum zweiten mal abfing und ihn zur Erde nieverbrachte. Ich habe jelten einen fo raufchenden Beifall erlebt wie den, der dieſem Kunſtſtücke folgte, muß aber gefteben, daß ber fliegende ‘Drache wunder: bar gelenkt wurde, und auch ich ftimmte unmwillfürlich in bas allgemeine Frohloden ein.

Die Bergebene war mit reihem Grün bedeckt, zwifchen dem die Familien ihre Ruheſtätten aufgefchlagen hatten und bie mitgenommenen Speifen verzehrten. Wie bebauerte ich, fein Dealer zu fein, um dies großartige Genrebild verewigen zu können. Ein berühmter veutfcher Künftler ver Neuzeit hat ih einit gegen Fanny Lewald dahin fehr bitter ausgefprochen,

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daß in einem Polizeiftaate alle Kunſt zu Grunde gehen müffe, und nur die Revolution mit ihren Barrifadenmännern bie Wiege und Pflege der Kunft fei, oder vielmehr einen Dialer begeiftern könne, ein ſchönes Bild zu fchaffen. Nun, Sapan tft ein Poltzeiftant, wie e8 Keinen zweiten in ber Welt gibt, aber wer in diefem Augenblide dem Feſte zufchaute, der mußte wahrhaft bezaubert werden von der malerifchen Schön- heit dieſes Bildes, das fich vor unfern Blicken aufrollte. Da war Boefte, da war Kunft, Lyrik, Idylle und Romantil, alles, was man wollte, zu einem harmoniſchen Ganzen vereint, und doch war es ein Bild des Frievens, der harmloſeſten Freude und der erguidlichiten Ruhe.

Bon allen Seiten erhielten wir Einlapungen, an ben ver- ſchiedenen Pidenids theilzunehmen; bald 309 man uns bier, bald dort auf den Raſen nieder, um eine Schale Safı oder Thee zu trinken, von ben Speifen zu often, oder ein Mli- niaturpfeifchen zu rauchen. Es war für uns ein wohlthuendes Gefühl, folcher Herzlichen Gaſtfreundſchaft zu begegnen; wir liegen ung nicht nöthigen, und bald ſaßen wir wie alte Freunde unter biefen guten liebenswürdigen Menfchen, die fi von allen Seiten beftrebten, uns Annehmlichkeiten zu bereiten. Wir fofteten ihren Saki, erheiterten fie durch unfere Ungeſchicklich⸗ feit in ber Handhabung der Epftäbchen und verurfachten ſchallendes Gelächter mit unferm gebrochenen ISapanefifch. Wer fonnte einer ſolchen Freundlichkeit gegenüber wol eine abjchlä- gige Antwort geben, wenn dann Frauen und Mädchen mit ver- ſchämten Mienen uni einen Botan (Corruption von button), einen Knopf, baten. ‘Die vergolveten Knöpfe wurden einer nach dem andern aus der Wefte oder auch wol vom Rod abgeläft, und mit freubigem Stolze zeigten die glüclichen Empfänger das koſtbare Geſchenk ihren neidenden Freunden, um es fich andern Zags in einen Ring fallen zu laſſen und prunfend am Finger zu tragen. Wir aber wanperten weiter, zur böchften Spike

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des Kompira, um noch einen Blick auf das viele Meilen weite, großartige und prachtuolle Panorama mit den kämpfenden Drachen, dem bunten Gewimmel der Tauſende, ven faftig grünen Thälern, den dunkel beivaldeten Bergen, den Stäbten und Dörfern und weit, weit bahinter auf das Meer zu werfen, das, im Strahle der fcheidenden Sonne glänzend, wie ein goldenes Band das Tiebliche Bild umſchlang. Dort jagen wir und fehauten lange hinab mit vollem Herzen und weh- müthigen Gefühlen. Es war fo fehön hier, aber es fehlte immer etwas; dort brüben über dem fehimmernden Spiegel ber See, viel taufend Meilen weit lag die liebe theure Heimat, bie nichts erjegen fann. Die im Weften fcheivenden Wolfen nahmen unfere Grüße mit!

Einige Tage jpäter befuchten wir auch eine KRunftreiter- bube, von der ich fchon früher gefprochen. Dergleichen Kunſt⸗ genüffe find in Japan felten, felbft in Nangafafi hatfe man feit fünf Jahren feine Runftreiter gehabt, und wir Eonnten des⸗— halb von Glück jagen, es fo gut zu treffen. Ihre Ankunft veruzjachte unter den jo jchauluftigen Japaneſen große Auf- regung, ‚und alles fprach von ihnen. Die Leute kannten ihren Vortheil; die Fremden befamen Theaterzettel im beiten Eng- liſch, und in zollgroßen Buchſtaben warb auf die außerordent- lichen Reiftungen ver celebrated Miss Torio und Miss Schorio aufmerffam gemacht. Japaniſche Kunftreiterinnen das war allerdings etwas Sebenswerthes, und wir mietheten uns eine Loge. Der Preis war anftändig, 20 Thaler. die Loge für 10 Berfonen, natürlich Europäer, denn Japaneſen be- zahlen folche Preife nicht. Dafür dauerte die Vorftellung aber auch 6 Stunden, und man erhielt etwas für fein Gelb. Es wurde jedoch gebeten, Stühle mitzubringen. Wir gingen erft um 1 Uhr nachmittags hin, obwol ber Anfang auf 12 Uhr feftgefegt war. Ein Freund batte uns einige japa- nifche Dolmetfcher mitgegeben, die uns den Gegenftand und

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die Mimik der Vorftellungen erflären follten, für welche uns fonft das Verftänpniß gefehlt hätte. Der Eircus war außer⸗ halb der Stadt auf einer Anhöhe erbaut und fo groß, daß er ungefäbr 1000 Menfchen faffen mochte. Er beftand aus dem gewöhnlichen Baumaterial, Bambus, mit Matten beflei- det und auch oben mit benfelben bevedt. Seine Form war bie eines Halbkreiſes, an deſſen Bafis ſich eine Fleine erhöhte Bühne befand, während vor ihr die Manege binlief, die je- doch Feine runde, fondern eine rechtwinfelige Form und bei 50 Fuß Länge nur eine Breite von höchſtens 12 Fuß batte. Zu ben Logen, bie wie in unfern Theatern angebracht waren, gelangte man auf einer Hühnerfteige, die jeden, ber nicht bie zähe Haltbarkeit des Bambus kennt, durch ihre anſcheinende Gebrechlichkeit vom Befteigen abgefchrectt haben würde. Dann froh man buch ein 24, Fuß hohes Loch in bie Logen jelbjt, die, wie das ganze Gebäude in höchſt proviforifcher Weife und in der leichten japaniſchen Bauart, conftrutet, fehr balshrecherifch ausfahen. Der Zufchauerraum'war überfüllt, und es ging äußerft naiv zu. Das Parquet war mit Sperr- figen verjehen; im Parterre ftanden die Zufchauer und Hinter ihm befand fich noch ein leerer Raum, der von dem Publikum zur Verrichtung von Gefchäften benutt wurde, die man bei uns gewöhnlich der Deffentlichfeit entzieht, die fich aber bier unmittelbar unter den Augen ver Logeninhaber zutrugen. Wir dachten dabei: „chaque pays, chaque usage” Japan ift ein wunderbares Land!

In den Logen neben uns und gegenüber hatten fich überall wohlhabendere Familien häuslich niedergelaſſen. ‘Der Japa⸗ nefe übereilt fich nicht, er ift bebädhtig in jeber That, bedäch⸗ tig in feinen Bewegungen, Vergnügungen und Genüffen. Die Vorftellung dauerte fechs Stunden; um fo lange anszuharren, bedarf man einer Stärkung, und dafür war geforgt. Jede Loge bot das Bild einer Pidenidpartie, wie jüngft beim

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Drachenfeſte, hunderterlei verfchienene Speifen jtanden in ſaubern Ladfchüffeln ferirt auf dem mit Matten belegten Fußboden, und die Sakiflaſche Treifte unaufhörlich in der darum⸗ lagernden Tiſchgeſellſchaft. Wir waren kaum eingetreten, als wir auch fchon von beiden Seiten Einlapungen erhielten, an dem Mahle theilzunehmen. Wir fofteten von allem, hiel⸗ ten uns jedoch an die Hier vorzüglich gebadene und gemeinhin als Brot genofjene Sandtorte und ließen unfern Wirthen als Revanche unfern eigenen Saki, in Geftalt von Gilka Pfef- fermüngligueur, koſten, ver ihnen vortrefflich zu munden fchien, ba jedem genofjenen Schlude ein aus innerfter Seele fom- mendes epi joka! (fehr ſchön) folgte.

Dann wandten wir und mit ungetheilter Aufmerkſamkeit ber Borftellung zu, deren zweiter Act foeben begann. “Die celebrated Miß Schorio und Miß Torio erfchienen, rittlings im Sattel figend, in ſehr Hübfcher Garderobe und pompöſem Haar- Ichmud, aber total weiß gefchminft und dadurch fehr entitellt, obwol fie auch außerdem fchon feinen Anfpruch auf bejondere Schönheit machen fonnten. Sie ritten Feine hübſche Ponies, wie fie überall in Japan zu Haufe find, mit feinem Glieder⸗ bau, einem übermäßigen Reichthum an ftruppiger Mähne und bis auf die Erbe reichendem Schwanze, kurzem Hals und feu⸗ rigen Augen. Wir hatten Shawlfprung, Reifeniprung, Schen- felritt und vergleichen erwartet, fahen uns aber getäufcht. Die berühmten Künftlerinnen kamen nie aus dem Schritt, und ihre equilibriftiichen Leiftungen befchräntten fich lediglich auf ein langfames Führen der Pferde im Einflange mit ven Be⸗ wegungen bes Dberlörpers und ver Hände. Der Zügel ging um ben Leib der Reiterin, und die Pferde wurden nur mit ben Schenfeln geleitet. Das Ganze war eine theatralifche Borftellung mit lebhafter Mimik und Begleitung eines hin- ter den Couliſſen der Heinen Bühne aufgejtellten, Orchefters, deſſen unbarmonifche Töne jeboch das Ohr beletvigten, und

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aus dem ale Grundton das Zufammenfchlagen zweier Stüde von hartem Holz herausflang. Die Pferde verfahen die Füße der handelnden PBerjonen, und jebenfall® war ihre Dreſſur bewunberungswärbig, namentlich wenn man in Betracht zieht, daß die Japaneſen durchaus Fein Reitervolk find. Etwas fpäter erſchien ein Jakonin in blauem, filbergeftidtem Node, dem glänzenpiten Coſtüm, das ich bisher im Lande gejehen, und es entwidelte fich jeßt eine LXiebesfcene, deren verjchiedene Phaſen und jedoch ziemlich unverftändplich blieben. Einmal fcheint nach den ausgebrüdten Affecten Liebe in Japan ganz anderer Natur zu fein wie bei uns, und fodann fpra- hen unfere Herren Dolmetfcher ungefähr fo fertig engliſch wie wir japanefifch, und es jtellten fich daher ber Erklä⸗ rung fo abjtracter Begriffe bedeutende Schwierigfeiten in den Weg.

Der folgende Act war Tomifcher Natur und die Mimik der vier babei betheiligten Perfonen fo braftiih, daß wir nicht umbin konnten, aus vollem Herzen in das enblofe Gelächter des Publikums einzuftimmen, welches vie heitere Scene hervorrief. Das Sujet war ganz eigenthünli« cher Art, wie e8 auch nur in Iapan vorkommen kann und ich will e8 zur Charafteriftit des Dolls hier etwas näher erwähnen, da fein Verſtändniß für uns feine Schwierigkeiten bot,

Drei Bauern reiten über Land und begegnen einem Fuchs, der auf feinem Pferde zu fchlafen ſcheiut. Der Fuchs wird von den Japaneſen als eine Art Gottheit betrachtet, von ber man nicht recht weiß, ob fie guter oder böfer Natur if. Am beften läßt er jich mit den Kobolden unfers Vollsaberglaus- bens vergleichen, bie, je nachdem fie gut over böfe von ben Menfchen behandelt werben, dieſen mit gleicher Münze zahlen. In dem gegenwärtigen Falle neden die Bauern das von einem Reiter in Fuchsmaske fehr natürlich dargeſtellte Thier, erweden

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ihn mit Schlägen, bie wie in ber europäifchen niedern Volks⸗ poffe auch Hier eine Hauptrolle fpielen, und zwingen ihn mit zu reiten. Anfänglich fehr aufgebracht durch die unfanfte Behandlung, legt fich ‚fcheinbar bald fein Aerger, er zeigt fih willig zu folgen, wirb vertraut und bietet den Bauern eine Prife an. Sie nehmen alle drei, niefen unendlich und find dadurch fchon halb in der Gewalt des Fuchfes. Sekt fommt dann das fpecifiih Japauiſche: der Wuchs reicht ihnen zunächſt feine Exrcremente zum Eſſen und bann feinen Urin zum Trinken. Um dem Zufchauer jeden Zweifel über die Natur biefer Gegenftände zu benehmen, zeigen fehr natürlich fingirte Bewegungen ihre Duelle. Durch ven Genuß dieſer Zaubermittel find jeßt die Bauern in der Ge- walt bes Fuchſes, gezwungen alles nachzuthun, was er ihnen bormacht, und die Art und Weile, wie dies gefchah, erjchütterte Das Zwerchfell der Zufchauer in hohem Grave. Zugleich erhielten wir dabei aber Proben von einer Gewandt⸗ heit und Reiterkunſt, bie wir durchaus nicht vermuthet hat- ten, und die auch bei uns das größte Furore gemacht haben würden.

Die Pferde gingen dabei allmählich vom Schritt zum Trabe und wüthendſten Galop über, wobei wir abermals über ihre Drefjur erftaunen mußten, da die Reiter fie weder mit Zü⸗ gelnoch Schenkel lenkten, und es für die vier Pferde ungemein jchwierig war, fich in dem engen geraplinigen Raume in Galop zu bewegen und zu drehen, obne einander binverlich zu feir. Der Fuchs war eine vorzüglicher Reiter; bald faß er auf dem Kopfe des Pferdes, bald auf dem Schwanze, hing mit ben Händen oder Füßen an beifen Halfe, froh in voller Car⸗ riere unter beffen Bauch durch, ſtand auf dem Sattelknopf auf dem Kopfe, überfchlug fih und machte dabei fo viel Ca⸗ priolen, als ob er fich auf ebener Erde befinde und von Gutta- percha wäre. Seine drei Bafallen fielen zulegt vollftändig

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erfchöpft vom Pferde, und ihr Qualgeiſt ritt unter dem ſtür⸗ mifchen Applaus des Publilums, in den auch wir lebhaft einftimmten, aus ber Bahn.

Der nächte Act brachte wieder eine bramatifche Xie- besfcene, in welche plöglic ein Tomifcher Schulmeifter mit einer Schule hineinfchneite, ohne anders motiwirt zu fein, als die ernite Handlung auf eine kurze Zeit zu unter- brechen und ihre Langweiligfeit zu vermindern. Ihren Schluß warteten wir jedoch nicht ab, da ein fanfter Regen ſich auf Nangafafi herniederſenkte und durch das lockere Mattendach, das wol einigermaßen Schutz gegen Sonnen⸗ ſtrahlen, aber nicht gegen Näſſe bot, auf uns hernieder⸗ träufelte. Zwar boten uns unſere freundlichen Nachbarn ſofort ihre breiten waſſerdichten Papierſchirme an, wir hat- ten jeboch des Guten genug genoffen, thaten noch einen Blick hinter die Eouliffen, um uns bie einen Hugen Pontes zu beſchauen, und traten dann unfern Rückweg nach Nan- gaſaki an.

Unfere übrige Freizeit benugten wir, um mit unferer flinfen Dampfbarfaffe Partien nad den verſchiedenen thönen Punkten der Bat zu machen, ober auch Pidenid- partien zu Lande zu veranftalten. Die wechſelvollen Ge⸗ nüffe ließen uns die Tage viel zu kurz erjcheinen, und was wir wegen bes Winters und amberer Umftände in Jeddo und Kanagava verfäumen mußten, fuchten wir bier: im Frühjahr auf das befte nachzuholen. Obwol fchon feit vierzehn Tagen ber Eintritt der Negenzeit erwartet wurde, begünftigte ung, mit Ausnahme eines Turzen Gewitters, das jchönfte Wetter, und wir fonnten alles ungeftört ge- nießen.

Ebenſo ſchön wie die Bai ſelbſt ift auch die ganze Um- gegend von Nangafali, und ein zweiftündiger Nitt nach ben Fiſcherſtädtchen Mogt und Awa, ben Grenzpunften bes fat

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zung ſog. Dann folgte eine mit Raſen und Blumen bedeckte Ebene, an die ſich abermals ein Dichtes Gebüfch von dunkel⸗ ftem Grün fchloß, auf dem die prachtoollen rothen und -wei-

fen Blumenkelche der Camellie wie Perlen auf grünem Meere

blitzten. Ueberall fchlängelten ji Wege, mit blanken Fluß⸗ kieſeln fanber beftreut, duch bie Tieblichen Partien; mäh- rend weiterhin über die Stadt der Bid auf das Meer fchweifte, auf: deſſen Spiegel die Infeln: in bläufichen Duft gehüllt zu ſchwimmen fchienen. Alles war ruhig und ſtill bier oben; nur dann und wann brangen einzelne Laute von dem Leben in ven Straßen herauf, und die jonoren Gloden- töne eines benachbarten Buddhatempels funmmten durch bie Lüfte. | | . | Sanz fim Hintergrunde dieſes kaum 150 Duabratfuß deckenden Gartens ftand das Wohnhaus des Cigenthümers. Werfen wir einen Blick in daffelbe, fo haben wir die Ver- vollftändigung des ebenfo fremdartigen als ſchönen Bildes. Bir überfehen das ganze Haus; bie warme milde Frühjahrs- luft hat feit langem vie Kohlenbeden entbehrlich gemacht; alle Thüren und verfchiebbaren Zwiſchenwände find entfernt, und das. Innere liegt offen vor uns. Alles ift fauber, reinlich und nett, und auf den Fußmatten figt nahe der Veranda bie Familie zum Mittagsmahle vereinigt. Sie befteht aus Vater, Mutter, einem Kleinen Mädchen von 10 Jahren und einer er- wachſenen Tochter. Eine Dienerin präfentirt gerade ben Saft in Heinen Schälchen von burchfichtigem Porzellan, und eine heitere Unterhaltung würzt das Effen. Nach jeiner Beendigung ergreift bie äftere Tochter die in keinem Hauſe fehlende Guitarre und ſtimmt unter ihrer Begleitung ein Lieb an. Seine ftetS wie- derkehrende eintönige Melodie, die unerwartet zwifchen Dur und Moll wechjelt, fpricht unfer Ohr nicht an, aber fie paßt zu ber ganzen frembartigen Umgebung, und wir vergeffen fie

auch bald, um einem Blick auf die Sängerin zu werfen. -

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Das Märchen ift hübſch, fie hat regelmäßige web feine Züge, ein ovales Gefiht ohne die entftellenden hervorſtehenden Backenknochen des japantichen Typus, die Nafe ift ein aller- liebites Stumpfnäschen, ver Mund Klein, die forgfam gepflegten und zweimal täglich mit Zahnpulver geputzten Zähne find fchneeweiß und tadellos, die Augen manvelförmig und ſchwarz. Ihr glänzend fchwarzes Haar ift in reicher Fülle zu einem fünftlihen Bau zufammengebunden; vorm rechts und Tinfe gefcheitelt, wird ver mittlere Theil nach hinten übergekämmt, währenb das Uebrige feitwärts über die Ohren fällt. Dort ver- einigt es fich mit dem Haar deg Hinterfopfes, um mit ihm über ein Polſter zurückgekämmt zu werben unb oben auf dem Schei- tel einen gefälligen Knoten zu bilden. Dieſer ift durch Span- gen von Silber und Gold feftgehalten und von einem Stüd rothfeidenen Krepps umwunden, befjen Iebhafte Farbe außer- orbentlich pukt.

Den Körper deckt ein feibener Nod mit ben ungemein weiten Zafchenärmeln. Dorn übereinander gefchlagen und um die Taille durch einen breiten Kreppgürtel zufammenge- halten, läßt er Hals und Bruft faft frei, währen er unten bis auf die Erbe reicht und mur außer dem Haufe etwas aufgefehärzt wird, um nicht im Schmuze zu fohleppen. Die von Natur Kleinen Füße fteden in weißen genähten Strümpfen und Strobfanvalen, aber ver Rod verbirgt fie vollſtändig, und bie Finßer der ebenſo Heinen als fchmalen Hand ziert ein Ring mit einer Heinen Golomünze Nur Eins beein- trächtigt die angenehme Erfcheinung. Geficht, Naden und Hals find weiß geſchminkt, die Wangen carmotfinroih ge malt, die Unterfippe mit Goldſchaum belegt, und bie unglückliche Mode, welche bie ganze Welt knechtet, in Eu⸗ ropa bie Taillen und in China die Füße verfrüppelt, macht auch Hier ihren Einfluß geltend und verunftaltet, wenn auch harmloſer wie dort, das von der Natur verliehene Aeußere.

Werner. I. 11

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Neben da Gärten waren es vorzüglich vie Friebhöfe, welche uns anzogen. Es gibt fo viele Orte in der Welt, von denen man zu fagen pflegt: „Hier möchte ich nicht be⸗ graben fein.” Hier drängt ſich uns jedoch gerade der ent- gegengeſetzte Wunfh auf. Es kam feinen fchönern Platz für die fette Rubeftätte geben als vie Friedhöfe um Nangaſaki. Sie find an den Abhängen der die Stadt einfchließenven Berge angelegt, und, die Pietät der Iapanefen, die noch viel größer als in China tft, hat diefe Orte in einen immerwäh- rend Schönen Blumengerten verwandelt: Die Seitenflächen der Berge find bis zu 500 Fuß hoch terraffirt und bilden unzählige Kleine vieredige Plateaux. Jedes berfelben ift ein Tamilienbegräbnißplag, und die nur wenig Raum einnehmen- ben Gräber befinden fich ſymmetriſch am drei Seiten des Vier⸗ eds und find jedes mit einen fein behauenen und feulptirten Denkſteine geſchmückt. Je nach den Vermögensverhältniffen des Eigenthümers find diefe Denkmäler größere, und einzelne erreichen die Höhe von 12 Fuß. Der ganze Plag ift mit Kiefeln belegt und ſtets ſauber und rein gehalten, mögen vie Todten auch dort ſchon viele Jahre ruhen. Bier und dort befchatten mächtige Fichten bie Gräber, Camellien, Azaleen und andere reichblühende Gefträuche und Bäume bilden überall Ihöne Bosquets. Was uns jedoch bejonvers anzieht und einen jchönen Zug im Charakter der Japaneſen offenbart, ift der Blumenfchmud der Gräber jelbft, ver wähdend des gan- zen Jahres wöchentlich mehreremal, ja vielfach auch täglich erneuert wird und bie Friedhöfe in einen ewigen Garten vers wandelt. In den Sodel eines jeven Denkmals find drei runde. Wafjerbehälter gehauen, in welche Keine Blumentöpfe von Bambus pafien, und dieſe werben ftets mit Blumen ger. füllt, ſolange die Iahreszeit fie hervorbringt. In den Win- termonaten vertritt das immergrüne Elicium religiosum bie Stelle der Blumen, und bie Heinblätterige Kletterfeige

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umhüllt alfe Steme mit einem grünen Gewande. In ber Mitte der Kirchhöfe erheben fih regelmäßig Sinto- ober Buddhatempel, in deren Höfen Palmen und Fichten ein fchattiges Dach bilden, und wo Tahlgefchorene Priejter mit weiten fchwarzfeidenen Talar Miſſen für bie Verſtorbenen lefen.

Leider famen wir einige Tage zu ſpät, um einem ber fchön- ften Feſte der Japaneſen, dem Todtenfeſte beizuwohnen, das nach der Beichreibung einen wunderbaren Einbrud machen muß. Aehnlich wie die Ehinefen an dieſem Tage die Gräber ihrer Angehörigen mit weißen und rothen Papierfähnchen ſchmücken, wird in Japan mit Einbruch ver Dunkelheit jedes Denkmal mit einer farbigen Laterne behängt. Die Friephöfe liegen amphitheatraliſch um die ganze Stadt und fämmtlich höher als dieſe. Sie enthalten minbeftens hunderttauſend Gräber, und man kann fich denken, welchen prachtvollen An- blick dieſes Lichtmeer zwifchen dem Grün ver Berge von ber Rhede aus gewährt haben muß. Um Mitternacht werben biefe Laternen entfernt und die Lichte in ebenfo viele Kleine Kähne gefteckt, die, mit einigen Lebensmitteln und Kupfermün- zen für die Todten beſchwert, dann auf die Bat gefeßt werben und mit bem Lanbwinde ber See zutreiben, ein Schaufpiel, das an Pracht alles übertreffen joll.

Bezüglich. ver Särge fteht Japan wahrfcheinlich auch einzig in ber Welt da, und ein Leichenzug gewährt einen ganz ungewöhnlichen Anblid. Der Todte wird nämlich nicht in einem Holzſarge und in liegender Stellung, fonvern ſitzend, mit den Knien bis an das Kinn gezogen und bie Arme nad) vorn barübergefrenzt, in einer großen bauchigen Krufe von Steingut beerdigt und in einer fehr leicht gebauten Sänfte mit Papierfenjtern zu Grabe getragen. Die Gefchmeidigfeit, welche erforberlich tft, um der Leiche dieſe fonderbare Stellung

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zu geben, ſoll durch ein eigenes Pulver erzeugt werben, das man dem Todten in den Mund ftrent und wodurch er nach Berlauf von wenigen Minuten volllommen weich und biegungs⸗ fähig wird. Wir verfuchten mehrmals in ven Beſitz diefes Pulvers zu gelangen, reuffirten jedoch nicht, da bie Priefter, welche e8 allein verfaufen, durch Tein Geld zu bewegen waren, uns davon abzulaffen. Es foll in einem Klofter in Miako, ber. Refidenz des geiſtlichen Kaiſers, angefertigt werben, jedoch fcheint feine Bereitung ein ftreng bewahrtes Geheinmiß zu fein.

Ein Leidenzug in Iapan fieht nicht fehr traurig aus, Wir begegneten in Nangafaft einem folchen, ver ſich in ziem- lihem Geſchwindſchritt nach dem Kirchhofe bewegte, während fein Geleite heiter fcherzte und lachte. Voran ging ein Knabe, ber einen Blumentopf mit großen weißen Papierblumen trug; ihm folgte das Muftllorps, beſtehend aus drei Eiarinetten- bläfern, mit den früher erwähnten Körben über ven Kopf ges ftülpt, und einer Trommel, bie in regelmäßigen Zwifchenräu- men angefchlagen wurbe. Ihnen folgte ein fingenver Prieſter und die von vier Mulis getragene Sargfänfte, Hinter ihr unmittelbar die Hauptleidtragenben, eine Frau und zwei Mäpchen in fehr grobe weiße Gewänder gefleivet und mit einer weißen Mütze bedeckt. Um jeboch ven fchönen Haar⸗ ſchmuck, ven Stolz jeder Iapanefin, nicht durch die häßliche Mütze ganz zu verſtecken, war Ießtere nur oben"anf ven Kopf gelegt, und unter ihr fchaute die ganze Legion der Span- gen ımb ber rothe Krepp kokett hervor. Tout comme chez nous!

An die Frauen enblich ſchloß ſich ein größeres Leichenge- folge von Männern, Frauen und Rindern an, die ohne Ord⸗ nung hinter dem Sarge herliefen. Auf dem Friedhofe wurbe ber Sarg in feine Heine quadratiſche Grube gejenkt und, wäh- rend ber - Priefter Gebete abfang, mit Erde bevedt. Die böl-

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zerne Sänfte wurde barübergeftellt und von ben Leibtragen- den mit lebendigen Blumen gefhmüdt, währen man ben Topf mit ven Papierblumen obenauf ftellte. Diefe Sänften werben kann jpäter burch einen Denfftein erjeßt. Die ganze Geremonie am Grabe bauerte kaum fünf Meinuten, und das ganze Gefolge trat ebenfo heiter feinen Rückweg an, wie es gefommen. Der Tod Hat für den Iapanefen durchaus nichts Schredliches: er fiebt in feinem Eintreten eine unabweisliche Nothwendigfeit, ift ftets darauf vorbereitet, und die Lehren jei- ner Religion fuchen allen nachhaltigen Gram von vornherein abzujchneiden, vielleicht um das fonft fo despotiſch gefnechtete Volle fein Leid vergeffen und nur im Genuffe ber heitern Gegenwart ihm bas Leben erträglich zu machen.

Das Klima von Nangaſaki ift wie das von ganz Japan ein überaus mildes und angenehmes. “Der an ver Oftfeite bes ganzen Archipels Hinlaufende Warmwaſſerſtrom übt auf bie Länder, welche er befpült, einen ebenfo mwohlthätigen Ein- fluß wie der Amerilanifhe Golfftrom auf bie weitlichen Küften Europas, und wenn wir in Jeddo im Januar auch bis- weilen mit Nordſtürmen Schnee und Eis gehabt haben, fiel bas Thermometer boch nie unter zwei Grab Reaumur und dies auch nur während einiger Morgenftunden. In Nangafafi tft fein wiebrigfter Standpunkt jedoch nur + 59 R., und die Beſchaffenheit des Klimas mag am beiten daraus erhellen, baß bier die Palmen im Freien überwintern. Im allgemei- nen iſt das Klima fehr gejund, und epidemiſche Krankheiten fennt man mit Ausnahme der Cholera, die in neuefter Zeit einigemal erfchienen ift und bedeutende Verwäftungen an- gerichtet hat, faft gar nicht. Hin und wieder trifft man auch wol beim niebern Volle die Lepra, eine Krankheit, bei ber bie Finger und Zehen abfaulen, und vie durch fchlechte Nahrung, namentlich verborbene Fifche, herbeigeführt werben foll, aber auch nur ſporadiſch und lange nicht in dem Maße wie in

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China, weil in Iapan feine Uebervölkerung herrſcht und kein Mangel an Lebensmitteln ift.

- Hiermit fchließe ich die Charakteriftif Iapans und nehme bie unterbrochene Reihenfolge der Kreigniffe wieder auf, welche mit dem Abſchluß unfers Vertrags im Zufanmen- bange ftehen.

28.

Die Berhanblungen mit ber preufifchen Geſandtſchaft. Anſchläge ber japaniſchen Abelspartei gegen die Fremden. Ermorbung bes amerika⸗ niſchen Geſandſchaftsſecretärs Heusfen, Betragen und Intriguen ber Regierung. Feſtes Auftreten bes Grafen Eulenburg. Beſtattung Heus- fen’s unter Alfiftenz ber preufifchen Waffen. Abreife bes englifchen und franzöfiihen Gefchäftsträgers nach Yokuhama. Endlicher Abſchluß bes Vertrags mit Preußen am 25. Ianuar 1861. Abgang ber preu- Bifhen Schiffe nach Schang-bae. Charakter des japanifchen Volks und Ausfichten auf feine freiere fociale und politifche Entwidelung.

Es wurde von mir bereits bemerkt, daß Graf Eulen⸗ burg den Gedanken aufgeben mußte, den Vertrag im Namen des Zollvereins abzuſchließen, um nicht ganz und gar zu ſchei⸗ tern, nachdem bereitS drei volle Monate in unfruchtbarem Harren dahingegangen waren. Man legte der SHart- nädigfeit der Japaneſen in biefer Beziehung zwei verfchie- bene Motive unter. Die einen fagten, die Regierung, welche ber Mehrzahl nach noch aus Vertretern des alten Abſchlie⸗ ßungsſyſtems beftehe, wolle den Handel fo viel als möglich beichränfen. Sie wiſſe aber, daß die Hunderte von beutfchen Schiffen, welche die Küften von China befahren, ven Staaten des‘ Zollvereins und der Hanfa angehörten, während preußijche Schiffe fich nur in ſehr geringer Anzahl in ven inbifchen Meeren befänden. Bewillige man daher Preußen allein einen Vertrag, jo käme vielleicht währenn einiger Jahre nur etiva eins feiner : Schiffe, währen bei einem Vertrage mit dem Zolfverein und den Hanfeftäbten Iapan fehr bald won beutfchen Schiffen über-

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ſchwemmt fein würde. Die andere Berfion lautete, daß bie Amerikaner auf das jtärffte gegen uns intriguirt und bie Ja⸗ panejen gegen die Zollvereinsftasten eingenonmen hätten, weil fie deren Concurrenz und namentlich fürchteten, von ben beutfchen Schiffen bald wie in China gänzlich verbrängt zu werben. Die letere Verfion feheint mir die richtige, da ich biefe Anficht in Hongkong offen vom amerifanifchen Conſul habe ausſprechen hören.

Wie dem auch ſei, das Factum iſt leider vorhanden, wenn auch von Feiner großen Bedeutung, da Zollvereinsſchiffe leicht preußifche Flagge erhalten können und überdies e8 unmöglich no lange Jahre dauern Tann, bis die deutichen Nord» und Dftfeeftanten, welche Schiffe in: vie öftlichen Gewäſſer fchiden, in einer oder ber andern Form mit Preußen eine gemein- ichaftliche Slagge führen. Ä

Mitte Ianuar 1861 waren die Verhandlungen ihrem Ab- fchluffe nahe, ala plöglich wieder ein Umſtand eintrat, ber nicht ollein für uns, ſoudern auch für pie Übrigen Vertragsmächte und fammtliche Fremden unheilvoll zu werden drohte. ‘Der freifinnige Horienoribe-no-cami hatte fich, wie ich früher ſchon erzäglte, den Bauch nuffchligen müflen und war durch einen reactionären und frembenfeindlichen Eommiffar erſetzt. Wie es ſchien, hatte er dem Einfluß der Daimiopartei, die mit ihren Feindſelig⸗ feiten gegen die Fremden wieder offner hervortrat, weichen müſſen und war wegen feiner liberalen Anfichten ihrem Haß zum Opfer gefallen.

Zugleich ereignete fich wenige Tage darauf ein Vorfall, ber darauf fohließen Ließ, daß von feiten jener Partei eine Ratafteophe vorbereitet were, welche nichts weniger als bie Vertreibung ver Geſandten aus Jeddo und bie Ermordung fänmtlicher Europäer zum Zweck habe.

Der Seeretär der amerilaniſchen Geſandiſchaft und zu⸗ gleich Dolmetſcher der unfern, Herr Heusken, ein Holländer

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von Geburt und ein bei Europäern und Iapanefen beliebter Maun, ritt eines Abends gegen 9 Uhr von Alabani, ver Wohnung des Grafen Eulenburg, in Begleitung von brei Bolizetjalonins nach Haufe. Unterwegs ftürzten plöglich fieben bis acht Mänmer auf ihn, jagten die Jakonins in vie Flucht und hieben auf ben unbewaffneten Heusken ein, ver tödlich verwundet unter ihren Streichen fiel und nach drei Stunden eine Leiche war. ‘Der Mord geichah aus politiichen Motiven ; Hensten hatte Feine Privatfeinde, jeine Leiche war nicht be-

. vaubt, alfo war er weder durch dem Act einer Privatradhe

noch durch die Hand von Räubern erlegen. Die Haltung ber Regierung beftätigte dies; bei dem Polizeifpften in Japan fann ben Behörden nicht das Geringfte entgehen, aber es ge- ſchah nichts, um der Mörber habhaft zu werben. Entweder wollte man es nicht, ober fürchtete Ach, es zu thun, obwol man wußte, woher ver Schlag fam. Der Zweck des Mor⸗ bes war offenbar, bie Gefandten einzufchüächtern und fie zu veranlaffen, ihrer eigenen Sicherheit wegen Jeddo freiwillig zu räumen.

Am andern Abend erichienen noch fehr fpät zwei ber Gouverneure von Jeddo tn Alabant und erfuchten in fchein- bar großer Aufregung unfern Gefandten, Mabani zu verlaffen und ſich in ven Schuß eines Fatferkichen feften Schloffes zu- rückzuziehen, da man eine Verfchwörung euntdeckt habe, verein Zweck fei, ſämmtliche Fremde mit Teuer md Schwert zu vertilgen, die Regierung aber den Grafen in feiner Wohnung nicht zu fchügen vermöge. Es iſt wahrjcheinlich, daß Dies eine anvere Finte war, um die Geſandten zum freiwilligen Abzuge zu bewegen, und ich habe mich des Einpruds nicht erwehren können, daß die Regierung in diefer ganzen Ange- legenheit faljches Spiel trieb. Nach ven Angaben der Gon- verneure ſollten 500 entlaffene Jakonins des Prinzen Mito die Verſchwörer fein und fich verkleidet in Jeddo eingefchlichen

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haben. Wenn pie Regierung aber dies wußte, weshalb be= mädhtigte ſie fich der wenigen Leute nicht, da ihr doch ſoviel Milttär und Polizei zu Gebote ſtand und nicht unbefantt fein Tonnte, welche furchtbaren Folgen eine folche gewaltſame Verlegung bes Völferrechts für Ren und das ganze Land un- fehlbar haben mußte?

Wie nem aber audh fei, der beabſichtigte Zweck wurde nicht erreicht. Graf Eulenburg erklürte "Den: Gouverneuren ruhig, er werde Akabani nicht verlaſſen. Da vie Regierung bie Exiſtenz und ven Zweck ber Verſchwörung kenne, hege er das feſte Vertvanen zu ihrer Kraft und Ihrem guten Willen, den Ausbruch derſelben zu hindern. Sollte fie ſich aber nicht ſtark genug fühlen, fo feier gern erbötig, ihr eine geeignete Unterftügung aus: den ' Mannfchaften des Geſchwaders zu Hülfe zu geben. Dies wurbe natärlich abgelehnt, und bie Gouvernenre verabfchiedeten ſich. Die übrigen Gefandten hatten gleichfalls erklärt, ihre Hotels nicht verlaffen zu wollen, und es blieb alles beim alten ;' vie’ Verſchworung aber kam nicht zum Ausbruch.

Bon! den Vertretern ber’ fremden Machte war beſchloſſen worden, daß ſie ſämmtlich vem Leichenzuge folgen wollten und derſelbe ein entſprechendes Geleite von preußiſchen Seeſoldaten und Matroſen erhalten follte, da unſere Kriegsſchiffe die einzigen vor Jeddo waren. Demgemäß wurden 50 Seeſol⸗ daten und 50 Matroſen, ſämmtlich mit. Zündnadelgewehren, die Matroſen auch mit Revolvern bewaffnet, an das Land beordert. Am: Morgen des Begräbnißtages war jedoch noch die hollandiſche Kriegobrigg Kaſchelot auf der Rhede einge⸗ troffen, und auch fie ſchickte 20 Seeſoldaten zur Beſtattung. Ale Mannſchaften waren mit feharfen Patronen verfehen. Außerdem bethelligten 'fich etwa 50 Offiziere, Cadetten und Angehörige der verfchiedenen Gefandtfchaften an dem Zuge, gleichfalls fämmtlich mit Revolvern und Säbeln bewaffnet.

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Wir waren eben auf dem Hofe von Alabani zum Abmarſch nach dem amerikaniſchen Geſandtſchaftsgebäude atgetreten,. wo fih bie Leiche befand, als plöglich von dort eine Botichaft erſchien, nach .dver von feiten ber Daimiopariei ein Angriff auf den Leichenzug.beabfichtigt wäre. Die Gouperneure ‚hatten ben amerifanifchen Gejchäftsträger foeben davon in Kenntniß geſetzt und ihn erſucht, Die Übrigen Geſandten von ber Be⸗ gleitung bes Zuges abzuhalten. Harr Harris hatte jedoch, obwol Energie fonft nirht zu feinen Vorzügen zu gehören ſcheint, diesmal geantivortet, ber Leichenzug würbe, ‚wie ex angeorbnet, jtattfinden; zugleich aber könne fich pie Regierung verfichert halten, daß von Jeddo fein Stein auf dem andern bleiben ſolle, wenn eine jo ſchreiende Verlegung des Völlker⸗ rechts begangen und auch nur einer der bei der Feierlichleit be- theiligten Perſonen ein Haar gekrummt würde. Diefem Aus» ſpruch ſtimmten die übrigen Gefandten bei; e8 wurde ſcharf gelaven, und ver Zug, vollſtaͤndig militärifch geordnet, Muſilk, Sarg, Geiftliche, die Flaggen ber fünf. Vertragsmächte und bie Gefanbten in der Mitte, fette fich in Bewegung.

Der Begräbnißplag war braußen vor der Stadt etwa eine halbe Stunde weit entfernt, und wir paffirten bie Stelle, wo der Mord geſchehen und das Straßenpflafter: noch vom Blut ge- röthet war. Dem Zuge voran ritten die fünf Goupernenre der Stadt, welche ſich nach dem ihnen gewerbenen Beſcheide er- boten hatten, felbft den Zug zu geleiten und durch ihre An⸗ wejenbeit bie möglichſte Sicherheit zu gewähren. Anfänglich wollten fie fih in Sänften tragen Iaffen, bies wurbe jeboch als unpaffend erachtet, da bie. fremden Gefandten zu Fuße folgten, und fo Tam man ſchließlich überein, daß ſie zu Pferde erſcheinen ſollten.

Selten wol iſt eine Leiche unter fo eigenthümlichen Verhält⸗ niffen zur Erde beftattet worben. Das Gewehr fertig zum Anfchlag, die Hand am Revolver, te marſchirten wir unter

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ven Klängen eines Trauermarſches mitten burch eine unbe⸗ fannte, von Millionen bewohnte Stadt. Kine unabfehbare Menfchenmenge füllte vie Straße, Zaufende und aber Tauſende brängten fich heran, um das wunderbare, nie erblidte Schau⸗ fpiel mit anzufehen. Oft war das Gedränge fo ſtark, daß ber den Nachtrab befehligenbe Offizier: „Halt! Kehrt! Fallt’s Ge⸗ wehr“! commanbiren mußte und jeber unmillfürlich feine Waffe fefter ergriff. Aber augenblidlich. wogte die Menge zurüd, nicht wild und ſchreiend, fondern rubig, friedlich und anftändig. Wir fahen einen Bewaffneten, bie Neugierde: allein hatte bie Zaufende auf die Straße gelodt. gi

Der Sarg wurde nach dem Ritus der katholiſchen Kirche (ver Verftorbene war Satholif) vom Kaplan der franzöfifchen Geſandtſchaft eingefegnet und in das Grab gefenft, und wir traten auf diefelbe Weife wie vorher unfern Rüdzug an ohne ‚die geringfte Störung, ohne das leichtefte Anzeichen von Feind⸗ feligfeiten. Ueberall wich man uns ehrerbietig aus und er- wiberte freundlich unfere Grüße.

Es ift möglich, daß fowol unfere Zahl als unfere Be⸗ waffnung und die in allen Gefichtern unverkennbar ausge: fpsochene Entſchloſſenheit, umfer Leben jo theuer als möglich zu verfaufen, die Verſchwörer, wenn folche eriftirten, von dem beabfichtigten Angriffe abgehalten hat; ich glaube aber, daß auch dies nur wieder ein Manöver der Regierung war, um bie Geſandten zu terrorifiren.

Am folgenden Tage wurde ber Offizier ber japaniſchen Jaloninwache, welche zum Schub des amerilaniſchen Geſandten in beffen Wohnung poftirt war, abends beim Rondegehen ermordet nnd an jedem ber beiden folgenden Abende einer ber wachehaltenden Iafonius, ohne daß bie Negierung der Thäter habhaft geworben wäre, und zugleich wurden abermals Drohungen gegen die Fremden laut, ‘Der franzöfifche, eng- liſche und holländiſche Geſandte glaubten fich jett ihres Lebens

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nicht: mehr ficher. Sie zeigten der Regierung ihren Entſchluß an, Jeddo zu verlaffen und nad Yoluhama überzufiebeln. Zugleich fchrieb jedoch Herr Alcod eine fehr energifche Note, in welcher er die Regierung geradezu ber Mitwwiffenfchaft an ben norgefallenen Morden bezichtigte und mit per Herbeirufung englifcher SKriegsfchiffe zum Schub der Gefandtſchaft drohte.

Bis die Dampfeorvettse Enconnter eintraf, mit ber ſich ber englifche und franzöfifche Gefchäftsträger nach Yokuhama einfchifften, während der beflänpiiche an Vord des Kaſchelot ging, erhielt Herr v. Belcourt eine Schutzwache von zwölf unferer Seefolvaten, und am 22. Ianuar 1861 fegelten bie brei Herren von Jeddo ab. Nur Herr Harris erffärte, feinen Play nicht verlaffen zu wollen, und ebenfo blieb Graf Eulen⸗ burg ruhig in Alabani.

Ob bie Note des Herrn Alcock bie Regiernng einſchüch⸗ terte oder ſonſt Grunde vorlagen, fie anders zu ſtimmen, weiß ich nicht, genug, unfere Bertragsverhanblungen wurben plößlich wieder aufgenommen und jo fchnell zu Ende geführt, daß am 25. Jannar ver Vertrag zum Abfchluß gedieh und unterzeichnet wurde. Seinem Hauptinhalte nach denen ber übrigen Möchte gleichlautend, tritt der preußifche Bertrag am 1. Yannar 1863 in Kraft, geftattet jedoch ſchon früher bie Zulaſſung von Confuln und gilt für die im Lande leben» ben Preußen bereits von dem Tag der Unterzeichnung. an:

Jetzt Iag feine weitere Veranlaffung zum fernern Bleiben bes Gefanpten und des Geſchwaders vor. Am 26. Januar wurden bie übrigen Geſchenke und. unter ihnen ein lebens⸗ großes Porträt unfers Königs für den Kaiſer übergeben und dafür Gegengeſchenke empfangen, vie hauptfächtich in Foftbarem Seidendamaſt beftanden, wie er fo fhän wol nur in Japau gemacht werden kann. |

Am 28. Ianuar verließen wir. mit. ber Elbe und. dem Dertrage Yoknhama ımd. trafen nad einer ſehr ſtürmiſchen

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und gefahrvollen Neife, jenoch glücklich und wohlbehalten, am 7. Januar vor Schang-hae ein, nachdem wir bereit am 5. Februar in den Iangstfesfiang eingelaufen, aber wegen dichten Nebels zwei Tage auf dem Fluſſe zurückgehalten waren. Das Boftvampffchiff war gerade im Begriff, nach Hongkong abzugeben, und fo Tonnten wir 'glüädlicherweife noch alle Des peſchen und Briefichaften befördern. Wir blieben in Schang- hae Ttegen, um bie Anfunft der: Arkona und Thetis abzu« warten, mit benen Graf Eulenburg am 1. Yebruar nach Nangaſaki gefegelt war. Am 25. Februar fam ein Schiff von letzterm Hafen mit der Nachricht, daß das Geſchwader am 18. dort noch nicht eingetroffen. Dies beunruhigte uns fehr, ipäter hörten wir jedoch von der am 19. Februar erfolgten Ankunft der Schiffe, die eine ſchreckliche Meife gehabt, durch wochenlange ſchwere Stürme aufgehalten worden waren, Boote und Segel verloren und verjchievene andere Beſchädigungen erlitten batten.

Japan macht faft ven Eindruck einer bezauberten Schönen, zu deren Gewinnung man mit allen möglichen Ungeheuern' in ber Geftalt von Teufunen, Gegenftrömungen, Nebeln und falichen Karten zu kämpfen hat, und fo angenehm uns ftets die Erinnerung an das fchöne und intereffante Land fein wird, fo wenig werben wir die anf der Reife, bin und zurüd, erlebten Schrednifje vergefjen, unter denen ber Berluft bes unglüd- lihen Schooners Yrauenlob das traurigfte war.

Am 1. März traf der Gefanbte mit ven beiden Schiffen ebenfalls auf dem Sang-tfe-fiang ein und obwol fpäter alle brei Schiffe noch einmal nach Japan zurüdkehrten, wußten wir dies doch damals nicht und fagten ihm Lebewohl. Der Ein- brud, den wir von Land und Leuten mit uns fortnahmen, war ein überaus günftiger. Trotz ber reactionären Bolitif der Daimiopartei kann es nicht ausbleiben, daß Japan einer großen Zufunft entgegengeht. Die freifinnigen Elemente

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greifen mit Macht-im Volke um fich und werden nicht ver- fehlen, auf die Regierung ihren Einfluß auszuüben und dieſe zu liberalen Inftitutionen zu; zwingen. Iapan muß, nachbem ed einmal mit dem alten Syſtem gebrochen, auf ver Bahn des Fortſchritts meitergeben, wenn es nicht fehr bald feine Selbftändigfeit verlieren und eine Provinz Rußlands oder ein ſchwaches Infteument in den Händen. Amerifns, Englands oder Frankreichs werben will, Dagegen muß fich. aber ber nationale Stolz feiner Bewohner, die fih rühmen, nie von einer fremden Macht: abhängig geweſen zu fein, auf bas energifchfte fträuben. Die Iapanefen find gu Hug, um nicht einzufehen, daß fie durch Entwidelung ber innern Hülfsquellen fih am beiten gegen Abhängigfeit von ben Fremden fchüßen. Disjegt ift das Voll arm, unfelbjtändig und fteht unter dem Drud einer despotiſchen Herrfchaft; nur ein nach liberalen Grundfägen regiertes, wohlhabendes und die Früchte feines Fleißes felbjt erntendes Volt wird fremden Eroberern einen kräftigen und faft immer unbeftiegbaren Widerſtand entgegen- ſetzen.

Von allen aſiatiſchen Nationen iſt aber keine ſo befähigt, freiſinnig regiert zu werden, wie die japaniſche. Die allge⸗ meine Bildung des Volks, ſein friedliebender ruhiger Charalter, ven keine Ausbrüche von Roheit beflecken, das ihm imewoh⸗ nende noble Nationalgefühl, das jedoch von aller Selbſtüber⸗ ſchätzung frei iſt und niemand verletzt, das feine Ehrgefühl und der Drang nach Wiſſen alles das find Elemente, bie eine fichere Garantie .gegen jeden Misbrauch der Freiheit des Individuums geben. Eine Zeit lang mag die Daimiopartei, die allerdings bei einer folhen Wendung ber ‘Dinge nur verlieren würde, bie freie Bewegung zurüdhalten. Ein Blick auf die Veränderungen, welche vie letzten ſechs Jahre herbei- geführt, zeigt jedoch am beten, wie reißend jener Einfluß

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bem Iangstfe-fiang. Fremde finden hier nur ein ſehr beichränftes Map von Annehmlichkeiten. Abgejeben von den übermäßig theuern Preifen aller europäifchen Artifel entbehrt man vie meiften unferer gewohnten Zerjtreuungen und Vergnügungen. Die Umgegend der Stadt ift ohne alle Abwechjelung, und ohne bie ungemein ausgebehnte Gajtfreundfchaft unferer deutſchen Landsleute, deren e8 über Hundert in Schang=hae gibt, wäre unfer längeres Bleiben bei dem beſtändigen fchlechten Wetter, das den marfchigen Boden felbft in den Straßen ver Stadt Tnietief aufweichte, ein höchſt trauriges geweſen.

Die chineſiſche Stadt hat weder Hiftorifche noch fonftige Merkwürdigkeiten, welche ven Reiſenden intereffirem könnten, und ein Tag genügte vollftändig, um fie zu burchiwanbern und den einzigen Punkt in Augenjchein zu nehmen, ver einige Be— achtung verbient. Es ift Dies der Theegarten, deſſen ich ſchon früher in Bezug auf feine fteinbruchartigen Nachbildungen von Telspartien erwähnte. Das nebenftehenne Bild, nach einer Photographie gezeichnet, ftellt das Etabliffement bar, welches, ſeitdem die Franzoſen Schangehae befett halten, von biefen in ihr Hauptquartier verwandelt worden ift. Die Ge- bäubde bilden ein Viereck, das einen großen Hofraum ein ſchließt, von welchem aus das Bild aufgenommen ward. Zeiche, Zwergbäume, fünftliche Felspartien, bizarr gewunbene Brüden und alle jene abfonderlichen Schöpfungen, an benen bie chineſiſche Geſchmacksrichtung Gefallen findet, find in reicher Anzahl vertreten. Die Bewohner von Schangshae bliden mit ſchelen Augen auf ihre franzöftfchen Säfte, vie jo unhöflich waren, fie aus ven Räumen zu vertreiben. Der Theegarten bildete das Eldorado der heimifchen Spiekbürger, wo fie am Nachmittage bei einer Schale Thee und dampfen⸗ ber Pfeife ihrer angeborenen Neigung zum Plaudern nach Herzensluft Genüge leiften Yonnten.

Die Nachrichten, welche wir von den Zuftänden in Japan

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mit nah Schang=hae brachten, riefen dort große Aufregung hervor. Am andern Tage entfandten die englifchen und fran- zöfifchen Admirale fofort mehrere Kriegsichiffe und Truppen nah Yokuhama, und noch während unferer Anwefenheit in Schang-hae kam auch die Nachricht, daß Herr Alcod und Herr von Belconrt ihren Wievereinzug in Jeddo gehalten, ihre Flaggen aufgepflanzt hatten, und daß biefelben von ven Fapanefen mit 21 Kanonenſchüſſen falutirt worden. Ob weft mächtliche Drohungen fie dazu bewogen, oder die altjapane- ftiche Partei ihre Macht verloren, kann ich nicht angeben; vielleicht wirkte beides zufammen.

Der Gefandte traf mit den Schiffen am 1. März von Nangaſaki ein und nahm fein Quartier in der Wohnung eines beutfchen Kaufmanns, der fich eine Ehre daraus machte, ihm fein ganzes Haus zur Verfügung zu ftellen. Der Zeitpunkt für den Abſchluß eines Vertrags fchien nicht befonders günitig. Der Kaifer war nach Jehol in ver Tatarei geflohen, und ver liberale Prinz Kung, fein Bruder, ſah ſich durch die alt- hinefifche Partei, an deren Spite General Sankolinfin ſtand, in ber Regentichaft fehr beſchränkt. Es warb daher zunächſt ein Attache der Gefandtichaft nach Tientſin gefandt, um das Terrain zu fondiren, und der Aufenthalt der Schiffe verlängerte ih dadurch bis zum April. Die Fregatte Thetis trennte ſich am 27. März von uns. Da für die an Bord befindlichen Ge- lehrten und Commiſſare ein längerer Aufenthalt im Golf von Petſchili von feinem Nutzen zu werben verfprach, wurde Die Thetis mit biefen nach dem Süden entfandt, und zwar über Hongkong, Manila, die verfchienenen Häfen des moluffischen Archipels und Borneos nah Java. Ende October follte das Schiff ſich in Siam einfinden und dort wieder mit dem Geſchwader zu⸗ fammentreffen, da der Gefandte beabfichtigte, erft um dieſe Zeit nah Siam zu geben, weil dort nur während der Win- termonate ein gejundes Klima herrfchte.

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Wir mit der Elbe traten am 9. April noch einmal ven Rückweg nach Nangafali an, um Kohlen für die Arkona zu holen und ihr damit nach der Mündung des Peiho zu folgen. Die Arkona felbft ging mit Graf Eulendurg am 24. April bahin ab und traf am 29. ein. Die Geſandtſchaft fchiffte ſich am 30. aus, um nach Zientfin zu geben.

Am 8. Mai Hatten wir unfere Gefhäfte in Nangafali vollendet und fegelten nach dem Peiho. Bis Cap Schantung, am Eingange bes Gelben Meeres, hatten wir eine ſchnelle Reife, von dort an jedoch mit Stillen und ungänftigen Winden zu kämpfen. Zwiſchen ver Inſelkette, welche Das Gelbe Meer vom Golf von Petſchili ſcheidet, wurden wir plötzlich und ohne alle Vorahnung von einem jener gewaltigen Sanbwirbel- ſtürme heimgefucht, die im Frühjahr dieſe Gegenden beun- ruhigen. Wir waren vom Lande befegt und fuchten von einer Infel, die und durch ihre Nähe in Lee Hauptfächlich ge- fährlich wurde, durch Preß von Segeln freizufommen. Der Sturm war jeboch fo heftig, daß mit Einem Schlage ber größte Theil ver Segel fortflog und uns nichts anderes übrig blieb, als zu anfern und auf die Haltbarkeit unferer Ketten zu vertrauen. Died gejchah unverzüglich, da wir kaum 1000 Schritt von der Infel entfernt waren, Wind und ein heftiger Strom gerade baranfitanden und wir mit einer unheil- vollen Gefchwinpigfeit uns derſelben näberten. Wir ließen beide Anfer fallen, bargen bie zerriffeneh und bie übrigen Segel und jtellten unfer ferneres Geſchick Gott anheim, dba menschliche Kraft nichts mehr vermochte. Der Sturm wehte orfanmäfig, die ganze Atmofphäre war mit Sand gefüllt, ſodaß wir kaum die Augen öffnen Fonnten, und während vor einer halben Stunde noch das Waſſer faft glatt erjchien, hatte ber Sturm in der kurzen Zeit eine fo furchtbare See aufges wühlt, daß die Wellen 6—8 Fuß Über unſer Schiff brachen und alles vom Verdeck fchwenmten, was nicht feitgebolzt

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war. Durch das ſchwere Stampfen des Schiffs kam fo viel Kraft auf die Ketten, daß die eine berfelben brach und wir jegt nur noch vor Einem Anfer ritten. Wir glaubten uns verloren, denn brach auch dieſer, fo fcheiterten wir auf ben drohenden Selfen, und Schiff und Mannfchaft wären an ihnen zu Atomen zevjchellt; an Rettung war durchaus nicht zu denken. Die Kette, bebeutend ftärfer als die verlorene, hielt jedoch vortrefflih, und da die Sandftürme zu den drehen⸗ ven Winden gehören, ging der Wind allmählich herum, ſodaß wir jegt im fchlimmften Falle bei der Infel vorbei und in offenes Waſſer getrieben wären. Zugleich fam dadurch bie See von. der Seite ein, und wiewol das Schiff fo heftig zu fchlingern beganı, daß es ftets über beide Borde Waffer Ichöpfte, jo war doch die größte Kraft von der Anferfette ge- nommen, und wir athmeten wieder frei auf. Gegen Mitter- nacht, nach jechsftündigem Wehen, nahm ber Sturm all- mählih ab, und nachdem wir noch während ber zum Glück monbhellen Nacht den größten Theil unferer Schäden reparlıt hatten, fegelten wir am andern Morgen weiter und waren herzlich froh, der Inſel, die uns in eine fo gefährliche Lage gebracht, ven Rücken fehren zu können.

Am folgenden Nachmittage trafen wir vor dem Peibo ein, fanden aber die Arkona bereits unter Segel, um nach Chefu im Gelben Meere zu gehen, und erhielten Signal, fogleich zu folgen. Wir bebauerten bies nicht; man Tiegt vor der Mündung bes Peiho nicht weniger als vier beutfche Meilen von ber Küfte, und nur fehr flach gehende Fahrzeuge Können in ven Fluß und bis zu den Takuforts Iaufen, die man auf ber Rhede bet beſonders gutem Wetter wie zwei bläufich gefärbte Häufchen über dem Horizont fchimmern fieht. Dadurch ift natürlich die Communication mit dem Lande äußerft erfchwert, und ba es für Seeleute feine traurigere Eriftenz gibt, als auf einer ſolchen Rhede zu Liegen, wo man weder Filch noch

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Vogel ift, d. h. nicht an das Land geben und auch nicht jegeln Tann, fo folgten wir gern ber Arkona nad Chefu, einem Hafen an der Süpfüfte des Gelben Meeres. Wir lagen bier freilich auch faft eine Meile von der Stadt, doch diefer echt chinefifche ſchmuzige Ort, in dem nur 10 Europäer, 5 Kaufleute und 5 Miffionare, wohnten, übte jo wenig Ans ziehungsfraft auf uns aus, daß die meilten von uns ibn während unfers fünfmwöchentlichen Aufenthaltes faum einmal bejuchten. Dagegen lagen wir nur einige 1000 Schritt von einer zur Hälfte von Filchern bewohnten Infel, deren andere Hälfte wir in Beichlag nahmen. Wir gründeten bort eine förm⸗ liche Colonie. Sämmtliche Handwerker wurden dahin über: gefiedelt, die Mannfchaften im Felddienſt, Aufiwerfen von Schanzen und Schießen geübt, und nach den Exercitien ver- trieben wir uns die Zeit mit Baden, Ballipiel, Scheiben- ſchießen und Bootfegeln. Wir hatten in einem Zelte unfer Cafino, und wenn wir die von Chefu bezogene Flafche Bier auch mit 20 Silbergrofchen bezahlten, genofjen wir boch bei Ehbezeit das wohlfeile Vergnügen, uns von den Klippen fo viel fette Auftern abzujchlagen, als wir wollien.

Die Seeleute find von Natur fehr anfpruchslos, ihr Tuch bringt das mit fich, und fo begnügten wir uns mit einer uns fruchtbaren Sandinfel und machten aus ber Noth eine Tugend. E8 war auf der Verzweiflungsinjel, wie wir fie getauft hatten, immer noch beifer als vor dem Beiho. Die fünf Wochen ſchwanden ſchneller, als man glaubte, und wir wären gern bis zum Ab- Ichluffe des Vertrages ganz hier geblieben. Dieſer Wunſch wurde jenoch nicht erfüllt. Wir wurden nach dem Peiho be, ordert, um den Gefandten an Bord zu nehmen, ber felbft das Scheitern feiner Miffion zu erwarten ſchien und Tientſin ver⸗ laſſen wollte. Ende Juni gingen wir dahin ab, aber es trat wieder eine günftigere Chance ein, und wir fehrten brei Wochen darauf noch einmal nach Chefu zurüd.

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Wie wir in Japan mit fremden Einflüffen. und Intrigen zu kämpfen batten, jo war e8 auch bier. Einem eigentlichen Handelsvertrage boten fich jedoch durchaus Feine Schwierigkeiten bar. In diefer Beziehung find die Chinefen liberale! als andere Nationen und namentlich als vie Japaneſen. Sie fagten „Handelt folange, foviel und wo ihr wollt in unferm Reich, folange ihr eure Abgaben bezahlt.“ Allein der fielige Punkt war bie Frage wegen Inftallivung eines Gejandten mit Iurispiction in Peling, wie Frankreich und England dies auf dem Wege der Gewalt, Rußland aber durch die Gefchicklichkeit feiner Diplomaten erlangt bat. Bon biefer Bedingung wollte und fonnte aber Graf Eulenburg nicht abgehen, und er hatte fie zur conditio sine qua non eines Vertrags bingeftellt.

Die berühmten Takuforts weitmächtlichen Angedenkens be- fuchten wir während unfers Aufenthaltes auf ber Rhede. Urſprünglich beftanden fie aus vier am Cingange des Peiho aufgeworfenen Erdwerken, welche vie Engländer mit Leichtigkeit hätten nehmen können, wenn fie piefelben vom Lande aus um⸗ gangen hätten, anftatt fie vom Wafjer aus durch einen Moraft, der Hunderte ven Schritten breit und knietief iſt, anzu⸗ greifen. Zwei ber Forts wurden nach ihrer Einnahme gefchleift, die beiden äußern dagegen find wieder in Stand gejegt, armirt und eins von ven Engländern, das andere von den Franzoſen befeßt. Das Material der Forts bilden ihwere Balken, deren Zwiſchenräume mit einer Miſchung von Schlamm und Stroh ausgefüllt find, die inbefjen viel Widerſtandskraft befist. Soldaten und Offiziere wohnen in ven Erbhütten, welche auch den Chinefen als Kafematten dienten. Dieſe Hütten fehen wie Maulwurfshügel aus, und jede fat 6—8 Dann, Die etwas größere ehemalige Hütte des Zatarengenerald Sankolinfin ift zum Cafino für die Offiziere eingerichtet. Die Engländer lebten ziemlich ohne allen Com⸗ fort; dagegen hatten es fich die Franzoſen ſehr gemüthlich

184 gemacht und das ganze Enſemble ließ darauf jchließen, daß fie wenigitens ſobald noch nicht daran denken, von bier oder aus China Fortzugehen.

Während unferer Anwefenbeit ging auch noch ein englifches Kanonenboot an den Nachwehen des Kriegs verloren. Die Chinefen ‚hatten früher zur Sperrung des Fluſſes mehrere Schiffsangeln hineingeworfen, Fußangeln in großem Maß- ſtabe mit 14 Fuß langen Spigen, von denen ſtets eine auf wärts fteht, wie das Inftrument auch geworfen werde. ‘Diefe Angeln waren von Eifen und wogen 250 Centner. Die Alltirten nahmen aber die Forts ron ber Panbfeite und fifchten bie Angeln fpäter auf. Eine muß ihnen jedoch entgangen fein, da das erwähnte Kanonenboot darauflief. Die fchräg ftehende Spite drang fogleich mehrere Fuß durch den Schiffs- boden, und das Fahrzeug, welches auf Feine Weile davon ab⸗ zubringen war, ging verloren. Die chinefiichen Behörden haben fich gewiß über ven Unfall in das Fäuſtchen gelacht.

Ein paar Tage waren wir auch in Tientſin, doch bies ift fein Ort, wo man fich längere Zeit wohl fühlen kann, namentlich wenn man es nur in der Abficht beſucht, fich zu amufiren. Schmuzige ftinfende Straßen, faft ſämmtliche Ge- bäude von Schlamm aufgeführt, an einem fchlammigen gelben Fluſſe gelegen und von endloſen Sand» und Schlammebenen umgeben, bietet e8 feinerlei Reize und wird durch die Hiße in ben drei Sommermonaten, bei der das Thermometer täg- lich 30— 34° Reaumur im Schatten zeigt, während es im Winter bis 209 unter Nu ſinkt, faft unerträglich. Nur das in veihliden Maße vorhandene und äußerſt billige Eis, von dem der Eentner 10 Sifbergrofchen Toftet, ift eine erquickliche Annehmlichkeit in der Glut, die jedoch trotzdem für bie Euro- päer fehr gefährlich wird. Während der Monate Juli und Auguft ftarben purchfchnittlich täglich 5 englifche Soldaten von ber 1600 Mann ftarfen Beſatzung Tientfins, lediglich

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infolge des Sonnenftihs und der Hitze. Ebenjo verlor Graf Eulenburg einen feiner europäifchen Diener, und 3 Mitglieder ver Gefandtichaft erkrankten jo gefährlich am Fieber, daß nur ihre fofortige Abreife an Bord ver Schiffe ihre Wiebergenefung bewirfte.

Trotzdem wird Tientfin als Handelsplatz fehr bald eine große Bedeutung erhalten und wahrfcheinlich ſchon in wenigen Jahren alle andern ohinefifchen Häfen überflügelt haben. Dies macht die Nähe von Peling und der große Kanal, die große Verkehrsſtraße Chinas, an deifen Mündung ZTientfin liegt und anf dem alle Güter Hunderte von Meilen weit verjchifft werben können, während fle von ben bisher eröffneten Häfen über Laud transportirt werden mußten und baburch ungemein vertheuert wurden. Daſſelbe gilt von den Erportartifeln, und diefer Umftand hatte fich auch bereits in der kurzen Zeit von neun Monaten, feit welchen Tientſin damals erſt eröffnet war, ſehr zur Geltung gebracht. Wie wichtig Tientfin aber für uns Deutfche ift, hatten wir recht Gelegenheit zu fehen. Es lagen aufer uns 25 Schiffe auf der Rhede, da- bon waren zwei Engländer, zwei Amerilaner, ein Holländer und ein Däne; die übrigen 19 waren fämmtlich ‘Deutfche, und zwar 15 Hamburger und 4 Bremer. Diejes Factum zeigt gewiß bentlich genug, daß ein Vertrag mit China für Deutſchland nicht allein wünfchenswerth, fondern fogar noth- wendig ift, fowie e8 auch ein erfrenliches Zeichen abgibt für den Unternehmungsgeift deutfcher Kaufleute und für den Auf: ſchwung unfers Handels und unjerer Rhederei.

Das einzige ftörende Element für den Handel mit Tientfin ift "die feichte Ahebe, die Schiffen mit über 10 Fuß Tief- gang nicht geftattet, fich näher als 2 deutſche Meilen vor ven Tafuforts und 8 Meilen vor Tientfin hinzulegen.

Als wir nach fünfmonatlichem Aufenthalt in Japan enplich bon ben mistrauiſchen, umftändlichen und förmlichen Japaneſen

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ein Wort, und e8 ging uns daraus hervor, daß europäifche Schiffe bier eine äußert feltene Erfcheinung fein müſſen. Unfere Unterhaltung beſtand deshalb Hauptjächlich in Panto- mimen, aber trogbem ging fie unanfhaltfam vor fi. Wir erhielten zunächſt eine Einladung, uns in einem Buddhaklo⸗ fter, das in unmittelbarer Nähe des Strandes lag, zu erfri- ſchen. Ein dider Mandarin mit blauem Knopfe, der höchite. im Range, fohritt und voran und geleitete uns, während bie Menge ehrerbietig Pla machte, auf den Hof bes Kloſters, in bem zwar ber Tempel noch ganz gut erhalten, bas aber fonft verlaffen war und fich in einem ſehr defolnten Zuſtande befand. Augenbliclich ſchien e8 in eine Militärftation ver⸗ wandelt zu fein, einige zwanzig gefattelte Pferde, die im Hofe ftanden, ließen darauf fchließen, daß die Mandarinen nebft ihren Begleitern unlängft bier eingetroffen und wahrfcheinlich nur in Anlaß unferer beiden Schiffe von Ning-hae hierher beorbert waren. Um einen maffiven hölzernen Tiſch im Hofe wurden ebenfo maffive Stühle gejtellt, wir zum Siten ger nöthigt, und man brachte uns Thee fowie eine Schüffel der ſchönſten Aprikofen, die wir je gegefien.

Wir hatten Bier und Cognak mit ung genommen und boten unfern Wirthen davon an. Sie fofteten beides, aber nur der Cognak mundete ihnen, das Bier fagte feinem zu. Wir hatten gehört, daß vor einigen Jahren ein englifches Kriegsichiff Hier gewejen fei, daß man bie Offiziere zwar ungehindert an Land gelaffen, ihnen aber entſchieden das Befteigen der Mauer gewehrt habe. Als wir um die Er» laubniß fragten, wurde fie uns fofort mit der größten Bereit willigfeit ertheilt. Ein Mandarin nievern Ranges warb uns als Begleiter mitgegeben, und wir beftiegen das Rieſenwerk unge- ſäumt. Wahrfcheinlich waren die Engländer in ihrer gewöhn⸗ lichen arroganten Weife aufgetreten und deshalb von ben Chineſen zurückgewieſen worden.

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Meber die Entftehungsgefchichte der Diauer und die Dauer ihres Baues gibt e8 verfchienene Nachrichten, jedoch fcheint es ziemlich gewiß, daß fie um das Jahr 250 v. Chr. begonnen und im 5. Jahrhundert n. Chr. vollendet wurde, mithin ihre Conſtruction ungefähr einen Zeitraum von 700 Jahren bean⸗ ſpruchte. Zieht man ihre 350400 Meilen betragende Länge in Betracht, fo erfcheint die Arbeit von 700 Jahren nicht groß, aber die Zeit ihrer Ausführung dünkt uns wunder» bar kurz, wenn wir bei Ning⸗hae nur einen oberflächlichen Blick auf die gewaltigen Schwierigleiten werfen, welche Terrainver⸗ hältniffe jchon auf die kurze von bier aus zu überſehende Strede bon einigen Meilen entgegenftellen mußten.

Die Mauer beginnt mit einem ehemaligen runden Yort von 150 Schritt Durchmeffer, und man betritt daſſelbe durch ein ſehr gut gemanertes und gewölbtes Thor von einigen 20 Fuß Höhe und 30 Fuß Dide. Bon dieſem Fort an führt die Mauer noch fünf Minuten am Meeresitrande Hin und dann nach einigen Biegungen, deren Nothwendigkeit jedoch burch die jetige Geftaltung des faft ganz ebenen Alluvial- terraing nicht bedingt oder erflärt wird, etwa 11, Meilen weit in nörblicher Richtung. Dieſe Alluvialebene, in ver bie Stadt Ning-hae gelegen tft, wird von einem breifachen Ge- birgsfamm! umfchloffen, deſſen mittlerer Zug fich bis zu einer Höhe von 4000 Fuß erhebt, während der fünliche und parallele Kamm nur circa 2000 Fuß erreicht. Der Höhenrüden erjtredkt fich, von Diten kommend, bis etwa drei Meilen weit. lich von Ning-hae, wo er allmählich abflacht und fchließlich ganz verfchwinvet. Anftatt aber die Mauer fo weit weſtlich und um bas Gebirge zu führen, ift fie in norbweftlicher Niche tnng über die höchſten Spigen der drei Bergreihen fortgeleis tet, wobei fie ſtets in gleichmäßiger Höhe den Unebenheiten bes Terrains folgt. Die Breite ver drei Kämme beträgt un- gefähr zwei veutfche Meilen, und wenn man bie hundertfälti-

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gen Heinern und größern Steigungen berüdfichtigt, minde- ftend das Doppelte Man kann daher ungefähr ermefien, welche Rieſenarbeit erforderlich war, um allein biefe Strede, ben hundertſten Theil ihrer ganzen Ausdehnung, herzuftellen, namentlih da alle Laften auf biefe fteilen Höhen lediglich durch Menfchenhände gefchafft werden mußten. Zugleich aber fragt man fich vergebens, weshalb die chinefifchen Herrfcher bei Aufführung ver Mauer faft unüberwindliche Schwierigkeiten aufjuchten, während fte bei einfacher Herumführung um das Gebirge e8 fich verhältnigmäßig fo Leicht machen konnten. Die durchfchnittliche Höhe der Mauer beträgt 35 Fuß mit der Mauerkrone von 7 Fuß; an vielen Stellen, wo eine Ver⸗ tiefung oder ein Abgrund auszufüllen war, fteigt fie bis zu 80, ja an einem Punkte maßen wir fogar 117 Fuß. Don außen perpenbifulär, bat fie an der Inmenfelte eine Böfchung von ungefähr 45, bei einer Kronenbreite von 25 und einer Baſis von 60 Fuß. Die Mauer ift jedoch nicht maſſiv, fondern nur von innen und außen befleivet und oben gepfla- tert. Die Bekleidungen find 3 Fuß did, und fie ruhen, aber nicht durchgängig, auf einer 4 Fuß hohen Untermaner von ſehr ſchön behauenen, äußerſt forgfam zufammengefügten und cementirten Granitquadern, die im Laufe der Jahrtauſende äußerſt wenig gelitten und faſt ein Anſehen haben, als wären fie neu. Das Material der Bekleidung find Backſteine von graner- Farbe und ungefähr doppelter Größe, wie bie bei uns gebräuchlichen haben. Dem Anfcheine nach find fie nicht im Teuer gebrannt, fondern nur in der Sonne getrodnet. Dies ſcheint mir bauptfächlihd aus dem Umftande herporzugehen, baß aus einem großen Theile derfelden durch ben Froft con- cave Höhlungen gefprengt find, die oft die Hälfte des Steins betragen. Dies wäre wol bei im Feuer gebrannten Steinen nicht gut möglich, da der Froſt nur in biefer Weife wirken fonnte, wenn ber Stein ſich vorher bis zur Mitte voll Feuch⸗

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tigfeit faugte, was eine Porofität vorausſetzt, die wol luft⸗ trocknen, aber nicht gebrannten Steinen eigen fein Tann. Auch war der Then in der Mitte des Steins viel dunkler gefärbt und brödliger als an den äußern Flächen, was ebenfalls auf Trocknung in der Luft fchließen läßt; bie Froſtbeſchädigungen zeigten; fich lebiglich an ben dem Gebirge zugelehrten Seiten ver Mauer. Die dem Meere zugewandte Seite war merfwürbig gut erhalten, und es fcheinen fonach bie oftwärts über ven Golf von Petſchili kommenden Winde, weil fie über ven japaneftfchen Golfſtrom ftreifen, keine Kälte zu bringen.

Die innere Belleidung ber Mauer ift bis zum Gebirge auf große Streden abgetragen und ihr Material zum Ban von Ningshae und ber zahllofen in ver Ebene zerftreut liegen⸗ den Dörfer verwandt. Die Außenfeite tft jeboch merfwürbig vollftäindig und warb dem Anfcheine nach noch vor einigen Jahr⸗ hunderten forgfältig veparirt. Dagegen liegt pie Brüſtung theil- weife in Ruinen, und bisweilen fehlen Strecken von 30—40 Fuß, die vom Winde herabgeftürzt find, während andere Theile fo wadlig fteben, daß ihnen in nächfter Zeit ein gleiches Schid- jal droht. Die Steine des Mauerwerfs fchließen nicht wie bet uns um ihre halbe Länge übereinander, fondern find in paralielen Reiben nebeneinander gelegt, woburd natürlich bie Haltbarkeit des Ganzen beeinträchtigt werben muß.

Bon 120 zu 120 Schritt wird die Aufßenfeite der Mauer durch eine um 20 Fuß vorfpringende Baſtion flanfirt, die in einem vieredigen Thurm befteht, während die Innenfeite nur jede 500 Schritt eine folche Verftärkung befitt. Diefe Thürme find äußerft folid gebaut und durch eine Menge fich rechtwin⸗ felig durchfchneidender Wände, die dem Horizontaldurchfchnitt das Anfehen eines Schachbrets geben, verftärft. Sie haben wie bie Mayer eine mit Schießfcharten verfehene Brüftung. Die Schießfcharten find drei Fuß tief, zwei Fuß breit und in regelmäßigen Zmwifchenräumen von acht Fuß angebracht. Ihre

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untere Fläche bildet ohne Ausnahme eine Granitplatte mit einem Loch in der Mitte. Dies hat umftreitig zur Aufnahme für die Gabel ver Wurfgeſchütze und fpäter der Luntenflinten gedient. Dagegen ift nicht anzunehmen, baß jemals zur Ver⸗ theidigung der Mauer Kanonen verwendet wurden, ba bie untere Wläche der Schiekfcharten für Geſchütze viel zu hoch vom Boden fteht (vier Fuß) und auch die Brüftung von ei nigen Kanonenkugeln fogleich zerfchmettert werden würde.

Der Zwed der Mauer war Schutz und Vertheidigung gegen die Einfälle der Triegerifchen Tataren, bie feit Zaufen- ben von Yahren ihre räuberifchen Horden bis in das Herz Chinas fandten und deſſen unkriegerifche induftrielle Bewoh⸗ ner brandſchatzten. Der gigautiſche Bau Hat jevoch feinen Zwed Teineswegs erreicht. Eine bloße Mauer von 35 Fuß Höhe konnte den Zataren Fein Hinderniß fein, wenn fie nicht überall gleichmäßig vertbeidigt war. Wie viel Millionen Soldaten Hätten aber dazu gehört, um eine 400 Meilen lange Strede gegen den Einfall von 30—40000 gejtählten Kriegern wirkſam zu fchügen! Daß die Mandſchu⸗Dynaſtie feit 200 Jahren regiert, ift der befte Beweis, daß die Mauer nichts half, und die Tataren haben deshalb auch nichts zu ihrer Unterhaltung gethan. Sie lafjen fie zerfallen und Material zu bem Bau friedlicher Häufer zu liefern tft gewiß das Zweck⸗ möäßigfte, zu dem ihr unerfchöpflicher Steinevorrath verwen⸗ bet werben kann.

Immerhin bleibt aber das Werk an und für fich eins ver großartigften der Welt und gibt zugleich Zeugniß von ber Energie und Macht der chinefifchen Herrfcher, bie jahrhuns bertelang nicht erlahmte und fich durch keinerlei Schwierigkeiten zurüdichreden Tief, Wir waren der Mauer bis zu dem Buße bes; Gebirges gefolgt, aber erft hier, wo mir fie in denſelben koloſſalen Dimenfionen bald zu ſchwindeln⸗ der Höhe ſich erheben, bald an den ſteilſten Abhängen hinunter⸗

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laufen und jähe Schlünde überbrüden jahen, konnten wir bie ganze Großartigfeit dieſer Rieſenſchöpfung erfäffen und würdigen und die Willens» und Thatkraft derjenigen Männer bewundern, vie den Muth hatten, einen jo gewaltigen Ge- danken zu realiftren.

Es hat jemand berechnet; daß man mit dem Material viefes Baues eine drei Fuß hohe und ebenfo dicke Mauer rings um bie Erde ziehen könnte; aber wenn ich nach den vier Meilen, die ih davon gefehen, urtheilen fol, würden außerbem noch jämmtliche Städte und Dörfer von ganz Ehina davon neu. aufgebaut werben können. Nach einer ungefähren Berechnung, die wir an Ort und Stelle machten, wober wir aber nur bie Durchſchnittshöhe von 35 Fuß zu Grunde legten, famen wir zu dem Hejultat von 50 Millionen Badfteinen pro Meile, was auf 400 Meilen 20000 Millionen Steine ergeben würde, beren jeder 15 Zoff lang, 8 Zoll breit und 4 Zoll Hoch üft. Dabei find die Granitgrundmanern, die Brüftung und bie Pflafterung der Krone ganz unberüdftchtigt geblieben. Trotz⸗ dem gibt fchon jene immenfe Zahl dem Leſer einen Begriff von ber Arbeit, welche die Herjtellung eines folchen Werks erforderte, das mit Hecht unter die Wunder ver Welt gerech- net werben darf, und gegen das die Phramiden nur wie ſchwache Verfuche von Pygmäen erſcheinen.

Wir beſuchten auch Ning-hae, ein echt chineſiſches Städt⸗ chen von einigen tauſend Einwohnern mit engen ſchmuzigen Straßen, ſchuzigen Häuſern und ſchmuzigen Menſchen, Frauen mit breitknochigen häßlichen Geſichtern und verkrüppel⸗ ten Füßen, und Kindern, die ſtatt aller Bekleidung nur eine dicke Schichte von Schmuz auf dem Körper trugen. Wir glaub⸗ ten hier eine reiche Razzia an Proviſionen machen zu können, aber außer Obſt und Eiern war abſolut nichts zu haben, und auch dieſe erlangten wir nur unter großen Schwierigkeiten, weil wir keine chinefiſche Scheidemünze beſaßen und man die

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ipanifchen Thaler im Süden ver Abgott des Volfes nicht nehmen wollte. Erft auf Verwendung eines Mandarin, ver ihren Werth kannte, wurden die Verkäufer bewogen, fie an- zunehmen.

Unfern Rückweg nahmen wir durch das flache Land, das, aus fruchtbarem Alluvium beftehend, reich cultivirt und mit üppigen Mais- und Bohnenfelvern gefhmüdt war. Während in Mittel» uud Südchina Neis das Dauptnahrungsmittel des Volks ift, wird er bier durch Mais und Bohnen vertreten. Erjterer wird zu Brot verbaden, von letztern dient eine Sorte zum Eſſen, eine andere.wirb jenoch in großen Duan- titäten wegen des in ihr enthaltenen Dels gebaut. Die aus der Preſſe hervorgehenden Oelkuchen werden, wie ich fchon früher erwähnte, in fehr großen Mengen als Dünger nad dem Süden verjchifft. Bis jet gefchah ihr Transport nur auf chineſiſchen Dſchonken, und in den mit den verjchiedenen Mächten abgefchloffenen Verträgen ift für fremde Schiffe die Ausfuhr diefer Oelkuchen ausdrücklich verboten, weil bie Dſchonkenfahrt zu fehr darunter leiden würde. Wie aber bergleihen Sachen in China gehanbhabt werben, konnten wir in Zientfin und Chefu recht deutlich fehen. In beiden Häfen lagen zufammen ungefähr 30 europäifche Schiffe, und alle luden Bohnenkuchen für die jünlichen Küftenpläge, ohne daß es ben Behörden eingefallen wäre, e8 ihnen im geringften zu wehren.

Zum Aderbau werben hier viel Efel und Maulthiere be⸗ nugt, bie fich in einem ausgezeichneten Zuftande befanden. Die Ejel ſtammen aus dem Altaigebirge, find gelblich- weiß, jehr groß und mit einem ſchwarzen Kreuz über den Schulter: blättern gezeichnet. Pferde gibt es Hier beveutend mehr als im Süben, jedoch verwendet man fie nicht für den Landbau, jondern nur zum Reiten oder fpannt fie vor bie zweiräderigen Karren, die um Beling ftatt der Sänften ben Perfonen- transport auf weitere Streden vermitteln.

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Bei unferer Rückkehr fanden wir an einer von See aus fichtbaren Stelle, wo die Mauer circa 80 Fuß hoch war, in 12 Fuß langen Buchftaben das Wort „Kieſelack“ mit weißer Farbe angemalt, ein Späßchen, das ſich ein paar munter Cadetten in ber Vorausſetzung gemacht hatten, daß ber be- rühmte beutfche Reiſende doch nicht bis hierher gebrungen ſei. Sollte einft ein veutfches Schiff hier vorbeifegeln, fo wird es mit Erftaunen dieſe drolfige Vereivigung betrachten, die übri- gens ‚mit bewinberungswärbigem Humor und Conſequenz an alfen möglichft unzugänglichen Bagodenfpigen, Tempeldächern und Felswänden ver von uns befuchten Punkte von ben übermüthigen Sünglingen angebracht wurde,

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30.

Hohe, Landescultur jenjeit des ‚Gebirges von Chefu. Amerikaniſche Mifflonare als Kaufleute. Politiihe Beränderungen in China im Sommer 1861. Der Tod des Kaifers Hienfung. Der Prinzregent Kung, fein Charakter, feine aufgeflärte Bolitil. Die Rebellion der Taipings. Berhalten der Engländer zum chinefiihen Bürgerkriege. Geſchichte der SchantungsRebellen. Borrüden derſelben gegen Chefu. Bertheibigungsanftalten und Feigheit ber Chinefen. Admiral Protet mit wenigen Franzofen übernimmt die Bertheibigung des Plages. Ueber- rafhung und Flucht der Rebellen durch einen Bombenſchuß. Scheußliche Graufamfeiten ber Rebellen wie der Kaijerlichen.

Nach breitägigem Aufenthalte in Ning-hae gingen wir nach Chefu und empfanben bort die größere Kühle des Sommers äußerft angenehm. Der Zemperaturunterjchied beträgt zwi⸗ jhen Hier und Tientfin über Reaumur, obwol Chefu nur ein wenig füblicher, dafür aber um 50 Meilen öftlicher als Tientfin gelegen ift. Vom September ab fühlte fich die Luft bedeutend, und bie täglichen frifchen Norpwinde wurden all- mählich rauher. Dieſe Veränderung geftattete uns, einige Zer⸗ ftreuungen aufzufuchen, welche bie bisherige große Hiße ver- boten hatte, und deren Mangel während eines viermonatlichen Aufenthaltes an einem im jeder Beziehung fo uninterefjanten Punkte wie Chefu fih um fo fühlbarer machte. Die hiefige Gegend ift reih-an Wild, namentlich Fafanen, Hafen und Waffervögeln. Während bes Winters follen fich auch oft Wölfe

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und Bären in dem benachbarten Gebirge zeigen, jedoch bofften wir nicht, fo Tange bort -zu bleiben, um fte jagen zu Fönnen. Die Jagden auf Geflügel und Hafen wurben inbeffen täglich und mit-großem Eifer betrieben, und einmal veranftalteten wir eine große Partie, die nicht weniger al8 vier Tage dauerte. Chefu Tiegt in einem Thale an der Baſis einer Treisför- migen Bucht, die ringsum von einer fich zu -1500 Fuß erbe- benden Bergketie eingefchloffen wird. Diefe Kette muß über⸗ fhritten werben, um anf bie ergiebigen Jagogründe zu kom⸗ men, die eine viele Meilen weite Ebene bilden. Der Marſch über die Berge, über die feine regelmäßigen Pfade führen, ift ſehr anſtrengend; allein man wird dafür vollftändig durch die prachwolle Ausficht entſchädigt, die ſich dem Auge bon der Spitze bed Gebirgsfammes bietet. in unabfehbarer Garten breitet fich vor dem Beſchauer aus, und ich habe nie etwas Aehnliches in meinem Leben geſehen. Alle möglichen Arten von Korn, Hirfe, Gemüfe, Hanf u. ſ. w. werben bier mit einer Sorgfalt gebaut, von der man fich bei uns keinen Begriff macht, und wie ich es werer im Süden Chinas noch in Japan vorher gefehen. Jede Feldparcelle ift ein Beet, von einer Blumenhecke umjchloffen und von ven verfchieben- ften Obſtbäumen befchattet, die jet alle im Schmud ihrer Früchte prangten. Sämmtliche Felder find mit Furchen und Rinnen durchzogen, und an ihren Endpunkten erheben fich auf Heinen Terraffen Tauſende ven Brunnen, um das be- fruchtende Naß durch jene Furchen den Wurzeln der Pflanzen zuzuführen. Diefe Brunnen find regelmäßig von einer Taube überdacht, an ber ſich Kürbisranfen emporwinden, deren mäch- tige, oft 30 bis 40 Pfund fchwere Früchte das dünne Bam⸗ busgeftell der Laube zu zerdrücken drohen. Hier und bort wird das Grün der Aecker durch bie Grabhügel und weißen Denkſteine eines Friedhofes unterbrochen, ober durch das Laub einer dichten Objtpflanzung ſchimmern die Häufer von Dör-

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fern, bie in China faft nie ohne biefe Zierde angetroffen werben. Auf den Feldern felbft herrſcht reges Leben. Hier wird geheimft, und wenn man bie heimifchen Erntewagen ver- .mißt, ‚bewegen ſich dagegen lange Reihen von Maulthieren, mit hoch aufgetgärmten Bürben ber verjchiebenen Yruchtarten auf ihren Nüden, ven einzelnen ‘Dörfern und Gehöften zu. Dort find einige balbnadte Geftalten, deren Haut die Sommer- fonne faft dunkelbraun gefärbt, beichäftigt, um ‚unter unmelo- diſchem eintönigen Gefunge Waſſer ans: ven Bewäflerungsbrun- nen zu. fchöpfen. -Dort wird, nicht wie bei uns mit Pflug und Spaten, aber gewiß mit einer ebenfo praftifchen und leichter zu handhabenden Ziefhare der Boden aufgebrochen und für bie neue Saat vorbereitet, während unbeholfene ‚rauen mit verfrüppelten Füßen wie auf Stelgen durch die Felder fchreiten und mit Hülfe ver Kinder das Unkraut ausjäten. Berfchämt und ängſtlich wenden fie das Geficht fort, wenn ein Europäer in-ihrer Nähe erfcheint, als ob ihre Häßlichfeit nicht ſchon ein natürlicher Schuß für fie wäre. Doch die Männer find zutvaulicher, und wenngleich fie mit ſtupidem Staunen bie „Fang⸗Kwei“ angafften, erichallte ung doch regelmäßig ein gut- müthiger Gruß entgegen ‚und überall fam man. uns freundlic) entgegen. Das jchönfte Wetter begünftigte uns. Unfere nächtlichen Binouals hielten 'wir in Tempeln und Klöftern, und ‚wir kehrten, obwol mit wunden Füßen und ſchmerzenden Gliedern, fo doch mit reicher Beute und angenehmen Erinnerun- gen an Bord zurüd.

Chefu ſelbſt habe ich Schon in kurzen Worten geſchildert. Es iſt trotz ſeiner 10000 Einwohner nur ſozuſagen eine ambulante Stadt, ein großes Abſteigequartier für die Kaufleute aus dem Innern. Sie kommen nur hierher, um zu handeln, ihr Aufenthalt iſt vorübergehend und das Gros ver Bevöl—⸗ ferung daher ſtets wechjelnd. So kommt es, daß fich in der "ganzen Stadt nicht eine einzige verheirathete chinefifche Fran

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befindet, und daß überhaupt nur einige hundert Srauenzimmer ‘ver niebrigften und bäßlichten Art in der Stadt leben. Bon Europäern wohnten hier nur der englifche und der franzöftiche Eonful mit einem Affiftenten, ein jchweizer Kaufmann und fünf verheirathete amerikaniſche Miſſionäre, vie jedoch augenblidtich Kaufleute geworben waren. Infolge ver ameri- kaniſchen Wirren fcheinen ihre Gehalte nicht regelmäßig ge- floffen zu fein beiläufig 1800 Thaler pro Kopf und 300 Thaler Ertraordinarium für jedes Kind, welches dem Mifftonär geboren wird. Die Herren haben beshalb Das Miffionshaus in Schang⸗hae zu einem anftänbigen Preiſe verfanft und mit dem Kapital auf gemeinfchaftliche Rechnung einen Handel in Chefu begonnen, der bedeutend rentirte.

Sn den legten Monaten unjers Aufenthaltes im Norden von China trugen fich bebentende politiſche Veränderungen im Reiche der Mitte zu. Die wichtigfte berjelben war der Tod des Kaifers, ver am 17. Auguft 1861 erfolgte. An⸗ fänglich glaubte man, ber Kaiſer fei entweder von feinem Vers wandten, dem Regenten, ober von ber altchinefifchen Partei aus dem Wege geichafft. Die letztere Annahme gewann durch den Umftand an Wahrfcheinlichkeit, daß nicht Prinz Kung Regent blieb, fondern für den unmündigen Taiferlichen Sohn ein aus drei ven Europäern feindlich gefinnten Man⸗ barinen gebildeter Vormundſchaftsrath eingefeßt wurde. Sichere Nachrichten haben jedoch allen romantiſchen Nimbus vom Sterbebette des Kaiſers ſchwinden laſſen. Hienfung, der Sohn der Sonne, obwol noch im beſten Mannesalter, iſt an nichts anderm als am Delirium tremens geſtorben. Er war ein arger Trinfer und hatte e8 nur feinen liebenden Gattinnen zu danken, daß er nicht ſchon längſt in das Grab fteigen mußte. Bereit vor zwei Jahren hatte er einen Anfall von Delirium, und es foll damals feinen Frauen gelungen fein, ihn zu bewegen, feinen täglichen Bebarf an Spirituofen bis

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chineſiſcher Krieg wenigftens in England fehr unpopulär fein ‚würde, wenn auch Kaiſer Napoleon damit gebient wäre. Die Meinung der Europäer, bie noch vor kurzem den Re- bellen ziemlich günftig lautete, begann in leßterer Zeit fich auf die Seite der Kaiſerlichen zu neigen, und dies ift fehr erflär- lich, da fie lediglich von Handelsintereffen geleitet wird. Die Erwartungen, welche man an bie Erdffnung des Jang⸗tſe⸗kiang und ber norbifchen Häfen Inäpfte, find nicht in dem Maße erfüllt worden, als man vorausfegen durfte. Hieran ift fediglich der Bürgerkrieg ſchuld, und wie fehr es auch ven vor- geblichen civiliſatoriſchen Beftrebungen der Englänver genehm gewejen fein: mag, bie „chriftlichen” Taipings zu protegiren, fo gründeten fich ihre Shmpatbien in Wahrheit doch nur auf die Vorausſetzung, daß die Rebellen den Hanbelsintereifen ber Fremden Vorſchub Teiften würden. Diefe Hoffnung ift bis- jet nicht erfüllt. Die Producenten des Landes, bie Seide⸗ und Theezüchter, find vie anfäffigen Tatferlichen Unterthauen, aber fie probueiren nur und der Handel kann nur blühen, wenn Ruhe im Lande if. Die erobernben, bald vorwärts⸗ drängenden, bald zurückweichenden Rebellen find nur ein zer- ftörendes Element, und ver Schreden vor ihnen ift bei dem kaiſerlichen Landvolk jo groß, daß feine Wirkung fi auf Hun- berte von Meilen erftreeit und ſowol den Hanbel als die Production lähmt. In Ehefu traf 3. B. während unjerer Anweſenheit vie Nachricht ein, daß die Rebellen Fung⸗tſcha⸗fau, eine 100 Meilen weit entfernte Stabt, erobert hatten, aber feit jenen Augenblide waren bie Einwohner von einem pa⸗ nifchen Schrecken ergriffen, der fofort einen Rückſchlag auf bie Gefchäfte übte und dieſe faft zum Stilfftande brachte. So geht e8 auch im Südweſten in ven Thee- und Seive- biftricten. Die Rebellen find vielfach im Beſitz ber aus dem Innern feewärts, führenden Handelsftraßen und fangen bie Baarentransporte ab, ſodaß die Zufuhr jener Artikel immer

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fpärlicher wird. Es wurden baber feit einiger Zeit in ben englifhen Blättern immermehr Stimmen laut, die auf bie Unerträglichleit eines folchen Zuſtandes hinwiefen, in energi- cher Weife auf Abhülfe drangen, und da bie chineſiſche Po⸗ Litit der Engländer allein durch ihre Hanbelsintereffen bedingt wird, fo Dürfen wir bald einer Enticheinung entgegenfehen, bie außerdem für ganz China ein unenplicher Segen fein würde.

Während der leiten acht Tage unſers Anfenthaltes in Chefu Hatten wir Gelegenheit, ein Stüd des chinefifchen Bürgertrieges mit allen jeinen Greueln und Schreden aus nächſter Nähe anzufehen, Die unter dem Namen Schantung- Rebellen den Norden verwüſtenden Banden rüdten auf Chefu an. Diefe find jedoch nicht mit ben Taipings im Süden zu verwechfeln, mit benen fie politifeh nicht gemein Haben. Ihr Urfprung ſtammt aus dem Sabre 1860. Im Mat biejes Jahres Hatte ein fehr reicher chinefifcher Kaufmann und Ab- kömmling der alten von den Mandſchu vertsiebenen Ming- Dinaftie eine beveutende von ihm zum Bau der Taluforts vorgeftredte Summe Goldes von der Regierung zuräderhalten, mit der er öfter in folcher Verbinpung ftand. Das Geld, circa eine Million Dollars, kam in Regierungsverſchluß und mit dem Siegel ver Staatskaſſe verfehen verziuft zuräd, und ber Kaufmann, ver es wegen ber Kriegsverhältniſſe augenblicklich nicht verwerthen Tonnte, beponirte es uneröffnet in feinen Kaſſengewölben. Nach zwei Monaten exfuchte ihn bie Res gierung abermals um ein Anlehen; er zeigte ſich auch fofort bereit und gab von den noch mit dem Staatöfiegel ver- Tchloffenen Padeten die betreffende Summe zurüd, Am andern Tage wird er pläßlih vor den Provinzialrichter geforbert, gefeffelt und eingelferfert, um nach 24 Stunden enthanptet zu werben. Er war des Verbrechens der Falſchmuͤnzerei ange- Hagt; fämmtliches von ihm gegebene Geld war falſch. Da den Mandarinen ver Betrug nicht gelang, fuchten fie ihn

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durch ein noch größeres Verbrechen von fih ab und auf ven unfchuldigen Kaufmann zu wälzen. Die ſehr angeſehene und bebentend nerzweigte Familie bes Gemordeten erhob fich jedoch, wie das in China bei jo gewaltthaͤtigen Ungerechtigleiten öfter gefchieht, wie Ein Mann; fie fammelte eine Heine Armee und verlangte, anf deren Macht geftübt, pie Auslieferung der ver- brecherifchen Mandarin. Diefe wurden jeborh von den höbern Behörden befchütt und entlamen. Die Mings, da⸗ durch in die höchſte Wuth verjegt, wiegelten jett mit Hilfe ihres Geldes die ganze Bevölferung ihres Diſtricts auf, und jo entftand unter dem fchon längſt gebrüdten und gemishan- delten Bolfe die Schantung- Revolution, die bald jo mächtig anwuchs, daß ihre Leiter die Herrſchaft darüber verloren und bie zufammengelaufenen Scharen jet überall auf Raub, Mord und Plünderung auszogen und Binnen einem halben Jahre faft die Hälfte der Provinz Schantung, einen Landſtrich fo groß wie Preußen, total verwüfteten. Man verficherie, daß die Zahl diefer Rebellen, die in brei Abtheilungen umherzogen, fih auf 80000 belaufe, und nach ven meueften Nachrichten jollte Tat Ping-Wang infofern mit ihnen gemeinjchaftliche Sache gemacht haben, daß er fie den Norden Chinas verwüſten lie, während er den Süben beimfuchte,

Jetzt rücdten diefe ‘verheerenden Truppen anf Chef los. Seit acht Tagen verriethen die brennenden Dörfer, beren Feuerſchein während der Nacht ven weftlichen Horizont erleuch- tete, ihr Naben; Taufende von Flüchtlingen, faft entblößt vom Nothwendigfien, Tamen in Chefu an und verfündeten die von - ben Rebellen begangenen Unmenfchlichkeiten. 15000 Dann ſtark zogen fie heran, meiſtens z& Pferde, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stabt, morbeten, raubten und verbrannten, was fie nicht mitzufchleppen vermochten. Alle männlichen In- bivibuen, die in ihre Hände fielen, und alle Weiber, bie nicht ihre thieriſchen Begierden erregten, fielen unter ihren Streichen,

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und jeder geplünderte Ort ging in Flammen auf. Um 7. October abends fohen wir die Dörfer bremen, bie nur zwei Meilen weſtlich von. Chefu liegen, und in legterer Stabt war die -Angft und Beftürzung aufs höchſte geftiegen. Allee was fliehen konnte, floh; Tauſende und aber Laufende fchiffe ten ſich mit dem Werthvollſten ihrer Habe auf Dichonten ein, und nur einige Tauſend ber ärmſten Bewohner waren zurüdgeblieben. und hatten größtentheils innerbafb der franzö⸗ fiichen Befeftigungen (Chefu ift als Garantie des letzten Ver⸗ trage und bis zur Bezahlung der Sriegsfoften von ven Tranzofen beſetzt) auf einer Heinen Halbinfel am Hafen Schuß geſucht. Die fonjt gedrängt vollen Straßen ber Stadt waren wie ausgeſtorben, alle Läden gefchloffen und nichts zu faufen. Es war ein trauriger Anblick, die armen Flüchtlinge zu jeben, wie fie von allen Seiten über die hoben Werge, welche Chefu umgeben, fich ermattet hexanfchleppten, wie bort ein Züngling fein altes Mütterchen auf dem Rüden trug, over . bier ein blinver Greis von feiner Tochter geleitet wurde, bie, wie die meiften Frauen mit ihren verfrüppelten Füßen, felbft nur mit der größten Beſchwerde über das rauhe Geſtem zu gehen vermochte.

Diele Hunderte wurden mitleivig von ben europäiſchen Schiffen aufgenommen, auf bie fich auch bie Frauen und Kinder der am Drte befindlichen. Europäer mit ihrer Habe flüchteten, während die Männer fich deu Franzofen anſchloſſen, bie alle militärifchen Anftalten zur Vertheidigung ber Stabi getroffen hatten, Leider war ihre Zahl ſehr beſchränkt. Ben ben beiden im Hafen liegenden Transportfregatten waren nur 250 Mann bisponibel. Zufällig traf noch am 6. October ber franzöſiſche Admiral Protet ein, um fich nach Tientfin zu bes geben. Er übernahm das Commando, ſandte das Dampfichiff, welches ihn gebracht, fofort nach ven Takuforts um Verftärkungen, und ſchon am 8. langten 150 Marinefoldaten und eine Bombarte

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an, während zugleich: Das Linientransportſchiff Dryade von Schangrhae ankam und ebenfalls 100 Mann ausfchiffte, ſodaß die Franzoſen jekt 550 Mann. ftark waren, freilich immer nur eine Hand voll Menfchen gegen 15000 Banbiten. . Der Ab- miral requirirte num noch ein englifches Kanonenboot, das an ber andern Seite des Hafens zur Bewachung der bort er- richteten englifchen Depots lag. Chefu liegt, wie ich bereits berichtet, in einem- Thallefſel am Meere und wird in Süd, Dft und. Weſt von einem hoben Gebirgszuge umfchloffen. Man kann dieſe Berge zwar auf ſchmalen Fußpfaden an ver⸗ ſchiedenen Stellen paſſtren, aber bie große Handelsſtraße, we nur eime Armee marſchiren Tann, führt längs der Küfte über das ſich hier ſenkende und zu einem Plateau abflachende Ge- birge. Nahe viefem Wege wurden das englifhe Dampfkanonen⸗ boot, die Bombarde und zwei mit: Geſchützen bewaffuete Bar⸗ kafſen der Fregatte poſtirt.

Am 8. Detober mittags erſchien die Abantgarde ver Rebellen, circa 2—3000 Mann ftark, auf dem Plateau. Sie waren ſaͤmmt⸗ fich beritten, alle teugen rothe und blaue Schärpen und min- deſtens jeber dritte Mann eine rothe Fahne. Wir lagen mit ber Elbe (die Arkona war vor dem Peiho) etwa 3000 Schritt von diefer Hochebene entfernt und Tonnten mit unſern Fern⸗ rohren altes genau betrachten. Es war ein hochſt malerifcher Anblick, dieſe Truppe mit ihren bunten Coſtümen, mit ihren wehenden Schärpen. und flatternden Fahnen. Faſt alle hatten weiße Bferbe oder Maulthiere, und ihre Hauptbewaffnung be- ftand aus einer 12—14 Fuß Tangen Bambuslanze. Mehrere trugen auch Säbel und Beile, aber Feuerwaffen bemerkten wir bei feinem. Nach einen: kurzen Halt fegten fie fich in Marſch und trabten bicht gebrängt den Berg hinab, auf Chefu los. Sie waren jet noch ungefähr 1000 Schritt von ben äußerften Borpoften ber Franzofen entfernt, und wir er- warteten in ängftlicher Spannung jeben Augenblid den Be-

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ginn bes noch immer fehr zweifelhaften Gefechte, als ein Donner durch die Berge rollt. Kin bläulicher Rauchſtreifen zifchte wie ein Meteor durch die Luft, und unmittelbar baranf faben wir mitten. im bichteften Haufen eine Exploflon ftatt- finden. Das englifche Kanonenboot Infolent hatte mit feltener Präciſion eine 68 pfündige Bombe in die Feinde geworfen. Die Wirkung war aufßerorventlich und für die Rebellen, bie wahrfcheinlich in ihrene Leben nie etwas Aehnliches ge- ſehen, wahrhaft dämoniſch. Der furchtbarfte Schreden ſchien mit einem mal unter fie gefahren zu fein; im wilbeften Durch- einander fprengten fie nach allen Richtungen bin; ein heil ber Pferde ging durch, die umfundigen Reiter flogen wie Mohnköpfe herab, und der Haupttroß ftob im Carriere bie: Auhöhe wieder hinan. Kine zweite Bombe faufte ihnen nad) und fchlug mit den Kugeln ver Barkaſſengeſchütze in ihre hinterften Reiben; aber zu weitern Schüffen kam es nicht; ebe noch wieder geladen werben konnte, war das Plateau rein gefegt, fein Pferd, keine Schärpe oder Fahne war mehr zu erbliden. Chefu war gerettet, aber wo bie Granate ge- fprungen war, ſah man einen Haufen von Pferden und Menfchen fich im Todeskampf in ihrem Blute wälzen; 11 Todte und 15 tödlich DVerwundete waren die Reſultate. Diefe - Warnung genügte, um bie Rebellen von jebem weitern Ans - griff auf Ehefu abzuhalten. Sie zogen fi ſüdwärts Hinter dem Gebirge herum, und ſchon am andern Abende fab man am Feuerſchein ber brennenden Dörfer, daß fie fich vier bis fünf Meilen öftlih von der Stabt befanden. Die Mandarine der Stadt hatten ebenfalls große militärische Vorbereitungen machen laffen. Die Thore waren verbarrifadirt, Geſchütze aufgepflanzt und außerhalb der Stadt verfchiebene Lager von 2—300 Dann Befabung mit einem wahren Arfenal aller möglichen und unmöglichen Waffen ausgeräftet, An prahlen- ben Fahnen fehlte es ebenſo wenig, und bie alten Luntenflinten

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und Geſchütze aus dem 16. Sahrhundert Inallien unanfhörfich Tag und Nacht, folange die Nebellen noch jenjeits der Berge waren. Sobald aber am 7. October abends bie unmittelbar hinter den Bergen gelegenen Dörfer brannten, war auch nicht einer der tapfern Helden in den durch Wälle und Gräben ge- ſchützten Lagern mehr zu finden. Alle hatten fich verfrochen, und erft nach ver Entfernung bes Feindes kehrten auch Die muthigen Vertheidiger wieder.

Im Hafen Tagen etwa 40 bis 50 große Dſchonken aus Kanton, Amoy und Ningpo. . Diefe find ftets fehr ftarf bemannt und auch ziemlich gut bewaffnet. Die Mandarine waren am 8. morgens an Bord biefer Dſchonken gefahren und hatten deren Beſatzungen aufgeforvert, vie Garnifon der Stadt zu verftärken, und zwar follte dies abwechſelnd, einmal von den Kwangtungleuten und das andere mal von denen aus Amoy une Ningpo gejchehen. Diefe Hatten ſich auch dazu bereit finden Taffen, und ‘vie Kwangtungleute verrichteten zut- erjt ihren Dienft, ganz fo wie es fich gehörte. Am 9. October kamen bie aus Ningpo an bie Reihe. Dieſe fpielten jedoch ſelbſt die Rebellen, brachen in die Känfläden ein und raubten was fie konnten. Auf das Gefchrei ver Beraubten rückte eine franzöſiſche Patrouille zu Hülfe, e8 kam zum Gefechte, und ſechs der Marodeure blieben auf dem Plate, während 10—12 ſchwer verwundet wurden, ohne daß die Franzoſen jelbft den geringften Verluft erlitten. Sämmtliche Dfehonfenleute wurden infolge deſſen auf ihre Fahrzeuge zurüdgemwiefen und am Hafen eine Poftenfette mit dem Befehl aufgeftellt, auf jebes chinefifche Boot zu fchießen, das an einer andern ale ber beftimmten Stelle Ianden würde.

Am 12, October unternahmen die Franzofen mit 400 Mann und zwei Gejchügen eine Recognoſcirung nach Weften, bie ſich 4 Meilen weit erftredte. Sie fanden feine Spur von ben Rebellen mehr, wol aber genug Zeichen ver von ihnen

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verübten Scheußlichkeiten. Die einen Teiche, welche fich zur Bewäſſerung der Felder bei jedem Dorfe befinden, waren mit Leihen von Frauen und Kindern angefüllt, denen man Brüſte und Hälfe abgefchnitten. Die Männer, welche fich geweigert, ven Rebellen zu folgen, waren niedergehauen oder, wenn file Widerſtand geleiftet, auf graufame Weife zu Tore gemartert worden. So fand man in einem Haufe fünf Chinefen mit den hinter dem Rüden zufammengebundenen Daumen an ben Dachbalfen aufgehängt und durch unter ihnen ange: machtes Feuer gebraten. Es documentirten fich bei biejer Gelegenheit fo recht die fchon früher von mir herworgehobenen Züge des chineftfchen Charakters: Feigheit und raffinirte Grau- famfeit. Auch die Leichen zweier amerifanifcher Miffionare, Parker und Holmes, die, freilich unllug genug und gegen den ausprädfichen Befehl des franzöfifchen Admirals, von Chefu aus den Rebellen entgegengeritten waren, um fie von weiterm Vorbringen abzumahnen, wurden fchredlich ver- ſtümmelt und faft verkohlt aufgefunden. Die Kaiferlichen machten e8 jedoch nicht im mindeften beifer. Die die Recogno- fetrung begleitenden Ehinefen hatten in einem Dorfe zwei zurüd- gebliebene verwundete Rebellen gefaßt, und ebenfo waren vier ald Spione verdächtige Individuen in Chefu felbft ergriffen. Die beiden Rebellen begoß man von unten bis oben mit Del, legte fie auf eine Art Roſt und briet fte bei lebendigem Leibe. Noch halb lebend hadte man fie allmählich in Stücke, bis zulegt nur noch halbverkohlte blutige Fleiſchklumpen übrig waren. Zwei der Spione wurden auf ähnliche Weiſe zu Tode gemartert; die beiden andern, ein reis von 70 Jahren und eine junge Fran, gelang es uns, bie wir als Europäer damals Halbgötter waren, ihnen zu entreißen und fle dem franzöfifchen Eonful zu übergeben, der, wie wir gleich voraus- geſetzt hatten, fte ganz unſchuldig fand und in Freiheit ſetzte.

Werner I. 14

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Unterzeichnung bes Hanbelsvertrags zwijchen Preußen und China am 15. Auguft 1861. Ausdehnung beffelben auf den Zollverein, Med- lenburg und bie Hanfeftädte.e Große Bedeutung bes Bertrags für Deutſchlands Induſtrie, Handel und Schiffahrt. Die Eoncurrenz mit England und Rußland. Der Begriff und die politifche Macht des Welt- andels. Gründungsgefchichte Der deutfchen Hanbelshäufer in Oftaften. Ihr bisheriges Berhältniß zum Baterlande. Der Zollverein in Be- zug auf den öſtlichen Verkehr. Die deutſchen Schiffe in den chineſiſchen Gewäfſern. Freude der deutſchen Kaufleute in China über den Abſchluß bes Bertrags. Nothwendigfeit eines preußifchen Kriegsgefchwabers in ben öÖftlichen Meeren. Der Koſtenpunkt und die Beſchaffenheit ver Schiffe. Der Neid ber Engländer. Abreife nah Siam. Bereinigung des preußi- Ihen Geſchwaders im December 1861 auf der Rhede von Bangkof.

Am 15. Auguft endlich wurde der preußtfche Vertrag mit China vom Kaifer unterzeichnet, und zwar zwei Tage vor jeinem Tode; ein glüdficher Zufall, der uns wahrfcheinlich monatelanges Harren erfparte. Wenn e8 Graf Eulenburg trog aller Geduld und bewundernswertber Ausbaner in Japan nicht gelungen war, für ganz Deutfchland zu negociren, fo wurben feine Bemühungen in China von defto bedeutenderm Erfolge gefrönt, und der Vertrag wurde im Namen Preußens nicht allein für den Zollverein, Mecklenburg und bie Hanfe- ſtädte, ſondern auch fo günftig abgefchloffen, wie nur irgend zu wünfchen war. Ganz abgefehen von ven fonftigen werth- vollen Beitimmungen des Tractats ift e8 überaus wichtig, ‚daß die Zulaffung eines preußifchen Gefanbten in Peling von hinefifcher Seite bewilligt tft und wir bemgemäß biefelben

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‚Rechte erhalten haben wie England, Branfreih und Rußland in dem vorjährigen Vertrage von Tientſin. Es ift alfo nun Sade ver Deutſchen, davon den beftmöglichen Gebrauch zu machen. In der Eröffnung des Jang⸗tſe⸗kiang und ber nordifchen Häfen bieten ſich für deutſche Induftrie und Handel jo günftige Chancen, wie es felten vorfommen dürfte, und ich fann nicht genug hervorheben, daß gerabe bie Deutfchen bie größten Vortheile daraus ziehen Tünnen, weil fie bei ben Chinefen beftebter find als irgenbeine andere Nation.

Es ift ganz eigenthümlich, daß wir in Deutfchland bie beiden Hauptproducte Chinas, Seide und Thee, nicht direct, fondern über England beziehen. Bon Schang-hae werben jährlich 80000 Ballen Seide 'erportirt, davon gehen 60000 nach England, und von diefen kommt ein Drittheil auf Deutſch⸗ land. Alle dieſe Seide macht nicht den Seeweg, fonbern geht über Land durch Deutſchland nah England, um von dort wieder zurückzukehren und Gott weiß wie hoch verftenert zu werben! Nur ein einziges deutſches Haus in Schang⸗hae macht in Seide mit Deutfchland directe Gefchäfte, führt jedoch nur 4000 Ballen, alfo immer nur ein Tünftel des Bedarfs ans, während diefer Bedarf fich bedeutend fteigern würde, wenn die Seide nicht zum größten Theil ihren Weg nad England nähme in ähnliches Verhältniß herrjcht beim Thee, von dem Hamburg allein eine geringe Quantität birect importirt, während wir das Hanptquantum über England und Rußland beziehen. Wenn wir mit den Engländern in ber Baumwollenmanufactur "coneurriren könnten, würde fich für unfere Shirtings und Calicots im Norden bes chinejiichen Reichs ein unbegrenzter Abſatz eröffnen. Während im Süpen der Chinefe ſich die Baumwolle felbft baut und feine baner- bafte Kleidung bavon webt, kommen vie Bewohner der nörb- lichen Provinzen beffer babei weg, wenn fie europäifche Shirtings Laufen, weil fie die Baumwolle aus dem Süden

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beziehen müſſen und biefe Dadurch bedeutend vertheuert wird. Dies bat fich fo recht feit der Eröffnung Zientfins gezeigt. Hier ift die Maſſe ver Kaufleute aus den nörblichen Provinzen, und im Laufe des Sommers 1861 fanden gahz enorme Um- ſätze in Shirtings. ftatt, Sp wurben z. B. in einem Zeitraum von zehn Tagen 280000 Stüd verkauft, und ein einziger Ehinefe Faufte in zwei Tagen 80000 Stüd im Werthe von 400000 ZThalern, und zwar gegen. baare Bezahlung. Dies ift für nem Saufmann aber von großer Bebentung. Er ſchickt jein Schiff ven England direct mit Calicots nach Tientfin, ſetzt die Waare, wenn auch mit geringerm Gewinn, fofort in Gelb um, ‚geht damit nach Schang-bae und kauft Seide, die mit der Ueberlandpoſt nach Haufe fommt, ſodaß er in einem Zeit- raum von fieben Monaten fein Kapital wiener in Händen hat.

Wenngleich wir wahrjcheinlich dieſen Handel den Englän- bern in nächiter Zeit noch nicht entreißen können, fo follten wir uns doch in Bezug auf Seide und Thee von ihnen un- abhängig machen, und wir haben außerdem andere Fabrifate, in denen wir ihnen fchon jegt erfolgreiche Concurrenz zu machen vermögen. Hierzu gehört namentlich Glas, dem fich in Kurzer Zeit im Norden Chinas ein bebeutender Markt eröffnen dürfte, ba bie -Bapierfenfter in den eifigen Wintern von 10 15 Grab Kälte ſehr bald außer. Gebrauch kommen werben. Ferner find Wollſtoffe ein Artifel, der ſchon gegenwärtig eine große DBe- beutung hat, dem aber eine noch viel größere Zukunft bevor- ſteht. Bisjett verforgt hauptfächlich Rußland China mit Wolle, und zwar über Kiachta. Wollten wir nur Mollitoffe nach China bringen, um daran fpeciell einen beftimmten Gewinn zu machen, ſo könnten wir mit Rußland nicht concurriren. Letzteres gibt feine Manufacturen faft zum Koftenpreife ab, aber es tauſcht Thee dafür ein und macht deſto größern Gewinn. Ein beveutender Theil dieſes Thees findet feinen Weg nach Deutfchland. Weshalb alfo Inüpfen wir nicht eine

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birecte Verbindung mit China an, emancipiren uns von Nuß- fand und England, fteden den Profit felbft in bie Taſche und bringen unfere Fabriken und unfere Rhederei in die Höhe? China gebraucht viel Wolle, und der Bedarf wird fich jest nach Eröffnung ber nordiſchen Häfen in ähnlichem Ber- hältniſſe fteigern wie ber bes Shirting. Bisjetzt fucht der nordiſche Bewohner fich gegen die firenge Kälte feines fünf- monatlihen Winters durch Belze zu fehlten. Wenngleich biefelben wegen des nahen Kamtſchatka und der leuten be= deutend billiger find als bei uns, fo ift der Preisunterfchten mit Wollfabrikaten doch fo groß, auch in brei Wintermonaten die Temperatur fo befchaffen, daß bie Chinefen ſowol aus Geld - als aus Annehmlichkeitsrädfichten die billigern und leich⸗ tern Wollftoffe den theuern und fchweren Pelzen vorziehen müffen, ſobald ihnen nur hinreichende Duantitäten zugeführt werben. Dies kann aber nie auf dem befchwerlichen Land⸗ wege über Kiachta gefchehen, und wenn wir es wie die Ruffen machen wollen, d. 5. unfere Wolle gegen Thee oder Seibe umtaufchen, fo haben wir in wenigen Jahren den ganzen Wollhandel in unfern Händen. Es gibt zwar Schafe genng im Norden Chinas, aber die Ehinefen verftehen nicht, Wollftoffe zu fabriziren und laſſen fich in ihrer eingebildeten Arroganz auch nicht darüber belehren. Sie reinigen die Wolle meder vor noch nach der Schur und erzielen daher nur ein verhält- nigmäßig werthlojes Product, das fle zu feinern Geweben gar nicht gebrauchen können, und aus dem fie nur groben Filz zu ihren Hüten, Schuhen, Pferdedecken u. |. w. bereiten. Das Schaf koſtet in Zientfin nur 1.—2 Thaler. Weiber land und Stallfütterung ift vorhanten, und Schafzüchterei und Wollproduction im Lande felbft müßte den reichlichiten Ge- winn abwerfen, fobald man bamit beginnen würbe, Ueberhaupt handelt es ſich nur darum, daß intelligente und unternehmende Kapitaliften ven Weg bahnen, um Deutich-

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Brincipalen geftattete Nebengejchäfte einiges Vermögen, lernten die dortigen Verhältniffe kennen und benukten fie, um fich ipäter felbft zu etabliren. Auf dieſe Weife entitanden faft alle deutſche Häuſer in China. Ihre Begründer fingen ſozu⸗ fagen mit nichts an, arbeiteten fich allmählich in die Höhe und erwarben fich durch angeftrengten Fleiß und kaufmän⸗ niſche Tüchtigfeit die ehrenvolle Stellung und die Anerkennung, die fie jet allfeitig genießen. Hierüber mußten natürlicherweife Sabre vergehen, bie aber ebenjo nothwenbig ihre Verbindung mit dem Vaterlande Ioderten; theils kannten fie in ihrer neuen Heimat nur Nichtdentfche, theils waren fie, um weiter zu fommen, auf ben Credit und die Unterftügung ber Fremden angewiefen, während fie von Deutfchland weder das eine noch, das andere zu erwarten hatten. So erwuchjen deutjche Häufer, aber faft nur dem Namen nach, ihre Gefchäfte waren hauptſäch⸗ lich englifch, und wenn feit einigen Jahren bie größern Firmen birecte Verbindungen mit Deutjchland anfnüpften, jo gejchah dies einmal nur in beſchränktem Maßſtabe und ſodann auch nur mit Hamburg ober Bremen. Soll aber Deutſchland in dem hiefigen Handel einen Rang einnehmen, fo müffen feine Kaufleute e8 machen wie die Engländer. Große deutſche Häufer müffen hier Commanditen mit beventendem Kapitale errichten und Durch fie einen directen Austaufch der gegenfei- tigen Producte beider Länder bewerfitelligen. Wir haben Glas, Wolle, Spirituofen und taufend andere Induftriegegen- jtände, gegen bie wir Seide und Thee empfangen und in . benen wir mit alfen Nationen concurriren können. Nur in ber Baummwollenmanufactur find uns bie Engländer voraus. Woran Liegt dies aber? Iſt e8 nicht unfere eigene Schuld, und Fönnten wir nicht, wenn nur 'dver Wille ba wäre, bie Sachen ebenfo billig und noch billiger herftellen als die Eng- länder? Was wir an Baummollenfracht von Amerika mehr bezahlen als bie Englänver, das gleicht ver geringere Ars

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beitslohn bei uns reichlich wieder aus. Haben bie Englänper Steintoblen, fo befiten wir dieſe ebenfalls und außerbein noch billige Braunkohle. Es Tann alfo entweber nur in der minder guten Beſchaffenheit unferer Maſchinen over an ben Zöllen liegen, die uns hinderlich find, und das eine wie das andere läßt ſich ja ändern. Concurrirt doch die Schweiz in Banm⸗ wollenmanufactur mit England, warum follten wir es nicht, die wir unfere Baumwolle fowol aus Aegypten als jaus Amerika auf viel firzerm unb wohlfeilerm Wege erhalten! Ungeachtet unferer jeßigen politifchen Zerfplitterung haben wir doch tu dem Zollverein eine Körperfchaft, die troß aller particnlariftifchen VBeftrebungen in irgendeiner Form beftehen muß und fich von Jahr zu Jahr mehr entwiceln und conſo⸗ fibiren wird. Diefer Körperfchaft ftehen Mittel und Wege zu Gebote wie feinem Kapitaliften, mag er auch der reichfte, intelligentefte und unternehmenpfte fen. Es ift Sache bes Zollvereins, bie Urfachen zu erforſchen, die der Entwidelung unferer Banmwollenmanufactur hemmend entgegentreten; er kann bie Befeitigung befchwerender Zölle veranlafjen und in- ternationale Gejete herbeiführen, die ihren Auffchwung unb ihre Vervollkommnung erleichtern; er Tann Kapitaliften in ber Gründung großartiger Spinnereien, wie fie England oder bie Schweiz befitt, unterftüäben. Die Aufgabe bes Zollvereins ift e8, fich mit den öftlichen Verbältniffen vertraut zu machen, mit den Deutfchen in China directe Verbindungen anzufnüpfen ober ihnen in ihren Speculationen wenigftens eine moralifche Unterftügung zu leihen. Der Herftellung einer folchen Verbin⸗ bung, ber Gründung von Commanbiten bebeutender beutfcher Häufer, wird unfehlbar eine ungeahnte Entwidelung unfere Handels, ein Aufſchwung unjerer Fabriken und unjerer Schiff- fahrt folgen. Zu den 200 deutſchen Schiffen, die jest fchon ben chinefifchen Küſtenhandel betreiben, würden fich ebenjo viele gejellen, um den tirecten Handel mit Deutfchland zu vermitteln,

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und eine natürliche Folge würde bie Hebung bes Wohlſtandes fein. Die armen Weber in. Schlefien würden nicht mehr am Hungertyphus fterben, wenn wir jährlich um einige Millionen mehr Shirting probucirten, und wie unfere Induftrie bereit jede fremde aus Südamerika verprängt und bie Ausfuhr des Zoll vereind nach Nordamerika jeit 1847 von 1 Million Dollars auf 20 Millionen geftiegen ift, würde man daſſelbe mit Gewißheit auf Erfolg auch in China verjuchen Tönnen.

Nur auf Eins kann ich Hierbei nicht unterlaffen hinzuweiſen. Wenn bie beutiche Induſtrie in China eine Abſatzquelle finden will, fo muß fie veeff fein. An dem Mangel diefer Eigen- Schaft jcheiterten bisher ihre meisten Verſuche, in China mit den Engländern zu.concmriren. Die Engländer fchidlen gute Probewaaren, der Chineſe fieht ſie, ſie gefallen ihm, und er beftellt jahrans jahren Tauſende von Ballen, ohne fie beim Kauf auch nur anzuſehen. Er ſchaut nur, ob die richtige Marke darauf ift, dann weiß er, daß auch bie barin enthaltene Waare gut ift. Darin, liegt das Geheimniß der commerziellen Uebermacht Englands. Die Engländer find, mögen fie und in vielen: Dingen ‚auch nicht. zufagen, im Handel reell, das weiß jeder, ver mit ihnen zu thun hat, und darum fauft jeder von ihnen lieber, wenn ‚er auch theurer bezahlen muß; er be⸗ kommt bach etwas Gutes für fein Geld. Will man in Deutſch⸗ land ſelbſt ſich mit Schund begnügen, fo folkte man doch dafür forgen, daß nur gute ober wenigftens probemäßige Waaren ind Ausland. verfaudt werben; beun barüber hört man ſtets Magen, daß nicht probemäßig geliefert wird. Ent—⸗ weder ift das Fabrikat fchlechter oder die Dimenficnen find nicht die beftimmten. Man glaubt vielleicht nicht, welcher enorme Schaden dem gefammten Vaterlande burch die Ge- wiffenlofigfeit mancher Exrporteure erwächft, aber e8 gehen viele Millionen dadurch verloren. Man erfährt fo etwas nur im Auslande, und es kann baher den betreffenden Behörden nicht

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bringend genug ans Herz gelegt werben, daß fie dad Yhrige thun, um Deutſchlands Inbuftrie vor dem Miscrebit. zu be- wahren, dem fie mit fehnellen Schritten zueil. Wenn viel- Teicht auch eine Controle in dieſer Beziehung unmöglich ift, fo haben die Hanvelsfammern und fonftige commerzielle Körperfchaften gewiß Mittel an der Hand, um bem Uebel entgegenzuarbeiten.

Unter den vielen beutfchen Schiffen, welche bie Rüften bon China befahren und eine Yohnende Beihäftigung finden, find leider preußifche am wenigiten vertreten; "während Hamburg ein Eontingent von einigen 90 ftellt, und Bremen, Oldenburg, Hannover und Mecklenburg über 100 Schiffe Hier draußen haben, fanden wir in der ganzen Zeit unfers Aufenthalts nur drei bis vier Preußen. Und doch kann ven preußifchen

Rhedern nicht genug empfohlen werben, ihre Schiffe bier herauszufchiden, da, wie ich ſchon erwähnte, die Deutichen bei den Chinefen in fo gutem Credit ftehen, daß fie ftets Frachten finden, und nicht allein fehr gut, ſondern beſſer be⸗ zahlt werden als alle andern Nationen.

Die großen Seedſchonken, welche früher den chineſifchen Küſtenhandel vermittelten, luden 5— 6000 Pikul, nach unſerer Rechnung 250 300 Tonnen, und die chineſiſchen Kaufleute haben fich ſeit nndenflicher Zeit fo an dieſe Maße gewöhnt, daß fie nur Schiffe mit der erwähnten Tragfähigkeit beftachten. Europäifche Fahrzeuge von dieſer Tonnenzahl finden ftets Be⸗ Thäftigung, wenn ihre Tiefgang nicht 10— 11 Fuß’ überfteigt, um in alle Heinen Hafenpläge einlaufen zu können. Briggs oder breimaftige Schooner find für dieſe Küften die bequemften und vortheilhafteften Schiffe und bezahlen ſich amı beften. Ein ſolches Fahrzeng von 250 —300 Tonnen Gehalt, das ein Anlagefapital von 25— 30000 Thalern mit voller Aus⸗ rüftung für zwei Jahre erfordert, Kann im Durchfchnitt ftets auf eine jährliche Fracht von 12—15000 Dollars oder 18—

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22000 Thaler rechnen. Faft alle deutsche Schiffe in China fahren in Monats⸗Charter, und zwar zum großen Theile für chinefifche Kaufleute das ganze Jahr hindurch. “Diefelbe be- trägt im Durcchfchnitt für Schiffe non 300 Tonnen 1300 Dol- lars oder 2000 Thaler. Die jährlichen Unterhaltungskoften, einschließlich Affecuranz, Hafen-, Rootfengelver u. |. w., belaufen fi auf 1012000 Thaler, ſodaß auf 12-—15000 Thaler reinen Ueberſchuß, alje auf 50 Procent des Anlagekapitals gerechnet werben-barf. Sch habe hierbei nur bie gewöhnlichen Frachten in Betracht gezogen und das Maximum ber Unfoften angenommen, um zu zeigen, worauf Rheder, bie hier Schiffe herausſchicken, mit Beftimmtheit rechnen können; es Tommen jeboch auch Zeiten, und bie lebten brei Jahre maren fait burchgängig folche, wo Schiffe von 300 Tonnen fi in einem Jahre frei verdient und 25—30000 Dollars Fracht gemacht haben.

Nach dem Abſchluß unfers Vertrages begab fih Graf Eulenburg mit dem Gefanbtfchaftsperfonal auf vier Wochen nach Peking, um, einer Einladung ‘des franzöfifchen Gefandten zufolge, fich dort von dem in Tientfin geführten triften Leben zu erholen. Die Arkona blieb während biefer ‚Zeit vor dem Peiho, und wir blieben in Chefu.

Am 14. October traf die Arkona mit der Geſandtſchaft in Chefu ein, um nah Nangafafi zu gehen, wo Graf Eu- lenburg noch einige Wochen verweilen wollte, ebe er fich über Hongkong nah Siam begab, da er mit NRüdficht auf Das Klima erft Anfang December in Bangkok anzulangen beabfichtigte. Uns hinderten einige Meine Reparaturen, ver Arkona fo- gleich zu folgen, und wir erhielten deshalb Orbre, Direct nach Hongkong zu fegeln, wohin wir am 16. October abgingen. Auf der Strede von Chefu nach Cap Schantung, circa 18 Meilen, hatten wir ſtets mit Winbftillen zu kämpfen und gebrauchten dazu nicht weniger als brei Tage. So unange-

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nehm ung dies anfangs war, eriwies es ſich fpäter als ein großes Glück, indem wir baburch verhindert wurben, in einen Teufun zu laufen, ber am 19, Dectober mit furchtbarer Wuth 100 Meilen fürlih von Cap Schantung wiltbete, und in dem nicht weniger als fünf deutſche Schiffe total verloren gingen. Am 25. October trafen wir in Hongkong ein, und am 11. November Iangte auch die Arlona mit Graf Eulen- burg dort an.

Die Aufnahme des Geſandten von feiten ver beuifchen Kaufleute in Honglong war eine ungemein ehrende und glän- zende, und wenn man fie als SKriterium für die Leiftungen des Grafen betrachtet, wie man es barf, jo wird ber Werth des Vertrags, der die Deutſchen jett in China den meijtbe- günftigtften Nationen gleichftellt, von biefen in feiner ganzen Bedeutung gefchätt und aufgefaßt. Die Sejtlichleiten nahmen fein Ende, und mit Verwunberung fahen die Engländer in Hongkong zum eriten mal, daß die Deuffchen als folche auf- traten und fich als zu eimer großen Nation gehörig betrach⸗ teten. Außer den vorübergehenden Ehrenbezeigungen fuchten die Kaufleute dem Grafen Eulenburg auch auf andere Weife ihren Dank für feine ausdauernde Gefchielichkeit beim Ab⸗ ſchluß des Vertrags barzubringen, indem fie ihm als Aner- fennung für feine Verdienſte einen filbernen. Tafelaufſatz im Wertbe von 3000 Thalern überreichten. Daß es aber feiner Um⸗ fiht und Beharrlichkeit gelungen ift, den Tractat auch auf pie Hanfeftänte und Mecklenburg auszudehnen, bat nicht wenig dazu ‚beigetxagen, die Dentichen in China, von denen minde⸗ ſtens ?/, Nichtpreußen find, ſehr für Die preußifche Regierung einzunehmen. Während noch vor einem Jahre die Expedition mit Mistrauen betrachtet wurde, indem man ihr ſpecifiſch preußiſche Zwecke unterfegte, und dies Gefühl, wenn auch un« gerechtfertigt, durch den einfeitigen Vertrag mit Japan nicht gemildert war, hat der chineftfche Vertrag fo Har die deutſche

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Geſinnung und Uneigennügigfeit der preußiſchen Regierung ger zeigt, daß alle Vorurtheile geſchwunden find, und man jet auch in China.auf Preußen als auf eine Macht blickt, welche berufen iſt, Deutichland nach außen zu vertreten. Ebeuſo angenehm wurde ed empfunden, daß ver Vertrag bereits am 1. Juni 1862 in Kraft treten follte, da man leicht Kegreifen wird, wie willlommen e8 ben Deutfchen fein mußte, fo bald mit Englänbern, Franzoſen und Ruſſen auf gleichen Fuß zu fommen unb in gleiche Rechte zu treten, während fie bis⸗ ber nur geduldet waren. Es bleibt immer. ehrenvoll für unfere. Kaufleute und zeugt- von ber innern Kraft der .veut- ſchen Nation, daß es ihnen troß fo vieler Schwierigkeiten gelungen ift, fi in einem Zeitraume von faum zwanzig Jah⸗ ren zu einer fo bebeutenden Stellung emporzuarbeiten, wie fie bieje anerfannt in China einnehmen. Wenn ihnen aber ver Mangel eines Tractats eine Schranke. z0g, die fie nicht wohl überwinden fonnten, fo fteht ihnen jett das Feld offen, und mit nur einiger Unterftügung vom Baterlande kann es nicht lange dauern, daß fie den Kampf um die commerzielle Ober- herrfchaft mit den Englänvern beginnen, ber einzigen. Nation, der wir in China noch nachitehen. Sn welcher rüdhaltsiofen Weife man bie uneigennügigen Abfichten Preußens anerfannte, geht am deutlichften aus ber Thatfache hervor, dag man fich bereits volfftändig mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, fortan den preußifchen Geſandten in China als den biploma- tifchen Vertreter ganz Deutfchlands anzufehen, und ebenjo fand man es natürlich, daß dann auch ſämmtliche Conſuln der Fleinern deutſchen Staaten in den chineftfchen Häfen ihre Flaggen ein- ziehen und fich alle Deutfche unter den Schuß der preußifchen begeben würden.

Abgeſehen von allem andern zeugt e8 wenigftens von einem praftiichen Sinn ver Deutſchen in China, daß fie fich freimilfig unter Preußen als unter die einzige deutſche Macht ftellen

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"wollen, von ber fie im Falle ver Noth wirklich Schuk und Hülfe erwarten können. Kommt man in einen ausländifchen Hafen, da fieht man alle möglichen Flaggen auf ven beutfchen Eonfulaten wehen. Das macht fich unftreitig recht hübſch, aber bas ift auch leider alles, was man davon fagen kann. Bei eiviliſtrten Nationen mag eine foldhe Flagge immerhin etwas zu bedeuten haben, und ein Conful, mag er Hannover ober Oldenburg angehören, bleibt dort immer eine Perfon, beren gerechtfertigte Vorſtellungen man in Rückſicht auf internationale Höflichkeit wenigſtens nicht ignorirt. Hier in. China aber hatte por dem Vertrage ein beutfcher Conſul geradezu weiter Fein Recht als das, auf jenem Haufe oder Hofe feine Flagge auf- zuhiſſen. Handelte es fich um irgendeine Differenz mit ber hinefifchen Regierung, ja wollte ein deutfcher Conſul auch nur 3.2. einen Matrofen beftrafen, der fich unter feiner Ylagge eines Vergehens ſchuldig gemacht, fo war er gezwungen, Hülfe und Schub bei Engländern und Franzojen zu fuchen und fich außerdem noch demüthigenden over verlegenden Bemerkungen von ſeiten dieſer ansfeßen.

Das ganze deutſche Conſulatsweſen war alſo bei Licht beſehen eine Lächerlichkeit und Spielerei, ohne den geringſten Nutzen für den Handel, um deſſentwillen es doch eigentlich nur beſteht. Dies einzuſehen ſind die Deutſchen in China ver⸗ nünftig genug geweſen, und ſie ſind zu gute Kaufleute, um zu verkennen, daß ſie als Angehörige eines großen mächtigen Staats ganz anders daſtehen wie als geduldete ſchutz⸗ und rechtloſe Unterthanen eines Heinen Fürſtenthums.

Hierbei iſt jedoch eine conditio sine qua non. An bie Reſidenz eines preufßifchen Diplomaten muß fich gleichzeitig die Stationirung eines preufßifchen Geſchwaders in ben chi⸗ nefiſchen Gewäffern fnüpfen, ja dies ift der chinefifchen Regie⸗ rung gegenüber fogar bedingt. in Gefanbter ober Conſul ohne KRamonen Hat in China ziemlich dieſelbe Bedeutung

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wie in Haiti, und das Erfcheinen von Kriegsichiffen in irgend⸗ einem chinefifchen Hufen, wo ein Streitfall entftanden, ift ein Argument, deſſen praftifcher Werth von den Manparinen nie unterfchägt wird. Bon der Nothwenbigfeit einer phyſiſchen Macht Hier draußen muß jeder überzeugt fein, der bie Ber- hältniffe in China kennen gelernt, und jeden Augenblid bieten fih ſchlagende Beweiſe dafür. Während unferer letzten An⸗ wejenheit in Hongkong ereignete fich ein ſolcher Vorfall, ven ih als Illuftration bier anführen will. In dem von mir erwähnten Zeufun am 19. October jtrandeten unter andern an der formofanifchen Küfte ein englifches und ein medlen- burger Schiff, Graf Arthur Bernſtorff. Beide Schiffe hätten noch gerettet, oder wenigftens ein großer Theil ihrer Ladung und ihres Inventars hätte geborgen werben können, wenn ihnen von den Landesbewohnern Hülfe geworben wäre. Statt deſſen beraubten dieſe die Schiffe, und was von den Mann- Ichaften nicht feinen Tod in ven Wellen gefunden, wurde von ben Piraten ermordet. Von beiden Schiffen entlamen nur fünf Mann und Tangten nach vielen Fährlichfeiten in Hong- kong an. Sobald ver englifche nautifche Stationschef Die Nach- richt erhielt, beorberte er fofort prei Ranonenboote nach dem Orte des Verbrechens, da große Schiffe in die flachen for- mojanifchen Häfen nicht hineinkönnen. Die Kanonenboote liefen bis nahe unter die Piratendörfer, bombarpirten und nahmen fie, machten ihre Mandarine zu Gefangenen unb zwangen fie nicht nur zur Herausgabe des geraubten Gutes, fondern auch zur Bezahlung von 30000 Dollars Entſchädi⸗ gung. Diefe ſummariſche Yuftiz ift die einzig vichtige und nothwendige in Ländern wie Formofa, die nominell unter chineſiſcher Herrſchaft ftehen,; aber aus der Piraterie ein Ge- Ihäft machen. Sie ift das wirffamfte Mittel, um ben bor- tigen Seeränbern Achtung vor den europäiſchen Flaggen ein- zuflößen und ihrem gefeßlofen Treiben ein Ziel zu feßen

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während den Beraubten gleichzeitig zu ihrem Rechte geholfen wird. Die Umgegend von Formoſa, bie von Hunderten deut⸗ iher Schiffe befahren wird, iſt die gefährlichite Gegend des chinefifchen Meeres, weil fie beim Wechfel des Monſuns regelmäßig von Zeufunen heimgefucht wird, in benen faft immer Schiffe verloren geben. Im Iahre 1861 fcheiterten fieben deutfche Fahrzeuge an den Küften ver Infel, aber nie- mand fümmerte fih um ihr Schidjal, niemand forberte von den Piraten Rechenfchaft für die ermordeten und in Sklaverei gehaltenen Mannichaften oder Herausgabe des Raubes. Während die englifchen Eigenthümer ihre Verlufte erſetzt er- halten, müſſen bie veutfchen Rheder die ihrigen verfchmerzen. Selbft wenn der preußifche Geſchwadercommandant geneigt oder autorifirt gewejen wäre, in dem erwähnten Falle mit dem medlenburger Schiff das Verfahren Englands zu adop⸗ tiven, würbe ev nicht im Stande dazu gewefen fein. Unfere Schiffe waren zu groß und konnten nicht in die formofani« jhen Häfen einlaufen, die nur 8—10 Fuß Tiefe haben. Daffelbe gilt von vielen Heinern Häfen an ber chineftjchen Küfte, wo überall noch gewerbmäßige Piraterie getrieben wird, und es iſt daher bringend erforverlich, daß neben ein ober zwei größern Schiffen einige größere Kanonenboote hier ihre Station erhalten, die preußifche Flagge befannt machen und in Fällen wie der obenerwähnte ſofort Juſtiz üben können.

. Bei dem Brande der europäischen Wactoreien in Canton im Jahre 1857 wurden auch die Lager und das Kigenthum von vier deutſchen Häufern zerftört. Engländer und Franzo⸗ fen befamen Ende 1861 eine Entſchädigung für ihre Verlufte, und zwar mit dem hier üblichen Zinfenfat von 12 Procent für die verfloffenen vier Jahre. Wer entſchädigt die Deut- hen? Was gibt Engländern und Franzoſen im Auslande das große Selbitvertrauen und ben von uns beneideten Na-

tionaljtolz anders als das Bewußtſein: Dir darf kein Unrecht Werner. 11. 15

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gefchehen, und bu haft bein Land Hinter dir! Laßt die Deut- chen dies Bewußtjein haben,- und wir werden bald jehen, daß fie ihre Köpfe ebenfo hoch tragen wie bie Engländer.

Dazu gehört aber eine Flotte und hier in China fpeciell eine permanente Station von Kriegsfchiffen. Ohne ein folches Geſchwader, das überall Refpect vor ben beutjchen Flaggen einflößt, ift der Vertrag eine Illuſion, während er andererjeits das Mittel fein wird, unſerm Handel zu einer ungeahnten Entwidelung zu verhelfen. Wo es fich um fo große Intereffen handelt, wie fie allein in der deutſchen Rhederei an den chi⸗ nefifchen Küften vertreten find, faun der Koftenpunft nicht in Betracht fommen und gewiß würden Hamburg und Bremen, die allein über hundert Schiffe bier befchäftigen, bereitwillig ihre Quote dazu geben. Ueberdies find bie Koften auch gar nicht fo beträchtlich. Die Unterhaltung eines ausreichenden Geſchwaders erfordert jährlich Taum 250000 Thaler, denn da Preußen das Necht befit, feinen Kohlenvorrath aus Japan zu entnehmen, wo die Kohlen nicht mehr als in England ſelbſt koſten, jo fällt der Hauptpunft fort, ber Dampfichiffe hier draußen fo vertheuert, weil fie für die Tonne englifcher Kohlen 20—25 Thaler bezahlen müffen.

Was find aber 250000 Thaler gegen die vielen Millionen deutſchen Kapitals, die jegt unbeſchützt in ben chinefifchen Meeren umberfchwimmen? Wie verfehiwindend erfcheinen fie gegen den Nutzen, ven fie indirect ftiften, wenn unfer Handel fih Hier ungeftört entwideln kann? Würde es nicht Hun⸗ berte von Millionen aufwiegen, wenn Deutfchland im Laufe ver . Jahre die erite Handelsmacht in Oftafien wird wie fi gar nicht bezweifeln läßt, wenn die Sache richtig gehanphabt und namentlich von ben heimifchen Negierungen gefördert wird? Eine Marine koſtet Geld, fo viel, daß das ökonomiſche Deutſchland fich mit der Höhe des Betrages eine Zeit lang nur ſchwer wird ausfähnen können, aber ohne Marine gebe

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man alle Gevanfen an Großmacht und Theilnahme am Welt- handel auf. In China wird uns eine Marine dazu verhelfen, bie erfte Rolle zu fpielen, und dann find ihre Koften ein an⸗ gelegtes Kapital, das unerhörte Zinfen abwirftl. Weshalb fprigen die englifchen Blätter den Geifer ihrer Beleidigungen auf das fich in Deutfchland fund gebende Beſtreben zur Schafr fung einer Marine? Es tft nicht die Furcht, daß Deutfchland

England zur See befriege, fondern die wohlbewußte und wohl⸗

begründete Beforgniß, daß wir ihm fein Handelsmenopol entreißen - oder wenigftens mit ihın darum ringen. ‘Der chi- neſiſche Handel ift für England ber einträglichfte, ben es befißt, und wir verlegen e8 auf das empfinblichite, wenn wir bier als Concurrenten auftreten und, nachdem wir bereitd bie ganze Küftenfchifffahrt an uns geriffen, mit Energie auch hier unfern Theil am Welthandel fordern was wir mit einer Marine leicht vermögen, ohne eine folche nicht im Stande find!

Am 24. November ging Graf Eulenburg nad Kanton,

um dem PVicefönig feine Aufwartung zu machen, und Tehrte am 27. November zurück. Am 30. November fegelten wir mit der Elbe nah Siam und die Arkona mit der Gefanbt- ihaft am 4. December über Macao ebenfalls dahin. Unfere Reife war bis zum Golf von Siam eine äußerſt günftige, fie dauerte nur fünf Tage; im Golf felbft aber trafen wir Wind⸗ ftille und Gegenwinde, ſodaß wir erſt am 11. December auf der Rhede von Bangkok zu Anfer kamen. Die Yahrt felbit bot nichts Bemerkenswerthes dar, als daß der Golf ven Siam von Seefchlangen wahrhaft wimmelte. Wir fahen Taufende und Taufenvde beim Schiff vorbeifchwimmen und untertauchen, fobald das Geräufch des Segelns fie aus ihrer Ruhe ftörte.

Trotzdem gelang es uns, 13 zu fiſchen, indem wir fie durch.

einen Schuß Pulver mit Sandladung betäubten und fie dann mit einem Netze fingen. Wir befamen ſechs verſchiedene Ar⸗ ten; die größte maß jeboch nur vier Fuß.

15 *

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Am 15. December traf auch die Arkona vor Bangkok ein; bie Thetis war bereits feit drei Wochen hier und mithin das Geſchwader feit langer Zeit einmal wieder beifammen. Die Thetis hatte eine höchſt angenehme und intereffante Reife ge- macht, während wir uns in dem fchredlichen Chefu und auf der Rhede von Tientjin fast ſechs Monate lang bis zur Ver⸗ zweiflung gelangweilt hatten. Sie war in Manila, Mindanao, Banjermaffing, Macaffar, Paſſuruan, Surabaha, Sama- rang, Batavia und Singapore gewefen und wir beneibeten fie nicht wenig um biefe Zour nach ven fchönften Plätzen in ganz Indien.

Am 21. December fähiffte fich Graf Eulenburg auf einem ſiameſiſchen Dampfboote, einer im Lande felbft erbauten Yacht bes Premierminifters, nach Bangkok ein, und die Vertrags. verhandlungen nahmen ihren Anfang.

32,

. Das Königreih Siam, feine Länder, fein Waſſerſyſtem. Gefchichte bes

Landes. Der Mainamfluß. Die finmeflfchen Feſtungen. Die Stabt

Bangkok. Bauart ber Häufer und Aermlichkeit ihrer Einrichtung. Eine

Dame von Stande. Die Bubbhatempel, ihre Architektonik, ihre Pracht,

ihre Göten. Leben und Treiben ber fiamefifchen Prieſterſchaft. Der

Zobtenbienft und die Leichenverbrennung. Das Tobtenfeld der Armen. Unterrit und Volksbildung.

Wir mit der Elbe blieben nur 14 Jage in Siam. Ich benußte biefe Zeit zu einer Reife nach Bangkok, und fie ge- nügte, um alles Wiffenswerthe zu erfahren, alles Merkwür⸗ bige in der Stadt und Umgegenb zu fehen und bamit nicht allein ein klares Bild der Stadt und ihrer Bewohner zu ge- winnen, fondern auch des ganzen Landes und Volle, da in der Hauptftabt fi das ganze Siam concentrirt und wider⸗ ſpiegelt.

Das Königreich Siam befteht aus drei größern Reichen, bem eigentlichen Siam, beffen alter Name Thai war, aus dem Laos und der Kambodſcha, welche beiden letztern erit in den legten Sahrhunderten unter die Botmäßigfeit von Siam famen. Siam begrenzt ven nörblichen, Laos und Kambodſcha den öftlichen Theil des Golfs von Siam, während die Halb- infel Malalka vie weitliche Küfte vefjelben bilde. Malakka ift unter eine große Zahl von Fürſten vertheilt, über bie ber König von Siam ebenfalls eine wenn auch nur ſehr zweifel- hafte Autorität beanſprucht. Die Grenzen bes ganzen Reiche

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erftreden fi vom 4. bis 21.0 nördlicher Breite und vom 96. bis 102.0 Bftlicher Länge von Greenwih. Es zerfällt in 41 Provinzen, deren jede unter der Herrichaft eines Radſchah jtebt, die namentlich im Laos und der Kambodſcha ziemlich. jelbjtändig regieren und häufig mit ihrem Lehnsherrn im offen Kampfe liegen. Der alte Name von Siam, Muang Thai, das Königreich der Freien, paßt nicht recht zu feiner frühern Situation. Es war nämlich ein Zributarreih von China, und feine Könige erhalten noch jeßt ihre Beftätigung von ihrem „ältern Bruder’ in Beling, wenngleich dies eine’ leere Form ift, da China weder die Macht bat, den längft nicht mehr bezahlten Tribut zu erheben, noch vie Beftätigung gu verweigern. | Die Geſchichte des Landes: ift fehr unklar und für Euro- päer von wenig Intereffe. In den Jahren 1662—80 kam es durch einen griechifchen Abenteurer einmal mit Frankreich in Berührung. Diefe Verbindung nahm jedoch fehr bald ein tragifches Ende, und feitvem ift e8 bis vor 30 Jahren den Eu- ropäern ziemlich vwerjchloffen und unbekannt gewejen. Jener Abenteurer bie Taucon, war von Candia gebürtig und auf irgendeine Weife nah Siam xerjchlagen, wo es ihm gelang, fih zum Vertrauten und Premierminifter des Königs aufzu- Ihwingen und baburch eine beveutende Macht zu erlangen. An diefe knüpfte er die hochfliegendſten Pläne, beabfichtigte ſogar felbjt ven Thron zu befteigen und Siam zu einem Va⸗ fallenreich von Frankreich zu machen. Auf feine Veranlaffung wurde eine fiamefiiche Gefandtichaft nach Paris gejchidt, und Ludwig XIV. ging auch mit großem Vergnügen auf Faucon's Ideen ein, verbarb aber durch einen zu großen religiöfen Eifer alles. Er fandte Schiffe, Handwerker, Künftler, Sol- baten und Priefter, um das Land nicht allein zu franzöfiren, jondern auch fofort chriftlih zu machen. Anfänglich nahmen bie Siamejen die Fremden fehr wohl auf, und ver franzöfifche

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Einfluß begann fchnell Fuß zu fallen, folange Faucon bie religiöfen Beftrebungen der Iefuiten mäßigte. Ludwig XIV. war jedoch mit ber langfamen Belehrung ſehr unzufrieden und forderte peremtorifsh vom Könige, daß er fich taufen laſſen folle, widrigenfalls er firenge Maßregeln in Ausficht ftellte, Gleichzeitig wurde ber König krank, und Faucon fuchte ihn mit Hülfe eines natürlichen Sohnes veffelben vom Throne zu ftoßen. ‘Dies gelang nicht, obwol der König wenige Tage nach Entvedung des Complots ftarb. Den Siamefen gingen die Augen über die franzöfifchen Pläne auf; Faucon wurbe als Landesverräther hingerichtet und bie Franzofen aus dem Lande gejagt oder gleichfalls ermorvet. So endete biefer Verſuch, der mit erforberlicher Klugheit und Vorficht vielleicht in wenigen Jahren eins ver fchönften Länder Afiens unter Frankreichs Botmäßigfeit hätte bringen können. Es begann nun eine antieuropäifche Reaction. Seit diefer Zeit hörte man aus Siam von weiter nichts als von feinen äußerſt blutigen und graufamen Kämpfen mit Birma und Cochinchina, von welch letterm Das Laos und die Kambodſcha unter fiamefifche Herrichaft kamen. Erſt feit 1820 wurde, und zwar burch bie Portugiefen von Macao aus, eine neue Verbindung mit Siam feitens der Europäer angelnüpft und in Bangkok ein portu- gieſiſches Conſulat gegründet, obwol dieſe Verbinpung bis 1851 immer noch fehr loſe und pürftig blieb.

Die Siamefen haben zwei Zeitrechnungen. Die eine da⸗ tirt vom Tode des Buddha und zählte am 24. April 1862 2054 Jahre, wird jevoch lediglich in religidfen Dingen an⸗ gewandt; fje beißt Puhtan Saffarat, bie buddhiſtiſche Zeit- rechnung. Die Aera in weltlichen Dingen zählt von ber Zeit, wo Bhra Ruang, ein ſiameſiſcher Herricher, fie aufſtellte, und bies find am 12. Mai 1862 1223 Jahre geworben; fie heißt Tſchulah Saffarat, die Heine Zeitrechnung. Phra Ruang iſt die erfte biftorisch beftimmte Figur Siams; er

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regierte um das Yahr 638 n. Ehr., war kriegeriſch, fegelte mit einer Flotte nach Ehina, führte Krieg mit dieſem Lande, und der Kaiſer mußte ihm feine Tochter zue Frau geben. Unter ibm nahmen die Siamefen ven Namen Thai an.

Das fiamefifche Jahr befteht aus 12 Mondperioden ‚von abwechfelnd 28 und 29 Tagen. &8 wird daher jedes britte Jahr der achte Monat als Schaltmonat verboppelt. Die Donate werden nur nach Zahlen bezeichnet, und December ift der erite. Man rechnet nach zwei Chflen, einem großen und einem Heinen; der letztere zählt 12 Jahre, die mit Thier- namen belegt find. Das erite Jahr ift das der Ratte, bas lette das des Schweind, und biefe Bezeichnungen find aus dem chinefiichen Thierfreife entnommen. Der große Cyklus enthält 60 Iahre oder fünf Cyklen.

- Bon der Zeit Phra Ruang's bis zur Gründung ber alten Hauptſtadt des Landes Ayuthia im Jahre 1320 n. Ch., alſo über 600 Iahre lang, ſchweigen fogar die fiameftfchen Landes⸗ chroniken, und man weiß abjolut nichts über das Land. Von biefem Zeitpunfte an bis jeßt haben vier verfchievene Dyna⸗ ftien und 39 Könige regiert. Von dieſen warb faft die Häffte ermordet, und ber Dinaftienwechfel wurbe ftetS durch Ufur- patoren veranlaßt.

Die gegenwärtige Dynaſtie batirt vom Jahre 1782 n. Chr., wo der Premierminifter Phra Puti Kaoh Luang den wahn- finnigen König Phaja Taf binrichten Tieß und ſich zum Herr- ſcher machte. Der jetige Herrfcher ift der vierte ſeitdem und ber Enkel jenes Premierminifterse. Er folgte feinem verftor- benen Bruder im Jahre 1851, obwol er ſchon feit 1826, d. h. jeit dem Tode feines Vaters, Hätte zur Regierung kommen . mäffen, ba er ber Tegitime Nachfolger, fein Bruber aber ein uneheliches Kind war. Diefer bemächtigte fich jedoch bes Throns, und ber gegenwärtige König flüchtete bis zu beffen Tode in ein Buddhakloſter. Er ift ein Mann von 56 Yab-

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ren, and fein voller Name lautet: Prabat Sombet, Phra Paramender Maha Mongkut, ven er jedoch bei feinen Unter- fchriften gewöhnlich in Mongkut abkürzt.

Die alte Hauptſtadt Ayuthia, früher berühmt wegen ihrer Paläſte und Tempel, lag 10 Meilen nörblic von Bangkok. Sie wurde im Jahre 1766 in einem Kriege mit den Bir- manen von diefen genommen, in Afche gelegt und gänzlich zerftört. Der König kam auf ver Flucht im Elend in ben Wäldern um. Der erwähnte Phaja Tat, Sohn eines Chi- nefen und einer Siameſin, 309 fih mit taufend tapfern Sol⸗ baten in die Gebirge zurüd, Yimpfte von dort Aus überall flegreich gegen bie Birmanen, vernichtete fie ſchließlich, eroberte die Kambodſcha und einen Theil Cochinchinas ſowie ganz Siam wieder und machte fich zum König. Er gründete 1768 Bangkok und machte es zu feiner Refidenz. Er fcheint mit Kraft regiert zu haben, wurde jedoch den Großen des Landes unbequem; biefe brachten ibm Gift bei, infolge deffen er wahnfinnig wurde, fih für Buddha hielt und Opfer vom Bolt verlangte. Es brach ein Aufftand aus, und bei dieſer ‚Gelegenheit ließ der Gründer ver gegenwärtigen Dynaſtie ihn unter dem Vorwande binrichten, daß fein Leben die Ruhe des Reiches bedrohe. Ayuthia wurde nicht wieber aufgebaut; nur wenige Hütten und ein Töniglicher Palaft, freilich nur aus Holz und Bambus gebaut, befinden fich dort, und ber König unternimmt alljährlich aus Bietät eine Reiſe dahin.

Bangkok Tiegt am Fluffe Mainam, Mutter der Gemäffer, wie bie beutfche Weberfegung lautet, an dem auch Ayuthia lag, acht deutſche Meilen von der nördlichen Küfte des Golfs und zehn vom Ankerplatz ver Schiffe. Eine Barre vor dem Fluſſe mit nur vierzehn Fuß Waſſer bei Springflut zwingt die Schiffe, über zwei Meilen von ber Küfte entfernt zu bleiben, uud man ſieht daher von der Rhede aus faum vie ſchwachen Linien der am Horizont abgezeichneten niebrigen

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Küſte. Nur an der Oft: und Weftfeite des Golfs im Laos und auf Malakka erheben fich Gebirgsfetten, die Fortfegungen ber beiven faſt parallel von Nord nach Sid laufenden Höhen- züge, welche die große fiamefifche Alluvialebene einfchließen. Diefes ausgedehnte Flachland wird von vier großen Strö- men durchjchnitten, dem Bangpakong, Mainam, Jachin und Meklong. Der Bangpafong ift ver öſtlichſte und ver Meklong ber weſtlichſte. Ihr Lauf ift faft Nord und Süd; fie mün- den ſämmtlich an der Nordküſte des Golfs in faft gleichen Abftänden von zehn deutſchen Meilen, und bie drei erftern find durch Kanäle miteinander verbunden. Der Mainam beherricht das größte Flußgebiet und ihm zunächſt kommt der Meflong; jedoch tft ver Meklong nicht hinlänglich genau unterfucht, um zu fagen, ob er für das Land in Bezug auf Handel und Schiffahrt ebenfo bedeutend werben Tann wie der Mainam. Diefer legtere ift einer der prachtvollſten Flüſſe ver Welt. Sein Lauf beträgt 200 veutfche Meilen, und er entfpringt auf ven Gebirgen von Yu⸗nan in China. Bon Bangkok bis zum Seegeftabe ift feine Breite ziemlich gleich» mäßig 12—1500 Schritt, ebenfo feine Tiefe, die bis unmit- telbar an beide Ufer 36—42 Fuß beträgt, und feine Untiefe oder Sandbank ftört die Fahrt auf ihm, ſodaß man oft das merkwürdige Schaufpiel hat, die Schiffe beim Hinauffreuzen . mit dem Klüverbaum die Zweige der bie Ufer befränzenden Büfche berühren oder ihre Maften und Raaen vie Kronen ber die Geſtade überhängenden Kofospalmen ftreifen zu fehen. Diefe Tiefe ſoll ſich noch 30—40 Meilen weit oberhalb Bang» kok erftreden, wenngleich die Thatjache noch nicht durch com⸗ petente Forfchungen feitgeftellt if. Immerhin bleibt aber ber Mainam für Siam von unberechenbarer Wichtigkeit. Etwas Kanalifirung würde alle vier Flußgebiete miteinander ver- binden und ganz Siam mit einem Net von Strömen über- fpannen, das in Ermangelung anderer Communicationsivege,

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welche die Natur bes fumpfigen Bodens nicht zuläßt, diefe in reihem Maße erfegen und die Producte des Innern auf bie ſchnellſte und billigfte Weife zum Meere führen könnte.

Der Mainam ift aber nicht nur in Bezug auf Handel und Verkehr von Wichtigkeit, fondern für das Land felbft vie Duelle feiner Fruchtbarkeit und feines Bodenreichthums. Wie der Nil Aegypten mit feinem Schlamme fegnet, fo überflutet auch alljährlich der Mainam feine Ufer und bleibt in einer Höbe, die fein gewöhnliches Niveau öfter um ſechs Fuß über- fteigt, bis zum November, wo er zu fallen beginnt und in vierzehn Tagen feinen alten Stand erreiht. Das Haupt probuct des Landes ijt der Reis, der befanntlich monatelang unter Waſſer ftehben muß, bis die Aehren anfangen gelb zu werben. In China und andern Neisländern werben biefe Ueberfchwenmungen künſtlich durch Wafferleitungen berbeige- führt; Hier jedoch bewirkt fie der Mainam, und wenn einmal die Ueberflutung ausbleibt, fo folgt eine Misernte und damit eine große Salamität für das Land. Bisweilen fteigt ber Fluß jedoch zu einer ſolchen ungewöhnlichen Höhe, daB er großen Schaden anrichtet. Vor 30 Jahren zerjtörte er alle Zuderplantagen, und eine Menge Rindvieh kam dabei um. Wenn man glaubt, daß das Waffer feine größte Höhe erreicht bat, wird eine Anzahl Priefter vom Könige befehligt, dem fernern Steigen Einhalt zu gebieten, eine Ordre, der ber uns geborfame Fluß bisweilen jedoch nicht parirt.

Der Mainam winbet ſich von feiner Mündung bis Bang⸗ kok in verjchievenen großen Krümmungen durch das niedrige Land, und man erhält, wenn man auf ibm zur Stabt hinauf: fährt, fogleih ein Bild des Lanves im Fleinen. Dörfer, Tempel, Wald und Neisfelder, welche die Ufer begrenzen, find die Grundzüge dieſes Bildes; üppiges Grün und ber in ruhi⸗ ger. Majeftät vabinftrömende Mainam die Staffage Der erfte Anblick ift für das Auge wohlthuend und erfreuend, bei

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ben Mangel aller Abwechjelung wirb aber ber Brofpect auf Die Dauer langweilig und ermüdend. Eine endlofe Ebene ohne einen Nuhepunft für das Auge, ohne einen Berg, ohne eine Er⸗ höhung, ift wie eine weite Waflerfläche, ver Bewegung fehlt. Sie imponirt anfangs, aber man wird ihrer bald überbrüßig.

"Zwei Meilen oberhalb der Flußmündung Tiegt Paknam und noch zwei Meilen weiter aufwärts Paket, das eine amt Iinfen, das andere am rechten Ufer, beide mit den Namen Feftungen beehrt. Gegenüber Paknam erhebt fih im Mainam eine Heine Inſel, ein reizendes kleines Parapies, aus deſſen grünender Mitte das ſchneeweiße Dach eines Tempels mit feiner hochftrebenden fchlanfen Spite in die Lüfte emporfteigt. Auch diefe Infel wird. ein Fort genannt, und nach der Anficht bes Königs von Siam foll dies Fort mit Paknam den Fluß bermetifch gegen jeden feindlichen Angriff fehließen. Gott er⸗ halte den König bei biefem naiven Glauben, und mögen bie Franzoſen ihn nicht bald eines andern belehren. Später ſahen wir uns dieſe „Feſtungen“ näher an, aber wir konnten ‚ung eines mitleidigen Lächelns nicht erwehren. Es geht ihnen faft wie allen Producten menfchlicher Kunft und Induſtrie in Siam, mit Ausnahme einiger Tempel: man barf fie nicht in zu großer Nähe betrachten. Die Wälle, Baftionen, Schieß- Iharten, alles fchaut fi) aus der Ferne ganz kunftgerecht an, und die Münbungen ber ultima ratio regum blicken ganz formidabel über das Parapet; allein der Schein iſt auch das Befte daran, und fein europäifches Kanonenboot braucht fich zu fürchten, mitten in das Kreuzfeuer der beiden Batterien zu bampfen und mit beiden zugleich den Kampf aufzunehmen. Es ift Hundert gegen eins zu wetten, baß das Boot fämmtliche Batterien zum Schweigen bringt und ungefährbet feinen Weg nach Bangkok bis unmittelbar vor ven Königlichen Palaft fortſetzt. ALS diefe Feftungen vor 30-40 Jahren gebaut wurden, mö⸗ gen fie gut geweſen fein, jeßt jeboch ift das Mauerwerk zer-

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fallen, in ven Schießicharten ift ein junger Urwald aufgefproßt, die Miünpungen ber Geſchütze haben Schlinggewächje mit zierlichen Feſtons befränzt. ‘Der Roft, -in den feuchten Tro⸗ pen ohnehin gefährlich, hat fein Möglichftes gethan, um bie Kanonen gänzlich unbrauchbar zu machen; bie Bettungen, auf benen fie ftehen, find verfault und bie Räder durch dieſe fuß⸗ tief in den moraftigen Boden eingefunfen. Die Laffetten von fiamefifcher Conſtruction find zwar koloſſal, aber auch ebenfo roh und fchief gearbeitet. Die Hinter ven Gefchügen aufge- ftapelten Kugeln find ebenfo verrojtet wie dieſe, nebenbei noch vom verichienenften Kaliber. Wenn bie Kanonen nicht jchon beim erſten Schuffe fpringen, fo kann doch nach menschlicher Berechnung feine ihrer Kugeln treffen. Die Siamefen fcheinen auch ſelbſt nicht vecht auf biefe Batterien zu bauen, denn unter Schuppen am Stranbe liegen wenigftens 100 Ketten von 90 Klafter Länge und 1 Zoll Stärke, um ben Fluß abzufperren, und wenn biejelben rechtzeitig ausgefpannt wer- den, bürften fie fremde Kriegsfchiffe beifer als die Geſchütze abhalten.

Ye mehr man fi Bangkok nähert, deſto Iebhafter wird der Fluß. Boote, nicht fo plump und unbeholfen gebaut wie die chinefifchen, jondern fein geformt und mit ſchlanken Linien wie die malatifchen Praue, kreuzen fich überall; die Häuſer und Hütten am Ufer werben häufiger, auf dem Mainam jelbft Ichwimmen auf Bambusfloßen einzelne jener Gebäude, aus denen zur Hälfte die Hauptitabt bejteht; hier und bort anbern europäiſche Schiffe, welche bie Flut abwarten, um an bie Stabt. zu fegeln. Am rechten Ufer erhebt fich ganz un- erwartet aus einem Complex von ziegelgededten Steinhäufern ein thurmartiger Schornftein, aus dem eine dichte ſchwarze Rauchſäule emporfteigt und verfünbet, daß der Cinilifator Dampf auch bereits hier feften Fuß gefaßt. Diefe Gebäude, befchattet non Kokos» und andern Palmen, bilden eine Dampf-

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mühle zum Enthülfen des Neis, die amerikaniſche Speculanten mit einem Aufwande von 120000 Thalern bier in der Hoff- nung auf fihern Gewinn errichtet. Sie rentirt jeboch nicht, wie überhaupt Mafchinenarbeit in dieſen aftatifchen Ländern, wo Menfchenarbeit fo billig ift, nur in ganz befondern Fällen rentiren fann.

Etwas weiter hinauf tauchen bie Gebäude ber amerifani- ichen Miffion aus dem fie umgebenden Grün hervor, mit dem ihre fchneeweißen Mauern und rothen Ziegeldächer auf das angenehmite contraftiren, und einige Augenblide fpäter, nachdem man bie letzte leiſe Biegung des Mainam umfchifft, Tiegt Bangkok vor unfern Biden.

Der erjte Eindrud, ven die Stadt vom Mainamfluffe aus macht, ift imponirend. Kine meilenlange Häuferreihe erhebt fih zu beiden Seiten des Fluffes, überragt von Hunderten von Tempeln mit ihren oft 300 Fuß hohen mächtigen Domen und Spiten, vom Töniglichen Balafte, der Aubienzhalle und andern öffentlichen Gebäuden, die wie Rieſen auf die einftödi- gen Bambushütten des Volks herabſchauen. Auf dem Fluſſe ſelbſt ſchwimmt eine zweite Stadt. Soweit das Auge reicht, reiht fich Bloß an Floß, und auf ihnen ruhen bie ſchwimmenden Häufer, die Wohnungen der halben Einwohnerzahl der Stabt. Jedes Floß ift mit Tauringen an Pfählen befeftigt, bie in ben Grund des Fluffes getrieben find, und an benen fich bie Ringe auf⸗ und abſchieben, je nachdem das Waſſer fällt oder fteigt. Diefe Häufer haben die große Annehmlichkeit, daß man damit fehr bequem Reifen auf dem Fluffe machen kann. Die fejfelnden Ringe werden gelöft, und das Haug treibt dahin mit dem Strome, folange e8 dem Eigner beliebt. Sehr bequem ift dies namentlich bei Feuersbrünften, bie wegen bes brennbaren Materials der nur aus Bambus und leichtem Holz erbauten Häuſer ziemlich häufig vorkommen, aber auf dem Waffer felten großen Schaden "anrichten, da bie umlie-

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genden Häufer fich fofort treiben laffen. Bet folchen Belegen heiten fiebt man ganze Straßen fortſchwimmen.

Die Gebäude auf dem feiten Lande find entweder von Stein oder Holz erbaut, eine Combination beider, mit Aus⸗ nahme des Daches, wird nicht angewandt. Alle Tempel, Klö- fter und königlichen Gebäude gehören zur erftern Klaffe, alle übrigen zur zweiten. Jene find gewöhnlich auf natürlichen oder Fünftlichen Erhöhungen von 10—12 Fuß aufgeführt, um

„fie gegen die Ueberſchwemmungen zu ſchützen; die Holzhäufer ruben bagegen fämmtlich zu dieſem Zwecke auf Pfählen und man fteigt zu ihnen daher auf halsbrecherifchen Treppen empor. Das Material der Häufer für die höhern Klaſſen ift Teak—⸗ holz. Diefe Häufer find ziemlich folide gebaut und mit Holz- ſchindeln, bisweilen auch mit dünnen Ziegeln von ber Form unferer Biberfchwänze gedeckt. Die Häufer ber ärmern Klaffe und der Mehrzahl find jedoch aus Bambusflechtwerf und das Dach aus Palmblättern gefertigt. Ein folches Ges bäude hat Feine innern Abtheilungen, und das ganze Mobiliar beftehbt aus einigen Matten zum Schlafen. Diefe gehören ogar noch zum Luxus; oft ſah ich als einziges Möbel nur ein etwas erhöhtes Hürdengeſtell als Schlafftätte. “Die Hänfer der PVornehmen haben gewöhnlich zwei Abthei⸗ lungen, eine für Männer, die andere für Frauen. Die Bauart zeigt Achnlichkeit mit dem maurifchen Stile. In der Mitte des Baues findet fich ein Hofraum, ber öfter einige Blumen in Töpfen enthält und von Galerien umgeben ift. Auch fanden wir bier einige alte Stühle und mit Rohr geflochtene Dänfe, die man uns anbot, während die Hausbewohner ſtets mit untergefchlagenen Beinen auf dem Fußboden fauerten.

Immer aber, wie hoch auch ber Rang der Eigenthümer und wie groß ihr Reichthum fein mag, fehen bie Gebäude irmlich, elend und ſchmuzig aus. Geſtank und Koth fcheinen

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ein nothwendiges Lebenselement für die Siamefen zu fein, und ich habe es faum in den ärmlichiten Bierteln chinefifcher Städte getroffen wie in Bangkok. Eleganz oder Comfort in unferm Sinne Tennen jelbjt die reichften Siamejen nicht, in dem Innern ihrer Häufer ift alles aus vohem Holz gearbeitet und ſehr jelten mit Farbe geftrichen. Ein in Bangkok anfäffiger Dentfcher führte mich zu einer ber angefehenften ‘Damen Bangkoks, der doppelten Schwiegermutter des Premier⸗ minifters, benn biefer hatte zwei ihrer Töchter geheivathet, aber trotzdem, daß die Frau fehr reich war, ſah ihre Wohnung nicht eleganter aus als die eines Zagelöhners bei uns. Ebenſo trug fie felbft weiter nichts als einen Sarong, der von ben Hüften bis an die Knie reichte und ein -über die Brüfte ge⸗ bundenes werjchoffenes gelbjeidenes Tuch, Dabei war fie ſehr häßlich, alt, hatte ſchwarze Zähne und kaute Betel. Einen eigenthämlichen Eindrud machten in biefer höchſt ärmlichen Umgebung eine jehr fchön cifelivte Bronzevaſe, die ven Dienft einer Spuckſchale verfah, und ein prachtvoll gearbeiteter ſchwarz ladirter Koffer mit Silberbefchlag, die beide das einzige Mobiltar der Stube ausmachten. Wir trafen die Dame bei der Anficht einer ſehr reichhaltigen Stereoffopenfammlung, die fie fürzlih von ihrem Schwiegerfohne zum Gefchenfe erhalten hatte, dem fie feinerfeits wol auch gefchenkt worden war; benn die Könige und Großen von Siam laffen ſich von den Euro» päern alles ſchenken und Faufen fehr felten vergleichen Sachen. In deſto größerm Gegenfage mit dieſen ärmlichen, un⸗ faubern und niedrigen Hütten, die fämmtlich einftödig find, ftehen Dagegen die Tempel oder Watts mit ihren zugehörigen Gebäuden, die nicht nur wie Niefen ihre Umgebung überragen, jondern in noch höherm Maße ſich durch Äußere und innere Pracht vor den gewöhnlichen Häufern auszeichnen. Wenn man biefe gewaltigen himmelanftrebenden Bauwerfe, die oft eine Höhe von 300 Fuß und darüber erreichen, in fo großer Zahl vor ſich

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fiebt, deren mit Glas⸗ und Porzellanmofatt belegte Giebel und Kuppeln in ven Strahlen der Sonne erglängen, ale ob fle mit Golpplatten belegt wären, kann man fie anfangs gar nicht zufammtenreimen, weil fie ohne Uebergang fo plöglich aus alle vem Elend und Schnuz umber emportauchen. Wenn Pracht und Glanz der Tempel einen Maßſtab für die Innig- feit des religiöſen Gefühls eines Volks abgeben könnten, fo müßte man die Bewohner von Bangkok für die frömmſten ber Welt halten, denn felbit die prachtvollſten Dome ber Chri⸗ ftenheit, die Monumente des gläubigen Mittelalters, treten ver einzelnen, biefer Buddhatempel in den „Schatten. Allein nirgends herrſcht wol mehr rveligiöfer Imdifferentismus im Bolfe, nirgends ift ein Eultus mehr zu einer bloßen Form zufammengefchrumpft, nirgends find die Träger beffelben, bie Priefter, mehr entartet umd geiftig verfumpft als in Siam. Wie der Buddhismus in China zum Gökenpienft berabge- funfen, fo bat er auch im Gemüthe des Volls von Siam allen Boden verloren und bier wie dort liegt er im Todes⸗ fampfe. Trotz der zahlxeihen Tempel und ihrer Pracht, teoß der Tauſende von Priejtern, die in ihrem Dienfte ftehen, bleiben jene leer und verfchloffen und werden viefe als eine Laft betrachtet, da fie der Sitte und dem Herkommen gemäß vom Volke ernährt werben müfjen und auf deſſen Koften ber Faufheit fröhnen. In Bangkok gibt e8 nicht weniger als 50000 #Briefter und im ganzen Weiche eine halbe Million. Die Siamejen nennen ſie Phra, die Großen, einen Titel, den fie mit den Königen gemein Haben, bei den Europäern heißen fie jeboch Zalapoins nach dem Talapat oder Palın- blattfächer, ven jie nach ihren religidfen Vorſchriften ftete vor dem Geficht Halten follen, um nicht buch Außen- binge von ihrer innerlichen Beichaulichfeit abgezogen zu werben.

Werner. I. 16

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‚Die drei größten und prachtvollitien Tempel Bangkols find der Watt Seffet, der Watt Subat und Watt Nun. Ich habe fie alle drei befucht, fie find einander aber in Bau unb Ausstattung fo ähnlich, daß die Beſchreibung des einen ge- nügt, um dem Lefer einen Begriff von allen zu geben. Ich muß bier noch bevorworten, daß alle Watts nicht etwa burch Beifteuer der Bevölkerung oder auf Staatsloften, jonbern theils von den Königen, theils von den Großen des Landes, Miniftern oder reichen Privatleuten erbaut find, um fich einen Namen zu machen oder damit ein Leben zu jühnen, beffen Handlungsweife wol nicht immer mit ben BVorfchriften des Buddhismus im Einflange geftanden bat. Ein folcher Watt beſteht aus verfchiedenen Gebäuben, dem eigentlichen Tempel, dem dazu gehörigen Thurme ober Dome, ber nicht wie bei ung die Kirche felbft ziert, fondern felbftändig daneben⸗ fteht, einem niebrigen galerieartigen Gebäude, das in einem Abſtande von 50— 60 Fuß fih um den ganzen Tempel zieht, und einem Klofter, d. h. einer Anzahl geräumiger Priefter- wohnungen, bie fih beim Watt Sudat auf 40 beläuft. Diefe fegtern find ſämmtlich von gleicher Größe, 120 Fuß lang, 40 Fuß breit und ebenfo hoch, in einem Rechteck erbaut. Der von rechtwinklig fich ſchneidenden Straßen burchzogene Häuferblod des Watt Sudat bat eine Seitenfläche von über 1200 Schritt. Tempel, Thurm, Galerie und Priefterwoh- nungen find von einer NRingmauer eingefaßt, bie außerdem noch Gärten, Parks, Fiichteihe, offene Bejuchshallen und die verfchiedenften Anlagen umfaßt, Nachbilbungen von Felſen, Grotten und Gebirgen in chineſiſchem Stile, die mit Hunderten von Statuen, allegorifchen Figuren und Darftellungen von Thieren geziert find.

Die Watts felbft find oblonge vwieredfige Gebäude von ver⸗ ichlevenen Dimenfionen. Der Watt Sudat hat eine Länge von 180, eine Breite von 80 und eine Höhe ven 100 Fuß.

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Er ift wie alle Tempelgebäube aus Badfteinen aufgeführt, mit weißem Stud beffeitet und mit Ziegeln gebedt; jedoch iſt das Dad breifah, d. h. es find brei Dächer fattel- und terraffenförmig übereinander gefeßt. Die Ziegel find grün und gelb glaſirt und zu vegelmäßigen Siguren gelegt. Die fech8 Giebel des Dachs tragen jeber einen großen vergoldeten Anlerflügel, eine Zierbe, bie Durch ihre kühne Schönheit ven Befchauer außerordentlich frappirt und dem Ganzen einen imponirenden Eindruc verleiht. Der Tempel ift, wie unfere Kirchen, mit großen Benfteröffnungen verfehen, die für ge- wöhnlich durch hölzerne Läden gefchloffen find. Diefe Läden erweifen fich aber ebenfo wie bie Thüren am Giebelenve bei näherer Betrachtung als wahre Kunftwerke. ‘Sie beſtehen aus einem elfenartigen ſchwarzen Holze, das wie Ebenholz glänzt und theifweife mit ber feinften Goldmalerei bebedtt, theilweiſe koſtbar gefchnigt oder mit Mofaif belegt ift. Der Fußboden des Tempels liegt wegen der Ueberſchwemmungen etwa 8 Fuß über der Erde erhöht, und zu der Hauptthür, über die fich eine großartige Säulenhalle wölbt, führt eine breite Treppe.

Diefer Porticus nebft dem Giebel bietet aus der Ferne, und namentlich wenn die Sonne darauf feheint, einen pracht- vollen Anblid dar. Die Säulen der Thürpfoften und ber ganze Gtebel find nämlich mit Moſaik in den verfchiepenartigften Farben belegt, in benen fi die Sonnenftrahlen wiber- fpiegeln, deren Reflex das ganze Gebäude wie mit einem goldigen Schein umgibt. Nur der Fleinere Theil dieſer Mofait beftehbt aus buntfarbigen Glasftüden, das Meiſte ift aus Scherben von weißem, blauem und rothem chinefifchen Porzellan, aus Tellern und Taffen, aber jo kunſtvoll zufammengefekt, bag man nur um fo mehr eritaunt, wenn man bie Entbedung macht, daß bie einzelnen Stüde ganz ungleich geformt und willfürlich gebrochen find.

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Wir hatten die Umgebungen des Watts, die Gärten und Anlagen durchwandert, ohne auf eine menfchliche Seele zu ftoßen. Ebenſo lautlos und ausgeftorben fanden wir das Quartier der Priejterwohnungen. Ihre Infaffen hielten ihre faft ven ganzen Zag dauernde Siefta, und wenn unfere an ven Wänden ber Kfgftergebäube wiverballenden Schritte dann und wann einen diefer Fahlgefchorenen Bonzen erwedten und an das Fenfter riefen, verſchwand das Geficht mit dem ftumpf- finnigen Ausbrude ebenſo jchnell, um fich wieder auf bie Matte zu werfen und weiter zu fchlafen oder zu träumen, denn das Vermögen zu denfen gebt wol den meiften dieſer verbummten Schar ab. Wir fuchten deshalb unfern Weg ohne Führer jelbit. |

Die Thür des Watts war nicht verjchloffen, die Läden ließen ſich mit Hülfe einer zu diefem Dienfte beftimmten Bambusftange durch BVerfchiebung der Riegel leicht Hffnen, und das einftrömende Tageslicht enthüllte uns das Innere des Watts in feiner ganzen Pradt und Schönheit. Wir ftanden ftumm, der Reichthum blendete uns, wir fahen an⸗ fangs nur Gold, wohin wir blidten, mit Gold die Wände bedeckt, vergoldet die Dede dieſes großen Gebäudes, bie 100 Zuß Hoch über unfern Häuptern fhimmerte. Zwei Reihen mächtiger quabratiicher Säulen unterftüßten die Dede nnd theilten ben ganzen innern Raum in ein Haupt- und zwei Nebenfchiffe, leßtere 20, jenes 40 Fuß breit. Die Säulen allein waren nicht vergoldet und ihre blendend weiße Stud. bekleidung contraftirte fonderbar, aber feineswegs unangenehm mit der reichen Umgebung. Der Fußboden war mit weißen und braunen Marmorfliefen fchachbretartig gepflaftert, und ber ganze Tempelraum in feiner reichen, großartigen Einfach- heit ließ fih mit Einem Blicke überfchauen. Sein Chor, Feine Bank, fein Seſſel war zu feben, nur der Thür gegenüber, am andern Ende des Tempels, erhob fi im Hauptſchiff in

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foloffaler Größe, mit untergefchlagenen Beinen auf einem Boftamente ruhend, die Statue des Buddha, 80 Fuß hoch und von oben bis unten vergoldet. Ich muß geſtehen, ber Eindruck, ven diefer Tempel auf mich machte, war überwäl- tigend; ich wußte nicht, follte ich die einfache Schönheit des Baues ober die wunderbare Arbeit mehr anftaunen, bie ich jest auf den Wänben entvedte Was ich im erften Augen- blicke für einfache Vergoloung gehalten, ftellte fich bei näherer Betrachtung ale die feinfte Goldmalerei heraus. Die Wände waren in lauter Quadrate von einem Fuß Seitenlänge ge tbeilt, und jedes dieſer Quadrate enthielt ein befonveres @e- mälde, wie ich fpäter erfuhr, Allegorien aus ber Gefchichte des Buddhaismus und Siams felbit. Die einzelnen Figuren waren, wie in ähnlichen Erzeugniüfen aller Belenner des Buddha, meiftens Ungebeuerlichleiten und bie bargeftellten Scenen oft ſehr finnlidh, doch die Ausführung felbft meilter- haft. Die Fresken verriethen, daß der Kunfifinn nur auf die rechte Bahn geleitet werben müßte, um fich weit über bie Stufe der Mittelmäßigfeit zu erheben. Zugleich aber erinnern ſolche Tempel, deren Bau und Ausſchmückung jahrelang Tauſende von Menfchen befchäftigen mußte, unwillfürlih an bie fabelhaften Schäte der Aflaten, wenn man bebenft, daß Privatleute fie erbauten, ohne fich deshalb zu berauben ober ihr Vermögen wefentlich zu ſchmälern. Freilich bie Arbeit von 6—8 Millionen SHaven, denn anderes find bie ſiame⸗ fiihen Unterthanen nicht, vermag wol dem Könige, feinen Minifter und den wenigen Großen, die ſolche Bauten zur Ver- berrlichung ihres Namen? ftiften, Reichthümer zu fchaffen, wie Rom fie zur Zeit der Weltherrfchaft beſaß, und von denen wir in Europa uns feinen Begriff machen. Daß in biefem despoti⸗ ſchen Lande Erpreffungen als legal oder wenigftens als tolerirt gelten, geht aus einem Geſetze hervor, nach welchen ber König bei dem Tode eines Minifters oder Großen der Erbe eines

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Drittheils von deſſen Vermögen ift, weil angenommen wird, daß das letztere ftets auf unrechtmäßige Weife erworben worben.

Die vergolpdeten Tolofjalen. Statuen des Buddha find bie unveränverlichen Zierden eines jeden Watt, deren Bangkok über 300 in allen Größen befitt. Sie find aus getriebenem Kupfer verfertigt und die einzelnen Platten fo kunſtvoll zu⸗ fammengefügt, daß man glaubt, das Ganze fei aus Einem Stück. Der Buddha im Watt Subat ift zwar ber größte fitende in Bangkok und ganz Siam, aber nicht ber größte überhaupt. Im Watt Seftet befindet fich ein liegender, deſſen Länge man uns auf 170 Fuß angab, obwol wir nur 136 Fuß maßen, Immerhin ſchon eine gewaltige Größe, die ſogar feine Aufftelung unmöglich machte.

Nachdem wir ven Tempel verlaffen, bejuchten wir bie ihn umgebende Galerie. Sie bot weiter nichts Merkwürdiges als eine Verfammlung von nicht weniger als 85. fißenvpen ver- golbeten Buddhas von 5 Fuß Höhe, aber fonft getreue Ab- bilder des großen im Tempel, die, in gleichen Zwifchenräumen nebeneinander poftirt, an ver Hintern Wand bes ſchmalen Gebäudes aufgeftellt waren, während ‚wifchen ihnen und ber vordern Wand ein fchmaler Gang blieb. Einzelne dieſer Heiligen waren mit gelben Lappen behängt, billige Opfer, bie von den Prieftern ihnen dargebracht weerbn.

Senfeit ver Galerie famen wir zu dem Thurme oder Dome, wie ich ihn feiner Form wegen nennen follte. Bei unfern Kirchen ift ver Thurm ein Appendir derſelben, eine Zierbe, bie nebenbei ven Zwed hät, die Glocken zu beherbergen. Der chineſiſche Buddhismus Fennt gar keinen Thurm und bie Glocken werben durch die Gongs genannten Metallbeden vertreten. In Japan gibt es ebenfalls feine Thürme, wenn man bie Pagoden nicht dazu rechnen will, aber man hat Glocken wahrſcheinlich aus der Chriſtenzeit die in kleinen Häuschen neben den Tempeln hängen. In Siam hat man weder Gongs

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noch Glocken, aber Thürme, und biefe find das eigentliche Hei⸗ ligthum, währenn ver Tempel erft in zweiter Reihe kommt, ſodaß man wol Thürme ohne Tempel, aber nie Tempel ohne dabeiſtehende Thürme findet. Jeder der Thärme enthält näm- lich eine Reliquie von Buddha, und ihr zu Ehren ift er erbaut. Die Echtheit diefer Reliquien ift natürlich ebenfo proble⸗ matifch als die der chriftlichen in den Tathofifchen Kirchen, jedoch geht die Bigoterte der Siameſen und bie Dreiftigfeit ihrer Priefter nicht fo weit, um ben Reliquien Wunder voll bringenvde Kräfte. zuzufchreiben.

In der Bauart der Thürme berrfchen zwei ganz verſchiedene Formen vor. Die eine, welche ih als Domform bezeichnen möchte, beginnt unten mit einem Viereck, wirb in ber Mitte zum Achte und gebt im lekten Drittel ihrer Höhe in ben Ehlinder über, der oben in einer fphärifchen Kuppel enpigt. Diefer Yauftil gehört den böchiten Thürmen an, weil folche Höhe fih in der -zweiten Form, die der originale Banftil Siams oder vielmehr des buddhiſtiſchen Cultus zu fein fcheint, aus ftatifchen Gründen nicht erreichen lie. Das Modell, welches der zweiten Thurmform zu Grunde liegt, ift ber Natur entlehnt, und zwar ift es die in allen buddhiſtiſchen Ländern beilig gehaltene Lotosblume, das Sinnbild der Ewig⸗ feit. Sie wird in den Reliquienthürmen umgelehrt vargeftellt. Aus einem rechtwinkfigen und regelmäßigen Poftamente in Kreuzesform, mit den nie fehlenden brei Satteldächern und den vergoldeten Adlerflügeln auf ihren Giebelſpitzen, erhebt ſich ein niedriger quabratifcher Sodel. Auf ihm ruht in Slodenform ver Kelch der Blume, ver fich oben zuſammen⸗ sieht und wieder zur birnenförmigen Samenfapfel erweitert, aus deren Mitte dann der Blumenſtiel in die Lüfte empor- fteigt und fich zu einer fchlanfen Spige verjüngt. Bon dieſen Thürmen fieht man viele Hunderte in Bangkok, bisweilen sehn Dis zwölf in einer Reihe; fie find fämmtlich weiß ange-

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ſtrichen und gewößnlich fehr einfach, ohne alle architektoniſchen

"Ornamente. Die bomförmigen Thürme dagegen find damit faft überladen. Diefelben ungehenerlichen allegorifchen Figuren, wie fie auf den innern Wänden der Watts vargeftelit und in ven Gärten des Tempels aus Stein gehauen ſtehen, treten aus Stud geformt in zahliofer Menge hier wieder anf, und wohin man den Blick wenden mag, trifft er auf Rieſen, Menfchenleiber mit Vogel» und Thierköpfen, usgeftalte Mis⸗ geburten, Die entweder ald Karyatiden die Simſe und Vor⸗ fprünge des Banes tragen oder anf den Seitenflächen in Niſchen aufgeſtellt find. Diefe Thürme fine mit. gelbem Stuck befleibet, und die Kuppel ift ebenjo mit Porzellanmoſeit belegt wie die Giebel der Watts.

Die Wohnungen der Prieſter bieten nichts Bemerlens⸗ werthes bar; es ſind traurige öde Räume, in denen nur Matten liegen, die Ruhe⸗- und Lagerftätten ihrer Bewohner. Hier und, dort ſpringt ans den Wänden ein Sims hervor, bevedt mit Heinen Buddhaſtatuen, die dem Volke. von. ven Prieftern verfauft werben, ober in einer Ede Liegt ein Haufen Palmblattbücher, auf deren langen ſchmalen Blättern die Ge⸗ bete und heiligen Schriften des buddhiſtiſchen Cultus mit einem eiſernen Griffel ſehr ſorgſam und kalligraphiſch einge⸗ ſchrieben ſind. Für einen Tikol oder ſiameſiſchen Thaler, den man heimlich einem Prieſter zeigt und irgenbivo hinlegt, ſodaß er ihn ſpäter fortnehmen kann, erhält man ſowol eine ſolche Statue als auch ein Buch, und ich habe beides mir zum Ans denken mitgenommen.

Die Talapoins leben in Klöſtern, auf bem Lande 10-12, in ber Stabt aber in beveutend größerer Zahl zufammen. Sie haben eine ‚geregelte Hierarchie. Ihr oberfter Bifchof wird vom Könige ernannt und bat unter Eontrole eines welt lichen Fürften die Aufftcht und Gerichtäbarfeit über ſämmtliche Priejter und Klöfter des Landes, Dann gibt es noch Aebte

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and Bicare. Drei Monate im Jahre während ber Megenzeit müſſen die Talapoins in den Klöftern bleiben, während ber übrigen Zeit bes Jahres können fie reifen und von Klofter zu Klofter wandern. Dies thun fie auch vielfach und fuchen nach heilenden Kräutern, Gold- und Silbererzen, ba fie fich vielfach mit Arzneilunde und Alchhmie befchäftigen. Zwar ‚verbieten dies ihre Orpensregeln, jeboch weichen fie überhaupt vielfach davon ab, fuchen ſich möglichft bald ein Vermögen zu erwerben und treten gewöhnlich nad 2—3 Jahren in den weltlichen Stand zurüd, um fich zu verheirathen. Ihre Afeivung befteht aus einem gelben Sarong und einem darüber getragenen langen gelben Mantel, ver durch einen gletchfar- bigen Gürtel zufammengehalten wird. Sie haben viele Vor- rechte, bie fie ſich aufs befte zu Nuten machen, um wohlhabend ober reich zu werben. So z. B. find ſie von allen Abgaben und Fronen befreit, und ihre Fahrzeuge bürfen von ben Zoltbehörben nicht angehalten werben, was fie zum Ein⸗ Ihmuggeln von gollpflichtigen Waaren benugen. Einmal jähr- lich ziehen fich die Priefter drei Wochen lang in bie Wälder zurüd, wo fie in felbftgebauten Hütten wohnen, um im ftren- ger Abgeichievenheit ihre Sünben abzubüßen, wozu fie Grund genug haben, denn fie find ein faules, aufgeblafenes und lieder⸗ liches Bolt. |

. Ein berühmter Wallfahrtsort, der fowol vom Könige als dem Volke und vielfach von Fremden aufgejucht wird, ift Phrabat, civca 10 Meilen öftlih von Bangkok gelegen. Hier refipirt ner oberfte Bifchof oder Sanglarat, der König ber Klausner, wie er zu deutſch beißt, und feine Heiligkeit verdankt ber Ort der von ihm beberbergten Fußſpur bes Buddha. Das. Klofter Phrabat Tiegt auf einem Berge und wirb von mehreren Mauern eingefchloffen. Von einem von Tempeln unb andern fchönen Gebäuden umgebenen Hofraume gelangt man über eine Marmortreppe mit. goldenen Abfägen auf eine

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Terrafie, die Balls des Denkmals. Die berühmte Fußſpur befindet fi in einem von außen ganz vergolveten Tempel oder Thurme nach dem Lotosmodell. Das Innere biejes Thurmes ift auf das Foftbarfte ausgeftattet, ver Fußboden mit filbernen Matten belegt, und im Hintergrunde figt eine 6 Fuß hohe maffive filberne Statue des Buddha unter einem goldenen mit Epelfteinen verzierten Thronhimmel, Die koſt⸗ bare Fußfpur jelbft befindet fih in ber Mitte des Tempels binter einem filbernen Gitter, ift aber fo mit goldenen und filbernen Ringen und Geſchmeiden, welche fromme Glänbige geopfert, bebedt, daß man nichts davon flieht. Das Klofter tft 260 Jahre alt und wurde 1602 gegründet, in welchem Jahre man die Fußſpur entdeckte. Der Fürft- Bifchof ift ber ſouveräne Herr des Kloſters und der ganzen Umgegend auf 4 Meilen. Wie in Iapan und China hat jedoch bie weltliche Regierung auch in Siam weiſe Fürſorge getroffen, daß ver Einfluß der Priefter fib, mit Ausnahme des Sangkarat in feinem Heinen Beſitzthum, nur auf geiftliche Dinge be- ſchränkt.

Die Zahl der zu jedem Watt gehörigen Prieſter iſt ſehr verſchieden, bisweilen find es 2 300, bisweilen nur 20— 30. Dies hängt theilweife von ber Größe, Wohlhabenheit und DOpferwilligfeit des zugehörigen Diftricts, theilmeife davon ab, wie große Fonds von dem Gründer des Watt für ben Unterhalt einer beſtimmten Zahl von Prieftern ausgeſetzt find. Gewöhnlich find diefe aber nicht ausreichend, und die Talapoins find im Einflange mit ven Vorfchriften des Buddha darauf angewiefen, ihre Speife zu erbetteln, und ihre Kleidung durch ben Tobtendienft, ven Verkauf von Buddhaſtatuen oder durch Unterricht ver Kinder ver Bornehmen zu eriverben.

Das Einfanmeln der Speifen gefchieht früh morgens kurz nach Sonnenaufgang, wenn bie Häufer und Läden gedffttet find und die Tagesgejchäfte ihren Anfang genommen haben:

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. Wenn man um bieje Zeit einen Spaziergang macht, fo find es hauptjächlich drei Arten von Gefchöpfen, deren zahlreiche Menge auffällt und bie fich alle drei zu bemfelben Zwecke, dent Suchen ihrer Nahrung, auf den Straßen zufammenfinven. Dies find Krähen, Hunde und Priefter. ‘Die erftern find fo zahllos und reift, daß fie den Menſchen kaum aus dem Wege geben und mit den Hunden um ben Biſſen fämpfen, wobei fie gewöhnlih Sieger bleiben. Beide Thiere verjehen gemeinfchaftlich ven Dienft der Straßenreinigung, ber fich in Bangkok allein auf ſie beſchränkt. Die Priefter mit ihren fahlgefchorenen Köpfen, ihrem blödſinnigen Geſichtsausdrucke und dem bis auf die Knöchel reichenden weiten gelben Ge⸗ wande tragen unter biefem verborgen auf dem Rüden einen eifernen Topf, an einem Riemen hängend, und gehen von Haus zu Haus, um bort ihre Speifen zu erbetteln. Lautlos, ohne eine Miene zu verziehen, ohne ein Wort des Dankes zu äußern, empfangen fte die ihnen bargereichten Gaben, feien biefe groß oder Fein, aber auch ebenfo gleihmüthig und ohne Zeichen des Unwillens geben fie weiter, wenn ihnen nichts ge- geben wird. Dies find die Vorfchriften des Vuddha; der Kern feiner Lehre, Untervrüdung aller Leidenfchaften und Regungen der Seele, wirb wenigftens in dieſer Beziehung von den Priejtern befolgt, und ſie unterfcheiden fich dadurch vorteilhaft von den türfiichen Derwifchen, pie bei einer Ver⸗ weigerung der Gabe ihrem Zorne die Zügel ſchießen Iaffen und in bie heftigften VBerwünfchungen ausbrechen. Gewöhnlich beftehen vie Gaben in gefochtem Neid. Beſon⸗ vers Gläubige legen jeboch auch bisweilen Ichmadhaftere Biſſen, gebratene Fiſche, Thee, Früchte und Betel, ven un- _ zertvennlichen Begleiter eines jeden Siamefen, in ben gerän- migen Zopf, ber fchon nach einer halben Stunde gefüllt tft und feinen Eigenthümer für ven Tag wenigftens aller Nahrungs: jorgen enthebt. Wie überall fcheint die Geiftlichfeit auch Hier

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auf das weibliche Gefchlecht mehr Einfluß auszuüben als auf das männliche Nie habe ich gefehen, daß ein Priefter von einem Siameſen etwas empfing, ftetS waren es rauen, welche die Gaben austheilten, während bie Männer nicht bie geringfte Notiz von ben gelben Bettlern nahmen. Gegen 8 Uhr morgens fiehbt man feinen Priefter mehr auf ver Straße, wenigftens feinen bettelnden. Schwer beladen find fie zu ihren Watts zurückgekehrt, um ſich an den Speifen, bie ihnen nicht einmal die Mühe ber Zubereitung machen, zu laben, ihre vorjehriftsmäßigen und vielfach ihnen felbft unverftänblichen Gebete zu ber beftimmten Stunde im Tempel abzuleiern und dann fich einer träumerifchen Ruhe und dem Schlafe zu überlaffen, wenn nicht ihr Amt fie zu einem Bes gräbniſſe ruft.

Der Tobtendienft und die Beforgung des Begräbnifjes tft nämlich ihr einträglichftes Gefchäft, das nicht nur bie Kleidung abwirft, fondern auch ihren Sedel füllt, obwol Ar- muth eins ihrer Gelühbe if. In Siam werben bie Leichen nicht begraben, fonbern verbrannt und die Weberrefte in eine Urne gefammelt, welche bie Verwandten mit fich nehmen, um fie in dem Garten oder an einem Lieblingsanfenthalte bes DVerftorbenen in die Erbe zu verfenfen. Eine gewöhnliche Bambusſtange bezeichnet den. Ort, ven jedoch weder Stein noch Mal dedt, und man fieht deshalb in ganz Bangfof fein Grab in unferm Sinne. Wie bei uns foltet pas Begräbniß Geld, und da es Monopol der Priefter ift, die nichts umfonft tbun, fo wird ein großer Theil der ärmern Leichen nicht ver- drannt, fondern Hunden und Geiern vorgeworfen, bie faft ebenfo ſchnell wie das Feuer bie fleifchlichen Ueberreſte ver- zehren und nur die Gebeine übrig laffen, welche dann Toftenfrei von ben Angehörigen gefammelt werben.

Eine Leiche wird in Siam nicht durch die Hausthür, fondern durch eine in die Mauer gebrochene Oeffnung mweggetragen,

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wobei man mit ihr jo geſchwind wie möglich einigemal das Haus umkreiſt. ‘Dies gejchieht, damit der Todte vergeffe, wo er das Haus verlaffen beat, ‚und nicht zur Plage ber Lebenden dahin wieber zurüdfehre, weil nach ſiameſiſchem Glauben die Geifter und Gefpenfter nur auf bemjelben Wege wieberfommen können, ben fie gegangen. ü Stirbt der König, fo wird fo viel Duedfilber in die Leiche gefüllt, als fie aufzunehmen vermag. Man bevedit das Ge- fiht mit einer goldenen Maske, fett die Leiche auf einen Thron und diefen auf einen großen goldenen ſchüſſelartigen Unterſatz. Jeden Tag wird dieſe Schüffel mit dem durchge⸗ laufenen Ouedfilber und ben Stoffen, welche viefe aus dem Körper mit fich führen, ausgeleert und fpäter die Leiche in einer großen goldenen Urne eine ganzes Jahr aufbewahrt. Dann erft findet das Verbrennen ftatt, und bierzu wird ein großes Leichenfeft gefeiert, welches unter öffentlichen Spielen und bedeutenden Gelofpenden fleben Tage lang andauert. Bei einem unferer Spaziergänge gelangten wir auch auf ben Begräbnißplag und Hatten. Gelegenheit, das Verbrennen einer Leiche mit anzuſehen. Es war bie Frau eines ſiame⸗ fifhen Großen und die Feierlichleit deshalb von allem Pomp begleitet. Der Pla liegt mitten in der Stadt am linken Ufer des Fluffes, ift jehr groß, mit Raſen bedeckt und bier und dort mit Bäumen bepflanzt. Er bat die Form eines Halbkreiſes, deſſen Peripherie eine Mauer und befien Sehne eine Straße der Stadt bildet. Unweit der Mitte des Um⸗— treifes erhebt fich ein Feines tempelartiges Gebäube. Es ruht auf einem 8 bis 10 Fuß hohen quadratifchen Unterbau, ift ſelbſt vieredig und an allen vier Seiten offen, ſodaß man von dem Plate aus das ganze Innere überſehen kann. Im ber Mitte dieſes Tempels ift ein Herb erbaut, und von ber Dede hängt in Ketten ein fargähnlicher Kaſten von Eifenblech mit einem Boden von ftarfem Draht geflochten. Im biefen

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Kaſten wird die in einem Holzſarge an Ort und Stelle ge- brachte Leiche gelegt und dann von ſehr harzhaltigem und wohlriechennem Holze ein ſtarkes euer darunter gemacht, in das bie dienſtthuenden Priefter von Zeit zu Zeit wohlriechenpe Dele gießen. Im einer halben Stunte ift die Procebur ber enbigt, die durchaus feinen unangenehmen, fondern weit eher einen feierlichen Eindrud macht, da man nur die Flamme und die Iautlos fie fchürenden Priefter fieht. Mag Buddha das Verbrennen der Leichen aus irgendeiner religidfen Urfache an⸗ georbnet haben, gewiß hat er bamit ber Gefunbheitspflege einen großen Dienft geleiftet. Allen ſchädlichen Auspünftungen, bie fo oft in großen Städten von den Kirchhöfen aus bie Luft verpeften, und bie in einem fo heißen Klima noch leichter gefährlich werben, ift Durch dies Verfahren vorgebeugt.

Im Halbkreife um den Tempel ift eine offene Halle ge- baut. In ihr wohnen die Angehörigen und Leidtragenden bes Berftorbenen, wie in China und Japan in weißer Zrauer- Heidung, der Ceremonie bei. Ebenſo jigen dort eine Anzahl Priefter, je nach ver Bezahlung viele oder wenige, die mit vor das Geficht gehaltenen PBalmfächern Todtengebete abfingen, und fchließlih Tauert noch eine Schar Mufilanten auf dem Boden, um mit den Zönen ihrer Inftrumente die Feierlich⸗ feit zu verberrlichen. Zaufende von neugierigen Zufchauern füllen den Plaß, und die ganze Scene würde einen erhabenen Einprud Hinterlaffen, wenn fie nicht regelmäßig mit einer zu ben Ernft des Gegenftannes wenig .paffenden Rauferei enbigte. Wenn nämlich pie Leiche verbrannt ift, fo vertheilen bie nächſteu Angehörigen Geld unter das Voll, und zwar wird daffelbe von zwei eigens dazu erbauten Altanen unter bie Menge geworfen. Da die ftamefifhen Münzen aber nicht wie bei uns jcheiben- fondern fugelförmig und die Heinften faum fo groß wie eine Erbfe find, fo werben fie in Apfelfinen gejtedt und dieſe herabgeworfen. Dabei entfteht natürlich eine

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große Rauferei, und es fegt neben fomifchen Scenen gewöhn⸗ lich auch blutige Köpfe.

Dur ein Thor in der Ringmauer bes Tempels gelangt man auf einen zweiten Heinern Plat, den man zuerſt für einen wundervollen Park hält. Die prachtvollſten tropijchen Bäume zieren ihn, und üppiges Gras bedit ven Boden. Doch die in ihm berrichende Stille macht ihn unheimlich. Kein menjchliches Wefen iſt zu erbliden, fein Singvogel niftet in ben Bäumen nur dann und wann bört man ben lang- famen rauſchenden Flügelichlag von mächtigen Schwarzen Geiern, bie fich aus den Kronen ver Bäume erheben, um ven Platz zu umfreifen, fich dann wieber niederzulaffen und ſtumm unt- berzufchauen. Unweit des Eingangsthores find etwas erhöht über ben Boden ſechs fteinerne Plateformen gelegt. Auf jeder berfelben ruhen in den Strahlen ver Sonne zwei oder mehrere Hunde. Sie find fo fett und träge, daß fte fih kaum burch einen Steinwurf von ihrem Plate verfcheuchen laſſen. Der ſchöne ftille Park ift der Kirchhof der Armen, welche bie Ver- brennung nicht bezahlen können. Die Hunde und bie Geier find ihre Tobtengräber. Die nadten Leichen werben in Stüde zerfchnitten auf die Plateformen gelegt. Kaum haben fich bie Träger dur das Thor entfernt, fo raufcht vie Schar der Geier hernieder, die Hunde ftürzen berzu, in zehn Minuten find nur noch die Gebeine übrig, und wenn fie von ben Angehörigen gefammelt und fortgebracht find, herricht wieder bie frühere Grabesitilfe über dem Plate.

Nicht weit von dieſem Begräbnißorte erblidt man bie Ruinen eines gewaltigen Thurmes, der, auf einer Tleinen Anhöhe erbaut, weit die in der Ebene liegende Stabt über- ragt. Der Durchmeſſer diefes Thurms ift 230 Fuß, bie Mauern find 25 Fuß Did, und er würde, wäre er vollendet, eine Höhe von über 400 Fuß erhalten haben, allein er ift faum bis zu 80 Fuß gediehen. Der Hügel konnte das mäch⸗

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tige Gewicht nicht tragen, das Erbreich gab nach, die Mauern barften, und wie ein anderer Thurm von Babel fteht das verwitterte Geftein als ein Wahrzeichen, daß dem Meenfchen ein Ziel gefett ift, welches er nicht überfchreiten kann.

Ich fprach weiter oben davon, daß die Prieſter ſich auch mit Unterrichtgeben befchäftigen. Außer einigen Miffions- Schulen für hriftliche Siameſenkinder eriftiren öffentliche Unter- richtsanflalten weder in Bangkok noch fonft überhaupt in Stam. Wohlhabende Laffen ihre Kinder privatim von Prieftern im Leſen und Schreiben, das einzige, was bie meiften Lehrer ſelbſt verftehen, unterrichten, oder fie Taffen viefelben auch wol jelbit einige Jahre das gelbe Gewand nehmen, theils weil fie glauben, daß man fich dadurch ein großes Verdienſt ſowol bei Lebzeiten als nach dem Tode für die Seele erwirbt, theils weil bie Kinder in ben Klöſtern das lernen follen, was fie dort von einzelnen bejjer gebildeten Bonzen ober aus den vorhandenen Büchern fchöpfen können. Die untern Volksklaſſen wachſen dagegen wild auf, und in Bezug auf allgemeine Volksbildung jteht Siam weit hinter China und Japan zurüd, wo fat jeder⸗ mann leſen und fchreiben kann.

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Schlechte Beichaffenheit der Straßen in Bangkok. Die Boote auf dem Mainam. Schwimmfertigfeit ber Einheimiſchen. Nationalität und Zahl ber Bevolkerung von Banglot. Körperbilbung und Tracht des Ramefl- ſchen Volks. Häßlichleit der Frauen. Die Abjchliegung der Ehen. Die Bielweiberei. Das Verhältniß der Frau zum Manne. Das Eoncubi- nencorp8 und bie erfte Frau des Könige. Die SHaverei. Der Reis⸗ bau und die flameftfche Faulheit. Betriebſamkeit der Chineſen in Siam. Muſik und muſikaliſche Inſtrumente. Ein nationales Concert. Ein ſiameſiſches Feuerwerk. Die Iubuftrie des Landes in ben Händen ber Chineſen. Der König. als Kaufmann. Schiffahrt und Handel. Weber- gewicht der Deutſchen int ſiameſiſchen Verkehr. Teakholz als Ausfuhr: artikel. Die Landesmünzen.

- Die Straßen von Bangkok find fehr trauriger Art. Sie liegen zwar etwas höher als der Grund, und find auch mit Backſteinen gepflaftert, allein e8 geht ihnen wie allen Bau⸗ werfen in Stam, Tempeln, Häufern, Brüden und Schiffen: man baut fie, aber reparirt fie nie Alles wird ausgenukt, Bis es in Trümmern fällt und dann durch Neues erfekt. Daher macht alles in dieſem Genre einen traurigen Einprud, und wie die fchönen Tempel fußhoch von Stüden ihrer Orna- mente umgeben find, die Winde und Wetter berabftürzten, fo tft auch das Straßenpflafter fait überall zerriffen, und man muß ſich fehr in Acht nehmen, um in den Löchern nicht die Beine zu brechen. Ueberdies find die Straßen während der Ueber⸗

Berner. I. 17

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ſchwemmung des Fluffes nur mit Booten zu pafliren, und auch mährend ber übrigen Yahreszeiten ftehen fie theilweife bei der Flut fußhoch unter Waffer, ſodaß man nur zur Ebbe⸗ zeit einen Spaziergang durch die Stadt machen. Tann, wenn man fich dazu aufgelegt fühlen follte und nicht wie bie Stamefen barfuß gehen will. Die Hauptwege bleiben deshalb immer der Mainam und bie Kanäle, von denen Bangkok überall durchſchnitten iſt. Faſt jeder Hauseigenthümer beſitzt auch ein oder mehrere Boote, und man ſieht deren faſt ſo viele wie in Kanton oder Konſtantinopel in allen Größen, von dem ſechsfüßigen Canot, in dem nur Eine Perfon fiten kann und bas mit der größten Gefchiclichfeit balancirt wernen muß, um nicht umzufchlagen, bis zu ven 8O Fuß langen Töniglichen Barken, deren 40—50 Ruderer mit rothen Hemden be- kleidet ſind, und bie einen großen rothbefchlagenen Baldachin tragen, unter dem 20—30 Perfonen Plat haben. Ich habe bereit8 erwähnt, daß die Boote alle fehr feine Linien auf- weifen und äußerſt zierlich gebaut find. Die gewöhnlichen Paffagierboote find zum Schuge gegen Sonne und Regen mit einem balbchlinderförmigen Flechtwerf aus Bambus über- bacht, welches jedoch fo niedrig ift, baß man darin nur fiten oder Liegen Tanıı. Bei der Maffe folcher Fahrzeuge, vie auf dem Yluffe und in ben Kanälen aneinander vorbeifahren, und bei ihrer geringen Stabilität fann es nicht ausbleiben, daß oft Eollifionen ftattfinden und ebenfo Häufig Boote um- Ihlagen. Sehr felten paffirt jedoch dadurch ein Unglüd, denn die Siamefen jeden Alters und Gefchlechts find treffliche Schwimmer, und täglih Tann man Mütter mit ihren Säug⸗ lingen im Waffer umherfhwimmen und Kinder- von drei bis vier Jahren wie Enten tauchen feben.

Es ift fchwer, etwas Genaues Über die Bevölkerungszahl ber Stadt zu erfahren. Ein officteller Cenſus eriftirt zwar, wird aber nicht veröffentlicht ober nur infomweit, als er bie

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Steuerzahler trifft. Die Angaben ſchwanken zwifchen 100000 und 500000. Die Siamefen felbft rechnen die Bevölkerung ihrer Hanptftadt nach Millionen, und zu Anfang dieſes Jahrhunderts ſoll Bangkok auch von 400000 Familien bewohnt gewejen fein. Krieg und Cholera, welche letztere verfchiebene male fchreflich gewüthet Hat und im Jahre 1857 30000 Menſchen Binraffte, haben ihre Zahl jedoch mehr als becimirt, und bie Schätung des apoftolifchen Biſchofs Pallegoix auf 400000 Eins wohner dürfte eher zu hoch als zu niebrig gegriffen fein. Das ganze Land zählt eine Bevölkerung von 7 8 Millionen. Davon find etwas über ein Drittheil Stamefen, ein Viertheil Chinefen, ein anderes Drittheil Malaien und Laosleute und der Reit Burmeſen und Araber ven der Küfte Koromanbel. ,

Die Siameſen gehören zur mongolifchen Raſſe, find im allgemeinen ein Träftiger Menſchenſchlag, größer als die Ma- Inien, von bunfler fupferbrauner Hautfärbung, aber font im Gefichtstypus ihnen ähnlich, obwol häßlicher und mit gröbern Zügen. Die Stirn ift ſchmal, die Nafe platt mit großen Nafenlöchern, die Augen ſchwarz mit gelblichem Weiß, bie Lippen bid und das Haar bit und borftig. Die Häßlichkeit fällt namentlich beim weiblichen Gefchlecht auf. Die Geftalt ber Weiber ift durchgängig fchön, das Ebenmaß der Glieder ſymmetriſch, nur vermißt man bie weicher Formen ımd bie Muskulatur ift zu kräftig. Dies mag mit won der fchiweren Arbeit herrühren, die das Weib in Siam verrichten muß. Das Geficht ift jedoch deſto Häßlicher, und ich habe in keinem Lande fo unfchöne Frauenzimmer geſehen wie hier. Start hervortretende Badentnochen, platte Nafe und großer Mund marliren das Geficht, das durch die Haartracht noch mehr entjtellt wird, Dieſe Ießtere ift bei Männern und Frauen fast gleich. Der Kopfift nämlich fahlgefchoren, und nur vorn über ber Stirn fteht ein Freisförmiger Schopf von zollfangen ftrup- pigen Haaren. Die Frauen laſſen außerdem an der Vorder⸗

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feite jedes Ohrs einen Bäfchel Haare wachfen, jedoch ift derſelbe fo dünn, daß ein Fremder ihn leicht "überfieht. Zuerſt ver- mag man daher beide Gefchlechter gar nicht voneinander zu un- terfcheiden, da auch ihre Kleidung viefelbe iſt. Dieje befteht für gewöhnlich aus einem Sarong, ber um die Hüften ge- ſchlungen ift und bis auf die halbe Wade reicht, Dazu tritt in den Wintermonaten noch eine loſe Kattunjade für ven Oberkörper, wenn man fich nämlich auf der Straße befindet; ‚oder die Jade wird burch ein ſhaͤwlartiges Zuch erjegt, das entwever über eine Schulter fchräg Über Bruſt und Rüden herunterhängt oder auch von ben Frauen bei ber Arbeit quer und ftraff Über die Bruſt gebunden wird, Im Haufe wird jedoch ſowol Jade wie Tuch oft abgelegt und der Oberkörper unbevedt gelaffen. Kinder laufen bis zum zehnten ober zwölften Jahre gewöhnlich ganz nackt; doch tragen die Heinen Mädchen häufig an einer Schnur um die Hüften ein Feigen⸗ blatt, je nach der Wohlhabenheit ver Neltern aus Silber over Meifing und häufig ſehr kunſtvoll gearbeitet. Dies fcheinen bie Siamefen von den Malaien angenommen zu haben, bei welchem Volle e8 allgemeine Sitte ift.

Wenn irgendetwas dazu beitragen kann, die Siamefinnen noch häßlicher zu machen, fo ift.e8 das beftändige Betelfauen, von dem Lippen und Zahnfleiſch blutroth gefärbt werben, während man gleichzeitig die Zähne mit einem aus China fommenven Pulver Schwarz macht. Man denke fich nun ben Mund eines jungen Mädchens in biefer Weife und dazu ven Kopf geichoren bis auf den borjtigen Buſch über ver Stirn es iſt wirklich ein fohredlicher Anblid, namentlich aber wenn das dunkelbraune Gefiht noch mit Curcume gelb geſchminkt wird, wie es bei Frauen und Kindern Sitte ift, welche legtere fehr häufig über den ganzen Körper mit jenem Stoffe ge- färbt erjcheinen. Dabei find fie jehr für Schmudjachen ein- genommen und mit allen möglichen Ringen, Spangen und

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Geſchmeiden bebängt, wenn fie vieſe fich irgend zu verfchaffen wiſſen.

Die Frauen nehmen in Siam feine ſtlaviſche Stellung ein, ſondern ſind die Gefährtinnen ihres Mannes, und ſelten wird ein Mädchen gezwungen gegen ihren Willen zu heirathen. Eine Heirath iſt wie in China mit ſehr vielen Präliminarien und Unterhandlungen verknüpft, wird aber als ein reiner Civilact betrachtet, der keinerlei religiöfe Weihe bedarf. Die Aeltern des Bräutigams erhandeln die Braut von deren Aeltern und nach abgeſchloſſenem Contract geben ſie beider— ſeitig ihre Kinder zuſammen und ſchließen die Ehe mit den Worten: „Seid verheirathet und lebet zuſammen, bis der Tod ench trennt.” Finden die Brautleute Widerſtand, fo folgt gewöhnlich eine Entführung, bie ſchließlich mit der Einwilligung der Neltern over auch ohne diefelbe durch die Gerichte gutge- heißen wird. Mit einigen Gefchenfen und Beſuchen ift bie Ehe dann abgemacht, die gewöhnlich jehr jung abgejchloffen wird. Selten heirathet ein Mädchen fpäter als mit dem funf— zehnten oder fechzehnten Jahre. Vielweiberei ift erlaubt, und reihe Leute haben gewöhnlich mehrere Frauen. Jedoch ift nur die erfte legitime Herrin im Haufe, ihre Kinder find alleinige Erben, und die Concubinen ftehen in bienfibarem Verhältniß zn ihr.

Der König geht in der Polygamie mit gutem Beiſpiel voran; er befitt circa 300 Concubinen, die zugleich ben Dienft im Palaſte haben, vollftändig uniformirt und unter dem Namen der Amazonen befannt find. Die rechtmäßige Frau barf nicht innerhalb des erften Grades der Bluts— verwandtſchaft mit dem Manne ftehen, der König macht je- bob in gewiffen Fällen hiervon eine Ausnahme Um vie Thronfolge zu fichern, fann er Schweiter und Tochter zur Gattin nehmen. Die erfte Frau des jekigen Königs ift vie Tochter eines finmefifchen Großen. Wie das nebenanftehenbe,

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nach einer Photugraphie entworfene Bildniß diefer Dame auf- zeigt, zeichuet fich diefelbe ebenfo wenig durch Schönheit wie durch Neichthum ber Toilette aus. Doch fol fie ihre Mut- terpflichten aufs befte erfüllen und die 25 Prinzen und Prin- zeffinnen, welche theils ihre eigenen Kinder, theils die der ſechs eriten Conenbinen des Königs find, trefflich in Ordnung zu halten wiffen.

Dbgleih die Frauen ihren Theil an den Gefchäften des Mannes nehmen, find fie doch in Gegenwart veflelben jtets jeher unterwärfig, und wenn Europäer babei find, nähern fie fih ihm nicht anders als auf allen Vieren kriechend, wie e8 überhaupt in Siam Sitte ift, daß der Untergebene zum Vorgefegten in diefer Weife fommt. So liegt der Sklave vor feinem Herrn, der Gouverneur vor dem Minifter, der Minifter vor dem Prinzen und alle vor dem Könige auf der Erde. In jeder Verfammlung fteht oder fitt nur Einer, der Höchfte im Range, alle andern liegen auf dem Bauche. Der Mann Tann feine Frau verfaufen.over verpfünben und Gelb darauf borgen; ebenfo feine Kinder, Schwefter oder jüngern Brüder und biefe bleiben fo lange Sklaven des Gläubigers, bi8 der Schuldner zahlt. Wenn aber die Frau dem Manne eine Mitgift zugebracht hat, fo darf er fie nicht verkaufen, dagegen ift fie für Bezahlung der Schulden ihres Mannes mit ihrer Freiheit verhaftet, wenn biefer fte mit ihrem Wiffen oder ihrer Einwilligung gemacht bat. ‘Da ver gejetliche Zins- fuß in Siam 30 Procent beträgt, fo fann man fich denken, baß eine zum Borgen gezwungene Samilie leicht der Sklaverei verfältt, um fo mehr, al8 der Durchfchnittspreis eines Sklaven nur 80 Thaler beträgt und daß dadurch die Sklaverei fehr ausgebreitet werden muß. Sie ift jevoch fehr milde und vor Mishandlungen oder Graufamkeiten werben die Betreffenden burch das Geſetz geſchützt. Da die Arbeit eines Sklaven nach bem Geſetze nur als Zinfengenuß eines unbezahlten Kapitals

Erſte Frau des Königs Mongkut von Siam.

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betrachtet wird, fo Tann fich jeder Sklave wieber frei kaufen oder feinen Herrn zwingen, ihn an einen andern zu verlaufen, wenn biefer die auf ihm Haftende Schuld zahlt. Einige Sklaven können jedoch nie wieber frei werben, wenn bies bei dem Saufcontracte ausgemacht tft.

Die Hauptbefchäftigung der Siameſen ift der Aderbau und das Haupterzeugniß des Landes der Reis. Obſtbaumzucht findet man ebenfalls vielfältig, aber bei der Fruchtbarkeit des Landes beanfprucht der Baum nach dem einmaligen Pflanzen weber Arbeit noch Pflege. Der Reis wird nah Eintritt der naffen Sahreszeit im Juni gefäet, nachdem vorber im Mai der Acker aufgebrochen ift. Die Ernte ift im Januar, und ber Reis wird auf den Feldern gebrofhen. Stroh und Wurzeln werben auf dem Acer verbrannt und bleiben dieſem als Dünger.

Diefe geringe Arbeit, welche die Lebensbenürfnifie dedt, macht das Volt jehr träge, und Indolenz ift ein Hauptcharak⸗ terzug der Siamefen. Wenn fie es nicht durchaus nöthig ha⸗ ben, arbeiten fie nicht, fondern figen im füßen Nichtsthun mit untergefchlagenen Beinen und kauen Betel. Ich Habe unter ven aftatifchen Völferfchaften nie jo eifrige Betelkauer ange- troffen als in Siam; ver Mund ift in beftändiger Bewegung, und jede DViertelftunde wird die Doſis erneuert. Der König und ber Bettler huldigen darin vemfelben Geſchmack.

Wegen der angeborenen Trägheit feiner Bewohner wird Siam troß feines Reichthums an Bodenproducten durch bie Siameſen jelbjt nie aufblühen, jo gern ver König auch das Land heben möchte. Was im Lande am einträglicher Arbeit geichieht, machen vie Ehinefen, die zu Millionen eingewandert find und einwanvern. Diefe fleißigen jtrebfamen Menfchen haben den Siamefen bereits alles vorweggenommen: fie bauen ben Reis und Zuder für die Ausfuhr, fie errichten Reis⸗, Zuder- und Sägemühlen, vie gefammte Induſtrie ift in ihren Händen und ebenfo ber ganze Handel. Sie werben

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rei, und vie faulen. Siamefen bleiben arm. Wie über- all auf der Erbe, ſei es Java, alifornien oder Weft- indien, wo Chineſen eingewanbert find, haben fle auch ihre ganze nationale Eigenthümlichkeit mitgebracht und erhalten. Sie bewohnen ein bejonderes Viertel in Bangkok, und dies gleicht irgendeinem Theile einer Stadt in China wie ein Ei dem andern. Zopf, Kleivung, Theater, Spielbäufer, Quackſalber alles findet fich hier fo originell wie im Himmliſchen Reich, und wie dort brennen auch hier in jedem Haufe die Räucherſtäbe vor dem nie fehlenden Altar mit dem Bilde des verehrten Kong-fustfe. Die nicht allein den Siameſen, fondern auch den Europäern unbegreifliche Thätig- keit ber Chinefen, die mit Tagesaubruch beginnt and ununter- brochen ſich bis fpät in die Nacht erjiredt, macht faft alle fehr bald wohlbabend und reih. Der geringe Lohn, mit dem bie Arbeiter fich begnügen, macht auch die von ben Europäern verfuchte Moafchinenarbeit nicht ventabel, und während z. B. bie Handreismühlen der Chinefen zu Zaufenden Tag und Nacht arbeiten, liegt vie große amerifantfche Dampfreismühre ziemlich brach,

Die Laosleute, deren Zahl in Bangkok ungefähr 20000 beträgt, unterfcheiden fich von den Stamefen nicht viel. Man erkennt fie nur an der etwas dunklern Hautfärbung und dem kangen Haar, das die Männer berunterhängend, die Frauen aber in einen Schopf zufammengebunden tragen. Auch find ihre Züge nicht fo häßlich, und unter dem weiblichen Gefchlechte findet man ganz angenehme Geftchter. Etwa 5— 6000 Sia⸗ mefen tragen ebenfalls das Haar lang, dies find aber Chri- ften und das Iange Haar. das äußere Erfennungszeichen ber Convertiten. König Mongut ift fehr tolerant und gemährt vollſtändige Religtonsfreiheit. Die amerifanifche und die franzds ſiſche Miſſion wetteifern daher in ihren Belehrungsverfuchen, obſchon die letzlere mehr Profelpten macht. Ob aber bie

m;

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Duantität nicht auf Koften der Dualität erreicht wird, lafſe ich babingeftellt fein.

Ich habe bereits oben gezeigt, daß ven Siamefen in ihrem Banftil ein edlerer und großartigerer Kunſtſinn innewohnt als ihrem Nachbarvolfe, ven Chineſen, und daß fie in biefer Beziehung faft alle aſiatiſchen Völlerſchaften, felbft die hoch⸗ civilifirten Japaneſen weit überflügeln. Daffelbe gilt von ber Muſik, von der alle Siamefen außerordentliche Freunde find, ſodaß man Muſik faft in jedem Haufe hört. Während bie chineſiſche Tonkunſt unſer Qrommelfell zerreißt und unfere Nerven erfchüittert und, gleich ber japaneftfchen, durch ihren Mangel an Harmonie jebes europäiſche Ohr unangenehm berübrt, waltet in der fiamefiichen durchaus Harmonie vor; fie nähert fich zugleich im Charakter, Eintheilung und Rhythmus fo ſehr der unferigen, daß man davon überrafcht wird. Jeder ftamefifhe Große oder wohlhabende Bürger Hält fich eine Hausfapelle. Sie befteht gewöhnlich aus 8 Perjonen, faft immer Frauen, und ich hatte Gelegenheit, der muſikaliſchen Vor⸗ ftellung einer folchen Kapelle beizuwohnen. Die Inftrumente in erfter Reihe find zwei Harmonikas, nach dem Princip unferer Glasharmonika conftruirt, nur daß bie Glasftäbe durch abge- ftimmte Bambusftäbe erjegt werben. Jede derfelben hat 22 Töne, und zwar jchließt fich in regelmäßiger Folge der tieffte Ton ber zweiten an ben höchſten Ton ber eriten an, fobaß fie eine Tonleiter von 44 Tönen repräfentiven. Merkwürdiger⸗ weife fehlt jedoch in jeder Octave die Ouinte und iſt dafür der halbe Ton der Serte eingeſchoben. Das eine dieſer In⸗ ftrumente, deren Refonanzboden wie das Modell eines drei Fuß Tangen Boote geformt und aus einem Stüd fehr harten Holzes ausgearbeitet ift, wird mit. bewidelten, das andere mit unbewicelten Holzhämmern angefhlagen, und zwar das erfte ftet8 um eine Terz tiefer ald das zweite, d. h. mit emem Zwiſchenraum von drei Octaven. Was ich am meiften babei

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. bewunperte, war die Fertigfeit, ja ich darf wohl jagen Bir- twofität, mit der die Spielerinnen ihr Inftrument behandelten. Die Läufe und namentlich die Triller waren fo gleichmäßig und glodenrein, daß man ftaunen mußte, und nie hörte man auch bei dem Preſtiſſimo den leifeften falſchen Ton.

Zwei Gtlodenfpiele, nach demſelben Princip wie bie Bambusharmonika conftruirt, traten in zweiter Reihe anf. Ein Treisförmiges Geftell mit einem Ausfchnitt, in dem bie Spielerin ſaß, bildete den Haltpunft für meffingene Stäbchen, auf deren Spige die Gloden ſchwebten. Diefe ftimmten wieber in ber Terz mit ven Bambusftäben, und jedes Infteument hatte wie die Harmonika 22 Gloden oder Töne, Jedoch befchränften fie fich mehr auf vie Begleitung, währen die Harmonifas die Melodie angaben. Die dritte Art ber Inſtrumente war eine Art Panfldte, Vierzehn Röhren von Bambus find in zwei Reihen, alfo in jeder fieben neben- einander befeftigt. Je zwei und zwei haben gleiche Länge; die längften meſſen 10, vie Fürzeften 8 Fuß. Zwei Fuß von den untern Enden find fämmtliche Röhren vurchfchnitten und in bie untere und obere Hälfte eines der Länge nach durch⸗ bohrten hölzernen Cylinders eingelaffen. Dieſer Cylinder, deſſen eines Ende offen ift, dient als Munpftüd, und beim Blaſen wird er durch beide Hanbballen feitgehalten, während die Singer die unmittelbar über ihm befindlichen Schallöcher öffnen oder ſchließen. Diejes Inftrument gibt bei jedem Hineinblafen einen regelmäßigen Accord, und feine Töne find ſo angenehm, daß Sir John Bowring e8 in feiner Beſchrei⸗ bung Siams „vie liebliche Flöte von Laos“ betitelt. Ein viertes Inſtrument ift eine Schalmei, wie fie auch Chinefen und Iapanefen befigen, und tie einen zwifchen Oboe und Cla⸗ rinette liegenden Zon gibt. Eine koniſche Trommel enblich, beren beide Felle verfchieden töhen, und ein Paar Glodenca- ftagnetten machen ven Schluß einer finmefifchen Kapelle aus.

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Im allgemeinen ift vie Muſik ernft. Sie beginnt gewöhn- fih mit dem recitativen Gefange der Caftagnettenfchlägerin, ber jedoch fich fehr dem Kreifchen ver Chinefen nähert. Im ven letzten Ton des Recitativs fällt unisono die Schalmei ein, dann folgen die Bambusharmonikas, und endlich ſchließen ſich die übrigen Inftrumente an. Ein Thema ijt vorwaltend, und das ganze Mufſikſtück befteht aus vier bis fünf verfchie- benen Abtheilungen, einem Adagio, Andante, Scherzo und Brefto, in denen allen das Thema erfennbar wieberfehrt, wenngleich die drei leten keineswegs nur Variationen deifel- ben finds, Die ganze Aufführung dauerte faft eine Stunde, und obwol das Enfemble bisweilen fehr laut wurde, hörten wir doch mit gefpannter Aufmerkſamkeit und großem Vergnügen zu und nahmen einen fehr angenehmen Eindruck mit uns fort.

Unfer Wirth, ein wohlbabender Kaufmann, regalirte uns inpeffen mit Thee, den er in einem Miniaturfeffel, aus vothem Thon und fehr fauber gefertigt, felbft bereitete und uns in Mintaturfchalen darbot. Da er glaubte, daß das Sigen mit untergefchlagenen Beinen auf dem Erdboden uns unbequem fein möchte, Tieß er auch Stühle und ein Sopha für ung - bringen; er felbft aber blieb auf der Matte figen.

Unterdeffen war es Abend geworben und bei dem Zurüds fahren auf dem Mainam hatten wir das Vergnügen, ein Feuerwerk auf dem Fluffe abbrennen zu fehen, das gleichfalls der Befchreibung werth iſt. Diefe Feuerwerfe dienen vielfach zur Verherrlichung von Fantilienfeften, und man fieht fie des⸗ halb in Bangkok ſehr häufig Das Mannbarwerben ber Söhne und Töchter wird ftets bamit gefelert, und auch das, welches wir faben, hatte darin feinen Anlaß.

Auf drei hintereinander veranterten Booten war das Feuerwerk aufgeftellt. An Sonnen, Sternen, Garben, Schwär- mern, Raketen und Leuchtfugeln fehlte es nicht; das Origi⸗ nelfe dabei war jeboch eine Feuerorgel, wie ich fie früher

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noch ‚nicht gefehen habe. Dreißig bis vierzig Orgelpfeifen aus Bambusröhren waren theilweije mit einem buntgefärbten Satze gefüllt. Sie wurden zu vier und fünf zugleich ange- fteckt, fprühten eine Zeit lang prachtuoll, Löften fich dann von ihren Haltern, flogen als Raketen in die Lüfte und ließen einen fehr hellen Ton hören, folange die Pfeife ftieg, ſodaß man bisweilen, wenn mehrere zugleich flogen, einen vollftän- digen Accord in den Lüften vernahm. in anderes ebenfo Ichönes als vriginelles Bild gaben drei Bäume, deren Stämme und Zweige aus Bambus und deren Blätter aus Kupfer gefertigt waren. Letztere hatte man mit verſchiedenen chemifchen Löfun- gen beftrichen und dann mit buntem Sat in Heinen Hülfen belegt. Beim Anfteden ſah man zuerjt einen prachtvoll brennenden Baum, nach flinf Minuten aber, als das Feuer⸗ wert abgebrannt war, die glühend gewordenen und infolge ber Chemikalien in dem koſtbarſten Farbenwechfel fchimmern- den Kupferblätter. Der Anblid war wunderſchön, und unfere deutſchen Feuerwerfer würden gewiß ein danfbares Publikum finden, wenn fie etwas Aehnliches fabrizirten.

Wie bereits bemerft, ijt faft die gefammte Induſtrie des Landes in die Hände der Chinefen übergegangen, und es dürfte kaum vorkommen, daß in ber Hauptſtadt oder beren Umgebung ein Siamefe freiwillig ein Handwerk lernte, ober wenn er e8 gelernt, daß er es ausübte, wenn ihm nicht die größte Noth dazu treibt, Nur die Architektur ift ihr Fach mit den dahin einschlägigen Branchen, als Sculpturarbeiten, Moſaik, Goldſchlägerei und Vergoldung, in denen fie Meiſter find. Sonft find fie arm an Gewerben, und fabrikmäßig wird nur Zuderjieberei und Ziegelbrennerei betrieben. Man fin- bet zwar Töpfer, Zimmerleute, Tifchler, Maurer, Gerber, Seiler, Färber, Kupferſchmiede unter ihnen, allein die Chine- jen winden ihnen alles aus ver Hand, und fo tft es auch mit dem Aderbau. Daß Land Lohnt alle darauf verwendete

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Müpe in höchſtem Maße, und die Negierung thut ihr Mög⸗ lichites, um den Aderbau zu begünftigen. Jeder bat das Recht, ein herrenlojes Stüd Land, deſſen es viele Millionen Morgen gibt, zu bebauen und nach Einbolung ber nie ver- fagten Töniglihen Genehmigung als fein Eigenthum zu be- trachten; ja fleißigen Landleuten werden von ber Regierung Geldſummen zinsfrei vorgeftredt. Trotzdem weiſt bie au⸗ geborene Trägheit der Siameſen alle dieſe Vortheile von ſich und überläßt ſie den fleißigen Chineſen. Jene bauen gerade ſo viel Reis, als ihr häuslicher Bedarf erfordert, dieſe erzeu— gen bereits jährlich vier Millionen Centner für den Export. Ebenſo ſind alle Zuckerplantagen in den Händen der Chineſen und ſie führen jährlich ſchon über 300,000 Centner Zucker aus.

Bis vor fünf Jahren war die Reisausfuhr verboten; der König ſah jedoch feinen Vortheil, wenn er fie verſtattete, und gab fie frei, wodurch feinem Schag eine Ausfuhrjteuer von vier Millionen Thalern zufließt, vie fi) von Jahr zu Jahr mehrt. Ueberhaupt fcheint König Mongkut in Gelpfachen ganz europäifch zu denken und ziemliches faufmännijches Za- lent zu befigen. Er ift nämlich der größte Kaufmann feines Landes, und während er zuerſt von den Producten die Steuer zieht, verdient er zugleich die Fracht ihrer Verſchiffung nach fremden Plägen, indem er feine eigenen Schiffe dazu ver- miethet. Er verbindet dabei das Angenehme mit dem Nüß- lichen, verbient viel Geld und muntert feine Unterthanen durch gutes Beiſpiel zur Nachfolge auf. Bisjeht ahmen jevoh nur einige Prinzen, Minifter und Chinefen fein Bei- ſpiel nah. Brinz Kroom Luang Wong-fa, ein Stiefbrupder von ihm, bat fogar fürzlich directe Verbindungen mit Ham- burg angefnüpft, und kurz nach uns ging eins feiner Schiffe bortbin ab. Er befigt neun Dampffchiffe.und funfzehn Ser gelſchiffe, ſämmtlich europäiſch gebaut und größtentheils von

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deutſchen Kapitänen befehligt, bie ber König in ber theoreti- fhen Navigation felbft eraminirt, ehe er fie anftellt. Die . ganze Handelsmarine Siams befteht aus 23 Dampfichiffen und 76 Segelfchiffen, die faft fämmtlich erft in ben legten 10 Jahren gebaut oder gekauft find.

Wie fi der Handel von Siam feit dem Regierungsan- tritte des jeßigen Königs durch Freigabe ber Reisausfuhr, Herabfegung der Zölle für fremde Schiffe und andere Liberale Maßregeln gehoben hat, mag aus Vergleichung der -1848 und 1860 in Bangkok eingelaufenen fremden Schiffe erhellen. Im erftern Jahre befuchten 9 Fahrzeuge von zufammen 2200 Tonnen ben Hafen, dagegen 1860 nicht weniger als 286 mit einem Gehalte von 109000 Tonnen. Im Iahre 1861 waren bis November Schon 317 Schiffe angelommen, und während im Sabre 1857 nur 1,047,659 Pilul Reis verjchifft wurden, betrug bie Ausfuhr im Iahre 1861 drei Millionen Pikul oder über 3%, Millionen Eentner, hatte fich mithin in vier Jahren faft verbreifacht.

Sn frühern Zeiten waren bie Zölle für auswärtige Schiffe ſo hoch, daß der Handel faft auf Null rebucirt wurde. Ein Schiff mußte für ſechs Fuß Breite 15000 Thaler bezahlen. Dann wurde biefer Zoll auf 1000 Tikol oder 800 Thaler für jenes Maß herabgefett, feit fünf Jahren jedoch auf ven zehnten Theil, und feitvem füllt König Mongfut durch bie befebte Schiffahrt feinen Schag.

Deutſchland ift fowol direct als indirect am fiamefifchen Handel betheiligt. Zwei Drittheile veffelben find in den Hän- ben zweier veutfcher Häufer in Banglof, und im Vahre 1861 befuchten 82 deutſche Schiffe den Hafen. ‘Der durch Graf Eulenburg abgefchloffene Vertrag ift deshalb für Deutfch- land von um fo größerer Wichtigkeit, da die Deutfchen Hier in erfter Reihe ftehen, Engländer und Amerikaner aber erjt nach ihnen kommen. Das iveutfche Haus Markwald u. Co.

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erpedirte im Jahre 1861 allein 90 Schiffe von zuſammen 51000 Tonnen. Der Chef dieſes Haufes, ein Preuße von Geburt, befitt pas ganze Vertrauen der beiden Könige und bes Prinzen Kroom Luang, ift der Agent für deren ſämmtliche faufmännifche Geſchäfte und infolge deſſen von bebeutendem Einfluffe bei Hofe.

Außer dem Reis wird Hauptjächlich Zuder ausgeführt, im Sabre 1860 im Betrage von 203597 Bilul. Er geht meiftend nach Ehina und tft von fehr guter Qualität. Fer⸗ nere Erportartifel find Sapanholz, Pfeffer, Araf, Häute, Hör- ner, Cardamomen, Zinn, Seide, Elfenbein, leßteres jedoch nicht mehr in fo großer Quantität wie früher, da man es in Europa aus Afrika bilfiger bezieht.

Die Einfuhr erreichte im Jahre 1859 einen Betrag von 563985 Pfund Sterling. Die beveutendbiten Artifel davon waren Shirtings, Sarongs und Opium, von beiben erftern fehr viel zollvereinsländiſche Waare. Auch Rurusartifel und Kurzwaaren famen aus Deutfchland, jeboch wird der Bedarf folder Gegenftände für das erfte immer noch befchränft blei⸗ ben. Einen Hauptausfuhrartifel des Landes habe ich noch an⸗ zuführen, nämlich Zeafholz, an dem Siam, wie überhaupt auch an andern Zier- und Nutzhölzern, fehr reich ift. Die eiferne Feſtigkeit dieſes Holzes, das felbft ven Würmern zu hart, ver Trodenfäule nicht ausgefegt ijt und auch in Berührung mit Eifen dieſes nicht oxydirt, hat bei dem Diangelan gutem Bau- holz Schon Tängft die Aufmerkſamkeit der europäifchen Schiff- bauer, namentlich aber der Marinen auf jich gezogen. Seit j Jahren verwenden England und Frankreich Teakholz zum Bau ihrer Kriegsichiffe, da e8 bei diefen viel mehr als bei Kauffahrteifchiffen auf Feſtigkeit und Dauerhaftigfeit bes Baues anlommt. Bisjett wird es jedoch hauptfächlich von Rangın und Molmein, den Hauptftationen der Engländer im Nordweften ver Hinderindifchen Halbinfel, geholt, obwol es

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vielen Jahrhunderten, aber merfwürbigerweife bat e8 noch nie zu Zerwürfniffen Anlaß gegeben, wie dies in andern Staaten bei ähnlicher Einrichtung faft ſtets der Fall geweſen. Zur öniglichen Kaffe hat der zweite König Zutritt, jedoch nur mit Bewilligung des erften Könige und auf Grund einer mit deffen Siegel verfehenen Anweiſung. Der zweite König iſt gewöhnlich nahe mit dem erften inig verwandt und ber gegenmärtige ein Bruder beffelben.-"

Die Krone ift erblich; jedoch ift es nicht nothwendig, daß der ältefte Sohn Thronfulger wird, vielmehr Tann biefer auch anderweitig vom König gewählt werden. Die Töchter des Königs dürfen ſich nicht verheirathen, um feine mächtigen Schwiegerjähne befürchten zu müſſen. Dies fehließt aber nicht aus, daß fle eine gute Erziehung erhalten, und während wir in Singapore waren, erließ der König von Siam in ben dorti⸗ gen Blättern eine Belanntmachung, wonach eine im Franzö⸗ fiihen bewanderte und muſikaliſch gebildete Engländer. als. Gouvernante für die königlichen Töchter gefucht wurde. Das Gehalt betrug 150 Thaler monatlich.

Ich ſelbſt Habe König Mongkut nicht gefehen, befige aber “eine fchöne Photographie von ihm, nach welcher das nebenan- jtehende Bild gezeichnet tft. Danach Hat er ein gutmüthiges Geficht und, abgeſehen von der Hautfarbe, das Anfehen . eines gemüthlich bebäbigen Bürgers. König Mongkut hat es übrigen® gern, wenn ex gebeten wird, fich photographiren zu laſſen, und, er zwingt ſelbſt feine wiberftrebenten Frauen zu ſolchen Sitzungen. Um bie Fremden, welche fein Bild erhal. ten, wiſſen zu laſſen, daß er fchreiben Tann, nimmt er ge wöhnlich eine Feder in bie Hand. Eine bezeichnende Staffage it auch ter unmittelbar neben feinem Schreibtifche flehende Flaſchenkeller. Champagner und Ligueure nimmt er gern als Geſchenke an, und ich fah einen eigenhändigen Brief Sr. Ma- jeftät an einen amerifantfchen Kaufmann, in welchem er fi

3u II, 274. | Dhra Somder Mongkut, Erfer König von Siam.

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auf das wärmfte für die Ueberſendung einiger Flaſchen Cham- pagner bebanft. Zugleich bebauert er barin jehr lebhaft, daß er nicht im Stande fei, ein geeignete Gegengefchent zu mas chen, glaubt aber, daß ber eigenhändige Brief eines Königs für ihn, den Kaufmann, Werth haben und fonach. ein Aequi⸗ valent fein werde.

König Mongkut fpricht und fchreibt das Engliſche ziemlich correct und beifer als irgendeiner feiner Unterthanen. Er gehörte früher dem Priefterftande an und hat feine Prieſter⸗ ſchaft anf das befte benugt, um Engliſch, Sanskrit .und Pali zu ſtudiren. Außerbem Hat er fich ernftlih mit Theologie, Gefchichte, Geographie, Phyſik, Chemie, Aftronomie und Aſtrologie beſchäftigt. Ich Habe bereits bemerlt, daß er die Kapitäne feiner Schiffe in der theoretiſchen Navigation felbft examinirt, und dieſe verfichern, daß er genau barin Be fcheid und mit dem Sertanten wie der beſte Praftifer umzus gehen wilfe. Nach dem Beifpiele Karl's V. hat er ein ganzes Zimmer voll Ehronometer und Uhren, deren Gang er gleich: mäßig zu machen beftrebt ift, und bie er zu dem Zwecke öfter auseinander nimmt und wieder zufammenfegt. Die Aftrologen fpielen in Siam eine große Rolle, und troß feiner für einen afiatifchen Fürften bedeutenden willenfchaftlichen Bildung hat fih König Mongkut noch nicht von ‚ihnen Iosmachen fünnen. Sie müffen Trodenheit'und Negentage, Krieg und Frieden vor- berfagen, und nichts Wichtiges gefchieht im Weiche, ohne daß fie um Rath gefragt werben. Trotzdem find fie ſchlimm daran, wenn ihre Prophezeiungen micht eintreffen. Dann werben fie nämlich oft abgefett, erhalten auch jedesmal eine Tracht Schläge, während fie andererſeits mit reichen Gefchenten belohnt werben.

Der König befitt nicht weniger als zehn jüngere Brüder; ber befanntefte unter ihnen ift der fchon genannte Prinz Kroom Luang Wongsfa Tirat Tanit. Er ift ein großer Freund der

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Europäer und namentlich mit dem Chef des obenerwähnten deutfchen Hauſes jehr befreundet, durch den auch ich mit ihm befannt wurde. Später, als ih einmal mit einem Boote vor feinem Haufe vorbeifuhr, faß er vor der Thür, rief mich zu fi, und ich hatte die Ehre, bei ihm eine ſehr feine Ma⸗ nilacigarre zu rauchen und eine Taſſe Thee zu trinken. Leider war die Unterhaltung ſehr bejchränft, da ver Prinz das Englifch kaum fließender ſprach als ich ſelbſt das Sia- mefifche. Sein Geficht ift noch gutmüthiger als das bes Königs und der alte Herr fehr beleibt. Ich fand Seine Hoheit in Heiner Uniform, d. h. nur mit einem um bie Hüften gefchlungenen Sarong, während er bei officiellen Ge- legenheiten ein Hembe, Beinkleiver, ſeidene Jacke und einen mächtigen Schleppfäbel trägt. In legterm Coſtüm erfcheint er auch auf einer Photographie, die er mir zum Gefchent machte. Der König hat ein Minifterium, das nur ihm allein verant- wortlich ift. Prinz Kroom Luang ift Präfident des Staats- ratb8 oder Wanglang. Er enticheivet als folcher über bie wichtigen Staatsaffairen, ift oberfter Richter für die Radſchas und bohen Beamten, Polizeipräfivent von Bangkok und hat überdies das fehwierige Amt, vie Amazonenfchar des Palaftes in Orbnung zu halten,, ihre Streitigkeiten zu ſchlichten und fie eventuell zu bejtrafen. Das tft gewiß feine Sinecure! Die Europäer haben dem Prinzen viel zu danken, da der Bremierminifter venfelben purchaus nicht wohl will. Ginge es nach dem Kopfe dieſes Miinifters, jo würde Siam balı ebenjo gegen Fremde gefchloffen fein wie ehedem Japan. Seine Motive find ganz patriotifch, der Mann hat Gefchichte ftubirt. Er jagt: „Ueberall, wo Hier in Alien die Euro- päer Hingelommen find, haben fie die Völker unterjocht und bie Herrjcher zu Nullen gemacht. Laſſen wir fie nah Siam fommen, fo geht e8 uns ebenfo, und das will ich nicht.” Das ift freilich richtig und gut gemeint, gber e8 wird dem Manne

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nieht viel helfen: die Europäer figen in Siam durch Verträge feft und geben gutwillig nicht wieber fort.

Die übrigen Prinzen bes königlichen Haufes ftehen an ver Spitze der höchften Hofchargen, find jedoch eine Plage für das Land und das Voll. Sie bevölfern nur ihren Harem mit geraubten hübfchen Mädchen und ihre’Theater und Mufifcorps mit jungen Männern, die fie ebenfalls preffen laſſen, und kehren ſich auch fonft nicht viel an Recht und Geſetz.

Die Beamten fcheiden fich in fünf Klaſſen. Im ebenfo viele Klaffen zerfällt auch das nievere Volk, nämlich in die Solba- ten, in bie Fronpflichtigen, in die Tributpflichtigen, in bie Hörigen der Mandarine und in die Sklaven. Die Fronpflich⸗ tigen müſſen drei Monate im Jahre bei allen dffentlichen Bau⸗ ten Berfonalvienfte leiften oder gegen eine Summe von 16 Tifol fih davon befreien. Die Hörigen ber Mandarinen bürfen von dieſen jedoch nur zu gewiſſen Dienftleiftungen herangezo⸗ gen werben unb müſſen außerdem noch eine jährliche Steuer von durchſchnittlich vier Tikol zahlen. Die Sklaven find fteuerfrei, bilden aber faft ein Drittheil ver Bevölkerung. Die Chinefen find einer Kopffteuer unterworfen.

Die Einnahmen des Königs, der überdies eine Menge: Gewerbe monopolifirt und deren Ausbeute verpachtet hat, find fehr beveutend. Außer dem Tribut, welchen er an Golb, Farbhölzern, Droguen und Gewürzen von feinen Vaſallen⸗ fürften, den Radſchas, erhält, zieht er die Gyundſteuer, bie für jeden Morgen Reisader bei der Ernte in einem Tikol beſteht. Sodann wird jeber Pikul ausgeführter Reis aber- mals mit einem Tifol verzollt, ebenjo Zuder, Pfeffer, Zabad u. f. w., und außerdem erhebt er die Schiffahrtsabgaben. Die fih aus allen diefen Einnahmen ergebende Summe beläuft fich auf mehr als 25 Millionen Thaler.

Während Siam einerfeits bie größte Fruchtbarkeit und fonftigen Segnungen eines tropischen Bodens und Klimas auf»

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zuweilen bat, beſitzt es auch alle Plagen beffelben. Es ift reih an Krokodilen, Schlangen und allem jenen Gewürm, deſſen Anblic bei ven meiften Europäern ein Schaubern her⸗ vorruft. Schlangen gibt es unzählbar, und wie ber Golf, jo wimmeln auch Flüffe, Wege und Welver davon. Die weißen Ameifen find eine Landplage, fie richten die größten Verheerungen an, und mwehe dem Magazin, in dem fie ungeftört vier bis fünf Tage haufen dürfen. Möchten auch Zaufende von Centnern Reis darin lagern, fie würben durch biefe Räuber, die fich mit märchenhafter Schnelligfeit vermeh- ren und fi in ſechs Tagen verzehntanfenpfachen, in Staub verwandelt. Faſt alle Magazine werben deshalb auch mit naffen Gräben umzogen, das einzige Mittel, um fie abzubal- ten. Bei ihrer Metamorphofe bekommen fie Flügel, erheben fih in die Lüfte und werben dann von den Inſektenfreſſern vertilgt, ein Glück für das Land, das ihnen fonft bei fol- her Vermehrung balo ganz zur Beute fallen würde. | An Tigern, Leoparden und ähnlichen Raubthieren iſt eben- falls fein Mangel, und Affen kann es faum mehr in irgend⸗ einem andern Sande geben. Man fieht fie ganz in ber Nähe von Bangfof in Scharen ven Hunderten fich ohne Scheu vor den Menjchen auf ven Bäumen bewegen, und fie richten in ben Gärten und Obitplantagen fchredliche Verwü⸗ ftungen an. Gezähmt find fie die poffirlichiten, aber auch zu- gleich die nichtsnußigften, diebifchften Racker, die man ſich denken kann. Wir hatten eine ganze Auswahl davon an Bord für den Zoologifchen Garten in Berlin, und haben fie in dieſer Beziehung’ zur Genüge Tennen gelernt.

Rhinoceroffe gibt es ebenfalls, aber nicht fehr häufig. Sie werden wegen des als Arzneimittel dienenden Hornd und we⸗ gen der Haut gejagt, die durch langes Kochen in Gallert ver⸗ wandelt wird und al8 Leckerbiſſen gilt.

* Der Elefant wird in Siam fehr geſchätzt und als ein

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vernünftiges Weſen betrachtet. Es gibt deren außerordentlich piel im Lande, und fie erreichen oft eine Höhe von 12—14 Fuß. Da fie zu den Reifen und Märchen im Imern un- entbehrlich find, jo bilden fie auch einen bedeutenden Theil bes Heeres unb der König hält 600 SKriegselefanten. ‘Das berühmtefte dieſer Thiere ift jedoch ver befannte weiße Elefant, ber fich einer beſondern Heiligkeit und Verehrung erfreut, weil er nach buddhiſtiſchen Begriffen die Seele eines Buddha be- berbergt, inbem fich dieſe bald in weiße Affen, bald in weiße Elefanten verwandelt. Der Glückliche, welcher ein folches Thier fängt, erhält zunächſt fo viel Land, als ber Schell eines Clefantenfchreies durchdringt und außerdem ein Jahrgeld von 600 Tikol. Der Statthalter ver Provinz, in der er. ent» deckt tft, berichtet das glüdliche Ereigniß nach Bangkok, und e8 wird eine Straße durch die Wälder bis an den nächiten Fluß gebahnt und ein reich mit Blumen gefchmitdtes Floß berge- jtelit, anf dem das heilige Thier unter einem Iuftigen Gebäude untergebracht und mit Zuderrohr und Kuchen gefüttert wird, Der Efefont wird dann, von hohen Mandarinen und Muftt geleitet, von 50 bis 60 Booten nach Bangkok gerubert, wo er vom Könige, an ber Spike ber höchften Beamten, empfangen und ihm ber Rang eines Mandarins erfter Klaffe in Gnaben verliehen wird. Sein Stall befindet fich innerhalb bes königli⸗ hen Palajtes, und er erhält eine Menge Beamte zu feiner Bedienung. . Die einen müſſen für fein Sutter forgen, bie andern ihm Kühlung zufächeln ober ihm die Fliegen abweh- ren, wieder andere jein Lager mit Blumen Jchmüden oder ihm Muſik machen, um ihm bie Zeit zu vertreiben. Seine Zähne werben mit golvenen Ringen gejchmüdt, und alles wirft fib vor ihm nieder. Wenn er zum Baden geht, bält ihm ein Beamter einen rothen Sonnenfchiru über ven Kopf, und durch Hornfignale wird ven Volle angezeigt, ihn Plak za machen. Bei feinem Tode wird allgemeine Zanbestrauer

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verordnet und das Begräbniß ift ebenfalls von großem Pompe begleitet. Zu ben Dienftleiftungen niebrigfter Art für ihn, als Grasſchneiden, Reinigen des Stalles, werben Zalapoins genommen, bie, fich eines Vergehens gegen das Cölibat ſchul⸗ dig gemacht haben. Der gegenwärtige weiße Elefant ift jedoch feineswegs weiß, fondern chocoladenfarbig, da wirkliche Albi- n08 unter den Elefanten außerordentlich felten find und man fih daber ſchon mit einem hellen Grau zufriedenftellt. Die holländiſche Regierung bat anf Sumatra einen wirklich wei- Ben Elefanten einfangen laſſen nnd beabfichtigte bei unferm Abgange dieſen dem Könige von Siam zum Geſchenk zu ma- hen, wodurch man wol große Freude im Lande erregt haben wird. |

. Außer den Elefanten werben als Zug⸗ und Laftthiere bauptjächlich Büffel benugt. Pferde fieht man faft gar nicht, und bei dem moraftigen Boden find fie auch nicht zn ver- werthen. Schafe find gleichfalls ſelten, Federvieh und Schweine dagegen gibt e8 in großen Maffen, lettere oft 4—500 Pfund ſchwer. Hochwild aller Art ift gleichfalls in Ueberfluß und wird zur Zeit der Ueberſchwemmungen zu Tauſenden erfchla- gen, wenn es fich.auf bie Kleinen troden bleibenden Erhöhun⸗ gen flüchtet. Hirfchgeweihe- bilden Daher auch einen bedeu⸗ tenden Ausfuhrartifel bes Landes, während das Fleiſch bie Märkte füllt und von ven Siamefen viel gegeflen wird.

An Früchten bringt Siam hervor, was nur irgenb ein teopiicher Boden vermag, und ebenfo reich find die Flüffe an Fiſchen. Diefer Ueberfluß an Nahrungsmitteln und bie Müheloſigkeit Des Unterhalts ift auch die Quelle der Trägheit ber Bewohner, und deshalb ift feine Ausficht, daß darin eine Aenderung eintrete. Die Entwidelung ver reichen Hülfs⸗ quellen des Landes. und fein Aufblühen zu einem bepeuten« ven Handelsftaate Aſiens haben wir beshalb hauptfächlich von ben Chinejen zur eriwarten, bie auch bereit das Ihrige

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dazu thun, oder auch dann, wenn, wie e8 fat den Anfchein

bat, Siam tbeilweife die Kolonie eines europäiſchen Staates

wird.

- Diefe letztere Eventualität jcheint König Mongkut jehr zu

fürdhten, und meiner Anficht nach hat er auch genügende Urfache

dazu. Die Sranzofen wollen nun einmal durchaus Colonien haben, obwol fein Volk fo wenig das Eolonifiren verfteht wie- fie. Nachdem fie Algier erobert, Milliarden von France und

Hunderttanfende von Menfchen bafür Hingeopfert, haben fie*® nah 30 Jahren enplich eine wohlgeregelte Colonie mit De-

partements, Präfecten, Militär und forcirtem Aderbau. Was

eine weife Regierung nur irgend für Maßregeln zur Hebung

eines Landes zu erfinnen vermag, ift in Franfreich für bas

Schoskind Algier getan, und dennoch bringt e8 nicht nur

nichts ein, fonbern koſtet dem Mutterlanbe jährlich 60 Millio⸗

nen Franc. Nun bat Napoleon bie Colonialpolitif ver letzten

Ludwige wieder aufgenommen. In ber Ermorbung einiger

fatholifcher Bifchöfe fand fich Gelegenheit, mit Cochindhina

anzubinben.

Nach fünf Jahren und abermaligen großen Geld- und Men⸗ ihenopfern bat man es endlich dahin gebracht, Das eroberte Land, mit bem Finger am Drüder ber Gewehre, in Departes ments einzutbeilen und Präfecten zu ernennen, wenn auch größtentheilg noch in partibus. Jetzt bat fich aber Heraus- geſtellt, daß Cochinchina ein Kirchhof für Europäer und als Colonie ſehr problematifch tft... Dan wendet deshalb die Blide auf eine gefündere Gegend, unb dies iſt zunächſt bie an das anamitifche Reich grenzende Kambodſcha. “Der fie durch⸗ ſtrömende Kambodſchafluß reicht einige 100 Meilen in Stam hinauf, und feine Schiffbarkeit bildet das fchänfte Zransport- mittel für alle Brobucte des reichen Landes. Der Boden ift zwar auch theilweije ſumpfig, aber das Klima im Vergleich zu Saigon viel gefünder. Zwar gehört die Kambodſcha zu Siam,

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allein da fie im vorigen Jahrhundert noch einen heil von Anam bildete, läßt fich ja leicht pas Nationalitäteprincip in Anwendung bringen, und überbies Tann bie Auffindung einee Differenzpimktes Franfreih feine Schwierigkeiten machen. Um biefen recht fehleunig herbeizuführen, haben die Franzoſen im December 1861 Pulo Condore befeßt und als fran- zöfifches Eigenthum erklärt. Pulo Condore ift eine ziemlich große Inſel mit zwei fchönen Häfen vor ber Mündung des Kambodſchaflufſes und war bis dahin im Befitze des Königs von Siam. Die Häfen geben eine vortreffliche Flottenftation and beherrichen vollſtändig die ganze Kambodſcha. Da man jedoch glaubte, daß bie Beſitznahme vielleicht noch nicht den gewünjchten Zweck haben werde, fo ging man in Banglok felbft gleichzeitig noch weiter. Nach den. Verträgen barf fein be- waffnetes Schiff in den Mainam hinein, und ebenfo wenig dürfen frembe Truppen das. Land betreten. Am Tage, als wir vor Bangkok anlangten, war aber eine vollarmirte Corvette bis zur Reſidenz hinaufgedampft. Gleichzeitig brachte ein franzöſiſches Dampftransportfchiff die fiamefifche Geſandtſchaft, welche Frankreich befucht hatte. Der Kaifer ſchickte mit dieſer Geſandtſchaft einen eigenhänvigen Brief an den König und das Großkreuz ber. Ehrenlegion. Der Brief ging aljo bie Franzofen weiter nichts an, und König Mongkut gab dies auch deutlich dadurch zu erkennen, daß er ihn auf bas feierlichite mit 24 föniglichen Piroguen von 16—30 Ruderern einholen ließ. Zrogbem beftanden aber die Franzoſen barauf, auch ihrer⸗ ſeits das Handfchreiben mit ven gehörigen Ehren zu begleiten, und es wurden 50 Mann Soldaten ausgefchifft, bie zwar nicht den Brief geleiteten, aber acht Tage in Banglok ver- weilten. | N Es fcheint nicht,. daß dies Verfahren bie gewünfchte Wir- fung herbeigeführt hat. Mit der Zeit. wirb fie jeboch wol ein⸗ treten, und bie Maßregeln, daß alle in Siam anfäffigen Cochiu⸗

283.

hinefen fich beim franzöftihen Eonful einfchreiben können und dadurch factifch unter franzöfiichen Schuß geftellt werben, , zielt wol auch darauf hin. Wenn China und Merico erledigt find, wird Siam an die Reihe kommen, bis babin hält man die Wunde offen. Bon englifcher Seite wurden natürlich alle biefe Vorgänge mit eiferfüthtigen Augen betrachtet; allein was wollen die Engländer machen, wenn die Franzoſen wirklich Siam erobern? Sie haben fih in China fchon lange daran gewöhnen müſſen, dem franzöftfchen Einfluffe zu weichen, und die Franzoſen haben auch anderwärts ähnliche Sachen gemacht, ohne die Engländer zu fragen. Weberdies würden jene nur mit bemfelben Rechte handeln, mit dem die Englänver feit Jahr⸗ hunderten in Indien annectirt haben, mit dem Nechte bes Stärtern, und ich bebauere nur von Herzen, daß Preußen nicht ebenfalls Eolonien annectirt. Es gibt deren noch genug, bei deren Beſitznahme fein legitimes Recht verlegt wird, und es bebürfte wol nur einer Offerte an Holland, um vie Hälfte von Sumatra ober Dorneo zu erlangen. Sie wären beides gar zu gern los, da das Mutterland für die productive Co⸗ loniſirung jo ungeheurer Länderſtrecken zu Hein ift, und nach allem, was man an Ort und Stelle darüber Hört, fürchten bie Holländer am Ende nur für andere zu arbeiten. Sie allein können faum Java gegen einen feinplichen Angriff halten, ge- jchweige denn die übrigen Sunda⸗Inſeln. Daraus machen fie ſich kein Geheimniß, und fte würden es beshalb Tieber friedlih an eine ſtammverwandte Nation abtreten, bie ihnen im Fall der Noth zur Seite fteht, als in fteter Angft ſchweben, es zu verlieren. Java bringt jährlich AO Millionen Gulden netto in den Staatsfchat. Sumatra ift ebenjo reich, und unfere Finanzen könnten, abgefehen von allen andern Vor⸗ theilen, wol eine folche Unterftügung gebrauchen.

Bon einem Widerftande gegen franzöfifche Vergewaltigung bürfte in Stam kaum die Rede fein, folange nicht andere

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Maßregeln zur Vertheidigung des Landes getroffen werden. ‚Wenn die Franzofen wollen, fo ſchicken fie in brei Tagen eine Dampfflotte von Saigon nach Bangkok, die weder durch die Kanonen noch Sperrfetten aufgehalten werben wird, und die Hanptftadt und damit das Land gehört ihnen. Wenn es auch Feine Militäritraßen in Siam gibt, fo find doch die vier Hauptflüffe für Dampffanonenboote fahrbar und das Land fremden Truppen daher bis an feine äußerften Grenzen zus: gänglich. Der König befitt zwar ein europäifch gebautes Ge- ſchwader von mehreren Schraubencorvetten und kleinern Dampffahrzeugen, allein das unglüdliche Princip, nichts zu repariren, und bie auf halbem Wege ftehen bleibende Civi⸗ liſation der Stamefen macht dieſe Schiffe ebenfo wenig furdht- bar als die verrofteten Kanonen ber Forts. Die 200 Kano- nenboote, welche einft mit einem enormen Koftenaufwande in einem Anfalle von Bertheibigungsfieber gebaut worden, und für deren jedes ein eigener Hafen gegraben wurde, Tiegen im Hafen total verfault und zum größten Theil bis an den Rand mit Waffer gefüllt.

Ebenfo wenig ift das fiamefifche Heer, deſſen einigermaßen brauchbarer Theil 10000 Mann nicht überfteigt, im Stande, einen gelandeten enropäifchen Feind wieder zu vertreiben. Trotz ihrer Tapferkeit, hinter der das Strafgeſetzbuch fteht, das jedem mit Hinrichtung droht, der nur auf Klafterlänge vor dem Feinde zurücweicht, find die finmeftichen Sol- baten den tapfern Chinefen nicht viel überlegen, unb wenn ber König auch feit 10 Jahren europäifche Uniformen und Erereitium eingeführt hat, fo ift das Wefen der Armee nicht viel damit verbeffert.

Und doc kann es faum ein Land geben, das leichter zu vertheidigen wäre als Siam. Ein paar ftarfe Forts an ber Mündung jedes ver vier Flüffe, einige ſchwimmende Batterien, beides mit wirkſamen Geſchützen armirt und von tapfern

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Soldaten vertheidigt, würden jeden Angriff vergeblich machen, da die Natur bes moraftigen Bodens jede Landung an ber Küfte verbietet.

Sollte Siam aber von einer eutopäifchen Macht erobert werben, fo ift e8 zugleich das Land, um bie Kriegskoſten zu . bezahlen. Wenn auch die orientalifche Weberfchwenglichkeit ver Bewohner Bangkoks die Schäte des Palaftes übertreiben mag, fo ift der darin enthaltene Reichthum an edlen Metallen und Juwelen doch ganz bedeutend und. für europäiſche Be⸗ griffe immer fabelhaft. So 3.3. ftehen in dem Tempel, in dem ben Königen bei ihrer Thronbeſteigung der Eid geleitet wird, und ber fich ebenfalls innerhalb ber Palaſtmauern be- finvet, einige preißig Buddhaſtatuen von 6 Fuß Höhe aus maffi- vem Golde, und die Stirn eines jeden dieſer Götzen ift mit einem nußgroßen Diamanten gefchmüct Außerdem enthält dieſer Tempel noch. eine andere Statue des Buddha von 1Y, Fuß Höhe aus einem einzigen Smaragd gejchnitten. Das Toftbarfte Prachtſtück ift jedoch das vom jeßigen König bei ber Thron« befteigung feinem verftorbenen Bruder geſetzte Monument, an dem 600 Goldſchmiede unausgefegt neun Monate arbeiteten. Es ift 31 Fuß hoch und befteht aus neun Abtheilungen, die zufammen ein Thor bilven, das mit ftarfen Golpplatten bedeckt und auf das feinfte cifelivt if. Auf dem Thore ftebt eine 9 Fuß hohe maſſiv goldene Urne, welche bie Ueberreite des verftorbenen Königs enthält. Iſt Dankbarkeit nach Gelb- ſummen zu berechnen, fo bat Phra Somdet Mongfut es fich etwas Gehöriges koſten laſſen, um feine Dankbarkeit dafür an den Tag zu legen, daß fein Bruder ihm die Thronfolge überließ und ihn nicht zu Gunften bes eigenen Sohnes aus ber Welt fchaffte.

Das Klima von Siam ift im allgemeinen troß ber Ueber⸗ ſchwemmungen, des Marſchbodens und ver vier bis fünf Monate dauernden Regenzeit nicht fo uhgefund, als man

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glauben ſollte. Wechjelfieber. find zwar jehr häufig aber leicht und nur die Waldfteber find den Europäern gefährlich, weil fie faft immer einen tödlichen Ausgang nehmen. In YBang- tot, wo der Seewind Zutritt Hat, ift jedoch nichts zu fürchten, ba die Walpfieber nur im Innern in den Urwalbregionen graffiren. Nur Disenterien find ſehr häufig und lebens» gefährlih, und namentlich litten unfere Schiffsmannschaften fehr darunter, von denen über 20 Dann diefer Krankheit und ihren Folgen erlagen.

Die Abfchließung unjers Vertrags in Siam miachte durchaus keine Schwierigkeiten. Schon ſeit einem Jahre war Graf Eu⸗ lenburg vom Könige erwartet, der ſehr gern mit Preußen in Verbindung treten wollte, und die Einleitungen zu den Ber- bandlungen nahmen alsbald nach Ankunft des Geſandten ihren Anfang. Vorausſichtlich war nach ſechs Wochen alles nach Wunfch geordnet. Da das Gefchwaber. alsdann nach Preu- gen zurüdgehen follte, ſo lag für die Elbe als Transport⸗ ſchiff feine Veranlaffung zum fernern Verbleiben vor, und wir traten demnach am 24. December 1861 unfere Reife nach ber Heimat an. Der Vertrag felbft wurde im Februar 1862 zu alffeitiger Zufrievenheit abgefchloffen. Graf Eulenburg ging mit der Gefandtichaft von Singapore aus über Land nad Europa und die Schiffe im März über Java nach ber Cap⸗ ſtadt. Hier verweilten fie einige Wochen, um fich zu trennen. Die Arkona jegelte heimwärts, die Thetis dagegen zuerft nach ben 2a Blataftnaten und Bahia, welchen lettern Ort fie Mitte Juli verließ, um dann ebenfalls nach Preußen zu gehen.

35.

Abreife der Elbe von Bangkok am Weihnachtsabende 1861. Ankunft zu Anjer auf Java. Einladung und Reife nach Serang, dem Site ber Regentſchaft. Ueppigkeit und Hoher Eulturftand ber Landſchaft. Die blühenden Berhältniffe der Eolonie Sana. Die Holländer ale Mufter- coloniften. Die Agrarverhältniffe und die Behandlung ber Eingeborenen. Der-Ertrag Javas und bie Bortheile, welche Holland aus ber Eolonie zu ziehen weiß. Die Stadt Serang. Das Schachſpiel ber japanifchen Großen, Rücreiſe nach Anjer.

Mit freudigem Herzflopfen empfingen wir Ende December 1861 den Befehl zur Rückkehr nach dem Vaterlande. Am Weihnachtsabend, . vem britten, welchen wir fern von ben Unfern und ber Heimat verlebten, verließen wir mit ſchwachem Landwinde die Rhede von Bangkok und jteuerten dem Süben zu. Wir hatten uns anf eine vierzehntägige Reife nach Sin- gapore gefaßt gemacht, da ver Januar für ben Golf von Siam gewöhnlich reich an Winpftillen ift, wurden jeboch an- penehm durch eine frifche Norboftbrife enttäufcht, die uns ſchon am 29. December,. alfo in fünf Tagen, .an unfern nächſten DBeitimmungsort brachte. In Singapore mußten wir zur Ausführung einiger Reparaturen vierzehn Tage blei- ben. In der Phyfiognomie der Stadt und Juſel hatte ſich jeit unferer legten Abwefenheit nichts Wefentliches geändert, und ih wüßte nichts Bemerfenswerthes zu meiner frühern Schil- berung hinzuzufügen. In Siam hatten wir bereitS mehrere

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Thiere für den Zoologifehen Garten in Berlin an Bor ge- nommen, und dieſe Sammlung wurde noch beträchtlich im Singapore vermehrt, da die großen leer ftehenpen Räumlich- feiten des Schiffs eine äußerft günftige Gelegenheit für ven Transport gewährten. Um diefe Sammlung möglichit reich= haltig zu machen, Tiefen wir auch Anjer auf Java an, ben Punkt, wo, wie ih ſchon früher erwähnte, ſämmtliche von Oft und Weft fommenden Schiffe anlegen, um ſich nach langer Seereife zu erquiden ober Erfrifhungen für eine folche mitzunehmen. Leider trafen wir es fchlecht mit der Witterung. Der Norpweftmenfun ift der Winter in Java und im Januar namentlich faft täglich von anhaltendem Regen und beftigen Stürmen begleitet.

Wir hatten von Singapore nach Anjer eine außergewöhn⸗ ih ſchnelle Reife von nur drei Tagen, während Schiffe felbft im Nordweſtmonſun felten unter acht Tage gebrauchen, und Tangten am 16. Januar 1862 früh auf der Rhede an. Unfer Aufenthalt dauerte ſechs Tage. Aber troß der kurzen Zeit, des nur felten unterbrochenen Regens und ber an- haltenden Stürme verlebten wir auf Java bie fchönften und angenehmften Zage und. nahmen von ber prachtvollen Infel _ Erinnerungen mit, die lange in unfern Herzen nachhalfen und von allen auf der Reife empfangenen Einprüden am Ieben- digſten bleiben werben.

Es ift von Reiſenden viel und mit Recht die Gajtfreund- fchaft gerühmt, welche ihnen im Auslande entgegengetragen wird;. aber Java ift das Land, wo man diefelbe in einem “über alles Lob erhabenen Grade übt. Die Holländer er- weiſen fih ben Deutjchen gegenüber als ein wahrer Bruber- ftamm, und wo wir mit ihnen zufammengetroffen, haben fie uns mit der herzlichften Freundſchaft empfangen.

Wir waren faum einige Stunden vor dem Tieblichen Anjer zu Anker gefommen, als wir bereits telegraphiich von dem

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Refidenten ver Provinz Bantam, zu der Anjer gehört, eine Einladung nad) Serang, dem Sit der Refiventichaft, erhiel- ten. Zugleich wurbe eine mit ſechs Pferden befpannte und von zwei DVorreitern hegleitete Exrtrapoft geftellt, und ſchon nach einer halben Stunde flogen wir mit Winpeseile durch die reichen und hochcultivirten Fluren der fchönen Inſel, ver Perle nicht allein aller holländifchen, fondern fämmtlicher Colonien der Welt. Serang liegt 22 Paal oder 5Y, veutjche Meilen von Anjer entfernt, eine Tour, die wir in zwei Stun- den zurücklegten, inclufive des durch vier Relais entftandenen Aufenthalts. Der Weg, eine auf beiden Seiten bepflanzte Chauſſee, war nicht gepflaftert, ſondern mit Raſen bedeckt, auf dem es fich fo fanft wie auf einem Teppich fuhr. Diefer führte zuerft eine halbe Meile am Strande entlang und bog dann in das Innere ein, wo, er fich bald durch Neis- und Zuderfelver, bald durch mächtige Waldungen hinzog, bie, jorglam gelichtet, den Kaffeeplantagen durch ihre reichen Blätterkronen als Schirm gegen bie brennenden Strahlen ber Tropenfonne dienten. in fteter Wechfel der Scenerie, bie eine immer lieblicher und ſchöner als bie andere, erfreute das Auge. Die üppige Vegetation, die reichen großartigen Formen der tropifchen Flora gaben Zeugniß von der unerjchöpflichen Productionskraft des jungfräulichen Bodens und bie treffliche Cultur des Landes von dem Fleiße und ber Induſtrie ber Bewohner. Ich erinnere mich nicht, je eine europätfche Eolonie m einem jo blühenden Zuſtande gefehen zu haben wie Jana, das ich auf meinen frühern Reifen von vielen verfchienenen Bunften kennen gelernt, aber überall fo wie bier gefunden babe.

Man macht den Holländern viele Vordick, man nennt fie engherzig, ſtarrköpfig, altväteriſch, und behauptet, daß fte nicht mit der Zeit. fortfchreiten. Mag dies mit Recht oder Unrecht gefchehen, fo viel ſteht feit, daß fie das Coloniſiren

Werner. I. 19

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verftehen wie feine andere Nation. Das Können fogar bie Engländer nicht in Abrede ftellen, obwol fie es mit Wider⸗ ftreben zugeben und gleichzeitig ihre Rivalen der Inhumanität zeihen. Letzteres ift jedoch eine ungerechte Behauptung, und ich überlaffe es dem Xefer, darüber jelbft zu urtheilen, indem ih das holländifhe auf Java befolgte Syſtem in kurzen Worten fehildere.

Da das Mutterland ftets außer Stande war, bie oftin- bifchen Eolonien, von denen Java allein eine Bevölkerung von 9 Milfionen zählt, durch bloße phyſiſche Machtentwicelung in Unterthänigleit zu halten, welche die javanifchen Fürften und Kronprätenventen oft abzufchätteln verfuchten, jo ſah fich die Negierung genöthigt, eine moralifhe Gewalt zu Hülfe zu rufen, indem fie feit der früheften Occupation einen jeden Europäer dem Eingeborenen gegenüber als höheres MWefen binftellte. Wir finden dies Princip ebenfalls bei allen übrigen europäifchen Colonialmächten; allein die Holländer find bie einzigen, welche es nicht gemisbraucht und daher von ihren Unterthanen weder als Despoten gehaßt werben noch ihr Ans jeben .als eine höher ftehende Raſſe durch erniebrigende Hands lungen eingebüßt haben. Neben einer umnachfichtlichen und drakoniſchen Strenge, fobalo fich ein Eingeborener gegen einen Weißen vergangen, herrſcht andererſeits bie unparteiifchfte Ge- rechtigfeit im umgefehrten Falle, und ein Eingriff in bie Rechte eines Eingeborenen wirb ſtets an dem Weißen geahndet. Die größte Schonung aller religiöfen und focialen Vorurtheile des Volks iſt einer der erften Negierungsgrundfäge, und es wird 3. B. fein Beamter angeftellt, der nicht der malaitfchen Sprache mächtig iſt. In frühern Zeiten, wo bie einheimifchen Fürſten noch öftere Empörungsverjuhe machten, wurden abends häufig Europäer auf den Straßen ermorbet, und es ſchien unmöglich, fich gegen folche Ueberfälle zu -[chügen, da bie braunen Javanen in der Dunkelheit nicht von den umge-

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benden Gegenftänden zu unterfcheiden waren. Es wurde da⸗ ber ein Gejeß erlaffen, daß jeder Farbige auf der Infel nach Sonnenuntergang eine Tadel zu tragen habe. Wer ohne eine folche betroffen wurde, der warb am folgenden Tage gehängt. Diefe Maßregel, infolge deren fofort dem Unwefen ein Ziel gefegt wurde, ift ein Beifpiel, wie die Holländer es verflan- ben, fich gefürchtet zu machen. Als wir nach Serang fuhren, büdten fich die uns begegnenden Eingeborenen vor uns zur Erbe nieder und nahmen ven Hut ab, eine Disciplin, welche fie beftändig daran erinnern fol, daß die Weißen ihre Herren find.

Die Sklaverei befteht factifch auf Java, jedoch wird fie fo milde gehandhabt, daß fie eher einer patriarchalifchen Ab- hängigfeit gleicht. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, dies Verhältniß zu beobachten, aber faft überall eine rührenbe Anhänglichkeit der Sflaven an ihre Herrfchaft gefehen, pie nur ein Refultat der humanen Behandlung fein konnte. Mis- handlungen jeder Art find ftreng vom Geſetz verboten, und der betreffende Herr bat auf eine begründete Klage des Sklaven biefen jofort freizulaffen. Die Holländer waren jedoch nicht bamit zufrieden, eine ſchöne Infel zu befiten und 9 Millionen Savanefen ihre Unterthanen zu nennen, fie wollten auch allen möglichen Nuten baraus ziehen und bewerfitelligten dies fol- gendermaßen. Zunächit erklärten fie alles bereits vorhandene und noch zu bearbeitende Culturland wie überhaupt ben ge- fammten Grund und Boden der Infel für Staatseigenthbum, bas wol von Weißen als Befißthum eriworben, von den Ein- geborenen aber nur pachtweife benugt werben Tonnte. Einer jeden Ortfchaft wurbe nach Verhältniß ihrer Einwohnerzahl eine beftimmte Ouantität Land zugetheilt, aber für die Nutz⸗ nießung dem Bauer zugleich auferlegt, fo und fo viel Kaffee, Zuder u. |. w. ber Regierung für einen gewiffen Preis zu liefern. Diefe Verorpnung hatte einen doppelten Zweck; einmal brachte

19°

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fie dem Staatsichage eine ganz beträchtlide Summe ein, und fodann hielt fie die von Natur trägen Javaneſen an, das Land zu cultiviren und ſich an eine thätige Lebensweife zu gewöhnen.

So 3. B. werden von 2 Morgen Land 5 Piful (120 Pfund Zollgewicht) Kaffee verlangt und jeder Bilul von der Regie— rung mit 7 31. (4 Thlr.) bezahlt. Die 2 Morgen Land fönnen aber minvejtens 10 Piful hervorbringen, ſodaß ver fleißige Eingeborene vie Hälfte fein Eigenthum nennen fanı. Den Veberfluß des Ertrags nimmt ebenfalls die Regierung, aber fie bezahlt ihn mit dem gangbaren Preife und zu dem wirk- lichen Werthe von 28 Fl. pro Pikul, und zwar an Ort und Stelle, ſodaß dem Producenten Feine weitern Koften für Transport 2c. erwachlen Der Bauer kann daher durch Fleiß und Thätigkeit fich nicht allein einen bequemen Lebens unterhalt, fondern fogar ein Vermögen erwerben, da die Re⸗ gierung ihm gegen jene, Bedingungen eine beliebige Quanti⸗ tät Land überläßt. Wenn auch in der erften Zeit biefe Ein- richtung wenig Anklang fand, bewährt fie fih doch von Jahr zu Jahr mehr, und die Production der Injel ſowie die Wohl: habenheit der Bewohner hebt fich beftänbig.

Sp iſt es gekommen, daß Java jetzt einen Nettoertrag von 40 Mill. Fl. abwirft, daß es Holland in den Stand ſetzt, eine Armee von 10000 Mann in den Colonien, eine Flotte zweiten Ranges zu erhalten, die Zinſen ſeiner enormen Staatsſchuld zu decken und außerdem noch einen beträchtlichen Ueberſchuß in den Staatsſchatz abzuführen, abgefehen von dem Nuten, den Rhederei und Handel des Landes aus der Colonie ziehen. :

Und die Javaneſen befinden fich wohl dabei. Anftatt der ewigen Fehden ver vielen einheimifchen Fürften, die gegen- feitig Das Eigenthum der Unterthanen rvaubten und dieſe als Sklaven verkauften, erfreuen fie fih unter ver Herrichaft

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der Holländer einer friedlichen Ruhe und des Schußes ihres Eigenthums. Das Land erblüht überall wie ein Garteı, Armuth eriftirt nicht, und wenn den Holländern vorgeworfen wird, daß fie nichts für das geiftige Wohl ihrer Unterthanen thbun, weil fie in Java feine Miffionare zulaffen und alle Profelytenmacherei ftreng verpönten, fo find fie wenigftens bejtrebt, deren materielles Wohl auf jede Weife zu fürbern, und das ift mehr, als im allgemeinen von den übrigen euro⸗ päifchen Colonialmächten in Bezug auf ihre farbigen Unter» thanen gefagt werben kann. In Java gibt es z. B. Feine conceffionirten Opium-Shops wie in den englifchen Colonien, aus denen die Negierung auf Koften der moralifchen und phnfifchen Gefunpheit ihrer Unterthanen ſchwere Steuern zieht. Sodann bin ich mit den Holländer aber auch der Anficht, daß die farbigen Völker und beionvers bie Bewohner der ZTropenländer unfähig find, je die Eulturftufe der kankaſiſchen Raſſe zu erreichen, daß zu ihrer höhern geiftigen Entwickelung vor allem erft eine Gewöhnung an ein thätiges Leben erfor: derfich ift, und daß die Megierung ihre vornehmfte Pflicht erfüllt, wenn es ihr gelingt, durch weile Maßnahmen eine folche Wandlung herbeizuführen.

Serang ift ein Heines befeftigtes Städtchen, reizend gelegen und mit dem Miltär von circa 200 Europäern bewohnt. Die vornehmften Gebäude find die Wohnungen oder vielmehr Paläfte des Reſidenten und des javaneſiſchen Regenten. Nes ben den holländiſchen Beamten in den Reſidentſchaften gibt es nämlich noch ſtets eingeborene, die gewöhnlich aus den angeſehenften javaniſchen Familien ſtammen und deren Er» gebenheit ſich die Holländer ſichern wollen. Jede Provinz hat deshalb außer dem Reſidenten noch einen inländiſchen Regenten, der ein Gehalt von 12000 Fl. bezieht, und dem alle Ehrenbezeigungen eines Gowverneurs erwieſen werben. Wir machten dem Regenten von Bantam unſere Aufwartung

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und fanden in ihm einen Tiebenswürbigen alten Herrn, ber ver holländiſchen Sprache vollftändig mächtig war, und mit dem wir uns auf das angenehmfte unterhielten. Leider ver- ftattete die Kürze unfers Aufenthalts nicht, einigen javaniſchen Veitlichkeiten, die nach Verlauf einer Woche jtattfinden follten, beizumohnen; doch verfchaffte uns der Regent noch ein origi⸗ nelles Schaufpiel, das wol einzig bafteht. In einem mächti- gen Saale feines Haufes befanden ſich 64 quabratiiche Er- böhungen von ein Fuß angebracht, die zufammen wieder ein Quadrat bildeten. An den Seiten des lettern liefen Reihen von Sigen, zu denen wir geführt wurden. Gleichzeitig erfchie- nen 32 Iavanejen in pbantaftifchem Aufpug und nahmen, fich einander gegenüberftellend, auf ebenfo viel Erhöhungen Plag. Der Regent begann nun, die eine Partei und eim anderer hochitehenver Javaneſe die zweite zu commanbiren. Bis da⸗ bin wußten wir nicht die Bedeutung dieſes Schaufpiels, jetzt wurde e8 uns aber Har, daß wir vor einem folofjalen Schach- bret faßen, deſſen Figuren die 32 Javaneſen waren. Das Spiel, welches jeboch in einer von ber unfern abweichenpen Weiſe geſpielt wird, ift eine der vornehmſten Beluftigungen der javanifchen Großen, und faft alle haben in. ihren Woh- nungen einen ſolchen Schachſaal.

Am andern Tage Tehrten wir in Begleitung des NRefiben- ten, feiner Familie und des Negenten, bie unjer Schiff ſehen wollten, nach Anjer zurüd. Wir hatten vier Wagen, jeder mit ſechs Pferden beipannt, und da uns außerdem circa 40 Vorreiter und Bediente zu Pferde geleiteten, fo bildete ber Zug eine fürftliche Cavalcade, die mit Windeseile pahinbranfte, bisweilen jedoch -plößlich ins Stocken gerieth, wenn es ben eigenfinnigen Ponies einftel, til zu ftehen, was fie bei jeder Steigung des Weges verfuchten und gewöhnlich auch troß alles Schimpfens und Peitſchens durchſetzten. Es blieb dann nichts anderes übrig, ale daß ſämmtliche Reiter abfaßen und

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den Wagen fo lange vorwärts fchoben, bis er ben Pferden in die Hacken kam unb dieſe fich durch folches von ber Beitfche unterftäßte Mandver beivogen fanden, ihren Weg fortzufegen.

Bei unferer Ankunft in Anjer wehte es jo hart und das Wetter blieb auch fpäter fo lange fchlecht, daß wir brei Tage lang von unſerm Schiffe abgefchnitten waren. Erſt am vier- ten Tage konnten unſere liebenswürbigen Wirthe das Schiff befuchen, und am folgenden fagten wir ihnen und dem . fehönen Java Lebewohl, um dem Süden zuzuftenern und für lange Wochen wieder auf dem blauen Waffer umberzu- ſchwimmen.

36.

Ein neuer Weg dur ben Inbifchen Ocean. Ankunft der Elbe am Gap ber guten Hoffnung. Die Tafelbai und der Tafelberg. Die Cap⸗ flabt, ihre Lage und Bevölkerung. Die „Afrikaner“. Die holländi- Ihen Eoloniften und die Engländer. Vernachläſſigung der Communi⸗ cattonsmittel unb ihre Yolgen. Handel und Erzeugnifle der Eapcolonie, Der Capwein. Das Dorf Eonftantia. Zwei große deutſche Firmen in ber Eapftadbt. Warnung an bie Deutfhen. Die Kaffernkriege. Gou⸗ verneur Sir George Grey. Das Kafferncollegium. Die Kaffern- teuppen. Die Hottentotten.

Mir nahmen nach dem Cap der guten Hoffnung einen andern als den gewöhnlichen Weg. Der Amerifaner Maury, deſſen Forſchungen die Schiffahrt fo unendlich viel verdankt, empfiehlt nämlich, ftatt des üblichen diagonalen Curfes, zwifchen den Breitenparallelen von 15—20 Süd bis nahe Mauritius zu fegeln und dann erft ſüdlich zu geben, weil in jenem Breitengürtel der Süpoftpaffatwind am ftärfften wehe und die Schiffe deshalb eine fehnellere Reife machen würven. Wir befchloffen, diefe neue Tour zu verjuchen, und fanden, wie früher ſchon fo oft, daß Maury vecht habe... Wir durch⸗ fegelten in einer Zeit von funfzehn Tagen eine Strede vou 765 geographijchen Meilen und liefen am 28. Tage, nachdem wir Java verlaffen, bie ſüdöſtliche Spite von Afrika an. Wir trafen bier zwei Theeichiffe, die von China kamen. Hier- zu werben ftets die beiten Segler genommen, da ber Thee burch längere Seefahrten leidet, und es war fein Kleiner Triumph für uns, daß beide Schiffe zwölf Tage vor ung bie Sundaftraße verlaffen, aber doch nicht eher als wir an jenem Punkte angelommen waren, weil fie ben gewöhnlichen Weg

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genommen. Wir hatten daher lediglich der neuen Tour un⸗ fern bedentenden Vortheil zu danken.

Die verhältnißmäßig kurze Strede von ber Süpofifpike Afrikas nad dem Kap der guten Hoffnung, melde fidh bequem in vier Tagen zurücklegen läßt, Toftete uns jedoch fieben Tage, da wir noch einen 36ftündigen fihweren Weft- ſturm durchzumachen und überhanpt faft ven ganzen Wen zu kreuzen hatten. Am 37. Tage liefen wir in bie Tafelbai ein, gerade als der Zafelberg fich mit einem weißen Wolfentuche benedt Hatte and uns den Tafeldeder in Geftalt einer fehr fteifen Süpoftbrife entgegenfandte. Diefe Südoſter find am Cap eine ganz eigenthümliche meteorologifche Erſcheinung. Sie wehen faft ausſchließlich während der Sommermonate, bisweilen nur nachmittags, bisweilen tagelang und gewöhnlich mit einer Gewalt, daß fie eher Stürme als Winde genannt werben müfjlen; doch beſchränken _fie fi merkwürdigerweiſe auf bie Tafelbei, die kaum eine geographiiche Meile im Durch⸗ mefjer Hält. Ihre Grenze ift fo ſcharf, daß man Häufig das Schauſpiel hat, von zwei Schiffen, die Tamm 200 Schritte im Eingange der Bai voneinander ‚entfernt find, das eine in to- taler Winpftille Liegen zu fehen, während das andere faft nur Sturmfegel führen kann. |

Der Daun, weldder die Sidſpitze Afrikas das Cap ber - „guten Hoffnung” wennen konnte, muß mehr als anſpruchs⸗ [08 geweſen fein. Ich glaube, daß kein Schiff daſſelbe um⸗ ſchifft, ohme von Stürmen beimgefucht zu werben, and obwol ich es diesmal bereits zum Techzehnten mal paffirte, Tann ich mich ur einer einzigen Tour erinnern, ‚die and) nur annü⸗ bernd gut Hätte genannt werben können. Bein erfter Ent- beder nannte es das „Cap der Stürme”, ud dies iſt es im wahrften Sinne des Worte,

Das Cap der guten Hoffnung erftredt fich als eine ſchmale felfige Landſpitze von ungefähr acht Meilen Länge ſüdlich in

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den Dcean hinein, deſſen gewaltige Wellen fich ſchäumend an . feinen ftellen Wänden bredden. Das nördliche Ende biefer Landſpitze bildet der Tafelberg, jo benannt wegen feiner ab- geflachten Kuppe, vie viel Achnlichkeit mit einer Tiſchplatte hat. Weftlich von dieſem Berge bildet die Küfte des Yeitlan- des die Tafelbai und öftlih die Simons- ober Falſche Bat, beides unfichere und fehr oft gefährliche Ankerplätze, nament- fih im Winter, wo Weftftürme in bie erftere und Oftwinde in die leßtere eine fo bimmelhohe See wälzen, daß die darin anfernden Schiffe faft immer auf den Strand treiben, wie dies vor zwei Jahren mit neun Schiffen an Einem Nach⸗ mittag geſchah. Man hat jet ven Bau einer Mole in ber Tafelbai begonnen, vie eine englifche Meile weit halbmond⸗ förmig hinausgeführt werben fol. Sie wird einige Millionen foften und vor den nächften zehn Jahren auch nicht fertig werben, aber ber dadurch geichaffene fichere Hafen wird von unberechenbarem Nuten für die Colonie werben und nament- ich die Capſtadt ganz beveutend heben. Diefe liegt am ſüd⸗ öftlichen Theile der Bai und am Fuße des Tafelbergs in einer fandigen und von aller Vegetation entblößten Ebene. Sie macht deshalb Feinen freundlichen Eindruck, und nur an der Oftfeite, wo Geld und Kunft die Natur verbefiert haben, ſchmückt das Grün von Gärten und Parks den öden Strand. Unter den letztern zeichnet ſich der botaniiche Garten wenn nicht durch feine Größe, ſo doch durch feine Reichhaltigkeit und Schönheit ans. Das Cap befigt jenes glückliche Klima, wo bie Palme neben ver Eiche, Kaffee und Zuder neben un- ferm Korn und die Weintraube neben ver Banane reift; was daher in ımfern Gärten fich Hinter Glas ängſtlich bergen muß, blüht und grünt bier im Freien wie in ber Heimat. Am ſtärkſten find auftralifche Pflanzen bier vertreten, unter denen

zablreihe Arten von Teſtudinarien durch ihre fonverbaren Formen bauptfächlich auffallen.

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Die Phyſiognomie der Stabt ift echt englifh. Sie zählt 40000 Einwohner, von denen jeboch nur etwa 6—7000 un: vermifchtes europäifches Blut haben. Die übrigen Bewohner bezeichnet man mit dem Namen Afrikaner, und ſie begreifen alle Mifcplinge von Europäern mit Negern, SHottentotten, Kaffern und fonftigen Farbigen. Unter letztern zeichnen fich noch bie fogenannten Malaien aus. Dies find die Abkömm⸗ linge von malaiifchen SHaven, welche die Holländer früher, als fie noch das Cap befaßen, von ihren oftindifchen Beſitzun⸗ gen einführten. Als die Engländer pas Cap eroberten, wur- ben bie Malaien frei, und fie bilden jet bie niebere Bürger- Hafle. Der Name Malaie ift jedoch faft das einzige, was von ihrer urfprünglichen Nationalität übrig geblieben ift. Sie find durch Vermiſchung mit Kaffern und Hottentotten ein ganz anderer Menfchenichlag geworden, ein ausgezeichneter ſowol in phufifcher als moralifcher Beziehung, und zeigen fich, was jedenfalls Beachtung verdient, ben Hottentotten und Kaffern weit überlegen. Sie erinnern fehr an bie fpanifchen und franzöfiichen Basken, befiten burchgängig eine fchlanfe Figur, einen kräftigen Körperbau und angenehme Gefichtszüge. Außerdem find fie arbeitfam und penible reinlich: Cigen- fchaften, die unter Völlern, deren Heimat bie Tropen find, jehr felten angetroffen werden. Mit ihrer Nationalität haben fie auch ihre Sprache verloren, aber merkwürdigerweiſe fpre- hen fie nicht englifch, fondern, wie überhaupt fünf Sechstel fämmtlicher Coloniebewohner, holländiſch. Das Cap ift jeit 50 Jahren engliſch, aber bisjeßt haben bie Engländer es nicht babin bringen fünnen, ihre Sprache auch nur zur offictellen zu machen. Sie find noch immer gezwungen, ihre Geſetze, Bekannt⸗ machungen in Holländifch zu erlaffen, weil außerhalb der Cap⸗ ftabt und Simonstown fein Kolonift, außer den geborenen Eng- ländern, englifch verfteht. Kirchen, Schulen, Zeitungen, alles ift holländiſch, und der englifche Beamte oder Kaufmann muß

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Conftantia Liegt 1%, Meilen öſtlich von der Capftadt am Fuße des Zafelberges, der bie Weinberge gegen die Falten Südwinde ſchützt. Es ift ein Hleines hübſches Dorf, das wegen feiner onfenartigen Erjcheinung in der umgebenden bürren Sandwüſte fo viel mehr Anziehung befigt und nicht nur von jebem Fremden, fondern auch vielfach von den Be—⸗ wohnern der Capſtadt felbft aufgefucht wird. Wir famen gerabe zur Weinernte und Tonnten uns an ben Trauben: er- laben, vem einzigen, was am Gap billig ift.

Unter ven Hanvelshäufern der Colonie nehmen zwei deutſche Firmen: Suffert und Gebrüder Mofenthal, eine der erften, wenn nicht die erſten Stellungen ein. Die lebtere. Firma befigt im Innern große Länderſtrecken, bebeutender ale viele Fürften- und Herzogthümer Deutfchlands, und beginnt fie durch Deutfche zu colonifiren. Einige taufend Landleute find aus der Gegend von Frankfurt auf Koften der Herren Moſenthal übergeftevelt, und es geht ihnen fehr gut. Ohne einen Contract mit Mofenthbal oder Suffert mögen fich deutſche Auswanderer jedoch wohl hüten, nah dem Gap zu geben. Infolge der hohen BPreife für alle Lebens- bebütfniffe und ver ihr bischen Habe bald aufzehrenden Reiſe⸗ toften in das Innere, wo fie allein Befchäftigung finden können, gerathen fie Teicht in Schulden, find gezwungen, bei den Boers Dienfte zu nehmen, und abgefehen davon, daß fie von dieſen faft wie SHaven gehalten werden, Tommen fie felten wieber aus der Abhängigkeit heraus. An den Grenzen, wo fie noch am eheften ein Unterfommen finden, haben fie außerdem noch ihre Eriftenz den Kaffern abzuringen, mit denen die Boers in tödlicher Feindfchaft leben. Letztere jchie- Ben die Kaffern wie wilde Thiere nieder und machen jedes friedliche Leben mit diefen Stämmen dadurch unmöglich.

Diefe Kafferntriege haben der Eolonie und England, das . die Soldaten ſchickt, ſchon unendliche Opfer gefoftet, ohne

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baß fie irgendwelche Vortheile brachten. Die engliiche Re- gierung hat deshalb auf Anrathen des vorleßten Gouverneurs Sir George Grey, des beften, den bie Capcolonie gehabt bat, eine andere Bolitif eingefchlagen, bie wahrfcheinlich beffer zum Ziele führt. Alle unterjochten Kaffernftämme müffen Geifeln ftellen, und zwar Kinder von 8—12 Yahren ber Häuptlinge und Vornehmſten. Diefe werden’ dann in bas fogenannte Kafferncollegium in der Capſtadt gebracht, das vor einigen Jahren zu dieſem Zwecke gegründet wurde unb von ber Regierung mit 20000 Pfd. St. jährlich fubventionirt wird. Hier bleiben fie bis zu ihren funfzehnten Jahre und werben in der chriftlichen Religion, in der englifchen Sprache und in gemeinnügtigen Kenntniffen unterrichtet. Mit dem funfzehnten Sabre wechfelt man fie gegen frifche Geifeln. Bei unferer An- wejenheit befanden fich einige funfzig dieſer jugendlichen Kaf- fern im Colleg und darunter acht bis gehn Mädchen. Sir George Grey, deſſen Amtsführung in England vielfach ange- griffen ward, hat mit diefem Inſtitut der Zukunft der Colonie jedenfalls den beften Dienft geleiftet, und die heranwachſende und in ber Capſtadt gebildete Generation wird gewiß in Triebe lichen Verhältniffen mit den Europäern leben.

Die Kaffern find in ihrer äußern Erfcheinung ben Negern ähnlich, jedoch viel hübſcher und intelligenter als dieſe. Sie find geborene Reiter und Krieger, muthig, tapfer und außer» ordentlich fchlau. Einer "ihrer Häuptlinge, Mofhes, ift ein erfahrener General, der die Engländer mehr als einmal in die Klemme gebracht hat. Mit Infanterie ift gegen die be- rittenen Kaffern wenig auszurichten, ebenſo wenig aber mit europäifcher Cavalerie, und die Engländer haben deshalb einige Negimenter dieſer Waffengattung aus den Stämmen treuer Kaffern gebildet, welche ihnen fowol im Kriege als im - Frieden, wo fie als Polizei fungiren, die wejentlichiten Dienfte leiften. Dieſe Kafferntruppen, von denen ein Regiment in

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ver Capftabt fteht, machen auf den Fremt ordentlich günjtigen Eindrud, Es find ſämmilich Yente von treffliher Haltung, denen man | jofort anfieht.

Die Hottentotten ericheinen bagegen wi Zwerge. Man erkennt fie fofort an ihrer ihrem ängſtlichen gedrückten Wejen, ven auff Gefichtszügen und dem überaus großen Mu von Natur jehr unreinlich und werden dadurch ber. Von den Kaffern werben fie fajt noch als von den Europäern.

Unfer Aufenthalt in ver Capſtadt dauerte und wir verließen fie am 17. März, um reife anzutreten.

37.

Die Heimreiſe. Naturbeſchaffenheit, Bevölkerung und Verkehr der Inſel St.⸗Helena. Das engliſche Geſchwader an der weſtafrikaniſchen Küſte. Verwendung der mit den Sklavenſchiffen genommenen Neger. Die Inſel Aſcenſion. Ankunft der Elbe in Swinemünde am 29. Mai 1862. Die Opfer, welche die oſtaſiatiſche Cxpedition gekoſtet. Die Bor- theile des Unternehmens für Gefammtdeutichland. Neellität, ein Haupt- erforberniß im Berfehr mit den Afiaten. 'Abſchied vom Lefer.

Am 29. März gelangten wir nah &t.- Helena, wo wir ebenfalls einige Tage blieben, um unfer Trinkwaſſer zu er- gänzen. Bon außen gewährt bie berühmte Infel einen trau- rigen Anblid, und die ftarren Felsmaſſen, welche bis zur Höhe von 1000 Fuß fleil aus dem Meere emporfteigen, laſſen nicht ahnen, daß das Innere bie reizenpften Thäler und Eulturftreden befigt. St. Helena hat 1%, Duabratmeilen. im Umfange und ift von 8000 Menſchen bewohnt, von denen etwa ein Drittel unverinifchter enropäifcher Raſſe fine. Die übrigen find Abkömmlinge von Weißen, NRegern und Malaien, und auch eine fleine Colonie von 3—400 Chinefen befteht hier, bie fich mit Aderbau beichäftigen und mit dem Zopfe alle Eigenthümlichkeiten ihres Vaterlandes bewahrt haben.

Die Hauptftadt und zugleich auch die einzige ber Inſel ift Samestown von circa 1500 Einwohnern. Sie liegt an ber Nordweſtſeite, und ihre Rhede ift mithin geichügt, ba in

. diefen Breiten beftändig der Süpojtpaffatwind weht. James⸗

Merner. I. 20

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town ift eigentlich nur eine Straße, die fich in einem engen Thale einige tanfend Schritt landeinwärts erftred. Da die Stadt zugleich der einzige Punkt der Infel ift, wo gelandet werden kann, jo ijt fie ſehr ftark befeftigt.. Mit ungemeiner Mühe und großem Kunftaufwand find Plateformen aus ben Wänden ver jteilen Küften gefprengt, um Batterien darauf anzulegen, und dieſe erblidt man noch in der Höhe von 600 Fuß auf dem weftlih von der Stadt Tiegenden Berge, ju dem eine Treppe von 735 Stufen in gerader Linie hin- aufführt. Die Garnifon benutzt dieſe gewiß einzig in ihrer Art daſtehende Treppe täglich, um feinen Umweg zu machen, obwol diejer weit bequemer iſt. Ich bin nur hinuntergegangen, aber ich rathe jedem Fremden, es mir nicht nachzuthun: ich

habe acht Zage gebraudt, um die Schmerzen an meinen

Tüßen zu verwinden. | -

Das Klima von St.-Helena ift außerordentlich angenehm und gejund. Die Lage der Infel auf dem 15. Grade ſüd— licher, Breite innerhalb des frifchen Südoſtpaſſatwindes bevingt dies. Sie bringt alle tropifchen Früchte hervor und ift fehr fruchtbar , aber nicht bie Hälfte des. culturfähigen Landes ijt bebaut. Der Ertrag reicht deshalb. lange nicht zur Ernährung ver Bewohner bin, und da der Ausfall durch Importen vom - Cap der quten Hoffnung gededt werden muß, jo kann man jich venfen, wie theuer alles fein muß. Ausgeführt wird von der Inſel nichts, und Die ganze. Bevdlferung lebt eigent- lid nur von der Schiffahrt, d: 5. von dem Wiederverkauf eingeführter Gegenftände an die Schiffe, welche die Infel an: laufen, um Waller zu füllen. Die Zahl folder Schiffe beträgt 2— 3000 jährlich, da: faft jedes von Dftindien fommende Fahr⸗ zeug St.-Delena als Anhaltepunft. wählt, und es bejteht da- ber in Jamestown ein reger Verkehr. Im allgemeinen berrjcht jedoch auf der Inſel große Armuthb, und das mangelnde Kapital iſt auch Die Urfache, weshalb nicht mehr Land urbar

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gemacht wird, ba das dazu erforberlihe Ter raſſiren be Bergabhänge ziemliche Koften verurfacht.

Fremde befuchen die Infel nicht, ohne einen Ritt nach Long: wood zu machen und die ehemalige Wohnung und bas Grat Napoleon’8 I. zu bejehen. DBelanntlich hat der jegige fran- zöftfche Kaiſer Longwood angelauft. und reftauriren laſſen. Es werten daher von dem Euftos weder Stüde des Eifen- gitters, noch Zweige von ber Trauerweide des Grabes mehr verfauft; alles ift nem, und an die Stelle des frühern engli« fchen Unteroffiziers ift al8 Wächter ver Baron von Rouge- mont, eine Neliquie ver alten Garde, getreten.

St.» Helena ift nebft Afcenfion ver Sammelpunkt für vie Schiffe des englifchen. weftafrifaniichen Geſchwaders, das von Sierrasteone bis zum Gap zur Verhinderung bes Stlaven- handels kreuzt. Durchfchnittlich werden von biefem Geſchwader jährlich fechs bis act Sklavenfahrer aufgebracht und ben Kapern von ber Regierung 5 Pf. St. für jeden Neger und 1 Pf. St. 10 Sh. für jeve Tonne des genommenen Schiffes als Prifengelvder ausgezahlt. Schiffe und Neger fchafft man nah St.-Helena. Erftere werden merfwürbigerweife zerftört, mögen fie noch fo fchön fein. Letztere fperrt man fo lange in Kafernen, bis fich Gelegenheit bietet, fie nach ben englifchen Befigungen in Weftindien zu fchiden. Dort verdienen fie die Koften ab, bie ihre Befreiung der englifchen Regierung gemacht, und werben Apprentices, ‚Lehrlinge‘, auf einen Zeitraum von 10 Jahren; dann ftellt man es ihnen frei, in ihr Vaterland zurüdzufehren. So wiſſen die Englänver das Angenehme mit dem Nütlichen zu vereinigen; fie leiften ver Philantbropie einen Dienft und verfchaffen fich zugleich billige Arbeitskräfte für ihre Colonien.

Unfer nächftes Neifeziel war Afcenfion, eine andere ber Klippen, welche vulfanifche Thätigkeit fo viel tanfend Fuß aus dem Grunde des füp-atlantifchen Dceans emporgehboben. Die

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Infel biegt etwa 150 Meilen in norbweitlicher Richtung von St.»Helena auf dem Wege nach Europa und ift ungefähr ebenfo groß und unzugänglich wie letteve, aber bis auf bie Spike des: höchften Berges, ver ſich 2500 Fuß hoch erhebt, durch⸗ aus unfruchtbar, kahl und nur ein todtes Feld von Lavaffip- pen und vulfanischer Aſche. Kim traurigerer Anblick al$ bie ihwarzen zudigen Felſen, welche wie ein Gürtel die Inſel umfchließen, ift kaum beufbar. Die Rhede ift ungefähr wie in St.⸗Helena, das Landen jedoch viel fchwieriger und oft tagelang unmöglih, wenn die von Südamerika berüber- fommenden Rollſeen, eine: bisjetzt noch nicht genügend erklärte Erſcheinung, fih an ven Felſen brechen. Die Inſel ‚hat 129 Einwohner, und zwar nın Militär. Früher unbewohnt, wurbe Acenjion 1816 von den Englänvern in. Beſitz genom- men, un Napoleon beſſer zu bewachen und alle Sluchtver- juche deſſelben zu vereiteln, va jedes nach Nordamerika ober Europa fegefnde Schiff bei der Infel vorbei mußte und won ven englifchen Kveuzern leicht angehalten wernen konnte. Seit Napoleon’8 Tode dient fie jedoch nur noch als Sanitarium für die Fieberfranfen ves afritanifchen Geſchwaders und wird außerdem von Schiffen aufgefucht, vie Waffer auffüllen wollen und St.-Helena verfehlt haben. Das Hospital ift 2000 Fuß hoch über dem Meeresfpiegel an ver Seite Des erwähnten Berges angelegt, umb bier fieht man auch das einzige Grün auf der Inſel. Die Gouverneure haben ihr Möglichftes gethban, um diefes Fleckchen zu cultiviven. Hier ift em großer Garten angelegt, und im mächtigen Cifternen wird das ſich aus ven Wolfen niederſchlagende Wafjer gefammelt, das: eine Röhren: leitung 1%, Meilen weit nach ver Küfte und dem Ankerplatze führt. Namentlich bat der jegige Gouverneur, Kapitän Bar⸗ nard, fich fehr viel Mühe mit neuen Aspflanzungen gegeben und jährlich 1015000 Sträucher und Bilanzen eingefekt, um bie Vegetation allmählich weiter zu Thale zur leiten und

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burch das Blätterwerk mehr Teuchtigfeitsnieberfchlag anzu: jiehen. Nach ven mietenrologifchen Beobachtungen gelingt Dies auch von Jahr zu Jahr mehr. Trotzdem wird Afcenfion immer eme traurige Eindde bleiben, auf der niemand frei- wilfig wohnt. Das einzige Erzeugniß der Injel find See- ſchildkröten, die an der Küfte ihre Eier legen und gefangen werden. Die Saifon des Yanges ift vom Februar bis Juni und der jährliche Ertrag ungefähr 600 Stüd. Im Durch- fehmitt find die Thiere außerordentlich groß, fie wiegen jelten unter 300 Pfund, erreichen aber oft das doppelte Gewicht. Unmittelbar an ver Küfte find zwei mit dem leere zujam- menhängende Baſſins angelegt, in denen fie aufbewahrt wer- ven. Die anlaufenden Schiffe nehmen gewöhrdich einige an Bord; das Stück Foftet 2%, Pfd. St., und auch wir Fauften jwei davon. Kine wurde fpäter geſchlachtet, die zweite für ven Zoologiſchen Garten in Berlin lebend überbracht. Jede bexrjelben wog ungefähr 2%, Etr., und beide legten täglich 2—3 Eier von der Größe eines Enteneies, aber fugelförmig und ftatt der Schale mit einer pergamentartigen Haut ver- fehen; ber Gefchmad ver Eier war jeboch nicht ſehr befonvers.

Bon Ajcenfion bis zum Aequator batten wir eine ziemlich lauge Reife, neun Tage, von dort an jeboch gung es fehr Ichnell vorwärts. Wir nahmen abermals eine neue von Maury vorgeichlagene Tour, indem wir uns mehr weitlich hielten, und fanden bort einen fo günftigen Pafjatwind, daß wir ſchon nach vierzehn Tagen die Grenze veffelben und am 18. Zage von ber Linie an bie Azoren erreichten.

Am 19. Mai traf vie Elbe in Falmouth ein, am 23. erhielten wir Ordre nach Swinemünde zu fegeln. Am 29. Mai begrüß- ten wir nach 2Ysjähriger Abwefenheit vie heimiſchen Gejtabe, glädlih und wohlbehalten, mit gefunder Mannjchaft und ohne einen einzigen Mann verloren zu haben. Bet unjerer Ankunft erfuhren wir, baß ver Vertrag mit Siam Anfang Februar

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abgeſchloſſen worden ſei und die beiden Schif Thetis fich bereits auf ver Heimreije befänden. Graf Eulenburg war Mitte März von Singar nach Berlin gereift und Anfang Mai dort ein,

Die preußifche Erpebition nach, Oſtaſien ba gefoftet; von ben vier Schiffen ift eins nicht und von ben 800 Menfchen, welche mit der hinausgingen, hat ein ziemlicher Theil fein 2 wiedergejehen. Die Zahl der Feblenden beträgt von jind 42 mit dem Frauenlob verloren gegaı bie übrigen durch Krankheiten hingerafft mwurbeı ſechs Dffiziere. Große Refultate werben jede theuer erfauft, und wir dürfen die Ergebniffe groß nennen, wenn nicht für die Gegenwart, | Zukunft Deutfchlands und feines Handels. Q Verträge geichloffen, Die, wenn fie richtig bemut unberechenbare Tragweite haben. Wir haben gezeigt, daß bie unter ihnen wohnenden Deutjch haben, bie ihnen Schuß angebeihen laſſen u pertreten wird. Die Deutfchen in China, Jap ſelbſt find durch die gejchlojfenen Berträge a andern Boden gejtelt. Wo fie früher nur g haben fie jest ein Necht zu fein; fie find ven ten Nationen gleichgeitellt und haben nicht mel Schutz und Hülfe bei fremben Couſuln und betteln,

Die Erpebition hat ferner den Deutjchen eine genaue Einficht in die dortigen Berhältnifi hat den Weg zu directen Handelsverbindungen bern gebahnt und der deutſchen Induſtrie meu eröffnet, Die preußifche Regierung hat bejchl heres und mehrere fleine Schiffe hinausſch Verträgen Geltung zu verfchaffen und ven Deut

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Schub zu gewähren. Es bleibt daher nur zu wünfchen bie deutſchen Kaufleute felbft nunmehr das Ihrige thun. habe gezeigt, wie es uns möglich ift, mit allen Natioı Dftafien zu concurriren, fie zu verbrängen und jelb England einen erfolgreichen Kampf um den Xöwene am chinefifchen und damit am Welthandel zu führen.

viel können dazu die Negierungen, viel der Zollvereii die Hanvelscorporationen thun, aber Eins und das tigfte ift Sache ver Kaufleute felbft: fie müſſen reel Der Mangel an Reellität hat dem beutjchen Handel unberechenbaren Schaden gethan. Die Neellität ver länder ift das Geheimniß ihrer Hanvelserfolge im : und folange wir darin ihnen nachjtehen, werben um: Verträge nichts nugen. Der Chineſe läßt ſich einmal das Licht führen, aber nicht wieder. Es verloden ihn niedrigen Preife dazu. Der Afiate zahlt baar und t aber er verlangt gute Waare und daß eine beftimmte $ auch unverändert dieſelbe Waare enthalte. Iſt er

überzeugt, fo fauft er ungefehen nur nach der Marke; er einmal getäufcht, jo fommt er nie wieber.

Hiermit fchließe ich meine Mittheilungen über bie preı Expedition. Ich babe den Lefer viele Zaufende von weit in ferne Gegenven geführt, die bisher nur theilmweif ſehr unvolffommen befannt waren, und habe verfucht, ‚ein Bild von jenen fremden Ländern und Völkern zu werfen. Mein Beitreben war e8, neben der Schilderun Neuen und Intereffanten, das fich dem Beobachter auf Reife in fo reihem Maße bot, befonders auch die Vor darzulegen, welche ſich in handelspolitiſcher Beziehung c preußifche Expedition fnüpfen, und die Deutfchen voı großen Wichtigkeit des Unternehmens für das gemeinfam terland zu überzeugen.

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Dem freundlichen Leſer aber, ver uns ai begleitet, Freude und Leid im Geifte mit und ich meinen Danf dafür aus und fage ihn Lebewohl!

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

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