e: ihr 1.708 0, Yu Ic hub .1%68:

NReifebriefe

über China, Japan nnd Siam,

Erfter Theil.

——

ee 12 9 IE mn Or 20 j i

*

aan

EZ; * E | . } f 5 * ' N = Ion 1 i r Pr * v © | | —* | 4 \ ö j ui N \ R | e| \ h : 38 * u . s J— et: En! 1 u } j = Er

Chinefifcher Bauerhgf in der Nähe von Schang - hae.

Die preussische Expedition

nad) China, Iapan und Siam in den Jahren 1860, 1861 und 1862.

Veifebriefe

vor

Reinhold Werner,

Lieutenant zur See I. Klaſſe.

Mit fieben Abbildungen in Holzfhnift umd einer lithographirten Karte.

Leipzig: ee ee ER a 2

1863.

iR + i 3 | |

- x

j Y Y

E21

o

%

a

ft rate

1:2

; J

*

Sb,

Seiner Königlichen Hoheit dem

Prinzen Adalbert von Preußen,

Dperbefehlshaber der Königlich Preußiſchen Marine,

widntet diefes Bud)

als Zeichen feiner tiefjten Ehrfurcht

der Derfaller.

1174507

——

a a ee EEE ee ren ia ar

ae je

. } J 4 h ; * * * * rn - - 1 Laer 2

Borrede.

Als ich im Frühjahre 1860 beordert wurde, mich als Com— mandant des Schiffes Elbe der Expedition nach Oſtaſien anzu— ſchließen, richtete die Verlagshandlung F. A. Brockhaus in Leipzig die Anfrage an mich, ob ich geneigt wäre, für die „Deutſche Allgemeine Zeitung“ eine Reihe von Berichten über meine Erlebniſſe und Beobachtungen in der öſtlichen Welt zu ſchreiben. Es war mir dieſer ehrende Antrag willkom— men, weil ich in meiner langen Laufbahn als Seemann ſtets einen hohen Genuß darin gefunden habe, fremde Länder und Völker mit kritiſchem Auge zu betrachten; ſodann ſtand auch der Verſuch, das deutſche Publikum über die Dinge im Oſten aufzuklären, mit dem Zwecke der Expedition in voll- tem Einklange und konnte deren Tendenz nur förderlich jein. Ich Ichickte demnach aus der Ferne regelmäßige Berichte, die als „Briefe eines Mitglieds der preußijchen Expedition nach China und Japan’ während der Jahre 1861 und 1862 in der genannten Zeitung erjchtenen und von dem Bublifum nicht ungünftig aufgenommen worden find.

Nach, meiner Rückkehr im Mai 1862 feste mich die Ver: lagshandlung in Kenntniß, wie von vielen Seiten der

VIII

Wunſch laut geworden, ich möchte meine Reifebriefe in ein felbftändiges Werk zufammenfaffen. Auf diefen Wunſch ging ich um fo bereitwilliger ein, als mein Neifejournal noch eine Fülle von Erfahrungen enthielt, deren Beröffentlichung zum Theil wenigftens den deutſchen Intereſſen von Nugen fein konnte. Zudem empfand ich jelbit das Bedürf— niß, die oft unter den unruhigſten und jeltiamften Um: ftänden entworfenen Neijebriefe einer genauern Sichtung zu unterwerfen.

So entftand denn das Werk, welches ich hiermit dem deutſchen Publikum übergebe, und das mit fieben Ab— bildungen in Holzſchnitt und einer Drientirungstarte aus- geftattet worden tft. Das Buch enthält, auf Grund jener ſchon veröffentlichten Reiſebriefe und eines reichlihen neuen Materials, die Schilderung meiner perjönlichen Erlebniffe auf dem Schiffe Elbe ſowie die Erfahrungen und Beobachtungen, welche ich über die Länder, Völker und Zuftände der öftli- hen Welt während der langen Reife zu machen Gelegenheit hatte. Namentlih aber find es die drei Hauptpunkte der Erpevition: China, Japan und Siam, denen id in Rückſicht auf das deutfhe Handels- und Schiffahrtsinterefje meine befondere Aufmerkſamkeit zugewendet habe, und der Reiſeweg, welcher der Elbe vorgezeichnet war, konnte Dies nur begünftigen. |

Bemerken muß ic im voraus, daß ich fowol in China wie in Japan vieles ganz anders gefunden babe, als ich nah den Schilderungen fremder Neijebejchreiber vorausjegen durfte, und meine Urtbeile über Menſchen und Berhältnifie weichen darum nicht jelten mwefentlih von den Mittheilungen meiner Vorgänger ab,

IX

Den überrafchendften Eindrud und die freudigfte Bewe— gung hat mir die Wahrnehmung von der geräufchlojen und doch erfolgreichen Verkehrsthätigkeit meiner deutichen Lands— leute in den öftlichen Meeren und Ländern gemacht. Von den Küften Indiens bis in den Norden Chinas hinauf haben, ohne Schuß und Zuthun der deutichen Regierungen und gegenüber der mächtigen engliichen und amerikanischen Con— currenz, deuticher Handel und insbefondere deutſche Schiffahrt in ungeahnter Weiſe feiten Fuß gefaßt. Die Bedeutung der preußifchen Erpedition ift durch dieſe Thatſache in das glän- zendfte Licht geftellt worden, zumal es gelungen, in ven wichtigſten der abgejchloffenen Verträge den Vertrag mit China zugleich auch den ganzen Deutjchen Yollverein, die Hanfeftädte und Mecdlenburg mit hineinzuziehen.

Der Lefer wird nicht verfennen, wie ich mit Fleiß be- müht geweſen bin, die großen commerziellen Interefjen, die Deutihland in Dftaften hat, zur Anſchauung zu bringen. Ich babe nicht nur zuverläffige Nachrichten über den gegen mwärtigen Verkehr Deutjchlands im Dften zu erlangen gejucht, jondern auch die unermeßlichen Vortheile aufgezeigt, welche Snduftrie, Handel und Schiffahrt der Deutſchen in Zukunft aus der öftlihen Welt ziehen fünnen, wenn dabei planmäßig und im gemeinjamen vaterländiichen Intereſſe vorgegangen wird.

Freilih kann ich dabei nicht verichweigen, daß mit dem Abſchluß der Verträge und der Reſidenz eines preußifchen Geſandten in Beling nur ein eriter Schritt geicheben ift. Der zweite Schritt, der gethan werden muß, ift die Aufftellung eines preußiſchen oder deutſchen Kriegsgeſchwa— ders in den öſtlichen Gewäſſern, das dem vaterländi— ſchen Verkehr nachdrücklichen Schutz und dem deutſchen

x

Kamen Reſpect zu verleihen vermag. Zu dieſem verhältniß- mäßig geringen Opfer werden fih Preußen und Deutichland entichließen müſſen, wenn jie in dem ihnen gebührenden Maße an den Bortheilen des öſtlichen Weltverfehrs theil- nehmen wollen.

Wiewol es nicht meine Aufgabe jein fonnte, eine Ge: Ihichte der preußifchen Expedition zu Schreiben, jo habe ih doch im Intereſſe der Sache den Berlauf der le&tern im allgemeinen mit zu zeichnen geſucht. Der Vollſtändigkeit wegen ſchicke ich hier noch einen furzen Bericht über den Be: ftand und den Beginn der Expedition voraus.

Der Hauptzweck der preußiichen Expedition war die Abſchließung von Handelsverträgen mit China, Sapan und Siam, und diejer Zweck ift auch, wenigitens was Breußen betrifft, vollftändig erreicht worden. Die Erpedi- tion umfaßte im ganzen folgende vier Schiffe: die Dampfcor- vette Arfona unter Befehl des Geſchwaderchefs Kapitän zur See Sundewall, die Segelfregatte Thetis unter Kapitän zur See Jachmann, den Schooner Frauenlob unter Lieutenant zur ©ee 1. Klaſſe Reetzke (der leider in der Nähe der japa— niſchen Küjte mitſammt der Mannjchaft verloren ging) und das Transportichiff Elbe unter meinem Befehl. Die Arkona hatte 27 Gejhüge und 355 Mann Beſatzung, die Thetis 38 Gejhüße und 376 Mann, der Frauenlob 1 jchweres Bombengeihüb und 44 Mann, die Elbe 6 leichtere Geichüße und 50 Mann; in Summa 72 Gejhüte und 825 Mann. Das Dffiziercorps des Geſchwaders zählte 2 Kapitäns zur See, 7 Lieutenants zur See I. Klafje, 10 Lieutenants zur See II. Klaffe, 10 Fähnriche zur See und 2 Lieutenants vom Seebataillon als Detachementsführer. Außerdem waren

XI

auf den beiden großen Schiffen 20 Seecadetten eingefchifft, welche im Laufe der Reife größtentheils zu Fähnrichen avan- eirten. Das Beamten-Perſonal wurde gebildet durch 2 Ber: waltungs-Gommiljare, 8 Aerzte, 1 Prediger, 1 Marine- Secretär und 4 Verwalter.

Zu der Beſatzung der Schiffe traten noch die Geſandt— Ichaft, die Commiſſare und die Gelehrten und Künitler, welche die Expedition begleiteten. Erſtere beitand aus dem Gejandten Grafen zu Eulenburg, einem XLegationsiecretär, drei Attaches, einem Arzt und zwei Dienern. Die Zahl der Commiſſare betrug fünf; davon waren vier für das fauf- männiſche Fach und einer für landwirthichaftliche Angelegen- heiten beitimmt. Von den Gelehrten nahmen ein Zoologe, ein Botaniker und ein Geologe theil und außerdem noch ein Maler, ein Zeichner und ein Bhotograph, im ganzen 19 Berionen. Die Geſammtſumme der Erpeditionsmitglieder belief fih auf 844 Köpfe.

Die Schiffe verließen nicht gleichzeitig die heimiſchen Küften. Es war ziwar die Abjicht, das Geſchwader ſchon im Herbit 1859 zu entjenden, doc verzögerten unvorbergejehene Umſtände die Abreije längere Zeit, und während Thetis und Frauenlob im Detober 1859 nad) England abgingen, fonnte ihnen die Arkona erit int December folgen. Während der Fahrt durch Die Nordſee erlitt das leßtere Schiff in einem ſchwe— ven Sturme jo bedeutende Beihädigungen an der Mafchine, daß die Reparaturen abermals mehrere Monate beanſpruchten.

Anfang März 1860 ftieß die in Hamburg ausgerüftete Elbe in Southampton zum Geſchwader. Thetis und Frauen: lob wurden vierzehn Tage jpäter nach Rio-de-Janeiro

-

vorausgefchtet, die Elbe folgte am 5. April und wenige Tage

XII

ſpäter auch die Arkona. Letztere holte die Elbe in Teneriffa ein, und dieſe erhielt dort Befehl, direct nach Singapore zu ſegeln, während die Arkona nach ſehr kurzem Aufenthalt nach Rio-de-Janeiro abging, dort mit den beiden andern Schiffen zuſammentraf und Anfang Juni in deren Begleitung ihre Weiterreiſe nach Singapore antrat. Infolge ſchlechten Wetters wurde das Geſchwader unterwegs zwar getrennt; jedoch erreichten alle drei Schiffe Ende Juli, und zwar inner— halb acht Tagen, den Ort ihrer Beſtimmung. Am 7. Auguſt langte auch die Elbe, die wegen einiger Reparaturen vier— zehn Tage auf den Canariſchen Inſeln hatte“ verweilen müſſen, in Singapore an.

Kurz nah Ankunft des Geſchwaders traf die Gefandt- ſchaft mit der Ueberlandpoft in Singapore ein und ſchiffte fich an Bord der Arkona ein. Lebtere jegelte am 14. Auguft in Begleitung des Franenlob nach Japan, während die Thetis bereits am 12. Auguft dahin abgejandt worden war,

Dies genüge zur Drientirung über Beitand und Beginn der Expedition. Die mweitern Angaben über die Reifen der einzelnen Schiffe wird der Lejer im Buche jelbft finden.

Ich empfehle denn meine Aufzeichnungen dem deutſchen Publikum mit dem Wunjche, daß es mir gelungen fein möge, nicht nur eine lehrreiche Schilderung fremder Welt und frem: der Menjchen zu geben, jondern auch mit Erfolg darauf auf: merkſam gemacht zu haben, welche große mwirtbichaftliche Sn: tereffen Deutfchland in dem fernen Often zu bewahren und weiter zu entwideln bat.

Danzig, im Januar 1863.

Reinhold Werner.

Inhalt des eriten Theile.

IE Abreife. Beſuch auf Madeira. Die Naturbefchaffenheit der Inſel. Die Bevölkerung. Die Bruftfranfen, Die Shine Novize .. . . .

2

Schatgräberei auf den Salvages. Ankunft auf Teneriffa. Hafen- ftadt Santa-Cruz. Kirhenbefuh und Theater. Schönheit der Frauen. Gejellichaftliches Leben, Laguna Orotava und feine ne hr Se RE se ala = POEEe Se io

Fuerta Ventura und fein Feudalherr. Lanzarote. Hafenftadt Arecife. Landwirthſchaftliches. Aſchen- und Yavafelder. Die Montagna del Fuego. Gran-Canaria. Kameelzucht und Cochenillecultur. Production und Handelsverfehr der Canaren ................

4.

Das Meer in den Tropen. Charakter und Sitten des Seemanns. EEE AT Ta a et ne ne

Die Keife zum Nequator. Der Meg des Hydrographen Maury. Die Paffatwinde. Gewitter im Stillgürtel. Schreden des Cap. Der Sturm in der Johannisnacht. Ankunft in der Sundaftraße,

Seite

16

61

XIV

6.

Schönbeit der Tropennatur. Treiben auf der Rhede von Anjer. als Die Banfa- und die Rivwftraße. Zufammentreffen des Geſchwa— ders auf der Rhede von Singapore. Inſel und Stadt Singapore. Gemiſch und Charakter der Nationalitäten. Das gejchäftliche Treiben. Tempel der Hindu und Chinefen. Die großartigen Berhältnifje des Platzes. Die deutichen Handelshäufer. Die Tigerplage. Die Familie des Maharadiha von Djobore. Prinz Abulbafar. Abfahrt nah China und Sapan................ 79

Te Die Teufune, das Schreden der öftlihen Meere. Die Monfuns. Untergang des Frauenlob. Charakter der Südküſte Chinas. Hongkong als englifche Colonie und Bankplatz. Die Kaufmanns- fürften. Entwickelung des deutihen Handels und der Rhederei in China. Die Stadt Victoria. Katbolifhe und proteftantifche ELONDER es. 22106

Die Bocca Tigris, ihre Jorts und Kanonen. Die Uferlandfchaften am Berlfhuffe. Die Bagoden. Hafenftadt Whampoa. Kanton, die Kapitale des Südens. Bedeutung und Geſchäfte der Stadt. Städtemauern in China. Bauart der Chinefen. Innere Einrichtung der Häuſer. Hausgeräth. Gärten. Die der Aſiſeeeee 127

Die Yamuns oder Gerichtshäufer. Graufamer Charakter der Chi— nejen. Die Lage der Gefangenen. Die Strafe des Halsfragens. Die Tempel in Kanton. Die drei Religionen in China. Aber-

glaube der Chineſen ...... 153 10. Das hinefiiche Theater. Der Stand der Schaufpieler. Die dra— matifche Literatur. Geſang und Mufif der Chinefen .......... 171 11.

Die Boote der Waſſerſtadt in Kanton und ihre Führerinnen. Fahr— zeuge und Schiffahrt der Chineſen. Der a Zuftand der Kriegsflotte. Der Flußverkebr .... 2 er 178

av,

t2,

Eintheilung und Bevdlferung des hinefiichen Reichs. Stabilität und Grumdprineip dev Negierungsform. Volksbildung und Un- terricht. Der Kaiſer, feine Stellung, feine Ediete. Das Reichs— minifterium und der VBermwaltungsorganismus. Die Staats— prüfungen fir die höhere Beamtenlaufbahn. Der chineſiſche Strafeoder, Grauſamkeit und vaffinirte Strafarten. Käufliche Vertreter in der Strafbüßung, ſelbſt bei Todesftrafe........

13.

Die chineſiſche Armee, ihre Stärke, Bewaffnung, Eintheilung. Un- kriegeriſcher Geift der Armee und des Volkes. Vernachläſſigung der gefammten Kriegafunft im Reiche dev Mitte, Beſchaffenheit der ee ee Re 372, EL,

14.

Die Chinefen als Gegenfag zu den Europäern. Charafteriftif des

chineſiſchen Volkes in Sitten und Gebräuden, Die Fefttage der

Shinefen. Das Neujahrsfeft. Das Todtenfeft. Das Laterneifeft. Benelaungsieler 0 en en. IRRE:

15.

Brautwerbung und Hochzeit. Das Concubinat bei den Chineſen. Berhältniß der Frau zum Ehemann, der Kinder zu den Xeltern. Die Ehefcheidungsgründe. Nachkommenſchaft ein Segen. Noth der niedern Klaſſen. Tod und Begräbniß eines Familienhauptes. Diertörabitätteres. 4. ss aa nen

16.

Geftalt und Körperbeſchaffenheit der hinefishen Kaffe. Die Mode der Fußverfrüppelung bei den Frauen. Kleidung. Die Hutknöpfe als Zeichen bürgerlicher Nangordnung. Die Schmudjahen der Reichen. Friedfertigfeit des Volkscharakters. Der Nationaldünfel. Die Moral der Chinefen. Der Kindermord. Das häusliche Leben und Die Etikette. Die Technik des Opiumraucdhens, Die Kochkunſt und die Bieljeitigfeit der Nahrungsmittel in China .

12.

Die Landwirtbichaft der Chinefen. Werth des Düngers. Der Reisbau. Die Baummollencuftur. Die Seidenproduction,

Seite

190

211

.. 223

237

.. 252

xVI h —— Seite Weberei und Stickerei in China. Die Porzellanfabrikation. Die Metallbereitung. Holz- und Elfenbeinſchnitzerei. Die Kunſt— fertigkeit und der Mangel an Kunſtſinn. Die chineſiſche Heilkunde 272

18.

Das Ritfhen- Englifh. Der Comprador alg Mittelsmann in Ge- Ichäften. Die chinefiihe Dienerfhaft in europäiſchen Familien. Münz- und Gelbwelen in. Chimmi.- .-u.n.denchin nen an ee 295

Abbildungen zum eriten Theil.

Shinefifher Kaufmann mit feiner Toter. ................ zu ©. 255 Chinefifher Bauerhof in der Nähe von Schangshae ............ 273

Karte der Oftfüfte von Afien mit Japan.

II

Abreiſe. Beſuch auf Madeira. Die Naturbejhaffenheit ver Inſel. Die Bevölkerung. Die Bruftfranfen. Die ſchöne Novize.

Am 5. März 1860 verließen wir ven Hafen von Hamburg und fagten damit dem deutſchen Vaterlande Lebewohl, und zwar für lange lange Zeit. Der Nordoſtwind blies fcharf und Falt, die Thürme der alten Hanſeſtadt hüllten fich allmählich in einen Schleier, den Schneeflocden immer dichter um fie webten, die Ufer wurden öder und einförmiger, fie traten immer weiter zurück, und als uns der Schleppdampfer wegen der eintreten- den Flut bei Freiburg loswarf, der Anfer in ven Grund rafjelte, zeichneten fie fich an dem trüben Himmel nım noch als dunkle Linien ab, über welche dann und wann eine Kirchthurmfpiße oder ein kahler Baumwipfel als einzige Abwechjelmg emporragte. Die Möven flogen freifchend um unfer Schiff, die ſchmuzig gelbe Fläche des Stromes war eine trübfelige Umgebung, und wir wünfchten jehnlichit den folgenden Tag herbei, um mit ihm in die freie See zu fommen. Er erfchien ebenfo trüb und falt, wie der gejtrige Abjchied genommen, aber er brachte einen ftürmifchen Nordoft mit, der bald unfere Segel fchwellte und uns mit Windeseile der Nordfee zuführte. Um Mittag flogen wir bei Cuxhaven vorbei, dann fam der Thurm von Neumerf,

Werner. I. 1

2

dann das Feuerſchiff, die Umriffe von Helgoland tauchten Ihwah am Horizonte auf, um bald in der grauen Dämmerung wieder zu verfehwinden, und nun ſchwammen wir allein auf dem weiten Waffer, deſſen ſchaumgekrönte Wellen der fcharfe Bug unfers Schiffes durchichnitt. Der Wind nahm bejtändig an Stärfe zu, bald hatten wir den fchönften Sturm, aber er war uns günſtig, und wenn er uns auch empfindlich ſchaukelte, brachte er uns dafür ſchon nach 48 Stunden in den Kanal und am dritten Tage nach Portsmouth, wo wir das Ge— ſchwader trafen. Wir lagen hier vier Wochen, theils um unſere Ausrüſtung zu vervollſtändigen, theils um die Vorrath— gegenſtände für die übrigen Schiffe einzunehmen, und erſt am 5. April traten wir unſere Weiterreiſe an. Wir waren ſehr froh, als wir der Kreideküſte Englands Lebewohl ſagen konnten. Das lange Verbleiben dort, das in unvorhergeſehenen und deshalb um ſo unangenehmern Verzögerungen ſeinen Grund hatte, wirkte vollſtändig niederdrückend auf uns, und jeder athmete Hoch auf, als die „Nadeln“, die zadigen Klippen an der Weſtſpitze der Infel Wight, unfern Blicken entfchwanden, fih unfer Schiff auf ven lichtgrünen Wellen des Kanals wiegte und mit fchnelfer Fahrt vor der frifchen Brife dahinflog. Unfer nächftes Ziel war Madeira, jene Perle des nordatlau- tischen Oceans, die jelten ein nach dem Süden gehendes Nriegs- ichiff unbefucht läßt. Unfere Reife verlief ohne alle Unfälle mit den gerBöhnlichen Attributen von Seekrankheit für die Neulinge, lächerlichen Intermezzos und traurigen Mienen der darunter Leidenden. inftimmig ward aber das wärmere Klima von uns begrüßt, deſſen ſchneller Eintritt von uns täglich angenehmer empfunden wurde.

Nach zehntägiger Fahrt tauchte Porto Santo am Horizonte auf, eine den Portugiefen gehörige und 6 Meilen nördlich von Madeira gelegene Infel, Bei Annäherung zeigte fich eine fahle, vöthliche, fteil aus dem Meere emporfteigende Felſen—

3

maſſe, reich an ſchroffen Abhängen und Klippen, die ihre ſcharfen Spitzen in die Luft hinausſtrecken und nur den Vögeln des Meeres zum Wohnorte dienen. Hier und dort ſchaute jedoch auch die grüne Kuppe eines weiter im Innern liegen— den Hügels durch eine Felsſpalte und verrieth, daß nicht die ganze Inſel ſo unwirthbar ſei, als es an der Nordſeite, welche wir paſſirten, den Anſchein hatte. Porto Santo hat eine durch— ſchnittliche Höhe von 12— 1400 Fuß und wird, da der Boden nicht ſehr fruchtbar ift, nur jpärlih bewohnt. Die ganze Inſel zählt auf 3 Duadratmeilen 1800 Einwohner und dient als Berbrechercolonie von Madeira.

Gegen Abend erblidten wir Madeira und ——— bei dem fortdauernd guten Winde um Mitternacht auf die Rhede von Funchal, konnten aber erſt am andern Morgen ankern, da uns Windſtille überfiel und uns etwa eine Meile von der Stadt entfernt hielt.

Madeira, das politiſch zu Europa, phyſikaliſch aber zu Afrika gehört, iſt trotz ſeiner Nähe zur Alten Welt nicht ſo früh bekannt geweſen wie die Canariſchen Inſeln. Seine Ent— deckung fällt um das Jahr 1344, und zwar geht die Sage, daß ein Liebespaar, Robert Machim und Anna d'Arfel, das vor dem Zorne harter Verwandten aus England nach Frank— reich fliehen wollte, von einem Sturme nach der damals un— bekannten und unbewohnten Inſel verſchlagen wurde. Sie landeten in einer Bucht, die noch heute die Bucht von Machico heißt und an der ein kleiner Flecken gleiches Namens liegt. Die Strapazen der Reiſe brachten jedoch beiden den Tod, und in der Kirche von Machico wird noch als Reliquie ein Stück des Kreuzes aufbewahrt, das einſt auf ihrem gemeinſchaftlichen Grabe von den ſpätern Wiederentdeckern Madeiras gefunden wurde. Ebenſo verewigt ein in dem Gouvernementsgebäude von Funchal befindliches ſehr altes Gemälde das tragiſche Ende des Paares. Da nach ihrem Tode das Schiff, mit dem ſie

4

gefommen, wieder abfegelte, verſchwand die Inſel abermals über ein halbes Sahrhundert aus der Geſchichte. Zwiſchen 1417 und 1419 fällt ihre zweite Entvedung durch fpanifche Anfieoler auf Porto Santo, die zur Eroberung der Canarifchen Snfeln von Spanien ausgefegelt waren und infolge einer beftändig in Südweſt fichtbaren dunfeln Wolfe dort Land ver- mutheten.

Die erfte Erfcheinung Madeiras entjpricht nicht den Er- wartungen, die man fih nach ven Schilderungen beredter Keifender von diefer jchönen Inſel macht. Auf weitere Ent- fernungen zeigt e8 ſich nur als eine fahle Felfenmafje von gewaltigen Dimenfionen, deren breite Kuppen faſt immer von einem trüben Wolfenfchleier verhüllt find, und die zwar groß- artig und impofant fich aus der blauen Tiefe erhebt, immer aber einen bejonders dunfeln und triften Eindrud macht. Die Inſel bejteht aus einer dichtgedrängten Gruppe von fchroff auffteigenden und von jühen Abgründen durchfchnittenen Bergen, deren beveutendfter, der Pico Ruivo von 6056 Fuß Höhe, un— gefähr den Mittelpunkt bildet. Der Yomba Grande, ein Ge- dirgsfamm von etwa gleicher Erhebung und einer halben Meile Länge, jteigt an ihrem weftlichen Ende auf und bildet den Nordrand der gewaltigen Schlucht, die unter dem Namen des Curral zu den Wundern Madeiras zählt. Die weftliche Wand ver Schlucht formt ein anderer Kamm, deffen höchſte Spige, der Pico Grande, 5391 Fuß emporfteist. Südlich vom Ruivo zeigen fich noch drei Spigen: der Torinhas von 9980 Fuß Höhe, der Pico Sidrao und der Pico Arriero von 5893 Fuß Höhe. Diefe Gipfel bilden mit dem Ruivo ge- wiffermaßen die Achfe der Infel, von der aus das Yand nach Süden hin allmählich fich -abflacht, während faft die ganze Nordküſte fteil und fchroff gegen das Meer abfällt.

So kahl und düfter aber die Infel in der Verne dem Auge erjcheint, fo romantiſch und zugleich lieblich zeigt fie

a

5

fih in ver Nähe. Der gleichmäßig graue Ton der Berge verfehwindet und macht den munnichfachjten Schattirungen Platz. Auf den Bergen wechjelt das jaftige Grün einer üppigen Vegetation mit dem Dunfelvoth des Baſalts, der die Grumdlage der Infel bildet.

. An den Abhängen ſchweben Häufer in jchwindelnder Höhe, als ob fie dort angeflebt wären, und ihr weißer Anftrich läßt fie wie ſchimmernde Lichtpunfte aus dem fie umfchattenden Grün hervorftrahlen. Dazu tritt das umgebende Meer, deſſen tiefes Blau im Sonnenglanze mit dem Azur des Himmels wetteifert, dejjen Wogen ſich mit vonnerähnlichem Toſen an der zerriffenen Felfenfüfte brechen und ihren dampfenden Gifcht hoch in die Lüfte peitjchen.

Bor allem bietet aber die Hauptftadt der Infel, Funchal, ein Panorama einzig in feiner Art und unübertroffen an An- muth und Lieblichfeit. Man fühlt fich unwiderſtehlich ange: zogen von dieſem reizenden Bilde, das, von der Natur mit allen Schönheiten ausgeftattet, die Vorzüge der Tropen mit denen der gemäßigten Zonen in reichem Maße in fich vereint und namentlich auf den Nordländer einen unbejchreiblichen Zauber ausübt.

Funchal, an einer halbfreisförmigen Bucht der Südfüfte Madeiras gelegen, ift in einem Thale erbaut, deſſen Hinter- grund der Pico Arriero mit den beiden ihn begrenzenden Schluchten des Großen und Kleinen Curral bildet, und das fich nach dem Meere Hin öffnet. Die Straßen der Stadt laufen vom Strande ftrahlenförmig nad) dem Gebirge hinauf, und fie nimmt dadurch fowie durch ihre weitläufige Bauart einen bedeutenden Flächenraum ein. Nur unten am Strande jtehen die Häufer näher aneinander, obwol auch hier ein jedes derfelben von einem Garten umgeben ift. Das weftliche Enve Funchals begrenzt eine runde circa 200 Schritt vom Stranve jteil aus dem Meere emporfteigende Klippe, der Loo-Felſen,

6

der ftarf befeftigt ift und mit feinen Batterien die Rhede be- herrfeht. Die Spite der ſich wie eine Pyramide am Gebirgs- abhange hinaufftredenden Stadt bildet die über 2000 Fuß hoch liegende Bergfirche, deren blendend weiße Mauern mit ihren beiden Thürmen aus einem reichbelaubten Walde von Eichen, Walnuß- und Kaftanienbäumen hervorbliden. Diefe Kirche ift gewöhnlich das Ziel der Reiſenden, welche einen Spazierritt nach einem der beiden Currals unternehmen, und man genießt von ihr aus eine der fchöniten Ausfichten, die man fich denfen kann.

Der Meeresboden läuft bei Madeira ungemein jteil auf. Drei Tauſend Schritte von der Küfte beträgt die Tiefe fchon über 1500 Fuß, und die Schiffe müfjfen deshalb in unmittel- barer Nähe des Strandes anfern. Als wir uns dem Anfer- plate näherten, wurden wir von einigen zwanzig Booten um» ringe, die nur auf die Anfunft des Duarantäneboots warteten, um fich auf uns wie Geier auf ihre Beute zu ftürzen. So— bald daſſelbe erfchienen war und uns freie Communication mit dem Lande gewährt hatte, wurden wir auch fofort geentert, und bald fonnte man vor Gefchrei fein eigenes Wort nicht verftehen. Jeder wollte zuerſt anlegen, jeder zuerft feine Dienfte anbieten. Lieferanten, Schlächter, Bäder, Waſch— frauen, Knaben, die nach Silbermünzen tauchen wollten, die man in das Meer warf, alles fchrie, gefticulirte und lärmte mit ſüdlicher Kebendigfeit purcheinander, und e8 gehörten eben jo gute Nerven als Energie dazu, um im diefes Getiimmel etwas Ordnung zu bringen, das uns anfänglich zwar amufirte, bald aber unausftehlich wurde.

Dald jedoch Fitt es uns nicht mehr an Bord. Die Dauer unfers Aufenthaltes auf der Infel war fehr befchränft, und wir beeilten uns, nachdem wir unfere fehmachtenden nordischen Leiber mit dem Safte und Fleifche goldiger Apfelfinen und Bananen erquickt, fobald als möglich an das Land zu fommen.

7

Das Landen in Madeira ijt ſchwierig und fann nur mit den eigens dazu erbauten Booten der Inſel gefchehen. Es eriftirt nämlich weder eine Mole noch ein Hafen, fondern man läßt fi mit der Brandung an den Strand feben. Während dann die erjte Welle verläuft, faſſen jechs bis acht Männer das Boot, unter deſſen Borderende Walzen gefteckt werden, und ziehen es mit feinem ganzen Inhalte hoch auf den Strand, jobalo die nachfolgende Welle angerollt kommt und helfend nachichiebt. Für den Laien fieht die Sache ziem- lich gefährlich aus, die Bootsleute find jedoch fo geſchickt, daß man immer trodenen Fußes ans Yand fteigt. Hier wiederholte jich die Scene, die bereits an Bord fpielte, und man Fonnte fih nur mit Gewalt einen Weg durch die uns beftürmenden Führer, Pferdeverleiher, Träger und Bettler bahnen.

Beim Eintritt in die Stadt wird man angenehin durch die große NReinlichkeit der Straßen und Häufer berührt, eine Wahrnehmung, die man fonft in portugiefifchen Städten nicht zu machen gewohnt ift. Die Häufer find ſämmtlich weiß an— geftrichen und jauber; die Strafen zur Abhaltung ver Sonnenſtrahlen zwar ſehr eng gebaut, aber gleichfalls aus— nehmend reinlich und fehr ſorgſam gepflaftert, wenn auch auf eine Weije, die unjern verwöhnten Füßen durchaus nicht an— genehm ift. Die Steine haben nämlich Feine platte Ober— fläche, jondern beitehen aus ovalen Kieſeln, deren Spiten auseinander jtehen, ſodaß man fehr bald durch fchmerzende Füße auf dieſe Eigenthümlichkeit aufmerffam gemacht wird. Der Grund diefer fonderbaren Art zu pflaftern Tiegt in den Bodenverhältniffen. Die fteilen Straßen erlauben feine Räder— wagen als Transportmittel, und die Wagen beftehen nur aus Kutſchkaſten, die auf Schleifen ruhen und von Ochſen gezogen werden. Die Kiejelpflafterung bietet einerjeitS den Schlei- fen eine nur geringe Reibung und verfchafft andererfeits den Ochſen einen fichern Tritt, erfüllt alfo vollftändig ihren Zweck.

8

Gleich unten am Strande befindet fich die Terreiro da Se, eine höchjt angenehme mit Bäumen bepflanzte, won einer Mauer eingefaßte und mit Siten reichlich ausgeftattete öffent- lihe Promenade, die jowol am Tage als namentlich abends den Sammelplat der Einwohnerfchaft Funchals bildet. Die Baumpflanzung ſcheint abfichtlih aus den verſchiedenſten Arten zufammengejeßt zu fein, um dem Fremden fogleich beim Betreten der Inſel die Mannichfaltigfeit ihrer Vegetation vor— zuführen, und wahrlich, man muß auf ein herrliches Klima jchließen, wenn die in den üppigften Yaubbüfcheln prangende Eiche, der Ahododendron,. ver Apfelfinen-, der Korallenbaun, die Platane und die Palme gleich Fräftig nebeneinander ge— deihen.

In der That befist auch die Iufel ein herrliches Klima, das jchönfte in der Welt.

Auf der Grenze der Tropen liegend und rings umgeben von den Fluten des Dceans, herrjcht auf Madeira ein ewiger Frühling und die Glut der Sonne wird durch das Meer ge- fühlt. Es gibt wol fein Land auf ver Welt, wo ein geringerer Temperaturwechſel ftattfindet als hier, und dies fowie die warme feuchte Luft machen Madeira zum Elvorado der Schwindflichtigen, wo Heilung erfolgt, wenn fie noch mög— lich, und wo die Krankheit zum Stillitand gebracht oder min— deftens aufgehalten wird, wenn vollftändige Genefung nicht mehr erwartet werden darf.

Nach achtzehnjährigen Beobachtungen wurde die mittlere Meonatstemperatur wie nachftehend gefunden: Januar 64°,18; Februar 64°,3; März 65°,8; April 65°,50; Mai 65°,53; Suni 699,74; Juli 73°,455 Auguft 75°,2; September 75°,76; Detober 72°,5; November 69°%,8;5 December 65° Fahrenheit, mithin während des ganzen Jahres nur eine Differenz von faum 119 Fahrenheit oder Reaumur.

Schlechtes Wetter fommt während der neun Sommermonate

9

gar nicht, während des Winters äußerſt jelten vor und be> ichränft fih auf etwas Wind und Regen. Die Winterjtürme find mäßig; nur zweimal in dieſem Jahrhundert wurde bie Infel von einer Sturmflut heimgefucht, die allerdings großes Unglück anrichtete.e Im Jahre 1805 wurden von der Flut 400 Berfonen verfchlungen, und ähnliche Verwüſtungen vichtete die zweite am 24. October 1842 an.

Am 15. Detober erfchien die Injel wie unter einer einzigen großen Wolfe begraben, die eine nächtliche Finſterniß ver- breitete. Ein wolfenbruchartiger Regen entlud ſich aus ihr, der fpäter an Stärfe zwar etwas nachließ, aber ohne Unter- brehung neun Tage lang andauerte. Daſſelbe wiederholte jih am 24. October, und um 1 Uhr erjchien plößlich eine furchtbare Flutwelle in dev Bucht von Funchal, die, mit ge- waltiger Kraft gegen die Küfte ſtürmend, die niedrig gelegenen Theile der Stadt überfchwemmte, welche ſchon durch die an- geichwollenen Gebirgsjtröme bedroht waren, und bei ihrem Rücklauf 200 Gebäude mit fich fortrif. Am 26. Dectober wehte ein Orkan aus Süden, der ſechs in der Bucht -anferude Schiffe auf den Strand warf und fie total zertrümmierte, während fajt ihre gefammten Mannfchaften in den Wellen be- graben wurden.

Dieje Fälle find jedoch Abnormitäten, welche in befondern Naturereigniffen ihren Grund haben und feinen Mafftab für gewöhnliche Zuftände abgeben können.

Madeira wird von Bruftfranfen aus allen Theilen der Welt aufgefudht. Im Winter befinden fich durchſchnittlich 2000 Fremde auf der Inſel, die dort Genefung von ihren Leiden fuchen. Meiftens find es Engländer, jedoch gehen jetst auch viele Deutjche dahin.

Wenn man durch die Straßen Funchals wandert oder morgens einen Spazierritt in die höher gelegenen Partien des Landes macht, begegnet man ſehr häufig den Kranken,

10

die je nach ihrem Zuftande zu Pferde oder zu Wagen vie fiebliche erfrifchende Morgenluft mit vollen Zügen einfchlürfen. Langfam und geräufchlos gleiten die mit Ochſen befpannten Schleifenfutfchen über das Straßenpflafter, und in unferer durch die reizenden Umgebungen und den prachtvollen Morgen froh und heiter geftimmten Seele erklingt ein jchmerzlicher Mis- ton, wenn wir durch die Vorhänge des dicht verhüllten Wagens die bleichen leidenden Züge eines folchen Unglüclichen er- blicken, der felbft am Rande des Grabes, vielleicht mit um jo größerer Luft, fih an das ſproſſende blühende Leben Hammert, das ringsum im reicher Fülle ihn anlacht. Wer weiß, ob nicht Schon in wenigen Tagen ver jchwellende Raſen ihn deckt, deſſen duftiges Aroma ihn heute noch erquict. Dort fommt ein anderer Trauerzug, der unjer freudevolles Herz mit wehmüthigem Mitleid erfüllt. Zwei kräftige Männer der Inſel, mit weißen Hemden und Beinfleivern und der Fleinen jonderbar geihwänzten Kappe auf dem fchwarzen Dichten Haupthaare, tragen an einem Bambusrohre eine Hängentatte, deren Kopfende durch einen von der Stange herabhängenden Tep- pich gegen die Sonnenftrahlen geichüßt ift. Behutjam, gleich- mäßig fchreiten fie vorwärts, damit ihre Laſt vor jeder Er- fchütterung bewahrt bleibe. Eine Kranfe ruht in der Matte; ein junges Mädchen in der Blüte der Jahre, aber bereits ge- brochen in der Fülle ihrer Jugend und ven Todesfeim in Der wunden Bruſt tragend, ſchwebt an uns worüber. Ihre großen blauen Augen, aus denen noch wor furzer Zeit Luft und Leben jtrahlte, jchweifen matt und glanzlos über die prachtoolfe Morgenlandſchaft; über ihre feinen Züge hat bereit8 ver Todesengel feinen Schleier ausgebreitet und auf ihren Wangen blühen die Kirchhofsrofen. Wird auch diefer Aermſten die Inſel ein Retter fein? Sie fam wol zu ſpät hierher, und bald jchläft auch fie in der Fühlen Erde, wo fchon fo viel Hunderteihrer Leidensſchweſtern Erlöſung fanden. Möge die Erde ihr leicht fein!

ri

Wenn man als Tremder Madeira befucht, ift ein Ritt in die Berge, nach der erwähnten Kirche Noſſa Signora da Monte und nach der Schlucht des Großen Eurral der gewöhn— liche Ausflug. In einem Morgen kann man diefe Tour ohne Anftrengung machen, und fie genügt vollftändig, um Madeira, fofern man nicht Tourift par excellence ift, fennen zu lernen, da das Leben auf der Infel fich Hauptfächlich in Funchal und dem Thale, in dem diefe Stadt liegt, concentrirt. Kleine Ortſchaften und einzelne Hütten Tiegen zwar überall auf ver Inſel zerftreut, aber außer Funchal erijtirt weiter feine Stadt, und jedenfalls Hat auch die Natur diefen Punkt vor allen andern verſchwenderiſch begünitigt. Himmelanjtrebende Ge- birge mit all den erhabenen romantischen Schönheiten, die der Menfh an ihnen bewundert, gähnende Schlünde, jchroffe Felſenwände, einzelne Klippen in feltfamer Form, wilde Sturz- bäche, dunkle Waldungen und hellleuchtende Matten alles findet man bier vereint. Dazı das himmlische Klima, der blaue Aether, eine tropische Vegetation in den mannichfachften Formen und endlich das Meer, das ruhelos wallende Meer mit den jchwimmenden Segeln darauf, die wie filberne Wölfchen am ferne verfehwimmenden Horizonte dahinfchweben wahrlich das ift ein Panorama, welches das Auge erfreut, das Herz erhebt und eine unauslöfchliche Erinnerung in unferer Seele hinterlaffen muß.

Die Bevölferung der in zehn Dijtricte zerfallenven Inſel beträgt 120,000 Seelen, von denen 25,000 auf Funchal fommen. Die übrigen DOrtfchaften Liegen ſämmtlich an der Küfte zer- jtrent, fie find jedoch faum des Nennens werth und fat in allem der gerade Gegenſatz der Hauptftadt, Klein, ärmlich, ſchmuzig. Die Häufer bejtehen aus vier fahlen Wänden mit Strohdach; fie find faum fünf Fuß hoch und gleichen eher Ställen als menfchlihen Wohnungen. Der fie bewohnende Menſchenſchlag ift abſtoßend häßlich, namentlich die Frauen,

12

während den Männern die ftupiven Gefichtszüge, die über die Stirn herabhängenden Schwarzen ftruppigen Haare, der plumpe Körperbau und der gänzliche Mangel an geiftigem Ausdruck einen thierifchen Anftrich verleihen. Wo ein gutgefleiveter Fremder unter fie tritt, wird er mit verdummten Blicken an— gegloßt, aber alsbald ftreden sich ihm hundert Arme entgegen, die um ein Almoſen bitten. Alles bettelt hier, und die Unver- ihämtheit, mit der es betrieben wird, verfümmert einem zum Theil ven Genuß des fchönen Landes. Es fcheint fait, als ob diefes Almofenfordern mehr Gewohnheit als Nothwendig- keit ſei. Haus- und obdachlofe Menfchen gibt es eigentlich gar nicht, und man würde der Bevölkerung unrecht thun, wollte man fie träge nennen. Im Gegentheil, die Leute find ungemein thätig, und man erjtaunt über die Ausdauer und den Fleiß, mit der fie den fpärlichen Boden in den Gebirgen eultiviven und ihm eine Ernte abringen. Die fteilften Berge find von ihnen terraffirt, und wo nur ein Streifchen Aderfrume von wenigen Fuß Breite an einem Abhange zu finden war, iſt es gewiß mit Mais, Yams oder Weizen, je nach jeiner niedern oder höhern Lage, bebaut, und jede noch jo ärmliche Hütte Liegt zwifchen lachenden Feldern. Bon eigentlichen Mangel fann daher nicht die Rede fein, und das zudringliche Betteln tit darum um fo auffallender. Freilich in den legten Sahren, ſeit der Weinfranfheit, ift viel Nothitand auf der Injel gewejen. Seit 1856 gibt es feinen Wein mehr, und nicht einmal Trauben zum Eſſen fommen zur Reife. Unter 2 Thalern ift auf der Infel feine Flafche Wein mehr zu haben, und bald wird der echte Madeira nur noch in der Erinnerung (eben. Wenn man bevenft, daß im Jahre 1836 der Wein- ertrag fih auf 8435 Pipen im Werthe von 1Y, Million Ipanifchen TIhalern belief, fo wird man leicht ermeffen können, welchen harten Schlag die Infel durch die Weinfranfheit er- litten hat.

13

An Bodenproducten erzeugt Madeira eigentlich alles, was bie tropifchen und die gemäßigten Zonen hervorbringen. Früher war der Kornertrag gering und reichte nur für zwei Monate. Seitdem jedoch die Winzer gezwungen find, fich auf diefen Zweig der Bodencultur zu werfen, wird faft das ganze Jahres— bedürfniß erzeugt.

Die Einfünfte der Infel betragen 210,000 fpanifche Thaler jährlich, deren Hälfte die Zölle abwerfen, während die andere Hälfte aus den virecten Steuern fließt. Die Ausgaben für die Infel, inchufive der Garnifon, belaufen ſich auf circa 150,000 fpanifche Thaler, ſodaß dem Mutterlande 50 60,000 Ipanifche Thaler übrig bleiben. Die Induſtrie befchranft fich auf feine Holzwaaren, Stidereien und Häfeleien und auf vie Fabrikation von Federblumen. Im allen drei Productionen haben e8 die Madeirenfer zur hohen Fertigkeit gebracht, und wenn man nur nicht nach Art der Engländer, die überall vie Preije verderben, jogleich den geforderten Preis gibt, jondern bis auf die Hälfte herunterhandelt, befommt man auf billige Art die reizendjten Sachen in dieſem Genre. Erportirt wird von jenen Gegenftänden nichts, wenigjtens nichts in der eigent- lihen Bedeutung des Wortes, obwol faft-alle in das Ausland gehen. Die vielen Schiffe, welche die Infel befuchen, nehmen ſämmtlich dergleichen Andenfen mit, und namentlich wurden die Federblumen von unſern drei Schiffen volljtändig ausgefauft. Diefe reizenden Blumen werden aus den Federn ſchön ge- färbter Vögel, namentlich tropifcher, zufammengefett. Sie werden in Nonnenklöftern gefertigt und zeichnen fich nicht allein duch das prachtvolle natürliche Colorit ihres Materials, jondern auch durch die feine faubere Arbeit, die Funftwolfe Nahahmung der Natur und das höchft geſchmackvolle Arran- gement der Bouguets für Hut- und Haargarnirungen aus. Wie jehnfüchtig wol die armen Nonnen hinter ihren engen triften Mauern nach jener großen fröhlichen Welt blicken

14

mögen, wo ber aus ihren fleißigen Händen und vielleicht unter jchweren Seufzern und verjtedten Thränen hervorge— gangene Schmud getragen und bewundert wird! Wie traurig fie der Eontraft jtimmen muß, wenn fie im Geiſte ihren groben jchwarzen, alle Reize verhüllenden Anzug mit der Toilette vergleichen, zu der diefer Strauß oder jener Haar- ſchmuck paßt!

Das Klojter Incarnacao hat den Ruhm, die feinften und Ihönften Blumen zu liefern; aber auch noch ein anderer Grund bewog uns, wie fchon vor einigen Jahren, jo auch diesmal jeine dunfeln Mauern aufzujuchen. Wir wollten fehen, ob noch das liebliche Wefen mit den feurigen tiefjcehwarzen Augen, den feinen bezaubernden Gefichtszügen, dem blendenden Teint und der graziöfen Figur dort wäre, mit der wir jo manches Stindchen durch das doppelte Eijengitter des Sprechjaals ver- plaudert, der wir deutſche Lieder vorgejungen, und die vor zwei Jahren von einem unferer Kameraden, der ihr zu tief in die dunfeln Augen gejchaut, porträtirt und als theures An- denfen im Album mitgenommen worden war. Unfere Hoffnung wurde nicht getäufcht. Schwefter Anunciata begrüßte uns an ber Hand der Aebtiſſin, gleichfalls einer alten Defannten, durch das Sprachgitter mit der frühern harmlofen Heiterkeit und Freundlichkeit. Sie war etwas mehr erblüht und zur ausge: bildeten Jungfrau gereift, aber fie war noch jchöner geworden, und abermals fonnten wir eine Stunde der liebenswürbigiten Unterhaltung mit der reizenden Novize zu unfern angenehmen Reifeerinnerungen zählen.

Sie war noch immer Novize. Wie es feheint, will fie den Schleier nicht nehmen, wenn fte jemand findet, der ihr Herz gewinnt. Und wie e8 uns vorfam, hat fte bereits diefen jemand gefunden. Sie war jo jchalfhaft, fo heiter und - bezaubernd und lachte jo fröhlich hinaus in die Welt jenfeit des Sprachgitters, daß fie unmöglich mit dieſer gebrochen

15

haben fonnte, und gewiß würde die fie begleitende Aebtiffin ihre Sröhlichfeit befchränft haben, wenn dieſe fie wirklich als eine angehende Braut des Himmels betrachtet hätte. Die furze Dauer unjers Aufenthaltes nahte fich ihrem Ende: wir fahen von den Bergen hinter Funchal die blaue Flagge am Vortop unfers Schiffes wehen, welche die Umherjchweifen- den zufammenruft, wenn alles fegelfertig it, und wir mußten eilen an Bord zu fommen.

Bald war ver Anker gelichtet, der günftige Wind fchwellte die Segel, unſer Schiff z0g eine weiße Schaumfurche durch die blauen Fluten, und dahin ging es nach dem Süden. Die auf den Bergſpitzen lagernde Wolfe jenfte fih allmählich tiefer; jie verhülfte wie ein Schleier eine der auf der Höhe liegenden Quintas nach der andern. Bald Teuchteten nur noch die unten am Strande liegenden Gebäude wie ſchimmernde Punkte aus dem -Wolfennebel hervor, dann verichwanden auch fie. Der nahende Abend jandte feine grauen Schatten herüber, und wir fagten der lieblichen Inſel Lebewohl, um einer andern Station der großen Tour zuzuftenern, die ung lange von unſern Lieben und dem Vaterlande fern halten jollte, aber auch des Imtereffanten jo viel verfprach.

2.

Schabgräberei auf den Salvages. Ankunft auf Teneriffa. Hafenftadt Santa-Cruz. Kirchenbeſuch und Theater. Schönheit der Frauen. Ge- jellichaftlihes Leben. Laguna DOrotava und feine Gärten.

Diefe zweite Station war Teneriffa, das nur 70 und einige Meilen ſüdlich von Madeira liegt und troß des ſchwachen Windes ſchon am dritten Tage von ung erreicht wurde.

Am 18. April verließen wir Madeira und paffirten am folgenden Tage die Salvages- Infeln, eine Gruppe von vier unbewohnten und meiftens fahlen Felfen von zufammen drei bis vier Duadratmeilen, die in frühern Zeiten wol ale Schlupfwinfel für Seeräuber gedient haben mögen. Wenig- jtens läßt eine ziemlich vomantifche Gefchichte, deren Schau- plat die Infeln vor einigen Jahren waren, darauf fchließen. Zu jener Zeit jtarb nämlich in einem Zuchthaufe Londons ein auf Lebenszeit verurtheilter Sträfling und früherer Seeräuber. Auf feinem Sterbebette vertraute er zwei Engländern, er habe auf den Salvages eine Summe von 500,000 £. vergraben, die er vor Zeiten zwei mit Geld beladenen Schiffen abge- nommen. Die betreffenden Inhaber des Geheimniffes machten ſich unverzüglich, mit allen zur Hebung des Schates erforder: lihen Mitteln und Inftrumenten’ ausgerüftet, auf und fuhren

17

nah Madeira, von wo fie mit einem eigens gemietheten Fahrzeuge nach den Salvages gingen. Der Ort war fo ge- nau bejchrieben, daß gar fein Misverftändniß möglich jchien; auch wurde er jehr bald entvect, alle gegebenen Merkmale paßten; mit eifrigfter Thätigfeit wurde gejucht und gegraben allein es fand fih nichts. Man glaubte fich in der Stelle getäufcht zu haben und werjuchte e8 an einem andern Punkte, Man wühlte faft die ganze Infel um, jedoch mit nicht gün- jtigern NRefultaten. Das Geld blieb unentvedt, ein nedifcher Gnom oder misgünftiger Kobold fchien es fortgezaubert zu haben. Bitter enttäufiht, mit Verluſt von einigen hundert Pf. St. zogen die Schatgräber endlich ab, und zwar mit der Ausficht, noch tüchtig ausgelacht zu werden. Wir befanden uns gerade damals auf Teneriffa, das fie anfegelten, und fünnen bezeugen, daß fie darin wenigftens nicht getäufcht wurden. Außerdem aber wurde beim englifchen Conful in Santa-Eruz gegen feine Landsleute eine Klage von der jpanifchen Negierung wegen Eingriffs in die Rechte der fpanifchen Krone, welche die Injeln als Eigenthum betrachtet, anhängig gemacht. Man wies jedoch die Klage mit der Bemerkung zurüd, daß die Inſel durch die Umgrabungen an Werth nur gewonnen haben fünne, da hierdurch der Boden melio- rirt worden jei.

Wir jahen diesmal die Salvages nur in weiter Ferne und jteuerten unfern Curs weiter. Die behagliche Wärme, welche den eijigen Hauch des Nordens jeit Madeira ganz verdrängte, der jchöne Flare Himmel, der bejtändige, wenn auch fchwache Nordoſt-⸗Paſſatwind, fowie endlich ver gleichmäßig ruhige See- gang verfündeten uns die Nähe der Tropen, und wir begrüf- ten mit Freuden die milden Lüfte des Südens, die uns täglich angenehmer berührten.

Am 21. April fahen wir Teneriffa, und zwar zunächt das Ichneegefrönte Haupt des Pico de Teyde oder Tayfa, wie er

Werner. I. 2

18

von den alten Guanchen genannt wurde, das im Scheine der Morgenfonne wie ein Meteor ftrahlend hoch über einer dun- feln Wolfenfchicht hervorglänzte, die auf der untern Inſel lagerte und dieſe noch einige Stunden unſern Bliden verhülfte. Gegen Mittag hob fich der Schleier, die zadigen Umriffe der jäh aufjteigenden Norofüfte traten aus dem Nebel hervor, eine wirre chaotifche Maſſe von jteilen Felfen, jchroffen Ab- gründen, unregelmäßigen Riſſen und Spalten von dunkler, faft Ihwarzer Farbe und ohne die geringfte Spur von Vegetation bot fih dem Auge dar und verfündete, daß die Inſel ihre Entjtehung einer jener großartigen Convulfionen der Natur zu verdanfen habe, die vor Taufenden von Sahren unfern Erd- ball erjchütterten.

Die Nordfeite Teneriffas ift unzugänglich und unbewohnt. Nur nach Nordweiten am Fuße des Pic flacht fich das Ufer etwas janfter ab, und dort wurde das Auge durch weiß ſchim— mernde Häufer, umgeben von frifchem Grün, erfreut. Es war Drotava, welches wir erblidten, berühmt wegen jeines Weins und feiner Gärten, die ſchon Humboldt’s Entzücken erregten, und von deren Schönheit jeder die Inſel betretende Tourift bezaubert wird.

Bald war die Dftfüfte, an deren fteilen Klippen die Brandung donnernd emporbraufte, umfchifft, und die Süpfüfte trat uns in viel freumdlicherer Weijfe entgegen. Hier waren die Abhänge weniger teil, die Thäler cultivirt, die Berge mit üppiger Vegetation bedeckt und Feine Dörfer lagen ma- lerifch am Meeresftrande zerftreut. Gegen Mittag hatten wir die Rhede von Santa- Cruz erreicht und anferten in geringer Entfernung von der Stadt, die, ungefähr in der Mitte der Südküſte liegend, jet Hauptftadt der Infel und Sit des Gou- verneurs it und etwa 8000 Einwohner zahlt. Das Land macht hier eine Fleine nördliche Einbiegung, fteigt nur allmählich an und bleibt nach Weſten ziemlich flach, während es nörd-

19

ih und dftlih von Santa-Cruz fich zu einer Bergfette von 1000—1200 Fuß Höhe emporhebt.

Das Aeußere der Stadt macht feinen angenehmen Cin- drud, und die Lieblichfeit, welche Funchal umgibt, fehlt hier gänzlih. Während in Madeira ſich alle Schönheiten der In- fel in und um Funchal vereinigen, muß man fie in Teneriffa im Innern auffuchen.

Santa-Eruz ift nach demjelben Syſteme erbaut, das die Spanier bei Anlage von Städten in allen ihren Colonien zu Grunde legten. Es bildet ein Parallelogramm mit recht- winfelig ſich jchneidenden Straßen, die 150 Schritt (eine Cuadra) voneinander entfernt laufen, während in der Mittellinie fich zwei bis drei große Pläte befinden, an denen die Kirchen und fonjtigen öffentlichen Gebäude aufgeführt find. Die feiner jpanifchen Stadt fehlende Alameda erſtreckt fich wegen der Fühlern Luft unten am Meeresſtrande Hin, ift jedoch nur eine Mintaturausgabe im fleinften Format, in der fih faum 20 Berfonen frei bewegen fünnen.

Nach der Seefeite ijt die Stadt ſtark befeftigt, und an ihren Mauern holte fich Nelfon im Jahre 1797 eine tüchtige Schlappe. Er verjuchte Santa- Cruz durch einen Handftreich zu nehmen, indem er mit den Booten feines Geſchwaders einen nächtlichen Angriff machte. Dieſer mislang jedoch gänzlich, der umfprin- gende Wind jchleuderte die Boote auf den Strand und jchnitt den Engländern den Seeweg ab. Sie wurden ſämmtlich ge- fangen genommen, und Nelſon büßte außerdem noch feinen Arm dabei ein. Der fpanifche Gouverneur beſaß die unpo- litiſche Großmuth, den Admiral nebft feinen Gefährten unter der Bedingung frei zu geben, daß er feinen zweiten Angriff auf die Infel unternähme. Wäre er weniger großmüthig ge- wejen, hätte er feinem Vaterlande vielleicht den Tag von Tra- falgar erfpart.

Die Gebäude von Santa-Cruz find ducchjchnittlich im

2*

20

untern Theile ver Stadt, wo die wohlhabende und faufmän- niſche Bevölferung ihren Wohnfig aufgefchlagen, Hoch und geräumig in mauriſchem Stile aufgeführt, im obern Stadt- theile dagegen faſt ſämmtlich einjtöcig und oft jo niedrig, daß man mit der Hand das Dach erreichen kann. Der durch— gängig weiße Anftrich ertheilt jevoch allen Häufern ein freund- liches Ausjehen, und auch die zur Abhaltung der Sonnenhitse eng angelegten Straßen jehen reinlich aus, was man in Flei- nern ſpaniſchen Städten oft vermift. Der vornehmſte üffent- liche Pla iſt die Placa della Conſtitucion, um den fich bie Gouvernementsgebäude gruppiren und der in ber Nähe des Landungsplages liegt. Er ijt mit breiten Tiefen gepflaftert und allabendlich ver Berfammlungsort der beau monde, die in der engen Alameda nicht Raum genug für die Anfnüpfung oder Beſprechung ihrer LXiebesaffairen hat, welche nun Doch einmal im Reben jeder Spanierin, namentlich aber in den Co— lonien den erſten Plat einnehmen.

Die Hauptfirhe von Santa-Cruz iſt feine architektonische Merkwürdigkeit, obwel im Innern mit reicher Pracht und all dem Fojtbaren Yurus ausgeftattet, ven por 2—300 Jahren die Conquiſtadoren zur bequemen Buße für ihre nicht immer gottfeligen Thaten den Kirchen widmeten. Als ich die zahl- loſe Menge der fchweren, maſſiv filbernen Candelaber, bie fojtbaren Altardecken, die vielen filbernen und vergoldeten Heiligenftatuen anfah, die alle aus der Zeit der erſten Erobe- rung der Kanarischen Infeln ſtammen, mußte ich unmillfür- lic) daran denfen, wie viel unschuldig vergoſſenes Blut der armen Guanchen, die von ihren chriftlichen Befiegern auf pie grauſamſte Weife zur Ehre Gottes und der Heiligen Jungfrau hingefchlachtet wurden, damit gefühnt fei. Diefe Ausrottung der Ureinwohner Teneriffas bildet auch einen der vielen Fleden in der ſpaniſchen Gefchichte, ven Jahrhunderte nicht werwijchen fünnen und der ein ewiges Brandmal Spaniens bleiben wird.

21

Seit Jahrhunderten ſchon exiftirt fein Guanche mehr auf der Infel, und es ift ſchwer, über die erjten Bewohner ver insulae felices etwas Näheres zu jagen. Nur fo viel weiß man, daß fie ein harmloſes, friedliebendes Bölfchen waren, die bei Ankunft der Spanier auf der Injel einen ziemlichen Grad von Civilifation beſaßen, Ackerbau und Viehzucht trie- ben und mit den übrigen Infeln durch Schiffahrt, wenn auch nur in bejchränftem Maße, eine Verbindung aufrecht erhiel- ten. Auf mehreren fehr alten Gemälden, die ich auf dem Rathhauſe in Laguna, der frühen Hauptjtadt der Infel, jah, waren alle Guanchen mit blondem lockigen Haar, blauen Augen und echt germanifchen Zügen abgebildet. Die Gemälde tragen das Gepräge eines zwei- bis dreihundertjährigen Alters, und es ift wahrfcheinfich, daß fie Porträts von wirklichen Guanchen geben, um fo mehr, als fie die Belehrung derſel— ben zum Chriftenthume varftellen. Die Gejtalten find im allgemeinen fräftiger und höher als die der mit abgebildeten Spanier, und es iſt leicht möglich, daß einft ein Haufe unferer fühnen nordischen Vorfahren auf ihren Streifzügen zur See die Infel erreichte und ſich dort anfiedelte.

Sch befuchte die Kathedrale bei Gelegenheit eines großen religiöfen Feftes, der Erhebung des Kreuzes. Die- Hoftte wurde in feierlicher Procejjion in die Gefüngnifjfe getragen und den VBerbrechern das Abendmahl verabreicht. Der Bi— ichof und die gefammte Geiftlichfeit fehritten voran, ihnen zur Seite Hunderte von Laienbrüdern mit brennenden Wachskerzen, hinter diefen die gefammte Garnifon mit entblößtem Haupte und umgekehrten Gewehren. Die Procefjion bewegte ſich durch alle Straßen der Stadt, die fingerhoh mit Blumen und grünen Blättern bejtreut waren. Alle Fenfter waren dicht gedrängt mit Mädchen und Frauen bejett, welche Körbe voll Blumen auf vie Borbeiziehenden herabſtreuten. Die Sol- daten marjchirten nach dem Takte ihrer Regimentsmufif, dei

22

Körper nach Hinten gebogen und ihn bei jedem Schritte hin- und herwiegend. Es waren meiftens ſchlanke Geftalten von dunfler fait fupferbranner Hautfärbung und dem Typus der Nordafrikaner. Sie ftammen von den übrigen Canarifchen Injeln, während die auf Teneriffa geborenen auf Gran-Ca— naria garnifoniven. Nur die Offiziere find wirkliche Spanier, die Soldaten ſämmtlich Inſulaner.

Dei der Rückkehr aus den Gefängniffen z0g die Proceffion zum Hochamte in die Kirche. Die Soldaten machten vor der Thür halt, und wie ein Dlit fehien ein anderer Geift über jie zu fommen. Die läffige Haltung verfchiwand, die Körper richteten fich gerade, ihre Fronte bildete eine fchnurgerade Linie, und fie marfchirten in vorzüglicher Ordnung unter klin— genden Spiele in ihre Quartiere.

Die Kirche war faft gedrängt voll Frauen, die auf fojt- baren Teppichen und Tüchern Fnieten, welche jede Dame auf ihrem Kirchgange ſich nachtragen läßt, da es in den Kirchen weder Stühle noch Bänfe gibt. Wol weniger Andacht als Neugier war der Grund des zahlreichen Damenbefuhs. Hin- ter den Fächern wurde viel gefichert und geſchwatzt, und eigent- ich ſchien mir die Kirche nur eine Art von Alameda zu fein.

Der Kathedrale gegenüber liegt das feit einem Jahre er- öffnete neue Theater. Man muß gejtehben, daß es alle Er- wartungen übertrifft, die man im diefer Beziehung an eine Stadt wie Santa-Cruz jteflen fan. Es faßt 2000 Menjchen, it ehr zweckmäßig eingerichtet und fogar im Innern veich aus- geitattet. Nur die Eine Unbequemlichfeit iſt dabei, daß bie ?ogen feine Site haben, daß man fich die Stühle ſelbſt mit- bringen muß, auch nicht einen einzelnen Pla, fondern nur die ganze Yoge miethen kann. Die Leiltungen der gerade ſpielen— den Truppe waren recht gut, und genug befam man auch für jein Geld. Bon 7Y, bis 12 Uhr hatte man ununterbrochen Luftipiel, Oper und Ballet. Nur das Orchefter war unter

23

alfer Würde. Es bejtand aus 12 Inftrumenten, und darunter waren 5 Pofaunen und 3 Bälle Ich fann nicht begrei= fen, wie die Dejucher des Theaters eine jolche Tortur zu er: tragen vermögen, da doch auf der ganzen Inſel ein reger und gebildeter mufifalifcher Sinn herrſcht und wir Gelegen- heit genug fanden, ung davon zu Überzeugen.

Wir fuchten unfere Ohren gegen diefes unheimliche Con— cert zu verfehließen, indem wir defto mehr unfere Augen an- ftrengten, um den Kranz von feltenen Schönheiten zu betrach- ten, der die verfehiedenen Logen zierte. So unangenehm wir in Madeira durch die mit wenigen Ausnahmen wirklich ab- ſchreckende Häßlichfeit des weiblichen Gefchlechts berührt wur— den, fo fehr erfreute uns hier das Gegentheil, und nie haben wir eine größere Zahl von wirkfichen Schönheiten beieinan- der gefehen als im Theater von Santa-Cruz und auf einem Belle, den ver Alcalde uns zu Ehren gab. Wahrlich, dem Paris würde es fchwer geworden fein, hier eine vollgültige Entſcheidung zu treffen, und wir fonnten nur bewundern, mit welcher Anmuth und Grazie hier die Natur ihre Gejchöpfe ausgeftattet hat. Freilich find die Spanierinnen überhaupt in diefer Beziehung bevorzugt. Schwarze fenrige Augen, rei— ches dunkles Haar, ſchöne Zähne, Hleine Hände und Füße find faft das Eigenthum einer jeden, und mit folchen Schä- ten ausgeftattet, kann wenigitens die Jugend nicht häßlich oder unfchön fein. Man muß es ihnen jedoch auch Laffen, fie verjtehen es meifterhaft, durch eine geſchmackvolle Toilette ihre natürlichen Reize zu erhöhen, und fie wifjen es wohl, daß die einfache jchwarzfeidene Mantille, welche fie fofett über ven Kopf geworfen tragen, viel bejjer leidet als das ausgefuch- tefte Mufter unferer hohen geſchmackloſen Damenhüte, mö— gen fie noch fo reich garnirt fein. Die fosmopolitifche Crino- line hat auf ihrer Weltumfegelung auch Teneriffa erreicht und bfüht in wollen Glanze bei der dafigen Damenwelt. Ja fo-

24

gar der „letzte Verſuch“, der Amazonenhut, tauchte auf der Promenade einigemale vor meinen Augen auf, jcheint jedoch nur bei den Dienftmädchen Gnade gefunden zu habeı.

Die Frauen vom Lande tragen jtatt der ichwarzjeidenen Mantille ein weißes, mit breiten gleichfarbigen Seidenbande eingefaßtes Kafimirtuch über den Kopf, das mit dem unab- änderlich ſchwarzen Kleide angenehm contraftirt, und unter dem die ſchwarzen Augen ftrahlend hervorblitzen. Bei den Xermern ift der Kleiverjtoff Wolle, wer es jedoch irgend erjchwingen fann, geht in Seide. Eine Bauerfrau von Teneriffa hun- gert lieber, als daß ſie ſich verfagte, mit fchwarzfeidenem Node zur Stadt zu fommen, während dagegen ihr Mann mit dem aus einer weißiwollenen Wferdedede kunſtlos her- geftellten Mantel und dem breitfrämpigen braunen Filzhut einheritolzirt.

Das gejelifchaftliche Leben in Santa-Eruz ift angenehm. Man ift allabendlih auf Bällen oder bei andern freund- Ichaftlichen Zufammenfünften, wo man fich indeß hier nur um jeiner felbft willen fieht. In andern Ländern werden jelbjt reiche Leute an allabendlichen großen Gejellfehaften zu Grunde gehen, in Teneriffa vermag dies jedoch auch der weniger Bemittelte wohl auszuhalten. Etwas Frugaleres als die Verpflegung bei dergleichen Anläſſen kann es kaum geben. Wir wa- ren zu verfchiedenen Bällen und andern Feſtlichkeiten ein- geladen, aber wir nahmen jedesmal zuvor ein Jubjtantielles Abendbrot zu uns, um nicht auf das Buffet angewieſen zu jein, Das allerdings exiftirte, aber fir etwa 40 Berfonen aus zwei Schüffelchen mit leichtem Biscuit, zwei Fläſchchen mit Teneriffawein oder, wie es beſſer klingt, Canarienfect, zwei Flaſchen Waſſer und einer Anzahl von Gläſern bejtand. So fanden wir es beim Gouverneur, beim Alcalden und bei Kaufleuten, die feineswegs unbemittelt waren. Wir Nord- (änder find diefe Einfachheit nicht gewohnt und deshalb Fällt

25

fie ung zuerſt unwillfürlic) auf, aber im Grunde genommen fann es nichts Vernünftigeres geben. Unfere Gejfellfchaften würden viel von ihrer Steifheit und Yangweiligfeit verlieren und aufhören, eine Qual jowol für Wirthe als Gäſte zu fein, wenn fie weniger Abfütterungen als gejellige Zuſam— menfünfte wären.

Ein Tänzchen beſchließt regelmäßig die Unterhaltung, und namentlich ift der aus der Havannah eingeführte danza be- liebt. Diefer Tanz hat eine Nehnlichfeit mit unjerm Walzer; der Takt ijt jedoch viel langfamer, und es tft eigentlich nur ein Hin» und Herwiegen der Paare zu nennen, die fich fait nicht von der Stelle rühren. Die Dame ruht dabei gänzlich im Arme des Herrn, und fr" Liebende gibt es gewiß feinen Tanz, der zu zärtlichen Unterhaltungen fich beſſer eignete. Nebenbei mag bei feiner Erfindung auch dem havannefifchen Klima etwas Nechnung getragen fein, da er nicht echauffirt; ich glaube aber ficher, daß eine liebeglühende Havanneferin ihn erdachte,

Die Mufik ift, wie man es nicht beſſer ausprüden fann, ſüß, und ich bin feft iiberzeugt, daß diefe fowol wie der Tanz bei ung ungemeinen Anklang finden würde.

Die jungen Mädchen entwideln fich hier erſtaunlich ſchnell. Mit 12 bis 13 Jahren find fie vollftändig erblüht und häu- fig jchon verheirathet. Sch ſah eine junge Frau von 14 Jah- ven, die bereits Mutter von zwei Rindern war. Cbenfo Ichnell verblühen ſie jedoch auch, und gewöhnlich ſchwindet ihre Schönheit ſchon nach der erjten Niederkunft fehr, obwol ich auch einzelne Mütter fand, die mit ihren erwachfenen Töch— tern in jeder Beziehung wetteifern fonnten. Sie liefen ihnen jedoch völlig ven Vorrang, und oft fonnte man fehen, wie die Tochter in prachtuoller Toilette, aller Augen auf fich ziehend, im Bewußtfein ihrer Schönheit ſtolz wie eine Königin durch die Straßen fchritt, während einige Schritte hinter ihr in

26

befcheidenem jchwarzen Kleide die vielleicht noch ebenfo ſchöne und faum fünfundzwanzigjährige Mutter folgte.

Da unfer Aufenthalt auf ver Infel längere Zeit dauerte, wurde auch ein Ritt nach Drotava und feinen paradiefifchen Gärten unternommen. Den Pic ſahen wir uns nur aus der Nähe an, bejtiegen ihn aber wohlweisfich nicht. Sch hatte dies verſucht, als ich Teneriffa vor mehreren Jahren befuchte, habe mir feitvem aber vorgenommen, es nie wieder zu thun. Unter fehredlichen Anjtrengungen, faſt erfroren und aus Nafe, Augen und Ohren blutend, war ich doch nicht hinaufgefom- men und mußte, noch 1000 Fuß von der Spite entfernt, mit meinen Gefährten wieder umfehren. Für Naturforfcher mag es Neiz genug haben, durch eigene Beobachtungen zu erfahren, ob der Pic 13355 Fuß oder einige Zoll höher ift; der Touriſt wird meiner Anficht nach nicht genug für die er- duldeten Strapazen dadurch entjchädigt, daß er jagen kann: „Ich war oben”.

Der Weg nach Orotava führt durch Yaguna, die ehema- ige Hauptftadt der Infel, die etwa zwei Meilen von Santa- Cruz entfernt auf einer Hochebene, 1500 Fuß über dem Mee- resfpiegel liegt. Die beide Städte miteinander verbindende Straße ijt breit und ſchön chauffirt, troß ihrer vielen Win- dungen aber bisweilen fo fteil, daß man, wenn man zu Wagen, ausfteigen muß, auch die Kameele, welche allgemein auf der Inſel zum Lafttragen verwandt werden, im jteten Zickzack die Steigung zu überwinden juchen. Auf frühere Erfahrungen gejtütt, hatten wir tags zuvor im erſten Gafthofe von Laguna ein Mittagsinahl beitellt und verfchiedene Speifen ſelbſt hinge— ſchickt, um nicht bei unferer Ankunft vergebens auf Erquickung zu harren und fchlieglich nur in Del gejottene Fiſche zu be— fommen, wie e8 uns vor Jahren einmal ergangen. Nach eingenommenem Mahle ftreiften wir durch die Stadt, die in ihrer Dede und Stille an Herculanum und Pompeji erinnert.

27

Einſt zählte Laguna 20,000 Einwohner, jett deren kaum 2000. Das Gras mwuchert überall auf den Straßen, viele Häufer find gänzlich verfallen, viele unbewohnt und vom Zahn der Zeit benagt, und in den größten Gebäuden wohnen oft nur zwei bis drei Perfonen. Doch ift Yaguna nicht allein auf Teneriffa, fondern auch in Europa wegen feines jchönen Men— ichenfchlages berühmt, und foviel wir davon gejehen, können wir dies beftätigen. Obſchon wir zuerft feinem Menſchen auf den Straßen begegneten und das Echo unferer Schritte laut an den Häufern widerhallte, trieb Doch die liebe Neugier alle weiblichen Köpfe an die Fenſter. Jedes weibliche Geficht ift hier Schön, "wenn es nicht gar zu alt ift; wahrjcheinlich rührt dies daher, daß bei der Anfunft ver Spanier eine Kreu- zung mit den Guanchen ftattfand, da man hier mehr blaue Augen und !blonde Haare fieht als in irgendeinem Theile Spaniens.

Später, als man in der Stadt wußte, daß estrangeros, Fremde, angefommen feien, zeigte fich uns allerdings auch die Kehrjeite der Schönheit in einem Heere von Krüppeln und Bettlern von den verfommenften und abjchredendften Geftal- ten. Auf Schritt und Tritt wurden wir von ihnen verfolgt und mit einer Unverjchämtheit angeſprochen, die jelbft ven Ruhigiten in Verzweiflung bringen Fonnte.

Im Sommer ift Laguna etwas belebter und wird wegen feines fühlern Klimas von den wohlhabenden Bewohnern von Santa-Eruz aufgefucht. Das Klima ift aber auch herrlich! Man athmet die jchöne reine Seeluft, die der Paſſatwind unver- falfeht über die Berge führt, und die hohe Lage des Drtes läßt die Sonnenhite nie exrcejfio werden. An Sehenswürdig- feiten befigt Laguna wenig. Die Kathedrale ift innen fehr reich ausgejtattet, und die Pracht an edlen Metallen contra- ftirt feltfam mit der fchredlichen Armuth, von der man fich bier überall umgeben fühlt und die den Neifenden verfolgt,

28

wohin er fich wendet, mag er in der Kirche, im Kathhaufe, Gafthaufe oder auf der Straße fein. Das Nathhaus als einziges bemerfenswerthes öffentliches Gebäude der Stadt zeichnet jich nur durch feine Größe vor den übrigen Häufern aus. Sonjt verfällt es ebenfo, ift architektonisch nicht anfpre- chend und wird nur durch die alten Gemälde intereffant, die jeine öden und verjtaubten Räumlichkeiten ſchmücken.

Im allgemeinen waren wir froh, als wir der unheimlichen Stadt den Rüden fehrten und unfere Weiterreife antraten. Der Weg hinter Laguna nach Orotava läßt manches zu wünjchen übrig, und der vierftündige Ritt iiber jcharfe Lava— felvder und kahle Felſen war feine angenehme Partie. Süd— (ih von Laguna ift die Gegend ſehr gut cultivirt. Mais, Wein- und Weizenfelder wechjeln mit unabjehbaren Cactusan- pflanzungen (opuntia coceifera) ab, da die Zucht der Coche- nille den Hauptnahrungszweig der Canarifchen Inſeln bildet. Auf den Höhen jtehen baumartige Ericeen und das Innere Teneriffas gewährt hier einen höchſt angenehmen Anblid. Senfeit Yaguma tft die Umgebung jedoch todt und öde, und erſt in der Nähe von Drotava wird man durch veichprangenve Felder und Pflanzungen, die alle das Ausfehen von ſorgſam gepflegten Gärten haben, für ven traurigen Ritt entfchädigt.

Drotava liegt am nordöftlichen Ufer der Infel und am Fuße des Pic und kann mit Necht dev Garten Teneriffas genannt werden. Faſt jeder Einwohner des etwa 2500 Seelen zählen: den reizenden Städtchens ift Weinbauer oder Gärtner, und Oro— tava liefert den beiten Kanarienfect, der dem fchönften Ma— deira faum nachjteht. Die Weinkrankheit ift zwar auch ſchon jeit 10 Jahren hierher gedrungen, hat aber nicht die Ver- heerungen angerichtet wie in Madeira, und die Inſel Teneriffa producirt gegenwärtig nur etwa ein Viertheil weniger als früher. Drotava liefert ferner auch, im Berein mit Gran- Canaria, die große Maſſe von Gemüfen und Früchten,

29

welche nach Santa-Cruz ftrömt, um an die Schiffe verkauft zu werben. Jedes Haus des Städtchens ift mit einem mehr oder minder großen Frucht- und Gemüfegarten umgeben, vefjen Beete mit prachtvollen Blumen eingefaßt find. Soweit das Auge reicht, wird es durch foftbare Blüten, durch herrliches Grün und prangende Früchte entzückt. Dazu der fchneege- frönte Gipfel des majeftätifchen Pic, das tiefe Blau des Meeres, die mit aromatiichen Düften geſchwängerte Luft wahrlich, Orotava iſt das Juwel der Canarien, und wenn bie Alten es Ffannten, jo durften fie den Inſeln mit Necht ven Namen der „Glücklichen Infeln‘‘ insulae felices beilegen.

Einen ganzen Tag brachten wir in diefem Paradiefe zu, dann mußten wir ung leider trennen. Die Abfahrt unfers Schiffes ftand nahe bevor, und wir durften nicht länger zö— gern. Wie fo oft im gewöhnlichen Leben müfjen faft immer die Seeleute dann fcheiden, wenn fie anfangen fich wohl zu fühlen. Wir hatten freilich die angenehme Ausficht, nach 8—14 Tagen, wenn auch nur auf furze Zeit, zurüczufehren, und daher wurde uns der Abjchien nicht fo ehr erſchwert. Indeſſen gerade als wir den Hafen verlaffen wollten, Fam die Dampffregatte Arkona an und brachte uns die nicht angenehme Weifung, anftatt nad Brafilien und ven La— Plata-Staaten, direct nach Singapore zu fegeln und dort mit dem Gefchwader zufammenzutreffen. Dies war zwar fehr jtörend für uns, mußte aber gefchehen, wenn die Schiffe noch vor dem im September eintretenden Monſunwechſel, d. h. in diefem Jahre Japan erreichen wollten. Die Arkona jelbft folgte am nächften Tage den nach Brafilien vorausgefegel- ten beiden Schiffen, während wir auf der Elbe unfern Curs nach Lanzarote, einer andern der Canarifchen Inſeln, richteten. Einige Kleine Befchädigungen an der Befupferung unjers Schiffes liegen nämlich eine Neparatur verfelben vor Antritt der großen Neife nöthig erfcheinen. Da bieyzur ein

30

theilweifes Ausladen und Schieflegen erforderlih war, das fih auf der ftets unruhigen Rhede von Santa- Cruz nicht bewerfftelligen ließ, fo wurde befchloffen, nach der Infel Lan- zarote zu gehen, wo fich ein vollftändig ficherer Hafen, Port Naos, befindet.

3.

Fuerta Ventura und ſein Feudalherr. Lanzarote. Hafenſtadt Arecife.

Landwirthſchaftliches. Aſchen- und Lavafelder. Die Montagna del

Fuego. Gran-Canaria. Kameelzucht und Cochenillecultur. Production und Handelsverkehr der Canaren.

Seit unſerm Abſchiede von Deutſchland waren wir ſtets von guten Winden begleitet geweſen, und es kam uns daher ziemlich ungewohnt an, diesmal gegen den Norvoftwind Freu- zen zu müjjen. Doch war die Elbe Meijter in viefem Fache, und ſchon am andern Mittage erreichten wir die Südſpitze von Fuerta Ventura, das, füdlich von Lanzarote gelegen, von diefem nur durch eine Schmale Meerenge, die Bocayna, getrennt wird. Wir lavirten ganz nahe unter der Küfte hinauf, umd unfere Fernrohre waren beftändig auf die Infel gerichtet, um irgendwo ein freundliches Städtchen, eine Waldung oder min— deftens ein grünendes Thal zu erbliden. Vergebens, nichts war zu entveden als fchwarzer Sand, Lava und Fels. Wie anfpruchslos muß der Mann geweſen fein, der diefen trauri- gen Fleck der Erde Fuerta Ventura, „Großes Glück“, taufen fonnte!

Eine nadte ſchwarze, von jeder Vegetation entblößte Berg- fette die einzelnen Kuppen meiſt in regelmäßig fonifcher Kraterformation, häufig aber auch fcharf abgefchnitten und

32

dachförmig zieht fich durch die Mitte der Infel von Nordoſt nach Südweſt und feheidet fie in zwei Hälften, deren füdliche, das leibhaftige Bild der geftorbenen Natur, jest unferm Auge offen lag. Doch an ver nördlichen Spite, nahe am Meeres- jtrande, entdeckten wir jest ein Haus. Es war eine Kicche, aber wie fie in dieſe Einöde fam, mag Gott wiffen, da mei- lenweit feine menjchliche Wohnung zu fehen war. Die nörd- liche Hälfte der 130 Duadratleguas (eine Legua /, geo- graphifchen Meilen) großen Inſel, welche wir fpäter zu jehen Gelegenheit hatten, ift nicht ganz fo abjchredend, immer aber bleibt es unbegreiflich, wie die Infel 8160 Einwohner ernäh- ren fann, felbjt wenn fie jo außerordentlich geringe Anfprüche an das Leben machen, wie fpanifche oder vielmehr Bauern von Fuerta Ventura. Außer dem Cochenillecactus und der Eispflanze oder Barilla, aus der Soda bereitet wird, wächſt faft nichtS auf der Inſel, und ihr Huuptnahrungszweig ift Die Zucht der Kameele, welche nach Teneriffa und Lanzarote ver: fauft werden, um dort den Waarentvansport zu vermitteln. Ein großer Theil Fuerta VBenturas gehört einem Grundbefi- er, einem verfchrobenen fpanifchen Edelmann, der auf diefem abgefchievenen Fled der Welt a la Don Quixote lebt, fich als Fürſt gerivt und eine Art von Hof unterhält. Bon Zeit zu Zeit beruft dieſer Herrfcher feine Vafallen zu einem imagi- nären Sriegszuge gegen die Mauren von Afrifa ein und hält dann eine Revue ab. Meberhaupt bat ver Mann die gute alte Feudalzeit auf der Inſel vollftändig wiederhergeſtellt. Er iſt unverheirathet, reich, befist 3—400 Kameele und zeigt fich gegen Fremde, welche die Infel befuchen, ungemein gajt frei; nur verlangt er, daß feine Gäſte fich der jtrengen Eti- fette fügen, welche feinen Haushalt regelt, und die am Hefe Philipp’s II. nicht fchärfer fein Fonnte. Sonft ift ver Mann ſehr gebildet, Hat ein geveiftes Urtheil und macht ven liebens— würdigſten Gejellfchafter.

33

Durch die Bocayna gelangten wir raſch. Am andern Morgen kreuzten wir an der Südküſte von Lanzarote hinauf, die anfänglich viel Aehnlichfeit mit Fuerta Ventura hat, weiter öftlich aber ein freundlicheres Anfehen gewinnt. Wie dort mitten in der Einöde eine Kirche, fo jtand hier zwifchen Afche, Lava und Fels ein Fort, d. h. ein runder Thurm mit einem verrofteten Geſchütz und acht Mann Befatung. Stolz wallte die fpanifche Flagge von den Zinnen der Felte, aber wir muß— ten unmillfürlich über dieſe Ironie einer VBertheidigung der Bocayna lachen, welche ein gutbemanntes Boot einer Fre— gatte in fünf Minuten nehmen würde. Nichtsdeftoweniger paßte das Fort vortrefflich zu dem Don Quixote auf Fuerta Ventura, und vielleicht iſt e8 von ihm erbaut.

Bon Lanzarote ift Hauptfächlich die ſüdliche Hälfte bewohnt; die nördliche bildet eine Kette theils ausgebrannter, theils noch glühender Vulkane, deren bedeutenditer die Montagna del Fuego ift. Die Hauptjtadt und der Hafen der Inſel ift Arecife, jo benannt nach einem freisförmigen Lavariff, das den Hafen bildet. Wir famen nach dreitägiger Neife von Teneriffa am 28. April vor Arecife zu Anfer, wo unfere Er- ſcheinung große Senfation erregte, da faft nie ein fo großes Schiff ven Hafen befucht und die preufifche Flagge eine un- befannte Größe war. Bon außen macht fich das Städtchen, das 2500 Einwohner zahlt, mit feinen fteinernen und weiß- angejtrichenen Häuſern ganz allerliebft, und unfere jungen Herren verjprachen fich Schon eine Wiederholung der angenehmen Tage von Santa-Cruz. Allein nicht alles ift Gold, was glänzt, und ein einftündiger Aufenthalt drängte uns die traurige Ueber- zeugung auf, daß es auf der weiten Gotteswelt faum ein tödlich langweiligeres Neft als Arecife geben fünne, Die Straßen waren eng, todt und ftill, hier und dort lag oder ftand ein Kameel oder ein Ejel, aber feine Menfchenfeele, nicht einmal Bettler fah man. Cbenfo wenig fand das Auge

Werner. I. \ 3

34

zwifchen den monotonen Steinmafjen der nach einem und dem- felben Schema gebauten Häuſer einen Ruhepunft. Kein Baum, fein Strauch, fein grünes Blatt war zu erbliden; innerhalb der Stadt nur Steine, außerhalb wulfanifche Ajche und Lava, aber überall eine glühende Sonnenhite, die uns ſehr bald wieder an Bord trieb, da es nicht einmal ein Gajthaus gab, in dem man die vertrocneten Lippen durch einen fühlen Trunf erlaben fonnte.

Man it hier lediglich auf die Gaftfreundfchaft ver Be— wohner angewiejen; wir fannten aber am Tage unferer An— funft niemand und durften deshalb Feine beanfpruchen. Spä- ter machte fich die Sache bejjer, und es wäre unvecht, wollten - wir nicht der Freumdlichfeit der Bewohner von Arecife danf- barlichjt gevdenfen; aber die Stadt jelbit gewann dadurch nichts, fie blieb nach wie vor ein trauriger fchauriger Ort, ſelbſt als Exil unerträglich. Der engliiche Conful, an den wir geiwie- fen waren, that alles Mögliche, um uns den Aufenthalt an- genehm zu machen, und feiner Güte verdanften wir auch eine Tour durch die Infel nach der Montagna del Fuego, auf der wir Yanzarote und das Leben und Treiben auf ihr näher fennen zu lernen Gelegenheit hatten.

An einem ſchönen Nachmittage brachen wir mit dem Con— ful, vier an der Zahl, auf und zwar auf Kameelen. Letztere find die einzigen Transportmittel auf der Infel, die faum drei oder vier Pferde zählt. ES war das erſte mal, daß ich ein Kameel ritt, aber die neue Art zu veifen gefiel mir ganz wohl. An jeder Seite des Höders war ein gepolfterter Sit angefchnallt, auf denen wir Plag nahmen Das gela- gerte Thier hob fich zumächft auf die Hintern Knie, fprang dann auf die Vorderfüße und fchließlich auch auf die Hinter- füße. Dadurch entſtanden drei ziemlich heftige Bewegungen, die zwar infofern etwas Gewöhnliches für uns waren, als fie ung lebhaft an das Stampfen des Schiffes erinnerten, aber doch

35

uns leicht von unfern hohen Siten hätten herabfchleudern fün- nen, wenn wir nicht vorher durch unfern Gajtfreund darauf aufmerffam gemacht worden wären. Nachdem dies über- wunden, vitt es fich ganz angenehm. Die Bewegungen der Thiere find bequem und ihre Tritte infolge der großen elaftifchen Fußballen janft, ſodaß man wie in einem langjfam fahrenden Magen fikt.

Unfer Weg führte uns einige Stunden lang am Mleeres- jtrande entlang durch große Felder von Barilla, die viel auf Lanzarote gebaut wird. Die Barilla oder Eispflanze (Me- sembryanthemum erystallinum), jo benannt nach den kry— ſtalliſchen, Eisfugeln ähnlichen Körpern, mit denen ihre Blät— ter bededt find, wächſt vorzugsweife auf vulfanifchem Boden und gebeiht befonders auf den unfruchtbarften ver Canarifchen Infeln, Fuerta Bentura, Yanzarote, Gomera und Hierro. Die Pflanze bevarf fajt feiner Eultur, wird reif ausgezogen, auf dem Acer getrodnet und in Haufen verbrannt. Die zu— rücbleibende-Ajche wird zu Kuchen geformt, auf Kameelen nach Arecife gejchafft und von dort nach Europa verfchifft, um zur Sobdabereitung verwandt zu werden.

Etwas weiter ftießen wir auf ein wahres Wunder. Der Sfeptifer, welcher nicht glauben will, daß Berge verjett wer- den fönnen, möge nach Yanzarote gehen; dort wird er fich mit eigenen Augen überzeugen, wie Berge verjett werben und inner— halb jechs Monaten eine Tour von drei deutſchen Meilen quer über die Inſel befchreiben. Dies mag unwahrjcheinlich Elin- gen, ift aber nichtspeftoweniger wahr.

Der im Frühjahr einfeende und während acht Monaten des Jahres wehende Nordoſt-Paſſatwind, wegen jeiner gejund- heitlichen Eigenfchaften auf der Inſel allgemein der Doctor, el medico, genannt, bewirkt diefes Wunder. Er führt von der nur 8 Meilen entfernten Küfte Nordafrifas den Sand,

aus dem fich die wandernden Berge bauen, in ungemein gros 3* [9]

36

ken Maſſen nach der Nordküſte Lanzarotes hinüber und thürmt ihn zu Bergen von SO—40 Fuß Höhe und etwa Doppelt fo großem Durchmefjer an der Bafis. Dieje Berge haben eine ganz bejtimmte Form. Es find abgejtumpfte, in der Mitte durchfchnittene und an der Innenfeite hohle Kegel. Die innern Wände haben einen faſt fenfrechten Abfall, die äußern eine Böſchung von 35—50 Grad. Der beftändig gegen die Au- Benfeite wehende Wind treibt den loſen Sand über die Spike und auf diefe Weife reifen oder vielmehr wälzen fich diefe Berge innerhalb vier bis fehs Monaten quer durch die In— jel, bis fie die Meeresfüfte erreichen und fich in die Tiefe ftürzen. Wir fahen drei, vier diefer Wanderer in der Nähe der Küfte, und der englifche Conſul verficherte, daß der eine verjelben vor 14 Tagen noch eine halbe Meile Tandeinwärts gejtanden habe.

Später z0g fih der Weg nach dem Innern der Inſel bergauf, und wir paffirten die Stadt Tias von 5000 Ein- twohnern, die uns aber zehnmal jo groß vorfam, weil fie un- endlich weitläufig gebaut ift und mindeſtens eine Duadratmeile Flächenraum einnimmt. Hier verfchwand die Barilla, und Cactus und Getreide (Gerjte, aber nur jpärlich) trat an ihre Stelle. Hier und dort erblicte man auch vereinfamte Pal- men fowie Feigen und Dbftbäume Man war gerade bei der Getreideernte befchäftigt, und überall jah man mit Gar- ben hochbepadte Kameele und Eſel durch die Felder wandern. Das Getreide wird hier nicht gemäht, fondern ausgerupft, und überhaupt fteht die Landwirthſchaft noch auf jo primiti= ver Entwidelungsftufe, wie ich es jelten gejehen habe. Spät abends erreichten wir einen dem englijchen Conſul gehörigen Meierhof, wo wir übernachteten. in vorausgejchidtes Ka- meel hatte die für unfere Berpflegung erforderlichen Gegen- jtände hingefchafft, und wir fanden nicht nur ein treffliches Abendbrot, ſondern auch Höchft einladende Betten, auf denen

97

wir unfere müden Glieder ausruhen fonnten. Die Meierei lag reizend in einem Thale, umgeben von üppigen Cactus- feldern und befchattet von Palmen und Feigenbäumen, die ihre breiten Blätter und Zweige über das ganze Gehöft ausjtrecdten und foftbaren Schatten gegen die brennende Sonne gewährten.

Auf der Infel gibt e8 nur Einen Quell, und zwar iſt der englifche Eonful, ein geborener Infulaner, dem übrigens halb Lanzarote zu gehören ſchien, der glückliche Better diejes Uni— cum in einer andern feiner vielen Meiereien, die über die ganze Inſel zerftreut liegen. Sonft hat man nur Regenwaj- fer, das im Winter aufgefangen und in Cifternen aufbewahrt wird. Hier befand fich die Cifterne hinter dem Haufe; vor ihr war eine etwa 100 Fuß lange und 60 Fuß breite, fchiefe Ebene in den Fels gehauen, von der aus das Regenwaſſer in fie hinabftrömte. Zugleich diente diefe Ebene im Sommer als Tenne, und ich hatte Gelegenheit pas Drejchen mit anzu— jehen. Ein Kameel mit feinem halberwachjenen Jungen, zwei Stiere uud ein Ejel waren zufammengefoppelt und traten, jtets im Kreife fich beiwegend, das Korn aus. Der Ejel hatte die fchlimmfte Tour, er lief außen, während das alte Kameel innen ftand und fih nur um feine eigene Achje drehte. Wenn das Stroh entförnt ift, ift es faſt jo kurz wie Häderling und wird als Futter für die Kameele verwendet. Gereinigt wird das Getreide ebenfalls auf eine antife Art. Wenn mor- gend oder abends der Wind ziemlich ftarf weht, werfen zwei, drei Männer mit dreizinfigen hölzernen Gabeln das getretene Stroh 6—8 Fuß in die Luft, wobei das Stroh zur Seite fliegt, während die fchweren Körner auf die Tenne zurüdfallen. Ich fonnte nicht umhin, über diefen langwierigen Proceß, der au— Berdem bei jtiller Luft fich nicht einmal vornehmen ließ, meine Berwunderung auszufprechen und dem Meier die bei uns ge- bräuchliche Reinigungsart zu befchreiben. Er hörte mir ge- ſpannt zu und ließ fofort einen Rechen anfertigen, den ich

38

ihm aufzeichnete. Als er fah, wie viel Arbeit ihm das ein- fache Inftrument erjparte, war er. ganz außer fich, und als ich ihm aus einer langen Stange und einem Gänfeflügel noch einen Fittich zur Entfernung des Staubes conftruirte, wußte feine Dankbarkeit feine Grenzen. Ich aber zerbrach mir den Kopf, wie es möglich fei, daß bei civilifirten Yandleuten ein Inftrument wie ein Rechen ein vollſtändig unbefanntes Ding fein fonnte.

Am andern Morgen brachen wir vor Sonnenaufgang mit unfern Kameelen auf, um möglichjt noch in der fühlen Mor- genluft die 3 Stunden weit entfernte Montagna del Fuego, den höchjten wulfanifchen Kegel der Infel Lanzarote, und das Ziel unferer Reife zu erreichen.

Kaum 200 Schritt hinter ver Meierei nahm die Gegend einen ganz andern Charakter an. Bisher war das Land ziem- lich flach und mit Aderfrume, wenn auch in geringer Höhe bedeckt. Mean jah regelmäßige Felder und, wenn fie auch nicht üppig ftanden, waren fie doch in der bei uns gebräuchlichen Weife bebaut. Jetzt gelarigten wir aber in die Gegend, mo 1730 die Eruption eines der Vulfane einige Duadratmeilen Land und 20 Dörfer verfchüttete. Als wir jo am Rande eines Berges hinritten und fich nach! Norden hin das große, 4—5 Duadratmeilen Haltende Thal vor uns öffnete, in welchem nur dunfelbraune zackige Spitzen erjtarrter Lavamaſſen die tiefſchwarze Färbung endlofer, mit wulfanifcher Aſche bedeck— ter Streden unterbrachen, bejchli uns ein eigenes beflem- mendes Gefühl, als fehieden wir von der belebenden Natur und jtänden an der Grenze des Dreus. Die Unterhattung wurde einfilbig, felbjt unfere Kameele ftöhnten, als fie lang- ſam ſich durch die loſe Alche ihren Weg bahnten, und jchon ftanden wir auf dem Punkte wieder umzufehren, als bei einer Biegung des Weges plötlih ein Bild vor uns auftauchte, das wirklich einzig in feiner Art war und uns allen einen Ausruf des Erſtaunens entlocte.

39

Mitten in diefer troftlofen ſchwarzen Einöde, über ver nur eine Schiht der von den Sonnenftrahlen erhitten Luft zitterte, lagen auf einmal Hunderte von Dafen hingezaubert, deren üppiges frifches Grün um jo faftiger erfchien, als es ringsum von der ſchwarzen Aiche umgeben war. Es war ein eigener Anblid, der Kontraft zwifchen Tod und Erftar- rung und dem blühenden, jungen, frifchen Yeben. Die einft verfchütteten Dörfer und Fluren fchienen hier nach hundertjäh- rigem Schlafe wieder zu erwachen und das auf ihnen liegende Leichentuch zu durchbrechen, denn hier und dort ſah man auch zwifchen dem lachenden Grün die rothen Ziegelvächer von Gebäuden hervorfchauen, während ihre Mauern fich noch um- ter dem Niveau der Aiche befanden.

Die Dafen beftanden aus Anpflanzungen von Feigen und an— dern Fruchtbäumen, die in Gruben von 15—20 Fuß Tiefe ange- legt waren, und deren oft 50—60 Fuß im Durchmeffer hal- tende Kronen wir von unferm erhöhten Standpunfte aus er- blidten. Die Bewohner der Infel hatten die Ajche aufgegraben, bis fie unter ihr ven Humus auffanden. Die jungen Pflan- zen gedeihen üppig in der tiefen Grube, welche unten ftete Veuchtigfeit bewahrt, während oben eine tropifche Sonne ihr Wachsthum befördert. Die betriebfamen Landleute jehen fo ihre Mühe jest reichlich belohnt. Wo die Afchenfchicht nicht mehr als 6 Fuß überjteigt, ift Wein gepflanzt, gewöhnlich von einem breiten Kreiſe von Erbfen und Bohnen umgeben, in den tiefern Gruben aber wachen Feigen, Aepfel und Birnen.

Etwa eine Stunde lang führte unfer Weg durch diefe merkwürdigen Anlagen; dann gelangten wir an eine Fleine Anhöhe, auf der eine Meierei ftand. Hier hörte mit einem Schlage wieder alles Leben auf. Die Montagna del Fuego mit ihren Schattirungen von hellem und dunfelm Roth Tag etwa noch eine Stunde weit vor ung, aber ein bis zu ihrem Fuße reichendes Lavafeld trennte ung von ihr, und diefe Strede

40

mußte zu Fuß durcchwandert werben. Für Kameele und alle größern Thiere ift diefe Maſſe fpitiger und fcharfer Klippen nicht zu paffiren.

Wer im Frühjahr durch Sturm Da Regen die Eispeden eines großen Fluſſes aufbrechen und die wirr Durcheinander gefchobenen Schollen durch neuen Froſt wieder zu einem Gan- zen erjtarren fah, der nur kann fich eine Vorftellung von die- jem graufen Yavafelde machen, doch muß er fich dieſes Bild noch mit einer graufchwarzen Färbung überzogen venfen.

Der Meier, bei dem wir unfere Kameele ließen, diente als Führer. Ein jeder von und erhielt einen Springftod, und vorwärts ging e8 durch den Kirchhof der Natur, auf dem die oft zu wunderbaren Geftalten geformten Lavaklippen wie Grabjteine emporragten. Es war feine angenehme Tour; troß der größten Borficht brachen wir oft durch die morſchen Schollen, und Schuhe wie Kleider wurden gehörig mitgenom- men. Die Sonne brammte glühend auf unjere Köpfe, aber bei aller Ermattung konnten wir nicht einmal ruhen, weil die glasartigen Spiten der Lava fchmerzend ins Fleifch dran- gen. Endlich war das Feld überjchritten und der Fuß des Berges erreicht, bis zu deſſen Gipfel noch 1000 Fuß unter einem Winfel von 60 Grad erftiegen werden mußten, davon die Hälfte loſe Aſche. Indeſſen blieben wir entjchloffen, unfer Beginnen durchzuführen, da wir reichliche Belohnung in den ſchönen Betrefacten zu finden hofften, an denen die Montagna del Fuego reich jein folltee Alſo weiter durch die kniehohe Aſche, in der wir ebenfo tief verfanfen! Das Schlimmite war endlich überwunden, fefter Boden war unter den Füßen, und nach furzer Raſt klommen wir zur Spite hinauf. Wir hatten fie erreicht, und ein frischer Wind fühlte unfern er— bitten Körper und eine fojtbare Ausjicht bot fich dem Blicke. Zu unfern Füßen lag das lanzenförmige (und deshalb jo be— nannte) Yanzarote, links eine Kette von SKratern, in beren

41

unheimliche Tiefen wir hinabfchauten, rechts die weißſchimmern— den Städte, Dörfer und Gehöfte mit ihren grünen Umgebun- gen, im Often die fleine unbewohnte Injel Graziofa, im Süden Fuerta Bentura, im Wejten jchimmerte ein weiß- glänzendes Wölfchen, das wir für die Spite des Pic hielten, und ringsum das blaue wallende Meer, deſſen brandende Wo- gen die Küften mit einem Silberftreifen befränzten. Es war ein prachtvolles Panorama, aber leider wurde ung ein län- gerer Genuß nicht geftattet. Wir fühlten plöglich ein ſchmerz— haftes Brennen in unfern Füßen, eine Folge der aus der Berg- oberfläche ftrömenden Hite, und nach fünf Minuten wurde das Gefühl jo unerträglich, daß wir unfern Rückweg antreten muß— ten. Bergebens fehauten wir nach den berühmten Petrefacten aus. Nur hier und da lag ein Stüd vother Lava, in einigen Heinen Höhlen fanden wir frhftalfifirtes Glauberfalz und an verjchiedenen Stellen eine Menge reinen Schwefels, der oft zollyoch lag. Um nicht mit ganz leeren Händen heimzukom— men, nahmen wir von jeder Art eine Probe mit.

Etwa 100 Fuß unter dem Gipfel zeigte uns der Führer mehrere Deffnungen, die wie Dahsbaue ausjahen, und aus denen das unterivdifche Feuer hervorquoll. Ein zu dieſem Zwede mitgenommener junger Baumſtamm wurde in mehrere derfelben hineingeftect und nach einigen Minuten hell brennend wieder herausgezogen um unjere Cigarren daran anzuzün— den. Das war alfo die Pointe der befchwerlichen Tour! Wir waren 6 Stunden auf SKameelen gerüttelt, hatten Hunger und Durft ertragen, waren unten und oben halb ge- braten, hatten Stiefel und Kleider zerriffen und mindejtens an zwanzig Stellen unfere Haut geſchunden um uns an einem Vulkane eine Cigarre anzuzünden!

Ih dachte an meine vergebliche Picfahrt, an das damals mir gegebene Berjprechen und nahm mir zum zweiten male feft vor, das Bergjteigen fortan den Naturforfchern zu über:

42

faffen. Dann aber benutte ich die Aſche als Schnee und machte eine halsbrechende Autfchpartie nach unten, wo ih in zwei Minuten angelangt war und die Ankunft meiner be- dächtigern Gefährten abwartete, die eine BViertelftunde dazu gebrauchten.

Der Rückweg über das Lavafeld wurde uns unendlich lang und mir fpeciell jehr theuer, da ich einen unglücdlichen Fall that und mich nicht nur ſtark verlette, fondern auch einen guten Rod an den fcharfen Kanten der Yavablöde durch den Fall voljtändig ruinirte. Im der Meierei unjers Führers erquicte uns ein Glas foftbare Ziegenmilh und drei Stunden jpäter in ver Wohnung unfers Wirthes ein prächtiges, wenn auch nach ſpaniſcher Weife ftarf mit Knoblauch gewürgtes Mittagsmahl, das durch ein nachfolgendes Schläfchen erft feinen vollen Werth erhielt und uns für den Rückweg neue Kräfte verlieh.

Der Weg führte bergab, und unfere Kameele, denen wir unterwegs erlaubten, dann und wann einen Mund voll Feigen- bfätter zu pflüden, bezeigten ihre Dankbarkeit durch einen jchnellen Trab, der merfwürdigerweife und im Gegenfat zu Pferden für uns eine viel angenehmere Gangart als ver Schritt war. Nach zwei Stunden hatten wir die Meierei mit dem Duell erreicht, an deſſen fühlem Inhalt wir ung erlab- ten, während zugleich ein um ihn angelegtes Beet prachtvol- ler Erdbeeren geplündert wurde. Noch vor Sonnenuntergang langten wir in Arecife an, wo wir natürlich Wunderdinge von den Annehmlichkeiten unferer Neife erzählten und ven Leuten nach der Montagna del Fuego den Mund wäſſerig machten. Möge der Berg noch taufend Sahre brennen und Petrefacten fpeien zum zweiten mal mache ich ihm Feinen Beſuch mehr.

Unfere Reparaturen am Schiffe waren in wenigen Tagen vollendet, und am 5. Mai fonnten wir fchon unfern Rückweg

45

nad Teneriffa antreten. Wir fchieden ohne Bedauern von Lanzarote, das durchaus nicht unfere Sympathien erweckt hatte. Wenn die Infel in andern als fpanifchen Händen wäre, liege fich übrigens gewiß etwas aus ihr machen. Namentlich würde fie ſich heben, wenn etwas für ven Hafen gefchähe, der mit leichter Mühe und einem SKoftenaufmande von 50 60000 Thalern fih in das ſchönſte Baſſin verwandeln ließe. Er bevarf nur der Vertiefung, um allen größern Kauffahrteifchiffen, ja ſelbſt Fregatten einen volljtändig gefichers ten Zufluchtsort zu gewähren. Nach Süden gehende Schiffe erleiden oft zwijchen Europa und Madeira Bejchädigungen, welche fie zwingen, mindeftens nach Cadix zurücdzufehren, weil weder an der afrifanifchen Küfte noch auf den in ihrer Nähe liegenden Infeln die Havarie reparirt werden kann. Lanza— rote dagegen liegt auf ihrem Wege und würde einen prächtigen Nothhafen abgeben. Die Iufel läßt fich noch bedeutend mehr cul- tioiren und müßte um jo eher emporblühen, als fie fich mit Leichtig- feit zum Mittelpunfte des afrikanischen Küftenhandels machen läßt.

Es iſt ſoviel in Deutjchland von der Nothwendigfeit einer Berbrechercolonie die Rede gewejen. Nun, man faufe ven Spaniern Lanzarote ab! Will man feinen einträglichen Ha- fen daraus machen, fo gibt es nicht Leicht einen paffendern Pla für Verbrecher als Lanzarote, Fuerta Ventura und nächjtvem die genenüberliegende Küfte von Maroffo, von der ich wol auch ein Theil für Geld und gute Worte erftehen fieße. Die Koften eines einzigen Jahres für die Unterhaltung der Verbrecher in unfern Gefängniffen würden ohne Zweifel die Kauffumme veden. Dann laffe man durch die Zwangs- eoloniften Cochenille züchten, vichte Sodafabrifen ein und bes treibe Fiſcherei, die bereits jetzt ſchon von Lanzarote aus an der afrifanifchen Küfte in hoher Blüte fteht.

Lanzarote producirt mit Fuerta Ventura jett jährlich feine halbe Milfion Pfund Cochenilfe. Vor fünf Jahren erzeugte

44

die Infel nur den vierten Theil, und der Ertrag läßt fich min- deſtens verzehnfachen, wenn alle brach liegenden Ländereien mit Cactus bepflanzt werben.

Die Zucht des Wurmes felbjt macht weder Kojten noch Schwierigfeiten. Wenn die Pflanze ein Jahr alt ift, werben auf einem Morgen Yandes etwa 30—40 Blätter mit dem Wurm befäet, d. h. man ſteckt ein fräftiges Weibchen in ein Säd- chen von Flor und heftet diefes mit einer Nadel an ein Blatt. Das Thier legt eine zahllofe Menge von Eiern, und die aus- gefrochenen Jungen finden ihren Weg durch die feinen Deff- nungen des Flors auf die Pflanzen, die ihre Nahrung bilden, und auf denen fie fich mit unglaublicher Gefchwindigfeit wer: breiten und vermehren. Im April werden die Weibchen aus- gefett, und 30 derfelben bewölfern, wie fchon bemerft, bis Ende November einen ganzen Morgen. Um dieſe Zeit werden bie Würmer mit einem kleinen Spatel von den Blättern in die Töpfe gefchafft, in Defen gedörrt und danach als Cochenilfe in den Handel gebradt. Es ift dies gewiß ein nicht nur humaneres, fondern auch beffer rentivendes Geſchäft, als das Wollezupfen und Spinnen in unfern Zuchthäufern.

Der Export der Eanarifchen Infeln an Cochenille hat fich jeit 1852 faft verdreifacht. Damals betrug die Ausfuhr 806,284%, 1856: 1,501,776 & und 1859: 2,153,000%. Welcher Hebung würde alfo diefe Induftrie fähig fein, wenn fie von Leuten betrieben würde, die arbeiten müßten, während ber ipanifche Bauer auf ven Canarien nur fo viel Cochenilfe baut, um fein dürftiges Leben zu friften. Das Klima ift gefund, die Temperatur fürdannar 179,70, für Auguft, den heißeften Monat, 26°,5 Reaumur. Die Infeln laffen fih in 14 Tagen bis 3 Wochen von Deutfchland aus erreichen, und wie leicht ließe fich überdies von ihnen aus eine Colonifation der maroffani- ſchen Küfte bewerfitelligen!

Am 6. Mai früh morgens befanden wir uns ſchon wie-

45

der bei Gran-Canaria, nach Teneriffa die größte und be- völfertfte Infel des Archipels. Sie hat einen Flächeninhalt von 137 Duadratleguas mit 82,800 Einwohnern, während Teneriffa 151 Duadratleguas und 87,900 Einwohner zählt. Die Hauptftant von Gran-Canaria ift Las Palmas mit 6000 Einwohnern und ziemlich beträchtlichem Handel, der fich namentlich ſeit 1852, wo die Haupthäfen der Infeln zu Freis häfen erklärt wurden, ſehr gehoben hat. Im Sahre 1859 liefen auf der Rhede von Las Palmas 705 Schiffe ein, da— von 404 Küftenfahrer und 22 Dampfſchiffe. Gran- Canaria ijt die fruchtbarfte der Infeln und erzeugt namentlich viel Korn, Gemüfe und Früchte, die größtentheils nach Teneriffa, aber auch in bedeutenden Duantitäten nach Europa geben. Der Wein ift jedoch von geringerer Qualität als der von Drotava, dagegen beläuft fich der Ertrag der Eochenille auf 800,000 FT jährlich. Auch viel Fifcherei wird getrieben, doch bleibt dafür der Hauptjtapelplat immer Lanzarote, und es gehen jährlich über 5 Millionen Pfund gefalzener und ge- trodneter Fifche von Arecife nah Cuba und Weftindien.

Man Hat Fürzlich verfucht, in Gran-Canaria auch die Kameele einzuführen, die auf Fuerta Ventura, Lanzarote und Teneriffa jo vortrefflich gedeihen und fo bedeutend nützen; jedoch fcheint die bergige Formation des Landes und der Mangel an weichem Boden ihnen nicht zutväglich zn fein, und bis jetst gibt e8 jehr wenige diefer Thiere dort.

Es dürfte aber wol des Verſuches werth fein, dieſe Thiere in den flachen fandigen Gegenden des mittlern und ſüdlichen Deutfchland zu acclimatifiven. Nach dem was ich davon gejehen und an Ort und Stelle gehört habe, feheint mir diefer Verſuch durchaus nicht gewagt. Das Kameel iſt im Stande, bedeutende Kälte zu ertragen, und nur weicher oder Sandboden jcheint eine Lebensbedingung für dafjelbe zu fein, während es andererfeits außer dem Eſel faum ein Thier gibt,

46

das fich mit fchlechterer und weniger Nahrung zufrieden ftellt. Ein erwachjenes Kameel macht mit einer Laft von 6—8 Gent- nern einen March von 12 deutfchen Meilen in 20—24 Stun- ven, ohne einen Biffen zu fich zu nehmen, ruht 4—6 Stun- den und behält bei einem Bündel Stroh und einem Eimer Waffer feine vollftändigen Kräfte, um jahraus jahrein die- felbe Tour zu laufen. Es käme alfo nur auf eine Probe an und ich bin fejt überzeugt, daß in Mittel- und Süddeutſch— (and die Thiere fich ſchnell einbürgern würden.

Der Schiffahrtsverfehr in Santa-Eruz iſt jeit 1852 auch bedeutend gejtiegen. Im Jahre 1859 liefen nicht weniger als 1279 Fahrzeuge mit einem Gehalte von 139,940 Tonnen den Hafen an, darımter 96 Dampffchiffe, für welche hier Kohlen— depots errichtet find. Wenn auch der größte Theil verjelben nur vorübergehend anlegte, um Kohlen, Waſſer oder Erfri- chungen einzunehmen, bringt diefe Paſſage doch einen regen Berfehr mit ſich und hebt die Stadt anfehnlich.

Ueber den Export der Inſeln habe ich mir feine fichern Daten verfchaffen können, jedoch ſoll er namentlich in ven (etten Jahren durch Die vermehrte Zucht der Cochenille den Import überjteigen. Letzterer belief fich im Jahre 1857 für Teneriffa auf 1,512,909, fir Gran-Canaria auf 925,800, für Lanzarote auf 155800 und für Palma auf 643000 fpanifche Thaler und bejtand hauptfächlih in Manufacturen, nament- (ich in jeidenen und wollenen Kleiderjtoffen und in Lurusartifeln.

Am 6. Mai mittags Tiefen wir zum zweiten mal in Santa Cruz ein, nahmen Wajfer, befuchten wieder das Theater, machten in aller Gefchwindigfeit noch einen Ball mit und verließen am 8. Mai mit großem Bedauern, einige der jüngern Herren auch mit Halb und ganz gebrochenen Her- zen, füßen und fchmerzlichen Erinnerungen die jchöne Infel, um unfere Reife nach Singapore anzutreten und vielleicht drei Monate lang nur Waffer und Himmel um uns zu jehen.

4.

Das Meer in den Tropen. Charakter und Sitten des Seemanns. Leben an Bord.

Wenn ein Landbewohner eine Reife wie die des preußi- ſchen Geſchwaders im Geifte nach Japan verfolgt, bilvet er gewöhnlich feinen Ideengang nach gewiſſen Schlagworten, Die er in jeder Reifebejchreibung gefunden hat, und die ein leb— hafteftes Interefje erweden. Soll ich diefe Schlagworte näher bezeichnen, jo find die hauptfächlichiten: Azurhimmel, tief- blauer Dcean, Silberfchaum ver hüpfenden Wellen, wunder- baver Glanz des Sternenheeres, feierlihe Ruhe der Natur, Süpliches Kreuz, tropifche Natur, majeftätifcher Urwald, Tiger- und Elefantenjagd u. ſ. w. Werden diefe Phrafen ſyſtematiſch georonet und mit der erforderlichen Phantafie ausgemalt, fo läßt fich ein jehr hübfches Bild daraus fchaffen, dem nur ein Hauptelement fehlt die Wahrheit.

Der Wirklichkeit würde fich diefes Bild viel mehr nähern, wenn man noch folgende Verbindungsgliever einjchaltete: tage- langer Regen und Sturm, jchredfiches Arbeiten des Schiffes in himmelhoher See, mondlofe Nächte mit Eisbergen, Schnee und Hagelbden, Sturzjeen, die alles von Dec fehlagen, und dergleichen mehr.

48

Unfere Reife nach Singapore war beveutend reicher an diefen Attributen als an jenen und gehörte nicht zu ven an- genehmften. Was wäre das Leben aber ohne Abwechfelung ? Es würde all feinen Reiz verlieren, und auch wir Seeleute wüßten das Schöne und Intereffante, welches das Meer uns andererjeits wieder in fo reichem Maße bietet, gar nicht nach feinem wahren Werthe zu würdigen, wenn wir nicht durch den Contraft darauf aufmerffam gemacht würden.

Der Gürtel zwifchen 30° Nord- und 30° Süpbreite im Atlantiſchen Dcean ift, mit kurzer Unterbrechung bei der Linie, die Lichtfeite des Seelebens. Hier, innerhalb der ewig mehen- den Paſſatwinde, hat das Meer alles concentrirt, was e8 an Schönheiten befitt; hier thürmt fein Sturm die Fryftallenen Wogen in chaotifchem Gewirr aufeinander, und der Sonne erwärmende Strahlen werden nicht durch Schnee und Eis erfältet. Das ſubmarine Leben, welches Wind und Wetter jenfeit8 der Tropen mehr in die Tiefen brängen und dem Auge entziehen, tritt Hier zu Tage und die Meeresoberfläche wimmelt von Millionen wunderbarer Gefchöpfe, die uns ebenjo durch ihre unendliche Kormenverjchiedenheit in Erjtaunen legen, als fie uns durch ihre Schönheit erfreuen.

Namentlich bietet ein jtiller Tag ein Schaufpiel, das für den Neifenden ebenfo neu als anziehend ift. Oft ift dann das Meer buchftäblich bevedt von Mollusfen aller Formen und Farben. Bald find es Glockenquallen, bald gejtrahlte Scheiben oder pyramidenförmige Phyfaliaarten, von den See> leuten „Beim Winder‘ genannt, welche, mit ihrer Puftblafe in allen Regenbogenfarben glänzend, über die Wafferfläche da— hinſegeln und der Scenerie eine eigenthümliche Belebtheit verleihen. Zahllofe Heerden von fliegenden Filchen, aufge- jchredt durch das Geräuſch, das der Bug des Schiffes beim Durchfchneiven der Fluten erregt, fehwirren über das Waſſer, dann und wann die Spiten der Wellen leicht berührend, um die

49

Floſſen zu benegen und dadurch neue Flugkraft zu gewinnen. Mit gleicher Gejchwindigfeit folgt ihnen unter Waſſer ver buntſchillernde fchlanfe Delphin oder ver plumper gebaute räuberifche Bonit, um fie im Augenblide des Niederfalleng zu verfchlingen.

Schwerfällige Potfifche ziehen langfam vor dem Bug vor- über und Scharen Iuftiger Tümmler fpielen um das Schiff und jchwimmen mit ihm um die Wette. Weiter in ber Ferne verfündet der wie eine Fontaine in die Lüfte fteigende Wafjeritrapl das Athmen des Walfifches, des Rieſen der Tiefe. Sein ungejchlachter Kopf und Rüden heben fich lang- fam nacheinander über die Oberfläche, wenn er Luft jchöpft, und bisweilen fommt er fo nahe, daß man von Bord aus den ganzen gigantiichen Körper in dem Haren Waſſer unter- jheiden kann, oder er ſteckt fpielend die Folojjale Seitenflofje in die Höhe und peifcht damit das Waſſer. Sie ragt dann wie eine ſchwarze Klippe aus dem Waffer hervor, an ver die Shäumende Brandung emporjprigt.

Was das unbewaffnete Auge im Waſſer nicht zu jehen vermag, fördert das hinter dem Schiffe fchleppende Gazene zu Tage. Diejes ſchöpft Taufende jener delicaten Organismen von der Oberfläche, die fich unter dem Mikroſkop zu den wunderbarften Thieren gejtalten, von denen ver Ocean wimmelt und die vom Schöpfer beftimmt find, das Meer in feiner Form und Zufammenfegung zu erhalten und das ewige Gleich- gewicht der Natur zu bewahren.

Die nordifchen Möven, die frühern teten Begleiter des Schiffes, find zwar verfchwunden, doch die fchwarz und weiß gezeichneten Seefchwalben haben fie erjett. ‚Mutter Carey's Küchlein‘‘ nennt fie der englifche Seemann, der unfere „Sturm— vögel”, aber mit Unrecht, denn fie zeigen fich ebenjo oft bei dem jchönften Wetter. Die Matrojen behaupten von ihnen, fie jeßten fih nie Hin und brüteten fogar ihre Eier unter

Werner. 1. 4

50

den Flügeln im Fliegen aus, eine Idee, die um jo auffallen- der erjcheint, als man dieſe Vögel oft genug fitsen jehen kann.

Nähert man fich irgendeiner Infelgruppe oder der Kite, jo juchen oft andere ermattete See» und Landvögel Ruhe und Raſt auf ven Naaen und Majten der Schiffe, und diefe wird ihnen ungeftört gewährt. in Aberglaube der Seeleute be- wahrt fie vor dem Fangen oder Geſchoſſenwerden, da mit ihrer Verfolgung ſtets das Eintreten von [chlechtem Wetter oder einem Unglüdsfalle als feititehend angenommen wird. Bisweilen erjcheint auch der orangegelbe Tropikvogel mit breitem ihwarzen Sammtjtreifen von einer Flügeljpise zur anderen, rothem Schnabel, ſchwarzen Füßen und einer einzelnen langen Feder, die bogenfürmig den Schwanz ziert. Er ſchwebt hoch über den Spiten ver Majten, und die Matrofen haben ihn „Bootsmann“ genannt, der mit dem Marlpfriem, mit dem jte jene Feder vergleichen, nach der Tafelage ſieht.

So herrſcht in diefen Gegenden überall reges Leben in ber Tiefe wie in den Yüften. Jeder Tag bringt Abwechjelung, und wer nur das geringfte Interefje für Naturwiljenfchaften bejitt, findet hier das reichte Feld, das um fo mehr Reiz be- ſitzt, als e8 am wenigften ausgebeutet ift und fo ungemein viel Neues bietet.

Auch das eigenthümliche Leben an Bord gewinnt infolge der fchönen Witterung einen andern Anftrich, und eine Beob- achtung deſſelben kann für den Yandkewohner nur von hohem Interejfe fein. Die Seeleute, namentlich aber die Matrojen find ein ganz befonderer Schlag Menfchen, im Denken, Handeln und Charakter verfchieven von allen andern, und doch unter fich wieder einander fo gleich, daß es wol der Mühe lohnt, fie auf ihrem Elemente zu ſtudiren. Ob dies auf einem deutfchen oder ausländifchen Schiffe gefchieht, iſt gleich, die Grundzüge des feemännifchen Charakters find auf der ganzen Welt diefelben. Das gemeinfame Lebensintereffe, die gleiche

51

Erziehung und diefelben Umgebungen mildern bedeutend den fcharfen Abftand der Nationalitäten und nähern bie Seeleute jelbft in ihrer äußern Erjcheinung einander jo, daß fie demſelben Stamme entiproffen und eine große Völker— familie zu bilden feheinen. Sie find die Kinder des Deeans, an deſſen bewegtem Bufen genährt, in feinen ftarfen Armen aufgewwachten. Fern von den Fleinlichen Rückſichten des All— tagslebens, die in den Herzen der Menjchen die Leideuſchaften aufftacheln, unberührt von Haß und Neid wiegen fie fich auf dem Rücken des Meeres, umgeben von der Natur, deren ewige unmandelbare Gefete über alle irdiſchen Regungen er⸗ haben ſind. Gleiche Anſchauungen, gleiche Erinnerungen bilden ein Band, das alle Seeleute des Erdenrunds eng mitein— ander verknüpft, das ſie unbewußt zueinander hinzieht und eine Art geiſtiger Freimaurerei unter ihnen errichtet, mit deren Hülfe ſie ſich in jeder Lebenslage, in jeder Schicht der Geſellſchaft ſogleich erkennen.

Es läßt ſich ſchwer angeben, worin die Eigenthümlichkeit des Seemanns liegt, die ihn dem Standesgenoſſen augen— blicklich verräth, ehe er noch ein Wort mit ihm gewechſelt hat. Es iſt nicht der ſchwankende Gang, nicht das wetter— gebräunte Geſicht, nicht das eckige unbeholfene Weſen, ſondern ein gewiſſes Etwas in ſeiner ganzen Erſcheinung, das man nicht näher analyſiren und nur als den Stempel bezeichnen kann, den der Ocean ſeinen Kindern aufdrückt.

Selten wol findet das alte Sprichwort: „Gleich und gleich geſellt ſich gern“, eine treffendere Anwendung in gutem Sinne als bei den Seeleuten des gewöhnlichen Schlags und beſonders, wenn ſie ſich am Lande befinden. Jan Maat, mit welchem Namen man den Matroſen im allgemeinen bezeichnet, fürchtet ſich vor der Unterhaltung mit Landbewohnern. Er fühlt ſeine Logik der ihrigen nicht gewachſen, weilt nur ungern in ihrer Geſellſchaft und ſehnt ſich ſtets nach einem richtigen

4*

52

Salzwafjer- Kameraden, der feine Anfichten theilt und nicht über Sachen fpricht, die über den Meereshorizont hinaus- reichen. Findet er einen folchen, fo wird dieſer ein wahrer Troft für ihn. Dann kann er feinen Ideen ihre natürliche Richtung geben, die Richtung nach dem blauen Waffer, nach jenem großen Theater, auf dem er fo oft aufgetreten ift und vielleicht eine hervorragende Rolle gefpielt hat.

Sieht man ihn in einem Seehafen, jo ſteuert er beftimmt der Gegend zu, wo die Schiffe liegen, während er in einem Flußhafen die Schritte nach dem Kat richtet. Schon das Er- blifen von Maften und Raaen läßt feine Augen vor Vergnü— gen funfeln. Dann unterwirft er die verfchiedenen Tafelagen und namentlich die neneingeführten Verbeſſerungen einer technischen Kritik. Nur wenige werden von ihm gebilligt, die meiften begegnen einem geringfchätigen Lächeln, denn Ian Maat ift ftreng confervativ. Hat er feinen Kameraden bei fich, mit dem er feine Gedanfen austaufchen kann, jo beginnt er ein Gefpräch mit irgendeiner alten Blaujade und appel- firt ohne weiteres an deren Shympathieen. Sieht man ihn im Inlande, wohin ihn bisweilen das Schidjal, dort geboren zu fein, verfchlägt, jo wandert er aus natürlichem Inſtinkt dem Fluffe zu. Es iſt Waffer, das er jucht; dies Clement nimmt ſtets feine ſpecielle Aufmerkffamfeit in Anfpruch und ob füß over falzig, übt e8 einen magifchen Einfluß auf ihn. Er gevenft des Deeans mit ebenfo tiefem Gefühl wie ein Bräu- tigam der geliebten Braut. Dies Gefühl ift ein Ausfluß von Erinnerungen, die nie erfterben. Weder die Gefahren des Sturmes, noch der Schlacht, noch die Leiden der Krank- heit, die Qualen des Hungers und Durftes, noch das Außerfte menschliche Weh können die Liebe zum Dcean in feiner Bruft erſticken. Ihm wendet er fich zu, wo er auch fein mag, wie die Magnetnadel dem Pole. Kann er von einem benachbarten Hügel die See erblicken, fo läßt er fein Auge darauf ruhen,

58

als fei fie ein wunderbarer Gegenftand, von dem er früher nur eine vage BVorftellung gehabt. Beſtändig ſehnt ſich fein Herz ihr zu, und felbft wenn er den lodenden Tönen einer Sirene Gehör geſchenkt hat und willig ihre Feſſeln trägt: das Bergeffen feiner Meeresheimat ift nicht in dem Sauber be- griffen. Fragt man den Seemann, was ihn au das wunder: bare Element mit folcher Macht fefjelt, jo weiß er Feine Antwort darauf zu geben. Unmöglich kann e8 das Yeben an Bord fein, das nur aus Mühjfeligfeiten und Entbehrungen be- fteht und der meiften Annehmlichkeiten beraubt ift, die unfer ir- difches Dafein verfchönern. Ebenſo wenig ift es Neifeluft; fein Reifender fieht weniger von den Ländern, die ev bejucht, als der gewöhnliche Seemann, da der Dienft am Bord feine Gegenwart faft ftets in Anfpruch nimmt. Was kann es alſo anderes fein als das Meer jelbft, das ruhelos wallende Meer mit feinen Schreden, feinen Wundern, feinen Schön- heiten, deſſen Bild fich ihm mit unauslöfchlichen Zügen in das Herz gräbt. Ja es ift fchön, groß, erhaben das Meer mit feinem tiefen Blau, dem Widerfchein des Himmelsge- wölbes, das jich in feinen Fluten fpiegelt. Es ift jchön das Meer, wenn e8 fich vor dem trunfenen Blicke aufrollt, ein Bild der Ewigkeit, an deſſen Azurftirn die Zeit ſpurlos dahin- zieht, ohme ihre Furchen darauf einzugraben. Es ift ſchön bei der Sonne goldenem Licht, wenn ihre Strahlen in feinen weiten Schos fich jenfen, dort Kühlung zu fuchen vor der eigenen Glut, wenn in Kinder Nacht der fanfte Schimmer des Mondes über feine Spiegelfläche zittert und der Sternen- himmel feine eigene Pracht in ihm bewundert, wenn es erglüht in feurigem Glanze und Millionen Funken in ihm ſprühen! Wie groß, wie erhaben zeigt es fich in feinem Zorne, wenn e8 im Kampfe mit dem Erbfeinde die Wogen aufthürmt zu mächtiger Höhe, wenn fochend in weißem Schaume und dommernd fie zufammenbrechen, daß faft die Natur davor

54

erbangt. Ja ſchön, groß, erhaben ift ver Deean in allen Gejtalten. Ueberalf bleibt er fich gleich von des Nordens eifiger Küfte bis zu des Südens ewigem Yenze, die beide er mit feinen Riefenarmen umfängt. Er ift Gottes Spiegel, der Spiegel feiner Allmacht, feiner Güte, feines Zornes wie follte man ihn vergeffen fünnen! Wer nur einmal ihn er- ſchaut, ſehnt fich nach ihn zurück, wie viel mehr der Seemann, der feit frühefter Jugend fich auf ihm gewiegt.

Gibt es etwas auf der Welt, das fi mit dem Meere vergleichen ließe, das Erſatz böte für alles, was man mit ihm verliert? Wohin das forfchende Auge fich wendet, Aehn- liches findet es nie! Darum auch ftrebt der Seemann ihm, jeiner Heimat, zu, deshalb jehnt er fich nach ihm, bis es fein Grab geworden, mit fühlen Armen ihn umfängt und ihn auf feuchtem Grunde zum ewigen Schlafe bettet.

In folhen Umgebungen aufwachjend und Tebend, ift es natürlich, daß der Charakter des Seemanns fi) auf andere Weife bildet al8 bei Bewohnern des Landes. Er gelangt zu Ihnellerer Reife, da der Ernft des Lebens ihn früher be- rührt. Er fieht mit Fühner Ruhe den Gefahren in das Auge, da er fie täglich bekämpft und als Sieger über fie triumphirt. Er ift harmlos und vertrauend, da die Falſchheit der Außen- welt ihn nicht täufcht und anſteckt. Kin Kind der Natur, fühlt er fih in ihrem Schofe am wohlften; muthig und un- verbroffen erträgt er die Beſchwerden feines mühfeligen Lebens, und in feiner befcheidenen Anfpruchslofigfeit an das Leben vermißt er micht die evfünftelten Reize deſſelben, vie über- jältigter Genuß hervorruft. Erinnerungen überjtandener Ge— fahren, Leiden und Nummer, an denen fein Xeben doch fo reich iſt, ſchwinden weit früher aus feinem Gedächtniſſe als aus dem anderer Menfchen. Es bevarf bei ihm nicht einmal einer freudigen Anregung, die Sorgen der Vergangenheit zu verscheuchen; e8 genügt jchon, daß das Trübe nur für den

55

Augenblick gewichen ift. Ein fchöner Tag, ein paar außer— gewöhnliche Freiftunden find für ihn die glücklichſten Ereigniffe und laffen ihn alle Mühen und Bejchwerden vergefjen, die er wochenlang mit fteter Gefahr für fein Leben ertragen hat. An folchen fchönen Tagen und Freiftunden find die Tropengegenden reich, und namentlich find e8 dann die Sonn— tage, an denen ſich der Matrofe in feiner eigenthümlichen Individualität zeigt. Der Sonntag gehört ihm, er weiß, daß nur die äußerſte Nothwendigfeit an diefem Tage feine Freiheit beeinträchtigen Fan, daß, mit Ausnahme des für die Sicherheit des Schiffes erforderlichen Poſtenſtehens am Ruder oder auf Ausguck, ihn nach der Mufterung und dem Gottesdienfte Fein Dienft oder Erereitium behelligen wird, und überläßt ſich auf einen halben Tag gänzlich dem behaglichen Gefühl, fein eigener Herr zu fein. Natürlich hat auch dies feine Grenzen; alfein am Sonntage find diefe bedeutend weiter geftedt als an Wochentagen. Es wird ihm viel mehr nachgejehen als jonft, und ſelbſt wenn ein fchallendes Gelächter aus hundert Kehlen die Räume des Schiffes erfüllt, gebietet der Dffizier der Wache feine Ruhe. Dergleichen laute Scenen ereignen ich aber an folhen Tagen. Ian Maat ift ein gar großer Freund von Heiterkeit und in feiner feinen Welt vor dem Großmaft troß deren Beichränftheit luſtig und guter Dinge.

E8 bedarf nur eines geringen Anlafjes, feine Yachmusfeln in Thätigfeit zu ſetzen, und unter einer jo ftarfen Beſatzung, wie die eines Kriegsſchiffes ift, finden fich ſtets Perſönlich— feiten, deren Humor Gelegenheit dazır gibt.

Ein Hauptvergnügen für ihn ift, im Kreiſe der Kamera— den Gefchichten anzuhören, wobei er eine unermüdliche Aus- dauer entfaltet. Die Erzähler fennen diefe Tugend ihres Auditoriums; gewöhnlich find ihre Gefchichten darauf einge- richtet und endlos fang. Eine befondere Eigenthümlichkeit je doch, durch die fi) Matrofenerzählungen Faft ſtets auszeichnen,

56

ijt ihre Unverftändlichfeit. Entweder haben fie gar feine Pointe, oder dieſe wird durch die Ausführlichfeit der Nebenumftände fo in den Hintergrund gedrängt, daß jeder andere als ein Matrofe nicht daraus Hug wird. Der feemännifche Ausdruck für erzählen ein Garn fpinnen iſt daher ungemein be- zeichnen.

Nah dem Gefchichtenerzählen kommt zunächſt das Lieder— fingen. Wenn e8 wahr ift, daß böfe Meenfchen feine Lieder haben, jo gehören die Seeleute zu den ſehr guten. Sie be- figen deren genug, und wenn auch viele davon das Schidjal der meiften Dpern theilen, bei denen der Tert Nebenfache ift, find einige wieder recht gut. Den meiften Anklang finden jedoch die eigentlichen Seemannslieder, bejonders wenn fie humoriftifher Natur find und recht viel technifche Ausprüde enthalten.

Der Matrofe ift fein Logifer, und dies äußert fich auch in feinen Poefien, von denen manche ohne Vorderſatz gleich mit einem Nachſatze anfangen. Als Probe führe ich den

erjten Vers eines Favoritliedes an: Denn, was ift wol des Seemanns Sol Wie bald ift es um ihn geichehn! Ein Seemann muß in Aengften ſchweben, Wenn andere Leut’ zur Ruhe gehn.

Der Berfaffer diefes rührenden Liedes foll ein poetifcher hel- goländer Fifcher fein. Jedenfalls jteckt der Kern des Pudels gleich im erften Verſe, und der Dichter fagt von vornherein, was ihm bei der Seefahrt am unangenehmften ift, nämlich das Machegehen. Darin ftimme ich num vollitändig bei, namentlich hat aber die Hundewache (eine ſehr treffende De- zeichnung) nachts von 12—4 Uhr etwas Degoutivendes für mich. Auf diefer Wache gehen merfiwürdigerweile alle Uhren zu langſam, und die 4 Stunden find endlos. Ach, wie froh war ich fonft, wenn ich bei Beendigung einer Reife jagen fonnte: Gottlob! Heute gehft du die letzte Hundewache !

57

Ein guter Liederfänger an Bord genießt ebenfo wie ein guter Erzähler bei feinen Kameraden ungefähr vafjelbe An— jehen wie weiland Homer bei den alten Griechen. Iſt er, wie häufig der Fall, ein Freund von Grog, fo beeilen fich zehn, ihm einen Schlud ihrer Nation zu überlaſſen; dieſer jchenft ihm eine Rolle Tabad, jener wäjcht für ihn Zeug, und alle beftreben fich, ihm zu Gefallen zu leben.

Wenn die dienftlihen Einrichtungen dem Leben vor dem Maſte auch eine beftimmte Form geben, fo erinnert doch diefes Leben ſehr an patriarchalifche Einrichtungen. Um ven Leuten den Aufenthalt am Bord angenehm zu machen, ift ihnen die Frei- heit gelafjen, ihre Tiſchgenoſſen, oder wie fie jeemännifch ge— nannt werden, ihre Badsmaaten zu wählen. Infolge dieſer Einrichtung bilden fich gewiffermaßen Familien, deren ein- zelne Glieder in einem Bruderverhältniffe zueinander ftehen. Das oft mehrjährige Zufammenfein, gemeinfame Interejfen, miteinander bejtandene Gefahren und gleiche Erinnerungen fnüpfen das fie umfchlingende Band feiter, und nicht jelten entjteht Daraus eine treue Freundjchaft für das ganze Yeben.

Der Aeltefte an der Bad ift der jedesmalige Familien— vater. Er jpielt den Vermittler, jchlichtet die vorkommenden Streitigfeiten, und feinen Ausfprüchen wird willig Folge gege- ben, wie überhaupt wol nirgends dem an Jahren Aeltern mehr Achtung eriwiejen wird als an Bord. Der Seemann refpectirt nichts höher als fachliche Tüchtigfeit und Ueberlegenheit. Da diefe aber eine Sache ver Erfahrung, und Selbjtüberichätung ein Fehler ijt, den man felten bei Matroſen findet, jo oronet er auch in andern Beziehungen feine Anfichten denen der er- fahrenen Altern Kameraden unter.

Zwiſchen den ältern und jüngern Seeleuten bejteht des- halb eine gewiffe Schranfe, die nur auf Augenblide fällt, wenn ein gleiches Intereſſe fie einander näher führt. Ge— wöhnlich gejellen fich die Yeute won gleichem Alter zueinander

58

und es bilden ſich verichievdene Clubs, die ihre bejonvern Sonntagsnachmittags- Rendezuous haben. Die Kammer des Botteliers, des mit der Berausgabung des Proviants betrauten Unteroffiziers, ift das nobelfte diefer Cafinos. Hier verfammeln fih nur Auserwählte, Unteroffiziere und einige alte Matrojen. Sie erquicken fich bei einem Glaſe Grog, das der Bottelier als Wirth aus den Erjparnifjen der vergangenen Wochen re- jervirt hat. Um einen Borwand zu haben, dieſen Grog möglichft ftarf zu machen, werden Sonntags fehr häufig Ge- burtstage gefeiert, und man muß über die Kamilienanhänglich- feit der Betreffenden gerührt werden, wenn nacheinander bie entfernteften DVettern, Coufinen und Tanten an die Reihe fommen. Die übrigen Gruppen find theils oben auf dem Ded, theils in der Batterie und dem Hängemattended zer- jtreut, und überall herrfcht ein veges Leben. Hier quält fich ein Matroſe, mit der Flöte den Gefang einiger Kameraden zu begleiten, wobei lettere jedoch einen halben Ton zu tief into- niven und dann dem Flötenbläfer über fein unharmoniſches Spiel Vorwürfe machen; dort verjucht fich ein amderer auf einem Accordion, deſſen Wände von Salzwaffer aufgeweicht find und Nebenluft Haben. Born im Bug find ſämmtliche Schiffsjungen verfammelt. Ein unternehmender Kopf hat die Idee angeregt, ein Theater einzurichten, und diefelbe ijt mit ungemeinem Beifall aufgenommen. Soeben wird Generalprobe gehalten, und das zur Aufführung fommende Stüd führt den Namen „Todtenkopf“. Es it ein an Bord felbjt compo- nivtes Trauerſpiel, dejjen Held, ein Seeräuberfapitän, die Tochter des Herzogs von Parma entführt und infolge deſſen gehängt wird. Einer der jüngern Knaben fpielt die Tochter, jein Kleid ift aus einem Matratenbezuge gefertigt, die Crino— line durch Faßreifen hergeftellt, und ein Kranz von weißen Rofen aus Manillahanf ſchmückt ven Kopf. Auch Couliſſen find vorhanden, auf denen Tannen von unbeftimmter Yarbe

59

und Geftalt einen Wald darjtellen. Der Vorhang ift durch zwei zufammengenähte Hängematten hergejtellt, und vie Luke zum Rabelgat bildet die Berjenfung. Das Orcheſter ift zient- lich ftarf bejett. Es bejteht aus einer Trommel, einem Accordion, einer Flöte, einem Kamme und drei zu einem Triangel verbundenen Ladeſtöcken. Die Offizierburjchen haben die Requiſiten geliefert, und ſämmtliche Dolche der Cadetten zieren die Hüften von der „Todtenkopfs“-Bande. Die Probe füllt zur allgemeinen Befriedigung aus, und der Director bejchlieft, _ am nächften Sontage die erfte Vorjtellung zu geben und dazu auch das Dffiziercorps einzuladen.

Mittichiffs Hat das Mufifcorps des Schiffes feinen Sit aufgeichlagen, das aus zwölf Mitgliedern befteht. Der Kapell- meijter übt eine von ihm ſelbſt componirte Windtillen - Polfa ein und ift jehr verdrießlich, daß es der Baßtuba nicht ge— fingen will, das Schlagen der Segel gegen die Majten natür- lich wiederzugeben.

Weiter nach hinten fiten ein Dutend Matrojen und flechten Havannahſtroh zu Hüten, die fie im warmen Klima jtatt der Schwarzen Wachstuichhüte tragen dürfen. Andere jtiden mit umendlicher Sorgfalt kunſtvolle Fußmatten mit bunter Baumwolle auf Segeltuch, bei denen ſie monatelang be- Ichäftigt find, um fie jpäter dem erſten bejten zu ſchenken, der fie darum bittet.

An einigen Tifchen, die am Sonntage zur Bequemlichkeit ver Mannschaft aufgefchlagen bleiben, wird ein Solo um die morgende Grogportion gefpielt. Die Karten wollen jedoch nicht vecht voneinander laffen, und zum Kummer einiger Mitfpielenden, die ein gutes Blatt in der Hand haben, wird häufig vergeben. Hier Liegen einige Leute auf dem Ded Ichlafend ausgejtredt, doch find es meiſtens Seeſoldaten, „Tümmler“ von den Matrofen getauft; der Matrofe hat am Sonntage viel Wichtigeres zu thun als zu fchlafen. Dort find

60

andere in die Lectüre fchauriger Nitter- und Geiftergefchichten vertieft, die fie irgendwo an Bord aufgetrieben haben.

Der größte Theil der Mannſchaft macht fich jedoch das unvermeidliche Matrofen- Sonntagsvergnügen, den Zeugjad umzupaden. Dieſe Bejchäftigung hat für Ian Maat einen eigenen Reiz, obwol es ſchwer zu jagen ijt, worin derſelbe eigentlich liegt. Es wird dabei jedes einzelne Stüd augein- ander genommen, genau bejehen und ebenjo jorgfältig wieder zufammengelegt, als fei e8 ein werthvoller Schatz. Beſonders wird aber mit den eigenen Sachen geliebäugelt, die ſich außer den gelieferten Uniformgegenftänden im Sade befinden. Be— jigt dev Inhaber ein baumwollenes oder gar feidenes Taſchen— tuch, fo ſchlägt er jene Sachen ſorgſam in dafjelbe und gibt ihnen einen Platz in der Mitte des Sades, damit fie ja vor Be- ſchädigung gefichert find.

So vergeht ver Nachmittag. Nach dem Abendeſſen ſpielt die Muſik zum Tanz, und der Matrofentanz, der englifche Hornpipe, fett die Fußgelenfe in Bewegung, bis die Eigen- thümer ermattet in eine Kanonenpforte finfen und fich die erhittten Glieder in der frifch hereinftrömenden Brife fühlen müſſen. Da jchlägt die Uhr acht, der Sonntag ift zu Ende, das Uhrwerk des täglichen Dienftes wird von neuem aufge- zogen, um in gleichmäßigem Gange fortzulaufen. Die Wache bezieht das Ded, die Ronde wird vom erjten Offizier abge- halten, die Lichter gelöfcht, und mit dem fehrillenden Tone der Bootsmannspfeife und dem darauffolgenden Commando „Ruhe im Schiff‘ erſtirbt das heitere Lachen und Schwatzen zu einem leifen Gefumme Das Schiff wiegt ſich langſam auf den gleichmäßigen Wogen, und nur der halbftündige Auf der Poſten „Alles wohl‘ unterbricht die nächtliche Ruhe.

5.

Die Reife zum Aequator. Der Weg des Hydrographen Maury. Die Paffatwinde. Gewitter im Stillgürtel. Schreden des Cap. Der Sturm in der Johannisnacht. Ankunft in der Sundaftraße.

Auch für uns war die Reiſe zum Aequator ganz angenehm. Schönes warmes Wetter, ruhige See, in der das Schiff kaum merflihe Bewegungen machte, gute Verpflegung, da die von Teneriffa mitgenommenen Früchte, Eier u. ſ. w. ausreichen, dann und warn auch ein unverhofftes Frühftüd von fetten fliegenden Fiſchen, die wir nachts in ausgefpannten Neten fingen furz e8 war alles ſehr hübſch, die Zeit verging fchnell und wir merften faum, daß wir auf See waren. Morgens nahm man fein erfriſchendes Bad, jaß nachher unter dem Sonnenfegel, las oder fehrieb, hielt Nachmittags ein Schläfchen und fchwaste in der Abenpfühle bei einer Cigarre von vergangenen und kommenden Zeiten, von der lieben Heimat, von Teneriffa und von Japan.

Bon Teneriffa bis zur Linie hatten wir 21 Tage. Der Norvoft-Pafjat war ſehr ſchwach, und unfere ſtille Hoffnung, zum 20. Juli in Singapore zu fein, wurde dadurch jehr her: abgeftimmt. Wir wählten den neuen, von dem berühmten amerifanifchen Hhdrographen Maury empfohlenen Weg, der

62

zwifchen 29 und 30° weftl. Länge den Mequator fchneidet, während bie alte und von den meiften Seeleuten noch be- folgte Route 150 Meilen öftlicher zwifchen 18 und 21° führt.

Sch glaube, es gibt faum eine Klaffe von Menfchen, vie mit größerer Zähigfeit am Althergebrachten hängt und fchwerer an vortheilhafte Neuerungen zu gewöhnen ift, als die See— leute. Dies zeigt fich namentlich wieder bei den Segeldirectorien und Karten des Amerifaners Maury, die derjelbe mit Genie und bewundernswürdigem Fleiße jeit zehn Sahren herausgibt und die für die Schiffahrt einen ungemeinen Nuten haben. Ob— wol diefe Karten und Bücher nur das Reſume vieler Taufende von Schiffahrtstagebüchern find und, mit Ängftlicher Fernhal— tung jeder, wenn auch der wahrjcheinlichiten Hypotheſe, ledig- lich auf Erfahrungen und Thatfachen bafiren; obwol Maury in jeder jährlich erfcheinenden neuen Ausgabe feiner Divectorien Ichlagend beweift, wie ein Schiff, das nach Oftindien, Auftra- lien u. f. w. geht, die Neife um 20 30 Tage abfürzen fönne, wenn e8 den von ihm empfohlenen Weg nimmt; obwol endlich die amerifanifche Regierung mit feltener Yiberalität jeven See— mann, der eine Abjchrift feiner nautiſchen Tagebücher an das National» Dbfervatorium fendet, mit den Karten und Büchern befchenkt, Hält es doch unglaublich ſchwer, der Neuerung Eingang zu verfchaffen.

Weil im vorigen Jahrhundert einigemal fchwerfällige eng: liche Transportſchiffe, welche die Linie weit wejtlich fchnitten, Cap St.- Rogue nicht abwettern Fonnten und dort ftrandeten, jteht das Cap in der Cinbildung aller alten Seeleute als ein Gefpenft da, welchem fie dadurch zu entfliehen juchen, daß fie die Linie 150 Meilen öſtlicher kreuzen und jomit, in— folge der dort vorherrjchenden Stillen, ihre Neifen um 10—15 Tage verlängern. Sie mögen nicht begreifen, daß die Ueber- windung des Stromes bei St.-Roque für ein englisches Trans: portfchiff von 1780 vielleicht eine Unmöglichkeit war, daß dies

63

jedoch für unfere modernen Schiffe feine Schwierigfeit hat. Wir fürchteten ung nicht vor dem Geſpenſt, fchnitten die Linie auf 30° Weit und hatten nur 30 Stunden Stille, bis wir den Südoſt-Paſſat fanden.

Es ift befannt, daß von 30° nördl. Breite bis zur Yinie der Norvoft- Baffatwind und ebenſo durch denſelben Breite- gürtel ſüdlich vom Aequator der Südoſt-Paſſatwind ununter- brochen und in derſelben Weiſe weht, ſodaß diefe bejtändigen Luft— ftröme die Refultate gleicher Urfachen find. Das Bejtreben der Atmofphäre, fich überall im Gleichgewicht zu halten, treibt die kalte werdichtete Yuft von den Polen nach dem Aequator, wo die Einwirfung der Sonnenftrahlen die Kuftjchichten ver- pünnt und ausdehnt. Infolge der Umdrehung der Erde, die gewiljermaßen unter dem Winde fortläuft, wird der ur— Iprünglich direct nach Süden und Norden gehende Luftſtrom abgelenft und erhält im Norven des Nequators eine nordöſt— liche, im Süden dejjelben aber eine füdöftliche Richtung. Beide Luftitröme treffen bei der Linie zuſammen, und es entjteht ein Stillgürtel, der mit der Declination der Sonne mehrere Grade jährlich auf> und nieverichwanft. Diefer Gürtel hat nach den von Maury darüber angeftellten Beobachtungen eine Keilform, deren ftumpfes Ende der afrifanifchen Küfte, deren ſpitzes dem amerifaniichen Continente zugefehrt ift.

Die von den beiden Luftjtröinen mit hergeführten und in Auflöfung erhaltenen Wafferdünfte fteigen beim Zufammen- treffen mit ihren Zrägern, den Luftpartikeln, in die Höhe, condenfiren in dem obern und demgemäß fültern Schichten und ftrömen als Regen nieder, um dem Meere wieder zuzu— führen, was die Paſſatwinde ihm während ihres Fluges ge- nommen. Der Stillgürtel trägt daher mit Recht den ihm von Maury beigelegten Namen Wolfen- over Negenring, und jeine Paſſage ift eine der Kehrfeiten ver Seefahrt. Schwüle Luft, Wafferhofen und ununterbrochene Gewitter, die bisweilen

64

von zwei bis drei Seiten zugleih am Horizonte auffteigen, find die jteten Begleiter diefer Zone, und, abgefehen von allem andern, ift e8 ſchon deshalb jehr angenehm, ven Stillgürtel an feiner fchmalften Stelle, d.h. auf 30° Weft zu fehneiven.

Trotzdem wurden wir von jenen Attributen nicht verfchont. Auf dem dritten Grad nördlicher Breite jchlief der Paſſatwind allmählich ein; ver bis dahin wolfenlofe Himmel bezog fich und verfündete uns die Nähe ver Linie, Einzelne Regenfchauer zogen vorüber, und das Schiff Shlih 24 Stunden nur noch im Schnedengang durd das Waller. Gegen Abend des zweiten Tages, nachdem wir den Pafjatwind verloren, wurde e8 ganz windftill. Die Segel fchlugen gegen die Maften und das Schiff drehte fich, ohme weiter dem Steuerruder zu ge- horchen, willenlos bald hier bald dorthin. Dunkles Gewölk 309 fih am Horizonte zufammen, die Luft war ſchwül und drückend; fie ruhte bleifchwer auf vem Menfchen und beengte die Bruft. Selbſt die Fische fchienen ein gleiches Gefühl zu empfinden und fprangen hoch aus dem Waſſer, als fuchten jie Erleichterung. Die einzelnen Wolfengebilde vereinigten fich zu compacten Mafjen, deren untere Ränder ſchwarz und ſchwer herabhingen und fich auf die Meeresfläche zu jenfen ſchienen. Ihre Contouren grenzten ſich ſcharf auf dem weiplich grauen Dintergrunde des Himmels ab, und die eigenthümlichen Formationen der Wolfenberge machten einen unheimlichen Ein- druck. Langſam jtiegen fie zum Zenith empor und näherten fih dem Schiffe, als wollten fie es verfchlingen.

Feßt beginnen die Schwarzen Ränder fich ſchnell zu vers ändern, und die ftarren Maffen jcheinen lebendig zu werden. Bald jind es feharfe Zaden, bald runde Bäuche, zu denen fie fich geftalten hier trennen fie fich, dort fließen fie in- einander. Eine tieffehwarze trichterförmige Spitze ſchießt aus dem dunfelften Theile des Gewölks. Bald mächtig anfchwelleud, bald zu einem fehmalen Streifen verjchwindend, zucdt fie auf

65

und nieder. Gebt dehnt fie fich gleihmäßig aus und ſenkt fich weiter herab, eine drehende Bewegung ift an ihr wahrzu- nehmen, mit der fie fich in die Tiefe des Meeres bohrt. Immermehr nähert fich der fehwarze Kegel unjerm Schiffe, und feine Entfernung beträgt kaum noch einige taufend Schritte. Seine Form verändert fich zu einer am untern Ende zuge- ſpitzten Säule, die faſt das Waſſer berührt.

Plöglich beginnt es auch im Meere fich zu regen. Es ſchwillt unter ver Säule zu einem Berge und focht wallend auf! Angezogen von der freifenden Mafje erhebt es fich immer höher. Mit braufendem Zifchen erfolgt jet die Vereinigung beider Ele- mente, und Waffer und Wolfe, zu einem Cinzigen verbunden, wandeln mit verderbenfchwangern Schritten ihren Weg über bie Fläche des Meeres. Wehe dem Schiffe, das diefen Weg freuzt! Es würde von der Gewalt der tofenden Maſſe hinabgezogen in den Schlund des Deeans oder maſtlos als hülflofes Wrad aus der Kriſe hervorgehen. '

Wir hatten alle Vorbereitungen getroffen, um dieſem Ge— Ihie nicht zu verfallen; die Segel waren fejtgemacht und bie Geſchütze geladen.

Kaum noch 1000 Schritt ijt die Säule von uns entfernt; ihr Dunſtkreis hat bereits das Schiff erreicht und ein feiner Regen wie der Staub eines Wafferfalles hüllt e8 ein. Das braufende Geziſch wird lauter und unheimlicher, und es ijt die höchfte Zeit, das Ungethüm in feinem Laufe aufzuhalten. Das Commando „Feuer“ ertönt, das Schiff erzittert won ber Breitjeite in den innerjten Fugen, und pfeifend fliegen die Kugeln in den Körper der Wafferhofe. Einen Augenblick er- folgt eine Todtenſtille. Da ift es, als fpaltete fich der Erd— ball, ein Schlag, als entlüden fich taufend Gewitter, er— Ihüttert die Atmofphäre, ein gewaltiger Windſtoß heult durch die Lüfte und legt das Schiff auf die Seite. Die Schleufen des Himmels öffnen fih und überfluten das Fahrzeug; mit

Werner. I. 5

66

dumpfem Braufen tritt der mit der Säule vereinigte Waffer- berg in fein Bett zurüd, und feine Wellen rollen rauſchend unter dem Schiffe fort.

Die Gefahr ift vorüber, die Wafferhofe gefprengt. Nach furzer Zeit hört der gewaltige Negen auf; auch der Sturm ſchweigt, und es ruht tiefe Stille auf dem Meere wie vorher.

Indeſſen haben die finftern Schatten der Nacht ſich auf das Waſſer gefenft und ringsum herrſcht Dunfel, fo tief, ſo fhwarz wie Grabesnacht. Kein freundliches Geftirn durch— dringt das ftarre Gewölk, das noch immer am ganzen Himmel lagert, und hin und wieder aufflammendes Wetterleuchten trägt nur dazu bei, die Finſterniß noch ſchwärzer erfcheinen zu Laffen.

Bald werden die Lichtfcheine häufiger und anhaltender, bis- weilen ift der ganze Horizont erleuchtet, als jtände er in Flammen. Durch die Stille der Nacht fchlägt das dumpfe Rollen des Donners an das Ohr, und an verſchiedenen Himmels— gegenden theilen zuckende Blitze die drohenden Wolfengebilpe. Drei Gewitter ziehen gegeneinander herauf und rüden mit langſamen Schritten zum Zenith empor. Die Atmofphäre ift mit eleftrifchen Stoffen gefchwängert, die fich auch dem Waffer mittheilen und jene wunderbare Erſcheinung hervor— rufen, welche man unter dem Namen Meeresleuchten fennt. Noch zwar ift es nur ſchwach und mehr eim matter Schimmer, da die Wellenbewegung gering ift und deshalb vie phosphorescirenden Theilchen des Waſſers nicht in Friction gerathen; doch wird das Leuchten allmählich intenfiver und läßt bereits die Schönheit feiner vollftändigen Entwidelung ahnen.

Jetzt tönt der Donner näher und ununterbrochen wie das Getöſe einer fernen Schlacht. In grellem Licht Flammen die Blitze durch die Finfterniß, aber nicht mehr von oben nach unten. Aus der glühenden Bafis des Wetterleuchtens am Horizonte ftrahlen fie empor zum Zenith, ein merkwürdiges Phänomen der tropifchen Natur, die fich diefen Abend in Furcht

67

bar fchöner Weife zeigt. Jetzt ftoßen die Gewitter gegen- einander; Schlag auf Schlag erfolgt mit betäubendem Krachen und der Kampf der Elemente läßt die Atmojphäre erzittern. Die ganze Natur ift in Aufruhr!

Sieh’, welches wunderbare Leben gebiert die dunfle Tiefe! Der Ocean wallt, feine Wogen jehäumen, feine fchwarze Fläche erglüht wie durch Zauber, Millionen Sterne funfeln in ihm er ift zum Feuermeere geworden! Feurige Fifche ſchießen durch die Fluten und hinterlaffen lange Streifen grün- lich ſchimmernden Lichtes, als ob endlofe Schlangen fich da- hinwänden. Glühende Duallen wälzen fich träge unter der Dberflähe, unbefanntes Gethier wogt durcheinander wie glänzende Meteore, und die am Schiffe fich brechenden Wellen zerftäuben in ftrahlendem Sprühregen. Soweit das Auge reicht, erblickt es nur Eine Glut, deren Widerfchein fih am dunfeln Himmel abfpiegelt.

Auch in den Küften beginnt es zu leuchten. Die eleftrifchen Stoffe concentriven fich, und auf den eifenbefchlagenen Spiten der Maſten, Raaen und Gaffeln entzünden fich blaue Flämm- chen, die Elmsfeuer. Wie Irrlichter tanzen und fladern fie auf und nieder in unheimlichem Scheine und erfüllen mit Schreden die Gemüther der abergläubifchen Matrofen, die in ihnen die Seelen im Meere verunglücter Kameraden er- bliden.

Noch immer dauert der Kampf der Gewitter mit unge- ſchwächter Wuth fort; die Blitze flammen jprühend, der Donner fracht, als nahte das Jüngſte Gericht, und das Schiff ſchwankt hingegeben den Wogen, die fich immer mächtiger heben.

Da jenft ſich das Schwarze Gewölk und fehüttet abermals in gewaltigen Strömen feinen Inhalt aus. Das von Süden aufiteigende Gewitter hat gefiegt; mit dem helfenden Winde, der fich jet erhebt und dem der Seegang voranlief, treibt e8 die überwältigten Gegner vor fich her. In Süden aber

5*

68

zeigt fich eime lichte Stelle am Firmamente, die fich fchnell ausbreitet. Die blauen Flämmchen auf den Maftfpiken er- löſchen, der Schein des Meeres wird matter und fein Ster- nenheer erbleicht. Kine andere Sternenpracht entfaltet fich am blauen Azur, der den Himmel wieder deckt, und ftrahlt in dem reinen Aether mit doppeltem Glanze. Nur im Norven lagert noch eine dunfle Banf, an deren Saum bisweilen ein bleicher Schein hinzittert. Ein friiher Wind fehwellt die Segel. Wir haben den Stilfgürtel überwunden, und ver Südoſt-Paſſat führt uns mit fchnellen Schritten nad Süden.

Am 29. Mai paflirten wir die Linie; es geſchah harm- und geräufchlos. Die berühmte Taufe mit allen ihren oft befchriebenen Attributen fiel fort, obwol über die Hälfte ver Beſatzung reif für Neptun's Raſirmeſſer war. Die Feitlich- feit war aus guten Gründen unterfagt. Sie ift ein Ueber- bleibfel früherer ſeemänniſcher Roheit und artet gar zu leicht aus. Das plößliche Lockern der ftrengen Diseiplin wird felten von den Matrofen richtig verjtanden; e8 folgen Exceſſe, die nicht ungeahndet bleiben können, und deren Confequenzen oft ſchwere Strafen find. Um dem vorzubeugen, wurde die Taufe officiell verboten; damit war der Zweck erreicht. Wenn die Taufe nun auch im Fleinen und insgeheim ftattfand, fo hielt fie fich doch innerhalb der rechten Schranken, und ein Extraglas Grog erbeiterte die Mannfchaft gerade fo viel, als wünfchenswerth war.

Der Südoſt-Paſſatwind bläft frifcher als der Nordoft und wie diefer und alle periodischen Winde in einer Curve, zuerft fünlicher, dann allmählich fich Herumziehend durch Dit und Nord, bis man ſüdlich vom 30. Grade füdlicher Breite in den Gegenftrom der weftlichen- Winde gelangt, mit denen man eine Strede von nahe 1500 deutfchen Meilen in öſtlicher Richtung fegelt, um entweder Auftralien zu erreichen oder kurz vorher nördlich zu fteuern, wenn man, wie wir, nach Dftindien

69

und China will. Man bejchreibt daher bis zum Meridian des Cap der guten Hoffnung einen bedeutenden Ummeg und fommt ver brafilianifchen Küfte ziemlich nahe.

Auf der Höhe von Bahia wurde der Wind etwas flauer. Die See war ziemlich ruhig, und wir fonnten einem ung begegnen- den englifehen Schiffe Briefe mitgeben. Das PBadet war ziemlich groß; ein jeder wollte die günftige Gelegenheit be- nugen, um die Seinen zu Haufe durch ein paar unverhoffte Zeilen zu erfreuen, und mancher jah lange dem entſchwinden— den Schiffe nach. Manch tiefer Seufzer jprach heimlich: Ach fönnteft du mit ihm gehen! Auch mein Gedanfe war e8.

Ein fehr hübfcher Zug im Charafter der Seeleute ift die Gewiffenhaftigkeit, mit der die ihnen anvertrauten Briefe un- entgeftlich beforgt werden. Mögen fie noch jo lange Zeit von der Heimat entfernt gewejen fein, die Abgabe der Briefe zur Poft, die Ueberzeugung, daß fie wirklich in fichere Hände ge— langt find, betrachten fie vor allem andern als die Erfüllung einer heiligen Pflicht und felten gehen Briefe verloren, wenn fie Schiffen mitgegeben werden, die ihren Bejtimmungsort erreichen. Im der Neuzeit find zwar faft auf der ganzen Erde zwifchen ven belebtejten Plägen regelmäßige Boftverbindungen durch Dampfichiffahrt eingerichtet; allein es ift zu verwundern, wie bisweilen trotzdem Briefe jahrelang hinter den Adreſſaten herlaufen und jie an Punkten erreichen, die von dem erſten Aufenthaltsorte Tauſende von Meilen entfernt find, und deren Adreffe nicht einen Hafen bezeichnet, jondern ein ganzes Land umfaßt. So erhielten wir nah 13 Monaten Briefe aus der Heimat im Golf von Petjchili (Nordchina), die nach Montevideo gerichtet waren, wohin wir zuerft gehen follten. Dort war befannt, daß das Geſchwader nach China gegangen jei, und die Poſtbehörde fehrieb darauf, China or elsewhere: China oder fonjtwo. Da feine directe Verbindung zwifchen Südamerika und China befteht, gingen die Briefe wieder nad)

70

England und von dort über Singapore nach China von einem Plage zum andern, bis fie uns auf der Rhede von Tientfin trafen. Während unferer ganzen 2U, jährigen Ab- wejenheit ift auch nicht ein einziger an uns gerichteter Brief verloren gegangen!

Mit vem Baffiren des ſüdlichen Wendefreifes nahm das gute Wetter von uns Abjchied, und jett famen acht lange Wochen, um die wir nicht zu beneiden waren. Bei einer Reiſe um das Cap der guten Hoffnung, namentlich im Winter, ift man ſtets ſchon von vornherein auf feine angenehme Fahrt gefaßt, und man läßt fich gern einen, zwei, auch drei Stürme gefallen. Mein Gott! ohne Stürme würde ja die Seefahrt allen Reiz, alles Pifante verlieren; aber ein fiebenwöchent- liher Sturm mit Paufen von höchſtens fechs bis acht Stun- den da hört alle Gemüthlichfeit auf.

Wir waren bereits in die Mipfterien des Cap jeit 14 Tagen eingeweiht, als der Sohannistag allem die Krone aufjegte und ung mit einem Sturme beglücte, gegen den die Hunderte von Stürmen, welche ich in meiner ſeemänniſchen Laufbahn erlebt, nur Kinderfpiel waren. Jetzt, wo ich an jene Zeit zurüd- denke, hat fie viel von ihren Schreden verloren; manche fomifche Momente, die damals micht beachtet wurden, treten nun peutlicher in der Erinnerung hervor und dienen als freundliche Staffage des Bildes; aber die Nacht vom 24. auf den 25. Suni war die fchredlichite, die ich je erlebt, und ver liebe Gott möge mich vor einer zweiten jolchen bewahren.

Schon am Morgen des 24. Juni verkündete graues blei- farbiges Gewölf, das mit feinen weißlichen Kuppen wie eine Mauer im Norden und Welten lagerte, das Herannahen von ichlechtem Wetter. Die Captauben, Sturmtaucher, Albatroffe und andere Vögel jammelten ſich in Scharen hinter dem Schiffe und umfchwärmten es mit großem Geſchrei. Die See lief in immer höhern Wellen heran und brach

71

troß des verhältnißmäßig geringen Windes mit donnerndem Geräufh zufammen Das Barometer, diefer treue Führer des Seemanns, fing an zu finfen, und die aufgehende Sonne zeichnete an der ſtarren Wolkenmaſſe im Weiten einen Negen- bogen mit ungewöhnlich lebhaften Farben. ‚Regenbogen am Morgen bringt dem Seemann Noth und Sorgen‘, heißt bei ung ein altberühmtes Sprichwort, und wir ſäumten denn auch nicht, Vorbereitungen für den. fommenden Sturm zu treffen. Diefer ließ nicht lange auf fich warten. Morgens um 10 Uhr fuhren wir noch unter allen Segeln, und nachmittags um halb 3 Uhr war bis auf zwei Fleine Sturm-Stagfegel bereits alles fejt gemacht. Der Sturm heulte in der Tafelage, und die See rollte Berge heran, als wollte fie das Rieſengebirge plaftifch darftellen. Bis jet war e8 eins der gewöhnlichen Unwetter, deren Heimat das Cap iſt, aber das jtete Fallen des Barometers deutete an, daß wir uns auf eine fchlimme Nacht gefaßt zu machen hatten.

Bon 10 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags war Das Barometer nicht weniger als einen Zoll gefallen, und noch immer wich es mit tief concaver Oberfläche ſtündlich faft um einen Zehntelzoll. Der Himmel zeigte jene gleichförmige graue Dede, die weder Sonne noch Sterne durchläßt und in ihrer jtarren Ungebrochenheit fchwer auf den Gemüthern laſtet. Es war Neumond, und die Nacht begann jchon bald nach 4 Uhr mit jeltenevr Dunkelheit. Der Sturm wuchs ftündlich und wühlte eine See herauf, als wollte er ven Meeresgrund bloßlegen.

Um 8 Uhr abends trat der erfte Act des nächtlichen Dramas in Scene. Das hintere Sturm-Stagfegel konnte, obwol es ganz neu war, der Kraft des Windes nicht mehr widerjtehen. Es zerriß mit einem Kuall, als würde eine Kanone abgefeuert, peitjchte mit zwei bis drei gewaltigen Schlägen in die Luft und flog dann, in Stüde zerfeßgt, in vie dunkle Nacht hinaus. Das Barometer ftand auf 290 und '

12

fiel noch immer fchnell. Es wurde uns unheimlich zu Muthe; einen ſolchen Sturm hatte noch feiner von ung erlebt. „Es fann doch nicht härter wehen“, fagten wir ung, aber es heulte immer branfender durch die Tafelage und die Wafferberge thürmten fich immer höher. Bis dahin war der Wind lang- ſam von Nordoft bis Nord gegangen, jett fprang er mit einemmale auf Nordweft, und es entitanden dadurch Seen in verfchiedenen Nichtungen, die das Schiff wie einen Feder— ball hin- und herwarfen und es die furchtbarjten Bewegungen machen ließen. Es war faum möglich, fich feitzuhalten, und das Schiff holte oft 40—45 Grad nach beiden Seiten über. Sch ftand mit dem wachthabenden Dffizier und Unteroffizier an der Windfeite auf dem Hinterded, als gegen 10 Uhr nachts plößlich eine Sturzjee über das Schiff brad. Wir wurden alle drei von der gewaltigen Waſſermaſſe, die das ganze Dec überflutete, fortgeriffen und vollftändig in ihr be- graben. Durch welches Wunder e8 geſchah, daß wir nicht über Bord geſpült wurden, ift mir noch jett ein Näthfel. Ich fand mich etwa 30 Schritt weiter in Lee unter ein paar Treppen wieder, und als ich mich, halb betäubt und erjtigt, wieder an die Winpfeite gearbeitet hatte, famen auch meine Yeivensgefährten zum Vor— ſchein. Der Offizier war fechs Fuß über Dec gehoben und von einer nach den Majten führenden Stridleiter wie in einem Netswerf aufgefangen worden. Der Unteroffizier dagegen war durch die Wand der auf dem Deck befindlichen Kajüte in vie Kammer des erjten DOffiziers gefchlagen, der auf die unan— genehmfte Weife gewect wurde, da das feine Kammer voll- ftändig erfüllende Waſſer ihn beinahe erjticte. Merkwirdigerweife hatte niemand von ung außer einigen leichten Contuſionen Befchädigungen erlitten. Die Sturzſee hatte indeſſen das Verde gründlich aufgeflart, das Badbord- Seitenboot zerfchlagen, das Steuerbordboot ganz fortgenommen und die eifernen Krahne, am denen e8 hing, abgebrochen, die

73

in der Mitte ftehende Dampfbarfajje gefüllt, deren Befeiti- gungsbolzen aus dem Deck geriffen und diefe nach Lee gefchleu- dert, die zugenagelten Lufen aufgebrochen, auch bei ihrer Rundreiſe eine fabelhafte Razzia unter den auf Deck befino- lichen Gegenftänden gehalten und das Meifte mit über Bord geriffen. Wenn der Augenblick nicht fo furchtbar ernſt geweſen wäre, hätte man über das Chaos, welches theilweife außen- bords, theilweife auf dem Verdeck mit dem nur langſam ab- fliegenden Waffer hin» und herflutete, lachen fönnen. Die heterogenften Gegenjtände ſah man hier bei dem Widerjchein der in grünlichem Lichte ſchäumenden Wogen auf- und neben- einander Schwimmen und bald hier- bald dorthin gejchleudert, bis ſie entiveder zertriimmert oder über Bord gejpült waren. Hier ſchwabberten ein paar Hühnerftälte, deren Infaffen ein furchtbares Gefchrei erhoben, dort Eimer, Wafchtonnen und Kochgeſchirr; hier ein aus ven Kajüten geſchwemmter Stuhl, dert Waſchbecken, Betten und Wäſche. Dazmwifchen quieften vie aus ihren Ställen verſchwemmten Schweine und man hörte ihre durchdringenden Angjtrufe bald vorn im Schiff, bald hinten in der Kajüte, je nachdem fie von dem hin= und her- flutenden Waffer hier- oder dorthin getragen wurden.

In der Kajüte und in unfern Kammern fah es womöglich noch Schlimmer aus. Die See war in alle gedrungen und hatte mit fich fortgeführt, was nicht niet= und nagelfeft war. An Retten war natürlich nicht zu denfen. Man hatte genug zu thun, um fich ſelbſt fejtzuhalten. Alles, was vor der Bernichtung geborgen wurde, waren zwei Schweine, die fo in unfere Nähe trieben, daß wir fie greifen und in eine leer- jtehende Kammer fperren fonnten. Alles andere mußten wir ruhig Schwimmen lafjen, bis fich das Waſſer verlaufen hatte. Kaum war dies gefchehen, als an verjelben Stelle noch eine zweite Sturzjee überbrach, die ziwar nicht jo heftig als die erſte war, jedoch noch Unheil genug anrichtete, da fie bereits Thür und

74

Thor geöffnet fand und leichtes Spiel hatte. Wir hatten ung diesmal fejtgebunden und famen daher mit dem falten Bade davon. Dies Bad war übrigens feineswegs eine Annehmlichkeit, venn das Thermometer zeigte 2’ Neaumur. Troß unferer Regenmäntel und hohen Gummiſtiefeln hatten wir feinen trodenen Faden am Körper und in jedem der Stiefel befand fich mindeſtens ein halber Eimer Waffer. An Umziehen war unter folchen Umftänden nicht zu denken, und unfere Situation war ſchon darum nicht gerade beneidenswerth. Trotzdem fühlten wir ung warn! In zehn Minuten zwei Sturzjeen, die jo ziemlich far Ded gemacht hatten, und troß des fchweren Sturmes noch immer fallendes Barometer, das um 11 Uhr fhon auf 28“,7 ſtand und noch eine concave Oberfläche zeigte das war fein Spaß und fonnte wol unheimliche Gefühle erregen. Indeſſen hatte e8 bei den beiden Sturzjeen fein Bewenden, und das Schiff lag fortan prächtig bei.

Um 12 Uhr mitternachts ſtand endlich das Barometer jtill und machte Miene zum Steigen. Wir fühlten uns jehr er- leichtert bei diefer Wahrnehmung, aber jo leichten Kaufes jollten wir nicht davonfommen. Von 12—2 Uhr erreichte der Sturm feinen Höhepunkt; das war fein Sturm mehr, jondern ein Orkan. Mein Gott! Ich habe nie geglaubt, daß es fo viel Wind in der Welt geben könnte. Das Schiff lag ohne ein Stück Segel jo fchief, daß die Leeverſchanzung drei bis vier Fuß unter Waffer ftand. Die ganze See war ein fochenver glühender Schaum, ver Cyklon brüllte in der Take— lage, daß wir jeden Augenblic erwarteten, er werde die Maften abbrechen oder das Schiff fentern, und wir ftanden Flar, um die Maften zu fappen. Einer unferer Unteroffiziere äußerte: „Das weht nicht, das ſchmeißt ja heute Nacht Wind‘ Der Ausprud war bezeichnend. Bei den einzelnen Stößen rudte das Schiff ein, als ob folide Maſſen dagegengewworfen würden, Man follte kaum glauben, daß ein Fahrzeug ein folches Un-

75

wetter aushalten fönnte, und bisweilen bezmweifelte ich es jelbft. Doch die Elbe bewährte ſich prächtig; die Pumpe zeigte nicht mehr Waller, als das Schiff gewöhnlich bei jchlechtem Wetter machte, und das war eine große Beruhigung. Aber die beiden Stunden wurden ung troßdem erfchredlich lang, wie überhaupt die ganze Nacht. Um 2 Uhr morgens ftand das Barometer ſchon wieder auf 290. Das Wetter mußte danach entſchieden befjer werden, und es fprach dafür auch ein anderes Wahr- zeichen: die graue gleichmäßige Dede brach fih, auf fünf Minuten fam der blaue Himmel zum Vorſchein. „Wenn nur jo viel Blau am Himmel ijt, daß man fich eine Jade davon machen laſſen kann, dann wird’s auch befferes Wetter“, ſagten unfere Matroſen, und fie hatten recht. Die Venus ſchaute fo hell wie eine Sonne durch den Wolfenrif, als wollte fie ung jagen: „„Berzagt nicht, hier oben wird über euch gemacht!‘ und ihr freundlicher Blick verfehlte feine Wirkung auf die Gemüther nicht. „Da it ein Stern“! riefs aus aller Munde in freudigem Tone, und nach wenigen Minuten brach fich auch die Gewalt des Orfans. Wenn auch nur langjam, ließ feine Wuth doch nach; es traten Paufen ein, die all mählich bis zum Morgen immer länger wurden. Die Wolfen zerriffen immer mehr, ein Stern nach dem andern trat hinter ihnen hervor. Bald funfelte im lichten Glanze das ganze Heer am wolfenfreien Himmel, und endlich ſchimmerte auch die langerſehnte Morgenröthe im Dften. Gottlob! es wurde Tag Tag nad) einer langen Nacht, ver längften, die ich je erlebte.

Die Sonne ging jtrahlend aus dem Horizonte auf, aber erjt jet jahen wir, in welch furchtbarem Kampfe mit ven Elementen wir begriffen waren. Die von dem Orfane her— aufgewühlte See war graufenerregend. Der Wind hatte fich mehr füdlich gezogen, und das ihm folgende Schiff lag jett mit dem Kopfe recht gegen die See, ſodaß wir ihre wirk—

76

liche Größe ermefjen fonnten. Nach wiffenfchaftlichen Beob— achtungen follen die fchwerften Wellen nur eine Höhe von 32 Buß erreichen, aber an jenem Morgen bezweifelten wir diefe Angabe, fie waren mindeftens 45 Fuß hoch. Wenn die koloſſalen Wafferberge, von denen ftetS drei auf einmal folgen, ehe eine Pauſe eintritt, auf uns fich zuwälzten, der erjte unter dem Schiffe fortrollte und letteres num unter einem Winfel von 45 Grad in das Thal hinunter ſchoß, war es uns, als ob wir für immer in einen endlofen Abgrund hinabftürzten, bis wir plößlich wieder auf fchwindelnder Höhe jchwebten, wenn die zweite und dritte Welle uns auf ihrem gewaltigen Rüden emportrug.

Es war ein großartiges Naturfchanfpiel; aber diefe Ma- jejtät des Meeres war granfenerregend, und wir fühlten uns herzlich froh, als im Laufe des Tages die orfanähnlichen Hagel und Schneebden endlich aufhörten und fich der Ocean etwas beruhigen fonnte. Nachmittags fonnten wir wieder jegeln und darangehen, unfer Schiff in Ordnung zu bringen, das jchredlich gelitten Hatte. Am Morgen jah es aus wie ein Schlachtfeld, auf dem ein Kampf auf Leben und Tod gefämpft worden. Alles war zerfchlagen, bejchädigt oder über Bord geſpült. Sämmtliches Tauwerk fchleppte draußen im Waffer, und in unfern Kajüten ſah es nicht erfreulicher aus. Hier fehlte dies, dort jenes; unſer jchönes Fortepiano, Das uns fo manche Stunde erheitert, lag in Trümmern. Spiegel, Bilder, Bücher, Betten, Wäſche alles war zerbrochen, aufgeweicht oder ruinirt. In meiner Kammer war mein Lieb- ling, ein reizender Spaniolhund, der mir auf Yanzarote ge- Ichenft worden, ertrunfen. Nur die Schweine waren gerettet und lagen mit dem vor Angit halb todten Dffiziersfellner in der Kammer, in welche wir fie in der Nacht gejperrt hatten.

So endete der Johannistag, der fich bei ung ein eiviges An— denfen gefichert Hat und den wir nie wieder auf folche Weife

77

zu begehen wünfchen. Freilich trat damit noch lange Fein gutes Wetter ein. Wir befanden uns in einer Gegend, welche, wie den Biscayiſchen Meerbufen und Cap Hoorn, die Seeleute Sturmbrauerei. nennen. Die großen gedlten NRöde, vie Südweſter (Regenfappen) und die Gummiftiefeln famen faum nachts von unferm Körper. Wir ſchwammen förmlich im Waffer, das jeden Augenblid auf das Ded und im unfere Wohnungen ftürzte. Nun, mit Einem Worte, e8 war höchit unerfreulich und die Reife nach Sapan Feine Kleinigkeit.

Ewig kann es doch nicht fo bleiben war unfer philo- jophifcher Troſt, und es blieb auch nicht fo. Eine Gemwitter- bö, die fi von dem Orkan in der Sohannisnacht nur durch fürzere Dauer unterfchied, dagegen aber einen Wolfenbruch über ung ausjchüttete, der die Sturzjeen faſt erſetzte, ſchloß mit einem gewaltigen Knalleffect das Drama des Capwetters, das ung zwar unendlich viel Ungemach, aber, Gott fei Danf! fein größeres Unglück gebracht hatte. Unfer Bootsmann, den die zweite Sturzjee der Johannisnacht gegen den Befahnbaum gefchleudert und ihm beide Knie gebrochen hatte, war auch wie- der fo weit hergeftellt, daß nichts für ihn zu fürchten blieb.

D, wie wonnig fam es uns vor, endlich einmal wieder ein trodenes Ded zu haben, als wir jet, norowärts fteuernd, uns den Tropen näherten! Wie angenehm war es, die Segel von einem janften Winde gefchwellt zu fehen und die fehöne warme Luft mit vollen Zügen einzufchlürfen !

Alles vergangene Leid war vergeffen. Wol oft wurde der lettern Zeit und mamentlich jener Johannisnacht gedacht, aber alfe grellen Farben des Bildes waren verwifcht, und wir dachten jet nur an die Annehmlichfeit unferer Zukunft.

Aht Wochen lang waren wir einfam auf dem Waffer ge- ſchwommen, ohne etwas anderes zur Gefellfchaft zu haben als die Sturmoögel, die Freifchend unfer Schiff umfchwärmten und mit gieriger Haft auf alle Abfälle hinabftießen, die über Bord

18

geworfen wurden, und fich oft dugendweis an einem Tage an den für fie ausgehängten Angeln fingen, um mit Pergament- zetteln, auf denen der Tag ihres Fanges vermerft war, um Fuß oder Hals wieder freigelaffen zu werden. Da erblidten wir eines Morgens ein Segel hinter ung, das ein Nothfignal gehißt Hatte. Wir hielten fogleich auf dafjelbe ab und waren nicht wenig erfreut, in dem Schiffe einen Landsmann, einen Preußen zu finden, ver, gleichfalls nach Singapore beftimmt, um ärztliche Hülfe für einen fchweren Kranfen bat. Sie wurde ihm natürlich fofort gewährt, und bei dieſer Gelegenheit erfuhren wir, daß e8 der „Sohanna Wagner‘, fo hieß das Schiff, beim Cap nicht viel beffer ergangen war als ung jelbft. Zwar hatte fie fi am 24. Juni circa 150 Meilen öftlih von uns befunden und von dem Chflon nur den ſchweren Seegang, aber zu anderer Zeit Sturm genug gehabt und Raaen und Stengen verloren. Wir fegelten mehrere Tage zufammen und trafen nach vierzehn Tagen gleichzeitig in der Sundaftraße ein, wo wir am 1. Auguft bei der Fleinen Stadt Anjer auf Java anferten. Nach zwölfwöchentlichen Strapazen fonnten wir uns endlich einen Tag Ruhe gönnen.

6.

Schönheit der Tropennatur. Treiben auf der Rhede von Anjer. Die Banfa- und die Riowftraße. Zufammentreffen des Geſchwaders auf der Rhede von Singapore. Inſel und Stadt Singapore. Gemiſch und Charakter der Nationalitäten. Das gefchäftliche Treiben. Tempel der Hindu und Chinejen. Die großartigen Handelsverhältniffe des Plates. Die deutjhen Handelshäuferr. Die Tigerplage,. Die Familie des Maharadſcha von Diohore. Prinz Abubafar. Abfahrt nah China und Sapan.

Ehe wir nach Anjer famen, mußten wir zwei Tage in der Sundaftraße Freuzen. Wir fonnten dabei bald die Schön- heit und UVeppigfeit der. tropifchen Vegetation auf den janft gewellten Hügeln Savas, bald die majeftätifchen Bergfegel und Bulfane des gegenüberliegenden Sumatra bewundern, und uns an den Humderten der Fleinen lieblichen Infeln ergögen, die, von Korallen aus der Tiefe emporgebaut und im Laufe der Sahrhunderte mit angeſchwemmtem Humus bedeckt, jest in faftigem Grün prangen und wie ftrahlende Dafen auf den lichtblauen Fluten ſchweben. Das fchönfte Wetter begleitete uns. Eine fcharfe Seebrife fühlte während des Tages die Atmofphäre, und Abends trug der Landwind die Fojtbarften Blumendüfte zu uns herüber. Eine folche Seefahrt kann man fich noch gefallen laſſen. Diefe zwei Tage entfprachen unge:

80

fähr dem Phantaſiebilde, das der Landbewohner ſich von einer Reiſe nach Oſtindien entwirft, da ſich für alle Sinne Schönes und Intereſſantes bot.

Die Gegend um Anjer ſelbſt iſt ein wahres Paradies. Unten am Strande eritreden fich große Wälder von Kokos— palmen und Bananen. Die Häufer des Städtchens, theils euro- päifch, theils malaiifch, verjteden fich in dem dichten Grün der fie umgebenden Pflanzungen, und im Hintergrunde erhebt ſich ein fteil anfteigender Höhenzug, deſſen einzelne Felfen in grotesfen Formen fich geftalten und von himmelanftrebenden Bäumen eines undurchdringlichen Urwaldes gefrönt find. Es it ein Punkt, wo jedem Beſucher unwillfürlich der Gedanfe aufjteigt: Hier möchteft du bleiben, hier muß per OHR auf Erven fein!

Faſt alle Schiffe, die von Europa durch die ir nah Hinterindien oder China gehen oder von hier nach dort zurüdfehren, legen in Anjer an, um fich an feinen Erzeug- niffen zu erquiden und Erfrifchungen einzunehmen. Man fieht daher faft immer eine Fleine Flotte auf der Rhede und dies gewährt meiftens ein Bild von lebhafter und origineller Fär- bung. Ein Schwarm malaüfcher Boote empfängt das an- fegelnde Schiff und folgt wie ein langer Schweif im Kiel- wafjer des Fahrzeugs. Kaum ift der Anfer im Grunde, fo ſtürmen die Boote längfeit; ihre Inſaſſen Elimmen wie bie Karen an Bord, und in einem Moment ijt das ganze Ded in einen Markt verwandelt. Was num Herz und Mund eines Seereifenden fi) wünfchen kann, findet er bier lockend vor fich ausgebreitet, und wie jenes befannte Thier zwifchen den beiden Heubündeln fteht er zweifelhaft, was er zunächit wählen joll, während er von einem Dutzend der braunen Verkäufer zu gleicher Zeit mit Anpreifungen in allen möglichen Sprachbrocen bejtürmt wird. Dort liegen Büſchel goldgelber Dananen, bier die grüne Kofosnuß, während der unfchein-

81

bare Mangoitin in feiner mohnkopfähnlichen fchwarzen Hülle, die Foftbarfte Frucht der Tropen, nur von den Kennern auf- gefucht wird. Ananas, Guaven, Pampelmus riefige Apfel- finen von der Größe eines Kopfes Tamarinden, Apfel- finen winfen hier im lockender Geftalt. An einer andern Stelle ruft ein Korb mit Eiern heimatliche Erinnerungen wach und leitet unfere Gedanfen auf den Wohlgejchmad eines Eier- fuchens, Auch Hühner, das ganze Dutend für einen Thaler (wie verführerifch für Hausfrauen!), ſowie fehnatternde Enten finden fih vor. Einige Affen ſchneiden ihre mwunderlichen Grimaffen, Kafadus und Papagaien Freifchen in wiverlichen Zönen, Turteltauben laſſen ihr melancholifches Kukurr hören, und in andern Käfigen erblickt man Zibethfagen, Eichhörnchen, Zwerghirſche, Reisvögel und jonftiges zahmes und wildes Gethier, als ob man fih in einer Menagerie befände. Da- zwijchen bewegen jich die dunkeln Geftalten ver Malaien mit der fupferbraunen Hautfarbe und dem malerifchen Kopftuche, unter welchem das lange ſchwarze Haar in dichten Maſſen hervorquillt. Sie find fehlanf und leicht gebaut, ihre Haut glänzt, als wäre fie mit Del gefalbt, ihre Gefichtsbildung ift nicht unangenehm, aber die fchwarzen Zähne und der vom Siri- fanen biutroth gefärbte Mund machen einen widerlichen Ein- drud. Mit ungemeiner Zungenfertigfeit preifen fie in eng- lichen und holländiichen Broden ihre Waaren an, und die Concurrenz ermäßigt die Preife auffallend. Namentlich fuchen die Berfäufer nah Gold. Für eine Guinee befamen wir vier Dußend Hühner, 500 Eier und fo viel Früchte, als wir für acht Zage bevurften. Der Verkäufer wollte feiner Ge- liebten einen King von dem Goldſtück machen laſſen und war überglücklich in dejjen Beſitze. Ich glaube, ev hätte noch das ganze Boot in ven Kauf gegeben, wenn wir e8 verlangt hätten.

Endlich war unfere Kaufluft erfchöpft. Zehn Dutzend Hühner ſtanden auf dem Verdeck, in der Küche brodelte der heiß—

Werner. 1. 6

82

4

erjehnte und langentbehrte Cierfuchen, Bananen und Ananas waren zum Weberfluß geprobt, und die Geldbeutel waren leer. Die Verkäufer verloren fich nach und nach beim Anbruch der Dunkelheit. Wir aber fuhren ans Land, um in der foftbaren Abendfühle einen Spaziergang zu machen und uns die An- nehmlichfeit zu verfchaffen, enplich einmal wieder feſten Boden unter unfern Füßen zu haben. Es gefiel uns in Anjer jo wohl, daß wir gern einige Tage verweilt hätten, allein zu unferm Bedauern erfuhren wir, daß das ganze übrige Ge- ſchwader bereits im Laufe der legten Woche paffirt und nad) furzem Aufenthalte nad) Singapore weiter gefteuert je. Da durften wir denn nicht ſäumen, den Unfern zu folgen, und mit wehmüthigem Herzen nahmen wir früh am andern Morgen Abjchied von dem Tieblichen Orte und fteuerten nord— wärts unferm ‚gemeinfamen Nendezuous, Singapore, zu, dem Emporium des djtlichen Handels.

Wir richteten unfern Curs nördlich durch die Javaſee nach der Banfaftrafe. Man wählt während des Südweſt— monfuns diefen Weg als den fürzern, und weil man dort bei den häufig eintretenden Windftillen jeden Augenblid anfern und dem Zurüctreiben durch heftige Strömungen vorbeugen fann. Mit dem Nordweitmonfun, der vom October bis April weht, geht man jedoch Hftlich von Banka, um in offenen Waffer dem befchwerlichen Kreuzen in den engen Straßen zu entgehen. Wir trafen es diesmal glücklich. Der Wind war zwar fehr jchwach, aber jtetig, und wir fahen ung nur einmal genöthigt, in der Bankaſtraße zu Anfer zu gehen. Die Straße wird durch die Infeln Sumatra und Banfa gebildet, hat eine Länge von 15 und eine Durchfchnittliche Breite von 2Y, Meilen, fodaß man in ihr fat wie auf einem Fluſſe fährt. Die Küfte von Sumatra macht feinen angenehmen Eindruck. Es ift niedriges mit Dfchungeln dicht bewachjenes Moraftland ohne alle Abwechfelung; nur bei klarem Wetter erblickt man die

85

Kuppen der hohen Gebirgszüge im Innern der Injel. Viel freundlicher zeigt fich jedoch das gleichfall8 den Holländern gehörige Banfa mit feiner am Mleeresufer gelegenen Hauptſtadt Mintof, von wo aus die Producte der Infel, namentlich das be- rühmte Banfazinn, verfchifft werden, und wo ein ziemlich reger Berfehr herricht.

Es ijt ſchwer zu begreifen, daß bei der großen Zahl von Schiffen, welche jährlich die Banfaftraße paffiren, jo außer— ordentlich wenig für die Regulirung des Fahrwaſſers und Dezeihnung der Untiefen gefchieht, von denen die Straße voll ift. Seven Augenblik ſchwebt man in Gefahr, auf einer in den Karten nicht verzeichneten Sandbanf zu ftranden, und die vielen Wrade, die man fieht, zeugen von der Menge ber Schiffe, welche hier verloren gehen. In den Europätfchen Gewäffern, die theilweife nicht ein Zehntel jo bejucht um viel weniger gefährlich find, herrjcht Rootjenzwang. Hier, wo man gern ein paar Hundert Thaler gäbe, um einen Xootjen zu befommen, gibt e8 feinen. Am meiften ift zu berwundern, daß die Privatjpeculation die Sache nicht in die Hand ge- nommen hat. Durch die Bankaſtraße paffiren jährlich 4—5000 Schiffe, die durchjchnittlich jechs bis fieben Tage gebrauchen, um durch die vielfach von Winpftillen heimgefuchte Straße zu fommen. Jedes derjelben würde mit dem größten Vergnügen 400 Thaler zahlen, um mit Hülfe eines Schleppdampfers die Strede in einem halben Tage zuvüczulegen. Eine Flotilfe von ſechs jolchen Dampfern würde hinreichen, um allen Schiffen zu dienen. Das Anlagefarital für die ſechs Dampfer beträgt faum 400,000 Thaler, das Maximum des Kohlenverbrauchs per Jahr 20000 Tonnen. Mit den Zinfen des Anlage- fapital8 würde die Unterhaltung mithin etiwa 350,000 Thaler foften, während der doppelte reine Gewinn in Ausficht fteht. Hier ift alfo noch ein veiches Feld der Speculation offen !

6*

84

Nachdem wir, vom Winde fehr begünftigt, die Banfa- ſtraße in 2 Tagen paffirt hatten (vor mehreren Jahren gebrauchte ich dazu 13 Tage), fteuerten wir ver Riu— ftraße zu, indem wir das berüchtigte Seeräuberneft die Inſel Linga an unferer linfen Seite Tiegen ließen. Die fortdauernde Erijtenz diefes Räubervolks ift auch eine Umbegreiflichfeit. Es ift erwiefen, daß die Bewohner von Linga mit ihrem Sultan an der Spite fih nur von Seeraub nähren. Jährlich werden eine Menge ihrer Fahrzeuge aufgebracht. In Singapore wurden im Jahre 1859 an 87 Perfonen aus Linga wegen Seeraub verurtheilt, und im Juni deſſelben Jahres nahmen die Holländer eine Flotte von fieben Prauen, vie ebenfalls aus Pinga waren. Trotzdem legt man weder von Holländischer noch englifcher Seite ‚den Räubern das Handwerf gründlich, und man muß wirklich glauben, was allgemein behauptet wird, daß die einen es aus Trägheit verfäumen, die andern aber Beforgniß hegen, mit Vernichtung dieſer Seeräuber eine portreffliche Ahſatzquelle für ihre alten Waffen zu verlieren!

Wir jegelten in unmittelbarer Nähe ver ziemlich roman— tiichen Küfte hinauf, gelangten darauf in die von den Inſeln Bintang und Battam (beide unter niederländifcher Botmäßig— feit) gebildete Niuftraße, die jo mach der Hauptſtadt von Bintang benannt ift, und trafen am 7. Auguft mittags glücklich und wohlbehalten auf der Rhede von Singapore ein, wo wir bereits die drei übrigen Schiffe vorfanden. Die Ar- fona war acht, die Thetis fech8 und der Srauenlob zwei Tage früher angelangt, und wir hatten mithin alle vier fo ziemlich eine gleiche Reife gehabt. Die drei Schiffe hatten gegen Mitte Juni Rio-de-Ianeiro verlaffen, als wir uns noch einige Grade nördlich davon befanden. Alle drei hatten den Cyklon am 24. Juni gehabt und ebenfalls Bejchädigungen erlitten, obwol fie nördlicher als wir fegelten und dem Centrum nicht fo nahe gefommen waren.

85

Merfwürdiger Weife befanden jich, wie die VBergleichung der Schiffstagebücher ergab, an jenem Tage alle vier Schiffe in einem Kreiſe von 40 Meilen Durchmeifer, ohne etwas von— einander zu wiſſen.

Das Geſchwader rüftete bereits wieder, um feine Weiter- reife nad) Japan anzutreten, da der beworftehende Monſun— wechjel Eile anbefahl. Am 12. Auguft ging die Thetis, am 14. die Arfona, auf der fich die bis Singapore über Yand gereifte Gefandtjchaft einfchiffte, und der Frauenlob nad) Jeddo in See. Nur wir mit der Elbe mußten noch längere Zeit in Singapore verweilen, weil fich heransjtellte, daß die beim Cap der guten Hoffnung erlittenen Schäden bevdeutenderer Art waren. Namentlich hatte das Kupfer fehr gelitten, und es war nothwendig, das Schiff zu doden, damit nicht dev hier fehr verbreitete Wurm das Holz des Bodens angriffe. Diefer Umftand verurfachte längern Aufenthalt, als wir vorausge— feßt hatten, und erſt anfangs September Fonnten wir den übrigen Schiffen folgen.

Obwol unfere Zeit durch die Zimmerei und die damit in Berbindung ftehenden Arbeiten ziemlich in Anfpruch ge- nommen wurde, fand fich während unfers nahezu wierwöchent- lichen Aufenthalts in Singapore doch Gelegenheit, Stadt und Snfel näher, fennen zu lernen, um ein Bild des interejjanten Platzes zu geben.

Eine Gefchichte Hat die gegenwärtig für den Verkehr fo wichtige und jo belebte Stadt Singapore nicht; denn fie war noch vor vierzig Jahren ein öder, unter ver Botmäßigfeit des Sultans von Djohore ftehender Fleden, nur von einigen Fifchern be- wohnt. Selten hat aber eine Eolonie in fo furzer Zeit glän- zender profperirt. Im Yahre 1822 warfen die Engländer ihr Augenmerk auf die Infel, und e8 gelang ihnen, diefelbe für eine geringe Summe von ihren bisherigen Eigenthümern zu faufen. Die beiden Söhne des damals gerade verftorbenen

86

Sultans der Malaitfchen Halbinfel ftritten fich um die Herr- ihaft. Die Engländer nahmen die Partei des einen, ihre Rivalen in jenen Gewäfjern, die Holländer, protegirten den andern Bruder. Für dieſes Wohlwollen und die ge- währte moralifche Hülfe ließen fich die einen Singapore, die andern Bintang abtreten; jedoch waren die Engländer die Klügern gewefen. Um es mit feinem zu ververben, zahlten fie beiden Brüdern, jowol dem erjten rechtmäßigen Erben als dem Prätendenten, eine VPenfion, und um fich ihrer Treue zu verfichern, machten fie die Penfion von der Bedingung ab- hängig, daß beide auf Singapore wohnen mußten. Der eigent- liche Sultan von Djohore wurde von feinem jüngern Bruder gänzlich verdrängt und hat außer feiner Penſion nur noch feinen Titel behalten, während der Tumongong oder Statthalter, wie der andere genannt wird, fich den Titel Sri Maharadfcha, d.h. Fürft, beigelegt hat.

Die Infel Singapore ift etwa zwölf Quadratmeilen groß, hügelig, von kleinen Bächen durchfchnitten und von der Halb- infel Malakka nur durch einen ſchmalen Meeresarın getrennt. Sie zählt (1860) etwas über 100,000 Einwohner, von denen 81,7% auf die Stadt Fommen und die aus neun bis zehn verfchievdenen Völferfchaften zufammengefegt find. Weiße und deren Mifchlinge, Letstere mit dem englifchen Ausdruck Euraſians (d.h. Abkömmlinge von Europäern und Aftaten) benannt, gibt es im ganzen 2445 auf der Inſel, unvermifchte Weiße jedoch nur 590, zum größten Theil Engländer, fonjt aber aus Ver— treten ſämmtlicher ciwilifirten Nationen bejtehend. Deutjche jind davon etwa hundert, die jedoch im gefchäftlicher Beziehung eine wichtige Noffe fpielen. Das größte Kontingent der Be— völferung liefern die Chinefen, jenes ameijenartige Wan- dervolf, das die commerziellen Vortheile, welche Lage, Verfaſſung und die fonftigen VBerhältniffe ver Kolonie in fo reihen Make bieten, fehr bald begriffen hat und jährlich zu

87

Tauſenden von den Küften feines Vaterlandes hier zufammen- ftrömt, um fich entweder dauernd anzufiedeln, oder im Vor— übergehen jo viel wie möglich zu erwerben. Ihre Zahl be— läuft fich auf 50043, darunter nur 3248 Weiber, die jedoch nicht rein chinefifchen Urfprungs, fondern Töchter chinejischer Bäter und malaiifcher Mütter find.

An Zahl ftehen ven Chinefen am nächjten die Malaien und die Klings. Erſtere find theils Eingeborene der Infel, theils Angehörige des benachbarten Malaffa, und repräfentiren eine Zahl von 10,888 Seelen, während die Klings, d. h. die aus Indien eingewanderten Hindu und Mohammedaner, 11,735 Köpfe zählen. Javanen find 3408 auf Singapore, Bengalefen 1236, Burmeſen und Siamefen, Araber von der Küfte Koro- mandel, Bugis von den Sundainjeln und Parſen zufammen 1037.

Faſt jeve der erwähnten Nationen bewohnt ein eigenes Quar— tiev und hat eine bejtimmte Bejchäftigung. Während ver Malaie ſich fait nur mit Fiichfang und dem Anbau von Früchten befhäftigt, weil dies wenig Mühe macht und feiner trägen Natur zujagt, find die Klings größtentheils Bediente, Kutfcher oder Kalfaterer, während die übrigen Nationen aus— ihlieglih Handel treiben. ur die Chinejen, deren einziges Dichten und Trachten auf Erwerb ausgeht, binden fich an feine bejtimmte Branche. Sie betreiben alles, was irgend Gewinn verfpricht, und fie hauptfächlich haben durch ihre un- gemeine Thätigfeit, ihre Induftrie und ihren Unternehmungs- geift zu der blühenden Entwidelung der Kolonie beigetragen. Der Chinefe ift Kaufmann und Krämer, Handwerker und Tagelöhner, Landmann und Seemann, Koch und Bedienter. Wo es irgendetwas zu verdienen gibt, darf man ficher fein, Chinefen zu finden, und felbft wenn bereit8 andere Nationen jih damit befaßt haben, wird der Chinefe nicht nur glücklicher Concurrent, jondern verjteht durch feine größere Schlauheit,

88

Ausdauer und Arbeitfamkfeit ven größern und fehr bald ven alleinigen Gewinn an fich zu ziehen. Der reichfte Mann in Singapore, ein Mann, der mindeftens 30 —40 Millionen Dollars in Vermögen befitt, ift der allen Befuchern der Inſel wohlbefannte Wamphoa, ein Chinefe.

Die eingeborenen Malaien find eine tieine häßliche Kaffe von fupferbrauner Farbe mit großem Munde, hervorftehenden Badenfnochen und plattgedrücter Nafe; die Statur ift ſchwäch— lich, jedoch find ihre Gliedmaßen proportionixt. Einen vor— theilhaftern Eindruck machen die Javanen mit ihrem ſchlanken musfulöfen Gliederbau, ihrer ftolzen Haltung und ihren wohl- geformten Gefichtszügen. Sie find von hellerer Farbe als die Malaien, haben jtatt der aufgewworfenen eine gerade Nafe, und wenn fie auch auf den evjten Blick demfelben Stamme anzugehören jcheinen, ergibt doch eine nähere Betrachtung, daß fie auf einer viel höhern Stufe ftehen. Jedenfalls gibt auch der tiefe Haß zwifchen beiden Nationen Zeugniß, daß ſie nicht dejjelben Uxriprungs find. Die Klings find ein ſchöner Menfchenfchlag, groß mit kühnen Gefichtszügen, Aolernafe und fenrigem Auge Ihre Hautfarbe ift jehr dunkel, oft fait Ihwarz, der Kopf, je nachdem es Mohammedaner oder Hindu find, ganz oder halb gefchoren. Nur die dünnen fleifchlofen Beine entjtellen die Figur und machen fie häflich.

Die Klings gedenken, wie die Chinefen, nicht beftändig in Sin- gapore zu bleiben, fondern einft als wohlhabende Leute in ihr Baterland zurüczufehren. Sie find ungemein fleißige Arbeiter und legen faft alles verdiente Geld zurüc. Sch habe oft beob- achtet, wie die Kings, welche an unfern Schiffen arbeiteten _ und täglich einen halben fpanifchen Thaler verdienten, mittags nur eine Hand voll Neis mit etwas fpanifchem Pfeffer ges noffen, abends aber auf dem Rückwege zur Stadt in vie Dſchungeln fprangen und fi dort in dem Meorajte Krabben zum Abendbrot fuchten. Gewöhnlich haben fich

89

diefe Menjchen venn auch nach fünf bis zehn Jahren ein fleines Vermögen erübrigt, mit dem fie in ihre Heimat ziehen, und dadurch unterfcheiden fie fi von den Chinefen. Die einftige Rückkehr in fein Vaterland ift für den Chinejen ver füßefte Gedanfe, aber die Gewinnfucht läßt ihn nie zufrieden werden. Er will immer mehr erwerben, mag er noch jo reich fein, und fo jtirbt er in dem fremden Lande, ohne feine Heimat wiederzufehen.

Ueberhaupt wird Singapore nur von den Malaten als fefter Wohnfit betrachtet, und alle fremden Bewohner, feien es Europäer oder Afiaten, find mehr oder minder Zugoögel, welche „draußen find“, um Geld zu erwerben. Und daß hier viel Geld erworben wird, davon empfängt der Fremde fogleich den lebhafteften Eindruck, wenn er die Stadt betritt. Hier ift jedes Haus ein Laden, in dem die Erzengnifje der ganzen Welt feilgeboten werden. Hunderte von Nationalitäten [chwärmen durcheinander, und vom Tagesgrauen bis fpät in die Nacht herricht ein fo veges Leben, wie nur irgendein Weltmarkt aufzıweifen vermag. Hier ift ein danfbarer Pla für den Ethnographen, denn er hat Gelegenheit, alle dieſe fremden Bölfer in ihrer ganzen Eigenthümlichfeit Fennen zu lernen. Nichts kann intereffanter fein als ein Spaziergang durch eine der Straßen mit ihrem originellen Treiben und Leben. Sämmt- liche Häufer find mit Vorhalfen verjehen, die theils Läden, theils Handwerkftätten abgeben, während an jeder Seite von ihnen die ambulanten Köche, Krämer, Wechsler und Händler ihre Buden und Tiſche aufgefchlagen haben und ununterbrochene Reihen bilden. Dazwifchen wogen in dichtem Gedränge die Bewohner ver Stadt und die fremden Beſucher auf und nieder.

Hier jchreitet elaftifh und kaum hörbar der braune Malaie mit dem Sarong und dem dedelförmigen praftifchen Hut aus Bambus geflochten, dort mit der chlinderförmigen gold—

90

geſtickten Müte, langem weißen Rod und gleichfarbigen weiten Beinfleivern der Araber von der Küfte Koromandel. An feinen feingeformten Fingern blitzen koſtbare Brillantringe, und die ganze Erjcheinung verräth den reichen Kaufmann, deffen Hände nur fojtbare Seidenftoffe und Juwelen geprüft haben. Während alles um ihn im gejchäftiger Eile vahin- ftrömt, fchreitet er langfam und bedächtig durch die bunte Menge, nur Acht gebend, daß nicht ein ſchmuziger Chinefe feinen fchneeweißen Talar berühre. An Haltung und Ge— fichtsform ihm jehr ähnlich, nur von beveutend weißerer Haut- farbe, erbliden wir dort den Parjen, mit ſchwarzem Talar und dem eigenthümlich geformten hohen Hute, der die hohe Geftalt noch größer erfcheinen läßt. Er wandelt wo möglich noch majeftätifcher einher als ver Araber, aber beide wenden pas Geficht ab, wenn fie fich begegnen. Die leife Abweichung ihres Glaubens macht fie zu Todfeinden, und wenn fie fönnten, würden fie fich gegenfeitig mit ihren Bliden ermorden.

In jener Vorhalle fit mit allem möglichen Schmud angethan ern Klingsmädchen und läßt fich von drei oder vier ihrer dünn— beinigen Landsleute ven Hof machen. Ihre Gefichtszüge find nicht fchön, aber auch micht abftopend, und jedenfalls machen zwei Reihen fchneeweißer Zähne und ein paar feurige ichwarze Augen die Erfcheinung pifant- Die Haut glänzt wie ihwarzer Sammet, um Fuß und Arın find dide Silberfpangen gewunden, ein fchweres Halsband von gleichem Metall ziert ven Naden; im Haar fteden mehrere goldene Nadeln und Pfeile, in ven Ohren hängen handgroße Ringe und in dem rechten Nafenflügel fitt der nie fehlende goldene Knopf.

Weiterhin fchlürft in feinen unförmlichen Schuhen ein veicher Shinefe einher. Aus den langen Aermeln der weißjeidenen Jade blicken nur die langen Nägel feiner arbeitsjchenen Finger hervor, und dann und wann fehwingt er nachläffig einen Foft- baren Fächer, um fih Kühlung zuzumwehen, während ihm ein

91

nachfchreitender Bediente ven Sonnenſchirm über das glänzend geſchorene Haupt hält, von dem die ftolze Zierde, ver Zopf, mit fchwarzfeivenem Bande reichlich durchflochten, herabhängt, ſodaß er gerade ven Erdboden berührt. Neben dem Chinefen paflirt der hellbraune Javane mit der enganfchließenden Jade und dem diademartig gewundenen Kopftuch. Seine ftarfen Deinmusfeln und ver elaftifche Gang verfünden ven Bewohner der Berge, und der reiche Griff des halb aus dem Gürtel- tuche hervorfchauenden Kris ven wohlhabenden Mann.

Hier zieht ein Trupp lasfarifcher Matroſen mit wilden Ge— fichtern und gelb und rothen Gürteln durch ihr feeräuberähnliches Ausfehen die Aufmerffamfeit auf ſich. Wüſtes Gefchrei fchlägt an unfer Ohr. Ein paar Chinejen haben ich gegenfeitig be- trügen wollen, find darüber in Wortgefecht und Handgemenge gerathen, und ihre Freunde haben Partie genommen. Sie reißen fich nach Herzensluſt an ihren Zöpfen, ſpucken fich ins Geficht, zerfraten fih mit den langen Nägeln und gießen in gellenden Tönen Fluten von Schimpfworten übereinander aus, Da erfcheint die Polizei. Arme Chinefen, die Polizisten find Klings, eure erbittertften Feinde! Die Schläge ihrer furzen feufenförmigen Amtsjtäbe (clubs) fallen hageldicht auf die fahlen Schädel, und der Haufe jtiebt heulend nach allen Richtungen auseinander: Hier läßt fich ein Chinefe ven Kopf, dort ein Kling den Leib rafiren, wobei beide Parteien mit untergefchlagenen Beinen auf einem Tiſche einander gegenüber- figen und der Barbier fein dreiediges Nafirmejjer mit wun— derbarer Geſchicklichkeit handhabt. An jener Ede jteht der Tifch eines Geldwechslers. Silber fieht man jedoch nicht bei ihm, jo hoch verfteigt fich dieje Klafje ver Banfiers nicht. Sie wechjeln nur Kupfer gegen Meſſing, Cents gegen chinefifche Caſh. Zehn Caſh von der Größe eines Dreiers mit einem vieredigen Loch in der Mitte zum Auffchnüren gehen auf einen Cent, Taufend auf einen Dollar, und nun gibt e8 fogar noch halbe Caſh.

92

Mit Sonnenuntergang wird dieſe ganze Scenerie noch lebhafter. Taufende von Papierlaternen in allen Formen und Größen, bemalt und vergoldet, illuminiren die Läden, und ebenfo viele Fadeln erleuchten die Tiſche der ambulanten Krämer. Sämmtliche Straßen find jegt jo gebrängt voll, daß man ſich kaum durchwinden kann; alle die Taufende won Arbeitern, welche im Hafen, auf ven Werften und fonft außer- halb der Stadt gearbeitet haben, fommen jett zurücd und faufen ihre Fleinen Bedürfniffe ein. Das ift ein Gewimmel und ein Geſumme in den verjchiedenften Mundarten wie beim babylonifchen Thurmbau; aber am lautejten machen jich jtets die Chinefen mit ihrem unmelodifchen Idiom. Namentlich ift das Gefchnatter in der Nähe ver Garfüchen jehr heftig, und man glaubt jeden Augenblid, daß irgendeine Schlägerei be- ginnt, während fich die einzelnen Parteien nur etwas erzählen.

Diefes Lärmen und diefes Gewoge dauert bis gegen 8 Uhr; dann ziehen fich die meilten Chinefen zurüd, um nach des Tages Laft und Hite in den Opiumläden fih an dem füßen Gifte zu erfreuen und den Vervienft des Tages oft in dem theuern Stoffe zu verfchwenden. Das Opium ift eine andere Klippe, an der die guten Vorſätze der Chinefen, in ihr Vater: land zurüczufehren, ſcheitern; es ftiehlt nicht nur ihren Ver— dienft, fondern untergräbt auch ihre Gefundheit und macht fie frühzeitig zu Greifen. Im wie außerordentlichem Grade diefer Opiumverbrauch ftattfindet, mag man daraus abnehmen, daß die Berfäufer diefes Narkotifums eine monatliche Abgabe von 32000 Dollars (50000 Thaler) an die englifche Re— gierung bezahlen. Die einzigen Conjumenten find die Chinefen, und es ift gar nichts Ungewöhnliches, daß ein enragirter Raucher an einem Abend für 3— 4 Thaler Opium ver: raucht. ‚‚Licensed Opium Shop” lieſt man überall in ven Strafen der Stadt. Das find die Civilifationsbeftrebungen der Engländer! 1840 wollten fie mit Gewalt ganz China

93

mit diefen Shops beglüden. Das Opium wird in Bengalen gewonnen und geht auf englifchen Schiffen nach den Kolonien!

Wie ih ſchon bemerft, zerfällt Singapore in verſchiedene Viertel, die eigentlich ebenfo viele befondere Städte bilven. In dem einen wohnen die Chinefen, in dem ‚andern die Malaien, in dem dritten die Klings, und jedes hat faft Feine Aehnlichkeit mit dem andern. Alle drei Nationen haben ihre Sitten und Gebräuche aus der Heimat hierher verpflanzt und mit jeltener Pietät bewahrt. Sie haben ihre Tempel, ihre Proceffionen und weligiöfen Fefte. Während der Mohammedaner in der Mofchee betet, Hält ver Hindu feinen fejtlihen Umzug mit dem ‚heiligen Wagen, feiert der Chineje fein Todten- und Laternenfeft, und begeht ver Malaie das Neue Jahr und den Tag des Bollmonds mit Banfeten und Gelagen. Keiner fümmert fic) um den andern, ſondern jeder lebt wie in feinem Geburtslande.

Sch befuchte die verfchiedenen Gotteshäufer. In den Mofcheen und chinefishen Tempeln wurde mir bereitwillig ver Zutritt geftattet, in dem Hindutempel mußte ich mich jedoch mit dem Anblicke ver VBorhalle begnügen, in welcher der ziem- lich abgetafelte Wagen des Juggernaut jtand. An ihm waren drei ebenfo magere als ſchmuzige heilige Kühe angebunden. Diefer Wagen, ein unförmliches ſchweres Gebäude, nimmt eine Hauptſtelle in den jährlichen religiöfen Procefjionen der Hindu ein. Die Fakirs und andere unglücdliche Fanatiker werfen fie) unter feine Räder und laſſen fich von ihm zerquetjchen oder von den Füßen der davorgefpannten Elefanten zertreten, um der ewigen Geligfeit divect theilhaftig zu werden. Der Wagen hatte jedoch das Anfehen, als fei er lange außer Dienft geſtellt, und jedenfalls würde die Polizei ein Veto gegen das Ueberfahren einlegen. Auch ein folofjales aus Rohr gefloch- tenes und mit buntem Kattun bezogenes Pferd ftand im Vor— hofe, ziemfich abgeriffen und reparaturbedürftig. Ich fragte nach feiner Bedeutung, erhielt aber von dem fauertöpfifchen

94

Priefter nur die Antwort, es fei ein Pferd. Als ich weiter in das Innere wollte, fagte mir derſelbe Priefter, es jei nicht erlaubt. „Was wollt ihr überhaupt hier in unfern Tempeln, wir fommen ja nicht in euere!’ fügte er hinzu. Nun ver Mann hatte nicht fo ganz unrecht, und da felbft eine Cigarre ihn nicht weicher ſtimmen wollte, mußte ich mich ſchon mit dem Gefehenen begnügen, wenn e8 auch herzlich wenig war.

In den hinefifchen Tempeln war man nicht jo ungefällig, fondern ließ uns nach Belieben alles befehen, abzeichnen und anfaffen. Es erijtiren in Singapore drei größere verfelben, zwei innerhalb und einer außerhalb der Stadt, ich bejuchte fie alfe drei und fand fie im Aeußern und Innern ziemlich ähnlih. Bon ſämmtlichen chinefifchen Gebäuden Singapores find fie die einzigen, bei denen der fogenannte chinejifche Bauftil beibehalten ift. Zuerjt tritt man in einen Vorhof oder Garten, deſſen gewöhnliche Zierde der große rothe Hahnenfamm ift. An der Mauer zur Rechten und Linken befindet fich ein Dfen. Das einzige Gefchäft der im Tem— pel wohnenden Prieſter fcheint zu fein, im diefen Defen von Zeit zu Zeit bedrudte Zettel zu verbrennen, und ebenfo ſcheint der ganze Eultus der Tempelbewohner darin zu beftehen. Die Chineſen find ein praftifches Volk, das in vieler Beziehung Aehnlichkeit mit den Nordamerifanern hat. Ihr Gott ift Geld, und auch bei ihnen gilt gleichfalls ver Grundfaß: ,, Zeit ift Geld.“ Wozu foll alfo der Chinefe feine werthvolle Zeit mit Herfagen von Gebeten vergenden? Er hat e8 viel be— quemer, bon den Prieftern für einige Caſh die wirkfamften georucten Gebete zu kaufen und fie gleichzeitig in einem ber Defen verbrennen zu laffen. So ijt allen Theilen geholfen. Der Gott hat feine Gebete, der Priejter fein Geld und der Tempelbefucher das Bewußtfein, feine religiöfe Pflicht erfüllt zu haben. Bequemer kann doch fein Cultus fein!

Es würde eine fehwierige Aufgabe fein, das Innere eines

95

chinefiichen Tempels bejchreiben zu wollen. Es ift nur eine Anhäufung von Schnurrpfeifereien, Sachen und Sächelchen, für die wir weder einen Namen haben, noch uns einen Zwed denfen können. Eine Menge Tiſche find damit angefüllt, und von der Dede hängen ebenfo viel bunte Papierlaternen, Ampeln, Kronleuchter u. f. w. Cine Unzahl von Blumen- töpfen jteht umher, in denen Hunderte von binnen wohlrie- chenden Stäbchen glimmen, d. h. für chinefifche Naſen wohl- riechend, denn für die unfern ift der Qualm fchredfih. Im Hintergrunde des Tempels befindet jich das Alferheiligfte. Mit Hülfe einer den Priejtern offerirten Cigarre gelangten wir auch dahin. Der Weg führte durch eine Yichtzieherei, in der von den Bonzen die für befondere feterlichfeiten erforderlichen Kerzen angefertigt werden. Es roch ziemlich unangenehm und war jehr ſchmuzig. Im Allerheiligften thront unwandelbar das Bildniß des Confucius. Um dafjelbe brennen eine Menge Lichter und glimmen unzählige Stäbe, die in China täglich milfionenweife verbrannt werden. Ebenſo find unter den Hei- figen allerlei wunderliche Götenbilder, Drachen und fonftige unbegreiflihe Figuren gruppirt. Im ein paar Gteintrögen wurden heilige Schilofröten gehalten, und an den Wänden ha- ben fich chinefifche Künftler mit den wunderbarften Erzeugnif- jen der Phantafie verewigt, während die Priefter zur Ber- jhönerung des Tempels an deſſen Wände eine Menge Bilver aus den Illustrated London News angeflebt haben, die nad) unfern Begriffen durchaus nicht in ein Gotteshaus gehören. Genug, ein chineficher Tempel in Singapore ift ein unbe- Ichreibliches Ding, das mit allem andern Aehnlichfeit hat, nur nicht mit einem veligiöfen Gebäude.

Während unferer Anwefenheit im Auguft hatten wir auch) Gelegenheit, eins der größten religiöfen Fefte der Chinefen, das ZTodtenfeft, anzufehen, deſſen Bejchreibung jedoch erſt fpäter bei ver Schifverung Chinas erfolgen wird, und ebenfo werweife

96

ih auf China felbjt in Bezug auf das Theater und die Kirch- höfe, die fonjt gleichfalls zu ven Sehenswürbdigfeiten Singapores gehören, von denen in China fich aber nicht im gevingjten unterjcheiden.

Der Handel von Singapore ift bedeutend, jedoch bejteht er hauptfüchlih im ZTranfit. Im Jahre 1859 Tiefen 3522 Schiffe ein und 3812 aus. Die Importen betrugen 24 Mil- lionen Dollars, der Export belief ſich auf 22,650,000 Dol- lars. Die Erzeugniffe der Inſel ſelbſt, injofern fie für die Aus— fuhr in Betracht fommen, find nur Pfeffer, Musfatnüffe und Gambir, legteres ein Gerbitoff auch unter ven Namen Catechu und Terra Saponica befannt. Hinſichtlich aller übrigen Lebensbedürfniffe ift Singapore auf das Ausland angewiejen. Der für ven Unterhalt der Bevölferung nothwendige Reis fommt von Malakka. Infolge einer bewunderungswerthen Liberalität der Engländer, die das Land im Innern jedem unentgeltlich überließen, der es haben wollte, ſiedelten jich außerordentlich chnelt Chinejen dort an, und die großen Mo— raſt- und Dſchungeln-Strecken verwandelten fich fehr bald in Eulturland, das fich namentlich vwortrefflich für den Anbau von Gambir eignet, während auf ven Hügeln Pfeffer- uud Musfatanlagen gemacht wurden.

Die nächjte Umgegend der Stadt iſt höchſt angenehm. Auf den vielen umliegenden Hügeln find die Villas oder Bun- galos, wie man jie bier nennt, der europäiſchen Kuufleute angelegt und von reichen Gärten und Parks eingefchlofjen. Die Wege find in vortrefflichen Zuftande, und die Droſchken laffen nichts zu wünfchen übrig, wenn man nicht gerade das Unglück hat, einen Kutſcher, der nicht Befcheid weiß, oder einen ftörrifhen Pony zu treffen. Im eriterm Falle hat man das Schickſal, ftundenlang auf der Inſel in der Irre zu fahren, und kann froh jein, wenn das Pferd nicht ermüdet und man wenigftens die Stadt wieder erreicht. Im letztern Falle befindet

97

man fich vielleicht eine Stunde von der Stadt mitten in ven Dſchungeln und eine halbe Stunde von jeder menjchlichen Woh- nung entfernt, und das Vergnügen wird noch dadurch erhöht, daß es dunkel ift, weil man feine Befuche des Abends ab- itattet. Dem Pony fällt es dann plöglich ein ſtill zu jtehen, und feine Macht der Erde fann ihn bewegen vorwärts zu gehen, wenn man nicht ausfteigt. Dann geht er, jobald man jich aber wieder hineinfett, fteht er wie angenagelt. Man muß nothiwendigerweife dann zu Fuße gehen. Zrifft dies aber, wie uns, in der Negenzeit, wo der vöthliche Thon des Bodens aufgeweicht wird, jo ift natürlich an das Abjtatten des Be— juchs nicht zu denfen, und man muß froh fein, wenn man, zwar von oben bis unten beſchmuzt, aber mwenigjtens ohne jonftige Unfälle fein Quartier in der Stadt wieder erreicht. So ging e8 ung einige male, und das einzige Mittel, fich da— vor zu behüten, ift für einen Fremden, fich an einen Polizei- beamten zu wenden und ſich von diejem gegen eine Erfennt- lichfeit einen Wagen mit einem guten Pferde beforgen zu lafjen. Allerdings wird die Drofchfe dadurch fo viel theurer, aber den Maßſtab unferer Geldverhältniffe darf man im Impien überhaupt nicht anlegen. Der Dollar ift die gangbare Münze, die Droſchke koſtet einen Dollar, das Glas Wein einen Dollar, und man gibt einen Dollar Zrinfgeld. Im Gajthofe läßt fih unter fünf Dollars pro Tag nicht leben, und der Europäer gibt dem Bettler nicht unter Y, Dollar (12Y, Ngr.), weil er fich mit Fleinern und Kupfermünzen nicht befaßt.

Die deutſchen Handelshäufer Singapores gehören zu den angejehenften der Stadt und jtehen nach den Engländern in erjter Reihe. Die Flaggen der verſchiedenen deutſchen Yänder, namentlich aber die hamburger, find im Hafen ehr ſtark ver- treten, und der deutjche Handel entfaltet fi) von Jahr zu Jahr mehr. Wir wurden von unfern Landsleuten mit der größ-

ten Zuporfommenheit und Herzlichkeit aufgenommen, obwol Werner. I, 7

98

gerade hier die preußifche Expedition und ihre Zwecke mit den wenigjt günftigen Augen angefehen waren. Ueberhaupt aber find wir an allen Pläten, wo jich Deutfche befanden, von diefen mit außerordentlichem Wohlmwollen empfangen worden, und es ift nicht mehr als Pflicht der gewöhnlichſten Dankbarkeit, wenn ich dies hier berühre und hinzufüge, daß zu den ange- nehmjten Erinnerungen unjerer Reiſe der Gedanfe an die Freundlichkeit und Gaftfreundfchaft der Deutfchen in China ſtets gehören wird.

Das Klima von Singapore ift verhältnißmäßig ſehr ge- fund. Dsenterie, Sonnenſtich und die gefährlichen Fieber Indiens find viel feltener als in den übrigen europäiſchen Colonien, wozu freilich die Anlage der Häufer auf dem frei- liegenden Hügeln (in der Stadt befinden fich nur die Comptoirs der Europäer) und der unbehinderte Zutritt der frifchen See- luft fehr viel beitragen mag. Die Hite wird demgemäß nie fo exceffiv, als man nach der Lage der Stadt unter nörd- licher Breite jchliegen jollte, und nur die Regenzeit ift die unangenehme Saifon.

Die Inſel wimmelt von Schlangen aller Art, meijtens find fie jedoch ungefährlich, wenngleich e8 dem Fremden fonderbar vorkommt, jolchen Reptilien fchon unmittelbar vor der Stadt und in bewohnten Straßen zu begegnen. Mean gewöhnt fich jedoch bald daran und. nimmt feine Notiz mehr davon. Nur die Chinefen vigiliven darauf, weil fie bie Schlangen als Leckerbiſſen verfpeifen.

Bei weiten unangenehmer find jedoch die Tiger, eine Plage, von denen die Infel mehr heimgefucht wird als irgend- ein anderer befannter Ort der Welt. Man rechnet, daß im Durchſchnitt täglich ein Bewohner der Infel von dieſen Raub- thieren aufgefreffen wird, obſchon die englische Regierung für jeden erlegten Tiger eine Prämie von 5 Pf. St. zahlt. Man würde fich gar nicht erklären fünnen, wie diefe Thiere auf der

99

jo bevölferten Infel fich zu halten vermögen, wenn nicht Erfah- rung fejtgeftellt Hätte, daß fie, vom Hunger getrieben, immer wie- der von Malaffa herüberfommen und ſchwimmend den das Feft- land von der Infel trennenden Waſſerſtreifen überfchreiten. Da fie auf Singapore fein Wild oder Viehheerden finden, jo fal- (en fie Menfchen an, und dies ift allein der Grund der zahl- (ofen von ihnen geforderten Opfer. Namentlich find es Chi- nejen, die ihnen am beiten zu munden fcheinen, und felten greifen fie einen Malaien oder Kling an. Freilich mag auch wol dazu; beitragen, daß die Chinefen das Innere bevölfern und oft allein von den Tigern in den Dfehungeln überrafcht werden. Während unferer Anmwefenheit beunruhigten fie jedoch auch die nächjte Umgebung der Stadt, und von drei Chinefen, bie jpazieren fuhren, wurde einer vom Wagen herunterge- holt. Ein anderer mächtiger Tiger wurde kurz vor un- jerm Abgange in einer Grube faum 2000 Schritte von dem Drte gefangen, wo wir uns täglich badeten. Faſt nie greifen fie jedoch die Menfchen am Tage an, fondern ſtets am Abend, und es ift daher rathjam, im Innern der Infel fih nach Dunfelwerden zu Haufe zu halten, wenn man nicht auf ihren Empfang vorbereitet ift.

In der Nähe des Dods, wo unfer Schiff reparirt wurde, und das ungefähr eine Meilé weitlich von der Stadt gelegen it, befindet fih auch das Palais des Maharadſcha von Diohore, der, wie ich ſchon erwähnte, durch feine Penfion verpflichtet ift, auf Singapore zu wohnen, und nur für fürzere Dauer einige male die Hauptjtadt feines Reichs, die wie dieſes Djohore heißt, während des Jahres befucht, um dort die Regierungsgefchäfte zu erledigen welche feine per— jönliche Gegenwart erfordern. Wir hatten Gelegenheit, fowol mit dem alten Fürften als namentlich mit feinen beiden Söh— nen Abubafar und Abdul-Rhaman näher befannt zu werben, bon denen der erjtere nach dem im Januar 1862

7*

100

erfolgten Tode feines Vaters die Herrfchaft angetreten hat. Diefe Bekanntſchaft verfchaffte uns ebenfo viele Annehm- lichfeiten, als fie uns Blicke in die Häuslichfeit malatifcher Großen thun ließ, die nicht ohne Intereffe für uns wa— ren. In den drei Perfonen des fürftlichen Haufes veprä- fentivten fich drei ganz verſchiedene Charaktere, und wenn man fie nebeneinander fah, Fonnte man kaum glauben, daß fie Glieder derfelben Familie feien. Der Fürft gehörte in jeinem ganzen Aeußern noch der alten Zeit an. Carong, Ropftuch, eine Lofe, vorn offene Gingham-Jacke und Sandalen bildeten feine Kleidung; das lange Haar war zu einem Schopfe auf dem Haupte gewunden, die Zähne fchwarz und der Mund vom Sirifauen voth gefärbt. Unanſehnlich von Geftalt und von unfchönen Zügen, machte ihn nichts als Fürften in feiner Umgebung fenntlich, und wenn er abends in der Mitte jeiner Minifter vor feinem Garten auf einem Prelliteine ſaß, hätte man ihn ebenfo gut für einen gewöhnlichen Mealaien hal- ten können. Er ſprach nur malaiiſch und hatte überhaupt alle jeine ursprünglichen Sitten und Gewohnheiten beibehalten, von denen er nur abwich, wenn er hochgeftellte Europäer bei fich ſah, wie 3. B. unfern Gefandten, der nebjt mehreren Offt- zieven des Geſchwaders von ihm zum Frühftüc eingeladen wurde.

Bei folhen Gelegenheiten" ging in feinem Haufe alles europäiſch zu, und die vollftändig dazu eingerichteten Zimmter mit Teppichen, Yautenils und Ajacou oder bengalifchen ge- ſchnitzten Möbeln, ſowie die ausgezeichnete Küche und auser- lefenen Weine ließen nicht vermuthen, daß man fich bei einem malatifehen Fürften und im Haufe eines Mohammedaners zu Gaſte befand, wenn man davon abſah, daß er felbjt von den Speifen nur Reis mit Curry genoß und den Wein nicht berührte. Die Unterhaltung konnte natürlich nur mit Hülfe eines Dol- metſchers geführt werden, den gewöhnlich der Prinz Abubafar machte, welcher fertig englifch ſprach. Diefer letztere war faft

101

in allem der Gegenfaß jeines Batere. Groß, von majeftäti- jhem Aeußern, hatte er die Sitten feines Landes nur info: weit beibehalten, als er jeinem Volke gegenüber es thun zu müffen glaubte. Er trug das Kopftuch, ven Sarong und die jeivene Jacke, aber fein Haar war furz gefchnitten, ein Schnurr- bart zierte fein männlich ſchönes Geficht, die feinfte Wäſche, Zuchbeinfleiver und Glanzitiefel feinen Körper. In feinen Zügen ſprach fich viel Gutmüthigfeit aus, aber das große dunfle Auge verrietb Muth und Energie, während in dem des Vaters ſich mehr die Liſt und Schlauheit zeigte, und mehr als einmal hat Abubafar ſchon bewiejen, daß der Ausdruck feines Auges nicht täufcht. Auf Singapore heißt er allgemein ver ZTigertödter, und diefer Beiname knüpft fich an eine von ihm verübte Helventhat, ver man unter den verweichlichten Stäm— men indifcher Völker felten begegnet. Er ging eines Tags in der Nähe von Diohore im Walde fpazieren, um mit einem Dlaferohre Kleine Vögel zu fehießen, eine Befchäftigung, die unter den malaiiſchen Großen jehr beliebt if. Als einzige Waffe trug er nur den. Kris, ein gewundenes bolchartiges Schwert, das nie von der Seite des Malaien fommt und faft immer vergiftet ift. Plötzlich erblickte Abubafar einen mächtigen Tiger kaum 20 Schritte entfernt, fertig zum Sprunge liegend. Seine Geiftesgegenwart gab ihm ein, hinter einen Baum zu jchlüpfen und dadurd dem erſten gefährlichiten An- pralle auszuweichen. Gleichzeitig ließ er aber auch feinen Sarong fallen, widelte ihn um ven linfen Arm, nahm den zweifchneidigen Kris in die Rechte und trat damit dem Unge- heuer unerfchroden entgegen, dem er nicht Zeit ließ, fich abermals zum Sprunge anzufehiden, das aber mit halbgeöff- netem Rachen und blutgierigen Augen ihn erwartete. Muthig ging er auf den Tiger los, ftieß ihm die umwickelte Linfe in den Rachen, bohrte ihm gleichzeitig den Kris in das rechte Auge, und ehe das Thier nur ein Schmerzensgebrülf erheben

102

fonnte, auch blisjchnell in die Bruft. Ob das Herz getroffen war oder das Gift des Dolches jo jchnell wirkte, jedenfalls brach das Raubthier fofort zufammen, biß in feiner Todes- angit aber noch einmal fo heftig zu, daß jeine Zähne Die ſchützende Hülle des Armes durchbohrten und tief in das Fleifh drangen, ohne jedoch dem fühnen Fürſtenſohne erheb- lichen Schaden zu thun. Ein dritter Stich in das linke Auge bewog das Thier, den Rachen wieder zu öffnen. Abubafar zog Ichleunigjt feinen Arm heraus, und es war ihm jest ein Leichtes, dem geblendeten Thiere vollends den Garaus zu machen und deſ— jen Schwanz als Trophäe feines Sieges nad) Haus zu bringen.

Auf ähnliche muthige Weife hat er fich in Verbinduug mit den englichen Behörden bei dem Angriffe und der Verfolgung malaiifcher Seeräuber benommen, die jene Gewäſſer beun- ruhigen, und eine Empörung von Chinefen in Djohore auf eine Art unterdrüdt, die lebhaft an Peliffier’s Kriegführung gegen die Kabylen in Afrika erinnert. Der alte Fürft hatte nämlich auf Betrieb Abubafar’s eine große Zahl Chinefen zur Anfiedelung in Djohore bewogen, um nach dem Beijpiele Singapores das Land durch deren Induftrie zu heben, und es waren in wenigen Jahren etwa 20000 diefer Nation der Einladung gefolgt. Einige ehrgeizige Köpfe unter ihnen glaubten die Abmwejenheit des Fürften benuten zu fünnen, um die Herrſchaft an fich zu reißen, und die Verfchwörung wäre ohne Zweifel geglüdt, wenn fie nicht einige Tage vorher verrathen worden. Abubafar eilte mit 500 feiner Getreuen nach Djohore, überrajchte die Verſchwörer bei einer ihrer Berfammlungen, griff fie jofort an, hieb drei derfelben perfünlich nieder und jagte fie in wil- der Flucht vor fich her in ein vom Meere begrenztes Dichungeln- gebüfch. Dies umftellte er an der Yandfeite, und ließ es darauf anzünden. Die Eingefchlofjenen hatten nur die Wahl, fich zu ergeben oder eines fehredlichen Todes zu fterben, jedoch faum noch die Hälfte konnte um Pardon bitten, die übrigen famen

105

in den Flammen oder im Meere um. Diejes Beifpiel bat allen Verſchwörungsgelüſten auf einmal ein Ziel gejegt, und da Abubafar, der überhaupt fein Freund der Engländer ift, fich nach dem Tode jeines Vaters von diefen emancipirt und die Penfion aufgegeben hat, auch wahrjcheinlich feine Reſidenz in Diohore aufichlägt, jo ift nicht zu bezweifeln, daß fein kräfti— ger Arın feine Herrfchaft zu befeftigen wiffen wird. Abdul— Rhaman, fein jüngerer Bruder, ift der ſchönſte Malaie, den ich je gefehen habe, aber auch zugleich der größte Dandy jeines Stammes. Während Abubafar fich von jeher die Ent- wieelung feines Landes ſehr angelegen fein ließ, Säge- mühlen und Gambirpflanzungen anlegte, lebte Abdul-Rha— man in echt malaiifcher Weile nur für den Augenblid in der Gefellichaft feiner Frauen, oder fofettirte im Bewußtfein jeines ſchönen Aeußern, das aller Augen auf fich zieht, zu Pferde oder zu Wagen auf den Promenaden Singapores. Seine Tracht ift halb malaiiich, halb europätfch, und man kann nicht leugnen, daß er es meifterhaft werfteht, durch diefe Combination fich ein malerifches Coſtüm zu Tchaffen, das eben jo gefhmadvoll als koſtbar iſt. Jedenfalls ift der Prinz Djalma in dem Sue'ſchen „Ewigen Juden‘ fein Ideal mehr, und der junge Fürſt Abdul-Rhaman von Diohore fann in je- der Beziehung mit ihm wetteifern.

Mit Abubafar wurden wir fehr befreundet und verbrach- ten höchft angenehme Stunden in feinem Haufe, das, auf einem Hügel nahe am Waffer gelegen, ganz und gar auf europäiſche Weiſe eingerichtet ift. Wie e8 an afiatifchen Hö— fen allgemeine Sitte ift, bedingt eine ſolche Freundſchaft einen Austauſch von Gefchenfen. Wir erhielten mancherlei ſchöne und intereffante Sachen. Klefantenzähne, Malakkaſtöcke von befonders langem Schuffe, ausgefuchten Thee, feidene Sa— vongs, Kopftücher aus Borneo, die deshalb ſo koſtbar find, weil das reiche Mufter auf ihnen nicht gedruct, fondern ge-

104

malt wird u. f. w. Wir vevandhirten uns mit Steveoffopen, die ein großes Interefje erregten, und namentlich machte ein Eifenbahnzug bei Nacht dem alten Fürften ungemein viel Freude, Er jowol wie Abubafar erfundigten fich angelegent- ih nach deutſchen und preußifchen Verhältniffen, nach der Verwandtſchaft unfers Königshaufes mit dem engliſchen Hofe, und beide verriethen eine große Wißbegierde.

Abubafar hatte zwar drei Frauen, aber nur Ein Kind, ein wunderhübjches Mädchen von 7 Jahren mit Namen Ka— tidja, von ſehr heller Hautfarbe, das jehr bald gegen ung zutraulich und unſer Liebling wurde. Er hegt, wie bereits bemerkt, die Abficht, ſich möglichit von den Engländern zu emancipiren und aus feinem Neiche etwas zu machen. Djo- hore liegt an der Südoſtſpitze der Halbinfel Malakka, ijt civen 110 QDuadratmeilen groß, aber nur jehr fpärlich bevölfert. Bor der Einwanderung der Chinejen zählte e8 nur 60,000 Ein— wohner, augenbliclich aber ſchon 100,000, und der neue Fürft ift bemüht, immer nene Einwanderer heranzuziehen. Die Stadt Dijohore, zu Waffer etwa vier Meilen von Singapore entfernt, ift zugleich die Hafenstadt des Landes, und die Waf- jertiefe geftattet Schiffen von 10 Fuß Tiefgang heranzukom— men. Der Hauptreichthum des Landes bejteht in Nutzhölzern, weiche die reichen Waldungen liefern. Die neuerrichteten Sägemühlen geben eine ungemein hohe Nevenu, und die An— pflanzungen von Pfeffer und Gambir wachen beträchtlich von Jahr zu Jahr. Neis gedeiht ausgezeichnet und wird bereits ausgeführt, während die Berjuche mit Zucker ebenfalls jehr günftig ausgefallen jind.

Dieje Nefultate ermuthigen den jungen Fürſten zu andern neuen Unternehmungen, und e8 ift zu wünfchen, daß jeine Be- ftrebungen für die Givilifation und Hebung des Landes jtets von gleichen Erfolge gefrönt fein mögen. Es ift diefe Politik zugleich das befte Mittel, das Yand vor der Annectirung an

105

europäifhe Colonien zu bewahren, der die übrigen hin- terindifchen Staaten allmählich verfallen müſſen, weil fie fich nicht entjchließen fünnen, den Weg der Civilifation zu betreten, die unaufhaltfam vorwärts drängt, bis fie früher oder ſpäter die ganze Erde umfpannt haben wird.

Eine jehr ſchöne Photographie des Fürften Abubafar, welche er mir nebſt einem Stereoffop feines Haufes bei meiner jpä- tern Rückkunft nach Singapore zum Andenken fchenfte, wird mir ftetS eine angenehme Erinnerung an dieje interefjante Perfönlichkeit und die Stunden fein, die ich in feiner Gefell- ſchaft verlebte.

Am 27. Auguſt war unſer Schiff, für Indien ganz außerordentlich ſchnell, wieder ſo weit reparirt, daß es ſeine Weiterreiſe antreten konnte. Leider war jedoch faſt die Hälfte unſerer Mannſchaft am Fieber erkrankt, das um dieſe Jahres— zeit auf Singapore herrſcht, und wenn das Uebel auch durch— aus feinen gefährlichen Charakter hatte, zwang es uns doch, noch acht Tage auf der Rhede zu verbleiben, ehe wir unjere Weiterreife nach Japan antreten fonnten. Erft am 4. Sep- tember gingen wir zu diefem Zwecke in See.

T.

Der Teufun, das Schreden der öftlihen Meere. Die Monjuns. Un- tergang des Frauenlob. Charakter der Siüdfüfte Chinas. Hongkong als engliihe Colonie und Bankplag. Die Kaufmannsfürften. Ent- widelung des deutſchen Handels und der Rhederei in China. Die Stadt Victoria. Katholiſche und proteftantifche Miffionare.

Die erjten 14 Tage unjerer Reife boten nichts Bemerkens— werthes dar. Der Südweſt-Monſun wehte fehr ſchwach und brachte uns durchſchnittlich kaum 20 Meilen vorwärts. Da fein Wechjel in den halbjährlichen Nordoftwind jedoch gewöhn— (ich erft im October eintritt, hofften wir noch vor der Zeit Japan zu erreichen. Am 17. September änderte fich aber plötslich das bis dahin ruhige und angenehme Wetter. Der Wind fprang auf Nordoft und wurde ftürmifch, die Luft begann ein drohen- des Ausfehen anzunehmen, die See lief in außergewöhnlich hohen Wellen und unbeftimmten Richtungen, und dieſe Anzei— hen, in Verbindung mit einem jtarfen Fallen des Barometers, verfündeten das Anrücden eines jener furchtbaren Stürme, die, der Schreden aller Seeleute, dem Chinefifchen Meere eigen find und nach dem chinefifchen Namen Zeifung, Mutter der Winde, von uns Teufun genannt werben.

Es find Wirbelftürme, die gewöhnlich in Dften beginnen, entweder in gerader Linie oder auch in der ſüdlich oder nörd— (ich gebogenen Curve vorwärts fchreiten, mit einer alles Denf- bare übertreffenden Furie wüthen und meiftens 24 Stunden,

107

jelten über zwei Tage anhalten. Wehe dem unglücdlichen Schiffe, das in ihre Nähe kommt oder wol gar ihr Centrum berührt. Ein folches Schiff ift faft ausnahmslos verloren und kann nur durch ein Wunder feinem Untergange entgehen. Im günftig- jten Falle verliert e8 jeine Maften, und nur große und ftarf gebaute Kriegsschiffe können einen Teufun bisweilen mit ge- ringerm Verluſte beftehen.

Bis vor zwanzig Jahren wußte die Seefahrt fein Mittel, diefem ſchrecklichen Feinde zu entgehen oder, wenn ein Schiff von ihm überrafcht wurde, wenigjtens das Centrum des Wir- beljturms zu vermeiden. Dem englifchen Oberjt Reid gebührt der Ruhm, durch die Auffindung diefes Mittels ver Schiffahrt einen Dienft erwiefen zu haben, für den ihm jeder Seemann zu tiefem Danke verpflichtet jein muß. Durch Beobachtung der Or- fane auf den Bermudas, deren Gouverneur er war, entdedte er, daß diefe furchtbaren Naturerfcheinungen beftimmten Geſetzen unterworfen find, daß ſie fich ftetS nach einer gewifjen Rich— tung drehen, und in einem werthvollen Buche „The Law of Storms” legte er die Reſultate feiner fo überaus wichtigen Forſchungen der erjtaunten Mitwelt vor. Redfield, Dove, Piddington u. a. vervollftändigten diefe Forſchungen und be- jtätigten ihre Nichtigkeit. Praktiſche Beobachtungen in beiden Hemifphären unterftütten die Theorie, und nicht allein die Or- fane, Zeufune und fonftigen zufälligen Stürme, ſondern auch alle andern Winde wurden demfelben Drehungsgefege unter- geordnet, obſchon dieſe letztere Thatſache weniger für die Na- vigation als für die Wiffenfchaft im allgemeinen von Wich- tigfeit war.

Für die Seeleute fommen hauptfächlich nur folgende Punkte in Betracht. Faft alle Stürme des Ervenrunds, namentlich aber die an gewifje Gegenden gebundenen Orkane, Teufune vu. f. mw. find Cyklone oder Wirbelftirme. Ein fich drehender Windförper bilvet das Centrum, das fich in einer beftimmten

108

Richtung vorwärts bewegt und je nach der Heftigfeit feiner Drehung mehr oder minder die umgebenden Luftfchichten in feinen Wirfungsfreis zieht und ihnen Bewegung mittheilt. Danach wird der Durchmeffer des ganzen Sturms größer oder fleiner, und zwar ift ein Kleiner Durchmeffer gefährlicher, weil er unvermuthet die Schiffe überfällt. In der nördlichen He- miſphäre dreht fich das Centrum gegen die Sonne, d. h. von Dit beginnend durch Nord und Welt nach Süden. Auf der üblichen Halbfugel findet das Gegentheil ftatt. Alle in den Bereich des Centrums gezogenen Xuftichichten oder Winde wehen als TZangenten auf das Centrum und diefe Thatfache ift für den Seemann am wichtigften, infofern fie ihn in ven Stand jett, die Richtung des Centrums zu feinem Schiffe feſtzu— jtellen. Er befinde fich 3. B. auf der Nordſeite des Aequa- tors mit Nordoitwind und allen Anzeichen eines Teufun. Dann liegt das Centrum des Wirbelfturms in ver Richtung der Tangente oder um einen Viertelkreis vechts von ihm, wenn er fich mit dem Gefichte dem Winde zufehrt, mithin in Südoſt, oder, wenn er auf der ſüdlichen Hemifphäre jegelt, um einen Vier— telfreis linfs, d. h. in Noromweit. Das Nächte, über das er fich jest vergewiffern muß, ift ver Weg des Centrums fowie deffen Entfernung von ihm. Der Weg ergibt fi aus dem Wechſel des Windes. Stürme der angegebenen Art bewegen fich mit einer Durchichnittsgejchwindigfeit von 15—16 Knoten oder vier geographifchen Meilen in der Stunde, während jel- ten ein Schiff, das fich bereits in ihrer Peripherie befindet, mehr als die Hälfte fegelt, es fei denn gerade vor dem Winde. Mit Ausnahme des Einen Falles, wo der Teufun dem Schiffe gerade entgegenkommt oder genau in feinem Curfe folgt, wird fich daher die relative Yage des Centrums zum Schiffe jchneil verändern. Demgemäß wird auch der Wind mechjeln, und zwar um fo fchnelfer, je näher man fich dem Centrum be: findet. Es fei z. B. ver Wind Nordoft, das Centrum mit-

109

hin Südoſt und circa 100 Meilen entfernt. Das Schiff ftenere Nordweſt, während der Wind feit ftehen bleibt und nur ftündlich bei ſtets fallendem Barometer an Wuth zunimmt. In diefem Falle ift es Kar, daß der Teufun dem Curſe des Schiffes folgt und e8 in fehs bis acht Stunden überholt haben wird. Das einzige Rettungsmittel ift jet, dem Cen— trum aus dem Wege zır fegeln, und zwar im rechten Winfel davon ab, um fo fchnell als möglich aus feinem Bereiche zu fommen. Nah Dften kann man nicht wegen des Windes, mithin ift Südweſt der rettende Curs. Iſt andererjeits der Wind Nordoft und fpringt nach und nah auf Oſt, Südoſt, Süd u. f. w., fo gilt dies als Zeichen, daß man fid) auf der rech- ten Seite des Sturms befinde oder daß das Centrum Südoſt, Sid, Südweſt und Weit peilt, alfo ſüdlich vom Schiffe vor- beimarjchirt und diefes fich mit dem Nordwejtcurje davon entfernt. Dann ift e8 Aufgabe, den Curs noch nördlicher zu jtellen, je nachdem der drehende Wind es geftattet, und im rechten Winkel von der Bahn des Sturms abzufegeln.

Es erjcheint kaum glaublih, daß nach zwanzigjährigem Bekanntwerden diefes fo überaus wichtigen Gejetßes und ven aus ihm gefolgerten einfachen Regeln es immer noch eine Menge Seeleute gibt, die entweder zu nachläffig find, fich darum zu kümmern, oder in ftarrer Ignoranz geradezu die Sache verlahen. Wir felbft haben einen fchlagenden Beweis davon gehabt. An jenem 17. Sept. befand fich kurz vor dem Ausbruche des Teufun ein englisches Transportichiff bei ung, mit dem wir gegenfeitig Flagge zeigten. Nachmittags wehte e8 bereits fo hart, daß die Marsfegel dicht gevefft werden mußten. Der Wind war Norvoft, blieb hartnäckig jo, und der Zeufun Fam offenbar hinter ung her. Der Engländer drehte bei, ſodaß er ven Wind von der Iinfen Seite hatte und unter Sturmfegeln langfam nach Siüvden trieb, ein Manöver, das total verkehrt war, weil er fi damit dem

110

nördlich marfchirenden Centrum näherte. Wir hielten dage— gen ab und fegelten vor dem Sturme mit 11—12 Rnoten Gefchwindigfeit nach Südweſten. Nach ſechs Stunden fing das Barometer an zu fteigen, die See wurde regelmäßiger und überhaupt das Wetter beffer. Zugleich begann der Wind fich rechts zu” drehen. Wir mußten alfo, daß wir uns auf der rechten Seite des Teufun befanden und letterer nicht direct nach Nordweſten gehe, fondern fich jett in einer Curve jüdlich ziehe. Ein fernerer ſüdlicher Curs würde uns ihm mithin wieder genähert haben, und wir brehten demgemäß unter den Wind, ſodaß wir den Wind von der rechten Seite hatten und nach Norden trieben. Wir hatten die Nacht hin- durch zwar noch jchweren Sturm, verloren aber nichts, wo— gegen jener Engländer einen Monat jpäter, während wir. Ichon drei Wochen ruhig in Hongkong lagen, dort ohne Ma- jten und faſt als Wrack eingebracht wurde. In demjelben Teufun waren noch drei andere Schiffe entmaftet worden und zwei gänzlich verloren gegangen. In dem gejchilderten Falle hatten wir genügenden Seeraum, um fortzulaufen. Es wer- den jedoch auch öfters Schiffe von Teufunen, namentlich von folchen mit kleinem Durchmefjer, die urplößlich erjcheinen, an Stellen überrafcht, wo Land oder Klippen ihnen das Fort- laufen verbieten. Dann ift freilich nichts weiter zu machen, als das Schiff auf der richtigen Seite unter den Wind zu bringen, um wenigſtens fich fo weit wie möglich vom Centrum des Sturms zu entfernen. Damit ift menfchlicher Macht die Grenze gezogen und das Schiff der Gnade Gottes überlaffen.

Ein jolcher Fall betraf, wie wir fpäter in Hongfong er- fuhren, die Dampffregatte Arfona und den Schooner Frauen- (ob auf ihrem Wege nach Japan. Die Arfona hatte den Schooner im Schlepptau und befand fich bereits nahe vor dem Eingange der Bai von Jeddo, als plötlich ein ſchrecklicher Teufun mit Meinem Durchmeffer über die Schiffe hereinbrach,

111

die wegen der gefährlichen Nähe des Yandes nicht entrinnen, fondern nur beidrehen fonnten. Der Sturm begann morgens vier Uhr, erreichte feinen Höhepunft gegen Mittag und war nachmittags bier Uhr ganz vorbei. Die Arfona Hatte jehr ge- litten, fit hatte mehrere Stunden auf der Seite gelegen und nur dadurch ihre Maften behalten, daß es ihr endlich gelang, mit Hülfe der Mafchine über den andern Bug zu kommen (den Wind von der andern Seite zu erhalten). Der arme Schooner dagegen war verloren, und man hat nie wieder et- was von ihm gehört. Wahrjcheinlich hat ihn eine der furdt- baren Seen, die in den Teufunen vegellos von allen Seiten laufen und 30—40 Fuß phramidal in die Höhe fteigen, mit ihrem Zufammenbrechen erdrückt und in die Tiefe gezogen, ein fchmerzliches Opfer, das die Expedition den Clementen zu bringen hatte. Zweiundvierzig Menfchen, darunter ſechs Dffiziere und Beamte, famen dabei um.

Die japanifche Negierung ſchickte ein Dampffchiff aus, um Spuren des verunglücten Fahrzeuges aufzufuchen, aber weder vom Frauenlob noch von dem Dampffchiffe felbit ward je etwas wieder entdect. Ein zweiter Teufun am 9. Sept. begrub auch das abgeſchickte Dampfichiff im Meere, ebenſo wie die eng- che Kriegsbrigg Camilla, die fich in jenen Gewäſſern befand.

Der September ift der jchlimmfte Monat. Der Wechfel der Monjuns, die Nequinoctien und die Perigäen des Mondes jcheinen bei der Erzeugung von Teufunen neben den Hiteaus- ſtrömungen der großen afiatifchen Ebenen eine bedeutende Rolle zu jpielen. Im Sahre 1860 famen drei Teufune im Monat September vor, die nicht nur auf dem Meere, ſondern auch an den Küften der von ihnen heimgefuchten Länder furchtbare Ver— heerungen amrichteten. Sie treten auch in andern Monaten auf; vom December bis Mat find fie jedoch noch nie beobach- tet worden.

Das einzige gewiſſe Anzeichen von der Nähe diefer ge-

112

waltigen Phänomene ift das Barometer. Bisweilen fällt daf- jelbe jchon 24 Stunden vorher, faſt immer aber fo zeitig, um den vorjichtigen Seemann zu warnen. Langjährige Beobach- tungen haben aus dem Fallen außerordentlich nütliche Regeln abgeleitet, nach denen man feinen Abjtand vom Centrum mit ziemlicher Sicherheit ſchätzen und danach feine Maßregeln tref- fen kann. ©o zeigt ein durchjchnittlicher Fall von 0"’,02—0",06 Zoll in der Stunde eine Entfernung von 7O—40 geographi- ihen Meilen, von 0’06—0"08 40—25, von 008-012 25—20, von 0"12—0'15 20—10 Meilen an. Wehe je- doh dem Schiffe, das ſich in diefer Nähe des Centrums be- findet, e8 tft faft regelmäßig verloren. Bisweilen füllt das Barometer bis 27 Zoll, und wahrfcheinlich ift dieſe plößliche Veränderung des atmoſphäriſchen Drudes die Urſache, daß die Wellen in folchen Wirbelftürmen eine jo außergewöhnliche Höhe erreichen und eine phramidalifche Form mit faft ſenk— rechten Wänden annehmen, wodurch fie den Schiffen fo ge- fährlich werden. Ebenſo erklärt fich dadurch der heftige See- gang, der als Vorläufer eines Teufun oder Orkans bis- weilen fhon 24 Stunden vor feinem Ausbruche die Schiffe warnt, während blauer Himmel und das fchönfte Wetter Feine Gefahr ahnen Lafjen.

Der von uns glücklich vermiedene Sturm bezeichnete den MWechfel des Monſun, der in diefem Jahre ungewöhnlich früh und mit größerer Heftigfeit als ſonſt einfette. Wir verfuch- ten noch mehrere Tage gegen ihn anzufämpfen; allein der ftür- miſche Nordoft erlaubte uns nicht, fo viel Segel zu führen, um durch Laviren die nach Südweſt laufende Strömung zubekäimpfen. Wir fuchten deshalb unferer Drdre gemäß, die dieſen Fall vorgeſehen hatte, ven Hafen von Hongkong anzuſegeln. Dort wollten wir fo lange bleiben, bis der Monfun feine vegelmä- Bige Stärfe erreicht haben würde, und dann unfere Kreuztour nach Sapan fortjegen.

115

Wir nahten der Küfte Chinas etwa 20 Meilen weftlich von Hongkong bei der St. Johns-Inſel, die vor dem Aus- fluffe des Tſchukiang oder Perlfluffes Tiegt, und an dem Kanton erbaut if. Hier fanden wir Schuß gegen ven nördlichen Wind und kreuzten dicht unter dem Lande, um die Gegen- ftrömung zu vermeiden, oſtwärts.

Der Anbli der chinefifhen Küfte ift nicht erfreulich. Sie erhebt fich als eine hohe Mauer, oder als eine von aller Vegetation entblößte Felfenfette fteil aus der Tiefe, und die vielen vor ihr zerjtreut liegenden Inſeln bieten denfelben troft- Iojen Anblid. Keine Spur von Grün war zu entdeden. Die Sonne brannte glühend auf die kahlen röthlichen Bafaltfelfen und Kegel hernieder, die, in ven ſonderbarſten Zaden und Formen gejtaltet, ver Kiüfte einen Anftrich von vomantifcher Wildheit geben, ohne daß dieſe Wildheit durch ein Anzeichen von Eultur gemildert oder dem Auge angenehm wird. Erſt in der Nähe von Hongkong, das in der Mitte einer Inſel— gruppe gelegen ift, änderte fich Die Scenerie etwas und zeigte fich freundlicher. Als wir dann am 21. Sept. an der Nordſeite von Hongkong entlang nach Victoria, der Hauptſtadt der Infel, fegelten, wurden wir Durch den Tieblichen Anbli der mit frifchem Grün befleideten Felfen, der hochcultivirten Thäler und endlich der bedeutenden in europäiſchem Stil erbauten Stadt mit ihren palaftähnlichen Häufern, ihren Parks und umgebenden Gärten reichlich für die Dede der übrigen Küften entjchädigt.

Hongkong oder mit der richtigen Aussprache Hoong-Reang (d. h. der rothe Gebirgsftrom) ift eine ſechs Meilen öſtlich vom Ausfluffe des Perlftrons gelegene Inſel von circa 5 Quapratmeilen Umfang und nahe dreiediger Form, deren etwas concade Baſis dem Feitlande von China zugefehrt und bon diefem nur durch eine Meerenge von A-5000 Schritt Breite getrennt ift. Das Eiland ift wie die ganze Südküſte

Werner. I. 8

114

und alle übrigen Infeln vulfanifcher Formation, gebirgig, fteil aus dem Meere aufjteigend und hat feine chinefiiche Benen- nung von einem Sturzbache erhalten, ver fich in ver Nähe der Stadt Victoria über die mit einer röthlichen Thonfchicht bevedten fenfrechten Felswände in das Meer ergießt. Die Meerenge, welche fich durch Vorfprünge des Feftlandes an der Nordoft- und Noroweitfeite der Inſel zu einem engen Fahrwaffer von faum 600 Schritt Breite zufammenzieht, bil- det bei ihrer gleichmäßigen Tiefe und den umgebenden hohen Bergen einen der jchönften, geräumigiten und gejchätteften Häfen von ganz China.

Bis 1841 war die Infel ebenfo öde, fahl und unbewohnt wie die um fie zerftreut liegenden Gruppen. Die Engländer wurden zuerft auf fie aufmerffam, als beim Ausbruche des erften Opiumfrieges im Jahre 1840 der Commiffar Lin jeden Handel mit England unterjagte, und die im Perlfluffe vor Kanton verfammelten englifchen Handelsjchiffe einen Plat in der Nähe fuchten, wo fie den Berlauf der Dinge abwarten fonnten. Der Hafen von Hongkong nahm fie auf. Die pracht- volle Lage dejjelben, feine Vertheidigungsfähigfeit jowie die Möglichkeit, von hier aus den Perlfluß zu überwachen und zu fchliegen, ließen den Beſitz der Infel ſowol als militäri- ichen Poften wie auch als Handelshafen jehr wünfchenswerth erfcheinen, ſodaß ihre Abtretung in die Friedensbedingungen aufgenommen ward. Der erjte vorläufige Friedensſchluß er- folgte am 20. San. 1841, und ſchon am 26. deffelben Monats wurde Hongkong in Befit genommen und zur englifchen Colonie erklärt.

Damals war die Infel von 50—60 armfeligen Fifcher- Familien bewohnt, deren gebrechliche Hütten am ande zer- ftreut lagen, heute nach 21 Jahren zählt Hongkong nicht we— niger als 100,000 Einwohner. Hunderte von Schiffen aller Nationen beleben feinen Hafen. Dods, Werften, Babrifen

115

und fürftlich gebaute und eingerichtete Häufer befunden ven Reichthum und die Induftrie feiner Bewohner. Diefer Schnelle Auffhwung gibt Zeugniß von dem praftifchen Blick der Eng- länder, die in dem Befite diefes Punktes deſſen balviges Auf- blühen und große Zufunft vorherjahen.

Hongkong hat feinen divecten Handel; es exportirt weder noch führt es nennenswerth ein, jondern es ijt der Bankplat für den gefammten chinefiichen Handel und gewinnt Dadurch jo große Bedeutung. Die großen Handelshäufer haben hier ihren Wohnfig aufgefchlagen, weil es bislang der einzige Plas in China war, der Sicherheit des Eigenthums bot. In den verjchievenen chinefischen Küſtenplätzen, die dem europäi- ichen Handel offen ftehen, wie Kanton, Swataru, Fusticha-u, Ningpo, Schang-hae und Tientſin, beftehen nur Commanditen, während Hongkong als Geldplatz der Kreuzpunkt des geſamm— ten chineſiſchen Handels iſt, die Reſidenz der merchant prin- ces, Kaufmannsfürjten, wie hier die Chefs der großen Häu— jer genannt werden. Und wahrlich, fie find die Fürften der Kaufmannswelt, weiche fich die unbedingte Herrichaft über den Handel erworben haben, welche die Preife machen, die Geldcurſe regeln, und deren Unternehmungsgeift mit Hülfe der großartigen pecuniären Mittel, über die fie gebieten, com- merzielle Transactionen hervorruft, von denen wir auf dem Sontinent von Europa feine Vorſtellung haben.

Das größte diefer Häufer iſt Jardine & Eo., deren Grün- der ein fchottifcher Kaufmann war; die Herren diefer Firma befrachten nicht allein jährlich Hunderte von Schiffen, fondern bejigen noch 30—40 eigene Fahrzeuge. Sie haben eigene Werften, Dods, Mafchinenfabrifen, ihnen gehört faft ein Biertheil der Infel und fie laffen wie kleine Souveräne ihr Eigenthum durch eine bewaffnete Macht bejchüten.

Ihre Schiffe, namentlich die mit den chinefifchen Küften verfehrenden Opiumfahrzenge, find wie Kriegsjchiffe bewaffnet

8*

116

und bemannt. Den Hauptbeweis für die Großartigfeit ihrer Handelsbeziehungen bietet jedoch die Thatfache, daß fie fich zwei eigene fchnellfegelnde Dampfichiffe ver größten und ſchön— jten Art einzig zu dem Zwede habe bauten laffen, um die Poftverbindung zwiſchen Hongkong und Singapore, bisweilen auch Bombay, einerfeits und den nordchinefifchen Häfen an- dererjeitS für ihre eigenen Briefe aufrecht zu erhalten. Diefe Dampfichiffe nehmen weder Fracht noch Briefe für andere Leute an, jondern befördern nur Paſſagiere. Lebtere müſſen iedoch nach Anfunft des Schiffes noch 24 Stunden länger an Bord bleiben, um die neuen Nachrichten nicht zum Nachtheile der Schiffseigenthümer zu früh zu verbreiten. Wenn die Ueberlandpoft in Singapore eintrifft, oder, wenn wichtige Nachrichten erwartet werden, ſchon in Bombay, liegt dafelbjt eins dieſer Dampffchiffe bereit, um die Briefe der Firma Sardine & Co. nach Hongkong zu Schaffen. An Tekterm Drte befindet fich das zweite Dampffchiff, welches unverweilt die Correfpondenz des Haufes weiter nach ven verjchiedenen Küftenplägen befördert. Auf diefe Weife gefchieht e8, daß das erwähnte Haus rücjichtlich der Nachrichten der regelmä- ßigen Poft um zwei bis drei Tage voraus ift. Man kann fich denken, von welcher Wichtigkeit für ein folches Handelshaus der Vortheil fein muß, die politifchen Nachrichten und Han— delsconjuneturen aus Europa um einige Tage früher zu er- fahren als die übrige commerzielle Welt. Es fommt 5. B. die Nachricht, Thee oder Seide in England fei jo und fo viel geftiegen. Sofort wird von den Agenten des Hauſes von beiden Artikeln aufgekauft, was irgend zu haben ift, und bei Ankunft der Poſt haben die übrigen Häufer das Nachjehen. Nur der unermeßliche und fichere Vortheil, der aus biefer befchleunigten Benachrichtigung hervorgehen mag, kann es erflären, daß das Haus im Stande ift, zwei Dampffchiffe, die ein Kapital von 1 Mill, Thalern vepräfentiven, beitän-

117

dig unterhalten zu fönnen, ohne damit direct einen Pfennig zu verdienen.

Die Rivalen von Jardine & Co. find die Engländer Dent & Co. Diefe haben diefelbe Einrichtung mit den Dam- pfern getroffen, deren einer, wie ich zufällig weiß, 700,000 Tha- lex gefoftet hat, und deffen Unterhalt monatlih, wenn er in der Fahrt ift, 25,000 Thaler beansprucht. Solche Summen mö- gen unglaublich erfcheinen, wenn man aber bedenkt, daß die Schiffe darauf berechnet find, Taufende von Meilen mit einer Schnelligkeit von 15 Knoten (3%, deutſche Meilen per Stunde) gegen den ftürmifchen Nordoftmonfun zu dampfen, wird man es begreiflich finden. Es ift natürlich, daß niemand mit den beiden Häufern conceurriven kann. Um einen Begriff zu ge ben, welch Rolfe die merchant princes im gefellfchaftlichen Leben fpielen, fei hier die Thatfache evwähnt, daß Dent & Co. jährlich 50000 Pfd. St., mithin über 325,000 Thaler einzig für ihren Haushalt in Hongkong verausgaben, worin aller- dings das Gehalt für das gefammte Perfonal einbegriffen it.

Der engliihe Handel ift in Hongkong wie an der ganzen chineſiſchen Küfte natürlich der bedeutendſte, da ſich England durch die verfchiedenen Kriege zuerſt Vortheile gefichert und fie ausgebeutet hat. Nach ihm fommt der amerifanifche und dann zumächit der deutſche. Ich betone dies, da es in Deutſchland, wenigjtens im Innern, durchaus nicht befannt it, daß unfer Handel und unfere Aheverei fich in China eine jo große Bedeutung errungen haben, namentlich die letztere. Dies ift um fo anerfennungsmwerther, als der Ausbreitung unjers DVerfehrs feine militärische Schusmacht zur Seite jtand und unfer Handel fich nur durch eigene Kraft empor— Ihwingen fonnte. Namentlich hat fich derfelbe feit den letten fünf Jahren gehoben, und die Abjendung der deutfchen (preu— ßiſchen) Geſandtſchaft rechtfertigt fich gewiß, wenn man er- fährt, daß vom Januar bis Ende September 1860 allein

118

95 hanſeatiſche Schiffe mit einem Gehalt von 43,776 Tonnen im Hafen von Hongkong einliefen, und bis zum Schluffe des Jahres noch einige zwanzig mit circa 11,200 Tonnen erwartet wurden. Bon andern deutfchen Schiffen waren theils ange- fommen, theils bis 1861 noch erwartet, 55 Schiffe mit 30,000 Tonnen (die Tonne 2,000 7 Zollgewicht); ferner deutfche Schiffe, die unter dänischer Flagge zu fahren haben (Holfteiner), etwa 45 mit 25,000 Tonnen. Dies gibt für ein Sahr über 200 Schiffe mit 110,000 Tonnen, eine Zahl, die allein an Werth der Schiffe ein Kapital von mindeftens 6 Millionen Thalern rvepräfentirt. Nechnet man dazu die Ladung mit dem doppelten Werth, was gewiß nicht zu hoch gegriffen ift, fo curfirt in China deutſches Eigenthum im Werthe von 20 Millionen Thalern, ohne bis jeßt auch nur die geringfte Ausficht auf Schuß zu haben, der bei den un- geregelten Zuftänden des von Nevolutionen erfchütterten und am Vorabend einer großen politifchen Umwälzung ſtehenden Landes dringend nöthig fein dürfte.

Der Anwachs des deutfchen Verfehrs wird natürlich von Engländern und Amerifanern mit neidifchen Augen betrachtet, da diefe nicht verfennen, daß wir uns allmählich einniften und ſie auf friedlichen, aber defto ficherern Wege, wenn auch fehr langfam aus ihren Pofitionen, die fie al8 Monopol betrachten, zu verdrängen beginnen. Wie in Nord- und Südamerika wird deutſche Koncurrenz allen andern Nationen auch hier gefähr- fich, und wenn vorläufig auch nur die deutſche Rhederei dabe; im Vordergrunde fteht, fo läßt fich doch mit Gewißheit voraus— iehen, daß ein Vertrag mit China und die Einfeßung eines mit eigener Yurisdietion ausgerüfteten Diplomaten, dem in der Stationirung eines Geſchwaders in jenen Gewäſſern auch die Mittel zu Gebote ftehen, feinen Worten den erforderfi- hen Nachdruck zu geben, dem fo mächtig fich regenden Un- ternehmungsgeift in Deutſchland einen neuen Träftigen Im—

119

puls verleihen und die deutſchen Kaufleute veranlafjen wird, ihre Aufmerkfamfeit einem Lande zuzuwenden, deſſen gewal— tige Bevölferungszahl von 360 Millionen Einwohner für ven Abſatz unferer industriellen Producte die beiten Aussichten bietet.

Namentlich fcheint gerade jetzt der günftige Augenblid für die Entfaltung des deutjchen Handels gefommen zu fein. Im Einklang mit den letten Friedensbedingungen find drei neue Häfen am Jang-tſe-kiang eröffnet, unter denen Hankau, etwa 120 deutſche Meilen ftromaufwärts liegend, der nörd- lichfte und beveutendfte ift. In allen drei Häfen find engli- ihe Conſuln eingefegt, und nach dem Vertrage, der ung den begünftigtiten Nationen gleichitellt, haben auch wir das Necht, dort Eigenthum zu erwerben, und wir follten ung die Chancen nicht entgehen laffen, fogleich durch Anfnüpfung von Handels— verbindungen und Gründung deutſcher Häufer zu concurriren. Den gefammten chinefifchen Küftenhandel haben bereits vie Deutichen in der Hand, und es war fehr erfreulich für mich, in einem Blatte der Hongfong Shipping Gazette eine Notiz zu lefen, nach der in Einer Woche für elf Küftenfrachten zehn deutſche und nur ein englifches Schiff gechartert waren. Die- fer Umftand macht befonders die Amerifaner uns fehr unge- neigt, da fie früher die ganze Cabotage hatten. Wie wir von Amerifanern und ſelbſt vom amerifanifchen Conſul in Hong- fong äußern hörten, hat diefe Nation ihr Möglichites gethan, um den Abſchluß unfers Vertrags mit Japan zu hintertrei- - ben. Wenngleich ihr dies glüclicherweife nicht gelungen: ift, fo fcheint doch wenigftens die lange Verzögerung der Ver- handlungen und der nur einfeitig mit Preußen ftatt mit dem Zollverein erfolgte Tractat durch Intriguen mit herbeigeführt zu fein. Preußiſche Schiffe befuchen nämlich am wenigten die chinefischen Gewäffer, und wenn die auferpreußifchen von dem VBertrage ausgefchlojfen wurden, fo hatten die Ameri- faner in Japan weniger Rivalen zu fürchten.

120

Der Bortheil, den die Deutfchen in der Küftenjchiffahrt errungen, liegt hauptfächlich in ihrer Perfönlichfeit den Chi- nefen gegenüber. Während Amerifaner und Engländer fowol die chinefifchen Kaufleute als die Paſſagiere auf eine brutale Weife behandeln, fie nicht viel beffer als Neger anfehen und fich dadurch bei ihnen verhaßt machen, erblicken die gebilve- tern und humanern Deutfchen in ihnen nur Mitmenjchen, mit denen fie wie mit ihresgleichen freundlich umgehen. Die- jen Unterſchied wiſſen die Chineſen jo wohl zu würdigen, daß fie, wenn irgendein deutsches Schiff zu haben ift, ganz be- jtimmt daffelbe allen andern Nationen vorziehen. Ja, wenn ein deutfches und ein fremdes Schiff für diefelbe Tour ge- chartert werden, erhält das deutjche faft regelmäßig eine höhere Fracht, und aus demjelben Grunde faufen deutſche Kaufleute häufig billiger als. andere.

Die Stadt Victoria liegt an der Nordſeite der Inſel Hongkong. Sie ijt unmittelbar am Waffer und am Fuße eines 1500 Fuß hohen Berges erbaut. Die Wahl des Punktes war nicht glüdlih. Der Berg verfchließt im Sommer den Zugang des Süd- und Weftwindes, und die glühenden Sonnenftrahlen find nicht nur unerträglich, fondern begünftigen auch die Erzeugung von Miasmen, die den Gefunpheitszuftand der Inſel jehr beeinträchtigen. Zwar bot das überall frei und geſund gele- gene Macao für die reichen Bewohner ſtets einen Zufluchts- ort, feine Entfernung griff jedoch jtörend in die Gefchäfte ein, und wenn die Kaufleute auch ihre Familien im Sommer dort- hin ſchickten, mußten fie doch ſelbſt zurücbleiben und ihre Ge— ſundheit risfiren. Es gefchah alles Mögliche, um das Klima vou Bictoria zu verbeffern. Große Parkanlagen und Baumpflanzun- gen wurden gefchaffen, und man muß ftaunen, mit welcher Ener- gie die Engländer auf dem fahlen Felfen die üppigſten Wälder erstehen ließen. Wenn dies auch nicht verfehlte, einen heil- famen Einfluß zu üben, blieb das Klima im Sommer immer

121

noch fehlecht, und namentlich litt das als Garnifon ver Stadt an. fie gefejfelte Militär trog aller Ventilation und zweck— mäßigen Einrichtungen in den SKajernen, der Bekleidung u. |. w. bedeutend. Das fernere Aufblühen ver Colonie er— ſchien deshalb beeinträchtigt, und die Engländer ergriffen daher mit Freuden die Gelegenheit, um im letzten Friedensſchluß zu Peling fih das Hongkong gegenüberliegende Kaulung an ver Südküſte Chinas zu fichern. Wenngleich fie den Franzofen gegenüber alles gethan haben, um dieſe an der Befitergrei- fung irgendeines chinefiichen Territoriums zu hindern, find fie doch gegen fich felbit nicht jo Itreng gewefen. Die Ab- tretung der etwa zwei Duadratmeilen großen Küftenftrede, die den Monfuns zugänglich und gefund gelegen ift, machte eine der Separatbedingungen des Friedens von Peking aus. Zwar wurde den Franzofen die Abtretung als Kauf angezeigt, aber es ijt in Hongkong ein öffentliches Geheim- niß, daß der Acre nur mit einem Penny bezahlt wurde. In diefer Art zu kaufen find die Engländer überhaupt ftark, und eine Menge ihrer Colonien haben fie fehr billig auf folche Weiſe erivorben, gegen die fich formell nichts einwenden läßt. Während des lebten chinefischen Krieges. waren bereits die Lager der von Europa kommenden Berjtärfungen auf Kaulung aufgejchlagen; jetst ijt ein Sanitarium dort erbaut, die Gar- nifon wird hinüberverlegt, und bei unferer legten Anweſenheit (Ende 1861) war man ftarf befchäftigt, Neubauten aufzuführen. Bald wird fich auf dem chinefifchen Feftlande eine blühenpe englifhe Stadt erheben, die nicht verfehlen kann, fich durch weitern Ankauf auszudehnen, und deren Territorium vielleicht Ihon in wenigen Jahren, ftatt zwei, zwanzig Quadratmeilen umfaßt.

Victoria ift eine europäifche Stadt. Sie befitt ſchöne, breite gepflafterte Straßen, auf denen der Conftabler herrfcht. Neben der chinefiichen Sänfte rollen elegante englifche Equi-

122

pagen über das Pflafter; Gas verbräugt die dunfle Nacht. Das unvermeidliche Elubgebäude erhebt fich in palaftähnlichem Stil in der Nähe des Landungsplatzes, und die verjchiedenen Wohnungen der Kaufleute reihen fich ihnen würdig an. Hoch oben von der Mitte des Berges fhaut, vomantifch gelegen, aus freundlichem Grün die Reſidenz des Gouverneurs auf die zu ihren Füßen liegende Stadt und auf einen mit fehatti- gen Alleen umpflanzten freien Plat, der fih unmittelbar am Waſſer hinſtreckt, und von diefem eine erfrifchende Kühle empfängt. Hier ift der Sammelpla der Bewohner auf ihren Abendfpaziergängen, wo fie entweder der wöchentlich einige mal fpielertven Militärmufif laufchen, oder auch den gymnaſtiſchen Uebungen und Spielen zujchauen, welche von den Engländern jo geliebt werden und ihre ebenfo gefunde wie interejfante Unterhaltung bilden. Den linken öftlichen Flügel der Stadt nehmen die verfchienenen Fabrifgebäude, Werften und PVorrathshäufer ein. Bei der großen Menge Schiffe, die Hongkong befuchen und jeinen Hafen zu Hunder- ten bevölfern, herrfcht hier in den Wochentagen ein ungemein reges Leben. Tauſende von chinefifchen Arbeitern und Kulis wogen durcheinander und von einer terraſſenförmig am Berge hingeführten Promenade genießt man eine höchit belohnende Ausficht auf das Gewühl in diefen auf einen engen Raum zufammengebrängten Gejchäftslofalen, auf ven von Schiffen und Tauſenden won Booten belebten Hafen, die, nur von chi- nefifchen Frauen gerudert, unter deren gejchidten Händen pfeilfcehnell über das Waller gleiten, und auf die vröthlichen Velfen des Feftlandes, die fich in fchroff gezadten Contouren iharf am Abendhimmel abzeichnen, während weit im Hinter- grunde ein bläulich gefärbter Höhenzug allmählich im Hori- zonte verſchwimmt.

Weſtlich ſchließt fih an Victoria der chinefifche und bei weitem größte Theil der Stadt, in dem die betriebfamen Söhne

123

des Himmlifchen Neihs ihren Wohnfis aufgefchlagen haben ımd als echt confervative Nation in echt chinefifcher Weife ihren tanfendjährigen Weberlieferungen gemäß haufen.

Der Europäer hat hier die befte Gelegenheit, die Gegen- ſätze des afiatifchen und europäifchen Lebens zu jtudiren. Wenige Schritte bringen ihn hier aus einer mit allen natio- nalen Eigenthümlichfeiten ausgeftatteten englifchen in eine echt chinefifche Stadt, die fich von denen auf dem Continent nur durch die von englifcher Polizei erziwungene größere Reinlich- feit auszeichnet, auf die aber fonft die nahe Nachbarfchaft und der tägliche Umgang mit den Fang-Kwei oder ‚‚auslän- diſchen Teufeln‘‘, wie die Chinejen alle Europäer nennen, nicht den geringften Einfluß geübt hat.

Ein Theater gibt es in Victoria noch nicht, ebenfo wenig fonjtige öffentliche Bergnügungsörter, da jeder Punft des ohnehin befchränften Raumes zu Handelszwecen dienen muß. Trotzdem fehlt e8 nicht an Unterhaltung. Sänger und Sän— gerinnen, Virtuojen aller Art, Kunſtreiter und Afrobaten be- juchen auf ihren Neifen auch Hongkong, Pferderennen und Regattas werden abgehalten, und an Zweckeſſen fehlt es eben- falls nicht. Die Gefelligfeit ift jehr groß; man fommt abends zwanglos bei: dem einen oder andern zufammen und findet ftetS offenes Haus. Die Deutfchen, deren es in Hongkong einige fechzig den höhern Schichten der Geſellſchaft angehö— rige gibt, haben einen Club und halten brüderfich zuſammen. Wir müfjen ihnen das Zeugniß geben, daß wir jelten ein fo freundliches Entgegenfommen und eine jo vüchaltslofe Gaft- freumdfchaft gefunden haben wie hier bei unfern Landsleuten, wofür diefelben hiermit noch einmal unſern herzlichiten Dank annehmen mögen.

Victoria ift durch Strandbatterien genügend befetigt, um jeden Angriff abzufchlagen; der Hafen wird aber jedem Feinde vollftändig gefchloffen fein, wenn die am gegenfeitigen Ufer

124

bereits in Angriff genommenen Werfe vollendet find. Am änßeriten öftlihen Ende der Stadt erheben fi nahe am Waſſer zwei ziemlich hohe Hügel. Auf dem einen ift das Militärhofpital erbaut, auf dem andern liegen die Gebäude der deutſchen Miffion. Yetstere fteht hier eben nicht in gro- gem Anfehen, ebenjo wenig wie die englifche und amerifanifche. Man wirft diefen Anftalten Mangel an Eifer vor, und jeden- falls dürfen fich alle drei feiner großen Refultate rühmen. Die Jeſuiten und andere fatholiihe Miffionare jollen beffere Erfolge erzielen, weil fie in das Innere gehen, fich dort nie- verlaffen, im Aeußern ganz Sitten und Gewohnheiten der Shinefen annehmen, jahrelang unter ihnen und in ihren ärm— fihen Hütten wohnen und allem Verkehr mit der Außenwelt und den früher gewohnten Kreifen entfagen. Soviel ich den Charakter der Chinejen kennen gelernt habe, iſt dies jeboch nicht allein die Urfache, weshalb die Fatholifchen Miſſionen mehr Konvertiten machen; vielmehr, glaube ich, haben fie vor den proteftantifchen ven Vorzug, weniger orthoder und abjtract zu fein. Die Chinefen find ein ſehr finnliches, zugleich aber ein jehr praftifches Volk. Kommen Keligionslehrer zu ihnen, die mit drafonifcher Strenge von vornherein ihre Fehler ver- dammen, unnachfichtlich ihre finnlichen Neigungen verurtheilen und dafür nur die von jeder äußern Form entfleideten abftrac- ten Yehren einer Religion bieten, die mit ihrem bisherigen Irrglauben in jo grellem Widerſpruch fteht und für das Auf- gegebene feinen fichtlichen Erſatz bietet, der ihrer Lebensrich— tung annehmbar oder verſtändlich erjcheint, jo darf es nicht wunder nehmen, wenn die Bemühungen folcher Befehrer von fo geringem Erfolge gefrönt find.

Die Jefuiten verfahren nicht auf diefe Weile. Abgefehen davon, daß die fatholifche Neligion fih in ihren Formen dem faft nur aus Geremonien beftehenden Cultus der Chine- jen, mag diefer Buddhaismus oder Taoismus heißen, weit

125

mehr als die proteftantifche nähert und fchon dadurch ven Chi— nefen weniger fremd erfcheint, treten auch ihre Mifftonare ohne Schroffheit und mit kluger Nachficht auf. Das Be— ſtreben verfelben geht zugleich dahin, ihre Schüler praftifch von der größern Bollfommenheit der chriftlichen Religion dadurch zu überzeugen, daß fie den Beweis führen, wie Chriſtenthum und Civilifation voneinander untrennbar find. Und das ift meiner Anficht nach der einzig richtige Weg, um dem Chriftenthume in China die Wege zu bahnen, wenn es nicht mit Feuer und Schwert gefchehen foll, was dem Geifte unferer Religion widerfpricht. Im 16. und 17. Jahr— hundert waren überall in China Jeſuiten, und man rechnete die Zahl der durch fie befehrten Chriften über eine halbe Million. Sie Ichlugen genau denfelben Weg wie ihre jeßi- gen Nachfolger ein, indem jte die Chinefen zu überzeugen fuchten, daß der Miffionare überlegene Kenntniffe, denen felbft der Kaifer Anerkennung zollte, die Folge einer Civilifation wären, welche nur unter dem Banner des Chriftenthums ge- deihen könnte. Alle Erfindungen, alle Berbefferungen, die fie in China einführten und deren Nütlichfeit das Volk lebhaft empfand und würdigte, ftammten aus chriftlichen Ländern, und das umausgejette Streben der Yejuiten in dieſer Nichtuug nöthigte endlich den Chinefen eine Achtung vor den Europäern ab, welche die Mifjionare ſtets auf die Religion zurüdführten und fo zu deren Verbreitung benutten. Leider veranlaßten Greigniffe, deren Erörterung hier zu weit führen würde, eine Berbannung der Miffionare aus China, die fait 200 Sabre gedauert hat, und damit fiel das jo mühfam won denfelben aufgerichtete Gebäude wieder zufammen.

Bor einigen Jahren verfuchte ein deutjcher protejtantifcher Milfionar denfelben Weg einzufchlagen, wurde aber von fei- nen ftarr orthodoxen Amtsbrüdern fo verfegert, daß er aus ihrem Verein fchied und in die Dienfte der englifchen Negie-

126

rung trat, wo ihm jett als Infpector jämmtlicher chinefifcher Schulen in Hongkong ein angemeffener Wirfungsfreis eröff- net ift.

Die Infel Hongkong ift wegen ihrer faſt Fegelförmigen Gejtalt nur an den Küften bewohnt. Außer Victoria ift noch die Stadt Aberdeen an der wejtlichen Seite der Infel gegrün- det, die jedoch faum 4—6000 Eiwohner zählt, und wo fich nur wenig Europäer aufhalten. Hier befinden fich die den Her- ren Jardine & Co. gehörigen, in Fels gehauenen drei Troden- docks, die jo groß find, dap fie Sregatten aufzunehmen vermögen. Nicht weit davon liegt eim chinefifches Dorf Little Hongkong oder KHlein-Hongkong, das von etwas Wald umgeben ift und als romantifchjter Punkt der Inſel öfter von Pickenickpartien auf- gefucht wird. Der dorthinführende Weg quer durch die Infel und über die Berge ift ziemlich bejchwerlich und fo fteil, daß man weder reiten noch fahren fann, fondern entweder zu Fuße gehen oder fich in Sänften tragen laffen muß. Dies lettere iſt über- haupt wegen der bergigen Bejchaffenheit der ganzen Infel das gewöhnliche Transportmittel auf Hongkong und verjieht die Stelle ver Drojchfen. Auf einigen diefer Pickenicks, die von unfern Zandsleuten uns zu Ehren veranftaltet wurden, hatten wir ein Cortege von 50 Sänften mit nicht weniger als 200 Kulis zum Tragen, da bei den jteilen Höhen zwei Träger für eine Sänfte nicht genügen. Derartige Partien erfcheinen dem Europäer großartig und fürftlich, aber fie ftimmen nur mit den Berhältniffen, die in DOftindien Herrchen, und an die man fich erſt gewöhnen muß, da fie von dem unfern fo un- gemein abweichen.

8.

Die Bocca Tigris, ihre Forts und Kanonen. Die Uferlandfhaften am Perlfluffe. Die Bagoden, Hafenftadt Whampoa. Kanton, die Kapi- tale des Südens. Bedeutung und Gefchäfte der Stadt. Städtemauern in China. Bauart der Chinefen. Innere Einrichtung der Häufer. Hausgeräth. Gärten. Die Gefhmadsrihtung der Afiaten.

Unſer Aufenthalt in Hongkong dauerte etwas über fünf Wochen. Wir benutzten dieſe Gelegenheit, um ſo viel wie möglich von China zu ſehen und Land und Leute kennen zu lernen. Eine tägliche Dampfſchiffahrtsverbindung zwiſchen Hongkong und Kanton erleichtert den Beſuch der letztern Stadt, und wir ließen es uns nicht entgehen, davon den beſten Gebrauch zu machen.

Sch werde im Nachſtehenden verſuchen, die Eindrücke wie— derzugeben, die der Beſuch dieſer mächtigen Stadt auf mich gemacht hat. Manches, was ich ſchildern will, mag mit den Wahrnehmungen anderer Reiſenden durchaus nicht überein— jtimmen. Indeſſen China ift das Land der Gegenfäge, nnd wenn ich vielleicht öfter gerade das Gegentheil von dem wahr- genommen haben jollte, was andere Reiſende vor mir beob:- achtet, jo ijt dies eben nur eine Folge der Wiverfprüche im hinefiichen Charakter, den der eine fo, der andere fo fernen gelernt hat. Aus eben diefem Grunde habe ich meine Beob- achtungen erſt niedergefchrieben,. nachdem ich bereits auch

123

den Norden Chinas gefehen und mich an dem verfchievenen Pläten des Landes faft ein Jahr lang aufgehalten hatte. So glaubte ich meinen Urtheilen die Einfeitigfeit benehmen und denjelben die möglichite Objectivität fichern zu können.

Die Dampfichiffe, welche die Verbindung zwifchen Hongkong und Kanton vermitteln, find amerifanifche. Die Tour foftet exelufive Beföftigung 13Y, Thaler oder 9 Dollars. Man legt die 25 deutjche Meilen betragende Strede in 7—9I Stun- den zurüd, je nachdem man es mit der Flut oder Ebbe trifft.

Kanton, oder wie es auf chinefifchen Karten heißt: Kwang— tung Sangtihin, die Hauptitabt der Provinz Kwangtung, liegt am linfen Ufer des Tichufiang oder Perlfluffes und 15 geographifche Meilen von Hoomun (d. i. Tigermund) oder ver Bocca Tigris entfernt, welche Mündung von den Ehinejen als die des Stromes betrachtet wird, während wir Europäer dieſe noch zehn Meilen füdlicher bis über Macao hinausverlegen. Die Bocca Tigris, bei welcher ich der Fluß durch die Einbie- gung beider Ufer und durch einige Inſeln bis auf 2—300 Schritt verengt, hat ihren Namen von den Portugiefen erhal ten, welche in den Umriffen der einen Infel die Geftalt eines Tigerfopfes mit gedffnetem Rachen erfennen wollten.

Bis zu diefem Punkte ift der Weg von Hongkong aus fehr traurig. Der bereits gefchilperte Charakter der chinefifchen Südküſte fett fich bis hierher ohne Abwechjelung fort, und nur bier und dort erfreut ein Fleckchen Grün das durch fo viel Dede ermüdete Auge, wo am Ausfluffe eines Kleinen von den Ber- gen viefelnden Baches Fiſcher ein Dorf gebaut und fo viel Humus gefunden haben, um ein paar Bäume zu pflanzen, die feine chinefifche Anfiedlung entbehren zu können jcheint. Der einzige Troft für ven Reiſenden ift, daß er mit dem Ichnellen Dampffchiffe diefe langweilige Strede von zehn Mei- len in drei Stunden zurüclegt. Mit dem Paffiren der Bocca fteht er ſich ſodann von einer freundlichern Scenerie umgeben.

129

Die Bocca jelbjt macht von weiten einen ſehr impofanten und Friegerifchen Eindrud. Die beiden vorfpringenden Yand- ſpitzen, welche fie bilden, und welche die Ausläufer zweier Höhen— züge find, die in der Vorzeit die Ufer des Berlflufies ein— dämmten, fallen von einer Höhe von einigen hundert Fuß ziemlich fteil gegen den Fluß ab, und ebenfo fühn erheben sich die drei im Fahrwaſſer gelegenen Injeln. An ihrem Abhange find nicht weniger als acht verſchiedene Forts gebaut, deren einige über SO Gefchüte zählen oder vielmehr zählten, und welche beftimmt waren, die Deffnung des Tſchukiang den Kriegsfahrzeugen der „‚rothhaarigen Barbaren’ zu ver- ichließen. Wenn man die weißen Mauern dieſer Feftungs- iwerfe und deren unzählige Schießicharten, die das Feuer ihrer Geſchütze ſämmtlich auf das enge Fahrwaffer concentriren, aus der Ferne fieht, jo glaubt man, daß jedes Schiff dem uns fehlbaren Untergange geweiht fein muß, welches verfuchen wollte, diefen Eingang zu foreiren. Bei nähern Heran- fommen erklärt es fich jedoch leicht, wie die Engländer ſchon verjchievene male diefe furchtbaren Batterien zum Schweigen bringen und fie mit verhältnigmäßig geringem Verluſte ſchließ— lih ganz zerſtören fonnten.

Wie in allen andern Dingen find die Chinefen auch in der Kriegsfunft jtationär. Im ihrer dünkelhaften Ueberhebung über alle Nationen, die namentlich unter der jetigen Dynaſtie genährt und auf ihren Höhepunkt gefchraubt ift, verſchmähen fie hartnädig die Annahme von Neuerungen und Verbefjerun- gen, und ihre Befejtigungsfunft befindet fich nahezu auf dem— jelben Standpunfte wie vor 1000 Jahren. Ihre Mauern und Feitungswerfe waren urfprünglich gegen Pfeile und Wurf- gefchoffe afiatifcher Nomadenvölker errichtet und find für vie moderne Artillerie nur infofern geändert, als in der Krone Schießſcharten für Geſchütze eingefchnitten wurden. Ebenſo iſt ihre Artillerie felbjt auf der Stufe ſtehen geblieben, auf

MWerner. 1. 9

150

welche fie, nach der Eroberung des Landes durch die Tata— ren, ber berühmte jefuitifche Miffionar Pater Verbieft, ein Deutfcher, erhob, der im Jahre 1681 für den Zatarenfaifer Kanghy mehrere hundert Kanonen goß. Dbwol e8 unzwei- felhaft fejtiteht, daß ſchon 500 Jahre früher das Schiegpulver in China befannt war, benußte man e8 zu Kriegszweden doch nicht eher als im Jahre 1621, und jene Gefchüge waren die erjten, welche im Lande gefertigt wurden.

Außerdem find die Forts an der Bocca fänmtlich jo an- gelegt, daß jede über fie hinmweggehende Kugel von den un- mittelbar hinter ihnen fteil aufjteigenden Felswänden aufge: fangen wird und von hinten in die Batterieen hineinprallen muß, wodurch die Bedienungsmannjchaften, die ohnehin aus unfriegerifchen Leuten beftanden, vdemoralifirt wurden. In Anbetracht diefer Umjtände ijt es erklärlich, weshalb nur we- nige Lagen einiger englischen Fregatten dazu gehörten, um dieſe mittelalterlichen Befejtigungen für immer zum Schweigen zu bringen. Beim Beginn des letten Krieges wurden fie Durch die franzöfifch- englifche Flotte gänzlich zerjtört, und ſämmt— liche Gefhüte, 600 an der Zahl, genommen. Die eingejtürgten Mauern liegen jett in ihren Ruinen harmlos da. Wie alles in China, find auch fie bei dem erjten gewaltjfamen Anjtoße morſch zufammengebrochen, und die Erjchütterung hat Die Zer- jtörung des faiferlichen Palaftes in Peking nach fich gezogen.

Ienjeits der Bocca Tigris nimmt die Gegend einen ganz veränderten Charakter an. Die Höhenzüge treten in weiten Bogen in das Land zurüd, md eine reich cultivirte, im üppig— jten Grün prangende Allıwialebene dehnt fih vor ung aus, jo weit das Auge reicht. Hunderte von Dörfern, von mäch- tigen Bäumen befchattet und theilweife in ihrem Grün ver- jtect, liegen an den Ufern des Fluffes oder zwijchen ven üppig ſchwellenden Neisfeldern zerftreut, Taufende von ſchwer— fälligen Dſchonken und leichtern Booten bevölfern den Tſchu—

151

fiang, der, in ununterbrochener Yinie zu beiden Seiten mit Fruchtbäumen eingefaßt, fich durch die reiche Landſchaft win- det. Ueberall erhält man den Eindrud, daß man eins der fruchtbarjten und prachtvolfiten Yänder der Welt betreten hat. Reich und mannichfaltig iſt Die Scenerie, obwol jie weder etwas Romantijches noch etwas Grofartiges bietet. Die nur jpärlih von Teifen Erhebungen unterbrochene Ebene ift das Bild des Friedens: ein wogendes Feld reiht ſich an das an— dere, Taufende von gejchäftigen Menſchen heimjen die Früchte ihrer Arbeit ein, und vor den Dörfern thürmen fich die Korn- garben zu Bergen. Hochbeladen damit ziehen Schiffe und Boote zur Hauptftadt, die wir zwar jelbft noch nicht jehen, deren Nähe fich aber durch das immer vegere Treiben auf den Wegen, durch die immer zahlreicher ſich ſammelnden Fahr— zeuge fund gibt, und deren Hintergrund, von den Chinejen das Gebirge der Weißen Wolfe genannt, am Horizont emporfteigt. Mit liegender Eile trägt uns das Dampffchiff durch die üppige Landjchaft. Bald find wiederum 10 Meilen zurück— gelegt, und wir erblicken jett am rechten Ufer des Fluſſes eins jener merfwürdigen Gebäude, die, eine Eigenthümlichfeit Chi- nas, in dem ganzen weiten Neiche verbreitet find. Cine der drei Pagoden, welche vor Kanton das rechte Ufer des Perl- flufjes ſchmücken, erhebt fi) vor unfern Bliden. Ihre ein— geftürzte Spite, die hohen Bäume, welche ihre Krone zieren und auch, aus den verſchiedenen Galerien hervorfproffend, wie Laubengänge das verwitterte Gemäuer des mächtigen Thurms umgeben, zeugen von dem hohen Alter diefer Baudenkmäler, deren Bedeutung und Urfprung wir vergeblich zu entziffern juchen und die vielleicht nicht einmal ein Chinefe fennt. Die einen jehen in ihnen die Verewigung großer gefchichtlicher Thatjachen, die andern verknüpfen damit die Einführung der Budphareligion in China. Sie follen urfprünglich als Thürme von Tempeln erbaut fein, und auch jett trifft man bei vielen 9*

132

buddhaiſtiſche Klöfter und Tempel an. Der Umftand, daß fait alle fieben Stockwerke haben, wird mit den fieben Ver— wandlungen Budoha’s, die nach chinefifchen Begriffen bis jetzt jtattgefunden Haben, in Verbindung gebracht, während vie neunftöcigen, deren es in Nanfing, Peking und Kanton gibt, als eine myſtiſche Anfpielung auf die neun Incarnationen Wiſchnu's gelten, als welcher Buddha in Indien betrachtet wird. Sei dem wie ihm wolle, immerhin bleiben diefe Bau— werfe, die fich oft über 200 Fuß in chlindrifcher Form mit fonifcher Spite erheben, merfwürdige Reliquien der alten Zeit, und es ift unverzeihlich von der jetigen Dynaſtie, daß fie feit ihrer Thronbeſteigung nichts gethan hat, um dieſe Denfmäler, die von den chinefifchen Herrfchern mit befonderer Pietät in Stand gehalten wurden, vor dem DBerfalle zu jhügen. Allmählic beginnen fie den Einflüffen der Zeit zu unterliegen. Stein für Stein brödelt ab, der Regen dringt in die Spalten, manche kann man ohne Lebensgefahr nicht erftei- gen. Nach einem Jahrhundert werden nur noch wüjte Stein- haufen die Stellen anzeigen, wo diefe mächtigen Säulen viele Sahrtaufende den Stürmen der Zeit Troß boten. Man fteigt im Innern der Pagode zu ihrer Spite hinauf. Die einzel- nen Stocdwerfe find durch Treppen verbunden; jedoch muß man merfwürbigerweife jedesmal auf die Galerien hinaus— treten und einen Halbfreis um die Pagode befchreiben, ehe man durch eine Art Thür in der Mauer zu der nächften Treppe und auf ihr zum folgenden Stodwerf gelangt.

Die zweite Pagode fteht in der Nähe von Whampoa, einer Fifcherftadt, die jedoch für die Europäer infofern von Bedeu— tung ift, als fich hier der eigentliche Hafen von Kanton, we- nigjtens für europäifche Schiffe befindet. Theilweiſe bietet von hier bis Kanton die Schiffahrt wegen der vielen Wen— dungen des Stroms und feiner reißenden Schnelligkeit große Schwierigfeiten, theils auch haben die bedeutend geringern Ha—

133

fenabgaben die Handelsjchiffe bewogen, hier zu anfern und fich mit Booten ihre Ladung von Kanton herunterfommen zu laf- fen. Whampoa bildet ein jonderbares Gemifch von euro- päifcher und zugleich echt chinejifcher Stadt. Ein unordentliches, willfürlich nebeneinander gejettes Conglomerat von elenden Hütten erhebt fich auf Pfählen aus dem Fluſſe und macht bei der Ebbe den Einprud, als ob es auf Stelzen im Sumpfe watete. Dieje Hütten find oft jo Klein wie Käfige, und man befommt hier zuerft einen Begriff von der Anſpruchsloſigkeit der Chineſen und ihrer öfonomifchen Naumbenugung, wenn man fieht, daß in einem Bogelbauer von faum 200 Kubiffuß Ge- halt Familien von acht bis zehn Perfonen wohnen. Mitten dazwijchen ragen hohe eiferne oder gemauerte Schornfteine in die Lüfte empor, aus denen dichte ſchwarze Rauchwolfen hervorjteigen, während das ächzende Pulfiren eines Fleinen Kohrs daneben in regelmäßigen Abſätzen weißen Wajfer- dampf ausſtößt und das Arbeiten einer europäischen Dampf: mafchine verkündet. Sie pumpt das Waffer aus einem Trockendock, in das joeben ein reparaturbedürftiges Schiff eingelaufen. An diefe Dods, deren fi drei in Whampoa befinden, reihen fich die Iuftigen und leicht zuſammengeſchla— genen Godowns oder Wanrenlager fpeculativer Kaufleute, die durch die Bedürfniſſe ver Schiffahrt ein Vermögen erwerben. Faſt auf Meilen Tieft man die gigantifchen Buchjtaben ihrer Schilder. Wie nirgends in der Welt, fehlt auch hier nicht der Deutfche, und der Name Müller erweckt neben einem Lä— cheln zugleich ven Gedanfen an die Heimat. Auch die Chi- nejen jcheinen den Nuten von Schildern begriffen zu haben und verfünden in englifcher Sprache, daß hier Tſchai Tſcheong, genannt „ver lahme Sad’, als most excellent tailor for gentlemen fein Atelier aufgefchlagen, und dort Ahoy, genannt „Sechsfinger‘‘, bereit ijt, alle fremden Silbermünzen on the most profitable terms, was natürlich nur auf ihn felbft

154

Bezug hat, gegen chinejifches Scheng oder Kupfergeld einzu- wechjeln, welches jo ſchlecht ift, daß felbft die Chinefen ver- ſchmähen, e8 zu fälfchen.

Die Umgebung des Städtchens iſt reizend. Nördlich von ihm erhebt fich ein fanft anfteigender Hügel, der als Begräb- nißplat dient und den Eindruck eines freundlichen Gartens macht. Mit der befannteu Pietät der Chinefen für ihre Ver— jtorbenen ift jeder Grabhügel jorgfültig im Stande gehalten und mit Bäumen und Blumen gefhmüdt. Damit das in der Regenzeit herabjtrömende Waſſer die Gräber nicht be- Ihädige, ift der ganze Abhang des Hügels terrajfirt und durch Rinnen für den Abfluß geforgt. Auf den andern Seiten rahmen Reis- und Gemüfefelder das Städtchen ein, und auf den Kanälen, die hinter ihm im reichlicher Zahl das Land wie ein Net durchweben, ſchwimmen Hunderte von Dichonfen, deren breite dunkle Mattenfegel angenehm mit dem umgeben- ven Grün contraftiren.

Wir erreichten Kanton gegen Abend, nachdem wir die Zour von 25 Meilen diesmal in acht Stunden zurücgelegt hatten. Ich hatte mir ein anderes Bild von der Stadt ge- macht, die in Europa einen fo hohen Grad von Berühmtheit erworben, welche die zweite Stadt des weiten chinefiichen Reiches ift und über eine Million Einwohner zählt. Erſt als wir ganz nahe Famen, konnten wir überhaupt ven der Stadt etwas erbliden, und dies war jedenfalls unfern Er- wartungen nicht entjprechend. Allerdings entwickelte ſich vor unfern Blicken allmählich ein unendliches Häufermeer, allein jeine Sleichmäßigfeit fchließt alle Schönheit aus. Der ſüd— wejtliche Theil bot nır einen Haufen von Ruinen und Trüm- mer; feit dem letten Bombardement der Alliirten, das die— fen Theil der Stadt in Afche Tegte, ift nichts für feine Wie- verherftelfung gefchehen. Seine Bewohner, man fügt eine Biertelmillion, find in entfernte Provinzen ausgewandert,

155

und die geſchwärzten Mauerpfeiler der niedergebrannten oder niedergefchoffenen Häufer ftechen in ihrer lautloſen Ruhe und püftern Einfamfeit merkwürdig gegen das rege Gewimmel und laute Treiben der dichtgeprängten Menjchenmafjen ab, die auf den Flüffen und Kanälen, auf den Wegen und Tel dern umher wie ein Bienenfchwarm durcheinander wegen.

Der übrige Theil der Stadt ift eine faft ununterbrochene Fläche von grauen Dächern in gleicher Höhe. Nur drei Pa- goden erheben fich als einzige hohe Punkte aus dem ermü- denden Niveau, und im Nordojten findet das mwandernde Auge einen Ruhepunft an der „Weißen Wolfe”, welche Kan- ton an dieſer Seite begrenzt und bis 1200 Fuß aus der endlofen Ebene als Höhenzug emporfteigt.

Die berühmten europäifchen Factoreien jind nicht mehr. Auch fie wurden beim Bombardement niedergebrannt, und die ausländiichen Eonfulatsflaggen wehen ſeitdem auf befcheivenen Gebäuden, die ſich am rechten Ufer des Fluffes unmittelbar am Waffer und Kanton gegenüber auf der Infel Honan er— heben, welche zwei Arme des Perlfluffes bilden. Urfprünglich zu Waarenlagern beftimmt, find fie proviforifch in Wohnungen der Europäer verwandelt, aber jo beſchränkt, daß dieſe nicht einmal ihre Familien bei ſich haben Fönnen.

Das Dampfichiff anferte in der Nähe dieſer Gebäude un— weit der Fleinen Feljeninfel, die unter dem Namen Trend) Folly in allen englifch-chinefischen Kriegen eine Rolle gejpielt hat. Folly, ſei hier bemerkt, ift nicht das englifhe Wort für Thorheit, wie es öfters überſetzt ift, ſondern pie chinefifche Corruption des Wortes Fort, Feſtung. Die Werfe find jedoch jet vafirt, und die Fleine Infel Liegt unbenugt und unbe wohnt ba.

Unfere Anfunft gab den Impuls zu einer ebenjo originel- len als belebten und interefjanten Scene. Hunderte ver Flei- nen Fährboote, von denen die Flüffe Chinas, namentlich der

136

Tichufiang bei Kanton, wimmeln, und die von ihrer eiförmigen Geftalt den Namen Tanken oder Eierhäuschen führen, flogen mit Windeseile von allen Seiten auf das Schiff zu, jobald der Anfer gefallen war. Jeden Augenbli erwartete man, das eine oder andere überfahren over zerjchmettert zu feben, aber mit wunderbarer Gewandtheit wußten die rudern- den Frauen jeden Anftoß zu vermeiden und mit ihren langen Rudern den Booten jede gewünfchte Richtung zu geben, ohne deshalb ihr Ziel, vie Treppe des Dampfihiffs, außer Augen zu laffen, und ſchon auf dreißig, vierzig Schritt den Reiſenden ihr Fahrzeug zur Paffage anzubieten. Ich Habe jelten eine fo fchnelle Expedition von Reiſenden gejehen. Im Zeit von fünf Minuten waren ſämmtliche Bafjagiere, etwa 50 an ver Zahl, mit ihrer Bagage ausgefchifft. Die beladenen Boote wanden fich wie die Schlangen durch die Scharen der übrigen, und auch wir ſahen uns, ehe wir es dachten, bei den Fuc- toreien ausgefegt, wo unfere deutfchen Freunde unferer harrten.

In Kanton gibt e8 Feine Gafthäufer; man ift lediglich auf die Gaftfreundfchaft der dort wohnenden Europäer an— geiwiefen, und diefe wurde uns bei den dortigen deutſchen Kauf- leuten auf die herzlichite Weife zu Theil. Aber nicht nur eine ungemeine Saftfreundfchaft erwieſen uns unfere Yands- leute, fondern fie führten uns auch mit der unermüdlichiten Aufopferung ganze Tage lang in der Stadt umher, zeigten uns alles nur ivgend Intereffante und theilten uns ihre lang- jährigen Erfahrungen in der apitale des Südens über ven Sharafter der Bewohner und deren Eigenthümlichkeiten mit. Auf diefe Weife jahen wir von Kanton fehr viel, wahrjchein- fich mehr als die meiſten Reiſenden, und faßten manches auch mit einem andern und bejjern Verftändniß auf, indem unfer ftiebenswürdiger Begleiter, Herr Menke, uns ftets bereitwillig Auffchlüffe gab.

Kanton ift eine der äÄlteften Städte im füplichen China

137

und hat feit feiner Erbauung ebenfo wie das ganze chinefiiche Keich die wechjeloolliten Scicjale erlebt. Seine Gründung fowie feine ursprüngliche Lage und Benennung reichen bis in die mythologiſche Zeit der chinefifchen Gefchichte und find deshalb ſchwer zur bejtimmen. Jedoch dürfte es nicht ohne Intereffe fein, einen furzen Abriß der Gefchichte der Stadt zu vernehmen, wie fie die chinefifche Chronif, die wenigſtens ſeit den fetten 2000 Jahren auf Glaubwürdigkeit Anſpruch machen darf, erzählt. |

Um das Jahr 2150 vor Chrifto lebte der berühmte König Mai, der noch jetzt wegen feiner Weisheit und großen Herr- ſchertugenden in China als das Mufter aller Könige gilt. Er war der vorlegte König der zweiten Dhnaftie, welche den Thron Chinas innehatte und unter dem Namen der „fünf Fürften‘ in den Annalen verzeichnet jteht. Dem Anfchein nach hat er den bis dahin in Barbarei verjunfenen Süden Chinas mit den Segnungen der Civilifation befannt gemacht und ihn mit dem Norden vereinigt. Er befahl einem feiner Minifter, fich nach Nangfeai, das damals die Stelle von Kanton einnahm, zu begeben und bies jo wie das umliegende Land zu regieren. Faſt taufend Jahre lang wird dann der üblichen Staaten in der Gefchichte faum erwähnt. Erſt 1123 v. Chr., unter der vierten, ver Schang-Dynaſtie, welcher die Heas vorangegangen waren, treten fie wieber in ben Vordergrund und werden als tributäre Staaten des Kaifers von China aufgeführt. China beftand damals aus einer Reihe kleinerer Bafalfenreiche, die oft miteinander Krieg führten, dem Kaiſer viel Sorge machten, und namentlich war ed der Süden, der am wenigſten geneigt fchien, feine Ober— herrichaft anzuerkennen, bis endlich im Jahre 630 v. Ehr., unter der fünften, der Tſchan-Dynaſtie, der Süden gänzlich unterjocht und mit dem Norden zu Einem Neiche verſchmolzen wurde. Einen intereffanten Einblick in die Culturgeſchichte jener Zeit

158

gewährt die Natur des Tributs, den nach der Chronik die Bro- vinz Kanton und andere ſüdliche Staaten lieferten. „Einige brachten Krabben und Fröfche “, heißt es in den Annalen, „an— dere Schlangen und Heujchreden.‘ Sch weiß nicht, ob noch jetzt Heujchreden in China gegefjen werden; jedenfalls find aber die drei andern Thierarten jehr beliebt. Fröſche fehlen auf feiner gutbefetten Tafel. Krabben bilden nebſt Fifchen einen Hauptnahrungszweig der untern Klaffen, und Schlangen- fleifch Tiebt der EChinefe fehr. Wie alle andern Berhältniffe fcheint daher auch die Geſchmacksrichtung in China feit Jahr— taufenden jtattonär geblieben zu fein.

Das jetige Kanton ſoll nach den chinefifchen Gejchichts- forfhern unter Nanwang, einem der legten Kaifer ver Tſchau— Dimaftie, ver 150 Jahre v. Chr. regierte, gegründet fein und urfprünglid den Namen Nan-wo-tſching, die Friegerifche Stadt des Südens, geführt haben, obwol fie nur von einer aus Bambus und Moraft aufgeführten Mauer umgeben war. Anfänglich Klein, ſcheint fie allmählich erweitert und mehr als einmal nach verſchiedenen Punkten verlegt worden zu fein. Ebenfo hat die Stadt wie China jelbft zu verſchiedenen Zei- ten verfchiedene Namen gehabt, die ihr theils nach ihrer Yage, theils infolge anderer Anläffe beigelegt wurden. Einer der erften Namen, unter denen Kanton auch jest noch öfter in Büchern erjeheint, iſt Yangtſching, „die Stadt der Ziegen- böcke“. Der Sage nach erjchienen einft fünf Genien in der Stadt. Sie famen aus Imdien auf Ziegenböden geritten, welche alle werfchieden gefärbt waren, und ebenſo trugen fie Gewänder von umgleichen Farben. Jeder der Böcke hielt einen Büfchel Kornähren im Maule und bot fie dem Volfe dar, während die Genien folgende Worte fprachen: ‚Mögen Hungersnoth und Mangel nie eure Märkte heimſuchen.“ Dar— auf verichwanden fie fpurlos, und die fünf Ziegenböde ver— wandelten fich in Steine. Nach diefem Creigniffe wurde die

139

Stadt auch gleichzeitig „Stadt der Genien‘ genannt und einer ihrer Tempel heißt noch jetzt „Tempel der fünf Genien“. Lettere find inihm abgebildet, und zu ihren Füßen liegen die in Stein verwandelten Böcke, die jedoch als ſolche ſchwer zu fennen find.

Im Iahre 250 v. Chr. unter Thin=tfche-wang muß der Süden arg revoltirt haben. Der Kaifer ſchickte nicht weniger als 500,000 Mann, um ihn zu unterjochen. Der Kampf dauerte drei volle Jahre; jchlieglich wurden jedoch die Kaifer- lichen vollftändig aufgerieben, und die Aufrührer unterwarfen fich erft 201 v. Chr. dem Gründer der Han- Dynaftie. Seit diefer Zeit ſcheint „die Friegerifche Stadt des Südens‘ fich mehr den Künften und Befchäftigungen des Friedens zuge- wendet umd in der Induſtrie große Fortſchritte gemacht zu haben. Unter Zinfin, dem ,,friegerifchen Monarchen“, im Sahre 540 n. Ehr., ſchickte die Stadt ein Stück jehr feines Tuch als Tribut dem Kaiſer. Diefer war jedoch mit ver luxuriöſen Feinheit des Stoffes fo unzufrieden, daß er es zurückwies und die Berfertigung fo Fojtbarer Stoffe in Zu- funft verbot. Um diefe Zeit herrfchte fchon ein reger Verkehr zwifchen Kanton und den verjchiedenen Völferfchaften Indiens, aber erjt unter der Tang-Dynaſtie im Jahre 700 n. Chr. wurde in der Stadt ein regelmäßiger Marft für ausländischen Handel eröffnet und ein Faiferlicher Commiffar ernannt, um jtatt des bisherigen Tributs firirte Abgaben zu erheben. Bon diefer Zeit datirt die gegenwärtige Bedeutung der Stadt, die jest vajch aufblühte. Nach dem Falle ver Tang im Jahre 906 n. Ehr. wurde fie wieder die Hauptftadt eines eigenen Königreich8, das dem Kaifer Tribut entrichtete, der aus Gold, Silber, Elfenbein und andern Koftbarfeiten im Betrage von 10 Millionen Thalern beftand. Zugleich jedoch feheint Kan— ton unter dem Drude der graufamften Despoten geftan- den zu haben; feine Könige ließen die Verbrecher ‚kochen,

140

ſchinden, auf Ranzen werfen und mit Tigern und Elefanten kämpfen“.

Der Nothſchrei des Volkes über dieſe Greuelthaten bewog den Gründer der Sung-Dynaſtie, 964 das Königreich Kan— ton wieder zu erobern und durch den Sturz ſeiner Herrſcher das gequälte Volk zu befreien. Letzteres muß damals noch ziemlich in geiſtige Barbarei verſunken geweſen ſein, da Sung und ſeine Nachfolger die Hexerei abſchafften, die Zauberei verboten, die für die Ausübung abergläubiſcher Riten erbau— ten Tempel niederriſſen, dem Volke unterſagten „den böſen Geiſtern Menſchen zu opfern“, und Apotheken errichten ließen, um den Epidemien zu ſteuern, welche im Lande graſſirten. Im Jahre 1067 wurde Kanton, das um dieſe Zeit zuerſt unter ſeinem jetzigen Namen Kwangtung erſcheint, mit einer Mauer von einer halben Meile Länge umgeben, die man zum Schuß gegen die Einfälle ver Cochinchineſen, welche die Stadt Häufig geplündert hatten, erbaute.

Die Gründer der Men-Dynaſtie überzogen 1279 den Süden Chinas mit Krieg und wütheten dort wie Bluthunde. Die Chro- nifen erzählen, daß fie Städte und Dörfer verwititeten und fo viel Menjchen erfchlugen, daß „das Blut in vaufchenden Strömen flog”. Aller fremde Handel in Kanton wurde unterbro- chen und erholte jich erft um das Jahr 1300, als auch die Häfen der Provinzen Tſchekiang und Fukien ihm geöffnet wurden.

Der erfte Pionnier des europäifchen Handels mit China ſcheint Fernao Perez de Andrad, ein Portugiefe, geweſen zu fein, ver das Cap der guten Hoffnung umfegelte und Ranton im Sahre 1517, während der friedlichen und glüdlichen Zeit der Ming - Dynaftie, erreichte. Ihm folgten bald jpanifche, englifche und holländifche Abenteurer, und die Häfen von Kan- ton, Macao und Zingi in der Provinz Kwangtung, Ningpo und Tſchuſan in der Provinz Tichefiang und Amoy in Fukien

141

wurden jegt große Märkte für den europäiſchen Verkehr, ob— wol Kanten ftetS der wichtigfte Stapelplag blieb. Bis zur Eroberung Chinas durch die Tataren, die in den Yahren 1646 und 1647 vollendet wurde, erfreute ſich der Süden einer glüclichen Ruhe. in Patriot, Yunglai, erhob aber damals das Banner der Rebellion für die geſtürzte Ming- Dynaſtie und wählte Kanton zum Hauptquartier. Eine von Peking gegen ihn ausgefandte und hauptſächlich aus Tataren beftehende Armee unterwarf bald die Provinzen Fuften, Kwangſi und Kwangtung, wurde aber in ihrem Sieges— lauf durch Kanton aufgehalten, das ihm muthig Trotz bot. Elf Monate lang machten die Tataren die wüthendſten An— griffe, jahen fich jedoch ebenfo oft auf das bfutigfte zurüdge- Schlagen, und hätten unzweifelhaft unverrichteter Sache zurüd- fehren müffen, wenn ihnen nicht durch Verrath die Thore ge- öffnet und die unglüdliche Stadt in ihre Hände gegeben wor- den wäre. Ein Jeſuit, Martin Martinio, der fich zu jener Zeit im Süden Chinas aufhielt, befchreibt in Mebereinftimmung mit den chineſiſchen Chronijten die bei dem Falle der Stadt verübten Greuel als etwas über alle Begriffe Furchtbares. Am 24. November 1650 wurde die Stadt übergeben, und am folgenden Tage begannen. die durch den muthigen und langen Widerſtand erbitterten Tataren die Plünderung. Dieſelbe dauerte faft vierzehn Tage lang bis zum 5. December. Weder Alter noch Gejchleht wurde gefchent, jondern alles ohne Gnade gemordet; nur einige Künftler und Handwerfer wur— den gefpart, um die nothivendigen Induftriezweige fortzupflanzen, jowie eine Anzahl ftarfer Männer, um die gemachte Beute fortzufchleppen. Während der ganzen Zeit hörte man nichts als das brülfende Gefchrei der wilden Sieger, die fich mit den Worten: „Tödtet, tödtet diefe barbarifchen Rebellen!‘ zu weitern Schlachten anfenerten. Am 6. December endlich fam die Ordre, mit der Plünderung aufzuhören, nachdem

142

während ver Belagerung und nach der Eroberung 700,000 Menſchen umgefommen waren.

Nachdem die Tataren ihr Todeswerf vollendet hatten, ichlugen fie ihre Quartiere in der alten Stadt auf, wo fie noch bis auf den heutigen Tag wohnen, während Civilbeamte und unter ihnen auch der Verräther Fan-tſching-gan in ver neuen Stadt ernannt wurden.

Bon diefem fehweren Schlage erholte ſich Kanton nur langſam, und es dauerte volle fünfzig Jahre, bis es aus fei- nen Ruinen auferjtand. Dann aber wuchs es fchnell empor und wurde bald der Mittelpunft der Induftrie, des Handels und Keichthums, den ſelbſt nicht die Land- und Seeräuber- banden, welche jeit den älteften Zeiten ihr Wefen in China treiben und nie haben unterbrüdt werden können, zu beein- trächtigen vermochten.

Ebenjo haben die englijchen Kriege nur vorübergehend hem- mend auf die Entwidelung der Stadt eingewirkt, und ihre an- dauernde Occupation von jeiten der Wejtmächte hat durch die herbeigeführte größere Sicherheit des Eigenthums eher dazu beigetragen, den Wohlitand zu heben, als ihm zu ſchaden, wenngleich die Benölferung dur Auswanderung in Maſſe jeit vem legten Bombardement beträchtlich abgenommen hat. Bon jest ab wird jedoeh Kanton wahrjcheinlih von jeiner bisherigen Bedeutung verlieren. Es verdankte dieſelbe zum großen Theil dem Umftande, daß die hauptfächlichiten Erportartifel des Landes, Thee und Seide, ihren Weg aus den nördlichen Provinzen, die fie hervorbringen, nach Kanton nahmen. Schon im Jahr 705 v. Chr. ließ der Kaifer Tſchan— fin-[ing, um die Stadt zu heben, jenen berühmten Paß durch das Meilinggebirge brechen, der in Verbindung mit einem Kanalſyſtem die einzige große Verkehrſtraße zwiſchen Norden und Süden bildet, und deren Ausgangspunft Kanten ift. Die Eröffnung der nördlichen Häfen Swata-u, Fu-tſcha-u, Ningpo

145

und Schangshae thaten dem Süden wol etwas Abbruch, allein empfindlichen Nachtheil wird Kanton erjt jet durch die Er- Öffnung des Jang-tſe-kiang erleiden, der die nördlichiten Pro- vinzen durchſtrömt, eine Strede non dreihundert Meilen jchiff- bar ift und für die Producte des Innern eine viel bequemere und billigere Straße als jener Landweg durch den Meiling- paß bietet.

Kanton befteht aus drei Theilen, der alten, der neuen und der Wafferftadt, die jowol in ihrer äußern als innern Erjcheinung jo verfchieden find, daß alle drei eine fjpecielle Berüdfichtigung verdienen.

Ein harakterijtiicher Zug aller größern Städte in China find die hohen fie umgebenden Mauern, die, meiftens ein und derfelben Zeitperiode angehörend, fait ganz gleiche Größen- verhältniffe haben und theilweie zum Schuße gegen die Ein- fälle ver Tataren, theils gegen die Angriffe der chinefijchen Nachbaritaaten erbaut wurden.

Die Höhe dieſer Mauern, wie ich fie in Kanton, Schang-hae nnd Zientfin gejehen, und wie fie nach der Befchreibung auch anfing und Peking befiten, beträgt 25—30 Fuß. Sie be- ſtehen inwendig aus fejtgeftampfter Erde und find äußerlich mit blauen Biegeljteinen verkleidet. An ver Baſis civca 20 Fuß breit, fteigen fie an der Außenfeite perpendifulär, innen aber jchräg auf und verjüngen fich bis zu einer Kronen- breite von 10—12 Fuß. Eine Crenelivung ziert regelmäßig die Krone, jedoch fönnen weder deren Deffnungen als Schief- ſcharten für Gejchüte dienen, noch habe ich je eins” derſelben auf dem Parapet gefehen. Ebenjo wenig fünnen die Mauern einer Kanonade widerjtehen; ihre Höhe, Gewicht und perpendi- kuläre Außenfeite würden das Breſcheſchießen jehr erleichtern. Bei den verjchievenen Thoren ift die Mauer durch einen halbfreisförmigen Borfprung, eine Art Baſtion, verdoppelt, defjen Eingänge feitwärts auf das innere Thor jtoßen, und

144

in dem ſich Thürme von mehreren Stockwerken zur Aufnahme von Soldaten befinden, während ähnliche Baftionen in Zwifchen- räumen von 150 200 Fuß die Courtinen ihrer ganzen Länge nach flanfiren. Die berühmte Chineſiſche Mauer, dies mächtige Baumwerf, das fih vom Golf von Petſchili in un- unterbrochener Linie über 400 geographifche Meilen weit bis zur weftlichen Tatarei erjtredt, ift nach denſelben Prin- cipien conftruirt. Da ich jedoch ſpäter darauf zurückkommen werde, erwähne ich fie bier nur beiläufig.

Die Kanton umgebende Mauer fchlieft ſowol die alte als die neue Stadt ein, die jedoch beide wieder durch eine ziveite Mauer voneinander getrennt werden. Der Flächenraum der Stadt ift im Vergleich zu der Einwohnerzahl nicht bedeutend; der ganze Umfang kann nicht 1Y, Meile überfteigen, wenigftens find wir mit mäßig fehnellen Schritten in 2, Stunden um die ganze Stadt gewandert. Zwölf Thore, von denen einige fehr fonderbare Namen, wie Thor der ewigen Reinheit oder der ewigen Glücfeligfeit, haben, führen von außen in die Stadt, und vier andere vermitteln die Communication zwifchen ihren beiden Haupttheilen. Bei Nacht find ſämmtliche Thore gefchleffen und nur mit fpecieller Erlaubniß eines hohen Be- amten zu paffiren, obmwol ein paar Kupfermünzen in ven Augen der Wächter denfelben Werth haben als jene Erlaub- niß. Dei unferer Anwefenheit waren jedoch die Thore von Engländern und Franzofen befetst und während ver Nacht für jeden Chineſen ohne Ausnahme gejchlofjen.

Die Zahl der Straßen in Kanton ift fehr groß, wicht geringer al8 600, die, ohne beftimmten Plan angelegt, Freuz und quer durcheinander laufen, meiftens furz, krumm und Ihmuzig find. Die beiden letten Präpdicate gelten überhaupt von allen chinefifchen Straßen, felten trifft man fie breiter als 10 Fuß. In der Mitte find regelmäßig einen Fuß breite Vliefen der Länge nach gelegt, der übrige Theil jedoch unge-

145

pflaftert, Da e8 weder Goffen noch fonftige Abzugsfanäle gibt, auch die fo eng zufammen stehenden und oben nad vorn überbauten Häufer den Sonnenftrahlen fait allen Zugang verſchließen, ſo kann man fich denfen, daß bei dem Verkehr einer halb auf ven Straßen lebenden Bevölkerung von über eine Million, die jelbjt bekanntlich nicht ſehr für Reinlich— feit eingenommen ift, ein Gang durch Kanton wajjer- dichte hohe Stiefeln beanfprucht, um den überall herrſchenden Schmuz zu überwinden. Namentlich ift die alte oder Tataren— ftadt im diefer Beziehung das Nonplusultra afiatifcher Un— veinlichkeit, die um fo greller in die Augen fällt, weil pie baufälligen ſchmuzigen Häufer ebenſo abſtoßend erſcheinen, während in der neuen Stadt doch wenigſtens die Tauſende von chineſiſchen Läden mit ihren oft koſtbaren Stoffen und geſchmackvoll zur Schau geſtellten Verkaufsgegenſtänden den Blick feſſeln.

Außer den Straßen durchziehen noch eine Menge größerer und kleinerer Kanäle die Stadt, welche den Transport der ſchweren Güter vermitteln, da in Südchina kein Fuhrwerk exiſtirt und alles, was nicht von Menſchen getragen werden kann, zu Waſſer fortgeſchafft werden muß.

Nirgends documentirt ſich die in China alle Verhältniſſe des ſocialen Lebens beherrſchende Gleichmäßigkeit auffallender als in der Bauart, Form und Größe der Gebäude. Auf dem Lande ſind die Häuſer faſt ohne Ausnahme, in den Städten der bei weitem größte Theil einſtöckig, nie aber mehr als zweiſtöckig. Unſer europäiſches Bauen in die Höhe iſt den Chineſen ſo unerklärlich, daß der Kaiſer zu dem engliſchen Geſandten Macartney äußerte, es könne doch wol nur die große Beſchränkung des Landes Urſache ſein, daß die Euro— päer ihre Wohnungen ſo nahe an die Wolken thürmten.

Ein Bauſtil nach unſern gewohnten Anſchauungen tritt an den Häuſern nicht hervor; wenigſtens haben wir nichts, mit bein

Werner. I. 10

146

fich die Bauart vergleichen ließe. Der überall fich geltend machende Grundzug ift die Zeltform, die fich bei allen Gebäuden in der concaven Form des Daches, der Zierlichkeit der Pfeiler, fowie in ber Xeichtigfeit des Materials deutlich ausſpricht. Deffentliche und Privatgebäude, der Palaft des Kaifers und die Hütten des hungernden Kult, die Tempel und die Pavillons in den Gärten der Wohlhabenden alles zeigt diefen Charakter, der, ohne Anfpruch auf Schönheit oder Regelmäßigfeit machen zu können, dennoch durch feine Zierlichkeit das Auge angenehm berührt. Es ift nicht zu verfennen, daß die nomadifirenden Bölferfchaften, welche zuerſt in China fich feſte Wohnfite gründeten, in biefen das gewohnte Zelt nachahmten, und wenn auch im Laufe der Jahrtauſende das Innere ſich allmählich veränderte, ward Doch die äußere Form faft gar nicht modificirt. Sie ift fo alt wie die Gefchichte des Reichs, durch vieltaufend- jährige Ueberlieferungen geheiligt, und eine Abweichung bon ihr erfcheint dem Chinefen eine Profanation. Der Grundplan der chinefifchen Häufer im allgemeinen zeigt eine merfwürdige Achnlichfeit mit dem der maurifchen Gebäude Eine Mauer ohne andere als Thüröffnungen fehließt das Haus von der Straße ab, wenn dafjelbe nicht ein Kaufladen ift, während alle Tenfter nach dem Hofe münden. Durch den Haupteingang gelangt man zunächit in das größte Zimmer, das ſowol zum Empfange von Gäften als zum Speifen dient. An dieſes ſchließen fich die übrigen Räumlichkeiten, die von dem Haupt- zimmer gewöhnlich durch Wände von oft Foftbarem Schnig- werk getrennt find, und deren Eingänge durch Portieren von Seide oder Baumwolle, je nach der Lebenslage des Befiters, gefchloffen werben.

Das Anfehen und die Großartigfeit der Wohnungen richtet fich nach dem größern oder Fleinern Flächenraum, ben fie beveden, fowie nach Größe und Zahl der innern Höfe und der fie umgebeuden Baulichfeiten, die jedoch von außen

147

nicht gefehen werden Fünnen, da die Mauer fie gegen bie Straße Hin abſchließt. Gewöhnlich bildet das Ganze ein Parallelogramm, und die Mauer ftüt die Firfte eines Daches, deffen untere Fläche auf einer innern mit jener parallel laufenden Mauer ruht und eine Reihe von Wohnlichkeiten für das Gefinde abgibt. Man betritt das Innere einer chinefifchen Privatwohnung durch eine ziemlich enge Pforte, die fogar gewöhnlich in einer unjcheinbaren Seitenjtraße mündet und durchaus nicht auf die Pracht des Innern fchließen läßt. In der Mitte der verfchiedenen Höfe erheben fich die eigentlichen Wohngebäude, zunächſt das oder die für die männlichen In- fafjen bejtimmten, ſodann das für die Frauen, und hinter diefem folgt gewöhnlich ein Garten mit Parkanlagen, Teichen und Pavillons. Wo irgendwie an den Thüren, auf ven Dächern oder Fenſtern fich hat Schnitzwerk anbringen Taffen, ift e8 gewiß gefchehen, und es fällt diefes dem Fremden eben- jowol durch die Feinheit und Schönheit feiner Ausführung als durch die Bizarrerie des darin vorwaltenden Gejchmads auf. Der. Drade, das Sinnbild alles Glücks und alles Guten in China, fehlt faft nie. Im allen möglichen Größen und aus dem verjchiedenartigften Material gefertigt, fehlingt er fich in den Verzierungen mit geöffnetem Aachen, um vie Dämonen zu vericheuchen, die in dem Gehirn ver abergläu- biſchen Bevölkerung fpufen und auf jede Weife in das Haus zu dringen fuchen.

Der fonderbare und von dem unſern gänzlich abweichende Geſchmack der Chinefen in Form und Einrichtung ihrer Um— gebung äußert fich überall in ihren Wohnungen. Gerade und gleichmäßige Linien, wie fie unferm Auge behagen, jcheinen fie möglichjt zu vermeiden. Faſt alle Thüren in der Welt, mögen fie zum Palaſte des Fürften oder in die Baumrinden- hütte des Negers führen, find regelmäßige rechtwinfelige Deff- nungen‘, nur in China nicht. Wandert man im Innern einer

10*

148

chineſiſchen Wohnung umher, jo tritt man bald durch eine freisrunde, bald durch eine ovale oder elliptiiche Thür, oder fie hat die Form eines Blattes oder einer Vaſe, nie ſieht man aber zwei gleihe. Dafjelbe gilt von ihrem Mobiliar. Tifhe, Stühle, Bänfe, Sofas, Bettjtellen alles iſt ver- ſchieden und in ihren Formen herrſcht eine vollſtändige Con- fufion. Sie find nicht gleich hoch, nicht gleich breit, bie Zifhe haben bald einen, bald drei, vier- und ſechs Füße, die Stühle haben theils Lehnen, theils nicht, die Sie find ent- weder Holz, Bambusgefleht, Marmor oder andere Stein- platten, bald rund, bald länglich, vier- oder jechsedig. Nur Eine Eigenfhaft haben alle Möbel miteinander gemein, fie find majfiv, für die Ewigfeit berechnet und plump. Was uns mit ihnen ausjöhnt, iſt die koſtbare Schnigerei an ihren Lehen und Füßen, und dieſem Vorzuge haben fie e8 zu danken, daß die erträglich faconnirten Stüde nach Europa ausgeführt und bachgefhätt werden. Der Neichthum und die Pracht diefer Schnitereien ift oft wirklich wunderbar, und ich habe ein zum Verſenden fertiges Mobiliar gejehen, das ein in Hongkong anfäffiger Deutjcher nach jeiner Heimat fchidte, vejfengleichen man bei uns vergebens fuchen würde. Jeder der Stühle Eoftete beinahe 100 Thaler und eine Bettſtelle 500 ‚Thaler. Bedenkt man, daß Arbeitslohn nirgends in der Welt fo niedrig ift wie in China, jo wird man den Werth der Schnitereien ermeſſen können.

Die Chinefen find die einzigen Ajiaten, welche von Stühlen Gebrauh machen, aber fie haben dafür deſto mehr, ihre Zimmer find damit vollftändig überladen, und ebenfo ift man in ihren Gärten nie um Sitze verlegen, die dann ge— wöhnlich der Kühle und Leichtigkeit wegen aus Porzellan ge— fertigt find und die Geftalt von hohlen Chlindern mit ‚nach innen gebogenen Seitenflächen haben. Oft find es jedoch auch hölzerne Seffel mit Steinplatten, die aber nicht behauen

149

find, fondern nur eine gerade Fläche haben. Diefe wird nad) oben gefehrt und das Geftell ver Form des Steins angepaßt. Kühl fitt man auf ſolchen Steinen, aber auf die Dauer würden wir felbft im heißen Klima ein weicheres Material vorziehen. Die Chinefen fcheinen jedoch in dieſer Beziehung Weniger verwöhnt zu fein, da fie auch einen fteten Gebrauch von Porzellanfopffiffen machen. Diefelben mögen ebenfalls kühl fein, als eine wohlthuende Unterlage für den Kopf habe ich fie jedoch nicht ſchätzen gelernt. Bei einer Picknickpartie nad) einem chinefiſchen Klofter in der Umgegend von Kanton befam ich infolge eines Nieberanfalles jo heftige Kopf: ſchmerzen, daß ich gezwungen war, mich niederzulegen. Ein gutmüthiger Mönch brachte mir eine Strohmatte ale Unterbette und ein folches Porzellanfopffiffen. Obſchon es mir bei der höhern Lage des Kopfes Erleichterung gewährte, begann nach zehn Minuten mein Hals jo zu ſchmerzen, daß ich das Riffen wieder entfernen mußte.

Die Gärten repräfentiren ein ebenfo unregelmäßiges Ge- wirr von Bizarrerien wie das Mobiliar, denn die auch in Europa befannte und nachgeahmte Verzwergung der Bäume, die hier ganz allgemein ift, rechne ich- ebenfalls dazu. Jeden— falls kann ich nichts Schönes darin finden. Es ijt feine Nach— ahmung, jondern eine DVBerfrüppelung der Natur, gerade fo wie die jogenannten Heinen Füße der Frauen, die jedem andern als dem chinejischen Auge als Klumpfüße erfcheinen und Efel erregen. Den Zwergbäumen fieht man es immer an, daß fie Krüppel find, und fchon darum kann ein gebilveter Geſchmack fie nicht Schön finden.

Die Gärten enthalten auch manches wirklich Schöne, Die Chinefen find große Liebhaber von Fünftlichen Felspartien, die man in allen Gärten und, wo diefe fehlen, fajt auf jedem Hofe einer anfrändigen Wohnung findet. Bisweilen gelingt ihnen hierbei die Nachahmung der Natur fehr gut, namentlich

150

wenn fie fich dabei in Fleinen Dimenfionen halten. Ich habe in Kanton einzelne folder Anlagen gefehen, die wirklich rei- zend waren. Man Eonnte fich bei ihrem Anblide in eine wildromantifche Gegend verfett fühlen. Dort ftürzte fich durch die zadigen Klippen einer Felswand ein Gießbach her- nieder, deſſen Waſſer eine verborgene Fontaine in die Höhe trieb; bier befleiveten feinblätterige Schlinggewächje mit einem dichten Teppich Fünftliche Grotten, während knorrige Zwerg— eihen jenen Felsgrat zierten. Es lag etwas Bezauberndes in dieſer Umgebung, die noch erhöhten Reiz durch einen großen dahinterliegenden Teich erhielt, auf deſſen Spiegelfläche die freisförmigen Blätter der heilig gehaltenen Lotospflanze Ihwammen, deren gigantifche, voth oder gelb gefledte Tulpen— blüten träumerifch fich über das Waſſer neigten, während Tauſende der prachtoollen chineſiſchen Gold- und Silberfifchchen, mit Floſſen und Schwanz jo lang wie der Körper felbit, zwifchen ihnen durchfchlüpften und in den Somnenjtrahlen ſpielten.

Sobald die Chineſen jedoch die Miniaturform in dieſem Genre verlaſſen, werden ihre Schöpfungen gezwungen, un— natürlich und häßlich. In einem der großen und öffentlichen Theegärten von Schang-hae, der damals in eine franzöſiſche Kaferne verwandelt war, befindet fich eine folche Fünjtliche Felspartie in größerm Maßſtabe, auf deren Conftruction offenbar große Sorgfalt verivendet ift, ohme jedoch einen andern Eindruck als den eines Steinbruch zu machen. Es mag fein, daß das fehlende Grün viel dazu beitrug, da ich im Winter dort war, allein immerhin- blieb es ein wirrer Steinhaufen, dem man es anfah, wie viel Zwang erforder: - ih war, um ihm feine auffallenden und unſchönen Formen zu geben.

Man kann fich denken, daß in dem Lande des Porzellans dies Material auch vielfältig zur Zierde ver Wohnungen ge—

151

braucht wird, und in der That findet man nirgends fo viel Bafen und Töpfe wie hier. Die Blumen in den Gärten werden nicht wie bei uns in Beeten, fondern ſtets in Töpfen gezogen, wodurch die Pflanzen viel von ihrem Reize verlieren. Es fehlt wieder die Natur. Topfblumen im Zimmer erfreuen das Auge; im Garten müffen fie meiner Anficht nach frei blühen, wenn fich ver Menſch an ihnen ergögen fol. Der Chinefe muß aber vor allem fünfteln, er fann nichts fo laſſen, wie die Natur es gejhaffen, und dieſe Künfteleien bleiben immer mittelmäßig, weil nie Kunft darin ift. Der Kunftfinn geht ihm gänzlich ab, und darin unterfcheiden fich die Afiaten mit wenigen Ausnahmen von der Faufafifchen Rafje. Der Chineſe fowol wie der Japaneſe überragen den Europäer an Imitationsgabe, beide übertreffen ihn bei weitem an Fein— heit und Genauigfeit ver Arbeit, namentlih der Japaneſe; aber beiden ift Kunft fremd, und was fie aus eigener Kraft ſchöpfen, ift entweder Caricatur oder Fleinlich und regellos. Die Lebhaftigfeit und Frifche ihrer Farben ift weltberühmt, und feine Nation erreicht fie darin; ihren Gemälden aber fehlt Licht, Schatten und Berjpective. Ihre Plaftif beſchränkt fih einzig auf Bafen und Töpfe von Porzellan und Bronze in baroden Formen; fobald fie die Bilohauerei verjuchen, Ichaffen fie Ungeheuer. Einen Bauftil befigen fie nicht; ihre Mufif ift ein lärmendes Getöfe von Trommeln und Freijchen- ben Inftrumenten ohne Melodie und Harmonie. Ihr Theater ift ein Inftitut, von deſſen fünftleriihem Werth der Umftand binlänglih Zeugniß gibt, daß die Schaufpieler einer Kafte angehören, die ähnlich den indischen Parias fein Bürgerrecht befißt, und die feine andere Befchäftigung als noch die eines Barbiers oder Laftträgers treiben darf. a

Die Chinefen haben eine bejonvere Liebhaberei für Anti- quitäten, und die Wohlhabenden befigen oft eine ganze Samm- lung echter oder nachgemachter, denn in diefem Induftriezweige

152

find die Söhne Han's Meifter. Am werthoolfften und ge— fuchtejten find die Vaſen, deren Material aus einer Zufammen- ſchmelzung von Foftbaren Metallen ftammt, bie unter dem vierten Herrfcher der Ming - Diynaftie, Hoonghy, infolge eined Balaftbrandes im Jahre 1440 ftattfand. in anderer Häuferzierath find Laternen in allen Formen und Dimen- ftonen von transparentem Papier, Glas oder Horn. Die Be- handlung des lettern Materials muß eigenthümlich fein, ba ich Laternen ſah, deren über 18 Zoll Durchmeffer haltender Körper Fugelförmig war und ohne Naht aus einem transpa- rentem Stüd Horn beſtand. Diefe Laternen find gewöhnlich bemalt und zeigen in bunten Charafteren Namen und Titel ihres Befiters.

Im Süden dienen entweder Bettftellen mit Bambusflecht- werf oder Matten als Schlafftätten, im Norden dagegen haben faft alle Zimmer eine breite gemauerte Bettftelle, die von unten geheizt wird und zugleich den Dfen vertritt, den man fonjt in China ebenfo wenig wie Kamine findet. Ein Kohlenbecken ift das ganze Präfervativ gegen die Kälte, bie oft fehr empfindfich auftritt und nur durch drei- und vier- fache Pelze oder mwattirte Röcke erträglich wird.

Glasfenſter find felten, und man trifft fie überhaupt nur in den Plätzen, die divect mit Europäern in Verbindung ftehen. Sonft vertritt transparentes Papier, das in Korea und Iapan fabrizirt wird, ihre Stelle, bisweilen jedoch in den Hänfern der Reichen Seidengaze mit fehr hübſchen Gold- und Silber- Stidereien und im Norden Feine vünngefchliffene Scheiben aus den Schalen ver falſchen Perkmuttermufchel.

9.

Die Yamuns oder Gerichtshäuſer. Grauſamer Charakter der Chineſen. Die Lage der Gefangenen. Die Strafe des Halskragens. Die Tempel in Kanton. Die drei Religionen in China. Aberglaube der Chineſen.

Von den öffentlichen Gebäuden Kantons und anderer chineſiſcher Städte verdienen die Yamuns, die Tempel und die Theater Erwähnung. Man mag binfommen, wo man will, überall find fie fich gleich, und überhaupt braucht man nur Eine größere Stadt gefehen zu haben, um alle zu fennen. Zwar weichen die Menfchen in den verjchievdenen Provinzen des weiten Reichs vielfach in Sprache und theilweife in Sitten und Gewohnheiten voneinander ab, ihre Wohnungen, Dörfer und Städte aber find alle aus Einem Guſſe.

Die Yamuns find die Bureaux der Beamten oder Man— darinen, der Befehlenden, wie fie anfänglich von den Portu- giefen, jpäter von allen Europäern und jett auch ſchon von den Chinefen felbft genannt werden. In diefen Gebäuden, die zugleich die Privatwohnungen der Mandarinen einfchließen, laufen die geheimnißvollen Fäden des Netzes zufammen, das der Raifer über ein Volk von 360 Millionen Seelen gezogen, und an denen er feine „Kinder“ mit Hülfe „‚päterlicher Ermah- nungen“, wie in China die verfchiedenen Gejetesftrafen, ſeien

154

es auch Folter, Hungertod oder fonftige Graufamfeiten, ges nannt werben, leitete, bi8 einige Millionen die in das Fleisch ſchneidenden Mafchen zerriffen und ihn im Verein mit den „rothhaarigen Barbaren” zwangen, vom „heiligen Stuhl des Drachen‘ herabzufteigen und ſich zur Rettung feines „himmlischen“ Lebens in feine Erblande, die Tatarei, zu flüchten.

Die Yamuns zeichnen ſich vor andern chinefiichen Woh- nungen nur durch ihren Umfang und dadurch aus, daß ihre nach der Straße blidende Fronte einen großen und zwei kleinere Thorwege befitt, durch die man fie betritt, und daß im dem Haupthaufe das Beamtenperfonal des Mandarinen logirt, während der leßtere felbjt mit feiner Familie in dem Gebäude des hinterften Hofes wohnt. Gewöhnlich halten, in Waffer- farben auf vem Eingangsthore gemalt, zwei riefige Tataren- frieger mit gezüdten Schwertern und zolllangen Zähnen Wache, und man erjchrict unmwillfürlich, wenn man die unge- fchlachten Leiber diefer Wächter mit ihren grimmigen Ge— ſichtern plöglich fich zur Seite fieht. Für das Volk ſind diefe Schreckbilder jedoch kaum nöthig. Die Yamuns mi ihren Berhörzimmern, Gefängnifien, Bambushieben und Marterwerkzeugen find für den Chinefen ohnehin ſchon Schreden genug. Wenn er e8 machen Fanır, weicht er ihnen ſchon von weitem aus, und wenn auch nicht über ven Thoren gefchrieben fteht: Lasciate ogni speranza! fo wijjen Tauſende von Unfchuldigen, daß niemand ungeftraft hinausfommt, der einmal als verdächtig vor das Forum des Yamun-Tribunals gezogen wurde.

In einem andern Yamun, von den Franzoſen Pagode aux supplices genannt, find zur heilfamen Furchterweckung bei ven Lieben „Kindern“ des „Sohnes der Sonne‘ alle väterlichen Ermahnungen bilolih und fehr naturgetreu zu beiden Seiten des erften Hofes unter den Colonnaden darge- ftellt. Es ift kaum glaublich, welche Varietäten von raffi—

155

nirten Graufamfeiten bier zu finden find, und wenn auch einige humane Chinejenfreunde in Abreve ftellen wollen, daß folhe Strafen wirklich exiftiren, und fie dieſe Darftellungen auf die buddhiſtiſche Hölle beziehen, jo bin ich doch nach allem, was ich erfahren, jehr geneigt, das Gegentheil zu glauben.

Fühllofigfeit bei Leiden anderer Menfchen bildet einen Grundzug im chinefifchen Charakter, und damit ift ausge- ſuchte Grauſamkeit fehr verwandt. Wenn auch vielleicht Ver— brecher nicht mehr auseinander gejägt oder gefocht werben, jo ift e8 ebenjo gewiß, daß man Falſchmünzern die Augen- lider abjchneidet oder fie in einem Käfig verhungern läßt, und das iſt wahrlich nicht viel bejjer. Man braucht nur ein chineſiſches Gefängniß zu befuchen und die unglüdlichen Ge— ſchöpfe anzufehen, die zu Hunderten in einem dunklen Loche von kaum 200 Duadratfuß Fläche auf bloßen Verdacht hin eingefperrt find und fünf, ſechs Monate ihres Urtheils- ſpruchs harren müſſen, um zu wiffen, daß das Wort Huma— nität im Wörterbuche des chinefifchen Geſetzes oder vielmehr in dem feiner Ausleger nicht enthalten ift.

Ih jah in einem Gefängniflofale auch den berühmten Cangue oder Halsfragen in Anwendung gebracht, der eine gewöhnliche Strafe für Eleine Diebjtähle ift. Wenn bei ber guten Einrichtung unferer Gefängniffe Verbrecher einzig darum rüdfällig werden, um wieder Hineinzufommen, nachdem fie freigelafjen waren, weil fie ein warmes Zimmer, Kleidung und Nahrung finden, fo ift das nicht zu verwundern. Wenn jedvoh in China ein Dieb, der fechs bis acht Monate ben Halsfragen gefchleppt, zum zweiten male ftiehlt, To ift Dies wenigſtens nicht Schuld. der Strafe.

Das Inftrument befteht aus einem zwei bis dreizolligen Bretergerüft von 2, —3 Fuß im Geviert, in deſſen Mitte fih ein Loch gerade groß genug für den Hals des Delinquen- ten befindet. Diefer Kragen von mindeftens 25 Pfund Ge-

156

wicht wird ihm umgelegt, und er muß ihn ununterbrochen Tag und Nacht, je nach der Größe feines Vergehens, fechs bis acht Monate, ja ein Iahr lang fchleppen. Mean fagt, der Menfch gewöhne fih an alles, aber die Unglüdlichen, welche ich mit dem Kragen fah, hatten fich in ſechs Monaten nicht daran gewöhnen fönnen, und ich werde fobald nicht ihre von Schmerz und Schlaflofigfeit abgezehrten Gefichter ver- geffen. Sie können nur ſchlafen, wenn fie fich auf den etwa einen Fuß hohen Pritfchen ausftreden, ven Holzrahmen perpen- difulär jtellen und dann mit dem Halfe in dem Ausſchnitte ruhen. Da leßterer jedoch etiwa einen halben Fuß höher als die Pritfche fteht und Hals und Naden von feinen jharfen Kanten beftändig wund gefcheuert find, jo kann man fi denfen, wie die Nachtruhe der gequälten Gefchöpfe fein muß. Ueberdies find die alfo Beftraften nach ihrer Kreilaffung durch einen breiten Narbenring um den Hals für immer als Diebe fenntlich, felbit wenn ihnen der abgefchnittene Zopf im Laufe der Jahre wieder wachfen follte.

In den Gefängniffen, zu denen uns ein franzöfifcher Poli- zeioffizier bereitwilligft Zutritt gejtattete, fah ich auch zum eriten male gefeffelte Frauen, die größere Verbrechen begangen hatten, unter andern eine Schwejter, die ihren Bruder ge- mordet. Einige hundert Weiber, Mütter und Schweftern von Rebellen waren gleichfalls eingeferfert, doch hatten fie Freiheit, in den Höfen umbherzugehen. Die Mutter des Rebellenhäupt- fings oder „jüngern Bruders Chriſti“, wie er fich nennt, Tai-Ping-Wang, befand fich jchon feit zehn Jahren Hier und erzählte uns in Jammertönen ihre erlittenen Leiden. Die uns glückliche Greifin war jogar gefejfelt, und es ift ein Wunder, wie ein fo gebrechliches fiebzigjähriges Meütterchen ſolche Qualen überleben fan. Die chinefiihen Behörden haben geglaubt, daß die im Volke jo tief eingewurzelte Findliche Liebe Tai— Ping- Wang veranlaffen werde, zur Befreiung feiner Mutter

157

von ber Leitung der Rebellion abzuftehen, haben dadurch abe nur ihre. geringe Menfchentenntniß bewiefen. Ein Mann, deſſen Ehrgeiz nach einem Kaiferthrone ftrebt, läßt fich nicht durch Familienbande zurüdhalten.

Die gefangenen Rebellen, welche ich hier ſah, machten feinen günftigen Eindrud auf mich. Jedoch, glaube ich, waren e8 weniger die männlichen, puritanifch ftrengen und tapfern Krieger, von denen die Rebellion ausgegangen, und bie Fürzlich den Zatarengeneral Sankolinfin gefehlagen und die Faijerliche Armee fast aufgerieben hatten, als die ein jedes Heer um- ſchwärmenden Marodeure, aljo im Grunde Mörder und Diebe, welche als Rebellen bezeichnet wurden, weil fte ftati des Zopfes ungefchorenes Haupthaar trugen. Die Anhänger Tai-Ping- Wang's tragen nämlich ftatt des tatarifchen Zopfes die alte chineſiſche Haartracht. Die Gefangenen waren ſämmtlich ge fejjelt; vie meiften jchleppten an einer um den Hals befejtigten Kette einen Stein, gingen aber fonft frei in den Höfen umher. Die ihnen von Staats wegen verabreichte Nahrung be= fteht in einem halben Pfunde Reis täglich. Außerdem erhalten fie 30 Caſh oder zehn Pfennige, um ihre fonftigen Be— dürfniffe, zu denen auch die Kleidung gehört, zu beftreiten, jedoch ift es ihren Angehörigen freigeftellt, fie mit Nahrung und Kleidung zu verjehen.

Sch befuchte mehrere der größten Yamuns. Der eine war ver Palaft des ZTatarengenerals, ihm aber jeit einiger Zeit von den Franzojen „abgeborgt“, wie der beliebte Ausdruck bieß, und in das Generalcommifjariat des franzöſiſchen Expe- ditionscorps verwandelt. Diefer Yamun ijt noch infofern merkwürdig, als der, berühmte eh, der vor fünf Jahren den Englänvdern jo viel Sorge machte, darin gefangen genommen wurde.

Yeh war jedenfalls ein Mann von Energie, namentlich den Rebellen gegenüber, und wenigjtens trägt er an der Ver—

158

breitung der Rebellion nicht Schuld. Er ließ in drei Iahren nicht weniger als 70,000 Rebellen allein in Kanton hin— richten.

Die Zahl der Tempel in Kanton fowie überhaupt in China ift fehr groß, und jedenfalls wird äußerer Cultus ge- nügend zur Schau getragen. Was ich von den Häufern ge- jagt, gilt auch von den Tempeln; fie find fich überall gleich, ſämmtlich einftöcig, und unterfcheiden fich nur durch den von ihnen bedeckten Flächenraum und vreichere oder geringere Ausftattung. Kanton zählt deren 124. Einer der älteften ift der Kwangheaitſe oder der „Tempel des Ruhms und der Kindespflichten”. Derjelbe wurde unter Sanfow im Jahre 250 v. Chr. gebaut, gehört zu den größten und reichſten von ganz China und zeichnet fich durch die Maffe der in feinen Hallen aufgepflanzten Götenbilder aus. Ein zweiter berühmter Tempel, der faft von allen Fremden bejucht wird, ijt der von Honan. Honan ift, wie ich bereits weiter oben bemerkte, eine vom Tſchukiang und einem Kanale gebildete Infel, die Kanton ge- genüberliegt, und auf der feit dem Brande der Factoreien bie fremden Kaufleute wohnen. Die Gebäude und Gärten dieſes Tempels, die von einer Mauer eingefchloffen find, umfaljen einen Raum von 10— 13 Morgen. Urfprünglich ein Privat- garten, baute ein frommer Prieſter 1400 n. Ehr. hier einen dem Buddha geweihten Tempel, den er den Tempel „der 10000 Herbfte” nannte. Bis zum Jahre 1650 blieb er indeſſen ein obfeurer Pla, welcher feine jetige Berühmtheit erſt durch die) Frömmigfeit eines Priefters! mit Namen Ahtſe erlangte, der zugleich ein Wunder verrichtet. Die Provinz Kanton twiderftand befanntlich am längften ver Tatarenherrfchaft, und gegen das Ende des 17. Yahrhunderts ſchickte dev Kaifer feinen Sohn, um den widerfpenftigen Süden gänzlich zu un— terjohen. Diefer nahm fein Hauptquartier in dem Tempel von Honan und traf Vorbereitungen, um dreizehn auf der

159

Inſel liegende Dörfer wegen ihres verzweifelten Widerſtandes nach den Befehlen feines Vaters von Grund aus zu zerftören. Zufällig traf fein Auge auf Ahtfe, der ſehr wohlbeleibt war. Pingnan, jo hieß der Kaiferfohn, nannte ihm einen Heuchler, weil er bei der vorgefchriebenen buddhiſtiſchen Priefterjpeife, die nur aus Begetabilien befteht, unmöglich fo fett werben fönne, und zog fein Schwert, um ihm höchfteigenhändig zu beftrafen. Plößlic jedoch wurde fein Arm fteif, und da ihm auch noch im der Nacht eine göttliche Perfon mit dem Be— fehle erfhien, das Leben des heiligen Ahtſe zu fchonen, fo gelobte er am andern Morgen dem Priefter ewigen Gehorfam, worauf augenbliclich die Yahmung des Arms aufhörte. Durch die Bermittelung Ahtſe's wurden num auch) die dreizehn Dörfer von ihrem Untergange gerettet, und die danfbaren Einwohner überfchütteten ihren Wohlthäter mit fo viel Ländereien, Geld und andern Gaben, daß der Tempel, zu dem Pingnan noch eine prachtvolle Halle „der himmlifchen Könige’ erbaute, der reichfte in Kanton wurde und bis auf den heutigen Tag ge- blieben it.

Durch das Äußere Thor gelangt man auf einen großen mit Topfblumen, namentlich mit dem heiligen Lotos und dem in China fo beliebten Hahnenfamm, gezierten Vorhof und durch dieſen zu einem zweiten Thore, über deſſen Eingang mit goldenen Charakteren der Name des Tempels, Haretfchwang, geſchrie— ben fteht. Diefes Thor wird durch die foloffalen Holzitatuen zweier friegerifcher Halbgötter bejchüßt, die im Aeußern viel Aehnlichfeit mit den bei den Yamuns erwähnten Schilowachen haben. Durch einen dritten Hof gelangt man zum „Palaſt der vier himmlischen Könige’, Bilder alter Heroen. Don bier führt ein breiter gepflafterter Weg zu dem eigentlichen Tempel, und man befindet fich jett in der geheiligten Gegen- wart der „drei koſtbaren Buddhas“, des vergangenen, gegen- wärtigen und zufünftigen, ftattlicher Holzfiguren in reiche

160

Seide gefleivet und mit braun angemalten Gefichtern, Die Halle, in der fie aufgeftellt find, ift fehr geräumig, circa 100 Fuß im Gevierte, und enthält außerdem eine Menge Altäre, Gößenbilder u.f. w. Oben von der Dede hängen unzählige bemalte, mit Seivenbändern, PBapierfchnigelchen und Troddeln verzierte Laternen herab. Ein mächtiger Gong von 3Fuß Durchmefjer ift beftimmt, mit feinem meilenweit ſchallenden Tone die Priefter und Frommen zum Gebet zu rufen, und Die Säulen und Wände find mit Sinnfprüchen buddhiſtiſcher Weifen in goldenen Buchſtaben auf großen fehwarzladirten Tafeln oder langen rothen Papierftreifen geſchmückt. Auf den Altären paradiren Hunderte von Götenbildern in Miniatur, meiftens aus Speditein gejchnitten und zum Verkaufe bejtimmt, und ein bejtändiger Dampf der zu Ehren ver Götter verbrannten Näucherftäbe erfüllt wie eine Wolfe ven Zempel. Dieſe Stäbchen werden aus Sandelholzpulver gemacht, und ihr Ver— brauch ift in China unglaublich groß. Täglich werden Milli- onen davon verbrannt, nicht allein in den Zempeln, ſondern vor allen HDausaltären, die feinem chinefiihen Haufe und feinem Boote fehlen, und bei jeder Feitlichfeit, fie. mag Namen oder Zwed haben, welchen fie will, Der Rauch fell wohl: riechend und den Göttern angenehm fein, Europäer vermögen ihn jedoch in gefchlojfenen Zimmern nicht zu ertragen,

An beiden Seiten diefer großen Halle laufen Reihen von Gemächern entlang. An der linken Seite befindet ſich unter ihnen eine Druderei, aus der die Briefe an die verfchiedenen Götter des Himmels und ber Unterwelt hervorgehen, aus deren Verkauf die Priefter bedeutende Sporteln ziehen. Die übrigen Räume find Zellen für die Priefter oder Ställe für Schweine, Hühner und anderes Vieh, das fromme Gläubige ven Infaffen des Tempels als Dpfer bringen. Rechts findet fih zunäcit ein Pavillon für einen militärischen Halbgott Kwang⸗fu⸗tſe, ſodann eine Empfangshalle für Gäfte, eine

161

Schatfammer, ein Abfteigequartier für Te-thiang- Wang, ven vielgefürchteten König der Unterwelt, ferner die Wohnung des Oberpriefters, ein Speifezimmer und die Küche,

Hinter dem Tempel folgt ein großer Garten mit der ge- wöhnlichen chinefifchen Austattung von Fünftlichen Felſen, Zwergbäumen, Golofifchteichen mit Lotosblumen und darüber— führenden Brüden, die aber nicht, wie bei andern vernünf- tigen Menfchen, in gerader Linie hinübergeführt, fondern in rechtwinfeligem kurzen Zickzack erbaut find, wodurch die Paſſage nicht allein unbequem, fondern auch fünf» bis fechsmal fo lang wird.

Am Ende des Gartens befindet fih ein Maufoleum, in dem die Ajche ver gejtorbenen und verbrannten Priefter ein» mal jährlich feierlich beigefegt wird, und neben ihm der Dfen, in dem bie Leichen verbrannt, fowie eine fleine Nifche, in der die Gefäße mit der Aſche bis zu ihrer Beifegung im Mau— foleum aufbewahrt werden. Gegenwärtig zählt der Tempel 180 Priejter, die theilweife ihren Unterhalt aus ven Fonds der Zempelgüter, theils durch den Berfauf von Räucherſtäben, Briefen an die Götter u. f. w. beziehen und ein forgenlofes bequemes Leben führen. Meeijtens find es Menfchen ohne Erziehung, und fehr wenige können Anfpruh auf Bildung machen.

Unter den übrigen Tempeln Kantons verdient noch der bereit8 erwähnte der fünf Genien Beachtung, als der ältefte ‚der Stadt, fodann der Tempel der fünfhundert Götter, in dem dieje ſämmtlich in Lebensgröße, aus Holz gehauen, auf: gejtellt find, und endlich dev mohammedanifche Teinpel, neben dem fich ein 160 Fuß hohes fchlanfes Minaret erhebt. Derfelbe wurde unter der Tang- Dynaftie 715 n. Chr. von „Frem— den“ erbaut, und das Minaret heißt bei ven Chinefen wegen der fehlenden Galerien die ungefchmüdte Pagode. Unter der Ming- Dynastie 1463 wurde die Pagode umgebaut, und

Werner. 1. 11

162

Ab-tu-lah (Abdullah), ein hinefifcher Beamter nebft 17 Far milien, wahrſcheinlich ſämmtlich Mohammedaner, wohnten in feiner Nähe. Augenblielich beläuft fich die Zahl feiner Nach- fommenjchaft auf 3500, die von den Chinefen als Leute be- zeichnet werben „die weder Göten in ihren Tempeln haben noch Schweinefleifch ejjen‘. Das fcheint aber das einzige Ueberbleibfel ihres mohammedanifchen Eultus zu fein. Cie unterfcheiden jich weder in Sitten noch Sprache noch Klei— dung von den Chinefen, tragen wie diefe den Zopf und haben außerdem fo viel buddhiftifche Ceremonien und abergläubiſche Riten aufgenommen, daß fie vor den Chinefen faum etwas voraus haben.

In China herrfcht vollftändige Neligionsfreiheit, d. h. es ift die Ausübung eines jeden Cultus und Profelytenmacherei mit jeltener Toleranz geftattet, aber nur fo lange, als beides fih von Einmiſchung in die Staatsverhältniffe freihält und nicht an den herrſchenden focialen Verhältniſſen rüttelt. Die im 16. und 17. Sahrhundert durch ganz China zerjtrenten Sefuitenmiffionen wußten ſehr wohl diefe Grenzen innezu- halten und befehrten nicht nur Hunderttaufende zum Chrijten- thume, fondern wurden von den Herrfchern wegen ihrer hervorragenden Kenntniffe mit hohen Chrenftellen und Ge— halten belohnt. Ihre zelotifchen und ehrgeizigen Nachfolger verdarben affes, indem fie mit Hülfe ihrer Gonvertiten in das Staatsleben eingreifen, mit ihren geiftlichen Waffen das ganze Neich für Nom erobern und e8 mit weltlichen beherr- Then wollten. Die Folge war ihre Vertreibung und die Aus- rottung des Chriftenthums, das iroß aller Miffionsberichte jet fo wenig Profelpten in China zählt wie kaum ‚irgendein anderer nicht chriftlicher Staat.

Es erxiftiven in China drei Hauptfeften in friedlicher Ein- tracht nebeneinander: die Konfucianer, die Buddhiſten und die Taoiften. Davon ift der Cultus des Confucius die Staats—

163

religion, weil auf ihren Principien die ganze chinefifche Re— gierungsform beruht. Diefe drei Religionen bejtehen nun jchon jeit Taufenden von Jahren, nie aber ward die chinefi- ſche Geichichte durch ſolche Greuelthaten befledt, wie fie die europäifchen Religionskriege zur Folge hatten. Diejer ewige Frieden hat die drei Seften einander jo genähert, daß, wie verſchieden auch ihre Principien anfangs waren, ihre äußern Formen faft übereinftimmen und mancher Chineſe in Berlegen- heit fommen würde, wenn man ihn darauf fragen wollte, zu welchem Cultus er fich fpeciell befenne.

Es ift in wifjenfchaftlichen Werfen über diefe drei Religio— nen fo Vieles und Gründliches gejchrieben, daß ich mich einer nähern Erörterung füglich enthalten kann; nur einige wenige allgemeine Bemerfungen will ich über die drei Weligionen und ihre Befenner hier machen.

Confucius war weniger Keligionslehrer als Philofoph und Politifer. Alle feine Lehren und Marimen beziehen fich Ichlieglih auf den Staat. Sein Streben war die Schaffung einer Regierungsform, die ebenjo einfach als natürlich und darum dauernd fein ſollte. Er glaubte in ver Familie und in ihren natürlichen Beziehungen das Vorbild eines folchen Staats zu erbliden, und ftellte daher Abhängigfeit und Sub« orbination, wie fie nach der Natur das Kind dem Vater jchuldet, als die Grundprincipien feines Syſtems auf. Un- abhängigfeit und Gleichheit, abjtracte und in der Natur nicht vorhandene Begriffe, exiſtiren auch für feine Staatsfunft nicht: diefe Fennt nur Gehorfam ver Kinder gegen die Aeltern, der Jüngern gegen die Aeltern. Der Kaifer ift der Sohn des Himmels und diefem allein Gehorfam und Ehrfurcht ſchuldig, aber er ift Vater des Volfs, und wie der Vater einer Fami— lie unumfchränfte Macht über diefe ausübt, jo ift der Kaifer unumjchränfter Herr des Volks. Dieſe Gefühle und Ideen werden der Seele des Kindes von frühefter Jugend an ein— I ige

164

geimpft, fie find die Grundlage feiner moralifchen Erziehung, ihre Entwidelung und Anwendung bildet das Studium des Sünglings und ihre ftricte Ausübung ift das erfte Erforver- niß des Beamten oder Staatsmanns. Dem Einfluffe diefer Prineipien auf den Geift und die Gefühle des Volks ift es alfer Wahricheinlichfeit nach zuzufchreiben, daß in China vie größte Bevölkerung der Welt unter einem einzigen Herricher zufammengehalten wird. Jedenfalls kann fich fein Philofoph rühmen, einen fo großen Theil der menfchlichen Raſſe feit faft 2500 Jahren beeinflußt zu haben, und ebenfo wenig hat jemand die ungefchmälerte Verehrung fo vieler Millionen er- worben wie Confucius.

Die von ihm hinterlaffenen Schriften und Bücher bilden die Grumdlage einer jeden Erziehung, und eine vollftändige und genaue Kenntniß derjelben fowie ihrer Commentare ift unerlaßliche Bedingung für jeden Bewerber um einen höhern Grad der wifjenichaftlichen oder Beamtencarriere.

In jeder Stadt, bis zu den Ortjchaften dritten Ranges, befindet fich mindeftens Ein dem Confucius geweihter Tempel, deffen Priefter die Staatsbeamten find. Der Hohepriefter der Staatsreligion ift der Kaiſer, die vornehmjten Gottheiten find Himmel und Erde. Erfterer ift ein höchftes Weſen, welches das Univerfum erhält und moralisch jtraft und belohnt. Im diefer Beziehung wird der Kaifer „Sohn des Himmels‘ genannt.

Wenn der Kaifer dem Himmel jeine Anbetung darbringt, trägt ev eine azurblaue, wenn der Erde, eine gelbe, wenn ber’ Sonne, eine rothe und wenn dem Monde, eine weiße Robe, während die daran theilnehmenden Beamten in Hoffleivung erfceheinen. Der Mitar des Himmels ift rund, dev der Erde vieredig, was auf ihre Geftalt Bezug haben ſoll. Bei dem großen Opferfefte der Natur werden weder Priefter noch Frauen zugelaffen; nur wenn der Göttin des Seidenbaues

165

Berehrung dargebracht wird, präftdirt die Kaiſerin und nimmt eine Zahl ihrer Hofdamen theil. Das Feſt des Himmels findet im Winterfolftitium, das der Erde zur Sommerfon- nenwende ftatt, und für die übrigen find ebenfalls fejte Zeit- punkte gewählt: Bei Mangel an der erforderlichen Vorbe- reitimg oder den Opfern felbjt werden den betreffenden Beam- ten Gehaltsfürzungen oder Bambushiebe als Strafe erkannt. Letztere laſſen fich jedoch durch Geld abfaufen. Der Mann aus dem Volke dagegen erhält ohne Gnade SO Bambushiebe auf die innern Flächen der Schenkel.

Der Buddhismus wurde im Jahre 65 v. Chr. in China eingeführt und hat fich feitdem über das ganze Reich verbreis tet. Er ift infofern dem indifchen vorzuziehen, als er fich frei von allem Fanatismus hält und nie zu der religiöſen Schwärnerei wie in Indien ausartet. Dies liegt jedoch hauptfächlich in dem praftifchen Charakter der Chinefen, der ſich an das Reale hält und feine Geiftesthätigfeit allein auf die Erlangung materieller Genüffe concentrivrt. Ueberhaupt haben vie drei chinefifchen Sekten durchaus nichts Finiteres, Bigotes und Fanatifches an fich; alles ift heiter, vuhig und friedlih. Das iſt mit ein Hauptgrund, weshalb zelotifche Miffionen mit ihren Drohungen ewiger Verdammniß und ihrem Dogma der Erbfünde Feine Erfolge erzielen. ° Der Cultus des Confucius lehrt gerade das Gegentheil; nach ihm ift der Menſch nicht fündig geboren, ſondern trägt den Keim alles Edlen und Guten in fich.

Die budohiftifchen Priefter find im allgemeinen unwiſſend, faul und ſchmuzig; vom Volke werden fie verachtet. Sie führen ein Leben ohne irgendwelche Zwedthätigfeit. Nach den Anfchauungen ihrer Religion ift es die Aufgabe des Menſchen, alle Leidenfchaften, ſelbſt die Gedanken zu unter drüden und von feinen menjchlichen Wünfchen vwerfucht zu werden. Die Folge eines folchen Strebens kann nur Ver—

166

nichtung aller Seelenthätigfeit fein, und in der That machen bie meiften diefer Priefter den Eindrud ftumpffinniger Men— Ihen, wozu der gefchorene Kopf noch beiträgt.

Auch buddhiſtiſche Nonnenklöfter gibt es in China. Ich habe zwar feins derfelben bejucht, aber einige ihrer Inſaſſen gefehen, die mir feine hohe Meinung von diefen geiftlichen Genoſſenſchaften einflößten. Sie haben wie die Priefter das Haupt gefchoren und tragen ein den fatholifchen Nonnen ähn- liches grobes Gewand, legen auch wie dieje' das Gelübde der Keuſchheit ab, jtehen aber in dieſer Beziehung in fehr fchlech- tem Ruf.

Der Buddhismus fann, jelbft wenn er nicht im Verfall begriffen wäre, in China nie Staatsreligion werden und immer nur tolerirt bleiben, weil viele feiner Xehren mit den politi- Then Imjtitutionen des Landes in geradem Gegenſatze jtehen. Ein bejchauliches und von allen Sorgen befreites Leben zu führen, wie e8 Buddha als Weg zur ewigen Geligfeit vor- Ichrieb, und das feine Anhänger zur Trägheit verführte, kann in China nie maßgebend werden, wo der Kaijer ſelbſt einmal jährlich den Pflug führt, und wo nur die angeftrengtejte Ar- beit die Maſſe des Volks vor dem Hungertode bewahrt. Ebenfo wenig fonnte der Cölibat dort Anklang finden, wo feit undenflihen Zeiten Fortpflanzung und möglichite Vermehrung des menfchlichen Gefchlechts durch frühe Heirathen das Haupt- augenmerf der Negierung war. Dieje trug daher von jeher Sorge, daß die Buddhaprieſter feinen Einfluß auf das ge- meine Volk erhielten, während die gebildeten Chinefen viel zu vationel find, um ſich von den Fabeln diefer unmwifjenden ſchmuzigen Raſſe beherrjchen zu laſſen oder ihre Hunderte von Götzen für Götter zu halten.

Uebrigens ift der Buddhismus, wie bereits bemerkt, in China über feine Blütezeit lange hinaus, feine Klöjter und Pagoden zerfallen, und je mehr das Land den Europäern

167

geöffnet wird, dejto mehr werden ſich die Anschauungen des Volks Ändern. Es iſt nicht zu bezweifeln, daß die Rebellen die gegenwärtige Dynaftie entweder verdrängen oder, wie die neuejte Zeit zu bejtätigen fcheint, fie zwingen werden, eine gänzlich veränderte Politif zu nehmen. Es kann dann nicht ausbleiben, daß damit auch die morjchen religiöjen Zuftände des Landes zufammenbrechen müſſen und eine neue Religion ihren Einzug halten wird. Einige chriftliche Sanguinifer jehen bereits in Tai-Ping- Wang, dem „jüngern Bruder Chrifti‘, wie er fich nennt, den Befehrer von 300 Millionen Men— ichen zum Chrijtenthume. Nach dem, was ich von den Rebellen gefehen und erfahren, fonnte ich feine bedeutende Meinung von ihnen gewinnen, aber jedenfalls ift die Religion des Re— beilfenführers und jeiner Anhänger befjer als irgendeine der gegenwärtigen in China, weil moralifcher und geeignet, einen Uebergang vom Heidenthum zum Chriftenthum zu bilden. Die Taoiſten oder Nationaliften, nach der Wurzel Tan, Vernunft, bejigen die wenigiten Tempel und Anhänger. Der Stifter diefer Religion lebte ungefähr gleichzeitig mit Confucius, 560 v. Chr. Ihre Lehre, deren Kern eine Verachtung alles Reichthums und weltlicher Ehren iſt, entbehrt troß ihres Na- mens aller Vernunft und ihre Priefter bejchäftigen fich haupt- fächlich mit Zeufelsaustreibung und als Duadfalber, werben jedoh nur von den unwiſſendſten und abergläubifchiten Chi- nejen zu Rathe gezogen. Wenn nämlich in einem folchen Falle Arzneien nicht mehr anjchlagen wollen, jo haben fich nach chinefiihen Anſchauungen böſe Geifter des Kranfen be- mächtigt, die jich von ihm nähren, und es wird ein Taoprie- jter gerufen, um fie zu bannen. Diefer läßt mit Gongs und andern Suftrumenten einen furchtbaren Lärm machen, ver noch durch das Abbrennen von Tauſenden Eleiner Knallſchwär— mer vermehrt wird, und glaubt dadurch ven böfen Geift zu erſchrecken und zu verjagen. Zugleich werden im ganzen

168

Haufe Lederbiffen aufgeiteltt, um den Appetit ver Dämonen zu reizen, und ber exrorcifirende Taotſe murmelt während ber Zeit Gebete oder Phrafen in einer ihm felbft unverftändlichen Sprache, bejchreibt myſtiſche Figuren und entwidelt überhaupt alle jene Trugmittel, mit denen lijtige Pfaffen und Betrüger von jeher ihre unwilfenden Mitmenschen geblendet haben. Aberglaube ift überhaupt bei dem ganzen chinefifchen Volke mehr als anderwärts zu finden und er wird durch den in Peling erfcheinenden Hof- und Staatsfalender, der für bie verschiedenen Handlungen des menjchlichen Lebens bie guten und böſen Tage feftfegt, von oben herab nur noch befördert. Wenn man durch die Straßen einer chinefifchen Stadt wan— dert, wird man durch nichts fo frappirt als durch die Menge der Wahrfagerbuden, die man alle Hundert Schritte antrifft, und die ſtets von großen Scharen Volfs aus allen Ständen umlagert find. Der Glaube an ein Fatum, an glücliche und unglüdliche Tage und Stunden herrſcht unumftößlich im Ge— müthe des Chinefen. Dabei ift er jedoch fo vorfichtig, dem faiferlichen Kalender nicht unbedingt zu trauen, und bei jeder nur einigermaßen wichtigen Handlung befragt er noch Dutzende von Wahrfagern fowie die in jedem Tempel und an jedem Feldaltar zum umentgeltlichen Gebrauch aufgeftellten Becher mit Orafelftäben, die, ſchräg gegen die Erde gehalten, jo lange gefchüttelt werden, bis einer heransfällt, ver durch die Darauf gefchriebene Sentenz dem Frager eine Antwort gibt. Das Naive dabet ift, daß der Fragefteller fich durch eine abſchlä— gige Antwort nicht entmuthigen läßt, fondern den Proceß jo fange fortfeßt, bis er den gewünfchten Beſcheid erhält. Auch find die chinefifchen Wahrfager von den unfern durch PViel- feitigfeit verſchieden. Während die unfern fich auf Karten und bie Pinien der Hand, höchſtens noch auf den Kaffeeſatz be- fchränfen, habe ih in China minbeftens zwanzig derartige Künftler gefehen, von denen jeder ein anderes Syſtem befolgte.

169

Hier wirft einer zwei Kupfermünzen wie Würfel auf den Tiſch und folgert die beworftehenden Schiefalsfügungen aus ihrer gegenfeitigen Lage und dem Umſtande, welche von ven beiden Münzen (deren eine mit tatarifcher, die andere mit chineſiſcher Schrift bevedt ift) nach oben gefehrt liegt. Dort verfucht ein anderer diefelben Refultate aus den Stellungen zweier halber, ver Länge nach gefpaltener Ziegenhörner abzu- leiten. Ein dritter treibt Phyſiognomik und fchildert feinen Kunden aus der Vergleichung ihrer fetten verſchwommenen Züge, der Kloßform ihrer dicken Nafe und der Länge ihrer Ohren mit einem Normalgeficht, das auf einem weißen Brete feiner Bude lals Aushängeſchild dient, ihre brillanten Aus- fichten für die Zufunft. Wie wir nämlich in China fo häu— fig den Gegenſatz unferer Sitten und Anfchauungen finden, jo geht es auch mit den Ohren. Je mehr fich diefe an Ge- ftalt denen des Eſels nähern, defto mehr Geift und Talent wird dem Befiger zugejchrieken. in anderer Wahrfager wieder ſymboliſirt Worte. Die chinefiichen Wortzeichen, deren jedes eimen Begriff bedeutet, eigen fich ganz befonders zu diefer Art von Symbolif. Der Frager zieht aus einem Buche ein Papierröffchen, auf dem eins der vieldeutigjten Worte gejehrieben fteht. Der Wahrfager fucht nun die urſprüng— liche Wurzel dejjelben auf, erklärt mit bewunderungs- werther Zungenfertigfeit deren Sinn, ebenfo ihre fpätere Umformung, analyfirt die Hinzugefügten Zeichen und bildet aus den einzelnen Zeichen ein Anagramm, das er natürlicher- weife für eine Reihe von Fällen in petto hat und als Ant- wort der Frage anpaft. Ein fünfter legt Karte, ein jechster läßt durch VBermittelung abgerichteter Vögel aus einem Haufen mit bielfeitigen Sentenzen befchriebener Blätter eins ziehen und erklärt diefes Blatt der an ihn gerichteten Frage gemäß. In folcher Weife betrügen diefe Gauner, deren Zahl man in China über eine Million jchätt, das unwiffende Wolf und

170

Ioden ihnen das Geld aus der Taſche. Diefe Befchuldigung will freilich nicht viel fagen. Die chinefischen Wahrfager find Menfchenfenner; fie wijfen, daß ihre Landsleute wol jehr abergläubifch find, aber ihr Geld noch Lieber haben, und jeßen deshalb ihre Preiſe jehr niedrig. Die Taxe für einen Ora- feljpruch irgendeiner Art beträgt ſechs Cafh oder zwei Pfen- nige, und das ijt gewiß billig.

Ein anderer den Anhängern aller Religionsjeften gemein- ſamer Aberglaube ift der Gebrauch und der Glaube an Ta— lismane. Don diefen ift das Geldſchwert, die Nachbildung eines Schwertes mit Kreuzgriff aus einer Reihe alter Rupfer- münzen, die unter verjchiedenen Herrjchern geprägi wurden, der gewöhnlichjte. Man hängt diefe Zalismane über den Betten oder in Stuben und Häufern namentlich dort auf, wo ein Selbjtmord oder eine andere blutige That begangen ward. Sie follen die wandernden Geifter, vor denen die Chineſen jo große Furcht haben, abhalten. Zu demſelben Zwecke werden am Neujahr Pfirfichzweige mit Blüten, und am fünften Tage des fünften Monats Kalmusftauden über den Thüren aufgehängt. Auch wird um ben Hals von Kin— dern eine Art Flaſchenkürbis befeftigt, der das Symbol eines langen Lebens ijt.

10,

Das hineftiche Theater. Der Stand der Schaufpieler. Die dramatiſche Literatur. Geſang und Mufif der Chinefen.

Unter ven übrigen Gebäuden einer chinefifchen Stadt find noch die Theater zu erwähnen. Das chinefifche Volk kennt nur zwei Vergnügungsorte. Die Theehäufer oder Theegärten und das Theater. Ohne diefe beiden Genüffe glaubt man in China nicht exiftiven zu können. Selbjt in jede Colonie, wenn fie einigermaßen profperivt, wird neben allen andern Sitten und Gebräuchen regelmäßig das Theater mitgenommen, während die Theehäufer als Eigenthun eines einzelnen in jedem Dorfe zu finden find.

Wenngleih die Negierung nicht wie im alten Kom dem Bolfe auf öffentliche Koften Schaufpiele gibt, jo trägt fie doch infofern der Vorliebe für Theater Rechnung, als jie erlaubt, diejelben in jeder Straße zu erbauen und die Kojten durch allgemeine Subfeription aufzubringen. Dieje find nun, was das bloße Gebäude betrifft, allerdings nicht bedeutend. Die Theater zeichnen fich zwar durch ihre Größe vor den übrigen Häufern, aber feineswegs durch Stabilität und Foftbare Aus- ftattung aus. Bambus und Matten find ihre Hauptbeftand-

172

theile; erfterer bildet das Gebälk, lettere die Wände und das Dad. Die innere Einrichtung ift gleich primitiv und befchei- den. Ein erhöhtes Bretergerüft bildet die Bühne, vor ber das Orcheſter fitt, und die Bühne wird durch eine angeftri- chene Bapier- oder Mattenwand, die den Hintergrund vorftellt, von der Garderobe getrennt. Für das Publikum find rohe Bänfe amphitheatralifch aufgeftellt, während die Wohlhabenven ihre eigenen Stühle halten. Nechnet man dazu noch ein paar fleine Holzbuden an den Eingängen für Kaffirer und Bilfe- teure, jo hat man das Innere und Aeufere eines chinefifchen Theaters vollftändig wor fi. Couliſſen und fonftige fcenifche Borrichtungen gibt e8 nicht, wenn man nicht einige feſt auf der Bühne ftehende bemalte Papierfchirme dazu rechnen will, hinter welche bisweilen die außer Scene gefetsten Perfonen treten. Es bleibt dem Publifum überlaffen, fi mit Hülfe der Ein- bildungsfraft alle Scenerie Hinzuzudenfen, deren Andeutungen ebenfo originell als naiv find. Wird z. B. ein General zu einer Expedition nach einer entfernten Provinz gejchickt, fo erfcheint ev mit einem Zügel in der einen und einer Peitjche, die er knallen Täßt, in der andern Hand. Unter einem be- täubenden Yärmen von Gongs, Trompeten und Trommeln jchreitet er drei= bis viermal auf der Bühne umher, macht halt und theilt dem Publifum mit, daß er dort und dort an— gelangt fei. Soll andererfeits die Reiſe über See gehen, fo nimmt der Betreffende das Modell einer Dfehonfe unter den Arm und fehreitet damit über die Bühne. Pferde wer- den durch einfache Bejenftiele nargeftellt, und wird die Scenerie geändert, fo gibt ein Schaufpieler als Regiſſeur dem Publi- fum die nöthigen Erklärungen.

In einer Sache dagegen übertreffen uns die Chinefen, in ihrer Garderobe. Es Flingt unglaublich, ift aber doch That— fache, daß man auf dem Fleinften Theater Coftüme fieht, die jo von Schwerer Seide, Gold- und Silberſtickerei jtarren,

173

daß ihr Werth fich nach unfern Preifen auf mehrere hundert Thaler belaufen würde. Faft alle ernften Theaterſtücke find biftorifchen Inhalts und fpielen in den Zeiten vor der Ta— tarenherrſchaft. Die Coſtüme find Eopien der Trachten jener Zeiten, die für die Frauen faft unverändert geblieben, aber bei ven Männern durch die Tataren bedeutende Veränderun— gen erlitten Haben. Faſt alle in folhen Dramen auftretenden Perfonen find im Geficht mehr oder minder weiß bemalt. Die meiften Fremden halten dies für eine ebenfo entftellende als merkwürdige Schminfe, aber dieſe Malerei diente vor der Zatavenzeit als äußeres Zeichen des Rangunterſchiedes. Je mehr Weiß das Geficht zeigte, deſto höher jtand ver Be— treffende im Range.

Die Schaufpieler gehören der unterften Klaſſe der Ge— jellichaft an. Bor etwa 500 Jahren revoltirten die Einwoh- ner eines Dijtrictd gegen den Kaifer. Sie wurden bezwungen und damit beftraft, daß ihnen und ihren Nachfommen für ewige Zeiten der Weg zu allen Staatsämtern verfperrt wurde. Ebenſo ward ihnen verboten, an ven literarifchen Wettfämpfen, die zu Zeiten in China jtattfinden, theilzuneh- men, und ihnen nicht einmal die Wahl eines Berufs oder einer Profeſſion geftattet. Diefe chinefifchen Parias, die in eigen- thümlicher Uebereinftimmung mit einer der niedrigſten Kaſten in Indien Dobi heißen, haben nur die Erlaubniß, Sänften- träger, Haufirer, Barbiere oder Schaufpieler zu werben, während ihre Frauen das Gejchäft des Heirathſtiftens betrei- ben. Man kann ſich alfo denken, daß von Künftlern unter ven Schaufpielern nicht viel die Rede ift, obwol es immer einige darunter gibt, die recht gut fpielen.

Stationäre Theater wie in Europa gibt e8 nicht. Die Schaufpieler ziehen in Trupps im Lande umher und werben bald hier bald dort von irgendeinem Unternehmer für eine beftimmte Summe auf eine Reihe von Vorftellungen gemie-

174

thet, und diefer nimmt dann Entree; oder reiche Beamte oder Privatleute engagiren fie für eine gewifje Zeit, und dann hat jedermann unentgeltlich Zutritt.

Das chinefifhe Drama ift nicht dazu angethan, große Künitler zu bilden. Die dramatifche Literatur ift zwar in China ungemein ftarf vertreten, und einige der beiten Schau- jpiele find zu verfchiedenen Zeiten in das Englifche oder Fran— zöftfche übertragen worden; allein die poetischen Schöpfungen erheben ich nicht über das Niveau der Mittelmäßigfeit. We- der in den ältern noch in den neuern dramatiſchen Erzeugniffen der Chinefen findet man tiefere Anfchauung oder ſchwung— volles Pathos. Obſchon ihre Tragödien äußerlich viel Aehn— lichfeit mit den Compofitionen der alten Griechen haben, ftehen fie doch im Werthe tief unter den Yeiftungen eines Sophofles, Aeſchylus oder Euripides.

In ihren Bühnenftüden machen die Chinejen feinen be— ſtimmten Unterfchted zwifchen Tragödie und Komödie, viel- mehr läßt fich dies nur aus dem Gegenftande des Stücks und dem Dialog abnehmen. Die Tragödie ift gewöhnlich an ihren hiſtoriſchen oder mythologiſchen Charakter zu erfennen.

Bei der großen Sinnlichkeit des Volks ift natürlich auch das Repertoire fehr reich an frivolen und unfittlichen Schau— fpielen, doch werten, obwol es feine Theatercenjur gibt, diefe Stücke nicht fo Häufig öffentlich als in den Privatthea- tern reicher Lüftlinge aufgeführt. Bei folcher Gelegenheit überreicht der Regiſſeur dem vornehmen Gafte eine Lifte der feiner Gefellfchaft geläufigen Piecen, und der Gaft trifft dann feine Wahl. Souffleure gibt es nicht in China, jeder Fennt feine Rollen auswendig, aber deswegen bejchränft ſich das Repertoire deſſelben Theaters auch nur auf eine verhältniß- mäßig fleine Zahl von Stüden.

Das erite chinefifche Drama, „Die Waife von Tſchau“, wurde durch den Jeſuiten Premare, einen der erften Sino—

175

logen feiner Zeit, in das Franzöfifche überfett und von Vol- taire als Grundlage einer feiner beiten Tragödien, „'Orphelin de la Chine“ benutzt. Das Stüd [pielt ungefähr 100 Jahre vor der Geburt des Eonfucius, und fein Inhalt ift folgender: Ein militärischer Chef erobert Ränder, die dem Haufe Tſchau gehören, und bejchließt die Ausrottung des ganzen Gejchlechte. Ein treuer Diener rettet das Yeben des letzten männlichen Erben, indem er ihn verbirgt und fein eigenes Rind ftatt deffen opfern läßt. Die Waife wird in Unfenntniß ihrer wirklichen Abfunft erzogen, bis ihr in ihrem Mannesalter ihr Retter und Pflegevater das Geheimniß enthüllt. Die Waife rächt nun das Schickſal ihrer Familie an tem Ufurpator. Die Handlung im Stüde ift einfach und ohne Verwidelungen, der Dialog fließend, die Sprache gewählt, ohne jedoch jehr poetifch zu fein.

Ein zweites Drama, „Der Erbe in hohem Alter‘, wurde ein Sahrhundert fpäter von dem Engländer Davis in das Englifche überfett. Dies Stück iſt infofern intereffant, als es vielen Auffchluß über Charakter und Sitten der Chinefen gibt. Es fchildert die Confequenzen, die das Volf an die Berrichtung gewilfer Ceremonien am Grabe der PVorältern ſowie an das Hinterlaffen männlicher Erben fnüpft, die allein diefe Andacht verrichten können, deren Details genau befchrie- ben werden. Ebenfo wird darin das Verhältniß des Kebs— weibes zu der legitimen Frau gefchildert und deutlich gezeigt, daß erjtere nur eine Hausfflavin ift, die ebenfo mie ihre Kinder der rechtmäßigen Gattin gehört.

Faſt alle chinefifchen Dramen haben, einfchließlich eines ein- leitenden Vorfpiels, fünf Acte, die jedoch weniger auf der Bühne als im Buche marfirt werden. Die Anweifungen für die Schaufpieler find wie bei uns in die Rolfenbücher hinein» gedrudt. Frauen betreten nie die Bühne, ihre Rollen werben ftets durd) junge Männer gegeben.

176

Die Borftellungen, namentlich diejenigen hiftorifcher Art, werden während ihrer Aufführung vurh das Orcheſter auf eine Weife begleitet, die uns nicht befannt iſt. Die Muſik dient dabei als Verjtärfungsmittel, und jedesmal wenn einer Sentenz oder Worten Nachdruck verliehen werden foll, fällt auf ein gegebenes Zeichen die Mufif ein uud macht einen Ichredlichen Lärm. Dies gefchieht bisweilen fo oft, daß man mehr Lärm von Inftrumenten als Dialog hört und europäi- Ihe Nerven felten die Anhörung eines ganzen Dramas zu ertragen vermögen.

An muſikaliſchen Inftrumenten befiten die Chinefen eine große Auswahl, namentlich Lauten und Guitarren, die aber nur drei Saiten haben und nicht mit den Fingerfpigen, jondern mit Bambusftäbchen in der Form eines Butterjtechers ge- jpielt werden. Sodann verfchievene Geigen oder vielmehr Violoncellos mit zwei Saiten, zwifchen denen der Strang des Bogens fährt. Ihre Töne find ungemein fchneidend, machen fihb am lautejten und greifen die Nerven am meilten an. Ferner mehrere Arten von Flöten und Blechelarinetten, und endlich eine Menge von Trommeln, Gongs und Beden ‚aus Metall oder hartem Holz. Die Saiten der Streichinftrumente find nicht aus Darın, fondern aus Seide und Draht gemacht.

Ueber die Töne, welche diefen Geräthen entlocdt werden, laßt fich nicht viel fagen; Mufif nach unfern Begriffen exiftirt in China nit. Man hört freilich eine oft wiederfehrende Melodie durch, aber von Harmonie ift feine Rede. Die In: ftrumente find unifono geftimmt, und höchftens fpielt das eine pie betreffende Melodie eine Octave tiefer ald das andere. Es gibt Feine bejtimmte Tonart, fondern Moll und Dur wechjeln beftändig während des Spiels miteinander ab. Ebenfo wenig fennen die Chinefen halbe Töne, Contrapunkt oder Abtheilungen in der Muſik, und ihre Melodien haben für uns durchaus nichts Anziehendes. Der Totaleindrud ihrer Muſik

177

bleibt ftet3 nur ein wüſtes Zufammenflingen möglichit ge- räuſchvoller Inftrumente. Ihr Gefang ift nicht beſſer. Die Frauen quiefen oder fchreien in den höchſten Falfetttönen und die Männer durch die Filtel uniſono mit den die Melodie an- gebenden und zugleich begleitenten Inftrumenten, und ich werde fo leicht nicht die Tortur vergejfen, welche ich erlitt, als ich einft in Hongkong von einem Chinejen zu einem folchen Sing- fang eingeladen und drei Stunden zur Anhörung eines ſolchen Inſtrumental- und VBocalconcertes verurtheilt war. Die einzelnen vorhandenen Noten werden durch beftimmte Charaftere ausgedrüdt und die Melodien in ihnen nieder- geſchrieben.

Nach dem Alter der Muſik in China und den Aufmun— terungen, die Confucius der Pflege dieſer Kunſt hat zu Theil werden laſſen, ſollte man vorausſetzen, daß ſie ſich im Laufe der Zeit zu einer höhern Stufe hätte emporſchwingen müſſen, allein wie alles andere iſt auch ſie ſeit Tauſenden von Jahren ſtationär geblieben. Das iſt um ſo mehr zu verwundern, als der gebildete Chineſe ſehr wohl unſere beſſere und harmo— niſche Muſik zu würdigen weiß, wie wir dies oft genug Ge— legenheit hatten zu bemerken, wenn die Muſik der Arcona öffentlich in Schang-hae ſpielte.

Werner. I. 12

11.

Die Boote der Wafferftadt in Kanton und ihre Führerinnen. Fahr— zeuge und Schiffahrt der Chinefen. Der Kompaß. Zuftand der Kriegs- flotte. Der Flußverfehr.

China it fo jehr übervölkert, daß namentlich in der Nähe großer Städte, die ftetS an Flüffen erbaut find, ein Theil der Bevölferung feine Wohnfite auf dem Waſſer auffchlagen muß, weil der für ihre Unterbringung nöthige Grund und Boden dent Aderbau, der hauptfächlichiten Nahrungsgquelle des Volkes, nicht entzogen werden darf. Diefe Nothwendigfeit, die Boden- fläche für den Anbau zu reſerviren, hat nun in Kanton eine fürmliche Wafferftadt in das Leben gerufen, die nicht weniger als eine Biertelmilftion Einwohner zählt. Die Benölferung von Kanton wird auf eine Million gefchätt, obwol ich fie für größer halte; die Wafferftadt bildet den vierten Theil.

Wenn man mit dem Dampfichiffe das ſüdweſtliche Ende Kantons paffirt, erblidt man, jo weit das Auge reicht, un- zählige Boote von ganz gleicher Form. Bord an Bord lie- gend, bilden fie endlofe Straßen zu beiden Seiten des Fluſſes, in denen fich wieder Hunderte und Tauſende von andern Booten hin- und herbewegen und ein fo buntes Gewimmel hervorrufen, daß der Fremde ftaunend fteht.

179

Diefe Boote, die ich bereits früher als Tankea oder Eier- Häuschen erwähnte, find die Häuſer der Wafferftadt, von deren Bedeutung man eine Borftellung erhält, wenn man bedenft, daß im Polizei- Yamun von Kanton 90,000 diefer Tanken regiftrirt find. Zu allen dieſen Fahrzeugen gejellen fich nun noch die Arbeits-, Fähr- und Frachtboote fowie die zahllojen größern Handelsdſchonken, die, entweder aus dem Innern oder von jeewärts fommend, den Fluß be- völfern und von Whampoa bis eine Meile nordwärts von Kanton in Scharen von Hunderten neben- und hintereinander vor Anker liegen, oder auf dem Berlfluffe und den Kanälen fih jchwerfällig fortbewegen.

Ich muß geftehen, daß ich auf meinen Reiſen nie etwas Achnliches gejehen habe, und nichts kann meiner Anficht nach den commerziellen gejchäftigen Geift der Chinejen und Die große Lebhaftigfeit ihres innern Verkehrs ſchärfer charakteri- firen als die im wahren Sinne des Wortes unzählbare Menge ihrer Fahrzeuge, die meift noch von Paffagieren voll gepfropft jind. Die Form, Bauart, Zafelage u. |. w. ber größern Handels- und Fiſcherdſchonken find fajt in jeder Provinz verfchieden, umd zwar ift diefer Unterjchied an ver Seeküſte jo marfirt, daß europäifche Seefahrer, welche die hinefiiche Küfte öfter bejuchen, im Nebel genau die Pofition ihres Schiffes fennen, ſobald fie einer der chinefifchen Fifcher- flotten begegnen, die zwei, drei Meilen von der Küſte ihr Handwerk betreiben und an der Form und der Befegelung ihrer Dfehonfen fofort als zu der oder der Seeſtadt gehörig erfannt werden.

Mit den Tankea ift dies jedoch nicht der Fall. Diefe jehen fich im ganzen Reiche jo ähnlich wie ein Ei vem andern, und der einzige Unterfchied ift, daß fie im Süden ausschließlich von Frauen, im Norden jedoch auch von Männern geführt werden. Sie find 12—14 Fuß lang, 4 Fuß breit,

Va

180

jehr flach gehend und gegen Wind und Wetter in der Mitte durch ein halbrundes feftes Dach von Bambusflechtwerf und porn und hinten durch eben folche lofe Dächer geſchützt, bie fih nach Belieben hinſetzen und fortnehmen lafjen. In diefem Raume, der faum 50 Duadratfuß einfchließt und dabei nicht höher als 4 Fuß tft, wohnt jahraus jahren eine ganze Familie von ſechs, acht, ja zehn Perfonen, und man vermag fich fo einen Begriff zu machen, mit wie wenig Plat Chinefen ſich behelfen Fönnen. In diefen Booten wird gefocht, gegefjen und gefchlafen. Die eltern verlaſſen felten, die Kinder oft jahrelang ihre enge Behaufung nicht. Dabei ift aber diefe Be— völferung wohlauf, fräftig und guter Dinge.

Die Boote zeichnen fich im Gegenjaß zu den Wohnungen am Lande durch KReinlichfeit aus. Ihre Bewohner, obwol fie von der Hand in den Mund leben und oft am Morgen nicht wiffen, woher fie Speife nehmen follen, find faſt immer gut gekleidet, und ich bin oft und gern mit den Tankea ge- fahren und habe mich jedesmal über die rüftigen, fleißigen Mütter und die bausbädigen jtarfen Kinder gefreut, die oft Schon in einem Alter von vier bis fünf Sahren mit ſchwachen Kräften die Mutter an ihrem fehweren Ruder unterftügen müffen. Die Boote werden nicht, wie bei uns gebräuchlich, durch mehrere Ruder an der Seite, jondern Durch ein größeres nach hinten hinaus fortbewegt. Daffelbe ift der größern Haltbarkeit wegen aus zwei Theilen zuſammengeſetzt und hat unten ein fehr breites Blatt, das abwechlelnd nad) beiven Seiten mit feiner fehiefen Fläche auf das Waffer ge- drückt wird und, nach dem Princip ver Schraube wirfend, dem Boot nicht nur eine Schnelle, jondern auch eine ununterbrochene und gleichmäßige Bewegung mittheilt und es je mach der Bermehrung des Druds auf die eine oder andere Seite be- liebig Tenft. Zur möglichiten Verminderung der Friction ruht das Ruder anf einem eifernen Pivot. So gleiten die

181

Fahrzeuge mit großer Gefchwindigfeit über das Waſſer, ge- lenkt von einer einzigen Frau, deren Gejchiellichfeit man nicht genug bewundern fann, und die nur vieljährige Uebung unter einem jolchen Bootsgewimmel, wie e8 der Perlfluß bietet, zu erzielen vermag.

Eine befondere Sorgfalt verwenden die Bootsfrauen auf ihre Haartracht. Alle Chinefinnen haben wunderjchönes ſchwarzes Haar, und fie wiſſen dies auf Die vortheilhaftefte Weiſe zur Schau zu jtellen. Während die Mandſchu ven befiegten Männern den tatarifchen Zopf aufgezwungen und es uns begreiflicherweife im Laufe zweier Iahrhunderte dahin gebracht haben, daR die anfangs jo jehr verhaßte Tracht der Stolz jedes Chinefen geworden und der Verluſt des Zopfes als vie größte Schande betrachtet wird, ließen fie die Haartracht der Frauen unberührt, und wir jehen diefelbe heute, wie fie vor taufend und mehr Jahren war. Bei Hohen und Niedrigen it jie ganz gleich, nur zeichnen Goldſpangen und Perlenſchmuck die Reichen aus. Das Haar wird ſämmtlich nach hinten gekämmt, zu einem Schopf gebunden und diefer mittel8 Pommade, Kämmen und Boljtern zu einer Figur geformt, die Aehnlich- feit mit einem fliegenden Schmetterlinge bat. Eine bevartige Eoiffüre Fojtet natürlich ungemein viel Zeit; aber ſchon mit Zagesanbruch jieht man ſämmtliche Bootsfrauen volljtändig feifirt. Die Schmetterlingsflügel find das Zeichen der Frauen; Jungfrauen tragen das Haar zu einem einfachen Zopfe ge- flochten und aufgewicelt.

Die Berhältniffe des Landlebens find, foweit es irgend möglich, auf die Wafferftadt übertragen. In gröfern Booten finden wir Theater und Theehäufer, aus denen das unmelo- diſche eintönige Geflimper von Guitarren mit obligater Be- gleitung von freifhenden Stimmen und den lauten Alängen des Gong hervorſchallt, während diefe Fahrzeuge fich am Abend durch unzählige bunte Laternen bemerklich machen. Die

182

vielen Haufirer und Lebensmittelverfäufer, welche die Straßen der Stadt durchziehen und deren jeder an einem befonderen Gejchrei erfannt wird, fahren hier mit ihren Sachen von Boot zu Boot und verforgen deren Bewehner mit allen Be- dürfniffen. Bon Zeit zu Zeit fällt dem Auge eine Gruppe größerer, mit heitern Farben bemalter und mit allen mög- lichen Slaggen und Flitterſtaat gefchmücter Fahrzeuge auf. Dies find die fogenannten Blumenboote, ſchwimmende Hotels, in denen Hochzeiten und andere Feftlichfeiten gefeiert werden. Bei folchen Gelegenheiten find die Chinejen in ihren Srendenbezeigungen ebenfo laut als unermüdlich, und wehe dem armen Europäer, unter deſſen Fenftern ein folches Boot jeinen Anferplag wählt. Die ganze Nacht hindurch wird er von den fchreelichen Tönen dishermonifcher Inſtru— mente und dem Abbrennen krachender Schwärmer wach gehalten.

Man jollte glauben, daß eine Nation, von der fo viele Dillionen beftändig auf dem Waſſer leben, deren hervor- jtechendfter Charafterzug die Liebe zum Handel ift, und die an den langgejtredten Küften eine Zahl won Seefchiffen befikt, gegen welche die Rhederei unferer größten Handelsftaaten wie England und Amerika verfchwindend Hein erfcheint, auch in der Seefchiffahrt bedeutende Fortjchritte gemacht habe, uber e8 fcheint gerade das Gegentheil ftattgefunden zu haben. Um einen Begriff von der Menge der Fahrzeuge zu geben, will ih nur erwähnen, daß wir während einer Kreuztour von Hongkong nah Japan eine Strede von 60 deutſchen Meilen an der hinefifchen Küfte Hinauffuhren und während der fünf Tage, welche wir dazu gebrauchten, beftändig von Tauſen— den großer Fiſcherdſchonken umgeben waren. Eines Tages zühlte ich nur an einer Seite unfers Schiffes deren nahe an 400.

Man darf jedoch nur einen Blid auf diefe Fahrzeuge werfen, um an ihnen fofort den niedrigen Standpunft chine- ſiſcher Schiffahrt zu erfennen. Ihre Formen find plump,

183

ungeſchickt und unpraftiieh, das Vordertheil faſt vieredig und das Hintertheil jo ſchwach, daß man micht begreift, wie Menjchen in einem folchen Fahrzeuge zur See gehen fünnen. Die Maften find unverhältnigmäßig jtarf und werden durch fein Tauwerk gejtüßt; die Segel find aus Matten gefertigt und unhandlich. Ihre Anker find aus Holz gemacht, und die mechanifchen Hülfsmittel, welche wir ſeit undenflichen Zeiten zur Handhabung der Segel und Raaen benutzen, wie Slafchen- züge, Kloben u. ſ. w., fcheinen hier bi8 auf eine unpraftifche Winde unbefannt zu fein.

Die Befatung zählt viel Köpfe, aber auch viel Sinne, und dies jehr oft zum Unglücd des Schiffes. Die Chinefen fahren nicht aus Neigung, fondern aus Zwang zur See. Nur wenn ihnen am Lande jede Subfijtenz fehlt, verdingen fie ſich als Matrojen auf eine Dichonfe, und gewöhnlich ift es der Ab— Ihaum der Bevölkerung, der fich hier zufammenfindet. Außer dem Eigenthümer dev Waaren oder deffen Bertreter hat das Schiff noch einen Kapitän oder Steuermann. Er führt nominell den Befehl über die Matrojen; jedoch gehorchen ihm diefe nur, wenn es ihnen convenixt und behandeln ihn oft jchlechter wie ihresgleichen. Ievder Mann der Beſatzung darf eine bejtimmte Quantität Waaren mitnehmen, und jeder bean- iprucht deshalb in der Führung des Fahrzeugs eine Stimme. Daher fommt es, dag Kapitän und Steuermann fich oft dem Willen der Bemannung fügen müffen, wodurch nicht felten das Schiff beſchädigt wird oder verloren geht. Im Augen- blik der Gefahr Hört alle Ordnung und Disciplin auf, alles ſchreit durcheinander, und jelten wird eine Dſchonke aus einer gefährlichen Lage durch ihre Beſatzung befreit. Dies fo- wie die Gebrechlichkeit der Dſchonken und ihre Schwer- jälligfeit im Manövriren und Segeln macht es auch er- Härlih, daß in einem Teufun oft Hunderte von diefen Fahr- zeugen auf einmal zu Grunde gehen oder an die Küſte

184

gejchleudert werden und Tauſende von Menjchen dabei um- fommen.

Es iſt befannt, daß der Kompaß in China erfunden wurbe. In einem ihrer Wörterbücher aus dem Jahre 121 n. Chr. wird von den Chinefen fchon des Magnetjteins erwähnt, „mit dem der Nadel eine Richtung gegeben werden kann“. Im einem andern Werfe aus der Mitte des dritten Iahrhunderts ift der Gebrauch des Kompaſſes genau bejchrieben, und in einem dritten Buche vom Jahre 419 n. Chr. wird gejagt, daß die Schiffe mit Hülfe des Magnets nach Süden gejteuert würden. Ebenſo hat Klaproth nachgewiejen, daß die Be— ftimmung der Variation oder der magnetifchen Abweichung der Nadel vom wahren Meridian in China lange vor uns befannt war. Als Beweis für die Originalität des chinefischen Kompaſſes mag der Umftand dienen, daß fie den Attractiong- punkt nicht, wie wir, im Norden, fondern ihn Süden annehmen und danach auch ver Variation ven entgegengefeten Namen geben. Ebenſo zeigt die Conftruction des Inſtruments das hohe Alter der Erfindung. Sch bin im Beſitze eines jolchen Kompaſſes, ver nicht wie bei ung aus einer beweglichen, an die Nadel befeftigten und fich auf einem Stift drehenden Windrofe, jondern aus einer zehn Zoll im Durchmefjer haltenden und einen Zoll dicken freisförmigen Holzfcheibe bejteht, in deren Mittelpunft die kleine faum einen Zoll lange Nadel in einer Höhlung ſchwingt. Auf der Scheibe jelbit find die ältejten aſtronomi— jchen Ideen der Chinefen eingravirt. In den von ihnen vor tauſend Jahren gefchriebenen Büchern findet man Das genau Sonterfei der jeßigen Kompafje, die ebenfowol als Führer zur See wie über Land bei Reiſen des Kaiſers gebraucht wurden. Bei letzterer Gelegenheit jtand mit der Magnetnadel eine fleine Figur in Verbindung, die auf dem Vordertheil des faiferlichen Wagens angebracht war, mit dem aufgehobenen Arme ſtets nach Süden zeigte und der „Genius mit dem

185

Feverfleide‘ genannt wurde. Auch in Japan wurde fehon tm 7. Sahrhunvdert vderjelbe Apparat bemutt, jedoch erwähnt der betreffende Chronift, daß die Entvedung aus China ſtamme.

Mit dem Kompaſſe erging es den Chineſen wie mit dem Schießpulver, das gleichfalls von ihnen lange vor uns er— funden wurde. Die wichtige Entdeckung reizte ſie nicht zur Vervollkommnung, und wenn ſie mit Hülfe des Kompaſſes bereits vor tauſend Jahren Indien aufſuchten und fanden, gehen doch ihre Schiffe jetzt nicht mehr weiter als bis Sin— gapore und Java. Sie fahren an der Küſte entlang, und es iſt Aufgabe des Steuermanns, den Curs von einer Inſel— oder Landſpitze zur andern zu beſtimmen. Theils erlaubt die Bauart ihrer Dſchonken, theils die unbehülfliche Con— ſtruction ihrer Takelage nicht, auf offener See gegen den Wind anzukreuzen. Sie können nur mit günſtigem Winde ſegeln, gehen mit dem Nordoſtmonſun nach dem Süden und kommen nach ſechs Monaten mit dem Südweſtmonſun wieder zurück. Wenn ſie das Land aus den Augen verlieren, ſo ſind ſie in der größten Verlegenheit, da ſie weder Breite noch Länge zu beſtimmen vermögen und in ihrer lächerlichen Selbſt— genügſamkeit und Ueberhebung es verſchmähen, ſich von den Europäern belehren zu laſſen. Der Miſſionar Gützlaff, der mit einer chineſiſchen Dſchonke eine Reiſe machte, erzählt eine Thatſache, die beſſer als alles andere die arrogante Dummheit der Chineſen charakteriſirt. Er wurde vom Ka— pitän und Steuermann aufgefordert, ihnen uuſere Methode zur Bejtimmung der Breite und Länge zu erklären. Als es ihm gelungen war, ihnen die Theorie verjtändlich zu machen, war der Kapitän jehr erſtaunt, daß fich mittelft des Sextan— ten das Sonnenbild bis auf den Horizont herunterbringen laſſe, und verlangte von Gütlaff, er folle ihm mit Hülfe des— jelben Procefjes die Tiefe des Wuffers bejtimmen oder, nach

156

jeiner Anficht, ven Meeeresgrund an die Dberfläche bringen. Als der Miffionar dies als eine Unmöglichkeit erklärte, be— hauptete der Chinefe: „dann wären bie Obfervationen voll- ftändig nutzlos und echt barbariich “.

Der Zuftand der chinefischen Kriegsflotte ift um nichts bejjer als die Bejchaffenheit ver Handelsfahrzeuge. Die Kriegs: oder Manvdarinendfchonfen find ebenjo plump gebaut, von ebenjo unmwifjenden Führern commandirt, ebenjo fchlecht ge— handhabt wie jene, und der Zuftand ihrer Artillerie harmonirt mit der fonftigen Art des Schiffs. Alle möglichen Kaliber, Sahrgänge und Conftructionen, nur nicht die der Neuzeit, find dabei vertreten, und ich habe Hunderte von Gefchüten gejehen, deren ehrwürdiges Alter und verroftete Außenfeite darauf fchliegen Ließ, daß fie zum Glücke ihrer Bedienung nie gebraucht wurden, weil fie höchſt wahrfcheinlich beim erjten Schuffe gefprungen wären.

Jedes Gefchüt zeichnete fich dadurch aus, daß ein Strei- fen rothe8 Tuch um die Mündung gebunden war. Obwol ich den Grund davon nicht erfahren fonnte, fchließe ich Doch, daß den Kanonen eine ähnliche Verehrung gewidmet wird wie dem Kompaß, dem Steuerruder und dem Ankertau, vie ebenfalls an Bord der Handelsdſchonken mit einem rothen Zuchftreifen gefjhmüct find und denen allerlei Dpfer darge: bracht werden. Täglich brennen vor diefen drei Gegenftänden, die allerdings für die Sicherheit des Schiffs ſehr wejentlich find, Näucherftäbe und werden kleine Dſchonken aus Gold— papier verbrannt. Ebenſo wird bei allen Wind- und Wetter- veränderungen ver „Königin des Himmels“, der Schußpatronin der Seeleute, auf ähnliche billige Weife geopfert. Etwas mehr Ordnung und Diseiplin herrfcht wol auf ven Mandarinen- dichonfen, aber von europäiſcher Mannszucht ijt Feine Rebe. Es ift gewiß nicht zu hoch gegriffen, wenn man die Zahl ver Kriegsfahrzeuge auf 5—6000 anfchlägt, aber ihr Nugen ift

187

geradezu Null. Alte Flüſſe und Küften des ganzen großen Reichs wimmeln von Piraten, die unter den Augen der Kriegspfhonken ihr Handwerk betreiben, und wo die Manda— rine aus Furcht vor dem faiferlichen Bambus es einmal gewagt haben, europäifchen Kriegsfchiffen entgegenzutreten, haben fie ftets die großartigften Niederlagen erlitten. Bon einem einzigen Kleinen europäifchen Kriegsdampfer find oft 60-80 Dichonken in ven Grund gebohrt, verbrannt oder im die Flucht gefchlagen worden. In der Gegend von Schangshae und Ningpo, wo die Seeräuber am häufigſten und frechiten find, hat eine Geſellſchaft chinefifcher Kaufleute fich einen von Europäern befehligten und bemannten Kriegsdampfer bauen faffen, der ihre Dfehonfen escortirt, weil fie bei der kaiſer— lichen Flotte auf Schuß gegen die Piraten nicht rechnen dürfen. Die Frechheit der Piraten überjteigt bisweilen alle Grenzen. So 3. B. wurde im Jahre 1861 eines Abends in der englifchen Colonie Hongkong mitten im Hafen und feine taufend Schritt von der als Wachtjchiff fungirenden Dampf- corvette Esf eine amerikanische Brigg von einigen Piraten- dſchonken überfallen, die gefammte Mannjchaft ermordet und das Schiff ausgeraubt. Nur Ein Paſſagier, ein deutjcher Kaufmann, fprang über Bord, und e8 gelang ihm, fich durch Schwimmen auf die am weftlichen Hafeneingange gelegene feine Infel Green Island zu retten, die jedoch ganz unbe: wohnt ift. Nach einer Stunde hört er eine Dfehonfe vorbeis rudern, ruft fie an und erfucht fie, ihn an das Feſtland zu bringen. Der Dfchonfenführer fordert dafür den enormen Preis von 50 Dollars, die der Kaufmann auch veripricht; wie erjchrictt er jedoch, als er beim Betreten des Fahrzeuges alle jene wilden Gefichter wieder erfennt, vor denen er furz vorher über Bord gefprungen. Glücklicherweiſe verläßt ihn je doch feine Geiftesgegenwart nicht, und er verräth fich nicht. Als die Dichonfe in dev Nähe des Wachtfchiffes vorbeirudert, ver-

188

langt er an Bord des Esf gejett zu werben. Die Piraten machen Schwierigfeiten, werden aber durch die Drohung des Deutfhen, um Hülfe zu rufen, dazu vermocht. Sie bringen ihn an Bord, faum hat er jedoch den Fuß auf die Leiter gefett, als die Räuber- Dichonfe ſchon wieder abſtößt, und ehe der Deutjche Zeit hat, dem Wache habenden Offizier den Borfall zu erzählen, ijt jene bereits in der Dunfelheit ver— Ichwunden. Zwar werden ihr fofort einige bewaffnete Boote nachgeichieft, allein ohne irgendwelchen Erfolg.

So traurig, wie es mit der Seefchiffahrt in China be- jtellt ift, jo vorzüglich jteht e8 mit der Flußſchiffahrt. Abge- jehen von unjern Dampfjchiffen find uns die Chinejen in ihrer Pafjagierbeförderung zu Waller ganz gewiß überlegen. Der äußerſt geringe Tiefgang der Flußfahrzeuge bei ungemein großem Laderaum, ihre jteife Bauart und große Bequem— fichfeit, ſowie die Gefchidlichfeit, mit der dieſe Fahrzeuge durch die jchwierigften Paſſagen gelenft werden, erregen ftets die Bewunderung der Europäer. Ihre Lenkffamfeit haben fie dem obenerwähnten, nach hinten hinausliegenden Ruder zu danfen, das bei größern Fahrzeugen oft 50 Fuß Lange be- fit und nicht felten von 20 bis 60 Menfchen bewegt wird. Die Wirkung eines folchen gewaltigen Hebels muß bei ven flachgehenden Fahrzeugen natürlich jehr beveutend und augen- blicklich fein.

Die Baflagierboote fünnen SO—100 Menjchen fafjen; fie find durch ein feſtes Ded gegen die Witterung geſchützt, und ihre Räumlichkeiten haben eine Höhe von 7—8 Fuß. Diefe Räume beitehen aus einem VBorzimmer für die Dienerjchaft, einem Wohnzimmer und verfchiedenen Schlaffammern nebjt allen Bequemlichkeiten, die chinefifcher Komfort fennt. Im Gegenſatz zu dem Schmuze der Häufer zeichnen fie fich durch merkwürdige Neinlichkeit aus, und wenn man von der Schnellig- feit abfieht, läßt fich eine bequemere Flußſchiffahrt kaum

139

denken. Gefchwindigfeit freilich darf man nicht erwarten; die Form, welcher man die Bequemlichkeit verdankt, ſchließt iene aus. Gelbft unter den günftigiten Umftänden macht eine ſolche Barke höchftens drei bis vier Meilen an einem Tage.

12.

Einteilung und Bevölkerung des hinefiihen Reihe. Stabilität und

Grundprincip der Negierungsform. Volksbildung und Unterricht.

Der Kaiſer, feine Stellung, feine Edicte. Das Neihsminifterium und

der DVerwaltungsorganismus. Die Staatsprüfungen für die höhere

Beamtenlaufbahn. Der hinefifche Strafcoder. Graufamfeit und raffi-

nirte Strafarten. Käufliche Vertreter in der Strafbüßung, felbft bei Todesftrafe.

Kanton it der Sit eines Gouverneurs oder Vicekönigs. Diefer hohe Beamte wird nämlich vom Kaifer mit königlicher Macht und duch das Symbol eines befondern Foftbaren Schwertes mit Kreuzgriff, goldener Scheide, ſowie mit Brillan- ten bejett, mit dem Rechte über Leben und Tod belieben, das, wie ich bereits bemerkt, unter andern von dem berüchtigten Yeh in folcher Weife ausgeübt wurde, daß in drei Jahren feiner Herrfchaft allein in Kanton 70,000 Menjchen durch Henferg- hand fielen,

Das ganze China ift in 18 Provinzen eingetheilt, deren Namen ich füglich übergehen kann, da fie in jeden geogra- phifchen Handbuch zu finden find. Je zwei Provinzen find einem Vicekönig unterftellt, und der Vicekönig von Kanton beherricht Kwangſi und Kwangtung, die an Größe und Ein- wohnerzahl unfere beventendjten europäifchen Neiche übertref-

291

fen. Die Angaben über die Gejammtbevölferung des ganzen chinefifchen Neich8 weichen bedeutend voneinander ab. Unter dem vorigen Kaiſer wurde eine Volkszählung vorgenommen, die 310 Millionen ergab. Gegenwärtig jehätt man die Ein- wohnerzahl auf 360 Millionen, was vielleicht etwas zu hoch genommen ilt, da die Bürgerfriege, welche feit den letzten 10 Jahren im Innern wüthen, und die in leßter Zeit groß- artig gewachſene Auswanderung hierbei nicht gehörig beachtet zu fein ſcheinen.

Wie dem aber auch jei, jo bleibt e8 immer wunderbar, daß eine jo ungeheuere Bevölferung feit Iahrtaufenden unter einem Oberhaupte ein Weich gebildet und zufammmengehalten hat, und es iſt gewiß interejfant, nach den Urfachen zu for- ichen, die eine ſolche in der Weltgefchichte einzig daſtehende Thatlache begründeten.

Zunächſt Hat wol das chinejiiche Neich feine Stabilität der Regierungsform zn danken, und diefe muß wenigitens im Prineip für das Volk gut und zwedmäßig fein, da intelligente Menfchen, wie die Chinefen unzweifelhaft find und feit Jahr— taufenden waren, eine jchlechte vwerderbliche Regierung auf die Dauer nicht ertragen hätten. Kein Land der Welt hat aber eine jo ftetige gefchichtliche DBergangenheit aufzumweifen wie China, und wenn nach dem Ausfpruche eines berühmten Stantsmanns das Volk glücklich ift, deſſen Gefchichte lang- weilig iſt, jo find die Chinefen bejtimmt glüclih. Ihre Annalen find das Bild eines ruhig dahingleitenden Stroms, der nur in jahrhundertlangen Zwifchenräumen auf kurze Zeit durch das Aufbraufen der Wogen feine Ufer überflutet, bald aber in jein altes Bett zurüctritt, um abermals Jahrhun— derte ruhig weiter zu fließen. Das Aufbraufen verurfachten tyrannifche Despoten, an deren Sturz fich gewöhnlich ein Dy— naftienwechjel knüpfte, und auch die jekigen innern Kämpfe ind nur Widerftand und Auflehnung des Volks gegen einen

192

fchlechten Herrfcher, ein Kampf der Unterjochten gegen fremde Unterdrüder, der Chinefen gegen die Tataren.

Wie oft aber auch feit dem Beſtande des Reichs Dyna— jtienwechjel ftattgefunden, nie hat fich damit die Regierungs- form geändert. Es handelte fich ſtets um Perfonen, und wenn auch vielfach von der gegenwärtigen Revolution ein Syſtemwechſel erwartet wird, fo ift dies meiner Anficht nad) eine irrige Vorausfekung. Mag der tatarifhe Zopf ver alten chinefifchen Haartracht, der buddhiſtiſche und taoiſtiſche Aberglaube einer befjern Neligionslehre Plaß machen, mögen die Rebellen fiegen oder Prinz Kung ſich zum Kaifer machen und, wie e8 den Anjchein hat, dem Reiche liberale Einrichtungen geben und es den Fremden öffnen ehe fich die Regierungs— form ändern fann, müſſen erjt noch Jahrhunderte vergehen. Ste ift zu fehr mit dem Charakter des Volks verwachien, ihre Inftitutionen find durch ein hohes Alter zu fehr geheiligt, und fie wird zu bedeutend durch unveränderliche, ununterbro- chen fortwirfende Naturgefege unterftügt, als daß fie plötlich oder in wenigen Jahren ſich umwandeln ließe.

Nach allem, was ich vom chinefilhen Volke gefehen und gehört, ijt es die conjervativfte Nation der Welt, und der jeßige Kampf nur ein Kampf der Neaction gegen ein Herr— ſcherhaus, das fo unflug war, an dem Heiligiten des Volks, an feinen ehrwürdigen Inftitutionen zu rütteln. Der friedliche Charakter der Chinefen läßt fich aus ihrem Sprichwort er- fennen: „Lieber ein Hund in Frieden, als ein Mann in Anar— chie.“ Bis vor 50 Jahren hatten fie faft noch feine Feuer— warfen, und es ijt gemugjam befannt, daß die Bevölkerung ihre Eriftenz allein ihrer friedlichen Thätigfeit und Induſtrie verdankt. Es muß daher ein mächtiger Beweggrund geweſen jein, der eine fo unfriegerifche Nation aufreizen fonnte, zehn Jahre lang das blutige Kriegshandwerf zu betreiben. Weder Groberungsfucht noch religiöfe Motive haben die Bewegung

195

veranlaßt. Das fogenannte Chriftenthum der Rebellen be- ſchränkt fich, wenn es überhaupt vorhanden ift, auf die Füh- rer; außerdem aber ift, wie ich bereits erwähnte, dem chine- fifchen Charakter jeder veligiöfe Fanatismus fremd, und er wird von ehrgeizigen Menfchen nie für deren Plane ausgebeutet werden fünnen. Ebenſo würde friegerifcher Ehrgeiz unter einer folchen Bevölferung ein Heer von Hunderttaufenden nicht zu ſchaffen, gefchweige denn zehn Sahre lang zu halten vermögen. Der Ehrgeiz des Volkes jucht allein Befriedigung in wiffenfchaftlicher Auszeichnung, und gerade weil die Ta— taren diefen Weg dadurch hemmten, daß ſie die Staatsänter, zu denen Talent und hervorragende Kenntniſſe auch den nie— drigſt Geborenen befähigten, an unwürdige Subjecte ver- fauften, verlegten fie die heiligiten Nechte des Bolfs und be- ſchworen einen Kampf herauf, der ihnen die Herrjchaft foften wird, wenn auch noch 10—20 Yahre darüber vergehen follten. Dbwol die Weſtmächte es dahin bringen mögen, durch ihren Beiftand den Mandſchu die Herrjchaft über die Küfte wieder zu erobern und eine Zeit lang zu fichern, werden fie ficher dadurch die Bewegung nicht erdrücken oder auf die Dauer niederhalten.

Die Grundzüge der chineſiſchen Regierungsform habe ich ſchon bei Gelegenheit der Lehre des Confucius in kurzen Worten angedeutet. Ihre Baſis iſt väterliche Autorität, jene natürliche Gewalt, die faſt ein jeder ſchon beim erſten Er— wachen ſeines Bewußtſeins anerkennt, und der er ſich willig unterwirft. Mag dieſe Gewißheit oder ein anderes Motiv die chineſiſchen Herrſcher bewogen haben, für ihre Regierung die patriarchaliſche Form feſtzuhalten, jedenfalls iſt ſie überall die erſte und natürlichſte geweſen, wo Menſchen ſich zu einem ſtaatlichen Gemeinweſen vereinigten. Was wir in China zu bewundern haben, iſt, daß ſich dieſe Regierungsform ſo un— gemein lange und hauptſächlich in einem ſo ausgedehnten und

Werner. J. 13

194

von Hunderten von Millionen bewohnten Reiche bewährt und erhalten hat, ohne auszuarten.

Die chinefiiche Regierung gejteht den Vätern eine unbe— dingte Gewalt über die Rinder zu, fie beansprucht als Haupt des Staats aber daſſelbe von allen Unterthanen. Der Kai— fer ift der Vater des Reichs, der Gouverneur der Vater der Provinz, der Mandarin der Vater der Stadt oder des Di- jtriets. Auf dieſe Weife wird der Unterthan vom zarteften Kindesalter an bis zu feinem Tode als Kind des einen ever andern behandelt und faugt mit ver Muttermilch die Grund- fäte der Ehrfurcht und des Gehorfams gegen Aeltern und Vorgejetste ein. Wenn bei dieſem Shitem die indiwidnelle Freiheit und Entwidelung auch ziemlich Null ift, fo hat es doch den Bortheil, ruhige Unterthanen zu erziehen, und es läßt ich nicht leugnen, daß dies in China der Fall ift.

In unſern eunropäifchen Staaten heißt ein Grundfaß: „Un- fenntniß des Gefetes jchüßt nicht vor Strafe.” Dies Prin— cip mag vieles für fich haben, ganz bejtimmt liegt aber eine Härte darin, und es ift gewiß ein humaner Zug in der chi- nefifchen Geſetzgebung, daß fie diefe Härte zu vermeiden ftrebt. Dbwol in China von zehn Menfchen gewiß neun jo viel leſen und fchreiben fünnen, um fich mit den Gefeßen befannt zu machen, fett die Negierung dies doch feineswegs voraus. Vielmehr Hat fie die Pflichten der Unterthanen in ein Buch zufammengefaßt und läßt dafjelbe im ganzen Keiche zweimal monatlich durch die Magiftratsperfonen öffentlich vorlefen. Der erſte Abſchnitt diefes Buches lehrt die Pflichten der Kin- der gegen die Neltern, der Jugend gegen das Alter, des Volks gegen die Negierung und wiederholt nur den Erwachjenen, was die Kinder von den Alten lernen, was die heiligen Bü— cher des Konfucius als Fundament der Erziehung hinftellen, und was die Schulen lehren, erläutern und befeftigen.

Es fann freilich nicht geleugnet werden, daß die väterliche

35

Gewalt des Kaifers oft gemisbrauct, daß das Volk öfter von jeinen Herrjchern oder deſſen Dienern tyrannifirt wird, und daß fich vieles an der Regierung ausſetzen läßt; allein ſolche Zuftände find nur vorübergehend, und das Volk leidet fie auf die Dauer nicht. Jedenfalls aber muß man aner- kennen, daß die Negierung im großen Ganzen ihre Pflichten gegen das Volk either jelten vernachläffigt hat. Davon gibt der Reichthum des Landes, die unermüdliche und fröhliche Thätigfeit feiner Bewohner und deren rührende Anhänglich- feit und Liebe zu ihrem Vaterlande genügendes Zeugnif. Die Anhänglichkeit geht fo weit, dag Chinefen nur auswandern, wenn ihnen alle Mittel fehlen, im eigenen Lande zu exiftiven, daß fie nie daran denken, im Auslande für immer zu ver- bleiben, ſondern einzig nach Geld und Gut fireben, um ver- einft in der Heimat ihre Tage zu bejchließen. Sehr wenige fehren zwar zurüd, aber wer es vermag, der trägt dafür Sorge, daß wentgftens jeine Gebeine in heimatlicher Erde ruhen, und aus allen Welttheilen fommen in den verjchiedenen Häfen des Landes Schiffe mit den Leichen ausgewanderter Chinejen an.

Zum großen Theil muß die allgemeine Profperität und Ruhe des Landes dem Einfluſſe zugejchrieben werden, ven Schulen und Erziehung auf die untern Klaffen üben. Wem der Zuftand der Bolfsbildung in China früher auch vielfach überjchätt und erjt durch den deutſchen Miffionar Lobſcheid, gegenwärtigen Injpector aller Schulen in Hongfong, auf fein wahres Maß zurüdgeführt ift, fo gibt doch diefer Miffionar in einer den Gegenftand behandelnden Broſchüre felbft zu, daß wenigſtens von der männlichen Bevölferung faft jeder Lefen und ſchreiben kann. Dieje hohe Eulturftufe verdankt aber das Volk der Regierung, die jeit undenflichen Zeiten nicht nur bejtrebt gewefen, die Nothwendigfeit einer guten Erziehung und Berbreitung von SKenntniffen durch Vernunftgründe zu

Er

196

beweifen und durch einfchlägige Vorjchriften einzufchärfen, ſon— dern auch Kenntniſſe und Talente auf die ehrendſte Weife belohnt. Dadurch, daß die Regierung die Aeltern für die Ver— gehen ihrer Kinder, mögen diefe noch fo alt fein, verantivort- fih, fie anvererfeitsS aber auch zu Theilnehmern an deren Ehre und Ruhm macht, zwingt fie die erftern, alle Sorgfalt auf die Erziehung der Kinder zu verwenden, und obmwol der Staat felbjt nichts für Schulen thut, hat doch jede Stadt, jedes Dorf eine öffentliche Schule und jeder Wohlhabende hält für feine Kinder Privatlehrer. Lobſcheid tadelt die Ober- flächlichfeit des Unterrichts und die Unwifjenheit der Lehrer, welche meijtens durchs Examen gefallene Candidaten für Staatsämter ſind; jedoch ſcheint mir ſein Urtheil zu ſtreng, da man an China nicht den pädagogiſchen Maßſtab Deutſch— lands legen darf, auch es noch gar nicht ſo lange her iſt, ja vielleicht jetzt noch der Fall vorkommt, daß ſelbſt bei uns Volkslehrer Schulmeiſter und Schweinehirten zu gleicher Zeit waren. Immerhin it das in China erzielte Reſultat ein großes. Ich bin erftaunt gewejen, auf einem Dorfe, zwei Meilen von Schang = hae, Kinder von fieben bis acht Jahren die vier claffifchen Bücher des Confucius mit Geläufigfeit fefen zu hören. Dies war freilich in einer Privatichule, die nur jechs Zöglinge zählte, aber es ijt immer fehr viel, da befanntlich das Leſen und Schreiben der chinefiihen Sprache für Kinder viel fchwieriger. als das irgendeiner andern Sprache ift, weil die Worte nicht aus Buchjtaben zufammen- gefetst find, fondern jeder Begriff fein beſonderes Zeichen hat. Menngleich fich diefe Zeichen auf eine bejtimmte Anzahl von Wurzeln zurüdführen laffen, welche die Stelle des Alphabets vertreten, und die Zahl der Wurzeln nicht, wie mehrfach be— hauptet wird, 6000, fondern nach Davis, einem der beiten Sinologen, nur 214 beträgt, jo geht daraus Doch fchon her- vor, daß das chinefifhe Kind 214 Wurzeln oder Buchftaben-

197

zeichen fennen muß, während das europäiſche fich nur die Bilder von 25 einzuprägen hat. Dabei fommt noch in Be— tracht, daß in China nicht weniger als ſechs verſchiedene Schreib- und Druckweiſen exiſtiren, die einander viel ferner jtehen als 3. B. unfere deutſche Fractur der lateiniſchen Currentſchrift.

An der Spite des Reichs fteht als abjoluter Herricher der Raifer, „ver Sohn des Himmels‘ oder ‚Zehn Taufend Jahre“, wie feine officiellen Titel find. Er wird als alfge- genwärtig im ganzen Keiche gedacht, ift Hoher Priejter der Staatsreligion, und man erweift ihm göttliche Ehre. In allen großen Provinzialftädten befindet fich eine ihm geweihte Halle, in der die Staatsbeamten und vornehmften Einwohner der Stadt an feinem und der Raiferin Geburtstage ihre Huldi- gungen darbringen. Dieſe Halle iſt mit gelbem Tuche, der faiferlichen Farbe, ausgefchlagen und mit einem Thronfeifel verfehen, vor dem von jedem Befucher die neun Kniefälle vollzogen werben müſſen, welche die Anmwejenheit des Kaiſers felbft erfordert.

Ungfeich andern afiatifchen Fürften, zeichnet ſich der Kaiſer vor feinem Hofftaate nicht durch Pracht, fondern durch Ein— fachheit der Kleidung aus, und während die Uniformen feiner Minifter und Beamten von Gold, Silber, Juwelen und Stickereien ftarren, erſcheint er bei Audienzen in einfachem jei- denen Rode und mit einer Sammtmüte befleivet, die nur durch eine große Perle geſchmückt wird.

Der Raifer Hat das unumfchränfte und feit unvenflichen Zeiten bejtehende Recht, fich feinen Nachfolger zu wählen, und es iſt öfter vorgefommen, daß von ihm tüchtige Männer mit Uebergehung der eigenen Söhne auf den Thron berufen wurden. Alle Edicte, welche die faiferliche Sanction erhalten, werben mit feinem Siegel verfehen, jeine Bemerfungen mit rother Tufche Hinzugefügt und alle Erlafje in der Staatszei— tung, dem einzigen öffentlichen Blatte, das China befikt,

198

publicirt. Auf Fälſchung irgendeines Artifels in diefer offi- cielfen Zeitung, die nur Berichte an den Kaiſer oder deſſen Ant- worten darauf enthält, jteht der Tod. Dies fchließt jedoch nicht aus, daß die Berichte felbit fehr Häufig durchaus falfch find, na— mentlich wenn e8 fich um einen Aufftand, eine Schlacht over dergleichen handelt. Die fih auf Erhöhung oder Milderung von Strafen beziehenden Edicte gelten jedoch feineswegs ſpä— ter als Präcevdenzfälle bei Anwendung des Strafgefetsbuches, im Gegenfaß zu den Edicten der römischen Kaifer, die Ge- ſetzeskraft erhielten.

Das Minifterium oder Nuifo bejteht aus vier Perjonen, zwei Tataren und zwei Chinefen, von denen die erjtern je- Doch ftetS den Vorfits führen. Die Minifter bilden mit einer Anzahl anderer höherer Beamten den Staatsrath, und fie gehen aus dem Faiferlichen Collegium oder Hanlin hervor, . das fich am beten mit der ehemaligen parifer Sorbonne vergleichen läßt, indem dieſes Imjtitut als höchſte Injtanz in Keligionsfachen, die in China zugleich Staatsgrundfäße find, entjcheidet.

Die ausführenden Organe des Minifteriums find jechs Behörden, deren erfte alle Beamte anjtellt und controlirt. Ihr folgt das Finanzminifterium, dann das des Cultus, das alle ftaatlichen Ceremonien und Niten zu überwachen hat. Zunächft kommt das Militärdepartement, zu deffen Räthen je- desmal die Gouverneure der verſchiedenen Provinzen gehören, dann der oberfte Criminaljuftizhof und jchlieglich Das Depar- tement der Öffentlichen Arbeiten. Alle diefe Behörden reſidiren in Peking und gelten für das ganze Neich.

In den Provinzen find die höchjten Beamten folgende: 1) der Generafgouverneur oder Vicefönig, der je zwei Pro- vinzen beherrfcht, ziemlich felbjtändig vegiert und das Necht über Leben und Tod befitt. Er ift Mandarin erfter Klaſſe, Präſident des Provinzial- Kriegspepartements und führt als

199

folder nominell den Dberbefehl über jämmtliche in feinen Landen ftehende Truppen. 2) Der Gouverneur, welcher nur Eine Provinz unter ſich hat und ziemlich diejelbe Autorität wie fein Vorgefetter befitt, indem er das Necht übt, wie diefer über alle Angelegenheiten an den Kaifer perjünlich zu berichten. Gewiſſermaßen ift er der Spion feines Vorge— ſetzten, ſodaß es im Intereſſe des letztern liegt, fich mit dem Gouverneur möglicht gut zu ftellen. 3) Der Provinzial- Steuerdirector mit den Functionen, wie fie diefer Beamte in Deutfchland hat. Außerdem zahlt er den Solo für alle Beamte in der Provinz und bekümmert ſich wie die Gouver- neure auch um allgemeine Angelegenheiten. Er darf dreimal jährlich dem Kaiſer direct Bericht erjtatten und dient Dadurch als Spion feiner Vorgeſetzten. Ihm folgt 4) der Provinzial- richter, die höchfte Behörde der Provinz für Yuftizfachen und zugleich Infpector der faiferlichen Poften. 5) Der Salzcom- mijjar, der den Salz und Eifenhandel überwacht, die beide Monopol der Regierung find. 6) Der Tſchutau, ein fehwer zu überfegender Ausprud. Während nämlich der Provinzial- Steuerdirector alle Geldſteuern einzieht, überwacht der Tſchu— tau die Naturalabgaben und forgt zugleich für die Verpfle— gung der Zruppen. 7) Der Tautai. Jede Provinz ift in fünf oder mehrere , Negierungsbezirfe getheilt und an ver Spite eines folchen fteht ver Tautai. Was der Gouverneur fir die Provinz, ift er für den Diſtrict, d. h. er hat feine be- ftimmte Branche zu vertreten, fonvdern fih um alles zu küm— mern. 8) Der Tichifu, welches Wort fich am beften mit Landrath überfegen läßt, da er die oberjte Kreisbehörde bil- det. Als Aſſiſtent ſteht diefem 9) der Tungtſchi oder Unter- präfeet zur Seite, und den Schluß der obern Beamtenreihe bildet 10) ver Tſchitſchu, eine Art Polizeimeifter, ver die erfte Inftanz in allen Slagefachen ift und ziemlich die fchwie- rigſte Stellung von allen feinen Collegen hat, va er fait

200

überall, wo etwas vorfällt, perjönlich zu erfcheinen und bie erſten Maßregeln zu treffen hat.

Diefe zehn verfchiedenen Beamten find Mandarine erfter bis fiebenter Klaſſe. Sie avanciren bis zur dritten Klaffe nach perfönlichem Verdienſt und nachdem fie bei Beginn ihrer Garriere ein Staatseramen abgelegt haben. Zu ven zwei eriten Klaffen können fie jedoch nur gelangen, wenn fie ein zweites Examen, und zwar in Peking felbft vor Mitgliedern des Hanlin, abgelegt und bejtanden haben.

Für die höhere Staatscarriere finden in allen Provinzial- hauptſtädten alle drei Sahre Prüfungen ftatt, bei denen zwei Räthe des Hanlin den Borfit führen, während ihnen zehn Exa— minatoren aus den höchften Beamten am Drte beigegeben find. Zu diefen Prüfungen wird jeder zugelaffen, ver fich bereitS bei den jährlichen Vorprüfungen einen literarifchen Grad erworben. In Kanton allein beläuft fich die Zahl der Candidaten, welche fich für jedes Staatseramen melden, auf 5—6000. Man fan fich denken, was für Aufregung bei diefen Prüfungen herrfcht, da nur TO bis 80 der Fähigften be- ftehen und eine hohe Staatsanftellung erhalten können. Das Sraminationsgebäude oder Kunghuen ift eine mächtige Halle mit Taufenden von engen und niedrigen Zellen, in denen bie Sraminanden drei Tage und zwei Nächte, die man ihnen zur Ichriftlichen Beantwortung der ihnen vorgelegten Fragen gibt, unter ftrenger Clauſur gehalten werden.

Den Candidaten werden Themata aus den vier heiligen Büchern des Confucius aufgegeben, die fie auslegen und er- läutern, und ein viertes, über das fie ein kurzes Gedicht in Keimen fehreiben müſſen. Am zweiten Tage erhalten fie ein Thema aus einer andern Abtheilung der Lehren des Confu— cius, und am dritten fünf Fragen, die fich auf die Gefchichte oder Nationalöfonomie des Yandes beziehen. Alle die Themata müffen von wichtigen Inhalte und dürfen früher noch nicht

201

behandelt fein, ebenjo darf feins derielben auf die Politik ver gegenwärtigen Dynaſtie Bezug haben.

Die Aenferlichkeiten diefes Examen jind gleichfalls ſcharf geregelt und überwacht. So z. B. wird das zu den fchrift- lichen Arbeiten erforderliche Papier in einer bejtimmten Größe und Dide vom Staate zu beftimmten Preijen geliefert. Am Ende der Arbeit muß der Candidat wahrheitsgemäß angeben, wie viel Charaftere er ausradirt oder geändert hat. Ueber: fteigt die Zahl jolcher Aenvderungen Hundert, jo wird er von der Lifte geftrichen, fein. Name an das Thor des Kungyuen aefchlagen und er von dem Eramen ausgejchlofjen. Eine gleiche Strafe trifft die Candidaten, die auf irgendeine andere Weife gegen die Prüfungsregulative verjtoßen, unter ſich over mit jemand anders communiciren und auf heimliche Art jich Hülfe zu verfchaffen juchen.

Fünf und zwanzig Tage nach der Prüfung werben die Rejultate veröffentlicht, und während Tauſende mit zerftörten Hoffnungen, entmuthigt und niedergejchlagen in ihre Heimat ziehen, werden die Namen der wenigen Glücklichen unter dem ehrendſten Jubel ihrer Anverwandten und des Publifums be- fannt gemacht. Ein Salut von jechs Kanonenſchüſſen beglei- tet diefe Feier, und der Gouverneur der Provinz ehrt die Be- jtandenen dadurch, daß er fich dreimal vor ihrer Namenliite verbeugt, die in der Eramenhalle angejchlagen ift. Außerdem werden ihre Namen zum Kaiſer nach Peking eingefandt, und man gibt ihnen ein Feſt, dem alle Eraminatoren und die Sivilbeamten der ganzen Provinz beivohnen. Der Präfes der Prüfungscommiffion führt auch den Worfig bei Tijche. Rechts von ihm ſitzt der Vicefönig, linfs der erſte Eraminator; Subalternbeamte haben die Bedienung, und zwei als Najaden gefleivete Knaben mit einem Dlivenzweige in der Hand ver- herrlichen die Scene durch einen Gefang aus den alten claſſiſchen Büchern.

202

Wenn ver Staat der Wiffenfchaft und dem Talent folche Auszeichnungen gewährt und jedem Unterthban ver Weg zu den höchſten Ehren und Ehrenftellen offen jteht (der Hanvel mit Staatsämtern unter der gegenwärtigen Dynaſtie ift nur als Ausnahme zu betrachten), fo ift e8 leicht erklärlich, daß der ganze Ehrgeiz der Chinefen fich dahin concentrirt, durch hervor— ragende Kenntniffe die allgemeine Aufmerffamfeitauffich zu ziehen. Es kann ſonach auch nicht mehr auffallen, daß das untere Volk, verhältnigmäßig nämlich, einen Bildungsgrad erreicht, wie ihm unfere civilifirteften Staaten kaum aufzuweifen ver- mögen. Ebenſo natürlich ift es, daß Bildung und Wiſſen— Ichaft überall den Borrang haben, und jelbjt die tatarifchen Eroberer mußten fich in dieſer Beziehung vor dem dem Volke innewohnenden Geiſte beugen. Sie fünnen wol an unwifjende Menſchen Staatsämter und Chrenftellen verfaufen, aber fie haben es nicht vermocht, diefe Creaturen vor allgemeiner Ver— achtung des Volkes zu ſchützen, und ebenjo wenig iſt e8 ihnen gelungen, ihrem Militär eine andere als fecundäre Stellung zu verfchaffen. Die Offiziere oder Milittärmandarinen avanciren nicht nach wifjenfchaftlicher Auszeichnung, auch nicht einmal nach Kühnheit und Tapferfeit als Führer der Truppen, ſon— dern nur nach ihrer Gejchiclichfeit in Handhabung der Waffen, fräftigem Gliederbau und rein perjönlicher Tapferkeit. Dieje Eigenfchaften ftehen aber bei dem Volke in jo geringer Ach— tung, daß z. B. ein Milttärmandarin erjter Klaffe oft zu Fuß gehend gefehen wird, während ein Civilmandarin vierter Kaffe ſchon als degradirt betrachtet werden würde, wenn man ihn nicht in einer Sänfte mit vier Trägern erblidte.

Wie vortheilhaft diefe Literarifchen Inftitutionen aber auch auf die geiftige Entwidelung des Volks vor Zeiten gewirkt und wie friedliche Untertanen fie gefchaffen haben mögen, haben fie fich doch feit langem überlebt und find ganz gewiß auch die Urfache, daß China feit Sahrtaufenden auf derſelben

203

Culturſtufe ftehen geblieben ift. Die hinterlaffenen Schriften des Konfucius, die, infofern fie Staatsfunft und Moral bes handeln, unter dem Namen der claffiichen Bücher bekannt find, mögen für die damalige Zeit paſſend gewejen fein, aber daß man ihr Studium und Verſtändniß als alleiniges Beding— niß für die Beſetzung von allen Staatsjtellen fordert, kann unmöglich dem Aufblühen der Cultur förderlich fein und muß namentlich in einem größern Staate nicht alfein der Regierung große Schwierigfeiten bereiten, jondern auch unfehlbar zu einem Stilfftande aller jtaatlichen und individuellen Entwidelung führen.

Sch Habe bereits bemerkt, daß die Regierung gar nichts für den Unterricht thut, es gibt weder Bürger- noch höhere Schulen, noch Universitäten oder Fachſchulen. Die erwähnten Examina find ftaatlich; fie ftellen ihre Forderungen, aber es bleibt jedem einzelnen überlaffen, wie er fich die nöthigen Kenntniffe verfehaffen will. Die Forderungen find für jeden höhern Beamten, mag er für einen Berwaltungszweig irgend— einer Art ambitioniven, diefelben, und zwar befchränfen fie fi) alfein auf das Gebiet der Moralphilofophie, die auf Die Staatsfunft angewandt wird, auf Schöngeijterei, indem der betreffende Candidat ein Gedicht liefern muß, und auf fünf Fragen über die Gefchichte des Landes und Nationalökonomie, freilich aber auf die worhundertjährige, da die Politif der ge- genwärtigen Dynaſtie ausgefchloffen bleibt. Nun venfe man fich aber an der Spitze aller Verwaltungsbehörden in einem europäiſchen Staatswefen nur Moralphilofophen ohne irgend— welche fachliche Vorbildung. Man ftelle fich einen Regierungs— baurath ohne eine Idee von Mathematik oder Zeichnen, einen Negierungspräfidenten oder Landrath ohne irgendwelche Kenntnig der Verwaltung vor oder gar einen Tribunalrath, der abwechjelnd als General- Poftmeifter oder als Salz— commiffar fungirt. Wenn man auch nach dem Berhältnig

204

der Beitandenen zu den Craminanden darauf fchließen darf, daß in China nur eine Auswahl der gejcheidteften Köpfe überhaupt zu den höhern Staatsftellen gelangt, und ebenfo angenommen werden fann, daß fie ſich allmählich in ihr Fach hineinarbeiten, jo ift e8 ebenfo gewiß, daß fie bei vem Mangel aller einfchlägigen Vor- und Fachftudien im allgemeinen ftets nur mittelmäßige Beamte bleiben und zur Förderung ber ihnen unterftellten Branche nichts leiten fönnen. Sie werden jtet8 mehr oder minder von ihren Untergebenen abhängig jein, und jede geiftige Entwidelung muß gehemmt werden. Unfer deutfches Sprihwort: „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verſtand“, iſt nirgends angebrachter als in China, und es ijt überhaupt zu verwundern, daß bei folchen Einrich- tungen noch alles fo gut geht.

Ein äußerſt wirffames Inftrument, mit deſſen Hilfe die Beamten die zahllofen Millionen des Reichs der Mitte re- gteren und überwachen, ift das Strafgefegbuch. Der Englän- der Sir George Staunten, der e8 überſetzt hat und zugleich ein befähigter Kritifer chinefifcher Zuftände ift, fagt darüber: „Das Auffallendfte bei diefem Coder ift feine Klarheit, Logik und vernunftgemäße Abfaſſung, die gefhäftsmäßige Kürze und Beitimmtheit feines Inhalts und die deutliche und maßvolle Sprache, wodurch es fich fo wefentlich von den Geſetzbüchern anderer aftatifcher Nationen unterfcheidet und ven europäifchen nahe tritt.‘

Diejes Urtheil ift unzweifelhaft richtig, troßdem leidet das chineſiſche Gejeg an bedeutenden Mängeln. In feiner väter- (ihen Fürforge geht e8 viel zu weit, mifcht fich in alle Ber- hältniffe der Familie und tes Lebens, die einen viel paffendern Richter in dem Herzen und Gefühle der Menfchen finden, und ebenfo wie e8 Diebftahl und Mord beftraft, will es durch Strafen auch die Ausübung von Tugenden erzwingen. Wir haben zwar in einigen europäischen Ländern und vor noch

205

gar nicht langer Zeit in unjerm lieben Deutjchland etwas ganz Aehnliches gehabt, wenn z. B. Angejtellte aus Furcht vor Ent— laffung zu beftimmten Kirchen» over Abendmahlsgängen ge: zwingen wurden; aber ein folches Verfahren iſt wenigſtens nie durch Geſetze fanctionirt worden und fonnte überhaupt nur immer gegen einen Bruchtheil der Bevölferung in An- wendung gebracht werden. In China jedoch ijt bie religiöje Pflicht, die Gräber der Vorfahren zu bejtimmten Zeiten zu beſuchen, gejetlich geboten und eine Unterlafjung derjelben mit harter Strafe beproht. Ein anderer Fehler ift die Aengftlichfeit, mit der das Geſetz bejtrebt ift, alle ervenf- lihen Möglichkeiten zu begreifen und für alle vorkommenden Fälle, mögen fie auch noch jo jonderbarer Art fein, eine Be— ftimmung zu erlaſſen. So 5.2. führt Davis ein Citat aus dem die Erbjchaftsangelegenheiten betreffenden Theile des Codex an, das in diefer Beziehung fehr charakteriftifch tit. Danach erhält ein Sohn einen Theil, eine Tochter einen halben Theil der Hinterlaffenichaft. Für uns würde diefe Be- ftimmung allerjeitS ausreichen, für die Weisheit und Voraus- ficht des chinefifchen Gejeßes nicht. Daffelbe zieht auch ven Val in Betracht, daR ein Kind ein Zwitter fein fünne, und verfügt, daß unter folchen Umftänden der Zwitter die Hälfte von den Erbtheilen des einen und der andern, alfo drei Vier: theile erhalten ſoll!

Dieje Aengjtlichfeit führt aber andererfeits zu Gejegen, die im directen Widerſpruche mit dem Geifte der Klarheit und Präcifion ftehen, der nach dem augenfcheinlichen Willen ver Gejeßgeber den ganzen Cover durchwehen joll, und es entjtehen Vorſchriften, die dem Nichter die unbegrenztefte Willkür in der Auslegung der Geſetze geftatten. Als Beifpiel diene hier: für folgende Stelle: „Wer fich eines unpafjenden Benehmens Ihuldig macht und gegen den Geift ver Gefege verſtößt, ſoll, wenn er auch Feine Vorfchrift dadurch übertreten, mit nicht

206

unter 40 Bambushieben, ift das Ungehörige in feiner Hand— lungsweiſe aber ernjterer Art, mit nicht unter 80 Hieben be- jtraft werden.” Mean fieht, wie jchwer es ift, ven Klauen des chinefifchen Gefetes zu entrinnen.

Die Strafen für Verbrechen und Vergehen find, wie ich fehon bei den Yamuns erwähnte, hart und graufam. Ihre Slaffification lautet: Hiebe mit dem Bambus auf den Rüden oder die innere Fläche des Schenfels; Gefängniß mit oder ohne Feſſelung; der Halsfragen; endlich der Tod des Ent- hauptens, des Verhungerns in einem Käfig oder durch lang— fames Abfchneiden der verfchiedenen Körpertheile. Letztere Strafe Steht auf Hochverrath oder Vergehen gegen die Perſon des Kaiſers oder der Aeltern, die ganz gleich geahndet wer- den. Ein franzöfifcher Gelehrter, der bei Beginn des leßten chinefifchen Krieges mit dem englijchen Conſul Parfes gefan- gen genommen wurde, faß in einem der bejchriebenen Gefäng- niffe mit einem Chinefen zufammen, der bereitS 19 Jahre in der Höhle fchmachtete, weil er als achtjähriger Knabe feinen Vater in den Daumen gebiffen hatte.

Zur Erpreffung von Geftändniffen iſt die Anwendung der Folter geftattet, die meiſtens in Hieben auf die innern Schen- fel bejteht. ide kennt das chinefifche Geſetz nicht; eine be- wiefene Unmwahrheit wird aber fehr hart bejtraft; daß noch andere Graufamfeiten und raffinirte Strafarten in Anwendung fommen, ift unzweifelhaft. Ich felbft war Zeuge, wie in Chefu ein Greis mit weißem Haar, der in Verdacht ſtand, ein Rebell zu fein, auf die graufamfte Weife gefoltert wurde, um ein Geftändniß zu erprefjen. Nachdem er vor unferer Ankunft bereits 300 Hiebe auf die innern Schenfel erhalten, war er an einen Pfahl in der brennenden Sonne mit den Daumen hinter dem Rücken zufammen und jo hoch gebunden, daß er nur auf den Fußfpigen den Boden berührte. Der Unglücliche war dem Tode nahe, als unfere Dazwiſchenkunft

207

(bei der Belagerung der Stadt durch die Rebellen waren die Europäer Halbgötter) ihn rettete. Er wurde losgebunden und jpäter als unfchuldig vom franzöfifchen Conſul auf freien Fuß geſetzt

Dieſe Strafen und Quälereien ſind zwar nicht geſetzmäßig; ob aber ein Menſch verhungert oder durch Entziehung von Schlaf getödtet wird, ob man ihn durch langſames Abſchnei— den der Gliedmaßen umbringt oder ihm die Augenlider ab— ſchneidet und ihn mit glühenden Zangen zu Tode zwickt, bleibt ſich am Ende gleich. Das eine iſt nicht grauſamer als das andere, und beides wirft einen unlöſchbaren Flecken auf das Geſetz und ſeine ausführenden Organe.

Es gibt in China zehn privilegirte Klaſſen, die nur ver— urtheilt und beſtraft werden können, nachdem vorher dem Kaiſer darüber Bericht erſtattet iſt. Zu dieſen gehören die Anverwandten des kaiſerlichen Hauſes und die höhern Beamten. Bei dem jetzigen Zuſtande des Reichs vermag jedoch jeder ſich dem Arme der Gerechtigkeit zu entziehen, wenn er reich genug iſt, nicht allein die Richter zu beſtechen, ſondern einen Stellvertreter zu kaufen, der für ihn die Strafe erleidet. Dieſer letztere Uſus ſteht in China einzig in ſeiner Art da und liefert einen merkwürdigen Beitrag zur Culturgeſchichte dieſes Volks. Das Geſetz verlangt für jedes Vergehen eine Sühne, ihm muß unter allen Umſtänden Genüge geleiſtet werden; ob jedoch der Schuldige beſtraft wird, darauf kommt es weniger an, als daß überhaupt nur geſtraft wird. Begeht mithin ein reicher Mann ein Verbrechen, deſſen er überführt it, jo hat er nur einen Vertreler zu ſchaffen, ver ſich als Thäter befennt und dem Geſetze verfüllt. Bei ung mag bis- weilen wol etwas Aehnliches vorkommen, aber dann ganz bejtimmt ohne Wiſſen des Richters, und in fehr vereinzelten Fällen. In China dagegen ift es allgemein, und fo unglaub- ich es flingen mag, für eine verhältnißmäßig geringe Summe

208

find ſogar Leute zu faufen, die als Stellvertreter die Todes— ftrafe erleiden! Ein Dijtriet in ver Nähe von Kanton Liefert dieſelben. Für 300 Taels oder 600 Thaler nach unferm Gelve laſſen fie fich hinrichten oder erleiden die ſchrecklichſten Todesqualen.

Man fragt ummwillfürlich: wie ift e8 möglich, daß ein Menih um Geld für einen andern ftirbt? Aber dies fann nur in China ftattfinden. Sch habe ſchon bemerkt, daß das Familien- und Staatsleben auf den unbedingteften Gehorjam, Ehrfurcht und Hingebung gegen Neltern und Staatsoberhaupt bajirt if. Der Bater bleibt bis zu feinem Tode unum- fhränfter Herr und Gebieter feiner Kinder, mögen diefe felbjt Väter oder Großväter fein. Die Söhne find durch die heilig- jten Geſetze gebunden, für die Aeltern zu forgen, wenn Alter und Schwäche fie erwerbsunfähig machen. Wehe dem Kinde, das jeine Aeltern vorfäßlich darben ließe; nicht nur die Strafe des Geſetzes würde es ereilen, fondern das Volk es ausſtoßen und ächten. Bei der lebervölferung des Landes geht unglaub- licher Reichthum neben der fchredlichiten Armuth einher. Der erwähnte Diftriet ift einer der ärmften des Reichs, er wird fajt jährlich von Hungersnoth heimgefucht, und Tauſende von Familien kämpfen mit dem unglaublichiten Elende. Da ift es denn nicht zu veriwundern, wenn ein Sohn, um die vor Hunger jterbenden eltern zu vetten und ihnen eine ſorgenloſe Zufunft zu fichern, ſich jelbjt dem Tode weiht und in Findlicher Reſig— nation feinen Naden dem Henferbeile bietet. Er ftirbt unter den Segnungen des greifen Vaters, ver geliebten Mutter in dem Bewußtſein, das höchſte Maß der Kindespflichten erfüllt und fich dadurch der himmlischen Seligfeit theilhaftig gemacht zu haben.

Sin auffallendes Beifpiel diefer Art trug fich vor einigen Jahren in der Nähe von Kanton zu. Mehrere reiche Ehinefen hatten, unzufrieden mit dem Mandarin ihrer Stadt, eine Verſchwörung gegen ihn angeftiftet und ihn ermordet. Der

209

Provinzialrihter wurde mit Truppen gegen fie ausgejandt, fand aber einen fo drohenden Widerjtand, daß er es ge- rathen fand, die Unruheftifter nicht mit Gewalt anzugreifen, jendern mit ihnen ein Compromiß einzugehen. Wenn er nicht jelbjt fein Amt und vielleicht feinen Kopf verlieren wollte, mußte er Schuldige finden und richten. Dies fahen die Verſchwörer felbjt ein, und da fie fich auch vor einem längern Widerjtande fürchteten, fauften fie 20 Stellvertreter, die fih als Rädelsführer befannten und fofort hingerichtet wurden. Um das Stillihweigen des Sohnes des Ermordeten zu erfaufen, wurde ihm eine Summe von 100000 Taels angeboten, die diefer annahın. So war allen Theilen ge- holfen. Die Schuldigen gingen frei aus, fie waren von ihrem Verfolger befreit, der Nichter behielt Amt und Kopf, die Ruhe war wiederhergeftellt und dem Geſetze Genüge ge- ſchehen.

Ein guter Zug in der chineſiſchen Geſetzgebung iſt die Milde, wo es ſich um Beſtrafung Mitſchuldiger handelt, wenn dieſe mit dem Verbrecher durch Familienbande verknüpft ſind. Gemäß dem Ausſpruche des Confucius: „Der Vater mag die Vergehen ſeines Sohnes, der Sohn die des Vaters verheimlichen, dies iſt nur recht“, werden Verwandte und Diener, die unter demſelben Dache leben, nicht beſtraft, wenn ſie die Vergehen ihrer Mitbewohner verheimlichen, ja ſogar, wenn ſie zu deren Flucht behülflich ſind. Ich habe bereits bemerkt, daß die Regierung ängſtlich darauf bedacht iſt, ihre Unterthanen durch öfteres Vorleſen der Geſetze mit dieſen bekannt zu machen. Um dies noch mehr zu fördern, ſind alle Individuen, welche die Geſetze nach ihrem wahren Sinne auszulegen vermögen, im erſten Falle für alle ſolche Vergehen ſtraffrei, die nur zufällig oder die Folge von Ver— brechen anderer ſind, mit Ausnahme von Hochverrath oder

Rebellion, deren ———— nie Gnade gewährt wird. Werner. I. 14

210

So ift der chinefifche Strafcoder ein Gemifch von guten und fchlechten Gefeken, von Milde und Graufamfeit. In feiner Sorge, das Wohl der Unterthanen zu befördern, be- raubt er fie faſt aller individuellen Freiheit, behandelt fie wie fleine Rinder und will fie nicht nur vor dem Abweichen vom Pfade des Rechts warnen, fondern fie zur Tugend zwingen. Seine Mängel find groß, aber immerhin behäft das Werk ven Ruhm, das bejte jeiner Art in ganz Aſien zu fein und viel Gutes gefchaffen zu haben.

13.

Die hinefiihe Armee, ihre Stärke, Bewaffnung, Eintheilung. Un-

friegerifcher Geift der Armee und des Bolfes. Vernachläſſigung der

gefammten Kriegsfunft im Reiche der Mitte. Beichaffenheit der Rebellen- armee.

Men man die Reſultate der verfchiedenen Kriege, welche China jeit 1840 mit England und Franfreih führte, in Be— tracht zieht, in denen die geſammte militäriiche Macht ver Weſtmächte kaum 5—10000 Mann betrug und dennoch ftets die numeriſch zehnfach überlegenen chinefifhen Truppen fchlug, jo fann man von vornherein feinen hohen Begriff von der ZTüchtigfeit und Tapferfeit der leitern befommen. Wer die Bertheidiger des Reichs der Mitte aber felbjt gejehen, wird fih nicht mehr wundern, daß fie ſtets gejchlagen wurden. Ein unfriegerifcheres Inftitut als das chinefifhe Militär kann es kaum geben, und fein Zujtand Fennzeichnet mehr als alles andere die vorwiegende Friedensliebe der Söhne Han’s. Die gefammte joldatiihe Macht Chinas ift nach den Verhältnijfen der Gegenwart geradezu eine Lächerlichfeit und einzig und, allein im Lande felbjt zu verwenden, aber jelbit da noch jo unzulänglich, daß e8 3. B. den Hunderttaufenden der Armee troß bejtändiger Kämpfe jeit dem Beginn der Tatarenherr- Ihaft nicht gelungen ift, einen Friegerifchen Volksſtamm im

147

212

Süden des Reichs, die Mi-au-tſe oder Gebirgsbewohner, zu unterjochen. Bis auf den heutigen Tag haben diefe ihre Un- abhängigfeit bewahrt. Zu verfchievenen Zeiten haben fie un— geheure Geldſummen für eine fcheinbare Unterwerfung ange- nommen, wodurch fie die gegen fie ausgefchidten Generale vor dem Verluſte ihres Kopfes vetteten, aber fie find dennoch ebenfo frei geblieben, wie fie vor 200 Jahren waren, als vie Tataren das Land eroberten. Mögen vie lettern damals tapfere Krieger geweſen fein, jett find fie faft ebenſo unfrie- gerifhb wie die Chinefen. Uniformirung, Mannszucht und Bewaffnung find unpraftifh und elend, und man fann mit Sicherheit annehmen, daß 20000 europäiſche Truppen in einem Jahre das ganze Neich erobern würden, ebenjo wie es diefelbe Zahl Tataren vor 200 Jahren that.

Die chinefifche Armee enthält drei verſchiedene Elemente, die tatarifchen, die vegulären chinefifhen Truppen und die ebenfalls nur aus Chinefen bejtehende Reſerve. Die erftern kann man als die beiten, zuverläffigften und als eine Art faifer- licher Garde anfehen, die dem Throne weit ergebener und ihm eine weit ficherere Stüße ift al8 die ganze übrige Armee, da ſchon ihr tatarifcher Urfprung fie enger an die Perfon des Kaiſers knüpft.

Bis vor kurzem (denn augenblicklich iſt die Armee ziem— lich reducirt) betrug die Zahl der Tatarentruppen 80,000, die unter acht verſchiedenen Fahnen, deren Farben aus gelb, weiß, roth und blau zuſammengeſetzt ſind, ſich zu Corps von 10000 Mann vereinigen. Jeder militäriſche Tatarenmandarin gehört zu der Fahne, unter der ſeine Vorfahren dienten, und ſeit der Invaſion Chinas im Jahre 1660 iſt die Eintheilung der Mandſchu-Armee dieſelbe geweſen. Die gewöhnlichen Waf— fen des tatariſchen Soldaten ſind Säbel, Bogen, Pike, Par— tiſane und der Dreizack. Sein Sold beträgt monatlich ungefähr 3Y, Thaler und eine tägliche Ration Reis. Die Farbe feiner

213

Uniform richtet ſich nach der Fahre, unter welcher er dient, befteht jedoch gewöhnlich aus einem weiten Rock mit fliegen- den Aermeln. Ich hatte Gelegenheit, in Kanton tatarifche GSavalerie zu fehen, von der 1000 Wann in diefer Stadt garnifoniven; doch waren fie augenblicklich zur Infanterie degradirt, da ihnen die Franzoſen fünmtliche Pferde „abge— fiehen‘ hatten, um fie vor Peking in eigenem Intereſſe zu verwenden. Aber ſchon der bis auf die Knöchel reichende und mit unendlich weiten Aermeln verfehene Uniformrock ließ darauf fchließen, daß fie nicht viel Beweglichkeit auf dem Pferde haben, und die Niederlage des Sankfolinfin am der Spite von 20,000 Mann Cavalerie durch 5000 Mann Eng: Linder und Franzofen, welche von der chineſiſchen Reitermacht gänzlich umzingelt waren, gibt einen weitern Beleg für ihven Werth.

Zu diefen 80000 Tataren gefellen fich noch etwas über 600000 chineſiſche Truppen, die jedoch mehr den Charakter einer Miliz an fich tragen, in ihren heimatlichen Diſtricten oder Provinzen bleiben, und neben ihrer militäriichen Beſchäf— tigung das Yand bebauen oder ihre gelernte Profefjion be- treiben. Daß ein ſolches Syſtem feine tüchtigen Soldaten fchaffen fann, ijt jelbjtverftändlich, und in den letzten Kriegen gegen die Engländer hat fich dies auch Hinveichend herausge- jtellt. Die unter dem grünen Banner fechtenden Chinefen- truppen liefen nach dem erjten Schujje davon.

Eine Maſſe von diefen Truppen figurirt auch auf dem Papier, wie in jedem fchlecht vegierten Yande. In der Nähe von Schangshae iſt eine große Ebene, auf der fich an einem Pfahle eine große prahlerifche Injchrift befindet: „Hier iſt ein Yager von 10000 Mann; fürchtet und zittert!” Ich habe dies Lager befucht, e8 befanden fich feine 1000 Mann darin. Trotzdem fendet ver Gouverneur von Schang-hae jähr- Gh die Muſterrolle diefer imaginären Armee nach Peking,

214

nebft fpecieller Angabe von den Leiftungen und Verdienſten eines jeden Offiziers und Solvaten. Die Regierung läßt die Betreffenden avanciren und ſchickt die nöthigen Fonds zum Unterhalt diefer Armee, an deren Vorhandenfein fie fo gut ijt, nicht zu zweifeln, und die Behörden von Shangshae jteden den Ueberſchuß in ihre Tafche.

Einige Neifende haben die chinefifche Cavalerie als ſehr zahlveich gefchilvert, dies ift jedoch eine irrige Anficht. Zwar machten die Tataren in frühern Zeiten mit bedeutenden Reitertrupps Einfälle in China, allein die Pferdezucht hat ſehr abgenommen und ift jett kaum der Schatten von früher.

Die factifche Eintheilung der Armee ift der unfern fehr ähnlich. Sie zerfällt in Divifionen, Brigaden, Negimenter, Bataillone und Compagnien, deren letstere 100 Köpfe zählen. Die Generaloffiziere haben ihren Wohnfig im der Nähe des Cantonnements ihrer Truppen. Diefe werden jo wenig als möglich in Städten einquartiert, fondern leben nach alttata- rifcher Weife unter Zelten, wenn fie zu einem Corps gehören. Ein militärifches Uebergewicht ift in China fo gefürchtet, daß jtets ein Theil der Truppen unter den Befehl der Gouverneure und Vicegouverneure gejtellt wird, deren Dienjt hauptjächlich ein abminiftrativer ift, da man durch dieſe Maßregel vie Autorität der Milttärmandarine und ihre factifhe Gewalt zu bejchränfen hofft. Die Erziehung des chinefiichen Soldaten bejchränft fich auf die Behandlung des Bogens, der Pife und der Yuntenflinte. Wenn die Bogenſchützen eingeübt werden, ftelfen fie fich im Kreife um ihre Offiziere auf, die gemüth- lich und ihre Pfeife rauchend unter einem Zelte fiten. Bon Zeit zu Zeit nähert fich ein von feinem Hauptmann aufge: rufener Soldat, um Befehle zu empfangen, wobei er nieber- fnieet. Dann thut jeder Schüte drei Schuß nach einer Scheibe auf ungefähr 75 Schritt Entfernung und Fehrt zurüd, um fich abermals vor feinem Offizier auf die Knie zu werfen

215

und Lob oder Tadel zu empfangen. Das Erercitium mit Säbel und Lanze bei ven Chinefen gleicht eher einer Spielerei als einer militärifchen Uebung. Nichts kann grotesfer fein als die Stellungen und Geften dieſer unglücdlichen Krieger bei ihren Enolutionen.

Die jungen Mandarine, welche fih dem Militärfache widmen, müffen fich ebenfalls einer Prüfung unterwerfen, in der fie ihre Gefchielichfeit in der Behandlung der Waffen und Pferde nachzumeifen haben. Nach dem Ausfalle dieſer Prüfung wird ihnen ein militärifcher Rang zugemiefen.

Bom gemeinen Soldaten aufwärts bis zum Divifions- general oder Tetu können alfe Militärperfonen eine fürper- liche Züchtigung erhalten, und nicht felten werden höhere Dffiziere auf faiferlichen Befehl auf offenem Markte mit dem Bambus beftraft. Von militäriſchem Chrgefühl iſt natürlich bei ven chinefifchen Truppen feine Rede, und ich ſah bei einer Gelegenheit in Schang-hae, daß es jowol den Soloaten als ihren Führern gänzlich abgeht.

Ein hoher Militärmandarin traf dort mit einer Escorte ein, als ich mich in Schang-hae befand. Zuerjt kamen zwei ſchäbig gefleivete Soldaten mit einer aus Bambus geflochtenen Kopfbedeckung in Zucderhutform, kurzem blauen Rod mit dunkelblauem Kragen, vergleichen kurzen Beinkleivern und Schu— hen. As Waffe trugen fie ein kurzes verrojtetes Schwert von höchftens 1 Fuß Länge mit Holzigeide und auf dent linfen Arme einen mit einem Tigerkopfe bemalten Schild aus Bambusgefleht. Dann folgten acht ungleich uniformirte Vahnenträger, jeder eine große dreiedige Sahne aus buntem Sei- denzenge tragend. Hinter ihnen marfchirten ſechs Mandarine der untern Grade, und diefen auf dem Fuße folgte die Sänfte des Generals von vier behelmten Soldaten getragen. Ihre Helme hatten Aehnlichfeit mit den Pidelhauben des Mittel- alters und waren hinten mit einem langen Anhängfel ver-

216

jehen, das den Naden gegen Hiebwunden fchügen foll, eine Vorſicht, die darauf fchliegen läßt, daß die chinefiichen Sol- daten ihren Feinden fehr oft den Rüden zeigen. Der Sänfte folgten dann etwa 60 Mann Infanterie Mean kann die Bürgerwehr von Krähwinkel unmöglich) mehr als Caricatur betrachten, nachdem man ſolche Linientruppen gefehen. Shenfo bunt wie Uniform und Tracht war die Bewaffnung. Der eine trug Bogen und Pfeile, der zweite Schild und Schwert, der dritte eine Yuntenflinte, der vierte ein Gewehr mit Steinfhloß,- der fünfte eine Pife, diefer die Waffe auf der linken, jener auf der rechten Schulter, das Schwert in einer beliebigen Hand ober in der Scheide. Der Zug be gegnete drei franzöfifchen Soldaten vom 101. Regiment, das Schang-hae zum Schuße gegen die Nebellen bejett hielt. Diefelben waren ohne Waffen, aber etwas angetrunfen, und der eine hielt einen Stod in der Hand. Er jtellte fich ganz nahe an die Truppe und machte jich ein Vergnügen daraus, jedem einzelnen Soldaten mit feiner Gerte den Hut vom Kopfe zu fchlagen. Das feige und jeden Chrgefühls bare Bolf ließ fich das ruhig gefallen, und jelbjt die Man- darine machten nicht die geringfte Miene, ven Franzofen Ein- halt zu gebieten.

Die wenigen intelligenten chinefijchen Staatsmänner, vie jih im den Testen Jahren durch Umgang mit den Europäern gebildet Haben, und unter ihnen der jetige Regent und Bru— der des verjtorbenen Kaiſers Hienfung, der Prinz Kung, machen fich auch Fein Geheimniß aus der betrübenden mifi- tärischen Inferiorität ihres Vaterlandes und dem ſchlechten Zu— jtand der nationalen Vertheidigungsmittel. Prinz Kung geht nach den neuejten Nachrichten auch wirflich damit um, bie Armee zu veorganifiren, europäifch zu bewaffnen und zu dis— cipliniven. Amerifanifche, englifche und franzöſiſche Inftritc- teuvs bilden einen Kern, der vielleicht zum Veſſern führt,

217

namentlich da der Mandſchu-Dynaſtie das Meſſer an ver Kehle fist. Das Material dafür ift da, und gut, namentlich in Nordchina, wo ein außerordentlich Eräftiger und großer Men— Ihenfchlag wohnt. Es fommt nur darauf an, den Chinefen einen Friegerifchen Geijt einzuflößen, und bei unferer Anweſen— heit in Zientfin verfuchte Prinz Kung den eriten Schritt, indem er das Ehrgefühl der Soldaten durch Bertheilung von Me— daillen an alle diejenigen, welche die letzten Kämpfe gegen die Alliirten mitgemacht, zu weden ſuchte. Das Experiment gelang vollftändig. Zuerſt machten die damit Decorirten ihre Stoffen darüber, ſchon nach wenigen Wochen betrachteten fie e8 jedoch als eine Ehre, und damit ijt allerdings fehon viel gewonnen.

Das Studium der Kriegskunſt, Taktik und Strategie iſt vollſtändig vernachläſſigt, obwol Bücher darüber exiſtiren. Von dieſen fiel im Opiumkriege ein chineſiſches Werk mit dem Titel „Handbuch des Soldaten“ in die Hände der Eng— länder, das einige elementare Regeln über den Marſch einer Armee, die Conſtruction von Brücken, über Lager, Feldbe— feſtigung und über Recognoſcirungen enthält. Ebenſo behandelt es den Gebrauch der verſchiedenen Waffen, die Art, eine Schlacht zu beginnen und einen Rückzug zu leiten, empfiehlt die Nützlichkeit von Spionen und lobt die Vortrefflichkeit der Soldaten, welche beim Beginne eines Gefechts nicht zittern eine Vorſchrift, die mit wenigen Ausnahmen ein chineſiſcher Soldat ebenſo ſchwer befolgen lernt als ein Civilmandarin die Morallehre des Confucius.

Ihre Fortification liegt ebenfalls noch in der Kindheit, und ich hatte Gelegenheit dieſe bei dem Beſuche eines wegen der Nähe der Rebellen auf Kriegsfuß befindlichen verſchanzten Lagers bei Wuſung aus nächſter Nähe zu beurtheilen. Schon auf einige Meilen war das Lager durch Hunderte von auf— gepflanzten Fahnen ſichtbar. Fahnen ſpielen überhaupt eine

218

große Rolle in der chinefifchen Kriegführung, und es fcheint ſich der als der muthigere und fiegesgewifjere zu betrachten, der die meiſten Bahnen hat. Jede Compagnie zählt deren wenigftens 15, und bei ven Schantung-Rebellen, welche Chefu während unferer Anweſenheit daſelbſt belagerten, hatte fait jeder dritte Mann eine Fahne.

. Die Fahnen waren voth, grün, gelb, weiß, dreiedig, aus Seide gefertigt und in dem Hauptfelde mit Charafteren be- fchrieben. Sieben verfchiedene Banner bezeichneten ebenfo viel verfchievene Lager, die in dem Umkreiſe von ungefähr einer Meile zerjtreut lagen und ziemlich gleich groß waren. Wir befuchten das größte. In der Mitte vejjelben befand fich ein etwa 30 Fuß hohes Holzgerüjt, oben mit einem Häuschen für eine Schilowache, die aus dieſer Höhe das umliegende Flachland auf viele Meilen weit überſehen Fonnte und alles Fremdartige fignalifirte. Die Wachfamfeit fchien jedoch nicht jehr groß zu fein, da unfere Anwejenheit erft bemerkt wurde, als wir bereits das Glacis befchritten und den erſten Feftungs- graben paffirt hatten. Sch ſpreche Hier in Ausdrücken, wie fie in unferer Fortification gebräuchlich find, jedoch darf man damit feineswegs genau die Begriffe verbinden. Jedes Lager fchloß ungefähr einen Flächenraum von 2 Morgen ein, war freisförmig und zunächſt von einem 12 Fuß breiten Graben umgeben, über ven als Zugbrüde eine Bohle führte, auf der ein Mann paffiven konnte. Diefer Graben war, da e8 furz vorher geregnet, zufällig maß, doch ftand faum 1 Fuß Waſſer darin. Hinter ihm kam die erjte Enceinte, eine Mauer von Schlamm aus dem Graben von 8 Fuß Höhe mit Bruftwehr und Schießſcharten, aber ohne Kanonen. Hinter diefer erjchten ftett der Paliffaden ein Verhau von Dornengebüfch und hinter diefem ein zweiter Graben mit einer zweiten Mauer, gerade wie die erſte conftrnirt. Danach be- trat man das eigentliche Lager, das circa 60 Zelte &

219

10 Mann, alfo wahrjcheinich ein Bataillon faßte. Der Ein- gang wurde durch ein auf der Bruftwehr der innern Mauer jtehendes Pofitionsgefchüt gedeckt, mit der unvermeidlichen Zierath von rothem Tuch um die Mündung. Dies war aber das Schredlichjte daran, ſonſt erjchien ſie bei näherer Betrachtung gänzlich harmlos. Sie beſaß ein einpfündiges Kaliber, ein ehrwürdiges Alter von mindejtens 200 Jahren, hatte wahrscheinlich mehrere Decennien im Wafjer gelegen, und das forgfam zugededte Zündloch war fo zugeroftet, daß e8 als nicht vorhanden betrachtet werden fonnte und ein Schießen unmöglich gewejen wäre, felbft wenn Munition und Ladezeug da gemwefen, die aber beide fehlten. Ich fragte den commandirenden Mandarin, ob er mir die Antiquität nicht verfaufen wolle, und er ſchien auch gar nicht abgeneigt, jedoch durfte er es wol jo offen nicht thun und bis zum Abend hatte ich feine Zeit.

Die Zelte waren fehr gut gemacht, viele mit doppelten Wänden aus Baumwollenzeug, und ein Holzgerüft gab ihnen die nöthige Fejtigfeit. Die ver Mandarine waren fehr ge- räumig, bejtanden inmwendig aus zwei Zimmern und hatten auch eine ziemlich comfortable Einrichtung von Matten-Deden, ja fogar von foliden Betten. Im den Zelten der Gemeinen fehlte oft das Stroh, und die Soldaten lagen alle auf dem bloßen Erdboden.

Die hier ftationirten Truppen fchienen zur Elite des Hee- res zu gehören, da fie ſämmtlich mit Feuergewehren beivaff- net waren. Allerdings darf man fich darımter feine Minie-, Enfteld- oder Zündnadelbüchſen vorftellen; im Gegentheil hat- ten fie den Vorzug, weniger furchtbar als diefe modernen Mordinſtrumente, ja in den meiften Fällen ganz unſchädlich zu fein. Von eben fo ehrwürdigem Alter wie das erwähnte Po— fitionsgefehü gehörten fie ſämmtlich dem Gejchlecht der Lunten— flinten an, aus einer Zeit, wo fich dies noch in urfprünglichfter

220

Kindheit befand. Diefe Flinten geben einen weitern fchlagenden Beweis für die Friedfeligfeit des chineſiſchen Volfes, da eine frie- gerifhe Nation unmöglich mit folhen Waffen gegen einen Feind, und fei er auch ver hafenherziafte, ziehen fann. Wir bejahen uns einige funfzig diefer Reliquien verfloffener Jahr— Hunderte, aber auch nicht zehn waren davon zu gebrauchen. Bei den meiften Flinten wer das Zündloch ganz zugeroftet, bei andern fehlte ein Theil oder auch das ganze Luntenſchloß, und jedenfalls war feit vielen Jahren aus feinen gefchoffen, obwol man jeßt die Abficht zu haben ſchien, da in einem Zelte von den Soldaten Pulver angefertigt wurde. Letztere Tiefen jeden Augenbli einige Schritte weit von ihrer Arbeit weg, um eine Pfeife zu rauchen, und wir zogen e8 darum vor, uns fo fchleunig als möglich aus der gefährlichen Nachbar- Ihaft zu entfernen. In China gibt es feine Pulvermühlen; alfes Pulver wird im Felde von den Soldaten gemacht, und nur die Ingredienzen nimmt man dazu mit. Die Zufammen- jeßungsverhältniffe vdejjelben find den unſern fajt gleich, näm— ih 75,7 Salpeter, 14,8 Weidenfohle und 9,9 Schwefel, je— doch ift e8 bedeutend jchwächer als das europätfche, und die Rebellen find Flug genug, lieber 5 Thaler für das Pfund englifches Pulver zu bezahlen, als es wie die Kaijerlichen jeldft zu bereiten.

Die Soldaten waren ziemlich Fräftige und große Leute. Biele trugen auch Uniform, gelb mit blauen Auffchlägen und auf der Bruſt wie auf dem Rücken ein fußgroßes Ffaifer- liches Wappen gedrudt; doch waren auch viele Greife darun— ter, und im ganzen machten fie durchaus feinen militärischen Eindruck.

Die Taku-Forts, welche ich ſpäter beſuchte, beſtanden aus einem Erdwalle, welcher der größern Haltbarkeit wegen mit ſchweren Teakholzbalken durchfuttert war. Ihr Hauptſchutz beſtand in ihrer Lage am Waſſer und dem ſie umgebenden

221

Sumpfboden; in der Kehle waren fie jedoch volljtändig offen, und die Engländer würden die Werke fofort genommen haben, wenn fie biefe beim erſten Angriffe umgangen hätten, anftatt direct duch den Schlamm zu waten und dabei eine Nieder- lage zu erleiden,

Mit der chinefiihen Artillerie fteht es nicht bejjer wie mit allem Uebrigen. Die im Lande gefertigten Geſchütze find jehr roh, nicht gebohrt, fondern blos in einer Korn gegofjen, in deren Mitte ein chlinderfürmiges Stüd Holz von ver Stärfe des gewünſchten Kalibers aufyerichtet ift. Diefes oft naffe Holz verurfacht eine zu fehnelle Abkühlung des innern flüffigen Eifens, und daraus entftehen Unebenheiten und nicht jelten Riſſe. Die aus dem Auslande bezogenen und mit theurem Gelde bezahlten Geſchütze find kaum beffer, nach feinem einheitlichen Syſtem beſchafft und faft alle ſehr fchlecht gehalten. y

Diefe Thatfachen können auch allein die wunderbaren Kriegserfolge der Weftmächte gegen die Chinefen erklären und auf ihr wahres Maß zurüdführen Es ift feine Kunft, mit disciplinivten Leuten und modernen Waffen gegen wehrtlofe Leute zu kämpfen.

Die hinefifchen Rebellen find in viefer Beziehung viel beſſer daran; fie haben nur Feuergewehre neuerer Conftruc- tion, die fie wohl zu fohäßen und zu handhaben wiffen, und dadurch ijt es ihnen möglich geworden, mit ihrer verhältniß- mäßig Heinen Armee gegen die Maſſen der Kaiferlichen Stand zu halten, diefe zu fchlagen und oft aufzureiben. Trotz ber überlegenen Taftif und Bewaffnung der Europäer find die vegulären Tatarentruppen ihnen gegenüber nicht feige zu nennen. In den Kämpfen ver legten Jahre ift es häufig vorgefommen, daß diefe Truppen im heftigften Kartätſchfeuer muthig Stand hielten und fich vecimiren ließen, ohne zu wei- hen, bis ein Bajonnetangriff auf fie geſchah. Dieſem wider-

222

ftanden fie nie. Die moralifhe Wirkung einer ihnen entge- genftarrenden ifenmaffe jagte fie wie Spreu ‚auseinander. Auch die Rebellen haben ihre Ietten Vortheile Hauptjächlich dem Umftande zu danfen, daß fie den Kaiferlichen meh- vere Regimenter mit Bajonnetflinten entgegenführen konn— ten. Außerdem haben fie befjfere Führer als ihre Gegner, die Fühnen, unternehmenden Muth durchaus nicht als eine gute Eigenfchaft bei Offizieren betrachten. Bei den Kaijer- lichen kann jeder General öffentlich ausgepeitfcht oder mit dem hölzernen Kragen geſchmückt ausgeftellt werden, und fchon aus diefem Umftande geht hervor, wie wenig moralifchen Einfluß folche Führer auf ihre Untergebenen haben müffen. Bei den Rebellen dagegen iſt jeder Offizier zugleich Beamter oder umgekehrt, und er nimmt dem Volke gegenüber dieſelbe erclufive und bevorzugte Stellung ein wie der Civilmandbarin bei den Kaiferlichen.

14.

Die Chinefen als Gegenſatz zu den Europäern. Charafteriftif des

chineſiſchen Bolfes in Sitten und Gebräuchen. Die Fefttage der Chi-

neſen. Das Nenjahrsfeft. Das Todtenfeft. Das Laternenfeftl. Ver— gnügungsfpiele.

Nachdem ic in den vorhergehenden Kapiteln eine Be— ichreibung von Kanton gegeben, die in ihren Hauptzügen auf alle größern Städte Chinas paßt, und die allgemeinen Ver: hältniffe des Landes injoweit berührt habe, als ich es für den Leſer von Intereſſe erachtete, will ich jest zur Charaf- teriftif des merkwürdigen Volkes ſelbſt übergehen und das- jenige mittheilen, was ich während eines elfmonatlichen Aufent- haltes im Reich der Mitte in diefer Beziehung zu beobachten Gelegenheit hatte.

Ein Reiſender hat in einer Kleinen Schrift folgende Schil- derung feines eriten Eintritt in China gegeben: „Auf meine Frage an den Bootführer, in welcher Richtung Macao läge, wurde mir die Antwort: im « Weft-Norden » und der Wind ſei «Dit -Süd». Wir jagen nicht fo in Europa, dachte ich bei mir, ftaunte aber noch mehr, als ev mir bei Gelegenheit des Kompafjes erklärte, daß die Magnetnadel nah Süden zeige. Um den Gegenitand des Gefpräches zu wechleln, be— merfte ich hierauf, daß er wahrfcheinlich zu einer hohen Feſt— lichfeit gehe, da er ganz weiß gefleidet fei. Er antiwortete

224

mir jedoch mit einem veräcktlihen Blid, fein einziger Bruder fei vor acht Tagen gejtorben, und er befinde fich deshalb in tiefiter Trauer. Bei meiner Landung wurde meine Aufmerf- famfeit zuerft durch einen Militärmandarin angezogen, ver einen gefticten Unterrod, ein Perlenhalsband und einen Fächer, aber feine Waffen trug, und von der rechten Seite fein Pferd beftieg. Ich ſah mich von Eingeborenen umgeben, die ihren Kopf gefchoren trugen, während ein Theil von ihnen das Haar im Geſicht wachfen ließ. Auf dem Wege nach dem Haufe, wo ich abjteigen wollte, begegnete ich zwei chinefifhen Knaben, die mit großem Ernſte ſich über den Be— fig einer Drange ftritten. Die Debatte war von ſehr lebhaf- ten Geſten begleitet; fchließlich fetten fie fih jedoch ruhig nieder und theilten die Frucht gleihmäßig unter fih. Kurz darauf bemerkte ich einige alte Chinefen mit grauen Bärten und außerordentlich großen Brillen, die Drachen fteigen ließen, während eine Gruppe von Kindern mit gefpannter und ernjter Aufmerkfamkeit ven unfchuldigen Befchäftigungen der Greife zuſchanute

„Ich verharrte bei meinem Entſchluſſe, auszudauern, und er— hielt am nächſten Morgen einen chineſiſchen Lehrer, der glück— licherweiſe englifch verftand. Ich wußte, daß ich eine Sprache ohne Alphabet zu ſtudiren hatte, war jedoch nicht darauf porbereitet, daß mein Lehrer, als er das Buch öffnete, von hinten an zu leſen fing. Er begann mit dem Tage ber Publication des Werks: «Fünftes Jahr, zehnter Monat, drei- undzwanzigfter Tag» Ich bemerkte ihm, daß wir unfer Datum auf andere Weife bezeichnen, und bat ihn, mir etwas über dis nefifches Ceremoniell. zu erzählen. «Wenn Sie», begann er, «in China einen hohen Gaft empfangen, jo vergejlen Sie nicht, ihn an Ihre linfe Seite zu feßen, denn das ijt der Ehrenplag. Ebenfo hüten Sie fih, das Haupt zu entblößen, dies würde eine unpaffende DVBertraulichfeit werfünden» Im

225

Berlauf unfers Gefprächs kam auch die Rede auf chinefifche Philofophie, und indem er das Buch wieder zur Hand nahm, la8 er mit dem größten Ernſt: «Die gelehrtejten Leute find entfchieden der Anficht, daß der Sit der menfchlichen Ver— nunft im Magen zır fuchen if.» Nun wurde es mir aber zu arg, ich ergriff im Verzweiflung mein Buch und ftürzte zur Thür hinaus... .”

Obwol der Verfajjer des Schriftchens dieſe Thatfachen wahrſcheinlich abjichtlich aneinander gereiht, hat er wenigftens nicht8 übertrieben, umd das Erzählte hat feine Richtigkeit. Nur die Eine Bemerkung, wonach die Chinefen den Sit des Ver— jtandes in den Magen verlegen follen, ift wol unrichtig, da fie vielmehr das Herz als die Hülle ver Vernunft bezeichnen. Abgejehen hiervon veranfchaulicht jedoch jene Zufammenftellung fehr zutreffend, in wie vielen Beziehungen die Chinefen gerade der Gegenſatz von uns Europäern find. Es ift fehwer, ven Charakter der Chinefen richtig zu beurtheilen. Sie zeigen fich den Fremden jelten jo, wie fie wirklich find, und nur wer ihre Sprache verfteht und lange Jahre mit ihnen umgegangen oder unter ihnen gelebt hat, vermag fie getreu zu jchildern und die Gegenfäte zu erklären, die fich in ihrem Denken und Handeln offenbaren und dem Frempen oft räthfelhaft erfchei- nen. Sch werde daher nur infofern auf ihren Charafter ein- gehen, als er fich in ihren Sitten und Gebräuchen fund gibt und feine Misventung zuläßt.

Ih beginne mit den Felttagen der Chinefen, deren jedoch kaum ein anderes Volk fo wenige zählt. Gigentlich gibt es tur zwei Feſte, die im ganzen Lande gefeiert werden, das Neujahrsfeſt und das Todtenfeft zur Erinnerung an die Ver— ftorbenen. Letzteres iſt jedoch mehr eine religiöje eier und befchränft fih auf einen Tag, während erjteres fait vierzehn Tage dauert, in alle Verhältniffe des focialen Ye- bens eingreift und alle Gefchäfte unterhricht, ein Umftand,

Werner. I. > 15

226

der in China mehr als alles andere für feine Bedeutung Ipricht.

E8 beginnt am dem Tage, wo die Sonne den 15. Grad nördlicher Breite fchneidet, was ungefähr am 10. Februar jtattfindet. Schon 10 Zage vorher hören alle Gefchäfte auf, die alten werden abgewidelt, aber feine neuen unternommen. Ein durch taufendjähriges Beftehen janctionirter Gebrauch fegt nämlich jedem Bewohner des Himmlifchen Reichs die moraliſche Verpfüichtung auf, alle laufenden Rechnungen ab- zufchließen, zu bezahlen und mit Einem Worte in feinem Ge- ichäfte völlig reine Bahn zu machen. Dies Geſetz ift fo ftreng, daß der Chinefe, welcher ihm nicht ſtrict nachfäme, in den Angen feiner Mitbürger als ehrlos daſtehen würde, und was Drohungen, gerichtliche Klagen und Schuldarreft im ceivilifir- ten Europa nicht zu beivirfen vermögen, erzwingt bier die Öffentliche Meinung. Ja die Kaufleute find jo penibel, daß fie, wie gejagt, wochenlang vor dem Termine gar feine neuen Geſchäfte eingehen, jondern nur nach Kräften bemüht find, die (aufenden abzuwideln. Ein folcher Abſchluß mag denn wol bei einzelnen drückende Gefühle hervorrufen, im allgemeinen wird aber jeder mit erleichtertem und frohem Herzen das neue Sahr beginnen, und feine Feier ift ein Feſt der Freude und der Heiterkeit.

Am letsten Abend des alten Sahres bleibt alles wach, und fowie die Songs der Wachthänfer mit ihrem fonoren Klang Mitternacht verkünden, beginnt ein enplofes und über alle Beichreibung großartiges Adbrennen von Schwärmern, ſodaß nach kurzer Zeit die ganze Atmofphäre mit Salpeter gefchwän- gert ift. Diefe Fenerwerksförper, von Geftalt und Größe eines Kleinen Fingers, find von chinefischen Feftlichfeiten unzer— trennlich und werden in unglaublichen Duantitäten angefertigt und verbraucht. Mean zieht fie zu Hunderten und Tauſenden auf Schnüre und ſteckt einen derfelben an, ber dann in fchneller

227

Neihenfolge die übrigen entzündet, bis unter lautem Gefnatter die Schnur verbrannt ift. Es follen jährlich über 600000 Gentner Pulver zur Fabrikation diefer Schwärmer in China verwandt werden, aber nach dem, was ich davon habe ver- brauchen jehen, namentlih am Neujahrsfefte, ſcheint mir die Angabe viel zu gering gegriffen, da außerdem auch ganze Schiffsladungen davon nach Nordamerika ausgeführt werben, mit deren bie ebenfo wie die Chinefen Geräufch Liebenden Yankees den Sahrestag ihrer Unabhängigfeitserflärung feiern. Der ideale Zweck diefer Schwärmer ift, durch ihr Knallen die Dä- monen zu erjchreden und zu vertreiben, von denen ber Chinefe die Erde bevölfert glaubt und vor denen er eine jtete Angit hegt. In Wirklichkeit ftiftet aber das Abbrennen diefer Schwärmer in fanitätifcher Beziehung nicht wenig Gutes, und ihrer quantitativen Verwendung ift e8 wol mit zu danfen, daß die von allen Verhältniſſen in China begünftigte Erzeugung von Miasmen durch den vielen Pulverdampf paralpfirt wird und nicht verheerende Krankheiten bringt.

Dis Tagesanbruch ijt jedermann in China bejchäftigt, fein Haus für die Feierlichfeit des Neujahrs vorzubereiten oder heilige Ceremonien zu verrichten. Die ganze Wohnung wird von oben bis unten gereinigt und ausgepußt. Bor dem Altar der Hausgötter werden mächtige Porzellangefäße mit fetten Speifen, Dliven, Citronen, fünftlichen und natürlichen Blumen, namentlich Nareiſſen aufgeftellt, die in feinem Haufe fehlen und die in Vaſen fo gezogen werden, daß fie gerade mit Neujahr in volffter Blüte ftehen.

Schon am frühen Morgen des Nenjahrstages fieht man große Bollsmafjen nach den Tempeln ftrömen, um dort zu opfern. Alle Haben fich mit dem Beften gejchmüct, was fie befißen, und der Herr erfennt oft feinen eigenen Diener nicht, wenn diefer im Veftjtante an ihm vorbeiftoßzivrt. Der ärmlichſte Kult, der das ganze Jahr in Lumpen und barfuß

1

228

oder mit elenden Sandalen umherläuft, ftolzirt heute mit blauem ungeflidten Nanfıngrod, weißen bis an die Knie reichen- den Strümpfen und den dickbeſohlten Filzſchuhen einher. Das ftruppige Haupthaar ift gejtern unter dem Fleinen dreieckigen Mefjer des Barbiers gefallen, der Schädel erfreut fich eines feltenen Glanzes und der forgfam mit falfhem Haar und Bändern verlängerte Zopf reicht mit feiner Spite gerade bis auf den Fußboden. Alles, was nur einigermaßen An- ſpruch auf Wohlhabenheit macht, erfcheint in Seide und Belz und oft beveden zwei, drei fojtbare Pelze übereinander im Werthe von SOO— 1000 Thalern ven Körper eines reichen, froftigen Kaufmanns, während die veiche, geftidte und mit rother Seidenquaſte verfehene Pelzmüte das Haupt ziert. Die Andacht in den Tempeln dauert nicht lange; in böchftens fünf Minuten ift die Sache abgemacht. Ein Opfer von einigen Rupfermünzen in die Tempelfaffe, bei ver ein kahlgeſchorener Buddhaprieſter mit blödfinnigem Geſichtsausdruck ſitzt und gedankenlos die Rauchwolken ſeiner langen Tabacks— pfeife aus Pfefferrohr mit kleinem Meſſingkopf in die Luft bläſt, einige Verbeugungen und Kniefälle vor einem der Hauptgötzen und ein Opfer von Saiſis aus Silberpapier, die an den Altar gehängt werden das iſt das Ganze und wahrhaftig wenig genug. Beten koſtet zu viel Zeit, man überläßt es dem Prieſter, dieſer wird dafür bezahlt. Die Hauptſache iſt ja auch das Vergnügen, Muſik, Spiel, Eſſen, Trinken und Viſitenmachen. Saiſis heißen die wie ein kleiner Kahn geformten Silberſtücke von gewöhnlich 20 Dollars Werth, welche als einzige einheimiſche Silber— münze in China curſiren. Zum Neujahrsfeſte werben Millionen diefer Kähnchen aus Silberpapier gefertigt und auf dem Altare den Göttern geopfert, um von diefen, in Er- widerung des Gefchenks, im Laufe des neuen Jahrs ebenfo viele Stücke aus reellem Silber zurückzuerhalten. Die Chinefen

229

fpeculiven fo gewifjermaßen auf die Dummheit ihrer Götter, während die Priefter ebenfalls ihre Rechnung dabei finden, in— dem fie die geopferten Saifis wieder verfaufen, die auf diefe Weife oft vier- bis fünfmal aus verfchiedenen Händen am Altare niedergelegt werden. Die Tempel in Schang-hae, die ich bei Gelegenheit des Neujahrsfeftes bejuchte, find übrigens die ſchmuzigſten, ftinfendften Rauchhöhlen, die ich je in China gefehen, die Götzen rußig wie Schorniteinfeger, und wenn man die Räume betritt, möge man gut darauf achten, daß man jeine Kleider nicht beflede.

In den Vorhöfen der Tempel fieht e8 wie ein Jahrmarkt aus. Bude für Bude, Tifch neben Tifh ift aufgefchlagen, Zuderwerf, von dem die Chinefen jo große Freunde find, religiöfe Dpfergegenjtände, Saiſis, Räucherſtäbe, bunte Opferkerzen werden überall feil geboten und gekauft. Bor allem fällt aber die Maſſe ver Spielbuvden auf. Alle möglichen Hazardipiele chinefifcher und europäifcher Erfindung find hier vertreten, und die Maſſe der umftehenden Spieler von jedem Alter und Gejchlecht, jowie der gierige Eifer der Einjegenden zeugt von der großen Spielmuth der Chinefen, die nach ihrem Götzendienſte fogleich praftifch erproben wollen, ob das Opfer ihnen geholfen hat. Die jchon erwähnten Wahrjager in allen Varietäten -geben an Zahl den Spielbuden kaum nach, und auch ihre Tiſche find von einem gebrängten Publikum umgeben. Die Schlauheit beutet hier die Dummheit und den Aberglauben auf das gründlichfte aus.

In den Theehäufern herrfcht ein ebenjo lebendiges Treiben und Gewoge wie auf den Straßen und in ven Tempeln; fie find faft Kopf an Kopf gefüllt. An einer Unzahl von Tischen figen Männer, Weiber und Kinder, fchlürfen ihren heißen Thee, eſſen Erdnüſſe, Badwerf oder geröftete Sonnenblumen- ferne dazu, und eine dichte Wolfe von Tabads- und Opium: dampf Hülft vie ganze große Stube in einen trüben Nebel,

230

während man vor dem endloſen Gefchnatter zer redſeligen Befucher fein Wort verftehen kann.

Nah dem Tempelbefuche kommt das Bifttenmachen und Gratuliven, gegen das unfere Gratulationen gar nichts jagen wollen. Unſer Ceremoniell dieſer Art bejchränft ſich doch wenigjtens auf einen Tag und auf unvermeidliche Befuche bei den nächften Verwandten und Borgefegten. In China dauert die Sache dagegen mindeftens acht Tage. Es tft faſt wie am Diterfefte in Rußland. Leute, die fich nie gejehen haben, be- grüßen fih wie alte Bekannte, arm und reich, niedrig und hochgeboren wünfcht fih Glück, doch begleitet hier nicht tie bei uns die offene Hand die Gratulation, jondern die Wünſche find uneigennüßig und aufrichtig gemeint.

Bor jedem Haufe halten Sänften, an denen die Packete gedrudter rother Bifitenfarten Hängen. Roth ift in China die Farbe der Freude und Höflichkeit; nur Trauerbriefe wer- ven auf weißes Papier gefchrieben. Die Neujahrspifitenfarten find ziemlich groß und enthalten einen Holzjchnitt, ver Die Symbole der höchſten irdiſchen Glückſeligkeiten darjtellt, Die nach hinefifchen Begriffen in männlicher Nachkommenſchaft, in einer Staatsanftellung oder Beförderung und in langem Leben bejtehen. Diefe drei Wünfche werden durch die Figuren eines Knaben, eines Mandarin und eines Greijes mit einen Storche perfonifient. Im jeden Haufe empfängt man die Befucher mit Thee und Betel, und überall auf den Straßen und vor den Häufern fieht man das Berbeugen und Compli— mentiren mit den affectivten Berfuchen, es zu hindern, Die einen fo beveutenden Theil der chinefifchen Höflichfeitsformen aus: machen. Ebenfo werden am Neujahrsfefte zwijchen aller Be— fannten Gefchenfe ausgewechjelt, die aus feltenen Früchten, Eingemachtem, feinem Thee, bisweilen auch aus feidenen SKleiverftoffen und Zierathen verfchievdener Art beftehen und fofort in verjelben Weife erwidert werden. Der Weber:

231

bringer führt eine Lifte der Sachen auf einen rothen Bapier- jtreifen mit fih, die der Empfänger mit. dem Vermerk: „Mit Dank empfangen“, zurüditellt, während der Diener jedesmal eine Belohnung erhält.

Das Todtenfeft findet zweimal im Jahre ftatt; wir fahen es an zwei verſchiedenen Drten mit am, einmal im. Auguft in Singapore, das andere mal im April in Schang-hae. Beide Feftlichkeiten unterfchieden fi wenig voneinander und die dabei beobachteten Riten fcheinen im ganzen Reiche ungefähr btefelben zu fein. Die Ehrfurcht der Chinefen für ihre Vor: fahren iſt ungemein groß, und. das Todtenfeft ift der Ausdruck diefes Gefühls, das überdies, wie ich ſchon bei Gelegenheit des Strafcoder bemerkte, durch das Geſetz ſtets wach erhalten wird. Diefes jchreibt jedoh nur das Ausſchmücken ver Gräber vor, und an diefem Tage ftrömt daher alles wor die Thore, um die heilige Pflicht zur. erfüllen. . Wer es irgend vermag, nimmt dazu Blumen, und es ift ein wunderhübfcher Anblick, wenn plößlich der Kirchhof in einen Blumengarten verwandelt wird. Außerdem aber wird auf jedes Grab ein Büfchel von bunten oder weißen Papierftreifen gefteckt, als Eontrole für die Polizei, daß jeder feine Obliegenheit er— füllt hat. | |

Hiermit iſt der ernftere Theil der Ceremonie, die übrigens das gejchäftliche Leben nicht weiter unterbricht, beendet, das eigentliche Feſt findet jedoch erjt abends ſtatt. Da fich aber der chinefifche Eultus möglichit von allem Abftracten frei und nur an das Sinnliche hält, fo ift auch das Todtenfejt eigent- ih nur ein Zwedeljen, zu dem die Verftorbenen durch ver- ſchiedene Dber- und Unterpriefter mit Gefang und Inſtrumen— talbegleitung eingeladen werden. Der möglichite Skandal ift bet allen veligiöfen Cevemonien der ‚Chinefen immer Haupt- fache, und fomit wurde auch diefes Felt durch das Abbrennen von vielen Tauſenden von Schwärmern, Illumination von Hun—

232

derten von Heinen Lichtern vor jeder Thür mit obligater Beglei- tung des Gong und anderer lärmmachender Inftrumente einge- weiht. Gegen Abend jtellte man in den verfchiedenen Straßen Tiſche auf- und aneinander, ſodaß diefe bisweilen eine Länge von 300 Fuß erreichen. Sämmtliche Chinefen, die es vermochten, hatten dazu beigefteuert, diefe Tafeln mit Speifen zu bejeten, und ich muß geftehen, daß ich nie in meinem Leben eine folche Mafje von Gerichten gefehen habe. Wahrlich, gegen chinefifche Kochfunft find alle andern Nationen Stümper, und von bem ganggebratenen vierhundertpfündigen Schweine an bis zu den fricaffirten Frofchkeulen, ven farcirten Ratten und Salat von Negenwürmern war alles jo reizend und appetitlich arrangirt, daß einem das Waffer im Munde zufammenlief. Bon jechs zu ſechs Fuß waren rings um die Tafeln S—10 Fuß Hohe Pyramiden von verjchievenem Badwerf aufgeftellt, unter denen einige aus Nudeln jedenfall® den Vorzug der Driginalität befaßen. Das Merkwürdigfte auf der ganzen Zafel war jedoch eine Gebirgslandfchaft, die nur von Fett und Fleiſch gefertigt war. Concave Rippenftücde von Schweinen und Hammeln jtellten Grotten, große Fleiſchſtücke mit der Netzhaut überzogen Felfen, Berge und Gletjcher vor. Nur das Yaub ver Bäume war natürlich, aber jelbft ihre Stämme aus Knochen und alles jo täuſchend nachgeahmt, daß man nur ganz in der Nähe ven jonderbaren Stoff unterfchied. In der Aufftellung der Speifen herrichte große Ordnung. Zunächſt erjchienen koloſſale ganzgebratene Schweine mit Roſenſträußen in der Schnauze, denen ebenjo zugerichtete Hammel und Ziegen als vis-&-vis beigegeben waren; dann fam alles mögliche Wild, dann Geflügel in jeder möglichen Varietät und Zubereitung, dann Fiſche, unzählbare Arten von Rieſenpuddings, Kuchen, Gemiüfe, dann Schüffeln von undefinirbaren fpecififch chinefifchen Speifen, für die wir weder Namen noch Gefchmad Haben, und den Beſchluß

233

machten eine Legion Salate. Sch glaube, es gibt faum eine Pflanze, aus der die Chinefen nicht Salat bereiteten. Wir zähl- ten die Salate; es waren Hundert und einige dreißig Arten. Das nenne ich doch DVielfeitigfeit! In ſämmtliche Speifen waren eine Maffe der unvermeidlichen Räucherſtäbe geſteckt, deren Dalm in einer dichten Wolfe über der von allen mög- lichen bunten Laternen erleuchteten Tafel lagerte und auf 30—40 Schritte die Atmofphäre verpejtete.

Gegen 8 Uhr abends, nachdem alles aufgeftellt und Funft- gerecht arrangirt war, erjchienen verjchiedene Bonzen in lang- ärmeligen gelben Talaren, die jedoch, wie Geficht und Hände ihrer unſaubern Eigenthümer, in jehr langer Zeit nicht ge- wajchen waren. Es waren ihrer drei, und das Kleeblatt nahm mit einem Flötenbläjfer am obern Ende ver Tafel Plag. Hier war für fie eine originelle Nifche gebildet. Dieje bejtand aus zwei Tifehen, auf deren einem ein gejchlachtetes Schwein, auf dem andern eine Ziege paradirte. Beide waren blendend weiß rafirt, trugen Citronen im Maule und waren noch anderweitig mit Blumen geijhmüdt. Der Oberpriejter breitete eine Reihe Becher mit Reis, Mais und Erpnüffen gefüllt vor jich aus und begann mit einer ſchauerlichen Stimme Gebete abzujingen, die, wie wir erfuhren, eine Einladung an die Berftorbenen zu dem ihnen jervirten Mahle enthielten. Bon Zeit zu Zeit wurden einige der Körner aus den Büchfen auf die Erde geworfen. Der Flötenbläfer begleitete den Ge— fang unifono, und die beiden Gehülfen des Bonzen accompag- nirten mit Beden und ein paar Caftagnetten. Dieje Einladung dauerte mit Zwijchenräumen bis gegen 10 Uhr. Als bis da- hin die Verftorbenen von der ihnen zu Ehren veranitalteten Veitlichfeit feine Notiz genommen hatten, beſchloß man, nicht länger auf fie zu warten. Die Speiſen wurden abgetragen und in den Häufern der Bezirksvorſteher an die Armen ver- theilt. Gewiß ift an diefem Abende fein Bebürftiger ver

234

ganzen Stadt ungejättigt zu Bett gegangen. Die Gaftgeber felbft verſammelten fich aber gleichfalls zu Zwedeffen, und wie fehr fie denſelben Ehre anzuthun wußten, ging aus dem Umſtande hervor, daß am folgenden Tage fat ſämmtliche Läden ge- Ichloffen waren.

Auf den erften Bollmond im neuen Jahre fallt das Ya- ternenfejt, das jedoch weder eine religiöje noch eine fociale Bedeutung Hat, fondern weiter nichts als eine öffentliche Schanftellung von allen möglichen Arten Laternen ift, die in der chinefifhen Häuslichkeit eine große Rolle fpielen. In jedem Zimmer, auf den Fluren, vor den Thüren, in den Gärten und Pavillons Hängen Mafjen von Laternen aus allen möglichen Stoffen und von den verſchiedenſten Dimenfionen und Farben. Jeder Kuli trägt abends eine Laterne; jeder der Taufende von ambulanten Köchen und Krämern zählt deren drei bis vier auf feinem Tiſche, und den Sänften der Wohlhabenden werden fie oft -zu Dusenden, den Namen des Beſitzers darauf gemalt, angehängt und vorgetragen. Am Laternenfeſte, das übrigens mm einen Abend dauert und weiter nicht das Volksleben berührt, bemüht fich ein jeder, die ſchönſten und Ffünftlichiten Exemplare zum Vorſchein zu bringen, damit zu prunfen und fie von der Menge beiwundern zu laffen. Vor den Hänfern der Reichen werden 50— 60 Fuß hohe Bambusjtämme mit daran befeftigten langen Querhölzern aufgerichtet, die, mit unendlich vielen buntfarbigen Papiers laternen geſchmückt, wie riefige Weihnachtsbäume fich in die Lüfte emporftreden. Alle Formen, alle möglichen Arten von Thieren, die fo conftruirt find, daß fie fi) Durch die aus- ſtrömende Hitze oder im Yuftzuge bewegen, find dabei ver- treten. Ein gigantifcher Drache, das Symbol alles Guten in China, von 60—80 Fuß Länge, deſſen Glieder durch hohe Bambusftangen unterftüßt find, wird im Procefjton durch die Straßen getragen und gewährt von weiten ein prachtvolles

235

Schaufpiel. Wie eine glühende Schlange windet er fich langſam über die Stadt, und die Bewegungen feiner Träger jcheinen ihm Leben einzuhauchen.

Trotz des Mondlichtes ift ver Anblick diefer vielen Taufende von Lichtern, die an jchwanfenden Bambusftäben hoch über den Häuſern jchweben, großartig und bezaubernd, und ich werde nie ben Eindruck vergeffen, den das auf diefe Weife in Lichtern ſchwimmende Schang-hae auf mich machte.

Im Juni findet in Kanton noch ein Volksfeſt, eine Art Regatta ftatt, eins der wenigen gummaftifchen Spiele der Chineſen, die zwar fehr thätig, aber feine Freunde von frei= willigen Leibesübungen find. Diejes Wettrudern gefchieht in fehr langen und ſchmalen Booten, die von reichen Chinefen ausprüdlich für dieſe Zwede gebaut und mit 40 80 Ruderern bejett find, welche ihre Ruder nach dem Takt des Gongſchlags handhaben. Die Aufregung bei diefen Fahrteı und das Streben, den Preis zu gewinnen, ift fo groß, daß faft immer einige Boote dabei zu Grunde gehen.

Neben den erwähnten Feiten und den Kamilienfeierlichfeiten bei Geburtstagen, Hochzeiten u. |. w. fennen die Chinefen weder Sonn» noch Feiertage. Die Vergnügungen und Zerftreuungen, denen fie ſich außer dem Haufe hingeben, juchen fie int Theater, in den Theehäufern oder in Spielen und Bejchäf- tigungen, die wir den Kindern überlaffen. Das fogenannte Murmelſpiel unferer Knabenwelt, das Anpicken mit Geldſtücken, das Federballſpiel, das hier jedoch ohne Schlägel nur mit Hand oder Fuß getrieben wird, namentlich aber das Steigen— laſſen von Drachen ſind Amuſements von Erwachſenen und Greiſen. Die chineſiſchen Drachen ſind freilich reizend, und ich glaube, daß auch bei uns Erwachſene ihr Vergnügen an dieſer Spielerei finden würden. Alle möglichen Figuren, Männer, Frauen mit Kindern auf dem Arme, Schiffe unter Segel, Thiere, die Töne von ſich geben, Raubvögel mit aus—

236

gebreiteten Schwingen u. f. w. werden als Modelle genommen und fo natürlich nachgebildet, daß man, namentlich bei den Bögeln, fehr häufig getäufcht wird und fie für wirfliche anfieht. Die größte Fabrik diefer Drachen it in Kanton und zwar werben fie dort mit vielem Geſchick von den tatarifchen Sol- daten der Garnifon gefertigt.

15.

Brautwerbung und Hochzeit. Das Concubinat bei den Chineſen. Ver— bältniß der Frau zum Ehemann, der Kinder zu den Aeltern. Die Ehe- Iheidungsgründe, Nachkommenſchaft ein Segen. Noth der niedern Klafjen. Tod und Begräbniß eines Familienhauptes. Die Grabftätte,

Nach den erwähnten öffentlichen Feſten nehmen die häus— lichen eine nicht wenig bedeutende Stelle im Leben der Chineſen ein. Die drei großen Abſchnitte des Familienlebens: Geburt, Hochzeit und Tod, werden auch von ihnen hervorgehoben und mit entſprechenden Feierlichkeiten begleitet.

Das freudigſte und wichtigſte Ereigniß iſt die Hochzeit, und ſchon im früheſten Alter der Kinder beſchäftigen ſich die Aeltern mit der Regelung dieſer Angelegenheit. Nach ihrer Anſicht vereinigt Yuelau, „ver alte Mann im Monde‘, den fih auch unfere Volfspoefie aus den dunkeln Stellen des Ge— ſtirns conftruirt, mit einer ſeidenen Schnur alle füreinander bejtimmten Paare ſchon vor ihrer Geburt, und nichts vermag diefelben je mehr zu trennen. Die Aufgabe der Aeltern und Berwandten ijt es nur, für ihre Kinder die durch Yuelau er- wählten Gatten ausfindig zu machen.

Diejes Schwierige Gefchäft beginnt daher jehr früh und wird hauptjächlich durch Freiwerber geleitet, die entweder aus

238

den Verwandten oder aus einer eigenen Klaſſe von Leuten, den rauen der Schaufpieler, gewählt werden. Diefe lettern rauen betreiben die Sache geichäftsmäßig, haben ihre be- ftimmten Diftricte und befiten innerhalb dieſer die nothwen— dige Familien und Perjonalfenntnig, um ihren Clienten vie gewünfchte Auskunft über Vermögensverhältniffe u. |. w. zu geben, die eine Hauptrolle dabei fpielen. Gleichheit an Rang und Lebensitellung it das nothwendigſte Bedürfniß für das junge Paar, und ohne diefe ift eine Verbindung nicht denkbar. Bei der großen Achtung jedoch, in der Gelehrfamfeit jteht, kann ein ſich auszeichnender junger Gelehrter, mag er auch aus der unterften Volksklaſſe entfproffen fein, dreift fein Auge zu dem angefeheniten Mädchen der Stadt erheben und wird ftets willfommen fein. Glauben die Aeltern, den Auser— wählten oder die Auserwählte ihres Kindes gefunden zu haben, fo werden zunächſt verſchiedene Wahrfager befragt, und viefe ftellen den jungen Leuten das Horoffop. Fällt diefes zur Zufriedenheit aus (dies hängt natürlich Lediglich won der Bezahlung ab), jo ift alles in Ordnung; das Paar wird als verlobt betrach- tet und die beiderjeitige Mannbarfeit abgewartet. Auf gegen- feitige Neigung wird dabei feine Rüdficht genommen; ja in vielen Fällen fieht der Bräutigam die ihm beitimmte Gattin am Hochzeitstage zum erjten mal.

Die Feſtſetzung dieſes Tages erfordert gleichfalls wieder eine Menge Vorbereitungen, und die Wahrfager werden dabei abermals zu Rathe gezogen. Ein glüdlicher Tag, vorzugsmweife im erſten Monat des Jahres (Februar), wenn „die Pfirfich- blüte ihren Kelch öffnet“, iſt nothwendig erforderlich, und ob— wol der faiferliche Hoffalender genau die guten und jchlechten Eigenfchaften eines jeden Tags im Jahre für diefen oder jenen Zwed angibt, genügt Dies den jerupuldfen Verwandten der Brautleute keineswegs. Dft wird die Hochzeit Monate, ja ein Jahr Tang Hinausgejchoben, weil die günftigen Zeichen

239

dafür fehlen. Sind dieſe Zeichen endlich vorhanden, fo jendet der Bräutigam der Braut Gefchenfe, was als offtcielle An— erfennung der Verlobung von feiner Seite betrachtet wird. Dieſe Gefchenfe find ebenfo wie ein Theil der Ceremonien nad) den verjchievdenen Provinzen verfchieden. Im Norden beftehen fie in einer goldenen Haarnadel (e8 ift hier die mittlere Bürgerflaffe angenommen), einem Paar filbernen oder golvenen Armbändern, einem Päckchen Thee, einem Stüd rothen und einem Stück grünen Seivenzeugs, nebft vier Stangen Silber im Werthe von 10 TIhalern und mehr. Die Braut erwidert dies im allgemeinen nicht, wie fie überhaupt feine Mitgift bringt, bisweilen fendet fie jedoch Sticereien eigener Arbeit, ein Fächerfutteral, das jeder Chinefe wie einen Dolch an der Seite hängen hat, einen Tabadsbeutel und eine Gelpbörfe. Ihre Aeltern ſchicken dagegen eine rothe Karte, auf der die Er- theilung ihrer Zuftimmung gefchrieben jteht. Von diefen Tage an wird das Haar der Braut anders frifirt; ftatt der bishe- rigen jungfräulichen einfachen Flechte wird die Haartracht der Frauen, wieich fie Schon befchrieben, adoptirt. Der Bräutigam wird ebenfalls zum Zeichen ver bevorftehenden Verheirathung mit einer Fleinen runden Mütze befleivet, die er fortan im Haufe trägt. Am Hochzeitstage jelbft fchict der Bräutigam größere Geſchenke, die in S—10 Pfund Thee, Kleidern, Suwelen und einer Summe zwijchen 50 4000 Thalern, je nach den Ver— mögensumftänden, des Gebers beftehen. Die Brautältern fenden dafür Seidenzeuge und die acht Charaktere des Jahrs, Monats, Tags und der Geburtsitunde der Braut mit Gold auf rother Seide gedruckt zurüd. Der Bräutigam empfängt von feinen Freunden, die Braut von ihren Freundinnen eben- falls Gefchenfe. Unter den erjtern befinden fich ftets ein Paar lebende Gänfe, die in China als das Symbol eines einträch- tigen ehelichen Lebens gelten und deswegen auch der Doch- zeitSproceffion vorangetvagen werben. Die Gefchenfe der

240

Brautjungfern beftehen jedoch lediglich in Stickereien und Heinen Andenfen. Schweftern und Freundinnen der Braut bleiben bei ihr und weinen mit ihr, bis jie das Haus ver- läßt. Am Abend fommt der Bräutigam in Begleitung feiner Berwandten mit einer blumengejchmücten und meiftens ganz vergoldeten Sänfte, um feine Berlobte abzuholen. Auch bringt er Muſik mit und eine Menge phantaftiich gekleideter Diener und Knaben, die Laternen tragen. Sänfte und Kleider werden gewöhnlich von den Buddhaklöſtern geliehen, welche diefe Geräthe zu vergleichen Feſtlichkeiten vermiethen und reiche Einkünfte davon ziehen.

Den Hochzeitszug eröffnet der allem vorangehende Unter- händler, hinter dem Fahnen, Sonnenfhirme, Gedächtnißtafeln und Laternen folgen. Dann folgt die Mufifbande, Hinter ihr ein Mann mit den unvermeidlichen Schwärmern, die er un- ausgefett zifhen und fnallen läßt. Dann kommt ein mit rothem Pulver beftreuter weißer Ziegenbod, dann die erwähnten weißen Gänfe und einige Schalen mit Früchten. Ihnen folgt die von vier Männern getragene und von vier andern Männern begleitete Brautjänfte, welche ganz gejchloffen ift. Cbenfo iſt die Braut dicht verfchleiert, daß ihr Gejicht von niemand gefehen werden kann. Der Sänfte folgen zwei Brautjungfern und die Freunde des Bräutigams, ebenfalls ſämmtlich in Sänften.

Der Zug hält vor dem Haufe des Bräutigams; jedoch halten die Diener die Thür fo lange verfchlojfen, bis fie ein Geldgeſchenk empfangen haben. Dann öffnet ver Bräutigam die Sänfte und hebt die Braut über die Thürſchwelle, auf der ein Kochtopf fteht, in das Haus. Dies foll andenten, dag jetst die Haushaltungspflichten der jungen Frau beginnen. Sie wird nun von den Brautjungfern in den evleuchteten Hochzeitsfaal geführt, zu dem der Weg mit Teppichen belegt it, damit fie fich ihre Schuhe von rothem Atlas nicht be— ſchmuzt, und einer Matrone übergeben. Dieſe führt fie in

24]

die Brautfammer, von wo aus fie in die große Befuchshalfe tritt und die dort verfammelten Säfte zu dem Genuffe von Betel einladet, worin fie felbjt mit dem Beiſpiele vorangeht. Danach wird fie von dem Bräutigam entfchleiert, und während die Verwandten fie einer ziemlich lauten und rückſichtsloſen Kritit unterwerfen, deren Zwed es it, ihre Demuth und Beicheidenheit einer Prüfung auszufegen, trinft das junge Paar den VBereinigungstrunf, wober dev Wein aus der Tajfe des Bräutigams mit dem der Braut und umgefehrt gemifcht wird. Danach wird die Che als vollzogen und beide werden als Mann und Frau betrachtet. Dies Weintrinfen wird mit denjelben Ceremonien noch zweimal wiederholt, wobei die Mufif den möglichften Lärm macht. Nun erſcheint eine alte von vielen Kindern gejegnete Matrone, Hält eine Anfprache an die jungen Leute und verfündet, daß das Brautbett fertig ſei. Sämmtlihe Freunde begleiten den Bräutigam bis an die Brautkammer und verlaffen danach das Haus. Am fol- genden Morgen verrichten die Eheleute gemeinfchaftlich ihre Andacht vor den Hausgöttern und in der dem Andenfen ver Vorfahren geweihten Halle, dann werden Gratulationsviſiten entgegengenommen, vom dritten Tage an etiva einen Monat lang allen Verwandten Bejuche gemacht und mit einem Feſt— mahl die ganzen Feierlichkeiten gejchloffen.

Bielweiberei ift in China erlaubt, in der Praris jedoch nicht häufig, und gilt in der öffentlichen Meinung nur be- dingungsweife für anftändig. Der Mann kann nur Eine recht- mäßige Frau befien, die übrigen find Concubinen, ftehen als ſolche zur Frau in dem Berhältniffe von Dienerinnen, und ihre Kinder werden als Eigenthum der Frau betrachtet. Diefe Kinder find zwar legitim, kommen aber hinter den mit der Frau erzeugten. Wenn die wirfliche geſetzmäßige Fran Söhne hat, darf der Mann überhaupt gar Feine Con- eubinen nehmen, nur wenn fie unfruchtbar tft oder ihrem

Werner. I. 16

242

Manı nur Töchter gebiert, ift er dazu berechtigt. Wie die öffentliche Meinung in ſolchem alle urtHeilt, geht aus folgendem Paſſus einer Ermahnung hervor, die einer der populärften Schriftiteller Chinas an die unfruchtbaren Frauen über diefes Thema hält: „Es gibt in der Welt Frauen‘, fo jagt diefer Weife des Mittelreichs, „die, obwol fie ſelbſt nie einen Knaben geboren oder ein Mädchen genährt haben, ihren Mann verhindern, eine Concubine in das Haus zu bringen oder ein Mädchen zu unterhalten, um feine Nachfommenfchaft zu fichern, jelbjt wenn er bis zum vierzigjten Jahre gewartet hat. Sie fehen auf eine folche mit eiferfüchtigem Haß und Uebelwollen. O wißt ihr nicht, wie flüchtig die Zeit ift? Dehnt eure Monate und Jahre fo lange aus wie ihr wollt, fie fliegen wie Pfeile, und wenn eures Gatten animalifche Lebenskraft und fräftiges Blut erfchöpft fein wird, dann wird er nie Kinder befommen, und ihr, feine Frauen, werdet jchuld daran fein, daß die den Ahnen fälligen Dpfer nicht gebracht werden; ihr werdet feine Nachkommenſchaft zerftört haben. Dann wird die Reue, auf welche Weife ihr fie auch an den Tag legt, zu ſpät fommen. Sein jterblicher Körper wird fterben; fein Eigenthum, welches ihr und euer Gatte ge— fucht habt zufammenzuhalten, wird nicht auf feine Kinder iibergehen, fondern die Verwandten werden darum Fümpfen. Ihr werdet nicht allein eine Perfon, euren Gatten, fondern euch ſelbſt beleidigt haben; demm iwer wird Sorge tragen für euren Sarg und euer Grabmal? Wer wird euch begraben oder Opfer bringen? D! euer verwaifter Geift wird die Nächte mit Weinen durchwachen! Es ijt traurig daran zu denfen!....

„Es gibt Frauen, welche ihre Eiferfucht zügeln und ihren Männern geflatten, eine Koncubine zu fich zu nehmen; aber fie thun es auf eine Weife, als ob fie Effig tränfen und Säuren gendffen. Sie fehlagen auf die Diener der Concu—

248

bine, um dieſe zu treffen, und es ift fein Friede im Haufe. Aber ich ermahne. euch, wie kluge und tugenphafte Frauen zu handeln. Wenn ihr feine Kinder habt, forgt mit Offenheit und Wohlwollen für eine Koncubine eures Mannes. Wenn jie ihm Kinder gebiert, wird er es euch verbanfen, daß bie Adern feiner vorälterlichen Linie nicht vertrodnen. Seine Kinder werden euch als ihre Mütter ehren; und wird dies nicht ein Troſt für euch fein? Ueberlaßt euch nicht der übel- wollenden Eiferfucht einer böfen Frau. Bereitet nicht eine Bitterfeit, die ihr ſelbſt verſchlucken müßt!” ....

Diefe Homilie läßt uns zugleich einen Blick in die chine- fiiche Häuslichkeit und die Stellung der Frauen thun. Sie zeigt, daß die Frau in China micht willenlofe Sklavin wie bei den meilten Afiaten, ſondern jo ziemlich Herrin im Haufe ift, gegen deren Willen der Mann nicht ungeftraft ankämpfen fann.

Mit jeder Coneubine, die der Mann über eine hinaus nimmt, finft er jedoch in der öffentlichen Achtung. Chine— fen, die auf ihren guten Auf etwas geben, greifen darum nicht zu dieſem Auswege, fondern adoptiren, im Falle auch die erjte Concubine Finderlos bleibt (Töchter zählen nicht), die Söhne eines jüngern Bruders oder anderer naher Verwandter, Der Kaifer befitt Hunderte von Concubinen ans den erſten Familien der Tataren, die fich gewöhnlich zu diefer Ehre drängen, obwol es auch Häufig vorfommt, daß ehrbare Bäter ihre Töchter dem Faiferlichen Harem verweigern. Nach vem Tode des Kaifers werden diefe Unglüclichen alle in einen PBalaft eingejperrt und dürfen fich weder werheirathen noch denfelben bis zu ihrem Tode wieder verlafjen.

Heirathen zwifchen Perſonen von gleichen Familiennamen find verboten, und da es in China kaum 150 verjchiedene Familiennamen gibt, jo kann man fich denken, welche Schwie- rigkeiten fich ſchon deshalb einer Verbindung in den Weg 16”

244

ftellen. Ebenfo dürfen ſich nahe Blutsverwandte nicht hei- rathen. Für Beamte beftehen ſogar noch befonvdere Berhin- derungsgründe. So 3. B. darf ein Mandarin nicht die Tochter eines Schaufpielers zur Gattin nehmen. Gefchieht e8 dennoch, fo wird die Ehe fir ungültig erklärt und jeder ver ſchuldigen Theile mit 60 Hieben beftraft.

Das Berhältniß einer Frau zu ihrem Manne ift durch die Thatfache ſcharf charakterifirt, daß die Frau fein Ver— brechen begehen kann, ohne daß ihr Mann dafür verantiwort- (ich gemacht und als Hauptſchuldiger betrachtet wird. Sit fie durch ihren Mann dazır verleitet, jo geht fie ganz ftraflos aus. Nechtlich wird ihr daher eine ganz untergeoronete Stellung angewiefen, und wenn fie, wie aus jener ange— führten Ermahnung hervorgeht, fich trotzdem zur Herrin des Mannes macht, fo zeugt dies von nicht geringer Energie ihres Charakters. Andererfeits räumt man der Frau als Mutter wieder merfwürdige Vorrechte ein. Stivbt 5. B. der Mann, fo bleibt die Mutter das Haupt dev Familie, und die Söhne find ihr bis zu ihrem Tode unbedingten Gehorfan und Ehr- furcht ſchuldig. Wie weit dies geht, Hatte ich Gelegenheit in Kanton zu fehen. Wir machten dort die Befanntichaft eines jungen Mannes Kinlin, aus der Familie Hauqua, einer der reichften in China, und wurden von ihm zum Frühſtück eingeladen. Der junge Mann war 22 Jahre alt md felbft verheirathet, wobei ich beiläufig bemerfen will, daß feine Frau die hübſcheſte Chinefin war, die ich je gejehen, und daß ihre Schwiegermutter, obwol 40 Sahre alt, von mir für ihre Schwefter gehalten wurde und ihr an Schönheit wenig nach- gab. Es wurde uns Wein vorgefett, unfer Wirth felbft trank aber feinen. Ms wir ihn nach dem Grunde fragten, erhielten wir die Antwort, feine Mutter habe es ihm ver- boten. Dieſes naive Geſtändniß zeigt gewiß, wie unbedingt Kinder ihren Aeltern in China Gehorſam leiſten.

245

Eheſcheidungsgründe gibt es fieben in China: Unfrucht- barfeit der Frau, Ehebruch, Ungehorfam der Frau gegen des Mannes Aeltern, Schwaßhaftigfeit, Diebjtahl, böſe Laune, unheilbare Krankheit. In drei Fällen fann jedoch Scheidung nicht ftattfinden: nämlich, wenn die rau bereits für die Ael— tern ihres Mannes getrauert hat, wenn fie nach der Hochzeit Geld befommen hat, oder wenn fie feine Aeltern mehr befitt, die fie wieder aufnehmen können.

Für Witwer ift es immer unpaffend, wieder zur heis vatben, für Witwen von gewiffen Range aber ungejetlich, und folche Heirathen finden daher höchit felten jtatt. Eher liche Verbindungen zwifchen Fremden und Eingeborenen jind gänzlich unterfagt, ebenfo zwifchen Unterthanen des Kai— jers und den Mi-austfe, jenen ununterworfenen Bergvöl— fern, die ich bei Gelegenheit des chinefifchen Militärweſens erwähnte,

„se mehr Kinder, dejto mehr Segen‘, ift ein chinefifches Sprichwort, unter dem jedoch hauptjächlich nur Söhne ver: jtanden werden. Dies Berlangen nah Söhnen erflärt ich aus dem Umſtande, daß der Vater während feines ganzen Lebens abjolute Macht über fie behält, einer gegen alle Sor- gen gejicherten Zukunft entgegenjehen darf, und fie als wahr- fcheinlihe Duelle von Reichtum und Würden betrachtet, wenn fie etwas gelernt haben. Dies fowol als die Thatfache, daß der Bater für alle Handlungen feiner Söhne verantwortlich bleibt, trägt ungemein viel zur Verbreitung der Bolfsbildung bei. Eine forgfame Erziehung und Aneignung von Kennt- niffen beveitet nicht nur den Weg zu Ehren, die der Bater mitgenießt, jondern jehütt auch vor Strafen, die für Ver— gehen, welche Roheit und Lafterhaftigfeit des Sohnes veran- laſſen, den Vater zunächſt treffen. Wenn die chinefifche Re— gierung diefe VBerantwortlichfeit in ihren Gefegbüchern aufge— jtellt Hat, um das Volk geiftig zu heben, jo hat fie vollitändig

246

ihren Zweck erreicht, und der Scharfblid des Gefelsgebers verbient alle Anerkennung.

Bor allen ſehnt fich aber der Vater nach Söhnen, um feinen Namen fortzupflanzen und jemand zu binterlajfen, der an feinem Grabe die jährlichen Andachten verrichtet. Der Gedanke, niemand zu haben, der diefe fromme Pflicht erfüllt, ift für einen Chinefen ebenfo drüdend wie bei ung für den gemeinen Mann die Furcht, einft Fein ehrliches Begräbniß zu erhalten. . Ein Mann ohne Söhne lebt ohne Ehre und jtirbt unglücklich. Die Geburt eines Sohnes ift deshalb in China ftets ein freudiges Ereigniß, das von der ganzen Fa— milie lebhaft begrüßt wird. Der fleine Weltbürger erhält gleich nach feiner Geburt einen Milch» oder Zärtlichkeitsnamen beigelegt, dem ev neben feinem Familiennamen bis zum Ein- tritt in die Jünglingsjahre behält, um ihn erſt dann mit einem andern zu vertaufchen. Wenn das Kind einen Monat alt ift, fehiden ihm die Verwandten und Freunde eine Silber- platte, auf der die Worte: „Langes Leben, Ehre, Glückſeligkeit“, eingradirt find. Bon frühefter Jugend an wird der Knabe im Benehmen und in gefellfchaftlicher Etikette, die im Leben des Chinefen eine fo große Rolle fpielt und für alle VBerhäft- niffe bemeffen ift, unterrichtet, und mit dem vierten und fünften Jahre beginnt er zu leſen. Seit wie langer Zeit fchon man in China große Wichtigkeit auf allgemeine Erziehung legt, geht aus einem Werke hervor, das vor umferer Zeitrechnung gedrudt wurde, und das bereits von „dem alten Untervichts- ſyſteme“ Spricht, nach dem jede Stadt und jedes noch fo Fleine Dorf eine gemeinfame Schule haben foll.

Körperlihe Züchtigung wird bei der Erziehung der Kinder ſowol in Schule als Haus möglichft vermieden. Mean erſchöpft exit alle andern Mittel, ehe man dazu greift. Sch habe nur einmal während meines elfmonatlichen Aufenthalts in China gefehen, daß ein Kind von dem Xeltern gefchlagen

247

wurde, und dies gehörte den untern Ständen an; dagegen fiel e8 ung ftets auf, daß Kinder von 10—12 Jahren ftets wie Erwachjene behandelt wurden und ihre ganze Erjcheinung auch den Eindruck folcher machte.

Lehrer gibt e8 in China im großer Zahl. Faſt alle Stu- dirende, welche bei dem Staatseramen durchfallen und mit- hin von Staatsämtern ausgefchloffen find, werden Privat- oder öffentliche Lehrer. Mean trifft in jedem Dorfe mehrere folcher verdorbener Literaten, die fich freilich oft nicht zu Pä— dagogen eignen mögen.

Die chinefifche Tugend unterfcheidet fich von der Jugend anderer Bölfer durch großen Ernſt. Die lärmende, übermiü- thige Fröhlichkeit, welche ſonſt überall die Kinderwelt belebt, vermißt man bier gänzlich und, es macht ordentlich einen trau— rigen Eindruck, diefe ernften und bedächtigen Kindergefichter zu fchauen, die fo gar nicht mit ihrem Alter harmoniren. Bei dem wohlhabenden Theile der Bevölkerung ift diefe Unnatur eine Folge des Formenweſens, in welches man die Finder von zartefter Jugend am hineinzwängt, jowie der Erziehungs- marimen des Confucius, alle Leidenſchaften im Keime zu er— jtiden und Selbjtbeherrichung als die höchite Lebensaufgabe des Individuums zu betrachten.

Bei dem ärmern Theile erzeugt die Noth des Lebens den frühen Ernſt der Kinder. Nur die angeſtrengteſte Thätigfeit ver- mag die Eriftenz des niedern Volks zu friften, und die Kräfte des Kindes, mögen fie noch fo jchwach fein, müffen benutzt wer- den, ſei es auch nur, um Baumwolle zu zupfen, oder Unkraut zu jäten, oder aus den Reisgarben die tauben Aehren auszu— leſen. Zum Spielen aber bleibt den armen Kindern Feine Zeit. Frohfinn und Iugendluft lernen fie nicht fennen, und ihr ganzes Leben vom Erwachen des Bemwußtfeins, bis die falte Hand des Todes fie berührt, ift ein mühfeliger Kampf um ein elendes freudenlojes Dafein.

248

Wenn ein Familienvater ftirbt, wird der Tod allen Fami- fienmitglievern formell angezeigt. Die Thürflügel des Hau- jes werden weiß angeftrichen, und die birecten Nachkommen des Berjtorbenen figen in groben weißen Kleidern, eben jolhe Tücher um den Kopf gewidelt und die Zöpfe mit weißem Band durchflochten, weinend neben der Leiche auf dem Fußboden, während die Weiber, ähnlich wie in mohammedani— ihen Ländern, lautes Klagegefchrei erheben. Die Freunde des Todten Hüllen den Körper in weiße baummollene oder feidene Lafer. Der ältefte Sohn oder directe Nachkomme begibt fich, an beiven Seiten von Verwandten unterftügt, mit einer Porzellanfchale, in der zwei Kupfermünzen liegen, zum uächften Fluffe oder Brunnen, um „Waſſer zu kaufen“, wie diefe Ceremonie genannt wird. Sollte der ältefte Sohn be- reits gejtorben fein, jo hat dejfen Sohn vor dem Bruder feines Vaters den Vorzug, diefe Ceremonie zu verrichten, die ihm das Recht auf zwei Theile dev Erbichaft gibt, welche fonft gleichmäßig unter die Söhne vertheilt wird. Mit dem Waffer wird Geficht und Körper des Todten gewafchen, derfelbe dann wie im Leben angefleivet und in den aus 5—6 Zoll dicken Bohlen gefertigten Sarg gelegt, der unten mit pulperifirtem und ungelöfchtem Kalf angefüllt ift. Nachdem der Sarg ver: ſchloſſen, wird er mit Gement luftdicht gemacht, überfirnißt und in die Gedächtnighalle der Verftorbenen, die fich in jeden wohlhabenden Haufe befindet, fonjt aber in den Kaum gejtellt, der ihre Stelle vertritt. Eine Tafel mit Namen, Titel, Eh— ven u. ſ. w. des Todten, wie fie jpäter auf den Grabftein ge- jet werben, liegt zu Häupten auf dem Sarge, der 21 Tage im Haufe bleibt. Nach Ablauf diefer Zeit folgt das Begräb- mp. Die Gedächtnißtafel wird in einer vergoldeten Sänfte vorangetragen, rings mit brennenden Näucherftäben umſteckt; der Sänfte folgt Mufif, die fich von der Hochzeit- oder fon- jtigen fröhlichen Muſik nur durch das in Pauſen ftattfindende

249

dreimalige Anfchlagen einer Trommel unterfcheidet, in ihrem Charakter aber durchaus feine Trauer verräth; dann folgen die Kinder und Berwandten beiderlei Gefchlechts mit Aus- nahme der verheiratheten Töchter, die vom Augenblide ver Heirath an als nicht mehr zu der Familie gehörig betrachtet werden. Sie gehen gewöhnlich zu zweien, aber ohne vorge- jchriebene Ordnung, in weißen Kleidern, die Söhne mit unge— Ihorenem Kopfe, die Töchter mit einer weißen Kappe über dem Haar. Am Grabe beginnen die Ceremonien. Buddha— priefter leſen Todtenmeſſen, und damit der Verſtorbene in jener Welt auch die nothwendigen Yebensbebürfniffe vorfinde, wer- den verjchiedene Kleidungsftüde und Hausrathsgegenjtände auf dem Grabe verbrannt, aus öfonomifchen Gründen jedoch nur aus Papier gefertigte. Nach der Beendigung wird die Ge- dächtnißtafel unter venjelben Formalitäten wieder zurücgetras gen und in der Halle ver Verjtorbenen aufgehängt.

Die Gräber find verschieden geformt. Im Süden, Kanton, Hongkong und Singapore haben faſt alle die Geftalt eines Hufeifens oder großen griehifhen 2. In Schang-hae, Tient- fin und Chefu habe ich nur jehr wenige von dieſer Form gejehen, und dieſe gehörten allein veichen Familien an. Hier hatten die Hügel faſt alfe eine regelmäßige Kegelform, und das Mauerwerk, das die Gräber im Süden auszeichnet, fehlte gänzlich. Die Kirchhöfe werden, um fein Culturland zu ver- tieren, ſtets an unfruchtbaren Stellen und gewöhnlich an Abhängen von Hügeln und Bergen angelegt. Weiche Leute laſſen fich bisweilen allein begraben, Faufen oft den Platz nebft einigen umliegenden Morgen Land für viele Taufende von Tha— fern und wählen dann einen Punkt, wo das Grab recht weit jichtbar ift, eine Eitelfeit, welche die Chinefen wie auch wir häufig mit Bietät verwechſeln. Wenn man Hongkong von Often durch die Lyemoon-Paſſage anfegelt, ſieht man fchon meilen- weit ein jolches Hufeifenförmiges Grab in fehr großen Di-

250

menfionen. Es ift etwa 800 Fuß hoch über der Meeres- fläche gelegen, mit großem Koſtenaufwande in die ziemlich fteile Velfenwand gearbeitet und zieht mit feinem weißen Anftrich, der fich gegen das umgebende Grün abhebt, fogleich die Blicke auf fih. Aehnliche Gräber liegen auf ven Bergen im In— nern der Infel zerftreut, und auch in dem Gebirge bei Ning- hae, über das die chinefifche Mauer fteigt, fand ich fie fo iſolirt und hoch gelegen.

Wo e8, wie z.B. in der Umgegend von Schang-hae und Wufung, feine unfruchtbaren Streden oder Berge gibt, begräbt jeder feine Todten auf dem eigenen Ader. Die ganze Gegend, die eine unabjehbare Allupialebene bildet, hat daher das An- jehen eines einzigen großen Kirchhofs. Soweit das Auge reicht, erblictt es überall die hohen ſpitzen Grabhügel, die zu Hunderttaufenden fi aus dem Flachlande emporheben. Alfe diefe Gräber waren am Morgen des 5. April belebt, und am Nachmittage wehten von jedem weiße und rothe Vapierftreifen, als Zeugniß, daß die Angehörigen ihrer frommen Vflicht nach- gefommen und ihre Andacht verrichtet hatten.

Diele Arme befisen fein Stückchen Land, um ihre Todten daranf zu begraben. Wenn nicht gutherzige Neiche ihnen bie nothwendige Erde ſchenken, fo bleiben die Xeichen unbegrabei, und die Särge werben am die Seite eines Wegs oder an einen Platz gejtellt, der niemandes Eigenthum ift. Im China _ gibt e8 aber viele Arme, und man fieht daher auch eine Menge folder Särge auf vem Felde, ja häufig feine drei Schritte von der Thür der ärmlichen Hütte ftehen, in die der Todte gehörte. Viele find mit Matten umwickelt, manche auch nicht, weil die Ueberlebenden nicht das Geld hatten, um die wenigen Matten zu kaufen. Ich werde nicht den rührenden Anblic vergeffen, als zwei im armſelige Lumpen gehüllte Frauen einen: folchen unbeffeiveten Sarg, der vielleicht den Vater oder die Mutter barg, forgfam von allem Staube reinigten, in Er-

251

mangelung von Blumen ein Stückchen Raſen darauflegten und es mit einigen Streifen zerfnitterten Papiers ſchmückten. Es fpricht fih im diefer Sitte eine fo tiefe Pietät und ein fo ſchöner Zug des Charakters aus, daß man baburch mit vielem wieder ausgefühnt wird, was uns bei den Chinefen abſtoßend und unmoralifch erfcheint.

16.

Geftalt und Körperbefchaffenheit der hinefifchen Kaffe. Die Mode der

Sußverfrüppelung bei den Frauen. Kleidung. Die Hutknöpfe als

zeichen bürgerlicher Nangordnung. Die Schmudjaden der Reichen.

Friedfertigfeit des Volkscharakters. Der Nationaldünfel. Die Moral

der Chinefen. Der Kindermord. Das häusliche Leben und die Etikette.

Die Technik des Opiumraudens. Die Kochkunft und die BVielfeitigkeit der Nahrungsmittel in China.

Ebenſo wie die Chineſen in geiſtiger Beziehung alle an- - dern Völkerſchaften des aftatijchen Fejtlandes weit überrafen, find fie ihnen auch in förperlicher Hinficht überlegen. Sm allgemeinen find die Männer ein fräftiger ſtarker Menjchen- ſchlag mit proportionirten und naturgemäß ausgebildeten Glied- maßen, die bei vielen ein jo fchönes Ebenmaß befigen, wie man fie bei Modellen nur wünjchen kann. Den fräftigen Gliederbau verdanken fie Hauptfächlich dem gejunden Klima und der niedrigen Temperatur ihres Vaterlandes, das, an der Ditfeite des Kontinents gelegen, viel gemäßigter als deſſen weftlicher Theil ift. Die Frauen find in den mittlern und höhern Klaffen des Südoſten im allgemeinen fehr delicat ge- baut, was jedoch wol hauptjächlich ihren verfrüppelten Füßen und der dadurch jehr befchränften Körperbewegung zugefchrieben werden muß. Die Frauen der nievern Klaſſen und die Tatarinnen, von denen die erftern, weil fie arbeiten müſſen,

253

die Füße nicht verfrüppeln können, während es die leßtern überhaupt nie thun, find jedoch robuft, Fräftig und unterjegt.

Nach ihrer Schävelbildung halten die Chinefen die Mitte zwiſchen Kaufafiern und Negern. Im der Dice dev Lippen nähern fie fich ven Negern; auch die Nafe ift die und ziemlich platt, die Nafenflügel find ausgedehnt, jedoch nicht jo bedeu— tend wie bei den Negern; die Geftalt ift von Mittelgröße, Füße und Hände Hein und feingeformt, namentlich beim weiblichen Geſchlechte. Im vieler Beziehung ähneln fie den nordameri— fanifchen Indianern; wir finden bier dafjelbe ftarfe glänzen ſchwarze Kopfhaar, ven gleichen fchiefen Schnitt der Augen und Augenbrauen und den dünnen Bart. Ebenſo hat der Chineſe faft auf dem ganzen Körper fein Haar und die Haut- farbe ift der indianifchen ähnlich, obwol die dunflere Färbung mehr ein Reſultat ver Witterung zu fein ſcheint. Wenigſtens ift die vornehmere Klaſſe, welche fich ver Sonne nicht fo aus— feßt, fat weiß zu nennen.

Unftreitig find die Chinefen mit dev mongolichen Kaffe nahe verwandt, jedoch find deren harte Gefichtszüge in ihnen fehr gemildert, und man fieht oft Jünglinge von wahrhaft überrafchender, faft weiblicher Schönheit. Nachdem fie jedoch die Zwanzig paffirt, werden die Züge fcharf, die Backenkno— hen treten hervor, und als alte Männer und Frauen find fie bisweilen über alle Begriffe häßlich. Frauen müſſen nach chineſiſchen Schönheitsbegriffen delicat und zart won Geftalt fein, bei Männern wünfcht man jedoch ein behäbiges Em- bonpoint, und wohlhabende Leute, die nicht körperlich zu ar- beiten brauchen, vichten ihre ganze Lebensweiſe jo ein, um ein gewichtiges Aeufere zu befommen. Die Frauen der mitt- lern und untern Klaffen find im allgemeinen nicht hübſch zu nennen; die platte Nafe und der große Mund treten überall ſtörend bexvor; der gelblihe Zeint ohne Anflug von Roth mildert nichts, und der unbeholfene Gang auf den verfrüppel-

254

ten Füßen beeinträchtigt die ganze Haltung des Körpers auf das unangenehimfte. Diefe unglücliche Mode kam zuerjt unter ver Tang-Dynaſtie auf, und ihr fowie den langen Yingernä- geln liegt die Idee des nicht Arbeitens zu Grunde. Nicht zu arbeiten, ift der Ehrgeiz der Chinefen, und der Mann wird glücklich gefchäst, der durch Wachfen der Nägel feinen Mit- menfchen verfündet, daß er es joweit gebracht habe. Um die Nägel zu fchonen, werden vielfach Futterale von Bambus darüber getragen, bisweilen aber auch von foftbarern Ma- terinl. Bei der Plünderung des Ffaiferlichen Palaftes durch die Franzofen wurden verfchiedene folche Futterale von Gold erbeutet, und ich jah in Schang-hae eins derfelben, das dem Kaiſer felbft angehört haben foll und allerdings koſtbar ge- nug war, um bdiefen Glauben zu rechtfertigen.

Zwiſchen dem Aeußern der Chinejen im Norden und Sü— den des Reichs herrfcht ein bedeutender Unterjchied, und na— mentlich gibt fich dies beim weiblichen Gefchlechte fund. Der

Gtliederbau und die Gefichtszüge find im Süden viel feiner, °

die Hautfarbe aber nicht dunkler, obwol das Klima der füd- lichen Provinzen faſt tropiſch iſt. Wahrfcheinlich iſt die Ur— ſache dieſer Verſchiedenheit die Kreuzung mit den häßlichern Tataren, die hauptſächlich im Norden geblieben ſind, während im Süden der chineſiſche Typus reiner erhalten iſt. Die Küſtenbevölkerung im Norden zeichnet ſich namentlich durch Häßlichkeit aus; ſie ſcheint einer andern Raſſe anzugehören. Vielleicht ſtammt fie von den Eskimos, die bei der Aufſu— hung eines mildern Klimas vom Norden herunter gewandert find und fich hier niedergelaffen haben. Daß jene Bevöl— ferung von der chinefifchen Regierung felbft als ein fremder und untergeoroneter Stamm betrachtet wird, ſcheint aus einem Verbote hevvorzugehen, nach welchem fein Küſtenbe— wohner ſich mit Chinefen oder ZTataren verheirathen darf. Ich fah fpäter in Nangaſaki fechs bis acht Einwohner Koreas,

PS Zi EEE

Chineſiſcher Kaufmann mit feiner Tochtec,

255

die aus dem Norden ver Halbinfel nach Japan gekommen waren; fie zeigten getreu den Typus der chinefifchen Küften- bewohner, nur fchienen fie mir noch brauner zu fein, was jedoch eine Folge ihrer weißen Kleidung fein mochte, welche die Hautfarbe mehr hervorhob.

Die Kleidung der Chinefen ift wie alles Uebrige jtationär und nicht dem vielfachen Wechjel ver Moden unterworfen wie bei ung. Der Schnitt ver Kleider wird durch jenes Tribunal in Peking vorgefchrieben, vefjen Aufgabe es ift, über die geheiligten Riten und Ceremonien der Staatsreligion zu wachen. Die Trachten unterjcheiden fich deshalb bei Hoch und niedrig hauptfächlich nur durch die Wahl des Stoffes. Die neben- ftehende Abbildung ftellt einen chinefifchen Kaufmann, deſſen Befanntfchaft wir machten, mit feiner feinen Tochter dar, und bringt zugleich) die gewöhnliche Hauskleidung der wohl- habenden Bürgerflaffe zu Veranſchaulichung.

Der bedeutende Temperaturunterfchied zwifchen chineji- ihem Sommer und Winter, der befonders im Norden außerordentlich ift und 50° Reaumur beträgt, hat für diefe Sahreszeiten auch abweichende Kleidung gefchaffen, zu deren Anlegung der Vicekönig oder Gouverneur der Provinz das Signal gibt. Die Sommerbefleidung befteht aus weiten Bein— fleidern, einem ebenfo loſen Rode, der bis auf die Knöchel veicht und einer bis auf die Hüften fallenden Jade, Alte drei find, wie ich fchon früher bemerkte, bei dem ärmern Tolfe aus Baumwolle, bei den Reichen jedoch aus Seide gefertigt. Wolfe wird in China nicht fabrizirt; das Wenige, was bisjett davon verbraucht wird, kommt aus Rußland. Baumwollene oder feidene gewebte Strümpfe nebft Schuhen aus demfelben Material mit zolldickem zufammengenähten Zeug oder Filzjohlen bilden die Fußbekleidung, und die Strümpfe werden über ven Beinkleivern bis am die Knie veichend getragen, Der Kopf wird mit fonifchen Hüten aus Bambusgeflecht bedeckt, die bei den untern Klaſſen

256

zum Schuße gegen die Sonne oft einen Rand von 2 Fuß Durchmefjer haben. Strümpfe und Schuhe trägt jeder, der e8 ermöglichen fan. Der hungernde Kuli natürlich begnügt ſich mit bloßen Strohfandalen, wie er bis auf Hut und Bein- fleiver im Sommer überhaupt nichts trägt. Im Winter werben über die weiten Beinfleiver enge Beinlinge gezogen und an den Hüften befeftigt. Nöde und Iaden werden mit Watte oder Belzwerf gefüttert, und ftatt des koniſchen Bam— bushutes erſcheint ein pelz- oder jammtverbrämter Filzhut oder eine Fleine geftickte chlindriſche Mütze. Das Kopftheil des Hutes ift fehr niedrig, jchließt fich eng an den Kopfran, und fein Rand ift [harf nach oben gebogen. Von der Spike deffelben fällt bei den Wohlhabenvden ver ſchon erwähnte Büſchel von vother Seide herab, während die Kopfbedeckung bei Perſonen von Rang mit dem betreffenden unterfcheidenden Knopfe verziert ift. Es gibt neun folder Rangordnungen, und das entjprechende Ausſehen der Knöpfe ift folgendes von oben am gerechnet: 1) Ein platter vother Knopf, 2) ein, mit Blumen verzierter rother, 3) eim transparenter blauer, 4) ein undurchfichtiger blauer, 5) ein ungefärbter Glasknopf, 6) ein weißer Glasfnopf, 7) ein platter vergoldeter, 3) ein gol- dener Knopf mit Blumen in Hautrelief, 9) ein dito mit Blu- men im Basrelief.

Die Röcke und Jacken werden unveränderlich vorn über- einander gefchlagen und an der rechten Seite zugefnöpft. Die Tracht der Frauen ift faft ganz dieſelbe, nur ziehen fie meh- vere lange Röcke übereinander, und diejenigen, welche ver- ſtümmelte Füße haben, tragen diefe ftatt der Strümpfe in Bandagen von buntem Zeuge eingewidelt, was, wie ich glaube, nöthig it, um dem Buße Halt zu geben und zugleich die Hade an die Ferſe zu ſchnüren, da die Chinefinnen eigentlich nur den Ballen als Fuß gebrauchen. Wenn ver Fuß bie faconmäßige Länge von nur 3 Zoll befitt, fo wird er. von

257

chineſiſchen Schöngeiftern „goldene Lilie” betitelt und in Open befungen. Schön ift diefe Verfrüppelung nach unfern Be griffen nicht; mich hat der Anblick ftets mit Efel erfülft, und eine ſolche ‚‚goldene Lilie“ gleicht auf ein Haar einem Pferde: oder Eſelshufe. Die Tatarinnen jind jo vernünftig, ihre Füße zu tragen, wie fie ihnen der liebe Gott wachjen Lie, und die Chinefinnen würden wenigftens bei Fremden viel mehr Anerkennung finden, wenn ſie e8 mit ihren von Na- tur äußerſt zierlichen und Fleinen Füßen ebenjo machten.

Der Werth, den reiche Chinefen im Norden des Landes in Belze jteden, überfteigt alle Begriffe, und man kann oft Kaufleute fehen, die mindeftens für 4—5000 Thaler Pelzwerf am Körper haben. Noch weit fojtbarer iſt der Anzug ihrer rauen, der durch Hals- und Armbänder ſoviel theurer wird. Die Chinefen erhalten aus der Tatarei eine bejondere Art von Edelſtein, den fie Yu und die Engländer jade stone nennen (Bitterftein, Nephrit), Die geringere Sorte ift blaf- grün und achatähnlich, die feinere Sorte bräunlich und jehr jelten. Bon Europäern wird diefer Stein wenig gejchätt, in China jedoch ungemein hoch gehalten und theuer bezahlt. Es werden aus der lektern Art Arm- und Halsbänder ver- fertigt, die unanfehnlich, aber bisweilen 1000—1800 Thaler werth find, und mit denen fich reiche chinefifche Damen dop— pelt und dreifach behängen.

Ein Freund von mir war zu einem chinefischen Kaufmann in Schangshae eingeladen, der allgemein nur als wohlhabend galt. Nach einem copiöſen Mahle, an dem, fobald Europäer zugegen find, die weiblichen Mitglieder der Familie nicht theilmehmen, ftellte ver Wirth ihm feine Frau vor, die, foeben von einem Gefchäftsgange zurückgekehrt, in ihrer gewöhnlichen Hausfleidung erſchien. Dies war ein Zeichen von befonderer Aufmerkfamfeit, da chinefifche Damen aus bejjern Ständen fih jelten Fremden zeigen. Trotzdem verrieth die Dame

Werner. I, 17

258

durchaus feine VBerlegenheit und bewegte fich jo natürlich, als ob ſie lange mit dem Befuche befannt fei. Sie war hübſch, hatte feine Züge und war fehr wortheilhaft geihmüdt Ihr glänzend Schwarzer Haarputz ftarrte von Goldfpangen, und die Stirnbinde von Biber, welcher vielfach getragen wird, zeigte vier der foftbarften Yufteine in Golofaffung. Um Hals und Hand trug fie doppelte Neihen von Perlen aus demſelben Stein, und mindeftens fünf bis fechs feine Pelzröde und Jacken übereinander bildeten den Anzug. Das Gefpräch fam auf die Preife diefer Artikel, und mein Freund erfuhr, daß die Dame für. un. gefähr 8000 Taels oder 16000 Thaler auf ihrem Körper trage, wohlgemerkt, bei einem Hausanzuge. Dagegen erjcheinen' die Anfprüche unferer europälfchen Damen allerdings ſehr be— fcheiden, wenn eine chinefifche Kaufmannsfran ſolche Summen für häusliche Kleidung verwendet.

Die Kinder werden in China gleichfalls ſehr herausgeputzt und ihr Anzug zeichnet fich nicht allein durch Qualität, ſon— dern auch durch Quantität aus. Auf der Straße fehen fie wie fleine unförmliche Ungeheuer aus. Sie werden fo in Rüde und Jacken gepadt, daß fie ſich kaum bewegen können, die Arme im vech- ten Winkel zum Körper halten müljen und ebenfo breit wielangfind.

Beim Ausgehen trägt jeder anftändige Chineje außerdem noch verichiedene Sachen im Gürtel, die ihm ein Friegerifches Ausjehen geben, obwol fie in Wirklichkeit außerordentlich frienlicher Natur find. Die feidengeftictte Scheide, in der wir einen Dolch vermuthen, das Gefchenf einer Braut oder Frau, birgt einen harmlofen Fächer, den unzertrennlichen Begleiter des Chinefen vom Kaifer bis zum ärmlichiten Kult: Die lederne ebenfalls oft geſtickte Tajche, welche viel Aehnlichkeit mit einer Patrontafche hat und wie diefe an einem Gürtel hängt, enthält ber näherer Befichtigung nur Stahl und Stein zum Anzünden der Pfeife, und der daneben placivte geſtickte Beu— tel den Borrath an Tabad.

259

Waffen trägt nur der Soldat im Dienjt und felbft ver Militärmandarin nur bei befondern Gelegenheiten. Der Befit von Feuerwaffen iſt dem Volke ftreng verboten, Das Berbot ift jedoch Faum nöthig bei einer Nation, die von Natur fo friedfertig, und. der fchon der bloße Gedanfe an Anarchie ein Grenel ift. Dieſen ruhigen und worfichtigen Charakter ver- danfen die Chineſen hauptfächlich dem Einfluffe und der Au— torität des Alters. Da die Individuen der verjchiedenen Generationen ſtets unter der Aufficht und Gewalt des älteften überlebenden Bamilienhaupts bleiben, jo wird die unwiſſende und unerfahrene Jugend stets von dem reifern Urtheile des Alters geleitet, und alle Ausbrüche von Leidenfchaft und Un: flugheit werden zurückgehalten. Eine vollfommene Selbitbe- herrſchung, wie fie ſchon Confucius als unerlaßlich vorfchreibt, ift die Folge dieſes Erziehungsſyſtems, und fie erklärt auch die geringe Zahl von Gewaltthätigfeiten im Verhältniß zu andern Ländern. Diebitahl und Raub it jehr Häufig, faſt nie aber von Mord begleitet, denn die jeßigen Greuel der Bürgerkriege können nicht mit in Betracht gezogen werden.

So oft Chineſen auch in Streit miteinander gerathen, endigt diejer jelten mit einer Schlägerei. Nach ihren Geſten und dem gegenfeitigen Anfchreien erwartet man jeden Augenblicd tödliche Schläge, aber das Schreien dient gewilfermaßen als moralifches Sicherheitsventil, und gewöhnlich gehen die Par- teien nach einem jolchen Zungengefecht, bei dem fie fich höch— jtens an den Zöpfen reißen und fragen, beruhigt auseinander, wie die erwähnten Knaben, welche die beftrittene Drange zu: _ letzt friedlich theilten. Zwei. Attribute werden am ihren Mitmenfchen von den Shinefen ſehr hoch geachtet: eine durch perfünliches Verdienſt erworbene hohe Stellung und Hohes Alter. Bloßer Roich— thum wird aber fo wenig geehrt als Armuth verachtet, und ein veicher Dummkopf würde vergeblich jtreben, durch Stel-

17*

260

lenfauf einen Armen zu verdunfeln, der fich durch Talent und Fleiß einen Rang zu erwerben gewußt hat. Die Selbſtüber— hebung und der verlegende Nationaldünfel den Europäern gegenüber ift ;von mir bereits wiederholt berührt worden. Diefer Dinkel muß, theilweife wenigftens, als die Quelle des treulofen und Hinterliftigen Betragens angelehen werden, deſſen fich die Chinefen bei Konflicten mit Fremden fchuldig machen und ‚über das fich namentlich die Engländer in ihren Streitig- feiten mit China heftig beflagt haben. Wenn fich diefer Zug nicht ableugnen läßt, ift er jedoch, was das Volk ſelbſt be— trifft, einigermaßen zu entfehuldigen. China ift viele Sahr- hunderte von dem Verkehr mit Europäern oder, was daſſelbe jagen will, von Nationen, die den Ehinefen geiftig überlegen, ausgefchloffen gewejen. Bis 1840 war Kanton der einzige Be— rührungspunft mit Curopäern, und in diefer großen Städt war es wiederum nur eine Corporation von Kaufleuten, die mit ven Fremden verfehrte. Diefer Kaufleute gab es zwölf, die Hong-Kaufleute genannt wurden. Sie hatten das alte Privilegium, allein mit Europäern zu handeln und mußten da- für an die Mandarinen enorme Summen bezahlen, die fie natür- lich wieder aus den Fremden zu preſſen fuchten. Dieſe Fremden waren ihrerjeits bejtrebt, das Verlorene durch alle möglichen Betrügereien wieder einzubringen. Sie’ gingen lediglich nach China, um Geld zu machen, und waren’ darum in der Wahl der Mittel nicht fehr ferupulds. Faſt täglich fam es zu Neibereien, fowol mit den Chinefen als beſonders zwifchen den verfchievenen Nationalitäten der Ausländer, die, aufeinander eiferfüchtig, einer den andern zu verbrängen und zu überoortheilen bemüht waren. Wenn auch die’ wenigen „Hong-Leute“ die wahre Urfache diefes Zuftandes Farnten, jah doch der große Haufe nur den ewigen Streit der Fremden, die Schon dadurch fich unbeliebt machten, weil dem friedfertigen Chinefen nichts widerwärtiger ift, als Streit und Hader.

261

Rohe Gewalt, wie fie vou den Fremden oft angewendet wurde, zog ihnen die allgemeine Verachtung zu, und die Abneigung des Bolfs wurde noch fünftlich durch die Mandarinen genährt, deren furchtſame und elende Politif in der gegenfeitigen Un- einigfeit ein Intereſſe zu erblicken glaubte.

Was die Chinefen jonft von den Fremden hörten und ſahen, konnte nicht dazır beitragen, ihre Meinung zu ändern. Aus Europa drangen nur dunkle Gerüchte von langen blutigen Kriegen nah China, das fih bis dahin eines zweihundert- jährigen Friedens erfreute, und was ihnen die Fremden an Induſtrie und andern Gegenftänden brachten, erfchien ihnen im, Berhältniß zu den eigenen Erzeugniffen jehr untergeordnet, weil es ihren durch poſitive Gefege und geheiligtes Herkommen bejtimmten Bedürfniffen nicht entſprach. Selbft nach einem zwanzigjährigen bebeutenden Verkehr find die Importen au enropäifchen Producten mit Ausnahme von Shirtings für den. Gebrauch des chinefischen Volks außerordentlich gering, wäh- rend die Exporten Dagegen von Jahr zu Jahr fo bedeutend wachfen.

Es ift daher fehr natürlich, daß die Chinefen fih uns geiftig überlegen venfen und uns dieſe Ueberlegenheit fühlen laffen wo fie fönnen. Wir erfcheinen in ihren Augen als. die Nationen, welche China als den Mittel- und Glanzpunft der. Erde umgeben, und welche das Volk der Mitte, wie es fih nach. diefer Anfchauung nennt, an Cultur und geijtiger Ausbildung unendlich überflügelt hat. Wir find nach ihrer Anficht Barbaren, und der vom Volke gebrauchte Name Fan- kwei, „ausländiſche Teufel’‘, bezeichnet genau vie Stellung, die wir ihnen gegenüber einnehmen. ZTeufeln braucht man weder Treue noch Glauben zu halten, kann fie auf jede Weife be- trügen, belügen und überwortheilen, ohne damit das geringfte Unvecht zu begehen. Das Brechen von Verträgen u. |. w. ift nur, eine natürliche Confequenz ihrer Meinung von uns. Wollte man daher den Charakter der Chinefen lediglich danach

262

beurtheilen, wie fie fich den Fremden gegenüber benehmen, jo würde man fi) Einfeitigfeit zu Schulden kommen Tafjen. Dem ftrengen Moraliften erjcheint der Charakter immerhin noch ſchlimm genug, allein man darf an ein Volk, das ohne eigentliche Neligion lebt, nicht ven Maßſtab einer geläuterten Hriftlichen Sittenlehre und Weltanfchauung legen. Vieles ift bei ihnen erlaubt und mafellos, was unfere Moral als un— fittlich und verbrecherifch verurtheilt, und es kann nicht Teicht ein Volk geben, das weniger von der Wahrheit hält als das chinefifche. Eine Lüge zu jagen, iſt dem Chinefen nichts weniger als ehrenrührig. Im allgemeinen kann man an— nehmen, daß ex nie die Wahrheit vevet, ſobald er den ge— vingiten Nachtheil dadurch befürchtet. Allein jeverntani hält dies für ſehr natürlich, und wir Finnen uns deshalb nicht wundern, wenn wir von Chinefen nie die Wahrheit Hören, mögen unfere Fragen noch fo gleichgültiger Natur fein. "Alles was wir dabei thun können ift, dem Chinefen zu zeigen, daß wir feine Worte bezweifeln, weil er ſich font noch auf ur Koften luſtig macht.

Ebenfo ift es mit dem berüchtigten Kindermorde, von dem manche Neifende mit Webertreibung erzählen. Wenn ſich die Thatfache auch nicht wegleugnen läßt, ja ſogar zugegeben werden muß, daß die Negierung das abjcheuliche Verfahren duldet, fo gejchieht es doch nur aus abfoluter Noth und in dem Falle, weni eltern ihre Kinder durchaus nicht mehr’ zu ernähren vermögen. Auf andere Weife ijt das Verbrechen auch gar nicht erflärlih. Wenn man fih nur kurze Zeit in China aufgehalten und fi die Mühe genommen hat, mit dem Volke fich etwas genauer befannt zu machen, muß man wahr: nehmen, daß nicht nur die Kinder mit größter Ehrfurcht und Liebe zu den Aeltern aufbliden, fondern daß auch umgekehrt die Anhänglichfeit dev Aeltern an die Kinder ſehr groß iſt, und, was man jonft anch an den Chinefen auszufegen haben mag,

265

ihr Samilienleben bildet gewiß eine der fchönften Seiten ihres Charakters. Kinverlofigfeit ift, wie ich ſchon bemerkt habe, das größte Unglück von Cheleuten. Diefe berechtigt fogar ven Mann, feine Frau zu verjtoßen und eine andere zu nehmen oder neben ihr Kebsweiber zu halten. Zahlreiche Nachkommenſchaft, namentlich männliche, zu erzielen, ift ver fehnlichfte Wunfch eines jeden Chinejen, und die ganze innere Politif der Regierung ift darauf berechnet, dieſem Streben Vorſchub zu leiften. Wer feine Nachkommen bat, die an jeinen Grabe ihre Andacht verrichten, wird als ver beflagens- werthejte Menſch angejehen. Wie reimt fich alſo diefe That— fache mit dem Beftehen eines Gebrauchs, der jener geradezu widerſpricht? Nur Noth, die Ichredlichite Noth kann eltern bewegen, ihre Kinder zu tödten; und in einem fo übervöälferten Lande, wo die Bewohner lediglich auf die Producte des Acker— baues bezüglich ihrer Exiftenz angewieſen find, wie leicht kann da eine, folche Noth eintreten !

Sch jelbft habe in ver Nähe Kantons Kinderleichen den Fluß hinabtreiben jehen, bin aber weit entfernt, deswegen den Kindermord als eine regelmäßige und häufige Erjeheinung in. China zu betrachten. Faſt alle Reiſende, welche über dieſe Sache ‚berichtet, bejuchten nur Kanton und hielten das Ver— brechen, für eine: Gewohnheit, weil fie häufig Kinderleichen in dem wor ihren Thüren vorbeifließenden und ſchmalen Fluſſe ſchwimmen ſahen. Sie fcheinen jedoch gänzlich vergeſſen zu haben, daß in und um Kanton circa 500,000 arme Menfchen anf dem Waffer leben, daß in einem kleinen Boote von 14 Fuß Länge und 4 Fuß Breite oft Familien mit 4—6 Kleinen Kindern haufen; wie leicht iſt es daher möglich), daß dieſe Kinder durch Zufall über: Bord fallen und gerade die Kale— baſſe, der ausgetrocdnete Flafchenfürbis, der fajt bei allen dieſen Leichen fich vorfindet, bemweift die Zufälligfeit Des Todes. Wo in,einem Boote Kinder, fahren, die noch nicht verſtändig

264

genug find, die fie umgebende Waffergefahr zu beurtheilen, fieht man fie regelmäßig mit diefer Kalebaffe, die ihnen von den Aeltern als Rettungsmittel gegen das Ertrinfen umgebun- den wird.

Im allgemeinen leben die verheivatheten Chinefen jehr häuslich. Deffentliche Vergnügungsörter gibt e8 außer den Theatern und Theehäufern nicht. Letztere bejucht aber ein Mann aus der höhern Klaffe nicht. Bälle und Tanz find ſchon aus Rückſicht auf die Füße der Damen unzuläffig und daher unbekannt. Die Frauen erjcheinen felten in Gegenwart von Fremden und effen auch nur bei Tiſche mit der eigenen Familie oder den nächjten Verwandten. Frauen der höhern Kaffe fieht man daher äußerſt jelten und auf den Straßen nie, da fie ftets ihre Befuche in dicht verfchloffenen Sänften machen. Dagegen fpielen Bifiten und Zweckeſſen im geſell— Ichaftlichen Leben eine Hauptrolle, Der Bejucher kommt iin der Sänfte und läßt durch einen Bedienten feine Karte ab- geben, auf der fein Name und Titel gedruckt ft. Dieſe Karten find roth mit Goldrand, wenn der Betreffende trauert, weiß mit blau, aber nicht etwa in Form unferer Karten, ſondern fange gefaltete Streifen, die man ebenfo gut als Tapeten verwenden könnte. Die Anftands- und Höflichfeitsformen unter gebildeten Chinejen find ftreng nach dem Range dev Ber treffenden bemejfen umd einem ganz bejtimmten Gevemonien- gefeß unterworfen, von dem nie abgewichen wird. Die Etifette des frühern fpanifchen Hofes it nichts dagegen. Bei den Befuchen fchreibt diefes Geſetz vor, die Freunde ſtets einzuladen, diefe müffen aber ebenfo ſtandhaft ausfchlagen, und Tächerlich ift e8, das Complimentiven und die Verfuche der beiden Par— teien, e8 gegenfeitig zu verhindern, mit anzuſehen.

Nah dem Nange des Gaftes fommt der Hausherr ihm bis zur Sänfte oder zur Haus- oder Zimmerthür entgegen und ebenfo find die Verbeugungen und Hinderungsperfuche:

265

genau danach regulivt. Die gewöhnliche Begrüßung unter Gleichgeſtellten bejteht darin, die gefchloffenen Hände zuſammen— zulegen und fie einigemale mit den Worten „Hau-tſing-tſing“ bis an die Stirn zu erheben. Hau heißt: Befinden fie fich wohl? und tjing, tfing: Heil, Heil! In den Worten tjing, tfing, tſchop, tſchop (ſchnell), maski (e8 macht nichts) und tſchau, tſchau (efjen) beiteht gewöhnlich die gefammte Kennt- niß der chinefifchen Sprache bei Fremden, mit der fie fi) ven Landeseinwohnern verftändlich zu machen juchen, wenn diefeinicht bereits einige Fortfchritte in dem berühmten Pitjchen- Engliſch gemacht haben, das die gewöhnliche Converfation zwiſchen Europäern und Chinefen ermöglicht und auf das ich ſpäter zurückkommen werde.

Zunächſt wird der Beſuch in das Wohnzimmer geführt, wo ſich der für den Hausherrn und deſſen vornehmſten Gaſt beſtimmte Ehrenplatz befindet. Dies iſt bald eine Niſche, bald eine Art Bett mit Matten belegt, mit einem Porzellan— fiffen für den Kopf und zwei Fußſchemeln ausgerüſtet, auf denen beim Liegen die Füße ruhen, während fich in der Mitte ein kleiner Tifch erhebt, um Theetafjen oder den Apparat zum Opiumrauchen daranfzuftellen. Diefer befteht zumächit aus Pfeifen von Bambusrohr mit Meffingkopf, die nach dem Stande des Befiters mehr oder minder fojtbar verziert find. Das Rohr hat feine Spite, fondern iſt einfach ftunpf abge- jchnitten, einen Zoll did und etwa 18 Zoll lang. Der Kopf ift klein, gleicht einer freisförmigen Schale und hat im Boden nur eine ganz Heine Deffnung von der Größe eines Sted- nadelfopfes. Nebit der Pfeife fieht man eine Lampe, eine Birchfe mit dem Opium, eine fleine Schale und zwei jtrid- nadelähnliche Drahtitüde, deren eins an einem Ende mit einem Fleinen Knopf, am andern mit einer Schaufel ausgeftattet ift Beim Gebraud) taucht man die Nadel mit dem Knopf in das Opium, das die Konfiftenz von didem Shrup

266

hat, nimmt eine Erbjengröße davon auf und hält es über die Lampe. Hier wird e8 unter bejtändigem Drehen gekocht, wobei e8 blafenförmig auftreibt und. zuletzt ſich wieder zu einer fejten Kugel zufammenzieht. Dann tft aller Schmuz entfernt und nur das Narkoticum zurückgeblieben. Dieſes wird über die Kleine Deffnung des Pfeifenfopfes gefchmiert, die Pfeife ange— jteet und geraucht. In vier bis fünf Zügen ift das Narkoticum verzehrt, worauf das Reſiduum mit dev Heinen Schaufel entfernt undanf die erwähnte Schale gelegt wird. Die Operation wiederholt fih nun, bis die Wirkung des Stoffes ven gewünfchten Einfluß auf das Nervenfpftem des Rauchers äußert und diefen in den er— ſchlaffenden und trunfenen Zuſtand verſetzt, der: jo. viele An- nehmlichkeiten befigen fol, welche wir. Europäer nicht zu wirdigen wiffen, der jedoch auch Körper und Geiſt wuinirt, An das Fußende des Ehrenplatzes ſchließen fich in vechten Winkeln zwei Reihen ſchwerer maffiver Armſeſſel für bie iibrigen Gäfte an, die je nach ihren Range dem erſtern näher oder ferner placirt: werden. Kurz nach dem Niederjegen wird den Gäften Thee präfentirt. Bei: längerm Bleiben werden auch eingemachte Früchte herumgereicht. Beim, Fortgehen beobachtet man diefelben Formen wie bei der Ankunft:

Die Gaftmähler ver Chinefen zeichnen ſich durch ihre Koſt— barfeit und die unendliche, VBarietät ihrer Speifen aus, die oft aus den wunderbarſten Ingredienzien beſtehen, ſehr gut bereitet, jauber jerwirt und auf den Schüffeln und der Tafel außerordentlich geſchmackvoll arrangirt ſind. Trotzdem munden ſie uns vielfach nicht, weil ſie Dinge enthalten, die uns durch— aus nicht auf den Tiſch zu gehören ſcheinen. Dahim rechne ich verſchiedene Arten von Seeigeln, Tintenfiſche, Haifiſch— floſſen, bebrütete Taubeneier und mehrere gallertartige Er— zeugniſſe des Oceans, deren Anblick unſerer Natur Ekel ein— flößt. Ich nahm mehrere male theil an chineſiſchen Gaſt— mählern, und nahm mir dabei vor, alles durchzukoſten, ein

267

Vorſatz, den ich heroiſch durchführte. Daß irgendetwas geradezu ſchlecht geſchmeckt hätte oder ungenießbar geweſen wäre, kann ich durchaus nicht behaupten; nur der Gedanke: es iſt das und das, ſchnürte bisweilen unwillkürlich die Kehle zuſammen.

Die Chineſen haben eine beſondere Vorliebe für alle gelatinöſen Subſtanzen, denen ſie gewiſſe ſtärkende Kräfte zu— ſchreiben und an denen ihr Speiſezettel daher ſehr reich ift. Dahin gehören auch die indiſchen Vogelneſter, die auf keiner anſtändigen Tafel fehlen und ſehr theuer bezahlt werden. Ich theile bezüglich ihres Geſchmacks die Anſicht aller übrigen Europäer, die ſie gekoſtet. Sie ſchmecken nach gar nichts, und wenn man mir es nicht geſagt hätte, würde ich ſie für Nudeln gehalten haben. Ihre Subſtanz iſt knorpliger Natur und wird im Magen der Schwalben, von denen die Neſter ſtammen, bereitet. Sie kommen vom Indiſchen Archipel, na— mentlich von Java und Sumatra, wo die Vögel in oft unzu— gänglichen Höhlen niſten, aber keineswegs, wie früher die An— ſicht war, ihre Neſter aus den Ueberreſten von Fiſchen fertigen. Die Schwalben find Landvögel und freffen nie Fiſche. Nach- dem die Nefter fehr fleißig gereinigt, gefocht und wieder ges waschen find, wonach fie, wenn ſie gut fein follen, eine faſt transparente weißliche Farbe annehmen müfjen, ſchneidet man ſie in mudelähnliche feine Streifen und focht fie abermals mit ſtarker Fleifchbrühe. Das Pfund von den fehönften Nejtern foftet durchſchnittlich 20 Thaler, die Suppen find daher ziem— fich theuer.

Die chineſiſche Mahlzeit beginnt mit dem umumgänglichen Thee, der auch ebenfo regelmäßig den Schluß. bildet. Vier— zig bis funfzig Gerichte find das Minimum bei einem an- ſtändigen chinefiichen Diner, was jedoch nicht zu viel ift, da jede Schüffel nur ſehr Flein und Tediglich Für jeden Gaft zwei bis drei Biffen enthält. Mit fünf oder ſechs Schüſſeln wird gewöhnlich angefangen. Sie werden in die Mitte, des

268

Tiſches geftellt, der ftets nur fo groß ift, daß die Gäſte ohne weitere Unbequemlichfeiten die Speifen erreichen fünnen. Um jene erften Schüffeln gruppiven fich allmählich die folgenden Gerichte. Alles ſchwimmt in einer reichen und gewöhnlich mit Knoblauch gewürzten Sauce. Sämmtliche Fleifchipeifen find in mundgerechte Stüde zerfchnitten, um fie ohne Hülfe von Meffer und Gabel, die ver Chinefe bei Tifche nicht ge— braucht, mit den Epftäbchen faffen und fie in den Mund bringen zu fönnen. Die Stäbchen find von Elfenbein oder Eben- holz, rund, fo die wie ein Bleiftift und etwa 6 Zoll lang. Auf den anftändigen Tiſchen ftehen immer einige Becher da- mit angefüllt zum Wechfeln für die Gäfte. Natürlich find diefe ganz neu und ungebraucht. So prächtig die Chinefen damit umzugehen willen, fo unbequem find fie für dem nicht daran gewöhnten Europäer. Ihre ungefchidte Handhabung verurfacht regelmäßig große Heiterkeit bei den übrigen Tiſch— genofjen. Wenn nicht der Hausherr den Gäften mitleidig zu Hülfe füme und ihnen mit großer Geduld ftets etwas auf ihren Zeller legte, würden dieſe Häufig hungrig von der Tafel aufftehen müffen. Die Suppe wird aus Porzellanfchafen mit Heinen Porzellanlöffeln gegeffen. Neben jeden Couvert jteht eine kleine geſchmackvoll verzierte Theefanne mit Samtjchu, dem aus Reis bereiteten chinefifhen Branntwein, der aus fleinen Borzellannäpfen, nicht viel größer als ein Fingerhut, getvunfen wird, da er ſehr ftark ift und namentlich auf euro- päifche Naturen eine jehr nachtheilige Wirkung äußert. Es fommt häufig vor, daß europäifche Matrofen, welche ſich darin betrinfen, in vollftändige Tollwuth verfallen und: fich die Schädel gegen Mauern einrennen. Die Chinefen find je— doh daran gewöhnt, fie trinfen fehr viel davon, und man fann fie durchaus nicht mäßig nennen. In den Küftenftädten gibt e8 auch fchon europäische Weine. Bei einem Gaftmahle erhielten wir Rothwein, Sherry und Champagner, obwol

269

unfere Wirthe nur davon nippten. Es ift Sitte, einander zu— zutrinfen, und zwar fajt genau auf englifche Weife. Der Hausherr beginnt damit, indem er fein Glas erhebt, dem vorher durch einen Bedienten aufmerkſam gemachten Gafte zunickt und darauf fein Trinfichälchen leert. Dies geht dem Range nach herum, und bei großen Gaftmählern find fchon deshalb unfere Gläſer unzuläſſig. Trotzdem ift es faft regel- mäßig der Fall, daß die meiften Gäfte von ihren Dienern Abends im Schute der Dunkelheit und unter dem fehirmenden Dache einer verfchloffenen Sänfte bewußtlos zu Haus gebracht werden müſſen. Ein ZTrinffpiel, ähnlich dem italienischen Morra, bei dem ein Gaft Finger in die Höhe hält, deren Zahlvein zweiter gleichzeitig fagen muß, trägt hierbei haupt- ſächlich die Schuld, da jeder Fehler mit dem Trinken eines Schälchens beftraft wird.

Posft der Tiſch von Speifen zu fehr angefülft, fo tritt eine Pauſe ein, alles wird abgenommen, jedem Gafte ein in heißes Waffer getauchtes und ausgerungenes Handtuch zum Abwifchen der Hände und des Mundes dargereicht, und ein Gang ift beendigt. Bald darauf beginnt die Arbeit von neuem, und gewöhnlich dauert eine folche Tafel A—5 Stunden. Den Schluß bildet vegelmäßig eine Schüffel mit Neis, und nad) ihr kommt das Defert, aus Früchten, Eingemachtem und Dad- werf’alfer Art bejtehend. Große Diners werden gewöhnlich von muſikaliſchen und theatralifchen Darftellungen begleitet, die jedoch die unangenehmfte Zugabe von allem find umd die Europäer nervenfranf machen fönnen. Sie werden weniger Häufig int eigenen Haufe als in Neftaurationen gegeben, wahr- ſcheinlich, um die damit verbundene Unruhe zu vermeiden. Für das niedere Volk beftehen vergleichen Reſtaurationen in großer Zahl, und zu ihnen geſellen ſich noch unzählige ambulante Küchen, in denen für wenige Rupfermünzen warme ‚und kalte Speifen verabreicht werden.

270

So wählerifch die Reichern in ihren Speilen, ſo liberal find die Aermern. Wenn, es; nur den Hunger ftillt, kommt e8 ihnen gar nicht darauf, an, was ſie genießen. Die Noth zwingt ‚fie dazu, und die Noth macht die Chinefen ſowol zu Kochkünftlern, als fie auch die unendlichiten Varietäten von Speifen Schafft: Was in China irgend Nahrungsftoff hat, wird hervorgefucht, um mit Hülfe der Kochkunft ſchmackhaft oder wenigfteng ‚genießbar gemacht zu werden, Sch habe schon früher. der. vielen ‚Arten von Salaten erwähnt; ich ‚glaube, es gibt. in. China Feine Pflanze, deren Blätter nicht dazu ver— wandt würden. Reis bilvet den Dauptnahrungsjtoff des» ge- ſammten Bolfes, und. wie man bei und Morgen- Mittag: und. Abendbrot jagt, ſo heißen die Mahlzeiten in: China Morgen und Abendreis, da man nur zwei derſelben hält. Zu den Fleifchipeifen, die jednch nıtr auf den Tiſch der Wohl— habenden kommen, liefern Schweine das größte Contingent, deren Fleiſch, namentlich wenn es recht fett iſt, der Chineſe außerordentlich liebt. Schafe gibt es im Süden des Landes gar nicht, und Rindvieh im ganzen Lande ſo wenig, daß es ſelten auf den Markt kommt. Von zahmem Geflügel ſind Enten ſehr bevorzugt, und man ſieht ſie zu Hunderten in den: Läden gekocht, gebraten, geräuchert, friſch geſchlachtet und lebendig. Hunde, Katzen und Ratten werden jedoch ebenſo wenig verſchont und namentlich. ſieht man die Ratten, fein weiß raſirt und ſehr appetitlich ausſchauend, in den Schlächterläden hängen. Die mittlere und ärmere Klaſſe ſieht jedoch ſehr ſelten Fleiſch auf ihrem Tiſche, ſondern lebt ſtatt deſſen von Fiſchen, an denen die von einem Kaltwaſſerſtrome beſpülten Küſten des Landes und auch die Flüſſe außerordentlich reich ſind. Fiſcherei wird des— halb auch in ganz China in großartigſter Weiſe betrieben, und man hat berechnet, daß faſt ein Zehntel der Bevöl— kerung damit beſchäftigt iſt. Nach dem, was ich an den

271

Küften ſelbſt geſehen, wo wir täglich von Taufenden von Dſchonken umgeben waren, ift dies auch faum zu bezweifeln. Es gibt fein Inftrument, um Fifche zur berüden, das hier nicht mit Erfolg angewendet würde. Alfe möglichen Arten Nete und Hamen, Angeln, Harpunen u. f. w. find in Ge— brauch; bei Tag und Nacht wird gefifcht, bei Mond- und Fackelſchein und in tieffter Dunkelheit mit abgerichteten See- vaben und Tauchern, mit Körben, Reufen und Pfahlwerf. Jeder Fluß, jeder See, jeder Pfuhl ift mit Fifchern bedeckt, ein Stückchen Waffer ift ebenfo viel werth wie fruchtbares Land, und wo feine Fiſche darin find, bevölkert man es bald durch Laich, mit dem über das ganze Weich ein Tebhafter Handel getrieben wird. Ein chinefifcher Fiſchmarkt ijt der frequentejte, geräufchwollfte, intereffantefte, aber auch zu- gleich ſchmuzigſte und übelriechendfte Punkt ver ganzen Stadt; denn obſchon die Flußfifche von ihren Verkäufern ſorgſam in friſchem Waſſer gehalten und die umnverfauften abends wieder in Teiche zurücgefegt werden, fo äußert fich doch bei den Seefifchen bald ver Einfluß der Wärme, und wenn man ſie auch einfalzt, gefchieht dies gewöhnlich nicht eher, als bis es die höchfte Zeit ift. Die Seen und Teiche liefern indeß auch noch andere efbare Sachen, Krebje, Krabben, mit einem Worte alle fiſchbaren Cruſtaceen, Holothurien, Seeigel kommen zu Marfte, ebenfo auch Wafferfaftanien (scirpus tubero- sus), Lotus (nelumbium) und Segras. Letzteres wird in enormen Duantitäten von der ärmern Klaſſe gegeffen. Es fommt von Iapan, Korea und der Lieufieu-Gruppe, an deren Küjten e8 wächſt und in vielen Hunderten von Schiffsladungen nad - China ausgeführt wird. Diefes Gras ift fehilfartig, die Blätter find aber diefer und ſchwammig. Es ſoll Nahrungs« ſtoffe enthalten, ſchmeckt aber nur falzig und wird zum Reis genoſſen, den es würzt.

17.

Die Landwirtbichaft der Chinejen. Werth des Düngers. Der Keisbau.

Die Baummwollencultur. Die Seidenproduction. Weberei und Stiderei

in China. Die Porzellanfabrifation. Die Metallbereitung. Holz- und

Elfenbeinſchnitzerei. Die Kunftfertigfeit und der Mangel an Kunftfinn. Die inefifche Heilkunde.

Die Hauptbefchäftigung des Volkes ift der Aderbau, und die große Uebervölferung des Landes hat feine Bewohner ge- zwungen, biefen Zweig der Bolfswirthichaft auf eine Weife zu vervollfommmen, die fchon die Bewunderung der früheften Bejucher Chinas erregte und noch immer Beachtung verdient, obwol fie, wie vieles andere im Reich der Mitte, oft überichätt iſt. Es läßt fih nicht in Abrede ftellen, daß die Chinefen uns überlegen find, wo es fich darum handelt, aus tragbaren Boden den möglichjt großen Gewinn zu ziehen; fie bleiben jedoch hinter ung zurück, wenn die Melioration fterilen Bodens in Betracht fommt. Das erjtere haben fie theilweife der beſſern Bearbeitung des Acers, theils der Düngung und Bes handlung des Saatforns vor der Saat zu danfen.

Der Aderbau in China wird viel richtiger al8 Gartenbau bezeichnet; die Felder machen alle den Eindruck von Garten- beeten, und nicht einmal der Neis, der die Stelle unjers Korns vertritt, wird gefäet, fondern Halm für Halm mit der

273

Hand gepflanzt. Eine ſolche Methode kann jedoch nur eben in einem Lande wie China zur Anwendung kommen, wo bie Arbeit jo ungemein wohlfeil ift und es feinen großen Grund» befit gibt. Landwirthſchaft im großen kennt man nicht; jede Familie befist, und gewöhnlich in unmittelbarer Nähe ihres Haufes, fo viel Yand, um von deſſen Ertrage zu leben und vielleicht von dem Ueberſchuſſe ihre jonjtigen Bedürfniſſe zu beftreiten. Diefem Stüdchen Yand wird dann die geſammte Thätigfeit feiner Eigenthümer zugewandt, und es ift in einer Weife bearbeitet, die bei uns unmöglich erfcheint, weil die Arbeit foviel theurer fommt. Die Dörfer find meistens jehr weit- läufig gebaut, da, wie bemerkt, jever Bauerhof gewöhnlich unmittelbar von dem ihm zugehörenden Aderlande umgeben iſt. In den großen Ebenen trifft man auch überall eine Menge Wirthichaften über das Land zerſtreut. Meift find die ländlichen Gebäude beffer und reinlicher gehalten als die Gebäude in der Stadt, und gewähren mit dem fie umgeben— den Obſtbäumen und üppig grünenden Feldern einen freund— lichen Anblid. Die nebenjtehende Zeichnung gibt das Bild eines folchen Bauernhofs in der Nähe von Schangshae.

Die Düngung ift von der unfern verfchieden. Feſter Dünger’ vor der Saat wird nicht auf den Ader gebracht, ſondern nach deren Auffchiegen jede einzelne Pflanze mit flüffigem Dünger wiederholt begoffen. Es gibt in China außerordentlich wenig Vieh. Pferde werden für die Yandwirth- Ihaft gar nicht gezlichtet und Rindvieh nur in jehr geringer Zahl, damit es hiev und da den Pflug auf den Neisfeldern ziehe. Schafe und Eſel gibt es nur im Norden. Nur Schweine und Enten werden überall gezogen, weil fie, unab- hängig won der Yandwirthfchaft, von dem Abfalle eines jeden Hausjtandes beftehen und geveihen können. Milch, Butter und Käſe find unbefannte Dinge; Leder gebraucht der Chinefe außerordentlich wenig, da feine Fußbekleidung aus Stroh,

Werner. 1. 18

274

Baumwolle oder Seide und Filz gefertigt wird. Außer Schweinfleifch und Geflügel wird fait fein Fleiſch gegefjen. Viehzucht findet daher nur in ſehr geringem Maßſtabe ftatt. Das Culturland jteht nicht im Verhältniß zu der ungeheuern Bevölkerungszahl, ſodaß man auf Weideland verzichten muß. Sch habe Dörfer von 1500—2000 Einwohnern gefehen, deren ganzer Viehbeftand drei bis vier Ochſen waren, die fich außer- dem in feinem bejondern Zuftande befanden. Das Vieh wird nur auf Streden getrieben, die feine Frucht hervorzubringen vermögen. Heu ift ein jo umnbefannter Artifel, daß die Fremden, welche fih in China Pferde halten, daſſelbe aus Europa beziehen.

Schon aus diefem Grunde fehlt es an feſtem Dünger, und das Volk ift gezwungen, feine Zuflucht zu den menjch- lichen Auswürfen zu nehmen, die dann auch im ganzen Lande auf die forgfamfte Weife gefammelt werden. Da diefer Dün- ger aber nicht ausreicht, jo werden alle Subjtanzen, die nur irgend Düngfraft befisen, hinzugefügt. Als ein Beifpiel der Sorgfamfeit in diefer Beziehung will ich nur anführen, daß eine Menge Menfchen allein mit dem Sammeln der abrafirten Haare in den Burbierläden ihren Unterhalt erwerben, die jie als Dünger verfaufen. Im erſten Augenblic mag dies be— lächelt werden; wenn man aber bevenft, daß in China durch— fchnittlich täglich 100 Millionen Menfchen der Kopf rafirt wird, erfcheint die Sache rationeller.

Der Werth des Düngers wird den Curopäern hier jo deutlich vor Augen geführt wie nirgends faft, und dabei freilich auf Auge und Nafe wenig Rücficht genommen. Die Latrinen für das Publifum find ftets an den belebteften Pläten ange- legt, und je ängftlicher man beftrebt geweſen ift, durch fauber gemauerte Keſervoirs unter der Erde dafür zu ſorgen, daß auch nicht das kleinſte Quantum des koſtbaren Stoffes ver— geudet werde, deſto ſorgloſer iſt die Einrichtung über der

275

Erde getroffen. Derartige Plätze liegen offen vor den Blicken der Vorübergehenden da. Ebenſo wenig werden, wie bemerft, die Nafen verjchont, da man in allen Straßen und zu allen Tageszeiten Kulis begegnet, die mit zwei mächtigen Eimern jolhen Düngers fich durch die dicht gebrängten Menfchenmaf- jen mwinden und fich dem Fremden durch einen beleidigenden Geruch bemerflich machen, auch wol ganz harmlos im Vorüber— gehen defjen Kleider ftreifen. Auf chinefiiche Nafen fcheint diefer Duft feinen unangenehmen Eindruck zu machen; über- haupt feheint ihr Geruchsorgan nicht fo zart conftruirt wie das unfere, da fie ſonſt unmöglich den jehredlichen Geftanf in ihren engen Häufern und Straßen zu ertragen vermöchten.

Die Keisfelder werden gar nicht gevüngt, fondern das Saatkorn wird einige Tage vor der Saat in flüffigem gego- venen Dünger geweicht. Diefes gefchieht übrigens mit aller Saat, nnd dies befördert nicht nur das Keimen, ſondern ſchützt das Korn auch in der Erde gegen Infeftenfraß, ſodaß das Berfahren in beider Hinficht die Beachtung unferer Landwirthe verdient.

Unjer Korn wird in China faſt gar nicht gebaut, dagegen, wo es irgend angeht, Reis, das hauptjächlichfte Nahrungs- mittel des Volks. Die Alluvialebenen, an denen das Rand jo reich ijt und die ſich mit geringer Mühe bewäfjern Laffen, eignen fich beſonders dazu, umd namentlich find die füdlichen Provinzen die Kornfammern des Reichs, obwol fie immer noch nicht den Bedarf deden und jährlich noch Millionen von Gentnern aus Siam, Cochinchina und Java eingeführt werden.

Sind im Frühjahr die Felder durch den reichlich im März fallenden Regen bewäſſert, jo werden fie noch naß gepflügt oder gehadt und für die Aufnahme der jungen Reispflanzen vorbereitet, die vorher in andern dazu geigneten Eleinen Fel- dern gejäet umd gezogen werden. Sobald dieſe Pflänzchen 9—6 Zoll erlangt haben, werden fie auf die eigentlichen Fel-

18 *

276

ter verpflangt, und zwar jtets in Büfcheln, die zu 6 und 3 Zoll nach allen Richtungen voneinander abjtehen. Danach wird der Acer wieder einige Zoll unter Waſſer gefett und jo ge- halten, bis fich die Pflanzen gelb färben und die Zeit ver Keife naht. Nun laßt man das Waſſer allmählich ab, ſodaß mit dem Eintritt der Ernte Ende Juli das Feld troden liegt. Die Büfchel werden mit einem fichelförmigen Meſſer nahe über der Erde abgefchnitten und die Garben fofort ge heimjt. Unmittelbar danach beginnen die Vorbereitungen für die zweite Sant. Die Aeder werden gereinigt, bewäfjert und gepflügt, und die ziveite Ernte findet dann im November jtatt. Der Reis wird, ganz wie bei ung das Getreide, auf Tennen von feftgejtampfter Erde mit Flegeln gedrojchen und das Keisforn durch Stampfen enthülſt. Bisweilen find diefe Stampfen fürmliche Mühlen, die von Ochſen getrieben werden; meijtens gejchieht das Enthülſen jedoeh in Handftampfen, halbfugel- fürmigen Steinmörfern, in die das Korn gefchüttet uud iu denen es mit einem fchweren Holzftampfer in Form eines abgeftumpften Kegels bearbeitet wird. Der Stiel des Stam- pfers ift am einer fih in Zapfen drehenden Welle befeftigt, an der fich längere Hebel befinden, die abwechjelnd mit ven Füßen wieder getreten und losgelaſſen werden.

Für die Bewäfferung ihrer Felder befißen vie Chinefen eine Menge einfacher aber fehr finnreicher und wirffamer Vor— richtungen, die wahricheinfich ebenfo alt wie die Gejchichte ihres Aderbaues find. Außer einer Mlafchinerie, die nach dem Prineip unſerer Flußbaggermafchinen conftruirt ift und als eine Art Kettenpumpe wirkt, verdient eine andere einfache Borrichtung Erwähnung, vermittelit deren das Waffer an hohen Ufern 40—50 Fuß hoch emworgehoben wird. Dies gejchieht mit Hülfe eines Nades von großem Durchmeſſer, das ganz Ahnlich wie ein Unterwafferrad, aber aus Bambus gebaut ift und Dadurch, neben bedeutender Feftigfeit, große Leich-

277

tigfeit und Beweglichkeit erhält, wie bei uns gebräuchliches Material fie nicht zu geben vermag. Statt der Schaufeln find an der Peripherie des Rades etwas jchräg gejtellte und am untern Ende verfehlofjene Bambusröhren von 3—4 Zoll Durchmefjer angebracht. Der Strom fest das Rad ohne weitere Hülfe in Bewegung, und eine Röhre jteigt nach ver andern empor, um nachdem fie oben angekommen, ihren Inhalt in eine neben das Rad gelegte Rinne und durch dieſe auf das Feld zu ergießen.

Unter andern Feldfrüchten werden Bohnen und Erbfen ge wonnen. Lebtere läßt man vielfach nicht reifen, jondern nur feimen, und bringt fie jo zu Marft, wo fie als eine- beliebte Speife viel gefauft werden. Im Norden wird eine Art Bohne gebaut, aus der man Del preft, das allgemein im Lande zum Fetten der Speifen jowie zum Brennen verwandt wird. Die ausgepreßten Bohnenfuchen bilden einen ungemein beveutenden Handelsartifel nad dem Süden, wo fie ſowol als Viehfutter wie als Dünger verwandt werden. Sehr viele deutfche Schiffe find bei diefem Handel betheiligt.

Unſer europäiſches Obſt ift ſämmtlich im Norden Chinas zu Haufe, während fich der Süden reich an tropifchen Früch— ten zeigt. Faſt alle Flußufer find in ununterbrochener Reihe mit Objtbäunen bepflanzt, die in dem fchönen Alluvium üppig gedeihen und jedenfalls nußbringender als unſere Anpflanzungen von Weiden und Erlen find. So jchön jedoch die tropifchen Früchte, jo geichmadlos ift das übrige Dbft. Birnen, Aepfel und Pflaumen haben ein prachtwolles Aussehen, ſchmecken aber ſämmtlich wie Kohlrüben. Nur Pfirfihen und Weintrauben find foftbar. Man ißt das Stein» und Kernobft deshalb auch nie roh, jondern ſtets ge- ſchmort oder in Zuder eingemadt. Im inmachen von Früchten find die Chinefen Meifter, und die Fabrif des Tſchai— lung in Kanton erfreut fich in diefer Beziehung eines in der

278

ganzen Welt verbreiteten und wohlverdienten Nufes; nament lich liefert ſie prachtvollen Ingwer.

Merkwürdig iſt es, daß in China keine Kartoffeln gebaut werden, obwol ſich im Norden guter Boden dafür findet und fie ein vortreffliches Mittel fein würden, den oft wiederkehren— den Hungersnöthen zu begegnen, die infolge von Ueberſchwem— mungen der niedrig gelegenen Neispiftricte eintreten. Seit einem Jahrhundert wird die Kartoffel in Macao für die Frem- den mit gutem Grfolge gebaut. Im ihrer unmotivirten Ab- neigung gegen alle Neuerungen, überhaupt gegen die von augen kommenden, haben die Chinefen jedoch bisjett nicht be- wogen werden fünnen, dem Beifpiele zu folgen. Der Bedarf der Europäer in den Häfen Chinas wird aus Japan und Californien bezogen und der Scheffel mit 6—7 Thalern bezahlt.

Zu den Hauptzweigen des chinefiichen Landbaues gehört die Baumwollencultur. Ihr Ertrag reicht jedoch faum für dag eigene Bedürfniß aus. Der Anzug des nieder Volkes befteht, wie ich ſchon anführte, lediglich aus Baumwolle, und zwar aus jenem fejten dauerhaften Gewebe, welches bei uns unter dem Namen Nanfing befannt ift und feine gelbliche Farbe dem Umftande verdanft, daß es aus ungebleichter Baum- wolle gefertigt wird. Diefer Stoff ift ſämmtlich Handgefpinft und Hausweberei. „Fabriken gibt es in China ebenfo wenig wie Dampfmafchinen. Auf dem Lande hat jedes Haus feinen MWebjtuhl, auf dem die Hausfrau das felbitgefponnene Garn zu dem für den Familienbedarf nothwendigen Stoffe verar- beitet. Die Spinnräder find den unfern ähnlich, jedoch wer- den von einer Perfon immer drei Fäden zu gleicher Zeit ge- ſponnen, was ich noch mie gefehen hatte. Die Baumwolle wurde von einem Kinde auf 6 Zoll lange Bambusröhrchen gewunden, welche die Mutter nebeneinander mit den Fingern der linfen Hand hielt, während die rechte drei fehr feine und

279

egale Fäden auszog. Allmählich beginnt das englifche Ma— ſchinengeſpinſt ſich in China einzubürgern, namentlich im Norden, wo der Bedarf bedeutend größer ift als die Produc- tion, auch die Baumwolle vom Süden auf dem Landwege bezo- gen und dadurch vertheuert wird. Im Süden ijt dagegen der Import von Shirtings noch ſehr beſchränkt. Das chinefifche Gewebe ift zwar theuer, aber doppelt und dreifach jo ftarf und haltbar als das englifche, und auch deshalb fchon läßt es ſich bei den praftiichen Chinejen nicht jo leicht durch das Babrifat der rothhanrigen Barbaren verdrängen, folange im Süden dem Bedarf im Lande genügt werden fann.

Ein weiteres, auch für Europa in den legten Jahrhun— derten jehr wichtig gewordenes Erzeugniß chineſiſcher Agricul- tur iſt der Thee. Für China ſelbſt iſt er indeſſen noch bei weitem wichtiger, da er das einzige Getränk der Bevölkerung bildet, wenn ich den aus Reis bereiteten und jedenfalls nur beſchränkt genoſſenen Samtſchu-Branntwein abrechne. Rohes Waſſer wird faſt nie von den Chineſen getrunken, und ich mußte jedesmal über die erſtaunten uud fragenden Blicke lä— heln, wenn ich mir in einem chinefiichen Haufe eine Schale Waſſer ausbat. Der Theefejjel jteht vom frühen Morgen bis ſpät im die Nacht fingend und brodelnd am Feier, und jobald man ein Haus betritt, wird man, wie im Orient mit Kaffee, jo hier mit Thee regalirt, der außerdem auch zu jeder Mahlzeit verabreicht wird. Man bereitet ven Thee nicht in einer Kanne, jondern in der Taſſe felbjt, veren jede einen Dedel, aber feinen Henfel hat. Beim Trinken jchiebt man den Dedel ein wenig zur Seite, faßt mit Daumen und Zeige finger die Taſſe oben und unten und jchlürft den Thee zwi— ihen Taſſenrand und Dedel heraus, welcher letztere die Blätter zurücdhält. Zu jeder neuen Taffe wird frischer Thee genommen. Ueberhaupt lernt man Thee bereiten nur in China, und man wird ſtets das eigentliche Aroma des Getränfs

280

verlieren, wenn man es anders macht als die dort anſäſſi— gen Europäer. Für 4—6 Perſonen wird ein gehäufter Eß— (öffel voll TIhee genommen, fochendes Waffer darauf gegoffen und die Mifchung eine Minute nur ftehen gelaffen, che fie in die Taſſen gefchenft wird. Das fogenannte Ziehen ver: dirbt das Getränf, es verliert feinen angenehmen Gefchmac und wird herbe. Will man alfo guten Thee trinfen, jo be= veite man ihn auf die angegebene Art.

Wie befannt gibt es hauptfächlich zwei Sorten Thee, den ſchwarzen und den grünen, von denen der eritere gewöhnlich als der bilfigere und gefündere vorgezogen wird, während man dem feinern und theurern grünen eine aufregende und für die Gefunpheit ſchädliche Wirkung zufchreibt. Obwol ver ſchwarze Thee hauptfächlich in der Provinz often umd der grüne in Tſchekiang gebaut wird, ftammen doch beide von derjelben Pflanze her und unterfcheiden fich nur durch Farbe und Zu- beveitung. Der jchwarze Thee wird beim Röſten länger dem Feuer ausgefegt als der grüne; davon ſtammt der Unterfchied in der Färbung. Außerdem enthält der fchwarze Thee mehr holzige Theile des Blattes, während bei dem grünen die Fi- bern entfernt find. Diefer Umstand ſowie daß der grüne Thee, weil er weniger geröftet wird, viel eher durch Feuch- tigfeit leidet und verdirbt, ift die Urfache, daß er Höher im Preife fteht. Daß er jedoch feine grüne Farbe durch Röſten auf Rupferplatten erhalte, ift eine Zabel, wenngleich es che- mifch feftiteht, daß ein Farbeſtoff bei der Bereitung benutt wird, dem vielleicht auch die aufregende Wirkung zugefchrieben werden muß.

Die Theepflanze wächſt innerhalb eines Gürtels, der fich zwifchen dem 27. und 33. Breitengrade von Dften nach Weiten durch ganz China erjtredt. Die Pflanze liebt die Berg: abhänge, woder Humus nicht zu hoch liegt, und wird an jol- chen Stellen hauptfächlich gezogen. Sobald die Staude Blätter

281

treibt, beginnt die Ernte Die erfien Blütenfnospen find mit einem weißen feidenartigen Flaum bedeckt; fie geben ven Veffothee, eine Korruption des chinejifchen Wortes Pafho, das „weißer Duft‘ bedeutet. Ein längeres Wachsthum ver Blätter von einigen Tagen gibt den „ſchwarzblätterigen Pekko“. Die fleifchigen und ausgebilneten Blätter liefern den Suchong, die noch gröbern ven Congo und vie legte Ernte endlich den Bohen. Der Bohen ift nach dem Diftricte genannt, aus dem er vorzugsweiſe fommt. Congo ift eine Verftümmelung des chinefifchen Wortes Kungfu, „Arbeit oder Beharrlichfeit“, und Suchong iſt auf diejelde Weife aus Seautjchung, „kleine oder ſeltene Sorte‘‘, gebilvet.

Die feinern Arten Suchong werden im ſüdlichen China oft mit wohlriechenden jasminartigen Blüten parfümirt. Im Norden wird er jedoch ohne Verſatz und ganz rein getrunfen, weshalb er uns weniger fchmedt, da wir in Europa felten reinen Thee befommen. Die grünen Theeforten zerfallen in TIwanfai-Heifon (Ausschuß), Heifon (Geſchützpulver) und Jung— Heifon, von unten auf gerechnet. Heifon bedeutet im chinefifchen „blühenvder Frühling‘, und der fo benannte Thee iſt der fojtbarfte, den es gibt. Jedes Blatt wird einzeln zuſammen— gerollt, und von feiner förnerähnlichen Geftalt hat dieſer Thee wol aud den Namen Geſchützpulver oder Kugelthee erhalten.

Das Röften des Thees gejchieht in eingemauerten eifernen Pfannen von Halbkugelform. Wenn diefelben gehörig erhißt find, wird eine Portion frifcher Blätter Hineingefchüttet und fortwährend mit der Hand umgerührt, um fie fowol einer gleichmäßigen Hite auszufegen als vor dem Verbrennen zu bewahren. Haben fie fich durch dieſen Proceß etwas zufan- mengefrümmt, jo werden fie herausgenommen, und e8 wird ihnen mit der Hand längere oder kürzere Zeit nachgeholfen, je nach— dem die Qualität feiner oder geringer ift. Der Hauptunter- Ichied zwischen ſchwarzem und grünem Thee beruht alfo darauf,

282

daß bei erjterm das "euer und bei leßterm die Hand am meiften thut. Der Thee wird dann in Kiften verpadt, ver ihwarze mit Füßen hineingetveten, der grüne dagegen nur hineingefchüttet, va er durch das Zreten brechen und zu jehr leiden würde.

Ein in botanifcher Beziehung der Theepflanze ſehr ähnliches und von den Chinefen auch gleichnamig bezeichnetes Gewächs verdient wegen jeiner Wichtigkeit fir die Volkswirthſchaft gleichfalls Erwähnung. Dies ift die Camellia oleifera, die fi) von der Theepflanze hauptfächlich nur durch die Form ihrer Samenkapſeln unterfcheidet, und aus deren Samen jenes feine Del bereitet wird, das in China die Stelle der Butter vertritt. Es wird auf ähnliche Weife wie die Fettfubftanz gewonnen, welche der Purgir-Kroton, Croton sebiferum, gibt, und die, dort allgemein zur Fabrikation von Lichtern dient. Der Same diefer Pflanze ift von einer talgähnlichen weißen Maffe umgeben. Diefelbe wird mit den Kapfeln in einem eifernen Kefjel durch ein jchweres Rad zerprüdt, in Säde gethan, über dem Feuer erwärmt und unter die Preſſe ge- bracht. Da das Del jedoch Schwer erjtarrt, werden die Daraus bereiteten Lichter mit einem Wachsüberzuge verjehen. Sie geben jedoch fein gutes Licht, brennen fchnell fort und machen viel Qualm. Talg oder thierijche Fette werven zu Lichtern in China nicht gebraucht.

Es bleibt mir nur noch übrig, einige Worte über die Seide zu jagen, die allmählich für Europa eine ebenjo große Michtigfeit wie für China ſelbſt erlangt hat und neben dem Thee einen von Jahr zu Jahr mächtiger wachfenden Export- artifel des Yandes bildet.

Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung, daß ein faft nur Acerbau treibendes Volk wie die Chinefen, die doch wahr- icheinlih als Hirten aus dem Innern Aſiens ſüdoſtwärts z0- gen, feine urſprünglichen Gewohnheiten fo gänzlich abgejtreift

283

und von den Thieren, auf die feine Vorältern in Bezug auf Nahrung und Kleidung allein angewiefen waren, jett fiir beide Zwede fat nichts mehr verivendet, jondern den Erſatz dafür in dem Reiche der Vegetabilien ſucht. Ebenſo wie der Reis das Hauptnahrungsmittel ausmacht, theilt ſich die Kleidung in Baumwolle und Seide, welche leßtere wenigjtens zur Hälfte als Product des Pflanzenreichs betrachtet werden kann, info- fern die Cultur eines bejtimmten Baumes ihre Production allein bedingt. ine Erklärung für diefe Anomalie läßt fich wol nur in dem Umftande fuchen, daß China fchon in den ültejten Zeiten ungemein übervölfert war, daß das Vieh dem Dienfchen weichen mußte und der Nahrungsmangel nicht gejtattete, dem Eulturlande sie für das Vieh nöthige Weide zu entziehen.

Die Erfindung der Seidenbereitung ift unftreitig in China einheimifch. Sie wanderte von hier über Perfien und Grie- henland nach Nom, und wird in den Annalen ihres Bater- landes ebenſo wie der Aderbau- in die mythologiſchen Zeiten verfeßt. Beide Beichäftigungen bilden den Gegenftand einer der Belehrungen, die zweimal monatlich dem Volke öffentlich vorgelefen werden, und in Bezug auf ſie heißt es unter ans derm: „Seit den ältejten Zeiten führte ver Sohn des Himmels ven Pflug und pflanzte die Kaiferin den Maulbeerbaum. Indem diefe erlauchten Perfonen felbft der Arbeit fich nicht Ihämten, wollten fie zugleich den Millionen ihrer Unterthanen ein edles Beispiel der Nacheiferung geben und fie anjpornen, ihre wejentlichjten Intereffen nicht zu vernachläffigen.‘ Der erite Paſſus diefer Sentenz bezieht fich nämlich auf die That- jache, daß der Kaifer alljährlich im Frühjahr unter Beglei- tung feines Hofſtaates dem Ackerbau durch eigenhändiges Ziehen einer Furche die Weihe gibt, während die Kaiferin als Beichüterin des Seidenbaues einen Maulbeerbaum pflanzt.

Gute Seide wird nur in den vier Provinzen Tſchekiang,

284

Kiangnan, Hospe und Szetſchuen product. Zicheftung liefert die weiße und bejte, und Schang-hae ift der Hauptftapel- ort, von wo aus im Jahre 1861 allein 78,000 Ballen aus- geführt wurden. Alfe 4 Provinzen werden vom 30. Breiten- grade parallel durchfchnitten und haben ungefähr das Klima des nördlichen Italien. Tſchekiang ift veih an Alluvialebenen "und wird von einer Menge Flüffe und Kanäle durchfchnitten.

Nach chinefiichen Anfichten iſt das Haupterforderniß für Production von guter Seide die forgfältige Eultur des Maul- beerbaums, um die größtmögliche Menge junger und gejunder Blätter ohne Frucht zu erzielen. Zu diefem Zwede läßt ‚man die Bäume nur bejtimmte Höhe und Jahre erreichen. Sie werden in pajjender Entfernung voneinander gepflanzt, und der Boden wird gewöhnlich mit Flußſchlamm und Afche gedüngt. Zu Anfang des Jahres werden fte bejchnitten, an jedem Zweige nur etiva vier Knospen gelaffen, und man trägt Sorge, daß fie überall gutes Licht haben. Die Blätter wer— den mit einer freiftehenven Yeiter von Baume gepflüct, da- mit letzterer nicht leidet. Nach dem Pflüden werden die Zweige noch mehr abgeftußt, damit der Trieb nicht ausgeht, und nach drei Monaten kann ſchon die zweite Leſe gehalten werden. Sind die Bäume zur alt, d. h. die Blätter zu grob, jo erfett man fie durch junge Die Häufer für Züchtung der Raupen liegen gewöhnlich ganz einfam in der Mitte der Maulbeerpflanzungen, um möglichjt gegen jede Art von Ge- räuſch geſchützt zu fein, da die Erfahrung gelehrt hat, daß ein plößlicher Schrei, ein Hunvegebell oder vergleichen für die jungen Raupen jehr gefährlich ijt; ja man Hat Beispiele, daß durch Donner eine ganze Brut zerjtört wurde. Die Brutzimmer find fo eingerichtet, daß fie bei Falter Witte: rung auch künſtlich erwärmt werden fünnen. Bejondere Sorgfalt wird auf die Papierftreifen verwendet, auf welche die Seidenmotten ihre Eier legen. Die Ausbrütung der

285

Eier wird durch Application von Wärme oder Kälte, je nach Umftänden geregelt, ſodaß die jungen Raupen gerade um diefelbe Zeit ausfriechen, wenn die zarten Frühjahrsblätter dev Maulbeere für ihre Ernährung tauglich find. Die Blätter werden den jungen Thieren genau zugewogen, zuexit gejchnitten, jpäter aber, wenn die Raupen jtärfer werden, im ganzen gegeben. Große Aufmerffamfeit wird auf die gleich- mäßige Temperatur der Brutzimmer verwendet, und ebenjo werben jie veinlich, ruhig und frei von allen Gerüchen gehal- ten. Die Raupen werden auf Matten gefüttert und diefe der Reinlichkeit wegen oft gewechjelt. Je mehr die Thiere wach- jen, dejto mehr Futtermatten erhalten fie, damit jie genug Raum zur Bewegung haben. Wenn fie ihre verjchiedenen Häutungen vorgenommen haben und ausgewachjen find, was fi) an der gelblich transparenten Farbe zeigt, die fie danıı annehmen, wer— den fie in die für das Einpuppen vorbereiteten Fachwerke ge- legt. Acht Tage nach Beginn des Puppens find die Cocons fertig und es wird Zeit, fie zu verwenden, da die Seide fonft durch das Ausfriechen ver Motten zerjtört wird. Ein Theil ver Cocons wird fir fpätere Zucht verwahrt, die Puppe in den übrigen dadurch getödtet, dag man fie fchichtenweife in irdenen Töpfen mit Salz und Blättern übervecdt und die Töpfe luftdicht verſchließt. Später werden fie in lauwarmes Waſſer geworfen, das die fchleimige Subftanz auflöft, welche die einzelnen Fäden zufammenhält, und danach die Seide abgehaspelt. Diefe wird dann entweder in Bündel von be- ſtimmter Größe und Form gefchlungen und kommt als Roh— jeide in den Handel, oder wird gefponnen und auf den Web- ſtuhl gebracht und zu verſchiedenen Stoffen verarbeitet. Zroß der großen Einfachheit ihrer Webſtühle fertigen vie Chineſen nicht allein die fchönften Zeuge, ſondern auch die elegantejten und neueſten englifchen und franzöfifchen Mufter zum Export. Namentlich excelliven fie in Damaft und ‘Satin

286

nnd ihrem Crepe fann fich nur der japanefifche an die Seite jtellen. Ebenſo berühmt find die chinefifchen Sticfereien, die theilweife an den nach Europa verfandten Crepe-Shamls auch bei uns bewundert werden fünnen. Das Schönfte in diefer Art bleibt jedoch im Lande und dem Auge des Fremden für gewöhnlich verborgen, da es für den faiferlichen Palaft gemacht wird. Bei Gelegenheit der Plünderung deffelben durch die Franzoſen find dergleichen Meifterftüde in großer Zahl nah Schang-hae und in die Hände von Europäern ge- langt, die fie anfänglich von den Solvaten für ein Spottgeld fauften. Jeder behielt was er hatte, und wir Fonnten nur die Pracht der Sachen anftaunen und ihre Eigenthümer be— neiden. Einen ſolchen Reichthum von Stoff, Farben und Stickerei hatte von uns noch niemand gefehen, und folche Ar- beit würde auch bei ung weder Verfertiger noch Käufer finden.

Die ganze chinefifche Induſtrie ift originell und dem Volke eigenthümlich. Dies beweift die Form ihres Handwerfszeugs, von dem auch nicht ein einziges Stück mit dem unfern überein- jtimmt. Man mag anfehen was inau will, ein Beil, eine Säge, Ambos, Bohrer, Blajebalg, alles ift anders wie bei uns, ohne deshalb weniger praftifch zu fein. Im Gegentheil ift praftifche Einfachheit und möglichite Wirkſamkeit bei billigjter Conftruc- tion ein hervortretender Zug an den Werkzeugen chinefifcher Technik.

Ebenjo wie wir von den Chinejen die Seidenbereitung er- lernt, wie ihre Erfindung des Pulvers, der Buchdruderfunft und des Kompafjes der unfern viele Jahrhunderte woranging, wenn wir diefe Dinge nicht gar von ihnen annahmen, find fie auch unfere Lehrmeifter in der Porzellanmanufactur ge weſen und darin bisjegt noch umerreicht geblieben.

Der früheiten Porzellanfabrif wird in den Annalen des Yandes zu Anfang des 7. Jahrhunderts unferer Zeitrechnung Erwähnung gethan. Sie befand fich in der Provinz Kiangſi,

287

die noch gegenwärtig das meiſte Porzellan liefert. Die be- rühmten Defen von King-ta-tſchin, welche das fchönite Fa— brifat erzeugen, wurden jedoch erjt drei Jahrhunderte ſpäter angelegt. Die Borzüge des chinefifchen Porzellans vor dem unfern beftehen in feiner Härte, der Feinheit feines Bruchs, in feiner Transparenz und in dem Widerftande, den es der Hite entgegenfegt, ohme zu fpringen oder Riſſe zu befommen. In diefen Punkten haben wir vergebens verfucht, das chine- fifche Borzellan zu übertreffen. Was dagegen Form und Malerei betrifft, jo find die Fabrifate von Sevres, Meißen und Berlin bei weitem ſchöner als die koſtbarſten chinefifchen Sachen. Es ift bisjett nicht aufgeflärt, wie die Bereitung des Porzellans in China jtattfindet. Nach allem, was man darüber erfahren, fcheint zunächit die Porzellanerde feiner ge- mahlen zu werden als bei uns; außerdem foll fie aber auch einen Zuſatz einer uns unbefannten Duarzart erhalten.

Das fchönfte chinefische Porzellan ift mehrere Hunderte von Sahren alt, ſehr jelten und jehr theuer. Es wird vom den reichen Chinefen zu enormen Preifen gefauft und ihren Sammlungen von Antiquitäten einverleibt, die fich in jedem wohlhabenden Haufe befinden. Was fih, aus frühern Zeiten jtammend, in Europa befindet und verfäuflich ift, wird von fpeculativen Kaufleuten aufgefauft und nach China zurückgeführt. Ich habe einzelne diefer Suchen hier auf Auctionen verjteigern und von Chinefen zu ganz unerhörten Preifen erſtehen jehen. Namentlich ift eine unter dem englifchen Namen cracker ware befannte Porzellanert fehr gefucht. Dies find gewöhnlich Bafen von 12—16 Zoll Höhe und gelblich weißer Farbe, ohne alle Verzierungen und gefällige Formen. Ihre ganze Koftbarfeit befteht darin, daß die Glaſur überall in kleine unvegelmäfßige Quadrate oder rechtwinflige Figuren zeriprungen ift. Dies wurde früher bei der Bereitung fünjtlich hervorge- bracht. Das Geheimniß iſt aber in China verloren gegangen

288

und die Waare deshalb fo gefucht. Einzelne diefer Vaſen, die ſehr alt ausfahen, gingen zu 50 60 Taels das Stück fort. Ich bin indeffen überzeugt, daß die englifchen Porzellanmanufacturen das Geheimniß entvedt haben und anwenden, ſodaß alle diefe theuern Stüde wahrfcheinlich erſt frifch fabrizivt und Faum ein Jahr alt find. Im Fälfchen und Nachmachen erweiſen fich die Chinefen ſelbſt als große Meifter. Doch erlaubt ihnen ihr Eigendünfel nicht, die Meinung zu faffen, daß fie von den Barbaren betrogen wer- den fünnten, und diefer Umstand begünftigt die Durchführung jenes Betrugs. Die Ausfuhr des Porzellans ift jetzt faſt auf Null reducirt. Das europäifche ift ſowol billiger als gefchmad- voller und höchſtens Fauft ein Curiofitätenfammler hier und da ein paar chinefiiche Vaſen.

Ebenfo geht es mit den Lackwaaren der Chinefen, die früher bei uns fehr gefchätt waren, durch die neuern euro- päifchen Erfindungen aber fehr verdrängt werden, obwol jich nicht leugnen läßt, daß wir den Glanz der feinern Sachen nicht erreichen. Diele find aber auch in China jehr theuer. Der gröbere Lad wird aus dem Samen der Dryandra cordata, der feinere aus einer Species des Rhus bereitet, und feine größere Koftbarfeit entfteht hauptſächlich aus der großen Sorgfalt, die beim» Auftragen der verjchiedenen dünnen Lack— lagen angewendet iverden muß.

In der Verarbeitung des Eifens find die Chinefen ziemlich weit, obwol fie theurer arbeiten als wir. Ihr weißes Kupfer ſieht Silber fehr ähnlich, ift fehr feinförnig und nimmt Schöne Politur an. Es bejteht aus einer Legirung von Kupfer, Zink, Gifen und etwas Silber mit einer Beimiſchung von Nidel. Die Erze werden fein gepulvert, mit Holzfohlenftaub ver: mischt, in Schmelztiegeln über langſamem Feuer geglüht und die aufjteigenden Metalldämpfe nievergefchlagen. Es werden aus diefem Metall alle möglichen Hausrathsgegenftände ge-

289

fertigt. Seine merfwürdigfte Verwendung it jedoch die Ueber- ziehung von irdenen Theetöpfen damit, eine Arbeit, die man wol auch nur in China antrifft. Die Glasfabrifation ift un- befannt. Was von Glaswaaren fih im Lande befindet, hat alfes europäifchen Urfprung. Spiegel werden aus Metall, einer Mifchung von Kupfer und Zinn. mit etwas Silberzujak, gefertigt, Laternen, wie ich ſchon bemerkt, aus Papier, Horn oder Seide. Die Tenfter beftehen im Süden aus Papier, im Norden aus Horn oder transparenten Mufcheln, gewöhn- lich aus den dünngefchliffenen Perlmutterfchalen. Bisweilen verfuchen die Chinefen gebrochenes europäifches Glas umzu- ichmelzen; die Reſultate ergeben fich jedoch als ſehr mangel- hafte. Zrinfgläfer kennt man nur in den Küftenftädten; unfer gläfernes Tafelgefhirr wird faft überall durch Porzellan erſetzt.

In Holz- und Elfenbeinſchnitzereien ſind die Chineſen allen andern Nationen weit überlegen. Ihre berühmten Elfenbein— bälle, von denen oft ſechs bis acht verſchiedene ineinander ruhen, haben von jeher die Bewunderung der Europäer erregt, und man wollte nicht glauben, daß ſie aus Einem Stück geſchnitten ſeien. Ich habe ihre Verfertigung jedoch ſelbſt geſehen und über den ſchnellen Fortgang der Arbeit geſtaunt. Die maſſive Kugel wird zunächſt in ſechs bis acht Richtungen regelmäßig durch— bohrt; dann wird mit einem hakenförmigen Meſſer die Sub— Stanz zwiſchen ven Oeffnungen innen herausgeſchnitten und die äußere Halbkugel abgetrennt. Iſt die beſtimmte Zahl der Kugeln auf dieſe Weiſe herausgeſchnitten, ſo beginnt die Be— arbeitung der äußern Fläche und man kann ſchon recht hübſche Kunſtwerke der Art für 2—3 Thaler haben. Ihre Möbel— ſchnitzereien find jehr gefucht, und ich habe jchon erwähnt, daß die gutfaconnirten Möbel von den Fremden ſehr theuer be- zahlt und nach Europa ausgeführt werden. In Kanton gibt e8 in diefer Art das Beſte. Ebenfo liefert China jehr viel

Werner. I. 19

290

Schnitereien aus Stein, PBerlmutter und Bergkryſtall. Die Figuren aus dem Yuftein find ſehr gefucht, aber ungemein theuer, ohne daß wir ihnen Geſchmack abzugewinnen wußten. Die Riechfläſchchen aus Achat und Bergkihftall find merfwürdig, faum 2 Zoll lang und durch eiue nicht über einen Viertel Zoll weite Halsöffnung nicht nur inwendig vollfommen aus- gearbeitet, jondern an der innern Fläche mit Fleinen eingra- pirten Charafteren bejchrieben, die man durch die transparenten Wände lejen fann.

Es exiftirt in China eine Art weißlich grauer mit Schwarzen oder dunfeln Adern durchzogener Marmor. Diefe Adern nehmen oft merfwürdige Geftalten an und ähneln bisweilen Landfehaften, bisweilen Bäumen oder Thieren. Derartige Platten werden in größere oder Fleinere Quadrate gefchnitten und vielfach in den Zimmern wie Bilder als Zierrath auf- gehängt. Dft find die Figuren jehr täufchend, aber man muß fi) wohl hüten, fie für Natur zu halten. Der Chineje ift ein geborener Fälſcher und hat es fehr bald bewerfitelligt, die Figuren auf den Stein zu ätzen. Man thut daher wohl, in Ranton, wo hauptfächlich folche Platten feilgeboten werden, diefe nicht mit den geforderten horrenden Preifen zu bezahlen. Troß ihrer Geſchicklichkeit in Stein- und Holzfchnigereien find vie Chineſen in der Bildhauerei weit zurüd. Alles was fie in diefem Genre liefern, ift ungefchielt, plump und ohne Berhält- niffe. Es ift faum denkbar, daß einem fo frühcivilifivten und geiftig vorgefchrittenen Volfe der Sinn fir Kunft ganz und gar abgehen ſollte. Man behauptet zwar, daß die Chinefen 3. B. die disharmoniſchen Laute ihrer fchredlichen mufifalifchen Inftrumente als die höchſte Kunft bewundern, und dies mag bei den untern Bolfsflaffen auch der Fall fein. Ich habe aber Gelegenheit gehabt, bei gebildeten Leuten das Gegen- theil wahrzunehmen. In Schang-hae fpielte die Mufif ver Arkona zweimal in der Woche öffentlich. Während das niedere

291

Bolf gleichgültig vorüberging, fammelten fich alle anftändigern Chinefen, die fich in der Nähe befanden, laufchten mit offen- barem Entzüden dem ungewohnten Concert und blieben bis zu Ende. In Kanton war der von mir früher erwähnte junge Kinlin gar nicht vom Portepiano fortzubringen, wenn einer von uns jpielte, und fein Geficht ftrahlte ftetS vor Freude und Aufregung. Dies ift der Beweis, daß der Sinn für Kunſt im Volke nicht gänzlich fehlt, fondern nur fchlummert. Der Mangel an fremden Beifpiel bei der langen Abgefchloffen- heit des Reichs, jowie die fehlende Aufmunterung im eigenen Lande ift wol die Haupturfache, daß es mit den fchönen Künſten in China fo traurig beftellt iſt. Diefe feltfame Ver— nachläffigung in der Entwickelung des fünftlerifchen Geiftes hat aber ihren Grund in der Kegierungspolitif, die allen Luxus zu unterbrüden und nur diejenige Arbeit zu jchüten und zu heben beftrebt ift, welche Nahrung für das Bolf produeirt. Sollte die jetzige Ummwälzung, wie voraussichtlich, eine unbefchränfte Deffnung des Reichs für die Fremden nach fih ziehen und in dem Wachstum des Handels fich eine neue mächtige Nahrungsquelle für das Volk aufthun, jo wird die Regierung nicht mehr fo ſtarr an ihren bisherigen Prin- cipien fejthalten, und mit dem zunehmenden Wohlftande wird gewiß auch die Liebe zur Kunſt erwachen.

Zu den freien Künſten in China, wenn man biefen Aus- druck gebrauchen darf, gehört auch noch die mediciniſche Wif- fenfchaft, da jeder Beliebige fie betreiben und ohne irgend- welche Staatscontrole als Arzt prafticiven kann. Die Heil- funde jteht daher natürlich noch auf einer jehr niedrigen Stufe, fie entbehrt jeder wilfenfchaftlichen Begründung und ift nichts weiter als Quackſalberei. Sie hat namentlich viel mit der Zahl fünf zu thun. Die chinefichen Aerzte unterfcheiden fünf auf das Körperfpftem Einfluß habende Planeten: Saturn, Supiter, Mars, Venus und Mercur; fünf Eingeweide: Ma-

19*

292

gen, Leber, Herz, Lunge, Nieren; fünf Elemente oder Grund- jtoffe des Körpers: Erde, Feuer, Holz, Metall und Waffer ; fünf Farben: gelb, grün, roth, weiß und fchwarz, und endlich fünf Arten von Gefhmad: ſüß, fauer, bitter, ftechend und ſalzig. Die Anfichten diefer Aerzte über die Wirfung von Arzneien find ebenfo jeltfam. So fagen fie 5. B., die obere Hälfte des Körpers gehöre zum Himmel und die fir dieſen Theil bejtimmten Arzneien müßten aus den Köpfen ver Pflan- zen bereitet werden. Die Mitte der Pflanzen ift für pie Leiden des Bauches und die Wurzel für die Krankheiten der Füße beftimmt. Die Apothefen in China enthalten eine Maſſe von einfachen Mitteln, an deren Spite der Ginfeng, die ge- trodnete und gefochte Wurzel von Panax quinquefolia fteht. Die Wurzel fommt aus, der Tatarei, ift gelblih und faft transparent, ein Monopol des Kaiſers und fehr theuer. Mean hat fie auch vielfach aus Amerifa eingeführt, doch fteht diefe im feinem hohen Werthe. Eine Arznei, in der nicht Ginjeng ift, betrachtet ein Chinefe ſtets als unwirkſam.

Zur Vertreibung örtlichen Schmerzes wird allgemein die Mora angewandt, die aus den feinften Fibern einer Art Ar- temifia bereitet wird. Diefe Mora, in Kugelform auf die ſchmer— zende Stelle gejett und angezündet, fol ſchnell fortörennen und wenig Schmerz verurfachen. Die Bafis des Kegels hat ungefähr den Umfang eines Pfennigs. Wie häufig das Mit- tel gebraucht wird, habe ich fowol in China wie in Japan beobachten köunen. Oft wiefen bei Leuten Stirn, Arm, Hals und andere Körpertheile wol zwanzig und mehr Narben von den Brandwunden der Mora auf. Bon Anatomie und Phy— ftologie haben die chinefiichen Aerzte faft gar feinen Begriff. Sie amputiren und operiven nie, und die einzige in China ftattfindende Amputation ift die officielle des Kopfes auf dem Richtplatze.

Nur in Bezug auf den Knochenbau des Menſchen verra—

295

then nicht nur die Aerzte, fondern auch die gemeinen Chinefeit eine gewiffe Kenntniß. Sie wiſſen die Zahl der Knochen, ihre Stellung u. f. w. und belegen fie auch mit Namen. Es hängt diefe Kenntniß mit der großen Rückſicht zufammen, die fie den Gebeinen ihrer Borfahren widmen. Wechfelt 5. B. ein Chineje feinen Wohnort, jo nimmt ev auch pietätsvolt die Ueberrefte feiner Vorfahren mit fort. Sch hatte felbjt Gelegenheit, mich von den ofteologijchen Kenntniffen der Chi- nefen zu überzeugen. Die Sefuitenmiffion in Schang-hae hatte während unfers dortigen Aufenthaltes ein Stüd Land erworben, das früher ein chineſiſcher Begräbnißplag war. Es follten darauf Gebäude errichtet werden, und ed ward öffentlich befannt gemacht, daß man mit der Planivung des Grundftüdes an einem bejtimmten Tage vorgehen werde. Sämmtlihe Familien, welche Verwandte unter den auf dem Plate Begrabenen hatten, trafen nun eiligft VBorfehrungen, die theuern Gebeine zu entfernen, und jeden Tag fonnte man 30—40 Gräber öffnen und mit größter Sorgfalt alle Knochen und Knöchelchen jammeln ſehen. Ein Mann hatte ein ge- fehriebenes Berzeichniß verfelben, und nach der Keihenfolge wurden fie in 2 Fuß lange Kijtchen worfichtig in Watte ge- padt, der Schädel vegelmäßig oben aufgelegt, und dann alles feiner neuen Ruheſtätte gejchafft.

Die chinefifchen Aerzte, die als äußerliches Kennzeichen, wie die Buddhaprieſter, einen Fahlgefchorenen Kopf Haben, unter- ſcheiden am Körper verfchiedene Arten des Pulfes und befun- den dadurch ihre gänzliche Unmwiffenheit über den Blutumlauf. Wenn der Arzt zu einem Kranken gerufen wird, fühlt er zuerft nach dem Bulfe, aber an beiden Armen und an drei verjchie- denen Stellen, am Handgelenf und an zwei Punkten in ber Gegend des Elnbogens. Ebenſo wenig fennen fie einen Un- terfchied zwifchen Arterien und Venen. Gemäß ihren An- ſchauungen in Bezug auf die Elemente, aus denen der Körper

294

zufammengefett ift, nehmen fie an, daß bei jeder innern Krankheit das Verhältniß des einen zum andern gejtört ift. Ihre Diagnofe befteht demnach darin, daß fie zu beftimmen fuchen, wie viel der Körper von einem Clemente mehr oder weniger hat, als er befiten fol. Danach richten fie dann auch ihre Medicamente ein und verordnen 5. B. Holz, Erbe, Waſſer u. f. w. Mediciniſche Schulen beftehen in China nicht. Die Aerzte bilden eine Gilde, die ihre Kunft und Ge- heimniffe jorgfam bewahrt und nur zuverläffigen Schülern anvertraut. Uebrigens laßt fich nicht leugnen, daß fie ne— ben allen Duacdjalbereien in gewiffen Krankheiten überra- ſchend glückliche Euren machen, und fie werden deshalb in jolhen Fällen felbft von Europäern vielfach zu Rathe ge- zogen.

Das Honorar für einen Beſuch beträgt 1Y,—2 Grofchen, erclufive des Sänftenträgerlohnes, und es muß Ichon ein ſehr berühmter Arzt fein, der 5 Grofchen fordert und erhält. In Kanton wohnt jett ein nach europäifcher Art gebilveter chine- ſiſcher Arzt, der erfte und einzige feiner Art. Er hat feine Studien in England auf der Univerfität Oxford gemacht, ift ein fehr aufgeflärter Mann und erfreut fich des Zuſpruchs feiner wohlhabenden Landsleute. Kürzlich hat er ein kleines medici- nifches Werk für feine Collegen herausgegeben und es fteht zu hoffen, daß fein DBeifpiel zur Nacheiferung ermuntert.

18.

Das Pitihen-Engliih. Der Comprador als Mittelsmann in Gejhäften. Die chineſiſche Dienerfhaft in europäifhen Familien. Münz- und Geldwejen in China,

Sch habe weiter oben das fogenannte Pitjchen - Englisch erwähnt, oder das Kauderwelſch, das die allgemeine Vermitte- nng zwifchen Fremden und Chinefen bildet. Die chinefifche Sprache ift fo fchwer, daß ein Europäer mindeſtens drei Sahre unausgejett ftudiren müßte, um fie zu lernen. Die Leute, welche nach China gehen, um dort zu handeln oder Inpuftrie zu treiben, haben aber weder Luft noch Zeit, fo viel Mühe auf ein Studium zu verwenden, das ihnen außerdem nicht einmal veelle Bortheile jichert, und von dem fie fpäter nach ihrer Rückkehr in Europa nicht den mindeften Gebrauch ma- hen fünnen. Sie haben es daher von vornherein gar nicht verfucht, und unter den vielen Taufenden von Europäern, die China jest bevölfern, gibt es kaum zehn, die der Sprache wirklich mächtig find. Da jedoch irgendein Idiom zur ge- ichäftlichen Verftändigung nöthig war, fo hat ſich das Pit- ſchen-Engliſch gebildet, ein Englifh, das aber auch von den Engländern erſt erlernt werden muß, weil es vollftändig cor- rumpirt, mit chinefifchen Worten gemifcht und mit chinejifcher Satsconftruction gefprochen wird. Das bejte Beifpiel dieſes

296

Sargons gibt das Wort Pitichen, die chinefiihe Aussprache des englifchen Wortes business (Gefchäft), ſodaß Bitfchen- Englifch in der Ueberſetzung Gefchäfts-Englifch Heißt. Gejchäft ift bei ven Chinefen das Wichtigfte in ihrem focialen Leben, und auf wie viele andere Beziehungen das Wort übertragen wird, ift ebenfo merfwürdig, als es zur Charafteriftif des Bolfes einen Beitrag liefert. Wollen fie 3. B. jagen: „Du Iprichft eine Unwahrheit‘, jo drücden fie dies aus; „you makee ly pitchen“, ‚Du machſt ein Lügengeſchäft.“ Cbenfo fpre- chen fie von „love pitchen, chin chin joss pitchen’, „Lie— besgejchäften, Götteranbetungsgefchäften” u. f. wm. Noch un- verjtändlicher wird diefe Sprache durch verfchiedene Eigen- thümlichfeiten in den Sprachorganen der Chinejen, vie 5. B. fein x haben, ſondern ftets 1 dafür fegen, und an die meiften Worte ein i oder o hängen. „My talkeeplopple“ ift ein Beifpiel diefer Art, das fehwerlich jemand verftehen wird, wenn er auch noch fo gut englifch ſpricht, da es heißen foll: „I talk propre‘, „ich rede, wie es fich gehört, over die Wahrheit.’ Oder man fommt in ein europäifches Haus und fragt, ob der Herr zu Haufe ift. Das richtige „Is Mr. N. at home?“ würde fein chinefifcher Bedienter verftehen. Man muß fragen „Mr. N.hab got?” und der Diener wird dann antworten: „Hab got topside, down side oder inside“, „Ja, der Herr ift oben, unten oder drinnen‘ Number one, Nummer eins, fpielt im Pitfchen-Englifch ebenfalls eine große Rolle und wird auf alle moralifchen Eigenfchaften übertragen; alles, was als befon- ders gut und ausgezeichnet hervorgehoben werden ſoll, ift num- ber one. Der Chinefe fpricht von number one Thee, number one Geld, womit die unbejchnittenen jpanifchen Thaler bezeich- net werben, ebenfo wie von numbel one mastel (r), einem guten Herrn, oder numbel one lial (r), einem pfiffigen Rügner. Ja und nein wird fehr felten gebraucht, ftatt deffen can und no can, fann und kann nicht, Ebenfo dient das aus dem Spa-

297

nifchen übernommene Wort sabee (von saber) für alle For- men der Zeitwörter wifjfen und verſtehen. Die häufige An- wendung des Wortes piece, Stüd, ift aus dem chinefifchen Sprachgebrauche übertragen. Der Chineje fett nicht die einfache Cardinalzahl vor das Hauptwort, fondern fügt ftets Stüd dazwifchen. Er fpricht daher ſtets von einem Stüd Frau, vier Stüd Männern. Unfere preußifche Flagge be- zeichneten fie mit „one piecee white flag, with one largee- piecee black fowlo inside”, d.h. ein Stück weiße Flagge mit einem großen Stüd Schwarzen Huhn darin, und als wir nach längerer Anwesenheit ihnen näher befannt wurden, machten fie aus dem englifchen Prussian für Preußen Blussum.

Seit den lebten Jahren, wo die Franzofen im Süden und Norden Bofto gefaßt, hat fich auch ein Pitfchen- Franzö- fiich gebildet, da der Franzofe im Auslande ebenfo wie der Engländer jeine Mutterfprache jelbjt zur Geltung zu bringen jucht; jedoch ift es fehr Lofal und wird bisjetzt nur in der Umgegend der franzöfifchen Quartiere verftanden. Nur die Deutjchen, die womöglich mit den eigenen Landsleuten im Aus- lande eine fremde Sprache reden, bleiben hier, wie überall, troß ihrer großen Zahl nicht deutfch, und ungeachtet des Namens Germania, wie fie ihren Club getauft Haben, hört man indemjelben mehr englifche wie germanifche Laute. Wenn nun auch dieſes Ge— Ichäfts - Englisch genügt, um fich mit dem Dienerperfonal umd den Kaufleuten in ven Küftenjtädten zu verſtändigen, jo reicht es für den Europäer doch durchaus nicht aus, um mit jedermann auszufommen oder mit Leuten aus dem Innern faufmännifche Transactionen abzufchliefen. Es hat fich daher, ſeitdem Fremdenverkehr in China geftattet ift, eine Art einheimifcher Zwiſchenhändler herausgebildet, die unter dem Namen Com: prador (vom fpanifchen comprar, faufen) befannt find, und entweder als Angeftellte in den europäischen Raufmannshäufern oder unabhängig zwifchen Ausländern und Chinejen alle Geld—

298

gefhäfte geringerer oder größerer Art vermitteln. Durch Procente, die fie fich entweder nehmen, oder die man ihnen jtilffchweigend zuerkennt, wird dieſe Klaffe von Leuten, die von Jugend auf dazu erzogen werden, beivogen, das Intereife ihrer augenblidlichen Herren den Betrügereien ihrer Lands— leute gegenüber wahrzunehmen. Der Europäer ift unter den Chineſen mehr oder minder gänzlich von ihnen abhängig, und indem er feine Gefchäfte durch den Comprador abfchließen läßt, kommt er immer noch am beften weg. Dem Comprador opfert er eine beftimmte Zahl Procente, von den übrigen Shinefen wird er aber doppelt und dreifach betrogen. Jener nimmt 10 Procent von allen Anfäufen, das ift fo Stil. Der Europäer weiß e8, fanctionirt ven Betrug durch Stillfchweigen, und der bei diefem Sate ftehen bleibende Comprador gilt bei feinen Landsleuten für einen anjtändigen, ehrenwerthen Mann, während er bei ihnen als Betrüger daftehen und der allgemeinen Verachtung anheimfallen würde, wenn er mehr nähme.

Das Gehalt dieſer Compradoren, die übrigens meiſtens ſehr gewandte Leute ſind, fertig engliſch leſen und ſprechen und nicht ſelten einen literariſchen Grad erworben haben, richtet ſich nach der Bedeutung des Handelshauſes, dem ſie angehören, aber in umgekehrtem Verhältniſſe. Je größer der Geſchäftskreis des Hauſes, deſto kleiner das Gehalt, weil eben die Procente dabei in Betracht gezogen werden. Im Ver— hältniß zu den Summen, die in ihrer Eigenſchaft als Kaſſirer durch ihre Hände gehen, müfjen fie Kaution ftellen, und in einigen ber erften Häuſer beläuft fich deren Summe auf 100000 Dollars. Solche Compradoren fangen gewöhnlich ohne alle Mittel an. Söhne chinefifcher unbemittelter Raufleute be- ginnen fie die Garriere al8 Diener in ven Häufern der Euro- päer, machen fich als folche mit deren Sprache, Sitten und Gewohnheiten befannt, avanciren allmählich zum Haushof-

299

meijter, und werden, wenn ſie jich die nöthigen Kenntniffe an— geeignet und eine Fleine Caution gefpart haben, Compradoren, um dann gewöhnlich als reiche oder wenigitens wohlhabende Männer zu enden.

In China darf man jedoch nicht Diener mit Bedienten verwechfeln. Ein chinefifcher Diener oder Boy (Junge), wie er von den Europäern genannt wird, läßt fich nie herab, zeug zu reinigen, Stiefel zu pußen oder vergleichen niedere Dienfte zu verrichten, dafür find die Bedienten oder Kuli. Der Boy ift der Kammerdiener, er macht Gänge, fteht bei Tiſche hinter dem Stuhle feines Herren und begleitet viefen, wenn er eingeladen ift, um ihm aufzuwarten, da man in China jtet8 feinen eigenen Diener mitbringen muß, wenn man in einem fremden Haufe etwas zu eſſen haben will. Er erfcheint vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend rein und adrett angezogen, und darf allein die Zimmer betreten, während der Kuli draußen bleibt.

Da e8 Europäern bei ihrer Unfenntnig der Sprache und in großen Städten unmöglich fein würde, ihre zahl- reiche Dienerfchaft zu controliven und fich gegen Deren Spitbübereien zu fichern, jo wird nie ein Domeftif ohne Garantie in das Haus genommen. Selbſt der Comprador findet troß feiner Kaution nur eine Anftellung, wenn er zwei fichere und zahlungsfähige Männer als Bürgen für feine Sicherheit jtellt, und er ift wieder feinem Herrn Bürge für das gefammte Dienerperfonal für das Silberzeug verant- wortlich, und hat es zu erjegen, wenn etwas im Haufe fort- fommt. Daher find fait alle Bedienten eines Haufes Verwandte oder nahe Bekannte des Comprador, der fie jo gut als ftell- vertretender Vater zu jchulen weiß, daß es felten bejfere, veinlichere, aufmerffamere, ruhigere Bedienten gibt als bie chinefifchen Boys in europäifchen Häufern.

300

Zum Schluffe mögen noch einige Bemerkungen über bie GSeldverhältniffe in China hier Plaß finden. Courante Münze gibt e8 in dem großen Lande nur eine Art, die Scheng oder, wie fie von den Fremden genannt werden, Caſh. Sie find aus einer Mifchung von Kupfer und Zinn gefertigt, von der Form eines Zweigrofehenjtüds, und in der Mitte mit einem vierecfigen Roche verjehen, um auf Schnüre gezogen zu werben. 100 Scheng machten urfprünglih ein Mäs, 10 Mäs einen Zael aus; jett jedoch ift der Werth des letztern auf 1500 Scheng geftiegen. Mäs und Taels eriftiven in Wirklichkeit nicht mehr. Sie wurden fo viel gefälfcht, daß die Regierung alles Rupfer- und Silbergeld einzog, und felbjt die Compo— fition der Scheng allmählich jo verfchlechterte, daß dieſe Scheidemünze jest 50 Procent unter ihrem urfprünglichen Werthe fteht. Trotzdem wird felbft dies fchlechte Geld noch gefälfcht und wer für einen Tael Scheng einwechfelt, ift als Europäer ficher, mindejtens 200 eiferne oder bleierne Stücke unter der Schnur von 1500 zu finden, wenn er fie beim Empfang nicht genau vevibirt.

Es ift Klar, daß bei ver mangelhaften Communication in dem mächtigen Reiche und feinem beveutenden in- und aus- ländifchen Handel eine Münze wie die Scheng unmöglich dem Bedürfniſſe entſprechen kann, da eine Summe von 100 Thalern über einen Centner wiegt, und daß nothiwendiger- weife ein Surrogat gejchaffen werden mußte, um nicht allen Berfehr ins Stoden zu bringen. Edles Metall war dazu durchaus nothwendig; da aber feins aus der Landesmünze hervorging, wurden ausländische Silbermünzen die gangbaren Berfehrsmittel. China bezieht aus den übrigen Welttheilen im DVerhältniß zu feinen Exporten faft nur Opium. Die 500 Millionen Pfund Thee und 200,000 Ballen Seide, welche es jährlich an das Ausland abgibt, müffen zur Hälfte baar und in klingendem Silber bezahlt werden. Dies bleibt alles

01

im Lande und wird größtentheils in Saifis umgeſchmolzen, die dann als Silbergeld curfiren. Aus diefem Umſtande er- klärt fich auch wol mit die Abnahme des Silbers in Europa, die fchon öfter die allgemeine Aufmerkſamkeit auf fich gezogen und bei den Staatsöfonemen Bedenken erregt hat.

Die von mir ſchon bei Schilderung der Nenjahrsfejtlichkeiten erwähnten Saifis find kleine ſchuh- oder Fahnförmige Barren von 10 50 Taels (20—100 Thaler) Werth, die jeder große Kaufmann felbft gießen läßt und als Garantie für die Richtigkeit ihres Nominalwerthes mit feinem Namenszuge jtempelt. Ihr Silbergehalt wird dadurch von der Regierung indirect feitgeftellt, daß alle fisfalifchen Abgaben in viejen Barren bezahlt werden und ihr Gehalt aus 28 Theilen vei- nen Silbers und 1 Theil Kupfer bejtehen muß. An ver Küfte find überall mericanifche Thaler die gangbare Münze, und ſämmtliche Zahlungen werden in ihnen geleifiet, obwol man nominel im Norden nach Taels und im Süden nad) Dollars rechnet. Das Eigenthümliche und Merfwürdige pabei ift aber, daß fich dies Nominelle auch allmählich auf das Reelle übertragen hat. Wenn es fich auch aus der größern Entfernung von Europa erflären läßt, daß daher bezogene Gegenftände in Schang-hae 1 Tael fojten, die in Hongfong nur mit 1 Dollar bezahlt werden, fo bleibt es immer höchit merfwürdig, daß man 3.2. für die Hinfahrt von Hongfong nad) Schang-hae mit der Poſt 60 Dollars gibt, dagegen auf der Rückfahrt von Schangshae nach Hongkong auf vemjelben Schiffe 60 Taels, alfo 25 Procent mehr bezahlen muß. Solche Ano- malien find aber auch nur in einem Lande wie China möglich, und fönnen nur von einem Publifum geduldet werden, das den Geldunterfchied von 30 Thalern als eine nicht nennens— werthe Bagatelle betrachtet. Im Süden ſchlägt jeder Gefchäfte- mann, durch deſſen Hände Dollars gehen, ebenfalls jeinen Stem- pel darauf, und man fieht faft nie eine jolhe Münze ohne

-

302

20— 50 Stempel, ſodaß oft die beiden Seiten gar nicht mehr voneinander zu unterfcheiden find. Dieſes Stempeln foll urſprünglich eine Garantie gegen Fälfchung fein; es wird jedoch häufig geradezu das Gegentheil. Theile werden mit dem Stempeln Feine Stückchen Silber herausgejchlagen, theils die Nänder befchnitten. Oder man nimmt etwas Metall aus der Mitte, das durch Blei erjett wird, und fucht die Stelle durch einige Stempel unfenntlic zu machen. Shinefen gegenüber gelingt diefer Betrug weniger, weil ein Gefchäftsmann einen falfchen Dollar entweder jofort am Gefühl oder am Klange oder auch am Gewicht erfennt, da er jede Silbermünze wiegt, aber Curopäer müſſen jehr häufig darunter leiden. Neben ven mericanifchen Thalern wird in China jedoch alles übrige Geld genommen, wenn es nur Silber ift, und wir haben für unsere preußifchen Thaler ftet8 den vollen Werth von 3 Shilling Sterling nach ihrem Gewichte erhalten. Im Norden wird fein Dollar angenommen, der einen Stempel hat, wenn man nicht Agio zahlen will. Hier ift die Bedingung bei allen Zahlungen: clean mexican dollars, reine mexicanifche Thaler; jedoch ſchützt Dies ebenfo wenig vor der Fälſchung, und man muß jedes Stüd forgfältig unterfuchen, das man von einem Chinefen erhält. Wie ich fchon früher bemerkte, gilt es in China durchaus nicht für unmoralifch, einen Fankwei zu belügen oder zu betrügen, und eine beherzigenswerthe Negel für Europäer ift es, in diefer Beziehung feinem Chinefen zu trauen, er mag jo hoch oder niedrig jtehen wie er wolle. Wir haben während unfers Aufenthaltes dies ſchwer empfunden, und ich fpreche aus Erfahrung Man braucht fich durchaus nicht zu fcheuen, überall offenes Mistrauen zu zeigen. Läßt man fich täufchen, jo wird man für dumm gehalten, jteigt jedoch fofort in der Achtung, wenn man fi) nicht überliften Yäßt.

Sch glaube hiermit dasjenige berührt zu haben, was

303

mir in China fowol in Betreff der Landesart wie des Bolfes als charakteriftifch erfchienen ift und meiner An- jiht nah für deutſche Leſer von Intereſſe fein kann. Ich bin weit entfernt, meine Wahrnehmungen als maßgebend hintellen zu wollen. Um China und die Chinefen richtig zu beurtheilen und fie wahr zu fchildern, dazu gehört ein viel- jähriger Aufenthalt im Lande und vor allen Dingen die Kenntniß der Sprache. Ich war nicht ein volles Jahr dort, und von der Sprache verjtand ich nichts. Manches mag ich daher einfeitig und unrichtig aufgefaßt haben, jedoch war meine Abfiht auch nur, die Cindrüde wiederzugeben, die Land und Leute auf mich gemacht, nicht aber eine Fritifche Abhandlung zu jchreiben, zu der mir die erwähnten Vorbedingungen fehlten. Was ich in meiner Schilderung nicht aus eigener Anfchauung habe, verdanfe ich der Mittheilung von Leuten, die lange Sahre im Lande waren und denen ich ein competentes Urtheil zutrauen durfte; aber was den Charakter des Volkes angeht, fo tappen fie ebenfo im Finftern wie faft jeder Europäer. Dem Europäer gegenüber zeigt fich der Chinefe nun einmal nicht, wie er wirklich ift, und in diefem Umſtande allein haben wir die Erflärung der Gegenfäte zu fuchen, die im Volks— charakter uns fo fchroff entgegentreten, und die wir fonft nicht begreifen können. Die hiftorifchen, ftatiftifchen und politischen Notizen endlich habe ich Davis entnommen, der in China nicht nur für einen ber beiten Sinologen, fondern auch für einen der gediegenjten Kenner chinefiicher Zuftände gilt, und in jeiner langjährigen Stellung als Regierungspolmetjcher und Gouverneur von Hongkong Gelegenheit hatte, die zuverläſſigſten Nachrichten zu ſammeln.

Drud von F A. Brockhaus in Leipzig.

—J Marl Er man AR SE * ———— ak unterm J rk RR sg tie De. n 5 MaNbE ee Si 127007 1758 unbe. sa =. | a ig at “= wa lat rad, Mac A RE a Bi lem, HT, * mi el. ee Ba De IR RE TEE EL I —2— DRbERUR wi ET res ae EA ER, au ir ir * REDEN TOT RAIN CHIEF NS TEA U BALBSL EBEN Ri Akon Br ar ea er ee Ik * Haar ae LER * ee vrasciasu a ara NEBEN

15 66 F men A e Au⸗ —V ——— NE Ba ae alakr J ART a teen. ie a Ps = Kath: Fin ag SUR INA Harht: lg uhren er pr RT:

BED Ai Ta ke BR in ai Er a NO fa Ta Be ie ae, aeg

KR DET aan UA NE NE A171 20) I UPZAE: a 9 h et) ro

ö J sah R Art 5 #,% ? t r er; ) 9* h h 3 iR * 4

110 DE, 115

/ la T /

/

IR : on N 1 zz

Petschilir \

| \

l

|

| 72

| PEKING Ninghae |

|

|

|

|

Sen Schantun, N

| |... MAN Kıng ° eV | [2] a

h a: Are FR, Br 2 KARTE | Zi: a: = OSTKÜSTE voN ASIEN | AKAnTo FR 2

MIT JAPAN. |

Zu Reinhold Werner's Reisebriefen über Chins, Japan und Siam

um Meise der Klbe von Hang kung nach Target nd Julie. 17:22? har

A = 5 feddo nach. Se * ————— | Pe: BE Nangasaki nach der g des Feiho Baschi,! Inseln E \ Folio nack Ninghas und. Chef. im F . \ Gahu nnch Hang-hong, Ss 120 * 125 130 rer Fr ——

E4. Brockhaus Leipzig,

Reiſebriefe

über

China, Japan und Siam.

Zweiter Theil.

Bi FELL sr J

uspauus >pyundoe

a ’IL NE

Die preussische Expedition

nad China, Iapan und Siam

in den Jahren 1860, 1861 und 1862.

Beifebriefe

"von

Reinhold Werner,

Lieutenant zur See I. Klaſſe.

Mit fieben Abbildungen in holzſchnitt und einer Fithographirten Karte.

Zweiter Theil.

Leipzig: Se MEI rEh au 8:

1863.

Inhalt des zweiten Theile.

13 Seite Nachricht vom Untergange des Frauenlob. Abreife von Hongkong

nad Sapan. Die Fahrt unter Nordoftmonfun. Aufenthalt an der Südoftjpite der Inſel Formoſa. Beſuch der Küfte; Schar- mützel mit den Eingeborenen. Lage, Bejchaffenheit und Bedeu- tung der Injel. Gefchichte der holländischen Eolonie auf Formoſa BR SE HURREEL 1

20.

Ankunft der Elbe vor Nangaſaki. Die Naturſchönheit der Bai. Be— nehmen und Verlegenheit der japaniſchen Behörden. Vereinigung der Elbe mit dem preußiſchen Geſchwader zu Jeddo. Die Ver— handlungen des Grafen Eulenburg mit der japaniſchen Regierung, Einzug des Gefandten in Jeddo und Audienz beim Minifter des Auswärtigen. Ungünftige Lage der Dinge. Die geographiichen und politifhen Umriffe des Landes. Verkehr und Stellung der VarmDE in Sana im. feliberer Seit... ..ucie nun serien 17

21.

Die Bat von Jeddo. Aeußerer Charakter, Feftungswerfe, Umfang und Bevölkerung der Stadt. Die Jakonins als Beauffichtiger der Fremden, Bau und Einrichtung der japanifchen Häuſer. Die Daimios und ihre Stellung als Feudalherren zum Bolfe, Die Vorbereitungen der focialen Revolution durch die Eröffnung

VI

des Landes. Schwierige Lage der Regierung gegenüber der

Adelspartei. Feuersbrünfte und Feuerspolizei in Seddo. Die

Gärten und der Naturfinn der Japaneſe 22.

Die Tempelgebaude. Der Buddhismus in Japan. Die Sinto-

religion, ihre Götterlehre, ihr Cultus. Die Sekte der Stodofie.

Die Prieferibafk....s... :. Me ne A

IB.

Die Abftammung der Sapanejen. Die Volkstracht. Die Frauen. Die Neinlichfeit des Bolfs. Die Bäder. Die japanefifchen Be- griffe von Schambhaftigfeit. Die Theehäuſer als Bordelle. Die Geichlechtsliebe und die Stellung der Frauen. Höflichfeit und Anftandsformen. Eine japanefifhe Hochzeit. Das Koncubinat. Kinder und Kindererziehung. Der Schulunterricht ...........

24.

Sapanefiihe Bücher. Die Beamtenlaufbahn. Die wifjenichaftliche Bildung. Die Heilfunde. Wißbegierde und Auffafjungstalent der Japanejen. Die japanefiihe Sprache. Die Literatur. Das Theater. Kumftreiterei und Ningfämpfe. Schauluftigfeit des Volks. Gefellihaftlihe Gelage und Unterhaltungen. Guitarren- mädchen und Tänzerinnen. Die Japanejen im Rauſch ........

25.

Strenger Charakter der japanifchen Strafpflege. Das Syſtem der Berantwortlicgfeit und die geringe Zahl der Verbreden. Die Hinrihtungen. Das Banhaufihligen mit, eigener Hand als Strafmilderung und Chrenreparation. Das Spionenfyften in der Landesregierung. Die Machtlofigteit des Taifun. Das Ge- folge der Daimios-Armee und Militärwejen. Die Einſchränkung des Seeverfehrs vor Eröffnung des Landes. Die neue japanifche Mariien ee ee

26.

Zapans Bedeutung in Handel und Induftrte. Kohlen, Metalle und Thee. Das Porzellan und feine Fabrikation. Lad und Lad- waaren. Rapsbl und vegetabiliſches Wachs. Miako als Mittel- punft japanifcher Induſtrie. Bereitung und Berwendung des

Seite

36

57

63

84

101

VII

Seite Papiers. Münzen und Münzweſen. Aderbau und Viehzucht. Die Forfteultur und der reihe Baumwuchs des Landes . . . . . .. 118 27.

Die Bat und die Stadt Nangaſaki. Infel und Colonie Defima. Die PVifite beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Dra- henfeft. Die Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Ge- jelligfeit der Japanefen. Das Dradenfpiel. Eine Kunftreiter- vorftelung in Nangaſaki. Ausflüge in die Umgegend. Natur- romantif. Lieblichfeit der Gartenanlagen. Bild der japanijchen Häuslichfeit. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängniß. Das Klima und der Gejundheitszuftand in Japaı ...... 22.222 ..... 139

28.

Die Verhandlungen mit der preußiſchen Geſandtſchaft. Anjchläge der japanischen Adelspartei gegen die Fremden. Ermordung des amerifaniihen Gejandtichaftsjecretärs Heusfen. Betragen und Intriguen der Regierung. Heftes Auftreten des Grafen Eulen- burg. Beftattung Heusfen’s unter Aififtenz der preußiſchen Waf- fen. Abreiſe des englifhen und franzöfiihen Gejchäftsträgers nah Yokuhama. Endliher Abſchluß des Bertrags mit Preußen am 25. Januar 1861. Abgang der preußifhen Schiffe nad Schang-hae. Charakter des japanischen Volks und Ausfichten auf jeine freiere ſociale und politiſche Entwidelung............ 167

29.

Schang-hae und fein Theegarten. Ankunft der preußiſchen Gejandt- Schaft daſelbſt. Ungünftige Verhältniſſe für die Abjchliefung des Handelsvertrags mit China. Die Elbe im Sandwirbelfturme. Chefu und die „Verzweiflungsinſel“. Aufenthalt an der, Peiho— mündung. Die Tafuforts. Tientſin umd jeine Bedeutung als Handelsplatz. Das Städten Ning-hae. Beſuch der chineſiſchen Mauer. Geſchäfte, Bauart, Zweck und gegenwärtige Beſchaffen— heit dieſes Wunderwerks. Die Ebene um Ning-hae. ,‚Kiejelad‘‘

m Eee ee N BR NER 17

|

30. Hohe Landescultur jenjeit des Gebirges von Chefu. Amerika— nische Miffionare als Kaufleute. Politiſche Veränderungen in China im Sommer 1861. Der Tod des Kaifers Sienfung.

VIII

Seite Der Prinzregent Kung, fein Charakter, feine aufgeflärte Politik, Die Rebellion der Taipings. Verhalten der Engländer zum hinefifhen Bürgerfriege. Gefchichte der Schantung- Rebellen. Vorrücken derjelßen gegen Chefu. Bertheidigungsanftalten und Feigheit der Chineſen. Admiral Protet mit wenigen Franzofen übernimmt die Bertheidigung des Plages. MUeberrafhung und Flucht der Rebellen durch einen Bombenſchuß. Scheußliche Grau- famfeiten der Rebellen wie der Kaiferlichen ................. 196

31.

Unterzeichnung des Handelsvertrags zwiſchen Preußen und China am 15. Auguſt 1861. Ausdehnung deſſelben auf den Zollverein, Mecklenburg und die Hanſeſtädte. Große Bedeutung des Ver— trags für Deutſchlands Induſtrie, Handel und Schiffahrt. Die Concurrenz mit England und Rußland. Der Begriff und die politiſche Macht des Welthandels. Gründungsgeſchichte der deutſchen Handelshäuſer in Oſtaſien. Ihr bisheriges Verhältniß zum Vater— lande. Der Zollverein in Bezug auf den öſtlichen Verkehr. Die deutſchen Schiffe in den chineſiſchen Gewäſſern. Freude der deut— ſchen Kaufleute in China über den Abſchluß des Vertrags. Noth— wendigkeit eines preußiſchen Kriegsgeſchwaders in den öſtlichen Meeren. Der Koſtenpunkt und die Beſchaffenheit der Schiffe. Der Neid der Engländer. Abreiſe nach Siam. Vereinigung des preußiſchen Geſchwaders im December 1861 auf der Rhede von Bangkfkeee = rereenehe e Be e 210

32. r

Das Königreih Siam, feine Länder, ſein Waſſerſyſtem. Geſchichte des Landes. Der Mainamfluß. Die fiamefiihen Feftungen. Die Stadt Bangkok. Bauart der Häufer und Nermlichkeit ihrer Einrihtung. Eine Dame von Stande. Die Buddhatempel, ihre Architeftonif, ihre Pracht, ihre Gößen. Leben und Treiben der ſiameſiſchen Prieſterſchaft. Der Todtendienft und die Leichenver— brennung. Das Todtenfeld der Armen. Unterricht und Bolfs- DUDUNg ns ee een Re ne A ee 229

33.

Schlechte Beichaffenheit der Straßen in Bangfof. Die Boote auf dem Mainam. Schwimmfertigfeit der Einheimifhen. Nationa- lität und Zahl der Bevölkerung von Bangkok. Körperbildung und Tracht des fiamefiihen Volks. Häflichkeit der Frauen. Die

IX.

* Seite Abſchließung der Ehen, Die Bielweiberei. Das Berhältniß der Frau zum Manne. Das Coneubinencorps und die erfte Frau des Königs. Die Sflaverei. Der Reisbau und die fiamefiiche Faulheit. Betriebfamfeit der Chinefen in Siam. Mufif und muſikaliſche Inftrumente. Ein nationales Concert. Ein fia- mefisches Feuerwerk. Die Induftrie des Landes in den Händen der Chinefen. Der König als Kaufmann. Schiffahrt und Han— del. Uebergewicht der Deutjchen im fiamefifhen Berfehr. Teak—

holz als Ausfuhrartifel. Die Landesmünzen ........ EN 25

I

34.

Das Zweikönigſyſtem in Siam. Die Thronfolge. Die Prinzeffinnen. König Mongkut. Die fiamefifhen Aftrologen. Prinz Kroom Luang Wong-fa. Die Prinzen des königlichen Haufes. Die Volks— Hafen. Die Einnahmen des Königs. Segnungen und Plagen des Tropenflimas. Der weiße Elefant. Ueberfluß an Nahrungs- mitteln. Siam ein Sandelsftaat. Die franzöfische Annectirungsluſt in Hinderindien. Preußen und die Holländer. Hülfloſigkeit Siams gegen franzöfifhe Eroberungspolitif. Die Reichthümer König

Mongkut's. Der Bertrag zwifhen Siam und Preußen ..... 273

35.

Abreife der Elbe von Bangfof am Weihnachtsabende 1861. An— funft zu Anjer auf Java. Einladung und Neife nach Serang, dem Sise der Regentſchaft. Meppigfeit und hoher Culturſtand der Landſchaft. Die blühenden Verhältniſſe der Kolonie Sava. Die Holländer als Muftercoloniften. Die Agrarverhältniffe und die Behandlung der Eingeborenen, Der Ertrag Javas und die Bortheile, welche Holland aus der Colonie zu ziehen weiß. Die Stadt Serang. Das Schachjpiel der japanifchen Großen, Rück— Hays ER Eee ES DA RR BR. 287

36.

Ein neuer Weg durch den Indiſchen Ocean, Ankunft der Elbe am Cap der guten Hoffnung. Die Tafelbai und der Tafelberg. Die Eapftadt, ihre Lage und Bevölkerung. Die ‚Afrikaner, Die holländischen Eoloniften und die Engländer. Vernachläſſigung der Communicationsmittel und ihre Folgen. Handel und Erzeugniffe der Kapcolonie. Der Capwein. Das Dorf Eonftantia. Zwei große deutſche Firmen in der Kapftadt. Warnung an die Deut-

x ß ° 2 ; Seite ſchen. Die Kaffernfriege. Gouverneur Sir George Grey. Das

Kafferncollegium. Die Kafferntruppen. Die Hottentotten ..... 296

37.

Die Heimreiſe. Naturbeſchaffenheit, Bevölkerung und Verkehr der Inſel St.-Helena. Das engliſche Geſchwader an der weftafrifa- niſchen Küſte. Verwendung der mit den Sklavenſchiffen genom— menen Neger. Die Inſel Aſcenſion. Ankunft der Elbe in Swi— nemünde am 29. Mai 1862. Die Opfer, welche die oſtaſiatiſche Expedition gekoſtet. Die Vortheile des Unternehmens für Ge— ſammtdeutſchland. Reellität, ein Haupterforderniß im Verkehr mit den Aſiaten. Abſchied vom Leſer ....... N 305

Abbildungen zum zweiten Theil.

Sapanefiiher Sakonin........ ee zu ©. 41 Japaneſiſche Mädchen........ u 2 N 67 Theegarten mn «Sodhang-hae..... 2.22... 08... 178 Erfte Frau des Königs Mongfut von Siam.....:2.....-....... 262

Phra Somdet Mongfut, Erfter König von Siam ...........-. 274

19.

Nachricht vom Untergange des Frauenlob. Abreife von Hongkong nad) Japan. Die Fahrt unter Nordoftmonfun. Aufenthalt an der Südoſt— fpige der Inſel Formoſa. Beſuch der Küfte; Scharmütel mit den Eingeborenen. Lage, Beihaffenheit und Bedeutung der Injel. Ge- fhichte der holländiſchen Kolonie auf Formoja im 17. Jahrhundert.

Mir hatten mit der Elbe bereit einen Monat lang in Hongkong gelegen und vergeblich auf Nachrichten vom Ge— ſchwader gewartet, das drei Wochen vor uns aus Singapore nach Sapan gefegelt war, als die mit den beginnenden Nord- oftmonfuns von Kanagava kommenden Schiffe die Ankunft der Arkona und Thetis in der Bai von Seddo berichteten, zugleich aber die Trauerbotſchaft von dem wahrjcheinlichen Verluſte des Schooners Frauenlob brachten, eine Kunde, die einen trüben Schatten auf die Expedition warf. Ein fchred- liher Teufun hatte am 2. September mit Tagesanbruch den Vrauenlob von der Arkona, welche ihn im Schlepptau führte, getvennt. Es gejchah dies in einer Entfernung von kaum noch 40 Meilen von der Jeddobai. Um 5 Uhr morgens ward das Schiff zulett gejehen, und feit jener Zeit hatte man nichts wieder von ihm gehört. Ein gleiches Schidfal theilte die englische Kriegsbrigg Camilla, und nach dem ſchreck— lichen Wetter, das kaum eine fo große und ftarf gebaute Fregatte wie die Arkona mit Hülfe der Dampffraft auszu- halten vermochte, war nichts anderes anzunehmen, als daß

MWerner. I. f

2

das preußifche wie das englifhe Schiff ver Wuth des Stur- mes erlegen und beide total verunglückt jeien. Mit dem Frauen- (ob gingen 4 Offiziere, 1 Arzt, 1 Verwalter und 38 Unter- offiziere und Meatrofen verloren, ein Ereigniß, das nicht nur auf dem Gefchwader, jondern auch in ganz Deutfchland tief betrauert ward. Am 30. October erhielten wir vom Geſchwa— derchef ven Befehl, mit unferm Schiffe nach Naugafafı zu gehen, um die Schiffe dort zu erwarten und fie mit Vorräthen zu ver— jehen. Am 1. November verliefen wir demgemäß das uns durch die außergewöhnliche Freundlichkeit unferer dortigen Landsleute jo lieb gewordene Hongkong, jegelten nach unferm Beftimmungs- orte ab und machten uns auf eine mindeſtens vierwöchent— liche und unangenehme Kreuztour gefaßt, da der Nordoft- monfun ſehr Fräftig blies und wir die ganze Strede von 400 geographifchen Meilen ihm abzufämpfen hatten.

In frühern Zeiten hielt man es gar nicht für möglich, gegen dieſe halbjährigen Winde einen längern Weg anzufreuzen, und die Schiffe blieben oft 4—5 Monate in einem Hafen liegen, um den günftigen Monſun abzuwarten, wie es noch jett alle chinefifchen Dichonfen machen, die im October von China nach dem Süden gehen und im Mai von dort nad) Haufe zurücfehren. Die Kortfchritte im Schiffbau und in den nautifchen Wiffenfchaften, ver Hhdrographie und Meteorologie, haben es jedoch nicht nur ermöglicht, gegen die Monfuns an- zufämpfen, fondern bejtimmte Reifen auch in beftimmter Zeit zurüchzulegen, und gegenwärtig bedenkt fich felbit das fehlech- tefte Rauffahrteifchiff nicht, mit Ausnahme der Teufunmonate Auguft, September und Detober, im Sommer nach dem Süden und im Winter nach dem Norden zu kreuzen; ja, gute itarfe Fahrzeuge, deren Kapitäne mit genügender Fachkenntniß theoretifche Bildung vereinen und den neuen Entdecdungen auf dem Gebiete der Meteorologie gefolgt find, ſcheuen fich nicht, ſelbſt Teufunen die Spike zu bieten, wenngleich Muth

8

und Geſchicklichkeit nicht immer ſie vor dem Unterliegen in dem ungleichen Kampfe ſichern können.

Wir befanden uns im November und hatten daher weniger von den Unholden zu fürchten, ſondern nur eine ſtürmiſche Reiſe mit allen ihr Gefolge bildenden Unbequemlichkeiten zu erwarten, eine Ausſicht, die ſich auch zur Genüge verwirklichte. Vom Süden Chinas nach dem Norden oder nach Japan hat man bei ungünftigem Monfun zuvörderſt ganz nahe unter der Küfte bis zu den Namoa- Injeln auf 25° nördl. Breite aufzufreuzen, um den durch den Formofafanal fallenden ſüdweſtlichen Strom zu vermeiden. Dann hat man Hitlich nach der Südſpitze von Formoſa hinüber zu ftechen und am ver Ditfüfte diefer Infel nach Norden zu gehen, wo man den äqua— torialen bis zur Behringsitraße reichenden Warmwaſſerſtrom, der in der Nähe von Japan faft die Schnelligfeit und Tem— peratur des nordamerifanifchen Golfitroms annimmt, findet und benugen fann.

Die eriten Tage ging es troß des fcharfen Windes vor- trefflih. Unſer Schiff freuzte bei der hohen See über Er- wartung gut, und jchon am 6. November befamen wir die Südſpitze von Formoſa in Sicht. Zugleich aber wurde die Gegenftrömung, die fich von dem erwähnten Golfitrome hier wejtlich abzweigt, jo heftig, daß wir faft nicht von der Stelfe famen, und uns am 10. November noch auf demfelben Fled wie am 6. befanden, obwol wir feitvem 150 Meilen durch das Waffer gefegelt waren und ohne ven Strom hätten min- deſtens 50 Meilen oftwärts freuzen müffen. Ia, einmal hatten wir, als der Wind fich etwas legte, die merkwürdige Er- ſcheinung, daß ſämmtliche Segel rund voll ftanden, das Schiff aber, jtatt vorwärts zu gehen, mit ziemlicher Schnelligkeit rückwärts ging, eine Thatfache, die auf den erjten Blick unerklärlich erjcheint, aber nur die Folge eines heftigen Unter- waſſerſtroms iſt. Diefelbe Sache hatte ich ſchon früher ein-

i

4

mal in der Straße von Florida im amerikanischen Golfftrom beob— achtet, Dort war jedoch die Strömung bei weiten nicht fo heftig.

Am 10. November zog ſich der Wind endlich ein bischen nördlicher, und wir erreichten die Spite der Infel, deren Süpfeite von Weften nah Dften ungefähr 4 Meilen weit fich erſtreckt. Im Schuße derjelben ging es troß des zunehmen- den Windes num beffer. Wir freuzten ganz nahe unter ihr hin, bewunderten die romantischen Yandfchaften, welche die pracht- volle und terrafjenförmig auffteigende Infel dem Auge in reicher Fülle bot, und bedauerten, daß dieſe fchöne und fruchtbare Strede Landes noch nicht von der Civilifation beledt, nament- lich aber, daß fie nicht deutfches Cigenthum fei. Die zunehmen- den heftigen Bewegungen des Schiffes gaben jedoch unfern Gedanken bald wieder eine andere Nichtung. Je mehr wir ung der Oftfüfte näherten, deſto mehr fühlten wir den wach- fenden Wind, und faum traten wir ganz aus dem Bereiche der ſchützenden Küfte, als uns der fchönfte Nordoſtſturm ent- gegenblies, der nicht allein eine himmelhohe See aufwühlte, jondern uns auch zwang, fobald als möglich unfere Segel auf ein Minimum zu fürzen. Da wir unter folchen Um— ftänden nur die Aussicht Hatten, zurüczutreiben und den müh— fam erfämpften Boden wieder zu verlieren, zogen wir 68 vor, jchleunigft umzufehren und in einer ringsum von hohem Lande geſchützten Bucht, die uns ſchon vorher fehr einladend erfchienen war, an der Süpoftfeite der Infel vor Anfer zu gehen.

Die Karten von Formoſa find jehr mangelhaft. Die er— wähnte Bucht war gar nicht einmal darauf angegeben, und wir mußten. uns vorfichtig heranlothen, fanden aber einen jo ſchönen, bequemen Anferplaß, wie wir nur wünfchen Fonnten, nicht zu tief, haltbaren Grund, kaum taufend Schritt von ber Küfte und gegen alle nördlichen und öftlichen Winde, die wir alfein in diefer Jahreszeit zu fürchten hatten, fo gefichert, wie in Abraham's Schos. Der Anker vanfchte vom Bug in bie

5

Tiefe, die Segel wurden fejtgemacht, und alsbald erwachte in uns auch ein jehnliches Verlangen, das mit einer fo reizenden Außenfeite gejchmücte, fait gänzlich unbekannte, deshalb‘ aber um jo intereffantere Land etwas näher zu betrachten. Die That folgte bald dem Entishluffe. Die Gig wurde in das Waſſer gelaffen, mit ſechs Fräftigen Leuten bemannt, und ihre Auderfchläge trugen uns in wenigen Minuten ans Land, das an einer Stelle einen prächtigen Sandftrand zum Anlegen bot. Wir Hatten vom Schiffe aus hier einige Eingeborene bemerkt, wollten mit ihnen Verbindungen anknüpfen, um Früchte und Lebensmittel zu erhalten und einen feinen Streif- und Sagdzug auf die nahe liegenden Platenus zu machen. Dort hatten wir mit unfern Fernröhren merkwürdige Thiere herum— Ipringen jehen, die wir bald für Büren, bald für Affen hielten, und allem Anfchein nach founten wir uns ergiebige Beute verjprechen. Da wir jedoch bereits früher von der feindfeligen Unnahbarfeit der Formofaner gegen Fremde gehört, trugen wir Sorge, uns gehörig zu bewaffnen, und außer uns vier Theilnehmern an der Partie, die wir unjere eigenen Büchfen befaßen, erhielten auch unſere ſechs Bootsruderer jeder eine der vortrefflichen Zündnadelbüchjen, mit denen unfere Schiffe ausgerüſtet find.

Wir betraten den Strand, der hier 30 bis 40 Schritt breit fein mochte und von einem dichten, und wie es uns fchien, faum durchdringbaren Gehölz eingefapt war. Wir theilten uns in zwei Parteien von je 4 Mann, während 2 Mann zur Bewadhung des Bootes zurücdblieben. Die Munition wurde ausgegeben und die Gewehre geladen, während deſſen wir am Strande nach Mufcheln fuchten und uns nach ver- ſchiedenen Seiten hin zerftreut hatten.

Auf einmal fiel ein Schuß; Feiner von uns achtete anfangs darauf, weil jever glaubte, irgendeiner habe etwas Jagdbares entdeckt, und wir blickten von unferer Beichäftigung faum auf.

6

Unmittelbar darauf fnallte e8 jedoch drei-, viermal hinterein- Ander umd einer unferer Matrofen rief: „Wir werden ange- griffen, ich bin getroffen.’ Zugleich fahen wir an verfchiedenen Stellen den Bulverdampf aus dem Gebüfche auffteigen und befanden uns im der gerade nicht erfreilichen Lage, kaum 30 Schritt vor den Gewehrläufen eines unfichtbaren Feindes zu Stehen, ohne auf dem offenen Sandftrande felbit die geringjte Dedung zu haben. Die Sache war fritifch; die Feinde an- zugreifen und in das dichte Geftrüpp vorzudringen, wo man feine 3 Schritte weit fehen fonnte, wäre ebenjo gewagt als unflug geweſen, da wir feine Ahnung hatten, wie viele ung gegenüberftan- den. Ebenfo wenig fonnten wir aber bleiben, und das einzige Ber- nünftige war, uns in unfer Boot zurüdzuziehen und den Rückzug jo gut wie möglich zu deden. Während deshalb zwei Matrojen ven Befehl erhielten, das Boot zu unjerer Aufnahme fertig zu halten, bildeten wir übrigen acht eine Tirailleurlinie und warteten mit gefpanntem Hahn auf den nächften Schuß, um auf den Punkt eine Salve zu geben, wo wir den auffteigen- den Rauch bemerfen würden. Daß von den fünf, auf kaum 30 Schritt Entfernung auf uns abgefeuerten Schüffen nur einer getroffen, gab uns Feine hohe Meinung von der Ge- ſchicklichkeit unſerer Feinde. Ueberdies war der getroffene Matroſe nicht einmal verwundet. Ein ſonderbarer Glücksfall hatte es gewollt, daß die ſonſt unfehlbar tödliche Kugel auf ein Meſſer traf, das er im Gürtel ſtecken hatte, daran ab— prallte und weiter keinen Schaden that, als durch das Hemd zu gehen und den Hoſenbund durchzuſchneiden. Wir hatten kaum eine Minute geſtanden, als der erwartete Schuß fiel. Er war wiederum auf den erwähnten Matroſen gezielt; die Kugel ging hinten durch ſeinen Hemdenkragen, wunderbarer— weiſe wieder ohne zu verwunden. Wir antworteten ſofort mit einer vollen Lage, hatten jedoch noch nicht wieder geladen, als uns noch zwei Kugeln um die Ohren pfiffen, aber harm—

7

los hinter uns in das Waſſer fielen. Wir blieben die Er— widerung nicht ſchuldig, und unſere acht Kugeln knatterten in das Gebüſch, daß es eine wahre Freude war. Jetzt hörte das feindliche Feuer auf, entweder hatten wir getroffen oder eingeſchüchtert, genug, wir nahmen den günſtigen Augenblick wahr, um unſer Boot zu beſteigen und einige 100 Schritt vom Strande abzurudern. Wir mochten kaum 500 Schritt davon entfernt ſein, als vier braunrothe hohe Geſtalten, mit langem ſchwarzen Haar und bis auf einen Schurz um die Hüften vollſtändig nackt, aus dem Gebüſch auf den Strand heraustraten und nach der Stelle hingingen, wo wir gelandet waren. Sie trugen jeder eine lange Luntenflinte in der Hand, und ein großer Hund begleitete ſie. Wir hielten inne mit Rudern und nahmen ſie auf das Korn; da jedoch die ſchwan— kenden Bewegungen des Bootes kein genaues Zielen erlaubten, trafen wir nicht, wenngleich die Kugeln in ihrer unmittel— baren Nähe einſchlugen und dem Hunde ein Bein zerſchmettert wurde. Dieſe Wirkung erſchreckte ſie jedoch ſo, daß ſich ſofort alle niederwarfen und ſo ſchnell wie möglich auf allen Vieren in das Gebüſch zurückeilten. Ein fünfter, der hinter ihnen hergekommen war und wahrſcheinlich ſich als beſonders muthig zeigen wollte oder auch unſer ſchnelles Wiederladen nicht vorausſetzte, blieb kühn ſtehen. Wir nahmen diesmal genauer Ziel; es knallte, der Formoſaner ſprang hoch in die Luft und ſtürzte auf den Sand nieder; er hatte ſeinen Vor— wit mit dem Leben bezahlt.

Wir fuhren jest an Bord zurüd, und da das Schiff mit jeiner Breitjeite gerade nach dem Plate zugewendet lag, wo wir durch die Zweige der Bäume die Dächer von Hütten ſchimmern und Rauch aufjteigen jahen, bejchlojjen wir die Hinterlijt der Eingeborenen durch einige Kanonenfugeln zu beftrafen und damit zugleich noch unfere rücjtäindige Schieß— übung abzuhalten. Schon nah dem dritten Schuffe be-

8

merften wir, daß wir das richtige Ziel genommen hatten. Eine Menge Menfchen, darunter viele Weiber und Kinder, die fich hinter den Leibern von Ochjen, welche fie fortführten, zu fchüßen fuchten, flohen auf die höher und weiter im In— nern gelegenen Plateaux, zu denen fie jedoch nur gelangen fonnten, wenn fie auf den Strand herausfamen und einige taufend Schritt auf ihm entlang gingen. Sie befanden fich demnach gerade in unferer Schußlinie, und wenn wir hätten unmenfchlich fein wollen, fonnten wir mit Kartätſchen ein ſchreckliches Blutbad anrichten. Dies lag uns jedoch fern; wir richteten noch ein halbes. Dutend Kugeln auf das Dorf und begnügten uns mit diefer ausreichend erjcheinenden Be— ftrafung, um jo mehr, als wir ſelbſt feine Verluſte erlitten hatten.

Tach Dunfelwerden wurden wir nody einmal in eine kleine Aufregung verjett; auf allen umliegenden Plateaux und Berg- fuppen bis weit in das Innere flammten plötzlich Signalfeuer auf. Da wir am Strande Boote bemerft hatten, glaubten wir eine Zeit lang an einen beabjichtigten nächtlichen Angriff auf unfer Schiff und trafen alle nöthigen Vorbereitungen, um ihn mit der gehörigen Kraft abzumeifen. Es blieb jedoch alles ruhig, und obwol die Feuer die Nacht hindurch brannten, war während des ganzen nächiten Tags fein Eingeborener in der Nähe des Strandes zu fehen. Dagegen bemerften wir fie weit im Innern auf den Plateaur, die wir vom Schiffe aus mit unfern Fernrohren vecognofeiren konnten.

So endigte dies Kleine Abenteuer auf Formoſa, das zwar ohne biutige Folgen für ums und deswegen intereffant war, aber ung andererſeits die feltene Gelegenheit abfchnitt, die ihöne, faſt gänzlich unbekannte Inſel näher in Augenfchein zu nehmen. Wir mußten uns begnügen, jie von außen zu betrachten und ihre üppige Vegetation, ihre palmengefrönten Hügel und die majeftätifchen Höhenzüge zu bewimdern, die weiter im Innern die Gipfel zu den Wolfen emporfandten

9

und in jenen bläulichen Tinten ſchwammen, die den tropifchen Gegenden allein eigenthümlich find. Das Yand erhob fich von der Küfte an terraffenförmig auffteigend, und die einzelnen Hochebenen glichen Fünftlich angelegten Parfs mit Raſen— plägen, Bosfets und Waldung. Auf einigen weidete Vieh der Eingeborenen, auf andern bemerften wir Heerden der erwähn- ten Thiere, die uns gänzlich unbefannt waren, und die wir bald für Bären, bald für Affen hielten. Sie Hatten die Größe eines Schlächterhundes, waren lang geſchwänzt und bewegten fich jchwerfällig auf der Erde. Sobald ein ungemwohntes Geräuſch ihr Ohr erreichte, ſprangen fie im fliegenden Galop über die Ebenen und in ein paar Sätzen in die höchiten Bäume. Wie bedauerten wir, daß unfere fchöne Jagdpartie jo geftört worden war!

Formoſa liegt auf der Grenze des nördlichen Wendefrei- ſes; es erſtreckt fich in norböjtlicher Richtung zwifchen 120 bis 1229 Hftlicher Yänge von 21° 55° bis 25° 19° nördlicher Breite, aljo in einer Längenausdehnung von 51, bei einer Breite von 29 geographifchen Meilen. Sein Flächeninhalt beträgt ungefähr 1300 Duadratmeilen, ift jedoch nie feftge- jtellt, da das Land nur einmal ein halbes Jahrhundert hindurch den Holländern zugänglich war, feit der Mitte des 17. Sahrhumderts aber allen Europäern verichloffen ift. Was man vom Innern der Infel weiß, ift fehr wenig. Die Holländer hatten nur den nächjten Umfreis ihrer Colonien an der Weftjeite im Auge, und der einzige Europäer, welcher Formoſa befuchte und bejchrieb, ver polnifche Graf Benjowfti, der über Kamtſchatka aus Sibirien entfloh, Hat in feinen Schilderungen offenbar mehr Dichtung als Wahrheit gefagt. Man fan jedoch die Infel fast ganz überfehen, wenn man fie umfegelt, und daß fie ein fehönes und fruchtbares Land einfchließt, geht aus den koſtbaren Artikeln hervor, die fie theils nach China als Tribut, theils als Ausfuhr zum Han—

10

del in das Ausland fendet. Reis, Neispapier, Kampher und Indigo nehmen unter ihnen die erjte Stelle ein und fie gehen über den Hafen Keelung an der Nordſpitze der Infel theils noch Japan, theils über China nach Europa.

Das jogenannte Neispapier, durch die auf ihm ausge führten koſtbaren chineſiſchen Malereien auch in Europa befannt, wird lediglich auf Formoſa geivonnen, nicht aber aus Reis, wie ver Name andeutet, fondern aus dem Marfe einer bambusähnlichen Staude gefertigt, das in feiner Structur viel Aehnlichkeit mit vem Marke unfers Hollunver- baumes hat. Die Staude wird ganz jung in Töpfe ver- pflanzt und, nachdem fie eine gewiffe Stärfe erlangt, gekocht und von der äußern harten Rinde befreit. Das oft 2—3 Zoll im Durchmeffer haltende Mark wird dann in eine Dreh- banf eingefpannt und, während es fich wie eine Walze dreht, vermittelft eines jehr jcharfen, feinen und breiten Mefjers in Blätter gefchnitten, die fich der Yänge nach abheben oder vielmehr abrolfen. Die größten Bogen, welche die Confiftenz des Stoffes erlaubt, find 18 Zoll lang und 9—10 Zoll breit. Das fo gewonnene Papier ift außerordentlich weiß, zart, fpröde und fieht aus, als ob feine Beitandtheile zerftampfter Reis jeien, was wahrfcheinlich den Grund zu feiner Benennung gegeben hat. Zum Schreiben ift e8 gänzlich unbrauchbar, dagegen eignet es fich vortrefflich zum Malen, und die Reis- bilder find mit Recht durch ihre ungemeine Yarbenpracht be- rühmt, die wir in Europa vergebens zu erreichen trachten.

Alle Metalle und Kohlen follen überdies reichlich in den Gebirgen vorhanden fein. Das Yand ift durch einen Höhen- zug, der fich an verſchiedenen Stellen bis 12,000 Fuß erhebt, in eine öftliche und weftliche Hälfte geſchieden. Die lettere ift flach, eben und mit China durch eine Menge Feiner Inſelketten verbunden, deren bedeutendſte die Pescadores bilden, die aber ebenfo wie die ganze weftliche Hüfte faft gar nicht näher be-

11

fannt und bejtimmt find. Der öftliche Theil ift durchaus gebirgig, reich bewaldet und fällt ſehr fteil gegen das Meer ab. Bon dem mittlern Höhenzuge laufen im rechten Winkel zu diefem und parallel untereinander in ziemlich gleichen Zwifchenräumen Gebirgsrüden aus, in deren Thälern man überall reicheultivivtes Land, Dörfer und Städte erblidt. Die nördliche Spite ift wieder ziemlich flach, ebenfo die ſüd— liche, und beide erheben fich erjt drei big vier Meilen von der Küfte bedeutender. Die ganze Oftfeite befitst feinen einzigen Hafen; nur eine Fleine Bucht in der Mitte ver Küfte gewährt zweifelhaften Schuß gegen die Südweſtmonſuns. Ebenſo wenig haben wir dort ein Fahrzeug, fei es auch nur ein. Fiſcherboot, entdeckt, und es ift daher wahrfcheinlich, daß die Bewohner diefes Theils fich lediglich mit Aderbau und Vieh- zucht befchäftigen. Der erwähnte Hafen Keelung ift gegen alfe Winde gefichert, doch macht e8 Schwierigkeiten, ihn wäh— rend des Nordoſtmonſuns, der eine jchwere See vor ihm aufthürmt, mit Segeljchiffen zu verlaffen. An der Süd- und Weftfeite follen nach nautiſchen Angaben Feine Häfen fein. Ich bin jedoch anderer Anficht und überzeugt, daß bei näherer Unterfuhung ſich nicht allein an der Weſt-, jondern auch an der Süpjeite Häfen finden werden. Die Bucht, in der wir lagen, gewährte während des Nordoſtmonſuns vollftändigen Schub, war jedoch nah Süden offen und mithin weder gegen Südweſtwind noch gegen Teufun gefichert; dagegen bemerften wir zwei Meilen weftlicher einen tief in das Land gehenden Einfchnitt, der ein trefflicher Hafen zu fein fehien, und den ich unter allen Umftänden zu erreichen trachten würde, wenn mich einer der im diefer Gegend fo häufigen Teufune hier über- raſchen ſollte. An der Weftfüfte beſaßen die Holländer 50 Jahre lang eine Colonie, die jährlich von vielen großen Schiffen befucht wurde, und es ift faum denkbar, daß dies praftifche feefahrende Volk fih Dort angefievelt haben würde,

12

ohne einen guten Hafen zu finden. ebenfalls hat aber vie Weftfeite ver Infel vor China, Japan und allen umliegenden Ländern den großen Vortheil voraus, daß fie nicht von Teu— funen heimgeſucht wird und bis jett noch feiner dort beob- achtet ift. Im Chinefifchen Meere wandern die Teufune faft immer von Südoft nach Nordweſt, alfo im vechten Winfel zur Lage Formofas. Wahrſcheinlich werden fie durch den bie Inſel theilenden Höhenzug aufgehalten und abgeleitet. Mithin könnten an diefer Küfte ſchon bloße Rheden die Hä— fen erfegen, und e8 wäre wol der Mühe werth, in dieſer Be- ziehung genauere Forſchungen anzuftellen, um ein fo reiches ‚Land in den Bereich des Weltverfehrs zu ziehen und feine Schätze auszubeuten.

Formoſa wird von zwei werfchiedenen Raſſen bewohnt, von Eingeborenen und Chinefen. Erſtere bewölfern die öftliche Gebirgsgegend, lettere die weftliche ebene Hälfte. Die For- mojaner gehören zum großen malaiifchen Völkerſtamme, zeich- nen jich aber durch hohe Statur und Fräftige Musfelbildung aus. DBenjowffi fchildert fie gerade im Gegenſatz zu den Erzählungen fpäterer Reiſender, die der Zufall oder das Un— glüd an ihre Küften verſchlug. Sie follen jetzt ein durchaus ungaftliches, jedem Europäer feindlich gefinntes Volk fein, das auf feine Weife Verbindungen mit Fremden anfnüpfen will und vorläufig durch die Unzugänglichkeit feiner Küften gegen jeden Zwang in dieſer Beziehung gefhüst if. Mean könnte nur von Keelung aus zu ihnen gelangen, denn der Höhenzug bildet gegen Weften eine umüberfteigliche Schranke. Mit den Chinefen liegen fie ebenfalls bejtändig im Kriege und über- fallen fie unvermuthet von den Bergen aus, ſodaß diefe nur in größerer Anzahl und bewaffnet ihre fern gelegenen Aecker bebauen fünnen.

Die Chinefen find nämlich die Ufurpatoren der weftlichen Hälfte von Formofa, und am ihre Erfeheinung knüpft fich die

13

Bertreibung der Holländer. Zur Zeit als dieſe noch die Herrfchaft der Meere allen andern Nationen ftreitig machten und namentlich die Portugiefen aus ihren oftindifchen Beſi— sungen zu vertreiben juchten, zu Anfang des 17. Jahrhun— derts, wollten fie ihren Handelsverfehr auch auf China aus- dehnen und machten der Regierung des Kaiſers darüber Eröffnungen; jedoch erjt nach 10 Jahren, 1624, gelang es ihnen, ihren Zwed zu erreichen. Mit Hülfe von Batavia aus nahmen fie einen Theil der formofanifchen Weſtküſte in Beſitz und gründeten eine Kolonie, die durch eine ftarfe Seftung, Zeeland, gefchütt wurde. Die neue Nievderlaffung gedieh ungemein und erweckte durch ihr fchnelles Emporblühen nicht allein den Neid der Portugiefen und Spanier auf Ma- cao und Manila, ſondern auch der Chinefen, die, von jenen angereizt, ven Holländern jett wieder die Handelsfreiheit ent- zogen. Letztere züchtigten indefjen den Vertragsbruch durch ihre Flotten auf jo energiiche Weile, daß China es gerathen fand, andere Saiten aufzufpannen. Gegen Aufgabe der Pes- cadores-Inſeln, welche die Holländer befetst hatten, wurde diefen unbedingte Handelsfreiheit zugeftanden. Die Holländer be- gannen nun zunächſt die Eingeborenen der Infel Formofa zu eivilifiven und ſich unterthänig zu machen. Ste gründeten Reſidenzſchaften im Innern, wie auf Java, gingen mit den einheimifchen Fürjten Bündniſſe ein, und ohne die Unvernunft und die Starrföpfigfeit eines ihrer Admirale würde Formofa wahrjcheinlich Heutigentags ein zweites Java fein.

Im Jahre 1644 fiel Peking und mit ihm alle nördlichen und ein Theil der füdlichen Provinzen in die Hände der Ta- taren, die, von Norden her eindringend, mit einer Hand voll Leute China eroberten. Infolge deffen wanderten 25000 chi— nejiihe Yamilien nach Formofa aus. Diefer Zuwachs an arbeitfamen und induftriellen friedlichen Menfchen war ven Holländern anfangs fehr erwünfcht, und fie ermuthigten fogar

14

die Einwanderung. Schließlich jedoch wurde es ihnen zu viel, obwol jie, jet aber vergebens, dem Strome Einhalt zu thun verſuchten.

Ein chriſtlicher Chineſe aus Macao, Nikolaus mit Namen, und anfänglich ein bloßer Kuli, war durch Handel mit den Europäern einer der reichſten Leute in China geworden. Als die Mandſchu fein Vaterland überſchwemmten, rüſtete er in edlem Patriotismus eine eigene Flotte gegen fie aus und be- fümpfte fie mit entfchievdenem Erfolge. Bon allen Seiten ſtrömten ihm Schiffe zu, und bereits nach einem Sahre jtand er als Admiral an der Spite einer 300 Fahrzenge jtarfen Flotte. Nach verfchiedenen gewonnenen Schlachten wurde er mit dem Anerbieten eines hohen Ranges nach Peking an den Hof gerufen. Er fonnte der Verfuchung nicht widerftehen, nahm es an und übergab das Commando feinem Sohne Kuaſching, von den Bortugiefen Koſchinga genannt, welcher der chinefifchen Sache treu blieb. Nach drei bis vier Jahren wußten es indeffen die Tataren durch Berrätherei jo weit zu bringen, daß er die chineſiſchen Küſten verlaffen mußte, und er zog ſich 1650 mit feinen Scharen nach dem großen und fruchtbaren Formoſa zurüd.

Die Holländer machten fich jest auf Krieg gefaßt und verftärkten die Beſatzung von Zeeland. Solange Kuafching feine Kämpfe gegen China fortfette, blieben fie noch unbe- läftigt, nachdem er jedoch 1660 vor Nanfıng eine totale Nieder- lage erlitten, blieb er gänzlich auf Formoſa und gründete ein eigenes Königreich. Der Gouverneur hatte um Hülfe nach Ba— tavia gejchrieben. Die Beſatzung von Zeeland ward darauf auf 1500 Mann gebracht, und die erbetene Flotte von 12 Schif- fen traf in der Colonie ein. Kuaſching heuchelte die freund- Ihaftlichften Gefinnungen, und obwol der Gouverneur ihm durch— aus nicht traute, Tieß fich doch der holländische Admiral voll- jtändig durch feine Freundfchaftswerficherungen täufchen. Da,

15

der Admiral verflagte jogar den Gouverneur wegen Feigheit und falſcher Rapporte, und dieſer wurde deshalb 1661 zur Verant- wortung nach Batavia citirt. Der Admiral felbft ging mit feinen Schiffen nah Amoy, um dort gegen die Portugiejen zu kämpfen.

Kurz nach Abgang der Flotte indefjen erfchien Ruafching mit 20000 Mann vor Zeeland, blofirte e8 und fehnitt die Berbindung zwifchen ihm und einer andern fejten Pofition ab, welche die Mündung des Fluffes beherrfchte, an dem die Hauptfeftung erbaut war. Die Holländer machten mit 400 Mann einen Ausfall, wurden jedoch zurücgefchlagen. Auch zwei Kriegsjchiffe, die noch im Hafen lagen, litten jehr; das eine wurde durch Brand zeritört, dem andern gelang es jedoch zu entfliehen und mit den Nachrichten nach Batavia zu jegeln.

Unterhandlungen führten zu nichts; das Fleine Fort mußte jih nach 8 Tagen ergeben, das große hielt tapfer aus, und Kuafching mußte e8 regelrecht belagern. Die Holländer wa— ven jedoch furchtbare Feinde; ihr Geſchützfeuer richtete ent- jetsliche Berlufte unter den Chinefen an. Kuafching wurde infolge defjen zur Aufhebung der Belagerung gezwungen und mußte fich nur auf eine enge Blokade bejehränfen. Er ver- wüftete jetst die ganze Umgegend, machte alle Kefidenten und Beamte mit ihren Familien zu Gefangenen und behandelte fie fehr graufam. Einer der erftern, deſſen Frau und Kinder fich gleichfalls in Feindesgewalt befanden, wurde in das Fort geſchickt, um es zur Webergabe aufzufordern, widrigenfalls mit der Ermordung ſämmtlicher Gefangenen gedroht wurde. Ein zweiter Regulus, mahnte jedoch der fühne und patriotifche Mann zur Ausdauer, fehrte zurüd und wurde mit allen Uebrigen niedergemacht. Indeſſen langte Succurs von Batavia an; 700 Soldaten famen an, und die Belagerten gingen zur Dffenfive über. Weiber und Kinder wurden nach Batavia gefchieft, und Kuafching wäre wahrfcheinlich vernichtet worden,

16

wenn nicht der neue Gouverneur im Einverftändnig mit dem Admiral die Unklugheit begangen hätte, fünf ver Schiffe dem tatarifchen Vicekönig von Fukien gegen die Chinejen zu Hilfe zu ſchicken, wogegen dieſer nach erfolgtem Siege jeinerfeits Hülfe gegen Kuaſching verſprach. Drei der Schiffe gingen in einem Zeufun verloren, und die beiden andern Ffehrten ichwerbefchädigt nach Batavia zurück. Kuafching war zufrie- den, feine Feinde fo geſchwächt zu jehen; ein Deferteur ver— vieth einen ſchwachen Punkt der Feſtung, fie wurde dort von rei Batterien angegriffen. Bald war Breſche gelegt und von feiten der Chinefen der Sturm befchloffen. Der Kriegsrath der Holländer erflärte Zeeland für unhaltbar. Nach neun- monatlicher Belagerung und einem Berlufte von 1600 Mann wurde Formofa: aufgegeben, und 1662 kehrten die tapfern Bertheidiger nach Java zurüd.

Kuaſching wurde unabhängiger Fürſt von der Wejtjeite Formofas. Im Jahre 1683 erkannte jedoch fein Enfel die Dberherrfehaft ver Tataren an, und feit jener Zeit ift die Weſthälfte ver Infel eine tributäre Provinz von China. Seit dem Abzuge der Holländer ift feine fremde Macht mit For- mofa in irgendwelche Verbindung getreten. Bet dem Um— ſchwunge der Verhältniffe in China und der bevorjtehenden Theilung des Reichs wird wol auch Formofa in den Vor— dergrund treten. Wie die Kohlenlager von Japan den Ameri— fanern den Vorwand fir die Deffnung jenes Reichs gaben, werden auch wol bald wegen der Kohlen fich Liebhaber für das harmlofe Formofa finden. Rußland, England und Franf- reich werden nicht ſäumen, feinerzeit Befchlag darauf zu legen. Berfäume Deutfcehland nicht, gleichzeitig zuzugreifen. Eine Golonie von einigen hundert Duadratmeilen des Fruchtbarften Landes mit Kohlen und Metallſchätzen dürfte für ung nicht zu verachten fein, wenn wir fie umſonſt befommen können!

20.

Ankunft der Elbe vor Nangaſaki. Die Naturfhönheiten der Bai. Be: nehmen und Berlegenheit der japanifchen Behörden. Vereinigung der Elbe mit dem preußiſchen Gejhwaber zu Jeddo. Die Berhandlungen des Grafen Eulenburg mit der japanijchen Kegierung. Einzug des Gefandten in Jeddo und Audienz beim Minifter des Auswärtigen. Ungünftige Lage der Dinge, Die geographiichen und politifchen Umriffe des Landes. Verkehr und Stellung der Fremden in Japan in früherer I

Zeit.

Nach zweitägigem Aufenthalt an unſerm Ankerplatze legte ſich endlich die Wuth des Sturmes und wir konnten unſere Reiſe fortſetzen. Der günſtige Golfſtrom half uns bedeu— tend vorwärts, und am 16. November ſagten wir der Küſte von Formoſa, in deren unmittelbarer Nähe wir uns vier Tage aufgekreuzt hatten, Lebewohl. Je nördlicher wir kamen, deſto ſchwächer wurde der Monſun, und am 20. November erblickten wir Cap Gotto, die weſtlichſte Spitze Japans. Das Ziel war erreicht, wir hatten die Reiſe von Hongkong nach Japan in 20 Tagen zurückgelegt, drei Tage weniger als bisher irgendein Segelſchiff die Tour gegen den Nordoſt— monſun gemacht hat. Von Cap Gotto erſtreckt ſich eine nach Norden gebogene Inſelkette in Curvenform bis an das Feſt— land von Japan und bildet eine ſchöne Bai, die gegen die faſt immer hier herrſchenden Nordwinde vortrefflichen Schutz gewährt. Sie iſt ver Tummelplatz für Tauſende von Fiſcher— booten, die hier außerordentlich reiche Beute finden und Nanga-

Werner. I, 2 :

18

fafi, ſowie alle weftlichen Theile Japans und auch China mit Nahrung verforgen. |

Wir ftenerten ganz nahe unter Gotto hin, um das fich einige kleine Infeln gruppiven. Trotz der vorgerüdten Jah— vegzeit prangten die Waldungen, welche alle Berge und Thä— fev überziehen, noch in vollem Blätterfchmud, und dieſe herbft- liche Färbung des Laubes trug nur dazu bei, die Neize der Scenerie zu erhöhen. Einen eigenthümlichen Anblie gewährten die Kuppen aller Hügel und Berge, die, ſoweit das Auge reichen fonnte, überall mit einer Reihe hochitämmiger Fichten bepflanzt waren. Anfangs glaubten wir, es führten Chauffeen dort entlang; ſpäter bemerften wir jedoch die Erfcheinung in ganz Japan und brachten in Erfahrung, daß die Spiten der Berge als Wohnfite des Waldgottes betrachtet und deshalb mit der im Lande heilig gehaltenen Fichte zur Ehre des Got- tes bepflanzt werden.

Ein günftiger Wind brachte uns bald vor die 15 Meilen öftlich von Gotto gelegene Bai von Nangafafi. Um 4 Uhr fam ein Lootfe an Bord, eine Stunde ſpäter befanden wir uns in der Bat, und um 6 Uhr anferten wir bei einer von den Holländern Papenberg genannten, zuderhutförmigen In— jel, bei der die Bat eine rechwinflige Biegung nad) Norden macht, und von der aus man ihre innere Hälfte mit der Stadt Nangaſaki und ihren Umgebungen überfehen fann.

Wir hatten bereits viel von der Schönheit des Hafens gehört; unfere Erwartungen wurden aber bei weiten durch die Wirklichkeit übertroffen, und ſoviel ich auch in der Welt umbergefommen bin, erinnere ich mich nie etwas Achnliches gejehen zu haben. Rio-de-Janeiro, Lilfabon, Konftantinopel werden als die drei ſchönſten Häfen der Welt gerühmt, und ich habe bis jetst auch dieſe Anficht getheilt; aber die Einfahrt von Nangaſaki übertrifft fie alle bei weiten. Es fcheint als ob die Natur hier alles concentrirt habe, was fie an roman—

19

tifcher Schönheit, Kieblichfeit und Großartigkeit hervorzubringen vermag, und menſchliche Kunft hat, wenn auch unbewußt, die Harmonie des Ganzen vollendet.

Die Bat ift 2 Meilen lang und erjtredt fich, wie bereits bemerkt, in einem vechten Winkel, deſſen Spite der Papenberg bildet. Bon außen geht fie bis zu diefem Punfte trichterför- mig zu und wird bei der Injel nur etwa 1500 Schritt breit. Alsdann erweitert fie fich wieder zu einem fFreisförmigen Beden, an deſſen Bafis Nangaſaki erbaut ift. Nechts vom Eingange Tiegen verjchiedene Fleine Inſeln, das linke Ufer bildet das Feftland, und der ganze Hafen ijt gleichfalls von dem letztern eingejchlojfen. Die Ufer jelbjt find hoch und erheben ſich höher, je weiter man nach innen fommt, bis fie im Hintergrunde der Stadt zu 2—3000 Fuß emporfteigen und ihre Spigen jich in den Wolfen verlieren. Alle Berge und Hügel find reich bewaldet. Zwijchen ihnen öffnen fich lieblihe Thäler, welche die reizendſten Fernfichten gewähren und durch ihre reiche Cultur, die bis zu einer Höhe von 1000 Fuß die Abhänge terraffirt und bepflanzt hat, ebenfo den Blick fejjeln, wie die einladenden und reinlichen Dörfer, die, zwifchen gefiedertem Bambusgehölz, dem dunkelrothblätteri— gen Zuderohre, dem faftgrünen Laube des Wachsbaumes mit jeinen afaztenähnlichen Blättern oder zwifchen Obftbäumen theilweife verfteckt, bald won einem Plateau auf uns herab- ihauten, bald in Heinen Buchten erbaut waren, welche ein goldgelber Sanpftrand wie ein Gürtel umfpannte. Auf den Spiten der verfchiedenen Hügel jtanden Fleine Wachthäufer mit ihren Telegraphenftangen, die mit Signalen unfere Anz funft der Hauptftadt verfündeten. Bon einer der den Eingang beherrfchenden Batterien, die jo von Bäumen eingefchloffen waren, daß wir fie gar nicht bemerkt hatten, donnerten zwei Schüſſe; ihnen folgten bald darauf vier andere, deren Echo taujendfach in den Bergen und Schluchten widerhallte. Die

2*

20

erften beiden verfündeten, daß ein Schiff in vie Bai laufe, die vier andern, daß das Fahrzeug einer fremden Nation an- gehöre, die noch feinen Vertrag abgejchloffen habe. Weiter nach Norden an ver Bafis der Bai wurden die Dörfer und Häufer gedrängter. Ganz hinten lag Nangaſaki mit feinem Häufermeere in einem Thale zwifchen zwei mächtigen Bergen, unmittelbar vor ihm die kleine Infel Defima, die Nieverlaf- jung der Holländer, die 200 Jahre lang ihr Gefängniß ge- wejen ift. Rechts wehten die Flaggen der Amerikaner, Engländer, Franzofen und Portugiefen über ihren verfchiede- nen Anſiedelungen, die ihnen vertragsmäßig zuerfannt find, und die fich durch romantische Yage auszeichnen. Links von der Stadt befindet fich der innere Hafen mit den fremden Handels- und Kriegsichiffen und den Dichonfen des Landes; weiterhin wehte die Flagge des ruffiihen Confuls, und an fie jchloffen fich die dampfenden Schornfteine ver Mafchinen- fabrif, welche die japanefifche Regierung feit zwei Jahren bat erbauen laſſen.

Was an der Bai das Auge fo bejonders fejlelt, ift die Pieblichfeit ihrer Ufer und ihre verhältnißmäßig geringe Aus- dehnung. Ohne daß man fie Flein nennen könnte, überjchaut man auf einmal alle ihre Schönheiten und wohin man blickt, eriftirt fein Punkt, den man fich anders wünſchte. Alles ift fo zart, jo zierlich geformt, daß man fich verjucht fühlt, die ganze Yandfchaft für die plaftifche Nachbildung eines großar- tigen Modells zu halten und fie auf den Nipptifch zu ftellen. Es kann nichts Schöneres geben als dieſe nahen Yernfichten, diefe Miniaturhäufer mit ihren Feldern und Gärten, deren Fuß das tiefblaue Meer befpült, in deſſen fpiegelglatter Fläche die Uferhöhen ihr Bild reflectiven.

Wir hatten bereits erfahren, daß Graf Eulenburg wäh- rend feines dreimonatlichen Berweilens in Jeddo noch feinen Schritt hätte vorwärts thun können, und daß es Deshalb

21

jehr zweifelhaft erfchiene, ob überhaupt ein Vertrag zu Stande fommen würde. Bei der fcehroffen Erelufivität des japanifchen Charafters war zu fürchten, daß der Gouverneur von Nanga- fafı unter folchen Umſtänden wahrjcheinlich unfer längeres Blei— ben nicht gejtatten, befonders aber ein näheres Heranfommen an die Stadt verbieten würde,

Um diefen Befürchtungen ein fait accompli entgegenzu- jegen, das, wie überall in der Welt, fo auch in Japan fich Geltung zu verichaffen weiß, fuhr der Kommandant, als er ein Boot mit Negierungsbeamten auf das Schiff zukommen ſah, nach Nangafaki, um für den nächften Morgen einige drei- Big Bugfirboote zu beftellen, welche die Elbe hinauffchleppen follten. Er jelbft aber blieb während der Nacht am Lande, um jeder Collifion mit den Behörden aus dem Wege zu gehen. Die Beamten beftiegen indeſſen das Schiff, erfundigten ih durch einen Holländisch redenden Dolmetjcher mit inquifi- torifcher Genauigkeit nach allen möglichen Sachen und hinter: ließen vorläufig ein Hafenreglement, nach dem jede Commu— nication mit dem Lande unterfagt und die weitere Beftimmung über das Schiff von der Entjcheidung des Gouverneurs ab- hängig gemacht wurde.

Am andern Morgen mit Tagesanbruch Famen indefjen die Bugfirboote, und die überrafchten Beamten, welche uns gegen 7 Uhr an unferm alten Plage auffuchen wollten, fahen zu ihrem großen Schreden uns in unmittelbarer Nähe der Stadt vor Anker, Sie kamen ſehr entrüftet an Bord; wir begegneten ihmen jedoch mit einer jo ausgefuchten Höflichkeit, daß die von Haus aus fo wohlerzogenen Leute fich beichämt anfahen und ihre zornigen Aufwallungen fofort unterdrüdten. Sie hatten vergeffen zu jagen, daß das Schiff feinen Ort nicht verlaffen dürfe und daher ihr anfänglicher Aerger. Jetzt kam eine Drdre vom Gouverneur, die Elbe habe den Hafen fofort zu verlaffen, da Preußen mit Japan in feinem

22

Bertrage ftehe. Der Kommandant erwiderte, es thue ihm leid, dem Wunfche des Gouverneurs nicht nachkommen zu fönnen, da er nach ver Ordre feines Geſchwaderchefs in Nan- gaſaki deffen weitere Befehle abzuwarten habe und deshalb unter allen Umftänden bis zu deren Eintreffen hier verweilen werde. MUebrigens ſehe er feinen vernünftigen Grund für das Erjuchen des Gouverneurs, da doch der preußifche Ge- jandte feit drei Monaten mitten in Jeddo wohne und das preußifche Geſchwader ebenfo lange auf der Rhede ver Haupt- ſtadt vor Anfer liege. Nach diefen Erörterungen, die übrigens bei einem Glaſe Wein und einer Cigarre freundfchaftlichit abgehandelt wurden, Liegen die Beamten den Gegenftand fallen, brachten dafür aber andere Forderungen auf das Ta- pet, die theils abgelehnt, theils bewilligt wırden. So z. B. wurde verlangt, daß niemand von der Beſatzung mit dem Lande communiciren folle. Als dies entfchievden verweigert wurde, bejtanden die Beamten nicht weiter darauf; dagegen wurde unfererjeitS zugegeben, daß außer dem Boote des Com- mandanten fein anderes Schiffsboot ans Land fahren dürfte, ſondern die Communication mit leßterm durch Negierungs- fahrzeuge vermittelt würde. Zuletzt fehieden die Beamten in freundfchaftlichfter Weife, ımd alle Meinungspifferenzen waren zur beibderfeitigen Zufriedenheit ausgeglichen. * Wir gin- gen an das Land, umd der Commandant war eben im Begriff, dem Gouverneur feine Nufwartung zu machen, als von Jeddo für die Elbe der Befehl des Geſchwaderchefs eintraf, fofort dorthin abzugeben. Die beabfichtigte Bifite wurde unter die— jen Umftänden aufgegeben und alles fertig gemacht, um an— dern Tags in See zu gehen. Niemand fchien indeſſen dieſe Nachricht ungenehm zu fein als nen Beamten, die in umnferer Abreife die Löſung vieler Schwierigkeiten erblickten, in welche ſie die Ankunft des Schiffes und unfere Entjchievenheit, zu bleiben, zu verwiceln drohten. Wol drei» bis viermal erkun—

23

digten jie fich angelegentlih, ob wir noch nicht fort wollten, und als fie am Abend jahen, daß wir noch immer feine An- ftalt zur Abreife trafen, wurde ein enger Gordon von Wactbosten um die Elbe gezogen. Wir ignorirten dies jedoch volljtändig, hörten weder auf die Anrufe der Boote, noch Tiefen wir uns abhalten, ferner mit dem Lande zu commumniciren, und hatten durch dieſe Handlungsweiſe ven Bortheil, daß uns niemand ernftlich anzuhalten oder zu be- heiligen wagte. Am andern Mittag verließen wir den Hafen; wir fonnten wegen unfers kurzen Anfenthalts die Stadt nur im Fluge betrachten und fie in ihren allgemeinjten Um— riffen Fennen lernen. Wir glaubten nicht, daß wir noch ein- mal zurücfehren würden und benugten die Zeit, um alle die Sachen und Sächelchen einzufaufen, welche in Nangafafi am beiten zu haben find. Porzellan und die berühmten Lackwaa— ven wurden ansgewählt, bis die volljtändige Ebbe in der Kaffe ein Veto einlegte, und unjere Kammern füllten fich mit den faubern Kitchen, im welche jeder wenn auch noch fo geringfügige Artifel von den Japaneſen verpadt wird.

Es war gerade die Zeit der Apfelfinenernte, und auch verschiedene Taufende diefer Ichönen Frucht wurden an Bord geſchafft, um auf der bevorftehenden Reife unfere Mahle zu würzen. Dei jchwachem nördlichen Winde fagten wir am 25. November mit traurigen Mienen der Tieblichen Bai Lebewohl, von deren Umgegend wir uns bei der Ankunft fo vieles verjprachen, die wir aber nur von Bord hatten an- Ihauen können.

Fünf Monate jpäter, als alles im fehönften Frühjahrs- ſchmuck prangte und blühte, Fehrten wir nach dem paradiefi- ihen Hafen noch einmal zurüd, um vier Wochen dort zu verweilen und ung feiner Schönheiten im vollften Maße zu erfreuen. Ich übergehe deshalb vorläufig hier die nähere Schilderung der Stadt, um fie fpäter wiederaufzunehmen.

24

Seit Hongkong ſchien e8 das Schidfal ver Elbe zu fein, mit widrigen Winden zu kämpfen. Sobald wir die Bai verlaffen hatten, begann das Kreuzen wieder und die Tour nach Jeddo war nur eine Fortjegung des fchwierigen Wegs von China nach Nangafafi, die durch die Unzuverläffigfeit der Karten noch gefahrorohender wurde. Am 27. November paffirten wir die Südfpite Japans, Cap Tfchitfchafoff, Tiefen durch die Bandiemensftrake, jahen zu unferer Rechten des Nachts eine prachtoolfe Feuerfäule aus einem der Infelvulfane aufiteigen, und gelangten nach ftürmifcher Fahrt am 3. December vor Die Bai von Uraga, die das äußere Beden der Bucht von Jeddo bildet. Mit anbrechender Nacht anferten wir im Hafen von Yokuhama, einer jeit wenigen Jahren mit californifcher Schnelligfeit emporgewachjenen Stadt, die wegen ihrer für die Schiffahrt günftigern Lage ſtatt des in den Verträgen jtipulirten und zwei Meilen weiter nordweſtlich gelegenen Kanagava als Handelshafen von Jeddo gewählt ijt, bis das letztere im Jahre 1863 eröffnet werden wird. Das Gefchwa- der befand jich auf der Rhede von Jeddo; unfern Befehlen gemäß gingen wir am nächiten Morgen dahin ab und trafen am zweiten Tage wohlbehalten bei ven Schiffen ein.

Die Arkona war mit der Gefandtichaft am 4. September abends vor Jeddo eingetroffen, und die Thetis langte am 14. d. M. ebendafelbft an, ohne irgendwelche" Stürme gehabt zu haben. Kurz nach der Anfunft ver Arkona erfchien ein Boot mit japanischen Beamten, um fich nach der Nationali- tät des Schiffes zu erkundigen, und am folgenden Tage ein zweites Boot mit einem Dolmetjcher, um alle andern mögli- hen Erfundigungen über Geſandtſchaft, Schiff, Zwecke der Expedition u. j. w. einzuziehen und anzufragen, ob die Ar- fona Kohlen und Waffer bedürfe. Zugleich ftellten der ame- rikaniſche Gefchäftsträger, Harris, und der franzöſiſche, Duchesne de Bellecourt (der englifche Minifterrefident Alcod war ver:

25

reift), dem Grafen Eulenburg auf zuvorfommende Weife ihre Wohnungen zur Dispofition. Der Gefandte lehnte dies Anerbieten jedoch ab und drüdte in einem Schreiben an dei japanefifchen Minifter des Auswärtigen den üblichen Wunfch aus, ihm eine pafjende Wohnung anzumweifen. Noch am felben Abend erfolgte durch einen Vicegouverneur der Stadt die mündliche Antwort, daß ein Haus zur Aufnahme des Gefandten und feines Gefolges eingerichtet und am nächſten Mittag in Drdnung fein werde. Da der Gefandte jedoch auf einer ſchriftlichen Benachrichtigung durch den Minifter der auswär- tigen Angelegenheiten bejtand, jo erfolgte diefe am nächjten Tage. Dem japanefifchen Driginal des Briefs war eine holländifche Ueberfegung beigefügt, beides in einer Holzichach- tel befindlih. Der Einzug des Gefandten in Jeddo wurde auf ven 8. September fejtgefett, und am Morgen diefes Tages erichien ein höherer Beamter, um Graf Eulenburg ang Land

zu geleiten. Sein Abgang vom Schiffe wurde durch 17 Sa- lutſchüſſe der Arkona begleitet, die außerdem mit Flaggen decorirt war. Am Landungsplage, wo japanefische Offiziere zum Empfange des Gejandten bereit ftanden, bildeten die Seejoldaten und Matrofen der ihn begleitenden Boote Spa- lier, und Graf Eulenburg beftieg eins der Pferde, welche von den fremden Diplomaten der Gefandtfchaft zur Verfü— gung geftellt worden. Nachdem auch die übrigen Mitglie- der der Expedition beritten gemacht waren, fette fich der Zug in Bewegung.

Doran ging die Mufif, dann folgte “ein Detachement von AO Seefoldaten, hierauf der Gejandte mit dem Geſchwa— derchef, Kapitän Sundewall, ſämmtliche Herren der Beglei- tung und mehrere Dffiziere der Arkona; den Schluß bildete ein Detachement Matrojen. Der Zug ging eine einzige gerade Straße entlang durch einen Stadttheil, der zu den weniger Ihönen Jeddos gehört. Aus allen Häufern famen Neugierige

26

herbei, und augenscheinlich machte auf die gaffende Bevölkerung die militärifche Haltung der preußifchen Seefoldaten mit ihren Helmen und Gewehren ven lebhafteſten Eindruck.

Bei der Ankunft des Zugs vor Afabani, dem für die Geſandtſchaft eingerichteten Haufe, das jehr geräumig und veinlich gehalten war, marfchirten die Seefoldaten und Ma— trofen durch die geöffneten Thore in den Hof, wo unter mi- litäriſchem Salut an einer Flaggenftange die preußifche Flagge aufgehißt wurde.

Nah einem im Empfangsjaale eingenommenen Frühjtüd, das aus Obſt, Thee und Kuchen beftand, erfchienen die beiden Gouverneure Safai-vfinoscami und Horisoribesngscami mit einem officiellen Spion, dem Dolmetſcher Morijama Zafitrigo, und zahlreichen Gefolge. Beide beglückwünſchten den Gejandten im Namen der Regierung wegen der glüdlichen Ankunft und überreichten demſelben einen ladirten, veichvergolveten Kajten mit Confituren zum Gefchenfe. Zugleich machten die Gou- verneure dem Gefandten nach einer Menge Höflichkeitsphrafen ven Borfehlag, mit ihnen fogleich wegen Abſchluß eines Han- delsvertrages in Unterhandlung zu treten, wozu fie bevoll- mächtigt feien. Der Geſandte erflärte jedoch, zuvor erſt einem der Minifter vorgeftellt werden zu müffen. Die ganze Unterhandlung wurde von japanefifchen Beamten, die hinter den Gouverneuren faßen, aufgezeichnet. Während des Ab- ichieds der Gouverneure, denen von der im Hofe aufgeftellten Mannfchaft die militärifchen Honneurs zu ihrer großen Be— fviedigung erwieſen wurden, zeigte man denfelben auf ihren Wunſch ein Zündnadelgewehr. Die Leichtigkeit und Einfach— heit des Ladens feßte fie in nicht geringes Erftaunen. Uebri— gens hatten fie ein ſchnelles Verſtändniß für die Wirkung der durch Friction der Nadel hervorgebrachten Entzündung des Schuffes; fie begriffen fogleich die Aehnlichfeit des Vorgangs mit dem Reiben und Entzünden eins Zünphölzchens. Nach

27

der Entfernung dev Gouverneure fehrten die Matrofen und Seefolvaten, letztere bis auf eine Leibwache des Gefandten von 10 Mann, an Bord der Arkona zurüd.

Am 9. wurde der Geſandtſchaft ein japanefifches Bewill— fommnungsdiner jervirt. Am 10. brachten die beiden erwähn- ten Gouverneure Graf Eulenburg die Nachricht, daß er am 14. vom Minifter des Auswärtigen werde empfangen werden, und am 13. waren beide Herren bei unferm Gefandten zum Diner. Sie erjchienen mit ihrem Spion und dem Dolmetfcher. Der eine derjelben verrieth eine jeltfame Wißbegierde, notirte fih mit großer Sorgfalt jeden auf dem Tifche befindlichen Gegenftand, die Reihenfolge der Speifen, widelte fich außer— dem eine Probe von jedem Gerichte in Papier und ſteckte alles grawitätifch zu fich. Bei ihrer Anfunft hatten die Gou- verneure ein Gejchenf von Thee und Eiern mitgebracht. 2egtere gelten als Gefchenf für glücbeveutend und ſegen— bringend, während ein Gefchenf von Thee allein nur bei Todesfällen üblich it. Am 14. September nachmittags 2 Uhr fette fich vom Gejandfchaftshaufe aus der Zug in Bewegung, um fich nach der Wohnung des Minifters des Auswärtigen zu begeben. Der Weg dahin wurde dem Herfommen gemäß in Sänften (Norimons) zurüdgelegt. Acht Träger trugen den Gefandten, dem der amerifanifche Minifterrefident feine Sänfte ftatt ver unbequemen japanischen zur Dispofition ges jtellt hatte. Bor dem Zuge wurde die Sänfte eines ven Weg zeigenden japanifchen DOffiziers getragen, dann folgten 2 Matroſen mit der preußifchen Flagge, von 2, Seefoldten begfeitet. Hiernächſt fam die Sänfte des Gefandten, Hinter diefer 2 Diener, dann das von einem Diener geführte Pferd des Gefandten. Den Schluß machte das aus 9 Perſonen beftehende Gefolge des Grafen, theils in Sänften, theils zu Pferde. Zehn Jakonins (Polizeioffiziere) begleiteten den Zug und forgten für die Ordnung. Nachdem der Zug an dem

28

vornehmern, ven faiferlichen Palaft umgebenden Stadtviertel angefommen, paffirte er eine Brüde und gelangte durch ein bewachtes Thor unter einen mächtigen aus Rieſenblöcken ohne Mörtel gebildeten Wall. Ein ziveiter breiter Graben wurde hierauf überfchritten, und hinter einem zweiten Wall und Thor zeigte fich ein dritter Wall nebjt Graben. Diefer innerfte Kaum, ver die Schlöffer des Kaifers einfchließt, durfte jedoch nicht betreten werden und iſt jedem Europäer verjchloffen. Der Zug langte endlich vor einem maſſiven Thore an ber Weg bis dahin war etwa eine Stunde lang und bie Preußen wurden zu Fuß in einen Hof und über einige Stu— fen in ein Haus geleitet. In dem Vorzimmer deſſelben empfin- gen die beiden Gouverneure den Gefandten umd führten ihn nebjt feiner Begleitung in das Audienzzimmer. Hier empfing ihn der Minifter des Auswärtigen, Ando-Ruſima-no-cami, von dem fogenannten jüngern Neichsrath umgeben. Nachdem das Gefolge vorgeftellt war und fich dem Ceremoniell gemäß in das Nebenzimmer zurücgezogen hatte, beganı die Audienz. Auf der einen Seite nahm der Gefandte, der Attache du jour der Legation und der Dolmetscher des amerifanifchen Reſi— denten, auf der andern ver Minifter nebſt dem Neichsrathe Platz. Bor jever Perſon ftand ein Tiſchchen mit Thee, Ku— hen und Obſt. Auf einem befondern Stuhle nahm abwech- felnd einer der Gouverneure Pla, einige andere Gouverneure (Jeddo zählt deren mit den Vicegouverneuren 10 und aufßer- dem einen für jede faiferliche Stadt) befanden fich in ber Entfernung; in der Mitte des Zimmers ſaß der japanifche Dolmetfcher, während hinter dem Minifter 2 Perjonen auf dem Boden fauerten, amnfcheinend ohne alle Beichäftigung. Während des Gefprähs, das fih anfangs um allgemeine Gegenftände bewegte, wurde von Dienern, die feierlich und feife einer Hinter dem andern herfchritten, Thee in ladirten Taſſen fervirt, welche die Diener in der Höhe des Kinns

29

trugen. Aus Rückſicht auf europäifche Gewohnheiten wurde auch Zuder gegeben. Der Anzug des Minijters und der Reichsräthe war fehr geſchmackvoll. Ueber einem fehr fchönen Dberfleide von Seide trugen fie eine Art Mantille von ſchwarzem Krepp. Das fichtbare Untergewand war gleichfalls in Stoff und Farbe fehr geſchmackvoll. Nach einigen fcherz- haften Wendungen des Geſprächs, worin die im übrigen ernften und würdevollen Japaneſen viel Gewandtheit und Leichtigkeit des Benehmens verriethen, fam man auf den ei- gentlichen Zwed der Gefandtfchaft; die Unterhaltung dauerte etwa zwei Stunden, und man trat dann den Nücweg zu Pferde an.

Am 19. überbrachten die beiden mehrerwähnten Gouver- neure dem Geſandten ein volumindfes japanifches Actenſtück nebjt holländifcher Ueberjetsung, welches eine Eröffnung des Miniſters des Auswärtigen enthielt.

Darauf beſchränkte fich jedoch drei Monate lang der ganze Sortichritt, welchen Graf Eulenburg in Bezug auf den Ber- trag machte. Dei unferer Anfunft waren die Berhältniffe nicht jehr ermuthigend. Die zögernde und abwehrende Politif des faiferlichen Hofes ließ noch nicht im entfernteften den Zeitpunkt des Vertragsabfchluffes durchblicken, und die Unter- handlungen befanden fich genau auf demfelben Punfte mie am 19. September, d. h. e8 war durchaus nichts Pofitives erlangt. Auf alle Anträge des Gefandten wurde ausweichend geantiwortet, und e8 war Flar zu durchichauen, daß man ihn durch beftändiges Hinhalten zu ermüden und auf diefe Weife jich feiner zur entledigen hoffte. Graf Eulenburg feste indeſſen allen Winfelzügen und Meachinationen, vie vielleicht durch fremde Intrigue genährt werden mochten, eine unerfchütter- liche Ruhe entgegen. Gleich bei feiner Ankunft erklärte er den japanischen Behörden, er habe gar feine Gile, könne s—10 Monate in Jeddo bleiben und erwarte ein Transport-

30

ſchiff, um das Geſchwader für diefe Zeit mit den nothwendigen Bepürfniffen zu verjehen. Die Iapaner beharrten trotzdem in ihrer angenommenen Stellung, bis etwa 14 Tage nach unferer Ankunft ein Umfchwung der Verhältniffe erfolgte und die Sache auf einmal mit aller Energie, die einem jo um- jtändlichen Volfe wie den Japaneſen überhaupt möglich ift, in Angriff genommen wurde. Ob man aus der Anfunft der Elbe entnehmen zu müfjen glaubte, daß die Geduld des Ge- fandten wirklich unerfchöpflich fei, oder ob ein Miniſterwechſel andern Anfichten Eingang verjchaffte, vermag ich nicht zu entſcheiden genug die Sache ging vorwärts, und wenngleich fich noch manche Schwierigkeiten erhoben, war doch der Vertrag Mitte Januar 1861 fertig und am Ende deſſelben Monats von den beiderfeitigen Contrahenten unterzeichnet. Leider fonnte Graf Eulenburg nur einen Abſchluß für Preußen und nicht, wie er beauftragt war, für den Zollverein und die Hanſeſtädte erlangen. Um die Verhandlungen nicht ganz und gar jcheitern zu laffen, mußte er fein Programm mopificiren, da die japa— nefifche Regierung von einem Vertrage mit einem Staaten- verbande, der fein fichtbares und machthäbendes Oberhaupt aufzuweifen vermochte, durchaus nichts wiſſen wollte.

Bon dem Perfonal des Gefchwaders wurde indejjen der fünfmonatliche Aufenthalt der Schiffe auf das beſte benust, um Land und Leute nach allen Richtungen Hin zu erforjchen und über das feit 200 Jahren abgefchloffene Weich möglichit genauen Auffchluß zu erhalten. Wir waren die erjte Nation, der e8 gejtattet wurde, Jeddo in fo großer Anzahl und auf fo lange Zeit täglich zu bejuchen. Die Amerifaner und die übrigen VBertragsmächte waren nur bis Kanagava gefommen, die Preußen befanden fich oft wochenlang in der Hauptjtadt. Die Offiziere der Arfona vermaßen die Bai von Jeddo und fertigten eine genaue Karte davon an. Die Naturforicher, Gelehrten und Civilcommiſſare wohnten theils in Jeddo, theils

ol

in Yokuhama, und der Freundlichfeit des Gefandten verbanften es die Dffiziere des Geſchwaders, daß fie abwechjelnd vier bis fünf Tage in Mfabani wohnen fonnten. Dies war äußerit angenehm, da das flache Waffer in der Bai bie Schiffe faſt eine Meile vom Ufer entfernt hielt und die Communication mit dem Lande fehr weitläufig und befchiwer- lich wurde.

Zugleich erhielten wir dadurch Gelegenheit, Japan gründ- licher und befjer als irgendjemand vor uns kennen zu lernen. Ein jeder von uns beobachtete, und die einzelnen Wahrneh- mungen wurden fpäterhin ausgetaufcht und bejprochen. Es fiel dadurch die fubjective Auffaffung weg, und das fich unferm Geifte einprägende Bild wurde ein möglichft objectives und wahres. Daß wir nur Jeddo und feinen Umfreis von einigen Meilen fennen lernten, beeinträchtigte das Bild nicht. In Japan iſt alles fchematifirt; in der Hauptſtadt concentrirt fich alles Eigenthümliche des Landes und feiner Bewohner, und es bleibt in diefer Beziehung wenig hinzuzufügen oder zu ändern, ob man auch das Reich feiner ganzen Ausdehnung nach durchreift. Davon kann man fich hinlänglich überzeugen, wenn man von Jeddo nach Nangafafı fommt. Was nicht zufällig durch territoriale Verhältniffe nuaneirt wird, iſt eine genaue Kopie der Hauptjtadt; Menfchen, Sitten, Gewohn- heiten, Tracht, Häuſer alles ift genau daſſelbe.

Ih will daher im Nachitehenden verfuchen, dem Yefer unfere gemeinfchaftlichen Beobachtungen in möglichit ſyſtema— tiſcher Weife vorzuführen, muß aber zugleich bevorworten, daß fie für denjenigen, der Kämpfer gelefen, wenig Neues, wenn auch vielleicht manches von andern Gefichtspunften auf- gefaßt, bieten werden. Kämpfer, ein Deutfcher von Geburt, der 1690 in Nangafafi als Arzt der holländifchen Factorei lebte, verweilte zwei Jahre in Japan und machte zweimal die Gefandtichaftsreife nach Jeddo mit. Ueber feine Er—

C)

32

fahrungen gab er nach jeiner Rückkunft in feiner Heimat ein größeres Werk heraus, das zwar fehr felten geworden ift, aber jedenfalls bis zu dieſem NAugenblide vie bejte Arbeit über Japan bildet. Wir, die wir jo lange und unter fo günftigen Umftänden im Yande waren, fünnen dies am bejten beurtheifen. Faſt alles, was der Autor in feinem Buche jagt, haben wir genau jo gefunden, und wenn diefer Umjtand einer- jeits einen Beleg für die jahrhundertlange Stabilität der Verhältniſſe Japans gibt, liefert er andererjeits einen Beweis für die Scharfe und unpartetifche Beobachtung des Berfaffers, deſſen Werf mit der Grünplichfeit eines deutſchen Gelehrten gejchrieben ift. Wollte man jet ein Werf über Japan fchreiben, fo könnte man nichts Gefcheidteres thun, als die Sache in dem Kämpfer'ſchen Buche unferm Gefchmade noch etwas mundgerechter zu machen, ſonſt aber nur in Anmer— fungen dasjenige hinzuzufügen, was die einer Gefangenfchaft ähnliche Freiheitsbejchränfung Kämpfer's jowie überhaupt der Holländer auf Defima diefen nicht zu fehen oder gemaner zu beobachten gejtattete.

Sapan (im Lande felbjt Nipon ausgefprochen und von dem chinefifchen Jih-pun Bftliches Land abjtammend ) ist ein Archipel von größern Infeln, deren drei beveutendjte Jeſſo, Nipon und Kiuſiu zwifchen 45 und 31° nördl. Breite und zwifchen 126 und 145° öftlicher Ringe von Greenwich fich in einer perpendifulären Ausdehnung von über 200 Meilen erjtreden. Alle drei Injeln find mit einer Menge hoher Vul— fane befett, und Nipon wird feiner ganzen Länge nach von einer mächtigen Gebirgsfette durchfchnitten, welche die Waffer- jcheide der Infel bildet und deren Spiten von ewigem Schnee bevecdt find. Unter diefen Gipfeln nimmt der circa 25 Meilen von Jeddo gelegene Fuſinoyama, dev Berg von Fuſi, von 14,000, Fuß Höhe, ven erften Nang ein, da er, wie der Pic von Teneriffa, den Seeleuten durch fein jchneegefröntes Haupt

39

30 Meilen weit als vortreffliche Landmarke dient und den Weg zum Hafen zeigt. Die Flüffe, welche das Land durch— ſtrömen, find weder zahlreich noch für die Schiffahrt wichtig. Ich kann mich daher ihrer Aufzählung und nähern Befchreibung füglich enthalten und will nur den in die Bat von Jeddo füllenden Todagawa erwähnen, deffen Kanäle die Hauptſtadt fpeifen. Ueber einen dieſer Kanäle führt die berühmte Brücke von Japan, Niponbas, welche als Ausgangspunkt für alfe Entfernungen im ganzen japanifchen Reich gilt.

Sapan zerfällt in acht größere Landſtriche, die Do oder Wege heißen umd zufammen 68 Provinzen enthalten, welche ihrerjeit8 wieder 622 Diftricte bilden. Won ven erftern ift Gofnai- Do als Domäne des geiftlihen Kaiſers mit ver Hauptſtadt Miafo hervorzuheben.

Das Land befitt zwei Herrfcher, einen geijtlichen, ven Dairi oder Mifado mit der fcheinbaren, und den Siogum, Teukun oder Taifo, d. h. den weltlichen Kaifer, mit der wirk— lihen Macht, die jedoch durch die Bafallenfürften oder Daimios jo beſchränkt wird, daß er nur in einem fleinen Theil des Landes, zu denen die Städte Jeddo, Hakodade, Simoda, Oſaka und Nangafafi gehören, wirklich als Herrſcher zu be— fehlen hat. Das Verhältnif der Daimios zum Teufun läßt ih am beiten mit den feudalen Zuftänden des mittelalter- lichen Deutjchland vergleichen. Die Vafallenfürjten find dem Kaiſer ſcheinbar unterthan, thun aber was fie wollen, ſetzen ihn ab, ermorden ihn auch wol, wie dies während unferer Anmejenheit mit dem Negenten (der gegenwärtige Teukun ift minderjährig) auf offener Straße gefchah, und einzelne, wie 3. B. der Fürft von Satzuma, erfcheinen auf ihrer jährlichen Huldigungsreife in Jeddo mit einer Escorte von 40,000 Mann bei Hofe.

Ueber die Gefchichte Japans will ich mit furzen Worten binwengehen, da dieſelbe in ven betreffenden Werken viel

Werner. I. 5

34

beſſer nachgelejen werden fan. Die erjten Nachrichten von der Eriftenz des Landes haben wir durch Marco Polo, einen italienischen Kaufmann, der zu Ende des 13. Jahrhunderts fait ganz Aften durdreifte, von China auch nach Japan ge gelangte und diefes in ‚feinem Neifewerfe mit dem Namen Zipangu belegte, eine Corruption des chinefilchen Sih-bun-quo, Königreich des Dftens. Der Mongolenherricher Kublai - Khan, an deſſen Hofe Marco Polo 17 Fahre lebte, ein Enfel des berühmten Diehingis-Khan, hatte ganz Ajien mit feinem Heere überflutet und wollte auch Japan erobern, wurde aber mit jeiner 600 Schiffe jtarfen Flotte, wie einst die jpanifche Ar- mada, durch einen Sturm zurücgejchlagen. Dies gejchah 1275. Bis 1545 verfanf Japan wieder in gänzliche Vergejjenheit. Danı wurde es aufs neue durch Vortugiefen entdeckt, und dieſe fnüpften mit Japan Handelsverbindungen an, an denen fich bald andere europäiſche Nationen betheiligten. Francis Aspilcota Xavier, ein Freund Loyola's und Mitbegründer des Jejuiten- ordens, ging von Goa als Miffionar nach Japan und fand gute Aufnahme. Der König von Satuma erlaubte durch ein Edict allen feinen Unterthanen die Annahme des neuen Glaubens, und das Chrijtenthum faßte Schnell Wurzel. Der Prinz von Ximo räumte den Chriften 1568 Nangafafı ein, das Damals noch ein Kleines Fifcherdorf war, ſich aber im Fürzefter Zeit zu einer bedeutenden chriftlichen Stadt mit Kirchen, Klöftern und Schulen emporfcehwang und zugleich ein blühendes Empo— rium des Handels mit China wurde. |

Der übertriebene Glaubenseifer der Miffionare, die auch nach weltlicher Herrſchaft ftrebten, die Intriguen der übrigen Mönchsorden, welche die Jeſuiten verdrängen wollten, hatten jedoch in Japan diefelben Refultate wie in China. Zuerſt wurden die Chrijten ausgewiejen, dann begann eine Priefterverfolgung und Schließlich wurde das Chriftenthbum auf die graufamfte Weiſe ausgerottet. Gleichzeitig verfchloß die Negierung das Land

35

im Jahre 1638 gegen alle Ausländer mit Ausnahme der Holländer, die bei Belagerung der Feitung Kimabara bei Nangafafi, dem fetten Bollwerfe der einheimischen Chriften, Hülfe geleitet und zu deren Zerjtörung ihre Gefchüte geliehen hatten. Aber auch fie wurden auf die Fleine Infel Defima verwiefen, wie Gefangene gehalten und den größten Demüthigungen ausge- jeßt, die nur die fchnödefte Gewinnfucht zu ertragen ver- mochte. Man bewachte und behandelte fie wie Verbrecher und zog mit der Zeit die Schranfen immer enger. Anfäng- lich war ihnen gejtattet, jährlich mit 4 Schiffen Handel zu treiben, zu Kämpfer's Zeit nur noch mit 2, und feit An— fang diefes Jahrhunderts durfte nur 1 fommen. Ebenſo wurde die Gejandtjchaft, welche früher jährlich nach Jeddo ging, nur alle 4 Jahre befohlen, und wahrjcheinlich hätten die Holländer, deren Handelsgewinn ſchließlich faum die Koſten der Factorei deckte, alle Verbindungen jelbft aufgegeben, wenn nicht die amerifanifche Expedition in ven Jahren 1853 und 1854 Sapan der Welt geöffnet und einen neuen Zuftand der Dinge herbeigeführt Hätte. Die Gefchichte diefer Expedition ift dem gebildeten Publikum jo befaunt, daß ich fie micht weiter zu berühren brauche.

Sch führe die Lejer num nach Jeddo, der japanischen Kaiſer— jtabt, die wir durch einen monatelangen Aufenthalt dafelbit genau fennen lernten, und an deren Befchreibung ich alles das fnüpfen werde, was dazu dienen kann, ein getreues und möglichft vollftändiges Bild des merfwürdigen Yandes zu geben.

21.

Die Bai von Jeddo. Aeußerer Charakter, Feftungswerfe, Umfang und Be-

völferung der Stadt. Die Jakonins als Beauffichtiger der Fremden. Bau

und Einrichtung der japanifchen Häufer. Die Daimios und ihre Stellung

als Feudalherren zum Bolfe, Die Vorbereitungen der jocialen Revo—

Intion dureh die Eröffnung des Landes. Schwierige Lage der Regierung

gegeniiber der Adelspartei. Feuersbrünfte und Fenerspolizei in Jeddo. Die Gärten und der Naturfinn der Iapanejen.

Jeddo Liegt an der Südküſte der Infel Nipon, an der Baſis einer Mieeresbucht, der Bai von Jeddo, die ihrerjeits wieder der Einfchnitt einer größern Bucht, der Bai von Uraga iſt. Die füoweftliche Spite diefer lettern bildet das Cap Idzu, die fündftliche Cap Ama, und während von hier aus die Küfte fich in nördlicher Richtung und ziemlich gerad- linig bis Jeddo erſtreckt, biegt das gegemüberliegende Ufer fich ebenfalls erft nördlich, aber dann wieder ſüdöſtlich und bildet das Cap Sagami, eine Landſpitze, die den wejtlichen Eingang der Bucht von Jeddo bezeichnet. Die legtere hat am Eingange eine Breite von 1Y, geographifcher Meile, er- weitert fich aber fpäter zu einer SKreisform von 3 Meilen Durchmeſſer, und an der Bafis verjelben liegt Jeddo. Bis 2 Meilen von der Stadt ift das Fahrwaſſer für jede Art von Schiffen tief genug, e8 wechjelt zwijchen 8 und 10 Klaf- tern. Weiter nördlich flacht es jedoch bedeutend ab, und größere Schiffe können ſich Jeddo nur bis auf 1 Meile nähern. Bahrzeuge von nicht mehr als 10—12 Fuß Tief: gang können zwar eine VBiertelmeile weiter heranfommen, die Stadt

57

felbft aber ift nur mit ganz flach gehenden Booten zu er- reichen. Die Deffnung Jeddos als Handelshafen ift für das Jahr 1863 ftipulivt, aber meiner Anficht nach dürfte, abge- jehen von andern Unbequemlichkeiten, das feichte Waffer ſo— wie der Umftand, daß die Rhede nah Süden zu ganz offen und gegen ZTeufune nicht geſchützt ift, Jeddo nie zu einem bedeutenden Handelshafen werden laſſen; vielmehr wird Yoku— hama am weftlichen Ufer der Bai der Hafen der Hauptftadt bleiben.

Das Neußere der Stadt entjpricht durchaus nicht den Borftellungen, die man fich von einer Metropole von 5 Milli- onen Einwohnern macht, und wie man fie aus den übertriebenen Schilderungen früherer Keijenden gewonnen hat. Jeddo Liegt in einer Ebene, die nur durch niedrige Hügel unterbrochen wird und welcher der Hintergrund fehlt. Im Nordweſten fiegt man bei gutem Wetter im weiter Berne den Höhenzug jhimmern, der Nipon der Länge nach durchjchneivdet; aber feine Conturen find jo matt, daß fie nichts zur Hebung der Landſchaft beitragen, und der einzig ſchöne Punft ift der er- wähnte und weftlich gelegene Fufinoyanıa, der heilige Berg der Iapanefen, der in allen ihren Büchern, auf allen Lack— fachen und auf ihrem Borzellan abgebilvet erfcheint. Der Berg hat die Form eines abgeftumpften Kegels, deſſen ſchneebedeckter Gipfel, troß der Entfernung von 25 Meilen, fich uns faft täglich unverfchleiert zeigte und, in den Strahlen der Sonne leuchtend, einen überaus prachtvollen Anblid gewährte.

Jeddo befigt außer einer mehrjtöcigen Pagode, die den faiferlichen Palaſt überragt, und einigen Tempeln, die auf Hügeln erbaut find, feine hervorfpringenden Punkte. Sämmt— liche Häufer find, wie überall in Japan, wegen der häufigen Erdbeben von Holz und einftöcig aufgeführt. Eigentlich haben fie zwei Etagen, die zweite ift aber unbewohnbar, weil fo niedrig, daß man micht aufrecht darin ftehen kann,

> 38

Deshalb läßt fich die Stadt troß ihrer angeblichen 5 Millionen Einwohner mit den größten Städten Europas nicht vergleichen. Bon unferm Anferplate aus wurde ung ihr Anblick überhaupt durch eine Reihe von fünf Forts entzogen, die auf aufgefchütteten Inſeln in einer Oft- und Weftlinie quer vor der Stadt liegen, jeden Angriff von feewärts abmwehren follen und noch nahe genug an der Stadt jtehen (3000 Schritt), um nöthigen- falls diefe felbft zu bombardiren. Diefe Forts find zufammen mit circa 300 Geſchützen armirt und decken fich gegenfeitig. Sie bejtehen aus Mauerwerk mit einer Bruftwehr von Erde ohne Schiegfcharten, d. h. die Gefchüße jchiegen über Banf und alle fünf find Freisförmig und faft gleich groß. Nach ihrem Aeußern zu urtheilen find fie nicht über 50 Jahre alt, jedoch habe ich nicht erfahren Fünnen, wann ſie erbaut wurden. Man jagt, die Iapanefen haben ruſſiſche Ingenieure dabei gehabt. Dies bezweifle ich; aber wenn es wahr ift, jo haben die Ruſſen bei dem Bau daran gedacht, daß fie über furz oder lang felbjt in ven Tall fommen könnten, die Forts zu erobern und haben fie für diefen Zweck eingerichtet. Bon außen fehen fie furchtbar genug aus; hat man fie jedoch in der Nähe betrachtet, jo wird ein muthiger Mann fich feinen Augenbli befinnen, fie mit ein paar Hundert Leuten anzugreifen und alle fünf in wenigen Stunden zu nehmen. Die Eingänge zeigen ſämmtlich nah Norden, ein hölzernes Thor verjchließt fie, umd fie führen ohne Zugbrüde over Graben direct in das Innere. Vom Thore leitet ein circa 50 Fuß langer und 12 Zuß breiter bequemer Steindamm in das Wafjer, an dem 10 Boote zu gleicher Zeit anlegen und mehrere 100 Mann nebjt Artillerie ausjchiffen können. Im dunfler Nacht kann dies gefchehen, ohne daß es von den Forts bemerkt wird, und follte e8 bemerft werben, fo läßt es ſich von feiten der Bejatung nicht hindern, da die An- areifer bis unmittelbar unter die hohen Mauern rudern können

39

und dann fowol gegen Gefchüt- als Gewehrfener geſchützt find, während eine ihrer zwölfpfündigen Bootsfanonen fofort den ſchwachen Kehlverichluß zu fprengen und ihnen den bivecten Marih ins Innere der Forts zu erzwingen vermag. Als während unſerer Anweſenheit fich eine Zeit lang die VBerhält- niffe für die Fremden fo drohend geftalteten, daß alle Ge- jandten, mit Ausnahme des preußifchen und amerikanischen, Jeddo verließen und man nad) der Ermordung des amerifa- nijchen Legationsfecretärs Heusfen, unſers Dolmetfchers, eine allgemeine Maffacre ver Europäer erwartete, lag e8 im Plane der auf der Rhede liegenden Kriegsfchiffe, bei dem Eintritte eines jolchen Ereigniffes jofort auf diefe Weife die Forts zu erftürmen und dadurch ganz Jeddo in die Hand zu befommen.

St man durch die Forts gerudert, jo befommt man zus erit eine Totalanficht der Stadt, d.h. man fieht zwei, drei Meilen weit die ganze Bafis der Bucht mit einer ununter- brochenen Reihe von Häufern befett, und ebenfo zeigt ſich dem Blicke nordwärts ein unabjehbares Meer von grauen Dächern, das hier und dort durch Hügel, welche mit Tempeln gekrönt find, oderdurch Gärten, Baumgruppen, terraffirte Felder eine Abwech— jelung erhält, welche das Auge angenehm berührt. Allein etwas Großartiges Tiegt in der Scenerie nicht, und es fehlt, wie ich fchon bemerkt, Jeddo ganz und gar der Eindruck einer großen Stadt. Mai glaubt einen Compler von großen wohlhabenden Dörfern vor fich zu haben, und das einzige, was ſtädtiſch ausjieht, ift der auf einer Anhöhe gelegene, won Steinen aufgeführte und von hohen Feftungswerfen umgebene Palaſt des Teufun, aus deffen Mitte eine luftige Pagode in die Ferne Schaut. Diefer Palaft Hält mit allem Zubehör un— gefähr eine Meile im Umfange, und wer plößlich unbewußt nach) Jeddo füme, würde ihn für eine Stadt, die verjchiedenen Theile von Jeddo aber für Borftädte over herumliegende Dörfer enfehen. Nach alten geographifchen Angaben joll Jeddo 3 Meilen

40

lang, 2%, Meilen breit fein und, wie ſchon erwähnt, 5 Millionen Einwohner haben. Wir gebraugpten circa 3 Stunden, um im Trabe die ganze Stadt zu umveiten, fodaß ihr ganzer Umfang höchftens 3——4 Meilen beträgt, und obwol fie unge- mein dicht bevölfert ift, dürften 2Y, Millionen Einwohner ver Wahrheit näher fommen als 5.

Unſer Gefandtfchaftshotel befand fih in Afabani, einem Haufe unweit der „Brücke von Japan“ und etiva 3000 Schritte vom Landungsplage entfernt. Diefer lettere lag beim Zoll- haufe in einem Kleinen, durch Pfähle gebildeten Bootshafen, und man jtieg von biefem in einen geräumigen Hof, ver durch eine Dauer von der Stadt abgetrennt und für gewöhn- lich verſchloſſen gehalten war. Ueber diefen Hof hinauszu- gehen wurde unfern Matrofen nicht gejtattet; nur wenn ein Dffizier etwas zu tragen hatte, konnte er einen oder mehrere von den Leuten mit in die Stadt nehmen. Bei außergewöhn- lichen Gelegenheiten, wie beim Cin- und Auszuge unfers Gefandten oder dem Begräbniffe des Dolmetfchers Heusten, wo unfere Leute zu Hunderten und bewaffnet erfchienen, machte man jedoch feine Schwierigfeiten, fie in die Stadt zu laſſen, und ich glaube, daß fich auf dem Geſchwader fein einziger Manı befindet, der nicht Jeddo Fennen gelernt hätte.

Wir Offiziere konnten gehen, wo wir wollten, aber nie ohne Begleitung von zwei bis drei Beamten, die man borgeblich ung zum Schute octroyirte. In Wirklichkeit jedoch waren diefe Leute nur Spione der Negierung, die uns auf Schritt und Zritt überwachten, fich vollftändig an unfere Ferſen hefteten und uns durch ihre Unverfchämtheit bisweilen fo in Wuth brachten, daß wenig daran fehlte, ihnen zu begegnen, wie die Amerikaner e8 gemacht hatten, d. b. fie mit Fußtritten oder der Keitpeitfche zu tractiren und von uns fern zu halten.

ıY

Ss

DER

N] IM DW; h R j a / 9 H N) )

Zu II,41.

Japaneſiſcher Jakonin.

u | | * ya 2 an SL AINT

A BU

41

Diefe läftigen Menjchen waren für uns das einzige Störende in Japan oder vielmehr in Jeddo, da fie in Yoku— hama und Nangafafi uns nicht bebelligten, und ich kann mir lebhaft vorjtellen, wie fie die polizeifveien Yanfees zur Ber: zweiflung gebracht haben. Gleich beim Zollhaufe war eine Station diefer doppelt befchwerterten Jakonins, wie fie heißen, und nicht eher wurde die Thür nach der Straße geöffnet, bis diefe Herren ihre Pfeifen eingepadt, ihre Streohfandalen angezogen und Toilette gemacht hatten. Anfänglich waren wir bejcheiden und warteten auf fie, fpäter fiel jedoch die Rückſicht fort; wir gingen direct und mit fchnellen Schritten auf das Thor los, und die Jakonins ftürzten wie Habichte hinter uns her, Bei jchlechtem Wetter fiel ihnen dies fehr ſchwer, und wir fonnten uns die Feine Rache nicht verfagen, mit unjern großen Stiefeln jo fehnell als möglich durch ven Schmuz zu gehen, wo dann die armen Poliziften auf ihren jtelzenartigen Holz-Galofchen nur auf einige 100 Schritt Ent- fernung und in fteter Gefahr Hinzufallen uns zu folgen ver- mochten. Diejelben Jakonins geleiteten uns immer nur eine furze Strede bis zur nächjten Polizeiftation, und wir hatten damit Gelegenheit, die Vielfältigkeit diefer Inftitute zu be- wundern, deren es bis zu unferm Gefundtfchaftshotel, einer Strede von 3000 Schritt, nicht weniger als acht gab. Nach dem Shitem des Mistrauens und Spionirens, das die ganze japanifhe Regierung von oben herab charafterifirt, begleiteten uns ſtets zwei, ja oft drei Jakonins pro Perfon, und wenn wir eine Partie machten, hatten wir bisweilen 20 30 biefer Herren in unferm Gefolge, die ung mit Argusaugen bewachten und alles Auffällige notirten, um es höhern Orts zu rapportiren. Das nebenjtehende Bild ftellt nach einer Photographie einen der Jakonins dar, welche vom Gefandt- Ihaftshotel aus unfere täglichen Begleiter waren. Anfänglich höchſt unliebenswürdig, zeigte verfelbe fpäter ein großes In-

42

tevefje für die Preußen und hat ung während ver lebten Monate unſers Aufenthalts manchen freundfchaftlihen Dienft geleijtet.

AS ich zum erften mal die Straßen von Jeddo betrat, drängte fih mir unwillfürlich eine Bergleihung mit Kanton auf, und, wie fchon in Nangaſaki, Lehrte auch hier ein einziger Blid auf Straßen, Menfchen, Häufer, daß Iapanefen und Chinefen weder demſelben Menfchenitamm angehören, noch daß fie auf derfelben Culturftufe ftehen. Japan hat China bei weitem überflügelt, darüber kann fein Zweifel beitehen und e8 würde fich ebenbürtig den civilifirteften Staaten Eu- ropas an die Seite ftellen, wenn es während der letzten 200 Jahre oder auch nur fo lange wie China mit diefen in Berührung gewejen wäre.

Jeddo ift nach einem beftimmten Plane angelegt und hat faft nur gerade, fich in gewiffen Zwifchenräumen umd vecht- winflig durchichneidende Straßen. Was an ven Tettern, namentlih wenn man von China fommt, frappirt, ift ihre Breite und die in ihnen herrſchende Neinlichkeit. Sie find 30—40 Fuß breit, in ver Mitte S—10 Fuß mit Fliefen, zu beiden Seiten mit Trottoirs belegt und werden täglich zwei bis dreimal von den Hausbefigern gefegt. Das findet man in feiner afiatifchen, ja nicht einmal in einer europäifchen Stadt, und diefer Umftand allein läßt ſchon auf eine vorge— fchrittene Culturftufe des Volks und auf eine für das Wohl ihrer Unterthanen bevachte Regierung jchliegen.

Die Häufer befinden ſich in vollftändiger Harmonie mit den Straßen, d. h. fie find geräumig, luftig, außen und innen Höchft fauber und nett. Faft alle find, wie fchon erwähnt, ein- ftöcig, genau nach demſelben Modell aufgeführt und auch ziem— lich von gleicher Größe. Ihre Form ift äußerlich die unferer Schweizerhäuschen mit weit Üüberragendem und bisweilen durch Säulen gejtüttem Dache. Der circa 2—3 Fuß über der Erde

.45

gelegene Fußboden ift über die Seitenwände hinausgeführt, jo- daß dadurch eine 6— 8 Fuß breite Veranda entfteht, die, durch das Dach gegen Sonne und Regen gefchüigt, einen höchft ange: nehmen und fühlenden Aufenthalt abgibt. Die Eurven- und Zelt- form des Daches, wie fie in China allgemein ift, fehlt bei japa— niſchen Gebäuden gänzlich; alles ift ‚hier geradlinig, und nur in den Tempeln der aus China früher eingewanderten Budphiften hat fich der chinefifche Baustil unverändert erhalten. Die Gebäude find ungemein leicht conftruirt, abev mit einem ver- hältnißmäßig jchweren Dache verjehen. Ein Fachwerk von faum vreizölligen Planfen wird mit Bambus durchflochten und dieſer mit Lehm oder Schlamm, der mit Pferdedünger durchfnetet ift, beworfen, außen mit Mufchelfalf geglättet und geweißt und innen, nach verjelben Brocedur, mit Tapeten von reizendjtem Mufter überzogen, auf die ich fpäter bei Gelegenheit des Papiers näher zurückkommen werde. Eine folhe Wand hat daher faum 3 Zoll Diele, ift aber ungemein zäh und elaftijch, was ich öfter bei Abbruch eines Haufes bewundert habe. Die Balken, welche das Dach tragen, find dagegen fehr ſchwer und letteres bei allen bejjern Häufern mit jtarfen halbcylinder— fürmigen Dachziegel gedeckt, deren Gewicht das des ganzen Unterhaufes bei weiten überfteigt. Der Grund viefer fonder- baren Bauart find die Erdbeben, von denen Jeddo und die mittlern Gegenden Japans fo Häufig heimgefucht werden. Das ſchwere Dach foll die Teichten elaftifchen Wände durch fein Gewicht vor dem Zufammenbrechen bei heftigen Erpftößen ſchützen. Die ärmlichern Wohnungen find mit Holzfchindeln gedeckt und diefe häufig durch Steine beſchwert. Feſte Ab- theilungen im Innern der Häufer gibt es nicht; alle Zwifchen- wände find beweglich, können ebenfo Leicht hingeſetzt als fort genommen werden und bejtehen aus leichtem hölzernen Gitter- werk, das mit dem transparenten und ftarfen Papier über- zogen ift, welches die Iapanefen aus dem Baft eines Maul-

44

beerbaums bereiten, und das überall die Stelle des dort un- befannten Fenfterglafes vertritt. Diefe gegitterten Nahmen laufen zwifchen Leiften auf Borzellanrolfen, und man fann mit ihrer Hülfe ebenfo fehnell Zimmer jchaffen, als das ganze Haus durch ihr Zurüdichieben in einen einzigen Raum ver- wandeln. Vorder- und Hinterfronte haben eben folche Papier- gitter als Fenfter, die nach dem Zuftande des Wetters ge- Öffnet oder gefchloffen und nachts durch hölzerne Schiebläden erjett werden. « Diefe Vorrichtungen erlauben dem Zuge und der frifchen Luft ftets freien Zugang zu allen Theilen des Gebäudes, ein Umftand, der nur vortheilhaft für die Gefund- heit der Bewohner fein fanı, bei uns jedoch wegen des ftrengern Klimas nicht wohl zur Anwendung fommen könnte. Zugleich geftattet diefe Einrichtung aber auch dem Vorüber- gehenden, das ganze Haus mit Einem Blide zu überfehen, und bei der Ungenirtheit der Japaneſen, die dem Europäer anfangs ſehr befremdend erfcheint, wird man oft Augenzeuge von Tamilienfcenen, die man bei uns weniger öffentlich zu behandeln geneigt ift, wie Toilette machen, Baden, u. f. w. Der Fußboden eines jeden Haufes, er mag dem Keichjten oder Aermſten angehören, ift unveränderlih mit Binjfenmatten bedeckt. Diefe haben in ganz Japan genau biefelben Formen und Dimenfiovnen; fie find 6 Fuß lang, 3 Zuß breit und 2 Zoll die. Eine folche Matte heißt ein Kin, und alle Ber- hältniffe der Häufer find nach diefen Kin fixirt. Will ein Japaneſe ein Haus bauen, jo bejtellt er beim Baumeifter nur jo und fo viel Kin. Wünfcht er eins von 30 Matten, jo nimmt es einen Flächenvaum von 30 x 6 x 3 = 540 Qua⸗ bratfuß ein und vemgemäß erhält das Gebäude fo und fo viel Stuben, wird fo und fo viel Matten breit, Yang und hoch) nach einer beftimmten und von der Regierung vorgefchriebenen Kegel. Das Flechtwerf diefer Matten ift fehr fauber, fein und weiß, und die Japaneſen fuchen es forgfam zu erhalten.

45

Sie werden die Matten nicht anders als in Strümpfen be- treten; ihre Sandalen legen fie vegelmäßig auf der Veranda ab, und will man als Fremder gut empfangen fein, fo muß man fich hüten, in das Innere eines Haufes mit fchmuzigen Stiefeln zu treten. Mobiliar und Hausgeräth eriftirt in den Wohnungen faft gar nicht. Es gibt weder Tifche, noch Stühle, noch Schränfe oder Bettftellen, gerade im Gegenfat zu den Shinefen, die dies alles in großer Anzahl befiten. Der Ja— paneſe fißt, ift und jchläft auf feinen Matten. Das Eß— gefhirr ift aus Holz gefertigt und mit dem berühmten Lad überzogen, der weder durch Hite noch Kälte leidet. Die Ge- füße find vieredig oder rund und ſo conftruirt, daß fie alfe ineinander paffen und dadurch ein Minimum von Plat ein- nehmen, wenn fie fortgeftellt werden. Die Betten bejtehen feviglih aus Baummwollenmatragen zum Zudeden und aus Kopffiffen, die uns ebenfo originell und unbequem erfcheinen wie die früher von mir erwähnten Borzellanfopffiffen ver Chinefen. Als wir anfänglich dieſe jonderbaren Dinger in den Läden fahen, wußten wir gar nicht, was wir aus ihnen machen follten. Man nehme einen hölzernen Stereoffopen- faften und denke fich oben einen halbfreisförmigen Ausjchnitt, jehr dünn und hart gepolftert, fo hat man ein japanefifches Kopffiffen, das bei ung gewiß fehr wenig Liebhaber finden würde. Die Familie wohnt, ift und fchläft in dem hintern Theile des Hauſes. Vorn befindet fich gewöhnlich das Em— pfangszimmer oder bei Kaufleuten der Yaden, den man von der Seite durch eine Thür betritt, die ebenfalls unverändert die Kinform hat, d. h. 6 Buß hoch und 3 Fuß breit ift. Schornjteine gibt es nicht; der Rauch muß feinen Weg ander- weitig finden, was ihm übrigens wegen der Bauart nicht ſchwer fällt. In beffern Häufern befindet fich jedoch gewöhn— ih die Küche in einem eigenen Hinterhaufe, während fie in den gewöhnlichern einen Theil des Wohnzimmers einnimmt.

46

Trotz Eis, Schnee und der oft empfinpfichen Kälte gibt es in Japan weder Defen nach Kamine, was wir während des viermonatlichen Winters bitter empfunden haben. Die ihre Stelle vertretenden Kohlenbeden erjchienen uns nur als eine jehr unzureichende Aushülfe bei den dünnen Papierwän- den, wenn ein Nordſturm ſie fehüttelte und pfeifend durch alle Spalten der mangelhaft fchließenden Thüren und Fenfter fuhr oder der Schnee einige Zoll Hoch auf den Straßen lag Die Iapanejen Elapperten zwar auch mit ven Zähnen wor Sroft, wußten fich indeffen durch fünf bis ſechs übereinander gezogene dicfwattirte Röcke beſſer dagegen zu ſchützen als wir.

Die Häufer der Daimios und hohen Beamten haben einen Unterbau von behauenen Quaderſteinen, die jedoch ohne Mörtel aufeinander gelegt find, um bei Erdbeben nachzugeben. Aus. demjelben Grunde find fie an der Bafis viel breiter als oben. Sie haben gewöhnlich eine Höhe von 15— 20 Fuß, und es führt eine breite fteinerne Freitreppe zu ihnen hinauf. Ein maſſives hölzernes Thor verjchließt den Eingang zu dem Borhofe, um den fich im Viered die Wohngebäude gruppiren. Dieſe legtern unterfcheiden fich vor allen andern Häufern ber Stadt durch nichts, als daß fie eine größere Fläche beveden. Ich hatte Gelegenheit, bei einer Viſite, die wir dem Gouver— neur don Nangaſaki ſpäter machten, das Innere einer folchen Wohnung zu ſehen; außer daß vielleicht der zweite Stod etwas höher war wie bei den Bürgerhäufern, konnte ich feinen Unterfchied wahrnehmen. Diejelbe innere Einrich— tung mit verfchiebbaren Gittern und Papierfenitern, diefelben Matten von vergefchriebener Größe, diefelben Tapeten wie überall.

Das Goupernementsgebäude in Nangafafi fowie einige Daimiowohnungen in Jeddo erhalten durch die Maffivität und Höhe ihrer Untermauern ein burgähnliches Anſehen, das noch durch ihre Lage auf Anhöhen vermehrt wird. Viele der-

47

jelben waren jedoch nicht jo imponivend. Die Höhe ber Untermaner betrug nur einige Fuß, und die fenfterlofen, oft 3—400 Fuß langen Seitengebäude, welche den innern Hof- raum umjchlojfen und bisweilen die Fronte einer ganzen Straße bildeten, jahen eher Scheunen oder Schafjtällen als den Wohnungen der höchiten Yandesariftofratie ähnlich. Das Innere diefer Gebäude hat noch fein Europäer betreten, ebenſo wenig wie jeit 200 Jahren jemand das Innere des faifer- lichen PBalaftes gefehen hat, außer dem Director der hollän- difchen Factorei auf Defima auf feinen Gefandtfchaftsreifen. Was daher über deſſen Großartigkeit und beifpiellofe Pracht erzählt wird, kann man in das Neich der Fabel verweifen, wenn es nicht mit Kämpfer's oder feiner Nachfolger Thun— berg und von Siebold Beichreibung übereinjtimmt, die, ſoweit wir es haben beurtheilen Fönnen, in ihren Schilderungen durchaus bei der Wahrheit geblieben find. Die Daimios find die Feudalen des Reichs, die Träger des bisherigen Ab- ſchließungsſyſtems und daher die Feinde der Europäer. Es eriftiven mehrere Hunderte im Lande, und 362 von ihnen haben Paläfte oder Wohnungen in Jeddo, die ihre Afteige- quartiere bilden, wenn fie dem Zeufun ihren jährlichen Er- gebenheitsbejuch machen und ihre Frauen und Kinder befuchen, die der Kaifer als Unterpfand für die Treue ihrer Männer innerhalb feines Palaftes gefangen hält. Einzelne derſelben find fehr reich und befigen ein Einfommen von 6— 7 Millionen Thalern. Wie ich fchon früher erwähnte, erfcheint der Fürft von Satzuma und der von Kwanga, erſterer der Friegerijchite und leßterer der mächtigfte Yandesherr, mit einem Gefolge von 40,000 Mann in Jeddo. Bis zur Eröffnung des Reichs waren die Daimios faft allmächtig. Ihnen gehörte der Grund und Boden, fie firirten die Preife der Lebensmittel wie aller Induftrieerzeugniffe, nahmen von allem ihre Rente und ließen dem Producenten gerade genug, um eine dürftige Exiftenz zu

48

führen. Die Bevölferung Japans (25 Millionen Einwohner) ift nicht fo dicht wie in China; fie fteht in feinem Misver- hältniffe zu dem von ihr bewohnten fruchtbaren Boden, und da fein Erport ftattfand, waren alle Producte jehr billig. Die Yandesherren fonnten mit geringem Aufwande ein großes Heer von Vaſallen und Dienern halten. Ein Jakonin 3. B. erhielt außer einem Quantum Reit einen jährlichen Ge- halt von 40 Itzebu oder nach unferm Gelde ungefähr von 20 Thalern. Für diefe Summe unterhielt er ſich und feine Familie und mußte fich außerdem in Seide kleiden.

Der eröffnete Verkehr mit ven Fremden Hat indeffen die Berhältnijfe bedeutend geändert. Soviel Schwierigfeiten auch von der Regierung dem Handel in den Weg gelegt werben, jteht e8 doch außer ihrer Macht, die Ausbreitung des Handels zu hindern, und wenn auch die Ausfuhr des Hauptnahrungs- mittels für das Volk, des Reis, verboten ift, Jo werben da— für andere Sachen exportirt. Im Jahre 1860 wurden z. B. von Nofuhama 6000 Ballen Seide nach Europa verjchifit. Die Nachfrage der Europäer nach diefer Seide, die befjer als die chinefifche fein fol, it jo ſtark, daß fie feit 1856 um das Doppelte im Preiſe gejtiegen ift. Natürlich wirft dies auf alle übrigen Verhältniſſe zurückk. Wenn auch dem Ja— panefen das dem Chinefen angeborene Talent für Fauf- männische Transactionen abgeht, jo ift er doch Flug genug, feinen eigenen Vortheil zu begreifen. Während früher bie Bauern ihre Aecker nur mit Reis bebauten und davon nicht mehr er— zeugten, als nöthig war, um die ihnen auferlegten Zehnten und ihren eigenen Unterhalt zu beftreiten, werloden die hohen Seivenpreife fie jest, Seide zu bauen und allen möglichen Gewinn aus ihren Yändereien zu ziehen. Der Reisbau nimmt ab, und die einfache Folge ift die Vertheuerung der Frucht und aller übrigen Lebensmittel. Das Volk leidet hierumter wenig oder gar nicht; der erhöhte Gewinn fett die Produ—

49

centen in den Stand, auch ihre Bedürfniſſe theuerer zu be- zahlen und dem gewöhnlichen Arbeiter mehr Lohn zu geben. Der nicht producivenve Adel mit feinem nur confumirenden Gefolge dagegen wird von diefer Veränderung der Verhält— niſſe empfindlich betroffen. Neue Steuern aufzulegen, dürfte bei den confervativen Injtitutionen des Landes ein fehr ge- wagtes Experiment fein und leicht Revolutionen herbei- führen, deren Ausbruch unvermeidlich jcheint, aber jo gefürch— tet wird, daß man ihn wenigitens nicht durch eigene Anregung bejchleunigen will. Die von der japanefifchen Regierung nach Europa abgeſchickte Gefandtichaft hat darum auch bei ven Ver- tragsmächten alles aufgeboten, um die Deffnung der Häfen von Jeddo und Dfafa noch einige Jahre hinauszufchieben. So despotifch die Regierung ift, kann fie jich doch nicht ver— hehlen, daß ihr Herrſchſyſtem nicht Länger bejtehen fann, wenn fich neue Ideen und Anfchauungen beim Volke Bahn brechen, die bei dem vegern Verkehr mit dem Auslande unfehlbar kom— men müfjen. Außerdem begegnen wir in Japan derjelben merkwürdigen Erjcheinung wie in China. Es befteht nämlich auch hier eine Macht im Staate, die fowol der Kaifer als feine Bafallen fürchten, die öffentliche Meinung, und das Individuum hat im abjolut despotifch regierten Japan bisweilen mehr Rechte als in conjtitutionellen Staaten Europas. Dafür mag ein Beijpiel als Beleg dienen. Während unjerer Anweſenheit in Nagaſaki beabjichtigte die Negierung ein Hospital zu bauen. Der in japanifchen Dienften ftehende holländiiche Dberarzt Dr. Bompe hatte einen geeigneten Plaß dazu ausgejucht und ver Gouverneur jeine Zuftimmung ertheilt. Es war bie Spige eines Hügels, auf der fich ein armer Bauer angefie- velt und etwa einen halben Morgen Feld befüet hatte. Der Gouverneur ließ ihn erfuchen, das Rand gegen den Werth des Bodens und der Ernte an die Regierung abzutreten. Er lehnte es ohne weiteres mit dem Bemerfen ab, daß er erſt Werner. I. 4

50

ernten wolle, was er gefäet. Dean bot ihm das Doppelte und Dreifache; vergebens, er verharrte bei feinem Cigenfinn und erflärte fchließlih, das Yand unter feiner Bedingung abzutreten. Der Gouverneur fah fih außer Stande, ven Plat zu erzwingen. Ein Expropriationsgefeß exiftirt in Japan nicht, und die Regierung war genöthigt, einen andern und viel weniger geeigneten Platz für das Hospital anzufaufen. Diefer Fall zeigt die Schwierigfeit, irgendeine Neuerung einzuführen, und die Daimios dürfen alfo nicht jo leicht wa— gen, ihr Einfommen auf Koften ihrer Unterthanen zu erhöhen. Es bleibt ihnen daher nichts übrig, als die Zahl ihres Ge- folges jehr zu befchränfen. Dies iſt bereits mehrfach ge- ſchehen. Während unferer Anweſenheit entließ z. B. der Fürft von Mito 500 feiner Iafonins, die dadurch brotlos wurden und ſämmtlich nach Jeddo kamen. Der Regierung erwuchjen auf diefe Weife große Schwierigkeiten; der Kaifer oder viel- mehr fein Minifterium denn dieſes allein regiert befam dadurch fo viel Feinde mehr, da die Daimios nicht verfehlten, alle Schuld auf die Deffnung des Yandes und die Verträge zu wälzen, durch welche ihre Einfünfte beſchränkt oder viel- mehr ihre Ausgaben vermehrt und fie gezwungen feten, ihren Hofhalt zu vermindern. Faſt wäre unfer Vertrag daran ge- fcheitert, und nur einem Minifterwechfel, ver Männer an das Ruder brachte, die der Gefandtfchaft nach Amerifa beige- wohnt und die Welt gejehen, außerdem Energie befaßen, hat- ten wir wahrfcheinlich den Abſchluß der Verhandlungen zu danken. Auch der Mord des amerikanischen Legationsfecretärs Heusfen wurde dieſen entlaffenen Jakonins in die Schuhe ge- Ichoben, und die Beforgniß der Negierung war fo groß, daß die Gouverneure den fremden Gefandten dringend abriethen, fih an der Leichenfeier zu betheiligen, weil fie einen Angriff der Daimiopartei fürchteten. Die furchtlofe Haltung der Geſandten und eine militärifche Escorte von 120 preußiſchen

51

Seeſoldaten und Matrofen nebjt 30 holländischen Seefoldaten, erftere fämmtlich mit Zündnadelbüchfen und Revolvern be- waffnet, bewog wahrjcheinlich die Daimios, den Zug ungehin- dert paffiren zu laffen und einen geeignetern Zeitpunft für die Ausführung ihrer Umfturzpläne abzuwarten.

Es ijt aber noch ein anderer Umftand infolge der Ver— träge, der die Daimios und Beamten auf das tiefjte erbittert, ihren Stolz am empfindlichjten verlegt und nothwendig zu einer Revolution führen muß. Vor Ankunft der Amerikaner hegte das gemeine Volk vor allen Höhern, vor den Daimios fowol wie vor den Jakonins, eine Ehrfurcht, die an tiefite Knechtſchaft jtreifte. Ja diefe Unterthänigfeit hat fogar zwei verſchiedene Sprachweijen gefchaffen, die man verfchiedene Sprachen nennen fönnte, von denen die eine, von Höhern zu Niedern gejprochen, hart, ſcharf und rauh, die andere, von Niedern gegen Höhere oder zwifchen Gleichgeftellten gebraucht, janft, angenehm und melodifh ift. Wenn ein Untergebener einem Vorgeſetzten be- gegnete, ftand er auf der Straße ftill, hockte nieder, legte die Hände auf ven Boden und beugte das Haupt, bis es faft vie Erde berührte. Im diefer Stellung verharrte er fo lange, als der Höhere mit ihm fprach oder bei ihm vorbeipaffirt war. Kam aber ein Daimio mit einem Zuge von Hunderten oder Tauſenden an, jo mußte fich alles auf die Erde werfen und mit dem Kopfe auf den Boden gebrücdt bleiben, bis der Zug vorüber war. Hätte jemand gewagt, diefen Tribut der Ehrfurcht zit verweigern, nicht auf die Seite zu treten oder wol gar durch den Zug zu gehen, er wäre unfehlbar fofort niederge- hauen worden, und fein Körper hätte als Probe für die Sä- belſchärfe aller Iafonins gedient. Die Europäer natürlich nah- men von den Zweibefchwerterten, mochten jie auch dem höchſten Adel angehören, nicht die geringfte Notiz. Sie grüßten weder noch traten fie auf die Seite, und einzelne begingen fogar abfichtlich die Ungezogenheit, mitten durch einen folchen Zug

4*

52

zu veiten. Die Iafonins, welche, wie überall, als Fleine Her- ven das gemeine Volk am meijten Fnechteten und für fich womöglich noch mehr Verehrung forderten als für die Fürften des Landes, wurden fogar verächtlich behandelt und womöglich mit Fußtritten vegalirt. Sie rächten fich zwar durch einzelne Morde, und in Yyokuhama fielen binnen furzem zwei holländifche und zwei ruffifche Offiziere durch ihre Hand, allein das durch die Drohungen der fremden Regierungen eingefchüichterte Gou— vernement fette diefen nächtlichen Weberfällen bald ein Ziel, und die Revolver der Fremden thaten das Ihrige, um vie Jakonins gleichfalls zurücdzufchreden. Sie wurden fortan nur noch wegwerfender behandelt. Dies verfehlte nicht, auf vie gemeinen Iapanefen Wirkung auszuüben. Das Bolf gewöhnte fih allmählich daran, dies mit anzufehen, ohne, wie anfangs, in ein ftummes Entfegen zu gerathen; e8 begann das Ent- würdigende feiner eigenen Knechtſchaft zu fühlen, und das Einziehen eines neuen Geiftes machte fich bald bemerkbar. Das Anfehen ver Jakonins fanf von Tag zu Tag, während das der bisher verachteten Kaufleute und Handwerker in glei- chem Verhältniffe ftieg. Waren doch faſt alle in Japan anſäſſige Europäer Kaufleute! Jene wurden ärmer, weil ihr Gehalt bei den wachfenden Preiſen der Bedürfniſſe daſſelbe blieb, diefe von Tag zu Tag wohlhabender, und da Geld, wie überall, auch in Sapan, wenn auch bei dem Kaftengeifte etwas weniger, feinen Einfluß übt, fühlten die Jakonins ihre Stellung täglih mehr zufammenjchrumpfen. Das einmal erwecte Selbftgefühl des Volks blieb jedoch hierbei nicht jtehen, und nicht allein in Noluhama, fondern auch in Jeddo ſahen wir. in den letten Monaten die Leute nicht nur nicht ihr Haupt bis in den Staub beugen, wenn ein Daimio durch die Straßen zog, fondern fich fchleunigft in die Häufer bege- ben, um fich ganz und gar der Verpflichtung zu entziehen. Die Ariftofratie müßte blind fein, um nicht überall durch—

55

zufühlen, daß ihre abjolute Herrjchaft fich ihrem Ende nähert. Es ift daher Teicht erflärlih, daß fie mit verbiffener Wuth auf die Fremden als die erſte und einzige Urfache ihres Ver: falls blickt und alle Anftrengungen macht, um die Regierung zu ftürzen und den alten Zuftand der Dinge wieder herbeizu- führen. Sie hat jedoch bereits zu lange damit gezögert, und follte fie ven Kampf wagen, jo fann er nur mit einer Nieber- lage ver feudalen Partei endigen, da fich die Vertragsmächte auf Seite der Regierung jtellen werden und müffen. Aber, auch ohne daß fie die Initiative gibt, wird fie unterliegen. Durch den wachjenden Handel und den beftändigen Zujtrom von Fremden bereitet fich mit fchnelfen Schritten eine fociale Revolution vor, und felbjt ohne äußern Anitoß ift die Zeit nicht mehr fern, wo bie geijtig fo weit vorgejchrittenen Japa— nejen die Feſſeln der Knechtſchaft ganz abfchütteln und die Freiheit beanfpruchen werden, welche fie nach Maßgabe ihres Eulturzuftandes ein Recht zu fordern haben.

Wie ich Schon dargethan, find die Häufer in Japan leichte, fehr fenergefährliche Baumerfe von Holz und Papier, ſodaß eine Feuersbrunſt ungemeinen Schaden anrichten muß. Zu— gleich aber hat die Beforgniß vor ſolchem Unglück zu fehr guten Löfchvorrichtungen geführt, die zwar meijtens privater Natur, aber nichtsdeftoweniger wirkffam find. Bor jedem Haufe oder auf defjen Flur ftehen ſtets 10—12 große Kübel mit Waffer gefüllt, und in jeder Straße befindet fich ein 40 Fuß hohes Gerüft, zu dem eine Leiter hinauf führt und in dem eine energlode hängt. Sobald es irgendwo zu brennen anfängt, Flettert ein Straßenwächter auf das Gerüft, fchlägt die Glocke an und verkündet, da er die ganze Umge- gend überfehen kann, dem Publikum, wo das Feuer ift. Die nächjten Straßen find dann verpflichtet, fofort mit ihren ſämmt— lihen Kübeln dorthin zu eilen und zu löfchen. Feuerſpritzen gibt es zwar nicht in Sapan, dagegen ift an Wuffer Fein

54

Mangel; überall in den Straßen find Brunnen und fait jedes Haus hat eine Ciſterne. Wie geſchickt die Iapanefen als Feuerleute find, habe ich in unſerm Gefandtichaftshotel zu bewundern Gelegenheit gehabt, in deffen Küche Feuer aus- brach. Sobald der Auf ertönte, waren die Kulis auch jchon mit Katengefchwindigfeit auf dem Dache, hatten e8 theilmeife abgededt, eine Wand eingefchlagen, und das Feuer war bereis gelöfcht, als wir ankamen. Bei ruhiger Luft befehränfen fich die Brände daher meiftentheil® auf ein oder zwei Häufer, bei Stürmen brennen jedoch häufig vier bis fünf Straßen nieder. Wir jelbft erlebten am Neujahrsabend eine Feuersbrunft, die 600 Häufer in Afche legte, und vor 35 Sahren wurde faft ein Sechstheil von Jeddo ein Raub der Flammen, in denen nicht weniger als 1200 Menschen umfamen. Indeſſen iſt eine jolhe Feuersbrunft in Japan nicht von fo nachtheiligen Fol- gen begleitet wie bei uns, und fommt man nach vier Wochen an eine folhe Brandftelle, fo ift faum noch eine Spur von der Verwüſtung übrig. Die häufige Wiederkehr diefer Ereig- niffe, jowie die Erdbeben, haben die Induftrie auf Abhülfe bedacht fein Yaffen, und die Zimmerleute haben auf ihren Plätzen dutzendweiſe Häufer fertig liegen. Da man ein Haus nur nah jo und fo viel Kin beſtellt, fann man hier mit Recht jagen, fie werden nach der Elle verfauft. Das bischen Schutt, welches von einer folchen niedergebrannten Wohnung übrig bleibt, ift bald weggeräumt, das leichte neue Gebäude aber faſt ebenjo fchnell Hingeftellt und mit feinen Matten ausftaffirt. In Yokuhama, das in einem Zeitraume von vier Sahren von einem Fiſcherdorfe zu einer Stadt von 20000 Ein— wohnern gewachfen ift, haben wir oft mit Staunen ganze Straßen erbfict, wo vor acht Tagen noch Sumpf war. Was den japanefifchen Häufern außer ihrer ungemeinen Sauberfeit und Zierlichfeit noch einen weit höhern Reiz gibt, ift ver bei feinem fehlende Garten, und fei er auch nur fo

55

groß wie ein Tiſch. Wo Raum ift, liegt er Hinter dem Haufe, wo diefer mangelt, ift irgendein Plätschen auf dem Hofe dafür ausgewählt und mit bewunderungswerther Sorgfalt und Zier- lichfeit in Ordnung gehalten. Zierlichkeit ift überhaupt ein heroorftechender Charafterzug des Volks, der überall hervor: tritt in feinen Gebäuvden, feinen Gärten, dem Hausgeräth, wie auch in feinen Manieren, und der den Fremden höchſt angenehm berührt. Die Gärten find Miniaturfchöpfungen, plaftiiche Modelle, aber mit fo unendlicher Kunft der Natur nachgebildet, daß man in eine Liliputwelt einzutreten glaubt. Alles ift verzwergt, aber auch hier tritt der Contraſt mit China lebendig hervor. Die Chinefen verzwergen die Bäume, um eine Spielerei zu haben und um zu fünften. Es liegt dabei durchaus fein tieferes Gefühl zu Grunde. Ihr verdor- bener oder vielmehr noch ganz unentwicelter Geſchmack findet an allem Außergewöhnlichen und Unnatürlichen Gefallen, und je verzerrter die Formen, deſto höhern Werth befitt der Gegenftand in ihren Augen. Das ift der Grund, weshalb fie Bäume verzwergen, aber diefe Bäume find Krüppel, Kin— der mit einem Greiſenantlitz, und ihre Unnatur beleidigt unfern Schönheitsſinn. Der Japaneſe dagegen bezweckt mit feinen Gärten ganz etwas anderes. Sein findliher Sinn findet Freude an der Natur, und weil feine Gejchäfte und andere Verhältniſſe ihm nicht geftatten, fie täglich zu genießen, ſucht er auf dem feinen ihm vergönnten Raume fich ihr Abbild zu verichaffen. Er verzwergt die Bäume, um möglichjt viel Plat zu gewin— nen und Abwechfelung in feine Schöpfungen zu bringen, aber er ift mit größter Aengftlichkeit beftrebt, der Natur ihre Schön- heiten abzulanfchen und fie in feinem kleinen Paradieſe nach- zuahmen. Seine angeborene Imitationsgabe kommt ihm dabei ungemein zu ftatten, und man weiß nicht, was man in den Gärten mehr bewundern fol, jenes Nahbildungstalent

56

oder den Fünftlerifchen Schönheitsfinn in der Zufammenftellung, oder bie feine durch tiefes Gefühl bedingte Beobachtungsgabe. Die letztere ift wirklich ungemein groß und tritt. nirgends frappanter hervor, als in den bilvlichen Darftellungen von Thieren, namentlich Vögeln. Ich bin im Beſitze mehrerer Bilderbücher aus Jeddo, deren Zeichnungen anfänglich unge- mein roh erfcheinen und nur mit wenigen Strichen auf das Papier geworfen find. Bei näherer Betrachtung erftaunt man jedoch unwillfürlich über ihre außerordentliche Natur- treue. Im diefer Beziehung find es Kunftwerfe, wie fein Volk fie fo vielfältig producirt, und alle, die wir in Japan gemejen, haben die Ueberzeugung gewonnen, daß dies Volk bei einiger Anregung und weiterer Entwicelung eine ungeahnte Bollfommenheit in der Malerei erlangen wird. Während unſers Aufenthaltes in Jeddo im Winter fonnten wir nur die Zierlichfeit und Fünftliche Anlage dieſer Miniaturgärten beivundern; in Nangafafi jedoch, im jchönen Monat Mai, prangten fie im Frühjahrſchmucke in ihrer ganzen bezaubern- den Lieblichfeit, und ich muß geftehen, daß mich fpäter ein ordentliches Heimweh nach diefen wonnigen Pläten bejchlich, in denen ich täglich ftundenlang zubrachte, um mich an ihrer Schönheit zu erfreuen.

2, .

Die Tempelgebäude. Der Buddhismus in Japan. Die Sintoreligion, ihre Götterlehre, ihr Eultus. Die Sefte der Siodofie. Die Prie- ſterſchaft.

Die Gebäude, welche in japaniſchen Städten durch ihre romantiſche Lage ſtets die Aufmerkſamkeit des Fremden auf ſich ziehen, ſind die Tempel. Nach einer japaneſiſchen Karte des ganzen Reichs gibt es deren nicht weniger als 149280, von denen 27000 auf die Sinto- oder urſprüngliche Landes— Religion und die übrigen auf den aus China eingeführten Buddhacultus fommen. Jene werden Mias, diefe Tiras ge- nannt und von lettern exiſtiren vier verfchtedene Arten nach den vier budohiftiichen Sekten. Alle haben das miteinander gemein, daß ihre Erbauer vie jchönften Pläte ausfuchten, welche die Gegend bot und daß jedem Mangel in der Har- monie der Umgebung durch Kunft abgeholfen wurde. Was von den Gärten im fleinen gejagt ift, gilt im großen von den Umgebungen ver Tempel; nur ift hier nichts verzwergt, ſondern alles in natürlicher Größe belafjen, weil feine Raum- bejchränfung jenes nöthig machte. ine Anhöhe mit einer ſchönen Ausficht auf das niedriger liegende Yand oder das Meer, Gebüfche und Alleen von prachtvollen und durch Kunft zur üppigften Blütenfülle gebrachten Zierſträuchern, Dieichte

58

von Bäumen mit verfchieden gefärbten Blättern, Bambus— gehölze, mächtige Fichten mit weit fich Hinftredenven horizon- talen Zweigen, hoch emporjtrebende Cedern, ein viefelnder Bach, fauber mit einfarbigen Kiefeln belegte Pfade, fruchtbare Weder, ländliche Einfanfeit und Stille das find die unerlaßlichen Eigenschaften, welche die Tempel beanfpruchen. Die buddhi— ftifchen zeichnen fich dabei befonders durch ihre ftattliche Bauart, ihre Höhe und Geräumigfeit, ihre Verzierungen mit kunſtvollen Schnigereien und Vergoldungen vor allen andern Gebäuden vörtheilhaft aus.

Die japanefifchen Buddhatempel unterfcheiden fich wenig von den chinefifchen, und ich kann mich deshalb ihrer nähern Befchrei- bung enthalten; nur find fie viel freundlicher und fauberer. Die japanifchen Buddhiſten haben wol den Eultus, aber nicht den Schmuz ihrer chinefifhen Nachbarn übernommen. Die Fuß- böden find mit weißen Binfenmatten belegt, Altäre, Götzen— bilder auf das brilfantefte gefchnitt und vergoldet, und wenn Ihon in China eine große Aehnlichkeit zwifchen Fatholifchen und buddhiſtiſchen Objervanzen aufftel, tritt fie in dieſen Tempeln noch viel mehr zu Tage. Man venfe fich ftatt der Götzen Heiligenbilder und fee ein Crucifix hinein, fo hat man das Innere einer Fatholifchen Kirche.

Der Buddhismus wurde 552 n. Chr. in Japan eingeführt und verbreitete fich bald fo ftark, daß er in wenigen Jahr— hunderten nicht allein ein tolerirter, fondern ein anerfannter Cultus und Staatsreligion wurde. Das geiftliche Haupt des Buddhismus ift der Sakia Hafo. Er refidirt in Miafo und hat eine ähnliche Gewalt wie der Papft, nur daß er feine Heiligen fanonifirt. Der Hafo ernennt die Tundie oder Nebte der Klöfter, in denen alle buddhiſtiſchen Priefter vereinigt jind, jedoch müſſen diefe Tundie von der Regierung beftätigt werden, bie befondere Sorge trägt, daß fie fowol als ver Hako ihren Einfluß lediglich auf geiftlihe Sachen befchränfen.

59

Die Mias oder Sintotempel haben nur die fchönen Umge— bungen mit den buddhiſtiſchen Tempeln gemein; fonft find fie weit unanfehnlicher, Eleinev und beveutend weniger ausge- ſchmückt. Götzenbilder haben fie gar nicht, fondern über oder vielmehr hinter vem Altare hängt nur ein Spiegel, das Sym— bol des Kami oder Gottes, dem der Tempel geweiht ift. „Wer in diefen Spiegel fehen kann, ohne zu erröthen‘, lehrt die Sintoreligion, „der allein ift würdig, vor die Gottheit hinzutreten und ihr feine Verehrung darzubringen.“

Sinto heißt Götterlehre und ift fynonym mit Kami. Sin und Kami find „Bewohner des Himmels“ und bezeichnen die beiden mythologiſchen Götter- und Halbgötter- Dynaftien, welche dem erſten weltlichen Herrjcher und Civilifator Japans, Sin Mu, vorhergingen, von dem die Dairi oder geiftlichen Kaifer abjtammen. Sin Mu's Borgänger war Tenfio Daidfin, eine Halbgöttin. Sie wurde in Isje, einer Provinz an der mittleren Südküſte Nipons, geboren, verrichtete viele wunder— bare heroifche Thaten und ftarb auch dort. Mean evrichtete ihr in ihrer Vaterjtadt einen Tempel, der als genaues Modell für ſämmtliche Sintotempel in ganz Japan dient, die deshalb einer wie der andere ausfehen. Der Sintocultus ift in Be— zug auf die Creivung von Halbgöttern überhaupt durchaus nie engherzig geweſen. Alle Herven und Heiligen wurden als jolche gaftfrei aufgenommen, und auch Buddha genoß dieſe Ehre; ja er wurde oft mit Tenſio Daidfin identificirt, und daher rührt die allgemeine und kaum trennbare Ver— miſchung der religiöfen Ideen in Japan, aber auch die Thatfache, daß bis zur Ankunft der Portugieſen nie veligiöfe Berfolgungen ftattgefunden hatten. Jeder Halbgott hat nach japanefifchen Ideen die Dberaufficht über ein be— jtimmtes Paradies. So reftdirt einer in der Luft, der andere auf dem Meeresgrunde, ver dritte in der Sonne, andere im Monde, in den Steriten u. |. w., und jeder Gläubige fucht

60

fich denjenigen aus, der ihm am beften zufagt. Daher rührt auch die große Menge der Tempel, die fonft gar nicht er- flärlich wäre.

Der Gottesdienft befteht in Gebeten und Niederwerfen mit dem Geficht auf die Erde. Beides ift aber fehr fehnell ab- gethan. Der Gläubige hält eine Waſchung in einem großen Waſſerbecken, das fich bei jedem Tempel befindet, tritt vor den Tempel und jchlägt dreimal an eine Glocke, um bie Aufmerkfamfeit des Gottes zu erregen. Dann klatſcht er brei- mal in die Hände, wirft ſich auf das Geficht nieder, betet in diefer Stellung einige Secunden, fteht auf, wirft einige Kupfermünzen in ven Almofenfaften, und ift fertig. Ueberhaupt ift die Sintoreligion heiterer und fröhlicher Art und betrachtet alles von der Lichtſeite. Wahrfcheinlich ift dies auch der Grund, daß der ernftere Buddhismus bald fo großen Anhang gefunden hat. Die Sintoreligion macht aus ihren religiöfen Feiertagen Freudenfefte und betrachtet Menfchen in Sorge und Noth als ungeeignet zur VBerrichtung ihrer Andacht. Der Buddhacultus dagegen wendet fich mehr an die befümmerten Seelen, deren e8 überwiegend viele gibt, und dieſe fliehen Troſt fuchend zu ihm und feinen Tempeln.

Die Sintopriefter Teben nicht wie die buddhiſtiſchen in Klöftern und im Cölibat. Sie find verheirathet und wohnen mit ihren Samilien neben den Tempeln. Das Haar laffen fie lang wachſen und binden es zu einem Schopfe zufammen. Ihre Kleidung weicht won der der übrigen Sapanefen nur bei Seftlichfeiten oder religiöfen Handlungen ab; dann tragen fie eine Art Talar mit gefticten Kragen und Aermeln und im Haar verfchienene Zierathen. Sie leben theild won den Al« mofen, welche die Andächtigen in den Tempeln opfern, theils von dem, was fie durch Wahrfagen oder Bettelei gewinnen. Auf ihren Bettelzügen legen fie eine befondere Tracht aus grobem weißen Baummollenzeug an und feten einen Hut

61

von Bambusflechtwerf mit fehr breitem Rande auf. Auf dem Rücken tragen fie einen offenen Schranf, in dem fich entweder das Modell eines Tempels oder das Bild eines Gottes befindet, und an einem um ven Leib gefehnallten Gurte führen fie eine Glode, mit der. fie ver den Thüren ihre An- wefenheit befunden, indem fie zugleich Gebete abfingen. Oft betteln fie jo familienweife, und an einem bejtimmten Feſte, wo ihnen wahrjcheinlich befondere Erlaubnig dazu geftattet ift, wimmeln die Straßen vollftändig von ihnen.

Defter begegnet man auch Proceffionen, wobei Götter mit Muſik umhergetragen werden. Diefelben haben jedoch nicht das geringfte Feierliche an fih, und wie es mir ſchien, machten fie auch auf die Japaneſen feinen feierlichen Eindruck. Die Muſik beftand aus einer großen Trommel, die in vegelmäßiger Paufe dreimal hintereinander angefchlagen wurde, und brei Slarinetten, die in fchreelichiter Disharmonie eine unerfenn- bare Melodie fpielten. Jeder diefer Klarinettenbläjfer hatte einen chlinderfürmigen Korb über den Kopf gejtülpt, ver bis an das Kinn reichte und fein Geficht verdedte, während er felbjt durch das Geflecht alles jehen fonnte. Dieſe Men— Then hatte ich ſchon mehrmals bemerkt, wie fie bettelnd umherzogen, und mir ihre fonderbare Tracht nicht erklären fönnen. Auch gingen fie in Seide gekleidet, was durchaus nicht zu ihrer Befchäftigung paßte. Späterhin erfuhr ich, daß es degradirte Jakonins feien, die vom Dairi die Erlaubniß zum Betten erhalten, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, und jenen Korb tragen, um nicht erfannt zu werben. Gie werden vorzugsweije zu folchen Proceffionen fowie zu Hoch— zeiten und Begräbnifjen genommen, und ebenfo wie man bei uns verſchämten Armen gewöhnlich am veichlichiten Almofen ipendet, fcheint auch für dieſe Bettler das Mitgefühl am größten zu fein.

Außer den Befennern des Sinto und Buddha gibt es

62

in Japan noch eine dritte Sefte: die Siodoſin, Rationaliften, welchen faſt alle hohe und gebildete Klaffen angehören und die auf den Gögendienft mit Verachtung herabbliden. Da fie jedoch gejegmäßig einer der beiden Staatsreligionen angehören müſſen, beobachten fie äußerlich die Form des Sintocultus.

Die Priefter des Buddha fowol wie die des Sinto ftehen beim Volke in feiner höhern Achtung als in China und nehmen in Bezug auf wifjenjchaftlihe Bildung auch feinen höhern Rang ein. Ihre ganze Befchäftigung befteht in der Ablei- erung von Gebeten zu beftimmten Tageszeiten oder bei be- jtimmten Gelegenheiten, und derſelbe blödfinnige Gefichtsaus- druck mit dem geiftlofen Auge ift mir hier wie dort aufge: fallen, bei den Buddhiſten jedoch weit mehr als bei ven Sintoprieftern, die wenigjtens doch ein Familienleben kennen und ſomit einen Lebenszweck haben, ver einigermaßen ihre Geiftesfräfte wach hält.

25.

Die Abftammung der Sapanefen. Die Bolfstradt. Die Frauen. Die

Neinlichkeit des Volks. Die Bäder. Die japanefifhen Begriffe von

Schambaftigfeit. Die Theehäufer als Bordelle, Die Gefchlechtsliebe

und die Stellung der Frauen. Höflichkeit und Anftandsformen. Eine

japanefifhe Hochzeit. Das Concubinat. Kinder und Kindererziehung. Der Schulunterricht.

Auf den erjten Anblick feinen die Japaneſen demſelben Bellsftamme anzugehören wie die Chinefen, bald überzeugt man fich jedoch, daß man es mit einer ganz andern Kaffe zu thun hat, wenngleich viele aus China eingeführte Sitten fie ihren Nachbarn fehr ähnlich machen. Den ficherjten Be— weis für die gänzlich verfchiedene Abkunft ver beiden Völker— ſchaften gibt aber die vergleichende Philologie. Die Sprachen zeigen weder in ihrem Bau noch in ihren Wurzeln die ge— ringfte Aehnlichfeit miteinander, vielmehr jteht das japane- fiihe Idiom einzig in der Welt da, und man hat bisjeßt feine Berwandtfchaft ınit irgendeiner andern Sprache entveden fünnen. Diefer Umjtand läßt darauf ſchließen, daß der japa— nifche Archipel troß feiner Nähe am Feitlande Afiens von dieſem entweder nicht bevölfert wurde oder, wenn dies der Tall war, daß ein fremdes Volk ihn fpäter eroberte und ven befiegten Landesbewohnern jeine Sprache aufzwang. Dieſe leßtere Annahme ift die wahrjcheinlichere, denn es ift nicht zu verfennen, daß die Bevölkerung aus zwei ganz verjchiedenen

64

Raſſen bejteht, deren eine der Adel und deren andere das Volk vertritt. Wol überall übt Bejchäftigung, Nahrung und Bildung einen bedeutenden Einfluß auf den Körper, und fait in jedem Lande unterfcheidet fich die Ariftofratie von dem niedern Volke durch feinere Körperformen und edlere Gefichter; jedenfalls erjtreckt fich aber ver Einfluß einer höhern Bildung und günftigern Lebenslage nicht fo weit, daß er einem Gliede eine ganz beftimmte und unveränderliche Form gäbe. Diefer Erſcheinung begegnen wir bei den Sapanefen, und man fann hier in der eigenften Beveutung des Wortes fagen, man fieht es ihnen an der Nafe an, zu welcher Klaſſe, ver höhern oder niedern, jie gehören. Die Nafe des Adels iſt nämlich eine Art römiſche, die zwar etwas breit, aber eine jcharf ausgejprochene und abwärts gebogene Spite hat, wogegen die des Volks ſtumpf aufgeworfen und die if. Die Baden- fnochen treten bei beiden Klaſſen weit hervor, dev Mund ijt groß, dagegen find die Kippen bei dem Adel lange nicht fo wultig, und fern Geficht gewinnt dadurch an Feinheit. Die Augen find bei beiden gejchlitt und fchräg liegend, aber nicht jo ſtark wie bei ven Chinefen; die Hautfarbe ift jedoch dunkler als Bei diefen, wahrfcheinlich durch den Einfluß der Sonne, Die Gejtalt des Adelichen ift im allgemeinen fein geformt und überfteigt nicht die Mittelgröße, während man unter dem nie— dern Bolfe jehr große und ungemein muskulös gebaute Körper findet, die an ein Athletengefchlecht erinnern. So zeigt fich in allem ein Unterfchied zwifchen ven beiden Volksklaſſen, welcher groß und zu ftereotyp ijt, um zufällig oder das Nefultat einer verſchiedenen Lebensftellung zu fein. Vielmehr kann man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß der Adel das Land erobert hat, indem er aus einem andern Welttheile, nicht aus Afien, einwanderte. Mean fchwebt bisjegt im Dunfeln über jeinen Urfprung, aber wahrfcheinlich würde eine genauere Bergleichung mit ven nordamerifanifchen Indianern weftlich vom

65

Felfengebirge herausjtellen, daß letztere mit dem japa- neſiſchen Adel einerlei Stammes find. Vor der Abjchliefung des Landes waren die Sapanefen als fühne und unternehmende Seeleute befannt. Sie beunruhigten als gefürchtete Freibeuter den ganzen Indiſchen Archipel, erfchienen auf Java und fetten Könige von Siam ein und ab. Wie leicht möglich iſt es, daß die Eroberer des Landes auch von Amerifa nach Japan herüberfamen. Jene Indianer find ebenfo kühne Seeleute, wenn ſie jich jet auch nur auf Fifcherei befchränfen. Ihr hohes Selbſt- und feines Ehrgefühl finden wir auch bei den Sapanefen. Die gebogene Nafe, die gejchlitten Augen und die Hautfarbe jtimmen bei beiden überein, und ebenfo findet fich viele Webereinftimmung in ihren Sitten und Gebräuchen ſowie in ihrem ganzen Charafter. Bei jenen Indianern wird die Schönheit ihrer Frauen im Vergleich zu denen der andern Stämme gerühmt, und ebenfo ift befannt, daß diefe bei vor- gerücktem Alter eine Neigung zum Fettwerden haben. Ganz dafjelbe findetsman in Japan, und es dürfte für die Wifjen- Ichaft wol von Interefje fein, auch die Sprachen zu ver- gleichen.

Die Tracht der Japaneſen ift jehr einfach. Die der Männer befteht aus einem bis auf die Knöchel reichenden Rode, ver jih von unfern Schlafröden nur durch Fürzere, bis an die Elnbogen reichende Aermel unterjcheidet. Diefer wird vorn übereinander gefehlagen und mit einer Schnur zu- jammengehalten. Er ift je nach der Lebenslage des Befiters von Baumwolle oder Seide und fajt immer dunfel und ein- farbig oder ganz fein carrirt. Ebenſo wird er der Jahres— zeit angemeſſen leichter oder dider wattirt getragen. Die Beinfleiver find beim niedern Bolfe gejegmäßig eng an- Ichließend und ftets von Baumwolle, bei dem Adel und allen Beamten von Seide und weit. Ueber dem Rode wird von den Wohlhabenden ftets eine auf die Hüften fallende Jacke

Werner, I. 3)

66

getragen, deren jehr weite Nermel mit Tafchen verfehen find, in denen die Heinen Bebürfniffe, wie Papier zu Taſchen— tüchern u. |. w., aufbewahrt werden. Hemden find unbefannt. Die Füße fteden in baummollenen weißen Strümpfen, über die jedoch das Beinfleiv bis auf den Knöchel fällt. Diefe Strümpfe Haben eine bejondere Abtheilung für die große Zehe, um zwifchen diefer und den übrigen Zehen den Bügel der Strohjandalen feitzuhalten, die unveränderlich won jung und alt, reich und arm, Abel und Volk, Kaifer und Bettler getragen werden. Sie find äußerſt funftlos und billig umd werben unterwegs ohne weiteres weggemworfen und durch neue erjeßt, die man für einen Grofchen in verſchiedenen Läden jeder Straße faufen kann. Bei Schmuzigem Wetter werden jtatt der Sandalen Holzgalofchen getragen. Dieje find ebenfo einfach, bejtehen aus einem horizontalen Fußbret und zwei daruntergenagelten perpendifulären Bretchen von 3—4 Zoll Höhe. ES gehört nicht wenig Geſchicklichkeit dazu, auf diefen hohen Dingern zu gehen, immer aber bleiben fie unficher, und man muß ftet3 balanciven, was der Figur ein grotesfes Anſehen gibt. Da alles dieſe Galofchen benutt, fo denfe man fi eine Compagnie Soldaten damit verjehen und militä- riſche Evolutionen machend.

Die Japaneſen tragen ebenfalls einen Zopf, aber dieſer iſt von dem chineſiſchen ſehr verſchieden. Sie ſcheren nur den Vorderkopf bis an den Scheitel, während ſie das übrige Haar lang wachſen laſſen. Dieſes wird von hinten nach dem Scheitel gekämmt und, zu einem Zöpfchen von der Form und Größe eines Fingers gebunden, mit Pommade ſehr glatt ge— macht und nach vorn übergelegt. Hüte werden im allgemei— nen nur bei officiellen Gelegenheiten getragen, und dann ſind ſie wie die chineſiſchen von Bambusgeflecht und koniſcher Form.

Die Kleidung der japaniſchen Frauen unterſcheidet ſich wenig von der der Männer. Ihr Hauptkleidungsſtück iſt der

67

erwähnte Schlafrod aus Seide oder Baumwollenzeug und wattirt. Er wird übereinander gejchlagen und mit einem breiten Seidengürtel zufanmmengehalten. Um den Oberkörper ziemlich Toje hängend, zieht man ihn unten ftraff um die Glieder, ſodaß die freie Bewegung der Füße gehemmt wird und die Schönen einen watjcheinden Gang annehmen. Statt der Beinfleider tragen die Frauen einen Rock oder vielmehr ein dünnes Tuch, das um den Unterförper gefchlagen wird und alle Unterröde vertritt. Während die Männerröde ftets einfarbig und dunfel find, gefallen fich Frauen und Mädchen in den lebhafteften Farben und Muftern, in deren Auswahl fie großen Gefhmad zeigen. Aermel und Kragen find viel- fach geſtickt. Ebenjo fojtbar wie oft der Rod iſt auch ver über einen Fuß breit getragene Gürtel. Bei jedem jungen Mädchen wird die Schleife diefer Schärpe hinten, bei Frauen vorn getragen. Die nebenftehende Zeichnung, nach einer Pho— tographie gefertigt, zeigt drei japanefiiche Mädchen des untern Bürgerftandes in gefellfichaftlicher Kleidung.

Die Natur hat alle Japanefinnen mit einem prachtvollen Haarſchmuck befchenft. Dies wird von ihnen auch dankend anerfannt, und der Aufputz des Kopfes bildet ein Studium und eine Kunft des ſchönen Gefchlechts. Mag eine Iapanefin noch jo arm, mit Lumpen bevedt oder häßlich fein, begegne man ihr früh morgens oder ſpät abends, im den Straßen der Hauptitadt oder in der ärmlichjten einfamen Hütte am Bergabhange, ftets wird fie ihr Haar fauber gefämmt, mit Blumen oder einem Stüdchen Krepp verziert und zu jenem eigenthümlichen Knoten gejchürzt haben, ver ebenſo hübſch als geeignet tft, die Schönheit und reiche Fülle des Haares auf das vortheilhafteſte zur Schau zu tragen.

Weder Männer noch Frauen machen jich das Haar felbit. Bei jenen bejorgt e8 der Barbier, bei diefen entweder die Dienerin oder ein anderes weibliches Wefen. Da die Her-

5*

68

ftellung der Coiffüre jedoch ftets eine Arbeit von mehreren Stunden ift, jo wird fie nicht täglich erneuert, und um fie während der Nacht Feinen Fährlichfeiten auszufegen, hat man jene fonderbaren Kopffiffen erfunden, von denen ich weiter oben gefprochen und in denen nur der Naden ruht.

Eine Unterfcheidung in der Haartracht wie in China zwifchen Grauen und Jungfrauen wird in Japan nicht gemacht. Die fünfjährige Enfelin trägt das Haar wie ihre Großmutter, die Gemahlin des Gouverneurs wie die Frau des Kuli, nur mit dem Unterſchiede, daß die umendlich vielen Spangen, Nadeln, künftlichen Blumen u. f. w., von welchen das Haar ftarrt, dort von Gold, Silber und Scildpatt, hier von Rauſchgold, Zinn und Knochen gefertigt find.

Eine Kopfbedeckung haben die Japaneſinnen nie; fie würde die zarte Structur des Haarſchmucks bedrohen. Bei der Trauer jollen die Frauen von Kopf bis zu Fuß in grobe Leinwand gehüllt, überdies auch der Kopf mit einer Mütze bedeckt fein; diefe wird jedoch nur ganz leife aufgelegt.

Die verheiratheten Frauen erfennt man an zwei Merf- malen, durch welche fie fich nach der Hochzeit auszeichnen und entftellen: fie rafiren die Augenbrauen ab und färben ihre Zähne ſchwarz. Das Färben ver Zähne mag vielleicht in frühern Zeiten, als die Japaneſen noch. mit andern Yändern verfehrten, aus dem Indiſchen Archipel überfommen fein, je- doch ift es wahrjcheinlicher, daß es ebenfo wie das Nafiren der Augenbrauen nur vorgenommen wird, um, zu entjtellen.

In Japan hat jeder Vorgefette das Necht, fich die Frau jeines Untergebenen zu nehmen, wenn fie ihm gefällt, Um diefem Gefallen vorzubeugen, haben die armen Männer jene Moden erfunden. Einen Borzug behalten die Iapanefinnen aber doch vor den malaiischen Weibern, fie fauen feinen Betel, und da laffen fich die ſchwarzen Zähne fchon eher er- tragen. Dagegen find fie aber wie ihre Männer leivenjchaft-

69

liche Raucher. Doch die eleganten Miniaturpfeifen mit Metallfpigen und Köpfen, nicht größer als der Nagel am Heinen Finger, haben nichts Widerliches. Die Tabads- tajche von gepreßtem leverartigen Papier und das Futteral aus gleichem Stoff find zierlich und elegant wie die Pfeife felbft, und das Rauchen wird auch gerade nicht übertrieben. Zwei, drei Pfeifen und aus jeder nur zwei, drei Züge, damit ift dem Drange Genüge gefchehen. Die Pfeife wird forgfältig in ihren Behälter zurüdgebracht und dieſer an einen ebenfo fein als bizarr gejchnigten Knopf aus Elfenbein oder hartem Holz an den Gürtel gehängt oder bis auf weiteres in dieſen jelbjt geſteckt.

Sch glaube, es gibt fein Land in ver Welt, wo fich die Frauen und Mädchen nicht fehminfen oder bemalen, und Japan macht feine Ausnahme. Bei uns trägt man gemeinlich voth auf; in den tropifchen Colonien ift Bläffe anftändig, und die Europäerinnen und Halbblutdamen fchminfen fich da weiß. Die Chinefinnen malen ihre Lippen roth, die Iapanefinnen dagegen ſchminken ihr ganzes Geficht, Hals und Naden bis über die Schulter weiß und die Baden und Lippen rvoth. Bon weitem macht das einen jehr guten Effect, in der Nähe ift e8 oft ftörend, weil die Karben gewöhnlich zu ſtark auf- getragen werden. Ein außergewöhnlicher Schmud bei jungen Mädchen ift noch das Vergolden der Lirpen, nach japanifchen Begriffen wahrfcheinlich bezaubernd, nach unſern häßlich und entjtellend. Da läßt man fich noch eher die goldenen Zähne gefallen, die malaiiſche Stußer fich einjegen. Aber man vente fich einen ſchwellenden Mädchenmund mit goldenen Lippen!

Sind ſchon die japanefifhen Männer Fein häßlicherer Menjchenichlag als die Chinefen, fo dürfen die Frauen fich dreift mit ihren Nachbarinnen in die Schranfen ftellen. Während man in China lange nach einem hübſchen Geficht zu juchen hat, fieht man in Japan wenig häßliche, und wir haben

79

in Nangafafi zwei junge Mädchen Fennen gelernt, vie jelbft in europäifchen Salons als Schönheiten allgemeine Bewun- derung erregt haben würden. Beide waren gewöhnliche Dürgerstöchter. Die eine wurde bei einer Spaziertour in einem Fiſcherdorfe, Mogi, entdedt, hieß fortan „das fchöne Mädchen von Mogi“, und alles wallfahrtete nach dem Dorfe, um das rveizende Kind zu fehen und zu bewundern, zu nicht geringer Freude der Mutter, die nicht nachließ, jedem mit Stolz zu erzählen, daß fie die Mutter fei. Daß es in den höhern Kreifen nicht an Schönheiten fehlt, fahen wir an einer Photographie von einer der Töchter des Gouverneurs von Nangafafi, die von einem Japaneſen aufgenommen war und ung gezeigt wurde. Gegen dieje frifchen, blühenden Ge— fichter fommen einem die meijten Chinefinnen ‚mit ihren ein- gefallenen farblofen Wangen wie Todtenföpfe vor. Sch habe hier nämlich noch zu bemerken, daß die Japanefinnen von Natur einen viel weißern Teint als jene und, ſelbſt unge- ſchminkt, fchöne rothe Baden befizen, was man in China nie findet. , Dabei ift alles jo fauber, reinlich und appetitlich, d.h. im Durchſchnitt, daß man fich in das ganze Yand ver- liebt. Freilich gibt e8 auch Ausnahmen, und ein Fifcherborf in der Nähe Nangafakis mopdificirte meine Anfichten in etwas. Bis dahin war ich von der allgemeinen Neinlichfeit der Ja— panefen aufs höchfte entzüct; bier, fand ich es jedoch tout comme chez nous unter ähnlichen Verhältniffen. Erbärm- liche Hütten, wie ich ſie kaum jchlechter in China gefehen, zerlumptes ſchmuziges Volk, ungewafchen und ungekämmt, voll von Ungeziefer. Ob vielleicht eine Calamität, Erdbeben oder Brand die Leute fo zurüdgebracht hat? Jedenfalls war dies aber das einzige Dorf, welches ich in einem folchen Zuftande ſah, und ich muß im allgemeinen dabei ftehen bleiben, daß die Sapanejen fo reinlich find wie fein zweites Volk der Erde. Allabendlich, Winter oder Sommer, wird ein warmes Bad

71

genommen und dev ganze Körper gründlich abgefeift. Jedes einigermaßen anftändige Haus befitt eine Baveanftalt mit falten, warmen und Dampfbädern, und für Fremde und diejenigen, welche fein eigenes Haus haben, gibt es eine große Zahl öffentlicher Bäder. Die Privatbäder liegen im Hofe, find 4 Fuß hohe gemanerte Chlinder, von ungefähr 3 Fuß Durchmefjer, unter denen ein Herd fich befindet. Dft fitt die ganze Familie darin, und das Waffer wird fo heiß ge- nommen, daß fie roth wie gefochte Krebſe herauskommen. Da jedoch, wie ſchon bemerft, die Häufer mit ihrem ganzen Innern von der Straße überjehen werden, jo wird der Vor— übergehende unwillfürlich Augenzeuge diefer Familienſcenen, und zwar aus nächjter Nähe, ohne daß irgend Vorkehrungen dagegen getroffen wären. Ebenſo baden in den öffentlichen Bädern Männer, Frauen, Kinder, reife, junge Mädchen und Sünglinge, alles ungenirt mit- und durcheinander. Die Frauen werden von männlichen Badewärtern bedient und abgewafchen und es ijt weder von Schwimmhofen noch Bade— mänteln die Rede. Meberhaupt zeigt fich nach diefer Richtung Hin die Kehrſeite des japanefifchen Charakters. Es ift das liebenswürdigjte, freundlichjte, wohlerzogenfte und höflichfte Bolf; aber Scham und Sittfamfeit find Begriffe, die fie nicht fennen und wofür wahrjcheinlich ihre Sprache nicht einmal einen Ausdruck befitt.

Man jagt zwar, naturalia non sunt turpia, aber alles hat feine Grenzen. Obwol wir durch frühere Reifebefchreiber Ichon etwas vorbereitet waren, wurden unfere Borftellungen von der Wirflichfeit doch weit übertroffen. Dft waren wir ganz erjtarrt, und felbft wenn die Delicatefje es erlaubte, einzelne Scenen, die wir erlebt, wiederzugeben, würde man mich geradezu der Unmwahrheit bezichtigen, ohne daß ich es jemand übel nehmen Fünnte. Sch felbft würde es nicht glau- ben, wenn ich e8 nicht gefehen hätte. Anfünglich waren wir

72

wirflih in Zweifel, was wir davon denken follten, und ſehr geneigt, hier eine paradiefifche Unſchuld zu ſuchen, aber freilich überzeugten wir uns fpäter, daß e8 in Japan überhaupt feine Unfchuld in unferm Sinne gibt. Die Naturalia und ihr Studium jcheinen einen Theil der Schulbildung auszu— machen; die obfeönften Gegenftände, bildlich und plaftifch dar- gejtellt, Hängen als Spielzeug öffentlich in allen Yäden. Der Bater bringt diefe Dinge feinen Töchtern, die Mutter ihren Söhnen, der Bruder feinen Schweftern, und das Kind von 10 Jahren ift Schon mit allen Myſterien ver Yiebe jo vertraut wie bei uns faum eine Matrone. Man müßte die Sapanefen als verworfenes Gefindel bezeichnen, wenn man fie einfeitig nach dieſem Maßſtabe beurtheilen wollte Das darf man jedoch nicht; die Japaneſen find ſchamlos, aber nur weil fie nicht wiffen, was Scham iſt. In Japan verſtößt e8 z. B. nicht gegen die Sitte, wenn ein junges Mädchen in die nach der Straße mündende Thür eines Badehauſes tritt und ſich mit einem Vorübergehenden unterhält, während ſie ſich ab— trocknet oder Kühlung zufächelt. Niemand findet etwas darin, und ich glaube, man hat dabei nur aus der Noth eine Tu— gend gemacht. Die ganze arbeitende Klaſſe der Handwerker und Kuli geht bis auf einen ſchmalen Gurt um die Hüften im Sommer vollſtändig nackt, und ebenſo zwingt die Hitze die Frauen, ſich im Hauſe oder bei der Arbeit des nationalen Rocks zu entledigen, wo dann nicht viel übrig bleibt. Scham iſt ein Begriff, der nicht nur durch feineres Gefühl, ſondern ebenſowol durch das Klima modificirt wird; je wärmer das Klima, deſto weniger genirt man ſich und kann man ſich in der Kleidung geniren. Man würde in Deutſchland und Eng— land ein ſchönes Geſchrei erheben, wenn uns die Dame vom Hauſe bei einer Morgenviſite nur mit einem Sarong und einer Kabaie bekleidet und barfuß in Pantoffeln empfinge, wie dies in den tropiſchen Colonien bei allen Europäerinnen

73

Sitte ift. Die Japaneſen haben fich daher wahrjcheinlich ge- jagt: „Wozu follen wir eine Sitte forciven, die nicht zum Klima paßt?“ So denke ich e8 mir wenigiteus, und bie Richtigkeit diefer Annahme geht mir eben aus der jo ganz und gar ungenirten Behandlung der Naturalia hervor. Die Deffentlichfeit, mit der man in allen diefen Sachen zu Werfe geht, ift ver bejte Beweis, daß hier Sitte ift, was bei uns Unſitte. Veberhaupt aber frappirt e8 uns nur darum jo fehr, weil die Japaneſen uns an Körper und Geift näher jtehen als 3. B. Neger, Indianer, Malaien, deren Nacktheit und moraliſche Zuftände wir von vornherein mit ganz andern Augen betrachten. Befinden wir uns jedoch in Geſellſchaft von Menjchen, deren Umgangsformen fajt europäifch find, und die fich überhaupt durch feines, taftuolles Benehmen nad unfern Begriffen auszeichnen, jo legen wir unwillkürlich unſern Bildungsmaßſtab in jeder Beziehung an, und es muß uns ebenſo fremd als unangenehm berühren, plößlich auf etwas zu jtoßen, was fich von unfern gewohnten Anfchauun- gen fo weit entfernt.

Man kann fich aber darauf verlafien, die Japanefen find darum nicht jchlechter als andere Menjchen, weil fie andere Begriffe von Sittfamfeit und Schamhaftigfeit Haben. Nie- mand, der das liebenswürdige Volk näher fennen gelernt, wird ihm ein Berbrechen daraus machen, etwas Natürliches öffent- fich zu behandeln, was bei uns die Sitte zu verjchleiern trachtet.

Ganz im Einflange mit jenen Anfichten fteht die Einrich- tung der Theehäufer in Japan. Die Theehäufer find Re— ftaurationen und ftet8 Bordelle, in denen man 20-40 und mehr Mädchen findet. Nur ift zwifchen diefen und ähnlichen Anftalten bei ung der bedeutende Unterfchied, daß jene ſämmt— lich unter genauer Controle der Regierung jtehen, und bie Mädchen durch ihr Gewerbe durchaus nicht entehrt werden, während diejenigen Frauenzimmer, welche außerhalb ver

74

Theehäufer Proftitution treiben, bei den Japaneſen gerade jo verachtet find wie bei ung. Man jieht alfo, auch in Sapan gibt es Sittfamfeit und Scham, nur find die Grenzen dieſer Begriffe fehr enge gezogen. Die Theehäufer darf man, fo parador dies manchem auch Flingen mag, als Penfions- und Erziehungsanftalten für junge Mädchen aus unbemittelten Bür— gerfamilien betrachten. Arme Xeltern, die eine Menge Kin- ver haben und vorausfichtlich fie nicht gut ernähren können, geben ihre Töchter vom neunten oder zehnten Jahre an auf eine bejtimmte Reihe von Jahren, gewöhnlich zehn oder zwölf, in ein Theehaus. Dies geſchieht contractlich unter Aufficht des Staats, der die den eltern zu gewährende Entſchädigung beftimmt und gewifjermaßen die VBormundjchaft der Kinder übernimmt. Die Theehäufer find Rejtaurationen und die Clubs der jungen Männer, die fie ver Mädchen wegen be- ſuchen. Es liegt deshalb im Intereffe der Wirthe, nicht allein hübſche Mädchen zu halten, fondern fie auch jo gut als möglich zu erziehen, ihre etwaigen Talente auszubilden und durch fie Säfte anzuloden. Es wird baher auf Die Erziehung der Mädchen alle Sorgfalt verwandt. Sie lernen nicht nur alle weiblichen Fertigfeiten und werden zu guten Hausfrauen herangebildet, ſondern man unterrichtet fie auch in Mufik, Tanz, Lejen, Schreiben, wie fie e8 im älterlichen Daufe nie würden erlangt haben. Mancher Bürger der Mittelflaffe holt fih Frauen aus diefen Theehäufern, und dieſe ftehen unter ihren Mitmenfchen fortan ebenjo geachtet da, als ob fie als Sungfrauen das Haus ihres Bräutigams betreten pätten.

In Yokuhama hat die Regierung allein für die Fremden ein Theehaus, das fogenannte Ganfyro, bauen laffen, das, auf prachtuolle Weife eingerichtet, fat an europäifche Städte erinnert. Es enthält nicht weniger als 300 Zimmer und ebenfo viele Mädchen, die in drei verfchieden tarirte Klaſſen

75

zerfallen. Regierungsbeamte leiten die Verwaltung dieſer Anftalt, und in ihren Händen ruht der gejchäftliche Theil des Ctabliffements. Gewiß ftcht diefe Sache auch einzig in der Welt da, die Regierung als Bordellwirth! Was läßt fi) darüber jagen? Es ijt einmal jo Sitte, man findet nichts darin, und ihr Anfehen beim Volfe leidet nicht dar- unter.

Troß alledem zeichnen fich die Japanefinnen, mögen jie in einem Theehauſe oder in einer Familie erzogen fein, durch ein fittfames Aeußere und feines Benehmen aus. Ein Frauen- zimmer ohne Scham bei uns wird gemein, efelhaft und ver- räth ihren Charakter duch ihr Benehmen. Den Japaneſin— nen iſt Taft und Grazie angeboren, fie verleugnen fie nie und werden nie gemein. Ob vie Ehen, deren Bränte bie Theehäufer liefern, jehr glücklich werben, laſſe ich dahinge— jtellt fein; es ift fchwer, darüber richtig zu urtheilen. Allein nach allem, was ich vom Gemüthsleben der Japaneſen in Erfahrung habe bringen fünnen, iſt Liebe felten oder nie das Motiv einer Ehe, und oft machten die Frauen und Mädchen den Eindrud, als wäre Liebe ihnen ein unbekanntes Gefühl. Ich habe wol eltern ihre Kinder und dieſe umgekehrt ihre Aeltern Tiebfofen jehen, aber nie vergleichen bei Cheleuten wahrgenommen, und die Europäer, die in Kanagava und Nangafafi jahrelang mit Iapanefinnen wie Mann und Frau lebten, alfo wol ein Urtheil darüber haben fonnten, waren auch der Anficht, daß Iapanefinnen Liebe in der edlern Be— deutung des Wortes gar nicht kennen. Man kann ihnen je doch feinen Vorwurf daraus machen. Aeltern- und Kindes- liebe pflanzt die Natur auch den Thieren ein. Was aber die Gefchlechtsliebe an edlen Negungen und feinem Gefühl beit, ift Reſultat der Erziehung, der Bildungsftufe, der Gefeßgebung und der Neligion. Wahre Liebe ift undenkbar ohne feines Schamgefühl; ein Mädchen, das aus irgenpwel-

76

chen Gründen dies nicht befitt, kann weder Liebe fühlen noch geben, und ein Chegefeß, das dem Mann gejtattet, beliebig viel Frauen zu nehmen, kann Yiebe nicht weden. Die japa- nifchen Frauen nehmen in der Familie nicht die bedeutende Stellung ein wie in China, find jedoch feineswegs die Sfla- vinnen des Mannes, wie e8 im übrigen Orient der Fall ift, jondern ftehen ihm in der Häuslichfeit und bei der Erziehung der Kinder helfend zur Seite, und wenn auch Liebe nicht die Gatten bindet und Glück in das Haus zieht, feheint die Ehe doch beiderfeitig Hoch genug geachtet zu werden, um fie nicht durch jene Ausbrüche von Roheit und Gemeinheit zu befleden, die man in unfern ciwilifirten Staaten leider jo häufig findet. Daß ein Mann feine Frau mishandelt, fommt nie vor, ja nicht einmal Zank oder Schimpfworte verlegen die Anftands- formen, die Erziehung und Herfommen zum Geſetze erhoben haben und die im äußerlichen Leben auf eine Weife beobach- tet werden, wie man es wol nirgends anders findet. Sie find allen Schichten der Gefellfchaft eigen, und zwei befannte Straßenfehrer oder Dienftmädchen begrüßen fich auf diefelbe höfliche und originelle Art wie Perfonen aus den höhern Ständen. Begegnen fih z. B. ein paar Befannte auf der Straße, jo bleiben fie einige Schritte voneinander entfernt jtehen, bücken fich, Tegen die Hände auf die Knie und reiben, unter bejtändigen Berbeugungen und dem japanifchen „Oheio anneta’ und „Saginada‘ (Guten Tag und Leben Sie wohl!), ihre Schienbeine auf und niever. Dabei ift ver Ton der Sprache feife, fanft und von einem wiederholten Einziehen des Athens durch die Zähne begleitet, das ein zifchendes Geräufch macht und ftet8 von Gleichgeftellten gegeneinander oder von Unter- gebenen gegen Höherftehende beobachtet wird. Wollen die Betreffenden dagegen miteinander fprechen, jo hoden fie beide nieder, jtüßen fich auf die flach auf den Boden gelegten Hände und halten in diefer Rage, mit dem Kopfe nieder- und

77

etwas feitwärts gebogen, ihre Unterredung, ohne fich jedoch anzufehen. Die Männer halten die Hände vabei auswärts, die Frauen nach innen gelegt. Natürlich wird diefe Ceremonie in gewiffen Fällen, wenn e8 z. DB. geregnet hat, bejchränft, um ſich nicht die Hände zu befehmuzen, aber bei trocenem Wetter fann man derartige Begrüßung in jeder Straße häufig wahrnehmen.

Die Heirathen in Japan find unter den höhern Ständen ſtets Gonvenienzheivathen; bei den Mittelffaffen waren fie es bis vor nicht langer Zeit ebenfalls, und der Bräutigam ſah jeine Braut zum erjten male, wenn fie am Hochzeitsabenv fein Haus betrat, e8 ſei denn, daß er fie fich aus einen Thee- hauſe gewählt hätte. Jetzt fieht er fie zwar ſchon früher, aber die Heirath bleibt eigentlich immer noch das Nefultat fluger Berechnung, und Neigung jpielt dabei nur eine unter- geordnete Rolle.

Die meiſten Sitien der Iapanejen find auf die chinefifchen begründet und als folche reich an Etikette. Je höher vie Perfon in gejellfchaftlicher Beziehung fteht, deſto weitläufiger iſt das Ceremoniell, während man bei der bürgerlichen Klaffe etwas weniger Umftände macht. Ich habe feine Gelegenheit gehabt, eine Hochzeit mit anzufehen; die nachjtehende Be— Ichreibung habe ich jedoch von Augenzeugen und gebe fie, wie fie mir erzählt ward, mit der Bemerkung, daß bier von der Mittelflafje die Rede ift, zu der Kaufleute und Handwerker gehören.

Wie in China, wird die ganze Berhandlung durch Mittels- perjonen eingeleitet, die entweder die Sache geſchäftsmäßig treiben oder aus dem Kreife der Verwandten dazu gewählt werden. Jedoch fallen alle Wahrfagerförmlichfeiten fort, denn die Sapanefen find viel zu aufgeklärt, um fich von dieſen Gaunern das Geld aus der Tafche locken zu laffen. Iſt vie Sache abgemacht, jo ſchickt der Vater des Bräutigams dem

78

Bater der Braut Gefchenfe, die der Bermittler überbringt und dafür Gegengejchenfe empfängt.

Alsdann wird die Ausſteuer der Braut bereitet, die genau vorgefchrieben ift, und aus folgenden Sachen befteht: Ein weißes Hochzeitsfleivd mit gold« und filbergefticten Kragen und Aermeln; vier andere leider, roth, ſchwarz, gelb und weiß; verfchiedene andere vollftändige Anzüge; ein dicker mit Pelz gefütterter Rod, als Nachtfleiv; Matratzen, Kopffiffen, Handſchuhe, Teppiche, Handtücher, ein Mantel, ein Sänften- überzug; ein Sad mit getrocfneten Kräutern, die in das Waſch— waſſer gejtrent werden, ein Beutel mit Zahnjtochern, ein Bund Haarjchnüre, ein Handfpiegel, eine Feine Kifte mit Medicin, ein Käftchen beſte Schminfe für die Lippen, mehrere Rollen Padpapier, ein Padet Briefpapier, eine Art Harfe, Kollo genannt, eine Guitarre, ein Schreibzeug, ein Nadel: fiffen mit verfchiedenen Arten Nadeln, ein Kaften mit Käm— men, eine Krufe mit Mixtur, um die Zähne ſchwarz zu für- ben, Zangen zum Brennen der Haare, Scheren, ein Brief- faften, ein Kaſten mit Nafirmefjern, ein Blatteifen, einige Körbe und Gefäße, ein Feiner Dolch mit weißer Scheide in einem Futteral (ein Talisman gegen böfe Geifter und Aus dünftungen), Höflichfeitsfarten von buntem Papier mit Gold oder Silber brochirt, die um Gefchenfe gewidelt werden, Kofi oder efbares Seegras, von dem ebenfalls jedem Ge- Ichenfe ein Stückchen angeheftet wird, Seidenzwirn, Bambus— jtangen, um Zeug darauf zu trocknen, vwerjchiedene Sorten Fächer und eine Bank, um die Elnbogen darauf zu ftüßen, wenn die Hausfrau nichts zu thun hat. Dazu fommen noch verfchiedene Bücher, Erzählungen, Gedichte, ein Buch über die Pflichten einer verheiratheten Frau und ein anderes über die Etifette bei der Hochzeitsfeierlichkeit.

Wenn dieſe Ausſteuer fertig ift, werden der Vermittler und feine Frau in das Haus des Brautvaters geladen und

19

ihnen zu Ehren ein Mahl angerichtet. Ein glüclicher Tag wird beftimmt und an ihm die Ausfteuer nebit einem Ver— zeichniß der Gegenftände gegen Quittung in das Haus des Bräutigams gefchict.

Am Hochzeitstage wird ein gewandtes Dienjtmädchen zivei- ter Kaffe zum Hauſe ver Braut gefchict, um dieſe zur bevie- nen. Es gibt nämlich in Japan drei Klaffen von Dienit- mädchen: die Mädchen erjter Klaſſe, unfere Kammerjungfern, machen die Kleidung und das Haar ihrer Herrin und halten ihr Zimmer in Ordnung; die zweite Klaſſe bevient fie bei Tiſch, begleitet fie bei Ausgängen und forgt für die Kinder; die dritte Klaffe bejorgt die Küche und fonftige ſchmuzige Arbeit. Alle drei Klaffen dürfen nur aus den Theehäufern genommen werden.

Bevor die, Braut das älterliche Haus verläßt, gibt ihr Vater allen feinen Verwandten ein Feitmahl. Der Brautzug begibt jih dann in Sänften zum Haufe des Bräutigams; zuerft die Frau des DVermittlers, dann die Braut, dann die Brautmutter und zulett ihr Vater; der Vermittler felbit ift ſchon vorausgegangen. Die Braut ift weiß (Trauerfurbe) ge- fleidet, da fie fortan als todt für ihre Aeltern betrachtet wird und wie in China als Tochter von ihres Mannes Aeltern gilt.

Im Haufe des Bräutigams ift an der rechten Seite der Thür eine alte Frau und links ein alter Mann aufgeftellt, deren jedes einen Mörfer mit etwas Reiskuchen darin hält. Wenn die Sänfte ver Braut vor der Thür anlangt, beginnen fie den Inhalt des Mörfers zn zerftoßen, indem der Mann fagt: „Taufend Jahr“ und die Fran ‚Zehn Tauſend“ Anfpielungen auf die angenommene Lebensdauer der in Ja— pan heiligen Kraniche und Schilöfröten, die zu Gunften der Braut angerufen werden. Die in den Mörfern geftoßenen Kuchen werden dann zu Einem verbaden und diefer auf dem Toko, dem Chrenplaß für Fremde, aufgeftelft.

80

Beim Eingange in das Haus wird die Brautfänfte vom Bräutigam in Empfang genommen, während ihm gegenüber eine Frau mit einer Laterne fitt. Bei dem Lichte diefer Ya- terne jah früher der Bräutigam feine Zukünftige zum erſten mal, und er hatte, wenn fie ihm nicht gefiel, das Necht, jett vie Ceremonien abzubrechen und die Heirat rüdgängig zu machen.

Die Braut reicht darauf ihr Marmori, eine Art Amulet von Holz, Metall oder Stein, durch das Sänftenfenjter dem Berlobten zu, der e8 durch ein Dienftmädchen nach dem Hoch- zeitszimmer bringen und dort aufhängen läßt. Sie jelbit wird von ihren Begleiterinnen dahin geführt und erwartet dort den Bräutigam. Außer vier Brautjungfern, wenn man fie fo nennen will, wohnt niemand der ZTrauungsceremonie bei als der Vermittler und deſſen Frau.

Die eheliche Verbindung wird dadurch vollzogen, daß die Berlobten auf eine befondere Weife Saft miteinander trin- fen. Der Saft wird durch zwei der Brautjungfern ſervirt, von denen die eine der männliche, die andere der weibliche Schmetterling genannt wird, meil ihre Safiflafchen mit Schmetterlingen verziert find. Da dieſe Inſekten meiftens paarweife fliegen, Sollen fie das neuvermählte Paar daran erinnern, wie jene zujammenzubalten.

Der männliche Schmetterling gießt Safı in die oberite dreier ineinander gejtellter Schalen, aus welcher die Braut, indem fie diefelbe mit beiden Händen anfaßt, dreimal nippt, und die fie dann dem Bräutigam reicht. Diefer trinkt eben- falls dreimal, ſtellt die erite Schale umter die dritte, läßt die zweite vom weiblichen Schmetterling füllen, trinkt wie vorher und überreicht der Braut die Schale. Dieſelbe Geremonie wird mit der noch übrigen dritten Schale vorgenommen, und damit ift die Che gejchloffen. Die da— von benachrichtigten Verwandten, die unterdeffen in andern Zimmern verweilten, fommen jett herbei und feßen ſich in

81

fegen fih in einer beftimmten Reihenfolge, um von den Schmetterlingen nach Anweifung des DBermittlers mit Saft bedient zu werden, wodurch die zwifchen Braut und Bräuti- gam vollzogene Berbindung auch ihre Anerfennung erlangen ſoll.

Danach werden die Geſchenke der jungen Frau an ihren Mann, deſſen Verwandte und Diener übergeben und dieſer beſchenkt dagegen ſeine Verlobte mit einem rothen und einem ſchwarzen Kleide, beide mit Gold und Silber geſtickt, die ſie in einem Nebenzimmer anzieht.

Nach einem Feſtmahle werden die jungen Leute von ihren eltern bis an die Thür der Brautkammer geführt und allein im Haufe gelaffen. Am andern Morgen nehmen fie ein warmes Bad und frühftücden zufammen. Dann kommen von Freunden und Verwandten die Hochzeitsgeichenfe und PVifiten, und nach drei Tagen macht die junge Frau in Begleitung ihrer Schwiegermutter oder einer ältern Anverwandten allen denen Beſuche, die Gefchenfe gebracht haben, und gibt Gegen— gefchenfe. Sieben Tage nach der Hochzeit wird der junge Ehemann von feinen Schwiegerältern zu einem großen Feſt— mahle eingeladen und einige Tage darauf revanchirt er fich gegen die Verwandten feiner Frau auf ähnliche Weile, womit die Hochzeitsfeierlichfeiten geſchloſſen find.

Ich habe bereits bemerkt, daß ein Mann fich fo viel Concubinen nehmen fann, wie er will. Selbſt die moralifchen Rückſichten, die ein folches Verfahren in China fehr befchränfen, fallen hier fort. Die Kinder der Nebenfrauen werden von der rechtmäßigen Fran adoptirt und legtere im Verhältniß zu der Zahl ihrer eigenen wie ihrer adoptirten Kinder reſpectirt. Dies gilt jedoch nur von dem nicht adelichen Theile des Volks. Bei dem Adel haben die Kinder der Concubinen feinen Ans ſpruch auf Erbfchaft, und die rechtmäfige Frau kümmert fich nicht um fie; ja, oft laufen folche Gefchöpfe als Bettler auf ver

Werner. II. 6

82

Straße umher. Söhne find in Japan ebenjo wie in China von den Aeltern heiß erfehnt, und im Falle männliche Spröß- linge fehlen, werden wie dort die jüngern Söhne der Brüder aboptirt.

Die Sapanefen jcheinen auch das Sprichivort zu fennen: „Biel Kinder, viel Segen!’ Wo wir hinfamen, wimmelte e8 von Kindern, und ich habe faum in China mehr gejehen. In Ieddo hatten wir in der erjten Zeit oft einen Schwarm von Hunderten hinter uns, die uns wol ein Todſchi! Todſchi! Chinefen nachriefen, für die fie uns hielten, ſonſt aber ſich merfwürdig anjtändig betrugen. Ueberhaupt wird vie Jugend trefflich erzogen, und fogenannte* „Gaſſenjungen“ gibt es in Japan nicht. Wenn das ruhige, Höfliche und fanfte Wejen der Japaneſen theilweife in ihrem Charakter begründet jein mag, jo ijt e8 doch bejtimmt auch großentheils ein Refultat der Erziehung. Der Bater hat wie in China un- beichränfte Gewalt über feine Familie, aber jelten wendet ex fie in ftrengem Sinne an. Die Kinder werden mit großer Sorgfalt erzogen, aber fajt nie gezüchtigt und ebenfo wenig gefcholten. Mit bewunderungsmwerther Geduld fuchen die eltern fie durch gütiges Zureden und Vernunftgründe von ihren Unarten abzubringen, und dies Syſtem hat jo guten Erfolg, daß Kinder von 10—12 Jahren ſich flug und gefett wie erwachſene Menjchen benehmen.

Zur Schule werden fie im fiebenten oder achten Jahre geſchickt, lernen dann aber deſto ſchneller. Die Schulbildung des Volks ift noch allgemeiner als in China. Während fie fich dort meiftens nur auf den männlichen Theil der Bevöl— ferung erſtreckt, fehließt fie hier auch das weibliche Gejchlecht ein, obwol es ebenfalls nur Privatfchulen im Lande gibt. Die Dienftmädchen in Japan benußen ihre freie Zeit, um fich gegenfeitig freundfchaftliche Briefe zu fehreiben, und der mit Lumpen bededte Kult überrafcht uns durch jein Ver—

83

ſtändniß des Leſens und Schreibens. Nach dem, was wir von der Bolfsbildung gejehen, fanı es faum ein Procent der Bevölkerung geben, das des Lefens und Schreibens unfun- dig wäre. Welches Land der Welt kann dies von fich be= haupten ?

6*

24,

Sapanefiihe Bücher. Die Beamtenlaufbahn. Die wiffenfhaftlihe Bil-

dung. Die Heilfunde. Wißbegierde und Auffaffungstalent der Japa—

nefen. Die japanefifhe Sprache. Die Literatur. Das Theater. Kunft-

reiterei und Ringkämpfe. Schaufuftigfeit des Bolfs. Gefellihaftliche

Gelage und Unterhaltungen. Guitarrenmädchen und Tänzerinnen. Die Japaneſen im Rauſch.

Ueberall ſind Buchläden, und in allen Trödelbuden lie— gen alte Bücher aus, die vom Volke begierig aufgekauft und geleſen werden. Die Ausführung von Büchern wurde von der mistrauiſchen Regierung früher ſehr ſtreng unterſagt, und ja— paniſche Bücher ſind nur dann und wann als große Selten— heit nach Europa gelangt. Die erſte großartige Ausbeute in dieſer Beziehung iſt von den verſchiedenen Betheiligten unſerer Expedition gemacht worden. Sowol von den Mit— gliedern der Geſandtſchaft als von uns Offizieren wurden min— deſtens 2— 3000 Bände der verſchiedenſten Art gekauft, die, zum Theil für die königliche Biblivthef in Berlin beftimmt, unſern Drientalijten gewiß werthvolle Auffchlüffe über vie japaniſche Literatur und Wiffenfchaft geben werden. Sehr viele find technifhen und natnvwifjenfchaftlichen Inhalts. So gelangte dev Commiſſar für landwirthichaftliche Angelegenheiten von der Expedition in Beſitz einer technifchen Enchflopädie von nicht weniger als 18 großen Duartbänden mit einigen Zaufend in den Text gedructen und außerordentlich genau ausgeführten Holzſchnitten, deren minutidfe Treue felbjt ven der Sprache Unfimdigen über ven ebenfo reichhaltigen als

85

gründlichen Text belehrt. Sch jelbft beſitze ein naturgefchicht- liches Werf in drei Bänden, das die Abbildung und Be— fchreibung der bei Japan vorkommenden Seefifche enthält. Die Zeichnungen find fo correct und die Colorirung der Rupfer ift fo natürlich, daß man jeden Fifch fofort wieder: erfennt.

Ich weiß nicht, ob es in Japan höhere Yehranftalten gibt, an denen junge Leute für Staatsämter ausgebildet werden, und ebenjo wenig habe ich erfahren fünnen, ob, wie in China, vegelmäßige Prüfungen jtattfinden. Die Iapanefen find in diefer Beziehung außerordentlich verjchloffen und geben auf alle Fragen, welche die innern Verhältniſſe des Yandes be- rühren, dem Fremden ſtets ausweichende Antworten. Bevor wir deshalb etwas Näheres im diefer Beziehung erfahren, müffen die Iapanefen erſt durch Längern Umgang mit ums ihre Zurüdhaltung verlieren. Ich glaube jedoch faum, daß die japanefifchen Beamten ein regelmäßiges Studium durch— machen. Alle höhern Stellungen, die außergewöhnliche Kenntniffe beanspruchen fönnen, find ein Privilegium des Adels, und die in Japan geltende Marime, der Sohn tritt in das Amt oder die Befchäftigung des Vaters, d. h. der Sohn des faiferlichen Leibarztes wird wieder faiferlicher Leibarzt, der eines höhern Beamten höherer Beamte, der eines Kauf- manns Raufmann u. |. w., jchließt alle freie Bewerbung um eine höhere Lebensftellung aus und verhindert, daß die Wiffen- ichaft in folcher Achtung fteht wie in China, wo fie dem Sohne des Bettlers die Wege zu den höchiten Ehrenjtellen eröffnet.

Trotzdem nimmt aber die Wiffenfchaft ſelbſt in Japan eine bedeutend höhere Stufe ein als dort. Die Japanejen find ein fortfchreitendes Culturvolk und haben einen großen geiftigen Vortheil vor ihren Nachbarn voraus: fie überfchäten fich nicht und befiten nicht die Lächerliche Arroganz, fich als das einzig gebildete Volk der Erde zu betrachten, Im Gegen-

86

theil erkennen fie willig die Ueberlegenheit ver Europäer an, nehmen fie ungefcheut zu Lehrern und juchen aus ihren Wer- fen und Büchern das zu lernen, was fie jelbjt nicht willen. Dabei kommt ihnen ihr ungemeines Imitationsvermögen außerordentlich zu ftatten, aber diefes befchränft fich nicht, wie in China, auf das Mechanifche und die Formen, fondern chließt auch ein Verſtändniß der Ideen und des Geiftes ein.

Ihre Wißbegierde ift ungemein groß, und wo fie e8 un— belaufcht von den Drganen einer mistranifchen Regierung thun können, ſuchen fie durch Fragen ihren Schaf von Kennt— niffen auf jede Weife zu bereichern. .

Nah welhen Richtungen Hin und wie ernitlich man in Japan beftrebt ift, fich andere Nationen zum Muſter zu neh- men und fich deren Kenntniffe anzueignen, mag aus folgender Thatfache erhellen. Bei der Uebergabe der Gefchenfe, welche der König von Preußen dem Taikun fandte, jtellte Graf Eulenburg den Faiferlichen Gommifjaren feine Attaches und unter ihnen den Vieutenant von Brandt vor. Bei Nennung des Namens fragte der eine der Commiſſare, ob dies vielleicht der Herr von Brandt fei, der die „Taktik der drei Waffen‘ geschrieben. Als ihm die Antwort wurde, daß der Vater der Autor ſei, ſchickte der Commiffar am andern Tage dem Sohne die japanefifche Ueberſetzung des Buches mit der Ditte, diejelbe als ein Zeichen der Anerfennung für die Ver— dienste feines Vaters anzunehmen.

In feinem Fache erfennen die Japaneſen aber bereitwilfi- ger die Ueberlegenheit der Europäer an als in der Mebdiein. Dis vor kurzem ftand die japanefifche Heilfunde im allgemei- nen nicht auf viel höherer Stufe als die chinefifche. Wenn- gleich die Aerzte der holländischen Factorei auf Defima Ele— ven hatten, blieben diefelben doch ftetS wereinzelt. Seit der Eröffnung des Landes hat aber die Negierung, welche troß ihres Abfperrungsfpftems ſchon die Inftruction der holländi-

87

ſchen Aerzte duldete, jetst ein fürmliches Arztliches Lehrinftitut unter Leitung des holländischen Marine-Oberarztes Dr. Pompe in Nangaſaki eingerichtet, auf dem fich zur Zeit unferer An- wejenheit 18 Studenten - befanden, und fie hat dadurch gezeigt, welchen Werth fie auf die wifjenfchaftliche Bildung europäifcher Aerzte legt. Um dem theoretiichen Unterrichte eine praftifche Ausbildung zur Seite zu ftellen, wird ein großes Hospital in Nangaſaki gebaut, und da fich unter den Zöglingen auch dev Sohn des faiferlichen Yeibarztes Mas— motto, der präfumtive Nachfolger feines Vaters, befindet, ein ſehr aufgeflärter, wiljenjchaftlich gebildeter, und wie alle Studenten der holländischen Sprache durchaus mächtiger Mann, fo wird die mediciniſche Wilfenfchaft bald in Japan eine Stellung einnehmen wie in feinem andern Lande Afiens.

Mora und Acupunktur find bisjest die vorzüglichſten Heil— mittel der Sapanefen, und namentlich wird die erjtere, wie in China, fehr häufig angewandt. Die innern Heilmittel find wie dort einfach, und der Ginfeng jpielt ebenfalls eine große Rolle. Doch nimmt man davon feine jo gewaltigen Do- jen wie im Nachbarlande. Die meiften Arzneien werden in Pillen gegeben von der Größe der unferigen, die man in den Apothe- fen mit einer jehr jinnreichen Mafchine außerordentlich ſchnell und zu vielen Hunderten in wenigen Minuten verfertigt. Ein jehr beliebtes Mittel find auch ungeborene Rehe, getrocknet und pulverifirt. Die Cholera, welche Japan vor mehreren Jahren ſchwer heimgefucht hat, wurde nach ver Hufeland’fchen Mafrobiotif behandelt, welches Werk ebenfalls in das Japa— neſiſche überfeßt ift.

Für fremde Sprachen haben die Japaneſen großes Talent; fie faffen jehr leicht deren Geift auf, eignen fich merfwürdig gut die Aussprache an, und von jenem Kauderwelſch der Chi- nejen, das ich früher erwähnte, findet fich Feine Spur. Bis jetst find Holländisch und englifch, erſteres mehr in Nangafafi,

88

(egteres mehr in Jeddo, die beiden Sprachen, in denen Dol- metfcher ausgebildet werden. Seit unferer Anfunft wurde jedoch auch deutjch gelernt, und e8 mag als Beleg für die wunderbar fchnelle Auffaſſungsgabe der Japaneſen dienen, daß ein Schüler des erwähnten Dr. Pompe, mit Namen Siva, der unſerm Botanifer, Negierungsratd Wichura, ſchä— tzenswerthe Auskunft über die Flora des Landes gab, fich ein bejonderes Vergnügen daraus machte, alle japanefifchen Pflan— zennamen mit deutfchen Yettern, und zwar äußerſt Sauber und correct zu fchreiben, obwol er vor Anfunft des Hrn. Wichura ° feinen deutfchen Buchſtaben kannte, und diefer überhaupt nur vier Wochen in Nangafafi verweilte.

Die Borträge des Dr. Pompe werden bolländifch ge- halten, und jeine Eleven jchreiben fie japanefifch nach. Wo findet man etwas Aehnlihes? Wir waren vier Wochen in Japan, als uns ſchon aus den meiften Verkaufsläden in Nofuhama, ſobald wir über die Straße gingen, ein: „Gu— ten Tag, Preuß, wie geht's, wollen Ste nichts kaufen?“ ent- gegenjchallte.e Nur r und 1 verwechleln fie regelmäßig, und es iſt ihmen nicht möglich, dieſe Buchftaben richtig zu ge— brauchen.

Die Erlernung der japanischen Sprache ift für den Frem- den nicht fo leicht, obwol fie jehr in das Gehör füllt; jedoch prägt man fich die Namen von einigen Hundert alltäglichen Gegenſtänden und häufig vorfommenden Begriffen jehr jchnell ein, und mit ihrer fowie mit Hülfe dev Mimif macht man ih bald verjtändlich. Der Sprache aber völlig mächtig zu werden, dazu gehört ein vieljähriges Studium, ſchon weil es vier verjchiedene Schreib» und Druckweiſen und zivei Sprech: weifen gibt, je nachdem man mit einem Höhergejtellten oder Untergebenen vebet.

Man hat früher das Japaniſche vielfach für einen Dialekt des Chinefifchen oder wenigftens für fehr nahe verwandt ges

89

halten. Obwol dies, wie ich ſchon früher bemerkte, durchaus unrichtig ift, erklärt fich diefe Anficht leicht aus dem Umftande, daß nicht nur die gefchriebenen und gedrudten chinefifchen Sharaftere in Iapan vielfach in Gebrauch find und verjtanden werden, fondern daß auch die chinefiiche Sprache mit einem befondern japanischen Accent, der hauptſächlich die Nafallaute unterdrückt und einzelne Confonanten weniger feharf betont, als Gelehrtenfprache im allgemeinen Gebrauch ift und in Sapan ungefähr die Stelle einnimmt wie das Yateinifche zu Zeiten des Mittelalters in Europa.

Außerdem haben aber die Japanefen ihre eigene Conver- ſations- und Schriftiprache, durchaus verjchieden von jeder befannten und vielfilbig, während die chinefiiche Sprache nur einfilbige Wörter aufzumeifen hat. Wahrfcheinlich eriftirte in Japan lange Zeit nur die chinefifche Schreibweife, und noch) jett gibt es eine Menge in jenen Charakteren gedructer Bü— cher, allein man kann diefe nicht als Ausdruck der japanifchen Sprache betrachten. Wer fie lefen kann, veriteht fowol die chineſiſche Schrift» als Converſationsſprache, oder follte dies nicht der Fall fein, jo muß er wenigftens die Bedeutung der für Begriffe ftehenden chinefifchen Charaftere fennen. In Bezug auf das letztere Haben wir in den europätfchen Sprachen etwas ganz Nehnliches in unfern arabifchen Ziffern. Sagen wir zu einem Sranzofen, der fein Deutfchf ennt: „Ein Hundert“, jo wird er es nicht verftehen, wol aber, wenn wir die Zahl „100° jchreiben, indem er fofort das Bild oder den Charakter für cent oder Hundert erfennt. Gerade fo ift e8 mit den erwähnten beiden Sprachen. Chinejen und Ja— panefen haben z. B. für „Baum“ ganz verfchiedene Laute, aber denſelben Charakter für den fehriftlichen Ausdruck, und jo ift e8 erflärlich, wie jemand, der chinefifche Schriftfprache fennt, ein japanefifches Buch leſen und größtentheils verftehen fann, da außerdem die japanefifche Sprache dieſelbe Con—

90

ftruction wie die chinefifche und die meiſten Sprachen des öftlichen Afien hat. Es wird nämlich das Attribut vor Das Subject, das Adjectiv vor das Subftantiv, das Adverbium vor das Zeitwort u. ſ. w. geſetzt.

Immerhin bleibt das Verſtändniß aber noch fchwierig, weil die japanifchen Wörter vielfache Beugungen haben, welche die Chinefen nicht fennen, und für welche ihre Schrift- fprache feine Zeichen beſitzt. Das Alphabet der japanefischen Sprache befteht aus 47 Silben, die durch drei angehängte Zeichen noch bis zu 144 vermehrt werden. Ebenſo wie wir unfer Alphabet mit den drei erfien Buchjtaben A BC be- zeichnen, jo nennt auch der Japaneſe das feinige nach ven drei erſten Silben das I-ro-fa. Da die Sprache nur eine fo befchränfte Zahl von Silben befist und fo reich an Voca— fen ift, follte man glauben, jie müßte jehr mufifalifch fein und fich Leicht mit europäiſchen Buchftaben jchreiben Laffen, aber beides ift nicht der Fall. Sie enthält Laute, die ung fehlen, und gerade die Ausjprache macht die meiſten Schwie- rigfeiten. So gibt es Mittellaute zwifchen b umd f, zwifchen [ und d, ſch und dich, g und dh, ch und s, die wir gar nicht im Stande find wiederzugeben.

Für ihr Silbenalphabet jcheinen die Japaneſen zuerft 47 vollfommen hinefifche Charaktere, und zwar die dem japa- nifchen Laute entfprechenden, gewählt zu haben. So 3. B. wurde für die japanische Silbe mi etwas Weiblicheg das chinefifche Wortzeichen für „weiblich“ genommen. Die- ſem erften Alphabet fcheint ein zweites gefolgt zu fein, in dem die chinefifchen Wortzeichen ſehr abgekürzt oder zufammen- gezogen wurden.

Eine dritte und vierte Schreibweife ift Chira-Kana und Kata-Kana, die Schreibweife der Frauen und die ver Män- ner, wie die Worte im der Ueberfegung lauten. Aus jener find die Formen der chinefifchen Schriftzeichen faft ganz ver—

91

ſchwunden, in diefer find 15 ver einfachften behalten, vie übrigen 32 aber willfürlih genommen. Letztere ift die für- zejte, eine Art Stenographie, und wird hauptfächlich zu Noten und Grläuterungen angewandt. Kein einziges japanifches Buch wird jedoch in einer und derielben Schreibweije ges druct, und je gelehrter ein Autor ſich dünkt, deſto mehr vein chineſiſche Worte flicht er in feine Werfe ein, ſodaß jchon deshalb eine Kenntniß des Chinefifchen durchaus nothwendig ist, um ein japanefiiches Buch zu verftehen. Dem Fremden wird natürlich hier das Berftändniß um jo mehr erfchwert. Das Nomen bat im Sapanefifchen weder Gefchlecht noch Zahl; um den Plural auszudrüden, wird das Wort bisweilen wiederholt, und um das Gefchlecht von Thieren zu bezeichnen, fügt man die Worte wo (männlich) und mi (weiblich) Hinzu, 3. B. wo-inu Hund, mi-inu Hündin. Die Declination und Bildung der einzelnen Caſus gejchieht durch Suffixe, z. B. fito - fitono - fitoni - fitowa - fitogori, der, des, dem, den, mit dem Manne. Die Adjectiven haben gleichfalls weder Gefchlecht noch Zahl und werden ſtets vor das zugehörige Subftantiv geſetzt. Präſens Indicativ und Infinitiv der Zeitiwörter find gleichlautend und endigen ftets auf u. Das Berfectum wird gebildet durch Verwandlung des u in i und Anhängung von ta, z. B. wird koku im Perfectum kokita; das Futurum ent— jteht durch Verwandlung des u in o und Anhängung eines u, 3. B. koku, kokou. Der Imperativ verändert u ine, z. B. koku, koke, u. |. w. Flexion für Zahl und Perſon gibt es, wie ſchon bemerkt, nicht. Um den Conjunctiv der verfchiedenen Zeiten auszubrüden, wendet man Partikeln an. Für Die nega- tive Form des Zeitworts bejteht eine bejondere Konjugation. Zeitwörter, Nennwörter und Fürwörter erleiden beſtimute Beränderungen, je nachdem der Sprechende zu einem Höher: jtehenden oder Untergebenen redet. Dies gilt jogar von ab- wefenden Berfonen, und die Ehrfurcht vor einem höhern Range

92

eritreckt fich fo weit, daß, wenn 3. B. von zwei höhern Per- jonen gefprochen wird, die nicht auf derſelben Rangftufe ftehen, wie General und Dberjt, dem Namen des Niepriger- jtehenden zunächit eine ehrende Partifel, dann aber auch eine erniedrigende angehängt werden muß, um einerjeits die Ach- tung des Sprechers, jodann aber auch den niedern Hang des Betreffenden in Vergleich zu der in Rede ſtehenden höhern Perfönlichfeit auszudrüden, deren Namen nur eine ehrende Partikel beigefügt wird. Sprit man von fich felbit, fo wird ſtets eine Partifel der Unterthänigfeit angehängt, es fei denn in der Familie oder im eigenen Haufe, wo man neu— trale Worte gebraucht.

Diefe Eigenthümlichfeit der Sprachweife ift in Japan einzig, fteht aber in genauem Zufammenhange mit der aus- gefuchten Höflichkeit des Volks, die allen Schichten der Ge- jeltfchaft eigen ift, und von der ich ſchon Beifpiele ange- führt habe.

Die japanifche Yiteratur läßt fich unter fieben verfchiedene Rubriken claſſificiren: 1) Uta und Renga: Gedichte; 2) Mai: hiftorifche Ereigniffe im dramatischer Form mit mufifalifcher Begleitung; 3) Sosi: Gefchichte und Biographie der Heroen; 4) Sageo: Lebende Heilige; 5) Monogatari: unterhaltende und belehrende Erzählungen in Profa; 6) Taifexi: Gefchichte 7) Geſetze und Sitten.

Die Uta beftehen aus Diftichen; der erſte Vers ift drei— füßig, der erjte und fette Fuß Hat fünf, der mittlere fieben Silben. Der zweite Vers ift zweifüßig von je fieben Silben. Eine befondere Schönheit diefer Diftichen ift es, wenn fie eine doppelte Bedeutung haben, wie z.B. die nachfolgende Klage einer Mutter über ihre Kinder:

Wakete fuku, Kaye kosa ukere, fana tomoni

Tsirade kono fawa nado no kururon.

Kaye bezeichnet Wind und Tod, ko Baum und Sohn, fawa

93

Mutter und Blatt. Im erſtern Sinne lautet das Diftichon: „O graufamer Wind, der du deine Kraft nur auf meine Roſen geübt und fie zeritört haft, während du die Blüten am Baume ließeſt.“ Mit der zweiten Bedeutung der Worte aber: „O graufamer Tod, der du meinen Sohn mir entriffen, aber feine unglüdlihe Mutter verfchont Haft.”

Die Renga genannten Gedichte find 100— 1000 Verſe lang und jeder Vers von dem unmittelbar vorhergehenden abhängig, während jeves Diftichon der Uta ein vollfom- menes und abgejchlofjenes Ganze ausmacht. Die Renga find alle Xehrgedichte; erzählende Poefie haben die Japaneſen nicht. Dagegen bejitt alle Proja einen gewiſſen Rhythmus, der fie jehr harmonifch macht und ihr Lefen ähnlich wie Ge- fang klingen läßt.

Die in meinem Befite befindliche Naturgefchichte der Fiſche gehört zu den Monogatari; die erwähnte technifche En- chflopädie unter das Rubrum „Geſetze und Sitten“.

Die Mai find die in den Theatern zur Aufführung fom- menden Stüde. Die Japaneſen lieben Theater ebenfo fehr wie die Chinefen, und Aeußeres und Inneres find in beiden Län- dern ziemlich gleich, nur iſt das DOrchefter in Japan nicht fo fchredlfich wie in China, wenigitens nicht fo lärmend. Das Spiel it außerordentlich gewandt, und die Rollen waren ſtets brillant gelernt. Souffleure gibt es hier ebenfo wenig wie in China, aber nie jtodt der Dialog. Die Mimif weicht von der unſern durchaus ab, und ich habe mir vergebens die Mühe gemacht, aus ihr die Affecte zu leſen, die fie darftellen fol. Dft find die Bewegungen vollſtändig convulfivifch und nad unjern Begriffen jedenfalls nicht Schön. Diefe verfchrobene Mimik fommt jedoch nur in Ballets zum Vorſchein, wo die Tänzer nicht fprechen, fondern ven Verlauf der Handlung al- lein durch ihre Bewegungen nach vem Takte einer begleitenden Muſik darzuftellen fuchen. Ein junger Iapanefe, der hollän-

94

diſch Sprach, erflärte uns die einzelnen Scenen, aber ung war e8 unmöglich, fie auch nur im entferntejten aus den Be— wegungen der Acteure zu erfennen. Im Schaufpiel dagegen it die Mimik durchaus natürlich, gerade wie bei uns, und es bleibt mir ein Räthſel, weshalb man hier zwei jo ganz ver- Ichievdene Arten des mimifchen Auspruds Hat. Als wir nach Japan famen, fielen uns in allen Büchern, die zur Klafje der Soft und Sageo gehören, die unnatürlichen und verbrehten Stellungen der darin abgebildeten Perjonen auf; als wir jedoch das Theater befuchten, fanden wir ihre genaue Copie im Ballet wieder. Unjtreitig find die Körperverzerrungen Refultate eines übertriebenen Pathos, das dadurch unerträg— lich wird.

Driginell ift es, wenn in einem Drama plößlich eine komiſche Perſon auftritt, die mit dem Stüd gar nichts zu thun hat, fondern nur erjcheint, um eine Diverfion zu ver— anftalten, jobald der Gang der Handlung zu ernjt oder wol gar tragisch zu werden beginnt und die Schaufpieler fürchten, daß dies dem Publifum unbehaglich ſei. Jedenfalls ift dieſe Naivetät ein gutes Kriterium für die Culturftufe der drama— tiichen Kunſt in Iapan.

Die Garderobe ift lange nicht jo jchön wie in China, je- doch immerhin jehr anftändig. Die Scenirung liegt noch in der Kindheit, ift aber doch weiter ausgebildet als in China. Es gibt Eouliffen, und Gegenftände wie Brunnen u. ſ. w. werden wol auch auf die Bühne gebracht; im allgemeinen jteht es jedoch um die Mafchinerie und Decorationen ſchwach. Das japanische Theater befitt indeß einen bedeutenden Vor— theil vor dem chinejifchen: es hat auch weibliches Perjonal. Ich habe zwar nicht viel hübſche Gefichter darunter gefehen, allein es fagt ung doch mehr zu, eine Trauenrolle von einer Frau ſtatt von einem Mann mit Freifchender Fiftelftimme jpielen zu fehen.

95

Von andern bei den Sapanefen üblichen Runftvorftellungen ift die Runftreiterei zu erwähnen, und wir hatten während unfers Aufenthaltes in Nangafafi zulegt noch das jeltene Glück, den Productionen einer einheimiichen Kunftreitergefell- ichaft beimohnen zu fünnen. Die Befchreibung derfelben werde ich bei ver Schilderung Nangaſakis fpäter geben; hier jei nur im allgemeinen bemerft, daß diefe Art von Schaufpielen in Japan auffällig ift, da feine Bewohner durchaus Fein Reitervalk find. Die wenigen Pferde im Beſitze des Volfs werden zum Rafttragen benußt, und nur Jakonins im Dienft reiten. Ich habe einmal die fünf Gouverneure von Jeddo zu Pferde ge- ſehen. Dies gefchah aber bei einer außerordentlichen Gelegenheit, und der Adel Hält fih nur Keitpferde, um fie den Sünften nachführen zu laffen, in denen man fich allgemein tragen laßt. Cavalerie habe ich nirgends gefehen, wenn man nicht die Polizei-Jakonins eine Art berittener Gensdarmen dazu rechnen will. Japan ift ein jo gebirgiges Land, mit fo halsbrecherifchen Wegen, daß Cavalerie von geringem Nuten fein dürfte und ich glaube fat, es gibt gar feine. Um fo mehr ift es deshalb zu bewundern, daß fich Kunftreiter unter folchen Verhältniffen bilden und zeigen.

Die Ringkämpfer, von denen Perry in feinem Buche über die amerifanifche Expedition nach Japan fo viel Aufhebens macht, jahen wir in Yokuhama; ich kann jedoch nicht jagen, daß jie mich bejonders enthufiasmirten. Ihre ganze Kunft war eben weiter gar nichts als ein Ningen, und derjenige blieb Sieger, der den Gegner aus der Arena drängte. Die Truppe bejtand aus 16 Mann, die je zwei und zwei mitein- ander rangen. Bis auf einen Gürtel um die Hüften gingen fie vollſtändig nadt, und ich muß gejtehen, daß ich nie fo viele wirklich athletifch gebaute Geftalten beieinander gejehen habe. Keiner war unter 6 Fuß hoch, ihre koloſſalen Glieder und ihr gewaltiger Musfelbau verriethen Hereulesfraft, und wie

96

in China wurde auch hier der Beweis geliefert, daß Fleifch- tahrung Fein nothwendiges Bedürfniß einer Fräftigen Ent- widelung des Körpers ift. Die Japaneſen leben wie die Shinefen von Neis, Gemüfen und Fiichen, aber unter den Kulis findet man in Japan noch viel Fräftigere Geftalten als in China. Perry fchilvert dieſe Ringkämpfer als fehr fett, und in feinem Buche find jte wie Fleiſchklumpen abgebilpet; Davon haben wir jedoch nichts gefehen, im Gegentheil waren fie ſämmtlich von einem wunderfchönen Ebenmaß der Glieder und hätten die beiten Modelle für einen Hercules abge— geben.

Die Vorbereitungen zu dem Ringſpiel waren fehr lang- weilig; ein ewiges Wajchen und Reiben der Hände mit Sand, Reden der Glieder und Elaftieitätsprobe der Musfeln, Ab- wilchen des Körpers mit Papier und Ausfpülen des Mundes mit Waffer. Was dies fettere mit dem Ningen zu thun hatte, fonnten wir nicht enträthfelt. Im ganzen war das Schau— ipiel für ung fehr ermüdend; die Japaneſen find jedoch große Liebhaber von diefen Ringkämpfen, die in größern Städten bei feiner feftlichen Gelegenheit fehlen und der Zuſchauerraum iſt ftet8 gedrängt voll. Eine ganz originelle Art der Beifalls- äußerungen muß ich bier noch erwähnen, die unfern euro— päifchen Gymnaſten und Acteuren gewiß willfommener wäre als Klatfchen und Herausrufen. Als einige dev Kämpfer einen ſchweren Sieg errungen hatten, flogen aus verfchiedenen Logen, in denen dem Anfcheine nach reiche Kaufleute faßen, jeidene Röcke, wie fie die Japaneſen tragen, in die Arena, und einer der gigantischen Ninger erhielt deren nicht weniger als fünfz ein Gefchenf, das, felbft nach japanischen Preifen berechnet, immer einen Werth von 20—25 Thalern hatte. Das Eintrittsgeld war jedoch gar nicht nach japanifchen Preifen berechnet, und wir mußten 1 Itebu (15 Silbergro- ichen) pro Berfon bezahlen.

97

Die Regierung ermuntert die Heranbildung folcher Kämpfer dadurch, daß fie ihnen erlaubt, wie der Adel und die Soldaten zwei Schwerter zu tragen, obwol fie aus der unterften Volksklaſſe hervorgehen; eine Auszeichnung, auf die fie nicht wenig ſtolz find und nach der die Kaufleute z. B., mögen fie noch fo reich fein, vergebens ftreben. Das Recht zum Tragen Eines Schwertes ift alles, was fie ſich mit fchwerem Gelde erfaufen fünnen.

Schauluftig und neugierig find die. Japaneſen in hohem Grade. Bald find es wilde und fremde Thiere, bald Mon— ftra, die in den Städten gezeigt werben, oder es jpeculiren Taſchenſpieler und Afrobaten, Declamatoren und vagirende Schauſpieler auf die Kiebhaberei ihrer Landsleute und machen dabei ftet8 gute Gejchäfte.

Einer diefer Künftler amufirte uns außerordentlich durch ein Spiel mit Schmetterlingen. Sein ganzer Apparat bejtand aus einem Blumentopf und einem Fächer. Bei Beginn der Vorſtellung nahm er zwei Stückchen buntes Papier und formte daraus mit jeltener Naturtreue zwei allerliebjte Schmetterlinge. Er warf fie dann in die Höhe und feßte nun feinen Fächer mit einer Gefchielichkeit in Bewegung, die uns vom Staunen zur Bewunderung hinriß. Die Schmetterlinge begannen gleich- jam zu leben, und wir trauten faum unfern Augen, als fie, durch den Luftzug des Fächers gelenkt, ihren Flug bald hier- bald dorthin richteten, über den Blumen ſchwebten und Honig aus ihnen zu faugen fchienen, dann im Zickzack in die Höhe flatterten, bald paarweife, bald getrennt, um fich fchlieglich auf die Hand ihres Schöpfers niederzu- laſſen und dort vor unfern Augen wieder zu todten Papier: fteeifen entfaltet zu werden. Ich erinnere mich nicht, jemals ein jo intereffantes, unterhaltendes und dabei fo kunſtvolles Spiel gejehen zu haben.

Die durch den gewinnfüchtigen Geift der Chinefen in fo

Werner. I. 7

98

großer Anzahl in das Leben gerufenen Spielbuden aller Art findet man in Japan nicht. Der Japaneſe weiß wol ven Werth des Geldes zu fchäten, aber er macht es nie zu fei- nem Gotte, und das Streben nach Erwerb nimmt nicht die oberjte Stelle in feinem Gemüthe ein. Wenn er fpielt, fo ift es die Luft an Aufregung, die ihn dazu fpornt, aber er wird es laſſen, fobald er Gelegenheit hat, ein Schaufpiel zu jehen, das fein Intereffe mehr in Anfpruch nimmt. In früherer Zeit hatten die Portugiefen unjere Karten eingeführt, und die Japaneſen fpielten leivenjchaftlich; allein die Regie— rung hat fih ins Mittel gelegt und mit drafonifcher Strenge das Kartenfpiel verboten. Statt deſſen pielt man eine Art Domino oder Schach. Letzteres ijt von unferm ſehr vwerjchie- den umd viel complieirter. Mean hat dabei nicht weniger als 400 Figuren, die nach den verfehiedenften Richtungen fchlagen.

Gelage und Tafelfreuden find bei ven Iapanefen jehr be— liebt, und wollen fie fich etwas zugute thun, jo gehen fie mit ihrer Familie und Freunden in ein Theehaus, um dort zu fpeifen und fich von den Mädchen etwas vorſpielen oder vortragen zu laffen. Faſt jedes junge Mädchen lernt Guitarre Ipielen uud fingen; man mag zu irgendeiner Tageszeit im irgendein Haus treten, in irgendeinem Zimmer hört man gewiß Elimpern. Die Guitarren haben einen mit ungegerbtem Kalbfell überzogenen Reſonanzboden, find vierfaitig und wer- den, wie in China, mit einem Stäbchen in Form eines But- terftechers gefpielt. Der Gefang ift nicht jo kreiſchend wie dort, jagt unferm Ohr aber ebenfo wenig zu, wenngleich die Melodien bisweilen durch ihre Eigenthümlichfeit etwas Anziebendes erhalten. Die Iapanefen find jedoch von ihrer Muſik jo eingenommen, daß fie felten ein Mahl halten ohne diefelbe, und Harfen- oder Guitarrenmädchen find eine zahl- veich vertretene Klaſſe. Nach Tiſche wird durch Safitrinfen und verfchiedene Spiele eine heitere Stimmung zu wecken ge—

99

fucht, namentlich durch Pfänderjpiele, bei denen der Verlierer, jtatt ein Pfand zu geben, einen Trunf nehmen muß. In den Theehäufern erjcheinen nach ver Mahlzeit gewöhnlih Tän- zerinnen. Dieſe bilden wie die Guitarrenmädchen eine eigene Zunft, unterjcheiden fich aber von den übrigen Mädchen in den Theehäufern dadurch, daß fie nicht wie dieſe zugänglich find. Man unterjcheidet zivei Arten Tänze. Die eine wird von zwei, die andere von einer Perfon ausgeführt. Bei der erjtern tragen die Mädchen eine Menge leichter feidener Röcke, die jie während des Tanzes einen nach dem andern vom Dberförper abjtreifen, bis dieſer fchließlich ganz entblößt ift und die Kleider alle vom Gürtel herabhängen. Die Be- wegungen find jehr einfach, und etwas bejonders Schönes laßt fich in ihnen nicht finden. Dagegen zeigt jich in der zweiten Tanzart, die ein Mädchen allein ausführt, die ganze angeborene Grazie der Iapanefinnen. Es ift ein dramatiſcher Tanz, injofern dadurch nicht allein Affecte, jondern der Ver- lauf einer längern Handlung, gewöhnlich einer Liebesaffaire, dargeftellt wird. Die Bewegungen find ungemein anınuthig und ausdrucksvoll, dabei jedoch jehr ruhig, und eigentlich tft der Tanz nur ein Gehen, bei dem Arme und Oberkörper das Meijte zu thun haben. Die Tänzerin jtellt immer zwei Perjonen, einen Mann und eine Frau, abwechjelnd var; eritern bezeichnet fie außer dem mimifchen Ausdruck der Geſichtszüge und einer energifchern Haltung des Körpers; Außer: lich durch einen Stab, der ein Schwert vorftellt, während das Kennzeichen der Frauenrolle ver Fächer ift. Die Trennung beider Charaktere wird fehr gut ausgeführt, und wenn man, wie wir, jemand bei jich hat, der die Handlung erklärt, fo findet man die Darftellung fehr treffend.

Dem Saft, dem aus Reis gewonnenen Branntwein, find die Japaneſen jehr ergeben, und ev wird fait wie Dier bei uns getrunfen. Er ift ziemlich fehwach, hat eine bräumliche

100

Farbe, füßlichen Geſchmack und wird meiftens heiß gemoffen. Sehr häufig thun darin die Sapanefen des Guten zu viel. Das Getränk fcheint jedoch nicht jo ſchlimm zu wirken wie unfer Branntwein, vielmehr habe ich bei Beraufchten nur große Heiterkeit und Ausgelaffenheit wahrgenommen, nie aber Aus- brüche von Roheit und viehifcher ZTrunfenheit. Bei dem Drachenfefte in Nangafaki, deſſen Befchreibung noch folgen wird, und wo mindeftens 10000 Menfchen einen ganzen Tag lang ſich ihres Lebens freuten, wurde der fröhliche Verlauf de8 Tages auch nicht Ein mal durch die Folgen der Trunfen- heit gejtört. Das ift gewiß mehr, als man von unfern Bolksfeften jagen kann, mag aber wol theilweife auch eine Folge der jchweren Strafe fein, die jedem Vergehen und Verbrechen auf dem Fuße folgt.

29.

Strenger Charakter der japanifchen Strafpflege. Das Syften der Ver—

antwortlichfeit und die geringe Zahl der Verbrechen. Die Hinrichtungen.

Das Bauhauffhligen mit eigener Hand als Strafmilderung und Ehren-

reparation. Das Spionenfyften in der Landesregierung. Die Macht—

lofigfeit des Taifun. Das Gefolge der Daimios-Armee und Militär-

weſen. Die Einfhränfung des Seeverfehrs vor Eröffnung des Landes. Die neue japanifche Marine.

Die japanifche Geſetzgebung ift drafonifh, obwol man eigentlich von Gejegen gar nicht ſprechen kann. Streng ge nommen ift in Japan alles verboten und nur einzelnes er- laubt. Die Strafen find Tod durch Enthauptung, Kreuzigung oder Gefängniß. Iene vaffinirten Graufamfeiten, wie fie Ge- jeß oder Gewifjenlofigfeit der Behörden in China anordnen oder dulden, find hier unbefannt; Folter kennt man nicht, und nicht einmal Förperliche Züchtigungen werden verhängt. Ich habe feine Gelegenheit gehabt, einen Einblid in die Verbre— henftatiftif des Landes zu thun, aber nach allem, was ich gejehen, kommen wol jehr wenig Berbrechen vor. In Nanga- ſaki, einer Stadt von 60000 Einwohnern, gibt e8 mir Ein Ge- fängniß mit faum 50 Zellen. Nach ven bejtehenden gejeß- lichen Einrichtungen und dem Shftem ver in Japan herrfchen- den Berantivortlichfeit ift e8 auch Faum anzunehmen, daß viele Verbrechen begangen werden können. Der Familienvater hat, wie erwähnt, unbedingte Autorität über feine Familie, ift aber zugleich auch fiir deren Betragen verantwortlich. Fünf

102

Hauseigenthümer einer Straße bilven immer eine Compagnie und wählen einen aus ihrer Mitte zum Vorgefetten, der für die ührigen Vier verantwortlich ift. Die Compagnien wähle wieder einen Dttona oder Strafenvorfteher, der den Bezirks— magijtraten fiir alles einzuftehen hat, was in der Straße gaffirt. Diefer Bezirksmagiftrate gibt e8 in jeder Stadt vier bis jechs, und ſie ftehen in veinfelben VBerhältnig zum Gou- verneur wie die Dttona zu ihnen. Die Pflichten des Ottona find: bei Feuersbrünſten die nöthigen Befehle zu geben, die Aufficht über die Wachen zu führen, ein Regiſter von allen Geburten, Heirathen, Sterbefällen, von Ankunft und Abreife von Fremden u. f. w. zu halten, Verbrecher zu arretiren und leichtere Vergehen jelbft zu beftrafen, nach Möglichkeit alle Streitigkeiten zwijchen den Bewohnern jeiner Straßen zu ichlichten und im allgemeinen für das gute Betragen feiner Untergebenen zu haften.

Die Endpunkte einer jeden Straße find mit Thoren ver- jehen, die verfchloffen werden, jobald die Wächter Alarm geben, daß irgendein Verbrechen begangen ift. Dadurch wird der Thäter gewöhnlich entdeckt, und dies fowie die prompte Suftiz, die in Criminalfällen meiftens unmittelbar am Orte der That erfolgt, übt einen fehr wirffamen Einfluß auf die Be- völferung aus. Auf Diebftahl im zweiten Rückfalle fteht ver Tod, jedoch befolgen die Gouverneure gewöhnlich eine milvere Praxis, indem fie die Sache des Delinquenten nicht zur öffent— fichen Entſcheidung bringen, ſondern ihn ohne richterlichen Urtheilsfpruch eine beftimmte Zeit in das Gefängniß ſetzen. Ber Hinrichtungen, mögen diefe auf dem Nichtplage oder am Drte des Verbrechens ftattfinden, bleibt der Leichnam mehrere Tage liegen, und die Vorübergehenden probiren die Schärfe ihrer Säbel an ihm, fodaß er oft in Fleine Stüde zerhadt wird. Im Jeddo fahen wir eines Tages ein folches Dpfer der Yuftiz in einer der belebteften Straßen liegen, an dem

105

mindejtens 100 Säbel ihr Werf gethan hatten. Ein Todes— urtheil fol eigentlich nie ohne Genehmigung des Staatsraths in Jeddo vollführt werden, doch befchränfen fich die Gouver- neure darauf, die Erecution zu melden, nachdem fie bereits geſchehen.

Im allgemeinen zeigen die Japaneſen bei Hinrichtungen eine große Feſtigkeit und Todesverachtung. Mag dieſe in ihrem Glauben an eine Seelenwanderung und den endlichen Uebergang in das Nichts oder in ihrem Temperament be— gründet ſein, jedenfalls ward das Factum von allen Euro— päern bemerkt. Vielleicht iſt dieſe Furchtloſigkeit auch ein Reſultat des Stolzes, der Selbſtachtung und des hohen Ehr— gefühls, die allen Japaneſen innewohnen, und durch die ſie ſich ſo vortheilhaft vor den übrigen aſiatiſchen Nationen aus— zeichnen. Möglicherweiſe gründet ſich ſolcher Vorzug darauf, daß das japaniſche Volk ſich rühmen kann, nie von fremden Eroberern unterjocht worden zu ſein.

Mit dieſem feinen Ehrgefühl ſteht auch der ſo häufig vorkommende Selbſtmord durch Bauchaufſchlitzen im engſten Zuſammenhange. Alle Militärperſonen, der Adel und ſämmt— liche Civilbeamte des Kaiſers haben die Vergünſtigung, ſich der entehrenden öffentlichen Execution im Falle eines von ihnen begangenen Verbrechens durch Selbſtmord zu entziehen, und zwar indem ſie ſich den Bauch aufſchlitzen. Durch dieſes Verfahren retten ſie ihre Familie vor Schande und Confis— cation der Güter, und der Sohn tritt in einem ſolchen Falle in die Aemter und Würden des Vaters. Sie dürfen dieſen Act jedoch nicht eher vollziehen, bis ihnen der betreffende Be— fehl vom Kaiſer zukommt.

Da das Vergehen, infolge deſſen ſie gezwungen ſind, auf ſo plötzliche Weiſe vom Schauplatze des Lebens abzutreten, ſehr oft ein unbewußtes ſein kann, inſofern ein Beamter durch irgendeinen an und für ſich ſchuldloſen Act ſich die Ungnade des

104 .

Kaiſers zuziehen kann, fo ift ein jeder verjelben ftets auf einen Befehl zum Bauchaufjchligen vorbereitet. Außer feinem officielfen und dem Anzuge, welchen jeder Beamte bei Feuers- brünften anzulegen verbunden ift, befigt er noch einen dritten, in dem das Buauchauffchligen gefchieht, und nie tritt er eine Reife an, ohne den lettern mit fich zu führen. Derſelbe be- jteht aus einem aus weißer Hanfleiniwand gefertigten Node und dergleichen Beinkleiverun ohne das Wappenſchild, welches jonft jeder auf den Röcken und Jacken gedrudt und geftickt trägt, und das anzeigt, weſſen Unterthan oder Vaſall ver Betreffende ift.

Sobald die Drdre des Kaiſers eingetroffen, ladet ver Be- treffende feine vertrauten Freunde zu dem für bie Execution beftimmten Tage ein und bewirthet fie mit Saki. Nachdem fie eine Zeit lang beifammen gejejfen, nimmt er von ihnen Abſchied und läßt fih das Todesurtheil noch einmal vorlefen. Alsdann hält er noch eine Rede, beugt feinen Kopf zur Erde, zieht feinen Säbel und fchneidet fich damit den Bauch auf. Dies letztere ift jedoch nicht immer buchjtäblich zu nehmen, ſondern der Delinquent ritzt jich gewöhnlich nur kreuzweis die Bauchhaut, und ein Hinter ihm ftehender vertrauter Diener Ichlägt ihm den Kopf ab.

Außer als Strafe für ein wirkliches oder dafür erflärtes Berbrehen iſt das Bauchauffehligen in Japan auch als Ehrenreparation fehr gewöhnlich, und man fünnte e8 in diefem Falle ein einjeitiges Duell mit tödlichen! Ausgange nennen. Wird z. B. ein Japaneſe befchimpft, oder glaubt er durch ivgendetivas feine Ehre werlett, jo bleibt ihm nichts anderes übrig, als fich auf die erwähnte Weife umzubringen. Ein jolher Fall trug fich während unfers Aufenthaltes in Nanga— ſaki zu. Ein junger europäischer Kaufmann hörte eines Nachts Geräuſch an feinem Fenfterladen; im Glauben, daß e8 Diebe verurfachten, fprang er auf und trat mit einem tüchtigen

105

Stode bewaffnet vor die Thür. Er jah drei augenscheinlich angetrunfene Jakonins, die mit ihren Säbeln gegen die Yaden fchlugen. Zwei liefen bei feinem Erjcheinen fort, der dritte fhimpfte und drang mit feinem Säbel auf ven Kaufmann ein. Diefer ſchlug ihm mit feinem Stode die Waffe aus der Hand, zerbrach fie und prügelte ihn tüchtig durch. Die Sache wurde befannt, und der durch die Schläge befchimpfte Jakonin fchnitt fich am andern Tage den Bauch auf.

Einer der Commifjare, welche mit Graf Eulenburg ven Bertrag verhanvelten, der erwähnte Hori-noribe-no-cami, ein feiner liebenswürdiger Mann, unter deſſen Leitung die Sachen zum baldigen Abſchluß zu gedeihen verfprachen, wurde plößglic turch einen -andern erſetzt. Auf die Frage, wo er geblieben, hieß es, ex fei an einem Blutſturz erfranft und noch am jelben Tage gejtorben. Wahrjcheinlich aber Hatte er die Sache zu ſchnell betrieben und dadurch fich die Ungnade des Kaiſers zugezogen, ſodaß er ſich ven Bauch auffchligen mußte.

Doch nicht allein Beamte und der Adel müfjen auf eine ſolche Drore gefaßt jein, fondern auch felbjt der Kaifer. Wenngleich er wol nicht leicht in die Lage kommen Fann, durch dieſen Act eine ihm angethane Beleidigung zu fühnen oder einen auf feiner Ehre haftenden Fleden auszumwafchen, fann er doch von den Daimios dazu gezivungen werden, auf diefe etwas forcirte Weile abzudanfen. So war es mit dem vorigen Kaiſer, der durch den Abjchluß des amerifanifchen Vertrages fich den Unwillen feiner ſcheinbar demüthigen, aber in Wirklichkeit ven Kaiferthron beherrfchenden Bafallen zuge: zogen hatte. Man wird zwar folche Fülle nie öffentlich be- Iprechen, und in Japan ftirbt auch der Kaiſer nie, jedoch die „plöglihe Erfranfung an einem Blutſturz“, wie die officielle Phraſe lautet, läßt fich nicht leicht misverftehen. Der jetige Taikun iſt minderjährig, und an feiner Stelle herrſcht ein Regent. Im Falle der Kaiſer feinen Sohn hinterläßt, wird

106

der Thron aus einem der drei Fürſtenhäuſer bejett, welche die Anwartichaft haben, und deren beveutendftes das von Mito ift. Der Prinz von Mito fehien die Negentfchaft nicht zu bilfigen, denn im Detober 1860 wurde der Regent plößlich auf offener Straße mitten in Jeddo in feiner Sänfte angegriffen und ihm der Kopf abgeſchnitten. Dies gejchah fo ſchnell und uner- wartet, daß die Begleitung nicht dazwifchentreten, ja nicht einmal des Mörders habhaft werben fonnte. Die allgemeine Stimme bezeichnete den Prinzen Mito als den Urheber viefer Gewaltthat, der felbft Regent werden wollte. Jedoch ift es ihm nicht gelungen. Er durfte die Faiferlichen Beſitzungen nicht mehr betreten, und im folgenden Jahre wurde er in jeinem eigenen Lande von einem Verwandten des ermordeten Negenten erichlagen.

Die Regierung befteht zunächſt aus fünf Miniſtern, unter welchen die Gouverneure jtehen, von denen jede der fünf faiferlichen Städte drei, Jeddo aber fünf hat. Don dieſen drei Gouverneuren befinden fich zwei in der ihnen zur Regierung beftimmten Stadt, und der dritte wohnt in Jeddo. Letzterer (öft nach Sahresfrift jedesmal den erften Gouverneur ab, wenn dies nicht auf den Bericht des nur als Spion fungiven- den zweiten bereit8 früher nöthig jcheint. Dies Spionir- ſyſtem geht von oben herunter durch die gefammte Verwaltung. Jeder Beamte hat einen officiellen Spion neben fi, und beide werden wieder von einem written überwacht, ver alles genau berichten muß.

Werden Sachen von irgendwelcher Wichtigkeit für den Staat verhandelt, jo tritt der Neichgrath zuſammen und ent- icheidet. Auch won diefer Behörde beftehen zwei Körper, die ſich gegenfeitig controliven, ver kleine Reichsrath von 5 und der große von 17 Mitgliedern, ſämmtlich Daimios. Im Grunde genommen hat daher der Taifun wenig zu jagen, felbft kaum in feinen eigenen Staaten. Wie wenig ev bet

107

feinen Vafallen in Anfehen fteht, mag daraus erhellen, daß der Prinz von Satuma, welcher, wie mehrfach erwähnt, all- jährlich mit 40000 Mann Begleitung feine Huldigung ab- ftattet, feinem Unterthban des Taikun erlaubt, die Grenzen jeines Gebiets zu überfchreiten. Dieſer Vaſall Hat um fein Gebiet einen Militärcordon gezogen, durch welchen im Jahre 1860 ſelbſt faiferliche Gefandte zurückgewieſen wurden, ſodaß diefelben umverrichteter Sache wieder umfehren mußten.

Wenn ein Daimio oder Aodelicher einem Vorgefetten oder irgendjemand einen Beſuch abftattet, ſei diefer auch nur einige Straßen weit von feiner Wohnung entfernt, jo ijt er jtet8 von einem nach jeiner Stellung größern oder Fleinern Gefolge begleitet, das von 6 bis 200 oder 300 Berfonen fteigt. Er führt dann alles mit fich, Eſſen, Trinken für fich und feine Begleiter, Betten, Sterbefleiv, Wäſche u. f. w., als ob er auf eine mehrmonatliche Reiſe in unwirthbare Gegenden auszöge. Der Zug wird von einer Schar feiner mit Säbeln und Pilen bewaffneten Vaſallen eröffnet, und zwar bezeichnet die Zahl der vor ihm aufrecht einhergetragenen Piken ven Rang des Daimio. Dann fommt die Sänfte, welche feine Hoheit birgt, und der fein Pferd gejattelt nachgeführt wird. Dann folgen wieder Bewaffnete, und der Zug wird von einer Menge Höriger gejchloffen, die an Bambusftäben vwieredige Ihwarzladirte und oft jehr foftbare Kajten tragen, in denen alle jene erwähnten Gegenftände fortgejchafft werden. Ich habe zwar nicht hineingefehen, aber nach ver Haltung der Träger zu urtheilen, ſchienen mir die Kaften ſehr leicht zu fein, und wahrfcheinlich find fie ganz leer und aus früherer Nothwendigkeit ift jet nur eine Sitte geworden.

Ueber die militärifchen Verhältuiffe des Landes habe ich feine nähern Data erlangen fünnen. Sie gehören zu den Dingen, bei deren Erfragen der Fremde ſtets ausweichende Antworten erhält, und diefer hat bisjetst nicht genug Freiheit im

108

Lande, um fich durch feine eigenen Augen von dem Zuftande des Militärwefens zu überzeugen. Wir haben nie große Truppen— förper gefehen, höchftens Abtheilungen von 50— 100 Mann In- fanterie und auch einmal im Januar 1861, als die fremden Gefandten während der drohenden Unruhen Jeddo verließen, etwas Artillerie, eine halbe Batterie von 3 Gefchügen, vie zum Schutze der Gefandten in Yokuhama einrückte.

ach dem Aeußern zu urtheilen, find die japanefifchen Soldaten den chinefifchen Truppen in jeder Beziehung überlegen; fie find befjer uniformirt und beffer bewaffnet, ebenfo zeigen fie einen Fräftigern und jüngern Menfchenfchlag Ob fie muthiger find und fich beſſer jchlagen, laſſe ich dahingeftellt jein. Ein faft zweihundertjähriger äußerer und innerer Friede mag vielleicht auch ſie, wie die einft friegerifchen Tataren, vermweichlicht haben; jedoch glaube ich, daß das ſtolze Bewußt— jein, nie befiegt zu fein, das hohe Ehrgefühl und die Todes- verachtung, welche jedem Sapanefen innewohnen, ihn mie feige fein laffen werden. Es läßt fich nicht werfennen, dag trotz der despotifchen Mittel, durch welche die Regierung feit Sahr- Hunderten jede Regung eines freiern Geiftes zu unterdrüden gefucht hat, überall noch ein Geift ver Nitterlichfeit im Volke herrſcht, den der lange Frieden nicht zu ertöpten verntochte, wenn- gleich ex fich nur unmerklich äußert. Das große Gefallen des Volks an den Ringkämpfen, die bei feiner fejtlichen Gelegen- heit fehlen, fpricht dafür. Ste find die Turniere des Mittel- alters, die Proben hochgefchätter männlicher Kraft, aber ohne die Roheit des englijchen Fauſtkampfes, ohne die Blutgier römischer Gladiatoren und die Grauſamkeit ſpaniſcher Stier- gefechte.

Zu Zeiten der portugiefifchen Mifftonare beftand das faiferliche ftehende Heer aus 100000 Mann Infanterie und 20000 Mann Cavalerie. Dazu famen noch 368000 Mann Infantrie und 39000 Mann Gavalerie, welche die Bafallen-

109

fürften in Kriegszeiten zu ftellen hatten. Für jede 5 Mann war ein Offizier, 5 ſolche Sectionen bildeten einen Zug, 2 Züge eine Compagnie und 5 Compagnien von 50 Gemei- nen und 13 Offizieren ein Bataillon von 250 Gemeinen, 65 Offizieren und einem Oberoffizier. Zehn Bataillone end- ih formirten eine Divifion. Ob die taftifche Eintheilung noch jett diefelbe ift, weiß ich nicht, jedoch habe ich die Zug- und Sectionentheilung noch ebenſo gefunden. Japan iſt bis zu jeiner Eröffnung ein ungemein confervatives Land gewefen, und es iſt daher leicht möglich, daß ſowol Eintheilung als Zahl der Truppen jest noch viefelben find wie damals, wenigftens die Truppenzahl ver Vafallen, die fich von jeher darin gefallen haben, jo viel Militär zu halten als möglich. Daß vie Ffaiferliche Armee dieſelbe Stärfe hat wie damals, bezweifle ich jedoch; wenigjtens würden wir dann wol in der Hauptſtadt und Reſidenz, die wir doch nach allen Richtungen täglich durchitreiften, mehr Soldaten gejehen haben; es müßte denn fein, daß das Gros der- Befagung im Innern des Balajtes garnifonirte, der uns verfchloffen blieb. Hier- von erwähnt jedoch Kämpfer in feinen bis ins Kleinſte ein- gehenden Berichten nichts, ebenfo wenig Thunberg und Titjingh, obwol fie, da ihnen der Zutritt zum Innern des Palaftes ge- jtattet war, e8 jedenfalls gejehen hätten.

Die Bewaffnung des Militärs ift noch ziemlich primitiv. Einige Regimenter find mit Percuffionsgewehren ausgerüftet, welche die holländische Regierung gegen Kupfer austaufcht und dabei ihre vortreffliche Rechnung findet. Die Gewehre, welche den Holländern 4—5 Thaler fojten, werden zu 10 Dollars (15 Thaler) gerechnet, und für drei wird immer ein Pikul (120 Pfund Zollgewicht) Kupfer in Barren gegeben, ſodaß den Holländern das Pfund circa 4 Sgr. foftet. Diefer Contract bejteht ext feit neuerer Zeit, und es find faum 6—8000 Ge- wehre eingeführt worden. Andere Regimenter find mit Runten-

110

flinten bewaffnet, die jedoch beſſer in Stande find als die chine- fiichen, wieder andere mit Pifen, die meiften aber mit Bogen - und Pfeiler. In Jeddo haben wir oft die Schiekübungen mit fetstern angefehen und uns fowol über die Tragweite als über die Genauigfeit des Schuffes gewundert. Die Bo- gen find jehr groß, 6 Buß lang, von hartem elaftifchen Holze gefertigt, ſehr fauber gearbeitet. und von beveuten- der Schnellfraft. Der Mann fniet mit dem Tinfen Fuß beim Zielen und fchießt in diefer Stellung. Die Pfeile find von Bambusrohr, oben dreifach gefiedert und mit eiferner Spite. Wir fauften werfchiedene Fleinere Bogen von 4 Fuß Länge und fchoffen damit auf 50 Schritt durch ein Halbzölliges hölzernes Bret. Die Soldaten jchoffen mit den großen auf 150 Schritt. Die Piken find etwa 8 Fuß lang, mit eiferner Spite von 6 Zoll, unter der fich ein Querſtück befindet, und die für gewöhnlich in einem Futteral ſteckt. Alle Soldaten find außerdem mit zwei Schwertern bewaffnet, vie vor dein Bauche im Gürtel getragen werden und den Bewe- gungen jedenfalls jehr hinverlich fein müffen. Das größere hat ein Blatt von 2, Fuß, das Fleinere eins von 20 Zoll Länge. Das Stichblatt ift jehr Flein, der Griff jehr lang, circa S—10 Zoll, mit Haififchhaut überzogen und mit Schnur— und Gifelivarbeit verziert. Mit einem ſeidenen Portecpee wird es um die Handwurzel befeftigt. Das längere Schwert ift leicht gebogen, das Hleinere gerade. Das Dlatt ift aufer- ordentlich ſchön gearbeitet und die Verftahlung wunderbar fein angelegt.

Die Schwerter ver höhern Beamten und des Adels in Japan find überhaupt Kunſtwerke, die den beften Maßſtab Dafür abgeben, wie weit e8 die Japaneſen in dieſem Induſtrie— zweige gebracht haben, und wie weit fie uns darin voraus find. Verſchiedene Waffenfabrifanten hatten unferer Gefandt- ichaft Säbel als Probeſtücke unferer Eifeninduftrie mitge—

111

geben, aber ſchon ein Blick auf die japanische Arbeit zeigte. die bedeutende Ueberlegenheit ver lettern, die um jo mehr aner- fannt werden muß, weil alles Handarbeit ift. Nur Elafticität verjtehen die Japaneſen ven Klingen nicht zu geben, und fie er— jtaunten jedesmal, wenn wir unfere Säbelflingen bis zum Halb- freis bogen und zurücipringen ließen, während die ihrigen brachen oder bei den fchlechten Sorten krumm blieben. Die Preije diefer Waffen find nicht hoch. Wir haben von den Tchönften mit der feiniten eingelegten und Gifelirarbeit das Paar mit 30 Itzebu (15 Thaler) bezahlt. Ihre Schärfe ift außeror- dentlich groß, man könnte fich faſt damit vafiren, und eim mit Kraft geführter Hieb der ſchweren Klinge muß furchtbar fein. Einem der ruffiichen Offiziere, welche 1860 in Yokuhama ermordet wurden, waren mit einem Hiebe das Schulterblatt und ſämmtliche Rippen bis zum Nabel durchgehauen worden. Wenn wir dergleichen Schwerter fauften, probirten wir fie jtet8 mit dem Durchhauen von eifernen Nägeln.

Cavalerie Habe ich, wie fchon erwähnt, auch nicht einen Mann gejehen und kann deshalb nicht darüber urtheilen. Die berittenen Iafonins, welche man jedoch als Mufter der— jelben betrachten fann, machten fich recht gut. Die Pferde find von der Ponyraffe, aber fräftig, muthig, ſchnell und in gutem Stande gehalten. Der Sattel ift von Holz, ziemlich hoch und für Europäer jehr unbequem. Die Sapanejen figen darauf mit eingezogenen Knien und können wegen mangelı- den Schluffes nicht jo feſt fien wie wir. Trotzdem ritten ſie im allgemeinen gut und hielten auf unfern Spaziertouren zu Pferde tapfer mit uns aus, fo oft wir ihnen auch das Leben ſauer zu machen fuchten.

Bon Felvartilferie jah ich drei Gefchüße, alte eijerne Neunpfünder mit ebenfalls ſehr alten Laffetten in nicht fehr gutem Zuftande. Was die Artillerie zu leiften vermag, weiß ich nicht, aber wenigftens Tiefen es die Japaneſen nicht an

112

Schießübungen fehlen. Solange wir vor Jeddo lagen, hörten wir täglich viele Stunden lang mit Kanonen fchiefen; es wurde ung jedoch nicht geftattet, die Schießpläte zu bejuchen, und ich weiß deshalb auch nicht, ob Dort mit Feld- oder Feitungs- geſchützen gefchoffen wurde. An letztern fcheint in Japan fein Mangel zu fein, denn die ganze Bai von Nangaſaki ift mit Batterien gefpidt, deren Geſchütze fehr forgfam durch Ueberbaue gegen den Einfluß der Witterung geſchützt werden. Ob die Sapanefen das Pulver ſelbſt fabriziren oder aus China beziehen, ift mir ebenfalls nicht befannt geworden; ger wiß ift e8, daß fie bis zur Mitte des 17. Yahrhunderts, zur Zeit des portugiefifchen Entdeders Pinto, das Pulver nicht Fannten und das erſte BT nah Japan brachte.

In vielen Läden fahen wir Rüftungen von Stahljchuppen oder Drabtgeflecht, jehr ſauber und ftarf gearbeitet, Helm, Panzerrod, Arm- und Beinſchienen nebft Schild. In den alten Helvenbüchern find die Streiter auch ſtets gepanzert abgebildet, jedoch habe ich feine Solvaten fo gefehen, außer in einem Fechtfaale, wo der Schwertfampf geübt wurde. Die Helme jehen brilfant aus, haben die Form der preußifchen Kürafſierhelme, find aus filberähnfichem Metall gearbeitet, veich cifelivt und vergoldet, ſowie mit einem Viſir verfehen.

Das Erereirreglement für die mit Pereuffionsgewehr be- waffneten Truppen ift das holländische. Vor einigen Jahren wurden verschiedene holländische Unteroffiziere in Nangafakt commandirt, um die Iapanefen darin zu unterrichten.

Die Uniform ift unpraftifch, der weitärmelige, durch eine Schärpe zufammengehaltene Rock hindert fchnelle Bewegungen, und die Strohfandalen an den Füßen, die nicht durch Schnüre, jondern nur durch einen Lederbügel zwifchen der großen und zweiten Zehe feftgehalten werden, verurfachen ein jchlürfendes Gehen und können feinen feften Tritt geben. An Bahnen

113

fehlt e8 in Japan ebenfo wenig wie in China, und jede Com- pagnie hat deren mindeftens ſechs.

Wie e8 mir fcheint, ift jedenfalls die Faiferliche Armee unfern modernen Truppen gegenüber noch von feiner großen Bedeutung, und ein Krieg mit europäifchen Mächten würde jest wahr- ' Iheinlich noch zu ähnlichen Reſultaten führen wie fürzlich in China. Die Truppen einzelner Landesherren jollen beſſer fein, und namentlich erzählte man fich in Nangaſaki vom Prinzen von Satzuma, daß er feine ganze Armee von 80000 Mann mit Miniebüchfen bewaffnet und in den von ihm angelegten Vabrifen bereit8 40000 Stüd ſolcher Gewehre habe anfertigen lajien. Nach dem, was ich von dem Nachahmungstafent der Japaneſen, ihrer jchönen und genauen Arbeit in Metall ge- jehen, zweifle ich nicht in geringften an der Möglichkeit.

Unfere Zünonadelgewehre imponirten ihnen ungemein, und der Gouverneur von Nangaſaki ftellte alles Mögliche an, um einige davon zu erhalten, obwol feine MWinfche nicht erfüllt werben fonuten.

Mit ihrer Marine find die Japaneſen noch weit zurüd, und bis zur Ankunft der Amerikaner befaßen fie auch nicht ein einziges Kriegsſchiff. Es Tag auch Feine Nothwendigfeit dazu vor. Ihre Schiffe befuchten Feine fremden Häfen, und die Negierung ift immer Fräftig genug gewefen, um allen ſeeräu— berifchen Gelüften ihrer Untertganen dadurch ein Ziel zu fesen, daß fie jeden, der fich aus Sicht der Küften entfernte, mit dem Tode beftrafte. Im frühern Jahrhunderten und vor Abſchließung des Neichs waren die Japaneſen, wie ich fchon bemerfte, fühne und in den indifchen Meeren jehr gefürchtete Seefahrer und jo verzweifelt unternehmend, daß ihnen ſchließ— lich unterfagt wurde, in irgendeinem indifchen Hafen zu landen.

Mit der Abſchließung Japans hörte dies auf. Die Fahr— zeuge durften nur die eigenen Küſten befahren, und ſelbſt wenn

Werner II. 8

114

einzelne durch Stürme nach fremden Ländern verfchlagen wur— den oder dort Schiffbruch erlitten, durften ihre Bejatungen bei Todesstrafe nicht in ihr Vaterland zurüdfehren. Um ven Seeleuten jede Möglichkeit zu nehmen, weitere Touren zu machen, ließ die Regierung ſämmtliche Dichonfen nach einer bejtimmten VBorfchrift bauen, von der bei fjchwerer Strafe nicht abgewichen werden durfte. Danach wurden die Fahrzeuge fo Klein und an gewiffen Punkten fo ſchwach conftruirt, daß ein hoher Seegang ihren fofortigen Untergang herbeiführen mußte und die Beſatzungen ſchon ihrer eigenen Sicherheit wegen gezwungen waren, fich jtetS in unmittelbarer Nähe ihrer Küſte zu halten.

Auf diefem Standpunkt blieb die Schiffahrt ununterbrochen faft 200 Jahre ftehen. Die japanischen Diehonfen find den chineſiſchen Flußfahrzeugen fehr ähnlich, alle nach demfelben Modell und von gleicher Größe mit einem außerordentlich Starken Mafte und einem Matten- oder Baummwollfegel. Wie in China find Anfer, Steuer und Takelage jehr primitiv, aber wie in jeder andern Beziehung zeichnen fich die Dſchonken der Japaneſen vor denen ihrer Nachbarn durch das Schöne Ma- terial des Rumpfes, die feine Bearbeitung und dur) die größte Sauberfeit fehr vortheilhaft aus. Das Holz des Schiffsförpers ift nicht mit Farbe angeftrichen, wird aber durch häufiges Wafchen und Scheuern fo rein gehalten, daß alle Fahrzeuge jtet8 wie nen ausfehen. Die fleinern Boote werden nach demjelben Princip fortbewegt wie in China, nur arbeiten ftatt 1 Ruder deren 4—6, und unter einem rhythmiſchen Gefange der Fräftigen Bootsleute fliegen gleichſam die Fahr— zeuge durch das Waller. Wir hatten 30 diefer Boote bor unfer Schiff zum Bugſiren gefpannt, und fie gingen damit vorwärts, als würden wir von einem Dampfer gejchleppt.

Nach dem Abjchluffe des amerifanifchen Vertrags änderte fich der nautiſche Standpunft Japans. Es war mit dem

115

alten Syſtem num einmal gebrochen, und die leitenden Staats- männer befaßen Klugheit genug, alles das über Bord zu werfen, was nur Conſequenz jenes Syſtems war, aber jest vernunftgemäß nicht mehr aufrecht erhalten werden fonnte. Der erfte Schritt war, daß den Japaneſen geftattet wurde, Schiffe nach europäiſchem Modell zu bauen, und zwar ging die Regierung mit gutem Beifpiele voran. Sie begann ein: zufehen, daß der Vertrag mit Amerifa nur der Vorläufer von vielen andern fei, daß Japan in die Reihe der Handels— ftaaten eintreten müjje und bald der Handel zur See ihren Schuß beanfpruchen werde, der nur durch eine SKriegsflotte gewährt werben fann. Man war darin weitjichtiger wie in unferm guten Deutfchland, das durch eine däniſche Blokade lieber noch einmal feinen blühenden Handel lähmen läßt, als einige Millionen für fo viel Schiffe aufwendet, um unſern Namen zur See geachtet zu machen.

Schon 1856 begann man in Japan Pregatten zu bauen, zunächft drei. Es wurde nichts gejpart, das ſchönſte Holz, das beſte Metall ward dazu verwendet, die tirchtigften Bau— meifter ausgefucht, und nach zwei Jahren ſchwammen die neuen mächtigen Schiffe ftolz auf dem Waſſer. Nur Ein Fehler war dabei. Da den Baumeiftern fein europäifches Modell zu Gebote ftand, juchten fie Erfat in Zeichnungen und fanden diefelben auch in einer der öffentlichen Bibliothefen in einem ruſſiſchen Werfe über Schiffsbaufunft zu ihrer großen Freude fehr ausführlich und genau. Alle Schwierigkeiten waren ge- hoben, die Fregatten erftanden als getreue Abbilder der Zeich- nungen leider aber ftamınten diefe aus der Zeit Peter’s des Großen, und fo jahen die Europäer zu ihrer großen Verwun— derung plößlich drei unerflärliche Fahrzeuge in der Bat von Nan— gaſaki erfcheinen, während die Sapanefen bemerfen mußten, daß fie Monumente längftvergangener Sahrhunderte gejchaffen hats ten. Die erſte Brobe war demnach fchlecht ausgefallen, allein man

8*

116

ließ fich dadurch nicht abjchreden. Holland und England ſchenkten als Zugabe zum Vertrage jedes einen Kriegsdampfer. Setzt hatte man Modelle und begann aufs neue. Es wurden Ma— ſchinen aus Europa verfchrieben, und nach abermals zwei Jah— ren erſchienen zwei jehr ſchöne Kriegsdampfichiffe unter weißer Flagge mit vother Kugel (der japanefifchen) mit japanefifchen Dffizieren, Mafchiniften und Matrofen auf der Rhede von Jeddo. Die fchrilfende Pfeife begleitete das Commando, und die Mannfchaft Eletterte fo flinf in der Takelage herum, als gehörte fie einer Gott weiß wie alten Marine an. Es waren die neuerbauten Schiffe und ihre Beſatzung bejtand aus dem Kern der neuen Marine, der von holländifchen Seeoffizieren und Mafchinijten ausgebildet war, die zwei Jahre in japane- ſiſchen Dienften geſtanden hatten.

Diefer Ausfall ermuthigte die Behörden, und e8 wurde eine energifche Vergrößerung der Marine befchloffen. Zugleich wollte man aber aud vom Auslande unabhängig fein und die Mafchinen jelbft bauen. Man erjuchte Holland um In— genieure zum Bau einer Mafchinenfabrif. Dieje famen, nnd nach 6 Monaten ftand in Hakanora, auf dem gegenüberliegen- den Ufer von Nangafaki, ein mächtiges Gebäude, mit vauchen- den Schornfteinen, fprühenden Eſſen und fehallenden Hämmern von Dampfmafchinen getrieben und mit allen Apparaten zum Bau von Dampfmafchinen ausgerüftet. Als wir im Mai 1861 zulett in Nangaſaki waren, fanden wir die Anftalt bereits in vollem Betriebe, und eine Dampfmajchine von 250 Pferdefraft für eine Corvette, fowie eine andere von 700 Pferdekraft für eine ſchwere Fregatte, deren Hölzer bereits behauen wurden, waren in Angriff genommen.

Jedenfalls ift es Japan vorbehalten, ſchon im nicht zu ferner Zeit in maritimer Beziehung eine große Rolle zu ſpie— fen und für Aften das zu werden, was England für Europa ift, mag es num ein unabhängiger Nationalftaat bleiben oder

117

eine ruffifche Eolonie werden. England und Japan haben eine ungemeine Aehnlichfeit miteinander, in ihrer infularen Yage, in der Fruchtbarkeit, dem Mineral- und Kohlenreichthum des Landes, in der Arbeitfamfeit, der Induftrie und der praftifchen Geſchicklichkeit des Volks; ja ſelbſt in focialer Beziehung, in der Stellung der Ariftofratie zum Volke ift in gewilfen Maße Aehnlichfeit vorhanden.

26.

Japans Bedeutung in Handel und Imduftrie. Kohlen, Metalle und

Thee. Das Porzellan und feine Fabrikation. Lad und Ladwaaren.

Rapsöl und vegetabilifhes Wachs. Miako als Mittelpunkt japauijcher

Suduftrie. Bereitung und Berwendung des Papiers, Münzen und

Münzweſen. Aderbau und Viehzucht. Die Forftcultur und der reiche Baumwuchs des Landes.

Manche Reifende, die Japan befucht, ſchöpften in Betreff feiner zufünftigen commerziellen Wichtigkeit fehr geringe Be- griffe. Sch bin während meines Aufenthaltes dort zu einer entgegengefegten Anficht gefommen und überzeugt, daß Preu- Ben nichts Befjeres thun fonnte, als ſchon jegt feinen Schiffen die Theilnahme an den bevorjtehenden Handelsoortheilen durch einen Vertrag zu fihern. Wenn es auch vorläufig Graf Eulenburg mislungen ift, den Vertrag auf ganz Deutjchland auszudehnen, jo erfcheint doch diefe Beſchränkung von feiner großen Bedeutung. Selbft wenn die deutjchen Schiffe Feine preußifche Flagge annehmen wollen und für die nächjten Jahre von der Verbindung mit Japan ausgefchloffen bleiben, fo kann dies eben nur kurze Zeit währen. Schon zur Wahrung der materiellen Intereſſen werden fich die deutjchen Regierungen genöthigt fehen, eine allen Deutfchen gemeinfame Flagge zu Ichaffen, und die japanische Negierung wird dann der urfprüng- lichen Faſſung des Vertrags ihre Zuftimmung nicht länger verfagen, wenn Preußen mit der deutſchen Flagge erfcheint.

119

Der deutſche Handel umd die deutjche Schiffahrt werden dann in Japan diejelbe Bedeutung erlangen und lettere die Con— currenz anderer Nationen ebenfo verdrängen, iwie Dies bereits in China gejchehen it.

Wie man aber noch an einer fräftigen Handelsentwidelung Japans nach den Ergebniffen ver letzten Jahre zweifeln kann, ift mir unerflärlih. Eine einzige Thatſache, die ich hier an- führen will, entjheidet darüber Far und deutlich. Bis zum Sahre 1857, d.h. bis zu dem Jahre, wo die Holländer durch ihren Bertrag Handelsfreiheit erhielten, bejtand ein Haupt: theil der Waaren, welchen fie jährlich einführen durften, in Rohſeide, die fie aus China holten. Damals bauten die Ja— panefen nothoürftig jo viel Seide, um den Bedarf für bie Kleidung der höhern Stände zu deden. Die Regierung be- jtimmte die Preife, und der ärmliche Profit, der dem Erzeuger blieb, konnte ihn zu feinen Anftvengungen verleiten. Jetzt nach der wenn auch nicht unbedingten Freigebung des Han— dels fieht ver japaneſiſche Landmann, daß er den fünf- bis zehn- fachen Betrag für feine Seide erhält, und das Reſultat ift, daß 1860 aus Yokuhama allein 6000 Ballen Rohſeide nad, Europa verichifft wurden, außer der Manufacturfeide, vie namentlich aus Nangafafi in großen Quantitäten fortgeht. Vergleicht man dies mit dem Seidenerport von China, deſſen Hanptitapelplats für dieſen Artifel, Schang-hae, in demfelben Jahre 80000 Ballen ausführte, fo muß man gewiß über den raſchen Aufichwung des eben geöffneten Japan, das bis dahin gar feinen Handel Hatte, erjtaunen. Hierbei ijt aber noch in Betracht zu ziehen, daß Die Faiferliche Negierung troß der Berträge nur jehr widerwillig den Handel gewähren läßt, daß die intereffirten Beamten ihn heimlich zurüdzuhalten juchen und jedenfalls. von feiten des Staats nicht das Ge— ringfte gefchieht, um ihn zu fördern. Ebenfo ift die Ausfuhr der Seide bisher nur ein Product der Faiferlichen Staaten,

120

die faum ein Achtel des ganzen Neichs umfaffen; denn bie Pandesherren halten ihre Landesgrenzen aus Haß gegen bie Fremden hermetifch verfchloffen. Diefer Zuftand wird und fann aber nach den von mir angeführten Thatfachen nicht lange mehr andauern. Es wird in Japan eine Revolution eintreten, welche die Verhältniſſe umfehrt, die Macht der Ariftofratie bricht, und ihr Ausbruch kann höchſtens nur noch einige Jahre auf fih warten laffen. Es müßte denn fein, daß die Negierung und ‚die Landesherren vorher freiwillig ge- währten, was ihnen ſpäter mit Gewalt vom Volke oder wol gar durch die fremden Mächte genommen werden wird.

Aber auch ſchon unter den jetigen Bejchränfungen kann es nicht ausbleiben, daß fortan Seide auf Koſten des Reis gebaut werden wird. Java und Siam liefern jo viel Reis, daß der Japaneſe ihn von dort her wenig theurer bezieht, als er ihn im Lande felbft Fauft, während ihm ein Maulbeer- feld jett das Fünffache einträgt. Die japanefifche Rohſeide ift feiner wie die chinefifche, und ebenfo iſt die verarbeitete Seide der chinefifchen überlegen. Der wundervolle Krepp fteht einzig in feiner Art da und wird wegen feiner Preiswirbig- feit und aufßerordentlichen Haltbarfeit fpäter ein jehr gefuchter Artikel in Europa werden. Das Stüd vom jchwerften weißen Krepp, 33 Elfen lang und 1%, Elle breit, fauften wir in Jeddo im Laden zu 36 Itebu, alfo die Elfe etwa zu 174, Sgr., ſchwarzen Atlas, 1Y, Elfe breit, ein ebenfo jchöner als un- verwitlicher Stoff, in Nangafafı zu demſelben Preife. Die Mufter jind japanifche, aber jo geſchmackvoll und zart, daß fie überall Beifall finden und auch in Europa außerordentlich gefallen.

Demgemäß wird fich auch ganz von ſelbſt in furzer Zeit ein Importhandel bilden, der von Jahr zu Jahr wachſen und fih auf immermehr Artifel erftredfen muß, wenn die Wohl- habenheit des Volfes erft fo weit gediehen ift, um fie bezah-

121

fen zu können. Diefen Umſtand halte ich nämlich für den hauptfächlichiten Grund, daß das Importgefchäft verhältniß— mäßig jest noch gering ift. Dev Japaneſe Hält durchaus nicht jo ftreng an Uſus und Herfommen wie der Chinefe; er fauft im Gegentheil gern europäische Sachen, aber bisjett ijt die confumirende Mafje des Volks noch zu arm und kann fie nicht bezahlen. Allerdings wird vielen europäifchen In— duftrieerzeugniffen jehr bald in Japan felbft Concurrenz er- wachjen. Die große Gefchieklichfeit des Volks und fein Nach: ahmungstalent laffen dies mit Gewißheit vorausfesen, und man darf nicht glauben, den japanefiichen Marft mit allen möglichen europäifchen Erzeugniffen verfehen und überſchwemmen zu fünnen; aber es gibt einzelne Artifel, welche im Lande nicht erzeugt werden fünnen, und wofür fich dennoch fehr be- beutende und namentlich für Deutjchland wichtige Abſatzquellen eröffnen werden. Dies ift Tuch, das man in Japan nicht zu machen verjteht und auch gar nicht fabriziren kann, weil e8 im ganzen Lande feine Schafe gibt. Seide und Baum— wolle find gegen die Winterfälte, die Eis und Schnee mit ſich bringt, unzureichende Kleiderſtoffe, Pelze gibt e8 im Yande nicht, fie find anch zu theter. Dies wiſſen die Sapanefen wohl, und nichts von unferm Anzuge wurde mehr von ihnen be- trachtet, mehr bewundert und mit größerm Gefallen befühlt als die Tuchkleider. Das bisjekt von deutjchen Häufern ein- geführte Tuch, eine wegen der erwähnten Umftände freilich nur geringe Quantität, die jedoch von Jahr zu Jahr fteigen muß, wurde mit 100—150 Procent Nuten verfauft. Ebenfo wird Shirting und Calicot von beftimmten Muſtern mit ver Zeit bedeutenden Abjat finden, da der Baumwollenbau nicht bedeutend ift; ferner Glas, Droguen, Teppiche und Decken. Droguen werden ſchon jett in bedeutenden Mengen eingeführt. Teppiche und Deden erfordern glänzende und lebhafte Mufter, quabratiiche Form und dürfen nicht zu thener fein. Plüſch—

122

teppiche von 6 Fuß Breite und Länge liefert England zu 18 Schilling Facturapreis und macht gute Gefchäfte damit.

Ein Hauptproduct des Landes und die Duelle großen Reichthums bilden die Steinfohlenminen, die namentlich in Kiuſiu unerfchöpflich find. Bisjetzt erreichten zwar die Kohlen nicht die Güte der englifchen, aber es wird dies in furzer Zeit der Fall fein, wenn man tiefer fommt; die, welche man jetst gewinnt, find bereits 100 Procent befjer als die vor 2—5 Jahren gelieferten. Die Kohlen find Monopol der Re- gierung, und diefe liefert die bejten für 45H Dollars (7 Thaler Preußiſch) die Tonne frei an Bord. Mean Hat früher geglaubt, daß fie die Züge und Nöhren der Keſſel angriffen, allein dies hat fich als ein VBorurtheil erwiefen. Ihr einziger Mangel ift, daß fie bisjetzt nicht eine jo intenfive und nachhaltige Hite geben wie die englischen, und man gebraucht deshalb etiwa ein Vier- tel der Quantität mehr davon. Dagegen brennen fie vorzüg— lich, geben ſchnelle Hitze, Tchmelzen förmlich wie Fett und laffen wenig Schladen zurück. Immerhin ift der Preisunterfchied aber fo groß, dag bei rationeller Bearbeitung der Minen, wie fie jet begonnen hat, der Oſten von Afien jehr bald mit japanefischen ftatt mit englifchen Kohlen verfehen werden wird. Wir haben in Singapore, Hongkong und Schangshae 17 bis 20 Dollars für die Tonne Wales-Kohlen bezahlt, während wir Die Quantität japanefifcher von demſelben Nuteffect (vie Negierung läßt fo Tiberal mefjen, daß man ftets 25 Procent Ueberſchuß hat), in Nangaſaki für 4Y,, in Hongkong für 10— 11 Dollars fauften. Es gehen jett jährlich auch ſchon über 100 Schiffe nach Nangafafi, um Kohlen für China zu holen, und alle Kriegsichiffe, welche in der Nähe paffiren, verfehen jich damit.

An Metallen ift Japan reich, namentlich an Kupfer, deſſen Ausfuhr bisjett jedoch nur Holland, und zwar in fehr be- ſchränktem Maße geftattet ift, indem es gegen Gewehre, wie

123

ich ſchon erwähnte, ausgetaufcht wird. Mit dem freiern Geifte, der feit der Eröffnung fo mächtig in Japan einzieht und von dem Volke fich nothwendig auch ver Negierung mit- theilen muß, werden mit der Zeit aber ſolche Befchränfungen, unter denen der Handel im allgemeinen noch fehr viel lei— det, fortfallen, obſchon die Befchränfung der Ausfuhr des Kupfers gegenwärtig noch mit in der geringen Ausbeutung der Nupferminen ihren Grund hat. Trotzdem ift dies Metall im Lande jehr billig, und nirgends in der Welt fieht man fo viele Kupfergeräthichaften als in Japan.

Ein anderes Product beginnt gleichfalls ein bedeutender Handelsartifel zu werden: der Thee. Diefer ift nicht fo gut oder vielmehr war bisher nicht fo gut wie der chinefifche und wurde deshalb nicht verlangt. Es hat fich jedoch herausgeſtellt, daß die fchlechtere Qualität nur eine Folge der Behandlung it. Die Japaneſen dörren ihren Thee in der Sonne, und durch diefen langſamen Proceß verliert er den größten Theil des Aromas, ſodaß japanefifcher Thee gerade wie warmes Waffer ſchmeckt. Nachdem fich aber ergeben, daß ver chine- ſiſche und japanefifhe Theeftrauch verfelbe ijt, haben einige europäifche Häuſer mit der Theebereitung und Nöftung ver- traute Chineſen kommen laffen, und im Jahre 1861 find bereits 500000 Pfund verfchifft wurden. Der gewöhnliche Thee ift jo ungemein billig, daß wir ihn kiſtenweis Fauften, um unfere an Bord feucht gewordenen Cigarren darin zu trocknen, ein uns empfohlenes und probat gefundenes Mittel, das fich jedoch wol nur in Japan als praftifch erweiſt, wo man das Pfund Thee mit 3—4 Silbergrofchen bezahlt.

Das Porzellan ift vorzüglich, noch feiner und transparen- ter als das chinefifche, dabei aber ungemein ſtark. Nach ein- heimifchen Chronifen ift die Kunft feiner Bereitung feit 277 v. Chr. befannt und gelangte von Korea nach Sapan, blieb jedoch bis zum 13. Jahrhundert jehr unvollfommen und

124

erreichte erft dann feine jetige Blüte. Die Hauptfabrifen liegen auf Kiuſiu in dem Fürſtenthum Fifen, nicht weit von Nangafafi bei dem Dorfe Urefino, wo fich die Porzellanerde in Maffe findet. Dieje befteht aus feinem verwitterten Feld- path, der jedoch in fteinartigem Zuftande ift, mit Hämmern zerschlagen und pulverifirt werden muß. Dies Pulverifiren gefchieht in Stampfen, die ebenfo wie die von mir befchrie- benen Reisftampfen zum Enthülfen des Korns conftruirt find, nur daß der fugelförmige Klöpfel nicht aus Holz, fondern aus Eifen bejteht. Es gibt zwei Arten won Erden, eine weiche und eine harte, die erftere muß jedoch für den Gebrauch mit der harten gemifcht werben, weil fie ſonſt beim Brennen zer- fpringt. Die harte Erde allein gibt das beſte, faſt glasartige „Smari- Porzellan“, fo benannt nach einem Hafen von Fifen, wo zwar jelbft fein Porzellan fabrizirt, aber von wo e8 aus- geführt wird.

Die gemahlene Erde wird in Steintrögen mit Wafjer gemischt und der Brei durch feine Körbe filtrirt. Die obere Schichte des Niederfchlags gibt das feine Porzellan, die mitt- (ere die geringere Sorte, das Uebrige wird als unbrauchbar verworfen. Die meiften Formen werden auf der Drehfcheibe gegeben, Vaſen u. ſ. w. mopellirt. Die fertigen Gefäße werden im Schatten getrocdnet und dann in die Defen ge- bradt. Die Malerei e8 erxijtirt fein weißes Porzellan in Japan gejchieht auf der Drehfcheibe, wird mit Glafur überzogen und dann gebrannt. Die Glafur bejteht aus einer Miſchung der obern Haut vom Niederfchlage des Porzellanbreies, der alfo vie feinfte Maffe enthält, mit der Afche von den Scho- ten eines unter dem Namen Juſi befannten Baumes. Die Defen ähneln in ihrer innern Einrichtung unfern Malzdarren. Die Deffnungen find 2 Fuß Hoch und 10 Zoll breit. Neben den Ofenthüren find runde, 3 Zoll im Durchmeffer haltende Löcher, durch Thonftöpfel verfchließbar, durch welche der Zu-

125

ftand des Brennens beobachtet wird. Die ganze Procedur erfordert ungemein viel Mühe, man vechnet, daß ein Geſchirr durch 72 Hände geht, ehe es fertig wird, und die Japaneſen fagen, daß Menfchenfnochen ein Beifat des Porzellans feien, was, figürlich gemeint, nicht fo unvichtig ift. Dies erklärt auch die ziemlich theuern Preife, die troß des niedrigen Ar- beitslohnes, der fih für den Mann in Japan auf höchitens 2 Sildergrofhen pro Tag ftellt, im Vergleich zu den unfern faum 30—40 Procent niedriger find, wozu freilich noch ver höhere innere Werth des Porzellans tritt. Die Malerei ift fehr reich und originell, erreicht jedoch die unfere an Ge- Ihmad und Feinheit bei weiten nicht. Indeſſen find die Fort— fohritte darin feit Eröffnung des Landes ungemein groß ge- wefen, und ebenfo hat man feit vier Jahren europäifche For— men in den Tafel» und Theejervicen nachgeahmt. Die eriten Erzeugniſſe diefer Art ließen manches zu wünfchen übrig und waren aus Mangel an Mebung ziemlich windfehief, da alle runden Gefchirre an der Drehſcheibe gefertigt werden. _ Die legtern Service, welche wir jahen, waren jedoch auch fchon recht gut und preiswürdig. in vollftändiges Tafeljervice für 12 Perfonen, aus 145 Stück beftehend, koſtete SO Thaler. Ebenſo fahen wir einige Fürzlich angefommene Vafen, die durch ihre originelle Schönheit, feine Malerei und gefällige Vormen von uns allgemein bewundert wurden. Sie waren circa 4 Fuß hoch, ſchwarz und mit Gold gemalt, letteres fo geſchmackvoll, als wäre es aus einer europäifchen Yabrif hervorgegangen.

Ueberhaupt ift die japanefifche Malerei weit gefchmad- voller als die chinefifche, wie auch alle japanefifchen Defjins fih unferm Geſchmack mehr anpafjen als jene. Sie find durchaus originell, aber im allgemeinen reizend und auf den berühmten Xadfachen, in denen Japan umerreicht dafteht, mit wunderbarer Schönheit und Feinheit ausgeführt. Das was

126

mir bei ihnen fo gefallen hat, ift die wenn ich mich fo ausdrücken darf geniale Unvegelmäßigfeit ſämmtlicher Mu- jter und Zeichnungen, bie, in einpolivter oder erhabener Ar- beit ausgeführt, gleich prachtvoll find. Kauft man z. B. irgend— einen Gegenftand, einen Tiih, eine Kommode oder Raften, jo wird man bie verzierenden Zeichnungen nie ſymmetriſch geordnet oder in der Mitte finden, aber diefe Raunenhaftigfeit hat etwas ungemein Fefjelndes. ES liegt durchaus fein Grund vor, weshalb z. B. die Fläche eines Tifches ganz glatt Ihwarz lacdirt ift und nur in der einen Ede eine foftbare Zeichnung erfcheint aber jedem gefällt es; es ift von un— jern Gewohnheiten durchaus abweichend, aber unftreitig äußerft geſchmackvoll. Ebenfo die eingelegte Holzarbeit und Kunſt— tifchlerei, in der wir den Sapanefen nicht das Waffer reichen. Sch befige eine folhe Kommode aus Holzmofaif, aber nicht ein einziges Mufter ift dem andern ähnlich oder regelmäßig neben die andern gejtellt. Nur die einzige Zeichnung kehrt überall wieder, der Fufinohama, der heilige Berg, deſſen ich fchon früher erwähnte. Ich habe faft feinen ladirten Ge- genftand, feine Stiderei, fein Bilderbuch gefehen, auf oder in dem der heilige Berg nicht in der einen oder andern Geftalt, aber ſtets unverkennbar wieverfehrte. Faſt ebenfo häufig fieht man den „gnädigen Herrn Kranich“, wie er bei den Japane— jen heißt, ver gleichfalls Heilig gehalten ift und nur vom Kaifer gegeffen werden darf, die Schilofröte und die Fichte, beides heilig gehalten. Der Fächer wird namentlich auf Tapeten und Kleivdermuftern ſehr vielfach vargeltellt.

Der japanefifhe Lad wird aus dem Lackbaum, Rhus vernix, gewonnen und fommt in drei Farben zur Anwendung: ichwarz, roth und Goldlack. Er wird in den feinfter Lagen aufgetragen und jede Lage muß in einem dunkeln, mit nafjen Deden ausgefchlagenen und hermetifch verfchloffenen Behälter troefnen, was mindeftens 3—4 Tage, bei ven koſtbarern Sa—

127

chen aber noch einmal jo lange dauert, weil der Glanz und die Dauerhaftigfeit des Lacks hauptſächlich von der Troden- zeit abhängig ift. Das Ausschlagen mit naffen Decken ge- Ichieht wol nur hauptfächlih, um allen, auch den feiniten Staub fern zu halten. Da die beften Ladjachen 30—40 La- gen nacheinander erhalten, jo dauert ihre Fertigung oft über ein Jahr, und man fann fich denfen, daß fe theuer find; immerhin bleiben fie aber noch ſehr preiswürbig. Die jo- genannte eingelegte Perkmutterarbeit in diefem Lad ift nicht eingelegt, jondern eine Art von Malerei. Es gibt in Japan eine häufig vorkommende Art von Mufcheln, deren innere Scale Perlmutterglanz in allen Negenbogenfarbein befitt. Diefe glänzende Oberfläche wird abgetrennt und pulverifirt, die Zeichnung des Gegenjtandes mit Grundfarben aufgetra= gen, der entjprechende Perkmutterftaub darüber gepinfelt und das ganze nach dem Trodnen wieder ladirt. Der Untergrund Ihimmert dann mit feiner Farbe durch und gibt die gewünfchte Färbung des Perkmutterjtaubes. Die Borzüglichkeit des ja- paniichen Lacks bejteht hauptſächlich in feiner Eigenfchaft, nicht durch fochendes Wafjer oder Säuren lettere müßten denn ätend jein angegriffen zu werden, und man ladirt deshalb ſämmtliches Eßgeſchirr, das aus Holz gefertigt wird. In der Verarbeitung und Golomalerei des Schildpatts find die Ja— panefen ebenfo unſere Meijter wie in der ECifelirung und getriebenen Arbeit. Ihre Kupfer und Bronzelachen find prachtvoll und dabei außerordentlich billig. Selbſt bei ver feinjten Cifelirarbeit fauft man die großen Bronzefachen zu einem Preife, der kaum die Hälfte des Kupferwerthes bei uns überfteigt.

Ein anderer Ausfuhrartifel wird mit der Zeit Rapsöl werden, das bis jet nur zum heimifchen Gebrauch producirt wird, und bon dem der Pikul (120 Zollpfund) 8 Thaler foftet. Werner vegetabilifches Wachs, aus den Beeren des

128

überall wild wachjenden Wachsbaumes gepreßt und an Feitig- feit, Weiße und Brennfähigfeit unferm Bienenwachs kaum nachftehend. Ebenfo alle Arten Nutz- und Zierhöfzer, Eiche, Eiche, ever, Kampherholz, ſowie Kampher überhaupt. Dann Soya, aus einer befondern Bohnenart gewonnen, ohne ven ein] Sapanefe Faum irgendeine Speife genießt. Der Preis dejfelben ift jehr gering; ein Faß Soya von 10 Quart foftet 1 Itzebu (15 Silbergrofhen). Einen fchon jetzt be— deutenden Ausfuhrartifel, der jedoh nur für die Küften- ſchiffahrt von Intereſſe ift, bildet das eßbare Seegras, das in Humnderttaufenden von Centnern nah China verſchifft wird.

Mit vem Jahre 1863 foll nach den Berträgen der neue Hafen von Dfafa geöffnet werden, und alle in Japan anſäſſigen Fremden erwarten damit fehon einen ganz bedeutenden Auf- ſchwung des Handels. Oſaka iſt eine der beveutendften Städte des Neichs von circa 100000 Einwohnern mit einem ausge: zeichneten Hafen und namentlich durch feine vorzügliche cem- merzielle Lage zum Haupthandelsplat von Japan geeignet. Es Liegt in der Mitte von Nangafafi und Jeddo an dem Binnenmeere, das durch Kiuſiu, Sikokf und Nipon gebildet wird, und nur drei Meilen von Miako, der Reſidenz des Dairi entfernt. Don Miako aus hat fih in Japan bie Civilifation verbreitet, und die alte Metropole gilt noch immer als der Mittelpunkt des Culturlebens. Alles was gut ift fommt von Miafo; die beiten Ladjachen ſtammen dorther, die ſchönſten Seivdenmanufacturen, die koſtbarſten Bronze- vaſen alles wird in Miafo fabrizivrt. Bisjet wurden dieſe Sachen größtentheils über Land nach Nangafafi und Jeddo gebracht und durch den Transport um mindeitens 50 Procent vertheuert. Mit der Eröffnung von Ofafa füllt dies alles fort: Nangaſaki wird nur ein Kohlenhafen bleiben, Yokuhama jehr viel einbüßen, obwol legteres immer noch den Verkehr

129

von der nördlich gelegenen Hälfte Nipons behalten wird. Diefesg nothwendige Emporblühen des Handel® mit der Deffnung Oſakas verhehlt fich auch die Negierung nicht, und weil fie daran die von mir erwähnten Conſequenzen einer Revolution fnüpft, hat ihre Gefandtjchaft bei den europäiſchen Bertragsmächten um eine Auffchiebung des Deffnungsterming angehalten. Diefem Wunfche ift zwar auf zwei Jahre Folge gegeben worden, aber dann wird das Gefürchtete Doch eintreten.

Noch ein japanefifches Product habe ich als der Beach- tung werth zu erwähnen: das Papier, von dem wol in feinem Lande der Welt ein fo ausgedehnter Gebrauch gemacht wird wie hier. Es unterjcheidet fich von dem unfern hauptfächlich durch feine feidenartige Weichheit und merkwürdige Haltbar- feit, infolge deren es zu vielen Zwecken verwandt wird, zu denen wir das unfere gar nicht gebrauchen fünnen. Es wird aus der Rinde der jungen Zweige des Papiermaulbeerbaums (Morus papyrifera) bereitet. Es ift mir nicht gelungen, die Vabrifation felbjt zu fehen. Auf alle Fragen nach einer Pa— pierfabrif erhielten wir ſtets nur die eine Antwort: Miako! Miako!, ſodaß, wenn dort wirffich alfes im Lande verbrauchte Papier gemacht wird, dafelbft Milfionen von Gentnern fabri- zirt werden müſſen. Die nachjtehende Befchreibung gebe ich nah Kämpfer und Thunberg.

Wenn im December der Maulbeerbaum feine Blätter verliert, werden die jungen Ziveige etwa im ber Länge von 3 Fuß abgefchnitten, in Bündel gepackt und in einer Afchen- lauge gekocht, bis die Rinde fo zufammengefehrumpft ift, daß fie ih an den Enden um einen halben Zoll zurüdzieht. Sind die Zweige getrocfnet, che man fie fochen kann, fo läßt man fie vor dieſer Procetur erſt 24 Stunden im Waffer weichen. Nach dem Kochen wird die Rinde ab- geſchält und nach dreiftündigem Ausziehen in reinem Waffer

Werner. I. 9

130

die Äußere fchwärzliche Haut und die barunterliegende grün fiche Faferfchichte mit einem Mefjer abgejchabt. Hierauf wird die Rinde fortirt, die einjährige gibt die befte, die minder alte eine geringere Quantität Bapier. Alsdann wird fie aber- mals in einer Haren Lauge gefocht, beftändig umgerührt und fo viel frifche Lauge zugefezt als nöthig, um die Verdampfung zu decken. Diefes Kochen wird fo lange fortgefett, bis die Borfe fih in ihre Fibern auflöft. Die Maffe wird dann aemwafchen, ein Proceß, der befondere Sorgfalt erfordert, da zu wenig Waffer das Papier grob, zu vieles es aber dünn und ſtreifig macht. Das Wafchen gefchieht in laufendem Waſſer in einem Siebe, und die Mafje wird dabei beſtändig und jo fange umgerührt, bis fie als ein zarter und weicher Brei er- icheint. Für die feinern Sorten wird diefes Wafchen noch einmal in einem Leinwandfiebe wiederholt. Nach dem Wafchen wird die Maffe auf einer hölzernen Tifchplatte jo lange mit Stöcden von hartem Holz gefchlagen, bis die Faſern jo Klein gemacht find, daf fie, in Waffer geivorfen, wie Mehl aus- einander fliegen. Der Stoff wird dann mit einer fchleimigen Infufion gemifcht, die theilweife aus falten Waſſer, in dem Reis gemweicht, theilweife aus dem Aufguffe von Hibiscus mannihot gewonnen wird. Auch diefe Wafchung, deren Ver— hältniffe von der Jahreszeit abhängig find, erfordert viel Sorgfalt und wird in einem engen Bottich unter beftändigem Umrühren bewerfjtelfigt. Hiermit ift dev Papterbrei fertig. Derfelbe wird in einen größern Bottich gethan und mit Drahtnegen zu Bogen ausgefchöpft. Die Bogen werden zwifchen Matten von fehr zarten Grasſtroh gelegt, anfangs leicht, ſpäter aber immer ftärfer gepreßt, bis alle Feuchtigkeit entfernt ift. Dann läßt man fie in der Sonne trodnen und packt fie in Lagen von circa 1—200 Bogen zum Verkauf. Das Papier wird nicht geleimt und kann deshalb für unjere Schreibezwedfe nicht benutt werden, während es fich für bie

151

Schrift der Sapanefen mit Pinfel oder Tufche und für den Druck vortrefflich eignet.

Sch bin jedoch der Anficht, daß nicht allein die Rinde des Maulbeerbaums zur Papiermanufactur gebraucht wird. Es ift auch kaum denkbar, wo alle Rinde dazu herfommen follte, wenn man gefehen, in welchen unendlichen Quantitäten der Papierverbrauch ftattfindet. In Yokuhama habe ich oft Zaufende von Lumpenballen nach Miako verfchiffen fehen, die feinen andern Zwed als Papierbereitung haben fonnten, und wahrfcheinlich wird die Maulbeerfaſer mit den Lumpen vermifcht.

Sch habe bereits erwähnt, daß ſämmtliche Fenfter Bapier- Icheiben haben. Ebenfo find faft alle Häufer tapezirt. Das Muſter der Tapeten ift außerordentlich zart und geſchmackvoll. Gewöhnlich find fie filbergrau, merfwürdigerweife werden fie aber alle aus fleinen quadratischen Stücken von einem Fuß Seitenfläche zufammengefett. Ebenſo find auch die übrigen Papierbogen circa 1 Fuß lang und 10 Zoll breit, obwol fie größer gemacht werden können, wie ich bei tapetenartigen Bildern gefehen, die oft 5—6 Fuß lang und 2 Fuß breit als Zierden in den Zimmern aufgehängt werden. Als Schnupf— tuh, zum Abtrodnen des Schweißes wird nur Papier ge— braucht, und felbjt der ärmlichſte Kuli führt ein zu dieſen Zwecken Fäufliches Buch bei fih, aus dem er bei Gelegenheit ein oder mehrere Blätter herausreift. Sämmtlicher Bindfaden wird aus Papier gedreht und iſt faft ebenfo feft und haltbar wie der unfere von Hanf. Im Winter bei Regen und Schnee tragen die Sapanefen Mäntel von gefirnißtem Papier. wir ſelbſt haben uns ſämmtlich ſolche Regenanzüge angefchafft, von denen das Stüd 3 Thaler Ffoftete, und die volljtändig wafjerdicht find. Aus wafferdichtem Papier beftehen auch die jehr Fünftlich conftruivten Schirme, vie zugleich außer: ordentlich billig find und das Stück 3—4 Silbergrojchen foften. Wird man von fchlechtem Wetter auf der Straße

9*

132

überrafcht, jo kauft man fih in einem der vielen Läden einen Schirm, ven man fortwirft, fobald der Regen aufhört.

Eine Papierforte, die ebenfalls in großen Maffen und zu alfen möglichen Zweden verbraucht wird, verdient noch be- fonders erwähnt zu werden, da fie ſpäter gewiß einen Handels— artifel abgeben wird. Dies ift das fogenannte Papierleder in allen Dimenfionen und Narben, das man faum vom Leder zu unterfcheiden vermag. Es ift faſt ebenfo dauerhaft wie dieſes und würde für unfere Buchbinder und Ga- (anteriearbeiter von großer Wichtigkeit werden, da es jo billig ift. Von dem gewöhnlichen guten Schreibpapier haben wir für 1 Thaler 800 Bogen gefauft und von jenem Lederpapier für denfelben Preis 20—25 Duadratfuß in den jchöniten Varben und Muftern. Nur eine bei uns jehr gebräuchliche Berwendung des Papiers kennen die Sapanefen nicht: fie haben fein Papiergeld. Dies führt mich auf die Münzver— Hältniffe, die in Japan ganz eigenthümlicher Art und für europäifche Kaufleute, wegen eines Berfehens in ven Berträ- gen, leiver nicht vortheilhaft find, indem fie den Handel be- einträchtigen.

Es gibt oder gab vielmehr in Japan Gold-, Silber-, Kupfer- und Cifenmünzen, den Kobang, den Itzebu, mit Halben und Vierteln, den Tempo und die Sent oder Caſh, legtere den chinefifchen Fehr ähnlich. Der Goldkobang iſt feit einigen Jahren vollſtändig verſchwunden. Derfelbe war eine oblonge Münze und hatte einen Curs von 4%, Thalern; fein wirklicher Goldwerth betrug jedoch 6 Thaler 17 Silbergrofchen, während dagegen Silber höher im Curſe ftand, als nach dem allgemeinen Maßftabe fein Metallwerth betrug. Die Ameri- faner und alle die Fremden, welche zuerft mit dieſen nach Japan famen, hatten dies faum bemerkt, als fie nichts Eili- geres thaten, als möglichit viele Dollars nach Japan zu brin-

133

gen, die vertragsmäßig zu einem bejtimmten Curſe in Itebu genommen werden mußten, und fih Kobangs dafür einzu— taufchen. Dies Geſchäft warf ihnen natürlich enormen Nußen ab, wurde aber von der Regierung durchfchaut. Dieſe taufchte ferner nicht nur feine Kobangs mehr aus, fondern erließ, um die Goldausfuhr zu hindern, ein Evict an ihre Unterthanen, ſämmtliche im Umlauf befindlichen Kobangs an die Staatsfaffen gegen Eritattung des landesüblichen Curſes in Silber oder Kupfer abzuliefern. Die Japaneſen hatten jedoch während ihres furzen Verkehrs mit den Fremden den Werth des Goldes ſchätzen gelernt, und verfauften ihr Gold ftatt deffen an die Ausländer, vie ihnen 20 Procent mehr gaben als die Regierung. Letztere hatte fich deinnach verrechnet und würde befjer gefahren fein, wenn fie den Curs des Goldes erhöht hätte. So ging aber alles außer Landes; die Fremden zogen allein Nuten davon, und gegenwärtig ift alles Gold aus dem Berfehr verfchwunden. Die Negierung fucht nun auf andere Weije den Verluſt beim Silber wieder einzubringen, und dies iſt e8 namentlich, was die fremden Kaufleute em- pfindlich trifft, und was die vertragfchließenden Mächte nicht genug berüdfichtigt Haben.

Der amerikanische Commodore Berry fette in feinem Ver— trage feit, daß der mericanifche Dollar als gangbare Münze, und zwar zum Werthe von 1600 Seni oder Caſh, angenommen werben follte In China find 1000 1200 Caſh, je nach dem Curſe, = 1 Dollar, und Commodore Perry glaubte deshalb noch befonders viel erreicht zu haben; aber in Japan find 1600 Caſh nur = 1 Itzebu, deffen Silberwerth 15 Silber: grojchen beträgt. Mithin war danach der Dollar dem Itebu gleichgejtellt, und die Amerikaner mußten alle Gegenftände dreimal höher bezahlen, wenn fie ihre Dollars brachten. Dies war natürlich ein ungemeiner Hemmfchuh und machte den Handel unmöglich. Die Sefandten machten Neclamationen,

134

aber alles, was fie erreichten, war, daß es ihnen, den Con- ſularbeamten und dem Perfonal der Kriegsschiffe gejtattet wurde, fich bei ven Staatsfaffen fo viel Itzebu gegen Dollars einzuwechfeln, als fie zu ihrem Bedarfe nöthig hätten, und zwar zu dem Curfe von 3 Itzebu für 1 Dollar mit Abzug von 4 Procent für die Umprägung. Alle jene Perfonen er- hielten daher faft den ganzen Werth ihrer Dollars. Die Kaufleute blieben natürlich von diefer Vergünftigung ausge- Ichloffen, die Begünftigten dagegen legten den Paſſus „als zu ihrem Bedarfe nöthig‘ fehr weit aus, d. h. es kamen Un- fummen von Dollars aus China an, die von den Conſuln und den Kriegsſchiffbeſatzungen eingewechjelt und an vie Kaufleute gegen einen Profit von 20— 30 Procent abgelafjen wurden, ſodaß diefe jett für ihre Dollars 2, Itzebu befamen. Die indirecte Steuer, welche die Regierung durch den niedrigen Eurs des amerikaniſchen Silbers im Vergleich zu den Itzebu von den Fremden zu erheben gedachte, war daher verfehlt, und fie hatte nur die Mühe, die Dollars umzumünzen, ohne Nutzen davon zu haben. Im einer fernern Verhandlung wurde deshalb wieder eine Abänderung getroffen, die diesmal jedoch von den Japanefen ausging. Die Gefandten, Confuln und Kriegsichiffe wurden im Wechjeln bejchränft, Tettere für den Dffizter auf drei, für jeden fonftigen Mann der Befatung auf einen Dolfar pro Tag, als ein Quantum, deffen fie wirklich bedürftig fein Fonnten; dagegen wurde für die Kaufleute ber Curs des Dollars auf 2 Itzebu erhöht, ſodaß fie jet nur noch einen Berluft von 33 Procent hatten. Dies ift immer noch ſchlimm genug, allein mit dem Wachfen des Imports wird iih das Misverhältniß immermehr ausgleichen und der Dollar Schließlich einen feinem Silberwerthe angemefjenen Curs er- Halten. Schon jetst ift das zu merfen, und obivol ihn die Regierung nur zu 2 Itzebu nimmt, fteht er bereits im Handel und Wandel 2Y, Itzebu. Die japanifche Negierung war fo

135

anftändig, die Vergünftigung des Wechſelns auch auf uns auszudehnen, obwol wir erjt nach fünfmonatlichem Aufenthalte in Jeddo den Vertrag abjchloffen, und die jehr liberal ausge- worfene Summe von 30000 Dollars per Monat dedite unfere ſämmtlichen Bedürfniffe, ſodaß wir den angenehmen Vortheil hatten, diefelben 25 Procent billiger einzukaufen als fremde Kaufleute.

Die Tempo find Kupfermünzen von ovaler Form und fo groß wie die Fläche eines durchſchnittenen Eies. Sie haben in der Mitte ein vierediges Loch, um fie wie die Caſh auf Schnüre zu ziehen. Sechszehn davon gehen auf einen Stebu, ſodaß ihr Werth alfo 11Y, Pfennig beträgt. Die Cafh wur— ven früher ebenfalls aus Kupfer gemacht. Seitdem die Chi- neſen aber diejelben fürmlich ſchiffsladungsweiſe ausgeführt und damit in China treffliche Gefchäfte gemacht hatten, weil fie in Japan für einen Itzebu 1600 Caſh befamen, in China aber für 1000 einen Dollar, mithin faft den fünffachen Werth, wurde erftens die Ausfuhr fehr ftreng verboten, jodann aber, um jeden Berfuh zum Schmuggeln zu verhüten, auch die Seni oder Caſh von Eifen gefertigt, und man ſieht daher nur noch wenig fupferne im Verkehr. Sämmtliche japanefifche Münzen find nicht geprägt, fondern gegoffen; Kobang und Tempo oval, Itzebu länglich vieredig und Sent rund. Auf der einen Seite iſt ver Namenszug des Kaifers und die Jahres- zahl, auf der andern Seite der Name des Münzinfpectors erhaben ausgevrüdt. Die Formen müſſen jedoch fehr gut jein, da die Charaktere ſehr ſcharf hervortreten.

Ueber die Aderbauverhäftniffe des Landes habe ich wenig zu jagen; fie find den Ginefiichen fehr ähnlich, und ich würde mich daher nur wiederholen. Auch die hauptfächlichiten Boden- producte find diefelben: Heis, Baumwolle, Thee und Korn. Bei Nangafaft wird viel jechszeilige Gerfte gebaut, außerdem weiße und braune Bohnen, Erbſen, Kohl und alle Arten von Ge—

156

müſen, ſowie Obſt, Aepfel, Birnen, Pfirfiche, Aprifofen, Pflaumen. Das Obft ift jedoch lange nicht fo ſchön wie bei uns und ſchmeckt ähnlich wie in China, d. h. wäfferig und fade; gefocht dagegen gibt es die ſchönſten Compots. Apfel- finen in verfchiedenen Sorten, Walnüffe und Wein find vor- trefflih. In Jeddo war es Winterzeit, und wir fonnten des— halb weder von Feld- noch Gartencultur etwas fehen, aber Erbſen, Bohnen und Gemüfe jcheinen auch dort in großen Quantitäten produeirt zu werden, ebenjo Kartoffeln, von denen viele Schiffsladungen voll nach China gehen, und bie fehr Schön find. In Nangafafi werden europäiſche Kartoffeln nicht gebaut, nur füße.

Wegen der gebirgigen Befchaffenheit des Landes find vie Bewohner gezwungen, die Bergabhänge vielfach zu Cultur— zwecen zu terraffiren, und fie haben daher mehr Arbeit als ihre Nachbarn mit ihren endlojen Ebenen. Dagegen ijt bie Bewäfferung viel Leichter als in China, und auf den Bergen find überall Waflerreferorirs angelegt, von denen das Waffer durch Bambusrohre oft ftundenlang ohne alle Mühe geleitet wird. Sp ſahen wir oft auf Terraffen 500 Fuß und mehr über dem Meeresipiegel Reisfelder angelegt und überſchwemmt. Wo e8 fi) machen läßt, wird der Acer mit Pferden oder Stieren gepflügt, deren e8 hier bedeutend mehr als in China, obwol immer noch lange nicht genug für den Bedarf der Landwirtbfchaft gibt; auf den Bergen verrichten jedoch. Men— ihenhände alles. Da der Viehdünger nicht ausreicht, jo findet menfchlicher Dünger fehr vielfach Verwendung, jedoch wird das Saatforn nicht darin geweicht, fondern derſelbe flüffig und gegoren auf die Pflanzen gegofjen. Ebenſo wird aus allen möglichen Abfällen ein Compoſt bereitet und der Acker damit befruchtet. Da alfo der Boden alles wieder zurück— erhält, was ihm genommen wird, fo gehen die Ernten ohne Unterbrechung jahraus jahrein fort, und von einem Brach—

157

liegen ift nicht die Rede. Die Regierung ift feit der Ab- jchließung des Landes beftrebt geweſen, durch Förderung deu Acderbaues den Preis der Nahrungsmittel jo niedrig wie möglich zu bringen, und fie ermuntert die Bewohner auf fehr energifche Weife dazu, indem fie denjenigen, der fein Feld nicht bebaut, durch Confiscation des Ackers bejtraft. Yandwirth- Ihaft im großen findet ebenfo wenig ftatt wie in China; aller culturfähige Boden wird in kleinen Parcellen von 6— 3 Morgen von den Landleuten bewirthichaftet, und da der Arbeitswerth ebenfo gering wie in China ift, haben fich die Berhältnilfe des Landbaues faſt ebenfo geftaltet und vervoll— fommmet wie dort. Von Pferden gibt e8 zweierlei Arten, die tatarifche und die Ponyrafje; erftere wird jedoch nur zum Rafttragen, lettere zum Reiten benußt. Der Preis ift zwifchen 15 und 20 Thalern. Stiere werden ſowol als Zug- wie als Laſtthiere verwandt, und fchon weil fie bei dem bergigen Terrain zum Fortjchaffen ver Lajten nöthig find, muß in Japan mehr Vieh als in China gehalten werben. Die Pferde find nicht befchlagen. Zur Schonung der Hufe und wahrfcheinlich auch, um ihnen beim Klettern in ven Bergen bejjern Halt zu geben, werben jowol Pferden als Stieren Strohfandalen übergezogen. Dies ift unter ähnlichen Berhältniffen überall zu empfehlen, ba unfere Pferde auf unfern vielfachen Spazierritten und auf den ſchwierigſten und fteilften Gebirgspfaden nie einen Fehl- tritt thaten oder ausglitten.

Schafe gibt e8 nicht, wie ich fehon erwähnt habe. Die Schweine find aus China eingeführt, werden aber nicht viel und hauptjächlich nur für die Fremden gezüchtet, weil der Ja— panefe fich faſt ausschließlich von Begetabilien und Fifchen ernährt. Dagegen ift die Hühnerzucht ſehr groß, da die Eier vielfach genoffen werden. Wild gibt es ziemlich viel, nament- lich wildes Geflügel, Enten, Gänfe und Fafanen, und, wie im allgemeinen alle Lebensbedürfniſſe in Japan, auch fehr billig.

138

Ein Fafan Foftet 4—5 Silbergrofhen. Alle dieſe Thiere werden in Neten oder Schlingen gefangen, da der Gebrauch von Fenergewehren zur Jagd wol wegen der Gefahr für Menfchen ftreng verboten ift.

Auf die Forfteultur wird viel Sorgfalt verwandt, und fein Baum darf abgehnuen werden, ohne dafür einen jungen an- zupflanzen. Die Berge find überall mit reihem Baumwuchs bejtanden, und die Umgegend von Jeddo wird namentlich durch die vielen und forgfältig gepflegten Schonungen und Gehölze jo ſchön und parfähnlich.

Ueberhaupt erinnere ich mich nicht, auf meinen vielen Keifen je ein Land gefehen zu haben, das in jever Beziehung einen fo angenehmen und wohlthuenden Eindrud gemacht, und indem ich mich fo heimisch gefühlt Hätte, wie Japan. Diefen Eindruck hat ein jeder von uns mit fich genommen. Die rvoman- tiſche Schönheit des Landes, die gaftfreundliche Liebenswürdig- feit feiner Bewohner, die Sanberfeit ver Straßen und Häufer, der poetifche Zauber der Gärten, Todtenhöfe und Tempel waren fo anziehend und wirkten jo wohlthuend auf uns, daß wir ein ordentliches Heimweh fühlten, als wir endlich dem ichönen Lande Lebewohl fagten, das uns außerdem ſoviel Neues und Intereffantes geboten hatte. ° Namentlich aber werden wir Nangaſaki nicht vergeſſen; e8 war der Lichtpunkt umferer Keife und wird es bleiben. Wir gingen von Jeddo nach Schangshae und zwei Monate fpäter zum zweiten male nach Nangafafi, und obwol ich dadurch der chronologifchen Neihen- folge unferer Reife etwas vorgreife, will ich im nachfolgenden Kapitel zunächſt unfere Erlebnijfe an dieſem Plate erzählen, weil dadurch noch manche VBerhältniffe Japans berührt wer- den, die zur Ergänzung der Schilderung des Yandes und Der Leute dienen.

27.

Die Bat und die Stadt Nangafaki. Injel und Colonie Defima. Die

Bifite beim Gouverneur. Der Kompiraberg und das Dracenfeft. Die

Andacht im Sintotempel. Freundlichkeit und Gefelligfeit der Japaneſen.

Das Drachenſpiel. Eine Kunftreitervorftellung in Nangafafı. Ausflüge

in die Umgegend. Naturromantif. Lieblichkeit der Gartenanlagen. Bild

der japanischen Häuslichfeit. Die Friedhöfe. Ein Leichenbegängniß. Das Klima und der Gejundheitszuftand in Japan.

Wir kamen diesmal am 12. April vor die Bai von Nangaſaki; es war jest Frühjahr, alles grünte und blühte in voller Pracht, und der Hafen erjchien in feinem jugendlichen Schmude uns noch viel Lieblicher und bezaubernder als das erjte mal. Stets glaubten wir eine neue ſchöne Scenerie zu entdecken, die wir früher noch nicht bemerft. Hier fegelten wir faum 30 Schritt vor einer fleinen Infel vorüber, deren fahle zadige Felſen nur hierher gefett ſchienen, um ven Con— traft mit der lebendig frifchen Umgebung zu erhöhen, dort er- jtreefte fich eine Tiebliche Bucht weit in das Land, die mit einfadenden Häufern und Gärten befett war, während fich ein paar Dfehonfen auf ihrem tiefen- Blau fchuufelten oder einige leichtere Boote, von den kraftvollen Ruderſchlägen halb— nadter brauner Fifcher getrieben, pfeilfchnell ihre fpiegelglatte Oberfläche durchfurchten. Die wie eine Bifchofsmüte geformte und fteil aus dem Waſſer auffteigende Inſel Papenberg mit ihrer Krone von hundertjährigen mächtigen Fichten wurde in

140

nächfter Nähe paffirt, abermals bogen wir jett um die Ede. Nangafafi lag vor uns, und die weißen freundlichen Häufer von Dejima, in denen wir vor fünf Monaten bei veutfchen Freunden fo angenehme Stunden verbracht, fchienen ung einen freundlichen Gruß zuzuwinfen. So viele 1000 Meilen von der Heimat weiß man e8 hoch zu jchäßen, wenn beutfche Klänge nicht allein zum Ohr, ſondern zum Herzen fprechen, und als die Freunde, im einem Boote uns entgegenfommenpd, uns ein „Willfommen in Nangaſaki“ zuriefen, war es, als ob wir ein Stück deutfcher Erde begrüßten.

Der Anfer fiel, Boote von der holländifchen Kriegsbrigg „Rafchelot” und der englifchen Corvette „Encounter“, alte Bekannte von Nangafafi und Jeddo, famen zum Complimen- tiven an Bord, und wir waren gerade zu rechter Zeit einge- troffen, um die Briefe an unfere Lieben daheim mit lekterm Schiffe zu befördern, das, Herrn Alcod, den englifchen Gefand- ten in Japan an Bord, am jelben Abend noch nad) Schang-hae abging. Zwiſchen Japan und China beiteht noch feine vegel- mäßige Pojtverbindung, die Briefe werden mit Schiffsgelegen- heit befördert, und die Ankunft eines Kriegspampfichiffes ver— urjacht daher immer große Freude.

Unfer Aufenthalt dauerte worausfichtlich einige Wochen, und wir machten daher in aller Ruhe ein Programm, um die Schönheiten der Umgebung in vollem Maße zu genießen. Wir wurden auch bei der Ausführung unſerer Vorſätze nicht geſtört, das ſchönſte Wetter begünſtigte uns, und außerdem trafen wir es ſo glücklich, ein großes Volksfeſt mitmachen zu können, das einzig in ſeiner Art war, ſodaß die Erinnerung an die vier in Nangaſaki verlebten Wochen ſtets reich an den ſchönſten Bildern in uns fortleben wird.

Die Stadt ſelbſt in ihrer Bauart bedarf feiner nähern Beichreibung; fie zeigt dieſelbe Anhäufung von einjtöcigen Holzhäufern wie Jeddo und jede japanefifche Stadt, ohne

141

alle Erhöhung oder Abwechfelung; das, was fie ſchön macht, ift nur ihre Lage und ihre Umgebung. Straßen, Häufer, Menſchen find alle diefelben wie im übrigen Lande, und ich kann mich ihrer nähern Befchreibung enthalten. Die Stadt zählt 60000 Einwohner, gehört mit einem kleinen Weichbilde von faum 1 Meile Radius dem Kaifer und wird von einem Gouverneur regiert. Sie war bis zur Eröffnung des Yandes der einzige Hafen, zu dem die beiden Nationen Holländer und Chinefen einen jehr befchränkten Zutritt hatten. Erſtere wurden bis dahin auf der fleinen und mit einer hohen Mauer umgebenen Infel Defima gefangen gehalten und hatten nur einen freien Bli auf die Bai, während die Mauer die Aus- ficht nach der Stadt gänzlich abjchnitt. Defima hat kaum 500 Schritt Durchmeffer, und man fann fich daher die Yage der auf daffelbe angewiefenen Holländer denken, die überdies nur einmal jährlich durch das eine Schiff von Batavia Nachrichten aus der Heimat erhielten. Jetzt find hübſche freundliche Ge- bäude auf der Inſel aufgeführt, die hohe Mauer ift gefallen, man hat freie Ausficht, und es wohnt fich num allerliebit. Bei unferer eriten Anwejenheit fam unfer Borfaß, dem Gouverneur eine Bifite zu machen, durch unfere Ordre, fofort nach Jeddo zu ſegeln, nicht zur Ausführung, und wir holten dies daher am Tage nach unferer zweiten Ankunft nach. Der Gouverneur wohnte ziemlich weit in der hintern Stadt, und wir mußten eine gute Viertelſtunde mafchiven, bevor wir feinen Palaſt erreichten. Diefer zeichnete fich jedoch vor ven übrigen Häufern nur durch feine Größe und die aus Granitquadern ohne Mörtel zufammengefügte Untermauer von 15—16 Fuß Höhe aus, die ihm ein vornehmes Anfehen gab. Eine groß- artige Freitreppe führte uns in einen geräumigen Vorhof, an dejjen vechter Seite ſich eine Halfe für die Leibwache des Gouverneurs befand, und in der neben einer Reihe zierlich gejhnigter Bogen und Pfeile, der Hauptwaffe japanifcher

142

Truppen, auch einige dreißig jehr ſauber gehaltene Percuſſions— gewehre aufgejtellt waren. Wir wurden Hier von einem eng- liſch redenden Dolmetfcher empfangen und in einer Vorhalle mehreren Offizieren vorgeftellt, die uns mit ausgewählter Höflichkeit empfingen und uns durch einen Corridor zu einem kleinen Zimmer geleiteten, das der Gouverneur zu gleicher Zeit mit uns von der entgegengejetten Seite aus betrat. Nach einer furzen Begrüßung und Vorftellung richtete er einige bei dergleichen Anläffen übliche Höflichfeitsfragen an uns und führte uns danach in den großen Empfangsfaal, wo der Vice- Gouverneur und acht andere höhere Beamte ver- fammelt waren und die gegenfeitigen Borjtellungen aufs neue begannen. Die Räumlichkeiten des Palaftes unterfcheiden ſich in feiner Weile von den Bürgerhäufern. Es herrichte in ihnen diefelbe veinliche Einfachheit und Schmuclofigfeit wie überall; die Wände verichtebbar mit Gitterwerf und Papier- icheiben, der Fußboden mit den weißen fein geflochtenen Matten belegt, auf denen es fich ebenjo angenehm als elaftiich geht. Mit Höflicher Rücdficht auf uns waren im Empfangs- ſaale Stühle und zwei lange Tifche, in Iapan ſonſt unbe- befannte Dinge, aufgeftellt, auf welchen letztern ein Frühſtück jervirt war. Wir wurden an dem einen placirt, während an dem gegemüberftehenden dev Gouverneur und die übrigen Be— amten ihrem Range nach fich niederließen und dev Dolmetjcher in der Mitte zwijchen beiden fauerte. Die Unterhaltung drehte fih um alle möglichen Gegenftände, japanefiiche und deutſche Berhältniffe, Inftitutionen und Erzeugniffe, um die VBerwandt- ſchaft unfers Königshanfes mit dem holländiſchen und engli— ichen, und um die demnächſtige Abreife der Geſandtſchaft der japanifchen Negierung nach Europa. Der Gouverneur fprach allein, und die ganze Converfation wurde, wie es jhien wortgetreu, von zwei Secretären niedergefchrieben. An äußern Merkmalen in ver Kleidung war der Rang der be-

145

treffenden Beamten nicht zu unterfcheiven. Alle trugen ganz gleich den nationalen Rod von blau- und weißgejtreifter Seide, über den nur als officielles Kleid eine Art Joppe geworfen war, die fich durch einen befondern Schnitt des Rückentheils auszeichnet, der oben am Halje wie ein Bret über beide Schultern hinausragt. Der Kopf war, wie immer in Japan, unbededt.

Das Frühftüc beftand aus verfchiedenen Gängen, Zuder- werf mit Thee, der ebenfo Nationalgetränf ift wie in China, Keis, Fiſche und Wild, ſowie aus Saft. Alles war trefflich bereitet und mundete uns fehr gut, ſogar der Tintenfifch, den ich Hier zum erften male aß, und der wie fogenanntes Milch- fleifch vom Kalbe fchmedte. Man hatte uns neben den japa— nefifchen Efftäbchen, mit denen wir wahrfcheinlich jehr jchlecht fertig geworden wären, Mefjfer, Gabel und Löffel fowie Porzellanteller gegeben, und auch die Japaneſen bemühten fich damit zueffen, obwol ihnen die Handhabung ziemlich ungewohnt ichien. Alle Schüffeln bejtanden aus ladirtem Holz, da man Porzellan in Japan nur als Ornamente, Waffer- und Saki— frufen und als Trinfichalen fieht. Kurze Pfeifen, wie fie im Lande allgemein gebraucht werden, mit metallener Spite und Kopf, beides jehr fchön cifelirt und letzterer kaum jo groß wie ein Eichelbecher, jowie Tabad nebſt Kohlenbeden hatte jeder neben fich ftehen, und nach dem Frühſtück wurde ein Pfeifchen geraucht. Der Tabad iſt jo fein gefchnitten wie der türfifche, Teicht und wohljchmedend Nach etwa 1%, ſtündigem Aufenthalte wurde die Vifite von unferer Seite aufgehoben, da wir nicht genau wußten, wie die japanefifche Sitte es er- heiſcht. Wir gingen mit demielben Ceremoniell, wie wir ge- fommen, und jehr befriedigt von dem intereffanten Befuche, au Bord, wo furz daranf ein doppelt beichwerteter Jakonin mit einem Dolmetfcher und einem Kult erfchien und ung mit höflihen Empfehlungen des Gouverneurs fünf jauber in

144

Papier gejchlagene und mit bunten Seidenſchnüren zugebunvene Padete überbrachte. Sie enthielten ven nicht verbrauchten Theil der uns reichlich vorgefegten Confecte, die jedem Gaſte nah der Sitte des Landes zugeſchickt wurden, und die fich ebenfo durch Wohlgeſchmack als Fünftliche Anfertigung aus- zeichneten. Als der Beamte fich wieder entfernen wollte, blieb er eine Zeit lang wie in DVerlegenheit ftehen, und es fchien uns, al8 ob er noch etwas auf dem Herzen habe. Der Commandant fam ihm mit der Frage zu Hülfe, ob die Sitte von ung irgendetwas als Erwiderung erheilche, und fichtbar erleichtert, aber immer noch verlegen und mit jchüchterner Stimme theilte er jet mit, daß es Sitte fei, den Auli, weicher derartige Gefchenfe bringe, mit ein paar leeren Flaͤſchen zu belohnen. Wir mußten innerlich über dies aufßer- gewöhnliche Trinkgeld Lächeln, gaben ihm aber fo viel leere Weinflafhen, als er irgend zu tragen vermochte. Zur Er- klärung diene hierbei, daß Glas und namentlich Flaſchen, welche die Japaneſen nicht zu fabriziven vermögen, von ihnen fehr gefucht und gefchägt werden. Bor 7 Jahren, zur Zeit der amerifanifchen Expedition, wurde oft eine Tlafche won ihnen mit einem Gegenftande von 10 Thalern Werth eingetaufcht, und wenn fie auch jet vielfach eingeführt und im Preife ſehr gefunfen find, ja in Nangafafi bereits eine Glasbläſerei einge: richtet ift, macht man doch einen Sapanefen immer noch damit glücklich. Wahrfcheinfich Haben die Jakonins die Sitte für ihren eigenen Nußen eingeführt und den Kuli nur vorgeſcho— ben; wenigſtens fchien mir dies aus dem leuchtenden Auge des Beamten hervorzugehen, als dem Kuli mindeftens 15 leere Flaſchen aufgepadt wurden.

Der Nachmittag bot in anderer Weiſe ebenfall8 hohes Intereffe, um einen Blick in das fociale Leben der Japaneſen zu thun. Mir find in diefer Beziehung auf unferer Reiſe ſehr glücklich gewefen. An allen Plüten, die wir bier im

145

Dften berührten, traf es fich, daß irgendein außergewöhnliches Ereigniß, wie VBolfsfefte und dergleichen, jtattfand. In Sin— gapore war es das Topdtenfeft, in Kanton das Yaternenfeft, in Schang-hae das Neujahr der Chinefen,; in Jeddo hatten wir eine Art Kirmeß mit angefehen, bei der ein großer Markt gehalten wurde und alles jehr heiter zuging. Hier famen wir gerade zur rechten Zeit, um einem großartigen Volksfeſte, dem Drachenfefte, beizumohnen, das einzig in feiner Art in der Welt dafteht, zugleich aber eins der fchönften ift, die ich je gejehen. In Sapan befuftigt fich nämlich, wie in China, groß und Fein, alt und jung, Mann und Weib täglich mit dem Steigenlafjen von Papierdrachen, ja in China fehr häufig Greif. Der in Spielereien und Kleinigkeiten fo fruchtbare erfinderifche Geift der Chinefen hat, wie ich fchon früher erwähnte, die unendlichſten Formen und Varietäten geichaffen, und ich erinnere mich noch mit vielem Vergnügen, wie ich eines Abends ein vollftändiges Drachenfchiff in der Luft jegeln ſah, aus deſſen Kanonenpforten überall Feine Sprüh- teufel herausblitzten, bis zulett das ganze Spielzeug in hellen Flammen ftand, mit einem Kanonenjchlage auseinander flog und nach allen Seiten hin Feuerkugeln ausjandte.

In Japan ift man in diefer Beziehung nicht jo weit vor— gejehritten. Die Drachen find ſämmtlich wie die bei uns ge- bräuchlichen geformt und nur aus buntem Papier hergeftellt, um fie voneinander zu fennen, aber die Japaneſen entwickeln eine außerordentliche Gefchicklichfeit in ihrer Leitung, und täglich finden Wettkämpfe darin ftatt. Einmal im Jahre am 18. April nehmen alle Drachenbefiter an diefen Kämpfen theil; eine Unmaſſe von Menfchen ftrömt als Zufchauer auf den Kampfplag, und das Drachenfeft bietet in größern Städten ein Schaufpiel dar, das wirklich prachtvoll ift.

In Nangaſaki ift es der Kompiraberg, eine Meile hinter

der Stadt gelegen und 2000 Fuß hoch, wo die Feierlichfeit Werner. I. 10 ü

146

ftattfindet, die wol eigentlich mit diefem Ausdrucke bezeichnet wer— den muß, da fie religiöfen Urfprungs ift und die Beluftigung der Drachenkämpfe wol nur nachträglich mit ihr verbunden wurde. Auf dem Berge iſt nämlich der Sitz und Tempel des Kompiraſama, des „gnädigen Herrn Windgottes“, wie das Wort deutſch lautet. Sama iſt der Titel, der jedem ge— heiligten Gegenſtande ſowie dem Kaiſer und dem gefürchteten Adel des Landes beigelegt wird, während der Japaneſe „San“ Herr allen übrigen Menſchen anhängt. So Ipricht er nur vom Zaifunfama, dem gnädigen Herrn Kaiſer, Dofifama, dem gnädigen Herrn Kranich, aber won Dfatfan, dem Herrn Manne, Musmefan, dem Herrn Mädchen, oder Safoninfan, dem Herrn Beamten.

Der Kompiraſama wird nun an jenem Tage gefeiert, und alles was irgendiwie mit der Schiffahrt in Bezug fteht, ſtrömt hinaus, um dem Gotte feine Verehrung darzubringen, in einem unweit der Bergſpitze gelegenen Sintotempel jeine An— dacht zu verrichten und den Schu des Gottes für die Schiffahrt zu erbitten. Da aber die Sintoreligion aus allen ihren religiöfen Feiertagen Freudenfefte macht, jo jah man überall nur lachende fröhliche Gefichter, und jeder war beftrebt, die Gegenwart in harmlojer Freude zu genießen und jich auf das beſte zu amufiren.

Der Weg zum Kompira führt in mannichfachen Windungen von Nangafafı ziemlich fteil auffteigend an veinlichen Dörfern, üppig grünenden Gefilden, trogigen Abhängen und fanft ge- wellten Hügeln hinauf, die mit großer Kunft terraffirt und euftivirt find. Gerſte, Raps, Bohnen, Tabad bildeten hier den hauptfächlichften Theil des Ackerbaues. Hier und dort erblickte man eine Gruppe Obftbäume, welche; abwechfelnd mit einem Bosquet des gefiederten fchlanfen Bambus die freund» lichen Häufer befchatteten, die oft an den Abhängen zu ſchweben Schienen, und zu denen fich ein halsbrecherifcher Pfad durch

147

wildes Geftrüpp und Gejtein fchlängelte. Die vothen und weißen Blüten der baumartigen Camellie und Azalie leuchteten noch hier und dort aus dem Grün hervor, aber es waren nur noch Nachzügler. Die eigentliche Blütezeit, wo dieſe Bäume und Sträucher wie mit einem rothen Teppich befleidet ſcheinen, war jchon feit vierzehn Tagen vorüber.

Der Menjchenftrom zu dem Feſte war außerordentlich; der von unten faft eine Meile überfehbare und faum 4 Fuß breite Weg bildete eine ununterbrochene dichtgedrängte Linie von Geftalten, die in ihren verfchiedenartigen hellfarbigen Coſtümen wie eine buntichillernde Rieſenſchlange erjchien, welche in zitternder Bewegung ſich langjam den Berg hinaufwand.

Die Sonne brannte heiß hHernieder, und da das unge— wohnte Steigen uns jehr angriff, begrüßten wir mit Freude die verſchiedenen Kleinen Theehäufer, welche, als Ruhepunkte Biertelftunden weit auseinander gelegen, auf Heinen Plateaur am Wege erbaut find, und deren fchattige Berandas uns ein- (uden, zu raften und einen Blik auf das reizende Panorama zu unjern Füßen zu werfen. Ich habe fchon bemerft, dag in Japan wie in Ehina faſt gar fein rohes faltes Waffer, ſondern nur Thee getrunken wird, der jedoch jo ſchwach ift, daß er feinen Geſchmack befitt, und aus diefer Sitte erflärt fich die große Zahl der Theehäufer, welche an allen Landſtraßen liegen und wo den Vorbeipafjirenden Thee verabreicht wird. Man bezahlt für eine Taſſe Thee einen Seni, alfo circa Y, Pfennig. Bon uns wollte man jedoch fein Geld nehmen, und überhaupt wurden wir überall mit der größten Zuvor- fommenheit und Höflichkeit behandelt. Sobald wir anfamen, wurden ung ftets die beiten Pläße eingeräumt, man begrüßte uns in vertraulicher, aber nie aufpringlicher Weife, bewunderte mit jchüchterner Zurücdhaltung unfere Tuchkleiver, und es er- regte allgemeine Freude, wenn wir mit unferm Vorrath won japanefifchen Worten eine Unterhaltung begannen, bie ſchließlich

10*

148

ins Stoden geriety und nur mit Hülfe der ausdrucksvollſten Mimik fortgefettt werden konnte.

Sp wanderten wir von einem Theehauſe zum andern, die fich ftet8 Dadurch auszeichnen, daß fie an den romantifchften Punkten erbaut find, und nach drittehalbftündigem befchwerlichen Marfche erreichten wir den erwähnten Sintotempel, wo bie - Gläubigen, ehe fie zum Spielplage aufbrachen, ihre Andacht verrichteten. Sinto- und Buddhatempel in Japan find ſchon von weiten an ihrem Aeußern zu erfennen. Der zeltartig con- cave Dachfirft mit den aufwärts gefriimmten Giebelfpitsen der Buddhatempel verräth jogleich den fremden chinefifchen Urfprung, während die Sintotempel die geradlinigen Formen der heimifchen Gebäude aufweifen. Im Allerheiligften, das zwar von außen zu jehen, aber nur von den Prieftern zu betreten ift, hing als einziges Symbol ein großer freisförmiger Metalffpiegel. „Wer in ihn fehauen kann, ohne zu erröthen, der allein ift würdig vor die Gottheit zu treten, aber niemand nahe mit Kummer und Gram im Herzen; eine freudige Stimmung, eine heiteres Herz allein kann die Andacht ver- richten.” Das ift die Kernlehre der Sintoreligion, und wahr- lich, im dem einfachen Dogma des erjten Theils liegt eine ichöne Moral. Das eigene Gewiffen des Menfchen wird zum Richter über ihn und als einziger Wermittler zwifchen ihn und die Gottheit geftellt, ohne zu elendem menſchlichen Mach- werk in Geftalt von Göten und Heiligen feine Zuflucht zu nehmen.

Bor dem Tempel befand fich ein großer fteinerner Brunnen, an dem eimige zwanzig Handtücher aufgehängt waren. Jeder, der feine Andacht verrichten wollte, trat zu diefem und wufch ſich Geficht und Hände, um auch äußerlich rein vor der Gott— heit zu erfcheinen. Alsdann begab er fich in den Tempel, ſchlug an eine in deſſen Portal hängende Glocke, warf einige eiferne Seni auf den Teppich, klatſchte dreimal in die Hände,

149

fniete nieder und murmelte einige Gebetsworte. Vom Plate des Kniens aus fonnte man einen Blick in den Spiegel werfen; von allen den Hunderten, die ich beobachtete, erhob jedoch fein einziger das Haupt. Vielleicht fonnte niemand es ohne Erröthen thun und wollte fich die Scham erfparen. Die ganze Seremonie dauerte faum eine halbe Minute. In fehweigender Ordnung folgte einer nach dem andern; der hohe Beamte, der verachtete Kuli fo weit da draußen in der Welt verfchieden hier jcheinen fie alle gleich. Der exitere wartete, bis der (egtere fich erhoben, und fniete wie er mit geſenktem Haupte vor dem höchſten Weſen.

Einige 1000 Schritte hinter dem Tempel, nahe der Spike des Kompira, gelangte man auf eine janft gerundete Berg- ebene, die das Endziel der Wanderung und der Tummelplat des Feites war. Schon ehe wir dort hinfamen, ſahen wir Taufende und Abertaufende von buntgefärbten Drachen, viele 100 Fuß Hoch, durcheinander jchwirren und kreuzen; das Summen einer großen Menfchenmafjfe und jubelnde Tine ſchlugen an unfer Ohr. Als wir aber die Kuppe erreicht und das zwifchen ihr und der Spike des Kompira fich erjtredenve Plateau überfchauten, va war ver Anblid ein überaus herr— licher. Mindeſtens 10000 Menſchen waren hier verfammelt, ganz Nangafaki fchien zufammengeftrömt zu fein, und dieſe durcheinander wogende Menge bildete ein Tableau, deſſen lebendige Beweglichkeit und bunte Farbung feine Reize unend- (ich erhöhtes Hier ſah man Hunderte von Wettjtreitern, die, mit von Luft und Ehrgeiz geröthetem Gefichte, die Augen funfelnd auf ihren Drachen und die ihrer Gegner gerichtet, die dünne Leine mit gewandtem Nude leiteten und dem Drachen bald diefe bald jene beliebige Richtung gaben. Es war eine wahre Luft, wie die leichten Papierdrachen in den Lüften da- hinfehoffen, bald Ferzengerade und pfeilfchnell in die Höhe jtiegen, bald wie ein Blitz feitwärts entflohen, wenn ein

150

Gegner fich ihnen nahte, oder wie eine Schlange unter ihnen fortfchlüpften und triumphirend fich an der andern Seite wieder aufſchwangen. Ein folher Moment bildete immer die Krifis des Spiels, aller Augen wendeten fich einem folchen Einzel- fampfe zu, und die beiden Streitenden boten ihre ganze Energie auf, um den Sieg zu erringen und unbefiegt zu entjchlüpfen. Die Aufgabe befteht nämlich darin, die Leine des Gegners oben in der Luft zu durchichneiden und deſſen Drachen zu Fall zu bringen. Zu diefem Zwede find die aus Papier ge- drehten Leinen mit pulverifirtem Feuerſtein überzogen, ver wie eine feine Feile wirft, und den Sieg erringt derjenige, welcher e8 verfteht, feinen Drachen unter dem des Gegners durchzuleiten, ihn jo abzufangen und durch jchnelles Hin- und Herziehen die feindliche Leine zu zerjchneiden. Gelingt dies, jo belohnt ein endlofer Jubel den Gewinner, der mit frende- ſtrahlenden Mienen ven feiner Gefchieflichkeit gezollten Tribut aufnimmt, während der Gegner befhämt von dannen zieht.

Ein blau und weiß carrirter Drache war der Held des Tages, ſchon 6 Leinen hatte er durchſchnitten, und feinen Triumphen wurde die Krone aufgefegt, als er den leßten ſteuerlos niederfinfenden Drachen volljtändig zu jagen begann, ihn während feines Fallens hoch in der Luft zum zweiten mal abfing und ihn zur Erde niederbrachte. Ich habe jelten einen fo raufchenden Beifall erlebt wie den, der dieſem Kunſtſtücke folgte, muß aber gejtehen, daß der fliegende Drache wunder- bar gelenft wurde, und auch ich jtimmte unwillfürlich in das allgemeine Frohloden ein.

Die Bergebene war mit reichem Grün bedeckt, zwijchen dem die Familien ihre Ruheſtätten aufgefchlagen hatten und die mitgenommenen Speifen verzehrten. Wie bedauerte ich, fein Maler zu fein, um dies großartige Genvebild verewigen zu können. Ein berühmter deutfcher Künftler der Neuzeit hat fich einst gegen Fanny Lewald dahin fehr bitter ausgefprochen,

151

daß in einem Polizeiftaate alle Kunft zu Grunde gehen müſſe, und nur die Revolution mit ihren Barrifadenmännern bie Wiege und Pflege der Kunft fei, over vielmehr einen Maler begeijtern fünne, ein ſchönes Bild zu ſchaffen. Nun, Japan ift ein Polizeiftaat, wie e8 feinen zweiten in der Welt gibt, aber wer in diefem Augenblide dem Feſte zufchaute, der mußte wahrhaft bezaubert werden von der malerischen Schön— heit dieſes Bildes, das fich vor unſern Blicken aufrollte. Da war Boefie, da war Kunft, Lyrik, Idylle und Romantik, alles, was man wollte, zu einem harmonijchen Ganzen vereint, und doch war es ein Bild des Friedens, der harmlojeften Freude und der erquiclichiten Ruhe.

Bon allen Seiten erhielten wir Einladungen, an den ver- ſchiedenen Pickenicks theilzunehmen; bald z0g man uns hier, bald dort auf den Raſen nieder, um eine Schale Saft over Thee zu trinken, von den Speifen zu koſten, oder ein Mi- niaturpfeifchen zu vauchen. Es war für uns ein wohlthuendes Gefühl, folcher herzlichen Gajtfreundfchaft zu begegnen; wir ließen uns nicht nöthigen, und bald jaßen wir wie alte Freunde unter diefen guten Tiebenswürdigen Menjchen, die fich von allen Seiten beftrebten, uns Annehmlichkeiten zu bereiten. Wir fofteten ihren Saft, erheiterten fie durch unfere Ungeſchicklich— feit in der Handhabung der Epftäbchen und verurjachten ſchallendes Gelächter mit unferm gebrochenen Sapanefifch. Wer fonnte einer jolchen Freundlichkeit gegenüber wol eine abjchlä- gige Antwort geben, wenn dann Frauen und Mädchen mit ver- ſchämten Mienen um einen Botan (Corruption von button), einen Knopf, baten. ‘Die vergolvdeten Knöpfe wurden einer nach dem andern aus der Wefte oder auch wol vom Rod abgelöſt, und mit freudigem Stolze zeigten die glücklichen Empfänger das £oftbare Geſchenk ihren neidenden Freunden, um es fich andern Tags in einen Ning faſſen zu laffen und prunfend am Finger zu tragen. Wir aber wanderten weiter zur höchjten Spite

152

des Kompira, um noch einen Bli auf das viele Meilen weite, großartige und prachtvolle Panorama mit den kämpfenden Drachen, dem bunten Gewimmel der Zaufende, ven faftig grünen TIhälern, den dunkel beivaldeten Bergen, den Städten und Dörfern und weit, weit dahinter auf das Meer zu werfen, das, im Strahle der fcheidenden Sonne glänzend, wie ein goldenes Band das lieblihe Bild umfchlang. Dort faßen wir und fehauten lange hinab mit vollem Herzen und weh— müthigen Gefühlen. Es war fo jchön hier, aber es fehlte immer etwas; dort drüben über dem fchimmernden Spiegel ver See, viel taufend Meilen weit lag die liebe theure Heimat, die nichts erfegen fan. Die im Weften fcheidenden Wolfen nahmen unfere Grüße mit!

Einige Tage ſpäter bejuchten wir auch eine Kunftreiter- bude, von der ich ſchon früher geſprochen. Dergleichen Runft- genüffe find in Japan felten, felbjt in Nangafafi hatte man jeit fünf Jahren feine Runfireiter gehabt, und wir konnten des- halb von Glück fagen, e8 jo gut zu treffen. Ihre Ankunft verurjachte unter den fo fchauluftigen Japaneſen große Auf- regung, und alles fprach von ihnen. Die Leute fannten ihren Bortheil; die Fremden befamen Theaterzettel im beften Eng- ch, und in zollgroßen Buchjtaben ward auf die außerordent- lichen Leiſtungen der celebrated Miss Torio und Miss Schorio aufmerffam gemacht. Japaniſche Kunftreiterinnen das war allerdings etwas Sehenswerthes, und wir mietheten ung eine Loge. Der Preis war anftändig, 20 Thaler die Loge für 10 Berfonen, natürlich Europäer, denn Japaneſen be— zahlen jolche Preife nicht. Dafür dauerte die Borftellung aber auh 6 Stunden, und man erhielt etwas für fein Gelo. Es wurde jedoch gebeten, Stühle mitzubringen. Wir gingen erft um 1 Uhr nachmittags Hin, obwol der Anfang auf 12 Uhr feftgefegt war. Ein Freund hatte uns einige japa- nifche Dolmetjcher mitgegeben, die uns den Gegenfland und

153

die Mimif der Borftellungen erklären follten, für welche uns fonft das Verſtändniß gefehlt hätte. Der Circus war außer- halb der Stadt auf einer Anhöhe erbaut und fo groß, daß er ungefähr 1000 Menfchen falfen mochte. Er bejtand aus dem gewöhnlichen Baumaterial, Bambus, mit Matten beflet- det und auch oben mit denjelben bevedt. Seine Form war die eines Halbfreifes, an deſſen Baſis fich eine Fleine erhöhte Bühne befand, während vor ihr die Manege hinlief, die je- doch feine runde, fondern eine vechtwinfelige Form und bei 50 Fuß Länge nur eine Breite von höchftens 12 Fuß hatte. Zu den Logen, die wie in unfern Theatern angebracht waren, gelangte man auf einer Hühnerfteige, die jeden, der nicht die zähe Haltbarkeit des Bambus fennt, durch ihre anfcheinende Gebrechlichfeit vom Befteigen abgefchrecit haben würde. Dann froh man durch ein 2Y, Fuß hohes Loch in die Logen jelbit, die, wie das ganze Gebäude in höchſt proviforifcher Weife und in der leichten japanischen Bauart conftruixt, fehr halsbrecherifch ausjahen. Der Zufhauerraum war überfüllt, und es ging äußerſt naid zu. Das Parquet war mit Sperr- figen verfehen; im Parterre ftanden die Zufchauer und hinter ihm befand fich noch ein leerer Raum, der von dem Publikum zur VBerrichtung von Gefchäften benußt wurde, die man bei uns gewöhnlich der Deffentlichkeit entzieht, vie ſich aber hier unmittelbar unter den Augen der Logeninhaber zutrugen. Wir dachten vabei: „chaque pays, chaque usage’ Japan ift ein wunderbares Land!

In den Logen neben ung und gegenüber hatten fich überall wohlhabendere Familien häuslich niedergelaffen. Der Japa— nefe übereilt jich nicht, ex ift bedächtig in jeder That, bedäch- tig in feinen Bewegungen, Vergnügungen und Genüſſen. Die Borftellung dauerte jehs Stunden; um fo lange anszuharren, bedarf man einer Stärkung, und dafür war gejorgt. Jede Loge bot das Bild einer Pickeniefpartie, wie jüngjt beim

154

Drachenfefte, hunderterlei verfchievene Speifen ftanden in faubern Lackſchüſſeln fervirt auf dem mit Matten belegten Fußboden, und die Safiflafche Freifte unaufhörlich in der darum— lagernden ZTifchgefellichaft. Wir waren faum eingetreten, als wir auch ſchon von beiden Seiten Einladungen erhielten, an dem Mahle theilzunehmen. Wir fofteten von allem, hiel- ten uns jedoch an die hier vorzüglich gebadene und gemeinhin als Brot genoffene Sandtorte und ließen unfern Wirthen als Revanche unfern eigenen Safı, in Geftalt von Gilka Pfef- fermünzliqueur, foften, der ihnen vortrefflich zu munden fchien, ba jedem genofjenen Schlude ein aus innerjter Seele fom- mendes epi joka! (jehr ſchön) folgte.

Dann wandten wir ung mit ungetheilter Aufmerkſamkeit der Vorftellung zu, deren zweiter Act foeben begann. Die celebrated Miß Schorio und Miß Torio erfchienen, rittlings im Sattel figend, in jehr hübjcher Garderobe und pompöfen Haar: ſchmuck, aber total weiß geſchminkt und dadurch jehr entjtelft, obwol fie auch außerdem ſchon feinen Anfpruch auf befondere Schönheit machen fonnten. Sie ritten kleine hübſche Ponies, wie fie überall in Japan zu Haufe find, mit feinem Glieder— bau, einem übermäßigen Neichthum an ftruppiger Mähne und bis auf die Erde reichendem Schwanze, furzem Hals und feu- rigen Augen. Wir hatten Shamlfprung, Neifenfprung, Schen- fefritt und dergleichen erwartet, fahen uns aber getäufcht. Die berühmten Künjtlerinnen famen nie aus dem Schritt, und ihre equilibriftiichen Leiftungen befchränften fich lediglich auf ein langjames Führen der Pferde im Einflange mit den Be— wegungen ded Oberkörpers und der Hände. Der Zügel ging um den Leib der Neiterin, "und die Pferde wurden nur mit den Schenfeln geleitet. Das Ganze war eine theatralifche Borftellung mit lebhafter Mimik und Begleitung eines hin- ter. den Gouliffen der feinen Bühne aufgeftellten Orcheiters, deffen unharmonifche Töne jedoch das Ohr beleivigten, und

155

aus dem als Grundton das Zufammenfchlagen zweier Stüde von hartem Holz Herausflang. Die Pferde verfahen die Füße der handelnden Perjonen, und jedenfalls war ihre Dreffur bewunderungswiürdig, namentlich wenn man in Betracht zieht, daß die Japaneſen durchaus Fein Keitervolf find. Etwas Ipäter erfchien ein Jakonin in blauem, ſilbergeſticktem Node, dem glänzendften Coſtüm, das ich bisher im Lande gejehen, und es entwicelte fich jett eine Liebesjcene, deren verſchiedene Phaſen uns jedoch ziemlich unverjtändlich blieben. Einmal fcheint nach den ausgedrücten Mfecten Liebe in Japan ganz anderer Natur zu fein wie bei uns, und jodanı fpra- chen unſere Herren Dolmetfcher ungefähr jo fertig englisch wie wir japanefiih, umd es jtellten fich daher ver Erklä— rung jo abjtracter Begriffe bedeutende Schwierigkeiten in den Weg.

Der folgende Act war fomifcher Natur und die Mimi der vier dabei betheiligten Perſonen fo draſtiſch, daß mir nicht umhin fonnten, aus vollem Herzen in das endlofe Gelächter des Publifums einzuftimmen, welches die heitere Scene hervorrief. Das Sujet war ganz eigenthümlt- cher Art, wie e8 auch nur in Japan vorfommen kann und ih will e8 zur Charakfteriftif des Volks hier etwas näher erwähnen, da fein Verſtändniß für ung feine Schwierigfeiten bot.

Drei Bauern reiten über Yand und begegnen einem Fuchs, der auf feinem Pferde zu jchlafen fcheint. Der Fuchs wird von den Japaneſen als eine Art Gottheit betrachtet, von der man nicht vecht weiß, ob fie guter oder böfer Natur if. Am beiten läßt er jich mit den Kobolden unfers VBolfsaberglau- bens vergleichen, die, je nachdem fie gut oder böfe von den Menfchen behandelt werden, diefen mit gleicher Münze zahlen. In dem gegenwärtigen Falle neden die Bauern das von einem Reiter in Fuchsmasfe jehr natürlich dargeftellte Thier, erweden

156

ihn mit Schlägen, die wie in der europätfchen niedern Volfs- poffe auch hier eine Hauptrolle fpielen, und zwingen ihn mit zu reiten. Anfänglich ſehr aufgebracht durch die unfanfte Behandlung, legt fich feheinbar bald fein Aerger, er zeigt fich willig zu folgen, wird vertraut und bietet den Bauern eine Prife an. Sie nehmen alle drei, niefen unendlich und find dadurch fchon halb in der Gewalt des Fuchfes. Sekt fommt dann das fpecififch Japaniſche: der Fuchs reicht ihnen zunächit feine Exeremente zum Eſſen und dann feinen Urin zum Trinfen. Um dem Zuſchauer jeden Zweifel über die Natur diefer Gegenftände zu benehmen, zeigen jehr natürlich fingivte Bewegungen ihre Duelle Dur den Genuß diefer Zaubermittel find jett die Bauern in der Ge- walt des Fuchſes, gezwungen alles nachzuthun, was er ihnen vormacht, und die Art und Weife, wie dies gejchah, erjchütterte das Zwerchfell der Zufchauer in hohem Grade. Zugleich erhielten wir dabei aber Proben von einer Gewandt— heit und Neiterfunft, die wir durchaus nicht vermuthet Hat- ten, und die auch bei uns das größte Furore gemacht haben würden.

Die Pferde gingen dabei allmählich vom Schritt zum Trabe und wüthendften Galop über, wobei wir abermals. über ihre Dreffur erjtannen mußten, da die Neiter fie weder mit Zü— gel noch Schenkel lenften, und es für die vier Pferde ungemein ſchwierig war, fich in dem engen geradlinigen Raume in Galop zu bewegen und zu drehen, ohne einander hinderlich zu ſein. Der Fuchs war eine vorzüglicher Neiter; bald ſaß er auf dem Kopfe des Pferdes, bald auf dem Schwanze, hing mit den Händen oder Füßen an deſſen Halſe, kroch in voller Car- viere unter deffen Bauch durch, ftand auf dem Sattelfnopf auf dem Kopfe, überichlug ſich und machte dabei fo viel Ca— priolen, als ob er fich auf ebener Erde befände und von Gutta— percha wäre. Seine drei Vafallen fielen zulegt volljtändig

157

erfchöpft vom Pferde, und ihr Duälgeift vitt unter dem ftür- mifchen Applaus des Publifums, in den auch wir lebhaft einftimmten, aus der Bahn.

Der nächte Act brachte wieder eine bramatijche Lie— besfcene, in welche plöglih ein Fomifcher Schulmetiter mit einer Schule Hineinfchneite, ohne anders motiwirt zu fein, als die ernfte Handlung auf eine kurze Zeit zu unter brechen und ihre Langweiligfeit zu vermindern. Ihren Schluß warteten wir jedoch nicht ab, da ein fanfter Regen fih auf Nangafafi hernieverfenfte und durch das lockere Mattendah, das wol einigermaßen Schuß gegen Sonnen- ftrahlen, aber nicht gegen Näffe bot, auf uns hernieder- träufelte. Zwar boten uns unfere freundlichen Nachbarn fofort ihre breiten wafjerdichten Papierichirme an, wir hat- ten jedoch des Guten genug genofjen, thaten noch einen Blid hinter die Couliſſen, um uns die Fleinen Fugen Pontes zu befhauen, und traten dann unfern Rückweg nah Nan- gaſaki an.

Unfere übrige Freizeit benußten wir, um mit unferer flinfen Dampfbarfaffe Partien nah ven verjchiedenen ſchönen Punkten der Bat zu machen, oder auch Pidenid- partien zu Lande zu veranftalten. Die wechjelvollen Ge- nüffe ließen uns die Tage viel zu furz erjcheinen, und mas wir wegen des Winters und anderer Umfjtände in Jeddo und Kanagava verfäumen mußten, juchten wir bier, im Frühjahr auf das befte nachzuholen. Obwol ſchon ſeit vierzehn Tagen der Eintritt der Regenzeit erivartet wurde, begünftigte uns, mit Ausnahme eines kurzen Gewitters, das fchönite Wetter, und wir fonnten alles ungeftört ge- nießen.

Ebenſo ſchön wie die Bai ſelbſt iſt auch die ganze Um— gegend von Nangaſaki, und ein zweiſtündiger Ritt nach den Fiſcherſtädtchen Mogi und Awa, den Grenzpunkten des kai—

158

jerlichen Gebietes, zeigte nur eine unaufhörliche Keihenfolge der romantifchiten Kandfchaften, welche die Phantafie zu erden— fen vermag. Der Reichthum an wechjelnden Naturfchönheiten ift unerfchöpflich, und bei jedem Hundert von Schritten eröffnete irgendeine Biegung de8 Wegs oder ein höherer Standpunkt ein neues prachtvolles Bild, das, wie die Ufer der Bai, durch die mit der Großartigkeit gepaarte Lieblichkeit und vollendete Harmonie einen unwiderjtehlichen Zauber erhielt. Das An— genehme bei allem ift, daß man feine weitern Streden zurüd- zulegen hat, um fich diefe Genüffe zu verfchaffen. Ein halb— jtündiger Ritt führt uns mitten in eine Gebirgslandjchaft und auf die Spitze eines 1000 Fuß hohen Berges, von dem jich die prachtvolffte Aussicht auf, einen meilenweiten Umkreis bietet, oder in ein wildes Thal, durch das ein von den Ber— gen fommender Waldbach raufcht, der hier und da in Wajfer- fällen über eine Felswand fprüht und gleichzeitig Tauſende von Adern befruchtet, die, im üppigften Grün prangend, feine Ufer begrenzen.

Aber ſelbſt ſchon in Nangafakı gibt e8 derartige Schönhei- ten in veicher Fülle, und unfere liebſten Spaziergänge bildeten die Friedhöfe und Privatgärten, die, dank dem freundlichen Entgegenfommen ihrer Cigenthümer, uns zu jeder Zeit offen ftanden. Namentlich zog uns einer der lettern durch feine idylliſche Schönheit an und ich habe manche Stunde in ihm zugebracht, in feinen duftigen Lauben geſeſſen und bin in fei- nen Irrgängen, zwifchen feinen Felſen, Grotten und Tempeln umhergewandelt.

Ich habe bereits die Manier der japaniſchen Gartenan— lagen erwähnt. Man findet in Japan bei den Menſchen wenig Poeſie, ſie haben keine Muſik, keinen Geſang, keine Malerei, keine Dichtkunſt; aber ihre Berge und Thäler, ihre Wälder und Bergſtröme, ihre Küſten und Seen find voll Poeſie, die ihren unfichtbaren Einfluß auf die Gemüther übt,

159

und die Gärten find das Refultat ihrer ftillen Einwirfung. Die getrene Nachbildung der Natur ift der Beweis dafür, daß ihre Schönheiten in vollem Maße empfunden werden, und in dem Gemüthe, das folchen Empfindungen zugänglich ift, liegt der Keim zu allem Guten.

Der Eigenthümer unfers Lieblingsgartens war aus Oſaka gebürtig. -Er hatte feine Vaterjtadt mit ihren Umgebungen plaftifch nachgebilvdet und mit diefer kunſtvollen Schöpfung jeinen Garten geſchmückt. Sie lag im Schatten eines Waldes von Ziwergfichten verjtedt, durch deren Stämme das graue fünftlich verwitterte Geftein ihrer Umfaffungsmauern ſchim— merte. In ihrem Hintergrunde erhob fich ein Berg, und auf feiner Spite in einer Laube von duftigen Glycinen faß ich oft und fchaute auf das Fleine Paradies zu meinen Füßen, das wie eine Landfchaft aus der Märchenwelt dalag, die das Kindesgemüth mit Peris und Feen bevölfert. Dort er- hob ſich ein Fels mit zadigen Klippen und fchroffem Geftein, aus deſſen Klüften hier und da fnorrige Eichen oder fchlanfe Cedern hervorgrünten, während weiter unten ein dichtes Bam— busgebüfch feine gefiederten Zweige im Winde wiegte und ein Gebirgsbach herabriejelte, welcher jich einen Weg durch Spal- ten und Gejtein bahnte, hier hinter einer Klippe verichwand, um dort wieder hervorzubrechen, eine Cascade zu bilden und

fich endlich in einen See zu ergießen, der zu den Füßen des Berges ſich ausbreitete. Auf dieſem See, an deffen felfiges Ufer ſich ein dichter Wald von Zuderahorn lehnte, deſſen rothbraunes Laub mit den gelblich grünen Blättern des Bambus angenehm contraftirte, ſchwammen die freisrunden Blätter des Lotos, hier wie in China heilig, und bisweilen blisten die ſchwarzgoldenen Schuppen japanischer Goldfiſche aus der Tiefe herauf. Weiterhin Yagerte wie ein roſiger Teppich auf grüner Au ein Azaleengebüfh, Blüte an Blüte dicht ges drängt, aus denen eine Schar Bienen jummend ihre Nah-

160 5 *

rung ſog. Dann folgte eine mit Raſen und Blumen bedeckte Ebene, an die ſich abermals ein dichtes Gebüſch von dunkel— ſtem Grün ſchloß, auf dem die prachtvollen rothen und wei— ßen Blumenkelche der Camellie wie Perlen auf grünem Meere blitten. Ueberall fchlängelten fich Wege, mit blanfen Fluß— fiefeln jauber betreut, durch die lieblichen Partien, wäh— rend weiterhin über die Stadt der DBlid auf das Meer jchweifte, auf deſſen Spiegel die Infeln in bläulichen Duft gehüllt zu ſchwimmen jchienen. Alles war ruhig und ftill bier oben; nur dann und wann drangen einzelne Laute von dein Leben in den Straßen herauf, und die fonoren Glocken— töne eines benachbarten Buddhatempels ſummten durch die Lüfte.

Ganz im Hintergrunde diefes kaum 150 Quadratfuß dedenden Gartens ftand das Wohnhaus des Eigenthümers. Werfen wir einen Bli in daffelbe, fo haben wir die Ver- vollftändigung des ebenſo fremdartigen als fchönen Bildes. Wir überfehen das ganze Haus; die warme milde Frühjahrs- fuft hat feit langem die Kohlenbeden entbehrlich gemacht; alle Thüren und verjchiebbaren Zwifchenwände find entfernt, und das Innere liegt offen vor uns. Alles ift faubef, veinlich und nett, und auf den Fußmatten fit nahe ver Veranda die Familie zum Mittagsmahle vereinigt. Sie beſteht aus Vater, Mutter, einem Fleinen Mädchen von 10 Jahren und einer er- wachjenen Tochter. Eine Dienerin präfentirt gerade den Saft in kleinen Schälchen von ducchfichtigem Porzellan, und eine heifere Unterhaltung würzt das Eſſen. Nach feiner Beendigung ergreift die ältere Tochter die in feinem Haufe fehlende Guitarre und jtimmt unter ihrer Begleitung ein Lied an. Seine ftets wie- derfehrende eintönige Melodie, die unerwartet zwifchen Dur und Moll wechjelt, fpricht unfer Ohr nicht an, aber fie paßt zu der ganzen fremdartigen Umgebung, und wir vergefjen fte auch bald, um einen Blick auf die Sängerin zu werfen.

161

Das Mädchen ift hübſch, fie hat regelmäßige und feine Züge, ein ovales Geficht ohne die entjtellenden hervorſtehenden Badenfnochen des japanischen Typus, die Nafe ift ein alfer- liebftes Stumpfnäschen, ver Mund Elein, die forgfam gepflegten und zweimal täglich mit Zahnpulver gepusten Zähne find Ichneeweiß und tadellos, die Augen mandelförmig und ſchwarz. Ihr glänzend ſchwarzes Haar ift in reicher Fülle zu einem fünftlichen Bau zufammengebunden; vorn rechts und links gejcheitelt, wird der mittlere Theil nach hinten übergefimmt, während das Uebrige jeitwärts über die Ohren fällt. Dort ver- einigt e8 fich mit dem Haar des Hinterfopfes, um mit ihm über ein Boljter zurückgekämmt zu werden und oben auf dem Schei- tel einen gefälligen Knoten zu bilden. Diefer ift dur) Span- gen von Silber und Gold feftgehalten und von einem Stüd rothſeidenen Krepps umwunden, deſſen lebhafte Farbe aufer- ordentlich putzt.

Den Körper dedt ein feidener Rock mit den ungemein weiten Taſchenärmeln. Born übereinander gefchlagen und um die Taille durch einen breiten Kreppgürtel zufammenge- halten, läßt er Hals und Bruft fat frei, während er unten bis auf die Erde reicht und nur außer dem Haufe etwas aufgefehürzt wird, um nicht im Schmuze zu fehleppen. Die von Natur Eleinen Füße fteden in weißen genähten Strümpfen und Strohfandalen, aber der Rock verbirgt fie volljtändig, und die Finger der ebenfo Kleinen als ſchmalen Hand ziert ein Ring mit einer Fleinen Golomünze Nur Eins beein- trächtigt die angenehme Erfcheinung. Geficht, Nacken und Hals find weiß geſchminkt, die Wangen carmoifinvoth ge— malt, die Unterlippe mit Goldſchaum belegt, und Die unglückliche Mode, welche die ganze Welt Fnechtet, in Eu- ropa die Taillen und in China die Füße verfrüppelt, macht auch hier ihren Einfluß geltend und verunftaltet, wenn auch harmlofer wie dort, das von der Natur verliehene Aeußere.

Werner. I. 11

162

Neben den Gärten waren es vorzüglich Die Frieohöfe, welche uns anzogen. Es gibt fo viele Drte in der Welt, von denen man zu jagen pflegt: „Hier möchte ich nicht be- graben fein.” Hier drängt ſich uns jedoch gerade der ent- gegengefegte Wunfh auf. Es kann feinen jchönern Plat für die legte Ruheftätte geben als die Friephöfe um Nangaſaki. Sie find an den Abhängen der die Stadt einjchliegenden Berge angelegt, und, die Pietät der Japaneſen, die noch viel größer als in China ift, hat diefe Drte in einen immerwäh- rend ſchönen Blumengarten verwandelt. Die Seitenflächen der Berge find bis zu 500 Fuß hoch terraffirt und bilden unzählige Feine vieredige Plateaux. Jedes derjelben ift ein Bamilienbegräbnißplag, und die nur wenig Raum einnehmen- den Gräber befinden fich ſymmetriſch an drei Seiten des Vier- ecks und find jedes mit einem fein behauenen und feulptivten Denkſteine geſchmückt. Je nach den Vermögensverhältniſſen des Eigenthümers ſind dieſe Denkmäler größere, und einzelne erreichen die Höhe von 12 Fuß. Der ganze Platz iſt mit Kiejeln belegt und ſtets ſauber und rein gehalten, mögen die Todten auch dort fihon viele Jahre ruhen. Hier und dort befchatten mächtige Fichten die Gräber, Camellien, Azaleen und andere reichblühende Gefträuche und Bäume bilden überall ichöne Bosquets. Was uns jedoch befonders anzieht und einen jchönen Zug im Charakter der Iapanejen offenbart, iſt der Blumenſchmuck der Gräber ſelbſt, der während des gan- zen Jahres wöchentlich mehreremal, ja vielfach auch täglich erneuert wird und die Friephöfe in einen ewigen Garten ver- wandelt. In den Sodel eines jeden Denkmals find drei runde Wajjerbehälter gehauen, in welche Feine Blumentöpfe von Bambus paffen, und diefe werden ftets mit Blumen ge- füllt, folange die Sahreszeit fie hervorbringt. Im den Win- termonaten vertritt das immergrüne Elicium religiosum vie Stelle der Blumen, und die fleinblätterige Kletterfeige

163

umhüllt alle Steine mit einem grünen Gewande. In der . Mitte der Kirchhöfe erheben fich regelmäßig Sinto- oder Buddhatempel, in deren Höfen Palmen und Fichten ein fchattiges Dach bilden, und wo Fahlgejchorene Priefter mit weiten jchwarzfeidenen Talar Meſſen für die BVerftorbenen leſen.

Leider kamen wir einige Tage zu ſpät, um einem der ſchön— ſten Feſte der Japaneſen, dem Todtenfeſte beizuwohnen, das nach der Beſchreibung einen wunderbaren Eindruck machen muß. Aehnlich wie die Chineſen an dieſem Tage die Gräber ihrer Angehörigen mit weißen und rothen Papierfähnchen ſchmücken, wird in Japan mit Einbruch der Dunkelheit jedes Denkmal mit einer farbigen Laterne behängt. Die Friedhöfe liegen amphitheatraliſch um die ganze Stadt und ſämmtlich höher als dieſe. Sie enthalten mindeſtens hunderttauſend Gräber, und man kann fich denfen, welchen prachtoollen An— blick diefes Lichtmeer zwifchen dem Grün der Berge von der Rhede aus gewährt haben muß. Um Mitternacht werden diefe Laternen entfernt und die Lichte in ebenfo viele Fleine Kähne gefteckt, die, mit einigen Yebensmitteln und Kupfermün- zen für die Todten beſchwert, dann auf die Bai gejegt werden und mit dem Landwinde der See zutreiben, ein Schaufpiel, das an Pracht alles übertreffen joll.

Bezüglih der Särge fteht Japan wahrfcheinlich auch) ‚einzig in der Welt da, und ein Leichenzug gewährt einen ganz ungewöhnlichen Anblid. Der Todte wird nämlich nicht in einem Holzjarge und in liegender Stellung, ſondern ſitzend, mit den Knien bis an das Kinn gezogen und die Arme nad) vorn darübergekreuzt, in einer großen bauchigen Kruke von Steingut beerdigt und in einer fehr leicht gebauten Sänfte mit Papierfenjtern zu Grabe getragen. Die Gejchmeibigfeit, welche erforderlich ift, um der Leiche diefe ſonderbare Stellung

1%?

164

zu geben, ſoll durch ein eigenes Pulver erzeugt werden, das man dem Todten in den Mund ftreut und wodurch er nach Berlauf von wenigen Minuten vollfommen weich und biegungs- fähig wird. Wir verfuchten mehrmals in den Befit dieſes Pulvers zu gelangen, veuffirten jedoch nicht, da die Priefter, welche e8 allein verfaufen, durch fein Geld zu bewegen waren, uns davon abzulaffen. Es ſoll in einem Klofter in Miafo, der Reſidenz des geiftlichen Kaiſers, angefertigt werden, jedoch Icheint feine Bereitung ein ftreng bewahrtes Geheimniß zu fein.

Ein Leichenzug in Japan fieht nicht fehr traurig aus. Wir begegneten in Nangaſaki einem jolchen, der fich in ziem- lichem Gefchwinpfchritt nach dem Kirchhofe bewegte, während fein Geleite heiter fcherzte und lachte. Voran ging ein Knabe, der einen Blumentopf mit großen weißen Papierblumen trug; ihm folgte das Mufifforps, bejtehend aus drei Klarinetten- bläfern, mit den früher erwähnten Körben über den Kopf ge- jtülpt, und einer Trommel, die in regelmäßigen Zwiſchenräu— men angejchlagen wurde. Ihnen folgte ein fingender Priefter und die von vier Kulis getragene Sargfänfte, Hinter ihr unmittelbar die Hauptleidtragenden, eine Frau und zwei Mädchen in jehr grobe weiße Gewänder gefleivet und mit einer weißen Mütze bedeckt. Um jedoch ven fchönen Haar- ſchmuck, den Stolz jeder Iapanefin, nicht durch die häßliche Mütze ganz zu verjtecken, war lettere nur oben auf ven Kopf gelegt, und unter ihr fchaute die ganze Legion der Span- gen und der rothe Krepp fofett hervor. Tout comme chez nous!

An die Frauen endlich ſchloß fich ein größeres Leichenge- folge von Männern, Frauen und Kindern an, die ohne Ord— nung hinter dem Sarge berliefen. Auf dem Friedhofe wurde der Sarg in feine Feine quadratifche Grube gefenft und, wäh— rend der Priefter Gebete abfang, mit Erde bevedt. Die höl—

165

zerne Sänfte wurde varübergejtellt und von den Leidtragen- den mit lebendigen Blumen geſchmückt, während man den Topf mit den Papierblumen obenauf ftellte. Dieſe Sänften werden dann fpäter durch einen Denkftein erjegt. Die ganze Ceremonie am Grabe dauerte faum fünf Minuten, und das ganze Gefolge trat ebenfo heiter feinen Rückweg an, wie es gekommen. Der Tod hat für den Japaneſen durchaus nichts Schredliches: er fieht in jeinem Eintreten eine unabweisliche Nothwendigkeit, ijt ſtets darauf vorbereitet, und die Yehren jei- ner Religion fuchen allen nachhaltigen Gram von vornherein abzufchneiden, vielleicht um das fonft jo despotifch gefnechtete Bolfe fein Leid vergeffen und nur im Genuſſe der heitern Gegenwart ihn das Leben erträglich zu machen.

Das Klima von Nangafafı ift wie das von ganz Japan ein überaus mildes und angenehmes. Der an der Ditjeite des ganzen Arcchipels hinlaufende Warmwafferftrom übt auf die Ränder, welche er bejpült, einen ebenſo wohlthätigen Ein- fluß wie der Amerikanische Golfftrom auf die wejtlichen Küften Europas, und wenn wir in Jeddo im Januar auch bi$- weilen mit Nordjtürmen Schnee und Eis gehabt haben, fiel das Thermometer doch nie unter zwei Grad Reaumur und dies auch nur während einiger Morgenftunden. In Nangafafi ift fein niedrigfter Standpunkt jevoh nur + 50 R., und die Beichaffenheit des Klimas mag am beften daraus erhellen, daß hier die Palmen im Freien überwintern. Im allgemei- nen ift das Klima jehr gefund, und epivemifche Krankheiten fennt man mit Ausnahme der Cholera, die in neuejter Zeit einigemal erfehienen ift und beveutende Verwüftungen an- gerichtet hat, fait gar nicht. Hin und wieder trifft man auch wol beim niedern Volfe die Lepra, eine Krankheit, bei der bie Finger und Zehen abfaulen, und die durch fchlechte Nahrung, namentlich verdorbene Fifche, herbeigeführt werden foll, aber auch nur ſporadiſch und lange nicht in dem Maße wie in

166

China, weil in Japan feine Uebervölferung herricht und Fein Mangel an Lebensmitteln ift.

Hiermit ſchließe ich die Charafteriftif Japans und nehme die unterbrochene Reihenfolge der Creigniffe wieder auf, welche mit dem Abſchluß unfers Vertrags im Zufammen- hange ftehen.

28.

Die Berhandlungen mit der preußiſchen Gefandtihaft. Anſchläge der japenifchett Adelspartei gegen die Fremden. Ermordung des amerifa- niſchen Gejandichaftsjecretärs Heusfen. Betragen und Intriguen der Regierung. Feftes Auftreten des Grafen Eulenburg. Beftattung Heus- ken's unter Ajfiftenz der preußiſchen Waffen. Abreiſe des englischen und franzöfifhen Gefchäftsträgers nach Yokuhama. Endlicher Abſchluß des Vertrags mit Preußen am 25. Januar 1861. Abgang der preu— ßiſchen Schiffe nach Schang-hae. Charakter des japaniſchen Volks und Ausſichten auf ſeine freiere ſociale und politiſche Entwickelung.

Es wurde von mir bereits bemerkt, daß Graf Eulen— burg den Gedanken aufgeben mußte, den Vertrag im Namen des Zollvereins abzuſchließen, um nicht ganz und gar zu ſchei— tern, nachdem bereits drei volle Monate in unfruchtbarem Harren dahingegangen waren. Man legte der Hart— näckigkeit der Japaneſen in dieſer Beziehung zwei verſchie— dene Motive unter. Die einen ſagten, die Regierung, welche der Mehrzahl nach noch aus Vertretern des alten Abſchlie— ßungsſyſtems beftehe, wolle den Handel fo viel als möglich beſchränken. Sie wifje aber, daß die Hunderte von deutjchen Schiffen, welche die Küften von China befahren, den Staaten des Zollvereins und der Hanfa angehörten, während preußifche Schiffe fich nur in fehr geringer Anzahl im ven indifchen Meeren befänden. Bewillige man daher Preußen allein einen Vertrag, jo Fame vielleicht während einiger Jahre nur etiva eins feiner Schiffe, während bei einem Vertrage mit dem Zollverein und den Hanfeftädten Japan fehr bald von deutſchen Schiffen über-

168

ichwenmt fein würde. Die andere Verfion lautete, daß die Amerikaner auf das jtärffte gegen uns intriguirt und die Ja— panefen gegen die Zollvereinsftaaten eingenommen hätten, weil jie deren Concurrenz und namentlich fürchteten, von den deutfchen Schiffen bald wie in China gänzlich verdrängt zu werden. Die lettere Verſion jcheint mir die richtige, da ich diefe Anficht in Hongkong offen vom amerifanifchen Conſul babe ausjprechen hören.

Wie dem auch fei, das Factum ift leider vorhanden, wenn auch von feiner großen Bedeutung, da Zollvereinsfchiffe Leicht preußifche Flagge erhalten können und überdies es unmöglich noch lange Sahre dauern kann, bis die deutſchen Nord- und Ditfeeftaaten, welche Schiffe in die öftlichen Gewäffer ſchicken, in einer oder der andern Form mit Preußen eine gemein- Ichaftliche Flagge führen.

Mitte Januar 1861 waren die Verhandlungen ihrem Ab- Ichluffe nahe, als plößlich wieder ein Umftand eintrat, der nicht allein für uns, foudern auch für die übrigen VBertragsmächte und jämmtliche Fremden unheilvoll zu werden drohte. Der freifinnige Horisnoriberno-cami hatte fich, wie ich Früher fchon erzählte, den Bauch auffehlisen müſſen und war durch einen reactionären und fremdenfeindlichen Commiſſar erſetzt. Wie es fchien, hatte er dem Einfluß der Daimiopartei, die mit ihren Feindſelig— feiten gegen die Fremden wieder offner hervortrat, weichen müffen und war wegen feiner liberalen Anfichten ihrem Haß zum Opfer gefallen.

Zugleich ereignete fich wenige Tage darauf ein Borfall, der darauf jchließen ließ, daß von jeiten jener Partei eine Kataſtrophe vorbereitet werde, welche nichts weniger als die Vertreibung der Gefandten aus Jeddo und die Ermordung jammtlichev Europäer zum Zweck habe.

Der Seeretär der amerifanifchen Gefandtfchaft und zu- gleich Dolmetfcher der unfern, Herr Heusfen, ein Holländer

169

von Geburt und ein bei Europäern und Sapanejen beliebter Mann, ritt eines Abends gegen 9 Uhr von Afabani, der Wohnung des Grafen Eulenburg, in Begleitung von drei Polizeijafonins nah Haufe. Unterwegs jtürzten plößlich fieben bis acht Männer auf ihn, jagten die Jakonins in die Flucht und bieben auf den unbewaffneten Heusfen ein, der tödlich verwundet unter ihren Streichen fiel und nach drei Stunden eine Leiche war. Der Mord gejchah aus politiihen Motiven; Heusfen hatte feine Privatfeinde, feine Leiche war nicht be- raubt, alfo war er weder durch den Act einer Privatrache noch durch die Hand von Näubern erlegen. Die Haltung der Regierung beftätigte dies; bei dem Polizeifyiten in Japan fann den Behörden nicht das Geringjte entgehen, aber es ge- ſchah nichts, um der Mörder habhaft zu werden. Entweder wollte man es nicht, oder fürchtete fich, e8 zu thun, obwol man wußte, woher ver Schlag fan. Der Zwed des Mor- des war offenbar, die Geſandten einzufchüchtern und fie zu veranlaffen, ihrer eigenen Sicherheit wegen Jeddo freiwillig zu räumen.

Am andern Abend erjchienen noch ſehr ſpät zwei der Gonverneure von Jeddo in Afabani und erfuchten in fchein- bar großer Aufregung unfern Gefandten, Afabani zu verlaffen und fih in den Schuß eines Faiferlichen feſten Schloffes zu- rücdzuziehen, da man eine Verſchwörung entdeckt habe, deren Zwed jet, jämmtliche Fremde mit Feuer und Schwert zu vertilgen, die Regierung aber den Grafen in feiner Wohnung nicht zu ſchützen vermöge. Es ift wahrjcheinlich, daß dies eine andere Finte war, um die Gefandten zum freiwilligen Abzuge zu bewegen, und ich habe mich des Eindrucks nicht eriwehren können, daß die Regierung in diefer ganzen Ange- fegenheit faljches Spiel trieb. Nach den Angaben der Gou- verneure follten 500 entlafjene Sakonins des Prinzen Mito die Verſchwörer jein und ich verkleidet in Jeddo eingejchlichen

170

haben. Wenn die Regierung aber dies wußte, weshalb be- mächtigte fie fich der wenigen Leute nicht, da ihr doch ſoviel Militär und Polizei zu Gebote ftand und nicht unbekannt jein konnte, welche furchtbaren Folgen eine jolche gewaltfame Verlekung des VBölferrechts für fie und das ganze Land un- fehlbar haben mußte?

Wie dem aber auch fei, der beabfichtigte Zweck wurde nicht erreicht. Graf Eulenburg erflärte den Gouverneuren ruhig, er werde Akabani nicht verlaffen. Da die Regierung die Eriftenz und den Zweck der Verſchwörung fenne, hege er das fefte Vertrauen zu ihrer Kraft und ihrem guten Willen, ven Ausbruch derjelben zu hindern. Sollte fie fich aber nicht ftark genug fühlen, jo fei er gern erbötig, ihr eine geeignete Unterftügung aus den Mannjchaften des Gefchwaders zu Hülfe zu geben. Dies wurde natürlich abgelehnt, und die Gouvernenre verabfchiedeten ſich. Die übrigen Gefandten hatten gleichfalls erklärt, ihre Hotels nicht verlaffen zu wollen, und e8 blieb alles beim alten; die Verſchwörung aber fam nicht zum Ausbruch.

Bon den Vertretern der fremden Mächte war befchloffen worden, daß fie ſämmtlich dem Leichenzuge folgen wollten und derjelbe ein entjprechendes Geleite won preußifchen Seefolvaten und Matrofen erhalten follte, da unſere SKriegsfchiffe die einzigen vor Jeddo waren. Demgemäß wurden 50 Seeſol— daten und 50 Matrofen, ſämmtlich mit Zindnadelgewehren, die Matrofen auch mit Nevolvern bewaffnet, an das Land beordert. Am Morgen des Begräbniftages war jedoch nod) die holländiſche Kriegsbrigg Kaſchelot auf der Rhede einge- teoffen, und auch fie ſchickte 20 Seeſoldaten zur Beſtattung. Ale Mannfchaften waren mit fcharfen Patronen verjehen. Außerdem betheiligten fich etwa 50 Offiziere, Cadetten und Angehörige der verfchievenen Gefandtfchaften an dem Zuge, gleichfalls fammtlich mit Revolvern und Säbeln bewaffnet.

171

Wir waren eben auf dem Hofe von Afabani zum Abmarjch nach dem amerifanifchen Gefandtfchaftsgebäude angetreten, wo fich die Leiche befand, als plößlich von dort eine Botſchaft erfchien, nach der von feiten der Daimiopartei ein Angriff auf den Leichenzug beabfichtigt wäre. Die Gouverneure hatten den amerifanifchen Gefchäftsträger joeben davon in Kenntniß gefett und ihn erfucht, die übrigen Gefandten von der Be— gleitung des Zuges abzuhalten. Herr Harris hatte jedoch, obwol Energie fonft nicht zu feinen Vorzügen zu gehören icheint, diesmal geantwortet, der Leichenzug würde, wie er angeoronet, jtattfinden; zugleich aber könne fich die Regierung verfichert halten, daß von Jeddo fein Stein auf dem andern bleiben jolle, wenn eine fo jchreiende Verletzung des Völker— rechts begangen und auch nur einer der bei der Feierlichfeit be- theiligten Perfonen ein Haar gefrimmt würde. Diejem Aus- ſpruch ftimmten die übrigen Gejandten bei; es wurde jcharf geladen, und ver Zug, vollftändig militäriſch geordnet, Muſik, Surg, Seiftliche, die Flaggen der fünf Vertragsmächte umd die Gefandten in der Mitte, fette fich in Bewegung.

Der Begräbnißplag war draußen vor der Stadt etiva eine halbe Stunde weit entfernt, und wir paffirten die Stelle, wo der Mord gejchehen und das Straßenpflafter noch vom Blut ge— vöthet war. Dem Zuge voran ritten die fünf Gouverneure der Stadt, welche fih nach dem ihnen gewordenen Beſcheide er— boten hatten, jelbjt den Zug zu geleiten und durch ihre An— wefenheit die möglichjte Sicherheit zu gewähren. Anfänglich wollten fie fich in Sänften tragen laffen, dies wurde jedoch als unpaffend erachtet, da die fremden Gefandten zu Fuße folgten, und fo fam man fchließlich überein, daß fie zu Pferde erfcheinen follten.

Selten wol ift eine Reiche unter fo eigenthümlichen Verhält- niffen zur Erde beftattet worden. Das Gewehr fertig zum Anfchlag, die Hand am Revolver, fo marichirten wir unter

172

den Klängen eines Trauermarſches mitten durch eine unbe- fannte, von Millionen bewohnte Stadt, ine unabjehbare Menfchenmenge füllte die Straße, Taufende und aber Tauſende drängten fich heran, um das wunderbare, nie erblidte Schau- jpiel mit anzufehen. Dft war das Gedränge fo ftarf, daß der den Nachtrab befehligende Offizier: „Halt! Kehrt! Fällt's Ge- wehr“! commandiren mußte und jeder unwillfürlich feine Waffe fefter ergriff. Aber augenblicklich wogte die Menge zurück, nicht wild und fchreiend, ſondern ruhig, friedlich und anftändig. Wir ſahen feinen Bewaffneten, die Neugierde allein hatte die Tauſende auf die Straße gelodt.

Der Sarg wurde nad) dem Nitus der fatholifchen Kirche (der Berjtorbene war Katholif) vom Kaplan der franzöfifchen Gejandtfchaft eingefegnet und in das Grab gefenft, und wir traten auf diefelbe Weife wie vorher unfern Rüdzug an ohne die geringfte Störung, ohne das leichtefte Anzeichen bon Feind- feligfeiten. Ueberall wich man uns ehrerbietig aus und er- widerte freundlich unfere Grüße.

Es ift möglich, daß fowol unfere Zahl als unfere Be— waffnung und die in allen Gefichtern unverkennbar ausge- iprochene Entjchlofjenheit, unfer Leben fo theuer als möglich zu verfaufen, die Verſchwörer, wenn folche exiftirten, von dem beabfichtigten Angriffe abgehalten hat; ich glaube aber, daß auch dies nur wieder ein Manöver der Kegierung war, um die Sefanbten zu terrorifiren.

Am folgenden Tage wurde der Offizier der japanifchen Safoninwache, welche zum Schuß des amerifanifchen Gefandten in deſſen Wohnung poftirt war, abends beim Rondegehen ermordet und an jedem der beiden folgenden Abende einer der wachehaltenden Safonins, ohne daß die Megierung ber Thäter habhaft geworden wäre, und zugleich wurden abermals Drohungen gegen die Fremden laut, Der franzöfifche, eng- lifche und holländische Gefandte glaubten fich jett ihres Lebens

175

nicht mehr ficher. Sie zeigten dev Regierung ihren Entſchluß an, Jeddo zu verlaffen und nach Yokuhama überzuſiedeln. Zugleich fchrieb jedoch Herr Alcock eine jehr energifche Note, in welcher er die Regierung geradezu der Mitwifjenfchaft an den vorgefallenen Morden bezichtigte und mit ver Herbeirufung englifcher Kriegsfchiffe zum Schuß der Geſandtſchaft drohte.

Bis die Dampfcorvette Encounter eintraf, mit der fich der englifche und franzöfifche Gefchäftsträger nach Yokuhama einfchifften, während ver holländifche an Bord des Kafchelot ging, erhielt Herr dv. Belcourt eine Schutzwache von zwölf unferer Seejoldaten, und am 22. Januar 1861 fegelten vie drei Herren von Jeddo ab. Nur Herr Harris erflärte, feinen Platz nicht verlaffen zu wollen, und ebenfo blieb Graf Eulen- burg ruhig in Afabant.

Ob die Note des Herrn Alcock die Regierung einfchüch- terte oder ſonſt Gründe vorlagen, fie anders zu ftimmen, weiß ich nicht, genug, unſere Vertragsverhandlungen wurden plößlich wieder aufgenommen und fo ſchnell zu Ende geführt, dag am 25. Januar der Bertrag zum Abſchluß gedieh und unterzeichnet wurde. Seinem Hauptinhalte nach denen der übrigen Mächte gleichlautend, tritt der preußiſche Vertrag am 1. Januar 1863 in Kraft, geftattet jedoch ſchon früher die Zulafjung von Conſuln und gilt für die im Lande leben— den Preußen bereits von vem Tag der Unterzeichnung an.

Setst lag feine weitere VBeranlaffung zum fernern Bleiben des Gefandten und des Gefchwaders vor. Am 26. Januar wurden die übrigen Gefchenfe und unter ihnen ein Tebens- großes Porträt unfers Königs für den Kaifer übergeben und dafür Gegengejchenfe empfangen, die hauptfächlich in foftbarem Seidendamaft bejtanden, wie er jo ſchön wol nur in Japan gemacht werden kann.

Am 28. Januar verließen wir mit der Elbe und dem Bertrage Yokuhama und trafen nach einer ſehr ftürmifchen

174

und gefahrvollen Reiſe, jedoch glücklich und mwohlbehalten, am 7. Januar vor Schang-hae ein, nachdem wir bereit® am 5. Februar in den Jang-tje-fiang eingelaufen, aber wegen dichten Nebels zwei Tage auf dem Fluſſe zurückgehalten waren. Das Poſtdampfſchiff war gerade im Begriff, nach Hongkong abzugeben, und fo fonnten wir "glücklicherweife noch alle De- peſchen und Brieffchaften befördern. Wir blieben in Schang- hae liegen, um die Anfunft der Arkona und Thetis abzu- warten, mit denen Graf Eulenburg am 1. Februar nach Nangaſaki gefegelt war. Am 25. Februar fam ein Schiff von letzterm Hafen mit der Nachricht, daß das Gefchiwader am 18. dort noch nicht eingetroffen. Dies beunruhigte uns fehr, ſpäter hörten wir jedoch von der am 19. Februar erfolgten Ankunft der Schiffe, die eine fchredliche Neife gehabt, durch wochenlange ſchwere Stürme aufgehalten worden waren, Boote und Segel verloren und verfchienene andere Befchädigungen erlitten hatten.

Japan macht faft den Eindruck einer bezauberten Schönen, zu deren Gewinnung man mit allen möglichen Ungeheuern in der Geftalt von ZTeufunen, Gegenftrömungen, Nebeln und falfchen Karten zu kämpfen hat, und jo angenehm uns ftets die Erinnerung an das fchöne und intereffante Yand fein wird, jo wenig werden wir die auf der Reiſe, hin und zurüd, erlebten Schreeniffe vergejfen, unter denen der Verluft des unglück— lichen Schooners Frauenlob das traurigfte war.

Am 1. März traf der Gejandte mit den beiden Schiffen ebenfalls auf dem Jang-tſe-kiang ein und obwol fpäter alfe drei Schiffe noch einmal nach Japan zurückkehrten, wußten wir dies doch damals nicht und fagten ihm Lebewohl. Der Ein- drud, den wir von Land und Yeuten mit ung fortnahmen, war ein überaus günftiger. Trotz der reactionären Politif der Daimiopartei kann es nicht ausbleiben, daß Japan einer großen Zufunft entgegengeht. Die freifinnigen Clemente

175

greifen mit Macht im Bolfe um fich und werden nicht ver- fehlen, auf die Regierung ihren Einfluß auszuüben und diefe zu liberalen Inftitutionen zu zwingen. Japan muß, nachdem es einmal mit dem alten Syſtem gebrochen, auf der Bahn des Fortfchritis weitergehen, wenn es nicht jehr bald feine Selbjtändigfeit verlieren und eine Provinz Rußlands oder ein schwaches Inftrument in den Händen Amerifas, Englands oder Frankreichs werden will. Dagegen muß fich aber ver nationale Stolz jeiner Bewohner, die fi rühmen, nie von einer fremden Macht abhängig gewefen zu fein, auf das energifchite jträuben. Die Sapanefen find zu Flug, um nicht einzufehen, daß fie durch Entwidelung der innern Hülfsquellen jich am beften gegen Abhängigfeit von den Fremden fchügen. Bisjekt ift das Volf arım, unſelbſtändig und fteht unter dem Druck einer despotifchen Herrſchaft; nur ein nach liberalen Grundſätzen vegiertes, wohlhabendes und die Früchte feines Fleißes jeibit erntendes Volf wird fremden Eroberern einen fräftigen und faſt immer unbefiegbaren Widerftand entgegen- jeßen.

Bon allen aſiatiſchen Nationen ift aber feine jo befähigt, freifinnig regiert zu werden, wie die japanische. Die allge- meine Bildung des Volks, fein friedliebender ruhiger Charakter, den feine Ausbrüche von Roheit befleden, das ihm innewoh- nende noble Nationalgefühl, das jedoch von aller Selbftüber- Ihäßung frei ift und niemand verlegt, das feine Ehrgefühl und der Drang nah Wilfen alles das find Elemente, die eine jichere Garantie gegen jeden Misbrauch der Freiheit des Individuums geben. Eine Zeit lang mag die Daimiopartei, die allerdings bei einer folchen Wendung der Dinge nur verlieren würde, die freie Bewegung zurücdhalten. Ein Blick auf die Veränderungen, welche die fetten jechs Jahre herbei- geführt, zeigt jedoch am beften, wie reißend jener Einfluß

176

ſchwindet, und ich fchied von Japan in der feften Ueberzeugung, daß es in 50 Jahren, obſchon e8 nur 35 Millionen Ein- wohner zählt, einer der wohlhabendſten, glüclichften und fräftigjten Staaten von ganz Aſien jein und China bei weiten überflügeln wird. Ich glaube, daß alle, die gleich mir vas Land genauer fennen gelernt, diefe Meberzeugung theilen, welche fih jedem Beobachter unwillfürlich aufdrängt, und ich fürchte nicht, deswegen als Sanguinifer betrachtet zu werden. Sch habe die Sapanefen achten und lieben gelernt, und das kann ich ſonſt kaum von einer fremden Nation jagen, wiewol ich deren im Laufe meines bewegten Lebens genug kennen gelernt babe.

29.

Schang-bae und fein Theegarten. Anfunft der preußifchen Geſandtſchaft daſelbſt. Ungünftige Berhältniffe für die Abſchließung des Handelsver- trags mit China. Die Elbe im Sandwirbelfturme. Chefu und Die „Verzweiflungsinſel“. Aufenthalt an der Peihomündung. Die Taku— forts. ZTientfin und feine Bedeutung als Handelsplag. Das Städtchen Ning-hae. Beſuch der chinefiichen Mauer. Geſchäfte, Bauart, Zweck und gegenwärtige Bejchaffenheit diefes Wunderwerfs. Die Ebene um Ningshae. „Kiejelad‘' in China.

Schang⸗hae iſt kein angenehmer Aufenthaltsort für Fremde. In Hinſicht auf das, was ich bereits früher über China ge— ſagt, kann ich es mit wenigen Worten ſchildern. Die Stadt liegt am Wuſungfluſſe unweit deſſen Mündung in den Jang⸗tſe-kiang. Die europäiſche Stadt von Paläſten wie in Hongkong ift von der weiter weftlich gelegenen chinefifchen vollſtändig getrennt. Erftere zählt 5000, letztere gegen 100000 Einwohner. Schangshae ift der hauptfächlichite Seidenplatz Chinas und treibt einen außerordentlich Tebhaften Handel. Hunderte von Kauffahrteifchiffen befuchen feinen Hafen, und Zaufende von Diehonfen bilden buchjtäblich einen undurchdringlichen Majtenwald. Das Land umher it, foweit das Auge reicht, Flach, marfchig und fehr fruchtbar. Die Seide fommt weiter aus dem Innern vermitteljt des Wafjerweges auf

Werner I. 12

178

dem Jangstjesfiang. Fremde finden hier nur ein jehr bejchränftes Maß von Annehmlichkeiten. Abgejehen von den übermäßig theuern Preiſen aller europäifchen Artikel entbehrt man die meiften unferer gewohnten Zerjtreuungen und VBergnügungen. Die Umgegend der Stadt iſt ohne alle Abwechfelung, und ohne die ungemein ausgedehnte Gajtfreundfchaft unferer deutjchen Landsleute, deren es über Hundert in Schang=-hae gibt, wäre unfer längeres Bleiben bei dem bejtändigen fchlechten Wetter, das den marſchigen Boden felbit in den Straßen ver Stadt fnietief aufweichte, ein höchſt trauriges gewefen.

Die chineſiſche Stadt hat weder hiftorifche noch fonitige Merkwürdigkeiten, welche ven Neifenden interefjiren fönnten, und ein Tag genügte vollftändig, um fie zu durchwandern und den einzigen Punkt in Augenjchein zu nehmen, der einige Be- achtung verdient. Es ift dies der Theegarten, deſſen ich fchon früher in Bezug auf feine fteinbruchartigen Nachbildungen von Felspartien erwähnte. Das nebenftehende Bild, nad) einer Photographie gezeichnet, jtellt das Etabliffement dar, welches, feitdem die Franzoſen Schang-hae bejett halten, von diefen in ihr Hauptquartier verwandelt worden ift. “Die Ge- bäude bilden ein Viereck, das einen großen Hofraum ein- jchließt, von welchem aus das Bild aufgenommen ward. Teiche, Zwergbäume, fünftliche Felspartien, bizarr gewundene Brücken und alle jene abjonderlichen Schöpfungen, an denen die chinefifhe Gefchmadsrichtung Gefallen findet, find in reicher Anzahl vertreten? Die Bewohner von Schang=hae blifen mit fchelen Augen auf ihre franzöfifchen Gäfte, die jo unhöflich waren, fie aus den Räumen zu vertreiben. Der Theegarten bildete das Eldorado der heimifchen Spiepbürger, wo fie am Nachmittage bei einer Schale Thee und dampfen- der Pfeife ihrer angeborenen Neigung zum Plaudern nad) Herzensluft Genüge leiften konnten.

Die Nachrichten, welche wir von den Zuftänden in Japan

——

Theegarten in Schang-hae.

er

ae re ga en

Bw Er;

Dre Sr ——

179

mit nach Schang-hae brachten, riefen dort große Aufregung hervor. Am andern Tage entfandten die englifchen und fran- zöfifhen Admirale fofort mehrere Kriegsjchiffe und Truppen nach Yokuhama, und noch während unferer Anwejenheit in Schang-bae Fam auch die Nachricht, daß Herr Mlcod und Herr von Belcourt ihren Wiedereinzug in Jeddo gehalten, ihre Flaggen aufgepflanzt hatten, und daß diefelben von den Japanefen mit 21 Ranonenfchüffen jalutirt worden. Ob weſt— mächtlihe Drohungen fie dazu bewogen, oder die altjapane- fiiche Partei ihre Macht verloren, kann ich nicht angeben; vielleicht wirkte beides zufammen.

Der Gefandte traf mit den Schiffen am 1. März von Nangafafı ein und nahm fein Quartier in der Wohnung eines deutfchen Kaufmanns, der fich eine Ehre daraus machte, ihm jein ganzes Haus zur Verfügung zu ftelfen. Der Zeitpunft für den Abſchluß eines Vertrags ſchien nicht beſonders günſtig. Der Kaiſer war nach Jehol in der Tatarei geflohen, und der liberale Prinz Kung, ſein Bruder, ſah ſich durch die alt— chineſiſche Partei, an deren Spitze General Sankolinſin ſtand, in der Regentſchaft ſehr beſchränkt. Es ward daher zunächſt ein Attaché der Geſandtſchaft nach Tientſin geſandt, um das Terrain zu ſondiren, und der Aufenthalt der Schiffe verlängerte ſich dadurch bis zum April. Die Fregatte Thetis trennte ſich am 27. März von uns. Da für die an Bord befindlichen Ge— lehrten und Commiſſare ein längerer Aufenthalt im Golf von Petſchili von keinem Nutzen zu werden verſprach, wurde die Thetis mit dieſen nach dem Süden entſandt, und zwar über Hongkong, Manila, die verſchiedenen Häfen des molukkiſchen Archipels und Borneos nah Java. Ende October jollte das Schiff ſich in Siam einfinden und dort wieder mit dem Geſchwader zu— jummentreffen, da der Gefandte beabfichtigte, erſt um dieſe Zeit nah Siam zu gehen, weil dort nur während der Win- termonate ein gejundes Klima herrichte.

198

180

Wir mit der Elbe traten am 9. April noch einmal ven Rückweg nah Nangaſaki an, um Kohlen für die Arkona zu holen und ihr damit nach der Mündung des Peiho zu folgen. Die Arkona ſelbſt ging mit Graf Eulenburg am 24. April dahin ab und traf am 29. ein. Die Gefandtichaft fchiffte fich am 30. aus, um nach Zientfin zu gehen.

Am 8 Mai Hatten wir unfere Gefihäfte in Nangafafi vollendet und jegelten nach dem Peiho. Bis Cap Schantung, am Eingange des Gelben Meeres, hatten wir eine fchnelle Reife, von dort an jedoch mit Stillen und ungünftigen Winden zu Kämpfen. Zwiſchen der Infelfette, welche das Gelbe Meer vom Golf von Petjchili jcheidet, wurden wir plößlih und ohne alle Vorahnung von einem jener gewaltigen Sandwirbel- ftürme heimgefucht, die im Frühjahr diefe Gegenden beun— ruhigen. Wir waren vom Yande bejett und fuchten von einer Infel, die uns durch ihre Nähe in Lee Hauptjächlich ge- fährlich wurde, durch Preß von Segeln freizufommen. Der Sturm war jedoch fo heftig, daß mit Einem Schlage der größte Theil der Segel fortflog und ung nichts anderes übrig blieb, als zu anfern und auf die Haltbarkeit unjerer Ketten zu vertrauen. Dies gejchah unverzüglich, da wir Kaum 1000 Schritt von der Infel entfernt waren, Wind und ein heftiger Strom gerade daraufjtanden und wir mit einer unheil— vollen Gejchwindigfeit uns derſelben näherten. Wir liefen beide Anker fallen, bargen die zerriffenen und bie übrigen Segel und ftellten unfer ferneres Gefchie Gott anheim, da menſchliche Kraft nichts mehr vermochte. Der Sturm wehte orfanmäßig, die ganze Atmojphäre war mit Sand gefüllt, fodaß wir faum die Augen öffnen konnten, und während vor einer halben Stunde noch das Waſſer faſt glatt erſchien, hatte der Sturm in der furzen Zeit eine jo furchtbare See aufges wühlt, daß die Wellen 6— 8 Fuß über unfer Schiff brachen und alles vom Verdeck fchwenmten, was nicht fejtgebolzt

181

war. Durch das fchivere Stampfen des Schiffs fam jo viel Kraft auf die Ketten, daß die eine derfelben brach und wir jest nur noch vor Einem Anfer ritten. Wir glaubten uns verloren, denn brach auch diefer, jo jcheiterten wir auf den drohenden Felſen, und Schiff und Mannfchaft wären an ihnen zu Atomen zerfchellt; an Rettung war durchaus nicht zu denken. Die Kette, bedeutend ftärfer als die verlorene, hielt jedoch wortrefflich, und da die Sandjtürme zu den drehen— den Winden gehören, ging der Wind allmählich herum, ſodaß wir jest im ſchlimmſten Falle bei der Inſel vorbei und in offenes Waffer getrieben wären. Zugleich fam dadurch Die See von der Seite ein, und wiewol das Schiff fo heftig zu fchlingern beganı, daß es ftets über beide Borde Waffer Ihöpfte, fo war doch die größte Kraft von der Anferfette ge- nommen, und wir athmeten wieder frei auf. Gegen Mitter- nacht, mach jechsjtündigem Wehen, nahm der Sturm all- mählih ab, und nachdem wir noch während der zum Glück mondhellen Nacht den größten Theil unferer Schäden repartrt hatten, jegelten wir am andern Morgen weiter und waren herzlich froh, der Inſel, die uns in eine fo gefährliche Lage gebracht, ven Rüden fehren zu können.

Am folgenden Nachmittage trafen wir vor dem Peiho ein, fanden aber die Arkona bereits unter Segel, um nach Chefu im Gelben Meere zu gehen, und erhielten Signal, fogleich zu folgen. Wir bedauerten dies nicht; man liegt vor der Mündung des Peiho nicht weniger als vier deutiche Meilen von der Küfte, und nur jehr flach gehende Fahrzeuge Fünnen in den Fluß und bis zu den Tafuforts laufen, die man auf ver Rhede bei bejonders gutem Wetter wie zwei bläulich gefärbte Häufchen über dem Horizont ſchimmern fieht. Dadurch ift natürlich die Communication mit dem Lande äußerſt erfchwert, und da es für Seeleute feine traurigere Exiſtenz gibt, als auf einer folchen Rhede zu Liegen, wo man weder Fiſch noch

182

Bogel iſt, d. bh. nicht an das Yand gehen und auch nicht jegeln kann, jo folgten wir gern der Arkona nach Chefu, einem Hafen an der Süpfüfte des Gelben Meeres. Wir lagen hier freilich auch fajt eine Meile von der Stadt, doc diefer echt chinefifche fchinuzige Drt, in dem nur 10 Europäer, 5 Kaufleute und 5 Miffionare, wohnten, übte jo wenig An— ziehungsfraft auf uns aus, daß die meiften von uns ihn während unſers fünfwöchentlichen Aufenthaltes faum einmal bejuchten. Dagegen lagen wir nur einige 1000 Schritt von einer zur Hälfte von Fifchern bewohnten Iufel, deren andere Hälfte wir in Beichlag nahmen. Wir gründeten dort eine fürn: liche Eolonie. Sämmtliche Handwerker wurden dahin über: gefiedelt, die Mannfchaften im Felddienſt, Aufwerfen von Schanzen und Schießen geübt, und nach ven Exercitien ver- trieben wir uns die Zeit mit Baden, Ballfpiel, Scheiben: Ihießen und Bootſegeln. Wir Hatten in einem Zelte unjer Caſino, und wenn wir die von Chefu bezogene Flaſche Bier auch mit 20 Silbergrojchen bezahlten, genoffen wir doch bei Ehbezeit das wohlfeile Vergnügen, uns von den Klippen fo viel fette Auſtern abzufchlagen, als wir wollen.

Die Seeleute find von Natur ſehr anfpruchslos, ihr Fach bringt das mit fich, und jo begnügten wir uns mit einer uns fruchtbaren Sandinfel und machten aus der Noth eine Tugend. Es war auf der Berzweiflungsinjel, wie wir fie getauft hatten, immer noch bejjer als vor dem Peiho. Die fünf Wochen ſchwanden Ichnelfer, als man glaubte, und wir wären gern bis zum Ab- ichluffe des Vertrages ganz hier geblieben. Dieſer Wunſch wurde jedoch nicht erfüllt. Wir wurden nach dem Peiho be, orbert, um den Gefandten an Bord zu nehmen, der ſelbſt das Scheitern feiner Miffion zu erwarten jehien und Zientfin ver- laffen wollte. Ende Juni gingen wir dahin ab, aber es trat wieder eine günftigere Chance ein, und wir fehrten drei Wochen darauf noch einmal nach Chefu zurüd.

185

Die wir in Japan mit fremden Einflüffen und Intriguen zu kämpfen hatten, jo war es auch hier. Ginem eigentlichen Handelsvertrage boten fich jedoch durchaus Feine Schwierigfeiten dar. In diefer Beziehung find die Chinefen liberaler als andere Nationen und namentlich als die Japaneſen. Sie fagten „Handelt folange, foviel und wo ihr wollt in unſerm Reich, jolange ihr eure Abgaben bezahlt.” Allein ver Fißelige Punkt war die Trage wegen Inftallivung eines Gejandten mit Jurisdiction in Peking, wie Franfreih und England dies auf dem Wege ver Gewalt, Rußland aber durch die Gefchieffichkeit feiner Diplomaten erlangt hat. Bon diefer Bedingung wollte und fonnte aber Graf Eulenburg nicht abgehen, und er hatte fie zur conditio sine qua non eines Vertrags bingeftellt.

Die berühmten Tafuforts weitmächtlichen Angedenkens be— juchten wir während unſers Aufenthaltes auf der Rhede. Urjprünglich beftanden fie aus vier am Eingange des Peiho aufgeworfenen Erdwerfen, welche die Engländer mit Leichtigkeit hätten nehmen fönnen, wenn fie diefelben won Lande aus ums gangen hätten, anftatt fie vom Waſſer aus durch einen Moraft, der Hunderte von Schritten breit und fnietief iſt, anzu— greifen. Zwei der Forts wurden nach ihrer Einnahme gefchleift, die beiden äußern dagegen find wieder in Stand gefegt, armirt und eins von den Engländern, das andere von den Franzofen befett. Das Material der Forts bilden ſchwere Balken, deren Zwifchenräume mit einer Mifchung von Schlamm und Stroh ausgefüllt find, die indeſſen viel Widerſtandskraft bejitt. Soldaten und Offiziere wohnen in ven Erbhütten, welche auch den Chinefen als SKajematten dienten. Diefe Hütten jehen wie Maulwurfshügel aus, und jede faßt 6— 3 Mann. Die etwas größere ehemalige Hütte des Tatarengenerals Sankolinfin ift zum Gafino für die Offiziere eingerichtet. Die Engländer lebten ziemlich ohne allen Com— fort; dagegen hatten es fih die Franzoſen fehr gemüthlich

154

gemacht und das ganze Enſemble ließ darauf fchließen, daß fie wenigftens ſobald noch nicht daran denken, won hier oder aus China Fortzugehen.

Während unferer Anwefenheit ging auch noch ein englifches Kanonenboot an den Nachwehen des Kriegs verloren. Die Chinefen hatten früher zur Sperrung des Fluſſes mehrere Schiffsangeln Hineingeworfen, Tußangeln in großem Maß— jtabe mit 14 Fuß langen Spiten, von denen ſtets eine aufs wärts fteht, wie das Inftrument auch geworfen werde. Dieſe Angeln waren von Eiſen und wogen 250 Gentner. Die Alliirten nahmen aber die Forts von der Landſeite und fiichten die Angeln fpäter auf. Eine muß ihnen jedoch entgangen fein, du das erwähnte Kanonenboot darauflief. Die fchräg jtehende Spite drang fogleich mehrere Fuß durch den Schiffe- boden, und das Fahrzeug, welches auf feine Weile davon ab- zubringen war, ging verloren. Die chinefiichen Behörden haben fich gewiß über den Unfall in das Fäuftchen gelacht.

Ein paar Tage waren wir auch in Zientfin, doch dies ift fein Ort, two man fich längere Zeit wohl fühlen kann, namentlich wenn man es nur im der Abficht befucht, fich zu amuſiren. Schmuzige jtinfende Straßen, faſt ſämmtliche Ge- bäude von Schlamm aufgeführt, an einem ſchlammigen gelben Fluſſe gelegen und von endloſen Sand- und Schlammebenen umgeben, bietet es keinerlei Reize und wird durch die Hitze ın den drei Sommermonaten, bei der das Thermometer täg- lich 30— 34° Reaumu im Schatten zeigt, während es im Winter bis 209 unter Null finkt, faft unerträglih. Nur das in reichlichem Maße vorhandene und Außerft billige Eis, won dem der Centner 10 Silbergrojchen foftet, ift eine erquickliche Annehmlichkeit in dev Glut, die jedoch troßdem für die Euro- päer fehr gefährlich wird. Während dev Monate Juli und Auguft ſtarben durchſchnittlich täglich 5 englifche Soldaten von der 1600 Wann ftarken Bejatung Tientſins, lediglich

185

infolge des Sonnenftihs und der Hitze. Ebenſo verlor Graf Eulenburg einen feiner europäifchen Diener, und 3 Mitglieder der Gefandtjchaft erkrankten jo gefährlich am Fieber, daß nur ihre fofortige Abreife an Bord der Schiffe ihre Wiedergenefung bewirfte.

Trotzdem wird Tientfin als Handelsplatz jehr bald eine große Bedeutung erhalten und wahrjcheinlich Schon in wenigen Sahren alle andern chinefifchen Häfen überflügelt haben. Dies macht die Nähe von Peking und der große Kanal, die große Berfehrsftraße Chinas, an deſſen Mündung Tientfin liegt und anf dem alle Güter Hunderte von Meilen weit verjchifft werden fönnen, während fie von dem bisher eröffneten Häfen über Laud transportirt werden mußten und dadurch ungemein vertheuert wurden. Daſſelbe gilt von den Erportartifeln, und diefer Umftand Hatte fich auch bereits in ver furzen Zeit von nenn Monaten, jeit welchen Tientſin damals erjt eröffnet war, ſehr zur Geltung gebradt. Wie wichtig ZTientfin aber für uns Deutſche ift, hatten wir vecht Gelegenheit zu jehen. Es lagen außer und 25 Schiffe auf der Rhede, da- bon waren zwei Engländer, zwei Amerikaner, ein Holländer und ein Däne; die übrigen 19 waren ſämmtlich Deutfche, und zwar 15 Hamburger und 4 Bremer. Diejes Factum zeigt gewiß deutlich genug, daß ein Bertrag mit China für Deutſchland nicht allein wünfchenswerth, fondern fogar noth- wendig ift, fowie e8 auch ein erfrenliches Zeichen abgibt fir den Unternehmungsgeift deutſcher Kaufleute und für den Auf: Ihwung unfers Handels und unferer Rhederei.

Das einzige jtörende Element für den Handel mit Tientfin iſt die feichte Ahede, die Schiffen mit über 10 Fuß Tief- gang nicht gejtattet, fich näher als 2 veutfche Meilen vor den Tafuforts und 8 Meilen vor Tientfin Hinzulegen.

AS wir nach fünfmonatlichem Aufenthalt in Japan endlich von den mistranifchen, umftändlichen und förmlichen Japaneſen

156

einen Vertrag erlangt hatten und nach China abgingen, hieß e3 allgemein: „Dort find wir in höchitens ſechs Wochen fertig, die praftifchen Chinefen legen nicht die geringften Schwierig- feiten in den Weg, und was fie der einen Nation gewährten, bewilligen fie ohne weiteres auch der andern.” Indeſſen er- füllte fich diefe frohe Zuverficht feineswege, und aus ven 6 Wochen wurden faſt 6 Monate. Schwierigfeiten über Schwierigfeiten waren zu überwinden, Intriguen zu befämpfen, und wenn das Ziel erreicht ſchien, tauchte -plößlich wieder ein unoorhergejehener Umftand auf, ver ven Abfchluß des Ver— trags wochen- und monatelang verzögerte. Eine folche Phaſe war auch jett wieder eingetreten, und nach dreiwöchentlichem Aufenthalte am Peiho gingen wir Mitte Juli auf unbeftimmte Zeit wieder nach Chefu, wo wir doch wenigftens Land jahen und auch Proviant und Waffer mit Bequemlichkeit erhalten konnten.

Unterwegs wurden wir angenehm überrajcht, als ver Reiſeplan geändert ward und wir anjftatt ſüdwärts nach Nordoſten fegelten. Unfer Rendezvous war Ning-hae im Golf von Liantung, ein chinefifches Städtchen 25 Meilen vom Beiho entfernt und dadurch merkwürdig, daß eins ver Weltwunder, die berühmte chinefifhe Mauer, hier ihren 400 Meilen langen Yauf beginnt. Als wir diefe Entvedung auf der Karte machten, waren wir alle jehr erfreut und unferm Gefchwaderchef jehr danfbar, daß er. das tödliche Einerlei der letzten Monate durch eine fo intereffante Ab— wechjelung unterbrach.

Nach zweitägiger Reife trafen wir morgens früh vor Ningshae ein. Die berühmte Mauer zeichnete fich bereits meilenweit am Morgenhimmel ab, und wir hatten an ihr ein vortreffliches Merkzeichen für unfern Anferplag. Die Stadt Ninghae jelbit blieb dagegen unſern Blicken verborgen, da fie eine Meile landeinwärts auf einer flachen Alluvialebene Liegt

157

und chineſiſche Städte felten emporragende Gebäude be- fißen.

Wir lagen etwa 2—3000 Schritt vom Ufer entfernt, ge— rade dem Anfang der Mauer gegenüber, die fich unmittelbar om Waffer erhebt und im nördlicher Richtung fich in das Innere erjtredt. Cine zweiftöcdige Pagode bezeichnet ihren Anfang und hat wahrjcheinlich in frühern Zeiten als Wacht- thurm gedient.

Sobald wir vor Anfer waren, wurden die verfchiedenen Boote bemannt, um an Yand zu gehen, alfein die Brandung an der ziemlich fteil aufwärts gehenden Sandküſte war jo heftig, daß der Verfuh von der Arkona als unausführbar aufgegeben wurde. Wir auf der Elbe verfuchten unfer Heil mit Hülfe eines Kleinen eifernen Francis- Patentbootes, das wie ein Kork auf dem Waſſer ſchwamm, und mit dem wir trodnen Fußes durch die Brandung und an Land kamen, fehr bald von ven Herren der Arkona gefolgt, denen wir eine Brüde gebaut hatten,

Eine Menge Chinefen und unter ihnen verjchienene Mili- tärmendarinen mit weißen und goldenen Knöpfen, alfo etwa unfern Hauptleuten und Lieutenants entjprechend, waren am Strande verfammelt, und aus ihren Mienen und ihrer Haltung war deutlich zu erjehen, daß fie umferer Ankunft eher eine feindliche als freundliche Abficht unterlegten. Daß wir unbe— waffnet famen, ſchien fie zwar in etwas zu beruhigen, aber ihr Bertrauen gewannen wir erft, als wir einen Broden aus unſerm chinefischen Wörterporrath, die Begrüßungsformel Tſin-tſin, anbrachten, ihnen die Hände fehüttelten und fofort jedem Mandarin eine Cigarre anboten, fowie auf ihre Fragen, obwol wir feine Silbe verjtanden, ftet3 mit hae-hae (ju ja) antworteten.

Namentlich imponirte ihnen das Händefchütteln, obwol fie im erjten Augenblide nicht zu begreifen ſchienen, was es vor— ſtellen ſollte. Englifch verftand niemand von ihnen auch nur

188

ein Wort, und e8 ging uns daraus hervor, daß europäifche Schiffe hier eine äußerſt jeltene Erjcheinung fein müſſen. Unfere Unterhaltung beftand deshalb Hauptjächlich in Panto- mimen, aber troßdem ging ſie unaufhaltfam vor ſich. Wir erhielten zunächft eine Einladung, uns in einem Buddhaklo— jter, das im unmittelbarer Nähe des Strandes lag, zu erfri- chen. Ein dicker Mandarin mit blauem Knopfe, der höchfte im Range, jchritt ung voran und geleitete ung, während bie Menge ehrerbietig Pla machte, auf den Hof des Klofters, in dem zwar der Tempel noch ganz gut erhalten, das aber ſonſt verlaffen war und ſich in einem fehr defolaten Zuftande befand. Augenbliclich ſchien es in eine Militärftation ver- wandelt zu fein, einige zwanzig gefattelte Pferde, die im Hofe jtanden, Tießen darauf fchließen, daß die Mandarinen nebft ihren Begleitern unlängſt hier eingetroffen und wahrſcheinlich nur in Anlaß unferer beiden Schiffe von Ning-hae hierher beordert waren. Um einen maffiven hölzernen Tiſch im Hofe wurden ebenfo maſſive Stühle geftellt, wir zum Sitzen ge— nöthigt, und man brachte uns Thee jowie eine Schüffel der ſchönſten Aprifofen, die wir je gegelfen.

Wir Hatten Bier und Cognaf mit ung genommen und boten unfern Wirthen davon am. Sie fofteten beides, aber nur der Cognak mundete ihnen, das Bier fagte feinem zu. Wir Hatten gehört, daß vor einigen Jahren ein englifches Kriegsichiff hier gewefen fei, daß man die Dffiziere zwar ungehindert an Land gelaffen, ihnen aber entjchievden das Befteigen dev Mauer gewehrt habe. Als wir um die Er— laubniß fragten, wurde fie uns fofort mit der größten Bereit: wilfigfeit extheilt. Ein Mandarin niedern Ranges ward uns als Begleiter mitgegeben, und wir beftiegen das Rieſenwerk unge- ſäumt. Wahrfcheinlich waren die Engländer in ihrer gewöhn- lichen arroganten Weife aufgetreten und deshalb von den Chineſen zurückgewiefen worden.

189

Ueber die Entjtehungsgefchichte ver Mauer und die Dauer ihres Baues gibt e8 verſchiedene Nachrichten, jedoch fcheint es ziemlich gewiß, daß fie um das Jahr 250 v. Chr. begonnen und im 5. Jahrhundert n. Chr. vollendet wurde, mithin ihre Conſtruction ungefähr einen Zeitraum von 700 Jahren bean- Ipruchte. Zieht man ihre 350—400 Meilen betrugende Länge in Betracht, jo erfcheint die Arbeit von 700 Jahren nicht groß, aber die Zeit ihrer Ausführung dünkt ung wunder— bar furz, wenn wir bei Ning-hae nur einen oberflächlichen Blick auf die gewaltigen Schwierigkeiten werfen,welche Terrainver- hältniſſe ſchon auf die furze von hier aus zu überfehende Strede von einigen Meilen entgegenjtellen mußten.

Die Mauer beginnt mit einem ehemaligen runden Fort von 150 Schritt Durchmeſſer, und man betritt dafjelbe Durch ein jehr gut gemauertes und gewölbtes Thor von einigen 20 Fuß Höhe und 30 Fuß Dide. Bon dieſem Fort an führt die Mauer noch fünf Minuten am Meeresitrande hin und dann nach einigen Biegungen, deren Nothivenpdigfeit jedoch durch die jegige Gejtaltung des faft ganz ebenen Alluvial- terrains nicht bedingt oder erklärt wird, etwa 1Y, Meilen weit in nördlicher Richtung. Dieſe Alluvialebene, in der die Stadt Ningshae gelegen ift, wird von einem dreifachen Ge— birgsfamm) umjchlofjfen, dejjen mittlerer Zug fich bis zu einer Höhe von 4000 Fuß erhebt, während der füdliche und parallele Kamm mur circa 2000 Fuß erreiht. Der Höhenrüden erjtrecdt fih, von Diten fommend, bis etwa drei Meilen wejt- lih von Ning-hae, wo er allmählich abflacht und fchlieflich ganz verſchwindet. Anjtatt aber die Mauer fo weit wejtlich und um das Gebirge zu führen, ift fie in noroweftlicher Nich- tung über die höchſten Spiten der drei Bergreihen fortgelei- tet, wobei fie jtetS in gleichmäßiger Höhe den Unebenheiten des Terrains folgt. Die Breite der drei Kämme beträgt un- gefähr zwei deutſche Meilen, und wenn man die hundertfälti-

190

gen fleinern und größern Steigungen berücdfichtigt, minde- jtens das Doppelte Man kann daher ungefähr ermeſſen, welche Kiefenarbeit erforderlich war, um allein dieſe Strede, den hundertſten Theil ihrer ganzen Ausdehnung, herzuftellen, namentlich da alle Laſten auf dieſe teilen Höhen lediglich durch Menfchenhände gefchafft werden mußten. Zugleich aber fragt man ſich vergebens, weshalb Die chinefifchen Herricher bei Aufführung der Mauer fat unüberwindliche Schwierigkeiten aufjuchten, während fie bei einfacher Herumführung um das Gebirge es fich verhältnißmäßig fo leicht machen konnten. Die durchfchnittliche Höhe der Mauer beträgt 35 Fuß mıit der Mauerfrone von 7 Fuß; an vielen Stellen, wo eine DVer- ttefung oder ein Abgrund auszufüllen war, fteigt fie bis zu 80, ja an einem Punkte maßen wir fogar 117 Fuß. Bon außen perpendifulär, hat fie an der Innenfeite eine Böſchung von ungefähr 45, bei einer Kronenbreite von 25 und einer Bafis von 60 Fuß. Die Mauer tft jedoch nicht maſſiv, jondern nur von innen und außen befleivet und oben gepfla= jtert. Die Befleivungen find 3 Fuß did, und fie ruhen, aber nicht durchgängig, auf einer 4 Fuß hohen Untermauer von ſehr Ichön behauenen, äußerſt forgfam zufammengefügten und cementirten Oranitquadern, die im Laufe der Sahrtaufende äußerſt wenig gelitten und faft ein Anfehen Haben, als wären jie neu. Das Material der Bekleidung find Badjteine von grauer Farbe und ungefähr doppelter Größe, wie bie bei uns gebräuchlichen haben. Dem Anfcheine nach find fie nicht im Feuer gebrannt, jondern nur in der Sonne getrodnet. Dies jcheint mir hauptfächli aus dem Umſtande hervorzugehen, daß aus eimem großen Theile verfelben durch den Froſt con- cave Höhlungen gefprengt find, die oft die Hälfte des Steins betragen. Dies wäre wol bei im "euer gebrannten Steinen nicht gut möglich, da der Froſt nur im diefer Weife wirken fonnte, wenn der Stein fich vorher bis zur Mitte voll Feuch-

19i

tigfeit faugte, was eine Porofität vorausjegt, die wol Luft- trocknen, aber nicht gebrannten Steinen eigen fein fann. Auch war der Thon in der Mitte des Steins viel dunfler gefärbt und brödliger als an den äußern Flächen, was ebenfalls auf Trocknung in der Luft ſchließen läßt; die Froſtbeſchädigungen zeigten; fich lediglich an den dem Gebirge zugefehrten Seiten ver Mauer. Die dem Meere zugewwandte Seite war merfwürdig gut erhalten, und es fcheinen fonach die oftwärts über ven Golf von Petſchili fommenden Winde, weil fie über den japanefifchen Golfſtrom ftreifen, feine Kälte zu bringen.

Die innere Bekleidung der Mauer ift bis zum Gebirge auf große Streden abgetragen und ihr Material zum Bau von Ning-hae und der zahllofen in der Ebene zertreut liegen- den Dörfer verwandt. Die Außenfeite ift jedoch merkwürdig vollftändig und ward dem Anfcheine nach noch vor einigen Jahr— hunderten forgfältig reparirt. Dagegen liegt die Brüftung theil- weije in Ruinen, und bisweilen fehlen Streden von 30—40 Fuß, die vom Winde herabgeftürzt find, während andere Theile jo waclig jtehen, daß ihmen in nächfter Zeit ein gleiches Schick— jal droht. Die Steine des Mauerwerfs fchliegen nicht wie bei ung um ihre halbe Länge übereinander, fondern find in parallelen Reihen nebeneinander gelegt, wodurch natürlich die Haltbarfeit des Ganzen beeinträchtigt werden muß.

Bon 120 zu 120 Schritt wird die Außenfeite der Mauer durch eine um 20 Fuß vorjpringende Baſtion flanfirt, die in einem viereckigen Thurm bejteht, während die Innenfeite nur jede 500 Schritt eine folche Verſtärkung befitt. Dieje Thürme find äußerst folid gebaut und durch eine Menge fich vechtwin- felig durcchjchneidender Wände, die dem Horizontaldurchfchnitt das Anfehen eines Schachbrets geben, verjtärft. Sie haben wie die Mauer eine mit Schiefjcharten verfehene Brüftung. Die Schießſcharten find drei Fuß tief, zwei Fuß breit und in regelmäßigen Zwifchenräumen von acht Fuß angebracht. Ihre

192

untere Fläche bildet ohne Ausnahme eine Granitplatte mit einem Loch in der Mitte. Dies hat unftreitig zur Aufnahme für die Gabel der Wurfgefhüte und fpäter der Luntenflinten gedient. Dagegen ift nicht anzunehmen, daß jemals zur Ver— theidigung der Mauer Kanonen verwendet wurden, da bie untere Fläche der Schieffcharten für Geſchütze viel zu hoch vom Boden fteht (vier Fuß) und auch die Brüjtung von ei- nigen Sanonenfugeln fogleich zerjchniettert werden würde.

Der Zwed ver Mauer war Schuß und Vertheidigung gegen die Einfälle der friegerifchen Tataren, die feit Taufen- den von Jahren ihre räuberifchen Horden bis in das Herz Chinas fandten und dejjen unfriegerifche indujtrielle Bewoh— ner brandfchatten. Der gigautifhe Bau hat jedoch feinen Zwed feineswegs erreicht. Kine bloße Mauer von 35 Fuß Höhe Fonnte den Tataren fein Hinderniß fein, wenn fie nicht überall gleichmäßig vertheidigt war. Wie viel Millionen Soldaten hätten aber dazu gehört, um eine 400 Meilen lange Strede gegen den Einfall von 30—40000 geftählten Kriegern wirffam zu ſchützen! Daß die Mandfhu-Dynaftie jeit 200 Jahren regiert, ift der bejte Beweis, daß die Mauer nichts half, und die Tataren haben deshalb auch michts zu ihrer Unterhaltung gethan. Sie laffen fie zerfallen und Material zu dem Bau friedlicher Häufer zu liefern ift gewiß das Ziwed- mäßigjte, zu dem ihr unerfchöpflicher Steinevorrath verwen- det werben kann.

Immerhin bleibt aber das Werk an und für fich eins Der großartigjten der Welt und gibt zugleich Zeugniß von der Energie und Macht der chinefifchen Herrſcher, die jahrhun- dertelang nicht erlahmte und fich durch feinerlei Schwierigkeiten zurückichreden Tief. Wir waren der Mauer bis zu dem Fuße des; Gebirges gefolgt, aber erſt hier, wo wir fie in benjelben koloſſalen Dimenfionen bald zu fchwindelt- der Höhe fich erheben, bald an den fteilften Abhängen hinunter

193

laufen und jähe Schlünde überbrüden jahen, fonnten wir die ganze Grofartigfeit dieſer Rieſenſchöpfung erfaffen und würdigen und die Willens- und Thatkraft derjenigen Männer bewundern, die den Muth hatten, einen jo gewaltigen Ge- danken zu realifiren.

Es hat jemand berechnet, daß man mit dem Material dieſes Baues eine drei Fuß hohe und ebenfo dide Mauer rings um die Erde ziehen könnte; aber wenn ich nach den vier Meilen, die ich davon gejehen, urtheilen joll, würden außerdem noch fammtlihe Städte und Dörfer von ganz China davon neu aufgebaut werden fünnen. Nach einer ungefähren Berechnung, die wir an Ort und Stelle machten, wober wir aber nur bie Durchſchnittshöhe von 35 Fuß zu Grunde legten, famen wir zu dem Refultat von 50 Millionen Badfteinen pro Meile, was auf 400 Meilen 20000 Millionen Steine ergeben würde, deren jeder 15 Zoll lang, 8 Zoll breit und 4 Zoll hoch ift. Dabei find die Granitgrundmauern, die Brüftung und die Pflafterung der Krone ganz unberüdfichtigt geblieben. Trotz— dem gibt fehon jene immenfe Zahl dem Leſer einen Begriff von der Arbeit, welche die Herjtellung eines jolchen Werks erforderte, das mit Necht unter die Wunder der Welt gerech- net werden darf, und gegen das die Phramiden nur wie Ihwache Verfuche von Pygmäen erſcheinen.

Wir befuchten auch Ningshae, ein echt chinefiiches Städt— hen von einigen taufend Einwohnern mit engen ſchmuzigen Straßen, ſchmuzigen Häufern und jchmuzigen Menjchen, Frauen mit breitfnochigen häßlichen Gefichtern und verfrüppel- ten Füßen, und Rindern, die ftatt aller Bekleidung nur eine dide Schichte von Schinuz auf dem Körper trugen. Wir glaub- ten hier eine reiche Razzia an Provifionen machen zu können, aber außer Obſt und Ciern war abfolut nichts zu haben, und auch diefe erlangten wir nur unter großen Schwierigkeiten, weil wir feine chineſiſche Scheidemünze bejafen und man die

Werner, II, 118

194

jpanifchen Thaler im Süden der Abgott des Volfes nicht nehmen wollte. Erft auf Verwendung eines Mandarins, der ihren Werth fannte, wurden die Verkäufer bewogen, fie an- zunehmen.

Unfern Rückweg nahmen wir durch das flache Land, das, aus fruchtbarem Alluvium beftehend, veich cultiwirt und mit üppigen Mais- und Bohnenfeldern geſchmückt war. Während in Mittel- und Südchina Keis das Hauptnahrungsmittel des Bolfs ift, wird er hier durch Mais und Bohnen vertreten. Erfterer wird zu Brot verbaden, von Tebtern dient eine Sorte zum Eſſen, eine andere wird jedoch in. großen Duan- titäten wegen des in ihr enthaltenen Dels gebaut. Die aus der Preſſe hervorgehenden Delfuchen werden, wie ich fchon früher erwähnte, in fehr großen Mengen als Dünger nach dem Süden verjchifit. Bis jetst gefchah ihr Transport nur . auf chineſiſchen Dſchonken, und in den mit den verjchiedenen Mächten abgejchlofjfenen Verträgen ift für fremde Schiffe die Ausfuhr diefer Delfuchen ausdrücklich verboten, weil vie Dihonfenfahrt zu fehr darımter leiden würde. Wie aber vergleichen Sachen in China gehandhabt werden, fonnten wir in Tientfin und Chefu vecht deutlich fehen. Im beiden Häfen lagen zuſammen ungefähr 30 europäiſche Schiffe, und alle luden Bohnenkuchen für die ſüdlichen Küftenpläte, ohne daß es den Behörden eingefallen wäre, e8 ihnen im geringften zu wehren.

Zum Aderbau werden hier viel Efel und Maulthiere be- nugt, die fich in einem ausgezeichneten Zuftande befanden. Die Eſel ftammen aus dem Altaigebirge, find gelblich- weiß, jehr groß und mit einem fchwarzen Kreuz über den Schulter- blättern gezeichnet. Pferde gibt e8 hier bedeutend mehr als im Süden, jedoch verwendet man fie nicht für den Landbau, jondern nur zum Neiten oder fpannt fie vor die zweiräderigen Karren, die um Peking ftatt der Sänften den Perjonen- transport auf weitere Streden vermitteln.

195

Bei unjerer Rüdfehr fanden wir an einer von See aus fichtbaren Stelle, wo die Mauer circa 80 Fuß hoch war, in 12 Fuß langen Buchftaben das Wort „Kieſelack“ mit weißer Farbe angemalt, ein Späfchen, das fich ein paar munter Cadetten in der Vorausſetzung gemacht hatten, daß ver be- rühmte deutjche Reifende doch nicht bis hierher gedrungen fei. Sollte einft ein deutjches Schiff hier vorbeijegeln, jo wird es mit Erftaunen diefe drollige Verewigung betrachten, die übri- gens mit bewunderungswürdigem Humor und, Confequenz an alfen möglichft unzugänglichen Pagodenſpitzen, Tempeldächern und Felswänden der von uns befuchten Punkte von den übermüthigen Jünglingen angebracht wurde.

1a

30.

Hohe Landescultur jenfeit des Gebirges von Chefu. Amerikaniſche Miffionare als Kaufleute. Politiſche Beränderungen in China im Sommer 1861. Der Tod des Kaifers Hienfung. Der Prinzregent Kung, fein Charakter, feine aufgeflärte Politik. Die Rebellion der Taipings. Berhalten der Engländer zum hinefiihen Bürgerfriege. Geſchichte der Schantung- Rebellen. Borriüden derjelben gegen Chefu. Bertheidigungsanftalten und Feigheit der Chinefen. Admiral Protet mit wenigen Franzofen übernimmt die BVBertheidigung des Plates. Ueber— raſchung und Flucht der Rebellen durch einen Bombenſchuß. Scheußliche Graufamfeiten der Rebellen wie der Kaiferlichen.

Nas preitägigem Aufenthalte in Ning-hae gingen wir nach Chefu und empfanden dort die größere Kühle des Sommers Außerft angenehm. Der ZTemperaturunterjchted beträgt ziwi- Shen hier und Tientfin über Reaumur, obwol Chefu nur ein wenig jüdlicher, dafür aber un 50 Meilen öftlicher als Tientfin gelegen ilt. Vom September ab fühlte fich die Luft bedeutend, und die täglichen frifchen Nordwinde wurden all- mählich rauher. Dieje Veränderung gejtattete uns, einige Zer- ftreuungen aufzufuchen, welche die bisherige große Hite ver- boten hatte, und deren Mangel während eines viermonatlichen Aufenthaltes an einem im jeder Beziehung jo unintereffanten Punkte wie Chefu fih um jo fühlbarer machte. Die hiefige Gegend ift reih an Wild, namentlich Fafanen, Hafen und Waſſervögeln. Während des Winters follen fich auch oft Wölfe

197

und Bären in dem benachbarten Gebirge zeigen, jedoch hofften wir nicht, jo lange dort zu bleiben, um fie jagen zu fönnen. Die Jagden auf Geflügel und Hafen wurden indefjen täglich und mit großem Eifer betrieben, und einmal veranftalteten wir eine große Partie, die nicht weniger als vier Tage dauerte. Chefu Liegt in einem Thale an der Bafis einer Freisför- migen Bucht, die ringsum von einer fich zu 1500 Fuß erhe- benden DBergfette eingefchloffen wird. Diefe Kette muß über- ichritten werden, um auf die ergiebigen Jagdgründe zu fom- men, die eine viele Meilen weite Ebene bilden. Der Marjch über die Berge, über die feine regelmäßigen Pfade führen, iit jehr anftrengend; allein man wird dafür vollftändig durch die prachtuolfe Ausficht entjchädigt, die fich dem Auge von der Spite des Gebirgsfammes bietet. Kin unabjehbarer Garten breitet fich wor dem Beſchauer aus, und ich habe nie etwas Aehnliches in meinem Leben gejehen. Alle möglichen Arten von Korn, Hirfe, Gemüfe, Hanf u. |. w. werden hier mit einer Sorgfalt gebaut, von der man fich bei uns feinen Begriff macht, und wie ich es weder im Süden Chinas noch in Sapan vorher gefehen. Jede Feldparcelle ift ein Beet, von einer Blumenhecke umfchloffen und von den verjchieden- jten Obftbäumen befchattet, die jett alle im Schmud ihrer Früchte prangten. Sämmtliche Felder find mit Turchen und innen durchzogen, und an ihren Endpunften erheben jich auf Fleinen Terraffen Taufende ven Brunnen, um das be- fruchtende Naß durch jene Furchen den Wurzeln ver Pflanzen zuzuführen. Diefe Brunnen find regelmäßig von einer Laube überdacht, an der fich Kürbisranfen emporwinden, deren mäch- tige, oft 30 bis 40 Pfund fchwere Früchte das dünne Bam— busgeftell der Laube zu zerprücden drohen. Hier und bort wird das Grün der Aecker durch die Grabhügel und weißen Denffteine eines Friedhofes unterbrochen, oder durch das Laub einer dichten Dbjtpflanzung ſchimmern die Häufer von Dör—

198

fern, die in China faſt nie ohne dieſe Zierde angetroffen werden. Auf den Feldern ſelbſt herrfcht veges Leben. Hier wird geheimft, und wenn man die heimifchen Erntewagen ver- mißt, bewegen fich dagegen lange Reihen von Maulthieren, mit hoch aufgethürmten Bürden der verjchiedenen Fruchtarten auf ihren Rücken, den einzelnen Dörfern und Gehöften zu. Dort find einige halbnadte Geftalten, deren Haut die Sommer- fonne faft dunfelbraun gefärbt, befchäftigt, um unter unmelo- diſchem eintönigen Gefange Waffer aus den Bewäfferungsbrun- nen zu fchöpfen. Dort wird, nicht wie bei uns mit Pflug und Spaten, aber gewiß mit einer ebenjo praftiichen und leichter zu handhabenden Tiefhade der Boden aufgebrochen und für die neue Saat vorbereitet, während unbeholfene Frauen mit verfrüppelten Füßen wie auf Stelzen durch Die Felder fchreiten und mit Hülfe der Kinder das Unkraut ausjäten. Verſchämt und ängſtlich wenden fie das Geficht fort, wenn ein Europäer in ihrer Nähe erfcheint, als ob ihre Häßlichkeit nicht ſchon ein natürlicher Schuß für fie wäre. Doc die Männer find zutraulicher, und wenngleich fie mit ſtupidem Staunen die „Fang-Kwei“ angafften, erichallte ung doch regelmäßig ein gut- müthiger Gruß entgegen und überall fam man uns freundlich entgegen. Das ſchönſte Wetter begünftigte uns. Unfere nächtlichen Bivonafs hielten wir in Tempeln und Klöftern, und wir fehrten, obwol mit wunden Füßen und ſchmerzenden Gliedern, jo doch mit reicher Beute und angenehmen Erinnerun- gen an Bord zurüd.

Chefu felbjt Habe ich Schon in kurzen Worten gejchilvert. Es iſt troß feiner 10000 Einwohner nur fozufagen eine ambulante Stadt, ein großes Abfteigequartier für die Kaufleute aus dem Innern. Sie fommen nur hierher, um zu handeln, ihr Aufenthalt ift vorübergehend und das Gros der Bevöl— ferung daher ſtets wechjelnd. So kommt es, daß fich in der ganzen Stadt nicht eine einzige verheivathete chinefiiche Frau

199

befindet, und daß überhaupt nur einige hundert Frauenzimmer der niebdrigften und Häßlichjten Art in der Stadt leben. Bon Europäern wohnten hier nur der englifche und der franzöſiſche Conſul mit einem Aififtenten, ein fchweizer Kaufmann und fünf verheivathete amerifanifhe Miffionäre, die jedoch augenblicklich Kaufleute geworven waren. Jufolge der ameri- fanifchen Wirren ſcheinen ihre Gehalte nicht regelmäßig ge- flofjen zu fein beiläufig 1800 Thaler pro Kopf und 300 Thaler Exrtraordinarium für jedes Kind, welches dem Miffionär geboren wird. Die Herren haben deshalb das Miffionshaus in Schangshae zu einem anftändigen Preife verkauft und mit dem Kapital auf gemeinfchaftliche Rechnung ‚einen Handel in Chefu begonnen, der bedeutend rentirte.

In den letten Monaten unjers Aufenthaltes im Norden von China trugen fich bedeutende politiiche Veränderungen im Reiche der Mitte zu. Die wichtigfte verjelben war ber Zod des Kaifers, der am 17. Augujt 1861 erfolgte. An— fünglich glaubte man, der Kaiſer jet entweder von feinem Ver— wandten, dem Regenten, oder von der altchinejiichen Partei aus dem Wege gejchafft. Die lettere Annahme gewann durch den Umjtand an Wahrfcheinlichfeit, daß nicht Prinz Kung Regent blieb, fondern für den unmündigen Faiferlichen Sohn ein aus drei ven Europäern feindlich gefinnten Man- darinen gebildeter Vormundſchaftsrath eingefet wurde. Sichere Nachrichten haben jedoch allen romantischen Nimbus vom Sterbebette des Kaifers ſchwinden laſſen. Hienfung, der Sohn der Sonne, obwol noch im beiten Mannesalter, iſt an nichts anderm als am Delirium tremens geftorben. Er war ein arger Trinfer und hatte es nur feinen Liebenden Gattinnen zu banfen, daß er nicht ſchon längſt in das Grab jteigen mußte. Bereits vor zwei Jahren hatte er einen Anfall von Delirium, und es joll damals feinen Frauen gelungen fein, ihn zu bewegen, feinen täglichen Bedarf an Spirituofen bie

200

auf 60 Schälchen Samtſchu einzufchränfen. Der Sam- tihu hat die Stärke von unverſetztem Arrak, und zwei ber erwähnten PBorzellanfchälchen, aus denen er in China getrun- fen wird, machen etwa eins unfer Schnapsgläfer aus. Hien- fung fonnte demnach immer noch zu den Trinfern erfter Klaffe gerechnet werden, und da er jeine übrige Zeit nur zwifchen DOpiumrauchen und der Gefellfehaft feiner Frauen theilte, fo ift fein frühzeitiger Tod fehr erklärlich. Diefer Tod machte auf die Chinefen wenig Cindrud, und man vermißte ganz und „gar die Landestrauer, die bei ähnlichen Fällen fonft auf das jtrengfte beobachtet wurde. Bolitifch todt war ver Kaiſer ohnehin feit feiner Flucht im vorhergehenden Jahre, und es iſt nie daran gedacht worden, daß er je wieder nach Peking und auf ven „Sit des Drachen‘ zurüdfehren könnte, nach- vem die Barbaren den Palaft geplündert und ihre Gefandten jich in Peking einguartiert hatten. Nominell herrjchte er, und zum Scheine wurden ihm auch alle wichtigen Actenftüce nach Je— bol in der Tartarei gefchiekt, wo er reſidirte, allein der wirf- liche Regent war Prinz Kung, fein jüngerer Bruder. Prinz Kung ift ein Mann von 28 Jahren und in moralifcher Be- ziehung das gerade Gegentheil feines Bruders, d. h. ein durch— aus mäßiger und energiſcher Mann. Während der verftorbene Kaifer fih von feinen Miniftern jo lange belügen ließ, bis die Alliirten vor Peking ftanden, und die Hof- und Staats— zeitung im Namen des Herrfchers dem Volfe eine Niederlage der Barbara mach der andern verfündete, bis der Palaſt erjtürmt und geplündert wurde, hat Prinz Kung die für einen chineftschen Herrſcher außerordentlich gute Seite, mit eigenen Augen zu jehen und danach feine Maßnahmen zu treffen. Sodann ift er auch politifch und vernünftig genug, um ein- zufehen, daß China durch die Eröffnung des Landes für die Fremden und durch die Heilighaltung der Verträge nur ge- winnen fann, fowie daß feine Dynaſtie nur zu retten ift,

201

wenn fie fich die Fremden verpflichtet und fich dadurch den Schuß gegen die immer weiter fchreitenden Rebellen fichert. Der Prinz hatte deshalb während feiner einjährigen Negent- Ichaft den Alliirten nicht nur aufrichtige Beweife feiner freund- ichaftlichen Gefinnungen gegeben, ſondern auch durch große Erleichterungen des Verkehrs fich ganz und gar die Sympa⸗ thie der Fremden erworben.

Nach dem Tode des Kaiſers reiſte er nach Jehol, um der Begräbnißfeierlichkeit beizuwohnen, fand aber dort bereits ven erwähnten Regentjchaftsrath vor und jah fich won der Regentſchaft entbunden, wenn auch nur auf kurze Zeit. Er cheint auf die Umgebung des jungen Monarchen und auf diefen jelbjt einen jolchen Einfluß geübt zu haben, daß er, vielleicht auch im Einverftändnig mit den Alliirten oder deren Mitwirkung gewiß, einen Staatsſtreich wagen durfte.

Am 21. Detober 1861 hielt er an der Seite des jungen Kaiſers jeinen Einzug in Peking, zugleich wurde aber auch der Regentſchaftsrath plötzlich auf feinen Befehl verhaftet und jeinen Mitgliedern der Proceß gemacht. Man bejchuldete die— jelben des Hochverraths und verurtheilte fie nach echt chineſiſcher Weife zum BViertheilen. Zwei ver Mandarine begnadigte man jedoch zum Tode durch das Beil, während der dritte entfloh, aber von den Anhängern des Prinzen ergriffen und niederge- macht wurde. Prinz Kung übernahm nun aufs neue in Ge- meinſchaft mit der Raiferin-Mutter die Regentſchaft. Man fann ſomit einer zu Reformen geneigten, den Europäern freund- (ich gefiunten und energifchen Negierung entgegenfehen, und vielleicht ift China noch vor der volfftändigen Anarchie und die Mandſchu-Dynaſtie vor ihrem Sturze zu retten. Die natürliche Folge wird fein, daß fich entweder in nächfter Zeit die Wejtmächte mit den Raiferlichen gegen die Rebellen ver- binden, oder daß ein Compromiß mit diefen eingegangen wird. Das letztere iſt das Wahrfcheinlichite, da ein abermaliger

202

hinefifcher Krieg wenigitens in England fehr unpopulär fein würde, wenn auch Kaiſer Napoleon damit gedient wäre. Die Meinung der Europäer, die noch vor furzem den Re— belfen ziemlich günstig lautete, begann in leßterer Zeit fich auf die Seite der Kaiferlichen zu neigen, und dies ift jehr erflär- (ich, da fie lediglich von Handelsinterefjen geleitet wird. Die Erwartungen, welche man an bie Eröffnung des Sangstjesfiang und der nordifchen Häfen fnüpfte, find nicht in dem Maße erfüllt worden, als man vorausjesen durfte Hieran ift lediglich der Bürgerkrieg ſchuld, und wie fehr es auch den vor- geblichen civilifatorifchen Beftrebungen ver Engländer genchm gewefen jein mag, die „chriftlichen” Zaipings zu protegiven, jo gründeten fich ihre Sympathien in Wahrheit doch nur auf die Borausfegung, dag die Rebellen ven Handelsinterejjen der Fremden Vorſchub Leiften würden. Dieſe Hoffnung ijt bis- jett nicht erfüllt. Die Producenten des Landes, die Seide- und Theezüchter, find die anfäffigen Faiferlichen Unterthanen, aber fie produeiren nur und der Handel kann nur blühen, wenn Ruhe im Lande if. Die erobernden, bald vorwärts— drängenden, bald zurüdweichenden Rebellen find nur ein zer- ftörendes Element, und der Schreden vor ihnen ift bei dem faiferlichen Landvolk jo groß, daß feine Wirkung fih auf Hun- derte von Meilen erſtreckt und fowol den Handel als ie Production lähmt. In Chefu traf 3. B. während unferer Anweſenheit die Nachricht ein, daß die Rebellen Fung-tieha-fau, eine 100 Meilen weit entfernte Stadt, erobert hatten, aber feit jenem Augenblide waren die Einwohner von einem pa- nischen Schreden ergriffen, der jofort einen Rückſchlag auf die Gefchäfte übte und dieſe faſt zum Stilfftande brachte. So geht e8 auch im Südweſten in den Thee- und Seide— diftrieten. Die Rebellen find vielfach im Beſitz der aus dem Innern feewärts, führenden Hanvelsftraßen und fangen bie Waarentransporte ab, ſodaß die Zufuhr jener Artifel immer

203

jpärlicher wird. Es wurden daher jeit einiger Zeit in ben englifhen Blättern immermehr Stimmen laut, die auf die Unerträglichfeit eines ſolchen Zuſtandes hinwieſen, im emergi- cher Weife auf Abhülfe drangen, und da vie chinefiiche Po- titif der Engländer allein durch ihre Handelsintereffen bedingt wird, fo dürfen wir bald einer Entſcheidung entgegenjehen, die außerdem für ganz China ein unendlicher Segen fein würde.

Während der letten acht Tage unfers Aufenthaltes in Chefu hatten wir Gelegenheit, ein Stüd des chinefifchen Bürgerfrieges mit allen jeinen Greueln und Schreden aus nächiter Nähe anzufehen. Die unter dem Namen Schantung- Rebellen ven Norden verwültenden Banden rücdten auf Chefu an. Diefe find jedoch nicht mit den Taipings im Süden zu verwechjeln, mit denen fie politifch nichts gemein haben. Ihr Urfprung ftammt aus dem Jahre 1860. Im Mat diefes Sahres hatte ein fehr reicher chinefifcher Kaufmann und Ab— kömmling der alten von den Mandſchu vertriebenen Ming- Dynaſtie eine bedeutende von ihm zum Bau der Tafuforts vorgeſtreckte Summe Goldes von der Regierung zurücderhalten, mit der er öfter in folcher Verbindung ftand. Das Geld, circa eine Million Dollars, fam in Negierungsverfchluß und mit dem Siegel ver Staatskaſſe verfehen verzinjt zurüd, und der Kaufmann, der e8 wegen der Kriegsverhäliniffe augenblicklich nicht verwerthen fonnte, deponirte es umeröffnet in feinen Kafjengewölben. Nach zwei Monaten erjuchte ihn Die Re— gierung abermals um ein Anlehen; er zeigte fich auch fofort bereit und gab von den noch mit dem Staatsfiegel ver- Ichloffenen Packeten die betreffende Summe zurück. Am andern Tage wird er plöglich vor den Provinzialrichter gefordert, gefejjelt und eingeferfert, um nach 24 Stunden enthauptet zu werden. Er war des Verbrechens der Falſchmünzerei ange- Hagt; ſämmtliches von ihm gegebene Geld war falfh. Da den Mandarinen der Betrug nicht gelang, fuchten fie ihn

204

durch ein noch größeres Verbrechen von fich ab und auf ven unfchuldigen Kaufmann zu wälzen. Die ſehr angefehene und bedeutend verzweigte Familie des Gemordeten erhob fich jedoch, wie das in China bei fo gewaltthätigen Ungerechtigfeiten öfter gefchieht, wie Ein Mann; fie ſammelte eine Fleine Armee und verlangte, auf deren Macht gejtütt, die Auslieferung der ver- brecheriſchen Mandarine. Diefe wurden jedoch von ven höhern Behörden beſchützt und entkamen. Die Mings, da- durch in die höchſte Wuth verfett, wiegelten jest mit Hülfe ihres Geldes die ganze Bevölferung ihres Diftricts auf, und jo entftand unter dem ſchon längſt geprüdten und gemishan- delten Volfe die Schantung-Revolution, die bald fo mächtig anwuchs, daß ihre Leiter die Herrfchaft darüber verloren und die zufammengelaufenen Scharen jett überall auf Raub, Mord und Plünderung auszogen und binnen einem halben Jahre faft die Hälfte der Provinz Schantung, einen Landjtrich fo groß wie Preußen, total verwüfteten. Man verficherie, daß die Zahl diefer Rebellen, die in drei Mbtheilungen umberzogen, fih auf 80000 belaufe, und nach den neueften Nachrichten jollte TZai-Ping-Wang infofern mit ihnen gemeinfchaftlihe Sache gemacht haben, daß er fie den Norden Chinas verwüſten liek, während er den Süden heimfuchte.

Jetzt rücten diefe verheerenden Truppen auf Chefu los. Seit acht Tagen verriethen die brennenden Dörfer, deren Feuerſchein während der Nacht ven weitlichen Horizont erleuch- tete, ihr Nahen; Laufende von Flüchtlingen, faft entblößt non: Nothwendigſten, famen in Chefu an und verfündeten die von den Rebellen begangenen Unmenfchlichfeiten. 15000 Mann ſtark zogen fie heran, meiften® zu Pferde, von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, mordeten, raubten und verbrannten, was fie nicht mitzufchleppen vermochten. Alle männlichen In: dividuen, die in ihre Hände fielen, und alle Weiber, die nicht ihre thierifchen Begierden ervegten, fielen unter ihren Streichen,

205

und jeder geplünderte Ort ging in Flammen auf. An 7. October abends fahen wir die Dörfer brennen, die nur zwei Meilen weftlich von Chefu liegen, und in letterer Stadt war die Angft und Beftürzung aufs höchſte geftiegen. Alles was fliehen konnte, floh; Tauſende und aber Tauſende ſchiff— ten fich mit dem Werthvolliten ihrer Habe auf Dfehonfen ein, und nur einige Tauſend der ärmſten Bewohner waren zurücgeblieben und hatten größtentheils innerhalb der franzö— fifchen Befeftigungen (Chefu ift als Garantie des letzten Ver: trages und bis zur Bezahlung der Kriegsfoften von den Franzoſen beſetzt) auf einer Fleinen Halbinfel am Hafen Schuß geſucht. Die fonft gedrängt vollen Straßen ver Stadt waren wie ausgeftorben, alle Läden gefchlojfen und nichts zu faufen. Es war ein trauriger Anbli, die armen Flüchtlinge zu jehen, wie fie von allen Seiten über die hohen Berge, welche Chefu umgeben, fich ermattet heranfchleppten, wie dort ein Süngling fein altes Mütterchen auf dem Rüden trug, over hier ein blinder Greis von feiner Tochter geleitet wurde, die, wie die meiſten Frauen mit ihren verfrüppelten Füßen, felbit nur mit der größten Bejchwerde über das rauhe Geftein zu gehen vermochte.

Diele Hunderte wurden mitleidig von den europäifchen Schiffen aufgenommen, auf die fih auch die Frauen und Kinder der am Orte befindlichen Europäer mit ihrer Habe flüchteten, während die Männer fich den Franzofen anfchloffen, die alle militärischen Anftalten zur Vertheidigung der Stadt getroffen hatten. Leider war ihre Zahl ſehr beſchränkt. Bon den beiden im Hafen liegenden Transpertfregatten waren nur 250 Mann disponibel. Zufällig traf noch am 6. October der franzöſiſche Admiral Brotet ein, um fich nach Tientfin zu be- geben. Er übernahm das Commando, fandte das Dampfichiff, welches ihn gebracht, fofort nach ven Tafuforts um Verftärfungen, und ſchon am 8, langten 150 Marinefoldaten und eine Bombarve

206

an, während zugleich das Linientransportfchiff Dryade von Schang-hae ankam und ebenfalls 100 Mann ausfchiffte, ſodaß die Franzoſen jest 550 Mann ftarf waren, freilich immer nur eine Hand voll Menjchen gegen 15000 Banbiten. Der Ad- miral reguirirte nun noch ein englifches Kanonenboot, das an der andern Seite des Hafens zur Bewachung der dort er- richteten englifchen Depots lag. Chefu liegt, wie ich bereits berichtet, in einem Thalfeffel am Meere und wird in Süd, Dft und Welt von einem hohen Gebirgszuge umfchloffen. Man kann diefe Berge zwar auf fchmalen Fußpfaden an ver- Ichiedenen Stellen paſſiren, aber die große Handelsftraße, we nur eine Armee marjchiren kann, führt längs der Küfte über das fich hier jenfende und zu einem Plateau abflachende Ge- birge. Nahe diefem Wege wurden das englifche Dampffanonen- boot, die Bombarde und zwei mit Gejchüßen bewaffnete Bar- faffen der Fregatte poftirt.

Am 8. Detober mittags erfchien die Avantgarde der Rebellen, circa 2—3000 Mann ſtark, auf dem Plateau. Sie waren ſämmt— lich beritten, alle trugen rothe und blaue Schärpen und min- deftens jeder dritte Mann eine rothe Fahne. Wir lagen mit der Elbe (die Arkona war vor dem Peiho) etwa 3000 Schritt von diefer Hochebene entfernt und konnten mit unfern Fern— rohren alles genau betrachten. Es war ein höchſt malerifcher Anblick, diefe Truppe mit ihren bunten Coſtümen, mit ihren wehenden Schärpen und flatternden Fahnen. Faſt alle hatten weiße Pferde oder Maufthiere, und ihre Hauptbewaffnung be- ftand aus einer 12—14 Fuß langen Bambuslanze. Mehrere trugen auch Säbel und Beile, aber Feuerwaffen bemerften wir bei feinem. Nach einem Furzen Halt festen fie ſich in Marſch und. trabten dicht gedrängt den Berg hinab, auf Chefu 108. Sie waren jegt noch ungefähr 1000 Schritt von den Auferften Vorpoften der Franzofen entfernt, und wir er- warteten in ängftlicher Spannung jeden Augenblid den Be-

207

ginn des noch immer fehr zweifelhaften Gefechts, als ein Donner durch die Berge rollte. Ein bläuliher Rauchftreifen zifchte wie ein Meteor durch die Luft, und unmittelbar darauf fahen wir mitten im bichteften Haufen eine Exploſion jtatt- finder. Das englifche Kanonenboot Infolent Hatte mit jeltener Präcifion eine 68 pfündige Bombe in die Feinde geworfen. Die Wirfung war auferordentlih und für die Rebellen, die wahrfcheinlich in ihrem Yeben nie etwas Aehnliches ge- fehen, wahrhaft dämoniſch. Der furchtbarfte Schreden ſchien mit einem mal unter fie gefahren zu fein; im wildeften Durch- einander fprengten fie nach allen Richtungen hin; ein Theil der Pferde ging tur, die unfundigen Neiter flogen wie Mohnköpfe herab, und der Haupttroß ftob im Carriere die Anhöhe wieder hinan. Eine zweite Bombe faufte ihnen nad und jchlug mit den Kugeln der Barkaſſengeſchütze in ihre binterften Reiben; aber zu weitern Schüffen fam es nicht; ehe noch wieder geladen werben fonnte, war das Plateau rein gefegt, fein Pferd, Feine Schärpe oder Fahne war mehr zu erbliden. Chefu war gerettet, aber wo die Granate ge- jprungen war, ſah man einen Haufen von Pferden und Menſchen fich im Todeskampf in ihrem Blute wälzen; 11 Todte und 15 tödlich DVerwundete waren die Refultate. Diefe Warnung genügte, um die Rebellen von jedem weitern An- griff auf Chefu abzuhalten. Sie zogen fich ſüdwärts hinter dem Gebirge herum, und fehon am andern Abende fah man am Feuerfchein der bremmenden Dörfer, daß fie fich vier bis fünf Meilen öftlich von der Stadt befanden. Die Mandarine der Stadt hatten ebenfalls große militärifche Vorbereitungen machen laffen. Die Thore waren verbarrifadirt, Geſchütze aufgepflanzt und außerhalb der Stadt verfchievdene Lager von 2— 300 Mann Befasung mit einem wahren Arfenal aller möglihen und unmöglichen Waffen ausgerüftet. An prahlen- den Fahnen fehlte e8 ebenfo wenig, und die alten Runtenflinten

208

und Geſchütze aus dem 16. Ichrhundert knallten unaufhörlich Tag und Nacht, folange die Rebellen noch jenfeitS der Berge waren. Sobald aber am 7. October abends die unmittelbar Hinter ven Bergen gelegenen Dörfer brannten, war auch nicht einer der tapfern Helden in ven durch Wälle und Gräben ger ſchützten Lagern mehr zu finden. Alle hatten fich verfrochen, und erft nach der Entfernung des Feindes kehrten auch die muthigen Dertheidiger wieder.

Im Hafen lagen etwa 40 bis 50 große Dſchonken aus Kanton, Amoy und Ningpo. Diefe find jtets fehr ftarf bemannt und auch ziemlich gut bewaffnet. Die Mandarine waren am 8. morgens an Bord diefer Dichonfen gefahren und hatten deren Befatungen aufgefordert, die Garnifon der Stadt zu verftärfen, und zwar follte dies abwechjelnd, einmal von den Kwangtungleuten und das andere mal von denen aus Amoy und Ningpo geichehen. Diefe hatten fi) auch dazu bereit finden laffen, und die Kwangtungleute verrichteten zu- erst ihren Dienst, ganz fo wie es fich gehörte. Am 9. October famen die aus Ningpo an die Reihe. Diefe fpielten jedoch jelbjt die Rebellen, brachen in die Käufläden ein und vaubten was fie konnten. Auf das Gefchrei der Beraubten rüdte eine franzöfifche Patrouille zu Hülfe, e8 kam zum Gefechte, und ſechs der Maroveure blieben auf dem Plate, während 10—12 jchwer verwundet wurden, ohne daß die Franzoſen felbft den geringsten Verluſt erlitten. Sämmtliche Dſchonkenleute wurden infolge deſſen auf ihre Fahrzeuge zurücgewiefen und am Hafen eine Poftenfette mit dem Befehl aufgeftellt, auf jedes chineſiſche Boot zu ſchießen, das an einer andern als der bejtimmten Stelle landen würde.

Am 12. Detober unternahmen die Franzofen mit 400 Mann und zwei Geſchützen eine Necognofeirung nach Weften, die fih 4 Meilen weit erftredte. Sie fanden feine Spur von den Rebellen mehr, wol aber genug Zeichen der von ihnen

209

verübten Scheußlichkeiten. Die Kleinen Teiche, welche fich zur Bewäſſerung der Felder bei jedem Dorfe befinden, waren mit Leichen von Frauen und Kindern angefüllt, denen man Brüſte und Hälfe abgefchnitten. Die Männer, welche jich geweigert, ven Rebellen zu folgen, waren niedergehauen oder, wenn fie Widerſtand geleijtet, auf graufame Weife zu Tote gemartert worden. So fand man in einem Haufe fünf Chinejen mit den hinter dem Rüden zufammengebundenen Daumen an ven Dachbalfen aufgehängt und durch unter ihnen ange: machtes Feuer gebraten. Es documentirten fich bei diejer Gelegenheit jo vecht die Jchon früher von mir hervorgehobenen Züge des chinefifchen Charakters: Feigheit und raffinirte Grau- famfeit. Auch die Leichen zweier amerifanifcher Miffionare, Parfer und Holmes, die, freilich unflug genug und gegen den ausprüdlichen Befehl des franzöſiſchen Momirals, von Chefu aus den Rebellen entgegengeritten waren, um fie von weiterm Bordringen abzumahnen, wurden fjchredfich ver: jtümmelt und fajt verfohlt aufgefunden. Die Kaiferlichen machten e8 jedoch nicht im mindeften beſſer. Die die Necogno- ſcirung begleitenden Chinefen hatten in einem Dorfe zwei zurück— gebliebene verwundete Rebellen gefaßt, und ebenſo waren vier als Spione verbächtige Individuen in Chefu felbft ergriffen. Die beiden Rebellen begoß man von unten bis oben mit Del, legte fie auf eine Art Roft und briet fie bei lebendigem Leibe. Noch halb lebend hadte man fie allmählich in Stücke, bis zuleßt nur noch halbverfohlte blutige Fleiſchklumpen übrig waren. Zwei der Spione wurden auf ähnliche Weife zu Tode gemartert; die beiden andern, ein Greis von 70 Jahren und eine junge Frau, gelang es uns, die wir als Europäer damals Halbgötter waren, ihnen zu entreißen und fie dem franzöfifchen Conful zu übergeben, der, wie wir gleich voraus— gejett hatten, fie ganz unfchuldig fand und in Freiheit fekte.

Werner. I. 14

31.

Unterzeihnung des Handelsvertrags zwifchen Preußen und China; am 15. Auguft 1861. Ausdehnung defjelben auf den Zollverein, Med- lenburg und die Hanfeftädte. Große Bedeutung des BVertrags für Deutichlands Induſtrie, Handel und Schiffahrt. Die Coneurrenz mit England und Rußland. Der Begriff und die politiiche Macht des Welt- andels. Gründungsgefhichte der deutſchen Handelshäufer in Oftaften. Ihr bisheriges BVerhältnig zum Baterlande. Der Zollverein in Be— zug auf den öftlihen Verkehr. Die deutjchen Schiffe in den chineſiſchen Gewäſſern. Freude der deutfchen Kaufleute in China über den Abſchluß des Vertrags. Nothwendigfeit eines preußiichen Kriegsgefhmwaders in den Bftlichen Meeren. Der Koftenpunft und die Beihaffenheit der Schiffe. Der Neid der Engländer. Abreife nah Siam. Bereinigung des preußi- ihen Geſchwaders im December 1861 auf der Rhede von Bangfof.

Am 15. Auguft endlich wurde der preußifche Vertrag mit China vom Kaifer unterzeichnet, und zwar zwei Tage vor jeinem Tode; ein glücklicher Zufall, der uns wahrjcheinlich monatelanges Harren erfparte. Wenn es Graf Eulenburg troß aller Geduld und bewundernswerther Ausdauer in Japan nicht gelungen war, für ganz Deutjchland zu negociven, jo wurden feine Bemühungen in China von defto beveutenderm Erfolge gekrönt, und der Vertrag wurde im Namen Preußens nicht allein für den Zollverein, Mecklenburg und die Hanfes jtädte, jondern auch jo günftig abgefchloffen, wie nur irgend zu wünſchen war. Ganz abgejehen von den fonftigen werth- vollen Bejtimmungen des Tractats ift e8 überaus wichtig, daß die Zulafjung eines preußiſchen Gejandten in Peking von hineficher Seite bewilligt ift und wir demgemäß dieſelben

211

Rechte erhalten haben wie England, Frankreich und Rußland in dem vorjährigen Vertrage von Tientfin. Es ift alfo num Sache der Deutſchen, davon den bejtmöglichen Gebrauch zu machen. In der Cröffnung des Jang-tſe-kiang und der nordiſchen Häfen bieten fich für deutſche Induftrie und Handel jo günftige Chancen, wie es felten vorfommen dürfte, und ich fann nicht genug hervorheben, daß gerade die Deutjchen die größten PVortheile daraus ziehen können, weil fie bei deu Shinefen beliebter find als irgendeine andere Nation.

Es ift ganz eigenthümlich, daß wir in Deutfchland die beiden Hauptproducte Chinas, Seide und Thee, nicht direct, fondern über England beziehen. Von Schang=hae werden jährlich 80000 Ballen Seide erportirt, davon gehen 60000 nach England, und von diefen fommt ein Drittheil auf Deutfch- fand. Alle diefe Seide macht nicht den Seeweg, ſondern geht über Land durch Deutjchland nach England, um von dort wieder zurücdzufehren und Gott weiß wie Hoch verſteuert zu werden! Nur ein einziges deutfches Haus in Schang=hae macht in Seide mit Deutjchland directe Gejchäfte, führt jedoch nur 4000 Ballen, alfo immer nur ein Fünftel des Bedarfs aus, während dieſer Bedarf- fich bedeutend fteigern würde, wenn die Seide nicht zum größten Theil ihren Weg nad England nähme in ähnliches DVerhältnig herrſcht beim Thee, von dem Hamburg allein eine geringe Quantität direct importirt, während wir das Hauptquantum über England und Rußland beziehen. Wenn wir mit den Engländern in ber Baummwollenmanufactur concurriren fönnten, würde fich für unfere Shirtings und alicots im Norden des chinefischen Reichs ein unbegrenzter Abfat eröffnen. Während im Süden der Chinefe fih die Baumwolle ſelbſt baut und feine dauer: hafte Kleidung davon weht, fommen die Bewohner der nörd— lichen Provinzen beſſer dabei weg, wenn fie europäiſche Shirtings kaufen, weil fie die Baumwolle aus dem Süden

14%

212

beziehen müſſen und diefe dadurch bedeutend vertheuert wird. Dies hat ſich fo recht feit der Eröffnung Tientſins gezeigt. Hier ift die Maſſe der Kaufleute aus den nördlichen Provinzen, und im Laufe des Sommers 1861 fanden ganz enorme Um- füge in Shirtings ftatt. So wurden 3. B. in einem Zeitraum von zehn Tagen 2830000 Stück verfauft, und ein einziger Shinefe Faufte in zwei Tagen 80000 Stück im Werthe von 400000 Thalern, und zwar gegen baare Bezahlung. Dies ift für den Kaufmann aber von großer Bedeutung. Er jchiet jein Schiff von England direct mit Calicots nach Zientfin, fett die Waare, wenn auch mit geringerm Gewinn, jofort in Geld um, geht damit nah Schang-hae und kauft Seide, die mit der Ueberlandpoft nach Haufe fommt, ſodaß er in einem Zeit- raum von fieben Monaten fein Kapital wiener in Händen hat.

Wenngleich wir wahrfcheinlich diefen Handel den Englän- bern in nächſter Zeit noch nicht entreißen können, fo follten wir uns doch in Bezug auf Seide und Thee von ihnen un- abhängig machen, und wir haben außerdem andere Fabrikate, in denen wir ihnen fchon jeßt erfolgreiche Concurrenz zu machen vermögen. Hierzu gehört namentlich Glas, dem fich in kurzer Zeit im Norden Chinas ein bedeutender Markt eröffnen dürfte, da die Bapierfenfter in den eifigen Wintern von 10 15 Grad Kälte fehr bald außer Gebrauch fommen werden. Ferner find Wollſtoffe ein Artikel, der ſchon gegenwärtig eine große Be— deutung hat, dem aber eine noch viel größere Zufunft bevor: fteht. Bisjett verforgt hauptfächlich Rußland China mit Wolle, und zwar über Kiachta. Wollten wir nur Wollſtoffe nach China bringen, um daran fpeciell einen bejtimmten Gewinn zu machen, fv könnten wir mit Rußland nicht concurriren. Lebteres gibt feine Manufacturen faft zum SKoftenpreife ab, aber e8 taufcht Thee dafür ein und macht deſto größern Gewinn. Ein bedeutender Theil diefes Thees findet feinen Weg nah Deutfchland. Weshalb alfo knüpfen wir nicht eine

213

directe Verbindung mit China an, emancipiren uns von Ruß— land und England, fteden den Profit jelbjt in die Taſche und bringen unfere Fabriken und unjere Rhederei in die Höhe? China gebraucht viel Wolle, und der Bedarf wird ſich jest nad) Eröffnung der nordifchen Häfen in ähnlichem Ver— hältniffe jteigern wie der des Shirting. Bisjekt fucht der nordifhe Bewohner fich gegen die ftrenge Kälte feines fünf- monatlihen Winters durch Pelze zu fchüten. Wenngleich diefelben wegen des nahen Kamtjchatfa und der Aleuten be- deutend billiger find als bei uns, fo ift der Preisunterjchied mit Wollfabrifaten doch jo groß, auch in drei Wintermonaten die Temperatur jo bejchaffen, dag die Chinefen jowol aus Geld- als aus Annehmlichfeitsrücfichten die billigern und Teich- tern Wollitoffe den theuern und ſchweren Pelzen vorziehen müffen, jobald ihnen nur hinreichende Quantitäten zugeführt werben. Dies kann aber nie auf dem bejchwerlichen Yand- wege über Kiachta gefchehen, und wenn wir es wie die Ruſſen machen wollen, d. h. unjere Wolle gegen Thee oder Seide umtaufchen, fo haben wir in wenigen Jahren ven ganzen Wollhandel in unfern Händen. Es gibt zwar Schafe genug im Norden Chinas, aber die Chinejen verjtehen nicht, Wollftoffe zu fabriziven und lafjen fich in ihrer eingebildeten Arroganz auch nicht darüber belehren. Sie reinigen die Wolle weder vor noch nach der Schur umd erzielen daher nur ein verhält- nißmäßig werthlojes Product, das fie zu feinern Geweben gar nicht gebrauchen Fünnen, und aus dem fie nur groben Filz zu ihren Hüten, Schuhen, Pferdeveden u. ſ. w. bereiten. Das Schaf foftet in ZTientfin nur 1Y%,—2 Thaler. Weider land und Stallfütterung ift vorhanden, und Schafzlichterei und Wollproduction im Lande felbft müßte den reichlichften Ge— winn abwerfen, fobald man damit beginnen würde. Ueberhaupt handelt e8 fich nur darum, daß intelligente und unternehmende Rapitaliften ven Weg bahnen, um Deutjch-

214

land jest, wo es Rechte bejitt und fih darauf ſtützen kann, von der zweiten commerziellen Nangitufe, die e8 durch eigene Kraft feiner wenigen Senplinge ſchon unter den ungünftigiten Umſtänden fich erobert, in wenigen Jahren auf die erjte zu erheben. Mögen Neid und Misgunft der preußifchen Expe- ditton nah Dftafien Motive unterlegen welche fie wollen, mögen engherziger Particularismus und Kleinſtaaterei nur ein unfruchtbares Großthun Preußens und ein Hafchen nad) Po— pularität darin erbliden: man wird nie die Thatſache fort- leugnen können, daß Preußen durch feine Expedition dem ge- meinjamen Baterlande und dejjen Handel einen fehr großen Dienjt geleiftet hat. Dies kann insbefondere derjenige voll— fommen ermefjen, der die Expedition mitgemacht, der ihren Eindruf beobachtet und namentlich die Hier draußen an- jäffigen deutfchen Kaufleute gehört hat, die wol allein ein competentes Urtheil darüber befigen. Nur auf diefe Anfichten fann etwas gegeben werden, nicht aber auf das bejchränfte Urtheil engherziger Politifer und Krämer, deren Horizont nicht über die Grenze ihrer Vaterſtadt hinausreicht, und die weiter feine Idee vom Welthandel haben, als daß fie wiſſen, es kommt Kaffee aus Java, Seide und Thee aus China.

Den Begriff des Welthandels kann man überhaupt nur bier draußen in China und Oftindien kennen lernen. Hier nur lernt man verjtehen, daß dasjenige Volf, welches ihn in Händen hat, auch das mächtigjte Volf der Erde fein muß, und daß Millionen Soldaten eines Militärjtaates nicht im Stande find, ein Land auf die Dauer zu unterjochen, das fich auf die gewaltige moralifhe Macht jtüßt, die ihm eine hervorragende Stellung im Welthandel verfchafft. Darin be- ruht das ganze Geheimniß von Englands Stärfe, von der Energie, der Ausdauer und dem Selbftvertrauen feines Bolfes; es ſtützt fich auf die moralifhe Macht, die ihm

215

fein großartiger Handel in der ganzen Welt und namentlich in Indien und China gibt.

Wir Deutjche haben es in der Hand, wenn nicht England diefe Stellung zu entreigen, jo doch mit ihm darum zu ringen. Gerade jeßt treffen jo viele günftige Bedingungen für dieſen Kampf zufammen, wie es fich jelten wieder eveignen dürfte. Die Eröffnung des chinefiichen Reichs mit einer confumirenden Bevölkerung von 360 Millionen Menschen, unfere Verträge mit ihm, mit Japan und Siam dies find Momente, die, richtig benugt, die glücklichjten Chancen für unfere ganze handels— politiiche Zufunft bieten. Ich habe bereits früher bemerkt, daß der Handel der Deutfchen, oder vielmehr, um nicht mis- verftanden zu werden, daß die deutjchen Kaufleute in China die zweite Nangjtufe einnehmen, jowie daß die deutjche Schiffahrt an den dortigen Küften jede andere verdrängt hat. So erfreulih die Thatfache auch für jeden Deutjchen fein muß, jo bleibt fie doch für unjer gemeinfames Vaterland von geringerer Bedeutung, als man danach anzunehmen ge- neigt fein dürfte. Cs fehlt eine Hauptbedingung dabei: die Geſchäfte der hiefigen deutjchen Kaufleute ftehen nicht mit Deutfchland in jo engem Zufammenhange, wie 3. B. die der engliichen Häufer mit England. Die meijten englifchen Häufer in China find Commanditen oder Filiale großer Firmen in London, Liverpool oder Manchefter. Sie erhalten ihre Waare von England, fegen fie gegen chinefiiche Producte um, und ichiefen diefe direct an ihre Stammhänfer wieder ab. Anders ijt dies mit den Deutjchen. Seit 15 20 Jahren gingen junge unternehmende Kaufleute, aber pdurchichnittlich ohne anderes Kapital als geiftiges, nach Dftindien und China. Anfänglich lockte fie wol Hauptjächlich das hohe Salair, das in großen englifchen Häufern für einen brauchbaren Commis 3— 4000 Thaler beträgt. Im diefen Stellungen verblieben fie einige Jahre, erwarben fich durch Kleinere, von ihren

216

Prineipalen geftattete Nebengefchäfte einiges Vermögen, lernten die dortigen Berhältniffe fennen und benukten fie, um fich jpäter felbjt zu etabliren. Auf dieſe Weife entftanden faft alfe deutfche Häufer in China. Ihre Begründer fingen fozu- jagen mit nichts an, arbeiteten fich allmählich in die Höhe und erwarben ſich durch angeftrengten Fleiß und kaufmän— nijche Tüchtigfeit die ehrenvolle Stellung und die Anerkennung, die fie jetzt alljeitig genießen. Hierüber mußten natürlichermeife Jahre vergehen, die aber ebenſo nothwendig ihre Verbindung mit dem Vaterlande Ioderten; theils fannten fie in ihrer neuen Heimat nur Nichtveutfche, theils waren fie, um weiter zu fommen, auf den Credit und die Unterftütung der Fremden angewiejen, während fie von Deutjchland weder das eine noch das andere zu erwarten hatten. So erwuchfen deutſche Häufer, aber faft nur dem Namen nach, ihre Gefchäfte waren hauptfäch- (ich englifch, und wenn feit einigen Jahren die größern Firmen directe Verbindungen mit Deutfchland anfnüpften, jo gefchah dies einmal nur in befchränftem Maßſtabe und ſodann auch) nur mit Hamburg oder Bremen. Soll aber Deutfchland in dem hiefigen Handel einen Rang einnehmen, jo müfjen jeine Kaufleute es machen wie die Engländer. Große deutfche Häufer müffen hier Commanditen mit bedeutendem Kapitale errichten und durch fie einen directen Austaufch der gegenfei- tigen Producte beider Länder bewerfftelligen. Wir haben Glas, Wolle, Spirituofen und taufend andere Induftriegegen- jtände, gegen die wir Seide und Thee empfangen und in denen wir mit allen Nationen concurriren fünnen. Nur in der Baummollenmanufactur find uns die Engländer voraus. Woran liegt dies aber? Iſt e8 nicht unfere eigene Schuld, und fünnten wir nicht, wenn nur der Wille da. wäre, die Sachen ebenfo billig und noch billiger herftellen als die Eng- länder? Was wir an Baummollenfracht von Amerika mehr bezahlen als die Engländer, das gleicht der geringere Ar-

217

beitslohn bei uns reichlich wieder aus. Haben die Engländer Steinfohlen, jo befiten wir diefe ebenfalls und außerdem noch billige Braunfohle. Es fann alfo entweder nur in ber minder guten Bejchaffenheit unferer Mafchinen oder an den Zöllen liegen, die uns Hinderlich find, und das eine wie Das andere läßt fich ja ändern. Concurrirt doch die Schweiz in Baum- wollenmanufactur mit England, warum follten wir e8 nicht, die wir umfere Baummolle fowol aus Aegypten als aus Amerifa auf viel fürzerm und wohlfeilerm Wege erhalten! Ungeachtet unferer jetigen politifchen Zerfplitterung haben wir doch in dem Zollverein eine Körperfchaft, die tro& aller particulariftiichen Beftrebungen in irgendeiner Form beftehen muß und ſich von Jahr zu Jahr mehr entwicdeln und confo- lidiren wird. Diefer Körperfchaft jtehen Mittel und Wege zu Gebote wie feinem Kapitaliften, mag er auch der reichfte, intelfigentefte und unternehmenpfte fein. Es ift Sache des Zollvereins, die Urjachen zu erforfchen, die der Entwicelung unferer Baumwollenmanufactur hemmend entgegentreten; er fann die Befeitigung beſchwerender Zölle veranlaffen und in- ternationale Gejete herbeiführen, die ihren Auffchwung und ihre Vervollkommnung erleichtern; er kann Kapitaliften in der Gründung großartiger Spinnereien, wie fie England oder die Schweiz befitt, unterjtügen. Die Aufgabe des Zollvereins ift e8, jich mit den öftlichen Verhältniffen vertraut zu machen, mit den Deutjchen in China directe Verbindungen anzufmüpfen oder ihnen in ihren Speculationen wenigjtens eine moralische Unterftügung zu leihen. Der Herftellung einer folchen Verbin- - dung, der Gründung von Commanditen bedeutender deutfcher Häufer, wird unfehlbar eine ungeahnte Entwickelung unfers Handels, ein Auffchwung unferer Fabriken und unferer Schiff- fahrt folgen. Zu den 200 veutfchen Schiffen, die jett ſchon den chinefischen Küftenhandel betreiben, würden fich ebenfo viele gejellen, um den directen Handel mit Deutfchland zu vermitteln,

215

und eine natürliche Folge würde die Hebung des Wohljtandes fein. Die armen Weber in Schlefien würden nicht mehr am Hungertyphus jterben, wenn wir jährlich um einige Millionen mehr Shirting producirten, und wie unfere Induftrie bereits jede fremde aus Südamerika verdrängt und die Ausfuhr des Zoll- vereing nach Nordamerika jeit 1347 von 1 Million Dollars auf 20 Millionen gejtiegen ift, wirde man daffelbe mit Gemwißheit auf Erfolg auch in China verfuchen Fünnen.

Nur auf Eins fann ich hierbei nicht unterlaffen Hinzumeifen. Wenn die deutjche Induftrie in China eine Abfagquelle finden will, fo muß fie veelf fein. An dem Mangel diefer Eigen- fehaft fcheiterten bisher ihre meiſten Verſuche, in China mit den Engländern zu concurriven. Die Engländer fchieen gute Probewaaren, der Chinefe jteht jie, fie gefallen ihm, und er bejtellt jahraus jahrein Taufende von Ballen, ohne fie beim Kauf auch nur anzufehen. Er fchaut nur, ob die richtige Marke darauf ift, dann weiß er, daß auch die darin enthaltene Waare gut ift. Darin liegt das Geheimniß der commerziellen Uebermacht Englands. Die Engländer find, mögen fie uns in vielen Dingen auch nicht zufagen, im Handel rveell, das weiß jeder, der mit ihnen zu thun hat, und darum fauft jeder von ihnen lieber, wenn er auch theurer bezahlen muß; er be- fommt doch etwas Gutes für fein Geld. Will man in Deutfch- land ſelbſt fih mit Schund begnügen, jo follte man doch dafür forgen, daß nur gute oder wenigjtens probemäßige Waaren ins Ausland verfandt werden; denn darüber hört man ſtets Flagen, daß nicht probemäßig geliefert wird. Ent— weder ift das Fabrifat fchlechter oder die Dimenfienen find nicht die beftimmten. Man glaubt vielleicht nicht, welcher enorme Schaden dem gefammten VBaterlande durch die Ge- wifjenlofigfeit mancher Erporteure erwächft, aber e8 gehen viele Millionen dadurch verloren. Man erfährt jo etwas nur im Auslande, und e8 kann daher den betreffenden Behörden nicht

219

dringend genug ans Herz gelegt werden, daß fie das Ihrige thun, um Deutjchlands Induſtrie vor dem Miscredit zu be- wahren, dem fie mit ſchnellen Schritten zueilt. Wenn viel- leicht auch eine Controle in dieſer Beziehung unmöglich ift, fo Haben die Handelsfammern und fonjtige commerzielfe Körperfhaften gewiß Mittel an der Hand, um dem Uebel entgegenzuarbeiten.

Unter den vielen deutſchen Schiffen, welche die Küſten von China befahren und eine lohnende Beſchäftigung finden, find leider preußifche am wenigften vertreten; während Hamburg ein Contingent von einigen 90 jtellt, und Bremen, Oldenburg, Hannover und Medlenburg über 100 Schiffe hier draußen haben, fanden wir in der ganzen Zeit unfers Aufenthalts nur drei bis vier Preußen. Und doch kann den preußifchen Rhedern nicht genug empfohlen werden, ihre Schiffe hier herauszujchiden, da, wie ich ſchon erwähnte, die Deutjchen bei den Chinefen in fo gutem Credit jtehen, daß fie jtets Srachten finden, und nicht allein jehr gut, ſondern beifer be- zahlt werden als alle andern Nationen.

Die großen Seedfchonfen, welche früher ven chinefifchen Küftenhandel vermittelten, Inden 5— 6000 Pikul, nach unferer Rechnung 250—300 Tonnen, und die chinefifhen Kaufleute haben fich ſeit undenflicher Zeit fo an diefe Maße gewöhnt, daß jie nur Schiffe mit der erwähnten Tragfähigkeit befrachten. Europäifche Fahrzeuge von diefer Tonnenzahl finden ſtets Be— Ihäftigung, wenn ihr Tiefgang nicht LO— 11 Fuß überfteigt, um in alle Keinen Hafenpläge einlaufen zu fünnen. Briggs oder dreimaftige Schooner find für dieſe Küften die bequemiften und vortheilhafteſten Schiffe und bezahlen fich amı beiten. Ein folches Fahrzeng von 250 300 Tonnen Gehalt, das ein Anlagefapital von 25— 30000 Thalern mit voller Aus- rüftung für zwei Jahre erfordert, kann im Durchfchnitt ftets auf eine jährliche Fracht von 12—15000 Dollars oder 18—

220

22000 Thaler rechnen. Faſt alle deutſche Schiffe in China fahren in Monats-Charter, und zwar zum großen Theile für chinefifche Kaufleute das ganze Jahr hindurch. Diefelbe be- trägt im Durchſchnitt für Schiffe von 300 Tonnen 1300 Dol- fars oder 2000 Thaler. Die jährlichen Unterhaltungsfoften, einschließlich Affecuranz, Hafen-, Lootſengelder u. ſ. w., belaufen fih auf 10—12000 Thaler, ſodaß auf 12—15000 Thaler reinen Ueberfchuß, alfe auf 50 Procent des Anlagefapitals gerechnet werden darf. Sch habe hierbei nur die gewöhnlichen Srachten in Betracht gezogen und das Maximum der Unkoſten angenommen, um zu zeigen, worauf Rheder, die hier Schiffe herausfchieten, mit Beftimmtheit rechnen fönnen; e8 kommen jedoch auch Zeiten, und vie lekten drei Jahre waren faft durchgängig folche, wo Schiffe von 300 Tonnen ſich in einem Sahre frei verdient und 25—30000 Dollars Fracht gemacht haben.

Nach dem Abſchluß unfers Vertrages begab ſich Graf Eulenburg mit dem Gelandtjchaftsperfonal auf vier Wochen nach Peking, um, einer Einladung des franzöfifchen Gefandten zufolge, fich dort von dem in Tientjin geführten triften Leben zu erholen. Die Arkona blieb während dieſer Zeit vor dem Peiho, und wir blieben in Chefu.

Am 14. October traf die Arkona mit der Gefandtjchaft in Chefu ein, um nach Nangafafi zu gehen, wo Graf Eu— (enburg noch einige Wochen verweilen wollte, ehe er fich über Hongkong nad) Siam begab, da er mit Rückſicht auf das Klima erft Anfang December in Bangkok anzulangen beabfichtigte. Uns hinderten einige Feine Reparaturen, der Arfona ſo— gleich zu folgen, und wir erhielten deshalb Ordre, direct nach— Hongkong zu fegeln, wohin wiv am 16. Detober abgingen. Auf der Strede von Chefu nah Cap Schantung, circa 18 Meilen, hatten wir ftets mit Windftillen zu kämpfen und gebrauchten dazu nicht weniger als drei Tage. So unange-

221

nehm uns dies anfangs war, erwies es fich fpäter als ein großes Glück, indem wir dadurch verhindert wurden, in einen Teufun zu laufen, der am 19. October mit furchtbarer Wuth 100 Meilen ſüdlich von Cap Schantung wüthete, und in dem nicht weniger als fünf deutſche Schiffe total verloren gingen. Am 25. October trafen wir in Hongkong ein, und am 11. November langte auch die Arkona mit Graf Eulen— burg dort an.

Die Aufnahme des Gefandten von feiten der deutjchen Kauflente in Hongkong war eine ungemein ehrende und glän- zende, und wenn man fie als Kriterium für die Leiftungen des Grafen betrachtet, wie man e8 darf, jo wird der Werth des Vertrags, der die Deutfchen jegt in China den meiftbe- günftigtjten Nationen gleichjtellt, von dieſen in feiner ganzen Bedeutung gefhätt und aufgefaßt. Die Feftlichfeiten nahmen fein Ende, und mit Verwunderung fahen die Engländer in Hongkong zum erften mal, daß die Deutfchen als folche auf- traten und fich als zu einer großen Nation gehörig betrach- teten. Außer den vorübergehenden Chrenbezeigungen fuchten die Kaufleute dem Grafen Eulenburg auch auf andere Weife ihren Danf für feine ausdauernde Gefchielichfeit beim Ab— Ihluß des Vertrags tarzubringen, indem fie ihm als Aner- fennung für feine Berdienfte einen filbernen Tafelauffat im Werthe von 3000 Thalern überreichten. Daß e8 aber feiner Um- ſicht und Beharrlichfeit gelungen ift, ven Tractat auch auf die Hanfeftädte und Mecklenburg auszudehnen, hat nicht wenig dazu beigetragen, die Deutfchen in China, won denen minde- ftens 7/, Nichtpreußen find, fehr für die preußifche Regierung einzunehmen. Während noch vor einem Jahre die Expedition mit Mistrauen betrachtet wurde, indem man ihr fpecifiich preußifche Zwecke unterlegte, und dies Gefühl, wenn auch uns gerechtfertigt, durch den einfeitigen Vertrag mit Japan nicht gemildert war, hat der chinefifche Vertrag fo klar die deutſche

222

Geſinnung und Uneigennügigfeit dev preußifchen Regierung ge- zeigt, daß alle Vorurtheile geſchwunden find, und man jekt auch in China auf Preußen als auf eine Macht blickt, welche berufen ift, Deutjchland nach außen zu vertreten. Ebenſo angenehm wurde es empfunden, daß der Vertrag bereit8 am 1. Juni 1862 in Rraft treten follte, da man leicht begreifen wird, wie willfommen es den Deutjchen fein mußte, jo bald mit Engländern, Franzofen und Ruſſen auf gleichen Fuß zu fommen und in gleiche Rechte zu treten, während fie bis- her nur geduldet waren. Cs bleibt immer ehrenvoll für unfere Kaufleute und zeugt von der innern Kraft der deut— Ihen Nation, daß es ihnen troß jo vieler Schwierigkeiten gelungen ift, fich in einem Zeitraume von kaum zwanzig Jah— ven zu einer jo beveutenden Stellung emporzuarbeiten, wie fie dieje anerkannt in China einnehmen. Wenn ihnen aber der Mangel eines Tractats eine Schranfe 309, die fie nicht wohl überwinden fonnten, jo ſteht ihnen jett das Feld offen, und mit nur einiger Unterftüsung vom Vaterlande kann es nicht lange dauern, daß fie den Kampf um die commterzielle Dber- herrichaft mit ven Engländern beginnen, der einzigen Nation, der wir in China noch nachitehen. In welcher rüdhaltslofen Weife man die uneigennütigen Abfichten Preußens anerkannte, geht am veutlichiten aus der Thatfache hervor, daß man fich bereits vollftändig mit dem Gedanfen vertraut gemacht hatte, fortan den preußifchen Gefandten in China als den diploma— tifchen Vertreter ganz Deutjchlands anzufehen, und ebenjo fand man es natürlich, daß dann auch ſämmtliche Confuln der kleinern deutfchen Staaten in den chinefifchen Häfen ihre Flaggen ein- ziehen und fich alle Deutfche unter den Schuß der preußifchen begeben würden.

Abgefehen von allem andern zeugt e8 wenigftens von einem praftifhen Sinn der Deutfchen in China, daß fie fich freiwillig unter Preußen als unter die einzige deutſche Macht ftellen

225

wollen, von der fie im Falle der Noth wirflih Schub und Hülfe erwarten fünnen. Kommt man in einen ausländifchen Hafen, da fieht man alle möglichen Flaggen auf den deutſchen Sonfufaten wehen. Das macht fich unftreitig vecht hübſch, aber das iſt auch leider alles, was man davon jagen faın. Bei ciotlifirten Nationen mag eine folche Flagge immerhin etwas zu beventen haben, und ein Conful, mag er Hannover oder Oldenburg angehören, bleibt dort immer eine Perfon, deren gerechtfertigte Borftellungen man in Rückſicht auf internationale Höflichfeit wenigſtens nicht iguorirt. Hier in China aber hatte vor dem Bertrage ein deutſcher Conſul geradezu weiter fein Recht als das, auf feinem Hanfe oder Hofe feine Flagge auf- zubiffen. Handelte es fich un irgendeine Differenz mit der chinefifchen Regierung, ja wollte ein deutſcher Conſul auch nur 3. B. einen Matroſen beftrafen, ver fich unter feiner Flagge eines Vergehens ſchuldig gemacht, fo war er gezwungen, Hülfe und Schuß bei Engländern und Franzofen zu fuchen und fich außerdem noch demüthigenden oder verletenden Bemerkungen von feiten dieſer ausſetzen.

Das ganze deutiche Conſulatsweſen war alfo bei Licht bejehen eine Löcherlichfeit und Spielerei, ohne ven geringften Nutzen für den Handel, um defjentwillen e8 doch eigentlich nur bejteht. Dies einzufehen find die Deutfchen in China vers nünftig genug gewejen, und fie find zu gute Kaufleute, um zu verfennen, dag fie als Angehörige eines großen mächtigen Staats ganz anders daſtehen wie als geduldete ſchutz⸗- und rechtloſe Unterthanen eines kleinen Fürftenthums.

Hierbei ift jedoch eine conditio sine qua non. An die Refidenz eines preußiſchen Diplomaten muß fich gleichzeitig die Stationirung eines preußifchen Gefchwaders in den chi— nefifchen Gewäſſern fnüpfen, ja dies ift der chinefifchen Regie— rung gegenüber jogar bedingt. Kin Gefandter oder Conful ohne Kanonen hat in China ziemlich dieſelbe Bedeutung

224

wie in Haiti, und das Erfcheinen von Kriegsfchiffen in irgend- einem chineſiſchen Hufen, wo ein Streitfall entjtanden, ijt ein Argument, deffen praftiiher Werth von den Mandarinen nie unterfchätt wird. Don der Nothwendigfeit einer phhfifchen Macht hier draußen muß jeder überzeugt fein, der die Ver— hältniffe in China fennen gelernt, und jeden Augenblick bieten fih fchlagende Beweife dafür. Während unferer letzten An- wefenheit in Hongkong ereignete fich ein folcher Vorfall, ven ih als Illuſtration hier anführen will. In dem von mir erwähnten Teufun am 19. October jtrandeten unter andern an der formofanifchen Küfte ein englifches und ein mecklen— burger Schiff, Graf Arthur Bernftorff. Beide Schiffe Hätten noch gerettet, oder wenigftens ein großer Theil ihrer Ladung und ihres Inventars hätte geborgen werden können, wenn ihnen von den Yandesbewohnern Hülfe geworden wäre. Statt deffen-beraubten diefe die Schiffe, und was von den Mann- Ichaften nicht feinen Tod in den Wellen gefunden, wurde von den Piraten ermordet. Bon beiden Schiffen entfamen nur fünf Mann und fangten nach vielen Fährlichkeiten in Hong— fong am. Sobald ver englifche nautiſche Stationschef die Nach— richt erhielt, beorderte er fofort drei Ranonenboote nach dem Drte des Verbrechens, da große Schiffe in die flachen. for- mofanifchen Häfen nicht Hineinfönnen. Die Kanonenboote liefen bis nahe unter die Piratendörfer, bombardirten und nahmen fie, machten ihre Mandarine zu Gefangenen und zwangen fie nicht nur zur Herausgabe des geraubten Gutes, fondern auch zur Bezahlung von 30000 Dollars Entſchädi— gung. Dieſe ſummariſche Yuftiz ift die einzig richtige und nothwendige in Ländern wie Formofa, die nominell unter chinefiicher Herrfchaft ftehen, aber aus der Piraterie ein Ger Ihäft machen. Sie ift das wirffamfte Mittel, um den dor- tigen Seeräubern Achtung vor den europäifchen Flaggen ein- zuflößen und ihrem gefeßlofen Treiben ein Ziel zu ſetzen

225

während den Beraubten gleichzeitig zu ihrem echte geholfen wird. Die Umgegend von Formoſa, die von Hunderten deut— jher Schiffe befahren wird, iſt die geführlichite Gegend des hinefifchen Meeres, weil fie beim Wechfel des Monſuns regelmäßig von Teufunen heimgejucht wird, in denen faft immer Schiffe verloren gehen. Im Jahre 1861 fcheiterten jieben deutjche Fahrzeuge an den Küſten der Inſel, aber nie- mand kümmerte fih um ihr Schidfal, niemand forderte von den Piraten Rechenſchaft für die ermordeten und in Sklaverei gehaltenen Mannjchaften oder Herausgabe des Raubes. Während die englifchen Eigenthümer ihre Verluſte erſetzt er- halten, müfjen die deutſchen Rheder die ihrigen verfchmerzen. Selbft wenn der preußifche Geſchwadercommandant geneigt oder autorifirt gewejen wäre, in dem erwähnten Falle mit dem meclenburger Schiff das Berfahren Englands zu adop- tiven, würde ev nicht im Stande dazu geweſen fein. Unfere Schiffe waren zu groß und fonnten nicht in die formojani- ſchen Häfen einlaufen, die nur S—10 Fuß Tiefe haben. Daffelbe gilt won vielen Eleinern Häfen an ver chinefischen Küſte, wo überall noch gewerbmäßige Piraterie getrieben wird, und es ijt daher dringend erforderlich, daß neben ein oder zwei größern Schiffen einige größere Stanonenboote bier ihre Station erhalten, die preußische Flagge befannt machen und in Fällen wie der obenerwähnte jofort Juſtiz üben können. Dei dem Brande der europäiſchen Factoreien in Canton im Jahre 1857 wurden auch die Yager und das Eigenthum von vier deutjchen Häufern zerſtört. Engländer und Franzo- jen befamen Ende 1861 eine Entſchädigung für ihre VBerlufte, und zwar mit dem hier üblichen Zinfenfat von 12 Procent für die verfloffenen vier Jahre. - Wer entjchädigt die Deut- hen? Was gibt Engländern und Franzofen im Auslande das große Selbjtvertrauen und den von uns beneideten Na- tionalftolz anders als das Bewußtfein: Div darf fein Unrecht Werner. II. 15

226

gefchehen, und du Haft dein Land hinter dir! Laßt die Deut- Ichen dies Bewußtfein haben, und wir werden bald fehen, daß jie ihre Köpfe ebenfo hoch tragen wie die Engländer.

Dazu gehört aber eine Flotte und hier in China fpeciell eine perinanente Station von Kriegsfchiffen. Ohne ein folches Geſchwader, das überall Nefpect vor ven deutſchen Flaggen einflößt, ift ver Vertrag eine Illuſion, während er andererjeits „das Mittel fein wird, unferm Handel zu einer ungeahnten Entwidelung zu verhelfen. Wo es fich um fo große Intereffen handelt, wie fie allein in der deutſchen Rhederei an den chi- nefifchen Küften vertreten find, kaun der Koftenpunft nicht in Betracht fommen und gewiß würden Hamburg und Bremen, die allein über hundert Schiffe hier befchäftigen, bereitwillig ihre Quote dazu geben. Ueberdies find die Koften auch gar nicht jo beträchtlich. Die Unterhaltung eines ausreichenden Geſchwaders erfordert jährlich kaum 250000 Thaler, denn da Preußen das Recht bejitt, feinen Kohlenvorrath aus Japan zu entnehmen, wo die Kohlen nicht mehr als in England ſelbſt foften, jo fällt der Hauptpunft fort, der Dampfichiffe hier draußen jo vertheitert, weil fte für die Tonne engliſcher Kohlen 20—25 Thaler bezahlen müſſen.

Was find aber 250000 Thaler gegen die vielen Millionen deutſchen Kapitals, die jest unbeſchützt in den chinefifchen Meeren umherſchwimmen? Wie verfchwindend erfcheinen fie gegen den Nugen, den fie indirect ftiften, wenn unfer Handel fich hier ungeftört entwideln fanın? Würde e8 nicht Hun- derte von Millionen aufwiegen, wenn Deutfchland im Laufe der Jahre die erfte Handelsmacht in Oftafien wird wie fich gar nicht bezweifeln läßt, wenn die Sache richtig gehandhabt und namentlich von den heimischen Regierungen gefördert wird? Eine Marine fojtet Geld, fo viel, daß das Hfonomifche Deutjchland fich mit der Höhe des Betrages eine Zeit lang nur fchwer wird ausfühnen fünnen, aber ohne Marine gebe

227

man alle Gevanfen an Großmacht und Theilnahme am Welt- handel auf. In China wird uns eine Marine dazu verhelfen, die erjte Rolle zu fpielen, und dann find ihre Kojten ein an- gelegtes Kapital, das unerhörte Zinfen abwirft. Weshalb fprigen die englifchen Blätter den Geifer ihrer Beleidigungen auf das fich in Deutfchland Fund gebende Beitreben zur Schaf- fung einer Marine? Es ift nicht die Furcht, daß Deutſchland England zur See befriege, fondern die wohlbewußte und wohl- begründete Beſorgniß, daß wir ihm fein Handelsmenopol entreißen oder wenigftens mit ihm darum ringen. Der chi— nefifche Handel ift für England der emmträglichite, den es befigt, und wir verlegen e8 auf das empfindlichite, wenn wir hier als Concurrenten auftreten und, nachdem wir bereits die ganze Küftenfchifffahrt an uns geriffen, mit Energie auch hier unfern Theil am Welthandel fordern was wir mit einer Marine leicht vermögen, ohne eine jolche nicht im Stande find!

Am 24. November ging Graf Eulenburg nah Kanton, um dem PVicefönig feine Aufwartung zu machen, und fehrte am 27. November zurüd. Am 30. Noventber fegelten wir mit der Elbe nah Siam und die Arfona mit der Gefandt- Ihaft am 4. December über Macao ebenfalls dahin. Unſere Reife war bis zum Golf von Siam eine äußerſt günftige, fte dauerte nur fünf Tage; im Golf felbft aber trafen wir Wind- ftilfe und Gegenwinde, ſodaß wir erjt am 11. December auf der Rhede von Bangkok zu Anker famen. Die Tahrt jelbit bot nichts Bemerfenswerthes dar, als daß der Golf von Siam von Seefchlangen wahrhaft wimmelte Wir ſahen Tauſende und Tauſende beim Schiff vorbeifchwimmen und untertauchen, jobald das Geräufch des Segelns fie aus ihrer Ruhe ftörte, Trotzdem gelang es uns, 13 zu fifchen, indem wir jie durch einen Schuß Pulver mit Sandladung betäubten und fie dann mit einem Nee fingen. Wir befamen fechs verſchiedene Ar- ten; die größte maß jedoch nur vier Fuß.

15*

228

Am 15. December traf auch die Arkona vor Bangfof ein; die Thetis war bereit$ feit drei Wochen hier und mithin das Gefhwader feit langer Zeit einmal wieder beifammen. Die Thetis hatte eine höchft angenehme und intereffante Reife ge- macht, während wir uns in dem fchredfichen Chefu und auf der Rhede von Tientjin fast jehs Monate lang bis zur Ver— zweiflung gelangweilt hatten. Sie war in Manila, Mindanao, Danjermaffing, Macafjar, Paſſuruan, Surabaya, Sama- vang, Batavia und Singapore gewefen und wir beneideten fie nicht wenig um diefe Tour nach den ſchönſten Pläten in ganz Indien.

Am 21. December fchiffte fih Graf Eulenburg auf einem ſiameſiſchen Dampfboote, einer im Lande felbjt erbauten Yacht des Premierminifters, nach Bangkok ein, und die Bertrags- verhandlungen nahmen ihren Anfang.

32.

Das Königreihd Siam, feine Länder, fein Waſſerſyſtem. Geſchichte des

Landes. Der Mainamfluß. Die fiamefiihen Feftungen. Die Stadt

Bangkok. Bauart der Häufer und Aermlichkeit ihrer Einrichtung. Eine

Dame von Stande. Die Bubdhatempel, ihre Ardhitekftonif, ihre Bradt,

ihre Götzen. Leben und Treiben der fiamefifhen Priefterichaft. Der

Todtendienft und die Leichenverbrennung. Das Todtenfeld der Armen. Unterricht und Bolfsbildung.

Mir mit ver Elbe blieben nur 14 Tage in Siam. Sch benugte diefe Zeit zu einer Reife nach Bangfof, und fie ge- nügte, um alles Wiffenswerthe zu erfahren, alles Merkwür— dige in der Stadt und Umgegend zu fehen uno damit nicht allein ein Fares Bild der Stadt und ihrer Bewohner zu ge- winnen, ſondern auch; des ganzen Pandes und Volks, da in der Hauptftadt fich das ganze Siam concentrirt und wider: jpiegelt.

Das Königreich Siam bejteht aus drei größern Reichen, dem eigentlichen Siam, deſſen alter Name Thai war, aus dem Laos und der Kambodſcha, welche beiden lettern erit in den legten Jahrhunderten unter die Botmäßigfeit von Siam famen. Siam begrenzt ven nördlichen, Yaos und Kambodſcha den djtlichen Theil des Golfs von Siam, während die Halb- infel Malakka die weftliche Küſte vefjelben bildet. Malakka ift unter eine große Zahl von Fürften vertheilt, über die der König von Siam ebenfalls eine wenn auch nur jehr zweifel- hafte Autorität beanfprucht. Die Grenzen des ganzen Reichs

230

erjtreden fich vom 4. bis 21.0 nördlicher Breite und vom 96. bis 102.0 öſtlicher Länge von Greenwich. Es zerfällt in 41 Provinzen, deren jede unter der Herrichaft eines Radſchah iteht, die namentlich im Laos und der Kambodſcha ziemlich jelbjtändig vegieren und Häufig mit ihrem Lehnsheren im offnen Kampfe liegen. Der alie Name von Siam, Muang Thai, das Königreich der Freien, paßt nicht recht zur feiner frühern Situation. Es war nämlich ein Zributarreih von China, und feine Könige erhalten noch jett ihre Beftätigung von ihrem „älteren Bruder’ in Peking, wenngleich dies eine leere Form ift, da China weder die Macht hat, den längft nicht mehr bezahlten Tribut zu erheben, noch die Beftätigung zu verweigern.

Die Gefchichte des Landes ift fehr unflar und für Euro- päer von wenig Intereffe. Im den Jahren 1662—80 fam e8 durch einen griechifchen Abenteurer einmal mit Frankreich in Berührung. Diefe Verbindung nahm jedoch fehr bald ein tragiiches Ende, und feitdem ift es bis vor 30 Jahren den Eu— ropäern ziemlich verjchloffen und unbekannt gewejen. Jener Abenteurer hieß Taucon, war von Candia gebürtig und auf irgendeine Weile nach Siam verfchlagen, wo es ihm gelang, fih zum Bertrauten und Premierminifter des Königs aufzu- Ihwingen und dadurch eine bedeutende Macht zu erlangeır. An diefe knüpfte er die hochfliegendften Pläne, beabfichtiyte jogar felbft ven Thron zu befteigen und Siam zu einem Ba- fallenreich von Frankreich zu machen. Auf feine Veranlaffung wurde eine ſiameſiſche Gefandtjchaft nah Paris gefchidt, und Ludwig XIV. ging auch mit großem Vergnügen auf Faucon’s Ideen ein, verdarb aber durch einen zu großen veligiöjen Eifer alles. Er ſandte Schiffe, Handwerker, Künftler, Sol- daten und Priefter, um das Land nicht allein zu franzöfiren, jondern auch ſofort hriftlich zu machen. Anfänglich nahmen die Siamefen die Fremden fehr wohl auf, und der franzöfifche

231

Einfluß begann Schnell Fuß zu fallen, folange Faucon die religiöjen Beftrebungen der Jeſuiten mäßigte. Ludwig XIV. war jedoch mit der langſamen Befehrung fehr unzufrieden und forderte peremtoriſch vom Könige, daß er fich taufen laſſen folle, widrigenfalls, ev ftrenge Maßregeln in Ausficht ftellte. Gleichzeitig wurde der König frank, und Faucon fuchte ihn mit Hülfe eines natürlichen Sohnes vefjelben vom Throne zu ftoßen. Dies gelang nicht, obwol der König wenige Tage nah Entdeckung des Complots jtarb. Den Siamefen gingen die Augen über die franzöfifchen Pläne auf; Faucon wurde als Landesverräther hingerichtet und die Franzofen aus dem Lande gejagt oder gleichfalls ermordet. So endete. diefer Verſuch, der mit erforderlicher Klugheit und Borjicht vielleicht in wenigen Jahren eins der fchönften Länder Aſiens unter Frankreichs Botmäßigfeit hätte bringen können. Es begann num eine antieuropäiſche Reaction. Seit dieſer Zeit hörte man aus Siam von weiter nichts als von feinen äußerſt blutigen und granfamen Kämpfen mit Birma und Cochinchina, von welch legterm das Laos und die Kambodſcha unter fiamefifche Herrichaft kamen. Erſt feit 1820 wurde, und zwar durch die Portugiefen von Macao aus, eine neue Verbindung mit Siam feitens der Europäer angefnüpft und in Bangkok ein portu— giefiiches Confulat gegründet, obwol dieſe Verbindung bis 1851 immer noch fehr loſe und dürftig blieb.

Die Siamefen haben zwei Zeitrechnungen. Die eine da- tivt vom Tode des Buddha und zählte am 24. April 1862 2054 Jahre, wird jedoch lediglich in religiöſen Dingen ans gewandt; fie heißt Puhtan Saffarat, die buddhiſtiſche Zeit- rechnung. Die Aera in weltlichen Dingen zählt von ber Zeit, wo Phra Ruang, ein fiamefifher Herricher, fie aufitellte, und dies find am 12. Mai 1562 1223 Jahre geworden; fie heißt Tſchulah Saffarat, die kleine Zeitrechnung. Phra Ruang ijt die erfte hiſtoriſch beſtimmte Figur Siams; er

232

regierte um das Sahr 638 n. Chr., war Friegerifch, fegelte mit einer Flotte nach China, führte Krieg mit diefem Lanpe, und der Kaiſer mußte ihm feine Tochter zur Frau geben. Unter ihm nahmen die Siamefen ven Namen Thai an.

Das fiamefiiche Fahr bejteht aus 12 Mondperioden von abwechjelnd 28 und 29 Tagen. Es wird daher jedes dritte Sahr der achte Monat als Schaltmonat verdoppelt. Die Monate werden nur nach Zahlen bezeichnet, und December ift der. erjte. Mean rechnet nach zwei Chflem, einem großen und einem fleinen; der lettere zählt 12 Jahre, die mit Thier- namen belegt find. Das erſte Jahr ift das der Watte, das letzte das des Schweins, und diefe Bezeichnungen find aus dem chinefifchen Thierfreife entnommen. Der große CHflus enthält 60 Jahre oder fünf Cyklen.

Bon der Zeit Phra Ruang's bis zur Gründung der alten Hauptjtadt des Landes Ayuthia im Jahre 1320 n. Ch., alſo über 600 Jahre lang, ſchweigen fogar die ſiameſiſchen Landes— hronifen, und man weiß abjolut nichts über das Yand. Bon diefem Zeitpunfte an bis jest haben vier verjchievdene Dyna— jtien und 39 Könige regiert. Von diefen ward faft die Hälfte ermordet, und der Dynaſtienwechſel wurde ſtets durch Uſur— patoren veranlaft. |

Die gegenwärtige Dynaſtie datirt vom Sahre 1782 n. Chr., wo der Premierminifter Phra Puti Kaoh Quang den wahn- finnigen König Phaja Taf Hinrichten ließ und fich zum Herr- ſcher machte. Der jeige Herrfcher ijt ver vierte ſeitdem und der Enfel jenes Premierminifterse. Er folgte feinem verſtor— benen Bruder im Jahre 1851, obwol er fehon feit 1826, d. h. jeit dem Tode feines Vaters, hätte zur Regierung fommen müfjen, da er der legitime Nachfolger, fein Bruder aber ein uneheliche8 Kind war. Dieſer bemächtigte fich jedoch des Throns, und der gegenwärtige König flüchtete bis zu deſſen Tode in ein Buddhakloſter. Er ift ein Mann von 56 Jah—

233

ren, und fein voller Name lautet: Prabat Somdet, Phra Faramender Maha Mongfut, den er jedoch bei feinen Unter- jehriften gewöhnlich in Mongfut abkürzt.

Die alte Hauptftadt Ayuthia, früher berühmt wegen ihrer Paläfte und Tempel, lag 10 Meilen nördlich von Bangfof. Sie wurde im Sahre 1766 in einem Kriege mit den Bir- manen von bdiefen genommen, in Ajche gelegt und gänzlich zerftört. Der König fam auf der Flucht im Elend in den Wäldern um. Der erwähnte Phaja Taf, Sohn eines Chi- nejen und einer Siamefin, zog ſich mit taufend tapfern Sol— daten in die Gebirge zurüd, kämpfte von dort aus überall fiegreich gegen die Birmanen, vernichtete fie ſchließlich, eroberte die Kambodſcha und einen Theil Cochinchinas ſowie ganz Siam wieder und machte fich zum König. Er gründete 1768 Bangfof und machte e8 zu feiner Reſidenz. Er fcheint mit Kraft regiert zu haben, wurde jedoch den Großen des Landes unbequem; dieſe brachten ihm Gift bei, infolge deſſen er wahnjinnig wurde, fich fir Buddha hielt und Opfer vom Volk verlangte. Es brach ein Aufjtand aus, und bei diefer Gelegenheit ließ der. Gründer der gegenwärtigen Dynaſtie ihn unter dem Vorwande hinrichten, daß fein Leben die Ruhe des Neiches bedrohe. Ayuthia wurde nicht wieder aufgebaut; nur wenige Hütten und ein Föniglicher Balaft, freilich nur aus Holz und Bambus gebaut, befinden fich dort, und der König unternimmt alljährlich aus Pietät eine Reiſe dahin.

Bangkok liegt am Fluffe Mainam, Mutter der Gewäſſer, wie die deutjche Ueberjegung lautet, an dem auch Ayuthia lag, acht deutjche Meilen von der nördlichen Küfte des Golfs und zehn vom Anferplag der Schiffe Kine Barre vor dem Fluſſe mit nur vierzehn Fuß Waffer bei Springflut zwingt die Schiffe, über zwei Meilen von der Küfte entfernt zu bleiben, uud man fieht daher von der Rhede aus faum die ſchwachen Linien der am Horizont abgezeichneten niedrigen

294

Küfte. Nur an der Oſt- und Weftfeite des Golfs im Laos und auf Malakka erheben fich Gebirgsfetten, die Fortfegungen der beiden faſt parallel von Nord nad Süd laufenden Höhen- züge, welche die große ſiameſiſche Alluvialebene einjchliegen. Diefes ausgedehnte Tlachland wird von vier großen Strö- men ducchfehnitten, dem Bangpafong, Mainam, Jachin und Meklong. Der Bangpafong ift der öſtlichſte und der Meflong der weftlichite. Ihr Lauf ift faft Nord und Süd; fie mün- den fämmtlih an der Norpfüfte des Golfs in fajt gleichen Abſtänden von zehn deutſchen Meilen, und die drei erjtern find dur Kanäle miteinander verbunden. Der Mainam beherricht das größte Flußgebiet und ihm zunächit kommt der Meflong; jedoch iſt der Meklong nicht hinlänglich genau unterfucht, um zu jagen, ob er für das Land in Bezug auf Handel und Schiffahrt ebenjo bedeutend werden kann wie der Mainam. Diefer leßtere iſt einer Der prachtvolliten Flüſſe der Welt. Sein Lauf beträgt 200 deutſche Meilen, und er entfpringt auf den Gebirgen von Yu-nan in China. Bon Bangkok bis zum Seegeftade ift feine Breite ziemlich gleich» mäßig 12—1500 Schritt, ebenfo feine Tiefe, die bis unmit— telbar an beide Ufer 36—42 Fuß beträgt, und feine Untiefe oder Sandbank ftört die Fahrt auf ihm, ſodaß man oft das merkwürdige Schaufpiel hat, die Schiffe beim Hinaufkreuzen mit dem Klüverbaum die Zweige der die Ufer befränzenden Büfche berühren oder ihre Maften und Naaen die Kronen der die Gejtade überhängenden Kofospalmen ftreifen zu jehen. Diefe Tiefe foll ſich noch 30—40 Meilen weit oberhalb Bang- kok erjtreden, wenngleich die Thatſache noch nicht durch com— petente Forſchungen feftgeftellt ift. Immerhin bleibt aber der Mainam für Siam von unberechenbarer Wichtigfeit. Etwas Kanaliſirung würde alle vier Flußgebiete miteinander ver- binden und ganz Siam mit einem Net von Strömen über- ſpannen, das in Ermangelung anderer Communicationsiwege,

235

welche die Natur des ſumpfigen Bodens nicht zuläßt, dieſe in reichem Maße erjegen und die Producte des Innern auf Die ſchnellſte und billigfte Weife zum Meere führen Fünnte.

Der Mainam ift aber nicht nur in Bezug auf Handel und DVerfehr von Wichtigkeit, jondern für das Land felbit die - Duelle feiner Fruchtbarkeit und feines Bodenreichthums. Wie der Nil Aegypten mit feinem Schlamme jegnet, jo überflutet auch alljährlich der Mainam feine Ufer und bleibt in einer Höhe, die fein gewöhnliches Niveau öfter um ſechs Fuß über- fteigt, bis zum November, wo er zu fallen beginnt und in vierzehn Tagen jeinen alten Stand erreicht. Das Haupt- product des Landes iſt der Neis, der befanntlich monatelang unter Waffer jtehen muß, bis die Achren anfangen gelb zu werden. In China und andern Reisländern werden dieſe Ueberſchwemmungen künſtlich durch Wafferleitungen herbeige- führt; hier jedoch bewirkt fie ver Mainam, und wenn einmal die Ueberflutung ausbleibt, fo folgt eine Misernte und damit eine große Calamität für das Yand. Bisweilen fteigt der Fluß jedoch zu einer ſolchen ungewöhnlichen Höhe, daß er großen Schaden anrichtet. Bor 30 Jahren zeritörte er alle Zuderplantagen, und eine Menge Rindvieh Fam dabei um. Wenn man glaubt, daß das Waffer feine größte Höhe erreicht hat, wird eine Anzahl Priejter vom Könige befehligt, dem fernern Steigen Einhalt zu gebieten, eine Ordre, der der un- gehorfame Fluß bisweilen jedoch nicht paritt.

Der Mainam windet fih von feiner Mündung bis Bang- fof in verfchiedenen großen Krümmungen durch das niedrige Land, und man erhält, wenn man auf ihm zur Stadt hinauf- fährt, jogleih ein Bild des Landes im fleinen. Dörfer, Tempel, Wald und Neisfelvder, welche die Ufer begrenzen, find die Grundzüge diefes Bildes; üppiges Grün und der in ruhi— ger Majeftät dahinftrömende Mainam vie Staffage. Der erſte Anblid ift für das Auge wohlthuend und erfveuend, bei

en) TE

36

dem Mangel aller Abwechfelung wird aber der Profpect auf die Dauer langweilig und ermüdend. Eine endlofe Ebene ohne einen Ruhepunkt für das Auge, ohne einen Berg, ohne eine Er- höhung, ijt wie eine weite Wafferfläche, der Bewegung fehlt. - Sie imponirt anfangs, aber man wird ihrer bald überdrüßig.

Zwei Meilen oberhalb der Flußmündung Liegt Paknam und noch zwei Meilen weiter aufwärts Paflat, das eine am linfen, das andere am rechten Ufer, beide mit den Namen Feſtungen beehrt. Gegenüber Paknam erhebt fich im Mainam eine Feine Inſel, ein reizendes fleines Paradies, aus deſſen grünender Mitte das fchneemeiße Dach eines Tempels mit feiner hochjtrebenden fchlanfen Spite in die Lüfte emporfteigt. Auch diefe Infel wird ein Fort genannt, und nach der Anficht des Königs von Siam foll dies Fort mit Paknam den Fluß hermetifch gegen jeden feindlichen Angriff ſchließen. Gott er- halte ven König bei diefem naiven Glauben, und mögen die Franzoſen ihn nicht bald eines andern belehren. Später jahen wir uns dieje „Feſtungen“ näher an, aber wir fonnten ung eines mitleidigen Yächelns nicht erwehren. Es geht ihnen faft wie allen Producten menſchlicher Kunft und Induſtrie in Siam, mit Ausnahme einiger Tempel: man darf fie nicht in zu großer Nühe betrachten. Die Wälle, Baftionen, Schief- Icharten, alles fchaut fich aus der Ferne ganz Funjtgerecht an, und die Mündungen ver ‚ultima ratio regum bliden ganz formidabel über das Parapet; allein der Schein ijt auch das Beſte daran, und Fein europätfches Kanonenboot braucht fich zu fürchten, mitten in das Kreuzfeuer der beiden Batterien zu dampfen und mit beiden zugleich den Kampf aufzunehmen. Es ift Hundert gegen eins zu wetten, daß das Boot ſämmtliche Batterien zum Schweigen bringt und ungefährdet feinen Weg nach Bangkok bis unmittelbar vor ven königlichen Palaft fortjegt. ALS diefe Feftungen vor 30—40 Jahren gebaut wurden, mö— gen fie gut gewefen fein, jett jedoch ift das Mauerwerk zer

237

falfen, in den Schießſcharten ift ein junger Urwald aufgefproßt, die Mündungen der Gefchüte haben Schlinggewächfe mit zierlichen Feſtons befränzt. Der Roft, in den feuchten Tro- pen ohnehin gefährlich, hat fein Möglichjtes gethan, um vie Kanonen gänzlich unbrauchbar zu machen; die Bettungen, auf denen fie ftehen, find verfault und die Räder durch diefe fuß- tief in den moraftigen Boden eingefunfen. Die Laffetten von fiamefifcher Eonjtruction find zwar folojjal, aber auch ebenfo roh und fchief gearbeitet. Die hinter ven Gefchüten aufge- jtapelten Kugeln find ebenjo verrojtet wie diefe, nebenbei noch vom verjchiedenften Kaliber. Wenn die Kanonen nicht ſchon beim erjten Schufje fpringen, jo kann doch nach menfchlicher Berechnung feine ihrer Kugeln treffen. Die Siamefen ſcheinen auch jelbit nicht recht auf diefe Batterien zu bauen, denn unter Schuppen am Strande liegen wenigftens 100 Ketten von 90 Klafter Länge und 1: Zoll Stärke, um den Fluf abzufperren, und wenn diejelben rechtzeitig ausgefpannt wer⸗ den, dürften ſie fremde Kriegsſchiffe beſſer als die Geſchütze abhalten.

Je mehr man ſich Bangkok nähert, deſto lebhafter wird der Fluß. Boote, nicht ſo plump und unbeholfen gebaut wie die chineſiſchen, ſondern fein geformt und mit ſchlanken Linien wie die malaiiſchen Praue, kreuzen ſich überall; die Häuſer und Hütten am Ufer werden häufiger, auf dem Mainam ſelbſt ſchwimmen auf Bambusfloßen einzelne jener Gebäude, aus denen zur Hälfte die Hauptſtadt beſteht; hier und dort ankern europäiſche Schiffe, welche die Flut abwarten, um an die Stadt zu ſegeln. Am rechten Ufer erhebt ſich ganz un- . erwartet aus einem Complex von ziegelgedeckten Steinhäufern ein thurmartiger Schornftein, aus dem eine dichte ſchwarze Rauchſäule emporfteigt und verfündet, daß der Civilifator Dampf auch bereits hier feiten Fuß gefaßt. Diefe Gebäude, bejchattet von Kokos- und andern Palmen, bilden eine Dampf-

238

mühle zum Enthülfen des Neis, die amerifanifche Speculanten mit einem Aufwande von 120000 Thalern hier in der Hoff- nung auf fichern Gewinn errichtet. Sie rentirt jedoch nicht, wie überhaupt Mafchinenarbeit in diejen aftatifchen Ländern, wo Menfchenarbeit fo billig ift, nur in ganz befondern Fällen rentiren kann.

Etwas weiter hinauf tauchen die Gebäude der amterifani- chen Miffion aus dem fie umgebenden Grün hervor, mit dem ihre ſchneeweißen Mauern und rothen Ziegelvächer auf das angenehmfte contraftiren, und einige Augenblicke jpäter, nachdem man die lebte Teife Biegung des Mainam umfchifft, liegt Bangkok vor unfern DBliden.

Der erfte Eindrud, den die Stadt vom Mainamfluſſe aus macht, ift imponivend. Cine meilenlange Häuferreibe erhebt fich zu beiden Seiten des Fluſſes, überragt von Hunderten von Tempeln mit ihren oft 300 Fuß hohen mächtigen Domen und Spiten, vom füniglichen Palafte, der Audienzhalle und andern öffentlichen Gebäuden, die wie Rieſen auf die einjtöci- gen Bambushütten des Volfs herabfehauen. Auf dem Fluſſe ſelbſt ſchwimmt eine zweite Stadt. Soweit das Auge reicht, veiht fich Floß an Floß, und auf ihnen ruhen die ſchwimmenden Häufer, die Wohnungen der halben Einwohnerzahl der Stadt. Jedes Floß ift mit Tauringen an Pfählen befeftigt, die in den Grund des Fluffes getrieben find, und an denen fich die Ringe auf- und abfchieben, je nachdem das Waſſer füllt oder fteigt. Diefe Häufer haben die große Annehmlichkeit, daß man damit fehr bequem Reifen auf dem Fluſſe machen kann. Die feffelnden Ringe werden gelöft, und das Haug treibt dahin ‚mit dem Strome, folange es dem Eigner beliebt. Sehr bequem ift dies namentlich bei Feuersbrünſten, die wegen des brennbaren Materials der nur aus Bambus und leichtem Holz erbauten Häufer ziemlich Häufig vorkommen, aber auf dem Waffer felten großen Schaden "anrichten, da bie umlie-

239

genden Häufer fich ſofort treiben laſſen. Bei folchen Gelegen- heiten fieht man ganze Straßen fortihwimmen.

Die Gebäude auf dem feiten Lande find entweder von Stein oder Holz erbaut, eine Combination beider, mit Aus— nahme des Daches, wird nicht angewandt. Alle Tempel, Klö- jter und föniglichen Gebäude gehören zur erftern Kaffe, alle übrigen zur zweiten. Jene find gewöhnlich auf natürlichen oder fünftlichen Erhöhungen von 10—12 Fuß aufgeführt, um fie gegen die Ueberſchwemmungen zu fchüten; die Holzhäufer ruhen dagegen fammtlich zu diefem Zwede auf Pfählen und man jteigt zu ihnen daher auf hHalsbrecherifchen Treppen empor. Das Material der Häufer für die höhern Klaffen ift Teaf- holz. Diefe Häufer find ziemlich olive gebaut und mit Holz Ihindeln, bisweilen auch mit dünnen Ziegeln von der Form unſerer Biberſchwänze gededt. Die Häufer dev ärmern Klaſſe und der Mehrzahl find jedoch aus Bambusflechtwerf und das Dach aus PBalmblättern gefertigt. Ein folches Ge— bäude hat feine innern Abtheilungen, und das ganze Mobiliar beiteht aus einigen Matten zum Schlafen. Dieje gehören ogar noch zum Luxus; oft fah ich als einziges Möbel nur ein etwas erhöhtes Hürdengeftell als Schlafjtätte. Die Hänfer der Bornehmen haben gewöhnlich zwei Abthei- lungen, eine für Männer, die andere für Frauen. Die Bauart zeigt Aehnlichfeit mit dem maurifchen Stile. In der Mitte des Baues findet fich ein Hofraum, der öfter einige Dlumen in Töpfen enthält und von Galerien umgeben ift. Auch fanden wir hier einige alte Stühle und mit Rohr geflochtene Bänke, die man uns anbot, während die Hausbewohner jtet8 mit umtergefchlagenen Beinen auf dem Fußboden fanerten.

Immer aber, wie ho) auch der Rang der Eigenthümer und wie groß ihr Neichthum fein mag, jehen die Gebäude ärmlich, elend und ſchmuzig aus. Geſtank und Koth feheinen

240

ein nothiwendiges Lebenselement für die Siamefen zu fein, und ich habe es kaum in den ärmlichſten Vierteln chinefifcher Städte getroffen wie in Bangfof. Eleganz oder Comfort in unferm Sinne kennen jelbjt die reichjten Siameſen nicht, in dem Innern ihrer Häufer ift alles aus rohem Holz gearbeitet und jehr felten mit Farbe geftrihen. Ein in Bangkok anfäffiger Deutſcher führte mich zu einer der angejehenften Damen Bangfofs, der doppelten Schwiegermutter des Premier- minifters, denn diefer hatle zwei ihrer Töchter geheivathet, aber trotzdem, daß die Frau jehr reich war, jah ihre Wohnung nicht eleganter aus als die eines Tagelöhners bei ung. Ebenjo trug fie jelbjt weiter nichts als einen Sarong, dev von dem Hüften bis an die Knie reichte und ein über die Brüfte ge- bundenes verfchoffenes gelbjeidenes Tuch. Dabei war fie fehr häßlich, alt, hatte fchwarze Zähne und Faute Betel. Einen eigenthümlichen Eindruck machten in diefer höchſt Armlichen Umgebung eine fehr ſchön cifelivte Bronzevafe, die den Dienft einer Spudichale verfah, und ein prachtvoll gearbeiteter ſchwarz ladixter Koffer mit Silberbeſchlag, die beide das einzige Mobiliar der Stube ausmachten. Wir trafen die Dame bei der Anficht einer jehr reichhaltigen Stereojfopenfammlung, die fie fürzlih von ihrem Schwiegerfohne zum Geſchenke erhalten hatte, dem fie feinerfeits wol auch gejchenft worden war; denn die Könige und Großen von Siam lajjen fi von den Euro- päern alles Schenken und Faufen jehr felten vergleichen Sachen.

In deſto größerm Gegenjate mit diefen Armlichen, uns jaubern und niedrigen Hütten, die ſämmtlich einjtöcdig find, ftehen dagegen die Tempel oder Watts mit ihren zugehörigen Gebäuden, die nicht nur wie Niefen ihre Umgebung überragen, fondern in noch höherm Maße ſich durch äußere und innere Bracht vor den gewöhnlichen Häufern auszeichnen. Wenn man dieje gewaltigen himmelanftrebenden Baumerfe, die oft eine Höhe von 300 Fuß und darüber erreichen, in fo großer Zahl vor fich

241

fieht, deren mit Glas- und Porzellanmofait belegte Giebel und Ruppeln in den Strahlen der Sonne erglänzen, als ob fie mit Goldplatten belegt wären, kann man fie anfangs gar nicht zufammenveimen, weil fie ohne Uebergang fo plößlich aus alle vem Elend und Schmuz umher emportauchen. Wenn Pracht und Glanz der Tempel einen Maßſtab für die Innig- feit des religiöfen Gefühls eines Volks abgeben könnten, fo müßte man die Bewohner von Bangfof für die frömmiten der Welt halten, denn ſelbſt die prachtuolliten Dome der Chri— ftenheit, die Monumente des gläubigen Mittelalters, treten vor einzelnen diefer Buddhatempel in den Schatten. Allein nirgends herrſcht wol mehr religiöfer Imdifferentismus im Bolfe, nirgends ift ein Eultus mehr zu einer bloßen Form zufammengefchrumpft, nirgends find die Träger dejjelben, die Priefter, mehr entartet und geiftig verfumpft als in Siam. Wie der Buddhismus in China zum Götenpdienft, herabge- funfen, fo bat er auch im Gemüthe des Volks von Siam allen Boden verloren und hier wie dort liegt er im Todes— fampfe. Trotz der zahlreichen Tempel und ihrer Pracht, troß der Taufende von Prieſtern, die in ihrem Dienfte jtehen, bleiben jene leer und verfchlojfen und werden dieſe als eine Laft betrachtet, da fie der Sitte und dem Herkommen gemäß vom Bolfe ernährt werden müfjen und auf dejjen Kosten der Faulheit fröhnen. In Bangkok gibt e8 nicht weniger als 50000 Briefter und im ganzen Reiche eine halbe Million. Die Siamejen nennen fie Phra, die Großen, einen Titel, den fie mit den Königen gemein haben, bei ven Europäern beißen fie jedoch Talapoins nach dem Talapat oder Palm— blattfächer, ven fie nach ihren religiöjen Vorſchriften jtets vor dem Gefiht halten follen, um wicht durch Außen- dinge von ihrer innerlichen Befchaulichfeit abgezogen zu werden.

Werner. II. 16

242

Die drei größten und prachtvollften Tempel Bangfofs find der Watt Seffet, ver Watt Sudat und Watt Nun. Ich habe fie alle drei bejucht, fie find einander aber in Bau und Ausstattung jo Ähnlich, daß die Befchreibung des einen ge- nügt, um dem Lefer einen Begriff von allen zu geben. Sch muß bier noch bevorworten, daß alle Watts nicht etiva durch Beifteuer der Bevölferung oder auf Staatsfoften, fondern theils von den Königen, theil® von den Großen des Landes, Miniftern oder reichen Privatleuten erbaut find, um fich einen Namen zu machen oder damit ein Leben zu fühnen, deſſen Handlungsmweife wol nicht immer mit den Vorfchriften des Buddhismus im Einflange geftanden hat. Ein jolcher Watt befteht aus verfchievenen Gebäuden, dem eigentlichen Tempel, dem dazu gehörigen Thurme oder Dome, dev nicht wie bei uns die Kirche felbft ziert, ſondern ſelbſtändig daneben— jteht, einem niedrigen galerieartigen Gebäude, das in einem Abftande von 50— 60 Fuß fich um den ganzen Tempel zieht, und einem Klofter, d. h. einer Anzahl geräumiger Priefter- wohnungen, die fich beim Watt Sudat auf 40 beläuft. Diefe Yegtern find ſämmtlich von gleicher Größe, 120 Fuß lang, 40 Ruß breit und ebenfo hoch, in einem Rechteck erbaut. Der von rechtwinklig ſich ſchneidenden Straßen durchzogene Häuferblod des Watt Sudat hat eine Seitenflähe von über 1200 Schritt. Tempel, Thurm, Galerie und Priefterwoh- nungen find von einer NRingmaner eingefaßt, die außerdem noch Gärten, Parks, Filchteihe, offene Bejuchshallen und die verfchiedenften Anlagen umfaßt, Nachbildungen von Felfen, Grotten und Gebirgen in chinefischen Stile, die mit Hunderten von Statuen, allegoriichen Figuren und Darftellungen von Thieren geziert find.

Die Watts felbft find oblonge vieredige Gebäude von ver- jchtedenen Dimenfionen. Der Watt Sudat hat eine Länge von 180, eine Breite von 80 und eine Höhe von 100 Fuß.

245

Er ift wie alle Tempelgebäube aus Backſteinen aufgeführt, mit weißem Stud befleitet und mit Ziegeln gedeckt; jedoch it das Dach dreifach, d. h. es find drei Dächer fattel- und terrafjenförmig übereinander gejeßt. Die Ziegel find grün und gelb glafirt und zu regelmäßigen. Figuren gelegt. Die ſechs Giebel des Dachs tragen jeder einen großen vergolveten Adlerflügel, eine Zierde, die durch ihre Fühne Schönheit den Beſchauer außerordentlich frappivt und dem Ganzen einen imponirenden Eindruck verleiht. Der Tempel ift, wie unfere Kirchen, mit großen Fenfteröffnungen verfehen, die für ge- wöhnlich durch hölzerne Läden gefchloffen find. Dieje Läden erweifen fich aber ebenjo wie die Thüren am Giebelende bei näherer Betrachtung als wahre Kunftwerfe. Sie beftehen aus einem eifenartigen ſchwarzen Holze, das wie Ebenhol; glänzt und theilweife mit der feinften Goldmalerei bedeckt, theilweife foftbar gefchnitt oder mit Moſaik belegt ift. Der Fußboden des Tempels liegt wegen der Ueberfchwenmungen etwa 8 Fuß über der Erde erhöht, und zu der Hauptthür, über die fich eine großartige Säulenhalle wölbt, führt eine breite Treppe.

Diefer Porticus nebjt dem Giebel bietet aus ver Ferne, und namentlich wenn die Sonne darauf feheint, einen pracht- vollen Anblid dar. Die Säulen der Thürpfoften und ver ganze Giebel find nämlich mit Moſaik in den verfchievenartigften Farben belegt, in denen ſich die Sonnenftrahlen wider— fpiegeln, deren Reflex das ganze Gebäude wie mit einem goldigen Schein umgibt. Nur der fleinere Theil diefer Mofaif bejteht aus buntfarbigen Glasſtücken, das Meiſte ift aus Scherben von weißem, blauem und rothem chinefifchen Porzellan, aus Tellern und Taſſen, aber fo kunſtvoll zufammengefeßt, daß man nur um jo mehr erftaunt, wenn man die Entdeckung macht, daß die einzelnen Stüde ganz ungleich geformt und wilffürlich gebrochen find.

1i6*

244

Wir hatten die Umgebungen des Watts, die Gärten und Anlagen durchwandert, ohne auf eine menfchlihe Seele zu ſtoßen. Ebenfo lautlos und ausgeftorben fanden wir das Quartier der Priefterwohnungen. Ihre Inſaſſen hielten ihre faft den ganzen Tag dauernde Siefta, und wenn unfere an den Wänden der Kloftergebäude widerhallenden Schritte dann und wann eimen diefer Fahlgefchorenen Bonzen erwecten und an das Fenfter riefen, verichwand das Geficht mit dem ſtumpf— ſinnigen Ausdrude ebenfo ſchnell, um ſich wieder auf bie Matte zu werfen und weiter zu fchlafen oder zu träumen, denn das Vermögen zu denken geht wol den meiſten dieſer verdummten Schar ab. Wir fuchten deshalb unfern Weg ohne Führer felbit.

Die Thür des Watts war nicht verfchloffen, die Läden liegen fih mit Hülfe einer zu diefem Dienfte bejtimmten Bambusftange durch Berfchiebung der Niegel leicht öffnen, und das einftrömende Tageslicht enthüllte uns das Innere des Watts in feiner ganzen Pracht und Schönheit. Wir ftanden ftumm, der Reichthum blendete ung, wir fahen an- fangs nur Gold, wohin wir blidten, mit Gold die Wände bevedt, vergoldet die Dede diefes großen Gebäudes, bie 100 Fuß hoch über unfern Häuptern fchimmerte. Zwei Reihen mächtiger quadratifcher Säulen unterftügten die Dede nnd theilten den ganzen innern Kaum in ein Haupt- und zwei Nebenſchiffe, Lettere 20, jenes 40 Fuß breit. Die Säulen allein waren nicht vergoldet und ihre blendend weiße Stud- bekleidung contrajtirte fonderbar, aber feineswegs unangenehm mit der reichen Umgebung. Der Fußboden war mit weißen und braunen Marmorfliefen jchachbretartig gepflaftert, und der ganze Tempelraum in feiner veichen, großartigen Einfach» beit ließ fich mit Einem Blicke überfchauen. Kein Chor, Feine Bank, fein Seffel war zu fehen, nur der Thür gegenüber, am andern Ende des Tempels, erhob ſich im Hauptichiff in

245

£oloffaler Größe, mit untergefchlagenen Beinen auf einem Poftamente ruhend, die Statue des Buddha, 80 Fuß hoch und von oben bis unten vergoldet. Sch muß gejtehen, der Eindrud, den diefer Tempel auf mich machte, war überwäl- tigend; ich wußte nicht, jollte ich die einfache Schönheit des Baues oder die wunderbare Arbeit mehr anftaunen, die ich jet auf den Wänden entdeckte. Was ich im erjten Augen- bliefe für einfache Vergoldung gehalten, jtellte fich bei näherer Betrachtung als die feinjte Goldmalerei heraus. Die Wände waren in lauter Quadrate von einem Fuß Seitenlänge ge: theilt, und jedes diefer Quadrate enthielt ein befonderes Ge— mälde, wie ich fpäter erfuhr, Allegorien aus der Geſchichte des Buddhaismus und Siams jelbit. Die einzelnen Figuren waren, wie in ähnlichen Erzeugniffen aller Bekenner des Buddha, meiftens Ungeheuerlichfeiten und die dargeftellten Scenen oft fehr ſinnlich, doch die Ausführung. felbjt meifter- haft. Die Fresfen verriethen, daß der Kunftfinn nur auf die vechte Bahn geleitet werden müßte, win fich weit über bie Stufe der Mittelmäßigfeit zu erheben. Zugleich aber erinnern folhe Tempel, deren Bau und Ausſchmückung jahrelang Tauſende von Menfchen bejchäftigen mußte, unwillfüirtih an die fabelhaften Schäte der Aſiaten, wenn man bevenft, daß Privatleute fie erbauten, ohne fi) deshalb zu berauben oder ihr Vermögen wejentlich zu fchmälern. Freilich die Arbeit von 6— 8 Millionen Sklaven, denn anderes find die jiame- fiihen Unterthanen nicht, vermag wol dem Könige, feinen Minifter und den wenigen Großen, die jolhe Bauten zur Ber: herrlihung ihres Namens ftiften, Reichthümer zu jchaffen, wie Kom fie zur Zeit der Weltherrfchaft befaß, und von denen wir in Europa uns feinen Begriff machen. Daß in diefem despoti- jchen Lande Erpreffungen als legal over wenigftens als tolerirt gelten, geht aus einem Gefete hervor, nach welchem der König bei dem Tode eines Minifters oder Großen der Erbe eines

246

Drittheil$ von dejjen Vermögen ift, weil angenommen wird, daß das lettere ftetS auf unvechtmäßige Weife erworben worden.

Die vergolvdeten foloffalen Statuen des Buddha find die unveränderlichen Zierden eines jeden Watt, deren Bangkok über 300 in allen Größen befitt. Sie find aus getriebenem Kupfer verfertigt und die einzelnen Platten jo kunſtvoll zu— fammengefügt, daß man glaubt, das Ganze fei aus Einem Stüd. Der Buddha im Watt Supdat ift zwar der größte figende in Bangfof und ganz Siam, aber nicht der größte überhaupt. Im Watt Seffet befindet fich ein liegenver, deſſen Länge man uns auf 170 Fuß angab, obwol wir nur 156 Fuß maßen. Immerhin fchon eine gewaltige Größe, die fogar feine Aufftellung unmöglich machte.

Nachdem wir den Tempel verlaffen, bejuchten wir die ihn umgebende Galerie. Sie bot weiter nichts Merfwürdiges als eine Berfammlung von nicht weniger als 85 fißenden ver- goldeten Buddhas von 5 Fuß Höhe, aber fonjt getreue Ab- bilder des großen im Tempel, die, in gleichen Zwifchenräumen nebeneinander poftirt, an, der Hintern Wand des fchmalen Gebäudes aufgeftellt waren, während zwifchen ihnen und der vordern Wand ein fchmaler Gang blieb. Einzelne dieſer Heiligen waren mit gelben Rappen behängt, billige Opfer, die von den Prieftern ihnen dargebracht weerdn.

Senfeit der Galerie famen wir zu vem Thurme oder Dome, wie ich ihn feiner Form wegen nennen follte Bei unfern Kirchen ift der Thurm ein Appendir derſelben, eine Zierde, die nebenbei den Zwed hat, die Gloden zu beherbergen. Der chinefiiche Burohismus fennt gar feinen Thurm und die Gloden werden durch die Songs genannten Metallbeden vertreten. In Japan gibt e8 ebenfalls Feine Thürme, wenn man bie Pagoden nicht dazu rechnen will, aber man hat Gloden wahrfcheinlich aus der Chriftenzeit die in Eleinen Häuschen neben den Tempeln hängen. In Siam hat man weder Gongs

247

noch Glocken, aber Thürme, und diefe find das eigentliche Hei— ligthum, während der Tempel erjt in zweiter Reihe kommt, ſodaß man wol Thürme ohne Tempel, aber nie Tempel ohne dabeijtehende Thürme findet. Jeder der Thürme enthält näm— lich eine Reliquie von Buddha, und ihr zu Ehren ift er erbaut. Die Echtheit diefer Reliquien ift natürlich ebenfo probles matiſch als die der chrijtlichen in ven Fatholifchen Kirchen, jedoch geht die Bigoterie der Siamefen und die Dreiftigfeit ihrer Briejter nicht fo weit, um den Neliquien Wunder voll- bringende Kräfte zuzufchreibeu.

In der Bauart der Thürme herrjchen zwei ganz verjchiedene Formen vor. Die eine, welche ich als Domform bezeichnen möchte, beginnt unten mit einem Viereck, wird in der Mitte zum Achte und geht im letzten Drittel ihrer Höhe in den Cylinder über, der oben in einer fphärifchen Kuppel endigt. Dieſer Bauftil gehört den höchſten Thürmen an, weil folche Höhe fih in der zweiten Form, die der originale Bauftil Siams oder vielmehr des budohiftifchen Cultus zu fein fcheint, aus ftatifchen Gründen nicht erreichen lief. Das Mopell, welches der zweiten Thurmform zu Grunde liegt, ift der Natur entlehnt, und zwar ift es die in allen buddhiſtiſchen Ländern heilig gehaltene Lotosblume, das Sinnbild der Ewig— feit. Sie wird in den Reliquienthürmen umgefehrt dargeftellt. Aus einem vechtwinfligen und regelmäßigen Poftamente in Kreuzesform, mit den nie fehlenden drei Satteldächern und den vergolveten Aolerflügeln auf ihren Giebelfpiten, erhebt fih ein niedriger quadratifcher Sodel. Auf ihm ruht in Slodenform der Kelch der Blume, der ſich oben zujammen- zieht und wieder zur birnenförmigen Samenfapjel erweitert, aus deren Mitte dann der Blumenftiel in die Lüfte empor— jteigt und fich zu einer jchlanfen Spite verjüngt. Bon dieſen Thürmen fieht man viele Hunderte in Bangkok, bisweilen zehn bis zwölf in einer Reihe; fie find jümmtlich weiß ange-

248

ftrihen und gewöhnlich fehr einfach, ohne alle architeftonifchen Ornamente Die domförmigen Thürme dagegen find damit faft überladen. Diejelben ungeheuerlichen allegorifchen Figuren, wie fie auf den innern Wänden dev Watts dargeftellt und in den Gärten des Tempels aus Stein gehauen ftehen, treten aus Stud geformt in zahllofer Menge hier wieder auf, und wohin man den Blick wenden mag, trifft er auf Riefen, Menjchenleiber mit Vogel- und Thierföpfen, ungeftalte Mis- geburten, die entweder als Karyativen die Simfe und Vor— Iprünge des Baues tragen oder auf den Seitenflächen in Niſchen aufgeftellt find. Diefe Thürme find mit gelbem Stud befleidet, und die Kuppel iſt ebenfo mit Borzellanmojaif belegt wie die Giebel der Watts.

Die Wohnungen der Priefter bieten nichts Bemerfens- werthes dar; es find traurige öde Räume, in denen nur Matten liegen, die Ruhe- und Lagerjtätten ihrer Bewohner. Hier und dort fpringt aus den Wänden ein Sims hervor, bedeckt mit kleinen Buddhaſtatuen, die dem Wolfe von den Prieftern verfauft werden, oder in einer Ede liegt ein Haufen Palmblattbücher, auf deren langen ſchmalen Blättern die Ge- bete und heiligen Schriften des budbhiftifchen Kultus. mit einem eifernen Griffel jehr ſorgſam und kalligraphiſch einger Ichrieben find. Für einen Tikol oder fiamefifchen Thaler, den man heimlich einem Priefter zeigt und irgendwo hinlegt, ſodaß er ihn fpäter fortnehmen kann, erhält man ſowol eine folche Statue als auch ein Buch, und ich habe beides mir zum An— denfen mitgenommen.

Die Talapoins leben in Klöftern, auf dem Lande 10—12, in dev Stadt aber in bebeutend größerer Zahl zufammen. Sie haben eine geregelte Hierarchie. Ihr oberfter Bifchof wird vom Könige ernannt und hat unter Controle eines welt- lichen Fürften die Aufficht und Gerichtsbarkeit über ſämmtliche Priejter und Klöfter des Landes. Dann gibt e8 noch Aebte

249

und Vicare. Drei Monate im Jahre während der Regenzeit müffen die Talapoins in den Klöftern bleiben, während ver übrigen Zeit des Jahres können fie reifen und von Klofter zu Rlofter- wandern. Dies thun fie auch vielfach und fuchen nach heilenden Kräutern, Gold» und Silbererzen, da fie jich vielfach mit Arzneifunde und Alchymie befchäftigen. Zwar verbieten dies ihre Drvensregeln, jedoch weichen fie überhaupt vielfach davon ab, ſuchen fich möglichit bald ein Vermögen zu erwerben und treten gewöhnlich nah 2—3 Jahren in den weltlihen Stand zurüd, um fich zu verheirathen. Ihre Kleidung bejteht aus einem gelben Sarong und einem darüber getragenen langen gelben Mantel, der durch einen gleichfar- bigen Gürtel zufammengehalten wird. Sie haben viele Vor- rechte, die fie fich aufs bejte zu Nuten machen, um wohlhabend oder reich zu werden. So 5. B. find fie von allen Abgaben und Fronen befreit, und ihre Fahrzeuge dürfen von den Zollbehörden nicht angehalten werden, was fie zum Eins Ihmuggeln von zollpflichtigen Waaren benugen. Einmal jühr- lich ziehen fich die Priefter drei Wochen lang in die Wälder zurüd, wo fie in jelbjtgebauten Hütten wohnen, um im ftren- ger Abgefchiedenheit ihre Sünden abzubüfen, wozu fie Grund genug haben, denn fie jind ein faules, aufgeblafenes und lieder- liches Volk.

Ein berühmter Wallfahrtsort, der forwol vom Könige als dem DVolfe und vielfach von Fremden aufgefucht wird, ift Phrabat, circa 10 Meilen öftlih von Bangfof gelegen. Hier reſidirt der oberfte Biſchof oder Sangfarat, der König der Klausner, wie er zu deutſch Heißt, und feine Heiligkeit verdankt der Ort der von ihm. beherbergten Fußſpur des Buddha. Das Kloſter Phrabat liegt auf einem Berge und wird von mehreren Mauern eingefchloffen. Bon einem von Tempeln und andern ſchönen Gebäuden umgebenen Hofraume gelangt man über eine Marmortreppe mit goldenen Abſätzen auf eine

us

250

Terraſſe, die DBafis des Denkmals. Die berühmte Fußſpur befindet fich in einem von außen ganz vergolveten Tempel oder Thurme nad) dem Lotosmodell. Das Innere dieſes Thurmes ift auf das koſtbarſte ausgejtattet, der Fußboden mit filbernen Matten belegt, und im Hintergrunde fitt eine 6 Fuß Hohe maffive filberne Statue des Buddha unter einem goldenen mit Evelfteinen verzierten Thronhimmel. Die koſt— bare Fußſpur felbft befindet fih in der Mitte des Tempels hinter einem filbernen Gitter, ift aber jo mit goldenen und fülbernen Ringen und Gefchmeiden, welche fromme Gläubige geopfert, bevedt, daß man nichts davon fieht. Das Klojter iſt 260 Jahre alt und wurde 1602 gegründet, in welchem Jahre man die Fußfpur entvedte. Der Fürſt-Biſchof iſt der jouveräne Herr des Klofters und der ganzen Umgegend auf 4 Meilen. Wie in Japan und China hat jedoch die weltliche Pegierung auch in Siam weife Fürſorge getroffen, daß ber Einfluß der Priefter fih, mit Ausnahme des Sangfarat in feinem feinen Beſitzthum, nur auf geiftliche Dinge be— ſchränkt.

Die Zahl der zu jedem Watt gehörigen Prieſter iſt ſehr verſchieden, bisweilen find es 2— 300, bisweilen nur 20 30. Dies hängt theilweife von der Größe, Wohlhabenheit und DOpferwilligfeit des zugehörigen Diſtricts, theilweife davon ab, wie große Fonds von dem Gründer des Watt für den Unterhalt einer beftimmten Zahl von Prieftern ausgejegt find. Gewöhnlich find diefe aber nicht ausreichend, und die Talapoins find tim Einflange mit den Vorſchriften des Buddha darauf angewiefen, ihre Speife zu evbetteln, und ihre Kleidung durch den Todtendienft, ven Verkauf von Buddhaſtatuen oder durch Unterricht der Kinder der Vornehmen zu erwerben.

Das Einfammeln der Speifen gefchieht früh morgens furz nach Sonnenaufgang, wenn die Häufer und Läden geöffnet find und die Tagesgefchäfte ihren Anfang genommen haben.

251

Wenn man um diefe Zeit einen Spaziergang macht, ſo find e8 hauptjächlich drei Arten von Gefchöpfen, deren zahlreiche Menge auffällt und die fich alle drei zu demſelben Zwecke, dem Suchen ihrer Nahrung, auf den Straßen zufammenfinden. Dies find Krähen, Hunde und Priefter. Die erjtern find fo zahllos und dreift, daß fie den Menfchen kaum aus vem Wege gehen und mit den Hunden um den Bifjen Fämpfen, wobei fie gewöhnlich Sieger bleiben. Beide Thieve verjehen gemeinfchaftlich ven Dienft der Straßenreinigung, der fich in Bangkok allein auf fie beſchränkt. Die Priejter mit ihren fahlgefchorenen Köpfen, ihrem blödfinnigen Geſichtsausdrucke und dem bis auf die Knöchel veichenden weiten gelben Ge— wande tragen unter diefen verborgen auf dem Rücken einen eifernen Topf, an einem Riemen hängend, und gehen von Haus zu Haus, um dort ihre Speifen zur erbeiteln. Yautlos, ohne eine Miene zu verziehen, ohne ein Wort des Dankes zu äußern, empfangen fie die ihnen dargereichten Gaben, feien diefe groß oder Hein, aber auch ebenfo gleihmüthig und ohne Zeichen des Unwillens gehen fie weiter, wenn ihnen nichts ge= geben wird. Dies find die Vorfehriften des Buddha; der Kern feiner Lehre, Unterdrüdung aller Leidenfchaften und Regungen der Seele, wird wenigftens in diefer Beziehung von den Prieftern befolgt, und fie unterfcheiden ſich dadurch vortheilhaft von den türfifchen Derwifchen, die bei einer Ver— weigerung der Gabe ihrem Zorne die Zügel fchießen laffen und in die heftigiten Verwünſchungen ausbrechen.

Gewöhnlich beftehen die Gaben in gefochtem Reis. Befon- ders Gläubige legen jedoch auch bisweilen fchmadhaftere Biffen, gebratene Fische, Thee, Früchte und Betel, den un- zertrennlichen Begleiter eines jeden Siameſen, in den geräu- migen Zopf, der ſchon nach einer halben Stunde gefüllt iſt und feinen Eigenthümer für den Tag wenigftens aller Nahrungs: jorgen enthebt. Wie überall fcheint die Geiftlichfeit auch hier

252

*

auf das weibliche Gefchlecht mehr Einfluß auszuüben als auf das männlihe Nie Habe ich geiehen, das ein Priefter von einem Siameſen etwas empfing, ftetS waren e8 Frauen, welche die Gaben austheilten, während die Männer nicht die geringjte Notiz von den gelben Bettlern nahmen. Gegen 8 Uhr morgens fieht man feinen Priefter mehr auf ver Straße, wenigitens feinen bettelnden. Schwer beladen find fie zu ihren Watts zurücgefehrt, um fi) an den Speifen, die ihnen nicht einmal die Mühe der Zubereitung machen, zu laben, ihre vorſchriftsmäßigen und vielfach ihnen ſelbſt unverftändlichen Gebete zu der beftimmten Stunde im Tempel abzuleiern und dann fich einer träumerifchen Ruhe und dem Schlafe zu überlaffen, wenn nicht ihr Amt fie zu einem Be— gräbniffe ruft.

Der Todtendienſt und die Bejorgung des Begräbnifjes ift nämlich ihr einträglichites Gefchäft, das nicht nur die Kleidung abwirft, ſondern auch ihren Seckel füllt, obwol Ar- muth eins ihrer Gelübde ift. In Siam werden die Leichen nicht begraben, ſondern verbrannt und die Lieberrejte in eine Urne gefammelt, welche die Verwandten mit fich nehmen, um fie in dem Garten oder an einem Yieblingsaufenthalte des Verſtorbenen in die Erde zu verjenfen. Eine gewöhnliche Bambusftange bezeichnet den Ort, den jedoch weder Stein noch Mal dedt, und man jieht deshalb in ganz Bangfof fein Grab in unfern Sinne. Wie bei uns foitet das Begräbniß Geld, und da es Monopol der Prieiter ift, die nichts umſonſt thun, jo wird ein großer Theil der ärmern Leichen nicht ver- brannt, fondern Hunden und Geiern vorgeworfen, die faft ebenjo ſchnell wie das Feuer die fleifchlichen Ueberreſte ver- zehren und nur die Gebeine übrig laffen, welche dann koſtenfrei von den Angehörigen gefammelt werden.

Eine Leiche wird in Siam nicht durch die Hausthür, fondern durch eine in die Mauer gebrochene Deffnung weggetragen,

253

wobei man mit ihr jo geſchwind wie möglich einigemal das Haus umfreift. Dies gefchieht, damit der Todte vergeffe, wo er das Haus verlaffen hat, und nicht zur Plage der Lebenden dahin wieder zurücfehre, weil nach ſiameſiſchem Glauben die Geifter und Gefpenjter nur auf vemjelben Wege wiederfommen können, den fie gegangen.

Stirbt der König, fo wird fo viel Duedfilber in die Leiche gefüllt, als fie aufzunehmen vermag. Man bevedt das Ge- ficht mit einer goldenen Maske, fett die Leiche auf einen Thron umd diefen auf einen großen goldenen fchüffelartigen Unterfaß. Jeden Tag wird diefe Schüffel mit dem durchge- laufenen Duedfilber und den Stoffen, welche diefe aus dem Körper mit fich führen, ausgeleert und fpäter die Yeiche in einer großen goldenen Urne eine ganzes Jahr aufbewahrt. Dann erſt findet das Verbrennen ftatt, und hierzu wird ein großes Leichenfeſt gefeiert, welches unter öffentlichen Spielen und bedeutenden Gelojpenden fieben Tage lang andanert.

Bei einem unjerer Spaziergänge gelangten wir auch auf den Begräbnißplag und hatten Gelegenheit, das Verbrennen einer Leiche mit anzufehen. Es war die Frau eines ſiame— ſiſchen Großen und die Feterlichfeit deshalb von allem Pomp begleitet. Der Plaß liegt mitten in der Stadt am linfen Ufer des Fluffes, iſt jehr groß, mit Raſen bevedt und bier und dort mit Bäumen bepflanzt. Gr hat die Form eines Halbfreifes, deſſen Peripherie eine Mauer und deſſen Sehne eine Straße der Stadt bildet. Unweit der Mitte des Um— freifes erhebt fich ein fleines tempelartiges Gebäude. Es ruht auf einem 8 bis 10 Fuß hohen quadratifchen Unterbau, ift felbjt wieredig und an allen vier Seite offen, ſodaß man von dem Plate aus das ganze Innere überjehen kann. In der Mitte diefes Tempels ift ein Herd erbaut, und von der Dede hängt in Ketten ein fargähnlicher Kaſten von Eifenblech mit einem Boden von ſtarkem Draht geflochten. Im diefen

254

Kaften wird die in einem Holzjarge an Ort und Stelle ge— brachte Leiche gelegt und dann von fehr harzhaltigem und wohlriechendem Holze ein ftarfes Feuer darunter gemacht, in das die dienftthuenden Priefter von Zeit zu Zeit wohlriechende Dele gießen. Im einer halben Stunde ift die Procedur be- endigt, die durchaus feinen unangenehmen, jondern weit eher einen feierlichen Eindruck macht, da man nur die Flamme und die lautlos fie fehürenden Priefter fieht. Mag Buddha das Verbrennen der Leichen aus irgendeiner religiöfen Urfache an- georonet haben, gewiß hat er damit der Gejundheitspflege einen großen Dienft geleiftet. Allen fchädlichen Ausbünftungen, die fo oft in großen Städten von den Rirchhöfen aus bie Luft verpeften, und die in einem jo heißen Klima noch leichter gefährlich werden, ift durch dies Verfahren vorgebeugt.

Im Halbfreife um den Tempel ijt eine offene Halle ge- baut. Im ihr wohnen die Angehörigen und Xeidtragenden bes Berftorbenen, wie in China und Japan in weißer Zrauer- kleidung, der Geremonie bei. Ebenſo ſitzen dort eine Anzahl Priejter, je nach der Bezahlung viele oder wenige, die mit vor das Geficht gehaltenen Palmfächern Todtengebete abfingen, und fchließlich Fauert noch eine Schar Mufifanten auf dem Boden, um mit den Tönen ihrer Inftrumente die Feierlich- feit zu verherrlichen. Tauſende von neugierigen Zufchauern füllen den Plab, und die ganze Scene würde einen erhabenen Eindruck hinterlaffen, wenn fie nicht regelmäßig mit einer zu dem Ernſt des Gegenftandes wenig paffenden Rauferei endigte. Wenn nämlich die Reiche verbrannt ift, jo vertheilen die nächjten Angehörigen Geld unter das Volk, und zwar wird daffelbe von zwei eigens dazu erbauten Altanen unter bie Menge geworfen. Da die fiamefifchen Münzen aber nicht wie bei uns fcheibens fondern Fugelförmig und die Fleinften faum fo groß wie eine Erbfe find, fo werden fie in Apfelfinen gejteeft und diefe herabgeworfen. Dabei entfteht natürlich eine

255

große Rauferei, und es jest neben fomifchen Scenen gewöhn- li) auch blutige Köpfe.

Durch ein Thor in der Ringinauer bes Tempels gelangt man auf einen zweiten kleinern Platz, den man zuerft für einen wundervollen Park hält. Die prachtvollften tropifchen Bäume zieren ihn, und üppiges Gras dedt den Boden. Doch die in ihm herrichende Stille macht ihn unheimlich. Kein menfchliches Wefen ift zur erbliden, fein Singvogel niftet in den Bäumen nur dann und wann hört man den lang- ſamen raufchenven Flügelfchlag von mächtigen ſchwarzen Geiern, die fich aus den Kronen der Bäume erheben, um den Plat zu umfreifen, fich dann wieder niederzulaffen und ſtumm um— herzuſchauen. Unweit des Eingangsthores find etwas erhöht über den Boden ſechs fteinerne Plateforınen gelegt. Auf jeder derjelben ruhen in den Strahlen ver Sonne zwei oder mehrere Hunde. Sie find fo fett und träge, daß fie fich kaum durch einen Steinwurf von ihrem Plate verfcheuchen laſſen. Der ſchöne ftille Park ift ver Kirchhof der Armen, welche die Ver— byennung nicht bezahlen fünnen. Die Hunde und die Geier find ihre Todtengräber. Die nadten Leichen werden in Stücke zerjchnitten auf die Plateformen gelegt. Raum haben ich bie Träger durch das Thor entfernt, jo vaufcht die Schar ber Geier hernieder, die Hunde ftürzen herzu, in zehn Minuten find nur noch die Gebeine übrig, und wenn fie von ben Angehörigen gefammelt und fortgebracht find, herricht- wieder die frühere Grabesjtilfe über dem Plage.

Nicht weit von diefem Begräbnißorte erblidt man bie Ruinen eines gewaltigen Thurmes, der, auf einer Fleinen Anhöhe erbaut, weit die in der Ebene liegende Stadt über- ragt. Der Durchmefjer diefes Thurms ift 230 Fuß, die Mauern find 25 Fuß did, und er würde, wäre er vollendet, eine Höhe von über 400 Fuß erhalten haben, allein er iſt faum bis zu 80 Fuß gediehen. Der Hügel fonnte das mäch—

256

tige Gewicht nicht tragen, das Erdreich gab nach, die Mauern barften, und wie ein anderer Thurm von Babel jteht das verwitterte Geftein als ein Wahrzeichen, daß dem Menfchen ein Ziel gejett ift, welches er nicht überfchreiten kann.

Ich fprach weiter oben davon, daß die Priefter fich auch mit Unterrichtgeben befchäftigen. Außer einigen Miſſions— ſchulen für chriftlihe Siamefenfinder eriftiren öffentliche Unter- vichtsanftalten weder in Bangfof noch fonjt überhaupt in Siam. Wohlhabende laſſen ihre Kinder privatim von Priejtern im Lefen und Schreiben, das einzige, was die meilten Lehrer jelbit verftehen, unterrichten, oder fie laſſen diefelben auch wol felbjt einige Jahre das gelbe Gewand nehmen, theils weil fie glauben, daß man fich dadurch ein großes Verdienſt ſowol bei Lebzeiten als nach dem Tode für die Seele erwirbt, theils weil die Kinder in den Klöſtern das lernen follen, was fie Dort von einzelnen bejjer gebildeten Bonzen oder aus den vorhandenen Büchern Schöpfen fünnen. Die untern Volksklaſſen wachien dagegen wild auf, und in Bezug auf allgemeine Bolfsbildung fteht Siam weit-hinter China und Japan zurüd, wo faft jeder- mann lejen und fchreiben kann.

33.

Schlechte Beihaffenheit der Straßen in Bangkok. Die Boote auf dem Mainam. Schwimmfertigkeit der Einheimifchen. Nationalität und Zahl der Bevölferung von Bangkok. Körperbildung und Tracht des finmefi- ihen Volks. Häßlichkeit der Frauen. Die Abſchließung der Ehen. Die Vielweiberei. Das Berhältnig der Frau zum Manne. Das Concubi- nencorp8 und die erfte Frau des Königs. Die Sflaverei. Der Reis— bau und die ſiameſiſche Faulheit. Betriebfamkeit der Chinefen in Siam. Mufif und mufifalifhe Inſtrumente. Ein nationales Concert. Ein fiamefifches Feuerwerk. Die Induftrie des Landes in den Händen der Chinefen. Der König als Kaufmann. Schiffahrt und Handel, Ueber- gewicht der Deutſchen im fiamefifchen Verkehr. Teafholz als Ausfuhr: artifel. Die Landesmünzen.

Die Straßen von Bangfof find ſehr trauriger Art. Sie liegen zwar etwas höher als der Grund, und find auch mit Backſteinen gepflaftert, allein es geht ihnen wie allen Bau— werfen in Siam, Tempeln, Häufern, Brüden und Schiffen: man baut fie, aber veparirt fie nie. Alles wird ausgenust, bis es in Trümmern fällt und dann durch Neues erjekt. Daher macht alles in diefem Genre einen traurigen Eindrud, und wie die Schönen Tempel fußhoch von Stüden ihrer Orna- mente umgeben find, die Winde und Wetter herabjtürzten, jo iſt auch das Straßenpflafter faſt überall zerriffen, und man muß fich jehr in Acht nehmen, um in den Löchern nicht die Beine zu brechen. Ueberdies find die Straßen während der Ueber-

Werner. I. 17

258

ſchwemmung des Fluffes nur mit Booten zu paffiven, und auch während der übrigen Jahreszeiten ftehen fie theilmeife bei der Flut fußhoch unter Waller, ſodaß man nur zur Ebbe- zeit einen Spaziergang durch die Stadt machen fan, wenn man ſich dazu aufgelegt fühlen follte und nicht wie die Siameſen barfuß gehen will. Die Hauptwege bleiben deshalb immer der Mainam und die Kanäle, von denen Bangfof überall durchichnitten iſt. Faſt jeder Hauseigenthümer befitst auch ein oder mehrere Boote, und man fieht deren faft fo viele wie in Kanton oder Konftantinopel in allen Größen, von dem jechsfüßigen Canot, in dem nur Eine Perſon fiten kann und das mit der größten Gefchiclichfeit balancirt werden muß, um nicht umzujchlagen, bis zu den SO Fuß langen königlichen Barfen, deren 40O—50 Ruderer mit rothen Hemden be= Heidet find, und die einen großen rothbejchlagenen Baldachin tragen, unter dem 20—30 Perfonen Platz haben. Ich habe bereit8 erwähnt, daß die Boote alle fehr feine Linien auf- weifen und äußerſt zierlich gebaut find. Die gewöhnlichen Paffagierboote find zum Schutze gegen Sonne und Regen mit einem halbehlinderförmigen Flechtwerf aus Bambus über- dacht, welches jedoch fo niedrig ift, daß man darin nur fißen oder Liegen fann. Bei der Maffe folcher Fahrzeuge, die auf den Fluffe und in den Kanälen aneinander vorbeifahren, und bei ihrer geringen Stabilität kann es nicht ausbleiben, daß oft Colliſionen ftattfinden und ebenſo häufig Boote um: Ihlagen. Sehr felten paffirt jedoch dadurch ein Unglüd, denn die Siamefen jeden Alters und Gefchlechts find treffliche Schwimmer, und täglich fanı man Mütter mit ihren Säug- lingen im Waffer umherſchwimmen und Kinder von drei bis vier Jahren wie Enten tauchen fehen.

Es ift fchwer, etwas Genaues über die Bevölkerungszahl der Stadt zu erfahren. Ein officielfer Cenſus exiſtirt zwar, wird aber nicht veröffentlicht oder nur infoweit, als er die

259

Steuerzahler trifft. Die Angaben ſchwanken zwifchen 100000 und 500000. Die Siamefen felbft rechnen die Bevölferung ihrer Hauptftant nach Millionen, und zu Anfang dieſes Iahrhunderts ſoll Bangfof auch von 400000 Familien bewohnt gewejen fein. Krieg und Cholera, welche lettere verfchiedene male fchreflich gewüthet hat und im Sahre 1857 30000 Menfchen hinraffte, haben ihre Zahl jedoch mehr als decimirt, und die Schätzung des apoftolifchen Biſchofs Pallegoix auf 400000 Ein- wohner dürfte eher zu hoch als zu niedrig gegriffen fein. Das ganze Land zählt eine Bevölferung von 7—8 Millionen. Davon find etwas über ein Drittheil Siamefen, ein Viertheil Chineſen, ein anderes Drittheil Malaien und Yaoslente und der Reſt Burmefen und Araber von der Küfte Koromandel.

Die Siamejen gehören zur mongolifchen Kaffe, find im allgemeinen ein Fräftiger Menfchenfchlag, größer als die Ma- laien, von dunfler Fupferbrauner Hautfärbung, aber jonft im Gefichtstypus ihnen ähnlich, obwol häßlicher und mit gröbern Zügen. Die Stirn ift ſchmal, die Nafe platt mit großen Nafenlöchern, die Augen fehwarz mit gelblichem Weiß, die Lippen bie und das Haar die und borftig. Die Häßlichkeit fallt namentlich beim weiblichen Gefchlecht auf. Die Geftalt der Weiber ift durchgängig fchön, das Ebenmaß der Glieder ſymmetriſch, nur vermißt man die weichen Formen und bie Muskulatur ift zu Fräftig. Dies mag mit von der fchweren Arbeit herrühren, die das Weib in Siam verrichten muß. Das Geficht ift jedoch deſto häßlicher, und ich habe in Feinem Lande fo unfchöne Frauenzimmer gefehen wie hier. Starf herportretende Badenfnochen, platte Nafe und großer Mund marfiven das Geficht, das durch die Haartracht noch mehr entjtellt wird. Dieſe Teßtere ift bei Männern und Frauen faſt gleich. Der Kopfift nämlich Fahlgefchoren, und nur vorn über der Stirn jteht ein Freisförmiger Schopf von zolllangen ftrup- pigen Haaren. Die Frauen laffen außerdem an der Vorder:

N

260

jeite jedes Ohrs einen Büfchel Haare wachfen, jedoch iſt derſelbe fo dünn, daß ein Fremder ihn leicht überjieht. Zuerſt ver— mag ınan daher beide Befchlechter gar nicht voneinander zu un— terfcheiden, da auch ihre Kleidung diefelbe ift. Diefe bejteht für gewöhnlich aus einem Sarong, der um bie Hüften ge- ſchlungen ift und bis auf die halbe Wade reicht. Dazu tritt in den Winterinonaten noch eine lofe Kattunjade für ven Dberlörper, wenn man fich nämlich auf der Straße befindet; oder die Jade wird durch ein ſhawlartiges Tuch erſetzt, das entweder über eine Schulter fchräg über Bruſt und Rücken berunterhängt oder auch von den Frauen bei der Arbeit quer und ftraff über die Bruft gebunden wird. Im Haufe wird jedoch ſowol Jade wie Tuch oft abgelegt und der Oberkörper unbededt gelaſſen. Kinder laufen bis zum zehnten oder zwölften Jahre gewöhnlich ganz nackt; doch tragen die Fleinen Mädchen häufig an einer Schnur um die Hüften ein Feigen— blatt, je nach der Wohlhabenheit ver Aeltern aus Silber oder Meffing und häufig jehr kunſtvoll gearbeitet. Dies jcheinen die Siamejen von den Malaien angenommen zu haben, bei welchen Volke e8 allgemeine Sitte ift.

Wenn irgendetwas dazu beitragen kann, die Siamefinnen noch Häßlicher zu machen, fo ift e8 das beftändige Betelfauen, von dem Lippen und Zahnfleiſch blutroth gefärbt werben, während man gleichzeitig die Zähne mit einem aus China fommenden Pulver fehwarz macht. Man denke fich nun den Mund eines jungen Mädchens im diefer Weife und dazu Den Kopf geſchoren bis auf den borftigen Bufch über der Stivn es iſt wirklich ein ſchrecklicher Anbli, namentlich aber wenn das dunkelbraune Geficht noch mit Curcume gelb gefchminft wird, wie e8 bei Frauen und Kindern Sitte tft, welche lebtere fehr häufig über den ganzen Körper mit jenem Stoffe ge färbt erſcheinen. Dabei find fie fehr für Schmudjachen ein- genommen und mit allen möglichen Ningen, Spangen ‚und

261

Geſchmeiden behängt, wenn fie diefe fich irgend zu verichaffen wiffen.

Die Frauen nehmen in Siam feine ſtlaviſche Stellung ein, fondern find die Gefährtinnen ihres Mannes, und felten wird ein Mädchen gezwungen gegen ihren Willen zu heirathen. Eine Heirath ift wie in China mit jehr vielen Präfiminarien und Unterhandlungen verfnüpft, wird aber als ein reiner Civilact betrachtet, der Feinerlei veligiöfe Weihe bedarf. Die Heltern des Bräutigams erhandeln die Braut von deren Aeltern und nach abgejchlojfenem Contract geben fie beider- feitig ihre Kinder zufemmen und fchliegen die Ehe mit deu Worten: „Seid verheirathet und lebet zufanımen, bis der Tod euch trennt.“ Finden die Brautleute Widerſtand, fo folgt gewöhnlich eine Entführung, die ſchließlich mit der Einwilligung der Aeltern oder auch ohne diefelbe Durch die Gerichte gutge- heißen wird. Mit einigen Gejchenfen und Befuchen ift die Ehe dann abgemacht, die gewöhnlich ſehr jung abgefchloffen wird. Selten heirathet ein Mädchen fpäter als mit dem funf- zehnten oder jechzehnten Jahre. Vielweiberei ift erlaubt, und reiche Leute haben gewöhnlich mehrere Frauen. Jedoch ift nur die erfte legitime Herrin im Haufe, ihre Kinder find alfeinige Erben, und die Concubinen ftehen in bienftbarem Verhältniß zu ihr.

Der König geht in der Polygamie mit gutem Beifpiel voran; er befitt circa 300 Concubinen, die zugleich den Dienjt im Palafte haben, vollftändig uniformirt und unter dem Namen der Amazonen befannt find. Die vechtmäßige Frau darf nicht innerhalb des erften Grades der Bluts- veriwandtjchaft mit dem Manne ſtehen, der König macht je- doch in gewiljen Fällen hiervon eine Ausnahme. Um die Thronfolge zu fichern, fann er Schweiter und Tochter zur Gattin nehmen. Die erfte Frau des jeßigen Königs ift die Tochter eines fiamefifchen Großen. Wie das nebenanftehende,

262

nach einer Photographie entworfene Bildniß diefer Dame auf- zeigt, zeichnet fich diefelbe ebenfo wenig durch Schönheit wie duch Neichthum der Toilette aus. Doc foll fie ihre Mut- terpflichten aufs beſte erfüllen und die 25 Prinzen und Prin- zeflinnen, welche theils ihre eigenen Kinder, theils die ver ſechs eriten Concubinen des Königs find, trefflih in Oronnng zu halten wiſſen.

Dbgleih die Frauen ihren Theil an den Gefchäften des Mannes nehmen, find fie doch in Gegenwart deffelben ftets jehr unterwärfig, und wenn Europäer dabei find, nähern fie fih ihm nicht anders als auf allen Vieren friechend, wie es überhaupt in Siam Sitte ift, daß der Untergebene zum Borgefetten in diefer Weife fommt. So liegt der Sklave vor feinem Herrn, der Gouverneur vor dem Minifter, ver Miniſter vor dem Prinzen und alfe vor dem Könige auf der

Erde. In jeder Berfammlung fteht oder fitt nur Einer, der Höchfte im ange, alle andern liegen auf dem Bauche. Der Mann kann feine Frau verfaufen oder verpfänden und Geld darauf borgen; ebenfo feine Kinder, Schweiter oder jüngern Brüder und diefe bleiben fo lange Sklaven des Glänbigers, bis der Schuldner zahlt. Wenn aber die Frau dem Manne eine Mitgift zugebracht hat, jo darf er fie nicht verfaufen, dagegen ift fie für Bezahlung der Schulden ihres Mannes mit ihrer Freiheit verhaftet, wenn diefer fie mit ihrem Wiffen oder ihrer Einwilligung gemacht hat. Da der gefegliche Zins: fuß in Siam 30 Procent beträgt, fo kann man fich denken, daß eine zum Borgen gezwungene Familie leicht dev Sklaverei verfälft, um fo mehr, als der Durchfchnittspreis eines Sklaven nur 80 Thaler beträgt und daß dadurch die Sklaverei fehr ausgebreitet werden muß. Sie tft jedoch fehr milde und vor Mishandlungen oder Graufamfeiten werden die Betreffenden durch das Geſetz geſchützt. Da die Arbeit eines Sklaven nach dem Gefege nur al8 Zinfengenuß eines unbezahlten Kapitals

N,

Varna,

Y

HH.

HN

WM IHN In

Zu U, 262.

<

Erſte frau des Königs Mongkut von Siam.

263

betrachtet wird, fo kann fich jeder Sklave wieder frei Faufen oder feinen Herrn zwingen, ihn an einen andern zu verkaufen, wenn bdiefer die auf ihm haftende Schuld zahlt. Cinige Sklaven fünnen jedoch nie wieder frei werden, wenn dies bei dem Kaufcontracte ausgemacht ift.

Die Hauptbefchäftigung der Siamefen iſt der Aderbau und das Haupterzeugniß des Landes der Reis. Objtbaumzucht findet man ebenfalls vielfältig, aber bei der Fruchtbarfeit des Landes beanfprucht der Baum nach dem einmaligen Pflanzen weder Arbeit noch Pflege. Der Reis wird nad) Eintritt der naffen Sahreszeit im Juni geſäet, nachdem vorher im Mai der Ader aufgebrochen ift. Die Ernte ift im Januar, und der Reis wird auf den Feldern gedrojchen. Stroh und Wurzeln werben auf dem Acker verbrannt und bleiben dieſem als Dinger.

Diefe geringe Arbeit, welche die Lebensbedürfnifje deckt, macht das Volk fehr träge, und Indolenz ift ein Hauptcharaf- terzug der Siamefen. Wenn fie e8 nicht durchaus nöthig ha— ben, arbeiten fie nicht, ſondern figen im ſüßen Nichtsthun mit untergejchlagenen Deinen und fauen Betel. Ich habe unter den afiatifchen Völferfchaften nie jo eifrige Betelfauer ange- troffen als in Siam; der Mund iſt in bejtändiger Bewegung, und jede BViertelftunde wird die Dofis erneuert. Der König und der Bettler huldigen darin demſelben Geſchmack.

Wegen der angeborenen Trägheit jeiner Bewohner wird Siam troß feines Reichthums an Bodenproducten durch die Siamefen felbft nie aufblühen, jo gern der König auch das Land heben möchte. Was im Lande an einträglicher Arbeit gefchieht, machen die Chinefen, die zu Millionen eingewandert find und einwandern. Diefe fleifigen jtrebfamen Menfchen haben den Siamefen bereits alles vorweggenommen: fie bauen den Reis und Zuder für die Ausfuhr, fie errichten Reis-, Zuder- und Sägemühlen, die gefammte Induſtrie ift in ihren Händen und ebenfo der ganze Handel. Sie werbeit

264

reich, und die faulen Siamefen bleiben arm. Wie über- all auf der Erde, fei es Java, Californien oder Weft- indien, wo Chinefen eingewandert find, haben fie auch ihre ganze nationale Eigenthümlichfeit mitgebracht und erhalten. Sie bewohnen ein beſonderes Viertel in Bangkok, und dies gleicht irgendeinem Theile einer Stadt in China wie ein Ei dem andern. Zopf, Kleidung, Theater, Spielhäufer, Quackſalber alles findet fich hier fo originell wie im Himmlifchen Reich, und wie dort brennen auch hier in jedem Haufe die Räucherſtäbe vor dem nie fehlenden Altar mit dem Bilde des verehrten Kong-fu-tſe. Die nicht allein ven Siamefen, fondern auch den Europäern unbegreifliche Thätig- feit der Chinefen, die mit Tagesanbruch beginnt und ununter— brochen fi) bis ſpät in die Nacht erjiredt, macht faft alle fehr bald wohlhabend und reich. Der geringe Lohn, mit dem die Arbeiter fich begnügen, macht auch die von den Europäern verfuchte Mafchinenarbeit nicht rentabel, und während z. 9. die Handreismühlen der Chinefen zu Tauſenden Tag und Nacht arbeiten, liegt die große amerifanifche Dampfreismühle ziemlich brach.

Die Laoslente, deren Zahl in Bangfof ————— 20000 beträgt, unterſcheiden ſich von den Siameſen nicht viel. Man erkennt ſie nur an- der etwas dunklern Hautfärbung und dem langen Haar, das die Männer herunterhängend, die Frauen aber in einen Schopf zuſammengebunden tragen. Auch ſind ihre Züge nicht ſo häßlich, und unter dem weiblichen Geſchlechte findet man ganz angenehme Geſichter. Etwa 5—6000 Sia— mejen tragen ebenfall® das Haar lang, dies find aber Chri- jten und das lange Haar das Äußere Erfennungszeichen der Sonvertiten. König Mongfut ift ſehr tolerant und gewährt volfftändige Religionsfreiheit. Die amerifanifche und die franzö— ſiſche Miffion wetteifern daher in ihren Befehrungsperfuchen, objchon die Tettere mehr Profelyten macht. . Ob aber bie

265

Dmantität nicht auf Kosten der Qualität erreicht wird, laſſe ich dahingeftellt fein.

Sch habe bereits oben gezeigt, daß den Siamefen in ihrem Bauftil ein edlerer und großartigerer Kunftjinn innewohnt als ihrem Nachbarvolfe, ven Chinejen, und daß fie in diefer Beziehung fait alle aſiatiſchen Völkerſchaften, felbit die hoch- eivilifirten Japaneſen weit überflügeln. Daffelbe gilt von der Mufif, von der alle Siameſen außerordentliche Freunde find, ſodaß man Mufif fait in jedem Haufe hört. Während die chinefiiche Tonkunſt unjer Trommelfell zerreißt und unfere Nerven erfchüttert und, gleich der japanefifchen, durch ihren Mangel an Harmonie jedes europätfche Ohr unangenehm berührt, waltet in ver fiamefichen durchaus Harmonie vor; fie nähert fich zugleich in Charakter, Eintheilung und Rhythmus jo ſehr der unferigen, daß man davon überrafcht wird. Jeder ſiameſiſche Große over wohlhabende Bürger hält ſich eine Hausfapelle. Sie beiteht gewöhnlich aus 8 Perfonen, fait immer Frauen, und ich hatte Gelegenheit, dev mufifalifchen Vor— jtellung einer folchen Kapelle beizumohnen. Die Instrumente in erjter Keihe find zwei Harmonifas, nach dem Prineip unferer Glasharmonika conftruirt, nur daß die Glasjtäbe durch abge- jtimmte Bambusftäbe erfett werden. Jede derfelben hat 22 Töne, und zwar fchließt fich in vegelmäßiger Folge der tiefite Ton der zweiten an den höchſten Ton der erjten an, ſodaß fie eine Tonleiter von 44 Tönen vepräfentiven. Merkwürdiger— weije fehlt jenoch in jeder Octave die Ouinte und ift dafür der halbe Ton der Serte eingefchoben. Das eine diefer In— ſtrumente, deren Refonanzboden wie das Modell eines drei Fuß langen Bootes geformt und aus einem Stüd jehr harten Holzes ausgearbeitet ift, wird mit bewidelten, das andere mit unbewicdelten Holzhämmern angefchlagen, und zwar das erite ſtets um eine Terz tiefer al8 das zweite, d. h. mit einem Zwifchenraum von drei Octaven. Was ich am meiften dabei

266

bewunderte, war die Fertigkeit, ja ich darf wohl fagen Bir- tuoſität, mit der die Spielerinnen ihr Inftrument behandelten. Die Läufe und namentlich die Zriller waren fo gleichmäßig und glocdenrein, dag man ftaunen mußte, und nie hörte man auch bei dem Prejtiffimo ven leifeften falfchen Ton.

Zwei Glodenfpiele, nach vemfelben Princip wie die Bambusharmonifa conftruirt, traten in zweiter Reihe auf. Ein Freisförmiges Gejtell mit einem Ausfchnitt, in dem die Spielerin ſaß, bildete den Haltpunft für meffingene Stäbchen, auf deren Spite die Glocken ſchwebten. Diefe jftimmten wieder in der Terz mit ven Bambusjtäben, und jedes Inſtrument hatte wie die Harmonifa 22 Gloden oder Töne. Jedoch befchränften fie fich mehr auf die Begleitung, während die Harmonifas die Melodie angaben. Die dritte Art ver Inſtrumente war eine Art PBanflöte. Vierzehn Röhren von Bambus find in zwei Reihen, aljo in jeder fieben neben- einander befeftigt. Je zwei und zwei haben gleiche Länge; die längften mefjen 10, die fürzejten 8 Fuß. Zwei Fuß von den untern Enden find ſämmtliche Röhren durchjchnitten und in die untere und obere Hälfte eines der Länge nach durch— bohrten hölzernen Cylinders eingelaffen. Diefer Cylinder, deſſen eines Ende offen ift, dient als Mundſtück, und beim Blaſen wird er durch beide Handballen feitgehalten, während die Finger die unmittelbar über ihm befindlichen Schallöcher öffnen oder jchliefen. Diejes Imftrument gibt bei jedem Hineinblafen einen regelmäßigen Accord, und feine Töne find fo angenehm, daß Sir John Bowring es in feiner Befchrei- bung Siams „die liebliche Flöte von Laos“ betitelt. Ein viertes Inftrument iſt eine Schalmei, wie fie auch Chinefen und Japaneſen befiten, und die einen zwifchen Oboe und Cla— rinette liegenden Ton gibt. Eine koniſche Trommel endlich, deren beide Felle verfchieden tönen, und ein Paar Glockenca— ftagnetten machen ven Schluß einer fiamefifhen Kapelle aus.

267

Im allgemeinen ift die Mufif ernft. Sie beginnt gewöhn— ih mit dem recitativen Gefange der Kaftagnettenjchlägerin, der jedoch fich fehr dem Kreifchen ver Chinefen nähert. In ven lebten Ton des Necitativs füllt unisono die Schalmei ein, dann folgen die Bambusharmonifas, und enplich ſchließen ſich die übrigen Inftrumente an. Ein Thema ijt vorwaltend, und das ganze Muſikſtück befteht aus vier bis fünf verjchie- denen Abtheilungen, einem Adagio, Andante, Scherzo und Prefto, in denen allen das Thema erfennbar wiederfehrt, wenngleich die drei letzten keineswegs nur Variationen deſſel— ben find. Die ganze Aufführung dauerte faft eine Stunde, und obwol das Enjemble bisweilen jehr laut wurde, hörten wir doch mit gefpannter Aufmerkfamfeit und großem Vergnügen zu und nahmen einen ſehr angenehmen Eindrud mit uns fort.

Unfer Wirth, ein wohlhabender Kaufmann, vegalirte ung indeffen mit Thee, den er in einem Miniaturkefjel, aus vothem Thon und fehr fauber gefertigt, felbjt bereitete und ung in Miniaturſchalen darbot. Da er glaubte, daß das Siten mit untergefchlagenen Beinen auf dem Erdboden ung unbequem fein möchte, ließ er auch Stühle und ein Sopha für ung bringen; er felbjt aber blieb auf ver Matte fiten.

Unterdeffen war es Abend geworden und bei dem Zurück— fahren auf dem Mainam hatten wir das Vergnügen, ein Feuerwerk auf dem Fluſſe abbrennen zu fehen, das gleichfalls der Befchreibung werth ift. Diefe Feuerwerfe dienen vielfach zur Berherrlichung von Fantilienfeften, und man fieht fie des- halb in Bangkok jehr häufig. Das Mannbarwerden der Söhne und Töchter wird ftetd damit gefeiert, und auch das, welches wir jahen, hatte darin feinen Anlap.

Auf drei hintereinander veranferten Booten war das Feuerwerk aufgeftellt. An Sonnen, Sternen, Garben, Schwär- mern, Raketen und Leuchtfugeln fehlte e8 nicht; das Drigi- nelfe dabei war jedoch eine Feuerorgel, wie ich fie früher

268

noch nicht gefehen habe. Dreißig bis vierzig Orgelpfeifen aus Bambusröhren waren theilweife mit einem buntgefärbten Sate gefüllt. Sie wurden zu vier und fünf zugleich ange- jteeft, fprühten eine Zeit lang prachtvoll, Löften jich dann von ihren Haltern, flogen als Nafeten in die Lüfte und Tiefen einen ſehr hellen Ton hören, folange die Pfeife ftieg, ſodaß man bisweilen, wenn mehrere zugleich flogen, einen vollftän- digen Accord in den Lüften vernahm. in anderes ebenfo ſchönes als originelles Bild gaben drei Bäume, deren Stämme und Zweige aus Bambus und deren Blätter aus Kupfer gefertigt waren. Letztere hatte man mit verſchiedenen chemifchen Löſun— gen beftrichen und dann mit buntem Sat in Fleinen Hülfen belegt. Beim Anſtecken ſah man zuerft einen prachtvoll brennenden Baum, nad fünf Minuten aber, als das Feuer— werk abgebrannt war, die glühend gewordenen und infolge der Chemikalien in dem foftbarften Farbenwechſel jchimmern- den Rupferblätter. Der Anblick war wunderfchön, und unfere deutſchen Feuerwerker würden gewiß ein danfbares Publifum finden, wenn fie etwas Aehnliches fabrizirten,

Wie bereits bemerft, iſt fat die gefammte Induſtrie des Landes in die Hände der Chinefen übergegangen, und es dürfte kaum vorfommen, daß in der Hauptſtadt oder deren Umgebung ein Siamefe freiwillig ein Handwerk lernte, oder wenn er es gelernt, daß er es ausübte, wenn ihn nicht die größte Noth dazu treibt. Nur die Architeftur iſt ihr Sach mit den dahin einjchlägigen Branchen, als Sculptuvarbeiten, Moſaik, Golofchlägerei und Vergoldung, in denen fie Meifter find. Sonft find fie arm an Gewerben, und fabrifmäßig wird nur Zuckerſiederei und Ziegelbrennerei betrieben. Man fin- det zivar Töpfer, Zimmerleute, Tifchler, Maurer, Gerber, Seiler, Färber, Rupferfehmiede unter ihnen, allein die Chine- fen winden ihnen alles aus der Hand, und fo ift e8 auch mit dem Ackerbau. Das Land Ichnt alle darauf verwendete

269

Mühe in höchjtem Maße, und die Regierung thut ihr Mög— lichjtes, um den Aderbau zu begünftigen. Jeder hat das Recht, ein herrenlojes Stüd Yand, deſſen es viele Deillionen Morgen gibt, zu bebauen und nach Einholung der nie ver- fagten föniglichen Genehmigung als fein Cigenthum zu be- trachten; ja fleißigen Yandlenten werden won der Regierung Geldſummen zinsfrei vorgeſtreckt. Trotzdem weift die an— geborene Trägheit der Siameſen alle dieſe Vortheile von ſich und überläßt ſie den fleißigen Chineſen. Jene bauen gerade ſo viel Reis, als ihr häuslicher Bedarf erfordert, dieſe erzeu— gen bereits jährlich vier Millionen Centner für den Export. Ebenſo ſind alle Zuckerplantagen in den Händen der Chineſen und fie führen jährlich ſchon über 300,000 Centner Zucker aus,

Bis vor fünf Jahren war die Reisausfuhr verboten; der König ſah jedoch feinen Bortheil, wenn er fie werftattete, und gab fie frei, wodurch feinem Schaß eine Ausfuhriteuer von vier Millionen Thalern zufließt, die fih von Jahr zu Jahr mehrt. Ueberhaupt feheint König Mongfut in Gelvfachen ganz europäifch zur denken und ziemliches faufmännifches Ta— lent zu befigen. Er ift nämlich der größte Kaufmann feines Landes, und während er zuerjt von den Producten die Steuer zieht, verdient er zugleich die Fracht ihrer Verſchiffung nach fremden Pläßen, indem er feine eigenen Schiffe dazu ver— miethet. Er verbindet dabei das Angenehme mit dem Nütz— lichen, verdient viel Geld und muntert feine Unterthanen duch gutes Beifpiel zur Nachfolge auf. Bisjetzt ahmen jedoch nur einige Prinzen, Minifter und Chinefen fein Bei- fpiel nach. Prinz Kroom Luang Wong-fa, ein Stiefbruder von ihm, bat fogar Fürzlich directe Verbindungen mit Ham- burg angefnüpft, und furz nach uns ging eins feiner Schiffe dorthin ab. Er befitt neun Dampffchiffe und funfzehn Se- gelſchiffe, ſämmtlich europäifch gebaut und größtentheils von

270

deutſchen Kapitänen befehligt, die der König in der theoreti= Ihen Navigation felbft eraminirt, ehe er fie anftellt. Die ganze Handelsmarine Siams befteht aus 23 Dampffchiffen und 76 Segeljchiffen, die faft ſämmtlich erft in den Tekten 10 Jahren gebaut oder gekauft find.

Wie fich der Handel von Siam feit dem Negierungsan- tritte des jeßigen Königs durch Freigabe der Neisausfuhr, Herabfegung der Zölle für fremde Schiffe und andere liberale Maßregeln gehoben hat, mag aus Bergleichung der 1848 und 1860 in Bungfof eingelaufenen fremden Schiffe erhellen. Im erjtern Jahre befuchten 9 Fahrzeuge von zufammen 2200 Zonnen den Hafen, dagegen 1860 nicht weniger als 286 mit einem Gehalte von 109000 Tonnen. Im Jahre 1861 waren bi8 November jchon 317 Schiffe angefommen, und während im Jahre 1857 nur 1,047,659 Pikul Reis verſchifft wurden, betrug die Ausfuhr im Jahre 1861 drei Millionen Pikul oder über 34, Millionen Eentner, hatte fich mithin in vier Jahren faft verdreifacht.

In frühern Zeiten waren die Zölle für auswärtige Schiffe jo body, daß der Handel faft auf Null reducirt wurde. Ein Schiff mußte für fechs Fuß Breite 15000 Thaler bezahlen. Dann wurde diefer Zoll auf 1000 Tifol oder 800 Thaler für jenes Maß herabgeſetzt, feit fünf Jahren jedoch auf den zehnten Theil, und ſeitdem füllt König Mongfut durch die belebte Schiffahrt feinen Schatz.

Deutjchland ift ſewol direct als indirect am fiamefifchen Handel betheiligt. Zwei Drittheile dejfelben find in den Hän- den zweier deutfcher Häufer in Bangkok, und im Jahre 1861 bejuchten 82 deutſche Schiffe den Hafen. Der durch Graf Eulenburg abgefchloffene Vertrag ift deshalb für Deutfch- fand von um fo größerer Wichtigkeit, da die Deutfchen hier in erſter Reihe ftehen, Engländer und Amerikaner aber erjt nach ihnen kommen. Das deutſche Haus Marfwald u. Eo.

271

expebirte im Jahre 1861 allein 90 Schiffe von zufammen 51000 Tonnen. Der Chef dieſes Haufes, ein Preuße von Geburt, befitt das ganze Vertrauen der beiden Könige und des Prinzen Kroom Luang, ift der Agent für deren ſämmtliche faufmännifhe Gejchäfte und infolge deſſen von bedeutenden Einfluffe bei Hofe.

Außer dem Reis wird hauptjächli Zucker ausgeführt, im Jahre 1860 im Betrage von 203597 Pikul. Er geht meiftens nach China und ift von fehr guter Qualität. Fer— nere Erportartifel find Sapanholz, Pfeffer, Araf, Häute, Hör- ner, Cardamomen, Zinn, Seide, Elfenbein, leßteres jedoch nicht mehr in jo großer Quantität wie früher, da man es in Europa aus Afrifa billiger bezieht.

Die Einfuhr erreichte im Jahre 1859 einen Betrag von 563985 Pfund Sterling. Die beveutendften Artikel davon waren Shirtings, Sarongs und Opium, von beiden erftern fehr viel zolfvereinsländifche Waare. Auch Lurusartifel und Kurzwaaren famen aus Deutfchland, jedoch wird der Bedarf jolcher Gegenftände für das erfte immer noch bejchränft blei- ben. Einen Hauptausfuhrartifel des Landes habe ich noch an- zuführen, nämlich Teakholz, an dem Siam, wie überhaupt auch an andern Zier- und Nutzhölzern, fehr reich ift. Die eiferne Feftigfeit dieſes Holzes, das felbft ven Würmern zu hart, der Trockenfäule nicht ausgefett it und auch in Berührung mit Eifen diefes nicht oxydirt, hat bei vem Mangel an autem Bau- holz Schon längſt die Aufmerkfamfeit der europäifchen Schiff- bauer, namentlich aber ver Marinen auf fich gezogen. Seit Jahren verwenden England und Frankreich Teakholz zum Bau ihrer Kriegsfchiffe, da es bei diefen viel mehr als bei Kauffahrteifchiffen auf Feſtigkeit und Dauerhaftigfeit des Baues ankommt. Bisjekt wird es jedoch hauptfächlich von Rangun und Molmein, den Hauptftationen der Engländer im Nordweiten der hinderindifchen Halbinfel, geholt, obwor es

272

in Bangkok billiger ift. Der Kubikfuß ausgefuchten Holzes, frei von Aeften, Eoftet hier 25 Silbergrofchen, und da bei ung in Preußen, dem Lande des Holzes, der Kubiffuß Eichenholz bejter Qualität fich auf 1 Thaler 10 Silbergrojchen ftellt, jo würde fich gewiß auch die Einfuhr des Teafholzes nach Deutfchland empfehlen, namentlih da die Entwidelung un- ſere Marine große Maſſen guten Holzes beanfprucht.

Die Münzen Siams heißen Tſchang, Tamlung, Tifol, Sa— lung und Fuang; die erftern beiden find von Gold, die übri— gen von Silber, Ein Tſchang ift = 72 Thaler, ein Tamlung = 3 Thaler 13 Silbergrofchen, ein Tifol 27 Silbergrojchen, ein Salung 6 Silbergrofhen 9 Pfennigen und ein Fuang 3 Silbergroſchen AY, Pfennig. Den Tſchang fieht man faft nie und den Tamlung nur felten; der Tikol wiegt 236 Gran Troyes. Alle Münzen find fugelförmig und die Fuangs fo fein wie Erbjen. Originell ijt e8, wenn man beim Kaufen eines Gegenftandes auf dem Markte kleine Silbermünzen berausbefommt und dieſe plöglich von dem Verfäufer aus- gefpien werden. Wegen ihrer Kleinheit ift bei den Marft- leuten der Mund der gewöhnliche Aufbewahrungsort der Sa— lungs und Fuangs, ſonſt wird das Geld jedoch allgemein in jeivenen Börfen getragen. Jetzt geht man damit um, neue Gold» und Silbermünzen in europäischen Format zu fchlagen. Papier- und Kupfergeld gibt es in Siam nicht; als Scheide- münze für das ärmere Volk dienen Kauries, Kleine Muſcheln, die aus Indien und China eingeführt werden, und von denen nicht weniger als 800 auf einen Fuang, alfo etwa 20 auf einen Pfennig gehen.

Das Gepräge der neuen Münzen, von denen ich einige Probeſtücke gefehen, ift wunderjchön und macht dem Graveur alle Ehre. Auf der einen Seite fteht in fiamefifcher Schrift der Name des Königs und die Jahreszahl und auf der andern das Yandeswappen, ber Elefant, nebft dem Werth der Münze,

34.

Das Zweildnigiyftem in Siam. Die Thronfolge. Die Prinzeffinnen. König Mongkut. Die finmefifchen Aftrologen. Prinz Kroom Luang Wong-fa. Die Prinzen des Föniglichen Haufes. Die Bolksklaffen. Die Einnahmen des Königs. Segnungen und Plagen des Tropenklimas. Der weiße Elefant. Ueberfluß an Nahrungsmitteln, Siam ein Han- delsſtaat. Die franzöfifche Annectivungstuft in Hinderindien. Preußen und die Holländer. Hülflofigfeit Siams gegen franzöfiihe Eroberungs- politil, Die Neichthümer König Mongkut's. Der Bertrag zwiichen Siam und Preußen.

Die Regierung von Siam ift despotiſch. Es find zwar zwei Könige da, aber ver zweite over Vangna ijt dem erſten jubordinivt und eigentlich nur eine Puppe, obwol er von äußerer königlicher Macht und Prunf wie jener umgeben ift. Er befitt einen Hofjtaat, Beamte und einen Harem von Ama- zonen wie der erfte König, und wenn dieſer auch feinen Befehl ohne Zuftimmung feines Collegen erläßt, jo iſt dies mehr oder minder eine bloße Form, denn politifch iſt der zweite Kö— nig eine Null. Bei Kriegen ift er oberſter Befehlshaber, und macht er, feinen Berpflichtungen gemäß, dem erjten Kö— nig feine Befuche, fo ift ex die einzige Perfon im ganzen Königreiche, welche vor Sr. Majeftät fich nicht niederwirft, ſondern nach einem Gruße mit aufgehobenen Händen ſich neben ihn jeßen darf. Das Zweikönigſyſtem bejteht in Siam feit

Werner, II 18

274

vielen Sahrhunderten, aber merkwürdigerweiſe hat e8 noch nie zu Zerwürfnijjen Anlaß gegeben, wie dies in andern Staaten bei ähnlicher Einrichtung fast ftetS der Fall gewefen. Zur föniglichen Kaffe hat der zweite König Zutritt, jedoch nur mit Bewilligung des erjten Königs und auf Grund einer mit deffen Siegel verjehenen Anweifung. Der zweite König it gewöhnlich nahe mit dem erften König verwandt und ver gegenwärtige ein Bruder vejjelben.

Die Krone ift erblich; jedoch ift es nicht nothwendig, daß der ältefte Sohn Thronfolger wird, vielmehr kann diefer auch anderweitig vom König gewählt werden. Die Töchter des Königs dürfen fich nicht vwerheirathen, um feine mächtigen Schwiegerjühne befürchten zu müſſen. Dies ſchließt aber nicht aus, daß fie eine gute Erziehung erhalten, und während wir in Singapore waren, erließ der König von Siam in den dorti— gen Blättern eine Bekanntmachung, wonad) eine im Franzö— fifchen bewanderte und muſikaliſch gebildete Engländerin als Gouvernante für die königlichen Töchter gefucht wurde. Das Gehalt betrug 150 Thaler monatlich.

Sch jelbjt habe König Mongfut nicht gejehen, bejise aber eine ſchöne Photographie von ihm, nach welcher das nebenan- jtehende Bild gezeichnet ift. Danach hat er ein gutmüthiges Geſicht und, abgefehen von der Hautfarbe, das Anſehen eines gemüthlich behäbigen Bürgers. König Mongfut hat es übrigens gern, wenn er gebeten wird, fich photographiren zu laffen, und, er zwingt felbjt feine widerftrebenden Frauen zu ſolchen Sitzungen. Um die Fremden, welche jein Bild erhal- ten, wijjen zu laffen, daß er fchreiben fann, nimmt er ge: wöhnlich eine Feder in die Hand. ine bezeichnende Staffage iſt auch ter unmittelbar neben feinem Schreibtifche jtehende Flaſchenkeller. Champagner und Liqueure nimmt er gern als Gefchenfe an, und ich ſah einen eigenhändigen Brief Sr. Ma- jeftät an einen amerikanischen Kaufmann, in welchem er fich

3u II, 274.

Phra Somdet Mongkut, Eriter König von Siam.

275

auf das wärmſte für die Ueberfendung einiger Flafchen Cham- pagner bevanft. Zugleich bedauert er darin jehr lebhaft, daß er nicht im Stande fei, ein geeignetes Gegengefchenf zu mas chen, glaubt aber, daß der eigenhändige Brief eines Königs für ihn, den-Raufmann, Werth haben und fonach ein Aequi- valent fein werde.

König Mongfut fpricht und fchreibt das Englische ziemlich correct und beffer als irgendeiner feiner Unterthanen. Er gehörte früher dem Priefterftande an und hat feine Priejter- ſchaft auf das beſte benugt, um Engliih, Sanskrit und Pali zu ſtudiren. Außerdem hat er fich ernftlih mit Theologie, Geſchichte, Geographie, Phyſik, Chemie, Aftronomie und Afteologie beichäftigt. Ich Habe bereits bemerkt, daß er die Kapitäne feiner Schiffe in ver theoretifchen Navigation ſelbſt eraminivt, und dieſe verfichern, daß er genau darin Be— fcheid und mit dem Sertanten wie der bejte Praftifer umzu— gehen wilfe. Nach dem Beifpiele Karls V. hat er ein ganzes Zimmer voll Chronometer und Uhren, deren Gang er gleich- mäßig zu machen beftrebt ift, und die er zu dem Zwecke öfter auseinander nimmt und wieder zufammenfegt. Die Ajtrologen fpielen in Siam eine große Nolle, und troß feiner für einen afiatifchen Fürften bedeutenden wiljenjchaftlichen Bildung hat fih König Mongkut noch nicht von ihnen losmachen Fünnen. Sie müfjen Trodenheit und Negentage, Krieg und Frieden vor- herfagen, und nichts Wichtiges gejchieht im Neiche, ohne daß fie um Rath gefragt werden. Trotzdem find fie ſchlimm daran, wenn ihre Prophezeiungen nicht eintreffen. Dann werben fie nämlich oft abgefett, erhalten auch jedesmal eine Tracht Schläge, während fie andererfeits mit reichen Gejchenfen belohnt werden.

Der König befitt nicht weniger als zehn jüngere Brüder; der befanntefte unter ihnen ift der fchon genannte Prinz Kroom Luang Wong-fa Tirat Tanit. Er iſt ein großer Freund der

18*

276

Europäer und namentlich mit dem Chef des obenerwähnten deutſchen Haufes jehr befreundet, durch ven auch ich mit ihm befannt wurde. Später, als ich einmal mit einem Boote vor feinem Haufe vorbeifuhr, ſaß er vor der Thür, vief mich zu ſich, und ich Hatte die Ehre, bei ihm eine ſehr feine Ma— nilacigarre zu rauchen und eine Taſſe Thee zu trinfen. Leider war die Unterhaltung ſehr bejchränft, va der Prinz das Engliſch kaum fließender ſprach als ich ſelbſt das Sia— mefifhe. Sein Geficht ift noch gutmüthiger als das des Königs und der alte Herr jehr beleibt. Ich fand Seine Hoheit in Kleiner Uniform, d. h. nur mit einem um bie Hüften gefhlungenen Sarong, während er bei officiellen Ge— legenheiten ein Hemde, Beinkleider, feivene Jade und einen mächtigen Schleppfäbel trägt. Im letzterm Coftüm erfcheint er auch auf einer Photographie, die ev mir zum Gejchenf machte. Der König hat ein Miniſterium, das nur ihm allein verant- wortlich it. Prinz Kroom Luang ijt Präſident des Staats- vaths oder Wanglang. Er entjcheivet als folcher über die wichtigen Staatsaffairen, ift oberjter Richter für die Radſchas und hohen Beamten, Polizeipräfivent von Bangfof und hat überdies das fehwierige Ant, die Amazonenfchar des Palajtes in Dronung zu halten, ihre Streitigfeiten zu Tchlichten und fie eventuell zu beftrafen. Das ift gewiß feine Sinecure! Die Europäer haben dem Prinzen viel zu danken, da der Premierminifter denjelben durchaus nicht wohl will. Ginge e8 nach dem Kopfe dieſes Meinifters, jo würde Siam balo ebenfo gegen Fremde gejchloffen fein wie eheden Japan. Seine Motive find ganz patriotifch, der Dann hat Gefchichte ftudirt. Er fagt: „Ueberall, wo bier in Aſien die Euro- päer hingefommen find, haben fie die Völker unterjocht und die Herrfcher zu Nullen gemacht. Yaffen wir fie nah Siam fommen, fo geht e8 uns ebenfo, und das will ich nicht.“ Das ift freilich richtig und gut gemeint, aber es wird dem Manne

277

nicht viel helfen: die Europäer figen in Siam durch Verträge feft und gehen gutwillig nicht wieder fort.

Die übrigen Prinzen des königlichen Hauſes jtehen an ber Spite der höchſten Hofchargen, find jedoch eine Plage für das Land und das Bol. Sie bevölfern nur ihren Harem mit geraubten hübfchen Mädchen und ihre Theater und Muſikcorps mit jungen Männern, die fie ebenfalls preſſen laffen, und fehren ſich auch ſonſt nicht viel an Recht und Gejek.

Die Beamten fcheiden ſich in fünf Klaffen. In ebenjo viele Klaffen zerfällt auch das niedere Volk, nämlich in die Solda— ten, in die Fronpflichtigen, in die Zributpflichtigen, in die Hörigen ver Mandarine und in die Sflaven. Die Fronpflich- tigen müſſen drei Monate im Jahre bei allen öffentlichen Bau— ten Perſonaldienſte leiften oder gegen eine Summe von 16 Tifol jich davon befreien. Die Hörigen der Mandarinen dürfen von diejen jedoch nur zu gewiſſen Dienftleiftungen herangezo- gen werben und müffen außerdem noch eine jährliche Steuer von ducchfchnittlich vier Tikol zahlen. Die Sflaven find fteuerfrei, bilden aber faft ein Drittheil der Bevölkerung. Die Chinefen find einer Kopfſteuer unterworfen.

Die Einnahmen des Königs, der überdies eine Menge Gewerbe monopolifirt und deren Ausbeute verpachtet hat, find fehr bedeutend. Außer dem Tribut, welchen er an Gold, Farbhölzern, Droguen und Gewürzen von feinen Vafalfen- fürften, den Radſchas, erhält, zieht er die Grundſteuer, die für jeden Morgen Reisader bei der Ernte in einem Tifol bejteht. Sodann wird jeder Pikul ausgeführter Reis aber- mals mit einem Tikol verzolft, ebenjo Zuder, Pfeffer, Tabad u. ſ. w., und außerdem erhebt er die Schiffahrtsabgaden. Die jih aus allen diefen Einnahmen ergebende Summe beläuft fich auf mehr als 25 Millionen Thaler.

Während Siam einerfeits die größte Fruchtbarfeit und fonftigen Segnungen eines tropifchen Bodens und Klimas auf«

278

zumweifen bat, bejitt e8 auch alle Plagen veffelben. Es ift reich an Rrofodilen, Schlangen und allem jenen Gewürm, deſſen Anblie bei ven meiften Europäern ein Schaudern her- vorruft. Schlangen gibt es unzählbar, und wie der Golf, jo wimmeln auch Flüffe, Wege und Felder davon. Die weißen Ameifen find eine Yandplage, fie richten die größten VBerheerungen an, und wehe dem Magazin, in dem fie ungeftört vier bis fünf Tage haufen dürfen. Möchten auch Taufende von Centnern Reis darin lagern, fie würden durch diefe Räuber, die fich mit märchenhafter Schnelligfeit vermeh- ven und fich in ſechs Tagen verzehntanfendfachen, in Staub verwandelt. Faft alle Magazine werden deshalb auch mit naffen Gräben umzogen, das einzige Mittel, um fie abzuhal- ten. Bei ihrer Metamorphofe befommen fie Flügel, erheben fih in die Lüfte und werden dann von den Infektenfrefjern vertilgt, ein Glück für das Yand, das ihnen font bei fol- cher Vermehrung balo ganz zur Beute fallen würde.

An Tigern, Leoparden und ähnlichen Raubthieren ift eben- falls fein Mangel, und Affen kann es faum mehr in irgend- einem andern Lande geben. Man fieht fie ganz im der tähe von Bangkok in Scharen von Hunderten fich ohne Scheu vor den Menfchen auf ven Bäumen bewegen, und fie richten in den Gärten und Objtplantagen fchredliche Verwü— ftungen an. Gezähmt find fie die poffirlichiten, aber auch zu- gleich die nichtsnusigften, diebiſchſten Racker, die man fich denfen kann. Wir hatten eine ganze Auswahl davon an Bord für ven Zoologifehen Garten in Berlin, und haben fie in dieſer Beziehung zur Genüge kennen gelernt.

Rhinoceroſſe gibt es ebenfalls, aber nicht jehr häufig. Sie werden wegen bes als Arzneimittel dienenden Horns und we— gen der Haut gejagt, die durch langes Kochen in Gallert ver- wandelt wird und als Leckerbiſſen gilt. |

Der Elefant wird in Siam fehr gefchätt und als ein

279

vernünftiges Wefen betrachtet. Es gibt deren außerordentlich viel im Lande, und fie erreichen oft eine Höhe von 12—14 Fuß. Da fie zu den Reiſen und Märfchen im Innern un- entbehrlich find, fo bilden fie auch einen bedeutenden Theil des Heeres und der König hält 600 Striegselefanten. Das berühmtefte diefer Thiere ift jedoch der befannte weiße Elefant, der fich einer befonvdern Heiligkeit und Verehrung erfreut, weil er nach buddhiſtiſchen Begriffen die Seele eines Buddha bes berbergt, indem fich dieſe bald in weiße Affen, bald in weiße Elefanten verwandeln. Der Glüdliche, welcher ein folches Thier fängt, erhält zunächſt fo viel Land, als der Schall eines Elefantenfchreies durchdringt und außerdem ein Sahrgeld von 600 Tikol. Der Statthalter der Provinz, in der er ent- deckt ift, berichtet das glückliche Ereigniß nach Bangkok, und es wird eine Straße durch die Wälder bis an den nächiten Fluß. gebahnt und ein reich mit Blumen gejchmüctes Floß herge- jtellt, anf dem das heilige Thier unter einem Iuftigen Gebäude untergebracht und mit Zuderrohr und Kuchen gefüttert wird. Der Elefant wird dann, von hohen Mandarinen und Mufik geleitet, von 50 bis 60 Booten nad) Bangfof gerudert, wo er vom Könige, an der Spite der höchften Beamten, empfangen und ihm der Rang eines Mandarins erfter Klaffe in Gnaden verliehen wird. Sein Stall befindet fich innerhalb des fünigli- chen Palaftes, und er erhält eine Menge Beamte zu feiner Bedienung. Die einen müſſen für fein Futter forgen, die andern ihm Kühlung zufächeln oder ihm die Fliegen abweh— ven, wieder andere fein Lager mit Blumen ſchmücken oder ihm Muſik machen, um ihm die Zeit zu vertreiben. Seine Zähne werden mit goldenen Ringen geſchmückt, und alles wirft fih vor ihm nieder. Wenn er zum Baden geht, hält ihm ein Beamter einen vothen Sonnenſchirm über ven Kopf, und durch Hornfignale wird ven Volke angezeigt, ihm Platz zu machen. Bei feinem Tode wird allgemeine Landestrauer

280

verordnet und das Begräbniß ift ebenfalls non großem Pompe begleitet. Zu den Dienftleiftungen niebrigfter Art fir ihn, als Grasfchneiden, Reinigen des Stalles, werden Talapoins genommen, die fich eines Vergehens gegen das Cölibat ſchul— dig gemacht haben. Der gegenwärtige weiße Elefant iſt jedoch feineswegs weiß, fondern chocoladenfarbig, da wirkliche Albis n08 unter den Elefanten außerordentlich jelter find und man jich daher ſchon mit einem hellen Grau zufriedenftellt. Die holländische Regierung hat anf Sumatra einen wirklich wei- Ben Elefanten einfangen laſſen und beabfichtigte bei unjerm Abgange diefen dem Könige von Siam zum Gejchenf zu ma- chen, wodurch man wol große Freude im Lande erregt haben wird.

Außer den Elefanten werden als Zug- und Xaftthiere Hauptfächlich Büffel benust. Pferde fieht man faft gar nicht, md bei dem moraftigen Boden find fie auch nicht zu ver— werthen. Schafe find gleichfalls jelten, Federnieh und Schweine dagegen gibt e8 in großen Maſſen, Ietstere oft 4—500 Pfund ſchwer. Hochwild aller Art ift gleichfalls in Ueberfluß und wird zur Zeit der Ueberſchwemmungen zu Tauſenden erſchla— gen, wenn es fich auf die fleinen troden bleibenden Erhöhun— gen flüchtet. Hirfchgeweihe bilden daher auch einen bedeu— tenden Ausfuhrartifel des Landes, während das Fleifch bie Märkte füllt und von den Siameſen viel gegejjen wird.

An Früchten bringt Siam hervor, was nur irgend ein tropifcher Boden vermag, und ebenfo reich find die Flüſſe an Fiſchen. Diefer Ueberfluß an Nahrungsmitteln und bie Mühelofigkeit des Unterhalts ift auch die Quelle der Trägheit der Bewohner, und deshalb ift feine Ausjicht, daß darin eine Aenderung eintrete. Die Entwidelung der reichen Hülfs- quellen des Landes und fein Aufblühen zu einem bebeuten- den Handelsſtaate Afiens haben wir deshalb hauptfächlich von den Chinefen zu erwarten, die auch bereits das Ihrige

281

dazu thun, oder auch dann, wenn, wie es falt den Anfchein hat, Siam theilweife die Colonie eines europäifchen Staates wird.

Diefe lettere Enentualität fcheint König Mongkut fehr zu fürchten, und meiner Anficht nach hat er auch genügende Urfache dazu. Die Franzojen wollen nun einmal durchaus Colonien haben, obwol fein Volf jo wenig das Eolonifiren veriteht wie fie. Nachdem fie Algier erobert, Milliarden von France und Hunderttaufende von Menfchen dafür Hingeopfert, haben fie nah 30 Sahren endlich eine wohlgeregelte Kolonie mit De- partements, Präfecten, Militär und forcirtem Aderbau. Was eine weiſe Regierung nur irgend für Maßregeln zur Hebung eines Landes zu erjinnen vermag, iſt in Franfreich für das Schoskind Algier getan, und dennoch bringt es nicht nur nichts ein, jondern foftet dem Mutterlande jährlich 60 Millio- nen Francs. Nun bat Napoleon die Colonialpolitif ver letzten Ludwige wieder aufgenommen. In der Ermordung einiger katholiſcher Bifchöfe fand fich Gelegenheit, mit Cochinchina anzubinden.

Nach fünf Sahren und abermaligen großen Geld» und Men- fchenopfern hat man es endlich dahin gebracht, das eroberte Yand, mit dem Finger am Drüder der Gewehre, in Departe- ments einzutheilen und Präfecten zu ernennen, wenn auch größtentheil noch in partibus. Jetzt hat jich aber heraus— geſtellt, daß Cochinchina ein Kirchhof für Europäer und als Eolonie jehr problematiih ift. Mean wendet deshalb die Blide auf eine gefündere Gegend, und dies ift zunächſt die an das anamitifche Reich grenzende Kambodſcha. Der fie durch- ſtrömende Kambodſchafluß reicht einige 100 Meilen in Siam hinauf, und feine Schiffbarfeit bildet das ſchönſte Transport- . mittel für alle Producte des reichen Yandes. Der Boden ift zwar auch theilweife jumpfig, aber das Klima im Vergleich zu Saigon viel gefünder. Zwar gehört die Kambodſcha zu Siam,

282

allein da fie im vorigen Jahrhundert noch einen Theil von Anam bildete, läßt fich ja leicht das Nationalitätsprineip im Anwendung bringen, und überdies fann die Auffindung eines Differenzpunftes Franfreih feine Schwierigkeiten machen. Um dieſen vecht fehleunig herbeizuführen, haben die Franzoſen im December 1861 Pulo Condore befett und als fran— zöfifches Eigenthum erflärt. Pulo Condore iſt eine ziemlich große Infel mit zwei jchönen Häfen vor der Mündung des Kambodſchafluſſes und war bis dahin im Beſitze des Königs von Siam. Die Häfen geben eine vortreffliche Flottenjtation und beherrfchen vollftändig die ganze Kambodſcha. Da man jedoch glaubte, daß die Befitinahme vielleicht noch nicht den gewünschten Zwed haben werde, fo ging man in Bangfof ſelbſt gleichzeitig noch weiter. Nach den Verträgen darf fein be- waffnetes Schiff in den Mainam hinein, und ebenjo wenig dürfen fremde Truppen das Yand betreten. Am Tage, als wir vor Bangfof anlangten, war aber eine vollarmirte Corvette bis zur Reſidenz hinaufgedampft. Gleichzeitig brachte ein franzöfifches Dampftransportfchiff die ſiameſiſche Gefandtichaft, welche Frankreich bejucht hatte. Der Kaiſer ſchickte mit dieſer Gejandtfchaft einen eigenhändigen Brief an den König- und das Groffreuz der Ehrenlegion. Der Brief ging alſo die Franzoſen weiter nichts an, und König Mongkut gab dies auch deutlich dadurch zu erfenmen, daß er ihn auf das feierlichite mit 24 föniglichen Piroguen von 16—30 Ruderern einholen ließ. Trotzdem beftanden aber die Franzojen darauf, auch ihrer: jeit8 das Handfchreiben mit den gehörigen Ehren zu begleiten, und e8 wurden 50 Mann Soldaten ausgefchifft, die zwar nicht den Brief geleiteten, aber acht Tage in Bangfof ver- weilten.

Es ſcheint nicht, daß dies Verfahren die gewünfchte Wir- fung herbeigeführt hat. Mit der Zeit wird fie jedoch wol ein- treten, und die Mafregeln, daß alle in Siam anſäſſigen Cochin-

285

chinefen ſich beim franzöfiichen Conful einfchreiben fünnen und dadurch factiſch unter franzöfifhen Schuß geftellt werden, zielt wol auch darauf hin. Wenn China und Merico erledigt find, wird Siam an die Reihe fommen, bis dahin hält man die Wunde offen. Bon englifcher Seite wurden natürlich alle diefe Vorgänge mit eiferfüchtigen Augen betrachtet; allein was wollen die Engländer machen, wenn die Franzofen wirklich Siam erobern? Sie haben fich in China fehon lange daran gewöhnen müfjfen, dem franzöfiichen Einfluffe zu weichen, und die Franzojen haben auch anderwärts ähnliche Sachen gemacht, ohne die Engländer zu fragen. Ueberdies würden jene nur mit demfelben Rechte handeln, mit dem die Engländer feit Jahr- hunderten in Indien annectivt haben, mit dem Rechte des Stärfern, und ich bedauere nur von Herzen, daß Preußen nicht ebenfalls Kolonien annectirt. Es gibt deren noch genug, bei deren Beſitznahme fein legitimes Recht verlegt wird, und es bedürfte wol nur einer Dfferte an Holland, um vie Hälfte von Sumatra oder Borneo zu erlangen. Sie wären beides gar zu gern los, da das Mlutterland für die productive Co- lonifirung jo ungeheuver Yänderftreden zu Klein ift, und nach allem, was man an Ort und Stelle darüber hört, fürchten die Holländer am Ende nur für andere zu arbeiten. Sie allein können kaum Java gegen einen feindlichen Angriff halten, ge- ſchweige denn die übrigen Sunda-Infeln. Daraus machen fie fich fein Geheimniß, und fie würden es deshalb Lieber friedlih an eine ftammverwandte Nation abtreten, die ihnen im Fall der Noth zur Seite fteht, als im fteter Angft ſchweben, e8 zur verlieren. Java bringt jährlich 40 Millionen Gulden netto in den Staatsſchatz. Sumatra ift ebenfo veih, und -unfere Finanzen fünnten, abgefehen von allen andern Vor— theilen, wol eine folche Unterftügung gebrauchen.

Bon einem Widerſtande gegen franzöfiiche Vergewaltigung dürfte in Siam faum die Reve fein, folange nicht andere

284

Mapfregeln zur Vertheidigung des Landes getroffen werben. Wenn die Franzofen wollen, fo fehiden fie in drei Tagen eine Dampfflotte von Saigon nach Bangfof, die weder durch die Kanonen noch Sperrfetten aufgehalten werden wird, und die Hauptftadt und damit das Land gehört ihnen. Wenn es auch feine Militärjtraßen in Siam gibt, jo find doch bie vier Sauptflüffe für Dampffanonenboote fahrbar und das Land fremden Truppen daher bis an feine äußerſten Grenzen zu— gänglih. Der König befitt zwar ein europäiſch gebautes Ge- fchwader von mehreren Schraubencorvetten und kleinern Dampffahrzeugen, allein das unglückliche Princip, nichts zu vepariven, und die auf halbem Wege ftehen bleibende Civi— liſation der Siamefen macht diefe Schiffe ebenfo wenig furcht- bar als die verrofteten Kanonen dev Forts. Die 200 Kano— nenboote, welche einft mit einem enormen Kojtenaufwande in einem Anfolle von Bertheidigungsfieber gebaut worden, und für deren jedes ein eigener Hafen gegraben wurde, liegen im Hafen total verfault und zum größten Theil bis an den Rand mit Waffer gefüllt.

Ebenſo wenig ift das fiamefifche Heer, deſſen einigermaßen brauchbarer Theil 10000 Mann nicht überfteigt, im Stande, einen gelandeten europäifchen Feind wieder zu vertreiben. Trotz ihrer Tapferkeit, hinter der das Strafgejetbuch fteht, das jedem mit Hinrichtung droht, der nur auf Klafterlänge vor dem Feinde zuvückweicht, find die fiamefifchen Sol— daten den tapfern Chinefen nicht viel überlegen, und wenn dev König auch. feit 10 Jahren europäifche Uniformen und Erereitium eingeführt hat, jo ift das Weſen der Armee nicht viel damit verbejfert.

Und doch kann es faum ein Yand geben, das leichter zu vertheidigen wäre als Siam. Ein paar ftarke Forts an ber Mündung jedes der vier Flüffe, einige fchwimmende Batterien, beides mit wirffamen Geſchützen armirt und von tapfern

285

Soldaten vertheidigt, würden jeden Angriff vergeblich machen, da die Natur des moraftigen Bodens jede Yandung an der Küfte verbietet.

Sollte Siam aber von einer europäiſchen Macht erobert werden, fo ift e8 zugleich das Yand, um die Kriegsfojten zu bezahlen. Wenn auch die orientalifche Ueberfchwenglichkeit der Bewohner Bangfofs die Schäte des Palajtes übertreiben mag, jo ift der darin enthaltene Reichthum an edlen Metallen und Juwelen doch ganz bedeutend und für europäiiche Be— griffe immer fabelhaft. So 3.2. jtehen in dem Tempel, in dem den Königen bei ihrer Thronbefteigung der Eid geleijtet wird, und der fich ebenfalls innerhalb ver PBalaftmanern be- findet, einige dreißig Buddhaſtatuen von 6 Fuß Höhe aus maſſi— vem Golde, und die Stirn eines jeden diefer Götzen ift mit einem nußgroßen Diamanten gefhmücdt Außerdem enthält diefer Tempel noch eine andere Statue des Buddha von 1Y, Fuß Höhe aus einem einzigen Smaragd gefcehnitten. Das foftbarfte Prachtſtück ift jedoch das vom jetigen König bei der Thron bejteigung jeinem verjtorbenen Bruder gefette Monument, an dem 600 Goldſchmiede unausgefegt neun Monate arbeiteten. Es iſt 31 Fuß hoch und befteht aus neun Abtheilungen, die zufammen ein Thor bilden, das mit ftarfen Goloplatten bedeckt und auf das feinfte cifelivt ift. Auf dem Thore fteht eine 9 Fuß hohe maſſiv goldene Urne, welche die Ueberreite des verftorbenen Königs enthält. Iſt Dankbarkeit nach Gelp- jummen zu berechnen, jo hat Phra Somdet Mongfut es fich etwas Gehöriges koſten Laffen, um feine Dankbarkeit dafür an den Tag zu legen, daß fein Bruder ihm die Thronfolge überließ und ihm nicht zu Gunften des eigenen Sohnes aus der Welt jchaffte.

Das Klima von Siam ift im allgemeinen troß der Ueber: ſchwemmungen, des Marſchbodens und ver vier bis fünf Monate dauernden Regenzeit nicht jo ungefund, als man

286

glauben jollte. Wechfelfieber find zwar fehr häufig aber leicht und nur die Waldfieber find den Europäern gefährlich, weil fie fajt immer einen tödlichen Ausgang nehmen. In Bang- fof, wo der Seewind Zutritt hat, ift jedoch nichts zu fürchten, da die Waldfieber nur im Innern in den Urwaldregionen graffiren. Nur Disenterien find fehr häufig und lebens— gefährlich, und namentlich Titten unjere Schiffsmannfchaften fehr darunter, von denen über 20 u diefer Krankheit und ihren Folgen erlagen.

Die Abichliefung unfers Vertrags in Siam machte durchaus feine Schwierigkeiten. Schon jeit einem Jahre war Graf Eu- fenburg vom Könige erwartet, der jehr gern mit Preußen in Berbindung treten wollte, und die Einleitungen zu den Ver— handlungen nahmen alsbald nach Ankunft des Gejandten ihren Anfang. Vorausſichtlich war nach ſechs Wochen alles nach Wunfch geordnet. Da das Geſchwader alsdann nach Preu- Ben zurüdgehen jollte, jo lag für die Elbe als Transport- ichiff feine Veranlaffung zum fernern VBerbleiben vor, und wir traten demnach am 24. December 1861 unfere Reife nach ber Heimat an. Der Vertrag jelbjt wurde im Februar 1862 zu alljeitiger Zufriedenheit abgefchloffen. Graf Eulenburg ging mit der Gefandtichaft von Singapore aus über Land nach Europa und die Schiffe im März über Java nad) der Cap- jtadt. Hier verweilten fie einige Wochen, um fich zu trennen. Die Arkona fegelte heimwärts, die Thetis dagegen zuerſt nach den La Plataftanten und Bahia, welchen lettern Ort fie Mitte Juli verließ, um dann ebenfalls nach Preußen zu gehen.

3.

Abreife der Elbe von Bangkok am Weihnachtsabende 1861. Ankunft zu Anjer auf Java. Einladung und Reife nad) Serang, dem Sitze der Regentſchaft. Ueppigfeit und hoher Eulturftand der Landſchaft. Die blühenden Verhältniffe der Colonie Java. Die Holländer als Mufter- eoloniften. Die Agrarverhältniffe und die Behandlung der Eingeborenen. Der Ertrag Javas und die Vortheile, welche Holland aus der Kolonie zu ziehen weiß. Die Stadt Serang. Das Schachſpiel der japanifchen Großen. Rückreiſe nad Anjer.

Mit freudigem Herzklopfen empfingen wir Ende December 1861 den Befehl zur Rückkehr nach dem Vaterlande. Am Weihnachtsabend, dem dritten, welchen wir fern von ven Unfern und der Heimat verlebten, verließen wir mit ſchwachem Landiwinde die Rhede von Bangkok und jtenerten dem Süden zu. Wir hatten uns auf eine vierzehmtägige Neife nah Sin— gapore gefaßt gemacht, da der Januar für den Golf von Siam gewöhnlich reich an Winpdftillen ift, wurden jedoch an— genehm durch eine frifche Nordoftbrife enttäufcht, die ung jhon am 29. December, alſo in fünf Tagen, an unfern nächten Bejtimmungsort brachte. In Singapore mußten wir zur Ausführung einiger Reparaturen vierzehn Tage blei- ben. In der Phyfiognomie der Stadt und Inſel hatte fich jeit unferer letzten Abwejenheit nichts Wejentliches geändert, und ich wüßte nichts Bemerfenswerthes zu meiner frühern Schil- derung hinzuzufügen. In Siam hatten wir bereitS mehrere

288

Thiere für ven Zoologifchen Garten in Berlin an Bord ge- nommen, und diefe Sammlung wurde noch beträchtlich in Singapore vermehrt, da die großen leer ftehenden Räumlich- feiten des Schiffs eine äußerſt günftige Gelegenheit für ven Transport gewährten. Um diefe Sammlung möglichit veich- haltig zu machen, liefen wir auch Anjer auf Java an, ven Punkt, wo, wie ich ſchon früher erwähnte, ſämmtliche von Dft und Weft fommenden Schiffe anlegen, um fich nach langer Seereife zu erquiden oder Erfrifchungen für eine folche mitzunehmen. Leider trafen wir es jchlecht mit der Witterung. Der Nordweſtmonſun ift ver Winter in Java und im Januar namentlich faft täglich von anhaltenden Regen und heftigen Stürmen begleitet.

Wir hatten von Singapore nach Anjer eine außergewöhn- lich ſchnelle Neife von nur drei Tagen, während Schiffe felbft im Novdweftmonfun jelten unter acht Tage gebrauchen, und langten am 16. Januar 1862 früh auf der Rhede an. Unfer Aufenthalt dauerte ſechs Tage. Aber troß der furzen Zeit, des nur felten unterbrochenen Regens und der an- haltenden Stürme verlebten wir auf Java die fchönften und angenehmften Tage und nahmen von der prachtvollen Inſel Erinnerungen mit, die lange in unfern Herzen nachhallen und von allen auf der Reife empfangenen Eindrücken am leben- digſten bleiben werben.

Es ift von Reiſenden viel und mit Necht die Gajtfreund- ſchaft gerühmt, welche ihnen im Auslande entgegengetragen wird; aber Java ift das Land, wo man diefelbe in einem über alles 2ob erhabenen Grave übt. Die Holländer er- weifen fich den Deutjchen gegenüber als ein wahrer Bruder: jtamm, und wo wir mit ihnen zufammengetroffen, haben fie ung mit der herzlichiten Freundſchaft empfangen.

Wir waren faum einige Stunden vor dem lieblichen Anjer zu Anker gefommen, als wir bereits telegraphifch von Dem

289

Nefiventen ver Provinz Bantam, zu der Anjer gehört, eine Einladung nach Serang, dem Sit der Reſidentſchaft, erhiel- ten. Zugleich wurde eine mit fechs Pferven beipannte und von zwei VBorreitern begleitete Extrapoft geftellt, und fchon nach einer halben Stunde flogen wir mit Windeseile durch die reichen und hocheultivirten Fluren der fchönen Inſel, der Perle nicht allein aller holländiichen, fondern ſämmtlicher Colonien der Welt. Serang liegt 22 Paal oder 5, deutfche Meilen von Anjer entfernt, eine Tour, die wir in zwei Stun— den zurüclegten, incluſive des durch vier Relais entitandenen Aufenthalts. Der Weg, eine auf beiden Seiten bepflanzte Chauffee, war nicht gepflaftert, fondern mit Raſen bedeckt, auf dem es fich jo fanft wie auf einem Teppich fuhr. Diefer führte zuerjt eine halbe Meile am Strande entlang und bog dann in das Innere ein, wo er fich bald durch Keis- und Zuderfelder, bald durh mächtige Waldungen hinzog, die, jorgfam gelichtet, den SKaffeeplantagen durch ihre reichen Blätterfronen als Schirm gegen die brennenden Strahlen der Tropenfonne dienten. Ein fteter Wechfel der Scenerie, die eine immer lieblicher und jchöner als Die andere, erfreute das Auge. Die üppige Vegetation, die veichen großartigen Formen der tropifchen Flora gaben Zeugniß von der unerjchöpflichen Productionsfraft des jungfräulichen Bodens und die treffliche Eultur des Landes von dem Fleife und der Induftrie der Bewohner. Ich erinnere mich nicht, je eine europäiſche Colonie in einem fo blühenden Zujtande gefehen zu haben wie Java, das ich auf meinen frühern Reiſen von vielen verfchtedenen Punkten fennen gelernt, aber überall jo wie bier gefunden habe.

Man macht ven Holländern viele Vorwürfe, man nennt fie engherzig, jtarrföpfig, altväterifch, und behauptet, daß fie nicht mit der Zeit fortfchreiten. Mag dies mit echt oder Unrecht geſchehen, fo viel fteht feit, daß fie das Colonifiren

Werner. II. 19

290

verftehen wie feine andere Nation. Das können fogar die Engländer nicht in Abrede ftellen, obwol fie e8 mit Wider: ſtreben zugeben und gleichzeitig ihre Rivalen der Inhumanität zeihen. Letzteres ift jedoch eine ungerechte Behauptung, und ich überlaſſe es dem Leſer, darüber felbft zu urtheilen, indem ih das holländiiche auf Java befolgte Syſtem in kurzen Worten jehildere.

Da das Mutterland ftet3 außer Stande war, die ojtin- difchen Eolonien, von denen Java alfein eine Bevölferung von 9 Millionen zählt, durch bloße phyſiſche Machtentwicfelung in Unterthänigfeit zu halten, welche die javanifchen Fürften und Rronprätendenten oft abzufchütteln verfuchten, jo ſah fich die Negierung gendthigt, eine moralifche Gewalt zu Hülfe zu rufen, indem fie ſeit der früheften Decupation einen jeven Europäer dem Eingeborenen gegenüber als höheres Wefen hinftellte. "Wir finden dies Princip ebenfalls bei allen übrigen europäiſchen Colonialmächten; allein die Holländer find die einzigen, welche e8 nicht gemisbraucht und daher von ihren Unterthanen weder als Despoten gehaßt werden noch ihr An— jehen als eine höher ftehende Raſſe durch erniedrigende Hand— ungen eingebüßt haben. Neben einer unnachfichtlichen und drafonifchen Strenge, jobald fich ein Eingeborener gegen einen Weißen vergangen, herrfcht andererjeits die unparteiifchite Ge- vechtigfeit im umgefehrten Falle, und ein Eingriff in die Rechte eines Eingebovenen wird ftetS an dem Weißen geahndet. Die größte Schonuug aller veligiöfen und focialen VBorurtheile des Volks ift einer der erſten Regierungsgrundſätze, und es wird 3. B. fein Beamter angeftellt, dev nicht der malaiiſchen Sprache mächtig ift. In frühern Zeiten, wo bie einheimischen Fürften noch öftere Empdrungsverjuche machten, wurden abends Häufig Europäer auf den Straßen ermorbet, und es fchien unmöglich, fich gegen folche Ueberfälle zu ſchützen, da die braunen Javanen in der Dunkelheit nicht von den umge—

291

benden Gegenftänden zu unterfcheiden waren, Es wurde da— her ein Geſetz erlaffen, daß jeder Farbige auf ver Infel nach Sonnenuntergang eine Tadel zu tragen habe. Wer ohne eine jolche betroffen wurde, der ward am folgenden Tage gehängt. Diefe Maßregel, infolge deren fofort dem Unwefen ein Ziel geſetzt wurde, ift ein Beifpiel, wie die Holländer es verftan- den, fich gefürchtet zu machen. Als wir nach Serang fuhren, bückten fich die uns begegnenden Eingeborenen vor uns zur Erde nieder und nahmen den Hut ab, eine Disciplin, welche fie bejtändig daran erinnern Toll, * die Weißen ihre Herren ſind.

Die Sklaverei beſteht factiſch auf Java, jedoch wird ſie ſo milde gehandhabt, daß ſie eher einer patriarchaliſchen Ab— hängigkeit gleicht. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, dies Verhältniß zu beobachten, aber faſt überall eine rührende Anhänglichkeit der Sklaven an ihre Herrſchaft geſehen, die nur ein Reſultat der humanen Behandlung ſein konnte. Mis— handlungen jeder Art ſind ſtreng vom Geſetz verboten, und der betreffende Herr hat auf eine begründete Klage des Sklaven dieſen ſofort freizulaſſen. Die Holländer waren jedoch nicht damit zufrieden, eine ſchöne Inſel zu beſitzen und 9 Millionen Javaneſen ihre Unterthanen zu nennen, ſie wollten auch allen möglichen Nutzen daraus ziehen und bewerkſtelligten dies fol— gendermaßen. Zunächſt erflärten fie alles bereits vorhandene und noch zu bearbeitende Culturland wie überhaupt den ge— ſammten Grund und Boden der Infel für Staatseigenthum, das wol von Weißen als Beſitzthum erworben, von den Ein- geborenen aber nur pachtweiſe benutt werden konnte. Einer jeden Ortfchaft wurde nach Verhältnig ihrer Einwohnerzahl eine beftimmte Quantität Land zugetheilt, aber für die Nub- nießung dem Bauer zugleich auferlegt, fo nnd fo viel Kaffee, Zuder u. |. w. der Regierung für einen gewiffen Preis zu Tiefern. Diefe Verordnung hatte einen doppelten Zweck; einmal brachte

192

292

fie dem Staatsfchage eine ganz beträchtliche Summe ein, und fodann bielt fie die von Natur trägen Javaneſen an, das Land zu cultiviven und fih an eine thätige Lebensweiſe zu gewöhnen.

So 3. B. werden von 2 Morgen Yand 5 Pikul (120 Pfund Zollgewicht) Kaffee verlangt und jeder Piful von der Regie— rung mit 7 Fl. (4 Thlr.) bezahlt. Die 2 Morgen Land können aber mindeftens 10 Pikul hervorbringen, ſodaß ver fleigige Eingeborene die Hälfte fein Eigenthum nennen kann. Den Ueberfluß des Ertrags nimmt ebenfalls die Regierung, aber fte bezahlt ihn mit dem gangbaren Preife und zu dem wirk— lichen Werthe von 23 Fl. pro Pikul, und zwar an Ort und Stelle, ſodaß dem Producenten feine weitern Koften für Transport ꝛc. erwachlen. Der Bauer kann daher durch Fleiß und Thätigkeit ſich nicht allein einen bequemen Xebens- unterhalt, fondern ſogar ein Vermögen erwerben, da die Re— gievung ihm gegen jene Bedingungen eine beliebige Duanti- tät Land überläßt. Wenn auch in der erften Zeit diefe Ein- richtung wenig Anflang fand, bewährt fie fich doch von Jahr zu Jahr mehr, und die Production der Injel jowie die Wohl— habenheit der Bewohner hebt fich bejtändig.

So ift e8 gefommen, daß Java jetzt einen Nettoertrag von 40 Mill. FI. abwirft, daß es Holland in den Stand fett, eine Armee von 10000 Mann in den Golonien, eine Flotte zweiten Ranges zu erhalten, die Zinfen feiner enormen Staatsſchuld zu deden und außerdem noch einen beträchtlichen Ueberſchuß in den Staatsihat abzuführen, abgejehen von dem Nutzen, den Rhederei und Handel des Yandes aus der Kolonie ziehen.

Und die Savanefen befinden fich wohl dabei. Anftatt ver ewigen Fehden der vielen einheimischen Fürſten, die gegen- feitig das Eigenthum der Unterthanen vaubten und dieſe als Sklaven verkauften, erfreuen fie fich unter der Herrſchaft

293

der Holländer einer friedlichen Ruhe und des Schuges ihres Eigenthums. Das Yand erblüht überall wie ein Garten, Armuth exiftirt nicht, und wenn den Holländern vorgeworfen wird, daß fie nichts für das geiftige Wohl ihrer Unterthanen thun, weil fie in Java feine Miffionare zulajfen und alle Profelytenmacherei ftreng verpönten, jo jind fie wenigſtens bejtrebt, deren materielles Wohl auf jede Weife zu fördern, und das ift mehr, als im allgemeinen von den übrigen euro- päifchen Colonialmächten in Bezug auf ihre farbigen Unter: thanen gejagt werden fann. In Java gibt e8 z. B. feine eonceffionirten Opium-Shops wie in den englifchen Kolonien, aus denen die Negierung auf Koften der moralifchen und phyſiſchen Gefundheit ihrer Unterthanen ſchwere Steuern zieht. Sodann bin ih mit den Holländern aber auch der Anficht, daß die farbigen Völker und bejonders die Beiwohner der TIropenländer unfähig find, je die Culturſtufe der Ffaufafifchen Kaffe zu erreichen, daß zu ihrer höhern geiftigen Entwidelung vor allem erſt eine Gewöhnung an ein thätiges Leben erfor- derlich ift, und dag die Regierung ihre vornehmfte Pflicht erfüllt, wenn es ihr gelingt, durch weife Maßnahmen eine jolhe Wandlung herbeizuführen.

Serang ift ein kleines befeftigtes Städtchen, veizend gelegen und mit dem Militär von circa 200 Europäern bewohnt. Die vornehmijten Gebäude find die Wohnungen oder vielmehr Paläfte des Reſidenten und des javanefifchen Regenten. Ne: ben den holländischen Beamten in den Reſidentſchaften gibt e8 nämlich noch ſtets eingeborene, die gewöhnlich aus den angejehenften javaniichen Familien ftammen und deren Er— gebenheit ſich die Holländer fichern wollen. Jede Provinz hat deshalb außer dem Reſidenten noch einen inländiſchen Regenten, der ein Gehalt von 12000 ZI. bezieht, und dem alle Ehrenbezeigungen eines Gouverneurs eriviefen werben. Wir machten dem Regenten von Bantam unfere NAufwartung

294

und fanden im ihm einen liebenswilrdigen alten Herrn, ber der holländischen Sprache vollitändig mächtig war, und mit dem wir ung auf das angenehmfte unterhielten. Leider wer- ftattete die Kürze unfers Aufenthalts nicht, einigen javanifchen Beitlichkeiten, die nach Verlauf einer Woche ftattfinden follten, beizumwohnen; doch verfchaffte uns dev Regent noch ein origi- nelles Schaufpiel, das wol einzig dafteht. In einem mächti- gen Saale feines Daufes befanden fich 64 quadratiſche Er- höhungen von ein Fuß angebracht, die zufammen wieder ein Duadrat bildeten. Air ven Seiten des lettern liefen Reihen von Siten, zur denen wir geführt wurden. Gleichzeitig erfchie- nen 32 Javaneſen in phantaftiichem Aufputz und nahmen, ſich einander gegenüberftellenn, auf ebenfo viel Erhöhungen Pla. Der Regent begann nun, die eine Partei und ein anderer hochſtehender Javaneſe die zweite zu commandiren. Bis da- hin wußten wir nicht die Bedeutung dieſes Schauſpiels, jetzt wurde es uns aber klar, daß wir vor einem koloſſalen Schach— bret ſaßen, deſſen Figuren die 32 Javaneſen waren. Das Spiel, welches jedoch in einer von der unſern abweichenden Weiſe geſpielt wird, iſt eine der vornehmſten Beluſtigungen der javaniſchen Großen, und faſt alle haben in ihren Woh— nungen einen ſolchen Schachſaal.

Am andern Tage kehrten wir in Begleitung des Reſiden— ten, ſeiner Familie und des Regenten, die unſer Schiff ſehen wollten, nach Anjer zurück. Wir hatten vier Wagen, jeder mit ſechs Pferden beſpannt, und da uns außerdem circa 40 Vorreiter und Bediente zu Pferde geleiteten, ſo bildete der Zug eine fürſtliche Cavalcade, die mit Windeseile dahinbrauſte, bisweilen jedoch plötzlich ins Stocken gerieth, wenn es den eigenſinnigen Ponies einfiel, ſtill zu ſtehen, was ſie bei jeder Steigung des Weges verſuchten und gewöhnlich auch trotz alles Schimpfens und Peitſchens durchſetzten. Es blieb dann nichts anderes übrig, als daß ſämmtliche Reiter abſaßen und

295

den Wagen fo lange vorwärts fchoben, bis er den Pferden in die Haden kam und dieje fich durch folches von der Peitjche unterftütte Manöver bewogen fanden, ihren Weg fortzufegeit.

Bei unferer Ankunft in Anjer wehte es fo hart und das Wetter blieb auch jpäter jo lange fchlecht, daß wir vrei Tage lang von unjerm Schiffe abgejchnitten waren. Erft am vier— ten Tage fonnten unſere liebenswürdigen Wirthe das Schiff befuchen, und am folgenden jagten wir ihnen und dem ſchönen Java Lebewohl, um dem Süden zuzuftenern und für lange Wochen wieder auf dem blauen Waſſer umherzu— ſchwimmen.

6.

Ein neuer Weg duch den Indiſchen Ocean. Ankunft der Elbe am Cap der guten Hoffnung. Die Tafelbai und der Tafelberg. Die Cap ftadt, ihre Lage und Bevölkerung. Die „Afrikaner“. Die holländi- Ihen Coloniften und die Engländer. VBernadhläffigung der Communi- cationsmittel und ihre Folgen. Handel und Erzeugniffe der Capcolonie. Der Sapmein. Das Dorf Conftantia. Zwei große deutfche Firmen in der Capſtadt. Warnung an die Deutſchen. Die Kaffernfriege, Gou— vernenr Sir George Grey, Das Kafferneollegium, Die Kaffern- truppen. Die Hottentotten.

Wir nahmen nach dem Cap der guten Hoffnung einen andern als den gewöhnlichen Weg. Der Amerifaner Maury, deffen Forſchungen die Schiffahrt jo unendlich viel verdankt, empfiehlt nämlich, jtatt des üblichen diagonalen Curfes, zwifchen den DBreitenparallelen von 15—20 Süd bis nahe Mauritius zu jegeln und dann erſt füdlich zu gehen, weil in jenem Breitengürtel der Südoſtpaſſatwind am ftärfften wehe und die Schiffe deshalb eine fchnellere Reife machen würden. Wir bejchloffen, diefe neue Tour zu verjuchen, und fanden, wie früher fchon jo oft, daß Maury vecht habe. Wir durch— jegelten in einer Zeit von funfzehn Tagen eine Strede vou 765 geographifchen Meilen und liefen am 28. Tage, nachdem wir Java verlaffen, die fündftliche Spitze von Afrifa an. Wir trafen hier zwei Theejchiffe, die von China famen. Hier- zu werben ſtets die beiten Segler genommen, da der Thee durch längere Seefahrten leidet, und es war fein Fleiner . Triumph für uns, daß beide Schiffe zwölf Tage vor uns die Sundaftraße verlaffen, aber doch nicht eher als wir an jenem Punkte angefommen waren, weil fie den gewöhnlichen Weg

297

genommen. Wir hatten daher lediglich der neuen Tour un- fern beveutenden Vortheil zu danken.

Die verhältnigmäßig furze Strede von der Südoſtſpitze Afrifas nah dem Cap der guten Hoffnung, welche jich bequem in vier Tagen zurücklegen läßt, koſtete ung jedoch fieben Tage, da wir noch einen 36ſtündigen ſchweren Weit- ſturm durchzumachen und überhaupt faft den ganzen Weg zu freuzen hatten. Am 37. Tage liefen wir in die Tafelbai ein, gerade als der Tafelberg fich mit einem weißen Wolfentuche bedeckt hatte und uns den Tafelvdeder in Geſtalt einer jehr jteifen Süpoftbrife entgegenfandte. Dieje Südoſter jind am Cap eine ganz eigenthümliche meteorologijche Erjcheinung. Sie wehen faft ausfchließlich während der Sommermonate, bisweilen nur nachmittags, bisweilen tagelang und gewöhnlich mit einer Gewalt, daß fie eher Stürme als Winde genannt werden müffen; doch bejchränfen fie ſich merfwürdigermweife auf die Tafelbai, die faum eine geographifche Meile im Durch- mefjer Hält. Ihre Grenze ift jo jcharf, daß man häufig das Schaufpiel hat, von zwei Schiffen, die kaum 200 Schritte im Eingange der Bai voneinander entfernt find, das eine in to- taler Windftille liegen zu jehen, während das andere fait nur Sturmfegel führen kann.

Der Mann, welcher die Südſpitze Afrifas das Cap der „guten Hoffnung‘ nennen fonnte, muß mehr als anjpruche- (08 gewefen fein. Ich glaube, daß fein Schiff dafjelbe um- jchifft, ohne von Stürmen heimgefucht zu werden, und obwol ih es diesmal bereits zum fechzehnten mal paffirte, kann ich mich nur einer einzigen Tour erinnern, die auch nur annä— hernd gut hätte genannt werden fünnen. Sein erjter Ent- deder nannte e8 das „Cap der Stürme‘, und dies ift es im wahrjten Sinne des Worte.

Das Cap der guten Hoffnung erjtveckt fich als eine ſchmale felfige Lanpfpige von ungefähr acht Meilen Länge ſüdlich in

298

den Ocean hinein, deſſen gewaltige Wellen ſich ſchäumend an ſeinen ſteilen Wänden brechen. Das nördliche Ende dieſer Landſpitze bildet der Tafelberg, ſo benannt wegen ſeiner ab— geflachten Kuppe, die viel Aehnlichkeit mit einer Tiſchplatte hat. Weſtlich von dieſem Berge bildet die Küſte des Feſtlan— des die Tafelbai und öſtlich die Simons- oder Falſche Bai, beides unſichere und ſehr oft gefährliche Ankerplätze, nament— lich im Winter, wo Weſtſtürme in die erſtere und Oſtwinde in die letztere eine ſo himmelhohe See wälzen, daß die darin ankernden Schiffe faſt immer auf den Strand treiben, wie dies vor zwei Jahren mit neun Schiffen an Einem Nach— mittag geſchah. Man hat jetzt den Bau einer Mole in der Tafelbai begonnen, die eine engliſche Meile weit halbmond— förmig hinausgeführt werden ſoll. Sie wird einige Millionen koſten und vor den nächſten zehn Jahren auch nicht fertig werden, aber der dadurch geſchaffene ſichere Hafen wird von unberechenbarem Nutzen für die Colonie werden und nament— lich die Capſtadt ganz bedeutend heben. , Diefe liegt am ſüd— öftlichen Theile der Bai und am Fuße des Tafelbergs in einer fandigen und von aller Vegetation entblößten Ebene. Sie macht deshalb feinen freundlichen Eindrud, und nur an der Ditfeite, wo Geld und Kunft die Natur verbejfert haben, ihmücdt das Grün von Gärten und Parks ven öden Strand. Unter ven leßtern zeichnet fich der botanifche Garten wenn nicht durch feine Größe, jo doch durch feine Neichhaltigkeit und Schönheit aus. Das Cap befitt jenes glüdliche Klima, wo die Palme neben ver Eiche, Kaffee und Zucker neben un— jerm Korn und die Weintraube neben der Banane reift; was daher in unfern Gärten fich hinter Glas ängftlich bergen muß, blüht und grünt hier im Freien wie in der Heimat. Am jtärfften find auftralifche Pflanzen hier vertreten, unter denen zahlreiche Arten von ZTeftudinarien durch ihre fonderbaren Formen hauptſächlich auffallen.

299

Die Phyſiognomie der Stadt ift echt englifh. Sie zählt 40000 Einwohner, von denen jedoch nur etwa 6—7000 un— vermifchtes europäifches Blut haben. Die übrigen Bewohner bezeichnet man mit dem Namen Afrikaner, und jie begreifen alle Mifchlinge von Europäern mit Negern, Hottentotten, Kaffern und fonftigen Farbigen. Unter lektern zeichnen fich noch die jogenannten Malaien aus. Dies find die Abkömm— linge von malatifchen Sklaven, welche die Holländer früher, als fie noch das Cap bejaßen, von ihren oftindifchen Befitun- gen einführten. Als die Engländer das Cap eroberten, wur- ven die Malaien frei, und fie bilden jett die niedere Bürger- klaſſe. Der Name Malaie ift jedoch faft das einzige, was von ihrer wrjprünglichen Nationalität übrig geblieben ift. Sie find durch Bermifhung mit Kaffern und Hottentotten ein ganz anderer Menjchenjchlag geworden, ein ausgezeichneter ſowol in phyſiſcher als moralifcher Beziehung, und zeigen fich, was jedenfalls Beachtung verdient, den Hottentotten und Kaffern weit überlegen. Sie erinnern ſehr an die fpanifchen und franzöfifchen Basfen, befiten durchgängig eine fchlanfe Figur, eimen kräftigen Körperbau und angenehme Gefichtszüge. Außerdem find fie arbeitfam und penible veinlich: Cigen- Ichaften, die unter Bölfern, deren Heimat die Tropen find, ſehr felten angetroffen werden. Mit ihrerNationalität haben fie auch ihre Sprache verloren, aber merkfwürdigerweije ſpre— chen fie nicht englifch, jondern, wie überhaupt fünf Sechstel fümmtlicher Goloniebewohner, holländiſch. Das Cap ijt feit 50 Jahren englifch, aber bisjegt haben die Engländer es nicht dahin bringen Fünnen, ihre Sprache auch nur zur officielfen zu machen. Sie find noch immer gezwungen, ihre Gefete, Befannt- machungen in Holländifch zu erlafjen, weil außerhalb ver Cap— ftadt und Simonstoron fein Colonift, außer ven geborenen Eng- (ändern, engliſch veriteht. Kirchen, Schulen, Zeitungen, alles iſt holländiſch, und ver englische Beamte oder Kaufmann muß

300

diefe Sprache lernen, wenn er am Cap fortfommen will. Hier find zwei zähe Volfscharaftere zufammengetroffen, aber die Holländer find die zähern. Sie werden nie englifch wer— den, umd wie die Transvaal-Republik und die Freejtates fich (osgeriffen, kann e8 nicht lange dauern, daß auch die öftlichen Theile ver Eolonie fih als felbjtändige Republik abtrennen werden. England thut auch nichts, um fich die Liebe der Coloniſten zu erwerben. Würde es für beſſere Communication oder Sicherung der Häfen forgen, jo würde fich die Eolonie jehr bald ungemein heben, und es würden fich mehr Ein- wanderer hinziehen; aber die mangelnden Straßen machen alles jo übermäßig theuer, daß der unbemittelte Einwanderer gar nicht auf einen grünen Zweig fommen kann und jeder abgefchrect wird. Was Hilft es 3. B. dem Handwerfer, wenn er auch täglich 1 Pfo St. verdient, aber dafür das Quart Milch in der Stadt mit 15 Sgr., das Schod Eier mit 3 Thlrn. und ein Huhn mit 1 Thle. 15 Sgr. bezahlen joll? Man hat jett zwar eine Eifenbahn von der Capftadt nach Dften Hin zu legen begonnen, jedoch muß dieſe die Kolonie felbjt bauen, und aus Mangel an Kapital fehreitet fie nur jehr langjam vorwärts. Die Engländer allein betheiligen fich daran; die Boers hängen viel zu fehr am Althergebrachten, als daß fie ihre fehweren Truhen öffnen und ihr Geld für eine folche Neuerung anlegen follten. Seit Hunderten von Sahren find fie gewohnt, ihre Erzeugniffe mit einem Gefpann von 8 Pferden und 20 Ochſen mit gewaltigen Hörnern zu Markte zu bringen; weshalb follten fie e8 ferner nicht mehr thun?

Selten ſind wol Menſchen weniger mit der Zeit vorwärts geſchritten als dieſe Boers. Wie es ihre Vorfahren bereits vor 200 Jahren machten, ſo geſchieht es noch heute. Der

arre Republikanismus der erſten Coloniſten wohnt unge— brochen in ihren Köpfen; ſie leben abgeſchloſſen auf ihren Ge—

501

böften und kümmern fich weder um die Außenwelt noch um ihre Nachbarn, wenn fie nicht durchaus nöthig haben, mit ihnen zufammenzufommen. Mit ver Bildung ift es daher fchlecht beftellt, und die Schulen bieten ein trauriges Bild der Verwilderung.

Der Handel der Colonie ift unbedeutend im Verhältniß zu ihrer weiten Ausdehnung. Wolle und Wein find bie Hauptausfuhratifel; Elfenbein, Kupfererz, Delle, Hörner und Straußfevern fommen in zweiter Neihe. ingeführt werden Shirtings, Holz und alle Arten Induftriewaaren, aber eben- falls nur in bejchränften Maße, da Kaffern und Hottentotten außer einigen Baummwollenwaaren wenig gebrauchen. Die Hauptbefhäftigung der Landbewohner ift Viehzucht, je— doch find fie wegen häufiger Dürren, von denen viele Land— ftrihe hHeimgefucht werden, gezwungen, oft Hunderte von Meilen weit mit ihren Heerden zu nomadifiren. In der Cap— jtaot ift der Futtermangel jo groß, daß man Heu aus Eng- land importirt. Das Vieh vom Lande iſt jehr ſchön, nament— lich das Rindvieh. Die Schafe haben Fettſchwänze und find ebenfalls jehr groß. Wein wird im Verhältniß am meiften produeirt. Er wird theils in Konftantia, theils in der Um— gegend von der Capftadt in ſehr verſchiedenen Dualitäten gebaut. Der Conftantia ift, wie befannt, der bejte, und jind e8 namentlich zwei Weinberge, die ihn erzeugen. Cs gibt davon vier Sorten: Conſtantia-Pontac, Frontignac, weißen und rothen Conftantia, jedod) find diefe ziemlich theuer, und die beiden erjten Sorten muß man an Ort und Stelle mit einem Thaler die Flafche bezahlen. Außerdem exijtiven noch ver Paulo» Eonftantia, der als echter Conſtantia auch nach Deutfchland verfandt wird, ſowie Cap-Rheinwein, Cap- Madeira und Price-Pontac, von denen jich die Flafche am Drte auf ungefähr 12 Sgr. ftellt, und die recht gute Tijch- weine find.

302

Eonjtantia liegt 1, Meilen öſtlich von der Capſtadt am Fuße de8 Tafelberges, der die Weinberge gegen bie falten Südwinde ſchützt. Es it ein fleines hübſches Dorf, das wegen jeiner oaſenartigen Erfcheinung in der umgebenden dürren Sandwüſte fo viel mehr Anziehung beſitzt und nicht nur von jedem Fremden, jondern auch vielfach von ben Be— wohnern der Gapftadt ſelbſt anfgefucht wird. Wir famen gerade zur Weinernte und fonnten uns an den Trauben er- laben, dem einzigen, was am Cap billig ift.

Unter den Handelshäufern der Colonie nehmen zwei deutfche Firmen: Suffert und Gebrüder Moſenthal, eine der eriten, wenn nicht die erjten Stellungen ein. Die lettere Firma befitt im Innern große Länderſtrecken, bedeutender als viele Fürften- und Derzogthümer Deutfchlands, und beginnt fie durch Deutſche zu colonifiven. Einige taufend Yanpleute find aus der Gegend von Frankfurt auf Koften der Herren Mofenthal übergefiedelt, und es geht ihnen fehr gut. Ohne einen Contract mit Mojenthal oder Suffert mögen fich deutjche Auswanderer jedoch wohl hüten, nach dem Cap zu gehen. Infolge der hohen Preife für alle Lebens- bebürfniffe und der ihr bischen Habe bald aufzehrenden Keife- foften in das Innere, wo fie allein Befchäftigung finden fönnen, gerathen fie leicht in Schulden, find gezwungen, bei den Boers Dienfte zu nehmen, und abgejehen davon, daß fie von diejen faft wie Sflaven gehalten werden, kommen ſie jelten wieder aus der Abhängigkeit Heraus. An den Grenzen, wo fie noch am eheften ein Unterfommen finden, haben fie außerdem noch ihre Exiftenz den Kaffern abzuringen, mit denen die Boers in tödlicher Feindfehaft leben. Letztere fehie- ken die Kaffern wie wilde Thiere nieder und machen jedes frieofiche Leben mit diefen Stämmen dadurch unmöglich.

Diefe Kaffernfriege haben der Eolonie und England, das die Soldaten ſchickt, ſchon unendliche Opfer gefojtet, ohne

303

daß fie irgendwelche Bortheile brachten. Die englifche Re— gierung hat deshalb auf Anrathen des worletten Gouverneurs Sir George Grey, des beften, den die Capcolonie gehabt hat, eine andere Politik eingefchlagen, die wahrfcheinlich beffer zum Ziele führt. Alle unterjochten KRaffernftämme müffen Geifeln jtellen, und zwar Kinder von 8—12 Jahren der Häuptlinge und Bornehmften. Diefe werden dann in das jogenannte Kafferncollegium in ver Capftadt gebracht, das vor einigen Jahren zu diefem Zwecke gegründet wurde und von der Regierung mit 20000 Pfd. St. jährlich fubventionivt wird. Hier bleiben jie bis zu ihren funfzehnten Jahre und werben in der chriftlichen Religion, in der englifchen Sprache und in gemeinnügigen Kenntniffen unterrichtet. Mit dem funfzehnten Jahre wechfelt man fie gegen frifche Geifeln. Bei unferer An— wejenheit befanden fich einige funfzig diejer jugendlichen Kaf- fern im Colleg und darunter acht bis zehn Mädchen. Sir George Grey, deffen Amtsführung in England vielfach ange: griffen ward, hat mit diefem Inſtitut dev Zufunft der Kolonie jedenfalls den beten Dienft geleiftet, und die heranwachſende und in der Capſtadt gebildete Generation wird gewiß in fried- lichen Verhältniffen mit den Europäern leben.

Die Kaffern find in ihrer äußern Erfcheinung den Negern ähnlich, jedoch viel hübſcher und intelligenter als dieſe. Sie find geborene Reiter und Krieger, muthig, tapfer und außer— ordentlich jchlan. Einer ihrer Häuptlinge, Mofhes, iſt ein erfahrener General, der die Engländer mehr als einmal in die Klemme gebracht hat. Mit Infanterie ift gegen die be- rittenen Kaffern wenig auszurichten, ebenfo wenig aber mit europäifcher Cavalerie, und die Engländer haben deshalb einige Regimenter diefer Waffengattung aus den Stämmen treuer Raffern gebildet, welche ihnen ſowol im Kriege als im Frieden, wo fie al8 Polizei fungiven, die wefentlichiten Dienfte leiften. Diefe Kafferntruppen, von denen ein Regiment in

304

der Gapftadt fteht, machen auf den „Fremden einen außer ordentlich günftigen Einvrud. Es find ſämmtlich hübſche ſchlanke Leute von trefflicher Haltung, denen man das Xeitertalent fofort anfieht.

Die Hottentotten erjcheinen Dagegen wie Krüppel und Zwerge. Man erfennt fie fofort an ihrer Fleinen Statur, ihrem ängftlichen gedrückten Wefen, ven auffallend häßlichen Gefichtszügen und dem überaus großen Munde. Sie find von Natur fehr unreinlih und werden dadurch noch abjchreden- der. Don den Kaffern werden fie fat noch mehr verachtet als von den Europäern.

Unfer Aufenthalt in ver Capſtadt dauerte drei Wochen, und wir verliefen fie am 17. März, um unfjere Weiter- reife anzutreten. |

37.

Die Heimreiſe. Naturbeſchaffenheit, Bevölkerung und Verkehr der Inſel St.-Helena. Das engliſche Geſchwader an der wefſtafrikaniſchen Küſte. Verwendung der mit den Sklavenſchiffen genommenen Neger. Die Inſel Aſcenſion. Ankunft der Elbe in Swinemünde am 29. Mai 1862. Die Opfer, welche die oſtaſiatiſche Cxpedition gekoſtet. Die Vor— theile des Unternehmens für Gejammtdeutichland. Neellität, ein Haupt- erforderniß im Verkehr mit den Miaten. Abſchied vom Yefer.

Am 29. März gelangten wir nah St.» Helena, wo wir ebenfalls einige Tage blieben, um unfer Trinfwafjer zu er- ganzen. Bon außen gewährt die berühmte Injel einen trau— rigen Anblik, und die ftarren Felsmafjen, welche bis zur Höhe von 1000 Fuß fteil aus dem Meere emporjteigen, lajjen nicht ahnen, daß das Innere die veizendften Thaler und Eufturjtreden beſitzt. St.-Helena hat 1Y, Quadratmeilen im Umfange und ift von 8000 Menjchen bewohnt, von denen etwa ein Drittel unvermiſchter europäifcher Raſſe find. Die übrigen find Abfümmlinge von Weißen, Negern und Malaien, und auch eine fleine Kolonie von 3—400 Chinefen befteht hier, die fich mit Ackerbau befchäftigen und mit dem Zopfe alle Eigenthümlichfeiten ihres Waterlandes bewahrt haben.

Die Hauptjtadt und zugleich auch die einzige der Inſel it Samestown von circa 1500 Einwohnern. Sie liegt an der Nordweſtſeite, und ihre Rhede ift mithin geichüßt, da in diefen Breiten beitändig der Südoſtpaſſatwind weht. James—

Werner. I. 30

306

town ift eigentlich nur eine Straße, die fich in einem engen Thale einige taufend Schritt landeinwärts erftredt. Da die Stadt zugleich der einzige Punkt der Infel it, wo gelandet werden kann, fo iſt fie ſehr ftarf befeftigt.. Mit ungemeiner Miühe und großem Kunftaufwand find Plateformen aus den Wänden der fteilen Küften gefprengt, um Batterien darauf anzulegen, und dieſe erblidt man noch in der Höhe von 600 Fuß auf dem weſtlich von der Stadt Tiegenden Berge, zu dem eine Treppe von 735 Stufen in gerader Linie hin- aufführt. Die Garnifon benutzt diefe gewiß einzig in ihrer Art daftehende Treppe täglich, um feinen Umweg zu machen, obwot diefer weit bequemer ift. Ich bin nur hinuntergegangen, aber ich vathe jedem Fremden, es mir nicht nachzuthun: ich habe acht Tage gebraucht, um die Schmerzen an meinen Füßen zu verwinden.

Das Klima von St.- Helena ijt außerordentlich angenehm und gefund. Die Lage ver Injel auf dem 15. Grade ſüd— licher Breite innerhalb des frifchen Süpdoftpaffatwindes bedingt dies. Sie bringt alle tropifchen Früchte hervor und iſt fehr fruchtbar, aber nicht die Hälfte des culturfähigen Yandes ijt bebaut. Der Ertrag reicht deshalb lange nicht zur Ernährung ver Bewohner hin, und da der Ausfall durch Importen vom Cap der guten Hoffnung gedeckt werden muß, jo fann man fich denfen, wie theuer alles fein muß. Ausgeführt wird von der Inſel nichts, und die ganze Bevölkerung lebt eigent- lich nur von der Schiffahrt, d. h. von dem Wiederverkauf eingeführter Gegenftände an die Schiffe, welche die Inſel an: laufen, um Wafjer zu füllen. Die Zahl folcher Schiffe beträgt 2— 3000 jährlich, da fast jedes von Djtindien fommende Fahr: zeug St.-Delena als Anhaltepunft wählt, und es bejteht da— ber in Jamestown ein veger Verkehr. Im allgemeinen herricht jedoch auf der Inſel große Armuth, und das mangelnde Kapital iſt auch die Urfache, weshalb nicht mehr Yand urbar

307

gemacht wird, da das dazu erforderliche ZTerrafjiren der Bergabhänge ziemliche Koſten verurfacht.

Fremde befuchen die Infel nicht, ohne einen Ritt nach Long— wood zu machen und die ehemalige Wohnung und das Grab Napoleon’s I. zu befehen. Bekanntlich hat der jegige fran- zöfifche Kaiſer Longwood angefauft und reftanriven laſſen. Es werden daher von dem Cuſtos weder Stüde des Eifen- gittevg, noch Zweige von der Trauerweide des Grabes mehr verfauft; alles ift neu, und an die Stelle des frühern engli- jchen Unteroffiziers ift al8 Wächter der Baron von Rouge— mont, eine Reliquie der alten Garde, getreten.

St.-Helena iſt nebft Afcenfion der Sammelpumft für die Schiffe des englifchen weftafrifanifchen Geſchwaders, das von SierrasLeone bis zum Cap zur Verhinderung des Sflaven- handels kreuzt. Durchjchnittlich werden von diefem Geſchwader jährlich fechs bis acht Sklavenfahrer aufgebracht und den Kapern von der Regierung 5 Pf. St. für jeden Neger und 1 Pf. St. 10 Sh. für jede Tonne des genommenen Schiffes als Prifengelver ausgezahlt. Schiffe und Neger jchafft man nach St.-Helena. Erſtere werden merfwiürdigerweife zerftört, mögen fie noch fo fchön fein. Letztere ſperrt man fo lange in Rafernen, bis fich Gelegenheit bietet, fie nach den englifchen Beſitzungen in Weftindien zu ſchicken. Dort verdienen fie die Koſten ab, die ihre Befreiung der englifchen Regierung gemacht, und werden Apprentices, ‚Lehrlinge‘, auf einen Zeitraum von 10 Jahren; dann ftellt man es ihnen frei, in ihr Baterland zurücdzufehren. So wiffen die Engländer das Angenehme mit dem Nüßlichen zu vereinigen; jte leijten der Philanthropie einen Dienft und verjchaffen fich zugleich billige Arbeitskräfte, für ihre Kolonien.

Unfer nächſtes Reifeziel war Ajcenfion, eine andere der Klippen, welche vulfanifche Thätigfeit jo viel taufend Fuß aus dem Grunde des füdsatlantifchen Deeang emporgehoben. Die

20*

308

Inſel liegt etwa 150 Meilen in nordweftlicher Richtung von St.-Helena auf dem Wege nach Europa und ift ungefähr ebenfo groß und unzugänglich wie lettere, aber bis auf die Spitze des höchjten Berges, der ſich 2500 Fuß hoch erhebt, durch— aus unfruchtbar, fahl und nur ein todtes Feld von Lavaklip— pen und vulfanischer Aſche. Ein traurigerer Anblid als die Ihwarzen zadigen Felſen, welche wie ein Gürtel die Infel umfchließen, ift faum denkbar. Die Rhede ift ungefähr wie in St.-Helena, das Landen jedoch viel fehwieriger und oft tagelang unmöglih, wenn die von Südamerifa herüber- fommenden Rolffeen, eine bisjetst noch nicht genügend erflärte Erjcheinung, fih an den Felfen brechen. Die Inſel hat 120 Einwohner, und zwar nur Militär. Früher unbewohnt, wurde Ajcenjion 1816 von den Engländern in Befit genom- men, um Napoleon befjer zu bewachen und alle Fluchtver- juche dejjelben zu vereiteln, da jedes nach Nordamerifa oder Europa jegelnde Schiff bei der Infel vorbei mußte und von den englifchen Kreuzern Leicht angehalten werden fonnte. Seit Napoleon’8 Tode dient fie jedoch nur noch als Sanitarium für die Fieberfranfen des afrikanischen Geſchwaders und wird außerdem von Schiffen aufgefucht, die Waffer auffüllen wollen und St.-Helena verfehlt haben. Das Hospital ift 2000 Fuß hoch über dem Meeresfpiegel an der Seite des erwähnten Berges angelegt, und hier fieht man auch das einzige Grün auf der Injel. Die Gouverneure haben ihr Möglichites gethan, um dieſes Fledchen zu cuftiviven. Hier iſt ein großer Garten angelegt, und in mächtigen Eifternen wird das fich aus den Wolfen niederichlagende Waller gefammelt, das eine Röhren— leitung 1%, Meilen weit nach der Küfte und dem Anferplate führt. Namentlich hat der jetige Gouverneur, Kapitän Bar- nard, ſich fehr viel Mühe mit neuen Anpflanzungen gegeben und jährlich 10—15000 Sträucher und Pflanzen eingejett, um die Vegetation allınählich weiter zu Thale zu leiten und

309

durch das Dlätterwerf mehr Feuchtigfeitsniederfchlag anzu: ziehen. Nach ven meteorologifchen Beobachtungen gelingt dies auch von Jahr zu Jahr mehr. Trotzdem wird Aſcenſion immer eine traurige Einöde bleiben, auf der niemand frei: willig wohnt. Das einzige Erzeugniß der Injel find See- Ihilofröten, die an der Küfte ihre Eier legen und gefangen werden. Die Saijon des Fanges ift vom Februar bis Juni und der jährliche Ertrag ungefähr 600 Stüd. Im Durch- Ichnitt find die Thiere außerorventlich groß, fie wiegen jelten unter 300 Pfund, erreichen aber oft das doppelte Gewicht. Unmittelbar an der Küfte find zwei mit dem Meere zufam- menhängende Baſſins angelegt, in denen fie aufbewahrt wer- den. Die anlaufenden Schiffe nehmen gewöhnlich einige an Bord; das Stüd koſtet 2Y, Pfd. St., und auch wir fauften zwei davon. Cine wurde fpäter gejchlachtet, die zweite für den Zoologifchen Garten in Berlin lebend überbracht. Jede derfelben wog ungefähr 2%, ECtr., und beide legten täglich 2—3 Eier von der Größe eines Enteneies, aber fugelfürmig und ftatt der Schale mit einer pergamentartigen Haut ver- ſehen; der Geſchmack der Eier war jedoch nicht jehr befonders.

Don Afcenfion bis zum Aequator hatten wir eine ziemlich lange Reife, neun Tage, von dort an jedoch ging es fehr fchnell vorwärts. Wir nahmen abermals eine neue von Maury vorgejchlagene Tour, indem wir ung mehr wejtlich hielten, und fanden dort einen fo günftigen Paſſatwind, daß wir ſchon nach vierzehn Tagen die Grenze defjelben und am 18. Zage von der Linie an die Azoren erreichten.

Am 19. Mai traf die Elbe in Falmouth ein, am 23. erhielten wir Drdre nach Swinemünde zu fegeln. Am 29. Mai begrüß- ten wir nach 2Ysjähriger Abwefenheit die heimijchen Geſtade, glücklich und wohlbehalten, mit gefunder Mannjchaft und ohne einen einzigen Mann verloren zu haben. Bei unjerer Ankunft erfuhren wir, daß der Vertrag mit Siam Anfang Februar

310

abgejchloffen worden jei und die beiden Schiffe Arkona und Thetis fich bereits auf der Heimreife befänden. Der Geſandte Graf Eulenburg war Mitte März von Singapore über Land nach Berlin gereift und Anfang Mai dort eingetroffen.

Die preußifche Expedition nach Dftafien hat große Opfer gefoftet; won den vier Schiffen ift eins nicht wiedergefehrt und von den 800 Menfchen, welche mit dem Gefchwader hinausgingen, hat ein ziemlicher Theil fein Vaterland nicht wiedergejehen. Die Zahl der Fehlenden beträgt über 100; da— von jind 42 mit dem Krauenlob verloren gegangen, während die übrigen durch Krankheiten hingerafft wurden, unter ihnen ſechs Dffiziere. Große Reſultate werden jedoch fat immer theuer erfauft, und wir dürfen die Ergebnifje der Expedition groß nennen, wenn nicht für die Gegenwart, jo doch für vie Zufunft Deutjchlands und feines Handels. Wir haben drei Verträge gejchlojfen, die, wenn ſie richtig benußt werden, eine unbergchenbare Tragweite haben. Wir haben den Afiaten, gezeigt, daß die unter ihnen wohnenden Deutjchen eine Flagge haben, die ihnen Schuß angedeihen laſſen und ihre Rechte vertreten wird. Die Deutfchen in China, Japan und Siam jelbft find durch die gejchloffenen Verträge auf- einen ganz andern Boden geſtellt. Wo fie früher nur geduldet waren, haben fie jett ein Recht zu fein; fie find den meiſtbegünſtig— ten Nationen gleichgejtellt und haben nicht mehr nöthig, um Schug und Hülfe bei fremden Confuln und Gejandten zu betteln.

Die Expedition hat ferner den Deutſchen im Vaterlande eine genaue Einſicht in die dortigen Verhältniſſe gegeben; ſie hat den Weg zu directen Handelsverbindungen mit jenen Län— dern gebahnt und der deutſchen Induſtrie neue Abſatzquellen eröffnet. Die preußiſche Regierung hat beſchloſſen, ein grö— ßeres und mehrere kleine Schiffe hinausſchicken, um den Verträgen Geltung zu verſchaffen und den Deutſchen effectiven

311

Schutz zu gewähren. Es bleibt daher nur zu wünſchen, daß die deutſchen Kaufleute ſelbſt nunmehr das Ihrige thun. Ich habe gezeigt, wie es uns möglich iſt, mit allen Nationen in Oſtaſien zu concurriren, ſie zu verdrängen und ſelbſt mit England einen erfolgreichen Kampf um den Löwenantheil am chineſiſchen und damit am Welthandel zu führen. Sehr viel können dazu die Regierungen, viel der Zollverein und die Handelscorporationen thun, aber Eins und das Wich— tigſte iſt Sache der Kaufleute ſelbſt: ſie müſſen reell ſein. Der Mangel an Reellität hat dem deutſchen Handel ſchon unberechenbaren Schaden gethan. Die Reellität der Eng— länder iſt das Geheimniß ihrer Handelserfolge im Oſten, und ſolange wir darin ihnen nachſtehen, werden uns alle Verträge nichts nutzen. Der Chineſe läßt ſich einmal hinter das Licht führen, aber nicht wieder. Es verlocken ihn keine niedrigen Preiſe dazu. Der Aſiate zahlt baar und theuer, aber er verlangt gute Waare und daß eine beſtimmte Marke auch unverändert dieſelbe Waare enthalte. Iſt er davon überzeugt, fo kauft er ungefehen nur nach der Marke; wird er einmal getäufcht, jo fommt er nie wieder.

Hiermit ſchließe ich meine Mittheilungen über die preußiſche Expedition. Ich habe den Yefer viele Taufende von Meilen weit in ferne Gegenden geführt, die bisher nur theilweife und ſehr unvollfommen befannt waren, und habe verjucht, ihm ein Bild von jenen fremden Ländern und Völkern zu ent: werfen. Mein Beftreben war es, neben der Schilderung des Neuen und Interefianten, das fich dem Beobachter auf diejer Reife in fo reichem Maße bot, bejonvders auch die Vortheile darzulegen, welche fich in hanvelspolitifcher Beziehung an die preußifche Expedition knüpfen, umd die Deutſchen von der großen Wichtigkeit des Unternehmens für das gemeinfame Va— terland zu überzeugen.

312

Dem freundlichen Lefer aber, der uns auf unferer Reife begleitet, Freude und Leid im Geifte mit uns getheilt, |preche ih meinen Danf dafür aus und fage ihm ein herzliches Lebewohl!

Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.

University of California SOUTHERN REGIONAL LIBRARY FACILITY Return this material to the library from which it was borrowed.

REC*D TD-URT

eEB05 1989

HON-REN PEN

| f} ıD-U Aus, J werd

2 2 WAS 36 IN F

—*

uU a UM. REG ‚EIVED

UC SOUTHERN REGIONAL LIBRARY FACILITY

I]